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German Pages 601 [604] Year 2012
Paul Galles Situation und Botschaft
Tillich Research Tillich-Forschungen Recherches sur Tillich
Edited by
Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger and Erdmann Sturm
Volume 3
De Gruyter
Paul Galles
Situation und Botschaft Die soteriologische Vermittlung von Anthropologie und Christologie in den offenen Denkformen von Paul Tillich und Walter Kasper
De Gruyter
Gedruckt mit Unterstützung des Fonds national de la recherche (FNR)
ISBN 978-3-11-029180-3 e-ISBN 978-3-11-029198-8 ISSN 2192-1938 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. 쑔 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Meinen Eltern, meinen Schwestern und meinen Großeltern Und für Maria
Vorwort „Frage dich nicht, was die Welt braucht. Frage dich lieber, was dich lebendig macht, und dann geh und tu das Entsprechende. Denn die Welt braucht nichts so sehr wie Menschen, die lebendig geworden sind.“ ( John Eldredge, Der ungezhmte Mann)
Die vorliegende Arbeit ist die unwesentlich überarbeitete Fassung meiner im Februar 2010 eingereichten, im April 2010 verteidigten und im Wintersemester 2010/2011 vom Fachbereich Systematische Theologie der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom angenommenen Dissertation. Entstanden ist sie aus einem lebendigen, ehrlichen und existentiellen Interesse: den christlichen Glauben heute so zur Sprache zu bringen, daß das Christliche als befreiend und erlösend erlebt werden kann. Mich prägte der langjährige Wunsch, das, was mich in einer Christusbegegnung zutiefst ergriffen hat, auch anderen im Modus einer motivierenden Reflektion zugänglich zu machen, göttliche Botschaft und Situation der Menschen zueinander in Beziehung zu setzen. Das menschliche Handeln artikuliert nach meiner Erfahrung viele archetypische Sehnsüchte, die nach Heil inmitten der Offenheit des Lebens und des Nichtgehaltenseins der Hoffnung suchen. Daß die Vermittlung von Gott und Mensch unter den Vorzeichen der anthropologischen Wende und der geschichtlichen Freiheit nicht als Konkurrenzverhältnis, sondern als gegenseitiges Erschließungsverhältnis zu denken ist – darin besteht das Grundanliegen dieser Arbeit. Mein ehrlicher und herzlicher Dank gilt all jenen, die zum Gelingen der Dissertation beigetragen haben, vor allem meinem Doktorvater P. Prof. Dr. Elmar Salmann OSB, der mich und die Arbeit in unnachahmlicher Weise mit menschlicher Geneigtheit, benediktinischer Treue und außerordentlich kompetentem Sachverstand begleitet hat. Die Dissertation und meine existentiell-weisheitlich-theologischen Reflektionen verdanken ihm sehr viel. Dank gebührt auch P. Prof. Dr. Philipp Renczes SJ für die Mühe des Zweitgutachtens und P. Prof. Dr. Pawel Kapusta SJ, der den Vorsitz der Verteidigung in Rom übernahm.
VIII
Vorwort
Dem damaligen Erzbischof von Luxemburg, Mgr. Fernand Franck, und dem Regens des Luxemburger Priesterseminars, Dr. Georges Hellinghausen, verdanke ich die Gelegenheit zum Studium in Rom und bleibendes Vertrauen. Zu Dank verpflichtet weiss ich mich auch den Herausgebern der Reihe „Tillich Research“ für die freundliche Aufnahme der Arbeit und besonders Prof. Dr. Dr. Werner Schüßler, der als mein früherer Trierer Lehrer die Forschung am Werk von Paul Tillich förderte und unterstützte. P. Prof. Dr. Luis Ladaria SJ, mittlerweile Sekretär der Glaubenskongregation, hat das Interesse am Denken von Kardinal Walter Kasper ermutigt und bei der Lizenzarbeit begleitet. Ebenso danken möchte ich dem Verlag Walter de Gruyter für die kompetente und freundliche Betreuung sowie dem „Fonds national de la recherche“ (FNR) für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Die römische Hausgemeinschaft des Collegium GermanicumHungaricum bot mir nicht nur den nötigen Rahmen, um sowohl die theologische Wissenschaft als auch die Vergangenheit und Aktualität Roms und Italiens intensiv zu studieren. Sie war mir auch 8 Jahre lang Heimat: dafür danke ich den Schwestern, Patres, Brüdern, allen Mitstudenten und dem Personal. Ähnliches gilt für die letzten Monate der Fertigstellung der Dissertation von der benediktinischen Gemeinschaft von Sant’Anselmo im unvergleichlichen Ambiente des Aventin. Namentlich erwähnt seien auch jene Personen, die unmittelbar am praktischen Gelingen meiner Arbeit beteiligt waren: Frau Petra Weber, Frau Jutta Förtsch, Frau Maria Immer und Frau Anne-Kathrin Lüdecke. Vor allem aber danke ich jenen, die mir zuhause, in der Kirche und in freundschaftlichen Kontakten einen lebendigen Glauben geschenkt haben, in besonderer Weise der Heimatpfarrei in Luxemburg-Gasperich, den Menschen meiner Pfarrstelle in Esch-sur-Alzette, der Charismatischen Erneuerung Luxemburgs, der „Gemeinschaft der kleinen Schwestern und Brüdern vom Lamm“ sowie der Jugend- und Berufungspastoral der Erzdiözese Luxemburg. Viele Menschen vermitteln uns die Lebendigkeit des Lebens und sind damit Widerschein von Gottes guter Botschaft mitten in unserer Situation, so ganz besonders meine Familie, denen dieses Werk gewidmet ist. Möge diese Arbeit einen bescheidenen Beitrag dazu leisten, das Wohlwollen Gottes in Christus als belebende Quelle zu reflektieren. Luxemburg, im April 2012
Paul Galles
Inhalt I. A. 1. 2. 3. B. 1. 2. 3. II. A. 1. 1.1. 1.2. 2. 2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.2. 2.2.1 2.2.2. 2.2.3. 3. B. I. 1.1. 1.2 2. 2.1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geistesgeschichtliche Einordnung des Themas . . . . . . . . . . Die Revolution im Seinsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theologie im offenen Strom der neuen Zeit . . . . . . . . . . . „Situation und Botschaft“ als Tillich und Kasper zugetragenes Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Vorzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Gang der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Originalität und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich . . . . . . . . . . . . Einleitender Teil: Methodologische Grundlegungen . . . . . „Christologie ist eine Funktion der Soteriologie“ . . . . . . . . Die Christologie als Mitte und Gravitätszentrum . . . . . . . . Christologie als Soteriologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Apologetische Theologie und Korrelationsmethode . . . . . . Die Gestalt der Theologie in der „Systematischen Theologie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Situation und Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Genese der Theologie und das letztgültige, unbedingte Anliegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kriterien und Norm der apologetischen Theologie . . . . . . Die Korrelationsmethode zwischen Polarität und Dialektik Die Korrelationsmethode in kritischer Sicht . . . . . . . . . . . . Korrelation als offener Spiralgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problematisierung: Entsprechung oder Überforderung? . . . Die drei Phasen der Vermittlung von Christologie und Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster Hauptteil: Die religionsphilosophische Vermittlung von Gott und Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der geschichtliche Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tillichs persönliches Schicksal „auf der Grenze“ . . . . . . . . . Der Kairos des Ersten Weltkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der philosophische Ausgangspunkt: Schelling . . . . . . . . . . Philosophische Einflüsse im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . .
1 1 1 4 9 18 18 23 28 32 34 34 34 37 39 39 39 43 49 51 51 56 60 64 67 67 67 71 74 74
X 2.2 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.3.3. 2.3.4. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 4. 5. 5.1. 5.2. 5.2.1. 5.2.2. 5.3. 5.4. C.
1. 1.1. 1.2. 1.3. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 3. 3.1. 3.2. 3.2.1. 3.2.2.
Inhalt
Tillichs Abhängigkeit von Schelling . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Darstellung von Schelling bei Tillich . . . . . . . . . . . . . . Die kritische Rezeption Schellings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die existentialistische Rezeption Schellings . . . . . . . . . . . . Die Frage nach dem systembildenden Einfluß Schellings auf Tillich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Problemdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konstitution selbsttätiger Subjektivität . . . . . . . . . . . . . Offenbarung und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Sinnbegriff als geschichtsphilosophisches Integral . . . . . Der theologische Ausgangspunkt: die Rechtfertigung . . . . Das Stehen in der lutherischen Tradition . . . . . . . . . . . . . . Die Rechtfertigung des Zweiflers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das ontologische protestantische Prinzip . . . . . . . . . . . . . . Kritik von Theismus und Atheismus . . . . . . . . . . . . . . . . . „Der Mut zum Sein“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenschau und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theologie der Kultur und Symboltheorie . . . . . . . . . . . . . . Die Theologie der Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Symboltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Religiöse Symbole und Existentialanalyse . . . . . . . . . . . . . . Die innere Dynamik des Symbols . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Begriff der Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Symbolvermittlung im Hinblick auf die Christologie Zweiter Hauptteil: Die theologisch-philosophische Vermittlung von Christus und Mensch in der „Systematischen Theologie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung in die Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Logik der fünf Teile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vernunft und Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sein und Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tillichs Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Essenz-Existenz-Schema und die Erwartung des Christus Ontologie und Personalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anthropologische Klärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das soteriologische Christus-Symbol . . . . . . . . . . . . . . . . . Jesus der Christus als Träger des Neuen Seins . . . . . . . . . . . Die heilsnotwendige „Form“ des Christus . . . . . . . . . . . . . Das Christus-Symbol als geschichtliches . . . . . . . . . . . . . . . Das Christus-Symbol als personales . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78 78 89 93 97 97 98 105 114 129 129 130 136 137 138 142 148 148 152 155 158 162 166
168 168 168 173 176 180 180 188 190 195 195 199 200 202
Inhalt
3.3. „Inhalt und Gehalt“ des Ereignisses Jesus der Christus . . . . 3.3.1. Der „manifestierte“ Gehalt: die glaubende Aufnahme des Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2. Der „Inhalt“ in der Spannung von Faktum und gläubiger Annahme: Leben-Jesu-Skepsis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Paradox und Dogma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Das Dogma: die Vermittlung von Gott und Mensch im „Neuen Sein“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1. Tillichs Bewertung der frühkirchlichen Christologie . . . . . 4.1.2. Das Essenz-Existenz-Schema als Neuinterpretation der zwei Naturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Das Tillichsche Paradox . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1. Das christologische Paradox . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2. Tillichs Neuinterpretation der Inkarnation . . . . . . . . . . . . . 5. Kritische Würdigung der soteriologischen Vermittlung . . . 6. Die Einlösung in Versöhnungslehre und Pneumatologie . . 7. Der III.Band: Leben und Geschichte im Geist und als Reich Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Schlussteil: Überhänge und Übergänge . . . . . . . . . . . . . . . 1. Philosophische und theologische Grundströmungen . . . . . . 2. Soteriologie als Spiegelbild der denkerischen Optionen . . . 3. Welcher Mensch wird erlöst? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Frage nach der Denkform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Überhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. A. 1. 2. 2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.2. 2.2.1.
Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper . . . . . . . . . . Einleitender Teil: Methodologische Grundlegungen . . . . . „Christologie und Anthropologie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuzeitliche Theologie zwischen Glauben und Geschichte Situation und Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verständnis von Dogmatik bei Walter Kasper . . . . . . . Tübinger Spurenelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geistesgeschichtliche Anwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der neuzeitliche Atheismus als theologische Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Die Frage nach der vermittelten Einheit von Gott und Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3. Auf der Suche nach der Denkform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Korrelation und transzendentale Methode . . . . . . . . . . . . . 2.3.1. Kaspers Ansatz einer freiheitlich-geschichtlichen Korrelation
XI 203 203 217 220 220 221 222 223 223 225 228 236 241 250 250 255 262 266 271 274 276 276 283 283 284 293 300 300 308 310 318 318
XII
Inhalt
2.3.2. Die transzendentale Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3. Philosophie und Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die drei Schritte der Vermittlung von Christologie und Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Erster Hauptteil: Die transzendentalphilosophische Frage nach der Vermittlung von Gott und Mensch . . . . . . . . 1. Der philosophische Ausgangspunkt: Schelling . . . . . . . . . . 1.1. Glaube und Geschichte beim späten Schelling . . . . . . . . . . 1.1.1. Schelling als Brücke zwischen Idealismus und Moderne . . . 1.1.2. Die Freiheit als grundlegendes Problem . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3. Der Übergang von der negativen zur positiven Philosophie 1.1.4. Die dialektisch-christologische Vermittlung von Glaube und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Das Erbe Schellings für eine neuzeitliche Christologie . . . . 1.2.1. Größe und Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2. Bleibende Gültigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3. Schellings Denkform: Dialektik, Analogie und Dialog . . . . 2. Der theologische Ausgangspunkt: die natürliche Theologie 2.1. Der transzendentale Rückgriff auf die natürliche Theologie 2.2. Erfahrung und Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Gotteserkenntnis im Horizont der Freiheit . . . . . . . . . . . . . 2.3.1. Die Freiheitsanalyse von Hermann Krings . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Die transzendentalphilosophische Aufschlüsselung der Gottesbeweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Die Pascalsche Frage des Menschen nach Hoffnung . . . . . . 2.4.1. Die geschichtlich-freiheitliche Grundsituation des Menschen 2.4.2. Der Mensch als Fragment? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3. Hoffnung auf Jesus Christus – Hoffnung auf das Paradox 3. Der geschichtliche Selbsterweis Gottes in einer freien Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zweiter Hauptteil: Die Person Jesu Christi als Gottes universales Heil im Heiligen Geist . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anforderungen an eine relevante Christologie . . . . . . . . . . 1.1. Hermeneutisch-methodologische Überleitung . . . . . . . . . . 1.2. Eine narrativ-implizite Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Das Grundproblem spekulativer Entfaltung der Soteriologie 2. Jesus Christus – wahrer Gott und wahrer Mensch in einer Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Der „Gottessohn“ – eine trinitarisch verankerte Christologie 2.1.1. Paradox und Gottessohnschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
324 332 336 339 340 341 341 346 348 350 356 356 357 358 362 363 367 370 371 377 385 387 389 394 395 399 399 400 405 411 414 415 415
Inhalt
2.1.2. Die Göttlichkeit Jesu Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3. Der trinitarisch-personale Gott der Geschichte . . . . . . . . . . 2.2. Der „Mittler“ – eine pneumatologisch gewendete Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Die „doppelte Transzendenz“ Jesu Christi . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Zwei-Stufen- oder Zwei-Naturen-Christologie? . . . . . . . . 2.2.3. Die christologische Konzilsformel von Chalcedon . . . . . . . 2.2.4. Die Neuinterpretation vom Personbegriff her . . . . . . . . . . 2.2.5. Die Vermittlung von Universalität und Einzigartigkeit Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Der „Menschensohn“ – eine soteriologisch geprägte Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1. Die Ernsthaftigkeit des Heils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Die Rezeption der Drei-Ämter-Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Christologie als Antwort auf die Anthropologie des Leidens D. Schlussteil: Überhänge und Übergänge . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Charakter von Kaspers Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das universale Feld der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Paradox, Leiden und Erlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Pneuma-trinitätstheologische Christologie . . . . . . . . . . . . . 5. Die schwierige Korrelation von Anthropologie und Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Frage nach der Denkform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. A. 1. 2. 3. B. 1. 2. 3. C. D. 1. 2. 3. 4.
Schlußteil: Vergleich und Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . Ertrag: Situation und Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Physiognomie des Gedachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die unterschiedliche Auswirkung der gemeinsamen philosophischen Quelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die theologische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gelenkstellen: Wie das Menschsein an Christus appelliert Das Bild vom Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Fassung der Aporetik in der Christusgestalt . . . . . . . . . Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fassung: Die Frage nach der Denkform . . . . . . . . . . . . . . . Einlösung: Seelsorglich-pastorale Reflexionen . . . . . . . . . . Das Glaubenswagnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Frage nach der Übersetzbarkeit der Botschaft . . . . . . . Die Evidenz gelebter Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die schwierige Suche nach dem Gleichgewicht . . . . . . . . .
XIII 419 423 432 433 435 438 442 449 461 463 467 470 477 477 483 487 489 491 494 496 496 497 499 504 507 507 510 514 518 526 526 529 530 532
XIV 5. E.
Inhalt
Hilfreiche Unterscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 Ausblick: Das Desiderat einer Geist-Christologie . . . . . . . . 538
Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bibliographie Paul Tillich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bibliographie Walter Kasper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beiträge von Walter Kasper in Sammelwerken . . . . . . . . . . Zeitschriftenbeiträge von Walter Kasper . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
545 545 545 547 547 557 557 557 558 562 563 567
Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575
I. Einleitung A. Geistesgeschichtliche Einordnung des Themas 1. Die Revolution im Seinsverständnis „Theologie geht aus von der im kirchlichen Bekenntnis überlieferten Rede von Gott (Heóf) und sucht diese angesichts der Fragen der Menschen vor der Vernunft (Kócof) zu rechtfertigen und tiefer zu verstehen.“1 Mit dieser Wesensbeschreibung von Theologie aus der Feder von Walter Kasper ist ihr wesenhaft eine Vermittlungs- bzw. Übersetzungsleistung zugesprochen, in der im Modus der Tradition die jeweils zeitgemäßen Antworten als Träger theologischer Wahrheit von Situation zu Situation weitergereicht werden. Glaube und Geschichte sind von jeher aufeinander bezogen, Situation und Botschaft bedingen sich gegenseitig. Doch in welchem philosophischen Makrorahmen muß ihr gegenseitiges Bestimmungsverhältnis ausgelegt werden? Und welche theologischen Gelenkstellen ermöglichen diesen hermeneutischen Vollzug? Es ist zum philosophischen Allgemeingut geworden, die neuzeitliche „Krise der Metaphysik“ und damit den Übergang von einer „statischen“ Metaphysik der Antike und des Mittelalters zu einer „dynamischen“, weil geschichtlichen Metaphysik der Moderne zu konstatieren. Alois Halder hat in seinem Einführungsreferat „Wirklichkeit als Geschichte“ zum Band 72 der „Quaestiones disputatae“2 die damit verbundenen philosophischen „Vorfragen“ ausgeführt. Er beschreibt die „statische“ Metaphysik als auf eine Wirklichkeit bezogen, die sich versteht als eine „im Ganzen (…) gestufte Ordnung von je mehr oder weniger umfassenden Seinsvollkommenheiten, Seinseigentümlichkeiten, Essenzen und damit „Naturen“„3, in deren Zusammenhang die Geschichte das rein Akzidentelle darstellt, welchem gegenüber dem Wesen kein Fortbestand über
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Kasper, W.: Der Gott Jesu Christi, 25 (Hervorhebung von Kasper). Halder, A.: Wirklichkeit als Geschichte. Philosophische Vorfragen zu Bedeutung und Vermittlung des Christusereignisses, in: Scheffczyk, L. (Hrsg.): Grundfragen der Christologie heute (QD 72); Freiburg/Basel/Wien: Herder 1975, 15 – 35. Halder, 17.
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I. Einleitung
den Tod hinaus beschieden ist. Das Seiende über allem Seienden, fähig, es sich anzueignen und es in Fülle schon seit jeher besitzend, ist Gott. Eine Vielzahl von Ereignissen und Entdeckungen führten dieses Modell in die Krise und bewirkten einen vierfachen Verlust: der Welt als verläßlich ständiger Natur, der Menschlichkeit als der ständigen „Natur“ des Menschen, der Gçttlichkeit als alles tragenden Urgrundes, und der Geschichte als geordneten Ablaufs des Kontingenten. Die Neuzeit hat den Menschen aus dem diesem großen Ordo der Natur und der Religion herausgerissen, letztlich die natürliche und menschliche Welt seiner Subjektivität untergeordnet, ihn seinen geschichtlichen Wandlungen ausgeliefert und Gott zu einem Moment in seinem Selbstvollzug gemacht. Nackt steht der Mensch im Strom der Zeit. Das Bewußtsein der Geschichtlichkeit aller Prozesse hat ihn aller ontologischer Sicher- und Gewißheit beraubt. Erst in der Geschichte erzeugt sich der Wesensbestand der Welt selbst: „nicht Werden unter dem Maß des Seins, sondern Werden des Maßes, des Seins selbst, in der Bewegung des Bemessenen, des Wirklichen“4. Philosophisch tritt dies vor allem in der Hegelschen Dialektik von Identität von Substanz und Akzidenz hervor. Geschichte ist in letzter Konsequenz die Selbstherstellung Gottes oder – nach der Verabschiedung Gottes – die Selbstherstellung der Natur, so daß die Menschengeschichte zu einem Teil der Naturgeschichte degradiert wird. Besondere Bedeutung gewinnt die Geschichtsphilosophie. Was kann Geschichte gerade im Vor- und Umfeld der Theologie bedeuten? „Eine geschichtliche Sicht der Welt besagt (…), daß die Wirklichkeit nicht eine objektiv vorhandene Größe darstellt, daß vielmehr das Subjekt eingeht in die Konstitution der Welt, wie umgekehrt das Subjekt durch die Welt vermittelt ist. So geschieht die Konstitution der Wirklichkeit im dialektischen Zusammenspiel von Welt und Mensch“5, so Kasper. Tillich umschreibt es philosophisch so: „Menschliche Geschichte ist, wie die semantische Untersuchung des Begriffs historia gezeigt hat, eine Vereinigung subjektiver und objektiver Elemente.“6 Von daher hat Geschichte nach Tillich vier Merkmale: Zweckverbundenheit, Freiheitsbewußtsein, sinnvolle Neuschöpfung und teleologisch-universale Ausgerichtetheit 4 5 6
Halder, 27. Kasper: Der Gott Jesu Christi, 141 (Hervorhebung von Kasper). Tillich, P.: Systematische Theologie III.Band (ST III), 346 (Hervorhebung von Tillich).
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auf Sinn.7 Eine angemessene und universal für alle gültige Geschichtsdeutung kann nur im tätigen geschichtlichen Handeln erfolgen. Es gibt einen Wechselbezug des Subjekts mit der ihm vorgegebenen und als Verantwortung aufgegebenen Wirklichkeit. „Ausgangspunkt“ ist nach Kasper „die Freiheit; sie ist der Kern neuzeitlicher Geschichtsphilosophie“8. Für Alois Halder ist die Geschichte das Umgreifende sowohl für jedes einzelne Subjekt als auch für das Miteinander der Subjekte. Geschichte ist nicht mehr planbar, sondern begibt sich – und der Mensch mit und in ihr. „Geschichte ist nicht das Notwendigkeitsgeschehen nach feststehenden Wesens- oder Entwicklungs- oder Herstellungsgesetzen, sondern, obwohl nicht willkürlich und bedingungslos, doch ein unableitbar-unberechenbares Geschehen von Freiheit.“9 Geschichte ist „mehr“ als die Partner, die in ihr leben und von ihr durchdrungen werden. Sie ist Kontinuität des Diskontinuierlichen, beständige Überraschung. Sie ist auch nicht mehr – wie noch bei Hegel – in den Begriff einzufassen. Vielmehr ist sie ständige sich in Ereignissen ereignende Gegenwart, welche eine je neue Geschichtsschreibung verlangt, da in ihr die Vergangenheit in eine neue Möglichkeit hinein „zurückgenommen“ wird und sich so künftig sich ereignender Verwandlung darbietet. Sie ist nicht die Summe von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sondern ein fortdauerndes gegenseitiges Bestimmungsverhältnis, sich überlieferndes, wandelndes und riskierendes Weitergeschehen. Peter Hünermann hat diesen Gedanken im selben Band der „Quaestiones disputatae“ anthropologisch vertieft.10 Zeit bestimmt die Weise des Daseins des Seins. Sie ist gezeichnet durch den Vorbehalt der Zukunft und den Entzug der Vergangenheit. Nur in dieser Spannung eignet dem Menschen Gegenwart. Die Änderung gehört also zum Selbstsein, doch gerade in der Veränderung wird es es selbst. Im letzten sei diese Änderung als Sein-beim-anderen die Teilhabe an Gott auf dem Weg des Menschen durch die Zeit.11 7 Vgl. Tillich: ST III, 349. 8 Kasper: Zur gegenwärtigen Situation und zu den gegenwärtigen Aufgaben der systematischen Theologie, in: Theologie und Kirche I, 7 – 22 (Vorwort), hier: 17. (Künftig zitiert als: Aufgaben der Theologie) 9 Halder, 30. 10 Hünermann, P.: Gottes Sohn in der Zeit, in: Scheffczyk, L. (Hrsg.): Grundfragen der Christologie heute (QD 72); Freiburg/Basel/Wien: Herder 1975, 114 – 140. 11 Hünermann: Gottes Sohn in der Zeit, 126.
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Dabei wird die alleine schon geschichtsphilosophisch erkennbare Dialektik deutlich: der Mensch als Träger der Geschichtlichkeit versteht sich als solcher dank einer ontologischen Reflexion auf das Sein, welches der Grund alles Seienden ist. Diese Rückkehr zum Sein ist nun aber die transzendentale Möglichkeitsbedingung der Geschichtlichkeit, „weil allein aus dieser Wurzel der Unterschied des Geschichtlichen vom Geschichtslosen erwächst. Während nämlich dieses vom Geschehen bewußtlos überwältigt wird, zeichnet sich jenes durch das bewußte Planen und freie Gestalten des Geschehens aus.“12 Dieses neue Seinsverständnis stellt die Theologie vor ganz neue Aufgaben und Herausforderungen.
2. Theologie im offenen Strom der neuen Zeit Was kann Geschichte demnach für den Theologen heißen? Das neue Seinsverständnis birgt nicht nur Gefahren – im Gegenteil. Theologie ist ja zu jeder Zeit ein Navigieren auf Sicht auf der hohen See der menschlichen Weltanschauungen. Die Route verläuft auf der Grenze zwischen Markierungspunkten, inmitten derer es gilt, den verschiedenen Ansprüchen gerecht zu werden. Da christliche Theologie von jeher einen apologetischen Über-Setzungs-Charakter hat, stellen die nächstgelegenen Orientierungspunkte immer die göttliche Botschaft und die aktuelle menschliche Situation dar. Letztere führt dabei nicht zu einem Schwall von immer neuen sich ablösenden Ansätzen, sondern wird als geschichtlicher Gegen-Pol des göttlichen Offenbarungsgeschehens allgemeiner in der Geschichtsphilosophie oder -theologie reflektiert. Zugleich aber eröffnen sich in den jeweiligen Herausforderungen neue Wege, neue Routen, neue Richtungen. Konnten bisher Glaube und Geschichte, Situation und Botschaft durchaus rein akzidentell materialtheologisch miteinander in Beziehung gestellt werden, gilt spätestens in einem neuen ontologischen Bezugsrahmen eine formale, sich gegenseitig bedingende und erschließende Vermittlung im Sinne der Prolegomena. Das Thema Situation und Botschaft gehört nicht zu den pastoraltheologischen Konsequenzen, sondern wird zum fundamentaltheologischdogmatischen Humus der modernen Theologie. Gegenüber neuen Herausforderungen kommt der Theologie nicht die undankbare Aufgabe des Nachzüglers zu. Eine erneuerte Theologie 12 Artikel „Geschichtlichkeit“, in: Brugger, W. (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch, Freiburg/Basel/Wien 1976, 136 ff., hier: 136.
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wendet nicht einfach alte Weisheiten auf neue Begriffe und Kategorien an, sondern sie erweist an ihrem eigenen Vollzug die Kraft und Lebendigkeit der Offenbarung; in ihrem Licht entsteht eine Theologie, welche „die Grundzüge der veränderten Welt allererst erschließt und aufhellt“13. „Die Offenbarung müßte das Denken in neue Räume und Möglichkeiten vorrufen und dabei dieses zu sich selbst bringen.“14 Christliche Theologie ist der Geschichtlichkeit des modern anthropologisch gewendeten Menschen also nicht vor allem ausgeliefert, sondern vielmehr vertrauensvoll und mutig verpflichtet. Dabei bezieht sich die christliche Botschaft auf eine Pluralität von Situationen. Die Tragfähigkeit der theologischen Reflexion zeigt sich darin, daß einerseits jede Situation in ihren Grundmerkmalen ernstgenommen und die Botschaft hermeneutisch im Horizont der jeweiligen geschichtlichen Kontingenz ausgelegt, daß aber andererseits in der neuzeitlichen Theologie der Horizont des Geschichtlichen als solcher philosophisch und theologisch erschlossen und damit die metaphysische Frage neu gestellt wird. Eine neu formulierte Metaphysik, die nicht blind auf die klassische Ontologie zurückgreift, sondern auf dem Hintergrund einer neuzeitlichen Geschichtsphilosophie entfaltet wird, birgt in sich damit zum einen das christliche Anliegen der Universalität, welche alleine dem Relevanzanspruch des Christlichen genügen kann, und verbürgt zum anderen eine (post-) moderne Identität des Christlichen, in der die Botschaft des Reiches Gottes weder pluralistisch-relativistisch verwässert noch monistisch-defensiv in das Ghetto überkommener theologischer Entwürfe verbannt wird. Dabei erkannte die Theologie frühzeitig ihre ursprüngliche Kongenialität mit der Geschichtlichkeit. Durch das neue Wirklichkeitsverständnis wurde die Rückbesinnung auf den biblischen Befund der Geschichtlichkeit provoziert. Nach Halder hat das biblische Seinsverständnis vor-metaphysischen Charakter und läßt sich am besten mit dem Wort „Ereignis“ auslegen: es ist ein „Geschehen, in dem etwas, aus sich selbst heraustretend und sich öffnend, den Menschen angeht und anruft, zumal im Offenbarungsereignis den glaubenden oder zum Glauben bereiten Menschen angeht und anruft, sich so ereignet und ihm frei und unver13 Hünermann, P.: Der Reflex des deutschen Idealismus in der Theologie der katholischen Tübinger Schule, in: Philosophische Jahresschrift 1965/66 48 – 70; hier: 49. 14 Hünermann: Reflex, 49.
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fügbar sich zueignet“15. Aus dem Ereignis wird Bestand – nicht umgekehrt. In der Offenbarungssituation ereignet sich Botschaft samt ihrem unbedingten Angehen des Menschen immer wieder je neu.16 Die Paradoxalität des christlichen Glaubens besteht darin, daß der ewige Gott am Menschen und an der Welt in Zeit und Geschichte handelt. Damit ist letztlich Gott allein das Subjekt der Geschichte. Sein Eingriff ist Kairos, und das daraus entstehende Treueverhältnis zum Menschen begründet die Heilsgeschichte. Mehr noch: die Geschichte ist im biblischen Verständnis nicht ein Moment des Kosmos, sondern umgekehrt. Geschichte ist eine Grundkategorie der Offenbarung, ja „sie wird durch die Offenbarung nicht nur entdeckt, sondern auch gestiftet. Der absoluten Gratuität der Offenbarung entspricht ihre geschichtliche Kontingenz und Positivität.“17 Die Offenbarung geht der Geschichte theo-logisch voraus. Hatten Vertreter des Deutschen Idealismus’ dazu tendiert, die Offenbarung zu einem Moment der Geschichte zu machen und damit die Geschichte als absolute Größe, ja als Offenbarung zu setzen, muß diese Sicht von der biblischen Botschaft her korrigiert werden. Die Offenbarung ist die umfassendste Kategorie, da sie das christliche Urmysterium der gnädigen Selbstmitteilung Gottes zur Sprache bringt; erst von hier aus gibt es Geschichte, welche einerseits im Dienste der Offenbarungsdynamik steht und andererseits den Kosmos umfaßt. Die Geschehenseinheit der Offenbarung, welche ein Zusammenwirken von Offenbarer, Offenbarung und Offenbarungsempfänger voraussetzt, konstituiert sich je und je neu in der Geschichte.18 Der Theologie ist damit ins methodologische Stammbuch geschrieben, daß sie die Interpretation der Geschichte von ihren eigenen Quellen her, vor allem vom zentralen Christusereignis her, führen muß. „Sie muß also von der im Wort gedeuteten Heilsgeschichte her die Weltgeschichte verstehen.“19 Es stellt sich damit aber die grundlegende Frage nach der Relation des Göttlichen zum Menschlichen im geschichtlichen Kontext. Gisbert 15 Halder, 23. 16 Vgl. Greshake, G.: Auferstehung der Toten, Essen 1969, 192: „Das Leben wird je neu angeboten, je neu ist die Wahl zwischen Leben und Tod angesichts der konkreten Geschichte zu vollziehen und in eben dieser Entscheidung wird über die Vergangenheit positiv oder negativ mitentschieden.“ 17 Artikel „Geschichtstheologie“ (verfaßt von Walter Kasper), in: Sacramentum Mundi, Band II, Freiburg/Basel/Wien 1968, 324 – 332, hier: 324. 18 Vgl. Greshake: Auferstehung der Toten, 20. 19 Kasper: „Geschichtstheologie“, in: Sacramentum Mundi Band II, 326.
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Greshake hat in einem programmatischen Artikel eine dogmatische Klärung angeboten. In dem Beitrag „Grundlagen einer Theologie des Bittgebets“20 verhandelt er auf dem Hintergrund der Frage der Berechtigung von betender Einflußnahme auf Gott das ihr zugrundeliegende Schema des Gott-Mensch-Verhältnisses. Wo Gott und Mensch im Sinne neuzeitlichen Denkens als zwei sich gegenseitig behindernde und letztlich konkurrierende Kausalitäten verstanden werden, ist Gott tot, sobald der Mensch zu allem fähig ist.21 Es bleibt ihm alleine die transzendentale Bedingungs- und Begründungsplausibilität. Doch in Wirklichkeit wird Gott zur Selbstreflexion des Menschen funktionalisiert.22 Dieses Gottesbild entsteigt der klassischen Metaphysik, welche in ihrer Unfähigkeit, „das Sein des Seienden als personale Macht und Liebe zu denken“23, es auf seine begründenden Funktionen beschränkt. In eindrücklicher Manier beschreibt Greshake das ganz anders gelagerte Gottesbild der Heiligen Schrift, welches von einem Gott ausgeht, dessen Allmacht personale Freiheit ist, welche Freiheit und Möglichkeit zum Mitwirken gewährt und schenkt. Nur jene Allmacht wird nicht kleiner, welche das andere ihrer selbst freisetzt. Im Gegenteil: darin ist sie sie selbst. „Dieses ist das Unbegreifliche, daß die Allmacht nicht bloß das Imposanteste von allem hervorbringen kann: der Welt sichtbare Totalität, sondern das Gebrechlichste von allem hervorzubringen vermag: ein gegenüber der Allmacht unabhängiges Wesen.“24 Daraus ergibt sich das biblische Geschichtsverständnis nicht als Durchsetzen eines apriori vorhandenen und sich in der Zeit durchsetzenden ewigen Planes Gottes, sondern als „Miteinander-Geschichte“, als Involviertsein Gottes. Die Erstursache setzt die Zweitursachen frei und für die Geschichte voraus. „So wachsen göttliche Allmacht und geschöpfliche Freiheit in gleichem, nicht in umgekehrtem Maß.“25 Die geschöpfliche, an ihren Situationen ablesbare Ursächlichkeit ist für den Gang der Geschichte nicht akzidentelles Beiwerk, sondern einbezogen, herausgefordert, ihrerseits involviert. In anderen Worten: das Göttliche setzt die Situation frei, in je 20 Greshake, G.: Grundlagen einer Theologie des Bittgebets, in: Greshake, G./ Lohfink, G.: Bittgebet – Testfall des Glaubens, Mainz 1978, 32 – 53. 21 Vgl. Kasper: Das Absolute in der Geschichte. Philosophie und Theologie der Geschichte in der Spätphilosophie Schellings, Mainz 1965, 192 ff. 22 Greshake: Grundlagen einer Theologie des Bittgebets, 35. 23 Greshake: Grundlagen einer Theologie des Bittgebets, 35 (Hervorhebungen von Greshake). 24 Greshake: Grundlagen einer Theologie des Bittgebets, 38. 25 Greshake: Grundlagen einer Theologie des Bittgebets, 41.
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neuem Eigenstand legitime gegenüberstehende Korrespondenzgröße zur geschichtlich artikulierten Selbsthingabe des Unbedingten und seiner Botschaft zu sein. Kasper sieht das von daher zu definierende Verhältnis von Welt- und Heilsgeschichte am besten im typologisch-sakramentalen Modell ausgedeutet26 : in Vergegenwärtigung und eschatologischer Antizipation. Daraus deduziert er 3 Grundgesetze theologischer Geschichtsbetrachtung: 1) das Gesetz der Kontinuität der Gnade trotz der Diskontinuität der Sünde; 2) das Gesetz der überbietenden Neuheit, da die Geschichte noch ihrer österlichen Vollendung harrt; 3) das Gesetz der Partikularität und Universalität, da die Geschichte in Heil und Unheil als ganze vor Gott dargestellt wird und der einzelne in seinem partikularen Geschick diese Ganzheit repräsentiert. Im einzelnen nimmt die Geschichte ihre hoffnungsvolle Wendung. Die Offenbarung Gottes in der Geschichte zeitigt zwei soteriologisch relevante Grundaussagen. Zum einen ist die Geschichte in Christus vollendet, aber nicht be-endet. Das Ende der Geschichte kann weder vorausgesagt noch präfiguriert werden, sondern ist eingeschrieben in das sich nun auszeitigende österliche Paschamysterium. Zum anderen erscheint die Geschichte – in Christus und für jeden Menschen – als Dialoggeschehen von göttlichem Angebot und menschlicher Antwort. Gott nimmt die Geschichte an, indem er inkarnatorisch in sie selbst eingeht; der Mensch wird unter den Ruf- und Entscheidungscharakter der Geschichte gestellt, indem er durch den Gehorsam Gott Antwort gibt. Dabei findet er in Christus den stellvertretenden Mittler. Die Bedeutungsschwere dieses theologischen Paradigmas darf nicht verkannt werden: letztlich wird der geschichtliche Mensch nicht seiner Geschichtlichkeit enthoben, um auf reduktivem Wege zu einem wie auch immer gearteten Göttlichen durchzudringen; Geschichte ist nicht das Gegenteil von Gottesbegegnung. Vielmehr geht dem Menschen Gott selbst innerhalb der Geschichte auf; da aber Gott selbst Garant des Menschen und seiner Geschichte ist, kann der Mensch das in die Geschichte eingegangene Absolute niemals dinghaft verobjektivieren und seiner habhaft werden, sondern er wird vom göttlichen Wirkungsbereich umspannt und unterfaßt und von ihm ergriffen.
26 Vgl. Kasper: „Geschichtstheologie“, in: Sacramentum Mundi Band II, 329 f.
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3. „Situation und Botschaft“ als Tillich und Kasper zugetragenes Thema Mit dem Vorangehenden ist ausgesagt, daß die Dynamik von Glaube und Geschichte, Botschaft und Situation wesenhaft eine Suche nach einem angemessenen Vermittlungsgeschehen sein muß, da sie letztlich auf das die Geschichte und die menschliche Antwort begründende Moment der Freiheit aufbaut. Weil Geschichte ein Wechselspiel der Freiheit meint, in die sich die Freiheit Gottes als unbedingt-begründende mit hinein dekliniert, bleibt die Vermittlung von Gott und Mensch stets neue Aufgabe. Die Theologie hat dabei wesentliche Charakterzüge wiederentdeckt und versucht, sie konstruktiv ins Spiel zu bringen. Dieses theologisch-philosophische Navigieren zwischen Botschaft und Situation ist Ausgangspunkt der vorliegenden Dissertation. Glaube oder Offenbarung in ihrem Verhältnis zur Geschichte, Identität und Relevanz, Situation und Botschaft bezeichnen die spannungsreiche Begriffsdialektik, die gerade in neuerer Zeit nach einer adäquaten Vermittlung und Einheit verlangt. Die vorliegende Untersuchung zeigt, daß und wie sich Paul Tillich und Walter Kasper in dieses Spektrum einordnen und von diesem Grundproblem her zu verstehen sind. In seiner hervorragenden Tillich-Untersuchung über die frühe Christologie auf dem Hintergrund der Inspiration bei Schelling27 beschreibt Georg Neugebauer 2007 die zentrale theologisch-philosophische Entwicklung der Verhältnisbestimmung des Begriffpaars Offenbarung und Geschichte und wendet sie auf die frühe Christologie Tillichs an. Er ist uns von daher ein wichtiger Gesprächspartner. Er kann dabei nachweisen, daß die Frage nach dem Bestimmungsverhältnis von Situation und Botschaft in der prinzipielleren Version von Geschichte und Offenbarung allgegenwärtig war, die Theologie bestimmte, im Deutschen Idealismus und besonders bei Schelling als zentrale Problematik aufgeworfen und geklärt und unter veränderten Bedingungen an Tillich herangetragen wurde. Wir ziehen diesen Zusammenhang dann konsequent bis zu Kasper in die moderne katholische Theologie hinein aus. Daß die hier vorliegende Arbeit das Begriffspaar Botschaft und Situation in den Mittelpunkt stellt, ist begründet. Offenbarung und Geschichte oder Glaube und Geschichte bezeichnen einen breiteren Rah27 Neugebauer, Georg: Tillichs frühe Christologie. Eine Untersuchung zu Offenbarung und Geschichte bei Tillich vor dem Hintergrund seiner Schellingrezeption, Berlin 2007.
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men als Botschaft und Situation, welche in Bezug auf erstere wie die einlösend-verwirklichenden Nahtstellen verstanden werden können. Die Frage nach der Offenbarung ist ja seit Schelling in erneuerter Weise relevant und zentral. Das Unvordenkliche des Christlichen wird in der nachidealistischen Zeit zur gedachten Voraussetzung einer Glaubensformulierung. Da aber die anthropologische Wende und die nachschellingianische Zuspitzung der neuzeitlichen kulturellen Krise die Theologie radikal situationsorientiert machten, gehen wir in dieser Untersuchung vom Begriff der Situation aus und stellen ihn nicht einfach dem Glauben, sondern der Botschaft gegenüber. Tillich und Kasper sehen die Theologie unter einem apologetischen Anspruch. Es geht um die adäquate Botschaft für die kairologische Situation. Dabei wenden sich beide an Menschen in Krisensituationen: bei Tillich handelt es sich um die Krise der Sinnlosigkeit in und nach dem Ersten bzw. den beiden Weltkriegen, bei Kasper um die durch Atheismus und Nihilismus getroffenen Menschen und in Frage gestellten Christen. In seiner Problemexposition der Entwicklung des Begriffpaares Offenbarung und Geschichte zeigt Neugebauer auf, wie sich durch den Historisierungsprozeß der Aufklärung das Grundproblem der Christologie von der Zwei-Naturen-Lehre verständlicherweise auf das Verhältnis von Offenbarung und Geschichte verlagert. Zentrale theologische Inhalte, die wie das christologische Dogma bisher tabu waren, werden durch die theologische Aufklärung neu interpretiert. Der geglaubte Christus und der historische Jesus brechen auseinander. Wie muß das Verhältnis neu gedacht werden? Hat die Geschichte eine „potentia oboedientialis“ der Offenbarung gegenüber? Oder muß die Offenbarung dem kontingent Geschichtlichen notwendigerweise fremd sein? Oder gibt es nur Geschichte, weil sie ermöglicht und bedingt wird durch eine vorauslaufende Offenbarung, die in metaphysischer Letztgültigkeit die Geschichte erst freisetzt? Und wer war Jesus? Nur ein aus der Kette der Menschheit herausgelöstes Einzelglied, dem nachträglich eine größere Bedeutung auferlegt wird, als er als endlicher Mensch überhaupt haben konnte oder wollte? Was bleibt von seiner Universalgültigkeit übrig? Neugebauer diagnostiziert zwei große Tendenzen der christologischen Reflexion: einerseits die Historisierung der Christologie wie bei Semler und Reimarus, andererseits die neue Zentralität der metaphysischen Gestalt wie bei Lessing oder Kant. Was unvermittelt nebeneinander stand,
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habe Schleiermacher versucht, als Offenbarung und Geschichte zusammenzuführen.28 Neugebauer nennt 3 besonders interessante christologische Entwürfe, die in dieser Zeit der Suche nach einer neuen Vermittlung die Aufmerksamkeit erregten: Novalis und sein pansymbolistisches Religionsverständnis, in dem Christus in höchster Weise die mit Gott versöhnte Welt symbolisiert; Fichte und seine Überzeugung, die Wahrheit des Christentums sei eine übernatürliche und ewige, doch die Geschichte habe insofern ihre Bedeutung, als daß die historische Erscheinung des Christentums mit dem geschichtsphilosophischen Ausdruck der „Zeitenwende“ übereinstimmt; und schließlich Hegel, der die Wichtigkeit der Geschichte nicht verkennt, sie aber in ein geistphilosophisches Programm unterordnet. In Christus geschieht letztlich die Selbstrealisierung der Idee und die Offenbarung des absoluten Geistes. Alle diese großen Entwürfe werden aber schließlich vom Standpunkt der Nicht-Haltbarkeit des historischen Bildes der Anfänge des Christentums empfindlich durch die Leben-Jesu-Forschung in Frage gestellt. Die Historisierung entfaltet ihr gesamtes kritisches Potential, und Jesus selbst wird als Grund aller Christologie fraglich. Strauss und die Übertragung der Idee des Gottmenschen auf die ganze Menschheit, Schweitzer und die konsequente Eschatologie sowie Hirsch und die Relationierung der Offenbarung nicht mit der Universal-, sondern mit der individuellen Geschichte bauen genauso wie der für das 20. Jahrhundert – besonders für Barth und Bultmann – prägende Kähler auf einer Skepsis gegenüber dem historischen Jesus auf. Vor allem aber stellt die Schule Bultmanns (Käsemann, Bornkamm, Fuchs) die neue Frage nach Jesus, die Ebeling in seiner „impliziten Christologie“ auf die systematische Theologie bezieht. Pannenbergs Werk „Offenbarung als Geschichte“ hat nach langen Irrwegen die beiden Kategorien miteinander vermittelt und sorgt für „eine Wiedergewinnung der geschichtlichen Dimension des Offenbarungsverständnisses, ohne dabei in eine vorneuzeitliche Gestalt der Heilsgeschichte zurückzufallen“29. Darin weist er darauf hin, daß als Gegenvorschlag gegenüber einer ungenügenden Selbstoffenbarung Gottes in Gestalt des göttlichen Namens, des Wortes Gottes oder von Gesetz und Evangelium an eine Theorie der indirekten Selbstoffenbarung Gottes durch die Geschichte zu denken sei. Die Fragen des Deutschen Idealismus sind also keineswegs erledigt. 28 Vgl. Neugebauer, 6. 29 Neugebauer, 14.
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Ernst Troeltsch hat sich wie kein anderer in der Theologie um die konsequente Durchsetzung der historischen Methode bemüht und unterscheidet zwischen den historischen Momenten und ihrem inneren Sinn religiöser Deutung. Dieser übergeschichtliche Übersinn sei die Offenbarung Gottes. Hier knüpft Paul Tillich würdigend an30, bleibt aber im Unterschied zu Troeltsch der Meinung, daß es für eine adäquate Sinndeutung der Geschichte keiner Über-Geschichte, sondern einer Theorie des Absoluten bedarf. Er denkt als „Neuidealist“31. Dank seiner Metaphysik des Absoluten hat Tillich ein grundlegendes Theoriemoment sowohl für seine Geschichtsdeutung als auch für die Christologie gefunden und kann beide miteinander verweben. Auf dem Hintergrund dieser jahrzehntelangen komplexen Entwicklung der Philosophie und der Theologie rund um das Verhältnis von Offenbarung und Geschichte kann plausibel gemacht werden – hier für Tillich und weiter unten für Kasper –, warum Schelling plötzlich eine so wichtige Rolle spielt. Seine Leistung ist es nämlich, das Offenbarungsverständnis in das Zentrum des Denkens zu rücken und eine ausgearbeitete Geschichtsphilosophie zu präsentieren. Seine Christologie baut auf beidem auf und bewegt sich zwischen der Philosophie der Geschichte und der Philosophie der Offenbarung. Nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges, welchen Tillich an der Front hautnah miterlebt, hat der theologische Neuaufbruch das Verständnis für die Andersartigkeit des Evangeliums geschärft und kann nicht mehr schlechthin durch die Geschichte hindurch auf Gott schauen. Andererseits darf die Theologie sich gerade nun nicht von der Welt abwenden. Denn gerade nun wird die Tiefe der christlichen Botschaft von der Menschlichkeit und Menschenfreundlichkeit Gottes und folglich auch der Verstehbarkeit seines Wortes neu entdeckt.32 Hinter allem aber steht „das tiefere Anliegen der Forderung nach einer Begegnung zwischen Christentum und modernem Denken“33. Tillich selbst fordert auf, trotz aller Müdigkeit müsse man es immer wieder neu versuchen, die große Synthese zu erreichen. 30 Tillich: GW V, 72. 31 Vgl. Neugebauer, 16. 32 Kasper sieht übrigens in diesem Bedürfnis das legitime Anliegen einer pastoral orientierten Theologie, deren Gestalt wir uns auf dem Hintergrund existentieller Erfahrungen im Sinne unseres Themas im Schlußkapitel kurz widmen wollen. (vgl. Kasper: Das Absolute in der Geschichte, 4) 33 Kasper: Das Absolute in der Geschichte, 4.
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Ausgehend von Schellings Kategorien gelingt es ihm, entgegen dem Auseinanderdriften von Offenbarung und Geschichte wie nur wenige andere Denker eine Synthese zu entwerfen. Schellings Arbeit erlaubt es Tillichs Meinung nach, die naturalistischen und supranaturalistischfundamentalistischen34 Extreme, Reduktionen und Unilateralitäten vieler rezenter Christologien zu vermeiden. Dafür bedarf es einer „Methode der Korrelation“, in der das Historisch-Fragende und das Offenbarungsgemäß-Antwortende, Situation und Botschaft derart vereinigt sind, daß keiner der beiden Pole beeinträchtigt wird.35 Es ist folglich kein Zufall, daß in seiner fünfteiligen „Systematischen Theologie“ die 3 mittleren Teile nach trinitarischem Muster das Zentrum bilden, welches gerahmt wird durch zwei Fragen, die auf dem Zusammenhang herausgefiltert werden und doch gerade deswegen das Ganze betreffen36 : im ersten Teil die Frage nach der Korrelation von Vernunft und Offenbarung, wobei auf der Seite der theologischen Antwort die Offenbarung steht; und im letzten Teil die Korrelation von Geschichte und Reich Gottes, wo die Geschichte den Platz der philosophischen Frage einnimmt. In anderen Worten: das Hauptwerk Tillichs wird gerahmt von einer sich überschneidenden Korrelation von Geschichte und Offenbarung! Jacob Taubes hat dabei Tillichs Entwurf unter der Rücksicht des dialektischen Prinzips der Korrelationsmethode unter die Lupe genommen. Dieses Prinzip offenbare nämlich die tieferliegende Grundvoraussetzung der Theologie, daß das Göttliche in der gegenwärtigen Situation verfinstert sei.37 Nur deswegen sei es nötig geworden, ja sei die Theologie vielleicht sogar „gezwungen“ gewesen38, eine dialektische Methode zu verwenden, die einerseits die Entgegensetzung von göttlichem und menschlichem Pol voraussetze, gleichzeitig aber auf eine mögliche Versöhnung hin ausgerichtet sei.39 Taubes sieht dabei Tillichs besondere 34 35 36 37
Vgl. Tillich: ST I, 9. Vgl. Tillich: ST I, 15. Vgl. Tillich: ST III, 342. Vgl. Taubes, J.: Überlegungen zur Theologie Paul Tillichs (1963), in: Vom Kult zur Kultur. Bausteine zu einer Kritik der historischen Vernunft (hrsg. Assmann, A. u A./Hartwich, W.-D./Menninghaus, W.), München 1996, 230 – 248, hier: 248. 38 Vgl. Taubes: Überlegungen, 247. 39 So kann z. B. Ratschow den Zusammenhalt des disparat vorliegenden Denkens Tillichs als garantiert ansehen einerseits dank des ontologischen Postulats auf dem Grund der Identität von Wirklichkeit und Erkenntnis und andererseits dank des
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Stellung innerhalb der Bewegung einer orthodoxen Restauration der Dogmatik nach der problematischen Entwicklung der historisch-kritischen Betrachtung der Religion im 19. Jahrhundert, nach dem Ersten Weltkrieg und nach dem ersten Erschlaffen der Dialektischen Theologie Barths.40 Tillich versuche keine Dialektik der Entgegensetzung – so wie Barth –, sondern eine Dialektik der Vermittlung. Während erstere das Göttliche dem Menschlichen als das „ganz Andere“ gegenüberstellt, wird jedoch in zweiterer „das Göttliche so weit in die menschliche Dialektik (verwickelt), daß der göttliche Pol jeden übernatürlichen Bezugspunkt verliert“41. Die Symbole sprechen nicht mehr, so daß sie höchstens noch dialektisch zwischen anthropologischer Tiefe und Ontologie ausgespannt werden können. Dabei offenbare sich Tillichs Ansatz als der Versuch, den spätschellingianischen Primat des Seins gegenüber dem „negativen“ Reich der reinen Idee mit Feuerbachs Prinzip der Subjektivität zu vermitteln.42 Er will die Symbole wieder existentiell zum Sprechen bringen. Taubes kann feststellen, daß Tillich sich damit dem Gebot der theologischen Stunde gestellt hat. Die Stunde der Theologie ist nämlich gekommen, „wenn eine mythische Konfiguration zusammenbricht und ihre in einem Kanon erstarrten Symbole in Konflikt mit einer neuen Stufe des menschlichen Bewußtseins geraten“43. Von daher entlehnt Taubes eine Definition der Aufgabe der Theologie, die auch auf Walter Kasper anwendbar ist, da er sich in besonderer Weise dem Bestimmungsverhältnis von Situation und Botschaft gewidmet hat. Diese Aufgabe besteht nach Jacob Taubes darin, eine „Dialektik von „Dauer im Wandel““ zu sein, denn „das Gleichgewicht zwischen Symbol und Situation wird selten erreicht und ist immer nur zeitweilig“44. Tillich hat sich dieser Aufgabe und besonders akuten Umständen mutig und in innovativer Neuinterpretation der vorauslaufenden Theologiegeschichte gestellt und dabei Schellings Konstrukt von Geschichte und Offenbarung als Ausgangspunkt zugrundegelegt.
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protestantischen Prinzips oder des Neuen Seins, welches innerhalb der Einheit eine dialektische Form der Vermittlung derselben darstellt. (vgl. Ratschow, C. H.: Paul Tillich. Ein biographisches Bild seiner Gedanken, in: Tillich-Auswahl. Band 1. Das Neue Sein, 1980 (hrsg. M.Baumotte), 11 – 104, hier: 22 f.) Vgl. Taubes: Überlegungen, 232. Taubes: Überlegungen, 248. Vgl. Taubes: Überlegungen, 246. Taubes: Überlegungen, 230. Taubes: Überlegungen, 230.
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Auch Walter Kasper beruft sich auf Schelling im Rahmen einer geschichtlichen Einordnung des Themas Geschichte und Offenbarung, in der er primär die theologischen Entwicklungen des 20.Jahrhunderts Revue passieren läßt. Als Hauptleistung sieht er vor allem die Überwindung der Neuscholastik.45 Interessant ist dies insofern, als daß die Leben-Jesu-Forschung kritisch das Terrain untergraben und zu Tillichs Zeiten eine erneuerte Synthese unabdingbar gemacht hat, es aber bereits im 19. Jahrhundert neue theologische Ansätze wie die der Katholischen Tübinger Schule waren, die konstruktiv durch verstärktes Studium der Exegese und der Patristik inmitten einer durch die pluralistische und säkularisierte Bewegung fremd gewordenen Welt den Umbruch vorbereiteten. Die Situation zu Kaspers Zeit ist schwierig, denn durch den Zusammenbruch der klassischen Metaphysik ist die Religion nur noch ein Teilbereich neben anderen und in ihrer Innenerfassung alles andere als abgesichert, da sich die theologischen Entwürfe pluralistisch emanzipierten und die überlieferten Wahrheiten, die metaphysisch formuliert sind, nicht mehr „von oben“ den Menschen wie ein Stein zugeschleudert werden dürfen. Muß eine neue, mit der Geschichtsphilosophie korrespondierende Metaphysik entworfen werden? Für die Theologie stellt sich vor allem das Problem des Pluralismus, ohne relativistisch zu werden, und der Relevanz, ohne die Identität zu verlieren. Faktisch handelt es sich um erkenntnistheoretisch anders gelagerte Problembeschreibungen derselben Grundschwierigkeit: der Vermittlung von Absolutem und Geschichte, von göttlicher und menschlicher Situation. In dieser schwierigen Lage macht Kasper eine ähnliche Erfahrung wie Tillich ein halbes Jahrhundert vor ihm: die „Sehnsucht nach dem Gott der Geschichte“46 findet einen privilegierten Gesprächspartner in Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. Das Gespräch mit dem Deutschen Idealismus war zwar in den 20er-Jahren des 20.Jahrhunderts unterbrochen worden, doch es war mehr abgebrochen als beendet worden. Kasper sieht eine neue Chance für diesen Dialog heraufziehen. Er beruft sich dabei ausdrücklich auf das Vorbild Tillichs, der sich dem idealistischen Denken, vor allem der Spätphilosophie Schellings, am deutlichsten verpflichtet sah47, auch wenn die Instrumentalisierung Schellings für den
45 Vgl. Kasper: Aufgaben der Theologie, 7. 46 Kasper: Das Absolute in der Geschichte, 120. 47 Kasper: Das Absolute in der Geschichte, 3.
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I. Einleitung
Beginn des Existentialismus mehr Tillichs Interpretation als Schellings Absicht entspreche48. Daß Schelling philosophische Inspirationsquelle ist, scheint heutzutage nicht weiter erstaunlich, war aber bei Tillich eine Pionierleistung und zu Kaspers Zeiten noch die Ausnahme. Tatsächlich: Kasper gehörte damals mit zu denen, die in der katholischen Theologie den Anstoß gaben zu einem neuen Interesse am Leonberger Philosophen. Das spezifisch idealistische Denken der Ungegenständlichkeit Gottes ist nach Kasper nicht im Verschwinden, sondern möglicherweise erst noch im Kommen. Der Tübinger Schule, in deren Tradition sich Kasper versteht, kommt das Verdienst zu, die Bedeutung einer Begegnung mit dem Deutschen Idealismus erkannt und praktiziert zu haben.49 Daß dabei Schelling gegenüber den anderen hervorsticht, liegt nach Kasper daran, daß er Hegel überlebt und die Gelegenheit gehabt habe, nach Hegel die großen künftigen Motive der Theologie mit zu bedenken. Dabei stechen vor allem Freiheit und Entscheidung, aber auch das dialektische Scheitern vor der Gottesfrage, das Scheitern des Fortschrittsglaubens und das Heraufziehen des Nihilismus sowie das Zentralthema seiner Altersphilosophie – das Verhältnis von Absolutheit und Offenbarung bzw. die Geschichtlichkeit des Christentums – hervor. Schelling hat Hegel, dem großen Denker der Geschichtlichkeit, voraus, daß sein Geschichtsbegriff offen ist auf Zukunft hin. Kasper faßt diesen Unterschied sehr prägnant zusammen, indem er metaphorisch mit Martin Buber darstellt, daß Hegel auf Blaise Pascals spätromantisch erschütterte Frage „Qu’est-ce qu’un homme dans l’infini? (…) Un néant à l’égard de l’infini, un tout à l’égard du néant, un milieu entre rien et tout“ mit der Konstruktion einer neuen Sicherheit, eines neuen Hauses geantwortet hätte. Hegel habe es aber alleine in der Zeit gebaut, so daß es nach den großen Umbrüchen unbewohnbar geworden sei und Gott und Welt voneinander entfremdet habe. Schelling habe zwar mit Hegel die 48 Kasper: Das Absolute in der Geschichte, 31. 49 Peter Hünermann hat die Beziehung zwischen Deutschem Idealismus und Katholischer Tübinger Schule an den Beispielen von Drey und Staudenmaier herausgearbeitet. Vgl. Hünermann, P.: Der Reflex des deutschen Idealismus in der Theologie der katholischen Tübinger Schule, in: Philosophische Jahresschrift 1965/66 48 – 70. Er schreibt auf Seite 51: „Der Reflex des Idealismus in der Theologie der katholischen Tübinger Schule wäre so jenes Geschehen der Brechung und Spiegelung, die das Licht der Offenbarung Gottes in Jesus Christus im Medium des deutschen Idealismus zu neuer Farbenpracht erstrahlen läßt und damit dieses Medium selbst und sein verborgenes Gefüge erhellt und lichtet.“
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dialektische Bewegung der Selbstvermittlung des Absoluten durch die Geschichte geteilt, er habe aber in seiner Geschichtsphilosophie auch den Selbstand der Freiheit des Menschen vor dem freien Gott verstanden und reflektiert.50 Er wird zum ersten und damit einsamen Nachidealisten. Gegenüber dem heraufziehenden Nihilismus, den er zu seinem ureigenen Problem macht, kann keine neuentstehende Wahrheit bestehen, sondern nur eine altüberlieferte: das geschichtliche Christentum. Schelling richtet in einer großen Anstrengung das Haus wieder ein – und hängt in die Studierstube ein Kruzifix. In Berlin hat Schelling ab 1841 die heftige Reaktion der zeitgenössischen Philosophie im Namen des Lebens gegen die Hybris des sich selbst genügenden Denkens miterlebt und erlitten. Dabei ist Schelling eine außergewöhnliche Leistung gelungen: er hat das Neue nicht revolutionär als Gegeninstanz aufgegriffen, sondern es mit seinem System vermittelt. „Die Freiheit soll bei Schelling nicht das System sprengen, sondern zum „herrschenden Mittelpunkte des Systems“ werden.“51 Von daher kann Kasper schlußfolgern: „Im Spätwerk Schellings fand eigentlich die letzte Begegnung großen Stils zwischen idealistischem Denken und Christentum statt.“52 Schelling ist auch in der letzten Periode seines Schaffens Idealist geblieben. Noch mehr: Schelling wird von Kasper entsprechend der Interpretation von W.Schulz als Vollender des Idealismus bezeichnet, im Gegensatz zu einer geläufigen Einordnung Hegels in diesen Rang.53 Kasper sieht übrigens die Grunddialektik von Offenbarung und Geschichte, Situation und Botschaft, Absolutem und Geschichtlichkeit bis in die Schellinginterpretation hinein durchgehalten: während im berühmten Expertenstreit Fuhrmans Schelling metaphysisch-platonisch interpretiert, wahrt Schulz den erkenntnistheoretisch-transzendentalen Standpunkt des Idealismus und betrachtet die Problematik der sich im Denken ergreifen wollenden Subjektivität als entscheidend. Weil Schelling diese Frage mit der erschütternden Grundfrage nach dem „Warum ist überhaupt etwas?“ verbindet, ermöglicht er der Unvordenklichkeit der Offenbarung im idealistischen Raum Zutritt. Die Subjektivität erfährt ihre eigene Ohnmacht und Unbegreiflichkeit und kann sich nur am Anderen als ihrer selbst brechen und sich von dorther 50 51 52 53
Vgl. Kasper: Das Absolute in der Geschichte, 21 f. Kasper: Das Absolute in der Geschichte, 6. Kasper: Das Absolute in der Geschichte, 6. Vgl. Kasper: Das Absolute in der Geschichte, 14.
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I. Einleitung
verstehen. Kasper formuliert das für sein abwägendes, ja gar diplomatisches Denken typische Anliegen, daß metaphysisches und transzendentales Denken sich nicht ausschließen mögen und das Absolute in der Geschichte plausibel gemacht werden könne.54 In anderen Worten: das Anliegen einer je neuen Synthese ist sowohl formal als auch inhaltlich bleibend aktuell.
B. Problemdarstellung 1. Die Vorzeichen Was ergibt sich daraus? Wir teilen den Problemhorizont von Neugebauer, daß es letztlich um die Vermittlung von Offenbarung und Geschichte geht und darum, wie – wenn überhaupt – sich das Absolute als Träger der übergeschichtlichen Wahrheit der Geschichte in letzterer manifestieren kann. Dieser Problemhorizont wird in unserer Analyse einerseits auf Paul Tillich und Walter Kasper hin ausgezogen, andererseits geschieht jedoch die Verschiebung der Verhältnisbestimmung auf das Begriffspaar Situation und Botschaft, welches weniger den Blick auf eine übergreifende Geschichtsphilosophie fokussiert als vielmehr auf die in Tillichs und Kaspers Manualen enthaltenen Theoriebildungen zu einer kerygmatischen Theologie, die dem jeweils zeitgenössischen, seiner Situation verhafteten Menschen zugesprochen wird. In anderen Worten: die Christologie wird als soteriologischer Gegenpol zur Anthropologie in den Blick genommen. Inhaltlich leistet diese Arbeit demnach einen Beitrag zur Erlösungslehre. Dabei sind die Grenzen zwischen Soteriologie und Christologie allerdings fließend, da die Christologie dezidiert soteriologisch angelegt ist, weil sie eine formale Beziehung zu einer Anthropologie entwirft, welche von sich aus an die Christologie appelliert. Dieses Beziehungsgefüge von Christologie und Anthropologie ist soteriologisch gefaßt. Jürgen Werbick spricht von der „Krise der Soteriologie“55 und meint damit vor allem die Fragenkomplexe, warum von diesem konkreten Individuum Jesus behauptet werden dürfe, er sei der universalgültige Erlöser der Welt, und wovon er letztlich die Menschen erlöst habe. Auf 54 Vgl. Kasper: Das Absolute in der Geschichte, 16. 55 Werbick, J.: Soteriologie. Leitfaden Theologie 16; Düsseldorf: Patmos Verlag 1990, 12 – 52.
B. Problemdarstellung
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dem Hintergrund der neuen Geschichtlichkeit spitzt sich die Frage zu: Je mehr Geschichte, desto weniger Universalrelevanz? Desto verminderte ontologisch auf den Begriff zu bringende Erlösung? Desto weniger Bedeutung letztlich für die Person Jesu Christi? Was bedeutet die Begegnung von Absolutem und Geschichte in Christus und für uns? Ist in Christus Erlösung erfahrbar oder gar identifizierbar oder nur aposteriorisch glaubbar? Das Spannungsverhältnis von Glaube und Geschichte, Allgemeingültigem und einmalig Kontingentem, Unbedingtem und Bedingtem, Botschaft und Situation legt sich bei Kasper und Tillich innerhalb der Spannung von Christologie und Anthropologie, also als Soteriologie aus. Dabei ist die begriffliche Fassung mit manchen Schwierigkeiten verbunden, da die Soteriologie einerseits die Sonderstellung Christi zu erklären hat, andererseits aber seine universale Relevanz so auslegen muß, daß jeder Mensch jeder Zeit davon betroffen sein kann. In anderen Worten: in einem soteriologischen Diskurs begegnen sich die fundamentale christologische Herausforderung, Christus in seiner Identität und Relevanz zu denken, als auch die anthropologische Prämisse, den Menschen als gottesfähig und auf Christus hingeordnet zu entwerfen, und zwar so, daß die Theorie des Menschen dabei zugleich die menschliche Natur Christi mitbedenkt und die Hypostatische Union ermöglichend begründen kann. Gisbert Greshake hat darüber hinaus in einem phänomenologischexistentiell orientierten Artikel pointiert zum Ausdruck gebracht, wiesehr die Frage von Situation und Botschaft nicht nur objektiv verhandelt werden kann, sondern den Theologen selbst in den hermeneutischen Zirkel mit einbindet. In „Dogmatik und Spiritualität“56 beschreibt er die subjektive Verschränkung des theologisierenden Dogmatikers zwischen Lebensgestaltung und Denkleistung, letztlich zwischen persönlicher Situation und Botschaft. Freilich – so bemerkt Greshake selbst – seien diese Erkenntnisse methodologisch nur schwer operationabel zu machen, da sie die logische Vorordnung der Spiritualität vor der Dogmatik betreffen. Sie besagen, daß die Spiritualität, d. h. der ganzheitliche Glaubensvollzug des einzelnen, eigentlich die Offenbarung in ihrer innersten Bewegung erst zur Vollendung bringe, da Offenbarung erst in diesem Vollzug in ihrer 56 Greshake, G.: Dogmatik und Spiritualität, in: Schockenhoff, E./Walter, P. (Hrsg.): Dogma und Glaube. Bausteine für eine theologische Erkenntnislehre (Festschrift für Bischof Walter Kasper), Mainz 1993, 235 – 252.
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I. Einleitung
Wirkung real antreffbar werde. Die Grundfrage bezieht sich demnach nicht auf die Offenbarung an sich, sondern fr mich bzw. fr uns. Zugleich entstehen dogmatische Reflexion und weltgewandte Sendung erst aus der christlichen Spiritualität. Dogmatik reflektiert ihre eigene Bedingung und ihre Konsequenz.57 „Sage mir, was für eine Spiritualität du lebst, und ich sage dir, was für eine Dogmatik du vertrittst.“58 Denn der Glaube gründet im Hören, nicht im Denken. Von daher kann die dogmatische Reflexion zu vertiefter Spiritualität führen, sie muß sich jedoch ihres hermeneutischen Zirkels bewußt sein und ihre nicht-subjektivistische ekklesiale Offenheit, d. h. ihre unerläßliche Bedingung eigener Verantwortbarkeit, an ihren Konsequenzen messen. In anderen Worten: es gibt keine Botschaft ohne Situation. Das gilt für den Theologen genau so gut wie für den, an den er das Wort richtet. Tillich und Kasper bestimmen ihr Thema nicht nur, sie werden umgekehrt auch von ihm bestimmt. Diese biographisch-spirituelle Entgegennahme des Themas des gegenseitigen Bestimmungsverhältnisses von Situation und Botschaft, Geschichte und Glaube soll die Stelle vertreten für alle theologisch möglichen und denkbaren Spielarten des Verhältnisses von Gott und Mensch, Ewigem und Zeitlichem, Unbedingtem und Bedingtem, Offenbarung und Geschichte, Glaube und Vollzug. Ein Durchgang durch die akademischen Traktate – angefangen bei der Schöpfungslehre über die Gnadenlehre und die Ekklesiologie bis hin zur Eschatologie – könnte aufzeigen, daß es sich grundsätzlich immer um dieselbe, im Angesichte Tillichs und Kaspers als „Situation und Botschaft“ gestellte Verhältnisbestimmung von Ganzem und Einzelnem geht. An sich geht es um mehr als um Bestimmung; es geht um eine Denkform. Anhand der beiden ausgewählten Autoren und eminenten Zeugen der Fragestellung wollen wir diese jeweilige Denkform zu erforschen versuchen. Wir werden uns im Hinblick auf Tillich auf seine „Systematische Theologie“ konzentrieren, jenes Werk, das den Höhepunkt und den Fliehpunkt von Tillichs Gesamtwerk ausmacht und dabei unter amerikanischen Vorzeichen den regen Dialog mit der modernen Gesellschaft inmitten ihrer Wissensexplosion widerspiegelt. Die Arbeit betrachtet jedoch das Werk von Tillich als prinzipielle Einheit. Man kann das weitgefächerte Denken von Paul Tillich von zwei Seiten her verstehen: zum einen vom Ansatz der Selbstreflexion des 57 Dies läßt sich nach Greshake an Beispielen aus der Kirchen- und Theologiegeschichte nachweisen (vgl. Greshake: Dogmatik und Spiritualität, 242 – 244). 58 Greshake: Dogmatik und Spiritualität, 245.
B. Problemdarstellung
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Denkens bzw. der Selbstkonstitution der Subjektivität als einer typisch idealistischen Fragestellung her, und zum anderen von einem dogmatischen Interesse her, welches sich um eine systematische Darstellung und hermeneutisch verantwortbare Verknüpfung der theologischen Themen und Traktate bemüht. Tillich befährt beide Schienen, letztlich auch deswegen, weil er von vornherein beide Fragen von Schelling geerbt hat. Freilich kann man auch Umbrüche vermuten und muß vor allem den kulturellen Wechsel von Deutschland in die USA beachten; man kann auch geltend machen, daß Tillich in Deutschland bewußter vom Deutschen Idealismus her und komplexer gedacht und in den USA eher Theologisches in sprachlich und inhaltlich vereinfachter Form veröffentlicht hat; doch wir schließen uns dem Mainstream der Tillich-Forschung an, der in seinen Reflexionen eher Entwicklungen denn wahrhaftige Umbrüche feststellt. Vielleicht spiegelt die Korrelation auf methodischer Ebene den Einheitswillen, der letztlich nur durch die Person Tillichs selbst begründet werden kann. Außerdem gehen wir bei Tillich immer vom deutschen Text aus, bei welchem es sich – im Falle der amerikanischen Veröffentlichungen – um Übersetzungen handelt. Diese wurden in wichtigen Detailfragen mit dem englischen Original abgeglichen, um etwaigen Akzentverschiebungen gerechtzuwerden. In Bezug auf Kasper stellt sich die Frage der Genese weniger. Er gibt seine Quellen offen bekannt und versteht sich als im Strom der katholischen nachkonziliaren Theologie stehend. Seit den frühesten Veröffentlichungen, „Die Lehre von der Tradition in der Römischen Schule“ (1962) über die Tradition und „Das Absolute in der Geschichte“ (1965) über Geschichte und Freiheit bei Schelling, sind die Grundoptionen klar, die Kasper in der Folgezeit an den immer wieder neu an die Theologie herangetragenen Themen abarbeitet und schärft. Seine Hauptwerke, die beiden Manuale „Jesus der Christus“ (1974) und „Der Gott Jesu Christi“ (1982) stammen aus einer relativ jungen Zeit und sind in der Zwischenzeit zu wahren Klassikern aufgestiegen. Man darf Kasper ungehindert eine große denkerische Kontinuität und Konsequenz unterstellen. In beiden Denkern erkennt die Theologie angesichts der Herausforderung der Neuzeit und der christlichen Kongenialität die Notwendigkeit einer neuen Methodologie. Der bis in die Neuscholastik hinein geltende Dreischritt der Darlegung der Lehre der Kirche, der anschließenden Beweis- und Erweisarbeit im Materialbecken von Schrift und Tradition und der abschließenden spekulativen Erfassung des Themas konnte angesichts der Erkenntnis, daß auch die theologische Glaubens-
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I. Einleitung
wahrheit geschichtlich bedingt ist, nicht positivistisch aufrechterhalten werden. Kasper und Tillich treffen sich mit vielen anderen im Bemühen, das Dogma als hermeneutischen Übersetzungsvorgang zu begreifen und damit als Funktion jener Kirche zu verstehen, die in jeder je neuen Situation die Vermittlung der in der Geschichte zugesprochenen Botschaft der absoluten Annahme des Menschen durch Gott auch je neu zur Sprache bringen und erfahrbar machen will. Dogmatik ist dann nicht vor allem triumphalistische These, sondern „Quaestio“, ein „fides quaerens intellectum“. Die Wahrheit, die sie zum Ausdruck bringen soll, will nicht nur gewußt, sondern getan werden; sie ist eine geschichtliche Größe, eine eschatologische Verheißungsgröße. Spekulatives Denken bedeutet vor allem, die Geschichte als den letzten Horizont aller Wirklichkeit zu setzen und Gott als letzten Grund und Tiefe aller Wirklichkeit zur Sprache zu bringen. Dogmatische Vermittlung von Situation und Botschaft verlangt nach einer neuen Metaphysik, um das Verstehen des universalen Anspruchs des Christlichen in jeder konkreten geistigen Situation verständlich zu machen.59 Dies erkannt zu haben, ist nach Kasper – und auch für Tillich – das Verdienst des späten Schelling: „Bereits der späte Schelling erkannte gegen Hegel, der alles Substantielle in einen bacchantischen Taumel dialektischer Bewegtheit auflösen wollte, daß ein solches Denken zutiefst ambivalent bleiben muß und notwendig in das gegenteilige Extrem eines radikal ungeschichtlichen Denkens der ewigen Wiederkehr des Gleichen umschlägt.“60 Geschichte kann nur in der Spannung von Unendlichem und Endlichem Geschichte bleiben. Dogmatik wird zur Theologie dieser Spannung. Walter Kasper und Paul Tillich haben sich der Herausforderung und der entsprechenden Reflexion gestellt. Deshalb werden die Überlegungen zu ihrem Ansatz jeweils mit methodischen Grundlegungen eröffnet. Ihnen ist bewusst, daß die Botschaft nicht wie ein monolithischer Block neben der Situation steht, sondern daß die Situation nicht nur alleine die Formulierung der Botschaft, sondern den Inhalt der Botschaft selbst real betrifft, berührt und bewegt.
59 Vgl. Kasper, W.: Die Methoden der Dogmatik. Einheit und Vielfalt, München 1967, 84 f. 60 Kasper: Methoden der Dogmatik, 77.
B. Problemdarstellung
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2. Der Gang der Arbeit Grundsätzlich sind die beiden Kapitel der Arbeit zu Tillich und Kasper, die an die allgemeine Einleitung anschließen, nach Möglichkeit parallelisiert worden, da sich in Methode und Ausführung viele Ähnlichkeiten ergeben. Auf diesem Hintergrund gewinnen die spezifischen Profile umso interessantere Konturen. Die Kapitel verfahren viergliedrig: nach den methodologischen Grundlegungen werden jene philosophischen Bedingungen geklärt, die in einem dritten Schritt die konkrete Vermittlung von Christologie und Anthropologie, Botschaft und Situation orchestrieren; in einem vierten Teil wird abschließend eine kritische Bilanz gezogen. Die Arbeit wird abgerundet durch die vergleichende Sichtung der Ergebnisse der beiden Kapitel und die Formulierung von Schlußfolgerungen und Perspektiven. Die nun folgenden Zeilen sollen einen Einblick in die inhaltlichen Schwerpunkte der beiden Kapitel ermöglichen und dabei erste gemeinsame Nenner und unterschiedliche Denkbewegungen benennen. Dadurch kann der Gang dieser Arbeit überschaut und ein roter Faden angedeutet werden. Tillich stellt in der „Systematischen Theologie“ seinen gesamten theologischen Methodenapparat unter das Vorzeichen der Dialektik von Botschaft und Situation61, während Kasper in seiner Methodenreflexion den Glauben der Kirche als jenen Ausgangspunkt der Theologie beschreibt, der im Modus der Dogmatik den „Intellekt“ je neu gegenwartsbezogen für eine neue Interpretation bemüht.62 Beide reflektieren dabei ähnliche Erfahrungen: während Tillichs Bericht über die Berliner Schüler, die ihm auf alle theologischen Fragen die Antwort „Gott“ entgegenschmetterten, so daß er ihnen diesen Begriff verbot, zu paradigmatischer Berühmtheit aufgestiegen ist, stellt Kasper lapidar fest, daß auch die zentralsten theologischen Begriffe wie Gott, Heil, Sünde oder Gnade zur leeren Hülle ohne einlösende Vorstellung geworden sind. Beide sprechen von der Unzulänglichkeit der Mittel, beiden stellt sich von daher die Frage nach der „enthüllenden“ Erfahrung, nach jenem „Ereignis“ oder jenem „Erlebnis“, durch welches das Göttliche den Menschen erreichen kann. Tillich bestimmt es so unbestimmt wie möglich als das unbedingte Ergriffensein, während Kasper die transzendentale Selbstübersteigung der Erfahrung und der Sprache als Hinweis deutet, daß Gott sich in und unter allen Erfahrungen vermitteln kann. 61 Vgl. Tillich: ST II, 9 ff. 62 Vgl. Kasper: Methoden der Dogmatik, 45 f.
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Beiden ist aber auch das Bewußtsein gemeinsam, daß die Kirche in der Überlieferung der Möglichkeit solcher Erfahrung zwar keine exklusive, doch zentrale Rolle spielt. Von daher muß die Theologie wahrhaft „Funktion der christlichen Kirche“63 sein eine dienende Zwischenstellung einnehmen. Die Theologie als spannende und gespannte Brückenfunktion der Kirche zwischen Botschaft und Situation! Dabei denken Paul Tillich und Walter Kasper unter dem Primat des heimatlos gewordenen Menschen. Sie sind Theologen, auch wenn zugegebenermaßen vor allem Tillich ausgesprochen philosophisch argumentiert. In anderen Worten: Tillich und Kasper gehen davon aus, daß der Gott, den sie als Christen bekennen, sich geoffenbart hat. Gott bringt sich selbst zur Sprache – der Menschheit als ganzer und ebenso dem einzelnen. Gott für den zeitgenössischen Menschen zur Sprache zu bringen – darin sehen beide ihrerseits den primären Auftrag. Hinter aller scheinbaren Selbstverständlichkeit verbirgt sich das Ansehnliche und Ehrliche beider Entwürfe: für den modernen und den postmodernen Menschen wird Gott nicht in dogmatischen Sätzen erfahrbar, sondern seine Gegenwart muß neu entschlüsselt werden. Beide Denker machen durch ihr ganzes Werk hindurch Ernst mit der tatsächlichen Verfaßtheit nicht eines ontologisch abgestimmten und gleichgeschalteten Menschen, sondern des konkreten Gesprächspartners in seiner jeweiligen Situation. Krisen – persönliche, gesellschaftliche sowie weltanschauliche – verlangen nach Unterscheidungen und eröffnen eine Gelegenheit für den Blick auf Gott. Dann, wenn vieles fraglich wird, fragt sich, ob das Ewige standhält. Unterschieden wird, welche bisherigen Lösungen tragen und welche nicht. Wer dabei nach Gott ausgreift, wird prüfen, ob die jeweiligen Gottesvorstellungen dem Anspruch der Krise gerechtwerden oder nicht. Auch wenn Tillich vor allem durch den Ersten Weltkrieg geprägt wurde und diese Prägung durch den Zweiten Weltkrieg vertieft und kulturell neu in den Vereinigten Staaten eingebettet wurde, Kasper dagegen prioritär den postmodernen Menschen der nachkriegerischen Emanzipations- und Freiheitsbewegungen in den Blick nimmt, verbindet beide der von Kierkegaard gegenüber dem Deutschen Idealismus des 18. und 19.Jahrhunderts erhobene Vorwurf, was uns denn eine allgemeine, absolute Wahrheit, die sogar Gott umgreife, nütze, wenn der einzelne 63 Tillich: ST II, 9; vgl. Kasper: Methoden der Dogmatik, 39.
B. Problemdarstellung
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Mensch seine eigene Wahrheit für seine je besondere Existenz nicht finden könne. Während beide – Tillich und Kasper – sich des nachhaltigen Einflusses des nachcartesianischen und nachkantischen Philosophierens rund um Fichte, Schelling und Hegel bewußt sind und Tillich von der Vorstellung, das menschliche Ich sei letztlich Schöpfer der Wahrheit, regelrecht fasziniert war, beide als Deutsche und als philosophierende Theologen im Deutschen Idealismus letztlich eine Wurzel der sich nunmehr auf allen existentiellen Ebenen vollziehenden anthropologischen Wende zum Subjekt erkennen, so treffen sie sich vor allem aber in der Überzeugung, daß die im Idealismus immanente Aporie der latenten ungeschichtlichen Nezessität der Freiheit schon im selben erkannt und prinzipiell überwunden wurde: bei Schelling. In ihm wurde das denkerische Umgreifen der neuzeitlichen Wende derart bewältigt, daß Gott weder im Begriff noch in der Notwendigkeit verschwindet, sondern als freies Gegenüber der freiheitsbezogenen Welt Bestand behält.64 Für beide wird – wie bereits dargelegt – das Gespräch mit dem Deutschen Idealismus aller jahrzehntelangen Unkenrufen zum Trotz wieder aktuell, ja enthält eine schlechthinnige Chance für die theologische Annäherung an die moderne Zeit. Dabei greifen beide nicht vor allem auf Fichte oder Hegel, sondern auf Schelling zurück und sehen in dessen Altersphilosophie den idealen Ankerplatz. Freilich stimmt es, daß weder Tillich noch Kasper sich ausschließlich auf Schelling beziehen. Vor allem Tillich hat den Deutschen Idealismus differenzierter behandelt als Kasper und schließt auch an Fichte an. Und doch ist bei beiden nicht zu übersehen, daß die Option für Schelling keine willkürliche, sondern eine inhaltlich motivierte ist. Im Leonberger Theologen und Philosophen sehen beide einen zusätzlichen denkerischen Schritt gegenüber besonders von Kant und Hegel verwirklicht, der für ihre jeweilige Zeit von entscheidender Bedeutung ist. Für Tillich wird Schelling zum Mitbegründer des existentialistischen Zweifels an einer idealistisch-dialektisch in sich abgeschlossenen und zu 64 Malte Dominik Krüger hat in einer rezenten Arbeit die verschiedenen Rezeptionsstränge von Schellings Trinitätslehre in der Spätphilosophie untersucht. (Krüger, M.D.: Göttliche Freiheit. Die Trinitätslehre in Schellings Spätphilosophie, Tübingen 2008) Dabei unterscheidet er einen religiös-theistischen, einen idealistischen, einen marxistischen, einen existentialistischen, einen entwicklungsgeschichtlichen und einen kantianisierenden Interpretationstypus. Walter Kasper wird dabei als Hauptvertreter des religiös-theistischen, Paul Tillich dagegen des existentialistischen Typus behandelt. (vgl. Krüger, 98, Anmerkung 4)
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Ende gedachten Wirklichkeit, während Kasper an Schelling hervorhebt, daß er sich der christlichen Tradition bewußt bleibt und die reflexive Vermittlung von Idealismus und Christentum deswegen versucht, weil im Christentum die Menschheit als geschichtlich vorausgesetzt und Gott als ein Gott der Geschichte und der Geschichtsmächtigkeit wahrgenommen wird. Schelling war zugleich der erste, dem die drohende Gefahr des nachhegelianischen Nihilismus bewußt wurde und der sie zu bekämpfen versuchte. Daß Tillichs und Kaspers Schellingrezeptionen untereinander stark differieren und Kasper später Tillich für sein einseitiges Einordnen Schellings kritisiert65, liegt an dem jeweiligen theologischen Interesse. Gemeinsam ist ihnen jedoch das Interesse am Schellingschen Verhältnis von Offenbarung und Geschichte. Sowohl Tillich als auch Kasper werden von einem zentralen fundamentaltheologisch-religionsphilosophischen Formalprinzip geleitet: für Tillich handelt es sich um das Rechtfertigungsprinzip, für Kasper um das transzendentale Prinzip innerhalb der natürlichen Theologie. Dabei erfährt das Rechtfertigungsprinzip bei Tillich jedoch einschneidende und entscheidende Veränderungen. Vor allem sticht die neuartige These der Rechtfertigung nicht nur des Sünders, sondern auch des Zweiflers hervor. Hier liegt nicht nur eine der herausragenden und bedeutenden theologisch-philosophischen Leistungen Tillichs vor, sondern auch der gnoseologische Zugangspunkt zu seiner Ontologie im Modus der metaphysischen Gewißheit. Die ganze Selbstverständlichkeit, mit der er in der „Systematischen Theologie“ die Vermittlung von Anthropologie und Christologie auf ontologischem Hintergrund orchestriert, verdankt sich letztlich dieser Erkenntnis der Rechtfertigung des Zweiflers. Aus der ontologisierten Rechtfertigungslehre ergibt sich bei Tillich in konsequenter Logik die Theologie der Kultur. Wie genau innerhalb dieser Theologie der Kultur die Vermittlung von Bedingtem und Unbedingtem verstanden wird, erklärt Tillich in seiner Symboltheorie. Besonders interessant ist daran, daß Tillich in seiner Christologie Christus unter dem Begriff des Symbols einführt. Das höchste göttliche Symbol muß ein Mensch sein, da sich in ihm alle Dimensionen des Lebens verwirklichen. Tillich hat auch den Begriff der Offenbarung mit seiner Symboltheorie in Verbindung gestellt. Offensichtlich leistet für ihn die 65 Kasper: Das Absolute in der Geschichte, 31. Kasper sieht Schelling nicht außerhalb, sondern weiterhin innerhalb des Idealismus stehen.
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Symboltheorie Vergleichbares zu Kaspers Spekulationen zum Absoluten in der Geschichte. Von den von Tillich in der Symboltheorie eingeführten Unterscheidungen „Form“, „Inhalt“ und „Gehalt“ her versucht die Arbeit, Christus in seiner soteriologischen Ausformung systematisch zu fassen, dabei die Lawine von Kritik an Tillichs Christologie aufzuarbeiten, ihn aber auch gegen falsche Polemik zu schützen. Die Dissertation kommt zu dem Ergebnis, daß Tillich letztlich ähnlich wie Schelling in einer idealistischen Denkform stecken bleibt, aus der heraus der konkrete Jesus nicht mehr sein kann als ein Moment im Selbstvollzug des Absoluten. Dies jedoch mit einer offenbarungsorientierten Theorie des Christlichen innerhalb einer apologetischen Theologie verbunden zu haben, ist Tillichs besondere Leistung. Nach Tillich verwirklicht sich das Sein im Leben und erfüllt sich als Geist. Analog zu dieser These kann gesagt werden: die Ontologie definiert die essentielle Einheit von Gott und Mensch so, daß nach dem aktualisierenden Übergang in die Entfremdung der Existenz nunmehr die Beziehung zwischen Gott und Mensch nur durch jenen Geist wiederhergestellt werden kann, der durch das Neue Sein in Jesus dem Christus vermittelt wird. In einem letzten Kapitel zu Tillich fragen wir nach jenem pneumatologischen Ansatz, der in der „Systematischen Theologie“ erst im strengen Sinn soteriologisch wirkt. Im Christus-Symbol ist das Neue Sein zwar erschienen, wie diese Vermittlung mit der Essenz aber auf die Existenz des Menschen einwirkt, das Unbedingte das Bedingte umformt und das Heil dem Menschen letztlich zuteil wird, klärt Tillich in seiner Pneuma-Christologie und in seiner Geschichtstheologie – hier anhand des Symbols des „Reiches Gottes“. In bestechender Manier beschreibt Tillich die Zweideutigkeiten des Lebens und führt sie damit in die Systematik der Theologie an. Dies muß als eine besondere Leistung Tillichs gewürdigt werden. Der Geist wirkt auf das Leben integrierend, und das Reich Gottes erfüllt die Geschichte bereits innergeschichtlich, harrt aber auch der eschatologischen Vollendung. Kasper begegnet dem modernen Freiheitsbefund mit der transzendentalen Methode. Dazu inspiriert er sich – wie besonders Menke und Pröpper feststellen – stark an der Freiheitsanalyse des deutschen Philosophen Hermann Krings66. Analog dazu überträgt Kasper die transzen66 Krings, Hermann: Freiheit, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Band I; München 1973, 493 – 510.
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dentale Denkmethode auf die klassischen Gottesbeweise und kann damit nachweisen, wie sie Ausdruck der menschlichen Hoffnungsstruktur, nicht aber im üblichen Sinne Nachweise der Existenz Gottes sind. Die Hoffnung auf Christus wird zu einer Hoffnung auf das Paradox. Man kann nicht mit den Mittel philosophischen Denkens gleichsam „von unten“ her die Wirklichkeit heilökonomischer Sendung deduzieren. Daß Gott sich in Christus geoffenbart hat, ist alleine durch den Glauben erkennbar. Ausgehend von Ausgangspunkt, Inhalt und Norm, dem inhaltlichen Mittelpunkt und dem Grundproblem der Christologie soll plausibel gemacht werden, warum Kasper die Christologie als personal-relational, universal verantwortbar und narrativ konzipiert. Soll in dieser Arbeit nachgewiesen werden, daß und vor allem wie Kasper sie auf die konkreten anthropologischen Fragen hin auslegt, muß in transzendentalontologischer Weise die Christologie in den größeren theologischen Bezugsrahmen von Gotteslehre und Pneumatologie eingeordnet werden. Gleichsam zusammenfassend wird anhand der in Kaspers Christologie nur am Ende, aber doch mit großer theologischer Kraft präsenten pneumatologischen Ausrichtung die Vermittlung von Identität und Relevanz, von Einzigkeit und Universalität Christi dargestellt, in welche das Problem der Vermittlung von Christologie und Anthropologie eingebettet ist. Nur wenn Christologie und Anthropologie im Verhältnis einer sich überbietenden Analogie stehen, wird Christus nicht zur Chiffre der Anthropologie. „Die Christologie setzt die Anthropologie voraus und überbietet und vollendet sie.“67 Der abschließende Vergleich betrachtet die Bestimmungen von Anthropologie, Christologie, Soteriologie, Offenbarungslehre, um so die jeweilige Denkform des Vermittlungsgeschehens von Situation und Botschaft zu eruieren.
3. Originalität und Grenzen Diese Untersuchung nimmt sich vor zu zeigen, daß die Verhältnisbestimmung von Bedingtem und Unbedingtem, Geschichtlichem und Absolutem, Situation und Botschaft aufgrund des christologischen Dogmas der unvermischten und ungetrennten Einheit in Christus ein 67 Kasper: Christologie und Anthropologie, in: Theologie und Kirche II, 194 – 216, hier: 205.
B. Problemdarstellung
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christliches Zentralthema ist, diese Vermittlung aber je neu auf die Probe gestellt wird und fehlschlägt, die innere Spannung des Verhältnisses nie ganz erschöpfend zu einer Lösung geführt werden kann, je neue Situationen je neue Formulierungen der Botschaft verlangen und dabei Paul Tillich und Walter Kasper das Verdienst zukommt, diese Verhältnisbestimmung nicht rein innertheologisch-theoretisch zu denken, sondern sie auf die konkrete Situation ihres jeweiligen Gesprächpartners anzuwenden und schließlich die Lösung an der Zentralfigur Jesus Christus abgelesen und verifiziert zu haben. Daß Tillich und Kasper geistesgeschichtlich von ähnlichen Inspirationsmomenten, historisch von verwandten, aber unterschiedlichen Situationen, konfessionell schließlich von entgegengesetzten Traditionen ausgehen und dabei trotz der Unterschiede zu vielen ähnlichen und trotz der Gemeinsamkeiten – vor allem in der soteriologischen Absicht – zu unterschiedlichst möglichen Ergebnissen kommen, will unsere Analyse nicht nur aufzeigen, sondern auch begründen. Dabei geht die Dissertation davon aus, daß Paul Tillich und Walter Kasper unter besonderen Blickwinkeln adäquate Gesprächspartner für dieses Thema sind und dabei auch untereinander gewinnbringende Vergleichsmomente anbieten: 1) Erstens zeichnen sie sich durch ein dezidiert theologisches Interesse aus, in dem das Christusereignis als integrative Kategorie die zentrale Stellung einnimmt. 2) Sodann benennen Tillich und Kasper die Soteriologie als das primäre Ziel der Christologie, setzen sich damit aber auch der Frage nach einem funktionalistischen Mißverständnis von Theologie aus. 3) Des weiteren entfalten beide Entwürfe eine ausgefeilte, aporetisch zugespitzte Anthropologie, die philosophisch an den jeweiligen weltund geistesgeschichtlichen Ausgangssituationen orientiert ist und theologisch verarbeitet wird. 4) Ein Hauptaugenmerk liegt auf dem Begriff der Offenbarung, in dem das Heilshandeln Gottes an den zeitgenössischen Menschen theologisch gefaßt wird. 5) Sowohl Kasper als auch Tillich lassen ihr eigenes philosophisches Profil bei Friedrich Wilhelm Joseph Schelling anheben und können dieses Neuaufgreifen des Gesprächs mit dem Deutschen Idealismus inhaltlich vom Thema des Verhältnisses von Situation und Botschaft, Glaube und Geschichte, Bedingtem und Unbedingtem sowie von der Integralfunktion des Begriffs der Freiheit her begründen. Schelling kommt nachweislich ein prioritärer Einfluß auf das Denken von Tillich und Kasper zu. Beiden entspricht es auch, daß Schelling sich selbst nicht nur als kon-
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I. Einleitung
struierenden Philosophen sieht, sondern gerade während seiner Spätphilosophie von der Offenbarung und vom Mythos her denkt. Sowohl für Kasper als auch für Tillich ist der Umschwung in Schellings Denken von der negativen zur positiven Philosophie das Grunddatum ihrer eigenen, aber untereinander differierenden Interpretation. Kasper und Tillich treffen sich in dem mutigen Willen, in Zeiten der Prädominanz anderer geistesgeschichtlicher Richtungen auf Schelling zu setzen und erben von ihm u. a. die Kategorien von Symbol, Geschichte und Pneuma. 6) Nicht zuletzt von Schelling her legen beide Autoren ihrem Denken eine geschichtsphilosophische Reflexion zugrunde, die sich schon alleine vom Horizont der neuzeitlichen anthropologischen Wende und der Vergeschichtlichung aller Prozesse her nahelegt. 7) Die Vermittlung von Situation und Botschaft braucht einen metaphysischen Möglichkeitsgrund und konkrete materialtheologische Scharniere. Daß Tillich sich auf eine ganz eigen verstandene Ontologie beruft, findet bei Kasper seine Entsprechung in einer relationalen Metaphysik oder „Metaphysik der Liebe“. Tillich führt seine Ontologie im Detail aus, Kasper beläßt es bei Verweisen. 8) Die theologische Hermeneutik führt den Lutheraner Tillich zu einem ontologisch verstandenen protestantischen Prinzip, Kasper dagegen ordnet sich in die Nachfolge der Katholischen Tübinger Schule mit ihrem Traditionsprinzip ein. Es ist nicht die Absicht der Arbeit, einen ökumenischen Beitrag zu leisten, doch ein kleiner Seitenblick mag gestattet sein. 9) Schließlich zeigt sich die innovative Reflexion darin, daß beide Autoren materialtheologisch Scharniere entwerfen, die die Beziehung von Situation und Botschaft ermöglichen. Bei Tillich handelt es sich um die in den größeren Kontext der Kulturtheorie einzuordnende Symboltheorie, bei Kasper dagegen um die transzendentale Freiheitsanalyse, für die er bei Hermann Krings Anleihen macht, und den Personbegriff. 10) Abschließend soll gesagt werden, daß sowohl bei Tillich als auch bei Kasper die Überlegungen zu einer zeitgemäßen Denkform für die heutige Theologie einen wichtigen Platz einnehmen. Die Terminologie bewegt sich zwischen Korrelation, Dialektik, Analogie, Dialog und Paradox. Daß und wie Kasper Tillich in „Der Gott Jesu Christi“ dreimal und in „Jesus der Christus“ viermal erwähnt und aufgreift, zeigt, daß er ihm als Quelle dient, nicht aber als Vorläufer. Von daher erarbeitet die Dissertation eine neue Verhältnisbestimmung. Damit sind auch die Grenzen benannt:
B. Problemdarstellung
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a) Das Thema der Verhältnisbestimmung von Absolutem und Geschichtlichem hat auf dem Hintergrund der spezifisch christlichen Fragestellung nach der universalen Relevanz Christi seit dem Anbruch der Neuzeit unter vielerlei verwandten hermeneutischen Formulierungen verschiedene Ansätze und Möglichkeiten gesehen. Tillich und Kasper passen sich in diese Entwicklung ein, haben aber zugleich diesen Prozeß kritisch rezipiert und versuchen einen Neuansatz. Auch dieser ist aber notwendigerweise nur Teil einen größeren Bewegung, die wir zwar im Einleitungskapitel der Dissertation beschrieben haben, aber nicht profunder behandeln können. b) Die werkimmanente Auswahl wurde bereits angeschnitten. Wir werden uns auf Tillichs „Systematische Theologie“ konzentrieren. Bei Kasper stehen die Manuale „Jesus der Christus“ und „Der Gott Jesu Christi“ im Vordergrund. c) Schelling wird nicht integral aufgearbeitet. Es ist nicht die Absicht der Dissertation, ein eigenes Schellingstudium zu betreiben, sondern die jeweilige Rezipierung bei Tillich und bei Kasper und die entscheidenden Einflüsse aufzuzeigen. d) Die bibliographische Auswahl orientiert sich am Thema. Es wird auch hier auf ein erschöpfendes Studium der beiden Autoren verzichtet – welches von anderen geleistet wurde –, sondern themenorientiert recherchiert. e) Zwischen dem Beginn der Dissertation und der Abgabe liegen 5 intensive Jahre pastoraler Arbeit in der Erzdiözese Luxemburg in der Territorialpastoral, der Jugend-, Pfadfinder-, Berufungs- und Schulpastoral. Was einerseits zu einer thematischen Distanz und Entfremdung führen mußte, stellt andererseits eine Bereicherung und ein ins Existentielle und Pastorale gewendetes Interesse am Thema dar. Im Schlußkapitel werden dazu einige Bemerkungen formuliert.
II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich Paul Tillich ist ein im höchsten Maße anregender und vielseitiger Denker. Da er es geschafft hat, auf der Grenze von Philosophie und Theologie sowohl die politische Wirklichkeit mit ihren Herausforderungen als auch die Ansprüche des kirchlichen Denkens in seinen Entwurf zu integrieren, bietet er sich in herausragender Weise für die Erschließung des Begründungszusammenhangs des Themas Situation und Botschaft an. Tillich ist nur schwer einzuordnen. Obwohl mitten in großen theologischen und philosophischen Umbrüchen stehend, erlebt ihn die Nachwelt als „den großen Unzeitgemäßen und Außenseiter“1. Er hat keine Schule beeinflußt. Gerade dies mag aber als beredtes Zeugnis seiner Originalität dienen. Tillich wird hier von seinem theologischen Anliegen her verstanden. Die Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie stellt bei ihm kein sekundäres laterales Problem dar, sondern führt in die Mitte von Tillichs Selbstverständnis. Letztlich kann man sein Denken von beiden Standpunkten her aufrollen, wie die vielen unterschiedlichen Anwege an Tillichs Entwurf in der Forschung andeuten. Unsere Optik geht davon aus, daß Tillich die theologische Problematik und Begrifflichkeit in den größeren Rahmen seiner Philosophie einordnet. Das theologische Ergebnis ist für ihn der Erweis der Richtigkeit der vorausgesetzten philosophischen Kategorien. Damit wird die Philosophie überragend, die Theologie jedoch ist richtungangebend. Die Reflexion über Unbedingtes und Bedingtes entscheidet, ob in Christus wahrhaft Heil sein kann. Die Philosophie bestimmt also letztlich die Voraussetzungen, damit Theologie verantwortbar gelingen kann. Diesem letzten, theologischen Zielpunkt widmen sich die folgenden Überlegungen und versuchen, das theologische Anliegen in einem ersten Schritt methodologisch aus sich selbst, in seiner eigenen Innendynamik zu verstehen. Sie dienen der Darstellung der Sinnrichtung und der Methodik von Tillichs Theologieverständnis. 1
Dembowski, H.: Einführung in die Christologie. Die Theologie; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 21987, 173.
II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
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Die Methode ist für Tillich Teil des Systems. Worin das Hauptanliegen des Systems liegt, ist in einem einführenden Schritt zu prüfen. In seinem für diese Arbeit zentralen zweiten Band seiner „Systematischen Theologie“2 legt Tillich die Behauptung, Christologie sei eine Funktion der Soteriologie3, seiner ganzen Christologie zugrunde. Dabei wird Soteriologie verstanden als die Lehre von der dialektischen Wiedervereinigung des Menschen mit Gott. In anderen Worten: die im zweiten Band der „Systematischen Theologie“ im Modus der philosophischen Frage gezeichnete Anthropologie wird von vornherein so auf die Christologie bezogen, daß zwar dadurch einerseits die Christologie soteriologisch zugänglich wird, andererseits aber dieselbe auf ihre soteriologische Relevanz beschränkt wird. Dieses Wechselspiel von Christologie, Soteriologie und Anthropologie deutet bereits „in nuce“ die Stärke und die Schwäche der Tillichschen Korrelationsmethode an, die den Rhythmus der „Systematischen Theologie“ bestimmt: sie versteht es, Themen füreinander zu öffnen, krankt aber stellenweise an einer konsequenten Abgrenzungsarbeit. Einerseits wird sie in den folgenden Abschnitten so dargestellt, wie sie nach Tillichs Verständnis gedacht ist, andererseits aber auch auf ihre Grenzen hin untersucht. Während an diesem Punkt der Arbeit die Korrelationsmethode rein formal kritisch betrachtet wird, bietet sich im weiteren Verlauf der Ausführungen nach der Behandlung der Christologie ein entsprechendes materiales Gegenstück der Kritik an, in dem die Korrelationsmethode an der Vermittlung von Christologie und Anthropologie gemessen wird.
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Fortan wird die „Systematische Theologie“ in den Fußnoten mit ST abgekürzt; die Gesammelten Werke werden durch das Kürzel GW bezeichnet, während die Ergänzungsbände mit EW und die „Religiösen Reden“ mit RR gekennzeichnet sind. Vgl. ST II, 163.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
A. Einleitender Teil: Methodologische Grundlegungen 1. „Christologie ist eine Funktion der Soteriologie“ 1.1. Die Christologie als Mitte und Gravitätszentrum Die Vermittlung von Christologie und Anthropologie ist ein Grundanliegen von Paul Tillich. Sie überragt in gewisser Weise unbemerkt sein ganzes theologisches und auch philosophisches Denken. Diese Vermittlung geschieht letztgültig in der soteriologisch angelegten Christologie der „Systematischen Theologie“. Tillichs Denken und Schreiben ist sehr vielfältig und hat seit jeher eine Fülle an Interpretationsmöglichkeiten erfahren4, doch letztlich bündelt es sich hier. „La christologie n’est pas tout; elle est le centre de la théologie, non son unique domaine.“5 Bei Tillich ist das zentrale christologische Anliegen nicht zu trennen vom Rest: „La christologie de Tillich n’est (…) pas autonome; elle présuppose l’ensemble de sa théologie et y renvoie constamment.“6 Darüber hinaus gibt Tillichs materiale Norm der Theologie, „das Neue Sein in Jesus als dem Christus“7, nach der Meinung vieler Experten nicht nur der Christologie, sondern auch seiner ganzen Systematik Gestalt.8 Das Ganze von Tillichs System spitzt sich in der Christologie zu. Hier erweist sich, ob Tillichs Theologie fähig ist, auf dem Hintergrund der Korrelationsmethode existentiell tragfähige Antworten zu geben. Die zentrale Rolle einer soteriologisch begründeten Christologie ist auch in der Tillich-Forschung nicht unbeachtet geblieben. Der ausgewiesene Tillich-Kenner Hermann Fischer konnte für Tillichs Hauptwerk, die „Systematische Theologie“, nachweisen, daß „die Christologie als Mitte des Systems“ betrachtet werden kann.9 Dies gilt für den Aufbau der „Systematischen Theologie“ im äußeren formalen Sinn, da die 4 5 6 7 8 9
Vgl. Schüßler, W.: Paul Tillich (= Beck’sche Reihe „Denker“, 540), München 1997, 112 – 116. Gounelle, A.: La christologie de Paul Tillich, in: Études théologiques et religieuses 52 (1977) 205 – 218, hier: 206. Gounelle: Christologie de Paul Tillich, 205. ST I, 62. Vgl. Wolff, O.: Paul Tillichs Christologie des „Neuen Seins“, in: NZSTh 3 (1961) 129 – 140, hier: 130; vgl. Dee, H.: Die Christologie in Paul Tillichs „Systematischer Theologie“, in: EvTh 18 (1958) 89 – 96, hier: 94. Fischer, H.: Die Christologie als Mitte des Systems, in: Fischer, H.: (Hrsg.): Paul Tillich. Studien zu einer Theologie der Moderne, Frankfurt 1989, 207 – 228. (fortan zitiert als: Fischer: Christologie)
A. Einleitender Teil: Methodologische Grundlegungen
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Christologie den dritten von fünf Teilen einnimmt. Aber es hat auch seine Gültigkeit in inhaltlicher Hinsicht. Bereits die Gliederung seiner ersten Dogmatikvorlesung aus dem Sommersemester 1925 in Marburg10 bestätigt diese Vermutung, „die Christologie auch inhaltlich als Mitte des Systems“11 betrachten zu dürfen.12 In der Dogmatik von 1925 ist die Christologie in eine offenbarungsgeschichtliche Perspektive hineingestellt, da sie als „Durchbruch der vollkommenen Offenbarung“ behandelt wird. Fischer vermag zu zeigen, daß diese Akzentuierung mit einer bereits 1923 getroffenen theologischen Fundamentalentscheidung zusammenhängt. In jenem Jahr hatte Karl Ludwig Schmidt in seinen „Theologischen Blättern“ ein Streitgespräch zwischen Barth, Gogarten und dem jungen Tillich über „das kritische und positive Paradox“ veranlaßt.13 Es geht um das Verhältnis des Unbedingten zum Bedingten. Entsprechend seinem protestantischen Prinzip gibt Tillich in seinem Eingangsreferat14 der dialektischen Theologie recht, daß man dem Versuch, „ein unmittelbares, unparadoxes, nicht durch das ständige radikale Nein hindurchgehendes Verhältnis zum Unbedingten“15 zu errichten, ein deutliches „Nein!“ entgegnen muß. Zugleich jedoch lebe dieses „Nein“ von einem noch fundamentaleren „Ja“, welches ihm als Bedingung seiner Möglichkeit vorausgeht, aber von der dialektischen Theologie nicht betont wird. Diese „Einheit von Ja und Nein, von Position und Negation, von Gnade und Gericht“16 basiert auf dem Verständnis der Welt als Gottes Schöpfung.17 Es geht Tillich um den „Rückgang vom kritischen zum positiven Paradox“18. Die Geschichte – und in besonderer Weise die 10 Vgl. Tillich, P.: Dogmatik. Marburger Vorlesung von 1925, hrsg. von Werner Schüßler, Düsseldorf 1986. 11 Fischer: Christologie, 208. (Hervorhebung von Fischer) 12 Tillich später dazu: „Historisch und systematisch ist alles andere im Christentum Bestätigung der schlichten Behauptung, daß Jesus der Christus ist.“ (ST II, 102; Hervorhebung vom Autor) 13 Nachzulesen in: GW VII, 216 – 246. Oder in: Moltmann, J. (Hrsg.): Anfänge der dialektischen Theologie. Teil I, München 41977, 165 – 197. 14 Er kam dieser Aufforderung nach eigener Aussage nur „ungern“ nach, denn es sollte nicht der Eindruck entstehen, er wolle den Stachel der radikalen Kritik abstumpfen (vgl. GW VII, 216). 15 GW VII, 216 f. 16 Fischer: Christologie, 209. 17 Vgl. GW VII, 219 f. 18 GW VII, 218. Tillich ist der Meinung: „In der Christologie kommt der Gegensatz von positivem und kritischem Paradox zu entscheidendem Austrag.“
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
Geistesgeschichte und mit ihr die Religion – wird dadurch ebenfalls zum Ort der gndigen Zuwendung Gottes. Doch die Offenbarung Gottes bleibt dem Zugriff des Menschen entzogen, da weiterhin das Paradox gilt. Deshalb kann die historische Kritik mit freier Hand arbeiten und kann dem Glauben keinen Schaden zufügen, denn sie kann „ohne Antastung der unanschaulichen Offenbarung in Christus die anschaulichen Relationen kenntlich machen bis zur möglichen Aufhebung der Gegebenheit als solcher“19. Das zentrale Offenbarungsgeschehen dagegen bleibt unantastbar. Tillich liegt daran, daß die Schöpfung neben dem Nein auch unter dem Ja Gottes steht, weil sie – wie das Neue Testament bezeugt – durch den Sohn vermittelt ist. Das Wirken des Sohnes aber ist ein Ganzes. Deshalb bedeutet Tillichs „christologische Absicherung des Schöpfungsgedankens“20 zugleich, „daß Schöpfungsordnung und Erlösungsordnung zusammengehören, (…) die Schöpfung auf die Erlösung hin geordnet, daß die Erlösung in der Schöpfung angelegt ist“21, und daß „Sinn und Funktion der Christologie“ darin bestehen, „das in der Schöpfung grundgelegte „Ja“ Gottes zum Menschen und zur Welt klar zur Aussage zu bringen und gegenüber einer – angeblichen – Absolutsetzung des Gerichtsgedankens in der dialektischen Theologie zu sichern„22.
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(GW VII, 223) Er wirft der Theologie des kritischen Paradoxons vor, ganz unparadox und unkritisch das Ereignis Jesus Christus supranaturalistisch aus der Geschichte herauszuschneiden und gesondert zu betrachten. GW VII, 224. Fischer: Christologie, 210. GW VII, 219 f. Fischer: Christologie, 210. Barth hat die Position Tillichs so verstanden, daß es ihr darauf ankommt, „die singuläre Qualifikation dieser Geschichte durch die Offenbarung [bei Barth im Sinne der Christus-Offenbarung] zu bestreiten, oder, was auf dasselbe herauskommt: die Qualifikation aller Geschichte durch die Offenbarung zu behaupten“ (GW VII, 237; Hervorhebungen von Barth). Tillichs Offenbarungsuniversalismus kulminiert in Christus und ist nicht – wie bei Barth – exklusiv auf ihn konzentriert. Damit hat Barth treffsicher eine Schwierigkeit der Tillichschen Christologie vorausgeahnt. Es ist nicht schwer, in diesen Diskussionen bei Tillich sein Festhalten an der Überzeugung einer Grundoffenbarung zu erkennen. Fischer schätzt Barth und Tillich als „die beiden großen Protagonisten evangelischer Theologie im 20. Jahrhundert (ein), jedenfalls im deutschsprachigen Raum, und vielleicht sogar darüber hinaus“ (Fischer: Christologie, 222). Er vergleicht im Rückblick die beiden Ansätze von Tillich und Barth und urteilt, daß Barth zwar „an systematischer Kühnheit und theologischer Phantasie“ (Fischer: Christologie, 221 f.) Tillich bei weitem
A. Einleitender Teil: Methodologische Grundlegungen
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Nach Fischer wirkt sich dieser heilsgeschichtliche Universalismus mit voller Kraft in der Dogmatikvorlesung von 1925 aus und ist auch in der „Systematischen Theologie“ noch präsent, wird hier aber durch eine existentiell-soteriologische Perspektive übertroffen. Die Christologie erhält einen „neuen Zuschnitt“23, der sich aber an die Orientierungen von 1923 und 1925 angliedert. Die berühmte und noch zu behandelnde Tillichsche Methode der Korrelation ist für Fischer „die Übertragung seines theologischen Programms eines kritischen und positiven Paradoxes von 1923 ins Methodische“24. Die Christologie – in der sich die Frage nach dem positiven Paradox zuspitzte – ist das Gravitätszentrum der ganzen Tillichschen Gedankenwelt. Unserer Meinung handelt es sich dabei um jene theologische Grundeinstellung, die für Tillichs gesamtes Denken ausschlaggebend bleiben wird. 1.2. Christologie als Soteriologie Christologie bedeutet für Tillich immer vor allem Soteriologie25 und meint näherhin die erlösende Vermittlung von Gott und Mensch dank des Christus. „Christologie ist eine Funktion der Soteriologie.“26 Das „Kriterium“ der Soteriologie ist, daß Christus von Entfremdung und Selbstzerstörung erlöst. Hierin besteht „das methodische Leitfossil für Tillich“27, sozusagen sein theologisches Leitmotiv.
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übertreffe, daß aber umgekehrt Tillich durch seine Offenheit und „den Anspruch der christlichen Wahrheit auf Universalität“ (Fischer: Christologie, 222) Barth bei weitem überrage. Tillich hole die Theologie aus dem Gestus der Behauptung heraus und mache sie für Bewährung und Bewahrheitung offen. Fischer: Christologie, 213. Fischer: Christologie, 222. (Hervorhebung von Fischer) Für Sesboüé besteht hier eine interessante Parallele zu Walter Kasper (und zu Karl Rahner): vgl. Sesboüé, B.: Christologie et sotériologie chez Paul Tillich dans le cadre de la théologie contemporaine, in: in: Revue d’histoire et de philosophie religieuses 61 (1981) 223 – 238, hier: 226. ST II, 163. Tillich weiter: „Das Problem der Soteriologie schafft die christologische Frage und weist in die Richtung, in der die christologische Antwort gegeben werden muß. Denn es ist die Funktion des Christus, das Neue Sein zu bringen und damit die Erlösung vom alten Sein, nämlich von Entfremdung und Selbstzerstörung. (…) Wir müssen fragen, in welchem Sinne und auf welche Weise Jesus als der Christus der Erlöser ist, oder genauer: in welchem Sinne das einzigartige Ereignis Jesus als der Christus für jedes menschliche Wesen und indirekt auch für das Universum Bedeutung hat.“ (ST II, 163) Ratschow, C. H.: Jesus Christus (Handbuch Systematischer Theologie, hrsg. C. H. Ratschow, Band V), Gütersloh 1982, 109 – 134, hier: 126.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
Im besagten dritten Teil der „Systematischen Theologie“ kommt der Mensch von Christus her und Christus vom Menschen her ins Spiel. Man kann sagen, daß Anthropologie und Christologie auf ihre gegenseitige Vermittlung in dem als Soteriologie angelegten christologischen Entwurf Tillichs hin zugespitzt werden. Sofern in der Folge von Tillichs Christologie die Rede sein wird, sei diese immer verstanden als Soteriologie unter existentiell-anthropologischen Vorzeichen. Darin erfüllt die Christologie das Grundanliegen der ganzen Tillichschen Theologie: es geht um die Bedingung der Möglichkeit existentieller Ermutigung der Menschen zum Sein, d. h. um Erlösung aus der Angst vor dem NichtSein. „La christologie, comme d’ailleurs l’ensemble de la théologie de Tillich, répond à une préoccupation existentielle et non à un intérêt spéculatif.“28 Tillich selbst schreibt: „Das letzte Kriterium der Christologie ist selbst existentiell. Es ist soteriologisch, d. h. durch die Frage nach der Erlösung bestimmt: „Je Größeres wir über Christus aussagen, desto größer ist die Erlösung, die wir von ihm erwarten können.“„29 Das zeigt sich auch daran, daß der dritte Teil eine Überleitung bietet zu der Beschreibung des Lebens aus dem Geist. Die Erlösung, die Jesus, der Christus, bringt, wird von Tillich im vierten (und fünften) Teil des Systems entfaltet. Folgerichtig darf im Hinblick auf die „Systematische Theologie“ gelten: „Die Weichen für die Themen des Bandes III sind eindeutig in Band II gestellt.“30 Von Tillichs Norm der Theologie her ist es nicht übertrieben zu behaupten, das ganze Tillichsche System drehe sich um die Heilsfrage. „La construction de l’ensemble de la Thologie Systmatique maintient au premier plan la question du salut.“31 Tillich fragt nach dem, was uns unbedingt angeht. Dieses letzte Anliegen gewinnt für den entfremdeten Menschen die Form eines neuen, versöhnten Seins. Entscheidend ist für Tillich, daß unter den religionsphilosophischen und theologischen Voraussetzungen, die er klärt, deutlich und verständlich werden kann, daß Jesus der Christus derjenige ist, der das Neue Sein bringt, indem er die essentielle Gott-Mensch-Einheit unter den Bedingungen der Existenz manifestiert. Dieses Anliegen soll im Folgenden entfaltet werden. Dabei 28 Gounelle: Christologie de Paul Tillich, 206. 29 ST II, 158. 30 Schnübbe, O.: Paul Tillich und seine Bedeutung für den Protestantismus heute: das Prinzip der Rechtfertigung im theologischen, philosophischen und politischen Denken Paul Tillichs, Hannover 1985, 244. Er ergänzt: „Das Grundsätzliche ist schon gesagt. Daher finden sich in Band III viele Wiederholungen.“ 31 Sesboüé: Christologie et sotériologie chez Paul Tillich, 227.
A. Einleitender Teil: Methodologische Grundlegungen
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gelten die ersten Hinweise dem Selbstverständnis und der Methodik einer Theologie, die dem Tillichschen Impetus gerechtwerden können.
2. Apologetische Theologie und Korrelationsmethode 2.1. Die Gestalt der Theologie in der „Systematischen Theologie“ Wir wollen mit den folgenden Überlegungen versuchen, das Wesen des Tillichschen Theologie-Begriffs zu erhellen. Was ist überhaupt Theologie? Und wie kommt ihr soteriologisches Integral zum Tragen? 2.1.1. Situation und Botschaft „Theologie ist eine Funktion der christlichen Kirche, sie muß den Erfordernissen der Kirche entsprechen. Ein theologisches System muß zwei grundsätzliche Bedürfnisse befriedigen: Es muß die Wahrheit der christlichen Botschaft aussprechen, und es muß diese Wahrheit für jede neue Generation neu deuten. Theologie steht in der Spannung zwischen zwei Polen: der ewigen Wahrheit ihres Fundamentes und der Zeitsituation, in der diese Wahrheit aufgenommen werden soll.“32 Mit dieser theologischen Dramaturgie33 eröffnet Tillich seine „Systematische Theologie“. Die Theologie hat die Aufgabe, die Wahrheit der christlichen Botschaft und die Situation miteinander zu verbinden. Dies geschieht anhand einer neuen Deutung der Botschaft für die jeweilige Situation. Die Situation einer definierten Gruppe wird dabei verstanden als „die Summe der wissenschaftlichen und künstlerischen, der wirtschaftlichen, politischen und sittlichen Formen, in denen diese Gruppe das Selbstverständnis ihrer Existenz zum Ausdruck bringt“34. So einleuchtend und selbstverständlich diese Erkenntnis zu sein scheint, so spannend ist sie zugleich, besonders bei der Frage nach den unausgesprochenen Voraussetzungen, d. h. nach der „Theologie dieser Theologie“35. Jene Theologie, die nach Tillich die Aufgabe der Vermittlung zwischen der Situation und der Botschaft am besten lösen kann, ist die 32 ST I, 9. 33 Vgl. Bayer, O.: Paul Tillich, in: Bayer, O.: Theologie (Handbuch Systematischer Theologie, hrsg. C. H. Ratschow, Band 1), Gütersloh 1994, 185 – 280, hier: 221. 34 ST I, 10. 35 Ringleben, J.: Paul Tillichs Theologie der Methode, in: Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie 17 (1975) 246 – 268, hier: 248.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
apologetische Theologie, d. h. jene „antwortende Theologie“36, die auf die realen Fragen eingeht. Apologetik ist keine besondere Abteilung der systematischen Theologie37, sondern ein allgegenwärtiges Element, sozusagen ihr Charakter. Damit beabsichtigt Tillich, Situation und Botschaft so aufeinander zu beziehen, „daß keine von beiden beeinträchtigt wird“38. Erst durch Fragen werden Antworten möglich und relevant. Hier besteht ein fundamentales Problem: die meisten Theologen halten nach Tillich die Spannung zwischen Frage und Antwort, Situation und Botschaft nicht aus und verfallen der Einseitigkeit von einem der beiden Pole.39 Der amerikanische Fundamentalismus (oder die entsprechende kontinental-europäische Neuorthodoxie) und die kerygmatische 36 ST I, 12; vgl. ST II, 22. Die Bezeichnung „apologetische Theologie“ ist sehr vorbelastet, doch Tillich läßt sich davon nicht beirren und definiert sie neu: nicht als „Theologie der Abwehr“, sondern als „Theologie des Angriffs“, die jene Hoffnung, die den Theologen erfüllt, als verstehbare und existentiell relevante Antwort uneingeschränkt weitersagt (vgl. 1 Petr 3,15). Dementsprechend hatte Tillich bereits seine Marburger Dogmatikvorlesung von 1925 sehr offensiv eröffnet: „In jedem Angriff ist klingendes Spiel, sagt Nietzsche. Die Dogmatik kann Angriff und sie kann Verteidigung sein. (…) Demgegenüber bedeutet unser Wort wieder Angriff.“ (Schüßler, Werner (Hrsg.): Paul Tillich. Dogmatik. Marburger Vorlesung von 1925, Düsseldorf 1986, 25; Hervorhebung von Tillich). Oswald Bayer behauptet: „In keinem großen systematischen Entwurf des 20. Jahrhunderts ist der Gesichtspunkt des Apologetischen so bestimmend wie bei Tillich.“ (Bayer: Paul Tillich,199) Die Rechenschaft der Hoffnung darf nicht nur zu einer Identität der Kirche beitragen, sondern muß die Kirche als Vermittlungsinstanz des Heils relevant machen für den zeitgenössischen Menschen. Wenz sieht den apologetischen Charakter von Tillichs Theologie trotz allem Wandel stets erhalten (vgl. Wenz G.: Subjekt und Sein. Die Entwicklung der Theologie Paul Tillichs, München 1979, 319, Anmerkung 1). Vgl. auch Schüßler: „Theologie muß Angriff sein.“ (Schüßler, W.: Theologie muß Angriff sein. Das Religionsund Theologieverständnis Paul Tillichs, in: FZPhTh 34 (1987) 513 – 529) Tillichs Erfahrung der Inflation und der entsprechenden Leere des Begriffs „Glaube“ beim Unterricht von 12- und 13jährigen Jungen im Norden Berlins (vgl. EW V, 61) motiviert ihn, die alten Symbole wieder verständlich machen zu wollen, indem er sie durch eine Reflexion über das Verhältnis von Religion und Kultur neu im Leben der Menschen verankern wollte. (vgl. Schüßler: Theologie muß Angriff sein, 48) Wie tief Tillich von dieser Erfahrung getroffen war, kommt noch 1957 zum Ausdruck: „Wie Steine wirft man ihnen solche Worte an den Kopf.“ (GW IX, 243) So kann nach seiner Überzeugung religiöse Erziehung nicht erfolgreich sein. 37 So war es noch in seiner „Systematischen Theologie“ von 1913: hier steht die Apologetik zwischen der Dogmatik und der Ethik. (vgl. EW IX, 273 – 425) 38 ST I, 15. 39 ST I, 40.
A. Einleitender Teil: Methodologische Grundlegungen
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Theologie von Luther und Barth betonen nach Tillich im Vermittlungsprozeß vorrangig die Seite der unveränderlichen Wahrheit und werden dem eigenen Recht der Situation nicht gerecht. Apologetische Theologie dagegen „antwortet auf Fragen, die die Situation stellt, und sie antwortet in der Macht der ewigen Botschaft und mit den begrifflichen Mitteln, die die Situation liefert, um deren Fragen es sich handelt.“40 Die Vermittlung von Botschaft und Situation wird geleitet von der von Tillich definierten „materialen Norm“ der Theologie. Diese Norm ist für jede Theologie das Kriterium ihrer Wahrhaftigkeit und Konsequenzhaftigkeit. Für Tillich ist sie „das „Neue Sein in Jesus als dem Christus“„41. In ihr sind die Grundaussagen von Situation und Botschaft enthalten: die Situation des Menschen fragt nach der Möglichkeit des Seins, während in Christus das Neue der Botschaft aufbricht. Die Frage nach dieser Norm als Kriterium für den Gebrauch der Quellen und des Mediums der Erfahrung ist die „entscheidende Frage“42. Die Norm definiert sich in ihrer konkreten Akzentuierung aus zwei Fragen heraus: erstens der Frage nach jener Wirklichkeit, in der die Selbstentfremdung der menschlichen Existenz überwunden ist – Tillich nennt diese Wirklichkeit das „Neue Sein“ –, und der Frage, wo dieses Neue Sein offenbar werde. Die Antwort darauf heißt: „in Jesus dem Christus“43. Damit ist die Christologie von vornherein in das Zentrum von Tillichs System gerückt. Die theologische Norm wird im Wechselspiel von drei Faktoren bestimmt: der Kirche, der christlichen Botschaft und der jeweiligen Generation. Die Kirche – als erster Faktor – ist „der Arbeitsplatz“44 des Theologen. Von ihrer positiven Vorgegebenheit aus wird der Theologe bestimmt und steht in einem theologischen Zirkel. Der zweite Faktor, die christliche Botschaft, verweist auf das einmalige Ereignis Jesus Christus, welches als unhintergehbares Ereignis vorgegeben ist! 45 Die Situation des gegenwärtigen Menschen – als dritter Faktor – wird von Tillich als Zer40 ST I, 12. 41 ST I, 62. In diesem Zusammenhang ist Wolff in seiner Reflexion über Tillich der Meinung, man dürfe den Anspruch einer neuen Norm besonders an Tillich stellen, da von seinem Werk als von einem epochalen Ereignis gesprochen wurde und epochale Denker immer ihrer Zeit Normen zu setzen wissen. (vgl. Wolff, 129) 42 ST I, 58. 43 ST I, 61. 44 Vgl. ST I, 60. 45 Vgl. ST I, 57.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
rissenheit und Sinnlosigkeit beschrieben.46 Er spricht mit Blick auf seine Zeit von den „dämonisch-tragischen Strukturen des individuellen und sozialen Lebens“47, die sich in der Kunst, der Existenzphilosophie, den politischen Geschehnissen und in der Psychologie des Unbewußten äußern. Die menschliche Selbstinterpretation ist auf allen Kulturgebieten verfügbar.48 Es geht um das, was Tillich den „Stil einer Periode“49 nennt. Er ist an dem interessiert, was des Menschen geistig-kultureller Zustand „für das Verständnis des Menschen und seine Beziehung zu Gott bedeutet“50. Tillich nennt die Begegnung von Erfahrung und vorgegebenem Ereignis, letztlich von Situation und Botschaft „Umwandlung“51. „Die Offenbarung beantwortet Fragen, die je und je gestellt worden sind, und immer wieder gestellt werden, da wir selbst diese Fragen sind.“52 Die christliche Botschaft zeigt in der jeweiligen Situation ihre Fähigkeit zur
46 Vgl. Tillichs Dreiertypologie der Epochen (vgl. GW XI, 50), in dem das Wesen des Menschen mit Epochen der Angst in Beziehung gestellt wird. Der Alten Kirche entspricht die Frage nach Unsterblichkeit, dem Mittelalter dagegen jene nach der Sündenvergebung. Die Neuzeit wird bestimmt von der Erfahrung des Nichts und der sinnlosen Leere und deshalb durch die Frage nach dem Sein und nach dem Sinn. 47 ST I, 61. 48 Vgl. ST I, 77. 49 ST I, 50. 50 ST I, 10. In dieser Verwiesenheit des Menschen auf die Unendlichkeit klingt eine Verwandtschaft mit Rahners transzendentaler Theologie an. (vgl. Sesboüé: Christologie et sotériologie chez Paul Tillich, 226) Der Mensch ist nach Tillich wesentlich eine Frage, jedoch eine Frage, die nur bestehen kann, weil sie schon in einer Antwort steht. 51 ST I, 57. Im Hinblick auf die existentiellen Fragen des Menschen wird die christliche Botschaft empfangen und umgewandelt, nicht bloß wiederholt oder gar neu erfunden. Die Neuformulierung geschieht in Abhängigkeit davon, daß der Theologe die Existenz „liest“ in der Absicht, daß die christlichen Symbole ihre Sinnhaftigkeit entfalten können. Die Antworten, die in der Offenbarung verborgen liegen, werden in einem theologischen Prozeß „aus den Quellen, durch das Medium, unter der Norm“ entgegengenommen (ST I, 78; Hervorhebungen von Tillich). Aus den Quellen heißt: aus der Bibel, aus der Kirchengeschichte, aus der Religions- und Kulturgeschichte; durch das Medium bedeutet: durch die Erfahrung; und die Norm ist bekanntlich das „Neue Sein in Jesus, dem Christus“. 52 ST I, 76.
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Umwandlung, weil der Mensch eine Frage ist 53 und diese Frage immer wieder anders gestellt wird! 54 Ganz offensichtlich sind bei Tillich die Pole der ewigen Wahrheit und der Situation des Menschen nicht voneinander zu trennen. Das vierfache „muß“ im Eröffnungszitat55 besagt eine Notwendigkeit, die Tillich zwar nirgends explizit erklärt, die aber deshalb umso mehr als ein implizites Leitmotiv angesehen werden sollte. Wenn es ein „muß“ der Vermittlung gibt, dann steht auch der Pol der Zeitsituation unter der Notwendigkeit eines „muß“ und kann nicht einfachhin als rein äußerliche Bedingung für die Darstellbarkeit der ewigen Wahrheit gewertet werden. Das deutet schon das Konzept der „Umwandlung“ an. „Ist die Geschichte selbst notwendig, so kann sie von der Notwendigkeit der „ewigen Wahrheit“ nicht völlig getrennt werden.“56 Tillich integriert den Pol der Situation in eine höhere Notwendigkeit. Worauf fußt diese? Welche Implikationen und impliziten Voraussetzungen sind mit Tillichs Methode verbunden? Diese Frage wird sich nun schrittweise klären. 2.1.2. Die Genese der Theologie und das letztgültige, unbedingte Anliegen Bis zur materialen Norm der spezifisch christlichen Theologie und der Notwendigkeit der Vermittlung von Botschaft und Situation ist es für Tillich ein weiter Weg. Auf diesem schälen sich Schritt für Schritt die 53 Da Tillich das Fragen sehr stark in Beziehung setzt mit der Philosophie, ist es rechtens anzunehmen, daß er auch den Pol der Situation und die Philosophie in einer sehr engen Beziehung sieht. 54 Sowohl die Botschaft als auch die Zeitsituation enthalten in sich ein dynamisches Element: die Botschaft hat die Macht, sich für die jeweilige Generation ganz neu zu erschließen, ohne sich selbst dabei untreu zu werden oder sich teilweise oder gar ganz zu verlieren (vgl. ST I, 78); und die Situation formuliert in einem ihr eigenen Vermögen ihre innerste Frage nach Mut und Zuversicht, so daß sie von vornherein der Botschaft „fähig“ ist (vgl. ST I, 75). 55 „Theologie ist eine Funktion der christlichen Kirche, sie muß den Erfordernissen der Kirche entsprechen. Ein theologisches System muß zwei grundsätzliche Bedürfnisse befriedigen: Es muß die Wahrheit der christlichen Botschaft aussprechen, und es muß diese Wahrheit für jede neue Generation neu deuten. Theologie steht in der Spannung zwischen zwei Polen: der ewigen Wahrheit ihres Fundamentes und der Zeitsituation, in der diese Wahrheit aufgenommen werden soll.“ (ST I, 9) 56 Ringleben: Paul Tillich’s Theologie der Methode, 247. (Hervorhebung von Ringleben)
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besondere Identität der christlichen Theologie im Unterschied zur Philosophie und zu einer allgemeinen Form der Theologie und den ihr zugrundeliegenden Bedingungen heraus. Beide Differenzierungen gilt es nun zu unterscheiden, angefangen in diesem Abschnitt mit der Abgrenzung der christlichen Theologie vom philosophischen Anliegen. Was die christliche Theologie samt ihrer materialen Norm auszeichnet, ist zunchst ihr größerer Anspruch im Vergleich zur Philosophie. „Der Theologe will mehr sein als ein Religionsphilosoph“57. Er ist derjenige, den sein Inhalt, die christliche Botschaft, unbedingt angeht – im Unterschied zu vorläufigen Anliegen58. Das bedeutet aber auch: der Theologie geht die Erfahrung dessen voraus, was unbedingt angeht, was ergreift und trägt, was als Macht gegen das Nicht-Sein und also als Macht des Seins erscheint und den Menschen mitten im Zweifel den tröstenden Mut zuspricht, weil es selbst die Bedingung der Möglichkeit des Zweifels ist. Wir bewegen uns damit im Zentrum der Tillichschen Fundamentaltheologie. Der sehr zentrale Begriff „unbedingtes Anliegen“ bringt dabei ein Zweifaches zum Ausdruck: einerseits das unbedingte Moment, das den „ganzen“ Menschen in Anspruch nimmt, und andererseits die dynamische Gegenwart des Unbedingten, das immer schenkt und fordert59, das uns an-geht. Offenbarung ist nicht programmierbar, Ergriffensein nicht abrufbar. Die Dynamik liegt darin, daß das unbedingte Anliegen auf den letzten Grund unseres Seins und auf den letzten Sinn unseres Lebens hinweist. Es ist sinnstiftend. Es geschieht ein ekstatischer Prozeß, in dem das, was den Menschen unbedingt angeht, ihn überwältigt und derart in seine rationale Vernunft einbricht, daß es sich in Symbolen und Kultur Ausdruck verschafft. Die Vernunft wird nicht zerstört, sondern potenziert.60 Die Theologie bemüht sich um dieses letzte Anliegen, insofern es in der Geschichte in Symbolen und Mythen Ausdruck gefunden hat.61 57 ST I, 17. 58 Vgl. ST I, 19. Es ist Tillich durchaus bewußt, daß auch der Philosoph von einer Macht des letzten Betroffenseins ergriffen sein kann. Dann manifestiert sich ihm auch der konkrete Logos. (vgl. ST I, 33 f.) In jenem Fall gilt: „Jeder schöpferische Philosoph ist ein heimlicher, oft sogar ausdrücklicher Theologe.“ (ST I, 33) 59 Vgl. EW IV, 22. 60 Vgl. ST I, 66. 61 Clayton übt harsche Kritik daran, daß Tillich derart unbekümmert von allem – auch rein Bedingtem –, was einen Menschen letztgültig ergreift, darauf schließt, daß jeder Mensch „religiös“ sei (vgl. Clayton, J.P.: Was heißt „Korrelation“ bei Paul Tillich? in: NZSTh 20 (1978) 175 – 191, hier: 181 f.). Schüßler dagegen
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Die Erkenntnishaltung des christlichen Theologen ist also eine existentielle, von persönlicher Entscheidung getragene Leidenschaft für den konkreten Logos, in dem er das göttliche Unbedingte auf letztgltige Weise in Jesus dem Christus manifestiert sieht. Für ihn „ist die Interpretation des letztgültigen Anliegens selbst ein letztgültiges Anliegen, ein religiöses Tun.“62 Deshalb ist die Theologie zugleich methodische und existentielle Deutung des letztgültigen Anliegens. Sie hat soteriologisches, ja letztlich seelsorgliches Interesse. In dieser Leidenschaft besteht der Unterschied zur rationalen Distanzierung des kosmologischen Interesses des (Religions-) Philosophen. Das Gemeinsame des Religionsphilosophen und des Theologen besteht darin, daß beide innerhalb „einer unmittelbaren Erfahrung von einem letzten Sein und Sinn“63 stehen, von der Tillich in Anlehnung an Troeltsch als „mystisches Apriori“64 oder „religiöses a priori“65 spricht. Die unterscheidet strikt zwischen der Form und dem Inhalt des Glaubens als religiösem Akt. Formal ist Glaube für Tillich „Teilhabe an dem, was uns unbedingt angeht – Teilhabe mit dem ganzen Sein“ (GW VIII, 133). „Glaube (…) kommt jedem Menschen zu“, ja ist „ein Existential menschlichen Seins“ (Schüßler, W.: „Der Mensch ist unheilbar religiös.“ Zu Paul Tillichs dynamischem Glaubensbegriff, in: FZPhTh 40 (1993) 298 – 311). Inhaltlich dagegen darf nur das wahrhaft Unbedingte für sich Unbedingtheit beanspruchen. Tillichs Glaubensbegriff ist eine äußerste Abstraktion, so daß man ihn angesichts des Vorwurfs verteidigen muß, er würde den Begriff „religiös“ vorschnell veräußern. Nicht umsonst kennt Tillich sowohl beim Religions- als auch beim Glaubensbegriff eine enge und eine weite Fassung. Hier geht es jedoch um die weite Form. Damit ist natürlich ein Anliegen verbunden: „Er will dem säkularen Menschen keinen Raum, keinen Ort lassen, an dem er „unreligiös“ leben könnte.“ (Schüßler, W.: „Was uns unbedingt angeht.“ Studien zur Theologie und Philosophie Paul Tillichs (Tillich-Studien, Band 1), Münster 1999, 148); oder: es gibt keinen Ort und keinen Raum, wo nicht eine Erfahrung Gottes möglich wäre. Gleichzeitig hält Tillich aber unbeirrt an der Normativität und Letztgültigkeit der Offenbarung in Jesus dem Christus fest! Schüßler referiert auch die hauptsächlichen Kritiken von Tillichs Zeitgenossen: Bonhoeffer warf ihm trotz seiner Tapferkeit vor, die Welt habe sich von Tillich mißverstanden gefühlt (vgl. Bonhoeffer, D.: Widerstand und Einigung, hrsg. von E. Bethge, München 1966, 219); und Barth entsetzte sich in der theologischen Auseinandersetzung mit Tillich über dessen „so großzügig geübte(s) Generalisieren“ (GW VIII, 234). 62 EW IV, 21. 63 ST I, 16. 64 ST I, 16. Es handelt sich um jenes Apriori, das den Identitätspunkt zwischen dem erfahrenden Subjekt und dem Unbedingten repräsentiert, welcher als Bedingung der Möglichkeit der wissenschaftlich-philosophischen Forschungsarbeit vorausgesetzt und während letzterer als Voraussetzung entdeckt wird.
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Philosophie ist jedoch unmittelbares Beginnen ohne anderen Anfang als nur das Anfangen selbst.66 Nach Tillichs Selbstverständnis ist die Philosophie „die Haltung des radikalen Fragens“, während Religion ein „reines Ergriffensein von dem Unbedingten“ ist, ja sogar – in Abgrenzung gegenüber der Philosophie – „ein Haben, wenn auch in der Form des „Gehabt-werdens“„67. Offen bleibt die Frage, woher der Begriff des „mystischen Apriori“ bei Tillich kommt, und was er letztlich zum Ausdruck bringt. Er ist ja die Antwort auf die formal-fundamentaltheologische Frage nach der Bedingung der Möglichkeit der Theologie und des unbedingten Ergriffenseins. Es gibt einen Punkt, an dem im Menschen Medium – die Erfahrung – und Inhalt – die Offenbarung – zusammenfallen. Die Erfahrung ist als solche Offenbarung, und die Offenbarung drückt sich aus als Erfahrung ohne konkreten Inhalt. „Es ist das Bewußtsein von dem Letztgültigen, Unbedingten-Selbst, dem esse ipsum.“68 Theologie wird demnach niemals induktiv oder deduktiv voraussetzungsfrei betrieben. Das „mystische Apriori“ transzendiert die Kluft zwischen Subjekt und Objekt; es ist eine Macht, die den Denker tief ergreift und mit seinem Denken existentiell vernetzt. Als Voraussetzung allen Zweifels liegt es jenseits des Zweifels! 69 Es ist das in uns, „was es uns unmöglich macht, Gott zu entfliehen“. Systematisch gesehen handelt es sich um ein Äquivalent des Ausdrucks „was uns unbedingt angeht“. Da dadurch die Philosophie aber nicht ausgeschaltet oder überflüssig, sondern erst recht auf den Plan gerufen wird, ist Tillichs Theologie prinzipiell der Linie des „fides quaerens intellectum“ zuzuordnen.70 Von diesem „Identitätspunkt“71 her bestimmt sich das in der Offenbarung fundamentale Verhältnis zwischen Bedingtem und Unbedingtem. Das Unbedingte hat die Fähigkeit, sich im Bedingten zu manifestieren und es an sich partizipieren zu lassen.72 Anders läßt sich die Unmittelbarkeit der Erfahrung des voraussetzungslosen Apriori nicht 65 66 67 68 69 70
EW IV, 29. (Hervorhebung von Tillich) Vgl. GW IV, 15. GW V, 101. EW IV, 29. (Hervorhebung von Tillich) Vgl. EW IV, 29. Vgl. Schüßler, W./Sturm, E.: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, Darmstadt 2007, 168. 71 ST I, 16. 72 „In jedem Vorläufigen und durch jedes Vorläufige hindurch kann das Letzte, Unbedingte sich verwirklichen.“ (ST I, 21)
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erklären. Dabei wird das Bedingte vom Unbedingten ergriffen und bestimmt. Das Unbedingte läuft sich gewissermaßen selbst voraus und „bestimmt unbedingt „das Bedingte“ als Bedingung seiner „Verwirklichung“„73. Das Bedingte ist notwendig, damit sich das Unbedingte als solches manifestieren kann. Die geschichtliche Situation ist also aufgrund dieser Notwendigkeit von vornherein theologisch qualifiziert als Ort der Manifestation des Unbedingten. Von daher verweist das „muß“ der Vermittlung über die Methode hinaus auf die theologische Grundidee, ja das System an sich. Die Methode vollzieht das System. Sie ist selbst „eine theologische Aussage“ und „ein Teil des Systems“74. Theologie zeichnet sich also dadurch aus, daß die religiöse Substanz, die rational ausgelegt wird, den Menschen unbedingt angeht. Das heißt: die religiöse Erfahrung hat existentiellen Charakter, welcher seinerseits Ausdruck des „An-sich-partizipieren-Lassen(s) des Unbedingten“75 ist. Gegenstand der Theologie kann nur das sein, was den Menschen unbedingt angeht; das ist aber nur jenes, was über des Menschen Sein und Nichtsein entscheidet. Bedingtes wird zum über sich selbst hinausweisenden Träger des Unbedingten, ohne selbst unbedingte Gültigkeit zu erlangen, und vermittelt so auf abstrakte Weise das „große“ bzw. erste Gebot: „Der Herr, unser Gott, ist ein Gott. Und du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüte und von allen deinen Kräften.“76 Hier steht des Menschen Sein auf dem Spiel. Dem entsprechen die beiden formalen Kriterien jeder Theologie, die Tillich aufstellt. Das erste lautet: „Der Gegenstand der Theologie ist das, was uns unbedingt angeht. Nur solche Sätze sind theologisch, die sich mit 73 Ringleben: Paul Tillich’s Theologie der Methode, 251. „“Unmittelbare Erfahrung“ heißt hier also: unbedingte Passivität als subjektiv-endliche Erscheinung unbedingter Aktivität, der göttlichen Selbstvermittlung.“ (Ringleben: Paul Tillich’s Theologie der Methode, 252) 74 ST I, 15. Das „mystische Apriori“ ist letztlich der Zugang zur Tillichschen Ontologie, zur Tiefe und Wahrheit des Seins (vgl. den deutschen Titel der ersten Folge von Tillichs „Religiösen Reden“ aus dem Jahre 1952 (1948 im englischen Original: „The shaking of the foundations“): „In der Tiefe ist Wahrheit“ (Religiöse Reden. 1.Folge, Frankfurt 91985)), auch des menschlichen Seins. Von daher handelt es sich um ein Konzept, das in seiner Dialektik direkt mit dem von Tillich an Schelling erarbeiteten Problem der Selbstkonstitution der Subjektivität zusammenhängt. 75 Ringleben: Paul Tillich’s Theologie der Methode, 252. 76 ST I, 19 (Hervorhebung von Tillich).
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einem Gegenstand beschäftigen, sofern er uns unbedingt angeht.“77 Es ist das kritische Prinzip der Theologie gegen alles Nicht-Theologische. Das zweite Prinzip soll auf die Frage antworten, was denn der Inhalt von dem sei, was uns unbedingt angeht. Es lautet: „Das, was uns unbedingt angeht, ist das, was über unser Sein oder Nichtsein entscheidet. Nur solche Sätze sind theologisch, die sich mit einem Gegenstand beschäftigen, sofern er über unser Sein oder Nichtsein entscheidet.“78 „Das Neue Sein in Jesus, dem Christus, als das, was uns unbedingt angeht“79 ist von daher die Verbindung der materialen Norm der „Systematischen Theologie“ mit ihrem kritischen Prinzip. In Jesus dem Christus findet das große Gebot seine vollkommene Gestalt. In ihm gelangt die Vermittlung von Bedingtem und Unbedingtem paradigmatisch zum Höhepunkt und erlangt soteriologische Relevanz. Zurecht hat Gunther Wenz auf die Gefahr der Inkohärenz hingewiesen, daß durch den Begriff des „mystischen Apriori“ das eigentliche Anliegen der dialektischen Vermittlung durch die der Vermittlung gegenläufige Tendenz der unparadoxen Unmittelbarkeit ersetzt wird.80 Er schreibt: „Tillich hat es nicht vermocht, das Vorausgesetztsein Gottes als Voraussetzung zur Geltung zu bringen“. Dabei sollte besonders die Begründung hellhörig machen: „Das hat seinen tiefsten Grund darin, daß seiner Theologie der Bezug zur geschichtlichen Selbsterschließung Gottes letztlich äußerlich bleibt.“81 Ist Tillichs materiale Norm der Theologie – das Neue Sein in Christus – derart allgemein geprägt, daß sie trotz des Akzents auf der Situation den konkreten geschichtlichen Umständen nicht gerechtwerden kann? Reduziert sich das behauptete irre77 ST I, 19 f. (Hervorhebung von Tillich) In diesem Zusammenhang stehen die vielzitierten und berühmten Sätze: „Bilder, Gedichte und Musik können Gegenstand der Theologie werden, nicht unter dem Gesichtspunkt ihrer ästhetischen Form, sondern im Hinblick auf ihre Fähigkeit, durch ihre ästhetische Form gewisse Aspekte dessen auszudrücken, was uns unbedingt angeht.“ (ST I, 21) 78 ST I, 21. (Hervorhebung von Tillich) In „Das Problem der theologischen Methode“ (in: EW IV, 19 – 35) beschreibt Tillich das abstrakte Kriterium aller theologischen Arbeit so: „Sätze sind theologisch, die sich mit einem Gegenstand befassen, insofern er zum Grund unseres Seins gehört und insofern der Sinn unseres Lebens von ihm abhängt.“ (EW IV, 22) Dabei schwingt im Hintergrund ständig das eine Kriterium der „unbedingten“ Unbedingtheit des Unbedingten mit, welche u. a. im Symbol der Rechtfertigung durch die Gnade ausgedrückt wird. (vgl. EW IV, 32) 79 ST I, 62. 80 Vgl. Wenz: Subjekt und Sein, 327. 81 Wenz: Subjekt und Sein, 328.
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duzible Wechselverhältnis von Situation und Botschaft doch auf einen unparadoxen Konvergenzpunkt, an dem es – entgegen Tillichs paradigmatischer Beteuerung des positiven Paradoxes – doch zu einem unmittelbaren Ausgriff des menschlichen Bedingten auf das göttlich Unbedingte kommt? Wenz weist auf die entsprechende ernste Gefahr hin. 2.1.3. Kriterien und Norm der apologetischen Theologie Neben der Unterscheidung zur Philosophie muß in einem zweiten Schritt noch eine andere Differenz ins Wort gehoben werden. Tillich unterscheidet die christliche Theologie von einem allgemeinen Begriff von Theologie als „logos vom theos“ im Sinne einer „rationale(n) Auslegung der religiösen Substanz der Riten, Symbole und Mythen“82. Die christliche Theologie bildet davon keine Ausnahme, erhebt aber darüber hinaus aufgrund der Logoslehre den Anspruch, die Theologie schlechthin, d. h. Theologie in endgültiger und vollkommener Weise zu sein. Sie ist damit die Bedingung der Möglichkeit aller Theologie. In Jesus als dem Christus ist der göttliche Logos Fleisch geworden, hat sich das Prinzip der göttlichen Selbstoffenbarung manifestiert.83 Der alles durchdringende Logos ist konkret geworden. Das absolut Konkrete ist damit zugleich das absolut Universale, und derjenige, dem existentiell begegnet werden kann, ist zugleich unbedingt.84 Je konkreter die Theologie bestimmt ist, desto relevanter wird sie. Der Logos wird von Tillich als „genetisches Prinzip schlechthin“ bestimmt, denn „die göttliche Selbsterschließung erschließt mit sich zugleich das Medium ihrer Aneignung, den menschlichen Logos“85. Der Logos ist sowohl das göttliche Offenbarungswort als auch die Wurzel des menschlichen Logos. Es wird deutlich, daß Tillich trotz aller Gemeinsamkeiten die Unterschiede zwischen Theologie und Philosophie hervorheben möchte. 82 ST I, 23 (Hervorhebungen von Tillich). 83 Vgl. ST I, 23 f. Christliche Theologie „ist die methodische Selbstinterpretation der christlichen Kirche sowohl im Hinblick auf ihr Fundament, die neue Wirklichkeit, die sich in Jesus als dem Christus manifestiert hat, wie im Hinblick auf das Leben in Vergangenheit und Gegenwart, das von dieser neuen Wirklichkeit bestimmt ist.“ (EW IV, 24) 84 Vgl. ST I, 24 f. 85 Ringleben: Paul Tillich’s Theologie der Methode, 253. Tillich schreibt zur Unverzichtbarkeit der Logoslehre an anderer Stelle: „Ohne eine gewisse Logoslehre, selbst wenn der Begriff logos nicht gebraucht wird, scheint mir keine Theologie, vor allem keine apologetische Theologie, möglich.“ (EW IV, 34, Hervorhebung von Tillich)
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Schrittweise wird die Spezifität der christlichen Theologie im Vergleich zuerst zur Philosophie und dann zur Religion wie im Modell der konzentrischen Kreise86 eingefaßt. Damit bleibt die Theologie zugleich der Philosophie zutiefst auf einem gemeinsamen Boden verbunden. Beiden geht es um das Sein: die Philosophie bemüht sich um die Strukturen und Prinzipien des Seins87; dagegen fragt sich die Theologie, die auch ontologisch88 charakterisiert ist, wie das Sein uns vom Grund des Seins, der letzten und unbedingten Macht des Seins, her unbedingt angeht, d. h. sie fragt nach dem „Sinn des Seins für uns“.89 Aufgrund dieses Dualismus von Konvergenz und Divergenz, der letztlich ein Dualismus von universalem und konkretem Logos ist, gibt es für Tillich zwischen Theologie und Philosophie keine Kompetenzüberschneidungen und keine Konkurrenz, so daß es zwischen beiden Instanzen weder zum Konflikt90 noch zur Synthese kommen kann.91 Diese enge und doch komplexe Beziehung von Philosophie und Theologie92 spiegelt sich in vielen dialektischen Begriffspaaren (z. B. Frage-Antwort, Botschaft-Situation, Kultur-Religion) wider, konkretisiert sich in der Vermittlung von Botschaft und Situation und rhythmisiert den Aufbau der „Systematischen Theologie“. Rein logisch ist eine Unterscheidung nötig, doch sie wird innerhalb der
86 Tillich selbst legt mit folgender Aussage das vom Zweiten Vatikanischen Konzil her auch in der katholischen Theologie „offizialisierte“ Bild der konzentrischen Kreise nahe: „Es ist die Aufgabe der apologetischen Theologie, nachzuweisen, daß der christliche Anspruch auch vom Standpunkt außerhalb des theologischen Zirkels Geltung hat. Die apologetische Theologie muß zeigen, daß Strömungen in allen Religionen und Kulturen sich auf die christliche Antwort zubewegen.“ (ST I, 23) 87 Vgl. ST I, 28. 88 Vgl. ST I, 29. 89 ST I, 30. 90 „Gegen Pascal sage ich: der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs und der Gott der Philosophen ist der gleiche Gott.“ (GW V, 184; Hervorhebung von Tillich) 91 Vgl. ST I, 34 – 37. Die christliche Theologie muß sich keine eigene Philosophie „reservieren“, sondern kann jede Philosophie getrost allein vom universalen Logos bestimmt sein lassen, denn das Christentum hat die sichere Gewissheit, daß, „wo immer der logos am Werk ist, er mit der christlichen Botschaft übereinstimmt“. 92 Tillichs eigenes Beispiel – sein Schreiten an der Grenze von Theologie und Philosophie – zeigt, wie schwer das Gleichgewicht zu finden ist (vgl. Abschnitt „Auf der Grenze von Theologie und Philosophie“ in seiner Autobiographie, in: GW XII, 31 – 37).
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Person des Philosophen oder Theologen aufgehoben.93 Beide Disziplinen sind in Spannung stehende Momente eines Ganzen und damit wesentlich dasgleiche. 2.2. Die Korrelationsmethode zwischen Polarität und Dialektik 2.2.1 Die Korrelationsmethode in kritischer Sicht Das spezifische Profil der apologetischen Theologie artikuliert sich bei Tillich anhand der berühmt gewordenen Korrelationsmethode. Die Verhältnisbestimmungen von Theologie und Philosophie sowie von Botschaft und Situation haben bereits erstes Licht auf diese Methode fallen lassen. Es geht dabei nicht in erster Linie um ein erziehungspädagogisches Projekt – wozu die Korrelationsmethode legitimerweise auch gebraucht wird –, sondern um eine grundlegende theologische Methode. Wie uns die Überlegungen zum Verhältnis von Bedingtem und Unbedingtem und zur Logoslehre zu verstehen geben, gibt es verschiedene Ebenen, auf denen „Korrelation“ verstanden werden kann. Clayton hat sie miteinander in Beziehung zu setzen versucht.94 Er unterscheidet Korrelation erstens ontologisch zwischen Gott und Welt oder Selbst und Welt, zweitens erkenntnistheoretisch zwischen Subjekt und Objekt oder zwischen Offenbarung und ihrer Aufnahme, drittens innerhalb letzterer zwischen allgemeiner und spezifisch christlicher Offenbarung und innerhalb dieser Korrelation wiederum zwischen originaler und abhängiger Offenbarung, viertens im christlichem Rahmen der abhängigen Offenbarung zwischen Situation und Botschaft, fnftens zwischen Fragen und Antworten und schließlich sechstens zwischen Philosophie und Theologie. Letztlich ist die Korrelation auf die ontologische Beziehung zwischen Gott und Mensch bezogen, welche Tillich vor allem als die Vermittlung von einem subjektiven und einem objektiven Pol darstellt.95 Das Subjektive 93 „Sachlich reduziert sich der Unterschied auf den zwischen einem besseren und einem weniger guten Theologen bzw. einem tiefgründigeren und einem weniger tiefgründigen Philosophen.“ (Ringleben: Paul Tillich’s Theologie der Methode, 265) 94 Vgl. Clayton, Was heißt „Korrelation“ bei Paul Tillich?, 185 – 191. 95 ST I, 15. Die Beziehung von Gott und Mensch ändert sich entsprechend den Stufen der Offenbarungsgeschichte und der persönlichen Entwicklung des Menschen. „Es gibt eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen „Gott für uns“ und „Wir für Gott“.“ (ST I, 75, Hervorhebung vom Autor) Wie wir bei der ansatzweisen Besprechung des Verhältnisses von Unbedingtem und Bedingtem
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wird dabei unter seinen eigenen Bedingungen vom Objektiven „überwunden“ – genauso, wie das Neue Sein im Paradox „die Existenz unter den Bedingungen der Existenz überwindet“96. In der Methode der Korrelation geht es demnach im Grunde um die Vermittlung von zwei Polen im Sinne „gegenseitiger Abhängigkeit zweier unabhängiger Faktoren“97, die Tillich zwar unter vielen Begriffspaaren zum Ausdruck bringt, deren Verhältnis sich jedoch in der Dialektik von Botschaft und Situation zuspitzt und sich im Laufe der spezifischen methodischen Besinnung schließlich als die Vermittlung von Frage und Antwort ausdrückt. Die reale Korrelation von Gott und Mensch hat eine passgenaue Entsprechung im Bereich des Erkennens, in dem sich das rationale Geschehen der (apologetischen) Theologie abwickelt.98 Durch dieses Erkennen wird die Denkform, ja die Theologie von Tillichs Theologie methodisch erkannt bzw. gibt sie sich zu erkennen. 99
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erarbeitet haben, stehen Objektivität und Subjektivität (z. B. OffenbarungAufnahme, Christusereignis-Erfahrung, Glaubensinhalt-Vernunft) in einer starken dialektischen Beziehung, konstituieren sich gegenseitig und bilden darin eine „konstitutive Synthese: die Subjektivität konstituiert erst die Objektivität, von der sie sich unterscheidet. Dialektisch kann dies nur dann heißen, wenn es impliziert, daß die Subjektivität ihre Spontaneität als Erscheinung der Objektivität begreift, die sie darin erst konstituiert“ (Ringleben: Paul Tillich’s Theologie der Methode, 256). Offenbarung ist beides und umgreift beides: „Sie setzt sich als Objektivität und als Subjektivität, für die sie objektiv ist“ (Ringleben: Paul Tillich’s Theologie der Methode, 256). Aufgrund der gegenseitigen Konstituierung von Unbedingtem und Bedingtem läßt sich auch nach dem angemessenen Ausgangspunkt fragen: beim Unbedingten oder beim Bedingten, bei der Ewigkeit der Wahrheit oder bei der Zeitlichkeit der Situation? Welcher Pol ist letztlich „das Ganze“? Allein die Möglichkeit dieser Frage verlagert jedoch die fundamentaltheologische Reflexion auf die Ebene der Frage nach der wiederum vorausgesetzten Bedingung dieser Möglichkeit. Dieser Bedingung wurde in der deutschsprachigen Forschung vor allem von Wenz, Wagner, Ringleben und Danz innerhalb ihrer Untersuchungen zu den Konstitutionsbedingungen der subjektiven endlichen Freiheit Rechnung getragen. Mit diesem Hinweis sei die Tiefe der Implikationen von Tillichs Methode angedeutet, ohne sie erschöpfend erläutern zu wollen. ST I, 71. ST II, 19. „Symbolisch gesprochen heißt das: Gott antwortet auf die Fragen des Menschen, und unter dem Eindruck von Gottes Antworten stellt der Mensch seine Fragen.“ (ST I, 75) „Das menschlich-göttliche Verhältnis im Schema: Frage-Antwort zu interpretieren, eben darin besteht die Erkenntnis der Methode. Das Verhältnis des Menschen zu Gott realisiert sich in der Erkenntnis, daß Gottes Verhältnis zum
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„Die Methode der Korrelation erhebt zu methodischer Konsequenz, was sich als Wesen der Gott-Mensch-Beziehung darstellt.“100 Die Methode der Korrelation wird in Bezug auf das gnoseologische Frage-Antwort-Schema folgendermaßen angewandt: „Sie gibt eine Analyse der menschlichen Situation, aus der die existentiellen Fragen hervorgehen, und sie zeigt, daß die Symbole der christlichen Botschaft die Antworten auf diese Frage sind.“101 Das bedeutet aber zweierlei: zum einen besagt dieses Schema ein Zugleich von Bezogenheit und Unabhängigkeit der Korrelate102 ; zum anderen wird ein gemeinsamer Sinnhorizont vorausgesetzt, in dem die Antwort als Antwort auf die Frage verstanden werden kann. Zwischen Frage und Antwort besteht ein „Verhältnis sinnhafter Erschlossenheit“103. Umso wichtiger ist es, daß die Frage in der Korrelation auf eine Antwort bezogen wird, denn außerhalb der Korrelation verkommt sie zu einem „leeren Kreisen um sich selber“104. Damit stellt sich aber umso intensiver die Frage nach der Dialektik, weil die Spannung von Frage und Antwort, das Verhältnis von Bedingtem und Unbedingtem um das Element der Fragwürdigkeit und also einen soteriologischen Hintergrund erweitert wird. Beiden Fragenkomplexen wollen wir nun nachgehen. Zur ersten Frage. Entscheidend ist für Tillich die subtile „Einheit von Abhngigkeit und Unabhngigkeit zwischen existentiellen Fragen und theologischen Antworten“105, welche er in der Einleitung zum zweiten
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Menschen die „Antwort“ darstellt auf „Fragen“ des Menschen.“ (Ringleben: Paul Tillich’s Theologie der Methode, 258) Es geht um die Frage, die der Mensch nicht hat, sondern die er selbst ist. „Er fragt „aus der Tiefe“, und diese Tiefe – ist er selbst.“ (ST II, 20) Ringleben: Paul Tillich’s Theologie der Methode, 258. ST I, 76. Vgl. ST II, 19 f. Ringleben: Paul Tillich’s Theologie der Methode, 259. Wenz: Subjekt und Sein, 324. Es ist aber keineswegs so, daß nach Tillich alle philosophischen Fragen durch theologische Antworten beantwortet werden können, sondern nur jene, die ein letztgültiges Anliegen betreffen und deshalb von Tillich in der „Systematischen Theologie“ besonders ausgewählt werden. (vgl. Clayton, Was heißt „Korrelation“ bei Paul Tillich?, 185) Das Frage-Antwort-Schema gehorcht zwar denselben Gesetzlichkeiten wie das PhilosophieTheologie-Verhältnis, ist aber nicht mit letzterem deckungsgleich. ST II, 19. Das Problem besteht darin, daß die Offenbarung nicht vom Menschen her deduziert werden darf (im Sinne des Tillichschen Verständnis des Naturalismus), zugleich dem Menschen aber verständlich sein muß (gegen den Supranaturalismus). Der Mensch muß Fragen stellen können, die für die Offenbarung Relevanz haben (das entspricht dem Anliegen des Naturalismus), aber die
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Band der „Systematischen Theologie“ eingehend als Replik auf Kritik an seiner Korrelationsmethode erklärt. Offensichtlich bestand schon damals ein besonderer Klärungsbedarf. Er spricht von inhaltlicher Unabhängigkeit und formaler Abhängigkeit der Antworten von den Fragen. Er sieht aber auch eine Abhängigkeit der Frage von der Antwort, denn der Mensch stellt seine Fragen unter dem Eindruck von Gottes Antworten.106 Das Verhältnis von Frage und Antwort ist auf keinen Fall statisch, sondern dynamisch, prozeßhaft und dialektisch. Die Antwort bringt die Frage ja nicht heteronom zum Schweigen. Tillich spricht deshalb von einer „Ellipse mit zwei Brennpunkten“107. Was die Ellipse letztlich initiiert bzw. in Bewegung hält, ist die „Gerichtetheit der Fragen“108 auf die Antwort hin, weil die Fragen selbst von vornherein unter dem Eindruck der Antworten stehen. Die göttlichen Antworten bewirken selbst die Fragen, von denen her sie sich dann erschließen lassen. In strenger Terminologie müßte man weniger von einer Ellipse reden als vielmehr von einer offenen109 Spirale auf der Grundform der Ellipse, weil die formale Abhängigkeit der Frage dazu führt, daß jede Antwort wieder neu zur Frage führt und das Verständnis der Offenbarungsantwort vertieft.110 Der antwortende Theologe bleibt Fragender, weil er die Antwort nicht hat, sondern weil die Antwort ihn (ergriffen) hat.111 Die Offenbarung
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Antwort muß über das hinausgehen (können), was der Mensch von sich aus ist oder hat (hier das berechtigte Anliegen des Supranaturalismus). Vgl. ST I, 75. ST II, 21. ST II, 22. Tillich konnte in „Rechtfertigung und Zweifel“ nachweisen, daß im Zweifel die Gewißheit bereits mitgegeben ist – also in der Frage die Antwort – und das Negative von dem es voraussetzenden Positiven lebt. Analog ist die Frage nur möglich, wenn die Antwort bereits im Sinne des letztgültigen Anliegens des Menschen enthalten ist (vgl. EW IV, 33). Müller-Schwefe verankert diese Offenheit in Tillichs Biographie: „Er war von einer grundsätzlichen Offenheit, weil das Leben für ihn prinzipiell die Offenheit und Unabschließbarkeit war. Und er war dennoch nicht standpunktlos; seine Position war die Zuversicht, daß Gott für jede Frage die Antwort sei, weil er selbst in der Frage schon anwesend ist.“ (Müller-Schwefe, H.-R.: Theologe in gewandelter Zeit, in: Werk und Wirken Paul Tillichs. Ein Gedenkbuch, Stuttgart 1967, 85 – 93, hier: 89) Von hier aus könnte Tillich auch zu einem positiven Verständnis der Tradition beitragen – eine Folgerung, die er selbst jedoch nicht gezogen hat. Vgl. EW IV, 25 f., wo Tillich die Tradition als „leitendes Prinzip“ der theologischen Arbeit, nicht aber als Norm gelten läßt. Vgl. Müller-Schwefe, 89. Otto Wolff findet diese Auskunft enttäuschend, da nicht berücksichtigt wird, daß die Offenbarung substantiell Fragen aufwerfen
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führt somit zurück zu der Frage nach Offenbarung. Das entspricht nach Ringleben „dem Begriff der sich selbst vergegenwärtigenden Wahrheit, (das heißt) der sich selbst und zugleich die geschichtliche Situation als ihre Erscheinung erschließenden Offenbarung als Voraussetzung der Methode“112. Die Wahrheit bringt sich in der Geschichte selbst zur Darstellung, und die Geschichte kommt dadurch zu sich selbst. Weiter oben wurde bereits gesagt, daß für Tillich die Methode selbst „eine theologische Aussage“113 ist und von daher nicht neben oder über dem System steht. „Methode und System bestimmen sich gegenseitig“114. Nur die „Methode der Korrelation“ kann nach Tillich Botschaft und Situation derart aufeinander beziehen, daß keine von beiden beeinträchtigt wird115. Die Korrelation ist dem System „konnatural“. Tillichs System ist auf diese Methode gegründet, ja sie ist das System. Mit ihrer konsequenten Anwendung begründet die Korrelationsmethode das theologische System und seinen Aufbau116, in dem das Ganze und die Teile immer gegenseitig aufeinander verweisen. In der Methode verwirklicht sich das System. Sie ist das, was sie erklärt, „und ihr Vollzug realisiert ihren Gegenstand allererst“117. Die Methode der Korrelation verdankt sich der Tatsache, daß Korrelation ontologisch ist, und zwar derart, daß diese Korrelation sich erst in der Reflexion selbst verwirklicht. Im Bedingten kommt das Unbedingte zu sich selbst. Die Methode ist notwendig, damit Theologie überhaupt sein kann.
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könnte, die der menschlichen Frage verborgen blieben. (vgl. Wolff, 131) Die Offenbarung wird verstanden als Katalysator für weitere Fragen, nicht aber selbst als fragende Herausforderung. Der Begriff der „Antwort“ hat eine doppelte Funktion: zum einen repräsentiert er „das Ganze“, nämlich auch das Andere zu sich selbst, d. h. die Frage; und zum anderen steht er als „Moment“ im Prozeß. Ringleben: Paul Tillich’s Theologie der Methode, 261. ST I, 15. ST I, 73. Vgl. ST I, 15. Tillich sieht folglich die Methode der Korrelation an die Stelle von drei anderen Methoden treten: der supranaturalistischen, der naturalistischen und der dualistischen (vgl. ST I, 79 f.). Sie vereint in sich deren jeweilige Anliegen und vermeidet zugleich ihre Verformungen. Schüßler hat zurecht betont, daß es in der Auseinandersetzung Tillichs mit anderen theologischen Optionen oft nicht so sehr um subtile Argumentationen geht, sondern um Vereinfachungen, die idealtypisch die Option von Tillich legitimieren sollen. (vgl. Schüßler: Paul Tillich, 33) Vgl. ST I, 71. Zum Aufbau von Tillichs theologischem System vgl. ST I, 80 – 83. Ringleben: Paul Tillich’s Theologie der Methode, 249.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
Die ewige Wahrheit und die geschichtliche Situation gehören zusammen. Die Wahrheit kommt durch die von ihr ausgelöste Geschichte zu sich selbst. Dieses Ergebnis besteht gegen den ersten Eindruck, daß bei Tillich die Geschichte nur äußerlich „hinzukommt“. Es bleibt jedoch die Frage, ob sich Tillich mit dem Da-Sein, also dem „daß“ der Wichtigkeit der Geschichte zufriedengibt, oder ob das konkrete So-Sein, das „was“, eine konstitutive Bedeutung erlangt. Diese Frage wird besonders an Tillichs Inkarnationslehre zu stellen sein. Konsequent wäre das letztere. 2.2.2. Korrelation als offener Spiralgang Das zweite Problem, das zu besprechen ist, ist die Bedeutung der Fraglichkeit der Frage. Warum ist die Frage eine Frage, also eine offene Unbestimmtheit, die nicht unmittelbar in eine Antwort überführt und erledigt werden kann? Das Unbedingte und das Bedingte, Wahrheit und Situation verhalten sich zueinander so, daß eine Frage übrigbleibt. Die Existenz ist nicht in ihrer Essenz und kann auch nicht einfachhin dorthin zurückkehren.118 Die Instanz der Frage verweist auf die zutiefst implizierte soteriologische Dimension, denn die Frage repräsentiert eine ontologische Charakterisierung der menschlichen Existenz. Der Mensch ist nicht in der Antwort, sondern der Mensch ist Frage. In anderen Worten: der Mensch ist erlösungsbedürftig, denn das Faktum der Frage bedeutet die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Antwort, die sinnvoll auf die Frage antwortet. Die Antwort wird dem Menschen jedoch nicht idealistisch-essentialistisch durch eine Reflexion auf seine Situation vermittelt, sondern durch die vom Menschen unbedingt unabhängige christliche Botschaft. Zwischen der Frage und der Antwort bleibt ein unüberwindlicher Graben, der nur durch das Paradox der ungeschuldeten Rechtfertigung des Menschen durch Gottes zuvorkommende Gnade überwunden werden kann. Nicht die denkerische Selbst-Besinnung hat demnach erlösende Kraft, sondern nur der Eingriff Gottes. Theologie wird konstitutiv soteriologisch durchwirkt. 118 „Sein Vermögen, nach der Unendlichkeit, zu der er gehört, zu fragen, ist ein Symptom sowohl für die essentielle Einheit als auch für die existentielle Getrenntheit des endlichen Menschen von der Unendlichkeit.“ (ST I, 75 f.) Tillich kann den Prozess der Korrelation schon vorweg münden sehen in jenen idealen Punkt, wo Frage und Antwort nicht mehr voneinander getrennt sind und der Mensch in sein essentielles Sein zurückkehrt.
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Bei genauerem Hinsehen wird auf diesem Hintergrund deutlich, daß Tillichs Methode nicht nur die korrelative Vermittlung von zwei Polen leistet, sondern diese beiden Pole antithetisch gegenüberstellt und im Dreischritt der Dialektik in einen offenen Spiralgang hineinführt. Tillich denkt schon lange vor der „Systematischen Theologie“ in einem typischen deduktiven, apriorischen Dreischritt von „konstituierendem philosophischen Wesensbegriff, historischem Material als Verwirklichung des Wesens, und deren beider Zusammenfassung im System“119 bzw. von These, Antithese und Synthese oder von Allgemeinem, Bestimmtem und Vollkommenem. Dieser dialektische Dreischritt wirkt bis in die „Systematische Theologie“ hinein und drückt sich in jenem Satz aus, den Sturmius Wittschier als Leitmotiv der „Systematischen Theologie“ identifiziert: „Sein verwirklicht sich als Leben und erfüllt sich als Geist“120, der selbst offen ist.
119 Repp, M.: Zum Hintergrund von Paul Tillichs Korrelationsmethode, in: NZSTh 24 (1982) 206 – 215, hier: 207. (Hervorhebungen von Repp) Martin Repp kann diese These anhand eines Rückblicks auf Tillichs methodologische Evolution in der New Yorker Antrittsvorlesung „Philosophie und Theologie“ von 1940, der „Religionsphilosophie“ von 1925, dem System der Wissenschaften von 1923, der 72 Thesen der „Systematischen Theologie“ von 1913, der Lizentiaten-Arbeit über Schelling über Mystik und Schuldbewußtsein von 1912 und in zahlreichen dialektisch formulierten Artikeln aus der deutschen und der amerikanischen Schaffensperiode aufstellen. 120 ST I, 288. Interessanterweise wird dieser Schlüsselsatz in der äußerst gedrängten Trinitätslehre formuliert. Die Selbstverdoppelung des Unbedingten in die eigene Wahrheit und in die des Bedingten wird in die trinitarisch gestaffelte Dialektik hinein aufgehoben. Deshalb darf die trinitarische Rhythmisierung der „Systematischen Theologie“ als Spiegelbild der Dialektik betrachtet werden. Die drei Teile sind nämlich parallel zum Begriff, zur existentiellen Problematisierung und zur lebendigen Synthese angelegt, bestehen selbst jedoch in der Vermittlung der Analyse des Menschen (Essenz, Existenz, Zweideutigkeit des Lebens) mit dem Pol der Antwort (Vater, Sohn, Heiliger Geist). In anderen Worten: die „Systematische Theologie“ ist trinitarisch gegliedert, aber jeder Teil besteht seinerseits wiederum in einer eigenen Dynamik. Diese Dynamik ist ihrerseits ein Dreischritt, während Gott als das unbedingte Sein-Selbst dem Menschen inmitten der Konsequenzen seiner existentiellen Entfremdung (Verletztheit der Vernunft, verlorengegangenes Sein, konkret sündige Entfremdung, zweideutiges Leben, sinnentfremdete und ziellose Geschichte) gegenübergestellt wird und in die Synthese einer neuen Gott-Mensch-Einheit „aufgehoben“ wird. Das bedeutet aber: der Duktus der inneren Dynamik der „Systematischen Theologie“ überschneidet sich in den Synthesen der zwei Achsen letztlich in der Pneumatologie. Diese komplexe dilettantisch-mathematische Überlegung kann plausibel ma-
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Damit können wir vorläufig zusammenfassen: daß die beiden Pole sich gegenseitig konstituieren und also apriori miteinander vermittelbar sind, ist idealistisches Erbe121, das sich in den von Wenz kritisierten Begriffen der Unmittelbarkeit ausdrückt. Indem er diese beiden Pole aber zugleich im Essenz-Existenz-Schema antithetisch miteinander konfrontiert und voneinander trennt, tritt die Dialektik auf den Plan, die Tillich beim Idealisten Hegel erlernt hat122. Es muß festgestellt werden, daß es sich bei Tillichs Korrelationsmethode gar nicht um Korrelation, sondern um Dialektik handelt, denn die Bedingungen der Korrelation – Selbständigkeit und Wechselwirkung der Korrelate – sind nicht eingelöst.123 Vielmehr ist die Dialektik nämlich im Gegensatz zu der korrelativen Wechselwirkung „immer eine einseitige Bewegungsrichtung von These über Antithese zur Synthese hin“124. Das heißt dann aber auch: einerseits kann von vornherein auch die Wechselwirkung von Bedingtem und Unbedingtem nicht im strengen Sinne des Wortes als Korrelation gefaßt werden, weil beide Pole nicht als autonom gelten können125 ; vor allem aber wird andererseits diese Wechselwirkung in einem größeren Rahmen „aufgehoben“ und in eine größere dialektische Bewegung hineingestellt.
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chen, warum vor allem Sturmius Wittschier und Gunther Wenz schließen können, daß Tillichs Theologie in ihrem Wesen Pneumatologie ist. Vgl. Henel, I.: Philosophie und Theologie im Werk Paul Tillichs, Frankfurt / Stuttgart 1981, 45. Vgl. Repp, 212. Clayton hat dies in mehreren Beiträgen nachgewiesen, so z. B. in Clayton, J.P.: The Concept of Correlation, Berlin/New York 1980, wo er auf S.227 schreibt: „On its own, the question–answer model fails to satisfy the autonomy condition; on its own, the form-content model fails to satisfy the reciprocity condition; the particular way they are combined by Tillich in his account of the method of correlation does not satisfy the reciprocity condition.“ (zitiert bei: Repp, 206) Vgl. auch Clayton, Was heißt „Korrelation“ bei Paul Tillich?, und Clayton: Was ist falsch an der Korrelationsmethode?, einem englischsprachigen Artikel, in dem Clayton eröffnend auf S.93 meint, die Theologie der Korrelation sei gar nicht dialektisch „in the full sense of Wechselwirkung“ (Hervorhebung von Clayton). Clayton weist diese Schwäche z. B. auch in dem von ihm für zentral gehaltenen Tillichschen Beitrag „Kirchliche Apologetik“ von 1912/13 nach, wo es zwischen der kulturellen Form und dem religiösen Inhalt nur „juxtaposition“, aber keine Wechselwirkung gebe (vgl. Clayton: Was ist falsch an der Korrelationsmethode?, 99). Diese Überlappung läßt eher auf eine gegenseitige Konstituierung als auf eine korrelative Wechselwirkung schließen. Repp, 210. Das muß gegen Tillich gesagt werden, der in ST II, 13 Korrelation als „Wechselbeziehung von zwei unabhängigen Faktoren“ bezeichnet.
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Die Tillichsche Dialektik hat jedoch eine besondere Färbung. Die eigentliche Situation des Menschen ist ja nicht die der endlichen Existenz als solcher, sondern die der von der Essenz entfremdeten Existenz. Existenz in ihrer Bestimmtheit ist kein Neutrum! Tillich inspiriert sich zwar für die dialektische Strukturierung seiner Methode am Meister der Dialektik, Hegel, geht aber in diesem Punkt über ihn hinaus. Während Hegel einen Essentialismus annahm, dank dessen sich These und Antithese in einem idealistischen Schlußakkord in der Synthese vereinigen, kommt für Tillich aufgrund seiner Rezeption des „Existentialismus“ eine solch immanent selbstversöhnende Sicht nicht in Frage. Der Irrationalität der Existenz muß das Paradox einer geschichtlich vermittelten, aber nicht aus dem Denken ableitbaren Erlösung entgegengesetzt werden. Für Tillich gibt es keine Dialektik und keine Korrelation ohne Paradox! Letztlich entspricht am besten das Bild der offenen Spirale Tillichs Absichten. Damit geht Tillich auch über Schelling hinaus, der einerseits die beiden Pole mehr als Verschiedenheit denn als Antithese begriff, andererseits aber nach Tillichs eigenem Urteil an seinem Anspruch scheiterte, das Christusereignis als das Unvordenkliche anzunehmen und nicht aus dem Denken selbst und dessen Bedingungen der Möglichkeit zu deduzieren. Die Einsicht jedoch, daß das Sein nicht im Denken zu sich selbst kommt, sondern in der Geschichte, genauer: in der geschichtlichen Begegnung mit dem Unvordenklichen, kann Tillich ganz auf den späten Schelling zurückführen.126 126 Wenz hat in seinen Ausführungen über die „metalogische Methode“ dargestellt, wie sich das „,Beginnen‘ des Tillichschen Denkens“ in puncto Methode auf Schellings Einfluß bezieht (vgl. Wenz: Subjekt und Sein, 111 – 120). Er bezeichnet Tillichs frühe methodische Orientierungen als eine Betrachtung der „coincidentia oppositorum“, als „Anschauung des unbedingten Gehaltes in den bedingten Formen“ (GW I, 256), als logistisch-alogistische und von Tillich als „metalogisch“ bezeichnete Methode. Sie steht im Gegensatz zu der absoluten Reflexion des Denkens auf sich selbst in der transzendental-idealistischen Methode, deren Aporetik Tillich von Schellings spätphilosophischen Einsichten her darin sieht, daß sie das alogistisch-phänomenologisch-objektive Moment vernachlässigt und Sinnerfüllung zu rein autonomer Sinngebung verkommt. Trotzdem blieb der späte Schelling nach Tillich hinter dem Anspruch der uneinholbaren Vorgängigkeit des Sinns zurück. Eine selbstinitiierte Selbstaufgabe sollte den Weg zum Sein bahnen, bleibt aber dabei dem Selbst verhaftet. Hier wird erneut deutlich, wie sehr Tillich im Namen der Offenbarung diese Dialektik nie ohne Paradox denken will. Auch die Einsicht in die Abhängigkeit darf nicht derart auf die Eigeninitiative des Subjekts zurückgeführt werden, daß im Denken das Anerkennen des Uneinholbaren widerlegt wird. Vielmehr „wird die Subjektivität des Sich-Gegebensein ihrer Selbsttätigkeit (…) nur durch deren Vollzug
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Wir wollen diese Frage nach Korrelation und Dialektik mit Hilfe der Untersuchungen von Sturmius Wittschier zusammenfassen127, welcher versucht, die unterschiedlichen von Tillich verwendeten Begriffe „Dialektik“, „Gott-Mensch-Einheit“, „Korrelation“ und „Wechselbeziehung“ einander zuzuordnen: „Tillichs Verständnis vom GottMensch-Verhältnis läßt sich in dem Satz zusammenfassen: Die GottMensch-Korrelation verwirklicht sich als Gott-Mensch-Dialektik und erfüllt sich als Gott-Mensch-Einheit“128 im Geist. Trotz oder vielmehr dank der Schemenhaftigkeit scheint dieses Ergebnis höchst interessant zu sein. Wittschier bestätigt: „Ohne Korrelation gibt es keine Dialektik und ohne Dialektik keine Korrelation.“129 Der Eindruck scheint sich zu bestätigen, daß es sich letztlich um eine offene Spiralbewegung handelt, in der die verschiedenen Denkformen von Korrelation, Dialektik und Identität sich je nach Fragestellung abwechseln. Entscheidend ist aber dabei, daß die Beschreibung des Menschen als in seiner Existenz aporetisch Entfremdeter sowohl methodologisch als auch inhaltlich Tillichs Begründungszusammenhänge bestimmt. 2.2.3. Problematisierung: Entsprechung oder Überforderung? In der Forschung wurde immer wieder kritisch von einer „letzten Unklarheit“130 der Korrelationsmethode gesprochen. Tillich nennt seine
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ansichtig“, und es geht um „eine Reziprozität von Produzieren und Produziertwerden, die auf keiner Bewußtseinsstufe aufgelöst werden kann“ (Wenz: Subjekt und Sein, 119). Vgl. Wittschier, S.: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie. Ein Beitrag zum Problem Gott und Mensch, Nürnberg 1975, 163 – 167. (fortan zitiert als: Wittschier: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie) Wittschier: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie, 167. Er kommt zu dem Ergebnis, daß die dialektische Grundbewegung des Lebens in ihrem Dreischritt fundamental ist, doch an sich nichts anderes darstellt als die aktualisierte polare Selbst-Welt-Korrelation des Seins. Korrelation ist abstrakte Dialektik, und Dialektik ist aktualisierte Korrelation. Beide werden überdies als Wechselbeziehung bezeichnet. Die „dialektische Einheit“ ist die vollendete Form der in die Synthese gekommenen Dialektik. In anderen Worten: die gegenseitige Abgrenzung und Verknüpfung dieser Begriffe verhilft Wittschier dazu, formal und inhaltlich die Gott-Mensch-Beziehung auszudrücken. Wittschier: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie, 166. Schmidt, E.: Theol.Lit.Zeit., 1957, Sp.624; zitiert nach: Wolff, 131.
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Methode trotz allem Methode der Korrelation 131 und nicht Dialektik. Wie ist dies begrifflich zu vereinbaren? Repp vermutet, daß Tillich über eine 131 Der Begriff der „Korrelation“ stammt vermutlich von Hermann Cohen (Cohen, H.: Der Begriff der Religion im System der Philosophie, Gießen 1915), der nicht vom Menschen zu reden vermochte, ohne von seinen Korrelaten Gott und Natur zu reden. (vgl. Repp, 211) Als Literatur zum Thema bieten sich an: Cohen, H.: Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums. Nach dem Manuscript des Verfassers neu durchgearbeitet und mit einem Nachwort versehen von Bruno Strauß, Frankfurt a.M. 21929; Altmann, A.: Hermann Cohens Begriff der Korrelation, in: In zwei Welten. Siegfried Moses zum 75. Geburtstag (hrsg. Tramer, H.), Tel Aviv 1962, 377 – 399; Poma, A.: Die Korrelation in der Religionsphilosophie Cohens: eine Methode, mehr als eine Methode, in: Neukantianismus. Perspektiven und Probleme (hrsg. Orth, E.W./Holzhey, H.), Königshausen und Neumann 1994, 343 – 365. Altmann setzt sich in seinem Artikel mit den beiden Cohen-Interpretationen von Franz Rosenzweig (in der Einleitung zu „Hermann Cohens Jüdische Schriften“ (hrsg. Strauß, B.). Band I, Berlin 1924, Seiten XLV-L) und von Hugo Bergman (vgl. Altmann, 378) auseinander, welche beide die Korrelation Cohens als dialogisches Denken interpretieren, welches über die Erzeugungs- und Ursprungsbegriffe des Idealismus hinausgeht. Altmann weist aber das Gegenteil nach. Rosenzweig und Bergman legitimieren ihre Position durch die Feststellung, daß der wechselseitige Bezug von Gott und Mensch in der Korrelation irreduzibel sei, so daß sie nicht voneinander ableitbar seien. Dadurch, daß die beiden Begriffe aber in eine Korrelation gestellt werden – so Altmann –, offenbare sich wieder die Ursprungslogik des Idealismus, zumal Cohen gegen Ende seiner Programmschrift eingeräumt habe, daß Gott der Schwerpunkt der Korrelation wird, da das Sein in den Gottesbegriff hineingelegt wird. (vgl. Altmann, 397) Die Korrelation ist jene zwischen Gott und Mensch, die nicht je ohne den anderen gedacht werden können, und bewegt sich auf terminologischer Ebene, ist aber mit dem Zweck verbunden, eine Wechselwirkung von Frage und Antwort zu erstellen. Als Prinzip wird sie dann auf die drei Richtungen des Denkens angewandt. „Es hat sich uns gezeigt – so schlußfolgert Altmann –, daß der Begriff der Korrelation auf drei Ebenen in Vollzug tritt, je nachdem sein Verhältnis zur Logik, Ethik oder Ästhetik in Betracht gezogen wird. Man könnte versucht sein, ihn als metalogisch, metaethisch und metaästhetisch zu charakterisieren. Als metalogischer Begriff ist er bloßer Begriff (Schöpfung; Offenbarung), als metaethischer weitet er sich zur zweckbestimmten Idee (Erlösung). Als metaästhetischer ist er psychologisch faßbar im Mitleid und in der Sehnsucht, aber nicht deswegen reduzierbar auf psychologische Phänomene.“ (Altmann, 394) Es kann zwischen Mensch und Gott keinen Vermittler geben. Der letzte Sinn der Korrelation ist die Auseinanderhaltung und somit auch die Erhaltung von Gott und Mensch. Gott sei kein personales Du, sondern bleibe eine Idee, und deshalb bleibe die Korrelation Cohens dem Idealismus verpflichtet. (vgl. Altmann, 397) Altmann stellt auch einen Vergleich mit Tillichs Korrelationsmethode an und sieht den Hauptunterschied in der inhaltlichen Unabhängigkeit der Antworten von den Fragen. Deshalb ordnet er Tillich dem Barthschen Ansatz zu und Cohen dem
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begriffliche Distanz zu Barths „Dialektischer Theologie“132 hinaus ganz einfach eine „versöhnlichere Tendenz“133 im Vergleich zu der methodischen Schroffheit seiner Jugendschriften anschlagen wollte. Tillich scheint jedoch durch seine Terminologie ungewollt zu verraten, daß die Antithetik von Allgemeinem und Besonderem letztlich in die direkte Korrelation von Begriff und Gegenstand hinein aufgelöst wird.134 Tillichs Absicht bleibt eine Dialektik, die sich mit den Anliegen des Existentialismus und dem Paradox der Rechtfertigung verbündet. Jedoch läßt die Vermutung, daß er die Dialektik durch eine zu versöhnliche Tendenz entschärft, fragen, ob Tillich seinem eigenen Anspruch gerecht wird. Er geht zwar über Hegel und Schelling hinaus, indem er die Erkenntnisse des „Existentialismus“ in der Dialektik unterbringen will, aber zugleich erhebt sich der Zweifel, ob der tatsächliche Gebrauch des Ausdrucks „Korrelation“ nicht sogar heimlich einen essentialismusverhafteten Rückschritt hinter die eigenen Ansichten offenlegt. In der Forschung ist dieser Verdacht omnipräsent und somit auch das Dilemma, „mit Tillich gegen Tillich argumentieren zu müssen“135.
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Idealismus. (vgl. Altmann, 398) Altmann trifft damit eine wichtige Pointe, unterscheidet aber zugleich innerhalb der Korrelation nicht zwischen Voraussetzung und Ausführung, so daß z. B. auf der Seite von Tillich nicht in den Blick kommt, daß auch hier ein idealistisches Identitätsprinzip wirkt. Tillich fühlt sich Barth im dialektischen Grundanliegen sehr verbunden. In der konkreten Ausführung bestehen jedoch Differenzen. Tillichs eigene Definition von Dialektik in den Prolegomena lautet: „In der Dialektik fordern sich Ja und Nein, Bejahung und Verneinung gegenseitig.“ (ST I, 69) Repp, 211. Vgl. Repp, 213. Zugleich muß dazu aber gesagt werden, daß es schwierige begriffliche Überschneidungen gibt, wenn auf der einen Seite in der Korrelations-Begrifflichkeit Botschaft und geschichtliche Situation sowie Antwort und Frage aufeinanderbezogen werden und auf der anderen Seite bei der Dialektik im Dreischritt Begriff-existentielle Problematisierung-Antwort sowohl das Konzept der Geschichte (als anderer Ausdruck für die Existenz im Sinne der Verwirklichung der Idee; vgl. Repp, 207) als auch der Antwort auftauchen. Diese Überschneidungen können nur geklärt werden, indem sowohl der Antwort als auch der Geschichte eine doppelte Bedeutung zugestanden wird. Die Antwort muß als „das Ganze“ (im Sinne der Korrelation) und als „das Moment“ (im Sinne der Dialektik) verstanden werden, während bei der Geschichte das prinzipielle „daß“ (im Sinne der Korrelation) und das konkrete „was“ (im Sinne der Dialektik) unterschieden werden. Repp, 212. Dazu auch Clayton: „Es könnte sein, daß das, was Tillich über die Bedeutung von Korrelation sagt, ein weniger verläßlicher Führer zur Bedeutung des Begriffs in seinem Denken ist, als das, was Tillich mit diesem Wort in seinen
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Um das Problem auf den Punkt zu bringen: daß man bei Tillich die Seiten des „daß“ und des „was“ der Geschichte unterscheiden kann, hat theologisch-soteriologische Notwendigkeit. Sehr wohl erkennt Tillich unter dem Pol der Existenz die Wichtigkeit des „daß“ der Geschichte an, doch noch wichtiger wird die Nachfrage sein, ob die Geschichte auch als konkretes „was“ unter dem Begriff der erlösenden Antwort Berücksichtigung findet. Repp bemerkt sehr kritisch, daß Tillich eigentlich nur mit der Konkretheit der Wirklichkeit spielt.136 Dialektik ist die Verbindung von drei zusammenhängenden Punkten: „dem allgemeinen Ansatz, der Negation des Konkreten und der dialektischen bzw. korrelativen Beziehung und Einheit“137. Aufgrund der Diskrepanz von Allgemeinem und Besonderem besteht eigentlich eine Inhomogenität. Das Allgemeine hält sich nach Repp trotz aller Existentialisierung und Problematisierung durch. In anderen Worten: die soteriologische Unvordenklichkeit riskiert, doch wieder in die Unmittelbarkeit des Begriffs zurückgeführt zu werden. Das würde bedeuten, daß Tillich trotz seiner großangelegten methodischen Anstrengung, den Einseitigkeiten von Barth, Hegel und Schelling zu entgehen, letztlich doch einer essentialistischen Tendenz nicht widerstehen kann. Damit ist die Hauptschwierigkeit138 ins Wort gebracht. Sie wird sich besonders im Zusammenhang der Christologie – welche ein Fokus der Methode ist – als illegitime Unterbewertung der konkreten Geschichte und damit des wahren Menschseins Jesu Christi Schriften tut.“ (Clayton, Was heißt „Korrelation“ bei Paul Tillich?, 184, Hervorhebungen von Clayton) 136 Vgl. Repp, 213. 137 Repp, 213. 138 Tillichs Schwierigkeit scheint sich aber in seinem ganzen Denken widerzuspiegeln: „Aus seiner Methode der Dialektik, des deduktiven Ansatzes wie der Negation des Konkreten resultieren auch die eigentlichen Schwierigkeiten von Tillichs Religionsphilosophie.“ (Repp, 214) Repp nennt die dialektisch interpretierte Gotteslehre, die eigentümliche Gedankenführung vom Theismus über den Atheismus zum transzendierten Atheismus an den „Gott über Gott“ und das „Protestantische Prinzip“ als Schlüssel zur Rechtfertigungslehre. Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang Repps Bemerkung, daß „allein aus der Berücksichtigung der Interdependenz von Methode, Inhalt und Person (Autor) ein System wie dessen Kritik zureichend begründet werden können“ (Repp, 214). Daß Tillich so abstrakt denkt, entspreche seinem Charakter, da er sich selbst einerseits immer in seinem Denken treu geblieben ist, andererseits aber gegenüber der konkreten kirchlichen Institution unverbindlich auf Distanz gegangen ist. Freilich zeige sich Tillichs Größe auch darin, daß er zum Ende seines Lebens bereit war, neue denkerische Wege zu gehen.
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ausdrücken. Schon alleine in dem Begriff „Jesus der Christus“ werden das Unbedingte und das Bedingte entgegen aller Tillichschen Absichten künstlich getrennt. Damit sind mit der Reflexion auf die Methode bereits die entscheidenden Fragen an diese Untersuchung gestellt. Wir müssen nach den philosophischen und theologischen Voraussetzungen dessen fragen, was sich in der Korrelationsmethode und in Tillichs apologetischer Theologie kristallisiert. Darüber hinaus werden wir auf weitere grundlegende Themenbereiche verwiesen: die Rechtfertigungslehre, die ganz deutlich den Hintergrund der Unableitbarkeit der Offenbarung bildet; die philosophische Inspiration an Schelling, welche Tillich das denkerische Rüstzeug zum dialektischen Denken des Verhältnisses von Bedingtem und Unbedingtem, von Gott und Mensch gibt; und die Sinnhermeneutik, die den gemeinsamen Bereich der Vermittlung repräsentiert. Und schließlich müssen wir vor allem die Methode selbst auf Tillichs soteriologische Vermittlung von Anthropologie und Christologie anwenden und sie dabei in jene Verwirklichung begleiten, in der sie erst definitiv zu sich selbst kommt. Denn der Leitfaden von Tillichs Theologie ist letztlich Soteriologie.
3. Die drei Phasen der Vermittlung von Christologie und Anthropologie Während es Aufgabe der Theologie ist, die christliche Botschaft im Horizont der menschlichen Situation zu bedenken und neu auszulegen, ist es Aufgabe der Predigten, die menschliche Situation im Licht der göttlichen Botschaft zu interpretieren.139 Interessanterweise ist es ein ganz kleiner Beitrag in den „Religiösen Reden“, der entsprechend der methodischen Dialektik und des ontologischen Essenz-Existenz-Schemas in drei Grundsätzen die ganze Tillichsche Theologie darstellt.140 Es handelt sich um die Rede über den „antwortenden Theologen“141. Sie spiegelt seine religionsphilosophische Weite und seine theologisch-kirchliche Verbindlichkeit wider. Anhand des Kommentars der paulinischen Are139 Vgl. Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 22. 140 Diese Entdeckung ist Oswald Bayer zu verdanken. Vgl. Bayer: Paul Tillich, 201 – 207. Es ließe sich an dieser Stelle fragen, ob die Dreierstruktur der Aeropag-Rede dem klassischen Dreischritt der katholischen Analogielehre verwandt ist: via positiva, via negativa, via eminentiae. 141 RR I, 120 – 123: „Der Theologe. III.Teil“
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opag-Rede eruiert Tillich „die drei Aufgaben der antwortenden Theologie“142. Bayer benennt diese drei Grundzüge folgendermaßen: „das schöpfungstheologisch-ontologische Apriori, die ontische Krisis und die ontische Heilung“143. Sie deuten die Vermittlung von Gott und Mensch in Christus bzw. die Antwort Christus auf die Frage Mensch. Der erste Teil von Paulus’ Antwort ist die Behauptung, „daß denen, die die tiefste Frage an ihn richten, die Antwort nicht unbekannt ist“144. Diese Menschen – und überhaupt der Mensch – sind nicht außerhalb von Gott. „Gott ist uns näher als wir uns selbst“145, und deshalb kann es gar keinen wirklichen Atheismus geben. Hinter diesen Worten steht die ganze Gewalt der Tillichschen Religionsphilosophie, die sich von der Begegnung mit Schelling und dem Existentialismus über die Schärfung des idealistischen Identitätsprinzips durch die Rechtfertigungslehre über viele weitere Themen bis hin zur Theologie der Kultur, der zentralen Symboltheorie und der Sinnhermeneutik erstreckt. Diese ganze Thematik steht unter dem Blickwinkel, „daß weder sie noch wir außerhalb von Gott sind“146. Die menschliche Existenz steht in essentiellem Bezug zum Göttlichen. Als Geschöpf gehört der Mensch zu Gott. Und von diesem Ursprung weiß der Mensch auch noch mitten in der Entfremdung. Diese ontologische Bestimmung kann unterschiedliche ontische Qualifikationen erhalten. Tillich spricht von einer „ständigen Flucht vor Gott“147 und von einem „Sieg über den Tod“148, also von Krisis und Heilung. Die ontische Krisis faßt er dabei in den Satz: „Obwohl die Menschheit Gott nicht fremd ist, hat sie sich ihm doch entfremdet.“149 In dieser Situation flieht der Mensch vor dem lebendigen Gott und sucht Ersatz-Gottheiten, Götzen. Im Namen des ersten Gebotes der Souveränität Gottes und durch die Macht des göttlichen Logos ist es Aufgabe des Theologen, die falsche Synthese zwischen Gott und Götzen zu zerstören. Tillich wendet sein „protestantisches Prinzip“150 an. Hinter diesen 142 RR I, 121. 143 Bayer: Paul Tillich, 202. „Mit diesen drei Grundzügen ist nicht weniger als der Gesamtumfang einer jeden christlichen Dogmatik bezeichnet.“ 144 RR I, 121. 145 RR I, 122. 146 RR I, 121. 147 RR I, 122. 148 RR I, 123. 149 RR I, 122. 150 GW VII, 28.
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knappen Sätzen steht das in der Auseinandersetzung mit Barth gewonnene Plädoyer für ein positives und nicht ein einseitig kritisches Paradox. In anderen Worten: obwohl der Mensch von Gott entfremdet ist, bleibt eine Seinsverbundenheit mit Gott bestehen. Das Nein ist nur aufgrund des Ja möglich. Anders ist für Tillich Erlösung nicht denkbar. „Ontischexistentielle Entfremdung des Menschen von Gott sei nicht denkbar ohne ontologisch-essentielle Verbundenheit mit ihm“151, so Bayer. „Der dritte und entscheidende Teil der theologischen Antwort“ besteht in der Verkündigung eines Menschen: Jesus von Nazareth, der als der Christus bekannt wird, „den Gott bestimmt hat, das Gericht und das Leben dieser Welt zu sein“152. In ihm wird die Wahrheit der Existenz offenbar und die Entfremdung zugleich überwunden. Die Korrelation von Existenz und Christus ist für Tillich – Bayer zitiert es so – „das Herz einer jeden christlichen Theologie“153. Dieses Paradox ist und bleibt ein Paradox, obwohl der Theologe herausgefordert ist, es seinen Zuhörern rational zu deuten. In dieser Spannung der Unableitbarkeit einerseits und der Verstehbarkeit andererseits liegt eine Ambivalenz Tillichs.154 Das Paradox riskiert, entschärft zu werden. Man darf aber nicht vergessen, daß das Paradox bei Tillich mit dem Begriff des Neuen Seins umschrieben wird und von daher in einen übergeordneten ontologischen Rahmen eingebettet wird. Das Paradox muß als Antwort verstanden werden können. „Tillichs gesamte Theologie ist der Versuch, das christologische Paradox als sinnvolle Antwort auf eine vom Menschen gestellte Frage erscheinen zu lassen – auf die Frage, die der Mensch nicht nur stellt, sondern die er selber ist.“155
151 152 153 154
Bayer: Paul Tillich, 205. RR I, 123. ST II, 7. Vgl. Bayer: Paul Tillich, 206 f. Bayer formuliert als Prüfstein die Hinterfragung des spezifischen Charakters der drei Übergänge einer Dogmatik: von der geschaffenen zur gefallenen Welt, von dort zu der erlösten Welt und von der schon erlösten, aber noch angefochtenen Welt zur unangefochten erlösten Welt. In diesen Übergängen sieht er bei Tillich durchaus zurecht eine Ambivalenz (vgl. Bayer: Paul Tillich, 207). 155 Bayer: Paul Tillich, 211.
B. Erster Hauptteil: Die religionsphilosophische Vermittlung
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B. Erster Hauptteil: Die religionsphilosophische Vermittlung von Gott und Mensch I. Der geschichtliche Ausgangspunkt 1.1. Tillichs persönliches Schicksal „auf der Grenze“ In diesem ersten Hauptteil über die religionsphilosophische Vermittlung von Gott und Mensch, in dem die genaue Korrespondenz von Unbedingtem und Bedingtem analysiert wird, wird in einem ersten Schritt Tillichs historischer Hintergrund und die für ihn unbedingt ergreifende „disclosure situation“ des Ersten Weltkriegs beschrieben. Tillichs Biographie macht plausibel, warum sein zuerst sehr spekulatives Denken sich nun radikal an die Situation der Menschen wendet. Er zeichnet sich aus durch die schier unendliche Fähigkeit, an den Fragen der Menschen – überhaupt und vor allem in seinem „heute“ – zutiefst teilzuhaben. Der Mensch von heute ist der Mensch von immer. Was bisher am konkreten Material der „Systematischen Theologie“ und ihrer zentralen Korrelationsmethode betrachtet wurde, hat denkerische und biographische Vorbedingungen. Da Tillich seine Lebenserfahrungen – viel stärker als Kasper – ausgiebig reflektiert, mit seinem Denken verknüpft und damit einen Einblick in seine eigene persönliche Situation gewährt, ist es unerläßlich, seine eigene Existenz „auf der Grenze“ zu beschreiben, um so den hermeneutischen Zirkel ernstzunehmen.156 Das Leben von Paul Tillich (1886 – 1965) wurde oft geschildert.157 Wichtig ist im Zusammenhang dieser Arbeit, welchen Einfluß die bio156 Das Interesse an Tillichs Leben hat durchaus theologisches Gewicht, da Ratschow der Meinung ist, daß das Einheitliche an Tillichs Gesamtwerk nicht ein spezielles einheitsstiftendes Strukturprinzip, sondern die Person selbst ist: „Man soll die Schriften Tillichs auf die Person Paul Tillichs hin auslegen. Er ist die Mitte all der vielen Schriften und Themen.“ (Ratschow: Einführung zu den „Main works“ zu den „Main works“, 22) Dementsprechend verankert Ratschows Tillichs Denken in seiner Biographie. 157 Martin Leiner untersuchte 1996 folgende Tillich-Biographien: Pauck, Marion und Wilhelm: Paul Tillich, His Life and Thought. Vol. I, New York 1976 (in deutscher Übersetzung: Paul Tillich. Sein Leben und Denken. Band 1: Leben, Stuttgart 1978); Tillich, Hannah: From Time to Time, New York 1973 (in deutscher Übersetzung: Ich allein bin, Gütersloh 1993); May, Rollo: Paulus. Reminiscences of a Friendship, New York 1973. 2.Ed.: Paulus: Tillich as a Spiritual Teacher, Dallas 1988; Wehr, Gerhard: Paul Tillich in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek b. Hamburg 1979; Bertinetti, Ilse: Paul Tillich,
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
graphischen Wendungen auf das Denken Tillichs hatten. Situation und Botschaft kreuzen sich ja auch in Tillich selbst.158 Theologie oder Philosophie entstehen aus den Entwicklungen des Denkers heraus und können von dorther besser interpretiert werden.159 Bei Tillich nimmt Berlin 1990; Albrecht, Renate/Schüßler, Werner: Paul Tillich. Sein Werk, Düsseldorf 1986; Albrecht, Renate/Schüßler, Werner: Paul Tillich. Sein Leben, Frankfurt.a.M./Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1993; Albrecht, Renate/ Hahl, Margot (Hrsg.): Paul Tillich. Ein Lebensbild in Dokumenten. Briefe, Tagebuch-Auszüge, Berichte., in: EW V, Stuttgart 1980. Leiner kommt zu dem Schluß, daß die Biographie von Albrecht/Schüßler (Paul Tillich. Sein Leben) der gelungenste Versuch ist. Neben einem exakten und zitatenreichen Überblick über Tillichs Leben und der damit verbundenen Möglichkeit zu einem authentischen Einblick in seine Persönlichkeit zeichnet sich dieses Werk durch eine kritische Distanz aus, die auch Tillichs negative Seiten nicht verschweigt. Demnach bleibt nach Leiner trotz der relativen Kürze der Biographie (135 Seiten) zu hoffen, „daß das Büchlein von Albrecht und Schüßler die Normalbiographie für alle an Tillich Interessierten wird“ (Leiner, Martin: Tillich-Biographien. Ein Literaturbericht, in: Theologische Literaturzeitung 121 (1996) 789 – 791, hier: 791). 158 Die „zufällige“ Verschränkung verschiedenster Dynamiken und Inspirationen macht Tillich im allgemeinen zu einem originellen, aber auch zeitver- und zeitgebundenen, zu einem offenen und zugleich zu einem systematischen Denker, und dies trotz der Tatsache, daß sein Werk größtenteils aus Gelegenheitsschriften besteht. Tillich selbst bezeichnete das hauptsächliche Bestehen seiner literarischen Arbeit aus Essays als „Bohrer (…), mit denen man in unberührtes Gestein eindringt“; diese Bohrungen versuchen, Breschen in alle kulturellen Gebiete zu schlagen, um sie „auf den religiösen Mittelpunkt zu beziehen“ (GW XII, 70). Seine Denkmethode bzw. Denkform ist dabei „Frage und Antwort, Ja und Nein einer Diskussion, diese Grundform alles Dialektischen“ (GW XII, 71). Es wird damit erneut deutlich, wie Tillichs spekulatives Denken meistens kaleidoskopartig von historischen oder biographischen Umständen geleitet wurde. „Nach Tillich kommt die Vernunft nur dort zu sich, wo sie über sich hinausgeht, im Abarbeiten an den konkreten Gegenständen.“ (Wenz: Subjekt und Sein, 40) Tillichs letztlich entscheidende Triebfeder war das seelsorgliche Bemühen, dem zeitgenössischen Menschen in dessen Leben einen neuen Zugang zur religiösen Dimension zu eröffnen (vgl. Schüßler: Paul Tillich, 33). 159 Allgemein galt für Christoph Schwöbel in der Tillich-Literatur von 1967 bis 1983 die auffällige Tatsache, „daß sich in dieser breitgefächerten und keineswegs nur auf die protestantische Theologie beschränkten Beschäftigung mit Tillich weder ein besonderer Schwerpunkt abzeichnet, in dem unterschiedliche Forschungsrichtungen zusammenlaufen, noch ein Konsens über die Grundlagen der TillichInterpretation deutlich wird“ (Schwöbel, Ch.: Tendenzen der Tillich-Forschung (1967 – 1983), in: Theologische Rundschau 51 (1986) 166 – 223, hier: 167). Aus heutiger deutschsprachiger Sicht kann jedoch vermutet werden, daß die ersten
B. Erster Hauptteil: Die religionsphilosophische Vermittlung
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diese Zeitgebundenheit ein besonderes Maß an, da er überzeugt war, „daß seine eigene Wandlung einen Wandel der abendländischen Zivilisation spiegelte“160. Tillich wird meistens dargestellt als ein radikal an der Situation des Menschen orientierter Theologe und Philosoph, der erst dadurch auch wirklich Theologe und Philosoph ist. Die Vermittlung von Theologie und Philosophie oder von Gott und Mensch, die sich im dritten Teil der „Systematischen Theologie“ in der Vermittlung von Anthropologie und Christologie zuspitzt, ist ein grundkonstanter Brückenschlag von Tillichs Leben und Denken. Es ist zum Allgemeingut nahezu aller TillichKommentare161 geworden, ihn entsprechend seiner 1936 verfaßten Autobiographie „Auf der Grenze“162 als Mensch und Denker „auf der Grenze“ zu bezeichnen. Interessanterweise stimmen in dieser Charakterisierung die bewegten Wendungen seines Lebens – die wichtigste von ihnen, die Emigration nach Amerika im Jahre 1933, war nicht geplant Jahre nach Tillich damit belegt waren, die amerikanischen Schriften aus der Zeit nach der Emigration zu rezipieren und sich das meiste um Tillichs Spätdenken drehte, während sich danach die Aufmerksamkeit mehr und mehr auf seine Frühschriften richtete. 35 Jahre nach Tillichs Tod unternimmt Christian Danz (Danz, Christian: Religion als Freiheitsbewußtsein. Eine Studie zur Theologie als Theorie der Konstitutionsbedingungen individueller Subjektivität bei Paul Tillich, Berlin/New York 2000) – er sei paradigmatisch erwähnt – in gewissem Maße als Fluchtpunkt einer (chrono-) logischen Entwicklung schließlich eine übergreifende Interpretation des Tillichschen Spätwerks vom ganz Frühen her und trifft dabei auf den systemprägenden transzendentalphilosophischen Einfluß Schellings. 160 Kelsey, D. H.: Paul Tillich, in: Ford, D. (Hrsg.): Theologen der Gegenwart, 1993, 127 – 142, hier: 127. 161 Vgl. die 1985 in Spanisch erschienene, akkurat ausgearbeitete Besprechung der Tillich-Forschung von Pastor, Félix-Alejandro, S.J.: La interpretación de Paul Tillich, in: Gregorianum 66/4 (1985) 709 – 739; vgl. ders.: Itinerario espiritual de Paul Tillich, in: Gregorianum 67/1 (1986) 47 – 86; vgl. Schwöbel: Tendenzen der Tillichforschung (1967 – 1983). 162 In: GW XII, 13 – 57 (im Original: „On the Boundary“). Diese Autobiographie ist in mehrere Kapitel „auf der Grenze“ eingeteilt. U.a. bespricht Tillich die Grenze von Heteronomie und Autonomie, von Theologie und Philosophie, von Religion und Kultur und von Heimat und Fremde. Die Kaptitel sind geprägt von der dialektischen Einheit von Gegensatz und Zugehörigkeit jeweils zweier Pole. Als zentrale Aussage kann zurückbehalten werden: „Als Theologe versuchte ich Philosoph zu bleiben und als Philosoph Theologe.“ (GW XII, 37) Neben „On the Boundary“ existieren die „Autobiographical Reflections“ von 1952 (in deutscher Übersetzung: „Autobiographische Betrachtungen“, in: GW XII, 58 – 77).
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
und nur bedingt voraussehbar – und seine denkerischen Orientierungen überein: Tillich ist ein Grenzgänger. Dabei denkt er in zwei kulturell verschiedenen Kontexten.163 Als solcher Vermittler zwischen verschie-
163 Viele Einzeluntersuchungen zu Tillich machen deutlich, daß man in seinem Denken mit Phasen der Entwicklung rechnen muß. Ein Vergleich der unternommenen Einteilungen kann über die komplexen Detailverschiebungen hinaus zu dem Ergebnis kommen, daß – so wie Ratschow (vgl. Ratschow: Einführung zu den „Main works“ zu den „Main works“) es vorschlägt – vier große Perioden unterschieden werden müssen: die Jugendzeit samt der Bildung an Schelling; die Wende zur sozialistischen Entscheidung inmitten des Ersten Weltkriegs (um 1916); die Emigration (1933) und das Fußfassen in den Vereinigten Staaten; die größte öffentliche Wirkung Tillichs mit der Aufgipfelung im Verfassen der „Systematischen Theologie“. Gemeinhin fällt die Einteilung der „deutschen Zeit“ leichter als eine etwaige Einteilung der „amerikanischen Jahre“, welche dementsprechend öfters einfach unterlassen wird. Ob Tillichs Denken kontinuierlich oder diskontinuierlich war, ist in der Forschung nicht eindeutig geklärt. Wir wollen uns dem Urteil großer Tillich-Kenner wie Bayer, Ratschow und Schüßler anschließen, daß sich „bestimmte Konstellationen von Fragen und Lösungen erstaunlich unverändert von 1919 bis zu seinem Tod festgehalten“ haben (Ratschow: Einführung zu den „Main works“, 18, Anmerkung 5; vgl. Bayer: Paul Tillich, 186; vgl. Schüßler: Was uns unbedingt angeht, 144), auch wenn sie von „mannigfaltigen Akzentverschiebungen, terminologischen Brüchen oder gedanklichen Umwegen“ (Hummel, G.: Der Weg zur „Systematischen Theologie“, 1, in: MW VI, 1992) begleitet werden. Es kann im Zusammenhang mit unserem Thema nicht unerwähnt bleiben, daß Hummel interssanterweise zwei Phasen des Schaffens von Tillich unterscheidet, die sich um die beiden Pole Christus und Mensch drehen. Er meint nämlich, daß bis Anfang der vierziger Jahre (als durchaus lange nach Tillichs Emigration, die 1933 stattfand) das christologische „Extra Nos“ sein Denken bestimmte. Erst danach wandte er sich der Frage zu, was die Zumutung des Neuen Seins beim Menschen bewirkt. (vgl. Hummel: Der Weg zur „Systematischen Theologie“, 2, in: MW VI) In Tillichs deutscher Zeit lag die Schwierigkeit „im Element allerhöchster Abstraktheit, in der die Unmittelbarkeit des Lebens so gut wie verloschen ist“. (Hirsch, E.: Tillichs Religionsphilosophie, in: Theologische Literaturzeitung 51 (1926) 97 – 103, hier: 97; zitiert bei: Schüßler, W.: Der philosophische Gottesgedanke im Frühwerk Paul Tillichs (1910 – 1933). Darstellung und Interpretation seiner Gedanken und Quellen, Würzburg 1986, 4) Das mache seine Ausdrucksweise „beklagenswert intellektuell“, so Köpchen. (Köpchen, K.: Untergang oder Zeitenwende (Spengler und Tillich), in: Protestantenblatt 62 (1929) 379 – 382, hier: 381; zitiert bei: Schüßler: Der philosophische Gottesgedanke im Frühwerk Paul Tillichs, 4). Obwohl Tillich um seine schwere Lesbarkeit wußte und in der amerikanischen Zeit zu einer Vereinfachung des Stils fand, blieb es weitestgehend bei einer terminologischen Unexaktheit.
B. Erster Hauptteil: Die religionsphilosophische Vermittlung
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denen Korrelationen ist er einer der „bahnbrechenden Theologen“164 des letzten Jahrhunderts. Er ist einer „der größten Theologen der Welt“165. Ein Bild der Eigenart und Bedeutung Paul Tillichs zu zeichnen, ist leicht und schwer zugleich: „Leicht, weil Tillich früh seinen eigenen Ton gefunden hatte und ihn glücklich und deutlich und groß durchhielt bis zum Ende. Schwer, weil er ein lebendiger Denker war, der in unermüdlichen Anläufen sich alle Erscheinungen des Geistes seiner Jahrzehnte anverwandelte. Er kann nicht referiert werden mit bloßen Meinungen; er muß in seinem Impetus verstanden werden.“166 Dieser Impetus ist aber engstens mit der Geschichte, ihren Zufälligkeiten, Herausforderungen, Orientierungen und bewußten Entscheidungen verwoben. Was Tillich schrieb, hatte er in gewisser Weise selbst durchlebt bzw. durchlitten. Daß er durch Christus Gott und Mensch miteinander in Beziehung zu stellen beabsichtigt, spiegelt die Tatsache, daß er als christlich-lutherischer Theologe und Seelsorger dem zeitgenössischen Menschen durch ein philosophisches Aufarbeiten der Aktualität und ihrer tiefsten Dynamiken – vor allem des Atheismus167 – Mut zum Sein zusprechen will. In Bezug auf Tillich gilt: „Größe ist dort, wo anschaubar wird, was der Mensch vermag gegen die Bedrohung seiner Existenz.“168 1.2 Der Kairos des Ersten Weltkriegs Der Erste Weltkrieg169 war sicherlich in Tillichs Leben nicht die einzige Grenz-Erfahrung, aber aufgrund seiner zeitlichen Korrespondenz zu der sich formenden beruflichen Identität Tillichs – „als der Erste Weltkrieg begann, war meine Ausbildung vollendet“170 – vermochte er, die er164 Vgl. Chapey, F.: Paul Tillich, in: Vorgrimmler, H./Van der Gucht, R. (Hrsg.): Bilanz der Theologie im 20. Jahrhundert. Zusatzband: Bahnbrechende Theologen, Freiburg/Basel/Wien, 42 – 64. 165 Rhine, M.: Einer der größten Theologen der Welt. Amerikanische Stimmen zu Paul Tillichs Tod, in: Deutsches Pfarrerblatt Essen 66 (1966) 448; zitiert bei: Wittschier: Paul Tillich, 9. 166 Müller-Schwefe, 87. 167 Vgl. Bayer: Paul Tillich, 244. 168 Braune, W.: Konkrete Bedrohungen und die Mächtigkeit des Seins, in: Werk und Wirken Paul Tillichs. Ein Gedenkbuch, Stuttgart 1967, 73 – 84, hier: 76. 169 Zu Tillichs Erlebnissen im Ersten Weltkrieg vgl. vor allem Albrecht, R./ Schüßler, W.: Paul Tillich – Sein Leben, Frankfurt/M. 1993, 37 – 47. Tillich zog mit „innerlichem Entsetzen“ als Feldgeistlicher an die Front, war zu Beginn optimistisch, mußte aber die schwere Zeit der Schützengräben und besonders die Hölle von Verdun miterleben. 170 GW XII, 67.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
worbenen theoretischen Kenntnisse vorentscheidend zu kanalisieren. Tillich lernte, daß die christliche Erlösung aufgrund der tragischen menschlichen Entfremdung nur als Rechtfertigung „sola gratia, sola fide“ gedacht werden konnte. In anderen Worten: die geistige Katastrophe wurde zur soteriologischen Frage nach jenem Christus, der dem Menschen die Gewißheit des Heils vermitteln konnte. Das Bedingte und Unbedingte müssen sich in einer Weise verhalten, die vor allem die Bedingung der Möglichkeit der zum Abgrund fähigen Freiheit berücksichtigt. „Ontologie, die wirklich Inbegriff des Existentialen sein will, muß diese radikale Abwesenheit von Sinn in sich aufnehmen, will sie bei der Wirklichkeit bleiben und nicht ins Ideale verdampfen.“171 Mit dem Zusammenbruch des Jahres 1918 war das Vertrauen in die menschlichen Fähigkeiten endgültig erschüttert. Die absolute Sinnlosigkeit172, die Tillich in seinem Dienst als Feldprediger als radikalste Infragestellung des Lebens erfuhr, wurde für ihn zur theologisch-philosophischen Herausforderung. In diesem Sinn bedeutete der Erste Weltkrieg für Tillich in zweierlei Hinsicht eine Wende: erstens fand er vom idealistischen Essentialismus – verkörpert in Hegel – zum Existentialismus, wie u. a. Schelling ihn potentiell eröffnet hatte173 ; und zweitens wurde sein Denken zum Sein gewendet, um so der Absurdität, der Sinnlosigkeit und dem Nichtsein standzuhalten174. Dies zeigt die grundlegenden Instrumentarien von Tillichs Denken: einerseits Schellings Fassung des Identitätsprinzips und andererseits eine ontologisierte Fassung des Rechtfertigungsprinzips als Rechtfertigung des Zweiflers.175 Daß sich gerade das „Essenz-Existenz-Schema“ in der „Systematischen Theolo171 Steinacker, P.: Die Bedeutung der Philosophie Schellings für die Theologie Paul Tillichs, in: Fischer, H. (Hrsg.): Paul Tillich: Studien zu einer Theologie der Moderne, Frankfurt/M. 1989, 37 – 61, hier: 54. 172 Steinacker nennt die Ausgangssituation die „schlechthin unvorstellbare Katastrophe aller Vernunft und Kultur, aller menschlichen Sinngebungen und Zwecksetzungen durch die Erfahrung des Abgrundes in den Schlachtfeldern der Weltkriege und den sozialen Krisen, die durch die kapitalistisch vermarktete instrumentelle Vernunft provoziert sind“. (Steinacker: Schelling, 54) 173 Vgl. ST II, 30 f. 174 Deutlich wird dies in besonders dichter Weise in der 1952 erschienen Schrift „Der Mut zum Sein“, in: GW XI, 13 – 139. Rund um das Schlagwort „Was hat Athen mit Jerusalem zu tun?“ (vgl. Albrecht/Schüßler: Paul Tillich – Sein Leben, 122 f.) entfachte sie eine rege Diskussion um die Ontologie. 175 Beide Einflüsse gehen übrigens auf sein Vaterhaus zurück, denn sein Vater war als lutherischer Pastor philosophisch sehr interessiert.
B. Erster Hauptteil: Die religionsphilosophische Vermittlung
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gie“ zu einem „Rückgrat“176 entwickelte, stellt eine Spiegelung von Biographie und Denkform dar.177 Es geht Tillich um die Frage der glaubwürdigen Vermittlung des Christlichen. Tillich fühlte sich förmlich in die Gesellschaft der Revolutionsjahre hinein und konnte sein Wissen und Denken mit den Fragen dieser Menschen konfrontieren. Dabei setzte er sich der „große(n) Müdigkeit“ aus, die nach dem Zusammenbruch der großen Synthese zwischen Christentum und modernem Geist über die Menschen gekommen war und die das Denken lähmte: „Sie sind zu enttäuscht (…), nachdem so viele Versuche mißlungen sind.“ Doch die Devise war klar: „Aber wir haben keine Wahl; wir müssen es von neuem versuchen!“178 Die Suche nach Sinn bleibt die ewige Antriebsfeder des Menschen und seines Denkens. Tillich spricht von einem „kairos“179. „Kairos“ hat eine grundlegende Bedeutung: es handelt sich um jene Situation, die „ein Erleben des Göttlichen in allem Menschlichen, des Ewigen in allem Zeitlichen“180, des Unbedingten im Bedingten eröffnet. Im Kairos ist der Mensch unbedingt angegangen. Tillich erfuhr sein Hineingeworfensein in die kriegerischen Dynamik als Ruf. Der Kairos soll zu „Theonomie“ führen. Theonomie ist die „freie Hinwendung der zeitlichen Formen zum Ewigen“181. Der zeitgeschichtlich konkrete Kairos verweist auf den einen „großen Kairos“182, von dem her sich alle anderen Kairoi definieren: die 176 177 178 179
Vgl. ST I, 238. Vgl. Bayer: Paul Tillich, 237. GW V, 168. Tillich hat dem Thema „Kairos“ viele Aufsätze gewidmet, deren größter Teil in GW VI vereinigt ist. 180 GW II, 33. 181 GW X, 92. Konkret bestand dieser Kairos für Tillich in jenem Neuanfang, der durch eine Vereinigung von Christentum und Sozialismus erreicht werden sollte als Opposition zu einer kapitalistischen oder militaristischen Gesellschaftsordnung (vgl. GW II, 14). Frucht dieses Kampfes ist das Buch „Die sozialistische Entscheidung“ (in: GW II, 219 – 365). 1960 muß Tillich bei einem Vortrag in Tokio im Rückblick jedoch feststellen: „Es war unser kühner Glaube, daß das Ende des ersten Weltkriegs und besonders die Niederlage Deutschlands einen Einbruch des Ewigen in das Zeitliche bedeutete. (…) Die Frage, ob wir mit dieser Frage recht oder unrecht hatten, kann nicht unmittelbar beantwortet werden. Man könnte sagen, daß wir im Unrecht waren, weil wir die Zeichen der Zeit falsch deuteten.“ (GW XIII, 412) Trotz der konkreten Enttäuschung blieb die Hoffnung auf die Theonomie eine treue Begleiterin Tillichs. 182 ST III, 425. Zu der unvermeidlichen, aber theologisch umstrittenen Verschränkung des Individuellen mit dem Allgemeinen der Geschichte sagt Tillich,
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
Weltenwende in Jesus dem Christus.183 Das Kriterium für das persönliche Angegangensein durch das Unbedingte („was uns unbedingt angeht“) ist Jesus der Christus als „die Mitte der Geschichte“184. Wie durch den Ruf der Propheten „wird der Mensch kritisch auf das erste Gebot hin verwiesen“185, denn der große Kairos, in dem Christus auf Gott verweist, „wird in relativen kairoi (…) immer wieder neu erlebt.“186
2. Der philosophische Ausgangspunkt: Schelling 2.1 Philosophische Einflüsse im allgemeinen Der mit dem Ersten Weltkrieg verbundene Kairos hilft, Tillichs denkerische Grundoptionen zu benennen. Obwohl wir versuchen wollen, vor allem den Einfluß Schellings auf Tillich herauszuarbeiten, sind Tillichs philosophische Quellen Legion.187 Es sei hier folgendes Urteil von Otto Schnübbe übernommen: „Tillichs eigenes Denken ist letztlich von all den genannten antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Denkern beeinflußt. Bei der Weite seines Denkens ist das nicht anders zu erwarten.“188 In seinen Selbstdarstellungen beschränkt er sich darauf, vor allem jene Hauptlinien der neuzeitlichen Philosophie zu nennen, die sein Denken bestimmt haben.189
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die Geschichte habe „subjektiv-objektive(n) Charakter“ (ST III, 346). Vgl. auch Bayer: Paul Tillich, 190 – 193. Vgl. u. a. ST III, 419 – 423: „Kairos und Kairoi“. ST III, 384. ST III, 384. ST III, 214. Bayer kommentiert: „Tillich ließ sich dazu herausfordern, von einem theologischen „Standpunkt aus“, aus der Perspektive des „großes kairos“, des Christusereignisses, die „Bedeutung einzelner Entwicklungen für den geschichtlichen Prozeß zu erkennen“ (ST III, 425)“ und „eine Situationsdeutung zu wagen.“ (Bayer: Paul Tillich, 193) Dabei verweigerte sich Tillich aber inhaltlich und formal gegenüber einer absoluten Deutung im Sinne von Hirsch, der im heraufziehenden Faschismus einen Kairos erkannte. Vgl. Tillichs Tokioer Vortrag „Der philosophische Hintergrund meiner Philosophie“ (in: GW XIII, 477 – 488); vgl. auch z. B. Pastor, F.-A., S.J.: La interpretación de Paul Tillich, bes. 726 f.; ders.: La cuestión de lo Incondicionado, in: Gregorianum 78/2 (1997) 267 – 308. Schnübbe, 154. Vgl. „Auf der Grenze“, in: GW XII, 13 – 57; „Autobiographische Selbstdarstellungen“, in: GW XII, 58 – 77. In den Briefen an Emanuel Hirsch erwähnt Tillich dagegen auch Einflüsse, die in seinen Selbstdarstellungen keine Rolle spielen. (In: EW VI, 95 – 136; vgl. Barth, U.: Die sinntheoretischen Grundlagen
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Interessant sind in diesem Zusammenhang zusätzlich zwei relativ frhzeitige Sachverhalte: erstens daß Tillich bereits 1923 in seinem „System der Wissenschaften“190 eine Sinnhermeneutik entfaltet und zweitens daß er nach eigener Aussage die Anfänge seines systematischen Spätwerkes, der „Systematischen Theologie“, bereits in die Marburger Jahre 1924/25 verlegt.191 In beiden Fällen deutet sich an, daß der nicht einmal 40-jährige Tillich bereits hier eine philosophische Grundorientierung gewonnen hat.192 Schnübbe, der akribisch die einzelnen Einflüsse anhand von Tillichs eigenen Äußerungen genau nachzeichnet und in ihrer Nachhaltigkeit prüft, sieht Tillichs „roten Faden“ in dem Dreischritt Kant, später Schelling und Kierkegaard und die Existenzphilosophie. Auch wenn Tillich durch privates Studium zuerst Kant und Fichte gründlich kennenlernt und von ihnen sowie von Hegel manchen Gedanken übernimmt, erhält er den entscheidenden philosophischen Impuls von Schelling, denn er hatte als erster die immanenten Aporien des von Kant herkommenden Idealismus gesehen und spekulativ zu bewältigen versucht.193
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des Religionsbegriffs. Problemgeschichtliche Hintergründe zum frühen Tillich, in: Barth, U.: Religion in der Moderne, Tübingen 2003, 89 – 123, hier: 91) Neben der großen Anzahl an Erwähnungen erstaunt Tillichs offensichtliche Fähigkeit, verschiedene, auch untereinander opponierende Ansätze zu verstehen und konstruktiv einzubauen. In : GW I, 109 – 293. Vgl. GW XII, 69. Gemeint ist Tillichs Dogmatikvorlesung in Marburg: Tillich, Paul: Dogmatik. Marburger Vorlesungen von 1925, hrsg. von Werner Schüßler, Düsseldorf 1986. Neben der großen Offenheit gibt es bei Tillich deutlich auch den Willen zur Systematisierung, auch wenn diese Systeme immer der Vorläufigkeit unterworfen bleiben. Ein System ist für Tillich „eine dynamische Einheit, die für neue Einsichten geöffnet bleibt, auch nachdem das Ganze formuliert ist“ (ST II, 9). Es ist nicht deduktiv, sondern hat „wie die biologischen Prozesse zirkulären Charakter“ (ST II, 11; vgl. ST I, 72). Vgl. auch die Arbeit von Track, J.: Der theologische Ansatz Paul Tillichs. Eine wissenschaftstheoretische Untersuchung seiner „Systematischen Theologie“ (FSÖTh), Göttingen 1975. Das Marburger Geschehen kann paradigmatisch Tillichs typische Weise der Verknüpfung von Biographie und Denken verdeutlichen. Gegenüber der neoorthodoxen Verbannung von kulturellen, politischen und sozialen Fragen aus der Theologie mußte „ein neuer Weg“ (GW XII, 69) gefunden werden, der in seine Dogmatikvorlesung einfloß (vgl. Albrecht/Schüßler, 65). Bis 1925 hatte Tillich im Studium jene Lehrer getroffen, welche die entscheidenden Impulse gaben, vor allem Kähler, Medicus und Kierkegaard. Heidegger als Exponent der Existenzphilosophie in der Ausprägung des 20.Jahrhunderts lernte er in Marburg kennen. (vgl. GW XII, 69) Vgl. GW XII, 65.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
Kant behielt für Tillich immer eine große Bedeutung. Doch schon frühzeitig hat sich Tillich an Schelling inspiriert und dadurch einen Schritt über Fichte hinaus zu machen gelernt. Er las nicht nur die Schellingsche Naturphilosophie wie im Rausch mitten in einer schönen Natur194, sondern hatte als Schüler aufgrund eines Gelegenheitskaufs und innerer Affinität bereits eine genaue Kenntnis des Leonberger Philosophen erworben195. In Halle kam er zudem auf inspirierende Weise mit dem Privatdozenten Fritz Medicus in Kontakt196. Hier vertiefte sich die Kenntnis von Schelling und die damit zusammenhängende Distanz zu Hegel. Außerdem mußte das Interesse an Schelling ihn frühzeitig zu einer kritischen Rezeption der Philosophie Hegels führen. Dabei ist Tillich überzeugt, daß „Schelling in seinem Alterswissen das Problem unserer Zeit vorausnahm, das Problem der menschlichen Existenz in einer Welt, in der menschliche Existenz aufs Schwerste bedroht ist“197. Von daher gewinnt Schelling für Tillich besonders eine Bedeutung als Denker „am Übergang“, denn er steht an der Grenze zwischen Idealismus und der existentialistischen Überwindung des Idealismus.198
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Vgl. GW XII, 15 f. Vgl. GW XII, 31. Vgl. GW XII, 31. GW IV, 144 (Hervorhebungen von Tillich). Daß Schelling Tillich eine große Hilfe war, um die schwierigen biographischen Ereignisse zu verarbeiten und theologisch fruchtbar zu machen, bestätigt Fritz Medicus 1929 in Bezug auf Schellings Einfluß in einem Beitrag in der „Neuen Zürcher Zeitung“ über die Berufung Tillichs nach Frankfurt: „Wenn auch Tillich an Schelling anknüpft, so nehmen doch seine Problemstellungen ihren Ausgang beim Leben von heute. Auch seine Sprache ist die heutige; er wirft nicht mit Schellingzitaten um sich. Seine Darlegungen sind unmittelbarer Ausdruck eines im Gedanken gefaßten Gegenwartslebens. Der Schellingianismus Tillichs hat nichts von antiquarischem Interesse an sich; er ist nichts anderes als geschichtlicher Grund, wie ihn alle geistige Gegenwart im Bewußtsein haben muß; er ist völlig in diese Gegenwart eingegangen und nimmt an der Dialektik, dem Ja und Nein ihres Lebens teil.“ (GW XIII, 564) Von daher ist Wenz der Überzeugung, daß die Würfel bereits mit den beiden Dissertationen Tillichs zu Schellings Spätphilosophie gefallen sind (vgl. Wenz: Subjekt und Sein, 58 – 110). 198 Steinacker stellt zurecht gerade darin eine Ähnlichkeit von Tillich und Schelling fest, daß sie „auf der Grenze“ denken und also gezeichnet waren von der kritischkreativen Auseinandersetzung mit vorgegebenen Material (vgl. Steinacker: Schelling, 37).Von der frühen und intensiven Auseinandersetzung mit Schelling her darf man annehmen, daß von Marburg an der Einfluß von Schelling auf die „Systematische Theologie“ nicht gering ist (vgl. O’Hanlon, D.J.: The influence of Schelling on the thought of Paul Tillich, Rom 1958; vgl. Chapey, F.: L’impact
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Diese Überwindung ist keine Abkehr vom Idealismus, sondern vielmehr seine spekulative Weiterentwicklung im Hinblick auf das Existentielle. In anderen Worten: Tillich hat Schelling auf dynamische Weise rezipiert199, vor allem in kritischer Auseinandersetzung mit Kierkegaard. Dieser wird durch den aufkommenden Existentialismus bestimmt, dessen eigentliche Identifikationsfigur Heidegger ist.200 Die moderne Existenzphilosophie geht von der Erfahrung, dem existentiellen Erlebnis, aus, bedient sich aber der Ontologie und versucht dabei, erstmals auch den Begriff „Existenz“ ontologisch zu fassen. Sie erlaubt es Tillich, die Welt vom Begriff der „Entfremdung“ her zu interpretieren. Außerdem ermöglicht sie ihm, die christlichen Antworten der Offenbarung anhand der existentialen Analysen und Fragen entsprechend der Korrelationsmethode zeitgemäß auszulegen. Diese verschiedenen Fäden treffen sich aber letztlich in Schellings Denkform und -ansatz und in jener Bresche, die Schelling zugunsten des Existentialismus in den zum Essentialismus tendierenden Hegelschen Idealismus schlug. Die hermeneutischen Schlüssel Tillichs zur Integration der verschiedensten Philosophien sind der „Gottesbegriff“ und die „Rechtfertigung“.201 Damit ist zunächst über alle Querverweise hinaus unwillkürlich auf zwei Haupteinflüsse verwiesen, denen es mit besonderer Aufmerksamkeit zu begegnen gilt und auf die wir uns in diesem Zusammenhang konzentrieren können: auf den Philosophen Schelling
de Schelling sur la formation de la pensée de Paul Tillich, in: RHPhR 58 (1978) 5 – 18). 199 Kasper meint, daß zwar in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts das Gespräch zwischen Deutschem Idealismus und Theologie abrupt abgebrochen wurde (durch die Dialektische Theologie und durch den Antimodernismus), daß die Probleme aber mehr abgewiesen als gelöst wurden. Gerade aufgrund der weiterhin starken Betonung der Nichtgegenständlichkeit Gottes sei die Theologie stark dem Idealismus verpflichtet geblieben. Bei Tillich sei „die Verpflichtung gegenüber dem idealistischen Denken, speziell gegenüber des Spätphilosophie Schellings, wohl am deutlichsten“ (Kasper: Das Absolute in der Geschichte, 1 – 3; Hier: 3). 200 Vgl. GW XII, 50, wo Tillich Kierkegaard „ein wirklich existentielles Denken“ zuschreibt; vgl. auch GW XII, 65 f. Es ist der Verdienst von Schulz aufgewiesen zu haben, daß Kierkegaard dem Idealismus mehr verhaftet blieb, als er ahnte (vgl. Schulz, W.: Die Vollendung des Deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings, Pfullingen 1975, 271 – 306). 201 Vgl. Schnübbe, 154.
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und seine Verhältnisbestimmung von Bedingtem und Unbedingtem und auf die theologische Rechtfertigungslehre.202 2.2 Tillichs Abhängigkeit von Schelling 2.2.1. Die Darstellung von Schelling bei Tillich Über eine verständliche terminologische Nähe von Tillich und Schelling hinaus wollen wir nach einer Gemeinsamkeit der Intention der beiden Autoren fragen.203 Interessant ist in unserem Zusammenhang nicht eine genaue Exegese oder begriffsgeschichtliche Rekonstruktion von Schellings Einfluß auf Tillich, die durchaus zu leisten wäre. Interessant ist vielmehr die Frage, in welchen Grundschemata, Fundamentalorientierungen und Absichten Tillich sich an Schelling – positiv oder gar in Abgrenzung – inspiriert hat. Unter welchem Blickwinkel ist Schelling für Tillich – gerade auch in Bezug auf die Frage nach der Vermittlung von Gott und Mensch in Christus – wichtig? 204 Tillich verfaßte seine philosophische Dissertation, seine theologische Lizentiaten-Dissertation und seine theologische Habilitationsschrift205 als Auseinandersetzung mit Schelling.206 An mehreren Stellen seines Werkes
202 Der christliche Glaube, der Idealismus Schellingscher Prägung und die Erfahrung des „Abgrunds“ sind die bestimmenden fundamentalen Einflüsse auf den jungen Tillich (vgl. Ratschow: Einführung zu den „Main works“, 25 – 38). 203 Vgl. Steinackers Artikel „Die Bedeutung der Philosophie Schellings für die Theologie Paul Tillichs“. Schellings Spuren kommen verständlicherweise in vielen Begriffen von Tillichs Denken zum Vorschein. (vgl. Steinacker: Schelling, 40. Vgl. auch Danz, C.: Die Philosophie der Offenbarung, in: Sandkühler, H.J. (Hrsg.): F.W.J. Schelling, Stuttgart/Weimar 1998, 169 – 189) 204 Interessant ist deshalb auch nicht an erster Stelle, ob Tillich Schelling wirklich gerecht wird. Schüßler z. B. ist der Meinung, daß Tillich Schelling in Bezug auf die theologische Anwendung des Identitätsprinzips nicht gerecht wird (vgl. Schüßler: Paul Tillich, 28). 205 Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien, Breslau 1910; in: EW IX, 154 – 272; Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung, Gütersloh 1912; in: GW I, 13 – 108; Der Begriff des Übernatürlichen, sein dialektischer Charakter und das Prinzip der Identität, dargestellt an der supranaturalistischen Theologie vor Schleiermacher. Teil 1, Königsberg/Neumark 1915 (der 2. Teil blieb ungedruckt); heute vollständig in: EW IX, 435 – 592. 206 Diese Auseinandersetzung ist inspirierend und kritisch zugleich. In der „Systematischen Theologie“ wird Tillich gegenüber dem Deutschen Idealismus als solchem eine kritische Position einnehmen (vgl. z. B. ST I, 16.26.92.115.151.209
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bezieht er sich später explizit auf den Deutschen Idealismus und auf Schelling. In „Auf der Grenze“ bekennt er seine Abhängigkeit vom Idealismus, was das erkenntnistheoretische Problem der Wahrheitsgewißheit bzw. der Selbstvergewisserung des Geistes angeht.207 Außerdem bekennt Tillich, vom Idealismus her die Notwendigkeit einer Philosophie der Freiheit und der Annahme einer Entsprechung zwischen dem menschlichen Geist und der Wirklichkeit unter dem Begriff vom „Sinn“ gelernt zu haben.208 Diese enge Verbundenheit mit Schelling bestätigt er in seinem 1954 als Gedenkrede zum 100. Todestag Schellings gehaltenen Vortrag „Schelling und die Anfänge des existentialistischen Protestes“209 : „Niemals in der Entwicklung meines eigenen Denkens habe ich die Abhängigkeit von Schelling vergessen.“210 Er ist ihm sein „großer Lehrer in Philosophie und Theologie“211. Tillich arbeitet in diesem Vortrag mit Schellings eigener spätphilosophischer Unterscheidung von negativer und positiver Philosophie, die dieser in den Einleitungskapiteln der „Philosophie der Mythologie“ und der „Philosophie der Offenbarung“212 – sozusagen am zeitlichen Ende seiner denkerischen Entwicklung213 – macht. Dieser Übergang ist für
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u. a.), auch wenn – wie z. B. in der Gotteslehre (vgl. ST I, 273 ff.) – die Einflüsse unverkennbar sind (vgl. Kasper: Das Absolute in der Geschichte, 3). „Beim deutschen Idealismus bin ich in die Schule gegangen, und ich glaube nicht, daß ich je verlernen kann, was ich dort gelernt habe. Das ist in erster Linie die Kantische Kritik, die mir gezeigt hat, daß die Frage, wie Erfahrung möglich sei, jedenfalls nicht vom Objekt her gelöst werden kann. Der Ausgangspunkt jeder Analyse der Erfahrung und jedes Entwurfes eines Systems der Wirklichkeit muß der Punkt sein, wo Objekt und Subjekt an ein und demselben Ort sind. Von da aus gewann ich Verständnis für das idealistische Prinzip der Identität. (…) So bin ich im erkenntnistheoretischen Ausgangspunkt Idealist geblieben, wenn Idealismus die Behauptung der Identität von Denken und Sein als Prinzip der Wahrheit bedeutet.“ (GW XII, 49) Vgl. GW XII, 49 f. In: GW IV, 133 – 144. Kasper ordnet Tillich unter K.Löwith, P.Schütz und H.Schelsky als jene Denker ein, die den späten Schelling als Beginn eines existentialistischen Denkens interpretieren (vgl. Kasper: Das Absolute in der Geschichte, 9). GW IV, 133. Die Kontinuität von Tillichs Denken orientiert sich stark an der Kontinuität der Sonderstellung Schellings. (Vgl. Ratschow: Einführung zu den „Main works“, 96 – 105) GW IV, 133. Vgl. GW IV, 141 f. Selbstverständlich ergeben sich in der Schelling-Forschung sehr unterschiedliche Urteile über das Denken des Leonberger Philosophen. Ohne eine zu einseitige
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Wertung läßt sich Schellings Entwicklung an seinen großen philosophischen Werken festmachen (vgl. Frank, M. (Hrsg.): Bibliographische Notiz, in: F.W.J. Schelling: Ausgewählte Schriften. Band 6. Schriften 1842 – 1852. Teilband 2, Baden-Baden 21995), auch wenn dies nicht bedeuten soll, daß Schellings Denken auf künstliche Weise auseinandergerissen wird. Es gibt eine eindeutige Tendenz, Schelling als Kontinuum anzusehen. Die Forschungsliteratur zu Schelling hat sehr große Maße angenommen. Neben Klassikern wie Horst Fuhrmans, Walter Schulz oder Harald Holz oder rezenterweise den Arbeiten von Albert Franz sei in unserem Zusammenhang besonders der Sammelband von Hans Jörg Sandkühler (Sandkühler, H.J. (Hrsg.): F.W.J. Schelling, Stuttgart/Weimar 1998) erwähnt, u. a. weil Christian Danz hier die „Philosophie der Offenbarung“ bespricht. Grob gesagt kann man in Bezug auf die einzelnen Phasen von Schellings Schaffen bis zum Übergang von der negativen zur positiven Philosophie behaupten, daß Schellings Denken von einer an Fichte orientierten Phase der Zentralität des vorgegebenen Prinzips des „Ich“ zu einem naturphilosophischen Ansatz der Gegenwart des Unendlichen im Endlichen führte. In quasi-sakramentaler Bedeutung ist der Geist unsichtbare Natur und die Natur sichtbarer Geist. Von hier aus konnte er eine Stufenfolge des Seienden entwerfen, die in der Dialektik der Prinzipien des Bewußten und des Unbewußten eine Fortentwicklung der Naturgeschichte in die menschliche Geschichte darstellte. Als das parallele Gegenstück zur Naturphilosophie – Alles ist Ich – entwirft Schelling die Religion des ästhetischen Idealismus – das Ich ist Alles –, in der die Religion als notwendige Funktion des transzendentalen Geistesprozesses deduziert, aber durch die Kunstmystik ersetzt wird (vgl. Knatz: Die Philosophie der Kunst, in: Sandkühler, 109 – 123). Genauso problematisch wie die Bedeutung der Natur war bei Fichte jene der menschlichen Freiheit. Schelling wendet sich von der Selbstverwirklichung des Absoluten in der Freiheit des Menschen ab und gelangt zu einer Konzeption der Freiheit, in der die faktische Zerrissenheit der Welt auf das Selbstsetzen des Individuums zurückgeführt und als Sündenfall interpretiert wird. Die Frage, die sich damit eindringlich stellt, war die nach der Einheit von Freiheit und Bindung des Individuums an das Absolute. Da das sich seiner selbst bewußte Ich sündig ist, stellt sich die Frage in soteriologischen Begriffen: wie kann zwischen Endlichem und Unendlichem Versöhnung und neugewonnene Identität gelingen? In einer quasi-mystischen Übergangsphase zu seiner Spätphilosophie spricht Schelling von einer „intellektuellen Anschauung“, welche aber nicht als geistige Methode postuliert werden kann. Hier befindet er sich in einem rein essentialistischen Denken, im eigentlichen Idealismus. Die Vernunft hat aber nicht diese soteriologische Kraft, sondern ist vielmehr ohnmächtig. Die Erlösung muß – und hier geschieht die für Tillich in seiner Schellingrezeption entscheidende Wendung – der Vernunft im Modus der „Ekstase“ von außen vermittelt werden, und zwar christologisch. Die Freiheit alleine kann gegenüber dem Postulat der ursprünglichen Identität von Geist und Natur die dialektische Bewegung des Lebens – welche nur über die Veränderung von Identität zu Identität führt – zur Geltung bringen. Freiheit führt zum Sündenfall, den der vernünftige Mensch nicht aus eigener Kraft aufarbeiten kann. Schellings Freiheitsphilosophie bringt einen fundamentalen Paradigmenwechsel, der aber nicht
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unser Thema von entscheidender Bedeutung, da er das „Eindringen“ des Unvordenklichen des Christentums während Schellings erstem Münchner Aufenthalt repräsentiert, welches die Frage nach der Bedeutung Jesu Christi für das nach sich selbst fragende und um Selbstvergewisserung ringende Subjekt aufwirft. Unter der „negativen“ Philosophie kann nach Tillich das bisherige Denken des Deutschen Idealismus subsummiert werden, das dem Denken soteriologische, versöhnende und vereinigende Kraft zuschrieb. Die Bewegung des Gedankens geht nicht auf die Realität der Dinge, sondern auf ihr essentiales Möglich-Sein.214 Die „positive“ Philosophie will dagegen die Grenzen dieses Konzepts aufweisen – die Welt ist zerrissen und die Vernunft soteriologisch ohnmächtig – und diesem Gesetz das Positive des Evangeliums entgegensetzen. Die positive Philosophie soll dem Individuellen, Tatsächlichen und rein Geschichtlichen Rechnung tragen. Das Denken soll Freiheit auslegen. Während die „negative Philosophie“ ein apriorisch konstruierendes Denken ist, das logisch und in Abstraktion vom situationsgebundenen Konkreten das Wesen des Gegebenen offenlegen will und als solches Durchstoßen in das Reich der Ideen unentbehrlich bleibt, ist die „positive Philosophie“ auf eine kritische Verifikation und „Controle“ an der Erfahrung aus. Mehr noch: Gott und seine freie Tat werden vorausgesetzt
auf die „Freiheitsschrift“ fixiert werden darf. Allgemein wird sie als Übergang zur Philosophie der Mythologie und Offenbarung verstanden. An diesem Punkt setzt bei Schelling die hier mit-thematisierte Öffnung des Denkens für das durch die Christologie vermittelte Unvordenkliche Gottes ein. Christus wird als Inhalt des Christentums gedacht, und seine Menschwerdung wird als freie Tathandlung interpretiert. Folglich stellt Schellings Christologie, die als „Theorie des Bewußtseins“ (Danz: Die philosophische Christologie F.W.J. Schellings, Stuttgart/ Bad Cannstatt 1996, 148) aufgezogen wird, letztlich eine „Theorie endlicher Freiheit“ dar, weil Christus die abstrakte Selbstbestimmung zugunsten der vermittelten Selbstbestimmung ablehnt. (vgl. Danz: Die Philosophie der Offenbarung, in: Sandkühler, 185 f.) Christus geht – damit der Geist kommen kann. Ausschlaggebend für den Übergang von negativer zu positiver Philosophie ist übrigens nach Tillich interessanterweise eine leidenschaftliche existentielle Entdeckung des Existentialen bei Schelling aufgrund des Todes von Karoline. „Es war das Dämonische in ihm selbst, das ihn diesen Urgrund des Lebens sehen ließ. Und damit haben wir zugleich einen Schlüssel zu den Brüchen seines Charakters und den Mängeln seines Denkens.“ (GW IV, 136 f.) 214 Vgl. GW IV, 141.
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und erweisen sich a posteriori.215 Das Christliche wird zum Unvordenklichen, nicht zur Bestätigung. Dieser Umschlag geschieht nach Tillichs Auffassung eigentlich schon durch die Freiheitsphilosophie von 1809216, die „Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit“, welche dann zum Existentialismus hinführt und den endgültigen Bruch mit Hegels Essentialismus markiert.217 Das Umdenken geschieht jedoch in Wirklichkeit anhand des Freiheits-Begriffs, weniger anhand der FreiheitsSchrift. Auch wenn Tillich mit der Freiheitslehre die zweite Periode von
215 Apriorismus und Aposteriorismus werden als gegenüberstehende Alternativen überstiegen und geeint in dem, was man „transzendentalen Empirismus“ (Wenz: Subjekt und Sein, 63) nennen könnte. 216 Daß Schellings Freiheitsbegriff eine besonders hohe Bedeutung hat, ist in der Forschung weithin unumstritten. Reinhold Mokrosch stellt sein mit Tillichs jungen Jahren vergleichendes Schelling-Studium unter diese These (vgl. Mokrosch, R.: Theologische Freiheitsphilosophie. Metaphysik, Freiheit und Ethik in der philosophischen Entwicklung Schellings und in den Anfängen Tillichs, Frankfurt 1976). 217 Diese Sicht entspricht dem Gedankengang in Tillichs Vortrag „Der philosophische Hintergrund meiner Philosophie“ (in: GW XIII, 477 – 488; gehalten am 17. 5. 1960 an der „St.Paul’s University“ von Tokio während der Japanreise). Dort spricht Tillich von zwei bei Augustinus einsetzenden Denklinien, die sich in Schelling als Kristallisationspunkt treffen. Bei Augustinus, der das Unendliche im eigenen Endlichen fand, beginnt zum einen die denkerische Linie der Idee der Unendlichkeit. Descartes und vor allem Cusanus – „der mich am meisten beeinflußt hat“ – und sein Prinzip der „coincidentia oppositorum“, fundamentales Prinzip von Tillichs Lehre von der religiösen Erfahrung, stehen in dieser Tradition. (Vgl. GW XIII, 480; dazu Schüßler: „Wenn er sich in diesem Zusammenhang auf Cusanus beruft, so braucht das nicht zu wundern, wissen wir doch heute, daß man hinter Schelling nicht nur Giordano Bruno oder Spinoza zu sehen hat, sondern über diese Denker auch Cusanus und seine Lehre von der „coincidentia oppositorum“, dem Zusammenfall der Gegensätze.“ (Schüßler: Paul Tillich, 26 f.)). Die andere denkerische Linie, die von Augustinus initiiert wurde und um die Frage nach dem göttlichen Willen drehte und schließlich in Jakob Böhme einen Höhepunkt erreichte – beides, Göttliches und Dämonisches, sei in den Tiefen des Göttlichen –, trifft sich in Schelling und Kierkegaard mit der ersten Linie der Unendlichkeit. Das existentialistische Denken führt dann über Nietzsche bis hin zu Sartre und Heidegger (vgl. GW XIII, 481). Tillich faßt zusammen: „Die eine Linie möchte ich die essentialistische, die andere die existentialistische nennen. (…) Meine Theologie stellt einen Versuch dar, diese beiden Linien zu vereinigen. (…) Wenn wir uns ausschließlich auf eine der beiden philosophischen Linien berufen, kommen wir niemals zu einem Verständnis der religiösen Symbole.“ (GW XIII, 482 f.)
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Schellings Schaffen anheben läßt218, betrachtet er sie dementsprechend doch eher als Präludium zur Spätphilosophie219. Worin besteht jedoch der Übergang? Steinacker beschreibt ihn in seinem Schelling-Kommentar in 3 Schritten: „1) Schelling gibt mit der „intellektuellen Anschauung“ den Versuch auf, denkerisch, vom Subjekt her, zum Absoluten vorzudringen. Der Weg Descartes’ wird nicht fortgesetzt. 2) Die Versöhnung zwischen Endlichem und Unendlichem ist von nun an christologisch220 vermittelt. 3) Die Versöhnung ereignet sich in der Geschichte als religionsgeschichtliche Entwicklung vom Mythos zur Offenbarung.“221 Wie wird also das Identitätsprinzip durch das Denken der Freiheit neu geprägt und zum Unvordenklichen des Christlichen getrieben? Das Identitätsprinzip als Prinzip der Selbstvergewisserung des Geistes, welches allein die Gewißheit der Erkenntnis verbürgen kann222, steht nicht zur Diskussion, muß aber neu und genauer gefaßt werden. Die entsprechende Klärung hat für alle Bereiche des Tillichschen Denkens seine Bedeutung erlangt, nicht zuletzt für die Beziehung von Gott und Mensch und die genauere Konzeption der Christologie. In seinen frühen Arbeiten über Schelling – vor allem in seiner theologischen Dissertation „Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung“ – stellt Tillich Schellings Sprung dar.223 Tillich will aufzeigen, wie bei Schelling von vornherein existentialistische Momente den reinen Essentialismus aufgebrochen haben und zu seiner Spätphilosophie führten. Die Begriffe Mystik und Schuldbewußtsein stehen dabei für das Identitätsprinzip und für das Prinzip der Differenz, also jene beiden Prinzipien, welche die aktuelle, lebendige, nicht mehr unmittelbar mit sich identische Freiheit ausmachen. Die Vermittlung beider ist „die eigene Frage Tillichs“, ja „der Lebensnerv Tillichschen 218 Vgl. GW I, 76. 219 Vgl. GW IV, 136. 220 Hier deutet sich die große Bedeutung der Christologie bei Schelling an, die derselbe Christian Danz in seiner Arbeit „Die philosophische Christologie F.W.J.Schellings“ (Stuttgart/Bad Cannstatt 1996) behandelt und wo er im Schlußkapitel die „Christologie als Darstellung der sich realisierenden Freiheit“ darstellt (vgl. Danz: Christologie Schellings, 143 – 154). 221 Steinacker: Schelling, 45. 222 Vgl. Schüßler: Paul Tillich, 31. 223 Dieser Gedankengang wird ergänzt durch die 2 Jahre vorher – 1910 – gefertigte philosophische Promotion „Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien“.
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Denkens“224. Es geht ihm um eine Formulierung des Identitätsprinzips und damit der Vermittlung von Unbedingtem und Bedingtem, von Gott und Mensch, welche die Freiheit, die Sünde und den Abgrund mit in Rechnung stellen! Es geht letztlich um das Verhältnis von Identitätsprinzip und paradoxaler Rechtfertigung225. Einen zentralen Platz übernimmt dabei Schellings zu Beginn mit viel Spott bedachte ontologische Potenzenlehre, in der er den Gottesbegriff neu formuliert. Mit ihrer Hilfe zeichnet Tillich Schellings Begriff der Sünde und der Schuld nach und verankert methodologisch das Nichts in der Gottheit selbst. Sie soll das Sein als dynamischen Prozeß beschreiben, in dem Identität und NichtIdentität miteinander vermittelt werden.226 „Nur wo Willkür ist, ist Abfall des Wesens von sich selbst, ist Existenz, und nur wo Existenz ist, ist Geschichte.“227 „Die Wirklichkeit (ist) nicht nur die Erscheinung des Wesens (…), sondern auch der Widerspruch zu ihm“228. Freiheit soll wirklich sein und muß deshalb im Widerspruch zur Notwendigkeit stehen; Freiheit, d. h. die Möglichkeit zum Widerspruch, ist nur dort möglich, wo absolute Identität ist, denn absoluter Widerspruch setzt absolute Identität voraus. „Das Wesen existiert nur durch den Widerspruch.“229 Der Wille, der selbst im Widerspruch noch identisch ist mit sich selbst, ist für Schelling höchster Ausdruck für das absolute Wesen. Dieser Wille bleibt Tat und wird nicht zum abstrakten und leblosen Zustand. Das Absolute ist „Synthesis“230 von Wesen und Widerspruch, von Rationalem und Irrationalem. Leben ist Sein und Werden, und Gott 224 Schnübbe, 111. 225 Vgl. Schnübbe, 130. Schnübbe stellt rhetorisch die Frage: „Hätte er (=Tillich) ohne das gründliche Studium des späten Schelling, der Identitätsprinzip, Existentialismus und Rechtfertigung verbindet, wohl seine eigene systematische Lösung gefunden?“ (Schnübbe, 131) 226 Das Sein geht über in das Nichtsein und vermittelt sich in das Übersein. Die drei Potenzen in Gott sind das Sein-Könnende (das Irrationale), das Sein-Müssende (das Rationale, die Natur, die Notwendigkeit, das dunkle Prinzip) und das SeinSollende (der Geist, die Freiheit, das Lichtvolle). Die erste und die zweite Potenz drücken den Gegensatz von Existentialem (erste Potenz) und Essentialem (zweite Potenz) lebensphilosophisch aus. (vgl. GW IV, 140) Die vermittelnde dritte Potenz, der Geist, ist Leben, d. h. die Identität von Identität und Differenz. Damit diese Dynamik nicht den Charakter der Notwendigkeit annimmt, denkt Schelling die ewige, unergründliche Freiheit als vierte Potenz, die – theologisch gesprochen – „Gnade“ ist. 227 GW IV, 137. 228 GW XII, 50. 229 GW I, 77. 230 GW I, 78.
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ist ewiges Sein und ewiges Werden, „aktuelle Synthesis von Identität und Differenz“231. In dieser vom Wesen her definierten Lebendigkeit besteht die Analogie von Gott und Mensch. Gott ist in seiner Selbstheit, doch es gibt nur deswegen eine andere Kreatur, weil Gott auch Liebe ist. In dieser dialektischen Wechselwirkung der beiden Prinzipien geschieht die „Personalisierung Gottes, seine Natur- und Menschwerdung“232. Während diese Potenzen in Gott spannungsvoll so geeint sind, daß Gott Herr über sie und von jeder einzelnen frei ist, kann im Menschen der Geist einen potenzierten Widerspruch gegen das Wesen erheben und sich gegen Gott als getrennte Selbstheit aufrichten wollen. Wie stellt sich dieses Spannungsverhältnis von der Selbstvergewisserung des Geistes her dar? Die Vernunft ist im Vollzug ihrer selbst immer schon über sich selbst hinaus, da sie gesetztes Sein ist.233 Sie ist selbst vermittelt. Damit öffnet sich der Raum für das Absolute. Daß das Absolute jedoch die Vernunft gesetzt hat, kann nicht deduziert, sondern nur a posteriori erwiesen werden. „So geht die „positive“ Philosophie auf eine Umwendung, einen Sprung der Vernunft zurück, die nun im Zentrum, im Gottesbegriff, nicht von Erfahrung, sondern von „schlechterdings transcendentem Seyn“ ausgeht, das mittels der Erfahrung sich erweist.„234 Dieser Erweis geschieht dadurch, daß das Sein-Selbst – Gott – das Bewußtsein beherrscht und sich in ihm in symbolischen Formen ausdrückt. Das geschieht in Mythos und Offenbarung. Die positive Philosophie hat insofern die Religion zum Inhalt, ohne aber an eine religiöse Autorität gebunden zu sein. Dementsprechend formuliert sich die positive Philosophie in Schellings „Philosophie des Mythos“ und „Philosophie der Offenbarung“235. Das bedeutet: das dank Schellings Potenzenlehre in der Gottheit selbst verankerte Nichts, d. h. letztlich das Nicht-Determinierte, das Freie und damit auch das Geschichtliche, ist in Gott mitvermittelt und kann nur aufgrund der sich in der Geschichte frei erweisenden Gnade Gottes in eine Identität von Identität und Nicht-Identität aufgehoben werden. Geschichte ist also Offenbarungsgeschichte, denn sie ist die Geschichte 231 232 233 234
Wenz: Subjekt und Sein, 62. GW I, 81. Vgl. Wenz: Subjekt und Sein, 70. Steinacker: Schelling, 46; bei „erweist“ unter Verweis auf: Schelling: WW XIII, 129; Hervorhebungen von Steinacker. 235 Vgl. Peetz: Die Philosophie der Mythologie, in: Sandkühler; vgl. Danz: Die Philosophie der Offenbarung, in: Sandkühler.
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der „Manifestationen des Unvordenklichen“236. Schellings Intention ist, „die Zerrissenheit der eigenen Existenz und der Welt überhaupt in ihrem dämonischen Grund anerkennen zu können, ohne sie zu verewigen und in vitalistische Geistfeindschaft umzusetzen. Es ist die Intention, das Vorhandene zugleich erlösbar und voller Gott denken zu können“237, frei und schuldig, in Gott gehalten und erlösbar. Der Ansatzpunkt für Schellings soteriologisch angelegte Christologie liegt darin, daß dem Menschen die Gnade durch eine freie geschichtliche Tat Gottes vermittelt wird. „Gott bejaht den Willen der Selbstheit, indem er selbst ein einzelner wird.“ Tillich greift ein Zitat von Schelling auf: „Nur Persönliches kann Persönliches heilen, und Gott muß Mensch werden, damit der Mensch wieder zu Gott komme.“238 Damit tritt Gott jedoch unter den Zorn, die Selbstzerstörung des Bösen. Dieser Widerspruch von Ja und Nein wird im Kreuz Christi gelöst, wo der sich selbst vergötzende Wille der Selbstheit dem Göttlichen geopfert wird.239 Das Kreuz Christi ist aber eben nicht eine notwendige und damit philosophisch verfügbare Wahrheit, sondern eine irrationale Tat Gottes. Es ist jener geschichtliche Eingriff Gottes, der eschatologisch gesehen die Mystik in Ewigkeit über die Schuld triumphieren läßt.240 Damit hat sich innerhalb der Geschichte das Weltalter des Sohnes erfüllt, denn die zweite Potenz hat den Sieg errungen; es beginnt das Weltalter des Geistes. „Nun kann die dritte (sc. Potenz) herrschen, die Identität ist hergestellt, der Geist realisiert.“241 In Christus geschieht die erlösende Selbst-Manifestation des Seins. Da sie nur in Freiheit und Tat geschehen kann, ist sie die „Begegnung unendlicher und endlicher Freiheit“242. 236 237 238 239 240 241 242
GW IV, 143. Steinacker: Schelling, 47. GW I, 96. Vgl. GW I, 96 f. Vgl. GW I, 98. GW I, 100. GW IV, 143. In Bezug auf die Religionen beziehen sich die von Schelling benutzten und in den Titel der entsprechenden Entwürfe aufgenommenen Begriffe Mythologie und Offenbarung auf die Religionen des Zorns einerseits und auf die Religionen des überwundenen Widerspruchs, Judentum und Christentum, andererseits. Das Christentum repräsentiert dabei den Sieg der Gnade über den Widerspruch: „Das Prinzip der Mystik triumphiert, aber nicht in der Form der Mystik, nicht als unmittelbare Identität, sondern als den Widerspruch überwindende persönliche Gemeinschaft: „die Religion des Geistes und der Freiheit“.“ (GW I, 108) Christentum ist nicht mehr Mystik, sondern Gemeinschaft mit Gott (Vgl. EW IX, 228), welcher in innerer Dialektik von Jesus
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Grundsätzlich ordnet Tillich Schelling in die Bewegung des transzendentalen Idealismus243 ein244, in dem die Selbsterfassung der geistigen über den Christus zum Geist geworden ist (vgl. Schnübbe, 141). „Wir haben den Geist, das scheidet das Christentum von allen anderen Religionen. Und wir haben ihn, weil er durch Christi Werk herbeigeführt ist, weil durch ihn in Gott selbst die Spannung der Potenzen aufgehoben und die All-Einheit in absoluter Vollendung realisiert ist. Darum ist das Christentum notwendig Monotheismus oder Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott.“ (EW IX, 229) 243 Vgl. EW IX, 168. „Denken des Denkens, absolute Selbstreflexion, Selbsterfassung der reinen Subjektivität bleibt nach ihm (sc. Tillich) der stetige Modus Schellingschen Philosophierens.“ (Wenz: Subjekt und Sein, 67) 244 Nach Schnübbe entspricht die Schelling-Interpretation von Tillich jener des zu Schellings Hauptkennern zählenden Walter Schulz (vgl. vor allem Schulz, W.: Die Vollendung des Deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings, Pfullingen 1975). Dabei wird der späte Schelling vom transzendental-idealistischen Ausgangspunkt her interpretiert. Im Streit der Schulen trifft der Schulzsche Ansatz auf die entgegengesetzte Meinung von Horst Fuhrmans (vgl. vor allem Fuhrmans, H.: Schellings letzte Philosophie. Die negative und positive Philosophie im Einsatz des Spätidealismus, Berlin 1940; ders.: Schellings Philosophie der Weltalter, Düsseldorf 1954), der zwischen dem späten Schelling und dem transzendentalen Idealismus einen schroffen Gegensatz sieht (vgl. Schnübbe, 127, Anmerkung 38). Wenz meint, daß für Fuhrmans Schelling in den Kreis der Spätidealisten gehöre und eben nicht mehr – wie bei Schulz und Tillich – in den Kontext des transzendentalen Idealismus, der das Problem der Selbstsetzung des Ich verhandelt. Nach Wenz steht übrigens auch Walter Kasper in „Das Absolute in der Geschichte“ der transzendental-idealistischen Schulzschen Deutung sehr nahe (vgl. Wenz: Subjekt und Sein, 67 – 70). Man kann das Problem zuspitzen auf die Frage, ob der späte Schelling „Spätidealist“ (Fuhrmans) oder „Nachidealist“ (Schulz) sei. Gerade das Denken des späten Schellings bleibt eine Frage an die Theologie. Seine Begegnung mit dem Christentum hat Schelling weiterhin auf dem Weg des Denkens aufgearbeitet. Dabei aber hat er nach Kasper seine „geniale Idee“ des Umschlags der apriorisch-negativen Beweis- in die aposteriorischpositive Erweis-Philosophie „freilich nicht konsequent durchgehalten“: er hätte „seine positive Philosophie nicht mit spekulativen Erörterungen über die innergöttlichen Potenzen beginnen dürfen, sondern nur als Nachdenken des geschichtlichen Selbsterweises Gottes entwerfen können“ (Kasper: Der Gott Jesu Christi, 147). Kasper scheint sich im Streit der Schulen nicht auf eine Seite festlegen zu lassen, da er der Meinung ist, daß Schelling als idealistischer Denker in jedem einzelnen Thema dialektisch das Ganze mitgedacht habe und es von daher unadäquat sei, Teilpositionen gegeneinander auszuspielen (vgl. Kasper: Das Absolute in der Geschichte, 18). Wie weiter unten zu sehen sein wird, habe Schellings Denkform ganz neue Aspekte des Christentums, wie z. B. seinen geschichtlichen Charakter, neu erschlossen. Wie Tillich sich dagegen entscheidet, wird weiter unten anhand der neuen These von Christian Danz, Tillich sei von Schelling her transzendentalphilosophisch zu verstehen, noch genauer zu diskutieren sein. Es mag an dieser Stelle genügen zu vermuten, daß er in seinen
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Persönlichkeit dazu führt, daß sie in der Bewegung, sich selbst zu Ende zu denken, eine ihr entsprechende Transzendenz setzen muß. Positive Philosophie ist für Tillich grundlegend „Existentialanalyse im Hinblick auf das Sein, das in der Existenz erscheint“245. Letztlich bleibt aber der idealistische Ansatzpunkt vorherrschend: auch in der Sünde fällt der Mensch also nicht aus der Klammer der Identität mit Gott heraus.246 Die Essenz ist das Ursprünglichere, denn alles Existentiale ist immer bewußt oder unbewußt auf eine vorausgesetzte Essential-Anschauung bezogen. Dies wird wichtig in Tillichs Soteriologie: die Frage nach dem Heil des gefallenen Mensch wird aus der vorausgesetzten Gott-Mensch-Einheit abgeleitet! Im Übergang von der negativen zur positiven Philosophie liegt für Tillich der entscheidende Umschlag bei Schelling und darüber hinaus in der postidealistischen Philosophiegeschichte. Tillich sieht Schellings Entwicklung als „innere Bewegung seines Denkens, also dialektisch“247. Durch die „Freiheitslehre“ werden keine neuen Gedanken geboren, sondern die immer schon präsenten existentialen Elemente durchbrechen endlich ihren essentialistischen Rahmen.248 Die Denkform ändert sich. Das Problem des Existierens, das Schelling von der Romantik geerbt hat und das sich in Kierkegaard den entscheidenden Durchbruch verschaffen wird, dringt in den Idealismus ein und verlangt neben der bloßen Vernunft den freien Willen.249 Das Identitätsprinzip bleibt also bestehen, wird bei Schelling aber als dialektische Paradoxie derart „bis zum äußersten gedehnt“250, daß nach Tillich Schuldbewußtsein und Gnade bzw. Fall und Erlösung, Entfremdung und Neues Sein eingezeichnet werden
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frühen Schriften Schelling zwar stark vom idealistischen Denkansatz her aufrollt, dabei jedoch die Rolle des unvordenklich Christlichen nicht übersieht, Schelling aber eine dementsprechende Inkonsequenz vorwirft. GW IV, 142. Schelling formuliert die Lehre vom Sprung, denn die Existenz kann nicht mit rationaler Notwendigkeit aus der Essenz abgeleitet werden. Dieser irrationale Sprung „bleibt aber im Rahmen der Identität“ (GW IV, 140). Die Ausführungen Schellings sind „eine begriffsmythische Reproduktion der Idee vom transzendenten Sündenfall“ (GW IV, 140). GW IV, 135. GW IV, 136; vgl. GW IV, 139. „Nur indem er sich den Fragwürdigkeiten des Daseins aussetzt, kann er seine philosophische Bestimmung erfüllen: der Denken des Unbedingten zu sein, der über der Liebe zum Absoluten die Zerrissenheit des Lebens auf sich nimmt.“ (Weischedel, W.: Die philosophische Hintertreppe, München 231993, 202) Schnübbe, 140.
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können. Schellings Identitätsbegriff ist kein quantitativ-mechanischer Ausgleich von Identität und Differenz, sondern „eine dialektische Vereinigung der Gegensätze“251. Diese Interpretation von Schellings Spätphilosophie schlägt sich in Tillichs einzelnen Arbeiten und Beiträgen über Schelling mit jeweils einem spezifischen Akzent nieder, in denen er vor allem das neuzeitliche Freiheitsverständnis in seiner theologischen Problematik reflektiert. 2.2.2. Die kritische Rezeption Schellings Auch wenn sein Gottesbegriff, seine Lehre vom Fall, sein Glaubens- und Offenbarungsbegriff tief das Schellingsche Erbe in sich tragen, wird Tillich auf sehr grundlegende Weise kritisch: er stellt z. B. in seinem 1954 gehaltenen Vortrag „Schelling und die Anfänge des existentialistischen Protestes“ fest, daß Schelling letztlich doch versucht habe, „aus existentialen Analysen existentielle Antworten abzuleiten“; dadurch sei eine „philosophische Theologie (entstanden), die weder echte Theologie noch echte Philosophie war“252. Die Antworten können aber für Tillich nur im Glauben aus der zuvorkommenden, geschichtlich konkreten Offenbarung als Erscheinung göttlicher Wirklichkeit empfangen werden. Schelling hat also seine eigenen Vorgaben nicht eingelöst. Der Versuch, die Unmittelbarkeit der autonomen Subjektivität zu überwinden, fällt genau dann in die zu überwindende Position zurück, wenn dieser Versuch allein mit den Mitteln der autonomen Subjektivität vollzogen werden soll.253 Was Schelling initiierte, vollendete er nicht. Seine Absicht bleibt aber „trotz aller Fragwürdigkeit der Durchführung“254 nachahmenswert. Wie Schelling möchte nämlich auch Tillich die unmittelbar mit sich selbst identische Subjektivität überwinden und sie depotenzieren. Vom Problembewußtsein her sind sich Schelling und Tillich durchaus eins, auch wenn – wie Wenz meint – Tillich aus Schellings Grenzen zu lernen sucht: 251 Wenz: Subjekt und Sein, 60. 252 GW IV, 144. Für Tillich gehört Schelling auch in seiner Spätphilosophie noch in den transzendentalen Idealismus, denn die geistige Persönlichkeit wird erst in ihrer Selbsterfassung veranlaßt, sich auf eine ihr entsprechende Transzendenz hin zu denken. „Denken des Denkens, absolute Selbstreflexion, Selbsterfassung der reinen Subjektivität bleibt nach ihm (sc. Tillich) der stetige Modus Schellingschen Philosophierens.“ (Wenz: Subjekt und Sein, 67) 253 Vgl. Wenz: Subjekt und Sein, 85 f. 254 GW XII, 223.
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„Dagegen besteht Tillich darauf, daß vermittelte Subjektivität einzig durch Seinsentbehrung zu erreichen ist, was nichts anderes heißt, als durch Erscheinung göttlicher Wirklichkeit, durch Offenbarung, die, obschon sie nicht anders als in der Tätigkeit der Subjektivität anwest, dennoch von dieser niemals eingeholt wird und somit ein unaufhebbares prae ihrer reflexiven Bewegung darstellt und als solches das stetige Vermitteltsein der Subjektivität leistet.“255 Auf welchem Hintergrund kann diese Kritik formuliert werden? Ausgehend von seiner autobiographischen Behauptung, erkenntnistheoretisch sei er Idealist geblieben, geht es Tillich in der Konfrontation mit dem Deutschen Idealismus und mit Schelling grundsätzlich um die Frage der Wahrheit und der Gewißheit, die das Subjekt von sich aus in theonomer Relation zum Unbedingten haben kann. Das ist aber nicht möglich bei der supranaturalistischen Trennung von Subjekt und Objekt oder bei der naturalistischen Verschmelzung von beiden. Tillich beruft sich auf die im Identitätsprinzip formulierte dialektische Identität von Subjekt und Objekt, welche auch die Identität von Denken und Sein ist. Es geht ihm um jenen „Punkt der Identität zwischen Gott und Mensch“256, von dem der Mensch ausgehen kann und der ein gleichzeitiges „Ja“ und „Nein“ aussagt. Wenn das in Schellings Spätphilosophie gewonnene Identitätsprinzip die Identität von Identität und Differenz, d. h. Geist, aussagt und von daher das „lebendige Ttigsein vermittelter Subjektivität (…) das Prinzip Tillichscher Theologie“257 ist, dann soll das Selbstgegebensein des Bewußtseins freigehalten werden von den Ansprüchen einer leeren Autonomie und einer versklavenden Heteronomie. Auf diesem Hintergrund ist das Thema der Tillichschen Rezeption von Schelling vor seiner Emigration – so könnte man mit Falk Wagner zusammenfassen – die „unbedingte Verwirklichung freier Selbsttätigkeit“, welche „als die sich gegebene Selbsttätigkeit auf das Unbedingte als Ausdruck der Selbstgegebenheit hin durchsichtig gemacht wird“258. Das als aktuelles Leben existierende Ich erfährt sich als selbstgegeben und fragt 255 Wenz: Subjekt und Sein, 115 f. 256 Schüßler: Paul Tillich, 32. 257 Wenz: Subjekt und Sein, 103 (Hervorhebung vom Autor). Wenz zitiert F.Wagner, der die Theologie Tillichs bezeichnet als eine Theorie des „SichGegebensein(s) autonomer Selbsttätigkeit und Sinnleistung unter den Bedingungen der Endlichkeit“ (Wagner, F.: Absolute Positivität. Das Grundthema der Theologie Paul Tillichs, in: NZSTh 15 (1973) 172 ff., hier: 178). 258 Wagner: Absolute Positivität, 184.
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nach den Bedingungen der Möglichkeit dieser Erfahrung und des Wissens darum, ohne die Gebrochenheit der Welt, zu der das Ich sich zugehörig weiß, zu übersehen. Trotz der Endlichkeit weiß die autonome Subjektivität sich zu einem produktiven Umgang mit sich selbst befreit. Sie verfällt jedoch in abstrakte Autonomie, wenn sie sich als setzend und nicht als gesetzt postuliert. Und sie verkommt unter eine supranaturalistische Heteronomie, wenn ihr Vorausgesetztsein unmittelbar zur Geltung gebracht wird. Damit wird aber das setzende Unbedingte bedingt. Tillichs Kampf gegen Naturalismus und Supranaturalismus ist in diesen Zusammenhang zu stellen; seine Auseinandersetzung mit Hegel und Barth ist vom Prinzip her die Abwehr von Autonomie und Heteronomie. Es geht ihm um die von Schelling entfaltete Theonomie als Identität von Identität und Differenz. Darin liegt die von Schelling geleistete Neuformulierung des Identitätsprinzips. In diesem Zusammenhang sieht Tillich bei Schelling die formale Bedeutung der Christologie, welche „die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit jenes Übergangs der Subjektivität aus abstrakter Selbst- bzw. Fremdverhaftung zur Produktivität freier Selbsttätigkeit“259 betrifft. In theologischen Begriffen ist es die Frage, welche Rolle die Christologie in jener Vermittlung spielt, die den Menschen in einer lebendigen Beziehung zum lebendigen Gott wähnt und ihn nicht der Selbst- oder Fremdherrschaft überläßt. Es ist die Frage nach der Freiheit des Menschen und seinem gleichzeitigen Verhaftetsein in Gott und danach, wie diese Dialektik bewußt und gewiß wird. Da der Mensch von sich aus unfähig ist, sich zu Gott zu erheben, sind sein eigenes freies Gegebensein und seine lebendige Produktivität nur von einer unverfügbaren Offenbarung her verständlich. Diese ist christologisch bestimmt. Der Punkt der Identität zwischen Gott und Mensch ist zwar festgelegt, aber er muß sich geschichtlich erweisen, um damit erst behauptbar und glaubwürdig zu werden. In Christus verwirklicht sich jenes Selbstbewußtsein, das durch die Entäußerung an den Seinsgrund seine eigene Freiheit realisiert. Doch: ist dieses Denken des Christus für die über sich selbst sinnierende Subjektivität die Bedingung ihres produktiven Tätigseins oder bloß die Chiffre sich gegebener Freiheit? Versteht Tillich von Schelling her – wie Wagner meint – die Christologie als ein Denkkonstrukt, das dem Selbstbe-
259 Wenz: Subjekt und Sein, 106.
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wußtsein hilft, seine eigene Freiheit zu verstehen? 260 Wenz spricht sich gegen diese Konzeption aus und meint, daß Tillich unmißverständlich klarmache, daß die Offenbarung eine „schlechthin neue Wirklichkeit“ ist, die „niemals setzbar“261 sei. Außerdem sei Wagners Auffassung eine Verkennung der klaren Aussage Tillichs, daß der Mensch entfremdet ist und seine unmittelbare Selbstverwirklichung identisch ist mit Entfremdung. Der christologisch vermittelte Grund des Sich-Gegegebenseins des Subjekts darf nicht nur gedacht werden, sondern muß zuvorkommend und unverfügbar erscheinen. 262 Tillich selbst hatte bereits 1910 diese Gefahr bei Schelling ausgemacht! Er schreibt, Schelling habe „die Schwierigkeiten selbst empfunden, die eine Deduktion eines äußeren, empirischen Faktums innerhalb eines Systems macht“263. Die äußere Menschwerdung ist nicht notwendig, weder zur Vollendung der übergeschichtlichen Geschichte noch zur Vollendung der inneren Geschichte des Bewußtseins. Letztlich muß Tillich feststellen, daß „die Lehre von der empirischen Menschwerdung der zweiten Potenz, systematisch betrachtet, bei Schelling unhaltbar“264 ist. Es zeigt sich hier das Schellingsche Befangensein durch die transzendental-idealistische Grundposition. Die Schwäche der Schellingschen Christologie ist demnach struktureller Art, denn anstelle des Gesetztwerdens durch ein unvordenkliches „Daß“ bleibt Schelling auch in seiner Spätphilosophie an die unmittelbare Voraussetzung der Faktizität der Subjektivität gebunden. In dieser abstrakten Autonomie wird das Nicht-Ich schließlich doch zum Ich-Selbst. Kann Tillich also Schellings Fehler vermeiden? Das ist zweifelhaft. Man darf nicht vergessen: Tillichs 1911 verfaßten 128 Thesen über „Die christliche Gewißheit und der historische Jesus“265 atmen deutlich idealistischen Geist.266 Tillich hat es verstanden, in seiner Entwicklung 260 Vgl. Wenz: Subjekt und Sein, 107. Die Klärung der Frage geschieht bei Wenz in kritischer Abgrenzung von Wagner. 261 GW IX, 41; vgl. Wenz: Subjekt und Sein, 108. 262 Vgl. Wenz: Subjekt und Sein, 108 f. Selbstverständlich muß sich das Subjekt dieses Erscheinen in produktiver Selbsttätigkeit aneignen, doch zugleich wird ihm das Zuvorkommen seiner in dieser Aneignung tätigen Freiheit bewußtgemacht. Der Theologe kann niemals aus seiner eigenen Theologie ausgeschlossen werden. Das ist ein hermeneutischer Zirkel im engeren Sinn. 263 EW IX, 268. 264 EW IX, 271. 265 EW VI, 28 – 61. 266 Das Zitat aus der Autobiographie legt nahe, daß Tillich 1910 noch unschuldiger dem transzendentalen Idealismus huldigte und erst später zu einem Durchbruch
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manche idealistischen Reminiszenzen zurückzulassen. Bedenklich bleibt, daß die Thesen einen starken Einfluß auf die Christologie der „Systematischen Theologie“ hatten und zu jenem exponierten Punkt wurden, von dem aus der soteriologische Entwurf von Tillich konsequent und kohärent zu kritisieren war. Das wird weiter unten noch zu sehen sein. Ironischerweise wird man Tillich selbst mit jenem Vorwurf konfrontieren, den er gegen Schelling erhoben hatte: „Er vergaß den Begegnungscharakter der Offenbarung, den er selbst gefordert hatte.“267 Die Zerreißprobe besteht darin, daß die Christologie konsequent in das eingebettet wird, wovon Mokrosch sagt, es wäre bei Schelling „die Doppelung des Absoluten in einen undenkbaren Grund alles Existierenden und in die aposteriorische Selbsterschließung dieses Grundes als erfahrbaren Gott der Schöpfung“268. Wegen dieser Doppelung hat die Christologie nicht nur inhaltliche Relevanz als Lehre der Erlösung des Menschen durch den Christus, sondern ist auch formal wichtig, da sie die Unableitbarkeit des Offenbartseins der Erlösung verbürgen muß.269 2.2.3. Die existentialistische Rezeption Schellings Für Tillichs spezifisch existentialistische Interpretation Schellings spielt Kierkegaard eine wichtige Rolle; er ist zunächst interessant wegen seiner deutlichen Kritik an Hegel, dann aber auch wegen seiner kritischen
fand. In anderen Worten: in späteren kritischen Äußerungen zu Schelling kritisiert Tillich auch seine vormals eigene Position. Vgl. auch Wenz: Subjekt und Sein, 83.86. 267 GW IV, 144. 268 Mokrosch, 88. 269 Es geht in letzter Zuspitzung bei Schelling und bei Tillich um die Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie. Beide sollen ohne Einebnung ihrer Differenzen miteinander versöhnt sein. Sowohl Schelling als auch Tillich fiel diese Unterscheidung schwer. Wir erinnern an die an die Korrelationsmethode herangetragene Kritik, daß die existentiellen Fragen von der Theologie ausgearbeitet werden und nicht – wie es eigentlich methodisch kohärent wäre – von der Philosophie. (vgl. Steinacker: Schelling, 37 f.) Im Gegensatz zu der idealistisch dominierten Form der Christologie bestimmt in diesem Fall die Theologie den Inhalt. Die Assoziation der Philosophie mit der Frage und der Theologie mit der Antwort ist nach Steinacker „ein ferner, allerdings bloß formaler Reflex auf Schellings Unterscheidung von „negativer“ und „positiver“ Philosophie“. (Steinacker: Schelling, 38)
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Rezeption von Schelling.270 Vor allem aber bedeutet „existentielle Philosophie“, daß der Erkennende mit in die Erkenntnis einbezogen wird.271 In diesem Anliegen scheint das wechselseitige irreduzible Bestimmungsverhältnis von Botschaft und Situation auf. Philosophisch muß die offene und ehrliche Rezeption der menschlichen Zweideutigkeit in Entfremdung und Angst gewährleistet sein.272 Hegel ist für Tillich der Repräsentant einer vollständig essentialistischen Philosophie273, einer „Philosophie von oben“274, welche die Entfremdung übersieht und das Sein restlos ins Denken aufheben zu können meint, ja meint, Wahrheit besitzen zu können. Daß Christus ganz Gott und ganz Mensch ist, ist für Hegel nicht ein einmaliges Ereignis, sondern das Paradigma der wesenhaften Beziehung des Menschen zu Gott. Christus ist kein exklusiver Vermittler. Versöhnung wird zu einem metaphysischen Prinzip, das sich als innermenschlicher Vorgang einlöst. Der moderne Existentialismus275, als dessen geistiger Vater Kierkegaard gilt, ist demgegenüber der geistesgeschichtliche Gegenschlag gegen den essentialistischen Idealismus und den objektivierenden Naturalismus, die aus dengleichen Wurzeln stammen.276 Die existentialen Momente in der Philosophie waren nie ganz abwesend277, brechen aber nach Tillich 270 Von Kierkegaard stammen Nachschriften von Schellings Vorlesungen über die „Philosophie der Offenbarung“, welche Tillich als „ein Urdokument existentialer Philosophie“ bezeichnet (vgl. GW IV, 136). 271 Vgl. GW IV, 19; vgl. Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 31. 272 Vgl. Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 39. 273 Vgl. GW IV, 134. 274 Vgl. ST I, 27. 275 Der Existentialismus ist für Tillich „eine Philosophie, die auf die Existenz der Dinge, sofern sie im Widerspruch zu ihrem Wesen stehen, platonisch und christlich gesprochen, auf die Dinge in ihrem Abfall von sich selbst, gerichtet sind“. Denn der Existentialismus ergänzt die essentialistische Vision – das Wesen, das ewige Bild oder, christlich gesprochen, die „schöpfungsgemäße Natur“ (GW IV, 134 f.) – um die Möglichkeit und die Realität des Falls und der Erlösung aus Sünde und Schuld. 276 Vgl. GW IV, 176. Pastor spricht gegenüber den idealistischen Überzeugungen Tillichs von einer „corrección existencial“ durch Kierkegaards Ansatz. (Pastor: Itinerario espiritual de Paul Tillich, 54; vgl. auch Pastor: La interpretación de Paul Tillich, 727) 277 Tillich dazu: „Es ist interessant, zu verfolgen, wie in der Übergangsperiode des „Transzendentalen Idealismus“ sowie in der vollendeten Identitätsphilosophie der zeitweise Triumph des Essentialismus ständig durch existentialistische Elemente unterminiert wird.“ (GW IV, 138) Tillich ist sich sicher, daß in so herausragenden Ontologien wie denen von Plato, Aristoteles, vom späten Schelling,
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vor allem am beginnenden 20. Jahrhundert auf und öffnen deshalb die Tore für eine neue Würdigung von Schelling. Kierkegaard als Vorkämpfer des zeitgenössischen Existentialismus dient als Brücke zwischen Schelling und Tillichs Epoche.278 Vom modernen Existentialismus übernimmt Tillich die existentialen Strukturen, wie z. B. Endlichkeit, Nichtsein und Angst, Freiheit, Selbstentfremdung oder Geschichtlichkeit. Sie treten in besonderer Dichte in Tillichs Schrift „Mut zum Sein“ auf. Schellings Einfluß wird bei der existentiellen Bestimmung der Freiheit, der Entfremdung und der Geschichtlichkeit am deutlichsten.279 Nun wird nicht mehr das denkende Subjekt in den Mittelpunkt gestellt, sondern das existierende Ich inmitten der absoluten Sinnleere. Existenz bedeutet Entfremdung vom Wesen. Tillich nimmt die existentiale Interpretation der Existenz in seine von Schelling her inspirierte Ontologie auf. Es versteht sich von selbst, daß nur ein solcher Ansatz die paradoxale Rechtfertigung „sola gratia – sola fide“ adäquat zum Ausdruck bringen kann. Hegels Philosophie ist ihm dagegen „Werkgerechtigkeit auf dem Gebiet des Denkens“280. Bei Tillich zieht sich letztlich in Bezug auf das Verhältnis SchellingKierkegaard eine eigenartige Zweideutigkeit des Denkens durch seine Schriften: einerseits stößt Tillich an die immanenten Grenzen des Idealismus und gewinnt dank des Existentialismus neue Horizonte des Rechtfertigungsdenkens; andererseits jedoch bleibt die idealistische von Kierkegaard, Heidegger, Spinoza, Hegel, Dewey und Sartre niemals die Doppelseitigkeit des wesentlichen und des existentiellen Seins übersehen wird (vgl. ST I, 195). Die Identität wird darin gefunden, daß die Existenz zur ursprünglichen Einheit mit der Essenz zurückkehrt oder die Essenz, falls sie bisher nur als Potentialität bestand, real werden läßt. Diese Identität entspricht aber der idealistischen Prämisse der ursprünglichen Einheit von Gott und Mensch. 278 Ringleben vermutet hier ein Mißverständnis aufgrund einer Äquivokation, einer „Kontamination des ontologischen mit dem existenzphilosophischen Existenzbegriff“ (Ringleben, J.: Paul Tillich als Denker des Seins – zwischen Hegel und Kierkegaard. Eine philosophische Perspektive, in: Danz, C./Schüßler, W./ Sturm, E. (Hrsg.): Wie viel Vernunft braucht der Glaube? (= Internationales Jahrbuch für die Tillich-Forschung, Bd. 1), Wien 2005, 101 – 118, hier: 112). Tillich habe als Denker des Seins – was er bei Schelling gelernt habe – die Intuition des späten Schelling, nämlich das Aufbrechen des reinen Essenz-Denkens, durch Kierkegaard dynamisieren und in der „Systematischen Theologie“ Essenzund Existenzdenken miteinander verklammern wollen. Was genial anmutet, interpretiert Ringleben als „völlige Umdeutung“ Kierkegaards durch Tillich (Ringleben: Paul Tillich als Denker des Seins, 112). 279 Vgl. Schnübbe, 151 f. 280 GW XII, 152.
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Prämisse unterschwellig bestehen und macht Tillich besonders gegenüber dem Geschichtlichen skeptisch. Anders als Kierkegaard will Tillich die Vorteile des Identitätsprinzips nicht opfern. Beim Binom Identitätsprinzip-Rechtfertigungslehre tendiert Kierkegaard dagegen einseitig zur letzteren. Für ihn ist der Mensch so radikal von Gott entfernt, daß er alleine durch die von jenseits kommende Offenbarung Gottes gerettet werden kann. Hier zeigt sich die unterschiedliche Fassung der Dialektik Offenbarung-Geschichte. Kierkegaard will den geschichtlichen Wert der Inkarnation darauf reduzieren, daß es einzig und allein darauf ankommt, daß Gott um das Jahr 30 Jesus Christus zu unserem Heil gesandt hat. Diese Unabhängigkeit von der Geschichte werde vom Paradox des Glaubens verlangt. Tillich möchte seinerseits das Paradoxale zwar nicht abstreiten, wehrt sich aber gegen einen solchen unhistorischen Sprung. Vielmehr sei der Geist derjenige, der in uns durch die Gegenwärtigsetzung Christi die Zeiten überwindet.281 Trotzdem ist auch bei Tillich eine Distanz zum „Staub der Geschichte“ festzustellen. Für Tillich dagegen darf das recht verstandene Identitätsprinzip nicht preisgegeben werden, und deshalb darf auch die Lehre vom Anknüpfungspunkt im Menschen nicht verlorengehen. Diesen Kampf ficht Tillich mit Barth aus, der hier in der Nachfolge Kierkegaards steht. Für Tillich muß die Theologie „eine Dialektik (sein) zwischen dem paradox interpretierten Identitätsprinzip und der von jenseits kommenden Offenbarung“282 sein. Diese Dialektik bestimmt neben dem rechten Verhältnis von Offenbarung und Geschichte auch jenes von Religion und Kultur, der Grundfrage von Tillichs Religionsphilosophie. Der Existentialismus wird für Tillich einerseits zum Ausdruck der pessimistischen Grundhaltung seiner Zeit, auf welche die Theologie der Krise von Barth und Bultmann die typische Antwort ist. Andererseits hat Heidegger aber mit dem Herausarbeiten ontologischer existentialer Strukturen die Möglichkeit einer Antwort eröffnet. Tillich sieht deshalb die Möglichkeit, christliche Inhalte und Symbole wieder neu verständlich zu machen. Damit möchte er verhindern, daß der Existentialismus im Nihilismus verläuft. Er setzt dem seine Ontologie gegenüber, und zwar eine Ontologie, die am Menschen als existierendem Ich orientiert ist. Es ist eine „personalistische Ontologie“283. 281 Vgl. EW II, 146. 282 Schnübbe, 146. „Anders wird man Tillich schwerlich auslegen können.“ 283 Schnübbe, 153.
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2.3. Die Frage nach dem systembildenden Einfluß Schellings auf Tillich 2.3.1. Die Problemdarstellung Es ist deutlich geworden, daß der Einfluß von Schelling auf Tillich weit über punktuelle Impulse hinausgeht. Wie kann man Schellings Wirkung auf Tillich jedoch systematisch fassen? Mit dieser Frage gehen wir im Kapitel über Paul Tillich über das zu Walter Kasper zu Sagende hinaus, da deutlich wird, daß Schelling bei Kasper vor allem eine Initialzündung zum geschichtlichen Ansatz beim konkreten Jesus von Nazareth bewirkt, welche größtenteils auf den streng theologischen Rahmen beschränkt bleibt. Bei Tillich dagegen werden auch philosophische Begründungszusammenhänge deutlich, und das ganze System atmet Schellingsche Inspiration. Von daher ist die Besprechung der Schellingrezeption bei Tillich ausführlicher als bei Kasper. Anhand der Analyse von mehreren Gesamtdarstellungen, die beanspruchen, das Grundmotiv Tillichschen Denkens freizulegen284, wird deutlich, daß Tillich sich in seinen Denkfundamenten einer an Schelling geschärften Reflexion über das Verhältnis von Bedingtem und Unbedingtem verdankt, welches philosophisch-idealistisch bei der Tätigkeit des Selbstbewußtseins ansetzt.285 Tillichs denkerischer Werdegang deutet darauf hin, daß die Christologie, die ihn seit den ersten Schellingarbeiten beschäftigt, aus theologischen Gründen nicht am Ende eines Systems angefügt werden darf, sondern primäre, ja zentrale Aufmerksamkeit verdient. Nicht die Konstitution selbsttätiger Subjektivität, um deren Theroriebildung es in einem ersten Durchgang geht, scheint das letztgültige Integral von Tillichs Schellingrezeption zu sein, sondern die Zentralität der soteriologischen Christologie, die sich – wie Georg Neugebauer zeigt und wie wir es in 284 Alle Gesamtdarstellungen von Tillichs Werk, die sich unter den Anspruch stellen, von einem bestimmten Organisationsprinzip her das gesamte Tillichsche Werk aufzurollen, stehen unter der Gefahr, „ein Gerüst der Theologie Tillichs freizulegen, das dann in allen Teilen seiner Theologie als fundamental erwiesen werden muß“ (Schwöbel, 173; Hervorhebung von Schwöbel). „Insofern sind die Versuche einer Gesamtdeutung der Theologie Tillichs mehr systematische Entwürfe der Autoren, die sie unternehmen. Dabei spricht es nicht gegen, sondern für Tillich, daß sein Denken zum Anlaß für solche systematischen Ansätze wird, die darum nicht in erster Linie als Beiträge zur Tillich-Forschung, sondern als eigene systematische Leistung bewertet werden sollten.“ (Schwöbel, 222) 285 Vgl. zur Frage eines einheitsstiftenden Strukturprinzips auch Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 227 f.
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einem zweiten Schritt darlegen – zwischen den Relaten des Begriffspaares Offenbarung und Geschichte ausspannt. Die Christologie wird aber gerahmt von den bei Schelling erlernten Theorien zu Geschichtsphilosophie und Sinnhermeneutik, die es abschließend zu besprechen gilt. In allen drei Gedankengängen geht es letztlich um die soteriologische Relevanz286 der Frage der korrelativen Vermittlung von Bedingtem und Unbedingtem oder von Religion und Kultur. 2.3.2. Die Konstitution selbsttätiger Subjektivität Ganz nach idealistischem Muster geht Tillich von dem freien und selbsttätigen Selbstbewußtsein des Menschen als Prinzip der Wirklichkeit aus. Erkenntnistheoretischer Anknüpfungspunkt bleibt notwendigerweise die Autonomie des sich selbst erfassenden, endlich freien Geistes. Im Gewahrwerden seiner Endlichkeit wird der Mensch sich ebenfalls seines Sich-Gegebenseins inne. In der Theologie wird diese Autonomie sich demnach selbst unter den Bedingungen der Endlichkeit zum Thema, indem sie sich auf das unbedingte Selbstgegebensein hin übersteigt. Wie Falk Wagner zu zeigen vermag, unterliegt diese Theorie jedoch folgender Aporie: auch wenn es Prinzip der Wirklichkeit ist, so scheitert das Selbstbewußtsein doch, wenn es sich selbst erklären soll.287 Die Frage nach dem systembildenden Einfluß von Schelling auf Tillich wurde durch die Habilitationsschrift von Christian Danz „Religion als Freiheitsbewußtsein“288 angeregt, die wegen ihrer Bravour und ihres Interesses und trotz ihrer Grenzen hier zur Sprache kommen soll. Der Paradigmenwechsel, der Danz zugeschrieben wurde, besteht in der konsequenten (Selbst-) Reflexion der Theologie auf die Konstitutionsbedingungen der Subjektivität – des theo-logischen Arbeitens als Prozeß der denkerischen Selbstkonstitution – und der Übertragung dieser Denkfigur auf Tillich, dessen Entwurf bisher vor allem unter dem Gesichtspunkt der Methode oder bestimmter Inhalte betrachtet wurde. Außerdem ist der mit Danz verwandte Ansatz von Gunther Wenz kurz zu thematisieren. Es ist legitim und höchst interessant, Tillich unter transzendentalphilosophischer Perspektive zu rekonstruieren und zu interpretieren und 286 Vgl. Steinacker: Schelling, 47.49. 287 Wagner: Absolute Positivität, 141. 288 Danz, Christian: Religion als Freiheitsbewußtsein. Eine Studie zur Theologie als Theorie der Konstitutionsbedingungen individueller Subjektivität bei Paul Tillich, Berlin/New York 2000.
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dabei auch manche Aporien oder Schwierigkeiten des Tillichschen Denkens zu entknoten. Dabei läßt der Ansatz von Danz, der eigentlich ein auf Tillich angewandtes Denkexperiment ist, die Ambivalenz des Tillichschen Denkens und seiner Korrelationsmethode deutlicher sehen. Trotzdem scheint Danz mit seiner Meta-Methode Tillich zu sehr vereinnahmen zu wollen, wenn er in gewisser Weise versucht, ihn besser verstehen zu wollen als dieser sich selbst, indem er überzeugt ist, Tillich einen unausgesprochenen transzendentalphilosophischen Ansatz nachweisen zu können. Das läßt sich auch daran ablesen, daß Danz sich mit Kritik an Tillich recht stark zurückhält und in seiner Schlußreflexion nicht über Tillich hinausdenkt. „Alles scheint geklärt zu sein“, und „der Verfasser beginnt mit Tillich und endet mit ihm“289, kritisiert Hermann Fischer. Man kann durchaus den Verdacht hegen, daß das Transzendentalphilosophische mehr in der Danzschen Methode liegt als in Tillichs eigenem System. Durch seine in großen Teilen unkohärente und undeutliche bzw. sehr offene Terminologie (vgl. Begriffe wie „Korrelation“, „Neues Sein“, „Ontologie“) bietet sich Tillich aber gewissermaßen dem Experiment an, hinter dem Uneinheitlichen einen Einigungspunkt zu suchen. Schelling wird als Tillichs Grundinspiration angesehen. Der bewanderte Schellingkenner und Tillichinterpret Christian Danz versucht, anhand des subjektivitätstheoretisch-transzendentalphilosophischen Ansatzes strukturelle bzw. ansatztheoretische Gemeinsamkeiten bei Schelling und Tillich aufzuweisen, die sich aus der frühzeitigen Beschäftigung Tillichs mit dem Leonberger Philosophen ergeben.290 Danz fragt nach der erkenntnistheoretischen Bedingung der Möglichkeit des Tillichschen Denkens. Im Untertitel bezeichnet er Tillichs Theologie als „Theorie der Konstitutionsbedingungen individueller Subjektivität“ und bewegt sich damit auf dem durch Kant eröffneten transzendentalphilosophischen Terrain, dem auch Schelling sonder Zweifel stark verhaftet blieb.291 289 Fischer, Hermann: Rezension zu Danz, Christian: Religion als Freiheitsbewußtsein, in: Theologische Literaturzeitung 128 (2003), 74 – 78, hier: 78. 290 Das Innovative und Interessante daran ist – wie in der sehr komprimierten Einleitung bereits zur Sprache kommt –, daß sich Danz damit über die ansonsten stark rezipierten Tillich-Interpretationen von Wenz und Wagner und auch von Ringleben hinwegsetzt, diesen Konflikt gleich in der Einleitung eröffnet und damit einen Paradigmenwechsel in der Tillich-Forschung vollzieht. 291 Transzendental ist die Lehre von den apriorischen Bedingungen der Erkenntnis des Subjekts zu nennen. Damit ist Transzendentalphilosophie nicht deckungsgleich mit Metaphysik im klassischen Sinn des Wortes, schließt diese aber nicht
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Entscheidend ist für Danz die Tillichsche Formulierung von 1943 von der „endlichen Freiheit“292, welche sich als Integral des gesamten Tillichschen Werkes anbietet. Endliche Freiheit ist „Bestimmtheit zur Selbstbestimmung“293, also Bestimmtheit zu Freiheit und freier Selbstbestimmung. Seit Tillichs beiden Dissertationen über Schelling gehört nach Danz „die Untrennbarkeit und Unreduzierbarkeit von Bestimmtheit der endlichen Freiheit und deren Vollzug“ bzw. von Essenz und Existenz zu den Konstanten seines Denkens.294 Strittig ist aber nach Danz die Auslegung dieser internen Dialektik des Freiheitsbegriffs, die sich zwischen Unmittelbarkeit und Vermittlung, unmittelbarer oder präreflexiver Gewißheit einerseits und begrifflicher Wahrheit oder Bestimmtheit andererseits, Freiheit und Gebundenheit des subjektiven Freiheitsbewußtseins, letztlich zwischen Essenz und Existenz bewegt. Die Korrelation, die zur Debatte steht, soll – im Unterschied zu Supranaturalismus und Naturalismus – eine Synthese des bedingten und des unbedingten Moments leisten können. Die „unreduzierbare Duplizität“295 der beiden Denkfiguren ist für Danz dagegen gerade die Stärke
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aus, sondern provoziert eine mögliche Neudefinition der Metaphysik. (vgl. Artikel „Transzendental“, in: Brugger, W.: Philosophisches Wörterbuch, Freiburg 1976, 410 f.) Vgl. ST II, 14, wo Tillich den dritten Weg zwischen Supranaturalismus und Naturalismus durch den Begriff der endlichen Freiheit beschreibt. Die Religion wird von daher nach Danz verstanden als Freiheits-Bewußtsein, d. h. als Selbstbewußtsein endlicher Freiheit bzw. als jene lebensweltliche Sphäre, in der die endliche Freiheit ihre eigene Faktizität deutet. Die systematische Theologie kann von daher definiert werden als die begriffliche Erklärung jener Bedingungen, die zur Konstitution einer sich selbst vorfindenden endlichen Freiheit beansprucht werden. Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 3. Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 15. Danz ist der Meinung, daß Tillich die fundamentale und systemprägende Dialektik von Essenz und Existenz und ihre Vermittlung theoriegeschichtlich aus Schellings Spätphilosophie gelernt habe (vgl. Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 281 f., Anmerkung 12). Erdmann Sturm kommt in seiner Rezension zu dem Ergebnis, daß man bei Danz „von einer „Übersetzung“ der Systematischen Theologie Tillichs in die philosophische Theologie Schellings sprechen (könnte)“, da Danz die transzendentalphilosophischen Voraussetzungen und Motive von Tillichs Denken viel deutlicher offenlegt als Tillich selbst (vgl. Sturm, E.: Rezension zu Danz, Christian: Religion als Freiheitsbewußtsein, in: Theologische Revue 99 (2003), 221 – 224, hier: 224). Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 51. In dieser „durchgehend für eine nicht an der Alternative, sondern an der Duplizität von unmittelbarer Gewißheit und Bestimmtheit des Begriffs orientierte(n), differenziertere(n) Lesart“ liegt
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von Tillichs Denken und deshalb das Danzsche Hauptanliegen.296 Auf dem Hintergrund der unterschiedlichen Fassung dieser Vermittlung tritt Danz in Opposition zu Wenz, Wagner und Ringleben.297 Er wirft ihnen vor, unter Vernachlässigung des transzendentalphilosophischen Horizonts die unmittelbare Gewißheit des Unbedingten und die Bestimmtheit des Begriffs als Selbstwiderspruch zu interpretieren, den sie dann nach der einen oder anderen Seite hin auflösen wollen. Christian Danz baut seine Untersuchung in Anlehnung an die trinitarische Ordnung der „Systematischen Theologie“ auf und setzt die Teile Gotteslehre-Christologie-Pneumatologie mit dem Begriff, der Wirklichkeit und dem Normbegriff der endlichen Freiheit in Beziehung. Dabei beansprucht der Hintergrund dieses systematischen Problems, die Leitmotive von Tillichs Konstruktion sichtbar zu machen, so auch und vor allem das Essenz-Existenz-Schema, das von der Gegenläufigkeit der Sündenlehre und der Christologie her in der Vordergrund rückt und als unreduzierbares Doppelverhältnis zur Pneumatologie überleitet.298 In der Christologie wird die endliche Freiheit als individuell und kontingent nachgezeichnet. Die Existenz ist zwar nicht aus dem Begriff der endlichen Freiheit notwendig ableitbar, bleibt aber trotz dieser Unableitbarkeit oder dieses „Sprungs“ zwischen Essenz und Existenz auf die ontologischen Kategorien der Essenz zurückverwiesen. Tillichs vieldiskutierte materiale Übereinstimmung von Schöpfung und Fall kann man nach Danz auf dem Hintergrund der Polarität von Freiheit und Notwendigkeit (bzw. Schicksal) verstehen. nach Sturm die Hauptstoßrichtung der Untersuchung (vgl. Sturm: Rezension zu Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 221). 296 Danz beruft sich dabei auf eine von Dietrich Korsch (Korsch, D.: Glaubensgewißheit und Selbstbewußtsein. Vier systematische Variationen über Gesetz und Evangelium, Tübingen 1989; ders.: Dialektische Theologie nach Karl Barth, Tübingen 1996) und Jörg Dierken (Dierken, J.: Glaube und Lehre im modernen Protestantismus. Studien zum Verhältnis von religiösem Vollzug und begrifflicher Bestimmtheit bei Barth und Bultmann sowie Hegel und Schleiermacher, Tübingen 1996) unabhängig voneinander ausgearbeiteten Grundbegrifflichkeit, welche nachweisen kann, daß die Prinzipiendualität von unmittelbarem Vollzug und begrifflicher Bestimmtheit innerhalb ihrer grundbegrifflichen kategorialen Differenz zum Absoluten selbst gehören und daß „Bestimmtheit“ und „Bezug auf anderes“ konstitutiv zusammengehören. 297 In dieser fundamentalphilosophischen Debatte wirft Danz Wenz, Wagner und Ringleben vor, daß bei ihnen letztlich Hegel den Sieg davonträgt (vgl. Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 8). 298 Vgl. vor allem Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 276 – 279.
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Die Christologie erfüllt zwei Ziele: zum einen zeichnet sie jenes konstitutive Anderssein, das in der Gotteslehre als Moment der Gottheit Gottes verstanden wurde, nun in der Entfremdung der Existenz nach – wobei die Christologie nicht vom Begriff ausgeht, sondern vom Faktum der endlichen, um sich wissenden Freiheit. Zum anderen beschreibt sie unter dem Symbol der Inkarnation die Überwindung der entfremdeten Existenz unter den Bedingungen der Existenz und damit ihre Rückführung in den göttlichen Grund. „Damit obliegt der Christologie nicht nur die Explikation der Genese der Differenz von Gott und Mensch, sondern auch deren Vermittlung.“299 Die Christologie thematisiert letztlich die Neukonstitution der in die Entfremdung einer abstrakten Selbstbestimmung verfallenen menschlichen Existenz. Das in Jesus dem Christus realisierte Faktum ist die Einheit von Essenz und Existenz, in der die endliche Freiheit „sich so bestimmt, daß sie in ihrem Eigenvollzug ihr sich Gegebensein zur Darstellung bringt“300 und sich nicht als abstrakte Selbstbestimmung behauptet. Das bedeutet: „die wesentliche Gott-Mensch-Einheit ist ungebrochene Einheit mit Gott und Negation des unmittelbaren Für-sich-Seins“301, d. h. Nicht-Negieren des Herkommens. Indem die Gemeinde Jesus den Christus als vorgegebenes geschichtliches Faktum in der Auferstehung erkennt und anerkennt, erkennt sie sich selbst als eine vermittelte Selbstbestimmung an und gewinnt darin das Heil. „Die Anerkennung dieser Differenz von Bestimmtheit der Selbstbestimmung und aktualer Selbstbestimmung ist die Überwindung der Negativität, durch welche die abstrakte Selbstbestimmung charakterisiert ist. Diese Überwindung der Negativität entspricht dem Übergang vom Gesetz zum Evangelium.“302 299 300 301 302
Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 180. Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 220. Sturm: Rezension zu Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 223. Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 261. Danz leitet auf sehr überzeugende und übersichtlich gestaltete Weise zur als Geistlehre und Geschichtstheologie konzipierten Pneumatologie über, welche die Aufgabe hat, unter den Begriffen des „Lebens“ oder des „Geistes“ die beiden gegenläufigen Denkfiguren von Essenz und Existenz ohne einseitige Reduktion miteinander zu vermitteln. Die Kraft des Lebens, seine Norm, ist dabei der Geist. Tillichs Lebenstheorie ist nach Danz Sinntheorie, und die Religion ist Vergegenwärtigung von unbedingtem Sinn. Gerade im Bedenken des Sinn-Begriffs trifft Danz auf das ureigenste Anliegen Tillichs: seinen modernen Zeitgenossen Mut zum Sein mitten in dem Erleben der Sinnlosigkeit zuzusprechen. Das Selbst wird zu sich selbst vermittelt, indem es auf eine transzendente Einheit hin ausgreift, die dem Selbst ermöglicht, die Zweideutigkeiten des Lebens in den Selbstvollzug zu integrieren. Die Ver-
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Gunther Wenz erklärt in der Darstellung seiner Interpretationsarbeit in „Subjekt und Sein“, daß die in den frühen Schriften Tillichs zu Schelling erhobene „Frage nach der Konstitution selbsttätiger Subjektivität (…) eine in ihrer theologischen Dringlichkeit nicht zu unterschätzende Thematik“303 ist und als Grundproblem behandelt wird. Nach ihm ist „ein und dieselbe fundamentale Struktur“304 von Tillichs Denken bereits in den beiden Dissertationen zu Schellings Spätphilosophie grundgelegt und besteht – wie wir bereits weiter oben darlegten – in der theologischen Problematik des neuzeitlichen Freiheitsverständnisses. Auch die für Wenz dominante Kritik von Tillich an Schelling ist bereits bekannt: daß nur eine unverfügbare Offenbarung das Selbstvermitteltsein der Subjektivität leisten kann, da die Subjektivität sich nicht aus eigener Kraft „verlassen“ kann.305 Einerseits ist Wenz bemüht, diese Grundstruktur bzw. diese an der Schelling-Interpretation erhobene Subjektivitätsformel in Tillichs einzelnen Themenbereichen nachzuvollziehen, andererseits jedoch überprüft er kritisch Tillichs Selbstentsprechung gegenüber diesem Anspruch. In seiner abschließenden Stellungnahme zur 1923 verfaßten Tillichschen Wissenschaftslehre, mit der – in ihrer Funktion als Selbstbestimmung der Tillichschen Theologie – „das gesamte Denken Tillichs sich selbst zur Debatte (stand)“, begutachtet Wenz kritisch die geforderte „Adäquanz von Gedachtem (,Produktive Selbsttätigkeit sich gegebener Subjektivität‘ als das Thema der Tillichschen Theologie) und Denken (Thematisierung des Themas)“306, welche Tillich in seiner Wissenschaftslehre selbst geleistet hat. Dabei wird deutlich, daß Selbstvollzug und Selbstbewußtsein nicht zu trennen sind.
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mittlung von Essenz und Existenz muß dabei von der Unreduzierbarkeit der Doppelheit geleitet werden, denn jede Einseitigkeit führt in unvertretbare essentialistisch-hegelianische oder existentialistische Positionen. Kritisch anzumerken bleibt jedoch, daß Danz bei der Klärung seiner Grundbegrifflichkeit von unmittelbarem Vollzug und begrifflicher Bestimmtheit den Geistbegriff als übergreifende Vermittlung in den Hintergrund treten läßt (vgl. Sturm: Rezension zu Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 221). Wenz: Subjekt und Sein, 57. Wenz: Subjekt und Sein, 49. „Die Schellingsche Subjektitivtät bleibt auch in dem Versuch, ihre unmittelbare Selbstidentität zu überwinden, sich selbst verhaftet, da sie meint, sich selbst aus eigenem Antrieb „verlassen“ zu können, und damit die Sinnvorgängigkeit gerade wieder nicht anerkennt.“ (Wenz: Subjekt und Sein, 115 f.) Wenz: Subjekt und Sein, 157. Vgl. zum Thema weiter unten die Sinntheorie.
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Doch in Bezug auf Tillichs Symboltheorie und auf die von W.M.Urban307 ausgelöste Debatte um die univoke Grundlage des Tillichschen Symbolismus sieht Wenz diese Vorgaben nicht eingehalten: „Das Denken Tillichs legt sich beim Gedanken der Identität von Identität und Differenz still, seine Tätigkeit hat am Prinzip der produktiven Tätigkeit sich gegebener Subjektivität ihr Ende. Damit vergegenständlicht sich sein Denken, obzwar es doch gerade die Ungegenständlichkeit des Denkens zu denken vorgibt.“308 Ähnliches gilt für Tillichs Analogielehre. Und auch in der Offenbarungslehre, die Wenz auf die Christologie zentriert, setzt sich die Aporie durch: die Christologie verliere ihren geschichtlichen Charakter und könne von daher „nicht als Ermöglichungsgrund vermittelter Subjektivität dienen, sondern wird zum Explikat unmittelbarer Subjektivität“309. Unmittelbarkeit ersetzt Vermittlung. Die grundsätzliche Tillichsche Aporie besteht darin, daß die Korrelation von Frage und Antwort und von Philosophie und Theologie die Unmöglichkeit des sich in seiner Selbsttätigkeit selbst gegebenen Subjekts offenbart, in unmittelbarer Aseität zu stehen. Vielmehr ist die apologetisch motivierte Vermittlung mit einem Vorgegebenen notwendig. Dem steht jedoch ein eindeutiger Trend zur Unmittelbarkeit gegenüber, wenn Formulierungen wie „mystisches Apriori“ oder „unbedingtes Angegangensein“ der Theologie ihre objektiven Kriterien streitig machen. 307 Urban, W.M.: A Critique of Professor Tillich’s Theory of Religious Symbol, in: JLR II/1 (1940) 34 ff. 308 Wenz: Subjekt und Sein, 177. Danz setzt sich mit dieser Frage ausführlich auseinander und kommt zu dem Ergebnis, daß man in Bezug auf das Darstellungsverhältnis des Symbols über die zweistellige Relation wie die des SubjektObjekt-Schemas hinaus eine dreistellige Relation annehmen muß, die auch den Interpretantenbezug umgreift. Nur diese Einbeziehung des Wissens in seinen eigenen Vollzug macht es möglich, einen Ort zu finden, von dem aus das Symbol als Symbol verstanden werden kann, ohne daß ein unendlicher Regreß entsteht. „Diese Selbsterfassung des Wissens als Wissen, welche Tillich durch das SeinSelbst konstruiert, bildet die Bedingung dafür, daß das Wissen zwischen Symbol und Nichtsymbol unterscheiden und somit ein Symbol als Symbol verstehen kann.“ (Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 163) Die Schwäche dieser Interpretation besteht darin, daß Danz zugeben muß, daß Tillich diesen Ansatz nirgends explizit, sondern höchstens implizit an Anspruch nimmt (vgl. Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 162). 309 Schwöbel, 179. Damit kommt Kaspers Ansatz in den Blick, der – ausgehend von Schelling – das Christusereignis in einem weiten geschichtlichen Kontext thematisiert.
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„Die Wirklichkeit der Vermittlung vergeht und an ihre Stelle tritt erneut unmittelbare Selbstbestimmung.“310 Tillich versuchte, in kritischer Distanz zu Schellings Aporien die Vermittlungsleistung des Selbstbewußtseins im Zuvorkommen des SeinsSelbst zu begründen, doch „die Zu-Kunft dieses Zuvorkommens und seine Unableitbarkeit aus dem schon Vorhandenen bekommt Tillich (…) nicht in den Blick“311. Nach Wenz liegt der tiefste Grund darin, daß Tillichs Theologie letztlich einen äußerlichen Bezug zu Gottes geschichtlicher Selbsterschließung hat! 312 Er folgert, daß „theologische Begründungsverfahren nicht generell von den Vollzügen religiöser Vergewisserung abgelöst werden können“313. Wir übernehmen aus dieser Analyse den Hinweis auf die grundsätzliche Aporie des Tillichschen Entwurfs, verschieben den Akzent jedoch auf die Zentralität der Christologie. Danz und Wenz haben mit anderen insofern einen wichtigen Beitrag geleistet, als daß sie über die Selbstkonstitution der Theologie selbst nachdenken: „Meint die Theologie die vermittelte Subjektivität als bloß gedachte verwalten zu können, so hat sie jene und damit sich selbst verfehlt; ist ihr die Identität von Identität und Differenz Prinzip nur als thetische Setzung, dann ist der Selbstwiderspruch perfekt.“314 2.3.3. Offenbarung und Geschichte Georg Neugebauer hat in dem bereits genannten Werk über Tillichs frühe Christologie315 die systematische Abhängigkeit Tillichs von Schelling an 310 Wenz: Subjekt und Sein, 328. 311 Wenz: Subjekt und Sein, 328. 312 Damit ist sicherlich ein Brückenschlag zu Walter Kasper möglich, der ja eben auf dem Schellingschen Nährboden die Geschichtlichkeit des Christentums und seiner Theologie freilegen möchte. Die Relevanz des Geschichtlichen und die trinitarische Entfaltung des sich selbstbegründenden Christusereignisses, welche Tillich vernachlässigt, spielen bei Kasper eine große Rolle! 313 Wenz: Subjekt und Sein, 330. 314 Wenz: Subjekt und Sein, 158. Danz stellt dieses Zitat in einen verfälschten Zusammenhang, indem er es nicht als von Wenz formulierten Anspruch Tillichs an sich selbst darstellt, sondern als bereits gefälltes Verdikt von Wenz über Tillich (vgl. Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 6). 315 Neugebauer, Georg: Tillichs frühe Christologie. Eine Untersuchung zu Offenbarung und Geschichte bei Tillich vor dem Hintergrund seiner Schellingrezeption, Berlin 2007. Folgende Gedanken inspirieren sich u. a. an der von Georg Neugebauer selbst gebotenen Darstellung seines Werkes während eines Doktoranden-Kolloquiums über Tillich im Januar 2006 in Wien.
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Tillichs frühen Arbeiten entfaltet, wählt dabei aber einen anderen Ansatz als Danz. Tillichs Strenge des Systemwillens hat als Preis, daß das Denken letztlich nicht am Ort der Subjektivität durchgeführt werden kann. Es ist wohl wahr, daß die Theorie der Selbstauslegung des Geistes in der Tendenz des Tillichschen Denkens liegt und z. B. in der Symboltheorie eingelöst wird, aber an vielen anderen Stellen – vor allem auch in der Christologie – fehlen die entsprechenden Hinweise, Belege und Textstellen. Tillich hatte dabei nicht dasgleiche Problembewußtsein wie Schelling, bei dem in der späten Philosophie jedoch auch bereits die Verlagerung zum Systematischen vorwiegt.316 Neugebauers These ist, daß die Christologie sich nicht nur nebenbei aus Tillichs philosophischer Schellingrezeption ergibt. Vielmehr war Tillichs Absicht, eine Antwort auf das zentrale Problem der neuzeitlichen Christologie zu finden, d. h. die Vermittlung von Offenbarung und Geschichte bzw. religiöser Evidenz und geschichtlichem Bewußtsein, Grund für sein intensives Schellingstudium. Wir schließen uns dieser These an. Neugebauers Anspruch besteht darin, nach Sichtung der Forschungsergebnisse zum ersten Mal systematisch den Zusammenhang von Christologie und Geschichtsphilosophie bei Tillich herauszuheben, wie er ihn bei Schelling gelernt, in seinem Frühwerk thematisiert und bis in das Spätwerk hinein verfolgt hat.317 „Die wesentliche Gleichartigkeit zwischen Schellings und Tillichs Christologie, die sich durch Tillichs gesamtes Werk hindurchzieht, ist (…) noch nicht gesehen worden. Sie besteht in der Spannung von Offenbarung und Geschichte.“318
316 Neugebauer erhebt Danz gegenüber den Vorwurf, daß dieser die vor dem Ersten Weltkrieg entstandenen Schriften nicht berücksichtigt und inhaltlich die Bedeutung von Schellings Philosophie für Tillichs Christologie nicht thematisiert. (vgl. Neugebauer, 33) 317 Neugebauer kommentiert dabei auch die bisherige Literatur über Tillichs Schellingrezeption, wobei neben anderen Werken besonders die thematische und perspektivische Verwandtschaft zu Anton Bernet-Strahms Publikation „Die Vermittlung des Christlichen“ (Bernet-Strahm, A.: Die Vermittlung des Christlichen. Eine theologiegeschichtliche Untersuchung zu Paul Tillichs Anfängen des Theologisierens und seiner christologischen Auseinandersetzung mit philosophischen Einsichten des Deutschen Idealismus, 1982) auffällt, welcher sich auch auf fast alle zentralen Texte des frühen Tillich basierte, jedoch Schellings Einfluß mehr und mehr aus dem Blick verliert. Es wird zu wenig der Paradigmenwechsel berücksichtigt, der sich in Tillich ab 1909 dank der Schellingrezeption vollzieht. (vgl. Neugebauer, 29) 318 Neugebauer, 33.
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Neugebauer kann die Bestandsaufnahme zu Schellings Christologie mit folgendem Fazit zusammenfassen: „Die Christologie bewegt sich damit in der Spannung von Offenbarung und Geschichte, ohne daß dabei das Geschichtsmoment negiert wird.“319 Der frühe Tillich greift nach Neugebauer zwei Aspekte von Schelling her auf: sowohl die zentrale Stellung des Bestimmungsverhältnisses von Offenbarung und Geschichte in der Christologie als auch die Überzeugung, daß sich die Christologie nur in Gestalt eines auf Universalität hin angelegten Systems verstehen läßt. Diesem Befund geht Neugebauer durch die Analyse von vier zentralen Arbeiten des jungen Tillich nach. An erster Stelle steht die philosophische Promotion von 1910 „Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien“320, in welcher Tillich Schellings Offenbarungsverständnis mit dem Begriff der übergeschichtlichen Geschichte verschränkt, um dar319 Neugebauer, 141. Neugebauer holt dabei weit aus und verfolgt den geschichtsphilosophischen Ansatz Schellings von den frühen Schriften an, kann aber bereits dort eine Synthese von Offenbarung und Geschichte eruieren, da Geschichte als fortwährende Offenbarung des Absoluten verstanden wird. Die Christologie entfaltet sich in der Identitätsphilosophie als Versöhnungstheorie zwischen Unendlichem und Endlichem. In Schellings Freiheitsschrift wird sie unabdingbar für die Erklärung der Möglichkeit der Freiheit zum Bösen und ihrer Versöhnung in der Selbstoffenbarung Gottes, ist aber als Logostheorie auch für den theogonischen Prozeß konstitutiv, da sie „das organisierende Zentrum des göttlichen Selbstexplikationsprozeßes bildet“. Der Logos stellt das Vermittlungsprinzip zwischen der Geschichte Gottes und der Geschichte der Welt dar, dessen Mittelpunkt von der Inkarnation des Logos markiert wird. Schelling hat dabei mehr das Allgemeine als das Besondere im Blick, denn die Soteriologie vollzieht sich nicht durch das historische Subjekt Jesus von Nazareth, sondern „in Gestalt der Idee des urbildlichen Menschen“ (Neugebauer, 100) als Mittler zwischen Gott und Mensch. In der „Philosophie der Offenbarung“ entwirft Schelling ein philosophisches Gesamtsystem, in dem einerseits die Entwicklung der übergeschichtlichen Offenbarungsgeschichte des Absoluten dargestellt werden kann und sich andererseits die positive Religion des Christentums erklären läßt, deren Bedeutung sich aus der übergeschichtlichen Geschichte herleitet. Die Christologie steht im Dienst der idealistischen Frage des zu sich selbst kommenden Geistes. 320 Neugebauer diskutiert hier auch die Herkunft von Tillichs ersten Impulsen, sich mit Schelling auseinanderzusetzen, und nennt dabei Lütgert und Medicus. (vgl. Neugebauer, 146 – 155) Außerdem vertritt er die These, daß sich in der philosophischen Dissertation bereits viele Grundzüge späteren Denkens andeuten und durchsetzen: „Zielt man darauf ab, die Wurzeln einer Vielzahl von später systematisch ausgeführten Theorien im Werk Tillichs aufzudecken, so erweist sich seine philosophische Dissertation als eine wahre Fundgrube.“ (Neugebauer, 189)
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aufhin festzustellen, daß systemimmanent die Menschwerdung des Logos gar nicht notwendigerweise gedacht werden muß. Welche Bedeutung hat dann überhaupt die empirische Geschichte für Schellings Christologie? Sie liefert nach Tillich das Anschauungsmaterial für die Darstellung der göttlichen Offenbarung, ohne aber selbst mit dem Offenbarungsgehalt identifiziert werden zu dürfen. Neugebauer bemerkt, daß sich hier bereits Tillichs ureigene christologische Fragestellung abbildet, wie sie in seiner „Systematischen Theologie“ letztlich zur Entfaltung kommt. An zweiter Stelle steht die Thesenreihe zur Kasseler Pfingstkonferenz von 1911 „Die christliche Gewißheit und der historische Jesus“, welche für Tillich selbst grundlegende Bedeutung hat, da er hier einerseits die zeitgenössische Diskussionslage verarbeitet und andererseits erste Grundlagen für ein eigenes System legt. Er konstatiert die Unvermittelbarkeit von christlicher Gewißheit und historischem Jesus. Geschichtsphilosophisch liegt die Betonung gegenüber dem Individuellen eindeutig auf dem Allgemeinen bzw. gegenüber dem Widerspruch deutlich auf der Identität. Dogmatisch vertritt das übergeschichtliche Verständnis der Rechtfertigung die Stelle des Allgemeinen321, während die Christologie die geschichtliche Einlösung der Identität des absoluten und individuellen Geistes leistet. In der theologischen Lizentiaten-Dissertation von 1912 „Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung“ greift Tillich auf die wechselseitig irreduziblen Begriffe Identität und Widerspruch zurück, um eine religionstheoretische Klärung des Christentums zu erstellen. Erst im Christentum kann sich durch die Synthese von Rechtfertigung und Christologie die Grundantinomie lösen, daß der Mensch zugleich in Identität und Widerspruch zu Gott steht. Waren bisher die Mittel von Schellings Philosophie die Voraussetzung von Tillichs Überlegungen, gelingt ihm mit der „Systematischen Theologie von 1913“ erstmals ein eigenes vollständiges System.322 Materiell steht die Inkarnationschristologie im Zentrum, wird aber formal 321 Dabei gebraucht Tillich den Begriff der „Autonomie“ und meint damit die Rechtfertigung auf dem Gebiet des Denkens, da sie sich gegen alle Heteronomie – die des Papstes, der Bibel und des historischen Jesus – wehre. (vgl. Neugebauer, 216 f.) 322 Neugebauer schreibt: „Tillich befindet sich mit der theologischen LizentiatenDissertation auf dem Wege zu einer Theorie des Christentums. (…) Nicht in Gestalt eines eigenen Systems, sondern an Schellings Denken prüft er die Möglichkeit, ob die gefundenen Grundprinzipien einer umfassenden Systematisierung fähig sind.“ (Neugebauer, 250)
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anhand des Paradoxbegriffs eingeführt. Von daher nimmt die Kreuzestheologie eine wichtige Rolle ein, da sie einen Konvergenzpunkt von Christologie und Paradox bietet. Sie verantwortet auch den Universalitätsanspruch des Christentums. Tillich schreibt: „Die Sphäre des Paradox ist die Religion; denn die Religion ist die Rückkehr der Freiheit zur Wahrheit, des Relativen zum Absoluten ohne Aufhebung der Freiheit und Relativität.“323 Die Religion wird also zum Ort sowohl der Deszendenz des Absoluten als auch der Transzendenz des Relativen.324 Letztlich werden alle Theoriebildungen auf die paradoxale Christologie zurückbezogen und machen diese zum Integral von Apologetik, Dogmatik und Ethik. Damit ist das übergreifende, umfassende Theoriepotential der Christologie adäquat in einem System entfaltet, in dessen Zentrum das Paradox steht. Neugebauer konstatiert dabei auch die Verschiebung der Soteriologie: nicht das religiöse Subjekt, sondern der Kosmos ist das primäre Objekt der Erlösungslehre.325 In Bezug auf die vier analysierten Arbeiten kann Neugebauer das Fazit ziehen: „Der Ausgangspunkt und das Zentrum der Christologie des frühen Tillich ist die Spannung von Offenbarung und Geschichte.“326 Es gilt: „Sowohl die Verhältnisbestimmung von Mystik und Schuldbewußtsein als auch von Intuition bzw. Absolutem und Reflexion bzw. Relativem stehen für das Problem der Einheit von Identität und Widerspruch, die Tillich als Zentrum der Philosophie Schellings ausgemacht hatte.“327 Doch wie wird dieser christologische Ansatz in der Folgezeit systematisch ausgestaltet? Bei der Antwort wird Hermann Fischers These widerlegt, Tillich habe sich unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg wenig für spezifisch theologische oder gar christologische Themen interessiert.328 Im Gegenteil: unter modifizierten Theorievoraussetzungen sieht Neugebauer bei Tillich in seiner Kairos-Metaphysik die paradoxale Einspannung der einen Welt in das Absolute und das Relative und die Manifestation dieser Spannung in dem in Christus offenbar gewordenen absoluten Paradox. Auch das um eine geistphilosophische Sinntheorie geordnete „System der Wissenschaften“ von 1923 ist für Neugebauer ein 323 324 325 326 327 328
EW IX, 315. Vgl. Neugebauer, 269. Vgl. Neugebauer, 283. Neugebauer, 291. Neugebauer, 263. Vgl. Fischer: Die Christologie als Mitte des Systems, 208.
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„Beleg für die Entschränkung der Christologie“329. Ähnliches gilt für Tillichs Kritik an Troeltschs Historismus-Studien und seine religionsphilosophische Rahmung der Christologie durch den Begriff der „Religion des Paradox“ oder „Religion der Gnade“. Wichtig ist für uns vor allem der Brückenschlag zum späten Hauptwerk, der „Systematischen Theologie“.330 Korrelationsmethodisch wird die Grundkonstellation Offenbarung und Geschichte auf das wechselseitige Bestimmungsverhältnis von Botschaft und Situation im Sinne der Beziehung von ewiger Wahrheit und zeitlicher Ausformung bezogen. Von daher besteht „eine grundsätzliche Übereinstimmung zwischen den zu korrelierenden Relaten und dem kategorialen Problem christologischer Reflexion“331, dem Grundproblem von Offenbarung und Geschichte. Neugebauers nähere Betrachtung der Korrelationsmethode bringt Erkenntnisse auf den Punkt, die wir bereits im einleitenden methodologischen Teil herausgearbeitet haben und die für den ganzen inhaltlichen Spannungsbogen der „Systematischen Theologie“ von zentraler Bedeutung sind, da ja die Methode selbst bereits eine theologische Aussage ist332 und es von daher „ein wechselseitig irreduzibles Verhältnis von Gegenstand und Methode“333 gibt. Worin liegt der besondere Charakter der Korrelationsmethode? Nach Neugebauer ist die Relation von Botschaft und Situation, ewiger Wahrheit und zeitlicher Ausformung, göttlicher Selbstoffenbarung und geschichtlicher Existenz nur ungenügend widergegeben, wenn sie auf die Gegenüberstellung von Philosophie und Theologie übertragen wird. Auf der Seite der Philosophie besteht nämlich eine eigenartige Doppelung des Ansatzes: einerseits leistet sie im Sinne der Ontologie eine Entschlüsselung der Struktur des Seins und beschreibt das Wesen einer Sache, andererseits formuliert sie im Sinne der Existenzphilosophie das Korrelat der Frage und leistet damit eine Bestimmung unter den endlichen Bedingungen der Existenz. Hier zeigt sich einerseits die Unterscheidung, andererseits aber auch die geniale Zusammenführung von Ontologie und Existenzphilosophie in Tillichs Intuition.
329 330 331 332 333
Neugebauer, 317. Vgl. Neugebauer, 348 – 376. Neugebauer, 355. Vgl. ST I, 15. Neugebauer, 359.
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Ganz zurecht nimmt Neugebauer von daher einen formal-methodologischen Dreischritt an, den er auch in die frühen Werke Tillichs zurückverfolgen und an Schellings Inspiration rückbinden kann. Es handelt sich um die drei Elemente der Korrelation der formalen Ontologie, der Existenzphilosophie und der Offenbarung, welche sich von Schelling her als identitätsphilosophischen, relativen (Widerspruchs-) und theologischen Standpunkt des Paradox identifizieren lassen. Diese Einteilung nimmt Tillich im System von 1913 vor. Im Wissenschaftssystem von 1923 taucht dasselbe Schema beim Aufbau der Geisteswissenschaften nach „Sinnprinzipienlehre oder Philosophie“, „Sinnmateriallehre oder Geistesgeschichte“ und „Sinnnormlehre oder Systematik“ auf. Die erste entfaltet eine Wesensbestimmung, die zweite die konkrete, geschichtliche Realisierung und die dritte den Sinn des Seins innerhalb der systematischen Denkform. Noch im Spätwerk setzt sich diese Unterscheidung von 1923 durch, wenn Tillich die Philosophie auf die Aufgabe der Beschäftigung mit der Struktur des Seins an sich und die Theologie auf der Entfaltung des Sinns des Seins für uns verweist.334 Wenn nun die Methode selbst eine theologische Aussage ist, muß sich das an ihrem formalen und materialen Kriterium ablesen lassen. Daß der Gegenstand der Theologie „das (ist), was uns unbedingt angeht“335, zielt auf eine Bestimmung der Relation von Unbedingtem und Bedingtem, welche seit 1913 von Tillich vom Paradoxbegriff her gefaßt wird. Die materiale Norm des Neuen Seins in Jesus dem Christus spiegelt dieses Paradox insofern wieder, „daß der göttliche logos – das göttliche Offenbarungswort und die Wurzel allen menschlichen logos – Fleisch geworden, daß das Prinzip der göttlichen Selbstoffenbarung in dem Ereignis „Jesus als der Christus“ manifest geworden ist„336. Das absolut Universale und das absolut Konkrete fassen sich auf paradoxale Weise in Christus. Das bedeutet aber: da die Methode von der theologischen Norm abhängig ist, muß Tillichs methodisches Programm in der „Systematischen Theologie“ als Ausdruck der paradoxalen Spannung der LogosChristologie gesehen werden. „Die methodischen Relate Botschaft und Situation (…), die bereits als Ausdrucksgestalten der Spannung von
334 Vgl. ST I, 30. Neugebauer entwickelt diesen wichtigen Gedankengang auf S.358 f. 335 ST I, 19 f. 336 ST I, 24 (Hervorhebung von Tillich).
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Offenbarung und Geschichte identifiziert wurden, werden von Tillich hier auf den Gedanken der Inkarnation des Logos zurückgeführt.“337 Tillichs Christologie des Neuen Seins macht deutlich, daß die soteriologische Funktion sich dort auf eine Versöhnung von Essenz und Existenz beschränkt. Wie die göttliche Offenbarung auf die Geschichte wirkt, wird erst im 3. Teil der „Systematischen Theologie“ ausgeführt. Die Reich-Gottes-Konzeption bildet nach Neugebauer „eine programmatische Umsetzung des christologischen Grundproblems von Offenbarung und Geschichte“338. In seiner universalisierenden, sinntheoretischen Perspektive sieht Tillich den letzten Sinn der Geschichte im Symbol des „Reiches Gottes“ verkörpert. Die Problemkonstellation des Verhältnisses von Offenbarung und Geschichte verweist dabei weniger auf die transzendente Dimension des Reiches Gottes als vielmehr auf seine geschichtsimmanente Dimension. In seiner universalen Geschichtshermeneutik konstruiert Tillich eine wechselseitige Irreduzibilität von Geschichtsdeutung und Christologie und zentriert diese Koinzidenz auf der Metapher der „Mitte der Geschichte“ als jenes geschichtlichen Ereignisses, in dem sich die Geschichte durch das Erscheinen Jesu als des Christus ihrer selbst und ihres Sinnes bewußt wird.339 In der zentralen Begegnung von Offenbarung und Geschichte findet die gesamte Geschichte Sinn. Sie bezeichnet damit jene „Dimension des Lebens, welche der Universalität der Christologie am ehesten gerecht wird“340. Daß in der Metapher der Mitte der Geschichte als zentralem Symbol des Reiches Gottes alle Fäden zusammenlaufen, zeigt sich nach Neugebauer auch daran, daß Offenbarung und Geschichte nun nicht mehr den prinzipiellen methodischen Rahmen abstecken, „sondern darüber hinaus im Mittelpunkt der materialen Entfaltung stehen“341. Im Gegenlicht der kulturellen Selbstverständigung der Moderne gelingt es Neugebauer schließlich, Tillichs besondere Bedeutung innerhalb der von ihm herausgestellten reduktionistischen Tendenzen des 19. und 20.Jahrhunderts herauszustellen.342 Geleitet wurde Tillich dabei 337 338 339 340 341 342
Neugebauer, 360. Neugebauer, 369. Vgl. ST III, 419. Neugebauer, 376. Neugebauer, 375. Vgl. Neugebauer, 377 – 389. Dabei hebt erstens Neugebauer Tillich ab gegenüber der Ablehnung des Entwicklungsgedankens und sieht in ihm die Bereitschaft, auf dem Hintergrund der genuin Schellingschen Verknüpfung der Geschichte des Selbstbewußtseins mit der Wesensbestimmung des Christlichen die Dynami-
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von seinem vorbehaltlosen Anschluss an die idealistischen Großtheorien, welche ihm die Möglichkeit eines globalisierten Christentumsverständnisses boten. Aus letzterem entspringt letztlich Tillichs synthetische Kraft, die zeitgenössischen Geistesströmungen zu rezipieren und in seinem System miteinander in eine Begegnung zu führen. Das Christentum bzw. das christologische Paradox hat nach Neugebauer strukturell betrachtet prinzipielle Bedeutung für den Anspruch von Tillichs apologetischem Systemdenken, ein System der menschlichen Selbstinterpretation und Lebensdeutung zu bieten. Vor allem die sich abwechselnden und existentiell miterlebten ideologischen Verblendungen des 20.Jahrhunderts haben nach Neugebauer Tillich in seiner Überzeugung bestärkt, „daß das Christentum ein Symbolsystem repräsentiert, das Vernunft, Geschichte und Kultur insgesamt umgreift und insofern vielleicht den einzig möglichen Gegenpol zu jenen Großideologien des 20.Jahrhunderts bildet. Tillich gehört – um Harnack zu zitieren – zu den „Genies der Summation“ und nicht der Reduktion.“343 Der Ansatz von Georg Neugebauer wurde hier eingehend nachgezeichnet, da wir uns anerkennend an seiner Arbeit orientieren. Sicher muß gefragt werden, ob Tillichs Christologie vor allem geschichtsspekulativ gefaßt werden kann oder ob nicht andere Elemente – wie z. B. Ansätze einer personalen Christologie – bereitliegen und ausgeklammert werden. sierung der Vernunft zu denken. Dies sei für Tillich zu einem „intellektuellen Schlüsselerlebnis“ (Neugebauer, 378) geworden. Zweitens würdigt Neugebauer Tillichs Fähigkeit, gegenüber den Engführungen des Historismus, des historischen Relativismus und Troeltschs Europäismus Absolutes und Relatives in Beziehung zu stellen und Geschichtsmetaphysik als Geistmetaphysik zu denken. Drittens bleibt Tillich dem Absolutheitsanspruch des Christentums treu, führt ihn aber nicht auf den Gottesbegriff, sondern auf die Christologie zurück, welche zum „Knotenpunkt (wird), von dem aus die Universalgeschichte von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende konstruiert werden kann“ (Neugebauer, 385). Viertens hat Tillich dem modernen Individualismus besonders in der theologischen Gestalt der Herrmannschen Christologie die Stirn geboten und letztere in ihrer kosmischen Dimension als Logos-Christologie entfaltet. Deshalb suche man, so Neugebauer, bei Tillich auch umsonst eine Soteriologie im subjektiven Sinn (vgl. Neugebauer, 387). Und fnftens hat Tillich im Unterschied zu Ritschls praktischsittlichem Geistbegriff an der metaphysischen Fragestellung und einem umfassenden Naturbegriff festgehalten. 343 Neugebauer, 391; unter Aufgreifen eines Zitates von: Harnack, A.: Lehrbuch der Dogmengeschichte. Erster Band: Die Entstehung des kirchlichen Dogmas, Tübingen 1909, 652.
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Mit Neugebauers Hilfe gelingt es, das Bestimmungsverhältnis von Botschaft und Situation theologisch als das Verhältnis von Offenbarung und Geschichte zu identifizieren, es an die Philosophie von Schelling zurückzubinden, es auf die christologischen Implikationen hin zu durchleuchten und es als Integralgröße des Tillichschen Systemaufbaus freizulegen. Neugebauer kann in beeindruckender Weise nachzeichnen, daß nach Tillichs Überzeugung die antinomische Struktur geistiger Selbstauslegung identisch ist mit der Struktur des christologischen Paradoxes.344 Im Christentum wird dieses absolutheitstheoretische theologische Prinzip „realistisch“ dargestellt. Innerhalb dieser Grundkorrelation entfalten sich Tillichs beim Deutschen Idealismus gelernter Systemwille345 und seine schier grenzenlose Empfänglichkeit für den Puls der Zeit. Sein Christentumsverständnis erlaubt sowohl eine scharfe Analyse der unterschiedlichsten Theorieentwürfe als auch die Offenheit und Elastizität gegenüber den Ansprüchen der zeitgenössischen Situation. Unsere Aufmerksamkeit gilt der materialen Ausarbeitung der Christologie in der „Systematischen Theologie“, so daß wir den dritten Band nur im Sinne der Verifizierung der Konsequenzen behandeln. Da sich aber in diesem die geschichtsphilosophischen und sinnhermeneutischen Theorien entfalten, welche in die Christologie vorausstrahlen – ohne dort ausgeführt zu werden –, wollen wir in Anlehnung an Neugebauers Begründung, daß dieser materiale geschichtsphilosophische Endpunkt des Systems sich der Arbeit an Schellings Systems verdankt, nun hier das Kapitel zum systembildenden Einfluß von Schelling auf Tillich mit den Reflexionen zu Geschichtsphilosophie und Sinnhermeneutik abrunden. 2.3.4. Der Sinnbegriff als geschichtsphilosophisches Integral Ohne einen erschöpfenden Überblick über die wechselnden dominierenden bzw. im Vordergrund stehenden Fundamentalgedanken des Tillichschen Entwurfs im Laufe der Jahre geben zu wollen, werden wir uns jenen beiden an Schelling inspirierten Leitlinien seines Denkens zuwenden, die für die Rahmung der christologischen Theorie in der
344 Vgl. Neugebauer, 256; 264 (in Bezug auf die Paradoxie der Strukturen). Gegen Hegel muß betont werden, daß diese Antinomie als solche bleibend und unvermittelbar ist. 345 Vgl. Neugebauer, 290.
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„Systematischen Theologie“ am bedeutendsten erscheinen: Geschichtsphilosophie und Sinnhermeneutik.346 2.3.4.1. Kann Geschichte Sinn haben? Wichtig ist für unsere Erörterungen, daß Ulrich Barth den „Impuls zur Hinwendung zum Sinnbegriff in Erlebnissen während des Ausgangs des ersten Weltkriegs“347 sieht. Von hier ab gilt: „Die großen Aufsätze und Monographien der Berliner, Marburger und Dresdener Jahre fußen allesamt auf der durch den Sinnbegriff ermöglichten Verschränkung von Geistphilosophie und Kulturphilosophie, Religionsphilosophie und Wissenschaftstheorie. Auch die zu dieser Zeit entstandene und ins Spätwerk hinüberführende Symboltheorie verdankt sich dieser inneren Systemvernetzung.“348 Tillich selbst bekennt, vom Idealismus her die Notwendigkeit einer Philosophie der Freiheit und der Annahme einer Entsprechung zwischen dem menschlichen Geist und der Wirklichkeit unter dem Begriff vom „Sinn“ gelernt zu haben.349 Eingebettet ist diese Wendung in die sogar systembildende Wirkung des ausgiebig studierten Schelling und einer am protestantischen Prinzip bereits frühzeitig profilierten Geschichtsphilosophie. Dabei kann der Sinnbegriff nur plausibel gemacht werden vor dem Hintergrund des protestantischen Prinzips, welches bei Tillich alles dominiert und überragt. Das Konkrete muß sich definitiv und konstitutiv zum Absoluten hin auslegen. In der Verschränkung von Geschichtsphilosophie und Christologie wird dies besonders deutlich: nicht nur darf kein einziges konkretes historisches Moment den Anspruch erheben, das Absolute darzustellen und damit selbst Absolutheitscharakter anzustreben, sondern auch das Konkrete an Christus wird negiert in Bezug auf seine Darstellungsvollmacht gegenüber dem Absoluten. Tillich schreibt dazu in seiner Systematischen Theologie von 1913: „Am Kreuz stirbt alles
346 Wir stellen dabei fest, daß Ulrich Barth in seiner postulierten Einteilung von Tillichs Denken in drei Stadien die frühe Reifezeit integral unter dem Sinnbegriff subsummiert: „Der erste selbständige Systementwurf orientierte sich kategorial am Wahrheitsbegriff, die Schriften der frühen Reifezeit am Sinnbegriff, und das mit dem Exil einsetzende Spätwerk an der Ontologie.“ Die innere Kontinuität sieht Barth in einer am Deutschen Idealismus geschulten Geistphilosophie. (Barth, U.: Religion in der Moderne, 91) 347 Barth, U.: Religion in der Moderne, 91. 348 Barth, U.: Religion in der Moderne, 93. 349 Vgl. GW XII, 49 f.
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Konkrete, das sich verabsolutieren will, auch die Konkretheit des Erlösers.“350 In anderen Worten: die Glaubensgewißheit richtet sich nicht an bedingten oder kontingenten Inhalten auf, sondern kann erst dort eintreten, wo kein einziger Inhalt – nicht einmal das Wort „Gott“ selbst – den Platz Gottes einzunehmen beansprucht. Glaubensgewißheit ergibt sich jenseits aller Sicherheit und aller durch Zweifel ad absurdum geführten Sicherheit – also auch jenseits des Zweifels – als Urgrund der Bedingung der Möglichkeit des Zweifelns. Bezogen auf die Christologie, welche notwendigerweise mit konkreten Inhalten gefüllt werden muß, bedeutet es: sie kann nur bestehen, wenn ihr Träger, der Christus, alles Konkrete dem Übergeschichtlichen am Christlichen opfert. Alle Gewißheit ist zunächst abstrakt, denn sie ist im Absoluten. Nur wo das Unbedingte sich dem Bedingten auf „ergreifende“ Weise eröffnet, kann eine Tangente des Geistes die Gewißheit streifen. Wie also sollte die Christologie mit ihren konkreten, geschichtlichen Inhalten Glaubensgewißheit vermitteln können? Tillich dazu in der Systematischen Theologie von 1913: „Die Rechtfertigung, die vom Absoluten kommt, hat die abstrakte Gewißheit für sich und gibt sie weiter an die Christologie und ihre konkreten Probleme. Die Christologie hat die konkrete Realisierung und gibt sie zurück an die Rechtfertigung und ihre abstrakte Absolutheit. In der Rechtfertigung hat der Glaube seine absolute, aber abstrakte Gewißheit, in der Christologie seine relative, aber in jedem Moment konkrete Gewißheit.“351 Das Bedingte ist gegenüber dem Unbedingten negiert, es bleibt endlich und kann das Unbedingte nicht greifen. Woher kann dann der Geschichte Sinn zuwachsen? Nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges konstatiert Tillich eine negative Kulturkrisis und mahnt in der Vollmacht des protestantischen Prinzips alles Bedingte an, was sich dem Unbedingten verschließt, ja es an sich reißen will. Diese Autonomie zerbricht krisenhaft in sich selbst und fällt damit dramatisch ab gegenüber jenem Bedingten, das sich dem Unbedingten anbietet und öffnet. Die Krise selbst wird nun unbedingt. Der Mensch erfährt sich und die Welt als radikal geschichtlich und hoffnungslos endlich. Diese Zweideutigkeiten eröffnen die Frage nach einem unbedingten Sinn des Seins jenseits aller zusammengebrochenen Utopien. Nur im Vertrauen auf einen die ganze Geschichte umgreifenden Sinn kann 350 EW IX, 322. 351 EW IX, 323.
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plausibel gemacht werden, daß weder einzelne kontingente GeschichtsTräger noch die Gleichschaltung aller historischen Ereignisse zu einem sich summierenden Sinn die exklusive Sinnfülle des Unbedingten umfassen. Tillichs geschichtsphilosophische „Kairos“-Reflexionen wenden ab 1922 die Medaille der Krisis, bleiben aber derselben Grundüberlegung verpflichtet. Was Krisis war, wird nun Kairos. Krisis kann nur dort überwunden werden, wo weder Bedingtes zum Unbedingten hochstilisiert wird noch dem Bedingten prinzipiell der Zugang zum Unbedingten verweigert wird. Dort, wo das Unbedingte sich Durchbruch verschafft, ist Kairos. Hier geschieht neue Schöpfung, und hier wird der Sinn der Geschichte nicht an eine Einzelwirklichkeit delegiert, sondern eröffnet sich als Gesamtsinn der Geschichte. Was für Tillich konkret-historische Gestalt im „Religiösen Sozialismus“ findet und hier nicht weiter ausgeführt werden kann, hat in unserem Interesse vor allem Relevanz für das Konzept der Christologie. Denn wo zeichnet sich ein solcher Kairos ab, der seinerseits wiederum Kriterium und Grundform aller Kairoi der Gesamtgeschichte sein kann? Wir haben die Auseinandersetzung mit Barth und Gogarten über das kritische und positive Paradox352 bereits besprochen. Die Dialektische Theologie macht nach Tillichs Auffassung aus dem Christusereignis ein Absolutum, ein „positives Absurdum“353, welches nicht schöpferisch mit der Universalität der Geschichte korrespondiert, sondern sie ihren Dämonien heil- und hoffnungslos überläßt. Das exponiert Exklusive ist derart abgeschnitten und des Unbedingten habhaft geworden, daß es notwendigerweise eine Heilsgeschichte als der Gesamtgeschichte opponiert darstellen muss. Heil für die Geschichte als solche kann es nicht geben. Tillich spricht von Heteronomie, denn „in den Glaubensakt ist die Anerkennung einer empirischen Tatsache aufgenommen“354, nämlich der konkret erforschbaren und anzweifelbaren Person Jesu – und dies ist für Tillich absolut unhaltbar. Das Paradox wird absurd, wenn es den Gesamtzusammenhang und die Einheit der Geschichte opfert. Das Paradox besteht für Tillich nur sinnvoller- und sinngebenderweise im Gesamtzusammenhang der übergeordneten Einheit des Ganzen. Das Paradox steht im Dienst der im absoluten Unbedingten zusammengehörenden Gesamtgeschichte. Es 352 GW VII, 216 – 246. 353 GW VII, 223. 354 GW VII, 223.
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dient der Dialektik, oder besser: der Analogie. Schöpfung und Erlösung gehören analogisch zusammen. Die Heilsgeschichte – die sich in Christus symbolisch darstellt – geht durch die gesamte Geschichte hindurch. Die Offenbarungsgeschichte ist unanschaulich und deshalb allumgreifend. Die Erlösung gilt folglich nicht alleine für einen kleinen Ausschnitt der menschlichen Geschichte, sondern für den Kosmos als ganzen. In anderen Worten: nicht dadurch, daß Christus als adäquates Symbol des Unbedingten in die Geschichte eingeht, wird der dadurch affektierte Teil der Geschichte zur Heilsgeschichte, sondern indem in Christus die Idee im Widerspruch der Existenz zu sich selbst findet, eröffnet sich die Möglichkeit der Selbstverwirklichung des Absoluten, des Seins-Selbst. Christus ist demnach nicht willkürlich, sondern notwendig, nicht aber innerhistorisch zu vereinnehmen und fixierbar, sondern in seinem Verweis auf das Unbedingte letztlich die Verwirklichungsform des Gesamtsinns der Geschichte. Da dies aber in Christus tatsächlich geschehen ist, ist einerseits gesagt, daß es auch in anderen nicht-unsrigen Zusammenhängen der Geschichte geschehen kann, daß aber andererseits das für uns Höchstmögliche sich ereignet hat: Gott als Unbedingt-Seiender hat sich als Tragender unserer Geschichte erwiesen.355 Letztlich heißt dies auch, daß – wenn die Menschheit sich selbst ermorden würde (wie Tillich in seiner „Systematischen Theologie“ spekuliert) 356 und niemand mehr das Christusereignis bezeugen könnte – es andere Wege der göttlichen Selbstmanifestation geben würde für andere Lebewesen, die in einer anderen historischen Kontinuität mit diesem Durchbruchereignis stünden. In anderen Worten: die Geschichte hat Sinn. Religion bereitet ihn vor, in Christus, der vollkommenen Offenbarung, bricht er durch, in der Geistgemeinschaft (der Kirche) wird er aufgenommen. Der christologisch bestimmte Durchbruch ist der Kairos schlechthin. Er ist die „Mitte der Geschichte“, die Tillich als „Synthese zwischen absolutem und relativem Standpunkt“357 charakterisiert. Trotz des umfassenden Gesamtcharakters der Geschichte ist dieser Durchbruch soteriologisch an den einzelnen Träger der Geschichte gerichtet, also an die freie und tätige Persönlichkeit jedes Menschen. Deshalb ist der Durchbruch der vollkommenen Offenbarung nach Tillich nur personal zu denken. Das Ich des Menschen wird unbedingt angegangen und ergriffen von der Sinn355 Vgl. EW XIV, 274 f. 356 Vgl. ST II, 109 – 111. 357 EW IX, 321.
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mitte der Geschichte: „Von der Mitte aus wird der Anfang als Anfang einer Geschichte und das Ende als Ziel einer Geschichte verstanden. Geschichte ist also nur da, wo ein Subjekt mit einem Objekt des zeitlichen Prozesses so in Beziehung getreten ist, daß dieses Objekt zur Mitte eines Geschehens wird, dessen Anfang und Ende von der Mitte her bestimmt sind.“358 Das bedeutet, daß der Durchbruch der vollkommenen Offenbarung auch in analogen Geschichtsverläufen außerhalb des Ich geschehen kann, doch auch hier immer wieder den Sinn der Gesamtgeschichte bestätigt. Daß Geschichte Sinn hat, ist nicht objektiv darstellbar, sondern glaubbar. In seinem programmatischen Artikel „Christologie und Geschichtsdeutung“359 aus dem Sammelband „Religiöse Verwirklichung“ von 1930 wird die Zeit als Spannung und Nach-vorn-gerichtet-Sein des Seins gedeutet. Das Sein ist ausgerichtet und hat Sinn, denn es geht auf Neues zu. Es kann diesen Sinn aber nicht feststellen, sondern ihn nur voraus-greifend glauben. Diese Entscheidung realisiert sich einerseits im handelnden Tun – Tillich löst diesen Anspruch durch sein kontinuierliches politisches Interesse existentiell ein – und setzt andererseits als Bedingung der Möglichkeit ihrer selbst ein konkret-sinngebendes Prinzip voraus, in dem die Sinnlosigkeit aufgehoben ist: die Mitte der Geschichte in Christus. Nur jenes Sein kann jedoch Sinn verwirklichen, das mit Freiheit begabt ist. Da Tillich diese Kategorialisierung aber nicht auf den Menschen beschränken will, verlangt seine Sinnhermeneutik nach Kosmologie, nach Universalität. Dabei wird deutlich: Tillich ordnet den Lebenssinn und seinen Grund dem existentiellen Zweifel, der Sinnlosigkeit vor. Hierin liegt nach Wagner das Thema der Tillichschen Theologie verborgen.360 Geschichte wird als Geschichte erfahren, weil es Sinn gibt; daß Geschichte geschichtlich ist, verweist auf den Sinngrund. 2.3.4.2. Welchen Sinn hat die Geschichte? Tillich läßt die Theologie bewußt nach dem Sinn des Seins und nicht – wie die Philosophie – nach den Strukturen des Seins fragen.361 Daß er den 358 359 360 361
EW XIV, 372. GW VI, 83 – 96. Wagner: Absolute Positivität, 135, Anmerkung 22. Falk Wagner hat das prägende Sinnmotiv in Tillichs Denken offenzulegen versucht. Für Wagner ist – ähnlich wie bei Danz und Wenz – das Konstruktionsprinzip der Theologie die bestimmte Tätigkeit des sich selbst wissenden Selbstbewußtseins. Wagner führt dies anhand von Tillichs „System der Wis-
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Sinn dem Sein voranstellt, erinnert sehr stark an seinen Brief an Emmanuel Hirsch: „Das Göttliche ist Sinn, nicht Sein.“362 An selber Stelle bekennt er seine Suche nach einer tiefen Realität, die nicht theistisch auf dem Sein, sondern auf dem Sinn beruht.363 Was sich von dort her in der Kulturtheologie und in der Symboltheorie weiter ausbildete364, machte Tillich in seinem „System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden“ von 1923 ausdrücklich zum Thema365, indem er Theologie als theonome Sinnnormenlehre bestimmte. Metaphysik als Geistes366-
362 363 364
365 366
senschaften nach Gegenständen und Methoden“ (GW I, 109 – 293) aus dem Jahre 1923 und anhand seiner „Religionsphilosophie“ (GW I, 295 – 364) von 1925 aus und präzisiert: „Die Theologie entwickelt also die Frage der Autonomie nach sich selbst als das in der Selbstgegebenheit gründende Sich-Gegebensein der Autonomie.“ (Wagner: Absolute Positivität, 133) Während Danz sich streng an der „trinitarischen“ Struktur der „Systematischen Theologie“ orientiert, verfolgt Wenz mehr die Genese der Denkdynamik. Wagner konzentriert sich auf die vor der Emigration grundgelegten Schemata und verifiziert sie nur marginal in der „Systematischen Theologie“. J.Heinrichs kann feststellen, daß Tillichs Metaphysik als universale Sinnhermeneutik mit dem sich selbst gelichteten Sinnvollzug beginnen und folglich Transzendentalphilosophie sein müsse. Anderenfalls fiele sie hinter das neuzeitliche Reflexionsniveau zurück. (Vgl. Heinrichs, J.: Der Ort der Metaphysik im System der Wissenschaften bei Paul Tillich. Die Idee einer universalen Sinnhermeneutik, in: ZKTh 92 (1970) 249 – 286, hier: 269) Wird damit aber nicht jeder Sinngehalt rein subjektiv und verfehlt damit den eigentlich intendierten Objektivitätscharakter? Heinrichs antwortet, „daß wir es immer und ausschließlich mit Sinn zu tun haben und dieser von vornherein als die gesuchte dialektische Vermittlung von Subjektivität und Objektivität zu begreifen ist, von vornherein als die Einheit und Übereinkunft, die sich erst „nachträglich“ in die beiden dialektisch vermittelten Pole von Vollzug und Gehalt, von Subjektivität und Objektivität ausdifferenziert, wobei ihre dialektische Gegensatzeinheit nie aus dem Auge zu verlieren ist“ (Heinrichs, 272). Sinn ist notwendigerweise ein subjektiv-immanentes Geschehen, welches jedoch dadurch, daß es um Sinn geht, sich von vornherein übersteigt. Der Sinnvollzug ist ein „Herauskommen aus mir“ (Heinrichs, 270). Vgl. EW VI, 125 ff. Vgl. EW VI, 97. Moxter ist in seinem sehr interessanten, aber komplexen Artikel „Zur Kritik von Tillichs Kulturtheologie“ der Meinung, daß der sich in der Symboltheorie ausdrückende transzendente Realismus der Gotteslehre im Gegensatz stehe zu der sinntheoretisch-phänomenologischen Anlage der Kulturtheologie, welche ausdrücklich gelobt wird. (vgl. Moxter, M.: Kultur als Lebenswelt. Studien zum Problem einer Kulturtheologie, Tübingen 1999, 24 f.98) Vgl. dazu den sehr guten und detaillierten Artikel von Heinrichs. Der Geist ist die dialektische Einheit der beiden unreduzierbaren Elemente des Wissens, d. h. von Denken und Sein. „Denken ist das Wissen als Sinn-Vollzug
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Wissenschaft ist aber universale Sinnhermeneutik367: zum einen postuliert Tillich eine unbedingte Einheit und Universalität von Sinn, und zum anderen ist die Metaphysik die auf das Unbedingte gerichtete theoretische Sinnfunktion. Geschichtsphilosophie und Sinntheorie sind bei Tillich demnach eng miteinander verschränkt. Diese Betrachtung wird umso dringlicher, als daß Tillich im Epochenschema seine eigene Zeit, die er als Krisis und Kairos faßt, als die Zeit des Sinn-Verlustes kennzeichnete. U.Barth stellt darüber hinaus fest, daß Tillichs Verdienst darin besteht, die erste sinntheoretische Konstruktion des Begriffs der Religion geleistet zu haben.368 Worin besteht sie? Und was will die Anwendung des Sinnbegriffs im Zusammenhang mit der Geschichtsphilosophie besagen? Was ist dieser Sinn, den die Geschichte birgt? Die Tätigkeit der Geisteswissenschaften besteht in Tillichs Wissenschaftssystem im Schaffen von Sinn. Tillich setzt in jedem Sinnakt eine unbedingte Sinnhaftigkeit voraus; den unbedingten Sinn faßt er nicht mehr als Sinn, sondern als Sinngrund.369 Dieser unbedingte Sinn ist damit ontologisch vorausgesetzt als Grund jedes bestimmten Sinnes und als Sinngehalt jedes durch einen geistigen Akt geformten Sinnes.370 Der
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(Bewußtseinsvollzug), Sein heißt das Wissen im Hinblick auf den gewußten Sinn-Gehalt.“ (Heinrichs, 256) Die Sinnelemente allen Seins sind Sinn-Form und Sinn-Gehalt; der Form wird das Denken zugeordnet, und dem Gehalt das Sein. Form und Gehalt stehen aber ihrerseits wieder in enger Verwandtschaft zu Autonomie und Theonomie, welche wiederum auf Kultur und Religion verweisen. Wichtig ist auf jeder Ebene die unzertrennbare Dialektik der Einheit. Die dialektische Einheit der beiden Elemente Denken und Sein ist der Geist. Wenn Tillich methodisch so radikal beim Wissen ansetzt, dann muß echte Metaphysik Sinnmetaphysik sein. Vgl. Heinrichs, 251. Barth, U.: Religion in der Moderne, 90. Vgl. GW I, 319. Das Unbedingte wird von Tillich verstanden als Grund und Abgrund von Sein und Sinn. Damit verankert er den Sinnbegriff und die ganze Religionsphilosophie letztlich auf ontologische Weise, denn „der Ausgang bei der Unbedingtheit des gegebenen Sinngehaltes wird von Tillich nicht näher begründet, sondern als nichthintergehbare Voraussetzung aller Sinntätigkeit behauptet“ (Wagner, F.: Religion zwischen Positivität des Unbedingten und bedingter Erfahrung, in: Wagner, F.: Was ist Religion? Studien zu ihrem Begriff und Thema in Geschichte und Gegenwart, Gütersloh 1986, 379 – 385, hier: 381). Hier liegt der Streitpunkt zwischen Wagner und Danz: Wagner sieht in der ontologisch konzipierten Unabhängigkeit des unbedingten Sinngehaltes von der bedingten Sinnform zwar „das Zentrum der Tillichschen Religionsphilosophie“, aber
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unbedingte Sinn macht sich aber zugleich geltend als „Forderung auf unbedingte Sinnerfüllung“371, welche jedoch formal nicht möglich ist, da es keine unbedingte Sinnform gibt. Zwischen Sinngehalt und Sinnform besteht eine Asymmetrie. Sein, Sinn und Sollen werden verknüpft. Falk Wagner betont, daß Tillichs Subjektivitäts- und Vermittlungsspekulationen von Unbedingtem und Bedingtem engstens am Sinnbegriff orientiert sind. Sowohl Kultur als auch Religion, Philosophie als auch Theologie richten sich auf den unbedingten Sinn, wenn auch unter unterschiedlichen Geisteshaltungen: im Fall von Kultur und Philosophie jeweils in autonomer, im Fall von Religion und Theologie jeweils in theonomer Geisteshaltung; das Unbedingte wird einmal als Sinn-Grund erfaßt und einmal an sich. Damit macht die Religion in ihrer theonomen Geisteshaltung jenes Gegebensein von Sinn explizit, was jeder Sinnschöpfung implizit zugrundeliegt. Das Gegebensein von Sinn ist aber zugleich an die getätigten Sinnakte gebunden, so daß Wagner sagen kann: „Sinn als Datum findet erst seine Erfüllung im Sinn als Faktum“372. Das Unbedingte wird nur im Bedingten greifbar. Von daher ist für Tillich die Kultur die Ausdrucksform der Religion, das Autonome die Ausdrucksform des Theonomen. Tillich nennt die Einheit von Kultur und Religion „Theonomie“373. Damit überwindet die Theonomie eine abstrakte Autonomie oder Heteronomie. Form und Gehalt des Sinns sind trotz momentaner ontologischer Unabhängigkeit des Gehaltes von der Form prinzipiell untrennbar.374 Der Religion wird damit eine relative Selbständigkeit eingeräumt. Theologie bezieht die autonomen Geisteswissenschaften in ihren geistigen Akt mit ein, ja entnimmt den autonomen Geistesfunktionen jene Symbole, die sie selbst zur Darstellung des Unbedingten braucht, und transzendiert die
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zugleich auch die Schwäche, daß es Tillich nicht gelingt, diese Voraussetzung des Unbedingten als Sein- und Sollensgrund eigens zu bewahrheiten. Es bleibt bei Tautologien (vgl. Wagner: Religion zwischen Positivität des Unbedingten und bedingter Erfahrung, 384). Danz meint dagegen, daß es Wagner hier an transzendentalphilosophischen Voraussetzungen fehle und seine Kritik ungerechtfertigt sei (vgl. Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 7). GW I, 319. Wagner: Absolute Positivität, 129. GW I, 330. „Die Denkform kann der Fundierung im unbedingten Gehalt nicht entraten und umgekehrt kann der unbedingte Gehalt nur vermittels der Denkform entwickelt werden.“ (Wagner: Absolute Positivität, 131; mit Bezug auf GW I, 272)
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Kultur auf das Unbedingte hin. Damit ist die Grundeinsicht von Tillichs Symbollehre wiedergegeben. Letztes Ziel bzw. erster Ausgangspunkt jeder Religionsphilosophie ist also Gott und nicht die Religion, nicht das Bedingte, sondern das Unbedingte.375 Das Autonome übersteigt sich in das Theonome. Die Selbstgewißheit des Ich kann nur als jenes Medium gedacht werden, das einerseits vom Unbedingten getragen und begründet wird und in dem andererseits das Unbedingte erfaßt wird.376 Hier liegt nach Wagner der springende Punkt des Verhältnisses von Bedingtem und Unbedingtem. Hier liegt aber auch seine Schwäche, da Tillich das Unbedingte ontologisch und unbewahrheitet voraussetzt. Religion als das, „was uns unbedingt angeht“377, erlaubt keinen Rückschluß auf das Unbedingte, sondern setzt es tautologisch voraus. Das Unbedingte wird abhängig vom religiösen Bewußtsein.378 Erkenntnistheoretischer Anknüpfungspunkt bleibt notwendigerweise die Autonomie. In der Theologie wird diese Autonomie sich selbst unter den Bedingungen der Endlichkeit zum Thema, aber weil diese Autonomie sich gegeben ist, muß sie sich selbst auf das unbedingte Selbstgegebensein hin übersteigen. „Sie (sc. die Theologie) expliziert unter dem Titel des Unbedingten das Gegebensein, das durch sich selbst gegeben ist. Theonomie ist als Entfaltung der Selbstgegebenheit Ausdruck für das Sich-Gegebensein der Autonomie“, das sich nur als gettigter Sinn realisiert.379 Autonomie ist von daher theologisch legitim, aber nur in 375 Vgl. GW I, 384. Wagner hat übrigens in sehr beeindruckender Weise in Bezug auf die auch von Tillich erlebte und erlittene politische Theorie des Nationalsozialismus die zerstörerischen Konsequenzen des Erhebens eines Bedingtem zum Absoluten nachgezeichnet (vgl. Wagner, F.: Politische Theorie des Nationalsozialismus als politische Theologie, in: Wagner, F.: Was ist Theologie?, Gütersloh 1989, 73 – 92). Dort heißt es auf S.90 u. a.: „Sie (sc. Hitlers Theorie) ist daher nicht Metatheorie der Gesamtwirklichkeit, sondern Theorie einer ins Absolute gesteigerten partikularen Wirklichkeit.“ Die dialektische Theologie – zu deren Vertretern man Tillich in seinen Ansätzen hinzurechnen muß – baut sich in der Kritik an solchen hybriden Konzeptionen auf. 376 Vgl. Wagner: Religion zwischen Positivität des Unbedingten und bedingter Erfahrung, 380. Wagner erkennt aber auch, daß letztlich bei Tillich ein Unterschied bestehen bleibt zwischen dem Unbedingten selbst und der Gewißheit des Unbedingten in der Selbstgewißheit, so daß das Unbedingte als Grund der Gewißheit seiner selbst doch durch eben diese Gewißheit bedingt wird. 377 Vgl. GW V, 40. 378 Vgl. Wagner: Religion zwischen Positivität des Unbedingten und bedingter Erfahrung, 385. 379 Wagner: Absolute Positivität, 132 f.
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der theonomen Bewegung der produktiv artikulierten Selbstübersteigung. Sie soll sich nicht reproduktiv um sich selbst drehen, sondern produktiv mit sich selbst umgehen.380 Damit behauptet sich die Autonomie, indem sie sich nicht auf sich selbst behauptet. Wagner sieht richtigerweise, daß die Struktur der Tillichschen Theologie einen Vorrang des Gehalts vor der Form, des Gegebenseins vor der Formung, der Gestalt vor der Kritik, der Positivität vor der Negativität (und folglich auch der Grundoffenbarung vor der Heilsoffenbarung) vorsieht, weil Tillich das Unbedingte im Rahmen einer unbedingten Theorie des Sich-Gegebenseins verhandelt.381 Diese Struktur findet ihren Ausdruck im „protestantischen Prinzip“: die Gestalt der Gnade als Einheit von unbedingtem Gehalt und unbedingter Form ist zwar mit keiner bestimmten Gestalt identisch, kann aber nur in einer solchen sichtbar werden, wobei diese dann immer der prophetischen Kritik unterworfen bleiben. Damit ist diese Einheit von Positivität und Negativität, Gehalt und Form, Gestalt und Kritik nur in negativer oder „asymmetrischer“382 Weise gegeben, weil es keine Identifizierung geben kann.383 Dadurch repräsentiert sie jedoch einen dauerhaften Prozeß der 380 Damit steht Tillich auf demselben Boden wie die Dialektische Theologie. Während diese sich unmittelbar selbst haben und verwirklichen wollende Autonomie von der radikalen Autonomie Gottes her aufgebrochen wird und demnach Selbstbestimmung im Medium der Geschichte nach Barth inakzeptabel ist, bricht Tillich die Autonomie von sich selbst her auf, indem er sie zur produktiven Gestaltung der Wirklichkeit und demnach zu getätigtem Sinn anleitet. (vgl. Wagner: Absolute Positivität, 132 f.) 381 „Damit kehrt in jeder besonderen Struktur das im Unbedingten angelegte Verhältnis von Grund und Abgrund, von Positivität und Negativität wieder.“ (Wagner: Absolute Positivität, 135) Wagner sieht auch Tillichs Rechtfertigungslehre dieser Struktur unterworfen, da er die Rechtfertigung des Zweiflers als in der Grundoffenbarung geschehender Durchbruch der Gewißheit der Wahrheit und des Lebenssinnes durch die im Zweifel erfahrene Sinnlosigkeit auffaßt, wobei dem Zweifel der Lebenssinn und sein Grund vorausgehen. „Mit der Grundoffenbarung wird sonach der in sich kreisende Zweifel auf sein Sich-Gegebensein hin durchbrochen. Der sich gegebene Zweifel ist der sich dem Zweifel öffnende Zweifel, also der Zweifel, der von sich selber Gebrauch macht, indem er den Zweifel auf sich selber anwendet.“ (Wagner: Absolute Positivität, 135, Anmerkung 22) Damit wird der Zweifel zugleich bejaht und verneint, es ist die Affirmation und Negation des Zweifels in einem. 382 Vgl. Wagner: Religion zwischen Positivität des Unbedingten und bedingter Erfahrung, 381. 383 Neben der Rechtfertigungslehre ist nach Wagner vor allem auch Tillichs Symboltheorie Spiegelbild der grundlegenden Struktur. Die Symbole stehen in der
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Produktivität – „ein perennierendes Sollen“384 –, weil der unbedingte Sinn sich nicht nur als Sein, sondern auch als Sollen, nämlich als eine nie erfüllbare Forderung auf unbedingte Sinnerfüllung darlegt.385 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß für Tillich der Mensch als Träger des Geistes in seiner geistigen Wirklichkeit als Sinnwirklichkeit lebt. Er vollzieht Sinn. Sein Weltbewußtsein als Sinnzusammenhang ist aber zugleich das Bewußtsein um einen unbedingten Sinn, den Sinngrund, und um eine Forderung, den unbedingten Sinn zu erfüllen.386 Diese absolute Forderung an die menschliche Freiheit, intentional auf Sinnerfüllung gerichtet zu sein, geht den Menschen unbedingt an und betrifft folglich sein Zentrum. Diese geistige Forderung bewahrt Tillichs Denkform vor einem Stillstand, z. B. aufgrund einer banalisierten Seinsanalogie, und hält die Dialektik der Gott-Mensch-Beziehung im Prozeß. Sie ist auch der eigentliche Hintergrund des Essenz-ExistenzSchemas. Damit ist zugleich gesagt, daß Sein und Sinn direkt aufeinander bezogen sind. Der Sinn bringt das Sein zur geistigen Erfüllung, so daß der Sinn des Seins sich durch den Geist erfüllt.387 Diese Erfüllung geschieht in der Geschichte. Abschließend lassen sich die Konsequenzen der ursprünglicheren und universalen Vorordnung von Sinn gegenüber Sein benennen388 : erstens setzt der Sinnbegriff die Metaphysik theoretisch in Beziehung zu Ethos und Praxis; zweitens betont er die Einheit von Theorie und Praxis in Sprache und zwischenmenschlichem Geschehen; und drittens – und für uns von entscheidender Wichtigkeit – denkt er die Vollendung der Seinsmetaphysik in einer Gemeinschafts- und Geschichtsmetaphysik, da
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Spannung von Uneigentlichkeit und Selbstmächtigkeit. „Das Symbol ist Setzen und Aufheben von Gegenständlichkeit in einem, also negative Einheit von Positivität und Negativität.“ (Wagner: Absolute Positivität, 137, Anmerkung 24) Wagner: Religion zwischen Positivität des Unbedingten und bedingter Erfahrung, 382. Vgl. Wagner: Religion zwischen Positivität des Unbedingten und bedingter Erfahrung, 382. Man könnte sagen, „daß der als Seins- und Sollensgrund gesetzte unbedingte Sinngehalt nur als Funktion der Sinnform auftritt“, worin eine gewisse Parallelität zu Tillichs Aussage gesehen werden kann, Christologie sei Funktion der Soteriologie. Letztendlich geht es Tillich um die soteriologische Transparenz der Christologie für die Pneumatologie: das Christus-Symbol wird zur Funktion der Dimension des Geistes und der im Neuen Sein eröffneten Lebens-Form. Vgl. ST I, 318 f. ST I, 328. Vgl. Heinrichs, 273 f.
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Tillich letztere als „Sinndeutung des Geistprozesses vom unbedingten Sinn her“389 versteht. Sie hat die Aufgabe, „die Offenbarung des unbedingten Sinnes in einer Deutung des Sinnprozesses der Geschichte (zu) erschauen“390. Dort, wo der Mensch in seiner existentiellen Sinnfrage unbedingt vom Sinn angegangen wird, geschieht Erfüllung der Geschichte und nimmt sich die ideale geistige Einheit der Sinnelemente vorweg. Die existentielle Frage ist zugleich auch die universalste, weil sie nach dem universalen Sinn fragt. Und Geschichte ist letztlich der Kampf um die Rückgewinnung des absoluten Sinngrundes. Geschichte ist aber kein objektiv verlaufender Prozeß, sondern er wird determiniert von der „Mitte der Geschichte“, dem Durchbruch des spezifisch sinngebenden Prinzips in die bedingte Endlichkeit. In der Christologie wird der Durchbruch von Sinn zum Konstitutionsprinzip von Geschichte und das Christusereignis wird ihre Mitte, da es Manifestationsort des Unbedingten ist, in dem die Selbstkonstitution des menschlichen Selbstbewußtseins in seine Essenz hineingehoben wird. Geschichtsphilosophie, Sinnhermeneutik, Christologie und Subjektivitätstheorie sind konstitutiv ineinander verschränkt und bilden so das religionsphilosophische Grundgefüge von Tillichs später „Systematischer Theologie“, eine „ontologische Versöhnungslehre“391 im Neuen Sein. Die Korrelationsmethode besagt dabei, daß die Frage des geschichtlichen Mensch nach Sinn, die das Selbst aufgrund seiner Selbstkonstitution von Grund auf sich selbst ist, im historischen Faktum Jesus Christus jenem Neuen Sein begegnet, in dem dank der Selbstentäußerung des kontingenten Individuums des Nazoräers an das Unbedingte jener unbedingte Sinn der Gesamtgeschichte als Offenbarung durchbricht, der von jedem Menschen unter der Wirkung des Geistes und unter den Vorzeichen der entfremdeten, aber versöhnten Existenz handelnd in seiner Geschichte verwirklicht werden kann, so daß das Symbol „Reich Gottes“ konkret als revolutionäre, weil weltumgestaltende Realität wahrgenommen wird. 2.3.4.3. Ausblick auf die „Systematische Theologie“ Vor seiner Emigration geht es Tillich demnach vor allem um die „Befreiung des selbsttätigen Selbstbewußtseins zur produktiven Gestaltung 389 GW I, 255. 390 GW I, 255. 391 Rhein, C.: Paul Tillich: Philosoph und Theologe. Eine Einführung in sein Denken, Stuttgart 1957, 137.
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der Wirklichkeit“392. Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang Wagners Frage, inwiefern sich dieses Tillichsche Grundthema auch in der „Systematischen Theologie“ und in der Korrelationsmethode durchhält. Fragen und Antworten müssen aufgrund ihrer gegenseitigen formalen Abhängigkeit in einem bestimmten Punkt konvergieren. Welche Voraussetzung muß dafür gegeben sein? Tillich sieht diesen Punkt im „essentiellen Sein“ des Menschen, welches die Einheit von Endlichkeit und Unendlichkeit und damit das geschaffene Sein des Menschen ausdrückt. In anderen Worten: im Wissen um sein essentielles Sein weiß der Mensch um sein Sich-Gegebensein, und sein Fragen fußt demnach auf dem, was von den Antworten nur explizit ausgesagt wird. Von daher gilt: „Tillichs Systematische Theologie ist durchgängig eine Analyse des Menschen, weil er sich als sich gegeben vorfindet.“393 Im Gewahrwerden seiner Endlichkeit wird dieser Mensch sich ebenfalls seines Sich-Gegebenseins inne.394
392 Wagner: Absolute Positivität, 138. 393 Wagner: Absolute Positivität, 139. 394 Joachim Ringleben fragt genauso wie Falk Wagner nach der Möglichkeit, zum Unbedingten „hin zu gelangen“ (Ringleben, J.: Symbol und göttliches Sein, in: Hummel, G. (Hrsg.): God and Being/Gott und Sein. Das Problem der Ontologie in der philosophischen Theologie Paul Tillichs. Beiträge des II. Internationalen Paul-Tillich-Symposions in Frankfurt/M. 1988, Berlin 1989, 165 – 181, hier: 173), von dem Tillich so selbstverständlich aus-geht und her-denkt. Er teilt weitestgehend die Ausführungen Wagners zum Unbedingten als schlechthinniger Selbstgegebenheit, würde aber jedoch den Akzent ein wenig anders setzen. Wichtiger als Selbstgegeben-Heit erscheint ihm die Dialektik des „Sich-sichselbst-Gebens“ (Ringleben: Paul Tillich’s Theologie der Methode, 251, Anmerkung 10), da das Unbedingte seiner Meinung nach nicht durch sich selbst gegeben ist, sondern sich durch sich selbst gibt. Während Wagner die Einheit von Positivität und Negativität auf negative Weise interpretierte, rückt für Ringleben damit wieder stärker die absolute Positivität in den Blick, welche erst die Methode der Korrelation zu begründen vermag. Tillichs Wahrheitsbegriff sehe vor, daß die Dialektik von Frage und Antwort auf einen Punkt der Identität zurückgeführt wird, der zum essentiellen Sein des Menschen gehört und von daher grundlegend selbst bereits Antwort ist. Der als „Antwort“ bezeichnete Moment – d. h. das „von…her“ – stellt sich doppelt dar: „als das Ganze und als Moment“ (Ringleben: Paul Tillich’s Theologie der Methode, 262; Ringleben verweist hier auf die strukturelle Denk-Parallelität zur Lehre von „Gott über Gott“ aus „Der Mut zum Sein“). Die Wahrheit umgreift sich selbst und zugleich die geschichtliche Situation als ihre Erscheinung. „Geschichte ist die Weise, wie die ewige Wahrheit sich zur Darstellung bringt.“ (Ringleben: Paul Tillich’s Theologie der Methode, 262)
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Die Spitze des Gedankens besteht darin, daß Tillich die Selbstkonstitution des Selbstbewußtseins mit dessen Entfremdung identifiziert. Worin liegt der Grund? Da die sich selbst gegebene Freiheit nur in der frei gewählten Selbstverwirklichung der freien Subjektivität zum Zuge kommt und letztere der Theonomie die Autonomie kontradiktisch gegenübersetzt, fallen Schöpfung und Sündenfall unrevidierbar ineins. Wagner kann nachweisen, wie die Spannung von sich gegebener und durch den Menschen aktualisierter Freiheit einerseits in der Gotteslehre grundgelegt, andererseits jedoch in den Kapiteln über die Existenz und den Christus in die Aporie geführt und neu gelöst wird. Die Christologie liefere bei Tillich „den Grund für den produktiven Umgang mit der sich gegebenen Freiheit“395. Wagner kann von daher zu dem Schluß kommen, daß Tillich in der „Systematischen Theologie“ sein Grundthema christologisch verankert hat, indem er das Vorausdenken einer sich an den Seinsgrund entäußernden Subjektivität christologisch faßt.396 Denn nur durch Selbstentäußerung kann die Subjektivität in die Freiheit des Neuen Seins treten. „Die reproduktive Selbstbehauptung wird in die produktive Entfaltung der Freiheit übergeleitet.“397 Die Christologie ist demnach jene Theoriebildung, in der die sich selbst transzendierende Entäußerung an das Unbedingte in den Blick genommen wird. Von daher wird plausibel, daß in der Dimension des Geistes die Religion die Funktion der Selbst-Transzendierung erfüllt. Tillichs theologisches Grundthema – nach Wagner die Selbst-Transzendierung der Autonomie zur Theonomie – ist christologisch verankert. Dieses Thema überschneidet sich insofern mit der Geschichtsphilosophie und der Sinnhermeneutik Tillichs, daß einerseits die innere Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen sich nur in Abhängigkeit von der geschichtlichen Freiheit entfalten kann und andererseits der Sinn der Geschichte sich vom Standpunkt des Durchbruchs der vollkommenen Offenbarung in Christus aus ergibt. Es ist jener Kairos, in dem das Unbedingte unvordenklich „als konkrete Wirklichkeit und mit dem Charakter persönlicher Tat“398 dem Selbstbewußtsein des Menschen gegen-übersteht. Durch Christus wird Geschichte zu jenem Geschehen, das 395 Wagner: Absolute Positivität, 144. 396 Vgl. Absolute Positivität, 144, Anmerkung 34. Damit will Wagner „so etwas wie eine Grammatik der Theologie Tillichs“ aufgedeckt haben. 397 Wagner: Absolute Positivität, 144. 398 Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 90.
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den Menschen in seiner Existenz unbedingt angeht. Christus ist das Prinzip des Unbedingt-Sinnverleihenden399 und bezeichnet damit zugleich die Grundverfaßtheit des Menschen, der den Sinn nicht in der konkreten Gegenwart finden, sondern nur als hereinbrechenden empfangen kann. Da der Kairos in Christus universal-geschichtlich verstanden wird, gewinnt die Geschichte als zusammenhängendes Ganzes Sinn. Sie hat keinen zwischen Anfang und Ende ausgespannten rein objektiven Charakter, sondern ist an ihrem Anfang und an ihrem Ende vom sinngebenden Prinzip der „Mitte der Geschichte“, in dem das Sinnwidrige überwunden ist, bestimmt. Der mit der Geschichte verbundene Anspruch der Existenz, Antwort auf die konstitutive Fraglichkeit zu erhalten, wird durch Tillichs Verschränkung von Christologie, Geschichtsphilosophie und Sinnhermeneutik eingelöst. Die Verwirklichung des empfangenen Sinnes geschieht durch das geschichtliche Handeln.
3. Der theologische Ausgangspunkt: die Rechtfertigung 3.1. Das Stehen in der lutherischen Tradition Bei seinem Hallenser Lehrer Martin Kähler hat Tillich gelernt, die lutherische Rechtfertigungslehre ins Zentrum seines Denkens zu stellen. Dieser hatte in seinem Werk „Die Wissenschaft der christlichen Lehre von dem evangelischen Grundartikel aus im Abrisse dargestellt“ (Leipzig 3. Auflage 1905) die ganze christliche Theologie sich um das Rechtfertigungsprinzip drehen lassen. Tillich nennt Kähler den „Verkünder der theologischen Rechtfertigungslehre“400. Er verdankt ihm „vor allem die Einsicht in den alles beherrschenden Charakter des Paulinisch-Lutherischen Rechtfertigungsgedankens, durch den jeder menschliche Anspruch vor Gott und jede auch verhüllte Identifizierung von Gott und Mensch zerbrochen wird; der aber zugleich in der Paradoxie des Urteils, das den Sünder gerecht spricht, einen Punkt zeigt, von dem aus der Zerfall der menschlichen Existenz in Schuld und Verzweiflung überwunden werden kann.“401
399 Vgl. MW VI, 189 – 212. 400 GW XII, 31. 401 GW XII, 32. Darüber hinaus bekennt Tillich in demselben Abschnitt, daß dieses gleichzeitige Nein und Ja Gottes zur Welt im Kreuz Christi anschaulich sei und in diesem Sinne das Kreuz immer der Inhalt seiner Christologie bleibe.
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Im Beziehungsgefüge zwischen Identitätsprinzip einerseits und Rechtfertigungslehre andererseits ist für Tillich klar, daß ersteres eben nicht als spekulative Vernunft-Wahrheit behandelt werden darf, sondern letztlich erst durch den Glauben gewonnen wird.402 Gott und Mensch sind dialektisch dank des christologischen Paradoxons eins. Die Rechtfertigung bietet demnach das kritische Korrektiv für eine methodisch angemessene Rezeption der Schellingschen Fassung des Identitätsprinzips. Das Identitätsprinzip erweist sich im Licht der Rechtfertigung als tragfähig.403 Das eine wird bei Tillich nie ohne das andere zu verstehen sein. Wichtig ist dabei, daß Tillich durch seine Nähe zum transzendentalen Idealismus die Frage des Denkens stellt. Er bemüht sich, in diesem Bereich die Rechtfertigung revolutionär neu anzuwenden. Ob dieser Zentralität der Rechtfertigungslehre hat Oswald Bayer Tillichs Entwurf mit der These überschrieben: „Mit seiner im Schema der Korrelation sich bewegenden apologetischen Dogmatik beansprucht Tillich nichts anderes als die Rechtfertigungslehre Luthers im neuzeitlichen Kontext zur Geltung zu bringen.“404 Die Rechtfertigungslehre wird dabei in der Konfrontation mit dem modernen Atheismus und Nihilismus in eine neue Interpretation hineingeführt. Tillich will sie für alle Bereiche der Kultur, der Philosophie und der Politik fruchtbar machen. Sie soll die Unverfügbarkeit der christlichen Antworten sichern. 3.2. Die Rechtfertigung des Zweiflers Tillich stellt im modernen Bewußtsein einen doppelten Wechsel fest: zum einen den radikalen Zweifel gegenüber der Plausibilität historisch vorgegebener religiöser Wahrheiten, und zum anderen die neue Frage nach der Möglichkeit der Überwindung von Verzweiflung und Sinnlosigkeit. Weil beide Momente sich überschneiden, wird der Zweifel als Sinnverlust erfahren. Dies führt Tillich zu einer Neuformulierung des 402 Vgl. Schnübbe, 143. 403 In Bezug auf die Symboltheorie, in die letztlich das neuformulierte Identitätsprinzip und die ontologisierte Rechtfertigungslehre münden, stellt Schüßler fest, daß Tillich es zwar so darstellen wolle, daß sich das christologische Paradox der Rechtfertigung zwanglos in das allgemeinere symbolische Kriterium der Verneinung seiner selbst einfügen würde, daß die Frage in Wirklichkeit aber wohl umgekehrt gelagert sei und das christologische Paradox den entscheidenden Anstoß gebe. (vgl. Schüßler: Paul Tillich, 62) Daraus läßt sich schließen, daß Tillich das Identitätsprinzip wesentlich von der Rechtfertigung her neu bestimmt! 404 Bayer: Paul Tillich, 185.
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Rechtfertigungsglaubens, da der Mensch sich nicht mehr als Gnade suchender Sünder versteht, sondern als Gewissheit suchender Zweifler. Seine große Erkenntnis ist die Rechtfertigung des Zweiflers, die er vor allem in seinem Buch „Der Mut zum Sein“405 und in dem Beitrag „Rechtfertigung und Zweifel“406 expliziert. Die Frage nach der Gewißheit Gottes, der Wahrheit und des Lebenssinns hatte Tillich philosophisch zum Identitätsprinzip geführt. Denn nur wenn es einen Punkt der Identität von Gott und Mensch gibt, kann Tillich Gott und Mensch korrelativ miteinander vermitteln. Die Rechtfertigungslehre reflektiert diesen Punkt der Identität auf theologische Weise im Hinblick auf das grundsätzliche Problem, daß alle Gewißheit ungewiß geworden ist.407 Wie ist nun ein Rückgewinn der Gewißheit konkret zu bewerkstelligen? Wie ist dem Zweifler Gott wieder nahezubringen, ohne ihm Gott wie einen Stein zuschleudern zu müssen? Die entscheidende Frage lautet bei Tillich: „Wie kann Gnade durchbrechen in der Sphäre der Wahrheit und des Sinnes?“408 Die traditionelle Apologetik, d. h. die Forderung, Gott zu beweisen, scheitert. Tillich dagegen knüpft an eine alte Überlegung von Augustinus an und deckt die Struktur des Zweifels selbst auf: wer zweifelt, kann nicht daran zweifeln, daß er zweifelt, und hat deshalb eine Gewißheit gefunden – das Selbst, das fähig ist, nach Wahrheit zu fragen, und welches deshalb voraussetzt, daß eine solche zu finden sein müsse. Die Rechtfertigung ist ein paradoxes Geschehen des Durchbruchs, nicht des Erwirkens im Sinne einer Werkgerechtigkeit. Im reformatorischen Rechtfertigungsverständnis bricht die Gewißheit der Gnade durch die Erfahrung der Sünde hindurch. In Tillichs neuem Verständnis bricht die Gewißheit unbedingten Sinns durch die Erfahrung der Verzweiflung und der Sinnleere hindurch. Das Formalprinzip der Rechtfertigung ist der Durchbruch des unbedingten Ja in die bedingte Dualität und Zweideutigkeit zwischen Ja und Nein in der menschlichen Existenz. Der entscheidende Unterschied besteht darin, daß der Zweifler den absoluten Grund seines Zweifels nicht in sich selbst setzt und damit nicht um sich und seinen Zweifel kreist, sondern dieser absolute Grund ihm gemäß dem positiven Paradox als Grund des Sinns aufgeht, welcher 405 GW XI, 13 – 139. 406 GW VIII, 85 – 100. 407 Die Ursachen mögen vielfältig sein, doch Tillich sieht hier auch den Protestantismus in der Schuld. (vgl. GW VIII, 88 f.) 408 GW VIII, 90.
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sowohl den Zweifel als auch den gesuchten Sinn von jeher umfaßt. Es handelt sich um ein glaubendes Vertrauen, das dem Grund seines Vertrauens noch keinen Namen zu geben vermag, es aber voraussetzen darf und muß. Es ist das glaubende Ergriffenwerden hinein in einen tieferen Sinnhorizont. „Die Rechtfertigung des Zweiflers ist nur möglich als Durchbruch der unbedingten Gewißheit durch die Sphäre der Ungewißheiten und Irrungen; es ist der Durchbruch der Gewißheit, daß die Wahrheit, die der Zweifler sucht, der Lebenssinn, um den der Verzweifelte ringt, nicht das Ziel, sondern die Voraussetzung alles Zweifels bis zur Verzweiflung ist.“409 Tillich ist nach eigener Aussage ergriffen von dem „Paradox, daß der, der Gott ernstlich leugnet, ihn bejaht“. Tillich erkennt: „In jedem Zweifel liegt ein Glaube, nämlich der Glaube an die Wahrheit als solche, sogar wenn die einzige Wahrheit, die wir ausdrücken können, unser Mangel an Wahrheit ist.“410 Dieser nicht von außen induzierbare Durchbruch ist letztlich bezogen auf die Grundoffenbarung, deren Gehalt der des unbedingten Angenommenseins, des Getragenseins von einem letzten unbedingten Grund ist. Dies geschieht trotz der Unannehmbarkeit des Zweiflers und ist Ausdruck des reformatorischen „simul iustus et peccator“. Hier wird in völliger Indifferenz gegenüber konkreten Inhalten „der Gott der Gottlosen, die Wahrheit der Wahrheitlosen, die Sinnfülle der Sinnentleerten“411 offenbar. Jeder Mensch – auch der von absoluter Sinnleere geschlagene – hat von daher von Grund auf mit Gott zu tun. Dies ist „die Geburtsstunde der Religion in jedem Menschen“412. Im ontologischen Essenz-Existenz-Schema bezeichnet Tillich dies als die essentielle Einheit von Gott und Mensch. Auch die größte Form existentieller Entfremdung kann nicht vom essentiellen Sein ausschließen. Das Nichtsein versperrt nicht das Sein, da das Nichtsein auf ewig in Gott überwunden ist. „Weil Gott in sich selber Atheist ist, ist jeder Atheist in Gott.“413 Mit einer beachtenswerten Suggestivkraft hat Tillich diese Gedanken relativ spät in sei409 GW VIII, 91. 410 GW VII, 14. Schon am 5. Dezember 1917 hatte Tillich in einem vielzitierten Brief an Maria Klein geschrieben: „Ich bin durch konsequentes Durchdenken des Rechtfertigungsgedankens schon lange zu der Paradoxie des „Glaubens ohne Gott“ gekommen, dessen nähere Bestimmung und Entfaltung den Inhalt meines gegenwärtigen religionsphilosophischen Denkens bildet.“ (EW V, 121) 411 GW VIII, 92. 412 GW VIII, 92. 413 Bayer: Paul Tillich, 264 (Hervorhebung von Bayer).
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nem Buch „Mut zum Sein“ von 1952 auf den Punkt gebracht und einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Was – systematisch gesehen – hier geschieht, ist zuerst die Feststellung der unmittelbaren Gottesgewißheit als Ausgangspunkt der Religionsphilosophie. Tillich geht darauf ein in seinem Aufsatz „Zwei Wege der Religionsphilosophie“414. Er beschreitet den Weg der Erkenntnis dank der ontologischen Methode, welche der kosmologischen Methode gegenübersteht. Tillich greift demnach die Ontologie auf, um der Wirklichkeit auf den Grund zu gehen. Die ontologische Methode ist der von Augustinus klassisch geprägte Schritt, durch den der Mensch etwas entdeckt, „das mit ihm selber eins ist, obgleich es ihn unendlich transzendiert, etwas, von dem er entfremdet ist, aber von dem er nie getrennt war und nie getrennt werden kann“415. Augustinus sei durch das Durchleben der antiken Skepsis zu der klassischen Antwort auf das Problem der beiden Absoluten, des philosophischen Seins und des theologischen Gottes, gekommen, daß beide im Wesen der Wahrheit zusammenfallen, welche immer vorausgesetzt wird. „Deus est esse, und die Gewißheit Gottes ist identisch mit der Gewißheit des Seins-Selbst: Gott ist die Voraussetzung der Frage nach Gott.“416 Gott kann niemals erreicht werden, wenn er in der Frage nicht auch deren Voraussetzung ist. Darin liegt die Lösung des ontologischen Problems. Wie beschreibt Tillich jedoch diese ontologische Gottesgewißheit? „Der Mensch ist unmittelbar eines Unbedingten gewahr, das aller Trennung und Wechselwirkung von Subjekt und Objekt vorausgeht, im Theoretischen wie im Praktischen.“417 Dieses Gewahrwerden ist aber keine Intuition, Erfahrung oder Erkenntnis; es ist unbedingt und deshalb jenseits jeder Trennung der psychologischen Funktionen. „Der Mensch und nicht sein Verstand oder Gefühl ist des Unbedingten gewahr.“418 Deshalb nennt Tillich das Gewahrwerden „existentiell“. Was als Gottes-Gewißheit umschrieben wird, ist jedoch vielmehr ein Gewahrwerden des Unbedingten. Freilich ist Gott unbedingt, aber das Wort Gott ist nicht identisch mit dem Unbedingten, da es bereits mit 414 In: GW V, 122 – 137. 415 GW V, 122. 416 GW V, 126 (Hervorhebung von Tillich). Auf den Glauben übertragen beschreibt Tillich diesen Schluß an anderer Stelle: „Es ist der Triumph der Dynamik des Glaubens, daß jede Verneinung des Glaubens selbst Ausdruck von Glauben ist.“ (GW VIII, 196) 417 GW V, 131. 418 GW V, 132 (Hervorhebung von Tillich).
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konkreten Symbolen assoziiert ist. Ehe dies geschehen kann, ist das Unbedingte jedoch für Tillich „kein Ding, sondern die Macht des Seins in allem, was am Sein teilhat“419. Diese Macht geht logisch und ontologisch allem voraus, was Sein hat. Nur deshalb kann sie uns unbedingt angehen, weil Gott kein Objekt sein kann und deshalb auch seine Existenz nicht bewiesen werden kann. Das ist das notwendige atheistische Element echter Religion.420 Die Rechtfertigung des Zweiflers durch den Durchbruch des Unbedingten bewirkt in einem zweiten Schritt eine Neuschaffung und Wiedergeburt seines ganzen Erkennens. Wenn nämlich das ontologische Prinzip zur Grundlage der kosmologischen Methode geworden ist, kann der erkennende Mensch mit Recht bis zu einem gewissen Punkt dem kosmologischen und dem teleologischen Gottesbeweis folgen, um das Unbedingte in einem Akt des „kosmologischen Wiedererkennens“421 im geistigen und natürlichen Universum wiederzuerkennen. Der Glaube an die Wahrheit gründet im rechtfertigenden Zentrum des unmittelbaren Gewahrwerdens, und das erkennende Leben aus der Wahrheit ist als Frucht immer wieder auf diesen zentralen Akt zurückbezogen. Auf der Schiene des kosmologischen Beweises ist es die Analyse der Endlichkeit des Endlichen, die das Unbedingte aufzuspüren hilft422, auf jener des teleologischen Beweises die religiöse Deutung der autonomen Kultur durch die „Theologie der Kultur“. Beide – Existentialanalyse und Kulturtheologie – gilt es, weiter unten als Präludium zu der zentralen Tillichschen Symboltheorie anzudeuten. Ihre systematisch-gnoseologische Legitimität erhalten sie nach Tillich aufgrund der Epistemologie der Rechtfertigung. Im Zusammenhang mit der Neuschaffung des Erkennens muß die Frage der Rechtfertigung auf die Lehre selbst angewendet werden. Mit seiner Rechtfertigung des Zweiflers drückt er aus, daß auch die Rechtfertigungs-Lehre in Zweifel gezogen wird und keine Gewißheit mehr vermitteln kann. Weil dieser Zustand aber nicht bedeuten kann, daß Gott dann keine Rechtfertigung mehr schenkt, besinnt Tillich sich einerseits auf das Rechtfertigungs-Prinzip – welches er als ontologisch postuliert – 419 GW V, 133. 420 Vgl. GW V, 134. „Es ist nicht ohne Grund, daß nicht nur Sokrates, sondern auch die Juden und auch die frühen Christen als Atheisten verfolgt wurden.“ 421 GW V, 134. 422 Tillich sagt, daß die Existentialanalyse seiner Meinung nach „der eindruckvollste Weg, Menschen in das Wesen der Religion einzuführen“, sei. (GW V, 135)
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und fragt sich andererseits nach der Rechtfertigung jener, die nicht mehr an die Rechtfertigungslehre glauben können. Dieser Zweifel hat etwas sehr Rechtfertigendes an sich, da er im Namen des Prinzips die konkrete Form der Lehre protestierend bezweifelt und sich damit um die neue Gestaltung der Rechtfertigungslehre durch das Rechtfertigungsprinzip bemüht: die Rechtfertigung des Zweiflers! Dabei denkt Tillich aber nicht an einen anonymen Zweifler – das vielleicht auch –, sondern vor allem an das Denken als solches: das Denken soll inmitten seiner Grenzen und Aporien gerechtfertigt und so zu einem produktiven Umgang mit sich selbst befreit werden. So wird die Rechtfertigung zum gnoseologischen Formalprinzip von Tillichs Theologie und läßt sich im EssenzExistenz-Schema existential-ontologisch verifizieren. Schließlich sei noch gesagt, daß Tillich mit der neuformulierten Rechtfertigungslehre auch Fundamentales über das Verhältnis von Heilsglaube und Wahrheitsglaube, von Grundoffenbarung und Heilsoffenbarung aussagt. Die Erlösung ist eine einzige, und die Grundoffenbarung ist der Anfang der Heilsoffenbarung. Jene befreit aus der Verzweiflung der Sinnleere und des Zweifels, diese dagegen aus der Verzweiflung der Gottesferne und des Widerspruchs.423 Auf das Christusereignis hin gedeutet, besagt dies: Christi Erlösungswerk ist weder imputiertes Werk im Sinne einer „iustitia imputata“ noch eine von diesem Werk letztlich getrennte Effektivität des Glaubens. Christi Erlösungswerk ist ein Erlösungs-Sein – ein „Neues Sein“ –, das sich auf die Grundoffenbarung bezieht. Grund- und Heilsoffenbarung sind trotz aller Paradoxie der Inkarnation letztlich „der eine Lebensprozeß, in dem beide stehen, die eine als Anfang und die andere als Ziel, in jeder wirklichen Offenbarung aber zusammengeschlossen in einem Akt“424. Diese lebendige innere Dynamik ist das Prinzip des Protestantismus.425 Die göttliche Heilsoffenbarung, die ihren Höhepunkt in Christus erreicht, deutet jedoch die mögliche Zweideutigkeit der Grundoffenbarung in eine Eindeutigkeit um und legt alle Schuld und Trennung in der Konfrontation mit der Gnade offen. Gott manifestiert sich als Geist und Liebe und überwindet damit das Dämonische in der Geschichte und Religion, das den Grund seiner Möglichkeit in der Unwissenheit des Menschen gegenüber der Verborgenheit Gottes hat. Gott wird zum 423 Vgl. GW VIII, 97. 424 GW VIII, 97 f. 425 Vgl. GW VIII, 100.
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„Vater Jesu Christi“426. Doch Gott offenbart sich, ohne dabei seine Verborgenheit und sein Mysterium aufzugeben. Für die innige Beziehung von Grund- und Heilsoffenbarung ist es deshalb unentbehrlich, wieder zu lernen, „den deus revelatus auf dem Hintergrund des deus absconditus zu sehen“427. Gott kann nicht fixiert werden, sondern er bricht immer wieder souverän durch. Er geht auf unbedingte Weise an. Nur aufgrund eines machtvollen Durchbruchs der Grundoffenbarung kann das Heil in seinem ganzen Umfang verstanden, ergriffen und gelebt werden. Für die Inkarnation bedeutet dies mit einem unterschwelligen Verweis auf eine Theologie der Kultur und der Religion: der Protestantismus „muß wieder lernen, von Christus so zu reden, daß dahinter der gewaltige Klang der Grundoffenbarung in allen Religionen und Kulturen der Menschheit hörbar wird“428. Christus ist der Logos und damit mit der ganzen Natur und Geschichte verbunden. Christus ist zentral – aber anders, ja mit mehr Macht als im reinen Christozentrismus. Tillich will ihn aus einer künstlichen Isolierung befreien. 3.3. Das ontologische protestantische Prinzip Die Ausweitung des Anwendungsbereiches des Rechtfertigungsprinzips bewegt Tillich, einen grundlegenden Gedanken über die ontologische Bedeutung dieses Prinzips zu formulieren, das offensichtlich entsprechend der Fragen der Zeit immer wieder neu ausgelegt werden kann und in diesem Sinne die Zeiten übersteigt. Es kann durch keine Definition, durch keine historische Religion und durch keine kulturelle Form festgelegt werden, kann aber in allen erscheinen. In anderen Worten: es transzendiert sie alle, ist aber die bewegende lebendige Kraft in ihnen! Tillich nennt es im allgemeineren Sinn „protestantisches Prinzip“. Es wacht über das erste Gebot des Dekalogs, d. h. über den souveränen, nicht im Bedingten oder Bildhaften festhaltbaren Gott. Es „enthält den göttlichen und menschlichen Protest gegen jeden absoluten Anspruch, der für eine bedingte Wirklichkeit erhoben wird“429. Gerade die Religion ist dabei in Gefahr, ihre Symbole, Riten, Handlungen und Gebote zu unmittelbar auf das Unendliche zu beziehen und damit in Aberglauben und Hybris zu verfallen. Sie muß sich „im Namen des Gottes, den sie bejaht, 426 427 428 429
GW VIII, 98. GW VIII, 98. GW VIII, 98. GW VII, 86.
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immer selbst verneinen“430, da Gott alles – also auch die Religion selbst – unendlich übersteigt. Das protestantische Prinzip ist „der theologische Ausdruck für die wahre Beziehung zwischen dem Unbedingten und dem Bedingten, oder, religiös gesprochen, zwischen Gott und Mensch“431. Nur auf souverän rechtfertigende Weise wirkt das Unbedingte: es ergreift auf unbedingte Weise und geht nur in dieser Manier unbedingt an. Im Glauben wird der Mensch getroffen durch diese Macht des Unbedingten, welches Grund und Gericht der menschlichen Existenz ist. „Das Prinzip wacht über das „Überseiende“, das „Überwesentliche“, das Höchste, den „Gott-überGott“, den Gott jenseits aller Bestimmungen, über die Einheit von Subjekt und Objekt, über den absoluten Glauben„432, kommentiert Bayer. Es ist aber nicht nur richtendes oder kritisches Prinzip, sondern es ist auch gestaltendes Prinzip, wie Tillich vor allem in seinem Aufsatz „Der Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip“433 ausführt. Dabei geht die Gnade immer der Kritik voraus. Nach Tillich ist das kritischprotestantische Prinzip immer auf die „katholische Substanz“ bezogen, auf die Durchlässigkeit und die Empfänglichkeit des Bedingten für das Unbedingte. In der ontologischen Charakterisierung des protestantischen Prinzips geschieht eine paradigmatische Grundentscheidung bei Tillich, die ihn mit Hegel verbindet.434 Eigentlich will er auf die geschichtlichen Probleme eingehen, macht aber dafür zeitlose Prinzipien geltend. Er entdeckt im Besonderen Allgemeines und hebt das Besondere im Allgemeinen auf. Der Protestantismus ist dann jedoch nicht mehr als „eine besondere geschichtliche Verkörperung eines allgemein bedeutsamen Prinzips“435. 3.4. Kritik von Theismus und Atheismus Die theologietheoretische Anwendung des protestantischen Prinzips impliziert die Kritik aller Denkformen, in denen das Göttliche verdinglicht wird. Vor allem weil Walter Kasper sich später mit dem zum Nihilismus tendierenden Atheismus auseinandersetzt, können Tillichs Überlegungen von großem Wert sein. 430 431 432 433 434 435
Vgl. GW VII, 133. GW VII, 86. Bayer: Paul Tillich, 262. In : GW VII, 29 – 53. Bayer: Paul Tillich, 261. GW VII, 12.
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Tillich versteht unter „Theismus“ den christlichen Theismus mit supranaturalistischem Einschlag, der Gottesbeweise entwickelt und die Ich-Du-Begegnung Gottes und des Menschen in das falsche Schema einer Lehre von zwei Personen faßt. Denn eigentlich entspricht der traditionelle christliche Theismus doch den Tillichschen Bedingungen des Gottesbildes: Gott ist der Welt gegenüber immanent und transzendent. Zurecht bemerkt Werner Schüßler, daß jene „schlechte Theologie“436, als die Tillich der Theismus gilt, „vielleicht in der Gemeindepredigt und auch in den Köpfen von so manchen Gläubigen“, „aber schwerlich bei den großen Denkern der Tradition“437 existiert. Natürlich besteht immer die Gefahr, daß Gott auf jenen Gott fixiert wird, „den es gibt“, und von dem Tillich zurecht sagen kann, er habe seine Unbedingtheit verloren, sei dem Subjekt-Objekt-Schema unterworfen worden, sei „ein Wesen neben anderen und als solches ein Teil der gesamten Wirklichkeit“438 und damit ein Sein, aber nicht mehr das SeinSelbst. Dieser Theismus ist dann Ursache der Reaktion des Atheismus und des Nihilismus. Als solche Gegenwehr hat der Atheismus sicherlich Recht, doch da er auf einem falschen Gottesbild aufbaut, ist ihm konsequenterweise eigentlich der Nährboden entzogen. Für Tillich gibt es in diesem Sinn keinen Atheismus. Da die Religion in jedem Menschen aufgrund der Grundoffenbarung und dem ihr korrelierenden „absoluten Glauben“ besteht, ist kein Mensch außerhalb von Gott. Gott ist jenseits jeder Gegenständlichkeit, jenseits von Theismus und Atheismus. Supranaturalismus und Naturalismus und ihre entfernten Verwandten Theismus und Atheismus werden von Tillich deutlich abgelehnt. Die notwendige Vermittlung zwischen den Extremen – die ihrerseits immer jeweils etwas Richtiges aussagen, es aber fixieren und vereinseitigen – kann aber auch nicht durch den Dualismus geschehen, sondern erfordert nach Tillich das Schema der Korrelation. 3.5. „Der Mut zum Sein“ Theologische Gedanken ohne existentielle Anwendung entsprechen nicht Tillichs Stil. In welchem Sinne er die Theoriebildung des Rechtfertigungsprinzip auf den Lebensvollzug der Menschen bezieht und Botschaft und Situation aufeinander bezieht, zeigt sich an der berühmten, 436 GW XI, 136. 437 Schüßler: Paul Tillich, 40. 438 GW XI, 136.
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1952 erschienenen religionsphilosophischen Schrift „Mut zum Sein“439. Tillich bringt die Ausgangsposition des Menschen als Angst-Habender auf den Punkt und versucht sie dank der Orientierung an Schelling und der Rechtfertigung theologisch zu beantworten. Hier findet sich eine späte Resonanz der Angst der Weltkriege. Die Schrift „Der Mut zum Sein“ hat eine solche große Bedeutung, weil sie einerseits von der denkerischen Kombination von Gottesgedanke und Rechtfertigung durchwirkt ist und andererseits von der Situation der Angst des Menschen ausgeht und eine Facette des soteriologischen Problems zur Darstellung bringt. Ganz deutlich wird in diesem Zusammenhang Tillichs Ontologie.440 Es handelt sich um eine existentiale Ontologie, die sich anhand der Augustinischen ontologischen Methode der Wahrheit im Zweifel Durchbruch verschafft. „Mut kann uns zeigen, was Sein ist, und Sein kann uns zeigen, was Mut ist.“441 Der Mut, der aus dem Sein erwächst und Glauben konstituiert, ist nur in jener radikalen Bewegung möglich, die Tillich tief mit Nietzsche verbindet und ihn manchmal irrtümlicherweise als Vertreter der „Gottist-tot“-Theologie erscheinen ließ: es geht um den radikalen Blick in jenen Abgrund des Nichtseins und der Einsamkeit dessen, der sich auf die Botschaft einläßt, daß Gott tot ist.442 Nur wo der tiefste Abgrund gedanklich ermöglicht ist, kann Gewißheit entstehen. Das wird deutlich in Tillichs Schilderung der „Ontologie der Angst“. Nackte Angst ist stets Angst vor dem letzten Nichtsein, also Angst, das eigene Sein zu verlieren! 443 Diese Angst gehört zur Existenz und kann nicht aufgehoben werden. Mut ist deshalb „Selbstbejahung „trotz“„444. Das Sein umschließt sich selbst und das ewig gegenwärtige und ewig überwundene Nichtsein. Der Grund des Seins ist aufgrund des ewigen Überwindens des Nichtseins
439 In: GW XI, 13 – 139. 440 „Der Mut zum Sein“ ist gemeinsam mit der Schrift „Liebe, Macht, Gerechtigkeit“ in Band XI der „Gesammelten Werke“ veröffentlicht, welcher überschrieben wird mit „Zwei Schriften zur Ontologie“. 441 GW XI, 14. 442 Vgl. GW XI, 32. 443 Vgl. GW XI, 37. Sehr interessant und subtil muten Tillichs Ausführungen zu den Mustern der Flucht vor der Angst an: um nicht der nackten Angst ausgeliefert zu sein, schafft sich der Mensch konkrete Objekte der Furcht. Da die nackte Angst aber in die Arme Gottes treibt, werden die Objekte der Furcht vergleichbar mit den Götzen, mit deren Hilfe der Mensch vor Gott flieht. (vgl. GW XI, 37 f.) 444 GW XI, 33.
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Macht. Damit wird der Grund des Seins „zum Urbild der Selbstbejahung alles Seienden und zur Quelle des Mutes zum Sein“445. Vom Mut zum Sein und der Überwindung der Verzweiflung her wird deutlich, daß das Sein als „Negation der Negation des Seins“446 und als „Seinsmächtigkeit“ gedacht werden muß. Nur weil das Sein nicht ohne das Nichtsein gedacht werden kann, ist es dynamisch und lebendig und Grund alles endlich Seienden.447 Damit ist das Endliche vom Unendlichen umfaßt, ja, das Unendliche umfaßt sich selbst und das Endliche. Tillich unterscheidet drei Formen, in denen das Nichtsein das Sein bedroht, und dementsprechend drei Formen der Angst. Darüber hinaus entsprechen diese drei Formen drei Epochen der abendländischen Kultur. Genauer entsprechen sie jeweils dem Ende einer Ära, „wenn die traditionellen Strukturen des Sinnes, der Macht, des Glaubens und der Ordnung zerfallen“448. Die Bedrohung der ontischen Selbstbejahung des Menschen äußert sich als Angst vor dem Schicksal (relativ) und vor dem Tod (absolut). Sie kennzeichnete das Ende des Altertums. Die Bedrohung der moralischen Selbstbejahung des Menschen entspricht der Angst vor Schuld (relativ) und Verdammung (absolut) und prägte das Mittelalter. Die Neuzeit – deren Umbruch Tillich ja in den beiden Weltkriegen vermutete – wird begleitet von der Angst vor Leere (relativ) und Sinnlosigkeit (absolut), in der das Nichtsein die geistige Selbstbejahung des Menschen gefährdet. Dabei treibt die Angst vor der geistigen Leere in den Abgrund der Sinnlosigkeit. Die entsprechende Bedrohung beschreibt Tillich als Zweifel, der sich bis zu existentieller Verzweiflung steigern kann. Der Schmerz rührt daher, daß „genug Sein geblieben (ist), um die unwiderstehliche Macht des Nichtsseins zu empfinden“449, ohne aber etwas dagegen unternehmen zu können. Es gilt jedoch: „Der Mut löst die Angst nicht auf; da sie existentiell ist, kann sie nicht aufgelöst werden. Aber der 445 GW XI, 34. Tillich bezieht sich auch auf die christliche Schöpfungslehre und stellt eine Parallele fest zwischen seiner Einordnung des Nichtseins im Sein und dem Platz der dämonischen Negativitäten innerhalb der Protologie. 446 GW XI, 132. 447 Tillich sieht hier eine Analogie zur theologischen Lehre des lebendigen Gottes, die vor allem im Trinitätstraktat zum Ausdruck kommt: „Das Nichtsein macht Gott zum lebendigen Gott. Ohne das Nein, das er in sich und in seinem Geschöpf überwinden muß, wäre das göttliche Ja zu sich selbst tot. Es gäbe keine Offenbarung des Seinsgrunds, es gäbe kein Leben.“ (GW XI, 133) Das Sein bestünde in unveränderlicher Selbst-Identität. 448 GW XI, 53. 449 GW XI, 48.
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Mut nimmt die Angst des Nichtseins in sich hinein.“450 Tillich betont, daß „der Mut, der Verzweiflung standzuhalten, selber Glaube ist und Mut zum Sein gleichsam an seiner Grenze ausdrückt“451. Von daher ist der Mut – und auch der Glaube – keine fraglose Sicherheit, sondern bleibt ein Wagnis. Auch der Glaube an Jesus den Christus ist keine Gewißheit ohne Zweifel, sondern immer eine Sache des wagenden Mutes. Der Glaube ist dynamisch.452 Der Mut ist Ergriffensein vom Bejahtsein trotz des Zweifels an der Sinnhaftigkeit der Bejahung. „Der Akt, in dem wir Sinnlosigkeit auf uns nehmen, ist ein sinnvoller Akt: er ist ein Akt des Glaubens.“453 In Bezug auf die Existenz Gottes bedeutet dies: „Es gibt keine stichhaltigen Beweise für die „Existenz“ Gottes, aber es gibt Akte des Mutes, in denen wir die Macht des Seins bejahen, ob wir es wissen oder nicht.“454 Gott ist „Gott über Gott“455. „Der Mut zum Sein gründet in dem Gott, der erscheint, wenn Gott in der Angst des Zweifels untergegangen ist.“456 Dieser Gott ist das Sein-Selbst und der Grund und Abgrund aller Ontologie. Es ist „der Gott des Zweiflers an Gott“457. Der Glaube hat keinen bestimmten Inhalt, da alle Inhalte im Zweifel untergegangen sind. Er ist „absoluter Glaube“458. „Glaube ist Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht, dem Grund unseres Seins und Sinns.“459 Der Glaube ist ein Seelenzustand, der nicht chemisch rein von anderen Seelenzuständen getrennt werden kann, sondern immer mit diesen zusammen besteht. An diesem Grenzort kann man nicht leben, denn er ist „ohne Sicherheit, (…) ohne Namen, ohne Kirche, ohne Kult, ohne Theologie“460. 450 451 452 453 454 455 456 457 458
GW XI, 56. GW XI, 130. Vgl. Tillichs Schrift „Dynamics of Faith“. GW XI, 130. GW XI, 134. GW XI, 134. GW XI, 139. Schüßler: Paul Tillich, 43. GW XI, 130. Zum Wesen des absoluten Glaubens gehören drei Elemente: erstens die Erfahrung von der Macht des Seins, die sich gegen das Nichtsein stemmt; zweitens die Abhängigkeit der Erfahrung des Nichtseins von jener des Seins, da es erst die Macht des Seins ist, die angesichts der Sinnlosigkeit noch die Verzweiflung möglich macht; drittens die Erfahrung des Bejahtseins, in der der Glaube zu sich selbst kommt, da er trotz allen Verlustes eines konkretes Inhalts noch um sein Wesen als Glauben weiß. (vgl. GW XI, 131) 459 GW XI, 128. 460 GW XI, 139.
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Die Berechtigung des Atheismus liegt in der Mahnung, daß der Mensch sich Gott nicht zurechtbiegen darf. Zugleich aber geht Tillich weit über den Atheismus hinaus, denn wenn Gott geleugnet wird, so geschieht diese Leugnungim Namen des unbedingten Gottes, der sich nicht an bedingte Namen binden läßt. Umgekehrt bedeutet dies, daß jener, der Gott mit unbedingter Leidenschaft leugnet, darin Gott bejaht, „weil er etwas Unbedingtes bekundet“461. Die im „Mut zum Sein“ entwickelte Sicht einer ontologisch gültigen Beziehung des Menschen zu Gott faßt Tillich in der „Systematischen Theologie“ in das ontologische Essenz-Existenz-Schema, das es weiter unten zu beschreiben gilt.
4. Zusammenschau und Ausblick In welcher Weise schlagen die verschiedenen Ausgangspunkte in Tillichs Denken durch? Wie sind sie aufeinander beziehbar, wie greifen sie ineinander und wie bestimmen sie den Gang seines Entwurfs? Unter welchen Voraussetzungen werfen sie bereits Licht auf den Vollzug der „Systematischen Theologie“? Und in welchem Sinne fordern und bedingen sie Tillichs Kulturtheologie und Symboltheorie, welche nach unserem Dafürhalten den Übergang zum späten System bilden? Sicherlich ist Schellings Einfluß auf Tillich bis in die strukturellen Ebenen fortgeschritten und drückt sich in vielen Begriffen und Ansätzen aus462, aber was Tillich letztlich bei Schelling vor allem lernen konnte, war die „unverwechselbare Verbindung von Essentialismus und Existentialismus“463. Sie schlägt sich nieder im Rückgrat von Tillichs Theologie, dem Essenz-Existenz-Schema.464 So wie positive und negative Philosophie keine abstrakten Alternativen darstellen, sondern in einem unreduzierbaren Doppel bestehen, können auch Essentialismus und Existentialismus nicht gegeneinander ausgespielt werden, wenn sie ontologisch im dialektischen Essenz-Existenz-Schema gehalten sind. 461 GW VIII, 142. 462 Vgl. O’Hanlon, D. J.: The influence of Schelling on the thought of Paul Tillich, Rom 1958; vgl. Chapey, F.: L’impact de Schelling sur la formation de la pensée de Paul Tillich, in: RHPhR 58 (1978) 5 – 18. Chapey schreibt: „Mais si la primauté de l’influence de la pensée de Schelling ne fait aucun doute, il n’est pas facile d’en déterminer avec précision les points d’impact.“ (Chapey: L’impact, 7) 463 Bayer: Paul Tillich, 237. 464 Vgl. ST I, 238.
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Schellings Spätphilosophie eröffnet die Erfahrung einer tragisch in sich verstrickten Welt. Dank der Vorarbeiten an Schelling führte das Erlebnis des Ersten Weltkrieges Tillich dazu, in allen Perioden seines Wirkens „die Wirklichkeit gelebten Lebens zum Ausgangspunkt seines Denkens zu machen“465. Tillich setzt bei der Zweideutigkeit des Lebens ein und drückt sie aus in der Lehre der unreduzierbaren Duplizität von Essenz und Existenz. Der Mensch ist „endliche Freiheit“466. Der ontologische Schock kommt daher, daß er vom Nicht-Sein bedroht ist. Von dort kommt aber auch das Wissen um und die Erwartung von Neuem Sein. Dieser Schock führt direkt zur Frage nach dem Sinn des Seins, die vom Menschen herkommt und ihn transzendiert, so daß Tillich sagen kann, daß das Sein des Menschen diese Frage ist. 467 In der Frage nach dem Sinn wird die Vernunft zugleich über sich selbst hinaus zur ursprünglichen essentiellen Einheit getrieben. Freiheit ist nämlich keine Gegebenheit, sondern eine Forderung nach Sinn. Die beiden Pole des Existentiellen und des Essentiellen können nicht ineinander aufgelöst werden; die Dialektik kommt nicht zum Stillstand, sondern bleibt immer „auf der Grenze“. Es gibt ein Zugleich von Identität und Differenz. Wie ist von daher das grundlegende Verhältnis von Bedingtem und Unbedingtem zu verstehen? Entscheidend ist letztlich die bei Schelling erlernte polare Beziehung von Subjekt und Objekt, von Selbst und Welt, von Gott und Mensch. Während bei Descartes, Fichte und Hegel unpraktikable Lösungen vorliegen468, hat Schellings Naturphilosophie zu einer Lösung geführt, bei der in der Vermittlung von Bedingtem und Unbedingtem Subjekt und Objekt nicht ineinander aufgelöst werden. Hier bleibt bei Schelling und Tillich Platz für das Dunkle des Unbewußten, welches ontologisch als das vom Sein integrierte Nicht-Sein zum Ausdruck kommt.469 Diese Frage nach der Essenz baut jedoch – gemäß der ontologisierten Rechtfertigungslehre, daß das Positive dem Negativen vorausgeht – 465 Steinacker: Schelling, 48. 466 GW VI, 158. Danz weist nach, daß der Duplizitätsgedanke, der aus den Schellingdissertationen stammt, schon in der Marburger Dogmatikvorlesung von 1925 seinen Niederschlag findet. (vgl. Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 281 f., Anmerkung 12) 467 Vgl. ST II, 20. 468 Vgl. Steinacker: Schelling, 50. 469 Übrigens baut auch Tillichs sakramentales Denken auf Schellings Naturphilosophie auf. (vgl. Schnübbe, 141)
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darauf auf, daß Erlösung bereits am Werk ist.470 Da Tillich diese Erlösung in ontologischen Termini als „Neues Sein“ formuliert, geht der Suche nach dem Neuen Sein und der Hoffnung auf neues Handeln die Gegenwart des Neuen Seins voraus. Dieses Neue Sein muß sich jedoch aus einer göttlichen Offenbarung heraus innerhalb der Geschichte und ihrer Entfremdung als erlösend, d. h. mit Gott verbindend, erweisen. Was bei Schelling die Kenosis des inkarnierten Gottessohnes ist, ist bei Tillich das von der Rechtfertigungslehre geprägte Paradox des Jesus als Christus im Sinne der Manifestation der Unvordenklichkeit Gottes. Wie geschieht diese Vermittlung? Das Unbedingte schafft sich das Bedingte, um sich darin in Dialektik geschichtlich auszudrücken und somit das Bedingte zu seiner Selbstverwirklichung zu befreien. Das Unbedingte und das Bedingte stehen in einer Korrelation, die nicht auf eines der beiden Elemente reduziert werden kann. In den Mittelpunkt tritt Tillichs viel diskutierte Symboltheorie bzw. Lehre von der Analogie.471 Die ontologischen Begriffe können das Sein-Selbst nicht erschöpfend aussagen, da es die Subjekt-Objekt-Struktur übersteigt. Die Analogien und Symbole dagegen verweisen auf das Sein-Selbst, welches sich seinerseits mit Hilfe der Symbole erweist. Die Analogien arbeiten mit dem Material der begrifflichen Erfahrung, haben aber zugleich Teil an der transzendierendenMacht des Seins-Selbst, sind aber nicht mit ihm identisch. Sie sind Brückenbegriffe, die das Sein-Selbst insofern auch verhüllen, als daß das Sein nicht ohne Nicht-Sein beschrieben werden kann. Die Symbolanalogie ermöglicht methodisch die Korrelation von Gott und Mensch, Frage und Antwort. Zugleich aber vermeidet sie ein unmittelbares Verhältnis zwischen endlichem und unendlichem Sein. Vielmehr eröffnet sie das Verständnis einer lebendigen Beziehung: das endliche Sein verdankt sich dem Sein-Selbst, „weil die Macht über Sein und Nichtsein im Akt der Schöpfung Anteil an ihrer Seinsmacht gegeben hat“472. Diese Partizipation besteht formal auf der Gemeinsamkeit des göttlichen Logos, in dem Welt und Mensch geeint sind. Partizipation und unendlicher Abstand können in polarer Beziehung dialektisch miteinander gedacht werden. Die Analogie greift beide auf. Sie ist „methodisch die Intention, (…) Gott und Mensch, das Unbedingte und Bedingte, aufeinander zu beziehen, ohne die Freiheit Gottes anzutasten und ihn als 470 Vgl. ST II, 89. 471 Vgl. Steinacker: Schelling, 51 – 54. 472 Steinacker: Schelling, 52.
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Teil der Welt zu depotenzieren, aber auch ohne Welt und Geschichte von Gott als ihrem Grund und Abgrund zu lösen“473. Die Religion ist von daher einerseits – gleichsam deszendierend – das unbedingte Angegangen-Sein und andererseits – aszendierend – die symbolische Rede von Gott. Der Mensch ist von Grund auf religiös. Tillich sieht unableitbare göttliche Mächte am Werk, die auf das Unbewußte wirken und aus dem Unbewußten heraus im Bewußtsein die Symbole des Religiösen schaffen. Der Mensch ist in seiner Tiefe in einer Wirklichkeit verwurzelt, die auf ihn wirkt.474 Was die Soteriologie angeht, unternimmt Tillich den Versuch, die Versöhnung in Christus nicht als logisch notwendig zu konstruieren, sondern gerade in der Christologie jenen Erweis zu sehen, den die Philosophie erinnernd als das unvordenkliche Geschehen nachvollzieht, in dem sich das Transzendente immanent macht.475 Das Unvordenkliche kann sich aufgrund der soteriologischen Ohnmacht der Vernunft, d. h. des Menschen, nur dadurch als erlösend zeigen, daß es sich in der Existenz offenbart. Es ist reine wesenhafte Gnade, die allein im Glauben empfangen wird. Die sich selbst erfassende Subjektivität empfängt darin ihr Sich-Gegebensein. Neben dieser objektiv-lehrhaften Annäherung an Tillichs Denken muß es aber auch – und gerade nach der Besprechung der Werke von Neugebauer, Danz, Wenz, Wagner und Ringleben – einen subjektivprinzipiellen Ansatz geben476, der nach dem Denken des Denkens fragt und damit Schellings Anforderung an die Philosophie widerspiegelt, einen absolut freien Anfang zu finden. Diese Forderung ist ja an die Vollzugsaktualität der Philosophie selbst zurückgebunden und kann eine Aufklärung des Denkvollzugs nur durch diesen selbst leisten. Denn hier liegt ja offensichtlich Tillichs Charakteristik: daß er sein eigenes Denken immer wieder denkend den Kriterien des Denkens unterwirft bzw. daran 473 Steinacker: Schelling, 53. Damit spiegelt sich in Tillichs Analogielehre Schellings Potenzenlehre. 474 Der Mensch kann kein unmittelbares Verhältnis zu Gott haben. Er muß vielmehr vom Unbedingten her ergriffen werden. „Man kann die göttliche Selbstmanifestation nicht aus einer Analyse der menschlichen Situation ableiten. Gott spricht in die menschliche Situation hinein – ablehnend und bejahend.“ (ST II, 19 f.) 475 Vgl. Jahnke, W.: Artikel „Idealismus“, in: TRE XVI (1987) 16. 476 Vgl. Alter, G.: Rechtfertigung des Zweiflers. Die existential-ontologische Neuinterpretation der Rechtfertigung als gnoseologisches Prinzip der systematischen Theologie Paul Tillichs. Lizenzarbeit an der Pontificia Universitas Gregoriana, Rom 1994.
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verifiziert. Durch die Beschäftigung mit Schelling und dem mit dem Übergang von negativer zu positiver Philosophie verbundenen Problem der Unvordenklichkeit des Denkens bzw. der Aporie des „absoluten Standpunkts des Denkens“ bleibt Tillichs Verhältnisbestimmung von Unbedingtem und Bedingtem, von Gott und Mensch, von Christologie und Anthropologie in das Denken als solches eingebunden und entfaltet sich nur „äußerlich“ als theologische Lehre. Jene Ansätze, die Tillichs Denken in die Frage des Denkens nach sich selbst zurückholen und im Sinne einer Konstitution der sich als endlich erfahrenden Freiheit auslegen, haben ihr volles Recht. Gerade beim Thema der Rechtfertigung des Zweiflers wird Tillichs Meta-Ebene deutlich: es geht ihm um die Rechtfertigung des Denkens als solchem. Es geht letztlich um die Übersetzung der traditionellen Rechtfertigungslehre in Tillichs Zeit samt ihrer Katastrophen, welche den Menschen aus der Welt flüchten ließen und ihn ultimativ auf sein Denken und auf dieses als Zweifel zurückwarfen.477 „Das fundamentale Thema der Tillichschen Theologie, nämlich das Sich-Gegebensein der Subjektivität als produktiver Selbsttätigkeit“, kann umso entschiedener nur dank einer richtigen Einführung der Christologie zur Geltung gebracht werden. „Die wesensmäßige Differenzhaftigkeit der Offenbarung, näherhin des Christusereignisses, (muß) gewahrt bleiben.“478 Denn sonst verkommt die lebendige Dialektik des Zugleich von Identität und Differenz zu unmittelbarer Identität und seinsmystischer Unmittelbarkeit! So wie in der Tillichschen Erlösungslehre das neue Handeln Neues Sein voraussetzt, so kann sich auch das Denken nicht selbst erlösen, sondern ein neues Denken setzt gewissermaßen ein vorausgedachtes Neues voraus! Diese Entwicklung ist zwiespältig und läßt vermuten, daß auch Tillich – ähnlich wie Schelling, wenn auch durch eine andere Dynamik – der Schwerkraft des Identitätsprinzips unterliegt. Der theologische Wi477 Tillich mag bei Schelling die Frage des Denkens über sich selbst als Denken, seine Voraussetzungen und seine Möglichkeiten gelernt haben und auch lange als inspirierend empfunden haben, doch die ontologische Struktur, die er in seinem ganzen Werk und besonders in der „Systematischen Theologie“ zu ordnen versucht, weist diese Frage nicht mehr als beherrschend aus. Tillich hat die Schellingsche Lektion gelernt, was sich in der Sinnhermeneutik und in der entsprechenden differenzierten Partizipation von Bedingtem und Unbedingtem ausdrückt. Alle Überlegungen atmen diesen Geist. Doch sie wird selbst kaum zum Thema und kann nicht künstlich zum Integral eines ganzen Werkes erhoben werden. 478 Wenz: Subjekt und Sein, 215.
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derspruch dieser idealistischen Identitätsprämisse besteht darin, daß Gott in Wirklichkeit den Menschen geschaffen hat als Antwortenden, als personales Gegenüber, der unterschieden und nicht identisch ist. Daraus entsteht die höchste Lebendigkeit des Verhältnisses von Gott und Mensch. Tillich reagiert zwar mit seiner Theoriebildung auf den Personalismus seiner Zeit, verliert aber das Personale der Beziehung. Letztlich wird das Gegenüberstehen Gottes von der essentiellen Einheit dominiert. Konsequenterweise wird Sünde als Entfremdung gedacht. Die Einheit von Gott und Mensch besteht essential-anthropologisch, nicht durch Gottes ungeschuldete Treue. Peter Steinacker, der sich zum Ziel gesetzt hatte, „die Intention aufzuspüren, die Schelling zu seiner Philosophie getrieben hat, in der Hoffnung und der Vermutung, daß sich eine analoge Intention bei Tillich finden läßt“479, sieht in der Absicht, das Vorhandene der Existenz trotz der Zerrissenheit und Sinnlosigkeit als erlösbar und „voller Gott“ zu denken, den gemeinsamen Nenner. Beide verbindet „die Intention der wirklichen, ontologisch beschreibbaren Veränderung der Welt durch das heilende Eingehen des Unbedingten ins Bedingte“480. Bei Tillich führt dies zum Prinzip, daß alles Negative im Positiven gründet. Es führt – gegen die Dialektische Theologie – zur Annahme einer Grundoffenbarung. Es führt gegenüber Barth zur Verteidigung des „Anknüpfungspunktes“ im Menschen. Außerdem wird deutlich, daß die Vermittlung von Christologie und Anthropologie in dem größeren Rahmen der Religionsphilosophie und ihres Verhältnisses von Unbedingtem und Bedingtem und der Ontologie und ihres Essenz-Existenz-Schemas aufgehoben ist.
479 Steinacker, P.: Die Bedeutung der Philosophie Schellings für die Theologie Paul Tillichs, in: Fischer, H. (Hrsg.): Paul Tillich: Studien zu einer Theologie der Moderne, Frankfurt/M. 1989, 37 – 61, hier: 41 (Hervorhebungen von Steinacker). Allgemein wird eine gemeinsame Grundintention anerkannt (vgl. Mokrosch, 11 f.). Selbstverständlich differieren die inhaltlichen Angaben dieser Intention von Kommentar zu Kommentar. 480 Steinacker: Schelling, 49 f. Steinacker differenziert: „Zwar mischen sich hier, typisch für Tillich, ontologische Elemente aus Schellings Philosophie mit Kählers Rechtfertigungslehre und dem Motiv Augustins, das den Zweifler immer noch bei der Wahrheit hält. Aber der Hintergrund Schellings ist dennoch dominierend.“ (Steinacker: Schelling, 49)
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5. Theologie der Kultur und Symboltheorie 5.1. Die Theologie der Kultur Tillichs neue, radikal universalisierte Sicht des Rechtfertigungsprinzips begründet sein Programm einer Theologie der Kultur, welche in der Symboltheorie gipfelt. Hier stoßen wir auf Urgestein eigenständigen Tillichschen Denkens, denn der bahnbrechende Aufsatz „Über die Idee einer Theologie der Kultur“481 stammt bereits von 1919. Es geht um das Verhältnis von religiöser Kultur – „Religion“ – und weltlicher Kultur – „Kultur“. Inwiefern müssen beide getrennt werden, inwiefern gehören beide zusammen? 482 Die Tillichsche Symbollehre als Höhepunkt seiner Kulturtheologie bietet dabei ein Schema an, in dem das Identitätsprinzip, die Rechtfertigungslehre, die Existenzphilosophie und die Ontologie derart miteinander in Beziehung gestellt werden, daß sich eine Struktur der differenzierten Partizipation des Bedingten am Unbedingten ergibt. Diese ermöglicht es, über religionsphilosophische Grundlagen hinaus die Erlösung in Jesus dem Christus – also die Vermittlung von Christologie und Anthropologie in einer pneumatologischen Soteriologie – zu denken und denkend zu integrieren, da Christus als Symbol eingeführt wird. Die Symbollehre hat ihre Wichtigkeit also nicht nur in Bezug auf das einzelne Symbol, sondern als bestimmende Hintergrundstruktur für die größeren Zusammenhänge. Sie ist nicht nur eine entscheidende Nahtstelle in der Vermittlung von Christologie und Anthropologie, sondern zugleich eine Türangel zwischen Religionsphilosophie und Theologie.483 481 In: GW IX, 13 – 31. 482 Wir wollen den logischen Zusammenhang mit der unmittelbaren Gottesgewißheit in Erinnerung rufen: die ontologische Methode hat die kosmologische Methode, von der her die Theologie der Kultur bestimmt wird, in ihr Recht eingesetzt. „All das ist natürlich nur möglich auf der Grundlage des ontologischen Gewahrseins des Unbedingten und auf Grund der Einsicht, daß eine ausschließlich profane Kultur ebenso unmöglich ist wie Atheismus, weil beide ein Element von Unbedingtheit voraussetzen und beide etwas ausdrücken, das uns unbedingt angeht.“ (GW V, 135) 483 Es muß an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß Tillichs Denken sich in einer Zeit entfaltete, die der rund ein Jahrzehnt früher geborene Ernst Cassirer mit seiner „Philosophie der symbolischen Formen“ (Band 1: Die Sprache, 1923; Band 2: Das mythische Denken, 1925; Band 3: Phänomenologie der Erkenntnis, 1929) geprägt hatte, womit er Tillichs Symboltheorie Nährboden und Anlaß bot. (vgl. Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 47) Die verschiedenen Bände enthalten Cassirers Kulturphilosophie und Wissen-
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Wenn Gott und damit auch die Religion allgegenwärtig ist, dann gibt es ein Essentialbild der Religion, in dem der Mensch so sehr zu Gott gehört und aus einer Einheit mit Gott besteht, daß „kein besonderer religiöser Akt (…) notwendig sein (sollte)“484. Religion und Kultur sind essentiell untrennbar und gehören zutiefst zueinander, da der Mensch von Grund auf unheilbar religiös ist.485 Gott ist der Grund allen Seins und deshalb in allem gegenwärtig. Folglich kann für den Menschen alles zum Träger einer Offenbarung Gottes werden. Theologie wird „Rede von
schaftstheorie. Im ersten Band werden die Grundlagen der Analyse der allgemeinen geistigen Funktionen und Ausdrucksformen des Menschen gelegt. Der erste Band untersucht darüber hinaus thematisch die Sprache, der zweite Band Mythos und Religion, sowie der dritte Band die moderne wissenschaftliche Erkenntnis. Pate steht – in Anlehnung an seinen Lehrer und Promotionsvater Paul Natorp – die Erweiterung des Begriffs der Erkenntnis zum Leitbegriff des Erlebens. Gegenstand dieser Kulturphilosophie ist das Weltverständnis überhaupt. Es gibt ein „Erleben“ außerhalb der strengen Wissenschaften, das sich in der Sprache, in Mythen, der Religion oder der Kunst ausdrückt. Auch Geschichte, Technik, Wissenschaft, Moral oder Politik haben eigene Erlebniswelten. Cassirer entwirft den Begriff der „symbolischen Formen“ als Deutungsschema des Menschen für dessen Erlebnisse. Sie sind untereinander „gleichwertig“ – nicht in ihrem Wahrheitsanspruch, sondern aufgrund der wechselseitigen Irreduzibilität. Trotzdem räumt Cassirer vor allem anderen dem Mythos eine Sonderstellung ein, da er der gemeinsame historische Ursprung und die frühste Form der sinnhaften Weltgliederung ist. Davon hebt sich das Selbstverständnis der Religion ab. War das den Mythos bestimmende Moment die Identität, so ist es in der Religion die Differenz und die damit gegebene Bedingung der Möglichkeit der Bildung von Persönlichkeit. Mit der Formgebung geht eine Sinnstiftung einher, da erst Formen Bezüge und Strukturen in der Welt erkennen lassen. Symbolische Formen sind somit Grundformen des Verstehens, die universell gültig sind und mit denen der Mensch seine Wirklichkeit gestaltet. Kultur ist die Art und Weise, wie der Mensch durch Symbole Sinn erzeugt. Symbole entstehen also stets in Verbindung mit der Sinnlichkeit, haben aber auch einen Sinn, der über sie hinaus verweist. Cassirer intendierte mit seiner Kulturphilosophie kein System, sondern eine Ordnung der konkreten Vielfalt der Wahrnehmung, die das Konzept einer organischen Ganzheit ermöglicht. Es erscheint plausibel, daß Tillich sich dank der damals aktuellen Fragen fast gleichzeitig zu Cassirer mit kulturtheologischen und symboltheoretischen Fragen auseinandersetzte und sie sinnhermeneutisch ausgestaltete. In der theologischen Prägung liegt Tillichs primär unterscheidende Eigenheit. 484 ST III, 118 f. 485 Vgl. Schüßler, W.: „Der Mensch ist unheilbar religiös.“ Zu Paul Tillichs dynamischem Glaubensbegriff, in: FZPhTh 40 (1993) 298 – 311.
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der Manifestation des Göttlichen in allem Seienden und durch alles Seiende hindurch“486. Dieses Ineinanderliegen von Religion und Kultur bedeutet: die Religion ist der Gehalt der Kultur, und die Kultur ist die Form der Religion.487 Kulturtheologie ist in diesem Zusammenhang „eine allgemeine religiöse Analyse sämtlicher Kulturschöpfungen“488, welche Tillich im Detail in seiner Schrift „Die religiöse Lage der Gegenwart“489 leistet und in seinem Vortrag über die Idee der Kulturtheologie nur beispielhaft andeutet.490 Freilich unterscheidet Tillich das Essentialbild und das real-existentielle Bild der Religion und von daher auch zwei verschiedene Begriffe von Religion. Dabei wird das Essentielle durch das Existentielle zwar nicht aufgehoben, aber in einen neuen Zusammenhang gestellt. Existenz bedeutet nämlich Entfremdung. Und da der Mensch entfremdet ist, wird er zwar von seiner essentiellen Gottesbeziehung immer wieder angetrieben, das Reich Gottes oder eine „ideale Theonomie“ zu erhoffen, die sich aufgrund der existentiellen Entfremdung und der Zweideutigkeit des Lebens jedoch erst in eschatologischer Zukunft erfüllen kann. Welche Bedeutungen beinhaltet nun der Begriff „Religion“? Im weiten und eigentlichen Sinn formuliert er: „Religion ist Erfahrung des 486 GW IX, 346. Daß Religion und Kultur von ihrem Wesen her „in“-einander liegen, stützt die interessante These von Heinz Zahrnt, daß eine Theologie an ihrer Präposition erkannt werden kann. (vgl. Zahrnt, H.: Die Sache mit Gott. Die protestantische Theologie im 20. Jahrhundert, München 1966, 382 – 467, hier: 436) Bei Tillich ist es das „in“ – gegenüber einem supranaturalistischen „über“ wie z. B. bei Barth –, denn „in“ der Wirklichkeit der Welt wird Gott transparent. 487 Tillich ist überzeugt, „daß die Autonomie der Kulturfunktionen begründet ist in ihrer Form, den Gesetzen ihrer Anwendung, die Theonomie aber in ihrem Gehalt, der Realität, die vermittelst dieser Gesetze zur Darstellung oder Durchführung kommt.“ (GW IX, 19) Schüßler hat in diesem Zusammenhang die bedeutendsten Kritiken gesammelt: Dietrich Bonhoeffer wirft Tillich vor, er habe die Entwicklung der Welt gegen deren eigenen Willen religiös gedeutet; Karl Barth spricht vom „so großzügig geübte(n) Generalisieren“; für Wilhelm Weischedel liegt die Gefahr im verschwommenen „ungeschiedene(n) Einerlei“; und Adolf Löwe befürchtet – nach Schüßler freilich zu Unrecht – eine Verdünnung des Christentums. (vgl. Schüßler: Paul Tillich, 50 f.) 488 GW IX, 20. 489 In: GW X, 9 – 93. 490 Das „Noch nicht“ dieses eigentlichen Zustandes bedeutet für den Menschen eine ethische Herausforderung. Er wird unter den Sollens-Anspruch gestellt, die Verwirklichung der „idealen Theonomie“ anzustreben. „So sollte es sein, aber so ist es nicht in Wirklichkeit.“ (GW IX, 101)
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Unbedingten und das heißt Erfahrung schlechthinniger Realität auf Grund der Erfahrung schlechthinniger Nichtigkeit.“ Was sich hier durch das „Nein“ hindurch als „Ja“ aufzwingt, ist „die letzte, tiefste, alles erschütternde und alles neu aufbauende Sinnwirklichkeit“, „das Überseiende“491. Es kann in diesem eigentlichen, theonomen Sinn keine getrennten religiösen Kultursphären mehr geben. Religion entspricht dem, was uns unbedingt angeht. Dieser Religionsbegriff transzendiert das, was gewöhnlich Religion genannt und womit eine besondere Verkörperung des unbedingten Angegangenseins innerhalb von gewissen Symbolen, Bildern und Kultgeschehen bezeichnet wird. Religion als „Dimension des Unbedingten in den verschiedenen Funktionen des menschlichen Geistes“ und als „– metaphorisch gesprochen – Dimension der Tiefe“492 ist demnach „Religion und zugleich mehr als Religion“493. Das meint Tillich durchaus kritisch: „Der Mensch, der sich von dem Zwang der Religion befreit, wird frei für die Gnade der Religion. Er ist gesegnet innerhalb und außerhalb der Religion, denn die tiefste Dimension des Daseins hat sich ihm geöffnet.“494 Es ist eine Religion, die nicht privatisiert wird, sondern immer nur in Gemeinschaft gelebt werden kann. In Bezug auf die Kultur würde eine solche Religion oder ideale Theonomie bedeuten, daß alles Heilige profan und alles Profane heilig wäre. An diesem Punkt wird deutlich, wie sehr Tillichs Verständnis für die Beziehung von Gott und Welt, Gott und Mensch, einen Niederschlag findet in seiner Definition der Theologie. Theologie beschäftigt sich nicht mit einem Gegenstand neben anderen, sondern mit allen Gegenständen „unter dem Gesichtspunkt ihrer Fähigkeit, durch die autonome Form etwas von letztem und unbedingtem Gewicht zu vermitteln“495. Diese Definition von Theologie wendet sich in einem apologetischen „Angriff“ gegen eine säkulare Welt, die meint, in sich selbst geschlossen sein zu können, und in diesem Sinn gegen die entsprechenden „Escape“Theologie oder „neue Orthodoxie“496 steht. Tillichs Religionsbegriff ist 491 492 493 494 495
GW IX, 18. EW IV, 63. GW VIII, 196. RR III, 108 f. ST I, 21. Schüßler meint, daß man nur unter diesem Blickwinkel Tillichs Interesse am Sozialismus und an der Kunst richtig als „Theologie der Politik“ und als „Theologie der Kunst“ verstehen kann, nicht also als getrenntes und besonderes Interesse an Politik oder Kunst. (vgl. Schüßler: Paul Tillich, 48) 496 Vgl. Schüßler: Paul Tillich, 48. Das Besondere des Christentums wird nicht ausgeschlossen: der christliche Glauben ist der „Zustand des Ergriffenseins durch
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nicht auf das Christentum eingeengt, aber das Christliche wird gegenüber allen „Quasi-Religionen“ zum Kriterium des wahrhaft Unbedingten: „Unbedingt kann mich alles Mögliche angehen – eben auch die Wissenschaft oder der Erfolg im Leben. Wirklich unbedingt kann mich natürlich immer nur das wahrhaft Unbedingte angehen – und nichts Vorläufiges, Bedingtes.“497 Weil Gott konkret ist und das Göttliche in den Gegenständen, Personen und Geschehen der Kultur gegenwärtig ist, sind das Sakramentale und die prophetische Kritik, welche auf dem Grund des protestantischen Prinzips ruhen, die beiden Wesenselemente der Religion. Das Sakramentale und die prophetische Kritik müssen sich in einem spannungsvollen Gleichgewicht halten, denn sonst geschieht entweder Dämonisierung oder Profanisierung. Das Ziel ist die Einheit der beiden Elemente in dem, was Tillich in seinem letzten Vortrag „Die Bedeutung der Religionsgeschichte für den systematischen Theologen“498 die „Religion des konkreten Geistes“499 nennt. Die Symboltheorie soll in diesem Rahmen eine konkrete Vermittlung Gottes und des Menschen anhand einer sakramentalen „katholischen Substanz“ und eines kritischen „protestantischen Prinzips“ gewährleisten. 5.2. Die Symboltheorie Der Sicht von Religion als dem Begriff für das unbedingte Angegangensein des Menschen durch Gott entspricht die berühmte Tillichsche Symboltheorie. Sie orchestriert innerhalb der Theologie der Kultur die Vermittlung von Bedingtem und Unbedingtem und hat für unsere Fradas Neue Sein, wie es in Jesus als dem Christus erschienen ist“ (ST III, 156) und dessen Offenbarung als „letztgültig“ und „normgebend“ (ST I, 159) verstanden wird. 497 Schüßler: Paul Tillich, 54 (Hervorhebungen von Schüßler) 498 In: EW IV, 144 – 156. 499 EW IV, 150. Werner Schüßler ist zurecht der Auffassung, daß Tillich in diesem Zusammenhang kein pluralistisches Religionsmodell vertritt, sondern ein inklusivistisches, das vom Christentum her bestimmt wird. (vgl. Schüßler: Paul Tillich, 76) Das ist an zwei Punkten festzumachen: einerseits läßt Tillich keinen Zweifel daran, daß die Offenbarung in Jesus dem Christus letztgültig ist (vgl. ST I, 159); andererseits spiegelt der Normbegriff der Religion – sie muß die Macht haben, sich selbst zu verneinen, ohne sich selbst zu verlieren (vgl. ST I, 159) – eindeutig das christologische Paradox wider: „Jesus hätte nicht der Christus werden können, wenn er sich nicht als Jesus an sich als den Christus geopfert hätte.“ (GW VIII, 177)
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gestellung besondere Bedeutung, da Tillich „Christus“ als Symbol und Jesus von Nazareth als Träger des Christus-Symbols bezeichnet.500 Das höchste göttliche Symbol muß ein Mensch sein, da sich in ihm alle Dimensionen des Lebens verwirklichen. Tillich hat auch den Begriff der Offenbarung mit seiner Symboltheorie in Verbindung gebracht. Offensichtlich leistet für ihn die Symboltheorie Vergleichbares zu Kaspers Spekulationen zum Absoluten in der Geschichte. In der Symboltheorie geht es vor allem um die Frage, wie sich das Unbedingte konkret im Raum des Bedingten manifestieren kann. Denn über eine genaue Verhältnisbestimmung von Unbedingtem und Bedingtem hinaus geht es ja vor allem beim Thema der Vermittlung von Christologie und Anthropologie um die Frage der konkreten geschichtlichen Begegnung von Gott und Mensch in der sich ereignenden Christus-Offenbarung. Letztlich geht es um das Problem, wie Christus gedacht werden muß, um den Menschen die Rechtfertigung vermitteln zu können und die Unvordenklichkeit des Christlichen in der Geschichte manifest zu machen. Wie kann sich das differenzierte sinneröffnende Verhältnis von Gott und Mensch so verwirklichen, daß es den Menschen inmitten seiner Existenz anspricht? Tillich hat sich öfters zum Thema der Symbole geäußert, vor allem in seinem Aufsatz „Das Wesen der religiösen Sprache“501. Symbole haben zwar mit Zeichen gemeinsam, daß sie auf etwas verweisen, das außerhalb ihrer selbst liegt, doch der fundamentale Unterschied ist: „Symbole – obwohl sie selbst nicht dasselbe sind, was sie symbolisieren – partizipieren an Sinn und Macht dessen, was sie symbolisieren“502. Damit repräsentiert das Symbol diese Wirklichkeitsschicht. Es ist „repräsentativ“503. Es eröffnet eine tiefere Schicht der Wirklichkeit, die eben nur durch Symbole zugänglich ist. Doch zugleich öffnet es Tiefen der Seele, die mit den Schichten der äußeren Wirklichkeit korrespondieren müssen. In den verschiedenen Bereichen des kulturellen Lebens gibt es nach Tillich „echte Symbole“504 : in der Politik, in der Kunst, in der Geschichte. Das Hauptaugenmerk gilt jedoch den religiçsen Symbolen. Die Symboltheorie gipfelt nämlich in der symbolischen Gotteserkenntnis. 500 Offensichtlich gibt es bei Tillich eine dreifache Abstufung zwischen Transzendenz und Immanenz: Gott, Christus, Jesus. 501 In: GW V, 213 – 222. 502 GW V, 214. 503 GW V, 237. 504 GW VIII, 141.
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Jene verborgene Wirklichkeitsschicht, die von den religiösen Symbolen aufgedeckt wird, ist nach Tillich „die Tiefendimension der Wirklichkeit selber, (…) die fundamentale, die allen anderen zugrunde liegende Schicht, die des Seins-Selbst oder die der letzten Seinsmächtigkeit“505. Damit ist aber nicht gesagt, daß die religiösen Symbole diese Dimension des Heiligen adäquat aussagen, denn das Unbedingte, das, „was unbedingt transzendent ist, läßt jedes Symbol seiner selbst hinter sich“506. Teilhabe ist eben keine vollkommene, sondern nur eine partielle Identität.507 Obwohl kein Symbol adäquat ist, lautet die Forderung: „Das, was den Menschen unbedingt angeht, muß symbolisch ausgedrückt werden, weil allein die Symbolsprache das Unbedingte auszudrücken vermag.“ Tillich weiß selbst: „Diese These bedarf der Erläuterung.“508 Für Tillich bezieht sich die religiöse Sprache der Symbole auf eine Wirklichkeitsschicht, die anders nicht auszudrücken wäre.509 Eine gegenständliche Sprache würde Gott zum Objekt machen. Was Tillich als Symptom für eine „Dämonisierung“510 ansieht, ist „die Verzerrung, durch die das Göttliche zu einem Objekt neben anderen gemacht wird und der Mensch als Subjekt die Macht erhält, im Erkennen und Handeln darüber zu verfügen.“511 Die religiösen Symbole sind nicht „nur“ Symbole, sondern genuine Ausdrucksform der Religion, da sie keine andere Sprache kennt als die des Symbols. „Buchstäblich ist nicht mehr, sondern weniger als symbolisch.“512 Für Tillich gilt: wenn es um das Göttliche geht, braucht es „nichts Geringeres als ein Symbol“513. Töricht sind von daher die Menschen, die die großen Mythen der Bibel wörtlich nehmen und ihnen mit wissenschaftlichem oder techni505 GW V, 217. 506 GW V, 217. 507 Vgl. Nörenberg, K.-D.: Analogia imaginis. Der Symbolbegriff in der Theologie Paul Tillichs, Gütersloh 1966, 136. 508 GW VIII, 139. 509 Vgl. GW V, 213.215. 510 GW V, 218. 511 GW V, 231. Bayer beurteilt die Tillichsche Identifikation der Wörtlichkeit der Sprache mit dem Geist neuzeitlicher Objektsprache als falsch. Die unerschöpfliche Vielfalt und Komplexität der biblischen Sprach- und Lebensformen gehe zugunsten einer seinsmystischen Unmittelbarkeit verloren, so daß das reformatorische „medium salutis“, das Wort, entscheidet diskreditiert würde. (vgl. Bayer: Paul Tillich, 258 f.) 512 GW V, 220. 513 GW VIII, 142.
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schem Geist begegnen.514 Die angemessene Reaktion auf diese Tendenz ist jedoch nicht die von Bultmann praktizierte Entmythologisierung – wenn sie als Ausmerzung von Symbolen und Mythen verstanden wird –, da der Mythos „die notwendige und angemessene Ausdrucksform der Offenbarung“515 ist. Tillich will „sozusagen eine „halbe Entmythologisierung“ des Mythos„516. Das Christentum spricht die Sprache des Mythos, doch es ist ein „gebrochener Mythos“517, in dem sich die tiefsten Schichten des Seins-Selbst und des Menschen treffen. Nur so kann sich das, was unbedingt angeht, so ausdrücken, daß es den Menschen unbedingt ergreifen kann. Symbole sind das Ergebnis einer Korrelation. 5.2.1. Religiöse Symbole und Existentialanalyse Das Symbol soll helfen, Gott seiner Transzendenz gemäß auszudrücken. Doch der Sinn des Symbols besteht nicht darin, rein supranaturalistisch Gott zu umschreiben, sondern darin, die Beziehung von Gott und Mensch zu artikulieren und Gott so als Antwort darzustellen, daß es sich um eine Antwort auf eine wahre Frage handelt. In anderen Worten: in das Symbol gehört immer auch das Menschliche hinein. Da sie aus dem Bereich des Wirklichen genommen werden, stehen die Symbole zugleich unter der Bedingung der Entfremdung. Sie wurzeln nicht nur in der Totalität der menschlichen Erfahrungen, sondern sie sind zugleich ein Protest gegen sie.518 Das bedeutet: „Die religiösen Symbole sind teilweise Ausdruck der menschlichen Situation, mit der sich die Existentialanalyse befaßt, und teilweise sind sie Antworten auf die Fragen, die in dieser Situation ent-
514 Vgl. GW XIII, 471 f. 515 EW IV, 93. Tillich versteht den Mythos als Zusammenfügung von Symbolen zu „Göttergeschichten“ (vgl. GW VIII, 144). Natürlich ist ein Mythos nicht wörtlich zu nehmen, aber er darf auch nicht ausgeschaltet werden, da er etwas über die religiöse Relevanz der menschlichen Situation als solcher aussagt. Auch die Deutung „Übergang von der Essenz zur Existenz“ kann aufgrund eines zeitlichen Moments das Mythologische nicht ganz ausschalten. 516 ST II, 36. Tillichs ganze Theologie sei nach Schüßler als halbe Entmythologisierung zu verstehen (vgl. Schüßler: Paul Tillich, 66), da Tillich den Mythos so ausdrücken möchte, daß er für seine Zeit am angemessensten zur Sprache kommt. Die symbolische Sprache behält ihre herausragende Bedeutung für das Religiöse. 517 GW VIII, 148. 518 Vgl. EW IV, 155.
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halten sind“519, wie Tillich in seinem berühmten Aufsatz „Existentialanalyse und religiöse Symbole“520 schreibt, der als „Kurzfassung seiner Systematischen Theologie“521 bezeichnet wurde. Diese Analyse liefert „eine Beschreibung des antiessentiellen, d. h. des entfremdeten Zustandes der Menschen und seiner Welt“522 und spricht von Endlichkeit, Schuld, Sinnlosigkeit, Zweifel und Angst. Tillich ist der Überzeugung, daß diese Begriffe der Existentialanalyse dem entsprechen, was die religiösen Mythen und Symbole zu allen Zeiten über die Situation des Menschen gesagt haben. Deshalb macht die Existentialanalyse jene Symbole neu verständlich, „in denen eine Antwort auf die Frage nach der menschlichen Situation gegeben wird“523. Dank der Existentialanalyse fließt das entfremdet-existentielle Menschliche in die Genese des Symbols ein.524 So wird z. B. die Erfahrung der Endlichkeit des Menschen im religiösen Symbol seiner Geschöpflichkeit aufgehoben und positiv als eine Partizipation des Endlichen an seinem unendlichen Grund gedeutet.525 Das liegt daran, daß die Existentialanalyse in letzter Konsequenz die bedrohende Erfahrung des Nicht-Seins auf den Begriff bringt und dadurch die Bedingung der Möglichkeit für die Erfahrung des Seins als Seinsmächtigkeit ist. „Der Mensch in seiner existentiellen Angst fühlt sich von dem entfremdet, wozu er eigentlich gehört“526, „von dem, was er essentiell 519 GW V, 223. „Was heute in der Theologie getan werden muß – und das ist ein Strukturelement meiner eigenen Arbeit –, ist nichts anderes, als daß wir die Existentialanalysen, die so reichhaltig in der existentialistischen Literatur (zu der ich auch die Tiefenpsychologie rechne) stecken, als die Fragen übernehmen, auf die die theologischen Symbole die Antwort sind.“ (GW VIII, 228) 520 In: GW V, 223 – 236. 521 Bayer: Paul Tillich, 255. 522 GW V, 226. 523 GW V, 231. 524 Der schöpferische Grund der Symbole ist das „kollektive Unbewußte“ (GW V, 216) einer Gruppe. Symbole werden geboren und sterben wie lebende Wesen, aber sie können nicht willkürlich ausgewechselt werden, da sie vom Unbewußten her als sprechend empfunden werden. 525 Das religiöse Symbol enthält demnach nicht „nur“ eine zeichenhafte Andeutung, sondern Wahrheit. Ähnlich versuchen Symbole wie Fall und Erlösung die Situation des Menschen „hier und jetzt“ zu beschreiben. Versuchung, Sünde, Schuld, Gericht und Verdammnis stehen Symbole wie Heil, Erlösung, Rechtfertigung, Mittler, Messias oder Christus gegenüber. Die ersteren beschreiben den Zustand der Entfremdung, die letzteren dagegen das leidenschaftliche Suchen nach der Schaffung eines neuen Seins inmitten der Existenz. 526 GW V, 228.
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ist“527. Die Existenz ist demnach nicht ohne die Essenz, die Essenz aber auch nicht ohne die Existenz. Die Antwort des Symbols kann sich nur erschließen, wenn der Mensch existentiell erschüttert ist. Aber diese Erschütterung ist auch nur möglich, weil der Mensch schon zu jener Dimension gehört, welche das Symbol zum verstehbaren und empfangbaren Ausdruck bringt. Damit spiegelt sich das dialektische Wechselspiel des Formalprinzips der Rechtfertigung wider.528 Letztlich verweisen alle religiösen Symbole auf das grundlegende und allesumfassende religiöse Symbol „Gott“. Von der Existentialanalyse gelangt Tillich zum zentralen Symbol. Darin sieht er die Aufgabe der Theologie: „Wir müssen von unten beginnen und nicht von oben.“529 Nur mit dieser Methode gelangt die Theologie zu einem Gott, der als transzendente Schicht jedes religiösen Symbols immer schon vorausgeht und frei ist von absurden, unsymbolischen und dinghaft-gegenständlichen Elementen. „Gott ist im Licht dieser Frage die Macht des Seins-Selbst, die über das Nicht-Sein herrscht, die Entfremdung überwindet und uns den Mut schenkt, die Angst von Endlichkeit, Schuld und Zweifel auf uns zu nehmen.“530 Die theologische Antwort ist 527 GW V, 229. 528 Nach Nörenberg kann man bei Tillichs Symbollehre eindeutig die dialektische Dynamik der wechselseitigen Unabhängigkeit und Abhängigkeit von theologischer Antwort und existentieller Frage herauslesen: „Wie also das Symbol die theologische Antwort aufschlüsselt und möglich macht, so macht die Existentialanalyse das Symbol selbst wieder verständlich.“ (vgl. Nörenberg, 79) Nörenberg sieht in diesem Zusammenhang auch eine Rechtfertigung gegeben für das ansonsten oft kritisierte Vorgehen Tillichs im dritten Teil seiner „Systematischen Theologie“, in dem er die Fragen der Existenz im Endeffekt nicht aus einer reinen Existentialanalyse herausliest, sondern sie bereits in theologische Symbole wie den „Fall“ faßt. Das widerspreche nicht einem ausgeglichenen Korrelationsschema, da die Existentialanalyse sowieso nie von „Null“ aus argumentierte, sondern ihre Richtung erst dank einer bereits vorhergehenden Konfrontation mit einer theologischen Antwort kennte. In anderen Worten: daß Tillich die menschliche Entfremdung „viel zu frühzeitig“ als „Fall“ interpretiert, rühre wohl daher, daß nur das bereits vorgegebene Symbol „Fall“ eine entsprechende Existentialanalyse ermögliche. (vgl. Nörenberg, 80 f.) „Jedes Reden, das sich auf eine empfangene theologische Antwort bezieht, ist symbolisch strukturiert, ganz gleich, ob es selbst auf eine existentielle Frage Antwort gibt, von einer Antwort aus die menschliche Situation charakterisiert oder neue Fragen stellt.“ (Nörenberg, 81) Vgl. dagegen auch GW V, 232, wo die Begriffe „Entfremdung“ und „Fall“ teilweise ohne saubere Trennung nebeneinanderstehen. 529 GW V, 236. 530 GW V, 236.
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kein unbeteiligtes Reden ber Gott oder das Unbedingte, sondern sie ist im Symbol die Sprache der Transzendenz selbst, ja, „vor allem Antwort Gottes selbst und damit Offenbarung an uns“531, oder – in Tillichs Worten – der „Durchbruch des unbedingten Sinngehaltes durch die Sinnform“532. Konsequenterweise ist symbolische Rede zutiefst wagende und glaubende Rede: „Glaube ist Richtung auf das Unbedingte durch Symbole aus dem Bedingten hindurch.“533 Das Symbol ist also die Sprache der Religion; alles Unsymbolische ist höchstens Rede ber Religion und von daher weniger als das Symbol. 5.2.2. Die innere Dynamik des Symbols Die Aufgabe des Symbols besteht darin, dem fragenden Menschen eine Antwort innerhalb einer Offenbarungskorrelation so zu vermitteln, daß die Antwort einerseits als Antwort auf die existentielle Frage begreifbar ist und andererseits auf jene Macht des Seins verweist, die die menschliche Seinsohnmacht überwindet. Diese Vielschichtigkeit muß sich im Symbolbegriff selbst widerspiegeln. Da das religiöse Symbol eine dynamische Vermittlung von einem sogenannten „Symbolausdruck“ und einer sogenannten „Symbolbedeutung“ ist, also eines uneigentlichen Ausdrucks und der eigentlichen Wirklichkeit, auf die er verweist, müssen eine transzendente und eine immanente Schicht unterschieden werden.534 Diese befindet sich innerhalb unserer Wirklichkeit, während jene über das Empirische hinausgeht und sich auf das bezieht, was von allen religiösen Symbolen angestrebt wird: „Gott“ als letzte Wirklichkeit, das Sein-Selbst, der Grund des Seins, die Macht des Seins. Tillich bezeichnet diese Ausdrücke in der transzendenten Schicht als nicht-symbolische Redeweisen, da sie das Element der Unbedingtheit betreffen und sich vom unbedingten Anliegen, vom unbedingten Angegangen-Sein des Menschen her verstehen. „Das grundlegende Symbol für das, was uns unbedingt angeht, ist Gott.“535 Hinter dem Symbol „Gott“ gibt es keine symbolische Rede mehr. 531 532 533 534
Nörenberg, 76. GW I, 353. GW I, 332. Vgl. GW V, 218. Diese Differenzierung ermöglicht den Gedanken einer wahren Beziehung zwischen Gott und Mensch. 535 GW VIII, 142.
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Zugleich kann aber Gott als der Unbedingte nur dann zum Menschen in Beziehung stehen, wenn – weiterhin innerhalb der transzendenten Schicht – auf Gott ein konkretes Element anwendbar ist, „das unserer gewöhnlichen Erfahrung entnommen ist und symbolisch auf Gott bezogen wird“536, wie z. B. der Begriff „Gott“ in Bezug auf Jahwe. „Gott“ ist das religiöse Grundsymbol. Dieses konkrete Element wandelt sich unaufhörlich in der Menschheitsgeschichte. Die entscheidende Frage ist dabei: „Welches Symbol des Unbedingten drückt das Absolute frei von götzenhaften Elementen aus?“537 Schließlich enthält die transzendente Schicht als drittes Element die Handlungen Gottes. In diesem Zusammenhang macht Tillich sehr interessante Bemerkungen über die Sendung des Sohnes. Der kurze Satz „Gott hat seinen Sohn gesandt“ macht Gott sowohl von der Zeitlichkeit als auch von der Räumlichkeit abhängig und unterwirft ihn den Kategorien der Kausalität und der Substanz. Wenn man den Satz wörtlich versteht, liefert man sich nach Tillich abergläubischen und absurden Vorstellungen aus. Der Satz muß symbolisch verstanden werden, denn 536 GW VIII, 142. 537 GW VIII, 143. Es geht dabei um den Mut des Glaubens, in dem sich der Mensch dem wahrhaft Unbedingten ausliefert und nicht ein Bedingtes zum Unbedingten erhebt. „Gott als das Unbedingte im unbedingten Ergriffensein des Menschen ist gewisser als jede andere Gewißheit, selbst als die des eigenen Ich. Aber Gott anzuerkennen im Symbol einer göttlichen Gestalt ist eine Sache des Glaubens, des Mutes und des Wagnisses.“ Weiter unten in derselben Schrift „Wesen und Wandel des Glaubens“ (in: GW VIII, 111 – 196) schreibt Tillich: „Die Glaubensfrage ist nicht Moses oder Jesus oder Mohammed, die Frage ist vielmehr: Welcher von ihnen drückt das aus, was uns unbedingt angeht?“ (GW VIII, 156) Tillich bewegt sich hier an der Grenze des Denkaktes. Er sucht jenen Punkt, an dem eine Aussage nicht mehr symbolisch ist und auf den sich alle Symbole beziehen lassen, ohne daß der Zirkelschluß vollzogen werden müßte, daß auch das Reden im Symbol selbst wieder symbolisch ist. Mit der Bezeichnung Gottes als des „Seins-Selbst“ will Tillich diesen Punkt gefunden haben. Doch dann stellt sich die Frage: warum soll die von Tillich als „nicht-symbolisch“ verkündete Bezeichnung „Sein-Selbst“ oder „das Unbedingte“ weniger symbolisch sein als „Person“ oder „Liebe“, da doch auch der Begriff „Sein-Selbst“ als Begriff symbolisch ist? Der Unterschied liegt darin, daß „Person“ und „Liebe“ auch Bedingtes benennen, während Ausdrücke wie „das Unbedingte“ oder „das SeinSelbst“ in sich den Anspruch enthalten, das Bedingte nicht mehr zu bezeichnen. Sie sind von daher nicht-symbolisch bzw. markieren die entsprechende „Grenzlinie“ (ST II, 16). Person, Liebe, Barmherzigkeit und andere Bezeichnungen fallen dafür als Symbole nicht aus, bezeichnen aber in der transzendenten Schicht als zweites Element die Attribute Gottes und sind aus den Eigenschaften des Menschen entlehnt. Gott ist nicht persönlich, sondern „überpersönlich“.
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dann ist er „ein tiefer Ausdruck der christlichen Erfahrung, ja der höchsten christlichen Erfahrung im Hinblick auf das Verhältnis von Gott und Mensch“538. Das Sein-Selbst vermittelt sich dem Menschen über das Symbol des Christus. Es geht Tillich mehr um die Denkbarkeit einer ontologisch verstandenen Vermittlung von Gott und Mensch als um eine geschichtliche Realisierung derselben in der Sendung des Sohnes ins Fleisch. Die immanente Schicht der religiösen Symbole betrifft die Erscheinungen des Göttlichen in Raum und Zeit, welche Tillich allgemein „Inkarnationen des Göttlichen“539 nennt. Es sind die „Manifestationen des Göttlichen in Dingen und Ereignissen, in einzelnen Menschen und Gemeinschaften, in Worten und Schriften“540. Die Inkarnation Christi ist kein in absoluter Weise einmaliges Ereignis, sondern versteht sich nur innerhalb des Symbolkonzeptes, und zwar als Manifestation des Göttlichen. Nach Tillich definiert nicht Christus die Symbole, sondern das Symbol bestimmt die Gestalt Christi.541 Christologie wird folglich bei Tillich zu symbolischer Manifestations-Christologie.542 538 539 540 541
GW V, 219. GW V, 219. GW VIII, 144. Werner Schüßler sieht die Beziehung von christologischem Paradox und Symbol mit gutem Recht sich von jenem zu diesem entwickeln. Tillichs Symboltheorie sei wesentlich durch das Christusgeschehen geprägt, „auch wenn Tillich es gerne so hinstellt, als ob umgekehrt das christologische Paradox sich in dieses allgemeine Kriterium zwanglos einfügte“. (Schüßler: Paul Tillich, 62) Mit diesen kurzen Andeutungen kann jedoch deutlich werden, daß die Tillichsche Symbollehre in der Christologie eine eminente Rolle spielt und die Richtung diktiert. Wichtig ist, daß Tillich schließlich das Symbolkonzept zum Kriterium der Christologie erhebt, nicht andersherum. 542 Als Konsequenz lassen sich eine negative, eine positive und eine absolute Aussage in Bezug auf die Authentizität des Symbols formulieren. Negativ: „Symbole können von empirischer Kritik nicht angetastet werden“ (GW V, 221), da sie sich auf eine nicht-empirische Schicht beziehen. Bereits in seinen 128 Thesen versucht Tillich, Christus – hier aber noch nicht als Symbol – der historischen Kritik zu entziehen. Positiv: „Die Wahrheit der Symbole liegt darin, daß sie der religiösen Situation, in der sie entstanden sind, entsprechen.“ (GW V, 222) Christus ist die erhoffte Verwirklichung der essentiellen Gott-Mensch-Einheit unter den Bedingungen der Entfremdung. Und schließlich absolut – und man könnte im Sinne der Analogielehre auch von der „via eminentiae“ sprechen – wird die Authentizität des Symbols noch übertroffen von seiner Angemessenheit: „Negativ erweist sich seine Angemessenheit dadurch, daß es sich selbst in seiner Konkretheit negiert und dadurch für das, worauf es hinweist, transparent wird. Positiv erweist sie sich durch die Art des symbolischen Stoffs“ (GW V, 243)
B. Erster Hauptteil: Die religionsphilosophische Vermittlung
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Grundsätzlich kann gesagt werden: die Symboltheorie hängt engstens mit der Gotteslehre zusammen und kommt in der Frage nach dem religiösen Symbol zu ihrem Höhepunkt. Wenn Gott jede Wirklichkeit unendlich transzendiert, aber zugleich der Grund allen Seins ist, dann hat das zwei Konsequenzen: einerseits ist jedes Wissen über ein endlich Seiendes auch zugleich Wissen über Gott; und andererseits kann eine solche Aussage selbst nicht auf Gott übertragen werden, denn Gott bleibt „das ganz Andere“543. Diese beiden Konsequenzen – Immanenz und Transzendenz Gottes – sind geeint in der analogen oder symbolischen Gotteserkenntnis. Das religiöse Symbol erlaubt damit niemals eine wörtliche Erkenntnis Gottes, sondern nur eine selbst-transzendierende. Es partizipiert an der Macht und der Bedeutung dessen, was es symbolisiert und ist damit die höchstmögliche Aussageform über Gott. Die dialektische Vermittlung von Ausdruck und Bedeutung geschieht dank des Begriffs der „Partizipation“ – der interessanterweise in Tillichs Versöhnungslehre eine große Rolle spielt. Die Partizipation steht bei Tillich jedoch in polarer Beziehung zur Individualisation und ist die Basis der Relation. Dies ist umso bedeutender, als daß Tillichs ganzes System im Kor-Relations-Schema um Relation dreht.544 Das Symbolkonzept drückt aus, daß Partizipation und Trennung als dialektische Relation zusammengedacht werden müssen. Dabei besteht aufgrund der Partizipation keine vollkommene Trennung. Vielmehr partizipiert der Ausdruck an der Seinsmächtigkeit der Bedeutung. Die transzendente göttliche Wirklichkeit ist im Symbol anwesend, doch zugleich besteht ein unaufhebbarer Seinsabstand zwischen dem Repräsentierten und dem Repräsentierenden.545 wobei der geistige Stoff auch das Anorganische und das Organische in sich aufnimmt. „Religion ist zweideutig, und jedes religiöse Symbol kann dämonisiert (vergötzt) werden.“ (GW V, 222) Die vom Symbol beanspruchte Teilhabe an der Macht des Unbedingten kann nur zur Vollendung kommen, wenn sich das Immanente am Symbol opfert zugunsten des Symbolgehaltes. Alles überragendes Beispiel ist für Tillich das Kreuz Jesu Christi, durch das Jesus die Vergötzung seiner selbst ablehnt. „Dies ist das Kriterium für alle Symbole, und es ist das Kriterium, dem sich jede christliche Kirche unterwerfen sollte.“ (GW V, 222) 543 ST II, 15. 544 Vgl. Nörenberg, 130. 545 Dieses Unterkapitel läßt sich am grundlegenden religiösen Symbol „Gott“ deuten. (vgl. Nörenberg, 132 – 134) Die nicht-symbolische Aussage in der transzendenten Schicht des religiösen Symbols gewährleistet, daß Gott jenseits von der Selbst-Welt- und der Subjekt-Objekt- bzw. auch der Essenz-ExistenzStruktur steht. Er ist das Sein-Selbst. Doch bereits seine aus der Welt des Be-
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
5.3. Der Begriff der Offenbarung Die Auslegung des Symbolbegriffs kann deutlich machen, wie Tillich sich Offenbarung vorstellt. Denn die deutende Selbstauslegung der Symbolbedeutung ist ja Offenbarung546. Entsprechend der in der Besprechung der Korrelationsmethode dargelegten Selbsterschließung der Wahrheit in der Geschichte ist die Offenbarung des Unbedingten „die sich selbst bedeutende und deutende Symbolbedeutung“547, welche sich offenbar macht und dabei das Bedingte, an dem es sich offenbart, in sein Eigenes einsetzt. Die Offenbarung hat dabei eine schlechthin erschließende Funktion, denn sie offenbart unsere eigene Beziehung zum Bedingten. In diesem Sinne gibt es keine absolute Offenbarung, sondern immer nur „Offenbarung für“: „Nichts ist Offenbarung, was sich nicht mir, meiner Gegenwärtigkeit in ihrer ganzen Konkretheit, offenbart.“548 Es gibt keine Offenbarung ohne unbedingtes Betroffensein und umgekehrt. Da sie die Offenbarung einer transzendenten Wirklichkeit ist, welche die Subjekt-Objekt-Spannung umgreift und ihr vorausgeht, ist sie Offenbarung dessen, was unbedingt verborgen ist und was deshalb auch innerhalb seiner Erschließung verborgen bleibt, ja sich offenbart als jenes, das unbedingt verborgen ist. Die Symbolbedeutung ist und bleibt Mysterium. „Eine Offenbarung ist eine besondere, außergewöhnliche Ma-
dingten entlehnten Attribute und Handlungen und noch mehr seine „Inkarnationen“ in der immanenten Schicht machen deutlich, daß Gott partizipiert und Partizipation gewährt. Diese Partizipation bezieht sich sowohl auf die Essenz als auf die Existenz. In Bezug auf die Essentialstruktur bedeutet dies, daß Gott als Macht des Seins an allem Seienden partizipiert und umgekehrt alles, was ist, durch die ontologische Grundstruktur an Gott partizipiert. Was die Existentialstruktur betrifft, so hat Gott aufgrund der ewigen Überwindung des Nicht-Seins aktuell und nicht nur potentiell teil an der Existenz, ihrer Entfremdung und ihrer Zweideutigkeit. Und das Geschaffene hat in der Existenz trotz der Bestimmtheit durch das Nicht-Sein teil an der Essenz, weil es sich auf das Sein-Selbst hin transzendieren kann. Letzte Ursache der Partizipation bleibt alleine Gott: „Partizipation als ontologisches Element hat seinen Grund und Ursache in Gott als dem Sein-Selbst.“ (Nörenberg, 133) 546 Vgl. Nörenberg, 124. 547 Nörenberg, 126. 548 GW IV, 105. Das bedeutet umgekehrt: „Nur der in der Offenbarungssituation Stehende weiß vom Wunder als solchem, weil er es erfährt.“ (Forster, A.: Offenbarung und Natur bei Paul Tillich, in: Einsicht und Glaube (hrsg. J. Ratzinger u. H. Fries), 1962, 150 – 162, hier:156)
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nifestation, die den Schleier von etwas entfernt, was in einer besonderen und außergewöhnlichen Weise verborgen ist.“549 Zugleich ist die Symbolbedeutung jedoch offenbar, weil sie aufgrund des Symbolausdrucks in der endlichen Welt erscheint. Sie ist aber nicht im Bereich des Bedingten „dingfest“ auffindbar, sondern transzendiert ihn ständig, weil das Bedingte das Unbedingte immer nur uneigentlich ausdrücken kann. Dabei wird der bedingte Mensch unbedingt von der Offenbarung ergriffen, da sie als sich im Symbol Manifestierende jenes umfaßt, das mein Ureigenstes ausmacht. Diese Begegnung faßt Tillich – wie wir weiter unten darlegen werden – in die korrelativen Begriffe der subjektiven „Ekstase“ und des objektiven „Wunders“. Die Uneigentlichkeit des Ausdrucks führt dazu, daß diese Begegnung jeweils gesehen werden muß unter dem negativen Aspekt des Abgrundes, der sich auftut, und dem positiven Aspekt des Seinsgrundes, der entdeckt wird. In diesem Zusammenhang sollte gezeigt werden, wie die innere Dynamik des Symbols auf den Offenbarungsbegriff und auf das Offenbarungsprinzip übertragbar ist. Wie Tillich dies selbst tut550, können wir im Zusammenhang der Frage nach Offenbarung auch fragen, inwiefern Tillichs Denkform sich der thomistischen „analogia entis“ bedient551 und damit die Vermittlung von Christologie und Anthropologie in einen von katholischer Seite her hochgeschätzten Ansatz hinein aufhebt. Für eine ausführlichere Behandlung verweisen wir auf das vergleichende Schlußkapitel der Dissertation. Offensichtlich besteht ja eine große Verwandtschaft. In der analogen Aussage wird ein begrenzter Ausschnitt der endlichen Wirklichkeit auf Gott angewandt und dadurch aufgrund des Fundaments der Seinsanalogie bejaht, aber zugleich auch verneint. Dieser Ausschnitt wird zum Symbol. Tillich nennt das Fundament und die Bedingung aller Symbolvermittlung repräsentierende Partizipation. Tillichs schwierige und detaillierte Unterscheidung von transzendenter und immanenter Schicht will letztlich besagen, „daß in der durch die Partizipation ermöglichten symbolischen Vermittlung der konkrete, empirisch faßbare Symbolausdruck mit der transzendenten Symbolbedeutung dadurch vermittelt ist, daß das Unbedingte oder das Sein-Selbst als das im Symbol „Gott“ 549 ST I, 131. 550 Vgl. ST I, 157. 551 Vgl. Ernst N.: Die Tiefe des Seins. Eine Untersuchung zum Ort der analogia entis im Denken Paul Tillichs, St. Ottilien 1988.
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Gemeinte im gegenständlichen Symbolausdruck als Seinsmächtigkeit oder – was dasselbe meint – als symbolische Seinsmächtigkeit real anwesend ist und so dem Individuellen ein Mithaben am Universellen gewährt„552. Die symbolische Repräsentation aktualisiert Präsenz. Die Erfüllung ist nach Tillich das sich im Christus-Symbol ausdrückende Neue Sein und aufgrund der Letztgültigkeit seines Offenbarwerdens „das Prinzip aller Seinspartizipation“553. Gottes Gegenwart im Symbol ist „“Nahe-bei-Sein“, „Mit-Sein“ – aber auf der Basis des Abwesend-Seins, des Getrennt-Seins„554. Symbolische Beziehung ist nur dort möglich, wo trotz einer ontologischen Differenz eine ontologische Partizipation bzw. eine „analogia entis“ vorliegt, aufgrund derer die beiden polaren Wirklichkeiten trotz der Distanz nicht unvereinbar nebeneinander herlaufen, sondern partiell identisch sind. Von dieser Seinspartizipation her haben das religiöse Symbol und die Seinsanalogie gemeinsam555, daß sie darauf hinweisen, daß der Mensch Gott nur mittelbar anhand des aus der endlichen Wirklichkeit entnommenen Materials erkennen kann und daß deshalb alle Namen Gott auf uneigentliche Weise zukommen. Der entscheidende Unterschied zwischen der Symbol- und der Analogielehre besteht jedoch darin, daß ein unterschiedliches metaphysisches Seinsverständnis zugrundeliegt.556 Bei Tillich ist die Partizipation der Geschöpfe an Gott eine wesenhaft seinsmäßige, während sie in der klassischen thomistischen Analogielehre nur abbildhaft geschieht. Dementsprechend zieht Tillich den Unterschied stärker in die Symbollehre selbst ein: die Begriffe an sich sind nicht wörtlich zu nehmen. Bei Thomas dagegen betreffen die Namen Gottes das Wesen, wenn auch in unvollkommener Weise.557 Tillichs Symbollehre kommt damit der katholisch-thomistischen Analogielehre sehr
552 553 554 555
Nörenberg, 133 f. Nörenberg, 134. ST I, 284. „Es ist ohne Zweifel das Verdienst Tillichs, den Symbolbegriff in die protestantische Theologie unseres Jahrhunderts neu eingeführt und damit gegenüber Karl Barth gezeigt zu haben, daß Theologie, will sie wirklich das sein, was ihr Name besagt, nämlich „logos“ vom „theos“, ohne eine wie auch immer verstandene „analogia entis“ nicht auszukommen scheint.“ (Schüßler, W.: „Was uns unbedingt angeht.“ Studien zur Theologie und Philosophie Paul Tillichs (Tillich-Studien, Band 1), Münster 1999, 159) 556 Vgl. Nörenberg, 104. 557 Vgl. Nörenberg, 102 f.
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nahe, ist aber „einfacher“558, da sie nicht zwischen „res significata“ und „modus significandi“ unterscheidet. Es gibt aber in Tillichs Denken eine Aporie. Er versteift sich hartnäckig auf dem Standpunkt, daß – was selbstredend ist – natürliche Theologie „keine Methode (ist), die Wahrheit über Gott zu finden“559, daß für ihn schließlich alle Gottesnamen nicht über die Uneigentlichkeit hinauskommen. Eine wesenhafte, wenn auch unvollkommene Partizipation kommt nicht in Frage. Aufgrund dieser radikalen Ablehnung gegenüber allem, was auch nur ansatzweise nach hybrider natürlicher Theologie klingt, kommt Tillich in die schwierige Lage, den Ort der nichtsymbolischen Aussage über Gott mit einem Begriff besetzen zu müssen, von dem schon allein terminologisch auf analoge Weise das Sein ausgesagt wird: „Sein-Selbst“.560 Der Ursprung dieses Begriffes liegt in der Offenbarungserkenntnis, in der sich das Sein-Selbst als Grund und Macht des Seins jenem Menschen offenbart, der in der Angst vor dem Nichtsein unbedingt vom Sein-Selbst ergriffen wird. Situation und Botschaft bzw. Natur und Offenbarung561 sind durch das Sein bzw. die Überwindung des Nichtseins miteinander verbunden und deshalb im 558 Schüßler: Paul Tillich, 66. Damit steht sie noch eher in Beziehung zu der „Negativen Theologie“ von Plotin und Pseudo-Dionysius Areopagita als zu der Analogielehre. Die Symboltheorie hat damit auch eine innere Affinität zum Sakramentalen (vgl. GW VIII, 151). „Zwischen Symbol, Analogie und Negativer Theologie gibt es zwar Unterschiede, doch geht es diesen verschiedenen Weisen von Gottes-Rede letztlich um ein und dasselbe: um die Einsicht, daß das wahrhaft Unbedingte den Bereich alles Bedingten unendlich transzendiert und daß es darum von keiner endlichen Wirklichkeit unmittelbar und angemessen ausgedrückt werden kann.“ (Schüßler: „Der Mensch ist unheilbar religiös“, 40) 559 ST I, 157. 560 In der Einleitung des zweiten Bandes der „Systematischen Theologie“ beantwortet Tillich auch die Frage nach einer nicht-symbolischen Aussage; denn eine solche muß es geben, wenn die Symboltheorie nicht zu einem unendlichen Regreß werden soll und die Anwendung der Symbole auf Gott nicht letztlich auch wieder als symbolisch zu verstehen ist. Eine solche nicht-symbolische Aussage existiert: „Alles, was über Gott gesagt werden kann, ist symbolisch.“ (ST II, 15 f.) Spätestens hier jedoch gelangt Tillich an den Punkt, wo er postulieren muß und nicht mehr deduzieren kann. „Hier ist der Punkt, an dem wir nichtsymbolisch über Gott reden, allerdings in der Form des Fragens nach ihm.“ (ST II, 16) Hier liegt für Tillich die Grenze von Symbolik und Nicht-Symbolik; die Grenze selbst – daß es sie gibt – ist sowohl symbolisch als auch nicht-symbolisch, also Teil des unbedingten Anliegens. 561 Offenbarung ist die Bedingung und der Inhalt der Botschaft, und die Natur ist die Voraussetzung der Situation. (vgl. Forster, 150)
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Sinne einer legitimen natürlichen Theologie aufeinander bezogen, so daß der Mensch sich im Gewahrsein seiner Endlichkeit auch des Unendlichen gewahr ist. Tillich steht letztlich gegen Tillich.562 Seine Analogie des Seins widerspricht seiner Analogie des begrifflichen Erkennens. Weil Tillich Gott von vornherein allem autonomen menschlichen Erkennen entziehen möchte, findet er nachher keinen Namen mehr für Gott563 und verankert den Begriff des „Seins-Selbst“ in der Offenbarungskorrelation, aus der der Mensch aber konstitutiv nicht herauszudenken ist. Die strikte Ablehnung der natürlichen Theologie verstellt Tillich den Blick dafür, wie nahe er sich letztlich am Analogiekonzept bewegt. „Tillich hätte nicht nur die Möglichkeit, auf Grund der Prinzipien seiner Erkenntnislehre analoge Begriffe zu bilden, er macht von dieser Möglichkeit auch Gebrauch.“564 Tillich gebraucht in Bezug auf das Christus-Symbol den Ausdruck der „analogia imaginis“, welche auf der „analogia entis“ gründet. Der Symbolausdruck enthält die Bedeutung und ist ein Bild davon. Die Präsenz der Symbolbedeutung ist eine Realpräsenz und kann von daher den Menschen als Dynamik ergreifen und ihm eine Steigerung der Seinsmächtigkeit vermitteln. Zugleich entzieht sich das Bild jedoch dem gegenständlichen Zugriff. Darin liegt die Spezifität des Bildes und letztlich das „Mehr“ der „analogia imaginis“ gegenüber der „analogia entis“. 5.4. Die Symbolvermittlung im Hinblick auf die Christologie Die Symboltheorie wird für Tillich letztlich Ersatz für das christologische Dogma. Denn irgendwo muß Tillich die Vermittlung der Begegnung von Gott und Mensch, von Unbedingtem und Bedingtem, denken. Wenn dies – wie vielfach kritisiert – in der eigentlichen Christologie der „Systematischen Theologie“ ausfällt, muß es an anderer Stelle geschehen: in der Symboltheorie. Bereits Otto Dibelius hatte in seiner Laudatio anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Tillich im Jahr 1962 in Frankfurt festgestellt: „Das Bindeglied, das die 562 G.Weigel meint, Tillichs „Ablehnung der natürlichen Theologie als eines Bereiches theologischer Reflexion führte letztlich zu einer Reduktion aller Theologie auf die natürliche Theologie.“ (zitiert bei: Rhein, 174, Anmerkung 84) 563 „Religiös gesprochen heißt dies: Gott transzendiert seinen eigenen Namen.“ (GW VIII, 141) 564 Forster, 160.
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philosophische Erkenntnis mit der christlichen Offenbarung verbindet, ist Tillichs Begriff des Symbols.“565 Das ist schwierig, denn die Erwartung an den Symbolbegriff ist hoch. Soll er zugleich die materiale Brückenfunktion der christologischen Formalvermittlung übernehmen und das Inkarnationsgeheimnis adäquat umschreiben, wird die Last sehr schwer. Denn einerseits muß Tillich eine eigene Begrifflichkeit entfalten oder übernehmen und sie auf sein System hin ausrichten, andererseits muß er alleine und für sich jene gewaltige Denkanstrengung durchführen, die die klassischen Konzilien etappenweise durchgeführt haben. Der schwierige und damals schon nie evidente Gebrauch von Begriffen wie Natur – welche das Geschichtlich-Dynamische des Christusereignis zu vergessen riskierten – zeigt das Minenfeld der Terminologie, das sich bei diesem Versuch auftut. Tillich bewegt sich sehr vorsichtig, grenzt dabei aber die Begriffe in immer neuen Unterscheidungen derart gekonnt ab, daß es zugleich gekünstelt wirkt. Der Faszination über seine Leistung steht die Schwierigkeit des Verstehens gegenüber. Die Symboltheorie wird uns im Zusammenhang mit der Christusfigur, wie sie sich in der „Systematischen Theologie“ findet, eingehend beschäftigen. Deshalb wendet sich unsere Aufmerksamkeit nun dem Zentralobjekt unserer Untersuchungen zu.
565 Dibelius, O.: Laudatio auf Paul Tillich, in: Friedenspreisträger Paul Tillich. Stimmen zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1962 mit der Laudatio von Bischof Dibelius und der Friedenspreisrede von Paul Tillich, Stuttgart 1963, 11 – 16, hier: 14; zitiert bei: Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 47.220 f.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
C. Zweiter Hauptteil: Die theologisch-philosophische Vermittlung von Christus und Mensch in der „Systematischen Theologie“ 1. Einführung in die Dynamik 1.1. Die Logik der fünf Teile Was methodologisch, religionsphilosophisch und fundamentaltheologisch erarbeitet wurde, findet als Bedingung der Möglichkeit der Ausformung von Tillichs Soteriologie Anwendung in seinem späten System. Der zweite Hauptteil soll aufgrund der erarbeiteten Kategorien aufzeigen und verständlich machen, wie und warum Tillich seiner Soteriologie Gestalt gibt. Dabei rückt vor allem das Christus-Symbol in den Vordergrund. In erster Hinsicht aber wird die Korrelationsmethode umfassend zum Integral des Systems und muß ihre Angemessenheit erweisen. Tillichs Arbeit an der „Systematischen Theologie“566 reicht bis in seine Marburger Jahre zurück. Interessanterweise ist es sein dort angefertigtes Dogmatik-Fragment von 1925, das im Unterschied zu den vorhergehenden Veröffentlichungen nicht nur erstmals christologischen Fragestellungen eine große Rolle zugesteht, sondern die Christologie auch als Mitte des Systems behandelt.567 Wie jedoch verhält es sich innerhalb der „Systematischen Theologie“ selbst? Wie und wo greift Tillich seine religionsphilosophischen Grundlagen auf und systematisiert sie im Hinblick auf die zentrale christologische Frage, welche ihrerseits als Funktion der Soteriologie gilt? 568 Welche offenen und geheimen Strukturen gibt es? 569 566 Auf die Frage, wieviele systematische Entwürfe man trotz der unübersichtlichen Zahl von Gelegenheitsschriften bei Tillich zählen darf, antwortet Clayton mit vier Systemen: den Thesen zu einer Systematischen Theologie von 1913, dem „System der Wissenschaften“ von 1923, der Dresdner Vorlesung „Die Gestalt der religiösen Erkenntnis von 1927/28 und den drei Bänden der „Systematischen Theologie“. (vgl. Clayton: The Concept of Correlation, 30) Vgl. dazu auch Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 178 f. 567 Vgl. Vasel, 388, Anmerkung 8. Man kann aufgrund dieser Zuspitzung Tillichs Gesamtwerk einteilen in die „Systematische Theologie“, ferner jene Schriften, die Themen der „Systematischen Theologie“ unabhängig davon behandeln bzw. vorbereiten, dann Tillichs drei Predigtbände und schließlich seine Arbeiten zur Religionsphilosophie, deren Quintessenz wir auf den vorigen Seiten zu erarbeiten versuchten. (vgl. Kelsey, 128 f.) 568 Je nach Ansatzpunkt kann man Tillichs Gesamtwerk unter dem Begriff der „Theologie der Kultur“ oder der „apologetischen Theologie“ zusammenfassen.
C. Zweiter Hauptteil: Die theologisch-philosophische Vermittlung
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Die „Systematische Theologie“ ist in 5 Teile aufgeteilt. Dank der Korrelationsmethode und auf dem ontologischem Hintergrund des Essenz-Existenz-Schemas fächert Tillichs die Grundkorrelation zwischen Religion und Kultur in fünf Korrelationspaare auf, welche entsprechend drei größerer abstrakter Unterabteilungen – „essentielle Natur“, „existentielle Spaltung“, „Aktualität des Lebens und der Wirklichkeit“ – die soteriologische Dynamik in apologetischer Absicht entfalten und dabei einerseits trinitarisch rhythmisiert und andererseits von den Fragen der Selbstvergewisserung des Geistes und der Geschichte gerahmt werden. Im Sinne des Frage-Antwort-Schemas werden die menschlichen Fragen mit einem theologischen Symbol in Beziehung gesetzt, so daß es um Vernunft und Offenbarung, Sein und Gott, Existenz und Christus, Leben und Geist, Geschichte und Reich Gottes geht.570 1975 legte Sturmius Wittschier seine Arbeit „Paul Tillich. Seine Pneuma-Theologie“ vor. In ihr versucht Wittschier wie kein anderer Tillichinterpret – wenn auch bisweilen zu grob und schematisch – eine Systematisierung von Tillichs Systematik. Anhand von zentralen Begriffen und Intentionen stellt er Verbindungen und Beziehungen innerhalb der 5 Teile und zwischen denselben her, die es ermöglichen, in der Fülle des Materials einen Überblick zu gewinnen. Ein solcher Versuch erscheint uns sehr gewinnbringend. Wittschiers Ergebnis, daß sich Tillichs „Systematische Theologie“ „vom Artikel „de spiritu sancto“ her konzipiert„571 ist, kann man un569 Diese Frage hat sich Sturmius Wittschier in einem Artikel (Wittschier, S.: Die „Systematische Theologie“, in: Albrecht, R./Schüßler, W.: Paul Tillich. Sein Werk, Düsseldorf 1986, 169 – 196; zitiert als: Wittschier: Systematische Theologie) und in seiner Dissertation (Wittschier, S.: Paul Tillich: seine PneumaTheologie. Ein Beitrag zum Problem Gott und Mensch, Nürnberg 1975; zitiert als: Wittschier: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie) gestellt. Seine Überlegungen werden uns begleiten. 570 Falk Wagner ist der Überzeugung, daß die „Systematische Theologie“ letztlich „durchgängig eine Analyse des Menschen“ (Wagner: Absolute Positivität, 139) ist, weil sie sich um das Grundthema der Konstitution selbsttätiger Subjektivität müht. Von daher ist es legitim, die „Systematische Theologie“ als eine fünfteilige und unter sich verkettete Behandlung des auf Gott hin ausgerichteten Menschen zu verstehen. 571 Wittschier: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie, 10; vgl. auch die Aussage von K. Niederwimmer: „Unter den großen systematischen Entwürfen der Gegenwart bildet hierin freilich die Systematische Theologie Paul Tillichs eine bemerkenswerte und auffällige Ausnahme: das System Tillichs ist ausdrücklich vom theologoumenon de spiritu sancto her konzipiert.“ (zitiert bei: Wittschier: Paul
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
eingeschränkt zustimmen, wenn man gleichzeitig bedenkt, daß sich Tillichs Vermittlung von Gott und Mensch letztlich um das christologische Zentrum dreht.572 Dabei ist das Essenz-Existenz-Schema sowohl formal als auch material das Prinzip der „Systematischen Theologie“: formal, weil die 5 Teile entlang dieses Rückgrats aufgebaut sind, und material, weil die materielle Norm der Theologie das Neue Sein in Jesus dem Christus ist, d. h. die aktuelle Verwirklichung der Essenz ohne existentielle Entfremdung.573 Es geht um die große Synthese von Gott als Geist, welcher Gott selbst ist, und dem Menschen als Geist, der die gesamte menschliche Wirklichkeit ist. Dementsprechend wählt Wittschier folgendes Organisationsprinzip seiner Darstellung: „Sein verwirklicht sich als Leben und erfüllt sich als Geist.“574 In anderen Worten: die „Systematische Theologie“ kommt in der Pneumatologie als der Lehre der Gegenwart des göttlichen Geistes im menschlichen Geist zu ihrem Höhepunkt. Wittschier spricht jedoch von einem „christozentrischen Kriterium“ für das Pneuma-Material, weil jede geistgewirkte GottMensch-Einheit in ihm als Neuem Sein ihr Zentrum hat.575
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Tillich: seine Pneuma-Theologie, 208 (=Anmerkung 21)) Auch für Gunther Wenz ist bei Tillich „Theologie als Pneumatologie“ zu verstehen. (Wenz: Subjekt und Sein, 235 f.) Vgl. Wittschier: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie, 139. Wittschier baut auf der Arbeit von Josef Schmitz auf (Schmitz, J.: Die apologetische Theologie Paul Tillichs, Mainz 1966), der als erster auf katholischer Seite die Theologie Tillichs im umfassenden Sinne analysiert hatte, sich dabei aber einerseits eher am frühen Tillich orientierte (der dritte Band der „Systematischen Theologie“ lag ihm noch gar nicht vor) und andererseits ein formales Interesse verfolgte. Er untersuchte den apologetischen, d. h. antwortenden Charakter, den Tillich selbst seiner Theologie gegeben hatte. Wittschier dagegen müht sich mehr um die inhaltliche Seite, also den „pneumatologischen Charakter“. Vgl. Wittschier: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie, 26 f. ST I, 238; vgl. u. a. Wittschier: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie, 39. Die Trias Sein-Leben-Geist entspricht – wie wir in der methodologischen Reflexion dargelegt haben – in der Frage nach der Vermittlung von Gott und Mensch der Trias Korrelation-Dialektik-dialektische Einheit. Außerdem wird sie von Wittschier auch noch zur trinitarischen Trias und zur Trias ursprünglich-jetztEschaton in Beziehung gestellt. Vgl. Wittschier: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie, 27; vgl. Wittschier: Systematische Theologie, 184 f. Der Mensch kann unter dem Stichwort „Sein“ betrachtet werden als abstraktes Leben, d. h. als Mischung von essentiellem und existentiellem Sein; das „Leben“ an sich dagegen wird von Wittschier als Aktualisierung des Seins thematisiert, in der die vieldimensionale Einheit des Lebens dialektisch zu verstehen ist und den Zweideutigkeiten des Lebens unterworfen ist; schließlich ist der „Geist“ das „telos“ des Lebens und die Erfüllung des
C. Zweiter Hauptteil: Die theologisch-philosophische Vermittlung
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Danz hat darauf hingewiesen, daß diesem Konzept der universale, d. h. nicht vitalistisch auf das Organische beschränkte Fundamentalbegriff des Lebens zugrunde liegt, der nach Tillich existentiell interpretiert werden muß576 und die unreduzierbare Doppelheit von Essenz und Existenz in sich aufnimmt. Auf dem Hintergrund der Verwendung des Lebensbegriffs im dritten Band der „Systematischen Theologie“ muß auch der Geist als Dimension des Lebens begriffen werden.577 universalen Lebens und drückt sich in Moralität, Kultur und Religion aus. Diese Deutung von Tillichs Philosophie mündet in die trinitarisch-dreifache menschliche Fragestruktur: als Frage nach dem Sein selbst (d. h. nach Gott), als Frage nach dem Neuen Sein (d. h. nach dem Christus) und als Frage nach dem unzweideutigen Leben (d. h. nach der Gegenwart des göttlichen Geistes). Wie wird demgegenüber die Gotteslehre gestaffelt? Gott kann in einem dynamischen Übergang von einem phänomenologischen zu einem ontologischen Ansatz als der, „der uns unbedingt angeht“, als das Unbedingte selbst und als Sein-Selbst bezeichnet werden; sein Sein verwirklicht sich als „Leben“ dreifaltig und erfüllt sich in Gott als unendlichem Geist. Die göttliche Antwort ist damit auch dreifach gegliedert: Gott als schöpferischer Seinsgrund (Vater), erlösende Liebe (Sohn) und Kraft ekstatischer Vereinigung (Geist). Die eigentliche Frage ist, wie Tillich seine Philosophie bzw. Anthropologie und seine Gotteslehre miteinander verbindet. Wie geschieht Gott-Mensch-Vereinigung? Dieser Zentralbegriff wird jedoch bei Tillich nicht ausdrücklich verwendet und stellt eine sehr deutliche theologische Option von Wittschier dar. (vgl. Schwöbel, 174) Rein ontologisch liegt das Essenz-Existenz-Schema als erklärende Figur zugrunde, doch Wittschier interessiert sich vor allem für das christologische Zentrum und das pneumatische Material. Letzteres wird folgendermaßen gegliedert: das „Medium“ der GottMensch-Vereinigung ist das Symbol, die Art und Weise ist die Offenbarungskonstellation in Ekstase und Wunder, und die Frucht ist das „pneumatische“ oder Neue Sein. Im christologischen Zentrum wird Christus als Logos, Erlöser und „Mitte der Offenbarungsgeschichte“ beschrieben. Tillichs Christologie sei GeistChristologie, und ihre systematischen Strukturen charakterisieren auch allgemein die Gott-Mensch-Vereinigung. 576 Vgl. ST III, 22. 577 Vgl. Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 275. Mit dem Lebensbegriff scheint Danz eine Grundlegung des Systems angedeutet zu sein, die die einseitige ontologische Orientierung am Seinsbegriff aufbricht und zu dem in ST I, 238 postulierten Zusammenhang von Sein und Leben führt. Von seinem Ansatz der Konstitution individueller Subjektivität her unterscheidet Danz zwischen der Bestimmtheit von Freiheit (die in der Gotteslehre thematisiert wird) und dem unableitbaren individuellen Vollzug der Freiheit (welche in der Christologie besprochen wird). Beide Theoriegestalten sind nicht aufeinander reduzierbar (vgl. Schellings Unterscheidung von Was und Daß in der Doppelheit von negativer und positiver Philosophie), sondern bedürfen gegenläufiger Begründungsgänge und verhalten sich abstrakt zueinander wie Essenz und Existenz, Was und Daß, Bestimmtheit und Vollzug. (vgl. Danz: Religion als Freiheits-
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Wittschier kommt zum Ergebnis, daß die ursprüngliche, abstrakte Gott-Mensch-Korrelation (These) sich im Jetzt der entfremdeten Existenz (Antithese) als reale Gott-Mensch-Dialektik verwirklicht und sich dank des christologischen Zentrums des Neuen Seins im Eschaton als dialektische, essentifizierte Gott-Mensch-Einheit im Geist erfüllt (Synthese).578 Wittschier kann damit nachweisen, welch entscheidenden Rang die Christologie über die inhaltlichen Ausführungen hinaus formal einnimmt; letztlich bleibt die Dialektik nur dank der Christologie in ihrer Bewegung und erstarrt nicht zu einem rein essentialistischen oder rein existentialistischen „status quo“. Zugleich muß Wittschier bei Tillich die Gefahr eines prädominierenden idealistischen Naturalismus und die Grenzen der Korrelationsmethode aufweisen. Der Grund des Ungleichgewichts liegt darin, daß Tillich zu stark von der existentiellen Entfremdung, vom Protest und von den Frage, d. h. von der menschlichen Erwartung her denkt. Letztlich wird sogar Gott dem Begriff der Dialektik unterworfen, obwohl die Dialektik eigentlich einen durch die Entfremdung zweideutig gewordenen Zustand der Wirklichkeit bezeichnet. Die pneumatische GottMensch-Vereinigung müßte weniger als Dialektik, sondern vielmehr als Dialog verstanden werden, in dem Gott und Mensch – dank des christologischen Paradoxons des universal-konkreten Logos – als Gegenüber in Dia-Logos stehen und nicht in seinsmystischer Unmittelbarkeit ineinander aufgehen. „Das wesensmäßige Gott-Mensch-Verhältnis läßt sich nur als Dialog beschreiben: Gott wird unmittelbar als das Du schlechthin erfahren.“579 So kann Wittschier am Ende seine These präbewußtsein, 276 f.) Sie werden im pneumatologischen Teil unter dem Lebensbegriff, welcher „eine „Mischung“ von essentiellen und existentiellen Strukturen“ (ST III, 22) aussagt, miteinander vermittelt. Das unreduzierbare Wechselverhältnis der unterschiedlichen kategorialen Ebenen Essenz und Existenz wird nicht einseitig zugunsten eines Essentialismus oder eines Existentialismus aufgelöst, sondern im Begriff des Geistes geeint. Das zweideutige Leben wird im Geist erfüllt. Danz sieht in der unreduzierbaren Doppelheit von Ontologie und Empirie seine These bestätigt, daß Tillichs Ansatz transzendentalphilosophisch ist. (vgl. Danz: Religion als Freiheitsbewußtsein, 282 f.) 578 Vgl. Wittschier: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie, 167.183. 579 Wittschier: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie, 204. Hier liegt nach Wittschier auch der wunde Punkt in der Beziehung von Tillich zur Lehre der „analogia entis“. Das Gott-Mensch/Welt-Verhältnis ist nach der Analogielehre nicht als dialektisches Teil-Sein, sondern als dialogische Teil-Habe zu verstehen. Trotz der hohen Wertschätzung kann Tillich letztlich diesem Grundanliegen nicht ganz folgen.
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zisieren: „Die Gott-Mensch-Korrelation aktualisiert sich als GottMensch-Dialektik und erfüllt sich als Gott-Mensch-Dialog.“580 Im Hinblick auf unser Thema sticht folgende Dynamik heraus: die Vermittlung von Christologie und Anthropologie wird in den beiden ersten Teilen „Vernunft und Offenbarung“ und „Sein und Gott“ zugespitzt. Dabei ist besonders der zweite Teil „Sein und Gott“ wichtig, da Tillich die religionsphilosophischen Vorüberlegungen auf den Punkt bringt, die einen Großteil seiner Schriften bestimmen. Hier kommen die bedeutsamen religionsphilosophischen Kategorien zur Sprache. Die Vermittlung von Mensch und Christus im dritten Teil anhand des ontologischen Essenz-Existenz-Schemas ist gegenüber der Fülle und Breite der Tillichschen Religionsphilosophie bereits arg zusammengefaßt und zugespitzt; dennoch handelt es sich nach Tillich um das „Herz einer jeden christlichen Theologie“581. Der vierte und fünfte Teil sind im Hinblick auf unser Thema als Konsequenzen zu betrachten, die sich trotz des in der „Systematischen Theologie“ außerordentlichen Umfangs mit einer gewissen Stringenz und ohne große Überhänge aus dem dritten Teil ergeben. Unter dem Maßstab der Zentralität des dritten Teils rückt demnach nun die „Systematische Theologie“ in ihrer ganzen Dynamik und Eigenheit in den Mittelpunkt des Blickfeldes. 1.2. Vernunft und Offenbarung Die beiden ersten Teile582 der „Systematischen Theologie“ heben an mit einer Reflexion über die Verletztheit und Erlösungsbedürftigkeit der Vernunft aufgrund ihrer selbstzerstörerischen Konflikte. Die Vernunft kann von daher nicht anders, als „selbst die Frage nach der Offenba-
580 Wittschier: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie, 206. Wittschiers Denken ist dabei insofern erhellend, daß er es fertigbringt, die soteriologisch veranlagte Christologie Tillichs in den größeren Rahmen der Gott-Mensch-Beziehung einzubetten. Von daher arrangiert und öffnet er anhand der Trias Sein-LebenGeist die Christologie pneumatologisch. Sicherlich wird man Wittschier nicht in allem Recht geben müssen – besonders seine sehr rigide Strukturierung und die manifeste Präsenz eigener Deutungsmuster verlangen die nötige Distanz –, doch seine fundamentale Einordnung des Tillichschen Materials kann in unserem Fall als Strukturmuster dienen. 581 ST II, 7. 582 „Vernunft und Offenbarung“ in: ST I, 87 – 189; danach „Sein und Gott“ in: ST I, 193 – 332.
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rung“583 zu stellen. Das Negative verweist jeweils auf das vorausgesetzte Positive, so daß die Analyse der Vernunft ergibt, daß in ihr essentielle und existentielle Elemente „zugleich miteinander vereinigt und getrennt“584 sind. Die material-christologische Relevanz besteht darin, daß Tillich deutlich die Christus-Offenbarung als letztgültige und normgebende Offenbarung betont. Dagegen drückt sich die formal-christologische Bedeutung darin aus, daß man mit Tillich und Schelling nach der Unvordenklichkeit der denkenden Vernunft, d. h. nach dem denkenden Nach-Denken des Denkens der Vernunft fragen kann. Da Tillich jedoch in der „Systematischen Theologie“ mehr im ersteren Sinn ontologisch strukturiert, wollen wir diesem Gedankengang kurz folgen. In einem sehr komplexen, aber trinitarisch585 anmutenden Aufriß stellt Tillich die polare Struktur der essentiellen Vernunft dar (Struktur und Tiefe, Statik und Dynamik, Form und Emotion), welche unter den Bedingungen der Existenz zu autodestruktiven Konflikten führt (Autonomie oder Heteronomie, Absolutheit oder Relativität, Formalismus oder Emotionalismus) und die Frage nach der Erlösung stellt (Theonomie, das konkrete Absolute, Einheit von Geheimnis und Klarheit) und in diesem Sinne auf Gott, Christus und den Geist verweist. Innerhalb des Menschen als vieldimensionaler Einheit wird die Frage der Erlösungsbedürftigkeit auch und grundlegend von der Vernunft her gestellt, da sie „ebenso wie alle anderen Seiten der menschlichen Natur und der Wirklichkeit im Allgemeinen“586 nach Heil fragt. Die aktuelle Offenbarung, die nur in bestimmten Situationen geschieht und keine informative, sondern existentielle Erkenntnis vermittelt, erreicht nach Tillich die Vernunft, ohne widervernünftig oder irrational zu sein. Sie leistet „die Integration der in sich zwiespältigen Vernunft“587, da der konkrete und der universale Logos nach urchristlicher Tradition identifiziert werden. Von daher kann es der durch Ekstase erhobenen endlichen Vernunft möglich werden, trotz der Endlichkeit 583 SI I, 98. In dieser Frage nach der Offenbarung ist selbstverständlich nicht in erster Linie die technische Vernunft, sondern die ontologische Vernunft angesprochen. 584 ST I, 101. 585 Vgl. Vasel, S.: Philosophisch verantwortete Christologie und christlich-jüdischer Dialog: Schritte einer doppelt apologetischen Christologie in Auseinandersetzung mit den Entwürfen von H.-J. Kraus, F.-W. Marquardt, P. M. van Buren, P. Tillich, W. Pannenberg und W. Härle, Gütersloh 2001, 393. 586 ST I, 184. 587 ST I, 113. Darin besteht der Unterschied zur dämonischen Besessenheit, durch die jede rationale Struktur des Bewußtseins ge- und zerstört wird.
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Sinn und menschlich bedeutsame Wahrheit zu erkennen. Die Erschließung dessen, was den Menschen unbedingt angeht, ist ein Offenbarungsereignis mit zwei Seiten. Die subjektive, aufnehmende Seite des Ergriffenseins beschreibt Tillich als „Ekstase“ oder „Glaube“, einen „Bewußtseinszustand, in dem die Vernunft jenseits ihrer selbst ist“588 und in dem sie sich in der Kraft des Ergriffenseins auf den Seins- und Sinngrund hin transzendiert. Dagegen bezeichnet Tillich die objektive, gebende Seite als „Wunder“589, in dem ein konkretes Ereignis oder ein Gegenstand zum Symbol des tiefsten Lebenssinnes wird. Ekstase und Wunder können zwar unterschieden, dürfen aber nicht getrennt werden. „Man kann sagen, daß die Ekstase das Wunder des Bewußtseins, und daß das Wunder die Ekstase der Wirklichkeit ist.“590 Das Offenbarungsgeschehen transzendiert die für Tillichs Erkenntnistheorie fundamentale Subjekt-Objekt-Beziehung. Die aktuelle Offenbarung stützt sich auf eine Grundoffenbarung, die für die letztgültige Heilsoffenbarung offen ist bzw. sich von ihr her als tatsächliche Offenbarung des Grundes darstellt. Da Tillich Christus als die letztgültige Offenbarung bezeichnet, ist er zugleich für die Christen die originale Offenbarung, von der her sich jedes weitere Ergriffensein des Menschen zugunsten der Erkenntnis Christi als des Erlösers als abhängige Offenbarung definiert. Die Grundoffenbarung bringt sich in der Offenbarungsgeschichte zum Ausdruck, welche Tillich definiert als „Geschichte, die im Lichte der letztgültigen Offenbarung gedeutet wird“591. Diese Offenbarungsgeschichte ist identisch mit der Erlösungsgeschichte, da Erlösung nur in jener Offenbarungskorrelation geschieht, die von der letztgültigen Heilsoffenbarung her ihre Kriterien empfängt.592 Grundund Heilsoffenbarung stehen demnach in einer dialektischen Korrelation.
588 ST I, 135. 589 Bei Tillich zerbricht das Wunder nicht in übernatürlich-supranaturalistischer Weise die Naturprozesse und ist nicht irrational, sondern transzendiert den Bereich des Seienden und ist rational und überrational. Damit hat sich Tillich jedoch dem Vorwurf des Supranaturalismus ausgesetzt (vgl. Forster, 154 f.), da er Wunder und Ekstase aus der vernünftigen Subjekt-Objekt-Struktur heraushebt und somit zweischichtig denkt. Außerdem wird den Naturgesetzen zu Unrecht eine absolute Notwendigkeit zugestanden, die ihnen jedoch aufgrund ihrer Kontingenz nur als bedingte zukommt. 590 ST I, 141 f. 591 ST I, 165. 592 Vgl. ST I, 157.159.
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Christus wird von Tillich nicht von außen als fremde Antwort eingeführt, sondern als Verwirklichung der Erwartung des Menschen. Das Neue Sein ist nicht nur heilendes Sein, sondern auch selbst schon geheiltes Sein, in dem die Konflikte der Vernunft gelöst sind. So ist in Christus die Theonomie verwirklicht, da er sich letztgültig am Kreuz aus autonomer Vernunft vollständig auf Gott hin transparent gemacht hat. Er ist das konkrete Absolute, welches das Statische und das Dynamische in sich vereint. In Jesus dem Christus „ist die konkreteste aller möglichen Formen von Konkretheit, ein personhaftes Leben, Träger dessen, was ohne Bedingungen und Einschränkung absolut ist“593. 1.3. Sein und Gott Parallel zum ersten Teil der „Systematischen Theologie“ soll sich in der fundamentaltheologischen Einführung der Ontologie in Tillichs Systematik Gott als „die Antwort auf die Frage, die im Sein beschlossen liegt“, erweisen. Denn: „Die theologische Grundfrage ist die Frage nach Gott“594. Wie wir in den vorangehenden Kapiteln erklärt haben, sind die Ursprünge der Ontologie bei Tillich mannigfaltig und letztlich religionsphilosophisch verantwortet und werden in der „Systematischen Theologie“ schöpfungstheologisch-ontologisch auf die endliche SelbstWelt-Struktur zurückgeführt, welche zur Spaltung von Subjekt und Objekt und zu den polaren Spannungen führt, die alle Strukturen des Seins bestimmen. Der Mensch ist selbstzentriert und hat Welt. Unter den Bedingungen der endlichen Existenz fallen Selbst und Welt, die essentiell spannungsvoll geeint sind, auseinander und strecken sich aus nach jenem Neuen Sein, das „die Schaffung der Einheit von Selbst-Identität und Selbst-Veränderung ohne Selbst- und Welt-Verlust“595 leisten kann. Der Mensch erlebt sich als in seinem Sein bedroht und fragt vom Nichts her
593 ST I, 178. 594 ST I, 193. Damit ist der Seinsbegriff in die Theologie eingeführt, so wie es nach Tillich „in den frühesten Perioden der christlichen Theologie“ und „in der ganzen Geschichte des christlichen Denkens“ (ST II, 16) war. Dieser Rekurs auf die Ontologie verbindet die drei Traktate von Gott, Mensch und Christus miteinander und ist damit die allen Ausführungen vorauslaufende Klammer von Tillichs Theologie. Gott ist der Grund und die Macht des Seins, der Mensch wird in seinem essentiellen und in seinem existentiellen Sein unterschieden, und Christus wird als Neues Sein betrachtet. 595 Vasel, 401.
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nach Gott. In dieser Frage verarbeitet Tillich den mit Hilfe von Nietzsche artikulierten Schock des Ersten Weltkriegs.596 Analog zur ontologischen Vernunft wird auch die ontologische Grundstruktur von polaren Elementen konstituiert, die essentiell zusammengehören, existentiell aber auseinandertreten. Sie bestimmen folglich nicht nur die vom Begriff der „Endlichkeit“ dominierte Ontologie, sondern auch Tillichs christologisch eingeordnete Analyse der Existenz und seine pneumatologisch verstandene Lebensphilosophie. Von daher wird das Neue Sein sowohl als Transzendierung der Endlichkeit erwartet als auch als Heilung der Gespaltenheit der Existenz und als Überwindung der Zweideutigkeiten des Lebens. Die Dynamik ist deutlich: die Polarität von Individualisation und Partizipation innerhalb der Selbst-Welt-Struktur übersetzt sich ins Leben als die Zweideutigkeit der Selbst-Integration des Menschen, führt entweder zu Selbst- oder Weltverlust und kann nur im Neuen Sein als zentrierter Selbst-Integration geheilt werden. Form und Dynamik arten in der Existenz zu geordneter Leere oder chaotischer Kreativität aus und verlangen nach integriertem Sich-Schaffen. Die entscheidendste Polarität ist die von Freiheit und Schicksal, die zu Willkür oder mechanischer Notwendigkeit entarten und nach gelungener Selbst-Transzendierung verlangen, vor allem aber – wie weiter unten zu sehen sein wird – den Ansatzpunkt für Tillichs „Rückgrat des gesamten theologischen Denkgebäudes“597, das Essenz-Existenz-Schema, liefern. Die Einheit von Freiheit und Schicksal – wobei Schicksal nicht einseitig als Notwendigkeit, sondern als die Einheit letzterer mit Sinn gesehen wird – besteht nur unter Gottes lenkendem, vorsehendem Schaffen. Die mit der endlichen ontologisch-essentiellen Grundstruktur verbundene soteriologische Erwartung wird bei Tillich jedoch nicht direkt auf Christus hin ausgedehnt. Sie führt ihn zwar nicht zur Existenz Gottes – wie in den klassischen Gottesbeweisen598 und der von Tillich scharf kritisierten natürlichen Theologie –, sondern zur Wirklichkeit Gottes. Gott ist für Tillich jedoch nicht das Sein als leere höchstmögliche Abstraktion, sondern „das Sein-Selbst (…) im Sinne von Seinsmächtigkeit 596 Vgl. GW XII, 33 – 35. 597 ST I, 238. 598 Der ontologische Gottesbeweis wird von Tillich insofern „gerettet“, als daß er aus der Analyse der menschlichen Existenz heraus die Frage nach Gott kritischerkenntnistheoretisch stellt (nach dem Punkt der Identität, der die Idee der Wahrheit ermöglicht); der kosmologische Beweis fragt dagegen nach der ontologischen Seite (nach jenem Sein, das das Nichtsein besiegt).
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oder der Macht, Nichtsein zu besiegen“599, das damit dem Menschen inmitten seiner ontologischen Angst600 Mut zum Sein gibt. Gott als Macht des Seins ist der Lebendige601, der kontinuierlich erhaltende Gegenwärtige, der Schaffende und der Gott der Beziehung. Dieser seinshafte, neutrische Gottesbegriff ist Antwort auf die Frage nach dem Sein und dem Nichtsein und so erst die Bedingung der Möglichkeit des EssenzExistenz-Schemas. Gott ist jenseits der Endlichkeit und damit jenseits von Essenz und Existenz. Vielmehr ist Gott heilig, d. h. unerklärlich und ehrfurchtgebietend, da er weder als ein Element der Struktur des Seins noch als ein anderer Name für die Struktur als solche bezeichnet wird. Der Grund des Seins ist jene Macht des Seins, die uns unbedingt angeht, weil sie die Macht hat, dem Nicht-Sein zu widerstehen, weil sie das Nicht-Sein in sich selbst ewig überwindet.602 Von daher ist Gott als das Sein-Selbst nicht nur der Grund, sondern auch der Abgrund des Seins, da alles Seiende im Erfahren des ontologischen Schocks feststellt, daß es sich alleine der Macht des Seins-Selbst verdankt, welche bewirkt, daß das Seiende ist und das Nichtseiende nicht ist. Zugleich ist das Sein-Selbst Abgrund, weil es in der Offenbarung gegenüber dem Seienden das schlechthin unendlich Größere und Mächtige und damit das schlechthin Bedrohende ist. Nur wer von diesem Abgrund in einem existentiellen Schock stigmatisiert wurde, kann Gott als Grund erkennen. Dabei wird der ontologische Schock nicht ausgelöscht, sondern bewahrt, aufgehoben und überwunden. 599 ST II, 18. Bayer überliefert Otto Haendlers Erinnerung an Tillich: „“Sein oder Nichtsein“ konnte er nicht sagen ohne starke Emotion.“ (Bayer: Paul Tillich, 211) 600 Die ontologische Frage ist weniger eine bewußt formulierte Frage als vielmehr ein „Existenzzustand“ (ST I, 193), in dem die Frage nach dem Sein-Selbst als „metaphysischer Schock“ (ST I, 194) erlebt wird, warum etwas ist und nicht nichts ist. Es könnte auch nichts sein. 601 Tillichs Trinitätslehre erschließt sich vom Lebensbegriff her und damit einseitig von einem immanenten und nicht von einem ökonomischen Ansatz. Sie bleibt damit analog zur Christologie funktional bestimmt. „Gottes Leben ist Leben als Geist. Die trinitarischen Prinzipien sind Elemente innerhalb des göttlichen Lebensprozesses.“ (ST I, 289) Letzteren beschreibt Tillich bekanntlich wie folgt: „Sein verwirklicht sich als Leben und erfüllt sich als Geist.“ (ST I, 288) 602 Von daher schließen sich Geschichte und Ontologie nicht aus. Sosehr der Mensch sich in der Geschichte verändert, „er bleibt immer das Wesen, das Geschichte hat, und die Struktur dieses Wesens ist der Gegenstand einer ontologischen und theologischen Lehre vom Menschen“. Tillich tendiert jedoch zu einer Vereinnahmung der Geschichte durch die Ontologie.
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Christus als das Neue Sein ist die unter den Bedingungen der Existenz sich manifestierende Macht des Seins, die dem Menschen hilft, seine ontologische Angst zu überwinden. Tillich hat bekanntlich diesen Aspekt seiner Ontologie im „Mut zum Sein“ eindrücklich geschildert. Christus wird demnach auf diesem ontologischen „Umweg“ eingeführt. Interessant ist im Zusammenhang der „Systematischen Theologie“ das Wechselspiel von Ontologie und Gnoseologie. Während die Polaritäten, die ontologisch gegeben sind, auch die Vernunft betreffen, ist es die Vernunft innerhalb dieser Struktur der Endlichkeit, die durch ihre Selbstreflexion den Raum für die Möglichkeit des „extra nos“ einer Offenbarung eröffnet, die zwar ontologische Relevanz besitzt, sich aber durch die Ekstase der Vernunft Zugang verschafft. Schnittpunkt des ontologischen und des erkenntnistheoretischen Ansatzes sind für Tillich die ontologisch-apriorischen Kategorien, welche „Grundformen des Denkens und des Seins“603 sind. „Das Denken ist im Sein begründet, und es kann diese Basis nicht verlassen.“604 Zugleich liegt an diesem Punkt der Ursprung der Angst des Menschen605, welche beantwortet wird in der Frage nach Gott als der „Frage nach der Möglichkeit dieses Mutes“606, der es erlaubt, die Endlichkeit zu bejahen. Christus ist in diesem Fall nicht die Antwort, sondern wird betrachtet als derjenige, der den kategorialen Ängsten trotz der realen Versuchungen nicht erliegt, da er nur dank deren Überwindung als Messias bekannt werden kann.607
603 ST I, 196. 604 ST I, 194. Diese sachliche Vorordnung der Ontologie vor der Erkenntnistheorie spricht nach Danz nicht gegen den transzendentalphilosophischen Ansatz, sondern bestätigt ihn. 605 „Jede Kategorie drückt nicht nur eine Einheit von Sein und Nichtsein, sondern auch eine Einheit von Angst und Mut aus.“ (ST I, 226) Dem ontologischen Charakter der Zeit entspricht die Angst vor dem Sterben, dem Raum die Angst des Nicht-Seins, der Kausalität die Abwesenheit von autonomer Seins-Mächtigkeit und der Substanz die Angst, sie mit Akzidentien zu verwechseln. 606 ST I, 232. 607 Vgl. ST II, 136.
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2. Tillichs Anthropologie 2.1. Das Essenz-Existenz-Schema und die Erwartung des Christus Man kann in Tillichs Oeuvre den Menschen unter vielen Blickwinkeln betrachten. Entscheidend ist für uns vor allem die Deutung des Menschen im Hinblick auf Christus. Innerhalb der „Systematischen Theologie“ behandelt Tillich die Vermittlung von Christus und Mensch im dritten Teil unter den Titel „Die Existenz und der Christus“ und geht dabei den anthropologisch gewichteten Frage-Teil „Die Existenz und die Erwartung des Christus“608 unter den Vorzeichen des ontologischen EssenzExistenz-Schemas an. Die oben genannten Polaritäten gelten auch für Jesus als den Christus. Das christologische Paradox besteht darin, daß in ihm die Einung der auseinanderstrebenden polaren ontologischen Elemente unter den Bedingungen der Existenz erschienen ist. Das Christusgeschehen setzt damit das Essenz-Existenz-Schema, d. h. den Übergang von der Essenz zur Existenz, voraus. Dabei geht es um Tillichs fundamentalste ontologische Option609, in der seine (religions-) philosophischen Erörterungen zum Bedingten und Unbedingten und zu ihrer Selbstauslegung im Symbol aufgehoben sind. Im Hintergrund steht die bereits im Zusammenhang mit Schelling besprochene Wahl zugunsten des Existentialismus, welcher ein „Glücksfall der christlichen Theologie“610 ist, da er gegen den Essentialismus protestiert. Das Essenz-Existenz-Schema verdankt sich also einer Theologie „von unten“, nämlich von jener Situation aus, in der sich der Mensch befindet, der sich als endlich und kontingent, d. h. als am Nichtsein teilhabend, erfährt. Dieses Schema ist dem Menschen und seiner Frage nach Erlösung nur deswegen nicht fremd, weil Tillich ihn zuvor anhand der ontologischen Methode durch die Fakten der Existentialanalyse hindurch zu einer unmittelbaren Gottesgewißheit geführt und in einem schöpfungstheologisch-ontologischen Apriori verankert hat. Zu existieren bedeutet für Tillich jedoch, „daß die existentielle Situation des Menschen ein Zustand 608 ST II, 25 – 106. 609 „Eine vollständige Erörterung der Beziehung der Essenz zur Existenz ist identisch mit dem gesamten theologischen System.“ Es ist „das Rückgrat des ganzen theologischen Denkgebäudes.“ (ST I, 238) Vgl. auch die Aufsätze „Existenzphilosophie“ (in: GW IV, 145 – 173) und „Wesen und Bedeutung des existentialistischen Denkens“ (in: GW IV, 174 – 182). 610 ST II, 33.
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der Entfremdung ist – Entfremdung von seiner essentiellen Natur“611. In anderen Worten: „Existenz ist nicht mit Essenz geeint“612. Zugleich kann die entfremdete Existenz nur dann Erscheinungsort essentiellen Seins sein, wenn Tillichs Existenzverständnis ein Paradox zugrundeliegt – Jesus der Christus – und von diesem Paradox her Heil schon am Werk ist.613 An diesem Punkt gilt es, Begriffe zu unterscheiden: der Mensch – wie alles Geschaffene bzw. Bedingte – ist endlich. Das ist aber noch kein wertendes Urteil. Vielmehr: „Sein durch Nichtsein begrenzt ist Endlichkeit.“614 Damit ist eine rein logische Aussage gemacht, welche die Bedingtheit alles Bedingten betrifft. Hier entspringt die Selbsttranszendierung des endlichen Menschen auf die Unendlichkeit hin. Die Selbsttranszendierung zeigt an, daß der Mensch essentiell zum Sein-Selbst gehört und danach fragt. Unter der „conditio“ der Endlichkeit gibt es polare Spannungen; da das Sein der Endlichkeit mit Nichtsein gemischt ist, ist alles Seiende in seiner Essenz bedroht durch Selbstzerstörung und Zerreißung. Diese Spannung führt nicht mit unausweichlicher Notwendigkeit zum Bruch, da bei Tillich die Notwendigkeit immer in polarer Spannung mit der Freiheit gesehen wird.615 Faktisch ist der Bruch jedoch geschehen, denn er wird vom Menschen – begrifflich gefaßt vor allem von der Existentialanalyse – so empfunden. Essentielle Endlichkeit ist existentiell verzerrt, d. h. von der Essenz entfremdet. Damit wirkt die Essenz auf doppelte 611 ST II, 31. Der Begriff der Entfremdung kommt von Hegel, wird aber im Sinne der Anti-Hegelianer verwendet: „daß man essentiell zu dem gehört, wovon man entfremdet ist“ (ST II, 53). (vgl. Schmitz, 225) Die Begriffe „Essenz“ und „Existenz“ sind zweideutig: Essenz kann das Wesen eines Dinges bedeuten, kann aber auch als Gegenpart zur Existenz das bezeichnen, „von dem Sein „abgefallen“ ist, das wahre und unverzerrte Wesen der Dinge“ (ST I, 240 f.). Diese Ambivalenz liegt an jener des Begriffs der Existenz, „der zugleich Sein ausdrückt und ihm widerspricht“ (ST I, 241). Nur in dialektischer Korrelation scheinen sie sich gegenseitig zu erhellen als ontologische Begrifflichkeit für die religiöse Sprache von der geschaffenen und wirklichen Welt. (vgl. Forster, 157) 612 ST I, 237. 613 Vgl. Horstmann-Schneider, A.: Sein und menschliche Existenz. Zu Paul Tillichs philosophischer Anthropologie im Horizont von Theologie und Humanwissenschaften, Würzburg 1995, 105. Von daher könne man Tillichs Denkform als eine Ellipse zwischen Existenzphilosophie und eschatologischer Theologie bezeichnen. 614 ST I, 222. 615 „Natürlich ist der Bruch der ontologischen Spannungen nichts Zufälliges; er ist universal und abhängig vom Schicksal. Aber andererseits ist er nichts strukturell Notwendiges; er ist vermittelt durch Freiheit.“ (ST I, 236)
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Weise auf den aktuellen Stand der Existenz, nämlich positiv und negativ: „Essenz gibt dem, was existiert, Sein und richtet es zugleich. Sie gibt allem Seinsmächtigkeit, und zugleich steht sie dagegen als forderndes Gesetz.“616 Diese Forderung übersetzt sich in die Frage nach dem SeinSelbst: der Mensch muß fragen! Er hat nicht Fragen, sondern er ist Frage.617 Die Existenz ist also entfremdet, aber Existenz ist nicht notwendig deckungsgleich mit Entfremdung, auch wenn es keine Entfremdung ohne Existenz und keine Existenz ohne Entfremdung gibt. Vielmehr ist nur jene Existenz entfremdet, die nicht mit Essenz geeint ist bzw. sich in Freiheit von der Essenz losgesagt hat. Das Essenz-Existenz-Schema beruft sich von daher vor allem auf einen Übergang von der Nicht-Entfremdung zur Entfremdung und wird mit dem Symbol des „Sündenfalls“618 in Beziehung gestellt. Lag allen ontologischen Aussagen die Selbst-Welt-Struktur zugrunde, so nimmt Tillich die Existenz vom „Übergang von der Essenz zur Existenz, vom Potentiellen zum Aktuellen, von der träumenden Unschuld zur existentiellen Schuld und Tragik“619 her in den Blick. Die Doppelheit von Essenz und Existenz entspricht also der Polarität von Schicksal und Freiheit, da die Basis der Existenz eine mit Endlichkeit geeinte Freiheit ist. In anderen Worten: „Endliche Freiheit ist der Wendepunkt vom Sein zur Existenz.“620 Es geht Tillich also um jene Art und Weise, wie sich die Freiheit als endliche selbst definiert.621 Dabei führt die Selbstreflexion des Geistes im Hinblick auf seine aktuelle Endlichkeit zu einer doppelten Feststellung: einerseits zum Bewußtwerden einer potentiellen Unendlichkeit, die sich von der essentiellen Partizipation des Menschen am SeinSelbst her versteht; und andererseits zur Erfahrung der ontologischen Angst, die als existentielle Bedrohung durch das Nicht-Sein interpretiert
616 ST I, 237. (Hervorhebung von Tillich) 617 Dieses „muß“ verweist auf das „muß“ der Vermittlung von Botschaft und Situation in der Korrelationsmethode. 618 Vgl. ST II, 35. Dabei gebraucht Tillich prinzipiell den Begriff „Sünde“ aufgrund seines ontologischen Gewichts im Singular. 619 ST II, 101. 620 ST I, 196. 621 Damit sind wir an den Ausgangspunkt der Besprechung der philosophischen Grundoptionen Tillichs zurückgekehrt, wo es hieß, daß Tillich von einer sich selbst als endlich verstehenden Freiheit ausgeht.
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wird.622 Tillich bringt diese Grundspannung in seinem Essenz-ExistenzSchema unter: essentiell gehört der Mensch zu Gott, doch existentiell erfährt er sich als von ihm getrennt. Da aber das freie Sich-Selbst-Gegebensein nur in seiner tätigen Aktualisierung greifbar ist und dafür den Stand der Potentialität zugunsten der Aktualität samt ihrer Bedrohung übersteigen muß, kommt es zu einem „Bruch zwischen Essenz und Existenz“623 bzw. zu einer Koinzidenz von Schöpfung und Fall624. „Mit der Aktualisierung und Selbstverwirklichung wird das Sich-Gegebensein der Freiheit in die Selbstkonstitution der freien Subjektivität überführt.“625 Aus der Sicht der Existenz liegt der springende Punkt dieses Konzepts also darin, „daß die Charakteristika des Seins, die unter den Bedingungen der Existenz zu potentieller Verzweiflung führen, zugleich die Bedingung der Möglichkeit von Existenz darstellen“626. In der Tat handelt es sich um den Konflikt zwischen einerseits der Sehnsucht, die Potentialität des rein essentiellen Seins zu aktualisieren, und andererseits der Angst, dabei die dem Übergang zur existentiellen Selbstverwirklichung vorausgehende „träumende Unschuld“ zu verlieren. „Der Mensch befindet sich im Konflikt zwischen dem Wunsch, seine Freiheit zu aktualisieren, und der Forderung, seine träumende Unschuld zu bewahren. Kraft seiner endlichen Freiheit entscheidet er sich für die Aktualisierung.“627 Tillich drückt dies mit Hilfe des Begriffpaares Potentialität-Aktualität aus.628 622 Die Spitze der „ontologischen Grundstruktur“ (ST I, 205) besteht darin, daß der Mensch auf seine Essenz hin und deshalb von seiner Endlichkeit her beschrieben wird. Für die Gottesfrage entscheidend ist hier die Frage nach dem Begrenzenden der Begrenztheit des Menschen. (vgl. Wagner: Absolute Positivität, 140) Das Begrenzende kann nicht mit dem Unendlichen identisch sein, da dieses wiederum als Erkenntnisgrund für das Endliche gilt und von daher nicht durch sich selbst, sondern von anderem her ist. Der Grund ist vielmehr das Sein-Selbst, dessen symbolischer Ausdruck „Gott“ ist und das die schlechthinnige Selbstgegebenheit ist. Von dieser Begründung her ermöglicht die menschliche Selbstgegebenheit eine grenzenlose menschliche Aktivität und Produktivität, welche von Tillich in seiner Gotteslehre grundgelegt wird. 623 ST I, 295. 624 ST I, 293 ff. 625 Wagner: Absolute Positivität, 141. Damit beschreibt Tillich die Spannung zwischen einerseits der Tatsache, daß die menschliche Freiheit nur von ihrem Ursprung her sich selbst verstehen kann, und andererseits dem Faktum, daß sie ihrer selbst nur ansichtig wird im grund-losen eigenen Hervorbringen. 626 Vasel, 404. 627 ST II, 42. Vasel kommentiert: „Unschuld gibt es somit nur im Zustand reiner Potentialität, also vor jeglicher Aktualität, Existenz und Geschichte.“ (Vasel, 405)
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Das heißt jedoch: „Verwirklichte Schöpfung und entfremdete Existenz sind materialiter identisch.“629 Existenz bedeutet als Ek-sistenz damit sowohl das Herausstehen aus der bloßen Potentialität bzw. aus dem Nichts als auch den potentiellen Verlust der essentiellen Gottesbeziehung.630 Prinzipiell-formal gelingt es Tillich mit diesem Postulat, Schöpfung und Sünde auseinanderzuhalten, da es einerseits um verwirklichte Schöpfung geht und andererseits um das Verlieren einer träumenden Unschuld. Es muß jedoch kritisch angemerkt werden, daß letztlich bei Tillich keine Unterscheidung geschieht zwischen dem sündigen Getrenntsein und der gottgewollten Unterschiedenheit von Gott und Mensch. Das Essenz-Existenz-Schema spiegelt damit die grundlegende Frage wider, wie das Gottesverhältnis des Menschen gesehen wird: als durch Freiheit zu einendes Gegenüber oder als aller Freiheit vorgängige seinsmystische Einheit. Existenz ist sowohl Verwurzeltsein im schöpferischen Grund des göttlichen Lebens als auch geschöpfliche Selbstverwirklichung in Freiheit. Zugleich ist damit aber auch gesagt, daß die Entfremdung sowohl unter dem Aspekt eines tragisch-universalen Faktums (im Sinne der
Vgl. auch Anzenberger, H.: Der Mensch im Horizont von Sein und Sinn. Die Anthropologie Paul Tillichs im Dialog mit Humanwissenschaften (Rupert Riedl, Erich Fromm und Viktor E. Frankl), St. Ottilien 1998, 140 – 147. 628 Bayer sieht Tillichs Essenz-Existenz-Schema mit dem aristotelischen PotenzAkt-Schema verschränkt: „Was der Möglichkeit nach, was nur Materie (hyle) ist, drängt zur Verwirklichung, in die Wirklichkeit; dies geschieht kraft der Form.“ (Bayer: Paul Tillich, 214) Auf diesem Hintergrund kann Tillich Leben als Bewegung auffassen: „Sein verwirklicht sich als Leben und erfüllt sich als Geist.“ (ST I, 288) 629 ST II, 52. Und weiter: „Die Schöpfung ist gut, aber sie ist reine Potentialität. Wird sie aktualisiert, so verfällt sie durch Freiheit und Schicksal der universalen Entfremdung.“ (ST II, 52) Eine solche Behauptung mußte sich in der TillichForschung verständlicherweise als exponierter Punkt anbieten, von dem aus Tillichs Denken aufgerollt werden kann. Dabei gibt es auch katholischerseits Stimmen, die den Vorteil dieses Ansatzes zu schätzen wissen (vgl. z. B. Schedler, K.: Natur und Gnade. Das sakramentale Denken in der frühen Theologie Paul Tillichs (1919 – 1935), Stuttgart 1970; Anzenberger stuft Tillichs Position als Mitte zwischen dem optimistisch-katholischen und dem negativ-protestantischen Verständnis der Ursprungssünde ein; vgl. Anzenberger, 131) 630 „Was immer existiert, d. h. aus der bloßen Potentialität „heraussteht“, ist mehr, als es im Stadium der bloßen Potentialität wäre, und weniger, als es in der Macht des essentiellen Wesens sein könnte.“ (ST I, 237)
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Erbsünde) als auch unter dem Aspekt des moralisch-verantwortlichen Aktes (im Sinne einer Tatsünde) betrachtet werden muß.631 Tillich treibt die in der Selbstkonstitution der Subjektivität gründende existentielle Freiheit so auf die Spitze, daß die Christologie sich aus der sich innerhalb der Spannung ergebenden Aporie erschließt.632 Diese Aporie kann nur durch das Auf-die-Spitze-Treiben erwiesen werden, weil sie dem vom Sein-Selbst entfremdeten Subjekt aufgrund seiner Selbst-Konstitution nicht von außen andemonstriert werden kann. Vielmehr versucht Tillich, anhand des Nachzeichnens der „immanenten“ zerstörerischen Konflikte die Subjektivität an jenen Punkt zu treiben, wo diese den Verlust der Einheit auf ihre Selbstverwirklichung zurückführen kann. Tillich ist dabei derart konsequent, „daß er die Selbstkonstitution des Selbstbewußtseins mit dessen Entfremdung in eins setzt“633. Von daher – und hier stehen wir in formaler Hinsicht im Kern der Frage unserer Untersuchung – wird deutlich, daß die unentrinnbare Entfremdung von Gott, der Welt, dem anderen und sich selbst634 nicht 631 Vgl. ST II, 65: „Sünde als individueller Akt aktualisiert das universale Faktum der Entfremdung. Als individueller Akt ist Sünde eine Sache der Freiheit.“ Der Übergang sei ein „Faktum, aber nicht eine ableitbare Notwendigkeit“ (ST II, 36.52). Freilich scheint die weitere Interpretation diese Absicht in Frage zu stellen, da Tillich im Hinblick auf die Freiheit sagt, daß „das Ebenbild Gottes im Menschen (…) die Möglichkeit des Falls schafft“ (ST II, 39). Der Fall ist schließlich eine „transhistorische Qualität aller Ereignisse“ (ST II, 48), ein „transzendente(r) Fall“ (ST II, 45). Schmitz sieht Tillichs Schwierigkeit in einer problematischen Vermischung der beiden an sich unterschiedlichen Existenzbegriffe der Ontologie (Existenz als Wirklichkeit) und der Existenzphilosophie (Existenz als Vollzugsweise menschlichen Daseins und der Selbstwerdung durch Entscheidung). (vgl. Schmitz, 227) 632 Vgl. Wagner: Absolute Positivität, 141. Es gilt nämlich: „Der Mensch verliert die Zentriertheit seines Selbst, wenn sein Zentrum nicht mehr das Zentrum von etwas ist, sondern als begrenztes Selbst den Anspruch erhebt, selbst Zentrum aller Dinge zu sein.“ (Horstmann-Schneider, 121; Hervorhebung von HortsmannSchneider; vgl. ST II, 71) 633 Wagner: Absolute Positivität, 142. 634 Vgl. ST II, 52 – 68. Tillich erweist sich hier als „nüchterner Realist“ (Schüßler: Paul Tillich, 95). Entfremdung ist „Entfremdung von dem, wozu man gehört – Gott, die Welt, das eigene Selbst“ (ST II, 54). Die wichtigsten Merkmale der Entfremdung beschreibt Tillich hier als „Sünde“ – im Sinne der persönlichen Verantwortung –, „Unglaube“ – als Abwendung der ganzen Person von Gott–, „Hybris“ – „die Selbsterhebung des Menschen in die Sphäre des Göttlichen“ (ST II, 58), welche im Pascalschen Sinne Größe und Tragik des Menschen spiegelt – und als „Konkupiszenz“ im Sinne der „unbegrenzte(n) Sehnsucht, das Ganze der Wirklichkeit dem eigenen Selbst einzuverleiben“ (ST II, 60). Die ontologischen
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durch eine Bezugnahme auf die Gotteslehre und die dort verhandelte Sich-Gegebenheit der Freiheit überwunden werden kann, weil sie dann in einem Selbstwiderspruch hinter ihre eigene Verwirklichung zurücktreten würde. Vielmehr ist die Überwindung der Entfremdung, d. h. die Erlösung des Menschen und seine Vermittlung mit dem Christus-Symbol, nur in der Weise möglich, „daß der Grund als Ausdruck des SichGegebenseins der Freiheit unter der Bedingung des sich selbst behauptenden und so von seinem Grund entfremdeten Selbstbewußtsein erscheint“635. Der Grund selbst muß also einerseits eine zentrierte Person werden, sich aber andererseits durch Entäußerung an den Grund des Seins, die essentielle Gott-Mensch-Einheit, als zentriertes Selbst aufheben.636 Tillich löst diese Frage, indem er Jesus sich an das Christus-Symbol entäußern läßt.637 Jesus ist Träger des Seinsgrundes, welcher in ihm als Christus als Neues Sein erscheint. Da zum einen die absolute Positivität des Seinsgrundes in seiner Ausdrucksweise der Selbstgegebenheit allen Seins die Negativität jeder konkreten Gestalt impliziert, und da zum anderen das Selbstbewußtsein sich nicht abstrakt entäußern kann, ist der einzige denkbare Modus der Entäußerung die Selbst-Aufhebung. Dieses Selbstbewußtsein „im Geist“, das sich nicht abstrakt behauptet, wird bei Tillich christologisch bestimmt und in dem Sinne vorausgedacht. Im Hinblick auf die Unvordenklichkeit des Denkens bedeutet dies, daß das Denken durch das Vorausdenken des Christus-Ereignisses und seiner befreiten Vernunft sein eigenes Denken über die existentiell empfundenen Grenzen hinaus als denkbar empfängt. Die Existenz wird sich selbst zur Frage, weil sie als subjektives, konkretes Leben mit Essenz vermischt ist. Erst das Vorausdenken eröffnet die prinzipielle Möglichkeit einer Erlösung der einzelnen menschlichen Subjektivität, die darin besteht, daß Polaritäten geraten in Konflikt (vgl. ST II, 72 – 76). Die Endlichkeit und ihre Kategorien verwandeln sich aufgrund des Hinzukommens eines destruktiven Momentes (vgl. ST II, 76 – 84). Angst, Schuld und Sinnverlust treffen in der Verzweiflung aufeinander. 635 Wagner: Absolute Positivität, 142. 636 Diese Spannung ist schon auf den ersten Blick nicht unproblematisch, da der Vorwurf erhoben werden kann, daß somit Christus selbst der Entfremdung unterworfen wird. Wagner sieht diesen Vorwurf jedoch als grundlos an, da es logisch unabwendbar ist, daß „die Manifestation des Seinsgrundes unter den Bedingungen der Entfremdung selbst an ein entfremdetes, also in sich zentriertes Selbstbewußtsein geknüpft sein (muß)“. (Wagner: Absolute Positivität, 144) 637 Vgl. ST II, 134 f.
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sie die freie Subjektivität an die sich gegebene Freiheit entäußert und in diesem Sinne eine theonome Lebensweise anstrebt, in der Freiheit und Schicksal geeint sind. Im Begriff des „Vorausgedacht-Werdens“ spiegelt sich an entscheidender Stelle das fundamentale Schellingsche Motiv des Unvordenklichen. Zugleich wird jedoch Tillichs Einseitigkeit angedeutet, die Erlösung mehr gedacht als geschichtlich rezipiert zu haben.638 Unterschwellige idealistische Tendenzen machen sich bemerkbar. Die universale „Knechtschaft des Willens“ – die Freiheit des Menschen, die existentiell aufgrund der Bedingungen der Entfremdung unter dem Einfluß des Schicksals verknechtet ist und die unfähig ist, in der Beziehung zu Gott etwas ohne Gott zu tun639 – bedeutet die Unfähigkeit des Menschen, den Bann der Entfremdung selbst zu brechen und das Heil aus eigener Initiative zu erwirken.640 Tillich erweist sich hier als treuer lutheranischer Theologe, der bekennt, daß das Heil allein von Gott geschenkt werden kann. Erst durch ein Neues Sein kann der Mensch neu handeln: „Neues Sein ist die Voraussetzung für neues Handeln“641 und für neues Denken. In diesem Zusammenhang werden alle menschlichen Versuche der Selbst-Erlösung zum Scheitern verurteilt.642 Alle Religionen sind Zeichen des sich manifestierenden universalen Verlangens nach dem Messias, doch in jeder Religion kommt es auch zu Versuchen der Selbsterlösung. Einzig und allein das Christentum kann für die Christusoffenbarung die erhoffte Universalität und Transparenz auf Gott hin verkünden.643 638 Vgl. Alter: Rechtfertigung des Zweiflers, 77 f. Daß in der unreduzierbaren Dialektik vom Durchbruch der Rechtfertigung des Denkens und der Gestaltung des Lebens das Denken die Prävalenz behält, spiegelt sich nach Alter in der Christologie insofern wider, als Christus zum einen nicht Ursache, sondern nur Bild der Rechtfertigung und dies zum anderen nur als Gekreuzigter, nicht aber als zum neuen Leben Auferstandener ist. 639 Vgl. ST II, 89. Das gilt übrigens selbst auch für die Frage nach Gott. 640 Vgl. ST II, 88. 641 ST II, 89. Wehr nennt es eine „neue Wirklichkeit“. (Wehr, 69) 642 Vgl. ST II, 89: „Das Prinzip, daß das Sein dem Handeln vorausgeht, enthält eine grundlegende Kritik an der Religionsgeschichte.“ 643 Man kann wie Vasel der Meinung sein, daß Tillich aufgrund der schematischen Trennung der Frage- und der Antwortfunktion die Christologie zu sehr mit Aufgaben überfrachtet, die ihr an sich nicht in direktem Maße zukommen. (vgl. Vasel, 398) Zugleich wird dadurch jedoch die Erwartung des Christus gesteigert. Der Begriff der Erwartung bringt dabei zum Ausdruck, welche Bedeutung die aufnehmende Seite in Bezug auf die letztgültige Offenbarung hat, da man dem Menschen Christus nicht einfachhin andemonstrieren kann. Vielmehr muß er erwartet und aufgenommen werden.
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2.2. Ontologie und Personalismus In den Ausführungen zur Korrelationsmethode wurde formal-methodologisch durch das Gegenseitigkeitsverhältnis von Frage und Antwort – welche im Groben als der Philosophie bzw. der Theologie zugehörig verstanden werden – implizit eine Problematik aufgeworfen, die beim Spekulieren über ein Essenz-Existenz-Schema ungeschont durchbricht: daß die biblische Heilssprache auf philosophische Kategorien reduziert wird. Erleidet sie damit nicht einen wesentlichen Verlust? Wird die Botschaft nicht künstlich verformt und letztlich unaussagbar? Tillich war sich dieser Schwierigkeit bewußt und hat sie – auch sehr grundlegend material-theologisch – im Aufsatz „Biblische Religion und die Frage nach dem Sein“644 verarbeitet. Indem er viele Themen seiner „Systematischen Theologie“ aufgreift, behauptet Tillich dort trotz der ungeheuren Spannung, „daß biblische Religion und Ontologie eine letzte Einheit bilden und eine tiefe gegenseitige Abhängigkeit aufweisen“645. Tillich selbst hat jene Gefahr thematisiert, die sich in seinem eigenen System zu verwirklichen scheint, denn gerade in Bezug auf die biblische Christologie scheint die Ontologie die Wirklichkeit zu entpersönlichen: „Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, Ontologie und biblische Religion zu verbinden, wenn die Ontologie die zentrale Aussage der biblischen Religion, daß Jesus der Christus ist, nicht annehmen könnte?“646 Der Konflikt scheint unlösbar zu sein. Doch mit seinem ganzen existentiellen Eifer stemmt sich Tillich gegen diese Resignation und sucht nach einem „dritten Weg“647. 644 Im Jahre 1955 unter dem Titel „Biblical Religion and the Search for Ultimate Reality“ im englischen Original erschienen und 1956 in deutscher Übersetzung; vgl. GW V, 138 – 184. 645 GW V, 138. Diese letzte Einheit soll sich auch im tatsächlichen Arbeiten als Theologe bewahrheiten: „Kein Theologe sollte als Theologe ernst genommen werden, selbst wenn er ein großer Christ und ein großer Gelehrter ist, wenn seine Arbeit beweist, daß er die Philosophie nicht ernst nimmt.“ (GW V, 142) Überhaupt ist jeder Mensch philosophisch gefordert, denn „wir können der Philosophie nicht entrinnen, weil die Wege, auf denen wir ihr entrinnen wollen, gebaut und gepflastert sind von der Philosophie selbst“ (GW V, 143). 646 GW V, 158. 647 GW V, 168. „Seit dem Zusammenbruch der großen Synthese zwischen dem Christentum und dem modernen Geist (…) ist eine große Müdigkeit über die Menschen gekommen, die nicht die eine oder andere Alternative annehmen können. Sie sind zu enttäuscht, um noch nach einer neuen Synthese zu suchen,
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Sowohl der Mensch, der die Frage nach dem Sein stellt, als auch der Mensch, der im Glauben lebt, haben ein unbedingtes Anliegen. Zwei letzte Anliegen kann es aber nicht nebeneinander geben. „In der Tat schließt das eine der beiden Anliegen das andere ein.“648 Denn „nur wenn Gott unbedingte, letzte Wirklichkeit ist, kann er der sein, der uns unbedingt angeht.“649 Der Glaube enthält die ontologische Frage. Jedes der Symbole der drei Selbstmanifestationen Gottes – Schöpfung, Christus und Eschaton – braucht eine ontologische Interpretation. Die Schçpfung bedarf einer „Ontologie der Freiheit“ und der ontologischen Polarität Freiheit-Schicksal, welche die Erläuterung der Transzendenz Gottes, der endlichen Freiheit des Menschen und der Universalität des Falls ermöglicht. Im Hinblick auf die Christologie stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von universalem Logos und jenem Logos, der im personhaften Leben Jesu als des Christus präsent ist. Es handelt sich um ein und denselben Logos. Die Ontologie erweist sich imstande, die christologische Frage in sich aufzunehmen, da es die Frage nach „dem Ort (ist), an dem der universale Logos sich existentiell und unbedingt manifestiert“650 und konkret erscheint. Schließlich findet Tillich in Bezug auf das geschichtlich-eschatologische Element heraus, daß die Ewigkeit die Zeitlichkeit enthält, da der letzte Grund des Seins jenseits von Dynamik und Statik steht und Ewigkeit und Zeitlichkeit nicht gegeneinander ausspielt. Es handelt sich um eine Zeitlichkeit, „die dem Gesetz endlichen Vergehens nicht unterworfen ist, eine Zeitlichkeit, in der Vergangenheit und Zukunft in ewiger Gegenwart geeint sind, nicht aber negiert“651.
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nachdem so viele Versuche mißlungen sind. Aber wir haben keine Wahl, wir müssen es von neuem versuchen!“ (GW V, 168) GW V, 169. GW V, 169. GW V, 178. Tillich präzisiert: „Wenn man sagt, daß Jesus als der Christus der konkrete Ort ist, an dem der Logos sichtbar wird, so ist das eine Glaubensaussage, die nur von dem gemacht werden kann, der durch den Christus als Manifestation dessen, was ihn unbedingt angeht, ergriffen ist. Aber es ist keine Aussage, die der Frage nach dem Sein widerspricht oder ihr fremd ist. Der Name „Jesus der Christus“ schließt eine Ontologie ein.“ (GW V, 178 f.) Damit ist zweierlei gesagt: eine solche Glaubensaussage bleibt Sache des Glaubens und wird nicht zu einer Erkenntnis der Ontologie degradiert; zugleich aber gibt es keinen Konflikt zwischen Ontologie und Glauben oder Theologie, weil die Ontologie in sich die Möglichkeit erkennt, das zu denken, was der Theologie zu denken aufgegeben ist. GW V, 179.
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Zum Abschluß seines Aufsatzes kommt Tillich auf die Ausgangsfrage nach Gott zurück. Die Bibel sagt: Gott ist. Damit ist die ontologische Herausforderung gestellt, in welchem Sinn Gott ist. Diese Frage wird in der Bibel selbst – wenn auch in personalistischen Kategorien – beantwortet: Gott ist kein Seiendes unter Seienden, sondern er ist der Grund des Seins. Deshalb wird der Gott, von dem gesagt wird, daß er Person ist, transzendiert von dem Gott, der das Person-Sein selbst ist. Der ontologische Seins-Begriff hilft der christlichen Theologie zu erklären, in welchem Sinn Gott als Person ist. „Das bedeutet, daß Sein und Person keine unvereinbaren Begriffe sind. Sein umschließt personhaftes Sein, es verneint das personhafte Sein nicht.“652 Die biblische Frage nach der Erlösung enthält also die ontologische Frage. Von ihrer Antwort aus gewinnt auch die theologische Antwort Form. Das Hauptgewicht liegt weiterhin auf der Theologie, denn sie muß die Erlösung in Worte fassen. „Es gibt keine erlösende Ontologie“653 und deshalb auch keine spezielle Ontologie, die im Namen des Glaubens übernommen werden müßte.654 Vielmehr ist immer jene Ontologie gefordert, die den Anforderungen der jeweiligen Situation am besten entsprechen kann. Allgemein jedoch gibt es eine letzte Einheit von Ontologie und biblischem Personalismus, und deshalb schließt Tillich emphatisch ab: „Gegen Pascal sage ich: der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs und der Gott der Philosophen ist der gleiche Gott. Er ist Person und die Negation seiner Person.“655 2.3. Anthropologische Klärungen Die wesentlichen Dinge wurden bereits angedeutet, vor allem in dem Abschnitt über die Logik der fünf Teile der „Systematischen Theologie“. Tillichs Anthropologie siedelt sich in der „Systematischen Theologie“ auf unterschiedlichen Ebenen an. Das aktuelle Leben ist kein neutrales Faktum, sondern übersteigt sich selbst in doppelter Weise: einerseits gibt es 652 GW V, 182 f. 653 GW V, 183. 654 Trotzdem gibt es auch bei Tillich kein voraussetzungsloses, sondern ein idealistisches Umgehen mit der Ontologie. Fischer fragt rhetorisch: „Lebt eine solche Korrelation nicht immer schon von einer heimliche Harmonie, die die Differenz von christlicher Wahrheit und welthaftem Bewußtsein einschleift?“ (Fischer, 225) 655 GW V, 184. „Der Glaube umschließt beides: sich selbst und den Zweifel an sich selbst. Der Christus ist Jesus und die Negation Jesu. Biblische Religion ist die Verneinung und die Bejahung der Ontologie.“ (GW V, 184)
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das, was den Menschen unbedingt angeht und was der Mensch als unbedingtes Ergriffensein erfährt; diese „Transzendenzdynamik“656 verweist den existierenden Menschen in das Essentielle. Andererseits erfährt der Mensch in seiner Existenz bereits eine Fülle von Widersprüchen, die nach Heilung bzw. nach Integration rufen. Tillich entfaltet den Gedanken der Theonomie, die alleine durch Wirken eines göttlichen Geistes die Dialektik des Existierens in eine höhere Einheit hinein aufheben kann. Die richtige Fassung der Anthropologie hat für Tillich überdies sogar einen politisch-geschichtlichen Ernst, da es seiner Meinung nach falsche Menschenbilder waren, die zur Katastrophe des Westens führten.657 Die Aspekte, unter denen man von daher nach Tillichs Überlegungen den Menschen betrachten kann, sind: zum ersten der Mensch in seiner Gottesebenbildlichkeit, d. h. seine Essenz im Horizont des Seins-Selbst; zum zweiten der Mensch nach dem Fall, d. h. seine Existenz im Horizont des Neuen Seins; und zum dritten der Mensch in der konkreten Aktualität seiner Existenz, d. h. seine vieldimensionale Einheit und sein zweideutiges Leben im Horizont des Geistes.658 Der Mensch in seiner 656 Anzenberger, 128. 657 Vgl. GW III, 209. Tillich hat von daher eine reich und tief ausgearbeitete Anthropologie angeboten, die sich nach Herwig Arts aus vier Quellen speist: dem Existentialismus, der Freudschen Psychoanalyse, der marxistischen Soziologie und dem künstlerischen Expressionismus. (vgl. Arts, H.: Le modèle anthropologique de la théologie du salut chez Tillich, in: Revue d’histoire et de philosophie religieuses, 61 (1981) 239ff, hier: 242) Den Menschen kann man aber definitiv erst richtig von Gott her verstehen: „Ce modèle (sc. anthropologique) ressemble beaucoup à une oeuvre d’art que le théologien, tout en gardant son regard fixé sur le Dieu de la révélation, continue à façonner et à retoucher au fur et à mesure qu’il devient plus conscient des possibilités énormes qu’ouvre devant lui ce New Being, qui n’est autre que le Dieu du Salut.“ (Arts, 247) 658 Vgl. Anzenberger, 2 f. Vgl. auch die Arbeit von Anjuta Horstmann-Schneider. Damit sind ein paar Einschränkungen mitgegeben: auf Seiten der Anthropologie wird der Mensch fast ausschließlich unter dem Essenz-Existenz-Schema betrachtet – wobei aber diese ontologische Sichtweise Bedingung der Möglichkeit der Beschreibung des Lebens in seiner Zweideutigkeit und in seiner Geisterfülltheit ist. Nur innerhalb dieses Konzepts kommt die menschliche Existenz als Frage nach der Überwindung der Entfremdung unter dem Aspekt der Zweideutigkeit des Lebens zur Geltung. Auf Seiten der Christologie besteht dagegen die „Aufgabe“ Christi darin, auf ontologischer Ebene die Zweideutigkeit des Lebens neu für die Begegnung mit dem göttlichen Geist zu eröffnen. Von diesem Standpunkt aus stehen Christologie und Pneumatologie letztlich im Dienst der Anthropologie.
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existentiellen Frage ist Endlichkeit, Entfremdung und Zweideutigkeit unterworfen.659 Zur Gottesebenbildlichkeit des Menschen und zu seiner Endlichkeit wurde im Zusammenhang mit dem Essenz-Existenz-Schema schon genug gesagt. Dort wurde auch seine Existenz bereits als Entfremdung beschrieben und auf die Polarität von Freiheit und Schicksal zurückgeführt. Hier sollen kurz die vieldimensionale Einheit des Lebens und seine Zweideutigkeiten zur Sprache kommen. Anthropologie wird an diesem Punkt zu Lebensphilosophie. Denn das Sein verwirklicht bzw. aktualisiert sich ja als Leben. Hier wird der Mensch so betrachtet, wie er sich gegeben ist. Freilich handelt es sich letztlich um den idealistisch-dialektischen Lebensbegriff Hegelscher Inspiration.660 Der Kreis schließt sich.661 Die abstrakt getrennten Perspektiven der Essenz und der Existenz werden in ihren umfassenden Grund zurückvermittelt. Der Mensch wird so beschrieben, wie er sich als Frage nach dem Wirken des durch Christi Erlösungshandeln geschenkten göttlichen Geist formuliert. Sein Bewußtsein der essentiellen Zugehörigkeit zu Gott und seine Erwartung der Manifestation dieser essentiellen Einheit unter den Bedingungen der entfremdeten Existenz haben – platt formuliert – an seiner aktuellen Lebenssituation nichts geändert. Der letztlich entscheidende Schritt von Tillichs soteriologisch veranlagter Theologie ist die Vermittlung von menschlichem Geist und göttlichem Geist innerhalb des aufgrund der Mischung von Essenz und Existenz zweideutigen Lebens. „Wie essentielles Sein und Existenz im Leben, so vermitteln sich Theologie und Christologie in der Pneumatologie.“662 Diese Frage hat deshalb indirekt mit der Vermittlung von Anthropologie und Christo659 Anzenberger will von daher eine gewisse Korrektur der trinitarischen Tillichschen Struktur vorschlagen und nach den Begriffen ursprüngliche Berufung – geschichtliche Entfremdung – eschatologische Vollendung gliedern. Dabei beruft er sich auf Walter Kaspers Struktur einer theologischen Anthropologie. (vgl. Anzenberger, 86 f., zu Kasper: Anzenberger 87, Anmerkung 12) 660 Vgl. Anzenberger, 153. 661 „Die Dimension essentieller Wirklichkeitsmerkmale (Ontologie) und die Dimension existentieller Entfremdungsphänomene (Lehre von der Existenz) werden aufgehoben in dem synthetischen Zusammenhang der Lebensphilosophie, dessen Analyse sie sich immer schon verdankten.“ (Ringleben: Der Geist und die Geschichte, 230 f.; Hervorhebung vom Autor) 662 Ringleben, J.: Der Geist und die Geschichte, in: Fischer, H. (Hrsg.): Paul Tillich: Studien zu einer Theologie der Moderne, Frankfurt/M. 1989, 230 – 249, hier: 230.
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logie zu tun, steht aber nicht im Zentrum unseres Interesses. Sie verweist bereits ans Ende unserer Ausführungen zu Tillich, wo kurz die Pneumatologie als sich im Jetzt erfüllende Gott-Mensch-Vereinigung samt ihres Hinweises auf die endgültige dialogisch-dialektische Einheit im Eschaton angeschnitten wird. Was ist das also für ein in seiner endlichen Aktualität lebender Mensch, der in der Soteriologie gemeint ist und dem der göttliche Geist geschenkt werden soll? Tillich spricht von der „vieldimensionalen Einheit des Lebens“663. Die dialektische Vereinigung von Essenz und Existenz in der „Aktualisierung des Seins“ (Aristoteles) macht aus der Aktualität einen lebendigen Prozeß. Leben ist dialektisch. Über die anorganischen und organischen Dimensionen hinaus hat das Leben die Dimension des Geistes, d. h. jene Dimension, die das Humanum als Humanum auszeichnet. Da Tillich Nietzsches Zarathustra sagen läßt „Geist ist Leben, das sich selber ins Leben schneidet; an der eignen Qual mehrt es sich das eigne Wissen“664, wird auch der Geist dialektisch verstanden: er ist „Selbstunterscheidung des Lebens von seiner Unmittelbarkeit“665 und von daher auch Selbsterfassung des Lebens. Das Leben drängt, sich als Geist zu vollenden; „Geist ist (…) das telos des Lebens.“666 Damit ist es letztlich der Geist, der dem Leben sowohl Sinn als auch die Macht zum Widerstand gegen das Nichtsein gibt; der Geist ist „die Einheit von Lebenskraft und des Lebens in Sinnbezügen“667, also die Einheit von Vitalität und frei entschiedenen und geliebten Zielsetzungen. Auf diesem Hintergrund wird deutlich, daß Tillich mit seiner „vieldimensionalen Einheit des Lebens“ vor allem beabsichtigt, mit Hilfe der Schellingschen Identität des Lebens als Identität von Identität und Nichtidentität die Dialektik zu wahren. Diese Grunddialektik drückt sich in den ontologischen Prozessen aus, die das Leben konstituieren. Tillich 663 ST III, 21. Tillich bevorzugt den Begriff „Dimension“ gegenüber der „Schicht“, denn so können sich die verschiedenen Dimensionen durchdringen, ohne sich zu stören. 664 ST III, 39. 665 Ringleben: Der Geist und die Geschichte, 232. 666 ST I, 288. 667 Kelsey, 137. (übersetzt aus der englischen Fassung, da die deutsche Übersetzung in ST III, 34 dieses Zitat nur als Zugleich der beide Elemente „Kraft“ und „Leben im Sinn“ umschreibt; vgl. auch ST III, 348) „Dieser Widerstand gegen das Nichtsein ist die ontologische Wurzel aller Dialektik, ist doch der Widerstand selbst Negation des Negativen. Geist ist die dialektische Aktualisierung des Seins als Macht. (…) Darum erfüllt sich Sein in Geist und wird Tillichs Ontologie zu Dialektik.“ (Ringleben: Der Geist und die Geschichte, 235)
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unterscheidet drei Elemente im Lebensprozeß, durch die Potentialität zu Aktualität wird: „Selbst-Identität, Selbst-Veränderung und Rückkehrzu-sich-selbst“668. Aus der unterschiedlichen Kombination dieser Elemente, bei der jeweils ein Element dominiert, deduziert Tillich drei Hauptfunktionen des Lebens: Selbst-Integration (d. h. die verantwortungsvolle Integration neuer Erfahrungen in das zentrierte Selbst), SichSchaffen (d. h. der permanente Selbstentwurf nach dem Prinzip des Wachstums) und Selbst-Transzendierung des Lebens (d. h. das Anstreben des Erhabenen bzw. des Heiligen).669 Ihnen entsprechen in der Dimension des Geistes Moralität, Kultur und Religion, wobei die Religion Moral und Kultur in sich aufgreift.670 Die entsprechenden Zweideutigkeiten bezeichnet Tillich als Desintegration, Zerstörung und Profanisierung bzw. Dämonisierung. Die Zweideutigkeiten der Selbst-Transzendierung offenbaren Größe und Tragik des Menschen, der zwischen der möglichen Seins- und Sinnfülle und der Universalität der menschlichen Entfremdung hin- und heroszilliert. Größe und Tragik sind jedoch konstitutiv aufeinander bezogen, denn „dank“ seiner Schuld denkt er über sich hinaus. Zugleich wird die Selbst-Transzendierung fragmentarisch zu jenem Ort, an dem der Mensch die Antwort auf die Frage nach unzweideutigem Leben empfangen kann. Da er diese Antwort jedoch immer nur auf zweideutige Weise aufnehmen kann, bleibt die Frage nach unzweideutiger Offenbarung. Tillich reflektiert die drei geistigen Grundphänomene von Moralität, Kultur und Religion und ihre jeweiligen Zweideutigkeiten anhand einer beeindruckend reichhaltigen Konkretisierung. Daran zeigt sich „Tillichs große Meisterschaft (…), die Fülle der Wirklichkeit so zur Sprache zu bringen, daß sie zugleich intellektuell geordnet und durchsichtig gemacht wird“671. Sie wird ontologisch integriert672 und in eine dialektische Dynamik eingefügt. 668 ST III, 42. 669 „Die dritte Funktion nimmt die zirkuläre Richtung der Selbst-Integration wie auch die horizontale der Selbst-Produktion in sich hinein und durchbricht sie ins Vertikale.“ (Anzenberger, 166; Hervorhebung von Anzenberger) In diesen drei Funktionen werden die ontologischen Polaritäten von Individualisation und Partizipation, Dynamik und Form, Freiheit und Schicksal gespiegelt. 670 Das fundamentalontologische Charakteristikum menschlicher Existenz ist nämlich die Selbsttranszendenz. (vgl. Anzenberger, 323) 671 Ringleben: Der Geist und die Geschichte, 237. 672 Tillichs anthropologisches Verdienst besteht auch darin, daß er den Menschen ontologisch in seiner Totalität erfaßt und nicht in ein Kompositum von Teilen
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In bestechender Manier beschreibt Tillich diese Zweideutigkeiten des Lebens und führt sie damit in die Systematik der Theologie ein. Sie werden gleichsam zur „Signatur menschlicher Existenz“673. Dabei läßt er nicht zu, daß die Ambivalenzen ideologisch oder theologisch entschärft, relativiert oder geschönt werden. Zweideutigkeit bedeutet, „daß kein spezielles Element im Lebensprozeß das unzweideutig allein Heilige und unzweideutig allein Dämonische ist.“674 Dies muß als eine besondere Leistung Tillichs gewürdigt und als Ausdruck seiner ehrlichen Nähe zu seinem eigenen Leben und dem Leben seiner Zeitgenossen gewertet werden. Theologie vor diesem Hintergrund zu treiben und das Zwiespältige zu keinem Zeitpunkt – auch nicht angesichts des Christus oder der Wirkung des Geistes – vorschnell aufzulösen, verlangt denkerischen Mut. 3. Das soteriologische Christus-Symbol 3.1. Jesus der Christus als Träger des Neuen Seins In seiner Besprechung der Tillichschen Systematik spricht Otto Wolff interessanterweise von einer „Theologie der Integration“. Warum? Christus erlöst den Menschen, indem er an der entfremdeten Existenz teilhat und ihre Konflikte überwindet. Christus ist der Träger des Neuen Seins und der Mittler der Erlösung.675 Die Erlösung des Menschen besteht darin, daß er an dem Neuen Sein Jesu des Christus teilnimmt, es annimmt und sich von ihm umwandeln läßt. Erlösung vermittelt demnach nicht eine neue Lehre, ein neues Gesetz oder eine neue Existenzdeutung, sondern ein neues Sein! Durch sein zerlegt hat. (vgl. Horstmann-Schneider, 8.175) Das Ganze hat gegenüber der Summe seiner Teile eine andere, neue Qualität. Diese Einheit besagt auch, daß nur dann etwas den Menschen unbedingt angehen kann, wenn es sich um ein ganzheitliches Ergriffensein handelt. (vgl. Horstmann-Schneider, 187) 673 Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 40. Pastor bemerkt, daß es bei Tillich einen Leseschlüssel für das anthropologische Phänomen gibt, daß aber die existentialistische Interpretation überwiegt. (vgl. Pastor: Itinerario espiritual de Paul Tillich, 74) 674 Unveröffentliches Material der Gastvorlesung „Der Mensch im Lichte der Theologie und Existenzanalyse“ in Berlin, zitiert bei: Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 54. 675 Der Schwerpunkt von Tillichs Christologie liegt demnach auf dem Sein Christi und nicht alleine auf einer zur Entscheidung herausfordernden Bedeutsamkeit. (vgl. Schmitz, 230)
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Neues Sein vereinigt Christus das, was voneinander entfremdet ist, wieder miteinander: er versöhnt den Menschen mit Gott, mit seiner Welt und mit sich selbst. „Die heilende Kraft des Neuen Seins überwindet den Zwiespalt zwischen Gott und Mensch, dem Menschen und seiner Welt und dem Menschen und sich selber.“676 Der Mensch fragt nach dieser Integration, und in der Christologie wird sie geleistet. Der Mensch wird im Neuen Sein Christi seinem essentiellen Sein „restituiert“. Was bedeutet es, daß Christus als Symbol eingeführt wird? Das Symbol „Christus“ ist nach Tillich die Antwort auf die existentielle Frage des Menschen in seiner Entfremdung von Wesen und Dasein. Diese Antwort „entspricht (…) der existentiellen Frage so, daß sie das Dasein mit seinem Wesen versöhnt, es zu sich selbst zurückbringt und somit die offene Frage, die das Dasein in sich selber ist, wahrhaft beantwortet und löst“677. Dies kann nur auf dem Hintergrund der bereits besprochenen Tillichschen Symboltheorie erklärt werden. Tillich wagt den für diese Theorie typischen Spagat zwischen zwei Aussagen: einerseits kann Christus als „Bild“ nicht vom Menschen „erzeugt“ werden, andererseits ist Christus als „Symbol“ aber so, daß er vom Menschen aufgenommen werden kann.678 Es spiegelt sich das dialektische Verhältnis von Bedingtem und Unbedingtem. Damit ist auch gesagt: in der Soteriologie ist das Symbol das „Medium“ der Vermittlung von Christologie und Anthropologie.679 Von daher muß es fähig sein, sowohl die christologische als auch die anthropologische Seite darzustellen. Wir können die Ausführungen zur Symboltheorie voraussetzen, müssen das Symbolkonzept jedoch konkret auf Christus anwenden680. Da es sich um ein Symbol handelt, partizipiert es einerseits an dem, was es 676 ST II, 181. „Die letztgültige Offenbarung in Christus überwindet oder „integriert“ die Existenzkonflikte von Autonomie und Heteronomie, von Absolutismus und Relativismus, von Formalismus und Emotionalismus“ und „versöhnt ebenso die Spannung der ontologischen Elemente von Individualisation und Partizipation, von Dynamik und Form, von Freiheit und Schicksal, die Grundspannung von Existenz und Essenz usw.“ (Wolff, 132) 677 Gerdes, H.: Einige Erwägungen zur Christologie Paul Tillichs, in: Das Wort und die Wörter (hrsg. H. Balz u. S. Schulz), 1973, 165 – 171, hier: 165. 678 Vgl. Wolff, 131. 679 Vgl. Wittschier: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie, 106. 680 Ratschow sieht in dieser Unterscheidung den größten Stein des Anstoßes der Tillichschen Christologie bereits auf den Punkt gebracht: „Das Symbol „ist“ nicht das Faktum, wenn es auch an dem Faktum partizipiert. So bleibt also der Jesus und das Christus-Symbol geschieden in Jesus als dem Christus.“ (vgl. Ratschow: Jesus Christus, 120)
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repräsentiert: am Sein Gottes, das dem Symbol gegenüber aber unbedingt bleibt. Christus ist der Trger des Neuen Seins. Das Symbol ist andererseits aber auch aus dem Material des Endlichen genommen: im Falle des Christus aus dem Menschsein. Das heißt: das Christus-Symbol soll den Menschen teilhaben lassen am Neuen Sein, damit der Mensch in die Wesentlichkeit seines Wesens zurückfindet und seine Gottesebenbildlichkeit wiederhergestellt wird, „die essentielle Einheit zwischen Gott und Mensch“681. Insofern entsprechen sich Anthropologie und Christologie, Mensch und Gott, Mensch und Christus im Christus-Symbol. Das heißt überdies: Christus als Symbol ist der Mittler des Heils. Tillich betont, daß nur Gott allein handelt und daß er dies durch den Mittler tut. „Gott ist immer derjenige, der handelt, und der Mittler ist derjenige, in dem und durch den Gott handelt. Wenn man das verstanden hat, kann man den Begriff Mittler verwenden, sonst sollte man ihn fallen lassen.“682 Der Erlöser ist, was er ist, „durch göttliche Bestimmung, so daß Vermittlung und Erlösung unmittelbar von Gott kommen.“683 Das ist das erste und entscheidende Prinzip für Tillichs Lehre von der Versöhnung: daß die Versöhnung ein Werk Gottes und Gottes allein ist und daß Christus als Träger des Neuen Seins das versöhnende Handeln Gottes den Menschen vermittelt.684 Jesus der Christus ist demnach als Mensch eine Existenz, die ganz von der Seite Gottes her betrachtet wird. Das letztlich Besondere an ihm liegt nicht darin, daß er ein wahrer Mensch ist, sondern daß in ihm von Gott her die essentielle Gott-Mensch-Einheit unter den Bedingungen der Entfremdung wirksam manifestiert wird. Christus ist die Verwirklichung des soteriologischen Paradoxons, welches darin besteht, den unannehmbaren Menschen anzunehmen. Der Mensch hat gegenüber Gott kein Verdienst und kann – gut lutherisch – nichts zur Überbrückung der fundamentalen Kluft zu Gott beitragen685. 681 ST II, 121. Diese Einheit gehört zur Dialektik von Endlichem und Unendlichem (vgl. ST II, 104). Den klassischen Gegensatz endlich-unendlich löst Tillich mit dem Begriff des vermittelnden „Symbols“. „Vermittlung ist Wiedervereinigung.“ (ST II, 103) 682 ST II, 183. 683 ST II, 103. (Hervorhebung vom Autor) 684 Vgl. ST II, 187. Ratschow spricht in diesem Zusammenhang von „nicht ganz leicht zu interpretierenden Aussagen“, die jedoch verständlich würden, wenn man sich den Verweis-Charakter des Symbols vor Augen hält (Ratschow: Jesus Christus, 112). 685 In den Worten von Gerdes „kann das Dasein sich niemals selbst überholen und aus sich selbst ins Wesen einkehren“ (Gerdes: Erwägungen, 165).
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Das Symbol „Christus“ oder „Messias“ samt seinem geschichtlichen Hintergrund ist der Theologie bereits vorgegeben und wird vom Christentum „für das Ereignis gebraucht, das es für das zentrale Ereignis der Geschichte hält“686 – als vollkommenes und unüberbietbares Symbol687. Damit übernimmt das Christentum eine Fülle symbolischen Materials aus der semitischen und ägyptischen Welt; dieses Material sagt vor allem aus, daß der Christus derjenige ist, der eine universal gültige Rettung bringt, die die ganze Geschichte mit einbindet und nicht auf einige Individuen beschränkt bleibt.688 Freilich wird das Christus-Symbol im Christentum aufgrund der „Niederlage des Messias am Kreuz“ radikal umgeformt.689 Wir werden die spezifisch christlich-staurologische Umdeutung des Christus-Symbols weiter unten erläutern.
686 ST II, 98. 687 Gerdes möchte das Christus-Symbol qualitativ von den anderen Symbolen unterscheiden. Die allgemeinen religiösen Symbole sind Symbole, insofern sie am göttlichen Wesen teilhaben, stoßen seiner Meinung nach jedoch die Elemente des entfremdeten Daseins ab und haben ihnen gegenüber Gerichts- und Gesetzescharakter. Das Christus-Symbol unterscheidet sich aber dadurch, daß es das entfremdete Sein in das Symbol Gottes aufnimmt (vgl. Gerdes: Erwägungen, 169, Anmerkung 6). 688 Vgl. ST II, 98. 689 ST II, 122. Und weiter: „Sie (sc. diese Umformung) ist so radikal, daß aus diesem Grunde das Judentum den messianischen Charakter Jesu bis auf den heutigen Tag leugnet.“ (ST II, 122) Tillich behandelt einige christologische Hauptsymbole (vgl. ST II, 118 – 123); es sind: „Menschensohn“, „Sohn Gottes“, „Messias“ oder „Christus“, „logos“. Sie sind allesamt Ausdruck der Rezeption des Neuen Seins, und in ihnen wird die verwandelnde Kraft des Neuen Seins angenommen. „Mit Hilfe dieser Symbole hat die Theologie von Anfang an versucht, die Christusbotschaft verständlich zu machen.“ (ST II, 119) Diese Symbole sind alle einer vierstufigen historischen Entwicklung unterworfen: „Sie wachsen heraus aus einer spezifischen religiösen und kulturellen Situation; sie werden für einzelne oder Gruppen zum Ausdruck ihres existentiellen Selbstverständnisses; sie werden in dieser Funktion vom Christentum übernommen und umgestaltet; sie verlieren dabei oft ihren existentiell-symbolischen Sinn und werde auf das Niveau eines abergläubischen Supranaturalismus herabgedrückt. Diese vier Stufen können in jedem einzelnen Fall aufgewiesen werden.“ (ST II, 119) Tillich kritisiert sehr stark die Stufe der Entwicklung zu absurden Halbgott-Vorstellungen. Das Gegenteil muß der Fall sein: „Das essentiell Universale (sc. die Gottessohnschaft) wird zu etwas existentiell Einmaligem (in Jesus dem Christus unter den Bedingungen der Existenz). Aber diese Einmaligkeit hat keinen exklusiven Charakter. Jeder, der am Neuen Sein teilhat, empfängt die Macht, selbst ein Kind Gottes zu werden.“ (ST II, 121)
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Das Christus-Symbol hat den Sinn, sich auf die Menschen hin zu öffnen und für den Menschen soteriologische Bedeutung zu haben. „Wenn (…) der Christus als Mittler und Erlöser erwartet wird, ist er keine dritte Wirklichkeit zwischen Gott und dem Menschen. Er ist derjenige, der Gott den Menschen gegenüber repräsentiert. Er repräsentiert nicht den Menschen Gott gegenüber. Er zeigt vielmehr, was Gott wünscht, daß der Mensch sei. (…) Der Mittler repräsentiert das wesenhafte Menschsein; und damit repräsentiert er Gott. Anders ausgedrückt: Er repräsentiert das Bild Gottes, das ursprünglich im Menschen verkörpert ist, aber er tut es unter den Bedingungen der Entfremdung zwischen Gott und Mensch.“690 Das Christus-Symbol bringt in dieser „doppelten Repräsentanz“691 die Bewegung Gottes zum Menschen zur Vollendung und repräsentiert damit eine entschiedene „Theologie von oben“. Das ist die grundlegende Bewegung von Tillichs soteriologischer Vermittlung von Christologie und Anthropologie. 3.2. Die heilsnotwendige „Form“ des Christus Wie erläutert Tillich die Darstellung des Christus im Modus des Symbols auf systematische Weise? In seinem Artikel „Is Jesus necessary for christology?“692 schlägt John Powell Clayton vor, die für die Christologie entscheidende Grundkategorie des Symbols auf Tillichs frühen programmatischen Essay „Über die Idee einer Theologie der Kultur“ zurückzubeziehen, wo er die Wechselbeziehung von „Form“, „Inhalt“ und „Gehalt“ erklärt hat.693 Da Tillich selbst das biblische Bild Jesu des Christus mit einem expressionistischen Gemälde vergleicht und dabei in seiner Ästhetik die Dreier-Differenzierung in Kraft bleibt, schlägt Clayton folgende These vor: „The component elements of the biblical picture would appear to correspond in the following way to the components of artistic creations: ‘a personal life’ may be regarded as the form of the biblical picture; ‘Jesus of Nazareth’ and specific information about his life and teachings, that is, biographical material, supply its content; and
690 ST II, 103. (Hervorhebung vom Autor) 691 Ratschow: Jesus Christus, 112. 692 Clayton, J.P.: Is Jesus necessary for christology?: An antinomy in Tillich’s theological method, in: S. W. Sykes/J. P. Clayton (Hrsg.): Christ, faith and history, London&New York 1972, 147 – 163. 693 Vgl. Clayton: Is Jesus necessary for christology?, 152.
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‘the power of the New Being’ must be understood as the portrait’s Gehalt.“694 Nach André Gounelle695 läßt sich Tillichs Christologie an den drei Begriffen „manifestiert“, „Jesus“ und „Neues Sein“ festmachen696. Dabei läßt sich Gounelles Unterscheidung leicht mit Claytons Idee vereinbaren: die „Manifestation“ entspricht der Form des Symbols, „Jesus“ dem Inhalt und das „Neue Sein“ dem Gehalt. Unsere Darstellung greift diese Dreiteilung auf und folgt dabei eher der von Clayton bevorzugten Begrifflichkeit von „Form“, „Inhalt“ und „Gehalt“. 3.2.1. Das Christus-Symbol als geschichtliches Zwei Charakterisierungen des Christus-Symbols stehen für Tillich im Mittelpunkt, weil sie die Relevanz Christi für die Menschen darstellen: die Geschichtlichkeit und die Personhaftigkeit. Der geschichtliche Charakter des Christus-Symbols soll abgrenzen gegenüber einer ungeschichtlich-polytheistischen Erwartung des Heils, in denen das Neue Sein jenseits der Geschichte gesucht wird, das Göttliche unter vielerlei Gestalten erscheint, aber nichts endgültig Neues bringt.697 Vielmehr muß die Überwindung der menschlichen Entfremdung „in einem Geschichtsprozeß und durch einen Geschichtsprozeß“ geschehen, „der einmalig, unwiederholbar und nicht umkehrbar ist“698, damit die Geschichte selbst verwandelt werden kann. Das Neue Sein bricht aus der Vertikalen in die Horizontale ein und wird dadurch in der existentiellen Entfremdung nicht erstickt, sondern „nur verzerrt“699, behält aber seine verwandelnde Kraft! Es wird zum Ziel der Geschichte. Der Christ glaubt, 694 Clayton: Is Jesus necessary for christology?, 153 f. (Hervorhebung von Clayton: er meint, den Begriff „Gehalt“ im Englischen nach mehreren fehlgeschlagenen Alternativen lieber unübersetzt lassen zu sollen; vgl. Clayton: Is Jesus necessary for christology?, 152, Anmerkung 1) 695 Gounelle, A.: La christologie de Paul Tillich, in: Etudes philosophiques et religieuses 52 (1977) 205 – 218. 696 Vgl. Gounelle: Christologie de Paul Tillich, 211 f ; vgl. auch Gerdes: Erwägungen, 166. 697 In Bezug auf diese Vorstellungen führt Tillich aus: „Wenn die Geschichte überhaupt in Betracht gezogen wird, so als Kreislauf, als ständige Wiederholung. Es wird durch sie nichts Neues geschaffen. Das Neue Sein ist nicht das Ziel der Geschichte; es ist die göttliche Macht, die in vielerlei Gestalt erscheint.“ (ST II, 96 f; Hervorhebungen von Tillich) 698 ST II, 97. 699 ST II, 97.
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daß es in der Geschichte eine „Mitte der Geschichte“700 gibt, in der sich das Neue Sein verwirklicht. Christus gibt der Geschichte ihr Zentrum, über das nichts an neuen Offenbarungsmöglichkeiten hinausgehen kann. Das Christus-Symbol kann eine universale Gültigkeit beanspruchen, und zugleich bedeutet seine Geschichtlichkeit, daß das endliche Sein dem Neuen Sein nicht zum Opfer fällt, sondern daß das Endliche und Geschichtliche im Neuen seine Erfüllung findet.701 Es ist also nicht ungeschichtlich, sondern geschichtlich und trans-geschichtlich. Die TransGeschichtlichkeit – daß sich das Heil nicht im geschichtlichen Prozeß erschöpft – wird theologisch erreicht, indem der geschichtliche Ansatz den ungeschichtlichen Typ der Erwartung – nämlich die Sicht der jetzt schon geschehenden individuellen Erlösung durch das Gericht hindurch – in sich aufnimmt. Wenn das Christentum für den konkreten Menschen Jesus, der als der Christus bekannt wird, das Symbol „Christus“ oder „Messias“ in Anspruch nimmt und in ihm das Neue Sein erkennt, das das alte Sein besiegt, behauptet es nach Tillich damit zugleich, daß in ihm alle anderen Formen des Verlangens nach dem Erlöser – auch die ungeschichtlichen Formen – ihre Erfüllung finden. Die horizontale und die vertikale Linie werden verbunden. Leider führt Tillich diesen Gedanken nicht weiter aus. Ratschow kritisiert, daß dem Leser die Begründung nicht ganz klar wird, warum dem Christentum eine besondere universale Bedeutung zukommt.702 „Die Sonderstellung des Christentums wird hier nicht ganz deutlich.“703 Folgendes ist aber zu sagen: auch wenn die Geschichte quantitativ noch fortdauert, so ist sie qualitativ an ihr Ende gekommen. Christus hat den „neuen Äon“ gebracht, bzw. ist vielmehr der neue Äon: das Neue Sein ist in ihm gegenwärtig, und im Modus der Essentifikation bewegt sich die Welt auf das Reich Gottes zu, jedoch nicht unter der Figur des Utopismus, sondern des „gläubigen Realismus“. In Christus „hat sich die eschatologische Erwartung im Prinzip erfüllt“704, so daß die Theologie zwischen dem ersten und zweiten Kommen Christi unterscheiden kann, ohne eine einseitige Abhängigkeit oder Unabhängigkeit der beiden Kommen zu behaupten. So wie das Neue Sein das Gesetz und die 700 701 702 703 704
ST III, 384. Vgl. ST II, 98. Vgl. Ratschow: Jesus Christus, 111, Anmerkung 6. Ratschow: Jesus Christus, 113. ST II, 129 f.
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Existenz aufgrund der verwirklichten Eschatologie beendet, so ist in ihm auch im Hinblick auf die Geschichte bereits alles enthalten; sie kann nach Tillich nichts mehr hervorbringen, was über Jesus den Christus hinausgeht.705 3.2.2. Das Christus-Symbol als personales Auf der Basis seiner Ontologie der Person kann Tillich plausibel machen, daß sich die Macht des Neuen Seins nur in einem personhaften Leben verwirklichen kann, denn „nur wo die Existenz am radikalsten Existenz ist – in dem, der endliche Freiheit ist –, kann die Existenz überwunden werden“706. Christus erscheint als Person707, und da der Mensch zum physikalischen, biologischen und psychologischen Bereich des Lebens gehört, sind alle diese Bereiche von dem betroffen, was in dem partikulären personhaften Leben Jesu des Christus geschieht: Versöhnung und Erlösung. Über den „Mikrokosmos“ Mensch ist das ganze Universum eingeschlossen in das Wirken Gottes. „Darum hat ein Ereignis im Zentrum eines Selbst universale Wichtigkeit; und umgekehrt: Ein Ereignis von universaler Bedeutung, die Erscheinung des „Neuen Seins“, war nur in einem personhaften Leben möglich.“708 In der Totalität des Seins hängt alles gegenseitig voneinander ab, so daß die Natur an der Geschichte partizipiert. Da das Neue Sein sich in Jesus dem Christus in der Geschichte manifestiert hat, hat mit der Geschichte auch die ganze Natur, d. h. das Universum Anteil an der Erlösung. Das Bindeglied ist letztlich die menschliche Person709 Jesus, also der Mensch. Was im Menschen Jesus von Nazareth geschieht, ist qualitativ „unendlich bedeutungsvoll für das Universum als Ganzes“710. Andererseits gilt aber auch: „Wenn erlösende Kräfte überhaupt an irgend einem Ort erschienen sind, müssen sie an allen Orten wirksam 705 706 707 708
Vgl. ST II, 130 f. ST II, 132. Vgl. die Beschreibung der Person in ST II, 131 f. ST II, 132. Otto Schnübbe schreibt: „Das Neue Sein erscheint in einem personhaften Leben, also am Ort der vollkommenen Manifestation der ontologischen Selbst-Welt-Struktur, an der aber alle Seinsschichten partizipieren.“ (Schnübbe, 225) 709 „Par lui et à travers lui (sc. den Menschen), la nature, dont il est étroitement solidaire, est touchée par le surgissement de l’Etre nouveau.“ (Gounelle, A.: Conjonction ou disjonction de Jésus et du Christ. Tillich entre l’extra Calvinisticum et l’intra Lutheranum, in: Revue d’histoire et de philosophie religieuses 61 (1981) 249 – 257, hier: 213) 710 ST II, 132.
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sein“711. Damit ist gesagt, daß nicht nur Christus eine Bedeutung für die ganze endliche Natur hat, sondern daß diese Bedeutung Christi vorbereitet wurde durch die Geschichte der Offenbarungen, welche mit der Geschichte einherging. Es gibt zwischen dem Christus-Symbol und der Natur eine Wechselwirkung! Die Christus-Offenbarung in Jesus von Nazareth ist jedoch das eschatologisch-letztgültige Kriterium aller anderen Offenbarung des Unbedingten als unbedingt Angehendes. Andererseits ist die Bedeutung des Christus auf die menschliche Geschichte beschränkt.712 Durch den geschichtlichen und den personhaften Charakter des Christus-Symbols wird deutlich, daß das, was absolut konkret ist, auch absolut universal ist.713 3.3. „Inhalt und Gehalt“ des Ereignisses Jesus der Christus 3.3.1. Der „manifestierte“ Gehalt: die glaubende Aufnahme des Christus In seiner Offenbarungstheologie differenziert Tillich die Manifestation des christlichen Ereignisses als Faktum und als Aufnahme. Faktum und Aufnahme können aber nicht voneinander getrennt werden. Das liegt einerseits an der Natur der neutestamentlichen Quellen, die – von Gläubigen geschrieben – von Jesus handeln als Christus714, und andererseits rührt es von der Natur des historischen Wissens her, das immer fragmentarisch und hypothetisch ist715. Das „brutum factum“ als solches gibt es nicht, sondern einzig und allein in der Vermittlung der Annahme durch jene, die davon unbedingt ergriffen wurden. Wie wird diese Manifestation verstanden?
711 ST II, 106. 712 Vgl. ST II, 105 f. Dies ist eine sehr interessante Frage. „Angesichts der ungeheuren Dimensionen des Universums“ (ST II, 105) möchte Tillich prinzipiell die Möglichkeit anderer göttlicher Manifestationen außerhalb des irdischen Bereichs offenlassen, ohne aber ihre Realität beweisen oder widerlegen zu können. Es wird nicht ganz deutlich, wie Tillich hier den Begriff „Natur“ denkt. Ratschow findet diese Aussagen Tillichs mißverständlich, da einerseits die Bedeutung des Christus eingeschränkt wird, er aber andererseits durch den Menschen hindurch das ganze Universum betroffen sieht. (vgl. Ratschow: Jesus Christus, 129, Anmerkung 27) 713 ST I, 24. 714 Vgl. ST II, 113. 715 Vgl. ST II, 117.
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3.3.1.1. Die Manifestation des Christus auf Erden Das Neue Sein716 manifestiert sich in Jesus, der als Christus bekannt wird, als Macht des Neuen Seins mit verwandelnder Kraft.717 Das bedeutet aber: das Neue Sein kann „nur“ in seiner Macht, der Macht des Neuen Seins, beschrieben werden. Von hierher eröffnet sich die Begründung für die Unterscheidung zwischen Jesus und Christus bei Tillich. Christus ist erst Christus „geworden“718, weil er als solcher erkannt und angenommen wurde. In anderen Worten: erst die Aufnahme – sosehr sie auch auf dem Faktum basieren mag – gibt dem Faktum jene Bedeutung, die es für sich in Anspruch nimmt. Die Worte, das Handeln und das Leiden Christi manifestieren in ihm das Neue Sein! „Das Christentum wurde geboren nicht in dem Augenblick, in dem der Mensch „Jesus“ geboren wurde, sondern als einer seiner Jünger zu ihm sagte: „Du bist der Christus.“„719 Zugespitzt formuliert: die „Wirklichkeit des Christus“720 „ist“ demnach nichts anderes als der annehmende Glauben, denn das Neue Sein bezieht sich an sich nicht auf das Faktum Jesus, sondern auf die glaubende „Christus“-Prädikation. Jesus ist „nur“ deshalb der Christus, weil die Menschen ihn als solchen erkennen, rezipieren und behaupten. Doch zugleich kann Jesus „nur“ deshalb als Christus erkannt werden, weil er effektiv der Christus ist. Seine soteriologische Wirksamkeit entfaltet sich konstitutiv mittels der Aufnahme durch die Menschen. Letztere macht seine fundamentale Wahrheit als Pro-Existenz offenbar; denn wenn Christus erst zu Christus „wird“, wenn er als solcher erkannt und aufgenommen wird, gehört zu seiner Wahrheit, daß er konstitutiv aufgenommen werden will, also eine Pro-Existenz führt. Der Manifestationsgedanke wirft die kritische Frage nach der Bedeutung des historischen Jesus und der damit verbundenen Leben-JesuForschung auf. Einerseits hält diese historische Relevanz Jesu sich gegenüber dem Christus-Charakter sehr in Grenzen, andererseits muß es 716 Ratschow meint, daß Hans-Ulrich Szameit in seiner Arbeit über die Christologie Tillichs wahrscheinlich zurecht annimmt, Tillich habe den Begriff „Neues Sein“ von Martin Dibelius übernommen. (vgl. Ratschow: Jesus Christus, 109, Anmerkung 2) 717 vgl. ST II, 125. 718 ST II, 109. 719 ST II, 107. Tillich meint damit das Bekenntnis des Simon Petrus in Caesarea Philippi (vgl. Mt 16,16). 720 So der übergeordnete Titel des ganzen christologischen Teils im zweiten Band der „Systematischen Theologie“.
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sich aber um ein geschichtliches Faktum handeln, damit die Erlösung im Neuen Sein sich an einem konkreten Punkt ereignet hat und sich auf die ganze Wirklichkeit ausdehnen kann. „Nur wenn die Existenz in einem Punkt überwunden ist – in einem personhaften Leben, das die Existenz als Ganzes repräsentiert –, dann ist im Prinzip überwunden, und Prinzip bedeutet „Anfang“ wie „tragende Kraft“.“721 Was bedeutet dieser Manifestationsgedanke, der ganz offensichtlich die unmittelbare Gültigkeit der überlieferten Geschichte Jesu ablehnt, in Bezug auf Bultmanns Entmythologisierungsprogramm? Der Mythos des Bringers des Neuen Äon muß zwar auch nach Tillichs Dafürhalten entmythologisiert werden, jedoch nicht im Sinne einer prinzipiellen Abwehr alles Mythischen, sondern vielmehr als „Entliterarisierung“722, d. h. als Ablehnung der „literalistische(n) Mißdeutung von Symbolen und Mythen“723. Dadurch soll die eigentlich verwandelnde Bedeutung der Symbole stärker hervortreten. Tillich behauptet, daß „die christologischen Symbole das Gefäß waren, in dem das historische Faktum Jesus von Nazareth von denen aufgenommen wurde, die in ihm den Christus sahen“724. 3.3.1.2. Die verwandelnde Macht in der „analogia imaginis“ Auf den Punkt gebracht kann man sagen: wie der Christus historisch konkret ausgesehen und geheißen hat, ist nicht entscheidend. Er könnte faktisch auch anders geheißen haben.725 Entscheidend ist für Tillich einzig und allein, daß es dieses persönliche Leben gab, in dem die Wirklichkeit
721 ST II, 108. Carl Heinz Ratschow kann hier stellvertretend für die Kritik erwähnt werden mit seinem Hinweis, daß mit diesem Einsatz der Christologie Tillichs „viel auf dem Spiel (steht)“: es geht um die Frage, ob Jesus der Christus „war“ oder nur dafür gehalten wurde. Der Christus- bzw. Messias-Titel bezeichnet eine Funktion, nicht das Jesussein als solches. Damit will Tillich die menschliche Person Jesus vor einer Supranaturalisierung bewahren. (vgl. Ratschow: Jesus Christus, 115) 722 Dee, 95. 723 ST II, 164. Hierin unterscheidet er sich letztlich von Bultmann, auch wenn beide der Meinung sind, daß der Mythos auf seine Aussageabsicht hin befragt werden muß. Die Mythen vermögen Sachverhalte zum Ausdruck zu bringen – wie z. B. den Anspruch der universalen Geltung –, die anders nicht formuliert werden können. „Das Faktische – isoliert vom Symbolischen – hat (…) kein Interesse für den Glauben.“ (ST II, 167) 724 ST II, 164. 725 Vgl. ST II, 118.
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verwandelt wurde. Das „daß“ hat ein weitaus größeres Gewicht als das „was“ oder „wie“.726 Der Glaube verbürgt letztlich durch die gläubige Annahme des Christus sein eigenes Fundament, „nämlich das Erscheinen jener Wirklichkeit, die den Glauben erzeugt hat“727. Nur dieser Glaube kann in der Kraft des „daß“ des Menschen Jesus eine wahrhaftige Gewißheit schenken; das „was“ oder „wie“ bleiben jenseits dessen, was der Glaube weiß und was für den fragenden Menschen gewiß sein kann.728 Doch: „Garantiert wird dieses Konkrete als Kraft (sc. als Wirkung des Neuen Seins) qua Existenz“729, nicht qua Jesus von Nazareth in seiner personalen Einmaligkeit. Damit rückt nicht die Leben-Jesu-Forschung in den Mittelpunkt, sondern vielmehr das Zeugnis der Evangelien als solches, das „biblische Bild“730 Jesu in den Evangelien731 und seine darin ausgedrückte Wirkung auf die Menschen. Es ist für Tillich kein Nachteil, daß es sich dabei um Glaubenszeugnisse handelt, sondern darin besteht gerade ihr Vorteil. Der Glaube hat in einer konkreten Person die Verwirklichung des ChristusSymbols erkannt. Denn nicht die nüchterne Wissenschaft hat ein Organ dafür, daß sich das Christus-Symbol tatsächlich konkret-geschichtlich in seiner Macht des Neuen Seins verwirklicht hat, sondern einzig und allein der ergriffene und existentiell angegangene Glaube. Dabei ist entscheidend „die Gewißheit, daß das Neue Sein, das durch dieses Bild wirkt, die Kraft hat, uns zu verwandeln.“732 Diese Gewißheit basiert auf dem, was 726 „Der Glaube garantiert, daß in dem persönlichen Leben, das das Neue Testament im Bilde Jesu als des Christus zeichnet, die Wirklichkeit tatsächlich verwandelt wurde. Das ist das unveräußerliche faktische Element in dem Christusereignis.“ (ST II, 118; Hervorhebungen vom Autor) 727 ST II, 124. 728 Tillich benutzt den Ausdruck „historischer Jesus“ in einem doppelten Sinn: einerseits bezeichnet er damit das faktische Element, auf dem der Glaube aufbaut und Gewißheit erlangt; andererseits verweist der Ausdruck auf die Ergebnisse der Leben-Jesu-Forschung und bezeichnet so lediglich rekonstruierte Wahrscheinlichkeitsaussagen. 729 Ratschow: Jesus Christus, 117. 730 Vgl. ST II, 112. 731 Das Neue Testament stellt sowohl die Seite der Rezeption als auch die Seite des Faktischen dar. Tillich unterscheidet die synoptischen Evangelien von den anderen neutestamentlichen Schriften insofern, als daß erstere eher das Bild Jesu zeichnen und letztere es ausarbeiten für das christliche Leben und Denken. (vgl. ST II, 128) 732 ST II, 125.
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Tillich „analogia imaginis“733 nennt: daß zwischen dem gezeichneten Bild und der tatsächlichen geschichtlichen Person eine Analogie besteht. In aller Unterschiedlichkeit liegt doch auch eine Ähnlichkeit vor. Das Bild der Evangelien ist vergleichbar mit einem expressionistischen Gemälde734, bei dem der Maler versucht, durch innere Teilnahme in die tiefsten Schichten der Person, die er vor sich hat und die er zeichnet, einzudringen. Ein solches „Realbild“735 ist weder subjektivistischen noch objektivistischen Einseitigkeiten ausgeliefert, sondern ermöglicht einerseits eine für den Glauben ausreichende Kenntnis von jener Person, die Jesus genannt und als Christus bekannt wird, und andererseits eine innere Beziehung zu ihr, die auch den späteren Generationen zugänglich sein wird.736 Ein solches Bild hat schöpferische Kraft und vermittelt eine existentielle Gewißheit. „Natürlich kennen wir im Hinblick auf die historische Dokumentation viele Menschen besser als Jesus. Aber im Hinblick auf unsere Teilnahme an seinem Sein kennen wir niemanden besser, weil sein Sein das Neue Sein und daher universal gültig für jedes menschliche Wesen ist.“737 Das Neue Sein kann also nicht von dem 733 ST II, 125. Tillich kann die „analogia imaginis“ mit der „analogia entis“ vergleichen, vorausgesetzt, letztere wird verstanden als der einzige Weg, von Gott zu reden, ohne den Anspruch zu erheben, ihn auf diesem Weg erkennen zu wollen. Vgl. Nörenberg, K.-D.: Analogia imaginis. Der Symbolbegriff in der Theologie Paul Tillichs, Gütersloh 1966; Schwanz, P.: Analogia imaginis. Ein Beitrag zur kritischen Auseinandersetzung mit der philosophischen Theologie Paul Tillichs, Göttingen 1980. 734 Diesen Gedanken erklärt Tillich anhand des Vergleichs von drei Typen von Bildern (vgl. ST II, 126 f.): 1) jene, die ein rein objektives Bild erreichen wollen, würden eine Photographie machen oder einen Film drehen – auch wenn hier subjektive Momente nie ausgeschlossen werden können; 2) der Gegensatz dazu wäre eine rein subjektive Projektion der eigenen Ideale, wie sie im idealistischen Kunststil vorliegt; 3) das expressionistische Gemälde entspricht am meisten der „analogia imaginis“. 735 ST II, 127. 736 Tillich spricht von einer „Kontinuität (…), die die Macht des Neuen Seins durch die Geschichte hindurch lebendig hält“ (ST II, 147). Ratschow kommentiert, daß für Tillich aufgrund des wirkmächtigen biblischen Bild von Jesus dem Christus der Lessingsche „garstige breite Graben“ nicht besteht. (vgl. Ratschow: Jesus Christus, 126) 737 ST II, 127. Schnübbe zitiert Kähler, um seinen entscheidenden Einfluß zu verdeutlichen: „Aus diesen bruchstückhaften Überlieferungen, aus diesen unverstandenen Erinnerungen, aus diesen nach der Eigenart des Verfassers gefärbten Schilderungen, aus diesen Herzensbekenntnissen und aus diesen Predigten über seinen Heilswert sieht uns nun doch ein lebensvolles, in sich zusammenstimmendes, immer wieder zu erkennendes Menschenbild an. Da darf man wohl zu
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konkreten Jesus getrennt werden. „Jesus ist funktional das Neue Sein. Das Neue Sein wirkt als Jesus (der deshalb der Christus genannt wird), wie es die Bibel in ihrer analogia imaginis wiedergibt.“738 Damit unterliegt Tillich aber der funktionalistischen Versuchung, die Christologie auf Soteriologie zu beschränken. 3.3.1.3. Das biblische Bild vom Christus als Träger des „Neuen Seins“ Doch wie versteht Tillich das Neue Sein? Der Begriff ist begründet von zwei verschiedenen Grundbegriffen, dem „Sein“ und dem „Neuen“, die Tillich jeweils für sich und in ihrer Kombination als „Neues Sein“ in dem Aufsatz „Das Neue Sein als Zentralbegriff einer christlichen Theologie“739 von 1955 erklärt. Es handelt sich um eine Zusammenfassung der wichtigen Gedanken des Duktus der „Systematischen Theologie“. a. Das „Neue Sein“ als Zentralbegriff Tillich ist sich bewußt, daß der Gebrauch des Seinsbegriffs in der Theologie in Bezug auf Methode und Inhalt auf mancherlei Widerstand sowohl vonseiten der Theologie als auch der Philosophie stößt. Das Sein740 ist für ihn nicht eine höchste Abstraktion alles Seienden, sondern das, was Seiendes überhaupt erst ermöglicht. Deshalb kann man das Sein nur umschreiben, und zwar als Macht des Seins, das Urpositive, das dem möglichen Nicht-Sein widersteht. In seiner Besprechung des Begriffs des Neuen 741 spricht Tillich von seiner Anwendung auf den Gottesgedanken, den Erlösungsgedanken und
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dem Schluß kommen: Hier hat der Mann in seiner unvergleichlichen und machtvollen Persönlichkeit, mit seinem Handeln und Erleben ohnegleichen bis in die Erweisungen des Auferstandenen hinein sein Bild in den Sinn und in die Erinnerungen der Seinigen mit so scharfen, so tief sich eingrabenden Zügen hineingezeichnet, daß es nicht verlöscht, aber auch nicht verzeichnet werden konnte.“ (Kähler, Martin: Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus; Leipzig 1896, 88; zitiert bei: Schnübbe, 229) Ratschow: Jesus Christus, 126 (Hervorhebung vom Autor). In: GW VIII, 220 – 239. Vgl. auch Seigfried, A.: Das Neue Sein. Der Zentralbegriff der „ontologischen“ Theologie Paul Tillichs in katholischer Sicht (Dissertation Gregoriana Rom 1967), München 1974. Vgl. GW VIII, 221 – 224. Den Vorwurf der Inkompatibilität des Seinsbegriffs mit dem biblischen Personalismus widerlegt Tillich in „Biblische Religion und die Frage nach dem Sein“, in: GW VIII, 138 – 184. Wiege des Neuen ist der Mythos, in dem es in dreifacher Weise erscheint. Erstens erscheint es als Schöpfung im Sinne von Urschöpfung oder von kontinuierlicher Schöpfung; das Neue ist im Prozeß, und seine Form ist die Zeit: „das Neue im
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den Erfüllungsgedanken.742 Gott als die Macht des Seins ist jenseits von Essenz und Existenz, begründet beide und ist auf beide bezogen im Modus der Partizipation. Das bedeutet aber, daß die Partizipation Gottes an der Existenz nur in der Form geschehen kann, daß das Sein-Selbst den Zwiespalt von Essenz und Existenz durch die Schaffung des Neuen überwindet: „Mögliche Teilhabe an der Existenz ist Schaffung des Neuen Seins. Gott kann nicht anders an ihr teilhaben, weil er nicht an der Entfremdung teilhat.“743 Als Kraft des Neuen Seins ist er also das, was das Neue der Restitution schafft. Dieses Schaffen ist Heil, und deshalb ist die Heilsgeschichte der Kern der Geschichte und identisch mit der Entstehung des Neuen Seins. Da die Geschichte aber immer ein konkretes „telos“ sucht, geschieht die Manifestation des universalen Neuen Seins in der Geschichte in einer konkreten Existenz, welche unter dem Symbol des Christus als Träger des Neuen Seins erkannt und bekannt wird. „Der Begriff des Neuen Seins als Schlüssel der Christologie – das ist eine der entscheidenden Funktionen, die dieser Begriff auszuüben hat.“744 Sinn des Schöpferischen macht das Universum geschichtlich“ (GW VIII, 224). Die zweite Erscheinung des Neuen ist die Wiederherstellung, die Restitution des menschlichen Wesens in der Geschichte als Überwindung der Wesensentfremdung. Und als drittes bezeichnet das Neue die Erfüllung jenseits aller Zweideutigkeiten des Lebens. Hier spiegelt sich die theologische Hauptachse des Systems: Schöpfungslehre als ontologische Gotteslehre – Christologie als Soteriologie – Pneumatologie als Gnadenlehre. 742 Dabei gehen der erste und der zweite Punkt fließend ineinander über, während der dritte Punkt stiefmütterlich behandelt wird. 743 GW VIII, 230. Tillich faßt die Bedeutung des Begriffs „Neues Sein“ zusammen, indem er daran erinnert, „daß das Wort „Sein“, wenn auf Gott angewandt, umschrieben wurde als „Macht des Seins“ oder, negativ ausgedrückt, als die Macht, dem Nichtsein zu widerstehen. In analoger Weise deutet der Begriff „Neues Sein“, wenn er auf Jesus als den Christus angewandt wird, auf die Macht in ihm hin, die existentielle Entfremdung zu überwinden, oder, negativ ausgedrückt, auf die Macht, den Kräften der Entfremdung zu widerstehen. Das Neue Sein in Jesus als dem Christus erfahren heißt, die Macht in ihm erfahren, die die existentielle Entfremdung in ihm selbst und in jedem, der an ihm teilhat, überwindet. Das Wort „Sein“ weist darauf hin, daß diese Macht nicht eine Sache des guten Willens ist, sondern ein Geschenk. Damit ist gesagt, daß sie jedem Willensakt vorausgeht und dessen Charakter bestimmt. In diesem Sinne kann man sagen, daß der Begriff des Neuen Seins das Wesen der Gnade sichtbar macht.“ (ST II, 136; Hervorhebung von Tillich) 744 GW VIII, 232. Für den Menschen gibt es in Bezug auf das Neue Sein ein „vorher“ und ein „nachher“: das „vorher“ ist bestimmt durch die sehnende Frage, die der Mensch selbst ist und die nach der Antwort des Neuen Seins verlangt; das „nachher“ besteht in der Teilhabe an der Macht des Neuen Seins.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
Was die Erfllung angeht, so ist das Neue Sein in der Geschichte präsent als kämpferisches Prinzip, doch die Geschichte läuft in Tillichs Darstellungen nach vorne und wird wie eine Kurve nach oben hin angezogen. „Das Neue Sein als Erfüllung ist die Ewigkeitsdimension der Geschichte, in der die Zweideutigkeit der Geschichte aufgehoben wird.“745 Die Geschichte wird im Symbol des Reiches Gottes erfüllt, ohne selbst die Erfüllung zu sein. b. Das „Neue Sein“ als die berwindung der Entfremdung Am wichtigsten ist für Tillich jedoch der vom Neuen Sein her verstandene Erlösungsgedanke. Die schöpferische und umwandelnde Kraft des Realbildes Jesu des Christus im Neuen Testament läßt sich nach Tillich nur erklären, „weil die Kraft des Neuen Seins in ihm und durch es ausgedrückt ist“746. Das Sein Jesu des Christus ist das Neue Sein747. Durch diese ontologische748 Sichtweise wird vermieden, daß das Neue an Jesus dem Christus in einem Teilaspekt seiner Existenz – in seinen Worten, seinem Handeln oder seinem Leiden749 – gesucht wird; vielmehr besteht es einzig und allein in der Ganzheit und Neuheit seines Seins! Die Teilaspekte manifestieren zwar das tieferliegende Neue Sein Christi,
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Diese Partizipation am Neuen Sein ist für den Menschen Wiederherstellung, Wiedergeburt, Heilung. (vgl. GW VIII, 233) Tillich legt auch die Wirkung des Neuen Seins in der Kirche dar. (vgl. GW VIII, 236 f.) GW VIII, 238. ST II, 126. ST II, 132. Ratschow hat zurecht die mit diesem Begriff gegebene „Versachlichung“ oder „Entpersönlichung“ der Christologie angemahnt, die bedeutet, daß Tillich „nicht aus der Sachlichkeit der Prinzipalität des Neuen Seins herauskommt.“ (vgl. Ratschow: Jesus Christus, 114; Hier: 123) Helmut Dee sieht in dem Begriff des „Neuen Seins“ in der Christologie den prinzipielleren ontologischen Ansatz Tillichs Frucht tragen. (vgl. Dee, 95) „Jesus als der Christus ist der Träger des Neuen Seins in der Totalität seines Seins, nicht in einzelnen seiner Äußerungen.“ (ST II, 132) Vgl. den ganzen Abschnitt ST II, 132 – 135. Abschließend zu den Erörterungen über die Teilaspekte schreibt Tillich: „Auf Grund dieser Überlegungen müssen wir die rationalistische Abtrennung der Worte Jesu von seinem Sein, die pietistische Abtrennung seines Handelns von seinem Sein und die orthodoxe Abtrennung seines Leidens von seinem Sein zurückweisen.“ (ST II, 135; Hervorhebungen von Tillich) Gegenüber von Anselm lehnt Tillich die verkürzende Betonung des Leidens Jesu im Sinne eines „opus supererogatorium“ (vgl. ST II, 135) und gegenüber Bultmann die Loslösung der Worte Jesu von seinem Sein im Sinne eines Entscheidungsrufes ab (vgl. ST II, 116 f). Vgl. auch Dee, 94; vgl. Gounelle: Christologie de Paul Tillich, 213.
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welches seinerseits jedoch mehr ist als die einzelnen Manifestationen! Entscheidend ist dabei, daß das Sein Christi die Qualität des Neuen Seins jenseits der Spaltung zwischen essentiellem und existentiellem Sein hat und so unter den Bedingungen der Existenz die Entfremdung überwunden wird. Daraus erwächst nun grundlegend die Aufgabe, am Bild Christi diese Erlösungswirklichkeit zu verifizieren. Sie erscheint im biblischen Befund750 in einer dreifachen Ausprägung: „erstens und entscheidend als die ungebrochene Einheit Jesu mit Gott; zweitens als die Größe eines personhaften Lebens, in dem diese Einheit gegenüber allen Angriffen aus der entfremdeten Existenz aufrecht erhalten wird; drittens als die sich hingebende Liebe, die die göttliche Liebe repräsentiert und verwirklicht, indem sie die existentielle Selbstzerstörung auf sich nimmt“751. Tillich spricht vom christlichen „Paradox“752 der entfremdungsüberwindenden essentiellen Gott-Mensch-Einheit in der Existenz Jesu und differenziert es seinerseits unter einem dreifachen Aspekt: erstens ist Christus endlich wie jeder Mensch, zweitens sind seine Versuchungen echt, und drittens siegt er über diese Versuchungen, welche seine Einheit mit Gott zerreißen wollen.753 Das Bild des Neuen Seins in Jesus als dem 750 Das interessante Problem der Unterschiede zwischen den einzelnen Evangelien löst Tillich mit dem Verweis auf die Übereinstimmung in der „Substanz“. Tillich sieht die Gegensätze nicht historisch, sondern anhand der alten Unterscheidung von Form und Substanz. (vgl. Ratschow: Jesus Christus, 125) Unabhängig von leichten Unterschieden in den Symbolen, durch die das Neue Sein sich Ausdruck verschafft, „immer aber bleibt die Substanz unangetastet“ (ST II, 150). 751 ST II, 150. 752 Vgl. u. a. ST II, 137. 753 In diesen Abschnitten streift Tillich so wichtige Fragen wie die der „Sndlosigkeit Jesu“. Jesus war endliche Freiheit, und sein Gutsein ist nur insofern Gutsein, als daß es am Gutsein Gottes teilhat. (vgl. ST II, 138) Insofern ist Schnübbe der Meinung, daß man den Vorwurf von J.Track, die Sündlosigkeit Jesu sei infolge der deterministischen Interpretation des Falls nicht mehr zu halten, zurückweisen muß. Jesus der Christus ist wie alle Menschen, „doch ohne Sünde“ (vgl. Hebr 4,15; zitiert bei: Wehr, 71). Es geht Tillich auch um die Bedingung der Möglichkeit von Versuchung im Leben Jesu. Das Begehren ist nicht Konkupiszenz und ist innerhalb der Einheit mit Gott ein normales Verlangen nach Wiedervereinigung des Endlichen mit dem Endlichen. Christus hat den Versuchungen widerstanden dank eines Aktes seiner endlichen Freiheit und dank seines Schicksals, welches Tillich im Falle Christi „göttliche Bestimmung“ und „Vorsehung“ nennt. Hier entscheidet sich die wichtige Frage nach der wahren Freiheit Jesu: „Gottes lenkendes Schaffen schafft im Falle des Menschen durch die menschliche Freiheit hindurch.“ (ST II,142) Weiter will Tillich in dieser Frage nicht vor-
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
Christus ist demnach „nicht das Bild eines göttlich-menschlichen Automaten“754. Die Negativitäten der Existenz und die Tragik eines endlichen Lebens werden in die ungebrochene Einheit mit Gott hineingenommen, aus dessen Vorsehung Christus ständig lebt. Als Träger des Neuen Seins überwindet der Christus die drei psychologischen Merkmale der Entfremdung: erstens den Unglauben, indem er in der Verzweiflung des Leides noch zu Gott schreit, zweitens die Hybris, weil er nicht sich selbst erhöht, und drittens die Konkupiszenz, die überwunden wird im siegenden Widerstehen gegen die Versuchungen.755 Christus steht nicht unter der „Sünde“756 ! Dieses sich in der Existenz bewährende Neue Sein ist in doppelter Weise neu: einerseits ist es gegenüber dem entfremdeten Charakter des existentiellen Seins seine eschatologisch gültige Überwindung; andererseits ist es aber auch gegenüber dem potentiellen Charakter des essentiellen Seins nun seine tatsächliche Verwirklichung. In diesem Sinn ist das Neue Sein nicht nur in doppelter Weise neu, sondern auch in doppelter Weise mehr: mehr als die Essenz, weil es aktuelle Wirklichkeit ist, dringen. Die Endlichkeit Jesu verlangt überdies, daß er zwar die Wahrheit ist, aber dafür weder Allwissenheit noch absolute Gewißheit hat. Die Mçglichkeit des Irrtums darf nicht ausgeschlossen werden. (vgl. ST II, 143) Man könnte sagen: auch der Glaube Jesu des Christus bleibt ein Wagnis! Zu der Teilnahme an den Zweideutigkeiten des Lebens, die Jesus selbst durch sein Verhalten teilweise auch provoziert hat, schreibt Tillich: „Der Christus des biblischen Bildes nimmt die Konsequenzen seiner tragischen Verwobenheit in die menschliche Situation auf sich. Und weil seine Beziehung zu den Pharisäern und zu Judas tragische Elemente hat, ist die erlösende Kraft in ihm auch für die vorhanden, die an seinem Tod schuldig sind, auch für Judas.“ (ST II, 145) Jesus hat nie in einem Anflug von Fanatismus die Flucht vor den Konsequenzen der Entfremdung der Existenz ergriffen, sondern alles in die Einheit mit Gott aufgenommen. Jesus der Christus ist nicht mehr als ein Mensch, aber er ist derjenige Mensch, in dem der Bruch zwischen Essenz und Existenz überwunden ist. „Il est l’homme en son essence.“ (Gounelle: Christologie de Paul Tillich, 212) 754 ST II, 146. 755 Vgl. ST II, 137 f. Gerdes meint, Tillich habe diese Kategorisierung der Versuchungen aus der biblischen Erzählung der Versuchung Jesu in der Wüste übernommen. Unter diesen Vorzeichen wäre dann aber zu bezweifeln, ob Tillich diese Erzählung recht verstanden habe, denn es handle sich in der Wüste um messianische, nicht um allgemein menschliche Versuchungen. (vgl. Gerdes: Erwägungen, 170, Anmerkung 14) 756 Tillich gebraucht bewußt den Singular, denn „Sünde“ bezeichnet dann eine existentielle Situation: die Entfremdung „von dem, wozu man gehört – Gott, die Welt, das eigene Selbst“ (vgl. ST II, 54). „Sünden“ im Plural dagegen bezeichnen moralische Verstöße.
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ohne aber dafür entfremdet zu sein; und mehr als die Existenz, weil es essentielles Sein oder die essentielle Gott-Mensch-Einheit in die Existenz bringt.757 Dieses Neue Sein bewirkt jenes Realbild, von dem seinerseits der Glaube garantiert wird, daß der Mensch in die essentielle Gott-MenschEinheit zurückkehren kann. Aus der Unmöglichkeit wurde eine neue Möglichkeit – sola gratia sola fide! Der Mensch wird zu einer „neuen Schöpfung“758. c. Die zentralen Symbole von Kreuz und Auferstehung Christus hat universale, ja kosmische Bedeutung.759 Besonders die Elemente der Symbole und Mythen im Neuen Testament unterstreichen die kosmische Relevanz des Trägers des Neuen Seins. Kreuz und Auferstehung sind die beiden zentralen mythologischen Symbole, die zusammenhängen, mehr als alle anderen Symbole die universale Bedeutung Jesu als des Christus aussagen und gleichzeitig die beiden fundamentalen Beziehungen des Christus zur existentiellen Entfremdung darstellen: das Kreuz bezieht sich auf die Unterwerfung unter die Existenz und wird dabei unterstützt von anderen Symbolen wie 757 Vgl. GW VIII, 213 f. Bernard Sesboüé hat von der doppelten Bedeutung des Neuen am Neuen Sein her gezeigt, wie die Lehre von Gott, Schöpfung, Fall und Erlösung einerseits und die Christologie andererseits in einer großen Korrelation stehen. (vgl. Sesboüé: Christologie et sotériologie chez Paul Tillich, 231 – 233) Diese Behauptung geht darüber hinaus, daß die Christologie für die Entfremdung des Menschen den Gegenentwurf bietet. Sesboüé meint vielmehr, daß die – wenn man sie so nennen darf – kleine Korrelation Schöpfung und Fall einerseits und Erlösung andererseits als solche nochmals in einer großen Korrelation zur Gestalt Jesu des Christus steht, und zwar anhand des Begriffpaars ontologische und geschichtliche Verwirklichung. Von daher bestimmt das Christus-Ereignis nicht nur die neue Essenz, sondern auch berhaupt das Verhältnis von Essenz und Existenz, wie es sich in der Geschichte darlegt. Die Christologie enthält – da sie soteriologisch orientiert ist – in sich einen Widerschein der Dynamik von Schöpfung und Fall einerseits und Erlösung andererseits. 758 Das Neue Sein, in: RR II, 27.31 f. Die Gnade wirkt dabei auf die beiden Schichten des Seins, das Bewußte und das Unbewußte. (vgl. Schnübbe, 227 f.) Der Sieg über die Entfremdung ersetzt nicht einfach das alte entfremdete Sein durch das Neue Sein, sondern erneuert vielmehr das Alte: „Was in Auflösung untergegangen war, taucht als Neue Schöpfung wieder auf. Auferstehung wird heute Ereignis oder überhaupt nicht. Sie ereignet sich in uns und um uns, in Seele und Geschichte, in Natur und Universum. Versöhnung, Vereinigung, Auferstehung – das ist Neue Schöpfung, das Neue Sein, die Neue Wirklichkeit.“ 759 Vgl. ST II, 163.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
z. B. der Präexistenz in Kombination mit der Unterwerfung im ChristusHymnus in Phil 2; die Auferstehung dagegen meint den Sieg über die Existenz und steht in engster Beziehung zu Symbolen wie der Jungfrauengeburt, den Wundern und dem eschatologischen Symbolismus, vor allem der Parusie. Außerdem sind direkt auf die Auferstehung bezogen die beiden Symbole, die für Tillich den Leitfaden seiner beiden abschließenden Teile der „Systematischen Theologie“ bilden: „die Herrschaft des Christus über die Kirche durch den Geist“ und der „Christus als der Herr der Geschichte“760. „Kreuz und Auferstehung sind also die Hauptsymbole der Erlösung.“761 Dem Symbol liegt jeweils ein Ereignis zugrunde, das durch den Glauben in der Form des Mythos interpretierend als universal bedeutsam bekannt wird. Das Ereignis, das durch das Kreuz hindurchscheint, ist die Selbsthingabe dessen, der der Christus genannt wird.762 Jesus der Christus verweigert sich am Kreuz jedem Götzendienst seiner Person gegenüber. Das Kreuz ist demnach für Tillich die „conditio sine qua non“, damit Jesus überhaupt Christus genannt werden kann. Im Kreuzesleiden widersteht er allen Versuchungen, die ihn aus der Einheit mit Gott herausreißen wollten. Hier manifestiert sich in unüberbietbarer Weise sein Christus760 Vgl. ST II, 175. Im allgemeinen entspricht die zusammenhängende Differenzierung von Kreuz und Auferstehung jener unterschiedlichen Gewichtung, die einerseits die synoptischen Evangelien und andererseits Johannes in ihrem Bild von Jesus dem Christus wagen: die Synoptiker betonen nach Tillich mehr die Teilhabe Christi an der menschlichen Existenz, während das johannäische Bild Christus mehr als den Sieger über Sünde und Tod zeichnet. (vgl. ST II, 148 f.) 761 Schnübbe, 233. 762 Gounelle unterscheidet – in Anlehnung an die dreifache Bedeutung der Substanz des Neuen Seins bei Tillich – drei Gründe für die Bedeutsamkeit des Kreuzes. (vgl. Gounelle: Christologie de Paul Tillich, 214 f.) Erstens nimmt Christus die Negativitäten der Existenz in die ungebrochene Einheit mit Gott hinein; zweitens gibt sich Jesus dem Christus hin und wehrt so jeden Götzendienst ab; drittens gibt das Kreuz-Symbol der christlichen Verkündigung inmitten der Schwierigkeiten des Alltags eine ganz besondere Kraft. Nach dem Ausbleiben des neuen Äon als allumfassender Realität trafen die Jünger eine revolutionäre Glaubensentscheidung: sie „setzten das Neue Sein mit dem Sein Jesu als des Gekreuzigten gleich“ (ST II, 129) und traten damit in die eschatologische Spannung des „schon“ und „noch nicht“ ein. Die Vollmacht Jesu des Christus liegt darin, daß er weder auf supranaturale Weise alles umgewandelt hat noch auf naturale Weise unterschiedslos in den Lauf der Dinge eingegangen ist, sondern daß er – paradoxal – inmitten der Entfremdung ihre Überwindung ist. Das Neue Sein ist in ihm – wenn auch nur in ihm – wirklich gegenwärtig! Und Erlösung wird im Menschen – wenn auch immer nur fragmentarisch – bereits gelebt.
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Charakter. Tillich spitzt dies in der Aussage zu, Jesus der Christus würde am Kreuz seinen Jesus-Charakter dem Christus-Charakter „preisgeben“763 und damit vollends transparent werden auf die Verwirklichung des Christus-Symbols in ihm! Nach dem Kreuz ist es unmöglich, Jesus einfachhin ohne seinen Christus-Charakter zu betrachten. Im Gegenteil: Jesus wehrt jede Idolatrie ab.764 Im Falle der Auferstehung kann man – im Unterschied zum Kreuz – das faktische Element nie über eine gewisse Wahrscheinlichkeit hinaus nachzeichnen. Aber es geht Tillich weniger darum, was mit dem Leichnam Jesu geschehen ist765, als vielmehr um „den religiösen Sinn von Auferstehung“766. Es gab ein Faktum, von dem man aber nur die existentielle Bedeutung kennt. Tillich legt von daher vielmehr den Akzent auf das, was die Jünger im Glauben „erfuhren“, als sie bekannten, daß der Tod des Trägers des Neuen Seins überwunden sei. Das Gewicht liegt in dem „aufnehmenden“, „rezeptiven“ Moment. Das Ereignis der Auferstehung widerfährt den Jüngern – und auch einigen Feinden Jesu – als die „ekstatische Erfahrung“, daß der Tod Jesu ihn nicht von ihnen getrennt hat: „Er ist gegenwärtig, wo immer das Neue Sein gegenwärtig ist.“767 Dabei ist das konkrete Bild des Jesus von Nazareth mit der Realität des Neuen Seins „verschmolzen“. Hier zeigt sich, daß das Entscheidende darin besteht, daß das Negative, das in der Auferstehung überwunden wurde, „gewiß nicht der 763 ST II, 134. 764 Henning Schröer hat kritisiert, daß man doch nicht sagen kann, „daß das Leben und der Tod Jesu den alleinigen Sinn gehabt hat, eine Vergötzung des historischen Jesus zu verhindern“. (Schröer, H.: Die Denkform der Paradoxalität als theologisches Problem, Göttingen 1960, 161) Schnübbe dagegen meint, Schröer würde fälschlicherweise den negativen Teilgedanken für das Ganze nehmen. (vgl. Schnübbe, 227, Anmerkung 58) Tillich betrachtet keineswegs das Kreuz nur unter der negativen Hinsicht, daß Jesus sich nicht vergötzen läßt. Der positive Aspekt ist, daß gerade inmitten des größten Leides die Einheit mit Gott aufrechterhalten wird! 765 Vgl. ST II, 168 f. Die physikalische Interpretation spricht von einer Wiederbelebung eines Kadavers, die spiritistische Theorie beruft sich auf die Unsterblichkeit der Seele, und der psychologische Versuch deutet die Auferstehung als Geschehen in der Seele der Jünger. Keine dieser Theorien ist nach Tillich fähig, die Neuheit der Auferstehung wiederzugeben. Es geht Tillich nicht um irgendeine Art historisch konstatierbarer Faktizität bei Jesu Auferstehung, denn „eine eschatologische Wirklichkeit entzieht sich der Nachprüfbarkeit mit innerweltlichen Mitteln.“ (vgl. Schnübbe, 234 f, hier: 235) 766 Ratschow: Jesus Christus, 131. 767 ST II, 169.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
Tod eines einzelnen Menschen, wie bedeutend er auch sein mag“, ist, sondern „der Tod dessen, der der Trger des Neuen Seins ist.“768 Die Gegenwart Christi ist eine Gegenwart spiritueller Art: „Christus ist „der Geist“, und wir kennen ihn jetzt nur, weil er der Geist ist.“769 Das erklärt seine universale Bedeutsamkeit, denn das konkrete Leben Jesu ist „in die ewige Gegenwart Gottes hinaufgehoben“770. Diese Theorie, die Tillich „Restitutionstheorie“771 nennt, beschreibt die Restitution Jesu nach dem Karfreitag zum Christus am Ostermorgen. In ihr wird die Macht des Neuen Seins an Jesus als den Christus „restituiert“. Die Gewißheit des Glaubens besteht darin, daß eigentlich in diesem Auferstehungsereignis Christus zum Christus wird, weil er existentiell als Christus bekannt und erkannt wird.772 Er ist der Sieger über die existentielle Entfremdung des Menschen. Es ist wichtig, daß die Auferstehung nicht als bloßer „Bewußtseinszustand“ der Jünger mißverstanden wird, genauso wenig, wie der Christus-Charaker Jesu des Christus nicht nur ein bloßes Gottes-Bewußtsein war. Das Neue Sein ist eine objektive Struktur, die sich in der Auferstehung auf paradoxale773 Weise Durchbruch verschafft. „Nicht eigentlich Weihnachten, sondern Ostern ist das Ereignis, das urchristlich
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ST II, 169. (Hervorhebung so von Tillich) ST II, 169. ST II, 169. ST II, 170. Tillich behauptet zwar, daß sich diese Beschreibung eng an die älteste biblische Quelle in 1 Kor 15 anschließt, doch von exegetischer Seite her ist das zu bezweifeln. 772 Ratschow zweifelt jedoch daran, „wieweit diese Erfahrung (sc. die Glaubenserfahrung der Jünger) in Führung bleiben kann, wenn ihr christologisches Gegenüber nur ein ungreifbares Faktum, ein bloßes „Daß“ ist? Weder „historische Überzeugung“ noch „biblische Autorität“ fundieren diese Erfahrung als Gewißheit.“ (Ratschow: Jesus Christus, 131 f.) 773 Ostern ist der Geburtstermin des christologischen Paradoxons. Dies wird deutlich, wenn man zwei Aussagen von Tillich aufeinander bezieht. Zum einen heißt es: „Er, der der „Christus“ ist, muß sterben, weil er der „Christus“ ist. Und seine Jünger müssen das Paradox begreifen, daß der, von dem sie glauben, daß er die existentielle Entfremdung überwindet, an ihr und ihren selbstzerstörerischen Konsequenzen zugrunde gehen muß.“ (ST II, 107; Hervorhebung vom Autor) Das ist aber erst von Ostern her möglich: „Erst die Erfahrungen, die als Ostern und Pfingsten beschrieben werden, haben ihren (sc. der Jünger) Glauben an den paradoxen Charakter des messianischen Anspruchs geschaffen.“ (ST II; 129; Hervorhebung vom Autor) Kreuz und Auferstehung offenbaren das sola gratia in seiner ganzen Tiefe.
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diese Christologie zutiefst prägt.“774 In der Auferstehung geschieht nicht nur die Restitution Christi an Jesus, sondern auch die soteriologische Restitution des essentiellen Seins an den Menschen. 3.3.2. Der „Inhalt“ in der Spannung von Faktum und gläubiger Annahme: Leben-Jesu-Skepsis Die Tatsache, daß Tillich beim Binom Glaube-Historie in der Nachfolge von Martin Kähler775 und Rudolf Bultmann den Akzent deutlich auf den Glauben legt776, ist als einer der originellen und zugleich meistdiskutierten Züge von Tillichs Theologie aufgenommen worden. Man findet in der Regel kaum einen Kommentar zu Tillichs Christologie, der diese Frage nicht eingehend behandelt. An ihr entscheidet sich nämlich, wie Tillich die Inkarnation versteht. Es muß hierzu gesagt werden, daß Tillich – wenn man genau hinblickt – zwei Unterscheidungen innerhalb der Person Jesus des Christus unternimmt: nicht nur jene zwischen dem konkret-individuellen Jesus von Nazareth und dem Christus-Symbol, sondern auch die zwischen dem Christus-Bild und dem Neuen Sein. Letztere war Thema im vorigen Kapitel; erstere soll nun nach manchen Andeutungen eingehender betrachtet werden.777 Damit wird aber auch entschieden, wie sehr im Erlösungsgeschehen das menschliche bzw. geschichtliche Moment aufgewertet wird. Die menschliche Jesus-Seite im Christus-Symbol umschreibt die Qualität der Erlösung des geschichtlichen Menschen. Faktisch übernimmt Tillich die Schlußfolgerungen von Albert Schweitzer, der in seinem Frühwerk „Von Reimarus zu Wrede: eine Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“778 dargelegt hat, daß die jeweiligen Jesus-Bilder immer den Vorgaben und Absichten der Forscher
774 Wolff, 137. 775 Vgl. Gerdes, H.: Die durch Martin Kählers Kampf gegen den „historischen Jesus“ ausgelöste Krise in der evangelischen Theologie und ihre Überwindung, in: NZSTH 3 (1961) 175 – 202. Der Einfluß von Martin Kähler wurde bereits verdeutlicht. Fischer sieht aber auch eine enge Beziehung von Tillichs Christologie zu Kierkegaard. (vgl. Fischer: Christologie, 214 f.) 776 vgl. Sesboüé: Christologie et sotériologie chez Paul Tillich, 224. 777 Vgl. dazu auch Ratschow: Jesus Christus, 120. 778 Tübingen 1906; vgl. ST II, 112.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
entsprechen.779 Gegenüber der aus der protestantischen Theologie des 19.Jahrhunderts ererbten schweren Problematik der historisch-kritischen Forschung780 kommt Tillich zu der Einsicht, daß diese Forschung nicht zu einem sicheren Jesus-Bild führt, sondern „daß es hinter dem biblischen Bild kein anderes gibt, das man wissenschaftlich wahrscheinlich machen könnte“781.
779 Deshalb fordert Tillich: „Es gibt nur ein sinnvolles methodisches Vorgehen, nämlich auf den Gegenstand selbst zu blicken und nicht auf das eigene Hinblicken auf den Gegenstand.“ (ST II, 115) 780 Madeleine Laliberté hat ihre Doktoratsdissertation der Frage des historischen Jesus bei Paul Tillich gewidmet: „ Jésus le Christ entre l’histoire et la foi : la vision de Paul Tillich “, Montréal 1997. Sie unterscheidet 3 Phasen der intensiven Forschung über den historischen Jesus und ordnet Tillich dabei als zur ersten Phase gehörend ein. Diese erste Phase dauerte von 1778 bis 1906, so wie es Albert Schweitzer selbst in „Von Reimarus zu Wrede“ definierte. Zwischen 1907 und 1953 kehrte Ruhe in der Frage ein, die aber gebrochen wurde durch die berühmte Konferenz von Ernst Käsemann über „das Problem des historischen Jesus“ in Marburg. Diese Phase – so Laliberté – dauerte bis Anfang der 70’er Jahre. Die dritte Phase habe Anfang der 80’er Jahre begonnen und beschreibe das Umfeld für ihre Untersuchung über Tillich, denn „la réponse tillichienne présente un immense intérêt encore aujourd’hui“ (Laliberté, 18). Tillich hänge nämlich von der ersten Phase ab, welche die radikalste gewesen sei. Dabei stellte diese Thematik bei Tillich während seines ganzen Lebens eine christologische Konstante dar. Tillich hat sich in mehreren Schriften zwischen 1911 und 1965 zu der sehr brisanten Frage geäußert. Diese Kontinuität bei Tillich wird anhand von acht einschlägigen Dokumenten aufgewiesen. Diese sind: die 128 Thesen über „Die christliche Gewißheit und der historische Jesus“ aus dem Jahre 1911; die Marburger Dogmatikvorlesung von 1925; der kurze Text „The significance of the historical Jesus for the christian faith“ in „Monday Forum Talks“ No.5 von 1938; der zweite Band der „Systematischen Theologie“ von 1957; „Dynamics of Faith“ auch von 1957; die Dürener Konferenz „Der historische Jesus und der Christus des Glaubens“ von 1961; die 8 Dialoge von Tillich mit seinen Studenten an der Universität von Kalifornien in Santa Barbara im Jahre 1963; und die posthum – 1966 – veröffentliche „Erwiderung“ auf den Artikel von D.Moody Smith: „The Historical Jesus in Paul Tillich’s Christology“, in: The Journal of Religion, vol. 46, n.1, part 2 ( January 1966) 131 – 147. Die Antwort von Tillich: Rejoinder, in: The Journal of Religion, vol. 46, n.1, part 2 ( January 1966) 191 – 194. (Beide Texte lagen nicht im Original vor, sondern werden hier ausgehend von den Kommentaren von Clayton und Laliberté behandelt; in: Clayton: Is Jesus necessary for christology?, 150, und Laliberté, 221 – 232) 781 ST II, 112. Tillich hatte bei diesem Thema durchgehend eine sehr radikale Position: „A un certain moment, au début de sa carrière, Tillich a même pensé qu’il se pourrait que la science historique aboutisse à montrer l’improbabilité de l’existence de Jésus.“ (Gounelle: Christologie de Paul Tillich, 209)
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Tillich verwirft jedoch keineswegs vollends die Potentialitäten und Ergebnisse der Leben-Jesu-Forschung. Er sieht die berechtigte Absicht der historisch-kritischen Methode der Exegese darin, das Wahrscheinliche vom weniger Wahrscheinlichen zu scheiden.782 Der Versuch, aus der Leben-Jesu-Forschung ein historisch gesichertes Jesus-Bild abzuleiten, muß jedoch immer wieder scheitern, denn auch durch die Anwendung der historisch-kritischen Methode verliert der neutestamentliche Text nicht seinen eigentlichen Zeugnischarakter. Die faktische und die aufnehmende Seite sind nicht zu trennen. Die mythische Aussage mit ihrem Bekenntnischarakter ist „gerade der Glaubensaussage als Form adäquat“783. Denn für das Große, das den ersten Jüngern an Glauben widerfuhr, gab es keine angemesseren „Gefäße“ als die mit soteriologischer Vollmacht geformten Symbole.784 Tillich möchte damit das Faktische an Jesus dem Christus keineswegs entwürdigen, aber er will das Faktische nicht durch eine chemisch reine Wissenschaft, sondern in dem Kleid des Mythos als adäquater Form des Glaubenszeugnisses sichern. Dieser Glaube widersteht in seiner Unmittelbarkeit und seinem Angegangen-Sein vom Unbedingten jeder historischen Kritik. Unter keiner Form kann letztere „die unmittelbare Gewißheit in Frage stellen, die diejenigen haben, die sich selbst in den Stand des Glaubens versetzt wissen“785. Die Einzelzüge des Bildes der Evangelien verbürgen die Anschaulichkeit und Konkretheit des Neuen Seins und dürfen deshalb nicht als Details gegenüber einem allgemeinen und abstrakten „Neuen Sein“ ausgeschlossen werden.786 Das widerspricht aber nicht der Einsicht, daß die Einzelzüge vor allem Manifestationen des tieferliegenden Neuen Seins Jesu des Christus sind. Und es verhindert auch nicht, daß das Bild 782 Auf diese Leistung kann der Protestantismus stolz sein, denn er versank nicht – wie nach Tillich der römische Katholizismus – in einer geistig engen Welt, die sich vor dem modernen historischen Bewußtsein abschottet. (vgl. ST II, 118) 783 Dee, 95. 784 Die Einsicht, daß die Evangelien nicht an einer Biographie Jesu interessiert waren, hat in der Theologie zu ganz neuen Ideen geführt. Tillich erklärt jedoch den Versuch für gescheitert, Jesus Christus allein von dem Aspekt seiner Worte her zu verstehen, wie er von Rudolf Bultmann unternommen wurde. Es fehlt nämlich die Klärung jenes Fundamentes, das diesen Worten ihre – je nach Interpretation – jeweilige Plausibilität gibt. Das kann letztlich nur eine neue Wirklichkeit, ein Neues Sein in Jesus dem Christus sein (vgl. ST II, 117). Tillich will keine „Entmythologisierung“, sondern „Entliterarisierung“ (vgl. Dee, 95). 785 ST II, 125. 786 Vgl. ST II, 125.
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der Evangelien in seinen Grundaussagen auf zwei Hauptsymbole, Kreuz und Auferstehung, konzentriert werden kann, die ihrerseits von vielen anderen Symbolen unterstützt werden. Es wird deutlich: Tillich verschreibt sich keiner der beiden Extremlösungen, die ihm vor Augen stehen – entschiedene Entmythologisierung oder radikale Leben-Jesu-Forschung. Vielmehr sucht er einen gangbaren Mittelweg, der die Frage nach dem Wesentlichen derart stellt, daß das Konkrete der Details seine Bedeutung und Wichtigkeit behält. Es ist notwendig zuzugeben, daß Tillichs Ausführungen nicht immer ganz klar sind787, obwohl sie – unabhängig von einigen zu scharf abgrenzenden Formulierungen – doch ein stimmiges Bild ergeben können: das „was“ des Jesus von Nazareth ist für den Glauben nicht entscheidend, muß aber als Faktum eines dem Neuen Sein zugehörigen individuellen persönlichen Lebens vorausgesetzt werden. Ontologie und Historie sollen – so scheint es – nicht auseinanderfallen. Tillich versucht damit, ein Doppeltes zu sichern: einerseits geht es ihm ganz wesentlich darum, daß die Christologie und ihr Realbild von der historischen Forschung unabhängig bleiben; andererseits kann er so die abstrakte Form und Kraft des Neuen Seins mit Konkretion füllen.788 Dies hat aber – wie weiter unten zu sehen sein wird – ein großer Teil der Kritiker anders gesehen als Tillich.
4. Paradox und Dogma 4.1. Das Dogma: die Vermittlung von Gott und Mensch im „Neuen Sein“ Die Neues-Sein-Christologie von Paul Tillich dreht sich letztlich um das Bekenntnis, „daß in Jesus als dem Christus die ewige Einheit von Gott und Mensch historische Wirklichkeit geworden ist“789. In soteriologischen Begriffen heißt dies: „Die heilende Kraft des Neuen Seins überwindet den Zwiespalt zwischen Gott und Mensch, dem Menschen und seiner Welt und dem Menschen und sich selbst.“790
787 Clayton sieht sogar eine Antinomie am Werk. (vgl. Clayton: Is Jesus necessary for christology?, 148) 788 Vgl. Ratschow: Jesus Christus, 119.133. 789 ST II, 160. 790 ST II, 181.
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4.1.1. Tillichs Bewertung der frühkirchlichen Christologie Tillich sieht sehr deutlich, daß sein persönliches christologisches Bekenntnis von den traditionellen Begrifflichkeiten abweicht. Er gibt zwar zu, daß das Zwei-Naturen-Schema von Chalcedon den christlichen Glauben verteidigt und geschützt hat, aber kritisiert daran die für unsere Zeit unzulänglichen Begriffe, vor allem den Begriff „Natur“791. Der Begriff „Natur“ kann weder auf den Menschen noch auf Gott eindeutig angewandt werden. Sie erscheinen wie zwei Blöcke, die man zwar definieren kann, „deren Einheit [ jedoch] in keiner Weise verstanden werden kann“792, da sie erst in einer „Alchemie“793 künstlich zusammengefügt werden müssen. Die Konzilien hinterließen jedoch in der Theologiegeschichte eine irreversible Orientierung: „Das Ereignis Jesus als der Christus wurde so gedeutet, daß sowohl sein Christus-Charakter als auch sein Jesus-Charakter erhalten blieb. Und dies geschah trotz der ganz unangemessenen begrifflichen Mittel.“794 Nur jene Christologie ist die eigentlich hohe Christologie – und wird von Tillich „niedrige Christologie“795genannt –, welche Christus in jener Größe denkt, die ihm in seinem soteriologischen Sein – dem Neuen Sein – gebührt. Die Bezeichnung „niedrige Christologie“ entspricht dem protestantischen Prinzip796 und formuliert das christologische Paradox, welches weder supranaturalisiert noch humanisiert.797 Vielmehr geht es um jenen Christus, der sich zu den Menschen 791 792 793 794
Vgl. ST II, 154.159 f. ST II, 160. EW IV, 34. ST II, 157. Chalcedon gebrauchte „eine Anhäufung machtvoller Paradoxe“, doch eine „konstruktive Interpretation“ (ST II, 153) gelang dem Konzil nicht. Die Konzilien wehrten sich durch die beiden großen Entscheidungen von Nizäa und Chalcedon erfolgreich einerseits gegen eine arianische Verkürzung des Christus-Charakters – Jesus der Christus wäre nur ein Halbgott zwischen Gott und Mensch – und andererseits gegen ein monophysitisches VerschlungenWerden des Jesus-Charakters – Christus wäre ein wandelnder Gott auf Erden und nähme letztlich nicht an der Ganzheit der menschlichen Entfremdung teil. (vgl. ST II, 154 – 157) 795 ST II, 159. 796 Vgl. Sesboüé: Christologie et sotériologie chez Paul Tillich, 225. 797 Vgl. Wolff, 136. Schnübbe sieht, daß in der Bewertung der frühkirchlichen Dogmatik durch Tillich „das Rechtfertigungsgprinzip leitender Gesichtspunkt ist“ (Schnübbe, 230). Deshalb drückt er die Wahrung der beiden Charaktere folgendermaßen aus: in Bezug auf den Christus-Charakter, der das Unbedingte repräsentiert, geht es „um die Wahrung des Gottesbegriffs der paradoxen Im-
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erniedrigt, um unter den Bedingungen der entfremdeten Existenz die Erlösung zu stiften und den Menschen zu erhöhen. Die Aufgabe der protestantischen Theologie besteht nach Tillichs Dafürhalten deshalb darin, die Substanz der christologischen Dogmen der Frühkirche zu übernehmen, doch neue Formen des Ausdrucks zu finden798, die fähig sind, dem heutigen Menschen die Macht des Neuen Seins zu vermitteln. 4.1.2. Das Essenz-Existenz-Schema als Neuinterpretation der zwei Naturen Wie löst Tillich das Problem, einerseits unbedingt die beiden „Seiten“ Jesu des Christus treu zu bewahren, andererseits aber begrifflich jene Formen zu finden, die für seine Zeit der protestantischen Theologie einen verständlichen und gültigen Ausdruck gewährleisten? Tillich denkt Person und Erlösungswerk Christi als eins. Klassischerweise wird zwischen Christologie und Soteriologie unterschieden. Die Person Christi kann sozusagen „unabhängig“ von ihrem Erlösungswerk behandelt und spekulativ auseinanderdividiert werden. Die traditionelle Christologie ist deshalb nach Tillich zu sehr „personengebunden“ und vernachläßigt die Erlösungsbedeutung des Werkes Christi. Tillich möchte dieses Schema aufgeben und durch „die Lehre vom Neuen Sein in Jesus als dem Christus in seiner universalen Bedeutung“799 ersetzen. Als Person ist Jesus der Christus sein Werk, und als Erlösungswerk ist er Person. Person und Werk Christi stimmen in seinem Neuen Sein ontologisch überein.800 manenz des Jenseitigen“. In Bezug auf den Jesus-Charakter, der die Konkretheit des Heils garantiert, heißt es: „An der wahren Menschheit Jesu hängt aber die Erlösung.“ (Schnübbe, 231) 798 Vgl. ST II, 157. 799 ST II, 178. 800 „Die Behauptung, daß Jesus als der Christus die persönliche Einheit einer göttlichen und menschlichen Natur ist, muß durch die Aussage ersetzt werden, daß in Jesus als dem Christus die ewige Einheit von Gott und Mensch historische Wirklichkeit geworden ist. In seinem Sein ist das Neue Sein wirklich, und das Neue Sein ist die wiederhergestellte Einheit zwischen Gott und Mensch.“ (ST II, 160) K.L.D. Nörenberg hat diese Formulierung kritisiert mit dem Argument, aufgrund des Verständnisses von Jesus dem Christus als Symbol würde die Menschheit Jesu zur faktischen Voraussetzung für die Verwirklichung des Christus-Symbols und damit zur Uneigentlichkeit verkümmern. (vgl. Nörenberg, 196)
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Darüber hinaus betont Tillich gegenüber dem Natur-Begriff das ontologische „Essenz-Existenz-Schema“, in dem die Gott-MenschEinheit von Grund auf ausgesagt und dank dessen auch die Heilsgeschichte dynamisch dargelegt werden kann: zum einen ermöglicht es, den Menschen als den in seiner Existenz von seiner Essenz Entfremdeten zu bezeichnen und zugleich Gott zu beschreiben als denjenigen „jenseits von Essenz und Existenz“, der aber ewig schöpferisch ist, derart, „daß er durch sich selbst die Welt schafft und mit der Welt sich selbst“801. Gott und Welt, Gott und Mensch sind demnach ontologisch aufeinander bezogen. Und zum anderen kann Jesus der Christus beschrieben werden als die ewige Einheit von Gott und Mensch, die unter den Bedingungen der existentiellen Entfremdung historische Wirklichkeit geworden ist. „So zeigt sich, daß Tillichs Christologie genau seinem Gottesgedanken von der paradoxen Gegenwart des Ewigen im Endlichen entspricht“802, kommentiert dazu Schnübbe. Das Essenz-Existenz-Schema bewahrt nach Tillich die Zusammengehörigkeit von Gott und Mensch besser als das Zwei-Naturen-Schema. Hierin liegt zu einem großen Teil die Originalität der Tillichschen Christologie. Er übersetzt „göttliche Natur“ mit „ewige Gott-MenschEinheit“803 und erweitert die Definition Gottes um den Menschen bzw. um die Relation zum Menschen. „Statt der „zwei Naturen“, die wie zwei Blöcke nebeneinander liegen und deren Einheit in keiner Weise verstanden werden kann, eröffnen uns Relationsbegriffe ein wirkliches Verständnis für das dynamische Bild Jesu als des Christus.“804 Das EssenzExistenz-Schema vermag viel mehr als das Zwei-Naturen-Schema, die geschichtliche Verwirklichung zu denken. 4.2. Das Tillichsche Paradox 4.2.1. Das christologische Paradox Die Verhältnisbestimmung zwischen beiden Polen „Jesus“ und „Christus“ nennt Tillich „paradoxal“. Das läßt sich daran ablesen, daß Tillich nicht von „Jesus Christus“ spricht, sondern von „“Jesus, der der Christus genannt wird“ oder „Jesus, der der Christus ist“ oder „Jesus als der 801 802 803 804
ST II, 160. Schnübbe, 232. ST II, 160. ST II, 160. Tillich würdigt dementsprechend den Gedanken der Partizipation bei Thomas mehr als den der Stellvertretung bei Anselm.
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Christus“ oder „Jesus der Christus“„805. Die Theologie ist nicht interessiert an einer beliebigen historischen Person, sondern an jener Person, von der behauptet wird, daß sie der Christus sei. Tillich stellt deshalb seinem ganzen christologischen Teil die Erklärung des Begriffs „Paradox“806 voran. Damit ist die Grundorientierung seiner Denkform angedeutet: wenn die Erscheinung des Neuen Seins unter den Bedingungen der Existenz „das einzige Paradox und Quelle aller paradoxen Aussagen des Christentums“807 ist, dann geht es um ein „Ärgernis“, das sich als Gericht und Verheißung gegen das tagtägliche Verständnis des Menschen808 „von sich selbst, seiner Welt und dem, was beidem zugrundeliegt“809 richtet. Es richtet über die menschlichen Versuche der Selbst-Erlösung810 und verheißt die wahrhafte Überwindung der Selbstentfremdung. Es ist offensichtlich, daß Tillichs Definition und Gebrauch des Paradox-Begriffes auf die Bedeutung des Rechtfertigungsprinzips zurückzuführen ist. „Das sola gratia sola fide ist für den natürlichen Menschen ein Ärgernis. Dieser Ärgernischarakter kommt im Kreuz zur Kulminati805 ST II, 108. Sesboüé sieht hier interessanterweise eine Parallele zu Walter Kasper, der sein christologisches Hauptwerk „Jesus der Christus“ genannt hat (vgl. Sesboüé: Christologie et sotériologie chez Paul Tillich, 225). Ratschow führt an, daß die theologische Rede von Jesus dem Christus konsequent von Adolf Schlatter in seiner Dogmatik von 1923 eingeführt wird. Tillich müßte dieses Werk gekannt haben. In der „Systematischen Theologie“ nennt er Schlatter im Zusammenhang mit dem Realbild, das uns erlaubt, niemand besser zu kennen als Jesus (vgl. ST II, 127). Ratschow sieht das Verhältnis zwischen beiden so: Tillich „liefert zu der historischen These Schlatters die religionsphilosophische Begründung „nach““. (Ratschow: Jesus Christus, 114 f., Anmerkung 12) 806 Vgl. ST II, 100: „Der Begriff des Paradoxes in der christlichen Theologie“. 807 ST II, 102. 808 Gounelle zum Paradox-Begriff: „Une réalité nouvelle, par définition, est paradoxale. … Elle est expérimentée dans une situation révélatrice, une sorte d’extase. … Elle est éclairante, elle ouvre de nouveaux horizons à la pensée, elle donne un sens à explorer.“ (Gounelle: Christologie de Paul Tillich, 208) Von dieser Anwendung des Begriffes „Paradox“ her stellt Fischer die besonders enge Abhängigkeit von Tillich zu Kierkegaard fest (vgl. Fischer: Christologie, 214 – 217). Dee hat den Begriff des Paradoxes gesehen als Gratwanderung zwischen einerseits der arianischen Tendenz in der liberalen Theologie, in der Tillich die Eliminierung des Christus-Charakters befürchtet, und andererseits einer monophysitischen Tendenz in der Volksfrömmigkeit, die dazu neigt, Christus nicht als wahrhaften Menschen ernstzunehmen. (vgl. Dee, 93 f.) 809 ST II, 102. 810 Vgl. ST II, 89 – 96.
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on“811, schreibt Schnübbe. Damit spricht sich Tillich aber auch selbst das Urteil über alle offenen und versteckten idealistisch-essentialistischen Strömungen in seiner Theologie. 4.2.2. Tillichs Neuinterpretation der Inkarnation Für Tillichs ganzes Denken ist es entscheidend, daß er das christliche Paradox nicht einfachhin mit der Aussage füllt, Gott und Mensch seien eins, womit er in die von ihm monierte Statik des Natur-Begriffs zurückfallen würde. In diesem Zusammenhang steht die vielleicht kontroverseste Formulierung in Tillichs Christologie: „Die Behauptung, daß „Gott Mensch geworden ist“, ist nicht paradox, sondern sinnlos.“812 Wie aber ist das zu verstehen? Die Inkarnationslehre bildet in Tillichs Dogmatik den Knotenpunkt aller Überlegungen. Hier stoßen die Lehren von Gott und dem Menschen aufeinander, „und es muß sich zeigen, ob sie so gestaltet sind, daß sie der Wirklichkeit des „Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit sich selber“ (2. Kor 5,19), der Grundwirklichkeit des christlichen Glaubens, angemessene Gestalt zu geben gestatten„813. Tillichs Gebrauch von dynamischen Begriffen in der Christologie setzt eine ganz bestimmte Lektüre des biblischen Zeugnisses über die Menschwerdung Gottes voraus. Wenn es nämlich nicht mehr angebracht ist, diese als die statische Vermittlung von göttlicher und menschlicher Natur zu verstehen, dann müssen dem Verständnis einer InkarnationsChristologie „adoptianistische Elemente“ hinzugefügt werden, die erklären helfen, wie dieser konkrete Mensch Jesus von Nazareth durch „göttliche Bestimmung“814 das Gottsein Gottes als Neues Sein manifestieren kann. Tillich möchte den Begriff „Inkarnation“ umschreiben mit der Aussage aus Joh 1,14, daß der Logos Fleisch wurde. Während „Fleisch“ für eine konkrete geschichtliche Existenz steht, bezeichnet Logos „das Prinzip der göttlichen Selbstmanifestation in Gott und im Universum, in der Natur und in der Geschichte“815. Tillich hat mit seiner Logos-spermatikos-Spekulation die Basis für die Auffassung gelegt, daß die Offen811 Schnübbe, 230. 812 ST II, 104. 813 Kasch, W. F.: Die Lehre von der Inkarnation in der Theologie Paul Tillichs, in: ZThK 58, 1961, 86 – 103, hier: 87. 814 Vgl. ST II, 142. 815 ST II, 105.
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barung sich nicht auf die Heilige Schrift beschränkt.816 Christus ist „größer“ als Jesus. Zugleich aber ist Jesus der Christus einzigartig und wird als einziger als der „totale“ Christus bekannt. Führt der Ersatz der Zweinaturenlehre durch dynamische Relationsbegriffe nicht zu einer Abschaffung der Idee der Inkarnation und zu einem Rückschritt zu einer Christologie der Adoption? Tillich versucht, beide Ideen miteinander zu vermitteln und zu ergänzen. Schon im Neuen Testament stehen sich seiner Meinung nach die Adoptions- und die Inkarnations-Christologie817 gegenüber. Die erste führte jedoch zu der Frage „Warum gerade dieser Jesus?“ und mußte gestützt werden durch die ewige Einheit mit Gott, die von letzterer betont wurde. Umgekehrt riskierte die Inkarnations-Christologie ein Mißverständnis im Sinne einer Metamorphosen-Mythologie, die den dynamischen Charakter der Teilnahme des Christus am menschlichen Dasein verliert.818 Das Element des Adoptionismus half, das Element der endlichen Freiheit Jesu zu wahren, da er nicht von einer fremden „Natur“ über-fremdet wird.819 An zwei Stellen außerhalb der „Systematischen Theologie“ hat Tillich seine Deutung der Inkarnation auf prägnante Weise direkt zum Thema gemacht. In seinem 1949 verfaßten Aufsatz „A Reinterpretation of the Doctrine of the Incarnation“820 bewegt sich Tillich von dieser Idee her in denselben Gedankengängen wie später in der „Systematischen Theologie“, auch wenn er die Adoptionschristologie noch nicht erwähnt. Tillich deutet das biblische Zeugnis – vor allem 1 Kor 15,45 – 49 – in der bekannten Weise: die biblische Lehre der Inkarnation bedeute nicht, daß Gott selbst Mensch geworden, sondern daß der göttliche Logos in der Gestalt eines fleischlichen Menschen erschienen sei. Das Paradox ist die Manifestation eines göttlichen Wesens in einer Gestalt, die im äußersten 816 Vgl. GW V, 178. 817 Die Adoptionschristologie besagt für Tillich, „daß sich Gott durch seinen Geist den Menschen Jesus von Nazareth zum Messias erwählt hat“. (ST II, 161) Dagegen ist die Inkarnationschristologie bestimmt durch das Symbol der Präexistenz Christi, welche „auf die ewige Wurzel jener Einheit (sc. zwischen Gott und Mensch) hindeutet“ und sich in der Heiligen Schrift Ausdruck verschafft in dem „Satz vom logos, der sarx, nämlich geschichtliche Realität wurde“. (ST II, 161; Hervorhebungen von Tillich) 818 „Die Behauptung, daß „Gott Mensch geworden ist“, ist nicht paradox, sondern sinnlos.“ (ST II, 104) 819 Vgl. ST II, 161 f. 820 In deutscher Übersetzung: „Die Lehre von der Inkarnation in neuer Deutung“, in: GW VIII, 205 – 219.
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Gegensatz zu seiner göttlichen Form steht. Der Sinn der Lehre der Inkarnation sei von daher der Ausdruck der ursprünglichen Gott-MenschEinheit821, wodurch ein adäquates Verständnis der Inkarnationslehre immer das ontologische Essenz-Existenz-Schema voraussetze.822 Das Neue Sein ist ein teleologisches oder eschatologisches Sein, da in der Inkarnation das Sein sich prinzipiell erfüllt und auf das Endziel ausgerichtet ist. Das bedeutet, daß die Pneumatologie und die Geschichtstheologie qualitativ nicht mehr über das Neue Sein hinausgehen können. In seinen 1953 am Union Theological Seminary in New York gehaltenen Vorlesungen über „A History of Christian Thought“ hat Tillich den Inkarnationsgedanken mit der Adoptionschristologie verbunden.823 Er unterscheidet in der christologischen Lehrentwicklung – wie es seiner schematisch-dialektischen Zusammenführung von zwei entgegengesetzten Positionen zumeist entspricht – zwischen einer Transformationsund einer Assumptions- oder Adoptionschristologie, tendiert jedoch mit einer leicht gnostisch-doketischen Tendenz eindeutig zu der zweiten, ohne jedoch die erste zu verwerfen. Da Tillich die Adoptionschristologie dadurch kennzeichnet, daß der Heilige Geist in dem Fleisch wohnte, das der Sohn sich wählte, ist es verständlich, daß er am Rande des Manuskripts dazu vermerkte: „Geistchristologie“824. Das liegt ganz in der Dynamik der „Systematischen Theologie“, in der Christologie und Pneumatologie letztlich nicht getrennt werden können. Natürlich kann eine solche Neuinterpretation der Inkarnationslehre in der Kritik nicht stillschweigend übergangen werden. Es gibt positive und negative Stimmen. Dies gilt es nun kritisch zu würdigen.
821 Im Englischen steht immer: „Godmanhood“; vgl. GW VIII, 208 f. 822 Vgl. GW VIII, 211 – 215. „Inkarnation ist das Offenbarwerden der ursprünglichen und essentiellen Gott-Mensch-Einheit unter den Bedingungen der Existenz. Wenn ich das ausspreche, möchte ich nochmals betonen, daß sich diese Aussage im Rahmen des biblischen Denkens bewegt, während die Behauptung, daß Gott Mensch geworden ist oder Fleisch und Blut angenommen hat, auf keinen Fall biblisch ist.“ (GW VIII, 211) Im Englischen steht übrigens nur: „became flesh“. (vgl. MW VI, 310) 823 Veröffentlicht als EW I. Vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen bei Wenz: Subjekt und Sein, 301 f. 824 Vgl. Wenz: Subjekt und Sein, 302.
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5. Kritische Würdigung der soteriologischen Vermittlung Wie herausgearbeitet wurde, sticht in Tillichs Christologie vor allem seine Umdeutung der Inkarnation hervor. Bereits im Zusammenhang mit der Leben-Jesu-Forschung wurde kritisch bemerkt, daß Tillichs Ansatz der Gefahr einer Vernachlässigung des historischen Jesus bzw. seines wahren Menschseins ausgeliefert ist. Dies schlägt sich in der neuen Deutung der Inkarnation in Richtung einer Manifestationschristologie nieder. Diese Kritik gilt es nun systematisch zu entfalten, zumal die systemimmanente Korrespondenz von Zentrum und Peripherie erahnen läßt, daß es sich um eine grundlegende Option handelt. Es geht letztlich um die schon in der Besprechung der Korrelationsmethode angedeutete Frage nach der konkreten Geschichte und nach ihrer Bedeutung in einer ontologischen Denkform. Das Thema fließt auch in die soteriologischen Überlegungen ein.825 Um die Grenzen klar abzustecken: „Es ging Tillich ganz wesentlich darum, zu zeigen, daß die Christologie von der historischen Forschung unabhängig ist.“826 Er setzt sich der damals drängenden Frage aus: „Bringt nicht die historische Forschung eine gefährliche Unsicherheit in das Denken und Leben der Kirche und jedes einzelnen Christen?“827 Und die Antwort lautet für ihn, daß „der Glaube nur sein eigenes Fundament verbürgen kann, nämlich das Erscheinen jener Wirklichkeit, die den Glauben erzeugt hat“, des Neuen Seins, nicht aber die einzelnen Züge des entsprechenden biblischen Bildes. Damit spiegelt diese Fragestellung den für Tillich typischen Ausdruck „Jesus der Christus“ wider. Angesichts der 825 Die Beurteilung von Tillichs Christologie von der Frage des historischen Jesus aus anzugehen, wird unterstützt durch die These von Madeleine Laliberté, dieses Problem habe Tillich bereits in den Schuljahren beschäftigt, da ihn die Tatsache schockierte, daß die Realität eines großen Teiles der biblischen Geschichte in Frage gestellt wurde. „Pour surmonter ce choc de la foi, Tillich s’appliquera, tout au long de sa vie, à préciser l’objet spécifique de la foi chrétienne: l’image biblique de Jésus comme Christ.“ (Laliberté, 12) Laliberté meint von daher, daß hier der Anfang der Tillichschen Christologie zu suchen ist, von wo aus der Vorstoß zum Wesentlichen am besten gelingen kann: „Ainsi, le problème du Jésus de Nazareth est le point de départ de la christologie tillichienne; il conduit à l’esssence même du Christ, à l’objet de la foi. Il est révélateur de constater que le thème du Jésus historique se retrouve avec une remarquable continuité tout au long du corps tillichien.“ (Laliberté, 12) 826 Ratschow: Jesus Christus, 133. 827 ST II, 124.
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Aporien der Leben-Jesu-Forschung will Tillich neue Fundamente legen und eine neue Gewißheit vermitteln.828 Ist der konkrete Jesus also notwendig für den Glauben oder nicht? Tillichs Aussagen sind ambivalent. Nach Clayton enthalten sie sogar eine Antinomie. Einerseits bestehe Tillich entschieden darauf, daß der Grund des christlichen Glaubens – Jesus als der Christus – zugleich ein historisches Faktum und die gläubige Rezeption von Jesus als dem Christus ist. Jesus ist also notwendig für die Christologie. Andererseits jedoch gelte Tillichs Behauptung, daß keine historische Forschung dem Glauben seinen Grund entziehen kann. „Indeed, such dependence is regarded as a form of heteronomy and, therefore, contrary to the protestant doctrine of justification sola gratia. „829 Ob man das Problem so radikal antinomistisch sehen muß wie Clayton, sei dahingestellt. Es wäre auch möglich, ganz einfach die JesusForschung differenziert zu betrachten: sie ist fähig, sich mit einer großen 828 Hier ist der richtige Ort, um zu verdeutlichen, daß es Tillich vor allem um die „seelsorgerliche“ Komponente geht. Ratschow betont, daß der im Mai 1961 von Tillich in Düren gehaltene Vortrag „Der historische Jesus und der Christus des Glaubens“ (das Tonband des Vortrags befindet sich im Tillich-Archiv in der Marburger Universitätsbibliothek) dieses Einfühlungsvermögen Tillichs offenbare und die angesichts der rezenten Qumran-Funde neu entstandene Unsicherheit aufzufangen vermag (vgl. Ratschow: Jesus Christus, 117, Anmerkung 15). 829 Clayton: Is Jesus necessary for christology?, 150. (Hervorhebung bei Clayton) Clayton kommt zu dem Ergebnis: „Clearly it cannot, at the same time and in the same sense, both be and not be the case that the basic christological confession entails statements about Jesus of Nazareth.“ (Clayton: Is Jesus necessary for christology?, 148) Clayton will Tillich nachweisen, daß er ohne das Unvordenkliche des Christus nicht arbeiten kann. Darüber hinaus kann er in vier Argumentationsschritten auf rein sprachlogischer Basis nachweisen, daß Tillichs Lösung der Glaubensgewißheit scheitert, daß also der Glaube nicht seine eigene Gewißheit verbürgen kann. „Tillich’s proposed solution (…) must (…) be regarded as a failure for four closely related reasons: certainty that something is the case does not entail that it is the case; ‘intuitive’ knowledge of the past is not incorrigible; knowledge of the past is not defective in comparison with other kinds of knowledge; and, although ‘belief in’ cannot be reduced without remainder of ‘belief that’, ‘belief in’ does nonetheless entail ‘belief that’.“ (Clayton: Is Jesus necessary for christology?, 154) In Anlehnung an die auch in dieser Arbeit aufgegriffene Unterscheidung von Form, Gehalt und Inhalt in der expressionistischen Kunst kommt Clayton zu dem Schluß, daß Tillich die beiden Elemente von Form und Gehalt durch eine größere Betonung des Inhalts mehr hätte im Gleichgewicht halten müssen. (vgl. Clayton: Is Jesus necessary for christology?, 163)
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Wahrscheinlichkeit um „Fakten“ zu bemühen, aber sie kann keinen Glauben begründen. Doch Tillichs Ansatz eröffnet eine neue Ungewißheit. Wenz urteilt, daß aufgrund des „desolate(n) Zustand(s) jener Subjektivität, welche die Christologie von ihrer Gläubigkeit her rückschließend entwirft“, eine solche jesus-lose Christologie einer großen Gefahr ausgesetzt ist: „Der Schatten der Projektionsthese Feuerbachs liegt über seiner Christologie“830. Das religiöse Selbstbewußtsein fragt – wie bei Schleiermacher – nach seiner eigenen Grundlage und verliert durch diesen Ansatz bei sich selbst den Anspruch auf Allgemeinheit. Wenz urteilt mit Pannenbergs Worten scharf über die Tillichsche Grundoption: „Das soteriologische Interesse kann nicht Prinzip christologischer Lehre sein.“831 Denn sonst wird die Christologie von dem jeweiligen soteriologischen Grundgefühl bevormundet.832 Ähnlich urteilt z. B. Fischer. Er bestreitet, daß der Rückgriff auf die „analogia imaginis“ die damit beabsichtigte und gewünschte Sicherheit bringt. Dieses Bild könne immer noch als Phantasiegebilde entlarvt werden.833 Außerdem könnte auch die Realität des Bösen das Entstehen des Realbildes Jesu des Christus affektieren, wie Wilhelm F.Kasch aufweist. Die entsprechende rationale Klarheit ist angesichts der Phänomene von Glaubensschwäche und von Kämpfen um die theologische Lehre nicht absolut gegeben. Kurz: „Der ontologische Rationalismus Tillichs wird nicht nur der Wirklichkeit der Person, er wird auch der Wirklichkeit des Bösen nicht gerecht.“834 Diese ontologische Bevormundung hatte 830 Wenz: Subjekt und Sein, 283. 831 Wenz: Subjekt und Sein, 284. 832 Schnübbe meint jedoch, Tillich würde wohl antworten: „Das Selbstbewußtsein lebt von einem Gegenber, nämlich von dem neutestamentlichen Bilde Jesu.“ (Schnübbe, 229; Hervorhebung von Schnübbe) Die Instanz des „Gegenüber“ sei Tillich also überhaupt nicht fremd. Laliberté schreibt dazu: „Quant à l’affirmation qu’il n’y a plus d’autre événement que l’acte de foi seul, elle est tout simplement erronée. La position de Tillich est bien claire là-dessus : le fondement réel est constitué par la corrlation entre l’événement (objectif) „ Jésus le Christ “ et sa réception dans la foi des disciples.“ (Laliberté, 196 ; Hervorhebungen vom Autor) Die eigentliche Frage ist dann, ob dieses „Gegenüber“, das sich „korrelativ“ zum sich selbst begründenden Glauben verhält, konstitutiv Unvordenkliches sein kann, oder ob es nicht letztlich – wie Tillich seinerseits Schelling vorgeworfen hatte – doch vom sich selbst konstituierenden Geist vereinnahmt wird. 833 Vgl. Fischer: Christologie, 220. 834 Kasch, 100.
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Kasch bereits im Hinblick auf eine letzte Unmenschlichkeit des Neuen Seins und des Ausgeschlossenseins einer personalen Beziehung zu Christus im Erlösungsgeschehen diagnostiziert. „Es bleibt ein ontologisch nicht zu bewältigender Rest.“835 Findet die geschichtliche Konkretheit des Jesus von Nazareth also keinen konstitutiven Ort? Es wäre zu fragen, unter welchen Bedingungen bei Tillich das Realbild Jesu des Christus die Macht des Neuen Seins ausstrahlen kann. Dabei wäre es denkbar, diese Wirksamkeit nur insofern für möglich zu halten, daß die Menschen glauben können, daß dem biblischen Bild tatsächlich eine historische Wirklichkeit zugrundeliegt.836 Das würde die Möglichkeit eröffnen, daß Tillich dem historischen Jesus einen gebührenden Platz einräumt, ohne dadurch sein Grundmuster ändern zu müssen. Die ambivalente Haltung Tillichs gegenüber der Leben-Jesu-Forschung ist kein isolierter Zug seiner Theologie, sondern ergibt sich theologisch konsequent aus seinem neuen Verständnis der Inkarnationslehre und des christologischen Paradoxons bzw. wirkt auf diese zurück. Eine fundamentale Orientierung scheint durch. Worin besteht sie? Tillich will statische durch dynamische Begriffe ersetzen und definiert Christus als ewige Gott-Mensch-Einheit. „Die „ewige Gott-MenschEinheit“ (…) steht an der Stelle, an der früher die Lehre von der persona Christi entwickelt wurde.“837 Deshalb ist der Grundzug des christologischen Entwurfs von Tillich „monistisch“ zu nennen, denn über die Einheit von Gott und Mensch hinaus impliziert dieser Ansatz auch die Einheit von Sein und Werk Christi. Doch es ist ein relationaler Monismus, denn das Neue Sein ist bei Tillich kein Drittes, sondern reine Relation. Die persona Christi als Einheit von Gott und Mensch hat keine „ontologische Realität“, der auch keine historische Konkretheit zukommen kann! Sie ist „der Schnittpunkt zweier Partizipationen als Relationen“. Ratschow kommentiert lapidar: „Es ist nicht einfach, diese Grundkonzeption zu verstehen.“838 835 Kasch, 100. 836 Dieser Gedanke, den auch Fröhlich formuliert, eröffnet sich aus einer näheren Betrachtung des Verhältnisses von Annahme und Faktum. Obwohl er in den Kommentaren nicht weiter auftaucht, zeigt Fröhlichs Erwähnung, daß er nicht abwegig ist. (vgl. Fröhlich, R.: Die Stellung des historischen Jesus in der Theologie P. T.s, in: ZKTh 96 (1974) 385 – 404, hier: 393). 837 Ratschow: Jesus Christus, 133. 838 Ratschow: Jesus Christus, 132.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
Von daher scheint die Ungewißheit über den historischen Jesus definitiv den Charakter „prinzipieller Notwendigkeit“ zu haben, wie Tillich es schon in seiner Thesenreihe „Die christliche Gewißheit und der historische Jesus“839 aus dem Jahre 1911 in These 81 darlegte. Wenz schließt daraus: „Bei Tillich (…) bedeutet Jesu Transparentwerden für das Absolute sein gänzliches Verschwinden als Individuum. Gott begibt sich nicht eigentlich an den Ort unmittelbarer Einzelheit, macht diese vielmehr durch sein Erscheinen zunichte. Deshalb kann nach Tillich von einer streng gefaßten Wesensidentität Gottes mit dem Menschen Jesus konsequenterweise auch nicht die Rede sein.“840 Es ist bei Tillich scheinbar nicht mehr möglich, Jesus als ganz Mensch und ganz Gott zu bezeichnen.841 Damit ist aber „die These einer prinzipiellen Wieder839 Die Thesenreihe und der entsprechende Vortrag (nachgeordnet) auf der Kassler Pfingstkonferenz 1911 sind mit einer Einführung veröffentlicht in: EW VI, 28 – 61. Tillich unternimmt hier als junger Mann in Anlehnung an Martin Kähler und Wilhelm Lütgert den Versuch, die Denkkategorien des Idealismus und die lutherische Rechtfertigungslehre in Beziehung zu setzen. Es geht um „eine lutherisch adaptierte Identitätsphilosophie“ (EW VI, 30). Die These 81 gehört als erste These zum Unterkapitel über „die Identität als Prinzip der Gewißheit“ (EW VI, 41). Zum Ende hin spitzen sich die 128 Thesen immer weiter zu. So lautet These 116: „Der Satz von der notwendigen Ungewißheit über den historischen Jesus ist die letzte Konsequenz der Rechtfertigungslehre, insofern er von dem Gesetz des doppelten Glaubens, des an den historischen Jesus und des an den in Christus angeschauten Gott, befreit.“ (EW VI, 44 f.) Und in These 124 klingt eine siegesgewisse Zufriedenheit bei Tillich durch: „Durch den Satz von der notwendigen Ungewißheit des historischen Jesus ist das alte christologische Problem definitiv unmöglich gemacht.“ (EW, 45) Der Anfang von Tillichs Fragens liegt einerseits bei Jesus Christus als dem von der Kirche verkündeten Messias, andererseits aber in der Frage nach der historischen Gewißheit, welche die von Schelling inspirierte Frage nach dem Absoluten in der Geschichte, nach dem Ewigen im Jetzt und Hier ist. 840 Wenz, G.: Theologie ohne Jesus? Anmerkungen zu Paul Tillich, in: Kerygma und Dogma 26 (1980) 128 – 139, hier: 131. Die Manifestation Gottes in Jesus bedeute auf keinen Fall seine volle Vergegenwärtigung wie im Begriff der Selbstoffenbarung. Damit bedingen sich gegenseitig das Aufgeben der strengen Wesensidentität und der Kontingenz der Offenbarung. Gott ist hier nicht in Fülle offenbar. 841 Wenz hat darauf hingewiesen, daß das Ersetzen des Begriffs der Inkarnation durch jenen der Manifestation zurückzuführen sei auf die Distinktion von Essenz und Existenz. Mit seiner Manifestationschristologie beanspruche Tillich einerseits, die neutestamentlichen Metaphern einzuholen, und andererseits, mit den Schwierigkeiten der altkirchlichen Lehre aufzuräumen. (Wenz: Subjekt und Sein, 295). Aber das Christus-Symbol kann der Kraft der Lehre des „ganz-ganz“ der frühen Konzilien nicht gerecht werden. Wenn nämlich „mit dem Begriff der Wesens-
C. Zweiter Hauptteil: Die theologisch-philosophische Vermittlung
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holbarkeit des Manifestationsgeschehens und damit eine Pluralität von Offenbarungen beinhaltet“842, womit Tillich ja – wenn auch mit Einschränkungen – durchaus einverstanden ist. Damit fällt auch Licht auf die Trinitätslehre, die ohne christologischen Vermittlungszusammenhang entfaltet wird. Bei Tillich ist die Gotteslehre unter den „Gedanken der Selbstexplikation im anderen“ gestellt: Gottes Sein wird an sich thematisiert und die Idee der Menschwerdung im Gedanken der Selbstexplikation im anderen in einen größeren Rahmen hinein sublimiert. Es gibt also ein „einseitiges Begründungsgefälle zwischen Theologie und Christologie“843, und der ökonomische Aspekt der Trinität wird zugunsten des immanenten Aspekts eingezogen. „Damit erstarrt die als Identität des Nicht-Identischen konzipierte Identität Gottes zur bloßen identischen Identität“844, stellt Wenz kritisch fest. Die Konsequenz für die Pneumatologie besteht darin, daß der menschliche Geist durch die Gegenwart des göttlichen Geistes „die Freiheit Gottes ratifizieren (soll), indem er in praktischer Selbsttätigkeit der dogmatischen Vorgabe entspricht“845. Daß hier „kein rechter Raum für die Freiheit“846 besteht, liegt nach Wenz an einer Schieflage der
842 843 844
845 846
erscheinung, der Wesensmanifestation (…) die fundamentale Struktur der Tillichschen Christologie gegeben (ist)“ (Wenz: Subjekt und Sein, 294), dann wird durch dieses Modell zutiefst eine Trennung des sich Manifestierenden von seiner Manifestation eingeführt, in der die Manifestation sekundär und okkasionell bleibt. Wenz: Subjekt und Sein, 296 f. Wenz: Theologie ohne Jesus?, 132. Wenz: Theologie ohne Jesus?, 133. Tillich selbst war sich dabei durchaus der Herausforderung bewußt: „Jede Diskussion über das christliche Trinitätsdogma muß mit der christologischen Aussage, daß Jesus der Christus ist, beginnen. Die christliche Trinitätslehre ist eine Konsequenz des christologischen Dogmas.“ (ST I, 289) Wenig später wird diese konsequente Entfaltung aber schon wieder eingeebnet. Es heißt kurz danach: „Aber die Prinzipien der Trinität werden sichtbar, wo immer man sinnvoll von Gott als dem Lebendigen spricht“ (ST I, 290), also tatsächlich ohne christologische Vermittlung. Insofern hat Wittschier recht, wenn er meint, daß der Satz „Sein verwirklicht sich als Leben und erfüllt sich als Geist“ (ST I, 288) implizit den trinitarischen Zusammenhang zum Ausdruck bringt (vgl. Wittschier: Systematische Theologie, 181), wobei man vergebens nach einem Satz Ausschau hält, der die Beziehung von Vater, Sohn und Geist formuliert. Wenz: Theologie ohne Jesus?, 133. Fröhlich, 395.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
Symboltheorie.847 Symbolische Rede ist immer zugleich selbstmächtig und uneigentlich: das Symbol negiert sich um des Symbolisierten willen.848 Daß das Symbol damit „uneigentlich“ ist, gilt dann auch für den Geist. Das heißt, daß „die Pneumatologie dergestalt in die Gotteslehre zurückgenommen (wird), daß ihr im Grunde kein eigenes Thema bleibt“849 und sie deshalb verdammt ist, „die durch den Ausfall der Christologie als eigenständiger Größe bedingten Aporien zu reproduzieren und zu verdoppeln“850. Man kann wie Wenz zu dem Schluß kommen, daß „für Tillich damit Christologie und Pneumatologie ineins(fallen)“851. Welche Schlußfolgerungen können gezogen werden? Von der Christologie her ist zu sagen, daß der entscheidende Punkt im Problem der Ungeschichtlichkeit des Bedingten besteht. Das würde für die soteriologische Frage bedeuten: der Mensch wird nicht erlöst durch eine Umkehr zu Gott, sondern durch eine Rückkehr in seine Essenz – freilich inmitten der Existenz. Die Errettung geschieht nicht in der Nachfolge Jesu Christi, sondern in der Teilhabe am Neuen Sein. Dieses Neue Sein ist 847 Schmitz sieht eine gegenseitige Bedingung von Symboltheorie und Korrelationsmethode. Da die Korrelationsmethode stets vom Einheitsprinzip ausgeht und Gott und Mensch von einer ursprünglichen unmittelbaren Einheit her verstanden werden, ergibt sich aus ihr der Tillichsche Symbolismus, ohne daß noch eine Rechtfertigung notwendig wäre, da das Seiende Korrelat des Seins ist, an ihm partizipiert und auf den Seinsgrund hinweist. Damit kann nach Schmitz die Sonderstellung Christi nicht herausgehoben werden. Außerdem kann eine solche Einebnung dem biblischen Material und der kirchlichen Dogmatik nicht gerecht werden; vielmehr wird das vorliegende Material zu eng in das Frage-AntwortSchema eingespannt (vgl. Schmitz, 250 f.). 848 Wenz verweist auf die „scheinbar abwegige“ Diskussion um die nichtsymbolische Grundlage des Symbolgedankens. Tillich hat ohne (!) Brüche in seinem Denken die Behauptung aufrechterhalten: „Der Satz, daß Gott das Sein-Selbst ist, ist ein nicht-symbolischer Satz.“ (ST I, 277) Diese Behauptung ist sinnidentisch mit jener aus ST II: „Alles, was über Gott gesagt werden kann, ist symbolisch. Diese Behauptung ist eine Aussage über Gott, die selbst nicht symbolisch ist.“ (ST II, 15 f.) Das Problem ist klar: Das Symbolische an Gott ist nicht-symbolisch und umgekehrt. „Der Symbolgedanke, der die entsprechende Realisation der als Identität von Identität und Nicht-Identität konzipierten Gottesidee leisten soll, geht an ihr in der Weise zu Grunde, daß er direkt mit ihr zusammenfällt und so ihre unmittelbare Verfaßtheit bestätigt. Im Gedanken des ,Sein-Selbst‘ ist die Symboldialektik gleichsam stillgelegt.“ (Wenz: Theologie ohne Jesus?, 135) 849 Wenz: Theologie ohne Jesus?, 136. 850 Wenz: Theologie ohne Jesus?, 133. 851 Wenz: Subjekt und Sein, 298. (Hervorhebung vom Autor)
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zwar nur faßbar in einem konkreten biblischen Realbild Jesu des Christus, aber letztlich spielt die geschichtliche Dimension keine Rolle. Das Leben des Menschen wird nicht zu einer sich vertiefenden Beziehung zu Gott. Und zugespitzt könnte man sogar polemisierend fragen: ist der geschichtliche Mensch denn überhaupt erlöst? Oder gilt Erlösung nur für eine ontologische „Oberschicht“ des Menschen? Hat Tillich denn in diese Richtung gearbeitet? Er hat doch in mannigfaltigen Artikeln über Themen wie „Kairos“ oder „Utopie“ immer wieder neben dem Seinscharakter des Seienden auch den Geschehenscharakter betont, ein geschichtliches Denken eingefordert852, wo die Nichtidentität des menschlichen Wesens behauptet und die Schellingsche eschatologische Kategorie der „Essentifikation“ eingeführt wurde. Dem Menschen kommt seine Bestimmung erst von der Zukunft des Reiches Gottes zu. So konnte er zu Beginn seines programmatischen Artikels „Christologie und Geschichtsdeutung“853 aus dem Sammelband „Religiöse Verwirklichung“ von 1930 schreiben: „“Christologie und Geschichte“ ist die Verbindung zweier Begriffe, die abgesehen von dieser Verbindung nicht vollständig behandelt werden können„854, da es ein besonderes Verdienst des Christentums ist, fixierte Zeitmodelle aufgebrochen und die historische Dimension des Sein bewußt gemacht zu haben. Gerade in Christus als Zusammenschluß Gottes und der Menschheit wird die geschichtliche Weltbetrachtung geboren.855 Christologie treiben bedeutet für Tillich in einer alles Konkrete scheuenden Formel: „den konkreten Ort beschreiben, an dem ein Unbedingt-Sinngebendes in die Geschichte eintritt und ihr Sinn und Transparenz gibt“856. In diesem Zusammenhang hält Wenz in Übereinstimmung mit Pannenberg die Kategorie der „Mitte der Geschichte“ für ungeschichtlich.857 Christus als „ein vorausgesetztes konkret-sinngebendes Prinzip“858 erlaube es nicht, seine Gegenwart als Zukunft der 852 Wenz nennt als paradigmatischen Artikel besonders „Die politische Bedeutung der Utopie im Leben der Völker“ in GW VI, 157 – 210. (vgl. Wenz: Subjekt und Sein, 271) Der gesamte Band VI der „Gesammelten Werke“ kann diesen Eindruck stützen. 853 GW VI, 83 – 96. 854 GW VI, 83. 855 Vgl. Wenz: Subjekt und Sein, 273. Wenz beruft sich hier auf den sich im TillichArchiv befindenden Text „Das Problem der Geschichte“. 856 GW VI, 83. 857 Wenz: Subjekt und Sein, 273. 858 GW VI, 92.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
Wirklichkeit zu verstehen; demnach fallen letztlich Proton und Eschaton ineins, und Neues ist prinzipiell nicht vorgesehen. Die Kategorie der „Mitte der Geschichte“ wird in ihr Gegenteil verkehrt. Dieser Ungeschichtlichkeit der Geschichte entspricht die – nach Wenz „supranaturalistische“859 – Trennung von Heilsgeschichte und Geschichte und letztlich von Gottesgeist und Menschengeist.860 Trotz aller Kritik wollen wir abschließend Tillichs Entwurf vor allem darin würdigen, daß er die Christologie in soteriologischer Absicht universal für alle Menschen öffnet. Das macht das Faszinierende seiner Christustheorie aus.
6. Die Einlösung in Versöhnungslehre und Pneumatologie Tillich faßt seine christologischen Überlegungen in soteriologischer Hinsicht in vier Punkten zusammen: 1) Christologie und Soteriologie fallen in „der Lehre vom Neuen Sein in Jesus als dem Christus in seiner universalen Bedeutung“ ineins. Sein Sein ist sein Werk, und sein Werk ist sein Sein.861 2) Die Frage der Erlösung ist grundlegend die Frage nach dem Sein und dem Nicht-Sein. Sie differenziert sich anhand der negativen Zustände, die der Erlösung bedürfen und die in der Geschichte zu ganz verschiedenen engeren Begriffen von Erlösung führten.862 3) Tillich vertritt die „Idee einer universalen Erlçsungsgeschichte“. Jesus der Christus als die Mitte der Geschichte steht in Korrelation zu den in der Geschichte wirkenden erlösenden Mächten. Erlösung steht noch in eschatologischer Spannung und ist fragmentarisch, aber unzweideutig. 4) Die Sprachregelung liegt Tillich am Herzen: der Begriff der „Heilung“ drückt für „unsere Situation“ das Konzept von Erlösung besonders gut aus und eignet sich für die Seelsorge und Unterweisung. Wenn von Christus als „Mittler“ gesprochen wird, ist zu vermeiden, ihn zu einer dritten Realität zwischen Gott und Mensch zu verzerren.863 Die Vermittlung von Christologie und Anthropologie kulminiert bei Tillich in der Lehre der Versöhnung, denn sie „beschreibt die Wirkung 859 860 861 862 863
Erneut „entgegen Tillichs Selbstverständnis“! (Wenz: Subjekt und Sein, 274) Vgl. Wenz: Subjekt und Sein, 274. Vgl. ST II, 178 f. Vgl. ST II, 179. Vgl. ST II, 181 – 183.
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des Neuen Seins in Jesus dem Christus auf alle die, die im Zustand der Entfremdung davon ergriffen sind“864. Aufgrund der Partizipation ist die Versöhnung immer ein Zweifaches: das göttliche Handeln, welches die Entfremdung zwischen Gott und Mensch überwindet, und die menschliche Antwort, in der der Mensch trotz des trennenden Schuldbewußtseins das göttliche Angebot der Versöhnung annimmt.865 Tillich entwickelt sechs Prinzipien866. 1) Gott allein bewirkt die Versöhnung, und Christus ist der Mittler dieses Handelns Gottes an den Menschen. Hier ist deutlich die Offenbarungslinie „von oben nach unten“ zu erkennen, die kein „Gottes Handeln ermöglichendes oder motivierendes „von unten her“„867 beinhaltet. Nur weil Christus ganz von Gott her ist, kann er als Versöhner ganz bei den Menschen sein, ohne der Entfremdung zu verfallen. 2) Liebe und Gerechtigkeit widersprechen sich nicht in Gottes Werk: die Gerechtigkeit ist jene strukturelle Form der Liebe, welche der Entfremdung ihre Ernsthaftigkeit „zugesteht“. 3) Die Tiefe und Realität der Entfremdung wird demnach nicht übersehen und nicht überspielt. Der Mensch kann sie auch durch die gegenseitige Vergebung nicht beseitigen, sondern bleibt immer von Gottes Handeln abhängig.868 4) Die Herzmitte der Tillichschen Versöhnungslehre besteht in dem Begriff der „Teilnahme“ Gottes an der existentiellen Entfremdung des Menschen und ihren selbstzerstörerischen Folgen. „Er kann diese Folgen nicht einfach aufheben, denn sie gehören zu seiner Gerechtigkeit, aber er kann sie auf sich nehmen und ihnen dadurch einen anderen Sinn geben.“869 864 865 866 867 868
ST II, 183. Vgl. ST II, 183. Vgl. ST II, 186 – 189. Vgl. Wolff, 133. Im Einverständnis mit Anselm wird Gott als „Repräsentant“ der Weltordnung gesehen, dessen Vergebung deshalb nicht auf der subjektiven Ebene liegen kann. Außerdem steht dies wohl gegen Abaelard, der das Kreuz nur als Demonstration der Liebe Gottes interpretiert. 869 ST II, 188. „Gott, so hörten wir, hat das Nichtsein in sich in Ewigkeit überwunden. Der Mensch, der aus Gott herausgefallen ist, vermag das Nichtsein nicht zu überwinden. Aber Gott vermag es.“ (Schnübbe, 236) „Dies Element des Nichtseins – von innen gesehen – ist das Leiden, das Gott auf sich nimmt, indem er an der existentiellen Entfremdung oder dem Zustand der nichtüberwundenen Negativität teilnimmt.“ (ST II, 188)
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
5) Das Kreuz ist nicht die Ursache der Versöhnung – weil diese in Gott selbst liegt –, sondern „die wirksame Manifestation davon, daß Gott die Folgen der menschlichen Schuld auf sich nimmt“870. Das Kreuz zeigt, was es bewirkt. Es ist „Offenbarung durch Verwirklichung“871. Die Wirkung besteht darin, daß das schuldige Gewissen befreit wird, indem es sieht, daß Gott selbst die zerstörerischen Folgen der Sünde auf sich nimmt. Die Versöhnung geschieht demnach nicht durch das Kreuz – denn Gott könnte als Objekt der Versöhnung verstanden werden –, sondern im Kreuz. 6) Der Mensch hat nicht „nur“ teil am Neuen Sein, sondern auch am Leiden des Christus. Der erlöste Mensch nimmt teil am Schicksal Christi.872 Von daher gibt es für Tillich kein „stellvertretendes Leiden Christi“, sondern nur eine recht verstandene exklusive Stellvertretung – wir können nicht das Geringste zu unserem Heil beitragen – in Beziehung zu einer recht verstandenen inklusiven Stellvertretung, die im Ja-Sagen zum auferlegten Kreuz und zur Teilnahme an Christi Schicksal besteht.873 Die Partizipation des Menschen an Gott wird ihrerseits wirksam im Heiligen Geist und geschieht als Erlösung in der dreifachen Unterscheidung874 von regeneratio, justificatio und sanctificatio.875 870 Vgl. ST II, 189. 871 ST II, 188. In einem gewissen Sinn nähert sich diese Interpretation sehr stark dem katholischen Sakramenten-Verständnis an. 872 Schnübbe zitiert interessanterweise eine Radioansprache von Tillich an die deutschen Freunde zu Karfreitag 1949, in der er das deutsche Volk auffordert, das Verhängnis des gegenseitigen Ausstoßens zu durchbrechen, indem es das Kreuz auf sich nimmt, das ihm in der internationalen Politik aufgeladen wird. „Aus dem Fluch, der freiwillig getragen wird, wird eine neue Schöpfung.“ (GW XIII, 381 f.) 873 Vgl. Schnübbe, 236 f. Ratschow bemängelt, daß diese sechs Prinzipien der Versöhnung „ein eigentümlich wenig „dynamisches“ Bild derselben“ abgeben. Der Mensch „partizipiert vorgängig als Mensch an dem Neuen Sein“, und diese Partizipation ist eben „kein Geschehen (!), sondern sie drückt Zuständlichkeiten aus, die „wesenhaft“, d. h. seinshaft, von Gott, Welt und Mensch ausgesagt werden“. (Ratschow: Jesus Christus, 129 f.; Klammer bei Ratschow) Auch wenn die Eschatologie mit der Kategorie der „Essentifikation“ den Eindruck erweckt, der Mensch könne durch sein neues Handeln die Wirklichkeit bereichern, stößt diese Hoffnung im Konzept der Partizipation auf Ablehnung. Der „Schwerpunkt liegt fast ausschließlich auf dem, was ist, nicht auf dem, was sein wird und was von unserer Entscheidung abhängt.“ (Fröhlich, 392) 874 Vgl. ST II, 189 – 194; vgl. Ratschow: Jesus Christus, 130. 875 Vom Standpunkt des göttlichen Handelns her sind Wiedergeburt und Rechtfertigung ein und derselbe Akt und gehören engstens zusammen, während sich die Heiligung davon abhebt, weil sie als Prozeß verstanden wird. Warum wird dann die Wiedergeburt vor der Rechtfertigung behandelt? Versteht man sie wie
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Der Begriff „Wiedergeburt“ beschreibt die Erlösung als aktuelle Teilnahme am Neuen Sein. Die Aufnahme in diese neue objektive Wirklichkeit, aufgrund derer die Entfremdung im Prinzip – im doppelten Sinne von „tragende Kraft“ und von „Anfang“876 – überwunden ist, bewirkt subjektiv im Menschen Glaube statt Unglaube, Hingabe statt „hybris“ und Liebe anstelle von Konkupiszenz. Die Rechtfertigung wird umschrieben mit „Erlösung als die Annahme des Neuen Seins“877. Sie ist für Tillich das Herz und das Zentrum der Erlösung, der „articulus stantis et cadentis ecclesiae“. Rechtfertigung ist paradox: obwohl der Mensch sich von Gott abgewandt hat, nimmt Gott ihn trotzdem an. Das ist die objektive Seite, auf der der Mensch keinen Beitrag zur Versöhnung leisten kann: der Mensch ist „simul peccator simul iustus“ oder „sowohl entfremdet wie wiedervereint“878. Auf der Tillich als „Teilnahme an der objektiven Macht des Neuen Seins“, dann ist sie der Rechtfertigung viel näher als der Heiligung. (vgl. ST II, 190 f.) Daß Tillich sie dann sogar vor die Rechtfertigung stellt, hat nach Schnübbe zwei Gründe: einerseits gibt es keine Rechtfertigung ohne Glauben, und die Teilnahme am Neuen Sein – die Wiedergeburt – schenkt Überwindung hin zum Glauben; und andererseits wird Tillich bewegt von einem theologiegeschichtlichen Grund: er möchte weg von Melanchton, der den Glauben derart von der Aufnahme des Heiligen Geistes getrennt hatte, daß der Glaube zu einem intellektuellen Werk wurde. (vgl. Schnübbe, 239) Vor allem aber gilt: da die Wiedergeburt für Tillich das religiöse Symbol für die Wiederherstellung des Wesens des Menschen in der Geschichte durch das Neue Sein ist, und weil das Neue Sein Norm und Zentralbegriff seiner Theologie ist, wird die Wiedergeburt im Sinne der Teilhabe an der Macht des Neuen Seins zum stärksten Begriff der Erlösung. (vgl. GW VIII, 224 – 226 = „Das Neue Sein als Zentralbegriff einer christlichen Theologie“) In „Das Neue Sein als Zentralbegriff einer christlichen Theologie“ (in: GW VIII, 220 – 239) hat Tillich die Partizipation des Menschen am Neuen Sein folgendermaßen beschrieben: der Modus ist der des „Ergriffenseins“ (eine Seinsrelation, nicht eine Sollensrelation); der Inhalt ist die Wiedergeburt. Ohne sich dort genau an die Dreiteilung aus der „Systematischen Theologie“ zu halten, differenziert Tillich die Wiedergeburt dreifach: erstens als „accepting acceptance“, zweitens als „metanoia“ als Wiederherstellung der Liebesrelation der Essenz, und drittens als Heilung durch Ergriffensein. (vgl. GW VIII, 233 – 236) 876 Vgl. ST II, 108. 877 ST II, 190. 878 ST III, 273. Otto Schnübbe kommentiert auf interessante Weise, wie Tillich – wie Luther – die Formel „simul iustus et peccator“ in verschiedener und doch in sich stimmiger Weise gebraucht. Zuerst handelt es sich um zwei Total-Urteile, nicht um zwei Teilurteile. Der Unannehmbare wird gerecht. Dann bezeichnet die Formel aber auch ein kämpferisches Prinzip im Glaubenden, das in der Existenz die Zweideutigkeiten überwindet. In dem Sinn ist Christus für den Menschen das Ende des Gesetzes, der Existenz und der Geschichte. Es sind im
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
subjektiven Seite muß der Mensch annehmen, daß es in ihm nichts gibt, was Gott objektiv dazu veranlassen könnte, den Menschen anzunehmen. Der Mensch muß ganz einfach „bejahen, daß er von Gott bejaht ist“879. Das ist möglich, weil Gott im Kreuz „propter Christum“ versöhnt880. Die Rechtfertigung geschieht demnach allein aus Gnade, und auch der Glaube, durch den der Mensch sich als Angenommenen annimmt, ist Gnade. Der Glaube ist „der Kanal, durch den die Gnade dem Menschen vermittelt wird“881. Rechtfertigung geschieht „aus Gnade durch Glauben“. Dieser Glaube besteht aber darin, „von sich und seinem Zustand der Entfremdung und Selbstzerstörung wegzublicken und auf Gott und sein rechtfertigendes Handeln zu schauen“882.
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Glaubenden ein neuer Anfang und eine neue tragende Kraft gesetzt. Schnübbe sieht dies als die Tillichsche Interpretation des Begriffs „effektive Rechtfertigung“. Die Total-Urteile und das kämpferische Prinzip verhalten sich im Menschen also wie die imputative und die effektive Rechtfertigung. Letztere muß immer wieder zum Ort der ersteren zurückkehren. (vgl. Schnübbe, 241 – 243) ST II, 192. Vgl. Schnübbe, 240. Pannenberg hat in diesem Zusammenhang an Tillichs Soteriologie bemängelt, daß die kognitive Seite zu sehr zurückgedrängt werde. Es gäbe letztlich nicht das „extra nos“ des Verheißungswortes, sondern nur den Trost einer „bereits“ gegebenen Präsenz des Heiligen Geistes im Zweifler. Das „extra nos“ ist bei Tillich tatsächlich nicht ein kognitiv erfaßbares Faktum, sondern das Neue Sein, welches sich u. a. auch in Jesu Lehren, Sterben und Auferstehen manifestiert. Tillich kennt deshalb durchaus die Bewegung des Vonsich-Wegschauens auf Christus hin. Der Unterschied zwischen Pannenberg und Tillich besteht in ihrer jeweiligen Offenbarungslehre, nicht in der Soteriologie. (vgl. Pannenberg, W.: Systematic Theology volume III by Paul Tillich, Chicago 1963; in: Dialog. A Journal of Theology, Minneapolis 4/1965, 229 ff.434; zitiert und kommentiert bei: Schnübbe, 240) ST II, 192. ST II, 192. Auch diese Fassung der Rechtfertigung bei Tillich hat in der Kritik unterschiedliche Urteile hervorgebracht. Christoph Rhein und Kenneth Schedler begrüssen die Erweiterung der Rechtfertigungslehre in den erkenntnistheoretischen Bereich hinein aufgrund der Rechtfertigung des Zweiflers. Helmut Dee stimmt mit Tillichs Vorordnung der Wiedergeburt vor die Rechtfertigung überein. (vgl. Dee, 89). Wolff dagegen hat kritisiert, daß diese dreifach zugespitzten Gedanken zur Erlösungslehre „am skizzenhaften Schluß“ stehen und nicht im Zentrum der Christologie. (vgl. Wolff, 134) Prinzipieller wird die Kritik bei Nörenberg: im Unterschied zu Luther lasse Tillich den Rechtfertigungsbegriff zu sehr hinter dem Neuen Sein und überhaupt hinter den ontologisch gefärbten Glaubensbegriff zurücktreten. (vgl. Nörenberg, 206 – 212) Schnübbe führt noch weitere Kritik an, die hier weggelassen wird. (vgl. Schnübbe, 243 f., Anmerkung 67)
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Die Umwandlung durch das Neue Sein nennt Tillich „Heiligung“. Sie unterscheidet sich von der Wiedergeburt und der Rechtfertigung wie der Prozeß von dem verursachenden Ereignis. Im dritten Band seiner „Systematischen Theologie“ wird Tillich zeigen, wie die Macht des Neuen Seins den einzelnen Christen und die Kirche, das religiöse und das profane Leben umformt.883 Es ist der göttliche Geist, „der das Neue Sein in der Geschichte verwirklicht“884.
7. Der III.Band: Leben und Geschichte im Geist und als Reich Gottes Nach Tillich verwirklicht sich das Sein im Leben und erfüllt sich als Geist. Analog zu dieser These kann gesagt werden: die Ontologie definiert die essentielle Einheit von Gott und Mensch so, daß nach dem aktualisierenden Übergang in die Entfremdung der Existenz nunmehr die Beziehung zwischen Gott und Mensch nur durch jenen Geist wiederhergestellt werden kann, der durch das Neue Sein in Jesus dem Christus vermittelt wird. In diesem letzten Kapitel fragen wir nach jenem pneumatologischen Ansatz, der in der „Systematischen Theologie“ erst im strengen Sinn soteriologisch wirkt. Im Christus-Symbol ist das Neue Sein zwar erschienen, wie diese Vermittlung mit der Essenz aber auf die Existenz des Menschen einwirkt, das Unbedingte das Bedingte umformt und das Heil dem Menschen letztlich zuteil wird, klärt Tillich in seiner Pneuma-Christologie und in seiner Geschichtstheologie – hier anhand des Symbols des „Reiches Gottes“. Die große Faszination, die der dritte Band der „Systematischen Theologie“ ausübt, verdankt sich im Wesentlichen den theologischen Auseinandersetzungen und der Lebensnähe des zweiten Bandes. Nun werden die Linien, die in der soteriologischen Christologie entspringen, konsequent weitergeführt, zugleich aber auch zusammengebracht. Teil IV der „Systematischen Theologie“ ist der synthetisierende Fluchtpunkt des ganzen Systems. Und da die Geschichte die konkreteste Dimension
883 Interessant ist als parallele Lektüre das Schlußkapitel von Tillichs Schrift „Wesen und Wandel des Glaubens“ (in: GW VIII, 111 – 196) über „das Leben des Glaubens“ (GW VIII, 177 – 195), wo u. a. die Rede ist von der heilenden „Integration der Person“ und der Trias „Glaube, Liebe und Tun“. 884 ST II, 193.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
des Lebens ist885, gehört auch Teil V über die Geschichte886 und das Symbol des Reiches Gottes substantiell zur Pneumatologie. Bei der genaueren Verhältnisbestimmung des zweiten und des dritten Bandes der „Systematischen Theologie“ gilt es zu unterscheiden: formal ist die Beziehung sehr eng, da die Christologie das ermöglicht, was Tillich die Überwindung der Zweideutigkeiten des Lebens durch die Gegenwart des göttlichen Geistes nennt. Nur weil es solche heilenden Kräfte gibt, läßt sich schließen, daß die Entfremdung und die durch sie verursachten Zweideutigkeiten im Prinzip überwunden sind. Material dagegen ist das Verhältnis ziemlich locker: der soteriologisch relevante Inhalt im dritten Band stellt einen verschwindend kleinen Teil des Ganzen dar. Hier entfaltet Tillich eine in sich eigenständige Lebensphilosophie und Geisttheologie. Das liegt an dem, was wir im Zusammenhang der anthropologischen Klärungen bereits ausgeführt haben: in der Pneumatologie werden die vorher gesonderten Blickwinkel in ihren umfassenden Grund zurückgeführt. „Sein verwirklicht sich als Leben und erfüllt sich als Geist.“887 In der Pneumatologie ist Gott als solcher als Geist gegenwärtig; darin besteht das Leben Gottes.888 Und auch der Mensch wird in seinem Leben beschrieben, von dem der Geist eine Dimension ist. In den anthropologischen Klärungen hatten wir die vieldimensionale Einheit des Lebens und die drei Hauptfunktionen der Selbst-Integration, der Selbst-Schöpfung und der Selbst-Transzendierung nachgezeichnet. Ihre Zweideutigkeiten drückten die Sehnsucht und die Frage nach dem göttlichen Geist aus. Die Ambivalenzen werden möglich, weil die Dialektik des Lebens auf Einheit aus ist, sich aber immer nur als Selbstentzweiung verwirklicht. Bei Tillich verschärfen sich die Zweideutigkeiten in einem ersten Schritt in der Dimension des Geistes und in einem zweiten Schritt in der Funktion der Selbst-Transzendierung, weil in ihr
885 Vgl. ST III, 27. 886 Angesichts der vielfachen Kritik am Ausfall der geschichtlichen Konkretheit in der Christologie muß man Tillich fragen, ob es nicht angebrachter wäre, die Geschichtlichkeit auf die kreatürliche Essenz zu beziehen, anstelle sie erst vom Eschaton her zu entfalten. Nach Anzenberger liegt nämlich „die Unterbewertung der geschichtlichen Dimension in Tillichs Systematischer Theologie (…) im Hinblick auf die Frage nach dem Neuen Sein an der systematischen Verknpfung der Geschichtlichkeit mit der Pneumatologie“ (Anzenberger, 149; Hervorhebungen von Anzenberger). 887 ST I, 288. 888 Vgl. ST I, 280 f.
C. Zweiter Hauptteil: Die theologisch-philosophische Vermittlung
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alle Zweideutigkeiten des Geistes potenziert werden.889 Leben bewegt sich ja in allen seinen Dimensionen in vertikaler Richtung über sich hinaus auf das Unbedingte hin. „Alle Geschöpfe sehnen sich nach einer unzweideutigen Erfüllung ihrer essentiellen Möglichkeiten. Aber nur im Menschen als dem Träger des Geistes werden die Zweideutigkeiten bewußt erlebt und daher auch die Frage nach dem unzweideutigen Leben gestellt.“890 Die eindeutige Antwort wird vom göttlichen Geist her erwartet. Damit ist aber im Hinblick auf die Vermittlung von Anthropologie und Christologie ein interessantes Faktum angesprochen: „Anthropologische Fragen erfahren ihre umfassendste und eindeutige Antwort allein in der Pneumatologie.“891 Dabei darf aber nicht vergessen werden, daß die Bedingung der Möglichkeit dieser Antwort durch das christozentrische Kriterium der Pneumatologie festgelegt ist! Mit Christus als dem Neuen Sein beginnt jene geschichtliche Überwindung der Entfremdung, die durch den Heiligen Geist weitergeführt und vollendet wird. Die Wieder-Vereinigung von Gott und Mensch spitzt sich auf den Begriff des „Geistes“ zu. Darüber hinaus gilt: Der menschliche Geist als Leben im Sinn kann nicht bestehen „ohne die unerschöpfliche Quelle des Sinns, auf die die Religion hinweist“892. Menschlicher und göttlicher Geist stehen in einer als dialektisch erlebten Korrelation. Folglich versucht Tillich, den menschlichen Geist und den göttlichen Geist im Korrelationsschema der Frage nach unzweideutigem Leben und der Antwort zu vermitteln. Wie jedoch ist dies möglich? Voraussetzung der Tatsache, daß Tillich derart „entscheidend an einem Zusammenhang von theologischer und anthropologischer Pneumatologie“893 liegt, ist die Selbsterfahrung des Menschen als Geist. Das heißt: nur für den Geist kann Geist gegenwärtig sein. Der Geist Gottes ist in unserem Geist gegenwärtig, und „das „in“ des göttlichen Geistes bedeutet ein „über sich hinaus“ des menschlichen Geistes„894 im Sinne der Ekstase895. In anderen Worten: die Selbst-Transzendierung des 889 890 891 892 893 894 895
Vgl. ST III, 118 f. ST III, 130. Anzenberger, 181. (Hervorhebung von Anzenberger) ST III, 122. Ringleben: Der Geist und die Geschichte, 239. ST III, 135. In einer ekstatischen Erfahrung bricht die Offenbarung herein und erreicht den Menschen. So verschmolz bei den Jüngern Jesu das konkrete Bild des Jesus von Nazareth mit der Realität des Neuen Seins, und so erreicht der Geist Gottes in der
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
menschlichen Geistes im „Ergriffensein“ ist bereits ein Werk des göttlichen Geistes! Erst dadurch vollendet sich die Zentriertheit der endlichen Freiheit: „Erst das Wirken des göttliche(n) Pneuma im Menschen verwirklicht wahres, eigentliches Menschsein!“896 Eindeutiges Leben gibt es nur als empfangenes. Die versöhnende Verwirklichung des Neuen Seins im Menschen ist von der göttlichen Gnade abhängig. Neues Handeln setzt Neues Sein voraus897, aber bereits das Aufnehmen des Neuen Seins ist geschenktes Neues Handeln. Gabe und Werk des göttlichen Geistes ist die Wiedervereinigung der essentiellen und existentiellen Elemente im Lebensprozeß, welche letztlich auf „die transzendente Einheit“ zielt, die das zweideutige Leben niemals aus eigener Kraft hätte erreichen können: „Sie (sc. die transzendente Einheit) ist die direkte Antwort auf die Fragen, die in den Zweideutigkeiten der Funktion der Selbst-Transzendierung liegen.“898 Die Vollendung steht jedoch unter eschatologischem Vorbehalt und geschieht deshalb nur fragmentarisch und antizipatorisch unzweideutig. Der Mensch, der vom göttlichen Geist ergriffen und dadurch in die Einheit mit Gott erhoben wurde, wird verwandelt und erhält ein „pneumatisches“899 oder „Neues Sein“900. Für dieses Neue Sein wendet Tillich mehrere aus der Tradition übernommene oder von ihm selbst gebildete Begriffe an: „Geistgemeinschaft“, „unzweideutiges Leben“, „Erlösung“ u. a. Das Neue Sein bewirkt Glaube und Liebe, begründet Theonomie, das Reich Gottes und das Ewige Leben.901 Der Geist besiegt letztlich alle verendlichenden und ideologisierten Formen der Darstellung des Göttlichen, also auch Kirche und Religion902, und transzendiert sie auf ihr eigentliches Wesen hin. Wegen seiner systematischen Klarheit wollen wir Wittschiers Versuch folgen, Ordnung in die Zuständigkeiten dieser Begriffe zu bringen.
896 897 898 899 900 901
902
Heilsgeschichte – die ja übereinstimmt mit der Offenbarungsgeschichte – den Menschen. Anzenberger, 182. ST II, 89. ST III, 154. Vgl. ST III, 446. „Das Neue Sein ist die wiederhergestellte Einheit zwischen Gott und Mensch.“ (ST II, 160) Vgl. Wittschier: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie, 125. Kelsey betont, daß Tillich in Teil IV das Symbol der Geistgemeinschaft mit der Frage der Ambivalenz jeder Gesellschaft in synchroner Darstellung korreliert, in Teil V dagegen das Symbol des Reiches Gottes in diachroner Darstellung. (vgl. Kelsey, 138) Vgl. Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 194 f.
C. Zweiter Hauptteil: Die theologisch-philosophische Vermittlung
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Glaube und Liebe 903 sind die grundlegenden Namen für das Neue Sein und damit die Formen der vorläufig-fragmentarischen Manifestation des göttlichen Geistes.904 Der Begriff der Erlçsung 905 bezieht sich auf die Aktualisierung des Neuen Seins im einzelnen Menschen, während Tillich von Geistgemeinschaft 906 spricht, wenn es um die Gestaltwerdung des Neuen Seins in der menschlichen Gemeinschaft geht. Die schöpferisch überwindende Wirkung des göttlichen Geistes in Moralität, Kultur und Religion denkt Tillich als Theonomie 907; für die entsprechenden Spannungen gilt das Fazit von Ringleben: „Grundsätzlich gilt: Die Gegenwart des heiligen Geistes schafft eine höhere Einheit, die die unterschiedlichen Momente so in sich aufhebt, daß sie in ihrer Unterschiedenheit doch schöpferisch vereint sind.“908 Die Spannungen bleiben erhalten, wirken aber nicht mehr zerstörerisch. Sie werden in gewisser Weise in der Dialektik der göttlichen Lebensbewegung909 aufgehoben, die sich dank der Gegenwart des göttlichen Geistes nun auch im Menschen vollzieht. Schließlich gebraucht Tillich noch den Begriff Reich Gottes, um damit die Auswirkungen des Neuen Seins auf die Geschichte zu benennen.910 Letztlich läßt sich das Wirken des Pneuma im einzelnen Menschen auf jene Begriffe zusammenfassen, die wir bereits im Zusammenhang mit der Versöhnungslehre erklärt hatten und die Tillich innerhalb der Ekkle903 Glaube ist „das Ergriffensein durch etwas, was uns unbedingt angeht“ (GW V, 165), während die Liebe als Agape bezeichnet wird, da es sich bei der Agape um die einzige Form unzweideutiger Liebe handle. Es ist der Heilige Geist, der im menschlichen Geist wirkt und Glauben schafft. Glaube und Liebe sind für Tillich immer das Werk einer Gott-Mensch-Partnerschaft, wobei Gott jeweils derjenige ist, der dieser Partnerschaft vorausgeht. 904 Vgl. ST III, 155.160. 905 Dabei handelt es sich um jenen Begriff, der uns am meisten interessiert und den wir weiter oben bereits ausgeführt haben. 906 Im Zusammenhang mit dem Thema der Geistgemeinschaft kommt Tillich zu den höchstinteressanten Ausführungen über die Kirche und die Kirchen und über die latente und die manifeste Kirche. 907 Theonomie meint jenes Ausgerichtetsein auf das Unbedingte, das die Einheit von Religion, Kultur und Moralität bewirkt. Dabei muß auch jede einzelne der drei geistigen Hauptfunktionen theonom neugeschaffen werden und die Zweideutigkeiten fragmentarisch überwinden. Hier hat Tillichs Kulturtheologie ihren Kontext und ihr Zentrum. (vgl. Kelsey, 139) 908 Ringleben: Der Geist und die Geschichte, 241. 909 Vgl. ST I, 282. Hier wäre der Ort, um über Tillichs Aussage von Gottes Partizipation am Leiden der Welt nachzudenken. (vgl. Wittschier: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie, 132 f.) 910 Vgl. Wittschier: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie, 125 f.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
siologie des dritten Bandes aufgreift: Wiedergeburt, Rechtfertigung und Heiligung. Mit ihnen kommunizieren „vier Prinzipien, die das Neue Sein als Prozeß bestimmen“911 bzw. vier Kriterien für das Leben in der Gegenwart des göttlichen Geistes: wachsendes Bewußtwerden der eigenen aktuellen Situation, wachsende Freiheit vom Gesetz, wachsende Verbundenheit im Sinne einer reifen Selbst-Bezogenheit, und schließlich die Selbst-Transzendierung, welche sozusagen den Kern der Heiligung des neuen Menschen ausmacht. Damit gelangt Tillich an die Grenze des in der Existenz Möglichen: „Im Lichte der vier Prinzipien, die das Neue Sein als Prozeß bestimmen, können wir sagen: Das christliche Leben erreicht niemals den Zustand der Vollendung, es bewegt sich immer auf und ab, aber trotz seiner Veränderlichkeit ist es eine Bewegung zur Reife, wie fragmentarisch der Zustand der Reife auch sein mag.“912 Tillich weiß „um den unentschiedenen Kampf zwischen dem Göttlichen und Dämonischen in jedem Menschen“913. Aufgrund des eschatologischen Vorbehalts, der über der erhofften Unzweideutigkeit des menschlichen Lebens liegt, muß die Frage nach der Geschichte und nach ihrer eschatologischen Erfüllung gestellt werden. Der Grundzug der Geschichte liegt darin, daß sie „vorwärts (eilt) auf das immer Neue und auf das endgültige Neue zu“914. Daß Tillich aus seiner umfangreichen Abhandlung über die Pneumatologie die geschichtliche Dimension herausfiltert und getrennt behandelt, liegt daran, daß die Geschichte die „umfassendste von allen Dimensionen“915 der Wirklichkeit ist. „Geschichte ist bestimmt von dem Leben in der Dimension des Geistes und bestimmt das Leben des Geistes – in wechselseitiger Abhängigkeit.“916 Da die Geschichte alle anderen Dimensionen des Lebens umfaßt, kann das Ziel der integralen Vereinigung aller Grundprozesse des Lebens nur in der Erfüllung der Geschichte empfangen werden. „Mit der Frage nach dem Sinn der Geschichte wäre zugleich die nach dem Sinn vom Sein beantwortet.“917 Wenn es in der Pneumatologie und in der damit verbundenen Geschichtstheologie letztlich um die Gott-Mensch-Vereinigung als Dialog 911 912 913 914 915 916 917
ST III, 266. ST III, 272. ST III, 277. ST III, 379. ST III, 341. ST III, 364. Ringleben: Der Geist und die Geschichte, 244; vgl. ST III, 399.
C. Zweiter Hauptteil: Die theologisch-philosophische Vermittlung
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geht, kann die Geschichte nicht ganz unabhängig vom Menschen als selbständige Größe thematisiert werden. Deshalb sieht Tillich die Geschichte als Ereignisse, die nur für ein geschichtliches Bewußtsein bestehen.918 Erst im Menschen ist Geschichte vollständig aktualisiert. In anderen Worten: die menschliche Geschichte ist „eine Vereinigung subjektiver und objektiver Elemente“919 und damit ein Ineinander von objektiven Tatsachen und subjektiver Interpretation. Geschichte wird deshalb auch getragen von „Träger(n) der Geschichte“920, die vor allem unter dem politischen Blickwinkel von Tillich beschrieben werden. Das Politische ist für ihn in der Geschichte nämlich vorrangig. Dementsprechend wird das Eschaton durchaus konsequenterweise mit dem theologischen Symbols des „Reiches Gottes“ umschrieben. Aufgrund der konstitutiven Verwobenheit mit dem subjektiven Element kann die Geschichte einerseits nicht aus sich selbst vollendet werden, sammelt aber andererseits in gewisser Weise alle Zweideutigkeit in sich. „Geschichte ist die konkreteste Wiederholung der Zweideutigkeiten des Lebens und des Geistes.“921 Da Gott aber durch sein eigenes Über-sich-Hinausgehen Geschichte erst gestiftet und ermöglicht hat, darf die Geschichte begründeterweise auf Erfüllung hoffen. Diese Erwartung erklärt sich wie in der Dimension des Geistes aus der Dialektik des Geschaffenen: alle sinnvollen Ereignisse stehen in ihrer Einmaligkeit in der Geschichte, weisen aber aufgrund ihrer letztlich universalen Bedeutung auch über die Geschichte hinaus.922 Ringleben kann diese Dialektik zuspitzen: „Alle Zweideutigkeiten der Geschichte lassen sich (…) darauf zurückführen, daß Geschichte in ihrem Zugehen auf das Endgültige an das Vorläufige gebunden bleibt, so daß stets beides gilt: Die Geschichte strebt einer Erfüllung zu und verhindert sie zugleich.“923 Das läßt sich nach Tillich in den Funktionen der Selbst-Integration, der SelbstSchöpfung und der Selbst-Transzendierung der Geschichte aufweisen. Wie kann die Geschichte jedoch in ihre Erfüllung und damit auch in und an ihr Ende gelangen? Nach Tillich kann die Frage nach dem letzten Sinn der Geschichte nie „wissenschaftlich“ gefunden, sondern immer nur in der Einigung mit dem universalen Sinn selbst erfahren werden. 918 Vgl. ST III, 344 – 346. 919 ST III, 346. In GW X, 188 überträgt Tillich dieses Wechselspiel auf die innere und die äußere Freiheit. 920 Vgl. ST III, 353 – 358. 921 Ringleben: Der Geist und die Geschichte, 245. 922 Vgl. ST III, 349. 923 Ringleben: Der Geist und die Geschichte, 245.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
„Geschichtsdeutung ist ein religiöser Akt.“924 Der letzte Sinn beweist sich nicht, sondern erweist sich, indem der einzelne den Sinn der Geschichte, wie er in den einzelnen Gruppen gelebt wird, selbst verwirklicht. In diesem Sinn hat das Christentum den anderen Gruppen nichts voraus, doch zugleich verkündet es in seiner apologetischen Theologie das Ziel der Geschichte unter dem Symbol „Reich Gottes“925. Entsprechend dem Vorläufigkeitscharakter wird das Reich Gottes bereits fragmentarisch in der Geschichte verwirklicht, aber erst jenseits der Geschichte vollendet. Es hat also welt-immanenten926 und welt-transzendenten Charakter. Die Kirchen, die für Tillich die eigentlichen Träger des Neuen Seins sind, sind die „Repräsentanten des Reiches Gottes in der Geschichte“ und seine „Werkzeuge“927. Das Ewige Leben als transzendente und übergeschichtliche Seite des Reiches Gottes ist das absolute Ende und das Vollkommenheitsziel der Geschichte.928 Das Leben gelangt zu seiner Vollendung in Ewigkeit. Da nämlich Gott lebendiges Über-sich-Hinausgehen ist, nimmt er teil an der Geschichte; von daher ist ewiges Leben nichts anderes als Teilhabe an Gottes Leben.929 Da die Geschichte derart im Ewigen gegenwärtig ist, ist sie „keine einfache gerade Linie“930, sondern in ständiger Präsenz des Anfangs und des Endes ein zusammenhängendes Ganzes mit einem Mittelpunkt. Diese Mitte ist das spezifisch sinngebende Prinzip für eine bestimmte Gruppe. In dieser Mitte hat sich im Modus der Antizipation unter den Bedingungen der entfremdeten Endlichkeit universaler Sinn eröffnet. Heilsgeschichte ist von daher jener Teil der Universalgeschichte, in dem die Zweideutigkeiten durch die Manifestationen des Reiches Gottes überwunden werden und Neues geschaffen wird.931 Zwischen 924 Wittschier: Paul Tillich: seine Pneuma-Theologie, 74. 925 Vgl. ST III, 399 f. 926 In seinem welt-immanenten Charakter ist die Manifestation des Reiches Gottes „Kairos“. 927 Vgl. ST III, 426 f. 928 Vgl. ST III, 446.448. 929 Vgl. ST III, 450. Gott hat das Leben in sich als schöpferische Trennung und Wiedervereinigung von Zeitlichem und Ewigem. Von daher ist das göttliche Leben „die ewige Dimension dessen, was im Universum geschieht“ (ST III, 476; vgl. Ringleben: Der Geist und die Geschichte, 246) Zeit und Veränderung sind im Ewigen gegenwärtig, werden aber in der Einheit göttlichen Lebens aufgehoben. 930 ST III, 343. 931 Vgl. ST III, 412 – 414.
C. Zweiter Hauptteil: Die theologisch-philosophische Vermittlung
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Anfang und Ende wird also das Neue geschaffen932, so daß das menschliche (Mit-) Tun und der ganze Weltprozeß einen Beitrag zum göttlichen Leben leisten, den Tillich in den von Schelling ererbten Begriff der „Essentifikation“933 faßt. Der Mensch kann demnach den in der Geschichte vorgegebenen Sinn handelnd verwirklichen, weil er über die Gegenwart hinaus zukunftsorientiert auf den universalen Sinn hin denkt.934 Die endliche Subjektivität kann produktiv mit sich selbst umgehen und sich verwirklichen. Damit gelangt an dieser Stelle die dialektische Korrelation in die Synthese und damit in gewisser Weise wieder an ihren Anfang. Tillich hatte bei einer Gott-Mensch-Polarität angesetzt. Durch das Symbol konnte es gelingen, die menschliche Wirklichkeit zu Gott zu erheben und die göttliche Wirklichkeit im Menschlichen zu manifestieren. In der Offenbarungskonstellation schuf sich das Wunder die Ekstase des Menschen, um sich selbst und das Bedingte im Bedingten zu verwirklichen. Der objektive Glaubensinhalt Gottes und der subjektive Glaubensvollzug des Menschen sind untrennbar aufeinander angewiesen. Dabei macht gerade die Pneumatologie deutlich, daß Gott nicht nur in korrelativer Beziehung zum Menschen steht, sondern zugleich auch diese Beziehung und Partnerschaft umfaßt und begründet. Tillich versteht unter Erlösung letztlich eine dialektische zur Wiedervereinigung führende Gott-Mensch-Korrelation. Über eine abstrakte und eine aktuelle Dimension (Einheit im „Jetzt“) hinaus eignet dieser Dialektik letztlich eine eschatologische Dimension, in der der göttliche Geist alles umfaßt.
932 Vgl. ST III, 450. 933 ST III, 453. Ringleben weist hier auf das Tillichsche Dilemma hin, daß nur dann etwas wirklich Neues geschieht, wenn Tillich das ausdrücklich abgelehnte Theorem des „werdenden Gottes“ (ST I, 285) übernimmt. Einziger Ausweg ist die Annahme, daß Gottes Sein „ein Werden zu sich und sein Leben ewiges SichSelbst-Hervorbringen“ sei, was aber Tillichs absolutem Vorrang der Kategorie des Seins widerspricht. (Ringleben: Der Geist und die Geschichte, 249) Es geschieht bei Tillich letztlich ein kosmischer Prozeß im Sinne eines „eschatologischen Pan-en-theismus“ (ST III, 475) 934 Vgl. Horstmann-Schneider, 168.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
D. Schlussteil: Überhänge und Übergänge 1. Philosophische und theologische Grundströmungen Tillichs Entwurf besticht. Nicht zuletzt Georg Neugebauer hat eine in sich beeindruckende Laudatio formuliert, in der er die Leistungen Tillichs hervorgehoben und gewürdigt hat. Tillich fasziniert durch seinen Blick für das Große, Grundsätzliche und Ganze. Dabei entwirft er die Theologie so, daß sie sich weder gegenüber der Philosophie noch gegenüber den Erkenntnissen anderer Wissenschaften noch schließlich gegenüber dem neuzeitlichen Bewußtsein zurückziehen müßte. Zugleich hat sie nicht nur den Christen im Blick, sondern weitet sich generell zum Menschen der Neuzeit hin mit seinen Erwartungen und Erfahrungen, seinen Zweifeln und seiner Skepsis.935 Methodisch und inhaltlich atmet Tillichs Entwurf den christlichen Anspruch der Universalität und hat ihn „aus dem Gestus der Behauptung herausgeholt und der Bewährung und Bewahrheitung ausgesetzt“936. Es darf nicht nur als spannender Versuch einer Neuinterpretation, sondern auch als ein Zeichen einer schier ungebremsten Integrationsfähigkeit gegenüber den verschiedensten Anliegen und Ansatzmöglichkeiten gewertet werden, daß sich nach Danzscher Sicht Tillich auch dem Anspruch des transzendentalphilosophischen Denkens anbietet. Wir folgen jenem Paradigma jedoch nicht, sondern verstehen Tillich als Vermittlungstheologen, der sich vor allem dem Verhältnis von Offenbarung und Geschichte, Botschaft und Situation verpflichtet weiß, bewußt als Theologe arbeitet und dabei spezifische inhaltliche Schwerpunkte setzt, die nicht nur einfachhin auf eine formal-transzendentalphilosophische Meta-Ebene reduziert werden dürfen. Seine denkerische Stärke besteht darin, zwischen Bedingtem und Unbedingtem eine Korrelation hergestellt zu haben, in der beide Pole zu ihrem Recht kommen. Es gibt bei Tillich eine Parallele der Korrelationen von Unbedingtem und Bedingtem – welche die philosophische Übersetzung der Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf ist –, Ontologischem und Geschichtlichem, Gott und Mensch, Antwort und Frage, Essentialismus und Existentialismus. Dabei vergißt er in keiner Korrelationskonstellation den Pol des Bedingten gegenüber dem Unbedingten; 935 Vgl. Fischer, H.: Tillichs Theologie des positiven Paradoxes, in: Fischer, H.: Systematische Theologie. Konzeptionen und Probleme im 20. Jahrhundert, 1992, 150 – 157, hier: 154. 936 Fischer: Tillichs Theologie des positiven Paradoxes, 157.
D. Schlussteil: Überhänge und Übergänge
251
letztlich betont er jedoch immer den Pol des Unbedingten und „hebt“ das Bedingte auf verallgemeinernde Weise darin „auf“. Paradigmatisch wird dies am protestantischen Prinzip deutlich, welches ja eigentlich als abstrakter Ausdruck des Ersten Gebotes des Dekalogs das unbedingte SeinSelbst vor allen Bestimmungen bewahren soll; durch dieses allgemeine Prinzip werden seine jeweiligen besonderen Verkörperungen in der Geschichte als Besonderes negiert und letztlich im Hegelschen Sinne „aufgehoben“.937 Das Konkrete hat gegenüber dem Ewigen kaum Geltung. Die weiter oben im Zusammenhang mit der Soteriologie dargestellte Zusammenfassung von sehr gewichtigen Kritikpunkten innerhalb einer – zugegebenermaßen sehr weiten – Spanne von der Skepsis gegenüber der Leben-Jesu-Forschung einerseits und zentralen theologischen und philosophischen Themen andererseits soll aufweisen, wie sehr sich manche Kritik bemüht hat, die Gedankenwelt Tillichs als ein Ganzes zu erfassen, ihre Fundamentalentscheidungen ausfindig zu machen und bestimmte Schieflagen konsequent durch die einzelnen Themenfelder hindurch zu verfolgen. Rekapitulierend können wir fragen, welches denn die Grundorientierungen bei Paul Tillich sind, die sich für gedankliche Einseitigkeiten verantwortlich zeigen. Zuvor sei aber gesagt: An Paul Tillich Kritik zu üben, ist eine zwiespältige Sache. In ihm haben wir einen besorgten Seelsorger vor uns, der kein Thema ausläßt, das dem Menschen auf irgendeine Weise Hilfestellung verspricht. Andererseits hat sich die Kritik mit den Jahren auf einige Gemeinplätze geeinigt. Es war klar geworden, wo Tillichs Denken hinkte. Walther Braune überliefert die persönliche Erinnerung, daß Tillich – der immer noch begierig war auf weiterführende Kritik – einmal eine solche aus der Hand legte und seufzte: „Immer wieder dasselbe!“938 Und in der Tat kann man Tillich nicht gerechtwerden, indem man bei einer Kritik stehenbleibt, die inhaltlich nicht über die vorausgehende hinausgeht und allenfalls andere Worte dafür findet. Tillich wird man nur gerecht in einer konstruktiven Übernahme seines tiefsten Anliegens: das alte Sein durch ein immer erneuertes Hinblicken auf das Neue Sein zu besiegen, weil der Mensch inmitten der Ungerechtigkeit und des Verfalls der Liebe immer wieder eine Antwort aus dem unendlichen Sein empfängt. Tillich wollte Konflikte versöhnen und Dämonien besiegen939 – dazu ist der Impetus 937 Vgl. Bayer: Paul Tillich, 261. 938 Vgl. Braune, W.: Konkrete Bedrohungen und die Mächtigkeit des Seins, in: Werk und Wirken Paul Tillichs. Ein Gedenkbuch, Stuttgart 1967, 73 – 84, hier: 83. 939 Vgl. Braune, 83.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
seiner Theologie zu „gebrauchen“. Der Grund, aus dem alle Dinge Mächtigkeit besitzen, durch den sie Gestalt gewinnen und zu dem hin sie Sinn haben, ist verkörpert in dem Neuen Sein, „das in der Einheit von Macht, Liebe und Gerechtigkeit das Dämonische besiegt“940. Zwei Brennpunkte ergeben sich bei einer kritischen Durchschau seines Ansatzes: zum einen die alles umfassende Grundbestimmung des methodisch-korrelativen Verhältnisses zwischen Philosophie und Theologie, und zum anderen ihre zugespitzte Konkretisierung in der Tillichschen Soteriologie, d. h. in der dieser Arbeit zugrundeliegenden Thematik der Vermittlung von Anthropologie und Christologie. Dabei können wir das weiter oben zur Leben-Jesu-Forschung Gesagte voraussetzen. In Bezug auf die erste Frage ist es sinnvoll, die philosophische und die theologische Seite zu unterscheiden, um sie dann zusammenzuführen. Manche Kritiken sind dabei schon an Ort und Stelle zu Wort gekommen. Man muß nicht weit greifen, um in den Kommentaren den Begriff des Tillichschen philosophischen Idealismus anzutreffen. Dabei kommt bereits der Thesenreihe „Die christliche Gewißheit und der historische Jesus“ von 1911 eine vorentscheidende Bedeutung zu. Nach Wenz formuliert Tillich dort seine erkenntnistheoretische Prämisse, daß es nur innerhalb des Satzes „Ich bin Ich“ Gewißheit gibt.941 Obwohl die Erfahrung der Abtrünnigkeit im Schock des Krieges diese „träumende Unschuld“ bei Tillich gebrochen zu haben schien, findet man sich in der „Systematischen Theologie“ überraschenderweise wieder in dieselbe Argumentationslage wie in der Thesenreihe zurückversetzt. Die Jesusforschung muß scheitern, und Tillichs Interesse ist darauf gerichtet, durch das Garantieren der eigenen Grundlagen durch den Glauben „die im Erkenntnisakt mitgesetzte Differenz ins erkennende Subjekt zurückzunehmen“942. Die Einzigkeit der Individualität Jesu muß unter diesen erkenntnistheoretischen Bedingungen des Idealismus auf der Strecke bleiben. Ja, sogar das Kreuz wird zu einem „überzeitlichen“ Akt, der „logisch und dynamisch allen einzelnen Akten 940 Braune, 83. 941 Vgl. These 88, in: EW VI, 41. Es zeigt sich Tillichs „damals noch ungebrochene Abhängigkeit von der Philosophie des transzendentalen Idealismus“, der – nach den autobiographischen Angaben in „Auf der Grenze“ von 1936 – bis zum Ersten Weltkrieg bestimmend blieb. (vgl. Wenz: Theologie ohne Jesus?, 128 f., hier: 128 f.) 942 Wenz: Theologie ohne Jesus?, 130. Hier konstatiert Wenz auch eine Affinität zu Hegel: „beiden ist der Tod Jesu als die Aufhebung der Besonderheit ins Allgemeine die Negation der Negation, der Tod des Todes und zugleich die Offenbarung göttlichen Lebens“. (vgl. Wenz: Theologie ohne Jesus?, 131)
D. Schlussteil: Überhänge und Übergänge
253
voran(geht)“943, so daß das geschichtliche Geschehen von Anfang an mit einer logischen Notwendigkeit im Gottesbegriff selbst schon mitgedacht ist.944 Auf theologischem Gebiet ist auf den Einfluß von Martin Kähler, Tillichs Professor in Halle, und seiner Rechtfertigungslehre hinzuweisen. Der Begriff der „analogia imaginis“ stammt vornehmlich aus Kählers Denken; er erlaubt dem Menschen einen „unmittelbaren Zugang“ zu Jesus dem Christus. Von daher sei es nach Kähler „impossible to differentiate the historic (geschichtliche) Christ from the biblical picture of Jesus as the Christ“945. Dieser Einfluß der lutherischen Rechtfertigungslehre Kählerscher Prägung wirkt auch in Tillichs Theorie vom Dämonischen nach, wie Hermann Fischer es zurecht sieht.946 Das Dämonische ist nämlich jenes Bedingte oder Endliche, das Unbedingtheit oder Letztgültigkeit beansprucht. Dies ist aber nicht mit der Rechtfertigungslehre zu vereinbaren: etwas Irdisches darf diesen Anspruch niemals erheben. Deshalb heißt es bei Tillich: „Eine Offenbarung ist letztgültig und normgebend, wenn sie die Macht hat, sich selbst zu verneinen, ohne sich zu verlieren.“947 Von hieraus erklärt sich auch die Notwendigkeit religiöser Symbole: das Göttliche darf nicht verendlicht werden, indem es in die gegenständliche Sprache überführt wird.948 Dies gilt in hervorragender Weise für Jesus den Christus, wo Tillich die Rechtfertigungslehre gegenüber Kähler unter dem Einfluß der idealistischen Identitätsprämisse sogar noch verschärft949 : Jesus hat sich in allem transparent gemacht auf Christus hin. Damit ist aber deutlich, daß 943 Vgl. These 76, in: EW VI, 40. 944 Vgl. Bayer: Paul Tillich, 253. 945 Clayton: Is Jesus necessary for christology?, 151 (Klammer und Hervorhebung bei Clayton). 946 Vgl. Fischer: Christologie, 220. Werner Schüßler hat eine neue Interpretation des Dämonischen als „mögliches Symbol für den Sinnabgrund“ vorgelegt, die aber hier nicht diskutiert werden kann (vgl. Schüßler W.: Der philosophische Gottesgedanke im Frühwerk Paul Tillichs, 1.133 – 140). Interessant ist auch die von Schüßler referierte Aussage von Professor Braune, Tillich habe ihm gesagt, man könne alle seine Schriften verbrennen außer jenen über das Dämonische und die Arbeit „Rechtfertigung und Zweifel“ (vgl. Schüßler: Der philosophische Gottesgedanke im Frühwerk Paul Tillichs, 133; vgl. auch: Schüßler: Die Marburger und Dresdener Jahre (1924 – 1929), in: Albrecht/Schüßler: Paul Tillich. Sein Werk, 55 – 73, hier: 71). 947 ST I, 159. 948 Vgl. GW V, 231. 949 Vgl. Bayer: Paul Tillich, 252. Das geschieht, indem Tillich den historischen Jesus und den biblischen Christus nicht nur unterscheidet – wie Kähler –, sondern scharf trennt.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
„Tillich die Einheit von historischem Faktum und gläubiger Aufnahme zugunsten der Aufnahme aufkündigt, damit dann allerdings auch den historischen Stachel der Christologie beseitigt“950. Wenn man es überspitzt sagt: durch die konsequente Anwendung der ontologisierten Rechtfertigung wird der konkrete Jesus unerheblich. Wie sind diese philosophischen und theologischen Orientierungen aufeinander zu beziehen? Unsere These lautet: durch die ontologisierte Rechtfertigungslehre wird die idealistisch-seinsmythische Identitätsphilosophie auf theologischem Terrain hoffähig gemacht. Tillich teilt die idealistische Identitätsprämisse, daß Gott und Mensch, Gott und Welt ursprünglich eins sind. Die Rechtfertigung hat in ihrer ontologischen Fassung dafür zu sorgen, daß diese Einheit nicht auf den Menschen, sondern allein auf Gott zurückzuführen bleibt. Die Theologie hat immer wieder die Frage nach der Identität zu stellen und zu beantworten. Damit ist die Aufgabe der Korrelationsmethode im Letzten darauf beschränkt, die Differenzen immer wieder auf den einen, rein identischen Grund zurückzubeziehen. In seinem Aufsatz „Zwei Wege der Religionsphilosophie“951 von 1946 wählt Tillich zwischen dem ontologischen und dem zufällig-geschichtlichen Weg der Gotteserkenntnis den ersten, weil Gott und Mensch sich nicht fremd sind. Der Mensch wird von seiner Einheit mit Gott her verstanden. Wichtiger als der Bruch der Sünde ist – wie Bayer feststellt – die „anthropologische Kontinuität“952, welche nicht – wie es der lutherischen Theologie entsprechen würde – auf Gottes geschichtliche Treue, sondern auf die philosophisch gesicherte vorgängige ontologische Einheit von Gott und Mensch zurückgeführt wird. Gott wird deshalb bei Tillich nicht zum Gegenüber, das Beziehung stiftet oder heilt, sondern in bezeichnender buchstäblicher Umkehrung von Luthers „nervus rerum“ geradezu zum bestimmungslosen Überwesentlichen.953 Ausdrücke wie „Gott über Gott“ oder „absoluter Glaube“ machen Tillichs „seinsmystische Unmittelbarkeit“954 greifbar. Sünde ist von daher nur Entfremdung, aber keine Fremdheit. Bayer sieht hier sogar den eigentlichen kruzialen Punkt: „Ein
950 951 952 953 954
Fischer: Christologie, 221. In: GW V, 122 – 137. Bayer: Paul Tillich, 225. Vgl. Bayer: Paul Tillich, 250. Bayer: Paul Tillich, 247.
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theologisches Urteil ber Tillichs Denken muß im entscheidenden Punkt hamartiologisch sein.“955 Letztlich fragt der Mensch nicht über sich hinaus, sondern nur nach sich selbst. Was Tillich vom transzendentalen Idealismus her als Stärke empfindet, wird in der lutherischen Theologie aber ironischerweise als höchster Ausdruck der Sündhaftigkeit postuliert: „Sünde fragt nicht nach Vergebung, sie ist eben darin Sünde, daß sie sich selbst genug ist.“956 Letztlich ist Tillichs ontologischer Ansatz der Selbstreflexion des Geistes aus lutherischer Sicht eine „narzißtische Konzeption“957. Vorzuwerfen ist Tillich von daher besonders eine „abstrakte Verallgemeinerung: damit ist die Tendenz der Tillichschen Rezeption des christologischen Dogmas insgesamt benannt“958. Dafür sind die genannten Problembereiche symptomatisch. „Abstrakte Verallgemeinerung tendiert (…) auf die Überführung des Differenten in die Unmittelbarkeit, auf dessen einseitige Identifizierung und insofern auf den Stillstand von Vermittlung und die Verkehrung geistiger Bestimmung“959.
2. Soteriologie als Spiegelbild der denkerischen Optionen Was hat diese abstrakte Verallgemeinerung in Bezug auf die Frage nach dem Verhältnis von Anthropologie und Christologie zu bedeuten? Wie wirkt sie auf die in der Inkarnationslehre geschehende soteriologische Vermittlung von Ontologischem und Geschichtlichem? Konkrete Verwirklichungen tragen bei Tillich wegen ihrer Kontingenz immer schon das Zeichen der Entfremdung an sich.960 Die Freiheit der Geschichte – welche bloß als Manifestation der die Zeit tragenden überzeitlichen Seinsstrukturen verstanden wird – wird nicht gewahrt: zum einen um nicht den Anspruch der Gewißheit aufgeben zu müssen, zum anderen um der möglichen Dämonisierung der Offenbarung entgegenzu955 Bayer: Paul Tillich, 226. (Hervorhebung von Bayer) 956 Schneider-Flume, G.: Entsprechungsdenken und Sündenerkenntnis, in: ZThK 76 (1979) 489 – 513, hier: 510. 957 Bayer: Paul Tillich, 238. 958 Wenz: Subjekt und Sein, 299. 959 Wenz: Subjekt und Sein, 299. 960 Dazu Bayer: „Darin zeigt sich der große Unterschied der Theologie Tillichs zu einer vollen Bejahung des Geschichtlichen und Kontingenten, die den Sachverhalt der Verkörperung und Verwirklichung nicht bedauert, sondern in ihm das Sein selbst sieht.“ (Bayer: Paul Tillich, 249)
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
wirken. Das macht zwar nach Ratschow Tillichs Christologie zu einer Auferstehungschristologie – erst durch den Glauben der Jünger an die Auferstehung Jesu wird Jesus zum Christus –, doch die Befreiung aus dem Bann der historischen Forschung verlangt einen hohen Preis: „die Reduktion Jesu auf ein oder einige „bloße“ Fakten„961. Tillich nimmt dem Problem, aber auch den darin verborgenen Möglichkeiten, die mit der historischen Fundierung des christlichen Glaubens gegeben sind, die Spitze.962 Für eine wahre christologische Gewißheit fehlt Jesus, der als Christus bekannt wird, – wie bereits gesehen – die Spezifität.963 Die Geschichte verlangt ihr Recht, bekommt es aber nicht zugestanden.964 Muß sich von daher nicht eine gewisse Ambivalenz und Unklarheit durch die Erlösungslehre eines Mannes ziehen, der sich trotz allem als Theologe und Seelsorger versteht? R.Fröhlich hat auf eine interessante Aporie in Tillichs Denken hingewiesen, die innerhalb der soteriologisch angelegten Christologie den tieferen Konflikt von philosophischem und theologischem Denken bei Tillich offenlegt. Er sieht einen bedeutsamen Sprung zwischen den beiden Selbstmanifestationen Gottes in der Schöpfung und in der Erlösung.965 Das Unbedingte manifestiert sich bekanntlich als Grund allen Seins im Modus des Symbols im Endlichen und durch das Endliche. Vollendete Geschöpflichkeit für den Menschen heißt, einerseits im göttlichen Grund zu wurzeln und andererseits aus ihm durch Selbstverwirklichung herauszustehen.966 Da aber die verwirklichte Schöpfung und die entfremdete Existenz materialiter identisch sind967, stürzt das Existierende nur aus dem Grund nicht in den Abgrund des Nicht-Seins, weil es essentiell an den göttlichen Grund gebunden bleibt. Der göttliche Grund partizipiert nicht an der Entfremdung als solcher, sondern „nur in der Form ihrer Überwindung, in der Schaffung neuen Seins“968. Wo nun, so fragt Fröhlich mit Tillich, begegnet uns denn Existenz als überwunden? 961 962 963 964 965 966 967 968
Ratschow: Jesus Christus, 132. Vgl. Fischer: Christologie, 220. Vgl. Clayton: Is Jesus necessary for christology?, 162. „Das granitne Urgestein der Geschichte liebt Tillich nicht, soweit seine Christologie in Frage steht.“ (Leese, K.: Kritische Bemerkungen zu Paul Tillichs Christologie, in: Freies Christentum 9 (1957) 87 – 89, hier: 88) Tillich betrachtet übrigens den Eschaton neben der Schöpfung und der Erlösung als die dritte Selbstmanifestation Gottes. (vgl. z. B. GW V, 156 – 160. 177 – 180; GW VII, 224 f.) Vgl. GW V, 156; vgl. ST II, 14 f. Vgl. ST II, 52. GW VIII, 230.
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An diesem Punkt der Überlegung tauchen bei Tillich – so Fröhlich – zwei Argumentationsreihen auf 969 : einerseits hätte die in jedem Seienden vorhandene Bindung an den Grund des Seins dazu führen können, daß die Entfremdung in jedem Seienden selbst überwunden wird; andererseits jedoch sagt Tillich durch seinen Zentralbegriff des Neuen Seins nun auch, daß „der Mensch, um sich der Gegenwart und Macht des Neuen Seins zu vergewissern, seine Manifestation im anderen braucht“970. Das Neue Sein ist einerseits die allzeit geschehende Partizipation vom Seienden am Seinsgrund und andererseits jene Macht, die sich erst erweist, sofern sie im anderen erfahren werden kann. Beide Bedeutungen – Heil als Prozeß und Heil als Entscheidung – „laufen nebeneinander her und sind in ihrer mangelnden Verbindung der Ausdruck einer Aporie des Tillichschen Denkens“971. Sie entsprechen den sich gegenseitig widersprechenden Absichten Tillichs, einerseits das christliche und christologische Paradox als unableitbares zu wahren, es andererseits doch verständlich und jedem mitteilbar zu machen. Die Frage ist, welches Modell sich durchsetzt. Daraus ergeben sich zwei Möglichkeiten: sollte das Heil als Prozeß überwiegen, deutet diese Aporie 969 Vgl. Fröhlich, 389. 970 Fröhlich, 389. (Hervorhebung vom Autor) 971 Fröhlich, 389. Er sieht Tillich zwischen zwei „unerfüllbaren Forderungen“: einerseits als Philosoph die Gewißheit der Erlösung unabhängig von Christus zu denken, andererseits als Theologe Christus in die Mitte zu rücken. (vgl. Fröhlich, 395) Sehr interessant ist in demselben Zusammenhang die Bewertung von Tillichs Offenbarungstheologie durch Wenz. Die Irrelevanz historischer Forschungsarbeit wird verursacht durch die erkenntnistheoretische Vorentscheidung, daß das Sein als Gegenstand des Erkennens immer die Subjekt-Objekt-Struktur voraussetzt. Doch im Hinblick auf die Offenbarung kommt eine fundamentale, gar supranaturalistische Umorientierung, eine „spezifische Offenbarungserkenntnis“ (Wenz: Subjekt und Sein, 279) ins Spiel. Obwohl es unter den Bedingungen der Existenz dem Erkennen im allgemeinen entweder an Sicherheit oder Bedeutsamkeit mangelt, schreibt Tillich der Offenbarung den idealistisch angehauchten Anspruch zu, „eine Wahrheit zu geben, die gewiß ist und uns unbedingt angeht“ (ST I, 127). In anderen Worten: „Offenbarungserkenntnis wird zu einer Erkenntnis neben anderen“! (vgl. Wenz: Subjekt und Sein, 277 – 280; hier: 280) Im allgemeinen kann man wohl auch mit Blick auf den Tillichschen Jesus den Christus sagen: wo mitten in der Entfremdung der Existenz auf paradoxale Weise das Unbedingte in das Bedingte einbricht und es unbedingt an-geht, riskiert Tillich aufgrund seiner idealistisch-harmonischen Vorbedingungen, die Realität und Macht der Entfremdung und des Bösen nicht in konsequenter Weise weiterhin wahrzunehmen und damit eine supranaturalistische Über-Ebene des Offenbarungshandelns Gottes einzufügen! Idealismus und Existentialismus kommen letztlich nicht ungehindert aneinander vorbei, sondern stehen sich im Wege.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
darauf hin, daß Tillich demselben Fehler unterliegt wie Schelling und den er Schelling selbst noch vorgeworfen hatte: das Unvordenkliche des Christusereignisses letztlich doch zugunsten eines unterschwelligen Essentialismus nicht konsequent zu betonen. Oder aber im anderen Fall, indem das Heil als freie Entscheidung verstanden werden kann, würde die Aporie bedeuten: bei Tillich geschieht letztlich doch eine theologisch bedeutsame Wende zu Christus und zum Christus-Symbol, in dem sich das Unbedingte als Neues-Schaffendes ausdrückt, eine Wende, die aus der philosophischen Analyse der Entfremdung heraus gar nicht hätte abgeleitet werden können.972 Damit wird faktisch die Entsprechung der beiden Zentren in der Ellipse gesprengt. In der Tat läßt Tillich besonders im zweiten Band der „Systematischen Theologie“ eine theologische Prädominanz gegenüber dem philosophischen Material erkennen. Die Betrachtung von Tillichs Korrelationsmethode hatte ja bereits auf das Modell einer Spirale hingedeutet. Gnoseologisch gesehen geht Tillich letztlich als apologetischer Vermittlungstheologe an die Frage nach dem Neuen Sein heran, weil ihn die Vermittlung des bereits vorgegebenen Christlichen interessiert.973 Außerdem darf man die Korrespondenz von Theologie und Philosophie nicht überstrapazieren: Tillich sagt deutlich, daß es in seinem System Übergänge gibt, die nicht logisch deduzierbar sind und die Offenheit des Systems unterstreichen: „Der Übergang von der Essenz zur Existenz ist „irrational“, der Weg von Gott zum Christus ist „paradox“.“974 Liegt also tatsächlich eine Berücksichtigung des Unvordenklichen vor? Wird das rein Korrelative gesprengt durch das Unerwartbare und Unerwartete? Man muß beschwichtigend einwenden, daß bei Tillich beide Schienen – das Heil als Prozeß und das Heil als Entscheidung – präsent sind. Und doch unterliegt diese Differenz erneut einer seinsmystischen Rückführung in die Identität. Im Anschluß an Überlegungen von Oswald Bayer ist nämlich nachweisbar, daß Tillich zwar die Partikularität des Christentums samt des unvordenklichen Christusgeschehens auch und gerade dank der Korrelationsmethode zu denken fähig ist, daß diese Partikularität letztlich 972 Damit widerspricht er Kasch (vgl. Kasch, 88), der aus denselben Gründen eine Notwendigkeit der Inkarnation deduziert (vgl. weiter oben). 973 Vgl. den Buchtitel: Bernet-Strahm, Anton: Die Vermittlung des Christlichen. Eine theologiegeschichtliche Untersuchung zu Paul Tillichs Anfängen des Theologisierens und seiner christologischen Auseinandersetzung mit philosophischen Einsichten des Deutschen Idealismus, Europäische Hochschulschriften, Reihe XIII Theologie, Band 202, Bern/Frankfurt 1982. 974 ST II, 10.
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jedoch in einem allgemeinen Religionsbegriff aufgehoben wird, der die Personalität Gottes in den Begriff des Seins-Selbst, die Beziehung zu Gott in die Wendung „was mich unbedingt angeht“ und die Heilsoffenbarung in die Grundoffenbarung hinein auflöst.975 In anderen Worten: der philosophische Essentialismus prädominiert über die christlich-theologische Vermittlung des Neuen in Jesus dem Christus und definiert das Heil letztlich doch tendenziell als Prozeß. Das christlich-theologische Anliegen kommt zwar in großem Umfang zur Geltung, untersteht jedoch von vornherein den idealistisch-philosophischen Bedingungen, Vorgaben und methodischen Werkzeugen. Die theologische Antwort, die im Schema der Korrelation über die Frage dominiert, wird nicht am biblischen Personalismus geformt, sondern an der Identitätsprämisse. Die „Systematische Theologie“ zeigt, daß sich das theologische Denken ungehindert entfalten kann; doch diese Möglichkeit ist nur gegeben unter der Einschränkung, daß die Prämissen verhindern, daß die Theologie der Philosophie widersprechen kann. Die „entente cordiale“ von Theologie und Philosophie besteht nur, „weil der Theologe dem Philosophen von vornherein keine unbequemen Fragen stellen kann“976. Der philosophische Essentialismus erstickt demnach mit Hilfe einer ontologisierten theologisch fundamentalen Rechtfertigungslehre sogar den vielversprechenden Tillichschen Ansatz beim philosophischen Existentialismus. „Nie ist für Tillich der Unterschied zwischen Gott und dem Menschen, zwischen Gott und der Welt, dem Schöpfer und dem Geschöpf so groß, daß er nicht durch eine immer noch größere Seinsidentität umschlossen wäre.“977 Theologie wird damit bei Tillich zur „Wesenswissenschaft“978. Die Existenzphilosophie, mit deren Hilfe Tillich die Frage ausdrückt, wird offensichtlich „als besondere Lesart des biblischen Zeugnisses von 975 Vgl. Bayer: Paul Tillich, 276 – 280. 976 Bayer: Paul Tillich, 229. 977 Bayer: Paul Tillich, 271. Im Vergleich zu Luther bewertet Bayer Tillichs Theologie folgendermaßen: „Tillichs Bejahung des Essentialismus – im Sinne vor allem der idealistischen Identitätsprämisse – ist der Grundirrtum seiner Theologie, wenn es wahr ist, daß die Theologie nicht die Identität von Schöpfer und Geschöpf zu denken hat, sondern die – ewig bleibende – Differenz, die zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf waltet und die Beziehung und Gemeinschaft zwischen beiden ausmacht und ermöglicht.“ (Bayer: Paul Tillich, 272). Luthers Theologie der Unterscheidung, Beziehung und Begegnung in Wort und Glaube lasse sich definitiv nicht vereinbaren mit der seinsmystisch-identitätsphilosophischen Theologie Tillichs. (vgl. Bayer: Paul Tillich, 273) 978 Bayer: Paul Tillich, 275.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
Schöpfung und Fall“979 verstanden und kommt nicht zu eigenem Recht. „Das Thema Schöpfung und Fall (…) rückt in der Christologie im zweiten Band auf die Frage-Seite. Das signalisiert eine grundsätzliche Schwäche der Korrelationsmethode.“980 Die „polare Beziehungsdialektik von existentieller Frage und theologischer Antwort“981 hat zwar eine theologische, jedoch eine theologisch-seinsmystische Grundfärbung, da sich das an den Symbolen von Schöpfung und Fall orientierende Essenz-Existenz-Schema letztlich identitätsphilosophisch darstellt. Mit Hilfe der Theologie wird die Existenzphilosophie in die Essenzphilosophie hinein „aufgehoben“. Eine solche Sicht übersieht letztlich das Ambivalenzpotential der Wirklichkeit. Sie erschließt sich keineswegs immer und jedem in gleicher Weise, sondern gegensätzliche Interpretationen sind möglich. Deshalb fragt Fischer zurecht: „Könnte es der theologischen Arbeit nicht angemessener sein, die christliche Wahrheit unter Voraussetzung der geschichtlichen Erfahrung des Glaubens zu entfalten, und in diesem Lichte, also unter Eingeständnis der Vorgaben, die Wirklichkeit zu analysieren und so den Erweis der Wahrheit des Glaubens zu riskieren?“982 Weniger der ontologische Beweis als vielmehr der geschichtliche Erweis scheint angemessen zu sein. Das problematische Bündnis von Theologie und Philosophie und die Sprengung der Ellipse zeigt sich konsequenterweise – wie weiter oben bereits ausgeführt – in aller Deutlichkeit in Tillichs neuer Deutung der Inkarnation: „An dieser Nahtstelle von Ontologie und biblischer Theo979 Fischer: Christologie, 225. 980 Fischer: Christologie, 225. Interessant ist daran, daß es Tillich offensichtlich – auch schon in der Dogmatik von 1925 – nicht gelingen will, die Christologie ohne direkte Beziehung zur Schöpfung (und zum Fall) zu entfalten, obwohl eine strenge Korrelation dies verlangen müßte. Die Antwort – daß Schöpfung und Erlösung engstens zusammengehören und deshalb keine Philosophie den universalen Logos am konkreten Logos vorbeiführen kann – bestimmt den Duktus. Wolff zitiert H.Thielicke, daß bei Tillich „der Rückbezug auf die christliche Botschaft schon implizit und vorweg bei der Bemühung wirksam ist, mit der er die jeweiligen Fragen der Gegenwart aufsucht und formuliert“. (Thielicke, H.: Ethik des Politischen. Bd.II, 2. Teil, 1958, S.3; zitiert bei: Wolff, 131) 981 Wolff, 131. 982 Fischer: Christologie, 226. Fischer weiter: „Der christliche Glaube bleibt ein kontingentes Geschehen, unableitbar und auch unerklärbar aus derjenigen Wirklichkeit, innerhalb derer er sich ereignet. (…) Es ist Aufgabe der Theologie, ihre Sicht der Wirklichkeit durch Argumente stark zu machen. Aber sie kann diese Aufgabe nur vollziehen in dem Wissen, daß ihrem Verständnis von Wirklichkeit widersprochen werden kann und wird.“ (Fischer: Christologie, 226; Hervorhebungen von Fischer)
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logie, zeitloser Wesensstruktur und geschichtlichem Ereignis, zeigen sich Unebenheiten.“983 Die „Ontologie“ dominiert über das „Ereignis“, wenn Tillich in dem zeitlichen Ereignis der Inkarnation die überzeitliche Grundstruktur der ursprünglichen und essentiellen Gott-Mensch-Einheit offenbar werden läßt. Die grundlegende Schwierigkeit liegt in der Tatsache, daß die christliche Heilsoffenbarung nicht ohne Verknüpfung mit Bedingtem und Partikularem gedacht werden kann. Erst aufgrund des konkreten Jesus und der konkreten Raum-Zeit-Konstellationen gewinnt sie ihre Eindeutigkeit. Wie wir bereits feststellten, bleibt für Tillich die Aussage, daß Gott Mensch ist, letztlich undenkbar. Bayer kommentiert dies sehr prägnant und scharfsinnig: „Dort, wo der christliche Glaube zwischen Unbedingtem und Bedingtem gerade nicht unterscheidet, unterscheidet, ja, trennt Tillich. Dort, wo der christliche Glaube strikt unterscheidet – zwischen Schçpfer und Geschçpf – dort identifiziert Tillich.“984 Damit nicht genug: offensichtlich kann Tillich in seiner Manifestationschristologie dem kruzialen Punkt des Christlichen, nämlich der Selbstoffenbarung Gottes in Demut und Hingabe, nicht ganz gerecht werden. „Tillichs philosophische Versuche, die theologischen Sachverhalte zu erfassen, scheitern also am Geheimnis von Gottes Kondeszendenz, seiner Demut, die sich nicht erst in seiner Menschwerdung, sondern schon in der Schöpfung zeigt und die er nicht minder als Heiliger Geist beweist, indem er seine Gemeinschaft in solchen unansehnlichen, partikularen, anstößigen Geschichten mitteilt, wie sie im Alten und im Neuen Testament erzählt werden.“985 Die Schwierigkeit liegt definitiv in der „Spannung, die Tillichs ganze Theologie durchzieht: der Versuch, eine 983 Fröhlich, 397. Fröhlich beruft sich auf E.H.Peters (Peters, E.H.: Tillich’s Doctrine of Essence, Existence, and the Christ, in: The Journal of Religion 43 (1963) 295 – 302), um als Grund der Unebenheiten die im Essenz-Existenz-Schema mitgesetzte Identifikation von aktuellem, existentiellem und entfremdetem Sein zu entlarven: „How then can we avoid the conclusion that Jesus, like everything actual, was estranged rather than perfect?“ (Peters, 300; zitiert bei: Fröhlich, 397) Die Bedeutung der Entfremdung wird in Bezug auf den Christus leicht verschoben gegenüber der Schöpfung. War sie dort noch gedacht „als Verfaßtheit jedes Existierenden, so wird sie hier (sc. in der Christologie) zur „Bedingung“, die erst durch die personale Ratifizierung volle Wirklichkeit erlangt“ (Fröhlich, 398). Es scheint, als ob das Christus-Symbol nicht so sehr aus der Materie des Endlichen genommen wäre, daß die vorauslaufenden und deshalb vorgegebenen Konsequenzen der Entfremdung nicht mehr zu finden wären. Christus scheint dem Menschen fremd zu sein. 984 Bayer: Paul Tillich, 251, Anmerkung 201 (Hervorhebung von Bayer). 985 Bayer: Paul Tillich, 252.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
mit neutrischen Begriffen arbeitende Ontologie mit dem in personalen Begriffen dargelegten biblischen Kerygma zu verbinden“986. Das im Inkarnationsverständnis sich kristallisierende Grundproblem des rechten Verhältnisses von Theologie und Philosophie oder von ontologischen und personalen Kategorien987 verweist damit letztlich auf die methodische Fragestellung der Korrelation, welche Tillich durch die Ellipsenform geklärt haben wollte und die wir eingangs bereits ausgelegt haben. Die Korrelationsmethode geht auf ihrem tiefsten Niveau davon aus, daß der Mensch das Erfragte schon kennt und alleine deshalb Frage und Antwort auch wirklich aufeinander bezogen werden können. Die Methode ist ja selbst eine theologische Aussage, und das Einverständnis von Theologie und Philosophie wird bereits vorausgesetzt.988 Diese „prästabilierte Harmonie“ entspricht dem positiven Paradox, welches das kritische Paradox nicht verabschiedet, es aber in sich „aufhebt“.
3. Welcher Mensch wird erlöst? Im Hinblick auf unsere Themenstellung müssen wir abschließend vor allem fragen, was die methodische Schwierigkeit für die soteriologische Vermittlung von Gott und Mensch in Tillichs Christologie und Pneumatologie bedeutet. Da der Mensch anhand einer existenzphilosophischen Analyse dargestellt, aber bereits in einem größeren theologischen Rahmen gesehen wird, stellt sich die Frage, ob die Antwort „Christus“ ein „mehr“ an Qualität haben kann als die in den Symbolen von Schöpfung und Fall bereits ausgedrückte Wahrheit vom wahren Sein des Menschen als Zugehörigkeit zur Essenz Gottes. Ist nicht bereits alles gesagt, so daß die Christologie die rein positive Spiegelung einer negativen Folie wird? Die Gefahr ist nicht zu leugnen. Der Grundbegriff der Christologie ist der vom „Neuen Sein“. Die Wirklichkeit Gottes wird also nicht mit biblischen Kategorien unter philosophischer Hilfestellung gesucht, sondern in der ontologischen Begrifflichkeit des Essenz-Existenz-Schemas. Der Weg zur Mitte der Theologie im „Neuen Sein“ ist „durch die Entscheidung, den Glauben von einem
986 Fröhlich, 403. 987 Vgl. hierzu auch GW V, 138 – 184: „Biblische Religion und die Frage nach dem Sein“ von 1956. 988 Vgl. Fischer: Christologie, 221 – 226.
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zwar durch das Christentum mitgeformten, aber in seinen Prinzipien philosophischen Weltbild her zu reflektieren, bestimmt“989. Otto Wolff hat bekanntlich die Tillichsche Systematik im Sinne der dreifach wiedervereinigenden Wirkung des Handelns Christi am Menschen eine „Theologie der Integration“ genannt. „Integration“, „Restitution“ und „Neues Sein“ sind jedoch „nicht genug“990. Die integrierende „Wiedervereinigung des Getrennten“ hat rein reparatorische Wirkung und kann keine „fortschreitende Teleologie“991 enthalten, nach der der pneumatische Mensch als zweiter Adam „mehr“ ist als der erste Adam. Die Restitution vermag die Ebene der Bewußtseinstheologie nicht zu übersteigen. „Für Tillich (fallen) alle spezifisch theologischen Sätze in den Verstehenshorizont der nach sich selbst fragenden Existenz.“992 Auch das Neue Sein reicht nicht aus, da es mit seiner vor-personalen Formel den traditionellen Sprachgebrauch unterbietet. Es findet keine Begegnung von Person zu Person statt, so sehr Tillich auch die Personalität des ChristusSymbols betont. Tillichs Christologie trägt ein „neutrisches Begriffsgewand“, und „das Gefäß der Frage bleibt der alte Schlauch, den der neue Wein der Antwort sprengt“993. Es bleibt zu fragen, ob Tillich nicht mit gutem Gewissen solche Vorwürfe hinnehmen könnte unter dem Verweis auf die Tatsache, daß es ihm letztlich nicht um den Träger des Neuen Seins geht, sondern um den Menschen als den Verwandelten und vom Geist Ergriffenen. Christologie ist ja „nur“ eine Funktion der Soteriologie. Faktisch ist die im Neuen Sein verwandelte Existenz „mehr“ als die essentielle Gott-Mensch-Einheit: es ist diese Einheit gerade unter den Bedingungen der Entfremdung in der Endlichkeit, im zweideutigen und aus den Zweideutigkeiten fragmentarisch befreiten Leben des Menschen. Deshalb ist auch die Erlösung mehr als Restitution oder Integration. „Das Neue Sein, das eine Schöpfung der Inkarnation ist, steht über dem essentiellen Sein, weil es aktuell und nicht bloß potentiell ist, und gleichzeitig steht es über dem existentiellen Sein, weil es essentielles Sein oder essentielle Gott-Mensch-Einheit in die Existenz bringt“994, so Tillich. Und weiter: „Erst die Inkarnation war die 989 Fröhlich, 386. (Hervorhebung vom Autor) Hier zeigt sich nach Fröhlich in herausragender Weise die Abhängigkeit Tillichs von Schelling. 990 Wolff, 137 – 140. 991 Wolff, 138. 992 Bayer: Paul Tillich, 226. 993 Wolff, 140. 994 GW VIII, 214.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
erlösende Wirklichkeit.“995 Die Wiederherstellung ist „Wiedergeburt aus den Quellen, nicht aber Wiederholung aus dem Alten“996. Das Neue geht zwar nicht über das hinaus, was vom Ursprung her gefordert ist; aber es wäre unrecht zu behaupten, das Neue wäre nicht mehr als der Ursprung. Im Ursprung liegt eine Forderung, die den Ursprung transzendiert. Aktualisierte und nicht mehr entfremdete Potentialität muß mehr sein als reine Potentialität. Ähnlich steht es um den Vorwurf der Unterpersonalität des Neuen Seins: Tillich würde antworten, daß es überpersonal ist und den Personbegriff erst begründet. Trotz solcher potentiellen Einwände, die durchaus helfen, die enorme und inspirierende denkerische Leistung Tillichs auch in Sachen Soteriologie gebührend zu würdigen, bleibt doch folgende Kritik: Tillichs Christus ist aufgrund der Schieflage der Symboltheorie letztlich doch eine Zwischengröße und im klassischen Sinn weder ganz Gott noch ganz Mensch. Vor allem aber werden sowohl die Analyse des Menschen als auch die Beschreibung des Christus in ein Frage-Antwort-Schema eingespannt und damit verkürzt. Das wird besonders deutlich, wenn Tillich die biblisch-christologischen Begriffe zwar alle gebraucht, sie aber ihres wörtlichen Sinnes beraubt und sie schließlich nur als symbolische Ausdrücke für das Neue Sein gelten läßt.997 Und es bleibt hinzuzufügen: das Heil des Menschen wird latent „verinnerlicht“ bzw. „verjenseitigt“998 weil „verontologisiert“, so daß die äußere Welt trotz Tillichs vieldimensionaler Anthropologie heilsirrelevant wird und ihre Bedeutung verliert. Geschichte ist nur bedingt erlöst, da Gott nie wahrhaft geschichtlich geworden ist und von daher auch dem Menschen nie wahrhaft begegnet ist. Der Mensch kann jedoch nur durch das zuvorkommende und ungeschuldete Wort Gottes aus seiner Selbstverkrümmung befreit werden. Die von Tillich ausgearbeitete Ontologie mit dem Rückgrat des Essenz-Existenz-Schemas hat sehr viele Vorteile, denn sie stellt eine sehr kritische Funktion gegenüber der supranaturalistischen und rein essentialistischen Tendenz in der Christologie dar, ermöglicht die Tillichsche Symboltheorie und gestattet einen problemlosen Ausdruck der Prä- und der Postexistenz des Christus.999 Doch gerade innerhalb der Soteriologie 995 996 997 998 999
GW VIII, 219. GW VIII, 225. Vgl. Schmitz, 250. Vgl. Greshake, G.: Erlöst in einer unerlösten Welt?, Mainz 1987, 12 – 26. „Die ontologische Theologie Tillichs (ist) in vielfacher Weise für die gegenwärtige Theologie von großer Bedeutung.“ (Kasch, 101)
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bricht an der Frage des historischen und konkreten Jesus ihre Grenze auf. Was bedeutet es, daß Gott als Seinsmacht sich durch das Christus-Symbol mit den Menschen versöhnt? Sowohl das Verhältnis zwischen Gott und Jesus dem Christus als auch jenes zwischen Christus und den Menschen ist unangemessen bestimmt.1000 Vor allem letzteres stört uns. Der Seinscharakter erstickt den Geschehenscharakter. Wo die ewigen Seinsverhältnisse sich mit der Geschichte berühren, geschieht kein theologisch reiner Übergang. An jenem Ort, wo um der Menschen willen die Ontologie dem Personalismus Platz machen müßte, ist sie bereits zu gut etabliert, um sich auf-heben zu können. Im Hinblick auf das von Tillich mit großer Selbstsicherheit in seinen methodologischen Prolegomena zur „Systematischen Theologie“ behandelte Problem des Verhältnisses von Universalität und Konkretheit, von Allgemeingültigkeit und Einmaligkeit muß man nun jedoch fragen, inwiefern die Geschichte tatsächlich ernstgenommen wird und der Mensch in seiner unspektakulären, wenig universalmächtigen Konkretheit gewürdigt wird.1001 Tillichs Theologie kann durch ihre Suggestionskraft bestechen, doch auf der anderen Seite hinterläßt sie einen bitteren Nachgeschmack.1002 Der
1000 Kasch schreibt: „So erscheint mir sowohl die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Gott und Jesus als dem Christus wie die des Verhältnisses zwischen Christus und uns unangemessen.“ (Kasch, 102) 1001 Es rächt sich, daß Tillich sich in „Biblische Religion und die Frage nach dem Sein“ leicht widersprochen hat. Einerseits hatte er nämlich als oberes Prinzip festgestellt: „Glaube schließt die ontologische Frage ein, sei sie nun explizit gestellt oder nicht.“ (GW V, 170) Doch andererseits geschieht gerade in Bezug auf die Christologie eine bedeutsame Umkehrung der Verhältnisse: „Die Ontologie ist imstande, die christologische Frage in sich aufzunehmen.“ (GW V, 178) Es setzt sich im Zentrum der Tillichschen Theologie schließlich die Ontologie durch, so daß Kasch mit Blick auf die Erlösungslehre schreiben kann: „Die starke Betonung der ontologischen Differenz zwischen Gott und Mensch, die sich aus dem Ganzen der Tillichschen Ontologie ergibt, führt zuletzt meiner Überzeugung nach dazu, daß diese Linie den Sieg behält, obwohl Tillich dies nicht will.“ (Kasch, 102) Schnübbe dagegen meint von der bei Kasch implizierten Gegenüberstellung von Ontologie und Personalismus, daß sie den Quellen nicht standhält. (vgl. Schnübbe, 227, Anmerkung 60) 1002 Sesboüé bringt beides zum Ausdruck, wenn er aus katholischer Sicht zuerst schreibt: „J’ai souvent remarqué que les ouvrages de théologie protestante sont plus séduisants que leurs correspondants catholiques.“ (Sesboüé: Christologie et sotériologie chez Paul Tillich, 233) Doch wenige Zeilen später bringt er seine Enttäuschung zum Ausdruck : „Autant le langage du croyant m’atteint, autant la logique du concept me laisse frustré.“ (Sesboüé: Christologie et sotériologie chez Paul Tillich, 234)
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
Eindruck entsteht, daß bei Tillich „une grave réduction du mystère chrétien“1003 vorliegt. Die Konfrontation von Philosophie und Theologie erfordert ein Modell, das über eine reine Korrelation hinausgeht. Sie verlangt eigentlich eine Entscheidung und damit auch eine Wahl zugunsten eines der beiden Brennpunkte. Wer die Philosophie wählt, um den Glauben in einen allgemeineren Rahmen einzufügen, riskiert konsequenterweise, den Charakter der Unvorhersehbarkeit, Unbedingtheit und Unmanipulierbarkeit der göttlichen Offenbarung zu opfern und die Offenbarung als solche zu reduzieren. Die „mächtigen Paradoxe“ von Chalcedon legen von dieser Gefahr ein beredtes Zeugnis ab und verlangen nach deren Vermeidung. Wer dagegen die Theologie wählt und die Philosophie als „ancilla“ ansieht, verliert verständlicherweise wegen seiner glaubenden Vorentscheidungen den Anspruch einer philosophisch verantworteten Universalkommunizierbarkeit. Das Problem von Universalität und Konkretheit ist anhand eines Ellipsenschemas mit den beiden Brennpunkten Philosophie und Theologie zwar äußerst interessant behandelt, aber nicht erschöpfend erfaßt. „Das Bild der Ellipse mit ihren zwei Brennpunkten wird zum graphischen Bild des vorliegenden Problems, nicht zu einem die endgültige Lösung veranschaulichenden Symbol.“1004
4. Die Frage nach der Denkform Die Untersuchungen zu Tillichs Entwurf haben unzweideutig zum Vorschein gebracht, daß er auf der Denkform des Paradoxes aufbaut. Sowohl der formal-systematische Konstruktionsrahmen, der sich geschichtsphilo1003 Sesboüé: Christologie et sotériologie chez Paul Tillich, 234. 1004 Wolff, 140. Nur erwähnt werden kann hier die Kritik von Stephan Vasel, der die philosophisch verantwortete Christologie Tillichs auf die Implikationen des christlich-jüdischen Dialogs hin untersucht. Seiner Meinung nach liegt die Schwierigkeit des Zirkels der Korrelationsmethode nicht so sehr in der Verbindung von Theologie und Philosophie, sondern darin, daß Tillich nicht berücksichtigt, daß „das Christentum in einen bereits vorchristlich vorhandenen und nebenchristlich fortbestehenden theologischen Zirkel, den jüdischen nämlich, einzuordnen ist“ (Vasel, 390). Diese These beleuchtet unser Ergebnis aus einem neuen Winkel, denn mit dem spezifisch christlichen Profil des Erlösers wird natürlich auch dessen jüdischer Hintergrund aufgegeben. Die Frage, inwiefern in Tillichs Gottesund Jesusbild etwas spezifisch Jüdisches übrigbleibt, ist letztlich eine von prinzipiell mehreren denkbaren Versionen, die Frage nach der Bedeutung des konkret Geschichtlichen durchzuspielen.
D. Schlussteil: Überhänge und Übergänge
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sophisch, sinnhermeneutisch und transzendentalphilosophisch an Schelling orientiert, als auch die materiale Ausarbeitung der Christologie und vor allem der Inkarnationslehre basieren auf paradoxalen Transmissionsformen. Die Offenheit der Korrelationsmethode setzt das Paradox genauso voraus wie die Bestimmtheit der Botschaft gegenüber der jeweiligen Situation. Obwohl Tillich sich vor allem im Zusammenhang mit seiner Symboltheorie und seiner Ontologie viel mit der Denkform der Analogie auseinandersetzt, bietet letztere nur die Bedingung der Möglichkeit des positiven Paradoxes. Diese Spannung, die letztlich auf dem Vorrang der paradoxalen Denkform hinausläuft, blieb auch in der Rezeptionsgeschichte von Tillichs Denken nicht unbemerkt. Die Frage nach seiner Denkform hat dabei besondere Aufmerksamkeit erlangt, da das disparate Reflektieren Tillichs sich vom materialen Standpunkt nur schwer auf einen Nenner bringen läßt. Umso interessanter war es zu eruieren, welche verbindenden und verbindlichen Denkmuster sich hinter den oft schwer verständlichen Gedanken verbergen. So hat vor allem Tillichs Ontologie das Interesse dafür geweckt, inwiefern die „Analogia entis“ in sein Denken Einzug gehalten hat.1005 Letztere sei Bedingung der Möglichkeit der Symboltheorie und begründe den methodischen Ansatz, daß ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit zugleich bejaht und verneint wird1006, wenn er zum Symbol wird – so stellt Anselm Forster in seiner Analyse zu Tillichs Offenbarungsverständnis fest.1007 „Die Berechtigung für eine solche Methode gibt die analogia entis, diese wiederum beruht auf der Tatsache, daß Gott als Sein-Selbst verstanden werden muß und weil alles Seiende am Sein-Selbst partizipiert. (…) Tillich hätte nicht nur die Möglichkeit, auf Grund der Prinzipien seiner Erkenntnislehre analoge Begriffe zu bilden, er macht von dieser Möglichkeit auch Gebrauch.“1008 Anhand der „analogia entis“ hat Tillich ein anspruchsvolles 1005 Vgl. u. a. Ernst, N.: Die Tiefe des Seins. Eine Untersuchung zum Ort der analogia entis im Denken Paul Tillichs, St. Ottilien 1988; Richard, J.: Symbolisme et analogie chez Paul Tillich, in: Laval théologique et philosophique 32 (1976) 43 – 76; 33 (1977) 39 – 60 und 183 – 202; Hummel, G. (Hrsg.): God and Being/Gott und Sein. Das Problem der Ontologie in der philosophischen Theologie Paul Tillichs. Beiträge des II. Internationalen Paul-Tillich-Symposions in Frankfurt/M. 1988, Berlin 1989; Lerch, K.-H.: Die Gestalt der Gnade und das sakramentale Denken in der Theologie Paul Tillichs, in: NZSTh 26 (1984) 71 – 86. 1006 Vgl. ST I, 283. 1007 Vgl. Forster, 160. 1008 Forster, 160. Von daher bleibe Tillichs Ablehnung einer natürlichen Theologie von seinem eigenen Standpunkt her ohne Überzeugungskraft. (vgl. Forster, 160 f.) Wir
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
Verständnis der Versöhnung von Gott und Mensch ermöglicht, in der das Geheimnis Gottes gewahrt und trotzdem auf die Wirklichkeit des Menschen bezogen wird.1009 Norbert Ernst kann in seiner sehr ausgiebigen Arbeit „Die Tiefe des Seins“ schlußfolgern: „So kann wohl die abschließende These gewagt werden, daß Tillichs Denken unter dem Gesetz der analogia entis steht, ohne daß es diesen Namen ausdrücklich trägt.“1010 Klaus-Dieter Nörenberg teilt diese Auffassung in seiner hervorragenden Tillich-Studie über die „Analogia imaginis“ und das Symbolverständnis, gibt auch zu bedenken, daß die durch die Partizipation am Christus-Symbol vermittelte theologische Antwort eine stärkere Partizipation bedeutet als die alleine durch die Seinsanalogie vermittelte.1011 „Zwar ist die auf Grund der analogia entis oder der allgemeinen Seinspartizipation als Essenz im Menschen und in der gesamten Kreatur liegende Seinsmächtigkeit schon ohne symbolische Vermittlung da, aber nur als Moment der Selbsttranszendenz des endlichen Seins. Die durch symbolische Repräsentation vermittelte Seinsmächtigkeit und Dynamik ist dagegen gerade nicht nur transzendierend, sondern auch immanierend und nicht vornehmlich Bewegung von unten nach oben, sondern von oben nach unten und darum Offenbarung, Selbstmanifestation des Neuen Seins, das etwas ganz Neues bringt.“1012 Die Deszendenz „von oben nach unten“ ist aber nach unserer Analyse nur als Paradox zu denken. Hans Anzenberger weist darauf hin, daß Tillich die Frage der Zuordnung von Natur und Gnade, Grund- und Heilsoffenbarung, Philosophie und Theologie damit bereits lange vor der innerkatholischen Dis-
1009
1010 1011 1012
meinen, seine Abwehrhaltung könne nur in der Abwehr der karikierenden Darstellung liegen, daß die natürliche Theologie eine Methode sei, um die Wahrheit über Gott herauszufinden. Doch die „analogia entis“ ist die Möglichkeitsbedingung der analogen Gotteserkenntnis, fällt aber mit ihr nicht ineins. (vgl. Schmitz, 101, Anmerkung 94) Vgl. Wilhelm Breuning im Geleitwort zu Wittschiers Tillich-Arbeit über die Pneuma-Theologie, 6. Wittschier selbst relativiert diese Aussage, indem er sich fragt, ob es sich bei Tillich nicht eher um einen Pantheismus Hegelscher Prägung handele, als um die klassische Analogie-Lehre. (vgl. Wittschier: Pneuma-Theologie, 133) Ernst: Die Tiefe des Seins, 182. Die Analogie ist weniger eine Sachfrage im strengen Sinn als vielmehr ein „Schlüssel zum Verständnis der endlichen Wirklichkeit vor Gott“ (Ernst: Die Tiefe des Seins, 211). Vgl. Nörenberg, K.-D.: Analogia imaginis. Der Symbolbegriff in der Theologie Paul Tillichs, Gütersloh 1966, 133 f. Es gibt eine Einheit von Analogiegedanken und Korrelationsmethode. (vgl. Nörenberg, 159 ff.) Nörenberg, 138.
D. Schlussteil: Überhänge und Übergänge
269
kussion thematisiert und sie letztlich auf die beiden dominierenden Grundschemata der „Systematischen Theologie“ übertragen hat: das ontologische Verhältnis von Essenz und Existenz sowie die gnoseologische Korrelation von Frage und Antwort.1013 Adam Seigfried1014 kann zu diesem Thema zum Beispiel erarbeiten, daß das christliche Paradox bei Tillich nicht darin besteht, daß das wesenhafte Menschsein die Einheit von Gott und Mensch umfaßt – denn hier bewegen wir uns vielmehr auf dem Feld der dialektisch konstruierten Seinsanalogie –, sondern darin, daß in einem personhaften Leben das Bild des wesenhaften Menschseins sich unter den Bedingungen der Existenz manifestiert hat, ohne letztlich von ihnen überwältigt zu werden.1015 Die christologische Transmissionsfigur ist also das Paradox, aber als kritisches und positives Paradox. In der eingangs besprochenen Auseinandersetzung mit Barth und Gogarten aus dem Jahre 1923 hatte Tillich darauf bestanden, daß das Paradox nicht nur kritisch und negativ gegen die bestehende Welt und den existierenden Menschen gerichtet werden kann, sondern immer auf einer Bejahung gründet, die sich ihrerseits der Gnade verdankt. Es gibt also eine tiefere, vorgeordnete, letztlich ontologische Bezogenheit von Gott und Mensch. Die Korrelation ist die methodische Einlösung des theologischen Programms von kritischem und positivem Paradox und der Versuch einer Verbindung von kerygmatischer und apologetischer Theologie. Sie setzt eine Harmonie voraus, innerhalb derer Differenz bestehen kann, welche aber riskiert, letztere einzuschleifen.1016 Auf dem V.Internationalen Paul-Tillich-Symposion in Frankfurt/ Main1017 beschäftigten sich die dort vertretenen Forscher in ihren interdisziplinär angelegten Beiträgen mit dem Thema Paradox: Paradox als Kategorie theologischen Denkens, als Methode dogmatischen Verstehens und als Funktion religiöser Rede und Praxis. Mit seiner paradoxalen 1013 Anzenberger, H.: Der Mensch im Horizont von Sein und Sinn. Die Anthropologie Paul Tillichs im Dialog mit Humanwissenschaften (Rupert Riedl, Erich Fromm und Viktor E. Frankl), St. Ottilien 1998, 68 f. 1014 Vgl. vor allem das sehr aufschlußreiche Werk von Seigfried: Das Neue Sein. 1015 Dies ist auch das Ergebnis der Studie von: Schröer, H.: Die Denkform der Paradoxalität als theologisches Problem, Göttingen 1960. 1016 Vgl. Fischer, H.: Tillichs Theologie des positiven Paradoxes, in: Ders., Systematische Theologie. Konzeptionen und Probleme im 20. Jahrhundert, 1992, 150 – 157, hier: 156. 1017 Hummel, G. (Hrsg.): The theological paradox/Das theologische Paradox. Interdisziplinäre Reflexionen zur Mitte von Paul Tillichs Denken. Beiträge des V. Internationalen Paul-Tillich-Symposions in Frankfurt/M. 1994, Berlin 1995.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
Terminologie in Bezug auf das Christusgeheimnis und seiner dialektischen Begrifflichkeit zu den Lebensprozessen tritt Tillich einer einebnenden protestantischen Orthodoxie und der liberalen Theologie des 19.Jahrhunderts entgegen und hebt die große moderne Frage der Geschichtlichkeit in die christologische Dimension hinein.1018 Dabei sieht Oswald Bayer aber auch den Unterschied zu Kierkegaards Existentialismus, da Tillich das Paradox an entscheidender Stelle entschärft, da er es im Sinne von Schellings idealistischem Indifferenzpunkt in einen Essentialismus einbettet.1019 Jeder Mensch kann als zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit ausgespanntes Paradox beschrieben werden, welches aber im Christussymbol Fassung findet, da bei Tillich die symbolische Sprache den paradoxalen Grundsachverhalt beinhaltet. Daß Christus das Paradox des Menschen fassen kann, setzt nach Bertram Schmitz voraus, daß „der göttliche Aspekt Jesu im panentheistischen Sinn verstanden wird, nämlich als sein Grund, den er mit allen Lebewesen teilt“1020. Das Paradox wirkt nicht nur materialtheologisch, sondern auch formal und bestimmt sowohl die religionsphilosophische Frage nach der Wahrheit der religiösen Symbole (die staurologisch genormte Verneinung seiner selbst) als auch den theologischen Normbegriff von Religion (die Religion des konkreten Geistes durch die Synthesis von sakramentalem und pro-
1018 Vgl. Reimer, A.J.: Tillich’s Christology in Light of Chalcedon, in: Hummel (Hrsg.): Das theologische Paradox, 122 – 140. In einem eigenwilligen Ansatz meint Günther Keil, sowohl Tillichs anthropologisches wie auch sein christologisches Paradox als Scheinparadoxe entlarvt zu haben. Die wahre, durchaus bestehende, aber von Tillich nicht treffend umschriebene Paradoxalität des Menschen löse sich im wahren Paradox des Christus, indem letzterer den Menschen trotz Tod und Nichts in der Hoffnung auf Unendlichkeit aufhebt; diese Hoffnung drückt sich in der Handlungsanweisung zur Feindesliebe aus. (vgl. Keil, G.: Das anthropologische und das christologische Paradox, in: Hummel (Hrsg.): Das theologische Paradox, 152 – 161) 1019 Vgl. Bayer, O.: Paradox. Eine Skizze, in: Hummel (Hrsg.): Das theologische Paradox, 3 – 8, hier: 6. Yorick Spiegel ist der Meinung, daß der Begriff des „Neuen Seins“ Schnittpunkt von Existentialismus und Essentialismus und zugleich Ausdruck des grundlegenden Paradoxes der Inkarnation, der Lebensphilosophie entliehen wurde und von daher zugleich Paradox und Dialektik ausdrückt. (vgl. Spiegel, Y.: Paradox und Dialektik – Paul Tillich und die Lebensphilosophie, in: Hummel (Hrsg.): Das theologische Paradox, 63 – 76) 1020 Schmitz, B.: Das christologische Paradox und seine Transformation in die Sprache der Symbole, in: Hummel (Hrsg.): Das theologische Paradox, 162 – 174.
D. Schlussteil: Überhänge und Übergänge
271
phetischem Element – wie es am Kreuz deutlich wird).1021 Es zeigt sich einerseits, daß Tillich den Paradoxbegriff nicht im philosophischen, sondern vielmehr im religionsphilosophischen oder theologischen – genauer: christologischen – Bereich gewinnt.1022 Andererseits wird deutlich, daß das christologische Grundparadoxon sowohl formal als auch material ausstrahlt und alle anderen paradoxalen Bestimmungsverhältnisse in Tillichs Denken sich auf jenes zurückbeziehen lassen. Er selbst hat es in der „Systematischen Theologie“ so formuliert: „Die christliche Behauptung, daß das Neue Sein in Jesus als dem Christus erschienen ist, ist paradox. Sie ist das einzige, allumfassende Paradox des Christentums. (…) Die Erscheinung des Neuen Seins unter den Bedingungen der Existenz, sie richtend und überwindend, ist das Paradox der christlichen Botschaft (…) und die Quelle aller paradoxen Aussagen des Christentums.“1023 Tillichs ganz besondere Leistung besteht darin, das Christentum auf Formalität und nicht alleine auf Inhalte hin ausgelegt zu haben. Mit einer Vielzahl von Denkarten – Analogie, Korrelation, Dialektik, offene Spirale, eschatologischer Vorbehalt –, die sich alle im Paradox fassen lassen, gelingt ihm die freie reziproke Zuordnung von Christentum und Welt, von Neuem Sein und Sein, von Symbol und Kultur.1024 5. Überhänge Wir haben die Engpässe in Tillichs Entwurf formuliert. Gunther Wenz hat den Versuch unternommen, eine Korrektur der Tillichschen unebenen Nahtstellen zu versuchen, die uns einen Übergang zu Kasper erlaubt.1025 Gott sei nicht – wie bei Tillich – ber Jesus zu suchen, sondern in Jesus. In diesem Vorwurf von Wenz ist auch eine Kritik am Symbolkonzept ent1021 Vgl. Schüssler, W.: Das Fortwirken des christologischen Paradoxes in der Religionsphilosophie und der Religionstheologie Paul Tillichs, in: Hummel (Hrsg.): Das theologische Paradox, 20 – 31. 1022 Scharlemann: Anwesenheit Gottes als Gegebensein des Nichtgegebenen, in: Hummel (Hrsg.): Das theologische Paradox, 95 – 103, hier: 101. 1023 ST II, 100.102; vgl. ST I, 71. Letztlich sind es zwei Paradoxe: die Inkarnation und das Christentum als die vollkommene Offenbarung. (vgl. Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 147) 1024 Vgl. Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 153; sie sehen eine religionstheologische Fruchtbarkeit von Tillichs Denken für den theozentrischen, den revelatorischen, den pisteologischen, den christologischen, den trinitätstheologischen und den ekklesiologischen Aspekt. 1025 Vgl. Wenz : Theologie ohne Jesus ?, 136 – 139.
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II. Der soteriologische Ansatz von Paul Tillich
halten: Christus wird als Symbol letztlich doch als „Zwischengröße“ verstanden, die zwar weder Gott noch den Menschen ersetzt, aber beide auch nicht gebührend miteinander vermitteln kann. Von daher gerät die Soteriologie in eine Schieflage: wenn Gott nicht ganz in Jesus zu finden ist, dann kann auch die Erlösung des Menschen nicht als Vergöttlichung verstanden werden. Die Kontingenz und Einzigkeit der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus dem Christus – so Wenz weiter – und die strenge Wesensidentität von Gott und Jesus bedingen sich gegenseitig. Diese Wesensgleichheit wird nur dann nicht zu einem unparadoxen Götzen, wenn die Selbstoffenbarung Gottes als Einheit von Offenbarer und Offenbartem als Vollzug gedacht wird, also als Offenbarung im Sinn von Selbst-Enthüllung in Selbst-Verhüllung. Offenbarung ist nicht abgeschlossene Offenbartheit. Die Besonderheit Jesu muß dann nicht mehr an das Christus-Symbol geopfert werden, denn „gerade indem Jesus durch radikale Selbstunterscheidung von Gott dessen Verborgenheit uneingeschränkt wahrt, ist Gott selber offenbar in ihm“1026. Gott wird durch die Konkretheit Jesu nicht verendlicht, und die Subjektivität wird nicht aus der Theonomie wieder in eine Autonomie entlassen. Im Gegenteil: es ist zu fragen, ob die Nicht-Vergöttlichung Jesu unbedingt zur Leugnung der Wesensidentität führen muß, oder ob sie „nicht gerade umgekehrt einzig und allein durch dieses Theologumenon gewahrt bleibt“1027. Tillich hat mit der Betonung der Selbstaufgabe Jesu durchaus Recht, aber Wenz wiederholt: „Gott ist nicht über, sondern in Jesus zu suchen, in Jesus Christus, dessen Eigenart – Tillich hat das richtig gesehen! – es freilich ist, seine Eigenart hinzugeben.“1028 Wenz ist der Meinung, daß anhand solcher Korrekturen die Christologie nicht geschichtslos werden muß, sondern gerade im geschichtlichen Gegenüber jene Gewißheit entdecken kann, die Tillich so dringend sucht. Denn wenn die Offenbarungslehre entsprechend der mächtigen Paradoxe von Chalcedon versucht, das Bedingte und Unbedingte, das Menschliche und Göttliche ohne Verkürzungen und Eingrenzungen paradoxal zusammenzudenken, dann geht mitten im Geschichtlichen die Transzendenz Gottes eben nicht verloren. Die Geschichte wird nicht als neue Positivität statuiert, sondern eröffnet den Raum der Freiheit und der Einmaligkeit. Das unableitbare Besondere bekommt durch das Vollziehen der Einheit von Einheit und Verschiedenheit sein eigenes Recht und braucht nicht 1026 Wenz: Theologie ohne Jesus?, 137. 1027 Wenz: Subjekt und Sein, 300. 1028 Wenz: Subjekt und Sein, 300.
D. Schlussteil: Überhänge und Übergänge
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hinter einer leeren Allgemeinheit zu verschwinden. Mit dieser Setzung von ontologisch nicht einholbarer Freiheit wird verständlicherweise auch die Trinitätslehre eine andere Wendung nehmen. Dies sind Fragen, die bereits vorzeitig auf die Theologie von Walter Kasper verweisen und anschließend behandelt werden sollen. Wenz fordert mit Blick auf Tillich eine konsequente Vermittlung von Gott und Geschichte, in der der Raum für eine ständig erneuerte Entschlüsselung des einen geschichtlichen Christus-Ereignisses derart offenbleibt, daß zugleich „die Möglichkeit pneumatologischer Realisierung“1029 eröffnet ist. Der theologische Gedanke soll „jene in Jesus Christus offenbare Liebe Gottes ,symbolisieren‘, die sich auf den Einzelnen als Einzelnen einläßt“1030. Eine wahre Heilsvermittlung zwischen Gott und Mensch kann demnach nur gewahrt bleiben und gegen die Dominanz abstrakter Allgemeinheit und die Naturalisierung der Geschichte verteidigt werden, wenn der Ansatz der Theologie „bei der konkreten Besonderheit der Geschichte Jesu“1031 erfolgt.1032 Mit dieser offenen Frage wollen wir uns Walter Kasper zuwenden.
1029 Wenz: Theologie ohne Jesus?, 138. (Hervorhebung vom Autor) 1030 Wenz: Theologie ohne Jesus?, 139. 1031 Wenz: Subjekt und Sein, 291. „Ohne Zweifel, der starke Eindruck, der von Tillichs Theologie ausgeht, liegt in der Offenheit, mit welcher er der allgemein menschlichen Erfahrung begegnet und Gottes und der Menschen Wirklichkeit zusammenzubringen versucht. Und doch vermißt man die Strenge des gedachten Zusammenhangs. Er erschließt sich nur dort, wo der theologischen Gesamtkonzeption der Bezug zur geschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes im Menschen Jesus grundlegend ist. Denn als der für das Endliche aufgeschlossene Geist kann Gott nur als der gedacht werden, der sich in Jesus selbst an den Ort bestimmter Endlichkeit begeben hat.“ (Wenz: Theologie ohne Jesus?, 136) 1032 Auf dieser Linie – wenn auch mit anthropologischer Zuspitzung – liegt auch der Korrekturvorschlag von Fröhlich: „Die personale Struktur der Wirklichkeit, die im Seinsbegriff nicht zum Ausdruck kommt – was immer wieder dazu führt, daß Schicksal, Natur, Prozeß vor Freiheit, Geschichte, Entscheidung die Oberhand gewinnen – muß unvermittelt hinzutreten, um die Eigenart der christlichen Botschaft zu wahren. So müßte die Repräsentation und Konzentration der Schöpfung im Menschen, soll sie an der angegebenen Stelle als Argument zählen, zur Struktur der systematischen Theologie werden.“ (Fröhlich, 403 f.)
III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper War Tillich von der Frage ausgegangen, unter welchen metaphysischen Voraussichtungen man einem mit Sinnlosigkeit geschlagenen Menschen neue Gewißheit bereiten konnte und wie Christus als Gottes Antwort auf die Fragen der Menschen dabei als sinnvoll plausibel gemacht werden kann, so läßt sich Walter Kasper weniger von einer historischen erlittenen, sondern vielmehr von einer geistesgeschichtlich immanenten Entwicklung herausfordern, die nach dem aufkommenden nachhegelianischen Nihilismus zum neuzeitlichen Atheismus geführt hat. Von daher wird Kaspers Arbeiten stark von seinen epistemologischen Reflexionen zum Sinn der Theologie geprägt, um aus dem Binnenraum des theologischen Denkens die erforderlichen Kategorien zu entwickeln, welche sowohl das kirchliche Glaubensbekenntnis in seiner Tradition als auch die moderne Herausforderung beachten. In Kasper stehen wir einem Denker gegenüber, der sich einerseits dadurch auszeichnet, daß er zu einer aufstrebenden Generation heute prägender deutschsprachiger Theologen gehört1, welche die Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils mit beeinflußten, danach aber auch denkerisch zu fassen und umzusetzen hatten; andererseits gehört er zu jenen Denkern, die sich innerhalb der katholischen Kirche viele, auch kritische Gedanken gemacht haben – man denke an das „Gemeinsame Hirtenschreiben der Bischöfe der Oberrheinischen Kirchenprovinz zur Pastoral mit Geschiedenen und wiederverheirateten Geschiedenen“2 –, 1
2
Vgl. Kaspers Darstellungen zur „Generation Konzil“ in: Kasper, W./Deckers, D.: Wo das Herz des Glaubens schlägt. Die Erfahrung eines Lebens, Freiburg im Br. 2008, 53 ff., wo er vor allem die gegenseitigen Abhängigkeiten, Überschneidungen und Beeinflussungen in Bezug auf Rahner, Küng, Scheffczyk, von Balthasar, Metz, Böckle, Lehmann, Ratzinger, aber auch auf Congar, de Lubac, Schillebeeckx, Boff, Gutiérrez u.v.a. beschreibt. Die Zitationen aus Kaspers Werken erfolgt fortan ohne Angabe des Autoren alleine durch den Kurztitel und die entsprechende Seitenzahl. Gemeinsames Hirtenschreiben der Bischöfe der Oberrheinischen Kirchenprovinz zur Pastoral mit Geschiedenen und Wiederverheirateten Geschiedenen, in: Kirchliches Amtsblatt der Diözese Rottenburg-Stuttgart 42 (1993), 25. August 1993, 445 – 449 (Kasper zusammen mit Erzbischof Dr. Oskar Saier u. Bischof Dr. Karl Lehmann).
III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
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durch ihre Loyalität aber mit der Verantwortung von Bischofs- und Kardinalsämtern betraut wurden. Das Spannende und Faszinierende an Kasper ist gegenüber dieser Inanspruchnahme die bleibende denkerische Freiheit des Theologen, der seine Überlegungen bewußt dem Wohl der Kirche widmet. Kaspers ursprünglichem theologischen Anliegen wollen wir uns nähern. Wie sind Gott und Mensch in Christus miteinander vermittelbar im Horizont des modernen Freiheitsbewußtseins und der neuentdeckten Geschichtlichkeit des Menschen, ohne daß damit einem restaurativen Rückzugsgefecht in die neoscholastische Statik noch einer Flucht nach vorne in die Relativität der religiösen Wahrheit Vorschub geleistet wird? Wie drückt sich darin die Verantwortung für die ganz konkrete Situation der Menschen aus? In seinem programmatischen Aufsatz „Christologie und Anthropologie“ unterscheidet Kasper innerhalb der Vermittlungsaufgabe zwischen einem formalen und fundamentalen Problem einerseits und einem materialen und kategorialen Problem andererseits. Er spitzt die Frage dieser Dissertation selbst unter soteriologischen Vorzeichen zu, so daß es wichtig ist, diesem Aufsatz einen gebührenden Ort einzuräumen, ehe wir uns vor allem den Manualen „Jesus der Christus“ und „Der Gott Jesu Christi“ widmen. Dabei sollen die von Tillich her überhängenden Fragen an einen Entwurf gestellt werden, der sich zwar in formal verwandter Weise auf Schelling beruft, zugleich aber eine Reflexion verkörpert, die gegenüber von Tillich um ein halbes Jahrhundert weiter nach vorne verlagert ist. Das Thema „Situation und Botschaft“ muß Kasper nicht von außen her zugespielt werden, sondern bestimmt das rahmende Grundanliegen seiner Theologie. Inhaltlich gewinnt die Thematik in der Verhältnisbestimmung von Christologie und Anthropologie, die bei Kasper ganz explizit ausgeführt wird, Kontur.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
A. Einleitender Teil: Methodologische Grundlegungen 1. „Christologie und Anthropologie“ Die Vermittlung von Christologie und Anthropologie ist auch ein Grundanliegen von Walter Kasper3. So wie in Bezug auf Paul Tillich kann man auch bei dem deutschen Theologen, Bischof und Kardinal behaupten, daß sie in gewisser Weise sein ganzes theologisches und auch philosophisches Denken überragt.4 Diese Vermittlung geschieht sicher3
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Da es mehrere Jahrzehnte nach dem Tod von Tillich bereits möglich ist, Biographie und Theologie zueinander in Beziehung zu stellen und gegenseitige Einflüsse bzw. Abhängigkeiten zu eruieren und in ihrer Aussagekraft zu bewerten, haben wir im Tillich-Teil auf einigen Daten seines Lebens bestanden; bei Kasper wollen wir darauf verzichten und auf das 2008 aus Anlaß des 75.Geburtstags von Walter Kasper erschienene Buch „Wo das Herz des Glaubens schlägt“ verweisen; es nimmt in Form eines stichwortartig rhythmisierten Interviews mit dem Journalisten Daniel Deckers den Rang einer Autobiographie ein (Kasper, W./ Deckers, D.: Wo das Herz des Glaubens schlägt. Die Erfahrung eines Lebens, Freiburg im Br. 2008). (vgl. zum Zusammenspiel von Biographie und Theologie Greshake, G.: Dogmatik und Spiritualität, in: Schockenhoff, E./ Walter, P. (Hrsg.): Dogma und Glaube (FS für Bischof Walter Kasper), Mainz 1983, 235 – 252) Informationen über seinen Werdegang enthält aber der Artikel von Kreidel, J.: In der Kraft des Geistes auf der Höhe der Zeit, in: Russo, A./ Coffele, G.: Divinarum rerum notitia. La teologia tra filosofia e storia (FS Kardinal Walter Kasper), Roma 2001, 743 – 747. Erwähnenswert ist sicherlich, daß Kasper nach seinen beiden großen Manualen „Jesus der Christus“ (Mainz 1974; wir arbeiten mit der 11. Auflage von 1992) und „Der Gott Jesu Christi“ (Mainz 1982; wir benutzen die 3. Auflage von 1995) vor allem dadurch als Theologe ins Rampenlicht trat, daß er zum theologischen Berater und Sondersekretär der Bischofssynode von 1985 über die Kirche nach dem Zweiten Vatikanum berufen wurde. Dieser Ruf mag die kirchenpolitisch wichtige Rolle Kaspers, die sich in der Zwischenzeit bis zu Kardinalswürden entwickelt hat, unterstreichen. (vgl. Nichols, A.: Walter Kasper and his Theological Programme, in: New Blackfriars 1 (1986) 16 – 24, hier: 16) Das christologische Interesse steht bei Kasper – nach seinen Veröffentlichungen zu urteilen – seit jeher im Zentrum der theologischen Arbeit (vgl. Madonia N.: La cristologia di Walter Kasper tra fede e storia, in: Ho Theologos N.S. 14 (1996) 277 – 292, hier: 277 f.). Sicherlich ist Kaspers theologisches Schaffen noch nicht abgeschlossen, doch man darf aufgrund seiner Aufgaben an der Römischen Kurie mit gutem Grund davon ausgehen, daß keine sachlichen Neuheiten mehr hinzukommen. Außerdem ist es auffällig, daß Kasper seine großen Impulse auf die beiden großen Manuale „Jesus der Christus“ und „Der Gott Jesu Christi“ und einige Artikel aus den Sammelwerken konzentriert hat, da das Themenspektrum in diesen Werken in einer erstaunlich breiten Weise abgedeckt wird. Meistens
A. Einleitender Teil: Methodologische Grundlegungen
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lich in beeindruckendster Manier in dem soteriologisch motivierten christologischen Manual „Jesus der Christus“, wird aber von Kasper in seinem am 3. Oktober 1981 in Rom vor der Internationalen Theologenkonferenz gehaltenen Referat und danach an zwei Orten veröffentlichten Artikel „Christologie und Anthropologie“5 zusammengefaßt und auf den Punkt gebracht.6 Die Hauptaussage lautet dabei in aller Deut-
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lassen sich neuere Beiträge auf früher angedeutete oder gar ausgearbeitete Ansätze zurückführen. Wenn es stimmt, daß Kaspers Schwergewicht auf der Christologie liegt, spiegelt nach Bernard Sesboüé diese Präferenz eine breite Strömung der heutigen Theologie wider: „A tort ou à raison, toute la théologie se concentre aujourd’hui dans la christologie.“ (Sesboüé, B.: Esquisse d’un panorama de la recherche christologique actuelle, in: Laflamme, R. (Hrsg.): Le Christ hier, aujourd’hui et demain, Québec 1976, 1 – 43, hier: 43) Zuerst: Christologie und Anthropologie, in: ThQ 162 (1982) 202 – 221; danach: Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 194 – 216. Wir zitieren aus der zweiten Fassung, so wie wir prinzipiell alle Artikel, die in einem der drei Sammelbände Kaspers (Glaube und Geschichte von 1970; Theologie und Kirche von 1987; Theologie und Kirche II von 1999) erschienen sind, aus jenen zitieren und die Erstveröffentlichung nicht eigens angeben. Nach unserem Dafürhalten haben vor allem 2 Arbeiten über Kasper versucht, dieses Grundanliegen zu untersuchen. Die eine ist Madonia, N.: Ermeneutica e cristologia in Walter Kasper. Excerpta ex dissertatione ad Doctoratum in Facultate Theologiae Pontificiae Universitatis Gregorianae, Palermo 1990; die andere dagegen ist Joha, Zd.: Christologie und Anthropologie. Eine Verhältnisbestimmung unter besonderer Berücksichtigung des theologischen Denkens Walter Kaspers (Freiburger theologische Studien 148), Freiburg/Basel/Wien 1992 (dabei handelt es sich um eine überarbeitete Version von Johas ebenfalls an der Gregoriana auszugsweise veröffentlichten Dissertation von 1987 unter dem Titel „Das Verhältnis von Christologie und Anthropologie im theologischen Denken Walter Kaspers“). Joha eröffnet das Thema mit Analysen der theologischen Ansätze von Rahner, von Balthasar, Alfaro und Latourelle und bringt in diesen Rahmen in einer eher steif und positivistisch wirkenden Weise Kaspers Ansatz ein. Phasenweise wiederholt er nur in anderen Worten Kaspers eigene Aussagen. Madonia wird deutlicher als Joha auch von einem philosophischen Interesse geleitet und denkt „dynamischer“, bleibt aber auch passagenweise bei reinen Auflistungen und Behauptungen hängen. Bewußter als diese beiden Arbeiten wollen wir in unserem Beitrag den formal-methodologischen Aspekt des hermeneutischen Verhältnisses von Glaube und Geschichte und den inhaltlichen Aspekt der soteriologischen Beziehung von Christologie und Anthropologie unter Zuhilfenahme der möglichst ausgiebig rezipierten Primärliteratur und der auch rezentesten Sekundärliteratur miteinander vermitteln und dabei Kasper nicht nur innerhalb der katholischen Theologie, sondern auch in Ähnlichkeit und Unähnlichkeit zu der durch Tillich repräsentierten evangelischen Theologie einordnen. Gerade der Übergang vom Formalen zum Inhaltlichen spielt für uns in seiner Scharnierfunktion eine entscheidende Rolle. Wir
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
lichkeit, daß nach den „zentralen und fundamentalen Bekenntnisaussagen von Schrift und Tradition (…) die Christologie insgesamt unter einem soteriologischen Vorzeichen (steht)“7!
7
wollen dabei auch jene „Denkdynamik“ verfolgen, zu der uns Kaspers Ansetzen bei der aktuellen Situation anleitet. Während Joha und Madonia mehr von einem historischen Standpunkt Kaspers Denken aufrollen, wollen wir uns der Herausforderung einer gnoseologisch geleiteten Entdeckung der theologischen Prioritäten stellen. In anderen Worten: wir wollen in unserem Kasper-Teil auch formal unserem inhaltlichen Anliegen, Christologie für das „Heute“ zu erschließen, treu bleiben und vom „Heute“ aus denken. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 194 (Hervorhebung von Kasper). Kasper zögert nicht, „die Heilsfrage zum Ausgangspunkt der Gottesund der Christusfrage“ zu machen (Der Gott Jesu Christi, 199; Hervorhebung von Kasper). Wenn es stimmt, daß das christologische Interesse Kaspers theologisches Schaffen bestimmt, so ist es umso wahrer, daß die christologische Frage vor allem soteriologisch motiviert ist. Das Bekenntnis, daß Christologie soteriologisch verstanden werden muß, ist erst der – von der Theologiegeschichte her alles andere als unhinterfragt eindeutige – Legitimierungsgrund für eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem neuzeitlichen Wirklichkeitsverständnis und dem Lebensgefühl des modernen Menschen (vgl. Aufgaben der Christologie heute, 142 f.). Zur neueren Tendenz, Christologie und Soteriologie stärker miteinander zu vermitteln vgl. Drumm, J.: Vorwort zur elften Auflage von Kasper, W.: Jesus der Christus, Mainz 111992, XVIIIf. Drumm verweist dabei besonders auf folgende Werke: Ebeling, G.: Dogmatik des christlichen Glaubens, Band II=Zweiter Teil: Der Glauben an Gott, den Versöhner der Welt, Tübingen 1979; Sesboüé, B.: Jésus-Christ – l’unique médiateur, tome 1: Essai sur la rédemption et le salut, Paris 1988 ( jésus et jésus-christ 33), tome 2: Les récits du salut, Paris 1991 ( jésus et jésus-christ 51); Pröpper, T.: Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte. Eine Skizze zur Soteriologie, 2., wesentlich erweiterte Auflage, München 1988; Wiederkehr, D.: Glaube an Erlösung, Freiburg 1976; Wiederkehr, D.: Soteriologie, Düsseldorf 1990; Menke, K.-H.: Stellvertretung. Schlüsselbegriff christlichen Lebens und theologische Grundkategorie, Einsiedeln 1991. Dagegen sind u. a. folgende Bände Zeugen der Entwicklung der Christologie der Gegenwart während jener Jahre, in denen Kasper selbst seine Christologie vorlegte: Dembowski, H.: Einführung in die Christologie, Darmstadt 1976; Klappert, B.: Die Auferweckung des Gekreuzigten. Der Ansatz der Christologie Karl Barths im Zusammenhang der Christologie der Gegenwart, Neukirchen 1971; Pröpper, T.: Der Jesus der Philosophen und der Jesus des Glaubens, Mainz 1976; Sauter, G.: Fragestellungen der Christologie, in: VF 23 H.1 (1978) 21 – 41; Scheffczyk, L. (Hrsg.): Grundfragen der Christologie heute (QD 72), Freiburg 1975; Schilson, A./Kasper, W.: Christologie im Präsens. Kritische Sichtung neuer Entwürfe, Freiburg 1974; Welte, B. (Hrsg.): Zur Frühgeschichte der Christologie (QD 51), Freiburg 1970. Zu einem groben Überblick über die christologische Entwicklung und die entsprechenden Hauptthemen im Verlaufe des 20.Jhds. vgl. Bori, 144 – 146.
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„Jesus Christus ist „propter nos et propter nostram salutem“ Mensch geworden; er hat „für uns“ bzw. „für die vielen“, d. h. für alle Menschen, sein Leben am Kreuz hingegeben.“8 Damit ist das Soteriologische an Jesus Christus ausgesagt: daß die Christologie auf die jeweilige Anthropologie hin ausgelegt werden muß! Das Heil9 kann mit dem Zweiten Vatikanum dadurch definiert werden, daß Christus dem Menschen den Menschen offenbart10 und so der Mensch von Christus her das eigene erfüllte Menschsein empfangen darf. Jesus Christus ist wahrer Mensch, aber er ist dies als wahrer Gott. In dieser dialektischen Spannung zwischen der Identität, d. h. dem ontologischen „An-sich-Sein Jesu Christi“, und der heilsgeschichtlichen Relevanz, d. h. der funktionalen Bedeutung Jesu Christi für die Menschen, besteht jene Spannung, die nicht nur die Christologie bzw. Soteriologie, sondern auch – wie wir sehen werden – die ganze Methodologie Kaspers durchzieht. Es geht letztlich um eine angemessene Vermittlung von Gott und Mensch, von Botschaft und Situation, von Glaube und Geschichte – eine Vermittlung, in der keine Einseitigkeiten zu der einen oder der anderen Seite hin möglich sind. In anderen Worten und auf die Christologie bezogen: Jesu Christi Gottsein darf nicht zu einer bloßen Funktion der menschlichen oder gesellschaftlichen Bedürfnisse werden; zugleich darf aber seine göttliche Identität nicht derart dem Menschlichen enthoben werden, daß Christus zutiefst dem Menschen fremd wird. Beide extreme Lösungen sind in der Theologiegeschichte vorgekommen: letztere manifestierte sich vor allem aufgrund der scholastischen Trennung der Traktate von Christologie und Soteriologie, deren Konsequenz ein supranaturalistischer „Gott ohne 8 Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 194. 9 In der Festschrift zu Kaspers 70. Geburtstag stellt Gebhard Fürst die Frage, welcher der beiden Begriffe „Heil“ und „Erlösung“ angemessener sei. Wegen einer größeren terminologischen Nähe zu einem ganzheitlichen Verständnis des Werkes Christi tendiert er eher zum ersteren. (vgl. Fürst, G.: „Propter nostram salutem“. Über die Kategorie des Heils als pastoralpraktisches Prinzip, in: Walter, P./Krämer, K./Augustin, G. (Hrsg.): Kirche in ökumenischer Perspektive (FS 70. Geburtstag Walter Kasper), Freiburg/Basel/Wien 2003, 453 – 461. Sicherlich hat Kasper auch ein sehr umfassendes und also ganzheitliches Verständnis von Heil, aber da er es selbst nicht als notwendig erachtet, sich begrifflich von anderen möglichen Bezeichnungen abzugrenzen, werden auch wir nicht scharf zwischen den Konzepten trennen. Dem widerspricht nicht, daß wir Fürsts Anliegen als berechtigt ansehen. 10 Vgl. GS 22.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
Menschen und ohne Welt“11 war. Die andere Extremlösung ist dagegen eher moderner Natur und kommt vor allem in der existentialen Interpretation des Neuen Testaments in der Schule von Bultmann – vor allem bei H.Braun – vor.12 Kasper sieht den fundamentalen Neuansatz dieser neuzeitlichen Theologie u. a. bei Schleiermacher, auf den auch das Urteil zutrifft, daß eine anthropologisch reduzierte Theologie sich letztlich selbst aufhebt.13 Interessanterweise vermutet er nicht ganz zu Unrecht Paul Tillich unter dem Einfluß von Schleiermacher und der entsprechenden neuprotestantischen Gefahr, Jesus Christus auf das Urbild des religiösen Menschen zu reduzieren.14 Diese neuzeitliche Theologie, die versuchte, auf die anthropologische Wende der Geistesgeschichte zu antworten, deutet die für Kasper entscheidende philosophische Herausforderung an: im extremen Gegensatz zu der klassischen Metaphysik hat sich die neuzeitliche Subjektivitätsphilosophie zum Menschen hin gewandt und versucht, das Weltbild anthropozentrisch zu entfalten. Auch wenn die soteriologischen Extremlösungen ausscheiden, erhebt Kaspers Theologie den Anspruch, den legitimen Neuansatz in seiner ganzen Bedeutung und Fülle aufzunehmen, Theologie von der Subjektivität aus – nicht vom Subjektivismus aus! – zu entwerfen und Tradition von diesem Punkt aus neu zu interpretieren. Inwiefern die moderne Tendenz zum Atheismus und Nihilismus den theologischen Ausgangspunkt konkret mitbestimmen, werden wir weiter unten in den spezifisch methodologischen Überlegungen und der entsprechenden geschichtlichen Einordnung von Kaspers Denken entfalten. Die Prämisse ist deutlich: die Einheit von Gott und Mensch in Christus ist heilsgeschichtlich relevant und geschieht „für uns“. Sie übersetzt sich als Vermittlungsfigur von Glaube und Geschichte, Botschaft und Situation, Mensch und Gott in Christus. Das bei Kasper von der Terminologie her zentrale Problem „Glaube und Geschichte“ rührt einerseits von der modernen Vergeschichtlichung aller Lebensprozesse her15 und spiegelt andererseits geistesgeschichtlich die vor allem in der evangelischen Theologie heiß diskutierte Frage wider, wie das Verhältnis des geschichtlichen Jesus und des verkündeten Christus 11 12 13 14 15
Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 195. Vgl. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 196. Vgl. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 200. Vgl. Jesus der Christus, 24. Vgl. Marchesi, G.: La storia e il suo compimento nell’opera teologica di Walter Kasper, in: CivCatt 3099/3100 (1979) 167 – 188.
A. Einleitender Teil: Methodologische Grundlegungen
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gedacht werden muß.16 Für Madonia handelt es sich bei Glaube und Geschichte um die beiden Augen, „i due occhi“ von Kaspers Christologie.17 Zwischen den Extremen der Leben-Jesu-Forschung und der Bultmanianer gilt es einen Mittelweg zu finden, um den sich Kasper sehr intensiv bemüht. In dem Versuch, den Inhalt des Glaubens („fides quae creditur“) und den Akt des Glaubens („fides qua creditur“) zu versöhnen, betritt Kasper „den hermeneutischen Zirkel, der für alles Verstehen gilt“18. Die neue Frage nach dem historischen Jesus „geht aus von dem Vorverständnis, dem gegenwärtigen Glauben, und mißt diesen an seinem Inhalt, an Jesus Christus. Sie versteht Jesus im Licht des kirchlichen Glaubens, und sie interpretiert umgekehrt den kirchlichen Glauben von Jesus her.“19 Weiter unten werden wir in der Einführung zu Kaspers Christologie darauf zurückkommen. Wie ist jedoch die Person Christi als Erlöser theologisch zu denken? Zweierlei ist gefordert: zum einen das Ein- und Durchhalten der gegenseitigen Verweisleistung der beiden Pole in der Dialektik OntologieFunktionalität bzw. Identität-Relevanz20, und zum anderen die konstruktive und kreative Aufnahme der modernen Tendenz, Philosophie und Theologie vom Menschen her zu gestalten und den Menschen und seine geschichtliche Freiheit zum letzten Bezugspunkt von Wahrheit zu machen21. Was heute von der Theologie verlangt wird, ist der Nachweis, 16 Vgl. dazu Sesboüé: Esquisse, 8 – 15. 17 Vgl. Madonia, N.: Ermeneutica e cristologia in Walter Kasper. Pontificia Universitas Gregoriana, Facultas Theologiae, Palermo 1990, 55 – 58; hier: 55. 18 Jesus der Christus, 40. 19 Jesus der Christus, 40; vgl. auch Sesboüé: Esquisse, 14. 20 „Die Wesensaussage steht zwar im Dienst des soteriologischen Gedankens, begründet ihn aber auch und gibt dafür Gewähr.“ (Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 195) In Bezug auf das Identität-Relevanz-Dilemma des modernen Christentums lautet derselbe Gedanke: „Bemüht es (sc. das Christentum) sich darum, für die Menschen relevant zu sein, steht es in Gefahr, vor lauter Offenheit seine Identität zu verlieren; bemüht es sich dagegen um seine Identität, droht es in sich zu erstarren und für die Menschen alle Relevanz zu verlieren.“ (Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 197) Nur ein „dritter Weg“, der die Dialektik anerkennt, kann zu einer Lösung verhelfen. 21 Vgl. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 198 f. Kasper setzt sich in seinem Denken direkt sowohl mit der Moderne als auch mit der Postmoderne auseinander und sieht die in der Moderne (als Neuzeit verstanden) aufgeworfenen Fragen in der Postmoderne radikalisiert. In seinem Aufsatz „Die Kirche angesichts der Herausforderungen der Postmoderne“ in „Theologie und Kirche II“ (Seiten 249 – 264) setzt er die beiden Epochen in Beziehung; die moderne Erfahrung des Pluralismus führt beispielsweise in der Postmoderne zu
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
daß Jesus Christus auf für die Menschen soteriologisch relevante Weise ganzer, wahrer und vollkommener Mensch war22, dieses heilsame Menschsein aber nur in seiner Offenheit für Gott, ja in seiner göttlichen Identität gründet und möglich ist! Diese soteriologische Bestimmung der Christologie geschieht so, daß „die Begründung und inhaltliche Bestimmung des Heils durch Gottes Offenbarungshandeln unzweideutig klar bleibt: Jesus Christus ist die Offenbarung der Bestimmung des Menschen, weil er die endgültige Menschenzuwendung Gottes ist“23. Damit ergibt sich nach Kasper ein doppeltes Vermittlungsproblem von Christologie und Anthropologie24, wie es letztlich unser ganzes
einer bewußten Verabschiedung des Einheitspostulats; der moderne Totalitätsanspruch des vernünftigen Denkens wird aufgebrochen zugunsten eines ästhetischen und eines mystischen Wahrheitsverständnisses; schließlich führt der Zusammenbruch der neuzeitlichen Utopien zu einer nihilistischen Überflüssigkeit aller Werte und Ursachen. Nur schlagwortartig soll angedeutet werden, daß Kasper als theologische Antworten zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben auf eine zeitgemäße Erneuerung der Metaphysik, auf die Trinitätslehre als Vermittlung von Einheit und Vielfalt und auf Jesus Christus als die „Fülle der Zeit“ verweist. Dabei kommt vor allem im Problembereich Einzigkeit-Universalität Jesu Christi die Herausforderung des postmodernen Pluralismus zum Vorschein. Die adäquate Antwort liegt nach Kasper vor allem in einer pneumatologischen Christologie, auf die der Duktus von Kaspers Denken hinführt. Vgl. auch Brown, H.: Kasper, modernity and postmodernity, in: Journal of Dharma 22 (1997), 208 – 224, wo Brown sich mit Kaspers Bestehen auf einer „offenen“ Metaphysik gegenüber der in sich selbst verschlossenen klassischen Metaphysik beschäftigt. (vgl. Brown, 221) Vgl. auch Aspekte 49 (August 2002), ein theologisches und pastorales Blatt für die Diözese Luxemburg, das sich in dieser Ausgabe besonders in Beiträgen von G.Hellinghausen, A.Heiderscheid und J.-J.Flammang mit der Herausforderung der Moderne auseinandersetzt. 22 Vgl. Jesus der Christus, 231 – 269. 23 Pröpper, T.: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik. Systematische Reflexionen im Anschluß an Walter Kaspers Konzeption der Dogmatik, in: Schockenhoff, E./Walter, P. (Hrsg.): Dogma und Glaube. Bausteine für eine theologische Erkenntnislehre (Festschrift für Bischof Walter Kasper), Mainz 1993, 165 – 192, hier: 177 (Hervorhebungen von Pröpper). 24 Kasper sieht hinter diesen beiden konkreten Vermittlungsfragen das weiter oben angesprochene Grundproblem bestehen: die dialektische Verhältnisbestimmung von funktionalen und ontologischen Aussagen über Jesus Christus, von Metaphysik und Geschichte, letztlich von Glaube und Geschichte und – von Tillich her so benennbar – von Botschaft und Situation. Den daran angeschlossenen Problemfelder der „Krise der Metaphysik“ und der „Erosion des theologischen Wahrheitsbegriffs“ (vgl. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 197 f.) werden wir uns im Laufe des Gedankengangs gebührend widmen, da
A. Einleitender Teil: Methodologische Grundlegungen
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Kasper-Kapitel überschatten und bestimmen wird: formal und fundamental – und hierauf liegt vom methodologischen Ausgangspunkt unserer Fragestellung her das entscheidende Gewicht – stellt sich innerhalb der christologischen Hermeneutik das Problem, wie und inwiefern der Mensch nicht nur in der Christologie eine Rolle spielt – an dieser Rolle besteht kein Zweifel! –, sondern „inwiefern (…) der Mensch in die Konstitution der Christologie selbst (eingeht)“; ist es möglich, Christologie so vom Menschen aus zu betreiben, daß sie den unableitbaren Voraus-Charakter des Christusereignisses in seiner ganzen Souveränität beibehält, zugleich aber die Anthropologie „nicht nur zu den Consectaria (Folgerungen), sondern bereits zu den Praeambula (Voraussetzungen) der Christologie“25 zählt? Material und kategorial stellt sich dagegen die Frage, mit welchen existentiell verstehbaren Begriffen die heutige Soteriologie arbeiten kann. Es geht um die Bemühung um eine „Neuvergegenwärtigung der christologischen und soteriologischen Tradition“26.
2. Neuzeitliche Theologie zwischen Glauben und Geschichte 2.1. Situation und Botschaft Ehe konkrete Fragenkomplexe behandelt werden können, muß das methodische Handwerkzeug bestimmt werden. Dabei trifft sich Kaspers methodologische Fundamentalorientierung mit Tillichs Begriffspaar „Botschaft und Situation“. Wie wird in Kasper die Grunddialektik von Botschaft und Situation bzw. von Glaube und Geschichte systematisch grundgelegt und aufgearbeitet? 27 auch sie letztlich partikuläre Spielweisen der großen Vermittlung von Glaube und Geschichte darstellen. 25 Vgl. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 197. Auch zu den anthropologischen Consectaria der Christologie wollen wir am Ende – da Kasper sie selbst kurz erwähnt – ein Wort sagen. Vor allem interessieren wir uns aber an der fundamentaltheologisch-hermeneutischen Bedeutung der Anthropologie in der Christologie. 26 Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 197. 27 Daß diese Grunddialektik das aktuelle theologische Arbeiten bestimmt, zeigen u. a. auch Titel und Inhalt der Studie von Salmann, E.: Neuzeit und Offenbarung. Studien zur Analogik des Christentums, Roma 1986. Rezenterweise kommt Salmann in „kleine(n) Aufsätze(n) und Bruchstücke(n)“ (Salmann, E.: Zwischenzeit: Postmoderne Gedanken zum Christsein heute, Warendorf 2004, 12) auf die Wichtigkeit und Notwendigkeit eines vom Christentum inspirierten Denk- und Lebensstils in der „Zwischenzeit“ des „Übergang(s) von der Moderne
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
Obwohl nach Kaspers Einschätzung Methodenüberlegungen in der gegenwärtigen Theologie nicht an der Tagesordnung sind, besteht die wichtigste Aufgabe der Theologie in eben einer „Grundlagenbesinnung“: „Sie muß sich auf ihre Methode besinnen.“28 Von Aristoteles her macht Kasper verständlich, daß Methodenfragen immer auch schon Sachfragen sind, da die Wahrheit nur durch die Wahrheit erkannt werden kann. Es geht demnach auch schon in der Methode um die Wahrheit selbst.29 2.1.1. Das Verständnis von Dogmatik bei Walter Kasper In seiner Dissertation „Die Lehre von der Tradition in der Römischen Schule“, seinem frühzeitigen Büchlein „Die Methoden der Dogmatik“ von 1967 und vielen anderen Beiträgen und Artikeln30 beschäftigt Kasper sich mit dem Problem der theologischen Methode. Dabei sieht er sich selbst von seiner Anlage und seinen Prioritäten her als einen Nachfolger der Katholischen Tübinger Schule. Seine Grundüberlegungen und seine methodische Ausrichtung sollen nun kurz angeschnitten werden. Die genauen methodologischen Orientierungen, die hier ja insgesamt zur Debatte stehen, werden sich dann im Laufe des weiteren Gedankengangs klären. zu einem vage empfundenen Weiter und Danach“ (Salmann: Zwischenzeit, 11) zurück. 28 Die Methoden der Dogmatik, 9. Die von Kant herrührende Kritik, Dogmatik und Dogma seien Restbestände eines unaufgeklärten Denkens, haben nämlich eine tiefe Grundlagenkrise heraufbeschwört. (vgl. Dogmatik als Wissenschaft, 189) 29 Vgl. Die Methoden der Dogmatik, 14. „Methode ist nachdenkende Er-innerung in den Weg, den die Wahrheit selbst mit uns geht, und dadurch ermöglichte vorausdenkende Erkundung, Experiment des Weges, auf den sie uns weiterleitet.“ (Die Methoden der Dogmatik, 15) 30 Zu nennen wären u. a. aus dem Sammelband „Theologie und Kirche“ das Vorwort („Zur gegenwärtigen Situation und zu den gegenwärtigen Aufgaben der Systematischen Theologie“) sowie die Aufsätze „Erneuerung des dogmatischen Prinzips“, „Tradition als theologisches Erkenntnisprinzip“ und „“Einer aus der Trinität…“ Zur Neubegründung einer spirituellen Christologie in trinitätstheologischer Perspektive“ sowie aus dem Nachfolgeband „Theologie und Kirche II“ die Artikel „Zustimmung zum Denken. Von der Unerläßlichkeit der Metaphysik für die Sache der Theologie“, „Das Wahrheitsverständnis der Theologie“, „Natur-Gnade-Kultur. Zur Bedeutung der modernen Säkularisierung“, „Kirche und neuzeitliche Freiheitsprozesse“ und „Die Kirche angesichts der Herausforderungen der Postmoderne“.
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Kasper kann durch eine Nachzeichnung der Entwicklung der katholisch-theologischen Methode aufzeigen, daß es durch die Auseinandersetzung mit der Reformation und dem Humanismus und durch den tragischen Widerstreit in der Kontroverstheologie schließlich zu dem sehr gespannten und anfangs nicht gelösten „Verhältnis von geschichtlicher Wahrheit und allgemein-gültigem Wesensdenken“31 kam. Das Problem „Glaube und Geschichte“ ist am Ende der neuzeitlichen Entwicklung „zu dem großen und bis heute unbewältigten Problem“32 geworden. Wie sieht diese Vermittlung von geschichtlicher Wahrheit und substantiellem Wesensdenken heute aus? Das Zweite Vatikanum hat durch seine dynamisch-eschatologische Sicht der Kirche das Verständnis dafür bereitet, daß das Dogma keine ewig gültige Fixierung, sondern „eine relative und geschichtliche Größe“33 ist. Es steht in einer doppelten 31 Die Methoden der Dogmatik, 28. In einer gelungenen Verhältnisbestimmung liegt die Chance, den universalen Anspruch der theologischen Wahrheit aus einem partikulären Geltungsbereich scholastischer Prägung zu befreien. Dabei waren im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert mehrere theologische Schulen mit den beiden Problemen der Geschichtlichkeit und der Kirchlichkeit der Dogmatik beschäftigt, darunter auch die Katholische Tübinger Schule, in deren Fußstapfen Kasper sich vornehmlich stellt. 32 Die Methoden der Dogmatik, 53. 33 Die Methoden der Dogmatik, 38. Manches wäre bei Kasper zum Thema „Dogma“ zu sagen; es darf uns hier nicht über die Maßen beanspruchen. Es mag genügen anzudeuten, daß Kasper die Frage des Dogmas nicht im Zusammenhang mit dem Autoritätsproblem, sondern mit dem Wahrheitsproblem verhandelt. (vgl. Erneuerung des dogmatischen Prinzips (Theologie und Kirche), 29) Dogmatik wird bei Kasper als „wahrheitsverpflichtete Hermeneutik des Glaubens“ (Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 172) definiert, denn Dogma wird verstanden „(als ein) Beziehungsbegriff, als in einer meist kritischen Situation gegebene Antwort der Kirche auf das Wort Gottes“ (Dogmatik als Wissenschaft, 195). Der Frage der Tradition hat er den Aufsatz „Tradition als theologisches Erkenntnisprinzip“ in „Theologie und Kirche“ (Seiten 72 – 100) gewidmet. Dabei weist er vor allem die falsche Alternative „Tradition oder Fortschritt“ zurück und zeigt auf, daß die Erneuerung der Tradition die Bedingung ihrer Bewahrung ist. Im christlichen Verständnis ist das alttestamentliche Schema von Verheißung und Erfüllung in Jesus Christus zum Höhepunkt gekommen, bedeutet aber kein zukunftsloses Ende, sondern einen immer neuen, d. h. endgültig neuen Anfang. Jesus Christus als der am Kreuz Hingegebene ist der Ausgelieferte, d. h. der Tradierte und sich selbst Tradierende; „er ist in Person Akt und Inhalt der Tradition“ (Tradition als theologisches Erkenntisprinzip (Theologie und Kirche), 91). Diese Geschichte Gottes mit den Menschen steht nicht zu unserer Verfügung, sondern verfügt ihrerseits über uns; Tradition ist demnach ein Geschehen im Heiligen Geist: die Selbstüberlieferung Gottes durch Jesus Christus zu beständiger Gegenwart in der Kirche. Die
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
Beziehung bzw. Selbstüberschreitung auf das ursprüngliche Wort Gottes und auf die jeweilige bestimmte Zeit hin. Dogmatik wird dadurch „zu einem hermeneutischen Geschehen, zu einem Übersetzungsvorgang. Sie steht dann zwischen zwei Polen, dem in der Schrift bezeugten Offenbarungswort und der gegenwärtigen Verkündigungssituation.“34 Sie ist die Vermittlung von Botschaft und Situation, von Glaube und Geschichte, von Gottes Wort und den Fragen der Menschen. Dogmatik ist demnach kein geschlossenes, sondern „ein geschichtlich offenes System“35. Die Theologie geht vom Glauben der Kirche aus, der sich selbst in doppelter Weise überschreitet, und gestaltet sich selbst als ein lebendiges Fragen und nicht als Thesenapparat.36 Ausgangspunkt der dogmatischen Theologie ist diese Sicht von Kirchlichkeit, d. h. die Annahme der Kirche als jenes Apriori, das nach der gegenwärtigen Wissenschaftstheorie keinem Wissen fehlt. Wie jedoch kann diese Vermittlung von Botschaft und Situation konkret gelingen? Es geht um die Frage des Aufeinanderbezogenseins von Wahrheit und Geschichte und um die Bedeutung des Historischen in der Theologie. Historisch zu denken kann in der Theologie bedeuten, einen Prozeß der „Selbstauslegung der Offenbarung“37 festzustellen, die sich von Denkhorizont zu Denkhorizont weiterereignet und sich an die jeweiligen Denkformen anlehnt. Es geht weniger um das Satzhafte, sondern vielmehr um die auch für das Heute fruchtbar zu machende
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kirchlichen Traditionszeugnisse müssen in einer dreifachen Analogie ausgelegt werden: in Entsprechung zu den „Zeichen der Zeit“ (analogia entis), zum Ganzes des kirchlichen Glaubens (analogia fidei und hierarchia veritatum) und zum eschatologischen Ziel Gottes (reductio in mysterium). Fundamental ist aber die Erkenntnis, daß das Dogma bzw. die Tradition von ihrem Wesen her der Geschichte bedürfen, um ihr Wesen einzulösen. Die Methoden der Dogmatik, 38; vgl. Dogmatik als Wissenschaft, 192 – 196. Im Zweiten Vatikanum werden zu letzten Kriterien der heilsgeschichtliche, pastorale und praxisorientierte Charakter der Dogmatik. Als methodische Konsequenz ist zu beachten, daß zum einen Schrift und Lehre der Kirche nicht absolut gegenübergestellt werden dürfen, sondern die Schrift als „Buch der Kirche“ (Die Methoden der Dogmatik, 42) zu lesen ist, und daß zum anderen die Theologie dienend auf die Fragen der Menschen und der Gesellschaft eingehen muß. Damit stellt sie die Fragen auch an sich selbst. „Der Ausgangspunkt der Theologie ist also das Schriftzeugnis, das angesichts der Fragen des heutigen Menschen gelesen und befragt wird.“ (Die Methoden der Dogmatik, 43) Dogmatik als Wissenschaft, 196 (Hervorhebung von Kasper). In diesem Sinne kann bei Kasper auch von einer offenen Denkform gesprochen werden. Vgl. Die Methoden der Dogmatik, 46. Die Methoden der Dogmatik, 54.
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Aussageintention.38 Theologie lebt aus dem Willen zum Neuen, denn sowohl das auf eine neue mögliche Zukunft vorgreifende er-innernde Denken als auch das eschatologisch-verheißungsvolle Kerygma sind Aufbruch. Die historische Anamnese öffnet die theologische Sachfrage, von der her sie selbst bewegt wird, für die Frage nach der Zukunft der Verkündigung.39 Die soziologischen und anthropologischen Gegebenheiten gehören innerhalb des jeweiligen Denkhorizonts konstitutiv in die Bestimmung der theologischen Wahrheit hinein.40 Bei diesem Schritt 38 Diese Methode geschichtlicher Dialektik entspricht nach Kasper dem Stand der besonders von Gadamer formulierten hermeneutischen Fragestellung. (vgl. Die Methoden der Dogmatik, 56 f.) Sesboüé stellt in diesem Zusammenhang fest, daß die dogmatische Theologie neben einer Distanz zur Exegese auch und vor allem eine Spannung zur Existenz, d. h. „une distance entre ce même discours dogmatique et l’existence chrétienne personelle et sociale“ zu überwinden hätte (Sesboüé: Esquisse, 2). In seiner „Esquisse d’un panorama de la recherche christologique actuelle“ von 1976 beschreibt er in beeindruckend scharfsinniger Form die Bedürfnisse und Aufgaben moderner Christologie. Dabei spielt auch Kaspers Theologie eine wichtige Rolle. 39 Vgl. Die Methoden der Dogmatik, 60. 40 Dietrich Wiederkehr hat in einem Artikel über die „Kontexte der Christologie“ festgestellt, daß die neueren Arbeiten zur Christologie sich material kaum noch auf einen inhaltlichen Nenner bringen lassen, sondern sich vielmehr durch die gemeinsame Bemühung auszeichnen, „sich in einen größeren und umfassenden Erfahrungs-, Reflexions- und Praxiskontext zu situieren“ (Wiederkehr, D.: Christologie im Kontext (Schillebeeckx, Kessler, Metz, Moltmann, Küng, Rahner, Kasper), in: Theologische Berichte 7 (1978) 11 – 62, hier: 11). Von daher geschieht auch eine verstärkte Konfrontation mit der Anthropologie und der Soteriologie, wie sie auch bei Kasper vorliegt. „“Kontext“ erweist sich als die bleibende Bedingung der Christologie, wie der Theologie und des Glaubens überhaupt. Der jeweilige Kontext tritt nicht etwa nachträglich und akzidentell zur substantiellen Glaubensaussage hinzu, sondern gehört schon immer zu ihrem Wesen, gleichsam zum „System“ ihrer eigenen Lebensmöglichkeit, aus dem sie sich schon immer nähren und in dem sie ihre eigene Identität immer neu gewinnen muß. (…) Sie (sc. die christologische Aussage) vermag schließlich zunächst die Spannungsverhältnisse, die philosophischen Tendenzen und die gesellschaftlichen Kräfte dieses Kontextes nur zu einem geringen Teil zu beeinflussen, sie muß sie vielmehr annehmen und sich auch einem eventuellen Wandel und Wechsel aussetzen.“ (Wiederkehr, 12; Hervorhebung von Wiederkehr) Die Theologie leistet eine hermeneutische Erschließung, in der „säkularisierte Artikulationen menschlichen Unheils und Heils sich mit den geschichtlich vielfach gefüllten oder auch entleerten biblischen Heilsaussagen konfrontiert“ sehen (Wiederkehr, 61). Die neueren Christologien sind nach Wiederkehr zu einer neuen Freiheit der Interpretation verdammt. Interessanterweise sieht Wiederkehr Kasper vorrangig im Kontext der Geisterfahrung angesiedelt. (vgl. Wiederkehr, 15) Daß dieser Eindruck nicht täuscht, läßt sich
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
bewährt sich die universale Bedeutsamkeit des christlichen Heils; die Theologie stellt sich dabei selbst mit aufs Spiel: „(…) Honorer la prétention universelle du Christ et du salut qu’il apporte devient une tâche étonnament concrète et risquée.“41 Was ist jedoch der Horizont der in der Dialektik Glaube-Geschichte stehenden theologischen Wahrheit? Im biblischen Wahrheitsverständnis geht es immer auch um das Tun der Wahrheit. Wahrheit und Treue Gottes gegenüber den Menschen und ihrer Situation sind eng miteinander verbunden. „Wahrheit ist also ein geschichtliches Phänomen und eine eschatologische Verheißungsgröße.“42 Inhalt des Glaubens und der Theologie sind „die geschichtlichen Verheißungen und die sie erfüllenden Heilstaten“43. Damit werden jedoch Freiheit, Zeit und Geschichte als letzter Horizont aller Wirklichkeit angenommen.44 Spekulation – im Sinne eines Spiegelverhältnisses – bedeutet in der Theologie nichts anderes als die christologische und eschatologische Konzentration aller einzelnen Glaubensaussagen45, da sie die geschichtliche Treue-Dimension der Wahrheit betonen. Damit stellt sich letztlich die Frage nach dem Verhältnis von Wahrheit und Geschichte bzw. nach einer geschichtlichen Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie. Ist die Ontologie an ihr Ende gelangt? Trotz der Vergeschichtlichung aller Vorgänge spricht sich Kasper gegen das Ende der Metaphysik aus46, da „ein sich selbst recht verstehendes geschichtliches Denken auf metaphysische Kategorien gar nicht verzichten“47 kann. Ein neuer Ansatz beim Wort Gottes darf den Beitrag der
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weiter unten leicht nachweisen; Kaspers theologische und methodische Absichten kommen gerade in seiner Pneumatologie zu sich selbst. Sesboüé: Esquisse, 20. Die Methoden der Dogmatik, 71. Die Methoden der Dogmatik, 71. Vgl. Die Methoden der Dogmatik, 72 f. Theologie gehört für Kasper in den Bereich dessen, was „sapientia“ genannt wird: sie ist „eine Erfahrung [sapere], ein Innewerden des Lichtglanzes Gottes auf dem Antlitz Jesu Christi [2 Kor 4,6]“ (Die Methoden der Dogmatik, 13). Theologie muß von der unüberholbaren Bedeutung Jesu Christi von Gott her ausgehen. Vgl. Zustimmung zum Denken. Von der Unerläßlichkeit der Metaphysik für die Sache der Theologie (Theologie und Kirche II), 11 – 27. Die Methoden der Dogmatik, 76. Geschichte besteht nur in der Spannung von Endlichkeit und Unendlichkeit, Sein und Seiendem, Freiheit und Gebundenheit, Individuum und Gesellschaft. Während die Philosophie die Theologie oft an das trinitarische Fundament der Theologie erinnert hat, muß die Theologie
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Philosophie nicht diskreditieren. Die Verheißung Gottes in Jesus Christus ist zwar durch und durch geschichtlich, aber zugleich auch universal gültig und damit auf metaphysische Allgemeinheit angewiesen. Umgekehrt: das Kreuz entspricht zwar dem Grundgesetz aller Geschichte – der Selbstüberschreitung –, aber es ist das Kreuz des auferstandenen Christus, durch den dieses unvergleichliche, einmalige auferweckende Eingreifen Gottes zur universal relevanten Soteriologie wurde. „Will sich die Theologie nicht in das freigewählte Gefängnis der Selbstisolierung begeben, dann muß sie ihre Aussagen als Konkretisierung, Erfüllung und Überbietung dessen aufweisen können, was sich in den allgemeinen Wesensstrukturen jeder Geschichte in der Weise der Antizipation und Hoffnung abzeichnet.“48 Theologie muß als geschichtlich geprägte zugleich universale Relevanz beanspruchen. In diesem Eintauchen der Theologie in einen durch die Philosophie eröffneten universalen Verstehenshorizont besteht das konkrete Ziel der theologischen Methode.49 Heute liegt dieser Horizont in der Geschichte bzw. der geschichtlichen Freiheit. Die Theologie ist nicht bleibend an eine gewisse Metaphysik gebunden, sondern muß geschichtlich immer wieder neu eine Verhältnisbestimmung zur Philosophie definieren.50 Damit ist sie konstitutiv auf das Selbstverständnis des sich philosophisch reflektierenden Menschen ausgerichtet und muß sich daran bewähren: „Die Apologetik des Glaubens muß ausgewiesen werden als die Apologetik des bedrohten Menschen und seiner Freiheit.“51 Von der Frage des Menschen und der Geschichte aus wird die einzelne Glaubensaussage als „concretum universale“, d. h. als ständig erneuerbare Verkörperung der Begegnung von Geschichte und Glauben verständlich.52 Die Grundwahrheit von Kaspers Dogmatik kann man mit Pröpper53 in die These fassen, daß „es die wesentliche Bedeutung der Geschichte
48 49 50 51 52 53
die Philosophie bleibend auf die Notwendigkeit metaphysischer Kategorien hinweisen. Die Methoden der Dogmatik, 79. Wie wir sehen werden, sind es nach Kasper in besonderer Weise die sogenannten Gottesbeweise, die diesen Horizont eröffnen. (vgl. Die Methoden der Dogmatik, 80) In diesem Sinn gibt es nicht die von Harnack monierte Hellenisierung des Christentums (vgl. Die Methoden der Dogmatik, 81). Auch sie war eine damals notwendige neue Interpretation. Die Methoden der Dogmatik, 83. Vgl. Die Methoden der Dogmatik, 84. Pröpper faßt in seinem Artikel „Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik“ auf sehr einsichtige und prägnante Weise folgende Beiträge von Walter
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
Jesu ausmacht, die Selbstoffenbarung Gottes als Liebe zu sein“54. Ausgehend von dem überlieferten Glaubensbekenntnis, daß Jesus der Christus ist, macht Kasper das fundamentale Problem seines Ansatzes auf zentrale Weise in seinen christologischen Ausführungen ausfindig: es handelt sich um die dialektische Vermittlung von Glauben („Christus“) und Geschichte („Jesus“). In dieses Grundthema sind damit alle anderen Nebenthemen verflochten, so z. B. die Frage nach dem Verhältnis von Dogma und Geschichte. Das bedeutet: wir dürfen unser methodisches Interesse an die inhaltliche Frage nach der Vermittlung von Gott und Mensch bzw. von Gottheit und Menschheit in Christus delegieren. Kaspers soteriologische Christologie rückt damit in den Mittelpunkt. Von ansatztechnischer Wichtigkeit ist dabei bereits, daß Kasper im Gegensatz zu seinem Tübinger Lehrer J.R.Geiselmann nicht von der Geschichte zum Glauben vorgeht, sondern vom Glauben zur Geschichte. In anderen Worten: der hermeneutische Ursprung seiner Theologie ist die TradiKasper zu dessen eigenem Theologie- und Dogmatikverständnis zusammen: Die Methoden der Dogmatik. Einheit und Vielheit, München 1967; Dogmatik als Wissenschaft. Versuch einer Neubegründung, in: ThQ 157 (1977), 189 – 203; Artikel „Dogmatik“, in: NHThG I, 193 – 203; Theologie und Kirche, Mainz 1987, 7 – 22 (Vorwort); Autonomie und Theonomie (Theologie und Kirche), 149 – 175; Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 28 – 50; Wahrheit und Freiheit. Die „Erklärung über die Religionsfreiheit“ des II.Vatikanischen Konzils, Heidelberg 1988; Kirche und neuzeitliche Freiheitsprozesse (Theologie und Kirche II), 213 – 228; Zustimmung zum Denken. Von der Unerläßlichkeit der Metaphysik für die Sache der Theologie (Theologie und Kirche II), 11 – 27; Postmoderne Dogmatik? Zu einer neueren amerikanischen Grundlagendiskussion, in: IkaZ 19 (1990), 298 – 306. 54 Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 177. Diese Grundwahrheit muß sich am geschichtlichen Ursprung orientieren und schon darin als Offenbarungswahrheit auch einen soteriologischen Charakter haben. Sowohl formal wie auch inhaltlich muß sie eine trinitätstheologische Begründung verlangen, weil ja in Jesus Gott uns begegnet. Schließlich muß die Grundwahrheit der Dogmatik noch drei Anforderungen gerecht werden, die sich von dem Anspruch her stellen, daß sie der Bestimmungsgrund für alle anderen theologischen Aussagen ist. Sie muß sich erstens an der Geschichte Jesu bewähren (im hermeneutischen Zirkel mit den einzelnen Ereignissen dieser Geschichte, welche sie interpretiert, von denen sie aber wiederum auch geformt wird); zweitens muß sie sich bewähren an der Überlieferung des Glaubens, in welcher sie eine Kontinuität garantiert; und drittens muß sie sich an ihrer Fähigkeit bewähren, alle Aussagen zu einer Wissenschaft zu verbinden, also es zu ermöglichen, die Wirklichkeit „sub specie Dei revelantis“ zu betrachten (vgl. Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 177 – 183). Pröpper weist nach, daß die von ihm festgestellte Grundwahrheit diesen Anforderungen gerecht wird.
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tion.55 Die Dogmatik versucht, das in der Geschichte und im Geheimnis Jesu Christi empfangene Glaubensgut für die Menschen der jeweiligen Zeit verständlich zu machen. Sie wird dabei von einem soteriologischen Grundanliegen geleitet. Jesus Christus wird zu dem Paradigma schlechthin für das Erschließen der ganzen Wirklichkeit: „er ist – theologisch formuliert – das Sakrament, d. h. das Zeichen und Symbol, das uns sowohl Gott wie den Menschen in wirksamer Weise neu erschließt“56. Wie die entsprechende Vermittlung von Christologie und moderner Anthropologie aussieht, muß Kaspers Theologie noch zeigen. Um dabei nicht am Menschen vorbeizureden, muß die Theologie zuerst die philosophischen Grundbedingungen erkennen und formulieren, darf aber dabei in souveräner Weise mit der Philosophie umgehen. Für die gegenwärtige Situation handelt es sich darum, in schöpferischkritischer Weise die Anstöße der neuzeitlichen anthropologischen und geschichtlichen Wende der Philosophie aufzunehmen. Was davon als Ansatzpunkt für eine neue Interpretation des Glaubensgutes dient, wird behalten, was dem entgegensteht, wird korrigiert. Es geht darum, den soteriologischen Charakter Jesu Christi „heutig“57 zu erschließen. Die Botschaft wird auf die jeweilige Situation hin hermeneutisch ausgelegt und tritt mit ihr in eine korrelative Beziehung. 55 In dieses Spannungsverhältnis zwischen Glauben und Geschichte wird die ganze Entfaltung der Christologie eingespannt; dementsprechend bedenkt das christologische Manual „Jesus der Christus“ nach einer verheutigend-fundamentaltheologischen Einführung in „die Frage nach Jesus Christus heute“ ( Jesus der Christus, 13 – 71) zuerst „Geschichte und Geschick Jesu Christi“ ( Jesus der Christus, 73 – 188) und dann das sich aus dieser Geschichte ergebende „Geheimnis Jesu Christi“ ( Jesus der Christus, 189 – 322), und zwar unter den Aspekten, die sich nahelegen: in welchem Sinn dieser geschichtliche Jesus von Nazareth der „Gottessohn“ ( Jesus der Christus, 191 – 230) ist, inwiefern er als Gottessohn auch „Menschensohn“ ( Jesus der Christus, 231 – 269) und damit Träger des Heils ist, und schließlich wie er unter Zuhilfenahme der Pneumatologie als „Mittler zwischen Gott und Mensch“ ( Jesus der Christus, 270 – 322) verstanden werden kann und also das dialektische Spannungsverhältnis bestimmt werden kann. 56 Dogmatik als Wissenschaft, 197 f. (Hervorhebungen von Kasper). Auch wenn Kasper – im krassen Unterschied zu Tillich – nur selten von Symbolen und Symbolik spricht, begründet er von dieser christologisch-geschichtlichen Konzentration her die Dogmatik nicht mehr als positivistischen Dogmatismus, sondern neu als „Symbolik“. (vgl. Dogmatik als Wissenschaft, 198 f.) 57 Vgl. „Einer aus der Trinität…“. Zur Neubegründung einer spirituellen Christologie in trinitätstheologischer Perspektive (Theologie und Kirche), 228.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
Wie sieht also nun Kaspers methodisches Vorgehen aus? Kasper ist Theologe, kein Philosoph. Das bedeutet: er setzt ein mit dem positiven Datum der Offenbarung in Treue zur Tradition und fragt von da aus nach den involvierten und aktuellen philosophischen Prämissen. Er verfolgt einen biblisch-geschichtlich-existentiellen Ansatz und geht dabei immer von klar definierten und abgegrenzten Fragen aus, deren Essenz er durch die geschichtlichen Entwicklungen hindurch erarbeitet, kritisch beäugt und auf die aktuelle Fragestellung hin umgelegt hat.58 Darin eröffnet sich die eschatologische Dynamik der Theologie: „Indem uns die Tradition auf den Weg des Fragens bringt, eröffnet sie uns zugleich neue Weisen künftiger Theologie.“59 Die Tradition ist für Kasper „das objektiv gewordene Christentum“ und „der beste Schutz und der beste Garant der Kontinuität“60 ist. Wer Christus in eigentlicher Weise begegnen will, kann dies aufgrund der authentischen Jesusüberlieferung in einzigartiger und herausragender Weise in der Kirche machen. Sie ist nämlich die Bedingung der Möglichkeit aller verantwortbaren Theologie. Zugleich aber behält die Tradition als Schutzwall gegen alle ideologisierenden Eigenständigkeitstendenzen ihren eigentlichen Inhalt und ihr bleibendes Kriterium in der Christologie: „Jesus Christus ist das primäre, der Glaube der Kirche das sekundäre Kriterium der Christologie.“61 In anderen Worten: in der Tradition reicht uns die Kirche ihr eigenes Kriterium weiter. 58 59 60 61
Vgl. Madonia: Cristologia, 278 f. Die Methoden der Dogmatik, 16. Jesus der Christus, 29. Jesus der Christus, 30. Doch wie sind diese beiden Kriterien zu verbinden? Der Vorrang des einen bedeutet noch längst nicht eine Unerheblichkeit des anderen, schon gar nicht dann, wenn das eine Kriterium aufgrund immanenter Unklarheiten des zweiten Kriteriums dringend bedarf. Kasper weist in diesem Zusammenhang neben den Verdiensten auch die Grenzen der neuzeitlichen, liberalen Leben-Jesu-Forschung auf, welche an ihrer eigenen Meta-Kritik vor allem dank A.Schweitzer scheitern mußte, ohne aber in ihrem eigentlichen Anliegen übergangen zu werden. Der Versuch, die Kirche vom historischen Jesus her zu reformieren, ja teils zu diskreditieren, mußte vor allem an der Einsicht scheitern, daß die Evangelien selbst als Grundquellen bereits vom fließenden Übergang zwischen erlebtem Jesus und geglaubtem Christus geprägt sind. Man kommt an Jesus ohne den Glauben und damit auch ohne die Kirche gar nicht recht heran. Deshalb gilt weiterhin: „Ausgangspunkt der Christologie ist die Phnomenologie des Christusglaubens, wie er konkret in den christlichen Kirchen geglaubt, gelebt, verkndet und praktiziert wird.“ ( Jesus der Christus, 30; Hervorhebung von Kasper)
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2.1.2. Tübinger Spurenelemente Auch wenn es weniger einem sachlichen als vielmehr einem theologiegeschichtlichen Interesse dient, so wollen wir doch darstellen, unter welchen Kriterien sich Kasper als einen Erben der Katholischen Tübinger Schule62 versteht, deren größtes Verdienst die Vorbereitung der Überwindung der Neuscholastik ist63. Er inspiriert sich an ihren methodolo-
62 Kasper schreibt zu Beginn von „Jesus der Christus“: „Methodisch weiß sich die vorliegende Veröffentlichung der katholischen Tübinger Schule, besonders den christologischen Entwürfen von Karl Adam und Joseph Rupert Geiselmann verpflichtet. Im Mittelpunkt ihres theologischen Bemühens stand die Besinnung auf den Ursprung des Christentums in Jesus Christus.“ ( Jesus der Christus, 9) Vgl. auch Kasper, W.: Ein Blick auf die Katholische Tübinger Schule, in: Kessler, M./ Seckler, M. (Hrsg.): Theologie, Kirche, Katholizismus. Beiträge zur Programmatik der Katholischen Tübinger Schule von Joseph Ratzinger, Walter Kasper und Max Seckler, Tübingen 2003, 7 – 13; vgl. Kasper, W.: Vom Geist und Wesen des Katholizismus. Bedeutung, Wirkungsgeschichte und Aktualität von Johann Sebastian Dreys und Johann Adam Möhlers Wesensbestimmung des Katholizismus, in: Kessler, M./Seckler, M. (Hrsg.): Theologie, Kirche, Katholizismus. Beiträge zur Programmatik der Katholischen Tübinger Schule von Joseph Ratzinger, Walter Kasper und Max Seckler, Tübingen 2003, 61 – 83. Es ist „kein leichtes Unterfangen das Wesen und den Kern dieser Schule zu erklären, die im 19. Jahrhundert aufblühte und noch heute eine erstaunliche Vitalität besitzt“ (Ein Blick auf die Katholische Tübinger Schule, 7; vgl. Neufeld, Karl: La scuola cattolica di Tubinga (Capitolo 6), in: Storia della teologia 3. Da Vitus Pichler a Henri de Lubac. A cura di Rino Fisichella, Roma 1995/1996, 147 – 158, hier: 147). Das liegt vor allem an den Unterschieden im Denken von Drey, Hirscher und Möhler (erste Generation), Kuhn und Staudenmaier (zweite Generation), Hefele und Funk (dritte Generation) sowie zwischen Adam, Lötsch, Geiselmann und Arnold (im 20. Jahrhundert). Deshalb bezeichnet Kasper sie als „Selbstdenker“ und hebt sie von „nachplappernden Papageien“ ab (Ein Blick auf die Katholische Tübinger Schule, 7). Dabei leistete die erste Generation den theologisch notwendigen Neuanfang in der für die Kirche sehr schwierigen Situation an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. (vgl. Johann Adam Möhler – Wegbereiter des modernen Katholizismus, in: Communio 17 (1988), 433 – 443, hier: 433) Max Seckler hat in der Festschrift „Divinarum rerum notitia“ die Zugehörigkeit Kaspers zur Katholischen Tübinger Schule an drei Phasen festgemacht: zwei – Theologieprofessor und Diözesanbischof – gehören der Vergangenheit an, die dritte – römischer Kardinal – der Zukunft. Für letztere arbeitet er ein paar hilfreiche Tübinger Theologiestücke heraus. (vgl. Seckler, M.: Kein Abschied von der Katholischen Tübinger Schule, in: in: Russo, A./Coffele, G.: Divinarum rerum notitia. La teologia tra filosofia e storia (FS Kardinal Walter Kasper), Roma 2001, 749 – 762) 63 Vgl. Vorwort zu „Theologie und Kirche“, 7.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
gischen Grundorientierungen64, zumal wesentliche Anliegen in der konziliaren Erneuerung aufgegriffen wurden.65 In seinem ursprünglich ebenfalls 1967 veröffentlichten Artikel „Verständnis der Theologie damals und heute“66 geht er in 4 Punkten auf die Charakteristika dieser Schule ein.67 Als erstes Merkmal bezeichnet er die Fähigkeit, Theologie im offenen Strom der Zeit zu betreiben und also der Situation und den Herausforderungen der jeweiligen geistigen Strömungen gerechtwerden zu wollen.68 Theologie soll und muß auf die jeweils konkrete Praxis von Glaube, Hoffnung und Liebe zielen.69 „Dieser Geist einer lebendigen Überlieferung zu beständiger Gegenwart durchpulst diese ganze Theologie.“70 Auch wenn die Unterschiede zwischen damals – die Tübinger glaubten, 64 Zu einer Diskussion der theologiegeschichtlichen Anhaltspunkte der Tübinger Schule vgl. Neufeld: La scuola cattolica di Tubinga, 151 – 153; vgl. Ascione, A.: I presupposti filosofici della teologia di Walter Kasper, in: Asprenas 40 (1993) 205 – 224, hier: 209 f. 65 Vgl. Verständnis der Theologie damals und heute (Glaube und Geschichte), 9. 66 Ursprünglich in: Ratzinger, J./Neumann, J. (Hrsg.): Theologie im Wandel. Festschrift zum 150jährigen Bestehen der kath.-theol.Fakultät der Universität Tübingen 1817 – 1967, 90 – 115; nun in: Glaube und Geschichte, 9 – 32. 67 Im Vorwort zu „Theologie und Kirche“ spricht Kasper dagegen von drei Prinzipien, welche die Tübinger Tradition auszeichnen: „Kirchlichkeit, Wissenschaftlichkeit und praxisorientierte Offenheit für die Fragen der Zeit“ (Vorwort zu „Theologie und Kirche“, 11). In den beiden Aufzählungen der Charakertistika entspricht die Wissenschaftlichkeit grob dem dezidiert theologischen Charakter der Theologie und enthält auch das Merkmal das Geschichtlichkeit. Die Wissenschaftlichkeit der Theologie besteht letztlich darin, daß sie das Wahrheitsverständnis der Theologie zur Sprache bringt. McDermott bezeichnet in seinem Kasper-Kommentar die Tübinger theologischen Prinzipien als „contemporaneity, responsibility to the tradition, and attention to exegetical and historical data“ (McDermott, 339). Immer wieder lassen sich je nach Blickwinkel dieselben Elemente in unterschiedlichen Aufzählungen wiederfinden, so daß wir uns vor allem auf unsere vierteilige Aufgliederung beschränken wollen. 68 Vgl. Ein Blick auf die Katholische Tübinger Schule, 8. 69 Die fundamentale Verhältnisbestimmung von Kirche und Welt geschieht in Tübingen weder durch das integralistische noch durch das funktionale Modell, sondern durch das Modell der christlichen Weltverantwortung; letzteres lebt von der Verbindung eines schöpfungstheologischen Denkens mit einem befreiungstheologischen Ansatz, von Natur und Gnade. In der Weisheitstheologie und -christologie liegt nach Kasper der entsprechende biblisch-theologische Ansatz. (vgl. Vorwort zu „Theologie und Kirche“, 19 f.) Die weisheitliche Tradition verbindet nämlich die allgemeinen Prinzipien mit der geschichtlichen Überlieferung. (vgl. Zustimmung zum Denken (Theologie und Kirche II), 12 f.) 70 Verständnis der Theologie damals und heute (Glaube und Geschichte), 10.
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die Aufklärung endgültig hinter sich zu haben – und heute – wo das Konzil die Ideen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aufgreift – kaum größer sein könnten, stellt Kasper doch das gemeinsame Bestreben fest, der Selbstvermittlung des Menschen mit seiner Welt bzw. dem Problem der Geschichte die hauptsächliche Aufmerksamkeit zu widmen. In der Tübinger Schule stellte auf jeden Fall die Begegnung von Christentum und Kultur kein Problem dar; es gab keinen ängstlichen Rückzug in die eigenen Bastionen. Die Geschichtlichkeit der Theologie – als zweites Charakteristikum – äußert sich im Bedenken des Ereignisses Christi, der als Herr in seiner Kirche weiterlebt und wirkt.71 Damit ist aber ausgesagt, daß sich die geschichtliche Theologie über das idealistische Identitätsdenken erheben und „die freie geschichtliche Providenz Gottes“72 zum letzten Prinzip machen muß. Geschichtliche Theologie ist Freiheitstheologie. Nach den Tübinger Denkanstößen wurde dieser Ansatz philosophisch durch Heideggers Entscheidung radikalisiert, das Sein im Horizont der Zeit zu denken. Theologischerseits entsprach dem eine Wiederentdeckung der Eschatologie als „Wetterwinkel der modernen Theologie“ (H.U.v.Balthasar).73 Als dritte Eigenschaft kommt der Theologie ihre Kirchlichkeit zu.74 Der christliche Glaube kann nur dann unmittelbar an Christus gebunden 71 Da die christliche Theologie nicht hinter ihren geschichtlichen Ausgangspunkt zurücktreten kann, geht sie im Unterschied zu Hegel den Weg der Determination und im Unterschied zur scholastischen Abstraktion den Weg der Induktion. (vgl. Verständnis der Theologie damals und heute (Glaube und Geschichte), 16 f.) Auch die spekulative Theologie ist geschichtliche Theologie, da sie die geschichtlichen Ereignisse mit der Grundidee des Christentums in Beziehung zu stellen versucht. 72 Verständnis der Theologie damals und heute (Glaube und Geschichte), 18. Staudenmaier hat nach Kaspers Forschungen in der Tübinger Theologie jene Erkenntnisse Schellings umgesetzt, die zu einer Überwindung der dialektischen Identität von Notwendigkeit der Idee und Freiheit der Geschichte führte. 73 Für die theologische Methode bedeutet dies, daß sich die Theologie entfalten müßte „durch Darlegung der Implikationen des geschichtlich ergangenen Wortes und der Christologie, als Entfaltung der immanenten Logik des Glaubens“ (Verständnis der Theologie damals und heute (Glaube und Geschichte), 20; Hervorhebung vom Autor). 74 Kasper hat sich besonders für die ekklesiologische Forschung der Tübinger Schule interessiert und fokussiert dabei sein Interesse auf die Person Johann Adam Möhlers, dem er in Communio 17 (1988) den Aufsatz widmet „Johann Adam Möhler – Wegbereiter des modernen Katholizismus“ (Seiten 433 – 443).
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bleiben, wenn Christus in seiner Kirche bleibend gegenwärtig ist.75 „Jesus Christus lebt und wirkt in der Kirche fort, aber die Kirche ist nicht der fortlebende Christus.“76 Es geht sowohl um das In-Sein als auch um das Gegenüber-Sein Christi, um seine Gegenwart im Gläubigen und in der Kirche und um seine souveräne, transzendente Unabhängigkeit. Dadurch entsteht eine dialektische Bewegung zwischen der geschichtlichen subjektiven Aneignung und Verlebendigung des Glaubens durch den einzelnen und der objektiven kirchlichen Gestalt des Glaubens; beide beeinflussen sich gegenseitig und verhalten sich zueinander in Freiheit.77 75 Sicherlich waren die Tübinger anfangs einem romantischen, organologischen Mißverständnis der Kirche erlegen, doch im Zweiten Vatikanum greift die viel nüchternere Sicht der Kirche als Volk Gottes mit Betonung der Würde und Freiheit des einzelnen Christen letztlich dieselbe Idee auf. Kasper kann die Organismusidee auf Schelling und Hegel zurückführen. (vgl. Verständnis der Theologie damals und heute (Glaube und Geschichte), 23) Man darf darüber hinaus nicht vergessen, daß die junge Katholische Tübinger Fakultät zu Beginn des 19.Jahrhunderts selbst eine große kirchliche Rolle spielt, da sie zum führenden Kopf des katholischen Aufbruchs wurde. (vgl. Ein Blick auf die Katholische Tübinger Schule, 9) Folglich mußte die sich im Ersten Vatikanum letztlich behauptende „Philosophie der Restauration“ zum stärksten Gegenspieler der Tübinger werden. (vgl. Ein Blick auf die Katholische Tübinger Schule, 12 f.) 76 Vom Geist und Wesen des Katholizismus, 71. 77 Besonders der spirituelle, organische und letztlich christologische Kirchenbegriff von Johann Adam Möhler sticht in diesem Zusammenhang heraus und trägt durch die differenzierte Unterscheidung von Christus und Kirche zur Entromantisierung des Traditionsbegriffs bei. Dem wollen wir kurz nachgehen, weil Kasper sich sehr intensiv damit beschäftigte. Möhler griff die ganzheitliche und mystische Ekklesiologie von Johann Sebastian Drey auf. Von Dreys programmatischem Eröffnungsbeitrag der neugegründeten „Tübinger Theologischen Quartalschrift“ („Vom Geist und Wesen des Katholizismus“ von 1819) her wurde außerdem die Frage nach dem Grundunterschied zwischen dem Katholizismus und dem Protestantismus vehement gestellt (vgl. Vom Geist und Wesen des Katholizismus, 61 f.); sie wurde protestantischerseits – nicht zuletzt wegen der direkten Nachbarschaft der protestantischen Fakultät in Tübingen – später z. B. von Barth und Ebeling, in einer besonderen Weise aber mit den Begriffen der „katholischen Substanz“ und des „protestantischen Prinzips“ von Paul Tillich aufgegriffen und ausgefeilt. (vgl. Vom Geist und Wesen des Katholizismus, 68 – 70) Drey zeichnete sich nach Kasper aus durch die Einheit von „mündige(r) Kirchlichkeit, strenge(r) Wissenschaftlichkeit und praxisorientierte(r) Zeitoffenheit“ (Vom Geist und Wesen des Katholizismus, 64). Bei Möhler konnte dieses Konzept von Kirche und Christus in verschiedenen Phasen seines Schaffens besonders auf dem Hintergrund einer nötigen Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat ausreifen. Der Unterschied zwischen dem katholischen Kirchenver-
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Die lebendige Überlieferung wird als Selbstüberlieferung Christi in der Kirche zu beständiger Gegenwart verstanden.78 Da die Kirche aber
ständnis und dem Protestantismus besteht für Möhler darin, daß ersteres versucht, eine rechte Mitte zwischen den Extremen von Rationalismus und Supranaturalismus zu finden, während letzterer haltlos zwischen beiden schwankt. (vgl. Johann Adam Möhler – Wegbereiter des modernen Katholizismus, 438) Möhlers Einfluß zeigte sich vor allem in der Römischen Schule, deren Traditionsbegriff Kasper ausgiebig in seiner Dissertation bearbeitet hat. In der Tübinger wie in der Römischen Schule wurde gegen den Rationalismus und im Kontrast zum Idealismus das geschichtliche Bewußtsein besonders geschärft. Kasper bekennt in einer seiner raren persönlichen Äußerungen heute selbst als Präfekt des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen: „Für mich persönlich ist Möhler bis heute das Fundament, geradezu das Modell und das Ideal meiner eigenen Ekklesiologie und meiner ökumenischen Theologie.“ (Ein Blick auf die Katholische Tübinger Schule, 10) Möhlers Wirkungsgeschichte war so beeindruckend, daß Kasper nicht zögert, ihn – mit denselben Worten wie Möhlers eigene Studenten in Tübingen – gewissermaßen als einen „Kirchenvater des modernen Katholizismus“ (Vom Geist und Wesen des Katholizismus, 67; vgl. Johann Adam Möhler – Wegbereiter des modernen Katholizismus, 440 – 442) zu bezeichnen. Sein exponiertester Gegenpart ist Schleiermacher. An mehreren Stellen betont Kasper, daß Louis Bouyer in seinen ekklesiologischen Untersuchungen Möhler und seinen offenen Katholizismus zum Vorbild wählt. An Möhlers Theologie entbrennt die heute umso aktuellere Frage nach jenem christlichen Ökumenismus, der sich weder auf vereinzelte Initiativen von Kirchenleitungen noch auf pseudo-romantische Symbolik verläßt, sondern an der Grundsatzfrage arbeitet. Doch auch die nachidealistische Frage nach dem Übernatürlichen gewinnt heute neue Aktualität und wird im Zusammenhang der Frage der Nicht-Einerleiheit von Kirche und Gesellschaft akut. Vgl. dazu auch Morawa, J.: Die CommunioKirche als Sakrament des Heils in und für die Welt: zum erneuerten Verständnis der Sendung der Kirche in der Gegenwart im Werk Walter Kaspers, Frankfurt u. a. 1996, 149 – 160. 78 Vgl. Vom Geist und Wesen des Katholizismus, 63. Bei Möhler wird die Tradition deshalb als die doppelte Bewegung von Regression und Progression verstanden: als regressiv, weil sie bleibend an Jesus Christus als den „Anfang in der Fülle“ gebunden ist, progressiv jedoch, weil sie sich immer auf neue geschichtliche Situationen einläßt. (vgl. Vom Geist und Wesen des Katholizismus, 71.73 f.) In dieser Dialektik liegt nach Kaspers Dafürhalten eine große Chance verborgen, in der veränderten ökumenischen Situation der Gegenwart sowohl die eher katholisch angehauchte „Unfehlbarkeit“ und das eher protestantische Prinzip der „ecclesia semper reformanda“ miteinander zu vermitteln. Die Kirche wird immer tiefer in die Wahrheit eingeführt und kann deshalb zugestehen, daß diese eine Wahrheit in geschichtlich vielfältiger, aber komplementärer Weise ausgedrückt wird. Es geht Kasper letztlich um einen Ökumenismus der „versöhnten Verschiedenheit“. (vgl. Vom Geist und Wesen des Katholizismus, 74 f.)
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
konstitutiv an das Zeugnis der Schrift gebunden bleibt79, übernimmt die Theologie als „reflektierte memoria der Kirche“80 innerhalb der Kirche legitimerweise eine kritische Funktion, da von ihr nicht nur ein äußerer Gehorsam gegenüber dem Lehramt, sondern ein wahres „sentire ecclesiam“ gefordert wird. Im modernen Bewußtsein legt sich die Kirchlichkeit der Theologie vor allem aber im Hinblick auf die missionarische Sendung aus. Theologie läßt sich auch messen an der „Verständlichkeit der kirchlichen Botschaft bei denen, die noch nicht oder nicht mehr glauben“81. Letztlich – und viertens – ist für die Theologie ihr ausgesprochen theologischer Charakter entscheidend. Sie redet nicht primär vom Menschen, von der Welt oder der Gesellschaft, sondern von Gott und seinem Wort.82 Gott muß dem Menschen als unabhängiger Gesprächspartner erhalten bleiben, denn sonst versinkt die Anthropologie in einer unfruchtbaren Nabelschau. „Eben um dem Menschen zu dienen, muß sie nicht vom Menschen, sondern von Gott reden.“83 Freiheit gibt es für den 79 Diesen Aspekt hat Kasper gesondert in seinem Artikel „Die Kirche unter dem Wort Gottes“ behandelt. Damit die Kirche nicht einem „theologischen Idealismus“ verfällt, der sie dazu verführen würde, den Glauben aus ihrem Bewußtsein abzuleiten, erhebt Kasper drei Kriterien: erstens die Transzendenz Gottes und seiner Wahrheit gegenüber der Kirche und ihrer Lehre – von daher das Axiom der Analogie, also der größeren Unähnlichkeit in aller Ähnlichkeit; zweitens der geschichtlich-eschatologische Charakter der konkreten Offenbarung in Jesus Christus; und drittens das Geschenk der Heiligen Schrift als bleibender Verweis in den „Anfang in der Fülle“. 80 Vorwort zu „Theologie und Kirche“, 12 (Hervorhebung von Kasper). 81 Verständnis der Theologie damals und heute (Glaube und Geschichte), 26. 82 Die Funktionalisierung und Vergeschichtlichung Gottes im Nachidealismus führte nämlich zu der Konsequenz, daß „der Gott, der nur noch als Verbrämung des Endlichen, als Projektion des Menschen, als Rechtfertigung des Bestehenden erschien“, für tot erklärt wurde. (Verständnis der Theologie damals und heute (Glaube und Geschichte), 27) 83 Verständnis der Theologie damals und heute (Glaube und Geschichte), 28. Geiselmann hat sich in einer monographischen Bearbeitung der theologischen Anthropologie Möhlers gewidmet und kann nachweisen, wie sehr letzterer die Frage nach einer ausgewogenen und wahrhaft theologischen Anthropologie als die abendländische Grundfrage schlechthin verstand. (vgl. Geiselmann, J.R.: Die theologische Anthropologie Johann Adam Möhlers. Ihr geschichtlicher Wandel, Freiburg 1955) Dabei gelang es Möhler, zum ersten Mal die große existentielle Relevanz des christlichen Glaubens an den dreieinen Gott ins Bewußtsein zu heben. (vgl. Geiselmann: Die theologische Anthropologie Johann Adam Möhlers, 421) Auch in diesem Sinne ist Kasper ein Erbe Möhlers. In der letzten seiner drei Phasen der Anthropologie entwirft Möhler die Freiheit des in seinem
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Menschen nämlich nur in Begegnung mit anderer, d. h. göttlicher Freiheit. „Hier leuchtet etwas auf von Transzendenz inmitten der Immanenz.“84 Nach Kaspers Überzeugung kommt die dem Menschen eigene Gottesidee in Jesus Christus zu sich selbst. Glaube an die Wahrheit der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus ist kein „sacrificium intellectus“, sondern ein vernünftiger Gehorsam nach dem altbewährten Motto „fides quaerens intellectum“. An diesem Ansatzpunkt liegt für Kasper die Möglichkeit der entscheidenden Kehrtwende moderner Theologie – wie wir es nun darzulegen versuchen. Eine wahrhaft theologische Theologie vermag, den Menschen von Gott her in einem befreienden Raum zu sehen. Mit den vier Charakteristika der Aktualität, der Geschichtlichkeit, der Kirchlichkeit und des theologischen Charakters der Theologie sind auch in Kaspers Theologie die bestimmenden roten Fäden angegeben und gleichsam gerüsthaft die methodologischen Grundoptionen benannt. Wie sie sich in der Auseinandersetzung um die moderne Theologie gebärden und dabei die Situation auf die Botschaft zu beziehen vermögen, muß sich nun erweisen. Nehmen wir die Dialektik von Botschaft und Situation ernst, dann kann nur – ähnlich wie bei Tillich – eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Situation eine deutlichere und methodisch feinschliffigere Vermittlung der Botschaft ermöglichen. Dabei ist das „Heute“ der gegenwärtigen Situation der naheliegende und notwendige Ausgangspunkt der systematischen Theologie und ihrer Reflexion der Botschaft: „Offenbarung kann nur sein in einer unzerreißbaren, wenngleich differenzierten Einheit, die den Offenbarer, das Offenbarte und den, dem geoffenbart wird, in ein Geschehen zusammennimmt.“85 Von daher gilt unser Interesse nun besonders jener aktuellen Situation, von der Kasper ausgeht, und in der sich das Offenbarungsgeschehen „heutig“ neu konstituiert.86 eigenen Dasein vor Gott stehenden Menschen zum Konstruktionsprinzip des menschlichen und christlichen Seins. (vgl. Geiselmann: Die theologische Anthropologie Johann Adam Möhlers, 423) Mit Geiselmann können wir feststellen, daß sich die Entwicklung in Möhler besonders an der schöpfungstheologischen Frage nach der reinen Natur und ihrem Verhältnis zur Gnade der Erlösung entscheidet. 84 Verständnis der Theologie damals und heute (Glaube und Geschichte), 28. 85 Welte, B.: Auf der Spur des Ewigen, Freiburg/Basel/Wien 1965, 373 (Hervorhebung von Welte). 86 Vgl. Greshake, G.: Auferstehung der Toten. Ein Beitrag zur gegenwärtigen theologischen Diskussion über die Zukunft der Geschichte, Essen 1969, 20 f.
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2.2. Geistesgeschichtliche Anwege 2.2.1. Der neuzeitliche Atheismus als theologische Herausforderung Da die aktuelle geschichtliche Situation in seiner Theologie eine konstitutive Rolle spielt, leistet Walter Kasper in vielen Artikeln und Beiträgen, vor allem aber auf sehr übersichtlich systematisierte Weise im ersten Teil seines trinitätstheologischen Manuals „Der Gott Jesu Christi“ eine konkrete akkurate und gut recherchierte, informierte und ausgewogene Situations- und Problemanalyse der Geistes-, Philosophie- und Theologiegeschichte, besonders der letzten Jahrhunderte.87 Dabei geht es ihm darum, in der konkreten und korrekten Auseinandersetzung jene Bedingungen und Konsequenzen herauszuarbeiten, die unser heutiges Denken, Empfinden und Erfahren prägen und welche dazu führten, daß die Wirklichkeit Gottes „unter dem Verdacht (steht), ein bloßer Widerschein der Welt, eine reine Ideologie zu sein“88 und so einen eindeutigen Wahrheitsanspruch eingebüßt hat. Sein Anliegen besteht darin, die sich im Zuge der anthropologischen Wende entfaltende neuzeitliche Subjektivitäts- und Freiheitsproblematik einerseits von innen heraus zu verstehen, andererseits aber ihre Grenzen aufzuweisen und sie vor allem mit dem theologischen Wahrheitsverständnis zu konfrontieren. Kasper will unter diesen Bedingungen eine verantwortbare Theologie betreiben, welche die gegenwärtigen Denkvoraussetzungen nicht außer Acht läßt, ja er will das theologische Denken durch die Umstände antreiben lassen. „Diese Krise kann freilich zugleich eine Chance sein“89, lautet eines seiner Greshake präzisiert dabei, daß die Geschichte der Kirche begründet ist durch die stets neue Begegnung von Botschaft und Situation und daß von daher – wie es bei Kasper geschieht – die aktuelle Begegnung nicht am Zeugnis der Kirche vorbei geschehen kann. Unmittelbarkeit gibt es in dem Sinne nicht. „Der Horizont des Heute (muß) als der – geschichtlich mitwandernde – Horizont des Damals betrachtet werden.“ (Greshake: Auferstehung der Toten, 23) 87 Kaspers Situationsanalyse ist dabei im Sinne des hermeneutischen Zirkels bereits von jenen Vorentscheidungen geprägt, in denen sich die theologischen Prioritäten widerspiegeln. Für Kasper bestehen sie grundsätzlich darin, die formalen Fragen, die durch den Begriff der geschichtlichen Freiheit erhoben wurden, in der Theologie fruchtbar zu machen und auf diesem Weg Gott und Mensch wieder aufeinander beziehen zu können. In dem folgenden Kapitel und im Kapitel über Kaspers Quellen wird dies deutlicher werden. 88 Der Gott Jesu Christi, 18. 89 Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 33. Zu einer kritischen Betrachtung der „Theologie der Säkularisierung“ vgl. Autonomie und Theonomie (Theologie und Kirche), 166 – 169, bes. 168 f.; vgl. Natur-Gnade-
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deutlichsten Bekenntnisse gegenüber der Tragfähigkeit überlieferter und sich im Verlauf der Geschichte neu interpretierender theologischer Wahrheit. Worin aber besteht diese Chance? Es scheint in Kaspers kritischen Kommentaren der Theologie und Philosophie der Neuzeit immer wieder durch, daß seiner Meinung nach der theologischen Wahrheit das Weltverständnis der neuen Geschichtlichkeit eher entspricht als das lange Zeit von der griechischen Philosophie diktierte und in der Theologie aus guten Gründen prinzipiell übernommene traditionelle metaphysische Wahrheitsverständnis, da die neue Geschichtlichkeit wieder näher an das biblisch-heilsgeschichtliche Wahrheitsverständnis heranrückt. Wie wir weiter oben darlegten, ist die Geschichte bzw. die Freiheit der adäquate Horizont für die dialektische Vermittlung von Glaube und Geschichte bzw. von Wahrheit und Freiheit. Kasper wird es jedoch zu diesem Zweck niemals als nötig empfinden, die Harnacksche These der Hellenisierung des Evangeliums durch die alten Konzilien zu übernehmen, sondern spricht in diesem Zusammenhang sogar von „Enthellenisierung des Christentums“90, da die Konzilien in ihren dogmatischen Glaubensformeln Christus nicht arianisch auf die Seite der Geschöpfe, sondern auf die Seite Gottes setzten. „Man kann und muß also von einem Unterschied zwischen griechischem und biblischem Wahrheitsverständnis sprechen, von einem Gegensatz beider kann keine Rede sein.“91 Die metaphysischen Aussagen ersetzen die heilsgeschichtlichen nicht, sondern stützen und explizieren den universalen Anspruch der geschichtlich-partikulären Glaubensüberlieferung.92 Schon das Neue Testament bietet dank der Logos- und der Kenosis-Christologie eine Synthese von metaphysischen und geschichtlichen Momenten. Jesus Christus ist das „universale concretum“93. Die entscheidende Frage ist demnach für Kasper nicht die Exklusivität der einen oder der anderen Option, sondern das neue Gespräch zwischen Philosophie und Theologie im Hinblick auf die Vermittlung beider Ansätze. „Das Verhältnis von menschlicher Geschichtlichkeit und Gottes ewiger Wahrheit gehört zu
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Kultur (Theologie und Kirche II), 199 – 203; vgl. Kirche und neuzeitliche Freiheitsprozesse (Theologie und Kirche II), 221 – 223; vgl. auch weiter unten im Zusammenhang mit Apologetik, Dialogik und Dialektik, vor allem mit der Natur-Gnade-Problematik im Zweiten Vatikanischen Konzil. Der Gott Jesu Christi, 227 (Hervorhebung von Kasper). Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 35. Vgl. Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 37. Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 40.
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den Grundproblemen gegenwärtiger Theologie, ja, es ist vielleicht das Grundproblem gegenwärtiger Theologie.“94 In letzter Konsequenz geht es fundamentaltheologisch darum, Metaphysik geschichtlich-freiheitlich zu artikulieren. Die sogenannte anthropologische Wende, welche „die neuzeitliche Autonomie als Grundlage des modernen Atheismus“95 heraufbeschwörte, hat für die Theologie deshalb nicht nur Verdachtscharakter, sondern ist eine mitzureflektierende Bedingung der christlichen Verkündigung. Außerdem ist sie der christlichen Theologie von ihrem Wesen her nicht fremd. Für Kasper besitzen die Aufklärung und ihre Folgen – vor allem ihre modernen Ideen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – für die heutige Theologie eine nicht zu umgehende Aktualität. Auch wenn Romantik und Idealismus gemeint haben, die grundlegenden Anliegen der Aufklärung aufgehoben zu haben, so bleibt doch besonders ein Problem sehr akut: die Geschichte. 96 Tatsächlich haben wir es mit einer beschleunigenden Vergeschichtlichung aller Daseinsbereiche zu tun, welche das abstrakte ungeschichtliche Naturverständnis der Aufklärung noch nicht voraussah und in welcher der Mensch die Welt als vorfindbares und formbares Material erfaßt, so daß er die künftige Welt aus eigener Kraft erbauen will. Darüber hinaus dreht sich schon seit dem Deutschen Idealismus die geschichtliche Frage besonders um das Problem der Freiheit. 97 Geschichte und Freiheit sind nicht voneinander zu lösen. Die Theologie trägt in sich selbst die Möglichkeit, auf diese ererbten, anthropozentrisch gefärbten Fragen der Freiheit und der Geschichte zu reagieren und sie in Bahnen zu lenken, in denen der Mensch nicht mehr von Utopien und Versprechungen verzwecklicht wird, die sich dem Fortschritt verschrieben haben. Die Theologie ist nämlich selbst zutiefst geschichtlich geprägt, denn sie hat es nicht mit „allgemeinen Ideen und abstrakten Prinzipien zu tun, sondern mit Geschichte“98, mit einer ganz konkreten Heilsgeschichte, in der sich der ewige Heilsplan Gottes erschließt und die in Jesus Christus zu ihrer Erfüllung kommt. Der säkularisierte Geist präsentiert der Theologie sozusagen eine vergessene, aber notwendige Seite ihrer Identität: daß sie auf den Menschen hin gedacht und formuliert ist und darin die Vorgabe 94 95 96 97
Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 49. Der Gott Jesu Christi, 29. Vgl. Verständnis der Theologie damals und heute (Glaube und Geschichte), 13 f. Die Freiheit als philosophisches und theologisches Problem in der Philosophie Schellings (Glaube und Geschichte), 33 f. 98 Verständnis der Theologie damals und heute (Glaube und Geschichte), 15.
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der soteriologischen Relevanz des Christusereignisses ernstnimmt. In anderen Worten: es gilt, das Anliegen der Anthropologisierung aller Prozesse in der Theologie aufzugreifen und fruchtbar zu machen und „alle theologischen Aussagen als anthropologische Aussagen (zu) thematisieren“99. Dazu ist aber die formale Überlegung von Nöten, wie die Theologie ihren Anspruch, alles „sub ratione Dei“ (hl. Thomas von Aquin) 100 zu betrachten, angesichts der Gottvergessenheit der Moderne ins Spiel bringen kann. „Wir haben deshalb keinen Grund, den modernen Säkularisierungsprozeß zu bedauern, sondern sollten ihn positiv als neue Möglichkeit in der Ausübung des missionarischen Auftrags verstehen und ergreifen.“101 Worin liegt jedoch die Grundschwierigkeit, die die Theologie als Altlast mit sich schleppt, weil sie die Wirklichkeit Gottes als Ideologie erscheinen läßt? Welcher Engpass bzw. welche Sackgasse führte die Theologie von innen heraus zum notwendigen Umdenken zugunsten eines neuen anthropologischen und geschichtlichen Ansatzes? Was ist jener Konflikt, gegenüber dem die neuzeitliche Säkularisierung ein radikaler Gegenentwurf war, den es also neu zu überdenken gilt und von dem her das Theologisch-Sein der Theologie bewußter eingefordert werden muß? Kasper sieht das Problem in einem „absolutistischen Gottesbild“102, das zwei gefährliche Einseitigkeiten enthielt: erstens, daß Gott – und damit das Gott-Mensch-Verhältnis – im Horizont der klassischen SubstanzMetaphysik gedacht wurde, und zweitens, daß in diesem Zusammenhang Gott und Mensch als „Konkurrenten“ aufgefaßt wurden und letztlich der Mensch durch Gott erdrückt wurde.103 Dieses Gottesbild wurde durch den Nominalismus so sehr an die Grenze der Willkür getrieben, daß der neuerwachte aufklärerische Geist zurecht die Frage nach dem Verhältnis von menschlicher Autonomie und gottbestimmter Theonomie stellte
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Das theologische Wesen des Menschen, 101. Das theologische Wesen des Menschen, 98. Glaube und Geschichte, 271. Der Gott Jesu Christi, 22. Beide Fragestellungen sind miteinander verschränkt und kommen in Kaspers Argumentationsgang vor, werden aber nicht rein unterschieden und fundamentaltheologisch eher von der Seite der Auflösung der Konkurrenz von Gott und Mensch her aufgerollt.
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und geistesgeschichtlich schließlich zur Säkularisierung, zum Atheismus104 und zum Nihilismus überleitete.105 Die Behauptung des Willkürgottes führte demnach letztlich dazu, daß Gott und Welt radikal getrennt wurden, auch wenn Gott nicht sogleich aus dem Denken ausgeschaltet wurde.106 Er wurde – ausgehend von 104 Geistesgeschichtlich spricht Kasper vom „Konflikt zwischen Autonomie und einer übermächtigen Theonomie“ (Der Gott Jesu Christi, 20), während die realgeschichtlichen Entwicklungen sich auf das Stichwort „Emanzipation“ zusammenfassen lassen. In drei Stadien (vgl. Autonomie und Theonomie (Theologie und Kirche), 157 – 164) hat sich nach dem Urteil von Kasper die neuzeitliche Emanzipation und ihr emanzipatorisches Verständnis der Autonomie entwickelt: Descartes bewirkte die Autonomie der Selbstvergewisserung, die noch im Gottesgedanken gründete; Kant erarbeitete mit seiner Begründungsmoral die Autonomie der Moral, wobei der Mensch anhand des kategorischen Imperativs sich selbst Gesetz ist und die Religion nur noch von der Ethik begründet wird; und Nietzsche vollendete die allumfassende Autonomie des Menschen gegenüber einem allmächtigen Gott, indem er schließt, daß der Mensch den Gott, den er entworfen hat, auch töten kann. Gott ist tot, der Mensch ist divinisiert. Renaissance, Humanismus und Aufklärung waren die großen geistesgeschichtlichen Bewegungen, in denen sich Weltfreudigkeit und Diesseitigkeit gegen die Last des leidenschaftlichen Theozentrismus bei Augustinus und des schockierend willkürlichen Gottesbildes des Nominalismus durchsetzten. Daß man die Neuzeit aber nicht als einheitlichen und gradlinigen Prozeß betrachten darf, zeigt die Tatsache, daß neben der aufklärerischen Begeisterung auch die stets gegenwärtige Neuzeitkritik steht (z. B. Pascals „Logique du coeur“: „Le coeur a des raisons que la raison ne connaît point; on le sait en mille choses.“ (Pascal, B.: Pensées, Fr.277, in: Pascal, B.: Oeuvres complètes (hrsg. von L.Lafuma), Paris 1963, 552). Der Atheismus wird schließlich von Kasper in drei Formen unterschieden: im Vordergrund stehen die beiden Grundtypen im Namen der Autonomie der Natur und der weltlichen Sachbereiche (vgl. Der Gott Jesu Christi, 34 – 41) und im Namen der Autonomie des Subjekts (vgl. Der Gott Jesu Christi, 41 – 67) mit den drei entscheidenden Entwicklungsstufen Feuerbach, Marx und Nietzsche (Nihilismus), während sich zu diesen beiden Grundtypen noch jene „Formen des Atheismus (anschließen), die einem Protest gegen das Übel und das Bçse in der Welt entspringen“ (Der Gott Jesu Christi, 33). 105 „Es hat sich gezeigt, daß nicht der humanistische Atheismus, sondern der Nihilismus die schärfste Herausforderung des christlichen Glaubens in der Moderne ist.“ (Der Gott Jesu Christi, I; Vorwort zur dritten Auflage) Im Nihilismus kommt die atheistische Grundtendenz in aller Konsequenzhaftigkeit zu sich selbst. 106 Zurecht verweist Kasper darauf, daß – wie bereits gesagt – Descartes und alle anderen großen Denker der Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert hinein alles andere als Gottesleugner waren (vgl. Der Gott Jesu Christi, 31). Zugleich muß aber deutlich gesagt werden, daß ihre Thematisierung Gottes zu jener Aporie führen mußte, die Hegel auf den Begriff brachte, daß letztlich die Welt gottlos und Gott weltlos
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Descartes – zu einem Teil im Selbstvollzug des Menschen. Diese anthropologische Wende107 hatte damit vor allem die künftige Verklammerung der Gottesfrage und der Frage nach dem Menschen zur Folge. Das ist der Ausgangspunkt heutiger Theologie. Konkret bedeutete das damals jedoch: Gott wurde nicht mehr in seiner eigenmächtigen und freien Souveränität anerkannt, sondern auf die Funktion reduziert, „Grund und Medium menschlicher Autonomie“108 zu sein. Die definitive Ausschaltung des letztlich funktionslos und problemlos ersetzbar gewordenen Gottesgedankens wurde erst konsequenterweise vom Nihilismus vollzogen. Weder die Welt noch das „Ich“ des Menschen konnten mehr als symbolhafte Verweise auf Gott verstanden werden, so daß Gott und Mensch nun endgültig als sich gegenseitig ausschließende Konkurrenten erfahren wurden.109 und gegenstandslos wird (vgl. Der Gott Jesu Christi, 33; Kasper zitiert Hegel aus „Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjektivität, in der Vollständigkeit ihrer Formen als Kantische, Jacobische und Fichtesche Philosophie (=WW I, ed. H.Glockner)“, Seite 433). Greshake hat die bei Hegel stattfindende denkerische Entwicklung charakterisiert als „ein(en) Endpunkt, nämlich (den) grundsätzlich unüberholbare(n) (d. h. nur noch im einzelnen korrigierbare(n) und ausformbare(n)) Versuch einer konsequenten totalen Reflexionsphilosophie“ (Greshake: Auferstehung der Toten, 168). 107 Vgl. hierzu vor allem den Beitrag „Kirche und neuzeitliche Freiheitsprozesse“ aus „Theologie und Kirche II“ (Seiten 213 – 228). 108 Der Gott Jesu Christi, 31. Von daher auch Kaspers Definition des Atheismus, die das Göttliche nicht gänzlich ausschaltet, sondern die Bedeutung des Göttlichen auf den weltlichen Bereich beschränkt: „Als Atheismus hat (…) die Anschauung zu gelten, die jede Art eines Göttlichen bzw. eines Absoluten, das nicht schlechthin identisch ist mit dem Menschen und mit der Welt unserer empirischen Erfahrung und deren immanenten Prinzipien, leugnet.“ (Der Gott Jesu Christi, 29) 109 Die Konsequenzen dieser radikalen „Entzauberung der Welt“ (Natur-GnadeKultur (Theologie und Kirche II), 200) waren verheerend. Das neu entworfene Denken „von unten“, das bei der allen Menschen gemeinsamen Vernunftnatur ansetzte und sich durchaus auch auf die biblischen Wurzeln der Unterschiedenheit von Gott und Welt berufen konnte, führte aufgrund einer zu unkritischen und radikalen Durchführung in eine Vergöttlichung der Welt („Transzendenz „nach vorne““; Kasper gebraucht diesen Ausdruck in: Natur-GnadeKultur (Theologie und Kirche II), 200) mit den entsprechenden innerweltlichen Heilsutopien und -ideologien und dem neuzeitlichen Fortschrittsglauben. Die Religion wurde zu einer Subkultur der Innerlichkeit, und zugleich fanden die tiefreligiösen Fragen und Erfahrungen, die die moderne Gesellschaft weiterhin machte, keinen vertrauenswürdigen Ansprechpartner mehr. „Eine gähnende Leere des Nichts“ ging Hand in Hand mit einem vehementen Sinn- und
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Christlicher Glaube – so Kasper – braucht unter diesen subjektivistischen und vergeschichtlichten Vorzeichen im Hinblick auf die Aussagbarkeit und Glaubwürdigkeit Gottes eine radikal neue fundamentaltheologische Vorüberlegung.110 „Diese Krise in den Verstehensvoraussetzungen der Rede von Gott ist die eigentliche Krise der gegenwärtigen Theologie.“111 Situation und Botschaft müssen unter dramatisch ungünstigen Bedingungen wieder ganz neu aufeinander bezogen werden. Es geht Kasper damit letztlich um eine sehr bestimmte, freie und sich gegenseitig eröffnende Verhältnisbestimmung von modernem Denken und christlichem Glauben, Philosophie und Theologie, metaphysischer und geschichtlicher Sprache, natürlicher und Offenbarungs-Theologie, ja Fundamentaltheologie und Dogmatischer Theologie.112 Letztlich handelt es sich um die hermeneutische Herausforderung, Werteverlust: „Der Tod Gottes wurde zur Proklamation des Todes des Menschen.“ (Natur-Gnade-Kultur (Theologie und Kirche II), 202) Auch der Begriff der Freiheit erlitt einseitige Verfälschungen: „Die Neuzeit verwechselte oft die Unbedingtheit der Freiheit mit ihrer Absolutheit. Ihr daraus resultierender „Gottes- und Allmachtskomplex“ (H.E. Richter) realisierte sich als Wille zur Macht (…), (als) Steigerung der Macht“, welche „das Problem des Menschen am Ende der Neuzeit“ darstellt (Kirche und neuzeitliche Freiheitsprozesse (Theologie und Kirche II), 216; Hervorhebung von Kasper). 110 „Non si tratta più di edificare (o di distruggere!) la comunità cristiana, si tratta di verificare i fondamenti stessi della fede.“ (Bori, P.C.: La riflessione cristologica in alcuni recenti contributi di parte cattolica (Schoonenberg, Küng, Duquoc, Kasper, Schillebeeckx), in: Dupont, J./Pesce, M. u. a. (Hrsg.): Conoscenza storica di Gesù, 1978, 121 – 154, 122) Wiederkehr stellt in dem bereits zitierten Aufsatz grundsätzlich fest, daß die neue Aufmerksamkeit für die Kontextsituiertheit der Theologie gleichbedeutend ist mit dem Übergang „von einer eher geschlossenen dogmatischen Christologie zu einer sich fundamentaltheologisch in die Kontexte situierenden Christologie“ (Wiederkehr, 16; Hervorhebungen von Wiederkehr) Es stellt sich verstärkt die Frage nach einem vernunftgemäßen Zeugnis und nach einer epistemologischen Fundierung. Glauben kann sich nur erweisen im Akt des Glaubens. Doch wie der Mensch überhaupt den Eingriff Gottes in die Geschichte erkennen kann, klärt Kasper – im Schlepptau Rahners – mit der transzendentalen Methode. (vgl. Sesboüé: Esquisse, 7) Damit hofft er, das apologetische Anliegen „nach außen“ und das dogmatische Anliegen „nach innen“ zu versöhnen. 111 Der Gott Jesu Christi, 68. Kasper weiter: „Der Glaube und mit ihm die Theologie kommen angesichts des Atheismus gar nicht umhin, die Frage nach den eigenen Voraussetzungen und nach der Bedingung der Möglichkeit in fundamentaler Weise neu zu stellen.“ (Der Gott Jesu Christi, 91) 112 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 91. Wiederkehr sieht die heutige Christologie als Wechselspiel zwischen „einer (dogmatischen) Christologie „von innen“ und
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die Verstehensvoraussetzungen der Neuzeit auch formal mit in die moderne Theologie einzuarbeiten. Wie kann das Konkurrenzverhältnis in ein gegenseitiges Verweisverhältnis hinein überführt werden, ohne daß dabei das Positive der anthropologischen Wende durch die Theologie über Bord geworfen wird? Das „Gegenmittel“ steht bei Kasper schlagwortartig bereits auf der ersten Seite von „Der Gott Jesu Christi“ fest: der Ausgangspunkt einer Neuerschließung des in der Tradition überlieferten Gottesbegriffs „ist weniger die Bestimmung Gottes als „höchstes Wesen“ im Sinne der klassischen Metaphysik, sondern die Neubesinnung auf die Botschaft, daß Gott der lebendige und befreiende Gott der Geschichte ist, der Gott der Hoffnung (Röm 15,13), der die Liebe ist.“113 Die klassische Metaphysik führte nämlich zu der Feststellung Nietzsches, daß jene Attribute, die an Gott verschwendet wurden, dem Menschen negiert wurden und von daher zurückgefordert werden müssen.114 Dem setzt Kasper den Glauben an den befreienden und lebendigen sowie belebenden Gott Jesu Christi entgegen, der den Menschen in der Geschichte begegnet, ihn nicht erstickt, sondern erfüllt. Dazu ist aber konsequenterweise eine neuorientierte anthropologische Grundreflexion vonnöten. Zusammenfassend können wir demnach von Kasper her gewissermaßen als Ouvertüre formulieren: Die Theologie kann das geschichtliche Datum der Botschaft des sich selbst offenbarenden Gottes nur dann ins Spiel bringen, wenn ein fundamentaltheologischer Aufriß hilft, das metaphysische Denken von der anthropologischen Wende aus geschichtlich-freiheitlich zu artikulieren. Im besonderen dreht sich Kaspers Denken dabei – wie zu zeigen sein wird – um die Aufwertung der natürlichen Theologie, d. h. um die Frage, inwiefern der Mensch aus seinen eigenen, von Gott geschaffenen Möglichkeiten heraus auf Gott hin offen ist. Kasper versucht demnach, das theologische Potential der anthropologischen Wende und des Ansatzes beim modernen Subjekt zu eruieren. einer (fundamental-theologischen) Christologie „von außen““, welche „sich aber nicht bloß wie zwei konzentrische Kreisringe aneinanderfügen, sondern vielfältig zueinander öffnen“ (Wiederkehr, 62). 113 Der Gott Jesu Christi, I; Vorwort zur dritten Auflage. Am Ende kehrt dieselbe Aussage – nun als interpretierte und dargelegte – wieder: „Angesichts der radikalen Infragestellung des christlichen Glaubens hilft ein schwchlicher, allgemeiner und vager Theismus nicht weiter, sondern nur das entschiedene Zeugnis vom lebendigen Gott der Geschichte, der sich durch Jesus Christus im Heiligen Geist konkret erschlossen hat.“ (Der Gott Jesu Christi, 382; Hervorhebung von Kasper) 114 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 65 f.
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Daß diese Offenheit prinzipiell besteht, setzt Kasper aufgrund der Tradition der natürlichen Theologie und der damit verbundenen „analogia entis“ voraus! Wie sie konkret aussieht, ist Frucht seines Denkens. Es geht Kasper auf formaler Ebene um die hermeneutischen Voraussetzungen einer gegenwärtig verantwortbaren Theologie, welche die Selbst-Entdeckung der neuzeitlichen Subjektivität zum Ausgangspunkt nimmt. 2.2.2. Die Frage nach der vermittelten Einheit von Gott und Mensch Bisher wurde deutlich: Kaspers Überdenken der Entwicklung der Geistesgeschichte um die Wende zur Neuzeit bis heute geschieht also unter dem Blickwinkel der Frage nach der möglichen Vermittlung von Gott und Mensch. Darin besteht der gemeinsame Nenner und das entscheidende sachliche Kriterium.115 Es geht – hermeneutisch betrachtet – um ein angemessenes Wahrheitsverständnis der Theologie. Da es Kaspers Denken eigen ist, sich in Ähnlichkeit und Unterschiedenheit an den verschiedenen theologischen Ansätzen zu orientieren, muß hier sowohl die sachliche Frage weiter präzisiert werden als auch anhand dieses sachlichen Kriteriums die Stärke und die Schwäche bereits ins Spiel gebrachter Theologie erschlossen und benannt werden. Da das letztere Anliegen konstitutiv zu Kaspers Denken gehört, wollen wir es nicht überspringen. Zuerst: Worum geht es jedoch zuerst einmal sachlich genauer in dieser Vermittlung von Gott und Mensch? Nach Kaspers Meinung müssen die Freiheit sowohl Gottes als auch des Menschen gewahrt bleiben. Kasper unterstellt ja dem Atheismus – und vor allem dem szientistischen Atheismus im Namen der Autonomie der Natur – und der darauf reagierenden Apologetik, „daß sie (…) Gott und Welt gleichsam auf einer Ebene miteinander verrechnen wollten. Gott und Welt wurden damit in ein Konkurrenzverhltnis gebracht, in dem unterstellt wurde, man müsse alles, was man Gott zuspricht, der Welt absprechen und alles, was man der Welt zuspricht, Gott absprechen. Dieses Konkurrenzschema verkennt sowohl die Absolutheit Gottes wie die Freiheit des Menschen.“116 Kasper führt aus: „Denn Gott kann als die alles umfassende Wirklichkeit gar nicht eine Größe neben oder über der Welt sein, sonst wäre er ja durch die Welt 115 Die beiden Extreme, die es zu vermeiden gilt, sind demnach einerseits der Nominalismus, der gegenüber Gottes Willkür des Menschen Freiheit erstickt, und andererseits der Nihilismus, in welchem Gottes Tod proklamiert wird, damit der Mensch leben und Gottes Platz übernehmen kann. 116 Der Gott Jesu Christi, 41 (Hervorhebung vom Autor).
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begrenzt und selbst ein begrenztes, endliches Wesen. Gerade wenn Gott in seiner Gçttlichkeit ernstgenommen wird, setzt er die Weltlichkeit der Welt frei. Umgekehrt gilt: Wenn die Welt und ihre Gesetze absolut gesetzt werden, dann ist in einem solchen deterministischen System nicht nur Gott, sondern auch der Mensch tot, weil kein Raum mehr für die menschliche Freiheit ist.“117 Kasper vollzieht damit zwei Schritte: erstens muß die Trennung von Gott und Mensch auf dem Hintergrund des biblischen Schöpfungsglaubens und der darin ausgedrückten „Entnuminisierung der Wirklichkeit“118 auf ihre theologische Legitimität hin befragt werden – denn schon die Bibel hat damit „die Welt weltlich, Gott göttlich und beide als unendlich qualitativ unterschiedlich gedacht“119 – und neben einem starken Gottesbegriff nun auch – im Sinne der anthropologischen Wende – ein starker Menschenbegriff zur Geltung kommen gelassen werden; und zweitens besteht die Hauptaufgabe der modernen Fundamentaltheologie darin, eine neue freiheitlich-geschichtlich vermittelte Zusammenfhrung der beiden Bereiche zu gestalten! Damit ist aber konsequenterweise gesagt, „daß sich die weitere Diskussion um die Gottesfrage auf die Frage nach dem Verhältnis von Theonomie und Autonomie, von göttlicher Absolutheit und menschlicher Freiheit zuspitzte.“120 Von daher kann die Antwort der christlichen Theologie auf den neuzeitlichen Atheismus nur dann glaubhaft sein, wenn sie den Begriff der Liebe aufgreift und sich auf folgende Formel zusammenfassen läßt: „Je größere Einheit mit Gott bedeutet je größere und je erfülltere Freiheit des Menschen.“121 Dies ist aber nur möglich, wenn Gott nicht mehr im Horizont der Substanz gedacht wird, sondern – 117 Der Gott Jesu Christi, 41 (Hervorhebung von Kasper). Nur wo die Transzendenz Gottes gewahrt bleibt, kann auch die Transzendenz und Freiheit des Menschen sich behaupten, ohne daß er für innerweltliche Zwecke instrumentalisiert wird. „Die relative Eigenständigkeit der Welt steht nicht im Widerspruch zur Einheit von Gott und Welt, Schöpfung und Erlösung. Gerade weil die Welt ganz und gar von Gott abhängig ist, ist sie zugleich von ihm, dem ganz Unabhängigen, unendlich verschieden. Jeder Ähnlichkeit entspricht eine je größere Unähnlichkeit.“ (Natur-Gnade-Kultur (Theologie und Kirche II), 207) 118 Der Gott Jesu Christi, 30. 119 Der Gott Jesu Christi, 30. 120 Der Gott Jesu Christi, 41. 121 Der Gott Jesu Christi, 66. Einheit und Unterschiedenheit von Mensch und Gott wachsen also im gleichsinnigen Verhältnis, weil Freiheit Liebe ist und Liebe nicht ausschließt, sondern sagt: „“Ich will, daß du bist.““ (Natur-Gnade-Kultur (Theologie und Kirche II), 208)
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wie beim späteren Fichte und beim späteren Schelling – in der neuzeitlichen Weise des Subjekts „im Horizont der Freiheit“122 ; das heißt auch: im Horizont der Geschichte! Damit sind Gott und Mensch bzw. Welt nicht mehr als Konkurrenten gefaßt, sondern als in Freiheit miteinander in Beziehung Stehende. Es geht um eine „authentische Theologie der Freiheit“123. Menschliche Autonomie ist nicht mehr heteronom vorbelastet und eingeengt, sondern theonom befreit und ermöglicht. Ausserdem wird der ontologische Horizont eingetauscht gegen einen freiheitlich-geschichtlichen Horizont. Theologie bzw. Christologie (als Soteriologie) im Horizont der Freiheit und der Geschichte zu betreiben – darin liegt der entscheidende Schritt einer Neuinterpretation. Diese muß jedoch von Kasper in einen hermeneutischen Rahmen gebracht, methodologisch verantwortet und philosophisch abgesichert werden. Außerdem muß eine solche Neuinterpretation von der kirchlichen Tradition validiert und mit einem vorliegenden denkerischen Modell in Beziehung gestellt, konkret verwirklicht und schließlich auf die soteriologisch veranlagte Christologie angewandt werden. Damit sind grob die Hauptaufgaben dieses Kasper-Teils abgesteckt. Dabei bleibt deutlich, daß alle theologischen Bemühungen von vornherein soteriologische Züge tragen und sich letztlich um eine vor der Vernunft verantwortbare Begegnung von Christologie und Anthropologie bemühen. Auch wenn Kasper diese Frage im Hinblick auf die Rede von Gott stellt, wird damit nämlich seine eigentliche Absicht deutlich: Theologie für den Menschen zu betreiben. Sie wird „um des Menschen willen“124 entworfen, da sie eine „theologische Theologie“125 sein soll, welche den Menschen wieder radikal von Gott her versteht. 2.2.3. Auf der Suche nach der Denkform Unter den Vorzeichen der neuzeitlichen Herausforderung der freiheitlichen Vermittlung von Gott und Mensch untersucht Kasper die drei großen Antworten der christlichen Theologie auf die Herausforderung 122 123 124 125
Der Gott Jesu Christi, 67 (Hervorhebung von Kasper). Kirche und neuzeitliche Freiheitsprozesse (Theologie und Kirche II), 217. Der Gott Jesu Christi, 24. Der Gott Jesu Christi, 28. Diese „polemische Formel“ (Der Gott Jesu Christi, 383) soll die Theologie an ihr eigentliches Thema erinnern, um jenseits von Theismus und Atheismus das Bekenntnis zum Gott der Freiheit in seiner Liebe zur Sprache bringen zu können.
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der Neuzeit126 und konkretisiert im Gegenzug seine eigene Denkform: erstens die apologetische Theologie der Tradition127, zweitens die dialogische Theologie des Zweiten Vatikanums mit der entsprechenden Vorarbeit bei Rahner und in der Auseinandersetzung mit Heidegger128 sowie drittens die dialektische Theologie von Karl Barth her129. Allen drei Ansätzen gesteht Kasper wichtige Fortschritte und den Willen zu, eine aktualisierte Antwort zu geben. Doch er erkennt „eine tiefreichende gemeinsame Aporie aller behandelten theologischen Positionen angesichts des modernen Atheismus“: „Es fehlt uns an der Sprache und an den ausgebildeten Kategorien, um eindeutig von Gott reden zu können.“130 Während Kasper der Apologetik grundsätzlich vorwirft, formal den heutigen Verstehenshorizont nicht rezipiert zu haben, lobt er dagegen am Zweiten Vatikanischen Konzil den existentiellen und geschichtlichen Ansatz.131 Letztlich argumentiert das Konzil – ähnlich wie später Papst Jo126 Die Auseinandersetzung mit anderen theologischen Positionen zur Klärung der eigenen Meinung gehört zu Kaspers Methodologie: „Kasper’s foundational position can be determined indirectly from his criticism of other theological approaches.“ (Loewe, W. P.: The New Catholic Tübingen Theology of Walter Kasper. Foundational Issues, in: HeyJ 21 (1980) 30 – 49, hier: 31; vgl. Loewe, 35 – 38) Kasper schreibt selbst: „Niemand fängt einfach am Nullpunkt an; durch die bisherige Überlieferung ist uns immer schon ein bestimmter Wahrheitshorizont erschlossen.“ (Die Methoden der Dogmatik, 15) 127 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 68 – 72. 128 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 72 – 82. 129 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 82 – 91. 130 Der Gott Jesu Christi, 90. 131 Die Art und Weise, wie Walter Kasper das Zweite Vatikanum in seiner Theologie rezipiert, wurde vom Kasper-Spezialisten Józef Morawa in einem eigenen Artikel behandelt: „Zur Rezeption des II.Vatikanischen Konzils bei Walter Kasper“. Dabei hat sich Morawa die beachtliche Mühe gemacht, Kaspers Aussagen aus vielen kleineren Artikeln zusammenzutragen und zu kombinieren. In diesem Artikel wird das Konzil selbst in seinen zeitgeschichtlichen Rahmen eingesetzt und in seiner immanenten und in seiner Rezeptionsdynamik in verschiedenen Phasen betrachtet. Morawa greift Kaspers Meinung auf, daß ohne das Konzil der Einbruch der Kirche noch dramatischer verlaufen wäre. (vgl. Morawa: Rezeption, 288) Kasper habe als Sondersekretär der Bischofssynode von 1985 darauf hingewiesen, daß es einer „richtige(n) Hermeneutik der Konzilsaussagen“ bedürfe (Morawa, J.: Zur Rezeption des II. Vatikanischen Konzils bei Walter Kasper, in: Analecta Cracoviensia 25 (1993) 281 – 306, hier: 289), um den Aussagen des Zweiten Vatikanums auch nach einer Phase der Enttäuschung neue Kraft zu verleihen. So schließt Kasper sich tatsächlich dem Motto an: „Nur das Konzil, aber das ganze Konzil!“ (Die bleibende Herausforderung durch das II.Vatikanische Konzil (Theologie und Kirche), 290 – 299; hier: 291) Kasper
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hannes Paul II. – anthropologisch und christologisch, sieht die Würde des Menschen von Gott her verantwortet und das Geheimnis des Menschen nur im Geheimnis Jesu Christi erhellt.132 Das Zweite Vatikanum läßt aber betrachtet vor allem die kirchliche Krise in Deutschland, bricht aber auch eine Lanze für die neuen geistlichen Bewegungen und Anregungen. (vgl. Morawa: Rezeption, 299) Wie schon so oft in der Geschichte der Kirche, wird sich auch diesmal dank der verborgenen Kräfte von Glaube und Liebe eine neue Gestalt von Kirche herausschälen; dabei sind aber vor allem persönliche Zeugen gefordert. „Die Saat der konziliaren Erneuerung kann zweifelsfrei reich aufgehen auch auf dem säkularisierten Acker der Kirche in Deutschland und in Europa.“ (Morawa: Rezeption, 305) Kaspers prophetische Voraussicht hat dabei ein großes Gewicht: „Der christliche Glaube wird einfacher sein.“ (Einführung in den Glauben, 167) Vgl. eine kritische Stimme zu Kaspers Umgang mit dem Zweiten Vatikanum: „Et s’il nous est permis d’exprimer un conseil, qu’il (sc. Kasper) se garde de trop faire appel à un esprit de Vatican II, dépassant la lettre du Concile, et de croire que les spéculations postvaticanes réalisent la théologie nouvelle dont le Concile aurait rêvé.“ (Coppens, J.: Exégèse et théologie, in: EthL 45 (1969) 137 – 142, hier:142) 132 Vgl. GS 21.22. Das Konzil wollte mit einer neuen Zusammenführung von Glauben und Leben einen integralen christlichen Humanismus begründen. Gegen den Dualismus und den Integralismus bemühte es das spezifisch christliche Verhltnis von Gnade und Natur, um gleichzeitig Einheit und Unterschiedenheit von Gott und Welt zu denken. Das Konzil wurde damit zu einer entscheidenden Etappe im Verlauf der Krise der Theologie, die sich in der Auseinandersetzung mit der Neuzeit formte. Was das Natur-Gnade-Verhältnis angeht, so ist die Theologie in einer ersten Phase noch „zum Schutze Gottes“ dem extrinsezistischen Zwei-Stockwerk-Schema verhaftet geblieben, womit natürliche und übernatürliche Ordnung aber erst recht auseinandergerissen wurden. (vgl. Menke, K.-H.: Das Kriterium des Christseins. Grundriß der Gnadenlehre, Regensburg 2003, 156 – 183, besonders 161 – 170) Ein Humanismus ohne Gott war die Folge. Erst von Maurice Blondel her gelang es der „Nouvelle Théologie“, das thomasische „desiderium naturale“ des Menschen als Selbsttranszendenz des Endlichen auf das Unendliche hin zu thematisieren. (vgl. Natur-GnadeKultur (Theologie und Kirche II), 204 f.) Blondel hatte in „L’Action“ aufgewiesen, daß „die Dynamik des menschlichen Strebens über alles Endliche und Bedingte hinaus auf ein Unbedingtes und Absolutes zielt; in jedem Akt, der Endliches als Endliches bejaht, ist das Unendliche als das eine Notwendige mitbejaht.“ (Natur-Gnade-Kultur (Theologie und Kirche II), 204) Diese neue, in das Konzil eingeflossene Synthese widerspricht aber in seiner Differenziertheit dem Versuch der nachkonziliaren Skularisierungstheologie, welche die neuzeitliche Autonomie als weltliche Verwirklichung der christlichen Theonomie verstand, selbst aber zum extremen Gegenteil der „Welt-ohne-Gott-und-Gottohne-Welt“-Theologie wurde. Im Eifer, von der Bibel her die begründete Unterschiedenheit von Gott und Welt zu betonen, wurde die innere Einheit, das konstitutive Aufeinander-bezogen-Sein vergessen. Außerdem wurde übersehen, daß es dann von Gott her notwendigerweise auch etwas spezifisch Christliches
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insofern Wünsche offen, als es den geschichtlichen Ansatz und die vom Ersten Vatikanum vertretene und verteidigte Möglichkeit der natürlichen Gotteserkenntnis nicht miteinander vermittelt.133 So sehr demnach vor allem der dialogische Ansatz dazu geeignet ist, dem modernen Denken einen relevanten theologischen Entwurf darzulegen, so scheitert er doch noch im Detail an der formalen Rezeption des modernen denkerischen Rahmens. Trotzdem stellt Kasper überzeugt fest: „Die Möglichkeit, ja die Notwendigkeit eines Wandels der Denkform scheint mir vom letzten Konzil her unumgänglich zu sein.“134 Die große dialogisch-theologische Stärke des Konzils liegt in der Rezeption des von Maréchal135 inspirierten Rahnerschen transzendengibt, das nicht einfachhin in der Welt aufgeht. (vgl. Kirche und neuzeitliche Freiheitsprozesse (Theologie und Kirche), 220 – 222) Und schließlich gibt die Geschichte der Theologie der Säkularisierung Unrecht: die neuzeitliche Emanzipation geschah nicht dank der Kirchen, sondern gegen die Kirchen. (vgl. Der Gott Jesu Christi, 19) Blondels neue Synthese wurde ebenfalls durch einen neuen Schub der Aufklärung in der nachkonziliaren Theologie diskreditiert, da nach Rahner sowohl die liberale westliche Theologie als auch die radikale lateinamerikanische Theologie der Befreiung den alten Supranaturalismus überwinden wollten und dabei eine Krise des Übernatürlichen heraufbeschworen. Die Neuheit und sowohl metaphysische als auch geschichtliche Unableitbarkeit Jesu Christi blieben auf der Strecke. 133 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 73. 134 Neuere philosophische Denkformen in der Theologie, 430. 135 In Kaspers Sicht „geht K.Rahner im Anschluß an J.Maréchal vom transzendentalen Ansatz der Neuzeit aus, sucht aber Kants Agnostizismus zu überwinden und ihn auf eine Neubegründung der Metaphysik hin zu überbieten“ (Der Gott Jesu Christi, 75). Weiter heißt es zu Maréchal: „Es ist das Verdienst des belgischen Jesuiten J.Maréchal, dem neuzeitlichen Ansatz bei der Subjektivität ein Heimatrecht in der katholischen Theologie verschafft zu haben.“ (Der Gott Jesu Christi, 137) Sehr wichtig und interessant ist in diesem Zusammenhang, daß Kasper aufgrund des letztlichen Scheiterns der reinen Dialektik – sie kann Gott nicht erweisen und das Unendliche nicht erfassen – sich anders als Rahner, Bouillard u. a. „nicht der von Blondel, sondern der von Pascal herkommenden Linie der Apologetik“ anschließt ( Jesus der Christus, 65, Anmerkung 53). Nach Pascal bleibt der Mensch – wie wir noch darlegen werden und ähnlich wie bei Schelling – eine offene Frage. Nach Boris Meinung spielt trotzdem bei Kasper als Gegenüber der Auseinandersetzung Rahner die Hauptrolle, doch auch Schillebeeckx, Küng, Pannenberg und Moltmann hätten einen Einfluß ausgeübt. (vgl. Bori, 133 f.) Letztlich ist es vor allem Medard Kehl und Werner Löser gelungen, diese gegenseitigen Situierungen und Abgrenzungen der Theologen auf eine Grundunterscheidung theologischen Denkens, und zwar zwischen der „Linie Maréchal“ und der „Linie Przywara“ zurückzuführen. Damit haben sie einen sehr entscheidenden Beitrag zum besseren Verständnis des Hintergrunds unserer
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Fragestellung geleistet. Wir wollen ihren Gedankengang kurz nachzeichnen (dabei lag uns der Aufsatz leider nur in einer französischen Übersetzung vor). Medard Kehl und Werner Löser haben in einem Überblick über die Lage der systematischen Theologie in Deutschland festgestellt, daß sich nach der Zeit Blondels zwei theologische Richtungen herausgebildet haben, die in den grundlegenden Orientierungen auch noch das heutige Denken dominieren. Es handelt sich um die „Linie Maréchal“ und um die „Linie Przywara“. (vgl. Kehl, M./Löser, W.: Situation de la théologie systématique en Allemagne, in: Revue de Théologie et de Philosophie 113 (1981) 25 – 38, hier: 27.30) Zdenko Joha greift übrigens diese Unterscheidung auf, um Kasper theologisch zu situieren. (vgl. Joha: Christologie und Anthropologie (1992), 12 – 14) Die „ligne Marchal“ wurde – von Maréchal ausgehend – vor allem von Siewerth, Welte, M.Müller, Lotz und vor allem von Karl Rahner weiterverfolgt und bestand vor allem darin, durch eine Versöhnung der thomistischen Metaphysik mit der idealistischen Geistesphilosophie die „Einheit der Wirklichkeit“ zu erklären. (vgl. Kehl/Löser, 27) Dabei soll diese Einheit durch ein transzendentales Denken im Geist des Menschen erreicht werden. Gott wird zur transzendentalen Möglichkeitsbedingung für die gnoseologische Öffnung des Subjekts für das „andere“ und für die Rückkehr zu sich selbst. Gott ist im Sinne einer nicht-objektivierten Präsenz immer und überall schon da. Der kategorialen Offenbarung geht ontologisch eine universale Offenbarung voraus; sie bringt jedoch das Anonyme zu einem „offiziellen“, wahren Ausdruck. Es bleibt aber deutlich, daß erst diese geschichtliche Offenbarung die Erkenntnis der universalen Offenbarung ermöglicht und nicht einfach nur eine sekundäre Konkretisierung darstellt. Das historische Transzendentale ist wie ein „Symbol“ für das Transzendentale. In Jesus Christus gelangt die Wirklichkeit zu ihrer eigentlichen Einheit, auch zur Einheit zwischen Natur und Gnade. Daß diese theologische Sicht nach der Hochkonjunktur bei Rahner momentan wenig Anklang findet, liegt nach Löser und Kehl einerseits am hohen Grad der Abstraktion und andererseits an einer berechtigten Skepsis, ob es aus theologischer Sicht legitim ist, die Einheit der Wirklichkeit in den Menschen und nicht in Jesus Christus und seine Vater-Beziehung hineinzuverlegen. (vgl. Kehl/Löser, 29 f.) Schließlich geht auch die Konkretheit der Begegnung von Gott und Mensch verloren. Alle jene Schwächen versuchte die „ligne Przywara“ zu vermeiden; es ist aber nicht schwer – bereits im Sinne eines Vergleiches unserer beiden Autoren –, Tillichs Nähe zur „ligne Maréchal“ festzustellen. Die „ligne Przywara“ geht dagegen für die Erklärung der Einheit der Realität vom Grundprinzip der „analogia entis“ aus, welches das IV.Laterankonzil formulierte und Przywara neu interpretierte. (vgl. Kehl/Löser, 30) Hauptvertreter dieses sich mit der Barthschen Theologie konfrontierenden und sich auf de Lubacs patristische Forschungen berufenden Denkens ist momentan Hans Urs von Balthasar. Andere Theologen, die dieser Linie folgen, werden nochmal unterschieden in den Kreis der „Communio“-Zeitschrift-Herausgeber (neben Balthasar handelt es sich um Ratzinger, Lehmann und andere) und in den Kreis rund um Walter Kasper (dazu gehören Greshake, Pottmeyer und andere). Außerdem sind auch z. B. Scheffczyk, Semmelroth und Riedlinger betroffen. In diesem Denken wird der Ähnlichkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf die je
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talen bzw. transzendental-anthropologischen Ansatzes, in dem die Theologie als Anthropologie entfaltet136 und die Christologie als sich größere Unähnlichkeit gegenübergestellt. Gott bleibt immer der „ganz Andere“, der unerwartet Neue. Die sogenannte Dialogphilosophie von Buber, Rosenzweig und anderen hat dies – auf die Intersubjektivität übertragen – im Namen der Freiheit des Subjekts nachgewiesen. „De ce point de vue, pour la thèse théologique de l’analogia entis, le lieu propre de l’“unité de la réalité“ ne saurait être l’être-en-possession-de-soi du sujet (surélevé par la grâce), mais seulement l’être-en-relation-à-l’autre de sujets libérés d’eux-mêmes dans une amoureuse intersubjectivité.“ (Kehl/Löser, 31; Hervorhebung bei Kehl/Löser) Diesem Denken entspricht deutlich Kaspers „Ontologie der Liebe“ oder „relationale Ontologie“. In der liebenden Beziehung verwirklicht sich auch die Beziehung von Gott und Mensch, und zwar im tiefsten in der Beziehung Jesu zu seinem Vater; so wird das Kreuz zum Anselmschen „id quod maius cogitari nequit“ (vgl. auch Bonnanis Artikel über Kasper: „Quo nihil maius fieri potest, ovvero: Il tempo superato. Percorsi schellinghiani e riflessione cristologica in Walter Kasper“, in: Lateranum 65 (1999) 223 – 270). Indem der Mensch ganz dem Tod und der Sünde überlassen wird, liebt und erlöst Gott das ganz „andere“. Während der Communio-Kreis sich innerhalb dieses Ansatzes sehr stark um eine Wiederentdeckung der Tradition und der Patristik bemühte (vgl. Kehl/Löser, 32 f.), beschreiben Kehl und Löser Walter Kasper eher vom Tübinger Ausgangspunkt her: es geht darum, mit Hilfe des Studiums der modernen Philosophie und der Wissenschaften das gegenwärtige intellektuelle Klima in einer hermeneutischen Anstrengung für eine erneuerte Verkündigung der christlichen Botschaft zu öffnen. (vgl. Kehl/Löser, 33) Damit scheint uns Kaspers Anliegen haarscharf getroffen. 136 Vgl. Jesus der Christus, 56 – 62; vgl. Der Gott Jesu Christi, 75 f. Rahner spielt in Kaspers Theologie eine sehr entscheidende Rolle; sicherlich wäre die Inspiration des Jesuitenpaters und Konzilstheologen ein dankbares Thema für eine weitere Untersuchung. Wir wollen uns hier auf die Grundstriche beschränken. Kasper beschreibt: „(Im) Vorgriff auf das Sein als Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis des Seienden ist nach Rahner, ganz im Sinn des Thomas von Aquin, die Wirklichkeit Gottes immer schon mitbejaht.“ (Der Gott Jesu Christi, 75) Vgl. auch Karl Rahner – Theologe in einer Zeit des Umbruchs. Unwillkürlich muß man an das „übernatürliche Existential“ bei Karl Rahner denken, der das Verhältnis von Philosophie und Theologie in Analogie zur Natur-Gnade-Problematik denkt und dabei feststellt, daß der Mensch von Gott her als vernünftiger geschaffen wurde, damit er sich im Modus der Freiheit der freiheitlichen Selbstmitteilung Gottes öffnen kann, um in diesem Angesprochen-Werden die ureigenste Erfüllung seiner menschlichen Fraglichkeit zu finden. Vom Begriffspaar „Schöpfung“ und „Bund“ her präzisiert Rahner, daß die Offenbarung nichts „rein Fremdes“ gegenüber der Philosophie ist, sondern es eine innere, wenn auch ungeschuldete, d. h. nicht notwendige Zuordnung gibt. Der mit der Schöpfung gegebene universale Heilswille Gottes äußerst sich im übernatürlichen Existential, das der Mensch nicht nur „hat“, sondern „ist“. Es ist überall dort am Werk und begründet die allgemeine Heilsgeschichte, wo der Mensch bewußt
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selbst überbietende Anthropologie sowie die Anthropologie als defiziente Christologie beschrieben wird137. Damit ist eine entscheidende Neuorientierung, ja ein „Paradigmenwechsel“138 in der Theologie geschehen, da sie einen Dialog von Gott und Mensch erlaubt, „der wesensmäßig eine
oder unbewußt aus der Gnade lebt. Alle Philosophie ist deshalb von vornherein ein Denken aus der Gnade heraus und von daher theologisch qualifiziert – sie ist ein unvermeidliches, unthematisches Treiben von Theologie oder die sich noch nicht selbst eingeholt habende Theologie. Jeder Mensch, der sich vom Licht der Gnade erleuchten läßt, ist ein „anonymer Christ“. Die spezielle, christliche Heilsgeschichte kann deshalb die Philosophie zu ihrem eigenen Leben entbinden, auch die neuzeitliche anthropozentrische und transzendentale Philosophie. Die Einheit der philosophischen mit der theologischen Wahrheit ist in Gott selbst begründet. So ergibt sich, daß die Philosophie auf die Theologie hin, der Mensch auf die Offenbarung hin, das Denken auf den Glauben hin erschaffen ist. Von daher die felsenfeste Überzeugung von Rahner: „Gott hat den Knecht nur geschaffen, um ihn zum Kind zu machen.“ Und: „Darum (…) mußte er den Philosophen schaffen“, welcher in aller Freiheit zur Ablehnung der Offenbarung jedoch der vorherbestimmte Adressat der gütigen Selbstmitteilung Gottes ist. Ohne Philosophen keinen Glaubenden! (Vgl. Rahner, Karl: Philosophie und Theologie, in: ders.: Schriften zur Theologie. Band VI, Einsiedeln/Zürich/Köln 1965, 91 – 103; ders.: Philosophie und Philosophieren in der Theologie, in: ders.: Schriften zur Theologie. Band VIII, Einsiedeln/Zürich/Köln 1967, 66 – 87; ders.: Zum heutigen Verhältnis von Philosophie und Theologie, in: ders.: Schriften zur Theologie. Band X, Einsiedeln/Zürich/Köln 1972, 70 – 88; ders.: Artikel „Philosophie und Theologie“, in: SM. Band III, Freiburg/Basel/Wien 1969, 1205 – 1215) Vgl. auch Schilsons Kommentar zu Rahners „Christologie im Horizont der Anthropologie“ in Schilson, A./Kasper, W.: Christologie im Präsens. Kritische Sichtung neuer Entwürfe, Freiburg 1974, 80 – 89. Dabei verteidigt Schilson Rahner vor dem uninformierten Vorurteil, Rahner wolle Christologie nicht nur im Horizont, sondern unter dem Diktat der Anthropologie betreiben. Vielmehr bleibt die Selbstauslegung Gottes in Christus der alleinige Grund. „Erst im Nachhinein lassen sich die konkreteren Bedingungen der Möglichkeit für diese vollendete Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus denkerisch erheben.“ (Schilson, 83) Zugleich legt er den Finger in die Wunde der Möglichkeitsbedingung einer auch zukünftigen Bedeutsamkeit von Rahners Ansatz für die Gläubigen: nur wenn es die Möglichkeit einer unmittelbaren Erfahrung Gottes weiterhin gibt, wird Rahner aktuell bleiben. (vgl. Schilson, 89) Vgl. zu einem allgemeineren Angang an Rahner Batlogg, A.R./Rulands, P./ Schmolly, W./Siebenbrock, R.A./Wassilowsky, G./Zahlauer, A.: Der Denkweg Karl Rahners. Quellen – Entwicklungen – Perspektiven, Mainz 2003. 137 Vgl. Rahner, K.: Zur Theologie der Menschwerdung, in: ders.: Schriften zur Theologie. Band IV, Einsiedeln/Zürich/Köln 1960, 137 – 155, besonders 150 f. 138 Karl Rahner – Theologe in einer Zeit des Umbruchs, 267.
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gemeinsame Basis voraussetzt“139 und nicht mehr als Konkurrenz gedacht wird. Es geht um den Aufweis von Analogien, d. h. Entsprechungen zwischen der Frage Mensch und der geschichtlichen Glaubensoffenbarung. Der Mensch ist jenes Wesen, das „am Rande des unendlichen Meeres des Geheimnisses wohnt“140. „Ausgehend von der neuzeitlichen Subjektivität sollte also die alte metaphysische Frage neu gestellt und der Theologie so neue Kategorien erarbeitet werden. Darin sehe ich die epochale Bedeutung des Werkes von K.Rahner für eine heutige Theologie“141, so Kasper. Rahner ist wegen der dialektischen Grundstruktur zu einem Klassiker katholischer Theologie geworden. Kritisch bemängelt Kasper an Rahner die mit seinem Ansatz postulierte Notwendigkeit der Gottesbejahung und die damit verbundene Frage, ob denn das Absolute, an dem der Mensch notwendigerweise sein Leben orientiert, Gott oder aber ein Götze ist. Rahners Entwurf ist derart radikal der atheistischen Projektionstheorie der Religion entgegengesetzt, daß sie zum einen diesem neuzeitlichen Ansatz und zum anderen der klassischen Metaphysik zu sehr verhaftet bleibt. In anderen Worten: Geschichte und Freiheit kommen nicht konsequent als Vermittlungskategorien in den Blick.142 „Es gelingt Rahner nicht immer, die geschichtliche Unableitbarkeit und Einmaligkeit der Offenbarungswahrheit zu wahren, sosehr er dies prinzipiell selbstverständlich will.“143 Letztlich liegt es an Rahners unkritischem Verhaftetsein an der idealistischen Identitätsphilosophie, die Sein und Bewußtsein identifiziert. „So schließt er aus der unbezweifelbaren Offenheit des menschlichen Geistes auf das Unendliche unmittelbar auf die Wirklichkeit dieses Unendlichen.“144 139 Der Gott Jesu Christi, 76. Kasper sieht vier Vorteile in Rahners Ansatz: 1) die Ablehnung, den neuzeitlichen anthropozentrischen Denkansatz als Abfall von der christlichen Theozentrik zu betrachten; 2) die Einsicht, daß die Theologie die christliche Botschaft den Menschen ihrer Zeit zu vermitteln hat; 3) die Aufwertung des Menschen als „Hörer des Wortes“ und so als Ort und Subjekt des Glaubens; 4) der Glaube, daß der Mensch bereits in Christus und auf Christus hin geschaffen ist – wie es das „übernatürliche Existential“ aussagt. (vgl. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 202 f.) 140 Karl Rahner – Theologe in einer Zeit des Umbruchs, 268. 141 Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 43. 142 Kasper attestiert Hans Urs von Balthasar die Erkenntnis der Nicht-Notwendigkeit: „Die christliche Antwort auf den modernen Atheismus ist nicht der Nachweis, daß Gott notwendig ist, sondern daß er der je Größere ist.“ (Der Gott Jesu Christi, 79) 143 Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 44. 144 Jesus der Christus, 60.
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Das in Rahners Engführung zum Ausdruck kommende Desiderat einer Selbst-Begründung des Gottesglaubens wurde in der dialektischen Theologie aufgegriffen, welcher Kasper jedoch von seinem Standpunkt aus vorwirft vergessen zu haben, daß „die glaubensmäßige Entsprechung (analogia fidei) (…) um ihrer selbst willen eine geschöpfliche Entsprechung (analogia entis) voraus(setzt)“145. Damit wird deutlich, daß Kasper bei allen drei Ansätzen Schwierigkeiten sehen muß, wenn es darum geht, inwiefern der Mensch in die Konstitution einer Theologie eingehen soll, die sich zugleich als entschieden theo-logische Theologie versteht. Im Verhältnis von Gott und Mensch werden die beiden Freiheiten und die gegenseitige Zugehörigkeit und Unterschiedenheit nicht genügend im Gleichgewicht gehalten. Wohin führen diese Überlegungen im Hinblick auf Kaspers eigenen Ansatz? Wie kann ein angemessener methodologischer Ansatz aussehen? Wie können dabei vor allem Rahners bahnbrechende Ideen gewürdigt werden? 2.3. Korrelation und transzendentale Methode 2.3.1. Kaspers Ansatz einer freiheitlich-geschichtlichen Korrelation Angesichts von seinem Versuch, Botschaft und Situation bzw. Glaube und Geschichte aufeinander zu beziehen, meinen wir, zusammenfassend und letztlich von Tillich her argumentierend behaupten zu können, daß – genau genommen – nach Walter Kasper die Verkündigung des Glaubens nur noch in der Form der Korrelation von menschlicher Frage und christlicher Antwort möglich ist; diese Korrelation geschieht in einem dialektischen Gegenseitigkeitsverhältnis, in dem die beiden Pole der Korrelation sich gegenseitig aufschlüsseln und das korrelative Aufeinander-Verweisen – wie die Kritik von Apologetik, Dialogik und Dialektik zeigt – zu keiner Seite hin aufgelöst oder verkürzt werden darf. Die beiden Pole können auf vielerlei Weisen umschrieben werden, z. B. als Wahrheit und Freiheit, Glaube und Geschichte, Gott – der transzendent und immanent ist – und Mensch – der auf Unbedingtes vorgreift, aber auf 145 Der Gott Jesu Christi, 87. Dabei beruft sich Kasper auf S.206 f. auf Erich Przywara in „Analogia entis. Metaphysik“ (Schriften III, Einsiedeln 1962). In diesem Zusammenhang verweist Kasper darauf, daß vor allem Paul Tillichs Korrelationstheologie dazu beigetragen hat, daß das bei Barth unterbeleuchtete genuine Anliegen der natürlichen Theologie auch in der gegenwärtigen protestantischen Theologie gewahrt blieb! (vgl. Der Gott Jesu Christi, 87)
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seine reale Wirklichkeit zurückgeworfen ist146 –, Theologie und Philosophie, Offenbarungswahrheit und Vernunftwahrheit, Gnade und Natur, Offenbarungsglaube und natürliche Theologie usw.147 Wie sieht bei Kasper diese Korrelation aus? In einer auch terminologisch sehr stark an Tillichs Frage-AntwortSchema erinnernden Manier legt Kasper fest, wie der Mensch zu einer Gotteserkenntnis kommen kann, in der „Gott als Grund und Ziel aller Wirklichkeit um des Menschen willen“148 wieder verständlich aussagbar wird: „Sicherlich nicht in der Weise, daß wir unvermittelt von einem mehr oder weniger selbstverständlichen Gottesglauben ausgehen und rein positivistisch mit dem Gott der biblischen Offenbarung beginnen. Dieser unvermittelte Ansatz „von oben“ ist uns heute verwehrt. Denn jede Antwort ist nur dann verständlich, wenn man zuvor die Frage begriffen hat, auf die sie Antwort sein soll. Wir können deshalb auch nicht von einem – scheinbar oder wirklich – voraussetzungslosen Standpunkt aus Schritt für Schritt Gott beweisen wollen. Auch dieser Weg „von unten“ ist unmöglich. Denn jede Frage setzt bereits ein Vorverständnis der erfragten Wirklichkeit voraus.“149
146 Bereits diese dialektisch miteinander vermittelte Gegenüberstellung von der Transzendenz und Immanenz Gottes einerseits und der Endlichkeit und Unendlichkeit des Menschen andererseits deutet die methodische Schiene an: es geht darum, Gott und Mensch in transzendentaler Öffnung für den jeweils anderen zu denken und dafür eine gemeinsame Ebene zu finden. Während bei Tillich diese Ebene ontologischer Natur ist, entwirft Kasper ein transzendentalsinnmetaphysisches Vermittlungsniveau. 147 Das Problem hat letztlich viele Namen. „Man kann es verschieden formulieren: traditionell als Verhältnis von Gnade und Natur, von Philosophie und Theologie – aktuell als Verhältnis von Weltgeschichte und Heilsgeschichte, von Gottes Heil und der Menschen Wohl, von eschatologischer und geschichtlicher Zukunft, von Theologie „von unten“ und Theologie „von oben“, von Theozentrik und Anthropozentrik – mit Rahner als Verhältnis von Transzendentalität und Geschichte, Kategorialem und Transzendentalem, oder auf einer anderen Ebene: als Verhältnis von Exegese und Dogmatik.“ (Karl Rahner – Theologe in einer Zeit des Umbruchs, 270) Die Fülle von Namen soll nicht verwirren; letztlich handelt es sich bei Rahner und bei Kasper immer um das grundlegende Problem der Dialektik von Glaube und Geschichte oder von Universalität und Partikularität. Diese Dialektik geht vom Wechselbezug des Subjekts mit der ihm zur Verantwortung vor- und aufgegebenen Wirklichkeit aus und vollzieht sich im Horizont der Freiheit, welche der Kern neuzeitlicher Geschichtsphilosophie ist. 148 Der Gott Jesu Christi, 24 (Hervorhebung vom Autor). 149 Der Gott Jesu Christi, 24 (Hervorhebungen von Kasper).
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Vernunftwahrheit und Offenbarungsfreiheit, Denken und Glauben, Freiheit und Wahrheit stehen aus dem Blickwinkel der Theologie in einem „Bestimmungsverhltnis“150. Von der Darstellung der Gedankengänge des Tübingers J.E.Kuhn her kann theologische Wahrheit definiert werden als „die gnadenhafte Bestimmung der unbestimmten Offenheit menschlicher Vernunft und menschlicher Wahrheitssuche“151. Bei dieser Korrelation von Wahrheit und Freiheit wehrt sich Kasper vehement gegen „eine Art Korrelationsmethode“, die als verabsolutierte „die Wahrheit funktionalisiert und letztlich als Mittel menschlicher Daseinsund Kontingenzbewältigung verstanden“152 wird. Die theologische Wahrheit muß gegenüber menschlichen Bedürfnissen ein metaphysisch verankertes unabhängiges Vorrecht haben! Damit will Kasper vermeiden, daß in einer hermeneutisch orientierten Theologie die Wahrheitsfrage zur „offenen Flanke“153 wird. In anderen Worten: die wechselseitige Voraussetzung muß so einsetzen, daß sie theologisch weiterhin verantwortbar bleibt – d. h. sie muß bei Gott einsetzen.154 Wenn demnach weder der einseitige Weg von der Antwort noch von der Frage aus möglich ist, sind wir nach Kasper und nach „Tübinger Art“ 150 Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 170. Thomas Pröpper hat diesen Gedanken in seinem Artikel „Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik“ systematisch zusammengefaßt und darauf hingewiesen, daß bei Kasper Freiheit und Wahrheit in einem gegenseitigen Voraussetzungsverhältnis stehen: die Freiheit sucht nach Wahrheit, wird aber erst durch die Wahrheit erfüllt, während die Wahrheit die Freiheit bewegt, aber nur auf die ihr selbst entsprechende Weise erkannt wird. (vgl. Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 168 f.) Durch dieses theonom vermittelte Zusammenwirken wird sowohl vermieden, daß die Wahrheit die Freiheit heteronom und antithetisch erstickt, als auch, daß die Wahrheit von der einseitig autonomen Freiheit säkularisiert wird. „Die Theonomie setzt die Autonomie voraus, weil Gottes Gottsein vom Menschen in verantworteter Freiheit anerkannt werden soll. (…) Umgekehrt kommt aber die menschliche Freiheit nur durch Theonomie, durch die Anerkennung Gottes und durch die Gemeinschaft mit Gott zur Vollendung. (…) So bringt Theonomie Autonomie als Autonomie zur Erfüllung. Die je größere Einheit mit Gott bedeutet die je größere Freiheit des Menschen.“ (Autonomie und Theonomie (Theologie und Kirche), 171 f.) 151 Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 46. 152 Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 42. 153 Vgl. Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 42. 154 Vgl. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 204. Vgl. Scheffczyk, L.: Einführung. Der dogmatische Weg zum Christusgeheimnis, in: Scheffczyk, L. (Hrsg.): Grundfragen der Christologie (QD 72), Freiburg/Basel/ Wien 1975, 7 – 14; hier: 12.
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auf die Tradition verwiesen, die uns einerseits das in der Geistesgeschichte artikulierte Reden von Gott als solches übermittelt, die uns aber andererseits in dieser Rede von Gott vor allem sowohl die bleibende Frage – die der Mensch selbst ist – und die jeweilige Antwort darauf weiterreicht.155 Damit übermittelt die Tradition neben material gefüllten Antworten vor allem formal das grundsätzliche Glauben-Denken-Verhältnis der Theologie, welche versucht, die im kirchlichen Bekenntnis überlieferte Rede von Gott angesichts der Fragen des Menschen vor seiner Vernunft zu verantworten156. Das bedeutet, daß die Tradition uns mit den beiden hermeneutischgnoseologischen Faktoren konfrontiert, die jede Theologie ausmachen: zum einen ist der Mensch – auch der glaubende Mensch – eine bleibende Frage, so daß die Theologie nicht aufhören kann, nach Gott zu fragen und ihn immer wieder neu ins Wort zu bringen; und zum anderen ist Gott ein bleibendes, immer noch größeres Geheimnis, so daß die Theologie „nicht primär die Auflösung (solutio) von Problemen, auch nicht das Fortschreiten (progressio) von Problem zu Problem (ist), sondern die Zurückführung alles Wissens und Fragens in das Geheimnis Gottes (reductio in mysterium).“157 In anderen Worten: die elliptische Korrelationsbewegung im Sinne einer Spiralbewegung wird nicht unterbrochen, da Frage und Antwort immer wieder neu auf den anderen Pol hin geöffnet werden; die Frage erkennt in der Antwort das immer größere Geheimnis Gottes und damit die Unabgeschlossenheit des Antwortens, während die Antwort in der Frage die prinzipielle Notwendigkeit immer neuer Interpretationen und Formulierungen aufleuchten sieht. Mehr noch als Frage-Antwort-Dynamik versteht sich dieser Prozeß also als ein gegenseitiges Hineinver155 „Die religiöse Tradition konnte und kann sich nur deshalb halten, weil sie Antwort ist auf eine bleibende Frage, die Frage, die sich der Mensch selber ist.“ (Der Gott Jesu Christi, 25) 156 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 25. Die Tradition überliefert ein „Problem“ im vollen Sinn des Begriffes: ein „problema“ ist ein Vorentwurf, „eine Antwort, die zugleich eine Frage enthält, ein Richtungspfeil, der angibt, in welcher Richtung man suchen muß, um zum Ziel zu kommen.“ (Der Gott Jesu Christi, 25; vgl. Ascione, 208) Damit ist ausgesagt, daß das Gegenseitigkeitsverhältnis von Frage und Antwort methodologisch nicht ein zufälliges, sondern ein prinzipielles ist und für die heutige Zeit „nur“ neu aufgeschlüsselt werden muß. Die Kontextsituation, d. h. die Situationsgebundenheit, gilt für die ganze Tradition. (vgl. Wiederkehr, 13) Die Korrelation selbst ist also eine die Geschichte begleitende Denkbewegung und von daher selbst noch einmal geschichtlich bestimmt. 157 Der Gott Jesu Christi, 26.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
weisen in das Geheimnis, denn Kasper möchte „das Geheimnis Gottes als Antwort auf das Geheimnis des Menschen verstehen.“158 Soll aber das Geheimnis Gottes Antwort auf das Geheimnis des Menschen sein, dann gehört – stärker als bei Tillich – in diesem Korrelationsverhältnis der Primat dem Ontologischen. Es ist für die Theologie deutlich, daß sie sich in ihren Aussagen weder reinen säkular-philosophischen Aussagen überlassen kann noch bei der transzendentalen Öffnung des Menschen für Gott stehenbleiben darf. Vielmehr hat sie das in der Heiligen Schrift primär bezeugte und in der durch das Lehramt betreuten Tradition weitergereichte Ereignis der (Selbst-) Offenbarung Gottes und ihres Höhepunktes in Jesus Christus ins Spiel zu bringen. Erst aus dem Blickwinkel Gottes her bekommen die philosophischen Ergebnisse die ganze Fülle von Wahrheit und können in ein Gesamtbild von Mensch, Welt und Wirklichkeit eingeordnet werden. Erst von Gott her wird der Mensch vollends verständlich bzw. wird das Geheimnis des Menschen in das je größere Geheimnis Gottes eingeborgen. Kasper zitiert das zum Erbe des Abendlandes gewordene Wort von Augustinus: „noverim te, noverim me“.159 Ontologisch muß also „eine theologische Anthropologie (…) theologisch und nicht anthropologisch einsetzen“160. Gnoseologisch dagegen muß die Korrelation in Entsprechung zur anthropologischen Wende philosophisch, d. h. „von unten“ her ansetzen. Sie ist anthropologisch gewendet. Sie geht vom Menschen als „Hörer des Wortes“ aus und bemüht sich darum, in den menschlichen Existenzäußerungen das implizite Mit-ausgesagt-Sein eines unbedingten Geltungsgrundes festzustellen. Methodologisch dreht sich alles um die wechselseitige Korrelation von menschlicher Freiheit und göttlicher Wahrheit im Horizont der Geschichte.161 158 Der Gott Jesu Christi, 26 (Hervorhebung vom Autor). 159 Das theologische Wesen des Menschen, 98. Dem entsprechen die Dikta von Romano Guardini – „Nur wer Gott kennt, kennt den Menschen“ – und von Rudolf Bultmann – „Von Gott reden heißt vom Menschen reden“. 160 Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 204. Hier liegt nach Kasper das legitime Anliegen der Barthschen Dialektik. 161 Der Kasper-Schüler Gisbert Greshake leistet in einem anderen Zusammenhang einen hervorragenden und in seiner Deutlichkeit lesenswerten Überblick über die Frage der Vermittlung von Gott und Mensch im Horizont der Geschichte, den wir bereits in der Einführung zur Dissertation erwähnt und skizziert haben. Hier soll dieser Beitrag ausführlicher zur Sprache kommen. (vgl. Greshake, G.: Grundlagen einer Theologie des Bittgebetes, in: Greshake, G./Lohfink, G. (Hrsg.): Bittgebet – Testfall des Glaubens, Mainz 1978, 32 – 53) In Berufung auf
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u. a. Schelling, Schoonenberg, Halder, Jüngel und auch auf Kasper (vgl. Kasper, W.: Die Gottesfrage als Problem der Verkündigung, in: Ratzinger, J. (Hrsg.): Die Frage nach Gott, Freiburg/Basel/Wien 1972, 156 ff.) arbeitet er die Geschichte als Begegnungshorizont von Gott und Mensch heraus. Gerade die Praxis des Bittgebetes wirft das Problem auf, inwiefern der Mensch „Einfluß“ auf Gott hat; damit stellt sich fundamental die Frage nach dem Miteinander und Nicht-Gegeneinander von menschlicher und göttlicher Freiheit. Gott wird aber in der Moderne nicht mehr als direkte Ursache allen Geschehens anerkannt: „Ganz im Zuge der neuzeitlichen Wende zum Subjekt werden Gott mehr und mehr nur noch jene Funktionen zuerkannt, deren der Mensch selber nicht Herr ist.“ (Greshake: Bittgebet, 34) Gott wird auf eine transzendentale Bedingungsmöglichkeit beschränkt und verliert für den geschichtlichen Weltenlauf jedwede Relevanz. Das Grundproblem besteht in einem Konkurrenzverhältnis, wie Kasper es ja auch feststellt, denn dieser Auffassung „liegt ein bestimmtes Verständnis des Verhältnisses von Gott und Mensch zugrunde: Gott und Mensch werden als zwei Kausalitäten betrachtet, von denen eine sich gegen die andere durchsetzen muß, um zu bestehen, bei denen eine die andere ersetzt, erdrückt und – tendenziell – zum Verschwinden bringt.“ (Greshake: Bittgebet, 36) Eine konsequente Ursachenforschung führt zum Gottesbild der klassischen Metaphysik, in dem das Sein des Seienden nicht als personale Macht und Liebe gedacht werden kann. Dem widerspricht aber entschiedenermaßen das Gottesbild der Heiligen Schrift; hier kommt der Horizont der Geschichte ins Spiel. Gott befreit zu Freiheit und schenkt Freiheit, und dennoch entgleitet nichts seinen Händen. „Gerade weil die göttliche Allmacht personale Freiheit ist, erdrückt sie nicht das Geschöpf und sein Vermögen, sondern eben darin besteht die Größe göttlicher Allmacht, daß sie den Menschen zur Freiheit und zum Eigenwirken befreit.“ (Greshake: Bittgebet, 37 f.; vgl. 41) Geschichte ist im biblischen Verständnis kein einseitiges Heraustreten aus einem unveränderlichen göttlichen Willen, sondern ein dialogisches Geschehen zwischen „Subjekten“; die Geschichte ist „etwas Neues für den Menschen, etwas Neues aber auch für Gott“ (Greshake: Bittgebet, 41). Das bedeutet: „So wachsen göttliche Allmacht und geschöpfliche Freiheit in gleichem, nicht in umgekehrtem Maß. (…) Deswegen hängt alles Geschehen in der Welt, so sehr Gott selbst dessen letzter Verursacher ist, zugleich auch vom Geschöpf ab.“ (Greshake: Bittgebet, 41) Gott will gebeten werden, nicht obwohl, sondern weil er Liebe ist. Das Verhältnis von Gott und Mensch ist geschichtlich bestimmt, was vor allem im Christusereignis in unzweideutiger Weise zum Ausdruck kommt. Vgl. zu diesen Fragen auch Schoonenberg, P.: Ein Gott der Menschen, Zürich 1969; vgl. Greshake, G.: Auferstehung der Toten. Ein Beitrag zur gegenwärtigen theologischen Diskussion über die Zukunft der Geschichte, Essen 1969, 189 – 196.200 – 208.326 – 334.344 – 348; Menke, K.-H.: Jesus Christus: Das Absolute in der Geschichte? Die Frage nach der universalen Bedeutung eines geschichtlichen Faktums, in: Müller, G.L./Seretti, M.: Einzigkeit und Universalität Jesu Christi. Im Dialog mit den Religionen, Einsiedeln/ Freiburg 2001, 231 – 265. Es geht bei allen diesen Ansätzen – wie Scheffczyk es formuliert – letztlich und christologisch zugespitzt „um die Vergewisserung der biblischen Wahrheit, daß Gott in die Menschheit eingegangen und in ihr an-
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2.3.2. Die transzendentale Methode Damit sind wir bei Kasper beim springenden Punkt und bei der entscheidenden Frage angelangt: „Wie (…) läßt sich (…) die Offenbarungswahrheit als das die menschliche Freiheit wahrhaft Erfüllende denken?“162. Wie kann der gnoseologische Weg zur ontologischen Antwort bereitet werden? Wie kann die Situation für die Botschaft empfänglich werden? Welche Methode kann diesen Schritt verantwortbar machen, wenn darüber hinaus die Geschichte der letztgültige Horizont der Korrelation ist? Wie wird das Korrelationsverhältnis methodologisch orchestriert? Wie der gnoseologische Gedankengang im einzelnen verläuft, soll der erste Hauptteil klären. Hier jedoch geht es um die fein-methodisch-gnoseologische Grundentscheidung. Ausgehend von den Rahnerschen Errungenschaften für die Theologie und von den bereits weiter oben angedeuteten philosophischen und theologischen Grundorientierungen Kaspers scheint „die transzendentale Methode die einzige Möglichkeit zu sein“163 ! Was aber ist damit gemeint? Kasper schreibt dazu: „Die transzendentale Methode in der Theologie fragt (…), ausgehend von der heilsgeschichtlichen Erfahrung und deren sprachlich-institutioneller Vermittlung durch die kirchliche Glaubensgemeinschaft, nach deren apriorischer Bedingung und nach deren unbedingter Geltung. Es geht ihr damit nicht um eine aprioristische Deduktion von Gehalten, sondern um transzendentale Reduktion von geschichtlich vorgegebenen Gehalten auf deren unbedingten Geltungsgrund. Dieser Grund, auf den die geschichtliche Erfahrung und deren wesend ist“, wobei es sich nicht um spekulative Bedürfnisbefriedigung handelt, sondern um die „Sorge um das Heil des Menschen, das nicht gewährleistet ist, wenn die Kreatur nicht als solche und als ganze vom Ewigen Wort angenommen wurde“ (Scheffczyk, L.: Einführung. Der dogmatische Weg zum Christusgeheimnis, in: Scheffczyk, L. (Hrsg.): Grundfragen der Christologie (QD 72), Freiburg/Basel/Wien 1975, 7 – 14; hier: 7 f.; Hervorhebungen von Scheffczyk). 162 Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 169. 163 Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 44 (Hervorhebung vom Autor). Pröpper präzisiert, daß die „transzendentale Methode“ zwei Reflexionsbewegungen meinen kann: „zum einen in Richtung auf den Möglichkeits- und Wirklichkeitsgrund der Offenbarung selbst, zum anderen in Richtung auf die Verstehensvoraussetzungen des Glaubens an sie und an die mit ihr eröffnete Wahrheit.“ Diese zweite, die „anthropologische Möglichkeit, den Sinn und Geltungsanspruch der Glaubenswahrheit zu vermitteln“, interessiert uns nun primär. (vgl. Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 170, Anmerkung 34) Vgl. auch Baumgartner, H.M.: Artikel „TranszendentalPhilosophie“, in: SM IV, 979 – 986.
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Vermittlung selbst verweisen, ist in der Theologie die sich selbst mitteilende Wahrheit Gottes bzw. Gottes Freiheit in sich selbst mitteilender Liebe als dem letzten Sinn von Sein, und das heißt als letzte und unbedingte Wahrheit aller Wirklichkeit. Von dieser Wahrheit läßt sich wiederum zeigen, daß sie allein dem Verlangen menschlicher Freiheit entspricht und dieses in überbietender Weise erfüllt.“164 Jeder andere philosophische Ansatz als der transzendentale scheint verdächtig zu sein. Die transzendentale Reduktion auf den unbedingten Geltungsgrund hat für Kasper zwei Aspekte: einen philosophischen und einen theologischen. 165 Im Laufe seines minutiösen Durcharbeitens der geistesgeschichtlichen Unmenge an denkerischen Möglichkeiten, Versuchen, Ablehnungen, Aporien, Streitfällen und Neuansätzen gelangt Kasper zu diesen beiden transzendentalen Vermittlungsgeschehen, die ihm helfen, des Menschen Situation für Gott aufzuschließen und Freiheit mit Freiheit zu vermitteln. Philosophisch geht es darum, vom „transzendentalen Ansatz der nachidealistischen Philosophie“ auszugehen, welcher die „Verschränkung von Transzendentalität und Faktizität“166, d. h. die gegenseitige Wechselbeziehung von Subjekt und Objekt, von Größe und Elend im Menschen reflektiert. Es handelt sich dabei um die von Blaise Pascal als Dialektik von menschlicher Größe und menschlichem Elend interpretierte Frage nach der menschlichen Zerrissenheit zwischen Objekt und Subjekt und zwischen Gott und Welt bzw. Mensch167. Pascal spielt für Kasper eine sehr wichtige Rolle und wird zum Vertreter einer Anthropologie, die auf Gott vorgreift, ohne sich an ihm zu vergreifen. Diesem 164 Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 44. Für die Ausarbeitung dieser Thesen verweist Kasper dabei auf philosophischer Seite auf Krings und auf theologischer Seite auf die Katholische Tübinger Schule. 165 In „Jesus der Christus“ bringt Kasper die Überlegungen zum Wesen des Menschen auf den Begriff der Person und fächert sie in eine „philosophische und theologische Reflexion“ ( Jesus der Christus, 284) auf; wir wollen diesen Ansatz weiter unten im Kapitel über die „pneumatologische Christologie“ aufgreifen, um Kaspers Neuinterpretation des Konzils von Chalcedon dank des Personbegriffs nachzuzeichnen. Kasper versteht Person wesentlich als Vermittlung zwischen den horizontalen Relationen zwischen Objekt und Subjekt einerseits und der vertikalen Beziehung zum Geheimnis Gottes andererseits, welches sich in einer transzendentalen Reflexion eröffnet. (vgl. Jesus der Christus, 284 – 296) 166 Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 204. 167 Bekanntlich setzt Tillichs Ontologie bei der spannungsreichen Objekt-SubjektStruktur an, welche aber nicht grundsätzlich – wie bei Kasper – auf ihre Berechtigung und Verstehbarkeit hin hinterfragt wird.
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Gedanken entspricht die berühmte Pascalsche Wette: „Wenn Sie gewinnen, gewinnen Sie alles, wenn Sie verlieren, verlieren Sie nichts.“168 Von noch viel entscheidender Wichtigkeit ist jedoch Kaspers Rückgriff auf Pascal, um die anthropologische Dialektik von Größe und Elend theologisch zu öffnen. Die Faktizität und Ohnmacht des Menschen spricht nicht gegen seine Transzendenz und Macht; vielmehr drückt sich im Elend noch dadurch Größe aus, daß der Mensch um sein Elend weiß und es also auf eine ursprünglichere Größe zurückbeziehen kann. Pascal schreibt: „La grandeur de l’homme est grande en ce qu’il se connaît misérable; un arbre ne se connaît pas misérable. C’est donc être misérable que de (se) connaître misérable, mais c’est être grand que de connaître qu’on est misérable.“169 Kasper kommentiert dazu: „Denn er könnte an seinem Elend nicht leiden, wenn er nicht wenigstens eine Ahnung von seiner Größe und damit ein Wissen darum hätte, daß alles auch anders sein könnte und müßte.“170 Des Menschen Endlichkeit wird zu einem symbolischen Verweis auf seine Transzendenz, ohne dadurch aber eine bestimmte Antwort mitzuliefern. Von Pascals Ansatz her ist der Mensch eine offene Frage, die aber auf eine inhaltliche Bestimmung hin angelegt ist.171 Diese Situation des Menschen kann man nach Kasper „geschichtlich“172 nennen. Kasper bezeichnet nämlich die Spannung bzw. den „Wechselprozeß zwischen Subjekt und Objekt“, das „Vermittlungsgeschehen von Welt und Mensch, in dem die Welt den Menschen bestimmt und der Mensch die Welt“173, als „Geschichte“174. Darüber hinaus gilt: „Geschichte gibt es nur, wo es Freiheit gibt.“175 Geschichte hat demnach eine transzendentale Dynamik. „Der Mensch erfährt Transzendenz als die konstitutive Nichteinholbarkeit seines Daseins in der Geschichte.“176 Er bleibt sich selbst „eine offene Frage“177. 168 Kasper überliefert sie in Der Gott Jesu Christi, 139. 169 Pascal, B.: Pensées, Fr.397, in: Pascal, B.: Oeuvres complètes (hrsg. von L.Lafuma), Paris 1963, 513; vgl. auch Fr.233, Fr.409 und Fr.416. 170 Jesus der Christus, 64 f. 171 Vgl. Ricken, F.: Religionsphilosophie (Grundkurs Philosophie 17), Stuttgart 2003; Ricken legt auf den Seiten 265 – 291 Pascals Ansatz sehr pointiert aus und eröffnet damit auch weitere Perspektiven für das bessere Verständnis von möglichen Inspirationen von Kasper bei Pascal. 172 Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 204. 173 Jesus der Christus, 63. 174 Jesus der Christus, 63. 175 Jesus der Christus, 62. 176 Jesus der Christus, 65.
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Durch die Säkularisierung, Emanzipationsneurose, Entsakralisierung, Entmythologisierung und Entideologisierung der Neuzeit ist aufgrund der durchschlagenden Wirkung des Grundprinzips der Subjektivität die Welt zutiefst geschichtlich geworden.178 Die Moderne konnte demnach auch nach dem „Ende der Neuzeit“ (Romano Guardini) das Problem der Geschichte nicht ablegen.179 Die Aufgabe der freien Gestaltung des geschichtlichen Materials, das dem emanzipierten Menschen als einziges und als grundlegendstes übrigblieb, ist zur dringlichsten Aufgabe geworden. Geschichtlichkeit ist die ausgezeichnete Kategorie, um das momentane Selbst- und Wirklichkeitsverständnis des (post-) modernen Menschen zu beschreiben. In anderen Worten: was als Horizont der Freiheit erscheint, ist in Wirklichkeit genauer der Horizont der ge-
177 Jesus der Christus, 65. 178 Im Zusammenhang mit dem entsprechenden theologischen Entmythologisierungsversuch von Bultmann und der Frage nach der existentialen Interpretation – die ja auch Tillich ein großes Anliegen ist – mahnt Kasper zu einer differenzierten Bewertung. Er stellt den Versuch von Bultmann mit seinen positiven Erscheinungen – die Betonung der wahren Menschheit Jesu und die existentiell relevante Interpretation der Christusbotschaft – seinen eigenen Gedanken als Negativfolie entgegen, um ausgehend vom Mangel und von der immanenten Grenze in Bultmanns Christologie – nämlich der Tatsache, daß jede theologische Aussage letztlich etwas Unaussagbares enthält und nicht bis ins letzte Geheimnis hinein dechiffrierbar ist – das legitime Anliegen des Programmes der Entmythologisierung für eine „Analytik der Freiheit“ fruchtbar zu machen. „Legitim ist das Programm der Entmythologisierung, wenn diese Jesus Christus als den Ort der Freiheit Gottes und des Menschen aufweisen hilft. Illegitim wird sie, wenn sie das unableitbar Neue und Einmalige an Jesus Christus auflçst, wenn also die Christologie zu einem Fall der Anthropologie wird.“ (vgl. Jesus der Christus, 48 – 56; Hier: 55 f.; Hervorhebung von Kasper; vgl. auch Sesboüé: Esquisse, 6) 179 Vgl. dazu die verschiedenen geschichtsbezogenen Aufsätze von Kasper in „Glaube und Geschichte“. Es handelt sich um eine zentrale Thematik. Geistesgeschichtlich gilt: erst durch die neuzeitliche Wende zum Subjekt wurde die Wirklichkeit „ver-geschichtlicht“ und eine radikale Wende zum geschichtlichen Denken vollzogen. Aufgrund dieser Revolution in der Romantik und im Deutschen Idealismus – besonders durch Hegel – wurde der Blick für die Geschichtlichkeit des Menschen geöffnet: „Was im idealistischen Denken vom absoluten Geist gesagt wurde“ – nämlich daß er durch die Geschichte hindurch zu sich selbst kommt – , „das wird heute im existentialistischen Denken vom Menschen gesagt: (…) die Geschichte ist (…) die innere Dimension und Verfaßtheit des Menschen.“ (Kirche und Theologie unter dem Gesetz der Geschichte (Glaube und Geschichte), 50) Der Mensch bleibt auf dem Weg in der Spannung zwischen Sein und Werden.
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schichtlichen Freiheit bzw. der freiheitlichen Geschichte. 180 Den Menschen an sich gibt es demnach nicht; es gibt nur den geschichtlichen Menschen in seinen vielen geschichtlichen Ausprägungen – und das ist philosophisch die elementarste Wahrheit.181 Das rein Subjektivistische wird zu einem geschichtlichen Horizont erweitert. Der Mensch ist geschichtlich. Damit ist aber die Frage nach dem Sinn der Geschichte eröffnet und der Mensch in seiner Spannung von Größe und Elend konstitutiv über sich selbst hinausverwiesen. Der Mensch lebt antizipativ.182 Theologisch dagegen verweist dieser geschichtliche Entwurf auf einen Sinnhorizont, d. h. die dialogische (Offenbarungs-) Geschichte Gottes mit den Menschen, oder konkreter: mit dem Menschen, wie er uns in Christus offenbar wird. Durch die Geschichte Gottes wird der offenen Freiheit des Menschen ihre Bestimmung geschenkt.183 180 Für eine systematische Aufarbeitung der freiheitlich-geschichtlichen Grundsituation des Menschen vgl. weiter unten im Kapitel „Die Pascalsche Frage des Menschen nach Hoffnung“. 181 Geschichte und Geschichtlichkeit sind nur auf dem Hintergrund eines dynamischen und evolutiven Weltbildes zu verstehen. Für Kasper ist Geschichte nur dem Menschen möglich, d. h. nur dort, wo Freiheit herrscht. Diese jeweils konkrete Freiheit des Menschen begründet seine innere Geschichtlichkeit, welche der objektiven Geschichte immer vorausgeht. Die Zeit ist einerseits die innere Dimension der Dinge selbst, da alles Endliche von der Zeit bestimmt ist und sich in die Möglichkeiten seines Seins vorstreckt, wie Karl Rahner sagt. (Kirche und Theologie unter dem Gesetz der Geschichte (Glaube und Geschichte), 58) Andererseits handelt es sich bei der Zeit um eine Stiftung, zu der alleine der menschliche Geist fähig ist, da der Mensch aufgrund seiner grundlegenden Freiheit sich selbst über die Gegenwart hinaus transzendieren kann. In gewisser Weise rückt der Mensch damit „in die Mitte der Weltwirklichkeit“ (Kirche und Theologie unter dem Gesetz der Geschichte (Glaube und Geschichte), 59), weil er aufgrund seines Leibes in die Zeitlichkeit hineinverflochten, aufgrund seines Geistes aber zur Transzendenz und zum „Geschichte-Machen“ befähigt ist. In ihm begegnen sich Zeit und Ewigkeit, Freiheit und Notwendigkeit. Diese Spannung bezeichnet Kasper als „Geschichtlichkeit“: „Der Mensch ist nicht einfach „fertig“, (…) er soll werden, was er ist.“ (Kirche und Theologie unter dem Gesetz der Geschichte (Glaube und Geschichte), 60) 182 Eine der grundlegenden Einsichten der gegenwärtigen Wissenschaftstheorie ist die omnipräsente Voraussetzung eines „Vorgriffs der Vollkommenheit“, welche theologisch als „Antizipation der kommenden Herrschaft Gottes“ verstanden werden darf. (vgl. Dogmatik als Wissenschaft, 201 f.) 183 Damit gilt: „Wenn (…) die Geschichte der umfassendste Horizont allen menschlichen Verstehens und Verhaltens ist, dann folgt daraus, daß auch das Absolute grundsätzlich nur geschichtlich zur Sprache kommen kann.“ ( Jesus der Christus, 62) Unsere Rede von Gott muß geschichtlich orientiert sein. Die Aufmachung in dem von einem Artikel Kaspers abgeschlossenen Band von Arno
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Für Kasper wird die von der transzendentalen Methode geleitete Korrelation zum Spiegelbild dessen, was die Scholastik im Blick auf Gott und Mensch – freilich unter ontologischen Vorzeichen – als das Verhältnis von Natur und Gnade definierte. Bereits damals war trotz späterer Mißinterpretationen im Sinne eines Zwei-Stockwerke-Schemas deutlich, daß Natur und Gnade zutiefst aufeinander bezogen sind, daß aber zugleich die Gnade insofern prioritär eingestuft wurde, als sie sich die Natur voraussetzte und sie vollendete.184 Das klassische Axiom wird bei Kasper aufgrund des geschichtlich-antizipativen Ausgangspunkts der Freiheit präzisiert: „Die Gnade und die Wahrheit setzen die Freiheit voraus.“185 In anderen Worten: die Freiheit verweist transzendental auf eine ihr vorgegebene Wahrheit, welche ihrerseits die Freiheit zugunsten ihrer eigenen Verwirklichung gesetzt hat. Die Natur-Gnade-Korrelation wird geschichtlich-freiheitlich interpretiert.186 Das Ergebnis der Neuzeit war, daß „die menschliche Freiheit aus dem Ordo von Natur und religiöser Tradition“187 herausgelöst wurde. Dies soll widerlegt werden. Es geht Kasper um die Entlarvung aller Vermittlungsversuche zwischen Gott und Mensch, die von einem Gegensatz-
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Schilson und Walter Kasper „Christologie im Präsens. Kritische Sichtung neuer Entwürfe“ (Freiburg/Basel/Wien 21974) ist in diesem Sinne verräterisch, da sie zum einen unter dem Fragewinkel der richtigen Vermittlung von Christus und Mensch verschiedene moderne und bekannte christologische Entwürfe in ihren Stärken würdigt und auf ihre Mängel hin kritisiert, zum anderen aber an das Ende einen geschichtlichen Entwurf stellt. Vgl. Natur-Gnade-Kultur (Theologie und Kirche II), 203 – 206. Von diesem Punkt aus deutet sich bereits an, daß für Kasper die Denkfigur der Analogie eine sehr große Rolle spielt und die eigentliche versteckte Triebfeder der Korrelation ist. Autonomie und Theonomie (Theologie und Kirche), 173. Dabei kann Kasper auf seine Schelling-Studien zurückgreifen, die ihm zeigten, daß das Dasein sich selbst nicht begründen und nicht vollenden kann. In Bezug auf die Person, in der die Freiheit realisiert wird, liest sich das Axiom dann als „gratia supponit personam“ (Natur-Gnade-Kultur (Theologie und Kirche II), 207). Kasper sieht eine innere Verwandtschaft seines Denkens mit dem Wahrheitsbegriff bei Thomas von Aquin, der die philosophische Wahrheit „von unten“ und die theologische Heilswahrheit „von oben“ formal nicht nur unterscheidet, sondern auch einander zuordnet, da die Wahrheit letztlich nur eine sein kann. (vgl. Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 38 f.) Die Wahrheit Gottes ist deshalb nichts Trennendes, sondern das alles und alle Verbindende; diese Katholizität allein kann den modernen Pluralismus beantworten und Identität in der universalen Relevanz gewähren. (vgl. Erneuerung des dogmatischen Prinzips (Theologie und Kirche), 41) Kirche und neuzeitliche Prozesse (Theologie und Kirche II), 215.
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Schema ausgehen, und um die Würdigung der Möglichkeit eines Vermittlungsversuches, der sich um eine differenzierte Einheit bemüht, um dadurch zum Ansatz einer geschichtlich-freiheitlichen Vermittlung zu kommen. Das, was die Philosophie durch das Bedenken der geschichtlich-freiheitlichen Objekt-Subjekt-Struktur als transzendentales Sich-selbstÜbersteigen des Menschen auf ein Unendliches hin erarbeitet, kann die Theologie also in die alte Tradition der natürlichen Theologie und ihres Natur-Gnade-Schemas einfügen und von dort aus im Horizont der geschichtlichen Freiheit interpretieren. Das Natur-Gnade-Schema kann helfen, der Geschichte innerhalb der Zusammengehörigkeit von Schöpfungs- und Erlösungsordnung einen relevanten Ort zuzuweisen: Geschichte ist auch für die Heilige Schrift die umfassendste aller Dimensionen.188 Sie ist – wie wir weiter oben bereits darlegten – der Theologie nicht im geringsten fremd. Das bedeutet: philosophisch soll erarbeitet werden, in welcher Weise der Mensch doch nicht in sich selbst verschlossen ist – im Gegensatz zu einem überzogenen subjektivistischen Ansatz –, sondern sich selbst transzendental übersteigt und eine Idee von Gott bekommt, während die Theologie versucht, diese Bewegung „sub ratione Dei“ in den größeren Zusammenhang des Natur-Gnade-Schemas zu stellen. Beide Vermittlungen spiegeln auf zwei verschiedenen Ebenen das große neuzeitliche Problem der Trennung von Gott und Welt bzw. Mensch wider und werfen die Frage auf, wie das Objekt-Subjekt-Verhältnis philosophisch und das Natur-Gnade-Verhältnis theologisch als Relation von Freiheiten verstanden werden kann.189
188 Die Geschichte ist auf eine freie Schçpfungstat Gottes zurückzuführen. Deshalb wird in der biblischen Offenbarung die Geschichte nicht als ein Moment eines letztlich geordneten Kosmos gesehen, sondern umgekehrt hat der Kosmos als ein Moment der Geschichte zu gelten. (vgl. Artikel „Geschichtstheologie“, 324) Es ist nach Kasper eine fundamentale theologische Wahrheit, daß „Zeitlichkeit (…) als die umfassende Seinsweise alles kreatürlichen Seins anerkannt“ wird. (Grundlinien einer Theologie der Geschichte (Glaube und Geschichte), 83) Alle Wirklichkeit ist ein Geschehen von Gott her und auf Gott hin. Der Kosmos und die Natur aber sind die erste Geschichtstat Gottes und existieren nicht unabhängig von Geschichte. (vgl. Gott in der Geschichte, 140) 189 Die philosophische Fragestellung verweist auf die weiter unten dargestellten Reflexionen von Krings und Schelling, während das theologische Problem Kasper auf direktem Weg zum Anliegen der natürlichen Theologie führt. Nur wenn die geschichtlich manifestierte Freiheit den Horizont bildet, tritt Kasper
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Es muß an diesem Punkt aber mit Be- und Verwunderung darauf hingewiesen werden, daß Kasper sich in der Kombination von transzendentaler Methode und paradoxaler Aporie eine große schöpferische Freiheit nimmt. Rahner und Pascal sind nicht einfachhin vereinbar. Pascals moralistisch gefärbte Phänomenologie spricht von der Unmöglichkeit der menschlichen Situation und führt sie in eine Aporie, die nur durch den Rekurs auf das Kreuz Christi lösbar ist. Das Paradox des Menschen ist umfangen durch das Paradox des Kreuzes. Pascals Ansatz widerstrebt damit der transzendentalen Methode. Freilich wird letztere nicht unmittelbar von Kasper in eine Identifikation von Göttlichem und Menschlichem überführt, doch es mischen sich im geschichtlichen Gebrochensein und in der transzendentalen Offenheit zwei unterschiedliche Bewegungen, die nur in freier Akrobatik zusammenführbar sind. Analogie und Paradox stellen unterschiedliche Denkformen dar, die von Kasper auf unterschiedliche Denkbewegungen angewandt werden. Die Frage der ursprünglichen Kompatibilität spielt dabei keine größere Rolle. Kasper hat diese Schwierigkeit selbst gesehen, aber nicht ganz aufgelöst. In „Jesus der Christus“190 stellt er zusammenfassend und grundlegend fest, daß des Menschen Erfahrung der Endlichkeit zum Zeichen und Symbol auf Transzendenz hin wird, jedoch nur im Modus des Verweises. Kaspers Theologie ordnet sich fernab von allen Beweisen viel stärker um die Begriffe des Verweises und Erweises. Es handelt sich um eine eminent zentrale Stelle des Kasperschen Denkprozesses, denn die Erkenntnis, daß der Mensch als endliches Wesen im Versuch, das Unendliche zu erfassen, es im gleichen Akt depotenzieren müsse, so daß alle Dialektik scheitert, entspricht seiner Meinung nach der Erkenntnis des späten Schelling und ist Ergebnis von Kaspers Habilitationsarbeit. Angesichts dessen haben Rahners Überlegungen zur transzendentalen Methode zwar ihre volle Gültigkeit, werden aber ihrerseits dort depotenziert, wo sie zu nichts anderem führen können als den von Pascal formulierten Grundeinsichten: „Am Ende bleibt sich der Mensch eine offene Frage, auf die er keine Antwort weiß.“191 Von daher kann Kasper sagen: „Deshalb schließen wir uns anders als Rahner, Bouillard u. a. nicht der von nicht hinter den Forschungsstand zurück und nimmt die neue Aufmerksamkeit für die Vergeschichtlichung aller Prozesse ernst. 190 Jesus der Christus, 65, vor allem Anmerkung 53. 191 Jesus der Christus, 65. (Hervorhebung von Kasper)
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Blondel, sondern von Pascal herkommenden Linie der Apologetik an.“192 Die transzendentale Methode erreicht ihre Grenze bei der menschlichen Aporetik und erfüllt ihren Sinn in einer ausgreifenden Verweisleistung der letzteren auf ein undurchdringliches Geheimnis. 2.3.3. Philosophie und Theologie In diesem Zusammenhang zeigt sich nicht nur, daß Kaspers Ansatz einen dezidiert theologischen und philosophischen Charakter hat193, sondern auch, wie die entsprechende Verhältnisbestimmung entworfen wird. Im gegenseitig aufeinander verweisenden Zusammenspiel von Philosophie und Theologie liegt nach unserer Auffassung der entscheidende Punkt von Kaspers Hermeneutik. Dabei betont er unentwegt die Priorität und den Primat der Theologie und der christlichen Botschaft vom Gott Jesu Christi, gesteht aber der Philosophie innerhalb dieses Rahmens eine freie denkerische Entfaltung zu.194 Freilich werden bei Kasper die philosophischen Hilfen derart in Anspruch genommen, daß sie nur schwerlich den theologischen Rahmen sprengen können. Das transzendentale Denken wird dem auf der Analogie von Natur und Gnade fußenden Dialog von Gott und Mensch letztlich einverleibt. Dieser Rahmen ist aber mit dem scholastischen Analogieschema von Gnade und Natur so weit abgesteckt, daß die Gnade der Natur bzw. die Theologie der Philosophie eine relative Eigenständigkeit überlassen kann.195 Kaspers Ab192 Jesus der Christus, 65, Anmerkung 53. (Hervorhebung vom Autor) 193 Hans Urs von Balthasar hat also Recht: „Der Christ ist jener Mensch, der von Glaubens wegen philosophieren muß.“ (Balthasar, H.U.v.: Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik. Bd. III/1: Im Raum der Metaphysik, Einsiedeln 1965, 974; zitiert bei: Der Gott Jesu Christi, 27; Hervorhebung vom Autor) Interessant ist bei dieser Übernahme des Balthasar-Zitats durch Kasper, daß die Notwendigkeit des Philosophierens nicht so sehr – wie bei Tillich – auf die jeweilige Situation zurückgeführt, sondern um des Glaubens willen bemüht wird. In anderen Worten: Kasper erkennt zwar ohne weiteres den eigenen Wert der Philosophie an, aber viel mehr als Tillich greift er doch auf die scholastische Verhältnisbestimmung der Philosophie als „ancilla“ der Theologie zurück. (vgl. Nichols, 21; vgl. Loewe, 39) 194 In Bezug auf eine theologische Anthropologie verlangt Kasper deshalb die Berücksichtigung des Ansatzes „von oben“, der – „in angemessener Weise mit Elementen des Ansatzes „von unten“ verbunden“ (Das theologische Wesen des Menschen, 102) – dem Schriftzeugnis gerechter wird. 195 In diesem Zusammenhang sehen wir die entscheidende Bedeutung der ansonsten schnell übergangenen Reflexionen von Kasper über den Unterschied zwischen dem theologischen und dem philosophischen Naturverständnis. Der philosophi-
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sicht ist es von daher, mit Hilfe des neuinterpretierten Natur-GnadeSchemas eine freiheitlich-geschichtliche Vermittlung von Gott und Mensch durch einen transzendentaltheologischen Ansatz plausibel zu machen. Trotzdem wird die Philosophie von der Theologie nicht enteignet: daß der philosophisch-transzendentale Schritt des Sich-selbst-Übersteigens des Menschen auf ein Göttliches hin nämlich tatsächlich über die reine Idee hinausgeht und auf Realität trifft, kann von der transzendentalen Methode selbstverständlich nicht verbürgt werden.196 Daß die Theologie die transzendentale Bewegung auf dem Hintergrund des Natur-Gnade-Schemas interpretiert, ist demnach kein zwingender Denkschritt der Vernunft, sondern ein ausgewiesener Glaubens-Schritt. Wie Kasper den entsprechenden transzendentalphilosophischen Nachweis anhand der Analyse der Dialektik der Freiheit und auf dem Fundament der katholischen natürlichen Theologie liefert, wird sich weiter unten zeigen. Methodologisch ist folgendes entscheidend: Kasper geht zum einen von einem korrelativen Verhältnis von Wahrheit und Freiheit, von Gnade und Natur aus, wobei die Freiheit in sich selbst dialektisch verfaßt ist – sie ist real bedingt, aber hat einen unbedingten Anspruch –, so daß sie transzendental vorausgreift auf die sich ihr zur Erfüllung offenbarenden Gnade und Wahrheit. Ohne die Begriffe zu überfordern, könnte man durchaus sagen, daß in Kaspers Theologie die Wahrheit als theologisches Prinzip und die Freiheit als philosophisches Prinzip gelten. Glaube und Geschichte werden einander als Wahrheit und
sche Naturbegriff setzt nach Kasper die Natur in gegensätzlichen Bezug zur Kultur und zur Geschichte, also zur Freiheit, während in der Theologie der Naturbegriff dem Konzept der Gnade gegenübersteht und also den ganzen menschlich-endlichen Bereich abdeckt, also auch den Begriff der Freiheit ein- und nicht ausschließt. „Der theologische Naturbegriff ist also weiter und umfassender als der philosophische; er umfaßt auch das, was der philosophische Naturbegriff ausläßt, ja, er umfaßt dies in besonderer Weise, weil gerade Geist und Freiheit die transzendentalen Voraussetzungen des Glaubens und der durch ihn geschenkten Gnade sind.“ (Der Gott Jesu Christi, 104) In anderen Worten: das theologische Vermittlungsanliegen vermag, das philosophische Vermittlungsanliegen zu umfassen und zu integrieren. 196 „Transzendentalphilosophie verbürgt die Wirklichkeit nicht, deren Möglichkeit und Sinn sie prüft und erschließt.“ (Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 186)
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Freiheit zugeordnet. Mit diesen beiden Begriffspaaren ist Kaspers große, transzendental orchestrierte Korrelation am dichtesten benannt.197 Thomas Prçpper geht dementsprechend in jenem Aufsatz, in dem er die Grundwahrheit der Dogmatik systematisch im Anschluß Kaspers Konzeption der Dogmatik reflektiert und als Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus198 bezeichnet, darauf ein, daß die Dogmatik aufgrund ihrer universalen vernünftigen Vermittelbarkeit die Philosophie als primäre Bezugswissenschaft akzeptiert199 und die theologische Denkform von einem philosophischen Denken prägen läßt200. Von Kaspers Konzeption her kann Pröpper als eigene These – aber auch als Spiegelbild von Kaspers eigenem Ansatz – formulieren: „Das für die Explikation und Vermittlung der (…) Glaubenswahrheit heranzuziehende Denken (…) kann nur das Denken der Freiheit und dieses nur transzendental sein.“201
197 Rekapitulieren wir: mit dem korrelativen Wahrheitsbegriff ist als Konsequenz (vgl. Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 46 – 50) verbunden, daß erstens die Theologie ihren letzten Grund nicht in innerweltlicher Relevanz hat, sondern nur in der Autorität der Wahrheit, die Gott selbst ist. Die theologische Wahrheit hat „theo-logischen Charakter“ (Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 46). Dies bestätigt den Primat der Botschaft innerhalb der Korrelation. Zweitens ist theologische Wahrheit universal, weil sie in einer transzendental erschlossenen Metaphysik verankert ist. Drittens hat sie geschichtlichen Charakter, unterscheidet sich aber von relativistischen Wahrheitsbegriffen, da „uns in geschichtlichem menschlichen Wort das ein für allemal ergangene Wort Gottes begegnet, das Bestand hat und dessen Wahrheit deshalb zu allen Zeiten eine und dieselbe ist“ (Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 49). Viertens – und darauf werden wir im zweiten Hauptteil zu sprechen kommen – kann das Problem des Verhältnisses von Gottes ewiger Wahrheit und menschlicher Geschichtlichkeit nur innerhalb einer trinitarisch entworfenen Christologie gelöst werden. Und fnftens honoriert Kasper das Anliegen der „theologia negativa“, um das je größere Geheimnis der sich frei mitteilenden Liebe Gottes zu wahren. 198 Vgl. Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 177. 199 Vgl. Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 175. 200 Vgl. Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 175 f. 201 Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 183. Wie u. a. auch Krings zeigt, kann Freiheit als unbedingte Bedingung aller spezifisch humanen Vollzüge wie Moralität, Kommunikation, Recht usw. aufgezeigt werden. Freiheit ist von sich aus aber auch die Frage nach einer entsprechenden Verwirklichung ihrer Unbedingtheit. Pröpper verweist hier auf Krings, H.: System und Freiheit. Gesammelte Aufsätze, Freiburg/München 1980. Zugleich nennt er auch sein eigenes Werk „Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte. Eine Skizze zur Soteriologie“, München 21988.
A. Einleitender Teil: Methodologische Grundlegungen
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Theologisch ist dies insofern von Bedeutung, als in Jesus Christus Gott in solchem Maß die Freiheit der Menschen gesucht und geachtet hat, daß das Geschehen zwischen Gott und Mensch als liebendes Freiheitsgeschehen oder „Selbstmitteilung von Freiheiten füreinander“202 bestimmt werden darf. Die Ansprechbarkeit und Antwortfähigkeit des Menschen muß demnach in seiner Freiheit gesucht werden. Sie ist die anthropologische Voraussetzung der Offenbarung schlechthin. Von daher wird „die Natur-Gnade-Thematik ohne die Aporien der klassischen Problemstellung reformulierbar“203. Philosophisch liegt die Relevanz des Freiheitsdenkens vor allem darin, daß es erstens die durch die anthropologische Wende bewirkte Verklammerung von Gottesfrage und Frage des Menschen nach sich selbst aufgreift, zweitens dem Grundmotiv der Neuzeit entgegenkommt und drittens „dem Vernunftinteresse gerecht wird, das Fragen bis zu einem Unbedingten zu führen“204. Nach Pröpper liegt der Gewinn des durch die philosophische Freiheitsanalyse geleisteten Reflexionsganges „darin, daß er den Sinn des Glaubens an Gott und seine Offenbarung philosophisch erschließt und dabei (anders als die sachontologisch konzipierte Metaphysik) die Möglichkeit freier Selbstbestimmung als primäres Gottesprädikat denken kann“205. Gegenüber den vereinnahmenden Versuchen der Apologetik und einer sich selbst in ihrem Aneignungswillen übernehmenden Vernunft ist es entscheidend, die wesentliche Unverfügbarkeit der theologischen Wahrheit einsichtig zu machen und zu zeigen, „daß der Mensch aufgrund seines Wesens für eine Wahrheit ansprechbar ist, die ihm doch nur geschenkt werden kann, weil sich ihr Inhalt (Gottes Liebe) von der Form ihres Gegebenseins nicht ablösen läßt“206. Form und Inhalt sind Freiheit; Gottes Selbstoffenbarung und die Mitteilung seiner Liebe sind eins! Von daher stehen Gott und Mensch nun definitiv nicht mehr in einem Konkurrenzverhältnis, denn seine Freiheit – d. h. seine Autonomie als Unterschiedenheit von Gott – verdankt der Mensch der Gnade Gottes, d. h. einer ursprünglicheren Theonomie: „Nicht obwohl, sondern weil er
202 203 204 205 206
Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 184. Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 188. Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 184. Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 185. Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 186 f.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
frei ist, ist der Mensch auf Gott hingeordnet und kann dies eben im Maße der Bewußtheit seiner Freiheit erfahren.“207
3. Die drei Schritte der Vermittlung von Christologie und Anthropologie Damit ist uns eine philosophische und eine theologische Aufgabe gestellt, die es nun in den beiden Hauptteilen zu entfalten gilt. Die methodologische Grundentscheidung einer transzendental orchestrierten Korrelationsmethode hat aber weiterhin einen soteriologischen Hintergrund, der sich im Hinblick auf das Verhältnis von Christologie und Anthropologie ins Wort fassen lassen muß. In großer formaler Ähnlichkeit zu Tillich, doch unter Einschluß des nicht unerheblichen Unterschieds, daß Tillich vornehmlich von Gott, Kasper aber von Christus spricht, kann Kasper vom gegenseitigen Voraussetzungsverhältnis her anhand von Röm 5,12 – 21 eine „dreifache Relation von Christologie und Anthropologie“208 feststellen, die sich an die drei Wege der klassischen Analogielehre – die „via positionis“, die „via negationis“ und die „via eminentiae“ – anlehnt. Kasper drückt diese 3 Thesen folgendermaßen aus: der „via positionis“ entspricht, daß die Einheit mit Gott die Freiheit des Menschen ausmacht und die Christologie daher einen zum Hören und zum Antworten befähigten Menschen voraussetzt. „Die Christologie setzt eine Anthropologie voraus.“209 Die „via eminentiae“ dagegen behauptet, daß durch die Christologie die unbestimmte Offenheit des Menschen eine konkrete und ableitbare Bestimmung bekommt.210 „Die Christologie setzt den 207 Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 188 (Hervorhebung von Pröpper). 208 Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 206 (Hervorhebung von Kasper). 209 Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 206 (Hervorhebung von Kasper). 210 „Von der Theonomie der Schöpfungs- wie der Heilsordnung, näherhin von der Christologie her ergibt sich eine inhaltliche Bestimmung der unbestimmt offenen Autonomie.“ (Autonomie und Theonomie (Theologie und Kirche), 174) Die Theonomie der Schçpfungsordnung, d. h. die von Gott her verantwortete unemanzipatorisch-autonome Sicht der Natur des Menschen, muß nach Kasper zu einer schöpferischen Erneuerung der Naturrechtsidee, wie sie auch in der Idee der Menschenrechte aufleuchtet, führen. (vgl. Die theologische Begründung der Menschenrechte (Theologie und Kirche II), 229 – 248) Die Theonomie der Heilsordnung dagegen erinnert daran, daß der Mensch sich nicht aus sich selbst
A. Einleitender Teil: Methodologische Grundlegungen
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Menschen als ein offenes und als ein steigerungsfhiges Wesen voraus.“211 In anderen Worten: auch wenn der Mensch das Subjekt des Glaubens ist, so ist doch Gott als Erfüllung und Bestimmung sein Materialobjekt und die Erkenntnis Gottes als Gott sein Formalobjekt. „In diesem Sinn ist der eine und einzige, weil alles andere umfassende Gegenstand der Theologie Gott als das Heil des Menschen.“212 Gott kann aber nur durch Gott erkannt werden; das bedeutet: Gott als Materialobjekt des menschlichen Glaubens lichtet den Horizont des menschlichen Erkennens durch das Licht des Glaubens derart auf, daß Gott zuerst als Formalobjekt des Glaubens erkannt und anerkannt werden kann. Darin besteht das innere Verhältnis der für unseren Problemaufriß nicht unwichtigen Beziehung zwischen der formalen und der inhaltlichen Frage. Gott wird demnach nicht ideologisch dazu depotenziert, nur menschliche Bedürfnisse zu befriedigen! 213 Schließlich gibt die „via negationis“ zu bedenken, daß „die christologische Bestimmung und Vollendung des Menschen (…) zugleich die Krisis der Selbstbestimmung (ist), die sich der Mensch als Snder selber gegeben hat“214. Darum ist der Mensch gerufen, durch das Nachgehen des Pascha-Weges und durch Metanoia seine ursprüngliche Offenheit und „Ekstasis“215 wieder freilegen zu lassen. Insofern ist es für Kasper selbstverständlich, daß in der Wechselbeziehung von Natur und Gnade letztere auch immer Gerichtscharakter hat. Diese dreifache, der Analogie nachgestaltete formale Beziehung von Christologie und Anthropologie, wirkt sich material – wie wir gegen
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vollenden kann und daß Jesus Christus Urtypos christlich erfüllter Freiheit ist. (vgl. Autonomie und Theonomie (Theologie und Kirche), 174 f.) Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 206 (Hervorhebung von Kasper). Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 207. In Abgrenzung zu Rahner, der dazu tendiert, die Analogie in eine idealistisch anmutende Dialektik hinein aufzuheben, heißt es bei Kasper: „Die Christologie ist nicht nur sich transzendierende Anthropologie. Die Christologie ist eine inhaltliche Determination der als solche offen bleibenden Anthropologie. Im Sinn der klassischen Lehre von der Analogie muß man deshalb sagen: Bei aller noch so großen hnlichkeit von Anthropologie und Christologie besteht eine je grçßere Unhnlichkeit. Die Anthropologie ist sozusagen die Grammatik, deren sich Gott zu seiner Selbstaussage bedient; die Grammatik ist aber als solche noch offen für vielerlei Aussagen; ihre konkrete Determination erfolgt erst durch das konkrete menschliche Leben Jesu.“ ( Jesus der Christus, 61; Hervorhebung von Kasper) Vgl. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 207. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 207. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 207; man beachte auch hier die terminologische Nähe zu Tillich.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
Ende anschneiden werden – in der inhaltlichen Bestimmung der soteriologischen Bedeutung Christi als Prophet, Priester und Hirte aus.216 Sie bestimmt aber auch die weiterführenden Thesen zum Verhältnis von Anthropologie und Christologie217, die Kasper vorlegt: 1) „Die Christologie setzt eine relativ eigenständige Anthropologie voraus“218. 2) „Die anthropologische Bedeutung der Christologie, d. h. Jesu Christi „Sein für die anderen“ ist in seinem „Sein an sich“ begründet. Jesu Proexistenz setzt seine Praeexistenz voraus„219, d. h. sein Sein aus der immanenten Trinität. Die Christologie ist somit auf metaphysisch-ontologische Aussagen angewiesen und damit zugleich funktional und ontologisch. Genauer gesagt, wird ihr heilsgeschichtlich-immanenter Ansatz vor allem zu einer pneumatologischer Prägung führen. 3) „Aus dem in der Proexistenz Jesu Christi geoffenbarten trinitarischen Sein Gottes ergibt sich per viam analogiae eine Metaphysik der Liebe, und d. h. eine relationale Metaphysik, in deren Mitte (…) die (…) Person steht, für die die Liebe der Sinn des Seins ist.“220 Was Kasper damit als theologisches Forschungsprogramm ausgibt, hat er zu großen Teilen in seinem eigenen Denken realisiert. Dies wollen wir aufzeigen. Anthropologisch-soteriologisch, trinitarisch und metaphysisch muß die moderne Christologie also sein. Doch vor dieser theologischen Fragestellung ist die philosophische Herausforderung zu bewältigen, dank der transzendentalen Methode der neuzeitlichen Subjektivitätsphilosophie eine grundsätzliche Offenheit des Menschen für Gott nachzuweisen.
216 Vgl. Jesus der Christus, 309 – 322; vgl. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 207 – 215. 217 Vgl. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 215 f. 218 Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 215 (Hervorhebung von Kasper). 219 Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 215 (Hervorhebung von Kasper). 220 Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 216 (Hervorhebung von Kasper).
B. Erster Hauptteil: Die transzendentalphilosophische Frage nach der Vermittlung
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B. Erster Hauptteil: Die transzendentalphilosophische Frage nach der Vermittlung von Gott und Mensch Was wir in den methodologischen Grundüberlegungen als hermeneutischen Horizont erschlossen haben, muß nun anhand von Kaspers Aussagen in konkreter Weise verifiziert und eingelöst werden. In diesem ersten Hauptteil ist uns die Aufgabe gestellt, die bisher erarbeiteten Ergebnisse in die großen Konfrontationen Kaspers vor allem mit Schellings Spätphilosophie, aber auch mit Hermann Krings’ Freiheitsanalyse hineinzustellen und nach einer anthropologisch-pascalschen Fassung den Gedankengang zum Brückenschlag zu einer freiheitlichen Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus „um des Menschen willen“ voranzutreiben. Dabei greift Kasper das Anliegen der anthropologischen Wende und der neuzeitlichen Subjektivitätsphilosophie auf und denkt von der Freiheit der Person aus: einer Freiheit, die nicht als Antipode zum Göttlichen erscheint, sondern sich ihm verdankt. Den Ausgangspunkt können wir nach den vorausgehenden Überlegungen folgendermaßen mit Kaspers Worten zusammenfassen: „Unter dem Stichwort „Glaube und Geschichte“ geht es (…) um ein theologisches Paradigma, welches vom Wechselbezug des Subjekts mit der ihm vorgegebenen und zur Verantwortung aufgegebenen Wirklichkeit ausgeht. Ausgangspunkt ist nochmals die Freiheit; sie ist der Kern neuzeitlicher Geschichtsphilosophie. Aber es geht nicht mehr um eine abstrakte Freiheit, sondern um die konkrete geschichtlich existierende Freiheit des Menschen. Solche geschichtlich bedingte und kontingente Freiheit, die gleichwohl mit dem Anspruch auf unbedingte Würde auftritt, kann sich nicht selbst vollenden und erfüllen. Sie kann ihre Erfüllung nur in „etwas“ finden, das selbst nicht nur dem Anspruch, sondern auch der Wirklichkeit nach unbedingt und unendlich ist. So verweist die Freiheit des Menschen auf unbedingte und vollkommene Freiheit als ihren letzten Grund und letzte und endgültige Erfüllung.“221 Wie sich das Programm von Glauben und Geschichte philosophisch und theologisch bei Kasper artikuliert und wie er dabei den Raum für Jesus den Christus eröffnet, dies zu zeigen, legen wir uns nun als Aufgabe vor. Wir wollen dabei eine breite Basis legen, damit im zweiten Hauptteil die den anthropologischen Vorüberlegungen auf relevante Weise ent221 Theologie und Kirche (Vorwort), 17.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
sprechenden christologischen Bestimmungen sich mit einer gewissen Konsequenz ergeben können und nicht mehr auf die transzendentalen Bedingungen ihrer Möglichkeit befragt werden müssen. Die entscheidende philosophische Inspiration findet Kasper bei Schellings Versuch, Gott im Horizont der Freiheit und der Geschichte zu denken.222 Da sich in der großen Bedeutung Schellings – und vor allem der neuen Ansätze seiner Spätphilosophie – die Denkwege Kaspers und Tillichs kreuzen, wird es von Interesse sein, Kaspers Schelling-Interpretation genauer zu analysieren und kritisch zu beäugen. Dabei würdigt Kasper an Schellings Spätphilosophie, daß sie – ausgehend von der Einsicht in „die innere Geschichtlichkeit der Vernunft“223 und in ihre Fragmenthaftigkeit – „immer wieder neu versuchte, Gott nicht nur als Medium der Freiheit, sondern als in sich seiende absolute Freiheit zu denken“224 und damit die Vorherrschaft des Ontologisch-Allgemeinen zugunsten des Geschichtlich-Konkreten aufzubrechen225. In Schellings Entwurf eröffnet sich zudem eine denkerische Konfrontation mit jenem Prinzip der Subjektivität, das nach Kasper auch heute noch den Reflexionsrahmen bestimmt und den Menschen zum Bezugspunkt der Weltund Wirklichkeitserkenntnis macht.
1. Der philosophische Ausgangspunkt: Schelling Parallel zum Tillich-Kapitel soll hier der denkerische Einfluß von Schelling nachgezeichnet werden, wie Kasper ihn in „Das Absolute in der Geschichte“ (Philosophie und Theologie der Geschichte in der Spätphilosophie Schellings, 1965) erarbeitet und nach eigenem Bekunden in seinen Manualen mit einwebt und voraussetzt. Dabei sollen die Erkenntnisse aus dem Kapitel über Paul Tillich nicht einfachhin wiederholt werden; vielmehr werden sie vorausgesetzt, und der Akzent liegt auf der spezifischen Rezeption Schellings durch Walter Kasper. „Durch die Beschäftigung mit Schelling, einem der schwierigsten Philosophen der Neuzeit, gewann ich einen zwar nicht unkritischen, aber doch einen konstruktiven Zugang zur neuzeitlichen Philosophie. Diese 222 Vgl. Pröpper, T.: Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte. Eine Skizze zur Soteriologie, München 31991, 108 f.266 f. 223 Der Gott Jesu Christi, 105. 224 Der Gott Jesu Christi, 43; vgl. Das Absolute in der Geschichte, 181 ff. 225 Vgl. Jesus der Christus, 55.
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Sichtweise unterscheidet mich von vielen anderen Theologen. Ich habe die Neuzeit nie als prometheischen Aufstand des Subjekts gegen die von Gott gesetzte objektive Ordnung sehen können. Die neuzeitliche Subjektivität ist nämlich etwas anderes als ein Subjektivismus der Beliebigkeit. Sie ist eher das Gegenteil. Das neuzeitliche Subjekt versteht sich sozusagen als Fenster und Tür zur Wirklichkeit, auch und besonders zum Absoluten. Der Titel meiner Habilitationsschrift lautete nicht umsonst: „Das Absolute in der Geschichte“.“ So wird Kasper von Deckers in der 2008 erschienenen Autobiographie „Wo das Herz des Glaubens schlägt“ zitiert.226 Kasper erklärt die eigentliche Erkenntnis als die „Verschränkung von Transzendentalität und Faktizität“, d. h. die gegenseitige Wechselbeziehung von Subjekt und Objekt, von Größe und Elend im Menschen, doch das Schellingstudium erlaubt ihm nicht nur anthropologische Zugänge, sondern vor allem die Einsicht, daß die Kategorien von Freiheit und Geschichtlichkeit innerhalb des Offenbarungsdenkens aufgehoben werden können. In diesem Sinne wird Schelling für ihn zum ersten Nachidealisten, der durch das Bedenken der Freiheit Gottes und des Menschen und ihrer freiheitlichen Vermittlung untereinander eine notwendige Alternative zum sich anbahnenden nachhegelschen Nihilismus anbietet und das sich-offenbarende Eingehen des Absoluten in die Geschichte denken kann. Von daher komme niemand angemessener als Gesprächspartner für die postmoderne Neuzeit in Frage als Schelling. Abschließend wird auch der christologische Entwurf von Schelling dargestellt. 1.1. Glaube und Geschichte beim späten Schelling 1.1.1. Schelling als Brücke zwischen Idealismus und Moderne Die Spätphilosophie von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775 – 1854) spielt in der Theologie von Walter Kasper tatsächlich eine sehr wichtige Rolle.227 Hatte er gegen Joseph Ratzinger noch angemahnt, fehlende philosophische Grundsatzüberlegungen würden zu einer unkontrollierbaren Eigenmacht bestimmter Philosopheme führen228, so ist 226 Kasper/Deckers: Wo das Herz des Glaubens schlägt, 46. 227 Es kann durchaus als Verdienst von Walter Kasper betrachtet werden, in dem eher für dieses Unterfangen problematischen Umfeld der 60er Jahre und zudem nach der Verurteilung des Schellingschen Pantheismus durch das Erste Vatikanum die Philosophie und die Theologie Schellings wieder in den katholischen Diskurs eingeführt zu haben. 228 Vgl. Das Wesen des Christlichen, 185.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
bei Kasper eine solche philosophische Vorentscheidung mit der Behandlung der Spätphilosophie Schellings im Gesamtkontext des Deutschen Idealismus gefallen.229 Manches haben wir schon bei der ausgiebigen Behandlung von Tillichs Schelling-Rezeption zur Einordnung von Kaspers Ansatz innerhalb dem heutigen Spektrum möglicher Schellinginterpretationen gesagt, was an dieser Stelle nicht wiederholt werden soll. Auch inhaltlich dürfen wir schon von den erarbeiteten Ergebnissen ausgehen.230 Wir wollen uns hier auf die an Schelling festgemachte Sachfrage, d. h. auf seine Bedeutung für die Frage nach der geschichtlichen Freiheit und für die Christologie, d. h. für die Frage nach der dialektischen Verhältnisbestimmung von Glaube und Geschichte231 konzentrieren. Denn: „Zu einer Einführung in die gegenwärtigen Grundlagenprobleme der Christologie ist Schellings Philosophie in besonderer Weise geeignet“232, 229 „Das Absolute in der Geschichte. Philosophie und Theologie der Geschichte in der Spätphilosophie Schellings“ (Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag 1965) ist Kaspers leicht überarbeitete Habilitationsschrift, welche bei Prof.Leo Scheffczyk angefertigt wurde. Nach Albert Franz hat sie in der Zwischenzeit als „Klassiker“ zu gelten (Franz, A.: Wozu Schelling? Aktuelle Schelling-Literatur aus theologischer Perspektive, in: Theologische Revue 98 (4/2002), 267 – 294, hier: 285) 230 Als weitere Informationsquellen über Schelling bieten sich eine Fülle von Beiträgen und Werken an, von denen wir im Tillich-Teil bereits mehrere vorgestellt haben. Hier seien noch folgende erwähnt: Sandkühler, H.J. (Hrsg.): F.W.J.Schelling (SM 311), Stuttgart/Weimar 1998; Franz, A.: Schellings Philosophie der Offenbarung und die Theologie, in: Philosophisches Jahrbuch 110 (1997), 373 – 389; Hemmerle, K.: Zum Verständnis der Potenzenlehre in Schellings Spätphilosophie, in: Philosophische Jahresschrift 1966/67, 99 – 125; Weischedel, Wilhelm: Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer Philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus. 1. Band. Wesen, Aufstieg und Verfall der Philosophischen Theologie, Darmstadt 1983; darin besonders: „8. Kapitel: Die Philosophische Theologie bei Schelling“, Seiten 245 – 283. 231 Geradezu verklausuliert drängen die Titel von Kaspers Werken „Das Absolute in der Geschichte“ und des Sammelbandes „Glaube und Geschichte“ diese Frage in den Vordergrund von Kaspers Denken. Wir betrachten im Hinblick auf unsere Fragestellung vor allem den Aufsatz über „Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings“ als grundlegend, der in Zuspitzung auf die christologische Frage die breiten Ausführungen in „Das Absolute in der Geschichte“ aufgreift, zusammenfaßt und zuspitzt. 232 Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 366. Zugleich gilt: „Es wäre sicherlich ungeschichtlich und naiv, in dieser Auskunft (sc. Schellings christologische Lösung zur Frage des Verhältnisses von Glaube und Geschichte) eine fertige Antwort auf die uns heute bewegenden Fragen zu erwarten. Deutlich dürfte jedoch geworden sein“, so schreibt Kasper am Ende des zitierten Artikels,
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da die momentane christologische Problemlage von Kasper unter das Motto „Hegel und die Folgen“233 gestellt wird. Schelling aber passe nicht in dieses Schema, sondern habe es gesprengt. Kasper sieht die Fragen des Idealismus in einer engen Verwandtschaft zu den modernen Auseinandersetzungen und besonders zu den christologischen Ansätzen u. a. von Bultmann, Barth, Rahner und Küng234. Das ist insofern von großer Wichtigkeit, als Kasper an mehreren Stellen seiner Ausführungen immer wieder darauf hingewiesen hat, daß die große neuzeitliche Krise der Theologie vor allem eine Folge der Ergebnisse des Deutschen Idealismus ist235 und es deshalb sehr ergiebig sein „daß die Lösung der gegenwärtigen Fragen nur möglich ist, wenn man sie einmal zurückverfolgt bis zu ihrem geistesgeschichtlichen Ursprung in der idealistischen Identitätsphilosophie, die bei Schelling erstmals in die Krise geraten ist, und wenn man zum andern sich neu an die Klärung des wohl grundlegendsten Begriffs der alten Metaphysik wie der neuzeitlichen Philosophie, des Begriffs der Identität macht.“ (Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 384) 233 Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 366. In diesem geistesgeschichtlichen Rahmen ergibt sich von unserer Fragestellung her durchaus auch die Frage nach einer möglichen Beziehung zwischen dem Idealismus und der Katholischen Tübinger Theologie. Wir können diesem Problem nicht weiter nachgehen, verweisen aber auf Hünermann, P.: Der Reflex des deutschen Idealismus in der Theologie der katholischen Tübinger Schule, in: Philosophische Jahresschrift 1965/66, 48 – 74. 234 Vgl. Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 366 f. 235 Besonders Hegels spekulative Aufhebung der Religion im absoluten Begriff mußte zu einer verheerenden Verhältnisbestimmung von Gott und Welt führen, in der Gott ohne die Welt nicht mehr Gott ist. Die Trinität wird letztlich denknotwendig. (vgl. Der Gott Jesu Christi, 322 – 326). So kann Kasper feststellen: „Wesentlich ist (…) die Feststellung, daß die Philosophie Hegels wirkungsgeschichtlich in den Atheismus, der bis heute unsere Situation bestimmt, umkippte.“ (Der Gott Jesu Christi, 43; Hervorhebung von Kasper; Kasper verweist hier – genauso wie in Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 380 – auf die akkuraten Darstellungen dieser Wirkungsgeschichte bei Küng, H.: Menschwerdung Gottes. Eine Einführung in Hegels theologisches Denken als Prolegomena zu einer künftigen Christologie (Ökumenische Forschungen, Bd.1), Freiburg/Basel/Wien, besonders die Seiten 503 – 537 und 622 – 631) Ein solch scharfes Urteil über Hegel muß bei Kasper mit Vorbehalt gelesen werden und ist letztlich nur auf dem Hintergrund verständlich, daß er die Besonderheit des Schellingschen Spätansatzes hervorheben möchte. Als Ergebnis des Nachidealismus bezeichnet Kasper: „Der Gott, der nur noch als Verbrämung des Endlichen, als Projektion des Menschen, als Rechtfertigung des Bestehenden erschien, wurde nun entschlossen für tot erklärt.“ (Verständnis der Theologie damals und heute (Glaube und Geschichte), 27) Der Kasper-Schüler Gisbert Greshake hat die „Herkunft“ der neueren Theologie vom Deutschen Idealismus
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
kann, nach einer etwaigen Sprengung einseitig interpretierter idealistischer Denkmuster bereits innerhalb des Idealismus selbst zu fragen. Für Kasper ist klar: Schelling kann diesem Anspruch genügen und Wesentliches zur heutigen theologischen Situation beitragen236.
untersucht, da eine solche Analyse nicht nur aussagen kann, warum die heutige Theologie so und nicht anders ist, sondern auch, wie sie zu verstehen ist. (vgl. Greshake: Auferstehung der Toten, 39 f.) Greshakes Überlegungen sind für uns insofern von besonderer Bedeutung, als es in der Theologie und in der Biographie bei Kasper und Tillich eine Überschneidung in der Begegnung mit Schelling gibt. In der Überzeugung, daß die Theologie dem Idealismus stärker verhaftet ist, als sie er selbst wahrhaben will, treffen sich Greshake und Kasper. Es stellt sich die Frage nach dem Horizont und der Denkform Hegelscher Philosophie. Ihr Grundproblem war die Vermittlung von Subjektivität und Objektivität in einem Einheitszentrum durch den erkennenden Rückgang des Geistes in sich selbst, dank dessen Hegel das Faktische als notwendig erklären und die Wirklichkeit miteinander versöhnen wollte. Seine Interpretation der zu beobachtenden Wirklichkeit lautet folgendermaßen: die Einheit muß protologisch bereits im Absoluten bestehen und wird sich eschatologisch erfüllen. Die Dialektik des Denkens ist konstitutiver Teil des dialektischen Prozesses der kreisförmigen-monistischen Selbstvermittlung des Absoluten. Die Wirklichkeit ist Prozeß. „Das Absolute ist („ist“ im Sinne eines prozessualen, werdenden, lebendigen Seins) die Identität von Identität und Nichtidentität.“ (Greshake: Auferstehung der Toten, 45; Hervorhebung von Greshake) Die Fülle der Zeiten erfüllt sich präsentisch, aber es kommt nichts Neues zum Vorschein. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß bei Hegel Christus im Wirken des menschlichen Geistes untergeht, während bei Schelling Christus vorausgeht. Schelling vollzieht aber letztlich nicht die letzte Konsequenz seines Denkens und bleibt dabei auch teilweise an Hegel haften. (vgl. Das Absolute in der Geschichte, 178.235) „So bleibt auch für Schelling das „Eidos“ seines Denkens, das er zu sprengen versucht, der Kreis, mag auch in der „Verlängerungslinie“ dieses gegen den Kreis revoltierenden Denkens die Dialogik stehen.“ (Greshake: Auferstehung der Toten, 50; Hervorhebungen von Greshake; vgl. Das Absolute in der Geschichte, 424 f.) Hegel ist insofern ein Endpunkt der (konsequenten totalen Reflexions-) Philosophie, als jede durchgeführte Total-Reflexion vom Subjekt aus notwendig idealistisch wird. (vgl. Greshake: Auferstehung der Toten, 168) Die Theologie muß von daher das Paradox auch als eigenen Beitrag ins Spiel bringen. Das, was Gisbert Greshake – ausgehend von diesen Prämissen – anhand der Eschatologie und der konkreten Frage nach der „Auferstehung der Toten“ geleistet hat, wird bei uns anhand der Christologie und der konkreten Frage nach der soteriologischen Vermittlung von Christus und Mensch versucht: die Aufsprengung idealistischer Denkschemata zugunsten des Paradox der Offenbarung und folglich der Versuch, Theologie und Philosophie in einer Korrelation zusammenzudenken. 236 Vgl. Das Absolute in der Geschichte, 28.
B. Erster Hauptteil: Die transzendentalphilosophische Frage nach der Vermittlung
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Wenn Kasper also nach einer nachidealistischen, neuzeitlichen Christologie fragt, muß er diese Verwandtschaft in Betracht ziehen und mit Schelling einen neuen Akzent setzen.237 Die tiefe Verbundenheit zwischen Idealismus und Neuzeit liegt im Grundanliegen der idealistischen Denker begründet, „die Freiheit des Menschen mit der außermenschlichen Wirklichkeit zu vermitteln“238. Fichte, Schelling und Hegel haben dies mit Hilfe des spekulativen Begriffs versucht, wobei es Kasper wichtig ist, im Umschlag von der negativen zur positiven Philosophie den besonderen Ansatz Schellings hervorzuheben. Schelling bemühte sich in diesem Kontext bereits um die Versöhnung zwischen „res cogitans“ und „res extensa“, zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, ja letztlich zwischen Freiheit und Notwendigkeit. Weder ungebundene Freiheit noch zwingende Notwendigkeit prägen sein Denken, sondern eine spannungsreiche Vermittlung beider. Entscheidend bleibt aber sowohl im als auch nach dem Idealismus das Thema der Freiheit. Mit seinem Ansatz beim späten Schelling ist nach Kasper auch die Notwendigkeit verbunden, gegen den Strom der traditionellen Einordnung Schellings dem Denker von Leonberg einen eigenen, ihm gerechtwerdenden Platz einzuräumen und vor allem seine Spätphilosophie nicht im Lichte Hegels zu lesen. Kasper teilt demnach nicht die klassische Auffassung, welche Schelling nur im Dreischritt Fichte-Schelling-Hegel würdigt.239 Demnach wären der „subjektive Idealismus“ Fichtes und der „objektive Idealismus“ Schellings in Hegels „absolutem Idealismus“ zusammengebracht und „aufgehoben“ worden. Dagegen vertritt Kasper die Meinung, in seiner zweiten Phase (also seiner Spätphilosophie) wäre es Schelling gelungen, über den vor ihm verstorbenen Hegel hinauszudenken und die Aporien von Hegels Idealismus nochmal neu aufzuheben. So ist bei Schelling „die Überwindung des Idealismus zugleich 237 Damit könnte der von Tillich diagnostizierten „Müdigkeit“ des Menschen ein wenig geholfen werden, da die Neuzeit an bereits angedachten Lösungen anknüpfen kann. (vgl. Das Absolute in der Geschichte, 3) Ein solcher Entwurf liegt ja auch ganz im Interesse Tillichs. Kasper bezeichnet einen solchen Ansatz bei Schelling als einen fruchtbaren Versuch der Theologie, mit der idealistischen Denkwelt ins Gespräch zu treten und die neu aufgebrochenen pastoralen Belange im Sinne des modernen Geschichtsbewußtseins vom Deutschen Idealismus her klären zu lassen. 238 Die Freiheit als philosophisches und theologisches Problem in der Philosophie Schellings (Glaube und Geschichte), 33. 239 Vgl. Das Absolute in der Geschichte, 9.
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dessen Vollendung“240. Seine Ansätze, die von Hegel nicht mehr überholt werden konnten, enthalten bereits viele Motive, die später im Kierkegaardschen Nach-Idealismus und so auch in der Moderne eine große Rolle spielen: u. a. Freiheit und Entscheidung, heraufziehender Nihilismus, Verhältnis von Geschichte und Absolutem, Unterscheidung von rein philosophisch verstandenem Absoluten und dem christlichen Gott.241 1.1.2. Die Freiheit als grundlegendes Problem In seiner „Philosophie der Offenbarung“ bestimmt Schelling das Wesen des Menschen als Freiheit. Er hatte aber schon weitaus früher erkannt – Kasper betrachtet Schellings Denken in den verschiedenen Perioden als einheitlich –, daß das Denken nicht umhin kommt, sich dem Begriff der Freiheit mit letzter Entschiedenheit auszusetzen, da das Denken selbst nur unter der Bedingung der Freiheit möglich ist, die Freiheit aber ihrerseits erst im Denken als solche begriffen wird. „Denken und Freiheit setzen sich gegenseitig voraus.“242 Die innere Geschichtlichkeit der Vernunft wird zur grundlegenden Einsicht, und die Freiheit wird zur Aufgabe der Philosophie, denn sie ist ihr unausweichlich vorgegeben. Schelling versucht schon frühzeitig, das Ganze der Wirklichkeit geschichtlich, d. h. die Welt und die Geschichte von der Freiheit her zu begreifen.243 Geistesgeschichtlich setzt der Idealismus bereits mit der kopernikanischen Denkwende bei Descartes beim christlichen Verständnis der Freiheit an. Das Christentum brachte mit seiner Geschichtlichkeit die Kategorie der Freiheit erst ins Spiel, erwies sich jedoch selbst so 240 Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 368. 241 Vgl. Das Absolute in der Geschichte, 6. 242 Die Freiheit als philosophisches und theologisches Problem in der Philosophie Schellings (Glaube und Geschichte), 34. 243 Es ging Schelling um ein System der Freiheit, um „den Zusammenhang des Begriffs der Freiheit mit dem Ganzen der Wirklichkeit“ (VII, 338) (vgl. Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 369; Kasper zitiert Schelling hier nach der von seinem Sohn K.F.A.Schelling herausgegebenen Ausgabe seiner Werke, 1856 – 1861, welche in neuer Anordnung von M.Schröter, 1927 – 1960, übernommen wurde und nach deren Einteilung in Band und Seitenzahl der Originalausgabe zitiert wird) „Schelling bemerkte hellsichtig, die Freiheit zum Mittelpunkt des Systems zu machen bedeute einen kräftigeren Umschwung als irgendeine frühere Revolution.“ ( Jesus der Christus, 55) Schellings transzendentale Metaphysik „overcame the dichotomy between subject and object which had emerged so fatefully with Descartes“ (Loewe, 34; vgl. Das Absolute in der Geschichte, 106).
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oft und so vehement als Quelle der Unfreiheit, daß die innere Unabhängigkeit bei Descartes erst die wahre Verwirklichung der Freiheit ermöglicht: „Hier ist die christliche Tradition erst voll zu sich selbst gekommen.“244 Damit ist die eigentlich christliche Idee der geschichtlichen Freiheit vom Christentum losgelöst und verselbständigt worden. Das Unbedingte, das sich mitten in aller Bedingtheit der konkreten menschlichen Freiheit meldet und das den Mensch nach dem Sinn des Ganzen der Wirklichkeit fragen läßt, gab dem jüngeren Schelling nach Kasper Anlaß zu einer sehr praktischen und politischen Orientierung seiner Philosophie: sie muß denkerisch eine Ordnung der Freiheit entwerfen und praktisch an ihrer Verwirklichung mitarbeiten. Sein bewußter Atheismus und seine dezidierte Staatsfeindschaft wendeten sich aber radikal, als Schelling in München und Berlin mit der pessimistischen Stimmung konfrontiert wurde, die sich nach dem Tod Goethes und dem Bruch mit dem antiken Weltbild ausdehnte. Hegels Denken hatte einem latenten Nihilismus die Bahn gebrochen, da der idealistische „Gott am Ende“245 – wie Schelling ihn zu nennen pflegte – ein Gott ohne Kraft und Leben war, der mit der konkreten Geschichte der Menschen nicht vermittelt werden kann. In seiner „Philosophie des Christentums“ versucht Schelling, einen ganz neuen Weg einzuschlagen: die Freiheit wird nicht mehr im Hegelschen Sinn als „Bei-sich-selbstSein“ verstanden, sondern als Ekstase, als Möglichkeit zum Anderssein246 ; seine Philosophie soll sich gegen die Vergangenheitsgebundenheit Hegels in die Zukunft wenden; Schelling beabsichtigt eine „Philosophie der Hoffnung“247 im Gegensatz zum Versuch Hegels, den Menschen das neue Welthaus der Zeit zu bauen, welches sich aber als unbewohnbar erwies, weil Hegel das Moment der Zukunft nicht berücksichtigte. Schelling versteht die Freiheit nun aber nicht mehr als Grund und Kraft der Auflehnung gegen alle vorgegebenen Institutionen, sondern kann in einem praktisch-politischen Gedankenschritt sogar die Notwen244 Die Freiheit als philosophisches und theologisches Problem in der Philosophie Schellings (Glaube und Geschichte), 39. Das ist übrigens eine Auffassung, die auch Hegel teilte: „Nach Schelling wie nach Hegel ist die entscheidende Hinterlassenschaft des Christentums der Gedanke der Freiheit, der dann in der Philosophie der Neuzeit ganz zu sich selbst befreit wurde.“ (Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 368) 245 Jesus der Christus, 97. 246 Vgl. Die Freiheit als philosophisches und theologisches Problem in der Philosophie Schellings (Glaube und Geschichte), 36 f. 247 Das Absolute in der Geschichte, 21.
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digkeit der Polis, des Staates einsehen. Erst in einem Raum der Freiheit ist es möglich, die Freiheit zu erwecken. Da die geschichtlich begegnende Freiheit aber stets begrenzte Freiheit ist und deshalb von einer „schöpferischen Antizipation“248 auf künftige Möglichkeiten und Bedingungen der Freiheit lebt, kann sie auch nur in Begegnung mit der Freiheit eines anderen „erweckt“ werden. Das bedeutet: der Staat ist zwar eine unabdingbare Voraussetzung der Freiheit, ist aber zugleich nur Mittel, nicht Zweck, da er sonst wieder totalitäre Züge annehmen würde. Das Christentum übernimmt in Schellings Freiheitssystem die Rolle eines prophetisch-kritischen Korrektivs gegenüber allen einengenden Institutionen. Die Freiheit muß auf Zukunft und Neuheit hin frei bleiben dürfen und kann deshalb nur dann zur Erfüllung kommen, wenn sie in die unbegrenzten Möglichkeiten einer anderen Freiheit eintauchen kann. 1.1.3. Der Übergang von der negativen zur positiven Philosophie Kasper macht seine Schellinginterpretation am Übergang von der negativen zur positiven Philosophie fest.249 Wenn die Freiheit nur durch Freiheit, Person nur durch Person befriedigt werden kann und wenn die Freiheit in ihrer Konkretheit stets begrenzt und bedingt bleibt, dann kann in der engeren philosophischen Fragestellung allein eine „absolute Freiheit, die in aller Wirklichkeit waltet, (…) die Bedingung der menschlichen Freiheit sein“250. Im Sein insgesamt muß Weisheit und Freiheit herrschen, damit ein Raum der Freiheit und das Zu-sich-selbst-Kommen der Freiheit denkbar und möglich sind. Diesen persönlichen, freien Gott, den die Philosophie sich selbst postulieren muß, kann sie aber nicht beweisen. Ihre Reflexionen auf die Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit stellen sie vor ein „ontologisches und theologisches Problem“251. Schelling steht gemeinsam mit dem gesamten Idealismus vor einer Aporie und muß feststellen, daß sich die Wirklichkeit im letzten dem „titanischen idealistischen Systemwillen“252 versagt. „Wir stoßen (…) auf ein reines Daß,
248 Die Freiheit als philosophisches und theologisches Problem in der Philosophie Schellings (Glaube und Geschichte), 39. 249 Vgl. Das Absolute in der Geschichte, 87 – 152, besonders 90. 250 Die Freiheit als philosophisches und theologisches Problem in der Philosophie Schellings (Glaube und Geschichte), 41. 251 Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 369. 252 Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 369 f.
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dessen Was wir nicht zu begreifen vermögen.“253 Deshalb bezeichnet er seine Überlegungen als „negative Philosophie“. Besonders zwei Einsichten haben Schelling zu dieser negativen Dialektik geführt: die abstrakte konstitutive Endlichkeit der menschlichen Freiheit, welche das „Daß“ der Wirklichkeit nicht mehr umfassen und ableiten, sondern nur noch als Vorgegebenes oder Geschenk annehmen kann; und das Ernstnehmen der konkreten Wirklichkeit des Bösen, welche im Gottesbild die All-Macht durch ein All-Leid auszugleichen verlangt. Gott kann nicht mehr als statisches Absolutum gedacht werden, sondern nur als lebendiger Gott! Die Vernunft selbst zwingt Schelling zu dem Schritt, in dem nach Kasper der „radikale Durchbruch durch die gesamte bisherige metaphysische und insbesondere durch die idealistische Tradition“254 begründet liegt: das Denken eines lebendigen, freien Gottes. In seiner „positiven Philosophie“ liefert er sich dem „Experiment“255 aus, Gott radikal von der Freiheit her zu denken, denn die Frage nach der Möglichkeit der Freiheit setzt diese Möglichkeit als Wirklichkeit voraus und ist deshalb unumgänglich.256 „Paradoxically, the fulfilment of human reason in its drive to the Absolute required a moment of self-negation which would transform that drive into receptivity.“257 Die Leistung Schellings, die gesamte abendländische Metaphysik ihrer Vollendung und Krise entgegengeführt zu haben, besteht in der Entscheidung, das Sein aus der Freiheit zu denken. „Im Spätwerk Schellings fand eigentlich die letzte Begegnung großen Stils zwischen idealistischem Denken und Christentum statt.“258
253 Der Gott Jesu Christi, 135. 254 Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 370. 255 Die Freiheit als philosophisches und theologisches Problem in der Philosophie Schellings (Glaube und Geschichte), 42. 256 So kann Kasper kommentieren: „Schellings Leistung besteht darin, das Sein radikal aus der Freiheit zu denken und dabei zu erkennen, daß menschliche Freiheit nicht im Aufstand der Subjektivität gegen die objektive Wirklichkeit, sondern im Seinlassen (IX,228 f, 233), in der Liebe und damit im Verzicht auf jeden Systemwillen möglich ist.“ (Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 371) Vgl. Das Absolute in der Geschichte, 225 – 232. 257 Loewe, 35. 258 Das Absolute in der Geschichte, 6.
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1.1.4. Die dialektisch-christologische Vermittlung von Glaube und Geschichte 1.1.4.1. Schellings innergeschichtliche Methode Während der Periode seiner Identitätsphilosophie war Schelling – ähnlich wie Hegel – überzeugt, das Empirisch-Geschichtliche sei nur eine unvollkommene Erscheinung des im spekulativen Begriff aufgehobenen Absoluten. Angesichts der Wende zur positiven Philosophie wurde sich Schelling nach Kaspers Urteil jedoch bewußt, daß ein Einsetzen des Denkens – und damit auch des christologischen Denkens – „von oben“ her unmöglich wurde; vielmehr galt es, „Geschichte als Geschichte ernst zu nehmen“259, ohne damit jedoch einem vereinfachten historischen Positivismus zu verfallen. Denn es ist erst die Geschichte, die uns aposteriorisch sagt, wer der Mensch ist; damit enthält sie mehr als das, was nach idealistischer These bereits in der Vernunft ist. Wahrheit ereignet sich also als Geschichte. Darin besteht Schellings innergeschichtliche Methode. In anderen Worten: es geht Schelling um „eine dialektische Verhältnisbestimmung von Glaube und Geschichte“260 bzw. von Wahrheit und Freiheit. „In dieser höchst kritischen Verbindung der christologischen Problematik mit der Frage nach dem Sein dürfte der eigentliche Beitrag des Philosophen Schelling für den Theologen bestehen.“261 Die Seinsfrage wird also bei Schelling auf geschichtliche Weise verhandelt. Die Wirklichkeit wird als nicht-notwendig gesehen. Das bedeutet aber, daß „die Welt die Wirkung eines freien Entschlusses, einer Tat sei und insofern eine geschichtliche zu nennen ist. Geschichte läßt sich nur von der unvordenklichen Freiheit Gottes her denken.“262 Das Sein Gottes muß sich also in seiner ganzen Freiheit in der Geschichte erweisen,
259 260 261 262
Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 374. Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 375. Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 376. Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 374. U.a in Bezug auf Schelling schreibt Kasper an anderer Stelle: „Bei allen diesen nachidealistischen Denkern erschließt sich in der Reflexion in unterschiedlicher Weise das Unvordenkliche, die Unableitbarkeit und geschichtliche Faktizität der Wirklichkeit.“ (Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 43) Nicht mehr der Geist – wie bei Hegel – bestimmt die Geschichte, sondern dem Geist ist die Wirklichkeit unableitbar und unaufhebbar faktisch vorgegeben.
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und das Christus-Geschehen ist nach gut lutherischer Theologie263 nur „a posteriori“ erkennbar. 1.1.4.2. Die Auseinandersetzung mit Hegel um die „Identität“ In dieser dialektischen Verhältnisbestimmung von Glaube und Geschichte vermittelt Schelling die christologische Fragestellung mit der Frage nach dem Sein. Dabei stellt sich – gerade auf dem Hintergrund der Unterschiede zu Hegel264 – die Frage nach dem Sinn des „Seins“ bzw. nach der Art der Identität, die durch das „ist“ ausgedrückt wird. Kasper weist darauf hin, daß die christologischen „Ist-Sätze“, wie sie in den ältesten Bekenntnissätzen und in den ersten Dogmen verwendet werden, letztlich in einer Geschichte gründen, „in der Jesus erst zum Christus, zum Kyrios und Gottessohn eingesetzt wurde. Nur im Zusammenhang dieser Geschichte ist er, was er ist.“265 Sein und Zeit werden verknüpft. In der unterschiedlichen Interpretation der „ist“-Kopula sieht Kasper von daher die grundlegende Differenz von Hegel und Schelling ausgedrückt: während in Hegels kreisender Bewegung kein Platz für Neues und für wirkliche Geschichte bleibt, denkt Schelling – vor allem ab seiner Freiheits-Schrift – die Identität dank seiner Potenzenlehre266 auf schöpferische, lebendige, geschichtliche Weise; da die transzendentalen Bestimmungen des Seins im Horizont der alles umfassenden Zeit gedacht werden müssen, vermittelt der Denker von Leonberg Freiheit und
263 Auch das Schellingsche Verhältnis von negativer und positiver Philosophie kann in Entsprechung zu Luthers Dialektik von Gesetz und Evangelium gesetzt werden: die Nichtigkeit des Menschen öffnet erst für das Empfangen der eigentlichen Offenbarung. Kasper bezeichnet Schellings Offenbarungsphilosophie als „schöpferische Erneuerung von Luthers theologia crucis unter den veränderten philosophie- und theologiegeschichtlichen Bedingungen seiner Zeit“. (Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 376) 264 Kasper selbst wehrt sich dagegen, auf den Spuren der Philosophie Hegels vermutet zu werden, während er aber bereitwillig seine Abhängigkeit von Schelling bekennt. (vgl. Neuere philosophische Denkformen in der Theologie, 427.429) 265 Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 376. Damit ist natürlich auch ein Seitenblick auf die klassischen christologischen Bekenntnisse der ersten Konzilien und auf die Notwendigkeit ihrer Neuinterpretation beabsichtigt. 266 Für eine detailliertere Darstellung der Potenzenlehre vgl. den ersten Teil des Artikels von Sergio Paolo Bonanni: Quo nihil maius fieri potest, ovvero: Il tempo superato. Percorsi schellinghiani e riflessione cristologica in Walter Kasper, in: Lateranum LXV (1999) 223 – 270.
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Notwendigkeit in Gottes „Können-Sein“. Gott bleibt auch in der Geschichte mit sich selbst identisch. In einer dialektischen Vermittlung von Möglichkeit und Wirklichkeit gelingt es Schelling nämlich, dank seiner Potenzenlehre Gott als „Können-Sein“ zu denken (von Cusanus her, der von Gott als „possest“ spricht). Gott ist weder reines Seinkönnen (reine Freiheit, potentia pura) noch reines Seinmüssen (reine Notwendigkeit, actus purus), sondern beide sind in Gottes „Können-Sein“ umgriffen und aufgehoben: Gott ist der, der als Sein ganz Zukunft bleibt, der, „der sein wird“.267 Gott ist derjenige, der in seiner Freiheit in sich und gegenüber seiner Freiheit frei bleibt. Sergio Paolo Bonnani geht in seinem Artikel „Quo nihil maius fieri potest“ – in dem er sich sehr stark an der Frage von Zeit, Ewigkeit und Freiheit orientiert – auf die Frage nach der Möglichkeit der Ewigkeit Gottes, die Zeit zu setzen, ein. Der „Zwischenraum“ (ital.: „interstizio“), der zwischen Gott und Welt besteht, ist die Möglichkeit der Zeit: da seine Ewigkeit in einem lebendigen Begriff gedacht wird und Gott der Herr der Zeit ist, kann er die Möglichkeit der Zeit so frei wählen, daß diese im vollkommenen In-sich-Sein der göttlichen Potenzen begründet bleibt.268 Schellings Spätphilosophie sei nach Kasper von der Einsicht gezeichnet, daß Gottes Sein in seiner Freiheit besteht, welche eine Freiheit ist, die auch das Gegenteil ihrer selbst ertragen kann. Trinitarische Kategorien legen sich nahe: die Zeugung des Sohnes bringt Schöpfung und Zeit ans Licht, so daß in Gott Ewigkeit und Werden miteinander vermittelbar sind.269 Aus dieser dreifachen Seinsbestimmung ergeben sich nach Kasper im Hinblick auf Schelling zwei Konsequenzen: da erstens die Wirklichkeit stets durch die Möglichkeit übertroffen und vor dem inneren Abgeschlossensein bewahrt bleibt, ist das Sein in seinem tiefsten Inneren „zeitlich“. Die Zukunft ist demnach nicht nur die kommende Zeit, 267 Vgl. Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 371. 268 Vgl. Bonanni, 233. Weiter unten spricht Bonanni in Bezug auf Christus davon, daß „il tempo, per Dio, è il modo congeniale di esistere nel finito, come, viceversa, l’eternità è tempo superato“. (Bonanni, 241) 269 Vgl. Bonanni, 234 – 236. Diese Überlegungen können hier nur sehr kurz angedeutet werden, werden aber von Bonanni „in extenso“ entfaltet. Der grundlegende Beitrag Schellings liegt darin, daß er in Philosophie und Theologie nicht mehr in klassischen, statischen Kategorien wie „Assumptio“, Natur und Absolutes spekuliert, sondern Freiheit, Geschichte, Konkretheit und lebendige Kenosis dialektisch in den Vordergrund stellt. (vgl. Bonanni, 242)
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sondern die Zeit in der bereits bestehenden Zeit. Die Zeit spannt sich auf die Zukunft hin, auf einen evolutiven Aufstieg, und im Sein wird die Möglichkeit stufenweise durch die Wirklichkeit überwunden. Zweitens hat im Identitätssatz „A ist A“ dieses A nicht nur die Möglichkeit, Macht und Freiheit, A zu sein, sondern es will es auch. Der evolutive Prozeß ist nicht einer letzten Willkür ausgeliefert, sondern gründet im Wollen als Ursein. Das Sein ist im Werden, weil es es so will. In anderen Worten: „Das Vermögen äußert sich in einem Mögen, in einer freien Entscheidung und Tat der Liebe.“270 Die Liebe ist demnach der Sinn allen Seins, das metaphysische Wesen aller Identität und nicht zuletzt die gelungene Dialektik von Freiheit und Notwendigkeit. Für Schelling ist das Wesen der Liebe aber mit dem des Geistes bzw. der Person identisch: die Person zeichnet sich einerseits aus durch ihre Freiheit gegenüber Möglichkeit und Wirklichkeit, andererseits durch die Notwendigkeit der Entscheidung. Deshalb kann Schelling auch behaupten, daß die Evolution erst in der menschlichen Person und ihrer Entscheidung zu sich selbst kommt. Dem Mensch eignet von daher eine Mittlerrolle: er soll gegen seinen Partikularwillen, mit dem er sich gegen die Bedrohung des Objektiven durchsetzen will, dem Universalwillen des Seins zu Diensten stehen, so daß die Liebe als Sinn des Seins zur Geltung kommt. Da aber die Geschichte uns ihre unvordenkliche Urtatsache der Entscheidung des Menschen gegen die Liebe erfahren läßt – theologisch gesprochen: die Erbsünde –, bedarf es eines zweiten Mittlers, der als Persönlicher und als Gott den Menschen als Person mit Gott versöhnt.271 Und hier liegt Schellings Anknüpfungspunkt für die konkret-inhaltliche Christologie. 1.1.4.3. Schellings Kenosis-Christologie Der Inhalt der Schellingschen Christologie272 legt sich von seiner geschichtlichen Methode (die Wahrheit ereignet sich in der Geschichte) und von seinem universalgeschichtlichen Horizont her (die Liebe soll in der Geschichte als Sinn des Seins zur Geltung kommen) als KenosisChristologie nahe. Das wird verständlich im Gegensatz zu einer reinen Inkarnationschristologie, welche riskiert, aufgrund einer idealistisch angehauchten Identitätsidee die Geschichte und die Mensch-Werdung 270 Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 379. 271 Vgl. Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 380. 272 Vgl. Das Absolute in der Geschichte, 369 – 411. Vgl. dazu auch Tilliette, X.: La christologie idéaliste, Paris 1986; darin vor allem die Passagen über Schelling auf den Seiten 87 – 91.131 – 139.162 – 166.
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Gottes als solche nicht ausreichend ernstzunehmen. Kenosis-Christologie bedeutet formal, daß Schelling nicht „von oben“ vom Präexistenten ausgeht, sondern die Kenosis und die Knechtsgestalt des Mensch-Gewordenen denkerisch nachvollzieht. In Christus als wahrem Mensch wird uns das Menschliche und Endliche in seiner Form als Selbsthingabe an das Unendliche offenbar. Damit ist die mythologische Vorstellung des Menschen als „gefallenem Gott“ zerbrochen und der Mensch als Entmythologisierter, Vernichteter und Säkularisierter seiner freien Entscheidung gegenüber dem Unendlichen ausgeliefert. Christus ist als Mensch ein wahrer und zu seinem Menschsein befreiter Mensch, und aufgrund seines abstrichlosen Vertrauens auf Gott ist er auch ganz eins und versöhnt mit Gott, da er „in seinem Gehorsam jede Herrlichkeit unabhängig vom Vater verschmäht“273. Gerade als Mensch bindet er sich bedingungslos an den Vater. Christus entäußert sich nicht als Gott zum Menschen, sondern als Mensch zum Knechten. Der Höhepunkt dieses „actus continuus“ der Kenosis besteht im Kreuz: als größter Beweis seines Gehorsams gegenüber dem Vater ist das Kreuz zugleich die Vollendung von Christi Sein; als Ziel der Selbstentäußerung ist es der eigentliche Akt der Versöhnung; und als Wiederversöhnung allen Seins in der Liebe und damit als Vollendung des Seins bedeutet das Kreuz gleichzeitig auch die ewig gültige Wiederversöhnung mit Gott. Die Auferstehung macht deutlich, daß die Liebe Zeit schenkt, die sich dank der Treue der Liebe in Kontinuität und Identität zur Ewigkeit ausdehnt. Die Ewigkeit ist nicht die Zeitlosigkeit, sondern die zeitmächtige Überwindung der Zeit, in welcher die Differenz der Zeiten im doppelten Sinn „aufgehoben“ ist. Die ewige Versöhnung mit Gott gewährt also Geschichte, und diese Geschichte ist eschatologisch hingespannt auf die endgültige und bereits geschenkte bleibende Vollendung. „Das Ein-mal der Liebe Jesu Christi wird also in seinem Tod zum Ein-für-allemal. Die im Tod Jesu ereignete Liebe umgreift damit sachliche Identität und geschichtliche Kontinuität.“274 Christus hat uns allen dank seiner stellvertretenden einmaligen Selbsthingabe bis ans Kreuz die Möglichkeit der erfüllten Freiheit ge273 Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 382. 274 Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 383. Bonanni spricht von „l’una-volta-per-tutte della riconciliazione ricapitolatrice che solo l’Eterno entrato nel tempo può inaugurare con la libera offerta del suo amore“. (Bonanni, 240)
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bracht. Das Sein Gottes schließt also Geschichte als Weg der Versöhnung ein. Die Geschichte, die am Kreuz zu sich selbst kommt, weil in der Kreuzesliebe der Sinn allen Seins verwirklicht ist, bleibt durch alle Geschichte hindurch bereits vollendete Wahrheit. Das Kreuz, auf das Kasper das von Schelling gebrauchte „quo nil maius fieri potest“ anwendet275, wird für den Philosophen von Leonberg zum Angelpunkt sowohl seiner Christologie als auch seiner Philosophie276 : es eröffnet nicht alleine ein neues Verständnis Gottes als der absoluten Freiheit, die auch gegenüber dem anderen ihrer selbst frei bleibt und die „Torheit Gottes“ als Spezifikum göttlicher Handlungsweise verständlich macht; zugleich bewirkt das Kreuz auch „eine Umwertung aller Werte, eine Revolution in der Ordnung des Seins“, da die Liebe als letzter Sinn des Seins erkennbar wird. Der idealistische Identitäts-Begriff wird bei Schelling erstmals in die Krise geführt; „Sinn von Sein und Identität (werden) christologisch als Liebe interpretiert“277. Schelling gelingt es, sowohl das klassische als auch das neuzeitliche christologische Verhältnisproblem einer Lösung entgegenzuführen: in der Tradition handelt es sich um ein Zwei-Naturen-Schema als Einheit von Gottheit und Menschheit, in der Moderne dagegen eher um ein Zwei-Stufen-Denken als Kontinuität in der Diskontinuität zwischen irdischem Jesus und erhöhtem Christus. Mitten in einem denkenden, ja gewisserweise narrativen Umgang mit der Geschichte Jesu geschieht zugleich „höchste Anstrengung des Begriffs“278, denn diese Geschichte Jesu vermag, die Begriffe von Freiheit und Notwendigkeit, Sein und Zeit aufeinander zuzuführen.
275 Vgl. Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 382; Jesus der Christus, 230. Bonanni vermutet bei dieser Anwendung des „quo nihil maius fieri potest“ auf das Kreuz eine gewisse Interessengeleitetheit bei Kasper, da seiner Meinung nach diese Bezeichnung von Schelling auf die Inkarnation angewandt wird. Die „Lizenz“, die sich Kasper dabei gewährt, stehe aber in konsequentem Zusammenhang mit seinem Vorhaben, einer reinen Inkarnationschristologie zu entkommen. (Vgl. Bonanni, 244) Man wird jedoch nur schwer nachweisen können, daß Kasper fundamental gegen die eigentliche Absicht Schellings handelt. 276 Vgl. Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 383. 277 Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 384. 278 Krise und Neuanfang der Christologie im Denken Schellings, 384.
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1.2. Das Erbe Schellings für eine neuzeitliche Christologie 1.2.1. Größe und Grenze Die Größe Schellings besteht für Walter Kasper darin, daß er die Grenzen des Idealismus erkannt und durch den Sprung und das Wagnis der Freiheit zu überwinden versucht hat. Für ihn wurde die Philosophie über den idealistischen Systemwillen hinaus zu einem „einzigen Akt des Glaubens an die Freiheit“279, der sich in der und an der Geschichte bewähren muß. Genauso wie der spätere Fichte habe Schelling in seiner Spätphilosophie beabsichtigt, „von Gott (…) nicht in der Weise der Substanz, sondern des Subjekts (im neuzeitlichen Sinn) (zu) sprechen, und das heißt, Gott im Horizont der Freiheit (zu) denken. Sie meinten also, den modernen Atheismus eben auf dem Boden überwinden zu können, auf dem er entstanden ist: auf dem Boden der zu Ende gedachten neuzeitlichen Subjektivitätsphilosophie.“280 Schelling scheitert aber letztlich doch an der unüberwindlichen Verhaftetheit an das idealistische Gedankengut.281 „Schelling hat seine geniale Idee“, mit der er die Ontotheologie hinter sich ließ, „selbst freilich nicht konsequent durchgehalten. Wäre er konsequent geblieben, hätte er seine positive Philosophie nicht mit spekulativen Erörterungen über die innergöttlichen Potenzen beginnen dürfen, sondern nur als Nachdenken des geschichtlichen Selbsterweises Gottes entwerfen können.“282 Am Ende werden nämlich die Freiheit Gottes und die Freiheit des Menschen wieder in eine denknotwendige Beziehung gestellt, da erstere zum Mittel für letztere wird und überdies die Freiheit mit nicht zwingender Notwendigkeit auf den Glauben hin ausgelegt wird. Aber Glauben muß im Feld der Freiheit stehengelassen werden. Glaube entscheidet sich aus freier Freiheit. Glaube und Wissen sind nicht einfachhin subsumierbar: „Bei Schelling wird die Philosophie theologisch überfordert und die Theologie philosophisch verdorben.“283 Außerdem versäumt es 279 Die Freiheit als philosophisches und theologisches Problem in der Philosophie Schellings (Glaube und Geschichte), 42. 280 Der Gott Jesu Christi, 67 (Hervorhebungen von Kasper). 281 Vgl. Das Absolute in der Geschichte, 17: „Auch in seiner Begegnung mit dem Christentum ist Schelling den Weg des Denkens gegangen.“ 282 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 146 f., Hier: 147. 283 Die Freiheit als philosophisches und theologisches Problem in der Philosophie Schellings (Glaube und Geschichte), 44.
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Schelling, die Trinität über die Relation zur Geschichte und zur Schöpfung hinaus auch zum Menschen in Beziehung zu stellen.284 1.2.2. Bleibende Gültigkeit Da aber die Lösung des Problems auch nicht in einem radikalen NachIdealismus liegen kann – wie die Ansätze von Kierkegaard zeigen – und in dieselbe Aporie führen (die Freiheit wird nicht als solche respektiert), will Kasper von Schelling die positiven Beiträge zu einer erneuerten Theologie festhalten. Es ist ihm nämlich gelungen, Kategorien bereitzustellen für Aspekte des Christentums, die in der Scholastik weitgehend unberücksichtigt blieben. Schelling erlaubt vor allem „eine personal-dialogische und zugleich christozentrische Sicht der Geschichte“285. Als erstes ist die Überlegung entscheidend, daß konkrete Freiheit nur im Zusammenspiel mit anderen Freiheiten geweckt werden kann und letztlich die Freiheit als solche in einem nicht mehr Begründbaren begründet werden und als Geschenk angenommen werden muß. Damit hat Schelling schon vorweggenommen, was wir weiter unten unter dem Titel der Freiheitsanalyse von Hermann Krings systematisch betrachten werden. Dann ist festzustellen, daß der Mensch seine Freiheit nie einholen kann und in den Raum eines transzendenten Geheimnisses verwiesen wird, von dem her gegen alle Verzwecklichung der Person erst Freiheit und Wahrheit ermöglicht werden. Für Kasper liegt hier der Anknüpfungspunkt für eine neue Aufwertung des Anliegens der natürlichen Theologie. Schließlich hat Schelling offengelegt, daß eine verborgene, weil absolute und vollkommene Freiheit nur aufgrund ihrer geschichtlichen Selbstmitteilung offenbar werden kann. Diese Freiheit weist voraus und drückt sich als Verheißungsträgerin und als „Freiheit zur Hoffnung und Hoffnung auf Freiheit“286 aus. Der Glaube, der sich auf die Geschichte bezieht, kommt als sinnvolle, nicht-notwendige Möglichkeit in den Blick, da die menschliche Freiheit und Hoffnung plausibel in der Freiheit Gottes begründet werden können. Das neue Gottesverständnis Schellings 284 „Die Trinitätstheologie könnte hier, würde sie konsequent zu Ende gedacht, Ansatz sein zu einer personalen, dialogischen Auffassung der Geschichte.“ (Das Absolute in der Geschichte, 282) 285 Das Absolute in der Geschichte, 22. 286 Die Freiheit als philosophisches und theologisches Problem in der Philosophie Schellings (Glaube und Geschichte), 46.
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erschließt den Absoluten als Geschichtsmächtigen, der die menschliche Freiheit nicht ausschließt oder erstickt, sondern ermöglicht, befreit, verantwortlich macht und erlöst. Die dialektische Verhältnisbestimmung von Glaube und Geschichte verweist also auf die konkrete Christologie. Zudem erlaubt Schellings Freiheitsdenken, Gott als freien Grund aller Wirklichkeit zu denken.287 Der Dominikaner Aidan Nichols schreibt288, daß Kasper und Tillich sich bei ihren Schellingstudien in dem Bemühen treffen, ausgehend vom Leonberger Philosophen und seiner Religionsphilosophie den nichtgläubigen Zeitgenossen den Glauben neu zu erschließen. Dabei sei Tillich Kasper zuvorgekommen, und auch Jürgen Habermas habe in seiner Dissertation „Das Absolute und die Geschichte“289 Kaspers Anliegen vorweggenommen. 1.2.3. Schellings Denkform: Dialektik, Analogie und Dialog Die „Frage an die Theologie“290, welche Schellings Denken darstellt, findet ihren Ausdruck in einem weiteren Gesichtspunkt, der hier beachtet werden muß. In der Frage nach der Beziehung von metaphysischem und transzendentalem Denken, von Sein und Denken, von Wahrheit und Freiheit, Glaube und Geschichte ergibt sich das Problem der Dialektik. Bei Hegel bewegte sich die Dialektik im Kreis, während Schelling die Denkform zu einer Spirale291 aufbricht. Aber auch bei Schelling findet sich anfänglich das Kreisschema, nämlich dort, wo beim Stellen der transzendentalen Frage sich ein dialektisches Schweben zwischen Unendlichem und Endlichem einstellt: Unendliches und Endliches verhalten sich im menschlichen Erkennen in einem gegenseitigen Rückverweis, da das endliche Ich als Bedingung seiner eigenen Möglichkeit ein unendliches Ich voraussetzen muß, von welchem seinerseits vorausgesetzt wird, daß es das endliche Ich ermächtigt und trägt. Diese transzendentale Differenz entspricht aber der ontologischen Differenz zwischen Endlichem und Unendlichem, denn nach Schelling gibt es zwischen beiden
287 Vgl. Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 185 f. 288 Vgl. Nichols, 19 f. 289 Habermas, J.: Das Absolute und die Geschichte. Von der Zwiespältigkeit in Schellings Denken, Bonn 1954. 290 Das Absolute in der Geschichte, 13. 291 Vgl. Bonanni, 234.
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Polen keinen Übergang, es sei denn, das Absolute realisiere sich in der Zeit und Geschichte.292 Die Dialektik legt sich also in der Geschichte aus, doch letztlich bleibt gerade darin das Absolute aufgrund seiner absoluten Freiheit außerhalb des dialektischen Prozesses und über allen Systemwillen erhaben. In anderen Worten: daß die Dialektik sich in der Geschichte auslegt, verdankt sie nicht einer von vornherein einsichtigen Notwendigkeit, sondern dem frei gewählten Dialog. Dialog ist aber seinerseits nur möglich dank der Entsprechung der endlichen und unendlichen Vernunft in der transzendentalen Differenz; diese Entsprechung läßt sich anhand der Denkform der Analogie verstehen. Einerseits ereignet also sich die Wahrheit als Dialog im Medium der Sprache. Damit ist der transzendentalphilosophische Ausgang vom Bewußtsein oder vom transzendentalen Ich überschritten.293 Doch andererseits gilt auch, daß dieser freie Dialog auf Verstehen hin ausgelegt ist. Der Mensch ist auf Wahrheit hin offen. Das heißt: „Alles Erkennen und Verstehen setzt eine letzte umgreifende Identität von Subjekt und Objekt, von Wahrheit und Sein voraus. Hier erhält das idealistische Denken Schellings recht gegen eine radikale Vergeschichtlichung. Dialektik und Analogie begründen ihrerseits die Möglichkeit des Dialogs, der seinerseits die Dialektik ermöglicht.“294 Zwischen Einheit und Vielfalt, Absolutem und Endlichem behauptet die Analogie Identität und Differenz. Die von der Analogie ausgesagte Mitte bzw. Entsprechung, welche eigentlich über eine dialektische Verhältnisbestimmung hinausgeht, wird in den modernen Interpretationen mit Hilfe des transzendentalen Ansatzes ausgelegt.295 Damit ist aber wieder das Anliegen der Dialektik aufgegriffen, denn „das Absolute wird (…) nur in dieser dialektischen Bewegung des Geistes selbst erkannt und nicht in einem sogenannten analogen Begriff“296. Die analoge Entsprechung von Endlichem und Unendlichem wird im endlichen Denken dank der Dialektik ergriffen. Dialektik und Analogie sind mit- und ineinander verschränkt. Analogie ist dialektisch. 292 Dazu Kasper: „Die Geschichte ist also die einzige Form, wie vom Unendlichen geredet werden kann. Die Geschichte und die Geschichtlichkeit ist die eigentliche Denkform von Schellings Idealismus.“ (Das Absolute in der Geschichte, 424) 293 Vgl. Das Absolute in der Geschichte, 438. 294 Das Absolute in der Geschichte, 438. 295 Vgl. Das Absolute in der Geschichte, 428. 296 Das Absolute in der Geschichte, 429.
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Die Dialektik geht jedoch dort über die Analogie hinaus, wo sie Endliches und Unendliches wieder als Identität zusammenführt und nicht bei einer analogen Entsprechung stehenbleibt, doch zugleich bleibt sie hinter der Analogie zurück, wo sie jede ontologische Entsprechung ablehnt und in aller Unähnlichkeit nicht auch eine Ähnlichkeit erkennen kann. Die Grundformel der Schellingschen Dialektik wird von Kasper so gefaßt: „Identität der Identität und Identität, das heißt, die dialektisch vermittelte Identität von Denken und Sein ist identisch mit der Identität von Denken und Sein, wie sie in Gott selbst ist.“297 Trotz aller Unterschiede kann Walter Kasper deshalb behaupten: „Schellings Dialektik kommt also der Analogie recht nahe.“298 Die für die Analogie unabdingbare „via eminentiae“ findet im Gegensatz zu Hegel bei Schelling dort ihren Platz, wo der Kreis schließlich auf eine eschatologische Vollendung, auf noch ausständige Geschichte hin gesprengt wird. Außerdem geht Schelling auch protologisch von einer „unvordenklichen Urentscheidung Gottes“299 in aller Freiheit aus, durch die das, was ist, erst aus Freiheit wurde. Dieser Ansatz von „via eminentiae“ leidet aber schließlich doch an einer übergroßen Betonung der „via positionis“, auf der Schelling als gebliebener Idealist den Eindruck hinterläßt, Gottes Freiheit denkend umfassen und damit beschneiden zu können. Ein konsequent geschichtliches Denken300, wie Kasper es ausgehend von Schelling entfalten möchte, wird deshalb darauf achten müssen, daß das begegnende Du nicht wieder in einer höheren Notwendigkeit aufgehoben wird. „Ein geschichtliches Denken ist nur unter der Voraussetzung der Freiheit des Menschen möglich, die ins Absolute hinein verweist.“301 Außerdem kann nicht von der Freiheit des Menschen geredet werden, ohne die Notwendigkeit der Erlösung, d. h. der Befreiung dieser Freiheit zu bedenken. Christus macht uns frei zur Freiheit (vgl. Gal 5,1), indem uns sein Wort im Medium der Sprache erreicht. Freiheit muß abstrakt und konkret ernstgenommen werden. Dialog einerseits und Analogie und Dialektik andererseits verweisen aufeinander. Letztere sind in ersterem begründet, da Gottes dialogisches Wort uns erst befreit, doch zugleich sind sie auch die Bedingung der Möglichkeit des Dialogs, da der Mensch offen sein muß für Wahrheit. 297 298 299 300 301
Das Absolute in der Geschichte, 429. Das Absolute in der Geschichte, 430. Das Absolute in der Geschichte, 430. Vgl. Das Absolute in der Geschichte, 437 ff. Das Absolute in der Geschichte, 438.
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Vernunftwahrheit und Offenbarungswahrheit, Geschichte und Glaube verweisen aufeinander. Letztlich aber gilt: „Die Geschichtlichkeit des Menschen und die Geschichtsmächtigkeit Gottes stehen also im Verhältnis einer gegenseitigen Entsprechung, wobei sich diese Dialektik immer mehr auf eine Analogik und Dialogik hinbewegt.“302 Damit gelingt es Kasper, das Schellingsche Anliegen der Dialektik in seiner eigenen Vision der Analogie im Horizont der natürlichen Theologie zu bewahren.303 Man muß Kaspers Schelling-Interpretation kritisch hinterfragen. Grundsätzlich ist zu bemerken, daß Schelling bei Kasper sehr stark einem theologischen Anliegen dienstbar gemacht wird, obwohl Schelling an sich keine Theologie, sondern Philosophie betreiben wollte. Die dialogisch ausgerichtete Interpretationsoptik Kaspers ruft bei W.SchmiedKowarzik insofern Befremden hervor, als in „der Begründung seiner kritischen Position und seiner Fundierung des dialogischen Denkens Kasper (…) hinter die von ihm in Schellings Spätphilosophie aufgezeigte Problemstellung zurück(fällt)“304. Kaspers Anliegen, mit Schelling über diesen hinauszugehen, riskiert demnach, ob zu deutlicher Interessen hinter den eigentlichen Ansätzen zurückzubleiben. Demgegenüber muß betont werden, daß Kasper sich deutlichst die Frage stellt: „Was liegt hier eigentlich vor“305 ? Auch wenn er Schelling in die Strömung der Theosophie einordnet, so besteht bei Schelling das besondere Bewußtsein dafür, daß das absolute Denken an seine Grenzen stößt und die Wahrheit nicht durch bloßes spekulatives Reflektieren, sondern nur durch eine im Wort geschehende Begegnung mit einer anderen Freiheit und in der entsprechenden Entscheidung mit der Leidenschaft des Wollens ergriffen werden kann. „Diese Entscheidung be302 Das Absolute in der Geschichte, 431. 303 Sicherlich muß man es auch als Verdienst Kaspers ansehen, Schellings Denken und die katholische Theologie füreinander geöffnet zu haben. Es bleibt aber der Eindruck bestehen, daß Kasper es sich in „Das Absolute in der Geschichte“ ab und an zugesteht, Schellings Aussagen zu glätten und das Schellingsche Sprachspiel hermeneutisch illegitimerweise aufzubrechen, damit die Bezugnahme auf die christliche Lehre leichter fallen möge. Diese Bemerkung betrifft aber weniger die geniale methodologische Grundoption der dialektischen Vermittlung von Glaube und Geschichte, sondern eher jene Punkte, an denen Kasper Schelling vorschnell an der offiziellen Theologie zu messen meint. 304 Schmied-Kowarzik, W.: Analogie-Dialektik-Dialog. Betrachtungen zu einem philosophisch-theologischen Problem im Anschluß an Walter Kasper: „Das Absolute in der Geschichte“, in: PhJb 74 (1966/67) 419 – 428, hier: 426 f. 305 Das Absolute in der Geschichte, 434.
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deutet zugleich eine Krisis, eine Ekstasis; der Mensch muß seinen bisherigen Platz, die Subjektivität aufgeben.“306 Das bedeutet: „Theosophie ist also nur als Theologie möglich“307, als Angesprochensein von der Verkündigung der Offenbarung Gottes. Der Mensch, der die Bedingungen der Möglichkeiten seines eigenen denkenden Seins be-denkt, wird über sich selbst hinausverwiesen. Zugleich muß festgestellt werden, daß Kasper Schelling innerhalb einer viel breiteren Denkentwicklung einordnet und ganz ungeniert im Hinblick auf eine „nachidealistische Theologie“308 interpretiert. Schelling – so Kasper – hat geniale Orientierungen bereitgelegt, die er selbst nicht mehr einlöste. Die Spekulation bedeutet nicht die Aufhebung des Geschichtlichen im abstrakten Begriff. Vielmehr deutet die notwendige Konfrontation mit der Torheit der Predigt in die Richtung der Unabgeschlossenheit und Offenheit. Es gibt in der christlichen Theologie „keine „Durchschau“ durch die Geschichte„309 und kein abgeschlossenes System im neuzeitlich-idealistischen Sinn, welches den geschichtlichen Weg der Weisheit Gottes zu umgreifen vermochte. Das letzte Wort ist Offenheit und „Leidenschaft des Wollens“310. Von daher haben Kaspers Schelling-Studien keinen in sich stehenden Eigenwert, sondern werden auch innerhalb von Kaspers eigener theologisch-biographischer Entwicklung frühzeitig auf nachidealistische Problemkonstellationen umgelegt. Schellings Synthese von Metaphysik und Geschichte wird für Kasper auch theologischerseits zum Stimulus für eine Versöhnung von Glaube und Vernunft. Dieser Dynamik gilt es sich nun zuzuwenden.
2. Der theologische Ausgangspunkt: die natürliche Theologie Wie wird diese philosophische Vorgabe bei Kasper theologisch verwertet? Er sieht zu Recht in Schelling einen radikalen Umbruch des Denkens verwirklicht – wie kann er sich in der Theologie gnoseologisch niederschlagen? Wie ist eine freiheitliche Zuordnung Gottes und des Menschen anders als bisher denkbar? Damit ist die Frage verbunden: Wie eröffnet sich dem Menschen der Horizont des Glaubens, ohne daß Gott 306 307 308 309 310
Das Absolute in der Geschichte, 436. Das Absolute in der Geschichte, 437. Das Absolute in der Geschichte, 439. Das Absolute in der Geschichte, 436. Das Absolute in der Geschichte, 436.
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dadurch denknotwendig wird? Wie kann der Mensch an das Geheimnis Gottes rühren, ohne dadurch das Geheimnis Gottes zu vergewaltigen? Wie können Gott und Mensch als Freiheit gedacht werden, die miteinander vermittelt werden sollen? Denn wenn Gott im Horizont der Freiheit gedacht werden soll, dann ist damit ausgesagt: „Soll uns das Unendliche zugänglich werden, dann muß es sich uns selbst erschließen und eröffnen, es muß sich selbst offenbaren.“311 Wenn der Mensch jedoch keinem positivistischen Offenbarungsfideismus verfallen soll, sondern die Selbstoffenbarung Gottes für den Menschen verständlich sein soll, und wenn – im Gegensatz zu den Voraussetzungen der dialektischen Theologie – Schöpfungs- und Erlösungsordnung nicht getrennt werden können und der Mensch also von Anfang an auf Gott verwiesen ist, wie kann der Mensch vermeiden, einer Heteronomie zu verfallen, die das tiefe Anliegen seiner neuzeitlich errungenen Autonomie verschlingt? In anderen Worten: wie kann der Horizont der Freiheit denkerisch erschlossen werden, damit es nicht bei einer bloßen Behauptung bleibt? Wie kann die transzendentale Methode eingesetzt werden? Wie kann Kasper die Kategorien des Dialogs und der Analogie verwerten? 2.1. Der transzendentale Rückgriff auf die natürliche Theologie Wie wir weiter oben in der Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie erklärten, verweisen solche Fragen auf formaler Ebene bei Kasper auf das Natur-Gnade-Schema bzw. auf das Anliegen der natürlichen Theologie312, welche Kasper nicht in den engen Begriff einer
311 Der Gott Jesu Christi, 151. 312 Für Werner Löser besteht Kaspers Kunstgriff darin, seiner Theologie ihrer eigenen Durchführbarkeit wegen eine „natürliche Theologie“ vorauszusetzen und diese so anzusetzen, daß sie – anders als der Theismus – dem modernen Atheismus standhält. (vgl. Löser, W.: Trinitätstheologie heute: Ansätze und Entwürfe, in: Breuning, W.: Trinität, Freiburg 1984, 19 – 45, hier: 37) „Ecco uno dei nodi centrali del discorso teologico di Kasper: la ripresa del tema della teologia naturale come questione ineliminabile in sede di trattazione trinitaria e per un discorso ragionevole su Dio.“ (Ascione, 207) Daß Kasper bei der „natürlichen Theologie“ ansetzt und nicht – wie beispielsweise Jüngel – beim Kreuz als dichtester Offenbarung des Wesens Gottes, ist epistemologisch motiviert als Ernstnehmen der Anthropologie und der natürlichen Offenheit des Menschen für das göttliche Geheimnis. (vgl. Ascione, 207 f.217) Von Kaspers Ansatz her ist es selbstverständlich, daß die Theologie sich selbst die metaphysische Frage nach dem Sein vorgeben muß. Es geht dabei darum, das Reden von Gott wieder so nahe als möglich an die Erfahrung Gottes in der Realität zurückzubinden und die Got-
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partikulären theologischen Richtung einschließt, sondern fundamentaler und weiter als „die Reflexion auf die Verstehensvoraussetzungen des Glaubens“313 definiert. Da in Kaspers Korrelation der freiheitlichen Zusammenführung von Gott und Mensch der ontotheologische Ansatz „von oben“ ausscheidet, weil er den modernen Verstehenshorizont ausschließt und nicht nach der Frage fragt, auf die er Antwort sein soll314, „muß“ Kasper „von unten“ aus beim Menschen ansetzen. Dabei kann Kasper auf die alte, vor allem katholische theologische Tradition der natürlichen Theologie (und auf die mit ihr engstens verbundene Analogielehre, vor allem im Sinne einer „analogia entis“) zurückgreifen, muß sie vom Flair des „Gott-beweisenWollens“ befreien und wird sie auf verschiedenen Ebenen anwenden: zuerst prinzipiell-abstrakt in ihrer eigentlichen fundamentaltheologischen Absicht und Bedeutung, und dann in konkreter Anwendung auf die drei hauptsächlichen Bereiche menschlicher gnoseologischer Lebens-Vernünftigkeit: Erfahrung, Sprache, Erkenntnis. Die natürliche Theologie ist eine Betrachtung der geschichtlichen „Natur“ des Menschen unter den Vorzeichen einer bereits geglaubten Offenheit für Gott und seine erfüllende Gnade. Ihre Aufgabe besteht also nicht darin, die Offenbarung Gottes in Jesus Christus zu begründen, sondern auf jene transzendentalen Bedingungen zu reflektieren, die es ermöglichen, daß der Glaube an den Gott Jesu Christi prinzipiell und im Besonderen unter den Bedingungen der neuzeitlichen anthropologischen Wende zur Subjektivität verständlich und annehmbar ist. In der natürlichen Theologie wird deutlich, wie Kasper die Philosophie auf das Anliegen der Theologie hin gebraucht und interpretiert. Sowohl der Gesamtduktus von Schelling als auch die noch zu betrachtende Freiheitsanalyse von Krings dienen dieser Absicht und werden zu entscheidenden Scharnieren des Kasperschen Denkansatzes. Prinzipiell geht die natürliche Theologie also von einer inneren Zuordnung von Schöpfung und Erlösung aus. Der Glaube an Gott ist „für die Bibel kein blindes Wagnis, kein irrationales Gefühl, keine unverantwortete Option und schon gar kein sacrificium intellectus“315. Der Mensch wird von Gott nicht verschlungen oder ausgeschaltet, sondern teslehre wieder vom christlichen Credo zum lebendigen Gott zurückzuführen. (vgl. Ascione, 224) 313 Der Gott Jesu Christi, 92. 314 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 24. 315 Der Gott Jesu Christi, 95.
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wird in der Erlösungsordnung mit demselben Gott konfrontiert, der den Menschen in der Schöpfungsordnung als vernünftig und mit „potentia oboedientialis“ begabt geschaffen hat.316 Anders könnte für den Menschen Gottes Wort nicht verständlich und nicht annehmbar sein. Das Erste Vatikanum hat von daher transzendental-theologisch die grundsätzliche Offenheit der Vernunft für Gott ausgesagt, während das Zweite Vatikanum diese Aussage in einen konkret-geschichtlichen und heilsgeschichtlichen Rahmen eingeordnet hat.317 Damit ist aber in der Dynamik der beiden Konzilien „die Aufgabe einer Vermittlung zwischen den transzendentalen Voraussetzungen des Glaubens und der geschichtlichen bzw. heilsgeschichtlichen Situation des Menschen“318 gegeben; in anderen Worten: Vernünftigkeit und Geschichtlichkeit des Menschen müssen miteinander in Beziehung gestellt und in einer gemeinsamen Dynamik auf Gott hin geöffnet werden. Wenn die natürliche Theologie dem zeitgenössischen Menschen helfen will, seine von der Schöpfung her bestehende Bezogenheit auf Gott zu verstehen und zu akzeptieren, muß sie die transzendentale Offenheit der menschlichen Vernunft nun in freiheitlich-geschichtlichen Begriffen formulieren.319 „Ripensare la 316 In der scholastischen Tradition wurde diese Zusammengehörigkeit und gegenseitige Hinordnung von Schöpfung und Erlösung auf das klassische Axiom gebracht: „“Die Gnade setzt die Natur voraus“ (gratia supponit naturam), bzw.: „Der Glaube setzt die Vernunft voraus“ (fides supponit rationem).“ (Der Gott Jesu Christi, 96) Kasper verweist dabei auf Thomas von Aquin: Summa theologica I q.2 a.2 ad 1. Dabei wurde die Natur nicht als eine gegenüber der Gnade vorerst eigenständige Seinsordnung verstanden, sondern als ein innerhalb der Gnadenordnung relativ eigenständiges Seinsgefüge. (vgl. Der Gott Jesu Christi, 101) Die Gnade ist dabei die umfassendere Ordnung, die sich selbst die Natur voraussetzt und sie vollendet. Der gegenseitige Verweischarakter ist dabei derart, daß das „Zwei-Stockwerke-Schema“ der katholischen Theologie als Reaktion auf die Neuzeit als unglücklich und kontraproduktiv betrachtet werden muß. (vgl. Der Gott Jesu Christi, 102) Vgl. auch Greshake, G.: Erlöst in einer unerlösten Welt? Topos Taschenbuch 170; Mainz 1987; Greshake, G.: Erlösung und Freiheit. In: ThQ 153 (1973), 323 – 345; Greshake, G.: Gnade als konkrete Freiheit. Eine Untersuchung zur Gnadenlehre des Pelagius; Mainz 1972; Greshake, G.: Gottes Heil – Glück des Menschen; Freiburg/Basel/Wien 1983; vgl. Menke, K.-H.: Das Kriterium des Christseins. Grundriß der Gnadenlehre, Regensburg 2003. 317 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 96 ff. 318 Der Gott Jesu Christi, 98. 319 Die entscheidende Korrektur zugunsten eines freiheitlich-geschichtlichen Ansatzes legt sich nach Kasper von der „Aufklärung der Aufklärung über sich selbst“, d. h. „über deren geschichtliche Voraussetzungen“ (Der Gott Jesu Christi, 105) her nahe: u. a. seit Hegel und Schelling wurde das abstrakte ungeschichtliche Natur- und Vernunftverständnis der Aufklärung durch die Einsicht in die innere
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teologia naturale in una prospettiva storica o storico-salvifica rappresenta per Kasper uno dei compiti più urgenti per la teologia fondamentale.“320 In der natürlichen Theologie steht dem Glauben keine philosophische Natur, sondern geschichtliche Freiheit gegenüber. „Der theologische Naturbegriff ist also freiheitlich und damit geschichtlich gedacht. Das wiederum hat zur Folge, daß sich die natürliche Theologie nicht mit einer abstrakten transzendentalen Reflexion begnügen darf, daß sie sich vielmehr auf die konkreten geschichtlichen Bedingungen und Voraussetzungen des Glaubens einlassen muß. Natürliche Theologie muß sich also in konkreter geschichtlicher Auseinandersetzung bewähren“321 und ist darauf verwiesen, „daß in Jesus Christus die endgültige Wahrheit über Gott, den Menschen und die Welt erschienen ist“322. Sie ist demnach auf Geschichte verwiesen, denn die Geschichte ist jener gemeinsame Horizont, in dem sich die Geschichte des Menschen und die Geschichte Gottes treffen. Die natürliche Theologie nimmt ihren Elan demnach nicht aus sich selbst, sondern ist selbst eine Frucht der als plausibel und verständlich ergangenen geschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus! Gemäß der Einsicht, daß die Gnade der Natur vorausgeht und sie sich selbst voraussetzt, begründet erst der Glaube die natürliche Theologie, „freilich als eine relativ eigenständige Größe“323. In der von Kasper aufgebauten Korrelation von Offenbarung und Natur bzw. von Offenbarungs- und natürlicher Theologie geht also – wie bei Tillich und doch zugleich auch deutlicher als bei Tillich – die Offenbarung voraus. Zu ihrer Selbstverwirklichung gehört, daß sie sich den vernünftigen und empfänglichen Menschen voraussetzt. Anhand der so eingeordneten natürlichen Theologie kann Kasper den Menschen an die Schwelle der vernünftigen Empfänglichkeit und Offenheit für die Offenbarung führen.
320 321 322 323
Geschichtlichkeit der Vernunft überwunden. (vgl. Kasper Ausführungen dazu in: Der Gott Jesu Christi, 105. Neben Hegel und Schelling nennt er auch „Marx und Nietzsche und nicht zuletzt Heidegger, Gadamer, Habermas u. a.“) Die Wirklichkeit ist der Raum der Freiheit und der Geschichte. (vgl. Der Gott Jesu Christi, 130 f.) Nicht mehr das Sein ist das Allesumgreifende, sondern das Sein selbst wird von der Freiheit umgriffen, welche das Letzte und Höchste ist und Geschichte stiftet. Ascione, 220. Der Gott Jesu Christi, 104 f. Dabei hat sich – wie gesehen – der theologische Naturbegriff viel mehr als der philosophische Naturbegriff imstande gezeigt, sich freiheitlich und geschichtlich auszulegen. (vgl. Der Gott Jesu Christi, 104) Der Gott Jesu Christi, 106 Der Gott Jesu Christi, 106.
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Der Glaube kann dem Menschen nur verständlich sein, wenn er ihm auch als sinnvoll erscheint. Die Sinnfülle, die der Glaube vermitteln will, ergeht aus dem Anspruch, daß in Jesus Christus sich Gott als letztes Sinnziel aller Wirklichkeit geoffenbart hat und sich dieser Sinn in dieser unserer Wirklichkeit erschließt. Wenn also der Glaube an Jesus Christus verständlich, d. h. annehmbar und universal kommunikabel sein will, weil er die ursprüngliche Gottesbezogenheit des Menschen in Jesus Christus als erlöst und geheilt bekennt, dann muß der christliche Glaube dem Menschen eine prophetische Interpretation seiner Wirklichkeit erlauben, in der die freiheitliche Verfaßtheit des Menschen in seiner Größe und seinem Elend Platz findet und eine existentielle Antwort findet. In anderen Worten: Die Wahrheit des Glaubens kann man nicht beweisen, sondern sie muß sich selbst erweisen.324 Das Kriterium dieses Sich-Erweisens lautet: „Wer glaubt, sieht mehr.“325 Das immanente Ziel der Offenbarung und des Heils ist die Erschließung von lebensfähigem Sinn angesichts von Größe und Elend! 2.2. Erfahrung und Sprache Mit diesen abstrakt-prinzipiellen Überlegungen zur natürlichen Theologie und zum Natur-Gnade-Verhältnis ist aber immer noch nicht konkret gesagt, in welcher Weise der vernünftige Mensch transzendental für Gott geöffnet ist. Von grundlegender Bedeutung ist dabei für Kasper die Frage nach der religiösen Gotteserfahrung des Menschen. Bei dem äußerst schwierig zu definierenden Verhältnis von Glaube und Erfahrung spricht Kasper erneut in enger terminologischer Verwandtschaft mit Tillich von einem „Verhältnis kritischer Korrelation“326, d. h. einem hermeneutischen Zirkel. Erfahrung ist geschichtlich-dialektischer Natur und steht in einem wechselseitigen Zusammenspiel von Welt und Mensch, von Subjekt und Objekt. Deshalb kann keine unmittelbare Erfahrung Gottes geschehen. Demnach spricht Kasper in Bezug auf die Frage nach jenen religiösen Erfahrungen, in denen der Mensch Gott begegnet, von „transzendentaler Erfahrung“, die verstanden wird als „keine unmittelbare, sondern eine mit324 „Wahrheit läßt sich nicht verordnen, sondern nur ansinnen und zumuten.“ (Koch, T.: Die Freiheit der Wahrheit und die Notwendigkeit eines kirchenleitenden Lehramtes in der evangelischen Kirche, in: ZThK 83 (1985) 231 – 250, hier: 242) 325 Der Gott Jesu Christi, 106. 326 Der Gott Jesu Christi, 109.
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telbare Erfahrung, eine Erfahrung, die wir „mit, in und unter“ unserer sonstigen Erfahrung machen.„327 Dabei handelt es sich grundsätzlich um die „Erfahrung der Endlichkeit und der Unabgeschlossenheit unserer Erfahrung und damit Leidenserfahrung“328. Über dieses prinzipielle Sich-Eröffnen der Dimension des Geheimnisses hinaus gibt es aber auch jene konkreten „disclosure situations“329 wie Trauer, Liebe oder Begegnung mit dem Tod, in denen sich die Wirklichkeit der religiösen Erfahrung selbst als jenes Geheimnis erschließt und die Frage nach dem universalen Sinn aller Wirklichkeit stellt. Diese Erfahrungen werden in der menschlichen Sprache festgehalten. Die moderne Sprachphilosophie gelangte in einer dramatischen Entwicklung330 von der Verurteilung der Theologie zum Schweigen zu der Erkenntnis, daß die kommunikative Praxis der Sprache nur dann sinnvoll ist, wenn im Sprechakt selbst ein Vorgriff auf den lebendigen und lebendig machenden Gott geschieht. Wenn es aber stimmt, daß die religiöse Sprache von Gott erst die Möglichkeitsbedingung aller anderen Sprachen expliziert, dann bringt das Wort Gott an der Wirklichkeit etwas zum Leuchten, was mehr als diese Welt ist. Die Welt wird dank des Wortes Gott als Gleichnis verstanden für Gott. „Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Sprache sowohl in syntaktisch-grammatischer wie in pragmatischer und in semantischer Hinsicht eine transzendierende Bewegung einschließt. (…) Die Sprache lebt vom Vorgriff auf einen Gesamtsinn der Wirklichkeit und bringt diesen in Metaphern und Gleichnissen zum Ausdruck.“331
327 Der Gott Jesu Christi, 113 (Hervorhebung von Kasper). 328 Der Gott Jesu Christi, 113 (Hervorhebungen von Kasper). Offensichtlich ist „der Gesprchspartner einer heutigen Theologie der leidende Mensch“ (vgl. Der Gott Jesu Christi, 201; Hervorhebung von Kasper), da wir einerseits um unsere unübersteigbare Eingebundenheit in einen Teufelskreis des Leidens und der Gewalt wissen, andererseits aber gerade auch daran leiden, daß unsere „Sehnsucht nach dem ganz anderen“ (M. Horkheimer) immer wieder durch alle möglichen innerweltlichen Utopien enttäuscht wird. 329 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 114. 330 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 117 – 124. 331 Der Gott Jesu Christi, 124 (Hervorhebung von Kasper). Kasper führt weiter aus: „Noch bevor die Sprache zur expliziten religiösen Sprache wird, impliziert sie je schon eine religiöse Dimension. Erst die religiöse Sprache bringt die Sprache zu sich selbst.“
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Auf dem Hintergrund des prinzipiellen Natur-Gnade-Verhältnisses wird damit deutlich, daß sich die Analogie332 als „Sprachlehre des Glaubens“333 anbietet, da die Sprache mit schöpferischer Kraft einen Vorgriff auf das göttliche Sinnganze der Wirklichkeit vollzieht, welches ihr nicht nur fremd, sondern auch vertraut ist. Die Analogielehre sagte aber seit der scholastischen Theologie auch – wenn auch freilich immer sehr vorsichtig – eine Seinsanalogie aus. Der neuzeitliche Denkhorizont verlangt nun aber nach einer neuen, nicht an der Seinssubstanz orientierten Auslegung der Analogie. Diese „(heils-) geschichtliche Transformation der Analogielehre ist möglich, wenn wir (…) im Sinn der neuzeitlichen Philosophie von der Freiheit ausgehen.“334 Sowohl die religiöse Erfahrung als auch die menschliche Sprache sind aufgrund ihres Vorgriffs auf das Unendliche auf Gottes Möglichkeit hin geöffnet. „Aufgrund dieser Vorgriffsstruktur menschlicher Freiheit und Vernunft ist in der menschlichen Freiheit und Vernunft je schon eine implizite und latente Erkenntnis des Unbedingten und Unendlichen mitgesetzt.“335 332 Kasper definiert die Analogie auch hier klassisch nach den drei zusammenhängenden Momenten der „via affirmationis“ – dem positiven Zusammenhang zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen –, der „via negationis“ – der Negation der Vollkommenheiten für den endlichen Bereich – und der „via eminentiae“ – dem Zukommen der endlichen Vollkommenheiten in schlechterdings überbietender Weise an Gott. (vgl. Der Gott Jesu Christi, 127) 333 Der Gott Jesu Christi, 124. Unsere Gotteserkenntnis ist analog. Sie sagt eine Ähnlichkeit zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen aus, die sowohl Gleichheit als auch Unterschiedenheit meint. Indem wir etwas von Gott aussagen, wird dieses Wissen vor allem zu einem Wissen unseres Nichtwissens, da wir in das ja größere Geheimnis hinein verwiesen sind. Der Mensch erkennt sich selbst als endlich, da er auf Unendliches hin ausgreift, hat aber an diesem Unendlichen teil, weil er sich in Freiheit vom Endlichen distanzieren kann. In seiner Pascalschen Spannung zwischen Größe und Elend ist der Mensch zugleich dialektisch ausgespannt zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit, so daß seine Freiheit, die zwischen den beiden Polen des Absoluten und des Relativen ausgespannt ist, zwischen Unendlichem und Endlichem ein Entsprechungsverhältnis, d. h. eine Analogie herstellt. Dies kann aber nur wahr sein, wenn der Mensch nicht auf den Bereich der Endlichkeit eingegrenzt wird, sondern durch seinen Bezug auf das Unendliche vom rein Endlichen differenziert unterschieden wird. Freiheit ist aber nur in Transzendenz möglich, so daß die geschichtliche Gestalt der Analogie die Welt im Horizont der Freiheit als Geschichtswelt interpretiert, in der die Zukunftsdimension der Wirklichkeit erschlossen wird. Gott wird als vollkommene Freiheit gedacht, die sich dem Menschen in Freiheit erschließt. 334 Der Gott Jesu Christi, 129. 335 Der Gott Jesu Christi, 130.
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2.3. Gotteserkenntnis im Horizont der Freiheit Über die Frage nach der Erfahrbarkeit und der sprachlichen Aussagbarkeit Gottes hinaus entscheidet sich die Redlichkeit der natürlichen Theologie vor allem im Licht der Vernunft: kann man intellektuell verantwortlich an Gott glauben, ja kann man ihn vielleicht sogar beweisen? Kasper geht von den klassischen Gottesbeweisen aus, interpretiert sie aber gemäß seines Ansatzes der natürlichen Theologie nicht als Versuche, Gott zu beweisen, sondern als Wege, sich dem Geheimnis Gottes anzunähern. Sie sind „eine begrndete Einladung zum Glauben“336. Gleichzeitig erlaubt ihm dieser Ansatz, eine gewisse Systematisierung für die Frage nach dem Vorverständnis der Wirklichkeit Gottes zu finden. Es gelingt ihm, die zunächst einmal rein (transzendental-) philosophischen Überlegungen der Offenheit des Menschen zu einem Vorgriff auf Hoffnung für die natürliche Theologie fruchtbar zu machen. Im Vordergrund steht dabei die bei Hermann Krings entliehene Reflexion über die menschliche Freiheit, da es Kaspers Anliegen ist, die natürliche Theologie aus einem Horizont des Kosmos in einen Horizont der geschichtlichen Freiheit zu versetzen. Im kosmologischen, anthropologischen und geschichtsphilosophischen Gottesbeweis337 bringt Kasper die drei entscheidenden Charakteristiken zum Ausdruck, die eine natürliche Philosophie der Theologie vorgibt: die Wirklichkeit ist Objekt, Subjekt und Vermittlung von Objekt und Subjekt. Dabei sind alle drei Charakteristiken auf den geschichtlichen Menschen zurückgeführt, denn es ist seine vernünftige 336 Der Gott Jesu Christi, 132 (Hervorhebung von Kasper). Weiter: „Die Gottesbeweise sind deshalb ein begründeter Appell an die menschliche Freiheit und eine Rechenschaft von der intellektuellen Redlichkeit des Gottesglaubens.“ (Der Gott Jesu Christi, 132 f.) 337 Diese Unterscheidung entspricht jenen drei großen Horizonten, in denen die moderne Christologie entworfen wurde und wird: dem kosmologischen, dem anthropologischen und dem universalgeschichtlichen Horizont. (vgl. Jesus der Christus, 17 f.) Während die Theologie unter dem Einfluß der neuzeitlichen Subjektivitätsphilosophie rezenterweise besonders durch das Verdienst von Karl Rahner den anthropologischen Ansatz gewagt hat, sieht Kasper darin zwar – wie oben ausgearbeitet – die transzendentale als unaufgebbares Erbe, gibt aber zu bedenken, daß es den Menschen als einzelnen nur als solidarisch in die Geschichte aller Menschen Hineinverflochtenen und damit den Sinn und das Heil des Menschen nur als Sinn und Heil der ganzen Geschichte gibt. Insofern ist die Geschichte das bleibende Problem; unter diesem Blickwinkel wird der Mensch nicht „als solcher“ ontologisch betrachtet, sondern als in Freiheit, durch Freiheit und auf Freiheit Verwiesener.
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menschliche Erkenntnis, die ihm einerseits die Wirklichkeit unter diesen Vorzeichen präsentiert und andererseits nach dem Sinn dieser Struktur fragt. Im strengen Sinn handelt es sich demnach um anthropologische Argumente und um jene Nahtstellen, an denen sich die Anthropologie für das Geheimnis Gottes öffnet. Kaspers Argumentationen sind verhältnismäßig kurz gehalten und geben nur stichpunktartig etwas über die vorauslaufenden philosophischen Klärungen preis. Da sich die vernunftgemäße Offenheit des Menschen für Gottes Geheimnis in einem Raum der Freiheit artikuliert, werden Kaspers Voraussetzungen in der Frage nach der transzendentalen Offenheit der Freiheit zusammengefaßt, zugespitzt und auf den Punkt gebracht. Anhand einer direkten Auseinandersetzung mit Krings wollen wir dieses Denkschema aufgreifen. 2.3.1. Die Freiheitsanalyse von Hermann Krings Krings’ Freiheitsanalyse ordnet sich in systematischer Hinsicht unter den anthropologischen Gottesbeweis ein, der von der inneren Wirklichkeit des menschlichen Geistes, d. h. der Freiheit ausgeht. Kasper übernimmt die Freiheitsanalyse von Hermann Krings als philosophische Grundsatzüberlegung ausdrücklich, wenn er darauf hinweist, daß er zwar den Ansatz der Maréchal-Schule aufgreift, „aber weniger vom Bewußtsein als im Anschluß an H.Krings von der menschlichen Freiheit aus(geht)“338. 2.3.1.1. Die transzendentale Freiheit als unbedingte Bedingung „Die konstitutiven Momente der transzendentalen Freiheit sind das ursprüngliche „Sich-Öffnen“, damit das Eröffnen des Gehaltes als Moment
338 Der Gott Jesu Christi, 137. Kasper bezieht sich dabei – über andere Beiträge von Krings hinaus – auf jene beiden in der Bibliographie zitierten Aufsätze, die wir hier wir mit „Freiheit“ und „Gott“ abkürzen und voneinander unterscheiden. Sicherlich würde es sich prinzipiell lohnen, außer Krings noch manche andere Ansätze darzustellen, die Kasper mehr oder weniger deutlich in seinen eigenen Argumentationsgang einschließt, aber unserer Meinung nach handelt es sich bei Krings’ Freiheitsanalyse in der natürlichen Theologie Kaspers um jene entscheidende anthropologische Scharnierstelle, die am deutlichsten die Beziehung zum modernen Verstehenshorizont herstellt und im Namen der neuzeitlichen Philosophie begrifflich-transzendental die Vermittlung von Freiheit und Gottesgedanken leistet. Für unser Thema handelt es sich deshalb um einen fundamentalen Beitrag.
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der Selbstvermittlung sowie das Selbstsein in der neuen Offenheit und begründeten Gehaltlichkeit.“339 So faßt Hermann Krings, Vertreter der „Transzendentalen Dialogik“340, nach einer detaillierten Entfaltung seiner Freiheitsanalyse die fundamentalen Ergebnisse auf komplexe Weise zusammen. Er geht aus von der Aporie, in die die philosophische und die politische Freiheit hineinsteuern: sie können es nicht vermeiden, Freiheit in einem System von Notwendigkeit zu denken. Einziger Ausweg bleibt die „transzendentale Theorie der Freiheit“341, wo die Freiheit als solche in ihrem innersten Wahrheitskern als Freiheit ernstgenommen und befragt wird. Was macht eigentlich die Freiheit zu Freiheit? Worin ist das wirkliche Freisein der Freiheit begründet? Wodurch wird die Freiheit frei, ohne neuen Zwängen von Notwendigkeit unterworfen zu sein? In einer ersten Erörterung der Struktur der Freiheit spricht Krings vom „transzendentalen Handeln“, durch das die Bestimmtheit unseres Handelns selbst bestimmt und gesetzt wird und worin sich der Handelnde selbst in Beziehung setzt zu seinem Handeln. Handeln ist die grundlegende Struktur der menschlichen Existenz. Und Freiheit ist demnach nicht zuerst Wahlfreiheit zwischen Alternativen, weil dieses Wählen selbst wieder gewählt oder verworfen werden kann. Insofern ist Freiheit auch unbedingt. Freiheit setzt sich zur Notwendigkeit, zu einem bestimmten Handeln also in ein Verhältnis und schließt diese nicht in einer logischen Kontradiktion aus. Vielmehr besteht zwischen Freiheit und Notwendigkeit eine transzendentale Differenz. Die Freiheit geht dem Handeln insofern voraus, als daß die determinierte Handlung „nicht nur getan [wird]; sie ist auch gewollt“342. Dem formalen Moment des Verhältnischarakters entspricht das materiale Moment der Bejahung, der Affirmation. In dieser „transzendentalen Affirmation“ geschieht die grundlegende Freiheitsbewegung, sich zu den faktischen Bestimmungsverhältnissen in ein Verhältnis zu setzen und sich ihnen nicht zu verweigern. Damit wird die Notwendigkeit nicht verdrängt, sondern im Gegenteil begründet und „selbst in ihrer Qualität verändert“343.
339 Krings, H.: Freiheit, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Band I, München 1973, 493 – 510, hier: 504. (fortan zitiert als Krings: Freiheit) 340 Vgl. Menke: Stellvertretung, 387 – 389. 341 Krings: Freiheit, 494. 342 Krings: Freiheit, 498. 343 Krings: Freiheit, 499.
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2.3.1.2. Das Sich-Öffnen der individuellen Freiheit Für den Menschen besteht das unentrinnbarste System von Notwendigkeit in seiner Individualität, da keiner ein anderer sein kann als der, der er ist. Krings verdankt seine Gedanken besonders der Intuition Fichtes, der das menschliche Bewußtsein in einem Handlungsmodell interpretiert. Im Handeln ist immer Distanz impliziert: die Distanz, die der Mensch zu sich selbst hat oder ist. Sie bedeutet eine transzendentale Selbstsetzung und Selbstkonstitution, die als Handlung das System der Individualität begründet. Damit ist sie das auf die Individualität bezogene „transzendentale Handeln“, das diesbezügliche „Handeln des Handelns“344. Der Mensch konstituiert sich in seiner Individualität selbst und muß deshalb zu sich in Distanz treten. Darin liegt seine Freiheit begründet. „Transzendentale Freiheit“ bedeutet für Krings von daher, „daß in einem Identischen die Identität „gesetzt“ wird, und eben in diesem Setzen die Identität des Identischen begründet ist„345. Diese Selbstsetzung behauptet formal eine Differenz in der Identität, so daß die Freiheit als je sich öffnende Einheit gedacht wird. Dieses Sich-Öffnen bleibt aber so lange ein leerer Begriff, bis damit nicht mehr die Differenz von Alternativen angesprochen wird, sondern die Begründung gemeint ist, daß die Wahl selbst gewählt oder verworfen werden kann. Mit dem Begriff „Gehalt“346 bezeichnet Krings das Erfüllende dieser leeren, aber schlechthin unbedingten, weil transzendentalen Handlung des Sich-Öffnens im Vollziehen der transzendentalen Selbstsetzung. Deshalb hat der Gehalt selbst auch wieder Handlungscharakter, ist ein Produkt der Freiheit und bezieht das Formale an der Freiheit auf das Materiale. Er versteht sich vom Begriff des „transzendentalen Sichentschließens“347 her. Der Gehalt bezieht sich nicht auf die Palette von Alternativen und ist nicht zuerst eine von ihnen, sondern er bezieht sich auf die Distanz, die dem Menschen inhärent ist und die durch eine Entscheidung als Nähe zu sich selbst ausgelegt werden soll. Es geht beim Gehalt um das, was den Menschen in seiner unendlichen Offenheit sowohl bestimmt als auch offen läßt, um das, woran sich die Offenheit der Freiheit in Entschiedenheit brechen kann. 344 345 346 347
Krings: Freiheit, 497. Krings: Freiheit, 501. Krings: Freiheit, 503. Krings, H.: Gott, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Band II, München 1973, 614 – 641, hier: 635. (fortan zitiert als: Krings: Gott)
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Da Krings aber erst dort von „Realität“ zu sprechen beginnt, wo sich die Selbstvermittlung durch Gehalt und Handlung vollzieht, ist das Reale nicht „factum brutum“, sondern „eine durch Entschluß vermittelte Realität“, die erst „als Gehalt von Freiheit (…) Wahrheit gewinnt“348. Die Freiheit eröffnet und bejaht realisierte Realität dort, wo sie die Bestimmungen und die Notwendigkeit begründet. Damit wären wir bei der Anfangsdefinition angelangt. 2.3.1.3. Die Freiheit des anderen als adäquater Gehalt Die Frage, die sich stellt, ist, welcher Gehalt der unbedingten Freiheit in der Bewegung ihres Real-Werdens entspricht. Woran kann die Freiheit von der Möglichkeit zur Wirklichkeit übergehen? Wodurch kann sie konkret, geschichtlich, lebendig, menschlich werden? Der Gehalt darf nicht formal-strukturell bleiben, sondern muß wegen der Geschichtlichkeit der konkreten Freiheit das Materiale begreifen können. Formal ist deshalb jeder Gehalt möglich, doch material steht er unter dem Kriterium der Bestimmtheit, aber Unbedingtheit der Selbstvermittlung. Freimachen kann demnach nur „das“, was nicht einengt, sondern den Charakter des bejahenden Angenommenseins besitzt. Freimachen kann „das“, was dem Menschen zur je größeren Freiheit verhilft, ihn von Freiheit zu Freiheit führt. Während Welt und Geschichte diesem Kriterium nicht genügen können, kann nur eine „andere Freiheit“349 dem Maßstab der transzendentalen Freiheit entsprechen. „Der Gehalt entspricht diesem Maßstab vollständig, wenn er selbst den Charakter der Freiheit hat. Das schlechthin Erfüllende für Freiheit ist eine Freiheit als das Woraufhin des Sich-Öffnens.“350 In der Bejahung der anderen Freiheit erkenne ich meine Freiheit als endliche, aber auf das Unbedingte verwiesene Freiheit. Ich bejahe den anderen, mich selbst und das Unbedingte.351 Jeder materielle Gehalt steht demnach unter dem Anspruch, das Sich-Öffnen der Freiheit für Freiheit zu vermitteln. Das bedeutet aber auch, daß ein Mensch alleine nicht frei sein kann, sondern daß die Menschen sich gegenseitig zu ihrer wahren Freiheit befreien. „Freiheit ist nur dort möglich, wo Freiheit sich
348 349 350 351
Krings: Freiheit, 504. Krings: Freiheit, 506. Krings: Freiheit, 505 f. Vgl. Menke: Stellvertretung, 389.
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anderer Freiheit öffnet.“352 Freiheit ist Kommunikation und beinhaltet die Momente von Solidarität und Stellvertretung. 2.3.1.4. Die Idee der vollkommenen Freiheit Die Aporie ist damit grundsätzlich, aber nicht absolut gelöst. Jede konkrete Freiheit nämlich ist immer zugleich erfüllte und unerfüllte Offenheit und kann der Bejahung der eigenen Unbedingtheit der Freiheit nie gerecht werden. Ihr Charakteristikum ist nämlich „transzendentale Unbedingtheit“353, die schließlich eine Handlung zu meiner Handlung macht. Diese Unbedingtheit kommt zwar zu sich selbst im komplementären „Kommerzium“, d. h. dem Austausch von Freiheiten im SichEntschließen für eine Freiheit und im Erfüllt-Werden von einer anderen Freiheit, weist aber über dieses Kommerzium hinaus. Zugleich bezeichnet die Idee des schlechthin erfüllenden Gehaltes für Freiheit eine Freiheit, die nicht nur formal, sondern auch material unbedingt ist und sich also schlechthin unbedingt eröffnet hat.354 Darin aber liegt nach Krings „ein Anspruch und ein Vorgriff auf vollkommene Freiheit“355. Vollkommene, unbedingte Freiheit ist demnach zuerst ein Bedingungsmoment und deshalb nicht vorschnell metaphysisch zu verobjektivieren. Das Absolute ist nicht einfachhin mit Gott an sich gleichzusetzen. Viel mehr als um einen metaphysischen Seinsbegriff handelt es 352 Krings: Freiheit, 507. 353 Krings: Gott, 635. „Insoweit ist die transzendentale Selbstbestimmung das Moment der Unbedingtheit gegenüber allen Momenten der Bestimmtheit.“ (ebd.) 354 Vgl. Krings: Gott, 636. 355 Krings: Freiheit, 509 (Hervorhebung vom Autor). Pröpper gibt eine umfassende und zusammenfassende Definition von Freiheit, wie sie von der transzendentalen Reflexion her plausibel ist: „Freiheit (ist) unbedingtes Sichverhalten, grenzenloses Sichöffnen und ursprüngliches Sichentschließen: (…) (sie ist) Fähigkeit der Selbstbestimmung. Als solche ist sie 1. das durch sich selber Bestimmbare, 2. das sich (durch die Affirmation eines Inhaltes) selber Bestimmende, aber 3. in ihrer Unbedingtheit auch der Maßstab für die wirkliche Selbstbestimmung, so daß der Inhalt, der ihrem unbedingten Sichöffnen entspricht, nur ein solcher sein kann, der sich selber durch Unbedingtheit auszeichnet: die andere Freiheit also, die Freiheit der Anderen.“ (Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 184 f.) Da die unbedingte Anerkennung des Anderen nur in je bedingter Weise geschehen kann und von daher der Anspruch der Unbedingtheit uneingelöst bleibt, führt diese Überlegung zur Idee Gottes als „die Idee einer Freiheit (…), die nicht nur formal, sondern auch material unbedingt wäre, (…) theologisch: (die) Einheit von Liebe und Allmacht.“ (Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 185)
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sich um eine relationalen Begriff im Rahmen der praktischen Vernunft. Die Setzung der Freiheit als Freiheit impliziert die Bejahung des Bezugs auf vollkommene Freiheit. Diese Relathaftigkeit des Begriffs bzw. der Idee der vollkommenen Freiheit macht diese zu einem adäquaten Interpretationsmuster für religiöse Erfahrungen, die von außen an sie herangetragen werden. Denn der Mensch bezieht sich mit seinem Bewußtsein von Freiheit und Notwendigkeit auf ein ihm „fehlendes“ Vollkommenes, welches nicht auf mythische Weise „dingfest“ gemacht werden kann, denn den Gott, den es „gibt“, gibt es nicht.356 Krings’ reduktive Analyse liefert also keinen Ansatz, „diesen Begriff zu hypostatisieren, um eine Art Gottesbeweis zu führen“357. Aber Gott kann mit Hilfe des Begriffs der vollkommenen Freiheit als der/das gedacht werden, der/das die Freiheit ermöglicht und erfüllt. Von daher kann die jüdisch-christliche Überzeugung von einer geschichtlichen Offenbarung Gottes nicht aus der reduktiven Analyse der transzendentalen Freiheit als konsequente Folge oder als letztlich Notwendiges deduziert werden. Doch sie kann sich von der Idee der unbedingten Freiheit bereichern bzw. interpretieren lassen, da diese Idee sich für das Wort der geschichtlichen Offenbarung als ergiebig erweist, solange die theologische Auslegung dieser Offenbarung die Kategorien der Freiheit entfaltet. „Denn Freiheit wurde bestimmt als originäres Sichentschließen für andere Freiheit. (…) Dieses gilt auch für die vollkommene Freiheit. (…) Die Idee der Freiheit, die durch sich selbst für andere Freiheit sich entschließt und eben darin allen Gehalt realisiert, läßt Offenbarung und freie Mitteilung als primäre transzendentale Prädikate für einen Begriff von Gott zu.“358 Diese Freiheitskategorien werden von Geschichtserfahrungen in höchstem Maße in Anspruch genommen und verlangt, ohne daß aber eine Offenbarung Gottes in der Geschichte daraus abgeleitet werden könnte.359 Dagegen werden sie zu einer kritischen Instanz für ge-
356 Vgl. auch Unsere Gottesbeziehung angesichts der sich wandelnden Gottesvorstellung (Glaube und Geschichte), 118. Von Gott kann man demnach nicht in der Weise einer abstrakt feststellenden Seinsaussage sprechen, sondern nur im engagierten Glauben des durch Christus Angegangenen. 357 Krings: Gott, 638. 358 Krings: Gott, 639 f. 359 Der Inhalt der sich offenbarenden Wahrheit läßt sich von der Form ihres Gegebenseins nicht ablösen: sie ist Gottes Liebe in vollkommener, unableitbarer Freiheit. (vgl. Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 186 f.)
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schichtliche Modelle und religiöse Praxis.360 Gott kann also im philosophischen Horizont der Freiheit gedacht werden. 2.3.2. Die transzendentalphilosophische Aufschlüsselung der Gottesbeweise 2.3.2.1. Gottesbeweise und Metaphysik Von Krings her wollen wir die Brücke schlagen zu Kaspers Kommentar der sogenannten Gottesbeweise. Der anthropologische Beweis, dessen Substanz wir anhand von Krings’ Freiheitsanalyse darzustellen versuchten, steht zwar bei Kasper erst an zweiter Stelle, spitzt jedoch die drei anthropologisch orientierten Gottesbeweise unter den Vorzeichen der Neuzeit zu und fragt nach der Bedingung der Möglichkeit menschlicher Freiheit. Im Anschluß an die Maréchal-Schule und an die Überlegungen von Hermann Krings zur Transzendentalität menschlicher Freiheit bekennt Kasper seine Überzeugung, daß der Mensch in seiner Rastlosigkeit zwischen Größe und Elend, Unendlichkeit und Endlichkeit nur dann zur Ruhe kommen kann, „wenn er einer Freiheit begegnet, die nicht nur ihrem formalen Anspruch, sondern auch ihrer materialen Erfüllung nach unbedingt ist.“361 Der Mensch greift in jedem freien Akt des Erkennens und des Wollens nach einer solchen unbedingten Freiheit aus, welche deshalb die transzendentale Bedingung der Möglichkeit von Freiheit ist. Freiheit hat keinen Sinn, wenn keine unbedingte Freiheit besteht. Letztere kann aber nicht bewiesen werden, sondern muß sich als lebendiger Gott der Geschichte selbst erschließen und offenbaren. Und nur wenn sich diese Offenbarung als sinnvoll erweist, kann der Mensch frei in sie einstimmen, denn „über den Sinn von Freiheit kann nur in Freiheit entschieden werden“362. Der kosmologische Beweis ist „eine Explikation des Staunens ber das Wunder des Seins“363 gegenüber der Möglichkeit des Nichtseins. Angesichts der menschlichen Angst vor der Bodenlosigkeit kann nur Gott als 360 Vgl. Krings: Gott, 641. 361 Der Gott Jesu Christi, 138. „Der Gedanke einer schlechterdings erfüllten, alles erfüllenden absoluten Freiheit ist also ein notwendiger Gedanke; er ist eine transzendentale Bedingung der Möglichkeit von Freiheit.“ (Hervorhebung von Kasper) Der Begriff „notwendig“ bezieht sich ausschließlich auf den Gedanken, nicht auf die Realität dieser Freiheit. Die Frage, ob dem Gedanken Realität entspricht, führt die Vernunft an ihre Grenze. 362 Der Gott Jesu Christi, 138. 363 Der Gott Jesu Christi, 135 (Hervorhebung von Kasper).
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der Absolute Halt verheißen. Das durch eine innere Umkehr entstandene Vertrauen auf Gott läßt den Menschen frei werden gegenüber allen Mythen der Welt und ermöglicht ein befreites und menschliches Menschsein.364 Das geschichtsphilosophische Argument, welches die Konstitution der Wirklichkeit durch das dialektische Zusammenspiel von Welt und Mensch bestimmt sieht365, besagt, daß einerseits der Mensch größer ist als die Wirklichkeit, da er sich dank der Vernunft erkennend über alles erheben kann; andererseits jedoch erweist sich spätestens im Tod die Wirklichkeit größer als der Mensch. Der Mensch wird dabei nicht mehr alleine unter dem neuzeitlichen anthropozentrischen Blickwinkel betrachtet, sondern darüber hinaus als Geschichtlicher und in die Geschichte der anderen Menschen Verstrickter betrachtet. Von daher kann er als von innerer Geschichtlichkeit Bestimmter das Subjekt-ObjektVerhältnis als schwebend, ja sogar als absurd erleben. Innerhalb dieser Konstellation von latenter Sinnlosigkeit macht der Mensch trotzdem Erfahrungen von Sinn, welche die Frage nach dem Sinn des Ganzen aufkommen lassen und so einen Vorgriff auf die Hoffnung auf unbedingten Sinn wagen. Dieser unbedingte Sinn muß sich angesichts des in der Welt herrschenden Teufelskreises von Schuld und Rache in der Geschichte als unableitbarer, qualitativer Neuanfang366 – als Adventus im Sinne einer machtvollen Zukunft367 – erweisen. Dieser Sicht von Geschichte wird aber nur ein philosophischer Geschichtsentwurf gerecht, der nicht die ganze Wirklichkeit unter den Primat des Allgemeinen und des Gleichartigen stellt, sondern von einem eschatologischen Standpunkt her offen ist für die Kategorie des unableitbar Neuen! Diese drei Gottesbeweise laufen auf das alles gründende ontologische Argument hinaus, das nochmals die den anderen Gottesbeweisen zugrundeliegende Struktur hinterfragt. Dort, wo sonst das letzte Sinnziel und absolute Sein mit Gott identifiziert wird, reflektiert der ontologische Gottesbeweis unter den Voraussetzungen des von Nietzsche und von Heideggers Nietzscheinterpretation geprägten modernen Nihilismus auf 364 Tillich gebraucht vorwiegend das kosmologische Argument. Er ontologisiert förmlich den Begriff der Angst, dank dessen die befreiende Wirkung des kosmolgischen Gottesbeweises deutlich wird. 365 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 141. 366 Diese Unableitbarkeit fordert Kasper – es ist richtig, daran zu erinnern – mit großer Entschiedenheit besonders gegen die Entwürfe von Bultmann und Rahner ein. (vgl. Jesus der Christus, 48 – 62) 367 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 142.
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die Illegitimität solcher Gleichsetzung. Damit antwortet Kasper in diesem Zusammenhang auf die Frage nach dem Verhältnis von Gottes- und Seinsfrage368, welche durch die Ontologiekritik Heideggers ausgelöst wurde. Inwiefern kann Gott noch vom Sein her gedacht werden? Oder muß der Begriff des Seins neu von der geschichtlichen Offenbarung Gottes her interpretiert werden? Anthony J.Godzieba von der amerikanischen „Villanova University“ hat in dieser Hinsicht Kaspers Lösungsvorschlag untersucht.369 Er weist darauf hin, wie durch Heideggers Ausruf des Endes der Metaphysik die unreflektierte Verhältnisbestimmung von Sein und Seiendem gestört wurde durch den berechtigten Hinweis auf die ontologische Differenz zwischen Seiendem und dem Sein als solchen. Das Ende der Metaphysik bedeutete damit auch das Ende des bis dahin problemlos ontotheologisch umschriebenen Gottes. Kasper betreibt gewissermaßen Metaphysik „nach Heidegger“, lehnt – wie beim ontologischen Argument deutlich wird – die Identifizierung von letztem Sinnziel und absolutem Sein ab und versucht, den Rückgewinn der Metaphysik als eine der wichtigsten Aufgaben der modernen Theologie zu bewerkstelligen. „Kasper believes that without such thinking and its attendant language, discourse about God becomes an impossible task and theology itself is thereby plunged into a crisis situation.“370 Kasper ist sehr vorsichtig, eine neue Metaphysik zu benennen, beschreitet aber den Weg der transzendentalen Methode371 und be368 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 91. Damit sind jedoch zwei Fragen ausgedrückt: zum einen die Grundfrage, ob wir nach Nietzsche noch von Gott in Existentialsätzen (kann man von Gott sagen, daß er „ist“?) sprechen können, oder ob nur sogenannte „göttliche Prädikate“ übrigbleiben, die dann verschiedenen Wirklichkeiten – und im höchsten Fall dem Menschen, wie bei Feuerbach – zugeschrieben werden; es handelt sich also um die Frage der Souveränität Gottes und also der vermittelten Einheit Gottes und des Menschen, in der Gott und Mensch sich nicht gegeneinander durchsetzen müssen. Und zum anderen geht es um die Frage nach der angemessenen Metaphysik bzw. Ontologie, nachdem das Substanzdenken verdächtig und unverständlich wurde; Kasper antwortet – wie wir darlegen – darauf innerhalb seiner Trinitätstheologie mit der von Hemmerle entworfenen „trinitarischen Ontologie“ (vgl. Hemmerle, Klaus: Thesen zu einer trinitarischen Ontologie, Einsiedeln 1976). 369 Godzieba, A.: Ontotheology to Excess. Imagining God without Being, in: Theological Studies 56 (1995) 3 – 20. 370 Godzieba, 12. 371 Nach Godzieba in enger Anlehnung an Anselm von Canterbury (vgl. Godzieba, 12 f.), wie die Entfaltung des ontologischen Gottesbeweises tatsächlich zeigt (vgl. Der Gott Jesu Christi, 144 – 147).
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schreibt die Öffnung der menschlichen Person für das Unbedingte. In anderen Worten: der Begriff der „Person“ und der Relationen, in denen die Person lebt, rückt in den Vordergrund. „Reality manifests a logic that being-language (oriented to objectification and manipulability) misses: a relation to an all-encompassing mystery which grasps us before we grasp it conceptually, which offers the fulfilment that human activity, fueled by hope of transformation, intends.“372 Kasper entfaltet von hier aus eine Metaphysik der Liebe: „Die Personalität Gottes besagt (…), daß Gott das subsistierende Sein ist, das Freiheit in der Liebe ist.“373 Das heißt: „Der Sinn von Sein ist also nicht in sich stehende Substanz, sondern sich selbst mitteilende Liebe.“374 Das bedeutet gegenüber dem Menschen, daß Liebe eine Einheit besagt, die den Menschen nicht aufsaugt, sondern das Sein des Menschen ins Eigene freisetzt und zur Erfüllung bringt.375 Letztlich führt dieser Gedankengang zu einer „trinitarischen Ontologie“ und zu einem „Wirklichkeitsverständnis unter dem Primat der Person und der Relation“376. „Die letzte Wirklichkeit ist hier nicht die in sich stehende Substanz, sondern die Person, die erfüllt nur in der Relationalität des Gebens und des Empfangens denkbar ist.“377 An anderer Stelle spricht Kasper von einer „Metaphysik der Liebe“ und einer „relationale(n) Ontologie“378. Nur eine Philosophie, die solches Denken ermöglicht, kann für die moderne Theologie hilfreich und adäquat sein. William P.Loewe sieht damit auch grundsätzlich das Verhältnis von Theologie und Philosophie bei Kasper geklärt: 1) „Philosophy is of itself impotent“ und erreicht nie den Gott der Offenbarung379 ; 2) „the opposition between philosophy and theology has a dialectical character“; 3) „some philosophies prove more 372 373 374 375 376
Godzieba, 14. Der Gott Jesu Christi, 196. Der Gott Jesu Christi, 198. Vgl. Der Gott Jesu Christi, 66. Der Gott Jesu Christi, 377. „God without Being but in Love is the most uncontrollable God, the most uncomfortable God, but also the most divine God.“ (Godzieba, 20) 377 Der Gott Jesu Christi, 377. 378 Zustimmung zum Denken (Theologie und Kirche II), 26. 379 Kasper übernimmt in diesem Sinne die Überzeugung von Blaise Pascal, „die christliche Verkündigung (habe) deshalb nicht den Gott der Philosophen, ein höheres und ein höchstes Wesen zu lehren, sondern den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs (…) zu bezeugen“ (Kirche und Theologie unter dem Gesetz der Geschichte (Glaube und Geschichte), 52 f.).
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congruent with revelation than others“380, so vor allem eine Ontologie unter dem Primat der Geschichte und der Person.381 Gott kann also nicht bewiesen werden, sondern nur durch Gott eindeutig werden. Bewußtsein und Sein sind eben nicht identisch. Die Offenbarung geht der natürlichen Theologie formal voraus, so daß auch die Gottesfrage formal vor der Seinsfrage steht. „Deshalb gilt es nicht nur von der Welt her auf Gott hin zu denken, sondern auch umgekehrt von Gott her auf die Welt und den Gottesgedanken an der Wirklichkeit von Welt, Mensch und Geschichte zu bewähren.“382 Das Denken – auch das theologisch-philosophische Denken – ist radikal über sich selbst hinaus verwiesen: die „ratio“ ist ontologisch konstituiert! 383 Sie ist gesetzt. Diesen Weg des aposteriorischen Verwiesenseins auf das Sich-Erweisen Gottes hat der späte Schelling in seiner Kritik der ontotheologischen Verfassung des ontologischen Arguments innerhalb der klassischen Metaphysik gewiesen.384 2.3.2.2. Korrelation und Sinnhorizont Mit dem ontologischen Argument schließt sich gedanklich-methodologisch die Ellipse der Kasperschen Korrelation, ohne sich aber dadurch aufzulösen oder an Dynamik zu verlieren. Die unter dem Blickwinkel der natürlichen Theologie neu für die Gottesbezogenheit aufgeschlüsselte neuzeitliche Subjektivität des Menschen begegnet der von der Tradition her überlieferten Idee des sich selbst offenbarenden Gottes. Damit wird die Hoffnung des Menschen auf einen unableitbaren Eingriff Gottes in der Geschichte in einem theologischen Glaubensschritt in das Schema von Gnade und Natur eingeordnet: die Offenbarung Jesu Christi macht 380 381 382 383
Loewe, 39 f. Vgl. Jesus der Christus, 22. Der Gott Jesu Christi, 143 f. Vgl. Der Gott Jesu Christi, 145. „Die Gottesidee kann gar nicht widerspruchsfrei als nichtexistierend gedacht werden.“ 384 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 146 f. Schellings Gegenthese lautete: „Das notwendig Existierende ist nicht notwendig, aber faktisch das notwendig notwendig-existierende Wesen oder Gott.“ (Schelling, F.W.J.: Philosophie der Offenbarung (WW Erg. Bd. 6, ed. Schröter), 169). Nach Kaspers Urteil ist Schelling in diesem Umschlag von der negativen zur positiven Philosophie nicht konsequent geblieben, sonst „hätte er seine positive Philosophie nicht mit spekulativen Erörterungen über die innergöttlichen Potenzen beginnen dürfen, sondern nur als Nachdenken des geschichtlichen Selbsterweises Gottes entwerfen können“ (Der Gott Jesu Christi, 147). Da der stark an Schelling sich inspirierende Tillich seine Trinitätsspekulationen auch mit einem allgemeineren Lebensbegriff überlagert, mag diese Kritik Kaspers an Schelling auch entfernt für Tillich gelten.
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es plausibel und verständlich, daß Gottes Gnade sich den Menschen in seiner „Natur“ als Freien, Hoffenden und Antwortenden vorausgesetzt hat. Die Theologie bestimmt die Philosophie. Situation und Botschaft, die Bewegungen „von unten“ und „von oben“ verweisen dialektisch und elliptisch aufeinander: „Das sogenannte ontologische Argument vollzieht (…) angesichts der Aporie des reinen Denkens von unten nach oben eine Kehre des Denkens und denkt von oben, von der geschichtlich überlieferten Gottesidee her, die im reinen Denken nur in sehr allgemeiner, unbestimmter und vieldeutiger Weise aufleuchtet, die Wirklichkeit deutet.“385 Das Verhältnis von Natur und Gnade, Schöpfung und Erlösung, Christentum und Welt ist eine „Ellipse mit zwei Brennpunkten“386, zwischen denen die Spannung nicht aufgehoben werden darf. Es ist letztlich die Korrelation zwischen „analogia fidei“ und „analogia entis“, der Gottesbeziehung des Menschen durch Glauben und dem Auf-Gottbezogen-Sein des Menschen durch Schöpfung. Das gegenseitige Verweisverhältnis wird dadurch deutlich, daß die Gottesbeweise die Gottesidee nicht erst „produzieren“, sondern jene Gottesidee, die dem Menschen aufgrund seiner geschöpflichen Verwiesenheit in den Raum der Freiheit Gottes eingeboren ist, wird durch die Gottesargumente konkretisiert, bewährt und expliziert.387 Jeder Mensch führt im weiten Sinn eine dogmatische Existenz, weil er Grundund Letztoptionen trifft und Sinn (vor-) entwirft.388 Die Gottesidee leuchtet demnach den Gottesbeweisen den Weg aus, wird aber selbst wieder durch diese in jene konkrete geschichtliche Gestalt hinein verwiesen, die der gesamten Korrelation Sinn gibt: Jesus den Christus. Die in Jesus Christus konkretisierte Gottesidee bewährt sich erst, wenn sie durch
385 Der Gott Jesu Christi, 148 (Hervorhebungen vom Autor). 386 Jesus der Christus, 226. 387 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 148. An anderer Stelle führt Kasper aus: „Der Weg des theologischen Nachdenkens, den uns das letzte Konzil vorgibt, besteht demnach darin, nicht von abstrakten Gottesbeweisen auszugehen, sondern von der konkreten geschichtlichen Wirklichkeit des Offenbarungsglaubens, um dann dessen innere Möglichkeit und die dem Glauben selbst eigene Intelligibilität aufzuzeigen, das heißt, den Offenbarungsglauben als die volle und letzte Antwort auf die Frage des Menschen zu erweisen.“ (Zustimmung zum Denken (Theologie und Kirche II), 23) 388 Vgl. Erneuerung des dogmatischen Prinzips (Theologie und Kirche), 34. Die Sinnfrage ist jene Frage, die vom Nihilismus her als bedrängendste Frage geerbt wurde. (vgl. Ascione, 207.211 – 216)
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ihr Wirken an Welt, Mensch und Geschichte Leben ermöglicht und zur Freiheit ermutigt.389 In anderen Worten: wenn sie Sinn erschließt! Der Sinn der Gesamtwirklichkeit ergibt sich erst durch das Erscheinen des unbedingten Sinnes, für den sich der Mensch jedoch frei entscheiden muß. Hierin besteht letztlich die Wahrheit des von Kasper größtenteils unterschwellig postulierten Sinnhorizonts 390 : daß der Mensch den Sinn des Lebens findet, indem er sich selbst riskiert und ins Spiel bringt, daß er zuläßt, daß seine Wirklichkeit im Lichte Jesu Christi erschlossen wird und sich die Offenbarung Gottes als Offenbarung seines Heilswillens erschließt. Sinn gibt es also nicht, sondern Sinn wird. 391 Kasper sieht sich mit der Gottesfrage vor „das Problem (gestellt), ob und wie die Seinsfrage bzw. die Frage nach dem Sinn von Sein innerhalb der neuzeitlichen Subjektivitätsphilosophie neu aufgenommen werden kann.“392 Von sich aus ist der Mensch in einen Sinnhorizont hinein verwiesen, den er in seinem eigenen Tun und Denken bestätigt, den er aber nicht beweisen kann. Die Erfahrung der Sinnsuche ist eine ursprüngliche Erfahrung des Menschen.393 Die Gottesfrage gewinnt für den 389 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 148. 390 Daß überhaupt Sinn ist, kann sich nach Kasper auch nur transzendental vorentwerfen lassen; nach Godzieba entspricht eine solche Vorentscheidung, dem Sein die Frage nach Sinn und Wahrheit apriori zuzugestehen, nicht der „kalten“ Hermeneutik eines Jacques Derrida, daß es sowieso keine Wahrheit gäbe, sondern der Hermeneutik eines Hans-Georg Gadamer (dementsprechend eine „wärmende“ Hermeneutik). (vgl. Godzieba, 15) 391 Da die Liebe Gottes das sinnstiftende Element ist, und da zugleich die Liebe Gottes aufgrund ihrer wesentlichen Freiheit die menschliche Freiheit nur erreichen kann, indem sie sie freiheitlich anspricht, also an ihr geschieht, kann die Liebe für den, den sie anspricht, nur dann theologische Wahrheit werden, indem sie geschieht. Von daher ist Glauben und Glaubensverkündigung – in ihrer Qualität als erinnernde Vergegenwärtigung der Wahrheit des Offenbarungsgeschehens – zutiefst praktisch. (vgl. Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 190 f.) In diesem Geschehen liegt jedoch die Verheißung der Sinnstiftung oder des erfüllten, vollen Menschseins: „So ist der Gottesglaube der Grund- und Urakt des Geistes. Im Glauben ist weder allein der Verstand noch allein der Wille, sondern der Mensch als ganzer engagiert. Erkennen und Wollen sind also Elemente am einen Akt des Glaubens; beide bilden im Glauben eine innere Einheit. Deshalb ist der Gottesglaube weder ein rein intellektueller Frwahrhalte-Glaube, noch ein rein willentlicher Entscheidungsglaube, noch bloße Sache des Gefhls. Er ist ein Akt des ganzen Menschen, ein Akt, durch den es erst zur vollen Menschwerdung des Menschen kommt.“ (Der Gott Jesu Christi, 150; Hervorhebung von Kasper; Aufhebung der Hervorhebung vom Autor) 392 Der Gott Jesu Christi, 67 (Hervorhebung von Kasper). 393 Vgl. Ascione, 213 f.
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Menschen nur Plausibilität im Horizont dieser Sinnfrage. Diesen Blickwinkel hat Kasper sehr stark von Schelling geerbt.394 Gott wird damit zum Garanten von Sinn. Diesen Sinn von Sein definiert Kasper als Liebe. Die dialektische Bewegung der Korrelation bedeutet ja letztlich auch, daß der Mensch nur im Gegen-Stand oder im Gegen-Satz, d. h. in sich selbst veräußernder Liebe zu sich selbst kommt. „Alles, was ist, ist nur im Übergang in ein anderes. (…) Das Lebendige muß aus sich herausgehen, um sich zu entfalten. Das Ich muß sich an ein Du entäußern, um sich und den andern zu gewinnen. (…) Konkrete Identität ist nur möglich durch Beziehung und Selbstüberschreitung auf anderes hin.“395 Oder anders gesagt: Identität ist dazu berufen, für andere durch Liebe relevant zu werden. In letzter Konsequenz kann man behaupten, daß der Seinshorizont der klassischen Metaphysik bei Kasper durch einen Sinnhorizont ersetzt wird, für den die Gottesidee zum Realsymbol wird. Sinn fragt nach Sein, so daß man sagen könnte, daß es sich bei Kasper eindeutig um eine Sinnmetaphysik handelt.396 So kann Kasper die Überlegungen zu seiner transzendentaltheologisch angelegten hermeneutischen Grundfigur, die wir im Horizont einer Sinnmetaphysik Korrelation nannten, abschließend zusammenfassen: „Der Mensch ist das Wesen, das in den Erfahrungen seines Lebens, in seinem Sprechen und in seinem Erkennen vorgreift auf das absolute Geheimnis einer unbedingten, vollkommenen Freiheit. Dieser glaubende und hoffende Vorgriff setzt sein Erkennen und Handeln in dieser Welt erst frei. So ist er auf der Suche nach Zeichen, in denen sich ihm das absolute Geheimnis einer unbedingten Freiheit zuspricht und mitteilt. Er ist das Wesen vor dem unendlichen Geheimnis, das auf die freie Selbstoffenbarung dieses Geheimnisses hofft und wartet. Er ist auf der Suche nach Zeichen und Worten, in denen sich Gott ihm offenbart.“397 Diese Suche nach Sinn ist die Triebkraft der Korrelation. 394 Vgl. Ascione, 214 f. 395 Jesus der Christus, 228. In Bezug auf Gott bedeutet dies für den Menschen: „Der Mensch vollendet seine Vollendung seiner Natur, indem er diese auf Gott und seine Gnade hin überschreitet.“ ( Jesus der Christus, 227) 396 Auch an diesem Punkt wird sich ein Vergleich mit Tillich lohnen, der die Sinnhermeneutik viel intensiver reflektiert hat. Es ist nochmals zu betonen, daß Kasper mit seinem Rückgriff auf den Begriff der „Metaphysik“ nicht im geringsten beabsichtigt, in das Denkschema der klassischen Seins-Metaphysik einzusteigen. 397 Der Gott Jesu Christi, 150 (Hervorhebung von Kasper).
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Damit ist aber noch ein Letztes ausgesagt: Kasper gebraucht zwar die Denkfigur der Analogie, vertraut ihr aber nicht ausschließlich. Auch die Analogie kann nichts beweisen. Wenn Kasper mit Emphase betont, daß Gott sich selbst offenbaren muß, und damit „the primacy of the word of God“398 betont, scheint darin – nach Loewes Urteil – Schellings Affinität zu Luthers Kreuzestheologie heraus. Tatsächlich zeigt sich auch Kasper zur „theologia crucis“ hingeneigt399 : „Das Kreuz ist das Äußerste, das Gott in seiner sich selbst wegschenkenden Liebe möglich ist; es ist das „id quo maius cogitari nequit“, die nicht mehr zu überbietende Selbstdefinition Gottes.“400 Damit bricht Kasper mit einem Teil der römisch-katholischen Tradition und vertraut sich dem Paradox des Kreuzes Jesu Christi an.401 Das Paradox der „analogia fidei“ setzt sich korrelativ-dialektisch die „analogia entis“ bzw. „analogia libertatis“ (oder auch „analogia historiae“) voraus, zerstört sie nicht, sondern vollendet sie. Dadurch wird aber – weil das Paradox im Tillichschen Sinn ein „positives Paradox“ ist – die Dialektik aufgebrochen zum heilsgeschichtlichen Dialog. Kasper kennt keine paradoxlose Analogie! 2.4. Die Pascalsche Frage des Menschen nach Hoffnung Wir müssen nun zu unserem Leitmotiv der Vermittlung von Christologie und Anthropologie zurückkehren und Kaspers anthropologische Vorbestimmungen herausfiltern bzw. auf den Punkt bringen.402 Welches sind die anthropologischen Entsprechungen bzw. Analogien zur Gottesfrage? Und wie geschieht die transzendentalphilosophische Vermittlung? Bei der fundamentaltheologischen Frage nach Gott zeigt sich, in welcher Weise anthropologische Voraussetzungen zur Nahtstelle für ein erneuertes Verständnis für eine soteriologisch relevante Christologie werden. Dabei greift Kasper die gängigen philosophisch-anthropologischen Bestimmungen der Neuzeit auf und hinterfragt sie derart, daß deutlich wird, daß sie die Frage nach Gott keineswegs erledigt haben, 398 Loewe, 43. 399 Das beweist folgendes Urteil: „Einen Durchbruch durch die gesamte metaphysisch bestimmte Theologie bedeutet erst Luthers theologia crucis.“ ( Jesus der Christus, 214). Vgl. Der Gott Jesu Christi, 238 – 242. 400 Der Gott Jesu Christi, 242. 401 Vgl. Loewe, 42 – 44. Loewes Meinung nach schlägt sich diese Nähe zu Luther auch in Kaspers Konzept des Dogmas durch, vor allem in seiner Dissertation „Die Lehre von der Tradition in der Römischen Schule“. 402 Vgl. Kasper, W.: Comprensione teologica dell’uomo, in: Euntes docete LIII (2000) 2, 15 – 23.
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sondern im Gegenteil eine transzendentale Offenheit für die Gottesfrage enthalten, da sie selbst einen Horizont von Sinn und Sein vorentwerfen, den sie nicht mehr denkerisch einholen können. Weil Kasper den Menschen grundsätzlich als offene Frage versteht, ist sein Grundansatz der Frage nach Gott von daher, Gott nicht mehr als ein höchstes Sein, als Unbewegten Beweger oder letzte Ursache zu verstehen, sondern als „Antwort auf die Frage in allen Fragen“, „Antwort auf die Fraglichkeit des Menschen und der Welt schlechthin“403, „eine alles andere umgreifende und übergreifende Antwort“404, „Antwort auf die mit dem Menschen als Person gegebene Frage nach dem Ganzen der Wirklichkeit“405, in der die Frage nach dem Sinn des Ganzen offengehalten wird406. Demnach gilt: „In der Gottesfrage handelt es sich nicht um eine kategoriale, sondern um eine transzendentale Frage in dem doppelten Sinn: eine alles Seiende umgreifende Frage (transzendental im Sinn der scholastischen Transzendentalienlehre) und eine Frage, die die Bedingung der Möglichkeit aller anderen Fragen und Antworten betrifft (transzendental im Sinn der neuzeitlichen Transzendentalphilosophie).“407 Gott leuchtet aber dann erst auf, wenn der Theologe vom Menschen aus den Menschen selbst transzendiert und auf die Bedingungen der Möglichkeit seines nach Sinn verlangenden Seins befragt. In „Der Gott Jesu Christi“ betrachtet Kasper den Menschen zuerst unter einem gnoseologischen Gesichtspunkt und fächert die Fülle der menschlichen Bereiche in die geistigen Bereiche der Erfahrung, Sprache und Erkenntnis auf 408, geht aber im Zusammenhang mit den Gottesbeweisen zu einer
403 Der Gott Jesu Christi, 15. Kasper verweist hierbei in der Fußnote auf den „berechtigte(n) Ansatz von W.Weischedel, Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus. 2 Bde., München 31975.“ 404 Der Gott Jesu Christi, 16. 405 Der Gott Jesu Christi, 27. 406 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 27. 407 Der Gott Jesu Christi, 16. 408 Dieser Grundansatz beim Geist macht Kaspers Menschenbild jenem Tillichs grundsätzlich vergleichbar, doch zugleich bedient Tillich ein viel weiteres und philosophisch reflektierteres Spektrum an menschlichen Lebensbereichen. Der dritte Band seiner „Systematischen Theologie“ gibt davon ein beredtes Zeugnis. Kasper dagegen tendiert sehr stark dazu, den Menschen unter einem streng theologischen Kriterium zu beschreiben und seine Natur – entsprechend dem theologischen und nicht dem philosophischen Naturbegriff – auf die Gnade zu
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anderen Aufteilung über (kosmologisch, anthropologisch, geschichtsphilosophisch, ontologisch), die sich an die Grundfraglichkeit der menschlichen Situation angliedert. Durch diese behelfsmäßige Systematisierung kann er den Menschen darstellen als jenes Wesen, das „bereits ein Vorverständnis der erfragten Wirklichkeit“409 besitzt. Da es sich um einen entscheidenden Punkt unseres Denkweges handelt, wollen wir die transzendental-anthropologischen Ergebnisse zusammenfassen. Wir gehen dabei in drei Denkschritten vor, wie Kasper sie in „Das theologische Wesen des Menschen“410 nahelegt. Dabei wird Kaspers Argumentation in seinem Kommentar der Gottesbeweise zugespitzt, auf die Christologie hin ausgerichtet und auf den Punkt gebracht. 2.4.1. Die geschichtlich-freiheitliche Grundsituation des Menschen Der Mensch ist das weltoffene Wesen, das sich selbst gegeben und zur Gestaltung aufgegeben ist. „Der Mensch kann deshalb fragen, und er ist mit seinen Fragen stets unterwegs.“411 Dieses Fragenkönnen ist nach Pascals Interpretation seine Größe und sein Elend. Hier liegt der Grund seiner Transzendenz und seiner Freiheit. Die Grundsituation des Menschen ist paradox: „Er ist zutiefst und in allem bedingt und doch auch ganz und gar unbedingt.“412 Schon Kant – und nach ihm Fichte, Schelling und Hegel – hat konsequent weitergedacht, daß die Freiheit des Menschen logischerweise eine Wirklichkeit voraussetzt, die insgesamt und letztlich von Freiheit, ja einer unendlichen Freiheit durchwaltet ist. „Nur wenn Gott die absolute schöpferische Freiheit ist, ist die Welt ein möglicher Raum der Freiheit für den Menschen.“413 Und: „Die Freiheit Gottes erweist sich also – anders als der atheistische Humanismus meint – nicht als Grenze der menschlichen Freiheit, sondern als deren letzter Grund. Nicht daß Gott tot ist, sondern daß er ein lebendiger Gott der Geschichte ist, ist deshalb die Hoffnung des Menschen.“414
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beziehen, damit aber auch die Fülle menschlicher Lebensdimensionen nicht weiter zu thematisieren. (vgl. Der Gott Jesu Christi, 104) Der Gott Jesu Christi, 24. Vgl. Das theologische Wesen des Menschen, 102 – 104. Der Gott Jesu Christi, 16. Zustimmung zum Denken (Theologie und Kirche II), 23. Jesus der Christus, 66. Jesus der Christus, 66.
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Der Mensch erlebt sein Sein als „empfangenes Sein“ bzw. als „geschenkte und verdankte Freiheit“415, die ihn gegenüber der Möglichkeit des Nicht-Seins staunen läßt und in darauf verweist, daß die positiv gesetzte Wirklichkeit von Sinn umgriffen sein muß. Sein Elend besteht dabei darin, daß er nicht immer und überall in eine Antwort hineinverwiesen wird, sondern unglücklich und gelangweilt sein kann. Walter Kasper sieht den Menschen in einer Dialektik von Macht und Ohnmacht und nennt sie „personale Erfahrung“416, da die Person das „Wesen der Mitte“417 zwischen Allgemeinem und unableitbar Besonderem sowie zwischen Offenheit und Bestimmtheit ist. Der Vorgriff auf einen unendlichen Horizont eröffnet ihm den Raum für Freiheit und Sinnstiftung, doch zugleich versinkt der Mensch in ehrfürchtigem Staunen vor dem ungeschuldet Seienden. Im Leid erkennt er seine Größe in der Fähigkeit, um dieses Leid zu wissen und es als solches abzustufen, doch diese seine Größe setzt ihn zugleich frontal seinem Elend aus.418 Diese „gegenseitige Verschränkung von Faktizität und Transzendenz, von Freiheit und Notwendigkeit, Wirklichkeit und Möglichkeit“419 spezifiziert Kasper, indem „der Mensch [als] eine offene Frage, (…) konstitutive Nichteinholbarkeit seines Daseins in der Geschichte“420 bezeichnet wird und indem Kasper von der „Unableitbarkeit und (…) Geheimnishaftigkeit der Freiheit“421 spricht. 415 Der Gott Jesu Christi, 66. 416 Jesus der Christus, 290. Vgl. auch Jesus der Christus, 291 – 293. 417 Jesus der Christus, 292. Zum Personbegriff vgl. die verschiedenen Ansätze – trinitätstheologisch, anthropologisch und christologisch – im zweiten Teil des Kasper-Kapitels. 418 „Der Leichnam des Menschen ist nur noch Wirklichkeit ohne jede Möglichkeit. So holt die Wirklichkeit am Ende den Menschen wieder ein.“ ( Jesus der Christus, 64) 419 Jesus der Christus, 64. 420 Jesus der Christus, 65. 421 Jesus der Christus, 66. Seine in der Dialektik stehende Freiheit kann der Mensch – wie die Gottesbeweise angedeutet haben – grundsätzlich in dreifacher Weise bestimmen: als innere Freiheit (vgl. den auf das Subjekt bezogenen anthropologischen Beweis und die Hoffnung auf wahre Freiheit dank der Offenbarung einer vollkommenen Freiheit), als geschichtliche Freiheit (vgl. den auf die Beziehung von Subjekt und Objekt gemünzten geschichtsphilosophischen Beweis und die Sehnsucht nach einem qualitativen Neuanfang zugunsten von Sinnstiftung, Gerechtigkeit und Frieden) und als solidarisch verflochtene Freiheit (vgl. in einem entfernten Sinn den auf die Objektivität der Welt gerichteten kosmologischen Beweis und die entsprechende Frage nach einer Ordnung, die Freiheit schätzt und schützt, dank der stellvertretenden Wirkung der gewirkten Heils).
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Wir hatten festgestellt: philosophisch interpretiert Kasper die offene Fraglichkeit des Menschen als geschichtlich-freiheitliche Ausgespanntheit in der Subjekt-Objekt-Struktur der Wirklichkeit und bezieht sie theologisch auf das Natur-Gnade-Verhältnis, in dem die Erlösungsordnung sich die Schöpfungsordnung bzw. die „analogia fidei“ sich die „analogia libertatis“422 voraussetzt. Dabei betrachtet Kasper in verschiedenen Schritten die transzendentale Offenheit des sich als geschichtlich verstehenden Menschen auf Gott hin. Das Kriterium für die Unterscheidung von Größe oder Elend ist – und hier ist die Berührung mit Tillich mit Händen zu greifen – die Antwort auf die Sinnfrage, d. h. „die Frage des persönlichen Glücks, des persönlichen Schicksals, der Schuld, des Leidens und des Sterbens des einzelnen“423. „Seine Erfüllung findet der auf das Ganze der Welt hin offene Mensch nur, wenn er eine Antwort weiß auf den Sinn seines Seins und den Sinn der Wirklichkeit überhaupt.“424 2.4.2. Der Mensch als Fragment? Wir müssen einen Schritt weiter gehen. Ist der Mensch nur ein Fragment und ein Opfer grundsätzlicher Skepsis? Aber könnte er sich mit einem solchen Urteil abfinden? Diese Fragen sind die logische Konsequenz dessen, was von der Prämisse her geschieht, wenn in der Neuzeit der überlieferte, klassischmetaphysisch ausgeprägte Gottesbegriff aussagelos und irrelevant für das eigene Erleben der menschlichen Wirklichkeit bleibt und die Theologie keine neue Offenheit für Gott bezeugen kann: „Mit dem Geheimnis Gottes entschwindet auch das Geheimnis des Menschen.“425 Oder: „Der Tod Gottes führt zum Tod des Menschen.“426 Das Bedenken der End-
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Der Mensch steht als freie, geschichtliche Person in Beziehung zu sich selbst, zu seiner Mitwelt und zu seiner Umwelt und verlangt in allen diesen Bereichen nach Erfüllung und Erlösung. Vgl. Der Gott Jesu Christi, 131. Der Gott Jesu Christi, 57. Wie sehr die Sinnfrage auch in der neueren katholischen Theologie wieder in den Vordergrund rückt, mag das Buch von KarlHeinz Menke „Die Einzigkeit Jesu Christi – im Horizont der Sinnfrage“ (Einsiedeln 1995) verdeutlichen. Jesus Christus ist nur dann „Sinn für mich“, wenn er „Sinn an sich“ ist. (vgl. Menke, K.-H.: Die Einzigkeit Jesu Christi im Horizont der Sinnfrage, Einsiedeln 1995, 111) Der Gott Jesu Christi, 16. Der Gott Jesu Christi, 23. Der Gott Jesu Christi, 23.
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lichkeit des Menschen und des Bösen in der Welt führen zu der Einsicht, daß die Welt sich nicht aus sich selbst vollenden kann. In anderen Worten: die auf den mit Gott in Beziehung gestellten Horizont der ganzen Wirklichkeit gerichtete Frage nach dem Sinn kann keine Antwort mehr vom Ganzen der Wirklichkeit her erwarten, sondern wird partikulären Angeboten ausgeliefert. Die Selbsttranszendenz der Welt bleibt unbeantwortet. Wenn dem Vorentwurf von Gott keine Realität als Korrelat angeboten werden kann, bleibt der Mensch dem Teufelskreis der Schuld, der Rastlosigkeit seiner Unerfülltheit und der Versklavungen durch unmenschliche Ideologien ausgeliefert. Des Menschen Sein „bleibt auf schmerzliche Weise fragmentarisch“427. Von daher klingt die Grundforderung Kaspers sehr emphatisch: „In dieser Situation wird für den Theologen das Sprechen von Gott als Grund und Ziel aller Wirklichkeit um des Menschen willen zu einer dringenden Aufgabe, ja zu der dringendsten Aufgabe überhaupt.“428 Dieses „um des Menschen willen“ deutet die Denkrichtung der Kasperschen Christologie und Theologie an: es geht um jene „theologische Theologie“429, die keine Soteriologie „am grünen Tisch“ betreiben will, sondern die bereits weiter oben methodologisch eingeordnete Situation des gegenwärtigen Menschen ernstnimmt und nicht einem Reduktionismus verfällt, der einen der beiden Pole „Christus“ (bzw. „Gott“) oder „Mensch“ betrifft. Es geht darum, ehrliche und realitätsbewußte Theologie zu treiben; mit einem „Als ob“ läßt sich das Leben nicht meistern, weil die Frage nach der Möglichkeit von Sinn nicht verstummen kann. Die Hoffnung auf Erfüllung wird jedoch durch das Phänomen des Bçsen in der Welt entschieden auf den Prüfstand gestellt. Kasper hat sich mit diesem Thema viel auseinandergesetzt. Für ihn ist „der Gesprächspartner einer heutigen Theologie der leidende Mensch“430, der ontolo427 Das theologische Wesen des Menschen, 103. 428 Der Gott Jesu Christi, 24 (Hervorhebung vom Autor). 429 Der Gott Jesu Christi, 28 (Hervorhebung von Kasper; Aufhebung der Hervorhebung vom Autor). „Dieser Streit, den sie (sc. die Theologie) dabei mit anderen Deutungen des Menschseins zu führen hat, ist deshalb kein Streit um irgendwelche Über- und Hinterwelten, sondern ein Streit um den Menschen.“ (Das theologische Wesen des Menschen, 104) 430 Der Gott Jesu Christi, 201. Gerade die Leidensfrage und ihre Beziehung zur Gottesfrage – das Theodizeeproblem also im weiten Sinne – ist interessanterweise für Kasper in seiner (Trinitäts-) Theologie der Ausgangspunkt, um die Rede über Jesus Christus einzuführen. Das ist nicht erstaunlich, da in Jesus Christus der mitleidende Gott offenbar wird, der „die endgültige Antwort auf die Theodi-
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gisch in die Pascalsche Größe-Elend-Spannung verflochten ist, konkret aber an seiner eigenen Fehlbarkeit und Untreue leidet.431 Kasper geht davon aus, daß das Böse seine innere Möglichkeit in der freiheitlichen Grundstruktur von Mensch und Geschichte hat. Deshalb ist der christliche Standpunkt gegenüber dem Bösen derjenige einer realistischen und ehrlichen Betrachtung der vom Menschen selbst verschuldeten Verkehrung. Kasper legt „die Selbstentfremdung des Menschen als Folge der Entfremdung von Gott“432 offen und widerspricht „allem harmonisierenden und verharmlosenden Optimismus“433. Die Freiheit des Menschen wird in letzter Konsequenz ernstgenommen.434 Damit bleibt aufgrund der gelebten Freiheit trotz der scheinbar alles Hoffnungsvolle verneinenden Wirkung des Bösen eine letzte Beziehung zu Gott. Der Mensch erfährt sich jedoch trotz allen Protestes gegen das Böse als in einen Teufelskreis Eingeschlossenen: er weiß kein anderes Mittel, als Gewalt durch Gegengewalt zu bekämpfen. Vor allem manche zu opti-
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zeefrage (ist), an der der Theismus wie der Atheismus scheitern. (…) Denn das Leiden Gottes, das der Freiwilligkeit der Liebe entspringt, besiegt die Schicksalhaftigkeit des Leidens.“ (Der Gott Jesu Christi, 244) Außerdem ist dem Menschen in Jesus Christus die Vergebung der Sünden verheißen, und die Sünde bleibt der herausragende Stachel des Bösen. Die Einstellung des Menschen zum Bösen ist zutiefst zwiespältig: einerseits wird er Tag für Tag von Meldungen über Terror und Gewalt verfolgt, andererseits jedoch ist er zu einem Künstler der Entschuldigungsmechanismen geworden. Offensichtlich wächst ihm das Phänomen des Bösen über den Kopf, zumal wenn er mit persönlicher Verantwortung verstrickt ist. Der moderne Unschuldswahn ist davon ein beredtes Zeugnis. Im Bezug auf Gott kann die Erfahrung des Bösen ganz Gegenteiliges bewirken: während die einen ihre Hoffnung auf Gott aufgeben, sehen andere in der Tragik des Weltenganges einen dringenden Grund, noch mehr auf Gott zu hoffen. (vgl. Das theologische Problem des Bösen, 43) Das theologische Wesen des Menschen, 110. Das theologische Wesen des Menschen, 111. Durch Hochmut (superbia) und Kleinmut (acedia) kann der Mensch die Verwirklichung seiner endlichen Freiheit verfehlen, welche als nicht festgelegte in einem unendlichen Horizont in der Schwebe steht. Hochmut besteht darin, die eigene Endlichkeit zu übersehen, Kleinmut dagegen im Gegenteil, nämlich die unendliche Bestimmung des Menschen auszuschalten. Zwischen diesen Abgründen bleibt aber der Weg des Großmutes, durch den allein der Mensch sich so verwirklichen kann, daß er in Realismus in die Welt eingebunden und in Hoffnung und Verantwortung auf Gott bezogen bleibt. Großmut definiert Kasper mit den Begriffen „Mut zum Großen, der sich im Kleinen bewährt durch Klugheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit, Zucht und Maß“. (vgl. Anthropologische Aspekte der Buße, 104)
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mistischen neuzeitlichen Weltanschauungen haben in der Zwischenzeit erkennen müssen, wie schnell eine blinde Menschengläubigkeit in einen Teufelskreis der Entwicklung führten. Die Hoffnung auf den lebendigen Gott der Geschichte und der Freiheit konkretisiert sich in der Hoffnung auf einen „unableitbaren, qualitativ neuen Anfang“ in der Geschichte. „Ein solcher Neuanfang ist aber nichts anderes als die weltliche Außengestalt dessen, was die christliche Botschaft von Erlösung, Gnade und Heil meint.“435 Damit ist ein Vorverständnis von Heil und Erlösung eröffnet. Der Mensch fragt nach einem mitleidenden, einem sym-pathischen Gott, nach „der Identifikation Gottes mit dem Leiden und Sterben des Menschen“436. Der Mensch ist ein „Wesen der Transzendenz“ ist, „arme Verwiesenheit“, d. h. Frage ohne Antwort. Es bedarf eines „nicht ableitbaren neuen Anfangs der Gerechtigkeit und der Versöhnung“437. Kasper verweist auf sogenannte „Zeichen erfüllter Hoffnung“438, die über sich selbst hinaus auf Sinn hinweisen. So wie Rahner betrachtet Kasper die evolutive Welt und stellt fest, daß die Evolution mehr als ein Anderswerden, nämlich ein Mehr- und Neuwerden bedeutet, wo ein „wirklicher Seinszuwachs“439 geschieht. Diese Selbsttranszendenz wird besonders deutlich in der Entstehung jedes neuen Menschen, weshalb in vielen Kulturen das kleine, neugeborene Kind zum Symbol der Hoffnung auf neues Heil geworden ist. Die Wirklichkeit kann aber nur derart ekstatisch und schöpferisch sein, wenn sie an „einer schöpferischen Fülle des Seins“440 teilhat. Aber gerade dieses Teilhaben geschieht nicht auf extrinzesistische Weise, sondern „von innen“ heraus: die Fülle des Seins „muß das endlich Wirkende innerlich zu einer wirklichen aktiven Selbsttranszendenz ermächtigen“441, damit es wahre Selbst-Transzendenz ist. Geschichte partizipiert an der Fülle Gottes.
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Jesus der Christus, 67. Der Gott Jesu Christi, 205. Christologische Schwerpunkte: Neuansätze, 32. Jesus der Christus, 68. Kasper unterscheidet jedoch die Zeichen erfüllter Hoffnung noch einmal von Zeichen zugunsten eines Sinns der Welt insgesamt. Das Elend selbst verbietet uns, überhastet einen Sinn zu postulieren, wo es vorerst „nur“ Zeichen gibt, daß unsere Hoffnung auf den lebendigen Gott der Freiheit berechtigt ist und eine Antwort auf die offene Frage sich als möglich erweist. 439 Jesus der Christus, 68. 440 Jesus der Christus, 69. 441 Jesus der Christus, 69.
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Der Christ ist überzeugt, daß diese Sinnfülle Gottes sich geschichtlich in Jesus Christus als Erlöser manifestiert hat. Daß der Mensch bei jedem, auch dem bestgemeinten Versuch der Revolution im Teufelskreis seiner sündigen Vorgegebenheiten stecken bleibt, verweist darauf, daß „Erlösung nur „von oben“, durch Gott möglich„442 ist. Was der Mensch von diesem qualitativen neuen Anfang konkret erwartet, ist das Aufbrechen der Ungerechtigkeit und ein neuer Sinn für die Idee der heilsrelevanten Solidarität und Stellvertretung443, die das durch Nominalismus, Aufklärung und Liberalismus entworfene individualistische Menschenbild nicht zu fassen vermochte.444 Die neuzeitliche Kritik an aller Fremdbestimmung und ihre unausgeglichene Betonung der Ungebundenheit der Freiheit führte schon bei Hegel und Marx zu einer Metakritik, welche konkret nach den Bedingungen einer solchen autonomen Freiheit fragte. Die grundlegende Einsicht lautet: „Der andere und die anderen sind nicht nur Grenze, sondern Bedingung der Freiheit. Die Verwirklichung der Freiheit setzt also eine solidarische Ordnung der Freiheit voraus.“445 Diese Ordnung 442 Der letzte Platz. Überlegungen zum Stellvertretungs- und Sühnegedanken, 76. 443 In unserer Lizenzarbeit an der Päpstlichen Universität Gregoriana hatten wir uns unter dem Titel „Christologie und Freiheit“ (2001) u. a. der Frage gewidmet, inwiefern der bei Kasper eher nur im Hintergrund vorkommende Begriff der „Stellvertretung“ material den Ansprüchen gerecht werden könnte und also als „Grundkategorie für den soteriologischen Entwurf von Walter Kasper“ gelten dürfte. 444 Aber auch auf Seiten des Christentums blieb nur ein „meist in devotionell verkleinerter Form“ ( Jesus der Christus, 263) präsenter Stellvertretungsgedanke, während die Neuzeit ihrerseits die Solidarität rein sozial und innergeschichtlichmitmenschlich dachte. Kasper kritisiert zurecht: „Das „einer für alle“ hat nur einen Sinn, wenn auch gilt „alle für einen““ ( Jesus der Christus, 268), wenn also die unbedingte Würde des einzelnen anerkannt wird. Diese Unbedingtheit aber kann die Gesellschaft nicht garantieren, sondern letztlich nur Gott. 445 Jesus der Christus, 264. Abstrakt läßt sich diese These auf zwei Weisen begründen. Einerseits zeigt eine einfache Analyse der immanenten Lebensverhältnisse, daß der einzelne und seine Freiheit an menschlich-vertrauensvolle, wirtschaftliche, rechtliche und politische Voraussetzungen gebunden sind. „Die Freiheit des einzelnen setzt also eine Ordnung der Freiheit voraus. (…) Stellvertretung ist ein Wesensmoment der konkreten Freiheit.“ ( Jesus der Christus, 264) Der Mensch ist ein „plurale tantum“ (Stellvertretung als theologische Grundkategorie, 31) und ist in Familie, Volk und Menschheit hineinverflochten. „Die Freiheit des einzelnen ist also die Freiheit aller, die Freiheit aller freilich setzt voraus, daß jeder einzelne respektiert wird.“ (Stellvertretung als theologische Grundkategorie, 31) Andererseits läßt sich die solidarische Ordnung der Freiheit noch abstrakt am Phänomen des Todes aufzeigen. Unser Sein ist nach Heidegger
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erlebt der Mensch jedoch als „universalen Unheilszusammenhang“, weil „faktisch Menschen nicht als Menschen annehmen und einander nicht den Daseinsraum gewähren, sondern sich voneinander abschließen und einander als Mittel zum Zweck der eigenen Daseinssicherung benützen“446. 2.4.3. Hoffnung auf Jesus Christus – Hoffnung auf das Paradox Der suchende Blick nach Zeichen erfüllter Hoffnung in der Geschichte verweist den Christen auf die Geschichte Jesu Christi, welche „die endgültige Auslegung des Menschen (ist), weil in ihr nach der Überzeugung des christlichen Glaubens das Geheimnis Gottes und das des Menschen endgültig erschienen ist“447. „Theologische Anthropologie ist nur von der Christologie her möglich.“448 Seine Sinnfülle erweist sich daran, daß in ihm „die vielfältigen Dimensionen und Phänomene des Menschlichen sich zu einem sinnvollen Ganzen fügen“449 und sowohl Größe auch als Elend des Menschen angenommen werden. Hier besteht eine Verstehenshilfe für die Heilsbedeutung der konkreten, wahren, solidarischen Menschlichkeit Jesu Christi450 und seines stellvertretenden Lebens, Sterbens und Auferstehens. Der Christ kann auf überzeugende Weise von Jesus Christus als „Erfüllung der Geschichte“451 reden, ohne damit aber seinen Glauben akademisch rein und logisch unumgehbar demonstriert zu haben. Doch wenn der Mensch sich für diesen Sinn der Geschichte entscheidet, wird die Ge-
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Sein zum Tode. Durch den Tod eines anderen Menschen – und nur so, da wir unseren eigenen Tod nicht erfahren – offenbart sich die Wahrheit über unser eigenes Leben: daß es jederzeit unverfügbar gegebenes Dasein ist. „Es stirbt niemand nur für sich selbst, sondern immer auch für die anderen“ ( Jesus der Christus, 265), der Sterbende ermöglicht den andern, als Beschenkte zu sich selbst zu finden. Jesus der Christus, 265. Hier besteht die Möglichkeit eines Vorverständnisses für den Begriff der Erbsünde, die von Kasper als „Mitsündlichkeit als einem faktischen Existential des Menschen“ ( Jesus der Christus, 240) ebenfalls vom Begriff der Freiheit her verstanden wird. Sie drückt sich aus als Entfremdung des Menschen von sich selbst, von den anderen und von der Welt. Vor allem aber ist sie Entfremdung von jenem „ursprünglichen Heilswillen Gottes, der alles auf Christus hin geschaffen hat und in ihm erfüllen will“ ( Jesus der Christus, 240). Das theologische Wesen des Menschen, 103. Das theologische Wesen des Menschen, 103. Das theologische Wesen des Menschen, 104. Vgl. Jesus der Christus, 231 – 269. Jesus der Christus., 70.
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schichte dechiffrierbar als Symbol für die Hoffnung auf Heil in Jesus Christus. Wir können in unserer geschichtlich gewordenen Welt Jesus Christus als „in die Geschichte gekommene neue Möglichkeit eines Menschseins für die anderen“452 bezeugen. Der Glaube an Jesus Christus bewährt sich an der Realität.453 Er ist sowohl Einweisung in das Geheimnis Gottes als auch Aufruf zur Nachfolge Jesu im Dienst – er ist zutiefst kontemplativ und aktiv.454 Damit stellt sich aber verstärkt die Frage: Wie ist die Möglichkeit der Selbstoffenbarung Gottes, des Absoluten, in der Geschichte zu denken? Die Antwort kann nur in einer Geschichtsmchtigkeit Gottes liegen, die sich in der Menschwerdung Christi manifestiert. Da es sich aber um einen unableitbaren Neuanfang handeln muß, verweist die Korrelation von Gott und Mensch nicht nur auf eine statische Christologie, sondern auf das Christusereignis als Paradox. Daß die Korrelation von Glaube und Geschichte „funktioniert“, bewahrheitet sich letztlich am Paradox. Diese Feststellung ist nicht unproblematisch. Offensichtlich gibt es keinen gleitenden Übergang zwischen der Hoffnung des Menschen und der Geschichte Gottes mit dem Menschen. Mit der Kategorie des Paradox wird damit einerseits der kategoriale Unterschied zwischen Gott und Mensch gewahrt, während andererseits die Freiheit Gottes in ihrer ganzen Souveränität betont bleibt. Kein anderer Begriff als jener des Paradoxes kann besser zum Ausdruck bringen, daß die „via eminentiae“ konstitutiv zum Verhältnis von Christologie und Anthropologie gehört. Das Christusereignis übersteigt letztlich das, was der Mensch erwarten kann.
3. Der geschichtliche Selbsterweis Gottes in einer freien Offenbarung Die natürliche Theologie kann plausibel machen, daß der Mensch zu Gott gehört und an dem Unendlichen teilhat, und der ganze Bereich 452 Aufgaben der Christologie heute, 144. 453 Diese Bewährung der Wahrheit des Glaubens geschieht auf eine dreifache Weise: erstens durch die innere Stimmigkeit der Glaubensaussagen untereinander („nexus mysteriorum“), zweitens durch die „Übereinstimmung mit der profanen Wirklichkeitserkenntnis“ und drittens durch „die Darstellung ihrer Entsprechung zur Frage nach dem Sinn und Ziel menschlicher Existenz“ (Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 171; vgl. Dogmatik als Wissenschaft, 199 f.). 454 Vgl. Dogmatik als Wissenschaft, 203.
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seiner Erfahrungen, seiner Sprache und seiner Erkenntnis weist ihn über eine immanente Verhaftung am Endlichen hinaus. Ob und wie eine Begegnung mit dem Göttlichen in dem dem Menschen eigenen, aber auf Gott hin geöffneten Bereich der Geschichte stattfindet, kann die natürliche Theologie nicht entscheiden. Sie kann Gott nicht ontologisch „festnageln“ – Gott muß als von uns aus unverfügbares Geheimnis verstanden werden.455 Gott ist sich selbst vorbehaltene, uns aber entzogene Freiheit. Diese absolute Freiheit Gottes drückt sich in den innergeschichtlichen Strukturen als Geheimnishaftigkeit aus; Gott kann nur a posteriori bzw. gleichsam „von hinten“ im Glauben erkannt werden. Die Theologie ist letztlich radikal auf eine geschichtliche Offenbarung des göttlichen Geheimnisses verwiesen. Der Mensch ist demnach aufgefordert, „konkret in die Welt hineinzuhören, ob sich Spuren der freien Offenbarung Gottes finden“456, von denen aus er seine eigene Freiheit als wahrhaft befreit und nicht unter neuen Ideologien versklavt begreifen kann. Vermittelt durch gnadenhafte geschichtliche Selbstoffenbarung einerseits und antwortenden und vertrauenden Glauben andererseits eröffnet Gott mit den Menschen eine Geschichte des Dialogs457, durch den er den Anfang der Rückkehr der in Christus geschaffenen Schöpfung stiftet.458 „Die Schöpfung ist der äußere Grund des Bundes, der Bund ist der innere Grund der Schöpfung (K.Barth).“459 Diese „analogia fidei“ des Glaubens soll die grundlegende „analogia entis“ bzw. „analogia libertatis“, die sie sich voraussetzt, zur Erfüllung 455 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 328 f. 456 Der Gott Jesu Christi, 130. 457 „Geschichte ist im biblischen Sinn zu entfalten als der Dialog zwischen Gott und der Menschheit, der sich in einzelnen Zeiträumen auszeitigt. (…) Solche Geschichte ist weder als Linie noch als Kreis, nicht als Spirale, Wellenlinie, Pendelschlag, auch nicht als dialektischer Dreischritt oder als organischer Wachstumsprozeß vorzustellen, höchstens als dialogisch fortschreitendes Spannungsfeld zweier Pole, die eschatologisch-endgültig und unwiderruflich in Christus zusammengebunden sind.“ (Grundlinien einer Theologie der Geschichte (Glaube und Geschichte), 79) „Glaube bewegt sich also zwischen Freiheit und Freiheit, er bedeutet den Selbstvollzug der menschlichen Freiheit angesichts der göttlichen Freiheit, um in Freiheit von Gottes gnädiger Freiheit die eigene Freiheit zu empfangen.“ (Autonomie und Theonomie (Theologie und Kirche), 172) 458 „Die Botschaft, daß Gott nicht nur der Heilsgeschichte, sondern auch der Profangeschichte in Christus Bestand verleiht, ist die Grundlage der Hoffnung für das Heil der Nichtchristen.“ (Grundlinien einer Theologie der Geschichte (Glaube und Geschichte), 93) 459 Kirche und Theologie unter dem Gesetz der Geschichte? (Glaube und Geschichte), 56.
B. Erster Hauptteil: Die transzendentalphilosophische Frage nach der Vermittlung
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bringen und den Menschen geschichtlich-freiheitlich und auf erlösende Weise mit Gott vermitteln und versöhnen.460 Gottes Geheimnis ist demnach in der Natur, im Geheimnis des Menschen und in der Hoffnung der Geschichte präsent, aber zugleich aufgrund des Geheimnischarakters Gottes und seiner uns entzogenen Freiheit auch verborgen461. Gerade in dieser Verborgenheit liegt die soteriologische Bedeutung: weil Gott absolut und unbedingt frei ist, kann er den Menschen befreien. Ansonsten würde er zur Chiffre und Projektion der menschlichen Tiefendimension degradiert. Kasper unterscheidet den transzendentalen Begriff der Offenbarung als Inbegriff der Eröffnung des in und über aller Wirklichkeit waltenden Geheimnisses vom kategorialen Begriff von Offenbarung, welcher die einzelnen „Erschließungssituationen“ bezeichnet. Solche Offenbarungen gibt es sowohl außerhalb der Heiligen Schrift als auch als besondere Geschichte der Offenbarung im Alten und Neuen Testament. Letztere erschließt aber erst den Sinn der ersteren, da sie sich als personale Selbstoffenbarung Gottes und seines Heilswillens für den Menschen expliziert. Damit ist die Offenbarung auch „die Bestimmung des unbestimmt-offenen Geheimnisses des Menschen, seiner Welt und Geschichte“462. Die Offenbarung Gottes kann – auch wenn Kasper es nicht macht – durch die Kategorie der Begegnung erklärt werden, in der sich Gott unableitbar frei geschichtlich durch Worte und Taten offenbart. „Der Hçhepunkt und die Vollendung dieser geschichtlichen Offenbarung ist Jesus Christus. Bei ihm ist der personale Gehalt und die geschichtliche Gestalt identisch geworden.“463 Die entsprechende Antwort des Menschen ist der Glaube als freie personale Selbstübereignung an Gott. Dieser Glaube bewährt sich erst im Geschehen des Glaubens selbst, da das Geschehen der begegnenden Offenbarung nicht nochmals begründet werden kann, sondern selbst letztgültiges Fundament des religiösen Glaubens ist464. „Letztlich geht es um die Selbstevidenz der Liebe Gottes“465, die sich in das lebendige Zeugnis des Menschen hinein übersetzt. 460 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 131. 461 „Wollte man Gott wie ein beliebig anderes Seiendes beweisen, errechnen und distanziert-objektivierend feststellen, dann hätte man ihn eben nicht erkannt, sondern zutiefst verkannt.“ (Der Gott Jesu Christi, 132) 462 Der Gott Jesu Christi, 154. 463 Der Gott Jesu Christi, 157 (Hervorhebung von Kasper). 464 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 152. 465 Der Gott Jesu Christi, 159 (Hervorhebung von Kasper). „Gottes Offenbarung gibt es (…) nur in menschlicher Vermittlung.“
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
Diese Selbstevidenz erweist sich in besonderer Weise am Kreuz „sub contrario“, wie es dem Verborgenheitscharakter der immer größeren, sich entäußernden Liebe Gottes entspricht.466 Gerade weil der Mensch der unter dem Teufelskreis des Bösen und unter seinem eigenen Elend Leidende ist, ist die Offenbarung des Geheimnisses Gottes die Antwort auf das Geheimnis des Menschen. Gottes Verborgenheit ist die Verborgenheit inmitten der Offenbarung seiner Herrlichkeit und freien Liebe im Leiden und Sterben Jesu Christi.467 Da Gott der Freie nur als Trinitarischer ist, ist das trinitarische Bekenntnis Zusammenfassung sowohl der Offenbarung als auch der Verborgenheit Gottes.468 Damit kann die Korrelation von Gott und Mensch mit den Begriffen des Gerichts und der Gnade ausgelegt werden: die Offenbarung des Geheimnisses und der Verborgenheit Gottes ist insofern ein Wort des Gerichts, als „daß der Mensch weder erkennend noch handelnd des Geheimnisses Gottes mächtig ist“469. Die Frage läßt sich nicht unmittelbar auf eine Antwort hin ausziehen. Die Offenbarung Gottes ist aber auch ein Wort der Gnade, denn wir müssen keine Gotteserkenntnis aus eigener Kraft leisten, sondern „wir sollen (…) unsere Grenzen nicht nur erkennen, wir können und dürfen sie auch anerkennen“470. In anderen Worten: die Frage löst die konstitutive Fraglichkeit des Menschen nicht auf, sondern verweist sie in eine bewußte Entscheidung zugunsten der Selbstevidenz der Liebe Gottes.471
466 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 161. Gottes „sub contrario“ bedeutet nicht, daß Gott sich dem Menschen entzieht, sondern daß er sich ihm zuwendet und sich in dieser Zuwendung als (theologisch gefülltes) Geheimnis zuwendet. 467 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 166. 468 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 165. 469 Der Gott Jesu Christi, 167. 470 Der Gott Jesu Christi, 167. 471 „Die Offenbarung des Geheimnisses Gottes setzt das Gesetz der Selbstrechtfertigung durch die Werke außer Kraft und proklamiert das Evangelium von der allein rechtfertigenden Gnade. So ist die Offenbarung des Geheimnisses Gottes die Offenbarung des Geheimnisses unseres Heils; sie ist die fundamentale und zentrale Heilswahrheit des christlichen Glaubens.“ (Der Gott Jesu Christi, 167; Hervorhebung von Kasper)
C. Zweiter Hauptteil: Die Person Jesu Christi als Gottes universales Heil
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C. Zweiter Hauptteil: Die Person Jesu Christi als Gottes universales Heil im Heiligen Geist 1. Anforderungen an eine relevante Christologie Das Erscheinungsbild der Christologie hat bei Kasper den methodologischen Vorüberlegungen zu entsprechen. In ihr müssen die fundamentaltheologischen Optionen verifiziert und eingelöst werden. Bei der Besprechung der konkreten Entfaltung der Christologie müssen wir uns dabei immer das methodologische Grundproblem der dialektischen Verhältnisbestimmung von Glaube und Geschichte vor Augen halten. Dabei setzen wir voraus, daß der Pol des Glaubens seinerseits bestimmt wird von einer theologischen Reflexion auf das Geheimnis Jesu Christi und von einer soteriologischen Motivation für das jeweilige „Heute“. Geschichtlich bestimmt, universal verantwortet und soteriologisch motiviert – so soll die Christologie Kaspers sein. Botschaft und Situation werden auf der Ebene wiederentdeckter Geschichte und Geschichtlichkeit miteinander vermittelt. Wie wir bereits sagten, liegt Kaspers Christologie in vielen Artikeln, Aufsätzen und Beiträgen in Sammelwerken, in verdichteter Weise jedoch in seinem Manual „Jesus der Christus“ vor.472 Dieses Werk konnte bei seinem Erscheinen viel Aufmerksamkeit für sich beanspruchen und wurde als Entwurf innerhalb der katholischen Theologie dankend und interessiert aufgenommen. Seine Stärke liegt in eben jener gekonnten Kombination von methodischen und inhaltlichen Fragen.473 472 Zur Erinnerung sei gesagt, daß sich „Jesus der Christus“ in drei große Hauptteile aufteilt: „I. Die Frage nach Jesus Christus heute“ (Seiten 13 – 71), „II. Geschichte und Geschick Jesu Christi“ (Seiten 75 – 188), und „III. Das Geheimnis Jesu Christi“ (Seiten 191 – 322). Vgl. dazu auch Neufeld, K. H. (Hrsg.): Probleme und Perspektiven dogmatischer Theologie, Düsseldorf 1986, 180 f. Im ersten Teil geht es um die Frage nach dem Heil in einer geschichtlich gewordenen Welt; Kasper möchte hier die Kategorie des Einmaligen und Neuen herausarbeiten. Dieses Neue wird am Geschick Jesu Christi verifiziert und als Freiheit gedeutet. Schließlich wird die systematische christologische Reflexion geleistet. Der Gedankengang von „Jesus der Christus“ wird außerdem sehr treu und ausgiebig verfolgt und kommentiert bei: Baur, J.: Rezension zu „Kasper, Walter: Jesus der Christus“, in: Theologische Literaturzeitung 102 (1977) 59 – 67; Mateo-Seco, L.F.: W.Kasper: Jesús el Cristo, in: Scripta Theologica 11 (1979) 269 – 293. 473 In der Sekundärliteratur wird keines von Kaspers Werken derart intensiv rezipiert wie sein „Jesus der Christus“. Damit wird Kaspers Wunsch, einen Anstoß zur
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
1.1. Hermeneutisch-methodologische Überleitung Die schwierige Frage nach den Verstehensvoraussetzungen der Theologie hat im Zuge der Rezipierung des Zweiten Vatikanums besonders in der Ekklesiologie Ausdruck gefunden. Das ekklesiologische Identität-Relevanz-Dilemma474, von dem Kasper geistesgeschichtlich ausgeht, ist von weiteren Diskussion geliefert zu haben, eingelöst. (vgl. Jesus der Christus, 9) Die Reaktionen waren durch die Bank wohlwollend und lobend. „He (sc. Kasper) must be congratulated.“ (Brinkman, B.: Backroom Christology. „Review of „Jesus the Christ“ by Walter Kasper“, in: The Month 238 (1977) 63 – 64, hier: 63) Sicherlich gibt es auch immer Mängel – einige werden wir in der abschließenden Kritik von Kaspers Denken aufgreifen –, aber im allgemeinen erweckte Kaspers Veröffentlichung den Eindruck, das Vakuum der differenzierten Unterscheidung innerhalb einer sich in viele Richtungen verlierenden Diskussion um die Person und das Werk Jesu Christi ausgefüllt zu haben. Es bestand nach Kaspers eigenem Eindruck „ein spürbares Interesse an einer die Diskussion kritisch sichtenden und solid zusammenfassenden Behandlung der zentralen Themen der Theologie“ ( Jesus der Christus, 9). Da Kasper selbst den Vergleich mit anderen Theologen und Theologien nie scheute, leisten viele Kommentare eine vergleichende Betrachtung von Kaspers Christologie und anderen Ansätzen im Rahmen eines synchronen Überblicks über die letzten Entwicklungen; meistens wird Kasper dabei ein gebührender Platz eingeräumt und der Wert seiner Gedanken gewürdigt. Stellvertretend für die vielen Rezensionen und Kommentare mag folgende Aussage stehen: „Cet ouvrage se recommande par le sérieux de son information, l’honnêteté de ses positions et la grande clarté de son exposition.“ (Collange, J.: „Review of „Jesus der Christus“ by Walter Kasper“, in: RHPhr 55 (1975) 326) Von daher kann man von „Jesus dem Christus“ als von einem „“Schulbuch“ im besten Sinne“ reden (Crumbach, K.-H.: Rez. zu „Jesus der Christus“ von Walter Kasper, in: GuL 48 (1975) 77 f., hier: 78), das sich als theologische Orientierungshilfe anbietet. 474 Vgl. Jesus der Christus, 13 f.; vgl. Erneuerung des dogmatischen Prinzips (Theologie und Kirche), 25. „Die Identitätskrise der Kirche steht vor dem Hintergrund der Sinnkrise der modernen Gesellschaft“ ( Jesus der Christus, 15), welche wir weiter oben zu interpretieren und für die christliche Botschaft zu öffnen versuchten. „Eine Besinnung auf die Christologie stellt den heute geforderten Dienst dar, den die Theologie (die gewiß nicht das Ganze der Kirche ist) der heutigen Gesellschaft und Kirche zu deren Identittsfindung leisten kann.“ ( Jesus der Christus, 15; Hervorhebung von Kasper) Zu den aktuellen Tendenzen und Ansätzen in der Christologie und zu ihrer kritischen Reflexion vgl. Jesus der Christus, 16 – 20; vgl. Schilson/Kasper. Was das Identitäts-Relevanz-Dilemma im besonderen angeht, so sieht Kasper darin die Konsequenz des neuzeitlichen Zusammenbruchs der klassischen Metaphysik und der Auflösung der monolithischen Einheit der Theologie. Die Theologie selbst ist pluralistisch geworden; doch wie kann sie dies sein, ohne relativistisch zu werden? Wichtig ist als Zielangabe, daß der dogmatische Anspruch der Kirche, die einzig wahre Religion zu sein, die Freiheit und Würde der Person nicht verletzt, sondern voraussetzt. (vgl. Er-
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der Glaube-Geschichte-Dialektik nur eine partikuläre Spielart. Wenn Kasper das ekklesiologische Problem an die Christologie weiterreicht, dann wird damit die hermeneutische Fundamentalspannung letztlich auf eine christologische Lösung verwiesen.475 In Jesus dem Christus müssen Glaube und Geschichte derart zusammengedacht werden können, daß die heutigen Menschen nicht nur prinzipiell die Möglichkeit und Plausibilität des religiösen Heils in Jesus Christus einsehen können, sondern auch konkret – pneumatologisch-ekklesiologisch vermittelt – dieses Heil in ihrer Geschichte in eschatologischer Gültigkeit erfahren und leben können. Jesus Christus ist das unhintergehbare Kriterium der Theologie, um eine nicht auf Konkurrenz, sondern auf vermittelte Einheit hin gewirkte Vermittlung des Göttlichen und des Menschlichen zu gewährleisten. „Die Frage ist also: Wer ist Jesus Christus? Wer ist Jesus Christus für uns heute?“476 Dabei wird deutlich: Jesus Christus ist nicht die Antwort in dem Sinne, daß die Spannung von Glaube und Geschichte, Wahrheit und Freiheit, Botschaft und Situation aufgelöst wird, sondern in dem Sinne, daß sie als solche bestehen bleibt und beide Pole zur Geltung kommen läßt. Da dieser zweite Hauptteil sich an bereits gefallenen methodologischen Entscheidungen orientiert, wird er vom Inhalt her mit den wichtigsten und wesentlichsten Ergebnissen bedient werden – zumal sich der Gesamtentwurf der Arbeit vor allem um die Denkformen und folglich vorzüglich um methodologische Optionen bemüht. Ein besonderes neuerung des dogmatischen Prinzips (Theologie und Kirche), 32) Vgl. auch Moltmann, Jürgen: Der gekreuzigte Gott, München 1972, 30 f. 475 „Das Verhältnis von menschlicher Geschichtlichkeit und Gottes ewiger Wahrheit gehört zu den Grundproblemen gegenwärtiger Theologie, ja, es ist vielleicht das Grundproblem gegenwärtiger Theologie. Für den christlichen Glauben handelt es sich letztlich um ein nur christologisch zu lösendes Problem. Denn in aller Geschichtlichkeit ist theologische Wahrheit von dem Ein-für-allemal des Ereignisses Christi bestimmt, der die Wahrheit in Person ist. Diese christologische Struktur der theologischen Wahrheit, wonach diese „unvermischt und ungetrennt“ ganz menschlich-geschichtlich und ganz ewig-göttlich ist, ist ihrerseits – wie vor allem Hans Urs von Balthasar herausgestellt hat – nochmals in deren trinitarischer Struktur begründet. Die Einheit und Verschiedenheit in Jesus Christus hat ihren letzten transzendentaltheologischen Grund, ihre letzte Bedingung der Möglichkeit in der Einheit und Verschiedenheit in Gott selbst. (…) Die ewige Wahrheit Gottes (…) ist in sich selbst Geschehen und Dialog. (…) Die Trinitätslehre wird so zur Grammatik und Summe einer wahrhaft theologisch verstandenen Theologie; sie ist die eigentliche Theologik.“ (Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 50) 476 Jesus der Christus, 14.
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Augenmerk wird aber von der materialen Ausrichtung des Themas her auf den soteriologischen Passagen liegen. Getreu der durch die transzendentale Methode gesteuerten Kasperschen Korrelation, die auch das Glaubensbekenntnis „Jesus ist der Christus“477 von der Dialektik zwischen Gott und Mensch, Christus und Jesus, Glaube und Geschichte her interpretiert, bietet sich in der Christologie der der anthropologischen Wende der Neuzeit entsprechende Ausgangspunkt „von unten“ an. Da die kirchliche Tradition das Glaubensbekenntnis überliefert, daß in Jesus, der als der Christus bezeugt wurde, Gott Mensch geworden ist, kann die Christologie implizit bei diesem Jesus von Nazareth ansetzen, um in ihm die Offenheit für Gott, seinen Vater, zu verstehen. Das kirchliche Dogma, daß dieser Jesus der Christus ist, deutet dabei an, was die Vernunft aus der Geschichte Jesu herauslesen will: seine christologisch-soteriologische Relevanz aufgrund seiner Sohnesbeziehung zum Vater und seiner Offenheit für die Menschen. Die implizite Christologie ist keine reine Christologie „von unten“, sondern die angemessene Vermittlung des aszendenten mit dem deszendenten Ansatz; es geht darum zu verstehen, wie dieser Jesus von Nazareth als Mensch – Mensch „wie wir“ und damit legitimerweise aus unserer heutigen Sicht befragt – Gottes Sohn sein kann.478 Wo öffnen sich die Freiheit und die Geschichte Jesu so für Gott, daß Jesu Einheit mit Gott prinzipiell denkbar wird und das von den von der Tradition überlieferten Vorentwurf der wesenhaften Einheit denkerisch einholen kann? Wo äußert sich in seiner Freiheit eine Ganzhingabe an Gott? Wo interpretiert Jesus seine Freiheit als Liebe und als Dienst an den Menschen? Denn darum geht es: denkerisch nachzuvollziehen, wie es möglich war, daß zum einen die ersten Christen in dem irdischen Jesus von Nazareth den erhöhten Christus erkannten und aus dem geschichtlichen Mann aus Galiläa der geglaubte und angebetete einzige Sohn Gottes wurde, und daß zum anderen dieser Glaube durch die Jahrhunderte der Kirchengeschichte und der Theologie hindurch immer weiter vertieft wurde und auf dem Konzil von Chalcedon zum entscheidenden Kriterium fand, daß in Jesus Christus Gott 477 Vgl. Jesus der Christus, 14. 478 Sesboüé spricht in diesem Zusammenhang von einer „christologie de la fin“ im Sinne einer Christologie, die das Ende als Ziel in den Blick nimmt und Jesus betrachtet als denjenigen, der am Ende als Gott und Sohn Gottes bekannt wird. Damit hebt er diesen neueren Ansatz ab von der scholastischen Fixierung auf die Inkarnation, also von einer sogenannten „christologie du dbut“. (vgl. Sesboüé: Esquisse, 16; Hervorhebungen von Sesboüé)
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und Mensch unvermischt und ungetrennt geeint sind. Oder anders formuliert geht es um zwei Fragen: erstens wie in Jesus als Mensch Gott auf erfüllende Weise gegenwärtig ist, und zweitens wie diese Einheit in Jesus dem Christus heilsrelevant für alle Menschen ist. Es gilt also, die Geschichte als solche und darin die Geschichte des irdischen Jesus und des erhöhten und geglaubten Christus ernstzunehmen und dem Christusereignis sein Spezifikum zuzuerkennen.479 Dann wird aber auch die Unverzichtbarkeit ontologischer Aussagen deutlich, denn die Auferstehung und Erhöhung, der Glaube an den in seiner Kirche lebendig Gegenwärtigen und die notwendige Kirchlichkeit480 der Theologie bedeuten, daß eine reine Aufstiegschristologie nicht ausreicht und letztlich riskiert, in Aporien zu führen. Diese geschichtliche Christologie muß zugleich narrative Christologie sein, die die Geschichte Jesu als konkrete Heilsgeschichte erzählt481, denn die Christologie ist „auf eine ganz bestimmte Geschichte und auf ein einmaliges Geschick verwiesen“482 und kann nicht aus den Bedürfnissen der Gesellschaft oder der Menschen abgeleitet werden. Den Primat in der Korrelation genießt die am Ereignis selbst manifest werdende Botschaft! Von daher will Kasper auch die Ansätze – wenn auch nicht pauschal die Ergebnisse – der modernen historischen Forschung übernehmen und daraus das Jesusbild der Heiligen Schrift eruieren.483 Jesus „von unten“
479 Die starke Verschränkung von Christologie und Geschichte bei Kasper wird von Giovanni Marchesi in zwei Artikeln ausgiebig reflektiert: „La storia e il suo compimento nell’opera teologica di Walter Kasper“ und „Gesù Cristo compimento della storia nell’opera teologica di Walter Kasper“. 480 Aufgrund der kirchlichen Sprache und Praxis als transzendentale Voraussetzung der dogmatischen Wissenschaftlichkeit ist die Kirche die Voraussetzung, der Mutterboden und der Lebensraum der Theologie. (vgl. Dogmatik als Wissenschaft, 201) 481 Vgl. Jesus der Christus, 20. 482 Aufgaben der Christologie heute, 134 f. 483 Vgl. Jesus der Christus, 30 – 38. Darin unterscheidet sich Kasper fundamental von Tillich, der prinzipiell den Ansatz der Leben-Jesu-Forschung verwarf. Doch auch Kasper kennt die Grenzen der Leben-Jesu-Forschung und weiß um die Unmöglichkeit, wie durch einen Sprung beim ursprünglichen, scheinbar „unverfälschten“ Jesus der Geschichte selbst anzusetzen: „Die neue Frage nach dem historischen Jesus wahrt (…) den hermeneutischen Zirkel, der für alles Verstehen gilt. Sie geht aus von dem Vorverständnis, dem gegenwärtigen Glauben, und mißt diesen an seinem Inhalt, an Jesus Christus.“ ( Jesus der Christus, 40) Dabei ist Jesus Christus jedoch zu verstehen in der Einheit seines irdischen Lebens und seiner Erhöhung in der Auferstehung. Rein historisch-philosophische Kategorien
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her zu betrachten, dient dem Ziel, in ihm das „von oben“ geschenkte Heil zu bekennen. Damit ergibt sich in geraffter Form für die von Walter Kasper intendierte Christologie folgendes Erscheinungsbild bzw. folgender Ansatzpunkt und folgende Problemstellung484 : der Ausgangspunkt ist das kirchliche Bekenntnis „Jesus ist der Christus“, in dem der irdische Jesus und der erhöhte Christus in komplementärer Zugehörigkeit zu gleichen Rechten kommen485 ; der Inhalt und die Norm sind entsprechend der historischen Ernsthaftigkeit die Geschichte und das Geschick Jesu, so daß die Christologie in zwei Teile aufgebaut sein muß: zuerst Geschick und Geschichte Jesu Christi und dann von daher ausgehende begriffliche Interpretation als Geheimnis Jesu Christi; der inhaltliche Mittelpunkt ist aber im Sinne des unableitbaren Neuen nicht alleine das Kreuz, sondern auch die Auferstehung Jesu, durch die er zum Christus erhöht wird und durch die auch eine einseitige Inkarnationschristologie korrigiert und der Ausgriff nach vorne auf die Parusie und nach hinten auf die Präexistenz und Menschwerdung ermöglicht wird; das Grundproblem der Christologie bleibt aber die Vermittlung der beiden jeweils biblisch begründeten Sichtweisen der Aufstiegs- und der Abstiegs-Christologie. Es ist die Frage nach dem Verhältnis von Sein und Zeit, von Glaube und Geschichte. „Die geschichtliche Frage nach Jesus Christus wird so zur Frage nach der Geschichte überhaupt. Nur in diesem universalen Horizont kann auch die geschichtliche Frage nach Jesus Christus sachgemäß entfaltet werden.“486 Das heißt: „Ausgangspunkt der Christologie ist also der irdische und der erhöhte Christus, besser: die eine Geschichte, das eine Geschick und der eine Weg, der Jesus Christus zum Kreuz und zur Auferstehung führte.“487 Oder anders ausgedrückt: Ausgangspunkt ist die „Korrelation von historischem Jesus und verkündigtem Christus“488. Diese eine Ge-
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werden gesprengt und müssen für den Begriff des unableitbar Neuen offengehalten werden. Vgl. Jesus der Christus, 43 f. McDermott sieht diesen Ansatzpunkt Kaspers in zwei Ursachen gründen: „The living Christ is today encountered only in the living faith of Christians in the twentieth century, and the Jesus of yesterday is met only through the faith-witness of the NT, the book of the early church.“ (McDermott, B. O.: Roman Catholic Christology: Two Recurring Themes, in: Theological Studies 41 (1980) 339 – 367, hier: 340) Jesus der Christus, 44. Aufgaben der Christologie heute, 137 (Hervorhebungen von Kasper). Aufgaben der Christologie heute, 138.
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schichte folgt aber zugleich der Dynamik der sogenannten „Zwei-StufenChristologie, die von Christus „gemäß dem Fleisch“ und von Christus „gemäß dem Geist“ sprach (vgl. Röm 1,3 f.)“489. Von diesen Orientierungen her kann Kasper an anderer Stelle die drei Aufgaben und Prioritäten der heutigen Christologie als geschichtliche Bestimmtheit, universale Verantwortbarkeit und soteriologische Bedeutsamkeit benennen.490 1.2. Eine narrativ-implizite Christologie Kaspers Neubegründung der Christologie geschieht in zwei Schritten: in einer biblischen Grundlegung und in einer dogmengeschichtlichen Begründung. Beides wollen wir kurz nachzeichnen. Der Ansatzpunkt ist die Geschichte Jesu, während der Zielpunkt die Formulierung seines Geheimnisses ist. Entscheidend ist dabei der Sprung von einer seinsmäßigen zu einer gnoseologischen Betrachtungsweise bzw. im allgemeinen der methodo-logisch gestaltete dialektische Wechsel zwischen beiden Blickwinkeln. Ontologische und funktionale Christologie greifen ineinander. Kaspers biblische Grundlegung versucht nicht, die wahre Identität Jesu von Nazareth von den Christustiteln her zu eruieren, sondern bei der impliziten Christologie491 anzusetzen: Jesus ist die Herrschaft Gottes in Person aufgrund seiner einmaligen Beziehung zum Vater. Er ist ganz „Hohl- und Leerform“492 für Gott, da er sich selbst ganz vom Vater empfangen hat, aus ihm heraus besteht und sich ihm verdankt. In Jesus geschieht, ja Jesus ist demnach die personale Selbstmitteilung Gottes. Er ist „die Summe alttestamentlicher Hoffnung und zugleich deren berbietung“493. Damit erkennen wir in ihm nicht allein, wer der Mensch ist – wie es der 489 Aufgaben der Christologie heute, 137. Vgl. auch die pikante Auseinandersetzung von Kasper mit Küng um die Gestalt einer Christologie „von unten“, in: Christologie von unten?, 159 – 183. Vgl. zur Diskussion um die Legitimität und die Grenzen einer Christologie „von unten“ auch Sesboüé: Esquisse, 15 – 20. Für Kasper lassen sich beide Ansätze nicht gegeneinander ausspielen, sondern müssen sich ergänzen. (vgl. McDermott, 366 f.) 490 Vgl. Jesus der Christus, 20 – 26. 491 Vgl. Jesus der Christus, 117 – 122. Dabei interpretiert Kasper das Neue Testament immer sehr sorgfältig auf dem Hintergrund des Alten. 492 Jesus der Christus, 321. 493 Der Gott Jesu Christi, 209 (Hervorhebung von Kasper). In anderen Worten: die neutestamentliche Christologie „hat einen durchaus originren Charakter und stellt eine analogielose Innovation dar“ (Der Gott Jesu Christi, 218; Hervorhebungen von Kasper).
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anthropologische Ansatz zurecht behauptet –, sondern ebenso, wer Gott ist.494 Wer aber war nun nach Kasper Jesus von Nazareth? „Letztlich paßt Jesus in kein vorgegebenes Schema; er ist der Mann, der alle Schemen sprengt.“495 Er selbst tut nicht viel dazu, sein eigenes Geheimnis zu lüften, denn es geht ihm ganz um die Botschaft von Gottes kommender Herrschaft in der Liebe. „Im Zentrum der Verkndigung und des Auftretens Jesu selbst steht nicht seine Person, sondern die kommende Herrschaft Gottes.“496 Diese Botschaft ist „der Grundgedanke der Christologie“497 und auch das letzte Geheimnis seiner Person, denn in dieser Botschaft geht es im Jetzt mit eschatologischer Gültigkeit um „Gottes Gottsein und Herrsein, das zugleich die Menschlichkeit des Menschseins und das Heil der Welt bedeutet“498 : Befreiung, Versöhnung und Frieden. In Jesus selbst erhält die Herrschaft Gottes aufgrund seiner sehr persönlichen „abba“-Beziehung eine neue, vertiefende Interpretation: „Gottes Herrsein besteht für ihn in der Souveränität seiner Liebe.“499 Diese Liebe ist Liebe in souveräner Freiheit500 ; sie betrifft sowohl Gott als auch den Menschen. Die Antwort des Menschen ist von daher frei entschiedener Glaube: „“Gott-wirken-Lassen“, „Gott-in-Aktion-tretenLassen“, Gott Gott sein lassen und ihm die Ehre geben, also seine Herrschaft anerkennen„501. Diese Sicht hat soteriologisches Gewicht: „Das Heil der Gottesherrschaft besteht darin, daß die sich selbst mitteilende Liebe Gottes im Menschen und durch den Menschen zur Herrschaft kommt. Die Liebe erweist sich als der Sinn des Seins. Nur in der Liebe finden Welt und Mensch ihre Erfüllung.“502 Dafür ist Jesus Christus der herausragende Zeuge. Vor allem in den Wundern Jesu, welche „Aussagen des Glaubens 494 Zugleich hat aber zu gelten, daß dann aus einem reinen Denkgeheimnis „Gott“ durch Jesus ein Aufruf zur Nachfolge wird. (vgl. Christologische Schwerpunkte: Neuansätze, 26 – 29) 495 Jesus der Christus, 80. 496 Der Gott Jesu Christi, 210 (Hervorhebung von Kasper). 497 Jesus der Christus, 85 (Hervorhebung von Kasper). 498 Jesus der Christus, 85 (Hervorhebung von Kasper). 499 Jesus der Christus, 93. 500 Dies enthält eine neue Interpretation von Schöpfung: „Die Liebe ist also nicht nur das Sinnziel, sondern auch Grund aller Wirklichkeit.“ ( Jesus der Christus, 98) 501 Jesus der Christus, 96 (Hervorhebung von Kasper). „Au coeur de la christologie, il y a donc une relation dialogale et personnelle, elle-même inscrite dans la vie d’une communauté, et qui est de l’ordre de l’existence.“ (Sesboüé: Esquisse, 6) 502 Jesus der Christus, 102 (Hervorhebung von Kasper).
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ber die Heilsbedeutung der Person und der Botschaft Jesu“503 sind, wird deutlich, daß in dieser allesumfassenden Liebe Gott und Mensch keine Konkurrenten sind, sondern „die Intensitt der geschçpflichen Eigenstndigkeit (…) im gleichen und nicht im umgekehrten Verhltnis mit der Intensitt des Handelns Gottes (wächst)“504. Der Anspruch Jesu geht aber noch weiter als die Verkündigung der Botschaft: er ist diese Gottesherrschaft in Person. „Bei Jesus von Nazareth lassen sich seine Person und seine „Sache“ nicht trennen; er ist seine Sache in Person. (…) Deshalb enthält die gesamte Verkündigung Jesu von der kommenden Herrschaft Gottes, enthalten sein Auftreten und Wirken eine implizite bzw. indirekte Christologie, die nach Ostern ins explizite und direkte Bekenntnis gefaßt wurde.“505 Sein Beanspruchen des Hoheitstitels „Menschensohn“ bestätigt seinen eschatologischen Anspruch und seine Repräsentanz der Menschen gegenüber Gott.506 In diesem eschatologischen Kontext spitzt sich Jesu Konflikt mit seinen Gegnern zu und führt zu seinem gewaltsamen Tod am Kreuz. Diese Selbsthingabe bis zum Ende und die damit verbundene eschatologische Deutung seines Todes entsprechen „dem Gesamtrichtungssinn seiner eschatologischen Botschaft, wonach Gottes Herrsein in Niedrigkeit und Verborgenheit kommt“507. „Der Tod Jesu am Kreuz ist die letzte Verdeutlichung dessen, um was es ihm allein ging: das Kommen der eschatologischen Herrschaft Gottes. Dieser Tod ist die Verwirklichungsgestalt der Gottesherrschaft unter den Bedingungen dieses ons, der Herrschaft Gottes in menschlicher Ohnmacht, des Reichtums in der Armut, der Liebe in Verlassenheit,
503 Jesus der Christus, 106 (Hervorhebung von Kasper). 504 Jesus der Christus, 112 (Hervorhebung von Kasper). 505 Jesus der Christus, 118 (Hervorhebung von Kasper). Diese verborgene Christologie läßt sich nach Kasper an 3 Punkten konkretisieren: erstens impliziert Jesu Verhalten gegenüber den Sündern einen „unerhçrten christologischen Anspruch“ ( Jesus der Christus, 119; Hervorhebung von Kasper); zweitens spricht er vollmächtig im Namen Gottes und versteht sich selbst als Gottes Stimme (vgl. Jesus der Christus, 120); und drittens impliziert auch sein Ruf in die Nachfolge eine ganze Christologie, weil die Nachfolge Jesu einem Bekenntnis zu ihm gleichkommt (vgl. Jesus der Christus, 121 f.). In „Der Gott Jesu Christi“ fügt Kasper noch einen vierten Weg hinzu: Jesu Gottesanrede als Abba, in der sein besonderes Sohnesbewußtsein sichtbar wird, zumal er zwischen seiner Gottesanrede und jener seiner Jünger nochmal unterscheidet. (vgl. Der Gott Jesu Christi, 214) 506 Vgl. Jesus der Christus, 128. 507 Jesus der Christus, 139.
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der Flle in der Leere, des Lebens im Tod.“508 Der alte Äon wird abgebrochen, und der neue Äon wird mit eschatologischer Endgültigkeit eröffnet. Gott geht für den Menschen in die Gottesverlassenheit ein. Seinem Tod entspricht von Jesu Seite deshalb eine verborgene soteriologische Deutung des stellvertretenden Seins-für-die-anderen.509 Das Scharnier zwischen dem irdischen Jesus und dem erhöhten Herrn bildet die Auferstehung.510 Eine hermeneutische Überlegung läßt die Auferweckung Jesu katholischerseits vor allem als Zeichen511 verstehen, dem nach Kaspers Korrelationsmethode am besten der anthropologische Zugang der Frage nach dem Sinn entspricht: „Die Sinnfrage des Menschen ist innergeschichtlich allein nicht beantwortbar, sie lßt sich nur eschatologisch beantworten. (…) Die Antwort ist freilich erst am Ende der Geschichte mçglich. Jetzt kann der Mensch nichts anderes tun, als in die Geschichte hineinzuhçren und hineinzuschauen, ob ihm Zeichen begegnen, in denen sich dieses Ende abzeichnet oder gar antizipatorisch vorwegereignet.“512 In den Erscheinungen als eschatologischer Selbstoffenbarung Gottes wird der Glaube der Sehenden in der selbst-evidenten und imponierenden Treue-Wahrheit Gottes selbst begründet.513 Jesus Christus als der auferstandene Gekreuzigte „geht die Jünger an“ und läßt sie die Macht der durch seinen Tod hindurch endgültig gekommenen Herrschaft Gottes erfahren. Damit bleibt trotz der anthropologischen Offenheit letztlich der Pol der sich durchsetzenden Botschaft der Auferstehung der dominierende Pol. In der Auferstehung offenbart sich Gott als derjenige, der die Macht über Leben und Tod, Sein und Nichtsein hat und dem der Mensch unbedingt vertrauen kann. Diesem Gott begegnet der Mensch nun 508 Jesus der Christus, 140 (Hervorhebung von Kasper); vgl. Der Gott Jesu Christi, 216. 509 Vgl. Jesus der Christus, 141 f. 510 Über die Auferstehungsvorstellung Kaspers und anderer zeitgenössischer Theologen gäbe es viel mehr zu sagen, als das in unserem Kontext möglich und richtig ist. Daß die Frage nach wie vor heiß debattiert wird, zeigt die rezente Dissertation an der Gregoriana von Chalakkal, Sebastian: The post-resurrection appearances in contemporary Catholic Christology : a study of Hans Küng (1928- ), Walter Kasper (1933- ) and Hans Kessler (1938- ), Roma 2004. 511 Daß die katholische Theologie eine konzeptuelle Vorliebe für den Begriff des „Zeichens“ pflegt, liegt daran, daß die Auseinandersetzung um den historischen Jesus gezeigt hat, daß die Historie nicht zur Legitimation des Kerygmas, jedoch als Kriterium des Glaubens und der Botschaft dienen kann. (vgl. Jesus der Christus, 39; vgl. Sesboüé: Esquisse, 14 f.) 512 Jesus der Christus, 162 (Hervorhebung von Kasper). 513 Vgl. Jesus der Christus, 167.
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endgültig in Jesus dem Christus: „In der Auferweckung Jesu von den Toten hat Gott seine Treue in der Liebe erwiesen und sich endgltig mit Jesus und seiner Sache identifiziert.“514 Seine Erhöhung drückt seine eschatologisch gültige göttliche Würde aus; die kompromißlose Selbsthingabe des Kreuzes wird von Gott endgültig angenommen und vollendet. „Die Auferweckung ist gleichsam die gçttliche Tiefendimension des Kreuzes.“515 Damit hat Gott auch Jesu Sein für die anderen angenommen und Versöhnung gestiftet mit den Menschen und der Welt. Die Auferstehung hat also einen eminenten soteriologischen Wert und eröffnet den Menschen eine neue Wirklichkeit. Dieses „neue Sein in Christus“ kann „am ehesten unter dem Begriff der christlichen Freiheit zusammengefaßt werden“516 : Freiheit von der Sünde und für Gott in Christus Jesus, Freiheit vom Tod und für das angstfreie Leben, Freiheit vom Gesetz und für die Liebe.517 In dieser Freiheit entsteht die Kirche als neue Sammlung der Jünger und als Ort der Feier der Sakramente der bleibenden Gegenwart des eschatologisch erhöhten Herrn.518 In anderen Worten bedeutet dies: die Auferstehung bestätigt nicht nur das irdische Leben Jesu, sondern ist selbst ein neues, schöpferisches Ereignis. Gott offenbart sich ohne Vorbehalte ganz. Jesus wird zum Christus und zum Reich Gottes in Person. „Kasper insists that the Resurrection has content and reality in surplus of the earthly Jesus.“519 Anders kann die Auferstehung nicht zu einem Scharnier zwischen irdischem und im Geist erhöhtem Christus werden. Damit wird von der Auferstehung Jesu her deutlich, wie die unbestimmte Offenheit der Geschichte beantwortet wird durch die eschatologische Macht der Herrschaft Gottes, welche die Geschichte neu definiert als Zeit der Begegnung von Gott und Mensch. Diese eschatologische Gegenwart des Reiches Gottes, die gemäß dem Gesetz der Freiheit grundsätzlich im Verborgenen sich ereignet, erschafft sich in der Auferweckung ein strahlendes Zeichen, das aber nicht zum Glauben zwingt, sondern die Plausibilität des Glaubens an den lebensspendenden Gott unterstreicht und vernünftig untermauert.520 Die unbestimmte 514 515 516 517 518 519 520
Jesus der Christus, 169 (Hervorhebung von Kasper). Jesus der Christus, 176 (Hervorhebung von Kasper). Jesus der Christus, 184 (Hervorhebung von Kasper). Vgl. Jesus der Christus, 185 f. Vgl. Jesus der Christus, 186 – 188. McDermott, 341. Von ihrem eschatologischen Charakter her ist auch die Kirche Zeichen und Werkzeug dieser in Jesus Christus auf bleibend gültige Weise geschenkten Einheit von Gott und Welt.
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transzendentale Offenheit des Menschen wird also nicht positivistisch, sondern eschatologisch und damit in gültiger Bewahrheitung dieser Offenheit bestimmt. Die Korrelation bleibt eine offene Bewegung. Die Geschichte wird als Horizont der Korrelation über sich hinausgeführt zu einer eschatologischen Erfüllung. Da Kasper seine geschichtliche Christologie von vornherein als implizite gestaltet, vermeidet er die Extremform einer einseitigen Christologie „von unten“, welche droht, zur Jesuologie zu degenerieren.521 „Der irdische Jesus verstand sich nie „von unten“; er verstand sich aus seiner Sendung „von oben“.“522 Von daher geht die implizite Christologie von dem Anspruch aus, den Jesus für sich, seine Botschaft, sein Leben und Sterben erhob und der sich im Ostergeheimnis bestätigte bzw. in unerwartet neuer Weise erhoben wurde und in Erfüllung ging. „Auferweckung und Erhöhung Jesu müssen also verstanden werden als 521 Vgl. Latourelle, R.: A Gesù attraverso i vangeli. Storia e ermeneutica, Assisi 1979; vgl. Grech, P.: Gesù storico ed ermeneutica esistenziale, Roma 1973. Im Umfeld der Zweiten Vatikanums bedurfte die theologische Relevanz des Historischen einer Klärung. Drei denkerische Abkürzungen sollten aus guten Gründen verhindert werden: der Mythos, damit die Freiheit des handelnden Gottes letztverbindlich bleibt; der Doketismus, damit eine Identifikation des erhöhten Herrn mit dem irdischen Jesus ermöglicht und die Überzeugung der Erlösung „im Fleisch“ geschützt wird; der Enthusiasmus, damit über alle Gegenwärtigkeit des Heils hinaus das „extra nos“ des Heils, der Primat Christi vor und über seiner Kirche, im Bewußtsein bleibt. (vgl. Jesus der Christus, 39) Die daraufhin gestellte „neue“ Frage nach dem historischen Jesus wahrte zwar den hermeneutischen Zirkel zwischen Jesus und Glauben, doch zugleich machte sie zwei Voraussetzungen, welche die Versöhnung von christologischem Dogma und historischer Kritik unmöglich machte: auf philosophischer Seite war es das Gesetz des Allgemeinen und der Analogie, wodurch jedes unableitbar Neue von vornherein ausgeschlossen war; auf theologischer Seite handelte es sich um eine Ausklammerung der Auferstehung zugunsten einer rein irdisch verhafteten Christologie. Demgegenüber gilt jedoch: „Inhalt und primäres Kriterium der Christologie ist ( jedoch) der irdische Jesus und der auferweckte, erhöhte Christus.“ ( Jesus der Christus, 41) Die historische Fragestellung hat demnach eine unersetzliche Wichtigkeit, doch sie wird durch zwei Fakten relativiert: einerseits ereignet sich Offenbarung auf unableitbare Weise auch in der Auferweckung und in der pfingstlichen Geistsendung, so daß der historische Jesus unmöglich alleiniger Inhalt des Christusglaubens sein kann; und andererseits ist uns damit durch den Heiligen Geist über die zeitlichen Unterschiede, Hindernisse und Distanzen hinaus ein wahrhaft unmittelbarer Zugang zu Christus ermöglicht, der ihn für uns zu „freimachendem Evangelium (vgl. 2 Kor 3,4 – 18)“ ( Jesus der Christus, 41) macht. 522 Aufgaben der Christologie heute, 136.
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die überbietende Erfüllung von Leben und Werk des irdischen Jesus. (…) Was Jesus ontisch lebte, Dasein ganz aus Gott und ganz für Gott, würde später ontologisch entfaltet.“523 Der neue christologische Ansatz sieht in Jesu Beziehung zu seinem Vater „indirekt und der Sache nach die ZweiNaturen-Lehre grundgelegt“524, wie sie vom Konzil von Chalcedon ausformuliert wurde. Damit werden gleich im Ansatz Christologie und Soteriologie miteinander verknüpft, da Christus selbst von seiner ontischen Offenheit für seinen Vater und für die Menschen untrennbar wird. 1.3. Das Grundproblem spekulativer Entfaltung der Soteriologie Der implizit in der Geschichte Jesu erhobene und durch die Auferstehung zeichenhaft explizierte Anspruch, daß sich in Jesus Gott „ein für alle Mal, einzigartig, unvertauschbar, endgültig und unüberbietbar geoffenbart und mitgeteilt hat“525, wird in Bekenntnisformeln und schließlich in dogmatischen Systematisierungen und Konzilsaussagen festgehalten. In seiner dogmengeschichtlichen Begrndung geht Kasper davon aus, daß von Anfang an die heilsgeschichtliche Christologie „von unten“ nicht in sich verschlossen war, sondern dazu diente zu sagen, was Gott „von oben“ zu unserem Heil in der Geschichte gewirkt hat. Geschichte und Geheimnis bedingen sich gegenseitig; zwischen dem irdischen Jesus und dem auferweckten erhöhten Christus besteht eine gegenseitige Entsprechung.526 „Così come la storia è il fondamento del mistero, allo stesso modo, il mistero affonda le sue radici nella storia.“527 Das Dogma, das in der neuzeitlichen Theologie verstärkt dem Verdacht der Hellenisierung und der einseitigen Betonung und Betonierung des Ontologischen verfiel, ist von seinem Selbstverständnis her die ge523 Aufgaben der Christologie heute, 138. Damit sind zwei entscheidende Dinge im Hinblick auf die Anthropologie gesagt: in Jesus Christus ging – wie wir eingangs sagten – die Anthropologie durch die Christologie (bzw. durch seinen Christuscharakter von Gott her) in Erfüllung. Die Auferweckung als Ausdruck der „via eminentiae“ ist aber einzig und alleine Gottes Werk der Treue. Sie ist Werk seiner Wahrhaftigkeit. Andererseits deutet die Auferweckung Jesu Christi darauf hin, daß auch der Mensch von Gott zu einer eschatologischen Überbietung seiner irdischen, sich selbst transzendierenden Geschichte gerufen ist. „Theologische Anthropologie wird so letztlich zur Exegese der Christologie.“ (Das theologische Wesen des Menschen, 112) 524 Der Gott Jesu Christi, 214. 525 Jesus der Christus, 191. 526 Vgl. Jesus der Christus, 41. 527 Madonia: Cristologia, 286.
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schichtlich geformte Übersetzung des Zeugnisses der Heiligen Schrift in die jeweilige Sprache und Denkform hinein – im Falle der klassischen Dogmen in einen kosmologischen Horizont hinein. Die Sicht „von oben“ sollte demnach auf ontologische Weise das im „von unten“ ontisch Erfahrene ausfalten und zu seiner vollen Gültigkeit bringen. Die Motivationen, von denen dieser Schritt der dogmatischen Ausformulierung getragen wurde, widersprechen nicht den Anliegen der impliziten Christologie; einerseits handelt es sich um die soteriologische Motivation, andererseits um die rationale.528 Jesus Christus ist der Erlöser aller Menschen, und dieses Bekenntnis läßt sich vernünftig erklären. Die fundamentale Voraussetzung für einen solchen Ansatz ist jedoch, daß Christus das Heil der Menschen nicht primär ist, weil er als Gott erscheint, sondern weil er in seiner Wesenseinheit mit Gott selbst ganz Mensch ist, ja, so Mensch ist, wie Gott sich den Menschen vorstellt. Nur das, was angenommen ist, kann geheilt werden. Das soteriologische Kriterium der Gestalt Jesu Christi ist in der „Korrelation“ von Gottheit und Menschheit seine ganz von der Gottheit erfüllte Menschheit. Anders gesagt: daß Christus den Menschen Erlösung bringt, liegt primär daran, daß er als Mensch selbst der ganz Erlöste und von Gott Erfüllte war! Insofern definiert Kasper die spezifisch soteriologische Seite des Geheimnisses Christi, d. h. das Heil des Menschen von Christi Titel des „Menschensohnes“ her: in Christus wird offenbar, was Gottes Heil für den Menschen bedeutet.529 Insofern ist die Christologie bei Kasper vorrangig soteriologisch orientiert. Die Soteriologie wird nicht durch enthobene Trinitätsspekulationen überfremdet; auch die Trinitätslehre dient als transzendentale Bedingung der Möglichkeit der soteriologisch interpretierten Christologie. Die ontologischen Aussagen der Christologie stehen damit letztlich im Dienst der funktionalen Relevanz derselben; zugleich können diese funktionalen Aussagen nur gemacht werden auf 528 Natürlich – und das bemerkt Kasper zurecht, um keiner vermeintlichen unkritischen Huldigung ewig gültiger Formeln zu verfallen – gibt es dabei nicht nur Gewinne, sondern auch Verluste. Die dogmengeschichtliche Begründung Kaspers soll demnach sicherstellen, daß in dem Irdisch-Geschichtlichen das darin aufleuchtende Ewig-Gültige als soteriologisch Relevantes rational verstanden und festgehalten werden kann. (vgl. Christologische Schwerpunkte: Neuansätze, 29 – 32) 529 „In der Menschwerdung ist also die ganze Geschichte unseres Menschseins, Geburt und Tod, Suchen und Finden, Freud und Leid, von Gott angenommen und erlöst.“ (Aufgaben der Christologie heute, 139)
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dem Fundament ontologischer Seinsaussagen.530 „So bringt gerade die funktionale Christologie Gottes Wesen als sich verschenkende Liebe zum Ausdruck.“531 Da die christologischen dogmatischen Formeln der Tradition prinzipiell soteriologischen Charakter haben, sind in diese Formeln der Mensch – und zwar als Mensch, wie er sich zur Zeit der Formulierung der dogmatischen Formel selbst verstand – und sein Heil eingegangen. Die Tradition birgt von daher in sich die wichtige formale Feststellung, daß sie unveräußerbare Sachfragen thematisiert, die aber in jeweils geschichtlicher Form von der Substanz her bleibenden, von der Formulierung und vom philosophischen Hilfswerkzeug her jedoch vergnglichen Wert haben.532 Die christologisch-soteriologische Sachfrage besteht darin, daß in 530 Wie wir sahen, bedingen sich funktionale und ontologische Aussagen gegenseitig, wobei gemäß der Kasperschen Korrelation der Ausgangspunkt bei der Ontologie bzw. bei der Wahrheit liegt, der Zielpunkt jedoch in der soteriologischen Relevanz für den funktional angesprochenen Menschen in seiner geschichtlichen Freiheit. Ansonsten würde es für Kasper wenig Sinn machen, seine Theologie von den Bedürfnissen der Neuzeit her zu interpretieren, wenn es nicht darum ginge, seinen Zeitgenossen die Heilsbotschaft auf verständliche und universal kommunizierbare Weise zuzusprechen. Die Wahrheit wird in ihrer geschichtlichen Form verifizierbar gemacht, um für die aktuelle geschichtliche Situation Glauben prophetisch interpretieren zu können. 531 Jesus der Christus, 196. „Ohne Jesu Verkündigung wäre Gott nicht als schon gegenwärtige und bedingungslos zuvorkommende Liebe, ohne seine erwiesene Bereitschaft zum Tod nicht der Ernst und die unwiderrufliche Entschiedenheit dieser Liebe und ohne seine Auferweckung nicht ihre verläßliche Treue und todüberwindende Macht und somit auch nicht Gott selbst als ihr wahrer Ursprung offenbar geworden. Also ist Jesu Geschichte, als Einheit betrachtet, die Offenbarung der unbedingt für die Menschen entschiedenen Liebe Gottes.“ (Pröpper: Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik, 180) 532 Eine geschichtliche Betrachtung vom christologischen Dogma und seiner Tradition erlaubt, die Kontinuität und Legitimität genauso ernstzunehmen wie die Diskontinuität und die Engführungen. Denn christliche Wahrheit findet nicht schrittweise in ein notwendig vorgegebenes Schema hinein, sondern kann sich nur mit sich annähernden, geschichtlichen und deshalb überholbaren Modellen (Analogien) ausdrücken. (vgl. Das Wesen des Christlichen, 186, wo Kasper sich gegen Ratzinger für eine Vermeidung der gefährlichen Ineinsführung von Freiheit und Notwendigkeit, von Glaube und Liebe ausspricht. Menke greift diesen Dissens übrigens als Ausgangspunkt zu seiner Darstellung der Kasperschen Stellvertretungstheologie auf. (vgl. Menke, K.-H.: Stellvertretung. Schlüsselbegriff christlichen Lebens und theologische Grundkategorie. Sammlung Horizonte. Neue Folge 29, Einsiedeln/Freiburg 21997, 339 f)). Die volle Evidenz ist erst eschatologisch erwartbar. Das gilt auch für das auf das heutige philosophische Wirklichkeitsverständnis hin ausgelegte neue Verständnis der christologischen
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Jesus Christus Gott zum Heil der Menschen Fleisch angenommen hat und diese Menschwerdung universale Bedeutung für alle Zeiten und alle Menschen hat. Sie muß – ausgehend von der Sachfrage – also auch heute noch so verstanden und ausgelegt werden können, daß sie der heutige Mensch – so wie er sich legitimerweise und unabhängig von unphilosophischen Überbauten selbst versteht – als Wahrheit über sein Heil in Gott erfährt. Darin besteht der funktionale Wert der ontologischen Aussagen. Und darin besteht die Legitimität des nun zu bedenkenden systematisch formulierten Geheimnisses Christi, in dessen Zusammenhang dogmengeschichtlich vor allem die ersten Konzilien von Nizäa, von Konstantinopel und von Chalcedon sowie das Dritte Konzil von Konstantinopel zur Sprache kommen.
2. Jesus Christus – wahrer Gott und wahrer Mensch in einer Person Die Reflexion des Geheimnisses Jesu Christi weist in verschiedene Richtungen. Da sich das Paradox der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus mitten in der Geschichte auf absolut unerwartete und qualitativ neue Weise ereignet hat, bedarf das paradoxale Ereignis Jesus Christus einer sehr akkuraten theologisch-systematischen Interpretation. Sie hat drei Aspekte: eine trinitätstheologische, eine pneumatologische und eine anthropologische Auslegung. Dabei wird deutlich, daß gerade das Paradoxale an Jesus dem Christus dazu führt, daß die Korrelation von Gott und Mensch rational verbürgt und soteriologisch ausgelegt werden muß. Wenn es nämlich stimmt, daß von der fundamentaltheologischen Überlegung her das Ereignis Jesus Christus nur im Sinne eines unableitbaren Neuanfangs zu denken ist, dann wird die systematische Auslegung letztlich zu einer Auslegung des Paradox’. Das Paradox gibt der Korrelation ihre Stoßkraft. Die Einheit von Gott und Mensch in Jesus Christus braucht eine transzendentale trinittstheologische Überlegung, um den Anspruch Jesu im Wesen Gottes selbst zu verankern. Zugleich muß aber auch pneumatologisch überlegt werden, wie dieser einzigartige Jesus Christus eine universale Bedeutung für alle Menschen und alle Zeiten bekommen kann. Denn in Jesus Christus – und darin besteht nach Kasper die fundamentale Dogmen. Nach Wiederkehr ist die ganze Dogmengeschichte eingebettet und eingeschmolzen in den Fluß der Theologiegeschichte und ihrer Kontexte. (vgl. Wiederkehr, 13)
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Neuentdeckung der neuzeitlichen Theologie – sind ja nicht einfachhin Gott und Mensch statisch geeint, sondern genauso werden in seiner Person die Ewigkeit des Wesens Gottes und die Endlichkeit und die Geschichtlichkeit des Menschen zusammengeführt. In anderen Worten: Jesu Christi Menschwerdung hat nicht nur punktuelle Bedeutung vor rund 2000 Jahren gehabt, sondern bleibt relevant und entscheidend für alle Zeiten. „Dieser einmalige, unvertauschbare Jesus von Nazareth ist zugleich der von Gott gesandte Christus, d. h. der vom Geist gesalbte Messias, die eschatologische Erfüllung der Geschichte, das endgültige Heil der Welt.“533 Und schließlich gilt es, das in Jesus Christus erwirkte Heil anthropologisch zu übersetzen und relevant zu formulieren. Diesen drei Gedankengängen wollen wir nun nachgehen. 2.1. Der „Gottessohn“ – eine trinitarisch verankerte Christologie 2.1.1. Paradox und Gottessohnschaft Die trinitarische534 Orientierung der Christologie dient bei Kasper dazu, die universale Gültigkeit, eschatologische Endgültigkeit und göttliche Wirksamkeit der im Christusereignis geschenkten Erlösung spekulativ zu
533 Aufgaben der Christologie heute, 134. 534 Man wird in diesem Zusammenhang nicht vergessen dürfen, daß Kaspers zweites großes theologisches Manual „Der Gott Jesu Christi“ dezidiert trinitätstheologisch ist; offensichtlich bündeln sich in diesem Traktat viele von Kaspers theologischen Prioritäten. Verständlicherweise haben sich die Kritiker und Kommentatoren auch auf dieses Werk gestürzt. Wir wollen uns grundsätzlich dem Urteil von Josef Sudbrack anschließen, daß diese „Schultheologie“, die man Kasper hoch anrechnen muß, „wissender, moderner und weiter (ist) als das meiste, was sich von diesem „Genus“ der Theologie lösen will“ (Sudbrack, J.: Rez. zu „Der Gott Jesu Christi“ von Walter Kasper, in: GuL 57 (1984) 79 – 80, hier: 79). Werner Löser sieht im allgemeinen das erwachte trinitätstheologische Interesse aus einer gewissen Dynamik erwachsen, die auch auf Kasper angewandt werden kann: „Die Ekklesiologie weist über sich hinaus auf die Christologie, und diese ruft bald nach einer sie tragenden Trinitätslehre.“ (Löser, 20) In Kaspers Trinitätstheologie sieht er eine wachsende theologische Vertiefung und eine dynamische Vereindeutigung geschehen. (vgl. Löser, 38) Der Ansatz bei der Gottesfrage als jener Frage, an der sich die fundamentalen Orientierungen des Ansatzes entscheiden, wird von Antonio Ascione kommentiert: „L’intento di Kasper è dunque quello di riportare la teologia al suo nucleo fondamentale, unico ed unificante: Dio“, wobei das Thema aber von den christologischen Ansprüchen her dominiert wird. (Ascione, 206; vgl. Wright, J.: „Review of „The God of Jesus Christ“ by Walter Kasper“, in: ThT 43 (1986 – 87) 108 – 109, hier: 108)
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stützen.535 „Die geschichtliche Selbstmitteilung Gottes im Leben und in der Person Jesu drängt die theologische Reflexion unvermeidlich zu einer Rückfrage nach Gottes eigenem Sein“536, meint Wiederkehr zum Kasperschen Ansatz. „Au sens strict, en effet, on ne devient pas Dieu, on ne peut être Dieu que par origine“537, kommentiert Sesboüé. Woher also kommt Jesus? Kasper beschreitet das Terrain der Trinitätslehre nicht von der Seinsordnung her, sondern von der Erkenntnisordnung her. Damit vermag er das soteriologische Grundanliegen besser ins Spiel zu bringen. Die Trinität Gottes offenbart sich von der Identität und Relevanz der Sendung Jesu Christi her. Damit wird Kasper jenen beiden Desideraten gerecht, die Werner Löser an alle neueren Trinitätslehren richtet: zum einen eine stärkere Bindung von Gottes ewigem Wesen an die Selbstoffenbarung in Jesus Christus und zum anderen eine Beziehung zwischen der Lehre von Gottes Dreieinigkeit und der natürlichen Gotteslehre bzw. Metaphysik.538 Um das Besondere und Einmalige an Jesus dem Christus539 zu beschreiben, greift Kasper den Titel des „Sohnes Gottes“ auf, denn er kann 535 Nicholas Lash stellt in einem Artikel über neuere trinitarische Ansätze und über seinen eigenen, eher erfahrungstheoretischen und eigenwilligen Ansatz fest, daß zwar die Trinitätstheologie die christliche Gotteslehre schlechthin ist, aber insgesamt in ihrer Spezifizität vergessen wurde. Unter jenen Theologen, die dafür gelobt werden, daß sie wieder trinitätstheologische Gedanken aufnehmen, befinden sich sowohl Paul Tillich als auch Walter Kasper. (vgl. Lash, N.: Condsidering the Trinity, in: Modern Theology 2 (1986) 183 – 196, hier: 183 – 185) Beide haben sich gegen die „Häresie des Theismus“ ausgesprochen (Der Gott Jesu Christi, 359). Der moderne theistische Gott scheint auch Lash „tailor-made“ zu sein (Lash, 192), da er normalerweise exklusiv auf innere Erfahrungen reduziert wird. Lash sieht aber auch den Unterschied zwischen Tillich und Kasper, denn Tillich pflegt mehr eine implizite Trinitätstheologie und baut seinen Entwurf strukturell trinitarisch auf. Kasper dagegen ist viel expliziter. 536 Wiederkehr, 57. 537 Sesboüé: Esquisse, 24. 538 Vgl. Löser, 23 f. 539 Indem Kasper das Einmalige an Christus hervorstreicht, widersteht er dem „Mainstream“ der westlich-scholastischen Tradition, das heilsgeschichtliche Handeln von der ungeteilten Dreieinigkeit auszusagen und Inkarnation des Logos und innertrinitarisches Leben nur auf dem Weg der Konvenienz aufeinander zu beziehen. (vgl. Wiederkehr, 57) Damit eröffnet sich eine ganz neue Möglichkeit, die Gotteslehre, die Christologie und die Pneumatologie in ihren Eigenheiten zu betrachten und in dynamisch-heilsgeschichtlich vermittelter Weise aufeinander zu beziehen. Kasper gelingt diese neue Dynamik.
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am ehesten ausdrücken, daß Jesus die eschatologische Selbstmitteilung Gottes ist. Dieser Titel spiegelt „das unterscheidend Christliche“ wider, da Jesus Christus sich von den Gottessöhnen und Inkarnationen anderer Religionen durch den eschatologisch-endgültigen und universalen Anspruch unterscheidet.540 Wie jedoch kam er zur Sohneschristologie? Im Gehorsam gibt Jesus dem Vater ganz Raum und wird auf ihn hin transparent. Seine ganze Geschichte und sein Geschick werden zu einer geschichtlich-konkreten Interpretation des Wirkens und des Wesens Gottes. „In seinem Gehorsam ist Jesus die Auslegung des Wesens Gottes.“541 Er gehört zu Gott, den er seinen Vater – „abba“ – nennt. In seiner Auferstehung wird bestätigt, verwirklicht, vollendet und in Kraft gesetzt, was Jesus bereits vor Ostern war und auch zu sein beanspruchte: der Sohn Gottes; als zum Heil der Menschen gesandter Sohn ist er die sich verwirklichende Darstellung des Wesens Gottes in der Geschichte. Sendungs- und Wesenschristologie sind also nicht zu trennen, denn funktionale Christologie ist (wesenhafte) Christologie im Vollzug.542 Weil damit von der Geschichte Jesu her deutlich wird, daß Sein kein Vorhandensein, sondern Vollzug und personale Relation ist, wird das Wesen Gottes als Liebe offenbar. Das heißt: von Jesu Leben her läßt sich 540 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 218. „In ihm hat Gott entscheidend und endgültig gehandelt.“ ( Jesus der Christus, 197) Anders als im mythischen Denken wird von der Heiligen Schrift in Jesus Christus das Göttliche und das Menschliche nicht vermischt, sondern in unvermischter und ungetrennter Weise differenziert geeint. Gott und Mensch gehen in Jesus Christus weder ineinander auf, noch bleiben sie im Sinne des Konkurrenzverhältnisses getrennt. Vielmehr gilt: „In Gott ist Raum für den Menschen, sein Leiden und Sterben; Gott ist nicht Unterdrückung des Menschen, sondern Freiheit der Liebe für den Menschen.“ ( Jesus der Christus, 217) Je mehr die Einheit des Menschlichen an Jesus Christus mit dem Göttlichen gedacht wird, umso mehr wird das Menschliche in sein Eigenes hinein befreit. Systematisch werden wir dieses Verhältnis weiter unten klären. Hier ist vor allem wichtig, daß und wie Christus ontologisch als zu Gott gehörig gedacht werden muß. 541 Jesus der Christus, 195. 542 Auf dem Hintergrund der inneren Dynamik der theologisch-biblischen Aussagen des Johannesprologs kommt Kasper zu dem Ergebnis: „Die Funktionsaussage ist also das Ziel der Wesensaussage.“ ( Jesus der Christus, 201) Gottes Wesen, in dem die Funktion gründet, wird in der biblischen Theologie gerade des Johannes vom Standpunkt ihrer soteriologischen Relevanz her gesehen. „Jesus Christus ist also in seinem Wesen und Sein der personhafte Logos Gottes, in dem die Frage nach Leben, Licht und Wahrheit endgültig beantwortet ist.“ ( Jesus der Christus, 201)
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auf „Gottes Wesen als sich verschenkende Liebe“543 schließen. Wahre konkrete Identität ist nur „durch Beziehung und Selbstüberschreitung auf anderes hin“544 möglich. In Jesus Christus ist Gott demnach die Liebe, die das andere seiner selbst annimmt und versöhnt und so zu sich selbst befreit, das heißt zur Liebe. Der Titel des „Sohnes Gottes“ wird im Sinne einer impliziten Christologie „von unten“ und der Beziehung Jesu zum Vater neu interpretiert.545 Diese Selbstoffenbarung Gottes findet in Kreuz und Auferstehung Christi ihren unüberbietbaren und unableitbaren Höhepunkt! 546 Sie machen die Tiefe der Gottessohnschaft Jesu und der Selbsthingabe Gottes offenbar: „Die Macht und Freiheit Gottes ist offensichtlich so souverän, daß er es sich gleichsam leisten kann, auf alles zu verzichten, ohne „sein Gesicht zu verlieren“.“547 Gottes Macht ist seine Liebe, und diese Liebe erweist sich in Ohnmacht. Deshalb begegnet der Mensch Gott nicht im Abstrakten, sondern im Konkreten der Geschichte und des Geschicks des irdischen Jesus. Gottes Liebe in Freiheit ist nicht nur ein immanentes Geschehen, sondern wird auf die Menschen hin ausgelegt. Zu Gottes Selbstauslegung gehört konstitutiv nicht nur die liebende Beziehung zwischen Jesus und seinem Vater, sondern auch die liebende Relation Gottes zu den Menschen. Im Vergleich zu der traditionellen dogmatischen Christologie ist die Betonung des Kreuzes „wohl die entscheidende Neuerung“548 in der impliziten Christologie. Gegenüber einer ontologisch an der Inkarnation interessierten Theologie rückt das Skandalon der Liebe und Freiheit Gottes am Kreuz in den Vordergrund.549 Das Kreuz wird zum Ausdruck des christologischen Paradox: „Die interpretatio christiana des Gottesverstndnisses aufgrund von Kreuz und Auferstehung Jesu fhrt zu einer Krisis, ja Revolution in der Sicht Gottes. Gott offenbart seine Macht in Ohnmacht; sein All-Macht ist zugleich All-Leid; seine zeitberlegene Ewigkeit ist nicht starre 543 Jesus der Christus, 196. 544 Jesus der Christus, 228. 545 Dabei ist es wichtig zu beachten, daß nicht auf supranaturalistische Weise die Legitimierung Jesu als Christus von der Auferstehung ausgeht, sondern die Bewährung seines Christus-, also Erlösercharakters von der Einheit von Botschaft, Bereitschaft zum Tod und Auferstehung begründet wird. 546 Vgl. Jesus der Christus, 230. 547 Jesus der Christus, 198. 548 Der Gott Jesu Christi, 215. 549 „C’est la totalité de son existence, de sa naissance à sa mort, qui constitue son union hypostatique.“ (Sesboüé: Esquisse, 41)
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Unvernderlichkeit, sondern Bewegung, Leben, Liebe, die sich selbst mitteilt an das von ihr Verschiedene. Gottes Transzendenz ist deshalb zugleich seine Immanenz; Gottes Gottsein seine Freiheit in der Liebe.“550 Nach Kasper handelt es sich nicht um „eine statische Paradoxie“, sondern um „dynamische „Durchbruchsformeln““: „“der reich war, ist für euch arm geworden, damit ihr durch seine Armut zu Reichen werdet“ (2 Kor 8,9; vgl. Gal 4,5; 2,19; 3,13 f; 2 Kor 5,21; Röm 7,4; 8,3 f)“551. Nicht nur Gott legt sich in unerwartet neuer Weise aus552, sondern auch die Wirklichkeit der Welt wird damit unter diesem Blick Gottes verändert. Durch den unableitbaren, qualitativen Neuanfang in Jesus Christus wird der Schicksals- und Unheilszusammenhang aufgebrochen. „Die Umwertung, Krisis, ja Revolution des Gottesbildes führt zur Krisis, Veränderung, ja Erlösung der Welt.“553 Zwei Aspekte lassen sich in der Selbstauslegung Gottes als erlösende Liebe unterscheiden: das Heil der Menschen ist nur dann gewährleistet, wenn zum einen Jesus selbst Gott554 und zum anderen Gott ein Gott der Geschichte ist. Beide soteriologisch relevanten und fundamentalen Bedingungen werden im Bekenntnis zum dreieinen Gott aufgegriffen. Zuerst der erste Aspekt. 2.1.2. Die Göttlichkeit Jesu Christi Ausgehend von seiner Erhöhung in der Auferstehung wird Christus in der Schrift nicht alleine als Gottes Sohn, sondern selbst als Gott bezeichnet.555 550 Jesus der Christus, 198 f. (Hervorhebung von Kasper) 551 Jesus der Christus, 198. 552 Von daher kann Kasper vom biblischen Zeugnis her klarmachen, daß das Kreuz letztlich Gottes gewolltes Werk, und nicht nur rein äußerlich eine Verstrickung ungünstiger Umstände war (vgl. Jesus der Christus, 197). 553 Jesus der Christus, 198. 554 „Wenn Christus nicht wahrer Gott ist, dann sind auch wir nicht erlöst.“ ( Jesus der Christus, 209) 555 Vgl. Jesus der Christus, 198 f. Nach Kaspers Meinung ist nach der Überzeugung fast aller Exegeten die Botschaft von der Auferstehung und Erhöhung des Gekreuzigten als Ausgangspunkt der christologischen Ausfaltung im Neuen Testament zu betrachten. (vgl. Der Gott Jesu Christi, 218) Methodologisch folgt Kasper in seiner systematischen Erörterung des trinitarischen Bekenntnisses einem Dreischritt (vgl. Der Gott Jesu Christi, 298): erstens geschieht der Aufweis der trinitarischen Struktur des Offenbarungsgeschehens, welches eine pneumatologische und eine christologische Auslegung kennt; zweitens belegt Kasper dessen trinitarische Explikation im Neuen Testament, welche vor allem im Taufbefehl von Mt 28,19 durchscheint; und drittens erfolgt der Aufweis des
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In ihm zeigt sich Gott als selbstmitteilende Liebe, welche im Heiligen Geist unter den Menschen gegenwärtig bleibt. Der Monotheismus kann dann nur gewahrt werden, wenn die Beziehung des sich ganz verschenkenden Jesus zum Vater als Einheit und Unterschiedenheit gedacht wird.556 Deshalb ist das trinitarische Bekenntnis – im Neuen Testament vor allem in hierarchisch-funktional-doxologischer Form – „“die“ Kurzformel des christlichen Glaubens“, die „den Gottesbegriff durch die Geschichte der Offenbarung (bestimmt) und (…) diese Geschichte in Gottes Wesen (begründet)“557. Denn nur das trinitarische Bekenntnis kann das monotheistische Bekenntnis des Christentums mit der im Kreuz Jesu Christi offenbar gewordenen Freiheit Gottes in der Liebe vereinbaren.558 In anderen Worten: das Paradox des Christusereignisses sprengt Zusammenhangs dieser Deutung mit der neutestamentlichen Wesensbestimmung Gottes als Liebe in 1 Joh 4,8.16. Kasper kommt zu dem Ergebnis: „Mit dem trinitarischen Bekenntnis steht und fllt der Christusglaube und das Christsein.“ (Der Gott Jesu Christi, 303; Hervorhebung von Kasper) In diesem Bekenntnis besteht „die maßgebende Auslegung der christlichen Wahrheit“ (Der Gott Jesu Christi, 307; Hervorhebung von Kasper). 556 Dabei geht es beim christlichen Monotheismus nicht um eine quantitative, sondern um eine qualitative Frage: Gott ist der eine Gott, weil er unbegrenzt Gott ist. (vgl. Der Gott Jesu Christi, 293) 557 Jesus der Christus, 203. 558 Interessant ist in diesem Zusammenhang, von welchem Ansatz her Kasper dem trinitarischen Bekenntnis eine soteriologische Relevanz zugesteht. Er sieht nämlich neben den Analogien aus dem natürlichen Bereich und dem „nexus mysteriorum“ der christlichen Glaubenswahrheiten vor allem im „Zusammenhang des trinitarischen Glaubens mit dem Sinnziel des Menschen“ (Der Gott Jesu Christi, 330) einen Anweg zu einem tieferen Verständnis des Glaubensgeheimnisses der Trinität. Entscheidend sind dabei nicht die logischen, bibeltheologischen oder religions- und dogmengeschichtlichen Probleme, sondern „das lebenspraktische Argument“ (Der Gott Jesu Christi, 286): in dem Zahlenverhältnis von eins und drei drücken sich nach Kasper „uralte Grundprobleme des Wirklichkeits- und Selbstverständnisses des Menschen“ (Der Gott Jesu Christi, 286 f.), d. h. die Frage nach dem letzten Sinn und Grund aller Wirklichkeit, aus. Mit diesem Ansatz wird deutlich, daß die Trinitätstheologie keine reine Legitimationsbasis für die Christologie und damit ihr Anhängsel ist, sondern daß sie – freilich christologisch bestimmt – direkt mit der soteriologischen Grundfrage in Beziehung gestellt wird. Die Frage nach der Einheit ist die Frage nach der sinnvollen Verstehbarkeit der ganzen Wirklichkeit, da die Einheit als transzendentale Bestimmung des Seins Voraussetzung von Wahrheit, Gutsein und Schönheit ist; die Dreiheit dagegen repräsentiert die Vielheit der Wirklichkeit. Letztlich geht es in der Trinitätstheologie unter soteriologisch-anthropologischem Blickwinkel um eine „Einheit, die das Viele nicht vereinnahmt, sondern zu einem Ganzen gestaltet, (…) die nicht Armut, sondern Fülle und Vollendung
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zwar die Denkschemata der Vernunft, widerspricht ihnen aber nicht endgültig; das Paradox setzt sich die Vernunft voraus und vollendet sie, indem es auf die trinitarisch-transzendentalen Möglichkeitsbedingungen ist“ (Der Gott Jesu Christi, 291). Wie ist jedoch diese Einheit zu ver-ein-baren mit der Vielfalt der Geschichte und ihrer Erscheinungen? Letztlich ist die Frage nach der Einheit in Vielfalt ein Spiegelbild der Frage nach der Vermittlung von Gott und Mensch und von Glaube und Geschichte. Wie kann zwischen Einheit und Vielfalt eine Korrelation bestehen, in welcher weder das Viele von der Einheit totalitär aufgesaugt wird (im Sinne eines Pantheismus, in dem Gott auf unmittelbare Weise Prinzip der Einheit in der Vielheit der Welt wäre) noch die Einheit nur jenseits aller Vielfalt angesetzt wird (im Sinne eines Dualismus)? (vgl. Der Gott Jesu Christi, 355) Wie kann Gott ein transzendenter und zugleich ein immanenter Gott, ein göttlicher Gott und zugleich ein Gott der Menschen und ihrer Geschichte sein? Wie kann Gott einer sein und zugleich doch die Vielfalt verbürgen? Wie kann er einer sein als Gott der Absolute und als Gott der Geschichtliche? Wenn Gott einer und allmächtig ist und zugleich transzendent und frei, wenn er also auch der Welt nicht notwendig zu seiner eigenen Verwirklichung bedarf, sondern sie in Einheit von sich selbst differenzieren kann, „dann muß die Vermittlung von Einheit und Vielheit in Gott selbst erfolgen“ (Der Gott Jesu Christi, 358). Dieser fundamentalen Unterscheidung widerspricht – wie schon bei Tillich deutlich wurde – „die Häresie des Theismus“ (Der Gott Jesu Christi, 359), denn „der Theismus ist ein durch die Aufklärung und durch den Atheismus bereits zersetzter christlicher Glaube“, der „von der Sache her notwendig immer wieder in den Atheismus um(schlägt), dem er doch wehren will, dessen Argumenten er sich aber nicht erwehren kann“ (Der Gott Jesu Christi, 382). „Die Kirche will nicht trotz der Trinitätslehre auch noch an der Einheit Gottes festhalten. Sie will vielmehr gerade in der Trinitätslehre am christlichen Monotheismus festhalten. Ja, sie hält die Trinitätslehre für die einzig mögliche und konsequente Form des Monotheismus und für die einzig haltbare Antwort auf den modernen Atheismus.“ (Der Gott Jesu Christi, 360) Gottes Liebe vermittelt zwischen Einheit und Vielheit und eint die Dreiheit Gottes in der Einheit. Die heilsgeschichtliche Dynamik, die unter den Vorzeichen der Vielfalt die göttliche Einheit mitbestimmt, spiegelt sich wider in der urchristlichen Doxologie, welche sich nicht an den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist richtete, sondern „an den Vater durch den Sohn im Heiligen Geist“ ( Jesus der Christus, 202; Hervorhebungen vom Autor). Damit ist auch die Entsprechung von immanenter und ökonomischer Trinität bzw. von Trinitätstheologie und Soteriologie, ihrer jeweiligen Bewegungen und des entsprechenden ontologischen oder gnoseologischen Ansatzes in der Theologie benannt: „Der Bewegung vom Vater durch Christus im Heiligen Geist entspricht also unser Weg im Heiligen Geist durch Christus zum Vater.“ ( Jesus der Christus, 202) Aus trinitätstheologischer Sicht vertritt Kasper also ein soteriologisches Exitus-ReditusSchema. Trotzdem soll die Trinitätslehre ihren strukturbildenden Charakter nicht an die theologische Anthropologie abtreten – wie Kasper es bei Rahner befürchtet – und nicht „nur noch als Ermöglichungsbedingung der Gnadenlehre reflektiert“ werden (Der Gott Jesu Christi, 368).
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
der in Christus offenbaren souveränen Freiheit Gottes verweist. Die Theologie versucht, trotz der Paradoxalität des Paradoxes dasselbe Paradox von der Trinität her verständlich zu machen. Der Gottesbegriff wird durch die Geschichte der Offenbarung Jesu Christi bestimmt, während ihrerseits diese Geschichte im Gottesbegriff selbst grundgelegt wird. Damit ist methodologisch ein Zwischenfazit zu ziehen: das transzendentale Sich-Übersteigen des Menschen wird innerhalb der Korrelation von Gott und Mensch durch das Paradox beantwortet. In anderen Worten: die Antwort der Botschaft ist nicht vorhersehbar oder festlegbar, sondern muß in ihrer ganzen Souveränität ernstgenommen werden. Daß diese Antwort trotzdem verständlich, mitteilbar und als soteriologisch relevant angenommen werden kann, liegt letztlich im trinitarischen Geheimnis begründet: die Einheit Gottes in der Vielfalt begründet transzendentaltheologisch die Bedingung der Möglichkeit von Schöpfung und Erlösung und jene der Einheit der Schöpfungs- und der Erlösungsordnung. Wenn wir den Horizont der Korrelation von Gott und Mensch und von Glaube und Geschichte als Freiheit umschrieben haben, so ist damit in letzter Konsequenz jene Freiheit gemeint, die in der gegenseitigen Mitteilung der drei göttlichen Personen als „subsistente Relationen“559 besteht. Die Korrelation ist trinitarisch verbürgt, wird christologisch begründet und pneumatologisch verwirklicht. „Die innergöttliche Trinität ist sozusagen die transzendentale Möglichkeitsbedingung der heilsgeschichtlichen Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus durch den Heiligen Geist.“560 Nur wenn Jesus Christus zu Gott gehört und Gott ist, ist seine Geschichte Mitteilung des göttlichen Heils. In diesem Sinne hat das Konzil von Nizäa gegen den arianischen Subordinationismus die Gottessohnschaft Jesu Christi und das soteriologische „propter nos et propter nostram salutem“ bekannt.561 559 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 376. 560 Jesus der Christus, 218. Dem entspricht das berühmte Rahnersche Grundaxiom, daß die ökonomische Trinität die immanente ist und umgekehrt (vgl. Der Gott Jesu Christi, 333). Damit löst sich der apophatische Charakter der immanenten Trinität nicht auf, denn das Axiom sagt keine tautologische Gleichung aus, sondern das unableitbare, freie, geschichtliche Dasein der immanenten Trinität in der ökonomischen. (vgl. Der Gott Jesu Christi, 336) Kasper hält also an der realen Differenz zwischen der ökonomischen und der immanenten Trinität fest. (vgl. Löser, 41) 561 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 226 – 229. Das Konzil von Konstantinopel (381) hat diese gleiche Würde auf den Heiligen Geist erweitert. Außerdem gelang es diesem Konzil, die Einheit des Wesens und die Unterscheidung der Personen mit den Begriff der „ousia“ und der „Hypostasen“ adäquat auszudrücken. Das Zweite
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Damit leistete es letztlich trotz der ontologisch-kosmologischen Kategorien eine Enthellenisierung, weil es Christus nicht auf die Seite der Geschöpfe, sondern auf die Seite Gottes stellte.562 2.1.3. Der trinitarisch-personale Gott der Geschichte Wenn Jesus in das ewige Wesen Gottes hineingehört, dann ist er auch der Prexistente. Damit leiten wir über zum zweiten Aspekt: die in der Trinitätstheologie geschehende konkrete Vermittlung von Gottesbegriff und Geschichte.563 Bereits anhand des vorpaulinischen Christusliedes Phil 2,6 – 11 und der darin zum Ausdruck kommenden Deszendenz- oder Kenosis-Christologie wird deutlich, daß die Präexistenzaussagen des Neuen Testaments eschatologischen, aber damit auch soteriologischen Charakter haben.564 Damit kommt in der trinitarisch interpretierten Konzil von Konstantinopel (553) setzte schließlich die mehr dynamische ostkirchliche Sicht der „Hypostasen“ (welche den Vater als Ursprung betont) mit der mehr statischen westlichen Sicht der Personen (welche mehr von einer einzigen Substanz ausgeht) synonym. Dadurch konnte zwar einerseits das personale Denken von der Schrift her gegenüber einem einseitigen griechischen Wesensdenken an Dynamik gewinnen und bietet auch für Kasper einen neuen Ansatzpunkt, doch andererseits wurde die Spekulation über die immanente Trinität heilsökonomisch mehr und mehr funktionslos. Von daher kann für Kasper die große Herausforderung nur darin bestehen, die Trinitätstheologie christologisch und soteriologisch neu aufzuschlüsseln und dabei den modernen Freiheitshorizont zu nutzen. Kasper plädiert für die dynamische Sichtweise: „So muß die Trinittslehre vom Vater ausgehen und ihn als Ursprung, Quelle und inneren Einheitsgrund der Trinitt verstehen.“ (Der Gott Jesu Christi, 364; Hervorhebung von Kasper) 562 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 227. 563 Werner Löser sieht darin eines der großen Verdienste von Kaspers Gotteslehre. (vgl. Löser, 36 f.) Vgl. Halder, A.: Wirklichkeit als Geschichte. Philosophische Vorfragen zu Bedeutung und Vermittlung des Christusereignisses, in: Scheffczyk, L. (Hrsg.): Grundfragen der Christologie (QD 72), Freiburg/Basel/Wien 1975, 15 – 35; Hünermann, P.: Gottes Sohn in der Zeit. Entwurf eines Begriffs, in: Scheffczyk, L. (Hrsg.): Grundfragen der Christologie (QD 72), Freiburg/Basel/ Wien 1975, 114 – 140; vgl. auch Ganzer, K.: Vom Umgang mit der Geschichte in der Theologie und Kirche. Anmerkungen und Bespiele, in: Schockenhoff, E./ Walter, P. (Hrsg.): Dogma und Glaube (FS für Bischof Walter Kasper), Mainz 1983, 28 – 49. 564 „Präexistenz-, Kreuzes- bzw. Kenosis- und Erhöhungs-Christologie bilden in einem großen, Himmel und Erde umfassenden Drama eine Einheit. Dabei kommt die Christologie im Rahmen der Soteriologie in den Blick. Indem nämlich der präexistente Gottgleiche in freiem Gehorsam das Sklavenschicksal auf sich nimmt, tritt an die Stelle der Ananke, des schicksalhaften Verhaftetseins
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Präexistenz-Überlegung „das eigentlich christologische Problem zum Vorschein (…): Wie kann Gott Gott sein und bleiben und doch wirklich in der Geschichte anwesend sein“565. Auch das führt zu einer Neuinterpretation der Gottessohnschaft Jesu und vor allem der christlichen Gottesvorstellung, wie wir schon von Schelling her gesehen haben: „Das Wesen Gottes erweist sich selbst als ein Geschehen.“566 Dem Christentum ist eine Theologie der Geschichte bzw. eine geschichtlich orientierte Theologie kongenial. Wenn Gottes Sein als Geschehen oder als im Werden begriffen werden kann, bedeutet dies einerseits, daß Gott diese Geschichte mit allen ihren Unfertigkeiten und Unentschiedenheiten letztgültig als seine eigene angenommen hat und sie als potentielle Heilsgeschichte betrachtet, andererseits heißt es aber auch, daß Gottes Sein nie „fertig“ ist, denn dieses Werden entspringt nicht – wie hellenistisch geprägte Überlegungen denken müssen – einem Mangel, sondern einer göttlichen Fülle; sonst wäre Gott nicht Gott! Seine Ewigkeit ist nicht Geschichtslosigkeit, sondern Geschichtsmächtigkeit, absolute Freiheit. Gott ist ein zeitmächtiger Gott, der in der Zeit mit den Menschen ist. Wenn er dies in Christus auf erlösende Weise ist, dann verbürgt die Präexistenzaussage von der wahren Gottheit Jesu Christi die Idee von der wahren, eschatologisch gültigen und ausgespannten Vergöttlichung des Menschen. Ganz offensichtlich gilt: „Gott und Geschichte zusammenzudenken ist für die Bibel nicht so schwierig wie für die griechisch bestimmte abendländische Philosophie“567, welche das Wesen Gottes als von der Geschichte nur kollateral tangiertes darstellen wollte. Kasper wirft dem metaphysischen Wesensdenken zwar keine Hellenisierung, dagegen jedoch eine „Enteschatologisierung des Christentums“568 vor.
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unter die kosmischen Mächte, die Freiheit unter dem neuen Herrn der Welt.“ (Der Gott Jesu Christi, 220) Der Gott Jesu Christi, 224 (Hervorhebung von Kasper). Die Schultheologie hatte nach Kasper aufgrund des mehr metaphysischen Ansatzpunktes beim einen Wesen Gottes (entgegen des möglichen heilsgeschichtlichen Ansatzes bei den drei göttlichen Personen) dazu geführt, daß „Heilsgeschichte und theologische Metaphysik zum Schaden beider völlig auseinandergerissen“ wurden: „die Heilsgeschichte wird letztlich ihrer theologischen Wirklichkeit entleert, die theologische Metaphysik geschichtlich bedeutungs- und folgenlos“ ( Jesus der Christus, 297). Jesus der Christus, 207. Oder – wie Kasper mit E.Jüngel sagt –: „Gottes Sein ist im Werden.“ (Christologische Schwerpunkte: Neuansätze, 33) Jesus der Christus, 207. Jesus der Christus, 212.
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Gott ist mehr als nur eine transzendentale Möglichkeitsbedingung der Freiheit oder nur das Wesen aller Wesen, sondern als (unterscheidende) Voraussetzung ist er zugleich der (identisch) alles Bestimmende und Erfüllende. Die beiden mit diesen in der Geistesgeschichte denkbaren und gedachten Alternativen verbundenen Sackgassen sind folgende: wenn Gott nur als transzendentale Möglichkeitsbedingung der Freiheit gedacht wird, riskiert der Gottesgedanke, ob der auf die Spitze getriebenen Transzendenz für die Praxis irrelevant zu werden; wird er dagegen als Wesen aller Wesen bestimmt, wird er letztlich überwesentlich und undifferenziert bestimmt. „In beiden Fällen kann man Jesus Christus nur noch als Symbol, Chiffre, Bild, Erscheinungsweise entweder des Menschen oder des Göttlichen denken.“569 Auch hier setzt sich Kaspers Vermittlungsmodell einer differenzierten Einheit der Ansätze durch. Darin sieht er die geniale Leistung Hegels. Hegel kann viel besser dem Theologen Denkmittel an die Hand geben, um Gott nicht abstraktontologisch, sondern konkret als Gott der Geschichte und Vater Jesu Christi zu denken und Gott und Geschichte miteinander zu vermitteln. Hegel hat gezeigt: im Unterschied von sich ist der absolute Geist mit sich identisch.570 In Gott ist Raum für die Geschichte und für den Menschen, sein Gottsein muß gedacht werden als Freiheit in der Liebe, die bei sich selbst ist, indem sie sich wegschenkt. Gott ist in sich Stellvertretung, denn er hat durch den Überschuß seiner Liebe in Freiheit in sich je schon Raum für das andere seiner selbst, für den Menschen und die Welt. Weil Gott in sich selbst Liebe ist, die den anderen nicht aufsaugt, hat er Zeit für den Menschen, denn Gottes Ewigkeit ist seine Identität im Anderswerden: er „gibt (…) der Geschichte ihre Identität, verleiht ihr Zusammenhalt und Sinn“571. Gottes Ewigkeit ist kein starres Bei-sich-Bleiben, sondern ein trinitarisch artikuliertes Sich-selbst-Bleiben im Beim-anderen-Sein! 572 In dieser Offenheit besteht die prinzipielle Möglichkeit der Schöpfung und des Unterfassens der Sünde des Menschen. „Gott besagt Freiheit, die selbst nochmals den Tod umgreift, möglich macht und damit erlöst.“573 In Jesus Christus ist diese gnadenhafte Zuwendung Gottes Geschichte geworden. Liebe und (Mit-) Leiden mit den Menschen ge569 570 571 572 573
Jesus der Christus, 216. Vgl. Jesus der Christus, 217. Jesus der Christus, 220 f. Vgl. Grundlinien einer Theologie der Geschichte (Glaube und Geschichte), 84 f. Unsere Gottesbeziehung angesichts der sich wandelnden Gottesvorstellung (Glaube und Geschichte), 114.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
hören im trinitarisch verstandenen christlichen Gott zusammen. Gott ist von Ewigkeit her ein Gott für die Menschen! „Das innertrinitarische Sein Gottes ist sozusagen die transzendental-theologische Möglichkeitsbedingung der Erlösung, die Grammatik der Selbstmitteilung Gottes in der Geschichte.“574 Von daher kann Gott als Person bezeichnet werden, denn „die Person ist (…) eine Vermittlung von Allgemeinheit und Besonderheit und damit die Realisierung des Wesens der Liebe“575. „Gott handelt an uns in personaler Weise.“576 Für Kasper kann die Wesensbestimmung Gottes im Horizont der Freiheit auf analoge Weise durch den klassischen anthropologischen Begriff der Person geleistet werden.577 Boethius vereint in seiner Definition der Person als „naturae rationalis individua substantia“ die Aspekte der Einmaligkeit und der Geistigkeit bzw. Unendlichkeit, da die Geistnatur ja über das Endliche hinaus auf das Unendliche vorgreift.578 Damit ist die Person das je einmalige Da-Sein des Ganzen der Wirklichkeit, ist Selbstzweck und besitzt eine unveräußerliche Würde. Diese Spannung zwischen der unbegrenzten Offenheit für das Ganze der Wirklichkeit und der Einmaligkeit des konkreten, unvertauschbaren Einzelnen kommt in der Definition von Richard von St.Viktor nochmal verstärkt zum Ausdruck, wo die freie Person als Ek-sistenz, als Über-sichhinaus-Sein definiert wird: „naturae rationalis incommunicabilis existentia“.579 Diese spezifische Fassung des Personbegriffs kann zum Ausdruck bringen, daß Gott durch die Übertragung einer solchen nicht-biblischen Kategorie nicht verendlicht wird, sondern im Gegenteil: da der Personbegriff auf analoge Weise auf Gott angewandt wird, kann deutlich werden, daß Gott in einmaliger Weise subsistiert als das „ipsum esse subsistens“580 – in ihm ist das Ganze der Wirklichkeit in einer schlechthin 574 Christologische Schwerpunkte: Neuansätze, 34. Umgekehrt gilt: „Das relationale, partnerschaftliche Wesen des Menschen ist gleichsam die Grammatik, mit deren Hilfe sich die Bundespartnerschaft Gottes ausdrückt. (…) Als Partner Gottes ist der Mensch Partner des Menschen und der Welt.“ (Das theologische Wesen des Menschen, 106) 575 Jesus der Christus, 219. 576 Unsere Gottesbeziehung angesichts der sich wandelnden Gottesvorstellung (Glaube und Geschichte), 117. 577 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 194. 578 Vgl. Offenbarung und Geheimnis. Vom christlichen Gottesverständnis (Theologie und Kirche), 145. 579 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 194 f. 580 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 195.
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einmaligen Weise da. Er ist die vollkommene Freiheit, „das subsistierende Sein (…), das Freiheit in der Liebe ist“581. Dadurch wird Gott eben nicht begrenzt, sondern in seiner unvergleichbaren Unendlichkeit respektiert. Kasper führt aus: „Der Personbegriff wahrt also beides: die Transzendenz Gottes, die unendlich qualitative Unterschiedenheit von Gott und Welt, und zugleich seine Immanenz, das heißt, daß er der Unendliche, der alles Umfassende und Umgreifende ist, der in allen Dingen anwest und spurenhaft erkannt werden kann und der sich doch in allem entzieht und nur durch sich selbst durch freie Selbstoffenbarung dem Menschen in seinem inneren Geheimnis zugänglich ist.“582 Diese Gedanken führen konsequenterweise zu einer Neuinterpretation des Axioms der Unveränderlichkeit Gottes.583 Bereits die Heilige Schrift berichtet von dem Paradox, daß der allmächtige Gott (mit-) leidet. Für Kasper läßt sich dieses Teilhaben Gottes am menschlichen Schicksal letztlich nur aufgrund von Gottes Freiheit in der Liebe verstehen. Gott ist nicht in die Welt hineinverflochten, weil er ohne Welt nicht Gott sein könnte; vielmehr läßt sich Gott in Freiheit vom Leben und Leiden des Menschen betreffen. Allmacht und sich bis zum Kreuz veräußernde Liebe sind keine Gegensätze! „Im Gegenteil, es gehört Allmacht dazu, sich ganz hinzugeben und wegschenken zu können; und es gehört wiederum Allmacht dazu, sich im Schenken zurückzunehmen und die Unabhängigkeit und Freiheit des Empfängers zu wahren.“584 Die Frage nach der 581 Der Gott Jesu Christi, 196. 582 Offenbarung und Geheimnis. Vom christlichen Gottesverständnis (Theologie und Kirche), 146. Und damit ist ein Dreifaches gesichert: 1) Gott ist kein Objekt, sondern er ist unverfügbare und deshalb auch verborgene Freiheit; 2) Gott ist kein Prädikat und damit niemals Mittel zum Zweck; 3) Gott ist die alles bestimmende Wirklichkeit, so daß eine Revolution im Seinsverständnis die Folge sein muß. (vgl. Der Gott Jesu Christi, 196 – 198) 583 „Wie kann (…) der unveränderliche Gott zugleich veränderlich sein? Wie kann die Geschichte Gottes in Jesus Christus so gedacht werden, daß sie Gott wirklich betrifft, Gottes eigene Geschichte ist und Gott dabei doch Gott bleibt? Wie kann der leidensunfähige Gott leiden?“ (Der Gott Jesu Christi, 236) Vgl. auch „Einer aus der Trinität…“. Zur Neubegründung einer spirituellen Christologie in trinitätstheologischer Perspektive (Theologie und Kirche), 217 – 234, wo sich auch eine Positionierung Kaspers zugunsten einer chalkedonischen gegenüber einer neuchalkedonischen Position herausschält. 584 Der Gott Jesu Christi, 242. Gott hebt weder das Leiden auf, noch vergöttlicht er es. Vielmehr wird das Leiden durch Gott von innen heraus erlöst. „So hebt die Allmacht der Liebe Gottes die Ohnmacht des Leidens auf. Das Leiden ist damit nicht abgeschafft, wohl aber ist es von innen her verwandelt – verwandelt auf Hoffnung hin.“ (Der Gott Jesu Christi, 244 f.)
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
liebenden Allmacht Gottes zeitigt in geschichtlicher und leidender Ernsthaftigkeit die differenzierte und konkurrenzlose Vermittlung von Gott und Mensch aus. „Die ewige innergçttliche Unterscheidung von Vater und Sohn ist die transzendental-theologische Bedingung der Mçglichkeit der Selbstentußerung Gottes in der Inkarnation und am Kreuz.“585 So kann Kasper behaupten, das Bekenntnis zum einen Gott in drei Personen sei zum einen „die sachgemäße, ja sachnotwendige, verbindliche Auslegung der eschatologischen Offenbarung Gottes in Jesus Christus durch das Wirken des Heiligen Geistes“ und so zum anderen zugleich „die Zusammenfassung und die Summe des Ganzen des christlichen Heilsmysteriums“586. Immer wieder zieht Kasper den Johannesvers „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8.16) als biblische Verdichtung dieser christologisch-heilsgeschichtlichen Interpretation der Trinität heran.587 „Nur weil Gott in sich vollendete Freiheit in der Liebe ist, kann er Freiheit in der Liebe nach außen sein. Weil er in sich dadurch bei sich ist, daß er beim anderen und im anderen ist, kann er sich in der Geschichte entäußern und eben in der Entäußerung seine Herrlichkeit offenbaren.“588 Da Gott die alles bestimmende Wirklichkeit ist, besteht an dieser Stelle ein direkter Zusammenhang zwischen der systematisch aufgearbeiteten impliziten Christologie und der von Kasper auf dem Hintergrund der neuzeitlichen Weltanschauung geforderten „Revolution im Seinsverständnis“589. Vom Gott Jesu Christi her wird deutlich, daß der Sinn von Sein sich selbst mitteilende Liebe, ja „die Selbstlosigkeit der Liebe“590 ist. Das Sein ist nicht substantiell-ontologisch, sondern personal und relational verfaßt.591 Kasper spricht mit Klaus Hemmerle von einer „trinitarischen Ontologie“592. „Weder antike Substanz noch neuzeitliches Subjekt sind das Letzte, sondern die Relation als Urkategorie des Wirklichen.“593 Das neue Wirklichkeitsverständnis ist jenes der Einheit in Vielfalt, in der das Eigenrecht der Person nicht aufgehoben, sondern bereichert wird. Dem entspricht ein neues Modell christlicher Spiritualität, jenes „des 585 586 587 588 589 590 591
Der Gott Jesu Christi, 244 (Hervorhebung von Kasper). Der Gott Jesu Christi, 285 (Hervorhebung von Kasper). Vgl. z. B. Der Gott Jesu Christi, 298. Der Gott Jesu Christi, 378. Der Gott Jesu Christi, 197. Der Gott Jesu Christi, 377. Vgl. Der Gott Jesu Christi, 197 f. Zum entsprechenden Begriff der Person vgl. weiter unten. 592 Der Gott Jesu Christi, 377. 593 Der Gott Jesu Christi, 354 (Hervorhebung von Kasper).
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selbstlosen Dienens aus der Kraft der Hoffnung“594 in der Nachfolge Jesu Christi. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß in Jesus Christus als Sohn Gottes Gott und Geschichte auf derartige Weise vermittelt werden, daß Jesus Christus ontologisch als zweite Person der göttlichen Dreifaltigkeit in den Blick tritt595 und heilsökonomisch als die Fülle der Zeit, die Fülle 594 Der Gott Jesu Christi, 377. 595 Im letzten Teil seines Manuals „Der Gott Jesu Christi“ bietet Kasper eine systematische Entfaltung der Trinitätslehre an, die sich an den christologischen, pneumatologischen und soteriologischen Richtlinien ausrichtet und von der Erkenntnisordnung, d. h. von der Gotteserfahrung der Menschen her argumentiert. (vgl. Der Gott Jesu Christi, 337 f.) Da diese Monographie neben „Jesus der Christus“ Kaspers zweites „manualistisches“ Hauptwerk ist, haben wir uns auf diesen Seiten erlaubt, tiefer und deutlicher auf die Wasseradern und geheimen Prioritäten seiner Trinitätstheologie einzugehen; dementsprechend sei auch das systematische Verständnis kurz resümiert. Vom Begriff der heilsökonomischen „Sendung“ schlägt Kasper den Bogen zum Konzept der innergöttlichen „Hervorgänge“ und den ihnen entsprechenden vier „innergöttlichen Relationen“, die sich in drei real voneinander verschiedene relative Gegensätze auszeitigen. Letztere bezeichnet Kasper mit dem abstrakten Begriff der „drei göttlichen Personen“, die er als „subsistente Relationen“ erklärt (vgl. Der Gott Jesu Christi, 342 f.376) und denen er die sie auszeichnenden Proprietäten und Appropriationen zuschreibt. In langen Darstellungen erklärt er die Schwierigkeit, vom neuzeitlichen Personverständnis als einer individuellen Persönlichkeit her dem trinitarischen Geheimnis auf die Spur zu kommen. Erst die moderne philosophische Überlegung, daß „es Personalitt konkret nur in Inter-Personalitt, Subjektivitt nur in Inter-Subjektivitt gibt“ (Der Gott Jesu Christi, 353; Hervorhebung von Kasper), kann das analoge Verständnis dafür eröffnen, daß „in Gott und zwischen den gçttlichen Personen (…) nicht trotz, sondern wegen ihrer unendlich grçßeren Einheit zugleich unendlich mehr Interrelationalitt und Interpersonalitt (ist) als im zwischenpersonalen Verhltnis von Menschen“ (Der Gott Jesu Christi, 353 f.; Hervorhebung von Kasper). Seinen eigenen systematischen Ansatz läßt Kasper vom hohepriesterlichen Gebet Jesu in Joh 17 ausgehen (vgl. Der Gott Jesu Christi, 369) Der Sinn der Trinitätslehre besteht in „der Spannungseinheit von Doxologie und Soteriologie“ (Der Gott Jesu Christi, 370); ihr Inhalt die „Gemeinschaft von Vater, Sohn und Geist, als Einheit in der Liebe bestimmt“ (Der Gott Jesu Christi, 372; Hervorhebung von Kasper) und das neue Wirklichkeitsverständnis von „Einheit als communio“ (Der Gott Jesu Christi, 373; Hervorhebung von Kasper); ihr Geheimnis (und zugleich bleibendes Problem) ist „die konkrete Art und Weise der trinitarischen Einheit bei gleichzeitiger Verschiedenheit“ (Der Gott Jesu Christi, 374). Der Vater ist der ursprungslose Ursprung und der rein Gebende; der Sohn dagegen ist der Empfangende und Weitergebende, also der Mittler oder reine Vermittlung; der Geist schließlich ist reine Gabe und Ausdruck der Ekstasis in Gott, also reiner Überschwang. Jede einzelne der göttlichen Personen besteht nur in und aus Relation. Der systematische Ort der Trinitätslehre schließlich ist nach
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und Endgültigkeit der Definition sowohl Gottes als auch der Welt und des Menschen bezeugt wird. Kasper spricht in diesem Zusammenhang von Christus nicht nur als Erlöser, sondern auch als Schçpfungsmittler 596 ; diese – genauso wie übrigens die Präexistenzaussagen – von der alttestamentlichen Weisheitsspekulation597 inspirierte universale Christologie steht im Dienst des soteriologischen Anliegens und begründet die Universalität des Heils. Schöpfung und Erlösung können demnach nicht gegeneinander ausgespielt werden, weil sich in Christus, dem Erlöser, der ewige Willensratschluß Gottes zum Heil für seine Schöpfung erschließt. Christentum und Welt, Natur und Gnade, Geschichte und Glaube, Schöpfung und Erlösung werden differenziert aufeinander bezogen. Von Christi Erlösung her fällt „von oben“ Licht auf die Schöpfung (analogia fidei), doch von der Schöpfung fällt auch schon „von unten“ her Licht auf Christi Erlösung, denn sonst würde das Heil der Welt übergestülpt. In anderen Worten: vom Erlösungsmysterium her klärt sich, daß Christus nicht auf die Erlösungsordnung beschränkt werden kann, sondern daß Christus der Erlöser ist, weil 598 er darin die bereits in ihm vermittelte Schöpfungsordnung zur eschatologisch (end-) gültigen Vollendung bringt. Das heißt, „daß Christus verborgen und doch wirksam überall am Werk ist und überall zur Geltung kommen will“599. Der Mensch findet
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Kasper am Anfang der Dogmatik als Grammatik des ganzen christlichen Heilsmysteriums und damit als Vororientierung auf jene Themen, die erst kommen. (vgl. Der Gott Jesu Christi, 380) Bei der Frage nach dem Verhältnis der Traktate „De Deo uno“ (welches Kasper mit der „natürlichen Theologie“ gleichsetzt) und „De Deo trino“ mag es nicht überraschen, daß Kasper dafür plädiert, „die abstrakte Lehre vom Wesen Gottes wieder in die Lehre von der konkreten Wesensoffenbarung Gottes und damit in die Trinittslehre zu integrieren“ (Der Gott Jesu Christi, 381; Hervorhebung von Kasper). Von der Erkenntnisordnung her steht „De Deo uno“ am Anfang, von der systematisch-dogmatischen Seinsordnung her dagegen „De Deo trino“. Die Frage des Menschen nach Gott wird dank der soteriologischen Christologie im trinitarischen Bekenntnis vorausgesetzt und erfüllt: „Die trinitarische Selbstoffenbarung Gottes ist (…) die berbietende Antwort auf die Frage, die der Mensch nicht nur hat, sondern ist: die Frage nach Gott.“ (Der Gott Jesu Christi, 381; Hervorhebung von Kasper) Vgl. Jesus der Christus, 221. Vgl. die Weisheitschristologie von Kasper in: Gottes Gegenwart in Jesus Christus. Vorüberlegungen zu einer weisheitlichen Christologie, in: Weisheit Gottes – Weisheit der Welt. Festschrift für Joseph Kardinal Ratzinger zum 60. Geburtstag. Band I, St.Ottilien 1987, 311 – 328. „Jesus Christus als Wirklichkeit der Offenbarung ist von Ewigkeit her deren Möglichkeit.“ ( Jesus der Christus, 230) Jesus der Christus, 224 f.
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die Erfüllung seiner in Christus vermittelten Natur, wenn er diese – angeleitet durch das Paradox Jesu Christi – auf Gott und Gottes Gnade hin überschreitet. Die trinitarisch bedingte Zeitenflle Christi bringt demnach die Korrelation bzw. die „Ellipse mit zwei Brennpunkten“600 – analogia fidei und analogia entis – zur eschatologischen Vollendung. In seiner Auslieferung an Gott kommt der Mensch erst wirklich zu sich selbst. Das wurde in Christi Tod und Auferstehung auf einmalige, aber ewig und universal gültige Weise verwirklicht. In ihm zeigt sich, daß es zumindest einen konkreten Fall gibt, in dem ökonomische und die immanente Trinität identisch sind und also Gott selbst das Heil des Menschen wird601: die hypostatische Union in Jesus dem Christus. Weil es in Christus geschehen ist, kann von dieser in Christus geschehenen Vermittlung der freiheitlichen Liebe zwischen Gott und Mensch her das Heil sicher und glaubwürdig zugesagt werden.602 Das soteriologische „propter nos et propter nostram salutem“ Jesu Christi ist für den Menschen sein Ganz- und Heilsein und die Erfüllung der Geschichte, wie sie durch Christi Zugehörigkeit zum Geheimnis des sich verschenkenden dreieinigen Gottes sichtbar wird. Die Christologie verweist letztlich über sich hinaus: durch Christi Wirken soll der Mensch Anteil erhalten an der Herrlichkeit Gottes, die in der im Geist geschehenden gegenseitigen Verherrlichung Jesu und des Vaters besteht. „Der Sinn der Trinitätslehre“603 besteht darin, wie die Grammatik dieser Doxologie zu sein und letztere in eine Spannungseinheit mit der Soteriologie zu stellen.604 „So ist das trinitarische Bekenntnis die letzte konkrete Bestimmung der unbestimmten Offenheit des Menschen und der darin aufleuchtenden und allem 600 Jesus der Christus, 226. 601 Daß Gott selbst das Heil der Menschen ist, schützt gegen die irrige Auffassung, das Heil sei eine geschaffene Gnade, die von Gott getrennt werden könnte und hinter der sich das wahre Wesen Gottes als unverstehbares Denkgeheimnis verbirgt. (vgl. Der Gott Jesu Christi, 334) 602 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 334 f. 603 Der Gott Jesu Christi, 369. 604 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 370. „Die Soteriologie muß sich (…) um der Soteriologie willen in Doxologie überschreiten.“ (Der Gott Jesu Christi, 383) Die kirchliche Verkündigung des Heils des Menschen kann letztlich nicht bei der Christologie stehenbleiben, sondern muß den Menschen in die Gemeinschaft mit Gott verweisen. Das wahre Leben besteht darin, Gott zu erkennen und zu verherrlichen. Das „ad maiorem hominis salutem“ ist nur durch das „ad maiorem Deu gloriam“ möglich. (vgl. Der Gott Jesu Christi, 383)
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
Denken und Tun voranleuchtenden Gottesidee. Es ist die überbietende Antwort auf die Frage, die der Mensch nicht nur hat, sondern ist.“605 In dieser in Christus zugespitzten Versöhnung von Gott und Mensch bzw. Geschichte oder Welt durch die Gabe der Liebe wird die pneumatologische Dimension des Heilsgeschehens sichtbar; der Heilige Geist ist „Geber und Gabe in einem“, die „Selbstgabe“606. Während die Trinität als solche die „Möglichkeitsbedingung der heilsgeschichtlichen Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus durch den Heiligen Geist“607 ist, ist eine pneumatologische Theologie sozusagen „die transzendental-theologische Bedingung der Mçglichkeit der Wirklichkeit und Verwirklichung des Heils, das uns durch Jesus Christus geschenkt ist“608. Erst die Pneumatologie bringt die trinitätstheologisch angelegten soteriologischen Kategorien zur Erfüllung. Im Heiligen Geist wird dem Menschen aus Gnade jene Selbstmitteilung des Vaters zuteil, die dem Sohn von Natur aus zukommt. Wie das Heil Christi beim Menschen ankommt, wird also nur durch eine pneumatologische Reflexion plausibel. 2.2. Der „Mittler“ – eine pneumatologisch gewendete Christologie Nach den trinitätstheologischen Erörterungen stellt sich auf dem Hintergrund der grundlegenden Dialektik von Gott und Geschichte die Frage einerseits nach der konkreten Vermittlung von Gott und Mensch in Jesus dem Christus und andererseits nach der soteriologischen Bedeutung dieser Vermittlung für den konkreten Menschen. Die erste Seite des Problems verhandelt Kasper als pneumatologische Christologie ausgehend von Christus als „Mittler“609, während die zweite Seite als von der Christologie erfüllte Anthropologie zur Sprache kommt. Hier wollen wir die erste Seite betrachten. Was hat es mit Kaspers pneumatologischer Christologie auf sich? In der Gotteslehre ist deutlich geworden, daß der Vater „reines Sich-Verströmen“610 ist und der Sohn von ihm Leben, Herrlichkeit und Vollmacht 605 606 607 608 609
Der Gott Jesu Christi, 370 f. Der Gott Jesu Christi, 279. Jesus der Christus, 218. Der Gott Jesu Christi, 279 (Hervorhebung von Kasper). Wie zentral die Kategorie des Mittlers ist, zeigt schon alleine der Titel, den José Vidal Talens seiner interessanten und detailfreudigen Dissertation über Kasper gab: „El mediador y la mediación. La cristología de Walter Kasper en su génesis y estructura“ (Valencia 1988)! 610 Der Gott Jesu Christi, 375.
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empfängt, um sich ihrer wieder zu entäußern und sie weiterzureichen; wie also geschieht in Jesus Christus diese „reine Vermittlung“611, welche letztlich in der Gabe des Heiligen Geistes besteht? Diese Frage fächert sich ihrerseits wiederum in zwei Problemkreise auf: zum einen geht es um eine neuzeitlich verstehbare Interpretation des Konzils von Chalcedon und seines Bekenntnisses zur Hypostatischen Union in Jesus Christus; zum anderen – und hier liegt ein besonderes Verdienst von Kasper – muß die Frage gestellt werden, inwiefern in der geschichtlichen Offenbarung Jesu Christi eine besondere Offenbarung über das Wirken des Heiligen Geistes inkludiert ist. Jesus Christus „vergegenwärtigt nicht nur, was in Gott immer schon war“612, sondern er ist auch dessen qualitativ neue und unableitbare Verwirklichung in der Geschichte; in anderen Worten: im Christusereignis wird Gottes unerschöpfliche Freiheit in der Liebe offenbar. „Dieser Überschuß und Überschwang der Freiheit in der Liebe zwischen Vater und Sohn ist – wenigstens wenn man der griechischen Trinitätstheologie folgt – der Geist.“613 Dieses „Äußerste“ an Gott, „die Ekstasis Gottes“614, ist nach der lateinischen Theologie zugleich sein innerstes Wesen. „Der Geist ist also gleichsam die transzendental-theologische Ermöglichung einer freien Selbstmitteilung Gottes in der Geschichte.“615 Die Frage, der wir nun nachgehen müssen, ist also folgende: wie geschieht konkret die geschichtliche Selbstmitteilung Gottes in der zweiten göttlichen Person, dem Sohn Gottes? Hypostatische Union und pneumatologische Christologie – beide Problemkomplexe gilt es nun getrennt zu bedenken. 2.2.1. Die „doppelte Transzendenz“ Jesu Christi „Jesus Christus ist nach der Schrift der Mensch für die anderen Menschen. Sein Wesen ist Hingabe und Liebe. In dieser Liebe zu den Menschen ist er 611 612 613 614
Der Gott Jesu Christi, 375. Jesus der Christus, 297. Jesus der Christus, 297. Der Gott Jesu Christi, 278. Der Heilige Geist ist „Gott selbst in seinem sich selbst überbietenden und verströmenden schöpferischen Wirken nach außen (griechische Tradition) und zugleich das innerste Wesen Gottes (lateinische Tradition)“. (Aufgaben der Christologie heute, 149) 615 Jesus der Christus, 297. Dieses besondere pneumatologische Gewicht in Kaspers Christologie verdankt sich seinem heils- bzw. universalgeschichtlichen Ansatz, in dessen Zusammenhang die spezifischen Proprietäten der göttlichen Hypostasen viel besser zugeordnet und voneinander abgegrenzt werden können.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
die konkrete Daseinsform der Herrschaft der Liebe Gottes zu uns. Seine Mitmenschlichkeit ist also die Erscheinungsform (Epiphanie) seiner göttlichen Sohnschaft. Seine Transzendenz auf den Nebenmenschen hin ist der Ausdruck der Transzendenz auf Gott hin. Wie er Gott gegenüber ganz Existenz im Empfang (Gehorsam) ist, so uns gegenüber ganz Existenz in der Hingabe und Stellvertretung. In dieser doppelten Transzendenz ist er Mittler zwischen Gott und den Menschen.“616 Christus ist als Menschgewordener das „universale concretum“617. Christi Gottesliebe ist nicht von seiner Menschenliebe zu trennen. „Als „Stelle für den Nächsten (…) (ist er) das „Ich bin da“ Gottes“ und verherrlicht den Vater, indem in gehorsamen Tun des väterlichen Willens „als Liebe „an der Stelle“ der Sünde„618 steht. Gott ist – wie wir bereits oben ausführten – kein Konkurrent des Menschen, sondern „gnädige Freiheit“619 ! Vor allem das Kreuz wird wiederum zum Symbol der „doppelten Transzendenz“ Jesu. Da in der Einheit von Kreuz und Auferstehung die Freiheit der Liebe über die Macht der Ordnung triumphiert, eröffnet sich eine „neue Möglichkeit für ein freies Dasein“620 in der Geschichte, ja eine „Provokation zur Liebe“621. Entscheidend ist für uns die Frage nach der Vermittlung dieser doppelten Transzendenz, d. h. der gegenseitig füreinander aufgeschlossenen Gottheit und Menschheit in Jesus Christus. Denn diese Einheit ist die Bedingung der Möglichkeit, vom Ereignis Jesus Christus als von einem Heilsereignis für die Menschen zu sprechen. Damit entscheidet sich mit der Mittlerschaft Jesu Christi zwischen Gott und Mensch sowohl „die grundlegende Frage des Heils“ als auch „das spekulative Grundproblem der Vermittlung von Gott und Mensch“622. An der Person Jesu Christi klärt, erfüllt und konkretisiert sich letztlich die methodologische Grunddynamik einer von Dialektik auf Dialog und Analogie zielenden Korrelation. 616 Jesus der Christus, 257 f. (Hervorhebung von Kasper). Vgl. auch Einführung in den Glauben, 52 – 57. 617 Christologische Schwerpunkte: Neuansätze, 35. Christus ist das „universale concretum“ in Bezug auf die Schöpfungsordnung und in Bezug auf die Erlösungsordnung: er ist „das Haupt aller Menschen und das Haupt der Kirche“ ( Jesus der Christus, 320). 618 Menke: Stellvertretung, 402. 619 Unsere Gottesbeziehung angesichts der sich wandelnden Gottesvorstellung (Glaube und Geschichte), 114. 620 Einführung in den Glauben, 114. 621 Einführung in den Glauben, 115. 622 Jesus der Christus, 270 (Hervorhebung von Kasper).
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In Jesus Christus muß aber zugleich deutlich werden, daß das christologische Paradox sich weniger auf eine „analogia entis“ bezieht, in der Gott und Mensch vernünftig als vermittelbar und zusammengehörig gedacht werden können, als vielmehr auf die „analogia fidei“, in der die Erwartungen und Hoffnungen des Menschen durch die letztlich unvorhersehbare Selbstoffenbarung Gottes unableitbar und also paradoxal erfüllt werden. Umso mehr stellt sich die Frage der Einheit in der Person Jesu Christi. Dabei sticht Kaspers Neuinterpretation des Konzils von Chalcedon dank der Wende zu personalen und relationalen Kategorien heraus; diese Neuinterpretation ermöglicht, daß „analogia entis“ – also Zusammengehörigkeit – und „analogia fidei“ – d. h. Unterscheidung von Gott und Mensch – nicht auseinanderfallen, sondern gegenseitig aufeinander bezogen und selbst letztlich dialektisch in ein noch weiteres Analogieverhältnis gestellt werden, wo die „analogia fidei“ sich die „analogia entis“ voraussetzt. Es handelt sich gleichsam um eine „analogia analogiae“, dank derer es Kasper gelingt, innerhalb seiner Korrelation das christologische Paradox zu wahren; denn die „analogia fidei“ als Ausdruck dieses Paradox behält den Vortritt vor der „analogia entis“. 2.2.1. Zwei-Stufen- oder Zwei-Naturen-Christologie? Im Sinne einer neuzeitlich inspirierten geschichtschristologischen Sichtweise sieht Kasper die Möglichkeit einer Wiederbelebung der biblischen „Zwei-Stufen-Christologie“623, jedoch nicht am Dogma von Chalcedon vorbei, sondern als Neuinterpretation der Zwei-NaturenChristologie von 451.624 Durch das metaphysisch geprägte Zwei-Naturen-Schema war in der offiziellen kirchlichen Theologie der eschatologisch-universale Horizont gewissermaßen „neutralisiert“ und geschichtlich irrelevant geworden, doch eine neue Besinnung auf die ZweiStufen-Theologie könnte das eine Geschick Jesu in Leben, Tod und Auferstehung als die eine Geschichte Jesu Christi wieder fruchtbar machen für einen universalgeschichtlichen Ansatz, der die Anliegen „von oben“
623 Jesus der Christus, 271. 624 Bereits vier Jahre vor dem Erscheinen von „Jesus der Christus“ hatte Dietrich Wiederkehr in „Mysterium Salutis“ eine ähnliche Interpretation des chalcedonensischen Dogmas mit Hilfe von Relationskategorien vorgeschlagen; vgl. Wiederkehr, D.: Entwurf einer systematischen Christologie, in: Mysterium Salutis. Grundriß heilsgeschichtlicher Dogmatik (hrsg. Feiner, J./Löhrer, M.), Einsiedeln/Zürich/Köln, 1970, 477 – 648.
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und „von unten“ in einer eschatologischen Perspektive miteinander vermittelt. Es geht im christologischen Dogma nicht allein um fest fundierte Formeln, sondern vor allem um eine Treue zur tatsächlichen Geschichtlichkeit Jesu: „Was Jesus ontisch (sc. in seiner ganzen Geschichte inklusive der Auferstehung und Erhöhung625) lebte, Dasein ganz aus Gott und ganz für die andern, wurde später ontologisch entfaltet (sc. im Dogma).“626 „Damit ist grundsätzlich der Weg frei, von der gegenwärtigen neuen Frage nach dem historischen Jesus aus das Anliegen der klassischen Zwei-Naturen- und Zwei-Stände-Christologie aufzugreifen und so zu einer neuen Synthese zu bringen.“627 Worin bestehen diese beiden Ansätze? Die Einheit von Gott und Mensch in Jesus Christus gehört zu den christologisch-soteriologischen Grundaussagen nicht nur der Schrift, sondern auch der Tradition. Dabei hat sie aber aufgrund der sie bedingenden Fragestellungen jeweils verschiedene Interpretationen gefunden. In der Heiligen Schrift sticht vor 625 Auferstehung und Erhöhung werden verstanden“ als die überbietende Erfüllung von Leben und Werk des irdischen Jesus“ (Aufgaben der Christologie heute, 138) und eben nicht als bloße Bestätigung einer in der Inkarnation erfolgten hypostatischen Vereinigung von göttlicher und menschlicher Natur (im Sinne einer statischen Zwei-Naturen-Christologie). 626 Aufgaben der Christologie heute, 138. Das Ontologische hilft, um das Ontische in rechter Weise zu verstehen; letztlich liegt also in der Christologie – schon innerhalb des NT – das vor, was Sesboüé einen „anneau circulaire“ nennt (Sesboüé: Esquisse, 25). Die Christologie geht von Jesus aus und kehrt auch wieder zu ihm zurück. „Les affirmations „protologiques“ viennent répondre aux affirmations „eschatologiques“.“ (Sesboüé: Esquisse, 27) Die Christologie denkt demnach sozusagen „von hinten nach vorne“. Dieses Denken funktioniert nach dem Pannenbergschen „principe rétroactif“ (Sesboüé: Esquisse, 28). Sesboüé sieht dieses Prinzip auch bei Kasper wirken: ausgehend vom Zentrum von Tod und Auferstehung Jesu Christi dehnt sich die Christologie aber nicht nur „nach hinten“ zur Präexistenz und zur Inkarnation hin aus, sondern auch „nach vorne“ zur Parusie hin. (vg. Sesboüé: Esquisse, 29 f.) Auch hier scheint eine „corrélation“ in Kaspers Denken zu wirken, in der sich eine Kenosis-Christologie und eine Erhöhungs-Christologie das Gewicht halten. 627 Jesus der Christus, 43. Schilson meint, „der innerste Sinn und das eigentliche Anliegen von Chalkedon (müßten) heute auf neue Weise zur Sprache gebracht werden“, da das gegenwärtige Denken geprägt sei von „dynamisch-funktionalen und geschichtlichen Kategorien“. (Gemeinsame Perspektiven gegenwärtiger Christologie, 17) Kasper ist der Meinung, daß Chalcedon seine Zwei-NaturenChristologie nur auf dem Hintergrund des allgemein ältesten christologischen Entwurfs, des Zwei-Stufen-Schemas, entwickeln konnte und sich als Interpretation von letzterer verstand (Vgl. Jesus der Christus, 42).
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allem die sogenannten „Zwei-Stufen-Christologie“ aus dem Christuslied des Philipperbriefes (Phil 2,6 – 11) 628 und anderer, vor allem paulinischer Stellen des Neuen Testamentes (besonders Röm 1,3 f.), hervor; die dynamische Vermittlung von der Seinsweise Gottes und der Seinsweise der menschlichen Knechtschaft unter den kosmischen Mächten soll das christologische Paradox soteriologisch als „großen Tausch“629 auslegen: durch die Armut Christi wird der Mensch an Gott reich. „In der einen Geschichte des einen Jesus Christus geschieht also zugleich die Wende aller Geschichte, werden Gott und Mensch wieder miteinander versöhnt.“630 Nur wenn Jesus Christus als personale Einheit von Gott und Mensch wahrhaft von seiner Geschichte her verstanden wird, bekommt er umfassende soteriologische Bedeutung für die sich als geschichtlich erfahrenden Menschen! Deshalb darf sich die Christologie nicht einseitig an der Inkarnation orientieren, sondern muß ausgehen von „deren geschichtlichem Vollzug in Jesu konkretem Verhältnis zu Gott, das seine Eindeutigkeit und Vollendung erst im Geschehen von Kreuz und Auferweckung findet“631. Schrift und Tradition haben zu Beginn darauf gepocht, daß die gleichzeitige Aussage von Göttlichem und Menschlichem in Jesus Christus632 von seiner Geschichte und von seinem Gehorsam gegenüber dem Vater her zu interpretieren war. „Die Einheit des Menschen Jesus mit dem Logos kommt im Neuen Testament nur indirekt als innerer Grund der Einheit zwischen dem Vater und Jesus zur Sprache.“633 Kasper erhebt die Geschichte – die Verbindung von inkarnatorischer und österlicher Sichtweise – zum wesentlichen hermeneutischen Prinzip seiner Christologie: die Frage, wie aus dem irdischen Jesus der verkündigte Christus wurde; es ist der Versuch, eine ausschließlich am historischen Jesus orientierte Christologie mit einer einseitigen Kerygma- und Dogmachristologie so zu vermitteln, daß sie sich in einer gesunden Spannung gegenseitig bereichern. Es geht um die Korrelation von historischem Jesus und verkündigtem Christus unter geschichtlichen Vorgaben.634
628 629 630 631 632 633 634
Vgl. Der Gott Jesu Christi, 219 f.235 f.; vgl. Jesus der Christus, 271 f. Jesus der Christus, 272. Jesus der Christus, 272. Schilson: Gemeinsame Perspektiven gegenwärtiger Christologie, 18. Diese Gleichzeitigkeit kommt am besten in Joh 1,14 zum Ausdruck. Jesus der Christus, 274 (Hervorhebung von Kasper). Vgl. Jesus der Christus, 20.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
2.2.3. Die christologische Konzilsformel von Chalcedon Im Laufe des Versuches einer begrifflichen Klärung der in der Schrift bezeugten Einheit von Gottheit und Menschheit in der einen Person Jesus Christus kam es – wie Kasper akurat darlegt635 – zu einer Fülle von verschiedenen Ansätzen, die nach einem ersten Ansatz in der Konzilsformel von Ephesus (431) über die Gottesmutterschaft Mariens in das Zwei-Naturen-Schema des Konzils von Chalcedon (451) 636 mündeten. Es besagt, daß Christus „in zwei Naturen unvermischt, unveränderlich, ungetrennt und unteilbar erkannt wird (…) in einer Person und einer Hypostase“ (DH 302).637 Chalcedon stellt einen zusammenfassenden 635 Vgl. Jesus der Christus, 274 – 279. „Es ist offenkundig, daß hinter der ständigen, bis heute nicht zur Ruhe gekommenen dialektischen Bewegung in der gesamten Dogmen- und Theologiegeschichte zwischen der Betonung der Einheit und der Betonung der Unterschiedenheit von Gottheit und Menschheit ein ungeklärtes und vielleicht auch unklärbares Problem steht: das Problem der Vermittlung zwischen Gott und Mensch.“ ( Jesus der Christus, 283) 636 Im Zusammenhang einer kritischen Auseinandersetzung mit Chalcedon sieht Bernard Sesboüé – so wie wir selbst auch – eine enge Verwandtschaft zwischen Tillich und Kasper. (vgl. Sesboüé: Esquisse, 32) Kasper wird für Sesboüé zu einem herausragenden katholischen Vertreter der beiden wesentlichen Kritikpunkte, die der chalcedonensischen Konzilsformel gegenüber erhoben werden: eine metaphysische Kritik wehrt sich gegen den Begriff der „Natur“ und die damit suggerierte Teilung der Person Christi in zwei „Sphären“, und eine essentialistische Kritik bemängelt, daß Christus nicht die menschliche Natur im allgemeinen angenommen hat, sondern eine konkrete menschliche Natur und ihre Geschichte. (vgl. Sesboüé: Esquisse, 32) Dabei bescheinigt Sesboüé Kasper aber eine sehr ausgewogene und konstruktive Kritik, die auf Polemik verzichtet und nach dem Sinn des Ausgesagten fragt. In manchen anderen Kommentaren scheint immer wieder durch, daß nach der Rahnerschen Eröffnung einer Diskussion über die Neuinterpretation von Chalcedon Kaspers Vorstoß als einer der ersten und bedeutendsten betrachtet wird. (vgl. z. B. McDermott, 339) Dabei wird deutlich, daß man eine Lösung finden kann, ohne das eine Extrem gegen das andere ausspielen zu müssen: „Kasper refuses to play off the Chalcedon against Jesus’ own story.“ (McDermott, 342) 637 Dabei versucht die Verbindung der Begriffe von Natur und Hypostase einen Kompromiß zwischen westkirchlichen und ostkirchlichen Begrifflichkeiten und übernimmt ironischerweise letztlich eine von Nestorius getroffene, wenn auch anders interpretierte Unterscheidung. Das Ziel von Chalcedon war, „mit seiner Unterscheidung von Natur und Person bzw. Hypostase die Einheit in der Zweiheit und die Zweiheit in der Einheit von Gott und Mensch“ zu wahren ( Jesus der Christus, 280). Martin Bieler kommentiert die Vorteile und Stärken der Konzilsformel folgendermaßen: „In ihr ist (…) einmal der Ausgangspunkt der Bewegung (Gott) und deren Zielpunkt (Mensch) in ihrer bleibenden Differenz (unverwandelt und unvermischt), sodann die Identitt von Ausgangs- und
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Höhepunkt und eine herausfordernde, zukunftsorientierte Grundorientierung der klassischen Christologie dar. Es macht sich zum Interpreten der Mittlerschaft Jesu Christi, da in ihm Gott und Mensch geeint sind. Die wahre Gottheit ist vermittelt mit der wahren Menschheit. Hier aber liegt der soteriologische Konvergenzpunkt von damals und heute.638 Chalcedon spielt für Walter Kasper eine wichtige Rolle.639 Das eigentliche Ärgernis, das durch dieses Konzil und sein „gott-menschliches Prinzip“ angeregt wurde, ist die Behauptung, daß es Absolutes in der Geschichte gibt, ohne daß dieses durch die Endlichkeit des Geschaffenen selbst relativ und vorläufig wird.640 Es wird aber damit zugleich – und das ist der postmoderne Stachel dieses Konzils – die Frage gestellt nach der Bedeutung der menschlichen Geschichtlichkeit für die Heilsvermittlung.641 Kasper weist anhand von neueren Forschungsergebnissen642 nach,
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Zielpunkt in der Person Jesu (ungetrennt und ununterschieden) enthalten. Dies entspricht im Akt der Selbstmitteilung der Trennung von Geber und Gabe einerseits („Differenz“) und der Präsenz des Gebers in der Gabe andererseits („Identität“). Jesus ist dieses Bewegungsgefüge als Gabe Gottes selbst in Person. Die Person Jesu kann deshalb gar nicht ausschließlich statisch verstanden werden.“ (Bieler, M.: Befreiung der Freiheit. Zur Theologie der stellvertretenden Sühne, Freiburg/Basel/Wien 1996, 299; Hervorhebungen von Bieler) Madonia meint, in seiner Studie „Ermeneutica e cristologia in W.Kasper“ eine Uneinheitlichkeit der Argumentation festgestellt zu haben: einerseits behaupte Kasper die Kontinuität zwischen der neutestamentlichen Christologie und den Konzilien, weil es um dieselbe soteriologische Frage gehe, andererseits spreche er aber auch von einer Diskontinuität, da die Sprache und die Interpretationshorizonte wechseln. (vgl. Madonia: Cristologia, 290, Anmerkung 37; sie verweist letztlich u. a. auf Madonia: Ermeneutica e cristologia, 56) Vgl. Sesboüé: Esquisse, 37 – 40. Vgl. zu einer theologisch-christologischen Aufarbeitung der Frage Menke, K.H.: Jesus Christus: Das Absolute in der Geschichte? Die Frage nach der universalen Bedeutung eines geschichtlichen Faktums, in: Müller, G.L./Seretti, M.: Einzigkeit und Universalität Jesu Christi. Im Dialog mit den Religionen, Einsiedeln/Freiburg 2001, 231 – 265. Menke greift dabei die relativistischen Theorien der Pluralistischen Religionstheologie auf, welche auch Kasper an verschiedenen Stellen ansatzweise streift. Menke kann nachweisen, daß es keine Christologie ohne Trinitätslehre geben kann, weil in letzterer der Sachgrund des Absoluten in der Geschichte verankert ist. Schließlich geht er anhand des Denkens von u. a. Balthasar, Levinas, Verweyen, Pröpper und Ratzinger theologisch und philosophisch auf den Erkenntnisgrund des Absoluten in der Geschichte ein, geht aber damit auch über Kaspers Gedankenschema hinaus. Vgl. „Einer aus der Trinität…“. Zur Neubegründung einer spirituellen Christologie in trinitätstheologischer Perspektive (Theologie und Kirche), 219. „Einer aus der Trinität…“. (Theologie und Kirche), 220 – 227.
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daß Chalcedon entgegen andersartiger Behauptungen keinen dogmatischen Fremdkörper darstellt, sondern eine Christologie vertritt, die von soteriologischen Absichten her einsetzt und innerhalb der trinitarischen Sichtweise des nizäno-konstantinopolitanischen Symbolums verbleibt. Dabei wurde noch ohne begriffliche Klarheit um das „spezifisch christliche Modell der Gott-Mensch-Verhältnisbestimmung“643 gerungen. Der neuplatonische Hintergrund der Konzilsformel verdeutlicht vor allem, daß die Enhypostasie der Menschheit Jesu (d. h. das Aufgenommensein der menschlichen Natur Jesu in die Hypostase des ewigen Logos) eben nicht eine Beschneidung und Einschränkung bedeutet, sondern sie ihrer letzten Vervollkommnung und höchstmöglichen Erfüllung zuführt. Diese „unvermischte Einheit von Gott her, welche das Menschliche zugleich in sein Eigenes freigibt“644, hat soteriologische Sprengkraft und konnte durch das Dritte Konzil von Konstantinopel (680/1) für das Thema des freien Willens präzisiert werden. Hier wurde definiert, daß die menschliche Freiheit durch das Aufgenommenwerden in den Willen Gottes nicht zerstört und beschnitten, sondern entbunden und befreit wird. Entscheidend fortschrittlich ist für Kasper überdies, daß dabei „die ontologische Problemstellung nicht mehr nur natural, sondern primär freiheitlich und personal“645 gestellt wird und damit prophetischen Wert hat für die heutige Fragestellung. Damit verdeutlicht sich aber trotz begrifflicher Schwierigkeiten das auf das Sein und das Bewußtsein Jesu angewandte Hauptargument und Hauptanliegen der konziliären Formeln: „Die je größere Einheit mit Gott bedeutet je größeren Eigenstand des Menschen.“646 Es ist die „Idee von der freisetzenden Einigung“647, in der sowohl Gottes Transzendenz als auch die Eigenständigkeit des Menschen gewahrt bleiben. Kasper kann zwar behaupten, daß die chalcedonische Konzilsformel eine präzise inhaltliche Nachzeichnung des Zeugnisses des Neuen Testaments über Geschichte und Geschick Jesu ist. Zugleich gibt es aber auch ein Verlustkonto, eine Verengung648 : das Interesse richtet sich ausschließlich auf die innere Konstitution des gottmenschlichen Subjekts 643 644 645 646 647 648
„Einer aus der Trinität…“. (Theologie und Kirche), 225. „Einer aus der Trinität…“. (Theologie und Kirche), 226. „Einer aus der Trinität…“. (Theologie und Kirche), 227. Jesus der Christus, 295. Jesus der Christus, 280. „Die Tradition liefert (…) vor allem Modelle frherer Kontextsituierung, wobei es gelungene und mißlungene Fälle geben wird.“ (Wiederkehr, 13; Hervorhebung von Wiederkehr)
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und löste die Frage aus dem Gesamtzusammenhang der Geschichte. In diesem Sinne muß sie wieder in das biblische Gesamtzeugnis integriert werden: die Geschichte als solche muß wieder ernstgenommen werden, auch in ihrem eschatologischen Ausgespanntsein auf Erfüllung.649 Dieses radikale Ernstnehmen der Geschichte, wie er es bei Schelling gelernt hat, will Kasper in seinem universalgeschichtlichen Ansatz650 leisten, der sich heilsgeschichtlich-christologisch an der Zwei-Stufen-Christologie inspiriert. Dabei wird die Relation, aus der Jesus lebte, nicht vorrangig als Beziehung zum Logos gesehen, sondern zu seinem Vater.651 In Kaspers Sinn definiert Pröpper die Dogmatik als „wahrheitsverpflichtete Hermeneutik des Glaubens“, denn Dogma wird bei Kasper verstanden als ein „Beziehungsbegriff, als in einer meist kritischen Situation gegebenen Antwort der Kirche auf das Wort Gottes“652. Das heißt: auch in Bezug auf die so zentrale Konzilsformel von Chalcedon ist eine geschichtliche, situationsgebundene Interpretation nicht nur möglich, sondern auch notwendig. Im Hinblick auf die in der jeweiligen Gegenwart neu entstehenden theologischen Probleme ist zwar eine Konzilsformel immer ein Ende eines damals akuten Disputs, vor allem aber ist sie eine Grenze des Denkmöglichen und ein Schutz gegen Verzerrungen, so daß sie für eine Neuinterpretation in der Gegenwart auch ein Anfang ist, von dem man legitimerweise ausgehen darf und muß.653 649 Vgl. Jesus der Christus, 280 f. 650 Vgl. Jesus der Christus, 18. 651 Scheffczyk meint über die Chalcedon-Formel: „Im Horizont eines geschichtlichen Denkens können diese Aussagen einerseits ihren Geltungsanspruch niemals verlieren, andererseits aber auch nicht einfach wiederholt werden, zumal sie (…) schon bald nach der Fixierung eine innere Dynamik entfalteten, welche heute mit den Kategorien der Zeitlichkeit und des Werdens, die an die Christusgestalt angelegt werden, noch einmal anders und gemäßer eingefangen werden kann.“ (Scheffczyk, L.: Einführung. Der dogmatische Weg zum Christusgeheimnis, in: Scheffczyk, L. (Hrsg.): Grundfragen der Christologie (QD 72), Freiburg/Basel/Wien 1975, 7 – 14; hier: 13) 652 Dogmatik als Wissenschaft, 195. 653 Vgl. Rahner, K.: Chalcedon – Ende oder Anfang?, in: Grillmeier, A./Bacht, H. (Hrsg.): Das Konzil von Chalcedon. Geschichte und Gegenwart. Bd.3, Würzburg 1954, 3 – 49. Was die alten Konzilien und die heutige Situationen – wie alle geschichtlichen Situationen – im Hinblick auf das Christusereignis nach Kasper gemeinsam haben, ist, daß sie die universale Bedeutung Christi in Entsprechung zu den jeweiligen Fragen der Metaphysik, „der Frage nach dem Einen und Ganzen der Wirklichkeit“ (Aufgaben der Christologie heute, 142), entwickeln müssen, um den universalen Anspruch und den missionarischen Charakter des Christentums zu artikulieren. Gegen Harnacks Hellenisierungsthese behauptet
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2.2.4. Die Neuinterpretation vom Personbegriff her Wie kann eine solche heutige existentielle Neuinterpretation aussehen? „In dieser umfassenden Perspektive werden wir heute die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus nicht mehr als ein bloß punktuelles Ereignis am Anfang des Lebens Jesu verstehen, sondern als ein zwar ein für allemal geschehenes Ereignis, das jedoch in sich nochmals eine Geschichte enthält, die erst im Tod und in der Auferweckung Jesu ihre innere Vollendung erfährt.“654 Es gilt – wie weiter oben dargelegt –, die Sachfrage der Vermittlung mit der Geschichte und der Geschichtlichkeit des Menschen in Beziehung zu setzen. In der heutigen Situation, die sich auszeichnet durch die mehr dynamisch-geschichtliche Sicht der Gesamtwirklichkeit und durch die globale Verflechtung und Solidarität, „muß der eschatologisch-geschichtliche Horizont der biblischen Christologie erneut von Bedeutung werden“655. „Innerhalb einer geschichtlich gewordenen Welt ist die Geschichte Jesu als dieser neue Anfang zur Geltung zu bringen.“656 Gegenüber (un-) geschichtlichen Utopien besteht ein gesellschaftskritischer Wert der Christologie; sie ist „eine Umwertung der Werte, wie man sie radikaler nicht denken kann“657. Nur so kann Christologie heute relevant werden. Der universale Anspruch der Christologie verlangt nämlich, „daß sie angesichts der Fragen und der Bedürfnisse der Men-
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Kasper: „So wie es damals eine legitime Hellenisierung des Glaubens gab, kann es heute (…) eine legitime Enthellenisierung des Christentums geben.“ (Aufgaben der Christologie heute, 142) In der theologischen Literatur ist man sich insgesamt soweit einig, daß eine Neuinterpretation von Chalcedon in bleibender Treue zu den sachlichen Ergebnissen nicht nur notwendig, sondern auch legitim ist. Martin Bieler sieht die gegenwärtige grundlegende Krise in diesem Sinn nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Chance. (vgl. Bieler, M.: Befreiung der Freiheit. Zur Theologie der stellvertretenden Sühne, Freiburg/Basel/Wien 1996, 13) Vgl. auch den ganzen Band Grillmeier, A./Bacht, H. (Hrsg.): Das Konzil von Chalcedon. Geschichte und Gegenwart. Bd.3, Würzburg 1954 mit Beiträgen von Rahner (wie weiter oben als bahnbrechende Inspiration erwähnt), Welte, Ternus, Congar, Daniélou, Arnold, Geiselmann, Fries, Witte, Volk, Schnackenburg, Leeming, Schultze, Olser, Gill und Neuner. Vgl. die Ausgabe von Una Sancta, die dem Hauptthema „Wahrer Gott – wahrer Mensch“ gewidmet war (Una Sancta 57 (1/2002)) und u. a. den Artikel des Tillich-Experten Gunther Wenz „Chalcedon 451 – Wahrer Mensch und wahrer Gott“ enthält (Seiten 16 – 30). Aufgaben der Christologie heute, 138 f. Aufgaben der Christologie heute, 143. Aufgaben der Christologie heute, 144. Aufgaben der Christologie heute, 145.
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schen und in Entsprechung (Analogie) zu den Problemen der Zeit bedacht und verantwortet wird“658. Da es sich von der modernen Subjektivitätsphilosophie her nahelegt, daß das christologische, ekklesiologische und damit verkündigungs- bzw. pastoraltheologische Problem der Spannung von Identität und Relevanz im Vordergrund steht, muß die Konzilsformel von Chalcedon auf eine Metaphysik unter dem Primat von Person659 und Relation hin umgedeutet werden, in der auch die Geschichtlichkeit und die Freiheit der Person zur Geltung kommen. Dabei rückt der Personbegriff in das Zentrum von Kaspers Aufmerksamkeit, denn er vermag, das Zwei-Naturen- und Hypostasen-Denken der alten Konzilien in moderner Weise getreu zu interpretieren. Anders gesagt: die konkrete soteriologische Frage, wie Jesus Christus und nicht nur daß Jesus Christus der göttliche Erlöser der Menschen ist, gerät in den Mittelpunkt. In der Person Jesu Christi geht es nun weniger um die Feststellung, daß Gott und Mensch geeint sind und deshalb der Mensch prinzipiell in diesem Jesus Christus das Heil erwarten darf, sondern wie in Jesus Christus selbst diese Vermittlung geschieht und wie der Mensch an dieser Gottmenschlichkeit Jesu Christi teilnehmen kann. In Bezug auf Christus – und in enger Verwandtschaft zu den entsprechenden trinitätstheologischen Überlegungen – führt Walter Kasper systematisch den Personbegriff ein und rückt ihn in den Mittelpunkt. In Christus begegnet nämlich eine neue Weise des Menschseins, die Kasper von der „personale(n) Erfahrung“660 des Menschen her deuten will. Während er in seinen anthropologischen Ausführungen eher bei einer prinzipielleren Terminologie wie Freiheit oder Geschichtlichkeit geblieben ist und den Personbegriff nur wenig gebraucht, wird in der Christologie in Bezug auf den Menschen Jesus im Hinblick auf seine Offenheit auf Gott und auf die Menschen hin der Begriff der Person gebraucht. Diese christologische Einführung ist insofern legitim, als Jesus Christus als die in der Fülle ihrer Potentialitäten erfüllte Person und Persönlichkeit gelten kann, an der sich der anthropologische Begriff der 658 Aufgaben der Christologie heute, 139. 659 Vgl. dazu Sesboüé: Esquisse, 38 f. Nach eigenen Angaben verdankt Kasper vieles an seinem Verständnis des Personbegriffs Müller, M.: Erfahrung und Geschichte. Grundzüge einer Philosophie der Freiheit als transzendentale Erfahrung, Freiburg/München 1971, besonders 83 – 123; Müller, M./Vossenkuhl, W.: Artikel „Person“, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe II, 1059 – 1070. (vgl. Jesus der Christus, 290, Anmerkung 48) 660 Jesus der Christus, 290.
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Person zu messen hat und von der her er sich erst wahrhaftig definiert. Zwei Fragen stellen sich hinsichtlich der Glaubenswahrheit, „daß Gott in der Weise Mensch geworden ist, daß er eine menschliche Natur unvermischt und ungetrennt in das Personsein des ewigen Logos aufgenommen hat“: „Wie ist eine solche Aussage des Glaubens „von unten“, vom Menschen her (ex parte assumpti) verstehbar?“, und „(ex parte assumendis): Wie ist so etwas „von oben“, von Gott her verstehbar?“661 Daß Kasper in seiner Anthropologie den Personbegriff weitestgehend vermeidet, liegt vor allem daran, daß er „in der Zwischenzeit so vieldeutig geworden ist, daß man lieber auf ihn verzichten sollte“. Deshalb gilt: „Reden wir (…) lieber von der Personalität des Menschen, denn das meint geschichtliches Denken letztlich: Denken, das nicht unter dem Primat des naturhaft-sachlichen, sondern des personalen Seins steht.“662 Doch ganz kann er den Begriff nicht vermeiden: Person ist dadurch ausgezeichnet, daß sie einerseits „je einmalig, unverwechselbar, unmittelbar sie selbst ist, Subjekt, das niemals ganz Objekt werden kann und deshalb niemals zum bloßen Objekt gemacht werden darf“663. Andererseits lebt die Person ihre Subjektivität „in Zuwendung zur Mitwelt, zur Umwelt und zu sich selbst. Diese Relationen machen ihr personales Wesen aus. Person ist in ihrer Einmaligkeit zugleich die Möglichkeit universaler Kommunikation, Person existiert damit wesentlich geschichtlich.“664 Die Person ist demnach das verbindende Glied zwischen Objektivität und Subjektivität; sie ist Spannung, je einmaliges Da-Sein. Damit steht diese Definition in der Nähe zum klassischen Personbegriff, der „naturae rationalis individua (= incommunicabilis) substantia (= subsistentia)“665. Soweit die rein philosophische Überlegung Kaspers zum Personbegriff.666 In den konkreten Relationen zu sich selbst, zum Mitwelt und zur Umwelt zeigt sich, daß das Wesen der Person schenkende und empfangende Liebe ist.667 Einmaligkeit und Universalität im Beziehungsge661 662 663 664 665 666
Jesus der Christus, 290. Das theologische Wesen des Menschen, 115. Das theologische Wesen des Menschen, 116 (Hervorhebungen von Kasper). Das theologische Wesen des Menschen, 116. Jesus der Christus, 291. Für die geistesgeschichtliche Entwicklung des Begriffs vgl. Jesus der Christus, 284 – 290. 667 Vgl. Jesus der Christus, 291. Es handelt sich um ein dialektisches Geschehen: „In der Freundschaft, in der Liebe gebe ich meine abstrakte Persönlichkeit auf und gewinne sie dadurch als konkrete.“ ( Jesus der Christus, 291)
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füge der Person verweisen nach Kasper aber auf Gott, der zum einen die Person unbedingt annimmt, sie aber zum anderen durch ihre Offenheit in das Geheimnis Gottes hineinverweist668. „Nur wenn man den Menschen als theologisches Wesen, als Wesen, das im Gespräch mit Gott ist, versteht, kann man sein übriges Wesen verstehen, ist menschliches Menschsein möglich.“669 Einer theologischen Theologie entspricht also ein menschliches Menschsein; Theonomie und Autonomie schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern bedingen sich einander. „Die Anbetung Gottes ist sozusagen der humanste Akt des Menschen.“670 Dabei schließen sich Gott und Mensch wiederum nicht aus: „Gott selbst gehört in die Definition der menschlichen Person hinein.“671 Der Mensch ist nicht Mensch ohne seine konstitutive Offenheit auf Gott hin. Im Personbegriff lassen sich zwei Denkmöglichkeiten verbinden, die als unabhängige und auf die Spitze getriebene weder Gott und Mensch miteinander vermitteln noch der einzelnen Person gerecht werden: „Insich-Sein und Freiheit“672. Der Mensch ist Gottes Ebenbild; er ist das „Wesen der Mitte“673 zwischen Horizontalem und Vertikalem, ist aber damit auch ausgespannt zwischen Größe und Elend. Die Diskussion um den Personbegriff spiegelt die theologische Herausforderung durch die neuzeitliche Subjektivitätsphilosophie auf zugespitzte Weise wider. Der Mensch ist nicht in sich abgeschlossenes und verschlossenes Subjekt, sondern als Person auf Gott verwiesen. Die Frage, ob er ein Torso, ein Fragment oder im Leiden ein Symbol der Hoffnung ist, kann nur von Jesus Christus und seiner Vermittlung von Göttlichem und Menschlichem her eine Antwort erwarten. Da Person nur durch Person erfüllt werden kann, müssen die Erkenntnisse über die Person auch auf Jesus Christus angewandt werden.674 668 Denn „personale Würde des Einzelnen ist nur dort möglich, wo die Geschichte selbst im letzten personal strukturiert ist; nur im Raum einer umfassenden Freiheit kann die Freiheit des Einzelnen leben.“ (Gott in der Geschichte, 147) 669 Das theologische Wesen des Menschen, 116. „Diese Relationen in der Horizontalen werden jedoch (…) sozusagen gekreuzt und getragen durch die umgreifende Relation des Menschen zu Gott.“ ( Jesus der Christus, 291) 670 Das theologische Wesen des Menschen, 107. 671 Jesus der Christus, 292. 672 Verständnis der Theologie damals und heute (Glaube und Geschichte), 31. 673 Jesus der Christus, 292. 674 Als wir im ersten Teil die Freiheit als transzendentale Bestimmung des Menschen als Person erläutert haben, wurde deutlich, daß dem Menschen die Endgültigkeit und Ernsthaftigkeit seiner personalen Freiheit im Raum der Freiheit nur erschlossen werden kann, wenn es eine unbedingte Freiheit gibt, die den Menschen
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
Die Wesensgemeinschaft von Jesus und dem Vater ist vom neutestamentlichen Zeugnis her „als personale(r) Vollzug zu verstehen“: „Es ist die Eigentümlichkeit dieser Wesensgemeinschaft, daß sie personal und relational ist.“675 Das geschieht vor allem dadurch, daß für seine Beziehung zu Gott nicht mehr von den beiden Naturen ausgegangen wird, sondern von seiner Person und seiner personalen Kommunikation mit dem Vater, welche „die Mitte von Leben und Person Jesu“676 darstellt. Jesu „abba“-Intimität läßt sich für Kasper durch das klassische Analogieaxiom zum Ausdruck bringen, wo Einheit mit dem Vater und Verschiedenheit von ihm sich nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig bedingen und einschließen. Jesus Christus „ist in Gestalt menschlichen Gehorsams Gottes Da-Sein in der Geschichte“677. Wie jedoch geschieht in der Person Jesu Christi die tiefste Erfüllung seines menschlichen Wesens durch seine Beziehung zum Vater, welche auf rein ontologischem Plan die Vereinigung mit der göttlichen Natur bedeutet? Jesus versteht sich in seiner ganzen menschlichen Existenz „von oben“ her. Er radikalisiert das erste Gebot der Gottesliebe, doch diese Gottesherrschaft realisiert sich in der Liebe.678 Jesus lebt ganz aus dem Glauben und der Hingabe an den Vater. Erst die tiefe Einheit mit Gott setzt die Person Jesu von Nazareth in ihren Eigenstand. „Gerade indem Jesus kein anderer als der Logos ist, ist er im Logos und durch ihn auch eine menschliche Person.“679 Das heißt umgekehrt: „Die Person des Logos ist die menschliche Person“680 ! Er selbst ist die personale Gestalt der
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in letztgültiger Weise annimmt und seine Freiheit befreit, eine vollkommene Freiheit also, durch die die menschliche Freiheit begründet ist. Jesus der Christus, 274. „Einer aus der Trinität…“. (Theologie und Kirche), 229. „Einer aus der Trinität…“. (Theologie und Kirche), 230. Von daher läßt sich auf Gottes ewiges Sein als personale, letztlich trinitarische Relation schließen. (vgl. „Einer aus der Trinität…“. (Theologie und Kirche), 231) Hier macht Kasper auch deutlich, wie er das Verhältnis von Christologie und Trinität sieht: „Damit ist die Trinität gnoseologisch (quoad nos) eine Konsequenz der Christologie. (…) Ontologisch gesehen (in se), ist jedoch die Trinität die transzendental-theologische Voraussetzung der Christologie.“ Ersteres spiegelt das legitime Anliegen der Christologie „von unten“ wider, letzteres das der Christologie „von oben“. Vgl. Jesus der Christus, 293. Jesus der Christus, 294. „Das an sich Unbestimmte und Offene, das zur menschlichen Person gehört, wird durch die Personeinheit mit dem Logos auf endgültige Weise bestimmt, so daß in Jesus durch die Personeinheit mit dem Logos die menschliche Personalität zu ihrer schlechterdings einmaligen und unableitbaren Erfüllung kommt.“ ( Jesus der Christus, 294 f.) Jesus der Christus, 294 (Hervorhebung vom Autor).
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Herrschaft Gottes und die menschgewordene Liebe des Vaters.681 Und als dieses Da-Sein Gottes ist Christus als Person auch auf alle Menschen hin offen. Er ist aller Bruder und entfaltet eine Beziehung zu jedem einzelnen der Menschen über alle Zeiten hinaus. Als menschgewordene göttliche Person ist er als der Grund aller Freiheit im irdischen Raum der Freiheit gegenwärtig und in diesen universalen Solidaritätszusammenhang eingegangen. Diese lebendige und dynamische Dialektik von Offenheit und Bestimmtheit, Menschheit und Gottheit versucht der Begriff der hypostatischen Union in substantieller Terminologie auszudrücken; er bezieht sich nicht nur auf das Sein, sondern auch auf das Bewußtsein und die Freiheit Jesu682. Einheit mit Gott und personaler Eigenstand als Mensch nehmen in proportionellem Maß zu. Der Begriff kann durch das Personkonzept wieder auf das Ursprünglichere, nämlich die heilsgeschichtliche Dynamik zurückgeführt werden. Selbstverständlich wird die Theologie an die Grenze ihres Denkens und zu einem „vielleicht auch unklärbare(n) Problem“683 geführt; sie muß davon ausgehen und annehmen, daß es sich bei Gott um „das Geheimnis einer unergründlichen Liebe (handelt), zu deren Wesen es gehört, Unterschiedenes so zu vereinen, daß dabei der Unterschied respektiert wird“684. Diese unergründliche Liebe findet jedoch im Personbegriff ein terminologisches Mittel, sich verständlich auszulegen. Die Vermittlung, wie sie in Jesus Christus geschieht, widerspricht in keinster Weise dem (personalen) Wesen des Menschen.685 Da der Personbegriff sowohl in der Anthropologie als auch in der Christologie und in der Trinitätslehre eine zentrale Rolle spielt, wagen wir zu behaupten, daß es jener formal-theologische Begriff ist, der am ehesten das Scharnier zwischen den einzelnen Traktaten bildet, der aber zugleich die formale Bestimmung der Offenheit im Korrelationsverhältnis von Gott und Mensch leistet. Nach dem Urteil von Sudbrack zeigt 681 Vgl. Jesus der Christus, 294. 682 Jesu Bewußtsein um die Einheit mit dem Vater war nach Kasper „eine Art Grundbefindlichkeit und Grundgestimmtheit“ ( Jesus der Christus, 295), die sich in den Entscheidungen Jesu als Gottes Wille konkretisierte; Jesu Unsündlichkeit dagegen besagt keine Unterdrückung des freien Willens, sondern im Gegenteil seine höchste Verwirklichung durch „unbedingte Entschiedenheit“ ( Jesus der Christus, 295). 683 Jesus der Christus, 283. 684 Jesus der Christus, 296. 685 Vgl. Sesboüé: Esquisse, 39.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
sich am intensiven Kasperschen Gebrauch der Personbegriffs, daß „Gott und Mensch (…) in ihrer Eigentlichkeit nicht sosehr als „Sein“ oder „Bewußtsein“ zu verstehen (sind), sondern als Beziehung und Begegnung„686 zu verstehen sind. Regina Radlbeck-Ossmann hat in einer Monographie den Gebrauch des „trinitarische(n) Schlüsselbegriff(s) „Person“„687 bei Moltmann und Kasper – vorrangig in ihrer Trinitätslehre – untersucht und ihre Ergebnisse in einem Artikel zusammengefaßt, auf den wir uns hier beziehen. Interessant ist daran vor allem, daß Kasper seine Theologie ja auf dem Hintergrund des neuzeitlichen Atheismus und der modernen Subjektivitätsphilosophie entwickelt und deshalb nicht umher kann, die Begriffe von Person und Subjekt bzw. Subjektivität voneinander zu differenzieren. Nicht umsonst rückt der Personbegriff bei Kasper also in besonderer Weise in den Mittelpunkt. Wird Kasper jene Problematik überwinden können, vor der Rahner und Barth so vehement gewarnt haben? Radlbeck-Ossmann kann nachweisen, daß Kasper nicht nur eigentlich in drei verschiedenen Zusammenhängen das Konzept der Person als vermittelndes Scharnier gebraucht, sondern daß in diesen Kontexten der Sinn des Begriffs leicht variiert. Dabei wird zum einen deutlich, daß der relationale Personbegriff derjenige ist, den Kasper am meisten gebraucht.688 Er weist auf, daß der neuzeitliche Person- bzw. Subjektbegriff, der ein selbstbewußtes, freies Aktzentrum aussagt, schon frühzeitig zugunsten der Erkenntnis aufgebrochen wurde, daß Person nur in Relationen besteht.689 Dabei ergibt sich letztlich im innertrinitarischen Gebrauch die Schwierigkeit, daß – wenn vom modernen Personbegriff her der eine göttliche Wille als in Vater, Sohn und Geist subsistierend gedacht wird – man im Grunde auf vier göttliche Subjekte kommt.690 Andererseits bietet jedoch der dialogische Personalismus eine sehr günstige kerygmatische Ausgangsposition für die Trinitätslehre. Wichtig ist deshalb, daß beim Gebrauch eines relational umgeformten modernen Personbegriffs bedacht wird, daß dieser Begriff nur analog auf Gott angewandt werden 686 Sudbrack, 80. 687 Radlbeck-Ossmann, R.: .., in drei Personen. Der trinitarische Schlüsselbegriff „Person“ in den Entwürfen Jürgen Moltmanns und Walter Kaspers, in: Catholica 47 (1993) 38 – 51, hier: 38. 688 Kasper spricht auch zweitens von einer „absoluten Person“ in Bezug auf den Vater und drittens von einer „Weise“ der Subsistenz, die er aber durch die Relationalität ergänzt. 689 Radlbeck-Ossmann, 46. 690 Vgl. Radlbeck-Ossmann, 49.
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kann, da in ihm die Gleichzeitigkeit von Eigenheit und Bezogensein nicht summarisch aneinandergereiht werden kann, sondern sich gegenseitig bedingt.691 2.2.5. Die Vermittlung von Universalität und Einzigartigkeit Christi 2.2.5.1. Die dialektische Wechselwirkung von Christus und Geist Der soteriologische Ansatzpunkt in der Christologie kommt nur dann konsequent zur Geltung, wenn nach der Bedingung der Möglichkeit gefragt wird, wie das einmalige Christusgeschehen nicht nur eine prinzipielle Heils-Mçglichkeit für alle Menschen aussagt und damit letztlich in die Vergangenheit verwiesen bleibt, sondern inwiefern innerhalb der geschichtlichen Prozesse diese Heils-Möglichkeit zu einer jeden Menschen in jeder Epoche erreichenden Heils-Wirklichkeit werden kann.
691 Vgl. Radlbeck-Ossmann, 51. „Die Einheit Gottes ist gerade deswegen so innig und so reich, weil sie die Besonderheit des Vaters, des Sohnes und des Geistes nicht aufhebt, sondern hervorhebt.“ Rar gesät und doch gegenwärtig sind entschieden kritische Stimmen gegenüber Kaspers Theologie. John Milbank analysiert vor allem Kaspers Gotteslehre und das Verhältnis von natürlicher Gotteserkenntnis und Trinitätstheologie und ordnet unseren Autoren unter der „“Catholic Transcendentalist“ Solution“ ein (Milbank, J.: The Second Difference: for a Trinitarianism without Reserve, in: Modern Theology 2 (1986) 213 – 234, hier: 216). Im Zusammenhang mit dem Gebrauch des Personkonzepts unterstützt Milbank die oben angedeutete Kritik und befürchtet einen Verlust der Ungeschuldetheit der Selbstmitteilung des Vaters. (vgl. Milbank, 218) Aber auch dem Sohn wird Kasper dadurch nicht gerecht: „Kasper’s attempt to give more prominence to the Holy Spirit is reducible to a perspective which polarises the Trinity between an absolute giving and an absolute reception, and plays down the Logos character of the Son.“ (Milbank, 219; Hervorhebung von Milbank) Milbanks Position ist, daß die „Interpersonalität“ Gottes nur dann plausibel ist, wenn sie als „linguistische“ ausgelegt wird. (vgl. Milbank, 220) Letztlich fehlt Milbank eine deutliche Differenzierung der Missionen des Sohnes und des Geistes; es fehlt ihm eine „second difference“. Unserer Meinung nach sind solche Einwände nicht fehl am Platz, solange sie nicht – wie bei Milbank aber tendenziell geschehen – zu grundsätzlich werden; wir können hier keine ausgiebige Kritik eines legitimen oder illegitimen Gebrauchs des Personbegriffs in der Theologie darlegen, meinen aber, Kaspers Anliegen schätzen zu müssen, daß Gott primär interpersonal als Relation zu verstehen ist. Wenn es um die Gleichzeitigkeit von Einheit und Verschiedenheit in Gott geht, versagen letztlich wohl alle Begriffe und können nur analog mit vielen Einschränkungen gebraucht werden. Daß Kasper zu diesem Ziel den Begriff der Person herausgearbeitet hat und seine Angemessenheit beweist, darf man ihm als großes Verdienst gutschreiben.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
Damit ist die Universalität der Bedeutung Jesu Christi ausgesagt.692 Was macht diesen partikularen Jesus zum Christus? Wenn es stimmt, daß Gott ein Gott der Geschichte ist und in seinen innertrinitarischen freien Beziehungen Raum für Schöpfung und Geschichte besteht, dann muß sich die universal gültige Erlösung der Geschichte mit Hilfe einer innertrinitarischen Relation ausdrücken lassen. Die Antwort liegt nach Walter Kasper in einer heilsgeschichtlichen Betrachtung der Pneumatologie693, da Jesus Christus als der mit dem Hei692 Vgl. zu dieser Frage auch Kasper, W.: Einzigkeit und Universalität Jesu Christi, in: Müller, G.L./Seretti, M.: Einzigkeit und Universalität Jesu Christi. Im Dialog mit den Religionen, Einsiedeln/Freiburg 2001, 157 – 172. Die Frage der Vermittlung der Einzigkeit Gottes und des Universalismus der Heils wird vor allem in der Auseinandersetzung mit der religionspluralistischen These von Panikkar, Hick und Knitter akut. Kasper kann aber nachweisen, daß die Pluralistische Religionstheorie die Frage nach einer einenden Wahrheit nicht ausschalten kann. Das Zweite Vatikanum hat deshalb die inklusive Theorie des Heils durchgesetzt und sie zur „opinio communis“ katholischer Theologie gemacht. Was das Konzil noch nicht leisten konnte, geschah 1990 in der Enzyklika „Redemptoris missio“: sie argumentierte nicht nur christologisch, sondern auch pneumatologisch. Vgl. zur Frage der Universalität und Einzigartigkeit auch Marchesi, G.: Gesù Cristo compimento della storia nell’opera teologica di Walter Kasper, in: CivCatt 3108 (1979) 544 – 561, bes. 550 – 553. 693 „L’aspetto più originale, in questo quadro trinitario, è la proposta di uno sviluppo di cristologia pneumatologica.“ (Madonia: Cristologia, 289). Einen biblischen und dogmengeschichtlichen Abriss des Begriffes Pneuma bietet Kasper in Jesus der Christus, 303 – 309. Vgl. auch Kasper, W.: Aspekte gegenwärtiger Pneumatologie. Einführung in „Gegenwart des Geistes – Aspekte der Pneumatologie“ (QD 85), Freiburg/Basel/Wien 1979, 7 – 22; vgl. Kasper, W.: Christologie und Pneumatologie, in: Korrespondenzblatt des Canisianums 109 (1974/75) 2 – 7; vgl. Kasper, W./Sauter, G.: Kirche – Ort des Geistes, Freiburg 1976. Vgl. auch die entsprechenden Besprechungen: Baur, J.: Rezension, in: ThLZ 102 (1977) 59 – 67; Slenzka, R.: Synthese und Verständigung, in: EK 8 (1975) 630 f.; Kern, W.: Das Christsein und die Christologie. Zu Büchern von H.Küng und W.Kasper, in: StdZ 193 (1975) 516 – 528. Dietrich Wiederkehr betrachtet Kaspers Pneumatologie im Kontext des aufkommenden Phänomens der charismatischen Bewegung und des entsprechenden Anliegens der größeren Unmittelbarkeit zu Gott und der personalen Begegnung mit Jesus Christus. In diesen theologisch nicht immer einfachen Zusammenhängen ginge es Kasper um „Unterscheidung und Klärung“ (Wiederkehr, 57). Dabei soll in unserem Fall deutlich bleiben, daß wir Kaspers Pneumatologie vor allem in Bezug auf unser christologisch-soteriologisches Grundproblem betrachten und uns nicht vornehmen, sie als eigenes Traktat darzustellen. Das liegt übrigens auch nicht in der Dynamik von Kaspers Denken. Seine Pneumatologie hat deutlich einen Dienstcharakter. Vgl. dazu auch Dulles, A.: „Review of „Jesus the Christ“ by Walter Kasper“, in: ThT 35 (1978 – 1979) 211 – 212, hier: 212; Rosato, P.: Spirit
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ligen Geist Gesalbte bezeugt wird. Der pneumatologische Aspekt ist demnach konstitutiv mit der Geschichte des Christusereignisses verbunden und wird nicht erst nachträglich hinzugefügt. Das Christusereignis ist – wie wir ausführten – letztlich nur trinitätstheologisch zu verstehen.694 Es ist deshalb „auch“ ein Geschehen im Heiligen Geist. „Der Geist ist (…) in jeder Hinsicht die Vermittlung in der Freiheit der Liebe, von Einheit und Unterschiedenheit.“695 Der Begriff der hypostatischen Union führt uns aufgrund des spekulativen Grundproblems der Vermittlung von Universalität und Einmaligkeit, von Gott und Welt, Glaube und Geschichte zu einer „pneumatologisch orientierten Christologie“696 ; denn der Heilige Geist ist nichts anderes als der „ÜberChristology. Ambiguity and Promise, in: Theological Studies 38 (1977) 423 – 449. 694 Vgl. Jesus der Christus, 296. 695 Jesus der Christus, 322. 696 Jesus der Christus, 296 (Hervorhebung von Kasper). Vgl. auch Aufgaben der Christologie heute, 146 – 151. Vor allem die Ausfallserscheinungen in der Theologie aufgrund einer in der Zwischenzeit konstatierten und bewußtgewordenen „Geistvergessenheit“ betonen die Wichtigkeit einer pneumatologisch inspirierten Christologie. (vgl. Wiederkehr, 59) Kaspers Pneumatologie hat in der rezenten Forschung besonders im Vergleich mit ostkirchlichen pneumatologischen Ansätzen immer wieder das Interesse erregt; zu nennen sind vor allem zwei Dissertationen: Pavlídou, Eléni: Cristologia e pneumatologia tra occidente cattolico e oriente ortodosso neo-greco. Per una lettura integrata di W.Kasper e J.Zizioulas in prospettiva ecumenica, Roma 1997; Palamattath, Jojy Paul: The Grace of the Holy Spirit active in the progress of humankind towards historical fulfilment. An ecumenical approach to the pneumatology of Vladimir Lossky and Walter Kasper, Roma 2003. Vgl. für die Schlußfolgerungen Pavlídou, 175 – 180; Palamattath, 113 – 121. Beide Dissertationen legen in ihren jeweiligen Kommentaren zu Kaspers Pneumatologie in sehr detaillierter und durchgehend klarer Form die Besonderheiten und die Prioritäten Kaspers dar. In unseren Ausführungen greifen wir die hauptsächlichen Ergebnisse, die sich auch einer aufmerksamen Lektüre der entsprechenden Passagen in Kaspers Werk darbieten, implizit mit auf. Zu beachten ist dabei aber auch einfach das Faktum, daß die ostkirchliche Theologie in Kasper rezipiert ist und einen Platz hat. (vgl. Bori, 149) Palamattath, der sich dazu bekennt, anhand zweier ausgewählter herausragender Geistlehren die Charismatische Bewegung theologisch besser einordnen zu können (vgl. Palamattath, 121), z. B. schließt: „One finds more unifying factors than dividing in the pneumatology of Lossky and Kasper.“ (Palamattath, 120) Unserer Meinung nach bedienen die beiden Arbeiten ein sehr dankbares Feld, da sich Kaspers Überlegungen zur Pneumatologie und der entsprechende Vergleich mit orthodoxen Ansätzen dazu anbieten, einerseits der Geistlehre innerhalb der katholischen Theologie wieder einen lebendigen und prioritären Platz einzuräumen und andererseits das neu belebte charismatische Element in der Kirche
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
schuß und Überschwang der Freiheit in der Liebe zwischen Vater und Sohn“697. Die Identität des Geistes ist es gewissermaßen, gegenseitige Relevanz zu sein. „Offensichtlich ist er (sc. der Geist) Gott selbst in seinem sich selbst überbietenden und verströmenden schöpferischen Wirken nach außen (griechische Tradition) und zugleich das innerste Wesen Gottes (lateinische Tradition).“698 Darin spiegelt sich die innertrinitarische Relation wider, daß Christus der Mittler bzw. Vermittler ist, der jene Gabe vermittelt, die sich selbst gibt.699 Die Freiheit des Geistes offenbart sich darin, daß Jesus nicht „nur“ in Person die Selbstmitteilung Gottes in der Liebe ist, weil er sich ganz der Liebe des Vaters ausliefert, sondern er ist zugleich auch die unableitbare, immer neue geschichtliche Verwirklichung dieser Liebe. Diese Freiheit Gottes gehört zu seinem Wesen, und im Heiligen Geist drängt sie über Gott hinaus. Deshalb gilt auch für Kasper: „Eine pneumatologisch bestimmte Christologie kann (…) am ehesten die Einmaligkeit Jesu Christi und deren universale Bedeutung vermitteln.“700 Kaspers Pneuma-Christologie hat einen anthropo-soteriologischen Aspekt701, weil die Grundkategorie des Seins weder die Substanz noch das Subjekt ist, sondern die Beziehung und die
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theologisch aufzugreifen, ohne sich an der sich darin ausdrückenden Freiheit des Geistes zu vergreifen. Kaspers Christologie ist pneumatologisch orientiert; umgekehrt ist deshalb auch wahr: „Kasper’s pneumatology is based on his conception about the historical fulfilment of Jesus’ divine mission in the world; in other words it is primarily christological.“ (Palamattath, 105) Jesus der Christus, 297; vgl. Palamattath, 77. Aufgaben der Christologie heute, 149. Vgl. Kaspers Diskussion des „filioque“ in Jesus der Christus, 307 – 309, wo er nach der Abwägung von Vorteilen und Gefahren letztlich doch eher zur östlichen Tradition tendiert als zur lateinischen, weil er darin besser „die relative Eigenständigkeit des Geistes im Werk der Begnadung“, den entsprechenden „Raum der Freiheit“ und das „charismatische Element“ aufgehoben findet. ( Jesus der Christus, 309) Jesus der Christus, 300. Dazu führt Walter Kasper erklärend aus: „Der Vater teilt sich in Liebe dem Sohn mit, im Geist wird diese Liebe ihrer Freiheit inne; dadurch hat sie im Geist die Möglichkeit, sich nach außen mitzuteilen. Im Geist geschieht nun freilich zugleich eine umgekehrte Bewegung: das vom Geist Gottes erfüllte Geschöpf wird in Freiheit zur geschichtlichen Gestalt, durch die der Sohn sich dem Vater hingibt. In der sich bis in den Tod hinein verzehrenden Hingabe wird der Geist sozusagen frei; er wird von seiner partikulären geschichtlichen Gestalt entbunden, weshalb Tod und Auferstehung Jesu zugleich das Kommen des Geistes vermitteln (Vgl. Joh 16,7; 20,22). So wird Jesus Christus, der im Geist in seiner Person Mittler zwischen Gott und Mensch ist, im Geist zum universalen Mittler des Heils.“ ( Jesus der Christus, 300) Vgl. Pavlídou, 32.55; vgl. Madonia: Ermeneutica e cristologia, 49 – 54.
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Vermittlung.702 „In Dio dunque sostanza e relazione coincidono.“703 Kaspers Pneuma-Christologie hat aber auch einen entschieden eschatologischen Aspekt, da es um die Endgültigkeit des Heils in Christus geht.704 Die Aufgabe des Geistes besteht darin, die erlösende Wirklichkeit Jesu Christi zu universalisieren bzw. alle andere Wirklichkeit in die Wirklichkeit Christi zu integrieren705 ; er ist das Medium und die Kraft, um Jesus Christus als Herrn der Welt zugänglich zu machen.706 Damit wird durch den Geist die innertrinitarische Dynamik mit der heilsgeschichtlich-eschatologischen Dynamik in Beziehung gestellt; er bildet das personale Scharnier zwischen Gott und Geschichte. „Der Gott als die Vermittlung zwischen Vater und Sohn ist zugleich die Vermittlung Gottes in der Geschichte.“707 Die Grundfrage der pneumatologischen Christologie besteht nach Kasper darin, wie das Verhältnis von Christus und Heiligem Geist verstanden werden muß.708 Die Heilige Schrift kennt zwei Aussagereihen: zum einen ist Christus der Träger des lebensspendenden und alles ordnenden Geistes, so daß die Christologie zu einer Funktion der Pneumatologie zu werden scheint und die Pneumatologie in der Christologie aufgipfelt709 ; zum anderen wird der Geist als Geist Christi bezeichnet, der 702 Vgl. Pavlídou, 52. 703 Pavlídou, 53. 704 Vgl. Madonia: Cristologia, 290 ; vgl. Madonia: Ermeneutica e cristologia, 39 – 48. Madonia weiter: „La dimensione escatologica rappresenta una speciale prospettiva nella cristologia del Kasper. Cristo è l’evento escatologico per eccellenza, Colui che dà inizio al futuro e che crea il nuovo.“ (Madonia: Ermeneutica e cristologia, 57) 705 Vgl. Jesus der Christus, 306. 706 Vgl. Jesus der Christus, 306. 707 Jesus der Christus, 298. 708 Mit dieser Frage sind zwei Extreme verbunden: einerseits wurde der Heilige Geist in weiten Teilen der traditionellen Theologie auf das ausführende Organ Christi beschränkt und damit unter einer einseitigen inkarnatorischen Sicht des Christusgeheimnisses institutionalisiert. Damit ging der souveräne Freiheitscharakter des Geistes verloren. Andererseits wurde von den Schwärmern die Freiheit des Geistes und seine Wirksamkeit in allen Religionen und Kulturen hervorgehoben und ein allgemeines Christussymbol – Christus als Bezeichnung für den mit dem Geist Erfüllten – postuliert, neben dem die konkrete Geschichtlichkeit der Person Christi keine Bedeutung mehr hatte. (vgl. Aufgaben der Christologie heute, 147) Durch die Vermittlung von Christologie und Pneumatologie bei Kasper gelingt nach Wiederkehrs Meinung eine „Versöhnung von Freiheit und Notwendigkeit der Menschwerdung“ (Wiederkehr, 58). 709 vgl. Aufgaben der Christologie heute, 147 f.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
die Aufgabe hat, die unüberbietbare Sendung Christi aus dem Geist in universaler Weise gegenwärtig zu machen, so daß die Christologie sich auf die Pneumatologie hin übersteigt710. In Bezug auf die Inkarnation bedeutet dies, daß der Geistbesitz Christi nicht erst – wie in der Scholastik – eine Auswirkung und Folge der Hypostatischen Union ist, sondern vielmehr ihre Voraussetzung und Ermöglichung.711 Wenn der Geist demnach jene Schöpfungs- und Geschichtsmacht ist, die alles lenkt und welche dazu führt, daß zum einen im einzelnen Menschen Gott mit seiner Lebensmacht – „Ruach“ – gegenwärtig ist und daß sich zum anderen in Jesus Christus Gott auf innigste, ungetrübte und unverstellte Weise712 mit dem Menschen verbindet, dann kommt die überflutende lebensspendende Kraft des Geistes am besten in der konkreten Bindung bzw. in der Liebe zur Geltung; das Universale wird in einem Partikulären – einem „universale concretissimum“ – auf den Höhepunkt seiner Verwirklichung getrieben und soll von dieser einmaligen und qualitativ unterschiedenen Verwirklichung aus alles andere an dieser Verwirklichung teilnehmen lassen.713 Oder umgekehrt: in der innigsten Beziehung Gottes ist die größte verströmende Wirkung angelegt. Der Geist ist der Geist Christi und wird am Kreuz geschenkt. Einheit und Vielfalt, Einzigartigkeit und Universalität, Bindung und Freiheit, letztlich Autonomie und Theonomie bzw. Geschichte und Glaube, Identität und Relevanz bedingen sich gegenseitig. Deshalb ist der Geist nicht nur die Frucht der in Christus gewirkten Erlösung, sondern er ist auch die Voraussetzung der hypostatischen Union.714 Christus und der Geist stehen in einer dialektischen Wechselwirkung: „So wie Jesus Christus einerseits Ziel und Höhepunkt der neuschaffenden Gegenwart 710 vgl. Aufgaben der Christologie heute, 148. 711 Vgl. Wiederkehr, 58. Damit geht Kasper aber noch nicht soweit wie Hans Urs von Balthasar in seiner „Theodramatik“, wo bereits die Empfängnis Christi sich in totaler Hingabe an das Wirken des Geistes ereignet und sich das innertrinitarische Verhältnis gewissermaßen umkehrt. (vgl. Pavlídou, 96 f.) Pavlídou überliefert auch eine Kritik von Bordoni an Kasper, daß durch die Missionen des Sohnes und des Geistes dadurch, daß sie streng unterschieden werden, letztlich auch nicht füreinander durchdringbar sind und eine Gleichzeitigkeit fast ausschließen. (vgl. Pavlídou, 98 f.) 712 Vgl. Jesus der Christus, 321. 713 Um Christi Universalität zu beschreiben, war kein Begriff geeigneter als der des „Pneuma“. In der qualitativ unvergleichlichen Verwirklichung in Christus findet die Wirksamkeit des Geistes „ihr Ziel und ihr Maß“ ( Jesus der Christus, 305). 714 Nach Kasper läßt sich die Mission des Geistes sehr gut damit umschreiben, daß er nach Paul Tillich „die Macht des neuen Seins“ ist. (vgl. Jesus der Christus, 304)
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und Wirksamkeit des Geistes Gottes ist, so ist er andererseits auch der Ausgangspunkt für die Sendung des Geistes.“715 In seiner Auferstehung erhält Christus den pneumatischen Leib und wird ganz und gar vom Geist Gottes bestimmt.716 Von daher ist der Heilige Geist – wie Palamattath im Titel des Kasper-Teils seiner Dissertation schreibt – bei Kasper „the agent of the incessant actualization and historical consummation of the paschal mystery“717. Jener Titel, der deshalb am ehesten die universale soteriologische Relevanz des partikulären Jesus von Nazareth ausdrücken kann, ist der des „Messias“ bzw. des „Christus“, d. h. des Geistträgers. „Das Bekenntnis „Jesus ist der Christus“ ist die Zusammenfassung der Heilsbedeutung Jesu.„718 Christus ist in seiner Menschwerdung das Formalprinzip der Einheit von Gott und Mensch, die letztlich im Geist verwirklicht wird. „Der Geist ist deshalb die eigentliche Vermittlung zwischen Gott und Mensch in Jesus Christus (gratia unionis) wie zwischen Jesus Christus und uns (gratia capitis).“719 Im Heiligen Geist werden die Transzendenz und Immanenz Gottes einerseits und der unbedingte Vorgriff und die konkrete Geschichtlichkeit des Menschen andererseits zusammengehalten. In ihm geschieht letztlich die Vermittlung von Gott und Mensch in den drei Weisen ihrer Verwirklichung: innertrinitarisch durch den in der gegenseitigen Mitteilung der göttlichen Personen sich öffnenden Raum der Freiheit der Schöpfung; christologisch in der einmaligen Verwirklichung der Einheit von Gott und Mensch in Christus; und letztlich geschichtlich 715 Jesus der Christus, 306; vgl. Pavlídou, 20.80. 716 Vgl. Pavlídou, 90. „L’evento pasquale come morte-risurrezione emerge, dunque, nella sua prospettiva trinitaria: la sua origine viene dal Padre, al centro di esso si trova la persona di Gesù Cristo, mentre la sua forza operante si scopre nello Spirito Santo, che ispira a Gesù l’oblazione suprema della morte in croce: per sua opera, Gesù Cristo si libera totalmente da se stesso, offrendosi senza riserve al Padre che lo accoglie in modo ugualmente perfetto nella risurrezione; in essa lo Spirito opera su Gesù trasformando anche il suo corpo.“ (Pavlídou, 180) 717 Palamattath, 59. 718 Jesus der Christus, 301 (Hervorhebung von Kasper). Damit ist ein Dreifaches gesagt: erstens daß die Person Jesu selbst das Heil ist; zweitens daß diese einmalige Unvertauschbarkeit Jesu einen universalen soteriologischen Anspruch erhebt; und drittens daß das Heil „Teilhabe an dem in Jesus Christus offenbaren Leben Gottes durch den Heiligen Geist“ ist ( Jesus der Christus, 302). „La pretesa di Gesù Cristo emerge ben più ampia ed elevata di quella che un qualsiasi titolo di dignità sarebbe in grado di esprimere: in lui si entra in contatto con Dio e il suo regno.“ (Pavlídou, 38) 719 Aufgaben der Christologie heute, 149.
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aufgrund der in eschatologischer Spannung fortdauernden Begegnung von Gott und Mensch. Die transzendentale Bedingung der Möglichkeit von Christi Eingehen in die menschliche Geschichte ist das geschichtsmächtige Wirken Gottes im Heiligen Geist. In ihm ist die Trinität Gottes auf die Geschichte als geschöpflichen Raum der Freiheit hin geöffnet.720 „Hat man dies einmal verstanden, dann wird erst verstehbar, wie Christus im Geist ganz für den Vater und ganz für die Menschen dasein kann, wie er ganz partikulär den Weg Israels vollenden und ganz universal den Weg zu allen Völkern weisen kann, wie er als dieser einmalige geschichtliche Jesus von Nazareth zugleich der universale Christus sein kann, der derselbe ist „gestern und heute und in Ewigkeit“ (Hebr 13,8).“721 Auch wenn es stimmt, daß „alles in der Geschichte unter der Norm des einen Concretissimum Jesus Christus (steht)“722, so erreicht Christus die Menschen doch nur im Geist. Soteriologische Christologie ist notwendigerweise pneumatologische Christologie. „Heil ist durch Jesus Christus vermittelte Teilhabe am Leben Gottes im Heiligen Geist.“723 Das Heil ist letztlich 720 Palamattath besteht darauf, nach Kaspers Meinung sei das Christentum die einzige Religion, die eine positive Beziehung zur Geschichte habe. (vgl. Palamattath, 60) 721 Aufgaben der Christologie heute, 149. 722 Grundlinien einer Theologie der Geschichte (Glaube und Geschichte), 100. 723 Jesus der Christus, 301. Wiederkehrs Kommentar dazu: „Im Geist öffnet sich die Bewegung zwischen Gott und Jesus auf die Menschen und weitet die vaterschaftliche Zuwendung auf sie aus, umgekehrt bezieht der Geist die sonst zerstreuten Transzendenzerfahrungen der einzelnen Menschen (und ihres kreatürlichen Geistes) hinein in die sohnschaftliche Beziehung zwischen Jesus und Gott.“ (Wiederkehr, 58 f.) Dieser universale und konkrete Anspruch Jesu Christi spricht deutlich gegen einerseits eine reine Verinnerlichung der Gottesbeziehung und andererseits gegen eine Loslösung der Geisterfahrung von der Person Jesu. Auch hier scheint übrigens das Exitus-Reditus-Schema von Kaspers Soteriologie deutlich durch. Christus ist der Mittler sowohl der Schöpfung als auch der Erlösung, doch im Geist verwirklicht sich das durch Christus Vermittelte universal. Damit es zu seiner Vollendung gelangt, führt der in Schöpfung und Erlösung wirkende Geist alles zu Christus hin, hat aber als Kriterium nicht den vor aller Schöpfung präexistenten Schöpfungsmittler, sondern den konkreten und geschichtlichen Erlöser. In anderen Worten: das zwischen Christus und dem Geist in einer Dialektik stehende Wirken steht seinerseits in der Erfüllungsdynamik von Schöpfung zu Erlösung, in der letztlich die Dialektik in Dialog und Analogik übergeführt wird. Am Ende steht jenes Wirken des Geistes, das eschatologisch vom erhöhten Jesus Christus ausgeht und über die Anerkennung seiner Herrschaft und Verherrlichung die Schöpfung in der Kraft der geschenkten und in der Kirche – „Zeichen und Werkzeug“ – verwirklichten Erlösung zum Vater in
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nichts anderes als die Gabe des Heiligen Geistes! 724 In anderen Worten: die ganze dialektische Vermittlungsaufgabe, die Kasper sich dank der Korrelationsmethode und mit Hilfe der transzendentalen Reflexion stellt, kommt theologisch im Heiligen Geist zu ihrer Erfüllung. Kaspers Christologie ist ohne ihren dominierenden pneumatologischen Aspekt nicht komplett, ja sie kann gar nicht heilsgeschichtlich und als immanente gedacht werden. Sie bezieht aus der Pneumatologie die entscheidenden Kategorien, um sowohl die Einheit von Gott und Mensch in Christus zu denken als auch die universale Heilsbedeutung Christi für alle Menschen. „Lo Spirito è la genuina comunicazione tra Dio e l’uomo in Gesù Cristo (gratia unionis), come tra Cristo e l’umanità (gratia capitis).“725 Letztlich ist es die Wiederentdeckung des heilsgeschichtlichen, freien und souveränen Wirkens des Geistes, die es Kasper erlaubt, seine Theologie im neuzeitlichen (universal-) geschichtlichen Horizont aufzuziehen. Pneumatologie, Trinitätslehre und Geschichtstheologie greifen letztlich bei Kasper ineinander: „All’interno della Trinità, il Padre si comunica al Figlio nell’amore e, nello Spirito questo amore, riconoscendo la propria libertà, si comunica all’esterno, laddove la creatura Gesù Doxologie zurückkehrt. Des Geistes Wirken ist Universalisieren und Integrieren. Im Hinblick auf die anderen Religionen stellt sich damit aber die Frage, ob es sich bei dieser inklusiven Heilstheorie des Christentums – daß das Heil der Nichtchristen nicht außer und ohne, sondern in und durch Jesus Christus besteht – nicht um einen „verkappten Imperialismus“ handelt (Einzigkeit und Universalität Jesu Christi, 167). Das Bekenntnis zu dem einen Gott hat keinen quantitativen, sondern einen qualitativen Charakter: Gott ist einer, oder Gott ist nicht. Daß Gott dreieinig ist, bedeutet von daher, daß diese qualitativ alles begründende und umfassende Einheit die Vielfalt nicht aufsaugt – wie es in Christi unvermischter und ungetrennter Einheit von Gottheit und Menschheit deutlich wird. Daraus leitet sich jedoch dann ab, daß in Christus Gott sich „geschichtlich einmalig, aber ganz, endgültig und rückhaltlos“ und nicht nur ansatzweise oder zum Teil selbst mitgeteilt hat (Einzigkeit und Universalität Jesu Christi, 169; Hervorhebung vom Autor). Vom Wesen des Christusereignisses her kann keine andere Kultur oder Religion diese christliche Heilsordnung überbieten. Weil aber niemand – auch nicht die Kirche – dieses Geheimnis Gottes jemals ganz ausschöpfen kann, ist der interreligiöse Dialog eine Chance zur Vertiefung dieser Begegnung des Menschen mit Gott. Die christliche Soteriologie ist nicht totalitär oder imperialistisch, sondern dialogisch und diakonisch! (vgl. Einzigkeit und Universalität Jesu Christi, 170 f.) Alles ist in Christus geschaffen, und alles soll in ihm zusammengefaßt werden. 724 Pavlídou, 91. 725 Pavlídou, 91 (Hervorhebungen von Pavlídou). Mit diesen beiden klassischen Begriffen löst Kasper die Frage nach der Universalität des Heils.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
di Nazaret, riempita dallo stesso Spirito Santo, si concreta in libertà come la figura storica attraverso la quale il Figlio si dona al Padre. In questa donazione, così dolorosa da sfociare nella morte stessa, lo Spirito diventa, per così dire, libero.“726 2.2.5.2. Korrelation und Paradox unter pneumatologischer Hinsicht Es sei aber auch die Frage nach der pneumatologischen Vermittlung von Christologie und Anthropologie unter den beiden Hinsichten der Schöpfungs- und der Erlösungsordnung aufgegriffen: wie wirkt der Geist Jesu Christi auf die Menschen im allgemeinen – also auf den geschichtlichen Menschen – und auf den Menschen, der sich vom Heil in Jesus Christus hat ergreifen lassen, also einerseits auf den Menschen als solchen und andererseits auf den Menschen als Christen? Und worin unterscheidet sich das jeweilige Wirken des Geistes? Diese Frage muß konsequenterweise am Ende gestellt werden, um den Vermittlungsprozeß adäquat zu verstehen und die Begegnung Gottes mit dem Menschen auch in den beiden Formen der Geistbestimmtheit zu verstehen. Welcher Form der Wirkung des Heiligen Geistes setzt sich der Mensch als solcher und der Mensch als Glubiger aus? Und worin liegt die Entwicklung? In anderen Worten: worin liegt das Heil alleine in pneumatologischer Sicht begründet? Oder noch besser: wie verwirklicht sich das Heil in der universalgeschichtlichen und heilsgeschichtlichen, auf die eschatologische Vollendung hin ausgespannte Dynamik und Dialektik von Schöpfung und Erlösung? Wie kommt die analogiehafte Beziehung von Gott und Mensch – welche ja sowohl in der Schöpfungs- als auch in der Erlösungsordnung vorliegt – in der ihrerseits analogiehaften Vermittlung von Welt und Gott, Schöpfung und Erlösung zur Vollendung? Oder – begrifflich sehr abstrakt gesagt – wie verwirklicht sich die „via eminentiae“ der „analogia analogiae“? Heil ist zwar christologisch verbürgt und begründet, aber es wird nicht nur in direkter Begegnung mit Christus geschenkt. Die Theonomie von Schöpfungs- und Erlösungsordnung war weiter oben Thema; Heil scheint sich nach Kasper letztlich daran zu entscheiden, inwiefern es dem Menschen geschenkt ist bzw. es ihm aktiv gelingt, aus einer verschlossenen Autonomie in eine befreite und befreiende Theonomie überzutreten. Gnade ist ja konkrete Freiheit. Selbstverständlich gibt es kein Heil außerhalb von Christus; aber im Sinne des inklusivistischen Standpunkts kann plausibel gemacht werden, daß der Geist als Heilschaffender überall 726 Pavlídou, 47.
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dort am Werk ist, wo der Mensch sich für die Dimension Gottes öffnet und so auf das entscheidende Kriterium Christi hingeordnet wird. Weil Kasper die Erlösungsordnung in eine strenge Beziehung zur Schöpfungsordnung setzt, beginnt das Heil nicht beim Maximum, sondern bei den ersten Ansätzen von menschlicher Offenheit für Gott. Wenn es also stimmt, daß dem Geist „eine relative personale Eigenständigkeit (…) im Werk der Begnadung“727 zukommt, dann ereignet sich überall dort Heil, wo der Mensch sich in Liebe für Gott und den Nächsten öffnet und wo darin Gottes Geist am Werk ist728. Kriterium für eine wahrhafte Heilswirksamkeit ist letztlich die Wirksamkeit bzw. das Wirken-Lassen jenes Geistes, der selbst wiederum am Kriterium Christi gemessen als Geist Jesu Christi, d. h. als der Heilige Geist Gottes und nicht als vergänglicher Geist offenbar wird. Dadurch wird deutlich, daß sich das „Ziel“ der Mission des Heiligen Geistes eben nicht darin erschöpft, wirken gelassen zu werden, sondern jene Menschen, die sich für sein Wirken öffnen, zu Christus zu führen. Christus ist nach seiner Himmelfahrt in neuer Weise, und zwar nach der Weise Gottes und von Gott her, unter den Menschen gegenwärtig.729 Zu ihm führt der Geist, durch den im historischen Prozeß von Entwicklung und Erfüllung aufgrund der Fülle Christi bereits eine Antizipation des Eschaton geschieht.730 Der Geist „lenkt und treibt die Schöpfung unter Wehen und Seufzen ihrem eschatologischen Ziel entgegen. Er ist die zuvorkommende Zukunft aller Welt.“731 Von diesem Ziel und Kriterium der Erfüllung her werden aber auch alle nicht an Christi Namen gebundenen Manifestationen des Wirkens des Geistes auf die Erlösung hingeordnet. „Alle diese anonymen Wege zu Christus kommen erst in der ausdrücklichen Begegnung mit ihm zu ihrer letzten Eindeutigkeit und Erfüllung.“732 Dieser Weg, der von der Theonomie und der Christusvermittlung der Schöpfung, also von der „via positiva“ im Verhältnis von Schöpfung und Erlösung, Natur und Gnade ausgeht, führt über die „via negativa“ und die „via eminentiae“: „Die Mission bzw. die Bekehrung zum Christentum ist immer beides:
727 728 729 730 731 732
Jesus der Christus, 309. Vgl. Jesus der Christus, 320. Vgl. Pavlídou, 90. Vgl. Palamattath, 95. Jesus der Christus, 305. Jesus der Christus, 322.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
Krisis und Erfüllung.“733 Es gibt bei Kasper keinen Heilsminimalismus, sondern – typisch jesuitisch – ein „magis“. Die Anthropologie wird von der Christologie in den drei Schritten der Analogie zur Vollendung geführt. Darin liegt die Korrelation, die Dialektik und das Paradox. Zur Erfüllung – die freilich bleibend durch die Krisis hindurchgeht – gelangt das Heil Jesu Christi dort, wo über den universalen Anspruch hinaus auch die Einmaligkeit und ausdrückliche Herrschaft Christi bekannt wird: in der Kirche734. Sie ist von Pfingsten her das Sakrament des Geistes. Wo die Menschen sich unter diesen Vorzeichen vom Heiligen Geist in Beschlag nehmen lassen und „das durch die Verkündigung und die Sakramente als den Zeichen des Glaubens geschieht, da ist Kirche“735. In ihr kommt über den individuell-innerlichen Charakter der Heilsvermittlung hinaus auch der öffentlich-geschichtliche in den Blick.736 Gemeinschaft mit Christus als Bruder und Unterordnung unter ihn als Haupt gehören zusammen. In der Kirche werden die Fülle des Geistes und die Fülle des Heiles geschenkt. Kasper gelingt es in seinen ekklesiologischen Ansätzen, die einseitige Betonung der institutionellen Gestalt der Kirche zu sprengen und sie eher als den lebendigen Leib Christi zu verstehen, in dem das charismatische und das prophetische Moment eine große Rolle spielen. Dabei wird die Kirche letztendlich nicht als in sich stehend betrachtet, sondern auf die Geschichte bzw. auf die „Zeichen der Zeit“, d. h. der jeweiligen Situation verwiesen.737 Auch und gerade in der Pneumatologie schließt sich die 733 Jesus der Christus, 321. Von daher läßt sich auch verstehen, daß Kasper in seinen wenigen ekklesiologischen Ansätzen den inklusiven Charakter des Heils vertritt und die Kirche als „größer und weiter als die institutionellen Grenzen der Kirche“ faßt ( Jesus der Christus, 322). 734 Vgl. den Artikel über Kaspers Ekklesiologie von Coffele, G.: Walter Kasper e l’ecclesiologia eucaristica o di communio, in: Russo, A./Coffele, G.: Divinarum rerum notitia. La teologia tra filosofia e storia (FS Kardinal Walter Kasper), Roma 2001, 763 – 782. 735 Jesus der Christus, 322. 736 Diese Vermittlung von Einheit und Verschiedenheit von Mensch und Christus durch den Geist läßt sich auch auf das Verhältnis von Kirche und Welt übertragen: sie sind aufeinander bezogen, gehen aber weder monistisch ineinander auf noch werden sie dualistisch voneinander getrennt. Die Kirche hat auf die „Fremdprophetien der Welt“ zu achten, muß aber ebenso versuchen, alle Hoffnungen, Erwartungen und Gotteserfahrungen in Hinblick auf Jesus Christus als einzige Erfüllung aufzugreifen. (vgl. Jesus der Christus, 322) 737 Pavlídou bringt diesen Sachverhalt in Kaspers Denken in ausgezeichneter Weise zum Ausdruck: „La signoria di Cristo viene esercitata nella chiesa e per suo
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Korrelation von Botschaft und Situation. Der Geist ist der Punkt der Vermittlung von Einheit und Verschiedenheit. 2.3. Der „Menschensohn“ – eine soteriologisch geprägte Christologie Nachdem wir mit Hilfe des Horizonts der geschichtlichen Freiheit den formalen Rahmen der Vermittlung von Anthropologie und Christologie beschrieben und in der pneumatologischen Christologie das fundamentale spekulative Problem der Dialektik zu einer Lösung geführt haben, und nachdem wir in verschiedenen Zusammenhängen die anthropologischen Vorüberlegungen zur Christologie nachgezeichnet und den mezzo; essa è, nella chiesa e nel mondo, segno visibile e, allo stesso tempo, realtà nascosta. Sta qui la ragione per cui la chiesa potrà adempiere la propria missione solo sintonizzandosi con i „segni dei tempi“.“ (Pavlídou, 59 f.; vgl. Palamattath, 90.94) Zu Kaspers „pneuma-christologischer“ Ekklesiologie vgl. Pavlídou, 63 – 77. Dabei wird deutlich, daß man – wenn man es darauf anlegt – die ganze Kaspersche Methodologie ansatzweise in seine Pneumatologie zurückverlegen kann bzw. umgekehrt. Vgl. auch Palamattath, 78 – 94. Zur Ekklesiologie Kaspers sei aber vor allem die Veröffentlichung von Józef Morawa empfohlen: „Die Communio-Kirche als Sakrament des Heils in und für die Welt. Zum erneuerten Verständnis der Sendung der Kirche in der Gegenwart im Werk Walter Kaspers“, in der Morawa auch die pneumatologisch-christologische Bestimmung der Kirche beschreibt. (vgl. Morawa, J.: Die Communio-Kirche als Sakrament des Heils in und für die Welt: zum erneuerten Verständnis der Sendung der Kirche in der Gegenwart im Werk Walter Kaspers, Frankfurt u. a. 1996, 153 f.) Morawa zeichnet Kaspers ekklesiologische Grundideen nach, führt sie auf die christologischen Fundamente zurück (vgl. Morawa: Die Communio-Kirche, 382 f.388 f.), bemängelt aber auch, daß Kasper insgesamt die Krise der Kirche zu wenig nach den eigentlichen Ursachen befrage und im allgemeinen zu pessimistisch zu sein scheint. (vgl. Morawa: Die Communio-Kirche, 380 f.) Nicht zu Unrecht deutet Morawa an, daß – weil Kaspers phänomenologisch von einem ekklesiologischen Grunddilemma und methodisch von der kirchlichen Tradition ausgeht – sich in seinem Kirchenverständnis methodologisch der Kreis schließt: „Die wahre katholische Theologie geht aus der durch die Kirche getragenen Offenbarung hervor, um durch die wissenschaftliche Reflexion darüber in der Kirche und in der Welt die Sendung Jesu Christi zu erfüllen.“ (Morawa: Die Communio-Kirche, 384) Kaspers Ekklesiologie wurde in der breiten Öffentlichkeit erst bekannt durch den berühmten theologischen Streit mit Kardinal Ratzinger um das Verhältnis von Universal- und Lokalkirche. McDonnell hat ihn aufgegriffen und kommentiert in McDonnell, K.: Pentecost in Relation to the Ontological and Temporal Priority of the Universal Church. The Ratzinger/ Kasper Debate, in: Walter, P./Krämer, K./Augustin, G. (Hrsg.): Kirche in ökumenischer Perspektive (FS 70. Geburtstag Walter Kasper), Freiburg/Basel/ Wien 2003, 102 – 114.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
Menschen als „offene Frage“, „Wesen der Mitte“ und „Person“ beschrieben haben, stellen sich nun abschließend noch zwei Fragen: erstens die formale Frage nach dem Werk des Mittlers, und zweitens das kategoriale Problem der inhaltlich-materialen Ausfüllung dieser soteriologischen Christologie. „Person und Werk Jesu Christi lassen sich nicht trennen.“738 In seiner Person und durch sein Werk ist Christus der Mittler zwischen Gott und den Menschen.739 In welcher Weise wird Christus im Heiligen Geist für den Menschen relevant? Was geschieht durch Christus am Menschen? In anderen Worten: zuletzt geht es um jene Frage, die auf dem Fundament aller methodischen Vorentscheidungen klärt, was Christus für den Menschen bedeutet und wie die Christologie die Bestimmung der unbestimmten Offenheit der Anthropologie ist. Wie wir zu Beginn zeigten, geschieht die Vermittlung von Christologie und Anthropologie sowohl formal-fundamental als auch inhaltlichkategorial. Sicherlich haben sich im Laufe unserer Untersuchung die Aspekte überschnitten. Wichtig war uns aber von unserem methodologischen Interesse her vor allem das Formale. Dieser erste Aspekt kommt anthropologischerseits besonders in der menschlichen Verfaßtheit als Subjekt, Objekt und als in der Spannung zwischen Subjekt und Objekt Stehender zum Ausdruck; diese Systematisierung wird von Kasper einerseits in das Pascalsche Schema der Größe, des Elends und des transzendentalen Vorgriffs des Menschen auf Hoffnung übersetzt und andererseits auf den anthropologischen, kosmologischen und geschichtsphilosophischen Gottesbeweis hin umgelegt. Der Mensch ist eine freiheitlich-geschichtliche Person in solidarischen Relationen. Die entsprechende christologische Antwort besteht im heilsgeschichtlichen, pneumatologisch begründeten qualitativen Neuanfang in Jesus dem Christus, expliziert sich jedoch in einer menschlichen Ernsthaftigkeit als Konkretheit, Menschlichkeit und solidarische Verfaßtheit des Heils. In materialer Hinsicht dagegen stellt sich die Frage anders. Wie lassen sich christologische Begriffe wie „Person“ und „Natur“ oder soteriologische Grundkategorien wie „Sühne“, „Genugtuung“ oder „Opfer“ so zur Sprache bringen, „daß sie dem heutigen Menschen etwas sagen“ und ihn existentiell betreffen? 740 Kasper greift dabei die menschlichen Urhoffnungen nach Wahrheit, Leben und solidarischem Frieden auf und 738 Jesus der Christus, 301. 739 Vgl. Kern, W.: Das Christsein und die Christologie. Zu Büchern von H.Küng und W.Kasper, in: Stimmen der Zeit 193 (1975) 516 – 528, hier: 526 f. 740 Vgl. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 197.
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setzt sie in Beziehung zu der traditionellen Drei-Ämter-Lehre. Dabei kommt die Spannung von Anthropologie und Christologie auch inhaltlich zur Erfüllung.741 Diese formale und diese inhaltliche Seite wollen wir kurz betrachten. 2.3.1. Die Ernsthaftigkeit des Heils Kasper entwirft die konkrete und solidarische Menschlichkeit des von Christus als „Menschensohn“ vermittelten Heils auf dem Hintergrund der anthropologischen Grundkategorie der Freiheit der Person. Wieder einmal steht formal die Freiheit im Vordergrund. Dabei greift er das Thema der Freiheit unter drei Gesichtspunkten auf. Sie entsprechen der weiter oben dem theologischen Personbegriff zugeordneten Unterscheidung von Einmaligkeit, Beziehungsfähigkeit und Gegründetsein in Gott. Von ihnen ausgehend wird das Werk des Erlösers sichtbar. In diesen Überlegungen wird bereits Angedachtes aufgegriffen, aber da es sich um
741 Da Kasper gerne mit wiederkehrenden Systematisierungen aufwartet, kann man durchaus die Frage stellen, ob er die gewählten Schemata durchhält und ob es Zusammenhänge gibt. Angesichts unserer Aufgabenstellung, u. a. die anthropologischen Vorbedingungen zu untersuchen, hat diese Frage auch noch systematisch-methodologisch einen Wert. Auf formaler Ebene hatten wir gesehen, daß Kasper den Menschen philosophisch von der Dynamik von Subjekt, Objekt und der dialektischen Beziehung von Objekt und Subjekt her entwirft. Er wählt für die entsprechende Spannung von Größe, Elend und transzendentaler Offenheit für Gott die Kategorie der Person. Theologisch sollte diese geschichtlichfreiheitlich-personale Definition des Menschen in das Natur-Gnade-Schema eingepaßt werden, welches die Gotteszugehörigkeit der menschlichen Person plausibel machen kann. Die Person wird also theologisch erstens als eigenständig und unverwechselbar, zweitens als relational und solidarisch und drittens als gläubig und gottvertrauend gesehen. Genau dieses dreigliedrige Schema von IchBezug, Mitwelt-Bezug und Gottes-Bezug findet sich schließlich in der materialtheologischen Explikation des Heils Jesu Christi wieder: die Urhoffnung des Menschen auf Wahrheit und Licht spiegelt die prophetische Gottbezogenheit wider, durch die alleine das Leben wahrhaft eine menschliche Wirklichkeit ist; die Urhoffnung auf Leben reflektiert den menschlichen Selbstbezug und Selbstvollzug, der aus der priesterlichen Selbsthingabe Jesu am Kreuz gespeist wird; und die menschliche Urhoffnung auf eine heile Ordnung des Friedens repräsentiert die geschichtlich diachrone und synchrone Solidaritt, welcher durch die Stellvertretung Christi ein neuer Raum der Freiheit und der gegenseitigen Anerkennung eröffnet wird. Auch wenn die Begriffe ein wenig strapaziert werden müssen, darf man Kaspers Verdienst hervorheben, seinen soteriologischen Entwurf mit großer systematischer Treue rhythmisiert zu haben. Die verschiedenen Scharniere greifen perfekt ineinander.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
eine typische Systematisierung Kaspers handelt, wollen wir sie im Resümé darstellen. 1) Zuerst wird die menschliche Freiheit als geschichtliche Freiheit dargestellt. Der Mensch erfährt sich als Leib und darin als „ein „Zwischen“ von Mensch und Welt„742. Der Mensch in seinem geschichtlichen Leib ist ein zutiefst ambivalentes Phänomen. Die Frage nach dem Heil artikuliert sich als Frage nach der „Integrität der menschlichen Existenz in und mit der Welt“743. Nur in der Beziehung zu Gott kann diese Zweideutigkeit aufgehoben und die Situation der (erb-) sündigen744 Entfremdung erlöst werden. Die Entfremdung von Gott dagegen provoziert die Entfremdung des Menschen von sich selbst, von den anderen Menschen und von seiner Welt. Die Heilsbedeutung des wahren Menschseins Jesu innerhalb der Geschichte liegt darin, daß Gott in Christus auf eschatologisch endgültige und geschichtlich unüberbietbare Weise gehandelt hat. In der universalen Gültigkeit dieses partikulären Ereignisses liegt das christologische Ärgernis.745 Erlösung geschieht nicht gnostisch durch Wissen, sondern christlich durch einen unableitbaren Neuanfang. Hierin besteht „das entscheidende Kriterium zur Unterscheidung des Christlichen“746. Diese Konkretheit des Heils besteht darin, daß die Unheilssituation durchbrochen wird, indem Christus in den Daseinsraum eines jeden Menschen eintritt und ihn neu qualifiziert. „Jesus Christus gehört nun zur ontologischen Bestimmung des Menschen mit hinzu.“747 Erlösung kann als Befreiung und Gnade als konkrete Freiheit verstanden werden. Jesus Christus als die befreiende Freiheit in der Geschichte ist die „objektive Erlçsung“748. Durch ihn ist der eine und 742 Jesus der Christus, 238. 743 Jesus der Christus, 239. 744 „Erbsünde besagt, daß die universale und jeden innerlich bestimmende Situation faktisch in Widerspruch steht zu dem ursprünglichen Heilswillen Gottes, der alles auf Christus hin geschaffen hat und in ihm erfüllen will. Sie besagt, daß das Heil, das Gott dem Menschen als Mensch zugedacht hat, faktisch nicht durch seine Herkunft vermittelt wird.“ ( Jesus der Christus, 240; Hervorhebung von Kasper) 745 Vgl. Jesus der Christus, 232. 746 Jesus der Christus, 235. 747 Jesus der Christus, 242. 748 Jesus der Christus, 243 (Hervorhebung von Kasper). „Die Leibhaftigkeit und Konkretheit des Heils bedeutet darum, daß es keine Situation mehr gibt, die grundsätzlich heillos und hoffnungslos, gottlos und gottfern wäre und die nicht, sofern sie im Glauben als solche ergriffen wird, zur Heilssituation werden könnte.“ ( Jesus der Christus, 245)
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ganze Mensch – und nicht nur eine innerliche Dimension – konkret im Leib und in der Welt befreit zu der Möglichkeit eines neuen Menschseins. 2) Zweitens betrachtet Kasper die Freiheit als innere, existentielle Freiheit. Die menschliche Freiheit verlangt in ihrer Unbestimmtheit nach einer Bestimmung. Im Gehorsam Jesu entscheidet sich seine Psychologie bzw. die Freiheit seiner Geistseele. Die von der Schrift bezeugte Freiwilligkeit seines die ganze Existenz dominierenden Gehorsams gegenüber dem Vater erweist die „Menschlichkeit des Heils“749. Die Vermittlung des Heils geschieht in Jesus Christus durch die Zustimmung seiner Freiheit. Nach dem Prinzip „Quod non assumptum est, non est sanatum“ bedeutet dies, daß durch die entschiedene Freiheit Jesu auch die Freiheit des Menschen erlöst ist, denn es ist ein neuer Anfang in der Geschichte der Freiheit gesetzt: „die Freiheit Gottes als Grund und Voraussetzung der Freiheit des Menschen, die Freiheit des Menschen aber als von Gott gewollte und gesetzte Voraussetzung des Wirkens Gottes in der Welt“750. Die Orientierung an Gottes Willen befreit die Freiheit. Menschliches Sein wird zu einem Sein im Empfang, welches von der unerträglichen Last befreit, „selbst Gott spielen und Gott sein zu müssen“751. Vielmehr ist die menschliche Freiheit freigesetzt zur Annahme ihrer selbst und zur Bindung an die absolute Freiheit Gottes und an den Einsatz für die Welt. Da der Mensch als „persongewordene Antwort“752 geschaffen ist, bedeutet der Gehorsam gegenüber Gott seine existentielle Erfüllung. „Wirklich frei ist, wer auch von sich selbst frei ist, um frei sein zu können für die anderen.“753 Die Heilsrealität besteht also nicht in einem hinzuzufügenden äußerlichen Gnadenerweis, sondern im gehorsamen Glauben an Gott, im „Gott ganz Gott sein lassen“754. Jesus Christus ist in seinem freiwilligen Gehorsam die konkrete und menschliche Daseinsweise des Heils in der Welt und in der Geschichte. 3) Schließlich besteht die Freiheit der Person als solidarisch verflochtene Freiheit. Die sich verwirklichende Freiheit setzt eine solidarische Ordnung der Freiheit voraus, weil „der andere und die anderen (…) nicht nur Grenze, sondern Bedingung der Freiheit (sind)“755. 749 750 751 752 753 754 755
Jesus der Christus, 247 (Hervorhebung von Kasper). Jesus der Christus, 252 (Hervorhebung von Kasper). Jesus der Christus, 252. Jesus der Christus, 253. Jesus der Christus, 253. Jesus der Christus, 254. Jesus der Christus, 264. Das zeigt sich nach Kasper einerseits im menschlichen Vertrauen und gegenseitigen Angenommensein, andererseits aber auch darin, daß
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
Konkret besteht dieser Raum aber aufgrund der gegenseitigen Verzwecklichung der Menschen als universaler Unheilszusammenhang, in dem die Frage nach der Gerechtigkeit gegenüber den Lebenden und denen im Tod Vergessenen laut wird. Dabei kann der einzelne keine Befreiung leisten, da er selbst den allgemeinen Bedingungen der Unfreiheit unterliegt. Die Heilige Schrift weiß um diese soziale Dimension von Sünde und Heil. Dabei kommt in Jesus Christus der Stellvertretungsgedanke756, das „propter nos et propter nostram salutem“, zur höchsten Erfüllung. „Jesus Christus ist nach der Schrift der Mensch fr die andern (sic!) Menschen. Sein Wesen ist Hingabe und Liebe.“757 Christi doppelte Transzendenz auf den Mitmenschen und auf Gott und seine Mittlerschaft zwischen Gott und Mensch verleihen ihm in der Geschichte eine zugleich einmalige und universale Stellung; in seinem stellvertretenden Tod wird der Tod bezwungen, das Haß entmachtet und der Anfang einer neuen Menschheit gestiftet. Als Menschensohn und Gottesknecht ist er der auf einen einzigen Menschen reduzierte heilige Rest; in ihm sind alle Menschen repräsentiert. In Christus zieht sich die Vielheit auf die Einmaligkeit zusammen und wird wieder zu einer neuen Universalität geöffnet. Die Feindschaft und Ungerechtigkeit zwischen den Menschen ist durch seinen aushaltenden Tod geheilt. „Die in Jesus Christus offenbare und realisierte Solidaritt Gottes mit den Menschen begrndet eine neue Solidaritt unter den Menschen.“758 Diese 3 Punkte zeigen, wie das Heil ganz direkt den Menschen angeht und betrifft. Jesus Christus ist die Auslegung des gottgewollten Menschen und manifestiert als „Menschensohn“, wie das Heil des Menschen in Gott zu denken ist. Die Menschwerdung ist nicht Chiffre höherer Prinzipien wie Freiheit, Solidarität und Frieden, sondern letztere sind gleichsam „von allem Anfang an auf Christus entworfen als die Grammatik, in der und durch die Gottes Liebe in unableitbarer Weise zur Sprache und zur Verwirklichung kommen sollte“759. Es sind jene Ideen, die sich Gottes liebende Freiheit im Menschen selbst voraussetzt, um in Christus die auf Gott hin offene Anthropologie zur Erfüllung zu bringen.
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jeder, der stirbt, auch für die anderen mit stirbt, da er ihnen das Leben neu als Geschenk bewußt macht. (vgl. Jesus der Christus, 264 f.) Vgl. Menke: Stellvertretung; vgl. Jesus der Christus, 255 – 257. Jesus der Christus, 257 (Hervorhebung von Kasper). Jesus der Christus, 268 (Hervorhebung von Kasper). Jesus der Christus, 268 f.
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2.3.2. Die Rezeption der Drei-Ämter-Lehre Was wir nun formal ausgeführt haben, muß jetzt inhaltlich gefüllt werden. Daß Kasper zur konkreten Entfaltung der einen Heilswirksamkeit Jesu Christi die sogenannte Drei-Ämter-Lehre heranzieht, um damit grundsätzliche Perspektiven zu zeichnen, unterliegt keinem systematischen Zwang, sondern ist eine freie Entscheidung, um behelfsmäßig die drei Aspekte vom Propheten, Priester und Hirten in der einen Wirksamkeit Jesu Christi im Geist zu unterscheiden und auf die anthropologischen Grundfragen nach Wahrheit, Leben und Solidarität zurückzuführen. Diese Wahl begründet er damit, daß dieses eigentlich aus der reformatorischen Theologie stammende Systematisierungsprinzip vom Zweiten Vatikanum lehramtlich bestätigt wurde.760 Es entspricht dem biblischen Zeugnis von Joh 14,6: „Jesus Christus ist durch seinen Geist der Weg (Hirte und Kçnig), die Wahrheit (Prophet und Lehrer) und das Leben (Priester) der Welt“761. Dieses dreiteilige Schema sprengt die einseitige Betonung des priesterlichen Dienstes Christi in der traditionellen Dogmatik. „Das Evangelium ist dann richtig verkündet, wenn es angesichts der heutigen Welt Glaube, Hoffnung und Liebe weckt, wenn seine Botschaft im Heute vollziehbar und verständlich ist.“762 Wie kann Christus für den Menschen konkret relevant werden? Und wie kann seine „kategoriale“ Sehnsucht nach Wahrheit, Lebensfülle und Frieden des Menschen Sein derart bestimmen, daß von diesen Urfragen her die formale Frage nach der Vermittlung von Gott und Mensch ein solches Gewicht einnimmt? Offensichtlich verlangen die menschlichen Urhoffnungen förmlich nach einer Antwort aus der Offenbarung. Wie können darin Glaube, Hoffnung und Liebe gedeihen? Die Drei-Ämter-Lehre soll Antwort geben. 1) Daß das Symbol des Lichtes für die Menschheit seit jeher sowohl im profanen Umfeld als auch in der Heiligen Schrift eine solch dominierende Rolle spielt, weist die Frage nach der Wahrheit als eine menschliche Urfrage aus, ohne die das Leben als menschliches orientierungslos und nicht möglich ist.763 Jesus Christus wird von der christlichen Theologie dargestellt als Prophet und als die endgültige Offenbarung der Wahrheit über Gott und den Menschen und seine Welt. Jesus Christus ist die 760 Vgl. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 207. 761 Jesus der Christus, 310 (Hervorhebung von Kasper). 762 Kirche und Theologie unter dem Gesetz der Geschichte? (Glaube und Geschichte), 66. 763 Vgl. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 208.
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Wahrheit über den Menschen im Sinne der drei Schritte des klassischen Analogieaxioms; nach dem Verständnis der „via positionis“ leuchtet dem Menschen in Christus der verdankte, theonome Charakter seiner Geschöpflichkeit auf. Sie entspricht den Erkenntnismöglichkeiten der natürlichen Gotteserkenntnis. Auf der „via negationis“ dagegen wird die Lüge und Gottesentfremdung des Menschen aufgedeckt; doch Christus richtet nur, um auf-zu-richten und dem Menschen im Sinne der „via eminentiae“ durch die Gleichnisse des Reiches und der bedingungslos vergebenden Liebe Gottes „eine schöpferische Neubeschreibung der Welt“764 anzubieten. Die Botschaft des Propheten sprengt die jeweilige Situation und eröffnet neue Möglichkeiten. Diese unüberbietbar geoffenbarte und kreative Wahrheit Christi bleibt durch den Heiligen Geist in der Welt gegenwärtig. „Jesus Christus ist also in der Weise die endgültige Wahrheit, daß er sich in den geschichtlichen Situationen immer wieder als Wahrheit erweist und bewährt.“765 2) Von der Frage nach dem (ewigen) Leben und nach seinem Zusammenhang mit der Liebe aus entfaltet Kasper das priesterliche Amt Christi besonders unter den Vorzeichen des Stellvertretungsgedankens. Philosophisch läßt sich feststellen, daß das Leben aus sich herausgehen muß, um sich zu erhalten. „Leben und Liebe gehören also zusammen; Leben erfüllt seinen Sinn in sich selbst aufopfernder Liebe.“766 Dies entspricht der fundamental ekstatischen Natur des Menschen: „er ist bei sich, indem er beim anderen ist“767. Entsprechend der Auslegung von Thomas von Aquin interpretiert Kasper die soteriologischen Grundbegriffe „Genugtuung“ und „Opfer“ christologisch von dieser je größeren Liebe Gottes in der Selbsthingabe Christi her.768 Jesus ist in einem Opferpriester und Opfergabe. Dadurch wird der Mensch zu einer neuen Möglichkeit des sich selbst opfernden Liebe befreit. Die Realität als ganze ist also erlösungsfähig und auf Versöhnung hin entworfen (via positionis). Auch wenn es dem heutigen Menschen schwerfällt, sich als erlösungsbedürftig zu erkennen und die Unheilssituation in ihrer ganzen Radikalität zuzugeben (via negationis), kann die Verheißung einer erfüllenden und 764 765 766 767 768
Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 209. Jesus der Christus, 311 f. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 211. Das theologische Wesen des Menschen, 106. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 211. Und weiter: „Das Opfer ist also ein Realsymbol von Lob, Anerkennung, Dank und Bitte an Gott.“ Das Opfer darf als nicht alleine als ritueller Vollzug verstanden werden. (vgl. Jesus der Christus, 313)
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versöhnenden Gemeinschaft mit Gott und der ganzheitlichen Heilung des Menschen motivieren (via eminentiae). Christus als bevollmächtigter Hohepriester hat für alle das Leben erschlossen; im Heiligen Geist wird diese neue eschatologische Existenz in allen Getauften verwirklicht. „So geschieht im Geist die Verwirklichung der durch Christus gekommenen Möglichkeit des neuen Menschseins: Hingabe an Gott und Dasein für die anderen.“769 3) In der Dimension des Lebens wird der Mensch in seine eigene Existenz hinein erlöst, während die Wahrheit ihn in eine orientierende und belebende Beziehung zu Gott stellt. Seine Beziehung zu den Mitmenschen dagegen wird geleitet von der Urhoffnung auf eine „Ordnung der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit“770. In diesem Zusammenhang wird auf Christus besonders das Symbol des kçniglichen Hirtenamtes angewandt, jedoch nicht in einer triumphalistischen, sondern in einer staurologischen Interpretation.771 Das Hirtenamt hat eine innerlichpersönliche und eine öffentlich-politische Dimension, welche in einer analogen Beziehung stehen. Die Liebe Christi fordert und übt Gerechtigkeit (via positionis), kritisiert aber auch die ungerechten Zustände und will sie überwinden (via negationis), überbietet jedoch letztlich die Forderungen der Gerechtigkeit und „führt damit erst zu einer wahrhaft menschlichen Ordnung, zu der u. a. auch Freundschaft, Vergebung, Solidarität, Hilfsbereitschaft gehören (via eminentiae)“772. Das heißt: jene Gerechtigkeit, die eine lebbare menschliche Ordnung des Schutzes und der Würde garantiert, kommt erst von der Liebe Christi her zur Erfüllung. Ganz selbstverständlich stellt sich in diesem Zusammenhang eine Hauptfrage der politischen Theologie, nämlich die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Welt. Christus ist das Haupt aller Menschen, aber er ist in besonderer Weise das Haupt der Kirche – wie die pneumatologische Christologie zeigte. Wie verhält sich die Herrschaft Christi zur politischen Herrschaft in der Welt? Sie können nicht miteinander identifiziert werden, dürfen aber auch nicht dualistisch getrennt werden, da die Kirche nach der Lehre des Zweiten Vatikanums „nur wirksames und erfülltes sakramentales Zeichen, aber nicht die Wirklichkeit des 769 Jesus der Christus, 315. 770 Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 212 (Hervorhebungen vom Autor). 771 Vgl. Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 213. Christus ist der „König der Könige“ und der „Herr der Herren“ in Ohnmacht, Leiden und Sterben. 772 Christologie und Anthropologie (Theologie und Kirche), 215.
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Reiches Gottes selber“773 ist. Die Herrschaft Christi ist also weiter als die Kirche, doch sie kommt in konkreten Zeichen – nach Kasper vor allem in den Heiligen774 – zum Ausdruck. Die Drei-Ämter-Lehre macht verständlich, wie Gott die unbestimmte Offenheit und die existentielle Sehnsucht des Menschen inhaltlich bestimmen, erfüllen und in neue Dimensionen der Verwirklichung göttlicher Verheißungen erheben kann. Dank des „lumen naturale“ kann der Mensch nicht nur in formaler Hinsicht auf transzendentale Weise auf Gott hin vorgreifen, sondern – entsprechend dem Zeugnis des Ersten Vatikanums – dank seiner natürlichen Vernunft die Einheit und Heiligkeit des Mysteriums Gottes erkennen. Diese rationale Möglichkeit kommt der Offenbarung insofern zugute, als sie sich auf der Basis dieser „potentia oboedientialis“ als verständliche und vermittelbare auslegt. In der Begegnung von „lumen fidei“ der Offenbarung und von „lumen naturale“ des menschlichen Auf-Gott-hin-entworfen-Seins wird deutlich, daß erstere eine neue, eminent erfüllte und alles überbietende und vollendende Sichtweise ermöglicht. „Wer glaubt, sieht mehr.“775 Die Christologie setzt sich eine eigenständige Anthropologie voraus und bringt sie – auch in kritischer Korrektur – zur Entfaltung und zur Erfüllung. In diesem Sinn eröffnet die Drei-Ämter-Lehre eine konkrete Möglichkeit der Verkündigung der Erlösung in Christus und der Gnaden des Heiligen Geistes. Damit hat Kasper seinen Anspruch, klassische theologische Begriffe mit Hilfe der Begrifflichkeit von Existenz und Freiheit neu zu erschließen, eingelöst.
3. Christologie als Antwort auf die Anthropologie des Leidens Kasper hat neben den eben beschriebenen Systematisierungen der Begegnung von Christologie und Anthropologie an vielen verschiedenen 773 Jesus der Christus, 319. In LG wird die Kirche in eine Analogie zur hypostatischen Union gesetzt. Die vorgebrachte Kritik einer einseitig christologisch-institutionellen Sicht der Kirche und des Auslassens des pneumatologischen Aspekts trifft nach Kasper zwar in dieser Schärfe nicht zu (so hatte es auch Yves Congar festgestellt), wirft aber trotzdem ungelöste Probleme auf. (vgl. Jesus der Christus, 319) 774 Vgl. Jesus der Christus, 320. Kaspers Forderung nach „lebendigen Zeugen“ scheint immer wieder durch. (vgl. Einführung in den Katholischen Erwachsenenkatechismus, 9) 775 Der Gott Jesu Christi, 106.
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Stellen seines Werkes eine theologische Anthropologie angeschnitten oder beschrieben, die er selbst als „Gnadenlehre“776 bezeichnet. Ganz im Sinne von Tillich geht es bei der Begegnung von Situation und Botschaft um die Begegnung der existentiellen Ängste des Menschen mit Christus. Die Theologie ist „fides quaerens intellectum“: wie kann also in der Christologie das Geheimnis Gottes zum Geheimnis des Menschen in Entsprechung gesetzt werden? Woran bewährt sich denn für den Menschen die Person Jesu Christi? Wie und wodurch bewährt sich der Glaube an ihn? Was macht ihn im Glauben der Glaubenden zur Selbstoffenbarung Gottes? Da Kasper den Gesprächspartner der Theologie im allgemeinen und der Christologie im besonderen als „leidenden Menschen“ bezeichnet, stellt sich in einem besonderen und genaueren Sinn die Frage, wie der der Fliehkraft der Sünde verfallene Mensch die Erlösung in Christus erfährt.777 Denn auch, wenn die Erlösung formal und inhaltlich als möglich und wirklich erwiesen werden kann, bleibt letztlich dem Menschen die Aufgabe, aus einer erlittenen Situation heraus Erlösung anzunehmen. „Nicht Angst vor dem Bösen, sondern die Hoffnung auf seine endgültige Überwindung ist die christliche Grundhaltung gegenüber dieser Wirklichkeit.“778 Dabei trifft die Verkündigung des Heils in Jesus Christus auf die Schwierigkeit, heutig von Sünde und Schuld zu reden. Es fällt auf, daß Kasper unter jenen anthropologischen Vorentwürfen einer soteriologischen Gestalt, die wir weiter oben zusammengestellt haben, die Christologie in eine direktere Beziehung zur Theodizee-Frage stellt als zu den anderen Fragen779, da seiner Meinung nach die Verknüpfung von Heilsfrage und Gottesfrage in der Christusfrage besonders durch die Frage nach der Möglichkeit des Bösen in Frage gestellt wird. In anderen Worten: der Mensch will in seiner Größe und in seinem Elend 776 Jesus der Christus, 310. 777 Daß es sich dabei sogar um die eigentlich zentrale soteriologische Frage handelt, macht Palamattath klar: „The experience of disintegration in human existence and the incurable tension between the persistent hope of salvation as well as the actual disastrous situation demanded the intervention of God in history. Only when the love of God becomes an event in history, can a new beginning be made to break down the deplorable conditions of sin.“ (Palamattath, 67) Auch wenn es sicherlich nicht in Kaspers Absicht liegt, den Begriff des Heils vorrangig hamartiologisch zu umrahmen (vgl. Jesus der Christus, 229 f.), darf dieser Aussage Palamattaths doch zugestimmt werden, da Kasper Heil auch als „Integrität der menschlichen Existenz in und mit der Welt“ definiert ( Jesus der Christus, 239). 778 Das theologische Problem des Bösen, 51. 779 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 199.
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anerkannt und gesucht werden.780 Von der Leidensfrage her wird der Gottesfrage die Einlösung der Hoffung auf einen neuen Anfang aufgetragen. Zugleich hilft aber der Horizont des Freiheitsdenkens zu verstehen, daß Gott sich so sehr an die Freiheit des Menschen gebunden hat, daß er sie bis in ihren Abgrund hinein ernstnehmen muß.781 In anderen Worten: der Weg Gottes, den Sünder zu rechtfertigen, ist, sich mit ihm zu identifizieren, denn „gerade die Identifikation mit dem Sünder macht die 780 Von der Pascalschen Dialektik von Größe und Elend her scheint es plausibel, daß Kasper aus den mannigfachen christologischen Ansätzen des Neuen Testamentes vor allem zwei herausgreift und mit ihrer Hilfe die Sohneschristologie erklärt: die sich gegenseitig interpretierende Logos-Christologie (vgl. Der Gott Jesu Christi, 230 – 235) und Kenosis-Christologie (vgl. Der Gott Jesu Christi, 235 – 245). Sie erscheinen einerseits als passgenaue Gegenstücke zur Größe und zum Elend des Menschen, während sie andererseits die beiden Spannungspole der Theologie und Christologie – Ontologie und Funktionalität, Glaube und Geschichte, Göttlichkeit und Menschlichkeit – repräsentieren. Wenn es nämlich stimmt, daß die Logos-Christologie auf dem Hintergrund des philosophischen griechischen Logosverständnisses verständlich machen kann, „daß uns in Jesus Christus zugleich Gottes innerstes Wesen wie der letzte Grund und Sinn aller Wirklichkeit offenbar ist“ (Der Gott Jesu Christi, 234), dann kommt damit die Identität des Menschen als Gottes Geschöpf, als „Bild und Gleichnis Gottes“ (Das theologische Wesen des Menschen, 104) zum Ausdruck. Vor allem Augustinus hat ausgehend von der Logostheologie die innertrinitarischen Relationen herausgearbeitet. Außerdem erlaubt der Begriff des „Wortes“ Thomas von Aquin, die ganze sinnvoll geschaffene Wirklichkeit gläubig zu umfassen. Der Logosbegriff kann von daher Gottes innerstes Wesen und den Sinn der Schöpfung in Beziehung stellen. In der Kenosis-Christologie steht dagegen das Skandalon des Kreuzes an vorderster Stelle: Gott hat sich in die Hinfälligkeit und Todesverfallenheit des Menschen hinein erniedrigt. Durch eine Reflexion auf Gottes innerstes Freiheitswesen kann verständlich werden, daß Jesus Christus die Sünde des Sünders unterfaßt und somit „die endgltige Antwort auf die Theodizeefrage“ (Der Gott Jesu Christi, 244; Hervorhebung von Kasper) und das auf die Spitze getriebene Elend des Menschen gibt. Gottes Freiheit umfängt und umgibt alle Freiheit, auch jene, die sich aus freier Entscheidung aus der Umarmung Gottes gelöst hat. Auch die Ablehnung Gottes ist noch eine Tat der Freiheit und damit von Gottes Grundlegung der menschlichen Freiheit abhängig. Vgl. dazu die Gedanken von Marko Ivan Rupnik: „L’amore non fà violenza, piuttosto può subirla. (…) L’amore accetta l’altro in maniera così radicale che accetta con l’altro anche la sua possibilità di rifiutare l’amore. (…) Così troviamo paradossalmente l’uomo che grida contro Dio, che addirittura uccide Dio, senza rendersi conto che può fare tutto questo solo perché esiste come amore. (…) E l’uomo non sà che, mentre dichiara Dio morto, Dio vive nella sua libertà di amare, una libertà che rende quest’amore indistruttibile.“ (Rupnik, M.I.: Dire l’uomo. Volume I: Persona, cultura della Pasqua, 91 f.) 781 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 204.
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Sünde zunichte, indem sie diese von innen her durch das Gute überwindet“782. Dieses Mit-Leiden Gottes geschieht am Kreuz. Das Böse ist nur verständlich innerhalb „einer dialogischen Sicht der Wirklichkeit“783. Der Mensch ist geschaffen „als Antwort und Entsprechung zum rufenden Wort Gottes“784 ; er ist Bild und Gleichnis Gottes. Als Bundespartner Gottes ist er in die Welt hinein als Mittlerwesen eingespannt: er ist „dazu geschaffen, Gott zu verherrlichen und den Menschen zu dienen“785. Die Beziehung zu Gott sichert gleichzeitig auch das richtige Gleichgewicht zwischen Gott und Mensch. Wer Gott Gott sein läßt, kann sich ohne Vorbehalte der Menschlichkeit des Menschen stellen. Demnach ist – wie bereits gesagt – die Anbetung Gottes sozusagen der humanste Akt des Menschen. Er verbietet sich, die eigenen Wünsche und Ideen in eine beliebige Gottesidee hineinzuprojizieren, sondern läßt das spannungsreiche Paradox des Menschen stehen. Gott gegenüber kann der Mensch aufgrund seiner Freiheit Schuld auf sich laden, doch das Verzeihen Gottes bewegt den sündigen Menschen zur Metanoia, welche ein „spannungsvolles Ineinander und Miteinander von göttlichem und menschlichem Tun“786 ist. Alles ist von Gott als gut erschaffen worden787, und wenn es das Böse gibt, dann nur aufgrund geschichtlicher Entscheidungen von freien Geschöpfen. Deshalb gilt: „Die Dimension, in der das Problem des Bösen philosophisch sinnvoll verhandelt werden kann, ist die Dimension der menschlichen Freiheit.“788 Dabei hat die christliche Botschaft von der Sünde789 die Kraft, den Menschen ungeschützt mit der Wahrheit seines universalen Schuldzu782 783 784 785 786 787
Der Gott Jesu Christi, 204. Das theologische Problem des Bösen, 53. Das theologische Wesen des Menschen, 103. Das theologische Wesen des Menschen, 103. Anthropologische Aspekte der Buße, 96. Zugespitzt kann Kasper von daher sagen: „Das Böse hat im eigentlichen Sinn des Wortes keine Eigenwirklichkeit.“ (Das theologische Problem des Bösen, 51) 788 Das theologische Problem des Bösen, 46. 789 Kasper spricht von drei Ursprüngen der Sünde: die persçnliche Schuld des einzelnen, die Mitsndlichkeit aufgrund der seinshaften Verflochtenheit aller Menschen – „die anderen (…) sind ein Stück von mir selbst“ (Was alles Erkennen übersteigt: Das Problem des Bösen, 79) –, und schließlich eine dritte Dimension, in der der Mensch „eingewurzelt (ist) in den Kosmos mit all seinen Abgründen“ (Was alles Erkennen übersteigt: Das Problem des Böses, 80), welche in biblischer Sprache bei der Rede vom Teufel und seinen Dmonen gemeint sind. Diese drei Dimensionen kommunizieren zwar, stehen aber aufgrund des konstitutiven Selbstwiderspruchs
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
sammenhangs zu konfrontieren. Der Mensch findet jedoch das Böse auch bereits vor; es ist ihm voraus. Der theologische Begriff der „Erbsünde“790 versucht, diesen Sachverhalt aufzugreifen und zu thematisieren. Gegenüber der modernen Mentalität der frommen Subjektivität und der Überzeugung, aus eigener Kraft zum Eigentlichen zurückfinden zu können – die in „einer Krise des modernen Menschen und seines Selbstverständnisses“791 gründet – betont Kasper das, was schon der Apostel Paulus als „Unfreiheit unserer Freiheit“ thematisierte: „Deshalb muß der Sünder, der seine Freiheit verspielt hat, erst zur Freiheit befreit werden, und diese befreite Freiheit erweist sich ihrerseits im selbstlosen Dienst der Liebe (Gal 5,1.13).“792 des Bösen nicht in einem logischen Zusammenhang. Die bösen Mächte sind in Gottes Augen nichtig, weil sie in Perversion der zuvorkommenden Gnade den Sinn des Seins gegen Gott suchen, also dort, wo es kein Sein gibt. „Der Christ (ist) ihnen gegenüber zu nichts verpflichtet.“ Das Gebet „Befreie uns vom Bösen“ stellt den Menschen jenseits von Dualismus und Monismus auf den theologisch fruchtbaren Boden einer realistisch, sprich geschichtlichen, dialogischen Sicht der Wirklichkeit: er nimmt das Böse ernst, aber vertraut auf Gott, den Herrn der Geschichte. Befreiung vom Bösen hat deshalb „den Sinn, daß einem Menschen, die Freiheit, zu der Jesus Christus uns frei gemacht hat, von Gott geschenkt bzw. wieder geschenkt wird“. (Vgl. Das theologische Problem des Bösen, 55 – 69, hier: 68) 790 „Erbsünde“ wird heute meistens verstanden als „die universale Unheilssituation, die jeden Menschen aufgrund seiner mitmenschlichen Verflechtung zuinnerst, und d. h. auch: ontologisch bestimmt.“ Sie meint keine persönlich zu verantwortende Sünde. (vgl. Das theologische Problem des Bösen, 48) 791 Anthropologische Aspekte der Buße, 97. Der allgemeine „Unschuldswahn“ wurzelt in drei Strömungen. Als erstes nennt Kasper ein „prae-ethisches und praepersonales Menschenbild“ (Anthropologische Aspekte der Buße, 97), wo aus Angst vor Rache vonseiten einer anonymen sakralen Ordnung kultisch-rituell verstandene Ersatzhandlungen geleistet werden. Jesus hat demgegenüber auf eine bewußte Personalisierung der Schuld bestanden und sie in die Beziehung zwischen den Menschen und zwischen Mensch und Gott integriert. Als zweites besteht das idealistische Mißverstndnis von Bekehrung und Buße, das aufgrund des Argumentierens vom Subjekt aus das Postulat der Freiheit auch als Unabhängigkeit von Gott behauptet. In anderen Worten: Bekehrung ist nicht auf Gott bezogen, sondern ist vielmehr Selbstbesinnung, „Besinnung und Rückkehr zum Eigentlichen“ (Anthropologische Aspekte der Buße, 99). Als drittes erwähnt Kasper das naturalistische bzw. materialistische Mißverstndnis des Menschen, was darin besteht, daß der nunmehr autonome Mensch angesichts hartnäckig sich durchhaltender Unrechtsstrukturen Alibi-Subjekte zum Abladen der Verantwortung erfindet. Dieser Unschuldswahn besteht in der „Kunst, es nicht gewesen zu sein“ (Anthropologische Aspekte der Buße, 100). 792 Anthropologische Aspekte der Buße, 100.
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In Jesus Christus steht Gott dem Menschen nicht gegenüber als strenger Richter, sondern in seiner Eigenschaft als barmherziger Schöpfer, der seinem Geschöpf Gnade und Vergebung schenken möchte.793 In seiner von Christus neu von anonymen, versklavenden Mächten befreiten Freiheit liegt des Menschen Möglichkeit zur Umkehr, zu einem neuen Anfang begründet. Seine Freiheit ist in diesem Sinn „das Vermögen des Endgültigen im Vorläufigen“794. In anderen Worten: der Mensch behält die Gelegenheit, seine Vergangenheit in Treue zu sich selbst in eine neue Grundwahl zu integrieren und sich auf neue Zukunft hin zu öffnen. Gerade das Bekenntnis der Schuld bezeugt auf eindrückliche Weise, daß der Mensch im letzten den innerweltlichen Zusammenhängen nicht als Höriger ausgeliefert ist, sondern vielmehr den Weg immer größerer Freiheit beschreiten darf. Wer seine Schuld bekennt – so Kasper in Anschluß besonders an Ricoeur –, verbindet seine Geschichte zu einer Einheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und konstituiert damit die „Identität des moralischen Subjekts“795, das sich auf eine soziale Dimension hin öffnet. Dabei hat die Entscheidung des Menschen stellvertretende Bedeutung gegenüber der ganzen Schöpfung. In der freien sündigen Entscheidung des Menschen wird das Geschaffene von Gott weg und in der Umkehr wieder auf Gott hin bezogen. „In der conversio des Menschen und durch sie hindurch geschieht jetzt die conversio aller Wirklichkeit zu Gott. Der Mensch wird so mit seiner conversio zum vertex, zum Scheitelpunkt allen Geschehens.“796 In der Christologie wird bezeugt, was in der Geschichte einem Menschen „menschen-möglich“ war und wie die Begegnung zwischen der Freiheit des Menschen und der Freiheit Gottes sich „ereignet“ hat. Da der Mensch ein freies Wesen ist und nur im freien Wagnis des Glaubens 793 Erst auf diesem Hintergrund sieht Kasper eine wahre Rede von Sünde und Schuld gesichert: erst an diesem Punkt der direkten Bezogenheit des Menschen auf Gott wird die Rede von Sünde und Schuld wegen Gottes Barmherzigkeit erträglich und gewinnt eine größere und weitere Heimat; sie wird aber auch in ihrer ganzen Tiefe der Bosheit verständlich; und schließlich vermag sie als ernstgenommene, den Realismus und die Ernsthaftigkeit der christlichen Rede von Erlösung und Heil im Sinne einer Negativfolie hervorzuheben. 794 Was alles Erkennen übersteigt: Das Problem des Bösen, 82. 795 Anthropologische Aspekte der Buße, 105. Das Bekenntnis der Schuld ist von daher in jedem Fall – auch auf unbewußte Weise – ein Ereignis (anonymer) Gnade: ein „sacramentum legis naturae“, wie schon Thomas von Aquin es nannte. (vgl. Anthropologische Aspekte der Buße, 96) 796 Anthropologische Aspekte der Buße, 107 f.
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seine Vollendung erhoffen kann, kann der Glaube nicht andemonstriert werden. Das einzige, was zu sagen und zu verkünden erlaubt ist, ist, daß in Jesus Christus „die vielfältigen Dimensionen und Phänomene des Menschlichen sich zu einem sinnvollen Ganzen fügen“, daß „es also im Glauben an Jesus Christus zum Heilsein und Ganzsein des Menschen kommen kann.“797 Damit steht fest: „Theologische Anthropologie wird so letztlich zur Exegese der Christologie.“798 Die wahre, befreite und erfüllte Menschlichkeit besteht darin, daß der Mensch zugleich Freund Gottes und Freund der Menschen ist. „Was ist also der Mensch? Derjenige, der zur Gemeinschaft mit Gott und den Menschen berufen und befreit ist“799, und das nach dem Bild Jesu Christi.
797 Anthropologische Aspekte der Buße, 104. 798 Das theologische Wesen des Menschen, 112. 799 Das theologische Wesen des Menschen, 116.
D. Schlussteil: Überhänge und Übergänge
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D. Schlussteil: Überhänge und Übergänge 1. Der Charakter von Kaspers Denken Kasper legt einen faszinierenden Entwurf vor. Dabei bringt er eine Vielzahl von Einflüssen und Quellen auf den Punkt und auf einen gemeinsamen Nenner.800 Wie wir darzulegen versuchten, beabsichtigt er eine kreative Erneuerung der Katholischen Tübinger Theologie des 19.Jahrhunderts, setzt sich in der Person Schellings grundlegend mit dem auch noch heute prägenden Gedankengut des Deutschen Idealismus auseinander, grenzt sich ab von anderen denkerischen Positionen und Entwürfen und versucht auf der Linie von Przywara dank der transzendentalen Methode, der Rezeption des geschichtlichen Denkens anhand des Modells der durch die Korrelation geleiteten Analogie eine Neuverkündigung der Botschaft des Paradoxes Jesu Christi in der Situation des neuzeitlichen Atheismus und Nihilismus. Es gelingt Kasper passagenweise in bestechender Art, vom modernen Problem der Freiheit aus eine fruchtbare Relektüre der gesamten 800 Palamattath faßt – in seinem Fall mit einem besonderen Blick auf die Pneumatologie – Kaspers Inspirationsquellen folgendermaßen zusammen: „The renewed awareness about the activities of the Spirit in the world was influential in the formulation of the thought-pattern of Walter Kasper. Traces of the Tomistic and the neo-Tomistic influences arising from his inseparable relationship with the University of Tubingen is evident in his theology as he emphasizes the role of the Holy Spirit in the fulfilment of history and of the cosmos. The intellectual atmosphere of the University attracted his attention to the Sptphilosophie of F.W.J.Schelling and the Idealismus of G.W.F.Hegel. These philosophers helped him to comprehend the necessity of freedom and love which the Absolute Spirit provides for a genuine human existence at the time of rapid change in the Western Europe. It gave him an awareness of the inter-connection between the grace of the divine Pneuma and the personal decision of Christians in leading an integral life. The theological formation of Kasper by Professor J.R.Geiselmann introduced him to the innovative thoughts of J.A.Moehler and R.Guardini. Their insights played an important role in the maturation of his understanding on the mission of the Holy Spirit in the world. The inherent pneumatology found in the documents of Second Vatican Council serves as a medium which widened his realm to the ecumenical aspect of the Church. Thus, he acquired certain strong convictions regarding the sanctifying presence of the divine Pneuma in guiding the experiential universe to an eschatological completion.“ (Palamattath, 114; Hervorhebungen von Palamattath) Außer den hier genannten Quellen – die wir mit Ausnahmen nicht ins Detail verfolgen wollten – waren uns besonders Pascal und Krings wichtig.
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Theologiegeschichte zu leisten und dabei den Eindruck zu erwecken, daß in der Auseinandersetzung mit der Frage nach einer befreiten Freiheit ein großer Teil des geistesgeschichtlichen Reichtums des Evangeliums Jesu Christi zu seiner Kernfrage und damit zu sich selbst findet. Sein Entwurf ist eine großartige Aktualisierung des „fides quaerens intellectum“.801 Darin ist Kaspers Ansatz sehr zuverlässig, da er nicht nur versucht, theologische Probleme zu lösen, sondern theologisch Probleme zu lösen. Dabei überzeugt die „gründliche Kenntnis und Analyse der Überlieferung“802. Die Kritik von Brinkman, Kaspers Theologie sei wenig ökumenisch und greife auch nicht in ausreichendem Maß die „theologia crucis“ auf, scheint uns übertrieben.803 Im Gegenteil: gerade diese beiden Felder gehören nach unserem Eindruck zu den ohne Notwendigkeit am besten implizit mitbedachten. Man kann jedoch insofern von einem beschränkten Spektrum reden, als Mills zurecht feststellt, daß Kasper „very little aware of the non-German literature“ sei. Er nennt dies „Kasper’s parochialism“. Was man Kasper mit Nichols sicherlich vorsichtig vorwerfen kann, ist, daß seine Theologie zu stark von der sehr konkreten Situation des westlichen Verlustes des Geheimnisses des Menschen geprägt ist. Nichols unterscheidet diese – bei Kasper aber zu erwartende und legitime – Situationsgebundenheit von zwei unabhängig davon gültigen Beiträgen, nämlich zum einen des trinitarischen und christologischen Theozentrismus und zum anderen der Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie.804 Dem steht das Faktum gegenüber, daß Kasper aufgrund seiner starken Verwurzelung in der europäischen bzw. vor allem der deutschen Geistesgeschichte in der zentraleuropäischen posthegelianischen Tradition beheimatet sei.805 Es rührt wohl daher, daß Kasper fast nichts über den Status nicht-christlicher Religionen zu sagen hat. Es läßt sich aber rückfragen, ob man einem Denker einen Mangel vorwerfen kann, den auszufüllen er nie beansprucht hat. Vieles wäre und bliebe zu sagen, zumal sehr viele Kommentatoren versuchen, Kasper im Zusammenhang mit seiner Zeit und in Abgrenzung zu anderen theologischen Arbeiten zu sehen. Dabei tun sich immer mehr 801 Vgl. Ascione, 216. 802 Wiederkehr, 60. Kasper entpuppt sich als „a writer at once conceptually rigorous and historically well-informed“ (Nichols, 16). 803 Vgl. Brinkman, 64. 804 Vgl. Nichols, 21. 805 Vgl. Wright, 109.
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neue Querverbindungen auf. Wir wollten uns hier auf wesentliche Züge konzentrieren und Kaspers Theologie als in sich stimmiges System bewerten. Daß letztlich Kaspers Denken von einer durch das Schema der Analogie806 rhythmisierten Korrelation geleitet wird und eine einheitliche Gestalt annimmt, macht es in sympathischer Weise anregend und verständlich. Sicherlich muß zugegeben werden, daß er manche Auslegungen auch mit dem eigenen Kamm kämmt und „ad bonam partem“ interpretiert; zugleich entsteht jedoch nirgends der Eindruck einer überzogenen Eigenwilligkeit. Während sich zwar von einer gewissen Warte aus – nicht zuletzt vom Vergleich mit Tillich her – eine weitgehende Abwesenheit eines innovativen bzw. riskierenden Denkens zeigt807, wird Kasper durch sein gekonntes Aufarbeiten des theologischen Denkens vieler Jahrhunderte jenem Prinzip der Tradition gerecht, das bei ihm im Vordergrund steht: es geht darum, durch das Schöpfen aus dem Alten und durch die Konfrontation mit den neuen Herausforderungen immer tiefer in die Wahrheit des Glaubens einzutauchen. Nicht Extravaganz, sondern Treue und Zuverlässigkeit stehen bei Kasper ganz oben auf der Liste der theologisch-wissenschaftlichen Motivationen. Das ist ihm hoch anzurechnen und ist beileibe keine Selbstverständlichkeit. Dem entspricht die Tatsache, daß die beiden Teile, die wir im KasperKapitel unterscheiden und die das philosophische und das theologische bzw. das formal-methodologische und das inhaltlich-kategoriale Anlie806 Vgl. Ascione, 218 – 224. 807 „On the spectrum of theological risk he is further toward the center. (…) If there is a center position among Roman Catholic Christologists today, I would suggest that Kasper, with Rahner, is its most capable representative.“ (Clark, Th. E.: Current Christologies (E.Schillebeeckx, Jesus, H.Küng, On Being a Christian, and W. Kasper, Jesus the Christ), in: Worship 53 (1979) 438 – 448, hier: 446; vgl. Gros, J.: „Review of „Theology and Church“ by Walter Kasper“, in: ThT 47 (1990 – 1991) 359, der Kasper als „more centrist“ einstuft) Clark vergleicht Kasper in diesem Zusammenhang mit Schillebeeckx und Küng, stellt aber auch fest, daß er sich in mancher Hinsicht an ihnen und an ganz verschiedenen Positionen bzw. den darin sich ausdrückenden Anliegen inspiriert und zwischen vielen möglichen – teilweise extremeren – Ansätzen vermittelt. (vgl. Clark, 446 f.) Auch Collange bestätigt diese Sicht, wenn er meint, Kasper habe eine Christologie vorgelegt „qui, sans présenter de perspectives révolutionnaires, va son chemin calmement, avec beaucoup de sérénité au milieu des problèmes les plus complexes.“ (Collange, 326) Kasper will keine künstlichen Probleme kreieren, sondern verbleibende Schwierigkeiten aufarbeiten und in ein katholischtheologisches Denkschema integrieren.
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gen thematisieren, sehr einheitlich ineinandergreifen. Um es zugespitzt zu formulieren: von der bedachten Methodologie her läßt sich mit einer gewissen Sicherheit voraussehen, welche Ergebnisse Kasper in seiner Trinitätstheologie und in seiner Christologie – denen ja seine beiden großen „Manuale“ gewidmet sind – vor allem erreichen will. In der Trinitätstheologie geht es um die Vermittlung von Vater, Sohn und Heiliger Geist anhand des Personbegriffs, der am besten die gegenseitigen Relationen, die Offenheit für Geschichte und die Vermittelbarkeit mit dem Menschen leisten kann. Und in der Christologie liegt das Hauptaugenmerk auf einer Ergänzung durch eigenständige pneumatologische Ansätze und durch eine Neuinterpretation von Chalcedon anhand des auf Christus angewandten Personbegriffs, um die Einheit von Gott und Mensch nicht einseitig „von oben“ oder „von unten“ her zu verstehen, sondern in der lebendigen Korrelation der beiden Bewegungen; zugleich soll das Erlösungsgeschehen in Christus auch material erschlossen werden, und zwar anhand der Drei-Ämter-Lehre, wobei diese Wahl jedoch nicht von der Methodologie her vorgegeben ist. Entscheidend bleibt aber letztlich unter der Informationsfülle, die sich aus Kaspers Beiträgen und Veröffentlichungen eruieren läßt, jene Methodologie, mit der er seine Gedanken angeht und ordnet und versucht, das Verhältnis von Gott und Mensch bzw. von Christus und Mensch theologisch so zu klären, daß eine Antwort auf den neuzeitlichen Atheismus gegeben werden kann. In diesem wachsamen Blick auf die unterschwelligen und offensichtlichen Wasseradern seines Denkens und Gerüste seiner Argumentationen lag ja unser Hauptinteresse. K.H.Crumbach hebt in seiner Rezension den roten Faden ins Wort: „Methodischer Ausgangspunkt ist die Auffassung, daß der bleibend maßgebliche Ursprung des Christentums – Jesus Christus – nur durch die biblische und kirchliche Überlieferung hindurch zugänglich ist, andererseits aber, daß diese Tradition ihre Lebendigkeit nur erweisen kann in der Auseinandersetzung mit den Nöten und Fragen der jeweiligen Zeit.“808 Darin scheint die Grunddialektik von Botschaft und Situation bzw. von Glaube und Geschichte auf, die wir von Tillich her als „Korrelation“ beschrieben haben. Die Beziehung von Christus und Mensch ist davon der zentrale partikuläre Ausdruck. Entscheidend war aber dabei für Kasper, daß der Mensch als offene Frage bestimmt wird und demnach Christus nicht für seine Bedürfnisse einvernehmen kann. Christus kommt 808 Crumbach, 78.
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als qualitativ neues Ereignis, d. h. als Paradox ins Spiel; ähnlich wie bei Tillich handelt es sich aber auch bei Kasper um ein „positives Paradox“, welches nur verständlich ist auf dem Hintergrund einer ursprünglicheren Beziehung von Gott und Mensch. Christus eröffnet mit dem Menschen einen Dialog, aber jenen herausfordernden Dialog, in dem der Mensch über sich hinaus auf die Erfüllung hingeführt wird, die in ihm als Sehnsucht und Frage nach dem Göttlichen potentiell angelegt ist. In Christus verkörpert sich nicht Altbekanntes und Immer-schon-Dagewesenes, sondern es geschieht qualitativ und unerwartet Neues! Diesen Ansatz verdankt Kasper stark seiner Auseinandersetzung mit dem Deutschen Idealismus und mit der Meta-Kritik desselben bei Schelling. Letzterer ist für Kasper wie ein Zeitgenosse aufgrund der Tatsache, daß nach dem Idealismus ein neuer Geist aufkam, der auch das Heute noch bestimmt. Die nachhegelsche Theologie ist nach Kasper in einem desolaten Zustand; eine fruchtbare Begegnung von christlichem Glauben und der Aufklärung und ihren Folgen verspricht er sich vor allem bei Schelling.809 Die dialektische Denkmethode und die transzendentale Reflexion, wie der junge Schelling sie bereits pflegte, entstanden aus dem Willen, die Cartesianische und Kantsche Trennung der Wirklichkeit in das Objektive und das Subjektive zu überwinden. Doch gerade bei dieser neuen Bewegung der Vernunft zum Absoluten setzt die auch von Kasper prinzipiell geteilte Unterscheidung des späten Schelling zwischen der negativen und der positiven Philosophie ein. Nicht ohne Recht sieht Loewe – wie wir bereits sagten – an diesem Punkt bei Schelling und bei Kasper ein wichtiges Charakteristikum lutherischer Kreuzestheologie am Werk. Der Philosophie wird eine Hilfsrolle zugestanden, aber die Botschaft der Offenbarung enthält den Skandal des
809 William P.Loewe sieht die evangelische Theologie nach der Aufklärung und dem Idealismus vor einer sehr schwierigen Situation: die unkritische Rezeption des Idealismus bei Barth führte einerseits zu einem existentialistischen Ansatz (zu dem man auch Tillich rechnen kann) und andererseits zu der historisch-kritischen Methode. Kasper setzt sich mit allen diesen Ansätzen kritisch auseinander und findet dank der Abgrenzungen zur katholischen „transzendentalen“ Theologie und zu Rahner zu der Schlußfolgerung, daß kein Ansatz gebührend auf die vom Idealismus heraufbeschworenen Schwierigkeiten und Einseitigkeiten eingeht. (vgl. Loewe, 32 – 38) Hier beginnt Kaspers eigener Denkweg, hier liegen die fundamentalen methodischen Entscheidungen, sein Interesse an der Geschichte, die Definition des Verhältnisses von Philosophie und Theologie und die analogie-geleitete korrelative Denkform begründet.
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Paradoxes.810 Es mag übertrieben klingen, erweist sich aber als interessantes Detail: Tillich hat eine starke Neigung zu katholischen Denkformen, während Kasper sich typisch lutherischen Denkformen nicht abgeneigt zeigt! Es läßt sich an dieser Stelle aber fragen, warum denn der negative Gottesbegriff, den Schelling in der negativen Philosophie feststellt, unbedingt verworfen werden muß. Ist das reine „Daß“ nicht auch eine Aussage? Könnte sich Kaspers Theologie nicht mit einem apophatischen Element bereichern lassen und dadurch über viele andere Berührungspunkte hinaus eine noch tiefere Verbundenheit zur ostkirchlichen Tradition pflegen? Der Versuch, unbedingt mit Hilfe der Offenbarung ein positives Konzept von Gott zu finden, könnte im selben Maße als hochmütig empfunden werden als Schellings früher Versuch anhand des transzendentalen Denkens.811 Crumbachs weiter oben zitierte Aussage zu Kaspers Methodologie macht aber auch eine prinzipielle Schwierigkeit in Kaspers Christologie offenbar: die Suche nach dem roten Faden bleibt weitestgehend dem Leser überlassen und kann nur nach einer eingehenden Lektüre ins Wort gehoben werden; alle entscheidenden Elemente sind zwar im Entwurf präsent und verstreut, aber die konkrete Zusammengehörigkeit der 810 Loewe konstatiert einen wichtigen Unterschied zwischen Kasper und Schelling: beide sind sich einig, daß Gottes Wirken unabhängig vom menschlichen Wissen, Denken und Gutdünken ist, doch während Schelling Gottes Eingriff in der Welt eher auf extrinsizistische Weise versteht, bleibt er bei Kasper verborgen und geheimnisvoll, und nur in der Glaubensentscheidung selbst wird er offenbar. (vgl. Loewe, 41 f.) Von daher ist für Kasper die Kategorie des „Zeichens“ wichtig. (vgl. Jesus der Christus, 69) Das Wort Gottes interpretiert das Geschehene, kann es aber nicht in einen Rahmen objektiver Allgemeinüberzeugung hineinstellen; vielmehr geschieht in der Konfrontation mit dem Wort Gottes der Glaubensakt. In diesen Kriterien liegt der Unterschied von Kaspers Analogie zu einer falschverstandenen, Gott vereinnahmenden und entblößenden Analogie. Ähnlich wie bei Tillich könnte man sich bei Kasper aber eine Kriteriologie zum Begriff des „Symbols“ oder des „Zeichens“ wünschen, die jedoch ausbleibt. Man darf schließlich im Zusammenhang mit dem Einfluß Schellings auf Kasper an die Kritik bzw. Meinung von W.Schulz erinnern, der das „Absolute“ bei Schelling nicht als der Vernunft Vorausgesetztes betrachtet, sondern als die herausgesetzte Grenze der Vernunft. (vgl. auch Greshake: Auferstehung der Toten, 49 f.) 811 Vgl. Loewe, 45. Es wird in Loewes Kritik aber ersichtlich, daß er sich zu engstirnig an der Prämisse orientiert, Kasper würde innerhalb des katholischen Raums Luthers Kreuzestheologie methodologisch eine neue Heimstatt bieten. Nach unserer Meinung überstrapaziert Loewe seinen Standpunkt und wird damit Kaspers insgesamt sehr ausgeglichenen Darlegungen nicht vollends gerecht.
D. Schlussteil: Überhänge und Übergänge
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Schlüsselargumente findet nur selten statt. „Hier stellt sich wohl die Frage, ob es sich nicht gelohnt hätte, den hinter allem liegenden systematischen Entwurf einmal für sich und im Zusammenhang vorzustellen.“812 Was Kasper nicht in ausreichender Weise geleistet hat, versuchten mehrere Arbeiten und Artikel über seine Theologie nachzuholen.
2. Das universale Feld der Geschichte Dabei sticht bei der Vermittlung von Gott und Mensch Kaspers Umgang mit der Geschichte besonders hervor, was in der Sekundärliteratur immer wieder gebührend gewürdigt wird, u. a. von Marchesi. Hier liegt der Angelpunkt seines ganzen Denkgebäudes: seine Überzeugung ist, daß wir sowohl Gott als auch den Menschen nur in und aus der Geschichte kennen und die definitive Bestimmtheit erst aus der Geschichte und dem Geschick Jesu Christi stammt.813 Geistesgeschichtlich straft die neue moderne Geschichtlichkeit die Hybris der frühen Aufklärung und ihrer Überzeugung einer endgültigen Befreiung des Menschen Lügen; nicht der Mensch ist der dominierende Faktor des Geschehens, sondern die Geschichte. Die Frage nach dem Heil stellt sich ganz neu als Frage nach dem Ausgang und dem Sinn der Geschichte. „Die Geschichte ist heute unser größtes Problem in dem dreifachen Sinn, daß sie zugleich unser dringendstes, unser umfassendstes und unser schwierigstes Problem ist“814, schreibt G.Krüger. Sicherlich kann Kasper den „kairos“ der Vergeschichtlichung der Lebensprozesse dazu nutzen, um das biblische Datum der geschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus neu ins Spiel zu bringen; zugleich jedoch gelingt es ihm, die fundamentalen Unterschiede zwischen einer biblischen und einer modernen Sicht der Geschichte nicht ineinander aufzulösen. Für die Moderne ist das einzige Subjekt der Geschichte der Mensch – auch wenn der Mensch zugleich von der Geschichte bestimmt und beherrscht wird –, während für die Bibel und die christliche Tradition Gott der Herr der Geschichte ist, und dies mit eschatologischer Gültig- und Endgültigkeit. Damit ist auch die für Kasper fundamentale Unterscheidung im Begriff der Freiheit mit ausgesagt: handelt es sich um selbst erwirkte, emanzipierte oder aber um geschenkte 812 Crumbach, 78. 813 Vgl. dazu auch Crumbach, 78. 814 Krüger, G.: Freiheit und Weltverwaltung, München 1958, 97.
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und von Gott her empfangene Freiheit? 815 Evangelium oder Gesetz? Auch hier tauchen wieder lutherische Grundkategorien auf.816 Die entscheidende Frage, die in dieser Konfrontation aufbricht, dreht sich darum, ob die Geschichte eine relativistische Größe bleibt – wie es der moderne Geist behauptet –, oder ob sie in sich die Möglichkeit und Fähigkeit zur Erfüllung enthält. Von dieser Frage her hält sich Kasper oft und lange beim Konzept der Geschichte auf und entfaltet – wie wir dazulegen versuchten – ansatzweise eine Theologie und eine Philosophie der Geschichte. Da Kasper Geschichte faßt als „ein(en) Wechselprozeß zwischen Subjekt und Objekt, ein Vermittlungsgeschehen von Welt und Mensch“817, kann er behaupten, daß Geschichte nur dort besteht, wo Freiheit ist, weil nur dort der Mensch sich seiner Geschichtlichkeit inne wird und sich auf einen Vorentwurf von Sinn hin auslegt.818 Zugleich kann Kasper mit Hilfe des Pascalschen Ansatzes den Stachel jeder Philosophie, d. h. die Endlichkeit und das Böse, in diesen Entwurf integrieren. Der Mensch transzendiert die Geschichte, ist aber aufgrund derselben Freiheit auf eine konkrete Entscheidung hin verwiesen. „C’è fede soltanto nel rischio personale che porta il credente alla decisione.“819 Der Mensch ist also konstitutive Offenheit. Auch wenn die Geschichte sich in immer wieder tragischen Versuchen der Selbsterfüllung verirrt, bleibt sie doch auf das Unendliche hin ausgespannt. Von daher verteidigt Kasper so intensiv die Kategorie des Neuen; Geschichte ist nicht in sich geschlossen und abgeschlossen, sondern erwartet noch die Erfüllung ihrer Größe. Diese „Transzendenz nach vorne“ ist bei Kasper 815 Vgl. Marchesi: La storia e il suo compimento, 213 f. Kaspers Betonung der „positiven Freiheit“ müßte nach Nichols’ Geschmack noch mehr begleitet werden von einer deutlicheren Darstellung der „negativen Freiheit“ des Christen, d. h. seines Auftrags, Kultur zu gestalten. (vgl. Nichols, 22) Dabei beruft sich Nichols auf eine Konferenz von Kardinal Ratzinger im „Centre d’Etudes Saint-Louis de France“ in Rom, während der er sinngemäß gesagt habe: „What is in question is, on the one hand, the basic right of the faithful to a faith which is pure, and, on the other, the right to express this faith in the thought and language of their own time.“ (Nichols, 22) 816 „To preserve the autonomy of revelation while at the same time making room for theological creativity, Kasper appeals to the law-gospel dialectic.“ (Loewe, 44) 817 Jesus der Christus, 63 (Hervorhebung von Kasper). 818 Systematisch gesehen muß man nach Marchesi bei jedem Diskurs über die Geschichte unterscheiden zwischen drei Bedeutungsfeldern: Geschichtlichkeit, Geschichte, Geschichtsschreibung. (vgl. Marchesi: La storia e il suo compimento, 219) 819 Marchesi: La storia e il suo compimento, 220.
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zugleich eine „Transzendenz nach oben“. Gott ist jener Gott der Geschichte, der sich auf die Seite des Menschen – besonders des Vernachlässigten – stellt und in Jesus Christus die Erfüllung der Geschichte sich vorwegereignen läßt.820 Jesus Christus ist das „Absolute in der Geschichte“.821 Nur in ihm liegt die Erfüllung der Geschichte, denn als unvertauschbarer Jesus von Nazareth wird er zugleich als Messias und Prophet der Endzeit bekannt. In ihm werden der Mensch und die Geschichte definitiv vor ihre eigene Wahrheit von Größe und Elend gestellt und zugleich auf die geschichtliche Verheißung Christi verwiesen. „W.Kasper ricerca il valore concreto ed il significato universale di Gesù non su una linea filosofica, antropologica o sociologica, ma storica.“822 Kasper geht damit insofern über Rahner hinaus, als er die Christologie nicht alleine als sich selbst transzendierende Anthropologie versteht, sondern als inhaltliche Bestimmung der offenen Anthropologie. Zwischen Anthropologie und Christologie besteht also auf diesem universalgeschichtlichen Hintergrund eine Ähnlichkeit und Entsprechung, aber die Unähnlichkeit bleibt größer. Das Paradox des Kommens Jesu Christi bleibt bestehen; das Christusereignis ist qualitativ neu! „In tanta similitudine, sed maior dissimilitudo.“ (Erich Przywara) Christologie und Anthropologie stehen zueinander in Analogie.823 Zdenko Joha legt den Akzent darauf, „daß zwischen der Transzendentalität des Menschen und dem Ereignis Jesu Christi eine Entsprechung besteht, die aber nur ausgehend von dem Ereignis Jesu Christi voll berechtigt feststellbar ist.“824 Kasper frönt weder einem verbohrten Fundamentalismus noch einer säkularisierenden Reduktion des christlichen Glaubens auf anthropologische oder politische Bedeutsamkeit, sondern bleibt „bei der Sache“825, d. h. beim positiven Paradox des Wortes Gottes in Jesus Christus! 826 Viel bewußter und deutlicher als die scholastische und vor allem die neuscholastische Theologie gibt Kasper ein einseitiges Vertrauen auf die 820 821 822 823
Vgl. Marchesi: La storia e il suo compimento, 226 f. Vgl. Marchesi: Gesù Cristo compimento della storia, 544. Marchesi: Gesù Cristo compimento della storia, 551. Vgl. auch Marchesi: Gesù Cristo compimento della storia, 552. „Perciò, nella storia concreta di Gesù confluisce in modo duraturo tutto il movimento discendente di Dio che vuol parlare all’uomo, salvandolo, e in lui converge tutto il movimento ascensionale dell’uomo che tende da sempre verso Dio, che anela alla pienezza dell’essere.“ (Marchesi: Gesù Cristo compimento della storia, 561) 824 Joha: Verhältnis von Christologie und Anthropologie Kasper (1987), 63. 825 Einführung in den Glauben, 92. 826 Vgl. Loewe, 44 f.
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„analogia entis“ auf und ergänzt sie dialektisch durch die „analogia fidei“; wir versuchten, diesen sehr wichtigen Akzent mit dem Begriff der „analogia analogiae“ einzufangen. Eine auf sich allein bedachte Seinsanalogie liefert sich dagegen Feuerbachs Händen aus. Inhaltlich bringt Christus als Neuheit die Botschaft und die Verwirklichung des Reiches Gottes und die Freiheit des Menschen, welche in einer Sohnesbeziehung des Volkes Gottes zum Vater gründet und das Potential von Gerechtigkeit und Einsatz für die Würde der Schöpfung und des Menschen freisetzt. Christliche Freiheit ist keine emanzipierte und sich lossagende Freiheit, sondern „il modello di liberazione basato sulla relazione padre-figlio“827, welches sich im Heiligen Geist verwirklicht. Jesus Christus ist die „Fülle der Zeit“, aber in einem qualitativ neuen Sinn: es geht um die Zeit der Freiheit, des Heils und der Liebe. Deshalb hat bei Kasper die Kategorie der Freiheit eine Definition erlangt, die nicht von Gott entfernt, sondern zu Gott hinführt. Geschichte und Freiheit als gemeinsamen Nenner der Beziehung von Gott und Mensch philosophisch erschlossen und theologisch an- und weitergedacht zu haben, ist das große Verdienst von Schelling, dessen Einfluß auf Kasper wir ausgiebig beschrieben und gewürdigt haben. Kritisch muß nachgefragt werden, ob jene Strenge, mit der Kasper den Faktor Subjektivität gegen den Faktor Geschichte ausspielt, wirklich nötig ist. Kann das Absolute sich denn definitiv nicht in der menschlichen Innerlichkeit zeigen? Ironischerweise – so Loewe – wird bei Kasper nämlich die Person und das entsprechende Innenleben Jesu Christi zum letztgültigen Kriterium des Glaubens.828 Möglicherweise unterliegt Kasper selbst letztlich einer schlechten Vermittlung von Subjekt und Objekt.829 Zugleich stellt sich die Frage nach der Bedeutungsbreite von Kaspers Gebrauch von „Geschichte“. Fällt dadurch alles Mythologische, Symbolische, Zeichenhafte unter den Tisch? Tillich klärt diese Frage innerhalb seiner Symboltheorie und hat damit denkerisch an diesem für
827 Marchesi: Gesù Cristo compimento della storia, 557. 828 Vgl. Loewe, 47. 829 Dagegen hat noch A.Amato behauptet, Kaspers Christologie wäre auch in jenem Sinn geschichtlich orientiert, als daß das Geschichtliche den hermeneutischen Zirkel zwischen Theorie und Praxis, Subjekt und Objekt bewirkt. (vgl. Amato, A.: Gesù il Signore. Saggio di cristologia, Bologna 1988, 26 f.)
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Kasper doch nicht unentscheidenden Punkt einen Vorsprung; Kasper bleibt eher an einer negativen Konnotation des Mythos’ kleben.830 Auch beim Gebrauch des Begriffs der Heilsgeschichte, welche als Dialog Gottes mit den Menschen verstanden wird, entstehen durch einen zu wortwörtlichen Gebrauch ansatzweise Schwierigkeiten. William P.Loewe kann nachweisen, daß Kasper bei der Behandlung der Naherwartung des Reiches Gottes durch Jesus Christus eine sehr vereinfachte Form von Gottes Angebot, Israels negativer Antwort und Gottes neuem Plan in Tod und Auferstehung Christi darlegt.831 Zugegebenermaßen handelt es sich dabei aber um eine solche heikle Fragestellung, daß es ungerecht wäre, Kaspers hier mangelnde Vertiefung zu einem prinzipiellen Vorwurf zu erweitern.
3. Paradox, Leiden und Erlösung Kaspers Absicht war es ausdrücklich, das Gottesbild eines lebendigen Gottes theologisch zu verbürgen und den ontotheologischen Einseitigkeiten entgegenzusetzen. Sein Verdienst besteht also vor allem darin, die Theologie aus einem christologischen Zentrum heraus von einem geschichtlichen und geschichtsfähigen Gott her zu entwerfen. Diesen auch 830 Loewe schließt in einer sehr interessanten Analyse daraus, daß der eigentliche Unterschied nicht – wie bei Kasper – zwischen einem rein philosophischen und einem von der Offenbarung her kommenden Denken besteht, sondern zwischen einem Bewußtsein, das in der Welt der Theorie aufgewachsen ist, und einem Bewußtsein, das symbolisch denken kann und von daher einen anderen Blick für Gottes Gegenwart hat. (vgl. Loewe, 48 f.) „My point is simply that when Kasper wields Luther’s dialectic to subsume autonomous philosophy under law, he neglects the possibility that philosophical inquiry may in principle constitute a genuine response to the grace of religious conversion.“ (Loewe, 46) Vielleicht hätte Kasper doch mehr die frühe Philosophie Schellings integrieren müssen; er behauptet einerseits ja selbst eine Kontinuität in Schelling, geht aber andererseits ausschließlich von der Spätphilosophie und von ihren springenden Punkten aus. Noch einmal ist jedoch zu fragen, ob Loewes Behauptung, Kasper müsse dann nicht mehr alle Philosophie unter dem lutherischen Konzept des „Gesetzes“ einordnen, dem wahren Kasperschen Denken gerecht wird. Ansätze mögen stimmen, aber ansonsten kann nicht behauptet werden, daß Kasper dem philosophischen Denken einen zu engen Rahmen einräumt. Vielmehr geht es ihm um den spezifischen und von der Philosophie nicht zu wiederholenden Beitrag der Theologie, einer „theologischen Theologie“! 831 Loewe, 47. Loewe stellt in diesem Zusammenhang unglückliche Formulierungen über „Israel als ganzes“ fest.
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leidensfähigen Gott kann Walter Kasper denken, wenn er über eine reine Logos-Christologie hinaus diese durch die Kenosis- oder KreuzesChristologie weiterführt. Der „Logos“-Gedanke war zwar fähig, Jesus Christus als Sohn Gottes in Verschiedenheit zum Vater bei gleichzeitiger Wesensgleichheit und Wesenseinheit zu denken und damit die trinitarische Ausfaltung vorzubereiten. Außerdem konnte gezeigt werden, daß Christus nicht nur das innerste Wesen Gottes offenbart, sondern auch den letzten Grund und Sinn aller Wirklichkeit.832 Nur die Kenosis-Christologie, die das Paradox der Selbsterniedrigung Gottes in Christus thematisiert, konnte jedoch der johannäischen Prämisse des „Und das Wort ist Fleisch geworden“ ( Joh 1,14) vollends gerechtwerden und einen Weg eröffnen, um das Geheimnis Gottes auf dem Feld des geschichtsphilosophischen Gottesarguments in Entsprechung zum Geheimnis des Menschen zu setzen. Das Paradox des Kreuzes als Ziel der Menschwerdung wird besonders vom vorpaulinischen Christuslied in Phil 2,6 – 11 mit seiner Zwei-Stufen-Christologie aufgegriffen. Es geht von der Erkenntnis aus, daß Christus der Sohn Gottes ist und wirft radikal die Frage nach dem Leiden Christi auf, in welchem Christus genauso wie in seinem ganzen Leben (und Sterben) die Selbstauslegung Gottes ist. Origenes gelang es theologisch, das Leiden nicht als Schwäche und Unfreiheit zu verstehen, sondern es von Ewigkeit her in das Mitleid Gottes mit unseren Leiden einzuordnen. „Damit ist eine Lösung angedeutet, die ausgeht vom innersten Wesen Gottes selbst, von seiner Freiheit in der Liebe.“833 Diese Lösung erarbeitet Kasper in zwei Schritten: 1) Da das Kreuz als Kontrasterfahrung zu allen in Christus zu einer überbietenden Erfüllung gekommenen alttestamentlichen Messiaserwartungen offenbart, daß Christus sein ganzes Dasein „als Gehorsam gegen den Vater und als Dienst für die Menschen“834 verstand, wird es – 832 Dazu Kasper: „Nur wer Jesus Christus kennt, versteht letztlich den Menschen und die Welt.“ (Der Gott Jesu Christi, 234) Von hieraus kann auch innerlich plausibel werden, warum in Gaudium et Spes der Artikel 22 über Christus, den neuen Menschen, an das Thema des Atheismus angeschlossen wird, wo behauptet wurde: „Jeder Mensch bleibt vorläufig sich selbst eine ungelöste Frage, die er dunkel spürt.“ (GS 21) 833 Der Gott Jesu Christi, 238. Die Liebe, die zugleich Unterscheidung als auch Vereinigung bedeutet, macht es möglich, „vom Kreuz Christi her den Begriff Gottes und seiner Unveränderlichkeit einer Neuinterpretation zu unterziehen, um so das biblische Verständnis vom Gott der Geschichte neu zur Geltung zu bringen.“ (Der Gott Jesu Christi, 241) 834 Der Gott Jesu Christi, 215.
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das Kreuz – von der Auferstehung her verständlich als Verwirklichungsgestalt der Herrschaft Gottes inmitten dieses Äons. In anderen Worten: Gott geht am Kreuz aus Liebe bis ans Äußerste und offenbart nicht seine Unfreiheit, sondern seine Allmacht in Liebe und Freiheit.835 Das Leiden ist zutiefst Ausdruck der Freiheit Christi. Das Paradox besteht aus Liebe. 2) Dieses Verständnis vom Kreuz setzt aber voraus, daß Gott „in sich selbst Freiheit in der Liebe und Liebe in der Freiheit“836 ist, von Ewigkeit her sich selbst mitteilende Liebe, denn sonst könnte er sich nicht in Christus eschatologisch-endgültig als solche offenbaren. Liebe aber saugt den anderen nicht auf, sondern setzt ihn in seine wahre Freiheit ein. Das bedeutet, daß die Liebe sich verletzlich macht und die Möglichkeit zum Leiden konstitutiv einschließt. Damit ist aber der trinitarische Wendepunkt erreicht: „Die ewige innergöttliche Unterscheidung von Vater und Sohn ist die transzendental-theologische Bedingung der Möglichkeit der Selbstentäußerung Gottes in der Inkarnation und am Kreuz.“837 Und: „Nur weil Gott in sich vollendete Freiheit in der Liebe ist, kann er Freiheit in der Liebe nach außen sein. Weil er in sich dadurch bei sich ist, daß er beim anderen und im anderen ist, kann er sich in der Geschichte entäußern und eben in der Entäußerung seine Herrlichkeit offenbaren.“838 Kasper denkt immer vom Sichtbaren zum Unsichtbaren, sieht aber im Unsichtbaren die Bedingung der Möglichkeit des Sichtbaren.839 Von diesen trinitätstheologischen Ausführungen aus ist der Sprung in eine erneuerte Pneumatologie nicht mehr weit und wird von Kasper auch auf bestechende Weise geleistet.
4. Pneuma-trinitätstheologische Christologie In Kaspers Vermittlung der Ansätze „von oben“ und „von unten“ bekommen durch die Gleichzeitigkeit von Ontologie und Funktionalität840 835 Kasper schreibt sehr treffend: „Es gehört Allmacht dazu, sich ganz hinzugeben und wegschenken zu können; und es gehört wiederum Allmacht dazu, sich im Schenken zurückzunehmen und die Unabhängigkeit und Freiheit des Empfängers zu wahren.“ (Der Gott Jesu Christi, 242) 836 Der Gott Jesu Christi, 243. 837 Der Gott Jesu Christi, 244. 838 Der Gott Jesu Christi, 378. 839 Vgl. Pavlídou, 33. 840 Vgl. Christologie von unten?, 167.
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die personalen und relationalen Kategorien entscheidende Bedeutung. Dank der Beziehung Jesu zu seinem Vater wird in ihm eschatologisch endgültig offenbar, daß Gott seit Ewigkeit relational ist. Der Heilige Geist ist sowohl das innerste Wesen Gottes als auch seine freie Selbstverströmung, so daß diejenigen, die sich zu Jesus Christus bekennen, durch den Heiligen Geist in die Vater-Sohn-Beziehung hineingenommen werden und daran teilhaben dürfen. „Die Trinitätslehre ist also die Zusammenfassung wie die Voraussetzung der Christologie, die mit dieser steht und fällt.“841 Daraus folgt: „Im heilsgeschichtlichen Verhältnis von Vater, Sohn und Geist wird also „von unten“ das immanente Wesen Gottes offenbar. Umgekehrt erweist sich das immanente Verhältnis von Vater, Sohn und Geist als transzendentaltheologische Voraussetzung der heilsgeschichtlichen Offenbarung.“842 Die ökonomische Trinität ist also die immanente, doch zwischen beiden besteht keine starre Gleichung, soll das Element der sich geschichtlich offenbarenden Freiheit Gottes nicht ausgeschlossen werden. Pavlídou ist – wie wir selbst auch – grundsätzlich der Meinung, daß Kaspers Theologie – und vor allem seine Pneumatologie – sich logischerweise aus zwei Prinzipien seiner Trinitätslehre ergibt: das erste ist ein gnoseologisches Prinzip, geht von einer Christologie „von unten“ aus und besagt, daß die ökonomische Trinität die immanente ist; das zweite ist ein ontologisches Prinzip und behauptet, daß die immanente Trinität die Möglichkeitsbedingung der Inkarnation und der ökonomischen Trinität im allgemeinen ist.843 Vom ersten Prinzip her läßt sich auch die Wichtigkeit verstehen, welche die Empfängnis, die Taufe, der Tod und die Auferstehung Christi in Kaspers impliziter Christologie spielen; sie sind jene „Orte“, an denen das Wirken des Geistes sich immer mehr verdichtet. Dadurch entsteht nach vielen Ausführungen bei Kasper auch ein ganz neues Bild Christi: „Jesus, one might say, is dialogically one with the Father, revelationally one with the Spirit, and hypostatically one with the 841 Christologie von unten?, 168. Der Geist vollendet das Werk Christi mit eschatologischer Wirksamkeit in der Geschichte und ist von daher die eschatologische Selbstoffenbarung Gottes. Der Heilige Geist ist der „Überschuß und Überschwang in der Relation zwischen Vater und Sohn“, so daß in ihm die Möglichkeit der Öffnung auf Geschöpfliches hin grundgelegt ist, welches in ihm auch wieder in die Vater-Sohn-Beziehung zurückgetragen wird. (Vgl. Christologie von unten?, 167 f) 842 Christologie von unten?, 168. 843 Vgl. Pavlídou, 80.
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eternal Word.“844 Das Überzeugende an Jesus Christus ist nach Kasper, daß bei ihm sowohl Größe als auch Elend des Menschen auf eine eschatologisch gültige unendliche Weise angenommen sind. So ist Christus die Erfüllung der Geschichte und der Erlöser der Menschen. Die zusammenfassende christologische These bei Kasper lautet demnach: „Die Christologie ist nicht abstrakt innerhalb der Relation von Gottheit und Menschheit oder von Schöpfer-Geschöpf, sondern konkret innerhalb der Relation zwischen Vater und Sohn zu entwickeln. Sie hat „im Geist“ die Freiheit sich in die Schöpfung hinein auszuweiten und Jesus Christus in seiner Kreatürlichkeit „unvermischt und ungetrennt“ in sich aufzunehmen. Die Alternative zur traditionellen Christologie wie zu den behandelten modernen Neuansätzen ist darum eine trinitarisch und letztlich pneumatologisch begründete Christologie.“845 Sie kann beanspruchen, folgenreich für die Praxis zu sein und Identität und Relevanz miteinander zu vermitteln. Die Christologien „von unten“ und „von oben“ versöhnen sich also in einem geschichtlichen Modell. Es läßt sich von daher kommentieren: wenn also weder eine reine Christologie „von oben“ wegen ihrer Unterschätzung der Menschheit Jesu möglich ist, wenn jedoch zugleich eine reine Aszendenzchristologie an den Grenzen des Menschen und der Hermeneutik scheitert, wenn demnach nur eine komplementär arbeitende Integration beider Ansätze als implizite Christologie der Person Jesu Christi und dem in lebendiger Geschichte überlieferten Bekenntnis „Jesus ist der Christus“ gerecht werden kann, werden personale und relationale Kategorien unumgehbar, und die Einheit von Gott und Mensch in Jesus Christus und die Begegnung in Christus von Gott und Menschheit sind nicht ohne die Begriffe der Freiheit Gottes und der Freiheit des Menschen zu denken.
5. Die schwierige Korrelation von Anthropologie und Christologie Wenn sich Christologie und Anthropologie im Sinne einer Analogie zueinander verhalten, will Kasper damit vermeiden, daß die Christologie sich in ihrer Bedeutsamkeit für den Menschen, d. h. in Soteriologie auflöst. Er ist in ähnlicher Weise wie Tillich bei der klaren terminologischen Bestimmung der Korrelation bzw. des Analogieverhältnisses sehr vorsichtig. Akut wird diese Frage – wie Hermann Häring nachweisen 844 McDermott, 365. 845 Christologie von unten?, 169.
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
konnte – beim Problem der Auferstehung und in der entsprechenden Auseinandersetzung mit Bultmann. Kasper ist insofern von Bultmann beeinflußt, als er zwar auch primär nach der existentiellen Bedeutung fragt und unmittelbare historische Bestimmungen außen vor läßt, aber er widersteht insofern Bultmanns Thesen, als er radikal nachfragt, ob denn der Glaube der Jünger überhaupt möglich gewesen wäre ohne das Ereignis der Auferstehung. Sind Ostern und Entstehung des Osterglaubens deckungsgleich? Hat – in anderen Worten – die Christologie noch einen „Vorsprung“ vor der Anthropologie? Gibt es die „via eminentiae“? Häring verteidigte Bultmann gegen solche Alternativen, räumt aber ein, daß Christus – wie von Kasper beabsichtigt – ein theologisches Profil gewinnen muß, das nicht als Chiffre rein anthropologischer Bedürfnisse entlarvt wird.846 Die Soteriologie ist nicht anthropologisch reduziert und beschnitten. Interessanterweise kritisiert jedoch Neufeld eine systematische Christologie bei Kasper, die kaum ein Wort über das Erlösungswerk verlieren würde. Indem er das Heil alleine aus der Personmitte Christi entfalte, drehe er das scholastische Schema einer Trennung von Christologie und Soteriologie radikal um.847 Außerdem fragt Neufeld, wie denn Christus überhaupt für den Menschen verständlich sei, wenn er „unableitbar neu“ und also analogielos sei.848 Und umgekehrt: wenn der Dogmatik eine alles bestimmende Fundamentaltheologie vorgespannt wird, kommt dann die eigentliche Glaubensaussage als solche überhaupt noch zur Sprache? 849 Von diesen Befürchtungen her kann zwar der Wunsch Neufelds nach einer Unterscheidung zwischen Werk und Person Jesu Christi verständlich erscheinen, aber nicht zu Unrecht fühlte sich Kasper mißverstanden und gab in derselben Ausgabe der „Zeitschrift für Katholische Theologie“850 schnell Antwort. Im Wesentlichen geht es dabei darum, daß Kasper die Analogie von Christologie und Anthropologie nach keiner der beiden extremen und aporetischen Seiten hin aufgelöst haben will. Person und Werk Christi, Christologie und Soteriologie sind eben nicht deckungsgleich! 851 Christus ist der Erlöser des Menschen, und 846 Vgl. Häring, H.: Ungeliebter Kronzeuge. Zur Bultmannrezeption in der katholischen Theologie, in: Jaspert, B. (Hrsg.): Rudolf Bultmanns Werk und Wirkung, Darmstadt 1984, 379 – 395, hier: 390 – 393. 847 Vgl. Neufeld, 181 f. 848 Vgl. Neufeld, 183 f. 849 Vgl. Neufeld, 184 f. 850 Einige verwunderte Gegenfragen, in: ZKTh 98 (1976) 186 – 189. 851 Vgl. Einige verwunderte Gegenfragen, 188 f.
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Christus ist auch ganz Erlöser. Aber die Bestimmung der Erlösung läßt sich nicht von der Situation her festlegen, sondern ist der Freiheit der Botschaft Christi anvertraut.852 Die Analogie erlaubt es Kasper – wie mehrfach ausgeführt –, die vermittelnde Balance zwischen den transzendentalen Voraussetzungen des Glaubens und der (heils-) geschichtlichen Situation des Menschen.853 Dabei werden zum einen die Ernsthaftigkeit des Glaubens und die Herausforderung einer entschiedenen und freien Wahl nicht beschnitten, während andererseits die exklusive Fähigkeit Gottes, Heil zu schenken, respektiert wird.854 Letztlich hängt zugunsten eines angemessenen Verständnisses von Kaspers Theologie alles an der Ausgeglichenheit und theologischen Feinheit der Definition der großen Analogie von Gnade und Natur! Diese Analogie wird aufgrund des Ansetzens bei der „natürlichen Theologie“ von Kasper innerhalb der Frage der religiösen Erfahrung und ihrem Ausgespanntsein zwischen Objektivem und Subjektivem verhandelt.855 Nach Antonio Ascione besteht Kaspers Eigenheit vor allem darin, daß er sowohl die „analogia entis“ als auch die „analogia fidei“ aufgreift und durch ihre Vermittlung zu einer Verwandlung der Lehre von der Analogie selbst gelangt.856 „L’analogia fidei suppone l’analogia entis, la rivelazione suppone un soggetto libero e capace di decidersi, aperto alla trascendenza del mistero.“857 Nur so können Gottes Freiheit und des Menschen Freiheit bewahrt bleiben, ohne aber zueinander in Konkurrenz zu geraten.
852 Joha schreibt dementsprechend als Konklusion seiner Dissertation: „Kasper versteht die Geschichte als methodisch hermeneutischen Schlüssel der Interpretation des Geschicks Jesu Christi und definiert die Christologie als wesentliche und bestimmte Determination der offenstehenden und unbestimmten Anthropologie. Die Anthropologie als unabdingbare Grammatik der Christologie bekommt durch das irdische Leben Jesu ihre notwendige Ausrichtung. Dadurch wird nach Kasper das geschichtliche Moment im Verhältnis von Christologie und Anthropologie unerläßlich.“ ( Joha: Verhältnis von Christologie und Anthropologie Kasper (1987), 67) 853 Vgl. Der Gott Jesu Christi, 98. 854 Vgl. Ascione, 219. 855 Vgl. Ascione, 221. 856 Vgl. Ascione, 222 f. 857 Ascione, 223 (Hervorhebungen von Ascione).
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III. Der soteriologische Ansatz von Walter Kasper
6. Die Frage nach der Denkform Wie sieht also letztlich Kaspers Denkform aus? Vor allem anhand der Gegenüberstellung Pascalscher und Rahnerscher Denkrichtung haben wir versucht, die Pluriformität integrierter Ansätze, aber auch die NichtKomplementarisierbarkeit beider Wege aufzuzeigen. Im Zusammenhang einer Auseinandersetzung mit Moltmann hat Kasper diesem eine Dialektik vorgeworfen, die umschlägt in Identität. Moltmann habe sich sehr stark bemüht, das Analogieprinzip durch die Betonung der Dialektik aufzusprengen. Dabei sei Moltmann aber dem offensichtlich unausrottbaren Mißverständnis unterlegen, die Analogie besage eine Seinsgemeinschaft. In Wirklichkeit versucht sie jedoch eine Vermittlung von Identität und Differenz, Univokation und Äquivokation und versteht sich als eine Vermittlung, die das dialektische Moment nach dem Selbstverständnis der Analogie durchaus in sich aufnimmt und integriert. Eine Dialektik, die hingegen extrem radikalisiert wird, nimmt schließlich ihr Gegenteil als notwendig an und gelangt innerhalb dieser Notwendigkeit zur Hegelschen Identität von Identität und Nichtidentität. Eine solche Denkform will Kasper aber nicht akzeptieren. Für ihn bleibt gültig: „Ohne fundamentale Unterscheidungen zwischen Gott und Welt, innerweltlicher und eschatologischer Vollendung, immanenter und ökonomischer Trinität und – last not least – “Natur“ und Gnade (…) ist Theologie nicht möglich und vor allem nicht kritisch. Daß diesen fundamentalen Unterscheidungen Zuordnungen entsprechen, wollte das klassische Analogie-Prinzip wahren.“858 Nicht ohne Grund befürchtet Moltmann in seiner Antwort, die „analogia entis“ bzw. „analogia proportionalis“ führe zu gefährlich ruhigen Einsichten ohne Sinn für das Paradox und das Skandalon.859 Außerdem wirft er Kasper vor, alle verschiedenen theologischen Fragen über die Leiste einer einzigen Denkform ziehen zu wollen und die Denkform der zu denkenden Sache vorausgehen zu lassen und nicht umgekehrt.860 Indem Kasper die Frage jedoch auf die Sachfrage des Verhältnisses von Schöpfung und Erlösung zuspitzt und er seiner Argumentation treu bleibt, ergibt sich als gültige und der zu denkenden Sache angemessene 858 Revolution im Gottesverständnis?, 147. 859 Vgl. Moltmann, J.: „Dialektik, die umschlägt in Identität“ – was ist das?, in: ThQ 153 (1973), 152 f. 860 Vgl. Moltmann, J.: „Dialektik, die umschlägt in Identität“ – was ist das?, in: ThQ 153 (1973), 154 – 156.
D. Schlussteil: Überhänge und Übergänge
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Denkform die oben angedeutete „analogia analogiae“. Daß es ihm dabei gelingt, sein systematisches Denken einer ganz bestimmten Denkform anzupassen, ist einerseits faszinierend und andererseits ein guter Grund, sein Denken mit Recht systematisch zu nennen. Kaspers Stärke liegt im Konstruieren einer Synthese, wie Pier Cesare Bori es in drei Stichwörtern darlegt: „la composizione tra una cristologia ontologica e una cristologia funzionale“, „la composizione tra analogia entis e analogia fidei“ und „la composizione tra normatività delle origini e creatività nello Spirito“861. Kaspers Theologie besticht durch die aktualisierende Treue gegenüber alten und bewährten Denkschemata und seiner Bereitschaft, neue Fragen anhand dieser Grundmuster aufzuarbeiten, zu entwirren und zu bewerten. Die Analogielehre gibt seinem eigenen Entwurf dabei Halt und Fassung. Letztlich will es ihm aber nicht gelingen, die ganz zurecht erkannte Paradoxalität des Menschen und seiner Gottesbeziehung in dieses Schema zu integrieren.
861 Bori, 135 f (Hervorhebungen von Bori).
IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung A. Ertrag: Situation und Botschaft Die Verhältnisbestimmung von Situation und Botschaft steht im Zentrum der theologischen Entwürfe von Paul Tillich und Walter Kasper. Damit sind eine Reihe von Implikationen verbunden, die es herauszuarbeiten gilt. In einem ersten Schritt muß unterstrichen werden, daß beide bewußt Theologie als die Gestaltung einer Spannung betrachten. Ob sie sich im Modus der Dialektik, der Analogie, des Dialogs oder des Paradoxes artikuliert, ist letztlich die Einlösung der zugrundeliegenden Spannung. Theologie wird weder im luftleeren Raum als in sich ruhende Wissenschaft getrieben noch ohne Kriterien immer wieder neu angepaßt. Vielmehr ist sie ihrem Selbstverständnis und ihrer Tradition genauso verbunden wie ihrem Adressaten. Daß Tillich und Kasper mit ihrer Theorie von Situation und Botschaft sich nicht nur zufällig terminologisch oder methodologisch ähneln, sondern innerhalb einer langfristigen geistesgeschichtlichen Entwicklung anzuordnen sind und trotz aller Eigenheiten und Besonderheiten im Letzten Erben eines vorauslaufenden theologischen Problems sind, haben wir in der Einleitung nachgewiesen. Daß sich dabei aber beide pointiert um den jeweils aktuellen Gesprächspartner bemühen und ihre Theologie in Abhängigkeit des konstitutiven Spannungspols der Situation entwerfen, darf ohne Umschweife als eine ausdrückliche Leistung der Adressatengerichtetheit gewertet werden. Bei beiden ist vorausgesetzt, daß die methodische Korrelation von Botschaft und Situation nur dann eingelöst wird, wenn die Bedingung ihrer Reziprozität und Wechselwirkung erfüllt ist.
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1. Die Physiognomie des Gedachten Sowohl Tillich als auch Kasper erweisen sich als hervorragende Versöhnungs- bzw. Integrationstheologen.1 Diese Arbeit orchestriert somit zwei Ansätze, die im Letzten für ein konsequentes Ernstnehmen der Vermittlung des Bedingten und des Unbedingten und der beiden Vermittlungspole plädieren. Durch Abwägungen und kritisches Gewichten gelingt es sowohl Tillich als auch Kasper, den Gottesbegriff gegen Atheismus und Pantheismus, die soteriologische Theoriebildung gegen Supranaturalismus und Naturalismus und den Christusbegriff gegen Arianismus und Monophysitismus abzugrenzen. Die Entwürfe von Paul Tillich und Walter Kasper, welche auf je verschiedene Weise eine typisch lutheranische bzw. katholische Angehensweise verkörpern, sind sich in vielem ähnlich: sie entwerfen eine miteinander vergleichbare Korrelation von Mensch und Gott, Frage und Antwort, ordnen diese in einen weiteren ontologisch-metaphysischen Beziehungsrahmen ein, der dezidiert schellingianisch geprägt ist, bauen theologisch auf einem entschieden schöpfungstheologischen positiven Paradox auf, verstehen Offenbarung als unableitbaren Durchbruch und halten ihre Denkformen insofern offen, daß sie keine paßgenauen und banal-kompensatorischen Vorstellungen von Religion auf die je entfremdete Situation des Menschen anwenden. Das Christentum gibt im 1
So schreibt Kasper zum Beispiel in seiner Schelling-Arbeit, die Absicht bestünde darin zu zeigen, daß metaphysisches und transzendentales Denken, also das Reflektieren „von oben“ und „von unten“ sich nicht gegenseitig ausschließen. (vgl. Kasper: Das Absolute in der Geschichte, 16) Dies mag möglich sein, ist aber dann immer noch eine Option: die Entscheidung, allem und jedem darin Recht zu geben, worin das legitime Recht liegt, gegensätzliche Positionen aneinander abzuarbeiten und die jeweiligen Kritiken aufeinander zu verwenden, um dann eine neue dritte Position herauszuschälen. Wohlwollenderweise kann man von theologisch-diplomatischem Geschick sprechen. Von Tillich könnte dagegen dasselbe gelten, was Kasper als Beschreibung auf Schelling anwendet: er „hat solche Anregungen (sc. die äusseren Anstöße durch vorgegebene weltanschauliche Fragestellungen) jeweils sehr offen und bereitwillig aufgegriffen, sie aber dann doch sehr souverän in sein System eingefügt. Auch in seiner Begegnung mit dem Christentum ist (er) den Weg des Denkens gegangen.“ (Kasper: Das Absolute in der Geschichte, 17) Wahrlich: die denkerische Breite und intellektuelle Verarbeitungsfähigkeit sind bei Tillich in hohem Maße beeindruckend. Getrieben vom Glauben an eine universalgültige Formulierung der Christentumstheorie im Rahmen der wissenschaftlichen Vielfalt führt er alles in seine Sinn-Ontologie zurück und bezieht mit diesem Bezugsrahmen einen klaren, faszinierenden und zugleich viel kritisierten Standpunkt.
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
Endeffekt keine immerwährenden und abschließenden Antworten, sondern bietet eine analoge Geschichte in Jesus Christus an, in der sich offen und frei manche Antworten erschließen lassen. Die Vermittlung von Geschichte zu Geschichte, von Existenz zu Existenz, von Person zu Person ist dabei in beiden Opera das Werk des Geistes. Einen großen Unterschied stellt aber der genetische Aufbau der beiden Werke dar. Kasper leistet vor allem ein stellvertretendes manualistisches Denken, indem er vieles von anderen Gedachte zusammenfaßt und abwägt, um das Gute zu behalten und das Überflüssige – teilweise auch scharf – zu verwerfen. Als Vermittlungstheologe hat er es damit zur flächendeckenden Zitierbarkeit in allen möglichen neueren Entwürfen gebracht, aber er empfiehlt sich nicht umsonst auch von seiner denkerischen Seite für jene diplomatischen Aufgaben, die ihm vonseiten des katholischen Lehramtes zugetragen wurden. Tillich bleibt dagegen ein eigenwilliger, ja autodidaktischer Philosoph, der Brücken bauen will, die letztlich außer ihm niemand bauen kann. Sein Werk liegt in unzähligen kleineren Beiträgen und Artikeln, in größeren Monographien und in mehreren Systementwürfen vor, in denen die Vielfalt des Stoffes systematisch integriert und organisiert wird. Erfreulicherweise hat ein neues Interesse an Tillich eingesetzt, der gerade im Angesicht der sich durch eine unübersichtliche Partikularisierung der Wissenschaft auszeichnenden Postmoderne zu einem Integral zusammenführenden Denkens avanciert. Innerhalb der Theologie relativ isoliert, erfreut er sich außerhalb eines stetig wachsenden Interesses. So findet Tillich trotz einer Theologie, die einem katholischen Selbstverständnis und der Methode der Analogie relativ nahe steht, in der katholischen Schultheologie nicht viel Beachtung.2 Die beeindruckende Weite seines 2
Das protestantische Denken wird für Tillichs Wirkungszeit zumeist auf Karl Barth und die Dialektische Theologie konzentriert. Außer an Fakultäten, an denen ein ausgewiesener Tillich-Kenner lehrt – wie es in Trier durch Werner Schüßler gegeben ist –, sucht man den Namen Tillich oft vergebens in Vorlesungsverzeichnissen. Einerseits sticht ins Auge, daß sich im Anschluß an Tillich keine Schule herausgebildet hat. Wo hätte sie dies auch tun sollen? In den USA fragten sich seine Studenten, Kollegen und Hörer lange Zeit, was Tillich wohl als junger Denker in Deutschland gesagt, geschrieben und getan habe. Umgekehrt war man sich in Deutschland lange Zeit nicht sicher, ob das Denken des nach Amerika entrückten Tillich in der Kontinuität zu seinen deutschen Werken stand. Erst vor rund 20 – 25 Jahren begann durch ein verstärktes Interesse an seinen Frühwerken der Brückenschlag zwischen beiden Schaffensperioden. Andererseits bleibt Tillichs Einordnung schwierig. Ist er Religionsphilosoph oder Theologe? Beide Seiten würden ihn wohl in das jeweils andere Lager verweisen.
A. Ertrag: Situation und Botschaft
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Denkens und das komplementäre Verhältnis von Philosophie und Theologie bezahlt Tillich mit dem Preis einer letzten Undeterminierbarkeit. Kaspers Leistung besteht darin, die gesamte katholische (und auch nicht-katholische christliche Theologie) auf ihre Situationsbeziehbarkeit hin überprüft und ihr den Weg zu einer konsequenten Auseinandersetzung mit den postmodernen Zeiten gewiesen zu haben; Tillichs Verdienst ist die Entfaltung eines grandiosen philosophischen Systems, welches Grenzen sprengen und die Einsicht in eine versöhnte Gesamtschau der Wirklichkeit führen wollte.
2. Die unterschiedliche Auswirkung der gemeinsamen philosophischen Quelle Die Fähigkeit zu vermitteln wird demnach unterschiedlich systematisch gefaßt und hinterläßt in der akademischen Welt divergierende Eindrücke. Aber das Entscheidende bleibt: beiden Entwürfen eignet etwas Faszinierendes, da sie sich in moderner Zeit mit der größten aller Fragen beschäftigen, dem Verhältnis des Menschen zum Absoluten, des Bedingten zum Unbedingten.3 Diese horizontal weit geöffnete Empfänglichkeit für das Große und Würdige, aber auch das Schmerzhafte und Bittere des Menschen artikuliert sich in einer gewagten vertikal gestalteten Ausschau nach dem Absoluten, dem alles Überragenden und Umfassenden. Vor allem muß deshalb nach der Schellingrezeption gefragt werden. Sie ist das ursprünglich Verbindende der beiden Entwürfe und erlaubt die spannende Ausgangsfrage, wie im 20. Jahrhundert Theologie unter modernen Vorzeichen dank der Besinnung auf den Deutschen Idealismus gestaltet werden kann.4 Spannend und faszinierend mutet bei allen dreien – Schelling, Kasper und Tillich – der Wille zum Systematischen an. Darin zeigt sich die starke Prägung durch das Christliche, welches einen Zu-
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Vgl. Pastor: La cuestión de lo incondicionado. Dabei wird deutlich, daß Kasper und Tillich zu jenen gehören, die – durchaus auch gegen den breiteren Strom der Hegelschule – ganz bewußt bei Schelling ansetzen, weil in ihm über das Prinzip der Subjektivität hinaus auch die Bedeutung des Geschichtlichen und damit der Freiheit und des Unvordenklichen der christlichen Offenbarung mit bedacht ist.
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
sammenhang der gesamten Welt mit dem Willen Gottes glaubt und voraussetzt.5 Der Ansatzpunkt befindet sich beide Male beim Programm der positiven Philosophie, „das absolute Prius per posterius, d. h. durch Erfahrung als Gott zu erweisen“6, nicht aber rein denkerisch nur voraussetzen zu müssen. Besser ist dieser Übergang als derjenige von pantheistischer zu theistischer Philosophie zu beschreiben.7 In der Freiheitsschrift von 1809 erarbeitet Schelling anhand des Problems des Bösen jene Neuformulierung des Gottes- und Freiheitsbegriffs, die in der positiven Philosophie in seinen späten Werken zu Mythologie und Offenbarung vollends durchschlagen. Die Grunderkenntnis besteht darin, daß es – wie bisher bei ihm selbst, aber auch in der gesamten Philosophie – 5
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Selbstverständlich zeigt sich an den unterschiedlichen Methoden auch die Entwicklung, welche die Wissenschaft in den von den 3 Denkern umgriffenen 2 Jahrhunderten gemacht hat. Während Schelling zum Beispiel noch bewußt vom Literalsinn der Heiligen Schrift ausgeht und sie gleichsam als Beweise für seine philosophischen Grundgerüste und Ausfeilungen zitiert, hält sich Tillich vergleichsweise stark zurück mit exegetischem Denken und gebraucht es nur eigenständig als Entfaltung einer biblischen Idee, die in einem zweiten Schritt philosophisch eingebunden wird. Kasper dagegen hält sich an die modernen Normen katholischer Exegese und zitiert nicht nur die Bibel sehr häufig, sondern legt auch immer Wert auf eine adäquate und unabhängige Auslegung des Textes. In anderen Worten: er lässt sich vom heiligen Text leiten und preßt ihn nicht paßgenau in vorgefertigte Schemen hinein. Baumgartner, H.M./Korten, H.: Schelling (= Beck’sche Reihe „Denker“, 536), München 1996, 177. Schelling hatte durch die Zusammenführung der Transzendental- und der Naturphilosophie in der Identitätsphilosophie in einer spannenden Gedankenentwicklung versucht, in der Philosophie von einem einzigen zugrundeliegenden Prinzip auszugehen, dabei aber nicht nur in Anlehnung an Fichte vom schöpferischen Ich aus zu denken, sondern auch die äußere Wirklichkeit ernstzunehmen und in seiner Naturphilosophie zu verarbeiten. Er sprach vom „absoluten Ich“, aus welchem als schaffendem Realprinzip („natura naturans“) das gesamte Natursein („natura naturata“) deduziert werden kann. Schelling parallelisierte Transzendental- und Naturphilosophie als Nachdenken über zwei Ansichten desselben Absoluten. Höhepunkt, Schluss und Abschluss der fortwährenden Naturtätigkeit ist die Werdung des Menschen, des Geistesprozesses das Sich-seiner-selbst-Bewußtwerden des Absoluten im Menschen, die Weltgeschichte, die Gottwerdung. Das Absolute gelangt zur Selbsterkenntnis im menschlichen Geist und stiftet damit erst von innen jene Geschichte, die sich im natürlichen Bereich in die unorganische, die organische und die menschliche Stufe untergliedert und im geistigen Bereich in Kunst, Religion und Philosophie. Dieses Gottwerden „am Ende“ wird zurecht als pantheistischer Ansatz bezeichnet.
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nicht darum gehen kann, Gott rational zu denken, sondern es sich um den realen Gott handeln muß. Der rationale Gottesgedanke wird nun zur Bedingung der Möglichkeit der philosophischen Erfassung des Wirklichen umgewandelt. Philosophie ist nicht vorrangig Vernunftwissenschaft, sondern eine positive Wissenschaft, die sich auf das Unvordenkliche richtet, auf jenes, das jenseits und über der Vernunft gelegen ist. Erst so wird die im Gottesgedanken gelegene Implikation ernstgenommen. Die Wirklichkeit selbst geht dem Denken darüber voraus. Negative Philosophie führt jene auf einen Gedanken zurück, die positive Philosophie jedoch auf eine freie Tat. Sie kann von daher nicht rational entworfen, sondern nur erfahren werden. Philosophie hat nicht nur die Probe der Vernunft, sondern vor allem die Probe des Lebens zu bestehen. Daß Schelling dabei auf das konkrete, wirkliche Christentum als Hauptgegenstand zurückgreift, hat drei Gründe8. Erstens ist seine Philosophie der Offenbarung ein System der Wirklichkeit, und letztere ist vor allem geschichtlich. Das Christentum habe aber erst das Universum als geschichtliches beschrieben, so Schelling. Soll die Philosophie mehr sein als ein realitätsloses Reduzieren des Seins auf Vernunft, muß die Wirklichkeit sich offenbarend zeigen. Zweitens ist sie ein System der Freiheit und nicht der denkerischen Notwendigkeit. Das Christentum erlaubt, die Welt als freie Schöpfung eines freien Gottes und den Menschen als freies Wesen in einem unmittelbaren Verhältnis zum Schöpfer zu sehen. Und drittens ist sie ein System der Einheit der Wirklichkeit. Das Christentum betrachtet die Welt als einen Spielraum von Freiheit, der aus Gott kommt und in die Zukunft ausgreift bis zur Vollendung in Gott. Christentum kann für Schelling keine Lehre sein, sondern besteht in „Christus selbst“, welcher das Prinzip der gestifteten und nach der Sünde des Menschen wiederhergestellten Einheit ist. Das Christusereignis und die damit verbundene Aufhebung der Trennung von Gott und Mensch durch den Sündenfall und von Subjekt und Objekt durch den Mißbrauch der Freiheit der Vernunft können nicht apriorisch gedacht, sondern nur aposteriorisch erkannt, wahr- und angenommen werden. Der Mensch als prinzipiell endlicher Geist erahnt seine besondere Beziehung zu Gott, kann sie aber weder mit Hilfe einer depotenzierten Vernunft noch einer sündigen Existenz wieder herstellen, sondern erfährt seine Welt als Geschichte von Gottsetzungen und liest an der Wirklichkeit in der ChristusOffenbarung die Realität der mutigen Möglichkeit zur Einheit mit Gott 8
Vgl. Franz, A.: Schellings Philosophie der Offenbarung und die Theologie, in: PhJ 104 (1997) 373 – 389, hier: 377 ff.
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ab. Nur in der Geschichte kann ihm jener Freiheit stiftender Gott begegnen, den er eigentlich will. Vor allem bei Tillich ist der Einfluß über eine Initialzündung hinaus in das gesamte System übergegangen. Die Selbstvergewisserung des Ich, die Wichtigkeit des Existentialistischen, das entfremdete Gebrochensein der Vernunft, ihre Ekstase im Moment des zerreißenden Zweifels und der ewigen Unruhe, das Essenz-Existenz-Schema, die Neuformulierung des Identitätsprinzips als Identität von Identität und Differenz und die damit gegebene Abgrenzung gegen Autonomie und Heteronomie, das Ineinsdenken von Schöpfung und Fall, die formale und materiale Öffnung der mit sich selbst identischen Subjektivität auf die christologische Geschichtstat hin, die Kombination von Identitätsprinzip und durchbrechender Rechtfertigung, Sinnhermeneutik und Geschichtsphilosophie sowie die Einlösung im Geist – alles dies und noch viel mehr kann man bei Tillich auf Schellings Inspiration zurückführen.9 Bei Kasper ist die anerkennende Rezeption des Leonberger Philosophen nicht weniger bedeutend, wird aber anders integriert. Gegenüber den innertheologischen Engführungen wie z. B. in der Neuscholastik ist vor allem der Rückgriff auf Schellings anthropologische Aporetik, in der der Mensch den Grund seiner Freiheit nie einholen kann, sowie auf die Unableitbarkeit des Offenbarungsgeschehens, welches unserem Denken jedoch seinerseits wieder vorausgeht und bestimmt, hilfreich, erhellend und entscheidend. Die Grundidee seiner Theologie verdankt er Schelling – und er vergißt nicht, es deutlich zu machen. Warum aber kommen Tillich und Kasper letztlich zu unterschiedlichen Ergebnissen? Malte Dominik Krüger hat bekanntlich in seiner rezenten Arbeit „Göttliche Freiheit“ über die Trinitätstheologie in Schellings Spätphilosophie und ihre Rezeption in der Theologie die verschiedenen Interpretationstypen ausgelegt und dabei auch Kasper und Tillich zugeordnet: Kasper zum religiös-theistischen Interpretationstypus und Tillich zum existentialistischen Interpretationstypus.10 Die Intentionen sind verschieden. Warum? Tillich und Kasper rezipieren den Leonberger Theologen und Philosophen zwar in möglichst offener und authentischer Manier, wobei 9 Bei den vielen Parallelen darf stellvertretend für die Unterschiede zum Beispiel erwähnt werden, daß anders als Schelling Tillich das Dämonische nicht in Gott selbst verankert. (vgl. Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 52) 10 Krüger, M.D.: Göttliche Freiheit. Die Trinitätslehre in Schellings Spätphilosophie, Tübingen 2008, 98, Anmerkung 4.
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sicherlich Kasper noch mehr kritisches Geschick zuzuschreiben ist als Tillich. Letzterer unterliegt auch hier seiner allgemeinen Tendenz, seine Inspirationsquellen großzügig für die eigenen systematischen Gedankengänge einzupassen. Hatte Tillich in seinen Jugendschriften Schellings Gegensatzpaare Offenbarung und Geschichte oder Mythos und Schuldbewußtsein verarbeitet und damit einen systembildenden Einfluß von Schelling vorbereitet – wie wir ausgiebig darzulegen versuchten –, so stellt er den Idealisten in der amerikanischen Zeit verkürzend als Beginn der existentialistischen Prozesses gegen essentialistische Überordnungen dar. Für Tillich geht es um die Eröffnung existentialistischer Möglichkeit innerhalb supranaturalistisch interpretierter Theologie, für Kasper dagegen um die Grundlegung der Bedingung der Möglichkeit des Absoluten in der Geschichte als Antwort auf eine in sich depotenzierte Vernunft. Der große Unterschied besteht formal darin, daß Tillichs ganzes System am schellingianisch-idealistischen Vorbild orientiert ist, Kasper hingegen inhaltlich und materialtheologisch die Idee der Vermittlung von Geschichte und Gottes Absolutheit übernimmt und sie in ein Denken einbaut, das zwar an manchen Stellen an Schelling erinnert, aber beileibe nicht idealistisch ist. Kaspers Denkform ist letztlich vom Deutschen Idealismus unabhängiger als Tillichs. Bei allen Unterschieden zum Leonberger Philosophen fällt bei Kasper auf, daß der Begriff der Freiheit als Grundbegriff des Denkens postuliert und als solcher auch explizit reflektiert wird, während sich bei Tillich eine Fülle von Ähnlichkeiten und Parallelen vor allem mit Schellings „Philosophie der Mythologie“ und seiner „Philosophie der Offenbarung“ zeigen. Was die beiden Autoren eint, wird letztlich auch zum Grund ihrer spezifischen, untereinander differierenden Profile. Der Vergleich von Kasper und Tillich, die sich beide Schelling von der Begriffsdialektik Offenbarung und Geschichte, Botschaft und Situation, her verpflichtet wissen, unterstreicht, daß es Kasper in innovativer Manier gelingt, die traditionellen Überlegungen der katholischen Theologie vor allem dank Schelling plausibel und aktuell zu machen. Tillichs Systembildung geschieht ausschließlich aus philosophischer Freiheit und kann von daher Schelling umgreifender einbinden. Schelling hat aus idealistischer Ausgangsposition die Neuansetzung des Systems von der Geschichte, von der christologischen Offenbarung aus, also die Umkehrung des Gedankens verlangt, aber nicht durchgeführt; Tillich bleibt Schelling von der Gesamtgestalt seines Systems her derart verpflichtet, daß ihm dieser Umbruch auch nicht gelingt; bei
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
Kasper läßt er sich dagegen als Initialimpuls verwirklichen, wobei aber kein Denksystem entsteht. Wäre es nicht eine herausfordernde Frage an die Denkgeschichte, wo beide Anliegen zugleich zur Geltung kämen?
3. Die theologische Umsetzung Letztlich entscheidet sich die Fruchtbarkeit des jeweiligen Schellingstudiums in der Umsetzung der Frage nach dem Verhältnis von Gott und Mensch. Wie gelingt es beiden, Unbedingtes und Bedingtes bzw. Absolutes und Geschichtliches, Botschaft und Situation miteinander zu verhandeln? Wir versuchen es vom Offenbarungsbegriff aus darzulegen. Sowohl Tillich als auch Kasper können von ihrem jeweiligen Ansatz her plausibel machen, daß die Offenbarung Gottes keine Aufhebung seines Geheimnisses ist – im Gegenteil. Was Tillich dabei anhand seines „protestantischen Prinzips“ recht und billig ist, kann Kasper auf die Freiheitsstruktur zurückführen.11 Für Tillich ist es von entscheidender Bedeutung, daß das Kerygma der Botschaft nicht von der jeweiligen kulturellen Prägung einer Situation abhängig gemacht wird, wodurch ja der Unbedingtheitsstatus der ewigen Wahrheit „ad absurdum“ geführt würde. Indem Tillich die Offenbarung als „die Manifestation dessen, was uns unbedingt angeht“12 definiert, wird zwar etwas Verborgenes entschleiert, sein Mysteriumscharakter wird aber nicht aufgehoben. Da der Gehalt der Offenbarung nicht vollends bestimmbar ist, kann er auch durch die Vernunft nicht bestimmt werden. Sie tritt in „Ekstase“13 und ist damit in einem Bewußtseinszustand jenseits ihrer selbst. 11 Freilich liegen diese beiden Beweggründe auf unterschiedlichen Ebenen, aber diese Akzentverschiebung deutet damit zugleich einen tiefer liegenden Unterschied an und deckt ihn auf: eine innertrinitarische Reflexion wie bei Kasper ist bei Tillich zwar nicht abwesend, aber niemals ausschlaggebend. Selbstverständlich schlägt die trinitarische Struktur wie eine Negativfolie immer wieder durch sein Denken durch – nicht zuletzt im Aufbauschema der „Systematischen Theologie“ –, doch im Grunde dominiert der Unbedingtheitscharakter des Göttlichen über das ausdifferenzierende Dreifaltige. Da Kasper jedoch bewußt eine eigene trinitarische Manualistik aufbaut und seiner Gotteslehre in „Der Gott Jesu Christi“ breiten Raum zugesteht, verwundert es nicht, daß der personal gewendete Freiheitsbegriff auf die Dreifaltigkeit übertragen wird – Kasper würde behaupten, daß er von ihr her käme – und somit implizit das Geheimnis Gottes wahrt. 12 Tillich: ST I, 134. 13 Tillich: ST I, 135.
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Offenbarung Gottes ist auch nach Kasper Offenbarung seiner Verborgenheit. Freiheit läßt sich nicht dingfest machen. Für Kasper ist die Offenbarung des Geheimnisses Gottes die Antwort auf das Geheimnis des Menschen. Gottes Herrlichkeit bleibt verborgen, wie die „theologia crucis“ es am deutlichsten manifestiert.14 Übrigens versteht Kasper die anthropologische Kategorie des Geheimnisses als notwendigen Schutzwall gegen die neuzeitliche Säkularisierung, die im Bereich der Wissenschaften dem Menschen alle Geheimnisse abringt und sie quantifizierbar macht. Dagegen ist der Mensch als Freier und Geschichtlicher wesenhaft und bleibend Geheimnis.15 Für Kasper kann die Offenbarung nur unableitbar sein. Erst indem der Mensch glaubt, daß sich im Christusereignis Gott selbst offenbart und aus diesem Glauben heraus lebt, erschließt sich Wirklichkeit, werden Zusammenhänge sichtbar, wird Leben ermöglicht und Freiheit ermutigt, wird die Situation durch die Botschaft erhellt.16 Erst hierin erweist sich Gott, ohne daß man ihn jedoch objektiv beweisen könnte, denn den Gott, den es gibt, gibt es nicht. In Tillichs Entwurf wird die Offenbarung Gottes anhand der in der Symboltheorie grundgelegten Kategorien geschichtsphilosophisch eingeführt. Sie ist unverfügbar und unableitbar, sie schafft sich Zugang durch die „Ekstasis“ der Vernunft und bewirkt das „unbedingte Betroffensein“ des Menschen. In Christus setzt sie die „Mitte der Geschichte“. Von der primären Heilsoffenbarung her sind alle anderen Offenbarungssituationen, die in allen Symbolen unter den adäquaten kulturtheologischen Bedingungen das Unbedingte als An-Gehendes aufscheinen lassen können, sekundär und Ausdruck der schöpfungstheologisch begründeten Grundoffenbarung. Paradebeispiel und genuin spezifisch Tillichsches Verdienst ist das erneuerte, radikalisierte Rechtfertigungsverständnis des 14 Vgl. Kasper: Der Gott Jesu Christi, 166. 15 Ein genauerer Blick auf Kaspers Werk läßt ausserdem feststellen, daß zwar die Christologie an vielen anderen Stellen in Artikeln und Beiträgen zur Geltung kommt, die Trinitätstheologie jedoch mit wenigen Ausnahmen auf das Manual beschränkt bleibt. Darin drückt sich eine Option aus, die bestätigt wird durch die Tatsache, daß Kasper in „Der Gott Jesu Christi“ immerhin ein gutes Drittel des Umfangs unter dem Titel „Die Frage nach Gott heute“ einem profunden fundamentaltheologischen Aufriß widmet und die Trinitätstheologie im Endeffekt im Dienst einer postmodern relevanten christologischen Soteriologie steht. Auch wenn die Gotteslehre einen unabhängigen und sehr gut reflektierten Eigenstand hat, so bereitet sie doch letztlich die Bedingung der Möglichkeit für das Erlösungswerk Christi. 16 Vgl. Kasper: Der Gott Jesu Christi, 148.
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
Zweiflers. Die Rechtfertigung wird von ihrem materialen Gehalt auf ihr Formalprinzip, den Durchbruch des unbedingten Ja in die bedingte Dualität und Zweideutigkeit zwischen Ja und Nein in der menschlichen Existenz, konzentriert. Mithin macht sich aber genau daran der christologische Materialgehalt fest, indem in Jesus als dem Christus jene Unzweideutigkeit, wie sie in die ambivalente menschliche Existenz eintritt, ersichtlich wird. Diese radikale Vorordnung der Soteriologie vor der Christologie atmet idealistischen Geist und unterscheidet Tillich von Kasper, der die Christologie als eigenständige Theorie betrachtet, die im Zentrum der theologischen Reflexion steht und nur dann zur vollen Entfaltung kommt, wenn sie soteriologisch verstanden wird. Im Christus-Symbol geschieht bei Tillich die Vermittlung von Bedingtem und Unbedingtem derart, daß die ursprüngliche Essenz unter den Bedingungen der Existenz aufstrahlt und als originales Bild der sinnvoll-eschatologischen Bestimmung des Menschen wahrgenommen wird, daß aber zugleich der kontingente Jesus-Charakter vom ChristusSymbol nur äußerlich tangiert und nicht in den Bereich des Bedingten gezerrt wird. Während bei Kasper das geschichtliche Erscheinen des Absoluten innerhalb einer menschlichen Existenz denkmöglich und glaubwürdig ist und immanent-indirekt aus dem Lebensvollzug heraus angeschaut werden kann, bleibt die Begegnung von Bedingtem und Unbedingtem bei Tillich auch im höchsten Fall nur Berührung, nicht Durchdringung.
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B. Gelenkstellen: Wie das Menschsein an Christus appelliert In der soteriologischen Vermittlung von Christologie und Anthropologie laufen die Fäden zusammen. Karl Jaspers sagte schon vor längerem: „Wir müssen das Bild des Menschen zurückgewinnen“, und er fügte hinzu: „Kein wahres Bild des Menschen ohne Gott.“17 Diese Arbeit vertritt die These, daß Tillich und Kasper das besondere Verdienst zukommt, in einer sich entfaltenden Welt, in der das Christentum mehr und mehr an den Rand des weltanschaulichen Spektrums gedrängt wird, seine universale Bedeutung herausgearbeitet zu haben und sich nicht mit relativistischen oder pluralistischen Theorien zufriedengegeben zu haben. Die Soteriologie – d. h. die erlösende Bedeutung Christi für den Menschen – bildet dabei die Brückenfunktion. Sie wird aber bei beiden letztlich pneumatologisch ausgelegt.
1. Das Bild vom Menschen Jörg Splett hat in seinem Artikel „Menschsein als Frage“18 die Ernsthaftigkeit der Fraglichkeit des Menschen philosophisch eindrücklich ins Wort gehoben. Dabei ist die Frage, die der Mensch an sich selbst und an den Sinn seines Seins stellt, keine akademisch-äußerliche, sondern eine, der der Mensch nicht entkommt. Indem er fragt, macht er sich seit jeher fraglich. In einer implizit-immanenten Korrelation – sicher anders gemeint und doch verwandt mit Tillich – beantwortet der Mensch die Frage nach sich selbst, indem er die Frage stellt. „Menschsein als Frage besagt eine Spannungseinheit von antwortendem Fragen und fragend-fraglicher Antwort.“19 Als Fragender bestimmt er sich selbst als bestimmbar und stellt zugleich diese Bestimmtheit in Frage. In anderen Worten: der Mensch ist nicht einfachhin „fertig“, sondern vielmehr „zukünftig“, oder philosophisch-anthropologisch ausgedrückt: frei. 17 Jaspers, K.: Die Wandlung I (1945/46), 72; zitiert nach: Geiselmann, Rupert: Die theologische Anthropologie Johann Adam Möhlers, Freiburg 1955, VII. 18 Splett, J.: Menschsein als Frage, in: Kasper, Walter (Hrsg.): Unser Wissen vom Menschen. Möglichkeiten und Grenzen anthropologischer Erkenntnisse. Schriften der Katholischen Akademie in Bayern. Band 76, Düsseldorf: 1977, 81 – 94. 19 Splett, 84.
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
Es handelt sich jedoch um eine ängstigende und sich in dieser Angst potenzierende Freiheit, für die ihre eigenen Grenzen nicht Gnade verheißen, sondern zur Angst verdammen. Sogar im Angesicht ihrer Unbedingtheit, also in der Frage nach Wahrheit, wird das unbedingte Angerufensein zum Sich-verantworten-Müssen und damit zur Schuld20, obwohl – so Splett – sich das Licht der Wahrheit und des Guten nicht nur als lastendes Gebot zeigt, sondern auch als Verheißung. Doch diese Verheißung kann sich immer wieder entziehen. „So ist die Angst der Freiheit doppelt Todesangst – und droht als solche schon dem Menschen den Atem zu nehmen: Angst vor einer Leere, in der er sich ertrinkend verlöre, Angst vor einer Erfüllung, an der er erstickte. – Muß er ihr erliegen?“21 Bleibt die Freiheit pure Möglichkeit, bleibt sie beängstigend. Soll sie eine Heilsmöglichkeit bergen, muß sie anders gedacht werden: nicht mehr als Gegen- und Nebeneinander, sondern als Für- und Miteinander. So kann der Bedrohungscharakter des anderen entfallen und die Bestimmtheit zu einem sinnvollen Für-und-zu-dem-anderen-Sein werden. Hier bricht Splett als Philosoph ab. Er hat die Bedingungen formuliert. Ob es Gründe der Hoffnung gibt, daß Vielheit nicht Mangel und Verängstigung, sondern Chance und Reichtum ist und die Freiheit die Fähigkeit der Selbstgabe an den anderen22, diese Frage reicht er an die Theologie weiter. Tillich und Kasper nehmen den Stab entgegen. Auffällig ist, daß bei beiden innerhalb der anthropologischen Vollzüge letztlich nicht der Mensch einfachhin als solcher ins Zentrum gerückt wird, sondern der leidende Mensch. Dieser Ausgangspunkt begründet die Notwendigkeit der Erwartung des Paradoxons. Weil der Mensch konstitutiv an die Grenze und in die Aporie geführt wird, bleibt offener Raum übrig. Gerade in Bezug auf Tillich muß die besondere Klarheit und Ehrlichkeit hervorgehoben werden, mit der die Zweideutigkeit des Menschen und des Lebens formuliert werden und damit in die Systematik der Theologie Eingang finden.23 Das Zwiespältige des Menschen wird nicht 20 Vgl. Splett, 90. 21 Splett, 91. 22 „Wann ist der Mensch freier und mehr er selbst, als wenn er statt bei sich ganz bei dem ist, was und wer ihn erfüllt? (H.v.Hofmannsthal: „Wo ist dein Selbst zu finden? Immer in der tiefsten Bezauberung, die du erlitten hast.“)“ (Splett, 94; Hervorhebung von Splett) 23 Es muß hervorgehoben werden, daß zwei neuere anthropologische Arbeiten das Denken Tillichs fruchtbar machen für die Humanwissenschaften: Anzenberger,
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dämonisiert. Auch Kasper bemüht sich redlich, doch muß an diesem Punkt das besondere Verdienst Tillichs betont werden. Er beruft sich für sein Menschenbild übrigens auch auf Blaise Pascal, der für Kasper eine entscheidende Rolle spielt. Pascal verdanken wir nach Tillichs Interpretation „die erste existentialistische Analyse der menschlichen Situation“24. Michael Murrmann-Kahl hat 2004 einen interessanten Artikel zur „Aporiefixierung“25 bei Tillich als dem Methodenproblem seiner „Systematischen Theologie“ geschrieben, in dem er – wie wir bereits weiter oben bei Neugebauer festgestellt haben – nachweist, daß in der Korrelation das eine Relat von Welt/Mensch zwei Schritte der Stufung erfordert: zuerst die Annahme der essentiellen Struktur, welche durchaus allgemein konsensfähig ist, dann jedoch eine auf eine Aporie hin zugespitzte Problemlage, welche daraufhin die Antwort der Offenbarung hervorbrechen lassen soll, wobei diese Aporetik aber nicht mehr von allen geteilt werden dürfte.26 Es handelt sich um eine in sich gestufte Relation zweier Relate. So bestehe die Christusfigur in wenig mehr als „der personalisierten Fassung der Antwort auf eben diese Frage menschlicher Existenz“27 und repräsentiere kaum die vorher postulierte überraschende Selbständigkeit der göttlichen Antwort.28 Alles liegt daran, daß Tillich den Menschen von vornherein – spezifisch theologisch als Gegenüberstand von Unendlichkeit – als tragische Verfaßtheit endlicher Freiheit versteht, die phänomenologisch durch die Angst geschärft wird. Diese weichenstellende Aporiefixierung hält sich durch die gesamte „Systematische Theologie“, also auch in der Lebens- und Geschichtsphilosophie, durch.
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H.: Der Mensch im Horizont von Sein und Sinn. Die Anthropologie Paul Tillichs im Dialog mit Humanwissenschaften (Rupert Riedl, Erich Fromm und Viktor E. Frankl), St. Ottilien 1998; Horstmann-Schneider, A.: Sein und menschliche Existenz. Zu Paul Tillichs philosophischer Anthropologie im Horizont von Theologie und Humanwissenschaften, Würzburg 1995. Tillich: GW VIII, 307. Murrmann-Kahl, M.: „Aporiefixierung“. Zum Methodenproblem von Paul Tillichs Systematischer Theologie, in: Danz, C. (Hrsg.): Theologie als Religionsphilosophie. Die problemgeschichtlichen und systematischen Voraussetzungen der Religionstheorie Paul Tillichs (=Tillich-Studien, Bd. 9), Münster 2004, 175 – 195. Vgl. Murrmann-Kahl, 177. Murrmann-Kahl, 180. Murrmann-Kahl meint, die Aufnahme der historisch-kritischen Methode in Bezug auf Jesus hätte hier Abhilfe schaffen können, da sie „die Unableitbarkeit göttlicher Setzungen zu Bewußtsein“ bringen können (Murrmann-Kahl, 181).
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Daraus läßt sich durchaus die berechtigte Frage ableiten, ob Tillich nicht lange vor der eigentlichen Korrelation versteckt eine theologisch orchestrierte Dialektik einführt.29 Am Sachverhalt ändert es jedoch nichts: Tillichs Theologie – nicht erst seine Philosophie – ermöglicht es ihm, die Aporetik des Menschen ungeschönt zu formulieren und ernstzunehmen. An Tillich müßten wir aber die Frage richten, ob die einseitige Orientierung an der Sinnfrage für den Menschen von heute in der Tat zutreffend ist. Wenn nicht, dann muß das Rechtfertigungsverständnis weiter gefaßt werden. Aber auch bei Kasper fällt die aporetische Option durch die Berufung auf Pascal und auf den späten Schelling auf; der Mensch ist eine offene Frage und Wunde, er ist sich selbst ein undurchdringliches Geheimnis, Transzendenz wird erfahren als „konstitutive Nichteinholbarkeit seines Daseins in der Geschichte“30. Kaspers Ausrichtung am Atheismus hat sich als prophetisch richtig erwiesen und kann gerade angesichts des rezenten „aggressiven Atheismus“31 apologetisch fruchtbar gemacht werden.
2. Die Fassung der Aporetik in der Christusgestalt Es sticht ins Auge, daß die beiden Denker am meisten dort von ihrem je eigenen Profil verraten, wo sie Christus ausgehend von den Fragen des Menschen „aufscheinen“ lassen und das Christologische einführen. Das Eigentümliche des Christlichen besteht darin, daß sich Armut und Reichtum, Größe und Elend des Menschen in Christus fassen. Die Christus-Figur wird nicht willkürlich oder supranaturalistisch aufgepfropft, sondern erscheint indirekt ausgehend von der ehrlichen Befragung der menschlichen Aporien.32 29 Murrmann-Kahl vertritt die These, daß die von Endlichkeit begrenzte Unendlichkeit selbst endlich wird und umgekehrt und Tillich diese Dialektik ganz undialektisch einführt. (vgl. Murrmann-Kahl, 193) 30 Kasper: Jesus der Christus, 65. 31 Vgl. Dawkins, R.: Der Gotteswahn, Berlin 2007 (Original: The God Delusion); Hitchens, C.: Der Herr ist kein Hirte. Wie Religion die Welt vergiftet, München 2007 (Original: God is not great – How Religion poisins Everything); Harris, S.: Das Ende des Glaubens. Religion, Terror und das Licht der Vernunft, Winterthur 2007. Als Antwort eignen sich u. a.: McGrath, A.: Der Atheismus-Wahn. Eine Antwort auf Richard Dawkins und den atheistischen Fundamentalismus, München 2008; Spaemann, R.: Der letzte Gottesbeweis, München 2007. 32 An dieser Stelle wäre es interessant, einen von Menke thematisierten philosophischen Disput zwischen Pröpper und Verweyen ins Spiel zu bringen, die von
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Im Bezug auf die Christologie erweist sich das Scharnier zwischen Mensch und Christus zwar materiell als sehr paßgenau, formal aber geht die Struktur des Menschen nicht in der Struktur Christi auf, sondern jene appelliert an diese. Christus ist Lösung im Sinne eines Erweises der sich in ihm realisierenden Freiheit, nicht aber im Sinne einer exakt korrespondierenden Gegenfigur. Der Glaube befreit die Aporien des Denkens, löst sie aber nicht einfach auf. Korrelation zu Gott geschieht bei Kasper erst von der Offenbarung her, nicht schon durch „humanitas“. Kasper bemüht zwar die transzendentale Methode, um das Unvordenkliche als Bedingung der Möglichkeit zu eröffnen, doch letztlich betont er die Aporetik des menschlichen Daseins. Damit wendet er sich ausdrücklich gegen die Rahnersche Linie von Blondel her. Daß Kasper letztlich doch beide kombiniert, bleibt Ausdruck seiner Eigenheit. Auch bei Tillich wird Christus nicht direkt eingeführt; er erscheint nicht hegelianisch-deduktiv oder positivistisch, sondern eigentümlich indirekt als Integrationsfigur menschlicher Ambivalenz bzw. Zweideutigkeit, welche aporetisch auf die Spitze getrieben wird.33 Die symbolisch-geschichtlich-sinnhermeneutisch-korrelative Weise der Ouvertüre der Christologie kennzeichnet diese als „von unten“ gedachte. Die
zwei unterschiedlichen Prämissen in Bezug auf die Erkennbarkeit Jesu als des Absoluten in der Geschichte ausgehen. Verweyens Bildontologie sieht vor, daß das Abbild durch die Einheit mit dem Urbild umso mehr deutlich wird als Abbild. Umso größere Realisierung des Menschseins bedeutet für Jesus umso deutlichere Offenbarung seines Sohnseins. Pröpper dagegen beruft sich Hermann Krings’ „unüberbrückbare Antinomie zwischen der formalen Unbedingtheit und der materialen Bedingtheit der menschlichen Freiheit“, so daß die Unbedingtheit nie adäquat durch die Bedingtheit zur Darstellung gelangen kann. (vgl. Menke, K.H.: Jesus Christus: das Absolute in der Geschichte? Die Frage nach der universalen Bedeutung eines geschichtlichen Faktums, in: Müller, G.L./Seretti, M.: Einzigkeit und Universalität Jesu Christi. Im Dialog mit den Religionen, Einsiedeln/Freiburg 2001, 229 – 265, hier: 260 f.) Es scheint unbestreitbar zu sein, daß Kasper und Tillich die zweite Position einnehmen würden. Darin liegt letztlich auch das „indirekte“ Aufscheinen Christi begründet. 33 Ratschow beschreibt Tillichs Grundintention in eindrücklicher Weise folgendermaßen: Es geht ihm darum, „die Einzelheiten wissenschaftlichen wie kirchlichen, ethischen wie dogmatischen Daseins und Denkens in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit und quälenden Enge zu durchstoßen und in lichte Räume des „ewigen protestantischen Prinzips“ oder des „Neuen Seins“ zu führen“. (vgl. Ratschow: Paul Tillich, 19)
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Methode der Korrelation ließ Schlimmeres vermuten, da sie die direkte Entsprechung von Mensch und Christus anzudeuten scheint.34 Hier liegt bei aller Eigentümlichkeit die Größe der religionsphilosophischen Kategorie des Unbedingten begründet; viel offener als beispielsweise Barth gibt Tillich dem Menschen und seiner Kultur das nötige Werkzeug an die Hand, um die existentiell prägenden Erfahrungen des unbedingten Angegangenseins theologisch zu verstehen und auf Sinn, ja auf Gottes Gegenwart hin zu öffnen.35 Fast schon probeweise wird dafür Christus eingeführt. Die christliche Wahrheit erweist sich nicht dogmatisch, sondern eher dadurch, daß sie sich für den jeweiligen Mensch als Wahrheit erweist. Sie bleibt symbolhaft präsentisch. Tillichs faszinierende Ausstrahlung verdankt sich diesem mehrdimensionalen Denken, welches sich in einigen Perspektiven bündelt, die unabläßlich miteinander im offenen Gespräch stehen: die Religions- und Kulturphilosophie einerseits und die Theologie andererseits. Dem entspricht die erstaunliche Tatsache, daß Tillichs Analogielehre in Bezug auf die Christusfigur weder eine „analogia entis“ noch eine „analogia fidei“ meint, sondern eine aus der Betrachtung der Kunst gewonnene „analogia imaginis“. Die Vorwürfe, daß Tillichs Glaubensbegriff des unbedingten Ergriffenseins zu breit sei und daß er, wie Barth bemängelte, es sich erlaube, mit der Offenbarungswalze über alles und jeden hinwegzurollen, sind nicht aus der Luft gegriffen, aber Tillich macht weder die Offenbarung zu 34 Tillich selbst war sich bewußt, daß letztlich die Methode im Dienste des Beabsichtigten steht. So hatte er bereits zu Beginn der „Systematischen Theologie“ geschrieben, die Korrelationsmethode sei auch ein „Wagnis“ und das Urteil über seine Methode und sein System könne positiv sein, „wenn in kommenden Generationen Theologen und Nichttheologen anerkennten, daß es (sc. das System) ihnen behilflich war, die christliche Botschaft als Antwort auf die Fragen zu verstehen, die ihrer und jeder menschlichen Situation zugrunde liegen“ (Tillich: ST I, 15). Wir stellen fest, daß die Korrelationsmethode in ihrer offenen, einladenden Form durchaus sehr hilfreich ist. 35 Christian Link hat aber zurecht betont, daß das Unbedingte, das durch alle kulturellen Gestaltungen hindurchgehen kann, sich niemals auf einen bestimmten geschichtlich kulturellen Horizont einlassen kann, da es sonst seine Unbedingtheit verliert. Die Kulturtheologie bezahlt den Preis der Negation von konkreter Religion und Kirche. (Vgl. Link, C.: Motive theologischer Religionskritik. Der neuzeitliche Gegensatz von „Religion“ und „Offenbarung“ bei Bonhoeffer, Barth und Tillich, in: Ders.: In welchem Sinne sind theologische Aussagen wahr? Zum Streit zwischen Glauben und Wissen. Theologische Studien II, Neukirchen-Vluyn 2003, 201 – 224, hier: 217)
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einem supranaturalistischen Block noch erklärt er die ganze Welt zum göttlichen Symbol. Alles kann für den einzelnen Menschen zum Symbol werden, aber nur in einer ganz bestimmten Situation. Von daher ist jeder Mensch ein „homo naturaliter religiosus“, und Tillich bemüht sich, dem Menschen zu helfen, die Frage nach Gott zu evozieren. Freilich ist damit auch gesagt, daß die Manifestation des Christus dem menschlichen Hoffen entspricht und sich ihm nicht fremd auferlegt. Material gesehen wird das Aufscheinen Christi anhand bestimmter Übergänge artikuliert. Bei Paul Tillich haben wir ganz andere Nahtstellen als bei Walter Kasper herausgearbeitet. Tillichs Gelenkstellen drehen sich im Essenz-Existenz-Schema und in der Symboltheorie, während Kasper sich über Freiheitsanalyse und Personbegriff in seinem Denken fortbewegt. Dabei spielt der Freiheitsbegriff bei Tillich zwar auch eine entscheidende Rolle, kommt aber nur in zweideutiger Konsequenzhaftigkeit ins Spiel. Interessant ist auf diesem Hintergrund eine Überlegung von Bernard Sesboüé, der sich sowohl zu Kasper als auch zu Tillich öfters geäußert hat, ohne die beiden aber miteinander zu vergleichen. Er hat den Tillichschen ontologischen Monismus vom Thema der Freiheit her untersucht – einem Thema, das bei Walter Kasper im Vordergrund steht.36 Die Freiheit sei in die Ontologie eingebettet und komme deshalb nicht zu voller Entfaltung. Bei Tillich sei die Schöpfung kein Akt der Freiheit Gottes, sondern ein notwendiges Attribut. Damit sei auch gesagt, daß es in Gott keinen Plan gibt, sich dem Menschen ungeschuldet mitzuteilen, denn es besteht eine ursprngliche Einheit von Gott und Mensch. Dadurch werde konsequenterweise das christliche Paradox verschoben: nicht mehr die volle Einheit von Gott und Mensch in Christus ist die Substanz des Dogmas, sondern die Manifestation dieser Einheit unter den Bedingungen der Existenz. Damit gehe aber bei Tillich der Blick dafür verloren, daß Gott und Mensch in ihrer Einheit unterschieden bleiben und der Mensch erst durch Christus in seiner Fülle offenbart wird. Die Trinitätslehre bleibe dementsprechend auch unterentwickelt und frei von Prozessen der Selbstmitteilung und werde auf einen universalen Lebensprozeß verkürzt. „Tout un univers de gratuité se trouve réduit.“37 36 Bei Tillich ist dieser Ansatz insofern gerechtfertigt und zentral, daß er in seinem ontologischen Ansatz die Beziehung zwischen Gott und Geschöpf näherhin über den Begriff der gegenseitigen bzw. der endlichen Freiheit definiert. (vgl. Tillich: ST I, 195 f,; vgl. Tillich: ST II, 14 f.) 37 Sesboüé: Christologie et sotériologie chez Paul Tillich, 236.
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Die Freiheit des Menschen werde durch die ontologische Lektüre der Rechtfertigungslehre stark beeinträchtigt. Erlösung sei keine Befreiung des Menschen zu erneuerter Freiheit, sondern eine Rückkehr in die Essenz, die vom Ursprung her festgelegt ist. Diese beiden Aspekte umfassen sich in der Frage nach der Freiheit des Christus. Von Gott her gesehen sei die Inkarnation kein Akt der Freiheit oder zumindest keine personale Sendung des Sohnes Gottes. Vom Menschen Jesus her gesehen stelle sich die Frage nach dem Widerstand gegenüber den Versuchungen. Tillich hinterlasse den Eindruck, es handle sich um „une sorte de victoire ontologique“38, da nirgends jene Macht präzisiert wird, kraft derer er überwindet. Christus sei der wesentliche Mensch, der zwar paradoxal, aber nicht ontologisch von den anderen Menschen unterschieden ist.39 Damit ist eine offene Flanke formuliert, die aufzeigt, in welchem Sinne Kaspers Ansatz im Letzten konsequenter den Begriff der Freiheit durch- und zu Ende gedacht hat.
3. Offene Fragen Wie die vorhergehenden Überlegungen andeuten, wird in der Gestalt Jesu Christi die grundlegende soteriologische Vermittlungsaufgabe fokussiert und auf die Tragfähigkeit ihrer Voraussetzungen hin befragt. Die konkrete Orchestrierung der Verhältnisbestimmung weist entscheidende Unterschiede auf. Bei Tillich wird die Heilsordnung der Schöpfungsordnung eingegliedert, während bei Kasper die heilsrelevante Christusgestalt nicht vor allem Ausdruck, ja Chiffre der ontologischen Gewißheit ist, sondern der primäre Träger des Erlösungsgeschehens und 38 Sesboüé: Christologie et sotériologie chez Paul Tillich, 237. 39 Damit wird Tillich jedoch den frühchristlichen Konzilien nicht gerecht. Er betont zu sehr die Gefahr des Chalcedonense, daß die beiden Naturen wie Blöcke zusammengekittet werden. Das große Verdienst aber übersieht er. Sesboüé hat Recht, wenn er schreibt: „Dans sa critique d’Ephèse et de Chalcédoine Tillich a méconnu l’intuition propre de Cyrille d’Alexandrie pour ne retenir que le jumelage de deux natures considérées comme deux blocs. Il n’a pas pris en compte le concept de l’union selon l’hypostase ou selon la personne, qui ne veut être qu’une conceptualisation de la formule johannique: le Verbe s’est fait chair, formule qui rend compte du paradoxe de la libert divine. Cela dit, le Christ reste proportionné au salut qu’il est censé nous apporter.“ (Sesboüé: Christologie et sotériologie chez Paul Tillich, 238; Hervorhebung vom Autor)
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die Integralfigur der soteriologischen Erfahrung, die dem Menschen zuteil wird. Die Heilsordnung bleibt unabhängiger als bei Tillich, der im Rahmen seiner Reflexion der Konstitution des Selbstbewußtseins das unvordenkliche Andere in Christus hinein verlegt. Bei Kasper ist das Erlösungsgeschehen direkter an Christus rückgebunden als bei Tillich. Tillich hatte dies aber erkannt und bewußt dergestalt entworfen und versprach sich davon eine – im Denken tatsächlich vollzogene – größere Offenheit gegenüber der gegenwärtigen Kultur, allen unternommen Sinngebungsprozessen und schließlich auch anderen Religionen. Von daher ist sein Entwurf viel globaler angelegt und schaut weit über den theologischen Tellerrand hinaus. Kasper begnügt sich im Stile eines entschiedenen Theologen oft mit Andeutungen über philosophische, kulturelle oder andere außertheologische Themen – wie zum Beispiel in Bezug auf die „relationale Metaphysik“ –, während Tillich sie aus- und durchführt und sein soteriologisches Grundinteresse ihn dazu veranlaßt, auch diese Theoriebildungen in der Not der Menschen zu verankern. Seine Christustheorie rückt Tillich zwangsläufig in den Verdacht nestorianischen Denkens, welches die wirkliche Menschwerdung Gottes nicht zu denken wagt, sondern nur von der Annahme des Menschen durch Gott spricht. Von diesem Verdacht können wir Tillich nicht vollends freisprechen. Die Erlösung wird nicht auf der Ebene historischen Handelns vermittelt, sondern ontologisch im Sein. Bei Kasper jedoch gewinnt das konkrete Profil des Jesus von Nazareth heilsrelevante Potenz. In ihm offenbart sich die trinitätstheologische Bedingung der Möglichkeit der Identität Jesu. Beide Ansätze haben Vorteile: Tillich hat sich nachhaltig gegenüber den auch heute noch als Sensationsfunde angepriesenen Entdeckungen aus der Welt und Umwelt Jesu in Sicherheit gebracht und der Gestalt Christi bleibende Bedeutung gesichert, während Kasper in konsequenter Anwendung moderner Exegese aus dem biblischen Befund eine implizite Christologie eruiert, die sich viel direkter zu einer bewußten Nachfolge Jesu anbietet. Letztlich wird die unterschiedliche Gewichtung der Prioritäten und Argumente deutlich in der divergierenden Interpretation des chalcedonensischen Dogmas. Der Notwendigkeit einer Neuauslegung stimmen beide zu; Tillich artikuliert dabei jedoch einen Überhang an Interpretationsstoff, den er im Dogma unterbringen will, nämlich den Bruch zwischen Essenz und Existenz, welcher aber in der Aussageabsicht des Konzils keine Rolle zu spielen scheint; Kasper dagegen sieht von hamartiologischen Implikationen ab und versucht weniger eine heilsge-
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schichtliche als vielmehr eine ontologische Deutung anhand des Personbegriffs, welche dann in einem zweiten Schritt heilsgeschichtlich ausgelegt werden kann. Am einfachsten dürfte der Unterschied in der Christustheorie daran zu ersehen sein, daß die Terminologie „Jesus der Christus“ in ihren beiden Polaritäten bei Kasper aufeinander hin-, bei Tillich dagegen voneinander weggedacht wird. Im ersten Fall ist Jesus der Christus, im zweiten Fall manifestiert er ihn. Identifikation wird bewußt vermieden. Doch irgendwo muß Tillich doch die Vermittlung der Begegnung von Gott und Mensch, von Unbedingtem und Bedingtem, so denken, daß sie auf die Christusgestalt und ihre Verhältnisbestimmung zum konkreten Jesus von Nazareth anwendbar wird. Wenn dies – wie vielfach kritisiert – in der eigentlichen Christologie der „Systematischen Theologie“ ausfällt, muß es an anderer Stelle geschehen: in der Symboltheorie.40 An sich scheint es so zu sein, daß die Symboltheorie für Tillich letztlich Ersatz für die christologische Theorie ist – für die christologische, nicht für die soteriologische. Wie die Begegnung von Bedingtem und Unbedingtem im spezifischsten Fall – in Christus – artikuliert wird, wird bei Tillich in seinem Symbolverständnis vorentschieden. Daß dabei das Bedingte das Unbedingte symbolisch darstellt, ist für Tillich weitaus mehr als alle gegenständliche Sprache, verhindert aber eine wahrhafte Begegnung von Geschichte und Absolutem und verlagert schließlich die soteriologische Einlösung aus der Christologie in die Pneumatologie. Die Christusgestalt gerät zwischen die Begriffe: sie wird weder mit der phänomenologischen Wirklichkeit des Menschlichen in Berührung gebracht noch bestimmt sie – anders als bei Kasper – die pneumatologischen Inhalte. Ihre Relevanz bleibt eine symbolische. Auch und gerade die soteriologischen Kategorien atmen den grundlegenden Unterschied: Kasper sieht das erlösende Wirken Christi durch den Geist an der Freiheit des Menschen wirken. Heil ist gelebtes, 40 Das ist schwierig. Denn einerseits muß Tillich ja eine eigene Begrifflichkeit entfalten oder übernehmen und sie auf sein System hin ausrichten, andererseits muß er alleine und für sich jene gewaltige Denkanstrengung durchführen, die die klassischen Konzile etappenweise durchgeführt haben. Der schwierige und damals schon nie evidente Gebrauch von Begriffen wie Natur – welche das Geschichtlich-Dynamische des Christusereignis aussenvor zu lassen riskierten – zeigt das Minenfeld der Terminologie an, das sich bei diesem Versuch auftut. Tillich bewegt sich sehr vorsichtig, grenzt dabei aber die Begriffe in immer neuen Unterscheidungen derart gekonnt ab, daß es zugleich gekünstelt wirkt. Der Faszination über seine Leistung steht die Schwierigkeit des Verstehens gegenüber.
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erlebtes, bezeugtes Heil. Tillich spricht in einem ersten Schritt übergreifend von „Essentifikation“, der Rückkehr der Existenz in die Essenz. Erst in seinem äußerst ansprechenden und spannenden pneumatologischen 4. Teil der „Systematischen Theologie“ werden die Zweideutigkeiten des Lebens durch die Gegenwart des Geistes aufgehoben. Beiden ist schließlich die eschatologische Seite der Soteriologie nicht verborgen geblieben. Vom idealistisch-geschichtsphilosophischen Ansatz her ist es verständlich, daß Tillich diesen Aspekt weit breiter und tiefer ausarbeitet als Kasper, der sich darauf beschränkt, die Offenbarung in der Geschichte dank ihrer freiheitlichen Struktur als Vorgeschmack und Vorwegnahme der eschatologischen Offenbarung darzustellen. Bei Tillich liegt dagegen auf der Erlösung der Geschichte der effektvolle Schlußakkord, auch wenn zugegeben werden muß, daß die direkte Beziehung zum Christusereignis blaß und indirekt bleibt. Vielmehr bringt das Unbedingte in einer dialektischen Vollendung die Geschichte zu sich selbst. Die Offenbarung in Christus ist zwar die „Mitte der Geschichte“, spielt aber inhaltlich für die Art der eschatologischen Vollendung kaum noch eine Rolle.
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
C. Fassung: Die Frage nach der Denkform Gisbert Greshake hat in seiner Promotionsarbeit „Auferstehung der Toten“ in der Einleitung den Begriff der „Denkform“41 besprochen und darauf hingewiesen, daß der letzte Grund der Einheit eines Entwurfs weniger das Materialprinzip als vielmehr das Formalprinzip – auch Denkform oder Denkhorizont genannt – sei. Beide Prinzipien stehen insofern in einer wechselseitigen Bestimmung, daß die Denkform zwar nie mit dem Inhaltlichen zusammenfalle, zugleich aber nur an letzterem abgelesen werden kann.42 Die eigentliche Denkform ist bei Tillich und bei Kasper ganz grundlegend die der Freiheit. Schelling als Denker der menschlichen Abgründigkeit und der göttlichen Offenbarung in Christus ist der entlegene Archetyp beider Entwürfe. Anthropologie und Christologie erhellen sich gegenseitig und miteinander. Diesem Bestand entspricht auf Tillichs Seite die Verweisleistung des Symbols, auf Kaspers Seite die Analogie. Sie ist die geheime Transmissionsform zwischen Mensch und Christus. Es gibt „analogia entis“ und „analogia fidei“, ein „von oben“ und „von unten“. Systemimmanent ist innerhalb der Offenbarung bei beiden das Kreuz zwar notwendig, aber daß es überhaupt dazu kommt, daß Christus am Kreuz sein Leben gibt, kann nicht deduziert werden. 41 Greshake: Auferstehung der Toten, vor allem 27 – 31. Er gibt dort auch weitere Literaturangaben; grundlegend bleibt jedoch Leisegang, H.: Denkformen, Berlin 1951. Vgl. mit direktem Bezug zu Tillich: Winkler, U.: Vom Umgang mit Denkformen in der Theologie. Ein Vergleich zwischen der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths und der Systematischen Theologie Paul Tillichs (Diss. Bonn), 1988. Ausserdem: Joest, W./Pannenberg, W. (Hrsg.): Dogma und Denkstrukturen, Göttingen 1963.Vgl. auch: Grünewald, B.: Denkform, in: LThK 21995, III 97. Zu einzelnen Typologien vgl.: Menke, K.-H.: Analogia fidei, in: LThK 2 1995, I 574 ff.; Teuwsen, R./Müller, G.L./Müller, L.: Analogie, in: LThK 2 1995, I 577 ff.; Weingartner, P./Marshall, B.: Analogie, in: RGG 41999, I 446 ff.; Beckmann, J.P.: Dialektik, in: LThK 21995, III 188 f.; Wieland, W./ Dierken, J./Korsch, D.: Dialektik, in: RGG 41999, II 806 ff.; Werbick, J.: Korrelation, in: LThK 21995, VI 387 ff.; Miege, F./Feiftel, E.: Korrelation, in: RGG 41999, IV 1701 ff.; Kodalle, K.-M.: Paradox, in: LThK 21995, VII 1367 ff.; Schütt, H.-P./Mühling-Schlapkohl, M.: Paradox, in: RGG 41999, VI 923 f. 42 Letztlich potenziert sich der hermeneutische Zirkel, denn auch derjenige, der versucht, die Denkform eines anderen zu eruieren, tut dies nur anhand und ausgehend von seiner eigenen Denkform. (vgl. Greshake: Auferstehung der Toten, 30)
C. Fassung: Die Frage nach der Denkform
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Kein Theologe baut jedoch auf eine einzige Denkform auf. Seine Denkform ist normalerweise ein Zusammenspiel verschiedener spezifischerer Denkmuster und -formen, die sich angesichts der konkreten Frage neu entscheiden.43 So stellen sich für unser Problem 3 Fragen: wie bestimmt sich die Annäherung des Menschen an Gott; wie wird die Offenbarung beschrieben; in welchem Denkformenschema lassen sich diese beiden Bewegungen zusammenführen? In anderen Worten: worin besteht die dialektisch vermittelte Schlußgestalt? Wie wird Erlösung gedacht? Wie kann man sie fassen? Unter welchen Vorzeichen wird dem Menschen in Christus die je größere Freiheit zuteil? Bei Kasper stellt sich das Schema so dar: der Mensch nähert sich Gott dank der Analogie der natürlichen Theologie; seine Gotteserfahrung ist transzendental; da er damit und dabei Gott aber konstitutiv nie einfangen kann44, bleibt die Offenbarung für die Gotteserkenntnis des Menschen notwendig, aber frei; sie ist letztlich ein Paradox. Es handelt sich deswegen für Kasper insgesamt um eine nach vorne hin freiheitlich offene 43 Material setzt Kasper jene Methodologie der Dogmatik, die er selbst entworfen hat, in seinem Werk konsequent um: die heutige Problematik wird auf dem Hintergrund der verschiedenen theologischen Ansätze geschärft, und die bereits ausgearbeiteten theologischen Entwürfe werden auf ihre Stärken und Schwächen hin befragt; danach wird das biblische Datum gehoben und seine Aussage erhoben und aufgezeigt, wie es in der Traditionsgeschichte zu dogmatischen Definitionen führte; und ausgehend von der überlieferten Tradition wird schließlich in einem spekulativen Teil das „Mysterium“ so formuliert, daß es die heutigen Ansprüche aufgreift. Tillich verwaltet das Verhältnis von Situation und Botschaft anders. Nach einem anthropologisch-phänomenologischen Angang werden die ontologischen Kategorien herausgearbeitet und diese dann fast unmittelbar mit theologischen Begriffen korreliert; Biblisches und Traditionelles kommt meistens nur am Rande im Modus der Bestätigung zu. Die Korrelationsmethode ist letztlich seinsontologisch gerahmt und geschient. 44 Vgl. Ratzinger, J.: Gratia praesupponit naturam. Erwägungen über Sinn und Grenze eines scholastischen Axioms, in: Ratzinger, J./Fries, H.: Einsicht und Glaube, Freiburg/Basel/Wien 1962, 135 – 149. Anhand der Theologien des hl.Paulus und des hl.Bonaventura kann Ratzinger nachweisen, daß die Schöpfungsordnung Mensch in keinem Menschen ganz erloschen ist, die Sünde der Ichverfallenheit sie aber wie eine „seconde nature“ (Blaise Pascal) überklebt habe. Deswegen gebe es keinen natürlichen Übergang zum Übernatürlichen; vielmehr müsse man sich verlieren, um sich zu finden (vgl. De Lubac). Vgl. auch Söhngen, G.: Analogia entis in analogia fidei, in: Antwort. Karl Barth zum siebzigsten Geburtstag am 10. Mai 1956, Zürich 1956, 266 – 271; Söhngen, G.: Analogia entis oder analogia fidei?, in: Söhngen, G.: Die Einheit in der Theologie. Gesammelte Abhandlungen, Aufsätze, Vorträge, München 1952, 235 – 247.
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
Analogik, in der universaler Sinn, der sich in der Gotteserfahrung äußert, immer wieder neu von Situation zu Situation, ja von Mensch zu Mensch formuliert werden muss. Keine Gotteserfahrung kann als endgültig und alle anderen überbietend gedeutet werden.45 Die Auseinandersetzung mit Jürgen Moltmann46 hat gezeigt, wie Kasper seine Denkform konzipiert: gegenüber einem dialektischen Denken, in dem das Gegenteil letztlich notwendig angenommen werden muß, bringt er das Differenzdenken der Analogie ins Spiel; gegenüber dem unvordenklichen Paradox der Erlösung bringt er dagegen die Identität und Univokation der Analogie zur Geltung, so daß schließlich die von Kasper zur Anwendung gebrachte Analogiefigur das theologische Verhältnis von Natur und Gnade in Differenz und Identität, unabhängiger Freiheit und gegenseitigen Aufeinanderbezogensein wiedergibt, den Übergang von Mensch zu Gott gnoseologisch aber mit Hilfe der transzendentalen Methode orchestriert, ontologisch aber das Paradox der Unableitbarkeit und des aposteriorischen Erweises Gottes stehen läßt. Damit ist aber Kaspers prinzipielle Schwierigkeit angedeutet: das phänomenologische Paradox, welches direkt von der Armut und dem Widersprüchlichen des Menschlichen ausgeht, geht nicht in eine paradoxale Denkform über. Eine akkurate Gleichgewichtung der Verhältnisse versucht Tillich in der Korrelationsmethode47 zu verwirklichen.48 Die Denkform verhält 45 Vgl. Kasper: Der Gott Jesu Christi, 109. 46 Vgl. Kasper, W.: Revolution im Gottesverständnis? Zur Situation des ökumenischen Dialogs nach Jürgen Moltmanns „Der gekreuzigte Gott“, in: ThQ 153 (1973) 8 – 12; und: Moltmann, M.: Dialektik, die umschlägt in Identität – Was ist das. Zu Befürchtungen W. Kaspers, in: Welker, M.: Diskussionen über Jürgen Moltmanns Buch „Der gekreuzigte Gott“, München 1979, 149 – 156. 47 Wir haben im Laufe der Arbeit auch Kaspers Ansatz gelegentlich als Korrelation bezeichnet. Es wäre aber unredlich, ihm die Korrelationsmethode im Tillichschen Sinn zuzuschreiben, zumal er selbst in seinem Aufsatz über das Wahrheitsverständnis der Theologie (vgl. Kasper: Das Wahrheitsverständnis der Theologie, in: Theologie und Kirche II, 28 – 50) sich Tillichs Suche nach Gewißheit anschließt und dabei feststellt, die Korrelationsmethode habe Vorzüge und Gefahren, als verabsolutierte funktionalisiere sie jedoch letztlich die Wahrheit „als Mittel menschlicher Daseins- und Kontingenzbewältigung“ (Kasper: Das Wahrheitsverständnis der Theologie (Theologie und Kirche II), 42). Theologische Wahrheit müsse geschichtlich sein, bedürfe einer christologischen Selbstvergewisserung und einer metaphysischen Hintergrunds. Kasper grenzt sich von einer verabsolutierten Korrelation zugunsten der transzendentalen Methode ab.
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sich deshalb ein wenig anders. Auch bei Tillich kann die Gottesfrage nur transzendental als Frage des Bedingten nach dem Unbedingten als der Bedingung der Möglichkeit seiner selbst gestellt werden, aber die Gotteserfahrung eröffnet sich prägnanterweise auf zwei miteinander und ineinander verschränkten Wegen: einerseits als Verwiesenheit in einen ontologischen Raum des Sein-Selbst, andererseits als Begegnung mit der Heilsoffenbarung Gottes im Christusereignis, in dem dem Menschen aber nicht Jesus von Nazareth als Mensch für den Menschen begegnet, sondern das in Jesus gegenwärtige Christus-Symbol, welches das Neue Sein manifestiert. Tillich ist ja zeitlebens ein Theologe des Kairos gewesen, der radikal und ehrlich auf jene Situationen bezogen blieb, die nach seinem Dafürhalten für das Leben eine Änderung im Sinne des Kairos darstellten, mit Altem aufräumten und Raum für den Neuanfang boten. Das zugrundeliegende christologisch zentrierte Integral wird in der „Systematischen Theologie“ gewissermaßen nachgeliefert.49 Während bei Kasper der anthropologische Gottesbeweis in die Aporie geführt wird und einen offenen Raum der Hoffnung hinterläßt, stellt Tillich das erhoffte und das tatsächlich bestehende Sein-Selbst bzw. den Grund allen Seins ineins. Seine Welt ist also im Sinne der allgemeinen Grundoffenbarung voll „katholischer Substanz“, also sakramental sprechenden Bedingten, das auf das Unbedingte hinweist.50 Bei Tillich be48 Ähnlich wie Kasper geschieht seine Profilierung vor allem in Abgrenzung zu extremen Positionen. Supranaturalismus würde das theologische Denken dominieren und ersticken, wenn die Antworten alleine aus der Offenbarung abgeleitet würden, ohne einen Bezug zu den Fragen zu haben. Naturalismus würde vorliegen, wenn die Antworten sich nur von den Fragen aus erschließen ließen und der Offenbarung nicht bedürften. Die Frage Mensch ist aber eine in sich stehende Fragestellung, welche aber dank der Überlieferung der Offenbarung eine Bedingung der Möglichkeit von Antwort erahnt und insofern formal von der Antwort aus motiviert wird. Denn nur im Gegenüberstand zu einer Antwort wird die Frage als Frage offenbar. 49 Es darf zusammenfassend noch einmal daran erinnert werden, daß Tillichs theologisches Prinzip sich im Dreischritt abstrakt-konkret-ideal entfaltet: abstrakt wird das Paradox vorausgesetzt, welches sich konkret in den unterschiedlichsten Verhältnisformeln (Gott-Welt, Religion-Geisteskultur, Theologie-Wissenschaften usw.) dialektisch einlöst und dann ideal auf eine Einheit hin überwunden werden soll. (vgl. Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 60 f.) 50 Stellvertretend für viele andere sei Christoph Rhein zitiert mit seiner Feststellung, der dialektische Charakter des Seins-Selbst sei bei Tillich ganz zentral in das ontologische Prinzip der „analogia entis“ überführt worden. (vgl. Rhein, 177) Letztere sei aber keine Methode, sondern die Form des Ausdrucks einer jeden Offenbarungserkenntnis. (vgl. Rhein, 175) Auf ontologisch-analogischem
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
kommt letztlich das zugrundeliegende ontologische Weltverständnis potentielle soteriologische Relevanz, denn ihr Begründungszusammenhang mit der Grundoffenbarung gewichtet sie terminologisch eindeutig im Sinne einer unbedingten Bedingung der Möglichkeit von Erlösung; es ist aber gleichwohl gerichtet und genichtet durch das „protestantische Prinzip“, welches gegenüber der Grundoffenbarung als selektives Kriterium für die Adäquatheit und Ausdrucksfähigkeit des Symbols sorgt, im Hinblick auf die Heilsoffenbarung in Jesus dem Christus aber auch das unvordenkliche Paradox wahrt. Nur weil Tillich eine Doppelheit von Offenbarung annimmt, bleibt Christus letztlich erstaunlich unbestimmt, aber universal relevant. Wie sieht es bei Tillich mit der Gesamtdenkform aus? Er selbst gibt sie als Korrelation aus. Wir haben sie als nach vorne offene Spirale zu erklären versucht. Ausgehend von der charakteristischen Doppelheit des Offenbarungsgeschehens ist es möglich zu deduzieren, daß in Bezug auf die Grundoffenbarung die Situation des Menschen tatsächlich mit der Botschaft eines mutmachenden Seinsgrundes in wechselseitiger Korrelation steht, während in Bezug auf die Heilsoffenbarung in Christus die Zwischenschritte bis hin zu einer personalen Vermittlung des Christusereignisses mit dem konkret lebenden Menschen so zahlreich sind, daß sie ihm letztlich paradoxal gegenübersteht. Wo Kasper sich anhand des freiheitlich-geschichtlichen Personbegriffs eine einheitliche Kategorie für die Vermittlung der Trinitätstheologie, der Christologie und ihrer Frage nach der Konstitution des Gottmenschen Jesus Christus und schließlich der Soteriologie als heilende, sinnerfüllende und erlösende personale Begegnung dieses Christus mit dem Menschen erarbeitet, erübrigen sich schwierige Zwischenetappen. Tillich hat sie dagegen aus vielerlei Rücksichten – vor allem wegen der fundamentalen Skepsis gegenüber der historischen LebenJesu-Forschung und wegen des erbitterten Abgrenzens gegenüber der Dialektischen Theologie – in sein Denken aufgenommen. Er fordert zwar am Ort der Inkarnationstheorie, daß statischere Begriffe durch „dynamische Relationsbegriffe“51 ersetzt werden und steht von der Idee her Hintergrund wird dank der Dialektik des Seins die Soteriologie paradoxal orchestriert. „Analogia entis und Rechtfertigung sind also gewissermaßen die beiden Grenzlinien, die Tillich zieht, zwischen denen die eigentliche, positive Lösung Tillichs liegt, die doch zugleich beide in einem lebendigen dialektischen Verhältnis in sich schließt.“ (Rhein, 191) 51 Tillich: ST II, 161.
C. Fassung: Die Frage nach der Denkform
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Kasper nahe, beläßt es aber letztlich bei einer ontologischen Grundausrichtung. Sicherlich sind Tillich und Kasper nicht homogen. Ohne Zweifel denkt Tillich philosophischer, lebensnaher und breiter als Kasper – auf Kosten eines sich multiplizierenden denkformalen „Sisyphusansatzes“. Von Kasper her kann sein Denken mehr Form gewinnen, während es andererseits zu einer Dynamisierung von Kaspers statischerem Reflektieren beitragen kann. Auch wenn es nicht zur behandelten Problematik gehört, soll doch kurz – wie ganz zu Beginn angekündigt – ein kleiner Seitenblick auf die ökumenische Implikation des Vergleichs von Kasper und Tillich gewährt werden. Die Konfessionalität trennt Tillich und Kasper zwar, aber sie sind keine Denker in einem konfessionsgebundenen blinden Rahmen. Im Gegenteil: auch wenn Tillich mit der Walze des protestantischen Prinzips jede Hybris des Menschen im Keim erstickt, so hat seine „katholische Substanz“ im Zusammenhang mit der Symboltheorie eine starke Neigung in Richtung der typisch katholischen Sakramentenlehre. Und folgende Zusammenfassung Kaspers würde dagegen den heutigen Kardinal nicht apriori als katholischen Christen auszeichnen: „Die Offenbarung des Geheimnisses Gottes setzt das Gesetz der Selbstrechtfertigung durch die Werke außer Kraft und proklamiert das Evangelium von der allein rechtfertigenden Gnade.“52 Das eigentliche Werk des Christen ist dagegen das aposteriorische Zeugnis der Gotteserfahrung. Zugleich zeichnet sich Kasper aber vor allem durch seine Nähe zur Katholischen Tübinger Schule aus, die für die Kirchlichkeit der Theologie steht und das Prinzip der Tradition zum entscheidenden hermeneutischen Schlüssel des Aggiornamento der Soteriologie erhebt, da sie überlieferte „Antwort ist auf eine bleibende Frage, die Frage, die sich der Mensch selber ist“53. Es erhärtet sich der Eindruck, daß beide Denker prinzipiell jener Denkform verpflichtet bleiben, die in einer typologischen Zuordnung ihre jeweilige Konfession am entsprechendsten umschreibt – für den Lutheraner Tillich das Paradox, für den Katholiken Kasper die Analogie –, daß aber beide die denkerische Weite besitzen, die jeweils andere Denkform konstruktiv und kritisch mit zu integrieren. Leo Scheffczyk hat sich dabei aus katholischer Sicht jener Frage gewidmet, die in diesem Zusammenhang am spannendsten ist: ob es Paul 52 Kasper: Der Gott Jesu Christi, 167. 53 Kasper: Der Gott Jesu Christi, 25.
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
Tillich gelingen kann, dank seiner Terminologie von „protestantischem Prinzip“ und „katholischer Substanz“54 den Gegensatz zu überwinden.55 Der Katholizismus steht dabei typologisch für das „Einswerden“ der Gnade mit den Seinsgestalten, d. h. für den sakramental-priesterlichen Religionstypus, der Protestantismus dagegen für das „Bedeuten“ der Gnade an den Seinsgestalten oder den prophetisch-eschatologischen Religionstypus.56 Im Sinne dialektischer Verschränkung komme es trotz der wesentlichen Grunddifferenz möglicherweise zu einer inneren dynamisch-ontologischen Verbindung. Tillich verlangt ja nach einem „nachprotestantischen“ bzw. „evangelischen Katholizismus“57. Scheffczyk muß jedoch die starke dialektische Negation des Katholischen in Bezug auf Dogma, Sakramente und Kirche konstatieren. Diese könne zugleich aufgrund des Gesetzes der Dialektik keine totale sein. Das zeige sich zuerst daran, daß Tillich anhand des protestantischen Prinzips auch den Protestantismus deutlicher Kritik unterzieht; der Unterschied bestehe jedoch darin, daß die Kritik beider Typologien vom Boden des Reformatorischen aus erfolgt. Deshalb handelt es sich für Scheffczyk um eine dialektische Negation des Katholischen und eine dialektische Positivitt des Protestantischen. Sodann könne die Negation keine totale sein, da das prophetisch-protestantische Prinzip auch anerkennend das Positive und Notwendige hebt und erhebt – auch am Katholischen. Von daher kann nicht nur Tillich behaupten, daß das evangelische Prinzip Ursache katholischer Wirklichkeit bleibt und letztere umgekehrt die Voraussetzung des ersteren sei58, sondern Scheffczyk kann abschließend nach einer möglichen Synthese oder Zuordnung fragen. Die Möglichkeit eines Einheitsmodells, so Scheffczyk, überrasche jedoch 54 Vgl. Tillich: GW VIII, 21. 55 Scheffczyk, L.: Das Wesen des katholisch-protestantischen Gegensatzes und der Versuch seiner Überwindung in der Theologie Paul Tillichs, in: Forum katholische Theologie 16 (2000) 241 – 259. Auch Schmitz hat sich dieser Frage – übrigens 1966 bereits sehr früh – gewidmet und sieht in den philosophischen Voraussetzungen, in der Gotteserkenntnis sowie im Offenbarungs- und Glaubensverständnis positive Ansätze für ein Gespräch zwischen Tillich und der katholischen Theologie. (vgl. Schmitz, J., 262 – 269) Schüßler und Sturm besprechen diese Fragestellung unter Verweis auf interessante Literatur in: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 143 ff. Außerdem bieten sie auch einen neueren Überblick über die Rezeption Tillichs in der katholischen Theologie. (vgl. Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 247 ff.) 56 Vgl. Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 136.141. 57 Tillich: GW VII, 152.157. 58 Vgl. Tillich: GW VIII, 86 f.
C. Fassung: Die Frage nach der Denkform
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angesichts der deutlichen vorauslaufenden Tillichschen Kritik. Das protestantische Prinzip bedarf katholischer Substanz als „konkreter Verkörperung des göttlichen Geistes“59 ; damit das Katholische jedoch weder magisch noch dämonisch wird, braucht es die protestantischprophetische Kritik. Schließlich stellt Scheffczyk fest, daß beide Prinzipien füreinander als ständige gegenseitige Korrekturen fungieren, die Gegensätze jedoch vollauf in Geltung bleiben und die Dialektik von Ja und Nein nicht in eine höhere Synthese aufgehoben wird.60 Die Begegnung von Tillich und Kasper kann demnach vor allem für eine je besondere Schärfung des eigenen Profils in Anerkennung der Legitimität des entgegengesetzten Typus’ fruchtbar gemacht werden, letztlich jedoch kaum für einen ökumenischen Fortschritt im Sinne einer Einheit. „Was hier als Vorschlag aufscheint, ist ein Wechselverhältnis gegenseitiger Korrekturen, das den Fortbestand des konfessionellen Programms förmlich zur Voraussetzung hat.“61 59 Tillich: ST III, 281. 60 Vgl. Scheffczyk: Katholisch-protestantischer Gegensatz, 257 f. 61 Scheffczyk: Katholisch-protestantischer Gegensatz, 259. Scheffczyk zieht abschließend in realistischer Weise eine Parallele von Tillichs Vorschlag zum tatsächlichen Verlauf des offiziellen ökumenischen Dialogs und sieht erstens den Gegensatz von Komplementarität aufgrund bleibender konfessioneller Distanz einerseits und dem erfolgsorientierten Denken und Anspruch an die Ökumene andererseits, zweitens die Tendenz zu einer versöhnten Verschiedenheit anstelle einer Einheit und drittens – wie bei Tillich – die Dominanz des protestantischen Prinzips, da z. B. eine gemeinsame Kommunion besonders die Katholiken, nicht aber die Protestanten zu Abstrichen an ihrem Wesen zwingen würde. Diese Fragen wären an Walter Kasper in seiner heutigen Tätigkeit als Kurienkardinal an der Spitze des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen weiterzuleiten. Im Interviewband mit Daniel Deckers geht er auf die ökumenischen Herausforderungen ein (vgl. Kaspers Äusserungen im Kapitel „Wider einen neuen Konfessionalismus – Die Kirchen der Reformation“ in: Kasper/Deckers: Wo das Herz des Glaubens schlägt, 231 – 264) und bezieht sich direkt auf das von Scheffczyk angeschnittene Eucharistie-Problem: „Die Eucharistie ist ein Sakrament des Glaubens – nicht des individuellen, sondern des gemeinsamen Glaubens der Kirche. Eine allgemeine unterschiedslose Einladung zur Kommunion ist darum nicht möglich, und wo sie ausgesprochen wird, ist sie nicht zu verantworten.“ (Kasper/Deckers: Wo das Herz des Glaubens schlägt, 241) Sehr vorsichtig gibt er aber durch Negationen hindurch zu erkennen, daß er als Bischof nie eine pastorale Praxis tadeln konnte, die in Einzelsituationen, wo evangelische Christen das katholische Eucharistieverständnis teilten, den Zugang zur Kommunion nicht verweigerte. (vgl. Kasper/Deckers: Wo das Herz des Glaubens schlägt, 241) Hier bleibt aber gegenüber einer undifferenzierten eucharistischen Gastfreundschaft das katholische Selbstverständnis bestimmend.
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
D. Einlösung: Seelsorglich-pastorale Reflexionen An diesem Punkt ist eine kontrapunktische Blickwende angebracht. Wenn es stimmt, daß die abstrakt vermittelte Beziehung von Situation und Botschaft und ihre konkrete Bestimmung als Verhältnis von Christus und Mensch nicht auf eine rein materialtheologische Problematik reduzierbar sind, sondern im Sinne des Ineinandergreifens von Biographie und Dogmatik auch den Autor selbst umfassen und bedingen, seien eine persönliche Reflexion auf dem Hintergrund konkreter pastoraler Erfahrungen in der territorialen und kategorialen Seelsorge sowie der damit verbundene Stilbruch und die gelegentliche Verwendung der „IchForm“ in den folgenden Zeilen erlaubt. In diesem Abschnitt soll nach ein paar einleitenden Bemerkungen, in denen die in der Dissertation erarbeiteten Themen und Kategorien gesammelt werden, über exemplarisch ausgewählte seelsorglich-pastorale Problemstellungen nachgedacht werden, in denen das Thema von Situation und Botschaft heutig fokussierbar wird. Abschließend soll das Schlußkapitel der Dissertation im Sinne einer Reprise die sich ergebenden Anfragen als Desiderat an die beiden Autoren weiterreichen. Die biographisch-persönliche „Er-Fahrung“ des Themas wird nicht alleine durch 5 Jahre intensiven pastoralen Dienstes in der Erzdiözese Luxemburg abgedeckt, sondern auch durch den damit verbundenen chronologischen Bruch im Hinblick auf das Arbeiten an der Dissertation. Diese zeitliche Diastase wurde zwar in allererster Hinsicht erlitten – auch als Suche nach dem Weg der eigenen Aufnahme der Botschaft und nach ihrer verbesserten Vermittlung an andere –, ergibt aber im Hinblick auf die vorauslaufenden dogmatischen Überlegungen eine Chance der konkreten Verifizierung. Beides führt zu der folgenden Reflexion über eine persönliche Kirchenerfahrung.
1. Das Glaubenswagnis Zum christlichen Glauben und der denkerischen Durchdringung seines Selbstverständnisses gehört das Bekenntnis, daß uns in Jesus Christus jene schlechthinnige Wahrheit geschenkt ist, die für alle Menschen und alle Zeiten eine universale Relevanz hat. Kasper und Tillich unterstreichen mit pneumatologischen und ontologischen Unterbauten eindrucksvoll
D. Einlösung: Seelsorglich-pastorale Reflexionen
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die Einzigartigkeit und Universalität der Bedeutung Christi. In Christus ist unsere Welt letztgültig und eschatologisch einlösbar errettet. Diese Verheißung und der damit verbundene Anspruch sind groß. Was aber bedeuten sie heute? Wie ist diese Wahrheit be- und ergreifbar darzustellen? Wie kann die Botschaft ganz konkret in die jetzige Situation hineingesprochen werden? Wie kann in Christus ein Symbol für die Erlösungssehnsucht des Menschen aufleuchten? Und wird dieses Erwarten von Heil überhaupt noch wahrgenommen? Es ist in der heutigen theologischen Forschung ein vorrangiges Anliegen, die Frage nach dem Heil Jesu Christi für den Menschen neu aufzugreifen und zu vertiefen. Der äußere Grund dafür liegt auf der Hand: der christliche Glaube wird in der modernen westlichen Gesellschaftsstruktur aufgrund eines ungeordneten weltanschaulichen Pluralismus und der anthropologischen Wende hin zu einer autodidaktischen Glücks- und Zufriedensheitskonstruktion weithin als bedeutungslos empfunden und leuchtet vor allem den jüngeren Generationen nicht mehr ein. Die Ausgangslage ist teilweise dramatisch. Tillich hatte in seiner Marburger-Dresdner Vorlesung behauptet, alles sei Angriff, und Kasper charakterisiert in seiner „Einführung in den Glauben“ die ganze Geschichte als Kampf zwischen Glauben und Unglauben. Glaube ist Wagnis. Genauso ist aber die Verkündigung der Botschaft zum Wagnis geworden. Das Wagnis liegt auf beiden Seiten: auf der Seite der Adressaten und auf der Seite der Verkündiger. Gerade die von den beiden Autoren gebrauchten Kategorien von Armut, Widersprüchlichkeit, Zweideutigkeit und die Spannung von Essenz und Existenz verdeutlichen die heutige pastoraltheologische Phänomenologie und bringen den Wagnischarakter des Glaubens zum Ausdruck. Wie könnte der heutige Mensch umschrieben werden? Zum einen besteht nach meiner Erfahrung in der menschlichen Existenz eine Ambivalenz von erlittener Verunsicherung über den Sinn und der gleichzeitigen disparaten Unendlichkeit von Ablenkungs- und Befriedigungsmöglichkeiten, welche aber meistens von sich aus die einheitliche Kultivierung der eigenen Existenz ausschließen. Die Fülle an partikulären Sinnangeboten ist in der öffentlichen Wahrnehmung weitaus stärker als die vorauslaufende Identitäts- und Sinnfrage.62 Zum anderen besteht von daher gegenüber der christlichen Botschaft und ihrer Fülle an 62 Oft reduziert sich die profundere Identitäts- und Sinnkrise auf psychotherapeutische Zusammenhänge. Vgl. dazu Lütz, M.: Der blockierte Riese – PsychoAnalyse der katholischen Kirche, Augsburg 1999.
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
Aussagekraft eine ambivalente Spannung entweder von spiritueller Sehnsucht und kirchlicher Skepsis oder von individuellem Freiheitsbedürfnis und okkasioneller Inanspruchnahme der kirchlichen Dienstleistung als spirituelle Interpretation von Lebenswenden in dosierter Form. Dem heutigen Menschen ist durch die inflationäre Konfrontation mit seinem eigenen Innenleben die in der Kulturgeschichte noch nie in diesem Maße dagewesene Möglichkeit der Selbsterschließung und die damit gegebene Verheißung der persönlichen Glücksentfaltung gegeben, doch zugleich scheitert dieser Versuch an der eigenen begrenzten Endlichkeit und der Unfähigkeit, diese versöhnend anzunehmen. Kasper und Tillich haben sehr richtig bemerkt, daß diese Zweideutigkeit aporetisch ist. Haben wir es denn überhaupt noch mit dem nach Gewißheit verlangenden oder vom Atheismus geplagten Menschen zu tun? Sicherlich auch – vor allem wenn man den inneren latenten Atheismus der eigenen Seele mit in Rechnung stellt –, und doch tritt uns heute immer mehrheitlicher ein in unzähligen interkommunikativ-medialen Fremdvollzügen verstrickter scheinbar allmächtiger und allgegenwärtiger Regisseur entgegen, dessen endliche Existenz zum Schaltzentrum scheinbar unendlicher Brückenfunktionen geworden ist und dem vor allem eines fehlt: er/sie selbst. Identität verflüssigt sich in ständig erreichbarer und abrufbarer Relevanz. Ist diesem postmodernen westlichen Menschen Christus kommunizierbar? Kann die Relation zu Gott in sein Beziehungsgefüge mit eingeflochten werden? So daß die Göttlichkeit dieses besonderen Gesprächspartners nicht im Meer der Gespräche untergeht und er möglicherweise vor allem aus der Stille heraus sprechen kann? Ohne in psychologische Detailforschung eindringen zu wollen – obwohl das Thema von „Situation und Botschaft“ von sich aus eigentlich an eine psychologische Reflexion appelliert –, stellt sich die Frage nach dem „Ankommen“ der Botschaft beim einzelnen Menschen. Dogmatische Deszendenzchristologie verlangt nach einer pastoraltheologischen und feinpsychologischen Fruchtbarmachung der Erkenntnisse. Vieles wäre zu diesem Wagnis zu sagen; hier seien ein paar Andeutungen erlaubt.
D. Einlösung: Seelsorglich-pastorale Reflexionen
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2. Die Frage nach der Übersetzbarkeit der Botschaft Die ehrliche Sehnsucht des Menschen und seine gleichzeitige Unfähigkeit zur Identifikation mit (kirchlichen) Fremdangeboten – wie kann beides ernstgenommen werden? Von welchem Mut darf sich der postmoderne Mensch in Bezug auf den christlichen Glauben ergreifen lassen? Wie wird die Möglichkeit größerer Freiheit erfahrbar? Und welches Wagnis vonseiten der „Vertreter“ des Glaubens ist umgekehrt vonnöten, um diesen vielen möglichen Vermittlungen zu Gott hin durch die soteriologische Gestalt Christi eine Form zu geben? Selbstverständlich sind die innerkirchlichen Bemühungen auf vielen verschiedenen Ebenen anzusetzen – sie betreffen Fragen, die vom richtigen Einsetzen der Medien bis hin zu einer neuentwickelten Pastoralstruktur und ihren Chancen reichen –, aber eine besondere Priorität behält das theologische Niveau und in diesem Zusammenhang eine systematisch-dogmatische Überlegung, die grundsätzlich auch allen Ideen der praktischen Theologie vorausgehen muß. Diese Arbeit soll wenigstens darauf hingewiesen haben, daß es einerseits für eine tragfähige Pastoral mit Hilfe des Binoms SituationBotschaft eines grundlegenden dogmatischen Gedankens zur „Neuevangelisierung“ bedarf, daß aber andererseits letzterer sich eben nicht in sich selbst erschöpft, sondern nach praktischem Vollzug im Leben verlangt. In diesem Spannungsgefüge wird die Aufgabe der Kirche neu fraglich: für jeden zuständig zu sein und doch nur wenigen das wahrhaft Christliche vermitteln zu können – so liest sich die pastoral sehr konkret erfahrbare Variante des besonders von Kasper formulierten ekklesiologischen Identität-Relevanz-Problems. Kasper, der viel auf eine humorvolle Selbstrelativierung setzt, weil er legitimerweise die Alleinzuständigkeit für das Universale an Gott delegiert und der Kirche diese Last abnimmt, würde sicherlich kirchliche Kompetenz von allem Druck befreien wollen. Und Tillich, der seiner Theologie zwar im Band III der „Systematischen Theologie“ eine starke ekklesiologische Note verleiht, denkt nirgends im Dienste von offiziellen Strukturen und Institutionen – ihnen haftet die große Gefahr des umschlagenden, dämonischen Besitzergreifens des Unbedingten an – und formuliert das entscheidende Kriterium im Hinblick nicht auf die Kirche, sondern auf den Menschen: entscheidend ist, daß die Möglichkeit der Erfahrung des Unbedingten gegeben ist.
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
Unbemerkt und doch schnell sind wir vorgedrungen in die Tiefenbohrungen pastoraltheologischer Phänomenologie. Denn gerade diese Fragen vertreten die Stelle mannigfaltiger, ja schier unendlicher Begehungen des Relevanzproblems. Die Diözesen und anderen Träger der christlichen Botschaft erschöpfen sich in immer neuen Anläufen, wie denn die Botschaft „an den Mann und die Frau zu bringen“ sei. Dabei bemerken oft die einzelnen erst, daß die Fragestellung eklatant verkürzt wäre, würde sie nur „nach außen“ getragen; vielmehr stellen wir in uns selbst die schleichende Unfähigkeit fest, unser Leben evangelisieren zu lassen. Wie kommt also das Christliche ins Herz? Eine Fülle von Pastoralplänen – und zugleich doch auch die Ratlosigkeit gegenüber der Formulierung eines solchen oder gegenüber seiner wahren Effektivität – geben der Grundfrage Gestalt: wie formt sich eine christliche Seele? Ist die Wahrheit universal vermittelbar und pastoral fruchtbar zu machen? Erlaubt die Ambivalenz der menschlichen Situation überhaupt eine paßgenaue pastoraltheologische Formulierung der Botschaft und eine Meßbarkeit des kirchlichen „Erfolgs“? Bis wohin ist die Kirche zuständig für das „Seelenheil“ des Menschen, und ab wann muß sie im Vertrauen auf Gottes weiterführende Wirkung den Stab an die Freiheit des Menschen weiterreichen?
3. Die Evidenz gelebter Wahrheit Die Kirche ist für die Menschen da und nicht die Menschen für die Kirche. Und falls sie für die Menschen da ist, dann in einem ersten Schritt für diejenigen, deren Situation sie direkt angeht, und erst allerfrühestens in einem zweiten Schritt für die Menschheit. In ihren drei sie selbst konstituierenden Vollzügen der Liturgie, Diakonie und Martyrie liegt eine ursprüngliche Überzeugungskraft der gefeierten, gelebten und bezeugten Wahrheit.63 Dies ist trotz des „Nullpunkts“64 der Pastoral nicht zu 63 Vgl. Lütz: Der blockierte Riese, 127 – 174. 64 Hierbei handelt es sich um einen vom Basler Bischof Kurt Koch 1999 in einem kirchlichen Interview über den Zustand des Bistums geprägten Ausdruck, damals freilich auf die staatskirchenrechtlichen Strukturen, die Notwendigkeit der Verringerung der Anzahl von Regionen und der gleichzeitig verlangten Trennung von Kirche und Staat in gewissen Kantonen bezogen; die Rede vom „Nullpunkt“ betrifft nun aber meistens das pastorale Anliegen.
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übersehen. Aber die Zahl derer, die davon erreicht werden und sich erreichen lassen, ist gering geworden. Dazu eine erste Bemerkung: Der „Nullpunkt“ beschreibt sich nur im Verhältnis zu einer „Vollgestalt“. Der Nullpunkt betrifft nicht die pastorale Tätigkeit der Kirche, sondern ihre vorgelagerte Identität als Volkskirche. Solange jene älteren Generationen, die ihre christliche Identität dem Wirken der Volkskirche verdanken, noch tatkräftig – und oft exklusiv – das Kirchenbild in den westlichen Kulturen durch ihre Gegenwart, ihr treues Gebet und ihre bewundernswerte Beständigkeit prägen, ist die Rede vom „Nullpunkt“ schwierig, im Hinblick auf die Zukunft jedoch mutig und konsequent. Die Volkskirche wird am Nullpunkt angelangen. Zweitens muß eine grundlegende Frage gestellt werden: wie erreicht Wahrheit den Menschen? Wann erscheint sie als glaubwürdig? Mit welchen Bedingungen muß der Verkünder der Botschaft also rechnen, um letztere authentisch und adäquat zu vermitteln und der Grundsituation gerecht zu werden? Oder anders gefragt: wie kann Christus im Leben eines Menschen aufleuchten, wie findet die menschliche Wahrheitssehnsucht Fassung in Christus? Sicherlich ist der Akt des Empfangs der Wahrheit – also des Überzeugtseins – kulturell und epochal unterschiedlich. Formuliert er sich heutzutage vor allem emotional? So daß nur das, was mich in den Gefühlen überzeugt, wahrlich glaubwürdig ist? Oder welche menschlichen Mechanismen sind notwendig, um die christliche Wahrheit in die Lebensgestaltung und Lebensordnung einzulassen? Muß sie vor allem logisch formuliert sein? Muß sie existentiell relevant erscheinen? Also so, daß sie mir – wie Tillich betont – Gewißheit und Mut schenkt und mich über die Angst vor Tod und Leben erhebt? Oder so – wie Kasper eher argumentieren würde –, daß sie meine Freiheit freisetzt und mir den Eindruck verleiht, die je größere Freiheit gefunden zu haben? Eine Freiheit, die ich dann aber zu welcher Entscheidung nutze? Nicht umsonst „boomt“ auf dem medialen Marktplatz jener Ansatz, der in Büchern, Talkshows, Diskussionsforen u. a. den Glauben vor allem als Lebenshilfe versteht. Ohne dabei egozentrischen spirituellen WellnessAktivismus vermuten zu müssen, ist damit doch eine sehr wesentliche Optik unterstrichen: Theologie kann – auch in ihrer populärspirituellen Fassung – nur als soteriologische, als erlösende entgegengenommen werden. Rein wissenschaftliches Interesse am Glauben beschränkt sich zumeist auf kompetente Zirkel, wird aber nicht mehr – wie zur Zeit der frühen Konzilien – auf den Märkten kolportiert.
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
Es scheint in unserem postmodernen Wendekreis eine Bevorzugung der gelebten – diakonischen – Wahrheit zu geben, eine Vorordnung der „Orthopraxie“ vor der „Orthodoxie“; die große Solidarität bei sozialen Projekten – vor allem auch vonseiten der Jugendlichen – ist sprichwörtlich. Ich kann in Bezug auf die Entwicklung des Christlichen in meinem Leben vor allem auf einen emotional geprägten Anfang zurückblicken, der aber angesichts der – übrigens von Tillich und Kasper in hervorragender Weise ernstgenommenen – Zweideutigkeiten des Lebens nicht zum ultimativen Garanten christlichen Prägung werden konnte; vor allem wurde öfters auf der Schiene dieses emotional-freudigen Erlebnisses von Glauben versucht, auf eine fast supranaturalistische Weise alle Fragen des Lebens gegenüber der Wahrheit des einzigen Gottes zu relativieren oder gar zu ersticken. Doch gerade in der pastoralen Verantwortung wurde mir klar, daß sowohl die Menschen als auch ich selbst christliche Authentizität vor allem dort vermuten, wo sie gelebt wird; wo nicht nur nach dem Willen Gottes gefragt, sondern wo – fast nach biblischem Vorbild – die Wahrheit getan wird, natürlich immer mit dem Vorbehalt möglicher Fehler. Gelebte Wahrheit hat einen anderen Geschmack als behauptete. Die Erfahrung in der Jugendpastoral haben mir vor allem gezeigt, daß die Jugendlichen sich von einer Kirche abwenden, die einen theoretischen Wahrheitsanspruch erhebt, doch im Bereich der Praxis und des Gelebten – und für junge Leute steht in entwicklungspsychologischer Hinsicht die Entfaltung ihrer Identität in Abgrenzung zu Früherem und in Entdeckung von Eigenem im Vordergrund – sich nach ihrem Dafürhalten an der Freiheit des einzelnen vergreift, vor allem im Bereich der Sexualmoral. Ohne dieses Thema vertiefen zu wollen und ohne den Primat der Praxis und die damit verbundene sozial-wirksame Relevanz ideologisch zum alleingültigen Wahrheitskriterium erheben zu wollen, muß doch das für uns phänomenologisch Wichtige erhoben werden: wie kann eine Wahrheit glaubwürdig und interessant sein, wenn sie Freiheit nicht ernstnimmt und dem Menschen eine eigene Verantwortung zutraut, anstelle das Intimste bis ins kolportierte Detail hinein regeln zu wollen?
4. Die schwierige Suche nach dem Gleichgewicht In Bezug auf die Berufungspastoral, deren diözesane Dienststelle ich während fünf Jahren als verantwortlicher Seelsorger des Kompetenzteams vertreten habe, wurde nicht nur deutlich, daß sie unter den ak-
D. Einlösung: Seelsorglich-pastorale Reflexionen
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tuellen Umständen zwischen den beiden Stühlen der Jugendpastoral und der konkreten Angebote – Priesterseminar, Kloster, kirchlicher Beruf – steht, sondern daß sie vor allem das Berufungs-Thema realpräsentisch darstellt, welches in der Verhältnisbestimmung der Freiheit des Menschen zur Freiheit Gottes besteht. Ich habe mich dabei immer gegen eine einseitige Eindeutigkeit zugunsten von Gottes Willen ausgesprochen. Wenn der Mensch nicht will, wird auch das ergreifendste Bibelzitat ihn nicht umstimmen. Wie kann ein Mensch in voller Freiheit „Ja“ sagen, so daß Gott weder ein wiederum supranaturalistischer Einfall in meine Freiheit noch das totale Desinteresse am menschlichen Weg unterstellt werden muß? Besonders prägnant ist dabei der Titel eines Aufsatzes und Sammelbandes von Johannes Bours: „Der Mensch wird des Weges geführt, den er wählt.“65 Wie Bours zu erklären vermag, handelt es sich dabei nicht um das andere Extrem der Gängelung Gottes und seiner Inanspruchnahme und des Mißbrauchs seines Namens für alle möglichen Zwecke, wie es vor allem in politisch motivierten fundamentalistischen Kreisen vorkommt. Die Wahrheit in Freiheit leben – wie geht das? Die Gegenfrage zum Ansatz von Johannes Bours ist schnell gestellt: kann die Kirche so „überleben“? Ergeben sich bei soviel Freiheit die zahlenmäßig notwendigen und qualitativ tragfähigen Berufungen? Muß in der Beziehung zwischen Gott und Mensch nicht auch die Kirche als eigenständige Größe berücksichtigt werden? Sicherlich fällt das Pendel in der konkreten Auswirkung immer in eine der beiden Richtungen aus: Freiheit des einzelnen oder Gemeinschaftsdynamik sich identifizierender Kirche. Perfektes Gleichgewicht gibt es nicht. Es wäre lebensferne Ideologie. Aber letztlich ist die Kirche weder im Kleinen noch im Großen in erster Hinsicht um Eigenerhalt bemüht, sondern versteht sich selbstrelativierend als „Sakrament, das heißt (als) Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott sowie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1).66 65 Bours, J.: Der Mensch wird des Weges geführt, den er wählt. Geistliches Lesebuch, Freiburg/Basel/Wien 1986. 66 Wo zum Beispiel Berufungen oder Glaubensdurst in konservativ geprägten Milieus entstehen, stellen sich öfters zu Beginn wegen der starken kirchlichen Rückbindung weniger Fragen; später dann aber schon eher, außer man bleibt demselben Milieu ein Leben lang verhaftet. Dies ist aber heutzutage bei der Partikularisierung besonders gefärbter Gruppierungen meist nur in einer skeptisch-defensiven Haltung gegenüber der „Welt“ und oft auch nur in bewußt manifestierter innerkirchlicher Abgrenzung zu Andersdenkenden und –han-
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
Die christliche Identität in Freiheit so leben zu können, daß die Sorge um die Kirche von der Sorge um den einzelnen Menschen übertroffen wird und dieser Mensch in seiner Eigenheit wahrgenommen wird, das wäre wahrhaft „kirchlich“. Kirche, die ihren Glauben so lebt, daß er als Einladung und Geschenk – im Sinne des Leitmotivs der französischen Bischöfe „proposer la foi dans la société actuelle“ von 1996 – erkennbar ist, und ihn den Menschen hinhält wie einen warmen Wintermantel, in den man hineinschlüpfen kann – das wäre befreiend. Eine Kirche, die ihre eigene Relevanz nicht an einer territorial organisierten Allgegenwärtigkeit und damit auch Allgebräuchlichkeit mißt und sich nicht vor jeden als volkskirchlich getarnten humanistischen Wagen spannen läßt, sondern das Humane des Menschen hebt, es anschaut und es nicht mit liturgischen Formen überfrachtet, sondern Christus in einer „Pastoral der Menschlichkeit“ in aller Demut anbietet – das wäre hilfreich. Freiheit zu respektieren und ernstzunehmen, aber auch die eigene Freiheit zu wahren – das wäre vielleicht eine Grundformel seelsorglich-pastoraler Gleichgewichtung, die sowohl der Botschaft als auch der Situation gerechtwerden könnte. Eine eigene persönliche Erfahrung, die dieses Anliegen intensiv und eklatant unterstreicht, ist die Begräbnispastoral. Es gehört in Luxemburg – wie wohl anderweitig auch – zur althergebrachten Tradition, nach dem Begräbnisritus auf dem Friedhof dem oder der Verstorbenen „noch eine schöne Messe zu halten“. Dahinter verbirgt sich im Normalfall – es gibt sehr beredte Ausnahmen! – ein sehr ernst zu nehmendes humanes Bedürfnis nach einem erhebenden Abschiedsritual, aber – so meine Erfahrung – nur sehr selten die christliche Hoffnung auf die Auferstehung. In konsequenten Worten: die Feier der Eucharistie ist selten die angemessene Form, ganz abgesehen davon, daß sie in meinem Fall oft mit wenigen, nicht partizipierenden Familienmitgliedern in einer 300 – 400 delnden möglich und von daher einer weitläufigeren Pastoral wenig zuträglich. Es scheint kaum ein Modell für die Zukunft zu sein, wenn die Kirche trotz eines Abschieds vom volkskirchlichen Anspruch ihrem Glaubensartikel der Einheit verpflichtet bleibt. Umgekehrt muß auch die Kritik wahrgenommen werden, daß in progressiven, liberaleren Milieus weniger direkt kirchlich-institutionell relevante Berufungen „entstehen“ oder „wachsen“, und auch diese Tendenz ist nicht von der Hand zu weisen. Wer aus einem besonderen Milieu heraus Gottes Ruf vernommen hat, muß in einem zweiten Schritt bereit sein, die Bedeutung des Milieus im Hinblick auf die Bedeutung der Gottesbegegnung intelligent zu relativieren, um so in einem dritten Schritt Offenheit auch für andere Milieus zu pflegen.
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Menschen fassenden neogotischen Halbkathedrale gefeiert wurde. Was also tun, um das ursprüngliche Vertrauen gegenüber dem Christlichen nicht zu enttäuschen und sich als um die kirchliche Relevanz Bemühte doch nicht in der Endlosschleife von pastoralen Enttäuschungen fangen zu lassen? Um Freiheit zu respektieren und Freiheit zu wahren? Dem kontingenten Zusammenhang unseres Lebens sind selten allesumfassende zufriedenstellende Lösungen beschieden. Von daher gliedert sich der Vorschlag in zwei Schritte: zum einen als Auffanggestus der humanen Traurigkeit und Hoffnung ein würdiger Abschiedsritus auf dem Friedhof mit Stille, Symbolgestalten, Würdigung des Verstorbenen und Gebet; nach katholischem Selbstverständnis wäre dies eine Aufgabe, in der die engagierten Laien die oft vermißte Gelegenheit zu Einfühlsamkeit und Begleitung wahrnehmen könnten; und zum anderen als Gestus der geteilten Hoffnung auf die Auferstehung Christi die Eucharistiefeier im Anliegen aller während einer selben Woche Verstorbenen und ihrer Angehörigen, am besten in zeitlicher Proximität zum Sonntag, dem Tag der Feier des Todes und der Auferstehung Christi – beispielsweise am späten Samstagvormittag.
5. Hilfreiche Unterscheidungen Wie die Wahrheit des Glaubens in Freiheit leben? Und wie dabei der Situation und den je nach Situation immer wieder unterschiedlich geprägten und orientierten Menschen gerechtwerden? 67 Wie die neue Geschichtlichkeit und die jede Existenz umspannende Evolution der Wahrheit pastoral berücksichtigen? Persönlich hat mir eine Unterscheidung geholfen, die wir bei der Gründung der Jugendkirche68 Luxemburg „Pimp my church“69 ange-
67 Kasper greift in seinen pastoraltheologischen Überlegungen die Methode des Zweiten Vatikanums auf, von Christus her den Menschen zu betrachten, denn in Christus erschließt sich die wahre Berufung eines jeden Menschen (GS 22). Das bedeutet aber auch, daß jeder Mensch „in seiner menschlichen Größe und in seinem menschlichen Elend“ ernstgenommen werden muß und die Kirche niemandem den Glauben überstülpen kann und darf. (Kasper: Hinführen zum Glauben – warum und wie?, 101) 68 Zwei Bücher reflektieren dieses neue jugendpastorale und übrigens ökumenische Phänomen in seiner Entwicklung: Hobelsberger, H./Stams, E./Heck, O./ Wolharn, B. (Hrsg.): Experiment Jugendkirche. Event und Spiritualität, Kevelaer
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
wandt haben. Sie stammt aus einer explorativen Studie zur kirchlichen Jugendarbeit in der Diözese Rottenburg-Stuttgart70und differenziert die Jugendlichen je nach ihrem Interesse gegenüber der Kirche als „Spirits“ ( jene mit einem entschieden spirituellen Interesse), „Humans“ (die Jugendlichen auf der Suche nach menschlichen Werten, Geborgenheit und Wärme) und „Funs“ ( jene, die wegen des Spaßes, z. B. des Kickerspielens, kommen). Alle drei Dimensionen sind legitim. Im Zusammenhang des Starts der Jugendkirche haben wir eine soziologische Studie zum Verhalten der Jugendlichen gegenüber den Freizeitangeboten der Stadt Esch-sur-Alzette (im Süden Luxemburgs, 30.000 Einwohner) in Händen gehalten, und ich habe in meinen Schulklassen des Sekundärunterrichts nach den persönlichen Erwartungen der Schüler gegenüber von Kirche geforscht. Außerdem lagen uns zwei spezifische Studien zur Luxemburger Situation71 und viele Veröffentlichungen zur neueren Jugendpastoral72 vor. Sie bestätigten den Wert der oben getroffenen Unterscheidung, da letztere hilft, dem Jugendlichen (und analog dazu dem Menschen im allgemeinen) jenes Angebot zu unterbreiten, das ihm zusagt, ohne ihm Befremdliches überzustülpen.73 Wird nicht in diesem Respekt vor der Freiheit christlicher Glaubensund Lebensvollzug nach alter Pfadfindermanier authentischer? Kann
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2003; Freitag, M./Scharnberg, C. (Hrsg.): Innovation Jugendkirche. Konzepte und Know-how, Hannover/Kevelaer 2006. Vgl. www.pimpmychurch.lu Ebertz, M.N./Fischer, M. (Hrsg.): Spontan – spirituell – sozial. Eine explorative Studie zur kirchlichen Jugendarbeit in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Ostfildern 2006. Gindt, J.-L.: Die Dienste der Kirche in Luxemburg an den Jugendlichen. Situationsanalyse der Beziehungen zwischen Jugendlichen und Kirche unter Mgr.Jean Hengen und pastoraltheologischer Versuch eines Konzeptes für die kirchliche Arbeit unter Jugendlichen, Luxemburg 1991 (kann unter www.religionslehrer.lu bei „Dokumente“ heruntergeladen werden); Droste, S.M.: Grundlagen einer empirischen Erfassung religiöser und spiritueller Grundhaltungen Jugendlicher in Luxemburg, Luxemburg 2006 (hier wird auf S.114 f. auch die Jugendkirche „Pimp my church“ analysiert). Vgl. vor allem Hörnig, P.C.: Jugendpastoral heute. Aufgaben und Chancen, Kevelaer/Düsseldorf 2004. Einen „Fun“ wird man nicht direkt für die Fürbitten der Jugendmesse einspannen, sondern höchstens bei einem Thema wie „Fair play“ einladen, seine Kickerkünste unter Beweis zu stellen; dagegen wird man ihn aber einladen, beim gemütlichen Ausklingen des Abends dabei zu sein; und einem „Human“ kann man nach adäquater Vorlaufzeit durchaus vorschlagen, sich für die Gestaltung eines Gottesdienstes Gedanken zu machen.
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nicht so das Licht Christi indirekt aufscheinen? Wirkt nicht die formale Offenheit der Einladung von vornherein selbst schon als ermutigend? Vielleicht ist es an der Zeit, das Christentum „als einladendes Motiv, als Möglichkeit, als Option oder Stilgebärde frischer, ermutigender und freier zu entdecken und zu erschließen“74. Vielleicht erlaubt und verlangt die gegenwärtige Entwicklung nach einer Minderheitenkirche, die sich nicht jedem einzelnen Aufflammen von existentiellen, manchmal gar ansatzweise abergläubischen oder rein rituellen Bedürfnissen verpflichtet fühlt, sondern sich ihrerseits von den Menschen zur Begleitung einladen läßt.75 Vielleicht erschüttert uns heilsamerweise die Erkenntnis, daß das Spezifische am Christlichen nicht einfachhin volkskirchlich-allgemein erschließbar, sondern daß der christliche Glaube schwer, schwerwiegend und schwierig ist76 ; „das Neue an Leben und Predigt Jesu ist auch nach 2000 Jahren noch unverbraucht, da in sich unerschöpflich und deshalb bleibend unverstanden, als eingelöste Wirklichkeit noch vor uns. Das spezifisch Christliche ist fast nur Zusatz, Ferment, Gewürz, Horizont des Denkens und Handelns, selten ihr Integral.“77 Vielleicht wird die Kirche vor allem gebraucht als kritisches Gegenüber zu den postmodernen Götzen rund um Körper-, Gesundheits- und Glückskult.78 Natürlich stellen alle Vorschläge aufgrund der ekklesiologischen Prägung der pastoraltheologischen Themen jeweils auch die konkrete Gestalt von Kirche in Frage. Aber ist nicht der doch kirchlich und nicht gnadentheologisch gemeinte Nullpunkt der Pastoral die teils ersehnte, teils aufgezwungene Chance und Herausforderung zu neuen Wegen? Wird dabei nicht auch die Anfrage an jene praktischen Überforderungen deutlich, denen die hauptamtlichen kirchlichen Mitarbeiter oft durch den Allgegenwärtigkeitstrieb ausgesetzt sind und in deren Umfeld die Bezeichnung der Priester als „Sakramenten-Automaten“ erst möglich
74 Salmann: Zwischenzeit, 11. 75 Die damit zusammenhängende Diskussion um das Verhältnis von Staat und Kirche und der Kompetenzpartnerschaft der Kirche innerhalb des Staates ist und bleibt eine langwierige, könnte aber vonseiten der Kirche durchaus von dem Anspruch geleitet sein, nicht passiv dem Gutdünken der politisch Verantwortlichen ausgeliefert, sondern aktiv so „aufgestellt“ (Bischof Joachim Wanke) zu sein, daß Kirche auch ohne direkte staatliche Finanzierung überlebensfähig wäre. 76 Vgl. Salmann: Zwischenzeit, 37 f. 77 Salmann: Zwischenzeit, 19. 78 Vgl. Lütz, M.: Lebenslust – Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult, München 2002.
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
wurde? 79 Müßte nicht stärker versucht werden, den Unendlichkeitswahn des postmodernen Menschen durch den Glauben an die universale Relevanz Christi nicht spirituell noch weiter zu potenzieren, sondern im Gegenteil zu entschärfen und zu relativieren? Wäre nicht auch der Blick in andere Kontinente – wie sie dem Autor nur allzu vertraut sind – eine Möglichkeit zu lernen, daß gerade dort, wo die Fähigkeiten, Kompetenzen und Eigenarten der Menschen prinzipiell mit in die kirchliche Gestaltung eingebunden werden, die Gestalt nicht untergeht, sondern neu gestärkt wird? In einem letzten Abschnitt wird die dialektisch zur Dissertation verlaufende seelsorglich-pastorale Reflexion im Sinne einer Reprise als Anfrage an die beiden behandelten Autoren weitergereicht.
E. Ausblick: Das Desiderat einer Geist-Christologie Wie ist der Raum der sich einlösenden Erlösung bei Tillich und Kasper theologisch beschaffen? Und vor allem: bleibt jene konstitutive Freiheit gewahrt, die alleine garantiert, daß die Biographie eines jeden Menschen in der Unendlichkeit des Absoluten einen anerkannten und gewährten Platz erhält? Welcher Überschuß ergibt sich aus dem Christusereignis? Beides – unsere konkrete Überlegung zur Kirchenerfahrung und die theologische Darstellung der Soteriologie – fassen sich im Entwurf einer Geist-Christologie. Wir haben gesehen, daß wir uns bei Tillich scharf an der Grenze der chiffrehaften Verzwecklichung der Christusfigur für die ontologische Grundgestimmtheit seines Entwurfs bewegen. Könnte es überhaupt einen teleologischen Überschuß geben, wenn das letztlich Erlösende ein Symbol ist, letzteres aber nach Tillichs eigener Symboltheorie an den Menschen gebunden bleibt? Könnte es überhaupt ein personales Be79 Vgl. dazu die einschlägige Literatur, welche besonders in dem von Papst Benedikt XVI. ausgerufenen Priesterjahr 2009/2010 ehrlich die Situation der Priester beleuchtet; besonders eindringlich bemüht sich hier Greshake, G.: Priester sein in dieser Zeit, Freiburg/Basel/Wien 2000; aber auch: Brantzen, H.: Lebenskultur des Priesters. Ideen – Enttäuschungen – Neuanfänge, Freiburg/Basel/ Wien 1998; Kasper, W.: Diener der Freude. Priesterliche Existenz – priesterlicher Dienst, Freiburg/Basel/Wien 2007. Gerade angesichts sich häufender Literatur zum Priesterberuf bleibt das Desiderat einer breiteren Rezeption der entsprechenden Problematik im Leben und Arbeiten engagierter Laien.
E. Ausblick: Das Desiderat einer Geist-Christologie
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troffensein geben, wo das Symbol selbst das Personale bzw. Überpersonale derart darstellt, daß Gott als das Sein-Selbst der menschlichen Begegnungserfahrung enthoben bleibt? Das bedeutet zwar einerseits, daß bei Kasper Christus viel eher einen Überschuß an Heil und Metanoia-Potential hat als bei Tillich, macht aber andererseits auch deutlich, daß Tillich in seiner gnadentheologischen Ausformung im dritten Band der „Systematischen Theologie“ den Geistbegriff weitaus vielseitiger auf Mensch und Gott und vor allem auf ihre dialektische Vermittlung anwenden kann als Kasper, der auf eine christologisch geformte Pneumatologie beschränkt bleibt. Gerade an diesem Übergang von Einzigartigkeit Christi und des Heiligen Geistes einerseits und universaler Relevanz und Bedeutung andererseits liegen bei Tillich Kategorien bereit, die viel einfacher als bei Kasper eine Öffnung zu einem bereits präsentischen universalen Wirken des Geistes Gottes im Geist des Menschen ermöglichen.80 Wo Kasper wegen klarer christlich-christologischer Grenzmarkierungen stehen bleibt, geht Tillich – ganz im Sinne seines freimütig grenzüberschreitenden Grenzganges – darüber hinaus. Es gelingt ihm, die Wirkung der Gnade Gottes auf den Menschen bis in die einzelnen – freilich systematisch erhobenen – Lebensvollzüge hinein zu erläutern. Das macht seinen Entwurf so konkret und existentiell zugleich. Gnade verbirgt sich nicht hinter Floskeln, Dogmen oder zitierten Überzeugungen, sondern greift mitten in die Lebensdimensionen hinein. So kann Tillich dank der terminologischen und inhaltlichen Nähe des idealistischen Geistbegriffs und des christlichen Pneumabegriffs sowohl die Manifestation des göttlichen Geistes im menschlichen Geist auf Moralität, Kultur und Religion beziehen als auch das Reich Gottes als in der Geschichte manifestierte Wirklichkeit denken und letztlich eine umfassende, christlich inspirierte Lebens- und Geschichtsphilosophie entwerfen, die unter soteriologischen und gnadentheologischen Vorzeichen steht. Damit kann er verständlicherweise weit über Kasper hinausgehen. Tillich bezahlt diese Universalität aber mit dem Preis der faktischen Irrelevanz Christi. Die Gnadentheologie ist letztlich ein gänzlich von der Christologie abgetrenntes Traktat, auch wenn es den „Höhepunkt“81 des 80 Schüßler und Sturm stellen in der Literatur zu Tillich fest, daß von seinem Ansatz her die Möglichkeit ausgeht, den Theozentrismus von John Hick aufzugreifen, ohne dabei in einen Religionspluralismus zu fallen. (vgl. Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 148 f.) 81 Schüßler/Sturm: Paul Tillich. Leben-Werk-Wirkung, 191.
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
Systems bildet und sich als Geist-Christologie82 darstellt. Fast nach Schellingscher Erkenntnis der positiven Philosophie scheint Gott nicht mehr am Ende auf, sondern am Anfang. Damit handelt es sich schließlich nicht mehr um Theologie im strengen Sinn, sondern um Religionsphilosophie unter christlichen Vorzeichen. Bei Tillich bleibt das Christentum auf eigenartige Weise in den Religionsbegriff integriert und wird ihm untergeordnet. Die christliche Eigenart kommt damit nicht in entscheidender oder unterscheidender Weise ins Spiel. Mehr noch: im Endeffekt beschreitet Tillich nach Kaspers Meinung angesichts der Aufgabe einer einlösenden Konkretisierung der christlichen Theorie den „Weg der Religion und der Metaphysik“, welcher eben „nicht der Weg der christlichen Offenbarung“83 ist. Kasper bezieht diese Feststellung auf Tillichs Bestreben, das Unbedingte im Bedingten zu finden und anzuerkennen. Es ist wohl wahr, daß Tillichs Ansatz von außen betrachtet gut mit dieser Antinomie beschrieben zu sein scheint. Doch es bleibt gegenüber Kasper einzuwenden, daß es sich bei Tillich nicht um ein unmittelbares Finden und Auffinden handelt, sondern um ein unbedingtes Ergriffensein, welches das Gegenteil des „Dingfestmachens“ des Unbedingten aussagt; außerdem spricht Tillich hierbei rein phänomenologisch und gnoseologisch und greift auf die paradoxale Offenbarung Gottes zurück, um die Bedingung der Möglichkeit solch ontologisch vermittelten unbedingten Angegangenseins zu erklären. Kasper seinerseits ist innerhalb seiner wenigen Andeutungen weitaus spezifischer und theologischer, aber die Ausführungen zur Gnadentheologie bleiben auf dem Niveau von Andeutungen und allgemeinen Prinzipien stehen. Die spannendste Perspektive für die zukünftige Theologie scheint nach unseren Ausführungen das Thema einer wahrhaft theologischen Geist-Christologie mit ihren ekklesiologischen und missionarischen Implikationen zu sein.84 Vor allem wäre darin das Thema der Universalität und Einzigartigkeit Jesu Christi und damit auch des Absolutheitsanspruchs des Christentums zu entfalten. Paul Tillich lädt dank seiner pneumatologischen Anthropologie bzw. seiner Phänomenologie der Existenz und seinem „finale furioso“ der durchwirkenden Gegenwart des Geistes in der „Systematischen Theologie“ geradezu zum Weiterdenken 82 Vgl. Tillich: ST III, 171 – 176. 83 Kasper: Glaube und Geschichte, 103. 84 Erste Ansätze bietet Preß, Michael: Christus und der Geist. Grundlagen einer Geist-Christologie, Neukirchen 2001.
E. Ausblick: Das Desiderat einer Geist-Christologie
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ein. Walter Kasper bietet aufgrund seines pneumatologischen Schlußakkords und der – bei Tillich freilich eklatant unterbeleuchteten – trinitätstheologischen Verankerung einen idealen Ausgangspunkt und gerade wegen der materiell nur bruchstückhaft ausgearbeiteten Pneumatologie eine spannende Herausforderung. Dabei folgt Kasper in seinen pneumatologisch ausgerichteten Beiträgen85 demselben Schema: die Verhältnisbestimmung von Christologie und Pneumatologie dient jener von Einheit und Universalität bzw. Einzigartigkeit und allgemeiner Relevanz. Einerseits macht der Geist Christus zu jener einmaligen Person, in der sich Gott ganz und gar zu erkennen gibt und das unüberbietbare Neue schenkt, und andererseits universalisiert der Geist die Wirklichkeit Jesu Christi und integriert alle Wirklichkeit in ihm. Es besticht, wie Kasper in einem ersten Schritt schlagwortartig die IdentitätRelevanz-Problematik in den unterschiedlichsten Zusammenhängen konstatiert86 und in einem zweiten Schritt die Versöhnung beider Linien durch eine pneumatologisch ansetzende Christologie ermöglicht. Der Geist ist Grund und Wurzel der Mission Christi, aber auch ihre Frucht. Der Geist ist trinitarisch das innerste Wesen Gottes und zugleich die überströmende Liebe. Kasper spricht von einer „analogia caritatis“, die das Wesen Christi durch das Wirken des Geistes verständlich macht: „bei aller Universalität je größere Konkretheit, bei allem Überfluß je größerer Verzicht (Kenosis)“87. In Bezug auf die Kirche sind die beiden Thesen, die Kasper aus einer pneuma-trinitarischen Christologie deduziert, nicht ohne Brisanz: zum einen sei die charismatische Dimension nicht Konsequenz, sondern „Grund und Wurzel der Kirche als Institution“88, zum anderen sei der Geist die Frucht der kirchlichen Wirksamkeit, so daß sich die Kirche eigentlich nur geistlich erneuern kann89. Dabei wollen seine 85 Vgl. vor allem Kasper, W.: Christologie und Pneumatologie, in: Korrespondenzblatt des Canisianums 109 (1974/75) 2 – 7; Kasper, W.: Einzigkeit und Universalität Jesu Christi, in: Müller, G.L./Seretti, M.: Einzigkeit und Universalität Jesu Christi. Im Dialog mit den Religionen, Einsiedeln/Freiburg 2001, 157 – 172. 86 So findet sich das Thema zum Beispiel als Interpretation der komplexen Situation der modernen Welt zwischen Globalisierung und neuen Abhängigkeiten wieder (vgl. Kasper: Einzigkeit und Universalität Jesu Christi, in: Müller/Seretti, 157 f.), umschreibt aber auch das Wesen der Kirche zwischen globalem Auftrag einerseits und Instrument der Einheit andererseits (vgl. vgl. Kasper: Einzigkeit und Universalität Jesu Christi, in: Müller/Seretti, 158 – 161.164 – 167). 87 Kasper: Christologie und Pneumatologie, 6. 88 Kasper: Christologie und Pneumatologie, 7. 89 Vgl. Kasper: Christologie und Pneumatologie, 7.
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
Gedanken „mehr eine Aufgabe stellen als bereits eine fertige Lösung formulieren“90. Wir hatten diese Arbeit mit einer historischen und geschichtsphilosophischen Einordnung des Themas „Situation und Botschaft“ eröffnet und wollen diesen abschließenden pneuma-christologischen Ausblick im Aufgreifen der Frage nach den adäquaten Denkformen für eine moderne Theologie geschichtsphilosophisch abrunden. Jacob Taubes hat in einem Beitrag „Dialektik und Analogie“91 über die Implikationen des Prinzips der Geschichte nachgedacht und dabei die These aufgestellt, „daß die Kosmologie einer Geschichtsepoche Relevanz für deren Theologie hat und nicht als äußeres Element außer acht gelassen werden kann“92. Dabei betrachtet er vor allem den vielschichtigen kosmologischen und theologischen Übergang des Mittelalters. Die Haltung von Augustinus, mit Christus sei die Geschichte irrelevant geworden und repräsentiere nur die unruhige menschliche Sehnsucht nach der „civitas Dei“, wird durch die Theologie des Joachim de Fiore in Frage gestellt, welche die zentrale Stellung Christi zugunsten einer Dreiteilung der Geschichte in die Zeitalter des Vaters, des Sohnes und des Geistes negiert. Um 1200 solle demnach die Epoche des Heiligen Geistes anbrechen. Christus verschwindet dabei hinter dem Geschichtsverlauf, welcher wichtiger ist als er. Joachim mache Wandel und Bewegung zu Attributen des Göttlichen und ermöglicht so erst das Prinzip der Geschichte. Vor allem der Deutsche Idealismus habe dieses Schema aufgegriffen und weitergeführt.93 Nach der Analyse von Taubes entspricht dieser Übergang jenem vom ptolemäischen zum kopernikanischen Modell in der Kosmologie. Mit 90 Kasper: Christologie und Pneumatologie, 7. Kasper beansprucht, eine mögliche Lösung für die Zusammenführung der unterschiedlichen Ansätze innerhalb der Heiligen Schrift und der jeweiligen Akzente westkirchlicher und ostkirchlicher theologischer Geist- und Gotteslehre anzubieten. Eine Neuorientierung der Pneumatologie habe deswegen eine hohe ökumenische Bedeutung (vgl. Kasper: Christologie und Pneumatologie, 4) und dürfte von daher Kasper dauerhaft wichtig geblieben sein. 91 Taubes, J.: Dialektik und Analogie, in: Vom Kult zur Kultur. Bausteine zu einer Kritik der historischen Vernunft (hrsg. Assmann, A. u A./Hartwich, W.-D./ Menninghaus, W.), München 1996, 199 – 211. 92 Taubes: Dialektik und Analogie, 210. 93 Walter Kasper zeigt auf die Gefahren des Ansatzes von Joachim hin und analysiert sie bis in den politischen Bereich hinein (z. B. die Idee der Vollendung der Geschichte in Faschismus oder Nationalsozialismus). (vgl. Kasper: Christologie und Pneumatologie, 2)
E. Ausblick: Das Desiderat einer Geist-Christologie
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ersterem korrespondierte theologisch das analogische Denkmodell der Entsprechung von oben und unten – der ungebrochenen Korrelation von Himmel und Erde –, welches im „Mittelalter“ bei Thomas von Aquin seine höchste Ausformung fand und übrigens noch im 20. Jahrhundert von der katholischen Kirche als Richtschnur jeder theologischen Methode bestätigt wurde. Durch Kopernikus aber fällt der Mensch – nach einem Wort von Nietzsche – „aus dem Zentrum des Universums in Richtung auf ein X“94, und die vertikale Achse zerfällt, der Himmel geht verloren. Die Folge davon sind entweder pantheistische Religion oder eine auf den „ordre du coeur“ beschränke theistische Religion. Pascal und Luther hätten dies deutlich gezeigt, so Taubes, letzterer durch die Ablehnung jeder möglichen Analogie und die Verlegung des Himmels aus der Kosmologie in das Innere des Herzens und des Gewissens. Auch philosophisch habe sich mit Kant die Philosophie der Innerlichkeit durchgesetzt. Unter diesen Vorzeichen bleibt nach Jacob Taubes alleine die Dialektik, und zwar als „Dialektik der Identität von Schöpfer und Schöpfung (pantheistische Tradition) oder eine Dialektik ihrer unaufhebbaren Entfremdung (Luther, Pascal, Kierkegaard, Barth)“95. Nach seiner Meinung lassen sich die extremen Alternativen Gegensatz oder Identität von Gott und Mensch „nur in der Einheit von These, Antithese und Synthese auflösen“96. Dabei sei aber die Dialektik selbst geschichtlich bedingt und nicht ausspielbar gegen die mittelalterliche Vorherrschaft der Analogie. Jede Denkform habe ihre geschichtliche Periode. In dieser Arbeit haben wir nachgezeichnet, wie Tillich und Kasper unter den in der in der Einführung beschriebenen und hier wieder aufgegriffenen historischen und geschichtsphilosophischen Voraussetzungen Theologie als Soteriologie denken. Daß bei beiden die Entfremdung von Gott und Mensch deutlich durchschlägt, konnte nachgewiesen werden. Tillich bedient sich daraufhin einer auf dialektischer Vermittlung gründenden Korrelationsmethode, in der die menschliche Aporie und das christologische Paradox Platz finden. Kasper hält nach offiziell katholischer Art am Analogieprinzip fest, kann es aber gegenüber der Evidenz des Paradoxons nicht konsequent durchziehen. Jacob Taubes bemerkt gegenüber der zeitgenössischen katholischen Theologie, sie betone „innerhalb der Grenzen des Analogieprinzips das Paradox des Mysteri94 Taubes: Dialektik und Analogie, 199. 95 Taubes: Dialektik und Analogie, 205. 96 Taubes: Dialektik und Analogie, 208.
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IV. Schlußteil: Vergleich und Auswertung
ums“97 und verweise damit vielmehr auf die Unähnlichkeit von Natürlichem und Übernatürlichem. Genau diese Tendenz und diesen Zwiespalt haben wir bei Kasper herausgestellt.98 Eine spannende und von Taubes nicht weiter ausgeführte oder eingelöste Frage innerhalb dieses Ausblicks bleibt die Herausforderung einer Geist-Christologie, die – entsprechend dem Vermittlungsbedürfnis von Tillich und Kasper – sowohl dem augustinischen Moment der Christozentrik als auch der Intuition Joachims Rechnung trägt, daß Gott letztlich im Heiligen Geist die vorliegende Welt berührt. Es ginge um eine christologisch genormte Pneumatologie, welche Universalität der Relevanz und Einzigartigkeit des Ereignisses vermittelt. Und vielleicht kann unter Rücksicht der Ausführungen von Jacob Taubes auch plausibel werden, warum heute unter dialektischen Bedingungen die Erwartung einer Entsprechung von theologischer Botschaft und anthropologischer Situation schwierig ist und das Christliche viel eher weisheitlich-lebensphänomenologisch im Geiste als neuer Horizont, neuer Keim, neues Sein aufscheinen kann.
97 Taubes: Dialektik und Analogie, 210. 98 Neugebauer hat im Anschluß an Albert Franz analog zu Taubes’ Analyse festgestellt, daß „ein Anschluß an die Neuscholastik nur dann reformuliert werden (kann), wenn er die Einsichten kritischer Transzendentalphilosophie berücksichtigt“ (Neugebauer, 38).
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Index Absolute, das 6–8, 11f., 15–19, 21f., 24, 26–28, 31, 59, 72, 74, 77, 79f., 83–85, 87–90, 93, 95, 98, 101, 107–109, 113, 115–120, 122–128, 131–133, 136–138, 141, 146, 153, 159f., 162, 169, 174–176, 183, 185f., 212, 232, 248f., 254, 305, 312, 317, 323, 327f., 340–350, 352f., 355–362, 369, 375, 377–379, 384, 387, 395f., 421, 424f., 439, 448f., 465, 477, 481f., 485f., 497, 499f., 503f., 506, 511, 516, 538 Aggiornamento 523 Agnostizismus 313 Ambivalenz 66, 99, 181, 195, 242, 244, 256, 511, 527, 530 Analogia –, entis 163f., 166, 172, 207, 267f., 286, 308, 314f., 318, 364, 382, 385, 396, 431, 435, 486, 493–495, 512, 518f., 521f. –, imaginis 154, 166, 205, 207f., 230, 253, 268, 512 Analogie 28, 30, 85, 118, 140, 144, 165f., 207, 267f., 271, 286, 298, 315, 317, 329, 331f., 337, 358–361, 363, 369, 385, 410, 413, 420, 434, 443, 460, 470, 477, 479, 481f., 485, 491–494, 496, 498, 518–520, 523, 542–544 Angst 38, 42, 94f., 139–141, 156f., 165, 178f., 182f., 186, 377f., 471, 474, 508f., 531 Anliegen 5, 12, 18, 32, 34, 38, 43–45, 48, 53–55, 62, 94, 102, 158, 165, 189, 250f., 259, 275, 278f., 292, 294, 300, 302f., 306, 308, 315, 318, 322, 327, 330, 334, 339, 357–359, 361, 363f., 370,
412, 430, 435f., 446, 449f., 479f., 504, 527, 530, 534f. Anthropologie 18f., 23, 26, 28f., 33f., 38, 64, 69, 146–148, 153, 163, 171, 173, 180f., 184, 190–192, 196f., 199, 236, 243, 252, 255, 264, 269, 275–283, 287, 291, 298f., 310, 314–317, 320, 322, 325–327, 332, 336–338, 363, 371, 385, 394f., 411, 421, 432, 444, 447, 458, 460–463, 466–471, 476, 485, 491–493, 507, 509, 518, 540 Apologetik 40, 58, 109, 131, 289, 301, 308, 311, 313, 318, 332, 335 Aporetik 59, 332, 502, 509–511 Aporie 25, 75, 98f., 104f., 128, 135, 146, 165, 185, 229, 234, 256–258, 304, 311, 325, 331, 335, 345, 348, 357, 372, 375, 382, 403, 508–511, 521, 543 Atheismus 10, 63, 65, 71, 130, 137f., 142, 148, 274, 280, 300, 302, 304–306, 308–311, 317, 343, 347, 356, 363, 391, 421, 448, 477, 480, 488, 497, 510, 528 Auferstehung 6, 102, 213–217, 220, 256, 299f., 305, 323, 344, 354, 403f., 408–411, 417–419, 431, 434–436, 452, 455, 482, 487, 489f., 492, 518, 534f. Aufklärung 10, 145, 295, 302, 304, 313, 365, 393, 421, 481, 483 Autonomie 69, 90–92, 98, 108, 116, 120–124, 128, 150, 174, 196, 272, 290, 300, 302–305, 308–310, 312, 320, 329, 335–337, 363, 396, 445, 454, 458, 502 Bedingtheit
181, 347, 511
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Index
Chalcedon 221, 266, 270, 272, 325, 402, 411, 414, 433, 435f., 438–443, 480 Christentum 11f., 16f., 26, 35, 50, 73, 81, 86f., 105, 107–109, 113f., 150–152, 155, 187f., 198, 201, 204, 224, 235, 248, 256, 258, 263, 266, 271, 281, 283, 289, 292f., 295, 301, 346–349, 356f., 382, 393, 420, 424, 430, 441f., 456f., 459, 480, 497, 501, 507, 537, 540 Christologie 9–13, 18f., 23, 26–29, 32–38, 63f., 81, 83, 86, 91–93, 97f., 101f., 128f., 145–148, 166, 168, 171–174, 178, 185, 187–189, 191–193, 195–197, 199f., 204f., 208–210, 212–214, 217f., 220–230, 233–236, 240–243, 252–256, 260–267, 272, 275–284, 310, 342–356, 358, 370, 385, 387, 390, 393–395, 399–407, 410–413, 415–418, 420, 423, 427, 430–433, 435–437, 439–443, 446f., 449–458, 460–463, 467–472, 475f., 479f., 482, 485f., 488–493, 505–507, 511, 513f., 516, 518, 522, 538–542 –, Geist- 171, 227, 538–541, 543f. –, implizite 11, 402, 405, 410, 412, 418, 428, 490f., 515 –, narrative 403
287f., 297, 299, 301, 313, 318f., 322, 325f., 331, 333, 337, 344, 349, 351, 353, 358–361, 385, 388, 401f., 432, 434, 447, 456, 458, 460f., 472, 494, 496, 510, 518, 520, 522, 524f., 542–544 Dialog 15, 20, 30, 172–174, 184, 218, 240, 246, 266, 269, 316, 323, 332, 358–361, 363, 385, 396, 401, 434, 439, 450, 456f., 481, 487, 496, 509, 511, 520, 525, 541 Dogma 10, 19, 22, 28, 113, 166, 220, 232f., 255, 276, 282, 284–286, 290, 385, 402, 410f., 413, 423, 435f., 441, 513, 515, 518, 524 Dogmatik 14, 19f., 22–24, 35, 40, 65f., 75, 109, 130, 168, 221, 224f., 234, 260, 276, 278, 282, 284–292, 311, 319f., 324, 328, 333–336, 358, 375f., 383, 395, 403, 413, 430, 435, 441, 467, 492, 518f., 526 Drei-Ämter-Lehre 463, 467, 470, 480 Dreifaltigkeit/Trinität 284, 291, 338, 343, 357, 363, 390, 416, 420–423, 427-429, 431f., 439f., 446, 456, 490, 494, 504 Dualismus 50, 138, 312, 421, 474 Duplizität 100, 143 Durchbruch 35, 88, 92, 117–119, 124, 126, 128, 131f., 134, 136, 139, 158, 187, 216, 349, 385, 497, 506
Dämonisierung 152, 154, 194, 255 Denkform 20, 27f., 30, 52, 60, 68, 73, 77, 87f., 111, 122, 125, 137, 163, 181, 215, 224, 228, 266f., 269, 286, 310f., 313, 331, 334, 344, 351, 358f., 401, 412, 481f., 494f., 497, 503, 518–520, 523, 542f. Dialektik 2, 4, 14, 23, 30, 47, 51–53, 57–64, 76, 80, 86, 91, 96, 100, 118, 121, 125, 127, 143f., 146, 170, 172f., 187, 191, 193, 197, 242, 245, 247, 249, 270f., 281,
Einzigartigkeit 449f., 454, 527, 539–541, 544 Ekklesiologie 20, 246, 296f., 400, 415, 460f. Ekstase 80, 163, 171, 174f., 179, 243, 249, 347, 502, 504 Endlichkeit 90f., 95, 98, 123, 126f., 134, 156f., 166, 174, 177–179, 181–183, 186, 192, 212, 248, 263, 270, 273, 288, 319, 326, 331, 349, 368f., 377, 390f., 415, 439, 484, 510, 528
Befreiung 126, 256, 313, 360, 406, 439, 442, 464, 466, 474, 483, 514
Index
Entfremdung 27, 31, 37, 57, 65f., 72, 77, 88, 92, 94f., 102, 128, 132, 144, 147, 150, 155–157, 160, 162, 170, 172, 181f., 184–187, 191f., 194, 196f., 199f., 209–214, 216, 221, 223, 237, 239–243, 254–258, 261, 263, 391, 394, 464, 543 Entmythologisierung 155, 219f., 327 Erfahrung 12, 15, 23f., 40–42, 44–47, 52, 71f., 77–79, 81f., 85, 91, 121–125, 131, 133, 141, 143f., 150f., 155f., 159f., 182, 194, 215f., 243, 250, 252, 260, 273f., 276, 281, 287f., 305, 316, 324, 331, 363f., 367–369, 376, 378, 383f., 386, 388, 391, 396, 416, 443, 493, 500, 512, 515, 526f., 529, 532, 534 Ergriffensein/ergriffen 23, 44, 46, 141, 151, 159, 175, 191, 195, 239, 244f., 512, 540 Erlösung 19, 36–38, 59, 61, 66, 72, 80, 88, 93f., 118, 135, 144, 148, 156, 174f., 180, 186f., 190, 195, 197, 201f., 205, 213f., 217, 222, 224, 235f., 238f., 244f., 249, 256f., 260, 263, 272, 278f., 299, 309, 360, 364f., 382, 389, 392f., 410, 412, 415, 419, 422, 426, 430, 450, 454, 456, 458f., 464, 470f., 475, 487, 493f., 514f., 517, 519f., 522, 538 Eschatologie 11, 20, 202, 238, 295, 344 Essentialismus 59, 72, 77, 82f., 94, 142, 172, 180, 250, 258f., 270 Essenz 1, 27, 56f., 59, 88, 95, 100–103, 112, 126, 143, 155, 157, 161f., 170–172, 178, 180–183, 186, 191–193, 196, 209, 212f., 223, 232, 234, 239, 241f., 258, 262, 268f., 292, 506, 514f., 517, 527 Essenz-Existenz-Schema 58, 64, 72, 101, 125, 132, 135, 142, 147, 169–171, 173, 177f., 180,
577
182–184, 188, 191f., 222f., 227, 260–262, 264, 502, 513 Ethik 40, 61, 82, 109, 260, 304 Evangelium 11f., 81, 101f., 301, 351, 398, 410, 467, 478, 484, 523 Evidenz 106, 413, 530, 543 Ewigkeit 52, 86, 189, 237, 248, 328, 352, 354, 415, 418, 424–426, 430, 456, 488–490 Existentialanalyse 88, 134, 155–157, 180f. Existentialismus 16, 59, 62, 65, 72, 77, 82, 84, 94–96, 142, 172, 180, 191, 250, 257, 259, 270 Existenz 25, 27f., 38f., 41f., 52, 56f., 59f., 62f., 65–67, 71, 76f., 84, 86, 88, 94f., 100–103, 110, 112, 118, 126, 128f., 131, 134, 137, 139, 141, 143, 145, 147, 150, 153, 155–157, 161f., 169, 171f., 174, 176–186, 191–198, 202, 204–206, 209–214, 222–227, 232, 234, 239, 241, 246, 256–258, 263, 269, 271, 287, 322, 372, 382, 395, 404, 423f., 434, 436, 446, 464f., 469–471, 498, 501, 506, 509, 513, 515, 517, 527f., 535, 538, 540 Existenzphilosophie 42, 75, 77, 110f., 148, 180f., 185, 259f. Form 14, 21, 27, 38f., 44–46, 48, 58–60, 73, 85f., 93, 121f., 124f., 132, 135f., 140, 148–151, 165, 174, 176f., 184, 190, 194, 196, 199–201, 208f., 211, 214, 219f., 222, 227, 229, 237, 244f., 256, 276, 287, 304f., 318, 335, 354, 359, 376, 393, 404, 413, 420f., 451, 458, 487, 512, 519, 521, 523, 526, 528f., 534 Fragment 168, 389, 445 Freiheit 3, 7, 9, 16f., 21, 25, 27, 29, 52, 72, 79–84, 86, 91f., 95, 100–102, 107, 109, 115, 119, 125, 128, 143f., 146, 171, 177, 181–187, 189, 192, 194, 196, 202, 211, 226, 233, 244, 246f., 255, 272f., 275, 281f., 285, 287–290,
578
Index
295f., 298–302, 306, 308–310, 315–320, 322–331, 333–337, 339–342, 345–361, 363, 365–367, 369–377, 380, 382–384, 387f., 391–397, 399–402, 406, 409f., 413, 417–420, 422, 424–428, 433f., 439f., 442f., 445–447, 451–456, 458, 461, 463–466, 469f., 472–475, 477f., 483f., 486, 488–491, 493, 499, 501–503, 505, 508f., 511, 513f., 516, 518–520, 529–536, 538 Freiheitsanalyse 27, 30, 335, 339, 357, 364, 371f., 377, 513 Fundamentalismus 40, 485, 510 Gebet 323, 429, 474, 531, 535 Gehalt 27, 59, 82, 86, 120–122, 124, 132, 142, 150, 199f., 203, 205, 229, 267, 318, 324, 371, 373–376, 397, 504, 506, 536 Geheimnis 174, 261, 268, 291, 312, 321f., 325, 327, 332, 334, 363, 368–371, 384, 389, 394–399, 404, 406, 411, 422, 426f., 429, 431, 445, 447, 457, 471, 488, 504f., 510 Geist 11, 27, 38, 57, 60, 71, 73, 79–81, 83–87, 90, 92, 96, 98, 102, 106–108, 115f., 120f., 125f., 128, 135, 146, 151f., 154f., 169–174, 178, 182, 184, 186, 188, 191–195, 214, 216, 226f., 230, 233f., 238–249, 255, 263, 270, 273, 276, 285, 293f., 296f., 300, 302f., 307, 314, 317, 327f., 333, 344f., 350, 353, 359, 371, 383, 386, 399, 405, 409f., 415, 420–422, 425, 428f., 431–433, 448–462, 467–470, 481, 484, 486, 490f., 498, 500–502, 506, 516f., 525, 538–542, 544 Geisteswissenschaft 111, 121f. Geistgemeinschaft 118, 244f. Gerechtigkeit 139, 237, 252, 388, 391f., 466, 469, 486 Geschichte 1–4, 18-22, 26f., 29f., 35f., 43f., 55–57, 59, 62f., 71, 73f., 77, 79f., 83–87, 92, 96, 98,
105–110, 112–119, 121, 124–129, 135f., 144f., 149, 153, 162, 169, 175f., 178, 183, 192–194, 198, 200–203, 205, 207, 209f., 213f., 217, 225, 228, 232, 235f., 239, 241–243, 245–251, 255f., 261, 264f., 272f., 277, 279–283, 285f., 288–291, 294–296, 298–303, 306f., 310, 312f., 317–319, 321–324, 326–328, 330, 333, 339–362, 366, 370, 374, 376–378, 380f., 383, 387f., 391f., 394–397, 399, 401–405, 408–415, 417–443, 445f., 450f., 453f., 456, 460, 464–467, 472, 474f., 480f., 483–486, 488–491, 493, 497f., 500–503, 505, 510f., 516f., 527, 539f., 542 Geschichtsphilosophie 2–5, 12, 15, 17f., 98, 106, 114f., 121, 126, 128f., 319, 339, 502, 509, 539 Gestalt 4, 10–12, 34, 39, 48, 107f., 113, 117, 124, 159f., 168, 186, 200, 213, 225f., 252, 267, 281, 296, 309, 312, 369, 382, 397, 405, 412, 446, 452, 460, 471, 479, 484, 514f., 519, 529f., 537f. Glaube 1, 4f., 9f., 19f., 23, 28f., 36, 40, 45, 73, 78f., 89, 95, 101, 116, 119, 130, 132–135, 137–139, 141, 145, 151, 158, 162, 175, 189f., 204–207, 212–217, 219–221, 228–231, 239–241, 244f., 252, 254, 256, 259–262, 265f., 276–283, 285f., 288–292, 294–296, 298f., 301–303, 305–307, 312, 316–321, 327f., 330, 333, 339, 341–343, 345–351, 356–358, 361f., 364–367, 370, 376, 380, 382f., 394–397, 399, 401–404, 406, 408–410, 413, 421–423, 425f., 430, 434, 445f., 451, 454, 456, 464f., 467, 471f., 476, 480f., 485, 492, 497, 505, 511f., 519, 526f., 529, 531f., 534f., 537f., 540 Gnade 8, 23, 35, 48, 56, 84–86, 88, 110, 124, 131, 135, 137, 145, 151,
Index
184, 209, 213, 240, 244, 267–269, 284, 294, 299–301, 305f., 309, 312, 314–316, 319, 329f., 332f., 335, 337, 363–367, 369, 381f., 384, 386, 389, 392, 398, 430–432, 458f., 463f., 470, 474f., 493f., 508, 520, 523f., 539 Gott 1–3, 6–9, 11f., 15–17, 20–31, 33, 35–38, 42, 45–48, 50–54, 56f., 60f., 64–67, 69, 71, 74, 77f., 81, 83–88, 90f., 93–96, 102, 105, 107f., 112, 116, 118, 123–125, 127, 129–147, 149–155, 157–166, 169–174, 176–179, 183–187, 189–193, 196–199, 202, 207, 209, 211–216, 220–223, 225–227, 231–250, 254, 256–259, 261–269, 271–276, 278–280, 282, 285f., 288–291, 295f., 298–323, 325–330, 332–343, 346–350, 352–358, 360–371, 373, 375–399, 401–403, 405–459, 462–476, 480–491, 493f., 497, 500–505, 507, 511–516, 519–521, 523, 528–530, 532–534, 539–541, 543f. Gottesbeweis 28, 134, 138, 177, 289, 370f., 376–379, 382, 386–388, 462, 510, 521 Gotteserkenntnis 153, 161, 254, 268, 313, 319, 369f., 398, 449, 468, 519, 524 Gottesfrage 16, 183, 305, 309, 323, 335, 381, 383, 385f., 390, 415, 471f., 521 Gottesknecht 466 Gottessohn 144, 291, 351, 415 Gottesverständnis 357, 426f., 494, 520 Gottheit Jesu 424 Gott über Gott 63, 127, 141, 254 Grenze 4, 18, 28, 30, 32f., 50, 67, 69, 74, 76, 79, 81, 89, 95, 98, 135, 141, 143, 159, 165, 172, 186, 204, 228, 246, 252, 265, 292, 300, 303, 327, 332, 356, 361, 377, 387, 393, 398, 403, 405, 441, 447, 460, 465,
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482, 491, 499, 507f., 519, 538, 543 Grundoffenbarung 36, 124, 132, 135f., 138, 147, 175, 259, 505, 521f. Heil 8, 23, 27f., 32, 40, 72, 86, 88, 96, 102, 117, 136, 156, 174, 181, 187, 197, 200f., 209, 222, 238, 241, 257–259, 264, 279, 282, 287f., 291, 297, 319, 324, 337, 365, 367, 369f., 388, 392, 395f., 398f., 401, 404, 406, 410–415, 417, 419, 422f., 429–434, 443, 449f., 452f., 455–466, 471, 475, 483, 486, 492f., 516f., 527, 539 Heiliger Geist 57, 261, 480 Heilsgeschichte 6, 8, 11, 117f., 209, 223, 236, 244, 248, 302, 315f., 319, 396, 403, 424, 487 Heilsoffenbarung 124, 135f., 175, 259, 261, 268, 505, 521f. Heilung 65, 177, 191, 210, 236, 239, 469 Hellenisierung 289, 301, 411, 424, 442 Hermeneutik 30, 283, 285, 311, 332, 383, 441, 491 Heteronomie 69, 90f., 108, 117, 122, 174, 196, 363, 502 Hoffnung 28, 40, 73, 144, 147, 238, 270, 289, 294, 307, 328, 347, 357, 370, 378, 381, 385, 387f., 390–392, 394–397, 405, 427, 429, 435, 445, 460, 462, 467, 471, 508, 521, 534f. Hybris 17, 136, 185, 212, 239, 483, 523 Hypostatische Union 19, 431, 433, 447, 451, 454, 470 Idealismus 5f., 9, 11, 15–17, 21, 24–26, 29, 61f., 75–81, 87–90, 92, 94f., 106, 114f., 130, 145, 232, 252, 255, 257f., 297f., 302, 327, 341–346, 348, 356f., 359, 477, 481, 499, 503, 542
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Index
Idee 11, 14, 61f., 81f., 87f., 107, 118, 120, 148, 150, 177, 199f., 219, 226, 233, 236, 295f., 302, 318, 330, 333, 336, 347, 356, 375f., 381, 393, 424, 440, 466, 473, 500, 503, 522, 529, 538, 542 Identität 2, 5, 9, 13, 15, 19, 28, 40, 44, 60, 71, 78–80, 84–86, 88–91, 95, 104f., 108f., 127, 131, 140, 143, 146, 149, 154, 176f., 193f., 232–234, 254, 258f., 279, 281f., 287, 295, 302, 329, 343f., 351, 353–355, 359f., 373, 384, 400, 405, 416, 418, 425, 438f., 443, 452, 454, 472, 475, 491, 494, 502, 515, 520, 527–529, 531f., 534, 541, 543 Identitätsphilosophie 94, 107, 232, 254, 317, 343, 350, 500 Identitätsprinzip 62, 65, 72, 78, 83f., 88, 90f., 96, 130f., 146, 148, 502 Ideologie 113, 300, 303, 305, 390, 396, 533 Immanenz 153, 161, 222, 299, 319, 419, 427, 455 Inkarnation 96, 102, 107, 112, 135f., 160, 162, 217, 225–228, 232, 258, 260f., 263, 270f., 355, 402, 416–418, 428, 436f., 454, 489f., 514 Jesus Christus 16, 29, 36f., 41, 96, 126, 196f., 199, 201, 203–208, 210f., 215–217, 219f., 223f., 228f., 231f., 238, 256, 272f., 279–282, 285, 289, 291–293, 296–299, 301f., 307, 314, 316, 322f., 327, 334f., 337, 339, 364, 366f., 382, 389–391, 393–395, 397, 399, 401–404, 406, 408f., 411f., 414–419, 422, 425, 427–430, 432–439, 442f., 445–447, 450, 452–458, 460, 464–468, 471f., 474–476, 480, 483, 485–488, 490f., 498, 511, 522, 526 Jesus der Christus 21, 30f., 35, 38, 64, 74, 181, 188f., 195, 197, 203,
205, 211f., 214f., 221–224, 226, 228, 233, 236, 275–278, 280–282, 290–293, 313, 315, 317, 325–328, 331f., 337f., 340, 346f., 355, 370, 378, 381f., 384f., 387f., 392–394, 399–411, 413, 417–422, 424–426, 429–438, 440f., 443–447, 450–456, 459f., 462, 464–471, 482, 484, 510, 516 Kairos 6, 71, 73f., 109, 117f., 121, 128f., 235, 248, 483, 521 Katholisch 5, 9, 15f., 21, 30, 50, 64, 163f., 170, 184, 208, 238, 265, 274, 277, 284f., 293f., 296f., 313, 317, 325, 333, 341, 343, 361, 364f., 385, 389, 399, 408, 438, 450f., 461, 470, 477, 479, 481f., 492, 497–500, 503, 507, 523–525, 527, 535, 543 Katholische Substanz 137, 152, 296, 521, 523–525 Kenosis 144, 301, 352–354, 423, 436, 472, 488, 541 Kerygma 232, 262, 287, 408, 437, 504 Kirche 3, 20–24, 28, 39–43, 49, 118, 141, 161, 210, 214, 228, 232, 241, 244f., 248, 274–286, 288, 290–298, 300–302, 304–306, 309–313, 317, 320, 322, 324–329, 334, 336–339, 350, 367, 380, 382, 387, 396, 400f., 403, 409f., 421, 423, 426f., 434, 439–441, 446, 450f., 456f., 460–462, 467–470, 512, 520, 524f., 527, 529–537, 541, 543 Konstitution 2, 97f., 100, 103, 146, 169, 171, 185, 283, 318, 378, 440, 515, 522 Korrelation 13, 21, 30, 37, 44, 51–53, 55f., 58–63, 66, 71, 99f., 104, 111, 127, 130, 138, 144, 155, 170, 172f., 175, 181, 190, 213, 236, 243, 249f., 259f., 262, 266, 269, 271, 318–322, 324, 329, 334, 344, 364, 366f., 381f., 384, 395, 398, 402–404, 410, 412–414,
Index
421f., 431, 434f., 437, 458, 460f., 477, 479f., 491, 496f., 507, 509–512, 518, 520, 522, 543 Korrelationsmethode 13, 33f., 39, 51, 54f., 57f., 60f., 64, 67, 77, 93, 99, 110, 126f., 162, 168f., 172, 182, 188, 228, 234, 254, 258, 260, 262, 266–268, 320, 336, 408, 457, 512, 519f., 543 Kreuz 68, 86, 115, 129, 161, 176, 198, 213–216, 220, 224, 237f., 240, 252, 271, 279, 285, 289, 315, 331, 340, 354f., 363, 385, 398, 404, 407, 409, 418–420, 423, 427f., 434, 437, 454, 463, 472f., 488f., 518 Krise 1f., 10, 18, 24, 72, 96, 116, 217, 282, 300, 306, 312f., 342f., 346–355, 442, 461, 474 Kultur 13, 40, 44, 50, 69, 72, 96, 98, 113, 120–123, 130, 134, 136, 140, 148–152, 169, 171, 194, 245, 271, 284, 295, 301, 305f., 309, 312, 329, 333, 392, 453, 457, 484, 512, 515, 531, 539, 542 Kulturtheologie 120, 134, 142, 148, 150, 245, 512 Kunst 42, 80, 149, 151, 153, 229, 474, 500, 512 Leben 6, 26f., 38, 40, 42, 44, 46, 48f., 54, 57, 60, 63, 76, 80f., 84, 88, 90, 94, 97, 102, 112, 125, 134, 140, 143, 150, 152f., 169–173, 176–178, 184, 186f., 189–195, 202, 205f., 209, 211f., 215f., 218, 220, 228, 233, 235, 241–244, 246–249, 252, 263, 269, 271, 274, 276, 278f., 308, 312, 316f., 337, 347, 364, 383f., 390, 394, 401, 403, 408–411, 413, 416f., 419, 427, 431f., 435f., 442, 445f., 455f., 462f., 466–469, 488, 493, 501f., 505, 508f., 517f., 521, 524, 529–535, 537–539 Leben-Jesu-Forschung 11, 15, 204, 206, 217, 219f., 228f., 231, 251f., 281, 292, 403, 522
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Leben-Jesu-Skepsis 217 Leiden 204, 210, 237f., 245, 326, 368, 389, 391f., 398, 417, 425, 427, 445, 469f., 473, 487–489 Liebe 7, 30, 47, 85, 88, 135, 139, 159, 171, 200, 211, 237, 239, 241, 244f., 251f., 273, 290, 294, 307, 309f., 312, 315, 323, 325, 334f., 338, 349, 353–355, 368, 375f., 380, 383–385, 391, 397f., 402, 406f., 409, 413, 417–421, 425–429, 431–434, 444, 446f., 451f., 454, 459, 466–469, 474, 486, 488f., 541 Logos 44f., 49f., 65, 107f., 111–113, 136, 144, 164, 171f., 174, 189, 198, 225f., 260, 301, 416f., 437, 440f., 444, 446, 449, 472, 488 Macht 7, 10, 15, 17, 30, 41, 43f., 46, 50, 65, 67f., 79, 92, 96, 104, 112, 117, 120, 122, 124, 134, 136f., 139–141, 144f., 152–154, 156–159, 161f., 165f., 176, 178f., 184, 193, 198, 200, 202, 204–209, 216, 222, 231f., 236, 239, 241, 249, 252f., 256f., 267, 284, 290, 305f., 323, 326, 340, 343, 348f., 353–355, 358, 360, 372, 375f., 378, 381, 386, 388, 397, 408–410, 413, 418, 425, 434, 439, 446, 450, 454, 466, 470–472, 479, 482, 488f., 505–507, 512, 514, 539, 541 Manifestation 47, 86, 109, 144, 150, 160, 163, 186, 189, 192, 200, 202–204, 209, 211, 219, 226, 232f., 238, 245, 248, 255, 257, 459, 504, 513, 539 Menschenbild 191, 207, 386, 393, 474, 509 Menschensohn 198, 291, 407, 412, 461, 463, 466 Menschheit Jesu 222, 327, 440, 491 Messias 156, 179, 187, 198, 201, 205, 226, 232, 415, 455, 485
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Index
Metaphysik 1, 5, 7, 12, 15, 22, 30, 82, 99f., 109, 120f., 125, 280, 282, 284, 288–290, 302f., 307, 313f., 317f., 323, 332, 334f., 338, 343, 346, 349, 362, 377, 379–381, 384, 400, 416, 424, 441, 443, 515, 540 Mission 449, 452, 454, 459, 461, 477, 541 Moderne 1, 4f., 9, 12, 20, 24f., 27, 34, 72f., 75, 77, 94f., 101f., 112f., 115, 121, 130, 147, 149, 188, 192, 219, 270, 274f., 278, 280–284, 287, 291, 293, 295, 297–299, 302–307, 309, 311, 313, 315, 317, 323, 327, 329, 338, 341, 343, 345f., 355f., 359, 363f., 368, 370f., 378–380, 391, 400, 403, 415f., 421, 423, 429, 443, 448, 474, 477, 483f., 491, 499f., 515, 527, 541f. Monophysitismus 497 Monotheismus 87, 420f. Mut 43f., 71f., 95, 102, 127, 131, 133, 138–142, 157, 159, 178f., 195, 391, 529, 531 Mystik 57, 78, 83, 86, 108f. Mythos 30, 83, 85, 149, 155, 205, 208, 214, 219, 410, 487, 503 Naherwartung 487 Natur 1f., 10, 19, 61, 76, 80, 84f., 94, 136, 162, 165, 167, 169, 174, 181, 184, 202f., 213, 221–223, 225f., 268, 273, 280, 284, 294, 299–301, 304–306, 308f., 312, 314f., 319, 329f., 332f., 335–337, 352, 355, 363–367, 369, 381f., 384, 386, 389, 397, 411, 430–432, 435f., 438, 440, 443f., 446, 459, 462f., 468, 493f., 514, 516, 519f. Naturalismus 53, 91, 94, 100, 138, 172, 497, 521 Neues Sein 88, 99, 135, 144, 146, 176, 186f., 195f., 200, 204, 208f., 219, 225, 244, 263, 544 Neuzeit 2, 21, 31, 42, 140, 250, 281, 283, 301, 304, 306–308, 311–313,
327, 329, 335, 340f., 345, 347, 365, 377, 385, 389, 393, 402, 413 Nichts 42, 60, 76, 84f., 90, 130, 152, 154, 156, 162, 176, 178, 181, 184, 192, 197, 200–202, 204, 240, 248, 270, 288, 305, 315, 323, 326, 329, 331, 344, 385, 392, 408, 451, 457, 474, 478, 510 Nichtsein 47f., 72, 84, 95, 132, 139–141, 144, 165, 177–181, 193, 209, 237, 377, 408 Nihilismus 10, 16f., 26, 96, 130, 137f., 274, 280, 304f., 308, 341f., 346f., 378, 382, 386, 477 Offenbarung 5f., 8–20, 26, 29f., 35f., 42, 44–46, 51–55, 59, 61, 64, 77–81, 83, 85f., 89–94, 96, 98, 103, 105–112, 114, 118f., 126, 128, 135, 140, 144, 146, 149, 152f., 155, 158, 162f., 165, 167, 169, 173–175, 178f., 187, 194, 196, 203, 226, 232f., 238, 243, 250, 252f., 255, 257, 266, 268, 271f., 282f., 286, 292, 298f., 306, 314–316, 319, 322, 324, 328, 330, 335, 342, 344, 346, 351, 362–364, 366f., 376f., 379–381, 383, 388, 395–398, 410, 413, 420, 422, 426–428, 430, 433, 461, 467, 470, 481f., 487, 490, 497, 499–501, 503–505, 509, 511f., 517–519, 521–524, 540 Ontologie 5, 14, 26f., 30, 47, 72, 77, 94–96, 99, 110f., 115, 127, 133, 139, 141, 147f., 172, 176–179, 185, 188–190, 192f., 202, 220, 241, 260–262, 264f., 267, 281, 288, 315, 325, 379–381, 413, 428, 472, 489, 497, 513 Pantheismus 268, 341, 421, 497 Paradigma 8, 94, 250, 291, 339 Paradigmenwechsel 80, 98f., 106, 316 Paradox 28, 30, 35–37, 49, 52, 56, 59, 62, 66, 96, 109–111, 113f., 117, 130–132, 144, 152, 160,
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Index
180f., 211, 216, 220f., 223–226, 239, 250, 257f., 262, 266–272, 331, 344, 385, 387, 394f., 414f., 418, 420–422, 427, 431, 435, 437, 458, 460, 473, 477, 481f., 485, 487–489, 494, 496f., 513f., 518–523, 543 Partizipation 144, 146, 148, 156, 161–165, 177, 182, 194, 196, 209f., 223, 231, 237–239, 245, 257, 268 Pastoral 12, 31, 274, 282, 286, 345, 525f., 529–532, 534f., 537f. Person 19, 21, 51, 63, 67, 117, 138, 152, 159, 185f., 190, 202, 205–207, 214, 217, 222, 224, 230, 241, 263, 281, 285, 295, 325, 329, 338f., 348, 353, 357, 380f., 386, 388f., 399–401, 405–407, 409, 414–416, 422–424, 426, 428f., 433–435, 438f., 443–449, 452f., 455f., 462f., 465, 471, 477, 486, 491f., 498, 541 Personalismus 147, 188, 190, 208, 259, 265, 448 Personbegriff 30, 264, 325, 388, 426f., 442–445, 447–449, 463, 480, 513, 516, 522 Philosophie 7, 12, 17, 32, 37, 43–46, 49–51, 53, 57f., 61, 68f., 72, 74, 76–82, 85, 87, 89, 93–95, 104, 106–111, 114f., 119, 122, 130, 145, 147f., 164, 171, 188, 191, 202, 208, 250, 252, 258–260, 262, 266, 268, 281, 288f., 291, 296, 300–302, 305f., 314–316, 319, 324–326, 330, 332–334, 340–349, 351f., 355–357, 361, 363f., 369–371, 380–382, 424, 443, 478, 481, 484, 487, 499–501, 503, 510, 543 –, negative 81, 142, 349, 482, 501 –, positive 30, 78–81, 83, 85, 87f., 107, 146, 171, 345, 348–351, 356, 381, 481, 500f., 540 Pluralismus 15, 281f., 329, 527 Pneuma-Theologie 60, 169f., 172f., 196, 244f., 248, 268
Pneumatologie 28, 57f., 101f., 125, 170, 191–193, 209, 227, 233f., 236, 242f., 246, 249, 262, 288, 291, 416, 432, 450f., 453f., 457, 460f., 477, 489f., 516, 539, 541f., 544 Polarität 51, 101, 177, 179f., 182, 186, 189, 192, 194, 249, 516 Postmoderne 24, 281–284, 290, 341, 439, 498f., 528f., 532, 537f. Potenzen 84f., 87, 352, 356, 381 Prophet 74, 338, 467f., 485 Protestantisches Prinzip 65, 136 Quasi-Religion
152
Realismus 120, 201, 391, 475 Rechtfertigung 26, 38, 48, 54, 56, 62, 72, 77, 84, 95, 108, 116, 129–131, 134f., 139, 145f., 153, 156f., 187, 234, 238–241, 246, 253f., 298, 343, 502, 506, 522 Rechtfertigung des Zweiflers 26, 72, 124, 130–132, 134f., 145f., 187, 240 Reformation 285, 525 Reich Gottes 5, 13, 27, 112, 126, 150, 169, 201, 210, 235, 241f., 244f., 247f., 409, 470, 486f., 539 Relationen 36, 231, 325, 380, 422, 429, 444f., 448, 462, 472, 480 Relativismus 113, 196 Religion 2, 14f., 36, 40, 42, 45f., 50, 61, 69, 75, 80, 85–87, 96, 98–105, 107, 109f., 115, 118, 121–125, 128, 132, 134–138, 143, 145, 148–152, 154, 158, 161, 169, 171f., 180, 187f., 190, 194, 208, 218, 243–245, 261f., 265, 270, 304f., 317, 323, 343, 400, 417, 420, 439, 450, 453, 456f., 478, 497, 500, 510–512, 515, 521, 539–541, 543 Religionsphilosophie 39, 57, 61, 63, 65, 70, 96, 115, 120f., 123, 133, 147f., 168, 173, 254, 271, 326, 358, 509, 540
584
Index
Revolution 1, 17, 126, 130, 214, 327, 346, 355, 393, 418f., 427f., 494, 520 Romantik 88, 302, 327 Sakrament 238, 291, 297, 409, 460f., 524f., 533, 537 Säkularisierung 284, 300, 303f., 313, 327, 505 Schöpfung 35f., 61, 93, 101, 117f., 128, 144, 183f., 189, 208, 213, 238, 242, 247, 256, 260–263, 273, 309, 315, 330, 336, 352, 357, 363–365, 382, 396, 406, 422, 425, 430, 450, 454–456, 458f., 472, 475, 486, 491, 494, 501f., 513, 543 Seelsorge 71, 236, 251, 256, 526, 532 Sein 1–4, 6–14, 16–21, 23–27, 30, 32–42, 44–50, 52–57, 59–285, 287–290, 294–301, 303–305, 307–315, 317–331, 334–338, 340, 342–367, 369–394, 396–400, 402–422, 424–441, 443–450, 452–457, 459–471, 473–484, 486–491, 493–495, 497f., 500–505, 507–513, 515–543 Sein-Selbst 57, 85, 104, 138, 141, 144, 158–163, 165, 171, 177f., 181–183, 185, 209, 234, 251, 267, 521, 539 Seinsmächtigkeit 140, 154, 156, 161, 164, 166, 177, 182, 268 Selbstbestimmung 81, 100, 102f., 105, 124, 128, 335, 337, 375 Selbsterweis 87, 356, 381, 395 Selbstverwirklichung 80, 92, 118, 128, 144, 183–185, 256, 366 Sinn 3, 12, 36, 42, 44f., 48, 50, 53, 59, 61, 72–74, 79, 99, 102, 111–126, 128f., 131f., 135, 140–144, 146, 149–151, 153, 155, 158, 175, 177, 193, 215, 235, 237, 243, 246–249, 251f., 324f., 328, 332f., 335, 338, 347, 351, 353–356, 367–371, 377f., 380, 382–386, 388–390, 392–397, 406, 408, 420, 425, 428f., 431, 436,
468, 472–474, 483f., 488, 494, 497, 507, 509, 511f., 519f., 527 Sinnbegriff 114f., 121f., 125 Sinnhorizont 53, 132, 328, 381, 383f. Sinnlosigkeit 10, 42, 72, 102, 119, 124, 130, 140f., 147, 156, 274, 378 Situation und Botschaft 1, 4, 9, 13f., 17–20, 22, 28–30, 32, 39–42, 49, 51, 68, 165, 275, 283, 306, 382, 471, 496, 519, 526, 528, 542 Soteriologie 18f., 28f., 33f., 37f., 64, 88, 107, 109, 113, 125, 145, 148, 168, 193, 196, 208f., 222, 236, 240, 251f., 255, 263f., 272, 278f., 283, 287, 289, 310, 334, 340, 390, 411f., 421, 423, 429, 431, 456f., 491f., 505–507, 517, 522f., 538, 543 Sprache 6, 22–24, 76, 98f., 125, 148f., 153–155, 158, 173, 181, 192, 194, 253, 270, 294, 306, 310f., 322, 328, 359f., 364, 367–369, 386, 396, 403, 412, 414, 432, 436f., 439, 462, 466, 473, 492, 516 Stellvertretung 223, 238, 278, 372, 374f., 393, 413, 425, 434, 463, 466 Subjekt 2f., 6, 25, 40, 45f., 48, 51, 53, 59f., 68, 76, 79, 81–83, 85, 87, 89–93, 95, 99, 103–105, 107, 109, 119, 133, 137, 143f., 146, 154, 161f., 170, 175f., 185, 227, 230, 232–236, 252, 255, 257, 272f., 304, 307, 310, 314f., 317, 319, 323, 325–327, 330, 337, 339, 341, 344, 356, 359, 367, 370, 378, 388f., 428, 440, 444f., 448, 452, 462f., 474f., 483f., 486, 501 Subjektivität 2, 14, 17, 21, 47, 52, 59, 69, 87, 89–92, 97–99, 103–106, 120, 122, 128, 145f., 169, 171, 183, 185–187, 230, 249, 272, 280, 300, 305, 308, 313, 317, 327, 340f., 344, 349, 362, 364, 381, 429, 444, 448, 474, 486, 499, 502
Index
Subjekt-Objekt-Schema 104, 138 Subsistenz 448 Substanz 2, 47, 49, 159, 179, 211, 214, 222, 303, 309, 356, 377, 380, 413, 423, 428, 452, 513 Supranaturalismus 53f., 91, 100, 138, 175, 198, 297, 313, 497, 521 Symbol 14, 26f., 30, 40, 42, 44, 48f., 53, 82, 96, 102, 104, 112, 118, 122, 124–127, 134, 136, 144f., 148f., 151, 153–161, 163–169, 171, 175, 180, 182, 186, 189, 195–203, 205f., 209–211, 213–215, 217, 219f., 222, 226, 232, 234, 239, 241f., 244, 247–249, 253, 256, 258, 260–263, 265–268, 270–272, 291, 314, 331, 392, 395, 425, 434, 445, 467, 469, 482, 505f., 513, 518, 521f., 527, 538f. Symboltheorie 26f., 30, 65, 104, 106, 115, 120, 124, 130, 134, 142, 144, 148, 152f., 160f., 165–167, 196, 234, 264, 267, 486, 505, 513, 516, 523, 538 Taufe 490 Theismus 63, 137f., 249, 307, 310, 363, 391, 416, 421 Theodizee 471 Theologie 1–7, 9–16, 18, 20–24, 26–58, 62, 64–73, 75–79, 82, 87, 89f., 92f., 95–101, 103–105, 108, 110–112, 114–120, 122–124, 126–129, 135, 138f., 141f., 145–151, 154–157, 164–171, 173f., 176, 179–181, 184, 188–190, 192, 195, 198f., 201, 204, 207f., 214, 217–219, 222, 224–227, 231–234, 239, 241f., 250, 252, 254f., 258–322, 324–334, 336–345, 350–352, 356–358, 361–365, 368–370, 379f., 382, 385–387, 389f., 396, 399–403, 408, 411, 413, 415, 417f., 421–427, 432f., 435, 439f., 442, 445–451, 453, 456f., 461f., 467–469, 471f., 477–479,
585
481–485, 487, 490, 492–496, 498f., 501–504, 508–510, 512, 516–524, 529, 531, 539f., 542f. –, apologetische 27, 39–41, 49–51, 64, 168, 170, 248, 269, 311 –, natürliche 26, 165f., 177, 267f., 307f., 318f., 330, 333, 357, 361–367, 370f., 381, 395f., 430, 493, 519 –, philosophische 89, 100, 127, 207, 267, 342, 386 Theologie der Kultur 26, 65, 134, 136, 148, 152, 168, 199 Theonomie 73, 91, 121–123, 128, 150f., 174, 176, 191, 244f., 272, 290, 300, 303f., 309, 312, 320, 329, 335–337, 396, 445, 454, 458f. Tiefe 1, 12, 14, 22, 47, 52f., 82, 120, 145, 151, 153, 160, 163, 174, 188, 216, 237, 267f., 284, 297, 345, 363, 418, 429, 446, 475, 479, 504, 517 Transzendental 4, 7, 17f., 23, 26, 28, 30, 42, 59, 80, 82, 87, 89, 92, 94, 99f., 130, 252, 255, 313–316, 319, 322–326, 329–334, 336, 340, 346, 351, 358f., 363–367, 370–377, 383, 386f., 389, 397, 403, 410, 412, 414, 420–422, 425f., 428, 432f., 443, 445f., 456f., 462f., 470, 481f., 489, 493, 497, 500, 519, 521 Transzendentale Methode 27, 306, 318, 324, 329, 331–333, 338, 363, 379, 402, 477, 511, 520 Transzendentalphilosophie/transzendentalphilosophisch 99, 120, 333, 386, 544 Transzendenz 88f., 109, 153, 155, 158, 161, 189, 272, 298f., 305, 309, 319, 326, 328, 331, 369, 387f., 392, 419, 425, 427, 433f., 440, 455, 466, 484f., 510 Trinität 233, 284, 291, 338, 343, 357, 363, 390, 416, 420–423, 427f., 431f., 439f., 446, 456, 490, 494
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Index
Tübingen 25, 75, 101, 113, 120, 217, 278, 293f., 296f., 311, 502 Unbedingtes 32, 44, 104, 142, 162, 189, 191, 312, 318, 375, 504, 540 Universalität 5, 8, 28, 37, 107, 112, 117, 119, 121, 187, 189, 194, 250, 265f., 282, 319, 323, 430, 439, 444, 449–451, 454, 457, 466, 511, 527, 539–541, 544 Utopie 116, 235, 282, 302, 368, 442 Vernunft 1, 13, 44, 52, 57, 61, 68, 72, 80f., 85, 88, 95, 113, 130, 143, 145, 169, 173–177, 179, 186, 310, 320f., 333, 335, 340, 346, 349f., 359, 362, 365f., 369f., 376–378, 402, 421, 470, 481f., 501–505, 510, 542 Versöhnungslehre 126, 161, 236f., 245 Verzweiflung 129–132, 135, 140f., 183, 186, 212 Wagnis des Glaubens 475 Wahrheit 1, 11, 15, 17f., 22, 24f., 37, 39, 41, 43, 47, 52, 55–57, 66, 79, 86, 90, 94, 100, 109f., 124, 127, 130–134, 139, 147, 156, 160, 162, 165, 175, 177, 190, 204, 212, 257, 260, 262, 268, 270, 275, 281, 284–288, 290, 297–299, 301, 316, 318, 320, 322–325, 328–330, 333–335, 350, 353, 355, 357–361, 366f., 374, 376, 383, 394f., 401, 408, 413f., 417, 420, 450, 462f., 467–469, 473, 479, 485, 504, 508, 512, 520, 526f., 530–533, 535 Was uns unbedingt angeht 38, 45–48, 70, 74, 111, 123, 141, 151, 158f., 164, 245, 504 Weisheit 5, 348, 362, 430 Welt 2, 5–8, 11f., 15f., 18, 25, 29, 35f., 45, 51, 60f., 66, 71, 76f., 80f., 86, 91, 107, 109, 116, 129, 138, 143–147, 149–151, 156, 161, 163, 172, 176f., 181f., 185, 196, 198, 201f., 212, 219f., 223–225,
238, 245, 248, 254, 259, 264, 269, 271, 278, 280, 294f., 297–300, 302, 304f., 308–310, 312–314, 322f., 325–327, 330, 340, 343, 346, 350, 352, 365–369, 374, 378, 381–384, 386–392, 394–397, 399, 406, 409, 415, 419, 421, 424–427, 430, 432, 442, 451, 453, 458–461, 464f., 467–469, 471, 473, 482, 484, 487f., 494, 499–501, 507, 509f., 513, 515, 521, 527, 533, 541, 544 Weltbild 263, 280, 328, 347 Weltkrieg 10, 12, 14, 24, 67, 70–74, 106, 109, 115f., 139f., 143, 177, 252 Wirklichkeit 1–3, 7, 13, 22, 26, 28, 32, 41, 49, 63, 72, 79, 82, 84, 89f., 92, 98, 101, 105, 115, 123–125, 127f., 130, 133, 136, 138, 143, 145, 147, 149f., 153f., 158, 161–165, 169f., 172, 174f., 177, 184f., 187–189, 194, 199, 204–206, 212f., 215, 219f., 222f., 225, 228, 230f., 236, 238f., 246, 249, 260–262, 264, 267f., 273, 288, 290f., 300, 303, 308f., 314f., 317, 319, 322, 325, 327, 330, 333, 339, 341, 344–350, 352f., 358, 366–371, 374, 378–383, 386–390, 392, 397, 406, 409, 419f., 423f., 426–428, 430, 432, 441, 449, 453, 463, 469, 471–475, 481, 488, 494, 499–501, 505, 516, 524, 537, 539, 541 Wissenschaft 57, 75, 109, 120f., 129, 149, 152, 168, 206, 219, 250, 284–286, 290f., 315, 328, 395, 403, 441, 496, 498, 500f., 505, 521 Wort 5–7, 11–13, 18–20, 24, 33, 40, 49, 56–58, 60, 62f., 65f., 72, 77, 93, 99, 116, 118, 127, 133, 136, 154f., 157f., 160, 170, 181f., 190, 196f., 204, 209f., 219, 230, 243, 247, 251f., 257, 259, 264, 277–279, 283, 285f., 288, 290, 292, 295, 297f., 303, 317,
Index
320–322, 324, 327, 329, 332–334, 336f., 339, 350, 353, 359–363, 365, 367f., 376, 380, 383f., 390, 397f., 405, 409, 415, 420, 422, 430, 433, 441, 456–458, 462, 471–475, 480, 482, 485, 488f., 492, 500, 507, 519, 534, 543 Wunder 82, 162f., 171, 175, 214, 249, 377, 406 Zeichen 73, 153, 187, 250, 255, 286, 291, 331, 384, 392, 394, 408f., 456, 460, 469f., 482, 533 Zeit 2–4, 6f., 9–11, 15f., 19, 21, 25, 30, 41f., 54, 60, 69–71, 73, 76, 96, 114f., 119, 121, 136, 146–148, 155f., 160, 179, 208, 221f., 248, 255, 261, 276, 282, 286, 288, 291, 294f., 301, 314–317, 319, 321,
587
328, 334, 344, 347, 351–355, 359, 396, 404, 409, 413–415, 418, 423–425, 429, 443, 447, 460, 462, 478, 480, 486, 498f., 503, 526, 531, 537f. Zeugnis 32, 206, 226, 266, 298, 300, 306f., 386, 391, 397, 419, 446, 467, 470, 523 Zweideutigkeit 27, 57, 94f., 102, 116, 131, 135, 143, 150, 162, 170, 177, 191f., 194f., 209f., 212, 239, 242–245, 247f., 263, 464, 506, 508, 511, 517, 527f., 532 Zweifel 25, 44, 46, 54, 62, 99, 116, 119, 124, 130–132, 134f., 139–141, 146, 152, 156f., 164, 190, 250, 253, 273, 283, 502, 523 Zwei-Stockwerke-Schema 329, 365