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German Pages [460] Year 1966
KJELL OVE N I L S S O N · S I M U L
KJELL ОVE NILSSON
SIMUL Das Miteinander von Göttlichem und Menschlichem in Luthers Theologie
VANDENHOECK & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N
Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte Band 1 7
Aus dem schwedischen Manuskript übersetzt von Christiane Sjöberg-Boehncke, unter teilweiser Mitarbeit von Hans C. Deppe
Umschlag: Christel Steigemann Gedruckt mit Unterstützung des schwedischen Staates. © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1966. Printed in Sweden. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Herstellung: Berlingska Boktryckeriet, Lund
INHALT
Einl.
Die Werke und das Gottesverhältnis Geistliches und weltliches Handeln im Lichte der modernen Theologie und Lutherforschung Die Werke und das Verhältnis von Göttlichem und Menschlichem als prinzipielles Problem
22
Die Schöpfung und die Werke - ein simul von Göttlichem und Menschlichem, Gnade und Zorn Α Der Wille Gottes in der Welt des Menschen ι Mandatum Dei und servum arbitrium 2 Der Teufel und der Unglaube В Der Mensch unter dem Regiment Gottes χ Dominium und cooperatio 2 Die Verkehrtheit und der Mißbrauch С Der Mensch im Dienst am Nächsten ι Berufsgehorsam und Billigkeit 2 Selbstsucht und Furcht
35 35 36 56 78 79 96 116 117 132
ι 2
7 7
Kap. I
Kap. II
Das Werk Jesu Christi - ein simul von Göttlichem und Menschlichem, Rechtfertigung und Sünde Α Der Gott im Fleisch ι „Von unten anheben" 2 Simul vere Deus et vere homo В Der Gott in der Sünde ι Simul justus et peccator 2 Exinanitio et exaltatio С Communicatio idiomatum ι Luthers Auseinandersetzung mit Nestorius und Eutyches . . . 2 Das Zentrum der Inkarnation und der Erlösung
Kap. III Die Kirche und die Werke - ein simul von Göttlichem Menschlichem, Gesetz und Evangelium Α Das Reich Christi in „eusserlichen dingen" ι Hoc est - zur Vergebung der Sünden 2 „Leypliche Christenheit" und communio sanctorum
151 151 153 171 190 192 209 227 228 244
und 261 261 262 285
В
Der Sünder unter der erneuernden Gnade Gottes
309
ι
Simul justus et peccator
310
2
Der progressus des Glaubens, die Anfechtung und das Gebet .
С
Das neue Handeln der Liebe
357
ι
Der Glaube allein und die Werke des Glaubens
358
2
Das Evangelium, die Vermahnung und das Gesetz
384
Die inkarnatorische
413
Schluß
.
Ethik Luthers
ι
Der Christ als Bürger zweier Welten - ein Ausdruck für die com-
2
municatio idiomatum Der Christ als gestorben und auferstanden mit Christus - ein Ineinander von göttlicher und menschlicher Aktivität
329
413 424
Literatur
434
Sachregister
446
Personenregister
454
Abkürzungsverzeichnis
458
Einl. Die Werke und das Gottesverhältnis
ι.
Geistliches und weltliches Handeln im Lichte der modernen Theologie und Lutherforschung
Die lutherische Ethik ist Gegenstand vieler und unterschiedlicher Beurteilungen gewesen. Besonders zwei Gesichtspunkte kehren oft wieder und stehen sich gelegentlich ziemlich nahe. Einmal behauptet man, Luther und das Luthertum hätten keine eigentliche Ethik, man vermißt zumindest eine wirkliche Sozialethik. Hier beschuldigt man also das Luthertum, sich in innerweltlichen und sozialen Zusammenhängen passiv und quietistisch zu verhalten. Der andere Gesichtspunkt charakterisiert die lutherische Ethik als relativ und existentiell bedingt. Hier wird sie als eine Sammlung nur zufälliger Richtlinien und praktischer Anpassungsmöglichkeiten verstanden - ohne inneren theologischen Zusammenhang mit dem Gottesverhältnis des Menschen \ Wenn man heutzutage fragt, welche Rolle das Christentum für die Entstehung der abendländischen Kultur in ihren wechselnden Gestaltungen gespielt hat, achtet man genau auf die unterschiedlichen Rollen und die verschiedenen Stellungnahmen, die die Konfessionen in ihrem Verhältnis zu sozialen und politischen Fragen abgeben*. Kapitalismus, Industrialis1 Die häufig vorkommende Unterscheidung von Individualethik und Sozialethik hat, wie viele spätere Distinktionen, keine Beziehung auf Luther selbst. Das ethische Leben ist zwar etwas zutiefst Persönliches, aber andererseits funktioniert es nur im Gemeinschaftszusammenhang. Luthers Ethik ist im eigentlichen Sinn eine religiöse Ethik, die den einzelnen Menschen vor Gott stellt, sie ist „personhaftig", indem Gott den Menschen ergreift und ihn zu Aktivität treibt - und insofern ist es unmöglich, die Ethik als einen von der Dogmatik getrennten locus abzugrenzen. Diese Aktivität findet indessen immer in einer konkreten Welt statt, unter vielen und verschiedenen Menschen. Die Ethik Luthers ist darum auch eine stets nach außen zielende, lebensbejahende und aufsuchende Ethik - und insofern ist sie beweglich und veränderlich. - Siehe in der umfangreichen Literatur z.B. E. Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (Ges. Schriften I) 1912, G. Wünsch, Evangelische Wirtschaftsethik 1927, P. Joachimsen, Sozialethik des Luthertums 1927, O. Dittrich, Luthers Ethik 1930, W. Betcke, Luthers Sozialethik 1934, E. Sormunen, Die Eigenart der lutherischen Ethik 1934, H. Olsson, Grundproblemet i Luthers socialetik 1934, und ferner auch F. Gogarten, Politische Ethik 1932, E. Brunner, Das Gebot und die Ordnungen, 3. Aufl. 1939, W. Eiert, Das christliche Ethos 1949, H. Thielicke, Theologische Ethik I 1951. Siehe auch unten Kap. III С und am Schluß. 2 Z . B . Joachimsen 1927, 4 5 f f . und G. W.Forell, Faith Active in Love 1954, 22 f f . Ein interessanter Versuch, das Verhältnis von Christentum und Kulturleben typologisch zu beschreiben, ist die Arbeit von H. R. Niebuhr, Christ and Culture 1951, die von Troeltsch abhängig ist und zugleich ein Korrektiv dazu sein will,
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Die Werke und das Gottesverhältnis
mus, Nationalismus und andere Erscheinungen sind in gewissem Umfang von der herrschenden religiösen und soziologischen Lage her erklärt worden. Aus diesem Grund hat man den direkten Einfluß der Konfessionen oft miteinander verglichen; ein Vergleich, der häufig zum Nachteil des Luthertums ausfiel, weil man es passiv, unklar und wenig für das soziale Engagement geeignet zu finden glaubte. Seit alters war ja die katholische Kirche, und das galt zumindest bis zum Ende des Mittelalters, Schöpfer und Träger der abendländischen Kultur gewesen und hatte dadurch auch dem ganz weltlichen Leben ihren Stempel aufgedrückt. Eine hierarchisch geordnete Kirche mit großer äußerlicher Macht konnte und kann noch immer in nicht geringem Maße das soziale und politische Leben beeinflußen, unter anderem durch die autorisierte Deutung, die diese Kirche dem natürlichen Gesetz in seinen verschiedenen Funktionen gibt. Durch Riten und Weihen wird auch der profane Sektor gesellschaftlichen Lebens geheiligt und „vergöttlicht". Alles wird in die ausgebreiteten Arme der Kirche gezogen und bekommt dadurch gewissermaßen den Stempel kirchlicher Billigung. Für diese Synthese ist der berühmte Satz des Thomas von Aquin charakteristisch: Gratia non tollit naturam, sed perficit; die Gnade vervollkommnet die natürlichen Ordnungen und erhebt sie auf eine höhere Ebene. In gewisser Weise ist das Resultat für den Calvinismus, trotz anderer theologischer Motivierung, dasselbe. Auch vom reformierten Standpunkt aus kann man sagen, daß die Kirche Gottes Willen in dieser Welt durchzuführen habe und ihren Stempel auf das soziale und kulturelle Leben setzen müsse. Die Gebote Gottes und die neutestamentlichen Ermahnungen haben beispielsweise für die Leitung des Staates und für die Gesetzgebung wegweisend zu sein. Zu gewissen Zeiten und unter gewissen Umständen hat das zu Rücksichtslosigkeit und Intoleranz geführt, unter anderen Verhältnissen und in der Gegenwart vor allem eine erstaunliche Offenheit und Beweglichkeit zur Folge gehabt. Hier hat man mit Leichtigkeit von reformierten Ausgangspunkten aus politische und soziale Programme in einem christlichen, demokratischen und liberalen Geiste aufstellen und akzeptieren können, bei denen das Wort „christlich" gerade die entscheidende Bestimmung ausmachte*. Diese Verschmelzung von kirchlichen und profanen, geistlichen und weltlichen, inneren und äußeren, stets jedoch mit einem göttlichen und christlichen Vorzeichen versehenen Momenten ist die unwidersprechliche Stärke in den römischen und reformierten Standpunkten. Sie vereinigen eine complexio oppositorum und eine weltbezwingende Theokratie in sich, die beide der lutherischen Theologie fremd sind, ein Verhalten, das besonders in der Frage nach der Auffassung von der Kirche und dem Bibelverständnis erkennbar ist. 3 Troeltsch 1 9 1 2 , 7 1 3 f f . , ders., Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt 1 9 1 1 , u.a. 89 f f . , M. Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I 1920, 17 f f . , 48 f f . , 207 f f . , Wünsch 1927, 287 f f . , und mehrere Schriften von W . Sombart und M. Scheler,
Die Werke und das Gottesverhältnis
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Von diesen Voraussetzungen aus muß die Deutung Luthers einseitig und irreführend werden, denn das alles sind nicht Luthers Voraussetzungen. Man hat zum Beispiel folgende Überlegung angestellt: Es scheint, als wäre Luthers religiöse Konzentration auf das Glaubensverhältnis des Menschen vor Gott der Grund für seine mehr periphere Sicht von der Welt und von dem ethischen und politischen Handeln. Der Kampf der Seele um einen gnädigen Gott scheint ja die Aufmerksamkeit ganz von weltlichen Angelegenheiten abzuziehen. Es sieht aus, als würde der Kampf im Inneren des Menschen zwischen Sünde und Gnade, zwischen Satan und Gott, das äußere Tun und Lassen in die Ecke verdrängen. Daraus entsteht die Frage: hat Luthers reformatorische Entdeckung, seine tiefgreifende Auffassung von der Sünde und seine umstürzende Gewißheit der Sündenvergebung eine religiöse Erneuerung sonst selten sichtbaren Ausmaßes zum Inhalt gehabt, aber gleichzeitig eine Verengung der ethischen Perspektiven mit sich gebracht? Hat das neue innere Leben auch Früchte im äußeren bringen können? tiat das Verhältnis des Menschen zu Gott auch seinem aktiven Leben in der Welt neue Kräfte gegeben, gesteigerten Enthusiasmus verliehen, soziale Aktionen und politischen Einsatz entstehen lassen? Viele haben hier deutlich mit Nein geantwortet \ Natürlich ist das Luthertum zur Stellungnahme gezwungen worden, oft jedoch, wie man meinte, ohne Erfolg und Resonanz. O f t erschien es zersplittert und unschlüssig, ohne klare Linien und objektive Antworten. Man konnte in einzelnen Fälle gute Ratschläge und Gesichtspunkte erwarten, aber in den großen sozialen und politischen Zusammenhängen mußte und muß man vergeblich auf ein generelles und erlösendes Wort warten. Ist diese Einstellung der Ausdruck von Zaudern und Verlegenheit? Ist sie ein Beweis dafür, daß sich das Luthertum, wenn keine klaren und inspirierenden Antworten mehr zu erhoffen sind, als Ethik und Weltanschauung selbst überlebt hat? Oder ist ganz und gar der Mangel an Prinzipien und generellen Regeln in sich selbst ein Prinzip? Diese skeptischen Fragen waren der Anlaß für die beiden in der Einleitung angedeuteten Antworten. Entweder ist die lutherische Ethik als selbständige christliche Ethik außerordentlich schwach und unklar, oder sogar überhaupt nicht vorhanden, oder es ist wahr, daß ihr oberstes Prinzip die Prinzipienlosigkeit ist, und dann wäre sie nur zeitgebunden, zufällig, ja sogar ganz willkürlich. Dann müßte man sich nicht darüber wundern, wenn man wie Georg Wünsch vom „Zusammenbruch des Luthertums als Sozialgestaltung"6 reden könnte. Um unseren hier aktuellen Problemen eine gewisse Perspektive geben zu können, wollen wir zunächst eine skizzenhafte, wenn auch vergleichsweise umfassende Übersicht über einige tonangebende Theologen dieses Jahrhunderts geben, die alle, mehr oder weniger, positiv oder negativ, von ' Siehe u.a. die in der vorigen Anm. erwähnten Arbeiten. Vgl. auch R. Bring, Lag och evangelium, SvTK 1936, 207 ff., und G. Törnvall, Evangeliet och den världsliga ordningen hos Luther, SvTK 1937, 61 f f . 5 Nach dem Titel eines Buches von G. Wünsch 1921.
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Die Werke und das Gottesverhältnis
Luther bestimmt sind. Sie zeigen auch in concreto - und besser, als eine bloß prinzipielle und kategoriale Typeneinteilung es tun könnte - verhältnismäßig eindeutige Tendenzen zu, an Luthers Position gemessen, einseitigen Stellungnahmen. Hier wird es also um Ernst Troeltsch und seinen Nachfolger Georg Wünsch gehen, um Karl Holl, um Paul Althaus und andere Anhänger der „Theologie der Ordnungen", und um Karl Barth. Natürlich gibt es viele bedeutende Theologen, die in diesen Fragen eine grundsätzlich andere Auffassung haben und oft - das gilt sowohl für skandinavische als für deutsche Gelehrte - einen Standpunkt einnehmen, der dem in dieser Arbeit vorzustellenden nahe verwandt ist. Darüber braucht hier jedoch kaum Rechenschaft abgelegt zu werden. Sie sind nicht selten die Inspirationsquellen dieser Untersuchung gewesen, was sich in manchen Zusammenhängen zeigen und dort näher behandelt werden wird. Die Ursachen jenes „Zusammenbruches", der nach Wünsch das sozialethische Resultat des Luthertums wurde, sind, nach Meinung von Ernst Troeltsch und anderen, die unerlaubt scharfen Grenzziehungen zwischen Religion und Ethik, zwischen Geistlichem und Weltlichem in der Theologie Luthers. Troeltsch arbeitet mit einem Gegensatz zwischen religiöser Idee und weltlichen Institutionen. Mit einer solchen spiritualistischen Grundvoraussetzung wird Luthers Rede vom Verhältnis zwischen Geistlichem und Weltlichem tatsächlich zum beinahe unlösbaren Problem. Die beiden Regimente werden als zwei unterschiedene, unmöglich zu vereinende Welten oder Reiche aufgefaßt. Wünsch kommt zu derselben Konsequenz: „Ein Abgrund trennt diese beiden Sphären" Die eine repräsentiert die Religion, das Gottesverhältnis als etwas Innerliches, Geistliches, von der Welt Getrenntes, die andere ist ganz einfach „die Welt". Hier gilt eine „schroff dualistische Teilung von Welt und Überwelt" und eine davon abhängige „ D o p p e l m o r a l " D i e äußeren Ordnungen in der Welt und die Schöpfung als solche fallen aus dem Gottesverhältnis heraus 8. Hier die religiösen Intentionen mit einer innerweltlichen Ethik vereinen und „ein einheitliches Ethos" schaffen zu wollen, scheint von solchen Voraussetzungen aus eine unmögliche Aufgabe zu sein. „Das religiöse Gut" und die verschiedenen „innerweltlichen Güter", als ethischer Selbstzweck gesehen, stehen in unauflöslicher Spannung zueinander Die natürliche, humanitäre Ethik und die christliche Ethik aus dem Evangelium werden nebeneinander gestellt und beide als notwendig, doch ohne eigentlichen organischen Zusammenhang untereinander verstanden In Troeltschs Zweckethik mit ihren verschiedenen „Gütern" gibt es also keine eigentliche Einheit. Sie zielt auf eine Vielfalt verschiedener Zwecke, die es so weit wie möglich zu harmonisieren gilt. Im Grunde genommen * Wünsch 1 9 2 1 , 19. 7 Troeltsch 1 9 1 2 , 476 f f . , und Wünsch 1 9 2 1 , 16 f., 19. 8 Vgl. auch R. Sohm, Kirchenrecht I 1892, 468, 548 f., seine spiritualistische Auffassung des Gottesreiches und die dadurch bedingte säkularisierte Auffassung der Welt. ' E. Troeltsch, Grundprobleme der Ethik (Ges. Sehr. II) 1 9 1 3 , 637 und 653. 10 Vgl. F. Naumann, Briefe über Religion, 2. A u f l . , 1903, z.B. 72.
Die Werke und das Gottesverhältnis
gibt es diese Doppelheit schon im Menschen selbst, existiert dort eine „Polarität der religiösen und der humanen Sittlichkeit", was beides zwar notwendig ist, im Prinzip jedoch unmöglich auf eine gemeinsame Formel gebracht werden kann. Nach Troeltsch muß man sich in der Praxis damit helfen, die Sittlichkeit auf verschiedene Personen und „Stufen" zu verteilen 11 , was durch die zusammenbindende Funktion des Naturrechtsbegriffes und die darauf folgende Scheidung von relativem und absolutem Naturrecht möglich wird. Das Resultat wird auf diese Weise sowohl ein Gegensatz als auch ein bloßer Gradunterschied zwischen weltlicher Sittlichkeit und christlicher Ethik Bei Karl Holl, Troeltsch's stärkstem Gegenspieler, scheinen die theologischen Voraussetzungen im Grunde nicht anders zu sein. Das weltliche Regiment und die ganze geschaffene Welt überhaupt haben keine prinzipielle Bedeutung für das Gottesverhältnis des Menschen, weil dieses als eine geistliche und innere Relation von übersinnlichem Charakter, unabhängig auch von der äußeren Wirklichkeit, aufgefaßt wird. Die spiritualistische Auffassung von der Kirche 11 kehrt hier wieder und macht eine Zusammenschau von Geistlichem und Weltlichem sowohl in der Regimentenlehre, als auch in der Ethik, unmöglich. Das geistliche Regiment oder die Kirche wird als ein übersinnliches Reich neben oder besser über der weltlichen Sphäre verstanden; Die Außenwelt bedeutet da nichts anderes als eine Institution im Dienst des Reiches Gottes; die weltlichen Zusammenhänge werden zum äußeren Rahmen, zur Szenerie, in der der Christ sein Christentum entwickelt und seine christliche Ethik v e r w i r k l i c h t S o wird, nach Holl, das Leben in der Welt „verchristlicht" Es gibt nämlich in Holls Theologie diesen „Zielgedanken": alles Handeln innerhalb der natürlichen Ordnungen muß auf das Gottesreich ausgerichtet sein. Das „Ziel" ist dann die unsichtbare, geistlich verstandene Kirche. Alles Geschehen in der Welt muß sich also dadurch als christlich ausweisen, daß es sich bewußt auf Gott bezieht. Durch diese Zielsetzung wird das Gottesverhältnis als ein „Sollen" gegenüber der äußeren Welt bestimmt Auch Troeltsch spricht von weltlichen Ordnungen als von Gott eingesetzten Ordnungen, und er versteht sie nur als Grundlagen, Formen und Voraussetzungen christlichen Lebens. In beiden Fällen prägt eine spiritualistische und institutionalistische Betrachtungsweise die Argumentation. Als Resultat entsteht eine höhere und eine niedrige Ordnung. Schöpfung und Welt bekommen keine Integrität und die Handlungen, die in ihnen ausgeführt werden, werden isoliert und erhalten einen geringeren W e r t S i e sind gewiß Ausdruck göttlicher Wirksamkeit, sie bekommen ihre christ11
Troeltsch 1 9 1 3 , 658, 664 f. Z.B. Troeltsch 1 9 1 2 , 524 ff.; vgl. hierzu Olsson 1 9 3 4 , 1 5 f., und A . Nygren, Filosofisk och kristen etik 1 9 2 3 , 56 f f . " So bei Troeltsch 1 9 1 2 , 5 1 3 f f . 14 K . Holl, Gesammelte Aufsätze zur Kirchcngcschichte I 1 9 2 1 , 210 f f . , 255 f. 15 Ib. 225, 367 f. 19 Ib. 79, 85, 296 f. und 363 f f . 17 Ib. 203 f f . ; vgl. Troeltsch 1 9 1 2 , 492. 12
Die Werke und das Gottesverhältnis
liehe Qualifikation aber erst dadurch, daß sie in die Kirche eingesetzt werden. Diese Überlegung führt bei Troeltsch zur Vorstellung vom corpus christianum zu einem Versuch, in einem höheren Dritten die umfassende Einheit von Geistlichem und Weltlichem zu sehen. Das hindert ihn nicht, unter spiritualistischem Vorzeichen von zwei verschiedenartigen Moralbegriffen zu reden, einem „Gesinnungschristentum" und einer „weltlichen Amtsmoral" Holl wendet sich gegen diese corpus christianum-Idee und will nicht, wie Troeltsch es tut, Kirche und Staat zu verbinden versuchen'", aber auch für ihn ist der Gesichtspunkt der Wertung das ständig entscheidende Moment. Es liegt Holl daran, die Unterscheidung abzuweisen, die Troeltsch zwischen absolutem und relativem Naturrecht, zwischen „Naturrecht des Urstandes" und „Naturrecht des Sündenstandes" " und der dadurch bedingten Unterscheidung von „Personmoral" und „Amtsmoral" " vornimmt. Für Troeltsch und Wünsch zerfällt die Welt in eine innere Sphäre, die vom Glauben und von der Liebe beherrscht wird, und in eine äußere Sphäre, in der die Vernunft und das Gesetz regieren. Holl polemisiert ständig mehr oder weniger deutlich gegen den Gedanken einer „Eigengesetzlichkeit" der natürlichen Ordnungen. Natürlich hat auch für Holl das sittliche Handeln zwei „Beziehungspunkte", das Liebesgebot und die äußeren, faktischen Verhältnisse in der Welt. Daraus folgt aber keine „ZwiespältigkeitMan kann die Vernunft und die lex naturae nicht so als organisierende Prinzipien der natürlichen Ordnungen sehen, als könnten sie einen im Verhältnis zum christlichen Glauben autonomen Bezirk bilden. Für Holl ist diese grundlegende Aufspaltung der Theologie Troeltsch's der entscheidende Angriffspunkt. Der Fehler wird dadurch nicht geringer, daß Troeltsch die beiden verschiedenen Sphären durch die Idee des corpus -christianum - zunächst nicht als corpus mysticum, was Holl anerkennen würde, sondern als societas christiana verstanden - wieder zu verbinden sucht. Holl hält" auf Grund seiner Lutherstudien einen solchen „Gesamtverband" für undenkbar, und in diesem Zusammenhang sieht er sich deswegen genötigt, nachdrücklich zwischen geistlichem und weltlichem Regiment - „zwei verschiedenartige, in sich geschlossene Verbände" " - zu unterscheiden. Aber wenn er - und das kann nun wie eine Ironie des Schicksals aussehen - dann Luthers Anschauung vom Verhältnis zwischen Geistlichem und Weltlichem, zwischen Glaube und Vernunft, zwischen Troeltsch 1 9 1 2 , 484 ff., 5 2 1 ff., 667 ff. Ib. 486 ff., 5 0 7 . 20 Holl 1 9 2 1 , 292 f. 21 Durchweg bei Troeltsch 1 9 1 2 , z.B. 164, 255 ff., 378 ff., 5 3 2 ff., 585, 6 5 7 ff., während Holl ebenso durchgängig diese Auffassung des Naturrechtes zurückweist, 1 9 2 1 , 207 ff., 2 4 ° . 367 f f · 22 Troeltsch 1 9 1 2 , z.B. 4 7 3 ff., 500 ff., 539 f.; vgl. G. W ü n s c h , Die Bergpredigt bei Luther 1 9 2 0 , 222 ff., und ders. 1927, 3 1 7 . Siehe auch die wohlbegründete Kritik bei Thielicke 1 9 5 1 , 587 ff. 2 5 Holl 1 9 2 1 , 240 ff. 34 Ib. 2 9 1 ff. ,e
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Liebesgebot und lex naturae angeben soll, dann wird er durch seine Kritik an Troeltsch zu dem typisch Hollschen Ausdruck „die christliche Sittlichkeit" verführt. Der Glaube und das mit ihm verbundene „Sollen" werden der Vernunft und den weltlichen Ordnungen übergeordnet, die selbst einer niedrigeren „Stufe" angehören und nicht etwas „eigentlich von Gott Gewolltes" sind Aber da macht Holl eigentlich denselben Fehler wie die Vertreter des corpus christianum-Gedankens, die er sonst scharf kritisiert: er vermengt zwei Komponenten, die er getrennt halten will, und das Resultat ist nicht eine begreifliche Dialektik, sondern ein dunkler K o m p r o m i ß H o l l ist also in Troeltsch's Fragestellung hineingetrieben worden und trotz aller Polemik und Kritik sind die Gegensätze, weil ja auch die Voraussetzungen dieselben sind, letzten Endes nur scheinbar. Bei beiden wird die selbstverständliche theologische Grundlage durch den Gegensatz von Geist und Materie gebildet. Wenn man das später unnuanciert mit dem Gegensatz zwischen Geistlichem und Weltlichem, Innerem und Äußerem, Göttlichem und Menschlichem identifiziert, hat man den Hauptfehler begangen, der so viele Probleme verursacht. Das alles hatte nicht nur für die Auffassung von der lutherischen Ethik, sondern mehr noch und zunächst für die Ekklesiologie und die Anthropologie - von der Christologie ganz zu schweigen genau konstatierbare Folgen. Das geht aus diesen Andeutungen bereits klar hervor und soll später noch in Einzelheiten erläutert werden. Beide hier angeschnittenen Standpunkte gründeten sich auf Lutherstudien und wurden für Generationen von Luthersforschem wegweisend; besonders Holls tiefschürfende Arbeit mit der Theologie Luthers gab viele neue Impulse. Für die theologische Tradition, in der wir uns bisher bewegten, und die ihre Wurzeln weit zurück im Pietismus und im Idealismus hat, ist es für die Beschreibung des Gottesverhältnisses bezeichnend, daß man sich spiritualistischer Kategorien bediente. Der Glaube, das Evangelium und die Kirche wurden als „geistliche" Größen ausgegeben und von der äußeren Wirklichkeit isoliert. Die Schöpfung und die irdischen Verhältnisse wurden dadurch, daß man sie ihres göttlichen Inhaltes entleerte, zu etwas rein profanem erniedrigt und „säkularisiert". Die pietistische Vorgeschichte kann man am ehesten als einen Gegensatz zum römischen Kirchenverständnis beschreiben, hier wird die Kirche als eine anstaltsbetonte, fest in der äußeren Welt verankerte, ja beinahe rein irdische Einrichtung dargestellt. Im Gegensatz dazu wurde auf lutherischer Seite ein Kirchenbegriff ausgebildet, der alles Gewicht auf da's" innere, geistliche Leben des Individuums und auf den unsichtbaren Charakter der Kirche als communio sanctorum legte. Ib. 295. " Ib. 84, 209 f f . , 369, 384. Siehe auch Olsson 1934, 68 f f . " „Eine alles umspannende Ordnung" nach Luther ist von Holl folgenderweise beschrieben worden: „Das Reich Gottes ist die höhere Einheit, die Staat und [sichtbare) Kirche als ihre Mittel unter sich befaßt und sie dadurch auch untereinander verbindet", 1921, 297. Vgl. zu dieser Forscherdiskussion K. Matthes, Das Corpus Christianum bei Luther im Lichte seiner Erforschung 1929. 25
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Diese Aufspaltung des Daseins in zwei Bereiche konnte also teils zu einer Über- und Unterordnung, teils zu einer Nebenordnung von geistlich und weltlich, von einer Welt des Glaubens und einer Welt des Handelns führen. Deswegen konnte sich auch die theologische Reaktion, die in den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts immer stärker wurde, ganz entsprechend ausformen. Auf der einen Seite wandte sich die sogenannte Theologie der Ordnungen gegen eine Verchristlichung der äußeren Welt und wollte die selbständige Rolle und den Eigenwert der Schöpfung und der Ordnungen beschirmen2S. Auf der anderen Seite kritisierte Karl Barth " besonders die Auffassung der „natürlichen Theologie" von der lex naturae und von dem als autonom verstandenen und vom Gottesverhältnis geschiedenen Handeln in irdischen Zusammenhängen. I beiden Fällen wollte sich diese Reaktion auf das Neue Testament und auf Luther stützen, welch letzteres bei Barth jedoch nur unter ständiger Kritik geschah. Die Theologie der Ordnungen will mit der Spiritualisierung fertig werden und der Schöpfung ünd dem Zusammenhang des ersten Artikels im Gottesverhältnis wieder Platz verschaffen. Als göttliche Schöpfung enthalten die Ordnungen auch neben dem Evangelium ihr gutes. Sie haben ethische Bedeutung, geben dem Handeln Richtlinien und zwingen zur Gemeinschaft und zu gegenseitiger Hilfe 30 . Die Schöpfungsordnungen haben also eine eigene Bedeutung für die Ethik und sind nicht nur, um mit Troeltsch zu reden, „bloße Formen und Voraussetzungen" Das ist ohne Zweifel ein richtiger Grundgedanke Luthers, den man allzulange vergessen hatte. Erst bei dem weiteren Entwickeln dieser allgemeinen Tendenz wird man gelegentlich gegenüber den Theologen dieser Richtung skeptisch werden müssen. Oft sind „Schöpfungsordning" und natürliches Recht verabsolutiert worden und haben einen in gewisser Weise definitiven Charakter bekommen, der entweder auf einer Säkularisierung oder auf einer Mythologisierung beruhte, entweder auf einer völligen Lösung von der Gottesrelation, auf absoluter „Eigengesetzlichkeit" und Autonomie 32 oder auf einer Proklamation ihrer uneingeschränkten Göttlichkeit, auf einer christlichen Legitimierung einer konkreten äußeren Wirklichkeit " Zum Begriff „Ordnung" siehe P. Althaus, Theologie der Ordnungen, 2. A u f l . , 1935, 9 f f . , W. Eiert, Morphologie des Luthertums II 1932, 37 f f . , und Brunner 1939, 192 f f . Vgl. К . E. Olimart, Der Begriff der Schöpfungsordnung in der evangelischen Theologie der Gegenwart 1 9 3 3 , W . Wiesner, Die Lehre von der Schöpfungsordnung 1934, und W . Künneth, Politik zwischen Dämon und Gott 1954, bes. 1 1 6 f f . " Hinsichtlich der Verbindung Barths mit der dialektischen Theologie im allgemeinen siehe B.-E. Benktson, Den naturliga teologiens problem hos Karl Barth 1948, hier bes. die Einl. X X V I f f . und Kap. 1 , 1 - 4 2 . Vgl. die ähnliche Beurteilung von Seiten des rö misch-katholischen Forschers A . Brandenburg, Hauptprobleme der evangelischen Theologie 1957, 22 f f . 30 Vgl. Brunner 1939, 194. 31 Troeltsch 1 9 1 2 , 492, 506. за P. Althaus, Der Geist der lutherischen Ethik im Augsburgischen Bekenntnis 1930, 45; siehe auch Künneth 1954, 75 f f . " Vgl. E. W o l f , Z u r Sozialethik des Luthertums [in: Kirche, Bekenntnis und Sozialethos 1934, 66, 7 3 ) .
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Eine auf solche Weise statisch und beinahe deistisch verstandene Theologie der Ordnungen konnte leicht, und das weckt kaum noch Verwunderung, zur Verteidigung einer konkreten politischen Ideologie mißbraucht werden". Das war nur die extreme Konsequenz der Voraussetzungen dieser Theologie: der Unterscheidung von „Ur-Offenbarung" und „Heilsoffenbarung" vom „Gebot des Schöpfers" und „Gebot des Erlösers" und vom „Ethos unter dem Gesetz" und „Ethos unter der Gnade" " , der Betonung des „Gutsein der Schöpfung an sich" der Rede von der „politischen Ethik" " usw. Die Gefahr der Einseitigkeit ist deutlich und tritt zum Beispiel in der Identifikation von „Volksnomos" und „Gottesgesetz", in der „Verselbständigung" der Schöpfung und der Sanktionierung einer zufälligen äußeren Ordnung deutlich hervor40. Auch hier ist das Resultat eine verhängnisvolle Aufteilung, eine religiös-ethische Doppelheit im Verständnis von Schöpfung und Handeln ". Die Vertreter der Theologie der Ordnungen waren natürlich nicht blind gegenüber diesen Risiken und Übertreibungen und versuchten, im Rahmen ihrer jeweiligen Grundkonzeption, ihre Thesen so gut wie möglich zu nuancieren und zu modifizieren. So versucht man z.B., den Gegensatz zwischen Schöpfung und Erlösung durch die Rede von einer bloß relativen „Eigengesetzlichkeit" der Ordnungen aufzuweichen". Auch der Unterschied selbst wird relativiert und in gewisser Weise aufgehoben. Man beschreibt die Relation zwischen Geistlichem und Weltlichem, zwischen Gottes Reich und den äußeren Ordnungen, zunächst als ein Komplettierungsverhältnis. Die in der Welt gegebenen Ordnungen sind formale, sind der Rahmen, der den Dienst am Nächsten einfassen soll - damit kommt " Besonders bekannt ist die Luther-Deutung in A . Deutelmoser, Luther, Staat und Glaube 1937, aber die Tendenz findet sich auch bei anderen, bedeutenderen Theologen „des dritten Reiches". " P. Althaus, Die christliche Wahrheit, 5. A u f l . , 1959, 37 f f . , 97 f f . " Brunner 1939, 106 f f . 37 Kapitelüberschriften bei Eiert 1949. " Gegen eine solche Denkart und Ausdrucksweise grenzt sich Brunner ab, Der Mensch im Widerspruch 1937, 80 f f . Brunners Stellung ist dadurch kompliziert, daß er ja seinen Hintergrund auch in der dialektischen Theologie hat. Sein Standpunkt ist deshalb o f t vermittelnd, daher hat er in unserem Zusammenhang allerlei zu sagen. " F. Gogarten, Wider die Ächtung der Autorität 1930, 1 1 , und vor allem seine Arbeit mit dem Titel „Politische Ethik" 1932. 40 Siehe u.a. W . Stapel, Der christliche Staatsmann. Eine Theologie des Nationalismus, 2. A u f l . , 1932, F. Gogarten, Ist Volksgesetz Gottesgesetz? 1934, ders., Einheit von Evangelium und Volkstum?, 2. A u f l . , 1934, und z.B. Gogartens Äußerung in der späteren Schrift: „Es gibt, auf das Materielle gesehen, keine besondere christliche Sittlichkeit" ( 2 6 ) , was an sich auch gut lutherisch sein mag. " Vgl. Künneth 1954, 123, wo er den Grundfehler dieser Theologie unterstreicht: daß man eine Schöpfungsordnung „an sich" behauptete, außerhalb Christus und seiner Erlösung, eine A u f f a s s u n g , die zu „Entchristologisierung" und „Enteschatologisierung" der Ordnungen geführt habe. 12 So Brunner 1939, 2 1 3 , 252; vgl. 202, wo er auch in diesem Zusammenhang eine modifizierte Stellung einnimmt; er kritisiert „ein unheilvolles Dogma eines gewissen Luthertums, daß die 'Ordnungen' nicht dem Gebot Jesu Christi, sondern lediglich der Vernunft unterstellt seien. Diese kluge Scheidung ist viel zu bequem, um wahr zu sein".
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die Theologie der Ordnungen zu einer Auffassung, die sie anfänglich, wenn auch ohne großen Erfolg, bekämpfen wollte Die christliche Ethik wird die „Ethik der Ordnungen" vollenden und die weltliche Ordnung, die auf diese indirekte Weise das Reich Gottes vorbereiten soll, konstruktiv gestalten". Christliche ethische Prinzipien sollen also wirken, indem sie das weltliche Leben regulieren; letzteres wird aber gleichzeitig als selbständige Größe mit eigenen Ordnungen und Normen aufzufassen sein. Das hat eine Wertung und - unerwartet genug - eine Art Verchristlichung zum Inhalt. Es bleibt, trotz aller fruchtbaren Neuansätze dieser Theologie, ein eigentümlicher Eindruck von Spiritualismus und Idealismus zurück. Das liegt jedoch nicht an einer eigentlich unklaren oder verdrängten- Schöpfungsauffassung, denn hier hat die Theologie der Ordnungen wirklich eine Erneuerung mit sich gebracht. Die spiritualisierende Auffassung kommt mehr punktweise zum Ausdruck, z.B. in einer unlutherischen Scheidung zwischen Idee oder Wesen und konkreter Gestalt in der Staatsauffassung Diesen Zug spürt man vor allen Dingen, wenn man seine Aufmerksamkeit auf die Rolle von Gesetz und Evangelium richtet. Da steht man vor dem entscheidenden Mangel, der jedem, der sich mit Luther selbst zu beschäftigen hat, diese Theologie trotz ihrer zahlreichen gewichtigen Einsätze in der Lutherforschung so fremd macht. Man kann diesen Mangel folgendermaßen formulieren. Es ist für die Rede von den Ordnungen charakteristisch, daß sie sich durchweg vom Gesetz hier orientieren. Die Ethik der Schöpfung und der Ordnungen wird in Kategorien des Gesetzes beschrieben, Vernunft und lex naturae sind steuernde Prinzipien des menschlichen Handelns. Aber in den Ordnungen selbst hat das Evangelium keinen Platz. Die Kirche und das geistliche Regiment gehören primär nicht zu Gottes äußeren Ordnungen hier auf Erden, sondern sind über die Ordnungen erhoben, sind etwas, was von außen aufgerichtet werden muß. Hier bekommen die Ordnungen als Ausdruck für Gottes äußeres Regiment ein legalistisches Vorzeichen, während Evangelium und Kirche eine mehr oder weniger ausgesprochen spiritualistische Deutung e r f a h r e n W e l t l i c h e s und Geistliches werden hier in einem komplementären Verhältnis gesehen, das zu leicht einer vereinfachten Gesetz-Evangelium-Dialektik gleichgestellt wird. Das scheint wirklich radikal mit Luthers Rat Ernst zu machen, zwischen Gesetz und Evangelium zu scheiden, es ist jedoch in Wirklichkeit eher eine Vermengung beider. Denn nach der Theologie der Ordnungen kommt das Evangelium als eine ethische Idee, als eine von außen gestaltende Kraft, die " Althaus 1935, 40 f., Brunner 1939, 203. " Althaus Γ935, 19.
" Ib. 31. " Auch in diesem Punkt sollte man beachten, daß Brunner ein anderes Profil als der hier besonders aktuelle Althaus hat. Brunner unterscheidet Kirche und „ecclesia", die Kirche als eine äußere, irdische Ordnung und die Kirche als das geistliche Reich Gottes, siehe z.B. 1939, 508 f f . , 5 1 7 . Das hängt damit zusammen, daß Brunners Gesamtschau in bezug auf Gesetz und Evangelium eine andere als die bei Althaus und Eiert ist und zum Teil durch den Einfluß Barths nuanciert worden ist.
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in den Rahmen der Ordnungen eingeführt und dort verwirklicht wird, in die Welt des Gesetzes. Deshalb kann z.B. Althaus davon reden, daß die Ordnungen durch Liebe erfüllt werden müssen". Die Ethik der Ordnungen treibt zu Taten, die unter Einfluß des Gesetzes entstanden sind, und sie werden wiederum durch Normen des Evangeliums im christlichen Ethos komplettiert und sozusagen mit einer höheren Dignität ausgerüstet. Die Fragd bleibt also, ob man in der Theologie der Ordnungen nicht bei der Schöpfungs- und Gesetzesordnung stehenbleibt, auch dann, wenn man vom Evangelium und vom „Gebot des Erlösers" spricht. Für Luther ist es vielmehr so, daß die Ordnungen gar nicht mehr mit Liebe erfüllt zu werden brauchen - um Althaus' oben erwähnte Formulierung wieder aufzunehmen - , sondern selbst schon Liebe sind. Auch durch die Einführung eines spiritualistisch verstandenen Evangeliums werden sie nicht dazu, ganz einfach weil das Evangelium selbst ein Regiment Gottes ist". Das Evangelium.wird nicht erst durch die Aktivität der Menschen verwirklicht, sondern ist bereits als Gottes Handlung eine äußere Wirklichkeit. Es drückt ein Handeln Gottes aus, das nicht als Komplement oder als Mittel zur Vervollständigung eines gewissen Ethos betrachtet werden kann. Hier wird es nun auch klar, wieso diese Art und Weise, die zunächst das Evangelium ausmerzt, abtrennt und erhöht, um es dann wieder einzuführen und zu verwirklichen, eine riskante Vermengung von Gesetz und Evangelium enthält. Denn wenn man das Evangelium von seinem äußeren Regiment trennt und von seiner Verankerung in der Welt der Sinne, dann wird die Tat Gottes im Evangelium verdunkelt. Dort wird es stattdessen als etwas aufgefaßt, das erst durch menschliche Wirksamkeit seine konkrete Form in der Sinnenwelt bekommt. Menschliches Tun und eine darauf aufgebaute Kircheninstitution müssen Gottes Handeln und sein geistliches Regiment ersetzten. Gott handelt in seinen Regimenten nicht ohne Mitwirkung der Menschen. Er wirkt durch menschliches Handeln, aber er ist nicht daran gebunden. Gottes Ordnungen haben ihren Eigenwert als Ausdruck einer zweifaltigen Gestaltung der göttlichen Wirksamkeit in der Welt. Deswegen ist es auch ausgeschlossen, daß sich die Handlungen in diesen Regimenten um den Menschen, auch wenn er bei der Ausführung der Handlungen mitgewirkt hat, gruppieren oder ihm angerechnet werden könnten. Jeder Gedanke an eine Art Addition von Gesetz und Evangelium oder an einen Dualismus von Ethik und Religion, von natürlichem und christlichem Ethos, führt daher von Luther weg. Emil Brunner hat darauf hingewiesen, daß man, wenn man seine theologischen Freunde Barth und Gogarten in ihrer Beurteilung des Verhält" Althaus 1935, 10. " Das ist eine häufig wiederholte Hauptthese in der aufschlußreichen Abhandlung von G. Tömvall, Geistliches und weltliches Regiment bei Luther 1947; vgl. Olsson 1934, 187, Anm. 69. Zur Kritik der Ordnungstheologie überhaupt siehe G. Hillerdal, Gehorsam gegen Gott und Menschen 1954, 123 f f , und bes. 296 f f . 2 - Nilssoa
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nisses von Schöpfung und Erlösung vergleicht, sehen kann, wie bei Barth die Schöpfung, bei Gogarten dagegen die Erlösung zu kurz kommen". Für die Theologie der Ordnungen ist es ja bezeichnend, daß sie dem ersten Artikel, dem weltlichen Regiment und einer „ethica naturalis" 50 größeren Raum und eine selbständigere Rolle zugestehen will. Das kann die Zusammenschau von erstem und zweitem Artikel zu einem Problem machen. Für Karl Barth ist es charakteristisch, daß er sich gegen die massive Rede von den „Schöpfungsordnungen" und gegen jede Identifikation des in der Welt konkret Gegebenen mit dem von Gott Geschaffenem wendet. Er ist im Grunde ja nicht nur gegen gewisse Abarten oder politische Entstellungen einer vermeintlich richtigen lutherischen Lehre kritisch, sondern gegen Luther selbst, den Urheber dieser „schicksalsschweren" Irrlehre von zwei verschiedenen Regimenten. Das ist für Barth der Ursprung manchen Übels: die äußeren Ordnungen sind einer gottlosen Welt preisgegeben worden, diese Welt ist ohne theologisch begründete Ethik geblieben, politische Säkularisierung und Absolutismus haben hier ihre Entschuldigung und Erklärung gefunden 51 . Die Kluft zwischen „den beiden Reichen" beruht nach Barth ihrerseits auf einer falschen Scheidung zwischen Gesetz und Evangelium. Um das Ganze in rechte Ordnung zu bringen, will er einerseits das Evangelium vor und über das Gesetz setzen, andererseits aber dem Gesetz eine christologische Deutung verleihen Dadurch sollen Schöpfung, weltliches Regiment und menschliches Handeln gemeinhin ihre Erklärung in Christus finden, um ihn zentriert und in ein „stufenweise" angeordnetes Analogiesystem gesetzt werden. Christus ist der Herr der Kirche und des Staates Die „Christengemeinde" ist „der innere Kreis des Reiches Christi", die „Bürgergemeinde" bildet einen äußeren Kreis um denselben Mittelpunkt, um Christus Die weltlichen Ordnungen sind keine selbständigen Größen und das sittliche Handeln in ihnen hat keinen autonomen Charakter. An Stelle der „Eigengesetzlichkeit" der natürlichen Theologie spricht Barth antithetisch vom „politischen Gottesdienst" Der Staat ist prinzipiell „im christologischen Bereich" zu Hause, denn nur die christliche Kirche und die Herrschaft Christi können den Staat überhaupt motivieren". Nicht nur das christliche Leben, sondern auch die Werke im Beruf, im Staat und " Brunner 1939, 593 f . mit Anm. 3. 60 Z.B. E. Brunner, Natur und Gnade 1934, 29 f . SI Rechtfertigung und Recht (ThSt ( Β . ) 1 ] , 1938, Christengemeinde und Bürgergemeinde (ThSt ( B . ) 2 0 ) , 1946, und z.B. Eine Schweizer Stimme 1945, 6 f f . , 1 1 3 f f . sa Siehe bes. Evangelium und Gesetz ( T h E x 3 2 ) , 1935. 53 Barth übersieht großenteils die Bedeutung und die Tragweite der Eschatologie und antezipiert häufig das, was erst an „dem Tage" verwirklicht sein kann. Der f ü r Luther entscheidende absconditus-Zug wird dadurch verdunkelt und damit auch sein besonderes Verständnis der Inkarnation. Vgl. Künneth 1954, 77, 536 f . , und G . Wingren, Die Methodenfrage der Theologie 1957, 1 1 3 f . 51 1 9 3 8 , 3 3 f55 Die kirchliche Dogmatik 11:2, 1942, 807 f . · · 1938, 20, 39.
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im Leben der Gesellschaft müssen „von Christus her" gedeutet und ausgeübt werden. Hier ist der für Barth grundlegende Analogiegedanke entscheidend Dieses Verhältnis, das mit einer Reihe ständig wechselnder Begriffe wie „Hinweis", „Zeichen", „Entsprechung", „Gleichnis", „Zeugnis", „Spiegelbild" usw. beschriben wird, ist ein Hauptpunkt in Barths Theologie, auf den hier hingewiesen werden soll. Ein anderer ist die Vorstellung von Gottes absoluter Souveränität und der damit zusammenhängenden Kontrastierung von Gott und Mensch. Hier finden wir ein typisch calvinistisches Motiv wieder, das Calvin übrigens gemeinsam mit Thomas anwendet, ein im Grunde hellenistisches, metaphysisches Schema". Die Kluft zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen unendlich und endlich, göttlich und menschlich, ist unüberwindbar. Die Vorstellung einer Spiegelung und eines Reflexes enthält gleichzeitig den Versuch, jene Kluft zwischen zwei ontologisch unvereinbaren Sphären zu überbrücken. Das geschieht nicht durch eine aitalogia entis, die den Voraussetzungen widersprechen würde, sondern durch eine analogia fidei oder relationis. Nach Barth erhalten deshalb alles Weltliche, Äußere und Menschliche ihre Bedeutimg nur als „Hinweise", als „Erinnerung" an Gott und Christus. Sie schaffen Einsicht in Gottes Willen und Klarheit über das eigene menschliche Dasein. Was nämlich im Verhältnis von Gott und Mensch fehlt, ist die Offenbarung, die Erkenntnis des eigentlichen Inhaltes dieses Verhältnisses. Gott gibt es „in der Höhe", den Menschen „in der Tiefe", und diese ontologische Gegensetzung ist der systemschaffende Faktor. Die entscheidenden Gegensätze sind deshalb nicht Gott und Teufel, denn in Barths Theologie gibt es keine positiv böse Macht. Die Sünde ist zunächst nicht Aufruhr und Ungehorsam, sondern ein Nichts, ein Chaos, „das Nichtige" Aber daß überhaupt ein solcher ontologischer Mißgriff entstehen konnte, liegt schon an der Tatsache, daß Gott erschafft, denn dadurch hat er seine Erhöhung und Freiheit aufgeben. Der Mensch in seiner „Kreatürlichkeit" sieht zwar Gott nicht, aber glaubt an „das Nichtige", das dadurch eigentlich erst seine Existenz bekommt'0. Nun verhält es sich für Barth jedoch so, daß der Schöpfungsakt auf Grund der Begrenztheit des Menschen gewiß eine „Gefährdung" der Majestät Gottes darstellt, auf der anderen Seite ist aber die Schöpfung auch eine Hilfe, Gott zu entdecken/ denn sie ist ein „Zeuge", der für uns Menschen zeugt' 1 . Sie ist, wie der Begriff lautet, „gleichnisfähig", sie spiegelt die christliche Wirklichkeit und Gottes Willen wider. Diese grundlegende Überlegung bedeutet für die Ethik, daß das menschliche Handeln nicht „von unten", vom Nächsten und seiner Not aus zu betrachten ist, sondern eher „von oben", indem man darauf Rücksicht nimmt, " Typische Beispiele der analogia relationis gibt es in 111:2, 1948, 4 1 2 . 58 Vgl. H. Olsson, Calvin och reformationens teologi I, 1943, 96, 120, 142 f f . " Ш:з, 1950, 402 f f . ; vgl. Wingren 1957, 38. III:i, 1945, " 9 f · " II: r, 1940, 254 f f .
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wie sich dieses Handeln zu Gott v e r h ä l t D a s Wesentliche ist also nicht die äußere Hilfsbedürftigkeit des Nächsten, sondern seine sogenannte eigentliche Not, und dieses faktische Elend hat seine besondere Bedeutung in nichts anderem, als daß es den Menschen an Christus erinnnert. Es stellt ihn vor die Armut Jesu und zeigt auf sein Leiden und seine Not, auf die Qualen des Nächsten, die Christus auf sich genommen und getragen hatte, als er Mensch wurde. Die Not des Nächsten ist Christi Not gleich und deshalb repräsentiert hier der Nächste Christus und ist der Träger seiner göttlichen Barmherzigkeit". Dadurch zeigt er auf die Sünde und wird zum Zeichen und zur Erinnerung an die Gnade Gottes. Der Nächste hat Anspruch darauf, geliebt zu werden, aber das ist nicht das Primäre **. Es ist zuerst einmal eine „Zeugnispflicht", den Nächsten zu lieben, „dem Nächsten ein Zeuge Jesu Christi werden" Das Liebesgebot ist nur indirekt ein Gesetz mit Verpflichtungen. Es ist, sagt Barth, „Evangelium und dann und als solches Gesetz" Erst durch das Evangelium, durch den Barmherzigkeitsdienst, der dem Nächsten wegen seiner „Gleichnisfähigkeit" erwiesen werden kann, können Gesetz und menschliche „Liebespflicht" abgeleitet werden. Daraus folgt für Barth notwendig der Umbau der Ordnungsfolge Luthers von Gesetz und Evangelium "T. Der Nächste darf also für Barth das Gesetz nicht verkörpern, er ist lediglich ein Zeichen auf das Gesetz hin, wie ja auch das Sakrament nicht Evangelium in eigentlicher, sichtbarer, irdischer Gestalt ist, sondern nur Zeichen, Hinweis auf das Evangelium Dieser „Zeichen-Charakter kehrt in Barths Theologie, wie wir feststellten, immer wieder. Alles Äußere, Menschliche und Irdische hat, theologisch gesehen, seinen Wert eben nur durch seine „Gleichnisfähigkeit", ist jedoch auf der anderen Seite stets „gleichnisbedürftig", bedarf einer ständigen christlichen und evangelischen Deutung. Deshalb brauchen der Staat und das bürgerliche Leben immer die Hilfe der „Christengemeinde" Erst durch das Evangelium und die Kirche bekommen die Schöpfung und das Gesetz ihre Bedeutung. Alles Äußere erinnert an Christus, „weist" nach oben, aber ist selbst nie Werkzeug und Gerät für Gottes HandelnT0. Christus ist selbst solch ein Zeichen, seine Menschlichkeit ist der Reflex seiner Göttlichkeit. Deshalb ist die Inkarnation in Barths Theologie das entscheidende Wunder, denn hier erst zeigt es sich, wie Gott sich den Menschen ausliefert. Dieses Ausliefern ist gleichzeitig eine Gefahr für Gottes Freiheit und Souveränität, weshalb die Distanz zwischen Gott und Mensch nicht verkürzt werden darf. Im Grun02
Hier folgen wir der charakteristischen Darstellung in 1:2, 1938, 408 f f .
" Ib. 459, 474· " Ib. 473 ff-, 481 f f . •5 Ib. 487. 00 Ib. 472, 483 f. " 1935, 3 ff·, 29 f. 08 Siehe z.B. II:i 1940, 56, 223. " 1946, 20 f. 70 Die Arbeit als Problem der theologischen Ethik, ThBl 1931, Sp. 250 f f . und 111:4, 1951, 597; vgl. Wingren 1957, i 2 i f.
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de genommen bezeugt also die Menschwerdung nicht, daß Gott in Christus Mensch geworden ist, sondern daß sich Gott hier offenbart, daß er sich einer Menschheit vorstellt, die ihn vorher nicht kannte. Das ist der Wendepunkt, der darüber entscheidet, wie man alles andere in der Welt zu sehen hat, das ist „die Mitte", von der aus auf alle Verhältnisse in Schöpfung und Kirche Licht fällt. Deshalb muß man den Begriff Nächster christologisch verstehen", deshalb muß man Rom. 13 von Christus her deuten und deshalb wird das Gesetz erst dann wirklich bedeutungsvoll, wenn man es in das Evangelium einbezieht. Aber das alles heißt ja, daß Menschliches und Irdisches erst dadurch einen Sinn bekommen, daß etwas Göttliches darin verborgen liegt. Diese Verborgenheit, um die es hier geht - und das ist wichtig - , ist Luther fremd. Für ihn ist Gott gegenwärtig und handelt Gott in und durch äußere menschliche Mittel. Bei Barth handelt es sich dagegen um eine Verborgenheit, die von Christus aus und mit der dort hervortretenden Offenbarung entschleiert werden kann. Da zeigt es sich, daß im menschlichen Handeln, in der Schöpfung, im Gesetz und im weltlichen Regiment eine „Ähnlichkeit" vorhanden ist, die auf das Göttliche zwar hinweist, wobei jedoch nichts von dem Genannten eigene Handlungen des handelnden Gottes sind". Diese Gleichgültigkeit Barths gegenüber rein äußeren irdischen Fakten und Abläufen verleiht seiner ganzen Theologie einen doketischen Zug der sich auch in ethischen Zusammenhängen stark bemerkbar macht und in scharfem Gegensatz zu Luther steht. Diese verhältnismäßig gründliche Strukturanalyse von einigen der am meisten einflußreichen theologischen Systeme dieses Jahrhunderts erschien vielleicht gelegentlich unnötig umständlich und prätentiös, so daß man jetzt danach fragen könnte, was denn aus der einleitenden Problemstellung geworden ist. Die Frage war, wie man eine in lutherischer Theologie begründete Ethik verstehen und Beschreiben könne. Wir kehren also zu unserem Ausgangspunkt in der Ethik zurück, aber was wir jetzt zu untersuchen haben, sind nicht einzelne Stellungnahmen zu konkreten Fällen, sondern ist der innere Zusammenhang von Luthers theologischer Gesamtauffassung, der eine solche Ethik wie die seine motivieren und dazu hinführen kann. Es gibt nämlich - wir können das schon jetzt festhalten - in Luthers Theologie bestimmte ständig wiederkehrende Züge, die für seine ganze "
1:2, 1 9 3 8 , 470 f .
" 1 9 3 8 , 14 f f · ™ Z . B . 111:2, 1948, 244 f. V g l . Gogartens Kritik an Barth und seine Behandlung des Gesetzes, Gericht oder Skepsis, 2. A u f l . , 1 9 3 7 , 38, 5 7 , 60, 120, und Brunner 1939, 204 und 596, A n m . ι . Brunner betont dort das Unvermögen Barths, „das Wirken des Schöpfers in der Heidenwelt" zu verstehen. Brunners Hervorheben der Schöpfung, der Ordnungen und der „heidnischen" Vernunft und seine häufigen Einwände gegen Barth in jenem Zusammenhang bilden auch den Hintergrund des Streites um den Anknüpfungspunkt; vgl. auch N . H. See, Kristelig etik, 4. A u f l . , 1957, 1 9 1 f., 3 5 7 , und A n m . 29 oben. " V g l . R . Prenter, Die Einheit von Schöpfung und Erlösung, T h Z 1946, 1 6 1 f f . , w o Prenter von Barths „Schöpfungsdoketismus" spricht. Siehe auch G . Wingren, „Ordet" hos Barth, S v T K 1948, 249 f f .
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Anschauung entscheidend sind; ein paar durchgehende Linien, die, auf das ethische Feld ausgezogen, auch den Platz und die Rolle des Handelns in Luthers Auffassung klären können. Diese entscheidenden Gedankenlinien haben wir beim Durchgehen der verschiedenen theologischen Systeme immer wieder gekreuzt. Das Zentrum in der Theologie Luthers, um das es hier geht, hat für das Verständnis aller dieser theologischen Systeme Relevanz, sie alle haben sozusagen Anteil an diesem Zentrum, aber wirklich nur ein Teilstück, das jedes von ihnen mit Einseitigkeit sich zu eigen machte. Das motiviert eigentlich die vorausgehende Darstellung, wie sich immer wieder zeigen wird. Die Forscher, die hier behandelt wurden, haben einmal gemeinsam, daß sie alle von verschiedenen theologiegeschichtlichen Voraussetzungen aus eine konzentrierte theologische Auffassung zum Ausdruck bringen wollen, und zum anderen, daß diese systematische Arbeit mit einem intensiven Studium Luthers verbunden war. Alle Theologen, auf die wir hier Bezug nahmen, sind Lutheraner, mit Ausnahme von Barth und Brunner, die jedoch in ihrer Absicht, das reformatorische Erbe wieder zum Aufleben zu bringen, stets und ständig an Luther anknüpfen. Für sie ist gewiß Calvin die ausschlaggebende Autorität, aber sie geben sich selbst oft als Luther-Ausleger aus und ihre Vertrautheit mi den Quellen ist groß. Sie vertreten die nicht ungewöhnliche Auffassung, daß Luther und Calvin sehr wohl vereint werden und die vermeintlichen Unterschiede sehr wohl als bloße Akzentverschiebungen oder sprachliche Differenzen erklärt werden können.
2. Die Werke und das Verhältnis von Göttlichem prinzipielles Problem
und Menschlichem
als
Natürlich beruhen die Ergebnisse, die die im vorigen Abschnitt behandelten Theologen in ihrem Verständnis der Relation von Religion und Ethik, Glauben und Werken, geistlich und weltlich, göttlich und menschlich usw. vorlegen, auf verschiedenen Faktoren. Sie können sich auf primäre Lutherstudien allein oder auf Studien des Luthertums gründen und, wie z.B. Eiert, stark durch die Orthodoxie beeinflußt sein. Die verschiedenen Deutungen ihrerseits sind durch unterschiedliche theologische und philosophische Voraussetzungen bedingt und oft an gewisse zeitgebundene Fragestellungen geknüpft. Von daher werden auch die Problemlösungen in einige wenige gegebene Alternativen geleitet, woraus sich wiederum erklärt, warum man auf die Frage nach einer lutherisch motivierten Ethik so unterschiedliche, wenn auch typologisch ähnliche Antworten erhalten konnte. Denn mitten durch die Menge der scheinbar entgegengesetzten, sich gegenseitig ganz und gar ausschließenden Standpunkte kann man bei näherem Hinsehen einen gemeinsamen Nenner erkennen, wonach die angebotenen Lösungsversuche ständig von Alternativen im selben Grundschema gebildet werden.
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Diese Behauptung kann mit einem Überblick über die behandelten theologischen Konzeptionen konkretisiert werden. Bei Troeltsch und seinen Gegnern dominiert der Unterschied zwischen Religion und Ethik in der Fragestellung. Bemerkenswert ist, daß Troeltsch von einem absoluten Gegensatz zwischen Geistlichem und Weltlichem ausgeht und trotzdem gezwungen wird, diese Gegensätze durch seine Auffassung vom Naturrecht und vom corpus christianum zu harmonisieren und zu relativieren. Auf der anderen Seite kritisiert Holl gerade diesen Gedanken einer übergeordneten Einheit und betont die Unterscheidung der beiden Regimente, die Luther vornimmt, aber - und das ist das Bemerkenswerte bei Holl - er wird durch seine Polemik gegen den autonomistischen Mißgriff zu einer Gesamtschau getriben, die in einer Über- und Unterordnung mit der christlichen Sittlichkeit als dominierenden Faktor besteht. Gehen wir nun zu den Gegensätzen zwischen der Theologie der Ordnungen und der barthianischen Theologie über, so zeigt es sich, daß sie am klarsten bei der Behandlung eines analogen Begriffspaares, nämlich Schöpfung und Erlösung, hervortritt. Die Reaktion gegen frühere, teils institutionelle, teils spiritualistische Betrachtungsweisen haben beide gemeinsam. In ihrem an und für sich berechtigtem Eifer, die selbständige und trotzdem gottgegebene Bedeutung der natürlichen Ordnungen hervorzuheben, hat sich bei manchen Theologen dieser Gruppe der Schimmer einer Tendenz und oftmals mehr als das - zur Verabsolutierung eingestellt. Das Interessante dabei ist nun, daß zwei Verfahrensweisen immer wieder zusammenzufallen oder vermischt zu werden scheinen: auf der einen Seite eine Aufspaltung von Göttlichem und Menschlichem, die die weltlichen Ordnungen isoliert und nur eine formale, säkularisierte, menschliche Sphäre kennt; auf der anderen Seite eine Vermischung, die diese Ordnungen „vergöttlicht", d.h., man ist hier nicht mehr imstande, zwischen Gottes menschlichem Werkzeug und Gott selbst zu unterscheiden, sondern identifiziert eine äußere konkrete Ordnung mit dem Willen Gottes. Der selbstverständliche Ausgangspunkt für Karl Barth ist dagegen die unüberbrückbare Distanz zwischen Göttlichem und Menschlichem, gleichzeitig aber ist es sein großer Ehrgeiz, die liberale und natürliche Theologie in ihrer alten und neuen Form zu kritisieren. Um mit der Theologie der Ordnungen zurecht zu kommen, muß Karl Barth - so eigentümlich das klingen mag - zunächst die Schöpfungsordnung, die lex naturae, die natürliche Sittlichkeit usw. sozusagen entmythologisieren, sie ihres eigentlichen göttlichen Inhaltes entleeren und vermenschlichen - denn der Abstand zwischen Göttlichem und Menschlichem muß ja intakt gehalten werden - , um sie dann durch die Behauptung zu verchristlichen, daß sie erst in Christus und vom Evangelium aus göttliche Bedeutung erhalten könnten. Die christozentrische Orientierung, bei der der Nächste gelegentlich seinen Eigenwert zu verlieren scheint, die Auffassung vom Gesetz, von der Sünde und vor allem der Analogiegedanke sind für diese Argumentation entscheidend. Gegen diese Art und Weise, einige der bedeutendsten theologischen Richtungen dieses Jahrhunderts zu beschreiben, kann natürlich eine Menge
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eingewandt werden. Es ist auch ganz selbstverständlich, daß einmal noch manches andere über sie zu sagen wäre, zuln anderen, man nicht alle in allen Zusammenhängen als Repräsentanten der oben skizzierten Gedankengänge bezeichnen kann, was besonders in bezug auf die unter sich ja sehr ungleiche Gruppe um die Theologie der Ordnungen unterstrichen werden muß. Während einer langen, schriftstellerischen Tätigkeit kann ein und derselbe Forscher in verschiedenen Zusammenhängen verschiedene, vielleicht sogar gegensätzliche Standpunkte einnehmen. Es kann ja auch so sein, daß die eigene Auffassung in Schriften aktuellen und allgemeinen Charakters klarer zum Ausdruck kommt als z.B. in theologischen Luther-Untersuchungen, in denen man durch das Quellenmaterial beeinflußt ist und sich anders und maßvoller ausdrückt. Es wäre ungerecht, wenn man diese Gesichtspunkte unbetont ließe. Ohne Zweifel haben diese Theologen in hohem Grade die Lutherforschung bereichert und mit verschiedenen wertvollen Aspekten und Nuancierungen, die bei der Behandlung mancher umstrittener Lutherprobleme allgemein beachtet wurden, dazu beigetragen \ Wenn das nun gesagt ist, muß aber auch unterstrichen werden, daß trotz dieser in vielen Einzelheiten unentbehrlichen Beiträge zur Klärung der Theologie Luthers hinter allen gegenseitigen Differenzen etwas Gemeinsames, zunächst noch schwer Beschreibbares liegt, das auf verschiedene Art und Weise einen entscheidenden Mißgriff in der Lutherdeutung verrät. Es kann gelegentlich als ein bewußtes Beiseitelassen von Gedanken beschrieben werden, die Luther wichtig sind. Gelegentlich nimmt es sich nur als ein Übersehen oder als eine kaum bemerkbare Tendenz dazu aus. Diese mehr oder weniger ausgesprochene, durchgehende Tendenz tritt bei der Behandlung des für Luther grundlegenden Verhältnisses von Göttlichem und Menschlichem zutage. Dieses Faktum ist der gemeinsame Nenner, den wir immer wieder angetroffen haben. Denn man kann Göttliches und Menschliches so verteilen, daß man Gleichheitszeichen zwischen Göttliches, Menschliches und Geist und zwischen Menschliches, Weltliches und Materie setzt und das Ganze als ein metaphysisches Schema mit absoluten Gegensätzen auffaßt, das dann mit Hilfe verschiedener Mittel ausgeglichen und zu relativer Harmonie gebracht werden muß. Das Resultat kann eine ethische Wertskala mit verschiedenen „Stufen", eine corpus christianum-Theologie oder eine spiritualisierende Auffassung werden, die in der äußeren Schöpfung nur ein Spiegelbild einer transzendenten Welt sieht. Man kann auch, anstatt so definitiv Schöpfer und Geschöpf zu trennen, den entgegengesetzten Fehler machen und sie - natürlich in dem begrüßenswerten Streben nach einer Gesamtschau - identifizieren. Das Resultat kann man dann an der Auffassung vom Staat, vom Gesetz und von den Werken ablesen, die alle ihrem Charakter nach als göttlich angesehen werden. Diese Auffassung gleitet leicht in ihren scheinbaren Gegensatz über: 1 Dies nimmt ganz besonders auf Holl Bezug und in neuerer Zeit in hohem Grad auch auf Althaus, der in mehreren Zusammenhängen hervorragende Beiträge zur Lutherforschung geliefert hat.
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sie wird von jeder göttlichen Relation abgerückt und säkularisiert, das christliche Leben als übersinnlich und „geistlich" und die Ethik als autonom betrachtet. Das Göttliche und das Menschliche sind also die beiden Faktoren, die in diesen Beziehungen in verschiedenen theologischen Zusammenhängen entweder scharf voneinander geschieden oder aber unklar vermischt werden können, was in ein und demselben theologischen System oft mit erstaunlicher Inkonsequenz geschehen konnte. Wenn wir hier nach der Berechtigung und dem Eigenwert der lutherischen Ethik fragen, reicht das nicht aus, gewissen Fehldeutungen und Einseitigkeiten so entgegentreten zu können, als wären das nur Einzelerscheinungen und Bagatellen. Wir können uns nicht damit zufrieden geben, die rein ethischen Zusammenhänge nachzuweisen, um damit dem Luthertum ein eigenes ethisches Profil zu verleihen. Wir müssen vielmehr den allgemeinen theologischen Zusammenhang, der auch für die Ethik seine prinzipielle Bedeutung hat, klarzumachen versuchen. Deshalb haben wir unsere Fragestellung in konkrete theologische Konzeptionen eingebaut sehen wollen, denn nur so kann man ihre tiefgehende und allgemeingültige Bedeutung verstehen und deswegen müssen wir uns auch immer wieder mit dem komplizierten, schwerbestimmbaren und vielfältigen Verhältnis zwischen Göttlichem und Menschlichem beschäftigen. Der Ausgangspunkt ist also Luthers Auffassung von den Werken, von ihrem Ursprung und ihrer Motivierung, von ihrem Platz und ihrem Inhalt. Dazu sind drei Unterscheidungen möglich. i. Zunächst ist es von Bedeutung, zwischen verschiedenen Arten von Werken zu unterscheiden. Man kann teilweise von den Werken des Gesetzes sprechen, teilweise von den Werken des Evangeliums, von Werken, ffie aus dem Gesetz hervorgegangen sind, außerhalb Christus, und ohne christlichen Glauben, und von Werken, die aus dem Glauben an Christus und das Evangelium entsprungen sind. Diese Werk sind ihrem Aussehen und ihrer äußeren Ausführung nach nicht mit Notwendigkeit verschieden, und auch ihre Bedeutung in bezug auf die Umwelt kann die gleiche sein; sie unterscheiden sich jedoch darin, daß die Motivierung, der Hintergrund, die Treibkraft anders beschaffen sind. Das kommt daher, daß Luther im Anschluß an die Unterscheidung zwischen Person und Amt auch solche Werke unterscheiden kann, die zwar durch das Gesetz hervorgerufen und an und für sich in der Welt außerhalb des zweiten Artikels ausgeführt werden, jedoch von einer Person, die gleichzeitig im Glauben an Christus lebt. Besonders an dieser Stelle scheint die lutherische Ethik in Frage gestellt und die Verwirrung am größten zu sein. Diese Unklarheit war schon in Troeltsch's Anschauung zu beobachten, und wenn wir uns einen Augenblick dem katholischen Religionsphilosophen Max Scheler zuwenden, werden wir sie hier an einem teilweise anderem Punkte wiederfinden. Scheler wirft Luther eine so scharfe Grenzziehung zwischen dem Inneren und dem Äußeren vor, daß damit gleichzeitig eine Trennung von Religiösem und Weltlichem in zwei Bezirke
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eingetreten sei, in einen inneren, der mit dem Glauben und den einzelnen Individuum zu tun hat, und einen äußeren Bezirk, in dem es um das Leben in der Welt, seine eigenen Gesetze und Verhältnisse geht und w o religiöse Ideen ohne jede Wirkung sind. Die Pointe bei Scheler ist ja, daß er im Anschluß an die traditionelle katholische Kritik meint, Luthers Lehre von der Rechtfertigung aus dem Glauben allein sei die letzte Ursache dieser Säkularisierung. A n Stelle des katholischen fides caritate formata, die das Innere sich im Äußeren realisieren und manifestieren lassen will, soll Luther eine Trennwand zwischen Glauben und Werken aufgerichtet haben Scheler und Troeltsch sind sich in ihrer Lutherdeutung dann gleich, wenn sie meinen, Luther hätte das Leben des Christen in zwei verschiedene Sphären aufgeteilt. Sie unterscheiden sich jedoch darin, daß der Letztere eine Trennlinie in der Ethik zwischen einer in Glauben und Liebe hervortretenden Privatmoral und einer in den äußeren Ordnungen geltenden Amtsmoral ziehen will, während sich Scheler eigentlich zunächst gegen die Rechtfertigungslehre Luthers wendet und zwischen dem Glauben und den Werken der Liebe unterscheidet \ Diese Fragen sind auch unter lutherischen Forschern häufig und mit großer Intensität diskutiert worden, weil sie ja das Zentrum in der Theologie Luthers berühren. A m meisten charakteristisch ist vielleicht Max Lackmanns von einer Exegese des Jakobusbriefes aus vorgebrachte Kritik an Luther und dessen vermeintlich einseitig paulinischer Auffassung von sola fide und sola gratia \ Lackmann teilt die Absicht, den Werken, Ermahnungen, der Rede vom Gehorsam und dem Gericht nach den Werken usw. einen biblisch begründeten Platz zu verschaffen, mit den meisten, die an diesen Problemen gearbeitet haben 5 ; die für uns wichtige Frage ist jedoch, ob diese Kritik Luther selbst oder vielleicht nur einige seiner Nachfolger trifft. Diese umfassende Problematik liegt natürlich hinter der in vielen Zusammenhängen bezeugten - pietistischen und orthodoxen, streng kirchlichen - Tendenz, das Dasein überhaupt in zwei Sphären aufzuteilen: in eine profane, weltliche - in negativer und von Gott abgewandter Bedeutung verstanden - und in eine christliche und geistliche Sphäre für die Gläubigen, die dort ständig in Observanz-Schwierigkeiten gegenüber der sie umgebenden „Welt", der sie doch nicht entrinnen können, leben müssen. 2 M . Scheler, V o m U m s t u r z der W e r t e 2. A u f l . , 1919, I, 174 f f . , und II, 301 f f . , ders., Schriften zur Soziologie und Weltanschauungslehre II, 1923, 160 f f . ; vgl. A . Runestam, En katolsk kritik av en luthersk distinktion 1924, 4 f f . ' V g l . Runestam 1924, 1 1 . 4 M. Lackmann, Sola f i d e 1949, ders., Z u r reformatorischen Rechtfertigungslehre 1953. V g l . die Kritik der Lutherrenaissance von See 1957, 188. 5 U.a. R. Bring, D a s Verhältnis von Glauben und W e r k e n in der lutherischen Theologie 1955 ( s c h w . schon 1933), W . Joest, G e s e t z und Freiheit 1951, mehrere Schriften und A r t i k e l von A l t h a u s , und neuerdings A . Peters, G l a u b e und W e r k 1962, M . Seils, Der G e d a n k e vom Zusammenwirken Gottes und des Menschen in Luthers Theologie 1962, O . Modalsli, Das G e r i c h t nach den W e r k e n 1963. Mit diesen und anderen V e r f a s s e r n werden wir uns später h ä u f i g beschäftigen.
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2. Bei der Behandlung der Werke kann aber auch noch eine andere einleitende Unterscheidung getroffen werden. Die erste galt der Art der Werke, diese gilt ihrem Subjekt. Man müßte ja zwischen Werken, die von Menschen herrühren und Werken, die Gott selbst verrichtet, unterscheiden können. Eine solche Unterscheidung gibt es natürlich auch bei Luther: jenen absoluten Gegensatz ^wischen menschlicher Werkgerechtigkeit und einer von Gott geschenkten und gewirkten Glaubensgerechtigkeit. In diesem Zusammenhang kann Luther nicht scharf genug Menschenwerk und Gottes Handeln, Gesetz und Evangelium, Werke und Glauben auseinanderhalten. In anderen Zusammenhängen betont Luther gleich nachdrücklich die Aktivität des Glaubens und die Notwendigkeit der Werke. Es ist also nicht verwunderlich, wenn sich hier und jetzt eine leichte Verwirrung einstellt - was ist eigentlich gemeint? Wieder geht es um das Verhältnis von Göttlichem zu Menschlichem. Man spricht ja vom Glauben allein, vom Menschen als lediglich passiv und empfangend vor Gott, von Gottes „Alleinwirksamkeit" und „Allwirksamkeit" Was wird da aus der Aktivität des Menschen? Sind menschliche Werke hier nur vom Bösen, legalistisch, aufrührerisch gegen Gott? Auf der anderen Seite heißt es doch, der Mensch solle mit Furcht und Zittern an seinem Heile arbeiten, und Luther ermahnt ja auch ständig zu guten Werken 7 . Wie sind da Platz und Rolle der menschlichen Werke.zu verstehen? Wie ist das Verhältnis zwischen Glauben und Werken, Rechtfertigung und Heiligung, Gesetz und Evangelium? Auch hier ist Luthers Auffassung von Göttlichem und Menschlichem ständig darauf aus, Licht über die verschiedenen ethischen Fragen zu werfen. Menschliches Wirken und göttliches Handeln stehen weder in einem Konkurrenz-, noch in einem Komplettierungs- oder notwendigen Gegensatzverhältnis zu einander, wie das ja auch nicht mit der göttlichen und menschlichen Natur in Christi Person der Fall ist. 3. Bei der Behandlung von Rechtfertigung und Heiligung stellt sich nun auch noch die Frage nach dem Objekt der Werke ein. Gegen wen richten sich die Werke, die der Mensch auf verschiedene Weise ausführt? In der lutherischen Tradition hat man sich daran gewöhnt, auf der einen Seite den sola fide-Gesichtspunkt und das forensische Geschehen in der Rechtfertigung zu betonen, auf der anderen Seite aber die Werke von der Rechtfertigungslehre abzutrennen und sie extra locum justificationis anzusiedeln. Nach dieser allgemein üblichen Auffassung gehören also die Werke lediglich zur Relation auf den Nächsten und sind als solche nach unten, auf die Erde und die Menschen zu gerichtet. Dagegen kann man niemals von Werken in Richtung nach oben reden, so etwa, alfe wäre Gott das Objekt des " Der erste, der ernsthaft diesen Gedanken als ein Grundelement der Lutherschen Theologie betonte, war Karl Holl; siehe 1921, 36, 8o, 173 f f . usw. Die katholische Lutherforschung hat ihn seitdem auch beachtet und zwar als das besonders Lutherische, als die entscheidende häretische Einseitigkeit bei Luther; so z.B. Y . M-J. Congar, Regards et reflexions sur la christologie de Luther (in: Das Konzil von Chalkedon III, 1954, 486], und Brandenburg 1957, 40. 1 Vgl. Seils 1962, 10.
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Handelns, denn das wäre als verdienstlich aufzufassen und könnte den Gedanken der reinen Gnade verdunkeln. In der ständig aktuellen Auseinandersetzung mit der römischen Theologie hat sich das Luthertum eifrig gegen jeden Gedanken eines meritum, eines liberum arbitrium und einer menschlichen Aktivität gewehrt und alles Gewicht auf die justitia passiva, die sola gratia und den bloß empfangenden Glauben gelegt. Erneut erhebt sich die Frage, ob diese Überlegungen wirklich auch für Luther charakteristisch sind. Hier muß festgehalten werden, daß Luther die menschlichen Werke abweist, soweit sie als meritorische Handlungen aufgefaßt werden, daß er menschliche Werke aus diesem Grunde jedoch keineswegs aus seiner Theologie ausmerzt. Noch wichtiger ist der Hinweis, daß das hier gemeinte menschliche Handeln sich nicht einschränkt auf das, was primär aus der Nächstenliebe abgeleitet werden kann, sondern auch das Gottesverhältnis in sich einschließt. Die Werke der Menschen sind da nicht nur sozusagen Träger des Handelns Gottes zum Nächsten hin, sondern mehr noch als die nicht-meritorische Antwort des Menschen auf Gottes Handeln anzusehen. Diese Antwort ist für Luther mit Aktivität angefüllt, trotzdem jedoch alles andere als ein Ausdruck für Synergismus. Die Erlösung geschieht ja nicht außerhalb des Menschen und auch nicht ohne dessen Erfahrung und Teilhabe. Luther spricht äußerst freimütig von den Werken am Nächsten und im irdischen Beruf, vom Anwachsen des Menschen im Glauben, von der Heiligung, der mortificatio, von Buße und Beichte, von Gefühlen und Erfahrungen. Dabei beschreibt er durchweg den Menschen, den von Gott ergriffenen und aktivierten Menschen, und ohne Zweifel wendet er dabei ständig Begriffe der Aktivität an. Trotz seiner tief eingewurzelten Furcht vor meritorischen und synergistischen Gedankengängen kann Luther auf eine erstaunlich kühne Art und Weise von menschlichen Werken in Richtung nach oben, coram Deo, reden, was vielleicht ganz besonders in seiner Auffassung vom Gebet spürbar wird. Dieses für Luther typische Verhältnis von göttlicher und menschlicher Aktivität kommt auch an einem anderen Punkt in Luthers Theologie zum Vorschein, nämlich in der Christologie, eine Tatsache, die wir in der Folge noch näher zu behandeln haben. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß sich Luther in seiner ganzen Theologie ständig nach zwei Seiten hin abgrenzt, da, wo man entweder eine Aufspaltung zwischen Göttlichem und Menschlichem vornimmt und das Göttliche als isoliert und über allem Menschlichen erhöht ansieht, oder wo man die beiden Faktoren vermengt und das Menschliche im Göttlichen aufgehen läßt. Luther selbst scheidet einerseits Menschliches und Göttliches sehr genau, anderseits sieht er es in einer unauflöslichen Einheit verbunden. Göttliches und Menschliches haben beide ihre spezielle Eigenart und können niemals identifiziert werden, sie sind im Gegenteil sich selbst die äußersten Gegensätze, aber dieser Gegensatz wird von Luther niemals als ein ontologischer, philosophischer Gegensatz verstanden. Auf der anderen Seite sind Göttliches und Menschliches untrennbar - wenn auch ohne Verwandlung und Vermengung - vereint.
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Grundlegend ist hier ein antispiritualistischer und antimetaphysischer Inkarnationsgedanke, der von Luther gern in Begriffen und Termen ausgedrückt wird, die er sich aus der Chalcedonense-Formel holt. Das Göttliche gibt es nicht in einer anderen, über und neben dem menschlichen Dasein angesiedelten Welt, Gott trifft den Menschen vielmehr durch und mitten in äußeren Mitteln und irdischen Dingen. Bei diesem Äußeren und Feststellbaren hat der Glaube zu verbleiben, im historischen Ablauf und in greifbaren Tatsachen kann er Gott sehen. Gott wirkt unter den Menschen mit Hilfe der Menschen, durch menschliche Verordnungen und Ämter, durch äußerliche Dinge, durch larvae Dei, cooperatores Dei und dergleichen. So handelt Gott also verborgen und doch offenbar, er ist ein Deus absconditus, der dem Menschen ständig süb contraria specie zu begegnen scheint, und trotzdem trifft er ihn gerade hier, denn nur hier ist er auch der Deus revelatus. Überall, in der Welt der Schöpfung, durch menschliche Behörden, durch das Gesetz, sei es lex naturae, lex mosaica oder lex Christi, durch das Evangelium, durch Ermahnungen, in Gebet und Anfechtung, durch Predigt und Sakrament, zwischen Kirchenmauern und in der Berufsarbeit, überall treibt er Werke hervor - und überall handelt Gott in Erniedrigung und Verborgenheit, ohne daß der Mensch dabei passiv sein kann. Göttliches Handeln und menschliche Werke dürfen niemals vermischt oder identifiziert werden, und doch gehen sie ständig in einander über - ein stetes simul. Wir können uns also in dem weiten Gebiet der lutherischen Theologie wenden, wohin wir wollen, können hier und dort stehenbleiben, können den theologischen Grund selbst anbohren und werden doch ständig die gleiche Quellader hervorbrechen sehen. Das Gelände mag sich verändern, die äußeren Formationen mögen wechseln - dieses Grundwasser ist immer dasselbe. Gelegentlich kommt es leicht und mit großer Klarheit zutage, gelegentlich muß man lange, genau und tief suchen, aber es gibt es. Dieser Grundzug, der ständig und in so vielen Zusammenhängen hervortritt, wird gerade durch die schwer beschreibbare und vielgefaßte Dialektik von Göttlichem und Menschlichem gebildet. Das ist das Zentrum in Anthropologie und Christologie, in Ekklesiologie und Ethik. Es ist Luthers ständiges Leitmotiv, sich an das Äußere, Menschliche zu halten und dort Gott zu begegnen. Deswegen verweilt er auch oft und gern bei der Menschheit Christi, bei dem Kind in der Krippe, dem verachteten Juden am Kreuz dort ist Gott selbst. In der Christologie tritt diese Auffassung Luthers von dem Unterschied zwischen und der Einheit von Menschlichem und Göttlichem mit größter Deutlichkeit hervor. Als zentraler Ausdruck für dieses Verhältnis - und keineswegs als Bagatelle oder Spitzfindigkeit - begegnen wir hier der für Luther charakteristischen Lehre von der communicatio idiomatum. Nirgendwo in Luthers Theologie kommt das nuancierte Verhältnis zwischen Göttlichem und Menschlichem besser zum Ausdruck als in dieser christologischen Aussage. Diese Realität liegt eigentlich dieser ganzen Abhandlung zugrunde, denn auch dann, wenn wir uns in anderen theologischen Bereichen bewegen, in denen man nicht von eigentlicher
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communicatio idiomatum sprechen kann, stoßen wir trotzdem ständig auf die „Sache". Luthers Lehre von der communicatio idiomatum hat ja keineswegs nur Bedeutung im Blick auf das Abendmahl, wohin sie traditionsgemäß verwiesen w i r d M a n meint vielmehr, daß es sich gerade umgekehrt verhält, daß man mit dieser Lehre als Ausgangspunkt seine ganze Anschauung entwickeln kann'. Wohin man sich in Luthers Theologie wendet, überall stößt man auf diesen Zug: in der Frage nach der Rechtfertigung, nach dem Gottesbild, der Versöhnungslehre, der Sozialethik usw.10. Dieser positiven Beurteilung der communicatio idiomatum nach kann diese Lehre unmöglich eine für Luther fremde Spekulation oder ein totes Dogma sein Die Realität, die die communicatio-Lehre ausdrückt, kann keineswegs auf ein christologisches Detail begrenzt sein, nein: „So schlägt die communicatio immer wieder durch, an einem Punkt nach dem anderen, in der Inkarnation, im Wort, in der Kirche, im Sakrament, im Glauben, in der Liebe und in der Auferstehung" Es kann natürlich auch eine mehr negative Wertung zum Ausdruck kommen. Emil Brunner spricht beispielsweise von der ,/atalen" Lehre und Karl Barth kann von seinen Ausgangspunkten diesen Gedanken Luthers nur als eine „genialische Überbetonung" ansehen, der in absurdum führen m u ß A u c h andere Forscher haben die communicatio-Lehre als einen heterogenen Bestandteil in der Theologie Luthers beurteilt, der seinem genuinen Inkarnationsdenken fremd sei Von diesen generellen Behauptungen und thesenartigen Äußerungen aus, die wir später im Einzelnen zu belegen haben, wird die Disposition dieser Untersuchung klar. Die Beziehung zwischen Göttlichem und Menschlichem bildet also den roten Faden, und wenn wir versuchen wollten, ihn gänzlich aufzuwickeln, würde diese Arbeit zu einer Aufnahme der F. C . Baur, Die christliche Lehre von der Dreieinigkeit und Menschwerdung Gottes III, 1843, 420 f., 459 f., wo er behauptet, daß nur der Abendmahlsstreit und der Ubiquitätsgedanke die traditionelle Vorstellung von communicatio idiomatum dogmatisch begründen könnten, siehe dazu R. Seeberg, der von der communicatio sagt: dieser „so massiv dinglich gewordene Begriff wird schließlich metaphysisch versteinert im Interesse der Realpräsenz im Abendmahl", Lehrbuch der Dogmengeschichte IV: 1, 2. A u f l . , 1917, 382. W . Eiert zeigt andererseits in seiner „Morphologie des Luthertums", I 1931, 204 f., daß diese Lehre nicht vom Omnipräsenz-Gedanken abhängig sei, und H. G r a ß sagt, „daß die spezifisch lutherische Anschauung von der communicatio idiomatum nicht erst ein Produkt der Abendmahlslehre und der Abendmahlsstreitigkeiten ist, sondern bereits vorher vorhanden war . . . Auch findet die Lehre . . . später ihre Darlegung, ohne daß dabei aufs Abendmahl Bezug genommen wird", Die Abendmahlslehre bei Luther und Calvin 1940, 61; so auch 65. " Olsson 1934, 136, 155 f . 8
Siehe hier R. Bring, Dualismen hos Luther 1929, 152, ders., Kristendomstolkningar 1950, 135, die Darstellung bei Olsson 1934, 134 f f · , Torgny Bohlin, Den korsfäste Skaparen 1952, 187, 324 f. und öfters, G. Wingren, Die Predigt 1955, 263. 1 1 W . Eiert, Der christliche Glaube, 3. A u f l . , 1956, 330. 12 Wingren 1955, 276. 13 E. Brunner, Der Mittler, 4. A u f l . , 1947, 307, und K . Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert 1947, 487. 10
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ganzen Theologie Luthers, zu einer kompletten lutherischen Dogmatik führen. Wir wollen versuchen, einem Weg zwischen zwei systematischen Extremen zu folgen; auf der einen Seite: der Gefahr, so viel zu umgreifen - in der löblichen Absicht, die eventuell universelle Bedeutung der These zu erweisen - , daß das Eigenartige verschwinden und die Konturen in die Gefahr der Auflösung geraten können; auf der anderen Seite: dem Risiko, ein Theologumenon in einen einzigen, kleinen dogmatischen locus einzuschließen - in dem eigentlich zulässigen Bemühen, durch scharfsinnige Detailanalyse desto sicherer einen neuen Aspekt herauszuarbeiten - , so daß der theologische Zusammenhang verborgen und der systematische Überblick verdunkelt und verkürzt wird. Wir wollen also versuchen, einen Eindruck dieser weiten Ausblicke wiederzugeben und die Konsequenzen anzudeuten, die sich für unsere Hauptthese aus jedem neuen Zusammenhang ergeben. Das muß durch angemessene Konzentration, aber auch, wenn möglich, ohne Verdrängung der systematischen Perspektiven geschehen. Die Hauptthese dieser Untersuchung ist von Anfang an die, daß für ein rechtes Verständnis der Ethik Luthers eine durchgehende Untersuchung der Grundstrukturen in Luthers Theologie gefordert werden muß, was sich besonders auf das Verhältnis zwischen Göttlichem und Menschlichem, oder, was im Grunde genommen dasselbe ist, zwischen Christologie und Ethik, bezieht. Der Ausgangspunkt ist deshalb in der Ethik gewählt. Zunächst ist also unsere Aufgabe die, daß wir die Stellung und den Inhalt, die die Ethik und die Werke in Luthers Theologie haben, nachweisen und beschreiben, wie Gott sowohl in den „natürlichen" Schöpfungszusammenhängen, als auch im Zusammenhang mit dem zweiten und dritten Artikel, ständig, überall und unter allen Menschen durch verschiedene Worte und Werkzeuge wirkt. Nach der voraufgegangenen Diskussion verstehen wir, daß das Verhältnis zwischen Göttlichem und Menschlichem, zwischen göttlicher Aktivität und menschlicher Aktivität, in allen Zusammenhängen zum interessanten Problem wird und besonders zugespitzt, aber auch besonders klar, in der Christologie erscheint. Um wirklich bis auf den Grund der Problematik vorzudringen, ist also eine genaue Untersuchung der Christologie Luthers unumgänglich. Die Tatsache, daß diese Arbeit das Verhältnis von Göttlichem und Menschlichem behandeln soll, kann leicht einen außerordentlich ernsten Mißgriff veranlassen, der das ganze System umwerfen könnte. Bei Luther ist es nämlich nicht so, daß nur Gott und Mensch die beiden einzigen Partner wären, deren Verhältnis zueinander - wie das in einer metaphy11
R. Prenter, Schöpfung und Erlösung. Dogmatik i960, 326, behauptet: „Die Vorstellung einer communicatio idiomatum ist an und für sich kein genuiner Ausdruck für Luthers Intention ip Christologie und Abendmahlslehre"; vgl. Prenters Artikel „Kristologi" in N T U II 1955, Sp. 476 f. Eine ähnliche Auffassung findet sich auch bei O. Ritsehl, Dogmengeschichte des Protestantismus III, 1926, 1 1 2 , und Torsten Bohlin, Gudstro och kristustro hos Luther 1927, 188 f f . Hierauf werden wir später, bes. in Kap. II C , zurückkommen.
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sisch begründeten Theologie der Fall ist - in verschiedener Weise reguliert werden müßte Einer ist nämlich noch auf dieser Szene erschienen, den wenigstens Luther sich niemals wegdenken konnte: der Teufel. Die Gefahr liegt vielleicht nahe, daß man das Böse vereinfacht und sich mit einem idealisierten und ansprechenden Bild einer in allen Zusammenhängen genau funktionierenden Wechselwirkung o.ä. zwischen Göttlichem und Menschlichem begnügt. Für Luther ist es statt dessen so, daß die Sünde, das Böse, der Teufel, allezeit gegen Gott stehen. Göttliches und Menschliches stehen eher noch auf derselben Seite, bis daß das Menschliche durch die Macht der Sünde von Gott weggerückt und zum Werkzeug des Teufels wird. Wenn diese Aspekte zurücktreten, haben wir nicht mehr Luther bei uns auf unserem Weg durch die Theologie. Diese wichtige Seite in seiner Theologie müssen wir deshalb ständig beachten. Erst dann wird die dynamische Relation zwischen Göttlichem und Menschlichem bei Luther in ihrer ganzen Weite erfaßbar. Was endlich die Quellen betrifft, so habe ich trotz aller Schwierigkeiten, das sehr weitläufige Luthermaterial zu überblicken keine wirkliche Möglichkeit gefunden, eine sinnvolle Abgrenzung vornehmen zu können, ohne damit zugleich nicht auch das Risiko einer Fehlzeichnung der Anschauung Luthers einzugehen. Das hängt gewiß damit zusammen, daß das Thema und die Aufgabe einen so allgemeinen Charakter haben, daß die Darstellung niemals auf einige einzelne Punkte beschränkt werden kann. Damit ist nicht gesagt, daß man planlos zwischen den unzähligen Schätzen der Weimarana umherirren muß, um alsdann eine ansprechende, schöne und harmonisierte Beschreibung der Ansichten abzugeben, vor denen man mehr oder weniger zufällig stehengeblieben ist. Es ist selbstverständlich, daß man der Eigenart einer jeden Schrift, dem Zeitpunkt und den Umständen ihrer Entstehung, ihrem Ursprung von Luther selbst oder einer spürbaren Überarbeitung, Gerechtigkeit widerfahren lassen muß. Der systematische Gesichtspunkt darf also den historisch-genetischen Gesichtspunkt nicht ausschließen, darf aber auch nicht von ihm bestimmt werden, denn hier geht es ja zuerst um ein Bild des theologischen Zusammenhanges. Der hier erstrebte Ganzheitsaspekt macht es notwendig, Luthers schriftstellerischen Tätigkeit in ihren verschiedenartigen Gestalten gerecht zu werden. Dann aber bekommen aus ganz natürlichen Gründen gewisse Schriften mehr Gewicht und mehr Wert als andere. Ich will mich der großen Gruppe deutscher und skandinavischer Forscher anschließen, die die Einheitlichkeit in Luthers Theologie, die Übereinstimmung zwischen dem „jungen" und dem „älteren" Luther behaupten 17 . Gewiß gibt es bei Luther eine Ent15
Vgl. z.B. Barth oben.
Siehe hier u.a. L. Pinomaa, Sieg des Glaubens 1964, 14 f f . , die neueste Gesamtdarstellung der Theologie Luthers. 17 Beispiele einer strengen Unterscheidung zwischen dem jungen und älteren Luther finden wir bei O . Ritsehl II:i, 1912, 42 und G. Jacob, Der Gewissensbegriff in der Theologie Luthers 1929, 3, 43. Schon Holl unterstreicht aber, „daß in der Psalmenvorlesung schon der ganze spätere Luther drin steckt", 1921, 91, Anm. 2, und viele sind in der Behauptung der Einheidichkeit bei Luther Holl gefolgt; siehe ferner unten. 19
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Wicklung mit manchen Akzent- und Nuancenverschiebungen, eine andere Behauptung wäre unpsychologisch und unhistorisch, aber diese Entwicklung geschieht in einer theologischen Gesamtanschauung, die in ihren Grundzügen einheitlich ist, auch wenn sich die Terminologie ändert Deshalb muß eine eventuelle Quelltrennung und Abgrenzung immer den Charakter einer systematischen Aufgabe von Fall zu Fall berücksichtigen". Denn der in diesem Zusammenhang bezweckte weite Griff um Luthers Theologie schließt ja eine gewisse Begrenzung in der Arbeit am konkreten Detail nicht aus: sich nämlich so gut wie möglich in jedem Abschnitt auf einige wenige Textzusammenhänge zu konzentrieren. Das bringt jedoch oft Schwierigkeiten mit sich, weil ja ständig, um einer Überinterpretation auszuweichen und eine mehr allseitige Beleuchtung zu erreichen, auch andere Texte beachtet werden müssen20. Was also in einer Abhandlung dieser Art entscheidend sein muß, ist die systematische Zielsetzung: einen theologischen Gesamtzusammenhang 18
Vgl. R. Prenter, Spiritus creator 1954, 13 f., G. Wingren, Luthers Lehre von Beruf 1952, 9 f., A . Siirala, Gottes Gebot bei Martin Luther 1956, 13 f., 18, E. Thestrup Pedersen, Luther som skriftfortolker I 1959, 18 f., W. Maurer, Die Einheit der Theologie Luthers, ThLZ 1950, Sp. 252. " Dieses methodische Problem ist auch ein genetisches und historisches. Denn wenn man eine Quellenauswahl treffen will, muß man dabei einem Prinzip folgen; man muß wissen, warum man auf die eine oder die andere Weise aussondert. Man bezeichnet einige Schriften als vorreformatorisch, andere werden als Ausdruck der Auffassung des reifen Reformators angesehen. Hierbei spielen natürlich rein chronologische und geschichtliche Gesichtspunkte eine Rolle, andererseits zeigt es sich häufig, daß man im Luthermaterial Grenzlinien nicht nur aus geschichtlichen Gründen sondern vielmehr aufgrund systematischer Erwägungen zieht. Man stellt also die Frage: wann?, aber die Antwort ist durch theologische Argumente bedingt. Ein typisches Beispiel ist die umfassende Diskussion über das „Turmerlebnis" Luthers und den Zeitpunkt seines reformatorischen Durchbruches, wie sie von Holl, Hirsch und Vogelsang bis zu Bizer, Wolf, Peters usw. geführt wurde. Es scheint, als ob man zuerst gewisse Kriterien dafür hat, was reformatorische Lehre ist, und dann findet man ganz selbstverständlich verschiedene Zeitpunkte in Luthers Schrifttum, zu denen eben der Aspekt aktuell war. Dieses Verfahren, zuweilen mit einer fast exegetisch-philologischen Methode verbunden, schenkt gewiß viele wertvolle Forschungsergebnisse, aber in bezug auf seinen Hauptzweck führt es oft nur zu scheinbaren, sogar willkürlichen Erfolgen. Etwas Ähnliches kann im Hinblick auf die Überlegungen über den jungen und älteren Luther gelten. Das schließt natürlich nicht aus, was oben von Unterschieden und Entwicklung gesagt wurde. Vgl. hierzu G. Pfeiffer: „In langsamen schweren Ringen, 'mit viel Schweiß', erarbeitet sich Luther sein Bibelverständnis", Das Ringen des jungen Luthers um die Gerechtigkeit Gottes, LuJ 1959, 54; und ferner W. Link, Das Ringen Luthers um die Freiheit der Theologie von der Philosophie 1940, 6, L. Pinomaa, Der existenzielle Charakter der Theologie Luthers 1940, 143, Joest 1951, 16, D. Löfgren, Die Theologie der Schöpfung bei Luther i960, 165, Anm. 7. Einen guten Überblick über die Erläuteringen des Turmerlebnisses bieten u.a. die oben erwähnte Arbeit von Link 1940, 6-77, sowie G. Rupp, The Righteousness of God 1953, 121 f f . , Α. Peters, Luthers Turmerlebnis, NZSTh 1961, 203 f f . , siehe auch U. Saarnivaara, Luther Discovers the Gospel 1951, und R. Prenter, Der Barmherzige Richter 1961. 20 So Siirala 1956, 8, und G. Ebeling, Zur Lehre vom triplex usus legis, ThLZ 1950, Sp. 241; vgl. B. Hägglund, De homine 1959, 26 f., S. Lerfeldt, Den kristnes kamp 1949, 18. 3 - Nilsson
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durch das Anführen der vom Gesichtspunkt der Aufgabe her wichtigsten Aussagen in den untersuchten Texten nachzuweisen. Das Kriterium dafür, daß diese Methode nicht zu einem willkürlichen Systemaufbau wird - hier kommt nun der historische Aspekt hinzu - sind Luthers eigene Aussagen, die die Hauptpunkte seines Gedankenganges bilden und die auch hier diese Darstellung bestimmen. Was für Luther wichtig ist, muß klar zum Ausdruck kommen. Das geschieht bei ihm teilweise so, daß er die Wichtigkeit selbst feststellt, teilweise so, daß der Text in seiner Ganzheit, genau interpretiert, darauf hindeutet, obgleich man öfters keine Gelegenheit oder nicht einmal Grund zu dem Nachweis hat, wie die Klarheit darüber entstanden ist. Die historische Detailarbeit dient als notwendige Voraussetzung, als Grundlagenforschung, die es einfach geben muß, die aber bei dem Anwachsen der systematischen Untersuchung nicht mehr gespürt und auch bloß ausnahmsweise noch beschrieben werden muß
21 Hier möchte ich mich ganz und gar den hermeneutischen Gesichtspunkten bei A . Peters anschließen, siehe Realpräsenz, Luthers Zeugnis von Christi Gegenwart im Abendmahl i960, 44 f .
Kap. ι Die Schöpfung und die Werke - ein simul von Göttlichem und Menschlichem, Gnade und Zorn
A. Der Wille Gottes in der Welt des Menschen In den einleitenden Abschnitten wurde nicht versucht, die beiden Hauptbegriffe göttlich und menschlich zu definieren. Dieses Schweigen hat seine große Bedeutung. Nicht Unklarheit oder reiner Zufall machen es so schwierig, bei Luther eine begriffsmäßige Erklärung von Mensch und menschlicher Natur und Gott und göttlicher Natur zu finden. An Gott und dem Menschen gewisse rationale Wesenseigenschaften festzustellen, hat für Luther geringes Interesse; vielmehr bezeichnet er eine solche Verfahrensweise häufig als gefährliche Spekulation. Dies bedeutet nicht, daß sich bei Luther keine deutlichen Aussagen darüber fänden, was Gott und Mensch sind. Es ist dabei aber charakteristisch, daß Göttliches und Menschliches lediglich in Beziehung zueinander gesehen werden \ niemals als isolierte Größen, die sich jeweils für sich bestimmen ließen. Ein solcher metaphysischer Gedankengang, in dem Gott und Mensch als zwei autonome Wesen betrachtet werden, ist für Luther ein Ding der Unmöglichkeit. Es ist darum äußerst wichtig, schon hier das Verhältnis zwischen Göttlichem und Menschlichem zu unterstreichen, denn nur in einem Verhältnis ist es Luther zufolge möglich, von Grund auf zu beschreiben, was göttlich und menschlich ist. Luther weiß zwar von einem „Deus ipse", einem „Deus nudus", aber er betont andererseits, daß er eigentlich nichts über diesen Gott weiß. Zu definieren aber, was Mensch und menschliche Natur ist, ist eine Unmöglichkeit, wenn man nicht gleichzeitig Gott und seinen Willen berücksichtigt. Gottes Handeln geschieht inmitten menschlicher Geringheit und Schwäche. Gottes Macht und Gerechtigkeit begegnet dem Menschen gerade im Menschlichen. Göttlich und menschlich bezeichnet Siehe z.B. Luthers bekannte Disputatio de homine, W A 391, 174-180, wo Luther in einer Polemik gegen die philosophische Anthropologie gerade den Zusammenhang von Gott und Mensch betont, der Mensch ist „creatura Dei" und „imago Dei", um Gottes Lenkung der Welt auszuüben, 176, 5 ff; er ist dazu bestimmt, aus dem Glauben gerechtfertigt zu werden und ewig bei Gott zu leben, 176, 33 ff., 177, 3 f f . - Im Folgenden wird durchweg die Weimarer Ausgabe der Schriften Luthers benutzt; die Abkürzung W A wird daher fortgelassen; BR bedeutet Briefe, TR Tischreden und DB Deutsche Bibel; wenn die Handschrift näher angegeben ist, geschieht es mit Namen; der häufigste und auch zuverlässigste Aufzeichner, Rörer, wird mit R. abgekürzt; Kursivschrift stammt immer vom Verfasser, niemals von Luther. 1
Die Schöpfung und die Werke
nicht zwei statische, absolute Gegensätze, so daß ζ. B. das Göttliche erst dort anfinge, wo das Menschliche endet und seine Grenze hat, oder so, daß das Göttliche ex analogia entis die Vollendung des Menschlichen darstellte. Entgegen derartigen, wie er meint philosophischen Spekulationen entwickelt Luther seine Inkarnationstheologie. Gott ist immer „in carne", verborgen - und offenbar - durch „eusserliche Dinge". Er wirkt sub contraria specie und führt seine größten Werke in der Verkleidung menschlicher Unbemerktheit aus. Darum will Luther in der Theologie immer „von unten", im Geringen, Irdischen und Menschlichen, beginnen, denn dort und nur dort findet er Gott. Die Schöpfung, die Geschichte und die gewöhnliche menschliche Existenz bilden stets die Grundlage dieser Theologie Luthers. Das Göttliche, Gottes Wille und Befehl, sind somit für Luther ständig in das Menschliche eingeschlossen. Was Mensch sein bedeutet, wird daher nur begreifbar in Relation zum Schöpfer des Menschen und zu seinem Willen mit ihm. i.'Mandatum
Dei und servum
arbitrium
Wir können also Luther zufolge nicht zuerst den Begriff Mensch definieren und sodann unsere Aufmerksamkeit den Werken und Geboten Gottes zuwenden. Denn der Mensch hat seine Existenz von Anfang unter dem Wirken des Willens Gottes; dort lebt er in einer dauernden und allumfassenden Abhängigkeit von Gott. Dieser unausweichliche Zusammenhang zwischen Gott und dem Menschen bildet für Luther den Ausgangspunkt. Der Mensch steht ständig unter dem Gebot Gottes und wird dadurch zur Aktivität getrieben. Diese Unterordnung prägt ihn völlig. Er existiert nicht in und durch sich selbst, denn das wäre gleichbedeutend mit einer Aufhebung des Unterschiedes zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf, sondern er existiert einzig durch Gott und dessen unaufhörliches Spenden von Leben. Der Mensch hat kein unabhängiges Dasein, er ist keinen Augenblick ohne „thun oder lassen", im Einklang mit dem, was das erste Gebot ihm befiehlt 2 . Da der Mensch sein Leben immer von Gott empfängt, - er mag sich dessen bewußt sein oder nicht, er mag es zugeben oder nicht, - ist er Gottes Forderung unterstellt und ist verpflichtet, ihm zu danken und ihn zu loben, ihm zu dienen und zu gehorchen 3 . Mandatum Dei 1 ist einer von diesen für Luther so typischen Begriffen, die gleichzeitig schwer bestimmbar und so inhaltsreich sind, daß sie sich kaum kurz und konzis beschreiben lassen. Mandatum faßt Luther als Gottes schöpferisches Wort, in dem der Mensch einbegriffen ist und durch welches er in seine rechte Beziehung zu Gott und der Umwelt gestellt wird. Mandatum ist nicht ein ewiges Gesetz und eine unveränder6, 2 1 2 , 2 6 - 3 3 CVon den guten Werken 1 5 2 0 ) . V g l . Luthers Erklärung zum ersten Artikel des Kleinen Katechismus. * Siehe besonders die verdienstvolle Arbeit über Gottes Gebot von Siirala 1956, sowie Wingren 1 9 5 2 , 1 2 8 - 1 3 5 , P. Althaus, Gebot und Gesetz 1 9 5 2 und Löfgren i960, 7 9 - 8 9 . 3
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liehe Vernunftwahrheit oder ein Ausdruck für bestimmte Regeln. Eine solche Auffassung ist Luther völlig fremd, der natürlich von dem ewigen Ratschluß des göttlichen Willens sprechen kann, aber niemals in Gestalt eines absoluten und abstrakten, über Zeit und Raum erhabenen Prinzips. Denn in diesem Fall wird das Gesetz zum Objekt, vor das der Mensch mit seinen Fragen und seinen Werken tritt. Verbum und mandatum werden dann nur zu Mitteln, einmal um Einsicht in Gottes universalen Willen zu erhalten und zum anderen, um menschliches Handeln zu bewerten. Für Luther aber ist das Wort niemals bloß Mittel, weder zur Erlangung von Erkenntnissen noch von Gerechtigkeit, denn in und mit dem Wort ist Gott selbst ständig zugegen, schöpferisch und lebendig5. Und das ist eigentlich der Schlüssel zum rechten Verständnis der Beziehung zwischen Göttlichem und Menschlichem: Im Worte begegnen sich Gott und Mensch Wenn aber das Wort getrennt wird von dem, der es spricht, wenn Gottes mandatum von dem, der gebietet und schenkt und wirkt isoliert wird, ergibt sich als Resultat eine metaphysische Abstraktion, die Luther niemals akzeptieren wollte7. Göttlich und menschlich werden dann als zwei einander gegenübergestellte Wirklichkeiten betrachtet, die zwar zur Zusammengehörigkeit bestimmt waren, jedoch durch die Sünde wie durch einen Abgrund getrennt sind. Zwischen diesen beiden Wesen ist einem solchen Denken zufolge - wenn es konsequent gestaltet ist - als objektive Größe das Gesetz eingeschoben. Das Erlebnis des Gesetzes muß dann für den Menschen zu einer rationalen Erfahrung einer Sammlung von ewigen Prinzipien werden, von denen angenommen wird, daß sie Aufschluß über das Wesen Gottes, seine Eigenschaften, seine Heiligkeit, Gerechtigkeit und seinen Erlösungswillen geben. Der Blick ist in erster Linie auf das Gesetz, das Bibelwort, gerichtet, und dieses weist weiter auf eine dritte Größe, Gott *. Dadurch wird das Wort absolutiviert, 5
„Praecepta dei non ideo scripta sunt, ut tantum discas, sed ut etiam secundum ea vivas", 30 I, 5, 15 f. (Pred. 1528 R.]; der Gedanke der unablässigen Schöpfung Gottes durch das Wort begegnet oft bei Luther; ein ungewöhnlich ausdrucksvolles Beispiel finden wir in 42, 57, 15-42 (Vöries, über 1. Mose 1535-45]: „ . . . omnipotens igiturverbi vis et virtus est, quod totam creaturam sich conservat et gubernat . . . hoc verbum, Έ ΐ dixit Deus: Faciamus hominem' me quoque creavit . . . Deus per verbum suum currit ab initio usque ad finem mundi". Dieser aktuale Zug in Luthers Schöpfungsverständnis wird stark hervorgehoben bei Löfgren i960, u.a. in dem Abschnitt „Creare semper novum facere", siehe 37-45 mit Hinweisen, und vgl. unten in Kap. I А:г, Anm. 56. 8 Die folgende Darstellung wird in ihrer Gesamtheit diese These beleuchten und belegen. 7 54> 56/ 12-20: ,>... Nu kan ausser der Creatur bey Gott nichts sein, das nicht Gott selber ist, Darum mus das Wort Gott selber sein", ( V o n den letzten Worten Davids 1543]; 10 I:i> 188, 6 f. (Kirchenpostille 1522) und vielfach sonst. Dieses Verständnis des Wortes hängt mit der Christologie und der Trinitätslehre bei Luther zusammen, siehe unten, Kap. II B:i. " Man kann daher in Frage stellen, ob es richtig ist, wie u.a. und zuletzt P. Althaus eine zusammenfassende Darstellung der Theologie Luthers mit einer Lehre vom Wort und der Schrift zu beginnen. Das Wort wird dann in erster Linie als die Erkenntnisquelle, Offenbarung, aufgefaßt, an die man sich wendet, um ihr Stoff f ü r die weitere Beschrei-
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es wird entweder biblizistisch oder naturrechtlich von Gott losgelöst, was bedeutet, daß das Menschliche in Reinkultur gezüchtet wird, während Gott im schlimmsten Falle auf deistische Weise beiseite geschoben wird. Eine derartige Auffassung vom Gesetz ist Luther nicht unbekannt, aber er warnt vor ihr, denn sie beschreibt das Gesetz als Buchstaben, als etwas Fertiges und Abgeschlossenes, das den Menschen außerhalb einer direkten Beziehung zu Gott stellt Gottes Befehle sind wirksam in allen Ordnungen und Ständen, in allen äußeren Dingen und Verhältnissen, und dadurch ist das Dasein des Menschen jeden Augenblick ganz von Gott bestimmt und beherrscht 10 . Das ist Luthers Auffassung vom mandatum Dei. Der Mensch soll nicht danach streben, sich außerhalb zu stellen und das mandatum oder Bibelwort von einer vermeintlich objektiven Plattform betrachten zu wollen, um dann durch verschiedene Schriftauslegungen und Existenzdeutungen zu versuchen festzustellen, was der Wille Gottes sein kann oder wie gerade er Gott dienen will. Gottes Gebote sind nach Luther weder als etwas nur Rationales aufzufassen, als eine Möglichkeit, intellektuell zur Gotteserkenntnis vorzudringen, noch als etwas Undefinierbares, das nur im äußeren menschlichen Geschehen, als ein Existenz gestaltender subjektiver Faktor zugänglich wäre. Im ersteren Falle findet eine Objektivierung statt, eine Absolutivierung des Wortes zu einer ewigen Vernunftwahrheit, im zweiten am ehesten eine Relativierung, so daß Gottes mandatum in bestimmte gegebene menschliche Verhaltensweisen transformiert und damit einer prinzipiellen Fixierung entzogen wird. Kennzeichnend für beide Gedankengänge ist, daß eine Spaltung zwischen Göttlichem und Menschlichem vorgenommen wird, und zwar auf zweierlei Art: einmal so, daß das mandatum als ein Glied zwischen Gott und Mensch eingeschoben wird, und zum anderen so, daß in diesem mandatum Gottes das Menschliche isoliert und von Gott losgerissen wird. Für Luther verhält es sich vielmehr so, daß im Gebot Gott selbst zugegen ist und dem Menschen gerade in seinem Dasein begegnet, und daß dies ihn mit oder gegen seinen Willen bestimmt. Der Mensch erhält seine Existenz von Gott als ein mandatum, sein ganzes Leben und all seine Verhältnisse sind mandatum Dei, sind Gebot Gottes in konkreter, verleiblichter Gestalt 11 . bung der Theologie zu entnehmen, und nicht primär als Ausdruck und Mittel göttlichen Handelns, siehe Die Theologie Martin Luthers 1962, 17 f., 25 ff.; siehe auch Rezens. von G. Forell in LR 1963, 111. Vgl. Prenter 1954, 166 f. * Vgl. Prenter 1954, 107 f f . , 125 f f . und Pedersen 1959, 1 1 9 ff., 413 f. und 419 f f . 10 558, 2 9 - 3 1 (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1 5 3 7 - 3 8 ) ; 42, 27, 1 - 4 (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) sowie eine Anzahl anderer Stellen u.a. in diesen Bibelauslegungen, die ja beide Texte von zentraler Bedeutung für das Verständnis des Wortes behandeln. Denselben Inhalt hat übrigens Luthers Darstellung des ersten Gebotes im Großen Katechismus, 30 I, 132 f f . Siehe auch das für Luthers Auffassung von Gen. 1 instruktive „Ein Sermon und Eingang in das erste Buch Mosi" 1523, 12, 435 f f . , besonders 441, 24-442, 27. 11 3° I/ 5> 4 f· (Pred. 1528 R.); „Dasselb wort gottis ist das erst, der grund, der fels, darauff sich emoch alle werck, wort, gedancken des menschen bawen . . .", 6, 356, 7 f f . (Ein Sermon von dem neuen Testament 1520); 6, 218, 8 f f . ( V o n den guten Werken 1 5 2 0 ) ; 30 Ι» 136/ 4 f f · (Großer Kat. 1529); siehe auch Anm. 5 und 10. Das Wort ist
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Gott ist in seinem mandatum nahe in einer nicht nur mittelbaren Gegenwart im Bibelwort, sondern er enthält, umschließt und durchdringt als Schöpfer und Lebensspender das ganze Dasein. Wenn der Mensch in seiner Umgebung Gottes Geboten in der Menge der konkreten Forderungen begegnet, muß er sie erkennen, auch wenn die Vernunft Widerstand leistet12. Das mandatum trifft den Menschen in dauernd wechselnden Situationen, unberechenbar, als ein ständig neuer, sich offenbarender göttlicher Wille, den er ernst nehmen muß. Der Mensch steht also nicht im philosophischen Sinne neutral und frei da und entscheidet über sich vor Gott und vor dem Wort wie vor einem Objekt, über das er frei verfügen kann, sondern das mandatum Dei ist schon vorhanden als eine unausweichliche Wirklichkeit. Luther bricht also mit jeglichem metaphysischen Gedankengang. Das Gebot im Herzen des Menschen ist gleichzeitig mit dem Gebot von Gott; Gott, Mensch und Wort liegen hier ineinander Wer den Willen Gottes kennen lernen will, muß daher zu allererst sich selbst anschauen, denn dort ist das Werk Gottes deutlich, ja, dort berührt rtian Gott selbst, meint Luther". Wir haben es hier also nicht mit statischen, untereinander neutralen und unabhängigen Größen: Gott, mandatum, Mensch, zu tun, sondern Gott ist im mandatum ständig und von Anfang in der Welt des Menschen und will ihn ganz umschließen". Gottes Gebot ist wie ein Ruf zu Leben, Zuversicht und Glauben, dieser Ruf erklingt überall und treibt den Menschen zur Handlung. Was der Mensch dann auf Gottes Gebot hin sagt und tut, das wirkt Gott selbst. Die Worte und Werke des gerechten Adam sind daher „vere Dei verba et opera", und wenn der Mensch redet, ist Gott in seinem Munde 1 "; „ob es gleich durch des menschen hand geschieht, so ist es also nicht nur und vor allem ein Mittel zur Erkenntnis, sondern schließt das Leben selbst in sich. Luthers Verständnis von „ratio" und seine A r t , den Terminus „begreiffen" zu verwenden, bestätigen diese Auffassung. Diese Worte haben keinen im modernen Sinne rationalistischen Inhalt, sondern eine stärker konkrete Bedeutung, und beziehen die ganze A r t des Menschen zu leben, seine gesamte Ausrüstung, nicht nur die intellektuelle, ein; vgl. B. Hägglund, Theologie und Philosophie bei Luther und in der occamistischen Tradition 1955, 63; G . Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung 1942, 377, B. Lohse, Ratio und Fides 1958, 119 f . " 18, 719, 20 f f . (De servo arbitrio 1525); 16, 447, 7 f f . , 33 f f . (Pred. über das 2. Buch Mose 15 24-27 ]. 13 „Ex his enim tribus fit unum: fide, verbo, corde . . . " , 57 Hebr., 156, 29-157, 4 [Vöries. über den Hebräerbrief 1517-18); „Idem enim est et utrunque simul est: deus illuminans et cor illuminatum, deus visus a nobis et deus praesens", 5, 118, 20-22 (Operationes in Psalmos 1519-21). Vgl. Hägglund 1955, 59. " „Wolt jr nu Gott kennen, sehen, ja tappen, So sehet und habt acht auff euch selbs. Denn jr seid Gottes werck, und seine werck sind in euch und unternander durch euch, in euch", 48, i n , 8-16 (Sprüche aus dem Neuen Testament). 15 30 I, 134, 18-26 (Großer Kat. 1529). 16 42, 101, 38-41 (Vöries, über 1. Mose 1535-45). „Darumb rhümet sich Gott, er sey selbs ynn unserm mund, wenn wir reden, wie er zu Mose sagt: 'Ich wil ynn deinem munde sein', Item ym Psalm spricht er: 'Thue deinen mund weit auff, ich wil yhn füllen.' ", 17 II, 315, 36-38 (Festpostille 1527); eius [Adams] vox dicitur divina vox", 42, ι ο ί , 39 (Vöries, über 1. Mose 1535-45); „DEUS non agit nobiscum secundum maie-
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d o c h w a r h a f f t i g G o t t e s eigen w e r c k " 1 T . D i e W e r k e des M e n s c h e n w e r d e n G o t t z u g e s c h r i e b e n u n d „ G ö t t l i c h e w e r c k " genannt, u n d G o t t e s g e s c h e h e n in u n d d u r c h M e n s c h e n u n t e r d e m W o r t L u t h e r menschlicher
Werke
spricht von
A k t i v i t ä t u n d gibt ihr gleichzeitig B e z e i c h n u n g e n w i e l a r v a e
D e i , f a c i e s D e i , o p e r a D e i , os D e i u n d m a n u s D e i I m
W o r t , das selbst
eine Einheit v o n G ö t t l i c h e m u n d M e n s c h l i c h e m ist, b e g e g n e t der M e n s c h G o t t u n d w i r d eins m i t ihm, w i r d v o n i h m b e h e r r s c h t
und
aktiviert.
D u r c h d a s W o r t u n d w e g e n des W o r t e s k ö n n e n G o t t e s W e r k e M e n s c h e n z u g e s c h r i e b e n u n d m e n s c h l i c h e T a t e n göttlich g e n a n n t w e r d e n . G e d a n k e n g a n g , der s i c h in u n s e r e m hier b e h a n d e l t e n menhang
in L u t h e r s
ist ein g e r a d e z u
Genesis-Vorlesung
definierender
Ausdruck
von für
1535 die
Dieser
Schöpfungszusam-
ausgedrückt Beziehung
findet,
zwischen
G ö t t l i c h e m u n d M e n s c h l i c h e m , die in der C h r i s t o l o g i e m i t d e m T e r m i n u s communicatio idiomatum bezeichnet wird20. H i e r h a b e n w i r d e n P u n k t erreicht, an d e m w i r bis auf w e i t e r e s die D a r s t e l l u n g m e n s c h l i c h e r H a n d l u n g e n u n d ä u ß e r e r O r d n u n g e n als W e r k z e u g e n des m a n d a t u m G o t t e s u n t e r b r e c h e n w o l l e n . S i e b i l d e n
nämlich
s o z u s a g e n d i e m e n s c h l i c h e Seite unseres h i e r b e h a n d e l t e n P r o b l e m s
von
der Beziehung z w i s c h e n dem Willen G o t t e s und den W e r k e n des M e n s c h e n u n d sollen später aus dieser P e r s p e k t i v e b e h a n d e l t w e r d e n .
Jetzt
w o l l e n w i r bei d e r anderen, n a c h oben, z u G o t t hin, g e w e n d e t e n Seite verweilen.
Wir
wollen
versuchen,
noch
größere
Klarheit
darüber
zu
statem,-.sed irviutf formara h»im«nam,^et4oquitur nobiscurrt- per totam icriptüram, sicüt homo cum homine", 43, 179, 1 1 - 1 3 (Ib.]. 17 30 I, 2 1 3 , 1 3 f . (Großer Kat. 1529). 16 Ib. 160, 20 f.; „Derhalben soltu von hertzen fro sein und Gotte dancken, das er dich dazu erwelet und wirdig gemacht hat, yhm solch kostlich, angeneme werck zuthuen, Und halte es nur f u r gros und tewer (ob es gleich das aller geringste und verachtiste angesehen w i r d ] nicht unser wirdikeit halben, sondern das es ynn dem kleinot und heiligthumb, nemlich Gottes wort und gepot, gefasset ist und gehet", ib. 149, 1 7 - 2 2 . 18 „Quid ergo sunt vires humanae, ubi fides et verbum regnat, nisi larvae quaedam dei, sub quibus latens operatur mirabilia sua . . .", 14, 577, 34-36 (Deuteronomium Mosi cum annotationibus 1 5 2 5 ] ; 16, 368, i f f . (Pred. über das 2. Buch Mose 1 5 2 4 - 2 7 ] ; „Quare Moses ista etiam vocat Dei ' f a d e s ' , per quae se Deus manifestavit", 42, 9, 37 f . (Vöries, über i. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ] ; „Respondeo quod Adam dicit, dicit autoritae divina: ergo non ipsius hoc verbum, sed Dei est. Est igitur haec ingens gloria, qua nos ornat Maiestas divina, quod sie per nos operatur, ut nostrum verbum suum esse dicat, et nostras actiones suas, ita ut vere possis dicere. Os pii Doctoris esse os Dei, Manum, quam extendis ad sublevandam inopiam fratris, esse Dei manum", 43, 70, 4-9 (Ib.], Siehe ferner Kap. I B:i und die dort angegebene Literatur. Vgl. auch unten Anm. 24. 20 „Nec nos offendere debet, quod idem vocabulum postea creaturis tribuitur. Quidni etiam nomen suum nobis communicaret Deus, cum potestatem et officium communicat? Nam remittere peccata, retinere peccata, vivificare etc. sunt opera solius Maiestatis divinae, et tarnen eadem tribuuntur hominibus et fiunt per verbum, quod homines docent. Sicut Paulus dicit: 'Ut multos salvos faciam de carne mea'. Item: 'Omnibus omnia factus sum, ut omnes facerem salvos'. Sicut igitur haec opera vere sunt opera Dei, licet hominibus quoque tribuantur et per homines fiant, Ita Dei nomen vere significat Deum, licet hominibus etiam tribuatur", 42, 10, 3 6 - 1 1 , 2 (Vöries, über 1 . Mose 1 5 3 5 - 4 5 ] . Hier finden sich Gedankengänge, die später in verschiedenen Zusammenhängen eingehender analysiert werden.
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gewinnen, wie nach Luther der Wille Gottes in die Menschenwelt einbricht und erst danach die Frage beantworten, welchen konkreten Ausdruck der Wille Gottes dort in menschlicher Tätigkeit und in für uns wahrnehmbaren irdischen Verhältnissen annimmt. Wir betonten bereits, daß Gott - wie Luther es sieht - von Menschen niemals anders erfahren werden kann als in Verkleidung, in carne. Auch Gottes Wort kommt nicht „senkrecht von oben", sondern verborgen in menschlicher Erfahrung und äußerlichem Geschehen. Er, der das Wort von Anfang, „verbum increatum", ist, spricht sein Schöpferwort, „verbum creatum", aus, und das Wort nimmt konkrete Gestalt an". Dies ist eine von Luthers theologischen Grundlagen. Das Wort ist, was es besagt: „Sic verba Dei res sunt, non nuda vocabula"". Auf diesem greifbaren Wort ruht der Glaube, denn wie immer sind der Glaube und „das ding" unauflöslich v e r e i n i g t G o t t gibt niemals ein „articulum fidei", das nicht in „ein leiplich ding" eingeschlossen wäre Auf dieselbe Art sind Gottes Gebote in und durch äußere Dinge und Anordnungen verborgen - und in einem anderen Sinne auch offenbart. Das mandatum Dei tut durch den Glauben eine neue Welt auf, indem der Mensch das Wort Gottes und das Werk Gottes in allem entdeckt, was ihn umgibt. Die Dinge und Personen um ihn sind nicht mehr nur Dinge, sondern Ausdruck des Willens Gottes. „Quicquid est praeceptorum dei, das ist gefast in externam rem." " 21
„Deus enim vocat ea, quae non sunt, ut sint, et loquitur non grammatica vocabula, sed veras et subsistentes res, Ut quod aput nos vox sonat, id apud Deum res est. Sic Sol, Luna, Coelum, terra, Petrus, Paulus, Ego, tu, etc. sumus vocabula Dei . . . Atque hic fecerunt discrimen verbi increati a verbo creato. Verbum creatum est factum per Verbum increatum. Nam quid est aliud tota creatura quam verbum Dei a Deo prolatum, seu productum foras. Verbum autem increatum est divina cogitatio, iussio interna, manens in Deo . . . " , ib. 17, 16-32. Hier wird wieder die Christologie und die Trinitätslehre in Luthers Schöpfungstheologie aktualisiert; vgl. oben Anm. 7. 22 42, 17, 23 (Vöries, über 1. Mose 1535-45); schaffen heysst gebieten", 12, 328, 16 (Epistel S. Petri gepredigt und ausgelegt 1523); „Viderunt [die Propheten] enim, quod dicere apud Deum sit facere et verbum sit factum", 40 Π, 231, 27 f . (Enarratio Psalmi II 1532 Dr.). 23 „Nu sind sie so toll, das sie von ander scheiden den glauben und das ding, daran der glaube hafftet und gebunden ist, ob es gleich eusserlich ist. J a es sol und mus eusserlichj sein, das mans mit synnen fassen und begreiffen und dadurch yns hertz bringen könne, wie denn das gantze Euangelion ein eusserliche mündliche predigt ist. Summa was Gott ynn uns thuet und wircket, wil er durch solch eusserliche Ordnung wircken. Wo er nu redet, ia wohyn odder wodurch er redet, da sol der glaube hynsehen und sich daran halten", 30 I, 215, 32-216, ι (Großer Kat. 1529); 23, 191, 4 f f . (Daß diese Wort Christi • · · 1527)· 24 27, 234, 15 f . (Pred. 1528). In dieser Predigt zu Mariae Verkündigung beschäftigt sich Luther durchweg und unter verschiedenen Aspekten mit diesem Inkarnationsproblem; siehe besonders den Abschnitt 234, 4-35. Zu diesem wichtigen Gedankengang vgl. u.a. P.-W. Gennrich, Die Christologie Luthers im Abendmahlsstreit 1929, 129 f f . , F. Lau, „Äußerlich Ordnung" und „Weltlich Ding" in Luthers Theologie 1933, 57 ff-, Prenter 1954, 146 f f . und E. Metzke, Sakrament und Metaphysik 1948, wo Luthers Versuch, „Gott in ein unmittelbares Verhältnis zum Leiblich-Kreatürlichen und zum sinnengegebenen Element zu setzen" (6) in seiner Gesamtheit erörtert wird. 25 2 7> 234, 29 f . (Pred. 1528).
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Von Geburt an ist der Mench in eine bestimmte Beziehung zu Gott hineingestellt, die er in Wirklichkeit niemals beherrscht, eine veränderliche und vielschichtige Beziehung, die sich niemals in bestimmte Regeln einfangen läßt. Vor allem geschriebenen Gesetz und jeglicher Auslegung der Gebote gab es das mandatum Dei. Es ist schon von Anfang „in f a c t o " „ i n natura humana"27. Auch wenn die Buchstaben „LEX" sich aus dem Universum ausstreichen ließen, gibt es doch dieses Gesetz, sagt Luther, denn es ist in das Herz des Menschen eingeschrieben". Es gibt ein Gesetz „ante leges", ein lebendiges Gesetz, „lex viva", und der Mensch hat von Natur eine gewisse praktische, wenngleich unsichere und dunkle „cognitio legis"2'. Dieses lebendige, in das Menschenherz eingeschriebene Gesetz ist die lex naturae. Über die lex naturae in ihren verschiedenen Funktionen hat Luther viel zu sagen, und über Luthers Auffassung wurde wiederum viel geschrieben, sowohl Klärendes wie Verwirrendes. Hier soll natürlich dies Thema nicht in Einzelheiten oder in seiner Gesamtheit bearbeitet werden, doch müssen wir einige für uns wichtige prinzipielle Richtlinien ziehen. Das Entscheidende wurde bereits angedeutet: lex naturae ist für Luther ein Ausdruck für Gottes Offenbarung und Werke und nicht für menschliche Prinzipien. Es handelt sich hier nicht um eine selbständige natürliche menschliche Kenntnis von Gott und seinem Willen, sondern um das Handeln und Hervortreten Gottes. Die lex naturae gehört daher für Luther niemals in eine rationale Betrachtung menschlicher Möglichkeiten hinein. Nicht der Mench gelangte durch die lex naturae und in ihr zu Gott hin und ergreift ihn, sondern Gott tritt in die Welt des Menschen hinein und ergreift ihn. Luthers Auffassung der lex naturae ist daher durch und durch theozentrisch und religiös geprägt und ist Ausdruck seines Schöpfungsglaubens30. Es ist indessen offenkundig, daß Luther auf zwei Arten von der lex naturae zu sprechen pflegt, die für die Beziehung zwischen Göttlichem und Menschlichem bezeichnend sind. Einerseits ist die lex naturae ein einheitlicher Begriff, der einen gesammelten Ausdruck des Willens Gottes vermittelt und dann denselben Inhalt hat wie das mandatum. Von diesem Gesichtspunkt her handelt es sich nur um ein einziges Gesetz, einen und " 39 I, 477, 7 [Die zweite Disp. gegen die Antinomer 1538). 27 39 I, 361, 30 [Die erste Disp. gegen die Antinomer 1 5 3 7 ) . 28 39 I, 456» 18-457, ι [ D i e zweite Disp. gegen die Antinomer A. 1538). " 14/ 554, 38 f- (Deuteronomium Mosi cum annotationibus 1525); 39 I, 3 6 1 , 19 f. (Die erste Disp. gegen die Antinomer 1537); „Das natürliche Recht lehret wie man sich in diesem Leben halten soll, beide gegen Gott und Menschen", TR IV, 6, 3 f. (Lauterbach]. 30 Zu der ganzen schwer zu beantwortenden Frage der lex naturae bei Luther, siehe Lau 1933, Olsson 1934, besonders 1 3 - 1 1 3 , E. Wolf, „Natürliches Gesetz" und „Gesetz Christi" bei Luther, EvTh 1935, 305-330, H. Bornkamm, Luther und das Alte Testament 1948, 103 ff., R. Josefson, Den naturliga teologins problem hos Luther 1943, H. W . Krumwiede, Glaube und Geschichte in der Theologie Luthers 1952, 61 f f . , J. Heckel, Lex charitatis 1953, 5 2 - 1 3 5 , M. Schloemann, Natürliches und gepredigtes Gesetz bei Luther 1961, 47 f f . Siirala 1956 betrachtet in seiner Gesamtdarstellung des Gesetzes bei Luther auch das Naturgesetz unter vielerlei Gesichtspunkten.
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denselben göttlichen Willen. Luther verwendet viele Termini, „ius", „lex divina", „statutum" usw., aber stets ist mit ihnen dasselbe Gesetz gemeint, Gottes ewiger Wille und R a t s c h l u ß I n diesem Sinne ist lex naturae am ehesten ein formaler Begriff. Andererseits ist aber lex naturae bei Luther auch ein materialer Begriff. Gesetz und Willen Gottes finden Ausdruck in konkreten menschlichen Gesetzen, in den Geboten und Vorschriften der Bibel sowohl wie in ziviler Gesetzgebung. Hier soll nun sogleich eine wichtige Sache geklärt werden. Wenn wir oben die Luther fremden Termini formal und material gebrauchten, benutzten wir sie nur vorübergehend als Hilfsbegriffe. Denn Luther unterscheidet ja in seiner Auffassung vom Gesetz gerade nicht zwischen überzeitlicher Form und zeitgebundenem Inhalt. Man könnte aus dem Voraufgegangenen leicht die Vorstellung erhalten, daß Luther sich eine ewige, über Zeit und Raum erhabene Ordnung gedacht hätte, eine Sammlung von durch die Sünde ungebrochenen religiösen und sittlichen Prinzipien. Aber eine solche „lex aeterna" kennt er definitiv nicht - das bedeutet allerdings nicht, daß Luther nicht mit einem ewigen und bestimmten göttlichen Willen rechnete. Wie Luther die Dinge sieht, steht der Mensch nicht gewissen autonomen Vernunftprinzipien gegenüber, sondern dem Willen und den Werken des lebendigen Gottes in der konkreten Welt. Luther unterscheidet wohl zwischen dem Gesetz und seinen Funktionen, genau so wie er zwischen Göttlichem und Menschlichem unterscheidet. Aber gleichzeitig vermag der Mensch das Gesetz, ein und 31
„Ecce quomodo tota lex tradita nihil aliud est quam hec lex naturalis, que nulli potest esse ignota", 56, 197, 24 f. [Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ) . In Luthers erstem Kommentar zum Galaterbrief begegnet folgende für seine gesamte lex naturae-Auffassung wichtige Äußerung: „Igitur una est lex, quae transit per omnia secula, omnibus nota hominibus, scripta in omnium cordibus, nec excusabilem relinquit ullum ab initio usque in finem, licet Iudaeis accesserint ceremoniae, tum aliis gentibus suae propriae leges, quae non universum mundum obligant, sed haec sola, quam spiritus dictat in cordibus omnium sine intermissione", 2, 580, 18-23 (In epistolam ad Galatas 1 5 1 9 ) . Vgl. hierzu auch Lau 1933, 31 f., Josefson 1943, 90, sowie vor allem Siirala 1956, 29 f f . Schloemann 1961, der durchweg großes Gewicht auf die Einheitlichkeit des Gesetzes legt und im Anschluß an u.a. Bring, Eiert den Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium betont, kritisiert in gewissem Umfang Althaus und Joest, vor allem aber Heckel und Siirala, einmal wegen einer Aufspaltung des Gesetzesbegriffs in göttliches und menschliches Naturgesetz, statutum und ius, und zum anderen wegen Unterschätzung und Nichtbeachtung des Unterschiedes von Gesetz und Evangelium ( 1 2 f f . ) . Dadurch wird einer spiritualisierenden Gesetzesauffassung und einem „durch Christus bestätigten Oberbegriff von Gesetz und Evangelium" ( 1 5 ) der Weg bereitet. Schloemanns in vieler Hinsicht berechtigte Kritik ist, zumindest soweit sie sich auf Siirala bezieht, teilweise einseitig und übertrieben. Sie unterschätzt zweifellos eine Menge von Siiralas nuancierten und treffenden Beobachtungen in bezug auf Luthers Auffassung von Gesetz und Gebot und übersieht offensichtlich den Zusammenhang, der bei Luther faktisch zwischen Gesetz und Evangelium besteht. Das beruht auch - wie unsere Darstellung es hier positiv dartun kann - darauf, daß Schloemann die Bedeutung des Inkarnationsgedankens in diesem Zusammenhang nicht beachtete, andernfalls hätte er Siirala besser verstehen können. In seinem Verständnis des Gesetzes stimmt Siirala vielmehr zum großen Teil mit Schloemann überein und kann im Grunde nicht auf eine Stufe mit Heckel gestellt werden.
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dasselbe göttliche Gesetz, einzig in seinen menschlichen Gestalten und Funktionen zu spüren. Denn genau wie Gott als Deus nudus et absolutus für den Menschen ungreifbar ist, so ist auch das Gesetz als ein fernes, ewiges Gesetz außer Reichweite menschlicher Vernunft. Und genau wie dieser Gott nur in verschiedenen irdischen Formen und äußeren Dingen zu den Menschen kommt, so begegnet uns der Wille Gottes nur so, wie er in einzelnen menschlichen Verhältnissen konkrete Gestalt annimmt. Das Gesetz ist keine objektive, ruhende Ordnung, die Spuren in gewissen subjektiven Resultaten hinterläßt, sondern es ist das Gebot des göttlichen Willens in der Begegnung mit dem Menschen. Zwar kann man wohl einen Unterschied machen zwischen lex naturae und lex naturae, zwischen Form und Inhalt, Gesetz und Funktionen des Gesetzes, Göttlichem und Menschlichem, aber das ist dann kein prinzipieller Gegensatz, sondern nur eine methodisch klärende Distinktion. Denn ein Abgrund zwischen Göttlichem und Menschlichem ist hier wie immer für Luther ein Ding der Unmöglichkeit. Aber das ist nur eine Seite der Sache. Eine metaphysische Trennung von Göttlichem und Menschlichem vorzunehmen ist kein größerer Irrtum, als eine sozusagen antimetaphysische Vermischung anzustellen. Lex naturae ist also genau wie mandatum Dei Gottes Gesetz in verschiedenen menschlichen Formen. Es ist unmöglich, hier ein göttliches und ein menschliches Moment zu unterscheiden, die sich voneinander isolieren ließen; vielmehr ist Gottes Gesetz gerade in dem konkreten Gesetz wirksam. Lex naturae ist die Quelle, aus der alle „leges et iura civilia" fließen32, die Quelle jedoch von ihrem Ursprung zu trennen ist nicht möglich. Aber, und das ist also die andere Seite, man darf die beiden auch nicht ohne weiteres vermischen und identifizieren. Die lex naturae tritt in der Geschichte auf unzählbare Arten hervor, in den „natürlichen" Gesetzen und Sitten der Heiden, in den Regeln der Vernunft, in der lex mosaica und dem Dekalog, im „ius humanum et civile", und sie hat in dieser Eigenschaft eines positiven Rechtes immer einen zeitgebundenen und stark relativen Charakter: „Tempora mutant leges et mores""3. Man kann dann den Irrtum begehen, - und es besteht eine dauernde teuflische Versuchung dazu, für die Luther häufig Beispiele fand, - eine bestimmte zeitbestimmte 32
4 3 , 292, 37 f f . [Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) · Ib. 3 5 5 , 25; vgl. Lau 1 9 3 3 , 35 f f . und Olsson 1934, 3 2 f f . - Es wird daraus klar, w a rum Luther sich ein absolutes, ewiges Gesetz nicht vorstellen kann; der Terminus lex aeterna findet sich auch nur sehr selten in W A . Der römisch-katholiche Forscher F. X . Arnold gibt in einem national-sozialistischen Zusammenhang eine Deutung der Naturrechtslehre Luthers, die „in wesentlichen Punkten eine auffallende Übereinstimmung mit der thomistischen Theorie" zeigt, Zur Frage des Naturrechts bei Luther 1 9 3 7 , 85 f f . , hier 128. A u f f a l l e n d ist indessen, daß Arnold dabei eben von der lex-aeterna-Lehre absehen muß; er vermißt sie bei Luther ganz in der von ihm behaupteten thomistischen Bedeutung, und konstatiert das mit sichtlicher Enttäuschung ( 1 0 1 , 128 und die Einleitung des Buches). Daß dieser „Mangel" ein Zeichen dafür sein könnte, daß die gesamte Deutung abwegig ist - trotz vieler richtiger Gesichtspunkte in Einzelheiten - fällt ihm jedoch niemals ein. 33
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Ordnung mit dem Willen Gottes zu identifizieren, oder ohne weiteres das mandatum Dei in einem fixierten, konkreten Gesetz zu sehen. Ein derartiger Gedankengang hebt jeden Unterschied zwischen Göttlichem und Menschlichem auf und setzt außerdem ein Dasein ohne Sünde und ohne Mißbrauch der Gaben Gottes voraus. Nun pflegt Luther in seiner sorglosen Art eine Menge Termini nebeneinander in dieser Hinsicht zu verwenden. Das Gesetz Moses ist als ein Ausdruck positiven Rechts nur vorbildlich, nicht verbindlich", es ist ja wie bekannt nur „der Juden Sachsenspiegel" ein positives Recht, das an bestimmte Zeiten, Völker und Verhältnisse gebunden ist". Andererseits ist die lex naturae nirgends so fein beschrieben wie in der lex mosaica, " 16, 376, 26-29 (Pred. über das 2. Buch Mose 1 5 2 4 - 2 7 ) ; 24, 9, 1 f f . (Pred. über das i. Buch Mose 1 5 2 7 ] . " 18, 81, 4 - 1 7 [Wider die himmlischen Propheten . . . 1 5 2 5 ) ; 24, 9, 4 f. (Pred. über das i. Buch Mose 1 5 2 7 ) . Ein gutes Beispiel für Luthers Verständnis des Gesetzes Mose überhaupt ist dieser einleitende Abschnitt der Genesis-Predigten 1527, „Ein Unterrichtung, wie sich die Christen in Mose sollen schicken", 24, 2 - 1 6 - diese „Unterrichtung" findet sich auch bereits in einer Exodus-Predigt von 1525, siehe 16, 363-393; vgl. 16, X V och 24, X X I . Hier weiter: „Wenn nu dir einer Mosen furhelt mit seinen gepotten und wil dich dringen die zu halten, so sprich: Gehe hyn zu den Jüden mit deinem Mose, Ich bin kein Jude, las mich unverworren mit Mose . . . Denn kein pünctlin gehet uns an ym Mose", 24, 7, 3 2 - 8 , 2; 16, 423, 3 f f . [Pred. über das 2. Buch Mose 1 5 2 4 - 2 7 R.). 36 „Wol ists war, das ym gesetze Mosi weltliche regiment und eusserliche weise feiner denn aller Heiden recht und weise gefast sind, das wol zu wünschen were, alle wellt hette solcher rechte das mehrer teil. Aber weil es nicht not ist und on untregliche fahr und schaden solche enderung nicht mag geschehen, So las mans einen wünsch bleiben, und halt ein iglich land seine rechte, sitten und weise, wie man spricht: 'So manch land, so manche sitten' ", 3 1 1 , 238, 26-31 [Der 1 1 7 . Psalm ausgelegt 1530); „Denn es [das dritte Gebot] ein gantz eusserlich ding ist, wie andere satzunge des alten Testaments an sonderliche weise, person, zeit und stedte gebunden . . . " , 3 0 1 , 144, 4 - 5 (Großer Kat. 1529); 30 III, 225, 24-29 (Von Ehesachen 1530); 43, 442, 13 f f . (Vöries, über 1. Mose 1535-45)· Es ist wichtig, diesen zeitgebundenen und relativen Charakter des mosaischen Gesetzes zu beachten, um die menschliche Seite des mandatum Dei zu verstehen, so wie sie sich im positiven, natürlichen Gesetz darstellt. Typisch für diese Menschlichkeit ist die Konkretion und die beschränkte Gültigkeit, die Luther den verschiedenen Punkten des Gesetzes zubilligt. Das Gesetz Mose kann ebenso wenig wie anderes relatives menschliches Gesetz auf alle Zeiten und alle Verhältnisse bezogen werden. Das Wort hat immer seine besonderen und bestimmten Adressaten: „Gott hat et Mose geboten und hat also zum volck geredt, Aber wir sind nicht das volck, dazu es der Herr redet. Lieber, Gott hat auch mit Adam geredt, Ich bin darumb nicht Adam . . . Also hat er auch mit David geredt, Es ist alles Gottes wort, war ist es, Aber Gottes wort hyn, Gottes wort her, ich mus wissen und acht haben, zu wem das wort Gottes geredt wird", 24, 12, 3-9, und weiter bis 14, 34, (Pred. über das 1. Buch Mose 1527); „ . . . man mus nicht allein ansehen, ob es Gottes wort sey, ob es Gott geredt hab, sondern viel mehr, zu wem es geredt sey, ob es dich treffe oder einen andern, Da scheydet sichs denn wie sommer und winter", 16, 385, 1 9 - 2 2 (Pred. über das 2. Buch Mose 1 5 2 4 - 2 7 ) ; „Wenn nu der hausvater spröche: A m freitag wollen wir fleisch essen, das were ein gemeyn wort allen ym hause. Also was zu Mose durch Gott geredt ist der gepot halben, trifft allein die Jüden, Aber das Euangelion gehet durch die gantzen weit durch und durch, niemand wird ausgenomen . . . " , ib. 389, 34-390, 23 (dem Text in .Auslegung der 10 Gebote" zufolge). Vgl. Lau 1933, 36 ff., Josefson 1943, 85 f . und H. Gerdes, Luthers Streit mit den Schwärmern um das rechte Verständnis des Gesetzes Mose 1955, 44, 61 f f .
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die dadurch geradezu mit dem mandatum Dei auf eine Stufe gestellt werden kann". Der Dekalog ist nur eine Explikation der lex naturae'8, aber gleichzeitig ist er allgemeingültig und als ein Gebot Gottes in die Herzen der Menschen eingeschrieben". Also ist der Dekalog von großem Wert, nicht weil er mosaisch ist oder weil er in der Bibel aufgezeichnet steht, sondern als ein Ausdruck der lex naturae40; durch ihn sind alle Stände und Ordnungen in Gottes zehn Gebote eingeschlossen". So kann Luther sagen, daß der Mensch die Gebote ohne und vor Moses kennt aber auch, daß der Dekalog seit der Erschaffung der Welt ins Herz des Menschen eingeschrieben" und als lex naturae prinzipiell dem Liebesgebot und der goldenen Regel gleichwertig ist, als konkretes Gesetz aber erst durch Mose mündlich formuliert wurde". Luthers wechselnde Aus" „Warumb hellt und leret man denn die zehen gepot? Antwort: Darumb, das die naturlichen gesetze nyrgent so feyn, und ordentlich sind verfasset als ynn Mose", 18, 81, 18-20 (Wider die himmlichen Propheten . . . 1525]; 16, 431, 14-432, 17 (Pred. über das 2. Buch Mose 1524-27. Auslegung der 10 Gebote). „Denn was Gott von hymel geben hat den Juden durch Mosen, das hat er auch geschrieben ynn aller menschen hertzen. Also halt ich die gepot, die Moses geben hat, nicht darumb, das Moses gepotten hat, sondern das sie myr von natur eyngepflantzt sind und Moses gleich mit der natur stympt", 16, 380, 7 - 1 1 [Pred. über das 2. Buch Mose 1524-27. Unterrichtung . . . ) ; 50, 330, 28 f f . (Wider die Sabbather . . . 1538). s " „Decalogus non est Mosi lex, neque primus ipse earn dedit, sed decalogus est totius mundi, inscriptus et insculptus mentibus omnium hominum a condito mundo", 39 I, 478, 16-18 (Die zweite Disp. gegen die Antinomer 1538); 301, 192, 17 f f . (Großer Kat. 1529); 24, 9, 20-10, n (Pred. über das 1. Buch Mose 1527). „Praecepta legimus, non quod nobis praecepta, sed quod reymen sich cum naturali lege . . . " , 16, 390, 2-4 (Pred. über das 2. Buch Mose 1524-27); „ W o nu Moses gesetz und natur gesetze eyn ding sind, da bleybt das gesetze und wird nicht auffgehaben eusserlich . . . " , 18, 81, 4 f. (Wider die himmlischen Propheten . . . 1525). " Siehe z.B. 16, 447, 19-25 (Pred. über das 2. Buch Mose 1524-27); 32, 324, 33 f., 522, 35-38 (Wochenpred. über Matth. 5-7 1530-32). 12 „Abraham et similes non habuerunt legem . . . lex data est 430 annis post Abraham. Responsio: Lex quidem illo tempore nondum lata nec scripta erat, nihilominus tarnen habuit legem naturae insculptam cordi, ut omnes homines", 39 I, 402, 1 1 - 1 5 (Die erste Disp. gegen die Antinomer 1537); 42, 205, 23 f. (Vöries, über 1. Mose 1535-45). " „Sed a condito mundo decalogus fuit inscriptus omnium hominum mentibus", 39 I, 454, 4 f . (Die zweite Disp. gegen die Antinomer 1538); „ . . . die Zehen gebot nicht allein vor Mose, sondern auch vor Abraham und allen Patriarchen auch über die gantze weit gegangen sind", 50, 330, 33 f. (Wider die Sabbather . . . 1538). " „Gott . . . , der als ein gemeiner Gott aller Heiden die Zehen gemeine gebot selber gibt diesem sonderlichem volck auch mündlich, welche zuvor jnn aller menschen hertzen mit der schepffung ein gepflantzt sind . . . " , ib. 331, 13-16; „Ita Moses fuit tantum quasi interpres et illustrator legum scriptarum in mentibus omnium hominum, ubicunque terrarum sub sole sint", 39 I, 454, 14-16 (Die zweite Disp. gegen die Antinomer 1538); über die Ähnlichkeit von lex naturae und lex caritatis spricht Luther oft sowohl prinzipiell als auch in konkreten, sozialen Zusammenhängen, siehe z.B. 1, 502, 16-26 (Decern praecepta . . . 1518); Ii, 279, 16-25 ( V o n weltlicher Obrigkeit 1523); 19, 638, 30 f., 642, 5-7 ( O b Kriegsleute . . . 1526); 39 I, 374, 2-5 (Die erste Disp. gegen die Antinomer 1537); 42, 608, 10 f f . (Vöries, über 1. Mose 1535-45); v gl- auch die Darstellung bei Η. M. Müller, Das christliche Liebesgebot und die lex naturae, Z T h K 1928, 161 f f . , Lau 1933, 115 f f . , Olsson 1934, 19 f., 60 f f . , Josefson 1943, 93 ff-, Hillerdal 1954, 19 f., Siirala 1956, 47 f f . und Schloemann 1961, 74 f f . , 99 f f .
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sagen erhalten ihre klärende Beleuchtung dadurch, daß wir - wie es oben geschah - die Beziehung zwischen Göttlichem und Menschlichem beachten. Die lex naturae als allgemeines formales Prinzip hat somit menschliche Gestalt angenommen in dem natürlichen Handeln, in bürgerlichen Gesetzen und Sitten, in geschriebenen Gesetzen in sowohl allgemein menschlichen wie biblischen Zusammenhängen. Wir wollen hier noch ein wenig länger bei der Relation zwischen lex naturae und lex scripta, besonders in ihrer biblischen Form, verweilen. „Una est lex", sagt Luther, und nimmt damit Abstand von der falschen Alternative, zu der eine Trennung der lex naturae von der lex scripta führen kann". Denn wenn man die Schrift und die natürliche Vernunft in Gegensatz zueinander stellt, hat man im Grunde eine andere Auffassung von der Beziehung zwischen Gott und dem Menschen als Luther. Es ist dann der Mensch, der fragt, wie man den Willen Gottes kennen lernen kann, und der sich dadurch selbst in eine Wahlsituation stellt. Das aber ist für Luther ein vermessener und hochmütiger menschlicher Versuch, sich außerhalb der direkten Wirkungssphäre Gottes zu stellen, da das ja bedeutet, daß der Mensch eigentlich das gegebene mandatum verleugnet, unter dem er bereits steht. Trennt man also lex naturae von lex scripta, beruht das darauf, daß man ein Kriterium für die Gebote Gottes sucht, man findet, daß die lex naturae nicht ausreicht und nur der rationalen und profanen Sphäre angehört, und daß sie deshalb durch das geschriebene Gesetz, so wie es im Bibelwort hervortritt, verständlich gemacht und ergänzt werden muß. Das wie man meint rein Menschliche muß einen göttlichen Zusatz, eine göttliche Korrektur, erhalten. Diese Erwägung enthält zwei Fehler. Erstens übersieht man, daß das vermeintlich nur Menschliche bereits auch göttlich ist. Daß der Mensch schon von seinem ersten Augenblick an und in jeglichem Zusammenhang von Gottes Willen abhängt und Gottes Gebot in seinen verschiedenen Gestalten unterworfen ist, ist dann ein nicht beachtetes Faktum, ein Umstand, der nicht völlig ernst genommen wird; man will ihm zumindest nur eine untergeordnete Bedeutting einräumen als Ausdruck einer, wie man sagen könnte, Göttlichkeit zweiten Ranges, in der Gott nicht direkt und unmittelbar gegenwärtig ist. Der Mensch fühlt sich dann nicht von einem in allen Ordnungen und Ständen hervortretenden mandatum Dei beherrscht, denn er erlebt Gott dort nicht auf dieselbe Weise wie z.B. in der Bibel. Das natürliche Gebot wird zum nur relativen und menschlichen Gebot, es wird von Gott isoliert und spiegelt nur noch schwach seinen Befehl. Man sucht ein anderes und klareres Wort, d. h. der Mensch streckt die Arme nach einem anderen Gott aus, da der Gott, dessen Gebot und Willen ihn dauernd umgeben, nicht auf zufriedenstellende Weise anerkannt werden kann. " „ N e c minus caute intelligenda est vulgatissima illa distinctio legis naturae, legis scriptae, legis euangelicae. C u m enim Apostolus hic dicat, omnes in uno et in summa convenire, certe Charitas omnis legis finis est . . . Igitur una est lex . . . " , 2, 580, 7 - 2 3 [In epistolam ad Galatas 1 5 1 9 ] ; vgl. Anm. 3 1 oben.
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Man wendet sich dann dem Bibelwort zu, begeht aber nun den anderen Fehler: Denn genau wie man mehr oder weniger blind gegenüber Gottes Hand in äußeren, menschlichen Dingen und Ereignissen sein kann, wodurch man nicht nur das Göttliche, sondern auch das Menschliche unterschätzt, so setzt man sich hier auf der anderen Seite der Gefahr aus, gerade indem man die Rolle mißversteht, die das Menschliche spielt, das Göttliche abzuwerten. Das ist das Gegenteil von dem, was man voraussah und beabsichtigte, denn man strebte ja danach, die Schrift einen echt göttlichen Inhalt haben zu lassen, da dort wirklich der Wille Gottes im Gotteswort ausgesprochen war. Was aber in Wirklichkeit geschieht, wenn der Mensch auf diese Weise zur Bibel kommt ist, daß er dort einen Beweis für die Wahrheit sucht, die er somit nicht außerhalb des Schriftwortes finden zu können meint. Die Bibel wird dann einzig zum Ausdruck einer Auslegung, zum Mittel für den Menschen, Gottes Willen zu deuten. Das mandatum Dei wird dann als eine Art allgemeines Prinzip aufgefaßt, mit dem der Mensch natürlich und bewußt kaum in Berührung kommt, das ihm aber in der Bibel klar formuliert entgegentritt. Das aber bedeutet ganz offensichtlich eine Leugnung des göttlichen Handelns durch die lex naturae, und gleichzeitig eine Verdrängung der Wirksamkeit des Wortes zu einer bloßen Schriftfunktion in der lex scripta. Es ist für Luther wichtig, auch in diesem Zusammenhang Gott Gott sein zu lassen. Er muß durch sein Wort frei sprechen dürfen. Er hat den Menschen von Anfang an sein mandatum gebunden, so daß er es ist, der an ihm handelt und ihn führt. Der Mensch beherrscht seine Existenz nicht eigenmächtig. Die Bibel ist nicht nur eine klärende Offenbarungsurkunde, über die der Mensch verfügen und der gegenüber er sich frei entscheiden könnte Die Bibel ist ja doch, nach Luther, selbst eine „viva vox" und als ein beständig aktiv eingreifendes und gebietendes Wort ein Ausdruck des mandatum Dei. Daher ist es für Luther ein ernstlicher theologischer Fehler, lex naturae und lex scripta in Gegensatz zueinander zu stellen, denn eine solche Auffassung enthält menschliche Sünde und Vermessenheit: der Mensch will Herr sein über das Wort, will eine garantierte und sichere Position erreichen, von der aus er eine Kontrolle über die Wahrheit und die Gerechtigkeit ausüben kann. Aber Gott läßt eine solche Sicherheit nicht zu, er will keinen menschlichen Consensus zur Auslegung der Bibel oder dessen, was wahr und was falsch, Gottes Wille oder nicht, ist, denn er will selbst Richter sein Ein jeder derartiger 16
V o n dieser menschlichen Eigenmächtigkeit nimmt Luther o f t heftig Abstand. So z.B. in der Kirchenpostille, w o er in einer Predigt über die heiligen drei Könige neugierige Forschung und himmelstürmenden Eifer ablehnt, der „ausser gottis wort" geht, IOI:I, 555 f f . , hier besonders 5 8 1 , 1 2 , 590, 1 1 , 5 9 1 , 15; Luther weist vielmehr u.a. auf Abrahams nüchtern konstatierende Antwort an den reichen Mann in Luk. 16, 29 hin: „Habent Mosen et prophetas", 587, 3 f f . Das Wesentliche ist, daß der Mensch demütig die Suprematie des Wortes anerkennt und nicht versucht, es zu meistern; es ist „sui ipsius interpres", 7, 97, 23 [Assertio omnium articulorum . . . 1520); 10 III, 238, 10 f . [Pred. 1 5 2 2 ] . Vgl. Siirala 1956, 72 f f . , 1 0 8 - 1 3 3 . " Das Wort ist nicht unklar und zweideutig in dem Sinne, daß es eines menschlichen
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Versuch einer anthropozentrischen, rationalistischen Auffassung des Wortes ist für Luther vom Teufel, ist Aufruhr gegen Gott. Es ist also nicht der Mensch, der zunächst entscheidet, was Gottes Wort und das Gebot seines Willens ist, sondern Gott spricht und handelt und gebietet ihm, zu glauben. Hierauf gründet sich alle menschliche Existenz und hieraus entspringen alle menschlichen Worte und Handlungen". Der Gedankengang, daß der Mensch erst in der Bibel einem klaren Ausdruck von Gottes mandatum begegnet, enthält indessen auch ein wichtiges Moment richtiger Luther-Deutung. Die Fehlerhaftigkeit des Gedankenganges besteht nicht in dem, was er so tatsächlich aussagt, sondern in dem, was er voraussetzungsweise ausschließt, nämlich eine vollwertige göttliche Aktivität bereits in der lex naturae und durch sie. Für Luther ist es nämlich ganz selbstverständlich, daß die Bibel Wort Gottes in einem exklusiven Sinn ist, der nicht durch noch so positive Aussagen über die lex naturae verwischt werden darf. Aber das Entscheidende bei Luther ist, daß er die Überlegenheit des Bibelwortes deshalb betont, weil er weiß, daß der Mensch durch die Sünde blind gegenüber dem Wort geworden ist, das überall um ihn her Gestalt annimmt, und taub gegenüber dem mandatum, das dort ständig erklingt - und nicht, weil er einen Wesensunterschied zwischen der lex naturae und der lex scripta sähe, dergestalt daß sie an sich verschiedene Grade der Göttlichkeit verträten. Ganz im Gegenteil: das Gesetz ist wirklich ein einziges, eine viva vox, eine viva voluntas und lex spiritus, und wenn das Wort faktisch als lex literae und Schriftsammlung hervortritt, so ist das in Luthers Augen sogar eine Notlösung, die auf der Blindheit und Verkehrtheit des Menschen beruht". Nicht auf Grund einer substantiellen EinAuslegers und Richters bedürfte. Vielmehr müßten alle, der Papst, Konzilien und einzelne Christen, mit ihrem „dunckel" und ihrer natürlichen Vernunft sich unterordnen. „Denn es gebürt uns nicht Gottes wort zu deuten, wie wir wollen, Wir sollen es nicht lencken, sondern uns nach yhm lassen lencken und yhm die ehre geben", 24, 82, 24-26 [Pred. über das 1. Buch Mose 1927); „Verbum dei enim supra Ecclesiam est incomparabiliter", 6, 560, 36 (De captivitate . . . 1520); 2, 465, 27-31 (In epistolam ad Galatas 1 5 1 9 ) . Das Thema „papa super scripturas" kehrt in Luthers Produktion immer wieder: 5, 546, 8 f f . [Operationes in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ] ; IOI:I, 633, 7 f f . [Kirchenpostille 1522); 10 II, 120, 3 - 1 5 (Wider den falsch genannten geistlichen Stand des Papsts und der Bischöfe 1522); 18, 653, 7 f f . (De servo arbitrio 1525); 24, 3 1 3 , 16 f f . (Pred. über das r. Buch Mose 1527); 38, 233, 7 - 1 2 (Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe 1533]. Hinsichtlich weiterer Belege und gründlicher Analyse siehe Pedersen 1959, 44-63 und über die Klarheit der Schrift auch P. Schempp, Luthers Stellung zur Heiligen Schrift 1929, 48-61 sowie R. Hermann, Von der Klarheit der Heiligen Schrift 1958; vgl. voraufgehende Anm. 48 „das hab ich euch gebotten, yhr sollet meine stym hören (das ist, nit was euch recht und gut dunckt, sondern was ich euch heisse) und wandeln in dem wege, den ich euch gebotten hab . . . " , 6, 222, 3 1 - 3 3 (Von den guten Werken 1520]; „Wen der mensch soll mit gott zu werck kummen und von yhm ettwas empfahen, sso muss es also zugehen, das nit der mensch anheb und den ersten steyn lege, sondern gott allein on alles ersuchen und begeren des menschen muss zuvor kummen und yhm ein zusagung thun", 6, 356,3-6 (Ein Sermon von dem neuen Testament . . . 1520). " Z.B. 2, 499, 20-500, 5 (In epistolam ad Galatas 1519); zu Luthers Betonung des münd4 - Nilsson
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stufung von Offenbarungsformen und göttlichem Wirken, sondern auf Grund der Sünde ist also die Schrift notwendig. Die Forderung des Glaubens, die von Anfang tatsächlich in mandatum und lex naturae an den Menschen herantritt, bildet auch den Inhalt des geschriebenen Wortes, das eben deshalb unentbehrlich ist. Wenn Luther betont, das Bibelwort sei ein äußeres und buchstäblich geschriebenes Wort - gegenüber dem inneren Wort der Schwärmer - oder wenn er biblische Ordnungen und Einsetzungen understreicht - gegenüber Roms kirchlichen Ordnungen will er im tiefsten Grunde den Glauben schützen, den Glauben, den die Bibel bezeugt und vom Menschen erwartet 50 . Wenn der Mensch durch Mißbrauch der Schöpfung und des in ihr erteilten mandatum Gottes nicht mehr der lex naturae gegenüber hellhörig ist, erfüllt also die lex scripta diese gleiche Funktion: zum Glauben zu treiben. In diesem Sinne kann Luther von einem Schöpfungsglauben sprechen, der nur in der Bibel - oder in Christus - ein rechter Glaube ist Wir haben hier schon in gewissem Umfang die Aufmerksamkeit vom Willen und mandatum Gottes auf die Weise des Menschen, diesem göttlichen Wort zu begegnen, hingelenkt. Die Hauptthese dieser Abhandlung schließt ja die Untrennbarkeit dieser beiden Aspekte in sich, aber der Schwerpunkt läßt sich von der einen zur anderen Seite verschieben. Die Beschreibung der konkreten Gestaltung des mandatum Dei zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Verhältnissen soll noch ein wenig anstehen, doch soll die menschliche Seite gleichwohl in einer anderen Hinsicht schon hier ins Blickfeld rücken, und zwar in dem folgenden Problem: was kennzeichnet den Menschen unter dem mandatum Dei in seinem Verhältnis zu Gott? Antworten auf diese Frage wurden schon mehrfach angedeutet. Gott schafft den Menschen und gebietet ihm, sein ganzes Dasein von ihm liehen, lebendigen Wortes siehe Schempp 1929, 32 ff., Prenter 1954, 118 f., W . von Loewenich, Luther als Ausleger der Synoptiker 1954, 107 ff., Siirala 1956, 244 ff., H. 0stergaard-Nielsen, Scriptura sacra et viva vox 1957, 184 ff., und Pedersen 1959, 134 ff. 50 Prenter 1954, 107 ff., 254 ff. und Siirala 1956, n i f f . Diese inhaltliche Identität von lex naturae und lex praedicata bildet die These von Schloemanns ausgezeichnetem Buch 1961; hier z.B.: „Festzuhalten ist aber unbedingt, daß Luther niemals sagt oder meint, das gepredigte Gesetz stelle andere und höhere Forderungen über das natürliche Gesetz hinaus" [107, kurs. von S.]. " Zu dieser „Reitzung zum Glauben" und dem natürlichen und gepredigten Gesetz siehe Joest 1951, 55 ff., H. Ivarsson, Predikans uppgift 1956, 35 ff., 70 ff., Schloemann 1961, besonders 97 ff., 124 ff., G. Heintze, Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium 1958, 102 ff., der indessen durch seine Barthianischen Tendenzen trotz guter Beobachtungen und ausgezeichneter Quellenarbeit nicht imstande ist, Luthers Gesetzesauffassung zu verstehen. Bei der Auslegung des Dekalogs und des ersten Gebotes betont er den „Verheißungscharakter" so stark, daß er von seinem Ausgangspunkt her die lex naturae und den Schöpfungszusammenhang völlig übersieht ( 1 1 3 ff.). Schloemann gibt eine klärende Kritik Heintzes und schließt sich dabei durchweg und mit gutem Recht Ivarsson an, siehe z.B. 36 ff. - Bei Luther, siehe u.a. seine Disputationen gegen die Antinomer 1 5 3 7 - 3 8 , z . B . : „ H a b e n t quidem omnes homines naturaliter q u a n d a m Cognitionen! legis,
sed eam valde infirmam et obscuratam. Ideo necesse fuit et semper est tradere hominibus illam legis notitiam . . .", 39 I, 361, 19 ff., und die klärende Stelle 539, 7-540, 3 [Α.).
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entgegenzunehmen, oder mit anderen Worten, er fordert Glauben vom Menschen - so sagt Luther vor allem in der Auslegung des ersten Gebotes, das ja auch häufig mit Christus verbunden wird"; in ihm und zu ihm ist alles. Alles im Leben des Menschen ist daher vom Willen Gottes geprägt, nichts ist profan, aber doch ist alles menschlich. Jedes menschliche Wort, jede menschliche Handlung sind in ein göttliches Geschehen einbezogen: das praeceptum Dei nimmt den ganzen Menschen in Anspruch". Bereits in einer Predigt vom Jahre 1516 benutzt Luther das später in De servo arbitrio vorkommende Bild des Reittiers, um die Abhängigkeit des Menschen von Gott zu verdeutlichen: so wie das Pferd vom Reiter angetrieben und gelenkt wird, so wird der Mensch von Gott beherrscht, indem er von ihm gebraucht wird und seinem Werk und Willen offensteht *\ Der beste Ausdruck bei Luther für die Stellung des Menschen Gott und dem mandatum Dei gegenüber ist auch zweifellos der Begriff „servum arbitrium". Denn der Grundgedanke in De servo arbitrio läßt sich ja so beschreiben: nicht der Mensch wählt frei und autonom zwischen verschiedenen Lebenswegen, sondern Gott stellt den Menschen durch sein mandatum vor sich und regiert über ihn. Das beleuchtet z.B. der Streit zwischen Erasmus und Luther über die Auslegung von 5. Mos. 30, 1 1 ff.: „Denn es ist das Wort gar nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen"". Erasmus meint, dieses Bibelwort impliziere den freien Willen eines Menschen und setze ihn voraus, da er vor dem Wort und allen Geboten Gottes stehe, und Gebote überhaupt sinnlos seien, wenn der Mensch nicht frei Stellung nehmen könne. Luther dagegen vertritt die Ansicht, daß hier gar nichts über die Fähigkeit des Menschen zu wählen oder Handlungen auszuführen stehe. Dem Menschen wird ganz einfach Gottes Wille kundgetan, Gott spricht zu ihm und in ihm, und er kann nicht behaupten, er höre Gottes Gebote nicht oder komme nicht mit ihnen in Berührung". Für Luther ist das mandatum Dei also nicht in 63 „In hoc praecepto primo est descripta fides . . . " , 14, 618, 4-9 (Vöries, über das Deuteronomium 1 5 2 3 - 2 4 ) und umzählige ähnliche Äußerungen, siehe z.B. 1, 250, 4 f f . (Eine kurze Erklärung der zehn Gebote 1 5 1 8 ) ; 5, 394, 33 f. (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ) ; 6, 206 f f . (Von den guten Werken 1520); 7, 26 f. (Von der Freiheit eines Christenmenschen 1520); 7, 205, 12 f f . (Eine kurze Form . . . 1520); 30 I, 132 f f . , 180 f. (Großer Kat. 1529); 39 I, 428, 14 f f . (Die zweite Disp. gegen die Antinomer 1538); 50, 3 3 1 , 20 f f . (Wider die Sabbather . . . 1 5 3 8 ) . Seit Holl in seinen .Aufsätzen" 1921, 67 f f . , auf die Bedeutung des ersten Gebotes bei Luther aufmerksam machte, hat die Diskussion allmähnlich beträchtlichen Umfang angenommen; z.B. H.Bornkamm,Christus und das 1. Gebot in der Anfechtung bei Luther, Ζ S Th 1928, 543 ff., Η. M. Müller, Der christliche Glaube und das erste Gebot, T h B l 1927, Sp. 269 f f . , ders., Glaube an Gott den Schöpfer als Glaube an Christus bei Luther, T h B l 1928, Sp. 37 ff., Bring 1929, 230 f f P . Althaus, Gottes Gottheit als Sinn der Rechtfertigungslehre Luthers, Lu J 1931, 1 ff., O. Gühloff, Gebieten und Schaffen Gottes in Luthers Auslegung des ersten Gebotes 1939, Siirala 1956, besonders 22-104. " 14, 610, 3 - 1 6 (Vöries, über das Deuteronomium 1 5 2 3 - 2 4 ) .
" I> 73, 15-26 (Sermone aus den Jahren 1 5 1 4 - 1 7 ) . Vgl. A . Hardeland, Luthers Katechismusgedanken in ihrer Entwicklung bis zum Jahre 1529, 1913, 7 f. " 18, 686, 27-688, 10 (De servo arbitrio 1 5 2 5 ) . " 18, 688, 4 - 1 0 (De servo arbitrio 1 5 2 5 ) .
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erster Linie Buchstabe, lex literae, sondern Wort, Befehl, die in der Welt des Menschen wirksam sind. Das Wort ist nicht eine Reihe von Auskünften, zu denen der Mensch Stellung zu nehmen hat, sondern ein faktisches, den Menschen einbegreifendes göttliches Wirken. Einen Gott haben bedeutet für Luther, daß dieser Gott durch sein Wort Macht über das ganze Leben und die ganze Existenz des Menschen h a t " . Einen Gott haben heißt, sich von Herzen zu diesem Gott halten und ihm trauen, denn Gott will „das gantze hertz" umfassen". Wollte man nun dem Menschen ein „liberum arbitrium" zubilligen", so würde das bedeuten, daß der Mensch imstande wäre, Gottes mandatum gegenüber zu treten als einer, der nicht von Anfang einer Sache unterworfen wäre, keinem Gesetz und keinem B e f e h l D e r Mensch würde dann Gott gegenüber eine neutrale und autonome Stellung einnehmen und würde sich erst durch eine freie Wahl seinen Geboten und Bedingungen unterwerfen, und er würde, indem er auf diese Weise Gott akzeptierte, sozusagen ihm gegenüber in eine günstige Lage kommen. Diese Theologie, die Luther in De servo arbitrio klar und hartnäckig bekämpft, ist von Anfang bis Ende vom Menschen, von seinem Willen und seinen Möglichkeiten her, orientiert Daher kann Gott auch als ein „summum bonum" aufgefaßt werden, das der Mensch erstrebt und für das er sich entscheiden kann. Gott ist dann nicht wie für Luther der souveräne Schöpfer, der alles beherrscht, sondern im Grunde vom Menschen beherrscht. Luther sieht diesen autonomen freien Menschen als eine Fiktion; aber damit nicht genug, bedeutet eine derartige Menschenauffassung für ihn vor allem eine teuflische Verkehrtheit, einen Ausdruck des Unglaubens und Hochmuts In diesem Zusammenhang also wird das liberum arbitrium für Luther 57
Z.B. 46, 558, 1 3 - 5 6 1 , 3 2 (Auslegung des 1. und 2. Kap. Joh. 1 5 3 7 - 3 8 ) ; „Gott der Vater hat das geschöpff aller Creaturen durch sein Wort angefangen und volbracht und erhelt es auch noch fur und f u r durch dasselbige . . .", ib. 5 5 8 , 2 9 - 3 1 ; „Und wenn G o t t seine hand gehen lisse und abzöge, so würde Haus und alles gar balde in einem hauffen fallen", ib. 559, 1 0 - 1 2 ; „Wenn er uns, die er geschaffen hat, nicht erhilte, so weren wir vor langst, ja wol in der Wiegen und in der Geburt verdorben und gestorben", ib. 560, 14 f.; „ . . . er hat das leben von jm selber und stirbet nicht. W a s da lebet und bleibet, das hat sein leben und wesen von jme . . .", ib. 5 6 1 , 25 f . " 30 I, 1 3 4 , 1 8 - 2 6 [Großer Kat. 1 5 2 9 ) ; siehe oben A n m . 5 2 sowie auch die dort angegebene Literatur zum ersten Gebot; vgl. auch P. S. Watson, U m Gottes Gottheit 1 9 5 2 , 58 f f . 58 Luther behandelt in De servo arbitrio zuerst die Definition dieses Begriffs, 18, 6 6 1 , 29-666, 1 2 , sodann erörtert er die sachliche Argumentation bei Erasmus. eo Ib. 662, 7 - 9 . Vgl. R. Johannesson, Person och gemenskap enligt romersk-katolsk och luthersk grundaskädning 1947, 196 f f . und Siirala 1956, 79 f . 81 H. Lammers, Luthers Anchauung vom Willen 1 9 3 5 , 18 f f . , E. Schweingruber, Luthers Erlebnis des unfreien Willen 1947, 58 f f . , Bring 1950, 2 1 0 f f . und 249 f f . , Hägglund 1 9 5 9 , 168 f f . , H. Bornkamm, Erasmus und Luther, Lu J 1958, 3 f f . 62 Diese Auffassung ist in De servo arbitrio nicht neu, siehe z.B.: „Liberum arbitrium post peccatum res est de solo titulo, et dum facit quod in se est, peccat mortaliter. Prima pars patet, quia est captivum et servum peccato, non quod sit nihil, sed quod non sit liberum, nisi ad malum", 1, 3 5 9 , 3 3 - 3 6 (Disputatio Heidelbergae . . . 1 5 1 8 ) ; siehe ferner Kap. I A : 2 .
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zum gottesfeindlichen Prinzip vor anderen. Liberum arbitrium ist eigentlich etwas, was nur Gott selbst zusteht", und würde als menschliche Eigenschaft eine Fähigkeit gegen Gott bedeuten, die Fähigkeit, etwas in bezug auf göttliche Dinge auszuführen, die Möglichkeit, von sich aus „verbum et opus Dei" zu wollen oder nicht zu wollen". In diesem Sinne gibt es kein liberum arbitrium, es ist „nichts" und der Begriff ist nur ein leeres Wort". Natürlich spricht Luther oft von dem freien Willen eines Menschen, einer „libertas in externis", einer „libertas in rebus inferioribus", aber diese Freiheit ist somit nur die Fähigkeit eines Menschen, eine Wahl in bezug auf äußere irdische Dinge zu treffen, die der Vernunft unterworfen sind. Wenn Luther dagegen den Terminus liberum arbitrium gebraucht, denkt er gewöhnlich an die Freiheit, die dem Menschen in der Beziehung zu einer höheren Macht zugesprochen wird, und diese Freiheit leugnet er. Wir müssen jedoch beachten, daß Luther, wenn er so bestimmt von aller Rede über ein liberum arbitrium Abstand nimmt, dies aus zwei Gründen und in zwei verschiedenen Zusammenhängen tut. Erstens könnte liberum arbitrium eine Fähigkeit zum Guten bedeuten, nicht nur in einzelnen Willenshandlungen und zufälligen Beschlüssen - libertas in externis - , nicht nur als eine psychologische Freiheit in konkreten Willensakten, sondern als eine spontane Ausrichtung des ganzen Menschen auf Gott und das Gute. Wenn Luther diese Freiheit leugnet, die ja in sich schließt, daß der Mensch Gott lieben und sein Gesetz erfüllen sollte, tut er es mit der Motivierung, daß der Mensch ein Knecht der Sünde sei, und daß sein Wille daher auf das Böse gerichtet und des Guten unfähig sei. Daß der Mensch unfrei ist und nur das Böse tun kann, beruht also auf der Herrschaft der Sünde. So war es nicht im Anfang. Da hatte nach Luther der Mensch die Freiheit, das Gute zu tun und besaß ein wirkliches liberum arbitrium in dieser Bedeutung. Die Sünde hat diese Freiheit vernichtet und die Fähigkeit des Menschen, das Gute zu tun, gelähmt, aber durch Christus und im Glauben geschieht eine „restitutio libertatis", die in ihren Anfängen in der „libertas christiana" hervortritt, aber erst in der Auferstehung vollkommen sein wird60. Luthers Anthropologie setzt, wie wir sahen, eine „libertas ante lapsum" voraus, eine Freiheit, die Willen und Fähigkeit zum Guten in sich schließt. Das ganze Wesen des Menschen ist dann durch und durch auf das Gute ausgerichtet, und diese Totalitätsausrichtung kann also durch den Glauben " "
18, 662, 5 ( D e servo arbitrio 1 5 2 5 ) . Ib. 664, 1 - 1 2 . 65 Dies ist ein häufig wiederholter Gedanke, ib. 6 3 7 , 17 f f . , 6 5 1 , 20, 665, 23, 666, 8 f., 7 1 9 , 3 1 und besonders 7 5 4 , 1 - 1 7 . ββ „Loquitur autem Ecclesiastes de priore homine, qui creatus erat iustus, innocens et pura creatura, sed postea per diabolum impulsus est, ut caderet. Ergo fuit quidem ante lapsum sui viris, sed nunc sumus mali, impuri, corrupti . . . Darumb ist es aus mit unserm libero arbitrio. Sed restituetur nobis in resurrectione mortuorum, ubi rursum collocabimur in paradisum", 39 I, 239, 2 - 2 0 (Die Promotionsdisp. von Palladius und Tilemann 1 5 3 7 ] .
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an Christus am Tag der Auferstehung wieder voll und ganz realisiert werden. Im Vergleich zu diesem inneren, den Menschen ganz umschliessenden Willen sind ja die äußeren Handlungen, Entschlüsse und Gedanken nur Konsequenzen und sekundäre Einzelheiten. Diese äußeren konkreten A k t e sind Zeichen einer libertas in externis, sie sind Früchte des inneren Willens. Im äußeren Handeln, in der Fähigkeit, in bezug auf die Ausführung einer vorliegenden Handlung im einzelnen zu wählen, ist der Mensch nicht durch Zwang geprägt; dort herrscht Freiheit und nicht einmal eine „necessitas coactionis" A b e r gleichzeitig ist er außer Stande, seinen innersten Willen zu ändern, der immer dieselbe Ausrichtung hat, im Guten - und das ist die libertas ante lapsum - oder im Bösen - nach dem Fall. Liberum arbitrium als Ausdruck des innersten Willens und Wesens des Menschen, seiner eigentlichen Ausrichtung unter allem Zufälligen und Äußeren, wird somit von Luther geleugnet, denn über dieses sein innerstes Zentrum kann der Mensch nicht verfügen. Vielmehr wird er von diesem Inneren bestimmt und beherrscht; die Willensrichtung, die dort herrscht, prägt all seine Entschlüsse und Handlungen, sein Tun und Lassen, seine Zustimmung und seine Ablehnung. Hier ist der Mensch nach dem Fall geknechtet unter der Macht der Sünde, die ihn beherrscht mit einer „necessitas immutabilitatis", auch wenn sein Handeln spontan und willig erscheinen mag "*. In einem anderen Sinn besitzt der Mensch niemals ein liberum arbitrium, weder vor noch nach dem Fall, auch nicht in der Ewigkeit. A n diese Bedeutung nun knüpft Luther durchweg seine Erörterungen in D e servo arbitrio. Mit einer gewissen Berechtigung könnte man sagen, daß der menschliche Wille, so wie wir bisher von ihm sprachen, ausschließlich ethisch bestimmt war, in seiner Ausrichtung geprägt von böse und gut und als Ergebnis böse oder gute Entschlüsse und Handlungen zeitigend. Der Aspekt, den wir nun abschließend anlegen wollen, ist seinem Charakter nach stärker rein religiös. Wenn Luther sagt, der innere, den ganzen Menschen beherrschende Wille sei geknechtet und unfrei, so ist diese Gebundenheit für ihn nicht nur durch die Macht der Sünde bedingt oder nur eine Gebundenheit, die es vor dem Fall nicht gab. Z w a r besaß der Mensch vor dem Fall das liberum arbitrium insofern, als er nicht von dem Bösen in die Sünde hineingezogen war, sondern die Freiheit hatte, das *' 18, 634, 2i f f . ( D e servo arbitrio 1525). Siehe hierzu u.a. H. Olsson, D e t dubbla necessitasbegreppet i skolastiken och Luthers kritik därav (Till G u s t a f A u l e n 1939, 303 f f . ) und Seils 1962, 95 f f . Z u den Freiheitsbegriffen siehe ferner über die in A n m . 61 angef ü h r t e Literatur hinaus A . Runestam, D e n kristliga friheten hos Luther och Melanchton 1917, ders., V i l j a n s frihet och den kristliga friheten 1921, S. N o r m a n n , V i l j e f r i h e t og f o r utbestemmelse i den lutherske reformasjon inntil 1525, 1933, Olsson 1934, 1 1 4 - 1 5 6 , W i n gren 1952, 6 9 - 7 7 , H . J. Iwand, U m den rechten Glauben. Ges. A u f s ä t z e 1959, 1 3 - 6 1 , 247-268. 68 18, 634, 30 f f . ( D e servo arbitrio 1525]; „ Q u a r e sequitur, liberum arbitrium sine gratia D e i prorsus non liberum, sed immutabiliter captivum et servum esse mali, cum non possit vertere se solo ad bonum", ib. 636, 4-6. A u f die verwickelte Frage der Freiheitsbegriffe bei Luther kommen w i r später mehrfach zurück.
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Gute zu tun. Aber er war nichtsdestoweniger gebunden, denn wie wir früher festgestellt haben, existiert für Luther eine Autonomie des Menschen überhaupt nicht. Die libertas ante lapsum und die „regia libertas" des Glaubens ist eine Freiheit in der Beziehung zu Welt, Sünde und Verdammnis, die aber gleichzeitig eine restlose Abhängigkeit im Verhältnis zu Gott in sich schließt". Weit davon entfernt, die freie und autonome Stellung eines Menschen Gott gegenüber zu bezeichnen, ist die Freiheit vielmehr nur in der Gebundenheit an Gott und durch sie möglich. Nur der Mensch, der völlig unter Gottes Herrschaft steht, hat die königliche Freiheit zum Guten. Dieses liberum arbitrium im inneren Willen besitzt nur, wer ein servum arbitrium im Verhältnis zu Gott hat. Wenn somit der Mensch in der lex naturae und ihren wechselnden Gestalten dem mandatum Dei begegnet, steht er primär in absoluter Abhängigkeit von Gott und hat gerade dadurch seine Freiheit. Wenn Gott ihn regiert, hat der Mensch die wahre Freiheit, obwohl er gleichzeitig gebunden ist". Der Mensch ist also unter das Wort Gottes gestellt und von ihm beherrscht; hier hat er stets ein servum arbitrium. Er kann das Wort nicht beherrschen, er kann keine Kriterien dafür aufstellen, was Gottes Wille ist oder was rechte Lehre. Gott ist für Luther der souveräne, verborgene Gott, der nicht einmal im Urzustand vom Menschen durchschaut werden konnte. Gott tritt ihm entgegen in Worten und Handlungen, in den Verhältnissen des Lebens und in dem geschriebenen Bibelwort und ruft ihn zum Glauben, obgleich er Gott nicht verstehen kann oder erklären, wie dies alles zugeht. Gott beherrscht ihn total, auch wenn er sich dessen nicht bewußt ist. Gott handelt oft unerwartet, und der Glaube muß sich in Ungewißheit und Anfechtungen vorwärts tasten 71 . Der Mensch ist hier dem ausgeliefert, daß er sich in bedingungslosem Glauben Gottes mandatum unterstellt. Er kann niemals die Verantwortung von sich auf irgendeine vermeintlich autoritative Instanz abschieben, denn weder Kirche noch Papst noch Konzilien noch auch Luther " 70
1 8 , 6 3 5 , 15 f ·
i 8 , 634, 3 7 - 6 3 5 , 2. 71 Der Glaube ist eine „cognitio tenebra", 40 I, 229, 15 f. (In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 D r . ) ; i, 2 1 7 , 1 0 f . (Die sieben Bußpsalmen 1 5 1 7 ) ; gleichzeitig ist es gewiß: „Ideo nostra theologia est certa, quia ponit nos extra nos", 40 I, 589, 8 (In epistolam ad Galatas 1 5 3 1 R . ) . Z u m Wesen des Glaubens gehört das unbedingte Vertrauen auf den Schöpfer und Erhalter, aber das ist stets mit Unsicherheit gepaart, denn der Mensch soll durch die Unsicherheit der Anfechtungen, durch Verborgenheit und sub contrarias, zu Gott getrieben werden; z.B.: „Regula est divinae operacionis, ut talia faciat, des sich niemandes versihet", 3 1 II, 5 4 2 , 21 f. (Vöries, über Jesaias 1 5 2 7 - 3 0 ) ; „Fides est substancia rerum non apparenrium, rerum sperandarum. Das heyst: 'Non apparens', das keyn mensch nihe gehört, gesehen, erdencken künde, das keyn exempel habe. N a m fidei casus sunt sine exemplo . . . " , ib. 5 4 3 , 3 3 f f . ; 4, 685, 7 - 1 6 (Sermone aus den Jahren 1 5 1 4 - 2 0 ) ; 1 1 , 49, 7 - 2 5 (Pred. 1 5 2 3 ) ; 18, 633, 7 f. ( D e servo arbitrio 1 5 2 5 ) . V g l . Bornkamm 1928, W . von Loewenich, Luthers Theologia crucis 1929, 96 f f . , P. T . Bühler, Die Anfechtung bei Luther 1942, 1 2 1 - 1 3 3 (die Rolle des ersten Gebotes und der Schöpfer selbst als Zuflucht des Glaubens; vgl. oben Anm. 5 2 ) , Η. M. Müller, Erfahrung und Glaube bei Luther 1929, 62 f f . , S. von Engeström, Luthers trosbegrepp 1 9 3 3 , 1 8 1 f f . , H. Beintker, Die Überwindung der Anfechtung bei Luther 1954, 106 f f .
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selbst können über Gottes Wort bestimmen oder seinen Willen ein für allemal feststellen Kennzeichnend für Luthers Auffassung von dem mandatum Dei und dem servum arbitrium des Menschen ist also einmal die souveräne Freiheit Gottes als des Schöpfers und sein dauernd wechselndes Handeln, zum anderen die absolute Abhängigkeit des Menschen als eines geschaffenen Wesens und seine darin gegebene königliche Freiheit. Der Mensch, der im Glauben unter dem mandatum Dei steht, ist für Luther gerade in seinem totalen Unvermögen, das Wort zu beherrschen, frei zu einer ständigen Aktivität hier auf Erden, stets Gottes Überraschungen geöffnet und niemals an eine bestimmte „Sicht" oder „Auslegung" in bezug auf seinen Willen gebunden. Das bedeutet auch, daß der Mensch Gott Gott sein läßt und Göttliches und Menschliches zu unterscheiden weiß, während er gleichzeitig die Hand Gottes inmitten menschlichen Geschehens zu sehen vermag. 2. Der Teufel und der Unglaube
Bevor wir dazu übergehen zu untersuchen, wie Luther es sich denkt, daß das mandatum Dei in der Vielfalt der geschichtlichen Wirklichkeit konkrete Gestalt annimmt, und wie er die oben angedeutete, von Gott gewirkte menschliche Freiheit und Aktivität beschreibt, wollen wir in diesem Abschnitt ins Auge fassen, was sich über die Bedeutung des Sündenfalls und des Bösen für Luther aus unserem speziellen Gesichtswinkel sagen läßt. Um diese Problematik in den Griff zu bekommen, können wir zunächst den eben unterbrochenen Gedankengang über die Freiheit und Gebundenheit des Willens weiterführen. Wir haben festgestellt, daß Luther einmal zwischen servum arbitrium vor dem Fall (bei Gott) und servum arbitrium nach dem Fall (beim Teufel) underscheidet, und zum anderen zwischen liberum arbitrium vor dem Fall (das Gute zu tun) und servum arbitrium nach dem Fall (das Böse zu tun). Das bedeutet, daß die erste Distinktion sich auf das Abhängigkeitsverhältnis des Menschen von einer höheren Macht überhaupt bezieht, die letztere aber die Werke des Menschen und seine Fähigkeit sie auszuführen qualifiziert. Wenn nun Luther in diesen beiden Hinsichten ein liberum arbitrium des Menschen nach dem Fall leugnet, bejaht er damit einmal die Herrschaft des Teufels, und zum anderen die Neigung des Menschen, das Böse zu tun. Das bedeutet auch, daß er einerseits völlig leugnet, daß der Mensch einen freien Willen hat, denn das hat nur Gott selbst in seiner Souveränität, daß er aber andererseits vom liberum arbitrium als einer positiven Realität spricht, die jedoch ihrer Ausrichtung nach böse ist. Luther gebraucht somit die Terminologie seines Widersachers: insofern man von einem liberum arbitrium sprechen 72
Siehe z.B. eine Predigt über falsche Propheten, w o Luther die Frage der „auctoritas iudicandi" behandelt, 10 III, 257 f f . , besonders 258, 8 - 2 5 9 , 18 (Pred. 1 5 2 2 ) ; zum selben Thema: 27, 280-296 (Pred. 1 5 2 8 ) ; vgl. auch oben A n m . 46 und 47.
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kann, 1st dieser sog. freie Wille für Luther nichts anderes als servum arbitrium im Verhältnis zum Teufel. Nach Luthers Darstellung in De servo arbitrio ist der Mensch entweder von Gott oder vom Teufel beherrscht; für etwas drittes, beispielsweise einen freien und unabhängigen menschlichen Willen, ist kein Platz vorhanden. Der Mensch wird ja als ein Reittier beschrieben, das immer von einem der beiden Reiter, Gott oder dem Teufel, geritten wird. Dieses unvernünftige Reittier gehorcht in seinem Willen und Gang dem, der gerade darauf sitzt, und es hat keine Möglichkeit, sich selbst den einen oder den anderen von den Reitern auszusuchen, die vielmehr darum kämpfen, über es zu bestimmen1. Immer wieder unterstreicht Luther diesen Dualismus, den Zweikampf in jedem Menschen und um ihn2. Tertium non datur ist ein ständiges Thema. Es gibt nichts Vermittelndes, Neutrales und Heteronomes neben Gott und Satan; ein drittes Reich, „ein Reich des Willens" gibt es definitiv nicht a . Will man von einem „medium velle" als einer selbständigen, menschlichen Möglichkeit zwischen Gott und dem Teufel sprechen, so zeigt man, meint Luther, nur eine Probe sophistischer Unkenntnis, denn liberum arbitrium ist dann nur eine Fiktion und ein leeres Wort \ Entsprechend ist ein Neutrum zwischen Gerechtigkeit und Sünde eine Unmöglichkeit, denn dann wäre alles, was die Schrift über gut und böse, Christus und Satan sagt, vergeblich und sinnloss. Also ist alles, was Mensch heißt, nach dem Sündenfall zur Knechtschaft im Reich des Teufels gezwungen, ist allem unterworfen, was dieser Fürst will". Der Mensch ist geknechtet, teils insofern, als sein Wille im Innersten auf das Böse gerichtet ist, teils auch, weil er der Knecht Satans ist. Wie wir am Ende des vorhergehenden Abschnitts sahen, ist das Abhängigkeitsverhältnis nicht nur durch den Fall bedingt, sondern als solches in der Schöpfung gegeben, denn in göttlichen Dingen, die Erlösung und Verdammnis betreffen, ist der Mensch stets entweder tinter dem Willen Gottes oder dem Satans gefangen 7 . Andererseits treibt Gott Werke 18, 635, 7-22 [De servo arbitrio 1525). Siehe hierzu besonders Bring 1929, 254 f f . , die immer noch tiefschürfendste Darstellung von Dualismus und Gottesbild. 3 H. Obendiek, Der Teufel bei Martin Luther 1931, 179; „Quodsi a regno et spiritu Dei alienum est, necessario sequi, quod sub regno et spiritu Satanae sit, cum non sit medium regnum inter regnum Dei et regnum Satanae, mutuo sibi et perpetuo pugnantia", 18, 743, 32-35 [De servo arbitrio 1525]. 1 Ib. 670, 1-671, 8. 5 „Neque enim apud Deum relinquitur medium inter iustitiam et peccatum, quod velut neutrum sit, quasi nec iustitia nec peccatum . . .", ib. 768, 17-23: „Ubi igitur et unde habetur medium illud et neutrum, nempe vis ilia liberi arbitrii, quae cum nec Christus [id est via, Veritas et vita) sit, nec error, пес mendacium, пес mors tarnen esse debeat? . . . quod extra Christum, non sit nisi Satan, extra gratiam non nisi ira, extra lucem non nisi tenebrae, extra viam non nisi error, extra veritatem non nisi mendacium, extra vitam non nisi mors . . .", ib. 779, 15-27. • Ib. 750, 31-35. 1
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7 „ . . . ut sciat [der Mensch] sese in suis facultatibus et possessionibus habere ius utendi, faciendi, omittendi pro libero arbitrio, licet et idipsum regatur solius Dei libero arbitrio, quocunque illi placuerit, Caeterum erga Deum, vel in rebus, quae pertinent ad salutem
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hervor durch alles und alle - was wir auch bei der Erörterung von mandatum und lex naturae feststellen konnten - er wirkt und reißt alles mit sich, auch die Gottlosen, ja Satan s e l b s t D i e Gebundenheit des Menschen wird also einmal als eine totale Abhängigkeit von dem allwirkenden und allmächtigen Gott beschrieben, aber auch als eine Knechtschaft entweder unter Gott oder dem Teufel, die dann um jeden einzelnen Menschen miteinander kämpfen. Um diesen Dualismus und Antagonismus bei Luther zu verstehen und zu sehen, welchen Platz die Bosheit darin einnimmt, ist es nun notwendig, eine große Problematik zu berühren, die wir hier in drei Teilfragen behandeln können: nach Gottes Verborgenheit und dem Glauben, nach dem Teufel, dem Gesetz und Gottes Zorn, und nach der Bedeutung des Sündenfalls und dem Fehler in der Beziehung zwischen Göttlichem und Menschlichem, der in der Verkehrtheit und dem Unglauben liegt, einem Fehler, der sich sowohl als eine Vermischung wie eine Trennung beschreiben läßt. Auf dieses große Thema werden wir später von anderen Aspekten her zurückkommen. Es soll daher hier keineswegs endgültig behandelt werden. Wie wir schon anfangs andeuteten, ist die Verborgenheit, der Gedanke der Erniedrigung, des Herabsteigens und sich Verbergens Gottes, ein grundlegender Zug der Theologie Luthers. Das muß in dem hier behandelten Zusammenhang unterstrichen werden. Gottes Verborgenheit ist genau wie das servum arbitrium des Menschen in der Schöpfung selbst gegeben und an und für sich nicht durch den Sündenfall bedingt. Aber genau wie die Knechtschaft des Menschen ihren Charakter durch den Fall geändert hat, so ist auch Gottes Verborgenheit dadurch anders und problematischer geworden. Deus nudus, Gott vor und über Schöpfung und Zeit, ist Luther im wahren Sinn des Wortes unbekannt. Dieser Gott ist natürlich keine Nichtigkeit, ihn jedoch durch menschliche Grübelei zu fassen zu suchen, ist eine nutzlose Spekulation, denn Gott wohnt in einem undurchdringlichen Licht9. Will er sich offenbaren, so ist er es, der zu uns kommt; nicht aber sollen wir Menschen versuchen, ihn zu finden. Durch das Wort jedoch tritt Gott in der Schöpfung in die Welt hinein, die zur Welt des Menschen wurde, und dort und auf diese Weise wird er bekannt und in gewissem Sinne offenbar'". Denn wo Gott nicht spricht, schafft und wirkt, vel damnationem, non habet liberum arbitrium, sed captivus, subiectus et servus est vel voluntatis Dei vel voluntatis Satanae", ib. 638, 4 - 1 1 . 8 „Quando ergo Deus omnia in omnibus movet et agit, necessario movet etiam et agit in Satana et impio", ib. 709, 21 f.; siehe dazu die bekannte Stelle 753, 28-754, 17. ' „Wir gleuben solchs wissentlich und williglich, Bekennen und erfaren auch, das, w o nicht über die vernunfft der heilige geist jns hertze leucht, ists nicht müglich solchen artickel zu fassen oder zu gleuben und dabey zu bleiben . . . Denn Gott wonet jnn einem liecht, da niemand zu komen kan, sondern er mus zu uns komen, doch jnn der latern verborgen . . .", 50, 273, 28-36 [Die drei Symbola . . . 1 5 3 8 ) und an vielen anderen Stellen. 10 „So ist abermal beschlossen, niemand sihet nichts, kein vernunfft verstehet nichts, w o das wort nicht leucht, wilchs ist das lebendige liecht, das da scheinet ynn alle ort der weit ynnen und aussen, zeitlich und ewig", 17 II, 3 2 1 , 1 4 - 1 7 (Festpostille 1 5 2 7 ) .
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bleibt er ein unbekannter und verborgener G o t t , l . Das ist ja auch, wie wir im vorigen Abschnitt sahen, der Inhalt von Luthers Verständnis des mandatum Dei. Durch seine Werke ist Gott also bekannt und offenbar, da er sonst für den Menschen gar nicht greifbar wäre. Doch wird diese revelatio, sobald man sie rational zu fassen und zu beschreiben sucht, auch zum Ausdruck für die Verborgenheit Gottes, nun aber in einem neuen Sinn. Gott ist nicht mehr ein Deus nudus, sondern ein Deus involutus et vestitus, in irdische Gewänder gekleidet; er zeigt sich nicht in seiner Majestät, sondern in menschliche Kleider gehüllt und greifbar. Gott ist wirklich konkret und unbestreitbar gegenwärtig, aber diese Gegenwart ist gleichzeitig verborgen, denn all diese „gewöhnlichen" Ereignisabläufe, all diese menschlichen Zusammenhänge in Natur und Geschichte sind - während sie gleichzeitig als Mittel seiner Gegenwart und Wirkungsmacht dienen - im buchstäblichen Sinn larvae Dei, Masken, die Gottes Antlitz verbergen". Darum ist Gott überall, konkret, nahe, aktiv, und gleichwohl nirgends, denn der Mensch kann Gott in der Vielfalt der W e l t nicht greifen - nicht ohne die Hilfe und Führung des W o r t e s " . Deshalb ist für Luther das W o r t immer entscheidend für die Beziehung von Gott und Mensch. Diese Beziehung war schon in der Schöpfung festgelegt durch ein verbum externum, ein bestimmtes mandatum, das einmal dem Willen Gottes Ausdruck verlieh und zum andern den Menschen in einer selbverständlichen G e meinschaft an Gott band. Das Wort verlieh dem Menschen keine rational klare Einsicht in den ewigen, universalen Willen Gottes, denn dieser Wille war und ist verborgen. Der Mensch war an den offenbarten Willen Gottes gebunden, an den Gott, dem er natürlich und greifbar in seinem täglichen Leben begegnete. Er erhielt dadurch Anleitung für jede aktuelle Situation, er erfuhr, was er im gegebenen Augenblick zu wissen benötigte, um den Willen Gottes erfüllen zu können. Daher hebt Luther hervor, daß A d a m Gott wohl kannte, ihn deshalb aber noch nicht begriff, denn auch für die „ratio recta" ist Gott u n e r f o r s c h l i c h W a s der Mensch durch das W o r t 1 1 „Ideo Deus quoque se non manifestat nisi in operibus et verbo", 42, 9, 32 [Vöries, über i . Mose 1535-45); „Ergo fanaticum est, sine verbo et involucro aliquo de Deo et divina natura disputare, sicut solent omnes Haeretici", ib. 11, 19 f., und häufig hier in Luthers Darstellung der Schöpfung ex nihilo und per verbum. Siehe Löfgren i960, 21 f f . 12 Zum Gedanken der larvae Dei siehe u.a. Wingren 1952, 92 f f . ; 118 f f . , Seils 1962, 162 f f . und im übrigen Kap. I B:i. 13 „Nach dem er nu alle Creaturen erschaffen hat, sagte er [Luther] weiter, ist er allenthalben und doch nirgend; denn ich kann ihn nicht fassen noch ergreifen ohn das Wort durch meine Gedanken; da aber lasset er sich gewiss finden, dahin er sich gebunden hat. Die Jüden funden ihn zu Jerusalem bei dem Gnadenstuel, Exodi am 25. Cap., wir im Wort und Glauben, in der Tauf und Sacrament, in der Majestat aber ist er nirgend zu finden", TR IV, 611, 22-612, 4 (Joh. Mathesius 1540). 14 42, 106, 18-26, 364, 30 f. [Vöries, über 1. Mose 1535-45]; 18, 784, 9-27 (De servo arbitrio 1525). Luther mahnt, man möge unterscheiden zwischen „Deum praedicatum et absconditum, hoc est, inter verbum Dei et Deum ipsum. Multa facit Deus, quae verbo suo non ostendit nobis, Multa quoque vult, quae verbo suo non ostendit esse velle", ib. 685, 25-28; „Aliter de Deo vel voluntate Dei nobis praedicata, revelata, oblata, culta, Et
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empfing, war nicht Erkenntnis im intellektuellen Sinn, sondern ein bestimmter Befehl, ein klares Wort, das sozusagen aus der göttlichen Verborgenheit heraustrat und in einer konkreten Handlung Gestalt annahm. Das ist, wie wir merken, ein reiner Inkarnationsausdruck: das göttliche Wort kommt in menschlicher Gestalt. Diese Inkarnationsverborgenheit ist als solche ein Charakteristikum für Gottes Beziehung zum Menschen und daher vor der Sünde und von ihr unabhängig. Durch sein Wort und seine Werke offenbart sich Gott, aber gerade hier liegt auch die Begrenzung seiner revelatio, denn hieraus geht hervor, daß Gott auch vor dem Fall nicht enthüllt war in dem Sinne, daß der Mensch den absoluten und unvermittelten Willen Gottes zu fassen vermocht hätte Deus absolutus wurde durch das Schöpferwort zum Deus involutus und als solcher dem Menschen bekannt und offenbar. Aber über diesen bekannten, sich offenbarenden Gott kann Luther sagen, daß er gerade als Deus revelatus immer als Deus absconditus hervortritt und als absconditus gerade in revelato. Diese Doppelheit ist bezeichnend für Gottes Göttlichkeit" in ihrer Beziehung zur Schöpfung und dem Menschlichen. Die Verborgenheit gehört mit zum göttlichen Handeln in der Gestalt, die es zwischen der Schöpfung und dem Gericht angenommen hat, sie ist ein ebenso unausweichlicher Zug der Heilsgeschichte Gottes wie die Menschwerdung - und eigentlich dasselbe - aber sie weist gleichzeitig über sich selbst hinaus: die Verborgenheit soll einmal aufhören. Luthers Worte: „Deus abscondit sua ut revelet"17 sind eine programmatische Erklärung nicht nur für den einzelnen Menschen, sondern auch für die gesamte Schöpfung. Aber die Verborgenheit soll Luther zufolge also nicht aufhören, aliter de Deo non praedicato, non revelato, non oblato, non culto disputandem est. Quatenus igitur Deus sese abscondit et ignorari a nobis vult, nihil ad nos . . .", ib. 685, 3-24, 606, I i f f . - Daß der Mensch keinen Zugang zu einer objektiven Erkenntnis Gottes hat, einer Erkenntnis, die unabhängig davon wäre, „ob nun gerade jemand dabei wäre, sie zu glauben" (Wingren 1952, 148), kommt daher, daß er Gott nur als Gott des Wortes kennt, als den, der zwar viel außerhalb des Wortes getan hat, für uns aber ein nur im Wort Handelnder ist, der durch das Wort das Dasein des Menschen entscheidet: Ich bin der Herr, dein Gott; vgl. wie Luther, um diese persönliche existenzentscheidende Relation von Gott und Mensch darzustellen, stark die Verwendung von Pronomen betont und sie als die Kunst des Glaubens bezeichnet, 40 I, 85, 26 ff., 299, 21 f f . [In epistolam ad Galatas 1535 Dr.). 15 42, Ii, 11-27 (Vöries, über 1. Mose 1535-45]. Luther spricht zwar häufig auch von der Gotteserkenntnis des Menschen „in innocentia", sogar von einer „cognitio Dei perfectissima", aber es ist dabei niemals die Rede von einer Erkenntnis des Wesens und der Natur Gottes, sondern davon, wie Gott den Menschen über die Schöpfung herrschen lassen will, sowie von Einsicht in die Ordnung der Natur, das Leben der Tiere und die Sterne des Himmels, z.B. ib. 47, 39-48, 5; 49, 29-50, 5; 71, 27 f. Wenn Luther den Baum der Erkenntnis als Adams Tempel und Altar beschreibt, wo Adam in Demut und Gehorsam Gottesdienst feiern sollte, so ist der Inhalt eben der: anzuhalten vor dem verborgenen Gott, dem der Mensch angehörte, den er jedoch nicht erforschen sollte; siehe ib. 72, 20-36; 80, 19-81, 4; 116, 7 - 1 1 . 18 Z.B. 44, 110, 23-33 [Vöries, über 1. Mose 1535-45). 17 i , 138, 13 f. [Sermone aus den Jahren 1514-17).
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bevor die Werke Gottes vollendet sind und der jüngste Tag anbricht1*. Denn das Verhältnis zwischen Göttlichem und Menschlichem, das hier im Zeitlichen mit Notwendigkeit zur Verborgenheit des Göttlichen führt und zur Verherrlichung des Menschlichen - und das sich im übrigen an jedem Punkt der Theologie Luthers bemerkbar macht, wird am Ende der Zeiten ein ganz anderes. Dann wird Gott nicht mehr verborgen in menschlichen, geschaffenen Dingen regieren, dann wird der Mensch in der Anschauung und nicht nur im Glauben l e b e n d a n n wird der Gott, der in der Schöpfung die Menschen durch sein mandatum an sich bindet, in unverhüllter Majestät hervortreten20, und der Mensch wird das Wort nicht mehr brauchen21, denn „per lumen gloriae" wird doch alles vollkommen verstanden werden. Dann ist die Zeit des Glaubens zu Ende, denn dann sind Verborgenheit und Erniedrigung vorbei. Dann ist auch die Sünde besiegt und erledigt, und nichts kann die Herrlichkeit Gottes verbergen. Wenn es darum geht, den absconditus-Begriff bei Luther zu verstehen, ist es nun notwendig, auch die Rolle der Sünde zu berücksichtigen. Genau wie die Knechtschaft des Menschen eine andere wird, so wird auch die Verborgenheit durch den Sündenfall eine andere. Das Primäre in bezug auf Gottes Verborgenheit ist für Luther zwar keine durch die Sünde verursachte Verkehrtheit oder mangelhafte Gotteserkenntnis, aber die Verborgenheit, die der Mensch nach dem Falle erlebt, ist doch immer auch eine durch die Sünde bedingte Verborgenheit. Die eigentliche göttliche Verborgenheit läßt sich im wirklichen Leben niemals von der teuflischen Verborgenheit trennen, die von sündiger Blindheit und Verkehrtheit herrührt. Das ist nämlich ein Kernpunkt sowohl für Luther selbst als auch in seiner Theologie, denn dieser doppelte Verborgenheitsbegriff bildet den Hintergrund von Luthers tiefschürfenden Gedanken über den Zorn Gottes und die Prädestination, über den Kampf und die Anfechtung des Glaubens. Gottes Verborgenheit bedeutet von diesem zweifachen Aspekt her einmal, daß der Mensch weiß, daß es Gott dort hinter den Masken des Geschehens gibt, und zum anderen, daß er nicht weiß, ob er wirklich vor Gott oder vor dem Teufel steht. Und das ist eben der Inhalt der spannunggeladenen Beziehung zwischen dem Gedanken an einen allwirksamen Gott und der dualistischen Auffassung von einem Zweikampf Gottes mit dem Teufel. In der Lutherforschung wurde der doppelte absconditus-Begriff häufig 9< 375/33 f. (Pred. gesammelt von Joh. Poliander 1519-21); 44, 300, 9 f. (Vöries, über i . Mose 1535-45]. " Zu Glaube und Anschauung siehe Löfgren i960, 238 und den dort gegebenen Hinweis auf 18, 633, 7-23 [De servo arbitrio 1525). 20 Ib. 712, 25 f f . und die sehr klärende Stelle ib. 785, 20-38. TR IV, 643, 6-12 [Joh. Mathesius 1540). 21 „Und das Hecht [das ist Gottes Wort und Evangelium] müssen wyr so lang haben und daran hangen bys an den Jüngsten tag. Darnach werden wyr des worts nicht mehr dürfen, wie man das naturlich liecht ausleschet, wenn der tag anbricht", 14, 30, 22-25 [Die ander Epistel S. Petri gepredigt und ausgelegt 1523-24). 18
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nicht fixiert, oder auch sah man nicht ein, was er bei Luther bedeutet. Diese Unklarheit zeigt sich in zwei Hinsichten: einmal in dem Verständnis von Luthers Gottesbild, zum anderen in der Beschreibung verschiedener Arten von Verborgenheit bei ihm. Es dürfte ziemlich selbstverständlich sein, daß diese beiden Gesichtspunkte sich auf genau dasselbe Problem beziehen und z w a r auf jenes, mit dem wir uns nun so lange beschäftigt haben: wie G o t t dem Menschen entgegentritt. W i r wollen hier nicht näher auf die weitausgreif enden Forschungen eingehen, in denen die Frage der Verborgenheit Gottes behandelt wurde " . M a n versuchte von verschiedenen Ausgangspunkten her aufzuzeigen, welche Modifikationen der absconditus-Begriff bei Luther hat, aber die Einteilungsgrundlagen, deren man sich bediente, w a r e n häufig inadäquat und zuweilen nur sekundär - wenngleich an sich klärend und richtig. G a r zu oft vermißt man einen verbindenden und übergeordneten Gesamtaspekt; die gewählten Prinzipien erscheinen vielleicht nicht gerade willkürlich, aber es fehlt ihnen doch eine systematische Begründung. Dies hat seinen G r u n d in einem ganz bestimmten Mangel der Lutherforschung: man beachtet nicht - zumindest nicht hinlänglich und mit systematischem 22
Die Problematik um den Deus absconditus und Deus revelatus hat einen zentralen Platz in der Lutherforschung innegehabt, seit Th. Harnack im Jahre 1862 [Luthers Theologie I, Neue Aufl. 1927, 84 f f . ] die Aufmerksamkeit auf dieses Begriffspaar lenkte. Für ihn war die Relation dieser beiden ganz einfach eine Relation von Schöpfergott und Erlösergott. A. Ritschis und R. Seebergs Deutungen in scholastischer und metaphysischer Richtung und ihre Versuche, mit Hilfe der nominalistischen Begriffe deus exlex, potentia absoluta und potentia ordinata Ordnung in die Debatte zu bringen, wurden bald als veraltet und unrichtig betrachtet (in teilweise gleicher Richtung Holl 1921, 40). Mit F. Kattenbusch ergab sich für die Forschung eine neue Lage. Während man zuvor die beiden Gottesbegriffe als Gegensätze gesehen hatte; zeigt Kattenbusch unter Einfluß von C. Stange und E. Hirsch in seiner Arbeit 1920, Deus absconditus bei Luther (Festgabe für Julius Kaftan, 170-214], daß sie vielmehr auf das Intimste zusammenhängen und nicht voneinander isoliert werden dürfen. Gott ist absconditus in revelato und revelatus in abscondito. Die verschiedenen Seiten der Problematik werden in nuancierter Weise von F. Blanke (Der verborgene Gott bei Luther 1928] beleuchtet, der zwischen einem Deus absconditus in der Schöpfung und Geschichte, im Heilswerk und in der Prädestination unterscheidet. E. Seeberg (Luthers Theologie I 1929, 140 f f . , ders., Grundzüge der Theologie Luthers 1940, 61 f f . ] will Luthers Gottesbild in diesem Punkt ein irrationalistisches und paradoxes Gepräge verleihen. J. von Walter unterscheidet einen Deus crucifixus, Gott am Kreuz, wo der Deus absconditus zum revelatus wird, von einem Deus absconditus im wirklichen Sinne in der doppelten Prädestination (Luthers Christusbild, LuJ 1939, 17 f.]; vgl. von Loewenich 1929, 21 f f . H. Bandt, Luthers Lehre vom verborgenen Gott 1958 gibt eine am ehesten christologische Deutung und bedient sich dreier verschiedener Einteilungsgrundlagen, um Luthers Verständnis der Verborgenheit Gottes zu systematisieren: der Unterschied zwischen Gottes Handeln in der Geschichte und in Christus, zwischen der Auffassung der Verborgenheit von Seiten des Glaubens und des Unglaubens, und zwischen Gottes verborgenem Ratschluß und einem offenbarten Heilswillen. Eine englischsprachliche Arbeit, die eine gute Übersicht über die Problemlage gibt, ist J. Dillenberger, God Hidden and Revealed 1953. An schwedischen Wissenschaftlern, die sich mit diesem Problem beschäftigten, können hier genannt werden: Torsten Bohlin 1927, 244 ff., G. Ljunggren, Synd och skuld i Luthers teologi 1928, 441 ff., Bring 1929, 258 ff., G. Aulen, Das christliche Gottesbild 1930, 226 f f . (schw. 1927], Löfgren i960, 225 f f .
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Nachdruck - die Beziehung, in der Gott von Anfang zum Menschen steht. Man beginnt dann die Analyse aus der verkehrten Richtung, wählt den Gegensatz zwischen der Allmacht Gottes und dem Bösen zum Ausgangspunkt und stellt eine Erkenntnisfrage: wie verträgt sich das? wie hat man die Einheit im Wesen Gottes zu verstehen? Auf diese Weise werden die Sünde und das Böse zum leitenden Prinzip der Darstellung, und Luthers Auffassung von der Schöpfung wird mehr oder weniger ausgeschlossen. Man beginnt die Deutung des Gottesbildes nicht bei der Schöpfung, wie Luther es tut, sondern mit dem Sündenfall. Das führt in unserem Zusammenhang zu zwei Konsequenzen: 1. Das Gottesbild zerfällt in anscheinend unvereinbare Grundelemente, einen metaphysischen, irreligiösen und naturalistischen Gottesbegriff, der sich auf den absoluten und allwirksamen Gott bezieht, und einen zentral religiösen und ethischen Gottesbegriff, der dem gegen den Teufel kämpfenden Gott gilt; damit ergibt sich ein unversöhnlicher Gegensatz, der diesem Standpunkt zufolge die dualistische Betrachtungsweise unmöglich machen und eine wirkliche Zweiheit in Luthers Gottesauffassung einführen würde 2. Die Verborgenheit erhält eine systematisch gesehen einseitige Begründung, da die Sünde zum einzigen Kriterium der Verborgenheit wird; vor dem Sündenfall ist Gott offenbar, nach dem Sündenfall ist er verborgen. Das ist somit nur eine Seite unseres hier behaupteten doppelten absconditus-Begriffs: Gott ist nicht nur unter der Sünde und dem Zorn verborgen, sondern primär schon in der Schöpfung, im Menschlichen, Irdischen Erst nach dieser prinzipiellen Untersuchung kan man einmal den Dualismus bei Luther" ins Auge fassen, und zum anderen die Auffassung des 23 Sowohl deutsche wie schwedische Forscher haben Luther in dieser Weise deuten wollen, u.a. und mit beeinflussender Wirkung A . Ritsehl, Die christlische Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung III 1888, 220 f., dargestellt und erörtert von Bring 1929, 265 f f . , dem der Hinweis entnommen wurde. Bring kritisiert auch im Anschluß an Ljunggren 1928, 429 f f . die ähnliche Luther-Interpretation bei Runestam 1921, 68 f f . und Bohlin 1927, 273 f f . Vgl. auch R. Seeberg IV:i 1917, 198. " Vgl. hierzu Löfgren i960, 195 f f . und 226 f f . Eine mehr einseitige, sozusagen infralapsarische Verborgenheitsdeutung begegnet bei z.B. H. R. Gerstenkorn, Weltlich Regiment zwischen Gottesreich und Teufelsmacht 1956, 13, Bandt 1958, 197, Pedersen 1959, 75 f·, 93· Wohl ist in ihnen allen die Rede von der Schöpfung und ihrer Bedeutung, doch fehlt es ihr in diesem Punkt an einem klaren, systematischen Inhalt, und das ist hier das Entscheidende. Siehe die gute Beschreibung der Verborgenheit bei H. Olsson, Die Lehre Luthers vom Gesetz [in: Luther und Melanchton 1961, 49 f f . ] . 25 Mit dem Terminus „Dualismus" ist hier die für Luther charakteristische Gottesauffassung gemeint, die ohne das Gottesbild in zwei autonome Mächte zerfallen zu lassen, doch mit einer bösen, teuflischen Wirklichkeit rechnet, was demnach einen geklärten, ausgeglichenen Monismus bei Luther unmöglich macht. - Die entschieden grundlegende Arbeit ist hier noch R. Brings leider nur schwedisch vorliegende Dissertation von 1929. Das dualistische Verständnis bezeichnet seitdem eine deutliche Linie in der schwedischen Lutherforschung, z.B. bei Törnvall 1940 (dt. 1947], Wingren 1942 [dt. 1952), V . Vajta, Die Theologie des Gottesdienstes bei Luther 1952, Hillerdal 1954, Löfgren i960. Diese Gedankengänge werden auch klar hervorgehoben von u.a. Obendiek 1931, L. Pinomaa, Der Zorn Gottes in der Theologie Luthers 1938 und Gerstenkorn 1956.
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Reformators von der Verborgenheit Gottes unter den Voraussetzungen der Sünde. Damit wird auch geklärt, was man Luthers Satanologie nennen könnte Die gesamte Schöpfung ist vom Teufel beherrscht und die Welt wird „saeculum malitiae" oder „regnum diaboli" genannt". Der Teufel ist „princeps et Deus mundi", und wir Menschen sind mit allem in unserer Umgebung ihm unterworfen28. Überall ist das Reich des Teufels dem Leben und dem Guten feindlich gesinnt, daher wird das ganze Dasein des Christen zu einem ständigen Kampf mit diesem zudringlichen Feind, der ihm näher ist als die eigene H a u t D e r Teufel kann nicht wie Gott erschaffen, aber er versucht, das Handeln Gottes nachzuahmen, und das Ergebnis wird dann immer das Gegenteil der guten Werke Gottes30. An jedem Punkt und in jeder Hinsicht herrscht somit also Streit zwischen Gott und dem Teufel. Obleich dieser Antagonismus bei Luther deutlich dualistische Gestalt hat, ist der Teufel Gott untergeordnet und steht sogar im Dienste Gottes, als ein Werkzeug seiner Absichten. Jetzt können wir uns den Doppelaspekt im Hinblick auf die Verborgenheit Gottes, den wir oben anlegten, nutzbar machen. Zunächst sind drei Gesichtspunkte hinsichtlich der Beziehung Gott - Teufel aktuell: i. Der reine Antagonismus bereitet hierbei keinerlei Schwierigkeiten für unsere Untersuchung; Luther stellt deutlich zwei Mächte dar, die totale Feinde sind und um jeden Menschen kämpfen. 2. Komplizierter wird die Frage, wenn Luther diese antagonistische Auffassung entwickelt. Einerseits lehnt er eine Zweiheit der Gottesauffassung ab, behauptet aber Dualismus, andererseits nimmt er Abstand von einem Monismus, der im doketischen Sinn die Sünde nur zu einem metaphysischen Schatten machen würde, hält aber an Gottes Alleinwirksamkeit fest. Er führt den Dualismus durch, so daß er deutlich einer Subordination des Teufels unter Gott, den Allmächtigen Ausdruck verleiht. 3. Hiermit hängt zusammen, daß Gott nach Luther den Teufel nicht nur Macht und Einfluß gewinnen läßt, so daß er die Schöpfung Gottes zerstört und verdreht, sondern auch den 2 " Siehe z.B. Bring 1929, Obendiek 1 9 3 1 , Pinomaa 1940, besonders 1 1 8 f f . , und Gerstenkorn 1956, 36, 272. Die Bedeutung der Teufelsvorstellung für den Verborgenheitsgedanken bei Luther wird auch von E. Seeberg I 1929, 158, betont. 27 18, 658, 13 f f . [ D e servo arbitrio 1 5 2 5 ) ; 40 I, 94, 4 f f . , 97, 1 (In epistolam ad Galatas 1 5 3 1 R.). 28 Ib. 3 1 4 , 17 f. [ D r . ] ; 1 3 , 89, 1 - 3 (Praelectiones in prophetas minores 1 5 2 4 - 2 6 ) ; 50, 4 7 3 , 3 4 - 3 7 [Wider die Antinomer 1 5 3 9 ) . Ein ausdrucksvolles Beispiel: 32, 1 1 2 , 1 9 - 3 1 (Pred. 1 5 3 0 } . 30 „Satan imitatur Deum", 42, 1 1 1 , 1 2 (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) ; r 4> 434/ 18 f. (Pred. über das 1. Buch Mose 1 5 2 3 - 2 4 ; „der Gottsaffe Satan", 50, 647, 8 ( V o n den Konziliis und Kirchen 1 5 3 9 ) . Als Beispiel dieser teuflischen Imitatio bezeichnet Luther häufig das Klosterleben: „Da unser Herr Gott einen p f a f f e n machet, da sähe der Teuffei zu und wolts jm nach thun und machet die platten zu breit: da ward ein Mönch draus, daher sind sie das Teuffels creaturn . . . Also das allezeit die Mönche des Teuffels p f a f fen sind . . . " , 3 2 , 5 1 7 , 2 6 - 3 6 (Wochenpred. über Matth. 5 - 7 1 5 3 0 - 3 2 ) ; 34 II, 4 7 , 20 f. (Pred. 1 5 3 1 Nürnberg); „Denn w o unser Herr Gott ein Kirche bauet, da bauet der Teufel eine Kapelln hinnach . . . Also ist der Teufel allzeit unsers Herrn Gottes A f f e " , T R I V , 6 1 2 , 1 1 - 1 5 (Joh. Mathesius 1540). Siehe auch Obendiek 1 9 3 1 , 208 f. und Löfgren i960, 1 3 2 f .
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Teufel direkt in Dienst nimmt, d. h. das Böse, das der Teufel anstellt, dazu benutzt, seine eigenen Absichten zum Besten der Menschen durchzuführen. Dieser, wenn man so will, Instrumentalismus in der Auffassung vom Verhältnis des Teufels zu Gott macht keineswegs den Kampf zunichte. Aber gerade so wird das absconditus-Problem besonders groß. Alle Versuche, die Entstehung des Bösen zu erklären, lehnt Luther als Spekulationen einer vermessenen Vernunft ab' 1 . Er spricht davon, daß G o t t den Willen Satans als böse vorfindet, aber er betont, daß Gott diesen bösen Willen nicht erschafft; er wurde dadurch böse, daß Gott ihn verließ D a ß Adam in Sünde fiel, beruhte nach Luther nicht darauf, daß A d a m ein liberum arbitrium besaß; ohne den Geist und die Gnade Gottes hatte er keinen Willen und keine Fähigkeit zum Guten. A b e r Luther behauptet niemals, daß Gott den Sündenfall gewollt oder einen bösen Willen geschaffen habe Der Teufel war, meint Luther, von Anfang ein gutes Geschöpf Gottes und vor dem Fall der erste unter den Engeln". Der Dualismus ist also kein absoluter, manichäischer Dualismus; der Teufel ist geschaffen und dem Schöpfer untergeordnet; er kann nicht wie G o t t schaffen und Leben spenden und er treibt sein böses Spiel nur auf Grund einer „permissio Dei" M . Die Subordination ist also deutlich, und doch führt die Empörung des Teufels zu einem alles andere als fiktiven Kampf zwischen gut und böse, Leben und Tod. Die Problematik um die Verborgenheit und den Glauben spitzt sich jedoch erst dann ernsthaft zu, wenn die verschiedenen Gedankenlinien in dem dritten der oben erwähnten Gesichtspunkte zur Beziehung zwischen G o t t und Teufel zusammenstrahlen. Der Teufel kann dann nicht nur als ein von der Allmacht Gottes unabhängiger „Fürst" betrachtet werden, noch weniger als ein leicht komischer Potentat der volkstümlichen Vorstellungswelt Er muß vielmehr als ein furchtbarer Tyrann aufgefaßt 18, 712, 19-34 ( D e servo arbitrio 1525]. Ib. 708, 22 f., 711, 7-10. Vgl. außerhalb von De servo arbitrio: „Ideo deus praevenit: Ich thues alles, Böses und gutts. Wie thustu yn uns bosses? scilicet privative: Ich zyhe nur die hende abe, sso wirstu blyndt, lam, eyn morder, Ehbrecher", 34 II, 236, 9-237, 10 (Pred. 1531 Nürnberg); siehe schon in der Römerbriefvorlesung 1515-16, w o Luther sorgfältig die Beziehung von Gott und Mensch in der Sünde erörtert: „ . . . est quidem permissio, quia subtrahit auxilium suum ab eo et deserit eum. Tunc diabolus, qui semper ad talia expectans est paratus, accipit V e l eo ipso se accepisse sentit potestatem et Iussionem a Deo. Et sic est preceptio Dei. Neque enim Verum est, quod arguitur, Deum precipere homini malum facere, Sed deserit, vt diabolo nequeat resistere", 56, 180, 12-18; 3 1 1 , 147, 14 (Ausleg. des 118. Psalms 1529-30); 37, 427, 11 f. (Pred. 1534). 31 18, 710, 29-712, 38, eine Haupstelle in De servo arbitrio für die Frage der Entstehung des Bösen. 34 42, 18, 22-31 (Vöries, über 1. Mose 1535-45); ib. 107, 20-25; 3 1 1< 338; 3 f· (Die ersten 25 Psalmen auf der Koberg ausgelegt 1530); 32, 112, 15 f . (Pred. 1530). 36 16, 130, 6-12 (Pred. über das 2. Buch Mose 1524-27). 38 Siehe u.a. 42, 108, 34-109, 24, 114, 12 f.; 44, 66, 29-67, 4 (Vöries, über 1. Mose 1535-45); 56, 179, 26-181, 22 (Vöries, über den Römerbrief 1515-16), und Ljunggren 1928, 441 f f . , Obendiek 1931, 42 f. und Löfgren i960, 140. Zur Frage der Alleinwirksamkeit Gottes in diesem Zusammenhang siehe auch Pinomaa 1964, 38 f f . 37 Siehe hierzu Bring 1929, 33 f f . 31
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werden, der mit Gewalt und List den Menschen beherrschen und ihn zu Ungehorsam und Unglauben verführen will. Aber wenn Gott ihn sein dunkles Spiel treiben läßt, wird er dadurch auch in Gottes eigene Machtsphäre einbezogen und gezwungen, seinen Absichten zu dienen. Der Mensch ist das Geschöpf und rechtmäßige Eigentum Gottes, aber er ist jetzt geknechtet unter fremden Herren, der Sünde, dem Tod, der Hölle, dem Gesetz, dem Zorn, dem Gewissen, die für Luther alle zusammen im Teufel personifiziert sind Die schwerste Anfechtung des Menschen aber ergibt sich aus dem Umstand, daß es unter den Mächten des Verderbens auch solche gibt, die der Mensch in erster Linie mit Gott verknüpft. Das Böse ist nicht nur das an und für sich Sündige und Gottfeindliche, sondern auch das an und für sich Gute und Heilige, Gottes Gesetz und Gottes Zorn. Hier ist wirklich die Verborgenheit doppelt: nicht genug damit, daß Gott in der Schöpfung verborgen ist und nur durch das Wort in konkreten Situationen und Handlungen hervortritt, hier ist er noch ferner verborgen dadurch, daß das gute Geschöpf, das gleichwohl auf seine Weise Gott offenbart, verkehrt und vom Teufel beherrscht ist. Das Wort, mandatum, das Gesetz, das ja im Innersten eins mit Gott selbst und Wille Gottes in der Welt des Menschen ist, wird nach dem Fall zum fordernden Tyrannen, der den Menschen an seine Gesetzeswerke, an seine Verkrampftheit in sich selbst und an einen immer heftigeren Kampf zur Erringung von Leben und Seligkeit bindet. Das liberum arbitrium, das der Mensch dann zu haben glaubt, ist in Wirklichkeit eine Gebundenheit an den Teufel, und wenn er vermeint, das Werk des Gesetzes frei auszuführen, wird er ganz im Gegenteil immer stärker gefangen und unterdrückt. Dadurch fühlt er sich vom Gesetz verurteilt und dem Zorn Gottes ausgeliefert. Das Teuflischste von allem ist daher für Luther Gottes Zorn, denn erst dort ist der Mensch ernstlich in der Hölle der Anfechtung. Gerade das macht den Teufel zum Teufel, daß die Allmacht Gottes hinter ihm steht, der Zorn Gottes und sein Gesetz. Gott selbst wird dem Menschen zum Teufel, zum Ankläger und zur Verdammnis, und der teuflische Antreiber ist das Gesetz, das von Gott stammt. Der Mensch kann in Glauben oder Unglauben leben, von Gott oder vom Teufel beherrscht. Das ist Dualismus und das Kampfmotiv bei Luther. Aber das Unheimliche ist für Luther, daß dies, sich in der Knechtschaft des Teufels zu befinden, auch ist, unter Gottes Herrschaft zu stehen, aber unter seinem Gesetz und seinem Zorn. Und daher weiß der Mensch in der dunkelsten Stunde der Prüfung auch nicht, ob seine Anfechtungen von Gott oder vom Teufel kommen. Hier ist die Verborgenheit am größten. Aber was bedeutet diese Verborgenheit und wohin führt sie? Wir haben gesagt, daß nach Luther Gott den Teufel in seinen Dienst nimmt. Luthers ständige Rede von den Tyrannen braucht hier nicht dokumentiert zu werden; siehe Bring 1929, u.a. 103 ff.; über den Zorn, Bring 1929, 301 f f . und Pinomaa 1938, u.a. 39 ff.; über das Gewissen, Bring 1929, 335, Jacob 1929, 17 f f . , Y . Alanen, Das Gewissen bei Luther 1934, 32 f f . , Pinomaa 1940, 118 f f . 39
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Die Anfechtungen des Teufels und die Angst und der Kampf des Menschen können den Menschen tiefer in die Welt des Glaubens hineintreiben und damit zu etwas Gutem führen. Gesetz und Zorn Gottes machen den Teufel besonders teuflisch, und daher könnte man sagen, der Teufel sei ein Zuchtmeister Christi. Durch das Gesetz und den Zorn wirkt Gott das Böse und ist hinter der Maske des Teufels verborgen, aber er will durch Sünde und Unglauben Glauben wecken und sein Gutes geben". So wird der Deus absconditus zum revelatus. Wenn Gott menschliche Aktivität in böser Richtung vorantreibt und dann noch obenein des Menschen bösem Willen mit gesteigerten Forderungen und Drohungen begegnet, bedient er sich des Teufels als Werkzeug, um sein opus alienum auszuführen". Durch Leiden und Anfechtungen wird der Mensch zu Christus geführt und erhält im Glauben Teil an ihm und seinen Gaben". Das Problem der Verborgenheit liegt vor allem in der Schwierigkeit, opus alienum und opus proprium wirklich als einheitliche Werke desselben Gottes auffassen zu können. Das ist für Luther der „summus gradus" des Glaubens", der nur durch Gottes Geist und Gnade erreichbar ist. Gottes Gesetz und Evangelium, seine Strenge und Liebe, sind im Innersten ein einziges „opus Dei singulariter", aber das wird nur in Christus und seinem Sieg offenbar. Wie entstand diese Verborgenheit, die Verborgenheit Gottes hinter und in dem Teufel und der Bosheit? Wir fragen hier nicht nach dem Ursprung der Sünde, nicht ob und warum Gott das Böse wollen konnte, oder wie es dazu k a m s o n d e r n wir konstatieren nur mit Luther, daß es das Böse gibt, und fragen: welche Bedeutimg hat der Sündenfall und welches Licht wirft er auf Luthers Sündenauffassung und absconditus-Begriff? Der Aufruhr des Teufels bedeutete, daß er werden wollte wie Gott selbst und ihn nicht als seinen Herrn anerkennen. Er, der zu Gottes " „Sciamus igitur Deum abscondere se sub specie pessimi Diaboli ideo ut discamus bonitatem, misericordiam, potentiam Dei non posse comprehendi speculando, sed experiendo", 44, 429, 26-28 (Vöries, über 1. Mose 1535-45); „Sic mus Satan eben mit dem dienen, da mit er schaden thut, qui talis meister, qui кап seiner bosheit so brauchen, ut bonum draus macht, Satan quiedem seducit et excaecat und hat lust und neme yns Euangelion, sed dominus utitur zur straff ingratorum und undanckbarn geistern", 34 II,
240, 6-9 (Pred. 1 5 3 1 ) , und vielmals. 40 Wenn Luther Gottes Treiben des Bösen durch das Wort beschreiben will, kommt er häufig auf Pharaos Verstockung zu sprechen, 18, 7 1 1 , 1 4 - 7 1 2 , 19 ( D e servo arbitrio 1 5 2 5 ) ; ib. 7 1 4 , 2 3 - 2 8 . V g l . T R I V , 642, 34 f f . (Joh. Mathesius 1540). 41 „ . . . sehen, warumb doch unser Herr Gott uns solches leiden zuschickt. So ist nu dis die ursach, das er uns also seinem lieben Son Christo wil gleichförmig machen . . . Dis aber кап Gott mit uns nicht wircken denn durch leiden und anfechtung, so er uns durch den Teufel oder sonst bose leut zuschickt", 3 2 , 3 6 , 2 1 - 2 7 (Pred. 1 5 3 9 ] . In dieser Situation befindet sich der Mensch oft ohne Gesetzespredigt; das Wesentliche ist ein „sensus legis" und ein vom Gesetz gewecktes Sündenbewußtsein, das zu Christus treiben kann, nicht wie es entstanden ist, siehe Schloemann 1 9 6 1 , 85 f f . und 1 1 7 f f . Vgl. auch Alanen 1934, 38 f f . " 18, 633, 15 f f . (De servo arbitrio 1 5 2 5 ) . " Solche Fragen lehnt Luther, wie wir früher sahen, immer ab, siehe wiederum Bring 1929, 283-300.
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edelstem Abbild erschaffen war, wurde sein bitterster Feind". Der Aufruhr war aber nicht nur eine Empörung des Teufels; er Schloß in sich den Abfall der ganzen Schöpfung vom Schöpfer und zeigte sich in Unglauben und Selbstüberhebung und allgemeiner Degeneration". Das bedeutet in unserem Zusammenhang: i. Das Furchtbare am Abfall des Teufels ist, daß er mit Hilfe des mandatum Gottes den Menschen von Gott hinwegtreiben will; er isoliert das Gesetz vom Evangelium, den äußeren Buchstaben vom Geist der Gnade. 2. Der Aufruhr des Menschen bedeutet, daß er sich von seinem Schöpfer und Lebenspender losreißen will und selbst „sicut Deus"" werden; er isoliert das mandatum von dem, welcher es befiehlt, und absolutiviert das Geschaffene. Dann wird das Wort verdreht und mißbraucht, und der Mensch entdeckt den Teufel nicht so wie er ist, sondern verwechselt ihn mit Gott. Dadurch werden Göttliches und Menschliches teils voneinander getrennt und teils miteinander vermischt - hierauf kommen wir gleich noch zurück - und der Mensch verirrt sich von Gott hinweg und wird ein „servus diaboli", ein „captivus peccati" Der Mensch ist genau wie Satan gefallen und von Gott verlassen. Das bedeutet, daß er sich nicht dafür interessiert, was Gott will, sondern nur auf sein Eigenes ausgerichtet i s t I m Anfang hatte Adam mit Hilfe des Geistes und der Gnade Gottes die Möglichkeit, das Gute zu tun", was keinen bestimmten und abgegrenzten Willensakt bedeutete: am ehesten könnte man die Dinge vielleicht so beschreiben, daß das mandatum Gottes und die dadurch hervorgetriebene gute Handlung eine unkomplizierte Einheit bildeten, die einen unreflektierten Glauben und bedingungslose Zuversicht in sich schloß50. Durch den Beistand der Gnade und den " 5 1 ; 39б< 7 - 1 1 ( А л die Pfarrherrn wider den Wucher zu predigen 1 5 4 0 ) ; 3 7 , 286, 27 CPred. 1 5 3 4 ) . „Incredibile enim est hominem ita immutari et degenerare, non in bestiam, sed in portentum et monstrum naturae. Hoc illud est, quod dicitur vulgo: W e n n ein Engel ein Teuffei wirt, so wirt er gar böss, Diabolum eo, quod ex praestantissima et angelica natura degenerarit, factum esse corruptissimum et pessimum . . .", 44, 12, 26 f f . (Vöries, über i. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) ; im Folgenden beschreibt Luther dieses Verderben eingehender. Zu dieser bösen Aktivität des Teufels und des Menschen contra Gott siehe Wingren I 9 5 2 , 7 5 ff40 24, 87, 23 f f . (Pred. über das 1. Buch Mose 1 5 2 7 ) ; 42, 1 1 7 , 1 5 f f . (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) . Siehe unten u.a. Anm. 70. 47 i, 3 7 1 , 37 f. (Disputatio Heidelbergae habita 1 5 1 8 ) . " „Iam Satan et homo lapsi et deserti a Deo non possunt velle bonum, hoc est ea quae Deo placent aut quae Deus vult. Sed sunt in sua desideria conversi perpetuo, ut non possint non quaerere quae sua sunt", 18, 709, 1 2 - 1 5 ( D e servo arbitrio 1 5 2 5 ) . Z u Luthers Bibelverständnis in diesem Zusammenhang siehe auch unten Kap. I B : i , Anm. 22. " Hier und zum Folgenden siehe 18, 675, 20-676, 3. 50 In allem Handeln Gottes durch das Wort gilt die Regel „dictum et factum ist eins", und in diese schöpferische Wirksamkeit ist auch der Mensch einbezogen. 40 II, 230, 4 (Enarratio Psalmi II 1 5 3 2 ) ; „Der Mensch mus Gottes wort haben und daran hangen mit dem glauben, so bald er [der Teufel] yhm nu dasselb entzücken lesset, so ist kein hülff mer da", 24, 86, 9 - 1 1 (Pred. über das 1. Buch Mose 1 5 2 7 ) ; „Ubi enim verbum est, ibi necessario etiam est fides. Hic est verbum: N e gustet hanc arborem, alioqui eum moriturum esse, Oportuit igitur Adamum et Heuam credere, quod arbor haec esset saluti
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Gehorsam, den der Geist gab, war der erste Mensch keineswegs ohnmächtig, aber als diese göttliche Hilfe ihm beim Fall des Teufels entzogen wurde, stand er machtlos da, ohne liberum arbitrium, ohne Kraft, selbst das Gute zu wollen. Im Urzustand herrschte eine selbstverständliche Einheit des göttlichen und des menschlichen Willens. Durch das Wort war der Mensch im Glauben an Gott gebunden, und der Kontakt und die Gemeinschaft waren unmittelbar. Diese Güte wurde dem Menschen jeden Augenblick aufs neue geschenkt: in jeder Situation und konkreten Handlung schuf das Wort dauernd Leben und aktive Zusammengehörigkeit". Der Mensch war in ständiger Bewegung, vom Geiste Gottes getrieben, befand sich in dauernder Aktivität, wirksam durch den Beistand der Gnade. In De servo arbitrio nun beschreibt Luther den Sündenfall folgendermaßen: Der Teufel empört sich und wird von Gott verlassen; das hat im Gefolge, daß Gott dem Menschen seinen Geist und seine Gnade entzieht, was sich darin zeigt, daß die völlige, zuvor natürliche Gottesgemeinschaft zerbrochen ist; infolge dessen erlebt der Mensch das mandatum Gottes als ein äußeres Wort und eine bewußt empfundene und von außen kommende Forderung - schon hier ist der Sündenfall eine Tatsache; von Gott verlassen und ohne seinen Beistand vermag der Mensch nicht, die Willensausrichtung zum Guten aufrechtzuerhalten; er bekommt daher keineswegs ein liberum arbitrium, sondern wird vielmehr dem Teufel unterworfen; denn der Mensch wird, wenn er sich selbst überlassen bleibt und nicht unaufhörlich vom Geist Gottes getrieben und gestärkt wird, ein Knecht Satans, was zu Unglauben und Schuld Gott gegenüber führt. Überblicken wir diese Darstellung von Luthers Auffassung der Schöpfung und des Falls, so sehen wir, daß der entscheidende Nachdruck auf der Rolle des Wortes liegt. Durch das Wort ist der Mensch geschaffen und lebt in Gemeinschaft mit Gott, angesichts des Wortes tritt der Bruch hervor und geschieht der Sündenfall, und schließlich ist es das Wort, in dem der Mensch auch Heil und Sieg finden wird. Der Bericht vom Sündenfall in Gen. 3 stellt nach Luthers Auslegung das Urbild aller Versuinimica. Sic inclusa est in hoc ipsum praeceptum fides", 42, 115, 42-116, 3 [Vöries, über i . Mose 1535-45]; ib. 116, 12-16. 01 ,,'Got sprach'. Oportet, ut aeternum verbum sit, das do immer im schwänge gehen sol, allein das alle creaturen durch das sprechen haben angehabenn, weitter kommen wir nit. [vgl. Rörer: „Cum dicit Moses 'got sprach', non intelligendum transitorium verbum, sed eternum, quod dictum, dicitur et dicetur. Si videro celum splendere, cogitare debeo 'illud verbum sine fine spricht et non cessat' ", 14, 104, 13-15] Alsso lang Gott über die Creatur spricht 'trage die frucht', 'brenge diss', 'brenge jhenes' etc. sso lang ist die creatur, quandiu hoc verbum stat, quando deus dicit 'pluat', sso reygnet es etc. . . . Alsso gehen alle creaturem geweldigklich in Gott und durch Gott. Videmus itaque, quod terra plena est durch tegliche wirgkung Gottes, durchs tegliche sprechen", 14, 104, 35-105, 25 [Pred. über das 1. Buch Mose 1523-24 Roth); 24, 37, 21 f f . (Pred. über das 1. Buch Mose 1527); 42, 12, 26-29 [Vöries, über. 1. Mose 1535-45); „Tum autem ante peccatum longe maior et illustrior fuit differentia [zwischen dem Menschen und den Tieren], cum cognoscerent Adam et Heua Deum et omnes creaturas et quasi absorpti essent toti in bonitate et iusticia Dei", ib. 50, 17-19.
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chung und Urform und Wesen der Sünde dar als eine Versuchung und Sünde gegenüber dem Wort. Wenn wir nun abschließend in diesem A b schnitt darangehen, Luthers Gedanken hierzu zu analysieren, wird es sich wiederum zeigen, daß wir die Kategorie göttlich - menschlich heranziehen können und daß gerade sie sich dazu eignet darzulegen, was die Sünde im tiefsten Grunde ist. Des Teufels Empörung und Fall reißt den Menschen mit sich. Satan versucht ihn nicht durch grobe Sünden oder sinnliches Begehren, sondern verlockt ihn zunächst zum Zweifel am Wort Gottes und dann zu offenem Ungehorsam". Gleich im Anfang der Versuchung, wenn Eva anfängt, mit dem Teufel zu diskutieren, befindet sich der Mensch in der Situation, daß er das mandatum Dei als ein äußeres Wort erlebt, dem er nun vom Teufel gegenübergestellt wird und dem die Erörterung gilt. Da hat sich der Unglaube bereits ins Herz des Menschen eingeschlichen, und der Unglaube ist die Quelle aller Sünde". Der Unglaube führt zum Zweifel daran, daß Gott wirklich meinte, was er sagte. Seine Güte wird angezweifelt, und damit der Wert und Sinn der Gebote Gottes in Frage gestellt. Die Versuchung vor allen anderen nämlich ist für Luther der Zweifel am Wort und der Wille, davon abzuweichen Unglaube und Versuchung führen dazu, daß der Mensch der Eingebung des Teufels, es mit dem mandatum Gottes nicht so genau zu nehmen, zustimmt, und eben das ist der Fall. Sich abziehen zu lassen von Gottes 52
„Sic cum Heuam abduxit Satan a verbo, statim in peccatum prolapsa est", 42, 12, 30 f . [Vöries, über 1 . Mose 1 5 3 5 - 4 5 ] ; der Sündenfall wird bei Luther am ausführlichsten im 42, 106 f f . beschrieben, ferner in den Genesis-Predigten in 1 4 , 128 f f . (Rörer und R o t h ) und 24, 81 f f . ( D r . ] : „ A d hunc igitur modum A d a m et Heuam petit hic Satan, ut verbum eis eripiat et ut mendacio credant amissio verbo et fiducia in Deum . . . Vere igitur haec tentatio caput omnium tentationum est", 42, 1 1 0 , 3 8 - m , 1; „Initium autem ruinae est averti a Deo et converti ad Satanam, hoc est, non constanter manere in verbo et in fide", ib. 1 1 7 , 1 2 f.; 14, 130, 8 - 1 3 1 , 10 ( 1 5 2 3 - 2 4 R . ) ; „Weiter sihe, wie schalckhafftig er das weib angreifft, hebet also an widder sie zu reden: J a , solt Gott gesagt haben 'Yhr solt nicht essen von allerley bewmen ym garten'? Mit diesen Worten schleht er Gottes gepot ynn wind dahyn und redet so leichtfertig davon als solt er sagen: Meynstu, das Gott so nerrisch sey, das er das solt verboten haben?", 24, 85, 1 8 - 2 2 ; „Also nympt hie yhm der T e u f f e i das wort und den glauben, das er wancket und dencket: wer weys, es möchte wol nicht w a r sein. So bald nu das ynn z w e y f f e l gestellet wird, das man denckt ob es recht odder unrecht sey, so ists verloren", ib. 86, n - 1 4 . 53 „Infidelitas omnia vitia secum trahit", 14, 1 3 1 , 30 f . (Pred. über das 1 . Buch Mose 1523-24 Roth]; 24, 86, 1 5 - 8 7 , 22 (Pred. über das 1. Buch Mose 1 5 2 7 ) ; „Fons enim omnium peccatorum est incredulitas", 42, 1 1 1 , 2 (Vöries, über 1 . Mose 1 5 3 5 - 4 5 ] ; „Radix igitur et fons peccati est incredulitas et aversio a Deo, Sicut econtra fons iusticiae et radix est fides. Et Satan primum abducit a fide ad incredulitatem . . . peccatum per incredulitatem consummatum in corde sequitur etiam externa inobedientia", ib. 1 2 2 , 1 2 - 1 7 ; „Die Heubtsund ist non credere", 34 I, 363, 6 f f . (Pred. 1 5 3 1 R . ] ; 36, 183, 7 f . (Pred. 1 5 3 2 R . ) und sonst gelegentlich. " 14, 1 3 1 , 1 7 - 1 3 2 , 20 (Pred. über das 1 . Buch Mose 1 5 2 3 - 2 4 Roth); 24, 85, 2 5 - 3 5 (Pred. über das 1 . Buch Mose 1 5 2 7 ) ; „Nam tentatio summa f u i t audire aliud verbum ac discedere ab eo, quod Deus prolocutus erat", 42, 1 1 1 , 8 - 1 0 (Vöries, über 1 . Mose 1 5 3 5 45); ib. 1 1 2 , 20 f . , 1 1 5 , 16 f f . ; „Est autem haec omnis tentationis origo et caput, cum de verbo et Deo ratio per se iudicare conatur sine verbo", ib. 1 1 6 , 18 f .
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W o r t und hinüberzuwechseln zu dem Wort, das der Teufel darbietet und das ein nur menschliches Wort ist, ist die höchste Sünde " - und so verhält es sich für Luther i m m e r D a d u r c h hat der Unglaube zu offenem Ungehorsam geführt, und das zeigt sich in der bösen Tat. So hat der Mensch 53 „Summa Summarum: Primum curat diabolus, ut negetur mandatum et verbum dei, deinde ut statuatur humanuni", 14, 132, 25 f. (Pred. über das 1. Buch Mose 1523-24 Roth); „Primum infidelitatis est negare mandatum dei. Secundum eligere mandata hominum", ib. 133, 19 f.; „Maximum peccatum in hoc lapsu ablatio verbi", ib. 135, 32 f.; 24, 93, 28 f . [Pred. über das 1. Buch Mose 1527); 42, 122, 5 f . [Vöries, über 1. Mose
1535-45)· Dieser aktuale Zug wird von Luther in diesem Zusammenhang klar hervorgehoben, z.B.: „Denn also thut der Satan noch heutigs tags von anfang der weit her bis zum ende", 24, 87, 28 f . [Pred. über das 1. Buch Mose 1527); 37, 152, 34-153, 3 (Pred. 1533], und durchweg. Löfgren betont in seiner Dissertation i960 ständig diesen Zug, in Schöpfung, Sündenfall und Erlösung, z.B. 22 f f . , 37 f f . , 99 f., 116 f f . , 175 f f . , 262 f f . ; bereits im Vorwort, 10 f., hebt er dieses „Aktualitätsmoment" als entscheidend für Luthers gesamte Theologie hervor. Zweifellos weist Löfgren hier auf eine außerordentlich wichtige Seite bei Luther hin. Das heilsgeschichtliche Geschehen besteht nicht nur aus einzelnen epischen Daten der Vergangenheit, sondern umschließt für Luther auch ein Handeln Gottes jetzt und hier an jedem konkreten Menschen. In seinem Eifer, den aktualen Aspekt anzulegen, läßt sich Löfgren indes gelegentlich dazu verleiten, den tatsächlichen Verlauf in der Geschichte, so wie Luther ihn sehen wollte, auf mehr oder weniger ausgesprochene Weise zu verdunkeln. W i e reich auch dieses aktuale Verständnis an f ü r Luther unentbehrlichen Gesichtspunkten sein mag, birgt es in Löfgrens Darstellung doch eine Gefahr. Zwar will er sowohl dem „Akt" wie dem „Sein" Raum geben, dem Aktual-Personalen wie dem Ontisch-Statischen, dem Geschehen wie dem Resultat [siehe z.B. 46 f f . ) , und er kritisiert in diesem Zusammenhang - mit Recht - Gogarten und von ihm beeinflußte Forscher, u.a. 0stergaard-Nielsen 1957, wegen einer einseitig „personalistischen" und aktualen Luther-Deutung [46 f., Anm. 1 und 5). A b e r die von Löfgren selbst angestrebte Einheit der beiden Betrachtungsweisen ist zuweilen schlecht durchgeführt, und durch die moderne Terminologie gerät er in Gefahr, Luther Gedanken zu unterschieben, die ihm als einem Theologen des 16. Jahrhunderts fremd sind. Siehe z.B. 31, Anm. 35: „Luthers Argumentation darf natürlich (!) nicht als ein biblizistisches Festhalten am Wortlaut der Schrift gegenüber jeder anderen Erfahrung, sondern muß als ein Versuch verstanden werden, den biblischen Schöpfungsrealismus gegenüber einem spekulativen und idealistischen Schöpfungsgedanken zu bewahren. Das Hauptgewicht liegt attf dem aktualen Schaffen Gottes" [hier kurs.); 122: „Es ist also unverkennbar, daß Luther sich von den üblichen Resultatkategorien freigemacht hat und sie durch Aktualitätskategorien zu ersetzen sucht . . . " [das will Löfgren 116 f f . im Verhältnis zu Augustin und dem Nominalismus zeigen). Die existentiale, aktuale Deutung mit dem deutlichen Jetzt-Charakter wird zuweilen in einer Weise formuliert, die an moderne entmythologisierende Theologie erinnert, 39: „Die Erschaffung der W e l t ist also die Erschaffung meiner aktualen Welt, und die Erschaffung Adams die aktuale Erschaffung des Menschen, die hier in der Zeit geschieht" (kurs. vom V e r f . ) ; dieselbe Auffassung begegnet in bezug auf den Fall, 118, und die Erlösung, 175 f f . , w o die Gefahr der Enthistorisierung in der Betonung des kerygmatischen Charakters des Wortes und einer weit getriebenen Identifizierung von Christus und dem Wort hervortritt, wodurch der historische Jesus verdunkelt wird. Es ist darum auch charakteristisch, daß Löfgren kein christologisches Kapitel hat; das Werk Christi ist dann nur als aktuales Handeln mit dem Menschen von Bedeutung. Diese Gefahr der Einseitigkeit - von mehr als einer Gefahr ist nicht die Rede - schließt nicht aus, daß Löfgrens Untersuchung auch in dieser Hinsicht viele wichtige Beobachtungen enthält. - Vgl. hierzu Schloemanns Gesichtspunkte in bezug auf Wingrens Schöpfungsbegriff 1961, 77, Anm. 238. 10
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sich gegen Gott empört, er bekam eine böse Willensrichtung und wurde Gefangener einer teuflischen Macht. Sowohl Gutes wie Böses kommt also für Luther von der unausweichlichen Relation zwischen dem Menschen und dem mandatum Dei. Das Wort ist das Primäre, das Zentrale in sowohl Schöpfungs- wie Sündenauffassung, und der Unglaube ist genau wie der Glaube ein Korrelat dieses Wortes Das rechte Gottesverhältnis des Menschen bestand ja, wie wir sahen, darin, in selbstverständlicher Zusammengehörigkeit mit Gott und von ihm beherrscht sein Wort zu hören und ohne zu reflektieren im Einklang damit zu handeln. Eine Unterbrechung seiner Gottesgemeinschaft bedeutet, daß der Mensch vom Wort abweicht und eine andere Weisheit sucht, eine Weisheit des Todes und des Teufels, die er im Wort nicht erhalten hatte"; vielmehr hatte Gott ihn durch sein mandatum davor schützen wollen. Denn das konkrete mandatum, an das Luther hier denkt, ist der Adam erteilte Befehl, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen, und der Sündenfall ist auch in erster Linie der Bericht darüber, wie der Mensch Schritt für Schritt vom Wort, seiner Lebensquelle, weggeführt wird. Das Verbot, von den Früchten des Baumes zu essen, bedeutete, daß der Mensch Gott Untertan sein, ihm gehorchen und sich in jeder konkreten Situation von ihm führen lassen sollte5'. Der Fall bedeutet, daß der Mensch sich damit nicht begnügen will, nicht Gott die Ehre geben will, sondern vielmehr Herr über den gegebenen Befehl sein und sich selbst auf den Platz Gottes stellen. Als Adam, von der Versuchung des Teufels verführt, von diesem klaren Wort abweicht, erhöht er sich selbst zum Gott, denn das war ja der Köder der Versuchung: zu werden sicut Deuseo. Der Mensch steht einem bestimmten äußeren Wort gegenüber, das er durch die Eingebung des Teufels unbillig und kleinlich findet. Er faßt die Versuchung als ein Angebot der Freiheit und Macht auf, erkennt sich selbst ein liberum arbitrium zu - in Wirklichkeit eine neue Gebundenheit - und will von sich aus beurteilen, was Gott gemeint haben kann. Er greift damit nach dem ungreifbaren, sucht den unerreichbaren und will den unsichtbaren Gott sehen. In bezug auf das Wort bedeutet das eine Verfälschung und Umdeutung, ja, es bedeutet, daß er ohne das Wort in einem unvermittelten Gottesverhältnis leben will. Wenn er aber das Wort Gottes so " 68
V g l . Johannesson 1 9 4 7 , 1 9 1 f f .
„Hoc vero est Satanae ipsissimum venenum, quod optat sapere supra id, quod ei praeceptum erat. Est enim haec sapientia mors, et inimica sapientiae Dei in praecepto traditae. Facit enim haec sapientia, ut, quod peccatum est, iudicet esse iusticiam, et quae extrema insania est, sentiat esse optimam sapientiam", 42, 120, 3 0 - 3 4 (Vöries, über 1. Mose 1535-45)· " Ib. 7 3 , 1 6 - 3 4 , 80, 1 9 - 8 1 , 4. °° Ib. i 2 i , 1 6 - 1 8 ; „Hoc dum A d a m et Eua faciunt, pereunt, constituunt enim se in locum creatoris Dei, et obliviscuntur se esse creaturas. Sicut Satan dicit: 'Eritis tum sicut Dii'. Non eritis amplius creaturae, cum soliciti eritis se mandatis Dei exequendis, ipsi eritis Dii, iudicabitis Deum, et facietis alia, quae solum Deum decent. О miseram divinitatem, quam nobis per peccatum Satan circumdedit, hoc unicum agens, ut praecepta et promissiones Dei negligamus. Fieri igitur Deum est peccatum originale", ib. 647, 2 0 - 2 7 .
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beiseite schiebt und ein unmittelbares Schauen der Majestät Gottes erreichen will, irrt er sich in Wirklichkeit in Gott und verwechselt ihn mit dem Teufel. Denn wenn er eine Erkenntnis anstrebt, die über das Wort hinaus- und an Gottes Verborgenheit vorbeigeht, verliert er Gott und wendet sich einem Abgott, einem Teufel zu. Genau wie Gott verborgen in seinem mandatum den Menschen in Glauben und Gehorsam zu sich zieht, so lockt der Teufel ihn zu Unglauben und Ungehorsam, indem er das Wort verdreht, so daß der Mensch Gott verliert. Hier stoßen wir nun wieder auf den doppelten absconditus-Gedanken, den wir früher bei Luther gefunden haben. Es bleibt nun aufzuzeigen, wie sich die Beziehung von Göttlichem und Menschlichem im Zusammenhang der Sünde beschreiben läßt. Was geschieht eigentlich von diesem Gesichtspunkt aus, wenn der Mensch in Glauben oder Unglauben in Relation zum Wort steht? „Humana praevalent in eo plus quam divina". So faßt Luther bereits 1517 seine Kritik an Erasmus' Anschauung in einem Brief zusammen". Was meint Luther mit seiner Behauptung, bei Erasmus habe das Menschliche das Übergewicht und bedeute mehr als das Göttliche? Eine Antwort auf diese Frage enthält das, was er im selben Brief über den Gegensatz zwischen der Gnade und dem freien Willen schreibt und was eine Parallele zu dem ständigen Thema in der großen Auseinandersetzung mit Erasmus in De servo arbitrio mehrere Jahre später bildet. Der kontradiktorische Unterschied zwischen der Gnade Gottes und den Gesetzeswerken der Menschen findet sich hier bei Luther bereits klar dokumentiert. Genau wie für Luther gratia und liberum arbitrium im Gegensatz zueinander stehen", so ist hier das Menschliche etwas, was das Göttliche beeinträchtigt. Die grundlegenden Gegensätze sind nicht wie für Erasmus das Göttliche und das Menschliche als zwei verschiedene Naturen oder Substanzen, die man nachträglich miteinander in Einklang zu bringen versucht. Denn dann muß man wie Erasmus dem freien Willen und der aktiven Leistung des Menschen einen gewissen, zwar quantitativ sehr geringen, aber doch qualitativ bedeutenden Spielraum lassen. Obgleich Erasmus fast nur von der Gnade und von der Hilfe Gottes spricht, tritt nach Luthers Ansicht das menschliche Moment bei Erasmus doch zu stark hervor. Es kann dann den Anschein erwecken, als wolle Luther die faktische Fähigkeit des Menschen, überhaupt etwas Gutes zu tun, leugnen. Von einem solchen Ausgangspunkt her muß ja auch der Konflikt zwischen Gottes Allmacht und Allwissenheit und der Freiheit und Verantwortung des Menschen völlig ins Absurde führen "*. 01
BR 1, 90, 1 5 - 2 6 (an Joh. Lang in Erfurt). Siehe hierzu Bring 1950, 205 f f . " A n zahlreichen Stellen in De servo arbitrio 1 5 2 5 , z.B. 1 8 , 7 7 1 , 17 f f . " Ib. 634, 3 7 - 6 3 6 , 1 3 , 7 0 1 , 1 4 - 3 0 ; „. . . Exempli gratia, lila nihil pugnant: Siquis sese emundaverit, Et: Deus operatur omnia in omnibus. N e c est necesse pro nodo explicando dicere: aliquid Deus, aliquid homo agit . . . Quomodo igitur pugnent duo loci, quorum unus nihil agit de virtute hominis, alter omnia tribuat Deo, ac non potius optime consentiant?", ib. 7 3 2 , 1 3 - 7 3 3 , 20.
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Aber nun sind für Luther die grundlegenden Gegensätze nicht zwei metaphysische Substanzen, sondern zwei Willensmächte, Gott und Teuf e l " . Im Kampf zwischen diesen wird der Mensch immer von einem von ihnen beherrscht und aktiv hineingezogen in eine entweder gute oder böse Willensrichtung. Wenn Erasmus vom liberum arbitrium als dem freien Streben des Menschen zu Gott spricht, ist es für Luther ganz im Gegenteil ein von der Sünde verkehrtes Streben, ein böser Wille, der in seiner vermeintlich göttlichen Ausrichtung nur umso mehr von Gott abgewandt und selbstgerecht wird. Das, was Erasmus als das Höchste und Göttlichste am Menschen bezeichnet, ist für Luther vielmehr eine Verkehrung des wahrhaft Menschlichen. Darum kann er sagen, es bedeute ein Überhandnehmen des Menschlichen, wenn Erasmus dem liberum arbitrium überhaupt einen Platz einräumen will. Was sich in De servo arbitrio zuweilen nur wie eine Frage subtiler philosophischer Abwägung zwischen der Gnade und dem freien Willen ausnehmen kann, stellt sich als die Hauptfrage des Christentums dar, die Frage nach Begründung und Inhalt der Erlösung. Es mag daher am Platz sein, hier eine zusammenfassende Definition und Distinktion anzustellen, die zuvor nicht möglich w a r " , die jedoch jetzt Luthers Auffassung von den drei Hauptfiguren seiner Theologie: Gott, Mensch, Teufel, verdeutlichen kann. Zunächst müssen wir uns gegen jede Deutung in Substanztheorien abgrenzen: weder göttlich, noch menschlich oder teuflisch kann als Bezeichnung für statisch begrenzte Größen stehen. Es ist nun notwendig zu beachten, daß das Menschliche sich einmal auf die wahre, „reine" Menschlichkeit beziehen kann, zum anderen aber auf die von der Sünde verkehrte und vom Teufel geknechtete Menschlichkeit. Göttlich und menschlich gehören ursprünglich zusammen und sind im Wort und durch das Wort miteinander verbunden. Aber der Teufel trennt Gott und Mensch voneinander, der Mensch reißt sich los von Gott, und das Menschliche wird vom Teufel verdreht. Wenn Luther von Erasmus sagt, er lasse das Menschliche übermächtig werden, bedeutet das daher zwei Aspekte in bezug auf das Menschliche: i. Das von der Sünde beherrschte Menschliche vermeint nach Gott zu streben, ist aber böse und hält sich in Wirklichkeit nur noch enger zum Teufel - darum darf das Menschliche keinen so großen Raum erhalten. 2. Das Menschliche, zur Gemeinschaft mit Gott geschaffen und an sich in dieser Zusammengehörigkeit etwas Gutes, wird von Gott losgerissen, isoliert sich von ihm und wird zur Sünde, wodurch die Einheit von Göttlichem und Menschlichem aufhört - daher ist es eine Auswirkung der Sünde, wenn das Menschliche das Göttliche verdrängen darf. Sünde ist, von diesem Gesichtspunkt, die Trennung von Göttlichem und Menschlichem als solche. Von einem anderen Gesichtspunkt aus kann man mit demselben Recht behaupten, die Sünde bestehe in der Vermischung. Denn das, was geschieht, wenn das Menschliche vom Göttlichen isoliert wird, läßt sich auch als eine Absolutivierung 65
Bring 1950, 243 und Siirala 1956, 96. Siehe oben, Einleitung zu K a p . I.
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dieses Menschlichen beschreiben: der gegebene Unterschied zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf wird - trotz der Zusammengehörigkeit und mitten in ihr - verwischt, und das Menschliche darf das Göttliche ersetzen. Der Mensch will werden sicut Deus. Die Stellung des Menschen vor dem Wort Gottes spiegelt diesen Umstand wider. Der Sinn des Verbots, von der Frucht zu essen, geht über den Verstand des Menschen, doch hatte er nicht darüber nachgedacht, bevor der Teufel ihn darauf aufmerksam machte. Gott wollte und sollte unerforschlich sein und war von Anfang ein Deus absconditus. Aber trotz der Verborgenheit sollte der Mensch in einem Glauben und einer Gemeinschaft mit Gott leben, die dauernd aus dem schöpferischen und lebenspendenden Wort hervorströmten. Dem Menschen trat das mandatum Gottes als die natürlichste Sache der Welt in äußeren Ordnungen und irdischen Zusammenhängen entgegen. Göttliches und Menschliches waren eine Einheit. Man macht dann keinen Unterschied zwischen Gott und seinem Gebot in der Weise, daß das Gebot etwas neben und außerhalb Gottes wird, andererseits aber muß man Gott von seinen menschlichen Ordnungen, den larvae Gottes, unterscheiden, in denen das mandatum Dei sub contraria specie in der Menschenwelt auftritt. Im Urzustand begnügte sich der Mensch willig hiermit. Er hing in Gehorsam am Wort Gottes und ließ in froher Willigkeit und ohne selbstsüchtige Berechnung sein ganzes Dasein von diesem Gebot prägen™. Für Adam war daher Luther zufolge dieses Wort gleichzeitig Gesetz und Evangelium", was mit anderen Worten bedeutet, daß es vor dem Fall keinen Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium gab. Hieraus resultiert im Grunde die besondere Stellung, die das erste Gebot in der Theologie Luthers einnimmt". Als Gesetz befiehlt das Gebot dem Menschen zu glauben, auch wenn er Gott nicht zu durchschauen vermag, sich unterzuordnen und Gott Recht zu geben; der Mensch muß sich dem Wort beugen, nicht das Wort ihm. Gleichzeitig ist dieses Gebot auch Evangelium in dem Sinn, daß es dem Gnadenwillen Gottes, seiner Liebe und Fürsorge Ausdruck verleiht". Der Glaube läßt Gott Gott sein, beugt sich ihm in Gehorsam und reißt nicht das Göttliche von Gottes mandatum. ββ
„Cum Adam primum conditus esset, non solum ei lex possibilis, sed etiam iucunda erat. Hanc obedientiam, quam requirebat lex, summa voluntate ac laetitia animi praestabat, et quidem perfecte", 39 I, 364, 1 0 - 1 3 (Die erste Disp. gegen die Antinomer 1537). "T „Hoc verbum erat Adae Evangelium et lex, erat eius cultus, erat servitus et obedientia, quam poterat Deo in ista innocentia praestare. Haec petit Satan, haec conatur evertere", 42, 110, 18-20 [Vöries, über 1. Mose 1535-45]· Zu diesem Thema kehren wir später zurück, besonders im Kap. III C:2. 68 Siehe hierzu auch z.B. F. Lau, Luthers Lehre von den beiden Reichen 1953, 44 f., Siirala 1956, 186 f f . " „In hoc praecepto primo est descripta fides. Dominus est interpretatus legem, qualiter nemo posset cogitare. Summa est: Non praesumas de te, redigaris in nihilum etc., praesumas autem de me, de misericordia, bonitate et meo auxilio, permitte me libere tecum agere, sis tu paratus in omni tempore, esto creatura etc. Ita impletio primi praecepti est fides, fidere deo, in omnibus pendere e manibus suis etc.", 14, 618, 4-9 [Vöries, über das
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Das aber ist es, was im Sündenfall "geschieht. Der Mensch wollte sich nicht mit der Verborgenheit Gottes abfinden. Er verging sich am Wort, zweifelte an seinem Sinn und verfälschte es zu einem nur menschlichen Wort, über das der Mensch bestimmen konnte. So stand er plötzlich vor einem mandatum Dei, das nur ein äußeres Wort war und nicht mehr die lebenspendende und allumfassende Realität, die es gewesen war. Dieses äußere Wort kann man dann mit Füßen treten - wenn man es als etwas Relatives und nur Menschliches auffaßt - oder es als ein Mittel, einen Weg zu Gott, gebrauchen - wenn man es absolutiviert und aus dem lebendigen Wort eine Menge ewiger Gesetze und Prinzipien macht. Im ersteren Fall löst man das Menschliche ab und übersieht, daß das Gebot ein Gebot Gottes ist; man läßt Gott nicht Gott sein und begnügt sich nicht damit, Mensch nach dem Schöpferwillen Gottes zu sein, sondern reißt selbst Göttlichkeit an sich, will sein sicut Deus, sein eigener Schöpfer und Herr 70 . Im anderen Fall überbetont man das Göttliche, so daß das Gebot als ein äußeres Wort in den Hintergrund tritt; man übersieht das Menschliche, oder richtiger, man sieht in dem menschlichen Wort, in den irdischen Gestalten nur das Göttliche, so daß das konkret Lebendige in etwas Statischem und Abstraktem verschwindet. Das Wort ist dann zu einem autonomen Gesetz geworden, daß sich entweder als Feind, als eine bedrohliche Macht, oder als ein Mittel, Gerechtigkeit vor Gott zu erlangen, auffassen läßt. Luther dagegen betont, man solle Göttliches und Menschliches in eine Einheit zusammensehen, in der man nicht das Wort mit seiner konkreten Gestaltung in dem lebendigen aktuellen Geschehen identifiziert, beides aber auch nicht so voneinander trennt, daß das Buchstäbliche und das Historische verschwindet oder absolutiviert wird, denn nur in diesem Äußeren erklingt und wirkt das Wort Gottes. Das verbum Dei ist ja einerseits in der ganzen Schöpfung wirksam, andererseits aber ist diese Schöpfung von ihrem Schöpfer zu trennen. So kann man Luthers AuffasDeuteronomium 1 5 2 3 - 2 4 ) ; 30 I, 134, 18-24 (Großer K a t . 1 5 2 9 ) ; 37, 562, 28-36 (Pred. 15343; 43, =8, 30 f . (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) · 70 „Haec est vera causa mali, scilicet, quod contra Deum peccat, eius mandatum negligit, et paret Satanae", 42, 7 3 , 20 f . (Vöries, über 1 . Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) ; ..Hoc enim Diabolus in omnibus tentationibus solet, ut quanto homo a verbo discedit longius, tanto videatur sibi doctior et sapientior", ib. 120, 36-38; „Hic enim impii, verbo non contenti, nisi tempore, loco, modo ab ipsis praescripto deus fecerit, quod promisit, discedunt et non credunt . . . Hoc autem aliud nihil est quam deum velle circumscribere et nostro arbitrio subiicere ac plane divinitatem illi adimere, quae libera esse debet et incircumscribilis et indefinibilis, ас potius nobis praescribere locum, modum et tempus. Igitur utraque tentatio contra primum praeceptum est . . .", 14, 618, 14-25 (Deuteronomium Mosi cum annotationibus 1 5 2 5 ) ; „Non potest homo naturaliter velle deum esse deum, Immo vellet se esse deum et deum non esse deum", 1 , 2 2 5 , 1 f . (Disp. contra scolasticam theologiam 1 5 1 7 ) ; „Quia non licet hominem sese regere supra se, ubi solius dei est regere: hoc enim ipso arrogat sibi sedem dei cum Lucifero, et cum Adam vult aequalis esse deo", 1 1 , 287, 1 3 - 1 5 (M. Lutheri ad Brismannum epistola 1 5 2 3 ) ; „Quam blasphemum igitur est dicere, Se ipsum esse sui ipsius Deum, creatorem seu generantem, tam blasphemum est suis operibus iustificari", 39 I, 48, 28-30 (Die Prom. disp. Wellers und Mediers 1 5 3 5 ) . Siehe auch A n m . 60.
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sung vom Sündenfall als ein Inkarnationsproblem beschreiben: der Mensch vermag nicht mehr, das Verhältnis von Göttlichem und Menschlichem recht aufzufassen, sondern er wird verleitet und bleibt in Sünde und Unglauben stecken. Das Glaubensverhältnis des Menschen zum Wort Gottes hat für Luther eine christologische Grundstruktur: das Wort und der Glaube gehören zusammen als die Naturen in Christus - diese Einheit von Wort und Glauben läßt sich also auch ausdrücken als eine unauflösliche Einheit von Göttlichem und Menschlichem, so unauflöslich unproblematisch und unwillkürlich, wie sie uns früher entgegentrat 71 . Problematisch erscheint sie dagegen dem Menschen im Sündenfall, wenn das Wort in der oben beschriebenen Wiese verfälscht wird; dann wird auch er zum Unglauben verkehrt. Wegen der früher bezeugten doppelten Verborgenheit ist es unmöglich, im Vielerlei der Schöpfungswelt deutlich zu unterscheiden, wo die Frontlinie zwischen Glauben und Unglauben, Wort Gottes und Wort des Teufels, verläuft, und wie Göttliches und Menschliches in jeder konkreten Situation zusammenhängen". Die Schöpfung und die Welt sind daher gleichzeitig „miles Dei" und „cooperator diaboli" was schon aus dem Bericht über den Sündenfall hervorgeht. Die Schlange ist eine natürliche Schlange von schöner Gestalt und wie alle anderen Wesen von Gott geschaffen, und der Teufel ist nichts anderes als der Teufel, der sich gegen Gott empörende, und dennoch spricht aus dieser Gottes guter Schöpfung die gottfeindliche Stimme des Teufels". In dieser Art des Teufels, die Schöpfungsverborgenheit auszunutzen und Göttliches und Menschliches zu verkehren, liegt das innerste Wesen der Sünde beschlossen, das den Menschen nach wie vor zu Ungehorsam und Unglauben verlockt. Darum mahnt Luther zum Vertrauen auf das erste Gebot: in allen Anfechtungen 71 „ . . . beyde, wort und glawbe tsusamen, ynn eyniss vorpunden, wie gott und mensch ynn eynem Christo ist eyn person", i o I : i , 618, 13 f . (Kirchenpostille 1522). Wenn dieses Glaubensverhältnis im Sündenfall zerbricht, bedeutet das also christologisch gesehen einen Bruch mit der communicatio idiomatum, ein - könnte man sagen - Verbrechen dieser gegenüber. ™ „Denn Gotts zeichen und der Engel warnunge sind gemenget mit des Satans eingeben und zeichen, wie die wellt denn werd ist, das es wust unternander gehe und nichts unterschiedlich erkennen kan", 23, 11, 34-12, 2 (Vorrede zu Joh. Lichtenbergers Weissagung 1527). ™ 57 Hebr., 76, 13-17 [Vorlesung über den Hebräerbrief 1517-18]; „Sunt enim omnes creaturae exercitus Dei atque militant quaeque pro sua conditione. Arbores proferunt fructus et folia, terra herbas et frumenta etc.; quae si posset Satan, impediret omnia. Ideo omnes creaturae sunt milites Dei. Albis est miles Dei; quis enim illius cursum impedire potest? Hinc Deus exercituum Dominus dicitur", T R I , 313, 28-34 [Nik. Medier
1535)· In christologischer Terminologie ausgedrückt könnte man hier von einer A r t teuflischer communicatio idiomatum zwischen Teuflischem und Menschlichem, zwischen dem Aufrührer und der Schöpfung Gottes sprechen. Vgl. Obendiek 1931, 64 f . und A n m 71 oben. 14, 129, 1-7 [Pred. über das 1. Buch Mose 1523-24 R.]; 24, 82, 27-83, 22 [Pred. über das 1. Buch Mose 1527); 42, 113, 29-114, 36 (Vöries, über 1. Mose 153545); 9, 333, 5-9 (Pred. gesammelt von Joh. Poliander 1519-21). 74
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und Widrigkeiten und Zweifeln an Gott festzuhalten und nicht wie gebannt auf den Teufel zu starren, als habe er wirklich alle Macht75. B. Der Mensch unter dem Regiment Gottes Nach Abschluß des prinzipiell grundlegenden Teils über das mandatum Dei und die Bedeutung des Sündenfalls müssen wir nun dasselbe Thema in einer wenn man so will stärker anthropozentrischen Perspektive behandeln. Die Zusammenhänge, die wir zuvor sozusagen von oben betrachtet haben, wollen wir aufs neue untersuchen, nun aber unter einem von-untenAspekt. Wir haben beiläufig darauf hingewiesen, wie Gottes Wort in der Schöpfung inkarniert ist, wie es in äußeren konkreten Dingen und Ereignissen Verborgenheits-Gestalt annimmt, und wir haben aufgezeigt, daß auch das Böse sich in dem von Gott Geschaffenen verbirgt. Wir haben uns jedoch wenig bei der Situation des Menschen aufgehalten, der dieser wechselnden, menschlich wahrnehmbaren Außenseite des Schaffens und Wirkens Gottes gegenüber steht. Wir haben recht eingehend die Grundeinstellung des Menschen im Guten und im Bösen, in Glauben oder Unglauben, in Gebundenheit an Gott oder an den Teufel, dem Wort als einem wahren göttlichen Wort oder als einer Apotheose eines nur menschlichen Wortes gegenüber untersucht. Aber in bezug auf den menschlichen Schauplatz dieses kampferfüllten Dramas mußten wir uns bisher mit Andeutungen begnügen. In den beiden folgenden Abschnitten wollen wir versuchen, ein konkretes Bild davon zu zeichnen, wie Luther die Stellung des Menschen in dieser gegebenen, von Gott geschaffenen und gelenkten, aber vom Teufel pervertierten Welt sieht. Einmal wollen wir untersuchen, wie Gott den Menschen als Werkzeug und Mitarbeiter in sein göttliches Schöpfungswerk hineinsetzen will. Zum anderen wollen wir Luthers Auffassung von Bedeutung und Folgen des Sündenfalls, wenn man ihn aus dem Gesichtswinkel des Menschen sieht, entwickeln: Erschrecken unter Gottes Zorn, Blindheit und Verwirrung angesichts des in der Schöpfung ausgesprochenen Willens Gottes, Mißbrauch der Schöpfung usw. Auch unten unter С werden diese Gedankengänge behandelt werden, jedoch mit teilweise anderem Akzent. Es ist nicht unsere Absicht, eine vollständige lutherische Anthropologie vorzulegen; wir gedenken uns vielmehr auch hier auf die Wechselwirkung zwischen ™ Siehe hierzu Luthers Auslegung des ersten Gebotes im Großen Katechismus, z.B. 301, I 33> 9-16: „Darumb ist nu die meinung dieses gepots, das es foddert rechten glauben und Zuversicht des hertzens, welche den rechten einigen Gott treffe und an yhm alleine hangen. Und wil soviel gesagt haben: Sihe zu und lasse mich alleine deinen Gott sein und suche yhe keinen andern . . . " , ib. 138, 6-18. Wenn Luther eine Sünde gegen das erste Gebot beschreiben will, sagt er u. a.: „Das man die widerwertickeit dem teufel oder den bossen menschen tzugemessen hat", 2, 61, 4 f. (Eine kurze Unterweisung, wie man beichten soll 1 5 1 9 ] , und: „Wer seyn ungluck und widderwertickeit dem teuffei oder bössen menschen tzu schreybt, und nit mit liebe und lob als böss und gutt von gott alleyne auff nympt und yhm widder heym tregt mit dancksagen und williger gelassenheyt", 7, 208, 1-4 (Eine kurze Form 1520).
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Göttlichem und Menschlichem zu konzentrieren, wenn wir auch in diesen Abschnitten einen anderen, einen „niedrigen" Aussichtspunkt haben.
i. Dominium und cooperatio
Es geschah um des Menschen willen, daß Gott mit dem instrumentum1 seines allmächtigen Wortes ex nihilo Himmel und Erde schuf. Luther beschreibt gern Gottes Liebe und Fürsorge, wie sie sich schon zeigte, bevor der Mensch geschaffen wurde. Gott schafft dem Menschen eine Heimstatt, bereitet seine Ankunft auf alle Weise vor und übergibt ihm eine schöne Welt, damit er sie frei mit Verstand und Zuversicht gebrauchen möge®. Aber ohne Gottes Gnade und Wohlwollen hätte der Mensch nichts; er ist ständig der Empfangende, in allem von Gott abhängig. Daraus folgt seine unbedingte und selbstverständliche Gebundenheit an Gott. Alles was der Mensch ist, kann und tut, hat er von Gott; alles ist Schöpfung und Gabe Gottes, die täglich aufs neue dargereicht und empfangen wird 3 . Wenn Gott in seinem mandatum in der Welt der Schöpfung in konkrete Begegnung mit dem Menschen eintritt, ist das eben ein Ausdruck für diese seine souveräne Großmut und sein freies Schenken von Gnade. Und wenn von dem Menschen in seiner absoluten Abhängigkeit gesagt wird, er habe im Verhältnis zu Gott ein servum arbitrium, ist das zu verstehen als ein tägliches Empfangen der Gaben Gottes durch den Menschen und als dessen unwillkürliches Offensein für Gottes Handeln. Diese Seite der Relation von Gott und Mensch haben wir früher erörtert. In der Schrift vom geknechteten Willen beschäftigt sich Luther mit einem der Textargumente, die Erasmus für ein liberum arbitrium angeführt hatte, „dieses kleine leere Wort" 4 . Der Text aus Sirach 15, 14-18 spricht davon, daß Gott den Menschen schuf, „et reliquit illum in manu consilii sui". In dieser Ausdrucksweise: in der Hand seines Ratschlußes, seines Willens gelassen zu werden, wollte Erasmus eine Stütze für das liberum arbitrium sehen. Diese Art der Auslegung dieser Stelle findet 1
42, 1 5 , 9 - 1 4 (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) . „Hic vides, quantam curam Deus suscipiat pro homine creato. Primum condidit terram ceu donum, in qua viveret: Deinde alia, quae necessaria iudicabat ad vitam, ordinavit . . . Nihil deest: omnia sunt abundantissime creata . . .", ib. 5 4 , 3 3 - 5 5 , 36; „Omnia condita ad usum hominis. Magna est Dei potentia alentis totum mundum . . . Er hat alles genug fur uns. Omnia maria sind unser keller, nemora unser jegerei, terra plena est argento et auro et fructificat omnes innumeras fruges, ist unser kästen und speisskammer. Omnia propter nos creata sunt", T R III, 3 2 2 , 5 - 1 0 . 1 „Nemlich, w a s du bist, w o her du komest, w o himel und erden her komen, Denn du bist Gottes geschepff, gemechte, creatur und werck, Das ist: von dir selbs und jnn dir selbs bistu nichts, kanstu nichts, weist nichts, vermagst nichts . . . W a s du aber bist, weist, kanst, vermagst, das heist Gottes geschepffe, wie du hie mit deinem munde bekennest, darumb du vor Gott dich nichts zu rhumen hast . . . " , 38, 3 7 3 , 1 9 - 3 2 (Eine einfältige Weise zu beten 1 5 3 5 ] ; 18, 754, 1 f f . ( D e servo arbitrio 1 5 2 5 ) . 1 Die Auslegung beginnt 1 8 , 666, 13; hier interessiert besonders das Stück 6 7 1 , 1 9 - 6 7 2 , 29 ( D e servo arbitrio 1 5 2 5 ] . Vgl. Wingren 1 9 5 2 , 23 f . 2
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Luther verkehrt5. Denn, betont Luther, Sirach sagt, Gott habe seine Gebote und Befehle hinzugefügt, und das tat Gott, damit der Mensch nicht frei sein sollte". Aus diesem Gegensatz zieht Luther einige wichtige Schlüsse'. Er stellt fest, daß der Mensch in zwei Reichen aufgeteilt werden müsse, „in duo regna". Er steht in zwei Relationen, einer aufwärts, auf Gott, und einer abwärts, auf die Schöpfung, die Menschen und die irdischen Dinge gerichteten. Wenn Gott seine Befehle gibt, sagt er auch etwas über das „arbitrium hominis erga Deum et ea quae Dei sunt". Dort, „in regno Dei", wird der Mensch von göttlichen Geboten gelenkt, nicht vom eigenen Willen. Aber wenn Sirach sagt, daß Gott in der Schöpfung den Menschen sich selbst und den Entscheidungen seines Willens übergibt, handelt es sich um ein anderes Reich. Dort, „in regno suo", wird der Mensch von seinem eigenem Willen geführt, ohne Befehle eines anderen. Im himmlischen Reich, in bezug auf das, was über dem Menschen steht, hat er ein servum arbitrium und lebt in dem Offensein des Glaubens gegenüber dem Willen Gottes. In dem irdischen Reich, „in rebus sese inferioribus", hat er dagegen einen freien Willen, das Recht zu bestimmen, Entscheidungen zu fällen und dementsprechend zu handeln. Und dies ist die andere Seite der Relation zwischen Gott und Mensch, die wir in diesem Abschnitt näher ins Auge fassen wollen. Als der Mensch seinem freien Willen überlassen wurde, „in manu consilii sui", bedeutet das demnach nicht, daß der Mensch sich irgend welche Freiheiten nach oben, Gott gegenüber, erlauben, oder sich auf eine autonome Plattform stellen durfte, von der aus er frei Entschlüsse in den verschiedensten Richtungen fassen konnte. Gott ist auch weiterhin sein unumschränkter Herr; aber in dem irdischen Reich schenkte Gott ihm freies Nutzungsrecht über die geschaffenen Dinge, ohne Behinderung durch irgend welche Gesetze und Vorschriften8. Sirach spricht vom freien Willen des Menschen, und nach Luther meint er damit eben diese freie Handhabung der geschaffenen Dinge und das Herrschen auf der Erde. Denn das war der Sinn der Schöpfung und dazu wurde auch der Mensch geschaffen: „Homo constitutus est dominus rerum"". Über die Dinge, die unter ihm stehen, regiert der Mensch, was deshalb keineswegs bedeutet, daß er sich selbständig machen und sein eigener Herr werden kann. Das ist vielmehr, wie wir gesehen haben, die Versuchung des Teufels und weit entfernt von Gottes Absicht, wenn er den Menschen zum „dominus mundi" macht. Der Mensch ist der Herrscher, derjenige, welcher über die Dinge waltet, nur dadurch, daß er von Gott beherrscht ist. Er hat einen freien Willen in seinem abwärts gerichteten Handeln nur dadurch, daß er nach oben hin an Gott gebunden ist und von seinem Willen geführt wird. Daß der Mensch über die Schöpfung herrscht und dominus 5 18, * Ib. 7 Ib. " Ib. ' Ib.
672, 671, 672, 672, 671,
21 f . [De servo arbitrio 1525). 40-672, 4. 4-20. 12 f.; siehe Anm. 10. 33-39.
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ist bedeutet daher nicht, unterstreicht Luther hier, daß Gott den Menschen sich selbst überläßt, damit er frei über das verfüge, was Gott ihm geschenkt hat. Gott zieht sich keineswegs zurück, um dem Menschen die Bühne zu überlassen, sondern er ist die ganze Zeit dort und arbeitet mit dem Menschen zustimmen10. Wenn der Mensch auf der Erde schaltet und waltet, die Dinge ordnet und Werke an seinem Nächsten ausführt, bedeutet das Luthers cooperatio-Gedanken zufolge, daß Gott gerade in dieser freien menschlichen Aktivität und durch sie wirkt. Gott verwendet den Menschen als sein Werkzeug und Gerät auch dann, wenn der Mensch sich dessen unbewußt ist oder sich dem nur widerwillig fügt. Die hier von uns behandelte Stelle aus der Schrift gegen Erasmus bietet uns einen guten Ausgangspunkt für eine Erörterung der beiden Hauptbegriffe dieses Kapitels, dominium und cooperatio. So wie wir zuvor hauptsächlich Gottes njandatum untersuchten, uns jedoch auch genötigt sahen, die Stellung des Menschen unter diesem Wort zu berücksichtigen, so wollen wir jetzt unsere Blicke vor allem auf das Herrschen des Menschen auf Erden richten, jedoch dabei st^&dig auch Gottes Hand beachten. Das primäre Objekt dieser Abhandlung, das Verhältnis zwischen Göttlichem und Menschlichem, steht damit die ganze Zeit und unter verschiedenen Aspekten im Zentrum. Das dominium des "Menschen bedeutet, daß er von Gott - und ihm untergeordnet - gesetzt ist, über die Tiere und die ganze Erde zu herrschen. Der Mensch ist zum Herrn über das Werk von Gottes Hand gemacht, alles ist ihm zu Füßen gelegt. Wäre er ohne Sünde verblieben und hätte in ständiger Gemeinschaft mit Gott gelebt, hätte dieses Walten, „hoc universale dominium in omnes bestias", niemals irgendwelchen Kummer bereitet 11 . Denn der Mensch befindet sich nicht zufällig in dieser Herrschersituation, vielmehr geschieht das auf den ausdrücklichen Befehl des Schöpfers und entspricht dem innersten Ziel der Schöpfung". In Gottes Welt war alles für den Menschen vorbereitet und eingerichtet, und er wurde nicht dazu geschaffen, müßig zu sein, sondern dazu, als Mitarbei10 „Hic regnat et est dominus, ut in manu consilii sui relictus. N o n quod Deus illum. sie deserat, ut non in omnibus cooperetur. Sed quod usum rerum illi liberum pro arbitrio concesserit nec ullis legibus aut praescriptis inhibuerit", ib. 672, 1 0 - 1 3 . 11 4 2 , 1 1 5 , 26 f. (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ] ; „ . . . Itaque absorptus totus in bonitate creatoris, si sie permansisset in innocentio, agnovisset Deum conditorem suum, et gubernasset bestias pro arbitrio suo sine omni molestia, imo cum summa voluptate. Omnia enim eiusmodi erant, ut non nocere sed extreme oblectare hominem possent", ib. 7 1 , 2 4 - 3 0 . Siehe hier u.a. Löfgren i960, 6 1 - 7 9 , Kap. „Dominus mundi". 12 „ . . . et fiunt A d a m et Heua rectores terrae, maris et aeris. Committitur autem eis hoc dominium non solum consilio, sed etiam expresso mandato . . . omnia animalia, imo terra cum omnibus terra nascentibus subiieitur Adae, quem Deus vocali mandato et expresso constituit regem super totam creaturam animalem. N a m ista verba auribus audierunt A d a m et Heua, cum diceret Deus: 'Dominamini'. Ergo nudus homo sine armis et muris, imo etiam sine vestitu omni in sola sua nuda came dominatus est omnibus volucribus, feris et piseibus", 42, 49, 20-28 [Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) ; 287, I - I 9 ( M . Lutheri ad Brismannum epistola 1 5 2 3 ) .
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ter Gottes seine Werke auszuführen'3. Daher hat Gott dem Menschen eine Macht gegeben, die ihm eine Sonderstellung verleiht. Diese Herrschaft hat also, wie wir bereits gesehen haben, zwei Kennzeichen: Gebundenheit coram Deo und in himmlischen Dingen, „in rebus superioribus", aber Freiheit coram hominibus und in irdischen Dingen, „in rebus inferioribus"; einmal ist der Mensch Gottes Geboten und Befehlen untergeordnet und völlig abhängig davon, daß er ihm Möglichkeiten und Gelegenheiten schafft, die Dinge zu brauchen, zum anderen hat Gott ihm wirklich das Recht gegeben, - und gibt es ihm täglich aufs neue - frei das zu nutzen, was er ihm zur Verfügung stellt und was der Mensch verwenden darf ohne ständige Vorschriften über Zeiten und Stunden, Arten und Methoden". Daher kommt es, daß man von dominium sprechen kann als von des Menschen Art, sein Dasein und seine Geschichte frei zu gestalten, gleichzeitig aber als von einer nur delegierten, von Gott überlassenen und ihm unterstellten Machtfunktion, was ja der Gedanke einer cooperatio von Gott und Mensch enthält. In der Disputation „De homine" 1536 gibt Luther eine Definition des Menschen, die hier von Interesse ist: „Homo est creatura Dei, carne et anima spirante constans, ab initio ad imaginem Dei facta, sine peccato, ut generaret et rebus dominaretur, nec unquam moreretur" 15 . Die Aussagen über Schöpfung und Herrscherstellung des Menschen, über sein Dasein ohne Sünde und Tod, werden zusammengefaßt in dem Begriff imago Dei. Damit will Luther die Sonderstellung des Menschen hervorheben, sowohl im Verhältnis zu Gott wie zu der übrigen Schöpfung. Sein dominium besagt ja bereits, daß er sich von den Tieren unterscheidet die er beherrscht, denen er Namen gibt und die er mit einem Wort 13 9/ 395/ 2 8 - 3 3 (Pred. 1519-21 Poliander); 7, 31, 22-27 ( V o n der Freiheit eines Christenmenschen 1520); „homo non ad otium, sed ad laborem, etiam in innocentiae statu, conditus est", 42, 78, 26 f. (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) · 14 Siehe hierzu die Auslegung des Sirach-Textes in De servo arbitrio, die wir eben behandelt haben. A u f diese Stelle kommt Luther später zurück, als er den Prediger Salomonis deutet, in einem Zusammenhang, der hier unsere Aufmerksamkeit verdient: „Sic ergo intellige: omnia humana opera et studia habere certum et definitum tempus agendi, incipiendi et finiendi extra facultatem humanam, ut sit dictum contra liberum arbitrium, quod nostrum non sit tempus, modum et effectum praescribere rebus agendis planeque hic falli studia et conatus nostros. Sed tunc omnia ire aut venire, quando Deus statuir . . . Sed dices: Quomodo ergo homo constitutus est rentm dominus, Gene. 2. si non potest illas secundum suam voluntatem regere et pro suo voto uti? Responde: Sic sumus constituti rerum domini, ut possimus eis uti in praesens. Sed non possumus eas nostris curis et studiis regere . . . Vult ergo Deus nos uti creaturis, sed libere, utut ille obtulerit, sine tempore, sine modo et hora a nobis praescriptis. H a e c enim sunt in manu Domini, ut non putemus in manu nostra esse uti rebus, quando velimus, si ille non det. Hinc dicit Ecclesiasticus: 'Deus reliquit hominem in manu consilii sui', sed addidit praecepta, secundum quae sua consilia et actiones regat etc", 20, 58, 23-59, 22 (Annotationes in Ecclesiasten 1532); siehe die ähnliche Auslegung im Genesis-Kommentar: 42, 512, 14-29; vgl. auch Luthers Unterweisung zum ersten Artikel im Großen Katechismus 152g, 30 I, 184, 24-185, 14.
39 I, 176, 7 - 9 (Disp. de homine 1536). Vgl. 40 III, 5 1 3 , 9 - 5 1 4 , 4 (Enarratio Psalmi X C 1534-35 Hs.j. " Vgl. Löfgren i960, 67 f . lJ
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oder Wink zum Gehorsam zwingt . Im Verhältnis zu Gott bedeutet der Gedanke der imago Dei nicht, daß dem Menschen irgend welche göttlichen Eigenschaften verliehen wären oder daß er in irgendeiner Weise eine halb göttliche Position zwischen Gott und den übrigen geschaffenen Wesen einnähme. Imago Dei ist der Mensch nicht - das muß nachdrücklich betont werden 18 - aufgrund gewisser Qualitäten und inhärenter Eigenschaften, sondern eben in seinem Gottesverhältnis, als eine creatura unter Gottes mandatum. Luthers Anthropologie ist somit von Anfang bis zu Ende von seiner Auffassung der Gottesrelation her orientiert und nicht von innerweltlichen, philosophischen Betrachtungen oder einer Wertung von dem Menschen innewohnenden Qualifikationen bestimmt. Entscheidend ist des Menschen Stellung dem Wort Gottes gegenüber". Wie beschreibt nun Luther den Menschen als imago Dei? Diese Frage braucht hier nicht in Einzelheiten beantwortet zu werden, doch wird es sich als wertvoll erweisen, einigen von Luthers prinzipiellen Leitgedanken Aufmerksamkeit zu schenken. Da die Gottebenbildlichkeit im Sündenfall verloren gegangen ist, läßt sich, meint er, schwer beschreiben, was sie bedeutet20. In seiner großen Genesis-Vorlesung stellt er jedoch fest, daß die Schöpfung des Menschen zum Ebenbilde Gottes die wichtigste Scheidelinie zwischen Mensch und Tier darstellt". Die Aussagen über die imago Dei enthalten - hier wie auch sonst in Luthers Bibelauslegung - einmal etwas Empirisches und Faktisches in einer konkreten Vergangenheit, zum anderen etwas Generelles und für den Menschen als solchen zu allen Zeiten Charakteristisches. Daher kann Luther von der Schöpfung des Menschen „ad imaginem Dei" als von etwas Historischem sprechen, das einmal an einer einzelnen Person, Adam, geschah, gleichzeitig aber auch als von etwas, was ebenso bestimmt und im selben " 42, 49, 23 f f . (Vöries, über 1. Mose 1535-45], siehe Anm. 12; „Uno verbo, imo nutu etiam ursos et leones fugasset Adam", ib. 78, 31 f.; ib. 90, 14-34; ..Es kamen allerley thier vor Adam und ehr fände keins ihm gleich . . . Homo vocat adhuc nominibus suis animalia", 14, 125, 27-33 (Pred. über das 1. Buch Mose 1523-24 Roth); 9, 395, 30 (Pred. 1519-21 Poliander); 40 III, 223, 30-33 (In X V Psalmos graduum 1532-33 Dr.). Die Namengebung wird hier als ein wichtiger Akt betrachtet, als klarer Ausdruck für die Macht des Menschen: wen man dem Namen nach kennt, den beherrscht man, denn der Name ist ein Teil des Geschöpfes selbst. Die Fähigkeit, die Sprache, das Wort, zu gebrauchen ist für Luther ein Adelszeichen des Menschen überhaupt; dadurch befiehlt er über die Tiere, unterhält sich mit seinem Nächsten und betet zu Gott. 18 Löfgren i960, 62. " Diese Probleme sind gründlich u.a. Hägglund in seinen beiden Bücher 1955 und 1959 bearbeitet worden. Siehe auch P. Bachmann, Der Mensch als Ebenbild Gottes (in: Festschrift für L. Ihmels 1928, 273-279), M. Stomps, Die Anthropologie Martin Luthers 1935, die indessen die theologische Gesamtschau nicht genügend beachtet, L. Haikola, Studien zu Luther und zum Luthertum 1958, 19 f f . , Löfgren i960, 63 f. und I. Asheim, Glaube und Erziehung bei Luther 1961, 202 f f . 42, 47, 31 f f . (Vöries, über 1. Mose 1535-45). -L Ib. 42, 10-20; „Esse eum factum in animam viventem, non simpliciter, sicut alias bestias, sed in animam excellenter viventem, propterea quod ad imaginem Dei est conditus", ib. 65, 18-20.
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existentiellen Sinne von jedem Menschen gilt". Das müssen wir uns angesichts der wechselnden Äußerungen Luthers vor Augen halten. Einerseits beschreibt er in Einzelheiten und voller Phantasie den Menschen im Urzustand als ein reich ausgestattetes Geschöpf mit außerordentlichen Gaben: „intellectus purissimus", „ratio illuminata", „vera noticia Dei", „voluntas rectissima ad diligendum Deum et proximum", „cognitio naturae perfecta"". Er erkennt damals wirklich Gott als seinen Herrn, lebt in Geborgenheit und Sorglosigkeit, von seiner Gnade und seinem göttlichen Leben, und gleichzeitig ist er derjenige, welcher über alles Geschöpf in der Luft, im Wasser und auf der Erde herrscht". Aber das galt nur „in statu innocentiae", denn durch den Fall ist die imago Dei in diesem Sinne verschwunden und jetzt nur eine „res incognita"". Andererseits behauptet Luther, daß dieser ursprüngliche Mensch, mit allen seinen göttlichen Charakteristika, seiner Gerechtigkeit, seiner Weisheit und seinem guten Willen, damals diese Gaben erst „in spe" hatte. Trotz aller Vollkommenheit war Adams Gottebenbildlichkeit „tarnen imperfecta"". Die imago Dei war somit nicht fertig, sondern sollte sich unter Gottes lebenspendender Schöpferhand erst allmählich entwickeln. Diese Gestaltung nimmt Luther zufolge nach dem Sündenfall durch Christi wiederherstellendes Werk ihren Fortgang: „Hoc autem nunc per evangelium agitur, ut ilia imago reparetur"". Die imago Dei ist also bei Luther sowohl als eine faktisch vorhandene Gottebenbildlichkeit Adams als auch 22 Adam ist das erste Individuum, und er ist die Zusammenfassung des ganzen Menschengeschlechtes. „Wir sind Adam und bleiben Adam", 24, 75, 32 (Pred. über das 1. Buch Mose 1527); „Es ist ein kuch mit Adam, was mensch genent wirtt", 14, 125, 16 (Pred. über das 1. Buch Mose 1523-24 Roth], Diese Zusammenschau des historisch Zeitgebundenen und des überhistorisch Existentiellen ist kennzeichnend für Luthers Art, die Bibel zu lesen und ihre Erzählungen zu deuten. Luthers gesamte Bibelauffassung, wie wir sie oben im Verhältnis zum Wort und zur lex naturae gesehen haben, liegt auf dieser Ebene: die Bibel ist ein geschichtliches Buch, das von bestimmten Ereignissen und Personen berichtet - und diese Berichte dürfen nicht ohne weiteres umgedeutet, spiritalisiert oder allegorisiert werden - und gerade als ein solches historisches Buch berichtet sie von Luther und seinen Zeitgenossen. Es gibt das eine nicht ohne das andere. Daher kann man Luthers Bibelverständnis weder einseitig historisierend deuten, was zu einem biblizistischen Absolutivieren der biblischen Ereignisse führen würde, noch einseitig enthistorisieren, was ein Unterdrücken geschichtlicher Einzelheiten bedeuten und eine vermeintlich stärker religiöse und geistliche Botschaft an den „Menschen unserer Zeit" ergeben würde. In dem einen Fall überbetont man das Menschliche in all seinem Reichtum an Details, im anderen sieht man davon ab und will den sozusagen göttlichen Inhalt des Bibelwortes behalten. Auch hier ist Luthers erstaunliches Gefühl f ü r die communicatio idiomatum, das rechte Verhältnis von Göttlichem und Menschlichem, wegweisend. 23 42, 46, 16-47, 38 (Vöries, über 1. Mose 1535-45]. 24 Ib. 47, 8-17; „sicut Adam et Heua Deum agnoverunt Dominum, ita postea ipsi reliquis creaturis in аёге, aqua, terra dominati sunt", ib. 47, 40-42; „Ita Adam et Heua florentes innocentia et Iusticia originali, pleni securitate propter fiduciam in Deum tarn benignum, deambularunt nudi, tractantes verbum et mandatum Dei, et benedicentes Deum, sicut in die sabbato decet", ib. 108, 28-31. 25 Ib. 47, 3 1 ; siehe nächster Abschnitt. 24 Ib. 43, 7 und 87, 5 f . 27 Ib. 48, i r , und dann weiter bis 49, 16; 24, 50, 22 f f . (Pred. über das 1. Buch Mose
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als etwas Unvollkommenes und nur Mögliches zu verstehen, eine eschatologische Größe, die erst in der Vollendung realisiert wird". Das hängt damit zusammen, daß der Mensch zum Bilde Gottes geschaffen ist, nicht als ein fertiges und perfektes Wesen, nicht als ein selbständiges Geschöpf, das die Verbindungen zu seinem Schöpfer abgeschnitten hat, sondern als zu ständiger Gottesgemeinschaft, zu Leben und Seligkeit bestimmt. Von dieser besonderen Bestimmung des Menschen im Gegensatz zu anderen Wesen her läßt sich Luthers Auffassung der imago Dei verstehen. Der Vorrang des Menschen besteht darin, daß er in besonderer Weise von Gottes Hand gestaltet ist und während seiner gesamten Existenz weiter geformt wird, wie der Ton vom Töpfer". Das Entscheidende ist auch hier das göttliche Werk, nicht irgend welche immanenten Eigenschaften oder habituellen Qualitäten des Menschen. Adam ist zur imago Dei geschaffen und läßt sich mit den göttlichsten Termini beschreiben und ist gleichwohl nur ein Mensch, ein schwaches Wesen, das sich erstaunlich leicht von dem entfernt, dessen Ebenbild es sein sollte. Und andererseits: er ist mit einem animalischen Leben ausgestattet und sein Dasein gleicht in vieler Hinsicht dem der Tiere, gleichzeitig aber ist er „f actus ad imaginem Dei et similitudinem"". Dies wirft ein Licht auch auf andere scheinbar widersprüchliche Aussagen. Die Bestimmung imago Dei wird dem Menschen häufig als zu seiner eigensten Natur, „in sua substantia" gehörend beigelegt". Das Gottesbild wird als eine ursprüngliche Gerechtigkeit und Heiligkeit dargestellt, eine natürliche „rectitudo" und „iustitia", die kein von außen zugelegtes Akzidens ist, sondern im Wesen des Menschen liegt". Gleichwohl 1527]; 39 I, 108, 5 - 1 5 (Disp. de iustificatione 1536]; 46, 561, 36 f f . (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1537 Dr.). Löfgren 1960, 176 f f . und 258 f f . 28 „Quare homo huius vitae est pura materia Dei ad futurae formae suae vitam. Sicut et tota creatura, nunc subiecta vanitati, materia Deo est ad gloriosam futuram suam formam . . . Talis est homo in hac vita ad futuram formam suam, cum reformata et perfecta fuerit imago Dei", 39 I, 177, 3-10 (Disp. de homine 1536). Stomps 1935 betont mit Recht den futuralen Zug, den Transitusaspekt, die Auffassung des Menschen als „justus", aber noch nicht „beatus", den Gedanken der „expectatio" und Wiederherstellung, 14 f f . , 22 und 28 f.; das bildet auch eine Hauptlinie bei Löfgren i960. *" 14, 110, 1-4 (Pred. über das 1. Buch Mose 1523-24 R.); „Haec dissimilitudo, quae inter originem Hominis et pecudum est . . . Sed ipse eum format ad imaginem sui, tanquam participem Dei et qui fruiturus sit requie Dei. Itaque Adam, antequam a Domino formatur, est mortua et iacens gleba eam apprehendit Deut et format inde pulcherrimam creaturam participem immortalitatis", 42, 63, 25-33 (Vöries, über 1. Mose 1535-45); ib· 64, 33-36. 30 Ib. 43, 5. Imago und similitudo sind für Luther austauschbare Begriffe, siehe Hägglund 1959, 78 f . und Asheim 1961, 205. 31 „Ergo imaginem Dei sic intelligo: Quod Adam eam in sua substantia habuerit, quod non solum Deum cognovit et credidit eum esse bonum, sed quod etiam vixerit plane divinam . . .", 42, 47, 8 f f . ; 39 I, 108, 14 (Disp. de iustificatione 1536). 32 „Ista rectitudo erat in homine naturalis", 14, h i , 26 (Pred. über das 1. Buch Mose 1523-24 Roth); „ . . . iusticiam поп fuisse quoddam donum, quod ab extra accederet separatum a natura hominis: Sed fuisse vere naturalem, ita ut natura Adae esset diligere Deum, credere Deo, agnoscere Deum etc. . . . Sicut enim natura oculi est videre, Ita natura rationis et voluntatis in Adamo fuit nosse Deum, fidere Deo, timere Deum . . .
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spricht Luther davon, wie diese naturbestimmte Gottebenbildlichkeit durch den Fall verloren ging, so daß etwas Konkretes, für den Menschen Bezeichnendes ihn nicht länger kenntlich machte. U n d sie muß wirklich verloren gegangen und verschwunden sein, denn warum sollte sich Christus sonst opfern, um sie wiederherzustellen und aufs neue zu schenken 3 3 ? Die imago Dei scheint also für Luther etwas zu sein, was zur Natur des Menschen gehört und ohne das der Mensch nicht Mensch ist, gleichzeitig aber auch etwas, was dem konkreten Menschen nach dem Fall doch fehlt, etwas, was der Mensch hat und womit er geschaffen ist, aber auch etwas, worauf er nur in eschatologischer Erwartung hoffen kann. Diese Doppelheit in der Auffassung der imago Dei ist recht eigentlich charakteristisch für Luther. Der Mensch hat wirklich, wie kein anderes von Gott geschaffenes Wesen, „duplicem vitam: animalem et immortal e m " " ; er ist gleichzeitig als Tier und zur imago Dei geschaffen. D a s bedeutet in Luthers Anthropologie nicht, daß er ein eigentümliches Compositum aus zwei Hälften wäre, einem animalischen und vergänglichen Leib und einer himmlischen und ewigen Seele 3 5 . Eine solche Auffassung vom Menschen ist in einer hellenistischen und philosophischen Betrachtung zu Hause, hier aber handelt es sich um den homo theologicus und u m den Menschen als Ganzes, als totus h o m o " . Er steht als eine Ganzheit in bezug auf das leibliche Leben auf einer Ebene mit den Tieren, Integra naturalia igitur in homine fuerunt cognitio Dei, fides, timor etc.", 42, 124, 4 - 1 8 (Vöries, über 1 . Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) . 33 „Imaginem dei peccans perdidit", 14, i n , 1 7 (Pred. über das 1 . Buch Mose 1 5 2 3 - 2 4 Roth]; „Ante lapsum A d a m non opus habuit Christo, quod erat iustus et sine peccato, sicut angeli non opus habent Christo. Si Adam non fuisset lapsus, non opus fuisset nobis Christo redemptore", 39 I, 1 1 6 , ю - 1 2 (Disp. de iustificatione 1 5 3 6 ) ; vgl. Anm. 27. Der Zusammenhang um den Begriff „imago Dei" schließt von einem Gesichtspunkt her die ganze Theologie Luthers in sich: die Schöpfung, den Fall, die Erlösung, die Rechtfertigung, die Sakramente, die Eschatologie, das alles kann in imago-Ausdrücken formuliert Werden. V o n besonderem Interesse ist die Verwendung der imago Dei als einer christologischen Aussage. A l s zum Ebenbilde Gottes geschaffen ist der Mensch auch zu Christus geschaffen, und in Christus wird die imago Dei im Menschen wiederhergestellt und vollendet, 37, 453, 1 - 6 (Pred. 1534 R . ) . Insofern ist der Zusammenhang zwischen A d a m und Christus klar. Aber Christus ist nicht wie Adam geschaffen, er ist das himmlische Bild und A d a m ist das irdische: 14, 1 1 0 f . (Pred. über das 1 . Buch Mose 1 5 2 3 - 2 4 ) , 24, 50 f . (Pred. über das 1 . Buch Mose 1 5 2 7 ) , 42, 49, 8 - 1 6 (Vöries, über 1 . Mose 1 5 3 5 4 5 ) ; Christus ist „imago Dei essentialis" und „imago interna", „das bild selber", während A d a m nur „imago externa" ist, „zum bild geschaffen", siehe 39 II, 296 f f . (Prom. disp. von Major und Faber 1 5 4 4 ) , 45, 276 f f . (Pred. 1 5 3 7 ) . 34 42, 43, 7 f . (Vöries, über 1 . Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) ; homo mixtum animal ex brutali et angelica natura", ib. 85, 10 f f . 35 Zur Seelenlehre von verschiedenen Aspekten her wie zu den Begriffen „vita animalis" und „vita spiritualis", siehe Hägglund 1959, 58 f f . , 70 f f . 38 „Moses hie loquitur de toto homine, qui creatus est ad imaginem Dei", 39 I, 108, 1 2 f . (Disp. de iustificatione 1 5 3 6 ) . Vgl. zu diesen Fragen und zur Anthropologie Luthers im großen Ljunggren "1928, 56 f f . , E. Schott, Fleisch und Geist nach Luthers Lehre 1928, besonders 50 f f . , Bring 1929, 19 f f . , H. Bornkamm, Äußerer und innerer Mensch bei Luther und den Spiritualisten 1932, 89 f f . , H. Lindroth, Katolsk och evangelisk kristendomssyn 1933, 127 f f . , Lerfeldt 1949, 272 f f . , Wingren 1952, n o f f . , Haikola, Studien . . .
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und er steht als eine Ganzheit in Relation zu Gott. Vom Menschen gilt, daß er eine Einheit von Göttlichem und Menschlichem ist, nicht so, daß er das Ergebnis einer Addition wäre und aus einem höheren und einem niederen Teil bestünde, sondern so, daß er einerseits als Geschöpf ein Teil der übrigen Schöpfung ist, andererseits aber gerade als Geschöpf zu Gottes Ebenbild geschaffen ist und sich darin von der übrigen Schöpfung unterscheidet. Er ist durch und durch menschlich, aber gerade als Mensch durch und durch göttlich in bezug auf Ursprung und Bestimmung, mit anderen Worten: er ist von einem Gesichtspunkt menschlich in der Bedeutung animalisch, von einem anderen in der Bedeutung gottebenbildlich. Dieser vom Verhältnis zwischen Göttlichem und Menschlichem bestimmte doppelte Aspekt muß zusammen mit der Doppelheit der Wesensbestimmung und Relationsbestimmung des Menschen als imago Dei gesehen werden, sowie der Doppelheit des faktisch Naturgegebenen und des erst in der Vollendung Realisierbaren. Der Mensch ist ja, wie wir gesehen haben, imago Dei einerseits in substantia sua, andererseits nur in spe. Als totus homo wird er hier aus zwei Gesichtswinkeln gesehen: i. So wie er zu seiner Bestimmung nach Gottes Ratschluß geschaffen ist, d.h. mit der Gottebenbildlichkeit in seinem Wesen, und 2. wie er jetzt rein individuell und empirisch faktisch ist und werden kann. Seine Wesensbestimmung ist die ganze Zeit dieselbe; die imago ist vor dem Fall unbeschädigt, wenngleich unvollkommen, nach dem Fall verdorben, und in Christus am jüngsten Tage vollendet. Daher kann die imago Dei sowohl in substantia wie in spe sein. Aber die Naturbetrachtung hängt mit der Relationsbetrachtung zusammen. Wie soll man nämlich imago Dei als Substanzbegriff verstehen? Luther unterscheidet ja Göttliches und Menschliches nicht so, daß er mit imago Dei einen übernatürlichen Zusatz zu den natürlichen Seelenfähigkeiten meinte, die prinzipiell ihre Entsprechung bei den Tieren haben. Imago Dei ist keine der Natur addierte, speziell göttliche Qualität, sondern etwas, was nicht nur in der menschlichen Natur enthalten ist, sondern geradezu deren Summe und Zusammenfassung bildet". Andererseits ist imago Dei - das Hauptkriterium der menschlichen Natur - doch nicht dasselbe wie gewisse Naturbeschaffenheiten oder psychologischen Eigenschaften. Mit diesem Begriff gibt man nicht in erster Linie eine philosophische Beschreibung des Wesens und der natürlichen Existenz des Menschen, sondern man sagt etwas Bestimmtes über seine Relation 1958» 7 f f · , Hägglund 1959, 7 5 f f . Jetzt hat als letzter L. Grane, Contra Gabrielem 1962, einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung der lutherschen Anthropologie geliefert, besonders 2 8 6 - 3 3 6 . " „Sed vide, quid sequatur ex ilia sententia, si statuas iusticiam originalem non fuisse naturae, sed donum quoddam superfluum, superadditum. A t non, sicut ponis iusticiam non fuisse de essentia hominis, Ita etiam sequetur peccatum, quod successit, non esse de essentia hominis? A n non igitur frustra est mittere redemtorem Christum, cum iusticia originalis, tanquam aliena res a natura nostra, ablata est et integra naturalia manent?", 42, 1 2 4 , 3 2 - 3 7 [Vöries, über 1. Mose 1535-45]; ib. 1 2 5 , 2 1 - 3 2 .
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zu Gott aus. Die imago Dei besteht aus einem Werk Gottes am Menschen, einem fortgesetzten Einfügen desselben in sein Reich und eine Übermittlung göttlichen Lebens. Wenn der Mensch in einem rechten Verhältnis zu Gott lebt, ist er auch rein konkret in seinem Wesen gerecht und heilig, nicht weil er das in seiner natürlichen Ausstattung als eine habituelle Eigenschaft besitzt, sondern weil Gott ihm ständig aufs neue im Wort diese Gerechtigkeit schenkt". Dadurch schafft Gott kontinuierlich die imago Dei des Menschen. Es ist nun völlig klar geworden, daß die Gottebenbildlichkeit und die „iustitia originalis" für Luther „de essentia hominis" und gleichzeitig auch eine Gabe von Gott ist - das Erstere aber nur durch das Letztere. Alles insgesamt ist göttliche Gnade, aber auch menschliche Natürlichkeit: Gnade und Natur, Göttliches und Menschliches ineinander und gleichzeitig. Luthers Auffassung läßt sich noch stärker herausarbeiten, wenn man sich klar macht, welche Gefahren dieser Sicht drohen. Einerseits kann man den Naturgesichtspunkt unterschätzen und die Relationsbetrachtung das Entscheidende sein lassen, so daß das Göttliche in der imago Dei sich verflüchtigt und zu einer bloßen Möglichkeit ohne irgendeine eigentlich konkrete Entsprechung in dem faktischen Menschen reduziert wird. Andererseits kann man der Versuchung erliegen, die imago Dei mit der menschlichen Natur zu identifizieren, so daß das Gottesbild zu einer vom Glaubensverhältnis gelösten metaphysich gefaßten Substanz wird, zu einer Gerechtigkeit, über die der Mensch selbst verfügte und die nicht dauernd von Gott empfangen werden müßte. Luther will sowohl den Schöpfungs- wie den Inkamationsgedanken bewahrt wissen, die ja im Grunde die gleiche Sache besagen: wenn Gott mit dem Menschlichen in Kontakt tritt, tut er das wirklich und persönlich, aber ohne daß einer von ihnen verdrängt oder verwandelt würde. Dies ist auch bezeichnend für Luthers Auffassung von der imago Dei. Das Geschaffensein des Menschen zum Ebenbild Gottes wird von Luther als ein „opus Dei singulare" bezeichnet; er ist „singularis creatura D e i " D a s einzigartige seiner Stellung zeigt sich in seinen Möglichkeiten, als Diener Gottes das dominium auszuüben, das er ihm verliehen hat. Unter den Kennzeichen des Menschen werden „intellectus", „anima rationalis" von Luther am häufigsten erwähnt. „Ratio" versteht Luther auf " Dieses Verständnis des Wortes als des entscheidenden Faktors in der Beziehung von Gott und Mensch trat ja deutlich im vorigen Kapitel hervor, muß aber auch hier betont werden. Die Rolle des Wortes ist auch ein Zeichen der besonderen Schöpfung des Menschen und seiner Stellung als imago Dei. Unter dem mandatum Dei lebt er dauernd in dieser Realität, wird von der Forderung des Glaubens und Dienstes getroffen und erhält teil an der „vita spiritualis". Darum hat Gott dem Menschen das Sabbatsgebot und den Gottesdienst gegeben und ihn zum Gebet und „exercitium verbi" ermahnt; 42, 60, 5 - 6 1 , 3 2 [Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) gibt eine zusammenfassende Darstellung hiervon; ib. 79, 20 f f 1 0 8 , 82 f f . Vgl. auch Luthers Auffassung vom Baum der Erkenntnis als einem Tempel Adams, in dem der Mensch im Paradies Gemeinschaft mit Gott hatte; oben Kap. I А : г , Anm. 1 5 . "
42, 46, I i und 3 3 , 17 f. (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ] .
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die gleiche doppelte Art, wie Mensch und imago Dei überhaupt, sowohl als das höchste Menschliche, „principalis pars hominis", wie als etwas Göttliches, „divinum qüiddam"40. Dies gilt eindeutig nur von der „ratio recta", denn wie alles andere ist auch die Vernunft durch die Sünde verdorben und fehlgerichtet. Die Ausstattung mit Vernunft ist eine notwendige Voraussetzung für den Menschen sowohl in seiner Gemeinschaft mit Gott, um sein Wort zu hören und aufzufassen, wie in seiner Herrschaft über die Umwelt, um im Verhältnis zum Nächsten und zu den Dingen recht zu urteilen und zu handeln. Genau wie Gott dem Menschen eine Sonderstellung verliehen hat, indem er ihn zu seinem Bilde schuf, so hat er ihn durch die Gabe der Vernunft zum Herrn über die ihm unterworfene Natur gemacht. Die Vernunft ist die „gubernatrix", die den Menschen lehrt, Tage und Monate zu zählen, alle Künste zu entdecken und alle Wissenschaften zu verstehen. Sie ermöglicht es ihm auch, Frieden und innere Ordnung zu fördern und wirklich Gottes Gebot: „Dominamini" nachzuleben". Wenn der Mensch nun vor den Geboten Gottes steht und seinen Willen realisieren soll, sind demnach zwei Dinge für seine Situation charakteristisch: er hat volle Freiheit bei der praktischen Ausübung seines dominium und kann es nach bestem Wissen unter Gottes Führung im Vertrauen auf das Wort ausüben. Dadurch kann er zum Diener Gottes werden, der in seinem Sinne handelt und doch freie Aktivität entfaltet. Das mandatum Dei begegnet dem Menschen in der lex naturae, die sich in unzähligen Zusammenhängen, ständig wechselnden Situationen und dauernd neuen Umständen manifestiert. Aber der Inhalt, die Zielsetzung ist die ganze Zeit über dieselbe: Gott über alle Dinge lieben und seinen Nächsten als sich selbst, nach der goldenen Regel leben". Hieraus folgt sowohl die Gebundenheit an Gott wie die Freiheit, seine Gebote im Einklang mit den Anweisungen der Vernunft in die Vielfalt des praktischen Lebens umzusetzen. Die Richtschnur für die ratio, d.h. die Vernunft, die unter der Führung des Geistes Gottes im Wort steht und in jedem Augenblick von seiner 40 39 I, 175; 3-21 [Disp. de homine 1536), wo Luther eine sehr klare Darstellung gibt;. „Recta ratio est prindpalis pars hominis et merito vocatur differentia essentialis, quod discernit hominem a pecudibus", ib. 180, 16 f.; „Homo, ratione animae Dei imago", 1, 145, 10 CQuaestio de viribus et voluntate hominis 1516); 18, 741, 1 f. [De servo arbitrio 1525]; „Sumus homo rationalis, Ein vernunfftig thier", 34 II, 497, 12 (Pred. 1531 R.); 43, 285, 25-30 [Vöries, über 1. Mose 1535-45). " 42, 33, 16 ff., 34, 23 ff. [Vöries, über 1. Mose 1535-45]; siehe auch die voraufgehende Anm. Zur ratio in diesem Zusammenhang siehe u.a. Lau 1933, 44 ff., Olsson 1934, 48 ff., Hillerdal 1954, 81 ff., Bring 1955, 126 ff., Lohse 1958, im großen ganzen und besonders 55-82 und 119 ff., Hägglund 1959, 33 ff., Löfgren i960, 72 ff., Asheim 1961, 28 f f . - Eine auf angelsächsischem Boden vorliegende Untersuchung zur Stellung der Vernunft und der Philosophie in der Theologie Luthers - zudem die späteste ausführliche Monographie zum Thema - stammt von B. A. Gerrish: Grace and Reason 1962. " „Et lex naturae est, quisque habet deum, qui defendat se. Item quaecunque volueris etc. si volo, ut mihi benefiat, sie econtra. Sic in ein geschrieben in naturalem legem", 34 Π, 172, 1-3 [Pred. 1531 R.); 36, 338, 29-31 [Pred. 1532).
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Gnade lebt, ist die lex naturae, wenn man sie als ethische Grundkategorie versteht. Mit Hilfe des „Lichtes der Vernunft" soll der Mensch den Willen Gottes in Relation zur Schöpfung verwirklichen", aber im Gottesverhältnis hat die Vernunft keinen Raum. Luther unterscheidet daher zwischen „ratio inferior" und „ratio superior". W e n n die Vernunft das organisierende Prinzip für das nach unten gerichtete Handeln ist, das G o t t in der W e l t verrichtet haben will, ist sie etwas Gutes und ein A u s druck der imago Dei, denn dadurch wird dem Nächsten gedient und die Ordnung auf Erden aufrecht erhalten. W e n n aber der Mensch mit seiner Vernunft nach Gott greifen und ihn meistern will, ist sie keine recta ratio mehr. In Relation zu Gott kann ratio superior daher nur ein passives Durchdrungensein von seiner Gnade bedeuten - oder aber blasphemischen Übermut. Diese Haltung des Lauschens und Empfangens im Glauben bedeutet, daß der Mensch hellhörig ist gegenüber dem Willen Gottes und mit Hilfe der Vernunft jede gegebene Situation bedenkt und erwägt, um diesen Willen aufs beste auszuführen". Glauben und Vernunft, Theologie und Philosophie, sind daher nicht an sich Gegensätze - erst die V e r kehrung und der Mißbrauch durch die Sünde macht die ratio für Luther zur gottfeindlichen Macht - sondern am ehesten Ausdruck für die doppelte Relation des Menschen, die nach oben und die nach unten gerichtete: „sunt diversa, non contraria"". Alles Geschaffene, und damit auch die Ausstattung mit Vernunft ist „pro Christo et non contra Christum" und steht im Dienste und der cooperatio G o t t e s " . Gottes Handeln hängt mit den Werken des Menschen in seinem domi" 7, 5 5 ° , 3 5 - 5 5 1 , I i [Magnificat 1 5 2 1 ] . " 42, 107, 28-35 [Vöries, über 1 . Mose 1 5 3 5 - 4 5 ] ; »Sit sane, ut dividamus rationem in duas partes superiorem et inferiorem. Quanto rectius erat, inferiorem appellare, quae ad gubernandas res in Oeconomia et Politia apta est, et non iilam pecudinam delectationem, Superiorem autem, qua speculamur seu contemplamur ea, quae extra Politiam et Oeconomiam sunt et ad religionem pertinent ostensam verbo, ubi nihil operamur, sed tantum discimus et contemplamur?", ib. 138, 1 5 - 2 1 ; ib. 347, 40 f f . ; 16, 354, 3 - 5 [Pred. über das 2. Buch Mose 1524-27 R . ) ; 17 II, 29, 7 - 1 9 (Fastenpostille 1 5 2 5 ] ; Sed cum superioribus agere, id est cum deo, non permisit deus unquam nec permittit . . .", 1 1 , 287, 1 - 1 4 CM. Lutheri ad Brismannum epistola 1 5 2 3 } . Siehe auch in De servo arbitrio 1525, z.B. 1 8 , 638, 5 - 1 1 , 7 8 1 , 8 - 1 3 . Jedermann kann über die Glaubensartikel nachdenken, aber die ganze Wahrheit fassen kann nur der Glaubende: 39 II, 1 5 , 4-9. [Verbum caro factum est 1539 A . ) " Siehe hier u.a. die Disputation „Verbum caro factum est" 1539: „Theologia, incarnatio, iustificatio sunt supra et extra rationem et philosophiam. Philosophi concedunt Deo omnipotentiam extra se in rebus conditis", 39 II, 1 3 , 28 f f . (В.); „Hoc dicimus, quod non contradicit theologia philosophiae . . .", ib. 1 4 , 8 f f . CA.]; „Aliud verum in theologia, aliud in philosophia", ib. 16, 20 f . СВ.); „Philosophie et theologia habent diversum subiectum. Ergo non pugnant inter se. R. Sunt diversa, non contraria", ib. 26, 2 9 - 3 1 [ В . ] . Vgl. Hägglund 1955, I i f f . , 97 f f . w 39 II, 15, 1 9 - 1 6 , 3 [Verbum caro factum est 1539 Α . ) . Der Cooperatiogedanke spielt eine große Rolle bei Wingren 1952, siehe besonders 86-95; e r ist bei Seils 1962 das zentrale Thema und wird dort unter mehreren Aspekten beleuchtet; siehe auch G . Buchwald, Luther über die Welt als „Mitwirkerin Gottes", Luther 1 9 4 1 , 49-73 und Asheim 1961, 1 6 5 - 1 7 9 . - Hier haben wir bisher die Sünde nach Möglichkeit außer Betracht gelassen, da wir jetzt in erster Linie einige prinzipielle Erwägungen anstellen
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nium zusammen, so w i e das mandatum D e i mit der ratio und libertas in externis. G o t t handelt nicht „immediate" und „absolute", sondern „per instrumentum", „per creaturas", „per h o m i n e s " " . D a s ist bei Luther nicht nur instrumental gedacht, sondern vor allem inkarnatorisch. D e r Schöpfer steigt im W o r t herab in die W e l t der Schöpfung und nimmt Gestalt an in menschlichen Verhältnissen: „Deus humana larva i n d u t u s " " . E r vollführt sein W e r k nicht nur durch menschliche Dinge und Anordnungen, sondern er ist selbst dort, in diesen larvae, facies, vestigia, apparitiones Dei, w ä h r e n d gleichzeitig diese menschlichen Verhältnisse doch auch ihre Menschlichkeit b e i b e h a l t e n " . G e r a d e dort ist G o t t wirksam. A l l e s G e schaffene sind larvae Dei, durch die G o t t gegenwärtig ist und immer noch wirkt. M i t großer Erzählerfreude malt Luther in Einzelheiten aus, w i e G o t t e s Schöpfung weitergeht: die E r d e schenkt Ernten, die Blumen erfreuen durch ihre Schönheit, die T i e r e pflanzen sich fort. E r läßt die W o l l e der S c h a f e w a c h s e n und macht mit Hilfe des Menschen W e i d e r daraus, er melkt die K ü h e durch diejenigen, w e l c h e diese A r b e i t haben u s w . 5 0 N a c h G o t t e s mandatum w e r d e n ständig neue Menschenleben geschaffen, u n d G o t t bedient sich der Menschen, die er „in potestatem wollen. Dabei ist es, wie schon mehrfach betont wurde, vor allem von Interesse, die grundlegende, bereits in der Schöpfung gegebene, inkarnatorische Relation von Göttlichem und Menschlichem herauszustellen. Daß eine solche Relation auch in der Welt der Sünde besteht, ist für Luther ganz klar. Auf imago, cooperatio usw. kommen wir daher noch mehrfach zurück, zuerst schon im nächsten Abschnitt. 17 5, 169, 5 f. [Operationes in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ) ; 42, 455, 27; 43, 106, 18 f. [Vöries, über i. Mose 1535-45); ib. 68, 17-73, 23, wo Luther die Spekulationen der Scholastik und den Satz der Schwärmer: „nullum externum prodest ad salutem", 70, 35 f., kritisiert. Allen spiritualistischen Vorstellungen gegenüber behauptet Luther die Bedeutung und die Notwendigkeit der äußeren Dinge auch in der Beziehung zu Gott - in der Schöpfung und in der Kirche. Diese sakramentale, antispiritualistische Auffassung ist auch hier von grobem Gewicht: „ . . . Vult enim Deus gubernare mundum per Angelos et homines, creaturas suas, tanquam per sua ministeria, sicut lucem dat per solem, per lunam, etiam per ignem et candelas. Hic etiam poteras dicere, nulla externa res prodest: Sol est res externa: ergo nihil prodest, hoc est, non lucet, non calefacit etc. Tarn fatuum argumentatorem quis ferret? Manet igitur regula, de qua supra etiam dixi, quod Deus non amplius vult agere secundum extra ordinariam, seu, ut Sophistae loquuntur, absolutem potestatam: sed per creaturas suas, quas non vult esse otiosas", 7 1 , 1-9. Der Schöpfungsglaube, der Gedanke an die larvae und die cooperatio, hängt also eng mit der Vorstellung von den „äußeren Dingen" zusammen, wie wir sie am besten aus den Abendmahlsschriften kennen. Dieser inkarnatorische Zug ist durchweg kennzeichnend für die Theologie Luthers. • " 16, 549, 5 (Pred. über das 2. Buch Mose 1524-27 Bugenhagen); Als Gott mit Kain redet und im Zorn über ihn kommt, geschieht das durch Adam, „per Spiritum sanctum et in persona Dei", 42, 209, 4-24 (Vöries, über 1. Mose 1535-45); siehe auch vorige Anm. 10 „Universa autem creatura est facies et larva Dei", 40 I, 174, 13 f. (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.); „Und summa, alle creaturen sind Gottes larven und mumereyen", i 7 l l , 192, 28 f. (Fastenpostille 1525); 15, 373, 5 - 1 7 (Ausleg. des 127. Psalms 1524); 43, 276, 27-42; 44, 129, 3-29 (Vöries, über 1. Mose 1535-45). 15, 368 f. (Ausleg. des 127. Psalms 1524); 17 I, 414-418 (Pred. 1525 R.); 44, 6, 23 f. (Vöries, über 1. Mose 1535-45). Siehe Wingren 1952, 19 f., wo diese Hinweise zu finden sind.
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divinam" einsetzt, um Kinder zu zeugen, zu gebären, zu ernähren und zu e r z i e h e n E l t e r n und Obrigkeit, alle Stände und Ämter, sind „durch sein befehl und Ordnung" gesetzt, einander zu dienen, „herrn Gotts larven" zu sein in all ihren Beschäftigungen und Berufungen, „an Gottes stad" zu sein, um in seinem Namen seine Gaben auszuteilen". Das ist gewißlich eine „creatio continua", das fortgesetzte Werk des Schöpfergottes, das in der Arbeit des Menschen und durch sie weitergeführt wird. Gott hat die Welt nicht sich selbst überlassen wie ein Baumeister, der seinem fertig gebauten Haus den Rücken kehrt oder ein Schiffbauer, der das Steuer einem anderen übergibt". Er verweilt vielmehr, bleibt in seiner Welt, erhält sie, bewahrt sie und schafft aufs neue. „Est autem conservare idem quod continue creare"". Und in all dieser Wirksamkeit ist der Mensch der cooperator Dei. Gott wohnt zwar im Himmel, „über leib, über geist, über alles", aber er steigt auf die Erde herab und ist „gantz und gar ynn allen creaturn und ynn einer iglichen besondern . . . tieffer, ynnerlicher, gegenwertiger denn die creatur yhr selbs ist"". Daher ist Gott in der menschlichen Tätigkeit und Amtsausübung real gegenwärtig. Wieder merken wir, wie das Inkarnationsdenken bei Luther durchbricht: „Qui igitur est in regimine est quasi incarnatus Deus"". Die Vorstellung von der Welt als einer " 47/ 853, 18-28 [Pred. 1539]; ίο II, 304, 2-5 [ V o m ehelichen Leben 1522); „Sic pater est instrumentum generandi, Deus autem est f o n s vitae et auctor . . . Maritus et uxor in d o m o instrumenta sunt, per quae Domus et res familiaris augetur", 40 III, 210, 37-211, 14 [In X V Psalmos graduum 1532-33 D r . ) ; 23, 513, 21-29 [ D e r Prophet Sacharja ausgelegt 1527); 42, 95, 1-34 (Vöries, über 1. Mose 1535-45). Ein reichliches Belegmaterial f i n d e t sich bei Asheim 1961, im Kap. „Die Erziehung in der Familie", 43-66. 02 „Denn ob uns gleich sonst viel guts von menschen widderferet, so heisset es doch alles von Got empfangen, was man durch sein befehl u n d Ordnung empfehet. Denn unsere eitern, u n d alle oberkeit, dazu ein yglicher gegen seinen nehisten, haben den befehl, das sie uns allerley guts thuen sollen. Also, das wirs nicht von yhm, sondern d u r c h sie von G o t t empfahen. Denn die creaturn sind nur die h a n d , röhre u n d mittel, dadurch G o t t alles gibt, wie er der mutter brüste u n d milch gibt, d e m kinde zureichen, k o r n u n d allerley gewechs aus der erden zur narung, welcher güter keine creatur keines selbs machen kan . . . " , 30 I, 136, 4 f f . [ G r o ß e r Kat. 1529); ib. 147, 33 f f . [die Auslegung des vierten Gebotes); ib. 204, 4 f f . [die Auslegung des vierten Gebetes); 31 I, 436, 7-19. (Ausleg. des 147. Psalms 1532); 40 I, 175, 17-19 (In epistolam ad Galatas 1535 D r . ) . Siehe auch Wingren 1952, 92 f f . und Seils 1962, 163 f f . " 46, 558, 20-559, 16 (Ausleg. des 1. u n d 2. Kap. Joh. 1537-38); 40 III, 232, 17-21 (In X V Psalmos graduum 1532-33 D r . ) ; 12, 441, 2-7 (Pred. 1523); „Wir sehen teglich f ü r äugen, das noch ymerdar allerley geschaffen wird", 24, 61, 21 (Pred. über das 1. Buch Mose 1527). Siehe Löfgren i960, 37 f f . 54 9, 66, 29-32 (Randbemerkungen Luthers zu P. Lombardus 1510-11); 43, 233, 24 f. (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) . 113 Zu diesen wichtigen Gedanken der Inkarnation u n d Ubiquität siehe 23, 133-139, hier besonders 137, 25-33 ( D a ß diese W o r t Christi . . . 1527). Vgl. E. Seeberg I 1929, 182 f f . " 43, 514, 8 f . (Vöries, ü b e r 1. Mose 1535-45); „gubernatio est divina quaedam virtus, ideoque vocat Deus Magistratus omnes Deos, non propter creationem, sed propter administrationem, q u a e est solius Dei", ib. 514, 6-8; „Ideo positi sumus ad varia o f f i t i a administranda, u t simus adiutores, seu 'cooperatores D e i ' " , ib. 81, 21 f.; „Deus quidem facit omnia, sed debemus nos quoque, quae nostrae vocationis sunt, facere . . . Dei enim m a n d a t u m est, u t facias t u u m offitium et ipse puer te vult operari", ib. 82, 36-40; „In
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Unzahl v o n larvae D e i und von den M e n s c h e n als cooperatores Dei, die in ihrem dominium die Macht erhalten haben, G o t t e s W e l t z u ordnen und z u lenken, ist bei Luther eng verknüpft mit dem G e d a n k e n v o m herabsteigenden, sich erniedrigenden und inkarnierten G o t t . In beiden Fällen handelt G o t t durch sein W o r t , und das W o r t ist G o t t in seiner allgegenwärtigen M a c h t hier auf Erden 5 7 . Daher ist es ganz folgerichtig, daß alle Berufe, Stände und Ordnungen im dominium des Menschen in das mandatum D e i eingeschlossen und damit göttliche Ordnungen s i n d " . Andererseits m u ß man doch auch unterscheiden zwischen Göttlichem und Menschlichem, zwischen larvae Dei und D e u s ipse, sonst gerät man in Unglauben und G ö t z e n d i e n s t " . D i e cooperatio D e i läßt sich - das w u r d e bereits angedeutet - auf zweierlei A r t beschreiben. Einmal ist sie wirklich eine Zusammenarbeit Annibale magnus animus et singularis industria est . . . In Alexandre) sunt maiora dona . . . Sed istae quasi larvae sunt, quas solas videmus: Gubernationem divinam: qua aut stabiliuntur imperia, aut evertuntur, non videmus", 42, 507, 16-19 С Ib.). " „Wir wissen aber das gotts gewalt, arm, hand, wesen, angesicht, geist, Weisheit etc. alles ein ding sey, Denn ausser der Creatur ist nichts, denn die einige einfeltige Gottheit selbs, Und ist on zweifei, also fur der Creatur scheppfung Gotts gewalt und hand, Gotts wesen selbs gewesen, so wird sie nach der Creatur schepffung nicht ettwas anders worden sein. Er macht ia nichts denn durch sein wort Gen. 1. Joh. z. das ist seine gewalt. Und seine gewalt ist nicht ein beyl axt, segen odder feylen, da durch er wircke, sondern er selbs. Ist nu seine gewalt, und geist allenthalben und ynn allen dingen . . . so mus sein gottlich rechte hand wesen und maiestet auch allenthalben sein", 23, 138, 12-23 [Daß diese Wort Christi . . . 1527); „Ubi verbum dei, vere potentia adest dei . . . Sic: dico verbum externum esse potentiam dei", 27, 76, 28-32 (Pred. 1528). " Einen ungewöhnlich sprechenden Ausdruck für diesen Gedanken bei Luther: daß das immer tätige Wort das Leben selbst schafft und trägt und in sich eine Begegnung, ein Zusammengehen zwischen Gott und den Menschen leistet, finden wir in der Genesisvorlesung: „Ideo enim Deus nobiscum loquitur, et agit per ministros verbi, per parentes, per magistratus, ne dreumferamur quovis vento doctrinae. Liberi audiant parentes, cives audiant Magistratum, christianus Parochum et ministros verbi, disdpulus praeeeptorem. Extra hoc verbum omnis vita damnata est, et omnes sectae perditae. Siu adest verbum, tum habeo certam consolationem: Sive sum pater, sive mater, sive filius, audio verbum, et sdo, quid credere et quid facere debeam Deus enim mecum quoque loquitur in ipso statu vitae, in quo vivo" (NB! den Berufsgedanke!), 43, 478, 8 - 1 5 (Vöries, über 1 . Mose I 5 3 5 - 4 5 ) · Siehe wiederum die hier sehr klare Auslegung des 82. Psalms 1530: .Aber über Gottes wort sollen sie nicht. Denn Gottes wort stifftet und macht sie zu Göttern und w i r f f t alles unter sie", 3 1 1 , 195, 36 f.; ib. 216, 1 - 1 2 ; 7, 545, 1 f . (Magnificat 1521); 16, 548, 7 - 1 6 (Pred. über das 2. Buch Mose 1524-27 R.); 34 II, 228, 6-8 (Pred. 1531 R.]· Als Luther in einer Tischrede über die Ehe und die elterliche Autorität spricht, sagt er - und das ist für die Zusammenschau von Göttlichem und Menschlichem im Wort bezeichnend: „Quos Deus coniunxit, hoc significat, quod Deus heyst hie Got nit im himel, sed Gotts wort, sdlicet oboedire parenti et magistratui. Was sol Got sonst sein? Deus non coniungit, quod fit sine consensu patris, et quod ego iubeo et praedpio filiae meae, hoc Deus ei praedpit . . . Ergo Gott heyst Gotts wort, sicut apud Iohannem: Et Deus erat verbum . . . Autoritas enim parentum est divinitus", TR I, 180, 19-30 (Veit Dietrich). ** Den bekanntesten Ausspruch Luthers hierzu finden wir im Galaterbriefkommentar 1535: 40 I, 174, n - 1 7 5 , 2 4 (Dr.), der im nächsten Abschnitt eingehender behandelt werden wird. 90 Vgl. Seils 1962, 169: „Unser Mitwirken mit Gott ist mehr als nur ein Wirken Gottes
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Gott wirkt cum nobis; willig und bewußt stellt sich der Mensch in den Dienst Gottes, im Vertrauen auf seine Hilfe und Führung und in Gehorsam gegenüber seinen Geboten. Diese cooperatio ist nur im Urzustand und bei dem wiedergeborenen Christen im Glauben möglich. Es handelt sich einmal u m eine cooperatio, die im Verborgenen geschieht, ohne daß der Mensch bewußt in Gottes Sinn wirkt. Er führt das Seine aus, wie wir gerade von Luther hörten, und zwar oft unter Zwang und Widerstand, und dabei wirkt G o t t ebenfalls das Seine. Diese cooperatio, die nicht Zusammenarbeit in demselben Sinn ist - Gott wirkt am ehesten nur durch uns - ist ja die übliche in der Welt der Sünde, wo der Mensch dem Werke Gottes gegenüber blind ist. „In statu integritatis" ist die cooperatio gleichzeitig von Willigkeit und Beeinflussung, Selbstverständlichkeit und Verborgensein geprägt, aber ohne Sünde. „Cooperatores enim sumus Dei". Dieser Satz ist also vieldeutig 91 . Bei Luther gehören demnach Inkarnation und Verborgenheit immer zusammen. W e n n G o t t durch die Schöpferkraft des Wortes menschliche Gestalt annimmt in der Vielfalt der Geschichte und der Berufe, ist das j a von einem Gesichtspunkt ein Hervortreten Gottes, eine „revelatio Dei". Gleichzeitig wird Gott dadurch incarnatus, in menschliche Kleider und Masken gehüllt und nur indirekt wirksam durch die cooperatio. Er verbirgt sich dann im „opus alienum et contrarium" und ist der Deus absconditus, schwer zu entdecken und leicht zu übersehen in aller Vielfalt, Zufälligkeit und Unbeständigkeit des konkreten Menschenlebens". Die Menge der Gedanken, die uns in diesem Abschnitt begegneten, wollen wir abschließend zusammenzufassen versuchen, indem wir einen be-
'durch uns', . . . Gottes Wirken 'per nos' immer auch ein Wirken 'cum nobis'. Selbst als Röhren, Larven und Instrumente bleiben die Geschöpfe doch lebendige Wesen 'mit' denen Gott zusammenwirkt". Seils unterscheidet auch eine instrumentale cooperatio, mit dem Menschen als „Werkzeug" und larva, und eine cooperatio, die wahrhaftig „ein Mitwirken" bedeutet und die als „Glaubensfrüchte" bezeichnet werden kann, siehe 77-85, 187 f . 01 4, 6 1 , 18 f . (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) . Vgl. Lau 1933, 136 f f . , Wingren 1952, 96 f . , Krumwiede 1952, 103 f., Seils 1962, 61 f f . , 99 f f . , und hier u.a. im nächsten Abschnitt. i , 1 1 2 , 25 [Sermone 1 5 1 4 - 1 7 } . Der scheinbare Gegensatz zwischen dem Unausweichlichen und Notwendigen im Willen Gottes und dem Veränderlichen und Zufälligen in der Auswirkung dieses Willens in der Welt ist von Luther in De servo arbitrio 1525 beschrieben, 1 8 , 6 1 5 , 3 1 - 6 1 6 , 12; „Also das es alles widdersynnisch gehet, was Gott machet", 24, 569, 3 1 (Pred. über das 1. Buch Mose 1 5 2 7 ] ; dies ist ja ein Grundgedanke auch in der Magnificat-Auslegung von 1 5 2 1 , aber dort ist wie in den meisten Aussagen über das „opus alienum" die Realität der Sünde entscheidend f ü r das Verständnis des verborgenen Handelns Gottes, während wir hier vor allem die Seite der Verborgenheit im Auge haben, die sich in der Tatsache zeigt, daß Gott mitten in dem menschlichen Vielerlei handelt und ist; vgl. J . Müller-Bardorff; Geschichte und Kreuz bei Luther 1938, 14: „Gottes Gottheit verbirgt sich 'in, mit und unter', hinter der Maske des Widerspiels". Siehe auch die ausgezeichnete Darstellung bei H. W. Krumwiede, Usus legis und usus historiarum, K u D 1962, 238 f f . , w o der Vermittlungszug und die Verbindung von Gottes Wort und der Gestaltung der Geschichte klar hervortreten.
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kannten Text aus der Vorrede zu Joh. Lichtenbergers Weissagung von 1 5 2 7 heranziehen"3. Luther spricht hier vom Handeln Gottes und stellt fest, daß Gott einerseits „alleine alles gemacht hat, auch selbst alleine alles regiret", andererseits aber gleichwohl Engel und Menschen gebrauchen will, „durch wilche er wil regiren, das wir mit yhm und er mit uns wircke". Gott führt also zwar vieles sine nobis aus, ohne unsere Kenntnis und Mitwirkung, heimlich und still, aber er will in der Welt der Schöpfung auch die Schöpfung selbst verwenden und per nos, in nobis und cum nobis wirken. Die Distinktion zwischen Gottes „Alleinwirken" und seinem „Zusammenwirken" hat Entsprechungen an vielen Stellen in Luthers Werk, z.B. im Magnificat von 1 5 2 1 , wo er unterscheidet zwischen dem Werk, das Gott mit seinem Arm ausführt und dem, das er „durch mittel der creaturn" wirkt". Diese Unterscheidung ist wichtig, darf aber in unserem Zusammenhang nicht übertrieben werden. Denn wenn Gott sine nobis und mit seinem Arm handelt, bezieht sich das für Luther nicht in erster Linie auf das, was Gott vor und außerhalb der Schöpfung tut - was ja häufig zu unnützen und gefährlichen Grübeleien über den Deus nudus führen kann - sondern auf das, was Gott in der Schöpfung tut, jedoch entgegen allen Berechnungen und Erwartungen. Wenn er gewöhnliche Menschenkraft als Mittel verwendet, ist der Ereignisablauf wenig aufsehenerregend, aber wenn er mit seinem Arm handelt, erscheint es paradox und wunderbar; dann ist der Kraftlose siegreich und der Mächtige wird zunichte. Und dies geschieht, wenn nach menschlichem Ermessen alle Möglichkeiten erschöpft sind, und ist insofern ein Geschehen sine nobis. Aber nichts desto weniger ist das Handeln Gottes inkarnatorisch und geschieht mitten in irdischen Dingen und Angelegenheiten und durch sie, ja im Schwächsten und zutiefst Menschlichen. Der Gegensatz sine - cum hat also einen begrenzten Inhalt. Denn auch wenn Gott durch Menschen als seine larvae und cooperatores handelt, handelt er im eigentlichen Sinne „allein" und wirkt selbst alles in allen05. Das drückt Luther in unserem Text so aus: 03
23, 8, 26-9, 4 [Vorrede zu Joh. JJchtenbergers Weissagung 1 5 2 7 ) . 7, 585 f. Siehe hierzu H. W . Beyer, Gott und die Geschichte nach Luthers Auslegung des Magnifikat, LuJ 1939, 1 1 0 - 1 3 4 , Wingren 1952, 121 f., Bandt 1958, 103 f f . und Seils 1962, 172 ff. 05 „Solus quidem operatur ipse, sed per nos", 44, 648, 30 f. [Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 45]/ ..· · · unsers Herr Gottes mummerey . . . , darunter her selbs alleyne wircke und ausrichte was wyr gerne hetten", 15, 373, 7-9 [Ausleg. des 127. Psalms 1524]; 12, 442, 1 f f . [Pred. 1523); vgl. auch die bekannte Stelle in De servo arbitrio, wo Luther konstatiert, daß sowohl die Schöpfung wie die Erneuerung des Menschen geschieht „sola voluntate omnipotentis virtutis et bonitatis Dei" und „sine nobis"; zugleich aber sagt er: „non operatur in nobis sine nobis . . . ut in nobis operatur et nos ei cooperaremur, sive hoc fiat extra regnum suum generali omnipotentia, sive intra regnum suum singulari virtute spiritus sui . . .", 18, 754, 1 - 1 7 . Hier und weiterhin ist der entscheidende Punkt die Gleichzeitigkeit, daß nämlich eine Handlung, von einer Seite gesehen, ganz göttlich erscheint, von einer anderen aber ganz menschlich, und dies auf einmal. In Seils nuancierter, ausgezeichneter Darstellung des cooperatio-Gedankens hätte dieser simul-Zug stärker betont werden können. Dieser Mangel bei Seils hat seinen Grund einmal darin, daß der abscon-
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„wol kundte er weib und kind, haus und hof on uns regiren", wohl könne er die Welt „on könige, fursten, herrn und richter" lenken, und Gott tut dies auch „selbs", aber gleichwohl „durch uns". Luther unterstreicht, daß „wir nur seine larven sind, unter wilcher er sich verbirget und alles ym allen wirkt". Daher ist Gott gewißlich der Allmächtige, aber er läßt die Menschen teilhaben an seinem dominium und läßt sie cooperatores sein: „Also braucht er uns menschen beyde ynn leiblichem und geistlichem regiment". Der absconditus-Zug und der cooperatio-Gedanke sind hier eng miteinander verbunden. Nur dadurch, daß und weil Gott sich maskiert, inkarniert wird, kann von einer cooperatio die Rede sein, denn „in hac enim vita non possumus cum Deo agere facie ad fadem"". Wenn Gott sich verbirgt und z.B. Menschen Kinder hervorbringen läßt, dann sind Menschen wirksam, „und er thuts doch unter solcher larven verborgen". Andererseits kann Gott auf diese Weise verborgen sein, eben weil es in dieser Welt eine cooperatio gibt. Daher: „du must arbeiten und damit Gotte Ursachen und eine larven geben"". So bleibt Gott souverän und frei in seinem Handeln, während er sich gleichzeitig dadurch bindet, daß er in Verborgenheit und Menschlichkeit herniedersteigt, gleichzeitig im „Alleinewirken" und im „Zusammenwirken"". 2. Die Verkehrtheit und der Mißbrauch Wir fanden, daß Luther den Sündenfall des Menschen als ein Verbrechen am Wort und der darin geschenkten Gemeinschaft von Gott und Mensch beschreibt. Dieser wollte sich nicht mit einem mandatum begnügen, das Gott im Verborgenen und ihn selbst in Ungewißheit beließ. Er isolierte dieses Wort, machte sich zum Herrn darüber und wollte dadurch werden sicut Deus. Das war eine Folge vom Aufruhr und Abfall des Teufels und ditus-Gedanke zu wenig beachtet wurde, und zum anderen darin, daß dem für die cooperatio typischen Verhältnis von Göttlichem und Menschlichem keine hinlänglich vielseitige Behandlung zuteil wurde, z.B. in bezug auf die Christologie und die meritumVorstellung. - Hierauf wie auch auf die Stelle in De servo arbitrio werden wir zurückkommen. 80 40 I, 174, 12 f. (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.], 07 3 1 1 , 436, 15-19 (Ausleg. des 147. Psalms 1532). "* „Alle creaturen sind Gottes larven und mumereyen, die er will lassen mit yhm wircken und helffen allerley schaffen, das er doch sonst on yhr mitwircken thun kan und auch thut, Auff das wyr blos an seynem wort alleyne hangen", 17 II, 192, 28-31 (Fastenpostille 1525]. - In bezug auf den Terminus „Alleinewirken" muß man unterscheiden zwischen dem Alleinewirken, das wirklich „sine nobis" geschieht, ohne daß der Mensch an irgendeinem Punkt am Geschehen beteiligt ist, weder operativ noch kognitiv, aktiv noch passiv, und dem Alleinewirken, das zwar auch sine nobis geschieht - creatio ex nihilo, recreatio ex nihilo - , wo aber der Mensch gleichwohl teilhat an dem, was in nobis und per nos geschieht; insofern ist das Geschehen non sine nobis und eine Form von cooperatio. Man kann dann auch mit Seils (174) von einem „Gegensatzwirken" sprechen, da Gott von einem Gesichtspunkt allein handelt, es aber sub contraria specie tut, durch das Schwache und Verachtete, das nur dem Glauben sichtbar ist. Verborgenheit, cooperatio und Inkarnation fließen hier zusammen.
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seiner Verführung des Menschen. Dieser war dazu geschaffen worden, als imago Dei seine Herrschaft auszuüben, jedoch nur in rebus inferioribus; er aber versuchte sein dominium auch über das auszudehnen, worüber zu herrschen Gott sich das Recht selbst vorbehalten hatte. Der Baum der Erkenntnis von gut und böse bezeichnete für die ersten Menschen auch die Grenze ihres dominium. Er ist für Luther der Tempel Adams und ein Symbol für Glauben und Gehorsam des Menschen. Als Eva unter Heranziehung von Vernunftgründen ihre Lage mit dem Teufel zu erörtern beginnt, ist die Versuchung, diese Grenze zu überschreiten und sich aus der Abhängigkeit von den Geboten Gottes loszureißen, die entscheidende. Der Baum der Erkenntnis lockte mit größerer Weisheit und Macht; warum sollte Gottes Befehl: „Dominamini" allem auf Erden gelten, nur nicht diesem Baum1? Der Fall bedeutete somit, daß der Mensch Gottes Verborgenheit durchbrechen wollte und zu einer Erkenntnis gelangen, die über das Wort hinausging. Er wurde dazu verführt, Gottes Befehl gering zu achten; das Wort wurde verfälscht und das Verhältnis von Göttlichem und Menschlichem wurde, wie wir sahen, ein anderes. Aber als der Mensch Göttlichkeit an sich reißen wollte, verlor er Gott, und als er sicut Deus zu werden suchte, wurde die imago Dei zerstört; als er nach der Weisheit griff, wurde seine „ratio illuminata" verdunkelt, und als er nach Freiheit und größerer Herrschergewalt strebte, wurde er an den Teufel gefesselt. Diese Folgen des Sündenfalls für die Situation des Menschen sind es, die wir jetzt bei Luther untersuchen wollen. Wir wollen dabei wiederum von Luthers Auffassung des Wortes ausgehen. Das Wort ist gleichzeitig Kommunikationsmittel und Ausdruck für Gottes Inkarnation. Das Wort erklingt und umschließt den Menschen, und wenn er im Glauben lauscht und in diesem Wort lebt, empfängt er Leben und Unsterblichkeit von Gott 2 . Ohne das Wort wäre der Mensch genau wie die übrige Schöpfung dem Tod und der Vergänglichkeit unterworfen. Daher ist das Wort ein Korrelatbegriff zu homo theologicus, homo coram Deo. Alle menschliche „dignitas" entspringt der Tatsache, daß Gott zu uns spricht als zu Personen, mit denen er Gemeinschaft haben will und von denen er Glauben und Zuversicht erwartet. 1
42, 1 1 5 , 1 - 1 1 6 , 28 (Vöries, über 1. Mose 1535-45]; .»Quasi dicat: Habetis universale dominium in omnes bestias, et scilicet Deus, qui universale hoc dominium in omnes bestias vobis tradidit, non tradidit simul omnes arbores . . . Sic gemina tentatio proponitur, qua tarnen Satan idem agit. Prima est: Deus hoc non dixit, Ergo licet ex arbore hac comedere. Secunda est: Deus dedit vobis omnia, Ergo habetis omnia: Ergo una haec arbor vobis non est prohibita etc. Tendit autem utraque ad id, ut a verbo et a fide abducatur Heua", ib. 1 1 5 , 25-39; ib. 120, 36-38; 18, 672, 1-6 (De servo arbitrio 1525). 2 „Dominus dedit verbum, darin er uns fassen wil, et econtra nos illum verbo", 20, 386, 4 f. (Pred. 1526]; „Deus hat sein gut ynn das gefast, non facit aliam viam ad nos, ut se nobis ostenderet, quam in verbo . . . " , ib. 498, 1 2 - 1 5 ; das Wort ist es, das uns die Wohltaten Gottes verkündigt: ib. 499, 12-16; das muß der Mensch stets aufs neue erfahren, daran muß er sich immer wieder erinnern - und dadurch die Gaben Gottes empfangen - und darum hat Gott dem Menschen den Sabbat gegeben, zum Hören und zur Übung des Wortes, 42, 61, 3-42 (Vöries, über 1. Mose 1535-45]. 7 - Nilssoa
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Wenn der Mensch das Wort beiseite schiebt und das mandatum Dei nicht achtet, fällt er in Sünde, in Unglauben und Ungehorsam. Was bedeutet das nun in bezug auf die imago Dei? Mit dieser Frage, durch die wir wesentliche Gedankengänge früherer Abschnitte miteinander vereinigen können, wenden wir uns einer aufschlußreichen Predigt über den Hauptmann in Matth. 8, 5 ff. zu 3 . Der Leitgedanke ist dort durchweg: „Sicut credis, ita habes". Die Relation zum Wort in Glauben oder Unglauben ist es, welche die Situation des Menschen entscheidet. Wenn der Mensch sich im Glauben zu Gott hält als sein Kind, weiß er nichts von Sünde und Gottes Zorn*; Adam spiegelte Gottes Herrlichkeit wider und war eine rechte imago Dei, Gott „fein ehnlich". Was geschah, als der Mensch in Sünde fiel, beschreibt Luther hier als eine Verkehrung des Wortes durch den Teufel, durch die der Mensch von seinem imago-Verhältnis zu Gott fortgelockt wird. Der Teufel setzt Gott eine Maske auf, wie Luther es ausdrückt, „der zöge unserm herr Gott ein larven an", und dadurch wird der Mensch verwirrt. Zuvor hatte er sich gesagt: ich habe einen Gott, ich bin sein liebes Kind und er ist mein Vater. Darauf hatte er sich verlassen und so war es um ihn bestellt gewesen: „Sicut cogitavit, erat". Aber jetzt faßte er Gott anders auf, und das beruhte darauf, sagt Luther, daß der Teufel das Wort verdreht, „kerts verbum umb". Der Mensch konnte Gott nicht länger als Vater und Freund betrachten, denn warum sollte er ihm dann verbieten, von der Frucht zu essen? Das Wort erscheint nicht mehr als die natürliche Lebensquelle des Gottesverhältnisses, sondern als ein schweres, von außen auferlegtes Gebot. Dem Menschen wird vom Teufel eingegeben, daß er das Recht und die Möglichkeit besitze, das Wort zu beurteilen, zu entscheiden, ob es ein Wort ist, das wirklich ernst genommen werden muß, und er findet, daß es ein Ausfluß des Neides und der Unfreundlichkeit Gottes ist. Nun wird alles anders, weil die Stellung des Wortes sich verschoben und sein Inhalt sich verkehrt hat. Das Wort wird zu etwas erniedrigt, was der Mensch zu beherrschen glaubt, über dessen Gültigkeit er bestimmt. Dadurch wird sein Bild von Gott verkehrt. Das beruht also darauf, daß er der Versuchung des Teufels erlegen ist und das mandatum Dei beiseite geschoben hat, er hat sich selbst hervorheben und Gottes Verborgenheit nicht anerkennen wollen. Diese Verborgenheit legt ihm nun der Teufel aus. Der Mensch ist es, der ein falsches Bild von Gott hat, ein Bild, das jetzt berichtigt werden soll, denn Gott ist eigentlich, will der Versucher sagen, ein neidischer Feind der wirklichen Freiheit und des echten Glücks des Menschen. Dieses teufliche Gottesbild malt er ihm aus, und der Mensch nimmt es an als ein richtiges Bild Gottes. Der Mensch ist dann nicht mehr Gottes Ebenbild im ursprünglichen Sinn, oder wie Luther es ausdrückt, er ist ein schlechter und falscher Spiegel, der 3
37, 451-461 (Pred. 1534 R.). * 454» ι ff·
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Gott verkehrt und unzutreffend widergibt. Das verfälschte Gottesbild kommt also daher, daß der Mensch ein „speculum falsum" ist5. Adam und Eva hatten sich davon überzeugen lassen, daß dieses demnach in Wirklichkeit verkehrte Gottesbild das richtige und wahre sei. Und wie Adam glaubte, so erging es ihm und so war sein Gott: „Sicut credidit Adam, so hat er, sicut in corde malet, so find er ihn" Gottes Bild ist aus dem Menschen verschwunden, denn der Gott, den dieses Bild zeigt, ist vom Teufel geprägt und trägt dessen Züge. Der Mensch kann sich daher Gott nur als einen bösen Gott, einen verschlagenen Gott mit Hörnern und feurigen Augen denken, wie Luther sagt7. Alles hängt also davon ab, ob der Mensch den Gott, dem er im Wort begegnet, recht auffaßt, ob er „richtig malt", „an deum vel diabolum facias". Die imago Dei ist verloren gegangen, denn „sicut credis, ita habes. Si vis me habere diabolum, habes"8. Wenn der Mensch die Erklärung des Teufels annimmt und an sie glaubt, hat er ihm einen Platz in seinem Herzen eingeräumt und ist damit eine imago diaboli geworden. Der Teufel wird sein Herr und er sein Sklave. Er ißt von der Frucht und flieht vor Gott aus Furcht vor seinem Zorn und dem Tod. Das ist der Fall. „Ibi amittit bild, quod deus ei creavit, und bildet sich jnn bild diaboli'". Dieser Gedanke kehrt häufig wieder: durch Adams Fall ist etwas verdorben und verschwunden, was den Menschen in der Schöpfung auszeichnete, stattdessen ist er nun durch und durch von etwas Teuflischem geprägt10. Was wir bisher von Luthers Auffassung des Sündenfalls in Relation zu dem Gedanken der imago Dei berichtet haben, ist eigentlich nur eine Anwendung dessen, was wir früher prinzipiell untersucht haben; es gibt uns sozusagen den von-unten-Aspekt auf das für das Verständnis sowohl der Schöpfung wie des Falls grundlegende Verhältnis von Göttlichem und Menschlichem. Wenn wir aber nun in dem hier Angedeuteten Luther so scheinbar unproblematisch behaupten hören, der Mensch habe das Gottesbild verloren und gegen die imago diaboli ausgetauscht, berühren wir damit einen Problemkreis, der teilweise neu ist und unbedingt erörtert werden muß. Luthers Sündenbegriff trägt zweierlei Gestalt, die Schwierigkeit ist, beide zu vereinigen. Einerseits spricht er von der Sünde als peccatum naturale oder essentiale, und kann dann kaum Worte finden, die stark genug sind, um die totale Verderbnis des Menschen zu charakterisieren. Die Natur sogar ist von der Sünde verdorben, ihr ursprünglich gutes s
452, 9 f455, ι f . 454, 9 f · , 455, 4 f • 455, 8-456, 4. 454, 9 f · „Imaginem dei peccans perdidit et diaboli imaginem induit", 14, 1 1 1 , 17 f . (Pred. über das i. Buch Mose 1 5 2 3 - 2 4 R . ) ; „Der Mensch mus ein bilde sein entwedder Gottes odder des T e u f f e l s , Denn nach wilchem er sich richtet, dem ist er enhlich", 24, 5 1 , 1 2 f . (Pred. über das 1 . Buch Mose 1 5 2 7 ) ; „Haec et similia mala sunt imago Diaboli", 42, 47, 22 (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) . ' ' " "
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Wesen hat sich in einer corruptio totius naturae zu einer bösen Natur gewandelt: „Natura enim tota corrupta est" 11 . Des Menschen Zustand ist nun von Geburt an von der Sünde gekennzeichnet, die ihm zur Natur geworden ist. Luther sagt: meine Sünde „ist die natur", „mein natur und art" 13 . Andererseits läßt sich die Sünde unmöglich mit der menschlichen Natur identifizieren oder als ein spezieller habitus oder eine besondere Qualität der Seele auffassen. Wenn die dem Menschen in der Schöpfung geschenkte Gerechtigkeit und gute Natur völlig gegen eine andere, sündige und ungerechte Natur ausgewechselt worden wäre, gäbe es keine Möglichkeit, eine Personenidentität zu behaupten. Adam vor dem Fall und Adam nach dem Fall ist unbedingt derselbe, sonst würde auch aller Rede von Schuld, Reue, Furcht unter Gottes Zorn usw. jede eigentliche Bedeutung fehlen. Luther betont ja auch mit Nachdruck, daß der Mensch zu Gottes Ebenbild geschaffen ist, und zwar auch nach dem Fall und ihm zum Trotz. Das Problem liegt also darin, wie man behaupten kann, daß einmal die Sünde eine radikale Sündenverderbnis bedeutet, die den totus homo umfaßt, daß aber andererseits der Mensch doch derselbe ist und weiterhin die Möglichkeit besitzt, Gemeinschaft mit Gott zu haben. Einerseits betont Luther den Totalitätsaspekt, andererseits scheint er doch irgendwie einer Kontinuität Raum geben zu wollen, einer Art Rest, wo die Gottesrelation hineinkommen und Gottes Wort noch Gehör finden kann. Der grundlegende Gedanke bei Luther ist also, daß die Sünde den Menschen in seiner Totalität umfaßt: Intellekt, Willen und alle Seelenkräfte sind total verkehrt und verdorben13. Die menschliche Natur ist vollständig gefallen, der Verstand ist verdüstert, so daß der Mensch Gott und seinen Willen nicht mehr kennt, der Wille ist irregeführt, so daß der Mensch nicht auf Gottes Wort und seine Barmherzigkeit vertraut, sondern ihn vielmehr f ü r c h t e t D e r Mensch hat nicht nur die Gemeinschaft mit Gott verloren, sondern steht ihm nun positiv feindlich gegenüber und ist in den Dienst des Teufels getreten. Er ist seinem natürlichen Zustand nach Sünder, in Sünde geboren und bis zum Tode der Sünde verhaftet. Das ist das peccatum originale, die Erbsünde, die den Menschen durch und durch prägt 15 . Der durch Unglauben, Ungehorsam und Auflehnung 11 39 I, 559» 14 f · ( D i e dritte Disp. gegen die A n t i n o m e r 1 5 3 8 ] ; „Est a u t e m originale m a l u m universa ipsa corruptio naturae", 1, 121, 26 [ S e r m o n e 1 5 1 4 - 1 7 ) . 1 2 12, 403, 6 - 1 5 ( P r e d . 1523); 18, 501, 3 1 - 3 4 [ D i e sieben B u ß p s a l m e n 1525). 10 „Peccatum originale" bedeutet den Verlust von „vniuerse rectitudinis et potentie omnium virium tarn corporis q u a m anime ac totius hominis interioris et exterioris. Insuper et pronitas ipsa ad m a l u m , N a u s e a ad b o n u m , f a s t i d i u m lucis et sapientiae, dilectio autem erroris ac tenebrarum, f u g a et abominatio b o n o r u m o p e r u m , C u r s u s autem ad m a l u m " , 56, 312, 9 - 1 3 [ V ö r i e s , über den R ö m e r b r i e f 1 5 1 5 - 1 6 ) ; 40 I, 293, 24-294, 21 [In epistolam ad G a l a t a s 1535 D r . ) . Siehe H . H . P f l a n z , „ E r b s ü n d e " bei Luther, Luther
1937, 97-112.
„ S e d p e c c a t u m originale est vere totus lapsus n a t u r a e h u m a n a e . . .", 42, 86, 18-23 [ V ö r i e s , über 1. M o s e 1 5 3 5 - 4 5 ) . 1 5 „Peccatum originale est ingenitum et perpetuo inhaerens m a l u m in nobis, faciens nos reos aeternae mortis, q u o d durat, donec hic vixerimus . . . Interim d u m vivimus, vivit et 11
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gegen Gottes Wort gekennzeichnete Sündenfall bestimmt nun das Dasein des Menschen. Alle diese Fehler sind ihm gleichsam eingepflanzt, sie sind wie ein Gift, das Leib und Seele, Gebein, Blut, Nerven und alles durchdringt". Der Gedanke der Erbsünde setzt voraus, daß die Sünde einmal etwas von Adam ererbtes ist und zum anderen einen Sündenzustand darstellt, eine wirkliche Verderbtheit in der Natur des Menschen. Durch Adams Fall steht der Mensch von seinem ersten Augenblick an unter der Herrschaft des Teufels und ist von Sünde, Tod und Verdammnis bestimmt1'. Das wird bei Luther oft massiv und naturalistisch formuliert, da er sich die Sünde mit der konkreten körperlichen Existenz des Menschen, mit Zeugen und Gebären, verbunden denkt. Der Mensch ist aus unreinem Samen geboren, seine Natur ist in ihrer Gesamtheit eine „massa perditionis" Dies ist der eine Gesichtspunkt hinsichtlich der Natur des Menschen nach dem Fall. Ihm zufolge ist somit der Mensch substantiell gesehen total verdorben, so daß man den Menschen theologisch geradezu als ein seinem Wesen nach sündiges Geschöpf definieren kann1". Mit diesen peccatum originale ...", 39 I, 95, 10-21 (Disp. de iustificatione 1536]; ib. 112, 15-21; „Naturalia sind in peccatis, totus in peccatis conceptus, natus et moriens", 40 II, 385, 2 f. (Enarratio Psalmi LI 1532); 46, 39, 20-40, 20 (Das XVI Kap. Joh. 1538). Der substantiate Charakter der Sünde, die Unmöglichkeit des Unterscheidens von Sünde und menschlicher Natur, wird bei Luther unzweideutig betont in der Kirchenpostille 1522: " . . . gibt er klerlich zuuorstehen, das es an dem gantzen wessen der natur feyle, das yhr gepurt und alles yhr herkommen sey vorderbet und sund, das ist: die erbsund, odder natursund, odder personsund, die rechte hewbtsund . . . sie ist, sie lebt und thutt alle sund und ist die wessenlich sund [vgl. Bucers lateinische Übersetzung 1525-26: peccatum substantiale] . . . Auff diesse naturlich sunde [Bucer: hoc naturae peccatum] sihet gott alleyn . . . Als wenig es ligt an eyniss ydermanss macht, das er geporn wirtt unnd das naturlich wessen empfehet [Bucer: substantiam suam accipiat], als wenig ligt es auch an seynem vormugen, das er on disse sund sey oder yhr loss werde", 101:i, 508, 16-509, 13· 18 „Integra naturalia igitur in homine fuerunt cognitio Dei, fides, timor etc. Haec Satan per peccatum ita corrupit, ut, sicut lepra carnem inficit, ita voluntas et ratio per peccatum sie vitiata est", 42, 124, 18-20 (Vöries, über 1. Mose 1535-45]; ib. 125, 1-4. " 40 II, 322, 5-327, 22 CEnarratio Psalmi LI 1532, Hs. und Dr.], wo die Naturverdorbenheit des homo peccator behandelt wird: „Naturalia sunt corrupta, Adam habuit rectam voluntatem, erat laetus, confidebat in deum etc. Sic Eva. Administrabat terrena etiam in fide et laude dei. Da waren sie recht. Creavit deus hominem rectum etc. Sed ubi peccasset, corrupta est voluntas et omnia Naturalia, et credo, quod corrupti etiam sint sensus naturales et corpus vitiatum in ipsis sensibus, sanguine, nervis, vidit Adam ante lapsum fortius", ib. 323, 8-324, 1 (Hs.); ib. 325, 32-326, 17 (Dr.); 40 III, 514 f f . (Enarratio Psalmi X C 1534-35); 47, 15, 27-29 (Ausleg. des 3. und 4. Kap. Joh. 1538). 1S 4/ 343/ 2 3 (Dictata super Psalterium 1513-16); 56, 286, 12-27 (Vöries, über den Römerbrief 1515-16); „Ego peccavi, cum conciperer, sed de ipso rudi semine loquitur et pronunciat id peccato plenum et massam perditionis esse . . . Sum peccator . . . quia sum peccator natus, imo conceptus et formatus in utero", 40 II, 380, 28-33 (Enarratio Psalmi LI 1532 Dr.); ib. 383, 4-6 (Hs.); 42, 124, 41-125, 1 (Vöries, über 1. Mose 1535-45)· " „Medicus loquitur de homine sano et aegro, Theologus autem disputat de homine PECCATORE. Haec hominis substantia est in Theologia et hoc a Theologo agitur, ut
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Substanz-Ausdrücken ist auch gesagt, daß Sünde bei Luther nichts nur Zufälliges oder Akzidentielles ist. Sie hat sich wirklich der essentia des ganzen Menschen bemächtigt und besteht daher auch nicht nur in vereinzelten Handlungen oder in einem Mangelzustand, der auf dem Verlust der Gnadengabe des Urzustandes beruht. Diese scholastische Auffasung kritisiert Luther oft und scharf. Die Erbsünde ist für Luther keineswegs hinlänglich radikal dargestellt, wenn man sich damit begnügt, sie als eine „privatio q u a l i t a t i s " z u beschreiben oder als eine „concupiscentia" oder „libido", als nur fleischliches Begehren oder eine gewisse sündige Neigung, während die höheren Fähigkeiten des Menschen, ratio und voluntas, mehr oder weniger unverdorben wären". Das esse des Menschen als solches hanc suam naturam peccatis corruptam homo sentiat", 40 II, 327, 20-22 (Enarratio Psalmi LI 1532 Dr.); ib. 328, 15-35; 4 2 , 117, 34 (Vöries, über 1. Mose 1535-45). 20 56, 312, 1-10 (Vöries, über den Römerbrief 1515-16). Vgl. dagegen z.B. 3, 49, 26 f f . (Dictata super Psalterium 1513-16), wo Luther, wie im Psalmenkommentar im allgemeinen, diese vom Totalitätsgedanken geprägte Auffassung der Sünde noch nicht hat, sondern sich in herkömmlichen scholastischen Gedankengängen bewegt. Siehe auch die folgende Anm. 21 Es ist ein charakteristisches und wohlbekanntes Faktum - und das gilt nicht nur von seiner Auffassung der Sünde - daß Luther oft die Ausdrücke seiner Gegner gebrauchte, sie aber auch weiterentwickelte und ihnen allmählich eine Bedeutung gab, die fern von der ursprünglichen lag. Darum verwendet Luther, besonders „der junge Luther", gern Ausdrücke wie concupiscentia, z.B. 3, 332, 1-3, 486, 22-30 (Dictata super Psalterium 1513-16); 56, 271 f f . , 348 f f . (Vöries, über den Römerbrief 1515-16); libido, cupiditas: 3, 4 8 , 17-19; 4, 72, ι f·; incurvitas in se, amor sui: 3, 292, 17 f.; 56, 356, 5-7; 1, 173, 30-174, 3 (Die sieben Bußpsalmen 1517); superbia, Mangel an humilitas: 3, 568, 20 und öfters; inobedientia, iniustitia, impietas, iniquitas: 3, 331 4-332, 8; 4, 360, 35-361, 4; 56, 284 ff.; reliquiae peccati, infirmitas, fomes: 3, 214, 24-215, 28, 453, 5-10; 56, 313, 4 f., 326, 20 f. usw. Aber nach und nach verleiht er diesen Begriffen einen neuen Inhalt. Was ihn besonders zu einem anderen Verständnis führt, sind der totus homo-Aspekt und die Distinktion: coram Deo - coram hominibus, die es möglich macht, zwischen einer theologisch totalen und einer moralisch partiellen Betrachtung zu unterscheiden. Das tritt schon in der Römerbriefvorlesung 1515-16 hervor und dann noch klarer in „Assertio omnium articulorum M. Lutheri" 1520, 7, 103 ff., und in „Grund und Ursach aller Artikel D. Martin Luthers" 1521, 7, 329 ff., und vor allem in der Schrift gegen Latomus 1521, 8, 43-128, besonders 103 f f . Als Beispiel für die Auffassung des reifen Reformators kann folgendes aus dem Galaterbriefkommentar 1535 angeführt werden: „Sophistae concupiscentiam carnis interpretantur libidinem . . . Ideo non nego concupiscentiam carnis complecti libidinem, Non tarnen solam libidinem sed omnes etiam alios vitiosos affectus complectitur, quibus pii laborant . . . superbia, odium, avaricia, impatientia etc. . . . " , 40 II, 83, 34-84, 26 (Dr.); 42, 86, 17-42 (Vöries, über 1. Mose 1535-45). Zu diesen Problemen: Ljunggren 1928, 188 f f . , N. Nejgaard, Om begrebet synd hos Luther 1929, wo die Zeit bis 1522 behandelt ist, R. Hermann, Luthers These „Gerecht und Sünder zugleich" 1930, 33 ff., Stomps 1935, 60 ff., R. Josefson, Ödmjukhet och tro 1939, 11-49, Pinomaa 1940, 19 ff., H. J. Iwand, Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre 1941, 22 f., 40 f f . , besonders zu Luthers Neudeutung des concuspiscentia-Begriffes - vgl. in älterer Literatur W . Braun, Die Bedeutung der Concupiscenz in Luthers Leben und Lehre 1908. Siehe an neueren Arbeiten u.a. Löfgren i960, 115 f f . , R. Schwarz, Fides, spes und Caritas beim jungen Luther 1962, die mit ihrer Behandlung der theologischen Tugenden von großem Interesse ist, und B. Lohse, Mönchtum und Reformation 1963, 213 f f . , besonders die Abschnitte, die obedientia, concupiscentia und humilitas in den frühen Vorlesungen behandeln.
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läßt sich vielmehr als Sünde charakterisieren; seine konkrete Verderbtheit ist eine „universa corruptio naturae"". Aber es wäre eine grobe Fehldeutung, wollte man bei einer Darlegung von Luthers Sünden- und Menschenauffassung bei einem einseitig krassen Naturalismus halt machen. Die imago Dei ist verloren gegangen, und wir wissen nur unklar und gleichsam aus der Entfernung, was ihre Herrlichkeit b e d e u t e t e L u t h e r will jedoch keineswegs den Wert der natürlichen Gaben und Kräfte verringern, in deren Besitz der Mensch sich nach wie vor befindet. Auf ihren Gebieten sind sie immer noch wertvoll und wirken regulierend in zivilen Zusammenhängen. Der Wille des Menschen ist im psychologischen Sinne in bezug auf seine Fähigkeit keineswegs aufgehoben, jedoch ist er aktiv in einer gottfeindlichen und teuflischen Richtung. Insofern ist die Natur des Menschen durch die Sünde nicht ganz verändert21. Zwar durchtränkt die Erbsünde alle Teile des Menschen, aber man muß nichtsdestoweniger, betont Luther, „distinguere inter peccatum et creaturam"25. In gewissem Sinne sind daher die .даШгаИа" unversehrt. „Natura enim bona est, sed Vitium malum" 2 '. Die dem Menschen in der Schöpfung geschenkten, zur imago Dei gehörenden Fähigkeiten, „cognitio naturae perfecta" und „dominium omnium rerum" sind zwar zunichte geworden, aber wenn Luther diesen Verlust beschreiben will, sagt er, daß wir gewisse „matte und tote Reste" zurückbehalten hätten, daß die Herrschaft nur zu einem Titel geworden sei, der sachlich gesehen „beinahe ganz und gar verloren gegangen ist" 27 . Das Problem liegt also hier: wie soll man diese anthropologische Dop22
i , i 2 i , 26 f . [Sermone 1 5 1 4 - 1 7 ) ; 8, 104, 26-28 [Rationis Latomianae confutatio 1 5 2 1 ) ; „Magna itaque sapientia est, scire, nos nihil esse quam peccatum . . . Peccatum esse hoc totum, quod est natum ex patre et matre, antequam homo possit per aetatum aliquid dicere, facere aut cogitare . . . Nam tota natura primum per peccatum corrupta et aeternae morti subiecta est", 40 II, 322, 18-25 (Enarratio Psalmi LI 1532 Dr.); „universalis haec regula: homo ex se nihil est, nihil potet, nihil habet nisi peccatum, mortem et damnationem", 42, 437, 33 f. [Vöries, über 1. Mose 1535-45). » Ib. 48, 32-35· 24 18, 635, 7-22 [De servo arbitrio 1525); „Manet voluntas in diabolo, manet in haereticis, hoc fateor esse naturale. Sed ea voluntas non est bona neque intellectus rectus aut illuminatus manet. Ergo si vere volumus de Naturalibus loqui . . . tunc vocemus Naturalia hoc ipsum, quod in peccatis et morte sumus, quod corrupta et mala volumus, intelligimus et expetimus", 40 II, 385, 15-20 [Enarratio Psalmi LI 1532 Dr.). Doch hat der Mensch die verbliebene Freiheit „in externis functionibus", die Fähigkeit zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu wählen; so etwas gefällt Gott, „si ambules in fide et maneas in praeceptis Dei, seu bona conscientia . . .", 42, 512, 24-29 [Vöries, über 1. Mose
1535-45)·
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Ib. 177, 2; „Ad hunc modum nos quoque separemus vitia, quae peccatum originis attulit, a creatione et operibus Dei", 43, 140, 13 f . (Ib.); 40 II, 383, 1 5 - 1 7 [Enarratio Psalmi LI 1532 Dr.). 26 ,,'Vetus homo' Est, qualis ex Adam natus est, non secundum naturam, Sed secundum vitium naturae, Natura enim bona est, Sed Vitium malum", 56, 325, 2-4 [Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ) ; 40 I, 293, 22-28 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.). 27 42, 49, 29-50, 41 (Vöries, über 1. Mose 1535-45): „Huius cognitionis nos hebetes et quasi emortuas reliquias habemus", ib. 50, 12; „Ergo nomen et vocabulum dominii retinemus ceu nudum titulum, Ipsa autem res fere tota amissa est", ib. 50, 33 f .
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pelheit erklären, so daß sowohl die Totalität der Sünde und die natürliche Verderbtheit zum Ausdruck kommen als auch eine klare Kontinuität der Menschenauffassung vor und nach dem Fall? Wie kann Luther gleichzeitig von der Sünde als der Natur des gefallenen Menschen sprechen und einen Unterschied zwischen Sünde und Natur machen? Oder anders ausgedrückt: welches ist der Substanz- und Naturbegriff, dessen sich Luther bedient? Es zeigt sich nun, daß dieses Problem nur teilweise neu ist, denn im Prinzip hatten wir schon im vorigen Abschnitt Anlaß, diese Sache zu untersuchen, als wir uns mit Luthers Aussagen über die imago Dei als etwas, was der Mensch einmal in der Schöpfung in substantia besaß und zum anderen etwas, was ihm ständig durch sein Gottesverhältnis geschenkt wurde, befaßten. Diese beiden Aspekte müssen wir auch hier anlegen, wollen wir den Zusammenhang in Luthers Sündenauffassung sehen. In jener Predigt über den Hauptmann, die wir oben untersuchten, spricht Luther teils vom Menschen als zur imago Dei geschaffen, teils vom Menschen als durch den Sündenfall zur imago diaboli verändert, und zwischen diese beiden Behauptungen schiebt er den Grund der Veränderung ein: der Teufel verstellt sich und „kerts verbum umb" S8 . Dadurch gerät der Mensch in Unglauben, oder richtiger, er glaubt an den Teufel anstatt an Gott. Die Relation in Glauben oder Unglauben zu Gottes Wort ist es, die auch des Menschen naturgegebene Situation entscheidet. Er ist „von natur" verderbt, denn er glaubt dem Wort nicht „Maximum peccatum in hoc lapsu ablatio verbi" 30 . Das Abweichen vom Wort ist, wie wir gesehen haben, die Hauptsünde und die Quelle aller anderen Sünden31. Diese Betrachtung der Relation ist für Luther entscheidend, und von ihr her sind die Aussagen über die Natur zu beurteilen. Die Sünde wird primär als Unglaube bestimmt, und bedeutet insofern nicht eine naturgemäße Gebundenheit an das Böse. Luther will ja keineswegs die Sünde und die menschliche Natur identifizieren, aber da des Menschen gesamtes Verhältnis zu Gott verkehrt ist, ist auch seine ganze Natur in Sünde hineingezogen. Daher bedeutet es für Luther andererseits keinen Widerspruch, auch von peccatum substantiale und corruptio totius naturae als einer das ganze Wesen des Menschen umfassenden Verderbtheit zu sprechen". Es liegt hier also kein Gegensatz 37, 454, I - I 2 (Pred. 1534 R . ) . Ib. 455, ЗЗ-456, 24 ( D r . ) . 30 14, 135, 32 f . [Pred. über das 1 . Buch Mose 1523-24 R o t h ) ; R ö r e r : „Sepius audistis, q u o d peccatum m a x i m u m f u i t , quod a verbo tractus f u i t : ubi v e r b u m non est, vita deest", ib. 136, 1 f . 31 Siehe oben I A : 2 , A n m . 52 u n d 53. „ U t nihil iustificat nisi f i d e s , ita nihil peccat nisi incredulitas", 7, 231, 4 (Propositiones a Martino Luthero disputatae 1520). 32 IOI:I, 508, 16 f f . , siehe oben A n m . 1 5 . V g l . die A u s l e g u n g der Erbsünde i n der R ö m e r b r i e f v o r l e s u n g 1515-16, 56, 286, 12-287, 4 : ..· · · Q u i a hoc peccatum e t suum e t non suum est . . . conceptus s u m in ipsa et non f e c i illam. C e p i t in m e regnare, anteq u a m ego cepi esse, et simul m e c u m . . . non m e a . . . Sed n u n c f a c t a sunt mea . . . Ideo n u n c peccatum etiam m e u m est i.e. mea voluntate a p p r o b a t u m et p e r consensum accept u m . . . actualis peccator e t non tantum originalis". D a s bedeutet also, daß das M e n 28
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vor zwischen der Behauptung, die Sünde sei Unglauben und beziehe sich auf die Relation zu Gott und der Behauptung, die Sünde sei eine totale Verderbtheit der Natur. Sieht man die Sünde in ihrem Relationszusammenhang, läßt sich beinahe sagen, daß sie einen akzidentellen Charakter trägt in dem Sinne, das die Sünde als eine böse Macht beschrieben wird, die das Dasein des Menschen beherrscht und ihn ständig aufs neue in ihre Gewalt zwingt, was ganz darauf beruht, daß der Mensch seit dem Fall dem Wort gegenüber in seiner Natur verkehrt ist. Insofern wird ihm die Sünde dauernd „zugelegt" und läßt sich nicht als ein immanenter Mangel fassen oder als ein an der Natur haftender Zustand. Andererseits hat die Sünde einen deutlich substantiellen Charakter - nämlich als Wesensbestimmung - und in diesem Falle ist Luther ebenso darauf bedacht, den Totalitätsaspekt zu betonen. Obgleich man zwischen menschlicher Natur und Sünde unterscheiden muß, kann man Luther zufolge in concreto niemals den kleinsten „Teil" am Menschen finden, der unberührt von der Sünde wäre. Die Nichtbeachtung des mandatum Dei aber trägt die Schuld daran, daß er durch und durch ein „homo peccator" wurde. Wenn der Mensch Göttliches und Menschliches vermischt, das Wort vermenschlicht und sich selbst vergöttlicht und den Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf vergißt, stürzt er sich ins Verderben. Dann ist die Erbsünde ein Faktum: „Fieri igitur Deum est peccatum originale"". Offensichtlich haben die Begriffe natura und substantia oder essentia bei Luther einen anderen Bedeutungsgehalt als in der Scholastik, obgleich er die Termini ohne große Bedenken übernimmt". Man braucht nur einige von den Äußerungen, die wir fanden, nebeneinander zu stellen um zu verstehen, zu welchen unsinnigen Konsequenzen eine traditionelle metaphysische Deutung dieser Wörter führen würde. Die naturalia sind teils „integra", teils „extreme corrupta", man muß zwischen Sünde und Natur unterscheiden, gleichzeitig aber „ist" die Sünde „die natur", usw. Wären Substanz und Natur im eigentlichen und philosophischen Sinne zu verstehen, als eine abstrakte, statische, in sich selbst ruhende Größe, würden solche Ausdrücke nicht nur paradox sein, sondern logisch unvereinbar. Dann wären auch der Mensch vor dem Fall und der Mensch nach dem Fall zwei definitionsmäßig gänzlich verschiedene Wesen und die schengeschlecht ganz und gar und in seiner Natur in der Sünde ist, jeder Mensch ist in der Sünde ( = E r b s ü n d e ) geboren, die „non suum est", aber diese Verkehrtheit zeigt sich dann auch in seinem eigenen Leben, in verschiedenen aktuellen Sünden [ = Werksünde), die „nunc facta sunt mea". Die Natur- und Relationsbetrachtung kommen hier beide zum Ausdruck: der Mensch ist in Sünde „conceptus", und im Unglauben gibt er der Sünde seine Billigung, „consensus". 33 „Hoc dum A d a m et Eua faciunt, pereunt, constituunt enim se in locum creatoris Dei, et obliviscuntur se esse creaturas. Sicut Satan dicit: 'Eritis tum sicut Dei'. Non eritis amplius creaturae, cum soliciti eritis de mandatis Dei exequendis, ipsi eritis Dii, iudicabitis Deum, et facietis alia, quae solum Deum decent. О miseram divinitatem, quam nobis per peccatum Satan circumdedit, hoc unicum agens, ut praecepta et promissiones Dei negligamus. Fieri igitur Deum est peccatum originale", 4 2 , 647, 2 0 - 2 7 [Vöries, über ι . Mose 1 5 3 5 - 4 5 λ " Hägglund 1959, 1 2 1 mit Anm. 4, und 145 f.; vgl. Lindroth 1 9 3 3 , 140 f f .
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christliche Schöpfungs- und Erlösungsauffassung verlöre ihre Bedeutung. Hier ist der Totalitätsaspekt das Entscheidende. W e n n man wie in der scholastischen Theologie die imago Dei als ein zusätzliches Geschenk der Gnade ansieht, muß der Fall den Verlust dieses Geschenks bedeuten, einen Verlust, der sich in einer gewissen Depravation und Neigung zum Bösen in den niederen Teilen des Menschen äußert. W e n n man aber wie Luther meint, sowohl die imago Dei und iustitia originalis wie die imago diaboli und das peccatum originis seien „de essentia hominis", und sich jeder Rede widersetzt, die Gerechtigkeit oder Sünde als eine der menschlichen Natur hinzugefügte Qualität verstehen w i l l " , so ist das eben ein Ausdruck für die totus homo-Auffassung, die auch den Hintergrund seines Gebrauchs des Begriffes Substanz bildet. Ebenso wenig, wie das ursprüngliche Gottesverhältnis etwas Zufälliges oder im philosophischen Sinne Akzidentielles war, sondern eine iustitia naturalis bedeutet, kann die durch den Fall eingedrungene Sünde als etwas nur Sekundäres und Partielles bezeichnet werden, sondern als ein peccatum naturale und essentiale. Der Mensch steht als Ganzes in einem unentrinnbaren Verhältnis zu Gott, und dies bestimmt sein esse in Glauben und Unglauben, im Guten wie im Bösen. So ist die substantia für Luther nicht eine philosophische Größe, sondern ein Ausdruck für das Wesen des Menschen in seiner Totalrelation zu Gott, eine Zusammenfassung des Wesen-tlichen in der Situation des Menschen coram Deo 39 . Hierdurch wird ausgesagt, was seine Ganzheitsausrichtung ist, ob er in eine göttliche oder teuflische Machtsphäre hineingezogen und in ihr engagiert ist. W i e die Relation zu Gott positiv durch die Glaubenseinstellung des Menschen dem W o r t gegenüber und das rechte Unterscheiden sowie das Verhältnis zwischen Göttlichem und Menschlichem, das sich in der Natur des Menschen als imago Dei abspiegelt, bestimmt wird, läßt sich diese Relation negativ als Unglaube beschreiben und als Vermischung oder blinde Verwechslung von Göttlichem und Menschlichem - der Teufel verkleidet sich und der Mensch schenkt ihm Vertrauen - was wiederum auf Seiten des Menschen die imago diaboli zum Ergebnis hat. Wenn Luther in der Disputation „De iustificatione" in philosophisch äußerst inadäquater und unklarer Weise von „substantialis imago mutabiliter creata" spricht", haben wir darin eigentlich einen guten Ausdruck für 35 42, 86, 1 - 4 2 und 124, 4-37 (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) , w e l c h e in dieser Sache klare und beredte Belege f ü r Luthers A u f f a s s u n g sind - und auch f ü r seine Zurückweisung der üblichen A u f f a s s u n g in der scholastischen Theologie und im Klosterleben. 30 Eine definitionsmäßig wichtige Aussage f i n d e n w i r in der S c h r i f t gegen Latomus 1521, 8, 87, 31-88, 36, w o Luther die mittelalterliche A u f f a s s u n g der Sünde kritisiert und die eigene bestimmt: „. . . dieimus sophistas non nihil capere, quae sit substantia peccati, scilicet offensio dei ( N B ! die Relationsbedeutung!) et legis dei transgressio, sed quale sit in praedicamento quantitatis, qualitatis, relationis, actionis, passionis, hic prorsus nihil sciunt", 88, 3-6; 88, 15-19; „Hoc vero peccatum substantiale ( u t dixi) nin nihil intelligunt sophistae . . .", 88, 28-31; vgl. Haikola, Studien . . . 1958, 85 f f . 37 3 9 1 , 108, 14 (Disp. de iustificatione 1536); vgl. IOI:I, 508, 6-9 (Kirchenpostille 1522).
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diese beiden Gedankengänge. Imago Dei ist eine Aussage über das Wesen des Menschen, aber als substantia ist diese imago vertauschbar, es ist möglich, sie zu verlieren und gegen eine andere Substanz auszuwechseln - und nichtsdestotrotz ist der Mensch derselbe. Der Mensch irrt sich und vertauscht, vom Teufel verführt, das wahrhaft Göttliche gegen eine falsche, teuflisch verkehrte Göttlichkeit, und in die Gottesrelation tritt eine - wenn man so will - communicatio zwischen Menschlichem und Teuflischem ein. Dieser totus homo-Aspekt ist sowohl in bezug auf die Relationsbestimmung wie auf die Wesensbestimmung nur für den Menschen coram Deo relevant. Coram hominibus gilt eine zum Teil andere Betrachtungsweise. Genau wie ein rechtes Gottesverhältnis im Glauben an das Wort sich im Urzustand in dem dominium des Menschen und seinen verschiedenen Fähigkeiten der Umwelt gegenüber zeigte, so trägt auch der Unglaube bestimmte Früchte, führt zu Ungehorsam und allen anderen Sünden". Glaube und gute Werke bilden bei Luther eine notwendige Einheit, und ganz ebenso gehören Unglaube und sündige Werke zusammen". Die totale Stellung des Menschen coram Deo ist es, die seine Situation coram "hominibus entscheidet. Ist der Mensch nun durch den Fall eine imago diaboli, so müssen seine ganze Welt und alle seine Taten auch dadurch bestimmt werden. Nicht genug damit, daß er keine Kenntnis von Gott und einen verkehrten Willen hat, auch seine rein körperliche Ausstattung ist verderbt". Sogar die unschuldige Natur gerät unter den Einfluß der Sünde und wird um des Falles willen verdammt. Die Erde trägt Dornen und Disteln". Obgleich also nach Luther die Sündenverderbnis allumfassend ist, findet man bei ihm auch stärker relative und partikuläre Aussagen: „Manet quidem natura, sed multis modis corrupta", „naturalia quidem integra sunt'" 2 . Dies letztere Zitat fährt fort: „sed quae naturalia?" und das ist die wichtige Frage. Welche naturalia trotz des Falls noch in einem von 2, 4 1 0 , 23 f. (Resolutiones Lutherianae . . . 1 5 1 9 ] ; 8, 1 2 4 , 9 (Rationis Latomianae confutatio 1 5 2 1 J ; „Peccatum originale non est res quiescens, sed continue quaedam motio seu endelechia pariens suos effectus. Est irrequietum malum, etiam in somnis. Semper movetur homo ad avaritiam, inobedientiam etc.", 39 I, 1 1 2 , 1 5 - 2 1 (Disp. de iustificatione 1 5 3 6 ] ; „Nam peccatum per incredulitatem consummatum in corde sequitur etiam externa inobedientia", 42, 1 2 2 , 16 f. [Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) . " Ljunggren 1928, 209 f f . 40 Eine expressive Stelle gibt es in 40 II, 3 2 5 , 9 - 3 2 6 , 1 (Enarratio Psalmi LI 1 5 3 2 Hs.); „Amisimus quoque illam dignitatem corporum . . . " , 42, 106, 1 3 f . (Vöries, über 1. Mose 1535-45)· " Siehe hierzu Luthers Auslegung von 1. Mos. 3 , 17 f., ib. 1 5 2 - 1 5 7 ; ib. 302, 3 9 - 3 0 3 , 19, 508, 9 - 3 0 ; „Sic in genere peccatum sequitur maledictio, maledictio autem mutat res, ut ex optimis fiant pessima . . . Si enim homo non peccasset, omnes bestiae mansissent in obedientia, donec Deus hominem transtulisset de Paradiso seu terra: sed post peccatum omnia sunt mutata in deterius", ib. 59, 26-30. Siehe auch Löfgren i960, 120 f. mit weiteren Belegen. 42 4 2 , 106, 2 7 - 3 6 , 1 2 5 , 27 f. (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) ; 4 0 1 , 293, 22-28 (In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 Dr.).
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Gott beabsichtigten Sinne anwendbar sind, davon spricht Luther in seiner Auslegung des 5 1 . Psalms. Er legt dort seine These „naturalia sunt corrupta" aus", und macht dabei folgende Distinktion: „naturalia erga deum plane corrupta", aber „ad Civilia" gilt diese totale Sündigkeit nicht" Einen entsprechenden Unterschied in der Auffassung des Menschen vor dem Fall macht Luther in der Disputation „De iustificatione" zwischen der „imago substantialis" und der „imago Dei, quantum ad dominationem et dominium"". Für den homo theologicus und in bezug auf das Gottesverhältnis bedeutet der Sündenfall eine Wesensänderung und eine totale Verderbnis, aber für den homo politicus ist der Verlust partiell, und die imago Dei ist weiterhin coram hominibus imstande, in einigem Umfang das dominium auszuüben, das Gott dem Menschen geschenkt hat. Diese Distinktion ist ja recht eigentlich grundlegend bei Luther: coram Deo - coram hominibus, homo theologicus - homo politicus, iustitia originalis - iustitia civilis, peccatum originale - peccatum externum, Gebundenheit in rebus superioribus - Freiheit in rebus inferioribus, Totalitätsaspekt Partialaspekt usw. Diese beiden gedanklichen Linien sind bei Luther stets auseinander zu halten. Nur wenn man den Menschen unter diesem zivilen und relativen Aspekt betrachtet, kann man zu Recht von übrigbleibenden menschlichen Möglichkeiten sprechen. Im regnum rationis humanae gilt immer noch der Satz: „facere quod in se est, vel: facere, quantum possum". Dort hat der Mensch eine gewisse Bewegungsfreiheit und kann Handlungen von Wert ausführen. Welche naturalia haben also noch einige integritas? Das haben - auf diesem begrenzten zivilen Gebiet - z.B. ratio, voluntas und liberum arbitrium in externis. Mit ihrer Hilfe kann der Mensch noch erfolgreich Häuser bauen, Schiffe lenken, im irdischen Reich als Mitglied der Obrigkeit schalten und walten u.a.m.'6 Seine Aufgabe ist also nach wie vor, im Vielerlei des Berufs nach bestem Verstand und Talent das auszuführen, zu dessen Erfüllung Gott ihn gesetzt hat. In diesem Zusammenhang und nur hier kann man bei Luther von einem Rest des Gottesbildes sprechen' 7 . " 40, II, 322 f f . [Enarratio Psalmi LI 1 5 3 2 ) . " Ib. 324, 8 - 1 5 . " 39 I, 108, 1 1 - 1 4 с 1536). " Siehe den wichtigen Abschnitt im Galaterbriefkommentar 1 5 3 5 , 40 I, 291, 29-294, 22 ( D r . ) : „. . . Bona quidem sententia est [facere quod in se est], sed in loco dicta, scilicet de politicis, oeconomicis et naturalibus, Ut si ego exsistens in regno rationis rego f a miliam, aedifico domum, gero magistratum et facio, quantum possum vel quod in me est, ibi sum excusatus . . . Sed Sophistae ea trahunt in regnum spirituale in quo homo nihil aliud potest quam peccare . . . Regnum enim rationis humanae longissime separandum est a spirituali Regno . . . quae naturalia? Quod homo in impietate mersus et servus diaboli habet voluntatem, rationem, liberum arbitrium et potestatem aedificandi domum, gerendi magistratum, gubernandi navem, et faciendi alia o f f i c i a quae homini sunt subiecta, Gen. primo. Ea enim non sunt adempta homini . . . Sed Sophistae traxerunt ea ad spiritualia . . . Concedimus ergo ista dicta vera esse, sed suo loco, scilicet in regno corporali . . ."; 39 I, 1 7 5 , 20-23 CD'sp. de homine 1 5 3 6 ) ; 42, 106, 36 f f . , 107, 29-36 (Vöries, über 1 . Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) . ,T Der Rest-Gedanke ist von großem Interesse, wenn es sich darum handelt, Luthers A u f -
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Aber diese Aufgabe wird natürlich hochgradig durch die Sünde erschwert, die sich im menschlichen Alltag auch durch die Verdammnis bemerkbar macht, die seit dem Fall über der Schöpfung liegt. Die Verdammnis beruht indes nicht auf einer der Schöpfung oder der Natur innewohnenden aktiven Bosheit - das wäre für die luthersche Anschauung völlig undenkbar - sondern auch sie muß im Verhältnis zur Stellung des Menschen coram Deo gesehen werden. Die geschaffenen Dinge sind nicht Träger der Sünde, aber durch die Verkehrtheit des Menschen wird seine Handhabung derselben doch sündig. Der Fehler liegt also beim Menschen, fas sung von der Empfänglichkeit des Menschen für die Gnade und die Bedeutung, die er dem Gewissensbegriff beilegt, zu verstehen. Wenn Luther den Menschen als „capax Dei" beschreibt, 56, 373, 5 (Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ) , oder als „particeps Dei" und „capax immortalitatis", 42, 63, 31 und 37 (Vöries, über 1. Mose 1535-45, nur im Druck] und er sogar das natürliche Vernuftswissen „scintilla aeternae vitae" nennen kann, ib. 34, 26, kann das als klarer Ausdruck für einen Rest-Gedanken aufgefaßt werden, der an die mittelalterliche Theologie erinnert. Es tritt auch klar zu Tage (siehe u.a. die ausgezeichnete, nuancierte Darstellung bei Alanen 1934, besonders 17 f f . ) , daß die Theologie des jungen Luther in diesem Punkt unklar ist, d.h. sie befindet sich wie in jeder anderen Hinsicht in der Entwicklung, was sich hier z.B. im Gebrauch des Begriffes „syntheresis" zeigt. Dieses sozusagen praktische Gewissen wird bei Thomas als ein „habitus naturalis" bezeichnet; Biel nennt es eine „scintilla inexstinguibilis" (Alanen 1934» 2 7 f · ] · So nennt auch Luther es, 1, 32, 1-6 (Sermone 1 5 1 4 - 1 7 ) , 3, 238, 1 1 - 1 3 (Dictata . . . 1 5 1 5 - 1 6 ) , einen unauslöschlichen Gottesfunken, ein eingewurzeltes Streben nach dem Guten, „desyderium boni", und noch in der Römerbriefvorlesung spricht er von syntheresis als „inobscurabilis", 56, 177, 15; siehe hierzu Grane 1962, u.a. 290 f f . und 323 f f . Nach dieser frühen Periode verschwindet der Begriff (Pinomaa 1940, 37 f f . ) . Von der Mitte der Römerbriefvorlesung an merkt man deutlich eine zögernde Haltung in bezug auf die syntheresis; dafür erwächst nun die totus-homo-Auffassung und ein anderes Verständnis der Sünde, z.B. 56, 275, 17-23; eine positivere Auffassung von Luthers Gebrauch der syntheresis hat Normann 1933, 94 f f . Luthers Verständnis des Gewissens konzentriert sich jetzt vielmehr auf den Begriff „conscientia", der einen immer stärker vertieften und vielschichtigen Inhalt erhält. Für das Verständnis des Rest-Gedankens ist wiederum das Wort der entscheidende Faktor und Gewissen ist genau wie imago Dei und ratio ein Korrelatbegriff zum Wort. Das bedeutet: 1 . wie die imago mit all ihren Fähigkeiten im Fall verloren gegangen ist, so ist das Gewissen verdorben und der Mensch unfähig, durch dieses Kenntnis vom Willen Gottes zu erhalten; aber auch: 2. wie imago und ratio noch vorhanden sind wenn auch unvollkommen und nur „ad dominium" - so ist auch das Gewissen in dem ethischen, nach unten gerichteten Handeln wirksam; und 3. wie die imago des Menschen von dem Gottesverhältnis im Wort bestimmt wird, so steht das Gewissen immer in Relation zum Wort und wird von ihm geprägt. Diese Relation läßt sich bei Luther so beschreiben, daß vom Menschen gesagt wird, er trage die lex naturae ins Herz geschrieben, was dasselbe bedeutet, wie daß das Gewissen vom Wort Gottes gelenkt wird; vgl. z.B. 16, 447, 26-39 (Pred. über das 2. Buch Mose 1524-27). Hier ist conscientia=cor (vgl. den Hauptgedanken bei Jacob 1929, und Pinomaa 1940, 56, Haikola, Studien . . . 1 95δ, 38) und ein Ausdruck für den totus homo in seiner Stellung coram Deo. Mit dem Terminus „Organ" für das Gewissen im Gottesverhältnis (so Runestam 1917, 162 f . und Ljunggren 1928, 1 1 3 ) , kann man dagegen den Eindruck von etwas physischem, partikulärem und qualitativem erwecken, das Luthers theologischer Totalitätsanschauung fremd ist (das ist jedoch offensichtlich nicht Runestams und Ljunggrens Absicht). Daß der Mensch unter dem Regiment Gottes steht, bedeutet, daß sein Gewissen unter dem Wort: unter dem Gesetz, der Schuld, der Anfechtung oder unter dem Evangelium, der Vergebung, der Aufrichtung steht - und zwar total. Coram hominibus und in äußeren, ir-
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nicht bei den Dingen". Dieser „abusus" des Menschen hat seinen Grund in derselben elementaren Hauptsünde: der Mensch irrt sich im Fall in bezug auf Göttliches und Menschliches, er vermischt sie und sieht Gott nicht mehr wo er ist, sondern sucht ihn anderswo; er macht das nurMenschliche zu etwas vermeintlich Göttlichem, dem er sich vertrauensvoll zuwendet, das aber in Wirklichkeit vom Teufel beherrscht ist. Diese Fehlbeurteilung, diesen grundlegenden Irrtum von Seiten des Menschen nun sahen wir immer und immer in ständig neuen Zusammenhängen wiederkehren - dies, was sich gleichzeitig von oben betrachtet ausnimmt als das Überlisten und sich-Bemächtigen des Menschen durch den Teufel. Der Begriff abusus ist in der Überschrift dieses Abschnitts enthalten, obgleich die konrete Behandlung der Einzelheiten im großen ganzen erst im nächsten Kapitel geschieht. Rein prinzipiell enthält jedoch dieser Begriff einen für diesen Abschnitt grundlegenden Leitgedanken, der die Überschrift rechtfertigen mag. Der Hintergrund der gesamten Darstellung der imago diaboli ist ja, daß der Mensch, ohne sich um die Anweisung des Wortes zu kümmern, den Eingebungen des Teufels folgt und ihn ein anderes Bild von Gott malen läßt, d.h. der Mensch läßt Gott nicht Gott sein und begnügt sich nicht damit, selbst Mensch zu sein im Einklang mit Gottes Schöpfung. Das ist der erste und entscheidende Mißbrauch: das Beiseiteschieben des Wortes und die Lust, sicut Deus zu werden. Derselbe Gedankengang begegnet uns nun bei Luther in bezug auf das Begriffspaar usus - abusus. Ein rechter Brauch ist dadurch gekennzeichnet, daß man zwischen Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf unterscheidet, und es versteht, jedem Ding seinen rechten Platz anzuweisen und es in sein rechtes Verhältnis zu Gott und den Menschen hineinzu-
dischen Dingen sind dagegen der Partialaspekt und eine quantitative Betrachtung aktuell, die Raum lassen für eine Einstufung und Trennung von Recht und Unrecht und für eine ethische Wertung mehr oder weniger guter oder schlechter Handlungsweisen. Diese Rede vom Gewissen als von etwas im Menschen, im Herzen, einem „Teil", etwas Göttlichem, ist somit kein Gegensatz zu der Rede vom Gewissen als einem Ausdruck für die Totaleinstellung des Menschen zu Gott. V o n hieraus hat man auch Luthers Aussagen in De servo arbitrio über die „dispositiva qualitas et passiva aptitudo" des Menschen zu verstehen, 18, 636, 1 8 - 2 2 . Der Mensch hat keinen Anknüpfungspunkt im habituellen Sinne, keinen göttlichen Funken, aber er ist geschaffen, um im und vom Wort zu leben, zum Bilde Gottes geschaffen und daher für die Gottesgemeinschaft disponiert und geeignet, denn, sagt Luther hier, der Himmel wurde nicht für die Gänse geschaffen. Hierin ist der Mensch einzigartig, und hierin liegt die für Luther einzigartige Bedeutung des Gewissens. Daß diese Deutung des Gewissens in Verbindung mit dem Rest-Gedanken richtig ist, wird auch dadurch verifiziert, daß das Gewissen einmal gleichbedeutend mit totus homo unter Gesetz und Zorn wird, und zum anderen von Luther als etwas außerhalb des Menschen aufgefaßt werden kann, als ein Tyrann wie Sünde, Tod und Teufel; einmal Subjekt=der Mensch, zum anderen Objekt = Macht des Verderbens. - Siehe hier auch ferner u.a. von Loewenich 1929, 56 f f . , R. Bring, Ordet, samvetet och den inre människan (in: Ordet och tron. Till Einar Billing I 9 3 1 / 36 f f . ] , Josefson 1943, 73 ff-, E. Hirsch, Lutherstudien I, 1954, 109 ff., L. Haikola, Usus legis 1958, 95 f f . , Schloemann 1961, 75 ff., 83 f f . " Mehrfach im Genesiskommentar 1535-45, Ζ ·Β· 4 2 ; 48, 6 - 1 0 , 497, 1 8 - 3 4 , 5 1 0 ; 6-42.
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III
stellen". Der Mißbrauch hingegen ist nichts anderes als eine Vermischung von Schöpfer und Geschöpf und ein Ausdruck für menschlichen Hochmut gegenüber göttlicher Ordnung. Obgleich die Natur und die geschaffenen Dinge an sich gut sind und obgleich der Mensch seiner psycho-physischen Ausstattung nach coram hominibus einigermaßen fähig ist, seinen irdischen Auftrag, die Welt zu lenken, durchzuführen, mißlingt das doch, weil er coram Deo total verderbt ist. Zwar muß man unterscheiden zwischen creatura oder res und abusus50, so wie man unterscheiden muß zwischen creatura und peccatum, aber der vom peccatum originale verderbte Mensch kann sich nicht mit den göttlich geschaffenen Dingen befassen, ohne sie zu mißbrauchen". Es gibt also einen klaren Zusammenhang zwischen den beiden Gedankenreihen: die iustitia originalis zeigte sich in einem rechten usus, eine iustitia actualis, und ein peccatum originale wirken zurück auf das peccatum civile und machen sich bemerkbar in einem falschen usus. Und andererseits: Brauch und Mißbrauch sind auch entscheidend für das Gottesverhältnis: „Bonum et Malum non salvat, sed usus boni et mali"". Darum läßt sich der abusus-Begriff, obwohl er seine konkrete Anwendung vor allem in dem nach unten gerichteten zwischenmenschlichen Handeln findet, doch auch auf die verkehrte Situation des Menschen überhaupt beziehen. Die Ursünde ist, daß der Mensch sich über das Wort gestellt hat und daher nicht mehr gut und böse, Gott und Teufel, Schöpfer und Geschöpf, göttlich und menschlich zu unterscheiden vermag. Diese Blindheit und Verkehrtheit ist es, die sich im abusus äußert, und zwar auf zweierlei Art. i. Entweder wird das Menschliche zum Absoluten erhoben, der Mensch erhöht sich selbst, seinen Stand und sein Regiment und tritt an die Stelle Gottes, die larva Dei wird mit Deus ipse identifiziert. 2. Oder das Göttliche wird entwertet zu etwas Geschaffenem, Gott wird hinweggeschoben in weite Ferne, sein Wort wird zur äußerlichen Forderung, über die man verfügen will und die man zu beherrschen sucht. In beiden Fällen gerät der Mensch in superbia und praesumptio. Er verläßt sich auf sich selbst und das, was sein ist und will sich nicht damit begnügen, sich selbst und den Dingen nur den Platz und die Bedeutung " 43, 178, 39 f f . (Ib.). Lau 1933, 71 f., 1 1 3 f., Wingren 1952, 65 f f . , 98 f . und Löfgren i960, 1 0 5 - 1 1 4 . „. . . Sed est constituenda differentia inter creaturam seu rem et abusum. Creatura bona est, etsi in abusu sit [Hs.: „Omnia bona sunt, sed sunt in abusu", Zeile 7 f . ] . Oritur enim abusus non ex re, sed ex pravo animo. Sic iustitia civilis, iura ipsa, artes, studia sunt res sua natura bonae, sed abusus est malus, quod mundus his donis abutitur contra Deum [Hs.: „Abusus non est substantia, res est bona, in qua diabolus exercet abusum", Zeile 1 1 ] " , 40 II, 203, 7 - 2 3 (Enarratio Psalmi II 1 5 3 2 Hs. und D r . ) . „hoc est peccatum originale, quod non novimus nec possumus recte uti magnis et excellentibus donis Dei", 42, 264, 39 f. (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) ; „Sed natura peccato originali corrupta non potest frui rebus divinitus creatis et donatis sine abusu: non ideo, quod ea rerum conditarum sit natura, sed quod animus utentis malus est . . .", ib. 5 1 0 , 38-42. 53 27, 206, 2 (Pred. 1528 R . ) . 5U
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zuzumessen, die Gott ihnen gegeben hat. Das bedeutet, daß er nicht in seiner Stellung als dominus mundi verbleiben und seine Möglichkeiten coram hominibus und in rebus inferioribus ausnutzen will, sondern höhere Ansprüche stellt, genau wie er im Sündenfall sein dominium über ein Gebiet ausdehnen wollte, das Gott verboten hatte". Abusus besteht hier also darin, daß der Mensch, indem er sich auf die Dinge und sein eigenes Handeln durch sie verläßt, zeigen will, daß er imstande ist, auch coram Deo etwas Rühmliches auszurichten5'. Hierin liegt die Vermischung und der Irrtum. Er überschreitet dabei die Grenzen des himmlischen Reiches und verwechselt bürgerliche und göttliche Gerechtigkeit. Er richtet die imago Dei ad dominium nach oben gegen Gott, aber: „erga deum natura plane corrupta". Wenn er sich so nicht darein finden will, demütig unter Gottes mandatum zu stehen und als sein Mitarbeiter für ihn zu handeln wenn Gott es will, sondern sich zu dem erhöht, was Luther einen „concreator" nennt, bedeutet dies, daß er in Wirklichkeit - eben aufgrund von Blindheit und Verkehrtheit - zum cooper at or diaboli wird". Das hatte der Mensch sich vielleicht nicht gedacht, aber seine grundfalsche Ausrichtung macht, daß er sich auch und in erster Linie in Gott selbst irrt. Er kann Gott nicht von seiner larva unterscheiden und macht daher geschaffene Dinge zu seinen Götzen". Denn wenn der Mensch seine ganze Aufmerksamkeit auf die Dinge und auf seine eigene Welt richtet und dadurch seine Stellung stärken will, macht er sich wiederum einer Vermischung schuldig: von „brauchen" und „trawen", von „usus" und „cultus"". Und das, was man nicht nur benutzt, sondern worauf man vertraut und es als eine Zuflucht betrachtet, ist, sagt Luther, des Men" Vgl. hierzu Luthers Deutung vom Turmbau zu Babel (Gen. n ) , 42, 4 1 5 - 5 2 0 ; siehe dazu Löfgren i960, 107. „Das ist Vitium humanae naturae, quod non putat creationem et dona, sed vult ein feci draus machen; sed sol heissen: Ego accipi, Dominus dedit; Non: homo fecit. Ideo magna Emphasis in vocabulo 'Dominus': Ego dominus, non homo, поп nos", 40 III, 223, 5 - 9 (In X V Psalmos graduum 1 5 3 2 - 3 3 Hs.); vgl. im Druck, 222, 3 1 - 2 2 5 , 13. s s „Sic wil uns haben zu miterbeitern, non concreatores", 47, 857, 35 (Pred. 1 5 3 9 R.); 40 III, 236, 2 9 - 2 3 7 , 3 1 (In X V Psalmos graduum 1 5 3 2 - 3 3 D r . ) ; „Ego factor, vos eooperatores, non authores", ib. 237, 14 ( H s . ) ; 42, 68, 1 7 - 6 9 , 25, 8 1 , 1 7 - 2 6 (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ] . - Die Lust des Menschen sowohl Gott als die Schöpfung selbstsüchtig zu beherrschen ist von 0stergaard-Nielsen 1957, 6 2 - 1 2 5 , beschrieben. " „Hic solus discernit personam a verbo, larvam divinam ab ipso Deo et opere Dei . . . Universa autem creatura est facies et larva Dei. Sed hic requiritur sapientia quae discernat Deum a larva. Hanc sapientiam mundus поп habet, ideo non potest discernere Deum a larva . . . Personae vel larvae debent esse et Deus eas dedit et sunt eius creaturae, Sed nos non debemus eas reverari et adorare. In usu rerum, non in rebus ipsis vis sita est, ut supra etiam dixi", 40 I, 1 7 4 , 1 1 - 2 6 (In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 D r . ) ; Beispiele der Abgötterei in diesem Zusammenhang: „Avarus non videt deum in pane, sic поп deum curat sed aurum, deficiente auro et pane est mortuus", 174, 6 f. ( H s . ) ; „in pane Deum non videt, quia larvam tantum respicit, miratur et adorat", 174, 17 f. ( D r . ) . 57 Trawen und brauchen sind zweierley, Trawen gehört allein Gott zu, Brauchen gehöret der Creaturn zu", 3 1 I, 1 1 4 , 1 0 - 1 6 (Ausleg. des 1 1 8 . Psalms 1 5 2 9 - 3 0 H s . ) ; „Sic omnes creaturas dedit Deus ad utilitatem et usum, non ad cultum et religionem", 40 I, 1 7 6 , 16 f. (In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 Dr.).
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sehen Gott: „Ein Gott heisset das, dazu man sich versehen soll alles guten und Zuflucht haben ynn allen nöten" Wir können hier noch einmal hören, was Luther in seiner Predigt über Matth. 8, 5 ff. sagt. Da der Mensch auf den Teufel gehört hat und sich vom Worte hat wegführen lassen, ist er nun „von natur" so verführt und verwirrt, daß er Gott nicht erkennen oder sich auf ihn verstehen kann. Darum muß er „so faren und fladdern mit eigenen gedancken, das einer sonst, der ander so Gott malet". „Sic nos Götzendienst facimus"s". Dadurch, daß der verblendete Mensch seiner Gottesverehrung eine falsche Richtung gibt, in dem Glauben, daß er damit Gott die Ehre gebe, .zeigt er in Wirklichkeit seinen Unglauben und Götzendienst. „Si in incredulitate adores Deum, actum idololatriae perpetrabis"110. Von einem Gesichtspunkt her erscheint somit abusus hier als eine gotteslästerliche und teuflische Erhöhung des Menschlichen. Die larvae Dei werden nicht nur zum Gegenstand des verkehrten Gottesglaubens und Vertrauens des Menschen. Es verhält sich auch so, daß sie, indem sie ihn auf diese Weise immer stärker fesseln und immer weiter von Gott fortführen, nicht mehr Masken Gottes sind, sondern des Teufels, larvae diaboli'\ Aber wir dürfen keinen Augenblick vergessen, daß sie - die an sich gut sind - dies nur durch den Mißbrauch und durch die Verdrehung des Wortes durch den Teufel werden. Luther betont, daß es nur die Schuld des Teufels und des Menschen sei, nicht die Gottes - und auch nicht die seiner guten Schöpfung - daß diese geschaffenen Dinge zu Werkzeugen und Masken des Teufels werden". Sowohl Gott wie Teufel sind in der Schöpfung wirksam und gegenwärtig, aber für den Menschen ohne das Wort geschieht das im Verborgenen und ohne daß er sie unterscheiden kann. Aus einem anderen Gesichtswinkel bedeutet abusus darum gerade eine Verdrängung des Wortes. Der abusus ist also nicht nur eine Vergötterung des Geschaffenen und ein Ausdruck menschlicher superbia, sondern auch Verachtung und Gleichgültigkeit gegenüber dem Göttlichen - das ist die andere Seite des abusus. Der Mensch will daher das mandatum Dei bei 58 301, 133, ι f . (Großer Kat. 1529); Luther fährt fort: . A l s o auch wer darauff trawet und trotzet, das er grosse kunst, klugheit, gewalt, gunst, freundschafft und ehre hat, Der hat auch einen Gott, aber nicht diesen rechten einigen Gott . . . Darumb sage ich abermal, das die rechte auslegung dieses stücks sey, das ein Gott haben heisset etwas haben, darauff das hertz gentzlich trawet", ib. 133, 35-134, 6. " „.. .Und mus also aus seinem Göttlichen bilde eine schendliche Teuffels larven machen on alle seine schuld, Denn er bleibt fur sich allzeit gleich und einerley gesinnet, Aber das du jn nicht also fassest, das ist des Teuffels, der dir solch bild verkeret, und deine schuld, das du solcher Teuffels larven folgest", 37, 456, 11-19 (Pred. 1534 Dr.); ib. 455, 3 und 458, 4 f. CRO"u 7, 231, 19 (Propositiones a Martino Luthero disputatae 1520). 01 „Sic Deus larvam diaboli, diabolus Dei induit, et Deus sub larva diaboli cognosci et diabolum sub larva Dei reprobari vult", 40 II, 54, 15 f . (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.). 37. 456, 4-6, 15-26 (Pred. 1534 R. und Dr.); siehe oben Anm. 59. 8 - Nilsson
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und nach dem Fall nicht ernst nehmen. Es wird als ein böswilliges und zorniges Wort erlebt, das er entweder unbeachtet lassen oder beherrschen will. Und das bedeutet, wie wir nun schon oft gesehen haben, daß er meint, seine eigenen Wege gehen zu können, sein dominium auszuüben, seine natürlichen Gaben und die geschaffenen Dinge zu gebrauchen, wie es ihn gelüstet, ohne Rücksicht auf Gott zu nehmen. Aber das ist nur eine selbstgenommene Freiheit. Der Mensch untersteht weiterhin der Herrschergewalt Gottes - auch wenn er selbst sich dem Regiment des Teufels unterworfen hat - und Gottes Befehle gelten immer noch. Gott kann auch noch Menschen und menschliche Ämter als seine cooperatores und larvae benutzen, um seine Befehle zu verwirklichen. Nun ist der Mensch indes gezwungen, in Gottes Dienste zu treten und seinen Geboten zu gehorchen; es geschieht nicht mit Leichtigkeit und Freude. Für den imago-diaboli-Menschen ist das zu einer schweren Bürde geworden. Aufgrund der Sünde faßt er das mandatum Dei als ein anklägerisches und verdammendes Gesetz auf". Durch die Erörterung des abusus-Begriffs haben wir uns hier Luthers Wort- und Gesetzauffassung wieder von einer neuen Seite genähert. Zur Darstellung der Verkehrtheit des Menschen gehört auch eine Beschreibung dessen, wie das Wort von Beginn an aus einem lebenspendenden mandatum Dei zu einer strafenden und tötenden lex peccati verändert wird. Eine solche möge hier ganz kurz folgen". Das verkehrte Streben des Menschen, mit Gottes Gebot zurecht zu kommen, weist in zwei Richtungen: er will es entweder unbeachtet lassen und sein Leben ohne das Wort zu führen suchen, oder die Möglichkeit besitzen, es zu kontrollieren und seine Forderungen - denn als solche erlebt er ja das Wort - erfüllbarer und leichter zu machen. Aber das scheinbar sorglose Leben ohne Gott und sein Gebot ist Luther zufolge eigentlich eine Unmöglichkeit. Einmal macht sich ja der Wille Gottes ständig in der lex naturae bemerkbar, zum anderen ist die Sünde zwar in ihrer tiefsten Verderbnis verborgen", gleichwohl aber in gewissem Sinne durch die lex naturae bereits enthüllt" 0 . Darum kann der Mensch doch den Anklagen des Gesetzes Gut ausgedrückt bei Löfgren i960, 144: „Aus dem mandatum Dei, das gibt, was es fordert, ist eine lex peccati et mortis geworden, die straft und tötet". 01 Siehe in der umfassenden Literatur Olsson 1934, 84 f f . , Althaus 1952 (die Distinktion Gebot - Gesetz), Siirala 1956, 178 ff., Haikola, Usus legis 1958, 1 1 3 f f . , Löfgren i960, 141 f f . , Schloemann 1961, 107 ff. " „occultissimum superbiae Vitium", 7, 141, 28 (Assertio omnium articulorum . . . 1520); „occultiora et spiritualia Naturae vitia", 40 III, 5 1 5 , 22 (Enarratio Psalmi X C I 534~35 Dr.); ib. 551 ff.; „Ibi vides, quod Deus multa peccata videat, quae nos non, praesertim originis peccatum", 552, 8 f. (Hs.); „vocat peccatum rem absconditum", 553, 19 (Dr.) usw. c " 18, 684, 5-8 ( D e servo arbitrio 1525); „peccatum enim originale vel Adae est universo generi humano absconditum, quia nescit homo, quod sit in peccatis conceptus. Habet quidem aliqua ex parte naturaliter cognitionem peccati. N a m lex est illi naturaliter inscripta et impressa", 39 II, 366, 13-367, 4 (Prom. disp. von P. Hegemon 1545 A . ) ; 40 II, 369 f f . (Enarratio Psalmi LI 1532), u.a. 369, 6 - 1 0 ( H s . ) . 03
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nicht entgehen; dieses weist auf die Sünde und schiebt die Schuld auf den Menschen und verdammt und tötet ihn". Damit hängt der abusus der Schöpfung durch den Menschen zusammen. Denn wenn er in den wechselvollen Situationen des Lebens ständig den Anklagen des Gesetzes und den Urteilen des Gewissens ausgesetzt ist, sucht er seine Zuflucht bei seinen Werken, seinem Besitz und den Gegenständen und Personen seiner Umgebung. Er klammert sich fest an den Dingen und dem Menschlichen, das eine immer größere Rolle für ihn spielt. Er sucht sich hinter irgend etwas zu verschanzen - Ereignissen, Werken, Dingen - auf das er sich verläßt, und er will dadurch Göttlichkeit an sich reißen und sich ihrer versichern. In diesem abusus ist also zusammengefaßt: Verkehrtheit dem Wort gegenüber, Götzendienst, Gesetz- und Werkgerechtigkeit. Hier liegen in Wirklichkeit noch ein Mißbrauch und eine Vermischung gefährlichster Art vor. Denn die Gerechtigkeit, von der hier die Rede ist, kommt daher, daß der Mensch seine irdischen Verpflichtungen erfüllt, sie ist eine iustitia civilis oder externa, die nur coram hominibus gilt und von Gott geboten ist, um menschliche Verhältnisse zu regeln. Wenn der Mensch sich indessen auf diese Gerechtigkeit verlassen will, versucht er in seiner verkehrten Art wiederum etwas nur Menschlichem einen göttlichen Stempel aufzudrücken und sie zu einer iustitia theologica oder interna zu machen, die coram Deo relevant sein und die Gewissensbisse, mit denen das Gesetz droht, zum Schweigen bringen soll. Aber hier kann der Mensch nach Luther nur in eine falsche Sicherheit, securitas, geraten, oder in dauernde Anfechtungen und desperatio, denn der Druck des Gesetzes wird nur immer schlimmer Der gefallene Mensch irrt sich also durchweg und in allen Punkten. Es liegt daher nahe, abschließend an den absconditus-Gedanken zu erinnern, mit dem wir uns früher beschäftigt haben". Die Gottesvorstellung, in die der Mensch im Vertrauen auf die Dinge und die Werke hineingeraten ist, ist für Luther gleichzeitig falsch und richtig; falsch, weil der Mensch, von der Sünde geblendet, einen teuflischen Gott malt, der zornig droht und fordert, straft und tötet, aber richtig, weil dieser „deus iratus" für den Angefochtenen wirklich Gott ist, ein Gott mit wirklichem Zorn 70 - wenngleich Luther sicher ist, daß sich Liebe dahinter verbirgt. 07 42, 128, 1 0 - 1 3 1 , 22 (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) . Siehe ferner die in A n m . 64 angeführte Literatur, die auch reichliche Luther-Zitate bietet. V g l . auch was oben in Kap. I A : 2 von dem Gesetz, dem Zorn und der Anfechtung gesagt wurde. "" Z . B . eine ausdrucksvolle Stelle in den Schmalkaldischen Artikeln 1 5 3 7 , 50, 224, 2 5 225» 7 ; vgl. Ljunggren 1928, 4 1 7 ff., Jacob 1929, 8 f f . , Müller 1929, s o f f . , Bring 1929, 281 f f . , 3 1 0 f f . , Pinomaa 1 9 3 8 , 34 f f . , 104 f f . und 1940, 103 f f . 08 V g l . oben Kap. I A : i , den Schluß. T0 Siehe noch einmal unsere Predigt von dem Hauptmann, 3 7 , 4 5 5 , 4 f. (Pred. 1 5 3 4 R . ) und 459, 2 1 - 2 5 [ D r . ) . Dieser Gedanke kehrt bei Luther oft wieder und bedeutet die höchste Anfechtung, siehe z.B. Bring 1929, 3 1 6 f f . Der panische Schrecken vor dem zornigen Gott wird für Luther u.a. von dem Versuch Adams und Evas, vor Gott im Lustgarten zu entkommen, illustriert, 42, 127 f f . (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ] , und
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Was sich von oben als Teuflischkeit und Zorn ausnimmt, erscheint von unten als Naturverderbtheit und Mißbrauch, in allem ist die Sünde wirksam und doch Gott durch die Sünde. Gottes Verborgenheit ist doppelt: unter den Masken der Schöpfung und hinter der Verkehrtheit der Sünde. Immer wieder begegnete uns auch diese Doppelheit: imago Dei - imago diaboli, larvae Dei - larvae diaboli, cooperator Dei - cooperator diaboli, usus - abusus. Trotz dieser Verborgenheit und durch sie hindurch ist das Wort wirksam, steigt Gott im Wort hernieder in Handlungen und irdische Werke - mitten hinein in Sünde und Erniedrigung. Im Menschlichen findet die Auseinandersetzung zwischen Gott und Teufel statt. Der Inkarnationsgedanke, die Worttheologie, der absconditus-Aspekt und das Kampfmotiv erweisen sich wieder als Ausdruck der gleichen Realität.
C. Der Mensch im Dienst am
Nächsten
Wir kommen nun zum dritten Kapitel des ersten Hauptteils dieser Arbeit. Im ersten Kapitel folgten wir Luthers Gedanken über die Schöpfung, wie Gott durch das Wort schafft und Leben spendet, wie er in seinem mandatum den Menschen in einem Glaubens- und Abhängigkeitsverhältnis an sich bindet, aber auch wie der Teufel Gottes Verborgenheit dazu benutzt, den Menschen vom Worte wegzuführen, und wie der Mensch dadurch Gottes Wort von Gott losreißt. Im zweiten Kapitel betrachteten wir näher, was dies in der Situation des Menschen bedeutete, einmal positiv, wie er an Gott gebunden sein dominium ausübte und, zur imago Dei geschaffen, Freiheit und Möglichkeit besaß, auf Erden zu herrschen und als cooperator Gottes für diesen zu arbeiten, zum anderen negativ, wie er, indem er sich in dem Wort irrte, aus Gottes Gebot ein äußerliches menschliches Wort machte, menschliche Dinge aber zu Götzen erhöhte und so das Gottesbild verdarb und in den Dienst des Teufels trat. Etwas vereinfacht könnte man das erste Kapitel als eine Darstellung des Verhältnisses Gott - Mensch (von oben), und das zweite Kapitel als eine Untersuchung des Verhältnisses Mensch - Gott (von unten) beschreiben. Beide haben die vertikale Relationsrichtung gemeinsam, die ja auch unbedingt primär und entscheidend sein muß. Das vorliegende dritte Kapitel unterscheidet sich von jenen beiden darin, daß sich unsere Blicke jetzt hauptsächlich auf die horizontale Ebene richten und das Verhältnis Mensch - Mensch beobachten sollen, aber natürlich so, daß die Relation zu Gott die ganze Zeit über das Verhältnis bestimmt. Dies letztere haben wir indes bereits untersucht, und was wir hier näher ergründen wollen ist, was es konkret bedeutet, nicht für den einzelnen Menschen auf Erden coram Deo - damit haben wir uns im vorigen Kapitel beschäftigt - sondern für den Menschen in seinen Beziehungen zu anderen Menschen, in den intermenschlichen Zusammenhängen und coram hominibus. auch über die Flucht Jonas vor Gottes Befehl, 19 222 f f . [Der Prophet Jona ausgelegt 1 5 2 6 } ; siehe Löfgren i960, 1 2 2 , 156 f.
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i. Berufsgehorsam und Billigkeit Wie wir gesehen haben, sind in weltlichen Verhältnissen ratio und lex naturae normierende Prinzipen einer ordinatio humana. Die Vernunft hat allein die Kompetenz, die weltlichen Dinge „in Oeconomia et Politia" zu lenken 1 . Luther betrachtet ja die recta ratio als eine in der Schöpfung begründete und in der Glaubensrelation geschenkte Gabe Gottes und als einen Teil der Gottebenbildlichkeit. Andererseits sieht er oft die Vernunft als eine rein menschliche Fähigkeit an, die ohne Führung durch den Heiligen Geist und persönlichen Glauben im dominium des Menschen effektiv wirksam ist. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß die Vernunftbegabung des Menschen nicht im Dienste Gottes stünde - wenngleich unbewußt. Luther will hier nur betonen, daß der Mensch des direkten Beistandes des Heiligen Geistes nicht bedarf, um recht und im Einklang mit dem Willen Gottes seine Herrschaft auf Erden auszuüben: „Dazu darff ich keines Geistes, das ich ein Pferd anders regiren mus den eine Sau oder Kuhe" 2 . Die weltlichen Dinge sind der Vernunft unterworfen und nicht dem Heiligen Geist, „denn er hat auch deshalben die Vernunfft und fünff sinne den Menschen gegeben'". Die ratio fungiert als ordnendes Prinzip vor und ohne Christus und das Evangelium, ist aber nichts destoweniger schon „in paradyso" eine göttlich gegebene Größe, die ohne theologische und christliche Anleitung wirksam ist 4 . Daher kann es häufig vorkommen, daß Heiden und weltliche Menschen, ja Gottesleugner und böse Fürsten sich im Umgang mit äußeren, irdischen Dingen als klüger erweisen und bessere Sachkenntnis besitzen als die Frommen'. Hierdurch erklärt es sich, daß man im Hinblick auf dies dominium der Vernunft in der Welt von einer „Gottesordnung ohne Gott" sprechen konnte*. Einmal ist es richtig, daß Gott dem Menschen in bezug auf äußere Verhältnisse Freiheit und Fähigkeiten geschenkt hat, seine Welt nach bestem Wissen zu verwalten 7 . Die „vita externa" ist den wechseln1 42, 138, 15-24 [Vöries, über 1. Mose 1535-45]. * 16, 354, 10-15 (Pfed. über das 2. Buch Mose 1524-27); 50, 553, 16-18 [ V o n den Konziliis und Kirchen 1539]. 3 χ 6; 356, I i f. (Pred. ber das 2. Buch Mose 1524-27); „Gott hat der vernunfft unterw o r f f e n solch zeitlich regiment und leiblich wesen Gen. 2. Und nicht den heiligen geist vom himel dazu gesand", 30 II, 562, 11-13 (Kinder zur Schule halten . . . 1530). * „Haec enim iam ante sunt in natura . . . nata ex fonte humanae rationis et divina sapientia . . . Haec enim in paradyso quasi plantata sunt divinitus in naturam", 40 III, 221, 14-222, 20 (In X V Psalmos graduum 1532-33 Dr.); 32, 304, 21-27 (Wochenpred. über Matth. 5-7 1530-32); 47, 242, 1-23 (Pred. über Matth. 18-24 1537-40). 5 16, 354, 26-355, 13 (Pred. über das 2. Buch Mose 1524-27); 51, 226, 26 f. (Ausleg. des 101. Psalms 1534-35); ..Und die warheit zu sagen, sind sie [die Heiden] jnn solchen sachen weit über die Christen geschickt, wie auch Christus selbs sagt, das die kinder dieser W e l t klüger sind weder die kinder des Hechts", ib. 242, 7-9; 52, 268, 25-30 (Hauspostille 1544). 6 Lau 1933, 59. 7 42, 512, 21-29 (Vöries, über 1. Mose 1535-45); „Was eusserlich ist, das lesst Gott gehen und fraget nicht so gros darnach", 16, 244, 21 f. (Pred. über das 2. Buch Mose
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den menschlichen Gegebenheiten und praktisch relativen Anweisungen entsprechend geordnet, aber ohne ausdrückliche göttliche Regeln und insofern ohne Gottes Wort - nämlich in der Bedeutung von Gottes durch Prophezeiung und Predigt geoffenbartem Willen 8 . Zum anderen aber ist sich Luther auch im Klaren darüber, daß diese rationelle äußere Ordnung, auch wenn sie gewissermaßen sine Deo ist, doch von einem anderen Gesichtspunkt und zwar mit Bestimmtheit cum Deo ist *. Gott ist überall, spricht und handelt in und durch Menschen und macht durch seine Gegenwart und Wirksamkeit alles göttlich, und doch sieht man nur gewöhnliche menschliche Verhältnisse, die durch rationale Erwägungen und sachliche Anpassung geordnet sind. Ratio und ordinatio humana sind nichtsdestoweniger „Gottes voll". Alle menschlichen Stände und Ordnungen sind „eytel Göttlich ding", da sie im Wort Gottes stehen - nämlich in der Bedeutung mandatum Dei, so wie jenes in der lex naturae und deren wechselnden Zusammenhängen Gestalt annimmt10. Das erklärt, warum Luther von menschlichen Ordnungen sprechen kann und gleichzeitig von Gottes geheimer Ordnung und behaupten, daß sie ohne „gottis wort" seien, gleichwohl aber nicht ohne „gottis radt"11. Abgesehen von dem Bedeutungswechsel des Begriffs Wort bei Luther ist der hier alles entscheidende Punkt die Relation zwischen Göttlichem und Menschlichem. Zuweilen richtet Luther die Blicke nach unten und hinaus in das Gewimmel von Personen und Wirksamkeiten in der Welt und sieht dann eitel menschliche Einrichtungen, die zudem durch Sünde und Mißbrauch verdorben sind. Ein andermal findet er kaum hinlänglich lobende Worte, um diese menschlichen Zustände zu besingen, weil sie in und durch das Wort einen durch und durch göttlichen Charakter tragen. Luther kann also einen menschlichen Stand ein „Göttlich ding" nennen, weil er von Gott eingesetzt und geschaffen ist. Auch die Menschen, 4 „Denn wir sehen ja wol, das Gott die weltliche herrschafft oder koenigreiche unter die Gottlosen strewet auff das aller herrlichst und mectigest, gleich wie er die liebe Sonne und regen auch über und unter den Gottlosen lesst dienen, Und doch kein Gottes wort noch dienst unter sie stifftet noch durch Propheten sie leret oder weiset, wie er doch zu Jerusalem gethan hat jnn seinem volck. Dennoch heisst er solch weltlich regiment der Gottlosen seine Ordnung und geschepffe . . .", 5 1 , 238, 1 9 - 2 5 (Ausleg. des 1 0 1 . Psalms 1 5 3 4 - 3 5 ) ; ib. 242, 1 f f . ; 18, 1 1 0 , 18 f f . (Wider die himmlischen Propheten 1 5 2 5 ) ; „Nam hoc, quod in hac vita requirimus aut agimus, etiam sine verbo habere possumus", 42, 6 i , 24 f . (Vöries, über 1 . Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) . " Vgl. Wolf EvTh 1935, 322: „Das sine Deo ist bei den Ordnungen nicht ohne das cum Deo". Forell 1954 betont auch die Grundlegung der Ethik in der Schöpfungstheologie, 44 f f . ; das ist bei Löfgren i960 ein Hauptgedanke. 1,1 19, 629, 30-630, 2 (Ob Kriegsleute . . . 1526); „Denn wir nu o f f t gesagt, das Gottes wort heiliget und vergottet alle ding, dazu es gesetzt wird. Darumb heissen solche stende, so mit Gottes wort gestifftet sind, alles heilige, Göttliche stende, ob gleich die personen nicht heilig sind, Als Vater, Mutter, Son, Tochter, Herr, Fraw, Knecht, Magd, Prediger, Pfarher etc. sind alles heilige, Göttliche stende und möchten doch drinnen wol die personen buben und schclcke sein. Also weil Gott die Oberkeit hie mit seinem wort stifftet und fasset, heissen sie billich Götter und Gottes kinder umb des Göttlichen standes und Gottes worts willen . . .", 3 1 I, 2 1 7 , 9 - 1 7 (Der 82. Psalms ausgelegt 1 5 3 0 ) . 11 6, 318, 26-28 (Von dem Papstthum zu Rom 1520).
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die Personen in diesen Ständen, erhalten aufgrund der Göttlichkeit der Ämter göttliche Bezeichnungen und werden geradezu „Götter" genannt. Das Menschliche ist göttlich, nicht weil es Träger irgend welcher inhärenter göttlicher Eigenschaften wäre, sondern es werden menschlichen Verhältnissen und Ständen göttliche Eigenschaften zugelegt, weil sie in Gottes Willen und Ordnung einbegriffen sind. Was dann vom Göttlichen ausgesagt werden kann, gilt auch für das Menschliche12. Sine Deo bedeutet für Luther niemals „Eigengesetzlichkeit" im autonomen Sinne, ebenso wenig wie cum Deo ein Göttlichmachen an und für sich bedeutet". Gerade weil sie menschlich sind, sind ordinatio humana und ratio in dem ständig lebenspendenden mandatum des Schöpfers eingeschlossen und damit auch ordinatio divina. Der Begriff, der Luthers Gedanken hier am besten zu vereinigen und auszudrücken vermag, ist ohne Zweifel communicatio idiomatum; wir werden diesen Begriff später in seinem primären christologischen Zusammenhang untersuchen. Alle menschlichen Stände und Ordnungen sind von oben, von ihrer göttlichen Seite, gesehen gleich und ebenbürtig, denn alle sind Ausdruck für Gottes gestaltendes Wirken, sein Herabsteigen zum Menschen und sein Handeln an diesem. Daher sind auch alle vor Gott gleich, alle sind seine Werkzeuge, von Gott geschaffen, um ihm zu Diensten zu sein. Aber von unten betrachtet sind alle verschieden, denn die Werkzeuge und Diener Gottes sind Werkzeuge und Diener in sehr unterschiedlichen Verhältnissen. Hier tritt eine endlose Differenzierung ein, eine Verschiedenheit in äußerer Stellung und Lebensschicksal, die dem weltlichen Regiment, dem von Gott gegebenen dominium, angehört, und sich nicht von dem irdischen Dasein überhaupt eliminieren läßt. Die Ämter sind verschieden, die Funktionen wechseln, die Werke gehen in vielfältigen Richtungen nach unten zu neuen Nächsten. Coram Deo hören alle Verschiedenheiten der Stände auf, denn nach oben gegenüber Gott haben diese Ämterabstufungen keine Funktion", coram hominibus aber sind Unter12 „Saepe a me audistis, quod ordinationes Politicae et Oeconomicae sint divinae, quia Deus ipse ordinavit et approbavit eas, ut solem, lunam et alias creaturas", 40 I, 460, 2 2 - 2 4 CIn epistolam ad Galatas 1 5 3 5 Dr.); sehr lehrreich ist Luthers Auslegung des 82. Psalms 1 5 3 0 , 3 1 1 , 1 8 9 - 2 1 8 , z.B.: „ . . . einen rechten unterscheid zwisschen Gottes gewalt und yhrer gewalt. Er wil sie lassen Götter sein über menschen, doch nicht über Gott selbs . . . Denn Gott, der euch zu Göttern gesetz hat, wil freylich sich ausgenomen und seine Gottheit nicht unter ewr Gottheit geworffen haben . . . Moses nennet sie aber Götter aus dem gründe, das alle empter der oberkeit vom geringsten an bis zum höhesten Gottes Ordnung sind . . . Weil es nu nicht aus menschlichen willen odder für nemen kompt, Sondern Gott selbs alle oberkeit setzet und erhelt . . . darumb heisst es billich Ein Göttlich ding, Gottliche Ordnung und solche personen auch billich Göttisch, Göttliche odder Götter genennet werden . . . " , 1 9 1 , 2 5 - 1 9 2 , 7 ; 1 5 , 44, 1 1 f . [ A n die Ratherren . . . 1 5 2 4 ) ; 3 1 1 , 234, 5 - 3 4 (Der 1 1 7 . Psalm ausgelegt 1 5 3 0 ) ; 44, 2 1 8 , 1 2 - 1 8 , 406, 1 9 - 3 1 [Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) . V g l . Lau 1 9 3 3 , 1 2 f f . , 57 f f . 13 V g l . den ersten Einleitungsabschnitt und die Analysen und Distinktionen, die dort in bezug auf Troeltsch, Holl, die Ordnungstheologie und Karl Barth gemacht wurden. 11 „Est certe distinetio personarum in lege et coram mundo et ibi eam oportet esse, Sed non coram Deo, ubi omnes homines aequales sunt", 40 I, 544, 2 0 - 2 2 (In epistolam ad
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schiede notwendig, Unterordnung und Überordnung, Diener und Herren, Untertanen und Fürsten". Jeder Mensch hat nach Luther seinen bestimmten Platz, hat von Gott seinen bestimmten Beruf erhalten, und daraus ergibt sich, daß jeder Mensch auch seine bestimmten Nächsten hat. Dieser Beruf ist so sicher wie das Leben selbst und ein Ausdruck für die Gebundenheit des Menschen an Gottes Befehl". Die Anweisung eines bestimmten Berufes ist eine Anweisung des Gesetzes. Gottes mandatum versetzt den einzelnen Menschen in eine Situation, eine Zeit und eine Relation zu seinen Nächsten, die einzigartig und faktisch nur seine eigene ist. Was Gott befiehlt, sind keine nach oben gerichteten Werke, die der Stellung des Menschen vor Gott dienen sollten, sondern Werke, die dem Nächsten nützen. Und eben diese Werke im Dienst am Nächsten sind es, die den Inhalt des Berufs eines jeden Menschen bilden". Wenn man unruhig erwägt, ob man vielleicht zu anderem berufen sei oder sich überhaupt seiner AufGalatas 1535 Dr.]; „Denn gegen Gott und im dienst seiner Oberkeit sol alles gleich und gemenget sein, es heisse geistlich oder weltlich, der Bapst so wol als der Keiser, der herr als der knecht, U n d gilt hie kein unterscheid noch ansehen der person. Einer ist f u r Gott so gut als der ander", 51, 240, 17-20 [Ausleg. des 101. Psalms 1534-35); 19, 652, 25653» Η COb Kriegsleute . . . 1526). Vor dem Kind in der Krippe verschwinden alle Unterschiede zwischen Mensch und Mensch, 41, 484, 21-29 (Pred. 1535 R.). 15 „Denn welltlich reich kan nicht stehen, wo nicht ungleicheyt ist ynn personen, das etliche frey seyn, etliche gefangen, etliche herren, etliche unterthan etc.", 18, 327, 22-24 [Ermahnung zum Frieden 1525]; 40 I, 544, 34-545, 15 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.); 47, 452, 19-453, 1 1 (Pred. über Matth. 18-24 I 5 3 7 - 4 ° ) · Eine geschichtlich gute und systematisch breite Darstellung von Luthers Auffassung der Regimente, Stände und Berufe liegt von F. E. Cranz vor, An Essay on the Development of Luther's Thought on Justice, Law and Society 1959, hier besonders 153 ff. Das Hervorwachsen dieser Gedankengänge - was usus legis civilis, justitia civilis usw. betrifft - ist nur selten und teilweise in der Lutherliteratur beschrieben worden und darum von besonderem Interesse. Leider hat Cranz die entscheidende Rolle des Wortes bei Luther nicht genug beachter, hier vor allem als des erneuernden mandatum. " „Weil denn nu das gewis ist, das es ein Gottliche Creatur und Ordnung dazu uns menschen ynn diesem leben, ein notiges ampt und stand ist, des wir eben so wenig emperen können, als des lebens selber, Sintemal on dasselbige ampt das leben nicht bleiben kan", 30 II, 556, 5-8 (Kinder zur Schule halten . . . 1530); „Unangesehen aller heyligen exempell unnd leben soll eyn iglicher wartten, was yhm befolhen ist, unnd warnhemen seynis beruffis", IOI:I, 306, 17 f. (Kirchenpostille 1522); so oftmals in Kirchenpostille z.B. die zitierte Predigt, 305-324, weiter 412 ff., 491 f., und im Galaterbriefkommentar 1535, 40 I, 342 f., 474 f f . , 573 ff., 40 II, 152 f. Zu einer Reihe der Fragen über Luthers Berufsauffassung, die hier nur angedeutet werden kann, siehe die allseitige und klarmachende Darstellung bei Wingren 1952, hier u.a. 113 ff., 128 ff., und Seils 1962, 147 f f . 17 Luther erläutert Matth. 6, 25 f f . die rechte Sorge, 32, 458-472 (Wochenpred. über Matth. 5-7 1532), siehe u.a. 459, 22-29 und: die sorge thuts, die deines ampts ist und zu Gottes reich gehöret, das du thust was dir befolen ist, Gottes wort predigst und forderst, dem nehisten dienest nach deinem beruff und nimpst was dir Gott gibt", 472, 2-5. In der Kirchenpostille 1522 polemisiert Luther gegen die egozentrischen, „geistlichen" Werke in den Klöstern und im Mönchswesen, z.B.: „Es muss yhe eyn ehlich mensch leyplich nutz seyn andern denn yhm selbs, und eyn weltlich ubirkeyt muss yhe yhren unterthanen ettwas nutz seyn. Knecht, magd unnd alle unterthanen müssen andern nutz seyn und dienen. Aber ditz elend volck ist doch keynem menschen nutz auff erden . ..", i o I : i , 656, 9 - 1 3 .
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gäbe im Leben nicht sicher ist, ist das für Luther ein Zeichen dafür, daß man sich nicht über seine Gebundenheit an die äußeren Dinge und die Beziehungen zu anderen Menschen im Klaren ist". Der Beruf ist demnach nicht etwas Inneres, Geistliches, was vom Himmel zu einem kommt und was sich von der weltlichen Umgebung isolieren läßt, sondern der Beruf ist gerade dieses konkrete irdische Dasein, und er ist jedem Menschen zu eigen mit all den Bindungen und Relationen, die dieses Dasein kennzeichnen. Es ist hier charakteristisch für Luthers Auffassung, daß derlei äußere Werke, die „im Worte gehen", auch etwas Inneres und Geistliches sind". Wenn der Mensch im Vertrauen auf Gott und im Gehorsam gegen seine Befehle die Werke seines Berufes ausführt, sind diese mitten in ihrer Alltäglichkeit und Leiblichkeit auch geistlich und göttlich - und das nicht aufgrund ihres eigenen Glanzes, ganz abgesehen davon, daß sie von Gottes Willen ausgehen. An und für sich sind diese Werke unansehnlich und dürftig, die wenig ehrenvollen Aufgaben einer Magd, denen die Welt keine Achtung schenkt und die von der Vernunft am allerwenigsten als göttlich angesehen werden können*0. Daher suchen viele nach anderen Werken, nach Aufsehen erregenden und vielleicht „frommen" Werken voller Leuchtkraft und Sensation. Aber solche selbstgewählten Werke sind nur menschlich und enthüllen vor Gott des Menschen Werkgerechtigkeit und prahlende Frömmigkeit'1. Andererseits - und das ist in diesem Zusammenhang für Luther von entscheidendem Gewicht - wird auf diese Weise dem Nächsten häufig ebenfalls gedient. Wenn Luther das Mönchswesen und Klosterleben vor anderem kritisiert, geschieht das deswegen, V o n dieser Gebundenheit an die täglichen A u f g a b e n u n d Mitmenschen sagt Luther: „Bistu ein handwercks man, so findestu die Bibel gelegt j n n deine w e r c k s t a t , j n n dein hand, jnn dein hertz, die dich leret und furpredigt w i e du d e m nehesten t h u n solt: S i h e nur an deinen hand zeug, deine nadel, finger hut, dein bierfas, deinen k r a m , deine w o g e , eile und mas, so liesestu diesen spruch d a r a u f f geschrieben, das du nirgend h i n sehen kanst, da dirs nicht unter äugen stosse, und kein ding so gering ist, damit d u teglich u m gehest, das dir solchs nicht on unterlas sage, w e n n d u es hören w i l t . . . " , 32, 495, 29-496, 2 ( W o c h e n p r e d . über Matth. 5 - 7 1532). V g l . Runestam 1 9 1 7 , 182-186. „ S o f o r t an alle das ienige, so unser leib euserlich und leiblich thut: w e n n G o t t s w o r t dazu k o m p t und durch den glauben geschieht, so ists und heisst geistlich geschehen, D a s nichts so leiblich, fleischlich odder eusserlich sein kan, es w i r d geistlich, w o es y m w o r t und glauben gehet", 23, 189, 8 - 1 1 ( D a ß diese W o r t Christi . . . 1 5 2 7 ) . 20 N B ! w i e Luther - was er übrigens manchmal macht, w e n n er v o n den v o n G o t t befohlenen W e r k e n z u m Besten des Nächsten redet - „christliche" u n d natürlich gute W e r k e zusammenstellt, ohne dort eine speziell christliche Ethik z u unterscheiden. D a s ist v o n großer prinzipieller Wichtigkeit. Siehe hier z.B.: „ . . . das heyssen recht Christlich, naturlich gutte werck, die on unterlass, alle tzeytt, an allen ortten, gegen allen personen geschehen mugen und sollen", 10 1:2, 41, 5 - 1 4 (Adventspostille 1522]. 21 „Sihe, alsso f i n d t man viel leutt, die allerley thun, on w a s y h n b e f o h l e n ist. M a n c h e r horett, das ertlich heyligen haben wallen gangen, dauon sie gelobt sind, sso f e r e t der narr t z u , lest w e y b unnd k y n d sitzen, die y h m von gott b e f o l h e n sind, l e u f f t auch t z u S. Jacob odder h y r und dar, sihet nit an, w i e seyn b e r u f f und b e f e l h viell e y n anderer ist, denn des heyligen, dem er folgt . . . er [ G o t t ] mag nit l e y d e n eygen ersuchte oder erlessene werck . . .", IOI:I, 307, 13-308, 5 (Kirchenpostille 1522).
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weil der Nächste keinerlei Nutzen von diesem „frommen" Leben hat. Derjenige, welcher Mönch wird, wählt damit eine Beschäftigung, die nicht von Gott befohlen ist, und die auch nicht das Wohl des Nächsten im Auge hat. Er führt vielmehr W e r k e aus, die er selbst und andere wegen ihrer Weitabgewandtheit als die göttlichsten betrachten, die aber gerade dadurch, daß sie von Gottes Geboten, von der Erde und vom Nächsten losgelöst sind, für Luther zu den sündig-menschlichsten werden". Das Kriterium der Göttlichkeit in menschlichen Ständen und Berufen ist also, daß sie von G o t t gegeben und befohlen sind, sowie daß sie dem Nächsten dienen. Läßt man den Nächsten außerhalb stehen, so ist man von seinem Beruf abgewichen und hat sich vielleicht in etwas vermeintlich Geistliches geflüchtet. Der Beruf bedeutet Gottvertrauen und Dienst am Nächsten. Damit ist der Mensch in eine zweifältige Gebundenheit versetzt, in Glauben und Gehorsam im Verhältnis zu Gott, in Liebe und W e r k e n im Verhältnis zum Nächsten. Dies ist eine typische Formulierung des communicatio-Gedankens, der uns ständig in Luthers Theologie begegnet, daß nämlich das, was vom Göttlichen ausgesagt wird, auch auf das Menschliche anwendbar ist. Die stillen, unbeachteten W e r k e im Dienst am Nächsten sind der Ausfluß eines Glaubens, der oft unbewußt und unausgesprochen u n d in gewöhnlicher menschlicher Aktivität verborgen ist, in der selbstlosen Frage nach dem W o h l e des Nächsten jedoch offenbar und deutlich wird. Das Gottvertrauen findet andererseits Ausdruck im Gehorsam gegenüber seinen Geboten, der Bereitschaft, den Befehl zum Dienst am Nächsten Ernst zu nehmen" 1 . In diesem Gehorsam liegt für Luther bereits der Glaube verborgen. Das „innere" Gottvertrauen und das „äußere" Handeln am Nächsten sind also Parallelerscheinungen, oder besser einunddasselbe; bald ist es die Glaubensrelation, das Göttliche, was am klarsten hervortritt, und bald das Verhältnis zum Nächsten, das Menschliche. Die Gebundenheit an G o t t im Glauben ist verborgen unter dem Gehorsam gegenüber der Gebundenheit an den Nächsten, das Gebot Gottes enthüllt sich als Hilferuf der Umwelt, und das W e r k des Berufs zeigt sich im Gottvertrauen. In solchen Variationen kann man Luthers Auffassung vom Verhältnis des Göttlichen zum Menschlichen im Beruf ausdrücken"' 1 . Es gilt also, im Beruf auszuharren und in ihm unter Gottes G e b o t zu bleiben. Dadurch ist der Mensch ein cooperator Gottes, der durch sein Wirken dazu beiträgt, an einem bestimmten Punkt das Göttliche hervortreten und menschliche Gestalt annehmen zu lassen. In diese göttliche Das ist ein von Luther o f t behandeltes Thema u.a. in De votis monasticis 1 5 2 1 , z.B. 8, 595 f., 6 1 1 f., 629 f f . , und in der Kirchenpostille 1522, z.B. i o I : i , 3 1 6 f., 493 f . ; siehe auch 1 2 , 105 f f . [Das siebente Kap. S. Pauli zu den Cor. 1 5 2 3 ) ; 32, 5 1 1 f . (Wochenpred. über Matth. 5 - 7 1 5 3 2 ] ; 40 I, 342 f., 474 f . (In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 ) , und an vielen Stellen in der gesamten Produktion Luthers. 23 Z.B. 8, 637, 19-24 (De votis monasticis 1 5 2 1 ) . ϊ4 Vgl. Wingren 1952, 52 f f .
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Inkarnationswirksamkeit einbezogen, ist er an eine gewisse „vocatio" Gottes gebunden, aber in deren Ausgestaltung hat er freie Hand, alle zu Gebote stehenden Möglichkeiten auszunutzen, um Gottes Befehl so gut und klug wie möglich auszuführen. Der Mensch hat ständig etwas zu tun, das Leben ruht niemals, sondern ist erfüllt von Wechsel und Bewegung, dauernd geschieht etwas Neues und Anderes 2 \ Aber in all dem ist Gottes mandatum und vocatio der feste Punkt20. Gott gibt den Beruf, die Beschäftigung, die Aufgabe, das was jeder Mensch jeden Augenblick ausrichten soll. Er hat kein liberum arbitrium, so daß er sein Dasein beherrschen und selbst den rechten Augenblick für eine Handlung wählen könnte, sondern Gott ist er, der Zeit und Stunde bestimmt. Hier ist es wertvoll, ein wenig bei der Bedeutung von Luthers Äußerungen über das „Stundlein" zu verweilen. Er legt u.a. die Worte aus Pred. 3, ι : „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde", und aus Joh. 7, 30: „ . . . denn seine Stunde war noch nicht gekommen" aus". Nun haben wir keinen Grund, einzelne Luther-Stellen im Detail zu erörtern; uns interessiert hier lediglich die für unsere Untersuchung wichtige Verwendung des Stundlein-Gedankens. Er drückt ja Gottes schöpferische Freiheit aus, jeden Augenblick etwas Neues zu tun, etwas Unvorhergesehenes und Unberechenbares, und die Gebundenheit des Menschen an die Zeiten und Möglichkeiten, die Gott ihm gibt. Alle Berufe, alle menschliche Arbeit sind voller Schwankungen, der eine Augenblick gleicht nicht dem anderen. Und in einem jeden will Gott etwas tun. Darum hat er allem ein Stundlein gesetzt, in dem es unbedingt geschehen muß. Es ist deshalb sinnlos, sich auf lange Sicht Kummer zu machen oder sich über Erfolge und Mißerfolge zu beunruhigen, denn ein jeder Augenblick steht in Gottes Hand. Für Luther ist das kein Ausdruck eines defaitistischen Schicksalsglaubens, sondern eines unbe25
„Dieweil dan menschlich wesen unnd natur kein augenblick mag sein on thun odder lassen, leiden odder fliehen (dan das leben rüget nymmer, wie wir sehen), Wolan, szoi heb an, wer do wil frum sein und vol gutter werck werden . . . " , 6, 212, 32-34 [ V o n den guten Werken 1520); siehe auch eine ungewöhnlich aufschlußreiche Stelle in der Kirchenpostille 1522: „Szo mochstu sprechen: Wie aber, wenn ich nit beruffen bynn, was soll ich denne thun? Anttwortt: wie ists muglich, das du nit beruffen seyest? du wirst yhe ynn eynem stand seyn, du bist yhe eyn ehlich man odder weyb odder kind odder tochter odder knecht odder magt. Nym den geringsten stand fur dich, bistu eyn ehlich man, meynstu, du habst nicht gnug tzu schaffen ynn demselbenn standt? . . . Item: bistu eyn sson odder tochter . . . Item: bistu eyn magt odder knecht . . . Item: bistu eyn fürst, herr, geystlich odder weltlich, wer hatt mehr tzu thun denn du? . . . Sihe, wie nu niemand on befelh und beruff ist, sso ist auch niemand on werck, sso er recht thun will . . . sso wirtt er tzu schaffen sso viell ubirkommen, das yhm all tzeytt tzu kurtz, alle stett tzu enge, alle krefft tzu wenig seyn werdenn", 10 I:i, 308, 6-309, 19. 20 8/ 573/ 1 2 - 1 5 [ D e votis monasticis 1521); 20, 59, 16-26 (Annotationes in Ecclesiasten 1532); 40 III, 206, 32-38 (In X V Psalmos graduum 1532-33 Dr.). 27 Der wichtige Gedanke des „Stundlein" ist von J. Haar, Initium creaturae Dei 1939, 14 f f . behandelt worden, ausführlich und treffend in seinen Gesamtzusammenhang hineingesetzt von Wingren 1952, 135 f f . und von Seils 1962, 103 f f . , 116 f . Alle drei untersuchen die Annotationes in Ecclesiasten 1532, 20, 58 ff., und die Wochenpredigten über Joh. 6-8 1530-32, 33, 400 f f .
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dingten Vertrauens auf Gottes Fürsorge. Gott ordnet, was zu tun ist und gibt ihm seine Zeit, er stellt den Menschen in bestimmte Aufgaben hinein, so daß er nicht zu grübeln und zu suchen braucht Auf diese Weise ist der Mensch zwar unfrei, aber gerade durch diese Unfreiheit ist er geeignet, in Sicherheit und Zuversicht in Gottes Sinn zu handeln. Und dann besitzt er die Freiheit, in der gegebenen Stunde und Situation das Gute auf Erden zu wirken, dann hat er die Freiheit zum Tun und Lassen im Einklang mit den Forderungen, welche die Bedürfnisse des Nächsten stellen. Der Mensch taucht hinab in die Arbeit des Berufs und beschäftigt sich darin mit dem, was er zu beurteilen vermag, was unter ihm steht und worüber sein Wille verfügen kann, und dadurch wird dem Nächsten gedient. Dabei hat er die Freiheit, zu „tun", nach traditionellen Regeln und Sitten zu handeln, oder zu „lassen", etwas anderes zu tun, was für den Nächsten von größerem Nutzen ist, als das, was man zu „tun" pflegt". In der nach unten gerichteten Wirksamkeit hat der Mensch freie Hand, aber Gott ist es, der die Stunde gibt. Wenn der Mensch in Gehorsam in seinem Beruf und dem Dienst am Nächsten, in die er hineingestellt ist, ausharrt, ist das ein Zeichen dafür, daß er sich demütig an Gott hält und sich darein findet, daß er ein verborgener Gott ist 10 . Denn was Gott bestimmt hat und was nach und nach geschieht, kann der Mensch nicht berechnen und nicht darüber verfügen". Aber wenn das geschieht und Gottes Ratschlüsse aus ihrer Verborgenheit heraustreten und einer nach dem andern ans Tageslicht kommen, so wie die Stunden einander ablösen - dann steht es dem Menschen frei das auszuführen, was die Stunde von ihm fordert. Er ist dann ein Werkzeug für „ w e m G o t t w o l w i l und glück gibt, der kan o f f t on mühe und sorgen jnn einer stund mehr ausrichten denn sonst ein ander jnn vier gantzen tagen mit grosser mühe und sorg . . . A l s o das doch niemand nichts schaffen kan, denn w e n n das stündlin k o m p t das G o t t gibt . . .", 32, 4 7 1 , 5-472, 12 ( W o c h e n p r e d . über Matth. 5 - 7 1532); vgl. A n m . 17. 2° „Das ander alles f r e y ist t z u lassen und t z u hallten, darumb kan man das alles eynem t z u willen hallten, dem andernn t z u willen lassen, und alsso sich eynem iglichen eben machen", 101:2, 175, 1 4 - 1 6 (Adventspostille 1522); „Alsso der klöster gelubd, regel und Statut, soll man halten aus liebe und f r e y h e y t z u willen den andern, bey den man ist, das man sich mit yhn reyme und f u g e . . . denn auss lieb und f r e y h e y t solchs halten schadet nichts. A b e r auss nott und gehorsam halten, ist vordamplich", ib. 176, 8 - 1 7 . Siehe ferner Wingren 1952, 70 f f . 30 Siehe z.B. 49, 609, 23-33 CPred. 1544 D r . ) und mehrfach. 31 „ U n d hüte dich f u r dem Türckischen, Epicurischen G l a u b e n , da etliche fürgeben: W a s sol ich thun? W a s ist Beten nütze? W a s h i l f f t viel sorgen? Ists versehen, so mus es geschehen. D e n n also G l e u b e n und sagen die Türcken: Es kan niemand sterben, sein stündlin sey denn k o m e n . . . Ja, w a r ists, W a s versehen ist, das geschieht, A b e r mir ist nicht befohlen, sondern viel mehr verboten, z u wissen, w a s versehen ist . . . Mir ist geboten, das ich wissen sol, w a s zu thun sey. U n d darumb ist sein w o r t uns gegeben, das w i r wissen sollen, w a s w i r thun sollen, und nicht thun, das w i r nicht wissen, Sondern dasselbe G o t t heimstellen u n d uns unsers befelhs, b e r u f f s , ampts halten . . . " , 5 1 , 614, 3 4 - 6 1 5 , 27 ( V e r m a h n u n g z u m G e b e t wider den T ü r k e n 1 5 4 1 ) . H i e r tritt auch der Unterschied zwischen dem G l a u b e n Luthers an G o t t und jeglichem fatalistischen Schicksalsglauben sehr klar hervor: Luther schwankt nicht in bezug auf das Vorauswissen und die A l l m a c h t Gottes, sondern er ist sicher in seinem V e r t r a u e n auf G o t t und sein W o r t . D a s schenkt A r b e i t s f r e u d e und Festigkeit in jedem Beruf.
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das, was Gott geschehen lassen will und ist damit selbst in Gottes Handeln einbezogen. Im Vertrauen auf ihn soll er wach sein für die Stunden, die er bereitet, und jede passende Gelegenheit wahrnehmen, um in Gottes Sinn zu handeln. Gott ist es, der hinter all dem steht, was die verschiedenen Augenblicke bringen, und darum soll der Mensch willig und fröhlich das Leben aus seinen Händen entgegennehmen und ständig versuchen, sein Bestes zu tun. Dann ist er im Durchführen der Arbeit, zu der er berufen ist, ein cooperator Dei, und durch seinen Gehorsam gegenüber dem Befehl Gottes wird dessen Werk durch ihn ausgeführt. Einen speziellen Ausdruck für dies inkarnatorische Geschehen - wie Gott seine Stunde wählt, herabsteigt und sein mandatum durch menschliche Aktivität realisiert - finden wir in der Vorstellung von den „viri heroici". Diese „Wunderleute" sind besonders ausgestattete Menschen, die Gott als seine auserwählten Werkzeuge verwendet, wenn er, um die Welt zu lenken, zu Mitteln und Methoden greifen muß, die sich von der üblichen Ordnung unterscheiden". Es sind Ausnahmemenschen, die an Gott gebunden und von ihm getrieben seine Werke verrichten und dies tun wie niemand anderes, mit einer von Gott verliehenen Freiheit und Handlungskraft, die über Ämter, Gesetze und Sitten hinausgeht. Ihr Wirken unterstreicht die Freiheit Gottes, sein Werk ausführen zu lassen, wann und wie er will und durch die Werkzeuge, die ihm gefallen, betont aber auch die Gebundenheit des Menschen, der Gott zur Verfügung stehen muß. Der Gedanke des „Stundlein" und des „vir heroicus" verleiht der einen Seite von Gottes inkarnatorischem Handeln Ausdruck. Jede Tat kommt dadurch zustande, daß ein Befehl Gottes bei den Menschen auf Gehorsam trifft. Dann geschieht durch den Menschen, was Gott getan haben will. So gestaltet Gott die Welt und die irdischen Verhältnisse. Entscheidend ist von diesem Gesichtspunkt also Gottes freies, souveränes Herabsteigen und Eingehen in das Menschliche, und des Menschen demütiges Offensein gegenüber Gott. Die andere Seite dieses inkarnatorischen Handelns Gottes zeigt sich in der Freiheit des Menschen nach unten, der Erde und dem Nächsten gegenüber. Da ist Gott in der Mannigfaltigkeit menschlicher Aktivität verborgen, durch Menschen gestaltet Gott die weltlichen Zusammenhänge in einem nie versiegenden Strom von Situationen und Ereignissen. Der Mensch muß dann - in Gehorsam an Gott gebunden - alle seine Möglichkeiten gebrauchen und frei das tun, was gerade notwendig ist" - wenn Gott die Gelegenheit gibt - um in sich selbst und seinen Werken Gott in carne hervortreten zu lassen. So betont Luther die Gleichzeitigkeit von mandatum und vocatio, Gebundenheit und Freiheit, Göttlichem und Menschlichem in einem bestimmten Handeln in einem konkreten Augenblick. Siehe hierzu z.B. 51, 206 f f . [Ausleg. des 101. Psalms 1534-35]. Diese ganze für Luther so charakteristische Vorstellungswelt: mandatum, vocatio, Stundlein, vir heroicus, larvae, cooperatio usw., ist hervorragend beschrieben bei Wingren 1952. 3a Siehe Wingren 1952, 141 f. 33
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Von diesem Gesichtspunkt ist also nicht die Gebundenheit und Festigkeit das Entscheidende, sondern Beweglichkeit und Veränderung. Der Mensch ist in einen bestimmten Beruf gesetzt, und darin steht es ihm unter ständig wechselnden Umständen frei, sein Handeln zu nuancieren und auszugleichen, Ausnahmen zu machen und sich anzupassen. Das bedeutet, seine Vernunft recht zu gebrauchen, und das ist auch der Sinn des von Luther gern verwendeten Ausdrucks „aequitas", Billichkeit". Einerseits ist, wie wir sahen, der Inhalt von Gottes W o r t , mandatum und lex naturae etwas Festes und Eindeutiges, andererseits, sagt Luther, m u ß bei der Anwendung die höchste Billigkeit regieren. Es ergeben sich unzählige Situationen, die der Mensch sich nicht im voraus hätte denken können, in denen die Billigkeit „die meysterynn" sein m u ß " . Es gilt, die „exceptiones" zu berücksichtigen, die notwendig werden können, und bei der Beurteilung eines jeden Einzelfalls sind die „circumstantia" zu beacht e n " . G o t t ist es der befiehlt, aber wenn sein G e b o t u n d seine Berufung eintreffen, gilt es, jede sich bietende Gelegenheit - die „occasiones", die G o t t gibt, um dem Menschen die Möglichkeit zu bereiten, seine Befehle auszuführen - wahrzunehmen". W i r merken hier den tiefen Zusammenhang zwischen Gottes Stunde und der Billigkeit, der Beweglichkeit, der Offenheit in der Ausführung, zwischen der bestimmten Richtung des göttlichen Befehls an einzelne Personen u n d der Differenzierung, der Variation in der konkreten Gestaltung des Lebens. Diese Auffassung Luthers macht ein ganz stereotypes Verständnis des menschlichen Daseins, das das Leben in eine enge und geschlossene Form hineinpreßt und ihm nur gestattet, sich in festgelegten, geregelten Bahnen zu bewegen, unmöglich 38 . Zwar ist es von einem anderen Gesichtspunkt kennzeichnend für Gottes Gesetz, daß es fest und unbestechlich ist, wenn es aber hier in die Praxis umgesetzt wird, erhält es eine Offenheit, die nur durch das begenzt wird, was die höchste Bedeutung in der lex naturae '" Zu dem Begriff, siehe u.a. i o I : 2 , 174, 1 3 - 2 1 - und den ganzen Abschnitt 1 7 4 - 1 8 0 [Adventspostille 1 5 2 2 ) ; 19, 6 3 1 , 1 2 - 6 3 3 , 31 (Ob Kriegsleute . . . 1 5 2 6 ) ; 42, 503, 8-506, 17 (die Erzählung von Abraham und Lot), 44, 704, 1 3 - 3 9 (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 4 5 J . Lau 1933, 42 f f . , Olsson 1934, 3 1 f f . und Wingren 1 9 5 2 , 9 8 - 1 0 5 , 129 f . 31 „Ynn solchen feilen . . . sol das recht weichen und an seine stat die Billicheit regiern", 19, 6 3 1 , 1 2 f . (Ob Kriegsleute . . . 1526]; „Also müssen und sollen alle rechte, wilche auff die that gestellet sein, der Billicheit als der meysterynn unterworffen sein umb der manchfeltigen, unzelichen, ungewissen zufeile willen, die sich begeben können und niemand sie kan zuvor abmalen odder fassen", ib. 632, 20-24. 3 " 42, 2 1 , 29-31 (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) ; 4 1 / 474/ 18-20 (Pred. 1535 R . ) . 37 T R V I , 359, 3 1 - 3 6 0 , 3 (Aurifaber). " IOI:I, 306, 1 7 - 2 1 (Kirchenpostille 1522). Jede künstliche Gebundenheit an gewisse Dinge und Werke wird daher von Luther als Werkheiligkeit und Imitatjofrömmigkeit aufgefaßt, die die Glaubensgerechtigkeit bedrohen. Damit hat er keineswegs Geringschätzung für die Werke gezeigt oder der Aktivität des Menschen einen versteckten Platz angewiesen. Im Gegenteil. Wie wir gesehen haben ist gerade das charakteristisch, daß beide Seiten sich geltend machen dürfen: Beweglichkeit und Festigkeit, Freiheit und Gebundenheit, wie auch Glaube und Werke. Vgl. Wingren 1952, 1 1 3 f f . ; diese Doppelheit ist gut dargestellt auch bei H. Dörries, Neuheit und Zusammenhang. Zu Luthers Geschichtsverständnis, LuJ 1961, 86 f f .
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und allem Willen Gottes ist: der Liebe zu Gott und dem Nächsten. Der Gehorsam gegenüber dem doppelten Liebesgebot ist daher für Luther der eigentliche Prüfstein für ein rechtes Berufsleben, ja, der höchste denkbare Stand, den ein Mensch einnehmen kann: „Optimus et altissimus status est diligere deum et proximum" ". Die Paragraphen des Gesetzes und die exakten Regeln der Rechtsprechung sind eine Sache, und nach Luthers Ansicht eine relativ leichte Sache, aber der Gebrauch, die Anwendung auf einzelne Fälle und konkrete Situationen ist eine ganz andere Sache, eine schwere Sache, die Vernunft erfordert, Urteilsvermögen, Sachkenntnis, Billigkeit und Liebe". Es gilt, Rücksicht nehmen zu können und Nachsicht zu üben, auf die beste Art mildernde Umstände herauszufinden und nicht übermäßige Strenge walten zu lassen, ja geradezu durch die Finger zu sehen, wenn man dadurch dem Nächsten besser zu helfen und die Dinge im großen zu lenken vermag". Die Vernunft darf daher nicht an den Buchstaben des Gesetzes gebunden werden. Sie soll sich vielmehr von einem freien und gesunden Urteil, von Liebe und natürlichem Recht leiten lassen, „als were keyn buch" Aber ohne diese Klugheit und Billigkeit kann sogar die ausgezeichnetste Gesetzgebung von Übel sein". Die Billigkeit wägt das Handeln von Fall zu Fall ab, denn dieselbe Handlungsweise eignet sich nicht überall. Gesetzbücher soll man daher am besten dazu gebrauchen, um darin Beispiele für verschiedene Verfahrensweisen zu finden, nicht aber, um das Handeln auf eine bestimmte festzulegen". Gott wählt frei Augenblicke und Personen für sein Werk; so läßt sich •sein Handeln niemals vom Menschen berechnen und voraussehen. Gerade in seiner Freiheit ist er ein verborgener Gott, und dadurch ist der Mensch auch und gerade dann gebunden, wenn der Wille Gottes von Augenblick zu Augenblick zutage tritt, denn dann steht er vor einer neuen Aufgabe, " 34ll,3i3, 1-14 (Pred. 1531 RJ. 40 „Lex ist leicht. Sed recht brauchen, Daran ligts", 49, 317, 7 (Fred. 1544 R.); „Summum Jus, Strenge recht, ist das grossest unrecht", 51, 206, 1 f. [Ausleg. des 101. Psalms 1534-35) - ein Wort von Cicero, das in mehreren Variationen zitiert ist. 1 1 10 III, 255, 10-14 [Pred. 1522); „Aber wie man spricht, W e r nit wol durch die finger кап sehen, der кап nit wol regirn, der spruch ist gar war", ib. 383, 37 f.; „Qui nescit dissimulare, nescit imperare. W e r nicht ubersehen oder über hören кап, der кап nicht regirn", 51, 207, 17 f . (Ausleg. des 101. Psalms 1534-35). " Ii, 279, 30-33 (Von weltlicher Oberkeit 1523); 30 III, 222, 20-26 ( V o n Ehesachen 1530); „Man kans doch nicht alles auffs papir bringen", 51, 373, 24 ( A n den Pfarrherrn wider den Wucher zu predigen 1540). Man soll handeln und urteilen, nicht indem man eine „proportio arithmetica" anwendet, ein exakt formuliertes und rücksichtslos ausgelegtes Gesetz, sondern dadurch, daß man eine „proportio geometrica" benutzt, die Billigkeit und Modifikationen Raum gibt, 43, 641, 9-33, 44, 706, 8-17 (Vöries, über i . Mose 1535-45); 50, 612, 16-25 ( V o n den Konziliis und Kirchen 1539). Deshalb betont Luther auch immer wieder den unerschöpflichen Reichtum, die Freiheit und die Beweglichkeit im Handeln Gottes: 6, 446, 21-25 ( A n den christlichen Adel . . . 1520); 8, 588, 4-32 (De votis monasticis 1521); 30 II, 108 f . ( V o m Kriege wider die Türken 1529). 4:1 Das sagt Luther sehr klar in De captivitate 1520, 6, 554, 24-32. " „Und sol die recht bücher also gebrauchen, das sie im ein exempel sein, darin er sehe, wie ettwan die keiser regirtt und geurteilt haben", 10 III, 384, 21 f. (Pred. 1522).
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die er nicht selbst gewählt hat und die er im absoluten Sinne auch nicht umgehen kann. Gottes Verborgenheit wird nicht geringer, wenn wir nun die freie faktische Gestaltung betrachten, die der Mensch der ihr von Gott anvertrauten Arbeit verleiht. Denn da steht er in seinem Amt und versucht, die vorhandene Aufgabe mit Vernunft und Billigkeit zu lösen, aber in den Augen der Welt ist das vielleicht nur etwas Einfaches und Geringfügiges. Luther zufolge ist der Mensch jedoch, wie wir gesehen haben, durch seine cooperatio im Beruf eine larva Gottes und zwar gerade an dem Punkt auf Erden, an dem er jetzt in einer bestimmten Arbeit steht und Werke an seinem Nächsten tut. Die Menschen sollen in ihren verschiedenen Ständen arbeiten. So ist Gott verborgen, so kann Gott anderen Menschen seine Gaben darreichen. Darum ist der Mensch im Dienst am Nächsten immer nur ein Vermittler der Güte Gottes. Er ist empfangend und passiv coram Deo - aber nichts von dem, was er empfängt, wird sein Eigentum, über das er selbstsüchtig bestimmen darf - dann aber gibt er weiter an seinen Nächsten eben dadurch, daß er seinem irdischen Beruf nachgeht". Diese Treue und dieser Gehorsam, dieser Erfindungsreichtum und diese Billigkeit im Beruf bedeuten ein Schenken und Dienen, das sich mit einem von Luther gebrauchten Ausdruck als „eine verlorene Liebe" bezeichnen läßt". A b e r hier in dieser Geringheit, in dem, was sich in den Augen anderer als etwas Fortgeworfenes, Verächtliches und Sinnloses ausnimmt, ist der verborgene Gott auf tausend Weisen wirksam. So muß eine jede Aufgabe im Beruf aufgefaßt werden, wenn sie von Gott befohlen und in sein Wort eingeschlossen ist. Darum kann man niemals Normen für Gottes Handeln aufstellen, denn es wechselt wie das Leben selbst. Dieser Zug von Vielfalt und Wechsel ist für Luthers Inkarnationsdenken typisch. In einem nie versiegenden Reichtum von Alltagssituationen steigt Gott ständig aufs neue auf die Erde herab, schafft und handelt durch seine cooperatores und verbirgt sich hinter seinen larvae. Das geschieht durch Menschen, der Mensch begegnet dem Menschen, und ein jeder erhält seine Stunden und Befehle, seinen Beruf und seinen Nächsten. Und dieser Nächste ist es, der harrend am Endpunkt von Gottes Herniedersteigen steht, denn er hat noch nicht alles, was er braucht, sondern erwartet noch das Seine durch seinen Nächsten. Die Forderungen des Berufs weisen in eine Welt, die nicht " „Was ist aber alle unser erbeit auff dem felde, im garten, jnn der stad, im hause, im streit, im regiern anders gegen Gott, denn ein solch kinderwerck, dadurch Gott seine gaben zu felde, zu hause und allenthalben geben wil?", 311, 436, 7 - 9 (Ausleg. des 147. Psalms 1532]; ib. 437, 7-9. " Siehe A . Nygren, Eros und Agape II, 1937, 554 f.; allerdings bezieht sich dieser Ausdruck auf die sich hingebende christliche Liebe, aber er charakterisiert auch gut die von Gott in jedem Beruf befohlene Liebe - was für Luther durchaus nicht zwei Arten der Liebe bedeutet, im Gegenteil: es sind die Werke derselben Liebe, die Gott von Anfang an und immerfort hervortreiben will. Die christliche Liebe ist nicht irgendwie „feiner" oder „christlicher" als die sogenannte natürliche; was den Unterschied kennzeichnet, ist vielmehr die Sünde und die Versöhnungstat Christi, nicht die Art der Liebe oder der befohlenen Werke.
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allen gemeinsam ist, daher muß ständig eine Anpassung an den Einzelfall stattfinden. Aber der Nächste ist von Gott gegeben und er will für ihn sorgen, indem er seinen Nächsten zu Handlungen aktiviert, die gerade auf ihn zugeschnitten sind. Der Nächste ist das Ziel des inkarnatorischen Handelns Gottes. An ihn gelangen die Werke und dort bleiben sie in schenkender Liebe. Diese menschlichen Werke sind göttlich, denn sie entspringen dem Gottvertrauen und dem Gehorsam gegenüber seinen Geboten, und sie sind im Grunde Gottes eigene Werke. Daher sind die simpelsten Taten und die scheinbar völlig vergeudeten Liebeswerke von Geistlichkeit und Göttlichkeit durchtränkt und eo ipso eine Erfüllung des Berufs. Da dient einer dem anderen in allen Ständen, Mann und Frau, Eltern und Kinder, Herr und Knecht, Fürst und Untertan*7. Jeder von Gott geschaffene Stand ist ein Werkzeug seiner Fürsorge für die Welt und seiner Liebe zu den Menschen. Wenn nun ein Mensch sich in einem bestimmten Beruf befindet und dort nach Maßgabe seiner Kräfte das tut, was er zu tun gesetzt ist, so ist er ein cooperator Dei. Er arbeitet und lebt in seinem Beruf und führt Werke am Nächsten aus, dem durch pflichtgetreue Erfüllung des Berufs unabhängig von der Gerechtigkeit des Menschen coram Deo gedient wird". Für Luther bedeutet ein solcher Gedankengang, daß Gott selbst hier unten auf der Erde geht und dient und den Menschen zum Mitarbeiter hat. Gott ist real gegenwärtig und wirkt in allem Menschlichen. Das ist dasselbe, als wenn man sagt, daß der Mensch als Gottes cooperator „quasi incarnatus Deus" ist". Das oben Gesagte beleuchtet auch Luthers gesamte Gesellschafts- und Geschichtsauffassung50. Denn wenn Gott in Berufen und Ständen handelt, gestaltet er auch die Geschichte im Kleinen und Großen, im Fami" Allgemeine Regel: „Deus dedit officium, ut servias", 49, 610, 8 (Pred. 1544 R . ) ; „omnes status hue tendunt, ut aliis servient", 15, 625, 7 (Pred. 1524]; vgl auch viele Belege weiter oben in diesem Abschnitt, z.B. Anm. 17, 20 und 25; die vielfältige G e staltung der Ethik im praktischen Leben, der Reichtum im Handeln Gottes, ist treffend dargestellt auch von Forell 1954, 112 f f . V o n der Ehe als äußerem Stand, siehe O . Lähteenmäki, Sexus und Ehe bei Luther 1955, besonders 120 f f . , und O . Sundby, Luthersk äktenskapsuppfattning 1959, 13 f f . , 86 f f . 48 IOI:I, 656, 7 - 1 2 (Kirchenpostille 1522); 27, 514, 8-18 (Pred. 1528 R.); 32, 459, 21-29 (Wochenpred. über Matth. 5-7 1532). *" 43, 514, 8 f . [Vöries, über 1. Mose 1535-45); „Deus quidem facit omnia, sed debemus nos quoque, quae nostrae vocationis sunt, facere: Dat panem alendi et servandi corporis causa: sed laboranti, serenti, metenti etc. nec debes cogitare, si terram seras, nihil ad tuum laborem secuturum. Dei enim mandatum est, ut facias tuum offitium, et ipse per te vult operari", ib. 82, 36-40; 11, 274, 10-14 [ V o n weltlicher Oberkeit 1523). 50 Z u Luthers Geschichtsauffassung, siehe u.a. H. Lilje, Luthers Geschichtsanschauung 1932, Müller-Bardorff 1938, Η. H. Pflanz, Geschichte und Eschatologie bei Martin Luther 1938, E. Kohlmeyer, Die Geschichtsbetrachtung Luthers, A R G 1940, 150-170, Bornkamm 1948, 54 f f . und ders., Gott und die Geschichte [in: Luthers geistige W e l t 1947, 188-208), Krumwiede 1952, 39 f f . , H. Zahrnt, Luther deutet Geschichte 1952, G . Hillerdal, Luthers Geschichtsauffassung, StTh. V o l . 7 1954, 28-53, G . Rost, Luthers Schöpfungsglaube und Geschichtstheologie, Luth. Rundblick 1958, 2-14, Seils 1962, 170 f f . , und in vielen Verbindungen in der überreichlichen Literatur zu Luthers Lehre von den beiden Regimenten. 9 - Nilsson
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lien- und Gesellschaftsleben und zwischen den Völkern. Diese göttliche Wirksamkeit stößt auf Widerstand und wird zum Kampf gegen die Sünde und den Teufel gezwungen. Darum trägt Luthers Geschichtsdeutung auch viele andere Züge: Dualismus, Verborgenheit unter Selbstsucht und Bosheit, Kreuz, Anfechtung, Verstockung usw.; das Entscheidende hier in diesem Abschnitt aber ist die grundlegende und primäre Tatsache, daß Gott überhaupt mit Menschen und durch Menschen handelt und dadurch Geschichte schafft". Immer wieder wirkt Gott an Völkern und Einzelnen, er sendet seine Auserwählten, er bestimmt Zeit und Stunde und setzt seine Verwalter in allen Ständen ein. Das Elternamt schmückt er mit Gottes Wort und erfüllt es mit seiner Gegenwart, „in Politia et Oeconomia" ist Gott". In allen Zeiten und in aller Geschichte sehen wir, sagt Luther, wie Gott Fürsten souverän stürzt und erhöht und sein Werk an dem Einen durch den Anderen a u s f ü h r t G o t t und Menschen sind in allen Zusammenhängen in cooperatio, verborgen oder offen fließen göttliches und menschliches Handeln ineinander: Gott ordnet die Dinge so, daß die Menschen sie selbst zu lenken meinen, und wenn die Menschen das Ihre tun, vollbringt Gott durch sie das Seine". Hier kön„Die Historien sind nichts anders denn anzeigung, gedechtnis und merckmal Göttlicher werck und urteil, wie er die weit, sonderlich die Menschen, erhelt, regiert, hindert, fördert, straffet und ehret, nach dem ein jglicher verdienet", 50, 384, 2 - 5 (Vorrede zu Historia Galeatii Capellae 1 5 3 8 ) . " 16, 488, 19 f f . (Pred. über das 2. Buch Mose 1 5 2 4 - 2 7 ) ; „Pater est Deus, dominus, iudex, doctor filiorum . . . Hie filius oculos aperiat, non in carnem patris, quae nihil est, sed in verbum dei. О magna gloria patris propter hoc verbum. Auro ornantur reliquiae sanctorum, sed hie pater ornatus est verbo dei. Si verbum adest, adest et deus ipse. Si deus ipse vel voluntas eius adest, adest et tota divinitas", ib. 490, 5 - 4 9 1 , 7 CR ); vgl. ib. 490, 26-491, 32 (Nach der Auslegung der zehn Gebote, hier des vierten Gebotes); 24, 223, 9 - 1 1 (Pred. über das 1 . Buch Mose 1 5 2 7 ) ; 27, 444, 19 f . (Pred. 1528 Nürnberg); 30 1, 2 1 4 , 2 1 - 2 9 (Großer Kat. 1529); „Deinde in politia et Oeconomia est Deus, das dich parentes erneeren", 49, 643, 13 (Pred. 1544 R . ) ; 52, 385, 38 f f . (Hauspostille 1544). „Alszo sehenn wir in allen historien und erfarung, wie er ein reich a u f f w i r f f t , das ander nyder, einn Furstenthumb erhebt, das ander vordruckt, einn volck mehret, das ander vortilget . . .", 7, 590, 9 - 1 2 (Magnificat 1 5 2 1 ) ; 15, 370, 16-30 (Der 127. Psalm ausgelegt 1524); „Denn von anbegyn der weit bis her sehen wyr, wie er ymer einen könig durch den andern einen herrn durch den andern abstosset und andere auffsetzt . . .", 19, 360, 8-29 (Der Prophet Habakuk ausgelegt 1526); 31 I, 126, 13 f f . (Confitemini 1530 Hs.); 31 I, 214, 7 - 1 9 (Der 82. Psalm ausgelegt 1530); „Quando dominus loquitur, so w i r f f t er ein konigreich oder 4 hin weg", 40 II, 229, 1 2 f . (Enarratio Psalmi II 1532 Hs.); „Sicut enim Deus per bonos et malos Principes gubernat orbem terrarum", 44, 248, 21 (Vöries, über 1 . Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) . " Das ist ein Grundgedanke in der interessanten Auslegung von Psalm 147, 1 2 f f . , „Lauda Jerusalem", 31 I, 430 f f . Alles, was der Herr f ü r Jerusalem getan hat, wird dort berichtet, aber Luther betont, daß Gott es durch Menschen gemacht hat. Es wäre eine Lästerung, wenn man meinte, daß Gott die Stadt geschützt haben würde, ohne daß ihre Einwohner Mauern und Verteidigungswerke errichtet hätten, 435, 24 f f . , usw. „Gott bescheret alles gut, aber du must zu greiffen und den ochsen bey den hörnern nemen, das ist, du must erbeiten und damit Gotte Ursachen und eine larven geben", 436, 1 7 - 1 9 ; „Darumb sols beides da sein: Du solt riegel und thor machen und haben, Aber er wil sie feste machen. Du solt sie nicht feste machen, So wil er nicht riegel machen. So teile es nu recht. Schaffe du riegel und thor und lasse jn sie feste machen. Erbeite du und
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nen wir den Zusammenhang im großen zwischen der Gebundenheit und Freiheit des Menschen, Gottes mandatum und des Menschen vocatio, dominium und cooperatio verstehen. In diesem Abschnitt kreuzten sich dauernd zwei Gedankenbahnen oder verschmolzen miteinander. Dieser Umstand läßt sich nun noch deutlicher darstellen, wenn wir Luthers Distinktion zwischen „Amt" und „Person" betrachten". Als Person steht der Mensch coram Deo in Glauben und Unglauben, allein, als totus homo und ohne Werke. Als Person steht der Mensch auch coram hominibus und dort immer „in relatione", auch als totus homo, jetzt aber Werke ausführend". Diese Person nun, die Werke tut, ist es, die uns hier interessiert. Wenn sie handelt und wirkt, tut sie das in einem ihr gegebenen Stand und Amt. In Relation zu Gott ist der Mensch „einzelne person", „verbunden an Gott alleine", in Relation zum Nächsten ist er „amtsperson", immer in einen bestimmten Beruf hineingestellt und „an ander leut gebunden"". In dieser in Beruf und Dienst am Nächsten beschäftigten Amtsperson vereinigen sich die hier skizzierten beiden Gedankenlinien. Denn diese Person ist in ihrem Amt an die gerade zu diesem Amt gehörenden Aufgaben und Bestimmungen gebunden, diesen und keinen anderen hat sie sich in Gehorsam zu unterwerfen und sich nach ihnen zu richten. Aber gleichzeitig ist sie als Person, als ein von anderen unterschiedenes Individuum in Relationen zu ihrem Nächsten und in eine Arbeit gestellt, die in vieler Hinsicht nicht genau denjenigen irgendeines anderen Menschen entsprechen. Sowohl ihr Gottesverhältnis wie ihre natürliche Ausrüstung verleihen ihr als Person und als Ganzem Begrenztingen wie auch Möglichkeiten, die nur die ihren sind und sie von anderen unterscheiden. Das muß sich auch in der Ausführung ihrer Amtsobliegenheiten ausprägen. Sie hat demnach als Amtsperson sowohl Macht auszuüben, das dominium zu vollbringen, das Gott ihr gegeben hat, und pflichtgetreu die Aufgaben durchzuführen, die dazu gehören, als auch bei dieser Machtausübung nach Maßgabe ihrer persönlichen Qualifikationen anderen gegenüber las jn frückte bescheren. Regiere du und lasse jn glück dazu geben . . . Nim du man odder weib und las jn kinder zeugen . . . Und so fort an jnn allen unsern thun Sol ers alles jnn und durch uns thun", 436, 2 3 - 3 1 ; vgl. 42, 5 1 2 , 19-29 (Vöries, über 1. Mose
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Siehe hierzu Lau 1933, 62 ff., Olsson 1934, 202 ff., Törnvall 1947, 166 f f . und Wingren 1952, 18 ff., 90 f f . „Diese Predigt unterrichtet eines jeden einzele Person, wie er fur sich gegen jederman thun sol, nicht das Ampt, das Gott einem jeden auffgelegt und befolhen hat. Und must hie die zwey, Ampt und Person, wol von einander sondern . . . " , 22, 62, 19-25 (Crucigers Sommerpostille 1544). 56 32, 390, 8 - 3 9 1 , 14, 440, 9-40 [Wochenpred. über Matth. 5 - 7 1 5 3 2 ] ; „Also hat ein iglich mensch auff erden zwo person: Eine fur sich selbs, an niemand verbunden denn an Gott alleine, Darnach eine welltliche, damit er an ander leut gebunden ist, wie wir denn jnn diesem leben unternander sein müssen . . . " , ib. 440, 33-36. 67 Siehe die voraufgehende Anm; 19, 648, 19-27 (Ob Kriegsleute . . . 1526); „Also auch der Keyser, wenn er sich gegen Gott keret, so ist er nicht Keyser sondern eine eintzele person, wie alle andere für Gott; keret er aber sich zu seinen unterthanen, so ist er so viel mal Keiser, so viel er unter yhm hat . . .", ib. 652, 3 1 - 6 5 3 , 6.
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Vernunft und größtmögliche Billigkeit walten z u lassen. Diese Doppelheit ist es, die wir unter der Überschrift „Berufsgehorsam und Billigkeit" einfangen wollten. Wir fassen die beiden Gedankengänge zusammen: i . Gottes klares Wort und feste Hand bei der Ausgestaltung des irdischen Daseins, sein Fixieren von Befehlen, die im rechten Augenblick an den Menschen gelangen, haben als Entsprechung auf Seiten des Menschen die Gebundenheit an Gott und den Gehorsam gegenüber einem jeden konkreten mandatum, d.h. für den Menschen ist Gottes Berufung ein fester Punkt in seinem Dasein, ein Platz, ein Stand, ein Amt, welche die seinigen sind und in denen er vertrauensvoll verweilen kann. 2. Gottes souveräne Freiheit, unaufhörlich und auf ständig wechselnde A r t herniederzusteigen zu dem, was wir hier sein inkarnatorisches Handeln nannten, findet in den menschlichen Zusammenhängen seinen Ausdruck als Differenzierung und Variabilität, Beweglichkeit und Billigkeit. A l s Amtsperson ist der Mensch gesetzt, seinem Nächsten zu dienen und Gottes cooperator zu sein. In dieser Person sind die Gebundenheit und die Freiheit, die Festigkeit und die Beweglichkeit, der Gehorsam und die Billigkeit, Göttliches und Menschliches zusammengefaßt. Gott handelt und ist im A m t durch die Person, die in diesem A m t e steht. Darum ist es das Amt, das göttliche Epitheta erhält, aber bei Luther werden diese häufig auch der Person beigelegt, die das A m t ausübt - etwas, was ganz auf einer Linie mit Luthers Gedanken der communicatio idiomatum liegt. Ebenso wichtig wie es ist, A m t und Person, Göttliches und Menschliches in eins zu sehen, so unumgänglich ist es nun, sie voneinander z u trennen, genau wie man zwischen larvae Dei und Deus ipse unterscheidet. Es gilt, Gott in aller Vielfalt zu erkennen und ihm die Ehre zu geben, nicht seinen Werkzeugen 51 . Dies wird einen Hauptgedanken des nächsten Abschnitts bilden.
2. Selbstsucht
und Furcht
Die im vorigen Kapitel erarbeiteten Ergebnisse sollen nun den Ausgangspunkt bilden für eine Untersuchung, wie die Sünde Luther zufolge die Situation verändert hat. Dadurch können wir einmal erfahren, in welcher " .Also ist auch die Herrlichkeit odder ehre und rhum alleine Gottes eigen, das sich niemand nichts rhume, keiner Weisheit, heiligkeit odder vermügens denn durch jnn und aus jm, Denn das jch einen König odder fürsten ehre und gnedigen Herrn heisse odder die knye fur jn biege geschieht nicht umb seiner person willen sondern umb Gottes willen, als der da sitzet jnn der maiestet an Gottes stat, Also wenn ich Vater und mutter odder die an jr stat sind ehre erzeige, so thu jehs nicht dem menschen sondern dem Göttlichen ampt und ehre Gott jnn jnen, Also das w o oberkeit und k r a f f t ist, dem geburet auch die ehre und rhum, Und gehet also sein Reich, k r a f f t und herrlichkeit jnn der gantzen weit, das er allein regiret, straffet und den preis hat jnn den Gotlichen emptern und Stenden, als Vater, muter, Herr, Richter, Fürst, König, Keiser etc.", 32, 422, 1 - 1 2 [Wochenpred. über Matth. 5-7 1532); 30 I, 6, 6-9 (Katechismuspred. 1528]; 30 I, 147, 27-36 ( G r o ß e r Kat. 1529); „Ist yemand ym regiment, den ist man schuldig zu ehren, nicht umb seinen willen, sondern darümb das Gottes Ordnung ist . . .", 24, 586, 20-22 [Pred. über das 1. Buch Mose 1527].
Die Schöpfung und die Werke
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Hinsicht die Stellung des Menschen im Dienst am Nächsten durch die Sünde eine andere geworden ist und zum anderen, inwieweit - und das ist keineswegs unwichtig - sie trotz der Sünde dieselbe geblieben ist. Wir haben oben bei Luther eine enge Beziehung zwischen Person und Amt festgestellt. Das Amt ist von Gott gegeben und befohlen, und der Mensch, der in Gehorsam gegenüber Gott lebt, unterwirft sich als Person dem Befehl und erfüllt seine Berufspflichten. Dadurch ist er ein Mitarbeiter Gottes, es ist Gottes Werk und der Mensch ist nur sein williges Werkzeug, das in jeder Lage den besten Weg für das göttliche Handeln zu finden sucht. Die Beziehung zwischen Person und Amt ist somit deutlich, aber andererseits wurde auch klar dokumentiert, daß Luther energisch zwischen Person und Amt unterscheidet. Es handelt sich dabei nicht nur um den Unterschied, welcher uns schon früher begegnete, nämlich zwischen der Person coram Deo, in loco iustificationis und dem Amt, das coram hominibus und extra locum iustificationis ausgeübt wird. Dieser ist zwar für Luther das Primäre, hier aber gilt es, bei der Amtsperson, die in ihrer irdischen Arbeit steht und Werke an ihrem Nächsten verrichtet, Person und Amt voneinander zu trennen1. Und das ist eine Distinktion, die wichtig ist wegen der zerstörenden Macht der Sünde. Denn hier droht die Grundsünde, die Blindheit und Verkehrtheit gegenüber dem Göttlichen und die Lust, das Menschliche zu etwas an sich Göttlichem zu machen, alles zu zerstören. Das Amt ist Gottes, der Stand ist als solcher Gott selbst, der in Gestalt von Gesetz und Befehlen auf Erden wirkt. Was in den Ständen gewirkt wird, J s t daher ein göttliches Werk und muß es sein, unabhängig davon, wer und wie der Amtsträger ist. In schenkender Liebe verrichtet Gott sein inkarnatorisches Handeln durch die Stände, so daß stets dem Nächsten gedient wird, durch die Ehe, durch Hausväter und Fürsten, durch Lehrer, Richter und Henker2. „Was aber Gottes jst, das thun wir nicht sondern er selbs durch das wort und ampt" \ Luther betont oft und nachdrücklich, daß Gott durch den Stand, das Amt, unabhängig von den Personen, sein Werk ausführt. Es ist Gottes Werkzeug, ganz gleich was für Menschen es beklei1 Vgl. hier, wie Luther einen Unterschied macht zwischen der Person, die in ihrem Stand und Amt die Werke ihres Amts mit Recht vollzieht - Werke, die ihr von Gott befohlen sind: der Richter soll töten und strafen, der Mann soll sich nach seiner Frau gelüsten lassen usw. - und der Person, die dieselben Werke vollzieht, ohne daß sie ihr befohlen sind und die darum Sünde tut, 32, 382, 5 - 3 8 4 , 22 [Wochenpred. über Matth. 5 - 7 1 5 3 2 ] ; „Denn wie gesagt, wo es jnn und nach Gottes wort gehet, da jsts alles recht, schweren, zürnen, lust zum weib haben etc. Das heisst aber Gottes wort dazu haben, wenn er mirs als von ampts und seinen wegen befihelt odder durch die so jm ampt sind foddert", ib. 384, 1 1 - 1 4 . 2 „Denn die hand, die solch schwerd füret und würget, ist auch als denn nicht mehr menschen hand sondern Gottes hand, und nicht der mensch sondern Got henget, redert, entheupt, würget und krieget. Es sind alles seine werck und seine gerichte", 19, 626, 25-27 [Ob Kriegsleute . . . 1526). 3
3 2 ; 398, 26 f. [Wochenpred. über Matth. 5 - 7 1 5 3 2 ] ; das ist zwar in erster Linie vom Predigtamt gesagt, aber die Aussage hat allgemeine Tragweite und ist darum für Luthers Auffassung von Stand und Amt überhaupt aufschlußreich.
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Die S c h ö p f u n g und die W e r k e
den4. Durch den Sündenfall sind die Menschen unter der Sünde geknechtet und in des Teufels Dienst getreten, nichtsdestoweniger sind die Stände weiterhin recht und göttlich5. Die Personen wissen nicht, daß sie für Gott arbeiten, sie sind ganz im Gegenteil häufig offen gottfeindlich, aber dessen ungeachtet ist es der Wille Gottes, der erfüllt wird, wenn sie den äußeren Pflichten ihres Amtes nachkommen. Weil die Inhaber der Ämter in die Gewalt des Bösen geraten sind, während die Stände weiterhin gut und von Gott geschaffen sind, ist es für Luther eine so unanfechtbare Notwendigkeit, zwischen Person und Amt zu unterscheiden. Dieser Unterschied kommt zum Ausdruck, wenn Luther die beiden folgenden Sätze in deutlichen Gegensatz zueinander stellt: „Omnes status hue tendunt, ut aliis serviant", und: „Nos omnia i n v e r t i m u s " D i e Stände sind gut und sind sämtlich darauf ausgerichtet, dem Nächsten zu dienen, aber wir, die Personen in den Ständen, verkehren alles. Der Mensch will nicht anderen dienen, sondern sucht sein eigenes Bestes. Von der Sünde beherrscht, will er nicht im Dienste Gottes stehen und die einfachen Werke seines Berufs ausführen. In allem Geschehen strebt er nach dem, was ihm, und nicht dem Nächsten, Nutzen bringt. Als Amtsträger will er sicut Deus sein und nicht ein geringes Werkzeug, concreator und nicht demütiger cooperator, herrschen und nicht dienen. Damit reißt er Göttlichkeit an sich, die nicht die seine ist, sondern zum Stande gehört, er vermischt Göttliches und Menschliches und schreibt sich selbst die Macht und Herrlichkeit zu, die nicht der Person eignet, sondern dem Amt und Gott zusteht. So wie Gottes Schöpfung im allgemeinen gut bleibt, sind auch die Stände gut und göttlich, aber diese Göttlichkeit darf niemals dem Menschen an sich zugerechnet werden. Und genau wie die Schöpfung Gottes im ganzen dem abusus der Menschen unterworfen ist, so werden auch die Stände dauernd mißbraucht. Sie werden daher in gottfeindlicher Weise ausgenutzt und in den Dienst des Teufels gestellt, sie können durch und durch sündig erscheinen, aber das, betont Luther, beruht auf dem Mißbrauch von Seiten der Personen und nicht auf den Ämtern 7 . * D a fragt auch G o t t nicht nach, Sondern die person sey w i e sie w o l l e , so ist doch das ampt recht und gut und nicht des menschen sondern G o t t e s selbs . . .", ib. 5 2 9 , 17-20. 5 „ G ö t t l i c h und recht sind die ampt, beide der Fürsten u n d A m p t l e u t e , A b e r des T e u f e l s sind sie gemeiniglich, die drinnen sind und brauchen . . . D a s macht die böse, verderbte natur, die gute tage nicht tragen kan, das ist, sie kan ehre, g e w a l t u n d h e r r s c h a f f t nicht Göttlich brauchen, das Emptlin sey, w i e geringe es sey, so nemen sie ein eile lang, da sie nicht eine handbreit haben, und wollen jmer selbs G o t t sein, da sie doch G o t t e s dienerin solten sein", 5 1 , 2 5 4 , 1 0 - 1 7 С A u s l e g . des 1 0 1 . Psalms 1 5 3 4 - 3 5 ) . " 1 5 , 6 2 5 , 7 - 1 0 (Pred. 1 5 2 4 ) ; vgl. W i n g r e n 1 9 5 2 , 1 7 f . u n d seine Kritik an Holl bei der Deutung dieser Stelle. 7 „ D a s aber etliche solchs ampts missebrauchen, würgen u n d schlahen on not, aus lauter mutwillen, das ist nicht des ampts sondern der person s c h u l d " , 1 9 , 6 2 7 , 4 - 6 ( O b Kriegsleute . . . 1 5 2 6 ) ; „Es s i n d jn allen Göttlichen ampten und S t e n d e n viel böser menschen. A b e r der stand ist und bleibt d e n n o c h gut, w i e hoch auch d i e menschen des misbrauchen, M a n f i n d e t viel böser weiber, viel falscher k n e c h t , viel u n t r e w e r megde, viel s c h e d l i c h e r
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„Deus dedit officium, ut servias" 8 . Jedes Amt ist von Gott eingesetzt zum Dienst am Nächsten. Der Mensch im Amt soll daher in Selbstvergessenheit und Demut Gottes Gaben entgegennehmen und an seinen Mitmenschen weitergeben. Luther spricht besonders vom Fürsten, der gerade durch die Hoheit und das Gewicht seines Amtes dazu gesetzt ist, ein Diener aller zu sein. Seine Pflicht ist es, sich ohne an Einfluß und eigenen Vorteil zu denken, dienend seinen Untertanen hinzugeben. So soll der Fürst, der mächtigste im Lande, der anspruchslose, niedergebeugte Arbeiter sein, der im Geringen und Prachtlosen große göttliche Werke verrichtet. Ebenso wirkt Gott durch sein Herniedersteigen und seine Hingabe an die Menschen. Das ist ja der Inhalt des Dienstes am Nächsten: jeder Mensch ist ein Instrument für Gottes schöpferisches und erhaltendes Werk: Er ist „ein solcher got, der ynn die tieffe sihett und nur hilfft den armen, vorachten, elendenn, jamerichen, vorlassenen, unnd die gar nichts seint" \ Gott senkt sich hernieder, er kümmert sich um den Verachteten und Hilflosen, er ist mitten in den Geringfügigkeiten und schafft ex nihilo durch seine gehorsamen cooperatores. Was nun durch den Eintritt der Sünde geschieht ist, daß der Mensch sich aus seiner Dienerstellung losreißt und selbstsüchtig sein ihm von Gott verliehenes dominium zum eigenen Nutzen und nicht zu dem seines Nächsten zu gebrauchen sucht. Er will nicht länger demütig dem göttlichen Inkarnationsweg hinab in das, was nichts ist, folgen, um als Gottes Mitarbeiter seinem geringen Nächsten zu geben. Er reckt sich vielmehr über die Geringheit hinaus und strebt fort vom Dienen. Er will das Göttliche für sich behalten und es nicht nach Gottes Gebot an andere austeilen, er strebt danach, aufwärts zu steigen, anstatt herab. Das ergibt sich hier in der Relation zum Nächsten als die notwendige Folge dessen, daß der Mensch, das Wort verachtend, Gottes Befehl vernachlässigt. Er übersieht dadurch das Göttliche, was wirklich göttlich ist und sucht etwas vermeintlich Göttliches, das es indessen nicht ist, da es nur ein Ausfluß von Sünde und Egozentrizität ist. Diese Verwirrung und Verkehrtheit führt im Verhältnis zu Gott - das haben wir früher dargestellt - zu Götzendienst und Werkgerechtigkeit, indem man einmal dem falschen Subjekt Göttlichkeit zuschreibt und nicht richtig zwischen Gottes larvae und Gott selbst unterscheiden kann, Amptleute und Rethe, Aber nichts deste weniger ist Frawen stand, Knecht und Magd stand und alle ampt gleich wol Gottes stifft, werck und Ordnung", 30 II, 572, 2 7 - 3 2 (Kinder zur Schule halten . . . 1530]; dieser Mißbrauch bildet keinen Vorwand f ü r die schwärmerische Haltung, Abstand von diesen „weltlichen" Dingen zu nehmen, wie „der Rottengeist" es macht: „Ey wir müssen etwas bessers suchen. So gehet er denn hin und macht was sonderlichs und seltzams . . . " , Luther aber sagt: „Ich weis gar wol das viel böser büben und fromer leut sind jnn allen Stenden, aber was gehet mich das an, wie man derselben missbraucht? Ich bleibe gleich wol bey dem wort das mich leret das solche stende gut sind, ob gleich böse leut drinn sind . . .", 32, 5 1 6 , 26-39 (Wochenpred. über Matth. 5 - 7 1 5 3 2 ) . Vgl. Obendiek 1 9 3 1 , 216-230. 8 49, 610, 8 (Pred. 1544 R . ) . ° Ί , 548/ 6-8 (Das Magnificat 1 5 2 1 ) .
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zum anderen dem nach unten gerichteten Handeln eine Richtung nach oben gibt, die einen Verdienst coram Deo mitführen soll. Im Verhältnis zum Nächsten bedeutet das also, daß man sich in Selbstsucht und Ehrgeiz dessen Bedürfnissen verschließt, man läßt ihn im Stich und sieht im Amt nur eine Möglichkeit, Macht und Reichtum zu erlangen. Damit vergeht man sich an Gottes mandatum und macht sich des Verrats an dem Beruf schuldig, in den Gott einen eingesetzt hat. Man erfüllt ihn nur in formaler, äußerlicher Weise, und tut seinem Nächsten etwas Gutes nur als etwas Zufälliges und Sekundäres, was erst in zweiter Linie in Frage kommt, während man in seiner täglichen Arbeit vor allem eigene Vorteile zu erringen sucht. Das ist aber gleichwohl für Luther eine sehr wichtige Tatsache, daß so dem Nächsten gleichsam im Vorübergehen doch gedient wird. Hierauf werden wir noch zurückkommen. Cooperator Dei ist derjenige, welcher treu in der Geringheit des Berufs und der farblosen Alltagsarbeit ausharrt, durch die der Wille Gottes vollbracht wird 10 . Aber der Mensch, der sich nach oben sehnt und nicht daran denkt, seinem Nächsten zu helfen, fällt aus der Mitarbeiterschaft heraus. Er isoliert sich sowohl von Gott wie von seinem Nächsten und strebt danach, sein eigenes Dasein so behaglich und glänzend wie möglich zu gestalten. Die „incurvitas in se" dieses Menschen schlägt eine Richtung ein, die von Geringheit und Leben im Verborgenen hinwegführt 11 . Statt dessen, was nichts ist, sucht man das, was etwas ist und was noch etwas mehr ist ls . Diese Bewegung ist nicht Gottes Bewegung, sondern die der Sünde. Sie verläuft in einer Richtung, die der von Gottes Inkarnationshandeln entgegengesetzt ist, hinauf zu selbstsüchtiger Ehre und Herrlichkeit. Das ist von Anfang das Hauptziel der Sünde: zu werden sicut Deus. Daher gebraucht Luther oft den Terminus superbia, um das Wesen der Sünde auszudrücken 13 . In Hochmut hat der Mensch den Nächsten ausgeschlossen, soweit dessen Not die eigenen hochfliegenden Pläne hindert. Lieblos und egozentrisch wird er in seiner Verblendung ein Raub der Sündenmacht Unaufhörlich irrt der Mensch. Die Sünde hat seine Begriffe sowohl in bezug auf das Gottesverhältnis wie auf die Relation zum Nächsten verwirrt. In der Auslegung des 127. Psalms von 1 5 3 2 - 3 3 erörtert Luther mehrfach diese Verkehrtheit. Wer in cooperatio mit Gott steht, wird ständig zur Demut getrieben, aber wer von Gott abgefallen ist, gibt seine eigene Kleinheit und Gottes Größe nicht länger zu, sondern hat sich an seine Stelle gesetzt. Dieser Mensch hat sich in der superbia verfangen und 10 49, 609, 7 - 1 0 (Pred. 1544 R . ) ; vgl. die Darstellung von cooperator Dei in früheren Abschnitten. 11 Z u dieser incurvitas siehe, was den jungen Luther betrifft, Najgaard 1929, 103 f f . , 150 ff. 12 Siehe z.B. 7, 547, 1 7 - 2 9 (Magnificat 1 5 2 1 ] . 13 Siehe u.a. die hier mehrmals zitierte Predigt über Hochmut und Demut, 49, 588 f f . (Pred. 1544 R.); in der frühen Produktion Luthers kommt der Begriff öfter vor, vgl. Najgaard 1929, 62 f f . , 100 f f . , und dazu oben Kap. I B : 2 , vor allem A n m . 2 1 . 14 49, 6 1 1 f. (Pred. 1 5 4 4 ] .
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hat stolze Gedanken über sich selbst und seine Leistungen. Er erlebt sich selbst dann nicht lediglich als ein Gerät, ein Werkzeug in der Hand Gottes des Allmächtigen. Wenn der Mensch seine Werke ausführt, ist er von Gott nur als eine „causa Instrumentalis" eingesetzt, durch die Gott sein Werk tut, aber durch die Macht der Sünde versteht er sich selbst als die treibende Kraft, als die „causa efficiens" der Handlung, er will die „prima causa" und der „auctor" sein, nicht nur die „secunda causa" und der cooperator. Das ist wiederum ein Ausdruck für sein Bestreben, sicut Deus zu werden, von der Abhängigkeit von Gott loszukommen und seine eigene Größe und Selbständigkeit zu zeigen Die Selbstsucht entspringt also aus einer Vermischung. Der Mensch vermag nicht, zwischen Himmel und Erde, hinauf und herab, göttlich und menschlich zu unterscheiden. Er identifiziert Person und Amt, das Werkzeug und die Hand, und läßt ohne weiteres die larvae den Platz mit Gott tauschen. Er wird hinweggelockt von der von Gott bestimmten Freiheit und Gebundenheit zu einer Freiheit dem Nächsten gegenüber, die sich auf egozentrischen Eigenwillen und rücksichtslose Ausnutzung gründet, und zu einer Gebundenheit an eigene Ziele, die sich als Ungebundenheit Gott und dem Nächsten gegenüber und als ein in-sich-Verkrampftsein und eine Selbstfixierung charakterisieren läßt. Der Teufel verwirrt ihn, so daß er ständig diesen Irrtum begeht: Gott zu verlieren, seinen Nächsten zu vergessen und die Dinge zu Götzen oder zu Mitteln der Selbsterhöhung zu machen. Der Teufel ist es, der ihn auf diesen Weg führt, indem er die Grundlage des menschlichen Daseins verrückt, die äußere Ordnung im täglichen Leben nämlich, die Geborgenheit im ihm verliehenen Amt. Er versucht den Menschen dazu zu bringen, seine Arbeit zu vernachlässigen, der eigenen Bequemlichkeit zuliebe von seiner Berufung und vom Dienst 15 40 III, 209 f f . [In X V Psalmos graduum 1 5 3 2 - 3 3 ) ; „Hic igitur Psalmus videtur quasi compendium et epiphonema eius libri esse, quo docet, et quae sit efficiens causa Politiae et Oeconomiae, sive Reipublicae, sive rei familiaris, et ad quem finem gubernatio ista tendere debeat: Nempe quod tantum simus ministri et cooperatores Dei, nee simus causa efficiens, sed Instrumentalis causa, per quam Deus operatur et facit illa, Sicut sapientia dicit: 'Per me regnant Reges'. Sic pater est instrumentum generandi, Deus autem est fons vitae et auctor. Sic Magistratus tantum instrumentum est, per quod Deus pacem et iura conservat. Maritus et uxor in domo instrumenta sunt, per quae Domus et res f a miliaris augetur . . . " , ib. 210, 3 1 - 2 1 1 , 23 (Dr.); „sie, ut sciamus nos instrumenta esse divinae maiestatis et organa seu cooperatores, поп auetores, prindpia vel causas primas istarum divinarum rerum. Ideo поп satis ei fuit affirmative dicere: Ipse Dominus gubernat et facit civitatem, Ipse Dominus aedificat domum et constituit familiam, Sed ponit etiam negativam: Vos поп facitis . . . Cur enim nos, qui sumus secundae causae, imo organa constitute, praesumimus esse prima et principalis causa? perinde ac si securis praesumat esse faber, aratrum praesumat esse agricola, calamus scriba etc. . . . Deus vult manere Deus, creator et factor omnium, nos autem vult habere cooperatores seu potius instrumenta, поп auetores . . . distinguendus est labor et praesumptio . . . Haec enim tentatio nobis naturaliter adhaeret, quod ambimus et invadimus maiestatem divinam. Hoc malum in paradysa primum coepit, cum Satan ad Evam diceret: 'Eritis sicut d i i ' . . . " , ib. 236, 29-238, 21 [Dr.); vgl. 47, 857, 3 1 - 3 5 (Pred. 1539 R.); 5 1 , 254, 1 3 - 1 7 [Ausleg. des 1 0 1 . Psalms 1 5 3 4 - 3 5 ) .
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am Nächsten abzugehen. Dadurch wird er dazu verführt, Gottes Befehl, seine Amtspflichten zu erfüllen, um seinem Nächsten beizustehen und Gottes Werk auf Erden zu vollenden, gänzlich zu vergessen 1 ". So wird er Schritt für Schritt von Gottes Geboten hinweggeführt. Darum ist Luther so stark darauf bedacht, Treue im Beruf einzuprägen, denn dort hat man etwas Greifbares, auf das man sich verlassen kann, eine konkrete Ausgestaltung des mandatum Gottes, die Sicherheit schenkt und einen festen Halt gibt. Unter der Herrschaft der Sünde verkehrt der Mensch den Freiheitsbegriff. Er hat von Gott die Freiheit erhalten, zu tun und zu lassen, das zu tun, was der Augenblick verlangt, wenn Gott die Stunde gibt, und all dies ist eine Freiheit um des Nächsten willen und in inferioribus. Wenn der Teufel ihn aber zu Nachlässigkeit und Trägheit in der Amtsausübung verleitet, führt das zu einem abusus, der Freiheit und Gebundenheit verkehrt. Der Mensch glaubt frei zu sein, wo er gebunden ist, und läßt sich knechten, wo er eigentlich frei ist 17 . Sein Handeln läuft dann Gottes Willen ganz zuwider, und dadurch hindert er dauernd Gottes Schöpferwerk und Fürsorge für die Menschen. Gott wollte der Welt und dem Nächsten wohltun, dadurch daß der Mensch in seinem Amt blieb und es recht verwaltete, aber gerade in dieser Hinsicht erlaubt er sich Freiheiten. Nachlässig und selbstsüchtig verläßt er, wenn es ihm gerade paßt, sein Amt - das Amt, an das ihn Gottes Befehl gebunden hat - und lieblos macht er sich frei von der Gebundenheit an den Nächsten - den Nächsten, den Gott gerade von ihm abhängen ließ. Andererseits versteift er sich auf Werke, die Gott frei gemacht hat und die er auf eine persönlich angepaßte Weise ausgestalten dürfte. Dort bindet er sich an gewisse festgelegte und selbstgewählte Werke. Er ist dann teils auf sein eigenes Ich und die Forderungen und Erwartungen, die er hegt, fixiert, und teils an vergötterte Dinge und Ereignisse gebunden oder an Werke, die er für ehrenvoll oder verdienstlich hält. Seine Gebundenheit bezieht sich nicht auf Gott und den Nächsten, sondern auf sich selbst und die eigenen Werke, und diese Werke sind nach innen oder oben gerichtet, aber nicht nach unten. Die falsche Gebundenheit und die selbstherrliche Freiheit, die selbstsüchtige auf-sich-Bezogenheit und das von Gott abgekehrte Vertrauen 19 32; 24-35 (Wochenpred. über Matth. 5-7 1 5 3 2 ) ; 12, 1 1 , 1 8 - 2 0 (Ordnung eines gemeinen Kasten 1 5 2 3 ] . 1T 40 I, 2 1 4 , 2 1 - 2 4 epistolam ad Galatas Dr. 1 5 3 5 ) ; „Widderumb, da sie sollten verbunden seyn, nemlich f u r den menschen, und durch liebe yderman dienen, machen sie sich frey, das sie niemant dienen noch nutz sind, denn yhnen selbs, und streben damit widder die liebe. Also ists eyn verkerets volck, das alle gottis recht verkeret. Will f r e y seyn, da es verbunden ist, und verpunden seyn, da es frey ist . . . aus der hymelischen freyheyt eyn solch hellisch gefengnis, und aus der lieblichen dienstbarkeyt eyn feyndselige freyheyt machen", 12, 1 3 3 , 7 - 1 4 (Das siebente Kap. S. Pauli zu den Cor. 1 5 2 3 ) ; diese Aussage nimmt besonders auf das Mönchsleben Bezug, aber sie hat gemeingültige Bedeutung. Wie so häufig wird Luther am klarsten, wenn der Gegensatz am größten ist - und hier ist es das Klosterwesen, das die schlimmste Abart repräsentiert.
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auf die Werke müßten ja, wenn sie frei herrschen dürften, die ganze Welt in Anarchie und Verderben stürzen. Luther spricht oft davon, daß der Aufruhr des Menschen gegen Gott und sein sich-Losreißen vorn Nächsten zu Unruhe und Auflösung im Leben der Gesellschaft führen und alle geordneten Gemeinschaftsverhältnisse zu zerbrechen drohen". Eben darum, weil der Mensch auf das, was außerhalb von Wort und mandatum Gottes liegt, fixiert und ausgerichtet ist, gerät er in superbia und selbstverherrlichenden Machtmißbrauch oder in desperatio und liebeleere Isolierung, nämlich dann, wenn das, worauf er vertraut hat, zusammenfällt und er durch seine Ichbezogenheit allein, ohne die Hilfe des Nächsten dasteht1'. Die ganze Welt ist in der Gewalt des Teufels, die Entartung hat in allen Ständen um sich gegriffen und die Situation wäre hoffnungslos für den einzelnen Menschen, wenn Gott seine Schöpfung ihrem Schicksal überlassen hätte. Aber das ist nicht der Fall. Es ist daher an der Zeit, die Aufmerksamkeit darauf zu richten, was Luther hier über Dualismus und Gottes verborgenes Handeln inmitten einer von der Sünde korrumpierten Welt zu sagen hat. Luthers Lehre von den Regimenten gehört erst in einen späteren Zusammenhang hinein, muß aber von gewissen prinzipiellen Gesichtspunkten gerade hier behandelt werden. Denn Gottes Regimente haben in hohem Grade mit dem Kampf gegen die Sünde zu tun. Gott läßt nicht das Böse herrschen, sondern er kämpft „wider den teuffei" und stellt die irdischen Ordnungen als Macht auf, um der Sünde zu wehren und die Bosheit in erträglichen Grenzen zu halten. Dadurch werden ein äußerer Friede, Arbeitsruhe und soziale Geborgenheit einigermaßen aufrechterhalten und sichern ein erträgliches irdisches Dasein und fördern eine gewisse Fürsorge für den Mitmenschen20. Schon von Anfang herrschte in der Welt Gottes Ordnung und Übersicht, die Ordnung, die in der Schöpfung selbst gegeben war und die eine Voraussetzung für alles inkarnatorische Herniedersteigen Gottes in die Welt des Menschen ist. Gottes Schöpferwort nimmt ja immer gewisse konkrete Gestalten an, Gottes mandatum und vocatio rufen bestimmte Stände und Ämter hervor, naturgegebene Aufgaben wie Mann und Weib, Eltern und Kinder. Hierin liegt 18 Dieser Gesichtspunkt ist für Luther sehr wichtig, besonders in seiner Polemik gegen die Bauern im Aufruhr gegen die Fürsten sowie auch in seinem stetigen Kampf gegen den Papst, das Mönchswesen und die Schwärmer. Das alles ist führ ihn ein menschlicher A u f r u h r gegen die Ordnung Gottes, und darum ist alles auch verkehrt. Siehe als Beispiel f ü r diesen Gedankengang die Auslegung Luthers über die Gleichheit und die U n gleichheit der Stände, über die Demut und den Hochmut, das Aufsteigen und Niedersteigen, 49, боб f f . (Pred. 1 5 4 4 ) . 1B Siehe Luthers Vorlesung über Ps. 127, 1: „ W o der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen", 40 III, 2 1 1 f f . , z.B. 2 1 2 , 2 3 - 3 0 , w o Luther konstatiert, daß der Teufel den Menschen leicht zur desperatio verführen kann, wenn der Mensch, wie es scheint, nichts ausrichten kann und nichts zuverlässig hat, oder zur praesumptio, wenn er nur den Glanz seiner eigenen Werke auffaßt. 20 Eine gute Zusammenfassung gibt Luther in 50, 652, 1 - 3 2 ( V o n den Konziliis und Kirchen 1 5 3 9 ) .
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eine Über- und Unterordnung, in der einige aus natürlichen Gründen mehr zu sagen haben, und zwar nach unten, in ihrem dominium. In diesem Sinne kann man behaupten, daß äußere Ordnungen und Stände nach lutherscher Auffassung schon im Urzustand vorhanden waren - von G o t t befohlen, um seinen Liebeswillen auszuführen und ein Werkzeug im Dienst am Nächsten zu sein. A b e r durch den Sündenfall erhalten diese Schöpfungseinrichtungen Gottes eine ganz neue Dimension. Einmal ist nicht mehr alles Handeln des Menschen von Freiheit, Spontaneität und positivem Gehorsam geprägt, sondern von Verkehrtheit und Verirrtheit, Widersetzlichkeit und Egozentrizität - soweit es die Person betrifft. Z u m anderen und vor allem w i r d der Stand selbst in einen Kampf mit Sünde und Teufel hineingestellt, der ihm ein anderes Gesamtgepräge verleiht, ein Gepräge von Z w a n g , M a c h t und G e w a l t - und das läßt sich vom A m t sagen. Erst nach dem Eintritt der Sünde ist es übrigens sinnvoll, zwischen A m t und Person zu unterscheiden, aber dann muß es geschehen. Denn die Personen sind es, die vom Teufel zum A b f a l l von der in Gottes W o r t gegebenen Ordnung getrieben werden, die Ordnung aber, das A m t , der Stand, besteht. Gegen den Mißbrauch, gegen die Entartung werden die Ämter, wird das Regiment eingesetzt". In diesem Kampf zwischen G o t t und Teufel gehört S1 Es zeigt sich häufig, daß die in der Lutherforschung oft geführte Diskussion darüber, ob Luther eine infra- oder supralapsarische Regiments-Auffassung habe, auf unklare oder voneinander abweichende Definitionen von Begriffen wie Staat, Obrigkeit, Regiment und Ordnung zurückzuführen ist. Man kann wie Siirala 1956, 251, Anm. 250, eine an und für sich berechtigte Distinktion zwischen Regiment und Obrigkeit machen, doch kann man schwerlich behaupten: „Luther macht einen ganz bestimmten Unterschied zwischen beiden". Eher verhält es sich so, daß Luther diese beiden Termini nebeneinander und oft als Synonyme verwendet. In der Literatur hat man einerseits das Gewicht auf die Rolle der Regimente als Schutz gegen das Böse gelegt. Sie werden dann ganz einfach als antithetisch zur Sünde definiert. Man gelangt dann zu der Schlußfolgerung, daß diese züchtigende Obrigkeit vor dem Sündenfall unnötig war. So sagt auch Luther, es habe in der iustitia originalis keine „politia" gegeben, 42, 79, 7-19 (Vöries, über 1. Mose 1535-45]; I J / 2 5 Γ , i—21 (Von weltlicher Oberkeit 1523). Diese Richtung der Deutung vertreten u.a. Harald Diem, Luthers Lehre von den zwei Reichen 1938, 58 f f . , Althaus 1935, 9 f., E. Kinder, Geistliches und weltliches Regiment Gottes nach Luther 1940, 16, Heckel 1953, 68 f. und H. Bornkamm, Luthers Lehre von den zwei Reichen im Zusammenhang seiner Theologie 1958, 27 f . Andererseits hat man das Faktum verteidigen wollen, daß Gott schon im Urzustand derjenige ist, der durch sein Wort herrscht und lenkt. Auch hierfür läßt sich ohne Schwierigkeit eine Stütze bei Luther finden, z.B. 24, 72, Ii f. (Pred. über das 1. Buch Mose 1527]; 40 III, 222, 35-223, 24 (In X V psalmos graduum 1532-33 Dr.); 42, 72, 1 3 - 1 7 (Vöries, über 1. Mose 1535-45). Siehe u.a. Eiert 1932, 56 f., Törnvall 1947, 23 f. Charakteristisch für die Schwierigkeiten, in dieser Debatte wirklich das eigentliche Problem zu fixieren, sind zwei Urteile bei Lau, einmal 1953, 36, wo er davon spricht, daß Luthers Rede von einer „Dei ordinatio in creatione" sich auf eine „Erhaltungsordnung" nach dem Fall beziehe, und zum anderen in „Leges charitatis", KuD 1956, 78, wo er bei Luther ein Regiment Gottes vor dem Fall konstatiert. Daß diese Ansichten gleichwohl beide gelten können, dürfte aus dem Voraufgehenden hervorgehen. Aber es ist unbedingt notwendig, größere sachliche und terminologische Klarheit zu erzielen. Man muß hier 1. abgesehen von allen Begriffsschwankungen die sachliche Kontinuität im Handeln Gottes, seiner Herrschaft und seinem Regieren im Wort und durch das
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also immer das Regiment auf die Seite Gottes, die Menschen aber, die Amtsträger, können entweder an Gott gebunden oder vom Teufel geknechtet sein". Wenn der Mensch sich aus der Abhängigheit von Gott und der Gebundenheit an das Wort losreißt, erscheint dieses Wort Gottes, wie wir früher sahen, nicht mehr als ein gutes und lebenspendendes mandatum, sondern als eine fordernde und erschreckende lex peccati. Dieses Gesetz nun und das Erleben dieses Gesetzes durch den Menschen sind es, die dem Regiment und dem Stand in der Welt der Sünde einen Zug der Strenge und Bedrohlichkeit verleihen. Für die menschliche Vernunft ist diese Härte mit Gottes guter Schöpfung und Fürsorge unvereinbar. Hierin liegt wiederum Gottes Verborgenheit, die Emiedrigungsgestalt seines Handelns. Stand, Obrigkeit und Regiment sind von Gott geschaffen und „contra diabolum" eingesetzt. Das Gesetz richtet sich gegen Lieblosigkeit und Selbstsucht und zwingt den Menschen durch Gewalt und Einsatz von Machtmitteln, seine Arbeit auszuführen und seine Pflichten gegenüber Familie und Öffentlichkeit zu erfüllen. Aber dieses Leben ist häufig widerwärtig und unbequem, und er fühlt sich von einem mißgünstigen Schicksal schlecht behandelt. Und das ist die Bedeutung der Verborgenheit Gottes in diesem Zusammenhang. Jeder Mensch ist in den Streit zwischen Gott und dem Teufel hineingezogen. Der Teufel hat ihn geknechtet und will ihm alles Üble antun. Gott will dieses Üble vertreiben, aber seine Kampfmethoden nehmen sich aus menschlichem Gesichtswinkel teilweise böse aus. Denn sie verursachen dem Menschen viel Schmerz und Pein und gestalten sein Leben oft betrüblich und widerwärtig. An der berühmten Stelle in De servo arbitrio stellt Luther den Kampf Gottes mit dem Teufel um den Menschen als den Streit zweier Männer um ein Reittier dar". Mit allen Mitteln hadern sie miteinander darum, wer das Reittier besteigen und in Besitz nehmen darf. Mitten in diesem Kampf steht der Mensch, er erlebt häufig die Intensität des Kampfes, fühlt, wie gut und böse, Gott und Teufel versuchen, ihn nach verschiedenen Seiten an sich zu reißen. Hierdurch leidet er viel Schlimmes, erfährt Schmerz und Schrecken, aber, und das ist die Pointe in dieser Beschreibung der Verborgenheit Gottes, er kann nicht mit Sicherheit sagen, wer in jeder einzelnen Phase des Kampfes an ihm zerrt und reißt. Er trifft auf eine Menge menschlicher Einrichtungen, in Gesetzen und Regeln, in Wort vor und nach dem Fall beachten, 2. so weit möglich um der eigenen Darstellung willen deutliche Begriffsbestimmungen vornehmen und, auch wenn Luther das nicht tut, klar vor allem zwischen „Reich" und „Regiment" unterscheiden. Dies wird mit Recht von Bornkamm 1958, 5 und 15, und von Seils 1962, 130 ff., betont. Denn in dem großen Gegensatz zwischen den Reichen, dem regnum Dei und dem regnum diaboli, stehen die Regimente sowohl weltlich wie geistlich auf Seiten Gottes und bilden zusammen das regnum Dei, die ordinatio divina. Als Ausdruck für Gottes Lenkung und Fürsorge ist das Regiment supra lapsum, aber als in den Kampf gegen das regnum diaboli einbezogen ist es natürlich infra lapsum. 22 Siehe Wingren 1952, 65 f. 2a 18, 635, 17-22 (De servo arbitrio 1525).
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den Eingriffen der Obrigkeit und im Druck der Amtspflichten, aber bei all dem ist er unsicher, ob es Gott oder der Teufel ist, der sich hinter diesen äußeren Geschehnissen verbirgt. Daher kann Luther von der Schöpfung und menschlichen Dingen bald als von larvae Dei, bald als von larvae diaboli sprechen, genau wie die Menschen, mit denen man zu tun hat und die einen bald begünstigen und fördern, bald aber auch einem Angst und Ärger in den Weg schicken, von Luther als cooperatores Dei oder diaboli bezeichnet werden können. Der furchtbare Emst dieses Streites liegt gerade darin, daß Gott und Teufel in ihren äußeren Kampfmitteln so ähnlich erscheinen. Beide nutzen alle Möglichkeiten im Kampf aus, beide versuchen, den einzelnen Menschen durch Stand und Beruf zu gewinnen. Daher wird er ständig zwischen usus und abusus, Geborgenheit und Verzweiflung umhergetrieben. Gott weist ihm einen bestimmten Platz auf Erden an und will, daß er dort bleiben, seine Arbeit verrichten und seinem Nächsten dienen soll; der Teufel will ihn aus seinem rechten Stand herausreißen und in ein selbstsüchtiges und von Gott abgewandtes Leben hineinlocken. Der Kampf bereitet dem Menschen Angst und Schmerz, die ihn immer durch menschliche Mittel treffen; für ihn aber gilt es zu erkennen, was von diesem Irdischen, Menschlichen, Unbehaglichen von Gott kommt und was vom Teufel. Denn es gibt in der Welt „duo regna, mutuo pugnantissima" und diese beiden Reiche, das Gottes und das des Teufels, schneiden alle menschlichen und irdischen Zusammenhänge mitten durch in einem Kampf, der im Verborgenen alle weltlichen und geistlichen Hilfsmittel in Anspruch nimmt". Es liegt ja im Wesen des Dualismus bei Luther - wenn er sich nicht in eine Zweiheit auflösen soll - daß Gott doch der stärkere ist, der trotz aller listigen Anschläge des Teufels auch das Böse in seinen Dienst zu nehmen vermag. Dieser wichtige Gedankengang findet auch hier eine Anwendung. Der Ausgangspunkt ist dann Gottes faktisches Handeln im weltlichen Regiment, in dem er dem Menschen befiehlt, die Werke seines Amtes getreulich auszuführen und sich dabei auch willig seinem Nächsten zur Verfügung zu stellen. Und diese Werke werden auch auf irgendeine Weise vollbracht, unabhängig von der positiven oder negativen Einstellung des Menschen. Wer in seinem Dienst ausharrt - wenn auch mit unwilligem Herzen - und sich darin mit schwierigen Aufgaben und unerfreulichen Nächsten abmüht - wenn auch mit widerstrebendem Sinn - ist, ohne sich dessen bewußt zu sein, ein cooperator in Gottes Wirksamkeit contra diabolum. Durch äußere Ordnung zwingt und treibt Gott diese guten Werke hervor. Die Ämter im Regiment dienen als solche dem Werke Gottes, der persönlichen Gleichgültigkeit oder Widerspenstigkeit der Amtsträger zum Trotz. Auch durch die Unfrommen und Gottlosen schenkt Gott dem Nächsten seine guten Gaben Gott steht hinter allem "
Ib. 782, 30-783, i . Dies ist gut untersucht bei K . Matthes, Luther und die Obrigkeit
1937, 1 1 8 f f . 25 Das ergibt sich klar aus dem vorigen Abschnitt. Ein Beispiel finden wir ferner in der Kirchenpostille 1522, wo Luther eine Legende von zwei Brüdern erzählt, von denen
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was geschieht, er wirkt alles in allen und setzt alles in Bewegung. Der Dualismus und die Verborgenheit bedeuten daher in bezug auf die Regimentenlehre, daß Gottes allwirkende Macht auch da etwas Gutes auszurichten vermag, wo der Kampf am härtesten tobt und am stärksten zu Bosheit, Mißbrauch und Selbstsucht zu führen scheint. Auch der böse Mensch, der Gottlose, der Mißbraucher und Tyrann wird gezwungen, Gottes Werke zu verrichten und in gewissem Sinne cooperator und instrumentum Dei zu sein28. Auch in einer anderen Hinsicht haben wir von unten, vom Gesichtspunkt der menschlichen Relationen her gesehen, eine Möglichkeit, den Dualismus und den Absconditus-Gedanken bei Luther zu beleuchten. Wenn Gott die Menschen benutzt, um seine Gaben zu schenken und für seine Schöpfung zu sorgen, gebraucht er sie gleichzeitig, um zu züchtigen und zu strafen. Er ist dann in beiden Fällen gleich wenig an das Wissen oder Mangel an Wissen, die Bereitwilligkeit oder Widerspenstigkeit der menschlichen Werkzeuge gebunden. Denn auch hierzu verwendet er sowohl böse wie gute Werkzeuge. Das weltliche Regiment, die Ämter und alle Stände stehen im Dienste Gottes, um die Ordnung aufrechtzuerhalten und seinen Willen gegen Sünde und Teufel durchzusetzen. Hier ist das Gesetz in seinem usus civilis oder usus politicus mit Gewalt, Schwert und Rute tätig, um die Rohen und Bösen zu zügeln". Aus dem Gesichtswinkel des einzelnen Menschen erscheint das als etwas äußerst Unangenehmes und Zwingendes, was ihn in Furcht und Angst versetzt. Die Obrigkeit trägt das Schwert und droht mit Strafe, es ist die Aufgabe des Richters und des Henkers, zu verurteilen und zu töten, und der Vater muß mit der Rute züchtigen Diese Ämter sind gute Werkzeuge für Gottes Zorn, und sie führen seinen Willen aus. Aber auch die an und für sich bösen Menschen werden hier Instrumente Gottes. Mitmenschen, Familienmitglieder, Arbeitskameraden und Obrigkeitspersonen treiben den Menschen durch Mißbrauch, Selbstsucht und Rücksichtslosigkeit in Ungewißheit und Furcht. Im Äußeder eine vor Hunger gestorben ist: " . . . Darumb das sie unter bosse leutt kamen, die gaben yhn tzu essen, unnd derselb wolt nit, sprach, er wolt von den leutten nit brot nehmen, ssondern vom hymell herab gewartten seyner narung. A b e r der ander nam und assz und bleyb. W a s hatt der narr gethan, denn das er gottis Ordnung ynn den creaturn vorachtet und yhn vorsucht hatt? lass die leutt seyn, wie boss sie wollen, dennoch sind sie gottis creatur, als wol als distell und dornen", IOI:I, 6 1 7 , 3 - 1 1 . 20
7 5 3 , 3 2 f . [ D e servo arbitrio 1 5 2 5 ) ; 56, 399, 8 f . (Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ] . Der Gedanke an Gottes Freiheit, seine souveräne Benutzung sowohl des Bösen als des Guten, wenn er den einen Buben den anderen schlagen läßt und Sünde mit Sünde austreibt, ist durchweg betont bei Matthes 1 9 3 7 , u.a. 45 f., 1 3 9 - 1 5 7 . 21 19, 626, 2 2 - 2 7 [ O b Kriegsleute . . . 1 5 2 6 ) ; 40 I, 429, 2 8 - 4 3 0 , 14, 479, 1 7 - 4 8 0 , 3 1 (In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 Dr.). V g l . Lau 1 9 3 3 , 1 2 2 f f . 28 Dies hebt Luther oftmals und mit Nachdruck in seiner Auslegung der Bergpredigt hervor, z.B. 3 2 , 3 1 6 , 6 - 3 1 7 , 7, 382, 5 - 3 9 (Wochenpred. über Matth. 5 - 7 1 5 3 0 - 3 2 ) ; „Darumb w o wir jm ampt und oberkeit gehen, da sol und müssen wir scharff und streng sein, zürnen, straffen etc. denn hie müssen wir thun was uns Gott jnn die hand gibt und von seinen wegen thun heisset", ib. 3 1 6 , 3 0 - 3 2 .
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ren schickt Gott Leiden und Schwierigkeiten, Verleumdung und Haß und alle möglichen menschlichen Zusammenstöße, und zwar tut er das durch abschreckende Machtmittel und durch die Bosheit und Egozentrizität der Menschen". Hierdurch ist Gott verborgen und erscheint als ein zorniger und gefährlicher Gott. Durch menschliche Mittel, gute wie böse, wirkt Gott also zwei Dinge: einmal führt er gute Werke aus und versieht alle mit Gutem, zum anderen erzieht und straft er alle mit seinem Zorn. Auf Seiten des Menschen bedeutet das, daß der Mensch im Vertrauen auf Gott sich geborgen fühlen kann trotz allem, und daß ihm und seinem Nächsten gedient wird, und daß sie einander durch Gottes Fürsorge dienen, daß er aber auch in Furcht Gottes Strenge und seine eigene selbstsüchtige Isolierung erlebt und unter diesem Druck immer tiefer in Verzweiflung und Verlassenheit hineingetrieben wird. Der Zorn, den er zu spüren bekommt, begegnet ihm auf der sozialen Ebene, er taucht auf im menschlichen Zusammenleben und in den Problemen des Alltags, aber mitten in all diesem Menschlichen ist es Gottes Zorn, den er erlebt. Er wird vor weltliche Richter gestellt, er hat irdische Strafen auszuhalten und Mühsal in Familie und Gesellschaft zu ertragen und schließlich den Tod eines Sünders zu erleiden, aber es sind immer Gottes Gesetze und Gottes Urteile, die inkrafttreten, und Gottes Strafe und Verdammnis, die ihn unaufhörlich treffen 50 . In Furcht lebt der Mensch sein Leben. Die gesamte Schöpfung ist durch den Sündenfall der Verdammnis unterworfen, und der einzelne Mensch kann in seiner Angst die ganze Schöpfung als einen Feind erleben, als einen Fluch. So geht es ihm, weil er sich Gott zum Feinde gemacht hat und zum Gegenstand seines Zorns geworden ist31. Die ganze Umwelt erscheint boshaft und mißgünstig und das eigene Leben vergeudet. Er fühlt sich einsam angesichts der Ichbezogenheit und Ungefälligkeit der anderen und findet jeden Augenblick erfüllt von Angst und Mühsal32. Die geschaffenen Dinge, die von Gott eingesetzten Stände, alles scheinen larvae für Gottes Zorn zu sein und ihn dem Tod und der Hölle auszuliefern33. 2
" 6, 266, 34 ff. (Von den guten Werken 1520]. Uber die Dialektik zwischen Furcht und Zuversicht siehe die nuancierte Darstellung bei Olsson 1934, 157 ff. ,.Quia lex intus in corde est, quae terret et est lex Dei, Ideo omnis consternatio et pavor conscientiae fit cooperante Deo. Non igitur potes excutere legem, sed ipsa excutit tibi cor", 44, 503, 24-27 (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ] . 31 „Und wie die schrifft sagt, er [der böse Mensch] furcht sich für einem rauschenden blad, denn wer Gott zu feind hat, der hat alle Creaturen zu feinden", 16, 455, 14 f. (Pred. über das 2. Buch Mose 1524-27); 24, 23, 1 1 - 1 3 (Pred. über das 1. Buch Mose 1527З; Luther sagt von Jona, er „fulet sich also, als giengen alle wasser yn hymel und erden über yhn und were sonst niemand, den gotts zorn drucket denn yhn, sondern alle creaturn mit Gott Widder yhn", 19, 227, 5 - 7 (Der Prophet Jona ausgelegt 1526). 32 „In hunc modum describit Spiritus sanctus horribiles illos cruciatus et Erynnias malae conscientiae, qua fit ut tota vita nostra pendula, dubia et incerta sit, quolibet momento temporis plena angustiis et pavoribus, exhorrens vesperum et mane, singulas denique horas", 44, 504, 27-30 (Vöries, über 1. Mose 1535-45). " 3 1 1 , 146, 3-148, 17 (Ausleg. des 118. Psalms 1529-30 Hs.). 30
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So will Luther die Situation beschreiben, in die Jona durch seinen Ungehorsam gegenüber Gottes Befehl hineingeraten war. Äußerlich wurde Jona ins Meer geschleudert, im Gewissen wurde er in Anfechtungen und Verzweiflung geworfen. Dabei waren die Seeleute auf dem Schiff und das Unwetter und die Meereswogen Werkzeuge des Zornes Gottes, und die ganze Schöpfung schien gegen ihn zu stehen, aber Gott war es, der ihn dadurch ins Meer wie auch in Gewissensnot warf". So also sieht Luther die Beziehung, die zwischen Göttlichem und Menschlichem besteht, wenn es gilt, menschliche Nöte und Schrecken zu verstehen. „Talis enim est conscientia: timet omnes creaturas"". Dies verleiht der Ursünde selbst Ausdruck: die Verkehrtheit des Menschen, seine Furcht vor Gottes Zorn und Macht und seine vergeblichen Versuche, in der Mannigfaltigkeit der Schöpfung Gott zu entfliehen. Wenn Luther die düstere Geschichte des Falls schildert, kommt er in seiner Ausdrucksweise häufig auf eine Einzelheit zurück, die hier von besonderem Interesse ist. Unter den geschaffenen Dingen, die den Menschen umgeben und unter denen er sich in seiner Furcht zu verbergen sucht, ist auch, was Luther „eyn rauschen blad" nennt". Dieses rauschende Blatt, das so klein erscheint und so gering ist, daß jedes Würmchen darüber kriecht, wird für das angefochtene und leicht erschreckte Gewissen nicht nur zum Zeichen von Gottes Zorn. In dem Rascheln des kleinen Blattes ist der zornige Gott selbst gegenwärtig und der Stärkste und Mutigste wird von panischem Schrecken gepackt und ergreift die Flucht vor Gott, einem Gott, der dem Angefochtenen ja als Teufel erscheinen kann". Die Geschichte vom Sündenfall ist daher aus diesem Gesichtswinkel eine Geschichte von dem verzweifelten Versuch der ersten Menschen, Gott und ihrem eigenen Siehe hierzu die dramatische Auslegung des Buches Jona vom Jahre 1526, 19, 222 f f . , z.B.: „Da vergisset er Jona der leute, die yhn yns meer worffen und spricht, Gott habe es gethan. 'Du', sagt er, 'Du warffest mich' etc.", 226, и f.; „Also spricht er auch nicht: Des meeres wellen und wogen giengen über mich, sondern: 'deyne wellen und deine wogen' ", 227, 2 f . 35 T R II, 581, 37 (Konrad Cordatus 1532); „Conscientia maius quiddam est, quam coelum et terra . . . Haec vero inflammat et roborat mortem et infernum, et universam creaturam armat contra nos", 44, 546, 30-34 (Vöries, über 1. Mose 1535-45). 38 Diese Deutung von 3. Mos. 26, 36 kommt oft in Luthers Werke vor, z.B. 10 III, 153, i f . (Pred. 1522); 12, 443, 8-17 (Pred. 1523); 16, 455, 14 f . (Pred. über das 2. Buch Mose 1524-27); 42, 504, 17-21 (Vöries, über 1. Mose 1535-45); „Ita pingit Moses malam et perturbatam conscientiam, trepidantem et paventem ad strepitum folii sonantis", ib. 543, 25 f. Siehe auch nächste Anm. 37 „Denn so fulet sichs auch ym gewissen, das alles Unglück, so uns uberfeilet, sey Gotts zorn und alle creaturn duncken eynen eytel Gott und gotts zorn seyn, wens auch gleich eyn rauschen blad ist, wie Moses sagt Levit. X V I [soll X X V I sein]. 'Es sol sie eyn rauschend blad schrecken'. Ists nicht eyn gros wunder? Nichts geringers und verachters ist denn eyn dürr blad, das auff erden ligt, da alle würmlin drüber lauffen und sich nicht eyns steublins erweren kan, . . . Und solchs bladts rausschen sol uns die weit zu enge machen und unser zorniger Gott werden, die wyr zuvor hymel und erden pochen und trotzen künden'", 19, 226, 12-28 (Der Prophet Jona ausgelegt 1526); 24, 21, 27-23, 23, (Pred. über das 1. Buch Mose 1527). 34
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schlechten Gewissen zu entfliehen". Da aber der Mensch von Anfang an von Gottes Geboten abgewichen ist, findet er keine Ruhe, überall begegnen ihm Zorn, Drohungen und Tod, und er flieht „sine fine a Deo"3'. Sein schuldbeladenes Gewissen steht dauernd vor dem Richter, und darum erlebt er auch das, was an und für sich ungefährlich und gute Gabe Gottes ist, als etwas Erschreckendes, was seine Sicherheit bedroht10. So lebt der Mensch in Unsicherheit und Furcht, inmitten betrüblicher Verhältnisse und unter Mitmenschen, die ihm bald mit Güte begegnen und bald Ärgernis bereiten. Die Unsicherheit führt ihn oft in Gewissensnot, so daß er mitten in seinen irdischen Geschäften bald im Himmel und bald in der Hölle zu sein meint". Vor allem wenn er von Krankheit und äußerem Leiden befallen wird und ganz besonders angesichts des Todes ergreifen Ohnmacht und Verzweiflung von ihm Besitz. Gott ist es, der ihm dies in den Weg legt, meint Luther", und gleichzeitig kann er auf seine charakteristische Art hierin eine Maske des Teufels sehen und sagen, es sei der Teufel, der sein höllisches Gift in das Herz des Angefochtenen tropfe". Der Sterbende fühlt den Stachel des Todes in seinem sündigen Gewissen und steht hilflos vor seinem Richter, denn der Tod ist der Sünde Sold". Doch hat der Mensch dieses schlechte und empfindliche Gewissen nur in den Augenblicken der Anfechtung - getrennt vom Wort und von Christus. Nur in Zeiten der Not und Bedrängnis erlebt er die Feindselig" Jacob 1929, 25 f f . u n d Alanen 1934, 32 f f . " 42, 130, 41 [Vöries, über 1. Mose 1535-45)· I n Luthers Darstellung des Sündenfalles erhält die Beschreibung der Angst u n d der beständigen Fluchtversuche des Gewissens einen sehr großen Raum, siehe vor allem 42, 127-136 u n d die eindrucksvolle Stelle 24, 94, 27-95, (Pred. über das 1. Buch Mose 1527). „Quia haec natura est conscientiae reae, fugere et expavescere, etiam cum omnia secunda sunt et tuta eaque in periculum et mortem convertere", 44, 544, 3 1 - 3 3 (Vöries, über i. Mose 1535-45); ib. 546, 20-23. " „Si gaudium in terris, est leta conscientia. Si ungluck u n d bos, est bos conscientia. Vide talem, qui habet malam conscientiam, tregt helle in corde. Econtra habet paradis in corde", 41, 58, 30-33 (Pred. 1535 R . ) . " „Das t h u t Gott. Menget also den tod bald cum deo in corde. Si peccatum, si recte sentitur, est dei straffe. Sic lex terret et dicit: Das h a t G o t t geboten, et ego non habs gehalten. Das heisst ministerium mortis, legis, ad hoc a deo institutum: ut h o m o f u l e suum peccatum et miseriam . . . Post über die predigt e f f i c a x f u i t , k o m p t alia praedicatio, quae greifft die 3 stuck [mors, lex, peccatum] anders an, u n d t h u t Gott non solum ab his 3 hinweg, sed etiam setzt in dawider" - so beschreibt Luther den Übergang vom Gesetz zum Evangelium, vom Tod zum Leben, u n d alles ist Gottes Werk, 49, 206, 35-207, Ii (Pred. 1541 R.); 2, 697, 14 f f . (Ein Sermon von der Bereitung zum Sterben ! 5 i 9 ) ; 6> 266, 34 f f . ( V o n den guten W e r k e n 1520); 17 II, 105, 20 f f . (Fastenpostille 1525); 24, 23, 1 0 f f . u n d 184, Ii f f . (Pred. über das 1. Buch Mose 1527). Dieser Gedankengang hinsichtlich Gottes A r t , Leben durch Tod u n d Schrecken zu schaffen, ist f ü r Luthers Auffassung vom opus Dei alienum u n d opus Dei proprium charakteristisch; das wurde häufig in der Literatur behandelt, siehe Löfgren i960, 241 f f . " 37, 184, 8-33 (Pred. 1533 R · ) · " 19, 141, 1-5 (Die Epistel des Propheten Jesaia . . . 1526); 22, 284, 24-285, 17 (Crucigers Sommerpostille, diese Predigt vom Jahre 1534); 39 II, 366, 19-367, 32 (Die Prom. disp. von Petrus Hegemon 1545 C . ) . 3 3
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keit und Verschlossenheit der Umwelt als einen Grund zur Furcht. Und zwar geschieht das in dem natürlichen Zusammenhang der Sünde nicht primär deswegen, weil er seine Sünde und Selbstsucht und noch weniger Gottes Zorn im eigentlichen Sinne sieht, sondern im Gegenteil: was er erlebt ist gerade, daß seine Sicherheit bedroht ist, daß seine behagliche und selbstgefällige Welt im Begriff ist, auseinanderzufallen aus Ursachen, die er - wie er merkt - nicht kontrollieren kann: Eingriffe der Obrigkeit, Haltung der Mitmenschen, Unglück, Krankheit und Tod. So verfährt der Teufel, sagt Luther, um den Menschen erst in Sicherheit zu wiegen und ihn dann plötzlich hinauszudrängen aus seiner bequemen Position und mit Tod und Hölle zu konfrontieren". Als der Mensch in Sünde fiel, wurde er dem mandatum Dei gegenüber taub und legte die lex naturae falsch aus, er wurde blind gegenüber Gottes Handeln an ihm, aber auch gegenüber der Bedeutung seiner eigenen Lage als Sklave des Teufels. Darum ist er in seiner Verkehrtheit der Sünde unkundig und glücklich lind sicher, solange nichts sein Dasein aus der gewohnten Bahn wirft, solange er ungestört in bequemer Selbstgefälligheit leben kann und keine Gefahren zu sehen braucht". Aber auch wenn seine Alltagswelt von einer feindseligen Umgebung und bitteren Lebensschicksalen umgeworfen wird, kann er nicht umhin, seine Situation falsch zu verstehen. Er will sich nicht zur Sünde bekennen, auch wenn er ihre Realität spürt, und er will nichts wissen von Tod und Vergänglichkeit". Und gleichwohl treibt seine Todesfurcht ihn in die Hölle, denn er kann seinem eigenen gepeinigten Gewissen nicht entfliehen". Hier wirkt das Gesetz Gottes auf den in der Sünde gefesselten Menschen. Er hat Gottes mandatum den Rücken gewendet, aber es besteht
" „Und der Teuffei weis auch wol, das nicht müglich ist, das Gesetz aus den hertzen weg zu nemen, wie S. Paulus Rom. am andern cap. zeuget, Das die Heiden, so durch Mosen das Gesetz nicht empfangen, und also kein Gesetz haben, Dennoch sie selbs jr Gesetz sind, als die da müssen bezeugen, Es sey des Geetzes werck jnn jren hertzen geschrieben etc. Er gehet aber damit umb, das er die leute sicher mache, und lere sie, beide, Gesetz und sünde, nichts achten, A u f f das, wenn sie ein mal plötzlich mit sterben oder bösem gewissen ubereilet, so zuvor eitel süsser Sicherheit gewonet, müssten on allen rat zur hellen sincken . . . " , 50, 471, 26-34 (Wider die Antinomer 1539). " „Niemant bittet aber grundlich der noch nit grundlich erschrocken und vorlassen ist, dan er weyss nicht was ym gebrist, und steet die weyl sicher yn anderer stercke und trost seynsselbs ader der creaturen. darumb das got müge seyne crafft und trost aussgeben und unss mitteylen, sso zeucht er hyn allen andern trost und macht die sele hetzlich betrübt, schreyend und sehend nach seynem trost", 1, 160, 22-27 (Die sieben Bußpsalmen 1 5 1 7 ] ; 6, 208, 6-12 (Von den guten Werken 1520); 7, 566, 19-567, 9 (Das Magnificat 1 5 2 1 ) ; 39 I, 84, 10 f., 107, 2 f f . (Disp. de iustificatione 1536). " Über die Ausflüchte des Sünders und seine Ungeneigtheit, seine Sünden zu erkennen, siehe wiederum die lebendige Beschreibung Luthers vom Sündenfall, hier 42, 130-133 (Vöries, über 1. Mose 1535-45); 24, 95, 17-97, 31 (Pred. über das 1. Buch Mose 1527). " Siehe Anm. 44 und ferner 3, 231, 1 3 - 3 1 (zu Ps. 41, 3-4): „Non enim est dolor super dolorem conscientiae . . . non enim potest fugerc a conscientia sua propria", 231, 15-18 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ] , und dazu auch: „Infernus enim est pavor mortis, idest sensus mortis, quo horrent mortem et tarnen non effugiunt damnati, nam mors contempta non sentitur estque velut somnus", 5, 463, 23-25 (Operationes in Psalmos 1519-21).
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weiter als ein Gesetz der Sünde und des Todes und drückt den Menschen, treibt ihn zu einem widerwilligen Handeln und führt ihn in Gewissensnot und Furcht. Wir haben gesehen, daß Gottes Gesetz als eine dem Menschen verborgene lex naturae wirkt und in seiner Welt Gestalt annimmt. Wir haben auch bereits festgestellt, daß der Mensch auf Grund der Verborgenheit der Sünde keine klare Kenntnis von der Sündenverderbnis besitzt und daher auch seine Tage verblendet in Gottabgewandtheit und Selbstzufriedenheit dahinlebt, daß er aber andererseits doch den Druck des Gesetzes in seiner täglichen Arbeit und den Beziehungen zu seinem Nächsten erlebt. Denn die lex naturae ist in sein Herz eingeschrieben und wirkt, was Gott will *". Aber der Mensch spricht nicht von diesen seinen Erfahrungen als von einer Folge der Sünde oder als durch Gottes Verdammnis oder Zorn verursacht - so kann er erst nach der Erleuchtung durch das Wort sprechen. Er steht vor Gott, aber er nennt ihn nicht so oder ist sich richtiger gesagt seiner nicht bewußt. Luther indessen ist sich im Klaren darüber, daß hier die ganze Zeit Gott, der Deus absconditus, handelt, der inmitten von Sünde, Mißbrauch und Selbstsucht sein Werk ausführt. Sub contraria specie führt er sein opus alienum durch, um das Böse zu besiegen und den Menschen durch Verzweiflung und Tod zu Rettung und Leben zu führen. Aber das kann der Mensch nicht sehen, er ängstigt sich nur unter den Sorgen des Amtes und müht sich mit schwierigen Nächsten und den Problemen des Erdenlebens. Er sieht Gottes Larven, aber nicht Gott. Er erlebt den Zorn und die Verdammnis, nicht aber, daß Gott dahinter steht, eher glaubt er, es sei der Teufel"0. Er ist von menschlichen Dingen und Relationen umgeben, aber er irrt sich in bezug auf Gott im Menschlichen. Dadurch wird er geschaffenen Gegenständen ausgeliefert, von denen er sich abhängig macht und die seine Götzen werden. Er gerät in einen Kampf ums Dasein, der ihn nur noch tiefer in die Verzweiflung hineinzwingt, denn er wird immer mehr in sich hineingebogen und in sich verkrümmt, immer stärker ichbezogen und dem Ruf des Nächsten verschlossen. Wenn er dann von den Forderungen des Gesetzes gedrängt seine Situation zu ordnen und seine Stellung besser zu sichern versucht, gerät er in gesteigerte Anfechtung und Werkgerechtigkeit hinein. Denn er bindet sich immer stärker an Werke, aber verschließt sich immer mehr dem Nächsten. Theologisch ausgedrückt bedeutet dies, daß das Gesetz hier einmal in seinem ersten Gebrauch wirken muß, um zu Ordnung auf Erden und Fürsorge für den Nächsten zu zwingen, zum anderen in seinem zweiten Gebrauch eben dadurch, daß dieser Zwang dem Menschen übermächtig wird, so daß er in Furcht und Verzweiflung gegenüber einem unsanften Geschick gerät, von dem er nicht weiß, ob es von Gott oder vom Teufel ist. Oder er ist in seiner Anfechtung davon überzeugt, daß Gott ihn haßt, er fühlt sich verdammt und fürchtet, daß Gott ihm in seinem Zorn alles " Vgl. oben Kap. I B:i, Anm. 65 und 66 mit Kontext. Bring 1929, 301 f f .
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das rauben wird, w a s er als das Seine betrachtet und worauf er vertraut und sein L e b e n b a u t D i e s e Furcht vor unangenehmen Folgen und V e r lust äußerer G ü t e r ist eine knechtische Furcht, ein „timor servilis" oder „timor p o e n a e " - zum Unterschied von einem „timor filialis" und „timor D e i " " . D a ist Luthers Ansicht nach das G e s e t z in G e w i s s e n und Gottesverhältnis eingedrungen und zu einem w a h r e n T e u f e l g e w o r d e n " . In dualistischer Terminologie bedeutet das, daß G o t t inmitten der irdischen Zusammenhänge sein opus alienum wirkt, indem er den T e u f e l sein W e r k ausführen läßt, das dem Menschen auch als W e r k des Teufels erscheint. A b e r w e n n der Teufel glaubt, sein eigenes V e r d e r b e n bringendes W e r k z u w i r k e n - und so erlebt der M e n s c h es w i e gesagt auch in seiner A n g s t - ist es eigentlich G o t t e s opus proprium, dem er ans Licht h i l f t " . Im K a m p f u m jeden einzelnen Menschen ist es jedoch unumgänglich, daß G o t t z u harten M e t h o d e n greift, u m ihn aus der G e w a l t des Bösen zu reißen, und dazu auch den Teufel und seine A k t i v i t ä t b e n u t z t " . 11 i , 450, 17-36 [Decern praecepta Wittenbergensi praedicata populo 1518); im Anschluß an die Schlußworte der Gebote (5. Mos. 5, 9 - 1 0 ] betont Luther das rechte Gottvertrauen und die rechte Gottesfurcht und den rechten Sinn der Gebote, 30 I, 180, 10-36 (Großer Kat. 1529). Die Furcht, daß Gott mit seinen guten Gaben aufhören und statt dessen die Hölle losbrechen lassen wird - weil die Menschen so ungehorsam und undankbar sind-kommt u.a. in 30 II, 581, 11-583, 4 (Kinder zur Schule halten . . . 1530] zum Ausdruck; siehe auch Luthers Vorrede zu Johann Sütel, Das Evangelion von der grausamen, erschrecklichen Zerstörung Jerusalems 1539, ein prophetisches Thema, das Luther mit Betrübnis auf seine Mitwelt beziehen mußte, 50, 667, 14-38; „Tempore persecutionis conscientia naturaliter percutitur meto irae divinae. Quia enim sentit praesentem poenam, statim colligit ex posteriori: Tu nunc adfligeris, ergo Deus odit te. Haec est natura nostra, quam Prophetae secuti appellant iram Dei, cum Deus suos adfligit, Cum tarnen revera non sit ira Dei sed flagellum amoris. Haec accedit Sathan quoque et äuget desperationem, ut animus de favore Dei dubitet ac incipiat metuere et odisse Deum tanquam carnificem aliquem, ut sie utrinque sentiatur dolor et angustia foris in carne et intus in conscientia", 25, 105, 36-42 (Vöries, über Jesaia 1527-29). " Siehe hierzu eine frühe Predigt, De timore Dei, 1, 1 1 5 , 1 0 - 1 1 6 , 7 (Sermone aus den Jahren 1 5 1 4 - 1 7 ) ; 2, 372, 1 0 - 1 3 (Disputatio I. Eccii et M. Lutheri . . . 1 5 1 9 ) . Vgl. beim älteren Luther den - in diesem Zusammenhang - theologisch gleichartigen Grundgedanken: 10 I:i, 292, 3-9 (Kirchenpostille 1522); 18, 517, 32-38 (Die sieben Bußpsalmen 1525); 24, 548, 29-34 (Pred. über das 1. Buch Mose 1527); 401, 527, 1 1 - 1 5 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.). " „Debemus extra conscientiam, facere ex ea [lex] Deum, in conscientia vero est vere diabolus, quia in minima tentatione non potest engere aut consolari conscientiam, imo plane diversum facit, terret et contristat eam et a fiducia iustitiae, vitae et omnis boni rapit", ib. 558, 26-29 (Dr.). Das ist ein Hauptgedanke bei Bring 1929, z.B.154 f f . " Siehe oben Anm. 42 und hier ferner: „Proprium autem opus Dei est 'vita, pax, gaudium' et ceteri fruetus spiritus, ad Gal. 5. Veruntamen in hoc Dominus 'mirifieavit sanctum suum' estque 'mirabilis in omnibus sanetis suis', quod diabolum destruxit non opere Dei, sed ipsiusmet diaboli opere . . . Sic enim Deus opus suum promovet et implet per opus alienum et mirabili sapiencia cogit diabolum per mortem nihil aliud operari quam vitam, ut sie, dum contra opus Dei maxime operator, pro opere Dei et contra opus suum suo proprio opere operetur", 57 Hebr., 128, 7 - 1 7 (Vöries, über den Hebräerbrief 1 5 1 7 - 1 8 ) . Eine bekannte Stelle ist 1, 1 1 2 , 24-29 (Sermone aus den Jahren 1 5 1 4 17). " i , 160, 25-31 (Die sieben Bußpsalmen 1 5 1 7 ) ; 5 1 , 608, 28-32 (Vermahnung zum Gebet wider den Türken 1 5 4 1 ) und sonst gelegentlich.
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Der Teufel bedient sich genau wie Gott aller Mittel und verbirgt sich hinter allen Dingen im Kampf um den Menschen. Das tägliche Leben des Menschen, seine Arbeit, Familie, sein Heim und gesellschaftliches Milieu sind daher die Walstatt dieses Streites, und dort steht jeder Mensch als Mitarbeiter und Werkzeug im Dienste Gottes oder des Teufels. In Luthers Theologie ist es ja von höchstem Gewicht, die Bedeutung des Wortes klar zu unterstreichen. Das Wort ist Gottes W a f f e im Kampf mit dem Teufel. Durch das mandatum, die lex naturae und die zwingende und strafende lex peccati kommt sein Wille zum Ausdruck, das Böse wird aufgehalten und das Gute befördert. Genau wie Gott zuerst im Wort aus der Verborgenheit hervortritt und greifbar in der Welt des Menschen Gestalt annimmt, so werden auch der Teufel und seine Verkleidungen erst im Wort enthüllt. Adam hatte sich im Glauben an Gottes Gebote zu halten, und dieselbe Regel gilt noch. Das Wort ist der feste Punkt, der Befehl ist gegeben und dort soll der Mensch verharren: im Gehorsam des Glaubens vor Gott und in demütigem Dienst am Nächsten in dem Stand, der ihm befohlen ist".
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* 32< 3 3 5 , 23-326; 26 (Wochenpred. über Matth. 5 - 7 1 5 3 0 - 3 2 ) .
Kap. II Das Werk Jesu Christi - ein simul von Göttlichem und Menschlichem, Rechtfertigung und Sünde
A. Der Gott im Fleisch Die Lehre von Christus läßt sich niemals isoliert an einer bestimmten Ort in Luthers Theologie verweisen, wo man sie so abschließend behandeln könnte, daß man sie nicht mehr in anderen Zusammenhängen vorzunehmen brauchte. Luther hat zwar eine bestimmte Christologie, aber nicht als einen speziellen locus, nicht als einen abgegrenzten Lehrpunkt der Dogmatik. Sein Offensein in systematischer Hinsicht bewirkt, daß Christus für ihn nicht nur der Ausgangspunkt und die Grundlage ist, sondern auch die Voraussetzung und das Ziel. Christus ist das Zentrum, aber nicht nur das Zentrum; wir stoßen vielmehr, wohin wir uns in Luthers Theologie auch wenden, immer aufs neue auf dieselbe Realität - auch wenn wir vielleicht meinen, uns an der Peripherie zu befinden. Mit dieser Behauptung wollen wir Luthers theologisches Denken nicht als christozentrisch in einem Sinne abstempeln, der z.B. einen theozentrischen Schöpfungsglauben ausschlösse, sondern nur die zentrale Stellung und entscheidende Bedeutung der christologischen Gedankengänge unterstreichen. Denn sie stehen an und für sich nicht im Gegensatz zu einer guten ersten Artikel-Theologie, vielmehr sind sie Luther zufolge eine Voraussetzung für eine solche. Das liegt daran, daß die communicatio idiomatum, wie wir bereits sahen, in Luthers Theologie im großen ganzen eine hervorragende Rolle spielt. Luther hat also niemals ein isoliertes, spekulatives Interesse an dem Verhältnis von Göttlichem und Menschlichem in Christus. Aber das bedeutet andererseits nicht, daß Luther der christologischen Dogmenbildung der Alten Kirche gleichgültig gegenüberstünde. Für ihn waren diese Dogmen alles andere als eine Reihe sinnloser Spekulationen, sie waren vielmehr von größtem Gewicht als Ausdruck einer rechten Auffassung von Versöhnung und Rechtfertigung. Daher bildet das Werk Christi für Luther den selbstverständlichen Hintergrund, auch wenn er selbst in abstrakte Erörterungen über die Person Christi abzugleiten und in vielen Fragen auf unsicherem Boden zu stehen scheint. Diese erscheinen nur dann als theoretische Fragen und Haarspaltereien, wenn man von diesem Hintergrund absieht. Nachdem dies gesagt wurde, können wir auch den Zusammenhang der Christologie mit dem ersten Kapitel und dessen Darstellung des Gesetzes in der Welt der Schöpfung verstehen. Wenn Gesetz und Evangelium sowohl in einem rechten Zueinander wie einem rechten Gegeneinander wirk-
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sam sind, beruht das ja Luther zufolge auf Gottes eigenem Handeln im Wort, in Gericht und Gnade. Wie wir bereits teilweise gesehen haben, geschieht dieses Handeln immer in menschlichen Zusammenhängen und äußeren Dingen. Daher wird die Frage nach Gesetz und Evangelium auch zu einer Frage nach dem rechten Verhältnis von Göttlichem und Menschlichem. Das wird allmählich immer klarer dargelegt werden, besonders nachdrücklich und zusammenfassend in Kapitel III C. In diesem christologischen Kapitel gilt es, dieses Verhältnis in seinem Zentrum, in der Lehre von der communicatio idiomatum, aufzuzeigen. Das vielleicht zentralste Problem der Theologie besteht darin, Gesetz und Evangelium recht zu bestimmen, denn daran hängt Luther zufolge das Heil des Menschen l . Das Gesetz in seinem ersten Gebrauch, seinem usus civilis, wie in seinem theologischen Gebrauch, seinem usus spiritualis, haben wir in der früheren Darstellung deutlich hervortreten sehen. Durch das Gesetz erhält Gott seine geschaffene Welt und weist das Böse in seine Schranken, klagt an und erschreckt und vergrößert die Übertretungen und die Sündenlast. Aber das Gesetz kann nichts Himmlisches hervorbringen, nichts, was Heil und Leben schenkt, sondern nur weltliche Dinge, Finsternis und Verzweiflung. Nichts anderes tut das Gesetz, denn, sagt Luther, dort endet das Gesetz Aber das Werk des Gesetzes ist nicht alles, was Gott durch sein Wort ausrichten will. Seit die Sünde herzutrat und Gottes ursprüngliches lebenspendendes Schöpferwort zerstörte, ist das Wort geteilt. Die Sünde hat Gottes Gebote verdreht und sein Gesetz zu einem Teufel gemacht, der das Gewissen martert. Darum stellt Gott auf eine neue Weise das Wort in den Kampf hinein, nämlich so, daß das Wort Fleisch wird und den Streit persönlich ausficht. Gottes inkarnatorisches Handeln tritt hier radikal und klarer denn je hervor, denn in Christus, dem menschgewordenen Wort, sind Göttliches und Menschliches auf einzigartige Weise vereint. Durch ihn darf wieder das ganze Wort erklingen, das Wort, das von Beginn an erklang und Leben schenkte, aber durch den Sündenfall verdreht wurde, das Wort, das doch als Wort der Verheißung, als zukünftige Heilshoffnung, ein Fels der Zuversicht für das Volk des Alten Bundes war, das Wort, das nun als eine frohe Botschaft durch die Welt gehen sollte a . Worauf es nun in diesem christologischen Teil unserer Untersuchung ankommt, ist also: wenn der Mensch, der in der Situation des Gesetzes ist - und dort befindet sich ein jeder Mensch - vor der Strafe und den Drohungen des Gezetzes gerettet werden soll, reichen Gesetz, Gelübde und Werke nicht aus. Darin findet er keinen Trost, denn, sagt Luther, all dies 1 „Qui igitur bene novit discernere Evangelium a lege, is gratias agat Deo et sciat se esse Theologum", 40 I, 207, 17 f . (In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 D r . ) ; vgl. Bring 1950, 43. 2 40 I, 429, 20-430, 1 8 , 486, 13-488, 14, 554, 2 7 - 5 5 5 , 18 und sonst öfters, z.B. 1 7 I, 274, 16 f f . [Pred. 1 5 2 5 ) ; 27, 1 8 3 , 7 f f . (Pred. 1528); 50, 223, 32 f f . CSchmalk. Art. 1 5 3 7 ) . a 40 I, 559, 1 1 - 2 6 ; siehe den ganzen Abschnitt 548-563 (In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 Dr.). Vgl. auch unten A n m . 23 f f .
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ist nicht Christus \ Er muß das Heil außerhalb des Gesetzes suchen, in Gottes Werk in Christus. Deshalb will Luther, daß man sich vor allem zu Christus begeben soll, zur Krippe und zum Kreuz: man soll von unten anfangen. Unsere Erörterung der Christologie bei Luther soll also ihren Ausgang von daher nehmen, von wo er selbst ausgehen wollte. i. „Von unten anheben" Wenn man sagt, daß es eine von Luthers hauptsächlichen Intentionen war, wirklich ernst zu machen mit der wahren Menschlichkeit von Gottes Sohn, muß man unbedingt fragen, auf welche Weise gerade er dies tut. Es ist dann wichtig zu bemerken, daß dies kein Problem ist, auf das Luther allmählich irgendwo in seiner Theologie stößt, sondern man kann geradezu sagen, daß es seinen eigentlichen Ausgangspunkt bildet \ Man kann nämlich sehr wohl Theologie so betreiben, daß man von dem allmächtigen Gott und Schöpfer, von der Kirche, den Sakramenten und der Schrift spricht, aber deswegen braucht man Luther zufolge noch kein rechter Theologe zu sein. So machen es ja sowohl Juden wie Türken und Papisten, aber auf diese Weise kann man Gott nicht recht kennen lernen. Sucht man eine Möglichkeit, dem einzigen wahren Gott wirklich zu begegnen, muß man ihn so kennen lernen, wie er sich uns in Christus offenbart hat \ Deshalb hört Luther niemals auf zu mahnen, daß man in seiner Theologie und seinem christlichen Glauben immer von unten, bei dem Menschen Jesus, beginnen möge. Aber Luther ist gezwungen zu konstatieren, daß es dem Menschen mit seiner gewöhnlichen Vernunft am natürlichsten erscheint, Gott von oben zu suchen. Philosophen und Weltweise, „rottengeister" und „diabolici Doctores" suchen nach Gott über den Wolken und predigen einen Gott, der „a Christo abgeschieden" ist'. Sie suchen Gott nur durch ihre eigenen scharfsinnigen Spekulationen und guten Werke, und wollen „mit eigener andacht zu Gott klettern" Luther weist häufig auf die Lehre hin, die Philippus nach Joh. 14, 8 ff. erhielt, als er den Vater zu sehen begehrte. Mit seiner Frage steht Philippus als ein warnendes Beispiel da für die Versuchung, der der Jünger ausge4
Ib. 2 1 7 , 1 3 - 1 6 . ' S . von Engeström, Människan Jesus säsom utgängspunkt för Luthers teologiska tänkande, S v T K 1929, 1 7 f f . * „ N u wil er nicht allein also erkand sein, als der Himel und erden geschaffen hat, sondern jnn dem kleid und gestalt, wie er sich lesst uns für predigen, das er seinen Son gesand habe, uns zu erlösen . . . Denn jnn dieser form und gestalt wil und mus er allein erkand werden, so es sol anders seliglich erkandt heissen", 45, 7 1 7 , 6 - 1 9 (Das X I V und X V Kap. Joh. 1 5 3 8 ) ; 28, 94, 2 1 - 3 4 (Wochenpred. über Joh. 1 6 - 2 0 1 5 2 8 - 2 9 ) . 7 28, 1 0 1 , 1 - 7 [Wochenpred. über Joh. 1 6 - 2 0 1 5 2 8 - 2 9 ) ; „Die Philosophi aber und die weltweysen leütt haben wollen oben anheben, da sein sie zü narren worden. Man muss von unten anheben", 10 1:2, 297, 7 - 9 (Sommerpostille 1 5 2 6 ) ; 9, 406, 1 7 - 3 1 (Pred. 1 5 1 9 21 Poliander); 2 3 , 7 3 2 , 8 - 7 3 3 , 4 [Pred. 1 5 2 7 ) ; 40 I, 7 7 , 2 8 - 7 8 , 1 3 (In epistolam ad G a latas 1 5 3 5 Dr.). 8 47, 90, 4 0 - 9 1 , ig (Ausleg. des 3. und 4. Kap. Joh. 1 5 3 8 ) .
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setzt ist: seinen irdischen Herrn zu vergessen, der ihm menschlich nahe ist, und stattdessen die Gedanken im Himmel umherspazieren zu lassen. Philippus sah ja doch Gottes Sohn dort am Tisch sitzen, und trotzdem mußte Jesus ihn daran erinnern und sagen: „wie fladderstu, wer mich sihet, der sihet auch den vater". Diese Formulierung kehrt mit unermüdlicher Intensität immer wieder und ist eines der typischsten Beispiele für den für Luther so grundlegend wesentlichen Gedanken der Menschwerdung Gottes \ Luther will niemals den Vater in den Himmel setzen und Christus auf die Erde, „sondern peckts ineinander, das Christus spricht: wo du mich trifft, do triffstu den vater" Kommt man zum Menschen Jesus und bleibt bei ihm, so ist man auch bei Gott selbst. In Christus ist er, der der Schöpfer Himmels und der Erde ist, und außerhalb von Christus ist nichts Es verhält sich demnach so, daß Luther jedesmal, wenn er seine Zuhörer ermahnt, sich an Krippe und Kreuz zu halten, sie auch vor etwas Negativem warnt: den philosophischen MajestätsspekulationenEs gibt für Luther eigentlich nur zwei Möglichkeiten und Wege: entweder sucht man Gott im Menschen Jesus Christus oder außerhalb von diesem, entweder hält man sich an dieses Menschliche, das Erniedrigte und Geringe, die Krippe und das Kreuz, oder man steigt hinauf und sucht im Himmelsraum, zwischen dem Glanzvollen und Hohen. Luther schwankt nicht: „Ego de nullo deo scio quam in hac humanitate"; „Ego nolo de alio deo scire quam in illo qui natus de virgine"13. Dies ist die grundlegende Voraussetzung. Es " 33, 136, 1 2 - 1 9 ( W o c h e n p r e d . über Joh. 6-8 1531 H . ) ; „extra me non est videre neque deum n e q u e p a t r e m " , 40 II, 301, 2 f. (Enarratio Psalmi II 1 5 3 2 ] ; „Si vis patrem audire et videre, m e videre", 28, 1 0 1 , 12 f. [Wochenpred. über Joh. 16-20 1 5 2 8 - 2 9 ) ; 16, 145, 3 f f . (Pred. über das 2. Buch Mose 1 5 2 4 - 2 7 ) ; 20, 603, 5 f f . (Vöries, über den 1. Brief Joh. 1527); 23, 139, 25 f f . ( D a ß diese W o r t Christi . . . 1 5 2 7 ) ; 31 II, 38, 23 f f . , 561, ιγ f f . (Vöries, über Jes. 1 5 2 7 - 3 0 ) ; 45, 515, 21 f f . (Das X I V und X V Kap. Joh. 1538). '" 33/ 78» 35-81, 18 (Wochenpred. über Joh. 6 - 8 1530 H . ) . 11 „Ratio et voluntas vult ascendere et quaerere supra. Sed si vis gaudium habere, hue inclina te. Ibi invenies eum puerum tibi datum, qui est creator tuus et iacet ante te in praesepio, Et dicit cor: manebo cum illo puero, wie es seuget, gebadet wird, stirbt", 23, 732, 26-29 (Pred. 1 5 2 7 ) ; „nescio alium deum q u a m in illo homine et ubi alius ostenditur, claude oculos . . .", 28, 101, 6 - 1 4 (Wochenpred. über Joh. 1 6 - 2 0 1 5 2 8 - 2 9 ) ; in Hinblick auf Luthers Johannes-Auslegung in diesem Zusammenhang siehe W . von Loewenich, Luther u n d das Johanneische Christentum 1935, 35 f f . , J. Atkinson, Luthers Einschätzung des Johannesevangeliums (in: Lutherforschung h e u t e 1958, 49 f f . ) , u n d E. Ellwein, Die Christusverkündigung in Luthers Auslegung des Johannesevangeliums (in: S u m m u s Evangclista i960, 92 f f . ) . 12 So sehr o f t in schon angegebenen Belegen, hier ferner z.B.: 10 I:i, 202, 2 f f . (Kirchenpostille 1 5 2 2 ) ; „er will unss auss denselben weyttleufftigen, spatzierfluchtigen gedancken samlen ynn Christum, alss sollt er sagen: was leuffistu auss u n d suchist sso f e r n n ? Sihe da, ynn Christo, dem Menschen, ist alliss", ib. 202, 1 3 - 1 6 ; 33, 80, 1 0 - 2 4 ( W o c h e n p r e d . über Joh. 6 - 8 1530 H . ) ; „hic locus commendatus debet esse Theologo, ne speculationibus maiestatis et operibus sapientiae nos defatigemus, quibus nihil est periculosius. Q u a r e in u n u m Christum incarnatum figendi sunt oculi. Hic potest videri, Deum autem n e m o vidit u n q u a m " , 25, 386, 2 9 - 3 2 (Vöries, über Jes. Schol. 1 5 3 2 - 3 4 ) ; 40 I, 78, 2 1 - 8 0 , 1 2 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.); TR VI, 86, 5 - 1 6 ( A u r i f a b e r ) . 13 20, 605, 9 (Vöries, über den 1. Brief Joh. 1527); 23, 733, 2 f . (Pred. 1 5 2 7 ) ; „Dicat ergo Christianus: de nullo deo novi nisi de Christo, ibi invenientur omnia", 28, 136, 5 f .
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ist auch derselbe Hauptzug, für den wir im ersten Kapitel dauernd Beispiele erhielten: man soll Luther zufolge zum Menschlichen gehen, dort stehen bleiben und sich daran halten, denn dort ist Gott in seinem inkarnatorischen Handeln. Aus dem bisher Gesagten geht bereits deutlich hervor, daß der Begriff der Menschlichkeit Christi für Luther mehrere Schattierungen hat, obgleich er sich auch klar und eindeutig bestimmen läßt. Auf der einen Seite scheint Christi Menschlichkeit nicht nur den Menschen Jesus als historisches und biologisches Wesen zu bedeuten, der mit einem menschlichen Körper ausgestattet ist, sondern all das, was Luther „indumenta Dei" nennt, das Wort, die Taufe und das Abendmahl, denn in solchen menschlichen Dingen zeigt sich Gott und handelt an uns Überall wo solche „species Dei" auftreten, bezeichnen sie gerade die „hutnanitas Christi" Gott offenbart sich überhaupt nicht außerhalb der Menschlichkeit Christi in dieser weiten Bedeutung. Um dem Menschen überhaupt irgendeine Möglichkeit zu geben, Gott zu fassen, ist er in Christus ein „euserlich Ding" geworden ". Andererseits ist Luther niemals im Zweifel darüber, was er mit Christi Menschlichkeit meint, obgleich der Begriff einen vielseitigen Inhalt hat und als Sammelbezeichnung für zahlreiche externatres stehen kann. Diesen allen ist nämlich gemeinsam, daß sie ein Ausdruck für die Inkarnation des Wortes sind. Nur in dem Wort und durch es können menschliche Dinge und Zeichen als göttlich bezeichnet werden. Auf diese Weise ist es Luther möglich, alle apparitiones, alle species Dei „in homine Christo" eingeschlossen und zusammengefaßt zu sehen Wir konnten mehrfach feststellen, daß der inhaltsreiche Begriff das Wort in Luthers Theologie eine entscheidende Rolle spielt. Gott ist bereits im Vielerlei der Schöpfung verborgen - obschon er dort an und für sich in menschlich sichtbaren Gestalten hervortritt - und nach dem Sündenfall ist diese Verborgenheit doppelt. Gott ist dann in hohem Masse absconditus in revelato. Dem, der Gott kennt, ist es zwar klar, daß „divinitatis vestigia sunt in c r e a t u r a " a b e r trotz dieser Spuren und Zeichen würde der Mensch ihn „ohn das Wort" niemals finden. Irgendeine andere, speziell geistige und wunderbare Offenbarung ist nicht notwendig. Wer Gott sucht, wird ihn zuerst „im wort unter der larve" finden und dann die Mög( W o c h e n p r e d . über J o b . 1 6 - 2 0 1 5 2 8 - 2 9 ) ; „ D e u m neminem v u l t audire, videre, nisi vadat ad filium, extra e u m non est quaerendus deus", 40 II, 3 0 0 , 1 6 f . ( E n a r r a t i o Psalmi II 1 5 3 2 ) ; „ich finde gott nirgends den allein in C h r i s t o " , 4 7 , 5 8 6 , 1 6 f . ( M a t t h . 1 8 - 2 4 in Pred. ausgelegt 1 5 3 7 - 4 0 ) . " 2 5 , 1 2 7 , 4 1 - 1 2 8 , 8 ( V ö r i e s , über Jes. Schol. 1 5 3 2 - 3 4 ) ; „ a n den w o r t t e n hange undt gott nirgendts den in Christo suche, der in der krippen Iigt oder w o ehr sonst ist, am creutz, in der t a u f f e , A b e n d t m a l oder im predigtampt des göttlichen w o r t t s oder bei meinem Nehesten undt brueder", 3 3 , 8 1 , 3 0 - 3 6 ( W o c h e n p r e d . über J o h . 6 - 8 1 5 3 0 H . ) . 15 „ A p p a r a t autem specie visibili, quia est verus homo factus. U b i q u e enim species Dei humanitatem Christi significat", 2 5 , 1 1 3 , 1 7 - 1 9 ( V ö r i e s , über Jes. S c h o l . 1 5 3 2 - 3 4 ) . 10 27, 234, 1 4 - 3 6 (Pred. 1 5 2 8 ) . 17
"
2 5 , 1 2 8 , 1 4 - 2 4 ( V ö r i e s , über Jes. Schol. 1 5 3 2 - 3 4 ) . 4 3 , 2 7 6 , 27 f . ( V ö r i e s , über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) .
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lichkeit haben, ihn vom Wort her in seiner Majestät zu sehen ". Wie wir merken, ist es für Luther eine analoge Ausdrucks weise zu sagen, daß man zuerst zum Wort gehen soll und daß man von unten bei der Menschlichkeit Christi anfangen soll. Und das ist ja in der Tat der eigentliche Grundstein von Luthers theologischem Gebäude: das Wort war Gott, das Wort war bei Gott und nahm seine Wohnung unter uns in menschlicher Gestalt. Der Terminus Christi Menschlichkeit ist der Inbegriff dieser ganzen göttlichen Inkarnation, dieser ständigen Menschwerdung des Wortes. Darum sind für Luther das Wort und Christus oft Ausdruck derselben Sache. Wenn der Mensch zum Wort kommt, zum Bibelwort, dem gepredigten Wort, dem Sakramentswort, begegnet er damit Christus, denn das Wort ist Christus, das Wort ist Gott in carne ,0 . Daß Jesus gleichwohl für Luther nicht nur ein äußerliches Ding unter anderen ist, nur eine der vielen larvae Dei, sondern eine einmalige und andersartige Inkarnation Gottes, ist ein Faktum, das wir später erläutern werden. Man könnte meinen, daß ein so betonter christologischer Standpunkt eine lebendige Schöpfungstheologie ausschließen mußte, oder daß die Betonung des Sohnes und des zweiten Glaubensartikels ein starkes Übergewicht über den ersten Artikel und seine vielen Fragen in bezug auf den Vater, die Vorsehung, die lex naturae usw. habe. Das ist aber bei Luther ganz und gar nicht der Fall. „Nur" in Christus ist ja doch nicht gleichbedeutend mit: nur in dem zeitgebundenen historischen Jesus in seinem irdischen Dasein, sondern es muß gerade von der umfassenden Anwendung her verstanden werden, welche die humanitas Christi und das Wort in Luthers Theologie haben. Dies hängt wiederum mit seinem Verständnis der Dreieinigkeit und der Stellung der Glaubensartikel zueinander zusammen, sowie mit seiner Verankerung in dem einheitlichen Handeln eines und desselben Gottes an den Menschen. Luthers Gottesglaube ist somit immer Christusglaube. Christus leugnen ist dasselbe wie Gott leugnen Luthers Gottesglaube ist gleichzeitig christozentrisch - in einem Ausmaß, das in der Theologiegeschichte schwerlich übertroffen werden kann - denn nur in Christus handelt Gott an den Menschen, und theozentrisch, denn in Christus ist es wirklich Gott, der an den Menschen handelt " 45, 5 2 3 , 1 5 - 1 8 (Das X I V und X V Kap. Joh. 1 5 3 7 ) ; 39 II, 188, 18 f. (Prom. disp. von H. Schmedenstede 1 5 4 2 ) . 20 „ W i r künden Christum nichtt finden on das Evangelion, on das wort gotes", 17 II, 3 7 1 , 24 f . [Festpostille 1 5 2 7 ) ; ib. 4 3 2 , 5 f.; 28, 1 2 2 , 3 f f . , 124, 10 f f . (Wochenpred. über Joh. 1 6 - 2 0 1 5 2 8 - 2 9 ) , und öfters; vgl. Anm. 14 oben. S1 „idem est Deum negare et Christum negare", 4, 1 1 6 , 38 f. (Dictata super Psalterium 1513-16]. " Aulen 1930, 180 f. V g l . E. Brunner, Der Mittler, 4. A u f l . 1 9 4 7 , 360 f. R. Josefson, Luthers lära om dopet 1944, 28 f f . , definiert die Theozentricität einmal aus dem G e sichtspunkt der Offenbarung: jede Gotteserkenntnis ist an Gottes eigene Offenbarung gebunden, zum anderen aus dem Gesichtspunkt des Heils: es ist Gottes eigenes W e r k und sein Handeln ist von menschlichen Wünschen nicht bestimmt.
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Gott ist durch die Inkarnation in Christus offenbart, aber Gott ist auch der Gott der Schöpfung und des Alten Testaments. Wie sieht Luther dann das Verhältnis zwischen Christus und Gottes Handeln im Zusammenhang des ersten Artikels? Es ist wirklich Jesu Christi Vater, der der Gott der Schöpfung ist, deshalb ist es für Luther klar, daß der Gott des ersten Artikels derselbe ist wie der des zweiten Artikels, daß der Gott, der in der Schöpfung, in der lex naturae und den larvae Dei sein Werk ausführt, immer nur in Christus handelt, im Wort, das unter uns wohnte. So sieht Luther keinen Gegensatz zwischen der Botschaft der beiden Artikel, zwischen dem Vater und dem Sohn oder zwischen beispielsweise einer Schöpfungstheologie und einer christozentrischen Theologie. Es ist daher interessant zu sehen, wie Luther die Gegenwart und das Werk des dreieinigen Gottes - und damit Christi Werk - schon zur Zeit des Alten Testaments mehr in concreto beschreibt. Christus ist im Alten Bund nicht nur der Verheißene, der zukünftige Heiland, er ist auch da schon als eine greifbare Realität vorhanden, denn „omnes apparitiones olim in persona filii fiebant" Er ist selbst der Schöpfer, der, durch den alles entstanden ist, er ist das Wort, das Schöpferwort, das Wort, das durch Moses und die Propheten r e d e t I m Schöpfungswerk ist die ganze Dreieinigkeit wirksam: „opera trinitatis ad extra sunt indivisa" " - aber Luther unterscheidet sorgfältig die Personen, da das Wort und wer es spricht nicht dasselbe ist: „duae personae et unus deus" Auch im Alten Testament ist es demnach so, daß alles Handeln des Menschen in bezug auf Gott durch Christus geschieht und nichts „extra illum" In all den äußeren Dingen, deren Gott, sich im Alten Bund bedient, ist der Sohn. Hier ist es charakteristisch für Luther, daß er ständig Variationen für die unauflösliche Verbindung zwischen dem Wort und dem Zeichen s i e h t E r , der das Wort ist, ist in diesen Zeichen und durch sie mit in Gottes Handeln, und deshalb konnten die Menschen des Glaubens schon damals den verheißenen Messias erkennen. Gott kommt durch das Wort in seinen indumenta, in seine Verheißungen und die „vox humana" gekleidet. „Denn wo Gottes wort ist, da ist Christus" Es ist daher 3/ 553» З 1 f · [Dietata super Psalterium 1 5 1 5 - 1 6 ) . " „Christus, secundum quod Deus creator est et eius sunt omnia opera", 4, 450, 37 f . ( I b . ) ; er ist „Deus verus creator idem cum patre", ib. 38, 13; „In tempore enim plenitudinis aperuit os s u u m proprium, qui prius solum aperuit os prophetarum", 3, 560, 8 f . (Ib.). " 54, 57, 28-36 ( V o n den letzten W o r t e n Davids 1543). " „got spricht u n d durch sein sprechen wirt, hoc est: deus h a b e t secum verbum et hoc verbum in principio fecit lucem. H o c verbum oportet u t sit deus ipse, quia per verbum hoc f i t creatura, ergo est deus. H o c fit, ut qui dicit et verbum sint duae personae et unus deus. Hoc q u a n q u a m incomprehensibilie sit, tarnen in scriptura est, etiam urget me hoc verum fateri, quod dicit: 'got sprach', quia dicere et got est n o n u n a res", 14, 100, 2 3 - 1 0 1 , 4 (Pred. über das 1. Buch Mose 1 5 2 3 - 2 4 R ) . " 4, 125, 3 4 - 3 7 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) . *" Siehe u.a. Bornkamm 1948, 1 5 2 f f . " 17 II, 132, 3 2 - 1 3 3 , 6 (Fastenpostille 1525); 18, 685, 2 5 - 3 1 ( D e servo arbitrio 1525); 13
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folgerichtig, Christus „Deus Sinai" und „Deus Israel" zu nennen, denn der Gott, der bei den Gelegenheiten, auf die sich diese Namen beziehen, durch seine apparitiones in die Welt der Menschen eintrat, sein Wort sprach und sein Werk ausführte, dieser Gott war auch „Deus in came" oder „Deus incarnandus" Luther kann sogar auf eine Weise, die den Anschein erweckt, als setze sie die Personentrennung in der Dreieinigkeit aufs Spiel, zulassen, daß man Christus den Vaternamen beilegt, rät aber doch zu Ordnung und Klarheit in der Ausdrucksweise ai . Dagegen schreckt Luther nicht davor zurück, ihn Zebaoth, „dominus exercituum", „Jehova Gott und Mensch" zu nennen Christus stieg im Verheißungswort schon beim Sündenfall auf die Erde herab, und im Glauben an ihn war Adam nach Luther ein Christ; für das Volk Israel war Christus in der Arche, in der Wolke und in der Feuersäule und im Fels während der Wanderung durch die Wüste verborgen Der Gott, der dem Volke Israel aus Ägypten heraushalf und es nach Kanaan führte, war „kein ander, denn Jhesus von Nasareth, Marien der Jungfrawen Son". Der Gott, der auf dem Sinai redete, ist derselbe, der am Kreuz rief Zu sagen, daß ein Kind vor seiner Mutter existiert habe oder bevor es im Mutterleib gezeugt war, verstößt gegen alle Natur und alle Vernunft, und doch gilt es von dem Kind, das in Bethlehem geboren wurde. Das Wort, das bei der Schöpfung als „Schöpffer und Mitwircker" dabei war, so daß man sagen kann, es sei „Anfang, Mittel und ende aller Creaturn", dieses selbe Wort liegt in Marias Armen. Er, der selbst seine Mutter erschaffen hat wie auch die Milch, die er trink, und den nichts in dieser Welt umfassen kann, ist dennoch vom Weibe geboren 3 \ 40 II, 329, 8 - 3 3 0 , 7 (Enarratio Psalmi LI 1 5 3 2 ) ; 42, 9, 3 2 - 1 0 , 6 ( V ö r i e s , über 1. Mose 535—453· 31 39l> 1 8 - 2 4 ( D i c t a t a super Psalterium 15x3—16}. 54, 68, 3 8 - 6 9 , 25 ( V o n den letzten Worten Davids 1 5 4 3 ) . 3/ 553; 2 9 f · ( D i c t a t a super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; 23, 533, 1 4 - 2 8 ( D e r Prophet Sacharja ausgelegt 1 5 2 7 ) ; 31 I, 373, 26 f . (Psalmen auf der Koburg ausgelegt 1 5 3 0 ) ; 31 II, 444, 19-24 ( V ö r i e s , über Jes. 1 5 2 7 - 3 0 ) ; „Iehova convenit Christo, sicut verbum. V e r b u m caro factum est. V e r b u m est Iehova et Iehova est verbum . . . V e r b u m caro factum est, et Iehova caro factum est", 39 II, 374, 5 - 1 1 (Prom. disp. von P. Hegemon 1545 Α . ) : 54, 79, 29 ( V o n den letzten W o r t e n Davids 1543). V g l . B o r n k a m m 1940, 173 f . 33 17 II, 135, 7 - 1 6 (Fastenpostille 1 5 2 5 ) ; 24, 97, 30 f . , 99, 1 2 - 1 0 0 , 30 (Pred. über das 1. Buch Mose 1527 D r . ) ; 42, 9 , 36 f . , 294, 30 f . ( V ö r i e s , über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) . 31 „der G o t t , der das V o l c k Israel aus Egypten und durchs rote Meer gefuret, in der wüsten durch die W o l c k s e u l e und Feurseule geleitet, mit Himelbrot geneeret und alle die wunder gethan, so Moses in seinen Büchern beschreibet, Item der sie ins land Canaan bracht, und drinnen Könige und Priesterthum und alles gegeben h a t , sey eben der G o t t und kein ander, denn Jhesus von Nasareth, Marien der Jungfrawen Son, den wir Christen unsern G o t t und Herren nennen, den die Juden gecreutziget haben", 54, 6 7 , 1 - 8 ( V o n den letzten W o r t e n Davids 1 5 4 3 ) . 33 4 6 , 560, 2 7 - 3 4 , 633, 2 - 1 7 , 648, 2 7 - 4 0 (Ausleg. des 1. und 2. K a p . J o h . 1 5 3 7 ) ; „Vocat puerum verbum . . . Puer isti tarn magnus est, ut omnia per ilium puerum facta sint et per hunc puerum et verbum sustententur . . . matrem et lac creat, quod ipse sugit, et mater fovetur ab illo, quare verbum vocet post deitatis maiestatem", 11, 224, 3 1 - 2 2 5 , 4 (Pred. 1523 R . ) ; 28, 91, 2 f f . (Wochenpred. über J o h . 1 6 - 2 0 1 5 2 8 - 2 9 ) ; 45, 294, 15 f f . (Pred. 1 5 3 7 ) . I
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Christi Präexistenz bedeutet nicht nur, daß er von der Schöpfung an und weiterhin war, nicht nur, daß er vor seiner Mutter, vor Abraham war, sondern daß er vor allem anderen war, vor aller Zeit und aller Schöpfung Die menschliche Natur an sich ist nicht ewig, sondern geschaffen, wenngleich Luthers Auffassung von der unteilbaren Einheit der Person und der Rolle, welche die communicatio idiomatum dabei spielt, ihn nur ungern solche theoretischen Erörterungen anstellen läßt; er weist lieber auf die Tatsache hin, daß die Person vor und nach der Inkarnation ein und dieselbe ist. Man konnte ja sehen, daß der Mensch Jesus nicht über fünfzig Jahre alt war, und insofern ist es verrückt zu sagen, daß er vor der Zeit Abrahams war, aber in bezug auf die Person, die menschliche Natur annahm, ist es wahr Die Person ist dieselbe und war, noch ehe er im Fleisch gekommen war, auf geistliche Weise Mensch im Wort und in der Glaubenserfahrung der Heiligen, denn sie glaubten Gottes Verheißungen im Hinblick auf den Messias, Deus incarnandus Wenn Jesus in Joh. 8, 58 sagt: „Ehe denn Abraham ward, bin ich", ist für Luther die Präsensform das wichtige. Jesus sagt „ego sum" und nicht „ego fui", denn er ist ständig mit in dem, was geschieht - wenn auch im Verborgenen Da die Zeit etwas Endliches ist, wovon die Gottheit unabhängig ist, steht auch der Sohn über aller Zeit und ist der Anfang und das Ende, allzeit derselbe. Luther kann das so ausdrücken, daß bei Gott alles auf einmal schon geschehen ist, gerade eben geschieht und geschehen wird; wenn aber Gott das in der Zeit und im Raum offenbaren will, tut er das in seinen Handlungen, seinen Larven und Zeichen verborgen, durch das Wort und durch Christus 40. Die Formen der Offenbarung können wechseln, aber das, was offenbart wird, ist dasselbe. Das Werk Gottes wird in wechselnden Gestaltungen ausgeführt, aber immer in Verborgenheit und sub contrariis; ständig kommt Gott in einem den Menschen angepaßten „Christus fuit Deus ante mundum", 46, 534, 18 (Pred. 1538 R.); „Dis wort oder gesprech ist von der Welt Schöpfung an, ehe denn Christus ist geborn und Mensch worden, bey vier tausent jaren gewesen, ja, es ist von ewigkeit in des Vaters hertzen gewesen . . . es mus Gott selber sein", ib., 547, 35-39 (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1537); ib. 649, 3-6; „Antequam natus, ist er da gewest, ubi Adam cecidit et Teufel bracht in zum tod, war Christus bereit da", 37, 3, 23-28 (Pred. 1533 R.); 1, 20, 14 ff. (Sermone 1514-17); 28, m , 5 ff. (Wochenpred. über Joh. 16-20 1528-29]. " 37/ 3 2 9/ 10-22 (Pred. 1534 R.); „divinitati nihil preteritum, nihil futurum est", 3, 461, 29 (Dictata super Psalterium 1513-16}; „Sed illa persona est Deus et homo, est una persona et eadem, quae est ante mundum creatum, etiamsi non erat homo natus ex Maria virgine ante mundum, tarnen filius Dei erat, qui nunc est homo", 39 II, 101, 10-14 (Disp. de divinitate et humanitate Christi 1540 Α.). 38 17 II, 236, 27-35 (Fastenpostille 1525]; „Ergo dicit Iohannes Iesum Christum meum dominum ante suam naturalem matrem fuisse lucem Adam, Eva, et qui credidit in eum, salvus", 37, 5, 1 3 - 1 5 (Pred. 1533R.]. 3U 3, 461, 27-2g (Dictata super Psalterium 1513-16). ,0 Ib. 368, 18-24; „Quia opera significativa sunt creatio totius mundi et omnia figuralia veteris legis, facta autem sunt impletiones eorundem, quod in Christo inceptum est impleri et nunc impletur et in fine implebitur", ib. 375, 29-31; „Preteritum dicit quod futurum erat, quia prophetice loquitur. Et iam in Deo factum fuit, quod in tempore futurum erat", 4, 50, 30 f. (Ib.) 30
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Gewand: „deus velatus et indutus larva vel persona nobis attemperata" " - in der humanitas Christi. In allen Handlungen Gottes und durch die ganze Schrift hindurch ist Christus der M i t t e l p u n k t G e n a u wie daher die Menschlichkeit Christi im Alten Testament in allerlei verschiedenen apparitiones auftritt, so ist sie jetzt in der Zeit des Neuen Testaments und der Kirche in verschiedenen „signa" zu finden. Es ist von diesem Gesichtspunkt falsch, einen Unterschied zwischen den „sacramenta novae legis" und den „sacramenta veteris legis" zu machen, denn beide haben denselben Inhalt und in beiden wirkt derselbe Gott durch sein Wort und seine verschiedenen Zeichen Hier einen Gegensatz zwischen dem Alten und dem Neuen Bund sehen zo wollen, liegt Luther fern. Das bedeutet nicht, daß er das Vor- und Außerchristliche verchristlicht oder das spezifisch Christliche zu etwas diffus Allgemeinreligiösem macht, ebenso wenig wie er z.B. eine christliche oder geistliche Sanktion dafür fordert, das Naturrecht und das weltliche Regiment gutzuheißen, oder überhaupt an dem für das Christentum Einzigartigen in dem Heilswerk Christi zweifelt. Daher ist es sicherlich irreführend, bei Luther eine Theologie des ersten Artikels gegen eine Theologie des zweiten Artikels ausspielen zu wollen. Denn es verhält sich ja bei ihm nicht so, daß die beiden Artikel einander widerstreiten, ganz im Gegenteil haben beide Teile ohne Einschränkung Geltung, der erste Artikel vom Vater, der Schöpfung und dem Gesetz und der zweite Artikel vom Sohn, der Erlösung und dem Evangelium. Luther stellt alle indumenta und äußerlichen Dinge im Alten wie im Neuen Bund auf eine Ebene mit dem Menschen Jesus, dem incarnierten Wort. Außerhalb von Christus und dem Wort ist Gott unmöglich zu finden - daher sind alle diese äußeren Dinge vonnöten. Aber ohne Christus und das Wort sind auch alle diese Verkleidungen und menschlichen Gestalten gar nichts, sondern eben nur äußere Dinge Also ist die Mensch,l
40 II, 330, 4 - 1 2 (Enarratio Psalmi LI 1 5 3 2 ] ; „omnia ilia sunt transitoria, significantia ea, que sunt eterna et permanentia: et hec sunt opera veritatis, ilia autem omnia umbra et opera figurationis", 3 , 368, 2 0 - 2 2 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) . " 18, 606, 29 f. [ D e servo arbitrio 1 5 2 5 ) ; „er ist das mittelpunctlein im Circkel und alle Historien in der heiligen schriefft, so sie recht angesehen werden, gehen auff Christum", 47, 66, 23 f. (Ausleg. des 3. und 4. Kap. Joh. 1 5 3 8 - 4 0 ] . " 4, 192, 2 3 - 2 6 (Dictata super Psalterium 1513—16}; 6, 5 3 2 , 4 - 3 5 ( D e captivitate . . . 1 5 2 0 ) ; 14, 684, 3 1 - 6 8 5 , 5 (Deuteronomion Mosi cum annotationibus 1 5 2 5 ) ; „Iuxta verbum deus solitus signa edere, miracula. Nunquam revelatum verbum nisi additis signis. Abrahae verbum - signum Circumcisionis. Mosi addebatur verbum educendi populum addita signa. Sic Christus replevit orbem miraculis, Sic nos Christiani Eucharistiae, baptismi", 40 II, 569, 2 - 6 (Praelectio in ps. 45 1 5 3 2 } ; „in Novo Testamento Baptismus et Eucharistie sunt quasi indumenta Dei, in quibus se nobis ostendit et nobiscum agit Deus. In Veteri Testamento induebatur Area promissionibus, circumcisione et sacrificiis etc.", 25, 1 2 7 , 4 1 - 1 2 8 , ι (Vöries, über Jes. Schol. 1 5 3 2 - 3 4 ] ; 4 2 , 294, 30 f f . , 296, 22 f f . (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ] . " 28, 1 2 4 , 19 f. (Wochenpred. über Joh. 1 6 - 2 0 1 5 2 8 - 2 9 ] ; „Nos vero ad deum non venimus nisi per medium Christum . . . Si sine externa re potuissemus venire in celum, non opus, ut [deus] demitteret. Sed posuit in carne, praesepi . . . etiam per verbum suum in baptismo et sacramento", 25, 64, 3 1 - 3 5 (Vöries, über Titus und Philemon 1 5 2 7 R . ] ;
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lichkeit Christi einerseits nur Eines unter Gottes vielen Zeichen durch die Zeiten, andererseits das Zeichen vor anderen, das, was allein den anderen Göttlichkeit zu schenken vermag. In „Von den letzten Worten Davids" unterstreicht Luther einmal, daß man das Geschaffene und damit auch das Menschliche in Christus auf zwei verschiedene Weisen sehen muß: als „res", „absolute", als etwas für sich selbst, und als „signum", „relative", als etwas, das über sich selbst hinaus weist. Gott verwendet die Schöpfung als „bilde oder form oder gestalt" und offenbart sich dadurch dem Menschen - das war ja der Hauptgedanke in Kapitel I. Die Menschlichkeit Christi ist in derselben Weise einmal ein Geschöpf im üblichen Sinn, zum anderen die Menschlichkeit, die ein signum der Inkarnation Gottes ist Das verstehen wir, wenn wir noch einmal dem inhaltsreichen Begriff das Wort Aufmerksamkeit schenken. Christus wird hier ja auf zwei Arten gefaßt, einmal als ein bestimmter Mensch mit einem bestimmten Lebensmilieu und Lebensalter usw., also als ein äußerliches Ding unter anderen, zum anderen als das Wort, das in diesem Menschen Gott selbst zu uns kommen läßt, und das daher all den anderen äußeren Dingen Inhalt verleiht und sie erklärt. „Sicut verbum induit vocem, sic filius Dei carnem" Gerade „verbum" und „coro" sind die beiden Schlüsselworte, die eine Erklärung zu Gottes Handeln durch äußerliche Dinge geben. Denn earo ohne verbum bleibt Fleisch, aber wenn das Wort, d.h. Christus, hinzutritt, ist Gott dort in carne, mitten in diesem Menschlichen. Wenn man von unten bei der humanitas Christi beginnt, hat man die ganze Gottheit. Luther lehnt also die Einstellung ab, die sich teils ohne Christus mit Gott befassen will, es teils aber auch mit Christus zu tun haben will, ohne seine Menschlichkeit zu beachten. Daher ist es so wesentlich, in aller Theologie von unten bei dem konkret Menschlichen, dem Erniedrigten und nach-unten-Gerichteten zu beginnen. Die Schwärmer meinten, das Fleisch sei zu nichts nütze und wollten das so deuten, daß man am besten daran tue, „Christus fleisch" zu übergehen und Gott „in spirituali wesen" zu suchen. Diesen Gedankengang behandelt Luther immer mit Verachtung, denn er ist ein Ausflug der superbia - als sei Christi menschliche und fleischliche Gestalt nicht hoch und fein genug. Der einzige Gott, um den man sich kümmern soll, ist der „eingefleischte got, qui iacet in sinu matris". Die göttliche Natur ist an sich allzu hoch und unbegreiflich. Der Mensch kann Gott niemals erreichen, kann nicht hinaufklettern und die Gottheit selbst greifen, und darum ist Gott vielmehr in Knechtsgestalt zu uns gekommen, „eingesackt in die menschlich natur" Das ist das Faktum der Inkarnation. „Nunquam enim poterit cognosci Deus nisi per tales externa res et cultus, quos ipse nobis proposuit", ib. 128, 1 f. (Vöries, über Jes. Schol. 1532-34); „de nullo deo sciendum, sed apprehendendus deus incarnatus et humanus deus", 40 I, 78, 5 f . (In epistolam ad Galatas 1531 R.).
" 54, 61, 27-03, 2 Ci543)·
" 3, I 57, 29 f. (Dictata super Psalterium 1513-16). " 28, 487, 2-29 (Wochenpred. über Joh. 16-20 1528-29); IOI:I, 356, 9-12 (Kirchen11 - Nilsson
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Damit ist indes das wichtige von-unten-Prinzip nur zur Hälfte begründet worden. Um diese Behauptung darzulegen und gleichzeitig einen zusammenfassenden Ausblick zu ermöglichen, wollen wir uns hier an das erinnern, was wir früher über den doppelten ab sc onditus-Aspekt gesagt haben - und das ist ein für diese ganze Abhandlung kennzeichnender Zug: Gott ist verborgen, einmal auf eine sozusagen natürliche Art bereits in der Mannigfaltigkeit der Schöpfung, in carne, zum anderen durch Sünde und Verkehrtheit, sub peccato. Einerseits ist Gott ein unbekannter Gott, der, obschon er in den endlichen Dingen konkrete Gestalt angenommen hat, doch in verschiedenen indumenta und larvae verborgen ist und daher von Anfang für menschliche Vernunft undurchdringlich i s t A n d e r e r s e i t s ist Gott ein gefährlicher Gott, der obschon er in der Schöpfung ständig seine Güte und Freigebigkeit zeigt, doch im Gewände des Bösen und des Zornes verborgen ist. Vom intellektuellen und kognitiven Gesichtspunkt ist Gott ein Deus nudus, soteriologisch gesehen ist er ein Deus iratus. Diese Doppelheit ist nicht eine Zwiefältigkeit, sondern eine Gleichzeitigkeit zweier für Luther untrennbarer Aspekte. Luther gibt niemals irgendwelche Auslegungen über die Gottesoffenbarung und Gotteserkenntnis, ohne die Heilsfrage vor Augen zu haben. Das Problem lautet für ihn niemals nur: wie soll ich Gott finden? Sondern: wie soll ich einen gnädigen Gott finden? Das ist der systematische Richtpunkt für alles, was Luther vom Deus nudus, Deus absconditus, Deus revelatus, Deus incarnatus usw. zu sagen hat. Wenn er von der verkehrten Gotteserkenntnis der Heiden spricht oder sich mit dem Verhältnis der alttestamentlichen Glaubenshelden zu Christus beschäftigt, tut er das nicht, um an und für sich über die ratio naturalis oder die Präexistenz Christi oder ähnliche Probleme zu spekulieren, sondern um auf verschiedene Weise das Heilswerk Gottes aus Gnade und in Christus darzustellen und zu schützen. Die Antworten, die Luther gibt, spiegeln daher dieselbe Doppelheit wider. In seiner christologischen Disputation „Verbum caro factum est" vom Jahre 1539 stellt er folgende Regel auf: „Bene notandum est et maxime observandum, quod extra Christum поп est Deus alius" Und in der Psalmenauslegung von 1532 sagt er ebenso thesenartig: „Extra Christum поп est salus"Hier treten beide Aspekte hervor, der inkarnatorische und der soteriologische, der eine handelt von Christi Person, der andere von Christi Werk. Dieser ganze Parallelismus hat seine große Übereinstimmung in der Doppelheit, die diese Arbeit im ganzen prägt, die Doppelheit von Sein und Wirken, von Naturkategorien und energetischen Termini. Erst indem wir diese beiden Gesichtspunkte berücksichtigen, postille 1 5 2 2 ) ; " Siehe Kap. Luthers. " 39 II, 25, 17 50 40 II, 305, 8 1538 R . ) .
46, 2 5 1 , 25-28 (Pred. 1538 Stoltz). I, besonders I А : г mit der Behandlung der Verborgenheitsauffassung f . (Verbum caro factum est 1539 Α . ) . (Enarratio Psalmi 1 5 3 2 ] ; „extra Christum nulla salus", 46, 182, 21 (Pred
Das Werk Jesu Christi
erhält die von-unten-Theologie bei Luther ihre volle Begründung und wird in ihren richtigen Zusammenhang mit der Auffassung von Gesetz und Evangelium eingesetzt. Im ersten Kapitel standen wir häufig der Doppelheit gegenüber, daß nämlich das, was einerseits wirklich Gott offenbart und seiner Gegenwart Gestalt verleiht, andererseits verkehrten Gottesglauben und Götzendienst hervorruft. Denn die allgemeine Gottesoffenbarung in der Natur und Geschichte, in der lex naturae und den larvae, führt leicht nur zu Ahnungen und ungewissen Vermutungen, da die Vernunft sich irrt und das göttlich nennt, was eher vom Teufel kommt 51 . Wenn daher der Mensch meint, durch seine natürlichen Fähigkeiten den Deus nudus, Deus ipse, zu erforschen, so findet er nicht den wahren Gott, sondern einen Gott, der ein Götzenbild ist, ein „idolum cordis", „ein scheuslicher potzman oder vogelschew" Der Satz „extra Christum non est alius Deus" gilt daher für Luther ohne Ausnahme. Ohne Christus ist Gott ein fremder Gott, etwas den Menschen völlig Unbekanntes, „eine pure Abstraktion, religiös ein Gespenst" Daher ist es so gefährlich, über Gott und seine verborgenen Werke zu grübeln oder Weisheit und Heil außerhalb von Christus zu suchen Das Philosophieren der Heiden blieb bei einer „cognito legalis" stehen, über das Gesetz Mose können sie nicht hinausgelangen. Dieses Wissen nennt Luther eine Gotteserkenntnis „auff der lincken seiten", die „natürlich und gemein" i s t D i e andere und richtige Gotteserkenntnis besteht darin, Gott „nach dem Herrn Christo und auff Euangelisch" zu erkennen Die ratio strebt vergebens danach, Gott zu finden, und kann das, was Luther „incomprehensibilia Dei" nennt, niemals fassen". Gott auf eine solche tastende und oft irreführende Weise nur als den verborgenen Gott der Schöpfung und Geschichte zu erkennen bedeutet, daß man unter dem 01 Siehe u.a. die wichtige Jona-Auslegung von 1526, 19, 205, 33-207, 13, und im Galaterbriefkommentar 1535, 40 I, 607, 19-608, 15 (Dr.). Gott lenkt die W e l t „unsichtbar und uns verborgen", denn wir wissen nicht, wie Er eigentlich schafft und regiert, warum Krieg, Teuerung, Pest usw. entstehen. Obgleich Gott ständig sozusagen vor offenem Vorhang handelt, sind doch seine Motive dunkel, 40 I, 175 f. (1531 R.), 45, 280 f. (Pred. 1537). Vgl. hierzu Olsson 1934, 36 ff., Wingren 1952, 92 f f . , Watson 1952, 95 f f . , 132 f f . , und Bandt 1958, 102 f f . " 14, 587, 28-30 (Deuteronomium Mosi cum annotationibus 1525); i o I : i , 240, 22-242, 18 (Kirchenpostille 1522); 37, 458, 21 (Pred. 1534 Dr.); „Deus absolute speculatus", 40 II, 329, 21 (Enarratio Psalmi LI 1532); 40 I, 608, 25 f. (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.). " Kattenbuch 1920, 212. " Siehe z.B. 18, 689, 18 f f . (De servo arbitrio 1525); 34 I, 384, 11 f f . (Pred. 1531); 36, 62, 20 f f . (Pred. 1532), und im Galaterbriefkommentar, 40 I, 77, 11-78, 13, 99, 11-19, 608, 28 f., 40 II, 66, 18-67, Μ С1535 Dr.). 55 Dies ist von Luther sorgfältig dargestellt worden, siehe hier 46, 668, 8-672, 37 (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1537). " Ib. besonders 669, 1-32. " 18, 685, 3 f f . , 718, 15 f f . , 784, Ii f f . (De servo arbitrio 1525); „Est enim res incomprehensibilis, quam racio non potest attingere", 31 II 364, 23 f . (Vöries, über Jes. 1527-30); 43, 403, 17 f f . (Vöries, über 1. Mose 1535-45).
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Gesetz und dem Zorn, der Ungewißheit und der Verzweiflung verblieben ist. Für Luther steht außer Zweifel, daß dieses mangelnde Wissen einmal zur Verdammnis führt, denn nur in Christus begegnet der gnädige Gott, und zum anderen zu Abgötterei, denn nur in Christus, im Menschen Jesus, erhält man ein rechtes Bild von dem wahren Gott, dem Gott, der rechtfertigt und e r l ö s t G o t t will und kann nicht auf andere Weise erkannt werden als durch Christus. Der einzige Gott, mit dem der Mensch zu tun haben soll, ist der, welcher nicht nudus ist, sondern „vestitus et revelatus verbo suo" Die sündige Natur des Menschen ist nicht „capax divinitatis" und hat keine Möglichkeit, die göttliche Majestät zu umfassen". Daher aber ist Gott in carne gekommen. Deus nudus ist hier keine Bezeichnung für „Deus absolute speculatus", den Gott, der nur ein leeres und abstraktes Gedankengebilde der menschlichen Spekulation ist. Es handelt sich nicht mehr nur um ein intellektuelles Erkenntnisproblem, eine Offenbarungstheorie oder dergl., die Luther als etwas Unnötiges oder Wertloses beurteilte, sondern hier gilt es eine Gottesvorstellung, die Entsetzen und Verderben verbreitet. Wenn es sich nicht um die Rechtfertigung des Menschen handelt, sagt Luther, kann man gern nach allen Regeln der Logik disputieren und argumentieren, aber gilt es das Gewissen, die Sündenvergebung und das Leben im Gegensatz zu Gesetz, Sünde, Tod und Teufel, darf man nur den Menschen Jesus vor Augen haben Hier zeigt sich also ein offenbarer Unterschied zwischen dem Deus maiestatis und dem Mittler Jesus. Über den Deus nudus in der ersteren, beinahe kognitiven Bedeutung zu spekulieren, sieht Luther als unnütz an, sich jedoch mit ihm in loco iustificationis zu beschäftigen, ist direkt gefährlich. Der Gedanke an die Majestät, den nackten Gott, als ein Gedankenobjekt und eine begriffsmäßige Abstraktion - und als solche gleichgültig und ohne Bedeutung für den Menschen in seinem Gottesverhältnis - geht für Luther stets über in den Gedanken an den schrecklichen und vernichtenden Gott, was die Stellung des Menschen coram Deo im höchsten Grade beeinflußt. Außerhalb von Christus gibt es keinen wahren Gott und keinen gnädigen Gott. Da gibt es nur einen Deus in maiestate, der in seinem Willen und seinem Wesen verborgen ist, einen Gott, der entweder für uns Menschen eine reine Nichtigkeit ist oder Anlaß zu schweren Anfechtungen 40 I, 602, 18-603, J3> 604, 22 f . (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.); „Nam qui recidit a gratia in legem, nihil suavius cadit quam is, qui extra gratiam cadit in idolatriam. Extra Christum nihil est nisi mera idolatria, idolum et falsum figmentum de Deo, sive vocetur lex Mosi, sive lex Papae, sive Alcoranus Turcae etc.", ib. 609, 17-20; „Extra Christum tappet man hin, her et dicimus cultus, sed t r i f f t Franciscum, Mahomet vel aliud idolum und endlich Satanam. Sic extra Christum est mundus plenus idollolatria. In Christo agnoscitur verus deus per filium, qui annunciat nos", 45, 353, 26-29 (Pred. 1537 R.). " 9, 440, 30-441, 24 (Pred. 1 5 1 9 - 2 1 Poliander); 40 II, 329, 29-330, 32 (Enarratio Psalmi LI 1532 Dr.). 00 39 I, 2 1 7 , 10 f. (Prom. disp. von Palladius und Tilemann 1537 Α . ) . " 40 I, 78, 27-79, 17 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.); „qui vult salvus fieri, relinquat deum in Maiestate", 40 II, 329, 9 f . (Enarratio Psalmi 1 5 3 2 ) .
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gibt, einen Deus nudus oder Deus iratus. Er ist der Gott des Gesetzes und des Zornes und muß uns Schrecken einjagen. Das heißt Gott „auff Mosisch oder nach dem Gesetze" kennen, aber in Christus hat Gott seinen Liebeswillen offenbart, und dort erhält man „das rechte und gründliche, Euangelische erkentnis" Auf dem Sinai war die Stimme des himmlischen Zorns zu hören, aber den Hirten auf dem Felde erklang die gnadenreiche Stimme eines Engels Von diesem Gesichtspunkt gesehen gibt es also eine Parallele zwischen dem Deus nudus und dem Gesetz einerseits und dem Deus incarnatus und dem Evangelium andererseits: „Ausser der Menschheit Christi soll man keine Gnade oder Vergebung der Sünden suchen" Gottes Zorn ist für Luther auf gar keinen Fall Spiel und Einbildung. Er ist ebenso wirklich und greifbar wie seine Gnade, sonst wären auch Christi ganze Erniedrigung und Leiden unter seinem Zorn nur eine Fiktion, ein doketisches S c h a u s p i e l A u f g r u n d der Verborgenheit und der Verkehrtheit der Sünde nimmt sich für den Menschen die Gnade oft wie Zorn aus, und Gottes Wahrhaftigkeit gleicht der Lüge - sub contraria specie. In den schwersten Anfechtungen ist es deshalb unmöglich, Gott und Teufel zu unterscheiden, da „Gott und der Teufel durcheinandergehen" **. Das ist der Grund dafür, daß Luther seine Hörer ermahnen kann, Gott fahren zulassen und im Glauben mit Gott zu kämpfen, da es aussehen kann, als widerspreche Gott sich selbst und liege im Streit mit sich selbst Aber man soll wissen, daß es wirklich Gott ist, der sich unter dem Bild des Teufels, „sub specie pessimi Diaboli" verbirgt. Es gilt, Gott hinter der Maske des Teufels zu erkennen und den Teufel abzuweisen, wenn er hinter der Maske Gottes k o m m t S o wird der Zorn Gottes das für Luther " 46, 669, 6-32 (Ausleg. des 1. und 1. Kap. Joh. 1537]; „cognitio Dei in Christo", 4, 649< 3-7 [Sermone 1514-20]. " 36, 392, 25-393, 15 (Pred. 1532 R.). " T R VI, 86, ι f. (Aurifaber); 9, 441, 18-32 (Pred. 1 5 1 9 - 2 1 Poliander); 1 1 , 5 1 , 20-52, 13 (Pred. über das Symbolum 2. Art. 1523); 17 II, 306, 14-37 (Festpostille 1527); 40 I, 76, 9-77, 6 (In epistolam ad Galatas 1531 R.), und öfters. " 3/ 35, 1 1 - 1 9 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; „Ira dei est vera non ficta, non iocus, si esset falsa, esset misericordia ficta, quia qualis ira, talis misericordia, quae remittit, sed is tum iocum avertat deus a nobis. Nimis vera ira, sic vera misericordia. Sic Christus verissime assumpsit iram dei in se et portavit pro nobis", 26, 37, 3 1 - 3 5 (Vöries, über den 1. Timotheusbrief 1528). " Holl 1921, 56; i , 90, 3-8 (Sermone 1 5 1 4 - 1 7 ) ; 3 1 1 , 249, 16-250, 37 (Der 1 1 7 . Psalm ausgelegt 1530 Dr.). Siehe auch die folgenden Anm. 07 „Si vis tutus esse et sine periculo diaboli, conscientiae tuae, prorsus nullum deum scito extra istum hominem . . . Et in actione contra peccatum et mortem, las Gott faren, quia iste intolerabilis hic", 40 I, 77, 1-6 (In epistolam ad Galatas 1531 R.); 43, 202, 16-36, 393, 1 6 - 1 8 und 44, 97, 41-98, 28 (Vöries, über 1. Mose 1535-45); „contra spem in spem sperandum est", „fide contra fidem pugnet", 5, 1 7 1 , 10 f . und 623, 17 (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ) . "* 19, 207, 3-35 (Der Prophet Jona ausgelegt 1526); 28, 125, 1 - 1 1 (Wochenpred. über Joh. 16—20 1528-29); 40 II, 54, 1 1 - 1 6 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.); „Sciamus igitur Deum abscondere se sub specie pessimi Diaboli ideo ut discamus bonitatem, misericordiam, potentiam Dei non posse comprehendi speculando, sed experiendo", 44, 429, 24-26 (Vöries, über 1. Mose 1535-45). Vgl. Kap. I B:2, Anm. 61 f . „Und Summa, Got кап nicht Got sein, Er mus zuvor ein Teufel werden", „Summa,
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Teuflischste, bevor man entdeckt hat, daß dieser Gott „nur" der verborgene, im Innersten gute Gott ist. Das Furchtbare ist ja, daß der Teufel eigentlich Gottes larva ist, und daß er erst dann ernsthaft zum Teufel wird, wenn er in Gottes Allmacht und Heiligkeit, seinem Gesetz und Zorn, über einen kleinen Menschen kommt. Wenn man diesem Gott ohne rechten Glauben Auge in Auge gegenübersteht, sieht man nicht Gott selbst, sondern Gottes Schrecken einjagende Masken und verirrt sich in Abgötterei und Teufelsanbetung". Aber nun hat Gott in Christus seine erschreckende Majestät abgelegt und ist ein kleiner, dem Anschein nach gewöhnlicher Mensch geworden. Das kann ihm Satan nicht nachtun - wenn auch sonst die Imitation ein Charakteristikum von allem ist, was der Teufel tut - er sieht es in seiner Unscheinbarkeit nicht, und darum wird er überlistet Der Gott des Zornes kann also sowohl der schlimmste Götze wie der wahre Gott in seinem opus alienum sein. Denn der allmächtige Gott wirkt einmal durch sein Gesetz und seinen Zorn, in seinem fremden Werk, und das kann für den Menschen Teufelsherrschaft bedeuten, zum anderen in seinem opus proprium, durch sein Evangelium und seine Gnade, und das bedeutet dann, daß der Mensch sich an Christus hält. Das Prinzip für Gottes Handeln läßt sich wieder durch die Formel sub contraria specie bezeichnen. Seine Weisheit ist verborgen in Torheit, damit unsere Klugheit zunichte werden sollT1. „Et talis agnoscendus est Deus, quod agat contraria in contrariis" Aber der Mensch hat nichts anderes, woran er sich halten kann, als diese Werke Gottes, trotz Verborgenheit und Widersprüchen. Genau wie Luther sagen konnte: „Deus abscondit sua ut revelet", so kann er im Anschluß an Jes. 28, 21 von den Werken Gottes sagen: „er nympt sich eins frembden werckes an, auff das er zu seinem eygen werck komч
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me Denn wenn Gott etwas tun soll, sieht es vor der Welt nach nichts aus. Aber aus dem, was gering, verachtet und ohne Ehre ist, macht Gott etwas Großes 7\ „In Summa: Gottes Natur ist, das er seine Göttliche Maiestet der T e u f f e i wird und ist kein T e u f f e i , er sey denn zuvor Gott gewest", 31 I, 249, 25 f. und 250, 24 f . (Der 1 1 7 . Psalm ausgelegt 1530); 37, 459, 20 f f . (Pred. 1534 Dr.); siehe Bring 1929, 154 f f . 70 „Ideo hat sich got alles geeusert et factus peccaminosus homo insipiens, das kan Satan nicht thun. Ideo non potes effugere melius Satanam, quam ut pendes cor an den Christum", 28, 1 3 7 , 4-6 (Wochenpred. über Joh. 1 6 - 2 0 1 5 2 8 - 2 9 ) . 71 56/ 37б> 3 1 f · [Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ) ; „Sicut Itaque Dei Sapientia abscondita est Sub spetie stultitie et Veritas sub forma mendacii . . . Ita et voluntas Dei . . . abscondita sub spetie mali . . . Et contrarietatem mirantur philosophi et non intelligunt homines", ib. 446, 3 1 - 4 4 7 , 20; „Hinc verbum factum est et sapientia Dei abscondita et exinanita, ut nostram quoque hanc pessimam sapientiam absconderet et exinaniret", 1 , 34, 4-6 (Sermone 1 5 1 4 - 1 7 ) ; das Gott seyne güete und freundschafft under dem zorn und straffe verborgen hat und gibt", 18, 481, 14 f . (Die sieben Bußpsalmen 1525). " 43, 229, 28 (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) . 6, 248, 5 f . ( V o n den guten Werken 1520); 3, 246, 19 f . (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; 5, 63, 3 3 - 6 4 , 4 (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ) ; „Ex Deo non revelato fiam revelatus, et tarnen idem Deus manebo", 43, 459, 24 f . (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) · " „quod deus loquitur et facit, coram mundo nihil esse. Suum verbum mus das geringst
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und Krafft erzeiget durch Nichtigkeit und Schwacheit" Wenn daher Gott rechtfertigt, verflucht er zuerst; wen er erlösen will, zerbricht er, und den, welcher Leben erhalten soll, tötet er. Gott kan ja nur den gerecht machen, der nicht gerecht ist, daher muß Gott zuerst den Menschen zum Sünder machen, um ihn gerecht machen zu können". So wie der Deus revelatus im Deus absconditus verborgen ist, so ist Gottes opus proprium im opus alienum, seine Gnade im Zorn, das Evangelium im Gesetz verborgen ". Dieser dualistische Zusammenhang ist eine notwendige Voraussetzung, wenn man Luthers Verständnis von einmal der Einheitlichkeit in allem Hervortreten und Handeln Gottes und zum andern dem trotzdem Einzigartigen in Gottes Werk und Offenbarung in Christus: „Extra Christum non est salus", von Grund aufklären will. Die Dunkelheit, Ungewißheit und Unsicherheit besteht, bis Christus kommt und Gottes Liebe und Gnade in all seinem Handeln offenbart. So strahlen all diese Gedankenlinien in Christus zusammen, und das ganze Werk Gottes wird in ihm zusammengefaßt: „Opus autem singulariter Dei est Christus in sua tota vita" ". Der Dualismus, der Verborgenheits- und Erniedrigungsgedanke sind grundlegende Züge in Luthers theologia crucis, der Inkarnationstheologie, die im Gegensatz zu allen Majestätsspekulationen steht, und die bei Jesu Menschlichkeit, bei dem Gott in der Krippe und am Kreuz, halt macht sein, Suum opus das aller verachtest, Quod diabolus redt et thut, das ist coram mundo kostlich", 37, 258, 1 1 - 1 4 fPred. 1533 R.); „Denn zu gleich, als y m anfang aller Creaturn er die weit ausz nichts schuff . . . szo bleibt er solcher art zu-wircken unvorwandelt, unnd sein noch alle seine werck bisz ansz ende der weit alszo gethan, das er ausz dem das nichts, gering, voracht, elend, tod ist, etwas, köstliche, ehrlich, selig und lebendig macht. Widderumb allesz was etwas, kostlich, ehrlich, selig, lebendig ist, zu nichte, gering, voracht, elend und sterbend macht", 7, 547, 1 - 7 (Magnificat . . . 1521). ™ 45, 222, 35-37 (Pred. 1537); „Das sind Gottes werck, Ideo deus, quod ex nihil facit aliquid et omnia, sic eius natura", ib. 222, 6 f . (R.); „Denn w o menschen k r a f f t auszgaht, da geht gottis k r a f f t ein, szo der glaub da ist und warttet des", 7, 586, 12 f . (Magnificat . . . 1521]. " „Sic dicit: ego occidam et vivificabo, ego percutiam et sanabo", 1, 112, 32 f . (Sermone 1514-17]; „Quando deus incipit hominem iustificare, prius eum damnat . . . quem vult sanare, percutit, quem vivificare, occidit . . . In ista autem conturbatione incipit salus", ib. 540, 8-19 (Resolutiones . . . 1518); 4, 243, 7 f f . (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; 5> 63» 36 f f . und 503, 26 f f . (Operationes in Psalmos 1519-21); 18, 633, 9 f f . (De servo arbitrio 1525); 37, 242, 21 f f . (Pred. 1533 R.); 43, 140, 28 f f . (Vöries, über 1. Mose 1535-45)· " „evangelium olim erat in verbo et occulto, nunc autem in manifesto et voce", 3, 157, 33 f. (Dictata super Psalterium 1513-16); „Sic aeternam suam clementiam et misericordiam abscondit sub aeterna ira, Iustitiam sub iniquitate", 18, 633, 14 f. ( D e servo arbitrio 1525). 78 3, 542, 10 (Dictata super Psalterium 1513-16); „opus Domini est Christus"; „Christus est opus dei", 4, 171, 29 und 61, 22 (Ib.). „Deum non inveniri nisi in passionibus et cruce . . . in humilitate et ignominia crucis . . . " , i , 362, 11-29 (Disp. Heidelbergae habita 1518); „ C R U X sola est nostra Theologia", „Crux Christi unica est eruditio verborum dei, Theologia syncerissima", 5, 176, 32 f. und 217, 2 f. (Operationes in Psalmos 1519-21); „nostra Theologia est Cruris Theologia", 40 III, 193, 6 f. (In Psalmos graduum 1532-33).
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Der Deus crucifixus ist kein anderer als der Deus absconditus, ein Deus incarnatus, der den Gott offenbart, der Deus nudus in maiestate sua genannt wird. In Christi Kreuz begegnen sich die absconsio und die revelatio Dei, opus alienum und opus proprium, Zorn und Gnade, Leben und Tod. Luther betont die Einheit und Simultaneität. Das opus Dei ist ein einziges Werk, es soll die Gottesgemeinschaft wieder aufrichten, die Macht der Sünde brechen, dem Menschen Sündenvergebung schenken: „dare remissionem peccatorum, solius dei opus"80. Die Vernunft sieht Zorn und Liebe als Gegensätze und kann sich nur einen Ausgleich zwischen ihnen vorstellen, eine hintereinander-Kombination, die im Gegensatz zu Luthers simul-Aspekt steht. Für ihn ist der Gott des Glaubens wirklich ein Gott sowohl des Zorns wie der Vergebung und beides in aller Radikalität ohne irgendwelche rationalistische Abschwächung und N i v e l l i e r u n g E s ist der Glaube, der sub contrariis Gott entdeckt und vom Deus absconditus, dem opus alienum, dem Gesetz und dem Zorn vorstößt zum Deus revelatus, dem opus proprium, dem Evangelium und der Gnade. Wenn man in der Tiefe der Anfechtungen vor dem verborgenen, rätselhaften Gott und seinem fremden Werk steht, kann man nur „Gott besiegen", wie der Terminus lautet, indem man den Blick auf Christus richtet Luthers Rat, sich in jeder Hinsicht an den inkarnierten Gott zu halten, um dort - und nur dort - Gnade und Vergebung zu finden, kann an einem Punkt einer Nuancierung bedürfen. Wir wollen daher noch einen Schritt weiter gehen und noch eine Distinktion machen, jetzt aber nicht nur zwischen dem Deus nudus und Deus incarnatus, sondern in dem Inkarnierten selbst. Christus kennen bedeutet, sagt Luther, ihn auf zwei Arten, „wie ein gäbe und exempel" kennen". Aber das „Exemplum Christi" bekräftigt nur das Gesetz, und daher ist es gefährlich für den Menschen, Christus nur als Beispiel zu betrachten. Für den Christen steht zwar Christus als ein Vorbild da aber das ist das am wenigsten Wichtige, „das geringst vom Euangelio", nicht einmal wert, Evangelium genannt zu werden. Denn Christus so zu behandeln, ihn nur einseitig als ein Exempel zu sehen, bedeutet, „aus Christo einen Mose machen", und das Evangelium zu „eyn lere oder gesetz buch". Ein solcher Christus hat eigentlich keinerlei Nutzen für die Erlösung und macht den Menschen nicht gerecht vor Gott. Als 80
37/ 275> 3 f· (Pred. 1534 R.); 1, 112, 10-113, 1 (Sermone 1514-17), w o opus alienum als „crux Christi" und „passiones Christi" definiert wird und opus proprium als „iustificatio sive resurrectio Christi"; vgl. auch die bekannte simul-Stelle, 3, 426, 34 f. (Dictate super Psalterium 1513-16); 9, 655, 5 - 7 (Pred. 1519-21 Poliander). Siehe hierzu u.a. Bandt 1958, 56 und 181. 81 Vgl. E. Seeberg, Anfänge der Theologie Luthers, ZKG 1934, 232 f., 237. 82 „Deum vincere", 44, 115, 7 (Vöries, über 1. Mose 1535-45). " Z.B. 10 III, 123, 14 f. (Pred. 1522). 84 401, 389, 12-26, 40 II, 42, 24 f. (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.); „Exemplum Christi legem confirmat, idem enim docet, quod lex", 39 I, 462, 33 ( D i e zweite Disp. gegen die Antinomer 1538).
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Exempel verweist uns Jesus nur auf gute Werke und ruft gesetzestreue Imitatiofrömmigkeit und selbstgerechte Heuchelei hervor Der Mensch wird sola fide und solo Christo erlöst, und hier dürfen Gesetz und Werke sich nicht hineindrängen. Wo Gott in seinem opus alienum bereits das Werk des Gesetzes zur Zerknirschung und zum Sündenbekenntnis ausgeführt hat, soll Christus gepredigt werden als „Salvator et donum", nicht als „Exemplum et legislator". Nur am „Tag der Freude", wenn der Glaube stark ist und die Anfechtungen gewichen sind, soll man sich erkühnen, auf Christus als auf ein Exempel zu schauen, als in einen Spiegel, in dem die eigene Sünde und Fehlerhaftigkeit h e r v o r t r i t t D e n n das ist das Charakteristische und Gefährliche an des Teufels Art, Christus zu beschreiben, daß er nur einen Teil von ihm darstellt, nämlich daß er Gottes Sohn ist, der sündenlose und vollkommene, der den Sünder richten soll. So bleibt Christus, sagt Luther, „ein Tyrann und Henker" Man muß also unterscheiden zwischen Christus als Geschenk und Christus als Exempel, genau wie man zwischen Evangelium und Gesetz, Rechtfertigung und guten Werken unterscheidet, zwischen dem, was coram Deo und dem, was coram hominibus gilt. Aber man darf diese Distinktion nicht so vornehmen, daß der eine Teil in den Schatten tritt oder eliminiert wird. Das ist der Fehler der Juden und Papisten, und überhaupt der vernunftgemäßen Art, Erwägungen anzustellen, betont Luther Denn man will dann Christus umgreifen, nicht als den, der rechtfertigt, sondern als den, der gute Werke tut; dadurch aber entfernt man sich nur immer weiter von dem rechten, erlösenden Christus. Auf diese Weise schafft man eine Kluft zwischen Göttlichem und Menschlichem in Christus. Man hat einen vollkommenen Menschen vor Augen, man betrachtet seine sündenlose Göttlichkeit und stellt sich ihn vor als einen Schrecken einflößenden „Richter auf dem Regenbogen". Aber man sieht nicht, daß diese sündenlose und vollkommene Person sich selbst in Erniedrigung unter die Sünde stellt und sie in Liebe fortnimmt und kreuzigt. Das einzige Mittel gegen die gefährlich einseitige Darstellung von Christus durch den Teufel ist, sich an Christi Menschlichkeit zu halten, dort unten beim Manne am Kreuz zu bleiben; dort gibt es nichts Erschreckendes, sondern nur Freude und Wonne". Die hier zuletzt behandelte Distinktion zwischen Geschenk und Exem"5 ι ο Ι : ι , io, 20-11, 14 (Kirchenpostille 1522]; „ex Christo nobis Mosen fecerunt", 56, 339/ 3 (Vöries, über den Römerbrief 1515-16). " 40 II, 42, 10-43, 18 CIn epistolam ad Galatas 1535 Dr.). 67 Siehe mehrmals im Galaterbriefkommentar, 40 I, 92, 20-93, 28, i°8< 18-29, 4° 42< ! ° f · ( T 535 Dr.), und: „ego non Christum habui pro mediatore, sed Iudice", 40 I, 325, 10 f. und 561, 9 (1531 R.); 27, 443, 7 ff. (Pred. 1528 R.); 44, 544, i f f . und 775, 27 (Vöries, über 1. Mose 1535-45). 88 IOI:I, 12, 20 f. (Kirchenpostille 1522): „Wie ferne nu gäbe und exempel sich scheyden, sso fern scheyden sich auch glawbe und werck"; 40 I, 389, 12-390, 18 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.). " Ib. 91, 9-15 und 93, 24-28; 17 I, 112, 18-21 (Pred. 1525); 39 I, 389, 10-18 und 391, 3-20 (Die erste Disp. gegen die Antinomer 1537).
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pel hilft uns somit, den Inhalt von Luthers Rat, sich an Christi Menschlichkeit zu halten, zu nuancieren. Es gilt im Menschen Jesus die Heilsgabe, den inkarnierten Gott, zu erkennen, der sich hingibt und pro nobis den Kampf gegen die Sünde ausficht. Dagegen soll man nicht krampfhaft auf Jesus als den perfekten Übermenschen starren, denn das bedeutet eigentlich ein Spalten seiner göttlichen Vollkommenheit, ein ledigliches Heraustrennen des göttlich Erhabenen, des Richtenden und Erschreckenden, dessen, was für Luther ganz auf der Ebene des Deus nudus und iratus liegt, während man das, was für Luther wirklich Jesu wahre Menschlichkeit ausmachte, sein Herabsteigen, sein sich Entblößen, nicht beachtet. Damit ist der von unten-Aspekt in seinen großen Zusammenhang eingebettet. Worum es die ganze Zeit geht, ist der Kampf zwischen Gott und dem Teufel um jeden einzelnen Menschen. Das Furchtbarste, was geschehen kann, ist, wenn der Teufel versucht, eine Kluft zwischen Gesetz und Evangelium zu schaffenEinerseits muß ja ein rechter Theologe nach Luther Gesetz und Evangelium klar unterscheiden und trennen können, andererseits darf diese Trennung nicht so gemacht werden, da β das Evangelium beiseite geschoben wird. Diese beiden Gedankengänge haben sich im Voraufgehenden ständig gekreuzt. Der Deus nudus, der abgesehen davon, daß er ein rein spekulatives Phantasieprodukt ist, für Luther häufig einen verkehrten Gottesglauben bezeichnet, muß von dem Deus indutus unterschieden werden,und der Deus in maiestate von dem Deus in came. Ebenso muß man den Deus absconditus, so wie dieser Begriff in soteriologischem Zusammenhang verwendet wird, und den Deus revelatus auseinanderhalten, Zorn und Liebe, Verdammnis und Segen, opus alienum und opus proprium, Gesetz und Evangelium. Da Christus als Vorbild denselben Platz einnimmt wie der Gott des Gesetzes und des Zornes, ist es auch notwendig, einen klaren Unterschied zu machen zwischen Christus als Beispiel und Christus als Geschenk. Aber das ist nur die eine Seite der Sache. Andererseits muß nämlich die Einheit betont iverden. Der Deus maiestatis, Deus incarnatus, Deus absconditus und Deus revelatus ist ein und derselbe Gott, opus alienum und opus proprium, Gesetz und Evangelim, Zorn und Gnade sind Ausdruck ein und desselben Gotteswerkes. Alles strahlt zusammen in Christus, der das opus singulariter Dei ist. Im Zentrum von Luthers theologia crucis stehen Christi Kreuz und der Mann, der Deus crucifixus ist. Daher rät Luther seinen Hörern immer, sich an Christus zu halten. Wenn man aber in Christus nur auf die Gottheit, den Richter und die Majestät starrt, schleicht sich wieder dieselbe teuflische Anfechtung ein, und man verliert Christus als Geschenk und all das, was dies an Heil und Segen mit sich führt. Deshalb fällt schließlich das ganze Gewicht auf die humanitas Christi, auf das Wort und all die verschiedenen indumenta, signa, apparitiones, äußerlichen Dinge usw., die Gott für uns faßbar und greifbar machen, und die auf einer Ebene mit Jesu eigener Menschlichkeit liegen. Aber dann gilt „ W o aber das Gesetze solch sein A m p t allein treibet on zuthun des Euangelij, da ist der Tod und die Helle", 50, 227, 1 3 - 1 6 (Schmalk. Art. 1 5 3 8 ) , und sonst häufig.
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es, Göttliches und Menschliches in Christus nicht zu trennen. Hier vereinigen sich alle die Gedankengänge, mit denen wir uns in diesem Kapitel beschäftigt haben, so daß man zusammenfassend sagen könnte: genau wie man zwischen Gesetz und Evangelium, opus alienum und opus proprium unterscheiden muß, ohne eines von ihnen zu isolieren, so muß man die göttliche und die menschliche Natur in Christus voneinander trennen, ohne jedoch die Einheit zu gefährden. Der Dualismus darf niemals zur Zweiheit werden, aber auch nicht zum Monismus. Hier treffen Christologie und Trinitätslehre und Rechtfertigungslehre in einem einzigen Punkt zusammen. Denn Christus muß für Luther wahrer Mensch und wahrer G o t t sein, aber nur eine Person, so wie auch Gott ein einziger ist. Hieran hängt das Heil und die Seligkeit. Und mitten in diesem Zentrum stoßen wir auf den innersten Punkt der Theologie Luthers: die communicatio idiomatum. Denn sie drückt das Verhältnis zwischen Göttlichem und Menschlichem aus und ist für Luther unausweichlich, wenn nicht Christus entweder zum perfekten Übermenschen oder zum richtenden Schreckensgott werden soll. In beiden Fällen wird die Erlösung zunichte. „Extra Christum non est alius Deus" - „Extra Christum non est salus". Das ist für Luther das abschließende Ergebnis. Man soll von unten anfangen, man soll bei der humanitas Christi haltmachen, bei seinen larvae, signa und apparitiones, beim Wort, der Krippe und dem Kreuz. Dort trifft man Gott, verborgen in seinen indumenta im Fleisch gekommen, Deus in carne et passionibus absconditus. 2. Simul vere Deus et vere homo Christus ist G o t t und Mensch in einer untrennbaren Einheit. Göttliches und Menschliches voneinander zu isolieren, ist für Luther unmöglich. A u ßerhalb der Menschlichkeit Christi herrschen Sünde und Tod, Gesetz und Teufel, dort herrscht der tödliche Deus nudus \ Die humanitas Christi ist für die Sicherung der Erlösung unentbehrlich. Dies merkt man besonders in Luthers häufiger Polemik gegen das Schlagwort der Schwärmer: „Fleisch ist kein nütze"; er betont im Gegensatz zu ihnen Jesu konkrete, reale M e n s c h l i c h k e i t g l e i c h z e i t i g aber verteidigt er Christi volle Göttlichkeit. Ein Jesus, der nur „ein lauter Mensch" wäre, würde für Luther wirklich zu nichts nütze sein, doch würde wiederum ein Gott, der nicht im Fleisch gekommen wäre, dem Menschen in seiner Sündennot auch nicht helfen. Siehe häufig im vorigen Abschnitt und z.B. 17 I, 112, 12-21 (Pred. 1525); 28, 119, (Wochenpred. über Joh. 16-20 1528-29); 40 I, 91, 9 - 1 5 , 93, 24 f f . (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.); ein klarer Beleg findet sich in TR V I , 86, 1 - 2 1 (Aurifaber). 2 Luther meint, daß, wenn die Schwärmer fortfahren dürfen, bald Marcion, „Manicheus" und Valentin mit ihrem Doketismus zurückkehren würden, 23, 200, 31 f f . ( D a ß diese Wort Christi . . . 1527). Luthers Auseinandersetzung mit der Anschauung der Schwärmer taucht in dieser Abhandlung häufig auf; siehe K. Holl, Luther und die Schwärmer (in: Gesammelte Aufsätze I, 2. und 3. A u f l . 1923, 420 f f . - er ist in der 1. A u f l . nicht enthalten); W . Maurers und K. G. Stecks Studien mit demselben Titel, 1952 bzw. 1955, und besonders Prenter 1954, 207 f f . 1
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Daher kann Luther das Wort der Schwärmer geradezu umdrehen und sagen: „Deus sine carne nihil prodest" Christus ist, sagt Luther, ein Mensch von Fleisch und Blut, aber auch die hohe Majestät, der Schöpfer, der sich zu einem Menschen gleich anderen gemacht hat. Wo also das kleine Kind Jesus ist, da ist für Luther alles göttlich, erfüllt von Heil und Trost \ Andererseits ist es ebenso klar, daß Fleisch und Blut allein niemanden gerecht machen können: ein Mensch allein macht nicht selig *. Die bloße Menschlichkeit bei Christus „were keyn nutz, wenn die gottheyt nit drynnen were" Aber nun ist Gott in diesem Fleisch gekommen, und daher ist Christus „deus noster", ein verachteter Mensch, der gleichwohl „nomen maiestatis" hat 7 . Daher ist es für Luther eigentlich unmöglich, zwischen dem, der „deus omnium" ist und „super Cherubim" sitzt, und dem, der im Menschen Jesus ist zu unterscheiden, genau wie es sinnlos ist, von einem Gott zu sprechen, der ein von Christus getrenntes Dasein führt. Luther muß sich deshalb gegenüber dem Gedanken eines λόγος άσαρκος im reformierten Sinne im Einklang mit dem Extra Calvinisticum-Prinzip ablehnend verhalten *. Wenn man mit Christus zu tun hat, hat man auch mit Gott in seiner Fülle zu tun. Und das ist etwas Unerhörtes, eine „mira locutio: humanitas videtur et tarnen filius dei et v i t a " H i n t e r diesem „tarnen", diesem paradoxen „gleichwohl", das sozusagen den Menschen Jesus und Gottes Sohn zu einer einzigen Person vereinigt, steht zweifellos auch der Gedanke der communicatio idiomatum - aufgrund dieser Mitteilung kann Luther sagen, daß dieser so menschliche Jesus auch der Herr und Schöpfer ist. Hierin liegt auch der Gegensatz zwischen der theologia gloriae und der theologia cruris. Zwingli und die Schwärmer sind darauf bedacht, die Ehre Gottes zu verteidigen, so daß seine unendliche Majestät in ihrer unveränderlichen Integrität bewahrt wird, doch Luther sagt: „Unsers Gotts ehre 3
25, 107, 4 - 1 9 (Vöries, über Jes. Schol. 1 5 3 2 - 3 4 ] . ' 46, 522, 1 6 - 5 2 3 , 25 (Pred. 1538 R.); „Also haben wir nu den Text, wie das kind, das die mutter seuget und yhm ein brey gibt, das arme fleisch und blut, so hohe Maiestet ist, Das fleisch und blut alleine und bios were uns kein nutz, Aber das ist der schätz, das dis kind Gottes Son ist, da stehet unser trost und heil, Darümb ist alles kostlich und vol Gottes, w o dis kind ist", 17 II, 319, 1 8 - 2 2 (Festpostille 1 5 2 7 ) ; „wo ich yhn ergreiffe, ist er gantz", 20, 541, 12 (Pred. 1526); 37, 410, 23 f . (Pred. 1534 R.). 5 „Denn wenn ich das gleube, das allein die menschliche natur fur mich gelidden hat, so ist mir der Christus ein schlechter heiland, so bedarff er wohl selbs eines heilands", 26, 319, 3 7 - 3 9 ( V o m Abendmahl Christi 1528]. " 10 I:i, 208, 22 f. (Kirchenpostille 1522). 7 3/ 43; 3°< 383/ 20 f., 461, 10 f . (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) . 8 „totus Christus est in carne, Nos apprehendimus nullum esse deum nisi ilium, qui est in illo homine, qui descendit", 20, 727, 5 - 7 (Vöries, über den 1. Brief Joh. 1527 Roth). Trotz Luthers Ansicht in den Schmalkaldischen Artikeln (50, 198, 1 3 f f . ) ; daß um die „hohen Artikeln der Göttlichen Maiestet" überhaupt kein Streit auszukämpfen sei, muß man doch feststellen, daß letztlich eben der Gegensatz in der Gottesauffassung entscheidend ist. Vgl. Aulens Arbeit über das Gottesbild 1930, 159 f. und Y. Brilioth, Nattvarden i evangeliskt gudstjänstliv, 2. Aufl. 1951, 160, 224, 240. ' 20, 605, 14-24 (Vöries, über den 1. Brief Joh. 1527 Roth).
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aber ist, die so er sich umb unser willen auffs aller tieffest erunter gibt, yns fleysch yns brod, ynn unsern mund, hertz und schos" 10. Das ist für Luther das Geheimnis der Inkarnation und der Kern des Christentums: der ewige, ungreifbare Gott ist in das Endliche und Greifbare, in das Fleisch und in diese Welt, eingegangen ll . Es ist unmöglich, hier Gott und Welt, Ewiges und Zeitliches auf eine metaphysische, d.h. abstrakte und statische Weise zu trennen 12 . Daher kann Luther niemals den reformierten Standpunkt: „finitum non est capax infiniti" gutheißen. Für ihn ist es um des Heils und der Seligkeit willen eine oberste Notwendigkeit, daß der Unendliche selbst ein wirklicher Mensch geworden ist, daher ließ sich seine Einstellung später in der Formel: „finitum est capax infiniti" fixieren Z w a r weiß Luther sehr wohl, daß der Abstand zwischen Gott und Mensch unendlich ist, aber da dieser Abstand nicht durch eine metaphysische Kontraposition, sondern eher durch eine religiös-ethische Beurteilung qualifiziert ist, scheint es Luther ebenso klar, daß der Abstand zwischen Göttlichem und Menschlichem, Ewigem und Zeitlichem in Jesus Christus überbrückt ist Luthers Auseinandersetzung mit dem Schwärmertum hebt drei für seine Inkarnationstheologie unentbehrliche Züge hervor: 1. die humanitas Christi, 2. das simul und die unitas von Göttlichem und Menschlichem in Christus, und 3. die theologia crucis, die soteriologische Begründung seiner 10
23, 156, 30-32 (Daß diese Wort Christi . . . 1527); vgl. E. Seeberg 1940, 86. Von Loewenich 1929, 12, sagt: „Theologia crucis ist nicht ein Kapitel der Theologie, sondern eine bestimmte Art von Theologie". Die Aufgabe, die uns hier beschäftigen wird, könnten wir im Anschluß an einen Wunsch von Loewenichs (228) gewissermaßen eine „christologia crucis" nennen. 11 Vgl. Gennrich 1929, 20: „Christus als die Offenbarung Gottes, die Menschwerdung des Ewigen, die Konkretisierung der Gottheit in der Gestalt des Endlichen, Leiblichen ist die Grundlage der Religion". 12 Zum Begriff Metaphysik siehe in diesem Zusammenhang H. J. Iwand, Rechtfertigungslehre und Christusglaube 1930, 122 f. " Gott kann „nur in Konkretem, Endlichem, Geschichtlichem für uns faßbar werden", Gennrich 1929, 64. Vgl. auch Olsson 1943, 149 f. und 449 f f . M. Schneckenburger, Zur Kirchlichen Christologie. Die orthodoxe Lehre vom doppelten Stande Christi nach lutherischer und reformirter Fassung 1848, sagt: „Dort (nämlich bei dem reformierten Standpunkt) geht das lutherische, nicht bloß für das Abendmahl geltende: in, mit und unter über in das bloß instrumentale: durch. Finitum non est capax infiniti ist ja die stets wiederkehrende Antwort der Reformirten gegen die lutherische Christologie" (86). 14 Th. Harnack II 1927, 137 f., weist nach, wie Luther die unendliche und unmeßbare Entfernung von Gottheit und Menschheit betonen kann, und doch an der einzigen Einheit in Christi Person festhält. Dort, aber nur dort, gilt der Satz: „natura humana capax divinae". Vor diesem Hintergrund ist etwas Richtiges an H. Baukes Behauptung (RGG 2. Aufl. Bd. I 1927, Art. „Christologie II. Dogmengeschichtlich", Sp. 1627), daß Luthers „innerstes Glaubensinteresse" darauf ausgerichtet war, „die höhere Synthese über dem 'finitum non capax infiniti' und dem 'finitum capax infiniti' festzustellen, die dann natürlich in der Richtung des letzten ausgesprochen werden muß". Diese Synthese ist dann in Verbindung mit der communicatio-Lehre zu finden. Vgl. auch P. Althaus in „Theologie des Glaubens" (Theol. Aufsätze 1929, 109 ff.), J. von Walter, Die Theologie Luthers 1940, 203 f., wo von Walter in diesem Zusammenhang auf das Mißlungene jedes Versuches, Luther in Karl Barths Theologie hineinzupressen hinweist, „eine Frömmigkeit, die den Gegensatz zwischen Zeit und Ewigkeit als unüberbrückbar bezeichnet" (204).
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Theologie im großen und ganzen. In diesem Abschnitt werden wir die Simultaneität und die Einheit näher untersuchen und die Lehre von den Naturen besonders ins Auge fassen. Zu Anfang werden wir ein aufschlußreiches Begriffspaar betrachten, das für Luthers Auffassung der unitas und der communicatio sehr charakteristisch ist: „der abgesonderte Gott" und „der vereinigte Gott mit der Menschheit". Nach Luther ist es falsch, eine Lehre von Gott „abgesondert von Christo" zu haben, obgleich man sich oft stark mit solchen unnötigen und gefährlichen Spekulationen befaßt hat. Man darf auch nicht anfangen, in Christus zu trennen und abzusondern, denn außerhalb der humanitas Christi gibt es keinen Gott, keine Hilfe und keine Rettung. Gott ist als Ganzheit in Christus, und extra carnem findet man Gott nicht. Der Satz „finitum est capax infiniti" gilt für Luther wirklich. Gott ist „eingewickelt in die Menschheit"; deshalb ist es streng genommen eigentlich nicht möglich, von einem Gott zu sprechen, der abgesondert ist, denn genau wie der Deus nudus ist ein solcher Gott für Luther nur eine Abstraktion Aufgrund der Einheit der Person Christi gilt: wo die eine Natur ist, da ist auch die andere, „und keine kann von der andern in Ewigkeit nimmermehr abgesondert und gescheiden werden" 10. Die Person, die das Heilswerk ausführte, war sowohl Gott wie Mensch, und daher ist es richtig zu sagen, daß Gott für uns gestorben ist. Aber diese Wahrheit gilt nicht von dem „abgesonderten Gott von der Menscheit", nicht von der „Gottheit allein und an jr selbs", sondern nur von der Göttlichkeit, die „mit der Menschheit sich vereiniget hat in einer einigen unzertrenneten Person" Der Gedanke der communicatio idiomatum liegt hier zum Greifen nahe und ist im unmittelbaren Anschluß an dieses Zitat direkt ausgesprochen, was wir später noch im einzelnen untersuchen wollen. Diese persönliche Einheit Christi, so wie Luther sie faßt, bildet eigentlich eine grundlegende Voraussetzung, wenn die üben angeführten Gesichtspunkte in bezug auf Luthers Christologie überhaupt eine Berechtigung haben sollen. Christus ist „wesendlicher naturlicher rechter Gott", und Gott ist ein einziger, daher gilt der Satz: „extra Christum non est alius Deus". Das Menschliche, die humanitas Christi, kommt für Luther lediglich im Zusammenhang mit dem Göttlichen, Deus incarnatus, vor. Nur er kann die Menschen erlösen und die Sünden der Welt versöhnen: „extra Christum non est salus" Wenn das nun aber Gültigkeit haben soll, muß zu 15 28, 1 0 1 , 1 6 - 3 5 (Wochenpred. über Joh. 16-20 1 5 2 8 - 2 9 ) ; T R II, 248, 38-43 (Sdilaginhaufen); „Nein geselle, wo du mir Gott hinsetzest, da mustu mir die menscheit mit hin setzen, Sie lassen sich nicht sondern und von einander trennen, Es ist eine person worden, und scheidet die menscheit nicht so von sich wie meister Hans seinen rock aus zeucht und von sich legt, wenn er schlaffen gehet", 26, 3 3 3 , 6 - 1 0 ( V o m Abendmahl Christi 1528); 33, 154, 4 - 1 5 5 , 3t (Wochenpred. über Joh. 6-8 1 5 3 1 H . ) . " T R V I , 69, 30 f . [Aurifaber 1 5 4 1 ) . " 45, 298, 19 (Pred. 1 5 3 7 ) ; 50, 589, 2 1 - 2 9 ( V o n den Konziliis und Kirchen 1 5 3 9 ) . " I i , 5 1 , 20-52, 1 3 (Pred. 1 5 2 3 R . ) ; 23, 138, 25-32 ( D a ß diese Wort Christi . . . 1 5 2 7 ) ; 23, 733, 2 - 1 4 (Pred. 1 5 2 7 ) ; 28, 487, 9-29 (Wochenpred. über Joh. 16-20 1 5 2 8 - 2 9 ) ; 29, 3 6 1 , 2 - 1 4 (Pred. 1529 R . ) ; „Das eben dieser mensch der rechte warhafftige Gott und
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allererst die persönliche Einheit von vere homo mid vere Deus in Christus Gültigkeit haben, so daß „die gantze gottheit personlich wesenlich ynn yhm auff erden ist". Gott ist allgegenwärtig, nicht nur in Christus, sondern in allem Geschaffenen, aber dort nur spiritualiter. In Christus dagegen, betont Luther, wohnt die ganze Gottheit corporaliter und substantialiter, so daß man daher von ihm zum Unterschied von anderen Wesen sagen muß, „nicht alleine, das Gott ynn yhm ist, sondern also, Christus ist Gott selbs" Um die Einheit zum Ausdruck zu bringen, bedient sich Luther mehrerer Gleichnisse, die in verschiedenen Zusammenhängen eine etwas unterschiedliche Deutung erhalten. Ein solches ist das Bild von der Sonne und dem Sonnenstrahl, der durch ein Glas, ein farbiges Fenster, leuchtet. Zuweilen will Luther damit nur ganz allgemein veranschaulichen, wie das Göttliche durch Christi menschliche Natur in die Menschenwelt hineinleuchtet, wobei also seine Menschlichkeit ein Werkzeug der Gottesoffenbarung ist, ein Mittel, um Gott zu begegnen!0. Das ist dann eine Parallele zu Luthers Mahnung, von unten anzufangen und dort zu verharren bei dem Gott, der in Christus offenbart ist. Aber sehr häufig behandelt Luther dieses Gleichnis, weil es gern von alten und neuen Arianern, Manichäern und Sabellianern verwendet wird. Er polemisiert gegen die doketische Vorstellung, daß Christus nur durch den Leib der Mutter hindurchgegangen sein sollte wie ein diffuses „gespenst", „wie der sonnenglantz durch das glas, so die färb mit sich nympt, ist aber nicht glas". Gottes Sohn muß dieser Auffassung nach über Körperlichkeit, Sinnlichkeit und Sünde erhaben sein21. Der Glanz der Sonne scheint durch ein farbiges Glas, und so geht, meint man, Jesus durch Maria hindurch nur wie ein Schein oder ein Schatten, ohne von ihrer Fleischlichkeit berührt zu werden. Dann aber leugnet man die Menschlichkeit Christi und macht Luthers Ansicht nach auch Christi Heilswerk zu einer Illusion. Unter solchen Umständen von einer eigentlichen Einheit der Person zu sprechen, ist ja sinnlos Diesem gegenüber betont Luther unablässig, daß die Empfängnis keine „conceptio spiritualis" war, daß Jesus ein „carnalis filius" war23, daß er zwar sündlos geboren wurde, daß er aber dennoch ausser im kein Gott sey, Und wo das kindlin jnn der wigen odder der mutter an armen und brüsten ligt, da sey Gott wesentlich und personlich", 37, 43, 3-41 (Pred. 1533); „Extra istam imaginem nullus deus", 46, 251, 1 (Pred. 1538 R.]; 46, 761, 1-30 (Ausleg. des i. und 2. Kap. Joh. 1538) und vielmals. " 46, 250, 18-21 (Pred. 1538 R.]; 23, 138, 31-140, 29 (Daß diese Wort Christi . . . •527]· 20 i o I : i , 223, 21-224, 8 (Kirchenpostille 1522). " 17 II, 312, 23-27 (Festpostille 1527); „Manichaeus, quod non verus homo, quia weibs bild ist unrein. Sol Gott sich inn ein weibsbild sencken? Ideo nichts anders, nisi quod per Mariam komen ut sol per vitrum, sed nihil accepit ab ea, fleisch, blut. Ideo non eius filius, non lactavit, quia est gespenst, et ambulavit in terris ut gespenst", 46, 135, 35-136, 2 (Pred. 1538 R.). " 46< 555, 21-31 und 633, 23-35 (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1537); ib. 229, 11-230, 2 (Pred. 1538 R.]. " 45, 48, 20-25 (Pred. 1537 R.); „facta gravida utero i.e. In deiner mutter, das ist natur-
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„veram carnem et sanguinem de virgine" hatte. Er kam - von dieser Deutung ausgehend - nicht „ut sol per vitrum" oder „ut gespenst per maur" 21. Andererseits kann man eine gewisse Einheit in der Person Christi erreichen, indem man zwar seine wahre Menschlichkeit anerkennt, ihn dafür aber seiner Göttlichkeit beraubt oder deren Umfang begrenzt. Gegen derartige arianische und dynamistische Tendenzen kann Luther das Beispiel von der Sonne und den Sonnenstrahlen auf eine positivere Art verwenden, wenngleich er bekennt, daß es unvollkommen ist. Die Arianer aberkannten Christus nicht die Göttlichkeit, aber sie war von einer anderen, niederen Art, von anderem Wesen als der Vater, „sicut solis radius coaetemus ei est, sed non ideo est sol ipse" Aber Luther weist hin auf die Distinktion zwischen Wesen oder Natur und Person. Der Vater und der Sohn sind von demselben göttlichen Wesen, aber sie sind verschiedene Personen in dieser einen Gottheit. „Relative ad Creaturas" tritt die Einheit im Wesen Gottes hervor, aber „inwendig der Gottheit" muß man zwischen den Personen unterscheiden 2 \ Die Sonne und der Sonnenstrahl sind nicht identisch, so wie das Abgebildete und das Bild, das Petschaft und der Wachsabdruck nicht dasselbe sind und wie der Vater und der Sohn zwei getrennte Personen sind. Aber die Analogien sind, wie gesagt, unvollkommen. Sie können nur den Unterschied der Person ausdrücken, nicht aber die Wesenseinheit Der Sohn ist vom Vater in Ewigkeit geboren, das verbum geht aus dem Munde Gottes hervor, und der Sonnenstrahl kommt von der Sonne, und gleichwohl haben sie dieselbe Natur: „tarnen mansit in eadem substantia" Es ist nicht der Vater, der vom Sohne ausgeht, genau wie die Sonne nicht ihren Ursprung im Sonnenstrahl hat; aber der Vater und der lieh ding. Das sagt Engel deutlich er aus. Non dicit: Sie wird in spiritu, aut deus transibit per earn ut scheme per vitrum. Ideo natur und blutstropffen, die dazu gehören, heisst schwanger. Drumb Christus non est gespenst", 46, 229, 17-230, 2 (Pred. 1538 R . ) . * Ib. 135, 35-137, 8 (R.). " i , 21, 29-31 [Sermone 1 5 1 4 - 1 7 ) . 45, 288, 33-289, 9 (Pred. 1537 Dr.); „Nach der Person sind Vater und Son unterscheiden, Aber nach dem Wesen sind Vater und Son einig und unzertrennet", ib. 279, 14-16. 27 Siehe wichtige Textabschnitte: IOI:I, 153, 1 9 - 1 5 7 , 15 (Kirchenpostille 1 5 2 2 ) ; i r , 225, 1 2 - 2 5 (Pred. 1523 R.); 17 II, 314, 1-21 (Festpostille 1 5 2 7 ) . - Über Christus als imago Dei siehe oben in Kap. I B:i, Anm. 33; „Christus ist das Ebenbilde Gottes, Das ist: Christus ist Gott dem Vater in aller masse eben und gleich und warhafftiger, ewiger Gott", 45, 275, 25 f. (Pred. 1537); siehe ferner ib. 277, 34-279, 13; IOI:I, 156, 1 - 1 4 , *57, 9 - I 5 (Kirchenpostille 1522); 39 II, 296, 20-297, 3 (Prom. disp. von Major und Faber 1544). 28 39 II, 21, 3 3 - 3 5 (Verbum caro factum est 1539 C . ) ; 11, 225, 24 f. (Pred. 1523 R.); 17 II, 314, 23 f. (Festpostille 1527). - Christus als verbum Dei ist für Luther das christologische Hauptthema vor anderen; er betont einmal die Einheit: das Wort war Gott, zum anderen den Unterschied: das Wort war bei Gott (Joh. 1, 1 - 2 ) . Der Sohn ist nicht der Vater, „et tarnen non alius Deus", und andererseits: „tarnen distineta persona". „Inwendig" m u ß man genau den Sprecher vom Wort scheiden, „auswendig" aber sind sie ein Gott, Christus ist „verus Deus cum patre". Siehe hier u.a. die schöne Weihnachtspredigt 1514, i , 20 ff.; i o I : i , 183 f f . (Kirchenpostille 1522); 11, 224 f. (Pred. 1523 R.); 17 II, 314 f f . (Festpostille 1527); 46, 531 f f . (Pred. 1538 R.); 46, 546 f f . (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1537); 54, 54 f f . ( V o n den letzten Worten Davids 1543). ä
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Sohn sind von demselben ewigen göttlichen Wesen, „wie der glantz tzugleych mit und ynn und an der ssonnen ist" Allen Häresien hält also Luther entgegen, daß Christus ein Mensch ist, der nicht nur mit göttlicher Kraft und hohen geistlichen Gaben ausgerüstet ist, sondern in dem „tota deitas corporaliter" wohnt s o ; die ganze Gottheit " 10 I:i, 153, 19-154, 6 (Kirchenpostille 1522); 45, 277, 25-32 (Pred. 1537). - Einerseits sagt also Luther: mus ich gleuben, das er warhafftiger Gott sey, gleich so hoch, mechtig, ewig, allmechtig als der Vater . . . " , 37, 40, 38-41, 5 [Pred. 1533), andererseits aber ist ihm der Vater „der ursprung oder quelle", von der der Sohn, das verbum, avisgeht. Viele Forscher haben in diesen Gedankengängen Luthers eine Äußerung der Subordinationstheorie sehen wollen, man muß indes beachten, daß Luther nicht von über und unter, vor und nach in räumlichem oder zeitlichem Sinn spricht, sondern nur die innertrinitarischen Relationen erklären will. Der ursprünglichste und bekannteste Vertreter des Gedankens einer „Unterordnung des Sohnes unter den Vater" bei Luther, ist Holl, siehe 1921, 63 f . und vor allem die erweiterte 2. A u f l . 1923, 69-72. Christus wäre für Luther ein Werkzeug des Erlösungswerkes Gottes, meint Holl, der auch ein weiteres Zeichen der Subordination Christi darin sehen will, daß Christi Werk in der Ewigkeit aufhören wird, nach 1. Kor. 15, 24. Auch Aulen behauptet in deutlichem Anschluß an Holl, daß man bei Luther einen klar hervortretenden subordinatianischen Zug finden könne (1930, 181 f . ) . Andererseits legt Holl großes Gewicht auf die, wie er meint, modalistische Haupttendenz bei Luther, und als ein Beispiel zeigt er auf, wie Luther die Einheit der drei Personen so betonen kann, daß er Christus „Herr Zebaoth" und „Jehova" nennt und damit, Holls Meinung nach, die Personen ohne Unterschied zusammenmischt. Z u diesem Modalismus Luthers würde dann der subordinatianische Gedankengang als ein Korrektiv hinzukommen. Doch komme Luther in seiner Christologie dem Monophysitismus nahe. Hierzu muß kurz Folgendes gesagt werden. In bezug auf den sog. Modalismus ist es ja offenbar, daß Luther, wenn er Jesus den Titel Herr Zebaoth zulegt, keineswegs den Vater und den Sohn identifiziert hat, sondern nur die wahre Gottheit Christi etwas zugespitzt betont. V g l . in Kap. II A : i , Anm. 30 f f . mit Kontext. Der Subordinationsgedanke würde am ehesten eine gewissermaßen niedere Göttlichkeit bedeuten, worauf, nach Holl, das nestorianische Schlagwort „Werkzeug" deuten würde. Die Unterordnung gälte dann nur der Person, was bei Luther nicht nur eine Sprengung der Dreieinigkeit bedeutete, sondern auch eine Gefährdung der wahren Göttlichkeit Christi - und zwar in einer arianischen Richtung! Aber wenn Holl die Aufmerksamkeit auf das .Aufhören des Werkes Christi in der Ewigkeit" richtet, unterstreicht er auch die Unklarheit seines eigenen Gedankenganges. Denn die Subordination gründet sich nicht auf irgendeine Einschränkung der göttlichen Qualitäten der Person u.dgl., sondern sie hat ihren Sinn in dem Knechtstand dieser göttlichen Person und gilt also nur in bezug auf Christi Werk. Siehe femer unten in Kap. II B:2. - Vgl. auch Torsten Bohlin 1927, 201 ff., wo er die Hollsche Lutherdeutung in diesem Punkt untersucht und kritisiert. Er behauptet u.a., daß Luther wirklich zwischen Christi Amt als in gewissem Sinne dem Vater untergeordnet, und Christus selbst, als der dem Vater gleichen Person, unterscheidet (209 f . ) . Diesen Amtsgesichtspunkt finden wir z.B. auch bei Brunner 1947, 316 f., der vom Mittler - „als beiden Seiten angehörig" - sagt, daß er „zugleich mit Gott über den Menschen und mit den Menschen unter Gott" stehe. Siehe hierzu Prenter 1954, 183 f., mit der harten Kritik an Holl, bes. Anm. 25, 356 f., und E. Seeberg II 1937, 14, ders. 1940, 86 f f . , wo er meint, daß die subordinatianischen Züge, die bei Luther zu finden wären, „durch einen altertümlichen und frommen Modalismus" korrigiert würden (88). Diese häufige Tendenz, Ketzertermini bei der Charakteristik der Theologie Luthers zu verwenden, ist in der Tat sehr verdächtig: gebraucht man sie nicht zu schablonenmäßig und ohne ihnen einen adäquaten Sinn zu geben? Vgl. wie Watson 1952, 152 f., gerade Holl für seine Art kritisiert, ohne weiteres diese traditionelle Terminologie auf Luther zu beziehen. 30 46, 250, 18-251, 4 (Pred. 1538 RO; 37, 4°6, 29-407, 7 (Pred. 1534 R.); 45, 49, 9-15 12 - Nilsson
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ist in Christus, nicht nur als eine Kraft, sondern „wesentlich". Göttliche Natur und menschliche Natur sind weit voneinander getrennt und können niemals miteinander identifiziert oder ineinander verwandelt werden, aber trotz dieser bewahrten Integrität sind sie in Christus so intim vereinigt, daß man sie niemals auf irgendeine Weise voneinander zu trennen vermag, so wie man auf einer sonnenbeschienenen Fensterscheibe nicht den Sonnenglanz vom Glase trennen kann. So kann Luther schließlich dieses Gleichnis auch für die Einheit als solche benutzen Hier müssen wir uns also zwei Aspekte vor Augen halten, den trinitarischen und den christologischen. Denn für Luther gilt: i . Christus ist nur eine Person von dreien in der Gottheit, aber aufgrund der Einheit im Wesen Gottes ist er totus et verus Deus, Sohn von gleichem Wesen wie der Vater, und: 2. Er ist scheinbar nur Mensch, aber aufgrund der Einheit in der Person Christi ist er zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch. Den Inhalt dieser paradoxen Sätze müssen wir nun aufs neue behandeln, wenn wir die communicatio idiomatum und die Einheit von Göttlichem und Menschlichem in Christus verstehen wollen. Das Irrationale der Lutherschen Gottesauffassung zeigt sich nun zunächst darin, daß jede Gottheitsperson ihm zufolge „die gantze gottheyt" hat, so daß Gott in seiner Ganzheit mit der menschlichen Natur vereint ist, was jedoch der Vater und der Geist nicht sind, obgleich sie zusammen nur ein Gott sind *2. U m Luther zu verstehen, wenn er die Sätze „totus Deus in patre" und „totus Deus in verbo" betont, ist es nötig, die wichtige Distinktion zwischen „essentia" und „persona" z u beachten und deutlich zu betonen. Aufgrund der „unitas essentiae" kann man nur von einem Gott, aber drei Personen sprechen. Luther macht einen Unterschied zwischen „quicquid", das ist das, was Gott ist, das Göttliche, und „quisquis", das ist der, welcher Gott ist, die Gottheitsperson, denn „quicquid" bezeichnet essentialia und „quisquis" personalia. Der Vater ist Gott, der Sohn ist Gott, Gott ist der Sohn und Gott ist der Vater. Dagegen ist es unmöglich, so zu argumentieren: der Vater ist Gott und der Sohn ist Gott, also ist der Sohn gleich dem Vater. Das ist der Fehlschluß des Sabellius, der eine Vermischung der essentialia und der personalia bedeutet. W e n n Jesus in Joh. 10, 30 sagt: „Ich und der Vater sind eins", sagt er, meint Luther, „unum" und nicht „unus", denn unus würde bedeuten, daß der Vater und der Sohn als eine einzige Person identifiziert würden. Spricht man von essentia, soll man neutrale Begriffe benutzen, wie „quicquid", „unum" und „aliud", aber meint man persona, hat man sich an das Maskulinum zu halten: „quisquis", „unus" und „alius" 33. (Pred. 1537 R.) und an mehreren Orten. 46, 420, 28 f. [Pred. 1538 Stoltz). 32 So sehr oft, z.B.: „denn es ist yhe ubirauss tzu hoch der vornunfft, das drey person seyn sollen und eyn igliche sey volkomlich und der gantz eynige gott, und seyen doch nit drey gotter, ssondernn eyn gott", IOI:I, 193, 7-9 (Kirchenpostille 1522); 49, 235, 6-239, (Pred. 1541 R.}; 54, 157, 35-158, 9 (Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament 1544]; häufig in „Von den letzten Worten Davids" 1543. " Siehe wieder die Weihnachtspredigt 1514, 1, 21, 32-22, 7, und ferner die Disputa31
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D a nun also die ganze Gottheit in Christus ist, kann man sagen, daß im Jesukind die ganze Dreieinigkeit zu finden ist, denn „ubi una persona, ibi alia". Andererseits aber gilt auch: „solus Christus non est tota trinitas", denn was von Christus ausgesagt wird, daß er Mensch geworden ist, gelitten hat und gestorben ist, gilt nicht vom Vater und vom G e i s t D e n n o c h gibt es keinen Gott außerhalb Christus. Das Entscheidende ist immer der Unterschied zwischen essentia und persona, Neutrum und Maskulinum. Diese Distinktion ist auch wichtig, wenn Luther den Unterschied zwischen „geboren" und „geschaffen" betont: Christus ist von Ewigkeit geboren und nicht geschaffen und muß Gott sein, weil, was vom Vater ausgeht, dasselbe Wesen haben muß wie er Der Sohn ist vom Vater geboren, so wie das Abbild seinen Ursprung in dem hat, was es abbildet, und das Wort den seinen im Herzen des Sprechenden. Es ist nicht G o t t in seiner Ganzheit, essentia oder trinitas, der gebiert, sondern der Vater, eine der Personen innerhalb des Gottheit. Sowohl der Vater wie der Sohn gehören zwar zur essentia Gottes, und daher kann man nur „relative" von einer Geburt aus dem Wesen Gottes sprechen, aber nicht „absolute", da sowohl die „essentia gerans" wie die „essentia generata" innertrinitarische Relationen ausdrücken **. Dieser Unterschied von Personbegriff und Naturbegriff ist die für diesen Abschnitt entscheidende Distinktion. Wörter wie Deus und homo bezeichnen die Person in concreto, während divinitas und humanitas neutrale, abstrakte Begriffe sind, die essentia und natura ausdrücken. Hieraus folgt, daß die divinitas einmal dem Personenbegriff übergeordnet ist, denn das Wesen Gottes besteht aus drei Personen, und zum anderen untergeordnet, denn die zweite Person ist eine Vereinigung von zwei Naturen, göttlicher und menschlicher. Christus ist also als Person vere Deus und hat als seine Natur divinitas. Der Person-bildende Faktor ist der Logos, „verbum divinum et increatum", der in sich menschliche Natur, humanitas, aufgenommen h a t I n anderen Zusammenhängen, in der Philosophie, ist homo das, was eine menschliche Person konstituiert, aber in der Theologie, wenn es sich um Christus handelt, ist die Person göttlich Homo und humanitas tionen: 39 II, 18, 4 f . , 30, 9-12 (Verbum caro factum est 1539); 39 II, 110, 2-15 (Disp. de divinitate et humanitate Christi 1540 A . ) ; 39 II, 314, 17-20 (Prom. disp. von Major und Faber 1544). 31 46, 423, 16 f. (Pred. 1538 R.); 47, 89, 34-36 (Ausleg. des 3. und 4. Kap. Joh. 1538); 39 II, 279, 26-33 (Prom. disp. von Fabricius und Rapagelanus 1544). 35 45, 283, 20-29, 285, 21-29 (Pred. 1537); 28, 65, 22-28 (Wochenpred. über Joh. 16-20 1528-29); 46, 532, 2-9 (Pred. 1538 R.); „Duae personae: una gignens, altera genita", ib. 535, 15 f.; „Deus enim in aeternitate genuit: protulit et effudit verbum, quod tarnen mansit in eadem substantia", 39 II, 1, 33-35 (Verbum caro factum est 1539). *" Sehr klar ib. 18, 7 - 1 0 und ib. 317, 7 - 1 5 (Prom. disp. von Major und Faber 1544). 31 „Christus non est verbum mathematicum nec physicum, sed verbum divinum et increatum, quod significat substantiam et personam, quia verbum est divinitas. Christus est verbum divinum. Ergo est divinitas, id est, ipsa substantia et persona. Philosophice heist verbum sonus aut vox, sed theologice loquendo verbum significat filium Dei", 39 II, 103, 2-10 (Disp. de divinitate et humanitate Christi 1540 Α . ) . 3S Ib. 117, i 6 - i i 8 , 4 (В.); „homo in philosophia est persona subsistens, sed in theologia
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müssen begriffsmäßig auseinandergehalten werden, so daß man sagt, die göttliche Person habe menschliche Natur, humanitas, angenommen; darum ist sie homo. Hingegen kann man nicht sagen, diese Person sei in dem Sinne homo geworden, daß sie „humanam personam" angenommen hätte das würde bedeuten, daß Christus zwei Personen wäre: „Ergo recte dicitur: Verbum suscepit naturam humanam"". Er kam in menschlicher Gestalt, und diese Gestalt oder „forma" ist humanitas, während homo „subiectum cum forma" bezeichnet und der Person Christi in ihrer Ganzheit Ausdruck verleiht Christus ist also eine göttliche Person, in der menschliche und göttliche Natur eine unauflösliche Vereinigung eingegangen sind, vere Deus, da er die zweite Gottheitsperson ist und teilhat an Gottes substantia und divinitas, und vere homo, da diese zweite Gottheitsperson menschliche Natur angenommen hat. Denn Christus ist Mensch substantialiter, „wesentlich". Genau wie er nicht nur ein Bild oder eine Bezeichnung für Gott ist, sondern Gott ist seinem Vesen und seiner Natur nach, so ist er auch wirklich Mensch, nicht nur in seinem Aussehen und Auftreten, nicht nur in bezug auf Eigenschaften, Vernunft, Sinnen und Gefühle, sondern seiner Natur nach. Er hat menschliche substantia, seine Menschlichkeit ist essentiell, nicht nur akzidentiell. Auf die Gewißheit dieser wirklichen und totalen humanitas gründen sich Luthers Aussagen über Jesus als vere homo, denn nur der, dessen substantia wirklich humanitas ist, kann als Person Mensch genannt werden Wir haben somit zu beachten, daß es zwar für Luther unbestreitbar ist, daß Christus als Person göttlich ist und daß diese Person menschliche Natur angenommen hat und nicht menschliche Person, es jedoch aufgrund der untrennbaren Einheit - und aufgrund der communicatio idiomatum - ein ebenso unanfechtbares Faktum ist, daß der, der in seiner Ganzheit und als Person menschliche substantia hat, Mensch genannt werden kann. Substantia und natura, divinitas und humanitas, sollen hier nicht in einem modernen naturalistischen Sinne verstanden werden, sondern nur als ein Ausdruck dafür, daß etwas ist, das Substantielle im Gegensatz zum Akzidentellen. Das für Luther Entscheidende sind nicht philosophische Distinktionen oder ein metaphysisches Isolieren von göttlichem Sein und menschlichem Sein, vielmehr hängt alles daran, daß Christus einmal wirklich Mensch war, kein gut definiertes Wahngebilde in abstrakt statischem Sinn, sondern ein lebendiger Mensch, dem Gesetz unterworfen und im Kampf gegen die Tyrannen stehend, zum anderen, daß er wirklich Gott war, nicht in unendlicher Unnahbarkeit und Perfektion, sondern als derest quaedam divinitas in Christo. Ergo haec est proprietas verbi . . . Quod λόγο; sit persona, satis comprobant multi loci scripturae, qui tribuunt λόγι.> divinitatem", 39 II, 19, 8 - 1 2 [Verbum caro factum est 1 5 3 9 ) . 3 * 39 II, 1 1 4 , 2 2 - 1 1 6 , 1 3 (Disp. de divinitate et humanitate Christi 1540 Α . ) . " Ib. 1 1 6 , 4 - 7 ( В . ) . " „Homo non potest existere sine humanitate", ib. 1 1 6 , 10 f. ( B . ] ; 39 II, 30, 2 8 - 3 0 С Verbum caro factum est 1 5 3 9 ] .
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jenige, welcher durch seinen göttlichen Liebeswillen und seine Selbsthingabe die Menschkeit erlöst. Aber gerade weil Luther diesen Richtpunkt hat, muß er auch darlegen, was es bedeutet, daß Christus göttliche und menschliche Natur hat, und daß diese in einer unauflösbaren Einheit vereinigt sind. „Secundum humanitatem" ist Christus verus homo und creatura Dei, aber man darf deshalb nicht wie Arius behaupten, daß Christus ganz einfach creatus sei, denn „secundum naturam maiestatis" ist er nicht geschaffen, sondern vielmehr selbst Schöpfer". Er verkörpert nicht eine auf eine neue Weise hervorgebrachte Menschenart, so wie Adam, der aus Erde oder Eva, die aus der Rippe des Mannes geschaffen wurden; er ist nicht, wie Manichäer und Gnostiker meinen, „ein Himlischer Mensch" sondern er ist ein natürlicher Mensch von Fleich und Blut, ,/actus in utero virginis Mariae", er ist geboren „ex ea" und nicht nur „per eam"". Zwar unterscheidet sich Jesus von anderen Menschen darin, daß er ohne Sünde ist, „ein reiner mensch", aber er hat trotzdem eine gewöhnliche menschliche und geschaffene Natur. Sündlosigkeit und Kreatürlichkeit, Leiblichkeit, schließen einander, der Sündenauffassung nach, die für Luther charakteristisch ist, nicht aus. Christi Fleisch ist von geistlicher Art, nicht im Sinne der Schwärmer, als wäre er „ein wesen, das kein fleisch noch bein hat", sondern in der Bedeutung von Heiligkeit, Reinheit und Unschuld. Das besagt für Luther keineswegs einen Gegensatz zu einer konkreten und realen Leiblichkeit, denn das Fleisch schließt die Gegenwart und das Wirken des Geistes nicht aus. Obschon also Christus keine sündige, adamitische Menschlichkeit besitzt, ist seine humanitas gleichwohl eine wirkliche, substantielle Hier ist es wichtig, die Naturen auseinanderzuhalten: „dicamus Christum creaturam secundum humanitatem et creatorem secundum divinitatem" Und dennoch ist auch die Einheit ein Faktum, ein unbegreifliches, aber für den Glauben unentbehrliches Faktum. Schöpfer und Geschöpf tauschen die Rollen, Gottes Sohn ist „tarnen simul homo", der Schöpfer " 37, 2, 17-38 (Pred. 1533 R . ) ; 39 II, 94, 1-4 (Disp. de divinitate et humanitate Christi. Thesen 1540] und sonst häufig. " 46, 522, 28-523, 32 (Pred. 1538 Stoltz); ib. 554, 10-32 (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1537 Dr.). " „Christus enim, in quantum est homo, est creatura. Non enim habuit humanitatem a principio, sed creatus, factus et comparatus est in utero virginis Mariae, natus ex ea, non per eam, ut Sabellius somniavit. Cum enim Christus est homo, ut scriptura plurimus in locis testatur, et homo creatura Dei est, necesse est, Christum, quatenus est homo etiam esse creaturam Dei, nisi forsitan vultis, Christum non assumpsisse carnem humanam, id quod est apertissima blasphemia", 39 II, 31, 29-35 (Verbum caro factum est 1539). " 351, 30-36 ( V o m Abendmahl Christi 1528); 45, 18, 18-19, 3 (Pred. 1537 R.). " 39 II, 99, 24 f. (Disp. de divinitate et humanitate Christi 1540). Vgl.: „Christus secundum quod homo, vel secundum humanitatem, vel humanitate, vel per humanitatem, vel in humanitate est creatura, quam quod habet creaturam vel assumpsit creaturam humanam, vel, quod simplicissimum est, humanitas Christi est creatura", ib. 96, 16-20 (Thesen).
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„eine creatur" 47. Das ist eine klare Konsequenz der communicatio idiomatum: „creator et creatur a unus et idem est" Schöpfer und Geschöpf, Gott und Mensch, Ewigkeit und zeitlich begrenzte Existenz, Leben und Tod sind Gegensätze die in Christus zu einer Einheit vereinigt sind. Er ist von Ewigkeit und in der Zeit geboren, „tarnen est idem filius" Er stirbt als Mensch und lebt dennoch als Gott, denn er ist „Rex simul mortalis et immortalis". Betrübnis, Kreuz und Tod kommen ex humanitate, und Friede, Freude und Leben ex divinitate, aber nicht so, als ob hier zwei parallele Linien verliefen, die sich niemals schneiden, sondern vielmehr: „mors absorbetur in vita, et immortalitas Dei devorat mortalitatem hominis". Christus stirbt in seiner Ganzheit am Kreuz, aber gleichwohl ist er „simul vivens tota persona" Es ist also für Luther charakteristisch, daß er zuerst widerspruchsvolle Sätze, die einander auszuschließen scheinen, aufstellen, dann aber wieder sein „tarnen" und „simul" sagen und den totus-Aspekt betonen kann: „das Christus ein einige, unzertrennete Person sey und doch zwo Naturn hab" 52. Ermöglicht wird ein derartiger Gedankengang durch die communicatio idiomatum, denn durch sie ist die Relation zwischen Göttlichem und Menschlichem nicht mehr ein Parallelitäts- oder Nacheinander-Verhältnis, sondern erhält den Charakter einer paradoxen Gleichzeitigkeit der Gegensätze, die Ernst machen will mit der Einheit und Ganzheit und doch zugleich beiden Komponenten unverkürzte Gültigkeit belassen. So wie Tag und Nacht zusammengehören und ein Mensch sowohl eine Vorder- wie eine Rückenseite hat, kann Luther sagen, daß Christus eine unauflösliche Einheit von Mensch und Gott ist Aber diese Einheit bedeutet nicht irgendeine Verwandlung, transsub" 4, 248, 20-27 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; 11, 76, 16 f. (Pred. 1523 R.); 37, 43> 35 - 45> 2 [Pred. 1533); siehe dazu auch viele Belege in den Disputationen, w o dieses Thema sehr beliebt ist, z.B.: „Theologia, incarnatio, iustificatio sunt supra et extra rationem et philosophiam", 39 II, 13, 28 f. (Verbum caro factum est 1539 В.). ** 39 II, 105, 4-7 (Disp. de divinitate et humanitate Christi 1540 А . ) ; „O das ist ein lecherlich ding, das der einige Gott, die hohe maiestet solt ein mensch sein, Und kompt hie zusamen beide, Creatur und Schepffer, jnn eine person", 37, 42, 3 3 - 3 5 (Pred. 1 5 3 3 ) . " и , 330, 5 - 1 3 [ D a ß Jesus Christer ein geborner Jude sei 1 5 2 3 ) ; 17 I, 154, 14-28 (Pred. 1525 R.); 23, 120, 7 - 1 5 ( D a ß diese Wort Christi . . . 1 5 2 7 ) . 50 45, 245, 23-246, 21 (Pred. 1537 Dr.); 40 III, 708, 19-30 (Enarratio 53. cap. Esaiae [ * 5 4 4 ] 1550]. " 4» 33» 36 f- (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; 4, 645 f f . , 650, 9 - 1 5 (Sermone 1514г о ) ; 45, 436, 15-20 (Conciunculae quaedam . . . 1 5 3 7 ) . 52 45, 246, 2 1 - 2 7 (Pred. 1537); 37, 654, 14 f. (Pred. 1534) und unzähligemal. Vgl. die bekannte simul-Stelle in Operationes in Psalmos, 5, 602, 21-603, 1 ( 1 5 1 9 - 2 1 ) - siehe im nächsten Abschnitt - und noch einmal die frühe Predigt: „sicut verbum Dei caro factum est, ita certe oportet et quod caro fiat verbum. N a m ideo verbum f i t caro, ut caro fiat verbum. Ideo Deus fit homo, ut homo fiat Deus. Ideo virtus fit infirma, ut infirmitas fiat virtuosa. Indult formam et figuram nostram et imaginem et similitudinem, ut nos induat imagine, forma, similitudine sua: ideo sapientia f i t stulta, ut stultitia fiat sapientia, et sie de omnibus aliis, quae sunt in Deo et nobis, in quibus omnibus nostra assumsit ut conferret nobis sua", 1, 28, 2 5 - 3 2 (Sermone 1 5 1 4 - 1 7 ) . 55 3, 134, 28-30 und 604, 3 4 - 3 7 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) .
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stantiatio oder transmutatio, denn Christus ist verus und wesentlich sowohl als Gott wie als Mensch. Der Gerechte wird Sünder, der Gesegnete wird verflucht, der Allmächtige schwach, „verbum caro factum est", aber ohne Verwandlung und Vermischung substantialiter Andererseits polemisiert Luther ständig gegen die nestorianische Tendenz, jede der beiden Naturen so abzutrennen und zu isolieren, daß man in Wirklichkeit von Christus als von zwei Personen spricht. Es verhält sich nicht so, daß Gott eine Person ist und der Mensch eine andere, sondern „Got ist Mensch, Mensch ist Got in einer person unzertrennet. Gottes kind und Menschen kind ist ein kind" Sonst würden Natur und Person als Begriffe vermischt, die Einheit in Christi Person unmöglich gemacht und die Seligkeit der Menschen aufs Spiel gesetzt werden. Christus hat „duas nativitates" und „duas naturas", ist aber nicht „duae personae, duo filii" Er ist „verus deus et homo et tarnen una persona", er ist natürlicher Mensch und „tarnen simul" Herr über alles und alle Unsere Untersuchung von persona, substantia und natura führte zu einer Betonung einmal der Einheit, Gleichzeitigkeit, Ganzheit, zum anderen des Unterschiedes, des Gegensatzes von Göttlichem und Menschlichem, des jeder der Naturen Eigentümlichen, das auch in der unauflöslichen Vereinigung in Christus Bestand hat. In „Vom Abendmahl Christi" behandelt Luther eingehend die Frage, wie man den Charakter der Einheit recht zu verstehen h a t G o t t und Mensch sind ferner voneinander als Himmel und Erde und schließen einander mehr aus als „brod und leib, fewr und holtz, odder ochs und esel". Dennoch sind „zwo so unterschiedliche natur" in, wie Luther hier sagen kann, einem Wesen vereinigt. Nun erscheint es ja Luther unmöglich, daß die zwei Naturen substantialiter vereinigt waren, so daß sie „einerley wesen nach den naturn" würden, denn solch „wesentlicher einickeit" würde eine Verwandlung voraussetzen, und das würde wiederum die „wesentlichkeit" der Naturen aufheben. Eine unio substantialis wird also verworfen, dagegen muß aber eine unio personalis gelten, denn wenn auch die Naturen nicht ineinander zu einer neuen Substanz aufgegangen sind, „so ists doch einerley wesen nach der person". Luther benutzt also zuweilen auf eine uneigentliche und etwas verwirrende Weise das Wort Wesen in der Bedeutung Person neben der üblicheren und rich54 „Nam пес verbum ita factum est caro, quid se deseruerit et in carnem mutatum sit, sed quod assumsit et sibi univit carnem qua unione поп tantum habere dicitur carnem, sed etiam esse caro", i, 28, 36-39 [Sermone 1 5 1 4 - 1 7 ] . " 47, 635, 8-16 (Pred. 1539 R.). 66 40 III, 708, 15-22 [Enarratio 53. cap. Esaiae [1544] i55°3; 4 6 , 39°/ 9 (Pred.
1538 R.]·
37, 9, 8-17, 97, 1-16, 234, 13-24 [Pred. 1533 R.]; ib. 388, 1-7 (Pred. 1534 R.); 45, 5 1 , 29 f. (Pred. 1537 R.); „ipse indutus carne et sanguine nostro, homo inter homines conversatur, et tarnen deus est . . . Noster salvator Christus ist ein mensch mit uns, et tarnen deus", „naturlicher samen et tarnen Davidis herr . . . filius Davidis et tarnen sedet 57
in sede dei", ib. 49, 27-31, 155, 9-13. 58
W i r werden hier hauptsächlich der Darstellung in „Vom Abendmahl Christi" 1528, 26,
440-444, folgen.
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tigeren Bedeutung Natur Das geschieht wohl am ehesten um der Sache willen, um also den unauflöslichen Charakter der Einheit stärker hervorzuheben, wenngleich Luther sich darüber im klaren ist, daß er sich eine begriffsmäßige und logische Unklarheit zuschulden kommen läßt. In der Christologie erwähnt Luther also eine „personliche einickeit", in der Trinitätslehre dagegen gilt eine „natürliche einickeit", eine Wesenseinheit. Christi Menschlichkeit kann nicht wesentlich, wohl aber persönlich Gott sein, da sie „an den wesentlichen Gott reicht und klebt, und ist, da Gott i s t " D i e s e s Faktum ist Ausdruck der communicatio idiomatum: da die menschliche Natur mit der göttlichen in einer einheitlichen Person vereinigt ist, können göttliche Prädikate auch der menschlichen Natur beigelegt werden - aber nicht substantialiter, denn das würde bedeuten, daß die menschliche Natur nicht mehr wirklich menschlich, sondern verwandelt wäre. Die Einheit, die zwischen dem Engel und seiner „gestalt", der Flamme, oder zwischen dem Heiligen Geist und der Taube herrscht, ist weder wesentlich, natürlich noch persönlich, sondern nur „formlich", betont Luther ferner, da es dem Geist gefiel, sich in einer solchen Form zu offenbaren, oder „wirklich", da der Engel und seine Gestalt eins sind in bezug auf das Werk, das sie ausführen. Luther zufolge haben wir es mit einer weiteren Art von Einheit im Abendmahl zu tun, der Einheit des Brotes und des Leibes Christi, die als „Sacramentliche" bezeichnet wird. Diese Frage der „Einickeit" zeigt eigentlich aufschlußreich, wo in Luthers doppelter Frontstellung Rom und Zwingli gegenüber die Trennungslinie verläuft. Während die „Sophisten" den „Engel on gestalt" und „den heiligen geist on die taube" betonten, und die Schwärmer, deren rationalistische Einstellung hier etwas inadäquat von Wicliff repräsentiert wird, nur „gestalt on Engel" und „taube on den heiligen geist" sehen wollten, sagt Luther: „wir sagen widder beyde teil, das, so man auff die taube zeigt, recht und wol spricht, das ist der heilige geist". Diese drei Standpunkte könnten durch die Schlagworte: transsubstantiatio, alloiosis und communicatio idiomatum charakterisiert werden. Zwar sind Brot und Leib, Taube und Geist, Gott und Mensch vom rein logischen Gesichtspunkt „unterschiedliche naturn", aber man soll, meint Luther, „auch die Grammatica hören", denn wenn „zwey unterschiedliche wesen ynn ein wesen komen", muß man auch „mit einer rede" von beiden als von einer Person sprechen - was sich als eine Art, die communicatio idiomatum auszudrücken, bezeichnen läßt: „Der mensch ist Gott, der Gott ist mensch, Die taube ist der heilige geist, Der heilige geist ist die taube, Der wind odder diese flamme ist der Engel, Der Engel ist die flamme, Das brod ist mein leib, Mein 58
Eine der problematischsten Stellen in diesem Zusammenhang lautet: „solche unterschiedliche naturn so zu samen komen ynn eins, warhafftig ein new einig wesen [ = P e r son] kriegen aus solcher zu samen fugung, nach welchem sie recht und wol, einerley wesen heissen, ob wol ein iglichs f u r sich sein sonderlich einig wesen [ = N a t u r ] hat", ib. 443, 29-32. Ib. 3 4 1 , 7 - 1 = ·
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leib ist das brod" Von diesem Gesichtspunkt sind also alle diese Vereinigungen gleich, denn das Gemeinsame liegt gerade in der Einheit, dann aber ist diese Einheit sozusagen in bezug auf Charakter und Haltbarkeit verschieden. Die Menschheit Christi ist nicht nur „ein schlecht zeichen oder ledige gestalt", wie das Verhältnis zwischen den Komponenten in einer „formlichen einickeit" sein könnte, die nur vorübergehend wäre und einem zeitlich begrenzten Zweck diente, sondern sie war mit der Gottheit „in eine Person vereiniget ewiglich", in einer unauflöslichen, „personlichen einickeit" Das ist die höchste denkbare Form der Einheit: „das ein mensch mit Gott eine person ist" ". Man kann Göttliches und Menschliches in Christus nicht so voneinander trennen, wie man Kern und Schale, Erbse und Schote voneinander trennt, sagt Luther, denn die Vereinigung ist enger als sog^r diejenige zwischen Leib und Seele oder zwischen „haut und fleisch", oder zwischen Feuer und Eisen in einem glühenden Eisenstück - letzteres i?t ein häufig verwendetes Bild. Daher gilt: „wo eines ist, da mus das ander mit sein", untrennbar und unauflöslich Doch wenn Luther so stark die Einheit betont, wird er naürlich von den Schwärmern angegriffen, die ihm vorwerfen, er vermische die Naturen. Aber das ist nicht wahr, sagt Luther: „Wir sagen nicht, das Gottheit sey menscheit odder gottliche natur sey menschliche natur. Welches were die natur ynn ein wesen gemenget, Sondern wir mengen die zwo unterschiedliche natur ynn ein einige person und sagen: Gott ist mensch und mensch ist Gott". Man bemerkt hier Luthers Distinktion zwischen Deus und divinitas, homo und humanitas, und zwischen unio substantialis und unio personalis. Der Vorwurf einer confusio und transmutatio, den die Schwärmer erheben, ist Luthers Meinung nach also unbefugt, er glaubt vielmehr einen Grund für die Behauptung zu ha"L Ib. 443, 12-28. „Hüt dich, Hüt dich, sage ich, fur der Alleosi, sie ist des teuffels larven . . . die alte wettermecherynn fraw vernunfft, der Alleosis grosmutter", ib. 319, 33 f., 321, 19 f. Vgl. G. Thomasius, Christi Person und Werk II, 2. Aufl. 1857, 307 ff., und später Gennrich 1929, 81, und von Walter 1940, 217 ff. Luther geht es in der Christologie immer darum: „Deus et Homo: summus et infimus, infinitus et finitus in una persona, evacuans et implens omnia", 43, 580, 23 f. (Vöries, über 1. Mose 1535-45). " 54. 63. 3 _ I 3 [Von den letzten Worten Davids 1543). " 26< 335, 11-13 [Vom Abendmahl Christi 1528). 64 Ib. 332, 33-333, 18. Ferner: .Also kanstu auch nicht die Gottheit von der menscheit abschelen und sie etwa hin setzen, da die menscheit nicht mit sey. Denn da mit würdestu die person trennen und die menscheit zur hülsen machen, ia zum rock, den die Gottheit aus und anzöge . ..", 333, 19-25. - Das Gleichnis vom glühenden Eisen ist eine „pulcherima similitudo", die in den Texten häufig wiederkehrt, auch in Zusammenhängen, die nicht primär christologisch sind, hier z.B. 26, 444, 12-20, 37, 642, 22-34 (Pred. 1534), 39 II, 95, 22-29 (Disp. de divinitate et humanitate Christi 1540. Thesen); das Bild ist auf eine charakteristische Weise in einer Predigt 1538 durchgeführt worden: „Wenn ein schmid eisen macht, bringt er feur und eisen in ein ding, qui ignem, ferrum attingit. Ibi zwey unterschiedlich wesen et tarnen ein ding, pro vulgo dienets. Sol scheinet per vitrum, et tarnen una res", 46, 420, 6-8 (R.); „Sicut ferrum ignitum cum igne, ita et humana cum divina natura est unita, et tarnen sunt diversa", ib. 420, 26 f. (Stoltz). Auf dieses häufige und für die communicatio idiomatum sehr aufschlußreiche Bild werden wir später hier und da zurückkommen.
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ben, daß Zwingli und seine Anhänger „die person Christi zur trennen als werens zwo personen". Luther formuliert seinen Standpunkt in diesem Zweifrontenkampf um die Einheitsfrage selbst z.B. folgendermaßen: „Drumb halten wir unsern herrn Christum also fur Gott und mensch ynn einer person non confundendo naturas nec diuidendo persona, das wir die naturn nicht mengen und die person auch nicht trennen" Im Zusammenhang mit der Erörterung der Personeneinheit wollen wir abschließend Luthers Gebrauch des Naturenbegriffs in christologischen Zusammenhängen darzulegen versuchen. Man darf Luther zufolge den Naturen keinen naturalistischen und methaphysischen Inhalt beilegen, sondern muß sie in einer dynamischen, beweglichen und lebendigen Weise definieren, so daß der Begriff Natur eigentlich die Bedeutung Werk erhält, menschliches Werk und göttliches Werk. Das bedeutet nicht, und das ist wichtig zu bemerken, daß Luther in irgendeiner Weise den Naturbegriff aus seiner Theologie eliminieren möchte. Insofern ist der Reformator und Neuerer vielleicht unerwartet konservativ, indem er an der traditionellen, der Scholastik entnommenen Terminologie festhält, deshalb ist aber die Bedeutung der Termini in Luthers Theologie nicht ohne weiteres gegeben ". Einerseits benutzt Luther erstaunlich kritiklos die üblichen Formeln, anderseits zeigt es sich, daß er ihnen Punkt für Punkt einen neuen Inhalt verleiht. Er zeigt zuweilen einen Widerwillen gegen mathematische und philosophische Bezeichnungen wie ομοούσιος oder „Dreifaltigkeit", einen Terminus, der unnütz oder geradezu „irreführend und falsch" ist. Solche Ausdrücke erscheinen ihm als „incommoda locutio" Aber im allgemeinen hindert das nicht, daß Luther nicht zuletzt in seinen Disputationen Begriffe wie persona, natura, communicatio usw. in einem scheinbar korrekten scholastischen Sinn verwendet. Das kann er tun, weil „omnia vocabula" in Christus eine „nova significatio" erhalten haben 6S . In formaler Übereinstimmung mit der Scholastik kann Luther daher betonen, daß Christus totus vere Deus und totus vere homo ist und er kann auch im Anschluß an die Enhypostasistheorie behaupten, daß die menschliche Natur in der göttlichen subsistiert e ". Aber er faßt die Person Christi nicht als die Summe zweier Naturen auf oder als „eine Nebeneinanderordnung zweier methaphysischer Substanzen" Die Naturen sollen nicht als " 26, 324, 1 - 1 7 ( V o m Abendmahl Christi 1528); vgl.: „Sed debemus credere et confiteri, quod illae duae naturae sunt unus filius, quia sunt iam unitae unione hypostatica, quandoquidem recte definitum est in concilio Chalcedonensi", 40 III, 703, 5 - 7 [Enarratio 53. cap. Esaiae [ 1 5 4 4 ] 155°}· ββ Siehe hierzu M. Lindström, Philipp Nicolais kristendomstolkning 1937, 210 f f . , von Engeström SvTK 1929, 29 f., und S. Cave, The Doctrine of the Person of Christ 1952, 1 4 1 ff. " 39 II, 96, 2 (Disp. de divinitate et humanitate Christi. Thesen 1540); 46, 436, 5 - 1 7 (Pred. 1538 R.). Vgl. A . von Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte III, 4. A u f l . 1910, 859 f. es 39 II, 94, 17 f. (Disp. de divinitate et humanitate Christi. Thesen 1540); von einem Gesichtspunkt aus ist das für die Reformation von Anfang an kennzeichnend: die Wörter bekommen einen neuen Sinn; vgl. Rupp 1953, 81 f f . , 1 0 1 . " 3 9 " , 95, 34 f· 70 Bring 1929, 153.
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T e i l e v o n C h r i s t u s a u f g e f a ß t w e r d e n , so als b e s t ü n d e er aus einem T e i l M e n s c h u n d einem T e i l G o t t , w o b e i der göttliche T e i l im Interesse der E n h y p o s t a s i s l e h r e der größere w ä r e . Divinitas u n d h u m a n i t a s sind k e i n e q u a n t i t a t i v e n G r ö ß e n oder m e t a p h y s i s c h e n K o n t r a s t e , s o n d e r n diese W o r te sind auf eine neue Weise
zu verstehen
und n i c h t nur, als b e z e i c h n e t e n
sie ein V e r h ä l t n i s z w i s c h e n U n e n d l i c h e m und E n d l i c h e m , V o l l k o m m e n e m u n d U n v o l l k o m m e n e m , U n v e r ä n d e r l i c h k e i t u n d W e c h s e l . C h r i s t u s ist eine V e r e i n i g u n g v o n G ö t t l i c h e m u n d M e n s c h l i c h e m , a b e r daß er M e n s c h ist, ist k e i n e m e t a p h y s i s c h e A u s s a g e in b e z u g auf M a t e r i a l i t ä t u n d r ä u m - u n d z e i t g e b u n d e n e s Dasein, sondern es bedeutet, daß er in seiner geringen u n d v e r a c h t e t e n G e s t a l t z u S ü n d e u n d F l u c h w i r d . E b e n s o b e d e u t e t die T a t sache, d a ß C h r i s t u s G o t t ist, n i c h t in erster Linie, d a ß er v o n immaterieller Natur,
tinveränderlich,
allwissend usw.
verachteten Menschlichkeit und
durch
ist, s o n d e r n sie sein A m t
daß
er
ausübt
in
seiner
und
sein
selbsthingebendes H e i l s w e r k p r o nobis d u r c h f ü h r t . W e n n w i r hier betonen, w a s J e s u s tut, geschieht d a s nicht, u m die W e r k e g e g e n die N a t u r e n auszuspielen, w i e es in der n e u e r e n T h e o l o g i e o f t ges c h e h e n ist u n d n o c h geschieht, w e n n m a n d e m N a t u r - u n d S u b s t a n z d e n k e n eine „ethisch-religiöse" B e t r a c h t u n g s w e i s e g e g e n ü b e r s t e l l t E s ist dies 71 „Ita necesse est, vocabula: homo, humanitas, passus etc. et omnia de Christo dicta nova esse vocabula. Non quod novam seu aliam rem, sed nove et aliter significet, nisi id quoque novam rem dicere velis", 39 II, 94, 23-26. 72 Siehe von Engeström 1929 S v T K , 17 f f . und 1933, 54 f f . - Ein gutes Beispiel f ü r diese Betrachtungsweise haben wir in H . Schultz' Darstellung 1 8 8 1 , Die Lehre von der Gottheit Christi. Communicatio idiomatum. Dieses Buch ist im großen und ganzen von einem vermeintlichen Gegensatz zwischen der „unterchristlichen" Zweinaturenlehre, die auf einem „heidnisch-metaphysischen Grunde" ruhe, und der communicatio idiomatum, die das Persönlich-Sittliche vertrete und „alle lebendigen religiösen Triebe" zum Ausdruck bringe, bestimmt ( i o , 1 1 6 ) . Darum verlaufe die Geschichte der Christologie in diesen zwei Bahnen, entweder der nestorianischen, der katholischen und der reformierten, w o die Zweinaturenlehre die communicatio verdränge, oder der monophysitischen und lutherischen, w o das Verhältnis umgekehrt sei ( 1 2 7 f . ) . Diese zuletzt angedeutete Tendenz zur .Aufhebung der Zweinaturenlehre durch konsequente Anwendung der Lehre von der communicatio idiomatum" sei, so meint Schultz, auch die der Bibel, denn weder bei Paulus noch bei Johannes sei die Rede von zwei Naturen oder einer unio naturarum C431, 458]. Luther dagegen sei durch die Zweinaturenlehre gebunden, obwohl er sie in Wirklichkeit durchbreche, ohne es selbst zu merken (188 f . , 209 f f . ) . Die These: „Innerhalb des Rahmens der Zweinaturenlehre hat diese ganze communicatio idiomatum doch eigentlich keinen rechten Sinn" (230) ist aber sehr zweifelhaft, weil es ja gar nicht selbstverständlich ist, daß sich diese beiden Richtungen oder Linien niemals begegnen, oder daß die beiden Tendenzen mit Notwendigkeit gegeneinander ausgespielt werden müssen. Man kann sich daher mit Recht fragen - und das ist hier entscheidend - ob man sich im Grunde eine wahrhaftig durchgeführte communicatio ohne die Zweinaturenlehre vorstellen kann. - Eine ähnliche Gegenüberstellung findet sich u.a. in Torsten Bohlins Buch über Gottesglaube und Christusglaube bei Luther 1927, w o ein statischquantitatives Gottesbild in einem substanziellen, naturalistischen Sinn als unvereinbar mit Luthers dynamisch-qualitativer, persönlich-religiöser A u f f a s s u n g beschrieben wird. Das mag an und für sich ganz richtig sein, aber Bohlins Folgerung, daß die Zweinaturenlehre eo ipso „mit dem evangelischen Christusglauben" unverträglich wäre (199 f ) , ist kaum, oder sogar bestimmt nicht, der Rückschluß, den Luther selbst daraus ziehen würde. Im Gegensatz zu Schultz ist die communicatio idiomatum f ü r Bohlin nicht eine posi-
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der bekannte Gegensatz des 19. Jahrhunderts: ethisch-physisch, sittlichmetaphysisch, der sich auch in der Christologie zeigt. Von einem solchen Ausgangspunkt her hätte man behaupten können, daß Luther eine „persönlich-ethische" Umdeutung dessen vornimmt, was zuvor als ein Naturprozeß betrachtet wurde. Aber diese Alternative ist zweifellos falsch, wenn es sich um Luther handelt. Wenn er die Werke, das Ethische, betont, schließt das nicht unbedingt die Naturen, das Physische, aus; im Gegenteil: sie gehören zusammen und müssen zusammengehören, genau wie Wirken und Sein, Amt und Person eine unauflösliche Einheit bilden. Sonst deutet man unausweichlich beides verkehrt, und erst dann wird Ethisches und Physisches zum Ausdruck für die entgegengesetzten Tendenzen, erst dann wird das Physische etwas Quantitatives und Substantielles, das mit dem Ethischen, dem Qualitativen und Persönlichen unvereinbar ist. Aber Luther kann, was ihn betrifft, einerseits sagen, daß die Zweinaturenlehre ihn nichts angeht, andererseits mit der stärksten Überzeugung behaupten, daß zwei Naturen in Christus in einer Person vereint sind Christus wird nicht deshalb Christus gennant, weil er zwei Naturen hat, sondern weil er der Heiland ist, aber nichtdestoweniger hat er auch zwei Naturen 71 . Luthers Auffassung läßt sich folgendermaßen deuten: Ohne Berücksichtigung der Werke von den Naturen zu sprechen, führt in eine statische, metaphysische Welt hinein, in der man ständig Gefahr läuft, durch halsbrecherische Paradoxe in irgendeine der unausweichlichen Fallgruben der Logik zu stürzen - eine Beispielsammlung für diese Gefahren liegt uns in vielen der christologischen Kämpfe aller Zeiten vor - aber ohne Berücksichtigung der Naturen von den Werken zu sprechen, führt auf schwankenden Boden hinaus, der so weit vom Statischen entfernt liegt, daß er im Gegenteil allzu beweglich ist, denn wenn man einmal den Naturbegriff aus seinem Denken gestrichen hat, hat man auch die Festigkeit und Klarheit der Konturen, die dieser Begriff schenkt, verloren. Der Schritt zum Dynamismus und Adoptianismus oder ähnlichen Häresien ist dann kürzer, als man vielleicht denken sollte. Genau wie es wichtig ist, die Naturen auseinanderzuhalten, ist es für Luther auch von Gewicht, zwischen den Werken zu unterscheiden, nicht tive Tendenz neben den Naturen, sondern eine Folge, eine absurde Konsequenz von der Naturenlehre. Der Grundgegensatz ist indes derselbe: derjenige von Ethischem und Psysischem. Und die entscheidende Frage ist: was bedeutet natura und was bedeutet idiomata, die Eigenschaften der Naturen? Vgl. Brunner 1947, 206 f f 2 8 2 f., und G. S. Hendry, The gospel of the incarnation 1958, 55 ff.; siehe vor allem Kap. II C. 73 39 И/ 97» 1 0 f- (Disp. de divinitate et humanitate Christi 1540). " „Also haben in die Sophisten gemalet, wie er Mensch und Gott sey, zelen seine beine und arm, mischen seine beide Naturen wunderlich in einander, welches denn nur eine Sophistische erkentnis des Herrn Christi ist, denn Christus ist nicht darümb Christus genennet, das er zwo Naturen hat, was gehet mich dasselbige an? Sondern er treget diesen herrlichen und tröstlichen Namen von dem Ampt und werck, so er auff sich genomen hat, dasselbige gibt im den Namen. Das er von natur mensch und Gott ist, das hat er für sich, aber das er sein Ampt dahin gewendet und seine liebe ausgeschüttet und mein Heiland und Erlöser wird, das geschiet mir zu Trost und zu gut", 16, 217, 3 0 - 2 1 8 , 15 (Pred. über das 2. Buch Mose 1524-27 Dr.].
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als ob eine Kluft zwischen ihnen bestünde, jedoch so, daß man darauf achtet, wann Jesus etwas gemäß seiner menschlichen Natur tut oder sagt und wann gemäß seiner göttlichen'5. Andererseits muß man auf der Hut sein vor einem solchen Trennen, daß „die werck zuteilet und gesondert werden", denn es führt unfehlbar dazu, daß „auch die person zurtrennet werden". Man muß zwar auf eine Weise von Gott und auf eine andere vom Menschen sprechen, denn Göttliches und Menschliches darf nicht identifiziert oder vermischt werden. Christi Worte und Werke erscheinen auch in den Evangelien als bald göttlich, bald menschlich, und doch gehören sie zu ein und derselben Person. „Weil alle werck odder leiden nicht den naturen, sondern den personen zugeeigent werden, Denn die person ists, die alles thut und leidet, eins nach dieser natur, das ander nach ihener natur" In Christus sind Gott und Mensch eine Person: „wo Gott ist, da ist auch der mensch, Was Gott thut, das heist auch der mensch gethan, Was der mensch leidet, das heist auch Gott gelidden" ". Christi Werk ist eo ipso Gottes eigenes Werk, was nicht bedeutet, daß seine Menschlichkeit in seiner Göttlichkeit aufgeht, wie Christus durch die Inkarnation nicht aufhört, Gott zu sein. So wie er gleichzeitig wahrer Gott und wahrer Mensch ist, ist auch sein Werk eine einzige einheitliche und unteilbare Tat pro nobis, ein gleichzeitig durch und durch göttliches und menschliches Werk, „sonst ists v e r l o r e n " E s ist nicht „ein lauter mensch", der zum Heil der Menschen gestorben ist, „denn wer allein durch menscheit erlöset ist, der ist freylich noch nicht erlöset, wird auch nymer mehr erlöset" Die Juden kreuzigten den Menschen Jesus, und dieser Mensch war es, der starb, aber seine Menschlichkeit ist unauflöslich mit der Gottheit vereinigt. „Die Gottheit an jr selbst" kann nicht dem Tod unterworfen, nicht erniedrigt werden oder leiden; da aber Christus unteilbar ist, so gilt das, was sich auf die menschliche Natur bezieht, auch für die göttliche „und widderumb" Das ist communicatio idiomatum. ,s
„Weil er denn also eine person, Gott und mensch gegleubt wird, so gebürt uns auch also von jm zu reden, als beiderley natur fordert, das etliche wort die menschliche, etliche aber die Göttliche natur anzeigen, Das man eben darauff sehe, was er nach der menschlichen natur redet und auch nach der Göttlichen", 45, 556, 30-34 (Das XIV und X V Kap. Joh. 1538]. 78 26, 324, 3 0 - 3 5 ( V o m Abendmahl Christi 1528]; 47, 7 1 5 , 7 - 3 1 (Pred. 1539 R.); „Ideo praedicamus articulum, quod 1. Christus Deus et Homo thut und redet wie Deus et Homo, et tarnen tantum unus Christus", ib. 7 1 5 , 24-26. " 335, 26-28 ( V o m Abendmahl Christi 1528). '* 23, 140, 2 3 - 1 4 2 , 4 ( D a ß diese Wort Christi . . . 1527]. " 26, 342, 1 4 - 2 0 ( V o m Abendmahl Christi 1528]. eo 37» 96, 2 0 - 2 3 (Pred. 1533 R.); 45, 3 1 5 , 30-36 (Pred. 1 5 3 7 ] ; „Ja, die Gottheit kan nicht leiden noch sterben, Soltu antworten, Das ist war, Aber dennoch, weil Gottheit und menscheit ynn Christo eine person ist, so gibt die schrifft umb solcher personlicher einickeit willen auch der Gottheit alles, was der menscheit widderferet, und widderumb, U n d ist auch also ynn der warheit. Denn das mustu ia sagen, Die person (zeige Christum) leidet, stirbet, N u ist die person warhafftiger Gott, drumb ists recht gered, Gottes son leidet, Denn ob wol das eine stück (das ich so rede) als die Gottheit, nicht leidet, so leidet dennoch die person, welche Gott ist, am andern stücke, als an der menscheit", 26, 3 2 1 , 20-28 ( V o m Abendmahl Christi 1528). In diesem Ausdruck: „und widderumb"
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Also: das Kind in der Krippe ist der Schöpfer Himmels und der Erden; der Gekreuzigte ist Herr über alle Geschöpfe, der Sohn Gottes vergoß sein Blut; „gott hat gelitten, gott ist gestorben und aufferstanden, denn gott und mensche ist eine Person" Das gilt nicht von dem „abgesonderten Gott", das gilt nicht vom Vater oder vom Heiligen Geist - das würde Patripassianismus bedeuten - sondern das ist nur von dem Gott gesagt, der mit der menschlichen Natur vereint ist, der inkarnierten zweiten Person der Gottheit Hier stoßen wir schließlich vor zu einer Definition der communicatio idiomatum, der christologischen Aussage, die eine Deutung dieses vereinigten Gottes geben und zeigen will, wie die Personeneinheit Christi beschaffen ist: „Also sol man der gantzen person zu eigen, was dem andern teil der person widderferet umb des willen, das beyde eine person ist" ". Was diese Definition bedeutet, soll näher untersucht werden, wenn wir allmählich dazu übergehen, direkte communicatio-Zitate bei Luther zu behandeln. B. Der Gott in der Sünde Dieser christologische Hauptteil verfolgt in seiner Gesamtheit das Ziel, Luthers Auffassung von dem Verhältnis zwischen Göttlichem und Menschlichem in der Person Christi mit der dogmatischen Formulierung zu beschreiben, die dieses Verhältnis in dem Begriff communicatio idiomatum erhält. Man könnte erwarten, daß wir hier nach der Darstellung von Christus als vere Deus und vere homo direkt zum Kern des Problems kommen und die Bedeutung der Einheit der Naturen und der Mitteilung und Kommunikation, des Austausches der Eigenschaften, die zwischen ihnen stattfinden, darlegen würden. Daß wir hier stattdessen eine kurze Untersuchung des Heilswerkes Christi in Luthers Sicht vornehmen, hat seine Gründe. Es verhält sich ja so, daß Person und Werk Christi sich niemals voneinander isolieren lassen; man muß vielmehr, wenn man das eine beschreiben will, notwendigerweise auch auf das andere zu sprechen kommen, denn Christi Person und Naturen zu behandeln, ohne zu berücksichtigen, was diese Person tut, wäre in Luthers Augen eine sinnlose Spekulation, und vom Werke Christi zu sprechen, ohne darzulegen, wer dieses Werk ausführt, hieße, sich in einer indistinkten und willkürlichen Weise über die lebenswichtigsten Dinge äußern. Es ist daher nicht so, daß Aussagen über die Präexistenz, jungfräuliche Geburt usw. Ausdruck einer besonders philosophischen und spekulativen Seite bei Luther wären. Der Richtpunkt ist stets die große Frage der Verliegt ja in der Tat eine bestimmte Antwort auf die Frage, ob man bei Luther von einer genus majestaticum reden kann: die Realität kennt er, wenn er den Terminus auch nicht kennt; siehe unten Kap. II C:2. 61 20, 345, 24-35 (Pred. 1526]; 24, 39g, 17-20 (Pred. über das 1. Buch Mose 1 5 2 7 ] ; 45, 244, 8-246, 7 (Pred. 1537 R . ] . " a 47, 635, 8-23 [Pred. 1539 R · ] · " 26, 322, 23 f . ( V o m Abendmahl Christi 1528).
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gebung der Sünden und des ewigen Lebens. Wenn es nun den Anschein haben kann, als ließe Luther selbst sich in seinen Auslegungen von Bibeltexten zuweilen auf Spekulationen ein, liegt das daran, daß er mit seiner, wenn man so sagen darf, religiösen Logik die Voraussetzungen entwickelt, die an verschiedenen Punkten erforderlich sind, damit er der Erlösung des Menschen sola fide und solo Christo sicher sein kann. Es gilt, Christi Amt, das was er pro nobis getan hat, zu kennen und ihn recht zu brauchen. Was hilft sonst eine noch so korrekte Auffassung von Christus als vere Deus et homo'? „Christum erkennen ist wissen, warumb Christus sey kommen" \ Der Zusammenhang zwischen Christologie und Soteriologie ist daher bei Luther ein ständig wiederkehrendes Thema. Das bedeutet, daß Inkarnation und Versöhnung sich nicht voneinander trennen lassen, so daß die Inkarnation sich nur auf die eigentliche Menschwerdung, die Geburt in Bethlehem, die Weihnachtsereignisse, bezöge, während das Versöhnungswerk sich auf Leiden und Tod des Karfreitag beschränkte. Eine derartige Trennung ist nur möglich, wenn man die Inkarnation als einen ontologischen Prozeß betrachtet, eine Zusammenfügung zweier entgegengesetzter Naturen, und die Versöhnung als die stellvertretende Leistung dieses Gottmenschen auffaßt, die punktuell auf die letzten Tage Jesu begrenzt ist, die also von seinem übrigen Leben isoliert werden. Ein derartiges Verfahren ist jedoch für Luther undenkbar, der gerade die Zusammengehörigkeit von Weihnachten und Karfreitag, Person und Amt betont3. Das muß bedeuten, daß die gesamte Auffassung davon, was Christi Versöhnung ist, verändert und erweitert werden muß. Man darf Luther zufolge nicht bei Gethsemane und Golgatha stehen bleiben und meinen, damit das ganze Heilswerk gesehen zu haben, denn was man da gesehen hat, ist „nur" dessen Höhepunkt, die Augenblicke der Gottverlassenheit und Pein, in denen der Fluch in seiner ganzen Schwere auf Jesus lag. Man bleibt dann auch bei einer Versöhnungslehre stehen, die in der Regel um das juridische Anrechnen des Verdienstes Christi kreist. Es ist vielmehr 1 „ W a s ligt dran, ob Christus gott oder nit got sey, war fleysch oder eyn scheyn sey, seel oder keyn seel habe, fur oder nach seyner mutter komen sey, und allerley yrthumb und ketzerey giengen, die yhe gewessen seyn, sso w y r doch nit mehr von yhm haben, denn alle dieselben ketzer? prauchen seyn auch nit, und ist eben sso viel, alss were er vorgebens mensch worden, und alle ding umbsonst von yhm geschrieben . . . W a s hilffts nu, ob Christus nit sey, wie yhn die ketzer haben predigt, so er gleychwol unss nichts mehr ist noch schafft, denn derselben? W a s hilffts, das w y r mit dem mund solche ketzerey vordamnen und Christum recht erkennen, wenn gleych wol das hertz nitt anderss von yhm hellt denn sie?", IOI:I, 2 3 7 , 7 - 2 3 8 , 2 (Kirchenpostille 1 5 2 2 ] ; ferner oftmals, z.B.: 1 5 , 468, 1 9 - 2 6 , 5 3 3 , 2 6 - 3 0 (Pred. 1524 R . ) ; 40 I, 448, 1 9 - 2 6 [In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 D r . ] ; 4 5 , 295, 3 0 - 3 4 [Pred. 1 5 3 7 ] ; 4 5 , 589, 1 4 - 2 4 [Das X I V und X V Kap. Joh. 1 5 3 8 ) . Dies wird häufig und mit Recht von Lutherforschern hervorgehoben, wie u.a. von Loewenich: „Luthers Christologie ist nicht Spekulation, sondern durch und durch Soteriologie" ( 1 9 5 4 , 1 1 6 ) . 2
10 III, 1 2 3 , 29 (Pred. 1 5 2 2 ] ; 1 5 , 536, 1 5 - 2 0 [Pred. 1 5 2 4 R . ] . „Ideo müssen das Fest Nativitatis zu Grund legen, ut agnoscatur, qualis persona Jesus Christus . . . Si tenes hoc, tum intelliges am Karfreitag, qualis persona in cruce pendeat, qualis persona, quae nos in sacramento, in baptismo salvet," 4 7 , 639, 1 8 - 6 4 0 , 1 (Pred. 3
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deutlich, daß Jesus für Luther in einen lebenslangen Kampf gegen das Gesetz, den Zorn und alle die Flüche, die auf der Menschheit ruhen, verwickelt ist, einen Kampf, der zwar immer heftiger und immer tiefgreifender wird bis zu dem entscheidenden Kampf am Karfreitag, der aber doch von dem Augenblick an vor sich gegangen ist, in dem der Sohn Gottes zuerst in der sündigen Welt des Menschen Einzug hielt. Dies alles besagt, daß Inkarnation und Versöhnung für Luther eigentlich ein und dasselbe ist 4 . Die Menschwerdung als solche bedeutet, daß Christus mehr als jeder andere die Bürden der Menschheit auf sich nahm, aber es war Gott, der Mensch wurde, und das ist die Voraussetzung dafür, daß er so total in den Fluch hineingehen konnte. Diesen Totalitätsaspekt in bezug auf Christus wollen wir nun in den beiden folgenden Abschnitten anlegen, in denen wir zuerst in Verbindung mit Luthers Versöhnungslehre seine Auffassung von Christus als simul justus et peccator analysieren wollen, um dann in einer anderen Perspektive Christi Erniedrigung und Erhöhimg zu behandeln. Erst dann läßt sich Luthers Lehre von der communicatio idiomatum in ihrem rechten und ganzen Zusammenhang sehen. χ. Simul justus et peccator Wenn es darum geht zu beschreiben, wie Luther das „factum redemptionis", Christi Werk pro nobis auffaßt, ist es wichtig, von Anfang an deutlich die unauflösliche Zusammengehörigkeit von Göttlichem und Menschlichem zu unterstreichen, die es unmöglich macht, zu isolieren und zu trennen, was Christus qua Deus tut und was qua homo. Natürlich muß man in verschiedenen Zusammenhängen das Hauptgewicht bald auf seine menschliche Erniedrigung und sein Herabsteigen in Verachtung und Niedrigkeit legen und bald auf seine göttliche Macht und Siegeskraft, aber man muß sich ständig daran erinnern, daß er „simul verus homo et verus Deus" ist 0 . Bei Luther lassen sich zwei Aspekte in bezug auf Christus als den Heiland der Menschen erkennen: i ) der meritorische und 2) der dramatische. Christus erscheint als Mittler, Versöhner und Hoherpriester, das Lamm, das sich in stellvertretendem Leiden opfert und selbst zu Sünde wird, um die Sünden der Welt fortzunehmenEr ist Gottes Sohn, der hinabsteigt in menschliche Verhältnisse und alle Not und allen Fluch der Menschen auf sich nimmt; und so „verdient" er ein meritum, ein ewiges und unvergängliches Erbe, das er als der göttliche Testator allen Menschen schenkt7. Vgl. Bring 1929, 1 4 1 , und auch 1950, 134 f f . 45/ 435» 29 f· [Conciunculae quaedam . . . 1537]. • Diese Seite der Versöhnungslehre wird u.a. gegen G. Aulen, Den kristna försoningstanken 1930, besonders von O. Tiililä, Das Strafleiden Christi 1941, betont; ferner häufig von Althaus, z.B. 1959, 462 ff., 1962, 191 ff., und schon: Das Kreuz Christi, ZSTh 1923, 107 f f . Vgl. auch C. F. Wislaff, Nattverd og messe 1957, 122 f., 135 f f . und Anm. 13 und 15 unten. 7 Uber Christi meritum, satisfactio, sacrificium und sein stellvertretendes Leiden siehe Bring 1929, 175 ff., 190 ff., Olsson 1934, 192 f f . und Tiililä 1941, 223 ff. 1 5
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Dieser Gedankengang Luthers hinsichtlich Christi Satisfaktion, Verdienst und Opfer, ist oft als ein juridisch ausgleichender Mittelweg zwischen der unumstößlichen Heiligkeit und der aufopfernden Liebe Gottes bezeichnet worden. Man hat zumeist betonen wollen, was Christus qua homo ausrichtet, daß er als ein erniedrigter Mensch und ohne alle Sünde und Schuld Leiden und Tod erduldet. Durch die Leistung dieses einen Menschen werden auf diese Weise die Mängel in den Bestrebungen der anderen Menschen kompensiert. Es ist indessen deutlich, daß es einmal bei Luther wirklich Gott selbst ist, der in Christus unter dem göttlichen Zorn und der Drohung des Gesetzes leidet, zum anderen, daß man Luther nicht unbedingt auf eine Ebene mit den Vertretern der Anselmschen und der juridischen Versöhnungslehre stellen muß, sondern vielmehr alle diese meritorischen Aussagen nicht isoliert für sich selbst, sondern im Zusammenhang mit dem sehen soll, was Luther sonst über das Heilswerk Christi zu sagen hat'. Daher handelt es sich hier eigentlich nicht um zwei Ebenen, sondern nur um zwei Seiten der Versöhnungslehre Luthers. So wird Christus auch als gottgesandter Held, Sieger und König betrachtet, der im letzten Kampf die Mächte des Verderbens besiegt und die Hölle niederreißt, „als wenn ein starcker Hellt odder Ryse jnn ein fest Schlos keme mit seinem heer und p a n i e r " W e n n Christus auf diese Weise in einem „mirabile duellum" über die Tyrannen triumphiert, ist es Gott selbst, der die Teufelsherrschaft besiegt. Die Person, die den Teufel überwinden, das Haupt der Schlange zertreten, die Sünde vernichten, den Tod richten, das Gesetz „enthaupten", den Fluch beseitigen, den Zorn versöhnen, die Hölle niederreißen und die ganze Macht der Bosheit überlisten kann, muß mehr sein als ein gewöhnlicher Mensch. Gnade, Frieden und ewiges Leben schenken, Sünden vergeben, rechtfertigen, lebendig machen, von Tod und Teufel befreien, das kann kein erschaffenes Wesen, sagt Luther, das ist ein Werk, das der göttlichen Macht allein zukommt10. Daher betont man hier vor allem Christi Werk qua deus. Denn was Rechtfertigung betrifft, muß man dem Sohn die gleichen göttlichen Eigenschaften zuschreiben wie dem Vater ". Der Teufel überfiel und kreuzigte den, 8 Es ist deshalb sinnlos und sogar unrichtig zu überlegen, welcher Gedankengang der primäre bei Luther sein könnte. Direkt falsch ist es, wie Tiililä zu behaupten, daß der Schuldgedanke im Gegensatz zum Kampfgedanken stehe: „Für Luther war die Schuld nicht zu besiegen" (1941, 212). Vgl. Haikola, Usus 1958, 120 f., wo er feststellt, daß „der Satisfaktionsgedanke rein systematisch einen ganz verschiedenen Gehalt bekommen muß, wenn man von einem so verschiedenen Gesetzesverständnis ausgeht wie Luther und die lutherische Ortodoxie". Siehe auch Watson 1952, 140 ff. " 37/ 13-18 (Pred. 1533З; Christi descensus wird u.a. in 46, 305 ff. behandelt (Pred.
1538 RO. 40 I, 441, 14-28, 80, 25-81, 22
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(In epistolam ad Galatas 1535 Dr.); IOI:I, 198, 16-24 (Kirchenpostille 1522); „Ideo venit ipse, ut nos iuvet, imponit nos in humeros suos, servat et implet 10 praecepta, quae nos non potuimus, vincit peccatum, vincit infernum . . . das sind eitel Gottlich werck des mans, der herr heist, Sind nicht eins engels oder Teufels werck, dare vitam etc. sed dci. Ist ein herrlich werck der Majestet selber", 37, 173, 20-24 [Pred. 1533 R.]; 45. 247, 36-39 (Pred. 1537); 46, 372, 22-373, 4 (Pred. 1538 R.). Siehe Bring 1929, HI ff. und öfters. 11 Siehe vorige Anm. und z.B. 46, 556, 25-27 (Au.sleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1537); 47, 13 - N i l s s o n
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der ganz und gar unüberwindlich und unsterblich war, keinen geringen Menschen, sondern den Herrn der Herrlichkeit selbst, der entblößt und in der „Maske" des Menschen versteckt war. Es geht nun nicht an, bei Luther den meritorischen, satisfaktorischen Aspekt gegen den dramatischen auszuspielen, in dem das Kampfmotiv und die dualistische Gesamtschau die Darstellung prägen, so wie es auch nicht möglich ist zu trennen, was Christus qua homo macht und was qua deus. Wenn Christus mit seinem Blut und seinem T o d Leben und Seligkeit für uns Menschen verdient und erwirkt, geschieht das nur durch „erbeiten unnd schwitzen", dadurch daß der Kampf gegen die bösen Mächte sich aufs äußerste verhärtet 12 . Und andererseits ist es so: wenn der Kampf gegen die Mächte des Verderbens Blutstropfen hervortreibt und seine höchste Heftigkeit erreicht, ist das ein Zeichen dafür, daß Christus qua homo sich am tiefsten dem Gesetz und dem Z o r n unterworfen hat, ja, am intensivsten wirklich Mensch geworden ist, was nicht hindert, daß die höchste göttliche Macht in ihm konzentriert und in den entscheidenden Zweikampf eingespannt ist. Die dualistische Perspektive ist bewahrt: Gott ist der, welcher zugleich versöhnt und versöhnt wird, der Gedanke einer satisf actio gleitet über in den Gedanken an das Kampf- und Siegeswerk, aber dieser Sieg bedeutet auch ein sacrificium, denn es ist Gott selbst, der sich anstelle des Menschen opfert, und es kostet ihn wirklich etwas. Die Bedeutung des Kampfes besteht eben darin, daß sich Christus dem Zorn Gottes unterwirft und ihn trägt. Die stellvertretende Selbsthingabe und das Erleiden der Strafe hängen mit dem Kampf und der Niederringung der Macht der Tyrannen zusammen. Die Versöhnung, das Opfer, die Genugtuung sind wirklich Gottes Werk, keine menschliche Kompensation und Prästation, keine menschlichen Verdienste und Opfer im üblichen Sinne, denn es ist die göttliche Liebe, die sich hingibt und den Fluch überwindet, aber Gott vollführt dieses sein Werk als Mensch Daher kann 78, 1-6 (Ausleg. des 3. und 4. Kap. Joh. 1538); 54, 46, 25-29 (Von den letzten Worten Davids 1543). 12 46, 287, 33 f. (Pred. 1538 Stoltz); diese Verknüpfung und Verschmelzung der beiden Gedankengänge wird von H. Alpers, Die Versöhnung durch Christus 1964, 184-200, klar hervorgehoben; vgl. A . Sjöstrand, Satisfactio Christi 1937, 532 f f . 13 Die Debatte über Luthers Versöhnungslehre hat nach Aulen und Bring mehrere bedeutende Untersuchungen hervorgebracht. Vor Tiililä hatte u.a. S. von Engeström, vor allem in seinem Buch 1933, aber auch in seiner großen Arbeit „Förlätelsetanken" 1938 (z.B. 107 f . ] , den „klassischen" Versöhnungsgedanken stark kritisiert, besonders in der Form, die er bei H. Lindroth, Försoningen 1935, erhalten hatte. Diese eingehende Untersuchung bildete eine Antwort auf von Engeströms Versuch, die Anselmschen Gedankenelemente bei Luther aufzuzeigen - wodurch von Engeström die vermeintlich einseitige Lutherdeutung von Aulen und Bring kritisieren zu können meinte (78 f f . , 95 f f . ) . Dieselbe Kritik an Aulen findet sich bei Sjöstrand 1937, 85 f f . Es scheint indessen, als ob die Erörterung des Problemes häufig zu einseitig und vielleicht oberflächlich ausgefallen ist, was natürlich daran liegt, daß das Luthermaterial es im großen ganzen unmöglich macht, sich für einen Versöhnungsgedanken im Gegensatz zu einem anderen zu entscheiden. Eine solche alternative Denkart ist Luther fremd. - Ein Zeichen der Aktualität der Frage ist die oben erwähnte, kürzlich erschienene Arbeit von Alpers 1964, mit dem Untertitel „Zur Typologie der Schule von Lund". Diese Untersuchung besteht einmal aus
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Luther in ein und demselben Atemzug davon sprechen zu siegen und zu verdienen, von „gnugthuung" und „sieg". Die meritorischen und dramatischen Vorstellungen werden miteinander verflochten, aber so, daß die anti-juridischen, anti-rationalistischen, dualistischen und antagonistischen Gesichtspunkte übergeordnet sind und den Rahmen bilden Das nämlich ist dasselbe, als wollte man sagen, daß der theozentrische Aspekt über dem anthropozentrischen stehe, daß der Gegensatz Gott - Teufel den Gegensatz Gnade - Schuld entscheide, oder in christologischer Terminologie, daß Christus Gott ist als Person, aber Mensch nur in bezug auf seine Natur, die in der göttlichen Person subsistiert. Die Erlösung von dem Übel bedeutet dann sowohl Sieg über den Teufel wie Beseitigung der Schuld, ein von dem inkarnierten Gott selbst ausgeführtes Werk. Die Gefahr, in Luthers Versöhnungslehre Kampf und Verdienst einander als Vertreter zweier unvereinbarer Gedankengänge gegenüberzustellen, besteht nämlich darin, daß man dahinter häufig die Distinktion zwischen Christus qua deus und Christus qua homo erkennen kann 1 '. Den qua homo-Gesichtspunkt zu betonen, bedeutet kein Einführen juridischer Kategorien, sondern eine Hervorhebung des Faktums, daß Gott seinen siegreichen Kampf gegen die Mächte des Verderbens anstelle des Menschen einem sorgfältigen Bericht über die Debatte, zum anderen aus einer kritischen Auseinandersetzung mit der Aulenschen Typologie. Das Buch hat seinen großen Wert u.a. darin, daß es die Schwierigkeiten der Verwendung vereinfachter Typen beweist, und daß es die Notwendigkeit der Nuancierung klar betont; siehe besonders das Kapitel „Christus victor - satisfactio Christi", 170-200, und 217 f f . 14 „Diese genügthiiung ist also zü gangen, wir waren in grosser fahr, hetten über uns schwere Tyrannen, die uns tag und nacht on unterlass engstigen . . . Dem gesetze thet er gnüg, er hat das gesetz erfüllet gantz und gar, Denn er hat G o t geliebet . . . Und den nechsten als sich selbs . . . Die weil nu Christus also das gesetz erfüllet hat, so hat es jhn nicht kundt verklagen, so hat die sünde auch nichts bey jm kund schaffen . . . Das also inn disem kampff züschanden worden sind Gesetz, Sund, Tod, Teuffei und Helle, die er alle in ein Triumph geführt hat und ein heerprangen draus gemacht, wie Sant Paul sagt . . . der hat es fur mich erfüllet, und mir seine erfullung geschencket", 17 II, 291, 8-292, 32 (Festpostille 1527]; ferner z.B. 10 III, 49 f. (Acht Sermon. Pred. 1522); 37< 35° f- (Pred. 1534 R.). Siehe Bring 1929, 165 ff., und seine Analyse des Begriffes „propter Christum", 238 f. (Anm.); Haikola, Studien 1958, 104 f f . ; „Die Genugtuung des Gesetzes und die Forderung der strafenden Gerechtigkeit und der Kampfaspekt fließen ineinander" (123). 15 V o n Engeström betont den qua homo-Aspekt im Anschluß an Anselm (1933, 78, 105) - vgl. E. Vogelsang, Die Anfänge von Luthers Christologie 1929, 111: die Scholastik mit ihrem Gedanken des Opfers hebt Christus qua homo hervor - und Lindroth konstatiert mit einem gewissen Erstaunen, daß Luther zuweilen die Menschheit Christi deutlich unterstreicht (1935, 228]. Sonst legt Lindroth besonderes Gewicht auf den qua deusAspekt, im Gegensatz zu von Engeström (152, 183 f f . ) . Wenn auch eine gewisse Modifizierung dadurch stattfindet, daß Lindroth die communicatio idiomatum als eine Folge der Versöhnungslehre berücksichtigt (237 f.), bleibt ein bestimmter Eindruck der Einseitigkeit, denn der communicatio-Gedanke wird für die Darstellung des Verhältnisses von Göttlichem und Menschlichem in diesem Zusammenhang fast bedeutungslos. Siehe hier auch Sjöstrand 1937, 152 f f . und in bezug auf späteres Luthertum 499 ff., und Tiililä 1941, 230 f., 250 f f . , der ausgezeichnete Gesichtspunkte in bezug auf die Verknüpfung von Zweinaturenlehre und Versöhnungsgedanken gibt. Vgl. Alpers 1964, 164 f f .
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als ein verachteter und gepeinigter Mensch ausficht. Und Christus qua deus betonen, bedeutet keine doketische Flucht vor menschlicher Schuld und Unvollkommenheit, sondern ein Unterstreichen des Umstandes, daß kein anderer als Gott so ganz die Sünde und Not der Welt zu tragen vermag. Es verhält sich für Luther nicht so, daß wenn Christus „am meisten" Gott ist, seine Menschlichkeit verstümmelt wäre, denn das würde ein quantitatives Additionsverhältnis von Göttlichem und Menschlichem in der Person Christi bedeuten, was ihn eigentlich zu einem Zwischenwesen machen würde, das weder vere homo noch vere Deus wäre. Ebenso ist es nun auch nicht so, daß Christus „weniger" von Göttlichkeit erfüllt ist, wenn der Kampf gegen das Böse heißer wird und er als Mensch augenscheinlich immer mehr vernichtet wird, vielmehr war er, gerade als er sich am intensivsten und konzentriertesten dem Fluch und der Knechtschaft und den Bedingungen der Niedrigkeit unterwarf, ganz Gott. Qua homo steht Christus unter Sünde und Tod, aber da diese seine menschliche Natur unauflöslich mit der göttlichen vereinigt ist, ist er auch qua deus darunter verborgen. Daher wußte der Teufel nicht, wen er angriff. Er konnte wohl den Menschen vernichten, aber „persona vivit, quae est Got et homo zu samen". Luthers entscheidende Folgerung nun ist diese: da die göttliche Person nicht sterben kann, konnte der Tod auch nicht Christi menschliche Natur behalten. Das ist ein typisches Beispiel für eine Vermittlung der Eigenschaften: was von der Person gilt, gilt auch von jeder der beiden Naturen. Der Teufel, das Gesetz und der Tod konnten nur die menschliche Natur schlagen und Christus als einen Gesetzübertreter und Missetäter behandeln, aber das geschah ohne Recht, denn er war auch als Mensch unschuldig. Also: als Gott konnte Christus nicht sterben, aber durch die Vereinigung mit der menschlichen Natur wurde die ganze Person vom Tode betroffen, und als sündenloser Mensch brauchte Christus nicht zu sterben, aber er unterwarf sich willig dem Tode, um die Menschen zu erlösen Prüfen wir nun die Problematik um Luthers Aussagen über Christus als simul justus et peccator, so läßt sich die hier skizzierte Gesamtschau noch weiter begründen und vertiefen. Dies ist es, was Christus als vere homo und vere Deus, als Mittler und Siegesheld ausrichtete: der Gesegnete lebt unter den Verfluchten, Gott steigt herab in die Welt der Menschen und besiegt den Fluch. Der Fluch stößt mit dem Segen zusammen und will ihn verdammen und völlig vernichten, aber das gelingt nicht, sagt Luther, da der Segen göttlich und ewig ist 17 . Die Situation der Menschen war so, daß sie unter der Sünde und dem Fluch lebten, unter „Vormündern", eingesperrt und vom Gesetz in Gewahrsam gehalten. Was tat nun Christus und wie befreite er uns? fragt Luther. Es war nicht so, daß er, der Gesegnete und Göttliche, ganz unbe" 37, 28, 22-29, 15 (Pred. 1533 R·)· 17 40 I, 440, 17-25, 451, 17-24, und überhaupt der ganze Zusammenhang 433-451 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.).
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rührt durch die Not der Menschen hindurch wanderte und dann nur mit einem Wink seiner göttlichen Allmachtshand den Fluch hinwegnahm. Luther konstatiert, daß Christus zwar der Herr des Gesetzes war, da er Gott war und jenes daher selbstverständlich besiegen konnte. Das Gesetz hat kein Recht auf ihn, es kann ihn nicht anklagen, denn er ist Gottes Sohn Aber das ist keine doketische Deutung, denn Christus war auch vere homo. Und daß er Mensch war, bedeutet für Luther kein äußerliches Konstatieren, keine orthodoxe Phrase, die formal zu unterschreiben er sich genötigt fühlte, er empfand es ja vielmehr, wie wir gesehen haben, als ein lebenswichtiges Interesse, Christi wahre Menschlichkeit zu verteidigen. Wenn es nun heißt, daß Christus wahrer Mensch ist, kann man das nicht nur in Naturkategorien verstehen und nicht in erster Linie als ein bloßes Anziehen und Annehmen menschlicher Natur, denn dann gerät man in unlösbare Schwierigkeiten Mensch sein bedeutet für Luther nicht nur, einen menschlichen Leib und menschliche Eigenschaften zu haben, sondern Mensch zu sein, d.h. unter den gewöhnlichen menschlichen Bedingungen und Verhältnissen zu leben. So war Christus Mensch und war es sogar mehr als irgendein anderer, einmal, indem er wirklich Gottes Schöpfung des Menschen zur imago Dei realisierte, und zum anderen, indem er zu Sünde gemacht wurde und in der Situation des gefallenen Menschen stand. Als Christus vom Fluch des Gesetzes und der Strafe der Sünde befreite, geschah es auf die Weise, daß er unter das Gesetz gestellt wurde und sich ihm freiwillig unterwarf. Er starb am Kreuz und trug die Sünde, das Gesetz, den Tod, den Teufel und die Hölle in seinem Leib und in sich selbst. Daher lebte Christus wirklich als ein Mensch, in einem gewöhnlichen menschlichen Dasein, dem Gesetz und dem Fluch unterworfen Unter dem Gesetz sein bedeutet zweierlei: einmal „unter die werck des gesetzs" gestellt sein und zum anderen „unter die straff und peyn des gesetzs" gestellt sein Christus hebt das Gesetz nicht auf, er läßt es gelten und unterwirft sich selbst seinen Forderungen und Geboten. Der Sünder muß zwangsläufig „von natur unnd wessen, on willen" unter dem Gesetz stehen, aber Christus tut es freiwillig und ohne daß es im Einklang mit seinem Wesen stünde, denn er ist ja der Sohn Gottes und Herr über das Gesetz. Es ist ein großer Unterschied, sagt Luther, ob man sich freiwillig dem Gesetz unterwirft oder ob man von Natur darunter ist". So führt Christus aus und wirkt, was im Gesetz Gottes geboten ist, nicht weil er muß, sondern weil Ib. 274, 23-34, 564, 26-566, 17. " Beispiele für diese Schwierigkeiten sah Luther oftmals in den Streitigkeiten der alten Kirche, und immer und immer wieder kehrt er darum zu Chalcedon zurück, um von dort Antworten und Richtpunkte zu holen, was wir später deutlicher beobachten werden. 20 Zur Frage, was es heißt, Mensch zu sein, siehe oben Kap. I B , wo die Vorstellung der imago Dei auch erörtert ist. Vgl. Anm. 18 oben. 21 Das ist schön erläutert in der Kirchenpostille, IOI:I, 365, 12-366, 200 [1522]; vgl. Bring 1929, 197 f f . und E. Vogelsang, Der angefochtene Christus bei Luther 1932, 28 f f . " IOI:I, 363, 14-18 (Kirchenpostille 1522). 18
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er es tun will. Er, der über dem Gesetz Mose steht, unterwirft sich gleichwohl allem, was Moses vorgeschrieben hat. Schon zu Beginn seines Lebens begab sich Jesus unter das Gesetz, als er beschnitten wurde. Die Beschneidung ist „das tzeychen der reynigung von sunden", aber da Christus ohne Sünde geboren ist, ist er auch ohne Schuld und Fluch und bedarf keiner solchen Reinigung Denn derjenige, welcher Heil und Segen bringen soll, muß selbst frei sein vom Fluch der Sünde. Nach Luthers Auffassung kann Jesus daher nicht „in schendlicher, böser lust" empfangen sein, sondern vom Heiligen Geist Das Gesetz hat auch kein Recht, Forderungen an Maria zu stellen, denn wenn das Gesetz sagt, daß ein Weib nach der Geburt eines Knaben vierzig Tage lang als unrein zu betrachten sei, so spricht das Gesetz von einem Weibe, die auf die gewöhnliche Weise schwanger geworden ist. Aber Maria hat ihren Sohn „per miraculum" und „on allen menlichen samen" empfangen, und daher ist sie hier dem Gesetz nichts schuldig. Sie ist die Ausnahme unter den Frauen und bedürfte nicht wie andere Frauen einer „purificatio" nach den Vorschriften des Gesetzes, aber sie isolierte sich nicht von diesen anderen, sondern auch sie unterwarf sich freiwillig, „sponte", der Forderung des Gesetzes Obgleich die Geburt zu Bethlehem ohne Fleck und Tadel war, glaubt Luther daher, daß sie sechs Wochen dort im Stall geblieben sei, bevor sie sich wieder unter die Menschen begab und "
36, I, 3 - 5 (Pred. 1532 R . ) ; i o I : i , 509, 1 7 - 5 1 0 , 15 ( K i r c h e n p o s t i l l e 1 5 2 2 ] . „ H o c credendum, u t sciamus C h r i s t u m n a t u m sine peccatis, non r e u m peccati et mortis. Si in peccatis u n d unrein natus, non potuisset nos salvare, oportuisset e u m habere p r o p r i u m Salvatorem u t mater . . . " , 46, 231, 24-232, 2 (Pred. 1538 R . ) ; „ O m n i a h o m o obnoxius est vitiis peccati originalis excepto C h r i s t o " , 39 II, 107, 7 f . ( D i s p . d e divinitate et h u m a n i t a t e C h r i s t i 1540). W e n n L u t h e r nun die S ü n d e n f r e i h e i t Jesu so eng mit der natürlichen F o r t p f l a n z u n g verknüpt, liegt unbestreitbar eine naturalistische A u f f a s sung der Erbsünde nahe. „ D a s ist: alle K i n d e r w e r d e n in M u t t e r l e i b e in Sünden emp f a n g e n , getragen und geboren, denn sie w e r d e n gezeuget aus samen, der v e r g i f f t e t ist mit Sünden . . .", 46, 656, 28-33 ( A u s l e g . des 1. und 2. K a p . Joh. 1 5 3 7 ] . A b e r unsere Ergebnisse aus K a p . I В:г über den Sinn der Sünde zeigen, d a ß diese A u s d r u c k s w e i s e Luthers w o h l als eine zugespitzte Formulierung z u betrachten ist u n d nicht als A u s f l u ß einer im eigentlichen Sinne naturalistischen D e u t u n g . D e r R ü c k s c h l u ß w i r d jedenfalls: „Solt nu Christus geburt rein w e r d e n , so muste kein m e n l i c h z u t h u n d a z u k ö rnen", 37, 55, 34 f . ( P r e d . 1 5 3 3 ] . Siehe h i e r z u f e r n e r 7 , 598, 1 1 - 5 9 9 , 26 ( M a g n i f i c a t 1 5 2 1 ) ; 10 I : i , 357, 2 - 3 5 8 , 7, 510, 3 - 5 1 1 , 6 ( K i r c h e n p o s t i l l e 1 5 2 2 ] ; 1 1 , 316, 2 5 - 3 1 8 , 28 ( D a ß Jesus C h r i s t u s ein geborner Jude sei 1 5 2 3 ] ; 17 II, 283, 1 7 - 3 6 , 286, 20-288, 39 (Festpostille 1 5 2 7 ) ; 20, 553, 24-554, 17 (Pred. 1526 D r . ] ; 26, 352, 20-25 ( V o m A b e n d m a h l Christi 1528]; 37, 55, 1 7 - 5 6 , 40 (Pred. 1 5 3 3 ) . 25 M a n k ö n n t e vielleicht e i n w e n d e n , daß auch w e n n G o t t in diesem einzigen Fall einen M e n s c h e n „sine virili cooperatione" geboren w e r d e n l ä ß t , 46, 137, 5 - 8 ( P r e d . 1538 R . ) , d o c h die M u t t e r d e m in der Sünde gefallenen Menschengeschlecht angehören m u ß . H i e r gibt uns L u t h e r z w e i Erklärungen. Erstens sagt er v i e l f a c h , d a ß der Heilige G e i s t d i e „ b l u t s t r o p f f e n " Marias b e i der V e r k ü n d i g u n g gereinigt h a b e , 45, 5 1 , 4-12, 156, 4 - 1 0 (Pred. 1537 R . ) ; 46, 229, 24-230, 34 (Pred. 1538 S t o l t z ) u n d ib. 230, 4 - 2 3 ( R . ) ; 39 II, 107, 8 - 1 1 ( D i s p . de divinitate et humanitate Christi 1540). A b e r z u w e i l e n b e h a u p t e t L u t h e r auch g a n z e i n f a c h , d a ß Maria v o m ersten A u g e n b l i c k , „da sie a n f i e n g z u l e b e n " , „ o n alle sünde" ist; siehe vor allem die ausführliche A u s l e g u n g in der Festpostille 1527, 1711,287,1-288,39. 24
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„zur kirchen gieng", um ihren Erstgeborenen beschneiden zu lassen. Und dabei erfüllte sie wieder, ohne dazu genötigt zu sein, was das Gesetz bei einer solchen Gelegenheit verlangte: es wurden für Jesus ein paar Tauben im Tempel geopfert Dieses Dasein unter dem Gesetz kommt in Luthers Schilderung Jesu ständig zum Ausdruck. Er lebte in seinem Verhältnis zu seinen Eltern ganz unter dem vierten Gebot, und in seinem täglichen Leben stand er während seiner ersten dreißig Jahre unter den gleichen alltäglichen Bedingungen wie andere. Er war dem weltlichen Regiment Untertan, er beachtete die großen Feste und setzte sich für die Heiligung des Tempels ein. Die Evangelien haben sehr wenig über diese Jahre zu berichten. Das ist eine für Luther wichtige Beobachtung, denn er ist ein Gegner aller Spekulationen und Legendenbildungen hinsichtlich Christi Kindheit und der Zeit vor seinem eigentlichen Hervortreten Man braucht sich keinen Phantasien darüber hinzugeben, was Jesus als Kind tat, denn es steht geschrieben, daß er seinen Eltern Untertan war und zunahm an Alter, Weisheit und Gnade, und das ist eine ausreichende Auskunft. Er führte kein „sonderlich leben", obgleich er sich durch ungewöhnliche Frömmigkeit und Gehorsam auszeichnete Aber er wurde kein Mönch, er lief nicht zu einem Kloster, um sich einen Namen durch seine Frömmigkeit zu machen, sondern er lebte im Verborgenen in der Glanzlosigkeit des Alltagslebens. In der Schilderung der Lebensverhältnisse Jesu tut sich also Luthers Berufungslehre kund. Die anspruchslosen Jahre Jesu in Nazareth sind für ihn ein Beispiel des treuen Lebens in der Berufung, im Gegensatz zu allen selbstgewählten Werken". Daher brauchte Lukas auch nichts darüber zu schreiben, wie Jesus ging und stand, wie er seiner Mutter Wasser, Bier und Fleisch holte, wie er Holz trug und in der Zimmermannswerkstatt Späne sammelte, wie '* „Maria etiam subiicit se legi . . . gibt sich sub legem cum filio, quanquam excepta a lege . . . Christus aber helt auch diese weise mit seiner Mutter, bleybt auch unter dem gesetze . . . Maria hett sich wol können schutzenn, Das sie nicht hett durffen unrein sein . . . Doch gleichwol wils die Maria nicht umbgehn unnd ist ohne zweiffei die 6 wochen im stall, da sie geborn, geblieben, bis sie dorfft unter das volck gehenn", 46, 158, 16-159, 34 (Pred. 1538 R. und Stoltz]; 7, 36', 1 1 - 1 6 [Von der Freiheit . . . 1520]; 1 1 , 14, 9 - 1 5 (Pred. 1523 R.); 20, 241, 5-245, 2 (Pred. 1526 R.); „Mose non haberet recht super matrem et filiam", ib. 244, 1 f.; 37, 285, 30-286, 16 (Pred. 1534 R.}· *T „Die narrn schreiben, er habe newe voglin und hirschlin gemacht, fingunt opera, die nicht zum gehorsam dienen", 37, 257, 27 f. (Pred. 1534 R.); i o I : i , 443, 17-445. 15 (Kirchenpostille 1522]. 28 „Er ist gangen operibus 4. praecepti, das sind opera, quibus indiget pater et mater, wasser, trincken holen, feur machen, die hat das Jesischen gethan. Quando mater dicit: lauff hin und hol mir ein kandl vol wasser, kosend, stro, das hat er thun, . . . hat speen gelesen, das viehe getrieben, futter geben, hat nichts sonders gethan", 37, 257, 14-19 (Pred. 1534 R.); IOI:I, 445, 15-20 (Kirchenpostille 1522); 46, 599, 4-8 (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1537). 29 „ain hailigenn frommen man, der ain feyner Exempel von sich gibet", 17 II, 447, 22 f. (Festpostille 1527); „conversatus est familiariter cum hominibus", 9, 442, 4 f. (Pred. 1 5 1 9 - 2 1 Poliander); „Es sind geringe werck, noch hat er sichs nicht lassen verdriessen, noch verachtet, sed ilia vilia opera fecit", 37, 256, 31 f. (Pred. 1534 R.); „homo inter homines conversatur", 45, 49, 28 f. (Pred. 1537 R.).
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er Vieh hütete und fütterte, denn bei all dem hatte er eigentlich, meint Luther, „nichts sonders gethan" 30. So unterzog sich Jesus freiwillig den Werken des Gesetzes und war doch frei vom Gesetz: „thut ers, so ists gutt, thutt Ers nicht, ist Ers nicht schuldig". Er ist unter dem Gesetz und gleichwohl nicht unter dem Gesetz; denn mit dem Willen ist er frei, aber durch seine Werke - die er freiwillig tut - ist er unter dem Gesetz. Daher hält er den Sabbat und hält ihn doch nicht, „hats unter Zeiten mit, unter Zeiten auch gar wider Mosen gehallten". So kann er das Gesetz behandeln, da das Alte Testament und das Gesetz Mose noch gelten, während gleichzeitig eine neue Zeit hereinbricht, oder wie Luther sagt: „Er ist gleich in medio veteris et novi Testamenti gewesenn". Er ist dem Gesetz unterworfen und dennoch Herr des Gesetzes, er ist ein vom Gesetz verfluchter Mensch, aber gleichwohl Gott, voller Gnade und Segen Wer auf diese erste Weise „nach den wercken" unter dem Gesetz steht, muß auch auf die zweite Weise, „nach der straffe", darunter sein. Zwar steht vonseiten Christi alles unter dem Zeichen der Freiwilligkeit und dienenden Liebe, so daß er nicht nur die Werke tut, die er zu tun nicht verpflichtet war, sondern auch die Strafe des Gesetzes erleidet, obgleich er ohne Sünde war und niemals gegen die Gebote des Gesetzes gefehlt hatte. Da aber Jesus nun einmal in Verborgenheit und Erniedrigung gekommen ist und sich willig allen Bedingungen des Gesetzes unterworfen hat wie andere Menschen, so behandelt das Gesetz ihn auch wie irgendeinen beliebigen Menschen und läßt ihn Drohung und Anfechtungen, Pein und Fluch ertragen genau wie alle Sünder auf dieser Erde Aber Christus selbst ist unschuldig und hätte nicht gegeißelt und gekreuzigt werden dürfen wie andere Verbrecher. Einen für diesen Gedankengang repräsentativen Abschnitt finden wir im Galaterbriefkommentar aus dem Jahre 1535, dem wir nun folgen 33 . Die göttliche Person, die ohne Sünde war, nahm die Person von Sündern und Räubern an, sagt Luther. Er tritt dann nicht mehr in eigener Person als Gottes Sohn auf, sondern er ist der größte Räuber, Mörder, Ehebrecher, Dieb, Kirchenschänder, Gotteslästerer usw., den es je in der Welt gegeben h a t E r ist nicht nur ein menschliches Wesen von Fleisch und Blut gleich anderen, mit der Ausrüstung eines gewöhnlichen Menschen, sondern das Wichtigste an seiner Menschwerdung liegt in seinem Herabsteigen „in unsere Sünden, unseren Fluch, unseren Tod und all unser Übel" 3S. Das ist Luther zufolge et3
" ioI:i,
4 4 5 , 1 9 - 2 2 (Kirchenpostille 1 5 2 2 ) . Ib. 5 1 5 , 1 9 - 5 1 8 , 4; „ U n d alsso gehet er daher unter dem gesetz u n d tzugleych nit unter dem gesetz. E r thutt gleych denen, die drunder sind, u n d ist er doch nit alsso drunder. M i t dem willen ist er f r e y unnd derhalben nit drunder, mit den w e r c k e n , die er willig thut, ist er drunder", ib. 3 6 5 , 2 1 - 3 6 6 , 1 ; 46, 7 3 1 , 3 6 - 7 3 4 , 29 ( A u s l e g . des 1. und 2. K a p . Joh. 1 5 3 8 S t o l t z ) . 32 ioI:i, 3 6 6 , 1 3 - 3 6 7 , 20 [Kirchenpostille 1 5 2 2 ] . 33 40 I, 4 3 3 , 1 7 - 4 3 9 , 18 (In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 D r . ) . " Ib. 4 3 3 , 1 7 - 2 8 . 31
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Ib. 4 3 3 , 2 6 - 4 3 4 ,
D a r u m heißt es nicht, sagt L u t h e r
einmal:
„Das Wort
ward
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was, wovon die alttestamentlichen Propheten oft gesprochen haben, daß Christus gesündigt habe oder daß er Sünde habe Christus ist zu einem Fluch gemacht worden und trägt Schuld an allen Sünden, die Menschen begangen haben, denn die Sünden der ganzen Welt sollten auf ihm liegen und er sollte dadurch alle anderen vom Fluch loskaufen. Daher ist er der Sünder vor anderen und aller Sünde schuldig, denn wenn er unschuldig wäre und nicht die Sünde getragen hätte, müßten die Sünder sie selbst tragen und in ihr verdammt werden. Christus ist „summus, maximus et solus peccator" Gottes Sohn wurde also unter Sündern und Räubern gefunden, und die Obrigkeit sieht den, der unter Räubern ertappt wird, für schuldig an und straft ihn, konstatiert Luther Christus war zwar unschuldig, und er hätte sich von den anderen Menschen isolieren und seine Gottgleichheit für sich selbst behalten können - darin bestand seine große Versuchung " - aber er stellte sich freiwillig und dem Willen seines Vaters entsprechend solidarisch mit den Sündern. Daher wütete das Gesetz gegen ihn, den Heiligen und Gerechten, schlimmer als gegen andere Menschen, die doch verdammte Sünder waren. Aber nachdem er deren Sünde auf sich genommen hat, kommt das Gesetz und sagt: „Jeder Sünder soll sterben". Das Gesetz ertappt ihn unter den Räubern, es sieht nirgend Sünde als nur bei ihm, wirft ihm vor, er sei lästerlich und aufrührerisch gegen Gott, richtet ihn und liefert ihn Tod und Verdammnis aus ,0 . Aber, ruft Luther aus, es ist ebenso unsinnig wie schimpflich, den Sohn Gottes einen Sünder und einen Fluch zu nennen Für Luther liegt es indessen auf der Hand, daß man, wenn man dies leugnet, auch in Frage stellen muß, ob Christus überhaupt gelitten hat und gestorben ist, und damit würde alle Rede von einer Erlösung um Christi willen ihren Sinn verlieren. Er mußte wirklich die ganze Tyrannei des Gesetzes ertragen", den Schrecken und die Angst des Fluchs durchleben und sich als „ein Spot und Fluch der Leute" ansehen lassen, um dadurch die Macht des Gesetzes zu vernichten und eine „victima pro nobis" zu werden Christus ging hinein Mensch", sondern „nach der Schrifft brauch: es ward fleisch, anzuzeigen die schwacheit und sterbligkeit, denn Christus hat Menschliche natur angenomen, die sterblich und dem schrecklichen zorn und gericht Gottes von wegen der sünde des Menschlichen geschlechts unterworffen ist, welchen zorn dieses schwach und sterblich fleisch in Christo gefület und gelidden hat", 46, 632, 21-26 (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1537). 38 4 0 1 435, 21-436, 16. 37 Ib. 439, 13-17; „Sic per ministerium factus est servus et peccator personaliter, et non naturaliter; sed quia servus est factum omnium peccatorum, ideo dicitur peccator", 40 III, 706, 13-15 (Enarratio 53. cap. Esaiae [1544] 1550). 40 I, 434, 12-20. " Siehe z.B. 37, 306, 9-15 (Pred. 1534 R.). 10 40 I, 435, 26-436, 20, 437, 27-438, 18 und z.B.: „Moses enim, qui est minister peccati, irae et mortis, coepit, ligavit, condemnavit et occidit Christum, hoc ipse pertulit", ib. 568, 20 f . 41 Ib. 434, 29 f . 42 Ib. 567, 26-568, 16. 38
" 45, 236, 35-39 (Pred. 1537); 3, 21 r, 16-19, 2 3б, 33 f· (Dictata super Psalterium 1513-
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in die vollständige Gottverlassenheit und wurde in einer intensiveren und konzentrierteren Weise als irgendein anderer Mensch dem Gesetz, dem Zorn, dem Gericht und dem Fluch unterstellt. Er bekam „des Teuffels fewrige Pfeile, Hellisch Fewer und Angst und alles, was wir mit unsern Sünden verdienet hatten" zu spüren Er, der selbst vere Deus war, mußte erleben, was es besagen will, von Gott verlassen zu sein und allein dem Ansturm der Tyrannen gegenüberzustehen". A m Kreuz schreit er seine absolute Verlassenheit heraus, aber ist machtlos gegenüber dem Schweigen des zornigen Gottes und den Schrecken der Hölle. Hier unten in der tiefsten Erniedrigung und der vollständigen Unterwerfung unter die Tyrannen, in einem Konzentrat allen menschlichen Leidens, erreicht der Kampf zwischen Bösem und Gutem seinen Höhepunkt. Der Zweikampf zwischen Gott und dem Teufel spielt sich auf dem Gebiet des Menschenlebens ab, und die Entscheidung fällt in dem Menschen Jesus. Mitten in der totalen Gottverlassenheit ist Gott doch der Stärkere, in der Schwäche und Schande sind Gottes Macht und Herrlichkeit verborgen. In dieser Luthers Darstellung des furchtbaren Zusammenstoßes von Sünde und Gerechtigkeit, Tod und Leben, Zorn und Gnade, Fluch und Segen vereinen sich alle Gedanken an den Mittler, sein Verdienst und Opfer, und den Helden, seinen Kampf und Sieg, denn der Mittler ist hier für Luther auch der Held, der in der tiefsten Erniedrigung den Kampf eines Menschen gegen Anfechtungen und Leiden kämpft, und der Held ist derselbe wie der Mittler, wenn er im äußersten Todeskampf anstelle der Menschen am Kreuz leidet Christus ist Gott und Mensch, Richter und Gerichteter, Herr und Knecht, gesegnet und verflucht, denn der, welcher ohne Sünde war, wird zu Sünde gemacht, der einzig Gerechte wird verflucht, damit der Sünder gerechtfertigt werden möge. Er unterwarf sich der Knechtschaft der Tyrannen, um sie besiegen zu können. Daher treffen in der Person Christi, im Göttlichen und Menschlichen, die größten Gegensätze aufeinander Dort 1 6 ) ; 5, 603, 28-40 (Operationes j n Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ) ; „Christus est f a c t u s maledictum, ibi significat valde concretum, id est, Christus est factus hostia, victima pro nobis", 39 II, 109, 7 - 9 (Disp. de divinitate et humanitate Christi 1540). " 45, 240, 26-29 (Pred. 1537); „moritur in horto, antequam crucifigitur . . . Ist nicht ein spiglfechten gewest . . .", 27, 108, 23-31 (Pred. 1528]; „tentatio vera . . . et non f i c t a , scilicet non presciente Christo", 9, 442, 19 f . [Pred. 1 5 1 9 - 2 1 Poliander); 37, 308, 3 - 8 CPred. 1534 R . ) ; „maximas tentationes und k e m p f f e . N o n f u i t schertz . . . Ideo maiores pugnae, q u a m ut h o m o possit intelligere . . . sed dominus vicit, sed non an schweis. ringen, schmertzen", 46, 203, 29-204, 20 (Pred. 1538 R . ] . 15 3, 426, 19-30 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; 2, 692, 5-8 (Ein Sermon von der Bereitung z u m Sterben 1 5 1 9 ) ; „Derelinqui ergo a deo est in morte, tenebris, stultitia, mendacio, peccato, malitia, infirmitate, tristitia, confusione, turbatione, desperatione, damnatione et omnibus malis esse", 5, 602, 1 6 - 1 9 ( O p e r a t i o n e s in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ]; ib. 606, 39 f . , 6 1 1 , 20 f . ; 37, 326, 4-26 (Pred. 1534 R . ) ; „ D e n n von G o t t verlassen sein, das ist viel erger denn der T o d " , 45, 237, 23 f . (Pred. 1 5 3 7 ] . " Sehr schön dargestellt im Galaterbriefkommentar 1535, 40 I, 564, 26-566, 17. " „Szo stimmet in Christo zcusamen T o d t , vormaledeyung, jammer, betrubnuss und alles ubel, und auch widerumb leben, genad, frid und Trost und alles, w a s man guett nennen k a n " , 9, 661, 7 - 9 (Pred. 1 5 1 9 - 2 1 Poliander).
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prallen diese beiden zusammen: „summum, maximum et solum peccatum" und „summa, maxima et sola iustitia" Daher ist Christus simul justus et peccator und zwar in höherem Grade als andere: „Conceditur ab omnibus, in Christo simul fuisse summum gaudium et summam tristitiam, item summam infirmitatem et summam virtutem, ita summam gloriam et summam confusionem, ita summam pacem et summam turbationem, ita summam vitam et summam mortem, . . . simul Christum summe iustum et summe peccatorem, simul summe mendacem et summe veracem, simul summe gloriantem et summe desperantem, simul summe beatum et summe damnatum" Der Kehrreim „simul" in dieser Auslegung des zweiundzwanzigsten Psalms ist ein sehr wichtiges Wort in Luthers Verständnis der Personeneinheit Christi50. Die Vorlesung über Jes. 53, die Luther während der Fastenzeit 1544 hielt, ist ein Beispiel für einen in diesem Zusammenhang typischen Gedankengang Durchweg beschreibt er dort den Messias, König und Priester, den elendesten und verfluchtesten Menschen und „tarnen simul Deus in maiestate", und wie er, der Gottes Arm genannt wird, Gottes gewaltige Werke vollbringt, um die Sünder zu erlösen. Das ganze Leben Jesu ist ein ständiges Herabsteigen, ein fortgesetztes und gesteigertes Leiden, „crux continua", aber gleichzeitig ist er „Dominus gloriae" Sein gesamtes Dasein ist „contra legem Mosi", er ist ein Gesetzesbrecher, ein Unreiner, dem man ausweichen muß, ein Sünder, der vom Gesetz ausgestoßen und verflucht, dem Tod und der Hölle verfallen i s t U n d diesen Fluch trug er, „damit wir Frieden fänden". Er stand unter dem Zorn Gottes, verlassen, geschlagen und von Gott gemartert, sogar dem Haß Gottes ausgeliefert „in odio Deil" Unschuldig muß er die schändlichsten Dinge erdulden und kann deshalb durch einen „seligen Tausch" den Menschen Vergebung " 4 0 1 439/ 1 3 - 1 7 · " 5, 602, 2 1 - 3 5 (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ) . „simul maledictus et benedictus, simul vivus et mortuus, simul dolens et gaudens", 3, 426, 34 f . (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) . Vgl. Hermann 1930, 218 f f . 51 40 III, 685-746 (Enarratio 53. cap. Esaiae [ 1 5 4 4 ] 1 5 5 0 ] ; wir werden später, in K a p . II C : 2 zu diesem T e x t zurückkehren. 52 „Esaias vocat Messiam illum gloriae Dominum, brachium Domini, Regem, Sacerdotem, et tarnen miserrimum, abiectissimum hominem, quo non sit quisquam despectior in toto genere humano, et tarnen simul Deum in maiestate sua adorandum. Ista praevidit Esaias omnia et non dubitat asserere illud brachium Dei alteram esse personam divinitatis et pontificem nostrum, simul verum hominem, qui victima factus satisfecerit pro nostris peccatis, redemerit nos a Sathanae potestate et donaverit vitam aeternam. Iste est articulus fidei et confessionis nostrae praecipuus, a Paulo copiose tractatus. Hie ergo diebus passionis et recordationis eius volumus tractare utrunque, quod Christus sit Deus et H o m o " , 40 III, 687, 2 - 1 2 ; ib. 688, 2-27, 695, 21 f. und 7 1 2 , 20-26. 53 7 " , 1 6 - 3 4 , 7 1 6 , 19-28. 54 7*5< 1 7 - 3 5 ; ..Hoc vere magnum est: Christus iram Dei plus sensit, quam ego et tu, пес est fueus aut simulatum quiddam, quod in hac persona geritur. Iram Dei ita sensit, quasi derelictus a Deo esset et pateretur propter iram Dei", 7 1 6 , 1 - 5 ; „Ipse percussus est a Deo поп solum ilia specie, qua conversatus est cum hominibus, qui reputarunt eum novissimum virorum. Sed ista passio etiam declarat certissimo argumenta eum esse in odio Dei!" 716, 29-31. 50
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und Frieden schenken Er wird vom Gesetz ergriffen, wie ein schuldbeladener Mensch unter anderen Menschen. Aber gerade darin bildet er eine Ausnahme, denn er ist ohne Schuld, und deshalb haben das Gesetz und der Tod kein Recht auf ihn; sie werden überlistet und besiegt s ". Das ist das große Werk, zu dessen Durchführung er in die W e l t kam - „mirabile opus in incarnatione Christi" iT. W e r so den Sieg erringt und Gottes Zorn versöhnt, muß ein so großes Opfer darbringen, wie kein Mensch es vermag, nur der Sohn Gottes. Er ist es, der Gottes Arm genannt wird, und von ihm gilt: ,дгоп potuit peccare" A b e r dieselbe Person wird auch als der leidende Diener bezeichnet und ist gestorben - und zwar gerade als Sünder getötet. Ja, er ist „maximus peccator", „mirabilis peccator". Aber es ist ein „peccatum alienum", das ihn zum Sünder macht. Im Einklang mit seinem A m t ist Christus nur „personaliter" Sünder, nicht aber „naturaliter", da er sowohl seiner göttlichen wie seiner menschlichen Natur nach ohne Sünde ist, als Person sich aber doch der Sünde unterwirft, der fremden Sünde, der Sünde der anderen Daher ist Christus simul Deus et homo und simul justus et peccator. Im Grunde wird die Formel simul justus et peccator als ein mit communicatio idiomatum korrespondierender Begriff gebraucht, der gleichzeitig auch den Inhalt dieser Mitteilung ergänzt und erhellt. W e n n man mit communicatio idiomatum ausdrücken will, wie Göttliches und Menschliches in Christus eine Einheit bilden, besteht, wie wir schon gesehen haben, die Gefahr, daß man in reinen Naturkategorien stecken bleibt und daher zu allerlei unwahrscheinlichen Annahmen greifen muß, um mit einigem Erfolg sowohl die Fülle und Integrität der Naturen wie die Realität der Einheit behaupten zu können. Da sich nun Luther niemals Spekulationen über die Verhältnisse der Naturen an sich hingibt, ist schon dies allein ein Kriterium dafür, daß er unter communicatio idiomatum etwas anderes und mehr versteht als nur eine irrationale und paradoxe Erklärung dafür, wie man sich ein Aufgehen der Gleichung denken könnte. Es handelt sich für Luther niemals darum, sich nur mit den Geheimnissen der Person an sich zu beschäftigen unter Nichtbeachtung dessen, was diese Person ausrichtet: Person und A m t müssen zusammen gehören, das eine ohne das andere zu betrachten, empfindet Luther nicht nur als sinnlos und unklug, sondern auch und vor allem als gefährlich, denn es führt hinweg von dem erlösenden Gott. Wenn wir daher versucht haben, gewisse Züge der Versöh55
716, 16 f., 718, 39 f., 7 2 1 , 1 - 5 .
" 7'7> 1 3 - 3 1 , 731, 7 - 1 4 , 7 4 1 , 1 - 2 1 ; „Ibi cogitur dicere Satan et Mors: N o s peccavimus, accusavimus innocentem personam, occidimus insontem. Ego, lex, Filium Dei similem f e c i caeteris latronibus . . . Sic mors sese occidit, Diabolus sese strangulavit, infernus sese spoliavit . . . Diabolus, mors, peccatum seipsas consumunt, quia damnabiles in conspectu DEI suo ipsorum iudicio et sententia", 744, 22-31.
" 744, 32 f. 58 „ Q u i a ira Dei non potuit placari et tolli nisi tali et tanta victima, quae est Filius D e i , qui non potut peccare. N u l l a sacrificia erant, quibus placari potuit D E V S , nisi haec victima", 732, 22-24; " n o n potuit peccare", siehe auch: 37, 308, 10-14 (Pred. 1534 R . ) . " 40 III, 706, 13-32, 743, 6-35.
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nungslehre Luthers herauszustellen und auf diesem Wege vorgestoßen sind zu dem kühnen Bild von Christus als „simul summe justus et summe peccator", so ist es unsere Absicht, eben die obenerwähnte Gefahr eines bloßen Naturdenkens zu beseitigen und dadurch dieses durch jenen lebendigeren und dynamischeren Aspekt zu ergänzen. Denn die Aussage, daß Christus vere Deus und vere homo ist, erhält erst dann Leben und Inhalt, wenn man gesagt hat, was es bedeutet, Gott zu sein und Mensch zu sein, worauf wir bereits früher hingewiesen haben. Und dieses „sein" ist kein nur statisches und ereignisloses Sein, sondern ein ständiges Geschehen, ein Handeln voller Dynamik und Aktivität. In der Person Christi strömen alle diese Gegensätze zusammen, denn Gott wirkt immer sub contraria specie. Wir körinen nun auch klarer sehen, warum Christus das opus singulariter Dei ist, da nämlich opus alienum und opus proprium in Christus eine Einheit bilden. Hier liegen Zorn und Gnade, Sünde und Heiligkeit ineinander. Im Kreuz ist Heil, im Fluch Segen, im T o d Leben' 0 . Das Wunder vor anderen im Werk Christi sind nicht die äußeren Mirakel und Wunderwerke, die Christus ausführte, sondern daß er den T o d durch den Tod, die Sünde durch die Sünde, das Gesetz durch das Gesetz vernichtete und so das Werk des Teufels durch sein eigenes göttliches opus zerstörte Indem er die Machtstellung der Tyrannen von innen her untergrub, konnte Christus sie überlisten und besiegen. A l s nun aber Gott sich in seinem Gegensatz verbarg und in die tiefste Erniedrigung herabstieg, so daß die göttliche Ehre und Macht in Schmach und Kraftlosigkeit gehüllt wurden, verfielen alle Mächte des Verderbens einem gründlichen Irrtum. Ohne jede Berechtigung übt das Gesetz dieselbe Tyrannei gegenüber dem Sohn Gottes aus wie gegenüber Sündern, weil es ihn als summus peccator betrachtete und nicht sah, daß er zugleich summus justus war. Ebenso schlug der Tod blindlings den nieder, der nicht sterben konnte, und die Sünde wollte zu Unrecht den einzigen Heiligen zum schlimmsten Schurken machen. Aber Christus hob alles auf, das Gesetz, den Tod, die Sünde und den Zorn Gottes Denn als die Mächte °° „ V e l quia purum hominem putabant et sich totaliter mortuum, cum tarnen esset simul vivens tota persona", 4, 33, 35-37 (Dictata super Psalterium 1513-16); siehe hierzu Bring 1929, 142 f f . , Vogelsang 1929, 177 ff., und 1932, 104 f. " „Ista sunt mirabilia: non tantum miracula que fecit, sed multo magis, quod mortem morte occddit et penas pena, passiones passione, ignominias ignominia, ita quod mors in Christo est ita preciosa in conspectu domini, ut sit eterna vita, репа sit gaudium, passio sit voluptas, ignominia sit gloria: et econtra vita sit mors, gaudium sit репа, voluptas passio, gloria ignominia, sed secundum differentem conspectum, dei scilicet et hominum", 4, 243, 7 - 1 3 (Dictata super Psalterium 1513-16); „Sic est mors mortis, peccatum peccati, lex legis, venenum veneni, id est: destruit opera Diaboli, vim legis, terrorem mortis, ius peccati . . . " , 45, 444, 9 - 1 2 (Conciunculae quaedam . . . 1537). " Dieses Thema ist bei Luther sehr häufig und mit drastischer Konkretion behandelt worden z.B.: „Item die helle sperrete iren rächen auff und wolt den Christum verschlyngenn, aber sie ward von jm verschlungen. Das also inn disem kampff züschanden worden sind Gesetz, Sund, Tod, Teuffei und Helle, die er alle in ein Triumph geführt hat", 17 II, 292, 1-14 [Festpostille 1527); „quia peccatum non fecerat, darumb hette der tod keinen anspruch zu ihm, versehet sich dem man, nescit das da ist persona, quae mori
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Gesetz und Recht ihren Lauf nehmen und Jesus wie andere Menschen behandeln lassen wollten, hoben sie sich selber auf und konnten nicht länger Anspruch auf ihn erheben. Das Gesetz, das zuvor alle Menschen verdammt und getötet hatte, hat nun nichts zu seiner Verteidigung oder Entschuldigung anzuführen, sagt Luther im Kommentar zum Galaterbrief von 1 5 3 5 , und deshalb wird es seinerseits auf die Weise gerichtet und getötet, daß es sein Recht verliert, nicht nur Christus gegenüber - der rechtswidrig von ihm getötet worden war - sondern auch allen gegenüber, die an ihn glauben Dadurch ist für Luther das ganze juridische Rechtsschema wirklich durchbrochen, und er kann, ohne zwischen verschiedenen Theorien über die Versöhnung zu schwanken, meritorische und energetische Terminologie mischen, wenn er vom Werk Christi spricht. Der rechtliche Gedankengang ist hier nicht moralistisch, sondern antagonistisch. Die Auseinandersetzung ist letztlich kein Rechtsprozeß, sondern ein verborgener Kampf, in dem die Tyrannen Christus gegenüber so viel Unrecht begehen, daß sie sich schließlich seiner Macht unterwerfen müssen '*. Das ist auch die Bedeutung des seligen Tausches, den Christus mit den Sündern macht. Er, der summus justus ist, legt menschliches Knechtsgewand an und wird summus peccator, und die Menschen, die unverbesserliche Sünder sind, dürfen im Glauben Christus anziehen und teilhaben an seinem Sieg und Segen Wenn er die Sünde genommen, sich dem Fluch unterworfen, pro nobis gelitten hat und gestorben ist, liegt dies alles nicht mehr auf dem sündigen Menschen, sondern auf ihm, „das ein Christen keinen Richter, keine straffe, keine sunde, kein tod, sondern das ewige leben und alles guts hat" ββ. Gott hat „einen reichen, seligen Wechsel mit uns" non potest . . . Sic lex fehret auff die menscheit: die Gottheit kund es nicht treffen. Sic mors et diabolus mit all seiner macht grieffen die person an, der tod mus sterben, der Teufel ihm unter die fusse fallen", 37, 26, 3 0 - 3 1 , 7 (Pred. 1 5 3 3 R . ] . " 40 I, 266, 34-267, 15/ 278, 2 1 - 2 7 9 , 29, 439, 28-440, 35, 565, 18-566, 17 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.]; „drumb sind sie [die Gebote des Gesetzes] yhm alle vorfallen, haben yhm unrecht than und müssen nu yhm mit Recht auch unterthan seyn", i o I : i , 5 1 7 , 9 - 1 1 (Kirchenpostille 1 5 2 2 ) ; 45, 343, 1 3 - 2 2 (Pred. 1 5 3 7 R . ] . " Wenn diese Darstellung irgendwie als eine gewisse Kritik an Aulens Auffassung des christlichen Versöhnungsgedankens verstanden würde, könnte sie nur gegen eine ursprüngliche ( 1 9 3 0 ) Einseitigkeit gerichtet sein. Die erforderliche Nuancierung hat aber Aulen seitdem selbst vorgenommen, siehe „Reformation och katolicitet" 1959, u.a. 89 f f . , und in jüngster Zeit, „Dramat och symbolerna" 1965, besonders das zusammenfassende Kapitel über das Christusdrama und das Gottesbild, 293 f f . Worum es bei Luther geht ist, daß die qua homo- und qua deus-Aspekte nahe miteinander verbunden sind. Man kann also nicht ganz einfach sagen, daß Luther „qua deus" betone, während „qua homo" f ü r den anderen Versöhnungstypus kennzeichnend wäre. A u c h in einem sog. juridischen Gedankengang ist es entscheidend, daß Jesus das, was er als Mensch macht, auch als Gott machen muß, denn sonst konnte seinem Werk kein so unendlicher Wert beigemessen werden. Sowohl das Werk als auch die Person Christi sind - jedes f ü r sich - eine Einheit von Göttlichem und Menschlichem. Entscheidend sind dann das Motiv und der Hintergrund, sowie die Frage, w o das Hauptgewicht liegt und wie der Gedankengang in seinem theologischen Gesamtzusammenhang geprägt ist. " 4 0 1 , 443, 23-34 CIn epistolam ad Galatas 1535 Dr.]. "
37, 53, 1 - 7 (Pred. 1 5 3 3 ] ; 40 III, 706, 1 8 - 3 2 (Enarratio 53. cap. Esaiae [ 1 5 4 4 ] 1 5 5 0 ) ·
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vorgenommen, er hat die Sünder aus dem Reich des Teufels herausgerissen und sie in das Reich des Sohnes kommen lassen Seine „fremde heiligkeit" ist dennoch meine eigene, bekennt Luther, denn „auff seinen sieg kom ich, et sua est mea" Christus nennt die Sünde der ganzen Welt die seine und tötet sie in seinem Leib. Er sagt: „du bist nicht mehr ein sünder, sondern Ich, Ich trit an deine s t a t " E r ist „iustitia mea" und ich bin „peccatum eius". Das ist wirklich ein „mirum commercium": er nimmt auf sich, was nicht das Seine ist und gibt mir das, was nicht das Meine ist. Er, der in Gerechtigkeit wohnt, steigt herab unter die Sünder und macht ihre Sünde zu der seinen, aber er tauscht sie aus gegen seine Gerechtigkeit Genau wie der simul justus et peccator-Aspekt kann auch dieser Gedanke an einen „fröhlich wechssei und streytt" " wichtige Seiten der communicatio idiomatum beleuchten und diesem Begriff mehr Leben und nuancierten Inhalt verleihen Denn wenn Christus, vere Deus et vere homo, in der innersten Tiefe des Versöhnungswerkes sich ganz der Knechtschaft der Tyrannen unterstellt und „an unsere stat" den Kampf ausficht und den Mächten des Bösen den Stachel nimmt, dann ist es wirklich Gott, der pro nobis Mensch und summus peccator wird, obwohl er zugleich der Herr der Herrlichkeit und summus justus ist. Da geschieht der wunderbare Tausch von Sünde und Gnade zwischen dem Menschen und Gott, und darin liegt die tiefste Bedeutung des Werkes Christi. Wiederum stellen wir fest, daß man niemals Amt und Person voneinander isolieren kann, sondern daß man mitten in der Auslegung des Werkes auf Fragen in bezug auf die Person stößt und umgekehrt. Deshalb liegen auch mirum commercium und communicatio idiomatum so nahe beieinander. Christus, Gott und Mensch in untrennbarer Vereinigung, führt als eine einheitliche Person diesen Tausch auf die Weise durch, daß er als wahrer Mensch herabsteigt in die tiefste Erniedrigung und sich selbst hingibt; da es aber die göttliche Liebe "
45, 267, 1 2 - 1 6 (Pred. 1 5 3 7 ) . Siehe ferner unten Kap. III B:i.
" 36/ 692, 16-693» 2 (Pred. 1 5 3 2 R.); .Also ist es eine frembde und doch unser heiligkeit", 3 7 , 57, 22 [Pred. 1 5 3 3 ) . ** 46, 6 8 1 , 1 - 1 6 (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1 5 3 7 ) ; 40 I, 274, 2 3 - 3 4 (In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 Dr.); vgl. in Polianders Kodex: „Hastu sund, boess gewissen, alles ubel, Jamer und ungluck, Szo hab ich alles gutz und Trost und wil dir das geben, wirff dein bossheyt frey auff mich etc.", 9, 661, 1 - 3 ( 1 5 1 9 - 2 1 ) . 70 „tu, Domine Ihesu, es iustitia mea, ego autem sum peccatum tuum; tu assumpsisti meum et dedisti mihi tuum; -assumpsisti quod non-eras et dedisti mihi, quod non eram . . . Christus enim in peccatoribus habitat. Ideo enim descendit de coelo, ubi habitabat in iustis ut etiam habitaret in peccatoribus . . . sicut ipse suscepit te et peccata tua fecit sua, et suam iustitiam fecit tuam", BR I, 35, 2 5 - 3 6 (Briefe an Splenlein 1 5 1 6 ) ; 15, 467, 1 6 - 2 3 (Pred. 1 5 2 4 ) ; I i , 1 2 6 , 9 - 2 0 (Pred. 1 5 2 3 ) . 71 „was Christus hatt, das ist eygen der glaubigen seele, was die seele hatt, wirt eygen Christi. So hatt Christus alle gutter und Seligkeit, die seyn die seelen eygen. So hatt die seel alle untugent und sund auff yhr, die werden Christi eygen. Hie hebt sich nu der frölich wechssei und streytt. Die weyl Christus ist gott und mensch, wilcher noch nie gesundigt hatt, und seyne frumkeyt u n ü b i r w i n d l i c h , ewig und almechtig ist", 7, 25, 3 1 - 3 6 ( V o n der Freiheit eines Christenmenschen 1520). 72 Siehe Torgny Bohlins Arbeit von dem gekreuzigten Schöpfer 1952, 223 f. und W . Maurer, V o n der Freiheit eines Christenmenschen 1949, 57, 68 f f .
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selbst ist, die sich in stellvertretendem Leiden opfert, folgt, daß man weder in der Person noch im A m t die qua deus- und qua homo-Aspekte zu unterscheiden vermag. Dies ständig wiederholte simul hindert jegliche Spaltung und zeigt genau wie die communicatio idiomatum auf die Person und deren unteilbare Einheit, obgleich wir die ganze Zeit mit zwei Bestandteilen zu rechnen haben. Gerade darum ist es sinnvoll, von simul, communicatio und commercium zu sprechen, denn Sünder und Gerechter sind doch nicht dasselbe, ebenso wenig wie man Gott und Mensch identifizieren kann. Luther schildert gern das ganze Leben Jesu, buchstäblich von der Wiege bis zum Grabe, als die tiefste Erniedrigung Die Verachtung, der Hohn, die Anfechtungen und die Pein verfolgten Jesus vom ersten Augenblick an und wurden immer schlimmer, bis er nahe daran war aufzugeben, als er in die Höllentiefe der Blutstropfen, Geißelschläge und Kreuzigung fiel. Und doch ist diese Person Gott selbst. In ihm, der simul summe justus et summe peccator ist, strömen alle diese Gegensätze zusammen, Gott und Mensch, Gnade und Zorn, Himmel und Erde. Wie Christus durch seine Erniedrigimg, seine Versuchungen, sein Leiden und seinen Tod in sich alle menschliche Not und allen Fluch zusammenfaßte, so daß er selbst eine Intensivierung alles Menschlichen, ein Konzentrat des Menschseins darstellt, so hat er durch seine Göttlichkeit, seinen Sieg und seine Erhöhung, seine Auferstehung und Himmelfahrt alles Leben, alle Gerechtigkeit, allen Segen und alle Seligkeit zusammengefaßt. Hier haben wir im Grunde den Kernpunkt der communicatio idiomatum vor uns: Gott verbirgt sich in dem, was sich wie sein Gegensatz ausnimmt, wird Mensch, Sünder und Verlorener und überlistet und besiegt dadurch alle Mächte des Bösen. Hier herrscht wirklich die Einheit von Inkarnation und Versöhnung, Person und Amt, Göttlichem und Menschlichem. Auf diese Weise wird die Basis des Werkes Christi zu etwas erweitert, was in sein ganzes persönliches Dasein vom Beginn bis zum Ende hineingewoben ist. Die Menschwerdung, die Erniedrigung und das Herabsteigen sind eine Notwendigkeit, um die Sünden der Welt zu sammeln und auf sich zu nehmen, und das Auferstehen und die Verklärung sind Ausdruck des göttlichen Sieges über die Sünde und den Fluch. Daher ist die Distinktion zwischen „status exinanitionis" und „status exaltationis" eng mit der Lehre von der communicatio idiomatum und dem Verhältnis von Göttlichem und Menschlichem in der Person Christi verknüpft. Da finden sich alle diese Person und Werk betreffenden Fragen in einer Einheit zusammen, und da tritt der vielschichtige Hintergrund der communicatio idiomatum hervor. ' ' Siehe z.B. in der f r ü h e r zitierten Vorlesung über Jes. 53, 1544: „Inspice enim non solum passionem Christi, sed etiam actionem, miracula eius, an non tota eius conversatio est in summa humilitate, paupertate et contemptu?", 40 III, 694, 4 - 6 ; „ A p p a r i u t pauper et afflictus non solum in passione, sed etiam in omnibus actionibus suis", 695, 21 f . V g l . W . Köhler, W i e Luther den Deutschen das Leben Jesu erzählt hat 1917, und R. Bainton, Luther's meditations on the gospels 1962, die beide bei der Darstellung von Luthers Jesusbild auch diesen Z u g hervorheben.
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2. Exirtanitio et exaltatio In einer Predigt von 1527 1 legt Luther Davids Worte in Ps. 68, 19: „Du bist in die Höhe gefahren", aus. Damit zeigt der Psalmist, meint Luther, daß Christus wahrer Gott und wahrer Mensch war *. Christus hat sowohl die rechte Hand Gottes wie die Tiefe der Hölle erprobt. Er war der Macht des Teufels unterworfen, er fuhr tiefer hinab als je ein Mensch; da es aber unmöglich war, daß er, der Sohn Gottes, vom Tode festgehalten wurde, fuhr er wieder auf zur Seite Gottes in der Höhe'. Tiefer konnte er nicht niederfahren, höher konnte er nicht aufsteigen. Aber wollte er auffahren, so mußte er auch hinabsteigen, denn das Aufsteigen zur Rechten Gottes setzt das Hinabsteigen und die Menschwerdung voraus \ „Darumb foddert dieser spruch, das die person, die nidder und aufgefahren ist, nicht allein warer Gott, sondern auch warer mensch sey" Niemand hat so wie er die äußerste und absolute Not des menschlichen Lebens zu spüren bekommen, denn nur er hat die totale Gottverlassenheit auf sich genommen und ist unter dem Druck der Macht der Tyrannen in die Tiefe niedergestiegen: „das ist, mein ich, ya die letzte und unterste tieffe" *. Hier finden wir also wieder, daß Luthers Auffassung von den Naturen Christi nicht durch abstrakte und spekulative Erwägungen bestimmt ist. Entscheidend ist vielmehr die Darstellung von Leben und Versöhnungswerk Christi, sein Kampf und Sieg, seine Entblößung und Verherrlichung. Dies drückt Luthers Beschreibung dessen, was Göttlich und Menschlich ist, seinen Stempel auf. Die beiden Gegenpole sind die Höllentiefe und die rechte Hand Gottes, die Erniedrigung und die Erhöhung, diese beiden status Christi, die in der orthodoxen Dogmatik eine so wesentliche Rolle spielten. Wie an so vielen anderen Punkten, vertritt Luther auch hier keine bestimmte Lehre vom status exinanitionis und status exaltationis als klar fixierten locus, aber die Sache und der Inhalt einer solchen Lehre sind bei ihm in reichem Maße vorhanden. Der Gedanke der Erniedrigung und Verborgenheit des Sohnes Gottes bildet ja durchweg einen sehr wichtigen Zug in Luthers Christologie. Zu vielen Malen betont er, wie Christus im Gehorsam in die Ehrlosigkeit und Verachtung hineingeht: Gott „kerets eben umb und treibet das wider spiel". Sein Auftreten widerspricht allen menschlichen Vorstellungen von Gott, er entäußert sich und legt „unser Kleid und unsere Maske" an. Auch wenn er revelatus ist, ist er das in seiner Verborgenheit, in abscondito. 1
2 3 , 699 f f . CPred. 1 5 2 7 ) . Ib. 7 0 2 , 5 f. 3 Christus ist „unter den teuffei hynunder gefaren ynn die helle (so tieff ist noch kein mensch hynunter gefaren), weils aber unmüglich war, das er solt vom tod gehalten werden, so must er aus diser tieffe widder in die höhe faren, das ist, zur rechten hand Gotes . . .", ib. 703, 1 3 - 7 0 4 , 4. 2
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Ib. 704, 14-705, 2.
• Ib. 7 0 3 , 1 - 3 . • Ib. 7 0 2 , 1 5 - 7 0 3 , i. 14 - N i l s s o n
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Gott ist rticht nur absconditus in majestate, sondern auch absconditus in carne. Luther verweist uns von der Majestät auf die Menschlichkeit Christi, und doch ist er auch dort verborgen. Luther kann sagen, daß in Christus Gott nicht „revelatus, sed indutus" ist, die Gottheit ist verborgen, „velata sub carne infirmitatis" Es reicht nicht aus, Gott „in gloria et maiestate" zu erkennen, sondern man m u ß ihn „in humilitate et ignominia crucis" erkennen'. Der Abscondituszug wird immer betonter, je klarer Gott sich in opfernder Liebe offenbart, und je tiefer er hinabsteigt in Leiden und Erniedrigung. Daher ist die Menschlichkeit Christi auch für den Glauben ein Rätsel, Es ist schwer, Gott in Christus wiederzuerkennen, „in solcher geringen gestalt, jm creutz und Verfolgung'". Gott behandelt ihn so unfreundlich und anstoßerregend, daß man eher glauben könnte, er sei „des Teuffels eigen Kind" als Gottes Sohn 10 . Christi ganzes Leben auf dieser Erde war eine erbärmliche Wallfahrt und ein Bettlerdasein. Er begann in einem Stall, eine Krippe war sein Lager, er hatte niemand, an den er sein Haupt lehnen konnte, und schließlich wurde er seiner Weider beraubt und starb eines jämmerlichen Todes. Er war ein himmlischer König, aber sah aus wie ein verachteter und verfluchter Mensch Daher war es auch ein Wunder, sagt Luther, daß die Jünger verstehen konnten, „das dieser Jhesus Messias sein solte, da doch kein eusserlicher schein da ist". Er wurde wirklich allen Ernstes Mensch, wie ein Fürst, der sich nicht damit begnügte, Geld an die Bettler zu verteilen, „sondern wurde auch selbs ein betler". So war auch Jesus in seiner Geringheit für die Jünger ein „Bettler". Das befindet sich ja in voller Übereinstimmung mit der Handlungsweise, deren Gott sich stets bedient: „das er arme und geringe pflege zuerheben und aus Hirten Könige zu machen" Aber das war den Juden verborgen, die einen fürstlichen Messias in Macht und Reichtum erwarteten. Sie meinten nämlich, das Geringe, Entehrte und Verachtete passe nicht in das Reich Gottes. Aber Jesus begann sein Reich „mit verachter und jemerlicher weise", zu Aposteln wählte er „Betteler und Fischer", ja, „Stümpeler und Narren", und er ging lieber mit den einfachen Leuten in Bethsaida um, mit „der armen Hure Maria Magdalena", als mit den Weisen, Gelehrten und Heiligen, die in den Städten und * 3; 547; 2 4 _ 3 2 [Dictata super Psalterium 1513-16); „Sapientia incarnata ac per hoc abscondita", „exinanita est diuinitas et in carnem abscondita", 56, 237, 21 und 168, 2 (Vöries, über den Römerbrief 1515-16); 25, 127, 39 (Vöries, über Jes. Schol. 1532-34). Vgl. Bring 1929, 134 ff., von Loewenich 1929, 23 f f . mit Belegen. " i, 362, 11-29 (Disp. Heidelbergae habita 1518); 1, 614, 17 f f . (Resolutiones . . . 1518); i8, 689, 22 f f . (De servo arbitrio 1525). " Siehe hier eine bezeichnende Predigt über die drei Könige in Bethlehem, 17 II, 371 ff., hier 374, 13 f f . (Festpostille 1527). 10 17 II, 17, 16-23 (Fastenpostille 1525); 40 I, 443, 23-34 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.). 11 40 II, 156, 30-33 (Ib.); 46, 702, 11-15 (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1537); „Droben betten jn angeli an, hie dienet er uns, legt sich jnn unsern schlam", 37, 232, 3 f. (Pred. 1533 R.). " 46, 699, 18-29 (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1537); 37, 336, 4-9 (Pred. 1534 R.).
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am Tempel zu Jerusalem lebten. Menschen mit denen sonst niemand zu tun haben wollte, erwählte Christus zu seinen Nächsten, solche wie den Räuber am Kreuz oder „den Mörder und Schalck Paulus". Er hatte die elendesten und verkommensten Individuen um sich, damit alle verstehen sollten, daß Weisheit, Reichtum und Macht an sich bei ihm nichts zu bedeuten hatten. So war Christus immer ein „Gast auff Erden", er besaß nichts, arm ritt er in Jerusalem ein auf einem geliehenen Esel und endete sein Erdenleben auf Golgatha In seiner konkreten und realistischen Schilderving des Lebens Jesu betont Luther ständig, daß niemand je so tief erniedrigt und gedemütigt war wie Christus, er, der sogar „servus Diaboli, inferorum, omnium peccatorum, Mundi" war. Propter nos trug er alle Schwächen und Mängel an seinem Leibe und litt alle Qualen und Strafgerichte Propter nos ist er „natus, circumcisus, crucifixus, mortuus". Die Versöhnung schließt Christi ganzes Leben in sich, tritt aber erst in den letzten Tagen in ein entscheidendes Stadium ein. Da spricht Luther „vom hohen, tieffen Grad der Ernidrigung Christi", da ist Christus in seinem größten Leiden". Christi Weg als Mensch führt also immer tiefer hinein in menschliche Not und Erniedrigung, und damit wird das Versöhnungswerk seiner Vollendung immer näher gebracht. Der Kampf wird immer härter, bis er in der tiefsten Tiefe seinen Wendepunkt findet, und der Sieg am dritten Tage allen offen vor Augen steht. Die Menschwerdung ist daher nicht nur ein zeitlich fixierbares Geschehen im Augenblick der Verkündigung oder der Stunde der Geburt, ein bloß punktueller Naturprozeß, der bei einer bestimmten Gelegenheit eintrifft und dann ein vollzogenes Faktum ist, sondern es ist etwas, was fortfährt, was wirklich wird. Es handelt sich nicht nur um das Entstehen eines menschlichen Wesens, denn die Inkarnation ist für Luther das ganze Dasein des Sohnes Gottes als Mensch in carne Und neben dieser i a „In praesepi, in vita sensit esuriem, sitim, item captus est, sudavit sanguinem et postea crucifixus est in imbecillitate", 37, 308, 6 f . (Pred. 1534 R.) siehe dazu besonders den Abschnitt 46, 702, 11-704, 6 [Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1537). 1 1 40 III, 704, 33-705, 21 (Enarratio 53. cap. Esaiae [1544] 1550]. 15 Ib. 712, 20-26; 45, 62, 22-25 (Pred. 1537 R.); „Was ist der Mensch, das du sein gedenckest? Und des Menschenkind, das du dich sein annimest [Ps. 8, 5]? Das redet er vom hohen tieffen Grad der Ernidrigung Christi. Denn er sihet Christum an in seiner grossesten Marter und höchstem Leiden, das er verspottet, verspeiet, gegeisselt, gekrönet und gecreutzigt wird, wie S. Paulus von solcher Ernidrigung auch redet, Philips", ib. 235/ 33 - 38 (Dr.). Die Momente im status exinanitionis sind bei einem orthodoxen Dogmatiker wie Hollazius die folgenden: conceptio, nativitas, circumcisio, educatio, conversatio visibilis inter homines, passio magna, mors, sepultura, während der descensus von den Lutherischen im allgemeinen zum Stand der Erhöhung gerechnet wurde. Siehe H. Schmid, Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, 7. A u f l . , 1893, 273 f . " So sagt Luther z.B. in seiner wichtigen Auslegung von Jes. 53: „Inspice enim non solum passionem Christi, sed etiam actionem, miracula eius, an non tota eius conversatio est in summa humilitate, paupertate et contemptu?", 40 III, 694, 4-6 (1544). Wir haben es hier wahrscheinlich mit einem grundlegenden Unterschied zwischen lutherischer und reformierter Christologie zu tun. Die Reformierten setzen ein Gleichheitszeichen zwi-
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fortlaufenden Inkarnation und diesem immer tieferen Hinabsteigen und unter-dem-Gesetz-Sein gehen auch Christi Kampf, sein Leiden und seine Gottverlassenheit und damit das ganze Heilswerk ihrem intensiven Höhepunkt entgegen. Tief schürf ender als es hier bei Luther der Fall ist, kann die Einheit von Inkarnation und Versöhnung, Person und Amt kaum zum Ausdruck kommen. Ein interessantes Moment in diesem Geschehen bildet der Gedanke an Christi descensus ad inferos", eine Vorstellung, die zu Luthers Zeit eine wichtige Rolle spielte und auch bei ihm eine häufige, wenngleich etwas wechselnde Verwendung fand. Christi Niederfahren zur Hölle liegt auf einer Ebene mit der Menschwerdung und Erniedrigung und veranschaulicht Luther zufolge vor allem die tiefste Unterwerfung unter die Macht der Tyrannen. Zuweilen, besonders in seinen frühesten Jahren, scheint Luther gemeint zu haben, daß das Niederfahren zur Hölle für Christus ein sehen der incarnatio und der exinanitio, die Lutheraner betrachten dagegen die Menschwerdung nur als den Anfang der Erniedrigung und die exinanitio als einen Akt des Inkarnierten. Für die reformierte Tradition ist die exinanitio aber ein A k t der göttlichen Person im „status ante incarnatione", eine humiliatio, die das Ergebnis eines „pactum salutis" von Ewigkeit ist. Das Subjekt der exinanitio ist also λόγος άσαρκος. Die Reformierten des 16. und 17. Jahrhunderts sprachen aber nicht von einer Entäußerung der göttlichen Natur, denn die Gottheit ist an sich unveränderlich, und die occultatio kann darum nur eine „quasi-Entäußerung" sein. Sie redeten eher von einer Erhöhimg der menschlichen Natur, wenn sie mit dem Logos vereinigt wurde. Es ist dieser „logos extra carnem", der Fleisch annimmt. Deshalb sind „assumtio camis humanae", incarnatio und exinanitio Ausdruck desselben Aktes des Logos, der doch unwandelbar ist und „in der Höhe" bleibt. Der reformierte Gegensatz von Gott und Mensch, Himmel und Erde, tritt also auch hier hervor. Finitum non est capax infiniti. Die metaphysischen Alternativen werden: „vel caro est infinite, vel deitas finita". Der Rückschluß ergibt sich, daß der unendliche Logos niemals realiter ins Fleisch heruntersteigen kann, weil es gegen der Natur der Gottheit wäre. Darum gibt es auch keine Identität zwischen λόγος aoapxo; und λόγο; ενσαρκος, und es wird schwierig oder unmöglich, mit einer unio personalis und einer communicatio idiomatum Ernst zu machen. Für die lutherische Theologie dagegen ist Logos totaliter im Fleisch, da ist Gott corporaliter, denn: finitum est capax infiniti. Das Subjekt der exinanitio ist also nicht die göttliche Natur oder Person, άσαρκο; , sondern der Mensch Jesus, λόγο; έ'νσαοχο; . Die biologische Menschwerdung durch die conceptio und die nativitas bildet darum verschiedene gradus der exinanitio, und insofern schließt die Inkarnation das ganze Leben Jesu in carne in sich. Sagt man: incarnatio=exinanitio, muß man im Gedächtnis behalten, daß die Inkarnation dauernden Charakter hat und sich auf die Naturen bezieht und darum Bestand hat, auch wenn die Zeit der Erniedrigung vorbei ist. Exinanitio und exaltatio nehmen nämlich Bezug nicht auf die Person, sondern auf das Werk, nicht auf die Naturen, sondern auf das Amt und den Stand. Von einem lutherischen Standpunkt aus kann man darum nicht wie die Reformierten folgern: incarnatio=assumtio carnis =exinanitio. Es ist ja auch heutzutage für die reformierte Theologie und besonders für Barth sehr typisch, vom „Wunder der Weihnacht" in einem gewissen punktuellen Sinn zu sprechen. Durch die „Jungfrauengeburt" und „die Fleischwerdung des Wortes" ist das entscheidende Wunder geschehen, und dieser Auffassung zufolge ist damit auch die exinanitio als eine ontologische Tatsache vorhanden. Vgl. u.a. Schneckenburger 1848, 7 f f . , 18, und ders., Vergleichende Darstellung des lutherischen und reformirten Lehrbegriffs II, 1855, 198 f f . , 229 f f . , Schultz 1881, 265, und was Barth betrifft Wingren 1957, 43 ff-, 1 1 0 f f . und in SvTK 1948, 249 f f .
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fortgesetztes Leiden nach dem Tode bedeutete während er später sagen konnte: „Ich halts, Er hab nicht gelitten nach diesem leben, weyl Er aus des Teuffels gewalt ist gerissenn, gott lest die nicht martern, die ihm ihre seele befelhenn" Häufig werden die Worte von Christi descensus als ein Ausdruck der absoluten Gottverlassenheit gedeutet. Die ganze Qual der Hölle liegt darin, der Macht des Gesetzes unterworfen zu sein Die wirkliche Hölle ist nämlich die tiefe Verzweiflung der Anfechtungen, „resignatio ad infernum", die „desperatio", die Christus am Kreuz herausschreit". Der Grund seiner „Höllenfahrt", seines Schreckens und seiner Angst ist die Sünde der Welt, die er auf sich genommen hat und für die er leiden muß Sein „descensus ad infernum" ist also eine Bezeichnimg für den Kampf mit dem Teufel, aber auch für den Wendepunkt in diesem Kampf, daher kann er für Luther sowohl die tiefste Stufe der exinanitio wie den Anfang der exaltatio ausdrücken. Er ist der große Held, der die Hölle stürmt und ihre Mauern niederbricht, und damit zeigt er, daß er „dominus super inferos" ist Das Kreuz hat für Luther häufig den Wendepunkt zwischen Erniedrigung und Erhöhung zu bezeichnen. Christus muß sich Äitäußern, um durch seine Erniedrigung den Menschen zu erhöhen. Man könnte daher sagen, daß uns hier ein Ausdruck für den seligen Tausch zwischen Christus und dem Sünder vorliegt. Wenn er die Sünde und den Fluch auf sich genommen hat, besiegt er sie und läßt den Menschen teilhaben an diesem seinem Sieg. Daher muß er aus seinem „Knechtsstand" zu seinem „königlichen Stand" übergehen, denn erst dann kann er sich alle Feinde unterwerfen und zu Heil und Seligkeit der Menschen in seiner göttlichen Macht hervortreten. So tief wie seine Erniedrigung am Kreuz war, so hoch und gewaltig ist dann seine H e r r l i c h k e i t E r , der ein leidender Diener war, ist 17 „Christus, sicut cum summo dolore mortuus est, ita videtur et dolores post mortem in inferno sustinuisse, ut nobis omnia superaret", 5, 463, 29-31 (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ) ; vgl. Vogelsang 1932, 51 f . 18 46, 310, 20-28 (Pred. 1538 Stoltz). " „Esse enim sub lege spirituali et dominante est occidi et damnari sive in morte et inferno esse, hoc est mortem et infernum sentiri . . . " , 5, 603, 28-34 (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ) . i , 291, 23-27 (Asterisci Lutheri . . . 1518]; 7, 349, 30 f f . und 451, 1 1 f f . (Grund und Ursach . . . 1 5 2 1 ) . Vgl. auch Anm. 22 unten. SI 23, 703, 7 f f . (Pred. 1527) - vgl. den Anfang dieses Abschnittes. " 46, 310, 16 f f . (Pred. 1538 R.); „Denn das ist die groste marter, Seel leiden verzweivelung, verzagen, ut Christus in horto, ubi vere in inferis, ubi cum diabolo gekempfet. Das sind die rechten marter, hellische bein. Ideo non solum uberwunden die maden und das scheiden animae vom leib, sed etiam angst hellischer bein und an Gott verzweiffein, quod facti super peccatum, mortem, grab und helle . . . " , ib. 3 1 1 , 8-18 (R.); 17 I, 68, 8 f f . (Pred. 1525 RO; 27, 108, 13 f f . (Pred. 1528]; 37, 62 f f . (Pred. 1533); 45, 64, 8 f f . (Pred. 1537 R.). Siehe Vogelsang 1929, 94 f f . , 1932, 47 f f . , 68 f f . , 80 f f . , und ders., Luthers Torgauer-Predigten von Jesu Christo vom Jahre 1532, LuJ 1931, 1 1 3 f f . , P. Althaus, Niedergefahren zur Hölle, ZSTh 1942, 368, 371 f f . Über die exinanitio Christi siehe auch R. Bring, Bibelns lära om Kristus säsom Gud och människa, SvTK i960, 73 f f . " 7, 218, 8 - 1 2 (Kurze Form . . . 1520]; 1 1 , 191, 1 5 - 1 7 (Pred. 1523 R.]; 15, 506, 14-20 (Pred. 1524 R.); 29, 368, 23-369, 16 (Pred. 1529 R.); 45, 242, 18-25 (Pred. 1537 Dr.).
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nun ein König der Ehren, der Verdammte ist Richter, er, der jetzt zur Rechten Gottes in der Herrlichkeit sitzt, hat sich zuerst zur Linken in der Verdammnis befunden Das Verhältnis von Erniedrigung und Erhöhung wird am besten durch den Zusammenhang zwischen Christi Tod und Auferstehung dargegestellt. Christus ist tot, begraben und zur Hölle niedergefahren, um die Sünde zu töten und zu begraben, den Tod unschädlich zu machen und die ganze Macht des Teufels zu stürzen. Er wird wieder lebendig, aufersteht und steigt auf in den Himmel, denn erst dadurch hat er die bösen Mächte besiegt, sich vom Tode befreit und die Hölle niedergerissen. Dies ist für Luther das Hauptstück der Theologie. Der Sieg Christi bedeutet nicht, daß Hölle, Sünde und Tod nicht mehr existierten, denn „an sich selbs" bleiben sie wohl bestehen; aber, betont Luther, für denjenigen, der sich „im glauben und geist" an Christus hält, sind sie ungefährlich und von Grund auf zerstört. Aber wenn Christus nicht auferstanden wäre, hätte er auch nicht die Sünde überwunden. In dem Falle könnte er niemanden erlösen, sondern müßte selbst erlöst werden, da sein Sieg unvollständig wäre: er müßte dann unter der Herrschaft der Sünde und des Todes verbleiben. Für Luther ist daher die Bedeutung der Auferstehung über jede Diskussion erhaben und nimmt keineswegs einen sekundären Platz ein „Es war eyn wunderlich krieg, da todt und leben rungen, Das leben behielt den sieg, es hat den tod verschlungen" schreibt Luther in seinem bekannten Lied „Christ lag ynn todes banden" Im vorigen Abschnitt sahen wir, wie in Christus Sünde und Gerechtigkeit aufeinanderprallen, hier können wir im Streit zwischen Leben und Tod Zeugen desselben Kampfes aus einem anderen Gesichtswinkel werden. Das Leben selbst kann indes nicht sterben. Er, der das Leben ist, kann zwar als Mensch sterben und stirbt auch, aber die göttliche Person - die gleichzeitig auch ein wirklicher, sterblicher Mensch ist - muß lebendig bleiben. Die Person, die simul vere Deus et vere homo und simul justus et peccator ist, ist auch zugleich - wirklich und als ein und derselbe - tot und lebendig: „eadem persona Christi simul mortua et viua" Gradus exaltationis nach lutherischer Dogmatik sind: ζο-οίησις , descensus ad inferos, resurrectio, ascensio in coelum, sessio ad dextram Dei (Hollazius, Quenstedt]; siehe Schmid 1893, 2 7 4 f-> С. E. Luthardt, Kompendium der Dogmatik, 14. Aufl., 1937, 267 f. 21 „Ita sane, quod Christus sedet a dextris dei, quid est nisi quia prius stetit a sinistris eius, prius servus, ideo nunc rex, prius passus, ideo nunc gloriosus, prius iudicatus, ideo nunc iudex, prius stetit, ivit, iacuit, deo nunc sedet?", 4, 229, 1 7 - 2 0 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) . 25 7, 217, 3 1 - 2 1 8 , 7 (Kurze Form . . . 1520); 10 III, 1 3 7 , 2 - 1 3 8 , 8 [Pred. 1 5 2 2 ] ; 37, 66, 11-67, 13 (Pred. 1 5 3 3 ) ; „· . . da mit wil er unser trost sein, consolationis verba plena, quia docet, quod iste sieg et gloriosa resurrectio huius trefflicher person sit data omnibus credentibus in earn, quod Ego contra meam mortem sol haben Christi resurrectionem, quae maior celo et terra", ib. 30, 1 7 - 2 4 CR·]; ferner z.B. 36, 161, 18 f f . , 524, 3 1 f f . (Pred. 1 5 3 2 ] ; 45, 376, 18 f f . (Viel fast nützlicher Punkt 1 5 3 7 ] . z " 35< 443 ff·/ besonders 444, 6 f f . (Luthers Lieder 1 5 2 4 ) . " 56< 343» 20 (Vöries. über den Römerbrief 1515—16); postille 1 5 2 2 ] ; 18, 493, 27 ( D i e sieben Bußpsalmen 1 5 2 5 ) .
ioI:i,
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(Kirchen-
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In Luthers Darstellung von Jesu Dasein, seinem Leben und Tod, tritt die Seite der menschlichen Erniedrigung kontinuierlich immer stärker hervor, während gleichzeitig die göttliche Seite in Christus deshalb nicht als weniger wirksam beschrieben wird. Betrachtet man daher das Werk, kann Luther zwar sehr wohl von einem Ineinander von Sünde und Gerechtigkeit sprechen, denn der Sieg ist mitten in der Niederlage und die äußerste Kraftlosigkeit am Kreuz ist von göttlicher Macht erfüllt, aber diese Gleichzeitigkeit beruht darauf, daß die Person, die das Werk ausführt, die ganze Zeit dieselbe ist. So ist auch das Werk Christi die ganze Zeit dasselbe, ein göttlicher Kampf gegen das Böse, um das Menschengeschlecht zu retten. Wirft man dagegen die Frage auf, wie dieses Werk in Christus durchgeführt wird, kann man nicht mehr nur von einem simul sprechen, einem Ineinander von Leben und Tod, Göttlichem und Menschlichem, Gerechtigkeit und Sünde. Es handelt sich dann auch um ein Nacheinander, ein Vor - Nach von Erniedrigung und Herrlichkeit, und das ist charakteristisch für Luthers Verständnis der Inkarnation des Sohnes Gottes. Für ihn ist es ein historisches Faktum, daß Gott zu einem bestimmten Zeitpunkt unter bestimmten konkreten Umständen, in carne im Menschen Jesus kam, und ebenso, daß er nach einer bestimmten Anzahl von Jahren und in einem bestimmten Zusammenhang das Leben des Menschgewordenen in einem schmählichen Kreuzestod beendete. Das ist ja, wie wir gesehen haben, ein grundlegender Zug in Luthers Auffassung von Gottes inkarnatorischem Handeln: in der Verborgenheit und Erniedrigung, in dem Geringen, Übersehenen und Verachteten, dem Menschlichen, ist Gott gegenwärtig und wirksam; dieses Handeln ist ein Teil des göttlichen Kampfes gegen die Mächte des Bösen und ein Mittel, sie zu überlisten und zu besiegen. Aber wenn der Sieg errungen ist, ist die Zeit der Erniedrigung vorbei. Die Person, der Inkarnierte, ist derselbe und verändert sich nicht, das Werk zum Heil der Menschen nimmt seinen Fortgang, aber seine Art ändert sich, es ist nicht mehr von Verachtung und Tod geprägt, sondern von Leben, Sieg und Herrlichkeit. Der niedergestiegen ist, darf wieder aufsteigen, der Erniedrigte wird verherrlicht und an Gottes Rechte erhoben. Diese prinzipielle Darstellung der Einheitlichkeit und Unveränderlichkeit in Christi Heilswerk einerseits und des Wechsels in den Offenbarungsformen zwischen dem Stand der Erniedrigung und dem der Erhöhung andererseits, vermag nun Luthers Auffassung von Tod und Auferstehung Christi zu beleuchten. Von dem ausgehend, was von der Person gilt, kann Luther, wie wir gesehen haben, behaupten, daß in Christus gleichzeitig Leben und Tod sei. Aber von einem anderen Gesichtspunkt ist es für Luther auch klar, daß der Tod mit dieser Gleichzeitigkeit, diesem Zusammenprall, gerichtet und besiegt ist. Damit wird der Untergang in Triumph und der Tod in Leben verwandelt. Nach der Erniedrigung kommt die Verherrlichung. Genau wie der descensus ad inferos für Luther den tiefsten Punkt der Erniedrigung und das entscheidende Moment des Kampfes darstellte, drückt der Gedanke an Christi ascensio in coelum die Macht der Erhöhung und die Fülle des Sieges aus. Er, der Sohn des allmächtigen Gottes, ist „mit
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seiner eigen person" in die Hölle gefahren und hat den Tod und den Teufel besiegt, aber er ließ es nicht dabei bewenden, sondern brachte, sagt Luther, das Leben zurück und öffnete den Himmel, und so bewies er öffentlich - wie der Terminus lautet - seinen Sieg über die Tyrannen Durch die Auferstehung wird er zum Herrn aller gemacht, wird „meus Sigmund", der Sieger, der für immer seine Herrschaft ausüben soll Er, der herniederstieg und Mensch wurde, ist somit wieder aufgestiegen zu der grenzenlosen Allmacht zur Rechten Gottes. Er ist der „Dominus ubique", „triplex konig" über alles und alle im Himmel, auf Erden und unter der Erde, „oberst, mittelst und unterst" 30. Er hat die ganze Macht der Gottheit im Himmel wie auf Erden, denn außer ihm ist kein Gott; wo Christus ist, „da ist die Gottheit gantz und gar" Alle diese Aussagen, die einen buchstäblich räumlichen Inhalt haben, werden bei Luther in erster Linie symbolisch und im übertragenen Sinne verwendet. Zur Rechten Gottes sitzen bedeutet für ihn nicht, sich auf einem goldenen Thron im Himmel oder überhaupt an einem besonderen bestimmten Ort befinden. Der Ausdruck dient zur exklusiven Bezeichnung der Allmacht Gottes, die sich niemals räumlich begrenzen oder in ihrer Größe messen läßt Luther warnt also davor, das Reich Christi zu einem unsichtbaren Reich irgendwo im Himmel zu machen. Vielmehr herrscht Christus unter den Menschen und auf Erden inmitten menschlicher Not und Mangelhaftigkeit Zwar ist sein Reich nicht von dieser Welt, kein regnum terrenum oder humanuni, aber auch nicht „in celo super angelos", sondern „in terris" und „inter homines". Seine Herrschaftsweise ist nicht irdisch, aber er regiert inmitten der Welt des Todes, in der Verborgenheit und Erniedrigung hier auf Erden - „und doch zugleich im Himel" Dies simul ist es, das auch das Sitzen zur Rechten Gottes kennzeichnet; Christi Gegenwart und Allmacht ist nicht auf einen besonderen Ort beschränkt, sondern er ist „herr uberall", im Himmel und zugleich auf Erden. 28
37, 66, 25-67, 7 (Pred. 1533]; 20, 556, 31-34 (Pred. 1526]; „Christum esse factum Dominum omnium et praecipue mortis, peccati, legis propter suos, Nam qui est omnium Dominus, est etiam mortis, peccati, vitae, iusticiae Dominus", 45, 443, 25-28 (Conciunculae quaedam . . . 1537). „. . . meus Sigmund, qui vicit und sieg behalten contra te, Teufel, et omnia, et non solum Sieg, des dominus", 37, 362, 3-7 (Pred. 1534 R.]; ib. 31, 16-21 (Pred. 1533 R.]. 30 46, 307, 16-23, 3!3i 20-27 (Pred. 1538 Stoltz]; ib. 3 1 3 , 3 f . (R.). 31 23, 130, 17-21 ( D a ß diese Wort Christi . . . 1527); 45, 538, 14-26 (Das X I V und X V Kap. Joh. 1538). 32 23, 132, 19-33 (Daß diese Wort Christi . . . 1527); I O I : I , 162, 1 1 - 1 6 3 , 24 (Kirchenpostille 1522). 33 „Non facias ex regno Christi regnum in coelis, sed inter homines regnabit, qui erunt sein reich und stuel", 34 I, 176, 10 f. (Pred. 1531 R.); I O I : I , 61, 8-62, 4 (Kirchenpostille 1522). 34 „Christus reich ist ein geistlich reich, gehet hie auff erden und ist doch nicht yrdisch sondern hymlisch", 20, 558, 23-25 (Pred. 1526); 11, 72, 11-37 (Pred. 1523 R.]; 37, 346, 5 - 1 6 , 389, 8-11 (Pred. 1534 RO; „Ideo oportet regnum Christi esse, ut esset non terrenum, quia is Rex sitzt ad dexteram patris, im unsichtbaren wesen et operatur mit seim sichtigen regno Euangelium, Tauff, praedicatoribus . . .", ib. 389, 25-34; 45/ 2I 5< 40-216, 22 (Pred. 1537 Dr.).
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Aber der Stand, die Art der Machtausübung, hat gewechselt. Durch die Auferstehung ist Christus „ynn einem andern wesen und leben" Er, der in seinem fleischlichen Dasein verachtet und verspottet, von Gott und Menschen verlassen war, ist mit göttlicher Macht und Ehre gekrönt worden. Ihn, der „in profundissima" hinabgeworfen wurde, beten nun die Engel Gottes an und dienen ihm, und er ist „exaltatus super omnia" Man kann bei ihm zwei verschiedene Perioden unterscheiden, „ante spiritum sanctum et post", wie Luther die Sache 1526 in einer Predigt ausdrückt. Die Aussendung des Geistes ist ein Zeichen dafür, daß Christus nicht mehr „im dinstlichen wesen" bei den Juden ist, sondern jetzt, „in seim herlichen wesen", durch den Heiligen Geist in seinem Reich r e g i e r t D i e Zeit des Geistes, des Evangeliums und der Kirche kann daher nicht hereinbrechen, bevor Christus verherrlicht und an die Rechte der Macht erhöht worden ist3S. Auf der einen Seite steht hier also der status exinanitionis, die Erniedrigung und Christus als Diener und Priester, auf der anderen der status exaltationis, die Verherrlichung und Christus als Herr und König. Aber in beiden status ist die Person dieselbe. Wenn Luther in mehreren Zusammenhängen Phil. 2 auslegt, bietet sich ihm Gelegenheit, von der Dialektik zwischen Göttlichem und Menschlichem in Christus und dem Verhältnis zwischen Christus als Diener und als König, in der Entäußerung und der Erhöhung, zu sprechen. Eine besonders repräsentative Palmsonntagspredigt über diesen für Luthers Christologie so wichtigen Text finden wir in der Fastenpostille von 1525 Es geht dort um das Problem, wie Christus, der vere Deus ist und die ganze Fülle der Gottheit besitzt, ja, der einzige wahre Gott ist, in Menschengestalt gekommen sein kann, und andererseits wie der Mensch Jesus von Nazareth in all seiner Glanzlosigkeit dieselbe Person sein kann, die göttliche Gestalt gehabt hatte. Dieses Wort, „Göttlich gestalt", will Luther zuerst zu verstehen suchen. Christus ist zwar wahrer Gott, aber es ist eigentlich nicht das, was Paulus mit μορφή θεοϋ oder „forma Dei" ausdrücken will, meint Luther. Es ist notwendig, zwischen Gestalt und Wesen zu unterscheiden. Gottes Wesen kann niemand sehen, aber die göttliche Gestalt ist voll sichtbar. „Gestalt Gottes heysst daher, das sich eyner stellet als eyn Gott und auch also geberdet odder sich der gotheyt annympt und unterwindet". Ebenso bedeutet 35
32, 80, τ-з CPred. 1530 R.). I i , 1 9 1 , 1 5 - 1 7 CPred. 1523 R.); 45, 242, 18-25 CPred. 1 5 3 7 ) . 37 „Post ubi Christus sedet in regno et regit per sanctum spiritum mundum, da hebt das Euangelium an. Ante missum spiritum sanctum solt du Christum nhemen, quod nobis non missus, sed Judeis", 20, 285, 1 1 - 1 3 (Pred. 1526 R.); ib. 286, 11 ff.; 7, 218, 8 f f . (Kurze Form . . . 1520); 45, 213, 29 f f . (Pred. 1 5 3 7 ) . 38 „Denn darumb ist er vom tod erstanden und gen hymel gefaren, das er eyn geistlich reych anfienge, darynne er ynn uns regyrte durch die gerechtickeit und warheit. Darumb sytzet er doben, schlefft und rüget nit, spielet nicht mit yhm selb, sonder wie Sanct Paulus sagt, hatt hie zuschaffen auff erden, regiret die gewissen und Seelen mit dem Euangelio", 12, 546, 3 5 - 5 4 7 , 4 (Pred. 1523); 2, 457, 21 f. (In epistolam ad Galatas 1519); 37, 395, 23-28 (Pred. 1534 R.]. 3 " . i 7 l l , 237 ff. (Fastenpostille 1525). "
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„knechts gestalt", daß jemand in seiner äußeren Erscheinung, in all seinem Tun und Lassen wie ein Knecht ist, „das ist, er stellet sich also, das wer yhn ansihet, der mus yhn fur eynen knecht halten". Hier wird also nicht von „götlichem wesen" oder „knechtischem wesen" gesprochen, sondern nur von „geberden und erzeygen des wesens". Wesen bezeichnet etwas, was ist, „geberde" ist eine Handlung oder ein Ausdruck für etwas, was jemand tut. Es liegt also dieselbe Distinktion vor, wie zwischen Person und Amt. Wenn auch die Gestalt und die äußeren Verhältnisse sich ändern, sind Christi göttliche Person und sein Wesen doch dieselben. Als nächstes erhebt sich dann die Frage, wie sich „wesen" und „geberde" zueinander verhalten. Luther sieht drei mögliche Alternativen: „wesen on geberde", „geberde on wesen" und „wesen sampt dem geberde miteynander" Der Deus absolutus und der Deus absconditus der Prädestination liefern Beispiele für das Wesen Gottes ohne irgendwelche sichtbaren Manifestationen. Die zweite Alternative ist eigentlich unmöglich für den, der seinem Wesen nach Gott ist. Daher ist die Schlußfolgerung klar: „Christus war ynn Götlicher gestalt, das ist, er hatte das wesen sampt dem geberde". Bei Heranziehung derselben Alternativen in bezug auf Christus als Mensch führt die Erwägung jedoch zu einem anderen Ergebnis, denn er ist nicht seinem Wesen nach Knecht, sondern er nahm Knechtsgestalt an. Also: „er nam solch Göttlich geberde nicht an, wie er die knechts gestalt an nam, sondern Er war, Er war, Er war (sag ich] drynnen". Der Unterschied besteht folglich darin, daß Christus nicht nur göttliche Gestalt, sondern die Gottheit selbst „von natur und mit dem wesen" hat, während er die Knechtsgestalt, die nicht zu seinem Wesen gehört, nur annimmt. V o n Natur ist er wohl Mensch, aber dazu, Mensch zu sein, gehört eo ipso nicht, auch Knecht zu sein. Als Mensch konnte er offensichtlich vollkommen und über alles erhaben sein, aber er nahm Gestalt und Erscheinung eines Knechtes an, als er zu Sünde gemacht wurde. Er hält die Gottheit nicht für einen Raub, sondern für sein natürliches Eigentum. Hier kann man, wenn man will, einen neuen Ausdruck für das mirum commercium sehen, von dem wir früher gesprochen haben. Denn Christus ist Gottes Sohn und nimmt Knechtsgestalt an, d.h. die Gestalt derer, die Knechte sind und „knechtisch wesen" haben, die aber göttliche Gestalt an sich reißen wollen, die ihnen nicht zukommt, und die werden wollen sicut Deus Hier geht wirklich ein seliger Tausch vor sich, wenn der König Knecht wird, um die Geknechteten zu befreien und zu seinen Mitregenten und Miterben zu machen. „So eussert sich nu Christus gütlicher gestalt, darynnen er war und nympt an sich knechtische gestalt, darynnen er nicht ist. W y r aber eussern uns knechtischer gestalt, darynnen w y r sind, und nemen oder unterwinden uns götlicher gestalt, darynnen w y r nicht sind Hier stehen also „er war" und „er namn an" einander geIb. 239, 19-240, 3. Ib. 240, 8-40, 241, 4 - 1 4 . , 2 Ib. 241, u - 1 4 . Der Sohn Gottes hat an sich die gestalt eines knechts genommen und uns gleich gerechnet, hat sich inn unser ungluck gelegt, Daraus Er nicht hat w o l l e n ,0
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genüber. Damit drückt Luther aus, daß die Person Christi göttlich und eine einzige ist, und daß sie mit der menschlichen Natur auch Knechtsgestalt annimmt. Zwei Naturen im Verein, aber nur eine Person, und der personbildende Faktor, „drynnen er war", ist die göttliche Natur. Das ist Luthers Art, sich hier der Enhypostasietheologie anzuschließen. Christus war also Gott, nicht nur in Erscheinung und Handlung, sondern seiner Natur nach. Gleichzeitig trat er in Wort und Tat als ein Knecht auf, aber das war er nicht wie andere Menschen „von natur". Er war in den Zusammenhang der Sünde hineingestellt und dem Gesetz unterworfen wie andere. Der springende Punkt besteht für Luther darin, daß all dies nicht mit Naturnotwendigkeit geschah, es gehörte eigentlich nicht zu Christus, es war nicht seine Natur, Knecht zu sein, obgleich er seiner Natur nach Mensch war. Er brauchte seinem göttlichen Wesen nach nicht in diese erbärmliche Erniedrigung herabzusteigen, denn obwohl er in carne kam und Mensch wurde, war er ohne Sünde und dem Gesetz und dem Tod nichts schuldig, „hette auch ynn der menscheyt mügen auff Göttliche weyse geberden" Man kann mit anderen Worten sagen, daß Jesus Luther zufolge vere et substantialiter homo hätte sein können und gleichwohl nicht Knecht, denn Mensch ist er seinem Wesen nach, aber das Dienen ist Ausdruck der Gestalt und „geberde". Luthers Auslegung bedeutet daher keineswegs einen verborgenen Doketismus, als wäre Christi Menschlichkeit - und nicht nur seine Knechtsgestalt - eine nur äußerliche Verkleidung. Was wir nun zu untersuchen haben, nachdem wir die Distinktion zwischen Wesen und Gestalt konstatiert haben, ist die Relation zwischen „Göttlich wesen" und „knechtisch gestalt". Christus sieht aus, wie irgendein beliebiger Mensch, „hat sich gestellet, als legt er die gottheyt von sich", aber natürlich kann der, welcher Gott ist, nicht die Gottheit ablegen. Was er ablegt, ist nur „die gestalt Göttlicher maiestet", er zeigt nicht, daß er Gott ist, was er doch gewißlich war. Aber in seiner selbsthingebenden Liebe nimmt er, der Gott war, Knechtsgestalt an, nicht so, daß Christus „von art" und zwangsläufig „unser knecht" wäre, sondern er ist es freiwillig und aus Gnade, er ist „sponte infirmus et peccator f a c t u s " D i e s e komen, er hette den uns sampt mit ihm heraus gerissenn und erloset . . . " , 46, 5 2 2 , 2 8 5 2 3 , 3 2 [Pred. 1 5 3 8 Stoltz). " 1 7 II, 242, 3 4 - 3 7 . „Ubi de Christo homine loquitur, quod cum talia fecdsset Christus, per que quidam deitatis radius emicabat, tarnen noluisse ipsum nisi formam, idest apparentiam servi, idest servientis hominibus induere. Et demum in similitudine hominum constitutus, id quod ad propositum pertinet, idest conversatus est familiariter cum hominibus. In figura, grece σχτ·,μχιι, idest gestu, repertus ut homo, idest ut sunt omnium etatum nostrarum gestus, ita et in Christo fuisse, porro ut pueriles nostri gestus sunt, ita et in Christo puero fuisse", 9, 4 4 1 , 3 4 - 4 4 2 , 8 (Pred. 1 5 1 9 - 2 1 Poliander). - V g l . oben Kap. I B:i und 2; „Mensch" ist einmal = imago Dei, das gute Geschöpf Gottes im Urzustand, und zum anderen = der Sünder, wie er tatsächlich nach dem Fall ist, und beides gleichzeitig. 11
37» 3 3 5 / 2 3 f- (Pred. 1 5 3 4 R.); 17 II, 239, 1; „Sciebat, quod dei filius et dominus, noch w i r f f t sich er unter und eusert der Maiestet und stelt ut servus, qui пес dominus пес deus", 46, 277, Ii f. (Pred. 1 5 3 8 R . ] .
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freiwillige Entäußerung ist ja der Inhalt der erniedrigenden Stellung Christi unter Werk und Strafe des Gesetzes, die wir früher behandelt haben. Er besitzt die ganze Fülle der Gottheit, aber er nutzt seine göttliche Macht nicht aus So wie ein weiser Mann seine Weisheit ablegt, um Narren zu dienen, legt Christus seine göttliche Gestalt ab, um unser Diener zu werden, aber, fährt Luther in der Fastenpostille fort, um Narren zu dienen, bedarf es der höchsten Weisheit; ebenso muß Jesus Gott sein, um so ganz Mensch in Knechtsgestalt sein zu können. Er hört nicht auf, Gott zu sein, wenn er in carne kommt, genauso wenig wie der Weise aufhört weise zu sein, wenn er Narren dient, oder der Fürst aufhört Fürst zu sein, wenn er ein Bettlergewand anlegt. Ferner, konstatiert Luther in bezug auf Christi Werk, verhält es sich nicht so, daß der Fürst, wenn er den Armen helfen will, das durch Geld tut, sondern er hilft ihnen, indem er selbst Bettler wird und ihre Stellung von innen her bessert. So bleibt Gottes Sohn nicht in seinem Himmel, „sonder ist selb In abgrund der hellen, des tods und sunden gefaren" „Er nam knechts gestalt an und bleyb doch Gott und ynn Gotts gestalt". Es hat den Anschein, als stünde Luther hier vor zwei widersprüchlichen Fakten und käme über zwei unvermittelte Behauptungen nicht hinaus: „Er war Gott" und „er ward eyn natürlich mensch". Hier geriet die Christologie immer in ein schweres Dilemma. Die Frage des Verhältnisses von Göttlichem und Menschlichem in der Person Christi spitzt sich zu in dem kenotischen Problem: Wie konnte der erniedrigte Mensch Jesus auch Gott sein? Für Luther steht fest: „hic homo est Deus" Was oder wen betrifft dann die Kenosis, von der Phil. 2 spricht? Ist es die göttliche Person oder Natur, die sich entleert, sich ihrer Macht und Herrlichkeit entäußert, wenn " 17 II, 243, 3 - 2 6 ; „Er nam knechts gestalt an und bleyb doch Gott und ynn Gotts gestalt. Das ist, Er war Gott und alle Göttliche werck und wort, die er füret, thet er uns zu gut und dienet uns damit als eyn knecht und lies yhm nicht dafür dienen als eyn herr, wie er billich recht hatte und sucht auch widder ehre noch gut drynnen, sondern unsern nutz und heyl, das war yhe eyn frey williger dienst umb sonst gethan andern zu gut", ib. 243, 1 9 - 2 4 . " 17 II, 240, 2 f., 243, i—18; diesen Gedankengang finden wir bei Luther immer wieder, z.B. i, 269, 1 - 5 С Fastenpredigten 1 5 1 8 ) ; „quando incarnatur: quia tunc cepit stare et servi formam assumere, ut pro nobis serviret et pugnaret, qui antea in sinu patris quievit", 3, 390, 2 1 - 2 3 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; „Non enim inventus est ut Rex, princeps aut aliquid eiusmodi personarum, sed ut filius hominis, similis homini novissimo. Deinde et maxime assimilatus est peccatoribus, factus Enos, tristis, afflictus et omnino sicut unus ex novissimis nobis, portans in seipso iram patris pro nobis et factus vilissimus terrae filius in oculis hominum . . . Tunc enim exinanitus, factus est Enos coram deo et seipso, factus filius A d a m coram hominibus", 5, 2 7 1 , 2 1 - 3 2 (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ) ; „uns frewen des wunderwercks, das unser herr Gott selbs die menschen hat heim gesucht, denn er hat nicht schlecht einen engel gesand, der uns solt erlosen, sondern seinen einigen son, der nicht allein mit uns redete und solche botschafft brechte, sondern er kleidet sich auch jnn unser fleisch und blut und wird ein mensch, Als wenn ein furste keme und wolte nicht allein den betlern gelt geben, sondern wurde auch selbs ein betler", 3 7 , 336, 4 - 9 (Pred. 1 5 3 4 R.); 45, 2 1 , 1 0 - 2 1 (Pred. 1 5 3 7 R . ) . 17 40 II, 2 5 1 , 1 7 - 1 9 (Enarratio Psalmi II 1 5 3 2 ) .
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sie sich mit der menschlichen N a t u r vereinigt? O d e r ist es der Mensch Jesus, der die göttlichen Möglichkeiten nicht ausnutzt, die diese Vereinigung bietet? W e n n wir bei Luther eine A n t w o r t auf diese Fragen suchen, ist es vor allem notwendig, definitionsmäßig klare Begriffsbestimmungen z u geben. Kenosis bedeutet keine Entleerung in dem Sinne, daß die Göttlichkeit des präexistenten Gottessohnes in irgendeiner W e i s e beschnitten würde. Für Luther ist es nicht der λόγος άσαρκος, der sich entäußert, denn das würde bedeuten, daß es nicht G o t t in seiner Fülle und Ganzheit ist, der in Christus kam. Ein derartiger Gedankengang w ü r d e die Formel: finitum non est capax infiniti voraussetzen und auf einem quantitativen Blockdenken aufbauen: wieviel G o t t und wieviel M e n s c h ? Nichts ist Luther fremder: „ U n d endlich alles, w a s von Christus nydring und erhohung ist gesagt, soll den menschen tzugelegt werden, denn gottlich natur mag w i d d e r genyddert noch erhöhet w e r d e n " Die Entäußerung ist also kein präexistenter innertrinitarischer Akt vor dem historischen Beginn der Inkarnation, sondern die Menschwerdung, das Herniedersteigen, die kontinuierliche Erniedrigung ist an sich eine Kenosis. D i e kenotischen Gedankengänge des 1 9 . Jahrhunderts 5 0 dürften schwerlich Luthers Billigung gefunden haben, da es sich bei ihnen u m eine Entleerung des „Menschwerdenden" handelt, die v o n einer „Depotenzierung" der Gottheit ausgeht. Dadurch meint man R a u m zu schaffen für eine wirk48 Die Antwort auf diese Fragen ist auf verschiedene Weise formuliert worden. Th. Harnack meint (1927 II, 163 f . ) , daß Luther vor dem Jahre 1522 Phil. 2. und die Entäußerung nicht mit der Person Christi, sondern mit den Naturen verbunden, diesen Bibeltext aber später „auf die Person des menschgewordenen Christus" bezogen habe. Demnach ist es also der „Gewordene", der λόγος ενσαοχος , der sich entblößt, um ganz in die Welt der Sünde, hinunterzusteigen. „Die lutherische Christologie geht aus von dem Vollendungszustand des erhöhten Gottmenschen" (Schneckenburger 1855, 207). In derselben Richtung urteilt J. Köstlin, wenn er behauptet, daß Christi „Selbstentäußerung" überhaupt nicht auf die Naturen oder auf das Wesen, sondern nur auf „die Gebärden" Bezug nehme [Luthers Theologie II, 2. Aufl., 1883,389 f . ) . Andererseits sind z.B. F. Loofs („Kenosis", RE X , 3. Aufl., 1901, 258) und Schultz ( 1 8 8 1 , 2 1 3 f . ] der Ansicht, daß man bei Luther nur von der Entäußerung der menschlichen Natur reden könne. Beides kann bei ihm belegt werden, und beides ist in den verschiedenen Standpunkten der Orthodoxie widerzuerkennen. Die Unsicherheit kommt zum Teil daher, daß er das Wort „Mensch" so sorglos verwendet, bald von der Person, bald von der Natur. " i o I : i , 150, 8 - 1 0 (Kirchenpostille 1522). " Der bekannteste und einflußreichste unter diesen Kenotikern des 19. Jahrhunderts ist G. Thomasius in seinen Arbeiten „Beiträge zur kirchlichen Christologie" 1845, und „Christi Person und Werk" II, 1855; siehe hierzu Schultz 1881, 279 f f . , Α . B. Bruce, The Humiliation of Christ, 2. Aufl., 1881, 172 f f . , F. C. Krarup, Om forholdet mellem det guddommelige og menneskelige i Kristi person 1885,17 f f . , Loofs 1901,346 f f . , O. Bensow, Die Lehre von der Kenose 1903, 61 f f . , und H. R. Mackintosh, The Doctrine of the Person of Jesus Christ, 2. Aufl., 1913, 265 f f . Es wäre eine interessante historisch-systematische Aufgabe, die Lehre Luthers mit der des 19. Jahrhunderts (Sartorius, Thomasius, Liebner, Hofmann, Frank, Dorner, Martensen, Godet usw.) in diesem Punkt zu vergleichen - was hier jedoch unmöglich ist. Siehe in späterer Literatur u.a. P. Althaus, Grundriss der Dogmatik II, 3. Aufl., 1949, 93 f f . , Eiert 1931 I, 210 f f . , Eiert 1956, 212 f., und E. Hirsch, Geschichte der neuern evang. Theol. V 1954, 387 f f .
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liehe Entwicklung der Person Christi hin zu der offenbaren Verherrlichung im status exaltationis. Das liegt eher auf einer Ebene mit den zuvor angedeuteten reformierten Gesichtspunkten und würde von Luther als Dynamismus, Adoptianismus oder Nestorianismus abgestempelt worden sein: der grundlegende Fehler würde seiner Ansicht nach darin bestehen, daß diese Kenotiker genau wie Nestorius nicht ernst mit der communicatio idiomatum machen 51 . Luther würde auch sagen können, daß man seine eigene Distinktion zwischen Wesen und Gestalt nicht beachtet habe, denn Christus ist zwar von Gott verlassen, aber das bedeutet nicht, daß er des Göttlichen Wesens entblößt wäre. Wie stets stützt sich Luthers Stellungnahme letzlich nicht auf Natur-Spekulationen, sondern auf rein soteriologische Erwägungen: „wird nu Christo die Gottheit entzogen, so ist keine hülfe noch rettung da wider Gottes zorn und gerichte" Wenn Luther von der Entäußerung im status exinanitionis spricht, denkt er dabei also nicht an eine Einschränkung im Wesen Gottes oder in der göttlichen Natur. Wir hörten vielmehr oben Luther sagen, daß alles, was von Christi Erniedrigung ausgesagt wird, „den menschen tzugelegt werden" soll. Das Wort Mensch soll hier nicht als die menschliche Natur „an sich" betreffend verstanden werden, sondern es meint den konkreten Menschen Jesus, das historische Resultat der Vereinigung von göttlicher und menschlicher Natur. Das Objekt der Kenosis ist nicht der „Menschwerdende", der, welcher noch nicht Mensch geworden ist, sondern der „Menschgewordene", Deus in carne. Die Menschwerdung im ganzen, das Herabsteigen in immer tiefere Erniedrigung, der Gehorsam in Verachtung und Hohn bis zum Tode am Kreuz, all das ist in der Entleerung enthalten. Es handelt sich nicht um eine rein quantitative Aberkennung gewisser göttlicher Eigenschaften, so daß man sozusagen ein Stück von Gott, den Glanz und die Herrlichkeit, fortnähme und einen weniger majestätischen Teil übrigließe, sondern es ist eher so, daß die Gottesgegenwart in Christus umso stärker konzentriert ist, je tiefer die Gottverlassenheit zu sein scheint. Die Fülle und Selbsthingabe der göttlichen Liebe steht Seite an Seite mit dem Niedersteigen und dem Kreuz. In Liebe zur Welt geht Gott hinein in die Erniedrigung und verbirgt sich, um dadurch sein Heilswerk auszuführen: „exinanita est diuinitas et in carnem abscondita" Daß Christus eine bejammernswerte Gestalt hatte und von Gott verlassen war, bedeutet also für Luther nicht, daß er nur ein erniedrigter Mensch - wenn auch mit gewissen göttlichen Attributen versehen - gewesen wäre. Christus ist wirklich wahrer Gott - daran besteht für Luther niemals ein Zweifel - aber ein im Fleische verborgener Gott. Die Gestalt, die Gebärden, das Auftreten können einen wenig von Göttlichkeit geprägten Eindruck machen, aber seinem Wesen nach ist Gott dennoch in Christus: „wo sich Gott verbirget und lesst sich nicht mercken, da ist Götlich " Vgl. 50, 587, 19-588, I i ( V o n den Konziliis und Kirchen 1539] und unten Kap. II C:2. " 46j 555» 7 - 2 0 (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1537) und öfters. " 56, 168, 2 (Vöries, über den Römerbrief 1515-16).
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wesen, aber keyn Götlich geberden" Es finden sich bei Luther zahlreiche Aussagen - die Gottheit in Christus hat sich zurückgezogen, „hat jre Krafft eingezogen", „die Menscheit ist allein gelassen" usw." - die buchstäblich gelesen und aufgrund ihrer subtilen Terminologie den Eindruck erwecken konnten, daß er wirklich mit Kenosis eine Beschränkung in Christi göttlicher Natur gemeint hätte. Aber das ist nicht der Fall. Seinem Wesen, seiner Natur nach ist Christus vere Deus, aber um den Teufel zu überlisten und sein Amt auszuüben, hat er sich seiner göttlichen Gestalt entäußert: „er hab seiner Göttlichen gewalt nicht gebraucht noch seine almechtige Krafft ereuget" Es ist also der Mensch Jesus, λ ό γ ο ς ε ν σ α ρ κ ο ς , der sich für uns entäußert, vere Deus, aber in carne und in abscondito. Noch einmal wollen wir nun, im Anschluß an unsere Palmsonntagspredigt über Phil. 2 in der Fastenpostille, die Frage behandeln, was es Luther zufolge besagen will, daß Christus Mensch ist. Jesus ist, sagt Luther, „eyn natürlich mensch". Natürlich bedeutet, daß Jesus menschliche Natur hatte, menschlichen Leib und menschliche Eigenschaften und Fähigkeiten wie andere, „er hat alles gebraucht wie eyn ander mensch als essen, trincken, schlaffen, wachen, gehen, stehen, hungern, dürsten, frieren, schwitzen, müde werden, erbeyten, kleyden, wonen, beten und alles, wie sonst eyn mensch lebt gegen Gott und der wellt" Aber daß Jesus ein natürlicher Mensch war, bedeutet für Luther auch etwas mehr. Denn wenn man den erniedrigten und sich im Gehorsam entäußernden Menschen Jesus betrachtet, sieht man einen gerechten und unschuldigen Menschen, einen im wirklichen Sinne natürlichen Menschen, der Gottes Schöpfung zur imago Dei entspricht. „Mensch aber mustu hie verstehen, das nichts mehr denn eyn mensch ist on allen zusatz". So will Luther erklären, welch „herliche person" Christus ist: Gottes Sohn ist Mensch geworden, vollkommener und naturgemäßer Mensch, „gesund und on leyblichen gebrechen", aber er hat sich für uns Sünde und Fluch unterworfen 58. 54 1711, 239, 22 f . (Fastenpostille 1525]. " 45/ 239, 35-40 [Pred. 1537]. 56 ib. 240, 8-12; „ N u er aber braucht das wort 'Er war ynn Göttlicher gestalt', so lauts schier, als habe er sich nur gestellet w i e eyn G o t t . . . Denn Christus nam wol an knechtisch gestalt. Er war aber nicht drynnen", 17 II, 241, 4-9; „Das Christus habe sich selbs geeussert odder entledigt, das ist, er hat sich gestellet, als legt er die gottheyt von sich und wollte derselbigen nicht brauchen noch sich unterwinden. Nicht, das er die Gottheyt hette odder kündte sie ablegen und weg thun, Sondern das er die gestalt Göttlicher maiestet hat abgelegt und nicht G o t t gebaret, wie er doch warhafftig war. W i e wol er auch die Göttliche gestalt nicht also ablegt, das man sie nicht fulete odder sehe, denn so were keyn Göttlich gestalt da blieben, Sondern er nam sich der selben nicht an und branget nicht damit widder uns, sondern dienete viel mehr uns damit . . .", 243, 3-18. " 17 II, 244, 5 - 1 3 ; IOI:I, 243, 6-22 (Kirchenpostille 1522]. 58 17 II, 243, 30-244, 32; „sich enthalten und geeussert und geberdet, w i e eyn schlecht ander mensch thut", 242, 36 f.; „da hette er noch möcht ynn der selbigen menscheyt sich über alle menschen erheben und niemand dienen. Das alles lies er und ward w i e eyn mensch, . . . der widder reichtum noch ehre noch gewalt noch furschub f u r andere hatte
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Viele Menschen stellen häufig die spitzfindige Frage, sagt Luther einmal in der Kirehenpostille, „wie Christus, sso er gott ist gewesen alltzeytt, habe mugen tzunehmen ym geyst und der weyssheytt" 5 \ Wenn Christus wahrer Mensch ist, muß er dann nicht von Beginn an vollkommen sein, und wenn er durch seine Entäußerung und Erniedrigung die Möglichkeit einer wirklichen Zunahme und Entwicklung besitzt, muß das nicht eine Beschränkung seiner Göttlichkeit bedeuten? Diese Fragen drücken für Luther keinen absoluten Gegensatz aus. Er betont gern derartige Einzelheiten, die zeigen, daß Christus vom Wechsel des Menschenlebens abhängig war und selbst zwischen verschiedenen Gefühlslagen hin- und hergeworfen wurde. Er konnte zornig, traurig und betrübt werden und bedurfte dann der Stütze seiner Freunde, so wie es anderen in der entsprechenden Situation ergangen w ä r e C h r i s t u s ist als Mensch veränderlich, er entwickelt sich und nimmt auf mancherlei Art zu wie andere. Denn obgleich er immer und von Beginn an voller Geist und Gnade ist, hatte ihn der Geist nicht immer in der gleichen Weise, ohne Rücksicht auf die äußeren Umstände, auf den Wechsel von Zeit und Raum, berührt. Genau wie Jesu Leib während seiner Kindheit wuchs - womit die Menschen sich merkwürdigerweise abfinden, meint Luther sarkastisch - und seine Vernunft zunahm, so senkt sich der Geist „ymer mehr und mehr ynn yhn und bewegt yhn yhe lenger yhe mehr", obgleich der Geist vom ersten Augenblick an mit Jesus war. So fand eine dauernde Entwicklung statt, „das er wahrhafftig yhe eliter yhe grosser, und yhe grosser yhe vornüfftiger und yhe vornunfftiger, yhe sterker, ym geyst und voller weyssheyt ist worden". Christus ist kein „Gespenst", sondern ein wirklicher Mensch, der in jeder Hinsicht zunimmt, aber da zeigt es sich auch, daß er als Mensch weiter kommt als andere, „eyn ssonderlich kindt", das mehr zunimmt als andere". Also wieder: die Gestalt und die Gebärden sind veränderlich, nicht aber die Person und ihr Wesen. Ein typischer Ausfluß der menschlichen Unvollkommenheit, die jede wirkliche Entwicklung zur Voraussetzung hat, ist bei Luther auch die Rede von Christi ignorantia. Als Kind war Jesus unerfahren und in vieler Hinsicht unwissend, und als Erwachsener konnte er sich über Nazareths Unglauben (Mark. 6, 6} und den Glauben des Hauptmanns (Matth. 8, io) wundern. Der Grund seiner Verwunderung war Luther zufolge gerade . . . hat sich auch so gehalten, das keyner so geringe ist", 243, 31-244, 1; „ward weniger denn alle menschen, lies sich erunter und dienet allen menschen mit dem höchsten dienst, das er seyn leyb und leben fur uns gab . . . als eyn etzbube über alle buben . . . " , 244, 16-24. 50 I O I : I , 443 f f h i e r 446, 8 f. (Kirehenpostille 1522). Ib. 447, 5-10; „Sed diligenter sumus intuiti et non falsi: non fuit Christus secundum hominem phantasma sed vere vidimus eiue membra, personam, omnem familiaritatem, quam homo solet facere", 20, 602, 11-14 (Vöries, über den 1. Brief Joh. 1527 R.); 9, 405, 28 ff. (Pred. 1519-21 Poliander); 37, 57, 7 ff. (Pred. 1533]; 37, 475, 9 f f . (Pred. 1534]; 41, 573; 17 f f · (Pred. 1535); 46, 598 f., 634 f., 647, 17 f f . (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1537); 47, 636 f. (Pred. 1539 R.) und auch sonst sehr häufig.
" ioI:i, 447, u-448, 13·
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Unwissenheit °2. So von Christus als wahrem Gott zu sprechen, als habe er es nicht nötig gehabt, im Ernst zu beten oder zu glauben, oder als habe er keine menschliche Schwäche und Unvollkommenheit gekannt, bedeutet für Luther Doketismus und eine Vermischung von Göttlichem und Menschlichem in Christus6a. Er war wahrer Mensch, und daher war er nicht in jedem Augenblick allwissend und allsehend im überzeitlichen und absoluten Sinne, aber er war auch wahrer Gott, und daher wußte er ohne Zögern in jedem Augenblick alles Notwendige: „alliss was yhm furkommen ist, hatt er können urteylen und leren" Zusammenfassend können wir Luthers Auffassung folgendermaßen formulieren: Jesus ist seiner Natur, seinem Wesen nach Gott, er ist seiner Natur, seinem Wesen nach Mensch. Er hat seine göttliche Gestalt abgelegt, sich äußerlicher, sichtbarer göttlicher Attribute entäußert und benahm sich in den Tagen der Erniedrigung nicht wie ein Gott. Er nahm vielmehr menschliche Knechtsgestalt an, trat vor die Menschen in Geringheit und Schwäche und wurde zu Sünde gemacht. Er war als Person simul vere Deus et vere homo und simul justus et peccator. Die Kenosis, die Entäußerung, bezieht sich auf das Werk, das, was Jesus ausrichten mußte, um Menschen vom Übel zu erlösen. Das läßt sich, wie aus dem oben Gesagten hervorgeht, an zwei Punkten beobachten: 1. er ist Gott, wirklich und ganz Gott, aber seine Gestalt ist erniedrigt und seine Erscheinung trägt keinen sichtbaren göttlichen Stempel - denn um die Mächte des Bösen zu überlisten und zu besiegen, mußte er sich entäußern und verbergen; 2. er ist Mensch, ein wirklicher und perfekter Mensch ohne Sünde, Fleck und Tadel, aber er nahm die Sünde auf sich, unterwarf sich dem Gesetz und Ge" Siehe z.B. einen bezeichnenden Zusammenhang in 9, 441, 11-442, 21 (Pred. 1 5 1 9 - 2 1 Poliander); „'er hatt siech warhafftig verwundert als ein ander Mensch'. Et hic admiracionis causa est ignorancia. Man muss in ye eyn menschen lassen beleybenn, der ettlich ding nitt hatt gewist", ib. 556, 30-32. " „Et sicut oculos Christi clausus non vidit, sed vere dormivit, ita anima non vidit omnia. Deitas enim eque immanenter coniuncta corpori et anime rationali humanae Christi, sicut corporis imbecillitates non abstulit, ita nec animi ignorantiam", ib. 442, 15-18; „Christus negatur fidem habuisse, eo quod fuit simul et comprehensor. Si tarnen velimus dicere, quod sicut spem habuit, ita et fidem: sine dubio enim speravit sui corporis glorificationem, quam tarnen nondum vidit in praesentia: ergo et credidit", 4, 266, 24-267, 3 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; „Denn Christus nicht eytel beyn, sondern auch fleysch ist, ja er hat auch blättern und geschwere und sunde, des scheinet er sich nicht, ob gleich die grossen heiligen die nasen dafür stopfen", 17 I, 436, 7-9 (Pred. 1525). " „Die menscheyt Christi hat eben wie eyn ander heylige naturlich mensch nitt altzeyt alle ding gedacht, geredt, gewollt, gemerckt, wie ettlich eynen allmechtigen menschen auss yhm machen, mengen die tzwo natur und yhr werck ynn eynander unweysslich; wie er nit alletzeyt alle ding gesehen, gehöret, gefulet hatt, sso hatt er auch nit alle ding mit dem hertzen alle tzeytt angesehen, ssondernn, wie yhn gott gefurtt hatt und yhm furbracht, voller gnade und weyssheytt ist er gewessen, das allis, was yhm furkommen ist, hatt er können urteylen und leren. Darumb das die gottheyt, die alleyn alle ding sihet und weyss, ynn yhm personlich und kegenwertig war", I O I : I , 149, 12-150, 8 (Kirchenpostille 1522]; 4, 433, 30-34 [Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; vgl.: „Mensch, in dem, das er Got preyset und dancket, Got, ynn dem, das jm alle ding ubergeben sind vom Vatter", 17 II, 393, 32 f . [Festpostille 1527). 15 - Nilsson
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rieht und erschien als Verbrecher - denn um Sünder zu erlösen, mußte er selbst zum Sünder, zum summus peccator, gemacht werden. Das ist die Bedeutung der Entäußerung im status exinanitionis, und sie wird bestätigt durch die Beschreibung, die Luther vom status exaltationis gibt. Christus tritt „sub specie temporis et humanitatis" hervor - um hier eine bekannte Formulierung zu verwenden - aber auch „sub specie aeternitatis et divinitatis". Die Liebe Gottes und die Notwendigkeit des Heilswerkes sind der einzige Grund für die humiliatio und exinanitio des Sohnes. Nachdem er sein Werk „in carnis infirmitate" ausgeführt hat, hat ihn Gott wieder „in omni potestati et gloria" eingesetzt". Als Person, seinem Wesen und seiner Natur nach, ist Christus derselbe und unveränderlich, „denn Gotheit und Menscheit in dieser Person, wilche ist Christus, Gottes und Marien Son, also vereiniget sind, das sie in ewigkeit nicht mögen getrennet noch gescheiden werden" Wenn das Werk vollbracht ist, verändern sich dagegen sein Stand und seine Gestalt. Er, der zum Knecht der Sünde gemacht war, hat „die knechtische gestalt" abgelegt, und sein göttliches Wesen tritt nun auch in der Herrlichkeit und Hoheit der Gestalt hervor In den Tagen der Erniedrigung war die Gottheit „exinanita et in carnem abscondita". Trotz dieser Verborgenheit und Entäußerung war Christus seinem Wesen nach nicht weniger Gott bei der Geburt als nach der Auferstehung. Denn, sagt Luther in einem interessanten Zusammenhang in der Römerbriefvorlesung 1515-16, Jesus hat „ab initio conceptionis" alle Macht über alle, aber damals übte er sie noch nicht aus Die Erhöhung, die Auferstehung und Himmelfahrt erklären und offenbaren Christi regnum und seine göttliche Fülle. Es verhält sich also nicht so, daß Christus sich seiner Person nach veränderte, wenn sein status, sein Amt verändert werden, aber vom Gesichtspunkt des Menschen aus ist der Übergang von exinanitio zu exaltatio wichtig, weil er erhellt, wer Jesus ist und was er getan hat. Er, der in carne occultatus war, wird clarificatus, declaratus, revelatus, manifestatus und glorificatus Per lumen gratiae sehen Menschen nur *5 56, 167, 12-19 (Vöries, über den Römerbrief 1515-16), und ferner auch ib. 256, 17 f f . und 376, 31 f f . , und oben A n m . 8. " 45; 239, 33-35 С Pf ed. 1537). ·' nicht alleyne ynn Göttlicher gestalt bleybt, sondern auch als eyn Gott verkleret, gerhümet, geprediget, bekennet, geehret und gehalten wird", 17 II, 245, 9-14 (Fastenpostille 1525). " 56, 167, 3-168, 28; „Nam ab initio conceptionis Christi propter vnionem vtriusque nature verum fuit dicere: Iste Deus est filius Dauid Et iste homo est filius Dei. Prima ideo vera, quia exinanita est diuinitas et in carnem abscondita. Secunda ideo, Quia impleta est humanitas et in diuinitatem tradueta. Sed licet hoc ita esset, V t non sit factus filius Dei, licet sit factus filius hominis, et tarnen idem semper fuit filius et est filius Dei etiam tunc . . . Acceperat iam potestatem super omnia et erat filius Dei, Sed nondum exercebat eam, nondum habebatur talis filius Dei", 167, 24-168, 8. " iste homo filius Dauid secundum carnem est declaratus filius Dei in potestate sc. super omnia, quia fuit filius Dauid in infirmitate subter omnia . . . Ita et hic intelligitur Christus in Euangelio per spiritum sanctum declarari et manifestari filius Dei in virtute et potestate super omnia, quod ante resurrectionem non fuit reuelatum et manifestatum, Sed potius in carne Christi occultatum", ib. 168, 8-28.
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einen Teil, aber, sagt Luther an der Stelle der Fastenpostille, „am Jüngsten tage wirds offenbar werden. Da werden wyr sehen, das itzt schon gehet, nemlich wie Christus hat göttlicher gestalt sich geeussert, wie eyn mensch worden etc. also widderumb knechtisch gestalt abgelegt und wie eyn gott worden" 7°. „Secundum formam Dei" entleerte und entäußerte sich Gottes Sohn „usque in carnis inanitatem", aber „secundum formam servi" wurde er erfüllt „usque in plenitudinem diuinitatis". Auf der einen Seite Kenosis, das immer tiefer Herabsteigen, „nascens in mundum", auf der anderen Seite Plerosis, die Erhöhung an Gottes Rechte, „ascendens in celum". Wichtig ist, hier nicht nur Naturkategorien zu benutzen, sondern sich in soteriologischer und energetischer Terminologie auszudrücken, denn sowohl der status exinanitionis wie der status exaltationis, Kenosis wie Plerosis, das Herabsteigen wie die Erhöhung, beziehen sich auf Veränderungen im Amt Christi und nicht in Christi Person oder in dem gegenseitigen Verhältnis der Naturen Daher ist „Gottes und Marien Son" ein und derselbe, und Davids Sohn ist Gottes Sohn: „Iste Deus est filius David et iste homo est filius Dei" Was für den einen gilt, gilt auch für den anderen, der Mensch Jesus ist Gottes Sohn und Gott hängt am Holz des Kreuzes: „propter unionem utriusque naturae". An diesem Punkt unserer Untersuchung tritt die communicatio idiomatum definitiv ins Blickfeld, denn wenn auch der Terminus in gerade diesem Textzusammenhang nicht vorkommt, ist doch die Sache als theologisches Faktum klar und in einer für Luther sehr typischen Weise ausgedrückt. C. Communicatio idiomatum Christus ist vere homo und vere Deus, zwei Naturen in einer untrennbaren Einheit verbunden. Das ist, wie wir sahen, nicht eine Frucht metaphysischer Spekulation oder Resultat und Konsequenz einer in absurdum ausgezogenen Abendmahlslehre. Für Luther ist die soteriologische Begründung ganz und gar entscheidend. Christus muß vere homo sein, um wirklich in die Not und die Verfluchung der Menschen eingehen zu können; er muß vere Deus sein, um vollständig die Last der Sünde zu tragen und die Mächte des Bösen zu besiegen. Deswegen tritt Luther in bezug auf die beiden Naturen für sein simul ein, ein in diesem Zusammenhang gleich wichtiges Wort wie verus. Denn gleichwie die Einheit nicht behauptet werden darf auf Kosten einer der Naturen, so dürfen auch menschlich und göttlich nicht, weder logisch noch zeitlich gesehen, als aufeinander folgend be70
1 7 II, 245, 22-26. " „sicut filius Dei per humilitatem et exinanitionem sui factus est filius Dauid in carnis infirmitate, Ita econtra filius Dauid infirmus secundum carnem nunc rursus constitutus est et declaratus filius Dei in omni potestate et gloria. V t sicut se secundum formam Dei Exinaniuit vsque in carnis inanitatem, nascendo in mundum, ita secundum formam serui se impleuit vsque in plenitudinem diuinitatis ascendendo in celum", 56, 167, 1 6 - 2 2 . Vgl. Th. Harnack II, 1927, 166, und von Walter 1940, 221 f . " 56, 167, 24 f .
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trachtet werden, so, als hätte das menschliche nur Relevanz im status exinanitionis und als hinge das göttliche besonders mit dem Status der Erhöhung zusammen. Es ist vielmehr so, daß beide Naturen in ihrer Ganzheit und Fülle unauflöslich und trotzdem ohne Vermischung in einer einzigen Person vereint sind, und zwar von der ersten Stunde des irdischen Lebens Jesu an. Hier können wir nun folgende These aufstellen: weil für Luther alles darauf ankommt, daß Christus wirklich das einheitliche, gottmenschliche Erlösungswerk pro nobis ausgeführt hat, und weil die Einheitlichkeit dieser Handlung ihrerseits mit der unitas der Person zusammenhängt, wobei die communicatio-Lehre das Zentrum bildet, deswegen macht die communicatio idiomatum das Herzstück der Theologie Luthers aus. Das heißt: wenn die communicatio in Luthers Deutung nicht gelten darf, wird die Einheit, wie Luther es ausdrücken kann, zu einer bloßen „Redeweise". Damit wäre auch das Erlösungswerk in Christus preisgegeben und damit würde für Luther auch die Austeilung dieses Werkes zu einem bedeutungslosen Unternehmen, denn in solchem Fall könnte nichts mit Sicherheit an die Menschen ausgeteilt werden. Die Predigt des Wortes, die Taufe und das Abendmahl und alle Einrichtungen, die es in der Organisation der Kirche seit langem gibt, πμιβΐβη sich als ziemlich unwahrhaftige Ausdrücke einer vertrauensseligen menschlichen Geschäftigkeit zu erkennen geben - wenn Gott wirklich nicht Mensch geworden wäre und Erlösung von den Verderbensmächten gäbe. Denn der Christus, der in den Gnadenmitteln gegeben ist, wäre dann nur ein „genannter Gott", ohne irgendeinen verläßlichen Bezug auf den Christen und sein Leben in der Welt. Deswegen steht und fällt mit der communicatio idiomatum Luthers ganzes theologisches Denken. Die communicatio ist wirklich - und das ist eine äußerst wichtige Feststellung - kein mehr oder weniger gleichgültiges, dekoratives Beiwerk auf Luthers theologischem Gebäude, sie ist auch keine eigentlich ganz überflüssige Lehre, die man durch besonders kühne und halsbrecherische Schlußfolgerung aus dem Gedanken an eine unitas in Christi Person und Werk ableiten könnte. Die Lehre von der communicatio idiomatum ist überhaupt keine bloße Konsequenz der Einheit in Christus, sondern ein Ausdruck dieser Einheit selbst und des ganzen Fundamentes, worauf für Luther Leben und Seligkeit ruhen. i.
Luthers Auseinandersetzung
mit Nestorius und
Eutyches
Wenn man Luthers gesamte Produktion einigermaßen zu überblicken versucht, dann wird das Resultat sein, daß der Terminus communicatio idiomatum nicht nur sehr selten vorkommt, sondern auch während langer Perioden seiner schriftstellerischen Tätigkeit völlig fehlt. Man könnte nun behaupten, daß diese Beobachtung an sich nicht von größerer Bedeutung zu sein brauche. Das zahlenmäßig geringe Vorkommen des Begriffes darf keine zu weitgehenden Schlußfolgerungen über die Bedeutung der Sache nach sich ziehen. Die auf manche Weise schwer definierbare Wirklichkeit,
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die sich hinter dem dogmatischen Begriff der communicatio idiomatum verbirgt, läßt sich in den verschiedenartigsten Zusammenhängen immer wieder erkennen. Auf der anderen Seite kann man natürlich nicht über „die Realität" und „die Sache" reden, ohne zugleich nicht auch den Terminus und den Begriff untersucht zu haben. Wenn man sich also die Aufgabe stellt, die communicatio idiomatum, ihren Inhalt und ihre Bedeutung zu untersuchen, muß man deshalb doch auch die - wenn auch wenigen - Stellen berücksichtigen, an denen gerade dieses Wort vorkommt. Man kann nicht von einer gewissen allgemeinen Bedeutung ausgehen und diese dann den verschiedenen theologischen Zusammenhängen bei Luther anpassen, dann würde man nämlich gerade das voraussetzen, was erst noch bewiesen werden muß. Wollen wir also wissen, was Luther mit diesem Begriff meint, müssen wir auch dem Rechnung tragen, was er sagt, wenn er das Wort selbst gebraucht. Das heißt nicht, daß diese Belege ganz und gar entscheidend seien; sie müssen vielmehr mit vielen anderen Lutherzitaten vervollständigt und beleuchtet werden. So wenig wie ein Zitat, sachlich gesehen, dadurch mehr Bedeutung gewinnt, daß es das Wort communicatio idiomatum an sich, buchstäblich enthält, genau so wenig sinkt der Wert eines Beleges, in dem dieses Wort fehlt. Wenn man z.B. zwei gleichartige, beinahe wörtlich übereinstimmende Äußerungen, eine mit und eine ohne diesen Terminus findet, ist es doch wohl kaum eine gewagte Folgerung, wenn man behauptet, beide handelten von der communicatio idiomatum. Es gibt bei Luther genug Aussagen, die den Terminus anführen und uns auf vielfältige und oft eindringliche Weise ein klares Bild der Auffassung Luthers über die communicatio geben. Dieses so gewonnene Resultat dann bei anderen Aussagen Luthers anzuwenden, muß ein ganz legitimes Verfahren sein. Es ist deshalb auch kein entscheidender Mangel, wenn wir hier irgendein communicatio-Zitat übersehen oder ausgeschlossen hätten. In der Sache selbst können wir uns trotzdem mit genügender Deutlichkeit und Sicherheit ausdrücken. Wenn wir das rein faktische Vorkommen des hier diskutierten Begriffes beachten, können wir festhalten, daß Luther, nur wenige Stellen ausgenommen, das Wort mit einiger Häufigkeit erst in den dreißiger Jahren gebraucht. Die von 1535 an nachweisbar steigende Frequenz beruht mit einiger Wahrscheinlichkeit auf dem immer größer werdenden Interesse, das Luther für kirchengeschichtliche Studien z e i g t e I n der Schrift „Von den 1
Siehe schon J. A. Dorner, Entwicklungsgeschichte der Lehre von der Person Christi 11:2, 2. A u f l . , 1854, 567 f f . , und Thomasius II 1857, 218, der ohne nähere Begründung behauptet, daß Luther seit dem Jahre 1529 die herkömmliche Ausdrucksweise in diesem Zusammenhang verwendet; E. Schäfer, Luther als Kirchenhistoriker 1897, 83 f.; ferner auch W. Köhler, Luther und die Kirchengeschichte nach seinen Schriften, 1900, 122 f f . , und J . M. Headley, Luther's view of church history 1963, 162 f f . - Große Bedeutung für die Gestaltung dieser christologischen Gedankengänge hatte wahrscheinlich Luthers Studium der Chalcedon-Formel und der Streitigkeiten, die damit verbunden sind, vor allem in bezug auf Nestorius und Eutyches. Außerdem war auch die Kenntnis von Johannes Damascenus von großem Gewicht, was u.a. aus einer Predigt vom Jahre 1526 (in Bearbeitung von Buchholtzer) hervorgeht, wo die communicatio-Theologie klar erläutert
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Konziliis und Kirchen" 1539, die geradezu als der Höhepunkt dieser Studienarbeit bezeichnet werden kann, haben wir dafür ein Beispiel Durch diese historischen Impulse kommt Luther jetzt häufiger als vorher dazu, das Wort communicatio idiomatum zu gebrauchen und es damit in verschiedenen theologischen Zusammenhängen anzuwenden, die er früher zwar ähnlich, jedoch ohne diesen Terminus entwickelt hatte. Wir wollen jetzt bevorzugt die oben erwähnte Schrift von 1539 durchgehen, in der Luther zu den Konzilen von Ephesus und Chalcedon Stellung nimmt und die Christologie bei Nestorius und Eutyches untersucht Der Fehler in der Christologie des Nestorius, so stellt Luther fest, liegt nicht darin, daß er Christus einzig und allein als Mensch angesehen oder zwei Personen aus ihm gemacht habe - solcher Ketzerei ist er meist beschuldigt worden - , denn er bekennt wirklich „zwo natur, Gott und mensch in einer person", seine Verirrung besteht vielmehr darin, daß er die communicatio idiomatum nicht mitmacht: „Aber Communicationem idiomatum wil er nicht zugeben"Genau so ist der Fehler des Eutyches zunächst nicht, daß er die Menschlichkeit Christi verneint, sondern daß er gegen die Lehre von der communicatio verstößt5. Das ist nicht nur ein theologischer Fehler, sondern auch ein Verstoß gegen die Logik: „Denn solche grobe leute können nicht syllogisim oder consequentias machen"". Beide erkennen an, daß Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, eine Person sei, aber sie sehen nicht ein, daß sie damit wird, 20, 356-363, bes. 360, 3 - 1 6 . De fide orthodoxa, die Hauptarbeit Damascenus', lag in einer von Petrus Lombardus stammenden Ausgabe vor, deren vier Bücher Luther vermutlich zugänglich gewesen sind [vgl. 20, 360, 4), siehe W . Maurer, Z u r Komposition der Loci Melanchthons von 1 5 2 1 , L u J 1958, 146 f . , Anm. 2. Die sorgfältigen und zuweilen drastischen communicatio-Auslegungen des Occamismus kannte Luther u.a. durch Biels Vermittlung; vgl. Grane 1962, 92. 2 Schäfer 1897, 95 f f . 3 50, 581 f f . ; zu diesem Thema (Nestorius-Eutyches) siehe auch 20, 344 f . (Pred. 1526]. - Hier kann nicht beurteilt werden, ob und inwiefern Nestorius und Eutyches von Luther richtig bemessen worden sind; es ist ja u.a. eine Frage des Sprachgebrauches und der Definition. Mehrere Forscher haben besonders Nestorius verteidigt, er sei nicht selbst „Nestorianer" in ketzergeschichtlichem Sinn ( Α . B. Bruce, F. Loofs, R . Seeberg, A . von Harnack), siehe z.B. D. M. Baillie, God was in Christ 1948, 91 mit A n m . , und Cave 1952, 1 1 2 f . R . Seeberg sagt: „Keiner unter den großen 'Ketzern' der Dogmengeschichte trägt diesen Namen so zu Unrecht wie Nestorius" (Lehrbuch der Dogmengeschichte II, 1 9 1 0 , 204]. Communicatio idiomatum wird von dem modernistisch-katholischen amerikanischen Theologen W. N . Pittenger kritisiert, The Word Incarnate 1959, 125 f f . , 187; er tritt dabei als ein Verteidiger von Nestorius auf, und vermutet, daß man darum seinen eigenen Standpunkt als „simple Nestorianism" bezeichnen werde. * 50, 587, 1 9 - 2 2 . 5 „Eutyches meinung ist auch (wie des Nestorij) über den jdiomaten jrre, doch auff eine andere weise, Nestorius wil die jdiomata der menscheit nicht geben der Gottheit in Christo, ob es wol fest stehet, das Christus Gott und Mensch sey, Widerumb Eutyches wil die jdiomata der Gottheit nicht geben der menscheit, ob er gleich auch festheit, das Christus warer Gott und Mensch ist", 595, 2 - 7 . ' 59°« 37 f- Nestorius ist einer von den Menschen, „die ein ding bekennen, und doch nicht zulassen wollen, was daraus folget", 588, 27 f.; so argumentiert Luther mehrmals, 589, 1 5 - 1 8 , 595, 14-34.
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auch die Lehre von der communicatio idiomatum akzeptieren müßten. Wenn sie statt dessen diese Lehre abweisen, zeigt diese Inkonsequenz nach Luthers Meinung, daß sie auch die Einheit zwischen Gott und Mensch in Christus nicht recht verstanden haben, denn für Luther muß die Einheit, wenn sie richtig dargestellt werden soll, stets in engem Zusammenhang mit der communicatio idiomatum stehen. So faßt Luther zusammen: „Summa, wie droben gesagt, Wer die zwo natur in Christo, Gott und Mensch, bekennet, der mus auch jrer beide jdiomata der person zusprechen, Denn Gott und mensch ist nichts, wo sie nicht solten jr jdiomata haben. Darumb sind sie beide, Nestorius und Eutyches mit jrem jrthum und verstand billich verdampt'".Es reicht nicht aus, von Gott und Mensch als in der Person Christi vereint zu reden, wenn man nicht gleichzeitig auch von der communicatio idiomatum spricht. Wenn nun das Konzil von Ephesus nur die Frage nach Maria als θεοτόκος behandelt, ist das für Luther eine unbefriedigende Abgrenzung und Einseitigkeit, denn warum sollte man nur „das einige jdioma, das Gott von Maria geborn sey", diskutieren, wenn Nestorius gleich stark „alle jdiomata menschlicher natur von Gott in Christo" 8 verneint? Es ist offenbar Luthers Meinung, daß sich weder Nestorius noch Eutyches noch die Konzilsväter bewußt sind, daß der Gegenstand, den sie behandeln, zunächst nicht den Naturen, der Frage nach wahrer Menschlichkeit oder wahrer Gottheit gilt, sondern eher und richtiger mit den Eigenschaften zu tun hat. Denn die Naturen sind eigentlich nicht Gegenstand der Auseinandersetzung. Der Streit entsteht allerdings und die Ketzereien treten hervor, wenn man in einer einzigen Frage, der Frage nach Maria als Gottesmutter, die Konsequenzen aus dem Nicäno-Konstantinopolitanum ziehen soll. Hier zeigt sich, meint Luther, daß die communicatio idiomatum eigentlich den entscheidenden Punkt in den christologischen Streitigkeiten und Lehrentwicklungen der alten Kirche darstellt. Wir können also feststellen, daß die Lehre von der Vermittlung der Eigenschaften ein wirklicher Zentralpunkt für Luther zu sein scheint. Dann aber muß dieses zu einer wichtigen Frage werden: welche Eigenschaften sind in diese Vermittlung eingeschlossen und wie sind sie beschaffen? Luther antwortet oft auf diese Frage und wir können deshalb weiter unten die Antwort, vor der wir hier stehen, noch ausführlicher belegen. In der Schrift, mit der wir uns vorhin beschäftigten, entwickelt Luther gerade im Zusammenhang mit seiner Darstellung des Nestorius seine Ansicht über die verschiedenen idiomata. Zunächst dieses: was ist ein idiomal Luther antwortet: ,Jdioma heisst, was einer natur anhangt oder jr eigenschafft ist" *. Dieser definitionsmäßigen Äußerung können wir entnehmen, daß die Zweinaturen-Lehre für Luther eine große Rolle spielt und die selbstver7
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' 590, 24-591, 6. - Vgl. Schultz 1881, 99 f., und von katholischer Seite z.B. J. Brinktrine, Die Lehre von der Menschwerdung und Erlösung 1959, 88 f. " 587, 22 f . „Denn Idioma griechisch, proprium latine, ist ein ding, Last uns diew^il ein eigenschafft heissen", 587, 28 f.
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ständliche Voraussetzung dafür ist, daß er überhaupt von Vermittlung reden kann. Denn die Eigenschaften werden unter die beiden Naturen subsummiert und zwischen den Naturen wie auch zwischen ihren idiomata findet diese communicatio statt. Deswegen ist es absurd und unrealistisch, bei Luther einen Gegensatz zwischen dem Naturdenken und der communicatio-Lehre feststellen zu wollen. Aber entscheidend bleibt natürlich, wie wir früher schon sagten, wie man den Naturbegriff definiert I0 . Welche Eigenschaften rechnet Luther dann aber den beiden Naturen zu? „Idiomata naturae humanae", d.h. Eigenschaften, die jede menschliche Natur, jeden Menschen, und deshalb auch den Menschen Jesus auszeichnen, sind solche wie „sterben, leiden, weinen, reden, lachen, essen, trincken, schlaffen, trauren, freuen, geborn werden, mutter haben, brüste saugen, gehen, stehen, erbeiten, sitzen, ligen, und was des mehr ist" 11. Es sind also gewöhnliche, alltägliche Eigenschaften, charakteristisch auch für das Leben Jesu, wie Luther es mit Vorliebe schildert. „Idiomata Deitatis", die die göttliche Natur kennzeichnen, sind „das sie unsterblich, allmechtig, unendlich, nicht geborn, nicht isset, trinckt, schleift, stehet, gehet, trauret, weinet" Diese Eigenschaften sind teils metaphysisch und sprechen von Unendlichkeit und Unveränderlichkeit, teils negativ, indem sie Gottes Eigenschaften durch Negation der menschlichen bestimmen. Auch hier ist die Konkretion augenscheinlich, tatsächlich sind die Eigenschaften, denen Luther das größte Gewicht beimißt, nicht die traditionellen idiomata, die eigentlich nur Aussagen über die Naturen sind, sondern die energetischen und dynamischen Eigenschaften, die nicht so sehr bei der Beschreibung 10 Besonders in der älteren Forschung hat man dieses Problem erläutert. T . Haering meinte, „erst durch die Anerkennung der Idiomenkommunikation" würde die Einheit der beiden Naturen in Christus „völlig gesichert", Der christliche Glaube 1906, 432. Andererseits können die communicatio-Lehre und die Zweinaturenlehre gegen einander ausgespielt werden. J . A . Dorner wird z.B. von F. C. Baur (III 1843, 464, mit A n m . ) streng kritisiert, weil er die nach Baur sehr mangelhafte Lehre von der communicatio „ein Kleinod f ü r die Wissenschaft" nennt und diese Lehre dann zu vervollständigen sucht, und zwar indem er die Zweinaturenlehre ganz verwirft. Baur kommentiert mit Recht: „Denkt man sich aber die Zweiheit der Naturen hinweg, so kann ja von einer communicatio idiomatum gar nicht mehr die Rede sein". H. Schultz gibt in seiner Darstellung von der Gottheit Christi viele wertvolle und interessante Aspekte, stellt aber durchweg zwei verschiedene Gedankengänge einander gegenüber, eine Christologie, die sich auf die Zweinaturenlehre gründet, und eine, welche die communicatio idiomatum als Voraussetzung hat. Diese Auffassung hängt mit einem Gegensatz von einer metaphysischen und einer religiösen Deutung des Christentums zusammen. Der Untertitel des Buches von Schultz 1 8 8 1 , „Communicatio idiomatum", deutet an, in welcher Richtung er die Lösung des Problemes findet. Die spekulative und statische Zweinaturenlehre, mit der Schultz arbeitet, muß er daher ganz und gar verwerfen, so u.a. 204, 2 1 1 . - Siehe auch in moderner Literatur P. Althaus, Luthers neues Wort von Christus, Luther 1955, der die Lehre von den Naturen f ü r „unzulänglich" und Luthers Hauptanliegen widerstreitend hält C59)· Dasselbe meint von Loewenich 1954 ( 1 1 1 f . ] , siehe auch seine Arbeit „Luther und der Neuprotestantismus" 1963, wo die communicatio idiomatum als „das Herzstück von Luthers Christus-Frömmigkeit" dargestellt wird, wodurch aber von Loewenich die Zweinaturenlehre auch als aufgehoben betrachtet ( 4 1 3 ) . " 50, 587, 23-28. " 587/ 2 9 - 3 1 .
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von Personen und Naturen, sondern bei der des Werkes eine Rolle spielen. Genau so wie für Luther die wichtigsten menschlichen Eigenschaften nicht die abstrakt-metaphysischen oder naturalistischen sind, also die, die von Räumlichkeit, Zeitlichkeit und Materialität sprechen usw., so betont er in bezug auf die Göttlichkeit zunächst auch nicht z.B. Ewigkeit und Allmacht in philosophischer Bedeutung Das Gewicht liegt auch hier, wie wir immer wieder hervorgehoben haben, auf den soteriologischen Aussagen, ohne daß Luther freilich um derentwillen die Naturen eliminiert. „Menschlicher natur idiomata" sind unter anderem „wasser holen, brot keuffen, Mutter haben, mit jr essen und trincken", „creutz leiden und sterben" In diesem menschlichen Leben Christi, in seinen Anfechtungen, Leiden, und in seinem Tod treten auch die entscheidenden göttlichen Eigenschaften hervor: Er, Jesus, „das fleisch und blut Marie, ist schepffer Himels und der Erden, hat Tod uberwunden, Sünde vertilget, Helle zebrochen, welchs eitel Göttliche jdiomata sind" Luther beschreibt die göttliche Natur oft als Liebe, Fürsorge, Gebefreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Barmherzigkeit usw. Es liegt in Gottes Natur, zu lieben und zu geben. Die Eigenschaften drücken dieses Geben als eine Wirksamkeit aus, die sich nach außen und nach unten richtet, auf die Menschen zu - aber nicht auf etwas nur „an sich" göttliches Hat man also die Aussagen über göttliche und menschliche Natur, in Christus vereint zu einer Person, bejaht, dann ist es für Luther eine unausweichliche logische Konsequenz, auch mit den zu den Naturen gehörenden Eigenschaften Ernst zu machen. „Was were sonst derselb mensch, mit dem sich Gott Personlich vereinigt, Wenn er nicht rechte menschliche jdiomata haben solt? Es müste ein gespenst sein" Gerade diese Inkonsequenz, diese Tendenz, auf halbem Wege stehen zu bleiben, ist der Grundfehler in der Christologie des Nestorius: „Denn nachdem er zugibt, das Gott und Mensch in einer Person vereinigt und vermischt ist, So kan er ja mit keiner weise weren, das die idiomata der naturen nicht auch solten vereiniget und 1:1
Der Grundfehler der lutherisch-orthodoxen Lehrenentwicklung ist eben diese statischquantitative Auffassung; siehe u.a. Eiert I 1931, 215 f. 14 588, 5 - 1 1 ; vgl.: „Blut haben und dasselbige Blut am Creutzen vergiessen sind nicht Göttlicher Natur Eigenschaft, Sondern Menschlicher Natur", 45, 298, 12 f . [Pred. 1537). 16 596, 6-10. - Vgl. G . Wingrens Darstellung vom Sinn der communicatio idiomatum in diesem Zusammenhang, daß „sich die Gottheit Christi aber in seiner Austeilung der Sündenvergebung äußert", Evangelium und Kirche 1963, 105. 16 „Si Deus pingendus, sol ichs malen, quod in abgrund seiner Gottlichen natur nihil aliud est quam ein feur und brunst, quae dicitur lieb zun leuten. Econtra lieb est talis res, ut non humana, angelica, des Gottlich, ja Gott selber", 36, 424, 2-5 [Pred. 1532 R.); „Ibi eytel backoffen dilectionis . . .", ib. 425, 1 f. 17 „Das heist dann got recht erkennet, wan man yhn nit bey der gewalt ader weyssheit [die erschrecklich seynd), sundernn bey der gute und liebe ergreifft", 2, 141, 3-5 [Ein Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi 1519); „Sed hoc est esse deum: non accipere bona, sed dare, ergo pro malis bona retribuere", 4, 269, 25 f . (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; „Gottes natura est, quae omni dat et iuvat . . . " , 17 I, 233, 4 f. [Pred. 1525 R.]; 40 I, 224, 28 f. (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.], Siehe Althaus 1962, 169. 18 50, 589, 31-ЗЗ·
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vermischet sein", denn, so fragt Luther, „Was were sonst Gott und mensch in einer Person vereiniget?" Nestorius bekennt einen einzigen Christus - nicht „zween Christus" und er stimmt zu, daß Jesus „nach der Menschheit" von Maria geboren ist. Darin ist Luther mit ihm einig. „Aber da sties sichs": Nestorius will Maria nicht „Gottesmutter" nennen, weil Christus seine Gottheit ja nicht von ihr, sondern von dem Vater h a t G e r a d e darin liegt nach Luther der Fehler: wenn man sagt, daß Christus seine Gottheit nicht von Maria habe, so folgt daraus nicht, daß Maria nicht Gottes Mutter sei. Denn wie eine Mutter - und zwar jede, die ein Kind gebiert - die Mutter des ganzen Kindes, nach Leib und Seele ist, auch wenn die Seele, wie Luther sagt, „von Gott allein" kommt und die Mutter nicht auch Mutter der Seele ist, so ist auch Maria die Mutter des totus Christus, obwohl die Göttlichkeit in ihr nicht ihren Ursprung hat. So fungiert die communicatio idiomatum Christus hat zwei Geburten, eine „generatio aeterna" vor und über aller Zeit, und eine „nativitas naturalis" durch die Jungfrau Maria. Dieser doppelten Geburt entsprechen die zwei Naturen: Christus ist Gott durch die ewige und Mensch durch die zeitliche G e b u r t D i e s e Doppelheit in Geburten und Naturen darf jedoch den nestorianischen Schlußsatz nicht hervorrufen: also „zween Christi", denn der, der durch die Jungfrau geboren wurde, ist dieselbe Person wie der, der durch den Vater geboren wurde. Für Luther ist es immer wieder erstaunlich, daß es die göttliche Majestät „in utero feminae" gibt, daß er, der Sohn des Höchsten, durch eine äußerlich gesehen ganz gewöhnliche Geburt auch Maria Sohn ist". Dabei verbirgt sich Gott in Schmach und Schande bis zu einem solchen Grad, " Das Zitat fährt fort: „Und ist seine narrheit eben die, dawider man leret in den schulen: Qui concedit antecedens bonae consequentiae, non potest negare consequens, Auff Deudsch reden wir also: Ist eines war, so mus das ander auch war sein, ist das ander nicht war, so ist das erst auch nicht war. Wer das zugibt das Greta dein ehefrau sey, der kan nicht leugnen, das jr kind (wo sie from ist) dein kind sey", 588, 16-24; 599, 1-3· 20 584, 12-20. 21 585, 29-586, 3; vgl. 45, 558, 25-38 (Das XIV und X V Kap. Joh. 1538). 22 586, 10-15; A l s 0 S°1 m a n a u c h sagen, das Maria des kindes, so Jhesus Christus heisst, rechte natürliche Mutter ist, und sie die rechte Gottes Mutter, Gottes gebererin . . . das Maria Gott seuget, Gott wiget, Gott brey und suppen macht etc. Denn Gott und mensch ist eine Person, Ein Christus, Ein Son, Ein Jhesus, nicht zwo Person, nicht zween Christus, nicht zween Söne, nicht zween Jhesus, Gleichwie dein Son nicht zween söne, zween Hanse, zween Schuster ist, ob er gleich zwo natur hat, leib und seele, leib von dir, Seele von Gott allein", 587, 6-18. " 54/ 48, 35-49, 15 (Von den letzten Worten Davids 1543); 17 II, 311, 35-312, 3 (Festpostille 1527); 33, 386, 9-387, 38 (Wochenpred. über Joh. 16-20 1528-29); von ewigkeit a patre und in der zeit ex virgine, zwo natur in einer person vereiniget", 37, 291, 17-20 (Pred. 1534 R.); „Duplex est nativitas: 1. a virgine, 2. a Deo, et unus wesen und person fit draus, Deus et homo", 45, 49, 14 f. (Pred. 1537 R.); 46, 137, 10-22 (Pred. 1538 R.); 39 II, 25, 1-3 (Verbum caro factum est 1539 Α.). 21 Ii, 217, 20-26 (Pred. 1523 R.); i o I : i , 357, 2-358, 7 (Kirchenpostille 1522); 17 II, 302, 1-30 (Festpostille 1527); 37, 55, 17-56, 40 (Pred. 1533); 46, 625, 6-19 (Ausleg. des i. und 2. Kap. Joh. 1537) und sehr häufig.
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daß Maria, sagt Luther, den Schimpfnamen „Hure" bekommen kann und ihr Kind „Hurenkind" genannt wird; aber trotzdem ist sie wirklich die Mutter des Gottessohnes25. Weil sie allein unter allen Frauen Gottesmutter genant werden kann, ist Maria aller Ehren wert 2°. Maria ist Mutter und hat trotzdem ihre Jungfräulichkeit behalten, denn Gott erschafft ex nihilo durch den Heiligen Geist, ohne das Mitwirken irgendeines Mannes. Wie Maria zugleich Mutter und Jungfrau war, so war Jesus durch die doppelte Geburt Gott und Mensch in einer Person. Im selben Augenblick, da sie dem Wort des Engels glaubte, wurde sie durch den Heiligen Geist schwanger mit einem Kind, das „deus homo" war 2T. Deswegen schließt sich Luther auch hier der Bezeichnung des Chalcedonense an, das Maria θεοτόκος
nennt 2 8 .
Wir kehren nun zu Luther Auseinandersetzung mit Nestorius zurück. Im allgemeinen ist dessen Meinung folgende: Gott „ist ein unmeslich ander ding" als ein Mensch, zwischen Gott und Mensch herrscht ein unendlicher Unterschied und Gegensatz: „darumb können die idiomata beider natur nicht ubereinkomen" Obwohl er also die untrennbare Einheit der Person fordert, mißglückt ihm das ständig, weil er mit der communicatio idiomatum nicht Ernst machen kann. Soweit kann Nestorius zustimmen: „Jhesus Zimerman zu Nasareth gehet dort auff der gassen und holet seiner mutter ein krüglin wasser und ein pfennig werd brots, das er mit seiner „verus Christus in sinu Mariae: pfui, sol das Christus? ipsa hur, ipse hur kind", 45, 352, 24 f . [Pred. 1537 R . ] ; 9, 527, 5 - 2 1 (Pred. 1 5 1 9 - 2 1 Poliander]; 4 1 , 363, 16 f., 365, 10 (Pred. 1 5 3 5 ) ; 46, 576, 2 3 - 2 6 (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1 5 3 7 ] ; „Ioseph wird angefochten über seinem getrauten gemahel", 27, 475, 4 f. (Pred. 1528 R . ] ; ib. 482, 5 - 4 8 3 , 9· 2 6 Maria ist nur „ein betlerin", „ein dienst magd", die bei der Geburt Gottes erforderlich war, siehe besonders Luthers Magnificat-Auslegung 1 5 2 1 , z.B. 7, 5 7 2 - 5 7 5 , ferner 32, 263 f. (Pred. 1 5 3 0 ) und 45, 106 f . (Pred. 1 5 3 7 ] ; sie ist „regina coeli", soll aber nicht für eine Göttin gehalten werden: „Maria die wil nit ein abtgottyn sein, Sie thut nichts, got thut alle ding", 7, 574, 24 f.; „idolum fecerunt ex Maria", 11, 1 1 7 , 16 (Pred. 1523 R . ] ; „Sie ist j a aller ehren werd, aber lasse das noch kupfer sein gegen diesem golde", 17 II, 320, 5 f . (Festpostille 1 5 2 7 ) ; 10 III, 3 1 3 , 1 - 1 2 (Pred. 1 5 2 2 ] ; 11, 3 1 9 , 5 - 1 6 ( D a ß Jesus Christus ein geborner Jude sei 1 5 2 3 ) ; 4 1 , 350, 1 4 - 2 3 (Pred. 1535 R . ] ; man soll mehr auf die Frucht, Christus und die Erlösung, sehen als auf Maria, wenn sie auch „eine heilige, reine, keusche Jungfraw" ist, siehe 40 I, 5 6 1 , 11-26 (In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 D r . ] und 46, 6 3 1 , 5 - 1 0 , 663, 3 2 - 3 8 (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1 5 3 7 ] . 27 „non viro aliquo, sed ipso creatore et Spiritu sancto, qui omnia ex nihilo creavit et vivificat assidue, Qui ex nihilo facit omnia, Etiam ex utero virginis filium creare potest, Hoc est de spiritu sancto concipere", 45, 436, 2 9 - 3 2 (Conciunculae quaedam . . . 1 5 3 7 ) ; ib. 49, 1 - 1 5 , 5 1 , 2 2 - 3 0 (Pred. 1537 R . ] ; 37, 53, 39"55, 7 (Pred. 1 5 3 3 ] ; ib. 96, 7 - 2 9 ( R . ] ; „Hic tria facta esse miracula: 1. Coniunctio deitatis cum humanitate in puero isto, 2. Quod mulier sit virgo, altum alat puerum, 3. Quod fides Mariae tanta fuerit . . . " , 9, 5 1 7 , 1 4 - 3 2 (Pred. 1 5 1 9 - 2 1 Poliander]; „Mit diesen Worten kompt Christus nicht allein yn yhr hertz, sondern auch yn yhren leib, als sie es höret, fasset und glewbet", 19, 490, 3 1 - 3 3 (Sermon von dem Sakrament 1 5 2 6 ] ; „Sed in isto momento, cum dixit: 'Ecce ancilla', fuit mater et habuit viventem fructum in ventre, qui est deus homo", 46, 472, 8 - 1 0 (Pred. 1538 R . ] . 25
28 Siehe hier besonders die sorgfältige Auslegung in 40 III, 708, 7 - 3 0 (Enarratio 53. cap. Esaiae [ 1 5 4 4 ] 1 5 5 0 ] . 2
* 5°< 587, 32-34·
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mutter esse und trincke". Und dieser Jesus ist auch „der rechte warhafftige Gott in einer person". Soweit geht Nestorius also mit, aber wenn man die Ausdrucksweise nur wenig ändert und statt dessen sagt: „dort gehet Gott auff der gassen" usw., dann mißfällt ihm das, weil er diese Art und Weise, der göttlichen Person menschliche Eigenschaften zuzulegen, als eine Vermengung auff aßt Wenn Nestorius behauptet: „Christus ist wol Gott, aber Gott ist nicht gecreutzigt", dann macht er denselben Fehler wie vorhin, aber jetzt vergeht er sich auch an der Lehre von der Dreieinigkeit; seine Argumentation ist, nach Luthers Meinung, ganz ähnlich: „creutz leiden und sterben" ist eine menschliche Eigenschaft, deswegen kann sie unmöglich der Gottheit zugerechnet werden". Das Bekenntnis, daß Christus Gott und Mensch ist, reicht also nicht, wenn man nicht auch dem zustimmt, „das der selbige Gott sey geborn und gestorben". Wenn man auf diese Weise „die idiomata menschlicher natur" nicht für dieselbe göttliche Person gelten lassen will, ist diese Verneinung der communicatio idiomatum gleich übel wie ein Wegstreichen der Naturen selbst. Weil hier die Schlußfolgerung nicht gefällt, hat man damit nach Luther die Prämissen verneint Wie sich nun Nestorius besonders dagegen wehrt, die menschlichen idiomata der göttlichen Person und Natur zu vermitteln, so ist Eutyches auf der Hut vor einer Verbindung in entgegengesetzter Richtung, nämlich vom Göttlichen zum Menschlichen. Auch er beharrt auf der Lehre von Christus als wahrem Gott und wahrem Menschen, aber für ihn liegen die Schwierigkeiten auf anderen Punkten als für Nestorius. Jener war kritisch gegen menschliche Aussagen über Gott, Eutyches widersetzt sich dagegen göttlichen Aussagen über den Menschen Jesus Es ist für Eutyches eine unerlaubte und verwirrende Ausdrucksweise, wenn man sagt, dieser Mensch habe Himmel und Erde geschaffen, werde Gericht halten oder zu Gottes rechter Seite sitzen, denn „Himel schaffen", „gericht halten" und „zur rechten Gottes sitzen" sind göttliche Eigenschaften, die man nicht auf Davids Sohn übertragen kann". Es ist eigentlich eine Illusion, wenn Eutyches Christi wahre Menschlichkeit zu fordern meint, denn es darf ja keine communicatio stattfinden und die Eigenschaften Gottes werden von denen des Menschen getrennt gehalten. Man kann deswegen Eutyches der Verneinung der Menschlichkeit Christi beschuldigen, ebenso wie man " 587, 35-588, II. " 588,10-589,18. " „Sondern, so solt das urteil lauten: Wiewol Nestorius bekennet, das Christus rechter Gott und Mensch, eine Person sey, Aber weil er die jdiomata menschlicher natur derselben Göttlichen Person Christi nicht gibt, ists unrecht und eben so viel, als leugnete er die natur selbs", 591, 1-4; 597, 7-10. Vgl. J. Koopmans, Das altkirchliche Dogma in der Reformation 1955, 82. 33 595» 2 f f · [siehe oben Anm. 5]. " „Wenn ich aber fortfare und predige, das der selbige mensch Christus sey Schepffer Himels und der Erden, da stösset sich Eutyches und entsetzt sich fur diesem wort: Ein Mensch schaffet Himel und Erden und spricht: nein, Denn solch Göttlich jdioma (als Himel schaffen) stehet nicht menschen zu", 595, n - 1 4 f.; 603, 21-34.
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Nestorius der Verneinung der Gottheit Christi bezichtigen kann, obwohl beide beides dem Wortlaut nach bejahen. Aber, so meint Luther, weil hier die communicatio idiomatum aus dem Spiel gezogen wird, hat dies ihr Bekenntnis nun keine Bedeutung mehr Als die mittelalterliche Theologie eine reale communicatio durchzuführen versuchte, mußte man trotz immer stärker verfeinerter Ausdrucksweise mit bedeutenden Schwierigkeiten kämpfen. Auf der einen Seite wollte man die Einheit der Person bewahren und deshalb der communicatio idiomatum Platz schaffen. Auf der anderen Seite war man jedoch vor jeder bloßen Vermengung auf der Hut und mußte ständig jeder communicatio-Aussage die charakteristische Beifügung zusetzen: „secundum divinitatem" oder „secundum humanitatem", um damit die Naturen vor einer sonst gefährlichen Konfusion zu schützen". Hinter diesem Verfahren, mit einer Hand zurückzunehmen, was man mit der anderen gerade gegeben hatte, verbarg sich eine mehr oder weniger ausgesprochene, philosophisch bestimmte und metaphysisch geformte Lehre vom Gegensatz zwischen Göttlichem und Menschlichem - und das obwohl diese Lehre ohne Zweifel auch soteriologischen Überlegungen Raum geben wollte. Unter solchen Umständen mußte es auch für Luther als ein schwieriges, wenn nicht sogar unmögliches Unternehmen erscheinen, eine communicatio im echten Sinn durchzuführen. Nun hat jedoch, wie wir bereits zu zeigen versuchten, sein Verständnis von Natur, Wesen, Person, Gott, Mensch, Eigenschaft usw. oft eine andere Prägung, ein anderes Vorzeichen, weil für ihn die Frage nach der Erlösung und Sündenvergebung ständig im Mittelpunkt steht und seine Darstellung vor allem definitionsmäßig bestimmt. Für Luthers Verständnis der communicatio idiomatum sind deshalb diese Gesichtspunkte entscheidend. Die communicatio, die er in der Diskussion mit der altkirchlichen Christologie zu entwickeln versucht, erscheint nun als eine, die den Naturunterschied aufzulösen und die Ursache einer monophysitischen Konfusion abzugeben droht. Er geht über die in der früheren Tradition legitime Vermittlung im genus idiomaticum - um den lutherisch-orthodoxen Begriff anzuwenden - hinaus, um einer communicatio, nicht nur zwischen Natur und Person, sondern auch zwischen Natur und Natur Ausdruck zu verleihen. Der Auseinandersetzung mit Nestorius nach zu schließen, will Luther mit einer Vermittlung sowohl nach dem genus majestaticum - von göttlicher zu menschlicher Natur als auch nach dem genus tapeinoticum
" 596/ 9-15; „Denn gewis ists jr ernst gewest, das sie alle beide Christum fur Gott und Mensch in einer Person gehalten haben, . . . und doch in die folge oder consequentz sich nicht haben können richten, das die Person, so Gott und Mensch ist, wol gecreutzigt und Himel geschaffen hat, aber Gott müge nicht werden gecreutzigt, noch Mensch Himel schaffen", 598, 17-22. Vgl. Schäfer 1897, 313, Anm. 1, wo er meint, daß Luthers Darstellung der idiomata in Verbindung mit Eutyches eine „Irrigkeit" und ein Fehlgriff sei, „so scharfsinnig sie an sich sein mögen". ** So argumentiert Thomas ab Aquino, siehe Baur II, 1842, 813 f f . , Dorner II:i, 1853, 400 f f . , und in moderner Zeit P. E. Persson, Sacra doctrina 1957, 200 f f .
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- von menschlicher zu göttlicher Natur - Ernst m a c h e n D a s kann nun auch erklären, warum der Nestorianismus überhaupt zum beliebten Schlagwort wurde, das den reformierten Standpunkt treffen sollte und warum Luther seinerseits auf Grund einer vermeintlichen Vermengung der Naturen des Monophysitismus und Eutychianismus beschuldigt wurde. A u f s ganze gesehen sind solche Bezeichnungen ja wenig geeignet, die Diskussion klar und sachlich zu halten, selbst wenn sie auf gewisse Tendenzen hinweisen können Hier nun ist es von Interesse, auf das zu hören, was Luther in seiner Predigt 1537 über Kol. i, 18-20 „Von der Menscheit Christi und seinem A m p t " sagt. „Es heisst Communicatio idiomatum, wenn man die Eigenschaffte der Natur in Christo vereiniget und vermischt, gleich wie die Naturn, Gott und Mensch in einer Person vereiniget und vermischet sind" Luther scheint hier in seiner Ausdrucksweise unklar und undeutlich zu sein, so, als wäre er auch hier der Gefahr einer confusio in seiner Auffassung von der Vereinigung der Naturen nahe, wenn er den Zusammenhang und die Vermittlung der Naturen mit dem Ausdruck „vermischt" erklärt Rörer hat hier eine gleichwertige Formulierung: „heists communicatio idiomatum, quia vermengt hae 2 naturae" ,0 . Die hier zu befürchtende Vermengung tritt jedoch nicht ein; das kann an Hand einer klaren Unterscheidung nachgewiesen werden, die Luther gleichzeitig anstellt, und zwar zum Teil zwischen den Naturen als solchen und zum Teil zwischen G o t t und Men" Hier orthodoxe Termini auf Luther zu beziehen kann damit begründet werden, daß wir dadurch gewissermaßen die Kontinuität zwischen Luther und seinen Nachfolgern verstehen können. Andererseits muß man wiederum beachten, daß eine solche Systematisierung Luther selbst fremd - um nicht zu sagen zuwider war. Was er klarmachen will, ist die lebendige Einheit in Christi Person und Werk, und es ist ihm dann natürlich, daß die beiden Naturen wechselseitig daran teilnehmen. Darum ist es zweifellos ein unhistorisches und inadäquates Verfahren, diese Begriffe auf Luthers Deutung der communicatio idiomatum zu beziehen, kann aber, nachdem dies gesagt ist, erklärend und aufschlußreich sein. Vgl. Thomasius II 1857, 219 ff., ders., Die christliche Dogmengeschichte II 1876, 396 f f . , Mackintosh 1913, 266 f. Graß 1940, 65 f f . , betont den Gesichtspunkt des totus Christus und „das heilsmäßige Interesse" in der communicatioLehre. Die Vermittlung ist nach Graß nicht nur einseitig, es gibt bei Luther vielmehr sowohl ein genus majestaticum wie ein genus tapeinoticum. So meint auch Althaus, aber mit größerer kritischer Schärfe; das genus majestaticum und die communicatio überhaupt sei letztlich „eine unbiblische und verkehrte Theorie", 1959, 223, 449 f f . , 459. Über den totus-Aspekt und die grundsätzliche Bedeutung der communicatio in den lutherischen Bekenntnisschriften siehe P. E. Persson, Kyrkans ämbete som Kristus-representation 1961, 317 f f . 38 Diese Gefahr unnuancierter Urteile und fast willkürlicher Bezeichnungen der Widersacher nahm während der konfessionellen Streitigkeiten der lutherischen Orthodoxie sehr zu. Später wurde die communicatio-Lehre als Lehre festgestellt und in Einzelheiten dargelegt, um die lutherische Besonderheit zu bekräftigen. Mehrere Forscher meinen, daß etwas von den tiefsten Intentionen Luthers dadurch verlorengegangen sei, und eine metaphysische und abstrakte Gegenüberstellung zweier Naturen bleibe zurück; siehe z.B. Lindström 1937, 216, 232 f. 3* 45, 297 f f . (Dr.); eine ähnliche Auslegung gibt es in 45, 554 ff. (Das X I V und X V Kap. Joh. 1538); hier: 300, 14-16. " 300, 2 (R.).
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sehen als „abgesondert" voneinander und „vereinigt", d.h. zwischen Gottheit und Gott und zwischen Menschlichkeit und Mensch. Gottes Natur ist unblutig, sie kann nicht gekreuzigt werden, nicht sterben und nicht auferstehen, aber weil Gott und Mensch sich in einer unteilbaren Person vereinigt haben, kann man - von diesem vereinigten Gott behaupten, daß Gott gekreuzigt wurde und gestorben i s t S o wie „die Gottheit allein und an jr selbs" nicht gekreuzigt werden und kein Blut vergießen kann, so kann auch „der Mensch allein und an jm selbs" nicht Himmel und Erde erschaffen. Wenn man sagt, daß der Mensch erschafft, so gilt das nicht vom homo in gewöhnlicher Bedeutung, sondern von der göttlichen Persern, „qui est in humana natura" Christus hat gelitten und ist gestorben, und das hat zum Inhalt, daß nicht nur der angefochtene Mann am Kreuz, der Mensch Jesus, sondern auch Gott gelitten hat und gestorben ist. Gott hat die Welt geschaffen, trotzdem kann man auf Grund der communicatio idiomatum auch mit Recht sagen, daß der Mensch Jesus die Welt geschaffen habe. „Und es kan auch nicht anders sein, Weil Gott und Mensch eine Person ist, ein Christus, ein Jhesus, ein Son Gottes und Marien, nicht zwo Personen, nicht zweene Christus, nicht zweene Jhesus, nicht zweene Söne, So'folget, das die Eigenschaffte der zwo Naturn in Christo gleich und alle müssen der Personen zugeeiget werden" **. Diese Einheit der Naturen und Eigenschaften will Luther mit einem Gleichnis erklären, das im Zusammenhang mit der communicatio oft wiederkehrt: wenn ein Hund ein Kind in den Fuß beißt, kann man mit Recht sagen, daß das Kind gebissen wurde, obwohl der Biß ja nur in den Fuß ging. Man sagt auch, daß ein Mensch verwundet oder geschlagen wurde, selbst wenn nur ein einzelnes Glied getroffen wurde. So geschieht also, „das man der gantzen Person zueignet, was nur einem Stück derselben Person z u g e h ö r e t " D i e s e r Gedankengang erinnert an Occams paradoxale und beinahe irreligiöse communicatio-Lehre Luther wendet diese seine Überlegung auf den Artikel von Christus an: „Weil Gott und Mensch eine Person worden ist, So mus man also reden, das die Person Christus beyder Natur Eigenschafft führe . . . So mus man der gantzen Person zu41 298, 16-20; „Denn ob wol leiden, sterben, aufferstehen allein der Menschlichen Natur Eigenschaffte sind, Dennoch weil Christus einerley Son ist Gottes und Marien in einer unzertrenneten Person und zwo unterschiedliche Naturn, So ists recht gered von der gantzen Person: Gott ist für uns gecreutziget, Gott hat sein Blut für uns vergossen, Gott ist für uns gestorben und aufferstanden von den todten, Nicht der abgesonderte Gott von der Menscheit, Sondern Gott, der sich mit der Menscheit vereiniget hat in einer Person . . . " , 299, 26-300, I i . « 300,3 f . (R.), 17-26. " 301, 21-25. 44 300, 27-301, 13; vgl. ib. 558, 11-13 (Anm. 39 oben), und früher z.B. 24, 399, 10-14 (Pred. über das 1. Buch Mose 1527), 26, 321, 24-322, 22 [ V o m Abendmahl Christi 1528). 45 Siehe Dorner II:i 1853, 447 f., R. Seeberg III 1913, 664 f., Cave 1952, 144; z.B. eine typische Argumentation bei Occam: „Deus est homo ratione assumtionis naturae", „Deus est caput", „Deus est pes", also: „iste Deus est pes Christi, iste Deus est caput Christi, ergo caput Christi est pes Christi" (nach Dorner).
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schreiben und zueigen, was einer eintzelen Natur zugehöret" Es ist also klar, daß Christi Blut, das er am Kreuz vergoß und mit dem er Erlösung und Vergebung erwarb, „Gottes des Almechtigen Schepffers Blut, des HErrn der Herrlichkeit Blut, des Sons Gottes Blut" war ,T . Wir hatten schon verschiedentlich Grund und Anlaß, die Bedeutung des Gespräches zwischen Jesus und Philippus für unseren Zusammenhang zu unterstreichen. Luther betont ständig die unauflösliche Verbindung zwischen den beiden philosophisch unvereinbaren Naturen. Wenn er Jesu Worte: „Wer mich sieht, der sieht den Vater" (Joh. 14, 9) kommentiert, kann er daraus den Schluß ziehen: „Christus ist Gott und Mensch in seiner Person, Darumb wer den Menschen Christum gesehen und angerüret hat, der hat Gott gesehen und angerüret . . . Wer den Menschen Christum rufft, der rufft Gott" Auch wenn die Naturen weiter von-einander entfernt sind als Himmel und Erde kann man sie doch nicht unterscheiden und gelegentlich von Gott und gelegentlich vom Menschen reden, wie es Nestorius gemacht hatte. Im Gegenteil, durch die gegenseitige Vermittlung ist die unitas Christi nicht nur eine quantitativ zusammengesetzte Summe von zwei gegeneinander abgegrenzten Größen, sondern sehr viel mehr, nämlich eine lebendige und wirksame Person. Deswegen kann man unmöglich auf beinahe statische Weise sagen: „Hie ist Christus Gott, Da ist Christus Mensch, Sondern mus sagen: Wo Christus Gott ist, Da ist Christus Mensch, Und widerumb wo Christus Mensch ist, Da ist Christus Gott. Was Christus Mensch thut, das thut auch Christus Gott, Und widerumb was Christus Gott thut, das thut auch Christus Mensch" sc . Die Darstellung der communicatio idiomatum, der wir hier gefolgt sind, legt das Gewicht auf die Personeinheit in Christus. Deswegen kann man sagen, der Typ der Vermittlung, mit dem wir es hier an erster Stelle zu tun haben, ist der des genus idiomaticum: das, was über irgendeine der Naturen gesagt wird, gilt dem totus Christus. Eine Aufspaltung darf es nicht geben. Wenn wir nun weiter darauf achten, was denn Luther bei der Auslegung von Kol. 1, 18 ff. dazu treibt, so zahlreiche Gesichtspunkte der communicatio idiomatum aufzuzeigen, dann können wir ohne weiteres festhalten, daß sein ganzes Interesse um „die Erlösung durch sein Blut" kreist. Deswegen muß Christus Gott und Mensch in einer einheitlichen Person sein und deswegen ist Luther so sehr darauf aus, daß die communicatio idiomatum unversehrt bleibt. Diese Ansicht von der communicatio wird später zur Lehre vom genus apotelesmaticum systematisiert: jede Natur hat nach ihrer Art und ihren Möglichkeiten Teil am Werk Christi, aber in der Erlösung, im Amt ist die Person und die Tat unteilbar - totus Christus. Wenn man will, kann man hier das dritte genus der lutherischen Ortho" 300, 17 302, " 301, " 306, 50
37-301, 13· 9 f. 25-31, 302, 1 1 - 1 7 . 26-307, 13.
301, 33-37·
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doxie, das genus majestaticum, geltend machen, das ja eine Aussage über eine der Naturen auch für die andere Natur gelten läßt - so, wie die Einheit unauflöslich ist. Obwohl Luther in äußerer Übereinstimmung mit der älteren Tradition das, was eine der Naturen auszeichnet, der ganzen Person Christi zuschreiben kann, geht er in gewisser Weise doch noch einen Schritt weiter. Diese frühere, traditionelle Auffassung der communicatioLehre kann schon in dem ersten der hier erwähnten genera untergebracht werden. Luther aber macht keinen Unterschied zwischen verschiedenen genera, er drückt sich in solchen Kategorien gar nicht aus und versucht auch gar nicht, seinen Standpunkt in irgendeiner Lehrart festzuhalten. Wenn man nun behauptet, daß Luthers Aussagen im genus idiomaticum ohne weiteres auch für das genus majestaticum gelten, dann liegt darin für Luthers Anschauung kein Problem. Eine göttliche Eigenschaft wie z.B. das Erschaffen, die man nicht nur der gott-menschlichen Person, sondern auch der menschlichen Natur zuweist, bedeutet für Luther, von seinen eigenen Voraussetzungen aus gesehen, keinen neuen Abschnitt in diesem Verfahren. Er entwickelt damit lediglich weiter, was schon implizit im Gedanken der communicatio liegt. Gewiß sagt Luther, daß das Erschaffungsvermögen eine rein göttliche Eigenschaft sei, die der menschlichen Natur an sich, „der Mensch an jm selbs", nicht zukomme, aber wir müssen die dabei wichtige Distinktion beachten: „der Mensch an jm selbs", „die abgesonderte Menschheit", das ist die menschliche Natur im allgemeinen, die jeder Mensch hat - kein Mensch aber hat Gottes Schöpferkraft - , die menschliche Natur in Christus jedoch ist eigentlich nie abgesondert, sondern ständig und für immer mit Gott vereint. Gerade deswegen kann man über die Relation von Natur zu Natur dasselbe aussagen wie über die Relation von Natur und Person. Wenn man bei der Durchführung der communicatio idiomatum vor einer solchen Behauptung Halt macht, bedeutet das, daß man, nachdem man zunächst eine rechtgläubige Personeneinheit und eine damit zusammenhängende communicatio gefordert hat, hinterher diese Einheit wieder auflöst und auf die menschliche Natur „an sich" sieht. Dann allerdings kann man behaupten, es sei eine ketzerische Übertreibung, von dieser menschlichen Natur etwas so typisch göttliches wie Schöpfermacht behaupten zu wollen; dann hat man jedoch auch das, wovon man ausging, beiseite gelassen, die Einheit ist zersplittert und die communicatio-Lehre verstümmelt. Wenden wir diese Überlegung an, dann heißt das Endergebnis: nur das genus majestaticum in dieser Auffassung Luthers kann eine wirkliche Einheit in Christus und eine ganz und gar durchgeführte communicatio idiomatum gewährleisten. Man kann also auf diese Weise niemals eine Natur isolieren und sie ohne Rücksicht auf die andere und auf die Einheit zwischen ihnen wie eine physische Erscheinung oder wie eine reine Abstraktion behandeln. Ein solches Vorgehen würde die communicatio idiomatum verdunkeln, anstatt sie zu erklären und die Vermittlung ganz einfach außer Kraft setzen. Das hieße, lebendiges Leben analysieren zu wollen und es deshalb einzu16 - Nilsson
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fangen versuchen, dann aber, nachdem man es ergriffen und seziert hat, feststellen zu müssen, daß man gar nicht länger mehr das Leben untersucht: was man herausfinden wollte, ist zerschnitten und längst leblos geworden. Wenn wir deshalb vom lebendigen Christus reden wollen, vom ständig wirksamen Erlöser, können wir diese eine Person nicht in zwei fixierbare Abteilungen aufteilen. Gewiß hat Christus zwei Naturen, aber die Einheit ist wirklich unauflöslich. Diesem Verhältnis will die communicatio idiomatum Ausdruck verleihen. Worum es hier geht - und nun kehren wir zu Luthers Schrift über die altkirchlichen Konzile zurück - ist also nicht eine dogmatische Bagatelle oder ein Streit um Worte, ob man z.B. Maria Gottesmutter nennen dürfe oder nicht, sondern es geht um „alle jdiomata", göttliche und menschliche, und um die Auffassung von der Person Christi überhaupt. Luther sagt, wenn Nestorius es verwunderlich findet, daß Gott stirbt, müßte er es für noch mehr verwunderlich und unsinnig halten, „das Gott mensch wird" Aber so weitgehende Konsequenzen zieht Nestorius bekanntlich nicht, weil er, nach Luther, der communicatio idiomatum keine Bedeutung beimißt. Für Luther dagegen ist diese Lehre unaufgebbar, wenn nicht die Tatsache der Inkarnation selbst aufgelöst oder verdunkelt werden soll. Wenn Nestorius eine Vermittlung vom Menschlichen zum Göttlichen nicht zulassen will, so liegt das daran, daß das Göttliche in heiliger Unberührbarkeit frei von Leiden und Tod gehalten werden soll. Und wenn sich Eutyches eine Göttlichkeit nicht denken kann, die wirklich mit menschlicher Natur kommuniziert, liegt auch hier die Ursache in seinem Streben, die Reinheit der Gottheit zu bewahren und ihre Distanz zum bloß Menschlichen zu betonen. Beide Male kann jedoch - wie Luther es sieht - an der Inkarnation nicht mehr festgehalten werden. Luther kann über Christus zu Nestorius sagen: dieser Mensch ist Gott, „drumb ist Gott gestorben", und zu Eutyches: Gott ist Mensch geworden, „darumb hat der mensch Christus die weit geschaffen und ist allmecht i g " W e n n die Rede von der Inkarnation überhaupt wirklichen Inhalt bekommen soll, dann reicht die Behauptung nicht, Gott und Mensch seien in einer Person vereint; man muß dann auch die communicatio idiomatum gelten lassen, sodaß, was in dieser Person über Gott ausgesagt wird, auch dem Menschen zukommen kann und u m g e k e h r t S o n s t ist das Bekenntnis zur Menschwerdung Gottes und zur Einheit der Person nur eine „Redeweise", eine bloße Behauptung ohne Begründung. Wenn man auf solche ketzerische Art und Weise, trotz formellen Anschlußes an das Nicaenum, die beiden Naturen aufspaltet, vergeht man 51 и
50. 589, 28-590, 5. 589, 24 f·, 590, I f.
" „Denn wir Christen müssen die jdiomata der zwo naturn in Christo, der Personen gleich und alle zu eigen, Als, Christus ist Gott und mensch in einer Person, darumb, was von jm gered wird als menschen, das mus man von Gott auch reden . . . Widerumb, was man von Gott redet, mus auch dem menschen zugemessen werden . . . Denn es ist eine person worden aus Gott und mensch, darumb fürt die Person beider natur jdiomata", 589, 21-590, 4.
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sich nicht nur an der Christologie, sondern auch an der Trinitätslehre 5\ Wenn man nämlich sagt, daß Gott gestorben sei, dann ist das nicht ohne weiteres richtig, sondern gilt nur für den inkarnierten Gott. Vom Deus ipse ist sowohl die Behauptung falsch, Gott sei Mensch, als auch die andere, Gott sei tot, denn solche Aussagen können auf den „abgesonderten Gott" nicht übertragen werden, sondern nur auf die andere Person in der Gottheit, auf den „vereinigten Gott mit der Menschheit" Die communicatio idiomatum und die Menschwerdung gehören zusammen und setzen einander voraus. Wenn Luther bei der Darstellung der beiden ökumenischen Konzile des 5. Jahrhunderts die communicatio idiomatum so stark betont und klarzumachen versucht, was eine Eigenschaft ist, mit welchen idiomata er an erster Stelle rechnet und wie er sich hauptsächlich die Vermittlung der Eigenschaften denkt, so geschieht das gleichwohl nicht zunächst, um die Personen innerhalb der Dreieinigkeit zu unterscheiden oder um mit Gottes Deszendenz und Menschwerdung an sich Ernst zu machen, auch nicht einmal, um eine wirkliche und lebendige Einheit in Christus zu bewahren. Wir wollen hier noch einmal den soteriologischen Hintergrund und die dynamischen Aspekte unterstreichen, die bei der Beschreibung der verschiedenen idiomata das für Luther Entscheidende sind5β. Er zitiert Bibelstellen über menschliche Eigenschaften, die von Geburt, Kreuzigung und Tod um der Erlösung der Menschen willen handeln aber jedesmal legt er das Gewicht auf die göttlichen idiomata von Versöhnung und Sündenvergebung, die doch „dem Son David, Christo, dem son der Jungfrauen Marie, zugeeigent werden in der gantzen Schrifft" Er kann in seiner Darstellung ge51
Vgl. oben in Kap. II А:з. 589, 25-29. 5 * Diese Betonung einer realen „Lebenseinheit", des Persönlich-Sittlichen, des GeistlichReligiösen bildet das Positive in Schultz' Lutherauslegung, das jedoch abgeschwächt wird durch die Voraussetzung eines Gegensatzverhältnisses zwischen Luthers religiösen Grundgedanken und seiner Zweinaturenlehre, siehe bes. 226 f f . C1881) und Anm. 10 oben. Auch Ebeling meint, daß Luthers Gebrauch der communicatio eine der Zweinaturenlehre entgegengesetzte Tendenz enthalte, 1942, 246 f . Hinsichtlich des dynamischen Gedankenganges vgl. auch C. Welch, The reality of the Church 1958, 85, Anm.: „The babe in the arms of Mary does indeed hold in his hand the globe of the world, because the power and glory of God are revealed in the weakness of the infant. This is, to be sure, not all that needs to be said about the unity of God and man in Christ, but it is a necessary thing to say. It also means thinking together the notion of communicatio idiomatum with the more active and soteriological concept of communicatio operationum". 57 Siehe z.B. 592, 1 2 - 1 5 , mit Hinweise an Luk. 1 , 32, 43; 2, 1 1 ; Gal. 4, 4; 1 Kor. 2, 8; Apg. 20, 28; Phil. 2, 6 f.: „Da stehen ja klar gnug die jdiomata menschlicher natur und werden doch dem einigen Son und Herrn zugemessen, an welchen wir gleuben gleich dem Vater, und als an einen rechten Gott". 55
" „Und in summa alle Propheten, alle schrifft, so Christo odder Messia geben ein ewiges reich, erlösung von sunden, tod, helle, sind alle wider Eutychen, Denn sie sagen alle, 'der same des Weibes solle den kopff der schlänge zutreten', Gen. 3. das ist sunde, tod, teuffei, helle uberwunden, Weichs sind Göttlicher natur jdiomata und nicht des Weibes samens, Und alle weit solt durch den samen Abrahe gesegenet werden, Gen. 22. Das ist auch die sunde, tod, helle, den fluch Gottes weggenomen werden, das sind auch jdiomata, nicht Abrahams samen, sondern Göttlicher natur. Und darnach die herrlichen,
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legentlich ganz nüchtern argumentieren, hier jedoch bekommt sie, wie gewöhnlich, die Züge eines hochgradig persönlichen Engagements. „Wo es nicht solt heissen, Gott ist fur uns gestorben, sondern allein ein mensch so sind wir verloren". Die Rede vom Tode Gottes ist nicht nur eine Aussage über die Person Christi, die Dreieinigkeit und die Inkarnation, sondern gilt für Luther vor allem dem Werk Christi, der Versöhnung Darum ist bis zum Ende dies das Wichtigste in der Auffassung Luthers von der communicatio idiomatum, etwas, das dieser Lehre ihre weitreichende Bedeutung und ihre Anwendbarkeit auf alles gibt, was zum christlichen Glauben und zur christlichen Lehre gehört 2. Das Zentrum der Inkarnation und der Erlösung Um nun weiterhin eine Anzahl wichtiger Punkte klären zu können, wollen wir uns Luthers Argumentation in einer Reihe unterschiedlicher communicatio-Texte, Predigten, Bibelauslegungen, Tischgespräche und Disputationen zuwenden. Die Fragen, die einer eingehenden Untersuchung wert sind, beschäftigen sich mit Luthers Aussagen i. über die Vermittlung in verschiedenen Formen, zwischen Natur und Person und zwischen Natur und Natur; 2. über die communicatio realis im Unterschied zur communicatio nominalis, die nach seiner Meinung für Zwingli und die Schwärmer charakteristisch ist - und für Nestorius; und 3. über den für Luther grundlegend wichtigen Zusammenhang zwischen der communicatio idiomatum und dem Versöhnungswerk Christi zur Erlösung des Menschen. Im allgemeinen wendet Luther den Terminus communicatio idiomatum an, um die unauflösliche Einheit von göttlicher und menschlicher Natur in der Person Christi zu schützen. Jede Natur hat ihre Eigenart und ihre vergewaltigen Prophetien David, Isaie, Hieremie und aller Propheten, die von Davids samen sagen, Er solle ewige gerechtigkeit anrichten, das ist tod, sunde, helle wegthun, Weichs sind eitel jdiomata Göttlicher Maiestet und natur, Werden aber doch dem Son David, Christo, dem son der Jungfrauen Marie, zugeeigent in der gantzen Schrifft", 603, 34604, 7. " 590, 1 1 - 2 2 . °0 Daß die communicatio diese entscheidende Wichtigkeit hätte, ist von vielen Theologen bestritten worden; siehe Einl. 2, Anm. 13 f. Prenter meint, daß diese Lehre einen für Luthers Christologie im übrigen fremden Gedanke bilde; sie gebe der Zweinaturenlehre „eine Tendenz zum Monophysitismus" und führe „unweigerlich zu Doketismus"; siehe i960, 326 f. Vgl. R. Seeberg, IV:i 1917, 383: „das religiöse Interesse Luthers an Christus bedarf nicht dieser physischen Idiomenkommunikation"; O. Ritsehl III 1926, 1 1 2 , und besonders Torsten Bohlin, der in seinem Lutherbuch 1927 dieses christologische Problem umfassend und mit Sorgfalt erörtert hat, 188-215. Er arbeitet aber durchweg mit der damals üblichen Unterscheidung zwischen Ethischem und Physischem, „der persönlichen christozentrischen Gotteserfahrung" und „der religiösen naturalistischen Betrachtungsweise" (201). Bei Luther gibt es nach Bohlin zwei gegensätzliche Tendenzen: „der Gedanke an das endlich begrenzte Dasein Christi, seine wahre Menschlichkeit", und „die Lehre von dem Gottmensch und der communicatio idiomatum" (196]. Diese Lehre mache letztlich „den Gedanken der wahren Menschlichkeit des Gottmenschen zu einem heterogenen Bestandteil der Christologie" (199, 1 9 1 ) , und müsse deshalb als eine sehr verdächtige Größe in der Theologie Luthers betrachtet werden. Vgl. hierzu das geringschätzige Urteil über diese Lutherdeutung, das Olsson 1934, 139, Anm. 92, abgibt.
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schiedenen Eigenschaften. Der Gedanke der Vermittlung drückt aus, daß die beiden Naturen - unter Bewahrung ihrer Eigenarten, ohne Vermengung und Verwandlung - in Gottes einheitlichem Handeln in einer Person vereint sind, um das Böse zu besiegen und das Menschengeschlecht zu retten. Er spricht davon, wie Christus als wahrer Gott und wahrer Mensch das Erlösungswerk vollbrachte. Er zeigt den Zusammenhang von und die Einheit zwischen Schöpfung und Erlösung, erstem und zweitem Artikel auf. Derselbe Gott, der die Welt geschaffen hat, ist im Menschen Jesus an das Kreuz von Golgatha genagelt worden, und er, der in Bethlehems Krippe lag, war bei der Erschaffung der Welt mit dabei und sitzt zu Gottes rechter Seite. Im Anschluß an Joh. 3, 16 fragt Luther in seinem Johanneskommentar von 1538, wie es möglich sein konnte, daß Gottes Sohn übergeben und gekreuzigt werden konnte. Daß ein Mensch an das Kreuz geschlagen wurde, war weniger bemerkenswert, aber wie konnte dadurch auf der anderen Seite der Sohn eines Menschen ewiges Leben schenken? Die Lösung des Problems mußte darin liegen, daß Gottes und Marien Sohn ein und derselbe Sohn, „eine einige person" seien. Beide Naturen sind in einer Person „zu heil und erlösung vom ewigen tode" vereint \ Wenn man deshalb sagt, Gottes Sohn habe Himmel und Erde erschaffen, kann man in gleicher Weise sagen, daß auch der Sohn des Menschen erschaffen habe. Und wenn man behauptet, daß der Mensch dem Pilatus übergeben und gegeißelt wurde, kann man dasselbe mit gleichem Recht von Gottes Sohn behaupten2. Das ist der Inhalt der communicatio, der „gemeinschafft", die zwischen Naturen und Eigenschaften herrscht: „Aber dieweil man die person nicht zertrennen muss, so ist eine gemeinschafft gemacht, das man saget: das kind Christus, so in der Wiegen ligt und milch sauget aus Maria der Jungfrawen Brüsten, hatt Himmel und erden geschaffen. Item: Gottes söhn, der von ewigkeit Gott mit dem vater ist, der henget der mutter an der brüst, wird gecreutziget und stirbet. Nam communicatio naturarum adducit etiam communicationem idiomatum"Gerade dieser Schlußsatz, daß nämlich die Einheit der Naturen auch zu einer „gemeinschafft" zwischen den Eigenschaften führen müsse, wurde von Luther, wie wir schon zeigten, bei Nestorius und Eutyches vermißt. Im Interesse leichterer Überschaubarkeit kann die Problematik auf zwei bekannte und paradoxale Sätze, die wir hier aus Luthers Disputation über Göttliches und Menschliches in Christus aus dem Jahre 1540 nehmen, zugespitzt werden: „Deus est mortuus" und „homo creavit mundum"*. An 1
47, 76, 27-38 (Ausleg. des 3. und 4. Kap. Joh. 1 5 3 8 ) ; ib. 78, 3 2 - 3 6 . Vgl. eine Predigt über Maria und Elisabeth, 46, 472 f f . (Pred. 1538); „Sicut et hic Elisabet cognoscit Deum in utero matris . . . Nam spiritus sanctus nominat eum Dominum Deum. Licet homo esset, tarnen propter Communicationem idiomatum sunt una persona . . . " , 46, 477, 3 4 478, 22 (Stoltz) - Rörer berichtet dasselbe, aber ohne den hier zentralen Terminus. 2 3
47, 76, 39-77, 12. 77, 33-39·
' „Fides catholica haec est, ut unum dominum Christum confiteamur verum Deum et hominem. Ex hac veritate geminae substantias et unitate personae sequitur ilia, quae
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verschiedenen Stellen diskutiert Luther den Zusammenhang und die Unterschiede zwischen einer Anzahl von uns zum Teil schon untersuchter Begriffe: homo - humanitas, deus - divinitas, creator - creatura, substantia accidentia, persona - natura usw. Auf Grund dieser Unterscheidungen und auf Grund der communicatio idiomatum kann und muß ein Christ solche gegen alle Vernunft streitenden Urteile fällen: Gott leidet und stirbt, der Mensch erschafft die Erde und das Weltall, Christus ist sowohl vom gleichen Wesen wie der Vater als auch wie wir Menschen, ist vom Vater und von der Maria geboren; er ist zugleich sichtbar und unsichtbar, tot und lebendig: „Haec omnia dicuntur propter communicationem idiomatum" Es ist eigentlich unmöglich für eine Gottheit, an das Kreuz gehängt zu werden, gleichwie auch der Schöpfungsakt außerhalb jedes menschlichen Vermögens steht. Aber „man mus die Person nicht zutrennen". Luther fährt in seinem Kommentar fort, daß das der Evangelist sagen wolle, „auff das wir hieraus lernen Communicationem Idiomatum, das die eigenschafft beider naturn sich zihen auff diese einige person, und also beider naturn eigenschafft zu stehen der einigen person" *. Das, was durchweg von der göttlichen und von der menschlichen Natur ausgesagt werden kann, gilt eo ipso auch der ganzen Person: „Sic quod attribuitur uni personae, toti personae attribuitur" \ Die communicatio, um die es hier geht, bezieht sich auf Natur und Person, auf eine Vermittlung, die später das genus idiomaticum genannt wurde. Luther drückt sich an vielen Stellen so aus, daß man ihm auch die genera communication's zuschreiben muß, die die Orthodoxie das genus ma· jestaticum und tapeinoticum nannte. Weil aber Luther eine solche Distinktionsweise nicht kannte, können seine Äußerungen nicht sauber getrennt werden. Seine Aussagen über die communicatio habe oft eine ganz allgemeien Charakter, aber die Formulierungen können wechseln und auf verschiedene Weise auch einer Vermittlung zwischen Natur und Natur Ausdruck verleihen. Ein paar Beispiele aus dem Johanneskommentar von 1538: „Doher haben die aldten Veter gesaget, das die eigenschafften beider naturen der gantzen person Christi in concreto zugegeben und zugerechnet werden, und haben gemacht communicationem idiomatum, und Eine gemeinschafft dicitur, communicatio idiomatum. Ut ea, quae sunt hominis, recte de Deo et e contra, quae Dei sunt, de homine dicantur. Vere dicitur: Iste homo creavit mundum et Deus iste est passus, mortuus, sepultus etc.", 39 II, 93, 2-9 (Disp. de divinitate et humanitate Christi. Thesen 1540). 5 39 II, 20, 3 1 - 3 5 ( Verbum caro factum est 1539 C . ) ; diese Gedanken können wir häufig in den christologischen Disputationen finden, z.B. 20, 2 0 - 2 1 , 1 1 ( Α . ) , 23, 1 - 5 ; „Vere dictum, Christus consubstantialis patri secundum divinitatem et consubstantialis secundum humanitatem nobis", 23, 30 f . [ C O ; verus Deus in genere divinitatis . . . verus homo ut nos et particeps nostrae naturae . . . " , 24, 1 - 6 ( Α . ) ; 93, ю - д б , 22 (Disp. de divinitate et humanitate Christi 1540, besonders die Thesen 7 - 1 0 , 1 2 - 1 4 , 2 1 - 2 4 , 30, 37-48, 56); ferner 104, 26 f f . , 107, 27 f f . , 108, u f f . , 1 1 4 , 22 f f . ( A . ) usw. ' 47, 86, 6 - 1 6 ( 1 5 3 8 ] . 7 So nach 20, 603, 19 f . (Vöries, über den 1 . Brief Joh. 1527 R . ) .
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sej, da die eigenschafft einer natur der andern natur mittgeteilet wird"; „Den weil Gott und mensch ein person ist, so wirdt der Gottheit zugeeignet, das der menschheit allein geburet. Den die eigenschafften der bejder naturen vereinigen sich auch"; „ . . . do tragen die zwo naturen ir eigenschafft zusamen, und gibt die gottliche natur der menschlichen ire eigenschafft, und hinwidder die menscheit auch der gottlichen natur" \ Luthers Absicht ist ja, wenn er die communicatio idiomatum durchführt, zum Teil mit der Einheit Emst zu machen, zum Teil die Verbindung beider nicht in einer Vermengung auslaufen zu lassen, d.h. auf jeden Fall die Eigenart der Naturen zu bewahren. In einem der seltenen Zusammenhänge vor den dreißiger Jahren, in dem Luther den Terminus communicatio idiomatum anwendet, in einer Vorlesung über den i. Johannesbrief aus dem Jahre 1 5 2 7 b e w e g e n sich seine Gedanken wie so oft um das Thema aus Joh. 14, 9. Wer Christus sieht, sieht nicht nur den Menschen, denn man kann nicht nur eine Natur sehen oder berühren. „Ab intra" unterscheidet man zwischen den Naturen, aber „ab extra" kann man sie unmöglich unterscheiden; da hat man nur mit einer Person, mit der Einheit der beiden Naturen zu tun, denn Christus ist „una persona, constituta ex duabus naturis". Was man jetzt über die Person oder über eine der Naturen sagt, gilt der „tota persona" Wenn man von Christus sprich, muß man, auch ohne daß man seine Person zerteilt, beachten, daß diese einheitliche Person zwei Naturen hat. Luther unterstreicht in einer Auslegung von Joh. 14 " wie wichtig es ist, festzuhalten, daß die Bibel von Christus so redet, „als beiderley natur fordert, das etliche wort die menschliche, etliche aber die Göttliche natur anzeigen" Trotzdem geht es immer um ein und dieselbe Person, „die gantze person". „Und offt also die wort verwechselt, das von jglicher natur beiderley gesagt wird umb der persönlichen einigkeit willen, welchs man • 47, 77, 24-33 (Ausleg. des 3. und 4. Kap. Joh. 1538]; ib. 200, 7-9, 37-39. • 20, 603 f f . O b Luther selbst den Terminus communicatio hier verwendet hat, ist recht zweifelhaft, da Rörer ihn nicht wiedergibt, er ist aber in der guten und zuverlässigen Bearbeitung von Propst zu finden; sachlich hat indessen auch Rörer den communicatioGedanken sehr deutlich ausgedrückt; siehe die Einleitung des Herausgebers, 20, 594, 597. 10 20, 6 0 3 , 2 4 - 6 0 5 , 3 5 (Propst), ein Abschnitt, der beginnt: „Incipiunt haeretici disputare de communicatione idiomatum, quomodo unicuique sint attribuenda sua idiomata. Sic incidunt in novos errores", 24 f . " 4 5 , 5 5 6 f f . (Das X I V und X V Kap. Joh. 1 5 3 8 ) ; Luther behandelt dort zwei Sätze aus Joh. 1 4 , 1 4 - 1 6 : „ W a s jr bittet, das wil Ich thun" und „Ich will den V a t e r bitten", die er u.a. in 5 5 6 , 2 0 - 2 9 auslegt: „Also das man beiderley, der menschlichen und Göttlichen natur eigenschafft der gantzen person zuschreibt und von jm sagt: Der mensch Christus, von der jungfrawen geborn, ist allmechtig und thut alles, was wir bitten, Doch nicht der menschlichen, sondern der Göttlichen natur halben, nicht das er von der mutter geborn, sondern das er Gottes Son ist, Also auch widerumb: Christus, Gottes Son, bittet den V a t e r etc. nicht nach der Göttlichen natur oder wesen, nach der er dem Vater gleich allmechtig ist, Sondern darumb, das er warhafftiger mensch und Marien Son ist, Also das man die wort so zusamen zihe und vergleiche nach der einigkeit der person, das jmerdar die naturn unterscheiden und doch die person unzutrennet bleibe etc." 12
556, 31 f·
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heisst Communicationem idiomatum" Beide Naturen sind vorhanden, beide haben sie ihre bestimmten Eigentümlichkeiten - „Gott ist ein ander natur denn mensch" - und trotzdem sind sie „vermenget" in einer einzigen Person Luther wendet hier, wie so oft, das Gleichnis von Leib und Seele an, die im Menschen „zwo unterschiedliche naturn" bilden. Man sagt vom ganzen Menschen, daß er ißt und trinkt, geht und steht, auch dann, wenn die Seele das nicht tut; und man sagt, daß er denkt, dichtet usw., obwohl da eigentlich doch nur die Seele wirksam ist. So verhält es sich auch mit Christus: „was Christus redet und thut, das hat beide, Gott und mensch geredt und gethan, und doch ein jglichs nach der einen natur" Obwohl Luther also sehr wohl weiß, daß Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf, „zwej unterschiedliche dieng" und so fern von einander sind, „als Nichts und etwas odder alles odder als Himmel und erden", führt er doch ohne Vorbehalte seine Auffassung von der unitas und communicatio durch Warum? Wie wir sahen, ist die Motivierung ständig dieselbe: wenn die Person, die am Kreuz um unsertwillen gestorben ist, nicht simul homo et deus ist, „so musten wir ewiglich verdampt und verlorn sein" Zu dieser paradoxalen Einheit der Gegensätze kehrt Luther ständig zurück: „die eigenschafft der gottlichen natur rejmet sich nicht mit der menschlichen natur" 1β, und trotzdem sind sie in einer Person vereinigt, „das was von einer natur geredet wird, das wirdt den andern auch zugeschrieben" „Darvon haben wir nun offt gehört, das wir sollen lernen den Schwermern begegnen. Ihr wisset, das do sej die Communicatio Idiomatum, das in dem herrn Christo sein zweierlej naturn und doch nur eine Person, und das diese zwo naturen füren und behalten, ja mit einander teilen ire eigenschafften" 20. Auf der einen Seite will Luther jede Natur in Christus - ohne Verwandlung und Vermengung - wachsam behüten, auf der anderen Seite fordert er die unauflösliche und untrennbare Einheit so 13
557, 7-11" 557/ 30-36, 559, 8-14. 15 557, 36-558, 18; „Und summa: Was diese person Christus redet und thut, das redet und thut beide, war Gott und auch war mensch, Also das man alle seine wort und werck jmer bleiben lasse auff der gantzen person", 557, 25-27. 19 47, 86, 13-16 (Ausleg. des 3. und 4. Kap. Joh. 1538]. 1T 87, 17-24· 18 200, 16 f. (1539)· " 199, 37 f.; weitere Beispiele, 199, 36-200, 26: „gott ist mensch worden", „Gottes mutter ist eine Jungkfrau, Gott ist geborn", „Gott seuget milch", „Maria badet, wieget und hebet Gott", usw.; dann faßt er zusammen: „Also das kind, das der mutter milch trinckt, ist ewigk, der do fur der welt anfang gewesen und himmel und erden geschaffen hat. Den die zwo naturen sind in einer person vereiniget, drumb sind die folge und eigenschafft auch vereiniget. Und ist war, das die eigenschafft der gottlichen natur rejmet sich nicht mit der menschlichen natur, und ich wil noch mehr sagen: Gott und mensch rejmet sich noch weniger, und dennoch sind die zwo naturen also vereiniget, das do Ein Gott und Herr sej, das Maria Gott seuget mit ihren brüsten und Gott badet, wieget und hebet, item Pilatus und Herodes Gott gecreutziget und todschlagen haben, und reimen sich die zwo naturn also zusamen, das die ware gottheit und menschheit ein dieng ist". 20 199, 19-28.
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nachdrücklich, daß er als Ersatzausdrücke für communicatio solche Begriffe wie „gemeinschaft", „vermischen", „verwechseln", „teilen" u.a. anwenden kann, wie eine ganze Anzahl Zitate zeigen. Einen zusätzlichen Beleg für solche kühne, exzeptionelle Vermittlung finden wir in einem bekannten Tischgespräch, das Luther vor die Frage stellt: „Ob die Gottheit in Christo auch gelitten habe?"". Er antwortet, wie erwartet: eigentlich könne man die Eigenschaften des Leidens und Sterbens unmöglich der göttlichen Natur „in Sonderheit" zulegen, die untrennbare Einheit fordere jedoch diese Konsequenz. „Was nu dieser Person, die Christus ist, widerfähret und geschieht, dasselbige widerfährt und geschieht auch diesem Gott und Menschen. Daher kömmets, dass diese zwo Naturen in Christo ihre Idiomata und Eigenschaften einer der anderen mittheilen; das ist, was einer Natur sonderliche Eigenschaft ist, dasselbige wird auch der andern mitgetheilet, und von ihr recht gesagt darum, dass sie in einander hangen und gleich als geflochten und vereiniget sind" Wir haben hier eine deutliche Aussage, die klar zeigt, daß Luther nicht nur mit einer Vermittlung von Natur zu Person, sondern auch von Natur zu Natur rechnete. Die beiden Naturen sind „so nahe und hart vereiniget und verbunden", daß sie sich auch die Eigenschaften „teilen" ". Geburt, Leiden und Sterben drücken menschliche Eigenschaften aus, derer auch die göttliche Natur „theilhaftig" wird. Und diese „Communication und Mittheilung der Eigenschaften" findet Luther oft in der Bibel bezeugt; hier verweist er u.a. auf Rom. 1, 3f., 8, 29 und 32, 1. Kor. 2, 8, Phil. 2, 6 ff. Was dort die menschliche Natur ausstehen und durchmachen muß, „dasselbige wird auch communicirt, zugeeignet und gegeben der göttlichen Natur" " - das genus tapeinoticum. Auf der anderen Seite will Luther auch betonen, „dass die Idiomata, Eigenschaften, der göttlichen Natur in Christo recht der menschlichen Natur mitgetheilet und zugeeignet werden, weil sie mit der göttlichen ohne einige Trennung verbunden und vereiniget ist, so werden sie ihr recht communiciret und gegeben" " - das genus majestaticum. Luthers biblische Beispiele kommen hier aus Matth. 28, 18 ff., von der ständigen Gegenwart und Wirksamkeit der Allmacht unter uns Menschen, in Christus, „zu gleich Mensch und Gott". Das Resultat heißt deshalb: wo die eine Natur ist, ist auch die andere, „und keine kann von der andern in Ewigkeit nimmermehr abgesondert noch gescheiden werden" 2 '. Gelegentlich gebraucht Luther Formulierungen, die die Gedanken in Richtung auf den „fröhlichen Wechsel" leiten, der, wie wir schon sahen, der communicatio idiomatum sehr nahe steht und hier wieder den Zusam21
T R V I , 67 f f . (Aurifaber 1 5 4 1 ) . " 67, 27-ЗЗ· " 68, 4 - 1 2 . 68, 18-40; das Zitat endet: „Also dass recht und wahrhaftig gesagt wird: Gott wird geborn, gestillet oder gesäuget, lieget in der Krippen, frieret, gehet, stehet, fället, wandert, wachet, isset, trinket, leidet, stirbt etc." " 69, 1 3 - 1 6 . 26 69, 2 4 - 3 1 ·
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menhang von Christi Natur und Werk beleuchten kann: „Darumb das der Sohn ein mensch ist, so ist dem menschen gegeben, was do gottes war. Darumb do es nun wirdt dem menschen gegeben, so wirdt er auch gott gegeben" Z u diesem simul-Zug, den wir früher schon genau untersuchten, kehrt Luther mit Vorliebe und häufig und in verschiedenen communicatio-Zusammenhängen zurück, da vor allem, w o er davon spricht, wie die Naturen göttliche und menschliche idiomata teilen und auswechseln. Luther betont, wenn er über ι. Mose 28, 1 2 ff. l i e s t d e n Zusammenhang zwischen dem status exinanitionis und dem status exaltationis. Es wird dort von Engeln erzählt, die, während sie vor Jakob Gott lobten und priesen, die Himmelsräume hinauf und herab gestiegen seien. Sie sahen da einen Menschen, gedemütigt und dem Teufel und der ganzen Schöpfung unterworfen, aber sie sahen dieselbe Person auch zu rechter Seite Gottes sitzen". Das ist eine „coniunctio", ein „consortium" von göttlicher und menschlicher Natur, ein ständiges simul von „Deus et Homo", „summus et infimus", „infinitus et finitus". In Christus ist die divinitas zum Sklavendienst verurteilt und de humanitas über alles erhöht worden 1 0 . Er vereinigte in sich alle Gegensätze, „maxime contraria", er war der Gewalt der Tyrannen unterworfen und siegte trotzdem Diese spannungsvolle Einheit in Christus, dieser ständig sich wiederholende Kehrreim des simul und des tarnen und des sub contrariis ist uns aus dem Vorhergehenden gut bekannt. „Haec est communio idiomatum" Luthers Auslegung von Jes. 53 ist hier nun von großem Interesse und " 47, 201, 18-20 (Ausleg. des 3. und 4. Kap. Joh. 1539). 28 43< 575 ff· (Vöries, über 1. Mose 1535-45]. " „Sed quia est iste ascensus et descensus? Respondeo: Hoc ipsum mysterium: quod in una ilia et eadem persona et verus DEUS et Homo. Unitas igitur personae implet hoc mysterium . . . Si sursum oculos erigunt, vident incompraehensibilem Dei maiestatem supra se: Si infra respiciunt, vident Deum et divinam maiestatem subiectam daemonibus et omni creaturae. Ista sunt admiranda, videre hominem et infimam creaturam, humiliatam infra omnes: et eandem sedentem ad dexteram patris, elatum supra omnes Angelos, videre eum in sinu patris et mox subiectum Diabolo . . . Haec est mirabilis ascensio et descensio Angelorum: Videre in eadem et una persona summa et infima coniunctissima: Summum Deum iacentem in praesepi", 579, 7-26; 580, 25-35, 5^3, 2-9. 30 „DEUS, qui creavit omnia, et est supra omnia, est summus et infimus, ut oporteat nos dicere: ille homo, qui flagris caesus, qui sub morte, sub ira Dei, sub peccato et omni genere malorum, denique sub inferno est infimus, est summus Deus. Quare? quia eadem est persona. Duplex quidem est natura, sed persona non est divisa. Utrunque igitur verum est, summa divinitas est infima creatura, serva facta omnium, imo ipsi Diabolo subiecta. Et econtra infima creatura, humanitas vel homo sedet ad dexteram patris, summa facta, et subiicit sibi Angelos, non propter humanum naturam, sed mirabilem coniunctionem, et unionem, quae constituta est ex duabus naturis contrariis er inconiungibilibus in una persona", 580, 3-13; siehe den ganzen Abschnitt 579, 39-580, 24. 31 580, и f., 16; „sed talis humanitas morti, inferno obnoxia facta et subiecta: et tarnen in ea humiliatione devoraverit Diabolum, infernum et omnia in semetipso", 579, 42-580, 2; 581, I-IO. 32 580, 2 f. - In einer anderen communicatio-Stelle im Genesiskommentar verwendet Luther dieselbe paradoxe Ausdrucksweise: „Homo est sursum et supra omnes creaturas" und „Deus est infimus", „Homo sedet ad dexteram Dei patris" und „Deus descendit ad inferos, ascendit ad coelos", 44, 93, 34-94, 5.
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wäre eine eigene Untersuchung w e r t W i e d e r ist das durchgehende Charakteristikum jene Zusammenschau und jener Doppelaspekt der Person und des Werkes Christi: Christus ist simul Deus et homo und simul justus et peccator, „Dominus gloriae" und „servus diaboli" Er war ohne „Gestalt noch Schöne", der König in der Krippe, der Flüchtling, der Verachtete, der Gegeißelte und Gekreuzigte. Aber das alles entsprach dem göttlichen Diener: „haec est Dei natura!" Gott und Sklave zugleich zu sein, erscheint als ein unvereinbarer Gegensatz, und doch ist in Christus beides unauflöslich vereint. Diese communio ermöglicht es, daß Marias und Gottes Sohn wirklich ein und dieselbe Person sind, daß der von den Juden Gekreuzigte zugleich Davids Nachkomme und Herr der Herrlichkeit sein kann. Er, den die Propheten den Arm Gottes nannten, ist sowohl an das Kreuz erhöht, als auch zu Gottes rechter Seite, und durch diesen verachteten Diener hat Gott alles erschaffen und a u s g e f ü h r t D a s wird, so sagt Luther, von alters her communicatio idiomatum genannt und muß sorgfältig eingeschärft bleiben Eine unausweichliche Konsequenz dieser Auffassung Luthers ist die Ubiquitätslehre. Auf Grund der unteilbaren Vereinigung in Christus muß sowohl die göttliche, als auch die menschliche Natur, persönlich und natürlich, unteilbar und ewig dort sein, wo Gott ist, denn „er sind nicht zwo zurtrennete personen, sondern ein einige person" „Nach der Gottheit" ist Christus wie die Gottheit in sich selbst „unbeweglich", sie kann nicht als ein begrenzter Gegenstand gedacht werden, den man wie ein verfertigtes Produkt hin und her bewegen kann. Deswegen kann man sie weder erniedrigen noch erhöhen. Aber um der Einheit willen und auf Grund der " 40 III, 685-746 (Enarratio 53. cap. Esaiae [1544] 1550]; vgl. die Darstellung oben in Kap. II B:i, zu Anm. 51 f f . 34 687, 2-12, 688, 2-27, 701, 28-40, 704, 33-705, 18; „Summus rex et servus infimus, Deus verus et homo in una et eadem persona", 705, 28 f . " 706, 18-32, 709, 29-710, 18. " „Si Deus est, non potest esse servus, si est servus, Deus esse non potest . . . Utrumque verum est: verus DEUS, brachium Domini, et tarnen servus miserrimus . . . semen Davidis, sed tarnen DEI filius . . . Ille crucifixus filius Davidis et miserum semen est Brachium Domini . . . Mira igitur locutio est 'brachium Domini' et 'servus', id est, filius Dei Messias est sublimis, exaltatus, non tantum in cruce a terra, sed sedet ad dexteram DEI, aeterni patris . . . per quam Deus omnia fecit ас facit potenter, eduxit filios Israel ex AEgipto, cibavit 'manna in deserto' 40 annis Israelitas . . .", 701, 30-702, 27; 702, 37-703, 28; „Ipsa communio unit istas duas naturas in unam personam, et duo unum filium, non duos", 705, 35 f. " „Porro autem patres hoc communicationem idiomatum appellarunt, quod communicet suas proprietates utraque natura illi personae, quae est filius Dei: Humana communicat illi personae, quae est filius Dei, et divina natura ei, quae est filius Mariae, quod accidit huic, qui est filius Dei, dicitur accidisse filio virginis, et econtra, ut Iesus Nazarenus est filius virginis et simul Dei in unitate personae, id est, una unione duarum naturarum, ut recte dicatur: hie homo condidit stellas; Deus vagit in cunis; et homo creator et gubernator angelorum, qui sugit ubera matris: qui creavit omnia, iacet in praesepio", 703, 29704, 7· 26, 332, 12-30 [Vom Abendmahl Christi 1528); siehe überhaupt 326-336 und auch 23, 138, 31-140, 29 [Daß diese Wort Christi . . . 1527).
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communicatio idiomatum gelten sowohl die Erniedrigung als auch die Erhöhung der ganzen Person und deswegen auch der göttlichen Natur. „Nach der Menschheit" ist Christus wie alles Menschliche begrenzt, räum- und zeitbestimmt, aber auf Grund derselben unitas und communicatio kann behauptet werden, daß alles dies - weil Christus als göttliche Person und seiner göttlichen Natur nach allgegenwärtig ist - auch der menschlichen Natur und dem Menschen Jesus gilt, der in der Krippe lag und am Kreuz hing". Nach solcher Überlegung kann man von der Menschlichkeit Christi, die an und für sich wie jede andere Menschlichkeit erschaffen wurde, sagen, sie stehe „ausser den Creaturn". Darum muß es sie auch dort geben, wo Gott ist, „so mus Christus auch da mensch sein, wo er Gott ist", „so mus die menscheit zu gleich auch auff erden und ynn hymel sein". Wenn nun die intime Vereinigung der Naturen bei einer Gelegenheit und an einer Stelle gilt, warum, so fragt Luther, soll sie dann nicht auch überall und ständig gelten können, „an allen orten" " ? Die Doppelheit in der Person Christi zeigt ja, daß er einmal „so tieff und nahe ynn alle Creatur . . . als Gott drynnen ist" und außerdem „weit ausser den Creaturn . . . so weit als Gott draussen ist" Deswegen ist Christus als Gott und als Mensch sowohl im Himmel, als auch auf Erden. Es steht also für Luther fest, daß die andere Person der Gottheit „ad dexteram", „semper", „ante, in et post nativitatem humanam" " sitzt, gleichzeitig als Mensch aber eins ist mit dem Gott, an dessen rechter Seite er sitzt". Mit seiner Zusammenschau von Schöpfer und Geschöpf, von göttlich und menschlich in Christus verhindert die Ubiquitätslehre eine deistische und eine pantheistische Auffassung von der Gegenwart Christi, denn alle Fragen nach der Immanenz und Transzendenz der Gottheit gehören in eine rationalistische und statische Welt, die Luther fremd ist Auf diese Weise warnt Luther vor der teuflischen Versuchung, in Christus nur den Menschen auf Erden zu sehen und die Gottheit in den Himmel zu verlegen " - jener Aufspaltung von göttlich und menschlich, die nach Luther Zwingiis Abendmahlslehre bestimmte. Christus ist gleichzeitig im Schoß der Maria und zu Gottes rechter Seite, „descendit et war droben blieben". Sein Niederfahren in die Tiefen der Hölle bedeutete ja "
23, 140, 1 1 - 1 8 , 148, 6-8. 26, 340, 3 5 - 3 4 1 , 1 2 , 4 2 1 , 24-423, 28 (Dr.); „Ausser den Creaturn ist nichts denn Gott, und diese menscheit ist darnach auch ausser den Creaturn, So mus sie sein, da Gott ist", 3 4 1 , 7 f . " 26, 336, 1 5 - 1 8 . " 46, 392, 1 - 9 (Pred. 1538 R . ) . " „Alsso ists auch war, das gottis sson sitzt tzu der rechten hand der Maiestet, wiewol das alleyn nach der menscheytt geschieht; denn nach der gottheytt ist er auch selb die eynige Maiestet mit dem vatter, tzu wilcher rechten hand er sitzt", IOI:I, 162, 1 4 - 1 7 (Kirchenpostille 1 5 2 2 ) ; „er ist zur rechten Gotts, wilchs ist nicht anders, Denn das er, auch als ein mensch, über alle ding ist", 23, 144, 4 f . (Daß diese W o r t Christi . . . 1 5 2 7 ) . " Gennrich 1929, 13 f., E. Seeberg 1940, 47 f f . , und die Gesamtdarstellung bei Metzke 1948. " Z.B. 28, 1 1 7 , 1 8 - 3 5 (Wochenpred. über Joh. 16-20 1 5 2 8 ) . 40
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nicht, daß er nicht auch gleichzeitig im Himmel sein konnte ". In gleicher Weise bedeutete die Auferstehung nicht, daß er seine Menschlichkeit auf der Erde zurückließ, denn die persönliche Einheit besteht in alle Ewigkeit und deswegen heißt es: wo Gott ist, ist Christus und „so ist Christus der mensch auch da". Könnte man einen Platz finden, an dem die Gottheit, aber nicht der Mensch Jesus wäre, dann hätte man die Person aufgespalten und die Einheit preisgegeben Wenn Luther so radikal seine Anschauung von der communicatio idiomatum durchführt, geschieht das oft gerade in polemischer Auseinandersetzung mit Zwingli und den Schwärmern. Mit seinen drastischen Formulierungen will er die Unteilbarkeit der Einheit und den realen Inhalt der Vermittlung betonen - gegenüber der Zertrennung der Naturen auf Kosten der Einheit, wie sie seine Gegner vornehmen. Es ist deren Anstoß, daß Gott hätte leiden oder daß das Kind im Schöße der Maria hätte Schöpfer sein können. Sie unterscheiden genau zwischen Gott, der ihnen „eine ewige Maiestet" ist und dem Menschen, der nur „eine zeittliche Creatur" ist - und hier findet das reformierte Gegeneinander von göttlich und menschlich, unendlich und endlich seinen typischen Ausdrude Sie glauben, daß Christus nur „secundum humanitatem" gelitten habe, „secundum divinitatem" könne er das gar nicht *". Wenn sie sich nicht bessern, dann müsse man, so sagt Luther, feststellen, daß sie die Gottheit Christi verneinten. Der entscheidende Grund ihrer Ketzerei ist eine unzureichende und falsche Anwendung der communicatio idiomatum. Die Schwärmer stützen sich darauf, daß zwei Naturen, zwei Gegensätze, in Christus zu einer wirklichen Einheit vereinigt sein sollten. „Drumb haben sie auch zweierley personen machen wollen" so . Die unio, von der man dort reden könnte, würde nur figürlichen Charakter haben und ein loses Zusammenfügen von zwei entgegengesetzten, abgegrenzten Größen sein, ein bloßes „Nebeneinander", das der göttlichen Wirksamkeit neben der menschlichen Natur Raum geben würde. Dem steht Luthers Auffassung entgegen, daß man Gott nur in Christus finden könne; das führt dann auch zu dem Standpunkt, den man Extra Calvinisticum nannte. Auf dieser Linie wird aus der Vermittlung, die zwischen den Naturen stattzufinden scheint, eine höchst uneigentliche communicatio nominalis, nicht aber eine communicatio realis. Denn ein " 46, 391, 20-392, 9 (Pred. 1538 R.); 15, 569, 22-34 (Pred. 1524]; „Denn die Gottheit feret nicht vom hymel, wie ihener vorn berge, sondern ist ym hymel und bleibt ym hymel, ist aber auch zu gleich auff erden und bleibt auff erden", 26, 421, 35-37 [Vom Abendmahl Christi 1528]. 47 Ib. 332, 28-32; 45, 239, 32-35 (Pred. 1537); „Nec quod humanitatem dimittet, sed quod etiam divinitatem suam ibi latentem, quam nunc confuse et in enygmate humanitatis eius videmus, ostendet clare", 4, 406, 32-34 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ] . " Siehe wieder die Auslegung über Joh. 3-4 1538, 47, 86, 17-33. " So u.a. 20, 603, 13 f., 33 f. (Vöries, über den 1. Brief Joh. 1527) - siehe auch oben Anm. 9 f. - und 46, 478, 7 f. (Pred. 1538 R.)· Dieses Problem hängt damit zusammen, daß man die Natur in abstracto oder in concreto betrachten kann; siehe unten. 50 47, 86, 25.
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solcher „Gegenwechsel" wäre nach Luthers Meinung nur dem Namen nach eine communicatio, wäre bloße „Redeweise". Diese alloiosis ist für Luther die Zusammenfassung alles dessen, was er Punkt für Punkt mit größter Energie bekämpft und das sich als Gegenpol zu seiner eigenen Auffassung von der communicatio idiomatum darstellt Gleichwie man in der Lehre von der Dreieinigkeit weder von drei Göttern, noch von einer Person reden darf, so darf man auch in der Christologie nicht fehlgehen, indem man etwa analog von zwei Personen oder nur einer Natur spricht. Luther war deswegen vor denen - wie Eutyches und den Papisten im allgemeinen - auf der Hut, die die Naturen „in ein wesen" vermengten, aber noch öfters hatte er Grund und Anlaß, vor der Aufspaltung zu warnen, die er u.a. bei Nestorius und den Schwärmern vorfand. Bei ihnen war Gott - so, wie Luther sie deutete - eigentlich nicht Mensch geworden, sondern in sich selbst verblieben, „ein abgesonderte Person von dem Menschen", wie ja auch der Mensch Jesus lediglich „ein abgesonderte Person von Gott" wurde. Da hat man wirklich „zwo Personen" aus Jesus 51 Über das Verhältnis communicatio idiomatum - alloiosis in Luthers Auseinandersetzung mit Zwingli und Oekolampadius siehe u.a. Ebeling 1942, 337 f f . , Brilioth 1951, 158 f f . , 223 f., und G. Locher, Die Theologie Huldrych Zwingiis im Lichte seiner Christologie I 1952, 128 f f . - Über den Inhalt und Sinn des Begriffes alloiosis siehe auch Dorner 11:2 1854, 614 f., und Thomasius II 1857, 3 1 1 f f . , der ohne Quellenhinweis folgende Definition gibt: „Alloeosis est permutatio, qua de altera in Christo natura loquentes alterius vocibus utimur" ( 3 1 2 , Anm.). Wenn die Lutherischen ihre unio und communicatio realis behaupten, wenden die Reformierten dagegen ein, diese Einheit sei doch nur eine scheinbare: sie bringe eine nestorianische Auffassung zum Ausdruck, die durch Eutychianismus korrigiert werde. Die Opposition ist prinzipieller Art: die lutherische Lehre setzt eine Veränderung und exinanitio der Gottheit voraus, was aber vom reformierten Standpunkt eine Absurdität sein muß, denn Göttliches und Menschliches, Geist und Materie sind unvereinbare und inkommunikable Größen. Die menschliche Natur kann keine unendlichen Eigenschaften empfangen; es handelt sich indessen vielmehr um eine communicatio charismatum, eine unctio spiritus sancti. Es heißt dann: logos extra carnem und finitum non est capax infiniti. Vgl. Schneckenburger II 1855, 194 f f . , 202 f f . , der die Auffassung der Reformierten als „Pneumatologie" charakterisieren will (227]. In bezug auf das Verhältnis der Reformatoren zur früheren Tradition gibt Koopmans 1955 eine eigentümliche Darstellung. Nach diesem reformierten Theologen hätte Luther eine „dingliche Auffassung" vom Abendmahl, und die hierauf begründeten Lehren der Ubiquität und der communicatio zeigten eine typisch hellenistische, substantielle Struktur. Luthers Christologie wäre unpersönlich und statisch, eine „mehr existentielle und weniger persönliche" als die lateinische [79 f., 86]. Er meint feststellen zu können, daß Calvin sich von der scholastischen Problematik erfolgreicher und bewußter habe losmachen können. Während Luther mit seiner communicatio-Lehre in einer gewissen „Dinglichkeit" stecken bleibe, sei Calvins Christologie durchweg und genauer von Heilsund Glaubensmotiven bestimmt (96 f.). Gewöhnlich beurteilt man dieses Verhältnis ganz umgekehrt und meint: Luther baue natürlich auf der griechischen, altkirchlichen Dogmatik und bewahre eine vielseitige Kontinuität mit der mittelalterlichen Theologie, auch in der Terminologie, sein ganzes theologisches System ruhe jedoch auf einer soteriologischen Grundlage. Calvin dagegen arbeite mehr mit scholastischen Kategorien, die seine Theologie klarer, aber gleichzeitig weniger tief und beweglich machten, als die Luthers. Siehe hierzu Olsson, 1943, 96 f f . , 120 f f . , 176 f f . , 351 f f . und 450 f., und von calvinistischem Gesichtspunkt ferner auch W. Niesei, Die Theologie Calvins 1957, 1 1 3 f f . und R. S. Wallace, Calvin's doctrine of the word and sacrament 1953, 229 f f .
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gemacht und damit die Inkarnation verneint. Aber auch hier ist, wie wir sahen, nach Luther der Fehler immer derselbe: man hatte die communicatio idiomatum nicht Ernst genommen Luther will also eine bloß nominelle Vermittlung nicht akzeptieren. Im Gegenteil - gerade in solcher communicatio nominalis lag für ihn wie in mancher Christologie seit Arius der entscheidende Fehler. Dort wird Jesus nur Gott genannt; dort ist er „ein genenneter Gott", ein „deus nuncupatus". Im übrigen treffen wir hier denselben grundlegenden Unterschied wie im Abendmahlsstreit mit Zwingli: den Gegensatz zwischen „hoc est" und „hoc significat", zwischen sein und genannt werden". Was Luther erreichen will, ist eine communicatio realis, aber auf der anderen Seite mußte ja weiterhin die Integrität der Naturen bewahrt werden. In der vorhin erwähnten Auslegung von Jes. 53 trifft Luther eine Unterscheidung, die geeignet erscheint, das Problem der realen Vermittlung zu erklären. Nur seiner menschlichen Natur nach ist Christus Diener. Soweit kann Luther wie die Schwärmer sagen: secundum humanitatem, auf Grund der Einheit jedoch sagt man, daß Gottes Sohn der Diener sei. Auch Gott leidet nicht, wenn man „de abstracto et de separata divinitate" spricht; und wenn man den Menschen „abgesondert" betrachtet, so ist es genau so klar, daß er nicht erschaffen kann. Aber das ist der Fehlgriff: man soll von den Naturen nicht „in abstracto", sondern nur „in concreto" handeln. In Christus ist die menschliche Natur oder die göttliche Natur niemals abgesondert, „an sich", isoliert oder verabsolutiert, sondern immer nur mit der anderen in einer Einheit vereinigt *\ Nicht die „natura separata" ist Gegenstand von communicatio-Aussagen, sondern die „concretio, coniunctio et copulatio utriusque Naturae". Die menschliche Natur ist in sich selbst eine Dienernatur, aber weil sie mit der göttlichen vereint ist, ist " 54/ 9°/ 20-91, 14 (Von den letzten Worten Davids 1543]. " „Und gleich, wie die zwo naturn sich in Eine Person vereinigen, also vereinigen sich auch die namen Beider naturn in den namen der einigen Person, Welches man heisst zu latin Communicatio idiomatum vel proprietatum, Als: Der Mensch heisst und ist geborn von der Jungfrawen Marien und von den Jüden gecreutziget, Den selben namen sol man auch Gottes Son geben, Und sagen: Gott ist geborn von Maria und gecreutziget von den Jüden, Denn Gott und Mensch ist Eine Person und nicht zween Söne, einer Gottes, der ander Marien, Sondern ist ein Einiger Son Gottes und Marien", ib. 90, 11-19. Siehe auch die während der Abendmahlsstreitigkeiten gehaltene Predigt in 27, 518 f f . (1528), besonders 521, 30-32, wo der Terminus communicatio nominis vorkommt, und 525, 3-10
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" „Sic recte dico: divinitas non patitur, Humanitas non creat. Hic loquor de abstracto et de separata divinitate. Sed non hoc faciendum est, non separanda abstracta sunt, alioqui fides nostra falsa est. Sed credendum est, in concreto: ille Homo est Deus etc. Hic propria et attributa recte manent", 40 III, 707, 22-27; „Ergo recte dicitur: Naturam humanam adorari non in abstracto, sed in concreto, quia est una persona, ut non possis adorare Deum, quin adores hominem", 709, 24-26. In einer Tischrede behandelt Luther Jes. 53. auf ähnliche Weise und sagt in diesem Zusammenhang u.a.: „Iuxta communicationem idiomatum eadem est praedicatio Filii D e i et Mariae Θεοτόκος . Quidquid dicitur de Filio Dei, idem de filio Mariae dicitur iuxta concretum, non abstractum", TR V, 583, 18 ff., 29-32 (Lauterbach].
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dieser Diener auch Gottes Sohn, „in menschlicher Natur wie Gott" - in concreto Hierher gehören zwei Hinweise. Man kann der Auffassung sein, daß Luther bei der Unterscheidung von abstractum und concretum selbst nur bis zu einer communicatio nominalis gekommen wäre oder nur mit einer Vermittlung im genus idiomaticum gerechnet hätte. Nicht die Naturen an sich, in abstracto, haben Teil an den gegenseitigen Eigenschaften, sondern der Person, der Vereinigung der Naturen, muß in concreto diese Eigenschaft zugeschrieben werden: dann würde der Mensch Jesus nur Gottes Sohn genannt werden, weil die Person eine einzige ist. W e n n aber Luther wirklich nur mit einer nominellen communicatio gerechnet hätte, wäre unter anderem seine Einstellung zu Nestorius und Zwingli unerklärlich. Nach seiner Meinung ist der Diener ja nicht nur dem Namen nach „brachium Domini", sondern wirklich. Das würde anders nämlich eine Aufteilung Christi bedeuten - und etwas schlimmeres kann sich Luther nicht denken. Wenn wir aber nun bei Luther eine communicatio realis finden, dann muß das bedeuten - und das ist nun der andere Gesichtspunkt - , daß die Vermittlung nicht nur im Verhältnis zur Person stattfindet - als genus idiomaticum - sondern auch zwischen den Naturen. Mit anderen Worten: der Unterschied zwischen einer communicatio in concreto und in abstracto ist nicht dem Unterschied gleichzusetzen, der zwischen der Vermittlung von Natur - Person und Natur - Natur h e r r s c h t D e n n wenn Luther vom abstractum redet, denkt er an eine isolierte, „abgesonderte" Natur - darum geht es jedoch nicht im Zusammenhang mit der communicatio, denn in der Person Christi sind die Naturen vereinigt. Das ist also derselbe Unterschied wie zwischen „der abgesonderte Gott" und „der vereinigte G o t t mit der Menschheit": in beiden Fällen ist die Natur dieselbe, einerseits jedoch „separata", andererseits „coniuncta", in abstracto und in concreto. Deshalb kann Luther sehr wohl eine communicatio in abstracto bestreiten und trotzdem eine Vermittlung von Natur zu Natur behaupten Eine Vermittlung in abstracto ist in der Tat eine contradictio in adjecto, denn sie würde eine Kommunikation zwischen zwei isolierten, inkommunikablen Größen bedeuten, bei der man entweder von der Kommunikation oder " Sehr klar dargestellt: 40 III, 707, 27-39; siehe auch z.B. 20, 345, 6-37 (Pred. 1526]. 56 Das ist hingegen der Ausgangspunkt der römischen Beurteilung Luthers, siehe z.B. A . Michel, Communication des Idiomes [Diet, de theol. cath. 7:1, 1922, Sp. 601 f . ) , M. J. Scheeben, Handbuch der Katholischen Dogmatik V : i , 1954, 268, 283 f f . , 308, Brinktrine 1959, 132 f f . Wegen des Unterschieds der Naturen dürfe man keine praedicatio abstracti de concreto oder concreti de abstracto oder abstracti de abstracto gebrauchen. Mit vollem Recht lasse sich nur die praedicatio concreti de concreto verwenden, und eine communicatio in Luthers Sinn könne man auf römischer Seite hier nicht gutheißen. Jedoch wird „eine reale Teilnahme einer Natur an den Eigentümlichkeiten der andern" betont, und diese entspreche, meint man, nicht dem, was die Lutheraner nur eine communicatio verbalis nennen, auch sei sie nicht der reformierten alloiosis ähnlich. Das Problem ist aber äußerst kompliziert, und es ist hier unmöglich, den Unterschied zwischen Luther und Rom nur ganz oberflächlich auf eine einfache Formel zu bringen. " Diese Distinktion erklärt auch die häufige Kritik der lutherischen Auffassung des genus majestaticum und zeigt gleichzeitig, daß diese Kritik nicht Luther selbst trifft.
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von der Isolierung hätte Abstriche machen müßen. Erst die unauflösliche Personeinheit macht - in concreto - eine Vermittlung zwischen den Naturen möglich". Also: die Vermittlung ist realis, nicht nominalis; sie geschieht im genus idiomaticum sowohl als auch im majestaticum und tapeinoticum. Diese Kommunikation in Christus zwischen Person und Natur, Natur und Natur, vom Menschlichen zum Göttlichen und vom Göttlichen zum Menschlichen, ist für Luther der entscheidende „Artikel". Denn hier kommt das pulsierende Leben selbst, die Wirksamkeit und die Kraft in Person und Handeln Jesu Christi zum Ausdruck. Wenn man diesen Artikel nicht recht verstanden hat, dann ist es, nach Luther, z.B. in dem oben behandelten Tischgespräch gewiß so, „dass in dieser Historien des Leidens Christi Alles kalt und vergebens sei, und man verstehet nichts davon, ob man gleich viel davon plaudert" Deswegen wird die communicatio idiomatum, die bei Luther oft als ein sogenannter religionsphilosophischer Grenzbegriff funktioniert, zum Prüfstein für jede echte Theologie, wird das, was für den christlichen Glauben entscheidend und grundlegend ist. Auf diesen Artikel soll man achten, von ihm soll man immer wieder reden, denn er ist nach Luthers Meinung eine „formula", die die einzig zufriedenstellende Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit und Bedeutung der Inkarnation geben kann Äußerst klärend und beleuchtend ist Luthers Gedankengang in der Disputation über die Naturen Christi von 1540, wenn er von Jesus als Schöpfer spricht. Es ist gewiß richtig, daß Christus nur secundum divinitatem und vor seiner Menschwerdung die Welt geschaffen hat, aber die Person, eingehüllt in die menschliche Natur, ist vorher und nachher dieselbe. Ein 68 „Quae possunt dici de divina Natura, dicuntur in concreto et de altera, scilicet unita in eandem personam", 40 III, 707, 39 f . (Enarratio 53. cap. Esaiae [1544] 1550). „Quidquid ergo de filio dicitur, idem dicitur de homine vel humana natura in concreto. Ita hie propheta coniungit utrunque: est Brachium Dei et filius Dei, et tarnen ait: 'ascendit', quod est proprium naturae humanae; et nihilominus idem etiam divinae tribuitur propter concretionem, quia est unum Brachium, non duo, et eadem persona", 708, 3 1 - 3 5 . Vgl. 39 II. 102, 23-27 (Disp. de divinitate et humanitate Christi 1540 Α.). 59 TR VI, 69, 39-42 (Aurifaber 1541]; siehe auch 45, 559, 28-37 CDas X I V und X V Kap. Joh. 1538]. eo 39 II, 98, 1 3 - 2 1 [Disp. de divinitate et humanitate Christi 1540); „Ostendistis saepe et dixistis de communicatione idiomatum, et illud est observandum diligenter", 39 II, 20, 19 f . [Verbum caro factum est 1539}. Hier arbeitet Luthers sozusagen religiöse Logik mit einer selbstverständlichen Stringenz, die sich häufig gegen eine Philosophie der bloßen Vernunft richtet: „. . . aliud verum in theologia, aliud in philosophia [kein unüberbrückbarer Gegensatzl], idem debet esse vocabulum eadem propositio in philosophia et theologia, si utrobique idem debet esse verum . . . Nos dicimus Deum hominem communicatione idiomatum", ib. 1 1 , 21-26; „Melius dixisset, esse communicationem idiomatum. Philosophus non dicit, quod Deus sit homo aut homo sit Deus et filius Dei. Nos autem dicimus quod homo sit Deus, et testamur hoc verbo Dei sine syllogismo, sine philosophia nihil in grammatica nostra", 12, 4-8; „Homo in philosophia secundum naturam suam non significat filium Dei aut personam divinam. Hoc idem est, quod nos dicimus: communicatio idiomatum. Syllogismus non admittitur in mysteriis fidei et theologiae. Philosophia est error in theologia", 12, 27-30.
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König kommt bloß und ohne Krone zur Welt, aber ist trotzdem König und sitzt später gekrönt und in Purpur gekleidet auf seinem Thron - alles das aber, ohne daß man deswegen von zwei Personen reden könnte. In gleicher Weise ist Christus gewiß nicht vor der Erschaffung der Welt von der Jungfrau Maria geboren worden, aber dieselbe Person, die damals Gottes Sohn genannt wurde, war Mensch geworden und sitzt nun zu Gottes rechter Seite. Das ist nicht in abstracto gemeint, von der natura separata, sondern es gilt der Person, die in sich zwei unterschiedene Naturen vereinigt. Auf Grund dieser coniunctio und communicatio darf man deshalb nicht Gott und Mensch in Christus scheiden oder zwei Personen aus Ihm machen: „Ergo recte quod dico de homine Christo, dico etiam de Deo" 61 - „Est communicatio idiomatum"es. Hier könnte man sich fragen, ob denn die Inkarnation als lediglich äußere Manifestation von etwas längst Geschehenem Luthers Auffassung träfe, so, daß die Einheit in der Person Christi auch vor diesem historischen Geschehen „ewig" wäre. Andernfalls würde die Inkarnation nach hinten wirklich die Grenze für solche Einheit bezeichnen. Aber nun wendet sich Luther oft und mit Nachdruck gegen jede Spiritualisierung °3 und gegen jedes zeitlose Sublimieren der Inkarnation zu einer Art philosophischen Idee; auf der anderen Seite zeigt er durch sein Reden vom Menschen Jesus in der Schöpfung und auch zu Gottes rechter Seite, daß ihm eine zeitlich begrenzte Personeneinheit völlig fremd ist. Wenn man eine solche Alternative im Ernst aufstellt, und das stand ja oft hinter der Argumentation der Gegner, sowohl in den Disputationen, als auch im Abendmahlsstreit, dann gibt man damit lediglich zu erkennen, daß man selbst den Gedanken Luthers über Einheit und communicatio idiomatum bis in ihre letzten Konsequenzen nicht zu folgen vermochte. Nicht immer hat „die Menschheit" zu Gottes rechter Seite gesessen, Christus als Gott hat es ständig getan, „ehr ist zuvor droben gewesen, aber er war noch nicht mensch"". Durch seine ewige Geburt hat der Sohn 61
„Christus homo non est ante creatum mundum. Ergo non recte dicitur: Christus homo creavit mundum. V e l sie: cum crearetur mundus, Christus non creat tanquam homo. Ergo non recte dicitur: Homo creavit mundum. [ A r g . II). R . Est communicatio idiomatum, et iterum philosophicum argumentum. Manet hoc: Distinctae sunt naturae, sed post illam communicationem est coniunctio, id est, una persona, non duae sunt personae. Sed illa persona est Deus et homo, est una persona et eadem, quae est ante mundum creatum, etiamsi non erat homo natus ex Maria virgine ante mundum, tarnen filius Dei erat, qui nunc est homo. Sic exempli gratia: C u m video regem purpuratum et coronatum in solio, dico: Hie rex natus est ex muliercula nudus sine corona. Quomodo hoc potest esse, tarnen sedet in magno solio coronatus et purpura indutus? A t haec induit iam postquam factus est rex, nihilominus tarnen est una et eadem persona, sie etiam hic in Christo est una persona Deus et homo coniuncta nec distinqui debent . . .", 39 II, 100, 2 5 - 1 0 1 , 23 ( Α . ) . 62 Das ist das fast monotone Argument Luthers, hier z.B. 39 II, 1 0 1 , 4, 102, 17 f., 108, 8, 1 2 1 , i , 8. 63 „In Christo sunt duae naturae, divina, quae est spiritus, et humana, quae habet carnem et ossa. Christus secundum humanitatem est creatura et Christus secundum divinitatem est Deus coniunctissime etiam, ut una persona sint duae naturae", ib. 120, 7 - 1 0 . 4 7 , 200, 2 6 - 3 9 [Ausleg. des 3. und 4. Kap. Joh. 1 5 3 9 ) .
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Anteil an der A l l m a c h t Gottes, aber als M e n s c h ist diese seine G e w a l t nicht von Ewigkeit. Jesus, Marias Sohn, ist, w i e Luther sagt, „dis J a r 1 . 5 . 4 3 . jar alt", und erst durch seine zeitliche G e b u r t hat der Sohn als M e n s c h A l l m a c h t bekommen. „ A b e r von dem Augenblick an, da Gottheit und Menscheit ist vereiniget in einer Person, da ist und heisst der M e n s c h Marien Son, Almechtiger E w i g e r G o t t , der E w i g e gewalt hat und alles geschaffen hat und erhelt, Per communicationem idiomatum" β5. W e g e n dieser wechselseitigen communicatio kann man auch v o m Menschen Christus - obwohl die Vereinigung der menschlichen N a t u r mit der göttlichen Person f ü r eine bestimmte A n z a h l v o n Jahren festgelegt w e r d e n kann behaupten, daß dieser M e n s c h der Schöpfer der W e l t und „ H e r r über alles" sei D i e N a t u r e n müssen unterschieden werden, aber die Person ist unauflöslich: „ D a gehets ineinander humanitas et divinitas. Die unitas, die helts" Diese Einheit ist untrennbar, sie lebt durch die communicatio idiomatum, und gerade auf G r u n d der Einheit findet diese Vermittlung 95 54> 49; 33-50, 9 [Von den letzten Worten Davids 1543]; „Diess Dieng hatt viel irre gemacht, das der mensch, so Ihesus Christus heist und Marien Sohn ist, geborn aus Maria, nicht eldter ist den tausend f u n f f hundert und neun und dreissigk jhar. Drumb schleuscht man balde: ej so ist ehr nicht ewigk . . . " , 47, 199, 29-35 ( I 5 3 9 ) · " Ib. 199, 36-201, 2, siehe Anm. 19 oben. Die Fähigkeit zu erschaffen ist eine Eigenschaft der göttlichen Natur, Gegenstand der Anbetung zu sein ist eine andere, worüber Luther viel zu sagen hat. Diese göttliche Eigenschaft m u ß ihm zufolge aufgrund der communicatio idiomatum auch von der menschlichen Natur in Christus ausgesagt werden, zwar nicht von der humanitas in abstracto, separata, an sich, aber von der in einer unio personalis vereinigten Menschlichkeit, siehe u.a.: „Nulla creatura est adoranda. Christus est adorandus. Ergo Christus non est creatura. R. Sic arguit Schwenckfeltt. Etiam est unum ex absurdis eius, peccatur in communicatione idiomatum. Humanitas coniuncta cum divinitate adoratur, Christi humanitas adoratur, non est falsum, quia est inseparabilis a divinitate et additio huius genitivi Christi solvit argumentum", 39 II, 105, 25-106, 8 [Disp. de divinitate et humanitate Christi 1540 A.); 47, 77, 17-22 (Ausleg. des 3. und 4. Kap. Joh. 1538); „Den wer do anruret und anbetet diesen menschen, der betet auch gott an, den ehr ist wesentlich gott", ib. 201, 20 f. (1539); 45, 559, 3-14 (Das XIV und X V Kap. Joh. 1538). In einer Tischrede äußert sich Luther mit großer Schärfe gegen Schwenckfeld, der diese Anbetung des Menschen Jesus auszulegen versucht und dabei auch über die communicatio idiomatum geredet hatte; er meinte, dabei auf Luther selbst hinweisen zu können (auf „Von den letzten Worten Davids"), Luther aber nimmt hier Abstand von ihm: „Er weis nicht, was er plaudert", TR V, 299 f. (Hieronymus Befold); zu diesem Thema hören wir Luther noch einmal in einem Gespräch: „Angeli et universa creatura adorare debent ilium hominem concretum", T R V , 583, 32 f . (Lauterbach). e7 39 II, 102, ι (Disp. de divinitate et humanitate Christi 1540); „Sed illae duae naturae sunt distinctae in theologia, scilicet secundum naturas, sed non secundum personam. N a m tum sunt indistinctae, sed duae distinctae naturae, sed indistinctae personae. Non sunt duae personae distinctae, sed sunt distinctate indistinctae, id est, sunt distinctae naturae, sed indistinctae personae", 100, 18-23. Nach dieser Auslegung m u ß es klar sein, daß es keinen Gegensatz bedeutet, einmal zu behaupten, die Person, die Gott und Mensch ist, sei „una et eadem, quae est ante mundum creatum" (vgl. oben Anm. 61), und zum anderen festzustellen, die menschliche Natur sei „nach seiner Menschwerdung unzertrenlich mit der Göttlichen vereiniget", 46, 634, 24-31 (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1537). Denn die Person ist dieselbe, „etiamsi non erat homo natus ex Maria"; die Menschwerdung bedeutet nichtdestoweniger eine wirkliche Veränderung, ein geschieht-
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statt". Diese Einheit und diese communicatio sind so beschaffen, daß es für Luther völlig bedeutungslos ist, zwischen verschiedenen genera communicationis zu unterscheiden, was man später in der Orthodoxie tat". Naturen und Person, Person und Werk - alles ist durch eine ständige Wechselwirkung miteinander verbunden und in einer ständigen Vermittlung begriffen, eingerahmt und zusammengehalten zu einer dynamischen Einheit. Hier ist für Luther das Zentrum von Offenbarung, Inkarnation und Erlösung. Göttliches und Menschliches haben beide ihre speziellen Eigenarten und können niemals gegenseitig identifiziert werden; sie sind im Gegenteil die äußersten Gegensätze ihrer selbst, aber durch die communicatio idiomatum ist Gott mit dabei, offenbart er sich und handelt er mit dem Menschlichen zusammen, und dadurch sind Gott und Mensch in Christus zu einer Einheit verbunden, sodaß alles, was in Hinsicht auf Person und Werk Christi über die Gottheit gesagt werden kann, auch der Menschlichkeit gilt - und umgekehrt, jedoch ohne alle Verwandlung oder Vermengung. Dieser christologische Satz will den Hauptgedanken zum Ausdruck bringen, der die ganze Theologie Luthers trägt, der aber nirgendwo so klar durchgedacht und ausgesprochen auftaucht wie in der Lehre von der communicatio idiomatum. Wir sahen dieselbe christologische Grundstruktur durch das Kapitel I hindurchschimmern; sie wird auch in der Fortsetzung immer wieder zutage treten.
liches Faktum zu einem bestimmten Zeitpunkt, als „persona divina suscepit humanam naturam", 39 II, 117, 36. „propter unitam coniunctionem et unitatem duarum naturarum fit communicatio idiomatum, ut, quid uni naturae tribuitur, tributiur et alten, quia f i t una persona", ib. 98, 8-10; vgl. eine bezeichnende simul-Stelle: „Do wirdt vereiniget die menschlich natur mit der Gottheit, und ist dan gecreutziget werden und leben ein dieng, undten und droben sein ein dieng", 47, 201, 7-9 [ A u s l e g . des 3. und 4. Kap. Joh. 1539). " Vgl. z.B. die folgenden Aussagen in Luthers Disputationen: „Sed maxima est illa imitas duarum naturarum in una persona, ut pares sint in praedicatione, communicant sibi idiomata, quasi vel solum esset Deus vel solum homo", 39 II, i n , 14-16; „Est communicatio idiomatum. Hoc quod proprium est humanae naturae, est commune divinae", 108, 8 f.; „Qui tangit filium Dei, ipsam divinam naturam tangit", 106, 19 f.; 102, 23-27; „Unio humanitatis et divinitatis in Christo est una vera persona, non duae, et quod uni tribuitur, alteri quoque recte assignatur . . .", 39 II, 280, 16-22 (Prom. disp. von T . Fabricius und S. Rapagelanus 1544).
Kap. III Die Kirche und die Werke - ein simul von Göttlichem und Menschlichem, Gesetz und Evangelium
A. Das Reich Christi in „eusserlichen dingen" Bevor wir nun mit dem dritten und letzten Teil dieser Abhandlung beginnen, mag der Versuch angezeigt und erwünscht sein, einen Überblick über die Disposition des Buches zu gewinnen und damit die systematische Situation zu verdeutlichen. Der christologische Abschnitt, den wir eben hinter uns gelassen haben, wird systematisch-theologisch dadurch charakterisiert, daß er Teil I und III gleichzeitig vereinigt und trennt. Er vereinigt, denn die Grundproblematik des Verhältnisses zwischen Göttlichem und Menschlichem ist durchweg dieselbe: das Handeln Gottes durch das Menschliche und mitten in ihm ist auch für das Werk Gottes in Christus charakteristisch, und die Betonung des Werkes, der Aktivität, kennzeichnet sämtliche Teile. Außerdem ist der Gedanke an die Schöpfung und die Werke eine notwendige Voraussetzung für eine nach Luthers Meinung rechte Auffassung der Christologie, und diese ist wiederum zum Verständnis der Darstellung von Kirche und Werken unentbehrlich. Er trennt, denn in Christus handelt es sich um ein besonderes Werk Gottes, eine göttliche Inkarnation, die im Vergleich zu anderem inkarnatorischem Handeln einmalig und ohne Gegenstück ist - das Wort „Werk" muß daher hier im Singular stehen. Die Christologie nimmt deshalb notwendigerweise einen selbständigen Platz ein, aus diesem Grunde wurde ihr auch eine besondere Behandlung zuteil. Nur so war es möglich, Luthers Auffassung vom gegenseitigen Verhältnis des Göttlichen und Menschlichen völlig zu verstehen, so wie es in der Person Christi hervortritt und von Luther in seinen Worten über die communicatio idiomatum formuliert wird. Das Ergebnis dieser Untersuchung liefert den Schlüssel zum Verständnis von Luthers Kirchenauffassung und Sakramentslehre, seiner Anthropologie und seiner Ethik. Die Darstellung in diesem dritten Kapitel soll im großen ganzen dem Aufbau des ersten folgen. Die drei Teilkapitel werden analog hierzu einmal eine vertikale und zum anderen eine horizontale Ausrichtung erhalten. In Kap. I beschrieben wir zuerst Luthers Art, vom Willen Gottes zu sprechen, so wie er sich inmitten einer vom Teufel und der Sünde verdorbenen Welt einen Ausdruck in göttlichen Geboten und Gesetzen sucht; dann betrachteten wir den Menschen in seinem Verhalten im Guten und Bösen unter diesem Regiment Gottes, und zuletzt untersuchten wir das
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Verhältnis des Menschen zu seinem Mitmenschen. Hier wollen wir dementsprechend zuerst die Relation Gott - Mensch (von oben) betrachten, und zwar jetzt mit Gottes Handeln in der Kirche, in der Predigt und in den Sakramenten als Ausgangspunkt, sodann wollen wir das Verhältnis Mensch - Gott (von unten) ins Auge fassen, wie der Mensch in der Kirche dem Heil Gottes begegnet und durch seine Werke umgeschaffen und erneuert wird, und schließlich kehren wir zurück zu der Beschreibung der Werke im Dienst am Nächsten, so wie Luther sie unter der Einwirkung des Evangeliums im Glauben gestaltet sieht. So wird nun vor allem Luthers sakramentale Grundanschauung, seine Auffassung von den Gnadenmitteln, Gegenstand unserer Untersuchung sein - und zwar stets aus dem für diese Abhandlung charakteristischen Gesichtswinkel, der auf das Verhältnis zwischen Göttlichem und Menschlichem ausgerichtet ist. In einem folgenden Abschnitt wird diese Grundanschauung in einen weiteren Zusammenhang eingebaut werden. Dadurch wird es möglich werden, Luthers Ekklesiologie im großen an verschiedenen Punkten zu beleuchten und zu verdeutlichen. ι. Hoc est - zur Vergebung der Sünden Anfang Oktober 1529 wurde das Religionsgespräch in Marburg damit abgeschlossen, daß Luther den Zwinglianern gegenüber erklärte: „Ihr habt einen andern Geist als wir" \ Andreas Oslander, der eine persönliche Darstellung des Gesprächs gegeben hat, zeigt deutlich, w o der kritische Punkt liegt. Luther war bereit, alle anderen Fragen auf sich beruhen zu lassen, wenn die Gegner nur zugeben wollten, „das der leyb Christi Im Abenntmal were nicht allain In der menschen gedechtnus" *. Oslander fügt hinzu: „Aber (das ist wunderlich zu hören), sy wolten nicht" Es ist also diese Frage der persönlichen Gegenwart Christi - oder, in der Formulierung der späteren Polemik: der ubiquitas corporis Christi - um deretwillen die Lutheraner ihre Gegner nicht mehr Brüder und Glieder der Kirche Christi nennen können 4 . 1 Was das Religionsgespräch in Marburg betrifft, siehe W . Köhler, Das Marburger Religionsgespräch 1529. Versuch einer Rekonstruktion 1929, dens., Zwingli und Luther II CQFRG 7, 1953, 66 f f . ) , E. Seeberg, Der Gegensatz zwischen Zwingli, Schwenckfeld und Luther (in Reinhold Seeberg-Festschrift 1929, 43-80) und H. Sasse, This is my body 1959, der die Kontroverse und ihren Hintergrund sorgfältig untersucht hat, 116-294. 2 30 III, 150, 17 f f . (Das Marburger Gespräch . . . 1529); vgl. was Luther selbst an seine Frau, die liebe „Herr Keth", schreibt, wo er denselben Unterschied betont: „Wisset, dass unser freundlich Gespräch zu Marburg ein Ende hat, und seind fast in allen Stücken eins, ohne das die Widerteil wollten eitel Brot im Abendmahl behalten und Christum geistlich darinnen gegenwärtig bekennen", BR 5, 154, 3-6. 3 30 III, 150, 24 (Das Marburger Gespräch . . . 1529). 4 Luther schreibt in dem Briefe an seine Frau: „Aber wir wollen des Brüdern und Gleiders nicht, friedlich und guts wollen wir wohl", BR 5, 154, 9 f. M. Bucer und J. Brenz bezeugen, wie vergeblich die Versöhnungs- und Einheitsbestrebungen waren: „Das haben inen die Lutherischen gentzlich abgeschlagen", so nach Köhler 1929, 139-141; siehe auch dens. 1953, 118 f f . Luthers Auffassung von Zwingli ist kirchengeschichtlich beschrieben von O . Farner, Das Zwinglibild Luthers 1931.
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Ging es nun in dieser Kontroverse um mehr als die Spitzfindigkeiten der üblichen Theologenstreitereien? Hätte Luther nicht diese erste große Spaltung im protestantischen Lager vermeiden können, wenn er die verhältnismäßig unbedeutenden Unterschiede nicht so eigensinnig vergrößert hätte? Man könnte meinen, daß die Streitfrage nur eine Seite der Abendmahlsauffassung berührte, was keinen Einfluß auf die theologischen Hauptartikel, z.B. die Christologie und die Rechtfertigungslehre, zu haben brauchte. Es ist indessen sehr deutlich, daß Luther mit der Betonung seines „hoc est" in bezug auf die Abendmahlselemente: das ist mein Leib, mein Blut - gegenüber Zwingiis „hoc significat" - ein lutherisches Grundprinzip von unabsehbarer Bedeutung formuliert. Hinter der Frage der persönlichen Gegenwart Christi im Brot und Wein des Abendmahls verbirgt sich das christologische Problem, wie man die Einheit von Göttlichem und Menschlichem in Christus zu verstehen hat. Kann man nicht bekennen, daß Christus auch mit seiner menschlichen Natur im Abendmahl gegenwärtig ist, sondern meint, daß er sich nur „in certo loco" im Himmel befinden könne5, so bedeutet dies, daß man die Einheit von göttlicher und menschlicher Natur in der Person Christi auch für sein irdisches Leben leugnet, denn entweder ist die Einheit wirklich und unauflöslich oder sie ist gar keine Einheit. Und umgekehrt: nimmt man ernsthaft eine persönliche Einheit an, d.h. einen Gott, der in Christus wirklich herabgestiegen und in carne gekommen ist, so müßte das Entsprechende auch für das Verhältnis zwischen Brot und Wein des Abendmahls und Leib und Blut Christi gelten: Christus ist auch dort persönlich und ganz. Diese Alternative ergibt sich für einen konsequent lutherischen Gedankengang, der wirklich von dem Gedanken an die Inkarnation Gottes, die Gegenwart Gottes „in, mit und unter" dem Menschlichen, dem Geschaffenen und Irdischen, geprägt ist. Der springende Punkt ist, daß man nach Luther Göttliches und Menschliches in Christus nicht trennen darf, denn tut man das irgendwo, und sei es auch nur in einer einzigen Verbindung, dann ist im eigenen Gedankengang die Inkarnation aufgegeben. Von dem umstrittenen kleinen Wort „est" ausgehend wollte Luther in Marburg seine gesamte Theologie aufs Spiel setzen und alle theologischen Grundprobleme zur Debatte stellen, denn er glaubte, nicht nur um eine unerhebliche Einzelheit zu streiten, sondern für ihn handelte es sich um einen Kampf zwischen zwei verschiedenen theologischen Systemen'. Die Abends Siehe u.a. in den Hauptschriften gegen die Schwärmer: 23, 130-138 (Daß diese Wort Christi . . . 1527) und 26, 336-339 (Vom Abendmahl Christi 1528). " Vgl. die Auslegung Luthers in seinem Bekenntnis vom Abendmahl 1528, u.a. 26, 264282; so auch schon z.B. 1 1 , 434-437 (Von Anbeten des Sakraments . . . 1523). E. Seeberg 1940, 163; vgl. F. Hildebrandt, Est. Das lutherische Prinzip 1931, der mit einem für Luther fremden Begriffsapparat doch einen zentralen Punkt in seiner Theologie trifft. Von großer prinzipieller Bedeutung ist hier auch Metzkes Abhandlung 1948, u.a. 16 f f . ; vgl. K . Barths Beurteilung des Satzes „hoc est corpus", Ansats und Absicht in Luthers Abendmahlslehre, Z Z 1923, 50 f. - Über den Gegensatz zur reformierten Theologie in einem weiteren geschichtlichen und systematischen Zusammenhang, siehe in der großen Literatur u.a. Eiert I 1 9 3 1 , 255 f f . , E. Seeberg II 1937, 340 f f . und Brilioth 1951, 233 f f . ;
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mahlsformel ,}ioc est" besagt dasselbe, wie die Lehre von der communicatio idiomatum und hat in ihrem Zusammenhang dieselbe unumstößliche Bedeutung: wo Gott in seinem Wort Gestalt angenommen hat, da ist er Luther zufolge immer in menschlichen Mitteln und äußeren Dingen, und wo diese menschlichen Dinge sind, da ist Gott - weil er sich nämlich in und an sein Wort gebunden hat - da ist Christus, da ist das Heil. Dieser Grundgedanke ist es, der Luthers Kirchenauffassung und Sakramentsverständnis entscheidend bestimmt. Hier ist es nun prinzipiell äußerst wichtig, sich den Zusammenhang zwischen Christus und dem Geist, zwischen dem Werk Gottes in Christus und Gottes Handeln in der Kirche klar vor Augen zu stellen. Das ist ein theologischer Punkt, der für die gesamte Abhandlung entscheidend ist, denn er liefert nicht nur den Schlüssel zu Luthers Ekklesiologie, sondern er bildet auch die Voraussetzung für die ganze folgende Darstellung, den Ausgangs- und Orientierungspunkt für die Beschreibung von Evangelium undKirche,von der Erneuerung des Sünders und dem Dienst am Nächsten. Wir müssen nun versuchen, die genauere Bedeutung dieser generellen Behauptimg anzugeben, und das mag durch die Beantwortving von zwei Fragen geschehen: 1. Wie denkt sich Luther den heilsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen dem, was jetzt in der Kirche Christi geschieht und dem, was ein für allemal während des irdischen Daseins Jesu geschah? 2. Was bedeutet die Ubiquität Christi, und wie soll man Luther zufolge in einem weiteren christologischen Zusammenhang das für ihn so unbestreitbare und selbstverständliche Faktum beschreiben, daß das Werk des Geistes in der Kirche durch die Gnadenmittel auch als das fortdauernde Werk Christi bezeichnet werden kann, weil Christus selbst persönlich gegenwärtig ist und in der Kirche ständig zum Heil der Menschen handelt? Als Luther mitten während des Streits mit Zwingli und seinen Anhängern im Jahre 1528 eine Vorlesung über den 1. Tim. hält, kann er es nicht lassen, auch die communicatio idiomatum auszulegen7. Er entwickelt seine Gedanken in Wendungen, die m s schon oft zuvor bei Luther begegnet sind, und er tut das in bestimmtem und ausgesprochenem Gegensatz zu der Allöosis-Lehre Zwingiis. Für Luther ist es das Wesentliche, daß er, wenn er sich in Sündennot an Christus klammert und von unten zu dem Menschen Jesus kommt, der hier auf Erden lebte und starb, gleichzeitig auch bei Gott selbst ist und es daher wagen kann, auf die Vergebung seiner Sünden zu vertrauen8. Denn um der Sünde willen wurde Gott Mensch, und um den Sündern Vergebung und Gnade zu schenken, führte Jesus sein Heilswerk aus. Dieses Werk wurde am Kreuz vollendet, aber daneben H . Gollwitzer, Coena Domini 1937, Graß 1940 und E . Bizer, Studien zur G e schichte des Abendmahlstreits im 16. Jahrhundert 1940, die alle im ganzen diesen G e gensatz behandeln; von calvinistischer Seite z.B. W . Niesei, Calvins Lehre vom Abendmahl 1930 und ders. 1 9 5 7 , 2 1 0 f f . und Wallace 1 9 5 3 , besonders 1 3 3 f f . * 26, 38 f f . [Vöries, über 1. Tim. 1 5 2 8 ] . 8 26, 39, 1 2 - 1 8 .
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was dort pro nobis geschah, bedarf ständiger Erklärung, Anwendung und Austeilung „per verbum". Wir müssen beachten, daß Luther, wenn er hier vom „opus redemptionis" spricht, in dieses Heilswerk auch das „verbum praedicationis" einbezieht'. Das bedeutet nicht, daß die Versöhnung Christi nicht vollendet wäre, jedoch muß sie, um den Menschen zum Nutzen gereichen zu können, ihnen unaufhörlich dargereicht werden. Nur dadurch, daß die Vergebung immer aufs neue ausgeteilt wird, ensteht ein rechter Gebrauch des ein für allemal vollendeten Heilsfaktums Christi. Einerseits unterscheidet Luther zwischen dem von der Person Christi vollbrachten Werk und dessen Verkündigung und Austeilung, die danach geschieht. Man muß, betont Luther, zwischen „mediatio" und „testimonium de mediatione", zwischen „factum" und „usus facti", zwischen „redemtio ipsa facta" und „redemtio praedicata" unterscheiden". Es ist eins, daß Christus einmal in der Geschichte die Vergebung der Sünden erworben hat, aber ein anderes, „wie sie ausgeteylt und uns geschenckt wird" Das ist im Grunde dieselbe Distinktion wie zwischen Gott und seinen larvae, zwischen Christus als göttlicher Person, vom gleichen Wesen wie der Vater, und allen seinen apparitiones. Aber andererseits - und das muß auch als eine Antwort auf die erste Frage oben gesagt werden - ist es ja ein Grundgedanke Luthers, daß es wirklich Gott ist, der wirkt und handelt durch alle diese menschlichen Personen und Einrichtungen, Gott selbst ist in ihnen gegenwärtig. So haben wir, wie wir sahen, Luthers Auffassung von der humanitas Christi zu verstehen. Daher ist es nach Luther Christus selbst, der auch in der Predigt und im Austeilen der Sakramente kommt und dem Menschen die Vergebung der Sünden zusagt. Er und sein Werk sind dann anwesend, und zwar sind sie es durch menschliche Mittel. „Verbum vocale" ist „annunciatio remissio peccatorum". Die Vergebung kann nicht zur Anwendung kommen und bringt keinen Nutzen, wenn sie nicht auf diesem Wege ausgeteilt wird". Überall in den menschlichen Dingen und Zusammenhängen ist das Kreuz Christi abgemalt. Das ist die theologia crucis, an die man sich Luther zufolge halten soll13. Wenn man im Glauben bei der Menschlichkeit Christi und seinen Einsetzungen stehen bleibt, hat man einen rechten usus facti und erhält teil an Christi Wohltat und allen Ga9
26, 40, 16 f. 26, 3 9 - 4 0 , 16; „Der blinde tolle geist weis nicht, das meritum Christi und distributio meriti zwey dinge sind, U n d mengets ynn einnander wie ein unfletige saw. Christus hat ein mal der sunden Vergebung am creutz verdienet und uns erworben, A b e r die selbigen teylet er aus, w o er ist, alle stunde und an allen orten . . . wir wissen, das Christus ein mal fur uns gestorben ist, und solch sterben austeilet er durch predigen, teuffen, geist, lesen, glauben, essen, und wie er wil, w o er ist und was er thut", 26, 294, 2 3 - 2 9 5 , 26 ( V o m Abendmahl Christi 1 5 2 8 ] . V g l . dazu W i s l e f f 1 9 5 7 , 138 f f . , Pedersen 1959, 139 f f . und Ellwein i960, 108 f . 10
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18, 203, 2 7 - 3 3 [Wider die himmlischen Propheten 1 5 2 5 ) . 26, 4 1 , 1 8 - 2 1 . 13 V g l . hier 4, 87, 3 5 f.: „Vides igitur ubique passiones et crucem Christi depingi . . . " (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) . 12
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ben Gottes. In Wirklichkeit bricht hier die communicatio idiomatum an jedem Punkt hervor, denn gerade in dem Menschlichen ist Gott durch das Wort erlösend nahe. Bevor wir noch weiter dieser Predigt Luthers lauschen und im Anschluß daran den Gedanken des usus facti entwickeln, wollen wir uns nun die zweite der oben formulierten Fragen vornehmen, die Frage der christologischen Bedeutung der Funktion der Kirche, den Menschen die Vergebung der Sünden auszuteilen und zuzusagen. Man bemerkt leicht, daß Luther, wenn er davon spricht, was jetzt in der Kirche vor sich geht, Avas ein Werk des Geistes ist und erst begann, nachdem Christi Werk auf Erden vollendet war, hiervon auch spricht als von etwas, was Christus selbst und jetzt in seiner Kirche ausführt". Hier ist der theologische Ort, an den man Luthers Auffassung von der Himmelfahrt Christi und seinem Sitzen zur Rechten des Vaters stellen muß. Die Himmelfahrt bedeutet nicht, daß Jesus ein bestimmtes Dasein in einem begrenzten Teil der Welt verläßt und statt dessen an einem anderen geographisch begrenzten Platz bleibt, als ob er nur „doben ym hymel mussig sesse und ein freud mit yhm selbs hette" Es ist nicht so, sagt Luther in einer Himmelfahrtspredigt 1523, daß Jesus, der während seines Erdenlebens mitten unter den Menschen lebte, diese nun verlassen hat und weit weg ist, sondern so, daß er, der zuvor nur die Möglichkeit besaß, einige Jahre lang und an bestimmten Orten einer kleinen Anzahl Menschen zu begegnen, durch seine Himmelfahrt die Macht hat, überall und allen nahe zu sein, „das er mit allen tzuschaffen hab und ynn allen regire, das er yhn allen predige, und sie es alle hören und er bey allen seyn kan" Christus hat also die Welt nicht verlassen oder seine Befugnisse anderen übertragen, „ssonder darumb ist er hynauff gefaren, das er da am meysten kan schaffen und regiren" IT. Er ist jetzt selbst „ym regiment", „on underlasz gegenwertig", und erfüllt alles mit seiner Nähe. So regiert er sein Reich hier auf Erden „durch die mundliche predigt, das ist durchs Euangelion" 13. Das ist die Bedeutung der Erhöhung Christi: Er ist nicht „exaltatus super omnia", um von dem Menschlichen, Weltlichen und Materiellen hinwegzukommen und in himmlischer Abgeschiedenheit zu leben, sondern er hat vielmehr von der Rechten Gottes her Macht, jetzt den Menschen überall zu begegnen durch seine in der Kirche eingesetzten Mittel, die ihrer Gestalt nach gerade menschlich und äußerlich sind. Diese Erweiterung des 14 Das erläutert Luther u.a. im Anschluß an die W o r t e Jesu von dem kommenden Helfer, Joh. 14, 16 und 26 f., 1 5 , 26 und 16, 7 f., so z.B. 4 5 , 5 6 0 - 5 6 7 , 6 1 4 - 6 3 0 und 7 2 5 - 7 3 3 (Das X I V und X V Kap. Joh. 1 5 3 8 ] und 46, 3 4 - 6 0 (Das X V I Kap. Joh. 1 5 3 8 ) ; siehe Prenter 1954, 1 1 6 f. 15 12, 530, 1 3 f. [ P r e d . 1 5 2 3 ] ; 2 3 , 263, 3 3 - 3 5 С Daß diese W o r t Christi . . . 1 5 2 7 ) ; 45, 5 5 5 , 1 - 6 [Das X I V und X V Kap. Joh. 1 5 3 8 ) . 16 12, 562, 1 2 - 2 7 (Pred. 1 5 2 3 ) ; eine andere klare Stelle finden wir in der Kirchenpostille 1 5 2 2 , 10 I:i, 19, 1 5 - 2 0 , 4. 17 12, 562, 18 f . (Pred. 1 5 2 3 ] ; so auch weit später, z.B. 4 5 , 6 1 7 , 1 3 - 2 3 (Das X I V und X V Kap. Joh. 1 5 3 8 ] und 46, 3 9 2 , 20-394, 28 (Pred. 1 5 3 8 ) . 18
1 2 , 530, 1 5 - 2 3 (Pred. 1 5 2 3 ) .
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Wirkungsfeldes und der Möglichkeiten, den Menschen zu helfen, ist der einzige Grund, den Luther dafür sehen kann, daß Christus „zum Vater geht" (Joh. 14, 12)". Zusammenfassend läßt sich nun feststellen, daß der Zusammenhang zwischen dem Werk Gottes in Christus und Gottes Handeln in der Kirche durch den Heiligen Geist für Luther darin besteht, daß dieselbe göttliche Person anwesend ist und handelt, damals in dem konkreten Menschen Jesus, jetzt - und zwar als dieselbe Person, eine unauflösliche Vereinigung von göttlicher und menschlicher Natur - in bestimmten menschlichen Dingen, in denen das Wort hervortritt. Die äußere leibliche Gestalt wechselt, aber die Person ist unveränderlich dieselbe und als gleichzeitig wahrer Gott und wahrer Mensch leiblich gegenwärtig in den Gnadenmitteln ebenso wie in der Krippe oder am Kreuz. Wenn Luther zwischen factum und fructus, res und usus20, „historia resurrectionis Christi" und applicatio, „manifestatio ipsius per verbum" 21 unterscheidet, so ist das wichtig, um Christi vollendetes Versöhnungswerk von dessen Austeilung durch den Geist in der Kirche zu unterscheiden - und da hat man die Bedeutung zu beachten, welche die Himmelfahrt erhält22 - worauf es aber hier vor allem ankommt, ist das kontinuierliche gemeinsame Inkarnationsgeschehen. Daher ist der Gedanke der communicatio idiomatum für Luther ein unentbehrliches und selbstverständliches Charakteristikum. Das läßt sich mit einigen Gedankengängen aus der für Luthers Christologie sehr aufschlußreichen Vorlesung über Jes. 53 kommentieren, die wir schon früher benutzt haben. Ein Grundgedanke dort ist, daß die Person Christi aufgrund der communicatio idiomatum unteilbar einheitlich und dieselbe ist, obgleich sein Dasein zwischen Erniedrigung und Erhöhung wechselt. Wenn es von Christus heißt, daß er von Gott verlassen ist, wird daher keine Teilung in der Person Christi vorausgesetzt, so daß in der Hölle der Anfechtungen nur die menschliche Natur übrig gewesen wäre; und wenn geschrieben steht, der Sohn sitze zur Rechten des Vaters, so bedeutet das, daß auch die menschliche Natur „exaltatus" und der Macht zur Rechten Gottes teilhaftig ist23. Die Person ist dieselbe in exinanitio " Siehe auch z.B. IOI:I, 21, 3-13 (Kirchenpostille 1522); 28, 140, 6-143, 2 8 (Wochenpred. über Joh. 16-20 1528-29]; 45, 538, 1-539, 8 (Das X I V und X V Kap. Joh. 1538). Dieser Gedankengang ist in anderen Zusammenhängen genauer belegt und beschrieben, mehrmals, besonders in Kap. II. 20 Vgl: „Estque secunda pars nostrae cognicionis et iustificacionis, ut sciamus Christum passum, maledictum, mortuum, sed PRO NOBIS. Non satis est scire rem, scilicet passionem, sed usum eius scire necesse. Papa tenuit rem, negavit usum, Anabaptistae utrumque negant", 31 II, 431, 33-432, 2 (Vöries, über Jesaias 1527-30 Lauterbach). 21 So in einer Osterpredigt, 27, 121, 2 f f . (Pred. 1528); eine andere Predigt desselben Jahres erklärt außerordentlich gut den hier aktuellen Gedankengang, ib. 117-120. Siehe auch z.B. 15, 517, 16-32, 520, 24-35 (Pred. 1524). 22 Das ist klar unterstrichen bei Vajta 1952, 164 und Persson 1961, 324 f., von denen ein paar der obigen Belegstellen stammen. 23 40 III, 704, 12-25, 7°6, 5-12 (Enarratio 53. cap. Esaiae [1544] 1550); vgl.: „unser fleisch und blut sitzet jm himel zu der rechten hand Gottes", 37, 336, 27 f . (Pred.
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und exaltatio, aber wenn Christo durch den Tod hindurch gegangen und verherrlicht worden ist, ist er nicht mehr der verachtete und leidende Diener, sondern der König und Triumphator, „Dominus legis" und „victor mortis" Sein Amt hat sich geändert, das Heilswerk ist ausgeführt und etwas Neues beginnt. Daß er „ad dexteram patris" erhöht ist bedeutet, daß er definitiv Sieger ist, der, welcher einst die Welt richten wird, der, welcher jetzt seinen Geist unter die Menschen sendet, um durch das Wort und die Sakramente seine Gaben, seine Vergebung und seinen Frieden, auszuteilen". Luther unterstreicht nachdrücklich, daß man weder die Erniedrigung Christi nur dadurch beschreiben kann, daß man auf Gottes Menschwerdung hinweist, noch seine Erhöhung einzig durch die Betonung seiner Himmelfahrt. Die Erniedrigung umgreift nicht nur das Inkarnationsgeschehen der ersten Weihnachtsnacht, sondern das gesamte Erdenleben Jesu bis zu seinem „descensus ad inferos", und die Erhöhung findet keinen Abschluß in der Himmelfahrt, sondern nimmt ihren Fortgang in der Entsendung von Jüngern, im Predigen des Evangeliums bis an die Enden der Welt. Dies sind fructus und usus facti". Christus stirbt nicht, um im Totenreich zu bleiben, sondern um die Welt mit Gerechtigkeit zu erfüllen und als der auferstandene und lebendige Herr ständig durch das Wort und den Geist zu wirken". Daher nennt Luther die Erhöhung Christi eine „exaltatio doctrinae, confessionis, fidei"". Denn Christus will in seiner Erhöhung alle teilhaben lassen an der Siegestat, die er in seiner Niedrigkeit ausgeführt hat. Luther unterscheidet zwischen „exaltatio personalis", der persönlichen Erhöhung Christi als wahrer Gott und wahrer Mensch, und der „exaltatio realis", in welcher ein Mensch ihn durch das Wort im Glauben empfängt. Christi gesamtes Heilswerk, sein Tod und seine Auferstehung geschahen, damit Menschen durch die Predigt und den Glauben ihn auf diese andere Weise erhöhen und verherrlichen sollten. Erst durch diese tägliche exaltatio erhält die erste Wert und wird recht gebraucht". Entscheidend ist nun, daß die Person, die auf Golgatha gelitten hat, dieselbe ist, die zur Rechten des Vaters sitzt und nun im Worte kommt. Dies ist ein klarer Ausdruck für die commmunicatio idiomatum und ist der Sinngehalt von Luthers Gedanken der realen Gegenwart Christi in den Gnadenmitteln der Kirche. So ist das Reich Christi nach Luther beschaffen: ein Regiment des Wortes, nicht von dieser Welt, ohne majestätische Macht und Pracht, 1534 R.). Über Luthers Auslegung von Jes. 53 siehe oben I I B : i , 203 f. und II C: 2, 251. 24
40 I I I , 7 2 2 , I i f f . , 7 2 3 ,
25
726,
12-30.
"
741
33-715,
16-724,
19.
11; „Res est, quod resurrexit. Sed per Euangelium toti orbi praedicatur",
690, 28 f .
" 732, 13-21, 733, 16 ff·, 727, 21 ff. 691, 4· " 691, 3 5 - 6 9 2 , 25. Vgl. beim jungen Luther: 1 5 1 9 - 2 1 ) , mit demselben Gedankengang.
5 , 254, 3 5 - 2 5 5 , 3
(Operationes in Psalmos
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ohne irdische Klugheit und weltliche Waffen, ein ewiges Reich des Geistes, das vom Teufel und von allem Bösen befreit. Christus ist in Anstoß erregender Weise König in Glanzlosigkeit und Verborgenheit, er übt seine Macht sub contraria specie aus - aber er ist in seinem irdischen Reich wirklich anwesend, er selbst regiert und sammelt seine Kirche durch das Wort und im Wort, denn er ist gesandt „in ministerium verbi", und wo das Wort ist, gepredigt und ausgeteilt wird, da ist Christus, da ist seine Kirche 30 . So weit die Jesaja-Auslegung. In der oben erwähnten Vorlesung über x. Tim. erläutert Luther ebenfalls mehr in concreto, wie seiner Meinung nach der erhöhte Christus in seiner Kirche durch das Wort regiert. Christus kehrte zwar zum Vater zurück, nachdem er die Erlösung vollendet hatte, „sed hoc distribuit, applicat et indicat per testimonium" Solche testimonia, die dem Menschen die Vergebung der Sünden zusagen, sind Predigt und Absolution, Taufe und Abendmahl, „verbum Euangelii vocale", „medium consolandi fratres", „medium lavachri in baptismo", „medium comedendi in altari" Ohne diese „vehicula" ist die Vergebung der Sünden unerreichbar. Ebenso wenig, wie die menschliche Vernunft einsehen kann, daß der erniedrigte Mann Jesus, der am Kreuz starb, Gott und Heiland der Welt ist, vermag sie zu fassen, daß Wasser und Brot Medien und Kanäle für das Handeln Gottes sein können. Wie Gott in Christus revelatus ist, so enthüllen diese „testimonia revelata" Gottes vergebende Gesinnung, aber wie Gott dennoch verborgen ist in der Menschlichkeit Jesu, so ist er auch in diesen äußerlichen, unansehnlichen testimonia verborgen; Gott ist ständig absconditus in carne und sein Handeln sub contrariis verborgen. Durch menschliche Mittel kommt Christus und sagt die Vergebung der Sünden zu. Er tut das in seinem Wort und ist selbst das verbum divinum. Darum ist das verbum der einzige Weg zu Vergebung und Heil: „nihil prodest, nisi in verbo accipimus, quod est in baptismo, sacramento, Euangelio adferens hunc mihi Christum" Diese Auslegung der Menschlichkeit Christi und seiner testimonia beginnt Luther, und das ist symptomatisch, folgendermaßen: „Cepi tractare locum de communicatione idiomatum" Dieser Gedankengang, der von der Christologie zur Sakramentslehre führt, ist ein neuerlicher Ausfluß von Luthers antispiritualistischem und a0
Siehe hier wieder die Jesaia-Auslegung, 40 III, 688, 2 - 2 7 . „Tale est regnum Christi. Siquidem propter nos factus est servus humanam naturam assumens, descendit ad infimas partes terrae et rursum ascendit reipsa, postea etiam confessione, praedicatione, laude, benedictione, gloria sempiterna: Primum ergo disce, qualis sit rex, ut intelligas regnum eius non consistere in opibus, sapientia, potentia carnali nec ulla re mundana, sed esse regnum eius verbale, doctrinale, spirituale, aeternum, quod liberet a potestate Diaboli, a peccato, a morte et ab omnibus malis", 693, 2 5 - 3 2 ; vom Anstoß: 696, 3 2 - 6 9 7 , 24. 31 26, 40, 22 f . [Vöries, über 1. Tim. 1 5 2 8 ) ; vgl.: „Ideo omnis Christi actio ist ins wort gefast et in et per verbum vult dare omnia", 36, 46, 5 f. (Pred. 1 5 3 2 R . ] . " 26, 40, 23 f f . , 4 1 , 3 f f . » 26, 4 i , ι f . " 26, 38, 18.
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Die Kirche und die W e r k e
antimethaphysischem Inkarnationsgedanken. Der Glaube gibt sich zufrieden mit der historischen Offenbarung, mit dem Äußeren, Erkennbaren und Menschlichen, und sieht Gott dort. Der Mensch soll also bei dem äußeren Zeichen beginnen, von unten, und dort verbleiben und Gott begegnen. „ G O T T kan nicht unser G O T T sein, er gebe uns denn etwas eusserliches, darin wir jn finden, als das Mündliche W o r t und die zwey Sacrament. W e n n ich Gott nicht ergreiffe durch Eusserliche ding, wie kann ich jn denn antreffen?" 35 Das liegt ganz auf einer Ebene mit dem, was wir früher über die humanitas Christi gesagt haben: „Extra Christum non est alius Deus". Diese äußerlichen Dinge sind genau wie die Zeichen des Alten Bundes Gottes Gewänder, in denen er sich offenbart und an den Menschen handelt. Luther will seine Hörer davor warnen, sich mit dem Deus nudus zu beschäftigen; man findet ihn nicht „sine ullo vestitu", sondern in „carne Christi, Item signis externis, Baptismi et Eucharistiae" Es mag hier angezeigt sein, dies noch weiter zu entwickeln, was für Luthers Sakramentsverständnis so charakteristisch ist: das Handeln Gottes im W o r t durch äußere, unansehnliche D i n g e " . Das W o r t ist das Entscheidende38, es mag als gepredigtes Wort, als W o r t der Vergebung oder des Sakraments auftreten. Es hat immer denselben Inhalt; Evangelium und promissio, die Verheißung von Heil und Vergebung. Diesem ständig wiederholten W o r t ist ein Zeichen beigefügt, und dieses äußere Zeichen, das hingegen wechseln kann, ist die Zuflucht des Glaubens, denn dort ist Gott und seine Hilfe 35 28, 576, 34 f f . [Pred. über das 5. Buch Mose 1 5 2 9 ] ; 29, 449, 26 f . (Pred. 1529 Nürnberg); 50, 245, 1 - 2 4 6 , 29 ( D i e Schmalk. Axt. 1 5 3 7 ) und vielmals. 36 25, 1 2 8 , 1 6 - 2 0 (Vöries, über Jes. Schol. 1 5 3 2 - 3 4 ) ; 2 3 , 2 6 1 , 1 1 - 2 4 ( D a ß diese W o r t Christi . . . 1 5 2 7 ) . 3T Siehe oben K a p . I I A : 1 , 160 f . ) . " „in omni Sacramento est verbum Dei promittens homini aliquid", 6, 89, 4 (Resolutio disp. de f i d e infusa et acquisita 1 5 2 0 ) ; „ A d sacramenti enim constitutionem ante omnia requiritur verbum divinae promissionis, quo fides exerceatur", 6, 550, 9 f . ( D e captivitate . . . 1 5 2 0 ) ; ib. 572, 10 f f . "" „Solche w o r t und zeichen hat er ander und ander gegeben zu mancherley zeyt bis a u f f das letzte, das Christus ynn eygner person gab . . . A l s o hatten die kinder Israel Gottes wort, das sie solten yns gelobte land komen. Z u dem w o r t hatten sie viel zeichen, Sonderlich die S. Paulus hie [ 1 . K o r . 10, 1 f f . ] an zeugt, das meer und die wolcken, hymel brod und steyn wasser . . . Denn es ist allenthalben eynerley glaube und geyst, obwol anderley zeychen und w o r t sind. Die zeychen und w o r t werden w o l von zeyt zu zeyt anders und anders geben. A b e r es bleybt doch eynerley glaube an den selbigen eynigen G o t t , der durch mancherley zeychen und wort zu mancherley zeyt eynerley glauben und geyst gibt und durch den selbigen auch eynerley Vergebung der sund, erlösung v o m tod und seligkeyt ynn allen heyligen wirckt, sie seyen am a n f a n g , mittel odder ende der wellt . . . Denn eusserlich u n d leyplich hatten sie andere zeichen und w o r t denn w y r , aber eben den selben geyst und glauben Christi, den w y r h a b e n " , 1 7 II, 1 3 1 , 4 - 3 2 (Fastenpostille 1 5 2 5 ) ; 2, 697, 2 1 - 2 5 (Sermon von der Bereitung zum Sterben 1 5 1 9 ) ; „ N o s arbitramur sacramenta nove legis constare ex promissione dei et signo visibili", 9, 3 1 3 , 8 f . (Disp. thesen Luthers 1 5 2 0 ) ; 6, 358, 3 5 - 3 7 , 3 6 3 , 1 - 6 (Sermon von dem neuen Testament 1 5 2 0 ) ; 1 1 , 454, 2 2 - 2 5 ( V o n Anbeten des Sacraments 1 5 2 3 ) ; dieselbe A u f f a s sung von „ W o r t " und „Zeichen" findet sich bei dem älteren Luther, z.B. 3 7 , 630, 2 5 - 3 4 (Pred. 1534 D r . ) ; „Sember iuxta verbum constituit aliquod externum et visibile signum
Die Kirche und die Werke Dieser G e d a n k e n g a n g nimmt einmal auf L u t h e r s Sakramentsauffassung im engeren Sinne, hinsichtlich T a u f e u n d A b e n d m a h l , Bezug und z u m anderen auf seine allgemeine grundlegende theologische Sicht, die sich somit als sakramental, inkarnatorisch, charakterisieren l ä ß t ' 0 . Christus ist in seiner Menschlichkeit real gegenwärtig - schon in den vielen signa und ind u m e n t a des A l t e n T e s t a m e n t s . Diese Menschlichkeit ist die ä u ß e r e W i r k lichkeit des W o r t e s u n d Zeichens. Promissio ist das gleiche Verheißungsw o r t , das G o t t seit d e m Sündenfall in v e r s c h i e d e n e n Situationen u n d mit verschiedenen Z e i c h e n proklamiert h a t " . Christi K o m m e n im Fleisch bezeichnet natürlich e t w a s radikal Neues, aber für L u t h e r ist es, w i e wir gesehen haben, unanfechtbar, d a ß Christus a u c h im A l t e n B u n d real ist. E r ist da in der G e s t a l t der Verheißung, „in involucro promissionis" Im G l a u b e n an die V e r h e i ß u n g , d. h. Christus, w u r d e n s c h o n A d a m u n d E v a selig. D a n n k a m das W o r t - und d a ist i m m e r „ein leiblich eusserlich ding eingefasset" - z u A d a m , zu N o a , z u A b r a h a m , z u m V o l k Israel auf der W a n d e r u n g d u r c h die W ü s t e D i e gesamte G e s c h i c h t e des A l t e n Bundes ist in all ihrer k o n k r e t e n Mannigfaltigkeit für L u t h e r eine einzige lange G e s c h i c h t e v o n Christus, besteht aus einer Reihe v o n Personen, U m s t ä n den, Ereignissen, Sitten u n d G e b r ä u c h e n , die v o n Christus sprechen und d e n M e n s c h e n die promissio G o t t e s a u s l e g e n " . D a s ist der große Z u s a m suae gratiae . . . " , 42, 184, 15-25 (Vöries, über 1. Mose 1535-45). - Zur Frage nach der Definition und dem prinzipiellen Sinn des Sakramentsbegriffes bei Luther, siehe u.a. E. Sommerlath, Der Sinn des Abendmahls nach Luthers Gedanken über das Abendmahl 1527-29, 1930, 101 ff., E. Roth, Sakrament nach Luther 1952, Prenter 1954, 133 ff., E. Bizer, Die Entdeckung des Sakraments durch Luther, EvTh 1957, 64-90, Althaus 1962, 297 ff., B. Werkström, Bekännelse och avlösning 1963, 62 ff. 40 E. Seeberg 1929 (Reinhold Seeberg-Festschrift), 72; ders., II 1937, 346 und Prenter !954/ I 5 3 f- Vgl. Anm. 6 oben; siehe auch die beiden Aufsätze von R. Josefson in „Ein Buch von der Kirche" 1951: „Kirche und Taufe", 361 ff. und „Lutherisches Abendmahlsverständnis", 373 ff. wo der Inkarnationsgedanke für die Darstellung grundlegend ist. 41 „Hoc testamentum Christi praefiguratum est in omnibus promissionibus dei, ab initio mundi, immo, omnes promissiones antiquae in ista nova futura in Christo promissione valuerunt, quicquid valuerunt, in eaque pependerunt", 6, 514, 1-4 (De captivitate . . . 1520). Vgl. auch den Gedanken, daß Christi Werk in verschiedener Weise sowohl vor als nach seinem zeitlichen Leben ausgeteilt wird: „Die erwerbunge ist eyn mal geschehen am creutze, Aber die austeylunge ist offt geschehen vorhyn und hernach von der wellt anfang bis ans ende . . . " , 18, 203, 34-38 (Wider die himmlischen Propheten 1525). 42 40 III, 303, 4 f. (In X V Psalmos graduum 1532-33 Hs.); 57 Hebr., 211, 16-27 (Vöries, über den Hebräerbrief 1517-18); 17 II, 130, 28-34 (Fastenpostille 1525); „Denn wo Gottes wort ist, da ist Christus. Und alle Gottes wort und verheyssungen auff Christum sich zihen . . .", ib. 132, 33-35; „Observandum autem praedpue hoc est, quod hae promissiones includunt ipsum Christum, imo aeternam vitam, etsi non de Christo, sed de Isaaco videantur loqui . . . " , 42, 654, 8-32 (Vöries, über 1. Mose 1535-45). 43 23, 261, 11-24 (Daß diese Wort Christi . . . 1527); 9, 448, 24-31, 460, 14-461, 3 2 (Pred. 1519-21 Poliander); ein sicherer, klarer und wichtiger Abschnitt in diesem Zusammenhang ist 6, 356, 20-359, 12 (Sermon von dem neuen Testament 1520), der konkret „die vielen figuren" im A.T. behandelt; siehe auch in Kirchenpostille 1522, 10 1:1, 416 ff. und 513 ff. 44 57 Hebr., 5, 10-16 (Vöries, über den Hebräerbrief 1517-18); „Daher kompts auch, das alle historien des allten testaments sso lieplich und hübsch sich auff Christum reymen . . . Alsso thun alle historien der heyligen schrifft ubir Christum, das sie seyn figur
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menhang, in den man die vielen - häufig nur als Allegorien betrachteten Aussagen über figura, signum, umbra, Bilder, exempla usw. für Christus und sein Werk zu sehen hat Die entscheidende Distinktion darf, in Luthers Sicht, nicht zwischen „sacramenta veteris legis" und „sacramenta novae legis" gemacht werden, denn „utraque aequaliter significabant". Der Gott, der jetzt „per baptismum et panem" erlöst, erlöste damals „Abel per sacrificium, Noe per arcam, Abraham per circumcisionem et alios omnes per sua s i g n a " D i e Trennungslinie verläuft vielmehr zwischen unum sacramentum und signa sacramentalia". Christus selbst ist für Luther das eigentliche Sakrament; alle sacramenta sind ein Ausdruck für Gottes inkarnatorisches Handeln, aber nur die Menschlichkeit Christi bildet das eigentliche „sacramentum incarnationis" Dieses eine sacramentum ist der Inhalt von Gottes vielfältigen sacramenta - und alle sind sie Gestaltungen der Wirksamkeit Gottes im Wort. Hier geht es darum, das für das Verständnis der communicatio idiomatum sehr wichtige Verhältnis zwischen Innerem und Äußerem, Geist und Fleisch, klar zu umreißen". Die Schwärmer meinen, „es müge da nichts geistlichs sein, wo etwas leiblich ist", und sie rufen in ihrer Torheit: „Eusserlich ding ist kein nütze" 50. Man sagt, der Glaube müsse „ein geistlichen anblick" haben und keinen nur leiblichen und äußerlichen. Aber die Menschlichkeit Christi, das Brot und das Wasser sind nur „eusserliche Dinge" und sollten demnach zu nichts nütze sein: „Ists brod zo ists brod, Ists leib so ists leib" Diese Argumentation trifft, wie wir verstehen, Luthers Theologie in ihrem eigentlichen Herzpunkt. Der Gedankengang der Schwärmer bedeutet für Luther ganz einfach eine Leugnung der Insind", IOI:I, 4 1 6 , 7 - 4 1 7 , 9 (Kirchenpostille 1 5 2 2 ) ; 1 7 II, 1 3 5 , 7 f . (Fastenpostille 1 5 2 5 ) . 45 Solche Gedankengänge und Formulierungen sind in den früheren Psalmkommentaren üblich; vgl. ferner 5 6 , 5 , 9 - 1 1 , 4 1 4 , 1 3 - 1 9 [Vöries, über den Römerbrief 1 5 x 5 — 1 6 } ; 9 , 4 6 1 , 1 3 - 1 9 (Pred. 1 5 1 9 - 2 1 Poliander); „Damit deutet und zeucht er alle solche figur und zeichen, die dem volck Israel durch Gottes wort geschehen sind, auff Christum", 1 7 II, 1 3 2 , 3 2 f . (Fastenpostille 1 5 2 5 } ; 4 0 III, 7 3 2 , 2 5 f. (Enarratio 5 3 . cap. Esaiae [15441 1 5 5 0 ) ; siehe auch frühere Hinweise hier. " 6, 5 3 2 , 4 - 1 1 ( D e captivitate . . . 1 5 2 5 ] . 17 Ib. 5 0 1 , 3 7 f. Siehe E. Kyndal, Sacramentum og Sacramenta (in: Evangelium og Sakramente, Festskrift til Κ. Ε. Skydsgaard 1 9 6 2 , 7 0 - 9 1 ) , dazu auch Sommerlath 1 9 3 0 , 3 4 f f . , R. Prenter, Ordet og Anden 1 9 5 2 , 1 2 7 - 1 4 8 , Pedersen 1 9 5 9 , 1 5 1 f. 48 5 , 1 2 9 , ι (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ) ; 9 , 4 3 9 , 3 1 - 4 4 0 , 1 2 (Pred. 1 5 1 9 - 2 1 Poliander); „Unum solum habent sacrae literae sacramentum, quod est ipse Christus Dominus", 6 , 8 6 , 7 f . (Disp. de fide infusa et acquisita 1 5 2 0 ) ; „Et omnino Christus est sacramentum nostrum a Deo nobis revelatum", ib. 9 7 , 1 8 f. So schon in dem frühen Psalmkommentar, w o die christologische Deutung eine große Rolle spielt: „Sacramentum hoc magnum est, quod angelo paranympho desponsata est filio Dei humana natura in b. Virginis persona", 3 , 1 2 8 , 2 9 f . (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) . " Siehe hierzu u.a. Gennrich 1 9 2 9 , 1 3 0 ff., Lau 1 9 3 3 , 5 7 f f . und Prenter 1 9 5 4 , 1 1 7 f f . , 2 5 4 ff. 00 2 3 , 1 9 3 , 2 8 - 3 0 , 2 6 3 , 8 - 2 5 ( D a ß diese Wort Christi . . . 1 5 2 7 ) ; 2 0 , 7 2 7 , 2 4 f . (Vöries, über den 1. Brief Joh. 1 5 2 7 ) ; 5 4 , 1 5 2 , 1 - 1 3 (Kurzes Bekenntnis . . . 1 5 4 4 ) . " 2 6 , 4 3 6 , 1 2 - 2 5 , 439i l7 ( V o m Abendmahl Christi 1 5 2 8 ) .
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karnation und eine Vernichtung der Erlösung, denn, sagt er, warum sollte „Christus fleisch" zu größerem Nutzen gereicht haben, als es leiblich gezeugt, geboren und in eine Krippe gelegt wurde, als es dies im Abendmahl oder in irgendeinem anderen sakramentalen signum tut. Leugnet man Christus in Einem, leugnet man ihn ganz und in Allem". Christus im Fleisch, als Mensch, ist zwar eine externa res, aber für den Glauben ist er auch eine res spiritualis, und ebenso verhält es sich mit allen äußeren Dingen, an die Gott sich gebunden hat". Aber das ist nach Luthers Meinung nicht so aufzufassen, als ob man zuerst bei einer Reihe konkreter leiblicher Dinge haltmachte, die dann zum Göttlichen führten; dann wären diese Dinge nur Zeichen in der Bedeutung „Hinweise", etwas, was als etwas anderes zu deuten wäre: „bedeutet", nicht „ist". Andererseits ist Luthers „hoc est" nicht als Ausdruck für eine Verwandlung oder Identifikation zu verstehen. Denn wie die Sophisten „ein wunderzeichen" zu dichten und im Abendmahl nur den Leib Christi sehen zu wollen, ist ebenso falsch wie im Einklang mit Wicliff und den Schwärmern das Göttliche abzutrennen und nur das Brot zu behalten. Luthers Standpunkt dürfte indes einen vermittelnden Typ darstellen: „Wie wol ichs mit dem Vigleph halte, das brod da bleibe, Widderrumb auch halte ich mit den Sophisten das der leib Christi da sey" Aber diese Einstellung ist keineswegs ein Zwischending, sondern vielmehr der Gegensatz zu beiden. Denn beide Parteien nehmen auf verschiedene Art eine Spaltung von Göttlichem und Menschlichem vor, entweder sieht man das Göttliche isoliert und über alles Menschliche erhaben, oder man trennt das Menschliche ab oder läßt es im Göttlichen aufgehen. Alloiosis und transsubstantiatio bilden einen gemeinsamen Gegenpol zu Luthers communicatio idiomatum. Der Grundfehler bei Zwingli und bei Rom ist nämlich derselbe wie beiNestorius undEutyches: die communicatio idiomatum wird außer Kraft gesetzt und die Einheit von Göttlichem und Menschlichem, spiritus und externa res wird entweder zur Redeweise oder zu 63
2 3 , 1 7 3 , 1 7 - 1 7 9 , 6 (Daß diese wort Christi . . . 1 5 2 7 ) ; in einer satirischen Weise will Luther hier zeigen, daß der Gedankengang der Schwärmer - nach Luthers Deutung dazu führen muß, daß alle Erzählungen aus dem irdischen Leben Jesu ohne Sinn und Nutzen sind, weil Gottes Sohn eigentlich nicht „im fleisch" dagewesen ist. „Und ob yhr solchs beweisetet [als yhr nicht thun kündet], wolt ich gerne hören, Warumb so eben Christus fleisch kein nütze sey, wenn es leiblich geessen wird, und nicht auch, wenn es leiblich empfangen wird und geborn, ynn die krippe gelegt, ynn die arm genomen, ym abendmal über tisch sitzt, am creutze henget etc. Sind doch das alles euserliche weise und brauch seines fleischs so wol, als wenn er leiblich geessen wird . . . Ists hie kein nütze, so kans dort auch kein nütze sein, Ists dort nütze, so mus hie auch nütze sein", ib. 1 7 7 , 2 5 - 3 3 ; ..O lieber Mensch, wer nicht wil gleuben den Artickel im Abendmal, wie wil er doch jmer mehr gleuben den Artickel von der Menscheit und Gottheit Christi in seiner Person? . . .", 54, 1 5 7 , 2 5 - 3 4 (Kurzes Bekenntnis . . . 1 5 4 4 ) ; 30 III, 5 5 9 , 1 5 - 5 6 0 , 30 (Sendschreiben an die zu Frankfurt a.M. 1 5 3 3 ) ; 20, 682, 1 0 - 1 5 (Vöries, über den 1. Brief Joh. 1 5 2 7 ) ; „ A u t negabitur aut confitebitur totus Christus", ib. 7 2 3 , 10 f.; „Sed Christum in uno negare est in omnibus negare", ib. 7 5 2 , 27 f. r3 ' 23, 734» 20 f. (Pred. 1 5 2 7 ] . 51 26, 4 3 9 , 2 7 - 2 9 ( V o m Abendmahl Christi 1 5 2 8 } ; vgl. die prinzipielle Untersuchung oben in Kap. I I A : 2 , 1 8 3 - 1 8 6 . 18 - Nilsson
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einer nur illusorischen Einheit, deren eine Komponente ganz einfach entfernt ist. Luthers Lehre von der communicatio idiomatum bedeutet vielmehr „beyde teil" in der Weise, daß das Menschliche seine konkrete, materielle Menschlichkeit behält, genau wie das Göttliche in seiner Integrität und Fülle bewahrt bleibt; die äußeren Dinge werden nicht verwandelt, aber mitten in dem Äußeren, Geringen und Unansehnlichen, dem alltäglich Menschlichen, findet sich das Göttliche, nicht nur als ein Gedanke, sondern in realer Weise. Genau wie Christus simul Deus et homo ist, so sind diese „eusserlichen Dinge", könnte man sagen, simul vere divina et vere humana. Denn wenn der erhöhte Christus durch seinen Heiligen Geist sein Regiment auf Erden ausübt, geschieht das stets durch solche externa signa. Er ist und regiert in seinem Reiche überall, „ym brod, welt, tod, helle, unter den teuffein". Das ganze Evangelium ist ein „eusserliche mündliche predigt" W a s nun Luther zufolge diesen gewöhnlichen, menschlichen und äußeren Dingen ihren göttlichen Charakter und ihre göttliche Bedeutimg schenkt, ist das Wort. Gott ist zwar überall, sagt Luther, „ynn einer iglichen creatur", aber es ist dem Menschen nicht gegeben, ihm überall zu begegnen. Er hat hingegen klar angegeben, „wie und w o mann yhn suchen und finden sol, nemlich das wort" Ebenso läßt sich von Christus sagen, daß er allgegenwärtig ist - auch leiblich und als Mensch: „er ist zur rechten Gotts, welchs ist nicht anders denn das er auch als ein mensch über alle ding ist, alle ding unter sich hat und drüber regirt" N u n haben, wie wir sahen, diese beiden Sätze bei Luther dieselbe Bedeutung: Gott läßt sich im Wort finden, und: Gott befindet sich pro nobis einzig in Christus. Das Göttliche ist uns Menschen nur zugänglich in carne, in der Menschwerdung des Wortes, in der humanitas Christi mit allem, was diese einschließt. Nach der Rechten Gottes, bei Luther ein Ausdruck für den allmächtigen und majestätischen Gott, kann man in der gesamten Schöpfung vergeblich suchen - wenngleich der Allgegenwärtige auch dort ist 58 - denn, betont " 30 I, 215, 32-37 (Großer Kat. 1529); „Ubi illa externa signa sunt, ne dubita certissimum patrem et filium et spiritum sanctum adesse et remissionem peccatorum . . .", 11, 54, 7-10 (Pred. 1523]; 26, 437, 4 f. [Von Abendmahl Christi 1528]. 56 19, 492, 19-26 (Sermon von dem Sakrament 1526); 19, 21g, 31-35 (Der Prophet Jona ausgelegt 1526]; 20, 521, 16-20 (Pred. 1526); eine breite Darstellung der Allgegenwart Gottes und seiner Gegenwart im Christus-Wort gibt 23, 135 f f . ( D a ß diese Wort Christi . . . 1527). Ib. 145, 5-7; „Denn er ist durch seine verklerung nicht ein ander person worden, sondern wie vorhin so auch hernach allenthalben gegenwartig", ib. 147, 31 f.; „Also auch weil Christus menscheit zur rechten Gotts ist und nu auch ynn und über allen dingen ist nach art Göttlicher rechten hand" - das ist communicatio idiomatum!, ib. 151, 25 f.; überdies an vielen Stellen in den Abendmahlsschriften, u.a. 26, 326-345 ( V o m Abendmahl Christi 1528). V o n der Ubiquität, siehe in der zahlreichen Literatur Gennrich 1929, 140 ff., Graß 1940, 50 f f . , Metzke 1948, 41 f f . , V a j t a 1952, 157 f f . , Prenter 1954, 266 f f . und Peters i960, 68 f f . 58 Über den Unterschied zwischen Allgegenwart und Pantheismus, siehe Gennrich 1929, 13 und Graß 1940, 55 f .
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Luther: „sie ist dir nicht da". Christus ist genau wie Gott an und für sich überall, aber das ist für den Menschen ziemlich unwesentlich, da er ihn nicht finden kann. Man muß daher unterscheiden zwischen Christi allgemeiner Ubiquität und der Realpräsenz, die durch das Wort bedingt ist, oder, wie Luther sagt: „wenn Gott da ist" und „wenn Gott dir da ist". Das wird sogleich ausgelegt: „Denn aber ist er dir da, wenn er sein wort dazu thut und bindet sich damit an und spricht: Hie soltu mich finden" Wo das Wort in seinen menschlichen Gestalten zu finden ist, da ist somit Gott. Das Reich Christi hat seinen Bestand nur im Wort: „da mit regieret er durch seyne menscheyt über teuffei, sund, tod und alle ding" eo. Luther betont aber beides: „durch die menscheit" und „durchs wort'"1. Darum kann er die Kirche so beschreiben, daß er die Menge der menschlichen Einrichtungen im Dienste des Wortes betont, welche dort von Gott eingesetzt und angeordnet sind, „uns armen, schwachen, blöden menschen zu trost und gut". Denn nur so schenkt Gott das Heil: „durch leidliche, seuberliche, liebliche mittel" °2, nur so erhält der Mensch den rechten Gebrauch des Leidens Christi: „durchs wort und sacrament" °3. Der Mensch kann Gott auf andere Weise nicht finden; „hie auff erden wirstu jn nicht sehen noch erlangen mit deinen sinnen noch gedancken, Sondern wie S. Paulus sagt, wir sehen jn im tunckeln wort oder bild verhüllet, nemlich jnn dem wort und Sacramenten. Das sind gleich als seine larven oder kleid, darunter er sich verbirgt, aber gewislich ist er da gegenwertig, das er selbs wunder thut, predigt, Sacrament gibt, tröstet, sterckt und hilfft . . . Also ist beschlossen, wer beide, den Vater und Christum, nach dem er verkleret und jnn der Maiestet sitzet, sehen und ergreiffen wil, der mus jn durch wort und jnn den wercken, so er jnn der Christenheit thut durchs predig ampt und ander stende, ergreiffen . . . wiltu jn treffen, so sihe jn zuvor im wort unter der larve, so kanstu jn auch hernach sehen jnn der Maiestet" Der Ausdruck „im wort unter der larve" bedeutet somit im Wort, wie es konkret im verbum vocale, in Predigt, Absolution, Taufe und Abendmahl hervortritt. Wir werden im Folgenden eine Reihe wichtiger und interessanter Fragen zum Wort und den Sakramenten aufgreifen, um dadurch von möglichst vielen Seiten zu beleuchten, wie sich Luther Christi 69 2 3 , 1 5 1 , 1 0 - 2 5 (Daß diese Wort Christi . . . 1 5 2 7 ] ; dieser Gedanke der persönlichen Zusage bezieht sich am stärksten auf das Abendmahl und auf die Beichte, z.B. 19, 5 0 4 , 21 f f . : „ . . . dir und mir ynn Sonderheit" (Sermon von dem Sekrament 1 5 2 6 ) ; 1 5 , 486, ЗО-ЗЗ (Pred. 1 5 2 4 ) . 14, 28, 1 1 - 1 3 (Die ander Epistel S. Petri . . . 1 5 2 3 - 2 4 ) ; früher: 4, 645, 3 - 1 3 (Sermone aus den Jahren 1 5 1 4 - 2 0 ) ; „Regnum gratiae est regnum fidei, in quo Christus ut homo· regnat . . . per humanitatem", 2, 4 5 7 , 2 2 - 3 0 (In epistolam ad Galatas 1 5 1 9 ) . 01 2 3 , 269, 3 - 5 (Daß diese W o r t Christi . . . 1 5 2 7 ) . " 2 Eine solche klärende Beschreibung der Kirche gibt Luther in 50, 647, 6 - 2 1 ( V o n den Konziliis und Kirchen 1 5 3 9 ) . 63 18, 203, 28-204, 4 (Wider die himmlischen Propheten 1 5 2 5 ) ; 26, 296, 3 2 - 2 9 7 , 1 4 ( V o m Abendmahl Christi 1 5 2 8 ) und vielmals. " 45, 5 2 2 , 8 - 1 9 , 5 2 3 , 16 f . (Das X I V und X V Kap. Joh. 1 5 3 8 ) .
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Heilsgegenwart im Wort und dessen inkamatorischen Gestalten in einzelnen Punkten denkt. Zunächst wollen wir uns in diesem Zusammenhang Luthers Aussagen über „fides ex auditu" zuwenden". In Wirklichkeit drückt diese Formel das Wesentliche auch im „usus sacramenti" aus, denn, wie wir gesehen haben: gilt es, den rechten Gebrauch zu beschreiben, so muß man von der distributio und applicatio sprechen, die durch das Wort in der Predigt und den Sakramenten geschieht. Daher betont Luther am stärksten das Hören des Wortes, wenn er vom Glauben sprechen will. Glaube ist nichts anderes als ein Lauschen, ein Festhalten am Wort". Das Reich Christi ist für Luther in erster Linie „ein hör R e i c h " u n d das wichtigste Organ des Christen ist das Ohr, mit dem er das Evangelium hört und durch das er Christus in seinem Herzen Wohnung nehmen läßt Daher ist also der Glaube immer an das Handeln Gottes im Äußeren gebunden, denn da ist das Wort". W o das Wort ertönt und im Schwange ist, da ist der Glaube und das, was das Wort verheißt. Die Grundstruktur Der Ausdruck stammt aus Rom. 10, 17 (Vulgata), DB 7, 61. E. Bizers Untersuchung, Fides ex auditu, 1958 behandelt eben die Priorität des Wortes, die Entstehung des Glaubens durch das Hören des Wortes. Die Hauptthese darin ist, daß die Entwicklung der Theologie Luthers zu einer klaren „Theologie des Wortes" das Kriterium reformatorischen Christentums sei, nachdem sie wirklich zum Durchbruch gekommen war, was nach Bizer nicht früher als im Jahre 1518 geschah. Er meint auch, daß Luthers Auffassung der Gnadenmittel zu dieser Zeit ihren sakramentalen Charakter erhielt: Christus ist im Wort und Sakrament selbst gegenwärtig, um Vergebung der Sünden zu schenken (160]. " Das ist immer ein Grundgedanke bei Luther: 9, 92, 24-36 (Randbemerk, zu P. Lombardus 1510-11); „Christum . . . ex auditu tantum habemus in fide", 4, 8, 34 f. (Dictata super Psalterium 1513-16); Verbum Dei . . . solo auditu percipitur et fide creditur, quod nulla alia via пес sensu пес racione cognoscitur, ita evangelium nulla via nisi auditu suscipitur", 57 Hebr., 139, 4-16 (Vöries, über den Hebräerbrief 1517-18]; „. . . fides nihil aliud sit quam adhaesio verbi Dei", ib. 228, 17 f.; 6, 216, 34-38 (Von den guten Werken 1520]; 6, 514, 13-16 (De captivitate . . . 1520); 7, 53, 15-18 (Tractatus de libertate christiana 1520]; IOI:I, 613, 19-23 (Kirchenpostille 1522); „Vera fides quae blos henget in verbo", 27, 399, 3 f . (Pred. 1528 R.); 33, 15, 13-18, 75, 12-14 (Wochenpred. über Joh. 6-8 1530 Hs.]· - Wenn Luther den Glauben als eine „adhaesio" am Wort und seinen äußeren Gestalten beschreibt, geschieht das zutiefst weil der vom Gesetz angefochtene Mensch in einer handgreiflichen Weise Trost darin finden wird: er kann dadurch vor dem Deus nudus zu dem Deus in carne involutus fliehen. Die Sakramente müssen also, systematisch gesehen, auch in der Rechtfertigungslehre behandelt werden, bei der Darstellung von der mortificatio und vivificatio des Menschen und von Gesetz und Evangelium; siehe unten Kap. III В und C:2. " 51, I i , 29 f. (Pred. 1545 Dr.], 88 „Ideo solae aures sunt Organa Christiani hominis, quia поп ex ullius membri operibus, sed de fide iustificatur et Christianus iudicatur", 57 Hebr., 222, 7-9, siehe den ganzen Abschnitt 218-222 (Vöries, über den Hebräerbrief 1517-18); „Sihe alsso geht er [Christus] durchs Euangeli zu den oren eyn ynn deyn hertz und wonet alda durch deynen glawben, da bistu denn reyn und gerecht . . .", IOI:I, 48, 16-20 (Kirchenpostille 1522); 10 II, 23, 6-16 (Von beider Gestalt des Sakraments . . . 1522); 23, 87, 28-35 (Daß diese Wort Christi . . . 1527); 37, 202, 21-30 (Pred. 1533 R.). " „Si deus hengt dir sein wort ans wasser, brod und wein, parentes, quae omnia externa, . . . ut tua fide dran hengst, поп propter externam rem, sed verbum dei in quo fides nostra excitatur", 29, 450, 6-9 (Pred. 1529 R.). 05
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dieser Gedankengänge Luthers über das W o r t und den Glauben läßt sich durch eine charakteristische Aussage in der Kirchenpostille von 1522 beschreiben: „. . . wort und glaube tzusamen, ynn eyniss vorpunden, wie gott und mensch ynn eynem Christo ist eyn person"
70.
W o Glaube zu finden
ist, da ist das Wort in Funktion, und w o das W o r t wirkt, entsteht auch Glaube unter den Menschen". Das ist communicatio idiomatum. Dieser Gedankengang
ist außerordentlich wichtig, und wir werden ihn noch
näher erörtern, wenn wir unten Luthers Rechtfertigungslehre behandeln. Äußerliche Dinge haben an und für sich keine göttliche Wirkung, aber mit dem Wort sind diese menschlichen Dinge auch göttlich durch die communicatio idiomatum. W e n n G o t t „het gesteckt verbum suum in ein strohalm", so wäre darin das Heil zu finden, nicht des Strohhalmes wegen, sondern durch den Glauben an das W o r t " . D a ß nicht ein jedes beliebiges äußeres Ding diese göttliche Wirkung besitzt, beruht daher auf dem Befehl Gottes, auf Jesu Einsetzungen und Verheißungen. Das Wasser, das Brot und der Wein wirken gewiß nicht an sich die Vergebung der Sünden, „sondern die Worte, die da stehen", „das W o r t Gottes, das mit und bei dem Wasser ist" D a s Sakramentszeichen erhält somit seinen Inhalt durch den Befehl die Einsetzung tionswortes
ChristiDer
Charakter dieses Wortes als eines
und
Konsekra-
hat die Forschung in erheblichem Umfang beschäftigt". Hier
kann es von Interesse sein zu versuchen, den Sinngehalt von Luthers G e IOI:I, 618, 11-14 [Kirchenpostille 1522]. So z.B.: „ubicunque est verbum Dei promittens aliquid homini, ibi necessaria est fides hominis, qui credat hanc promissionem esse veram et inplendam adeo certe et firmiter", 6, 88, 31-89, ι (Resolutio disp. de fide infusa et acquisita 1520); „Ubi enim est verbum promittentis dei, ibi necessaria est fides acceptantis hominis . . . " , 6, 514, 13-16 [De captivitate . . . 1520); „ubicunque est promissio divina, ibi requiri fidem . . . Neque enim credi potest, nisi assit promissio stabilitur, nisi credatur, ambae vero", ib. 533, 30-33; 50, 629, 36-630, 2 (Von den Konziliis und Kirchen 1539). 72 20, 387, 24-39 (Pred. 1526); 1711, 132, 16-29 (Fastenpostille 1525); 16, 211, 1-6 (Pred. über das 2. Buch Mose 1524-27 R.}; 24, 254, 5-9 (Pred. über das 1. Buch Mose 1527); 30 I, 212, 30-213, 5 (Großer Kat. 1529); 50, 648, 7-20 ( V o n den Konziliis und Kirchen 1539) und an vielen Orten. , a So nach den vierten und fünften Hauptstücken in Luthers Kleinem Katechismus; siehe auch im Großen Katechismus, 30 I, 213, 28-214, 17 und 223, 22-224, 12. 74 Eine sehr expressive Stelle gibt es in 38, 240, 1-241, 23 (Von der Winkelmesse 1533}; 39 II, 160, 6-11 (Prom. disp. von Joh. M. Scotus 1542 В.). 75 Einen guten, aber überkritischen Bericht sowohl zur Problematik wie zur Forschungslage gibt B. Ahlberg, Laurentius Petris nattvardsuppfattning 1964, 146-155; siehe ferner P. Althaus, Die lutherische Abendmahlslehre in der Gegenwart 1931, 10-21, Gollwitzer 1937, 6-5З, Graß 1940, 80 ff., Vajta 1952, 182-195, Wistaff 1957, 32 ff., 154-158, J. Diestelmann, Konsekration. Luthers Abendmahlsglaube in dogmatisch-liturgischer Sicht i960, und E. Kinder, Die Bedeutung der Einsetzungsworte beim Abendmahl nach lutherischem Verständnis 1961. Hier ist nicht der Ort, in dieser großen Diskussion im einzelnen Stellung zu nehmen. Ahlberg stellt fest, „daß es bisher niemand gelungen ist, ein einwandfreies Bild von Luthers Auffassung der Konsekration zu zeichnen", und er vermißt überhaupt einen klaren Blick für die Frage, was Konsekration ist (152]. Mit Rücksicht auf vor allem Graß und Vajta wie auch auf die wertvollen Beiträge von Wisleff und Kinder dürfte das eine Übertreibung sein, wenn auch die Problembehandlung bei diesen distinkter sein könnte. 70 71
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dankengang über den Unterschied zwischen „heisselwort" und „thettelwort" festzustellen". Er lehnt diese Distinktion Zwingiis aufs bestimmteste ab und unterstreicht, das „thettelwort", das Konsekrationswort „ist", sei „ynn heisselwort eingeleibet und gefasset", d.h. Gottes befehlendes Wort („heissen") ist eo ipso auch ein schöpferisches Wort". Es ist nicht nur ein Wort der Verheißung oder ein Wort, das den Menschen zu einer bestimmten Handlungsweise mahnt („Nemet, esset"), es ist für Luther vor allem „ein machtwort, das da schaffet was es lautet" Luther betont hier die Parallele zwischen dem Schöpferwort Gottes in Gen. ι und Christi Wort „Das ist mein leib". Das Handeln Gottes im Wort ist immer inkarnatorisch: das Wort nimmt Gestalt an, denn „was er nennet, das stehet so balde da" 7°. Daher ist auch Christi Leib und Blut im Brot und im Wein. Es ist interessant zu bemerken, wie Luther die Worte im Abendmahl, wo der Leib Christi „durchs wort da ist", mit den Worten des Engels Gabriel zu Maria vergleicht, durch die Christus „yn yhren leib" kam80. Es gibt Aussagen über die Bedeutung des Konsekrationswortes, die den Gedanken auf die Transsubstantiationslehre lenken: „Ibi verba faciunt panem zum Leib Christi traditum pro nobis" 8l. Gleichwohl handelt es sich für Luther nicht um eine transsubstantiatio im römischen Sinne. Das Brot ist Brot, der Wein ist Wein, und gleichwohl ist es - hoc est - Leib und Blut Christi.. Das ist eine konsequente Anwendung der communicatio idiomatum: das Wort ward Fleisch, gleichzeitig göttlich und menschlich, „beide yrdisch und hymlisch"82. Daher muß Luther auch den Versuch der Schwärmer, das „thettelwort" zum bloßen „deutelwort", „est" zu „signifi™ 26, 282, 10-292, 23 (Vom Abendmahl Christi 1528]. " Ib. 283, 266-284, !< siehe die Literatur oben Anm. 75 und Sommerlath 1930, 111-114 und Pedersen 1959, 174 f. 78 26, 282, 10-25, 283. 1-6· Ib. 284, 1-4, 18-22; 23, 233, 1-35 (Daß diese Wort Christi . . . 1527]. "" 19, 490, 24-491, 14 [Sermon von dem Sakrament 1526]. 81 3° I; 53> 2 3 f· [Kat. pred. 1528 R.); die Stelle wird zitiert u.a. von Graß, Vajta, Wisleff und Sommerlath, der vorsichtig hinzufügt: „wenn die Überlieferung genau ist" (1930, 1 1 3 f.); „prolatis verbis [hoc est corpus meum) fieret ex pane corpus Christi", 39 I, 167, 13 f. (Disp. contra missam privatam 1536 Α . ) . Vgl. auch Luthers Wortwahl in De abroganda 1521: mutare, machen (8, 435, 1 f., 509, 37-39) und in „Von der Winkelmesse" 1533: consecrire, wandeln, schaffen (38, 210, 2 5 - 3 1 , 240, 8 f., 248, 28 f . ] . 82 23, 233, 1 2 - 1 7 (Daß diese Wort Christi . . . 1527) - im Anschluß an Irenaus; „. . . und darff hie nicht einiger transsubstantiation odder verwandelung des brods ynn seinen leib", ib. 145, 16-18; „also ist er auch ym sacrament zu gleich, da brod und wein ist, und doch brod und wein fur sich selbs bleiben unverwandelt und unverendert", 26, 329, 24-26 (Vom Abendmahl Christi 1528); 50, 243, 1-11 (Schmalk. Art. 1538). - Hier ist zu beachten, daß Luther schon in De captivitate 1520 die inkarnatorische Parallele zwischen Christus und dem Abendmahl zieht und eine klare communicatio-Auffassung zum Ausdruck bringt, 6, 508-512; das geht u.a. daraus hervor, daß er das im Communicatiozusammenhang übliche Bild von dem mit dem Feuer vereinigten glühenden Eisen gebraucht, 510, 4-9; „Sicut ergo in Christo res se habet, ita et in sacramento. Non enim ad corporalem inhabitationem divinitatis necesse est transsubstanciari humanam naturam, ut divinitas sub accidentibus humanae naturae teneatur. Sed integra utraque natura vere dicitur 'Hie homo est deus, hie deus est homo'. Quod et si philosophia non capit, fides tarnen capit. Ita in sacramento ut verum corpus verusque sanguis sit, non est
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cat", zu machen, mit Strenge ablehnen". Leugnet man die reale Gegenwart Christi in den Elementen des Abendmahls - durch das W o r t - so muß die Menschwerdung des Wortes überhaupt geleugnet werden, und damit hat man Luthers Auffassung zufolge den Inkarnations- und Schöpfungsgedanken aus seiner Theologie gestrichen. Wir verstehen daraus auch, warum es Luther so sehr am Herzen lag, ständig dem Irrtum der Schwärmer entgegenzutreten. Die verba institutionis sind somit nach Luther einmal das Verheißungswort, das Wort, das davon spricht, was die Verheißung bedeutet, zum anderen das schöpferische Inkarnationswort, das das schenkt, wovon es spricht, das in den Elementen des Abendmahls dem Menschen, der sie entgegennimmt, Christi Leib und Blut reicht. Im Vertrauen auf dieses Wort und diese Verheißung - und dabei braucht der Glaube nur an äußeren, greifbaren Zeichen festzuhalten, die das W o r t nennt und an die Gott sich gebunden hat - erhält er von dem persönlich gegenwärtigen Christus die Vergebung der Sünden und ein ewiges Leben. Hier ist beides wichtig. Nur das „heisselwort" z u betonen, den Befehl zu einem bestimmten Handeln, die Verheißung und Austeilung, kann ein spiritualistisches Psychologisieren, ein doketisches Verflüchtigen der Gegenwart Christi zur Folge haben". Sich jedoch einseitig bei der substanzmässig gefaßten Gegenwart in den Elementen aufzuhalten, kann zu unnützen Spekulationen abseits des rechten „usus rei" führen. Es ist deshalb für Luther entscheidend, die Abendmahlshandlung als ein Ganzes zu sehen. „Hoc est" und „pro nobis", die Konsekration und die Austeilung, gehören zusammen", genau wie Person und W e r k Christi von sowohl substantiellen wie energetischen Aspekten in einer einheitlichen Sicht gesehen werden können. A u c h hier prägt die communicatio idiomatum Luthers Denken. Also: wenn Menschen sich versammeln und der Einsetzung Christi gemäß das Abendmahl feiern, tun sie von ihm befohlene W e r k e und sprechen von ihm gegebene W o r t e aus. Durch diese menschliche Aktivität und diese menschlichen Worte und äußeren Dinge führt Gott sein Heilswerk aus. Dabei ist Christus mit seinem Leib und Blut durch das W o r t im Brot und necesse, panem et vinum transsubstantiari, ut Christus sub accidentibus teneatur, sed utroque simul manente, vere dicitur 'hic panis est corpus meum, hoc vinum est sanguis meus', et econtra", 511, 34-512, 2. Eine Hauptstelle für diesen Gedanken der unio sacramentalis ist 26, 442, 8-445, 17 [ V o m Abendmahl Christi 1528]. Hinsichtlich Luthers Auffassung des Sakramentswortes vor den Schwärmerstreitigkeiten siehe Prenter 1954, 107-175, Pedersen 1959, 158-164 und Kyndal 1962, 81-86. " 26, 283, 8-14 [ V o m Abendmahl Christi 1528). 84 Siehe Sommerlath 1930, 19 f . und Gollwitzer 1937, 35 f . mit seiner Kritik an Althaus wegen dessen vermeintlich einseitigen Unterstreichens der Handlung für das Verständnis der Realpräsenz; diese Kritik zum Teil schon bei P. W . Gennrich, Was bedeutet das Abendmahl für die Gegenwart?, EvTh 1935, 437 f. 85 V a j t a 1952, 185, Anm. 94 und 95, und 188, Anm. 99 und die von ihm dort nachgewiesene Doppelheit von „mutat et dat", „macht und gibt", „wandelt odder gibt". Wenn er „die funktionelle Deutung der Konsekration" (kurs. hier) betont, kann ein solches Hervorheben - wenn es bei V a j t a auch nicht diese Konsequenz hat - zu einer Einseitigkeit in der eben angedeuteten Richtung führen.
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W e i n real gegenwärtig und teilt seine G a b e n aus, welche die Menschen im Vertrauen auf das W o r t und die äußeren Zeichen dieses W o r t e s empfangen: „ W e n n wir zu samen komen und seine wort über brod und wein sprechen, so sol es sein leib und blut sein, D a s wir hie auch nicht mehr thun denn reichen und geben brod und wein mit seinen worten nach seinem befelh und einsetzung" Durch das W o r t ist Christus persönlich und real im Abendmahl. Die Realpräsenz Christi, die eigentlich das Hauptthema dieses Abschnittes ist - sie ist ja die systematische Hauptkonsequenz der Himmelfahrt und V o r aussetzung für einen rechten usus facti - ist in der Literatur vielseitig behandelt w o r d e n " . Eine der am heftigsten umstrittenen Fragen war, wie man die Gegenwart Christi beschreiben soll, ob man die Person Christi als Ganzes betonen soll oder stärker die reale und konkrete G e g e n w a r t seines Leibes und Blutes unterstreichen, totus oder partim. Bei Luther läßt sich an und für sich f ü r beide Gesichtspunkte eine Stütze finden 6 8 . E s ist indes8e
38, 240, 5-8 (Von der Winkelmesse 1533) - Die Frage der Bedeutung des Sakraments „extra usum" hat in diesem Zusammenhang eine gewisse Relevanz. Die unio sacramentalis und die Realpräsenz sind zwar unbestreitbar und dürfen, wie wir gesehen haben, nicht durch ein einseitiges Betonen des Austeilens, der Funktion, verflüchtigt werden. Andererseits aber darf „usus" nicht mit „sumptio" identifiziert werden in dem Sinne, daß die Bedeutung der Realpräsenz allein an das Essen geknüpft wird. „Usus" ist die ganze Abendmahlshandlung, die Bereitung durch das Wort, die Danksagung, das Austeilen und das Empfangen. Von einer Gegenwart Christi in den Elementen außerhalb dieses Geschehens zu sprechen hieße, die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi vom Wort loszureißen, das Interesse auf eine substantielle Veränderung zu richten, die audi „extra actionem sacramentalem" in der Anbetung der Hostie usw. zu beachten wäre. Von etwas derartigem spricht Luther auch nicht. Zugespitzte Aussagen Luthers, die in eine andere Richtung zu weisen scheinen, dürften sich dadurch erklären lassen, daß sie in einer polemischen Situation entstanden, um Nachlässigkeit, Verachtung und ratio nalistischen, Luthers Grundanschauung fremden Erwägungen entgegen zu treten; derartige Aussagen beziehen sich daher auf die praktische Gottesdienstausübung - jedenfalls bedeuten sie keine veränderte theologische Stellungnahme von Luthers Seite (vgl. Wislaff 1957, 155, Anm. 9). Für ihn konzentriert sich alles auf den rechten usus facti, den Gebrauch des Golgathageschehens, das im Wort ausgeteilt wird. Die unio sacramentalis - und das ist hier ein wichtiges theologisches observandum - hat auch nicht den bleibenden Charakter, den die unio personalis der Naturen Christi hat. Siehe hierzu auch Graß 1940, 107 f f . 87 Die ausführlichste und am stärksten nuancierte Darstellung gibt A. Peters in seinem Buch „Realpräsenz" i960; dort findet sich auch eine breite Forschungsübersicht, 9-45. 88 Einerseits: „Summa summarum: ubi video Christum, video integrum, wo ich yhn ergreiffe, ist er gantz in baptismo, sacramento . . . " , 20, 541, n - 1 3 (Pred. 1526 R.); „Nam in una specie totum Christum accipi dixi", 7, 609, 2 (Responsio ad articulos ex Babylonica captivitate 1521]. Andererseits: „das ist ein artickel des glaubens, das in dem naturlichen brot und weyn warhafftig naturlich fleisch und blut Christi sey . ..", 6, 456, 37 f. (An den christl. Adel 1520]; 17 I, 174, 14-16 (Pred. 1525 R.); „Denn Paulus hie nicht die person Christi, sondern den leib und blut Christi als stücke der person anzeucht", 26, 485, 7 f. (Vom Abendmahl Christi 1528]; das letztere wird besonders von Sommerlath, Gollwitzer, Sasse, Prenter und P. Schempp, Das Abendmahl bei Luther, EvTh 1935, 284 ff., betont. Siehe hierzu die ausgezeichnete und übersichtliche Darstellung bei Graß 1940, 45 f f . , 77 f f . , Wisleff 1957, 165-169, E. Kinder, Die Gegenwart Christi im Abendmahl (in: Gegenwart Christi . . . 1959, 33-65] und Peters i960, 105-113.
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sen offenbar, daß er im Grunde keinen Gegensatz zwischen diesen beiden Arten von Aussagen sieht80. Christi Fleisch und Blut läßt sich nicht von totus Christus trennen 90 . Einmal hebt Luther die substanzmäßige Gegenwart des Leibes und Blutes Christi hervor, und zwar geschieht das von einer Exegese der Einsetzungsworte her und in deutlichem Gegensatz zu einer reformierten, rationalistisch spiritualisierenden Vorstellung, und zum andern unterstreicht er eine personale Betrachtungsweise, die ihren Ausgangspunkt in der Christologie hat, deshalb aber keineswegs eine antispiritualistische, sakramentale Auffassung der Realpräsenz ausschließt. Die Anwendung von substantiellen Kategorien soll um keinen Preis bestritten oder bagatellisiert werden, doch hat man sie andererseits in ihrem rechten und vollständigen Zusammenhang zu sehen. Hier haben wir es im Grunde mit einer Parallele zu Luthers Verständnis der Einsetzungsworte zu tun, der darstellende und reale Effekt der Konsekration dürfen nicht in den Schatten treten. Wieder bietet der Gedanke der communicatio idiomatum eine Hilfe. Dieser besagt ja doch einmal, daß das Brot und der Wein ohne Verwandlung oder Vermischung im Abendmahl aufgrund des Wortes, das hinzutritt, Leib und Blut Christi sind, und zum anderen, daß wo Christus in seinem Fleisch und Blut ist, er auch in seiner ganzen göttlichen Person ist - und zwar zufolge eines üblichen communicatio-Argumentes: „die fleisch ist nicht blos ledig fleisch, Sondern durchgöttert fleisch undt wer das fleisch trifft, det trifft gott". Inkarnation und Realpräsenz gehören zusammen". Diese Zusammenschau von totus Christus und seinem Leib und Blut im Brot und Wein des Abendmahls bildet den Inhalt von Luthers wichtigen Gedankengängen über die „praedicatio identica" in seiner großen Abendmahlsschrift" 2 . Dort tritt die communicatio idiomatum auch in rein definitionsmäßigenFormulierungen hervor. Luther bedient sich einer sprachlichen Finesse, die von alters her „Synekdoche" genannt wurde, „solche weise zu reden von unterschiedlichem wesen als von einerley", daß „eins das ander 80 Siehe u.a.: „Denn ich muss yhe bekennen, das Christus da sey, wenn seyn leyb und blutt da ist . . . Und er von seynem leyb und blutt nicht gescheyden ist", 11, 447, 9-11 (Von Anbeten des Sakraments 1523]; „pro te traditum corpus, pro te effusus sanguis, imo totus Christus tibi exhibetur", 17 I, 176, 13 f. (Pred. 1525 R.]; „Denn er lesset sich nicht stucklich zu teilen und wird doch gentzlich ausgebreitet ynn alle glewbigen", 19, 489, 81-20 [Sermon von dem Sakrament 1526). So hat man auch die Doppelheit zu verstehen, wenn Luther sagt, daß Christus zugleich „der koch, keiner, speise und tranck" ist, zugleich der Austeilende und der Ausgeteilte: totus Christus, 23, 271, 9-11 (Daß diese Wort Christi . . . 1527). Vgl. wie Luther zwischen „er" und „es" als Bezeichnung des Subjektes der Realpräsenz wechselt, eine Tatsache worauf Wisloff aufmerksam macht, 1957, 168, Anm. 76. 81 33» r94> 21-24 (Wochenpred. über Joh. 6-8 1531 Hs.} und an vielen anderen Stellen; „Es ist Gott ynn diesem fleisch, Ein Gottsfleisch", 23, 243, 35 f. (Daß diese Wort Christi . . . 1527). 82 26, 437-445 (Vom Abendmahl Christi 1528]; „Praedicatio identica de diuersis naturis, das ist, das zweyerley unterschiedliche natur solten ein ding sein", ib. 439, 1 f. Siehe Metzke 1948, 36-38 und Peters i960, 89-91.
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gesprochen werden"".So z.B. spricht man vom Geldbeutel und meint auch das Geld, oder von Becher und Glas, und versteht darunter ganz selbstverständlich auch den Wein, das Wasser oder Bier. Diese Ausdrucksweise ermöglicht die wohlbekannte communicatio-Argumentation: wer das Brot sieht und ißt, der sieht und ißt den Leib Christi, und wer auf den Menschen Jesus zeigt, trifft damit den Sohn Gottes' 4 . Der Nachdruck ruht hierbei primär auf dem grundlegenden communicatio-Verhältnis von Brot und Leib, Wein und Blut. Das zu zeigen, darauf richtet sich Luthers ganzes Interesse, aber nichts deutet darauf hin, daß er irgendeine Schwierigkeit darin sieht, damit den Gedanken an die totale Gegenwart der Person Christi zu verknüpfen. Er benutzt vielmehr Formulierungen, die zu einer Ganzheitsauffassung führen, wenn er z.B. vom Teil zum Ganzen argumentiert: wer einen Königssohn in die Hand gestochen hat, sagt, er habe den Königssohn verletzt, auch wenn das eigentlich nur dessen Hand betrifft". An anderen Stellen in dieser Abendmahlsschrift kann Luther auch ohne zu überlegen zwei Aussagen nebeneinander stellen, daß nämlich „Christus leib mit Gott eine person ist", und daß „ein mensch mit Gott eine person ist" Es dürfte kein übereilter Schluß sein zu behaupten: für Luther ist Christus im Abendmahl gegenwärtig, gleichzeitig persönlich und ganz, real und in Fleisch und Blut, und dort und so teilt er sich selbst im Brot und im Wein aus. Durch das W o r t " ist Christus mit seiner Versöhnung auch in der Taufe gegenwärtig. Diese Gegenwart ist auch dort nicht als etwas neben dem äußeren Zeichen Vorhandenes gedacht. Auf das für das Abendmahl Charakteristische kommt Luther bei der Beschreibung der Taufe zurück": " 26, 444, ι f f . , 441, 36 f f . ; vgl. 26, 322, 23-323, 12 ( D r . ) , im Zusammenhang mit einer eingehenden Kritik der Allöosislehre Zwingiis. 26, 442, 29-34, 443, 12-444, 12. Der sprachlichen Figur „Synekdoche" gegenüber ist Luther zuweilen skeptisch, wenn sie nämlich, anstatt die communicatio idiomatum zum Ausdruck zu bringen, gleichbedeutend mit dem Allöosisgedanken wird. Denn wenn diese Figur nur als eine tropologische Redeweise verwendet wird, so daß der reale Sinn der Worte verdunkelt wird und die eine Reihe in Brot-Leib, Wein-Blut, Mensch-Gott nur signifikative, übertragene Bedeutung bekommt, muß sie verworfen werden: 26, 325, 33-326, 28 ( D r . ) . Siehe hierzu auch Ebeling 1942, 337 f f . " 26, 444, 12-20; auch hier findet man das Gleichnis vom glühenden Eisen als Ausdruck f ü r die Einheit und Ganzheit; so auch in 11, 437, 2 - 1 1 ( V o m Anbeten des Sakraments . . . 1523); „. . . das man der gantzen Person zueignet, was nur einem Stück derselben Person zugehöret . . .", 45, 300, 27-37 (Pred. 1537 D r . ) - einer bekannten Communicatiostelle entnommen, vgl. oben I I C : 1, 238-241; 54, 144, 32-145, 26 ( K u r z e s Bekenntnis vom heiligen Sakrament 1544). 89 26, 334, 26-335, 28. " „Durch das W o r t " - eine immer wiederkehrende Formel - wird die Gegenwart Christi gewirkt. Ahlberg 1964, 153, fragt nach einer Erläuterung dafür, was diese Ausdrucksweise f ü r Luther bedeutet. Die Frage ist aber, ob die unzähligen Auslegungen vom Abendmahl nicht als Versuche, diese Sache zu klären, z u betrachten sind, denn damit hängt ja Luthers Auffassung von Konsekration, Realpräsenz usw. zusammen; diese A b handlung kann im großen und ganzen als eine außerordentlich komplexe A n t w o r t auf die Frage nach dem Handeln Gottes durch das Wort angesehen werden. " Siehe vor allem die Auslegung in D e captivitate 1520, 6, 526-543 und im G r o ß e n Katechismus 1529, 30 I, 212-222. Über Luthers A u f f a s s u n g der T a u f e können wir uns
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verbum, d.h. einmal praeceptum, Christi Befehl, und zum anderen promissio, die Heilsverheißung an den, der glaubt und getauft wird", und signum, das Wasser, „daran der glaube hafftet und gebunden ist". Dieses äußere Ding „sol und mus eusserlich sein", denn auf eine andere Weise kann der Mensch die Gaben Gottes nicht ergreifen. „Also hanget nu der glaube am wasser" \ Aber, wenden die Schwärmer häufig ein, Wasser ist Wasser: „Was solt ein handvol wassers der seelen helffen?" Da hat man die Regel: „aqua cum verbo" vergessen. Ohne das Wort ist das Wasser nur Badewasser, „ein blos schlecht wasser", aber „ynn Gottes wort und gepot gefasset" ist das Wasser „ein Götlich, hymlisch, heilig und selig wasser" 2. Das Zeichen bleibt Zeichen, und darin ist Christus real gegenwärtig 3. Da erhält der Mensch Leben und Seligkeit, nicht um des Wassers willen, sondern weil ihm die Gabe Gottes im Wasser auf eine konkrete und „verleibete" Weise mit dem Wort gereicht wird4. Daher betont Luther immer hier kurz fassen; siehe u.a. Josefson 1944, P. Brunner, Die evangelisch-lutherische Lehre von der T a u f e 1951, W . Jetter, Die T a u f e beim jungen Luther 1954, K . Brinkel, Die Lehre Luthers von der fides infantium bei der Kindertaufe 1958 und Althaus 1962, 303 f f 89 „Die T a u f f e teilen wir im drey unterschiedliche stuck, welche sind Wasser, W o r t und Gottes befelh odder Ordnung", 37, 630, 17 f. (Pred. 1534 Dr.]; ib. 262, 10-12 ( R . ) . 1 30 I, 215, 26-36 ( G r o ß e r K a t . 1529]. Der Glaube muß sich also hier wie stets an etwas Äußeres, Menschliches und Sichtbares heften, aber nicht der Glaube oder der Unglaube ist das f ü r das Sakrament als solches Entscheidende - in Hinsicht auf die T a u f e ebenso wenig w i e auf das Abendmahl: „Baptismus sol nicht rügen a u f f meinen fidem, sed econtra mea fides auff der baptismo, qui est grund, darauff ich sthe . . . " , 37, 279, 23-25 [Pred. 1534 R.); „usum baptismi amisi, sed manet baptismus", 46, 171, 23-25 (Pred. 1538 R . ) . Belege f ü r diesen wichtigen Gedankengang, der immer dem Prinzip: „Abusus non tollit, sed confirmat substantiam", 301, 219, 36 ( G r o ß e r Kat. 1529) folgt, kann man auf vielen Seiten in Luthers W e r k , besonders in seiner Polemik gegen die Schwärmer, finden. 2 301, 213, 28-214, и ; „Derhalben vermane ich abermal, das man bey leib die zwey, w o r t und wasser, nicht voneinander scheiden und trennen lasse. Denn w o man das wort davon sondert, so ists nicht ander wasser denn damit die magd kochet, und mag w o l ein bader T a u f f e heissen", ib. 214, 34-37; 36, 409, 1-27 (Pred. 1532 R . ) - in einem großen christologischen und inkarnatorischen Zusammenhang; 37, 176, 31 f . (Pred. 1533 R . ) ; 37, 260, 14 f . (Pred. 1534 R . ) ; 46, 299, 24 f . (Pred. 1538 R . ) . 3 „Idem est hic in baptismo per suum sanguinem, mortem, leben, ut non sit hic metaphysice, materialiter, sed effective et praesentialiter", 37, 272, 27-29 (Pred. 1534 R . ) ; Luther erwähnt o f t die ganze Dreieinigkeit: ib. 633, 15-18 ( D r . ) ; „Sic stick im baptismum totam Trinitatem et praecipue Christum cum suo sanguine", 46, 176, 8 f . (Pred. 1538 R . ) ; siehe auch die folgende A n m . 4 „Also hanget nu der glaube am wasser und gleubt das die T a u f f e sey, daryn eitel Seligkeit und leben ist, nicht durchs wasser (wie gnug gesagt) sondern dadurch, das mit Gottes w o r t und Ordnung verleibet ist und sein name daryn klebet", 30 I, 215, 26-29. Das f ü r Luthers A u f f a s s u n g der commnicatio idiomatum typische Bild von einem glühenden Eisenstück, das zwar zwei Bestandteile hat, Eisen und Feuer, aber doch unteilbar einheitlich ist, taucht zuweilen auch bei der Beschreibung der T a u f e auf. Hier eine beredte Stelle, die vollständig zitiert werden soll: „ C u m in aqua est nomen dei vel mit im verbunden und ein ding draus werden. Tantum est: Ich pater, Ich filius, Ich spiritus sanctus do hanc aquam, Non ideo est aqua simplex, sed ein durchgottet wasser, quia nomen et ipse non weit von einander. Ideo non aqualis aquae, sed divina, celestis, in qua deitas ipsa est ... ein wasser, quae mit Gottes namen gemenget. U t ein furig eisen, Si videtur dir ein
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wieder, daß die Taufe ein „Gottes eigen werck" ist, wenngleich durch menschliche Werkzeuge. Ein Mensch ist es, der in gewöhnlichem natürlichen Wasser tauft - und gleichwohl ist es Gott oder Christus, der mit einem göttlichen Wasser tauft 5 . Christi Heilsgegenwart kann Luther zuweilen auf drastische A r t bezeichnen, indem er die Taufe als „ein badt auss Jesus Christus bluth gemacht", „eine heilsame Bluttauffe oder Blutbad" bezeichnet. Wenn man in Wasser getauft wird, ist es, als würde man in Christi Blut getauft, denn im Blut wird man zur Vergebung der Sünden getauft, und diese Vergebung schenkt Christus selbst durch seinen Heiligen Geist dem, der getauft wird". Luthers Beschreibung der Taufe ist durchweg eine Darstellung des Verhältnisses von Göttlichem und Menschlichem, Werk des Geistes und äußerem Zeichen, und in allen Punkten scheint die communicatio idiomatum durch. Das Wort kommt aufs Neue und wohnt unter uns in diesen äußerlichen Dingen. Luther kann also in gewissem Sinne einstimmen in die Parole der Schwärmer: ,/leysch ist nichts nütze", denn auch für ihn hat dieses Äußere allein keinerlei Nutzen, andererseits liegt das ganze Heil im Äußeren: „Sine externa re nulla salus contingit" T - so wie Luther sagen konnte: „Extra Christum non est salus", „Ausser der Menschheit Christi soll man keine Gnad oder Vergebung der Sünden suchen" W e n n das Wort hinzutritt, sind Gott und seine Vergebung da inmitten des Äußeren, im Zeichen, caro und humanitas - aufgrund der communicatio idiomatum. U m des Wortes willen kann man daher „hundert tausent Teuffei sampt allen Schwerinern" trotzen, da ein solcher Haufe doch nicht so klug ist wie „die Göttliche Maiestet ym kleinsten fingerlein" *. Wie Gott durch die communicatio idiomatum zum Heil der Menschen im Menschen Jesus handelt, ohne daß man Gott und Mensch voneinander trennen kann, so wirkt er jetzt durch das W o r t in der Predigt und den Sakramenten mit Hilfe menschlicher Ordnungen und Ämter in einem einheitlichen Handeln. Man kann deshalb nicht Göttliches und Menschliches gluend eisen, dicis tantum ignem, quia non videtur dir, Et tarnen est mher feur quam eisen. So gangen in einander, das man des eisen vergisst und spurt nur feur. Sic in baptismo das u/asser ist durch Gottet, mit Gottes namen durchnamet", 37, 264, 24-34 (Pred. 1534 Dr.); ib. 642, 22-34. 5 30 I, 213, 12-17 [Großer Kat. 1529); 6, 530, 2-25 (De captivitate . . . 1520); „Quando tum baptiso te, deus baptisat te", 37, 177, 18 f. (Pred. 1533 R.); 46, 168, 23 f. (Pred. 1538 R.); 46, 687, 12 f. (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1537 Dr.). ' 33, 538, 19-22 (Wochenpred. über Joh. 6-8 1531 Hs.); 21, 285, 34-287, 26 (Crucigers Sommerpostille); „Und wird also das Blut Christi krefftiglich in die wasser T a u f f e gemenget, das man sie nu also nicht sol ansehen noch halten fur schlecht lauter wasser, sondern als schon geferbet und durch rötet mit dem tewren rosenfarben Blut des lieben Heilands Christi", ib. 286, 12-16; 20, 782, 1-19 (Vöries, über den 1. Brief Joh. 1527 R.); 35, 469, 1 - 5 (Luthers Lieder); 49, 132, 1-6 (Pred. 1540 Dr.). 7 „Sacramentarii: Nulla externa res prodest ad salutem, Imo tu inverte et die: Sine externa re nulla salus contingit", 25, 157, 23-25 (Vöries, über Jesaia, Schol. 1532-34). 8 TR VI, 86, ι f . (Aurifaber). ' 30 I, 224, 1-4 (Großer Kat. 1529); „Ist das wort da, so hastu genug, denn es ist die ewige warheit und Gott selbs", 24, 254, 12 f. (Pred. über das 1. Buch Mose 1527).
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identifizieren oder Gott an diese äußeren Dinge binden, aber man kann auch das äußere geistliche Regiment nicht vom Werk des Geistes trennen. Für uns Menschen ist Gottes Heilsgegenwart nur im Menschen Jesus und in menschlichen Dingen zur Stelle. Es ist eine freudige Gewißheit für den Glauben, daß „die gantz Kirch voll ist vorgebung der sund" 10 gerade in dieser Menschlichkeit und durch sie. 2. ,JLeypliche Christenheit" und comtnunio sanctorum Nach dieser prinzipiell wichtigen Untersuchung der Sakramente, des Wortes, der „eusserlichen Dinge", des Göttlichen und Menschlichen und der communicatio idiomatum in einem für Luthers Theologie charakteristischen Zusammenhang - systematisch von Bedeutung für unsere Aufgabe im allgemeinen und für dieses Kapitel über das Evangelium und die Kirche im Besonderen - ist es nun eine unausweichliche Aufgabe, von den gewonnenen Resultaten her einen Versuch zu unternehmen, Luthers Kirchenverständnis darzustellen. Der vorausgehende Abschnitt hatte zwei Brennpunkte, die auch in hohem Maße für das Verständnis der Ekklesiologie relevant sind: 1. Die Grundvoraussetzung für die Kirche, für das Faktum, daß es überhaupt eine Kirche gibt, ist die Himmelfahrt Christi, durch die er nun als der auferstandene Herr in seiner Kirche wirkt und durch den Heiligen Geist Menschen an seinem Versöhnungswerk teilhaben läßt; 2. Christi Gegenwart in der Kirche ist - pro nobis - immer eine sakramentale Gegenwart im Wort, eine Inkarnation des Wortes in äußeren Worten und Zeichen, in denen er verborgen in menschlichen Dingen und Anordnungen real und ganz zu Heil oder Gericht gegenwärtig ist 1 . Will man Luthers Auffassung von der Kirche formulieren, muß man sein Augenmerk auf zwei Definitionen richten, die nicht selten gleichzeitig vorkommen. Sie führen nicht zu zwei verschiedenen Kirchenbegriffen, sondern unterscheiden nur zwei Seiten der Kirche und sind daher beide unentbehrlich, wenn man verstehen will, was Luther mit Kirche meint. In „Von dem Papstthum zu Rom" 1520 spricht er von den „zwo kirchen" und will damit andeuten, daß man „die Christenheyt" einerseits als „eyn vorsamlunge aller Christgleubigen" „ein geistlich vorsamlung der seelen" beschreiben kann, andererseits aber auch als „einn vorsamlung in ein hauss", „ein leypliche, euszerlich Christenheit" 2. Luther erklärt sogleich in diesem 10 1
2, 7 2 2 , 25 (Sermon von dem Sakrament der Buße 1 5 1 9 ) .
„Ich habe also geleret und lere noch also: Das Christus fleisch nicht allein kein nütz, sondern auch g i f f t und der tod sey, so es on glauben und wort wird geessen", 26, 3 5 3 , 2 7 - 2 9 [ V o m Abendmahl Christi 1 5 2 8 ] . Dieser Gedanke der Gegenwart Christi auch beim Gericht und Tod, d.h. die Lehre von der manducatio indignorum et fidelium, manducatio oralis ist häufig in Luthers Schrifttum ausgesprochen. Ein „leiblich essen" geschieht ohne Glauben und ist unbedingt gefährlich, ein „geistlich essen" geschieht mit Glauben und schenkt Seligkeit. Dadurch hat Luther die Erlösung nicht vom Glauben abhängig gemacht, vielmehr will er betonen, daß man - abgesehen vom Glauben oder Unglauben des Menschen - realiter Christus im Abendmahl empfängt, man schmeckt ihn mit seinem Mund, er ist da mit seinen Gaben. 2 6, 292, 3 5 - 2 9 7 , 2 1 ; 6, 64, 1 - 2 4 (Ein Sermon von dem Bann 1 5 2 0 ) ; so schon in 1, 639, 2 - 6 (Sermo de virtute excommunicationis 1 5 1 8 ) . Siehe J. Heckel, Die zwo Kirchen (in:
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Zusammenhang, daß es sich die ganze Zeit um ein und dieselbe Kirche handelt, „nit das wir sie vonn einander scheydenn wollen", sondern genau wie man von einem Menschen sprechen kann als gleichzeitig körperlichem und seelischem Wesen, so läßt sich ein solcher Doppelaspekt auch im Hinblick auf die Kirche anlegen 5 . Im Anschluß hieran wollen wir in diesem Abschnitt Luthers zweifache Bestimmung der Kirche als „leypliche Christenheit" und als communio sanctorum, als menschliche und irdische Organisation und als eine Gemeinschaft von Christus mit den Christen, als Christi Leib, Christi Braut, Christi Volk untersuchen. Dabei kommen wir in unserem Zusammenhang auch auf die Debatte um die Sichtbarkeit, Verborgenheit und Erniedrigung der Kirche zu sprechen. Wenn Luther sagen will, w o Heil und Vergebung zu finden sind, zeigt er auf Christus, denn außer der Menschheit Christi ist keine Vergebung der Sünden, oder er verweist auf die äußeren Zeichen, die Gott gegeben hat, denn „sine externa re nulla salus" \ Dasselbe kann er auch mit den Worten der alten These ausdrücken: „Extra ecclesiam nulla salus", „ausser solcher Christenheit ist kein heyl noch Vergebung der sunden" \ So hat Christus auch die Tätigkeit der Kirche eingesetzt und geordnet, sagt Luther 1533 in einer Predigt über Jesu Macht, hier auf Erden die Sünden zu vergeben (Matth. 9,1 ff.)'. Die Vergebung der Sünden findet man in der Kirche, und sie wird verborgen, „gesteckt", in Predigt und Absolution, Taufe und Abendmahl dem einen Menschen durch den anderen dargereicht. Dann ist es auch Christus selbst, der sie darreicht, Gott ist es, der spricht und Vergebung schenkt'. Aber das geschieht nicht außerhalb der Kirche und der Zeichen, an die sich Gott dort gebunden hat: „wenn man höret remissionem peccatorum, sol man nur lauffen ad Ecclesiam Christianam, nicht ynn den himel" Luthers Regel gilt auch hier: man soll von unten anfangen, beim Äußeren und Greifbaren, denn da ist Gott. Eine Predigt über den dritten Glaubensartikel von 1523 unterstreicht den Satz: „ubi ergo est ecclesia, est remissio peccatorum", was kurz und
Im Irrgarten der Zweireichelehre 1957, 40 f f . ) ; dieses Problem ist gut behandelt auch in der Darstellung von Luthers Auffassung der Kirche, die von Cranz 1959, 116-153, vorgelegt wurde. 3 6, 297, 3-9 ( V o n dem Papstthum zu Rom 1520). * Siehe Anm. 7 und 8 im vorigen Abschnitt, 284. 1 26, 507, I i f. ( V o m Abendmahl Christi 1528]; 7, 219, 6 f., 17-21 (Eine kurze Form des Glaubens 1520]; „denn ausser der Christlichen kirchen ist keyn warheytt, keyn Christus, keyn selickeyt", IOI:I, 140, 16 f. (Kirchenpostille 1522]; 301, 190, 32 f. (Großer Kat. 1529). ' 37, 174-179 (Pred. 1533 R.]. 7 „Ideo dicet: Ego ordinavi Ecclesiam, das ist meus baptismus, Sacramentum, da sol einer den andern tauffen, sunde vergeben etc. . . . T u vero die: deus hat remissionem peccatorum gesteckt jnn die T a u f f e , auff den predigstuel, Einem iglichen Christen jnn seinen munde, quando is me consolatur, solt ichs annhemen, ac si Christus ipse e caelo loqueretur mecum, schlechts ists in verbo . . . " , 37, 177, 29-178, 27. 8
37, 177, 33 f·
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klar auf die uns wohlbekannte Art entwickelt wird 8 . Es gibt keine Kirche ohne äußere Dinge, und sie läßt sich einzig „per signum" erfahren. Der Glaube braucht ein Wort, dem er lauschen, Sakramente, an die er sich halten kann, „aliquid externum, per quod moveatur ilia fides" 10. Diese äußeren Dinge, die die Gewißheit der Vergebung schenken, gibt es in der Kirche und nur dort. Aber dort ist für Luther auch mit Sicherheit die ganze Gottheit, dort ist Christus und schenkt sich selbst „per externa illa Ч
11
signa Es ist jetzt möglich, die gleichbleibende christologische oder eher inkarnatorische und sakramentale Grundstruktur von Luthers Gedankengang ganz deutlich zu erkennen. Die Kirche ist an sich ein Ausdruck für Christi Realpräsenz und Menschwerdung, die Kirche ist nach Luther gewissermaßen eine fortgesetzte Inkarnation des Wortes l2. Wir haben uns mehrfach veranlaßt gesehen, diesen für Luther ganz entscheidenden Gedanken zu erörtern, der sich in dem Begriff humanitas Christi zusammenfassen läßt. Analog hierzu verwendet Luther häufig auch in der Ekklesiologie Inkarnationsausdrücke. Die Tatsache, daß Gott unter den Menschen wohnt und mit ihnen umgeht, ist für die Kirche konstitutiv13. Bereits in der frühen Psalmenvorlesung betont Luther, daß Christus hier und jetzt in seiner Kirche regiert als Mensch „involutus et incarnatus in humanitate", in Verborgenheit und Unansehnlichkeit; erst in der „ecclesia triumphans" wird er in göttlicher Majestät regieren, „sine involucro humanitatis" In der Antwort an Ambrosius Chatarini entwickelt Luther diesen Gedan• II, 53 f . [Pred. 1523 RO; ib. 54, 11 f . " Ib. 54, 3-7. 1 1 Sehr klar ib. 54, 7-10. 12 Vgl. E. Kohlmeyer, Die Bedeutung der Kirche für Luther, Z K G 1928, 466-511, der u.a. schreibt:,, In der Kirche setzt sich die Inkarnation fort" (478); Pedersen 1959, 38; Löfgren i960, 171. 13 20, 472, 32 f . [Pred. 1526]; „Sic constituitur Ecclesia inter homines, quando fit cohabitatio Dei cum hominibus", 43, 601, 12 f. [Vöries, über 1. Mose 1535-45] ~ siehe in diesem Zusammenhang J. Pelikan, Die Kirche nach Luthers Genesisvorlesung [in: Lutherforschung heute 1958, 102 f f . ] . Zu Joh. 1, 14 sagt Luther: „'Et habitavit' etc. Imo adhuc inter nos. Inter Iudeos habitans as er, tranck, gieng in die heuser, war, wo andere leute etc. Et adhuc inter nos habitat. Sein wonung ist Christiana Ecclesia, in his habitat, qui baptisati, qui adorant, adscribuntur. Nobiscum loquitur. Itzt audimus eum loqui, videmus baptisare, peccata remitiere per totum mundum. Cum apud Iudeos habitabat, tantum pauci videbant in Iuda. Nos eius kirchen, hüten, wonung. Sic factus homo, ut apud nos wone, er helt sein kamer und kirchen auff erden, loqutiur nobiscum und thuts gewaltiger quam tunc inter Iudeos. Iam plures convertit, cum est geistlich apud nos per spiritum sanctum, quam olim, cum corporaliter", 49, 249, 4-251, 1 [Pred. 1541 R.)· 14 4, 406, 23-31; diese christologisch bestimmte Auffassung von der Kirche entwickelt Luther mehrfach in dieser Psalmenvorlesung: 3, 124, 34-39, 386, 37-387, 22 [Glossa], 403, 38-40 usw. Siehe Holl 1921, den Aufsatz „Die Entstehung von Luthers Kirchenbegriff", mit reichhaltigen Hinweisen, 245-278; H. Fagerberg, Die Kirche in Luthers Psalmenvorlesungen, Gedenkschrift für W . Eiert 1955, 109 f f . , und W . Maurer, Kirche und Geschichte nach Luthers Dictata super Psalterium [in: Lutherforschung heute 1958, 85 f f . , der u.a. behauptet: „Die Ekklesiologie ist ein Teil der Christologie" - zum wenigsten was diese Vorlesung betrifft [100); vgl. auch Andeutungen schon in Luthers Randbemerkungen, 9, 23, 30-33 [zu Augustin, um 1509]; „regnum Christi, ubi ipse
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ken und erklärt bestimmt, die Kirche sei niemals „sine loco et corpore" Auch noch viel später weist Luther in einer Disputation auf eben diese notwendige Grundvoraussetzung für die Tätigkeit der Kirche hin: „Necesse est ecclesiam involutam esse in carne" Die Kirche tritt in dieser Welt nur „in larva, persona, testa, putamine et vestitu aliquo, in quo possit audiri, videri, comprehendi" auf, aber in all diesem und durch dieses ist ein und derselbe Christus erlösend nahe Wir können also mit Luther feststellen: „wer Christum finden soll, der muss die kirchen am ersten finden" Gehen wir sodann weiter und fragen: wo ist denn die Kirche? muß die Antwort in gewissem Sinne in einer Wiederholung des im vorauf gehenden Abschnitt Erörterten bestehen. Die Kirche ist, sagt Luther, wo das Wort und die Sakramente im Einklang mit dem Befehl Christi in Funktion sind, auch wenn sie von Schwärmern oder von den Römischen gehandhabt werden, denn wo diese Dinge sind, da ist die heilige christliche Kirche, auch wenn der Antichrist dort regiert Die inkarnatorische äußere Gestalt der Kirche so darzustellen, ist offensichtlich dasselbe, wie die „notae ecclesiae" zu beschreiben20. Wenn Luther „die zeichenn, da bey man eusserlich mercken kan, wo die selb kirch in der weit ist" aufzählt, nennt er in verschiedenen Verbindungen eine stark wechselnde Anzahl, was der Forschung zuweilen Kummer bereitet hat Hier ist wiederum ein Punkt, an dem das Beachten des Verhältnisses von Göttlichem und Menschlichem zu einer richtigen Luther-Interpretation verhelfen kann. Erstens ist es natürlich richtig zu unterscheiden zwischen dem, was in der Kirche absolut unentbehrlich ist, was von Christus eingesetzt ist und für die Kirche konstitutive Faktoren darstellt, und sonstigen äußeren Anordnungen, die in verschiedenen Zeiten und Verbindungen angemessen erscheinen, zwischen „notae im engeren Sinne" und „notae im weiteren Sinne", zwischen dem esse und dem bene esse der Kirche22. So macht es ja Luther auch an den bekannten notae-Stellen. regnat in fide humanitatis suae et in velamento carnis suae", 9, 39, 32 f. (zu P. Lombardus 1510-11). 15 7, 719 ff.; 720, 2 f. (Responsio ad librum Ambrosii Catharini 1521). 18 39 II, 161, 16 f. (Die Prom. disp. von Joh. M. Scotus 1542 В.). 17 BR 9, 610, 47-52 (an Nik. von Amsdorf 1542). Hinsichtlich Luthers Auffassung von der Kirche siehe ferner E. Kinder, Der evangelische Glaube und die Kirche 1958, bes. 57-144, C. Eastwood, Luther's Conception of the Church, SJTh 1958, 22 ff., Althaus 1962, 248-296 und К . G . Steck, Lehre und Kirche bei Luther 1963. 18 IOI:I, 140, 8 f . (Kirchenpostille 1522). 10 40 I, 69, 17-70, 22 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.); „Ubi igitur verbum et Sacramenta substantialiter manent, ibi est sancta Ecclesia . . . Breviter ergo ad istam quaestionem respondemus, Ecclesiam esse per totum orbem terrarum, ubicunque est Evangelium et Sacramenta", ib. 71, 21-27. 20 L. Pusztai, Luthers Verständnis der notae ecclesiae nach der Schrift: „Von den Konziliis und Kirchen" 1539, 1943, E. W o l f , Die Einheit der Kirche im Zeugnis der Reformation (in: Peregrinatio 1954, 155 f f . ) , B. Hallgren, Kyrkotuktsfrägan 1963, 83 f f . 21 6, 301, 3-10 ( V o m Papstthum zu Rom 1520); die ausführlichsten und am meisten zitierten Textzusammenhänge sind 38, 216-221 ( V o n der Winkelmesse 1533), 50, 628643 ( V o n den Konziliis und Kirchen 1539) und 51, 479-487 (Wider Hans Worst 1541). 22 Pusztai 1943, 59 f f . , W o l f 1954, 161, Kinder 1958, 103 f f . und ders., Die Verborgen-
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Zweitens ist es jedoch sehr wichtig sich klar zu machen, worin das Gemeinsame besteht und warum Luther so unbekümmert bald eine einzige nota und bald elf notae anführen kann23. Sein Gedankengang dürfte sich folgendermaßen beschreiben lassen: 1. Das Wort kommt in die Kirche in carne, denn im Wort ist Gott und wirkt zum Heil der Menschen. Zu den unentbehrlichen notae gehören daher die Predigt des Evangeliums, die Taufe, das Abendmahl und die Absolution24. 2. Dieses inkarnatorische Handeln Gottes bedarf einer Anzahl von Anordnungen, ohne die Gottes Darreichen der Sündenvergebung undurchführbar wäre, vor allem das Amt, die Schlüsselgewalt - was nicht dasselbe ist - , Glaubensbekenntnis, Gebet, Texte und Choräle. All dies sind Werkzeuge für das Wirken des Wortes. 3. Über diese äußeren Zeichen hinaus, die direkt im Dienst des Wortes stehen, hat die Kirche Luther zufolge auch „ander mehr eusserliche weise, davon und dadurch sie nicht geheiliget wird" 2°, äußere Einrichtungen, die nur indirekt Heilsbedeutung haben, aber doch praktisch notwendig sein können als Voraussetzung für das Leben der Kirche. Hierher gehört die weltliche Ordnung, weshalb Luther die Achtung vor der Obrigkeit und der Ehe zu den Kennzeichen der Kirche zählen kann; hierher gehören Kirchengebäude, Altar, Kanzel, Lichter und Kleidung, Zeiten und Ritual usw. Ein Ausdruck für dieses Inkarnationsdenken ist - und das zu beachten ist in diesem ekklesiologischen Zusammenhang ebenso wichtig wie in bezug auf Luthers Verständnis von Geschichte, Berufung und Ethik daß Luther stets auf die Freiheit, Beweglichkeit, Anpassungsfähigkeit bedacht ist: „omnia sunt libera et indifferentia" 2β. Alle äußeren Anordnungen lassen sich nur motivieren, wenn sie im Dienste des Wortes stehen, um einen rechten usus facti zu fördern. Diese ineinandergreifende Betrachtungsweise, die ja im Tiefsten von dem Gedanken der communicatio zwischen den äußeren Dingen und Gotheit der Kirche nach Luther [in: Festgabe J. Lortz I 1958, 188 f f . ] . 23 So z.B. 5 1 , 479 f f . [Wider Hans Worst 1 5 4 1 ] ; 5 1 , 5 1 8 , 2 3 - 2 5 : „Darumb mus in der Kirchen nichts, denn allein das gewisse, rein und einig Gottes wort gepredigt werden", [Ib.]. V g l . oben A n m . 2 1 ; siehe weiter 6, 5 0 1 , 3 3 f f . , 5 7 2 , 1 0 - 2 2 [ D e captivitate . . . 1 5 2 0 ] ; 7 , 720, 3 2 - 3 8 [Responsio ad librum Ambrosii Catharini 1 5 2 1 ] . Die Absolution oder Beichte ist hier nicht eindeutig als Sakrament bezeichnet, andererseits kann Luther sie an vielen Stellen mit Predigt, T a u f e und Abendmahl gleichstellen, z.B. 10 III, 97, 1 f f . (Pred. 1 5 2 2 ] ; 30 III, 5 1 9 , 29 f f . ( V o n den Schleichern und Winkelpredigern 1 5 3 2 ] ; 4 5 , 2 3 , 6 f f . [Pred. 1 5 3 7 R . ] ; 50, 240, 27 f f . [Die Schmalk. A r t . 1 5 3 7 ] . Dieses Problem wurde mit Sorgfalt vom Werkström bearbeitet, 1963, 6 2 - 7 7 , m i t vielen Lutherstellen. 25 Über diese äußere Weise fährt Luther fort, „das es von ausswendig not oder nütz ist, wol und fein anstehet, A l s das man zur predigt oder gebet etliche Feirtage helt, etliche stunde, als vor mittage oder nach mittage, das man Kirchen bau oder Haus, Altar, Predigstul, Tauffstein, Leuchter, Kertzen, Glocken, Priesterkleider und der gleichen braucht, welche stücke nichts wircken noch anders thun denn jr natur ist", 50, 649, 7 - 1 5 ( V o n den Konziliis und Kirchen 1 5 3 9 ] ; vgl. wie Luther früher von äußeren Werken spricht, die mit Hilfe der Vernunft geordnet werden können, „das nicht not ist, den Heiligen geist sonderlicher weise dazu haben", 50, 5 5 2 , 20 f f . , 5 7 9 , 28 f f . 2e 7 , 720, 4 - 1 2 (Responsio ad librum Ambrosii Catharini 1 5 2 1 ] ; siehe hierzu Hallgren 1963, 87 f f . mit Belegstellen. 21
19 - N i l s s o n
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tes Heilsgegenwart im Wort bestimmt ist, verhindert eine unfruchtbare Debatte über die notae ecclesiae und darüber, in welchem Grade die eine oder andere hier den Vortritt hat. Luthers reich variierte Beschreibung dessen, was die Kirche ist, kann als Beweis für diese Auffassung dienen. Aber damit ist sein Kirchenverständnis nicht diffus oder relativ. Ganz im Gegenteil ist sein Ausgangspunkt unumstößlich: Gottes Schenken der Vergebung im Wort. Daher kann er das Wort als „unica perpetua et infallibilis Ecclesiae nota" bezeichnen". Das Wort ist das Größte und Wichtigste in der Christenheit, denn die Sakramente sind nichts ohne das Wort und man kann - „zur not" - ohne das Sakrament selig werden, aber niemals ohne das W o r t " . Luther faßt in „Von der Winkelmesse" 1 5 3 3 zusammen: „Wo aber Gottes wort rein und gewis ist, da mus es alles sein, Gottes reich, Christus reich, Heiliger geist, Tauffe, Sacrament, Pfarrampt, Predigampt, Glaube, Liebe, Creutz, Leben und Seligkeit und alles, was die Kirchen haben sol" Das Wort ist das einzig Gewisse, die nota, von der alles abhängt: „tota vita et substantia ecclesiae est in verbo Dei" Die Parallele zwischen Gottes Handeln in Christus und seinen Werken „in corporali verbo" und in „Zeichen und eusserlich ding" in der Kirche ist somit ganz deutlich". Die Kirche Christi ist von einem Gesichtspunkt gesehen nur eine äußere menschliche Einrichtung mit Geistlichen, Büchern, Wasser, Brot und Wein, aber in dieser Kirche begegnet der Mensch Gott selbst, in das Wort und die Zeichen gekleidet 32 . In einer Predigt von 1538 sagt Luther: „Tria signa dei instituta ab eo: Baptismus, Eucharistia, et praedicatio verbi, ubi illa, ibi et deus, ibi certo inveniri debet et potest d e u s " " . Angesichts dieser Zeichen kann man sicher sein: „Hic deus", und bedarf keiner anderen Offenbarungen. Der deus nudus erschreckt nicht mehr, denn Gott kommt jetzt „leibhafftig durch media"; „Dadurch wil gott mitt mihr handeln, reden unnd wircken" Das Reich Christi hat also viele äußere Dinge und Anordnungen, aber seine Kraft und Macht besteht im Wort. Alles muß „per verbum et Spiritum Christi" geschehenDie Kirche ist dem Wort untergeordnet, wird 27
25, 97, 3 2 f. (Vöries, über Jesaia, Schol, 1 5 3 2 - 3 4 ) . 38, 2 3 1 , 8 - 1 1 ( V o n der Winkelmesse 1 5 3 3 ) . " 38, 2 3 7 , 1 1 - 1 4 . au 7 , 7 2 1 , 9 - 1 4 (Responsio ad librum Ambrosii Catharini 1 5 2 1 ) . 31 16, 210, 4 - 2 1 1 , 6 (Pred. über das 2. Buch Mose 1 5 2 4 - 2 7 R.); „Sicut ergo in Christo res habet, ita et in sacramento", 6, 5 1 1 , 34 ( D e captivitate . . . 1 5 2 0 ) ; 4 2 , 295, 3 2 - 3 7 (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) . 32 25, 128, 4 - 4 1 (Vöries, über Jesaia, Schol. 1 5 3 2 - 3 4 ) ; 43, 404, 2 9 - 3 6 (Vöries, über 1. 28
Mose 1535-45)· 33
46, 147, 3 1 - 3 3 (Pred. 1 5 3 8 Stoltz). 46, 149, 1 0 - 1 5 0 , 22 (Pred. 1 5 3 8 R . ) und 149, 3 4 - 1 5 1 , 10 (Stoltz); „ . . . Da stehet unser Herr Got hinder, et sunt facies divinae, per quas nobiscum loquitur et operator Deus in particulari seu singulari et individuo. Me baptizat, me absolvit, mihi porrigit corpus et sanguinem suum ministri linqua et manu . . . " , 44, 685, 1 8 - 4 0 (Vöries, über 1. 34
Mose 1535-45)· 35
40 I, 668, 21 f. (In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 Dr.); „wenn Gotts wort dazu kompt und durch den glauben geschieht, so ists und heisst geistlich geschehen, Das nichts so
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vom Wort regiert und steht in seinem Dienst, nicht umgekehrt39. Diesen Umstand drückt Luther häufig so aus, daß er die Kirche als aus dem Wort geboren bezeichnet - ein reiner Inkarnationsausdruck37. Ohne das Wort sind alle äußeren Anordnungen und Wirksamkeitsformen der Kirche nichts, aber mit dem Wort sind sie voller Seligkeit38. Auch die humanitas Christi ist an sich und ohne das Wort nur eine „res vana" 3", andererseits ist das Wort gleichbedeutend mit Christus, der zweiten Person der Gottheit. Mit diesen tiefschürfenden Gedanken Luthers über das verbum Dei haben wir uns früher beschäftigt. Hier können wir wieder die doppelte Bedeutung des Begriffs verbum konstatieren, einmal ist es das verbum incarnatum, d. h. der Sohn, der beim Vater war, das verbum increatum, das Mensch wurde40, zum anderen das verbum externum, das gepredigte menschliche Wort, das ohne Christus nur ein beliebiges äußeres Wort ist. Zu sagen, daß alles in der Kirche, Predigt, Sakrament und alle äußeren Dinge, vom Wort kommen und auf ihm beruhen, ist dasselbe wie zu sagen, alles stehe und falle mit Christus. Entscheidend ist hier die communicatio idiomatum: der Mensch Jesus ist wirklich der menschgewordene Logos, das verbum divinum, und das äußerliche Wort ist Gottes eigenes Wort, in dem Christus selbst kommt". Denn durch die communicatio ist die Einheit von „eusserlichen Dingen" und Christus so, daß wenn Predigt und Sakrament in der Kirche in Kraft sind, er in diesen menschlichen Mitteln und durch sie dort ist. leiblich, fleischlich odder eusserlich sein kan, es wird geistlich, wo es ym wort und gleuben gehet», 23, 189, 9 - 1 1 [Daß diese Wort Christi . . . 1527]. Dieses Handeln Gottes im Wort durch äußere Dinge ist auch durchweg in Kap. I behandelt; alle Stände und Berufe „müssen gehen, stehen und geschehen im wort Gottes", 50, 336, 9 f. [Wider die Sabbather . . . 1538]; 30 I, 145, 20-31 [Großer Kat. 1529]. 38 „quia in verbo evangelii est ecclesia constructa, quod est verbum sapientie et virtutis dei", 4, 189, 34 f. [Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; ib. 415, 21 f.; „Euangelium fecit ecclesiam, non econtra", 29, 17, 1 [Pred. 1529 R.]; 30 II, 681 f f . [De potestate leges ferendi in ecclesia 1530]; „Et non Euangelion per Ecclesiam, sed eclesiam per Euangelion condebant [Christus und die Apostel], statuebant et approbabant", ib. 687, 8 f.; „Hoc Euangelion ubicunque sincere praedicatur, ibi est Regnum Christi. Et haec nota Ecclesiae seu Regni Christi non potest te fallere", 25, 97, 26-28 [Vöries, über Jesaia, Schol. 153234); „quia Ecclesia debet regi per verbum et opus dei", 46, 235, 23 f . [Pred. 1538 R.); ib. 240, 7-9· 37 „Stat fixa sententia, ecclesiam non nasci nec subsistere in natura sua, nisi verbo Dei", ι , 13, 38 f . [Sermo . . . 1 5 1 2 J ; 3, 571, 28 f . [Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ] ; „Ecclesia est ex deo et audit verbum . . . Ecclesia ex verbo nata, praedicat illud, Christum confitetur", 46, 237, 16-22 [Pred. 1538 R.]; „Ecclesia enim est filia, nata ex verbo, non est mater verbi . . . " , 42, 334, 12-14 [Vöries, über 1. Mose 1535-45]. 38 23, 263, 3 f . [Daß diese Wort Christ . . . 1527); 37, 630, 30-32 [Pred. 1534 Dr.]. " 25, 64, 15 f . [Vöries, über die Briefe an Titus und Philemon 1527]. 10 Vgl. 42, 17, 24-32 [Vöries, über 1. Mose 1535-45]. 11 Das ist ein hier häufig behandelter Hauptgedanke; außer vielen in anderen Zusammenhängen erwähnten Stellen hier ein paar vom jungen Luther: „Quia sicut per incarnationem Christi verbum dei additum est carni, ita per eundem spiritus revelatus est, qui est velut verbum vocis et sicut deitas carnis", 3, 276, 37-277, 8 [Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ] ; „per fidem fit homo similis verbo dei, verbum autem est filius dei", 57 Hebr., 1 5 1 , 14 [Vöries, über den Hebräerbrief 1 5 1 7 - 1 8 ] . Siehe Prenter 1954, 107 f f . , mit einer Menge guter Zitate; vgl. auch den vorigen Abschnitt, bes. zu den Anm. 41 f f .
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Daher sieht Luthers Argumentationsreihe folgendermaßen aus: wo das Wort gepredigt wird, da muß die Kirche sein, da sind auch die Sakramente, da will Gott sich finden lassen, da ist Christus, da ist der Heilige Geist, da ist Leben und Seligkeit". Hieraus erklärt sich, warum Luther so oft das gesprochene Wort betont, das Wort, das in der Kirche im Schwange ist: verbum vocale, viva vox, vox evangelii". Dauernd kehrt auch der Gedanke wieder, daß das gesprochene Wort weit wichtiger und eigentlich richtiger sei als das geschriebene und fixierte: „Non de Evangelio scripto, sed vocali loquor" " - wieder eine Art, die Beweglichkeit und Freiheit der Inkarnation zu unterstreichen. Die Kirche läßt sich somit beschreiben als „eyn mundhawss nit eyn fedderhawss", denn Gott will dort durch seine Werkzeuge seine Stimme in ständig neue Situationen hinein erklingen laßen". Das Wort muß wirken und dauernd alle Ecken und Winkel erfüllen; es muß auf verschiedene Art verkündigt und in verschiedenen Formen ausgeteilt werden. „Alle dise werck", sagt Luther, haben nur eines zu beschreiben und zu schenken, nämlich Christi Versöhnung. Gottes Güte ist so, daß er seine Gnade im Wort auf mehrere Arten darreicht, und durch alles kommt Christus selbst und läßt die Sünder teilhaben an seinen Wohltaten". Die Kirche lebt also ganz in und von dem Wort, das Wort wird auf verschiedene Art inkarniert und nimmt verschiedene Gestalt an". Wenn " „Wo das Euangelion recht und rein gepredigt wird, da mus eine heilige Christliche kirche sein . . . Wo aber eine heilige Christliche kirche ist, da müssen alle sacrament sein, Christus selbs und sein heiliger geist", 3 8 , 2 5 2 , 1 0 - 1 4 [Von der Winkelmesse 1 5 3 3 ) ; siehe Prenter 1954, 107 ff. und Ivarsson 1956, 19 ff. " 3 , 1 8 4 , 1 0 - 1 5 (Dietata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; 5 6 , 4 1 6 , 1 2 - 1 4 [Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ) ; 7 , 7 2 2 , 1 - 1 7 (Responsio ad librum Ambrosii Catharini 1 5 2 1 ) ; „Und sey du gewis, das Gott keine andere weise hat, die sunden zu vergeben denn durch das mündliche wort . . . " , 3 0 II, 4 9 8 , 2 6 - 2 9 (Von den Schlüsseln 1 5 3 0 ) . " 7 , 7 2 1 , 1 5 (Responsio ad librum Ambrosii Catharini 1 5 2 1 ] . 45 1 0 1:2, 4 8 , 5 f. (Adventspostille 1 5 2 2 ] ; ib. 2 0 4 , 1 8 - 2 9 ; eine der besten und am meisten zitierten Stellen ist i o I : i , 6 2 5 , 1 2 - 6 2 8 , 8 (Kirchenpostille 1 5 2 2 ) ; 1 2 , 2 5 9 , 1 0 - 1 3 [Epistel S. Petri gepredigt und ausgelegt 1 5 2 3 ) . Siehe hierzu Schempp 1 9 2 9 , 3 2 ff., Prenter 1 9 5 4 , 118 f., 0stergaard-Nielsen 1957 [die Hauptthese bei ihm) und Pedersen 1959, 134 ff. " 45, 23, 6-12 (Pred. 1537 R.); „Denn Euangelii predigen ist nichts anders, denn Christum tzu uns komen", I O I : I , 1 3 , 2 2 f. (Kirchenpostille 1 5 2 2 ) ; 1 8 , 1 3 6 , 9 - 2 3 (Wider die himmlischen Propheten 1 5 2 5 ) ; 2 6 , 5 0 6 , 3 - 1 2 (Vom Abendmahl Christi 1 5 2 8 ) ; 3 0 I, 1 9 0 , 1 8 - 2 9 (Großer Kat. 1 5 2 9 ) ; „Wir wollen nu wider zum Euangelio komen, welchs gibt nicht einerley weise rat und hülffe wider die sunde. Denn Gott ist uberschwenglich reich jnn seiner Gnade. Erstlich durchs mündlich wort, darinn gepredigt wird vergebumg der sunde jnn alle weit . . . Zum andern, durch die Tauffe. Zum dritten durchs heilig Sacrament des Altars. Zum Vierden durch die krafft der Schlüssel und auch per mutuum colloquium et consolationem fratrum", 5 0 , 2 4 0 , 2 7 - 2 4 1 , 3 (Schmalk. Art. 1 5 3 8 ) ; 4 2 , 1 8 4 , 1 4 - 1 8 (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) . Vgl. R. Prenter, Die Realpräsenz als d i e Mitte des christlichen Gottesdienstes (in: Gedenkschrift f ü r W. Eiert 1955, 307 f f . ) , G. Wingren, Die Sakramente und die Predigt als Träger des fleischgewordenen Wortes (in: Festschrift für A. Köberle 1958, 375 ff.) und A. Peters, Gegenwart Gottes-Wort Gottes (in: Zur Auferbauung des Leibes Christi. Festgabe f ü r P. Brunner 1965, 201 ff.). 47 „Das Wort" als Begriff ist bei Luther nichts weniger als eindeutig. Schon eine kurzgefaßte Übersicht über die Bedeutungen des Begriffes läßt erkennen - ohne alle denkbaren Nuancen klarzulegen - daß er in allen entscheidenden Punkten in der Theologie
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das W o r t im S c h w a n g e ist, geschieht das in der Kirche immer durch M i t tel und W e r k z e u g e . D a s bedeutet: 1. durch „eusserliche Dinge", 2. durch Menschen, die im Predigtamt s t e h e n " . In diesem ekklesiologischen Z u s a m menhang müssen w i r daher auch Luthers Verständnis des Amtes und der damit verknüpften Probleme untersuchen, die hier Relevanz besitzen k ö n n t e n " . Die Existenz der Kirche beruht auf dem W o r t - oder Christus - , aber das W o r t kann nicht wirken, kann keine Kirche schaffen oder V e r gebung schenken, w e n n es nicht von menschlichen Werkzeugen, Predigern und Lehrern, ausgeteilt wird. D a h e r ist das A m t unentbehrlich, v o n G o t t eingesetzt, und muß immer in der K i r c h e vorhanden sein 50 . D a s Predigtamt ist „das hohist ampt ynn der Christenheyt" und w i r d v o n Luther „als nehest G o t t selber" bezeichnet D e r geistliche Stand ist v o n G o t t eingesetzt durch Christi Blut und bitteren T o d , denn daher kommt all das G u t e , das das A m t verwaltet. „ D e n n das predig ampt C w o e s ist, w i e es G o t t geordent hat) bringt und gibt ewige gerechtigkeit, ewigen fride und ewiges leben" - das ist „sein eigentlich furnemlich w e r c k " , so groß und wichtig, daß die ganze W e l t mit diesem A m t steht und fällt 5 2 . D a s ist mit der Göttlichkeit
des Amtes
gemeint: es ist eine Ordnung
Luthers eine große Rolle spielt: 1. verbum increatum, Logos, die zweite Person in der Gottheit; verbum incarnatum, als Bezeichnung für Christus, gehört auch zu diesem selben Definitionstypus, 2. verbum creatum, das Schöpfungswort, mandatum, das schafft, was es sagt und dabei äußere, konkrete Gestalt annimmt, 3. verbum externum vel visibile, teils als verbum scriptum, bei Luther häufig gleichbedeutend mit lex oder littera, teils als verbum vocale, das Predigt- und Sakramentswort, manchmal als Evangelium oder spiritus bestimmt. Der übergeordnete und sammelnde Aspekt ist durch die Definition Christus angegeben, was mit der Dreieinigkeitslehre und Luthers Auffassung von der Realpräsenz und Ubiquität Christi zusammenhängt. 19 „Denn Gott niemand will den geyst geben on das wort und predigampt, wilchs er daselbs zu hatt eyngesetzt und befolhen alleyn von Christo zu predigen", 17 II, 135, 21-23 [Fastenpostille 1525]; 45, 522, 16-19 (Das X I V und X V Kap. Joh. 1538], siehe zur Anm. 64 im vorigen Abschnitt. " Siehe u.a. G. Hök, Luthers lära om kyrkans ämbete (in: En bok om kyrkans ämbete 1951, 142 f f . ) , W. Brunotte, Das geistliche Amt bei Luther 1959, R. Prenter, Embedets guddommelige indstiftelse hos Luther, UUA 1960:12, 1961, Persson 1961, 280 f f . und weiter in folg. Anm. 50 „officia manent in Ecclesia et nunquam auferentur. Alias Ecclesia cessaret, quod est impossibile", 3, 217, 23 f . (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; „Weyl aber Christlich gemeyne on gottis wortt nicht seyn soll noch kan, folget aus vorigem starck gnug, das sie dennoch ja lerer und prediger haben müssen, die das wortt treyben", 1 1 , 4 1 1 , 22-24 (Daß eine christliche Versammlung . . . 1523); 37, 288, 1 0 f . (Pred. 1534 R.); „Opus est igitur perpetuo in Ecclesia Ministerio verbi", 39 II, 287, 9 (Prom. disp. von G. Major und J. Faber 1544); 401, 664-668 (In epistolam ad Galatas 1535). 61 I i , 415, 30 f . (Daß eine christliche Versammlung . . . 1523); 30 II, 553, 6 - 1 0 (Kinder zur Schule halten . . . 1530 Hs.); „ministerium verbi summum in Ecclesia officium esse", 12, 1 8 1 , 17 f . (De instituendis . . . 1523). 62 30 II, 527, 1 - 1 3 (Hs.) und 554, 20-33 (Dr.) in Luthers wichtiger Predigt 1530, wo er Eltern und weltliche Fürsten daran erinnern will, „daß man Kinder zur Schule halten solle" - um der Gewichtigkeit des Predigtamtes willen. Es kan darum befugt sein, wie R. Josefson, Das Amt der Kirche (in: Ein Buch von der Kirche 1951, 386 f f . ) , zu behaupten, daß das Amt bei Luther zu dem „esse" der Kirche, nicht nur zu dem „bene esse" gehöre, denn es ist keineswegs eine bloß menschliche Frage der Zweckmäßigkeit.
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Gottes zur Darreichung der Sündenvergebung und des ewigen Lebens, es ist Christi eigenes Amt, das Amt des Wortes, „denn, das wir das Euangelion und predig ampt haben, was ists anders denn blut und schweis unsers Herrn?" Das Predigtamt ist daher nichts anderes als das in der Kirche wirksame Wort - nicht bestimmte Personen - oder, was dasselbe ist, der in der Kirche aktiv gegenwärtige Christus: „Wo Christus ist, da wirtt das Euangelion gewisslich predigt, wo es nicht predigt wird, da ist Christus nicht" 5 '. Das Amt der Kirche ist also Christi eigenes Amt, das er nun selbst ausübt und durch das er sein Heilswerk vollendet. Christus hat sein Amt niemals niedergelegt und es an andere abgetreten, „sondern hatts fur und bey sich selbs behalten" Dieser Gedankengang bedeutet, daß man eigentlich nicht von Personen oder von Menschenwerk redet, wenn man vom Amt als von etwas Göttlichem, über alle menschlichen Ordnungen Erhabenem spricht, sondern von Christus, dem Wort und den Werken Gottes. „Ich habe offt gesagt das das predigampt nicht unser ampt sondern Gottes jst; Was aber Gottes jst, das thun wir nicht sondern er selbs durch das wort und ampt" **. Daher ist es die Stimme Gottes, die man in der Predigt hört, Gott ist es, der tauft, Gott, der in Brot und Wein Leben und Seligkeit schenkt, Gott, der in der Absolution Vergebung zusagt: „Summa, die ampt und Sacrament sind nicht unser sondern Christi" Das Entscheidende für Luther ist also das Amt, d. h. Gottes Wort und Evangelium, nicht der Amtsinhaber, der sich nur unter das Wort zu stellen und es anderen zu reichen hat. Das Wort ist das Primäre, die Kirche ist aus dem Wort geboren und an das Wort gebunden, d. h. an Christus und sein Amt zum Heil der Menschen Betrachtet man nun die menschliche Seite des Amtes, gelangt man eigentlich zu demselben Ergebnis - allein diese Tatsache zeigt den communicatio-Charakter von Luthers Auffassung. Luther beschreibt die Menschen im Amt und spricht oft von menschlichen Zungen und Händen, die in der Kirche wirken, und gleichwohl handelt es sich nicht - betont er M
3° Π, 583, 22 f.
54
10 1:2, 154, 1 3 - 1 5 (Adventspostille 1 5 2 2 ] ; „Denn es ligt auch alles am wort Gottes, als am höhesten ampt, das Christus selbst für sein eigen und das höhest hat wollen haben", 38, 253, 3 0 - 3 2 [ V o n der Winkelmesse 1 5 3 3 ) . 55 30 II, 487, 1 1 - 1 8 ( V o n den Schlüsseln 1 5 3 0 ) ; 4 1 , 206, 9 - 1 5 (Pred. 1535 R . ] . Siehe Persson 1961, 3 1 3 mit Hinweis auf Törnvall 1940 (dt. 1947]. 3 2 / 398, 2 5 - 2 7 (Wochenpred. über Matth. 5 - 7 1 5 3 0 - 3 2 Dr.). " 38, 240, 24-29 ( V o n der Winkelmesse 1 5 3 3 ) , siehe ferner die ganze Auslegung 38, 2 3 9 - 2 4 3 und auch sonst sehr oft, z. В.: von der Predigt: „quando ego praedico, ipse praedicat in me", 20, 350, 6 (Pred. 1526 R.); 34 I, 395, 15 f. (Pred. 1 5 3 1 R.); von der Taufe: ». . . Non enim hominis est, sed Christi et dei baptismus, quem recipimus, per manum hominis . . . " , 6, 530, 2 0 - 2 5 ( D e captivitate . . . 1520); 301, 213, 1 2 - 1 7 (Großer Kat. vom Abendmahl ist im vorigen Abschnitt von der Realpräsenz auch in dieser Frage viel gesagt; von der Absolution: „Item quando absolveris, cogita: das hat Gott geredt", 37, 177, 19 (Pred. 1 5 3 3 R.); 15, 486, 11 f. (Pred. 1524 R . ) . 58 „Verum est, Ecclesia est alligata ad Evangelium, sed non ad ministros. Illi ministri sunt dona Ecclesiae, non capita Ecclesiae. Cognitio veritatis pertinet ad ministros. Ministerium verbi facit ministros, non ministri ministerium verbi. Verbum das thuts", 39 II, 1 8 1 , 1 3 - 1 8 2 , 2 (Prom. disp. von Joh. M. Scotus 1542 Α . ) . 59
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um von Menschen ausgehende Werke. Auch wenn Menschen tätig sind, auch wenn man mit Augen und Ohren menschliches Handeln erlebt, ist es doch für Luther völlig klar, daß alles ein durch und durch göttliches Werk ist: „Die zunge, stimme, faust etc. sind wol des menschen, aber das wort und ampt ist eigentlich der Göttlichen maiestet selbs"; „Ego habeo in ministerio tuum [Gottes] signum, non audio hominem, sed te" Ein charakteristischer Ausdruck für diese gottmenschliche Doppelheit ist die Gleichstellung des Wortes Gottes mit dem Wort, das durch Menschenstimmen in der Kirche erklingt: „Gottes mund ist der Kirchen mund und widerumb" - natürlich ist Luther auch der Unterschied in der hier zuvor angegebenen Weise klar'0. Jegliche Person, jegliches menschliche Werkzeug kann also in den Dienst des Wortes treten; das Wesentliche ist, daß Gott in Christus durch menschliche Mittel und äußere Dinge sein Amt erfüllen " 45, 521, 36-522, 6 [Das X I V u n d X V Kap. Joh. 1538] u n d 46, 150, 2 - 1 6 (Pred. 1538 R . ) ; ferner auch z.B. 30 II, 534, 8 - 1 0 (Kinder zur Schule halten . . . 1530 H s . ) ; 42, 518, 4 - 1 2 (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) . 5 1 , 516, 1 3 f . (Wider Hans W o r s t 1 5 4 1 ) ; „Christus ist der Hauptprediger, solche sind seine Instrument u n d Zungen . . . Z w o unterschiedne personen sinds wohl, aber allein ein prediger", 47, 451, 2 1 - 2 6 ( M a t t h . 1 8 - 2 5 ' n Pred. ausgelegt 1 5 3 7 - 4 0 ) . Dieser wichtige communicatio-Gedankengang: verbum Dei per vocem h u m a n a m zu hören, ist im ganzen W e r k Luthers nachweisbar: 56, 253, 1 6 - 1 8 (Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ) ; 2, 692, 2 7 - 3 0 (Sermon von der Bereitung z u m Sterben 1 5 1 9 ) ; 23, 737, 15 f . (Pred. 1 5 2 7 ) ; 33, 148, 2 4 - 1 4 9 , 5 (Wochenpred. über Joh. 6 - 8 1 5 3 1 D r . ) ; 46, 78, 1 - 5 (Das X V I Kap. Joh. 1538); 47, 185 f f . (Ausleg. des 3. u n d 4. K a p . Joh. 1 5 3 8 - 4 0 ) ; ib. 227, 27-228, 24. Steck 1963, 44 f f . , zitiert die Stelle aus 5 1 , 516, f i n d e t es aber - in einem gewissen Anschluß an K . Barth - bedenklich, daß Luther so u n b e k ü m m e r t „Gottes m u n d " u n d „der Kirchen m u n d " gleichstellt, besonders den Zusatz „und widerumb" hält er f ü r gefährlich (60 f . ) . Gottes W o r t Subjekt u n d die Kirche W e r k z e u g sein zu lassen ist angängig, aber diese „Identitätsaussagen" umzukehren, ist nach Steck unmöglich. Als Stütze weist er auf TR III, 22, 9 f. hin: „Nota, quod dicere possum: W a s ich thu, das t h u t G o t t , aber nicht, was Gott thut, das t h u ich". Abgesehen davon, inwiefern dieser T e x t Relevanz f ü r jenen hat, ist es offenbar, daß Steck hier vergißt, auf Luthers Distinktion Person - Amt Rücksicht zu nehmen, denn zu sagen, d a ß Gottes W o r t im Kirchenw o r t ist, ist keineswegs dasselbe wie zu behaupten, was G o t t tut, das t u „ich"; vgl. hier aus „Wider H a n s Worst", 51, 5 1 7 , 2 0 f f . A u ß e r d e m m u ß m a n gegen Steck feststellen, d a ß Luther nicht von einer Identität Gottes W o r t - Menschenwort redet, ebensowenig wie er göttliche u n d menschliche Natur in Christus identifiziert, jedoch spricht er von einem communicatio idiomatum-Verhältnis. V o n einer Mischung ist gar nicht die Rede, u n d sie b r a u c h t deshalb auch nicht abgelehnt zu werden. W e n n Luther sagt „und widerumb", spricht er von der Kirche, dem A m t Christi und des Wortes, nicht von den Personen; er betont, daß dort, wo diese Wirksamkeit des Wortes vorhanden ist, Gott selbst redet u n d h a n d e l t , und umgekehrt, wo Gott redet, t u t er es in der Kirche, in menschlichen Wort e n . Andernfalls würde der Gedankengang so lauten: Gottes W o r t erklingt in der Kirche, aber was in der Kirche erklingt ist nicht immer Gottes W o r t . Man sieht dann davon ab, d a ß das Handeln Gottes nach Luther ein verborgenes ist, d a ß G o t t oftmals in dem, was keineswegs göttlich aussieht, redet. Statt dessen w ü r d e m a n genötigt werden, gewisse menschliche Auswahlkriterien zu bestimmen. Dieses Verhältnis zu einem Hinweis vom Kirchenmund auf den Gottesmund zu reduzieren, hieße also, den Menschen in Unsicherheit darüber zu lassen, wann Gott spricht u n d w a n n n u r Menschen sprechen, hieße die Heilsgewißheit zu untergraben, und vor allem u n d letztlich hieße es, die Inkarnation in Frage zu stellen. Ein Korrektiv bildet bei Steck die Behandlung von Luthers Tischrede ü b e r Bullinger, TR III, 669 f f . (56 f f . ) , siehe unten A n m . 62.
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kann, zum Besten der Menschen zu wirken". Das ist eine Hauptlinie in Luthers gesamter Theologie, die sich am besten mit Hilfe des cooperatioGedankens", vor allem aber durch die Vorstellung von der communicatio idiomatum" nachzeichnen läßt. Bisher bezog sich die Erörterung auf das Verhältnis von Christi Wort und Amt auf der einen und der kirchlichen Wirksamkeit durch menschliche Werkzeuge auf der anderen Seite. Gehen wir nun einen Schritt weiter und betrachten die konkrete Gestaltung des Amtes in der Kirche, finden wir, daß nach Luther einmal alle Christen durch die Taufe in Christi Amt eingesetzt sind und zum anderen bestimmte, öffentlich berufene und eingesetzte Amtsträger teilhaben an den Aufgaben dieses Amtes. Eine Untersuchung des Begriffspaares Person-Amt ermöglicht es uns, die Bedeutung des oben Gesagten zu verstehen. Diese Distinktion hat zwei Bedeutungen, die zwei verschiedene Perspektiven eröffnen, ι. irAmt" ist gleichbedeutend mit „Wort" - ein Gedankengang, den wir oben entwickelten - und dann ist „Person" ein zusammenfassender Ausdruck für die Menschen, die vom Wort ergriffen in den Dienst Gottes gestellt wurden, d. h. alle Christen. „Amt" ist das Amt Christi, und von ihm hängt alles ab. Es spielt dabei keine Rolle, wer die Person ist, die das Wort ausspricht, denn der Glaube „hafftet auff dem wortt, das gott selber ist, glewbt, trawt, und ehret das wortt nitt umb des willen, der es gesagt hat" Dieses Wort, das Gott selbst ist, ist der ganze Inhalt des Amtes. Aber das Wort wird von Menschen ausgesagt, das Amt Christi begegnet nur durch Menschen, die selbst das Vergebungswort empfangen haben und bereit sind, es an ihren Nächsten weiterzureichen. Der Gedanke der communicatio idiomatum weist hier mehrere verschiedene Dimensionen auf. Christi Gegenwart ist an das Wort geknüpft, nicht an die Person, und wer das Wort glaubt, tut es um des Wortes willen und nicht aus Rücksicht auf die Person, aber, sagt Luther, aufgrund des göttlichen Wortes wird Ehre und Achtung auch der Person, dem Menschen, " Sehr einleuchtend ist 38, 241, 6-242, 30 ( V o n der Winkelmesse 1533); „Facite, hoc verbum facit, ut manus sacerdotis sit manus Christi. Os non est meum, lingua non est mea, sed Christi. Ich seyn ein Bub oder Schalk", 30 III, 121, 22-24 (Das Marburger Gespräch . . . 1529]; 401, 192, 19-194, 13 [In epistolam ad Galatas 1535 Dr.); 45, 521, 4-33 (Das X I V und X V Kap. Joh. 1538). 62 Einen repräsentativen Text, der diesen Zusammenhang im großen beleuchtet, finden wir in TR III, 669 f f . (Aurifaber), der gegen Bullinger und Zwingli gerichtet ist: „ . . . separabant verbum a Spiritu, hominem praedicantem a Deo operante, ministrum baptisantem a Deo mundante, et sentiunt Spiritum dari et operare sine verbo . . . dicimus, quod hominis praedicatoris verbum, absolutio, sacramentum non est opus hominis, sed vox Dei, mundatio et operatio Dei; nos vero tantum sumus instrumentum et cooperarii Dei, per quos Deus agit et operatur . . . Ibi homo et Deus non est metaphysice separandus, sed simpliciter dicam: Hie homo, propheta, apostolus, praedicator verus loquens est vox Dei . . . " , ib. 670, 12-671, 26. " Darauf haben E. Roth, Die Privatbeichte und Schlüsselgewalt in der Theologie der Reformatoren 1952, 83, Persson 1961, 320 f . und Werkström 1963, 259 f . die Aufmerksamkeit gelenkt. " i o I : i , 130, 4 f. (Kirchenpostille 1522); siehe zu diesen Fragen im ganzen die einleuchtende Darstellung von Persson 1961, 302 f f .
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der es ausspricht, zuteil". Im Amt - in der hier aktuellen Bedeutung - und im Wort begegnet und wirkt Gott selbst, aber er tritt nur in den Personen hervor, durch die er handeln kann. Gott spricht durch Menschen, oder umgekehrt, Menschen sprechen im Namen Christi. Dieses communicatioVerhältnis liegt dem Ausdruck zugrunde „seinem Nächsten ein Christus s e i n " S u c h t man Gott, so fragt Luther: „wo kanstu yhn aber finden, denn ynn deynem bruder, Der kan dich mit Worten stercken und helffen" Wenn ein Christ seinem Nächsten mit dem Wort dient, Eltern ihren Kindern, der eine Nachbar dem anderen usw., ist es Gott, der in diesen Personen sein Amt ausübt. Es handelt sich nicht um zwei verschiedene Werke, sondern wenn der Mensch das Seine tut, ist dadurch auch eo ipso das Werk Gottes geschehen". Dort, „bey den menschen oder im Wort" ist die Vergebung der Sünden". Der zweite Aspekt der Relation Person-Amt soll im folgenden kurz beschrieben werden. 2. )rAmt" ist dem „Wort" untergeordnet, und „Person" ist dann eine Bezeichnung für den in die öffentliche Ausübung dieses Amtes eingesetzten Menschen70. Man könnte ebensogut sagen, daß „Amt" in diesem Zusammenhang dem „Amt" in der früheren Bedeutung untergeordnet ist, d. h. das öffentliche Predigtamt ist eine von Gott befohlene Ordnung, in die etliche eingesetzt werden, um im Dienst des Wortes und Christi zu stehen, oder - wie die Sache sich auch ausdrücken läßt - im Dienst des Amtes, desselben „Amtes", von dem wir oben sahen, daß ein jeder Christ daran teilhat. Jeder Getaufte hat den Auftrag, das Evangelium zu verkünden, die Schlüsselgewalt zu gebrauchen, zu unterweisen, zu ermahnen, zu trösten und zu strafen. Luther kann deshalb sagen, daß jeder Christ das ministerium verbi habe; die „Gewalt", die dem Amte Christi anhaftet, zeichnet auch die Aufgaben des Christen aus, ist aber dabei niemals eine eigene Gewalt des Christen: Christus hat die Gewalt und das Amt und läßt seine Diener es ausüben und verwalten 71 . " „Wer aber dem wort glewbt, der achtet nit wer die person ist, die das wort sagt, und ehret auch nitt das wortt umb der person willen, ssondern widderumb die person ehret er umb des wortts willen . . . Es sey person, es kumme person, es gehe person, wie und wenn es mag und will", 10 1 : 1 , 129, 16-22 (Kirchenpostille 1522). 7, 35 f. (Von der Freiheit eines Christenmenschen 1520); ib. 35, 34 f . Dieser Gedankengang hat seinen tiefen Sinn auch in anderen Zusammenhängen, siehe unten Kap. III C: ι und Schluß 2. " 15, 488, 31 f. (Pred. 1524 Dr.]; 6, 546 f. (De captivitate . . . 1520]; „verbum solacii recipimus ex ore fratris a deo prolatum", ib. 546, 15 f.; „verbum Christi, ex ore proximi petiturus", ib. 547, 30. 88 30 II, 497, 1 5 - 1 8 [Von den Schlüsseln 1530). " 52< 5 0 0 ; 3 I - 5 O I < 1 2 (Hauspostille 1544); siehe ferner 8, 184, 21-34 (Von der Beicht 1 5 2 1 ] ; 15, 7 " , З-712, 2 (Pred. 1524 R.); 37, 177, 35-178, 2 (Pred. 1533 R.); 41, 2 1 1 , 17-22 (Pred. 1535 Dr.); 49, 150, 8 - 1 1 (Pred. 1540 Dr.). 70 38, 239, 2-7 (Von der Winkelmesse 1533); siehe auch 8, 495 f f . (Vom Mißbrauch der Messe 1 5 2 1 ) . 71 „Die selbige gewalt hatt ein ytzilcher Christen, die der Bapst hatt, Bischoff, Pfaff . . . Wir haben alle die gewalt . . . " , 10 III, 97, 1 f f . (Pred. 1522); „omnes Christiani sacerdotes, et omnes sacerdotes sunt Christiani", 12, 178, 19 (De instituendis . . . 1523); „officium, nempe verbi ministerium, esse omnibus Christianis commune", ib. 180, 17 f.;
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Luthers Sprachgebrauch ist wechselnd, aber in mehreren repräsentativen Texten unterscheidet er sehr klar zwischen dem Amt, das Christi ist und jedem Christen gegeben, und dem Amt, das öffentlich von bestimmten Amtsträgern ausgeübt wird. Diese Distinktion ist durchgeführt in „Von der Freiheit eines Christenmenschen" 1520 und in der mehrfach zitierten Predigt über den 110. Psalm von 1 5 3 5 '2. Luther spricht einmal von jedem Christen, dem getauften, dem „Priester", sacerdos, und zum anderen von dem, der ein Amt in der Kirche ausübt, dem „Pfarrer", minister, servus73. Derselbe Unterschied liegt vor bei dem vieldiskutierten Verhältnis vom allgemeinen Priestertum und dem Predigtamt. Alle „Personen" in der Kirche haben dasselbe Amt, sie gehören durch die Taufe dem christlichen „Stand" an, aber etliche haben einen „Beruf" als Prediger, einen besonderen Auftrag, der nur von den dazu berufenen ausgeübt werden soll. Zwischen Amt und allgemeinem Priestertum zu unterscheiden heißt daher, zwischen verschiedenen Beschäftigungen zu unterscheiden, eine Grenze zu ziehen in bezug auf den Umfang des Auftrags, nicht in bezug auf seine Natur". Hier hat man zu beachten - das liegt auch in der Distinktion PersonAmt - daß derjenige, der das öffentliche Amt innehat, gleichwohl als „Einzelperson" in dem allgemeinen Priestertum steht; er ist darin einem jeden Christen gleich und hat insofern Funktionen, die ihm als Amtsträger nicht obliegen, z.B. das Opfern; als „Amtsperson" dagegen hat er keine Aufgabe, die nicht auch jeder beliebige Christ hat". Nur praktisch gesehen und coram hominibus hat er besondere Tätigkeiten, die ihm sein besonderer Auftrag auferlegt. Ein jeder Christ hat das „Amt" Christi, den Auftrag, seinem Nächsten ein Christus zu sein, unter allen Christen, allen denen, die „Priester" sind, wählt die Kirche, die christliche Gemeinde, einen zum „öffentlichen 12, 521, 22-32 (Pred. 1523); 41, 211, 16-25 (Pred. 1535 Dr.). - Von der Schlüsselgewalt, siehe vor allem Hallgren 1963, 64 ff., mit Belege. 72 Siehe die ganze Darstellung 7, 27 f. (Von der Freiheit . . .) und 41, 202-214 (Pred. 1535)· 71 Vor allem 7, 28, 26-37 4r> 205> 10-18, 210, 6-9 (R.); „Kichendiener, Prediger, Pfarherr odder Seelsorger, Diese sind nicht Priester (wie die Schrifft pflegt Priester zu nennen) umb des beruffs oder ampts willen, so sie haben. Sondern sind es schon zuvor, vor jrem ampt, von jrer Tauffe", ib. 208, 18-21 (Dr.); 6, 408, 11-13 (An den christl. Adel 1520); 6, 564, 6-11 (De captivitate . . . 1520); 11, 411, 31-412, 4 (Daß eine christliche Versammlung . . . 1523); 12, 178, 24-179, 24 (De instituendis . . . 1523); „Darumb wollt ich seer gerne, das diss wort 'priester' eben so gemeyn were, als das man uns Christen heysst. Denn es ist alles eyn ding, priester, getauffte, Christen", 12, 317, 9-11 (Epistel S. Petri . . . 1523). 7 ' Zu dieser Frage siehe Hök 1951, 151 ff., H. Storck, Das allgemeine Priestertum bei Luther 1953, H. Lyttkens, Luthers syn ρέ ämbete och allmänt prästadöme, Ny kyrkl. tidskrift 1958, i f f . , 76 ff., 113 ff., Brunotte 1959, 133 ff., R. Prenter, Reformatoren Martin Luther i960, 47 ff-, ders., UUA 1961, 81 ff., Persson 1961, 229 f f . und Hallgren 1963, 60 f f . 71 Siehe hierzu - ein häufig übersehener Unterschied - ein gutes Beispiel bei Luther 41, 2 i i , 26 f f . (Pred. 1535 Dr.) und ferner H. Nyman, Kyrkotjänarens nattvardsgäng i lutherskt gudstjänstliv 1955, 17 f., 31 ff. und Prenter UUA 1961, 96 f.
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dienst" aus, dazu, „Pfarrer" zu sein, da ja nicht alle predigen können7*. Alle Getauften haben die Macht, Vergebung zuzusagen u.s.w., aber nicht alle sollen sie öffentlich ausüben. Der Gesichtspunkt der Ordnung (x. Kor. 14, 40) wird von Luther häufig als Motiv für das Verfahren angeführt, „das die gemein einen der düchtig dartzu ist setze, der do predigt, Sacrament reychet etc." 77 . Es ist indessen keineswegs Luthers Ansicht, daß es sich beim Amt nur um eine praktische Ordnungsfrage handele. Er nimmt es vielmehr sehr genau damit, die göttliche unumstößliche Ordnung und Einsetzung des Amtes zu unterstreichen79. Die Kirche braucht ein äußeres, öffentliches Amt, das das Amt Christi ausüben kann. Daß ein solches Amt zu der göttlichen Konstitution der Kirche gehört, ist für Luther ein unbestreitbares Faktum. Wie dieses Amt praktisch und konkret gestaltet werden soll, ist hingegen eine Sache menschlicher Ordnungen, bei der es darum geht, welche praktischen Maßnahmen man zu ergreifen hat, um auf die beste Art Personen als Amtsinhaber einzusetzen". Spricht man also vom Amt als einer Ordnungsfrage, ohne diese Nuancen zu beachten, muß man sich vor Augen halten, daß man Luther zufolge dann nur von Personen, Amtsträgern, sprechen kann, niemals vom Amt selbst, denn das würde bedeuten, daß man das Wort und Christus zu Fragen praktischer Ordnungen machte. Diese schwer analysierbaren Probleme gewinnen an Klarheit, wenn man hier wiederum die communicatio idiomatum heranzieht. Wie eine communicatio zwischen dem Amte Christi und den menschlichen Personen, den Christen, besteht, so verhält es sich auch mit dem „daß" und dem „wie" des öffentlichen Predigtamtes, der göttlichen Ordnung und den menschlichen Maßnahmen. Das Amt und seine Aufgaben sind von Gott befohlen, die Gemeinde soll zusehen, daß Personen dafür zur Verfügung stehen. Hier herrscht kein Gegensatz zwischen Luthers Rede von göttlicher Einsetzung und seiner ständigen Betonung der Berufung der Gemeinde als dem entscheidenden Faktor bei der Besetzung des Amtes80. 7
° Über frühere Belege hinaus z.B. 41, 210, 22-25 (Pred. 1535 Dr.). 10 III, 97, 2-14 (Pred. 1522) mit einer Parallele in 101:2, 239, 21-35 CSommerpostille 1526 Roth); der Ordnungsaspekt schon in 2, 716, 27-37 (Ein Sermon von dem Sakrament der Buße 1519); 41, 210, 15-21 (Pred. 1535 Dr.); 50, 632, 36-633, 20 (Von den Konziliis und Kirchen 1539). Siehe für ausführliche Hinweise Brunotte 1959, 118 f f . 78 W. Brunotte, Das geistliche Amt bei Luther als ordinatio Dei, Luther 1959, 24 ff.; vgl. oben Anm. 50-52 mit Kontext. 7 " Z.B. 6, 440, 30-35 (Ал den christl. Adel 1520), wo wir noch einmal der Variabilität, der Freiheit und der Beweglichkeit des Inkarnationsgeschehens begegnen, das sich unmöglich abgrenzen und in Formeln einfangen läßt. Darum sagt Luther auch, daß das Amt Christi und des Wortes das einzige ist, was in der Kirche immer bleibt - denn das ist Gottes eigenes Handeln - die Personen aber, gleichwie alle anderen äußeren Einrichtungen „endern sich teglich", 38, 241, 19 f. (Von der Winkelmesse 1533); 47, 191, 37-192, 2 (Ausleg. des 3. und 4. Kap. Joh. 1538-40); vgl. oben Anm. 25 und 26 mit Kontext. 60 Zu vocatio externa siehe Brunotte 1959, 174 f f . und H. Lieberg, Amt und Ordination bei Luther und Melanchthon 1962, der durchweg mit der dazugehörigen Problematik arbeitet, bes. 121 f f . , 143 ff., 235 f f . 77
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Das ist vielmehr ein neuer Ausfluß der communicatio idiomatum: „vocatio externa" ist an sich Gottes eigene Berufung, die keiner Ergänzung durch eine besondere und mehr geistliche Berufung bedarf. Wenn nun die Göttlichkeit des Amtes von Gott genommen und auf die Person gelegt wird, muß der Geistliche als eine besonders ausgerüstete, mit dem character indelebilis versehene Person betrachtet werden", als Repräsentant einer höheren Art von Christen, die Gott näher stehen - das kann Luther sagen, meint dann aber das Amt, nicht die Person. Hier wird das „Amt" an sich betrachtet und das Menschliche eliminiert. Wenn andererseits die menschlichen und praktischen Aspekte von der Person auf das Amt übertragen werden, ist dieses nicht mehr ein besonderes, von Gott gestiftetes Amt; das Interesse konzentriert sich dann vielmehr auf die Person, und das Menschliche wird übermäßig betont. Man denkt sich dann den Geistlichen als einen Christen unter anderen, von dem sich nicht behaupten läßt, daß er eine besondere göttliche „Gewalt" habe, als einen „Laienprediger", der nicht auf die Größe des Amtes verweisen kann; denn der Amts-Gesichtspunkt ist verschwunden und durch eine innerweltliche Betrachtungsweise ersetzt worden, die das Einsetzen von Geistlichen als eine rein praktische Frage ansieht. Dann hat man in einer unlutherischen Weise Göttliches und Menschliches vermischt und die Voraussetztingen für die communicatio idiomatum zerstört. Luther dagegen erscheint es natürlich, dem Pfarrer zu lauschen wie Gott selbst, während er gleichzeitig Geistliche und Laien auf eine Stufe stellt - in allem, außer in bezug auf das äußere Amt". Und gerade das Wort - oder Christus und sein Amt - ist der in diesem Zusammenhang für die communicatio idiomatum entscheidende Punkt. Wo nach dem Befehl Jesu das Wort verkündet wird und die Sakramente ausgeteilt werden, da ist die Kirche. Diese Definition war der Ausgangspunkt und die Grundlage für die bisherige Beschreibung von Luthers Kirchenauffassung. Nun gehen wir weiter, indem wir behaupten: wo Kirche im äußeren Sinne ist, da sind nach Luther auch christliche Menschen, wo das Evangelium gepredigt wird, da ist „die Christlich gemeyne" Dann kommen wir von der „eusserlichen Christenheit" zur communio sanctorum. Diese beiden Aspekte hinsichtlich der Kirche lassen Das wird von Luther zurückgewiesen: 6, 408, 15-25 (Ал den christl. Adel 1520); 6, 567, 17-31 [De captivitate . . . 1520); 8, 486, 27-489, 30 (Vom Mißbrauch der Messe 1521). 8a „Das ist ein gros ding, das eins iglichen pfarrers munde Christi munde ist", 37, 381, 13 f. (Pred. 1534 R.); „Ideo non debes pfarrherr audire ut hominem, sed ut deum", 49, 140, 38 (Pred. 1540 R.), und doch: „ . . . a laico nihil differat nisi ministerio", 6, 567, 18 f. (De captivitate . . . 1520). 83 Ii, 408, 5-21 (Daß eine christliche Versammlung . . . 1523]; 50, 628, 19-630, 2 (Von den Konziliis und Kirchen 1539], u.a. die bekannte Stelle, 629, 34 f.: „Denn Gottes wort kan nicht on Gottes Volck sein, widerumb Gottes Volck kan nicht on Gottes wort sein"; 2 9< 363» Ч - Зб5/ 3 (Pred. 1529 R.); 40 I, 69, 23-29 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.]. 61
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sich nicht voneinander trennen, und wir haben auch schon mehrere Male den Gedanken einer Gemeinschaft der Heiligen gestreift". Sagt man nämlich, daß das Wort die Kirche schafft, oder wie Luther im Großen Galaterbriefkommentar, daß die Kirche durch das „ministerium verbi et sacramentorum" Gott Kinder gebiert, so ist das ein zusammenfassender Ausdruck für diese Doppelheit des Kirchenverständnisses Die Wirksamkeit des Wortes in der Kirche läßt sich als eine zweifache Inkarnationsbewegung beschreiben: einmal nimmt das Wort in äußeren Dingen Gestalt an, im Amt und Sakrament, und zum anderen werden durch das Amt dieses Wortes Christus Erben geborenLuther beschreibt daher die Kirche als die Braut Christi, die das Evangelium lehrt und verbreitet, und das eben ist gebären, die Mutter, welche die Christen als die Kinder Gottes in ihrem Schoß und auf ihren Armen trägt und sie erzieht und vervollkommnet, so daß Christus in ihnen Gestalt annimmt, „perficit ad formam Christi" Ein anderer repräsentativer Textabschnitt liegt in „Vom Abendmahl Christi" von 1528 vor88, wo die Kirche von Luther als „die gemeyne und zal odder versamlunge aller Christen ynn der weit" dargestellt wird. Die Kirche wird auch „braud Christi" und sein „geistlicher leib" genannt. Das wird auf die für Luther charakteristische Weise ausgelegt. Einerseits ist die Kirche eine „leiblich Christenheit" mit Sakrament und Predigt des Wortes, andererseits kann man sie als geistliche Größe bezeichnen, „versamlet geistlich ynn einem Euangelio und glauben unter ein heubt, das Jhesus Christus ist". Es fällt sofort in die Augen, daß die communicatio idiomatum hier durchweg in den Gedankengang einbezogen ist, aber wir wollen uns doch kurz bei einigen Punkten aufhalten, die in dem oben referierten Textzusammenhang eine Rolle spielen. i. Communio sanctorum8' bedeutet eine Gemeinschaft Christi mit den Christen wie auch der Christen untereinander. Das findet seinen prägnantesten Ausdruck bei Luther in dem Gedanken, die Kirche als Leib Christi und Christus als ihr Haupt anzusehen. Auch das Bild von Bräutigam und " Die Heiligen, die Menschen in der Kirche, werden Gegenstand der Darstellung im nächsten Kapitel sein; hier ist es die Kirche, Luthers Auffassung der Gemeinschaft, die behandelt wird. Siehe P. Althaus, Communio sanctorum 1929, Η. Olsson, Kyrkan sasom uttryck för Luthers gemenskapstanke, S v T K 1935, 49 f f . , und Althaus 1962, 254 f f . 85 40 I, 663, 24-28 [In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 D r . ] . 8 « Ib. 667, 2 5 - 2 7 ( D r . ) . 87 Ib. 664, 1 8 - 2 1 , 665, 1 4 - 1 7 ( D r . ) ; 3 0 1 , 188, 2 3 - 2 7 (Großer Kat. 1 5 2 9 ) ; „Das thut Christus, der dich in deinem Christentumb durch die T a u f f e und wortt gottes in den schoss der Christlichen kirchen, als unser lieben Mutter, leget", 47, 20, 1 9 - 2 1 (Ausleg. des 3. und 4. Kap. Joh. 1 5 3 8 - 4 0 ) . 88 26, 506, 3 0 - 5 0 7 , 16. 88 Zum Begriff: 6, 297, 37 f f . ( V o n dem Papstthum zu Rom 1 5 2 0 ) ; 7 , 2 1 9 , 1 - 5 (Eine kurze Form des Glaubens 1 5 2 0 ) ; 7, 7 1 2 , 39 (Responsio ad librum Ambrosii Catharini 1 5 2 1 ) ; „Quicunque hoc verbum gratiae habent, sunt communio Sanctorum et habent omnia", 29, 364, 1 8 - 2 0 (Pred. 1529 R.); ..Die heilige Christliche kyrche heisset der Glaube Communionem sanctorum", 30 I, 189, 6 f. (Großer Kat. 1 5 2 9 ) ; 50, 5 9 3 , 9 - 1 4 , 6 2 4 , 1 6 - 2 0 ( V o n den Konziliis und Kirchen 1 5 3 9 ) , Siehe Althaus 1929, 37 f f .
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Braut wird verwendet, um das Verhältnis Christi zu seiner Kirche darzustellen, wie uns Beispiele oben zeigten. 2. Die Gemeinschaft Christi mit seinen Jüngern fängt Luther häufig in dem Begriff mirum commercium ein, der die gegenseitige Teilhabe klar formuliert. 3. Das Inkarnationsdenken zeigt auch in der Ekklesiologie einen Zug von Erniedrigung und Geringheit, der es schwer oder unmöglich macht, die Kirche empirisch als communio sanctorum zu bezeichnen oder zu beschreiben. Damit hängt Luthers Auffassung von der Sichtbarkeit und Verborgenheit der Kirche zusammen. „Ecclesia est vivum corpus, in quo participant omnes omnibus". So beschreibt Luther die communio sanctorum in der ersten Psalmvorlesung'0. In einer Predigt über Matth. 25, 1 ff. sagt er: „Secht, hie im euangelio nent Christus alle christen tzu samen ein gespons oder braüt, und er ist der breutigam" Durch diese Bilder will Luther ein und dieselbe Sache zum Audruck bringen: die Zusammengehörigkeit Christi mit seiner Kirche; denn wie Bräutigam und Braut eine Einheit, ein Fleisch, sind, so gehören auch Haupt und Glieder unauflöslich zusammen. Von der Kirche geboren werden, „ad formam Christi" gebildet werden, Christi Braut sein, „gantz jnn jm verleibt und sein eigen" sein - das sind alles gleichwertige Formulierungen des Satzes: in der communio sanctorum leben". Christus ist Herr und die Christen sind „undter ein Heubt" gesammelt; sein Wort regiert die Kirche, wie die Braut auf die Stimme des Bräutigams hört: „Den der breuttigam und die braudt seindt ein leib, und was der breuttigam gebeut, das thut die braudth" Wieder sehen wir, daß das Wort die Gemeinschaft bestimmt und eine Kommunikation zwischen Christus und seinen Jüngern in der Kirche bewirkt. Es überrascht daher nicht, daß diese Gemeinschaft und Einheit häufig mit der Wirksamkeit des Wortes in der Kirche, vor allem in der Abendmahlshandlung, verknüpft wird. Wie der Wein aus vielen Trauben hergestellt ist und das Brot aus vielen Körnern besteht, die zu einem Laib verbacken sind, so sind alle diejenigen, welche im Abendmahl teil an Christi Leib und Blut erhalten, zwar viele, voneinander getrennte Individuen, aber sie sind „gleich jnn einen kuchen" in Christi Leib vereinigt, denn „fractio panis est participatum Corpus Christi"". ,0
4, 289, 2 und 25 f . (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; vgl. Maurer 1958, 86 f f . 10 III, 3 5 7 , 2 8 - 3 5 8 , 5 [Pred. 1 5 2 2 ) ; ib. 360, 2 5 - 2 8 . Dieses Bild prägt in vielen Einzelheiten die Darstellung in 47, 1 5 6 - 1 6 1 (Ausleg. des 3. und 4. Kap. Joh. 1 5 3 8 - 4 0 ) . 81
45/ 5 9 1 1 - 1 8 ( D a s X I V und X V Kap. Joh. 1 5 3 8 ) ; 2, 7 5 6 , 1 9 - 2 5 (Ein Sermon vom Sakrament des Leichnams Christi 1 5 1 9 ) ; 28, 149, 2 5 - 3 3 (Wochenpred. über Joh. 1 6 - 2 0 1 5 2 8 - 2 9 Cruriger); 3 3 , 2 3 2 , 2 4 - 3 1 (Wochenpred. über Joh. 6 - 8 1 5 3 1 H s . ) ; 5 1 , 487, 3 - 5 (Wider Hans W o r s t 1 5 4 1 ) . 93 4 7 , 198, 21 f. und 160, 1 - 1 4 (Ausleg. des 3. und 4. Kap. Joh. 1 5 3 8 - 4 0 ] . " 37« 376/ 1 2 - 1 9 (Pred. 1 5 3 4 R . ) ; 1 1 , 440, 1 0 - 2 1 ( V o m Anbeten des Sakraments des heiligen Leichnams Christi 1 5 2 3 ) ; 12, 490, 1 - 6 (Pred. 1 5 2 3 ) ; 15, 607, 22 (Pred. 1 5 2 4 Roth]; 38, 564, 2 1 - 3 1 (Annotationes in aliquot capita Matthaei 1 5 3 8 ] . V g l . auch den Leitgedanken in dem wichtigen Abschnitt 2, 7 4 3 - 7 4 9 (Ein Sermon vom Sakrament des Leichnams Christi 1 5 1 9 ] .
Die Kirche und die Werke
Hier liegt eine unauflösliche Einheit Christi und der Christen vor, eine intime Vereinigung und communicatio zwischen Haupt und Gliedern dieses Leibes Christi". In der Schrift wird von „Christi leyb" auf zweierlei Weise gesprochen, sagt Luther, einmal von dem natürlichen, von Maria geborenen Leib, und zum anderen von dem geistlichen, „welcher heupt ist Christus" Zuweilen benutzt Luther ein Bild: wenn man einem Menschen auf die Zehen tritt oder ihn in einen Finger sticht, zeigt er das vielleicht durch ein Verziehen des Gesichtes. Wie wir sahen, wendet er dieses Bild auf Christus an: wer den Menschen Jesus sieht, sieht Gott und die ganze Dreieinigkeit; ebenso benutzt er es für das Abendmahl: wer teilhat an Brot und Wein, empfängt totus Christus. Hier bezieht es sich auf den Leib Christi, die communio sanctorum: wer „einem dieser Geringsten" schadet oder Ehre erweist oder dient, und mag es das unansehnlichste und verachtetste Glied sein, hat damit das Haupt Christus selbst so behandelt, denn durch des Gliedes „eynleybung mit Christo" herrscht eine vollständige „gemeynschafft" und Einheit im Leibe Christi". Luther zieht gern eine Parallele zwischen der Einheit im Wesen Gottes und der Einheit in der Person Christi und der Einheit im Leibe Christi. Der Vater und der Sohn sind verschiedene Personen, aber ein einziger Gott, und Christus ist unteilbar in seiner Vereinigung von göttlicher und menschlicher Natur, und ebenso ist der Leib Christi eine Einheit von Haupt und Gliedern. Die Kirche ist eine Gemeinschaft einer göttlichen Person und vieler menschlicher Daraus ergibt sich: genau wie eine ständige communicatio zwischen dem göttlichen Logos und der Menschlichkeit Jesu und zwischen Christus und den äußeren menschlichen Dingen, die in der Kirche Christi in Funktion sind, stattfindet, so besteht auch eine communicatio zwischen Christus und seiner Kirche, dem Haupt und den Gliedern. Communio sanctorum bedeutet, „das yn disser gemeyne odder Christen" 6, 299, 1 - 1 0 [ V o n dem Papstthum zu Rom 1520). Ein in diesem Zusammenhang gewichtiger Text ist 45, 299-315 (Pred. 1537), der in einer eingehenden und deutlich herausgearbeiteten communicatio-Auslegung den Gedanken an den Leib Christi behandelt; vgl. Kap. II C : i , 238-241. " Ii, 437, 21-25 ( V o n Anbeten des Sakraments . . . 1523); 4, 3, 17-21, 421, 32-38 (Dictata super Psalterium 1513-16). " 2, 743, 11-744, 18 (Ein Sermon vom Sakrament . . . 1519); 28, 149, 3 1 - 1 5 1 , 31 (Wochenpred. über Joh. 16-20 1528-29 Cruciger); 40 II, 171, 30-172, 14 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.]; 45, 308, 10-40 (Pred. 1537 Dr.). " e „ . . . Sicut pater et filius ein einigs wesen ist, sie Christianitas cum Christo. Non vult dicere [die Schwärmer], quod Christianitas sit divina natura. Variae sunt naturae et tarnen quaeque sind totum wesen quanquam natura alia deitatis quam Christianitatis, tarnen sicut pater et filius unum divinum wesen sind, sie Christus cum sua Christianitate ist ein Christlich wesen . . . Cum Christianus sum, qui mihi digitum krumbt, Christo, quia sum das kleinst zelichen Christi . . . " , 28, 187, 2-189, 2 (Wochenpred. über Joh. 16-20 1528-29 R.); einen anderen, sehr aufschlußreichen Text finden wir in 33, 231, 23-235, 22 (Wochenpred. über Joh. 6-8 1531 Hs.); 39 II, 297, 21-299, 29 (Prom. disp. von G . Major und J. Faber 1544 В.); „Ipse caput: nos membra . . . Prima igitur coniunetio est patris et filii in divinitate, Altera divinitatis et humanitatis in Christo. Tertia Ecclesiae et Christi", 43, 582, 26-29 (Vöries, über 1. Mose 1535-45).
Die Kirche und die Werke
heyt alle ding gemeyn seynd" Die Zusammengehörigkeit mit Christus bedeutet, daß der Christ „eyn kuchen mit Christo" ist, „wir tretten mit yhm ynn eyn gemeynschafft seyner gutter, und er ynn eyn gemeynschafft unsser gutter" \ Was für ein Glied gilt, hat mit dem ganzen Leib zu tun, was sich in bezug auf Christus sagen läßt, hat auch für den Christen Gültigkeit2. Die communicatio idiomatum, die hier stattfindet, läßt sich am ehesten als ein mirum commercium zwischen dem Haupt und den Gliedern beschreiben: Christus nimmt Sünde und Unglück des Menschen auf sich, erwirbt die Vergebung der Sünden und schenkt den Sündern seine Gnade und Seligkeit, denn „die voreynigung machts alles gemeyn". Die Kirche, sagt Luther in dem in dieser Verbindung wichtigen Abendmahlssermon von 1519, ist „eyn gemeynschafft und gnediger wechseil odder vormischung unsser sund und leyden mitt Christus gerechtickeit und seyner heyligen" 3. Diese Austeilung, die dauernd in der Kirche geschieht, diese communicatio zwischen dem einzig Gerechten und den Sündern, dieser „fröhliche Wechsel" von Gnade und Sünde, Göttlichem und Menschlichem ist es, was Christi Leib mit Leben erfüllt. Dieser Sermon zeigt den tiefen Zusammenhang zwischen den hier gestreiften Gedankengängen: corpus Christi, „gemeynschaft und eynleybung mit Christo", mirum commercium, Austausch und Zusammengehörigkeit, die die Christen zu „eyn wessen untzurteylig mit Christo" machen, und communicatio idiomatum \ Die grundlegende Bedeutung des Inkarnationsgedankens zeigt sich auch in dem Zug von Erniedrigung und Verborgenheit, der Luthers Kirchenverständnis auszeichnet. Die theologia cruris bestimmt hier seine Auffassung. Die Kirche tritt in der Kreuzesgestalt hervor, sie bekommt Unglück und Anfechtungen zu spüren, der Teufel setzt sie Ärgernis und Verfolgung aus, und Gott selbst verbirgt sie unter Mängeln und äußerer Zersplitte7, 219, и f . (Eine kurze Form des Glaubens 1520); „Quid est credere Ecclesiam sanctam quam sanctorum communionem? Quo communicant autem sancti? nempe bonis et malis: omnia sunt omnium . . . nos unum corpus sumus . . .", 6, 1 3 1 , 3 6 - 1 3 2 , 10 (Tesseradecas . . . 1520); 10 II, 394, 6 - 1 1 (Betbüchlein 1 5 2 2 ] ; ein gutes Beispiel dafür gibt es im Großen Katechismus, 30 I, 189, 6 - 1 9 0 , 17 ( 1 5 2 9 ] . 1 12, 486, 8 - 1 0 (Pred. 1 5 2 3 ) . 2 2, 748, 14-20 (Ein Sermon vom Sakrament . . . 1 5 1 9 ] ; 6, 1 3 1 , 7-29 (Tesseradecas . . . 1 5 2 0 J ; „sacerdotes sumus . . . cum Christo unum, unus panis, unus potus, unum corpus, membrun de membro, una саго, os ex ossibus eius esse et omnia habere communia dicimur", 12, 179, 19-24 (De instituendis . . . 1 5 2 3 ) ; „Nos Christiani non solum similiter adfecti sed unum corpus sumus. Ex hoc scimus: si credimus in Christum et sumus eius membra, haben wir diesen vorteil: 1 . quisquid mich anghet, das ghet den gantzen leib an. Non solum sumus gleich sed 'eius', es heist Sancta communio, non similitudo", 28, l 49> 3-7 (Wochenpred. über Joh. 1 6 - 2 0 1528-29 R . ) ; 40 II, 1 7 1 , 3 5 - 1 7 2 , 14 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.). 3 2, 749, 2 f . und 32 f . (Ein Sermon vom Sakrament . . . 1 5 1 9 ) ; 37, 68, 26-69, 3 (Pred. 1433 Dr.) und an vielen Orten. ' 2, 743, 7 - 3 0 , 748, 1 4 - 3 7 ; siehe auch W . Wagner, Die Kirche als Corpus Christi mysticum beim jungen Luther Z K T h 1937, 29-98. Der Gedanke an mirum commercium wie auch an die Gemeinschaft der Christen wird bei mehreren Gelegenheiten wieder auftauchen.
Die Kirche und die Werke
rung5. Aber das ist Gottes Art, sich zu offenbaren: Er ist ein Deus absconditus in passionibus, und ebenso ist der Inkarnierte: Christus crucifixus". Im Großen Galaterbriefkommentar von 1535 wie auch in „Von den Konziliis und Kirchen" χ 539 7 sind diese wichtigen Gedanken klar dargestellt. Wie Christus, das Haupt der Kirche, als Mensch auf Erden in Niedrigkeit und Ohnmacht lebte, so wird seine Kirche und werden ihre einzelnen Glieder gehaßt und verfolgt und müssen das Luther zufolge sein8. Vor der Welt scheint die Kirche von Gott verlassen, voller Sünde und Mängeln, und gleichwohl - und daran zweifelt Luther niemals - ist sie eine „sancta ecclesia". Sie ist „simul sancta et peccatrix", gleichzeitig untadlig und fleckenlos - aber nur im Glauben und wenn man auf Christus blickt - und von Schwäche und Begierden überhäuft - nämlich an sich und so, wie sie der Welt erscheint". Daher muß die Kirche und muß ein jeder Christ ständig beten: „Vergib uns unsre Schuld" und muß zum Wort fliehen, zu Christus und zur Vergebung der Sünden10. Die rechte Kirche lebt unter Mühsal und Bedrückung, sie ist ungern geduldet und muß, sagt Luther, in dem Rufe stehen, daß sie Aufruhr und Zersplitterung und alles mögliche Übel verursache. So muß es sich dem Wort Gottes zufolge für die wahre Kirche verhalten, denn solange das Evangelium verkündigt wird, wütet der Teufel und schickt Schrecken und Verfolgungen über die Christen 11 . Aber ebenso wie Christus als Lügner dargestellt und das Wort zu einem „evangelium falsum" verdreht werden kann, kann die Kirche abtrünning und zu einer „ecclesia falsa" werden12. 6
20, 564, 32 f. [Pred. 1526 Dr.]; „Regnum Christi . . . in medio regni sathanae et in media cruce superet et regnet", 24, 466, 8 - n (In Genesin Declamationes 1527]; 38, 563, 1-31 (Annotationes in aliquot capita Matthaei 1538); 40 II, 1 7 1 , 28 f. [In epistolam ad Galatas 1535 Dr.]; 45, 227, 22-228, 21 [Pred. 1537 Dr.]; vgl. DB 7, 418, 36 ff.: „. . . Der teuffei kan sie [die Artikel von der Kirche] wol zu decken, mit ergernissen und rotten, das du dich müssest dran ergern, so kan sie Gott auch mit gebrechen und allerley mangel verbergen, das du must drüber zum narren werden, und ein falsch urteil über sie fassen". Über die theologia crucis in der Kirchenauffassung des jungen Luther siehe von Loewenich 1929, 170 ff. und Maurer 1958, 90 ff. ° i, 362, 1 5 - 3 3 (Disputatio Heidelbergae habita 1518]; 44, 110, 23-33 (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ] · 7 Siehe u.a. 40 I, 670-682, 40 II, 55-58 bzw. 50, 641-647. 8 40 I, 676, 20-27, 40 II, 106, 19-25; 50, 641, 35-642, 17· Vgl. beim jungen Luther 3, 547, 24-27, 4, 264, 29 f. (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ] . * „Est quidem Ecclesia sancta, tarnen simul peccatrix est", 401, 197, 23 f. (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.]; ib. 444, 33-445, 18; 40 II, 560, 10 (Praelectio in ps. 45 1532 Hs.]; 38, 216, 5 - 7 (Von der Winkelmesse 1 5 3 3 ] . 10 40 I, 132, 17 f., 196, 22-197, 2 7 und 40 II, 106, 34-107, 15 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.]; das ist ein häufiger Gesichtspunkt, z.B. 38, 208, 14-20 (Von der Winkelmesse 1533]; 46, 772, 16-21 (Ausleg. des 1. und 2. Kap. Joh. 1537-38); 52, 1 3 1 , 17-27 (Hauspostille 1544 V . Dietrich). 11 Siehe wiederum den Galaterbriefskommentar 1535, 40 I, 680, 32-682, 30, 40 II, 55, 15-56, 15 und 58, 25-33 (Dr.). Vgl. die wichtige Darstellung bei W . Höhne, Luthers Anschauungen über die Kontinuität der Kirche 1963, hier bes. 73-88. 12 Siehe die hier wichtige Schrift De potestate leges ferendi in ecclesia 1530, Abschnitt 30 II, 681-690, und ferner u.a. 38, 545, 2 1 - 4 1 (Annotationes in aliquot capita Matthaei 1538); 43, 597-601 und 44, 23, 17-28 (Vöries, über 1. Mose 1535-45); 4 6 , 7°7, 17-708, 20 - Nilsson
Die Kirche und die Werke
In jedem Augenblick ist für Luther die Auffassung des Wortes der zentrale Punkt. Daß die Kirche simul sancta et peccatrix ist, bedeutet hier, daß sie gleichzeitig unfehlbar ist und Irrtümer begehen kann: „Darumb, so fern die kirche jm wort und glauben Christi lebt und redet, ist sie heilig . . . Aber so fern sie on Christus wort und glauben thut und redet, jrret sie und sundigt" Die falsche Kirche behandelt also das Wort mit Geringschätzung - sie fehlt nicht nur, sondern sie beharrt bewußt in ihrer Verfehlung - und damit mißachtet sie Gott, sie wird zu einem reinen Menschenwerk, das niemals etwas Göttliches zu schenken vermag. Das bedeutet, daß das Verhältnis zwischen Göttlichem und Menschlichem gestört und die communicatio idiomatum außer Funktion gesetzt wird. Zusammenfassend läßt sich dieser Gedankengang folgendermaßen formulieren: die „ecclesia vera", die das Wort behalten und demütig bei dem Gekreuzigten verharren will, muß Leiden und Bedrückung ertragen, aber die „ecclesia falsa", die das Wort verachtet und daher als eine Teufelskirche, eine verführte Braut Christi bezeichnet werden kann, braucht die Verachtung der Welt nicht zu fürchten, sondern ist angesehen und wird geehrt14. Der Zusammenhang zwischen der Kirche Christi, dem rechten Gebrauch des Wortes, dem simul-Zug, der theologia crucis und der communicatio idiomatum tritt ganz deutlich hervor; hier haben wir die grundlegenden Züge in Luthers Ekklesiologie. Dieses inkarnatorische Denken, das der Erniedrigung und der Gleichzeitigkeit von Heiligkeit und Sünde Ausdruck verleiht, muß den Hintergrund bilden, wenn man die Verborgenheit und Unsichtbarkeit der Kirche nach Luther zu verstehen s u c h t W i r haben oben den doppelten absconditus-Aspekt beschrieben: die Verborgenheit unter dem Geschaffenen und Leiblichen und die Verborgenheit unter Sünde und Schande. Dieser Gesichtspunkt spielt auch hier eine Rolle, aber auch in diesem Zusammen9 (Ausleg. des i. und 2. Kap. Joh. 1 5 3 7 - 3 8 ) . Diese Distinktionen: „Evangelium verum et falsum", „Ecclesia vera et falsa", bestimmen die Kritik Luthers an den Konzilien und seine Behandlung dessen, was in der Kirche die Autorität ist, 39 I, 185 f f . (Disp. de potestate concilii 1 5 3 6 ) und dann vor allem in „ V o n den Konziliis und Kirchen" 1 5 3 9 und „Wider Hans Worst" 1 5 4 1 ; vgl. U . Seeger, Luthers Kampf für die wahre Kirche Christi, Luther 1956, 106 f f . , Kinder 1958 (Festgabe J. Lortz I), 183 f f . , Pelikan 1958, 105 f f . Eine römische Beurteilung davon begegnet uns bei Y . M.-J. Congar, Vraie et fausse reforme dans l'figlise 1950, 88 f f . und bes. 3 8 1 f f . , w o eine spiritualistische und undialektische Deutung von Luther gegeben wird; vgl. Rupp 1 9 5 3 , 329 f f . 13 30 III, 342, 1 8 - 3 3 (Glosse auf das vermeinte kaiserliche Edikt 1 5 3 1 ) ; 5 1 , 5 1 8 , 3 3 (Wider Hans Worst 1 5 4 1 ) ; 40 I, 1 3 2 , 27 f. (In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 Dr.); siehe hier auch 17 II, 2 6 - 3 0 (Fastenpostille 1 5 2 5 ) und 38, 2 1 5 - 2 1 9 ( V o n der Winkelmesse 15ЗЗ)· 14 V o n der geschändeten Braut, der Kirche als „des Teuffels hurhaus", siehe 47, 1 5 8 f f . (Ausleg. des 3. und 4. Kap. Joh. 1 5 3 8 - 4 0 ) und auch 5 1 , 4 7 7 , 25 f., 487, 2 0 - 2 3 (Wider Hans Worst 1 5 4 1 ) . 15 So z.B. im Galaterbriefskommentar 1 5 3 5 : „Recte igitur fatemur in Simbolo, Nos credere Ecclesiam Sanctam. Est enim invisibilis, habitans in Spiritu, in loco 'inaccessibili', ideo non potest videri eius sanctitas. Deus enim ita abscondit et obruit eam infirmitatibus, peccatis et erroribus, variis formis Crucis et scandalis, ut secundum sensum nusquam appareat", 40 II, 106, 1 9 - 2 3 ( D r . ) .
Die Kirche und die Werke
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hang dürfte er bei der Forschung nicht die Beachtung gefunden haben, die zu einer Lösung des Problems geführt hätte. Spricht man nämlich von der Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit der Kirche, verhält es sich offensichtlich so, daß diese Ausdrucksweise bei Luther auf zwei Gedankengänge Bezug nimmt, die auseinanderzuhalten sind10. i. Die Kirche ist unsichtbar: sie ist nicht von dieser Welt, sie ist kein „regnum carnale", sondern wird ganz vom Geist regiert, ist ein geistliches und himmlisches Reich17. Daß die Kirche sichtbar ist bedeutet dann, daß sie als göttlich und geistlich doch menschliche Gestalt angenommen hat. Was man von der Kirche sieht, ist ihr inkarnatorisches und institutionalistisches Äußeres, aber ihre göttliche Struktur ist unsichtbar19. Die Kirche tritt sichtbar, leiblich und erfahrbar hervor, aber läßt sich nicht mit diesem Äußeren identifizieren: „involuta in carne, sed non caro". So wird ja in der Ekklesiologie das für Luther unumstößliche Verhältnis von Göttlichem und Menschlichem, Geistlichem und Leiblichem, ausgedrückt; das ist das gleiche eine communicatio-Faktum, das im Streit mit den Schwärmern im Zentrum stand. Christus ist im Fleisch geboren von Maria, „in personam suam", jetzt wird er auf geistliche Weise „in corpus suum quod est ecclesia" geboren". In der Kirche kann man Christus nicht „secundum carnem" kennen lernen, sondern „secundum spiritum", aber daß man jetzt Christus nicht im Fleisch begegnen kann, so wie er einst auf Erden wandelte, bedeutet nicht, daß man ihm nicht „in carne" begegnete: „Im fleisch und nach dem fleisch ist weit von einander" i0. Hingegen schließen geistlich 18 Holl 1921, 251 f f . und 266 f f . , F. Raitenbuch, Die Doppelschichtigkeit in Luthers Kirchenbegriff 1928, 240 f f . , M. Doerne, Gottes Volk und Gottes Wort, LuJ 1932, 61 f f . , H. Olsson 1935, ders., Sichtbarkeit und Verborgenheit der Kirche nach Luther [in: Ein Buch von der Kirche 1951, 338 f f . ) ; Kinder 1958 [Festgabe J. Lortz I), 173 f f . , Pedersen 1959, 34 f f . , Althaus 1962, 248 f f . 17 Z.B. 4, 259, 28-30 [Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; 6, 293, 13-27 [Von dem Papstthum zu Rom 1520). 18 ι» 639, 2-6 [Sermo de virtute excommunicationis 1518); 4, 81, 1 2 - 1 4 , ^ 9 , 18-25 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 } ; „quia est talis congregatio Ecclesia, quam, nisi Spiritus sanctus revelaverit, non possumus earn comprehendere, quia est in carne et apparet visibilis, est in mundo et apparet in mundo, sed tarnen non est mundus nec in mundo, ac nemo eam videt", 39 II, 149, 8 - 1 1 [Prom. disp. von Joh. M. Scotus 1542 A.]; ib. 1 6 1 , 16-20 [В.); 43, 404, 26-36 (Vöries, über 1. Mose 1535-45]. 19 5/ 55*, 2 8 f . (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ) . - Von einem reformierten Standpunkt aus gibt T. F. Torrance eine gute Darstellung von Luthers Ekklesiologie mit vielen vorzüglichen Beobachtungen, „Kingdom and Church. Α Study in the Theology of the Reformation" 1956, bes. 45-72. Es ist typisch und insofern kaum unerwartet, daß das Grundproblem für Torrance in dem richtigen Verständnis der communicatio idiomatum liegt. Ihm erscheint es schwierig, die Einheit von Geistlichem und Leiblichem in der Kirche zu sehen. Es gibt bei Luther, meint er, eine „tendency towards a docetic view", und das wird auch „a real weakness in his doctrine of the Church". Hier sieht Torrance einen Gegensatz, der bei Luther nicht zu finden ist, und der den Mangel dieser Auslegung der communicatio idiomatum bei Luther enthüllt, siehe 61-64 u n d auch 139-150. 20 26, 310, 25 f . (Vom Abendmahl Christi 1528); „Quamquam ecclesia in carne vivat, tarnen non secundum carnem vivit . . . Sicut enim Ecclesia sine esca et potu non est in hac vita, et tarnen regnum dei non est esca et potus secundum Paulum, Ita sine loco et corpore non est Ecclesia et tarnen corpus et locus non sunt Ecclesia", 7, 719, 34-720, 3
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und leiblich einander nicht aus, im Gegenteil: „So das widderspiel warhafftig ist, Das der geist bey uns nicht sein kan anders denn ynn leiblichen dingen" Christus ist auf geistliche Weise in der Kirche, und das bedeutet, daß er dort „secundum verbum dei" ist, was wiederum heißt, daß er in der Predigt und im Sakrament dort ist, also in carne2". Christus ist im Fleisch und ist gleichwohl geistlicher, göttlicher Natur, und die Kirche hat eine äußere leibliche und sichtbare Gestalt, und gleichwohl ist diese selbe Kirche ihrem Wesen nach durch und durch geistlich: „Es ist ein hoch, tieff, verborgen ding die Kirche, das sie niemand kennen noch sehen mag, Sondern allein an der Tauffe, Sakrament und Wort fassen und gleuben mus" Die Kirche ist unsichtbar, denn sie ist abscondita in carne. 2. Die Kirche ist unsichtbar: sie ist eine sancta ecclesia, eine communio sanctorum, und folglich heilig und um Christi willen ohne Sünde. Daß die Kirche sichtbar ist bedeutet dann, daß sie als heilig und sündlos doch sündig erscheint. Was man von der Kirche sieht, sind ihre Mängel, ihre Heiligkeit aber ist wenig zu merken. Sie ist vielmehr ohne Ansehen, „sine nomine", geschändet und verfolgt". Was für die Welt sichtbar ist, ist eine äußere Kirche mit einer Anzahl von Getauften", daß aber diese Kirche gleichzeitig das Reich Christi sein sollte, ist nur dem Glauben offenbar, denn auch das im rationalem Sinne Sichtbare kann verborgen sein. Die Kirche ist simul sancta et peccatrix, sie ist nach außen voller Sünde, Schwächen und Irrtümer - und tatsächlich meint Luther, daß Gott seine Kirche auf diese vernunftwidrige Weise verberge 28 - und doch ist sie (Responsio ad librum Ambrosii Catharini 1521]; 11, 72, 12-37 (Pred. 1523 R.); 23, 734, 2 7-736, 29, fPred. 1527]. " 23, 193, 31 f. [Daß diese Wort Christi . . . 1527); ib. 189, 10 f.; Luther hebt hier den traditionellen Unterschied zwischen Geist und Fleisch ganz und gar auf: „alles geist, geistlich und des geists ding ist und heist, was aus dem heiligen geist kompt, es sey wie leiblich, eusserlich, sichtbarlich es ymer sein mag, Widderumb fleisch und fleischlich alles, was on geist aus natürlicher krafft des fleischs kompt, Es sey wie ynnerlich und unsichtbar es ymer sey", ib. 203, 7-11; vgl. die Satire in 10 II, 19, 16-26 (Von beider Gestalt . . . 1522). Über die Auffassung der Schwärmer in diesem Zusammenhang siehe u.a. F. Heyer, Der Kirchenbegriff der Schwärmer 1939 und Prenter 1954, 254 ff.
" 23, 737, З-20 CPred. 1527).
" 5 1 / 5°7, 31-33 [Wider Hans Worst 1541 Dr.]; vgl. eine klare Aussage schon in den Dictata 1 5 1 3 - 1 6 , 3, 183, 26-184, 9; „Christus hat nit zwey noch zwerley art corper, einen weltlich den andern geistlich. Ein heubt ist und einen corper hat er", 6, 408, 33-35 (An den christlichen Adel 1520]; 44, 110, 23-111, 31 (Vöries, über 1. Mose 1535-45). 21 Die Auslegung von Jes. 35 handelt von der Kirche „sub crucis" und „in deserto", 31 II, 220 ff. (Vöries, über Jesaia 1527-30 Lauterbach]; 31 II, 610, 3 1 - 6 1 1 , 30 (Vöries, über
das Hohelied 1530-31 Dr.]; TR IV, 312, 28 f. (Lauterbach 1539]. 25
30 II, 421, 19-21 (Artikel wider die ganze Satansschule 1530]; „Sic Ecclesia Christiana est dei regnum vel eius himel, et omnes qui baptisati et fidem habent, sunt in isto regno . . . Ideo caelum est tota Christianitas, ubi sunt baptisati homines, sunt Christi regnum. Es ist ein verborgen himelreich", 37, 541, 25-542, 2 (Pred. 1534 R.]. 28 „Ecclesia est occulta, habitat in spiritu et 'luce inaccessibili', deus abscondit earn sub erroribus, infirmitate, peccato, ut nusquam appareat secundum sensum", 40 II, 105, 9-106, ι (In epistolam ad Galatas 1531 R.]; 44, 109, 25 f. (Vöries, über 1. Mose 153545].
Die Kirche und die Werke
gleichzeitig heilig und ganz und gar ohne S ü n d e A b e r das läßt sich nur durch das Wort entdecken und muß sub contraria specie geglaubt werden: „Est sanctitas credibilis" Die Kirche ist unsichtbar, denn sie ist abscondita sub peccato. Luther hält somit die ganze Zeit an folgendem fest: in der äußeren, leiblich greifbaren Kirche ist Gott und sind die Segnungen der ganzen geistlichen Welt, es ist eine und dieselbe Kirche, die gleichzeitig sichtbar und unsichtbar, offenbar und verborgen, menschlich und göttlich ist, und in dieser ganzen Ekklesiologie pulsiert die communicatio idiomatum. B. Der Sünder unter der erneuernden Gnade
Gottes
Als wir im ersten Hauptteil Luthers Anthropologie untersuchten, fanden wir dort einmal die Schöpfung des Menschen zum Bilde Gottes und zum anderen den Sündenfall und die totale Verderbnis des Menschen beschrieben. Diese beiden Schilderungen des Menschen sind Luther zufolge i. als Wesensbestimmungen zu fassen: der Mensch ist imago Dei in substantia sua und peccatum originis ist de essentia, 2. als Aussage über die Gottesrelation: der Mensch ist imago Dei nur in spe und durch Gottes Gnade, die Sünde ist Unglaube und Abfall vom Wort Gottes. Entcheidend für die Stellung des Menschen ist sein Verhalten - im Guten wie im Bösen - gegenüber dem Wort, dem schöpferischen, erhaltenden, lebenspendenden Wort. Dieser allgemeine anthropologische Hintergrund bildet die Voraussetzung für ein Verständnis von Luthers Auffassung des christlichen Menschen. Die einzelnen Glieder in Luthers Gedankengang sind deutlich erkennbar. Zunächst muß man definieren, was der Mensch ist, und sodann erklären, was es heißt, daß der Mensch ein Sünder ist. Bevor dies nicht geschehen ist, läßt sich nicht in sinnvoller Weise zum Ausdruck bringen, was es bedeutet, daß Gott Mensch wurde und daß dieser inkarnierte Gott zum maximus peccator erklärt wurde. Da Christus wahrer Mensch nicht nur in se ist - und man ihm noch weniger an sich das Prädikat Sünder erteilen kann - sondern dies pro nobis ist, könnte man die Behauptung auch umdrehen und sagen: Christus stellt die imago Dei beim Menschen wieder her und ist der einzige, der wirklich Mensch ist, wahrer Mensch; aber das ist er als Gott und als maximus justus. Man könnte also behaupten: ebenso notwendig, wie es für Luther ist, zu einer klaren Auffassung vom Menschen in der Schöpfung und unter dem Gesetz zu gelangen, um dadurch Christus als verus homo, anderen gleich und dem Gesetz unterworfen, verstehen zu können, ebenso unumgänglich ist es, Christus als den einzigen Gerechten zu sehen, den, der die Bestimmung des Menschen, imago Dei zu sein, erfüllt hat, um von diesem Menschen ausgehend recht 27
3» ·83, 20-184, i8 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) und noch einmal in der wichtigen Schrift Responsio ad librum Ambrosii Catharini 1 5 2 1 , 7, 7 1 0 , 1 - 5 . 28 40 II, 520, 1 1 - 5 2 2 , 8 (Praelectio in ps. 45 1532 Hs.) und früher 4, 450, 3 9 - 4 5 1 , 27 [Dictata super Psalterium Glossa 1 5 1 3 - 1 6 ) ; vgl. die bekannte Stelle in De servo arbitrio 1 5 2 5 , 18, 651, 22-652, 23.
Die Kirche und die Werke
begreifen zu können, was der Mensch nach dem Willen Gottes sein sollte. Anthropologie und Christologie bedingen einander in Luthers Theologie und setzen einander voraus. Erst jetzt ist es daher möglich, Luthers Äußerungen über den christlichen Menschen in ihrem rechten Licht zu sehen. Die Untersuchung dieser Frage wird so vor sich gehen, daß wir zuerst den christologischen Gehalt von Luthers Bestimmung des Menschen als simul justus et peccator prüfen. Sodann werden wir eine Reihe von damit zusammenhängenden Problemen behandeln, die Anfechtung, den conformitas-Gedanken, die Rolle des Gebetes, Luthers Verständnis der Heiligung und die häufig erörterte Frage des progressus, der realen Frömmigkeit und der Befreiung von der Sünde. Der Ausgangspunkt ist also der Sünder, der dem Evangelium begegnet, während er dem Gesetz und dem Gericht unterworfen ist, der Sünder, der im Wort teil erhält am Heilswerk Christi, wie es ihm in der Kirche dargereicht wird. Um Gnade und Vergebung zu finden, muß er wie immer von unten bei der humanitas Christi, bei den äußeren, menschlichen Anordnungen der Kirche beginnender Predigt des Pfarrers lauschen, am Brot und Wein des Abendmahls teilhaben usw. Die Frage ist somit, wie Luther diesen Menschen, den Sünder, beschreibt, der durch das Evangelium unter die erneuernde Wirkung der Gnade Gottes getreten ist. i. Simul justus et peccator Wenn gesagt wird, daß es für Luthers gesamte Theologie und auch für seine Anthropologie charakteristisch sei, daß sie durch und durch christologisch geprägt ist 1 , so kann das nur mit starker Modifikation als Wahrheit gelten. Wenn man mit dem Attribut christologisch nur meint, daß Christus als das ewige Wort, als Gottheitsperson, an jedem Punkt der Theologie Luthers eine entscheidende Rolle spielt, ist das zweifellos richtig, denn dann zu behaupten, daß z.B. seine Anthropologie nicht christologisch zu verstehen wäre, hieße sagen, daß Gott nichts mit dem Menschen zu tun hat. „Christologisch" erhält dann die Bedeutung von trinitarisch oder ganz einfach r/ieologisch. Wenn man aber andererseits den Inhalt des Terminus christologisch darauf beschränkt, sich auf die inkarnierte zweite Person, Jesus von Nazareth, zu beziehen, hat man keinerlei Recht zu behaupten, daß Luthers Menschenauffassung christologisch bestimmt sei, denn das 1 Siehe z.B. Olsson 1934, 140 und Torgny Bohlin 1952, 2 2 1 , 225, 322. - Bohlins Dissertation von dem gekreuzigten Schöpfer ist im großen und ganzen von dem Gegensatz zwischen Räumlichem und Zeitlichem gekennzeichnet, und Bohlin meint, durch die Betonung der zeitlichen Aspekte eine richtigere Darstellung von Luthers Theologie geben zu können. Dabei legt er großes Gewicht auf die communicatio idiomatum und entfaltet ihre Bedeutung und ihren Inhalt mit großem systematischen Scharfsinn. Aber trotz seines Unterstreichens dieses echt lutherischen Zuges hat man öfters Schwierigkeiten, Luther in diesem Buch zu erkennen. Die Zeitspekulationen und die häufig hervortretenden barthianischen Gesichtspunkte führen in eine zwar spannende und interessante, aber f ü r Luther doch zum Teil fremde Welt. Siehe hierzu Wingrens Rezension in S v T K 1953, 163 f f .
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würde bedeuten, daß nur der, welcher Christus kennt, etwas Richtiges über den Menschen im allgemeinen und seine Stellung in der Welt aussagen könnte. „Christologisch" wird dann enger als christozentrisch definiert, eine Zweite-Artikel-Aussage in einem gewissen Gegensatz zu den Bestimmungen des ersten und dritten Artikels. Diese Distinktion hat für Luther besonderes Gewicht, und doch läßt sich keiner von den beiden Gesichtspunkten aus seiner Theologie eliminieren. Vielmehr hat jeder von ihnen Relevanz - in seinem rechten Zusammenhang. Es ist für Luther richtig zu behaupten, daß alles durch Christus und zu Christus geschaffen ist, und daß somit in der Schöpfung, im Alten Testament, bei den Heiden, nichts denkbar ist, dessen Dasein nicht durch ihn bestimmt ist. Insofern läßt sich sogar vom ersten Artikel sagen, daß er christologisches Gepräge trage 2. Aber es erscheint Luther auch richtig zu behaupten, daß die Kirche und der Christenmensch nur christologisch zu verstehen sind - und zwar in der anderen, engen, Bedeutung. Und da ist es ebenso wichtig zu konstatieren, daß die Zusammenhänge des ersten Artikels von Luther nicht als christologisch charakterisiert werden können. Luther nimmt dann aufs bestimmteste Abstand von einer christologischen Deutung von Schöpfung, Gesetz, Beruf, weltlichem Regiment und der Anthropologie in diesem Zusammenhang. Dagegen teilt man mit ebenso großer Sicherheit Luthers Ansicht, wenn man behauptet, daß die Auffassung vom christlichen Menschen ein christologisches und christozentrisches Vorzeichen trägt. Diese Behauptung ist eigentlich nur eine Variante der Dreieinigkeitslehre: unauflösliche Einheit und unwandelbare Trennung, einerseits „ad extra", was von Gott gesagt wird, gilt auch von Christus, andererseits „ad intra", was von Christus gesagt wird, gilt nicht vom Vater und dem Geist. Daher kann der Begriff christologisch sich einmal auf die ganze Theologie beziehen, zum anderen aber nur auf den zweiten und in gewissem Sinne auf den dritten Artikel. Betrachten wir somit den Menschen, der in das Reich Christi hineingesetzt ist, erhält der christologische Aspekt Aktualität - auch in diesem engen Sinn. Wir befinden uns dann nicht mehr nur im Zusammenhang des 2 Ein lehrreiches Beispiel, das den christologischen Gedankengang deutlich zeigt - man beachte das typische Bild von dem geschlagenen Mann, auf welches wir später zurückkommen werden: „Item, warümb sol ich diesem [als meinem vater, herrn oder Fürsten) gehorsam und unterthan sein, was ist er anders denn ich etc.? Aber solchs heisst nicht eines Christen noch eines fromen mannes kunst, sondern eines yerzweivelten boswichts, der da mutwilliglich von einander reisset, was zur gantzen person gehöret, Als das Christus beide, warhafftig mensch und warhafftiger Gott ist, und vater und mutter odder Fürst nicht allein ein gemeine person sind wie ein ander mensch, sondern ein solche person, die sonderlich ampt tregt aus Gottes wort und befehl, daher sie gleich ein ander wesen und namen kriegt . .. ein grob Exempel . . . Und würde nicht helffen, das du viel woltest sagen: ich habe nicht den Fürsten, sondern das tuch geschlagen. Denn du must dagegen hören: ja es ist wol tuch wie ander tuch, sihestu aber nicht, das der Fürst darin gehet? Da heissts nicht mehr schlecht ledig gewand odder tuch, sondern beide, rock und man zu samen, ja ein herrlicher, Fürstlicher rock, weil es durch des Fürsten person geehret und getragen wird . . .", 37, 632, 15-633, 7 (Pred. 1534 Dr.); siehe übrigens auch oben Kap. I B:i, 90-96.
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ersten Artikels, sondern auch in dem des zweiten und dritten, so wie der Christ nicht nur unter dem Gesetz und dem weltlichen Regiment steht, sondern auch unter der Gnade und dem geistlichen Regiment, in der Berufung und im Dienst am Nächsten, aber auch in der Kirche und im Gottesdienst, auf der Erde wie im Himmel. Äußerlich besteht kein eigentlicher Unterschied zwischen einem Christen und einem im bürgerlichen Sinne guten Menschen. Beide leben sie im Alltag ihrer Berufung und führen die Tätigkeiten aus, die man von ihnen erwartet, willig oder gezwungen. Gott wirkt und regiert überall, und wie wir gesehen haben, oft mit Gewalt und im Verborgenen, durch menschliche Anstalten und Behörden, durch die Berufung eines jeden Menschen an den Punkt auf Erden, an dem er steht, sein Amt hat und seine Tätigkeit ausübt. Jeder Mensch, auch der Gottlose, muß ein cooperator Dei sein', unabhängig von seiner Frömmigkeit und Liebe, unabhängig davon, ob er Christ ist oder nicht, auch wenn es mit Furcht und Ärger geschieht. Der Christ lebt nicht nur unter dem Gesetz, sondern auch unter dem Evangelium und in der Freiheit des Geistes. Diese Doppelheit wird deutlich wenn Luther beschreibt, was seiner Auffassung nach ein Heiliger ist. Heilige sind nicht diejenigen, die sich von der Welt und den irdischen Geschäften abwenden, sich in Höhlen verbergen, fasten und härene Gewänder tragen, sondern diejenigen, welche getauft sind und an Christus glauben. Heilige Menschen sind daher überall im gewöhnlichen irdischen Dasein, in abscondito, sub contrariis, zu finden. Sie können der bürgerlichen Obrigkeit angehören, sind Geistliche, Eltern, Kinder, Hausväter, Gesinde usw., sie alle führen Tätigkeiten aus, die ihnen obliegen und die keinen äußeren Glanz der Heiligkeit tragen. Aber sie sind dessen gewiß, daß sie in Christus „suam sapientiam, iustitiam, sanctificationem et redemptionem" 4 haben - und nur deshalb sind sie heilig, denn, sagt Luther, aus den apostolischen Schriften lernen wir, „omnes fideles Christi Sanctos esse" Entscheidend ist also die ganzheitliche Relation des Menschen zu Gott in Christus, ohne Rücksicht auf äußeres Ansehen, Werke und Gefühle. Diese Gedankengänge führen nun zu folgenden prinzipiellen Überlegungen. Luthers Anthropologie kann, was die Beschreibung des Christenmenschen betrifft, am besten in seine totus-homo-Betrachtung einbezogen werden, oder vielleicht noch treffender: sie erhält ihre rechte Einordnung und Konturschärfe dadurch, daß man sie von zwei Gesichtswinkeln beleuchtet, dem Totalitätsaspekt und dem Partialaspekt. Diese beiden stehen 3
Siehe wieder die Erläuterung in Kap. I B : i . * 40 II, 103, 29 f f . , 105, 23 f f . (In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 Dr.); in der Auslegung von Joh. 1 7 beschreibt Luther oft, was er mit „Heiligkeit" meint, siehe u.a. 28, 1 6 4 - 1 7 8 (Wochenpred. über Joh. 1 6 - 2 0 1 5 2 8 - 2 9 Rörer und Cruciger); „Es sind gemeine werck, beiden thuns auch, ergo. Bene, sed sine verbo dei faciunt. Christus aber macht ein heilig werck draus . . . Da mach ich das werck, das die heiden eben so wol thun als Christen, heilig, quia ego facio in fide et verbo dei . . . " , 3 7 , 478, 1 0 - 3 6 (Pred. 1 5 3 4 R . ] . V g l . L. Pinomaa, Die Heiligkeit in Luthers Theologie, T h L Z 1962, Sp. 253 f f . 5 40 II, 104, 30 [In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 D r . ) .
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zueinander in einem dialektischen Verhältnis. Einmal insofern, als der Mensch als Ganzes für Luther immer das primäre Objekt ist, von dem ausgehend man die Teilgesichtspunkte, die auf einzelne menschliche Sünden, Eigenschaften, Möglichkeiten und Handlungen Bezug nehmen, zu verstehen hat - wofür wir bereits im ersten Kapitel Beispiele erhielten. Dies hängt wiederum damit zusammen, daß die Stellung des Menschen coram Deo immer Ausdruck eines Totalitätsverhältnisses in Glauben oder Unglauben, unter Gottes Gnade oder Gottes Zorn ist. Zum anderen aber auch so, daß der Mensch als Totalität von dem Partiellen beeinflußt wird, von Handlungen und Erfahrungen, die zwar ihren Platz coram hominibus haben, gleichwohl aber auf die Gottesrelationen des Menschen einwirken, indem sie im Guten wie im Bösen im Gewissen lebendig werden und Bedeutung coram Deo erlangen. Diese Aspekte hinsichtlich des Menschen haben in Luthers Anthropologie durchweg starkes Gewicht, und wir müssen sie uns im folgenden ständig vor Augen halten. Behaupten wir nun ferner, Luthers Auffassung vom Christen sei durch und durch christologisch geprägt, können wir als eine Grundvoraussetzung für die folgenden Abschnitte die allgemeine Regel formulieren: die Lehre von der communicatio idiomatum und die totushomo-Betrachtung bedingen einander gegenseitig und bezeichnen zwei Seiten der gleichen anthropologischen Ganzheitsauffassung; beide drücken denselben Hauptgedanken aus und beide sind daher unentbehrlich, wenn man Luthers Darstellung des Christenmenschen verstehen will. Diese läßt sich dabei zweckmäßig in drei Problemkreise aufteilen, die alle ein in dem angedeuteten Sinne christologisches Vorzeichen tragen. 1. Die Doppelheit und Gleichzeitigkeit von Göttlichem und Menschlichem, Himmel und Erde, die Christus kennzeichnet, ist auch ein Merkmal des Christen. Genau wie zwischen den beiden Naturen in der Person Christi eine unteilbare Einheit durch die communicatio idiomatum herrscht, so ist der Christenmensch eine Vereinigung von Fleisch und Geist, altem und neuem Menschen. Der doppelte Totalitätsaspekt, der im Hinblick auf Christus angelegt werden muß: simul verus homo et verus Deus, simul summe justus et summe peccator, besitzt auch für den Christen Gültigkeit: simul justus et peccator, homo novus et homo vetus, spiritus et caro. 2. Damit hängt der Gedanke des mirum commercium unmittelbar zusammen, des seligen Tausches zwischen dem Sünder und dem Gerechten. Wer ganz unter dem Zorn und der Sünde war, erhält in Christus Gnade und Vergebung. Dieser transitus von Sünde zu Gnade, von nichts zu allem, geschieht reputatione Dei, ohne Verdienst des Sünders. Gleichzeitig geschieht auch etwas in und mit dem Menschen. Die Rechtfertigung bedeutet Luther zufolge, daß die Gerechtigkeit Christi, die eine iustitia aliena extra nos ist, durch das Wort dem Menschen zugesagt wird und auch zu einer iustitia realis in nobis wird. Der Mensch befindet sich unter der Barmherzigkeit Gottes, sub gratia und nicht sub ira, und das zeigt sich auf der menschlichen Seite als fides Christi und iustitia actualis. Favor
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Dei und remissio peccatorum sind Totalitätstermini, donum gratiae und abolitio peccatorum sind Ausdrücke für ein partielles Geschehen im Menschen. Göttliches und Menschliches, Sünde und Gnade, treffen in Christus zusammen, und was totaliter in Christus geschieht, tritt partialiter am Sünder hervor. Der Zusammenhang wird deutlich, wenn der communicatioGedanke einbezogen wird. 3. Diese Zusammenschau von Rechtfertigung und Heiligung als ein zwischen Gott und dem Menschen ständig weitergehender „fröhlicher Wechsel" von Sünde und Gnade, bedeutet auch eine unauflösliche Verbindung von Person und Werk, dem Menschen, der total und coram Deo durch den Glauben an Christus unter der Gnade steht, und den Werken, die coram hominibus als ein durch die Person als totus homo bedingtes Teilresultat seines Glaubensverhältnisses erscheinen. Es ist für Luther selbstverständlich, daß alle diese Gedankengänge einen tiefen Zusammenhang haben, so daß z.B. ein Werk des Glaubens am Nächsten, während es einem anderen Menschen dient, gleichzeitig einmal in der Gottesrelation als eine Anfechtung oder eine glaubenstärkende Freude wirken kann, zum anderen aber auch zu einer Erniedrigung des alten Menschen führen kann, einer mortificatio carnis, die wiederum einen Gebetsruf zu Gott erzeugt. Die dynamische Vielfalt und die Wechsel des christlichen Lebens, seine Doppelheit, Gleichzeitigkeit und das ständige Ineinandergreifen von Gegensätzen, läßt sich bei Luther am deutlichsten in communicatio-idiomatum-Begriffen einfangen und erklären. Wenn wir nun dazu übergehen, diese thesenartigen Formulierungen im Einklang mit dem Material der Luthertexte zu entwickeln, ist es wichtig, sich wieder ins Gedächtnis zu rufen, daß die drei hier skizzierten Problemkreise dauernd ineinander übergreifen. Sie sollen daher keineswegs voneinander isoliert behandelt werden, doch können wir sie dadurch auseinanderhalten, daß der Schwerpunkt verschiedene Positionen erhält. Was in diesem Abschnitt erörtert werden soll, ist vor allem Luthers Beschreibung des Menschen als simul justus et peccator und die darin implizierte Auffassung von der Rechtfertigung. Luthers Anthropologie hat den Gegenstand zahlreicher und ausgezeichneter Untersuchungen gebildet, die auch in unserem Zusammenhang viel zu bieten haben6, aber hier handelt es sich nicht darum, in die Diskussion um Einzelfragen einzugreifen. Wir wollen uns vielmehr auf die für diese Abhandlung entscheidenden Punkte konzentrieren - die allerdings auch Hauptpunkte der lutherschen Menschenauffassung sind - und wir wollen dabei vor allem von einigen zentralen Texten der Römerbriefvorlesung von 1 5 1 5 - 1 6 , von der Schrift gegen Latomus von 1521, den beiden * Siehe u.a. Schott 1928, Ljunggren 1928, besonders 2 5 2 f f . , Hermann 1930, eine im ganzen gründliche und anregende Untersuchung, namentlich in bezug auf Luthers A u f fassung in der Vorlesung über den Römerbrief und in der Schrift gegen Latomus, Bornkamm 1 9 3 2 [in: G . Krüger-Festschrift), Link 1940, Lerfeldt 1949, Joest 1 9 5 1 , A . Gyllenkrok, Rechtfertigung und Heiligung in der frühen evangelischen Theologie Luthers, U U A 1 9 5 2 : 2 , 1 9 5 2 und Hägglund 1959, hier vor allem 279 f f .
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Galaterbriefkommentaren von 1519 und 1531, der Vorlesung über den 51. Psalm von 1532 sowie einigen Disputationen von 1536-39 ausgehen7. Das für uns ergiebigste Textstück, zumindest was die Terminologie betrifft, findet sich in Luthers Auslegung von Rom. 7, i8". Darin sind Christologie und Anthropologie wirklich verflochten und parallelisiert, und der totus-Aspekt, der simul-Zug und die communicatio idiomatum kommen klar zur Geltung. „Sic enim fit communio Ideomatum, Quod idem homo est spiritualis et carnalis, Iustus et peccator, Bonus et malus. Sicut eadem persona Christi simul mortua et viua, simul passa et beata, simul operata et quieta etc. propter communionem Ideomatum"'.Der Christ ist aufgrund der communicatio gleichzeitig Sünder und Gerechter, Fleisch und Geist, alter und neuer Mensch. Der Totalitätsaspekt ist hier deutlich: „totus homo саго est", „mortificati sumus in tota persona" und „liberati etiam in tota persona" 10. Der christliche Mensch wird von Luther als gleichzeitig in seiner Ganzheit Sünder, caro, und in seiner Ganzheit gerecht, spiritus, gesehen. Diese paradoxe Einheit von zwei einander entgegengesetzten Totalitätsbestimmungen erhält bei Luther auch in anderen Verbindungen paradoxe Formulierungen: „duo toti homines et unus totus homo", „duo contraria in uno subiecto et in eodem puncto temporis" 11 . Die Schlußfolgerung wird im Großen Galaterbriefkommentar folgendermaßen ausgedrückt: „Sic homo Christianus simul iustus et peccator, Sanctus, prophanus, inimicus et filius Dei est" Nun bezieht sich diese Doppelheit und Gleichzeitigkeit einmal auf den ganzen Menschen, und zum anderen auf einen Teil von ihm. Dieselbe Person ist Geist und Fleisch, Sünder und Gerechter, teils totaliter, teils partim 13. Greifen wir nun die frühere Distinktion zwischen Wesens- und ReHinweise auf W A werden nach und nach im Zusammenhang mit den konkreten Textangaben folgen.
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8 56< 343 f- [Vöries, über den Römerbrief 1515-16]. Zur Frage von Luthers Verständnis von Rom. 7., siehe außer Hermann 1930 und Link 1940 auch E. Ellwein, Vom neuen Leben 1932, bes. 161 ff., P. Althaus, Paulus und Luther über den Menschen 1938, W . Joest, Paulus und das Luthersche Simul Justus et Peccator, KuD 1955, 269 ff., Peters 1962, 166 ff. und W . Grundmann, Der Römerbrief des Apostels Paulus und seine Auslegung durch Martin Luther 1964, u.a. 119 ff. * 56, 343, 18-21. Diese Stelle ist oftmals in der Literatur bemerkt worden, aber nur flüchtig und als losgerissenes Zitat, siehe z.B. letztlich Grundmann 1964, 122. 1 0 56, 343, 24, 344, 9 f· 11 2, 586, 16 f. (In epistolam ad Galatas 1519); 39 I, 508, 1 f. [Die dritte Disp. gegen die Antinomer 1538 Α . ) . 12 401, 368, 26 f. (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.]. 1 3 56, 260, 22 ff. (Vöries, über den Römerbrief 1515-16]; „eadem persona est spiritus et caro", ib. 342, 34; schon in 4, 4, 35-38 (Dictata super Psalterium 1513-16] treten die Total- und Partialaspekte hervor; 2, 415, 6 - 1 7 (Resolutiones Lutherianae . . . 1519]; „Itaque si carnem spectemus, peccatores sumus, si Spiritum, iusti. Atque ita partim peccatores, partim iusti sumus", 40 II, 86, 13-15 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.]; 39 I, 542, 5-543, ι (Die dritte Disp. gegen die Antinomer 1538 A . ] . - Die Beschreibung des Menschen wird dadurch kompliziert, daß die anthropologischen Begriffe teils einen theologischen Sinn, teils eine allgemein philosophische und psychologische Bedeutung haben.
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lationsbetrachtungen des Menschen auf, so können wir sagen: i. daß der Totalitätsaspekt im Hinblick auf die Relation Mensch - Gott der einzige ist, denn hier herrscht entweder der Zorn oder die Gnade, der Glaube oder der Unglaube, und zwar vollständig, während 2., was die Beschreibung des Menschen in concreto, in substantia sua, betrifft, sowohl der Totalitätsaspekt wie der Partialaspekt angelegt werden kann. Der Christ ist coram hominibus bald gut und bald böse, tut Werke, die teils von Gerechtigkeit und teils von Sünde geprägt sind, und hat eine partiale caro und einen partialen spiritus. Daher veranlaßt diese Betrachtungsweise dazu, von den reliquiae carnis, primitiae spiritus und einer gradweisen sanctificatio und mortificatio zu sprechen". Sieht man den Menschen vom Gesichtspunkt der Relation, so ist es für Luther unmöglich, die Sünde oder die Gerechtigkeit als Teile oder Qualitäten zu bezeichnen. Die Gnade Gottes ist nicht „aliquid humanuni, non est habitus quidam aut qualitas in corde", sondern etwas, was von außen ständig durch das Evangelium geschenkt wird 15 . Daher ist der Christ nicht gerecht „secundum substantiam aut qualitatem", vielmehr ist er „in qualitate" voller Sünde1". Die Gnade und Gerechtigkeit beziehen sich also auf die göttliche Zurechnung extra nos und gehören zu dem, was Luther das „praedicamentum relationis" nennt, nicht aber zum „praedicamentum qualitatis". Heilig und unsträflich ist der Mensch nur aufgrund von Gottes Zusage einer Vergebung im Wort, „imputatione per Christum", nur coram Deo und „in relatione" Vor Gott kann man daher nur von dem totus homo sprechen und nicht zwischen verschiedenen Möglichkeiten, Anlagen, Defekten usw. unterscheiden. Der Mensch ist total peccator, Fleisch und alter Mensch, so wie Im ersteren Fall - und wir arbeiten hier ausschließlich mit dieser Bedeutung - sind spiritus und caro theologisch qualifizierte Ausdrücke, die die Stellung des Menschen als homo theologicus bezeichnen, totaliter und vor Gott, während caro (corpus], anima, spiritus im neutralen, philosophischen Sinn, verschiedene Funktionen und Eigenschaften in der leiblich-seelischen Existenz des Menschen als homo politicus angeben. Damit hat Luther durchaus nicht das gesagt, daß diese zwei Bedeutungen von einander isoliert wären, oder daß die „partes homini" auf die Weise neutral wären, daß die Totalrelation des Menschen zu Gott sie nicht bestimmte. Siehe z.B. 56, 476, 5, 480, 18 [Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ) ; 2, 586, 4 ff. (In epistolam ad Galatas 1 5 1 9 ) ; 7, 550, 20 f f . (Magnificat 1 5 2 1 ) ; 39 I, 175 ff. (Disp. de homine 1 5 3 6 ] ; und in der Literatur Schott 1928, 8 ff. und durchgängig, Ljunggren 1928, 54 ff., Bornkamm 1932, 90 ff. und Hägglund 1959, 61 f. und 3 1 3 ff. 11 56, 81, б ff., 258, 8 ff. (Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ) ; 2, 584, 10-585, 7 (In epistolam ad Galatas 1519); 40 I, 364, 12-28, 408, 1 2 - 1 4 , 40 II, 24, 19 f. (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.); 40 II, 340, 1 8 - 3 4 1 , 22 (Enarratio Psalmi LI, 1 5 3 2 Dr.). Der Partialaspekt ist also einerseits wie hier theologisch bestimmt, andererseits zuweilen auch von einer psychologischen Menschenauffassung geprägt - auch sie ist ja theologisch qualifiziert insofern, als der Mensch dort gleichfalls nach Luther primär in einem Gottesverhältnis steht; vgl. die vorige Anm. 15 40 II, 353, 1 4 - 2 1 (Enarratio Psalmi LI, 1532 Dr.). " Ib. 353, 36-354, 19· 17 Ib. 421, 22-28; 39 II, 141, 1 - 6 (Die Prom. disp. von J. Mörlin 1540) und an vielen Orten.
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er als Gerechtfertigter ganz justus, Geist und neuer Mensch, ist. Analog hierzu kann Luther die Begriffe äußerer und innerer Mensch gebrauchen18. Diese Termini haben auch eine räumliche und partiale Bedeutung, aber ebenso wie die gleichwertigen Begriffe Herz und Gewissen einmal als Partialausdrücke verwandt werden und zum anderen um den Menschen als Ganzes zusammenzufassen, haben auch homo interior und homo exterior nicht selten totus homo, „duo homines in eodem homine", zu bezeichnen. So verhält es sich in der Schrift von der Freiheit eines Christenmenschen von 1520, wo novus homo, interior homo und spiritus mit vetus homo, exterior homo und саго in Parallele gestellt werden Hier ist von großem Interesse, daß der Totalitätsaspekt im Relationszusammenhang auch die Auffassung vom Wesen des Menschen prägt; d.h. daß Aussagen, die anthropozentrisch gesehen, coram se et hominibus, partial sind und Ausdruck für das Innere, das Herz im Gegensatz zu etwas Äußerem beim Menschen, dem leiblichen Leben, den Werken, coram Deo einen Totalitätsinhalt bekommen und dadurch gleichzeitig den Menschen bezeichnen können, so wie er als Ganzes von dem Umstand bestimmt und gelenkt wird, daß er entweder unter dem Zorn oder der Gnade ist. Dieser Gedankengang hat hier großes theologisches Gewicht und findet bei Luther seinen treffendsten Ausdruck als communicatio-Zusammenhang. Das soll sich sogleich expressis verbis zeigen. Zuerst fassen wir Luthers Grundgedanken zusammen, wie er in der Schrift gegen Latomus hervortritt20. In Relation zu Gott ist der Mensch im Glauben oder Unglauben total vom Wort bestimmt; der Begriff homo theologicus ist, wie wir gesehen haben, ein Korrelat zum Wort als Gesetz und Evangelium. Daher steht der Mensch als Ganzes unter dem Zorn oder unter der Gnade (Relationsbestimmung), und dadurch wird seine Person als Sünder oder Gerechter bestimmt (Wesensbestimmung), denn der Begriff persona - gleichbedeutend mit dem Begriff homo theologicus - wird in seinem Inhalt durch die Gottesrelation geprägt und qualifiziert. Hier begegnen zwei Aussagenketten bei Luther. 1. Der Mensch ist „totus sub tota ira" und lebt im „tempus irae" und „dies furoris"; das Gesetz zeigt einmal ein malum externum, Gottes Zorn und Strafe, die von außen, extra nos, kommen (Relationsbetrachtung), zum anderen ein ma18
Siehe Schott 1028, 50 f f . , Hermann 1930, 74 f f . , Bornkamm 1 9 3 2 , 86 f f . , Bring 1 9 5 5 , i n f f . , 1 2 0 f . und Hägglund 1959, 3 0 4 f f . " „Homo enim duplici constat natura, spirituali et corporali: iuxta spiritualem, quam dicunt animam, vocatur spiritualis, interior, novus homo, iuxta corporalem, quam carnem dicunt, vocatur carnalis, exterior, vetus homo . . . Haec diversitas facit, ut in scripturis pugnantia de eodem homine dicantur, cum et ipsi duo homines in eodem homine sibi pugnent, dum caro concupiscit adversus spiritum et spiritus adversus carnem", 7, 50, 5 - 1 2 (Tractatus de libertate christiana 1 5 2 0 } ; vgl. 56, 3 4 5 , 3 0 - 3 4 6 , 2 (Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ) . 20 V o r allem 8, 103, 3 5 - 1 0 7 , 12; vgl. 40 II, 4 2 1 f. (Enarratio Psalmi LI, 1 5 3 2 ) ; siehe hierzu Ljunggren 1928, 258 f f . , Hermann 1930, 83 f f . , Prenter 1 9 5 4 , 46 f f . , W . Matthias, Imputative und sanative Rechtfertigung (in: Liberias Christiana. F. Delekat zum 65. Geburtstag 1957, 1 3 6 f f . ) und R. Hermann, Zur Kontroverse zwischen Luther und Latomus [in: Luther und Melanchthon 1961, 104 f f . ) .
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lum internum, die Sündenverderbnis, corruptio naturae, die ihn als alten Menschen ganz beherrscht, in substantia sua (Wesensbetrachtung). 2. Der Mensch ist „totus sub tota gratia" und lebt im „tempus favoris" und unter dem „regnum gratiae"; das Evangelium schenkt einmal ein bonum externum, Gottes Gnade, favor Dei, remissio peccatorum, die durch ein äußeres Wort ausgeteilt werden (Relationsbetrachtung), zum anderen ein bonum internum, eine im Glauben empfangene Gerechtigkeit, fides Christi, donum gratiae, die ihn total als neuen Menschen prägt (Wesensbetrachtung) Als homo carnalis ist der Mensch vom Fleisch betrogen, Sünde und Begierden erscheinen als etwas Angenehmes und zeigen sich partial in sündigen Werken, peccatum actuale, als homo spiritualis besitzt der Mensch Gemeinschaft mit Gott, die Sünde wird durch das Wort enthüllt und eine beginnende Gerechtigkeit zeigt sich in guten Werken, iustitia actualis. Diese Aspekte scheinen schwer miteinander vereinbar zu sein, und doch: „unus et idem homo" и . Indem er auf diese Weise die Relations- und Wesensgesichtspunkte in bezug auf den Menschen als simul justus et peccator zusammenstellt, kann Luther, wie man sieht, auch den intimen Zusammenhang zwischen den Totalitäts- und Partialaspekten aufzeigen. Dieser Zusammenhang ist im Gedanken an die communicatio idiomatum gegeben. Wir wenden uns nun wieder der Römerbriefvorlesung und der Auslegung von Rom. 7, 18 ff. zu. „Quia eadem persona est spiritus et caro; ideo quod facit carne, totus facere dicitur. Et tarnen, quia resistit, totus non facere, sed pars eius etiam recte dicitur. Utrunque ergo verum, quod ipse et non ipse operatur" " . Die Sünde, das Fleisch, ist eine den Menschen ganz umfassende Realität, läßt sich aber auch als eine „pars" beschreiben, die jedoch das gesamte Dasein des Ichs bestimmt. Daher kann Paulus, meint Luther, zwischen dem Ich und der Sünde unterscheiden, „quod habitat in me" (Rom. 7, 20). Die Sünde ist eine äußere Macht, die denMenschen von der Gottesgemeinschaft losreißt - mit Folgen, die wir zuvor kennen gelernt haben - und Macht über ihn gewinnt: „Cepit in me regnare, antequam ego cepi esse, et simul mecum" Daher die Doppelheit: die Sünde in Relationskategorien beschrieben als ein Bruch des Gottesverhältnisses, und die Sünde als böse Willensausrichtung bestimmt, die sündige Werke bejaht hat. Die Sünde ist mein und doch nicht mein, sagt Luther, sie hat mich schon von Anfang an Vgl. auch 8, 67, 4-34 [Rationis Latomianae confutatio 1 5 2 1 ) . „Unus est homo Paulus, qui utrunque de se confitetur, alio et alio respectu, sub gratia est spiritualis, sed sub lege carnalis, idem idem Paulus utrobique. Donum facit, ut sit spiritualis et sub gratia, in gratia unius hominis Ihesu Christi. Peccatum facit, ut sit carnalis, sed non sub ira, quia gratia et ira non conveniunt, nec sese mutuo impugnant, nec alterum alterius dominatur, sicut donum et peccatum faciunt", ib. 1 1 9 , 1 4 - 1 9 ; 56, 339, 5 - 3 4 1 , 25, 347, 1 - 1 4 (Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ] . 23 Ib. 342, 3 3 - 3 4 3 , 2. " Ib. 286, 1 2 - 2 8 7 , 4; vgl. Luthers Auslegung von Gal. 2, 20, 40 I, 281-290 (In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 Dr.]; „Nam David dicit: Ecce in iniquitatibus etc., ubi dicit: ego, non: mea caro. Caro appellator totus homo", 39 II, 394, 4-6 (Die Prom. disp. von P. Hegemon 1545 Α . ) . 22
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beherrscht: „conceptus sum in ipsis et non consensi", aber dann: „nunc peccatum etiam meum est i.e. mea voluntate approbatum et per consensum acceptum". So wird der Mensch peccator actualis, nicht nur peccator originalis". Die Sünde ist eine „pars hominis", die gleichzeitig ein „alius ego" ist, denn wie wir eben von Luther hörten: „quod facit carne, totus facere dicitur", oder in der Latomus-Schrift: „vere tarnen ego facio, quia pars mea facit". Derartige Formulierungen erhalten bei Luther auch eine tiefe psychologische Erklärung und einen ebensolchen Inhalt. Das „ego ante gratiam", das dessen unkundig war, daß Gott es richten muß als totus carnalis, erlebt sub gratia das Fleisch als eine greifbare Macht in seinem Innern. Es erscheint dann als eine „pars", die das Ich fühlen und aufzeigen kann, während es sich gleichzeitig klar als „infirmitas totius hominis, qui coeptus est sanari" manifestiert, oder noch paradoxer ausgedrückt: der Christ merkt das Fleisch in seinem ganzen Wesen nur dadurch, daß er mit seinem ganzen Wesen in etwas Neues eingesetzt worden ist - und damit neue und abschreckende Perspektiven in bezug auf das Fleisch erhalten hat28. Was für den Teil gilt, läßt sich mit ebenso gutem Recht vom Ganzen aussagen, und was sich auf das Ganze bezieht, ist durchaus gültig für die Teile. Das ist communicatio idiomatum. Hier haben die Texte viel zu sagen, und wir wollen sie sprechen lassen. Paulus legt sich selbst das zu, was zum Fleisch gehört, als wäre er selbst totus carnalis, „quasi ipse sit саго"27. Sagt man vom Menschen, daß er „ex parte carnalis" sei, ist das daher gleichbedeutend mit der Behauptung, er sei „proprie carnalis" Die geringste Sünde - es liegt in der Natur der Sache, daß Luther hier eigentlich große und kleine Sünden nicht quantitativ unterscheiden kann - vermag das Leben aufs Spiel zu setzen und bedroht das Ich selbst mit Untergang. Diese radikale Sündenauffassung bewirkt ja, daß Luther sagen kann, ein frommer Mensch sündige in all seinen guten Werken, oder ein gutes Werk, „optime factum", sei gleichwohl eine tägliche und ständige Sünde". Denn wer in einem sündigt, ist in allem 25
56, 287, 4 - 1 4 [Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ) . Ib. 342, 3 4 f . , 352, 6 f . ; 8, 120, 3 6 - 1 2 1 , 2 [Rationis Latomianae confutatio 1 5 2 1 ) . " 56» 343) 9 f ν 24-27; „ . . . Quis ille 'ego', qui nunc non operatur illud, quod mox dictus est operari? Ille scilicet ego, qui spiritualis sum, quia secundum hoc ego nunc aestimor in gratia, quae non sinit, ut aestimer secundum peccatum, quo carnalis sum, abluta sunt omnia, et nunc alius ego quam ante gratiam, ubi aestimabar secundum peccatum totus carnalis. 'Sed quod habitat in me peccatum': tu non operaris, et tarnen id quod in te est operatur? . . . 'Scio enim, quod non habitat in me, hoc est in carne mea, bonum': quia mea est, non aliena caro, ideo quod in ea habitat, in me habitare dicitur", 8, 120, 3 3 - 1 2 1 , 10 [Rationis Latomianae confutatio 1 5 2 1 ) . Man sieht also, daß der Mensch ante gratiam in einem anderen Sinn totus carnalis ist, als der Mensch sub gratia; dann ist der Mensch totus peccator und gar nicht justus, aber sub gratia ist er auch totus spiritualis und totus justus: duo homines in uno. 28 8 , 1 1 9 , 35 f · 2β
2, 410, 35 ff., 416, 3 5 - 3 9 [Resolutiones Lutherianae . . . 1 5 1 9 ) ; 7, 136, 21 und 138, 25 (Assertio omnium articulorum . . . 1520); 8, 68, 25-69, 6 [Rationis Latomianae confutatio 1 5 2 1 ) ; 40 II, 95, 26 f f . [In epistolam ad Galatas 1535 D r . ) .
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schuldig. Aber das ist nur die eine Seite. Wer „propter carnem est carnalis et malus", ist „propter spiritus spiritualis et bonus" und ist „in tota persona" sowohl getötet wie aufgerichtet 50 . Daher wird die Sünde nicht zugerechnet, und Gott bewahrt den Christen davor, seinen willigen consensus zu geben, auch wenn er trotzdem s ü n d i g t T o t u s homo, „unus et idem homo" ist spiritualis und carnalis, bonus und malus, mortuus und liberatus, „simil seruit legi Dei et legi peccati, simul Iustus est et peccat" 32. Das eine nimmt Bezug auf spiritus, das andere auf caro, und gleichwohl gelten die Aussagen gleichzeitig und vom ganzen Menschen. Hier liegt das Zentrum dieses Abschnitts. „Sed quia ex carne et spiritu idem unus homo constat totalis, ideo toti homini tribuit vtraque contraria, que ex contrariis sui partibus veniunt. Sic enim fit communio ideomatum" Was von den Teilen ausgesagt werden kann, ist eo ipso von der persona tota ausgesagt und umgekehrt. „Communicant enim ideomata partes toti suo singulas suas" Läßt sich vom Menschen sagen, daß er durch die imputatio iustitiae Dei totus justus ist, so läßt sich ebenfalls sagen, daß seine „Teile", Werke usw. gerecht sind, und behauptet man, daß die Sünde durch die non-imputatio peccati entfernt ist, können auch ihre „Teile" nicht sündig genannt werden, selbst wenn sie es an sich sind. Und andererseits: behauptet man, daß ein Teil des Menschen aus Sünde besteht, so muß die Sünde als Bestimmung auf den ganzen Menschen bezogen werden, und kann man vom Menschen als teilweise gerecht sprechen, so muß diese beginnende Gerechtigkeit trotz der fortgesetzten Macht der Sünde als vollständig bezeichnet werden und für den Christen als Ganzen gelten". So ist der Mensch Luther zufolge aus caro und spiritus, Altem und Neuem, Sünde und Gerechtigkeit, zusammengesetzt, so daß die beiden „Teile" auf einmal zusammen das Ich des Menschen bilden und jeder für sich Totalitätsbestimmungen für dieses selbe Ich sind. Der Christ ist keine quantitativ abgepaßte Mischung, denn jeder „Teil" bezieht sich aufs Ganze, sondern er besteht eher aus zwei Ichs, einem homo novus 56/ 343» 11-344, 15 [Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ] . 8, 79, 17 ff., 92, 38-95, 36 (Rationis Latomianae confutatio 1 5 2 1 ) ; „Gratia enim et donum conservant hominem, ut non possit peccare, id est, consentire huic peccato et perire", ib. 120, 13 f. 32 56, 347, 3 f . (Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ) . 33 56, 343, 1 6 - 1 8 ; „Sed quia spiritus et caro coniunctissime sunt unum, licet diuerse sentiant, ideo vtriusque opus sibi toti tribuit, quasi simul sit totus caro et totus spiritus", ib. 344, 31-345, 2. 34 „Quia persone prouenit hec vtilitas utraque, licet partes sint diverse, propter quas provenit. Communicant enim ideomata partes toti suo singulas suas. Ideo ait: 'Itaque et vos', ait 'mortificati estis', cum tarnen solum secundum interiorem mortificati simus et Liberati seu soluti a lege. Quod itidem conuenit toti propter interiorem hominem et communicatur et carni seu exteriori. Quia пес ipsa legi seruit seu peccatis, sed liberata est propter interiorem liberatum, cum quo idem est homo", 56, 344, 1 5 - 2 2 . 35 Siehe 2, 497, 1 3 - 2 4 (In epistolam ad Galatas 1 5 1 9 ) ; weit später begegnet derselbe Gedankengang - wobei das Wort einen stärker hervorgehobenen Platz hat - in der Auslegung von Joh. 15, 3, in 45, 652-655 (Das XIV und X V Kap. Joh. 1538]; vgl. schon 4, 19, 28-30 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) . 30 31
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in Christus und einem homo vetus in sich s e l b s t E r ist gleichzeitig total neu, ganz unter der Gnade, und nur zum Teil alt, denn Luther kann ihn ja als „nondum totus spiritus" beschreiben, ebenso wie er auf einmal total alt und nur teilweise neu ist, denn ihm haften noch reliquiae carnis an". Es ist ein außerordentlich wichtiges Observandum, daß diese Darstellung von Luthers totus homo- und communicatio-Betrachtung in hohem Grade durch die Bilder bestätigt wird, die er in diesen T e x t e n heranzieht, um seinen Gedankengang zu veranschaulichen. A n der bekannten Stelle im Galaterbriefkommentar von 1 5 1 9 " , mit der wir uns bereits beschäftigt haben, wird der Christ einmal mit der Dämmerung verglichen, die auf einmal Nacht und Tag ist und gleichwohl keines von beiden oder beides nur teilweise
zum anderen mit dem Konvaleszenten, der gleichzeitig
krank und gesund ist und doch etwas zwischen beidem Liegendes
Diese
Bilder tauchen mit scharfen Konturen auch in der Schrift gegen Latomus auf' 1 , Licht und Dunkel, Krankheit und Gesundheit, Wasser und Wein, vermischt und doch getrennt. V o n besonderem Interesse ist dort das in communicatio-Verbindungen oft vorkommende Gleichnis v o m Manne, der am Kopf - partim - verwundet ist, aber doch als in seiner Ganzheit
-
totus - Versehrter Mensch bezeichnet wird. W a s für das Glied, den Teil, gilt, ist auch für den Leib, das Ganze, gültig. Sündigt der Mensch mit der Hand oder der Zunge, ist er als totus homo Sünder, und vollbringt er im ' · „Quod sunt duo homines, Vetus et novus, ille Adam, hic Christus", 56, 65, 16 f. (Vöries, über den Römerbrief 1515-16); „Quod dicit: 'Vivit autem', sonat personaliter, quasi Paulus loquatur de sua persona. Ideo mox corrigit, dicens: 'lam non ego', id est: Non ego iam in mea persona vivo, sed 'Christus in me vivit'. Persona quidem vivit, sed non in se aut pro sua persona. Sed quis est ille Ego, de quo dicit: 'Iam non Ego'? Is Ego est qui legem habet et operari debet quique est persona quaedam segregata α Christo. Illum Ego Paulus reiicit, Quia Ego ut distincta persona a Christo pertinet ad mortem et Infernum . . . Christus ergo, inquit, sie inhaerens et cortglutinatus mihi et manens in me hanc vitam quam ago, vivit in me, imo vita qua sie vivo, est Christus ipse. Itaque Christus et ego iam unum in hac parte sumus", 401, 283, 19-32 f l n epistolam ad Galatas Dr. 1535); ib. 287, 24-34. 37 So u.a. 56, 258, 8 f f . (Vöries, über den Römerbrief 1515-16); „ . . . Unicuique restat aliquid de litera, ut non sit totus spiritus, de veteri homine, ut nondum sit totus novus, de carne, de terra, de mundo, de diabolo, ne sit totus anima, totus celum, totus Christus, totus dei", 4, 320, 14-20 (Dictata super Psalterium 1515-16]; ib. 364, 5-14; „Simul ergo iustus, simul peccator. Quis solvet has diversas contra se facies? aut in quo convenient? . . . Proinde si fidem spectes, lex impleta est, peccata destrueta, nullaque lex superest: sed si carnem, in qua non est bonum, iam peccatores cogeris fateri eor., qui iusti sunt in spiritu per fidem . . . A t iusti quoque sunt peccatores propter carnem suam. Quod tarnen non imputatur eis propter fidem interioris hominis, qui deo conformis persequitur, odit, crucifigit peccatum in carne sua, donee in futuro consummatus in carne et spiritu nulli legi debeat. Ex parte ergo impleta est lex: ex parte nihil debemus legi: ex parte destrueta sunt peccata", 2, 497, 13-498, 2 (In epistolam ad Galatas 1519). 38 Ib. 585, 31-586, 23. " 56, 127, 9 f f . (Vöries, ber den Römerbrief 1515-16). Siehe auch ib. 351, 17-352, 20; 2, 413, 30-36: „homo semivivus", (Resolutiones Lutherianae . . . 1519); 12, 372, 30-373, 8 (Epistel S. Petri . . . 1523] und 39 I, 376, 2-17 (Die erste Disp. gegen die Antinomer 1537 Α.). 11 8, io9, i i - i i o , 12 und vor allem 119, 35-120, 14. 21 - N i i s s o n
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Glauben ein gutes Werk, so ist er auch als totus homo gerecht. Es ist darauf hinzuweisen, daß dieses Bild sich auch in unserem speziellen communicatio-Zusammenhang bei der Auslegung von Rom. 7 klar umrissen findet". Also: ebenso wie Christus simul Gott und Mensch ist, ist der Christ simul gerecht und Sünder, und wie Christus nicht zur Hälfte Gott und zur Hälfte Mensch ist, so ist der Christ coram Deo niemals nur partim justus und partim peccator, sondern beides totaliter. Der ganze Mensch wird hier in dieser paradoxen Gleichzeitigkeit und Doppelheit, die Luther zufolge auch für Christus kennzeichnend ist gesehen, - und dies alles aufgrund der communicatio idiomatum. Diese Schlußfolgerung ist der Hauptpunkt. Aber trotzdem muß das Verhältnis von Christus und dem Christen noch weiter geklärt werden. Man könnte nämlich das hier dargestellte Verhältnis als eine bloß formale Parallele auffassen, bei der die Anthropologie eine Deutung erhält, die nur in dem Sinne christologisch ist, als sie eine der Christologie analog gestaltete Struktur hat. Wenn Luther die Aussagen über den Menschen und die Aussagen über Christus miteinander vergleicht und sie durch das Wort „sicut" verbindet", drückt das viel mehr aus als eine äußere, beinahe nur zufällige Ähnlichkeit. Die Bestimmung „propter communionem ideomatum" verleiht dem „sicut" eine inhaltliche Bedeutung von größtem Reichtum. Die Verbindung zwischen Christus und dem Christen kann dadurch als Einheit, Gegenseitigkeit, Teilhabe, Gemeinschaft, Austausch charakterisiert werden. Es ist daher folgerichtig, die Analyse nun aufs neue in den Gedankenkomplex hineintauchen zu lassen, den der Begriff mirum commercium einschließt. In dem späteren Galaterbriefkommentar definiert Luther den Christen als einen Menschen, der wohl voller Sünde ist und sie auch oft fühlt, dem aber „propter fidem in Christum" die Sünde nicht angerechnet wird". Dieser Gedanke ist für Luthers Rechtfertigungslehre kennzeichnend. Alles, 42 „Est autem Notandum, Q u o d Apostolus non velit intelligi spiritum et carnem esse quaedam velut duo, Sed vnum omnino, Sicut vulnus et caro sunt v n u m ; V b i etsi aliud sit proprium vulneris, aliud proprium carnis, tarnen quia vulnus et caro v n u m sunt, et non est aliud q u a m ipsa vulnerata caro seu infirma, ideo carni tribuitur, quod est vulneris. Sic idem h o m o simul est spiritus et caro. Sed C a r o est eius infirmitas seu vulnus, et inquantum diligit legem Dei, Spiritus est; inquantum autem concupiscit, est infirmitas spiritus et vulnus peccati, quod sanari incipit", 56, 350, 2 2 - 3 5 1 , 1; siehe Grundmanns ausgezeichnete Darstellung 1964, 1 1 4 - 1 3 4 ; so auch deutlich in 39 I, 564, 1 - 7 ( D i e dritte Disp. gegen die Antinomer 1538 A . ) ; vgl. IOI:I, 150, 24 f f . (Kirchenpostille 1522) und 26, 333, 13 f f · ( V o m A b e n d m a h l Christi 1528).
" Siehe oben A n m . 9 mit K o n t e x t . V g l . in Dictata 1 5 1 3 - 1 6 schon: „in quilibet Christiano . . . duo sunt consideranda: primum quod est ex seipso secundum carnem visibilis, mortalis etc., alterum, quod est ex Christo, i.e. seil, fidelis Christianus, sanetus secundum spiritum, et sie est invisibilis, immortalis spritus et clarissimus. Sicut enim in persona Christi caro assumpta visibilis, Deus assemens invisibilis: ita quilibet eius secundum hominem visibilem assumptus, sed secundum h o m i n e m interiorem invisibilem assumens", 4, 167, 23-28. " „Definimus ergo hunc esse Christianum, non qui non h a b e t aut non sentit peccatum, sed cui illud a D e o propter f i d e m in Christum non imputatur", 4 0 1 , 235, 1 5 - 1 7 ( D r . ) ; 46, 127, 13-128, 6 (Pred. 1538 R · ) ·
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was Mensch heißt, ist „sub potestate diaboli", voller Sünde, Schuld und Tod, aber in Christus ist er durch den Glauben und aus Gnade gerecht, befreit und selig. Er ist gleichzeitig „vol sunde und on sunde", an sich „vetus Adam", „miser et peccator maximus", aber in Christus unstrafbar Insoweit der Christ Fleisch ist, ist er Sünder unter dem Gesetz, und dann ist auch das gute Werk von Sünde geprägt; insoweit er Geist ist, ist er gerecht unter dem Evangelium, und dann kann ihn keine Sünde verdammen". Der Simulaspekt ist wichtig, die Gleichzeitigkeit von Sünde und Gerechtigkeit beim Christen und von Gericht und Gnade coram Deo. Der Christ lebt gleichzeitig unter dem Gesetz und unter dem Evangelium und fühlt sowohl Gottes Zorn wie seine Barmherzigkeit, denn ebenso gewiß, wie die Gnade voll und wirklich ist, ist die Sünde wirklich Sünde auch bei demjenigen, der an Christus glaubt". Nur in abstracto kann man zwischen justus und peccator und zwischen imputatio iustitiae und non-imputatio peccati unterscheiden. Diese doppelte imputatio ist immer ein Geschehen in Christo, iustitia und non-peccatum werden dem Menschen durch die reputatio Dei und nur propter Christum angerechnet'8. Hierin besteht der gleichzeitige und gegenseitige Tausch zwischen Christus und dem Sünder: Christus hat das Gesetz erfüllt und die Sünde besiegt, und der Sünder hat teil an seinem Sieg. In der Römerbriefvorlesung wird das so ausgedrückt: die Gerechtig45
18, 493, 27 f . [Die sieben Bußpsalmen 1525); 37, 34, 36-35, 5 (Pred. 1533 R.); 39 I, 176, 7 - 1 9 (Disp. de homine 1536); 39 I, 508, 1-9 (Die dritte Disp. gegen die Antinomer 1538 A . ) ; 401, 89, 20-23 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.); 50, 250, 15-25 (Die Schmalk. Art. 1 5 3 7 ] . Zu Luthers Rechtfertigungslehre siehe u.a. Literatur in Anm. 6 oben, Arbeiten von Iwand 1930 und 1941, und R. Hermann, Zu Luthers Lehre von Sünde und Rechtfertigung (in: Gesammelte Studien zur Theologie Luthers und der Reformation i960, 391 f f . ) . " „homo, inquantum spiritu ambulat, iustus et sanctus est ac non peccat, at inquantum desyderiis adhuc movetur, peccator est et carnalis . . . Mira sententia: idem homo simul peccat et non peccat . . . Omnes ergo sancti habent peccatum suntque peccatores, et nullus peccat: iusti sunt iuxta illud quod gratia in eis sanavit, peccatores iuxta quod adhuc sanandi sunt", 2, 592, 1 3 - 2 1 (In epistolam ad Galatas 1519); „Sic ergo Christianus divisus est in duo tempora. Quatenus est caro, sub lege est, quatenus Spiritus, sub Evangelio est", 4 0 1 , 526, 21 f . (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.). In diesem Zusammenhang hat man die berühmte Ermahnung Luthers an Melanchthon zu sehen: „esto peccator et pecca fortiter", d.h. zweifle nicht an der totalen Macht der Sünde, aber auch nicht an der Versöhnung Christi, die mächtiger als alle Sünde ist, wie viel du immer sündigst - „sed fortius fide et gaude in Christo"; zit. nach Ljunggren 1928, 343. " Siehe im Galaterbriefskommentar 1535: 401, 537, 24-29 (Dr.); „Item reliquiae peccati haerent in carne nostra. Quantum igitur ad carnem attinet, peccatores sumus etiam post acceptum Spiritum sanctum" [Hs.: „Christianus sol peccator bleiben"], ib. 573, 5 und 23-25; 40 II, 95, 28 f. 4 " 8, 91, 24-92, 42 (Rationis Latomianae confutatio 1 5 2 1 ) und häufig in dieser Schrift; ferner z.B. 2, 497, 15 f f . (In epistolam ad Galatas 1519); 31 II, 439, 29-37 (Vöries, über Jesaia 1527-30 Lauterbach); „Est et hic notandum, quod ista tria, Fides, Christus, Acceptatio vel Reputatio, coniuncta sunt. Fides enim apprehendit Christum . . . Et qui fuerit inventus cum tali fide apprehensi Christi in corde, illum reputat Deus iustum . . .", 40 I, 233, 16-24 CIn epistolam ad Galatas 1535 Dr.); ib. 363, 28-367, 21.
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keit des Christen besteht nicht in „impletio legis", sondern in „communicatio impletionis Christi" Eine Darstellung, die der Beachtung wert ist, gibt Luther in „Von der Freiheit eines Christenmenschen"50. Der Glaube an Christus bedeutet, daß dem Menschen Gnade und Gerechtigkeit zugesagt werden, und zwar nach der Regel: „glaubstu, so hastu, glaubstu nit, so hastu nit". Das Verhältnis von Wort und Glauben beschreibt Luther als eine Vereinigung von Christus und der Seele, „sso gantz und gar, das alle tugent des worts auch eygen werden der seelen" Wiederum ist die Bildsprache ein starkes Kriterium für die Richtigkeit, diesen Gedanken einer unio und imputatio mit der communicatio idiomatum zusammenzuhalten. Die Vereinigung Christi mit dem Christen wird zunächst mit Hilfe des bekannten Bildes vom glühenden Eisen, das aus zwei verschiedenen Elementen zusammengesetzt ist, veranschaulicht". Sodann wird sie der Einheit von Braut und Bräutigam verglichen, und davon leitet Luther ab, „das Christus und die seel eyn leyb werden". Das bedeutet einen „frölich wechssei und streytt", der auf die bekannte Art genau beschrieben wird". Wir haben uns schon mehrfach - sowohl in der Christologie wie der Ekklesiologie - mit dem wichtigen und für Luther kennzeichnenden Gedanken des mirum commercium beschäftigt. Dieser ist ihm immer wesentlich und läßt sich besonders in seiner frühen Produktion häufig nachweisen. In Operationes in Psalmos - um ein charakteristisches Beispiel anzuführen - wird er klar beschrieben, wenn von dem „admirabile commertium" u.a. gesagt wird, es bedeute, daß „peccata nostra iam non nostra, sed Christi sunt, et iustitia Christi non Christi, sed nostra est" Der Zusammenhang mit dem Abendmahl liegt besonders in diesen frühen Texten zu Tage. Mit Christi Leib vereint, „cum Christo una саго et unum corpus" sein, ist ein mirum commercium-Geschehen: „per intimam et ineffabilem transmutationem peccati nostri in illius iustitiam", und findet in der Begegnung mit Christus im Abendmahl statt55. Dort wird der Mensch " 5Ö> 53» J 6 f·, 204, 17-22. Vgl. die Formulierung bei Iwand 1930: „Der vorliegende Tatbestand ist eine Komposition aus menschlichen und göttlichen Faktoren: der Mensch trägt zu ihr die Sünde, Gott die Satisfaktion bei" (60). 50 7, 24, 5-26, 12. 61 7, 24, 12-25. Die lateinische Version hat einen Wortlaut, der sich noch näher an das Zentrum dieser Untersuchung anschließt: „Cum autem haec promissa dei sint verba sancta, vera, iusta, libera, pacata et universa bonitate plena, fit, ut anima, quae firma fide illis adhaeret, sie eis uniatur, immo penitus absorbeatur, ut non modo partieipet sed saturetur et inebrietur omni virtute eorum. Si enim tactus Christi sanabat, quanto magis hic tenerrimus in spiritu, immo absorptio verbi omnia quae verbi sunt animae communicat", 7, 53, 15-20 [Tractatus de libertate christiana 1520]. 52 „Wie das wort ist, sso wirt auch die seele von yhm, gleych als das eyssen wirt gluttrodt wie das fewr auss der voreynigung mit dem fewr", 7, 24, 33-35; vgl. 10 III, 271, 22-34 (Pred. 1522). 53 Siehe hier vor allem 7, 25, 26-26, 10 und auch ib. 29, 23-26. " 5, 608, 6-20; siehe zu diesem Thema F. W. Kantzenbach, Christusgemeinschaft und Rechtfertigung, Luthers Gedanke vom fröhlichen Wechsel als Frage an unsere Rechtfertigungsbotschaft, Luther 1964, 34 ff. 55 5 < 3 1 1 / 5 - I 7 (Operationes in Psalmos 1519-21].
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„eyn kuchen" mit Christus in einer unio, die sich als corporalis bezeichnen läßt, im Unterschied von der unio personalis der Naturen Christi". Ebenso wie Christus mit Leib und Blut im Brot und Wein des Abendmahls ist aufgrund der communicatio idiomatum - „alsso warhafftig werden auch wir yn den geystlichen leyp, das ist yn die gemeynschafft Christi und aller heyligenn getzogen und vorwandelt, und durch diss sacrament yn alle tagende und gnad Christi und seyner heyligen gesetzt" Man bemerkt, daß Luther, wenn er von der „eynleybung" des Christen mit Christus spricht, stets auch alle anderen Christen mit einbegreift, „mit Christo und allen heyligen"; das einzelne Glied vereinigt sich nicht nur mit dem Haupt, sondern auch mit den übrigen Gliedern des Leibes. So konsequent denkt Luther den Gedanken der communicatio idiomatum zu Ende. Und doch: wenn er einer communicatio auch der Christen untereinander Ausdruck verleiht, ist das niemals als eine Reminiszens an mittelalterliche Heiligenverehrung, Vertrauen auf die merita supererogationis der Heiligen zu verstehen, sondern es ist eine natürliche Folge der Vorstellung vom Leibe Christi und seiner dynamischen Einheit, der Gemeinschaft und des Austausche zwischen den Gliedern, bei dem jedoch - und das ist für Luther das Entscheidende - das Haupt, Christus selbst, dasjenige ist, was einem jeden Glied Leben und Kraft schenkt58. Christus ist immer der Ausgangspunkt, und die Bewegung, communicatio, commercium, imputa56 „Sihe so wirstu denn eyn kuchen mit Christo, das wir tretten mit yhm ynn eyn gemeynschafft seyner gutter, und er ynn eyn gemeynschafft unsser gutter, So flicht sich denn ynn einander, das sein gerechtikeyt mein wirt, mein ungerechtickeyt seyn, seyn guttes leben mein, meyn bosses leben seyn, und Summa summarum, er nympt sich alles unssers dinges an wie des seynen, un dwir nehmen uns widerumb des seinen an wie der unsern . . . " , 12, 486, 8-387, 3 (Pred. 1523]; siehe wieder Luthers Auslegung von Gal. 2, 20: „quantum attinet ad iustificationem, oportet Christum et me esse coniunctissimos, ut ipse in me vivat et ego in illo (Mirabilis est haec loquendi ratio). Quia vero in me vivit, ideo, quidquid in me est gratiae, iustitiae, vitae, pads, salutis, est ipsius Christi, et tarnen illud ipsum meum est per conglutinationem et inhaesionem quae est per fidem, per quam efficimur quasi unum corpus in spiritu", 40 I, 284, 20-26; „Verum recte docenda est fides, quod per earn sic conglutineris Christo, ut ex te et ipso fiat quasi una persona quae non possit segregari sed perpetuo adhaerescat ei et dicat: Ego sum ut Christus, et vicissim Christus dicat: Ego sum ut ille peccator, quia adhaeret mihi, et ego Uli; Сoniuncti enim
sumus per fidem in unam carnem et os", ib. 2 8 5 , 2 4 - 2 8 6 , 1 5 [ 1 5 3 5 D r . ) . Siehe hierzu
Peters 1958, 120 f., der auch 33, 232, 24-34 anführt: „Undt wie nun eine unzertrenliche person gemacht ist aus Christo, der gott undt Mensch ist, also wirdt nun aus Christo undt uns auch ein leib undt fleisch, das sein fleisch in uns undt unser fleisch in ihm ist, das ehr auch wesentlich wohnhafftig in uns ist, sein fleisch undt blutt etc. Aber das ist eine andere Vereinigung den eine personliche
Vereinigung, sie ist nieht so hoch undt gros
als die" (Wochenpred. über Joh. 6-8 1531 H.). " 2, 749, 1 0 - 1 5 [Ein Sermon vom Sakrament des Leichnams Christi 1519); ib. 743, 7-30; 57 Hebr., 220, 1 5 - 2 2 1 , 27 (Vöries, über den Hebräerbrief 1 5 1 7 - 1 8 ) ; 2, 692, 27-35 [Ein Sermon von der Bereitung zum Sterben 1519); 9, 445, 8-14 (Pred. 1519-21 Poliander). Für weitere Belege siehe auch oben, Kap. III А:г, 301-304. 68 D. Bonhoeffer, Sanctorum Communio 1954, 127 f f . , und vor allem M. Lackmann, Thesaurus sanctorum. Ein vergessener Beitrag Luthers zur Hagiologie (in: Festgabe J. Lortz I, 1958, 1 3 5 - 1 7 1 ) , und ders., Die Verehrung der Heiligen, Versuch einer lutherischen Hagiologie 1958, 78 ff.; siehe dazu auch unten in Schluß 2.
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tio, geht immer von ihm zum Menschen und wieder zurück, ununterbrochen und den ganzen Menschen einbegreifend. In der Kirche und durch die Gnadenmittel wird dem Menschen die Vergebung der Sünden zugesagt, was also bedeutet, daß ihm totaliter die Sünde gestrichen wird und er stattdessen durch den Glauben die Gerechtigkeit Christi erhält. Das ist, wie wir gesehen haben, ein Geschehen extra nos und gleichzeitig ein Wohnen Christi in nobis. Die Einheit von Wort, Glauben und Herz ist eine Zusammenfassung hiervon", denn wenn das W o r t als ein externum verbum kommt und den Glauben ex auditu erweckt, entspricht dem, daß Christus seine Wohnung im Herzen des Menschen nimmt"0. Christus ist das W o r t und das W o r t kommt von außen und wird ständig in den Menschenherzen inkarniert. Dasselbe will Luther sagen, wenn er den Geist neben das W o r t stellt, sowohl das äußere W o r t im Munde wie das im Herzen empfangene W o r t ' 1 . Dieses Wohnen Christi oder des Geistes im Menschen betrachtet Luther gleichzeitig als eine ständige relationsbedingte Inkarnationsbewegung und eine reale Gegenwart kraft des Wortes und Glaubens. Insofern gilt die Substanzbestimmung auch von der Gerechtigkeit des Menschen: durch Gottes reputatio ist der Mensch essentialiter gerecht, oder, wie Luther es auch formulieren kann: der Glaube, d.h. totus homo, subsistiert in der iustitia Christi" 2 . Das bedeutet keineswegs, daß Glaube und Gerechtigkeit als eine „qualitas in anima" oder ein habitus aufgefaßt werden". Vielmehr lassen sie sich niemals vom Relationsaspekt isolieren, doch will Luther mit Ausdrücken wie substantialiter, vere, subsistere usw. das typische communicatio-Verhältnis " 57 Hebr., 156, 20 f f . (Vöries, über den Hebräerbrief 1 5 1 7 - 1 8 ) ; vgl. im Galaterbriefskommentar 1535: „Iustitia enim Christiana his duobus constat, scilicet fide cordis et imputatione Dei", 40 I, 364, 1 1 f., und 366, 22-30 (Dr.). Siehe u.a. 19, 490, 24-491, 14 (Sermon von dem Sakrament 1526); 23, 183, 3 4 - 1 8 7 , 10 (Daß diese Wort Christi . . . 1 5 2 7 ) und dazu die Darstellung in Kap. III A : i , 276 f . el „Ego exposui spiritum i.e. verbum . . . verbum dei est spiritus sanctus et spiritus sanctus nihil aliud quam verbum dei sive in ore sive in corde . . . Quantum habes verbi, tantum habes spiritus. Summa: qui vult ingredi in regnum celorum, oportet illum habere illud verbum", 34 I, 508, 28-509, 19 (Pred. 1 5 3 1 Nürnberg). 62 „Nullius enim fides subsisteret, nisi in Christi propria iustitia niteretur et illius protectione servaretur. Haec est enim fides (ut dixi) vera, non absoluta immo obsoleta illa qualitas in anima, ut illi fingunt . . . Scilicet tarn magna res est hoc peccatum reliquum, sie intolerabile iudicium dei, ut nisi eum pro te opponas, quem sine omni peccato esse nostri, subsistere nequeas, id quod facit fides vera", 8, 1 1 4 , 20-27 (Rationis Latomianae confutatio 1 5 2 1 ) ; „ . . . Habitat ergo verus Spiritus in credentibus non tantum per dona, sed quoad substantiam suam", 40II, 4 2 1 , 3 3 - 3 7 (Enarratio Psalmi LI, 1 5 3 2 Dr.); vgl. die Vorlesung über Hebr. 1 1 , 1: „Est autem fides sperandum substantia rerum", 57 Hebr., 226 f f . , 1 5 1 7 - 1 8 : „(Si hae res sperandae) sine substantia esse putantur, fides eis substantiam tribuir,magis autem non eis tribuit substantiam,sed est ipsa eorum essentia.Ut puta, resurrectio nondum facta est necdum est in substantia, sed spes earn facit subsistere in anima nostra", ib. 228, 4 - 7 . Dieser Gedankengang ist in der Schöpfungs- und Inkarnationstheologie Luthers begründet: was Gott sagt (das Wort), das ist; „Deus enim vocat ea, quae non sunt, ut sint, et loquitur non grammatica vocabula, sed veras et subsistentes res, Ut quod apud nos vox sonat, id apud Deum res est . . . Sic verba Dei res sunt, non nuda vocabula", 42, 1 7 , 1 6 - 2 3 (Vöries, über 1 . Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) . " 40 II, 353, 14-354, 19 (Enarratio Psalmi LI, 1532 Dr.); vgl. 8, 1 1 4 , 20 f f . in A n m . 62.
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betonen, daß das, was für Christus gilt, nämlich das Attribut gerecht, göttlich, durch das Wort und im Glauben auch für den Christen gilt, und zwar real 6 '. Diese Feststellung wird auch durch unsere frühere Analyse von Luthers Substanzbegriff bestätigt. Die obige Darstellung hätte diesen Abschnitt abschließen können. A b e r an noch einem wichtigen Punkt müssen die Voraussetzungen für die folgende Untersuchung noch klarer dargelegt werden, und zwar in bezug auf den Zusammenhang und den Unterschied zwischen den Totalitäts- und Partialaspekten und besonders dem Verhältnis von gratia und donum". Dies ist im Grunde dasselbe wie das eben behandelte Verhältnis von Christus extra nos und in nobis oder dem Geist selbst und seinen Gaben. A n Hand des Voraufgehenden kann man sogleich den Zusammenhang mit den oft erwähnten Relations- und Wesensbestimmungen des Menschen konstatieren. Denn die gratia ist extra nos - der Christ lebt ja unter der Gnade - genau wie Christus und der Geist als Gottheitspersonen einer äußeren objektiven Wirklichkeit angehören, während das donum in nobis ist, ein Ausdruck des Innewohnens Christi. Die in diesem Gedankengang implizierte Distinktion ist uns wohlbekannt: es ist die zwischen Gott selbst „in sua divina natura et substantia", Deus nudus, und Deus involutus, Gott, wie er sich „in suis involucris", im W o r t und in den Gnadenmitteln, offenbart und seine Wohnung im Herzen der Menschen aufschlägt" So muß man auch die Gnade von der Gabe unterscheiden, denn die Gnade ist bei Gott selbst, während die Gabe das ist, was die Gnade im Menschen wirkt. Andererseits kann man die beiden niemals voneinander isolieren, denn die Gabe zeigt sich, sobald die Gnade reputatione Dei dem Menschen durch das Wort zugelegt wird. Der Geist ist - genau wie Christus - auf eine reale Weise aktiv gegenwärtig, vere und substantialiter, „non tantum effectualiter", ist aber für den Menschen nur als involutus greifbar, „per dona spiritualia" Diese Dialektik liefert einen deutlichen Beleg dafür, wie der communicatio-Gedanke auch in Luthers Auffassung vom Werk des Heiligen Geistes Eingang gefunden hat. Den Zusammenhang von gratia und donum drückt Luther so aus, daß er gratia als comes fidei bezeichnet: „gratia fidem comitatur" Man kann " Vgl.: „wir durch Christum sind mitgenossen worden der Göttlichen natur, Denn wiewol wirs nicht natürlich sind als Christus, so sind wir doch der selben ehren teilhafftig . . . " , 17 II, 324, 13-17 (Festpostille 1527). Der Zusammenhang zwischen Christologie und Rechtfertigungslehre wird besonders von Iwand 1930 und Link 1940, 106 f f . betont; vgl. Iwand, V o m Primat der Christologie (in: Antwort. Karl Barth zum 70. Geburtstag 1956, 172 f f . ] , wo er konstatiert, daß die Christologie „die Wurzel" der Rechtfertigungslehre bei Luther ist: „Sie und nichts anderes trägt den ganzen Stamm" (186). 65 Siehe zuerst 8, 105, 36-107, 36 (Rationis Latomianae confutatio 1521] und 40 II, 421, 20 f f . (Enarratio Psalmi LI, 1532 Dr.] und z.B. 29, 259, 10-260, 15 (Pred. 1529 R.]. Vgl. Literatur in Anm. 20 oben und hier außerdem M. Schloenbach, Glaube als Geschenk Gottes 1962. " 39 I, 244, 2-246, I i (Prom. disp. von Palladius und Tilemann 1537 A . ) ; 39 I, 370, 12-22 (Die erste Disp. gegen die Antinomer 1537 Α . ) . "* 39 I, 244, 23-27, 245, 2 5 (Prom. disp. von Palladius und Tilemann 1537 Α . ) . 8, io6, 6 und 31 (Rationis Latomianae confutatio 1521].
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donum nicht so mit fides identifizieren, daß man einen zeitlichen Unterschied zwischen gratia und fides voraussetzen muß. Das würde bedeuten, entweder daß Gottes Gnade zuerst kommt und sodann die Gabe oder der Glaube, oder daß der Glaube zuerst entsteht und nach der Gnade greift. Eine derartige Erwägung könnte leicht zu einem Synergismus im römischen Sinne führen, einer Wechselwirkung von Gnade und Natur, gratia praeveniens und der Glaubenskraft des Menschen usw. Mit den Begriffen gratia und donum will Luther vielmehr ein und dasselbe Geschehen bezeichnen, das in seiner Ganzheit und Gleichzeitigkeit Christus zum Zentrum hat. Das bedeutet, daß wenn die Gnade geschenkt wird, gleichzeitig das donum kommt, d. h. etwas am Menschen geschieht, ohne das die Gnade nur extrinsece ist, das, was die iustitia aliena zur fides Christi macht. Das ist im Grunde communicatio idiomatum. Gratia und donum begleiten einander, das eine ist ohne das andere nicht denkbar, und beide sind eine Einheit in Christus. Der Unterschied zwischen gratia und donum liegt nicht in den Erfahrungen des Menschen, sondern in der Wirksamkeit Gottes: Gott erweist in Christus seine Gnade, favor Dei, und Gott schenkt die Gaben seiner Gnade in Christus, fides Christi. Systematisch und prinzipiell ist die Gnade der übergeordnete und beherrschende Begriff, da aber der Glaube nur durch das Wort lebt, das auf die Gnade hinweist, kann es empirisch und psychologisch den Anschein haben, als begleite die Gnade die Gabe des Glaubens, als sei das donum das primäre. Man erhält durch das Evangelium Gewißheit über die Gnade Gottes und „erfährt" ihre Realität. Die Freude und Gewißheit des Glaubens laßen sich als comes gratiae beschreiben, aber ebenso richtig läßt sich die Gnade als comes fidei erleben - „sentiat". Dies ist ein Ausdruck für die Einheit, die Gleichzeitigkeit im Rechtfertigungsgeschehen extra nos und in nobis, bedeutet aber nicht, daß der Glaube, donum, das theologisch Primäre wäre". Favor Dei propter Christum ist keine qualitas, sondern äußert sich so im Herzen des Menschen, daß er fühlt, daß er einen gnädigen Gott hat - wir sehen hier vorläufig von der Anfechtung und der Verborgenhet des Glaubens ab - und insofern kann es den Anschein haben, als käme die Gnade hernach. Luthers Menschenauffassung ist hier somit durch eine Doppelheit gekennzeichnet, die durch die communicatio idiomatum eine Einheit in Christus ist. Gratia und ira sind extra nos und bringen die Totalsituation des Menschen coram Deo zum Ausdruck; peccatum und justitia sind gleichzeitig eine in nobis-Realität, die den Menschen total beherrscht. Der Zusammenhang darin ist, wie es sich nun zeigt, ein communicatio-Verhältnis des Teiles zum Ganzen, indem i. die Sünde als corruptio naturae weiterhin den ganzen Menschen prägt, während gleichzeitig nur reliquiae carnis verbleiben und 2. die Gerechtigkeit als donum gratiae den Christen per fidem Christi ganz neu gestaltet, während das gleichzeitig nur punktuell und partial in primitiae spiritus und guten Werken hervortritt: totus peccator, totus justus, remissio peccatorum - partim peccator, partim ·· Siehe Hermann 1930, 83 f f . , Prenter 1954, 52 f f . und Lerfeldt 1949, 89 f f .
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justus, abolitio peccatorum und mortificatio carnis. Alles ist vergeben per gratiam, aber noch ist nicht alles ausgetrieben per donum; die Sünde ist secundum naturam suam dieselbe, wird aber nicht angerechnet. Die Gnade ist ohne Sünde, und daher hat Gott an der ganzen Person Wohlgefallen; wenn nun die Sünde nicht per dona spiritualia niedergekämpft und der alte Mensch ständig gekreuzigt wird, führt das dazu, daß Gott auch an der Person kein Wohlgefallen finden kann'0. Hiermit ist der Partialaspekt, der Gedanke an die Kämpfe des Glaubens und den progressus der Frömmigkeit, immer stärker in den Blickpunkt gerückt, und damit haben wir die Grenze zum nächsten Abschnitt überschritten. Auch dort bildet die Lehre von der communicatio idiomatum eine Hilfe zum rechten Verständnis Luthers. 2. Der progressus des Glaubens, die Anfechtung und das Gebet Bereits die Überschrift dieses Abschnittes macht offenbar, daß wir es hier mit einem großen und außerordentlich schwer zu umreißenden Problemkomplex zu tun bekommen, der auch zu den am heftigsten umstrittenen der modernen Lutherforschung gehört1. Hier müssen in einem Zusammenhang eine Reihe von an und für sich umfassenden und anscheinend disparaten Fragen behandelt werden, die mit der Anfechtung, dem Kreuz, der mortificatio, dem Kampf des Glaubens in der Heiligung, progressus oder profectus, Glaubens- und Heilsgewißheit, Gebet, Zeugnis der Erfahrung usw., zu tun haben. Es gelingt jedoch nur recht selten, Luthers Äußerungen zu diesen Fragen gerecht zu werden oder eine befriedigende Gesamtschau dieses Komplexes zu vermitteln. Der Grund hierfür ist nicht schwer zu finden: man hat ganz einfach nicht beachtet, daß es sich hier wirklich nur um einen einzigen Zusammenhang handelt. Der Mangel einer Reihe von ausgezeichneten Untersuchungen besteht daher nicht darin, daß sie an und für sich im Hinblick auf das faktisch Untersuchte falsch wären, sondern liegt häufiger an der Beschränkung in bezug auf das, was man sich zu untersuchen vorgenommen hat, wodurch nicht nur Nuancen, sondern vielleicht grundlegende theologische Gesichtspunkte verloren gegangen sind. Der Vorteil der breiten systematischen Behandlung, die eine Voraussetzung der vorliegenden Untersuchung ist, zeigt sich auch hier. Es ergibt sich deutlich, daß man die Frage nach der Zunahme des Glaubens und der Heiligung nicht behandeln kann, ohne vom Kreuz des Berufes und dem Kampf mit der Sünde zu sprechen, und daß man die Abtötung des Fleisches nicht erörtern kann, ohne die Stellung des Christen in der Welt und im Dienst am Nächsten mit in Betracht zu ziehen; ebenso wenig lassen sich das Gebet oder die Anfechtung verstehen, wenn sie nicht in Relation zueinander gestellt werden 2 . 70 8, 107, 21-36. Dies ist nicht eine meritum-Vorstellung, es ist vielmehr die communicatio idiomatum, die solche Ausdrucksweise bei Luther zuläßt, was die folgende Untersuchung zeigen wird. 1 Siehe die Hinweise bei der Behandlung der konkreten Teilprobleme. 2 Die Kritik an der Lutherforschung, die hier angedeutet wird, richtet sich in erster
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Die hier angedeutete notwendige Zusammenschau ist möglich, wenn man die Darstellung von Luthers Anthropologie weiterführt, die im vorigen Abschnitt begonnen wurde, und zwar in zwei Hinsichten: in bezug auf i. sein Verständnis des Zusammenhanges von göttlicher und menschlicher Aktivität und 2. die Bedeutung der Rolle der Christologie. Von diesen Aspekten her läßt sich ein zusammenfassendes Bild von Luthers Gedankengang erhalten. Die Tatsache, daß die Rechtfertigung des Menschen sich ganz und gar auf Christi ein für allemal vollendetes und jetzt ständig ausgeteiltes Heilswerk gründet, impliziert nämlich einmal, daß der Zusammenhang mit Christus immer betont werden muß, und zum anderen, daß der Mensch durch Gottes Zusage der Vergebung in ein neues Leben, neue Gemeinschaft und Aktivität hineingezogen wird, die ihn gänzlich engagieren. Zuerst lauschen wir Luther in seiner Verteidigungsschrift „Grund und Ursach aller Artikel" von 1 5 2 1 , wo er den Anklagen der Päpstlichen u. a. sein Verständnis des christlichen Menschen gegenüberstellt, auch hier im Anschluß an Rom. 7 E r greift - das ist sein Ausgangspunkt - die römische Vorstellung an, daß bei dem Getauften keine Sünde zu finden sei: „sulchs ubel, das übrig bleibt nach der tauff sey nit sund . . . es sey mehr ein feyl odder gepreche denn sund" \ Wir haben ja gesehen, wie Luther den Christen im Verhältnis zu Gott beschreibt als zugleich totus peccator in se und totus justus in Christo. A n sich ist er Sünder, trotz äußerer guter Werke, propter Christum ist er gerecht, trotz der ständigen Äußerungen der Sünde, peccator in re, aber justus in spe, weil er durch Gottes doppelte Linie nicht gegen bestimmte Abhandlungen, sondern eher gegen die Tatsache, daß die hier fehlende, allseitige Untersuchung ungeschrieben geblieben ist. Dieser Mangel hat seinen Grund teils in einer bewußten thematischen Begrenzung, teils in dem Umstand, daß ein Buch oft als Korrektiv zu einem anderen entsteht und auch dadurch begrenzt wird. Das Bild von Luther wird durch die Forschung über Luther verschoben und vereinfacht, denn dort wird bald die eine, bald die andere Seite seiner Theologie auf eine alternative Weise betont, so wie es sich für Luther selbst niemals verhielt. So unterstreich z.B. Lerfeldt 1949, im Gegensatz zu Prenter 1954 (dän. 1944), die Übung und die reale Frömmigkeit des Christen; indem er die Bedeutung der mortificatio hervorhebt, wendet er sich dagegen, die sanctificatio als lediglich eine Wiederaufnahme der Vergebung zu fassen, gegen - zum Teil contra Wingren 1952 (schw. 1942) - eine säkularisierte Berufsethik, und gegen eine einseitige Verwerfung der Selbstliebe (siehe u.a. 2 9 2 f . ) . Wenn auch dies alles richtig ist, verdunkelt Lerfeldts Buch doch etwas von der großen Rolle des Berufs und des Nächstendiensts bei Luther - durch die gewissermaßen pietistischen und ethizierenaen Lösungsversuche. Etwas ähnliches gilt von der vorzüglichen Arbeit von Gyllenkrok 1952, wo er sich - zwar mit Vorbehalt - Lerfeldt anschließt С105) und Prenters Lutherverständnis stark kritisiert (104 f f . ) . Vgl. die gute und nuancierte Darstellung von Hägglund 1959, 346 ff. Was besonders unterschätzt worden zu sein scheint, ist das Gebet, dessen systematische Bedeutung in diesen Arbeiten nur flüchtig angedeutet ist. - Hieraus wird klar, daß das Gesamtbild auch hier nicht in einem einzigen Abschnitt hervortreten kann. Doch wollen wir die verschiedenen Gesichtspunkte in irgendeiner Weise beachten. 3 7, 329-345 С Dr.). ' 71 339) 14-17; die Auslegung beginnt mit der These: „Wer do leugnet, das nach der Tauffe ynn einem iglichen kind sund uberbleibe, der undertrit Christum und sanct Paul", 7, 329, 9 f.
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Imputation von der Sünde befreit und als gerecht betrachtet wird5. Aber wir haben ebenfalls gesehen, wie der Christ vom Partialaspekt her als teilweise Sünder, teilweise gerecht betrachtet werden kann. Luther verwendet u. a. das Bild vom Kranken, von dem sich gleichzeitig sagen läßt, daß er teils krank, teils gesund ist, der also noch die Krankheit hat, aber bereits auf dem Wege der Genesung ist. Diese beiden Gedankenlinien finden sich auch in dieser Schrift. So wie Luther Rom. 6-8 deutet, steht der Christ in einem unablässigen und unausweichlichen Kampf zwischen Krankheit und Gesundhet, Tod und Leben, Fleisch und Geist, Sünde und Gerechtigkeit. Ebenso sicher, wie der Christ teil erhalten hat am donum und den primitiae spiritus, so gewiß sind ihm auch noch die Sündenverderbnis und die reliquiae carnis verblieben. Daher ist es offenbar, betont Luther, „das noch sunde yn den getaufften und heiligen bleibt, sso lange sie fleisch und blut haben und auff erden leben" e. Ein jeder findet in sich selbst „zwey stuck", die miteinander im Streit liegen, nämlich das Fleisch und den Geist. Aufgrund des charakteristischen communicatio- und imputatio-Verhältnisses von Teil und Ganzem kann Luther den Christen einmal vom Partialaspekt, als aus zwei voneinander getrennte und miteinander streitende Komponenten betrachten, und zum anderen vom Totalaspekt her, als zugleich durch und durch Fleisch und durch und durch Geist. Diese Gedankengänge gehören zusammen. Luther sagt: „die weil fleisch und geist eyn mensch ist, szo wirt yhm zu gerechent beyderley . . . Und des geistes halben ist er frum, des fleisches halben hat er sund, wie sanct Paulus Ro. VI sagt: 'Der geyst lebt fur got umb seiner gerechtickeit willen. Das fleisch aber ist todt fur yhm umb seiner sund willen', Den die weyll das edliste, beste, hohiste stuck des menschen, der geyst, durch den glawben frum unnd gerecht bleibt, rechnet yhm got nit zum vordamnisz die uberige sund des geringsten stucks, des fleisches" \ Der Gedanke einer partialen Mischung von Fleisch und Geist in nobis geht also unvermittelt über in den Gedanken, daß Gott extra nos uns entweder das eine oder das andere anrechnet, je nach der Grundrelation des Menschen zu Gott in Glauben oder Unglauben, da er somit total Fleisch oder Geist ist, entweder von Gottes Zorn oder von Gottes Gnade beherrscht. So kann Luther behaupten, daß dem Christen durch das Wort, ex auditu und bereits in der Taufe, alle Sünde vergeben ist und daß er dadurch ganz rein und wiedergeboren ist - insofern „musz das nit sund heissen, was übrig bleibt" e . „Aber widderumb", fährt Luther mit einer charakteristischen Wendung fort, „diesze erbsund, die ym fleisch geporn ist, vorgeht yn der tauff nach der schult, sie bleibt aber nach dem werck" Ähn5 Siehe u.a. 56, 269, 29 f., 272, 17 f f . [Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ] , und in den beiden Galaterbriefskommentaren, 2, 495, 1 ( 1 5 1 9 ] und 40 II, 24, 2 1 f . C r 535 Dr.]. 8 7, 331, 4 f · * 7, ЗЗ1, 30-ЗЗЗ, 7 (Dr.]. 8 7, 343, 7· ' 7, 343, 14-16·
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lieh sagt Luther in der Schrift gegen Latomus, daß der Mensch in der Taufe durch Gottes non-imputatio peccati und imputatio iustitiae neu geboren, aber dann gleichzeitig in einen Kampf mit der noch vorhandenen Sünde hineingestellt werde. Durch eine tägliche abolitio peccati, einen ständigen Kampf, der den Menschen ganz in Anspruch nimmt, führt Gott ihn einer schließlichen „evacuatio" entgegen. Die Sünde ist keineswegs ungefährlich für den Christen, aber um Christi willen ist die Verdammnis des Gesetzes zunichte gemacht, und dann ist die Sünde für den, der glaubt kein „peccatum regnans" mehr, sondern nur ein „peccatum regnatum". „Secundum vires", d. h. was die Kraft zu verdammen betrifft, ist die Sünde unschädlich gemacht, aber „secundum substantiam" ist sie noch vorhanden und kann den Glauben ersticken, wenn der Mensch ihr nicht ständig entgegentritt10. Der Kampf des Geistes gegen „das widderspennige fleisch" spiegelt den Kampf Gottes mit dem Teufel wider - so wie er in De servo arbitrio geschildert wird - und ist ein täglicher Streit, der das ganze Leben hindurch vor sich geht, denn auch wenn die Sünde ganz vergeben ist, so „lebt webt und tobet sie und ficht unss an, biss yn den leiplichen todt, da sie aller erst vortilget" Christus pro nobis bedeutet, daß der Christ vollkommen gerecht ist, denn Christi Gerechtigkeit ist reputatione Dei ihm geschenkt. Christus in nobis bedeutet, daß der Christ durch den Glauben eine unvollkommene, nur begonnene Gerechtigkeit hat. Daher ist er totus justus und verus justus und gleichzeitig nur partim justus und justus in spe. „Deus favens et reputans" stellt um Jesu willen den Sünder unter die Gnade und schenkt Glauben und das donum gratiae. Das ist ein untrennbares Ganzes: wenn Gott den Menschen gerecht erklärt, gießt er auch seinen Geist über ihn aus und macht ihn gerecht; wenn die Sünde reputative durch die iustitia imputativa fortgenommen wird, wird auch ihre Austreibung substantialiter durch die iustitia formalis begonnen wenn der Mensch im transitus des Glaubens von totaler Sünde zu totaler Gerechtigkeit schrei" 8, 92, 3 8 - 9 3 , 1 2 , 96, 2 - 1 2 (Rationis Latomianae confutatio 1 5 2 1 ] . V g l . die Erläuterung in dem Abschnitt 56, 2 8 2 - 2 9 1 (Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ] . Siehe hier auch Schloenbach 1962, 26 f f . und 3 1 f f . 11
7, 343, 16 f. 8, 1 1 4 , 1 5 - 3 6 [Rationis Latomianae confutatio 1 5 2 1 ] ; die Vergebung der Sünden wirkt Gott auf „zweyerley weyse, Erstlich also das er die sunde vergibt, nachlest und bedecket der massen, das sie G o t nit ansehen, achten odder rechen will, ob sie gleych yhm menschen ist. Hernach mals also, das ehr die sunde purgire und reynige durch manicherley creützigunge unnd leyden, Denn es sein zweyerley dingk sunde vergeben und sunde wegnemen oder aussfegen . . . " , 1 5 , 7 2 7 , 1 5 - 3 1 [Pred. 1 5 2 4 Dr.); 40 II, 3 5 1 , 6 - 3 5 2 , 10 (Enarratio Psalmi L I 1 5 3 2 Hs.); ib. 3 5 7 , 3 5 - 3 5 8 , 26 [ D r . ) ; „Purificare cor est imputare cordi purificationem [ N B ! das Ineinander] . . . Primum enim purificat imputative, deinde dat spiritum sanctum, per quem etiam substantialiter purgamur. Fides purgat per remissionem peccatorum, spiritus sanetus purgat per effectum", 39 I, 99, 1 6 - 2 7 (Disp. de iustificatione 1 5 3 6 ) ; 39 I, 434, 6 - 1 2 [Die zweite Disp. gegen die Antinomer 1 5 3 8 ) ; eine ausführliche Auslegung der Rechtfertigung in diesem Zusammenhang findet sich in der dritten Antinomerdisputation, 39 I, 490-496. - Siehe Joest 1 9 5 1 , 89 f f . : „Die iustitia imputativa gestaltet sich in notwendiger Bewegung zur iustitia formalis" ( 9 0 ) . 12
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tet, begreift dieser göttliche Akt auch ein kontinuierliches menschliches Geschehen ein, einen schrittweisen progressus des neuen Lebens Daher kann nun Luther in „Grund und Ursach . . . " sagen, Christi Frömmigkeit und Heiligkeit „für gottes äugen" müsse „unszer schanddeckel" sein, das, was die Sünde zudeckt, „ein schütz und schirm", der bewirkt, daß die Sünde dem, der an Christus glaubt, nicht angerechnet wird". So ist die Sünde imputative gänzlich entfernt. Andererseits spricht Luther viel von der Sünde, die „nach dem angefangen gutten geist yn der tauff" noch verblieben ist, und die bekämpft und ausgetrieben werden muß in einer lebenslangen Heiligung und täglichem Kampf, „durch widderstreit und gottes gnaden und des geistes zunehmen". So verschwindet die Sünde expurgative. Das bedeutet eine Gleichzeitigkeit, ein Ineinander von Futurum und Präsens, von totus und partim, von vollkommen und unvollkommen, von reputatio und donum spiritus sancti, von iustitia Christi aliena und iustitia Christi in nobis oder kurz von Rechtfertigung und Heiligung. So wird der Inhalt des zuvor beschriebenen commercium- und communicatio-Geschehens entwickelt und dargelegt". Diese Gedanken finden eine weitere Bestätigung in dem Text in „Grund und Ursach . . . " , wo Luther immer wieder unterstreicht, daß alle Sünde durch die Taufe vergeben und unschädlich gemacht ist, während er zugleich feststellt, „das wir durch tauff und pusz anheben frum und rein zu werden" Im selben Atemzug kehrt er dann den Gedankengang wieder um und sagt, daß die verbliebene Sünde gerade „umb der angefangen frumkeit und stetigs üben streit und ausztreiben der sund" nicht angerechnet werde". Es ist wichtig, den inneren Gehalt der Formulierungen sorgfältig zu erwägen, denn hier enthüllt sich die communicatio-Struktur des Gedankenganges: was für das Ganze gilt, hat für den Teil Gültigkeit und umgekehrt, die gleiche Aussage bezieht sich sowohl auf den Teil wie auf " Vgl. Joests Beschreibung 1 9 5 1 , 92: der Progressus ist zugleich „kleine Teilschritte" und „die ganze Entscheidung, die totale Krise, die Ganz-Wandlung". Zur Frage über die Zusammenschau der transitus- und progressus-Aspekte, siehe bei Joest auch 57 ff. und Hägglund 1959, 356 f., Anm. 77, mit Hinweis zu 7, юб f. (Assertio omnium articulorum 1520]. " 7, 345, 5 - 7 · 15 7, 3 3 1 , 2 4 - 2 9 ; vgl. Joest 1951: „Das Urteil, das rechtfertigt, und die Ausgießung des Geistes, der heiligt, sind ein unteilbares Ganzes" ( 8 6 ) . - Der Begriff „Heiligung", sanctificatio, sanatio, kann bei Luther häufig gegen purificatio, expurgatio, „Ausfegen" oder „Austreiben" ausgetauscht werden; siehe Gyllenkrok 1952, 99 ff. und besonders R. Prenter, Luthers Lehre von der Heiligung [in; Lutherforschung heute 1958, 64) und M. Schloenbach, Heiligung als Fortschreiten und Wachstum des Glaubens in Luthers Theologie 1963, 9 ff., eine Arbeit, die in ihrer Ganzheit und auf eine interessante Weise die hier aktuelle Problematik behandelt. 1 8 7, 343, 3 - 7 , 36 f· ..Es ist und bleybt auff erden nur ein anheben und zu nehmen, wilchs wirt in yhener weit volnbracht", 7, 30, 5 f. [Von der Freiheit eines Christenmenschen 1 5 2 0 ] ; fast dieselbe Formulierung 1539, 50, 599, 3 1 f. (Von den Konziliis und Kirchen); ähnliche Gedanken können aus der ganzen Verfasserschaft Luthers nachgewiesen werden, z.B. 15, 506 ff. fPred. 1 5 2 4 ) , 20, 309 f. (Pred. 1 5 2 6 ) , 37, 73 f. (Pred. 1 5 3 3 ) ; vgl. Schloenbach 1963, 56 f. 1 7 7, 343, 38-345, 2 ( D r . ) .
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das G a n z e . Die Gerechtigkeit Christi w i r d d e m M e n s c h e n im W o r t gereicht, und durch den G l a u b e n w i r d er total v o n ihr geprägt, das Attribut gerecht gilt f ü r sein ganzes Leben und alle seine W e r k e , denn die Mängel w e r d e n von der imputatio iustitiae Christi zugedeckt. A b e r Luther betont auch, daß der M e n s c h mit all seinen guten W e r k e n dennoch Sünder ist, „ E r faste, wache, erbeitte biss auff den todt und sey sso heilig er ymmer mag" K a n n das in einer Hinsicht gesagt w e r d e n , ist es damit v o n allem am Menschen gesagt. O h n e Christus ist er daher an sich totus peccator. Ferner: kann nun vielmehr behauptet w e r d e n , daß der M e n s c h propter Christum eine begonnene Frömmigkeit besitze, so ist deshalb, sagt Luther, der ganze M e n s c h gerecht, und die Sünde, die ihm noch anhaftet, w i r d nicht angerechnet 1 ". D a s läßt sich auch folgendermaßen ausdrücken. A n und f ü r sich reicht sozusagen ein Funken v o n G l a u b e n aus, denn der „kleinste" G l a u b e ist - in dieser uneigentlichen Terminologie - „der ganze" G l a u b e , dessen es bed a r f " . Insoweit sind alle „ Ü b u n g " und aller K a m p f unnötig, denn durch 18 7/ 335/ 7 - I 3 · Schloenbach hebt den Gesichtspunkt der synechdoche, des „pars pro toto", hervor [1963» 46< Anm. 1 ) , der denselben Communicatiogedanken zum Ausdruck bringt. 19 Darum liegt in der Anschauung Luthers etwas Richtiges, was Holl hervorheben wollte, als er in seinem Aufsatz über die Rechtfertigungslehre in der Römerbriefvorlesung das analytische Rechtfertigungsurteil Gottes betonte, Holl 1921, 103-107, siehe hier u.a. 103 f., Anm. 2. Er unterstreicht dort den Zusammenhang zwischen Gerechterklären und Gerechtmachen (106), indem er jenes als eine Antezipierung Gottes von diesem sieht; Gottes non imputatio peccati ist nach Holl darauf gegründet, „daß die Erneuerung des Menschen für Gott im Augenblick der Rechtfertigung bereits vollendet ist" ( 1 0 3 ) , d.h. propter fidem, „propter confessionem", „propter humilitatem", „propter inceptam curationem" [Holl zitiert u.a. 56, 269, 28 f., 284, 13 f., 5 1 3 , 19 f., siehe 104 f . ) . Diese Lutherdeutung ist häufig und nachdrücklich kritisiert worden von z.B. Ljunggren 1928, 351 f f . , P. Althaus, Zum Verständnis der Rechtfertigung, ZSTh 1930, 727 f f . - vgl. Althaus 1962, 210 - Lindroth 1935, 244 f., Prenter 1954, 103 f f . und 1958, 71 f f . und in jüngster Zeit Modalsli 1963, 27 f f . Einstimmig hat man sich gegen die einseitig ethizierende Einstellung und gegen den Gedanken einer Antezipierung der eschatologischen Heiligkeit gewendet. In dem Maße wie Holl ein Moment von Bedingtheit darin hineingelegt hat ( 1 0 7 ) , trifft die Kritik einen zweifelhaften Punkt in Holls Argumentation. Aber vor dem Hintergrund des communicatio-Zusammenhanges läßt sich behaupten, daß Holl doch etwas Wichtiges und häufig Übersehenes betont hat. Auf beiden Seiten hebt man insofern bedeutungsvolle Gesichtspunkte bei Luther hervor: die Kritiker wollen die Rechtfertigung sola.gratia und propter Christum wahren, ohne mit Garantien für zukünftige Heiligung zu rechnen, und Holl, der auch die Theozentricität zum Ausdruck bringt - der Glaube und das ganze neue Leben ist „ein einheitliches Werk Gottes" (106], betont dazu besonders, daß die Rechtfertigung wirklich etwas leistet - progressus, daß Christus nicht nur Versöhner, sondern auch „Wirker des neuen Lebens im Gläubigen" ist [siehe 105, Anm. 2]. Es ist aber Holl nicht gelungen, die für Luther typische Beweglichkeit, die Einheit von Verborgenheit und realer Frömmigkeit, totus und partim, auszudrücken, weil er in einer statischen Religion steckenbleibt, in einer Religion des Sollens, wo er das propter Christum in dem propter initium novae creaturae aufgehen läßt - darin hat die Kritik auch recht. Dieser Problemkomplex wird im ganzen erst durch die Berücksichtigung der communicatio idiomatum klargemacht, was hier allmählich mehr und mehr geschehen kann. 20 2, 495, 1 - 5 und 497, 16-24 Cln epistolam ad Galatas 1 5 1 9 ] ; 7, 30, 1 1 - 1 9 [Von der Freiheit . . . 1520); 40 I, 598, 23 f., 599, 18 f. [In epistolam ad Galatas 1535 Dr.). Vgl.
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sie kommt man Gott nicht näher, erringt nicht „mehr" Gerechtigkeit oder „mehr" Heiligkeit. Der Christ, der nur ein „initium iustitiae" und primitiae spiritus besitzt und lediglich „fiens in iustificatione" ist, ist - communicatione idiomatum - zugleich und gleichwohl totus justus21. Und doch braucht der Funke Nahrung, er muß ständig gestärkt und geübt werden, da er sonst ersticken kann, so daß die Sünde erneut die Herrschaft ergreift. Hier kann Luther daher sagen, daß der kleine Glaube nicht ausreicht. Man darf sich niemals der Ruhe hingeben und meinen, seines Glaubens sicher sein zu können, als wäre er ein Besitz, über den sich eigenmächtig verfügen läßt. Da die Gerechtigkeit von außen kommt, müssen der Glaube und die Gaben des Geistes dem Menschen ständig aufs neue im Wort gereicht werden, und daher ist die Mahnung zu Ausdauer und Übung notwendig22. Wenn Gott dem Menschen seine Gerechtigkeit zusagt, wird er in seiner Ganzheit gerecht genannt, und keine Sünde kann ihm schaden; aber dieses Totalitätsgeschehen hat ein partiales Gepräge insofern, als es kontinuierlich wiederholt werden muß nach der Regel: „proficere hoc est semper a novo incipere" 23. Gerecht sein ist für Luther gerecht werden, und zwar ständig aufs neue werden. Hier besteht eine Einheit von imperfectio und perfectio, von „noch nicht" und „schon jetzt", denn das Begonnene wird als Vollkommenheit gerechnet. Nur indem man gerecht wird, ist man gerecht, und nur indem die Sünde täglich vergeben wird, wird sie ausgetrieben, nur indem er dauernd zunichte gemacht wird, kann der Glaube wachsen und stärker werden. Die Rede vom Fortschreiten ist daher auch zweideutig. „Semper a novo incipere" bedeutet nicht ein „stare", denn das wäre vielmehr ein Rückgang. Aber proficere bedeutet andererseits kein problemloses, reales Anwachsen Schritt vor Schritt, denn das hieße, eine Gerechtigkeit in re an sich reißen, die jetzt nur in spe geschenkt wird. Wenn Luther gleichwohl mit einem „profectus" rechnet24, handelt es sich dabei ihm zufolge um eine verborSchloenbach 1963: „Der Glaube ist ganz Glaube. Glaube kann nicht mehr sein sollen als Glaube. Aber er kann wachsen, kann größer, stärker werden" [ 3 4 ] . 21 56, 282, 3 - 2 8 [Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ] ; 4, 664, 2 6 - 6 6 5 , 2 2 [Sermone 1 5 1 4 - 2 0 ) ; „Ich rate dir aber, wiltu etwas stifften, betten, fasten, so thu es nit der meynung, das du wollist dir etwas guts thun . . . was sollen dir dein gutter und gute werck, die dir übrig sein, dein leyb zu regieren und Vorsorgen, so du gnug hast am glaubenn, daryn dir gott alle ding geben hat?", 7 , 37, 2 7 - 3 2 [ V o n der Freiheit . . . 1 5 2 0 ] . 22 „Alszo ists mit der gottis gnaden auch: wer anfehet tzu glawben unnd will nitt ymer tzu nehmen unnd wachszen, dem wirt sie genommen unnd eynem andern geben, der da mit anfehet . . . Und alhie reden unszer hohen schulen gar blind, toll, gifftig ding vom glauben, da sie leren, es sey gnug tzur selickeyt der anfang des glawbens unnd nur eyn kleiner grad odder stuck davon", 8, 3 7 1 , 5 - 1 1 [Evang. von den zehn Aussätzigen 1 5 2 1 ) - diese ganze Predigt ist für das Thema in diesem Abschnitt sehr aufschlußreich; ferner 7, 2 3 , 7 - 9 [ V o n der Freiheit . . . 1 5 2 0 ) ; 24, 3 3 5 , 36 f. [Pred. über das 1. Buch Mose I 5 2 7 ) ; 36/ 467, 2 5 - 3 5 CPred. 1 5 3 2 D r . ) . 23 56, 486, 7 [Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ) ; 4, 350, 1 5 f. [Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 . 24 Diese viel diskutierte Frage ist häufig behandelt worden, oft auf eine terminologisch unbefriedigende Weise. Denn welchen Sinn hat der progressus [oder die profectio): ist
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gene Zunahme. Die Zunahme, die man zu sehen meint, kann nämlich eine Frucht des Glaubens sein und insofern etwas Göttliches in menschlich konkreter Gestalt, sie kann aber auch ein Ausfluß von Selbstgerechtigkeit sein, von konstruierten und eigenhändig geleisteten Werken. Diese Doppelheft der Verborgenheit kennen wir wieder als ein Charakteristikum der Inkarnation in Luthers Deutung. Aufgrund dieser Verborgenheit und Zweideutigkeit kann der Fortschritt als ein ständiges Suchen, ein Gebet und Streben, eine erneute Flucht zu Christus bezeichnet werden: „semper incipiens, querens et queritum semper requirens"; „iterum ac iterum", „quaerere et pet ere Iustificari vsque ad mortem", nach der Römerbrief Vorlesung von 1 5 1 5 - 1 6 . Die guten Werke und die reale Frömmigkeit, die somit entstehen, sind daher eine Vorbereitung zum nächsten Schritt: „omnia opera Iusta et in gratia facta sunt preparatoria ad sequentem profectum Iustificationis" - während gleichzeitig progressus niemals etwas anderes bedeutet, als ständigen Neubeginn". In diesem unauflöslichen Zusammen von Sein und Werden, von göttlichem Handeln allein und innerem Geschehen im Herzen des Menschen, liegt die Lösung des Problems des progressus als eines Ineinander von incipere, proficere und perficere und als eines ungewöhnlich reich nuancierten und schwer faßbaren Ausdrucks für die communicatio idiomatum im Leben des Christen. Wir wollen uns nun wieder „Grund und Ursach . . . " zuwenden, um zu sehen, wie diese Gedanken dort formuliert sind. Luther zieht, wie so oft, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter heran. Der Geschlagene wird nicht sogleich völlig geheilt, „alszo wyr auch durch die tauff odder busz, es ein Zeitbegriff oder ein Maßbegriff, nur eine Glaubensaussage über eine eschatologische, verborgene Heiligkeit oder Ausdruck einer sichtbaren, realen Frömmigkeit, oder vielleicht beides? Je nachdem, welchen Standpunkt man hier einnimmt, zieht man Schlußfolgerungen in bezug auf die Auffassung Luthers - die dann der Beurteilung anderer Verfasser zugrunde gelegt werden. Siehe Hermann 1930, 234 f f . , wo die Frage zunächst hervortritt; er sieht progressus ganz als Zeitausdruck; Prenter 1954, 75 f f . und 225 f f . , ders., Der barmherzige Richter 1961, 140 f f . ; er arbeitet durchweg und sehr nuanciert auf der Ebene Hermanns; Lerfeldt 1949, 236 f f . ; für ihn ist progressus ein Zeitbegriff, er betont aber auch die Werke, die konkreten und realen Früchte des Glaubens; Gyllenkrok 1952, 100 f f . , will Holl und R. Seeberg (reale, stufenweise Gerechtmachung) gegen die Hermannsche Schule - auch mit Prenters Modifikationen - recht geben ( 1 1 1 - 1 1 5 ) ; L. Pinomaa, Die profectio bei Luther (in: Gedenkschrift für Eiert 1955, 119 f f . ) hält den profectio-Gedanken, jedenfalls im Sinn der realen Zunahme, mit der Vorstellung von simul justus et peccator für unvereinbar - siehe dazu die Kritik bei Prenter 1958, 67 f. Schloenbach nimmt eine interessante, vermittelnde Stellung ein, wenn er Fortschritt teils als Bleiben in Christo = Zeitbegriff, de die in diem, teils als Wachsen, Stärkerwerden des Glaubens = Zeitbegriff plus Maßbegriff, magis ac magis, charakterisiert (1963, 19, 36 f f . , siehe auch Zitat in Anm. 20 hier). Vgl. dazu Joest 1951, 55 f f . und Hägglund 1959, 348 f f . , bes. 360 f., wo er sich mit Bestimmtheit gegen die falsche Alternative: die profectio ist entweder konstatierbar oder ist es überhaupt nicht, wendet. 25 56/ 239, 14-22, 259, 9-20, 264, 16-21; für Belege aus dem älteren Luther, siehe z.B. 30 I, 190, 3 7 - 1 9 1 , 12 (Großer Kat. 1529), 45, 175, 14-26 (Pred. 1537 R.) und ferner an vielen Stellen in diesem Abschnitt. Zur Sache siehe Prenter 1954, 78 f f . und ders., Der barmherzige Richter 1961, 147 f., mit eingehender Diskussion mit Gyllenkrok 1952.
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werden nit gantz gesund" 2". Luther zweifelt zwar nicht daran, daß der Mensch durch die Taufe wirklich ganz unter die Gnade gestellt worden ist und eine Zusage der Gerechtigkeit erhalten hat, die in Christus keine Begrenzung und Bedingung kennt. Dieses den Menschen total einbeziehende Handeln bedeutet gewißlich völlige Gesundheit und gänzliche Befreiung von Sünde, und dennoch ist dieses Taufgeschehen nur der Anfang. Wir werden, sagt Luther, „angefangen und vorbunden mit der ersten gnade, das wyr teglich mehr unnd mehr heilen und gesund werden" Als totus homo ist der Mensch simul justus et peccator und simul egrotus et sanus, wie ein Kranker, der allmählich gesundet28. Der Christ wird in diesem Zusammenhang als „semivivus" beschreiben, als ein Konvaleszent, der sich auf dem Wege der Genesung befindet, „non sanus sed curandus". Die Gesundheit ist bereits da, während man gleichzeitig sagen kann, daß sie schrittweise in Erscheinung tritt 2S . Wir können in diesem Gedankengang eine interessante Parallele zur Christologie erkennen, wenn wir uns der communicatio-Stelle im vorigen Abschnitt erinnern. Es wird in diesem Zusammenhang vom Christen gesagt, er sei u.a. „spiritualis et carnalis", „ille egrotus idem homo est infirmus et sanandus". Dies ist einmal ein Totalitäts-, zum anderen aber ein Partial- und progressus-Aspekt. Ebenso heißt es von „eadem persona Christi" - „sicut" - sie sei „simul mortua et viva, simul passa et beata, simul operata et quieta". Er ist total wahrer Gott und wahrer Mensch, während er sich zugleich in Herabsteigen und Erhöhung, Erniedrigung und Herrlichkeit verändert, nicht seinem Wesen nach, aber im Hinblick auf sein Amt und seinen Stand. Daher kann ja Luther, ohne auf die Totalitätsaussagen zu verzichten, von Entwicklung und Zunahme bei Jesus sprechen30. Ebenso kann er hier in der Anthropologie die Fülle der Gerechtigkeit und Gesundheit betonen, während er gleichzeitig Ernst machen will mit einem partialen Wachsen. Incipere, proficere gehören bei Luther mit reputari ad iustitiam zusammen, und fieri wird mit esse justus zusammen gesehen. Luther verweist auf den Apostel Jakobus und betont, daß der Christ " 7/ 337, 4 - i 8 . 27 7/ 337; 18-20; klar ausgedrückt in der Römerbriefvorlesung, 56, 173, 7-13 und 259, 14-17. Die stetige Zunahme des Glaubens und des neuen Menschen und das Abnehmen der Sünde und des alten Menschen ist ein Geschehen, das „magis ac magis" und „de die in diem" stattfindet; der Gedankengang kann in Luthers ganzem Werk belegt werden, siehe die reichhaltige Zitatsammlung bei Schloenbach 1963, 34 ff. 28 Ein wichtiger Abshnitt: 56, 272, 3-273, 2 [Vöries, über den Römerbrief 1515-16}, der genau beschreibt, wie „Samaritanus noster Christus hominem semiuiuum egrotum suum curandum suscepit in stabulam et incepit sanare promissa perfectissima sanitate in vitam eternam ..."; ferner ib. 347, 9-14, 351, 17-22. Luther betont öfters, daß die Gesundung allmählich geschieht, „paulatim", z.B. 56, 70, 22 f. und 7, 107, 6 f. (Assertio omnium articulorum . . . 1520]. " 56/ 2 58, 21 f., 272, I i f. [siehe vorige Anm.), 351, 18 f., 441, 16 f.; 3, 417, 1 f. [Dictata super Psalterium 1513-16); 7, 107, 1 f. (Assertio omnium articulorum . . . 1520]; 8, 109, 27 f. [Rationis Latomianae confutatio 1521]; vgl. auch Kap. III B:i, Anm. 40. 30 56/ 343/ 18-21, 351, 20 - siehe im vorigen Abschnitt, Anm. 9 und 43. 22 - Nilsson
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durch das Wort und von der Gnade Gottes wiedergeboren ist. Damit kann er als „initium creaturae Dei", Jak. i, 18, bezeichnet werden. Es ist, als wolle Jakobus sagen, „wyr sein ein angefangen werck gottis, aber noch nit volnbracht, die weil wyr hie auff erden yn den glawben seins worts lebenn" Der Kranke ist unter Behandlung - gratia et favor Dei - gekommen und gesundet immer mehr im Glauben an die Worte des Arztes Die Verheißung der Gesundheit verleiht durch den Glauben der Gabe volle Realität, die zugleich nur allmählich und durch Wiederholung in ihrer Ganzheit geschenkt werden kann. Das zweite Gleichnis, das Luther in „Grund und Ursach . . ." behandelt, ist das vom Sauerteig, der immer mehr, „durch und durch", säuert". Der Sauerteig ist die Gnade und der Glaube, die im Menschen wirken, aber er verwandelt ihn nicht auf einmal wie durch einen Zauberschlag, sondern „mit der weile". Der totale, absolute Aspekt bedeutet dann, daß dem Mehl überhaupt Sauerteig hinzugefügt wird, auch wenn er seine Aufgabe erst später erfüllt - ebenso hat Gott dem Menschen seine Gnade und Gerechtigkeit geschenkt, obschon sie ihn erst bei der Auferstehung vollendet haben wird. Der partiale, relative Aspekt zielt auf das Faktum ab, daß der Sauerteig, der zwar bereits da ist, doch noch nicht alles durchsäuert hat, was jedoch immer mehr geschieht - so gehen auch das progressus-Geschehen beim Menschen, mortificatio und Austreibung der Sünde durch tägliche Bekehrung und Übung, immer weiter. Luther faßt dies auf beredte und erschöpfende Art zusammen: „Das alszo ditz leben nit ist ein frumkeit, szondern ein frumb werden, nit ein gesuntheit szondernn eyn gesunt werden, nit eyn weszen sunderen ein werden, nit ein rüge, szondernn eyn ubunge, wyr seyns noch nit, wyr werdens aber. Es ist noch nit gethan unnd geschehenn, es ist aber ym gang und schwanck. Es ist nit das end, es ist aber der weg, es gluwet und glintzt noch nit alles, es fegt sich aber allesz" Das angeführte Stück in der hier aktuellen Schrift gegen die Papisten 7» 337» 20-24; die Anknüpfung an Jak. 1, 18 kommt häufig vor, z.B. 56, 352, 17 f . (Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ) ; 2, 614, 35 f. (In epistolam ad Galatas 1 5 1 9 ) ; 7, i n , 8 f. (Assertio omnium articulorum . . . 1520]; 18, 754, 8 f f . [ D e servo arbitrio 1525]; 39 I, 204, 6, 235, 19 (Die Prom. disp. von Palladius und Tilemann 1 5 3 7 ) ; in der Literatur ist sie besonders von Haar 1939, u.a. 63 f f . , 123 ff., Gyllenkrok 1952, 99 f f Hägglund 1959, 344 f f . behandelt worden. a2 56, 272, 3 ff., siehe auch Anm. 28 oben (Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ] . " 7, 337, 26 ff.; das Gleichnis vom Sauerteig kommt im Anschluß an Matth. 13, 33 und i . Kor. 5, 7 wieder, z.B. 2, 415, 1 5 - 1 7 (Resolutiones Lutherianae . . . 1 5 1 9 ) ; 7, 106, 3 6 107, 7 (Assertio omnium articulorum . . . 1520); 8, 109, 24 f . (Rationis Latomianae confutatio 1521) und der Zusammenhang 38, 564 f f . (Annotationes in aliquot capita Matthaei 1538). Eine charakteristische und ausdrucksvolle Stelle in der Römerbriefvorlesung: „. . . Quis enim eorum intelliget ista duo simul, quod sint azymi et tarnen expurgandum sit eis fermentum vetus? Nisi quia vnum in re vera, Sed aliud propter humilitatem fidei in timore, in spe et non-Imputatione Dei consistit. Fermentum habent, Sed dolent pro eo et gratiam Inuocant ideoque Azymi sunt reputatione Dei, qui eis fermentum non imputat, Sed expurgandum relinquit", 56, 282, 8 - 1 5 . " h 337» 3 0 _ 3 5 · Vgl.: „Primitiae sind da, fermentum quidem mixtum in pastam sed non totum perfermentatum, fermentatur autem. Si inspicio fermentum, eitel fermentum, Si massam, nondum", 401, 537, 3 - 5 (In epistolam ad Galatas 1 5 3 1 R.). 31
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beendet Luther damit, daß er einige wichtige Schlußfolgerungen in bezug auf die dynamische Dialektik im Verhältnis von totus und partim zieht, die das Leben des Christen ständig beherrscht, und die wir hier als einen Ausfluß der communicatio idiomatum in Luthers Denken sehen wollten. Er konstatiert einmal, daß der Mensch in der Taufe um Christi willen die Vergebung der Sünden erhält - und dennoch ist die Sünde nicht ausgelöscht - zum anderen, daß die Sünde somit als eine höchst greifbare Realität noch vorhanden ist - und gleichwohl wird sie dem, der glaubt, nicht angerechnet. Hieraus zieht Luther zwei für den Christen unentbehrliche Lehren, i. „Die erste, das wir ynn Christum gleivbenn", denn er deckt unsre Sünde zu, so daß sie unschädlich und unanrechenbar wird. 2. „Die ander, das wir da widder on unterlasz streitten", denn wenn sie nicht täglich bekämpft wird, kann die Sünde nicht ausgelöscht werden und der Glaube niemals siegen35. Beides ist gleich wirklich und greifbar: die Sünde, die offensichtlich vorhanden ist - secundum nos - und die Gerechtigkeit, die reputative dargereicht und ausgeteilt wird - secundum Christum. Die totale Gerechterklärung ist das Primäre, das, was über das Partiale bestimmt; daher, sagt Luther in der dritten Antinomerdisputation, wird die noch verbleibende Sünde als ein Nichts gerechnet, „propter Christum quasi nullum" ae - hier bemerkt man die communicatio idiomatum vom Ganzen zum Teil. Das aber darf den Christen nicht in eine gefährliche securitas einwiegen, eine Schläfrigkeit, die die Gnade Gottes als gegeben ansieht und das eigene konkrete Leben als in seinen Einzelheiten bedeutungslos. Vielmehr muß diese geschenkte Gnade ihn in militia und mortificatio hineinstellen, denn wo der ständige Kampf des Glaubens gegen die Sünde fehlt, „da wirt sie gerechnet, und ist nit vorgebenn unnd vordampt ewiglich" 37 - hier bemerkt man die communicatio idiomatum vom Teil zum Ganzen. Und so läßt sich behaupten, daß der Christ gleichzeitig totus justus und totus peccator ist. Die beiden oben erörterten Punkte begegnen uns auch in der gerade erwähnten Disputation von 1538. Der Mensch ist heilig, sagt Luther, „primo per imputationem", „secundo etiam formaliter . . . quando per fidem incipio luctare et pugnare cum peccato" Es kann den Anschein haben, als ob die erstere, die imputative forensische Gerechtigkeit, nur etwas Fiktives oder Futurales wäre, dem Luther dann eine sichtbare und reale Gerechtigkeit addiert, die eine bestimmte Qualität hat und eine Quantität,, die sich in gewissem Umfang messen und fixieren läßt. Einen derartigen zeitlich und moralisch abgewogenen Rechtfertigungsprozeß kann sich indes Luther nicht denken. Für ihn bedeutet primo-secundo eher eine logische Über- und Unterordnung. Die Gerechtigkeit des Menschen hat ihren Anfang und ihre Ursache extra nos in der iustitia aliena Christi. In" " ·* " in
7, 345, " - 1 5 . 39 I, 492, 19-493, 9 С1538}. 7, 345, 16 f . 39 I, 493, 20-494, 10; siehe überhaupt 489-496; denselben Gedankengang findet mart 7, 109, 24-40 [Assertio omnium articulorum . . . 1520).
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sofern ist die iustitia imputativa der Anfangspunkt, aber ein Anfangspunkt, der zugleich der ständige Quellpunkt ist, wo die iustitia formalis erwächst und der Glaube in täglichem Kampf nach Gottes Gnade greift Hier ist Luthers Inkarnationsgedanke zu spüren, das Göttliche tritt hervor und ist im Menschlichen, Gottes forensische reputatio zeigt sich im spiritus und donum gratiae. Aber die beiden Gedankenlinien dürfen nicht vermischt werden, denn genau wie göttliche und menschliche Natur in der Person Christi auseinandergehalten werden, so muß man unterscheiden zwischen der den Menschen ganz umfassenden Gerechterklärung, die extra nos stattfindet, und dem erst allmählich geschehenden Gerechtmachen des Menschen, das in einem täglichen Kampf des Glaubens in nobis zum Ausdruck kommt. Das erste Glied ist ständig das Primäre, denn der inkarnatorische Ereignisablauf hat durchweg und in allen Formen eine und dieselbe Richtung: er geht von Gott aus, nimmt Gestalt an in den irdischen und menschlichen Zusammenhängen und verleiht Gottes persönlicher und handelnder Gegenwart darin Ausdruck. Daher ist auch das partiale Rechtfertigungs- oder Heiligungsgeschehen im Menschen ganz von außen , von Gott und von Christus her, orientiert 40 . Er ist gerecht nur propter Christum, Christi Versöhnungswerk wird in den Gnadenmitteln ausgeteilt und ihm so geschenkt, daß es ihn total prägt. So schlägt Christus seine Wohnung im Menschen auf, Christus in nobis, oder, anders ausgedrückt, der Mensch wird ihm eingeleibt und wird ein Glied des corpus Christi. Dadurch wird er immer stärker von Christus „durchsäuert", die Gaben des Geistes verändern ihn, er wird in einen Kampf hineingezogen, der zwischen Leben und Tod pendelt, in Anfechtungen und Heilsfreude, mortificatio und vivificatio. Die Sünde wird ausgetrieben und Christus darf immer mehr die Herrschaft übernehmen - oder die Sünde erstickt den Glauben und der Teufel ergreift Besitz von dem „Reittier" Mensch. So erscheint diese Dialektik als ein beständiges Oszillieren zwischen totus und partim, extra und in, Göttlich und Menschlich, einem Ineinander und einer Gleichzeitigkeit der Gegensätze in der communicatio idiomatum. Das christliche Leben wird also von Luther als ein Kampf beschrieben". 3
* 8, i n , 2 9 - 3 5 (R a tionis Latomianae confutatio 1 5 2 1 ) ; vgl. Hermanns Ausdruck für die Begründung des Fortschreitens des Menschen nach Luther: „ . . . weil unsere eigene Wirklichkeit an einer fremden, an der Gerechtigkeit Christi, hängt" С1930, 2 7 9 ) . 40 W a s Luthers Verständnis der Heiligung betrifft, kann u.a. auf Holls Aufsatz „Der Neubau der Sittlichkeit", 1 9 2 1 , 1 3 1 - 2 4 4 hingewiesen werden, wie auch auf schon erwähnte Arbeiten von Hermann 1930, Ellwein 1 9 3 2 , Lerfeldt 1949, Joest 1 9 5 1 , Gyllenkrok 1 9 5 2 , Prenter 1 9 5 2 , 101 f f . , und 1954, und Hägglund 1959; siehe außerdem L. Fendt, Die Heiligung bei Luther 1943, mit einer eigentümlichen Distinktion zwischen Heiligung in der „Praxis" und im „Denksystem" Luthers, ferner zwei Aufsätze von R. Prenter und P. S. Watson in „Lutherforschung heute" 1958, und zuletzt Torgny Bohlin 1 9 5 2 , der aus seiner speziellen systematischen Sicht - eine „Theologie des Augenblickes" ( 2 1 4 ) - eine kritische Durchsicht der Forschung unternimmt ( 2 0 2 - 2 1 4 ] . - Das Heiligungswerk Gottes ist ausgezeichnet im Großen Katechismus 1 5 2 9 , 30 I, 188, 1 8 - 2 7 , 1 9 1 , 3 - 1 2 beschrieben und dazu z.B. in 5 1 , 180, 3 7 - 1 8 3 , 39 (Pred. 1546 Dr.). 11
Hier kann man nur an die lebhafte Debatte erinnern, die auf Schotts Rede von einem
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Wenn wir uns noch einmal dem Text in „Grund und Ursach . . . " zuwenden, merken wir, wie dieser Kampf dort als eine intensive menschliche Aktivität geschildert wird. Wer angefangen hat, „frum zu sein", d.h. wer reputatione Dei die Zusage der Gnade und Gerechtigkeit erhalten hat, der muß mit der Sünde kämpfen und die Macht des Fleisches beklagen, der muß beten und ständig beim Arzt, dem barmherzigen Samariter, neue Hilfe für seine Krankheit suchen42. Das, was sich somit aus einem Gesichtswinkel und primär als ein göttliches Handeln, als der sorgende Eingriff des Arztes von außen, beschreiben läßt, kann auf der anderen Seite als ein menschliches Engagement betrachtet werden, als der Eifer des Kranken, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln sein Leiden zu überwinden. Wer glaubt und Christus eingeleibt ist, setzt daher seine Hilfsquellen gegen die Sünde ein, strengt sich an, sie zu vermeiden und weit möglichst ihren Einfluß einzudämmen, sucht Hilfe von außen, kämpft gegen die Verzweiflung der Anfechtung und ruft und betet zu Gott um Unterstützung. Die Betonung der Aktivität, des Kampfes, des Gebets und des schrittweisen Geschehens im Glaubensleben des Christen ist schon für Luthers Römerbriefvorlesung von 1 5 1 5 - 1 6 charakteristisch, u. a. für die Auslegung von Kap. 12, 2, die gerade vom profectus des Glaubens handelt". Wer begonnen hat, Christ zu sein, befindet sich in dauernder Bewegung, ist in ein fortlaufendes Geschehen einbezogen, genau wie der Kranke unter der Pflege des Samariters allmählich g e s u n d e t W e n n Luther das Heranwachsen des christlichen Glaubens beschreibt, bedient er sich der aristotelischen Terminologie. Ebenso wie man Aristoteles zufolge in bezug auf die naturalia mit fünf Graden oder Entwicklungsstufen: non esse, fieri, esse, actio und passio zu rechnen hat, kann man für das geistige Leben entsprechende Momente angeben45. Nicht-sein bedeutet für Luther nichts Unqualifiziertes, kein leeres Nichts, sondern ist ein Ausdruck für die Sünde, für den Menschen in der Gewalt des Bösen. Solcherart ist die konkrete Ausgangslage des Menschen als homo peccator. „Fieri est iustificatio", die Rechtfertigung ist ein Werneutralen Oberbegriff folgte, als er die Einheit von Fleisch und Geist behauptete (1928, 55 ff.]. Sein Gedanke wurde stark kritisiert von u.a Iwand 1930, 116 ff., Link 1940, 97 f. und Engeström 1938, 40 und 94, die alle in verschiedenen Variationen meinten, daß ein neutrales Ichbewußtsein, ein passiver Nicht-Wille bei Luther nicht zu finden sei. Bei ihm sei im Gegenteil alles von Kampf, Anfechtung, Bekenntnis und aktivem Widerstand geprägt. Ob und inwiefern die Kritiker Schotts psychologischen Auslegungen gerecht geworden sind, ist eine Sache, die hier nicht geklärt werden kann. 42 7, 337, 4-339, 13 [ D r . ) . „Der profectus ist also das Fortschreiten des Geistes im Kampfe mit dem Fleisch", Prenter, Der barmherzige Richter 1961, 144. " 56, 441-44З· 44 „Hoc pro profectu dicitur. Nam loquitur iis, qui iam inceperunt esse Christiani. Quorum vita non est in quiescere, sed in moueri de bono in melius velut egrotus de egritudine in sanitatem, vt et Dominus ostendit in homine Semiuiuo in curam Samaritani suscepto", 56, 441, 14-17. Man vergleiche hiermit das Bild von dem noch nicht fertiggebauten Hause, 56, 352, 15-20.
45
56, 441, 23-442, 5·
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den, ist nicht nur ein punktuell bestimmtes Eingreifen, sondern etwas, was wiederholt wird, immer aufs neue getan wird, ein Gerecht machen, das erst in der Vollendung abgeschlossen ist. Der Mensch ist „in moveri", bis diese Bewegung aufhört, erst dann ist er „in quiescere". Genau wie non esse in esse übergeht, so geschieht beim Christen ein transitus von Sünde zu Gerechtigkeit - denn „esse est iustitia". Sünde und Gerechtigkeit sind zwei verschiedene Zustände, und der status des Menschen ist totaliter davon bestimmt. Daher ist der Christ totus peccator und totus justus, und sein Dasein besteht aus einem Pendeln zwischen beidem. Er ist „semper in motu", unterwegs und proficiendus, per aliud in aliud „Semper homo Est in Non Esse, In fieri, In esse, Semper in privatione, in potentia, in actu, Semper in peccato, in Iustificatione, In Iustitia, i.e. Semper peccator, semper penitens, semper lustus" ". Hier ist das Wort „penitens" zu beachten, das den Menschen als einen Büßenden bestimmt, d.h. einen, der zwischen Sünde und Gnade, Anfechtungen und Glauben, hin und her geworfen wird, der aber, während er in Sünde gebunden ist, zugleich sein Äußerstes dazu tut, sie aktiv zu bekämpfen, und daher seine ganze Person in dem Kampf einsetzt. „Ergo penitentia Est medium inter Iniustitiam et Iustitiam" Insofern ist der Christ zugleich partim peccator und partim justus, und daher kann Luther das ganze christliche Leben als eine ständige Buße bezeichnen, denn der Christ ist niemals über diesen Streit zwischen Himmel und Hölle, Gut und Böse, Geist und Fleisch, neuem und altem Menschen erhaben: er ist „nihil nisi penitens" Christ sein heißt somit Luther zufolge in der Buße, in täglichem Sündenbekenntnis und täglicher Vergebung, in transitus und progressus leben, heißt ständiger Neubeginn und ständige Fortsetzung heißt der Sünde Widerstand leisten und den alten Menschen niederkämpfen, den Glauben immer stärker heranwachsen und den neuen Menschen hervortreten lassen, sich mit Christus in der Tiefe der Anfechtung befinden, aber auch mit " 56, 442, 5-12· " 56, 442,15-17· " „Quod enim penitet, hoc fit de non Iusto lustus . . . " , 56, 442, 17-19; siehe auch 8, 109, 11-110, 23 (Rationis Latomianae confutatio 1521). " 56, 442, 20-26. Vgl. Joests Beschreibung von dem Christen: „nur noch 'partim' und immer weniger Sünder" und „schon 'partim' und immer mehr gerecht" (1951, 100). Prenter sagt: „Der Profectus ist nicht der Profectus vom Glauben zur Liebe (fides charitate formata!], sondern vom früheren Glauben zum neuen Glauben" (Der barmherzige Richter 1961, 141). 50 Vgl. die früher erwähnte Einheit von incipere und proficere; da das proficere zugleich etwas über das incipere Hinausgehendes ist, ist jeder Fortschritt in einem Neubeginn eingeschlossen. Es ist darum aus Luthers Gesichtswinkel nur wenig fruchtbar die Distinktion Zeitbegriff - Maßbegriff zu diskutieren, denn wie Gyllenkrok die Sache ausdrückt, „verschiebt sich" dieser Neubeginn, der immer und immer wiederholt wird, „ständig nach vorne" (1952, 111 f . ) , vgl. Schloenbach 1963, 34 f f . , dazu Joest 1951, 68 f f . , Hägglund 1959, 355 f f . - In seiner verdienstlichen Untersuchung über diese Gedankengänge behandelt Hägglund auch die Vorstellung von „phase domini", die für Luthers Auffassung charakteristisch ist: ein Übergang von Sünde zu Gerechtigkeit in der Buße, ein transitus, der gleichzeitig auch ein dauernder profectus ist, eine phase, ein Vorübergehen des Christen in die Vollendung hinein (357 f f . ) . Bei Luther u.a. 4, 362, 35-363, 2
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Christus im Himmel des Glaubens. Hier ist nicht der Ort, alle diese jeweils umfassenden Gedankengänge bei Luther zu erörtern". Hingegen ist es ganz entschieden die Aufgabe dieser Untersuchung, den Versuch zu unternehmen, den systematischen Inhalt dieser Gedankengänge gerade in den beiden einleitend erwähnten Hinsichten zu präzisieren, also in bezug auf die Christologie und auf das gegenseitige Verhältnis von göttlicher und menschlicher Aktivität. Ganz offensichtlich spielt die Anfechtung52 hierbei die entscheidende Rolle. Man unterscheidet in Luthers vielen Aussagen über die Anfechtung zwei in ständigen Variationen wiederkehrende Grundelemente53: i. sie treibt zu mortificatio carnis und führt zu humilitas, einer rechten Selbsterkenntnis und einer realistischen Einsicht in die Macht der Sünde; 2. sie führt zu einer täglichen exercitio, einem ständigen Fliehen zum Wort und der Gnade und einer ständigen Übung des Gebets. Diese beiden Gedankenlinien sind hier mit energetischen Termini oder als Ausdruck menschlicher Aktivität, eines Züchtigens, Übens, Rufens, beschrieben. Aber sie können von Luther auch im Passiv, oder richtiger, als Ausdruck für Gottes Handeln in Christus angeführt werden. Die beiden Arten von Aussagen über die Anfechtung lassen sich dann so formulieren: 1. sie bedeutet mit Christus gekreuzigt und getötet zu werden, hinabgeführt zu werden in die Tiefe der Verlassenheit und Erniedrigimg, iudicium Dei und opus alienum; 2. sie führt zu Erhöhung und Verherrlichung mit Christus, sie zieht den Menschen hinein in eine neue Freude und Glaubensgewißheit, iustitia Dei und opus proprium. Genau wie Christus als zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch in der exinanitio und exaltatio ist, ist der Christ als simul justus et peccator auch, wie Luther in der Römerbriefvorlesung sagt, „simul subiectus et exaltatus" in der Verzweiflung unter dem Gesetz und Gericht und in der Zuversicht unter dem Evangelium und der Gnade. Diese conformitasTheologie ist charakteristisch für Luthers Auffassung vom Christenmenschen. Sie findet sich in großem Ausmaß in der ersten Psalmenvorlesung, die mit ihrer tropologischen Deutungsmethode häufig die Parallele zieht (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; 2, 535, 30-536, 6 [In epistolam ad Galatas 1 5 1 9 ) ; 7, 107, 6 - 1 3 (Assertio omnium articulorum . . . 1520); siehe auch H. Beintker, Phase Domini [in: Festgabe für R. Hermann 1957, 30 f f . ) . 51 Siehe mehrere Anm. oben, 2, 24 und 40. 52 Die Rolle der Anfechtung in der Theologie Luthers haben wir mehrmals berührt. Hier kann auf einige bedeutsame Untersuchungen hingewiesen werden: Holl 1921, 55 ff., Bornkamm 1928, und contra Holl, Jacob 1929, 23 ff., Bühler 1942; im Hinblick auf die christologischen Grundgedanken von Loewenich 1929, Vogelsang 1932, ferner Pinomaa 1940 und ders., Die Anfechtung als Hintergrund des Evangeliums in der Theologie Luthers 1943; ausgezeichnet zusammenfassend ist Beintkers Arbeit 1954, welche hier besonders wichtig ist; siehe auch Wingren 1952, 44 f f . und Löfgren i960, 272 f f . 03 Ein Beispiel aus dem Genesiskommentar 1535-45: „Caro enim variis tentationibus et offendiculis obiicitur, ut eximatur securitas, et occasio non desit exercendi verbi et invocationis", 42, 673, 7 - 9 . " 56, 476, 6 f.
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zwischen Christus und dem, der an ihn glaubt". In Operationes in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 schildert Luther in der Auslegung von Psalm 2 2 " im Anschluß an Christi Kampf und Leiden am Kreuz den Kampf des Christen. Christus gerät in immer schwerere Anfechtungen, geht in immer tieferer Erniedrigung hinein in das Dunkel der Gottverlassenheit. So wird der Christ von tausend Anfechtungen, tentatio fidei, tentatio de indignitate und zuletzt - auch Christus gleich - von der schlimmsten von allen, der tentatio de blasphemia, gequält". Von Sünde gebeugt, von Gott verlassen und mit erschrockenem Gewissen wird er hineingetrieben in eine resignatio ad infernum. Aber so soll es sein, oder, wie Luther es später in „Die sieben Bußpsalmen" von 1525 ausdrückt, „da stehet es recht mit dem menschen, denn so hat es Christo gangen"**. Daher muß er, d.h. der alte Mensch, zunichte gemacht, umgeformt und zerstört werden, so daß Christus in ihm Gestalt annimmt und der neue Mensch entsteht und hervortritt". Der Mensch wird somit „gleych formig" mit Christus, Christi Kreuz ist unser Kreuz, sagt Luther, „nostra crux seu passio sit Christi passio", und unsere Auferstehung ist Christi Auferstehung und Sieg Das ist nur eine neue Art, den bekannten Gedanken des mirum commercium auszudrükken. Christus ist Beispiel und Gabe, das Vorbild, das seine Jünger dazu treibt, ihm zu gleichen, so wie die Glieder dem Haupt folgen und der Direktive des Hauptes entsprechend sind und handeln, und die Gabe, die schenkt, was sie vorbildet, so wie das Haupt den Gliedern Voraussetzungen und Möglichkeiten gibt, das auszuführen, was ihnen befohlen wurde. Diese Doppelheit erklärt, meint Luther z.B. in einer Vorlesung über Jes. 50, warum es den Gliedern ergeht wie dem Haupt und dem Jünger wie dem Meister. Der Christ ist mit Christus in Schwäche, Sünde und Dunkel - und doch, betont Luther: „Christus est lux", und er verläßt uns nicht im 15
3, 46, 28-33, 167/ 2 I - 2 4 » 4< 365, 16—20 (Dictata super Psalterium 1513-16); von der tropologischen Auslegung in diesem Zusammenhang, vgl. Vogelsang 1929, 16 ff., 62 ff., Ebeling 1942, 281 ff., Gyllenkrok 1952, 32 ff., und jetzt G. Metzger, Gelebter Glaube 1964, 197 und 212 ff. 50 Siehe 5, 598-608 und vor allem 619-623. ST Vgl. Müller 1929, 62 ff., Vogelsang 1932, 6 ff., Pinomaa 1938, 155 ff., Beintker 1954, 64 ff. und Metzger 1964, 160 ff. 68 18, 493, 1-6; 56, 391, 7-28 (Vöries, über den Römerbrief 1515-16); conformitas beim älteren Luther: 20, 646, 3-10 (Vöries, über den 1. Joh. 1527 R.); 42, 187, 36 (Vöries, über i. Mose 1535-45]. "" 2, 548, 25-29 (In epistolam ad Galatas 1519); „gleich wie Christus zu gleich lebendig und tod warhafftig war, also zu gleich müssen sie vol sunde und on sunde sein, die recht christen sind", 18, 493, 27 f. (Die sieben Bußpsalmen 1525]. Der conformitas-Gedanke prägt durchgehend Lerfeldts Deutung 1949, siehe überdies Vogelsang 1932, 52 ff., 73 ff. und öfters, Link 1940, 344 f., Prenter 1954, 25 ff., 62 ff., und 211 ff., O. Tarvainen, Der Gedanke der Conformitas Christi in Luthers Theologie, ZSTh 1953, 26 f f . und Metzger 1964, 171 ff. 60 2, 138, 10-38 (Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi 1519); 2, 614, 5-22 (In epistolam ad Galatas 1519); andere instruktive Stellen finden sich in 57 Hebr., 129, 9-25 (Vöries, über den Hebräerbrief 1517-18) und 40 II, 170, 32-172, 14 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.).
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Dunkel. Er führt uns aufs neue hinauf ins Licht, und bei ihm kann ein jeder Feuer und Licht holen, Gewißheit der Vergebung und Glaubensfreude 6l. Das bedeutet, daß der Christ einer Forderung nach Mehrung des Glaubens unterworfen ist, es wird von ihm ein Fortschritt des Christenlebens verlangt, etwas, was indessen gleichzeitig Christus zum Subjekt hat. Conformitas Christi bedeutet in Luthers Auslegung, daß Christus das exemplar, das Urbild, ist und Christi Tod und Auferstehung das exemplum, das zeigt, was mit dem Christen geschehen soll, aber auch sacramentum, das dies mit ihm geschehen läßt. Christi Kreuz und Erniedrigung haben eine Entsprechung in der crucifixio und mortificatio des Christen, seine Auferstehung in der iustificatio und vivificatio62. Die Konformität bedeutet, daß es Christus ist, der den Menschen überwindet und den Glauben hervortreibt, nicht aber, daß der Mensch mit Überlegung etwas Christusgleiches und Frommes zuwege bringt, das die Bezeichnung göttlich erhält. Damit ist eine imitatio ausgeschlossen, gleichwohl geschieht etwas Greifbares am Menschen, er wird aktiviert und dazu angehalten, Werke zu vollbringen. Hier besteht ein Zusammenwirken zwischen göttlicher und menschlicher Aktivität, das den Schlüssel zum Verständnis des Verhältnisses von Rechtfertigung und Heiligung, „Punktexistenz" und „Bewegung" Neubeginn und Fortschritt, Indikativ und Imperativ liefert. Der Christ ist - imputatione, totaliter - mit Christus konform in Erniedrigung und Erhöhung, und der Christ muß - formaliter, partim - demütig sein und sich erniedrigen, kämpfen und beten, um die Gnade zu erringen und den Glauben zu bewahren. Denn so wird er dauernd zu Christus getrieben in einem Kampf der Verzweiflung und des Gebetes, einer Aktivität, die des Menschen ist und doch Gottes, vom Gesetz hervorgerufen, das „ad gratiam praeparat et ad Christum mittat". Der Glaube ist ein opus Dei und kein opus hominis, das betont Luther stets nachdrücklich64. Hierzu steht gleichwohl seine Rede von menschlicher Aktivität im Glaubensleben nicht im Widerspruch. Gottes Alleinwirksamkeit und die Tatsache, daß dieses Handeln Gottes auch 81
3 1 II, 4 1 2 , 1 7 - 4 1 3 , 3 7 (Vöries, über Jesaia 1 5 2 7 - 3 0 ] . „Igitur opus Dei alienum sunt passiones Christi et in Christo, crucifixio veteris hominis et mortificatio Adae, Opus autem Dei proprium resurrectio Christi et iustificatio in spiritu, vivificatio novi hominis . . . Ista itaque conformitas imaginis filii Dei includit utrumque illud opus", x, 1 1 2 , 3 7 - 1 1 3 , 3 [Sermone 1 5 1 4 - 1 7 ] ; 56, 5 1 , 2 0 - 2 4 , 2 96> 1 7 - 2 2 (Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ] ; „. . . Ideo qui Christum vult imitari quoad exemplum, necesse est, ut credat primum firma fide Christum pro se esse passum ac mortuum quoad sacramentum", 5 7 Hebr., 1 1 4 , 1 3 - 1 7 (Vöries, über den Hebräerbrief 1 5 1 7 - 1 8 ] . Über das Verhältnis Urbild-Vorbild, exemplar-exemplum, siehe E . Seeberg II, 1 9 3 7 mit dem Untertitel „Christus Wirklichkeit und Urbild", und Josefson 1939, 86 f f . , der auch die Untersuchung von H . Thimme, Christi Bedeutung f ü r Luthers Glauben 1 9 3 3 , hervorhebt. 62
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Link 1940, 3 5 3 f. 1 8 , 679, 3 5 ( D e servo arbitrio 1 5 2 5 ] ; 3 , 5 3 2 , 1 3 - 2 6 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 1 6 ] ; „Opera enim Christi et iustitie et fidei ipsa sunt via Christi, secundum quam in nobis ambulat et proficit, id est proficere facit. Quia omnia opera bona ipse in nobis operatur et non ipsi nos", ib. 5 4 5 , 3 0 - 3 3 . 84
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seine menschliche Seite hat, sind Aussagen, die weder logisch unvereinbar sind noch sachlich miteinander konkurrieren. Zwar ist die dem Menschen geschenkte Gerechtigkeit eine iustitia aliena et passiva, aber, stellt Luther fest: „non operatur sine nobis", „ich muss auch dabey sein" Das ist für Luther nicht Synergismus, sondern cooperatio, ein Hineinziehen in ein göttliches Handeln, ein Aktivieren - ohne meritum-Charakter - aller eigenen Kräfte des Menschen im Kampf mit dem Bösen. Für den Christen ist es der höchste Gottesdienst, den Glauben zu üben, „exercere sese ad pietatem, tractare et audire verbum", während es gleichzeitig wirklich Gott ist, der wirkt, sagt Luther im Galaterbriefkommentar: „per verbum exercet, äuget, confirmat et perficit fidem" Die Zunahme und die Vollendung des Glaubens, die Übung und die Tötung des Fleisches, sind durch und durch Gottes Werk und dennoch ein Ausdruck für menschliche Aktivität. Diese Feststellung bedeutet für Luther keinerlei Paradox, sondern ist nur eine einfache Konsequenz des Inkarnationsgedankens. Gottes Handeln am Menschen ist eine herabsteigende Wirksamkeit mit Christus, in Erniedrigung und unter dem Kreuz, und ein Hinaufsteigen mit Christus, zu Heil und Freude. Solcherart ist die conformitas Christi in der Situation der Anfechtung: der Christ wird „quasi una persona" mit Christus, in Christi Leib eingeleibt, und es findet eine communicatio, ein Teilhaftigmachen, statt". Die Rechtfertigung schwebt also nicht frei in der Luft, sie wird realisiert, inkarniert, geübt, erfahren, gestärkt, lebendiggemacht und vollendet im ständigen Kampf der Anfechtung und des Glaubens. Das bedeutet, daß Christus täglich in das Leben des Christen kommt, es findet ein „quotidianus Christi adventus", „spiritualiter sine intermissione,, statt". Er kommt von außen, ex auditu, imputatione, sine nobis und gleichwohl wirklich in nobis, mit Leiden am Kreuz und Heilsgewißheit, „simul subiectus et exaltatus". Hierin liegt weder eine Trennung noch eine confusio von Göttlichem 65
18, 7 5 4 , 14 f . ( D e servo arbitrio 1 5 2 5 ] ; 39 I, 209, 3 2 , 2 1 4 , 26 f. [Die Prom. disp. von Palladius und Tilemann 1 5 3 7 ) ; „Secunda iusticia est nostra et propria, non quod nos soli operemur earn, sed quod cooperemur illi primae et alienae", 2, 146, 36 f. (Sermo de duplici iustitia 1 5 1 9 ) ; 4, 6 1 , 1 7 - 1 9 [Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; 4, 601, 8 f. [Sermone 1 5 1 4 - 2 0 ) ; 4 1 , 610, 2 9 - 3 2 [Pred. 1 5 3 6 R . ) . Die Cooperatiovorstellung ist aus gewissen Aspekten in I B:i behandelt worden, siehe dort besonders A n m . 46, 47 und 60; vgl. hier auch Prenter 1 9 5 4 , 236 f. ea 40 I, 130, 1 2 - 1 7 ( 1 5 3 5 Dr.). V g l . Matthias 1957: „Das Üben der fides Christi ist, ebenso wie die bona opera, nicht Synergismus, wenn beides als donum verstanden wird, sondern Verantwortung und Aufgabe" ( 1 4 4 ) . 07 40 I, 285, 5 f. [In epistolam ad Galatas 1 5 3 1 R . ) ; „Ideo fieri voluntatem Dei aliud nihil est quam nostram destrui ac sic magis ac magis conformari divine. Et hoc est 'crucifigi veterem hominem cum Christo' ", 57 Hebr., 9 1 , 2 1 - 2 3 (Vöries, über den Hebräerbrief 1 5 1 7 - 1 8 ) ; „ . . . manducare hanc carnem et bibere hunc sanguinem est Christo per fidem incorporari et passionibus eius communicare", 5 , 108, 9 - 1 9 (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ) . 68 40 I, 5 3 6 , 8 - 5 3 8 , 1 2 (In epistolam ad Galatas 1 5 3 1 R.). Diese Gedanken werden oft von Link 1940 betont, u.a. 106 f f .
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und Menschlichem: keine Vergöttlichung des Menschen und keine Vermenschlichung Gottes, sondern ein wirkliches Inkarnationsgeschehen, bei dem Gott zu und in den Menschen kommt. Progressus bedeutet somit „nicht eine Hinwärts-, sondern eine Herwärtsbewegung" nicht von unten hin, sondern von oben her, eine Inkarnationsbewegung von der Ewigkeit her hinein in die Zeit, vom Göttlichen hinein ins Menschliche, aus dem Ganzen und Vollkommenen ins Partiale und Unvollkommene. Das Fortschreiten des Christen ist das Fortschreiten Christi. Das ist communicatio idiomatum: der Kampf und Gebetsruf des Christen ist Christi Kreuz und Gethsemaneleiden pro nobis, er ist es, der täglich in spiritu kommt und das Fleisch und die Sünde „magis magisque" besiegt70. Die Heiligung ist „perpetua nostra schola", und gleichwohl Gottes eigenes Werk, kein menschlicher Einfair 1 . Mortificatio kommt vom Glauben, und zugleich wird der Glaube „per mortificationem carnis" geübt, denn wo es Schwäche und Mangel unter dem Druck der Anfechtungen gibt, da ist Glaube, Leben und Seligkeit7* - weil dort Christus ist. Diese Inkarnationsgedankengänge lassen sich an mehreren konkreten und charakteristischen Punkten nachweisen. Wenn Luther dem selbstgewählten Kreuz, den gesuchten Anfechtungen und asketischen Übungen gegenüber, die er in der Mystik und im Klosterleben findet, so oft eine kritische Einstellung zeigt, ist das kein Zeichen für seinen eingewurzelten Widerwillen gegen alles Römische, sondern eben ein Ausfluß des Inkarnationsgedankens. Das Handeln Gottes läßt sich niemals einfangen, in etwas Menschlichem fixieren, er ist da, aber immer in Bewegung, seine Wirksamkeitsmethoden sind nicht statisch, ein für allemal festgelegt, sondern ständig neu und überraschend. Daher spricht Luther nicht von einem ordo salutis in dem Sinne, daß das Verhältnis von Gott und Mensch nach einem bestimmten festgelegten Schema geregelt werden könnte, sondern ganz im Gegenteil: „non omnes eodem modo vocamur ad Christum" Die Anfechtungen des wirklichen Lebens lassen sich Luther zufolge niemals berechnen oder voraussagen, denn dann wären es keine Anfechtungen mehr. Es handelt sich hier nicht um den selbstgewählten Weg des Menschen von unten hin zu Gott, sondern um Gottes Weg in Christus von oben her. " Joest 1951, 98 f . Uber den Transites des Glaubens, „die Dialektik des Christenstandes im Simul", sagt Joest, „daß dies nicht in einer einfachen Vereinigung der irdischen Welt und des natürlichen Menschen mit göttlichem Sein, sondern in der siegreichen Hereinkunft der Gotteswelt geschieht, die das 'Fleisch' aus der Wirklichkeit austreibt", (218, Anm. 264). 70 401, 550, 15-29 (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.); 56, 447, 16-27 (Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ] ; 38, 568, 26-569, 10 (Annotationes in aliquot capita Matthaei 1538). 71 40 II, 357, 19-358, 23 (Enarratio Psalmi LI, 1532 Dr.]; siehe Lerfeldt 1949, 199 f f . 73 56, 416, 7 - 1 1 (Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ] ; 5, 169, 17 f., 507, 7 - 1 0 (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ] ; 8, 110, 5-8 (Rationis Latomianae confutatio 1 5 2 1 ] ; vgl. von Loewenich 1929, 96 f f . , und Lerfeldt 1949, 40 f f . 7 ' 39 I, 425, 4 f. (Die zweite Disp. gegen die Antinomer 1538]; siehe ferner Prenter 1954, 248 f f u n d Lerfeldt 1949, 203 f f . mit Hinweisen auf u.a. 14, 681 f. (Deuteronomium Mosi . . . 1525] und 18, 64 f., 136 f f . (Wider die himmlischen Propheten 1525].
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Daher soll der Christ im Menschlichen, in seinem Alltag, seinem irdischen Beruf und seinen Beziehungen zu seinem Nächsten bleiben und dort das Kommen Gottes erwarten". Dort ist Kreuz, Verfolgung, Verlassenheit, Mühen, Arbeit, Krankheit, Kummer u s w . " Gott ist es, der Art und Zeitpunkt wählt - man beachte die für den Inkarnationsgedanken wichtige Vorstellung vom „Stundlein" - und das Kreuz, die Erniedrigung, die Anfechtung, die mortificatio, der Kampf brauchen und können nicht gesucht werden: „das ist das rechte creutz" Diese Diskontinuität ist typisch für Luthers Auffassung von Gottes verborgenem Handeln. Gott gibt keine Garantien, d.h. die Ungewißheit besteht in bezug auf das ob und wann der Anfechtungen, nicht aber auf den darin verborgenen Heilswillen Gottes". Die Anfechtung wird von Luther als eine Gabe Gottes bezeichnet und steht in seinem Dienst, auch wenn sie unter der Maske des Teufels, durch das Gesetz und den Zorn, als ein opus alienum g e s c h i e h t O h n e Anfechtungen kann kein progressus im Leben des Christen stattfinden, denn darin liegt „militia et exercitatio Christianorum" Gott verwendet Kreuz und Mißerfolge dazu, den alten Menschen zu töten, so daß er ex nihilo etwas Neues schaffen kann, gerade so wie Christus behandelt wurde, als er aus Erniedrigung und Tod zu neuem Leben auferstand. So ist Gottes Handlungsweise sub contrariis, er schenkt Leben, indem er tötet, „cum damnat, maxime salvat" 80. So gibt Gott Kreuz und Anfechtungen, erzieht 74 Diese abwartende Haltung ist die des Gebetes: „Gerade dort wo gilt: venit creator spiritus, entsteht das Gebet: veni creator spiritus" [Link 1940, 149). 75 17 II, 425, 9-25 (Festpostille 1527); „quando Christianus homo factus, non induat graw rock, sed maneat in suo statu", 27, 466, io f . (Pred. 1528 R.]; ib. 466, 17-467, 15 (Nürnberg); 37, 183 f f . (Pred. 1533 R.); „Hae sunt verae mortificationes, quae non fiunt in desertis locis extra societatem hominum, sed in ipsa oeconomia et politia", 43, 214, 3-5 (Vöries, über 1. Mose 1535-45); ib. 667, 20-668, 21. Zum Zusammenhang zwischen Kreuz, Anfechtung und Beruf siehe Wingren 1952, 31 f f . , 46 f f . , und Lerfeldt 1949, 99 f f . mit vielen Belegen aus der ganzen Verfasserschaft Luthers. 76 10 III, 335, 22-338, 2 (Pred. 1522); 15, 727, 32-36 (Pred. 1524 Dr.). 77 Siehe Müller 1929, 67 f f . , der u.a. folgende Stellen anführt: 14, 439, 5 f f . (Pred. über das i. Buch Mose 1523-24 R.); 18, 633, 7 f f . (De servo arbitrio 1525) und 31 II, 542, 21 f f . , 543, 33 f f . (Vöries, über Jesaia 1527-30) und kommentiert: „Diese und ähnliche Aussagen sind implicite immer auf die Christologie bezogen" (72, Anm. 5). Theologia incognita, von der verborgenen, antimethodischen Wirksamkeit Gottes, von der Unmöglichkeit, den Glauben und die christliche Erfahrung gemeingültig zu beschreiben, ist von Müller mit tiefschürfendem Scharfsinn behandelt worden, 101 f f . , 174 f f . , und zwar immer mit inkarnatorischer und christologischer Begründung: „Das christliche Gewißheitsproblem Luthers wird von der Christologie her sichtbar und nicht umgekehrt" (186). 78 Hier kann man auf die berühmte Darstellung in der Magnificat-Auslegung hinweisen, von 7, 585, 15 ( 1 5 2 1 ) . Zum Gedankengang „contra Deum ad Deum confugere", 5, 204, 26 f . (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ) , siehe z.B. 44, 97 f f . (Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 45), wo Jacobs Kampf behandelt wird, und für mehrere Belege Beintker 1954, 171 f f . 79 43, 472, 1 3 - 1 9 (Vöries, über 1. Mose 1535-45)· 80 4, 87, 23 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; 3, 246, 19 f. (Ib.); 56, 377, 4 - 1 0 (Vöries. über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ) , und wieder die Magnificat-Auslegung, z.B. 7, 547 f . ( 1 5 2 1 ) . Vgl. später bei Luther 19, 154, 22-33 CDie Epistel des Propheten Jesaia . . .
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und bildet, läßt sein Werk Gestalt annehmen, indem er den Christen ständig zu Buße und Gebet treibt. Diese Übung, die immer ein Geschehen in Tod und Auferstehung der Taufe ist, bewirkt, daß der alte Mensch immer mehr abnimmt und hinwegschwindet81. Das also, was von einem Gesichtspunkt das Kommen des alleinwirksamen Gottes ist, ist von einem anderen der eigene Glaubenskampf des Menschen. Beim Christen findet eine Abnahme, ein descensus, in bezug auf Schwächen statt und gleichzeitig eine Mehrung, ein ascensus, in bezug auf Frömmigkeit, virtutes; das ist einerseits Christi eigenes Herabsteigen und Christi eigener Sieg über die Sünde, andererseits ist es die Erniedrigung des Christen und die Zunahme des Christen an Glauben und Erkenntnis. „Et ita Christus expellit Adam de die in diem magis et magis, secundum quod crescit ilia fides et cognitio Christi" 82. Hier ist die ganze Zeit göttliche und menschliche Aktivität unauflöslich ineinander verwoben. Gottes opus alienum ist eine humiliatio, die mit Hilfe des Gesetzes den Menschen zum Nichts, zu humilitas, bringen will83. Das iudicium Dei bricht auf menschlicher Seite hervor in accusatio sui, der Mensch sieht seine Ohnmacht ein und wird von einer rechten cognitio sui zu dem Bekenntnis getrieben: „peccator sum" Diese Einsicht kann zwei Arten von desperatio auslösen: eine gute, die zu Christus führt - dann ist accusatio sui immer mit einer laus Dei, confessio peccati mit confessio laudis, Gericht mit Begnadigung vereint85; oder eine böse, die aus miß1 5 2 6 ) ; 40 III, 90, 2 8 - 3 1 [In X V Psalmos graduum 1 5 3 2 - 3 3 D r . ) ; 39 I, 470, 1 - 9 (Die zweite Disp. gegen die Antinomer 1538). Siehe auch Löfgren i960, 241 f f . , 245 mit Belegen. 81 „Hie zimmert u n d arbeit er an uns, hofelt u n d schnitzet uns, das er d e n alten menschen j n n uns tödte . . . . " , 3 1 1 , 419, 7 - 4 2 0 , 19 [ D e r 111. Ps. ausgelegt 1530); 22, 379 f . (Crucigers Sommerpostille 1524). Der ganze Zusammenhang ist auch ausführlich in Luthers Sermon von der T a u f e 1519, 2, 727 f f . , u n d im G r o ß e n Katechismus 1529, 30 I, 2 1 7 f f . , behandelt. In bezug auf der Römerbriefvorlesung 1 5 1 5 - 1 6 siehe G r u n d m a n n s interessante u n d gründliche Untersuchung 1964, 105 f f . 82 Siehe 2, 145, 9 - 1 4 7 , 20 [Sermo de duplici iustitia 1 5 1 9 ) eine Stelle, die von Gyllenk r o k 1952, 106 f f . , vorzüglich ausgelegt ist; in der ersten Psalmvorlesung: „humiliantur nostre vires tanto amplius, quanto magis proficiunt in virtutibus. N o n enim ascendunt virtutes, nisi nostre infirmitates etiam descendant. Simul f i t ascensus et descensus, id est i n c r e m e n t u m virtutem et humilitatis", 4, 178, 34-36; ib. 241, 37-243, 6; 5, 164, 22-38 (Operationes in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ) ; 7, 363, 22-364, 17 ( G r u n d u n d Ursach . . . 1 5 2 1 ) . 4,3 3. 465» i - I 6 (Dictata super Psalterium 1 5 1 3 - 1 6 ) ; siehe Gyllenkrok 1952, 32 f f . , u n d z u der ganzen Frage von humilitas u n d opus alienum u n d der Rolle der Christologie dabei die hervorragende Darstellung bei Josefson 1939, 70 f f . 84 Noch einmal Dictata: 4, 245, 34-37, 491, 1 0 - 1 3 ; dieses umfassende T h e m a ist vor allem in der Römervorlesung behandelt, besonders 56, 228-333; ..Ecce omnis sanctus est peccator et orat pro peccatis suis. Sic Iustus in principio est accusator sui", ib. 270, 5 - 7 ; 8, 1 1 9 , 8 - 3 3 (Rationis Latomianae confutatio 1 5 2 1 ) . Siehe A . Brandenburg, Gericht u n d Evangelium i960, 33 f f . , 140 f f . , u n d Schwarz 1962, 259 f f . , der von G r u n d auf Luthers f r ü h e Paulus-Deutung bearbeitet. 85 3, 292, 1 - 1 0 ; 4, 109, 21 f., 238, 14-239, 3 (Dictata . . . 1 5 1 3 - 1 6 ) ; „lila est enim vera confessio, q u a h o m o dat Deo gloriam de iusticia . . . sibi vero nil nisi peccatum . . . " , 57 H e b r . , 138, 1 - 4 (Vöries, über den Hebräerbrief 1 5 1 7 - 1 8 ] ; 5, 252-255, 657-664 ( O p e r a tiones in Psalmos 1 5 1 9 - 2 1 ) , u n d später 3 1 1 , 1 6 9 - 1 7 2 (Confitemini 1530); 40 II, 373 f.,
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glückter Werkgerechtigkeit und verfehltem Streben nach Vollkommenheit entspringt, die sich aber weigert, sich Gottes Gericht zu unterwerfen - dann beharrt der Eigenwille, und das Gesetz des Zornes Gottes bleibt richtend und ungebrochen". Die Verborgenheit in der wirklichen, nicht selbstgewählten Anfechtungssituation bewirkt ja, daß der Mensch nicht weiß, ob Gott oder der Teufel sein Spiel mit ihm treibt. So kann das Menschliche, wie immer in Luthers Theologie, als ein Ausdruck für sowohl göttliche wie teuflische Aktivität gesehen werden, was nur eine Folge davon ist, daß der Kampf - sowohl im Menschen wie außerhalb von ihm - ein Kampf zwischen Gott und dem Teufel ist. Der Glaubenskampf des Menschen, das mortificatio-Geschehen, läßt sich daher auch als duplex bezeichnen: als „salutaris", mit dem Glauben zusammengehörig, und als „diabolicus", ein Ausdruck für die Selbstbezogenheit, der Heilsweg der Selbstgerechtigkeit Humilitas im Lutherschen Sinne88 ist gleichzeitig göttliche Tat und menschliche Leistung; genau wie das iudicium Dei ist sie ein Teil von Gottes Heilswerk, denn im Gericht, in der Demütigung, liegen die Gnade, die Gerechtigkeit verborgen, und als eine Einsicht in bezug auf Sünde und Unwürdigkeit ist sie eine menschliche Tugend, denn ohne humilitas kann niemand gerecht werden". So kann man Luther zufolge die Demut geradezu als eine für die Gerechtigkeit des Glaubens notwendige dispositio bezeichnen"0. Aber während Luther diese Voraussetzung für den Glauben 469 f. (Enarratio Psalmi LI 1532]. Siehe vor allem C. Müller, Das Lob Gottes bei Luther 1934, 92-106, und Gyllenkrok 1952, 59 f f . ; vgl. Link 1940, 91 f.: die confessio bedeutet, daß man Gott Gott sein läßt, daß „Gott sein Gottsein und dem Menschen sein Menschsein zugesprochen ist", „daß sie unvermischt und unwandelbar Gott und dem Menschen je das Seine gibt, Gott die Ehre und dem Menschen die Unehre". se 56, 266, 5 - 1 6 (Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ] . Eine ähnliche Doppelheit wie in bezug auf die desperatio zeigt Luthers Vorstellung vom Zorn Gottes: ira misericordia - ira severitatis, und von der Gottesfurcht des Menschen: timor filialis - timor servilis; letztich gehören diese Gedankengänge zum Prädestinationsproblem, siehe u.a. Pinomaa 1938/ 73 f f · ; 1 1 4 ff·/ 136 f f - , und ders. 1940, 63 f f . 87 39 I, 439, 23 f . (Die zweite Disp. gegen die Antinomer 1538]. " Siehe hier u.a. Josefson 1939, der im ganzen den Humilitas-Gedanken analysieren will ( 1 0 ] , und Prenter, Der barmherzige Richter 1961, 1 3 1 f f . In diesen Fragen ist besonders der junge Luther zu hören; so führt Gyllenkrok manche Belege aus Dictata an, z.B. 3, 203, i f f . , 246, 19 f f . , 462, 34 f f . und 4, 205, 1 f f . (1952, 34 f . ] . Hier kann man Gyllenkrok unbedingt recht geben, wenn er sich gegen eine Lutherforschung wendet, die Göttliches und Menschliches gegeneinander stellt als einander ausschließende Alternativen. Man kann die Alleinwirksamkeit Gottes behaupten: „die menschliche Aktivität wird dadurch tatsächlich nicht aufgehoben". Gyllenkrok konstatiert bei Luther eine „Zusammenordnung von göttlicher Alleinwirksamkeit und menschlicher psychologischer Aktivität" (36 f . ) und faßt zusammen: „Was von dem einen Gesichtspunkt, dem empirischen, aus gesehen menschliche Aktivität ist, erscheint von dem anderen, nämlich von dem des Glaubens an die Autorität des Wortes aus, als menschliche Passivität und göttliche Aktivität" (39). °° „nemo per fidem iustificatur nisi prius per humilitatem sese iniustum confiteatur", 3, 345, 29 f . (Dictata . . . 1 5 1 3 - 1 6 ) . Siehe hierzu Josefson 1939, 51-68, Gyllenkrok 1952, Kap. „Ist die humilitas dispositio ad gratiam?", 20-51, und Brandenburg i960, 59-69, Metzger 1964, 154 f f . mit Anm. 58.
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betont und insofern zwischen humilitas und dem Kommen der Gnade im Glauben unterscheidet, sieht er zugleich Demut und Gerechtigkeit in einer Einheit, ebenso wie wir das zuvor hinsichtlich des Verhältnisses von donum und gratia beobachteten91. Sagt man, daß humilitas eine notwendige Voraussetzung für die Gnade sei, muß man sich darüber im Klaren sein, daß das für Luther nur einen psychologischen Inhalt hat - der Mensch muß „ad nihilum" geführt werden, so daß Gott etwas neues aufzubauen vermag"2 - und keineswegs die Bedeutung von Bedingung oder Verdienst erhält. Luther ermahnt zur Demut und sieht dann das Ergebnis beim Menschen als ein Werk Gottes. Gottes Gesetz und Gericht treiben den Menschen hinab in Anfechtung, in Verzweiflung und Demut. Dann seine Sünde sehen, das Gericht über sich ergehen lassen und die Sünde bekennen, ist dasselbe wie bereits unter dem Evangelium und der Gnade sein03. Wenn der Mensch Gott recht gibt und sich unter seinem verborgenen Ratschluß, konform mit Christus, in einer resignatio ad infernum, demütigt, ist er damit gerettet84. Das Wort ist es, das richtet, iudicium Dei, und verändert, iustitia Dei, aber Luther kann auch sagen, daß Gott es ist, der gerechtfertigt wird, iustificatur, und gerichtet wird, iudicatur, von denen, die das Wort glauben bzw. verwerfen. Hier liegt also eine Form menschlicher Aktivität im Verhältnis zu Gott vor, während gleichzeitig gerade dadurch Gottes Wille geschieht. Gott rechtfertigt, wenn er selbst gerechtfertigt wird, und umgekehrt wird er gerechtfertigt, gibt der Mensch ihm recht, sobald er rechtfertigt. Gott rechtgeben, „iustificare Deum", bedeutet, sich vor dem Wort beugen, die Wahrheit des Wortes Gottes nicht in Frage stellen, wenn es richtet - opus alienum - aber auch demütig und ohne den Versuch zu machen, über das Wort zu bestimmen, die Gerechtigkeit empfangen, wenn es begnadigt opus proprium. So kann der Christ im Wort Gottes gnädiges Ja inmitten eines brüsken Nein hören95. Wenn wir Gottes Wort und Gericht anerken4, I i i , 3 5 - 3 9 (Dictata . . . 1 5 1 3 - 1 6 ] ; vgl. auch Prenter, Der barmherzige Richter 1 9 6 1 , 133 f· 92 3/ 33°< 2 6 - 2 8 (Dictata . . . 1 5 1 3 - 1 6 ] . Die hier behandelten Gedanken sind keineswegs auf den jungen Luther begrenzt - wenn sie auch dort am eingehendsten ausgeführt sind - u n d durchaus nicht nur vorreformatorisch; siehe Prenter 1961 [vgl. vorig. Anm.], 134 f. mit Anm. und 140: „Ist diese 'Humilitastheologie' vorreformatorisch, dann ist wahrscheinlich der ganze Luther vorreformatorisch". " „Qui sese iudicat et confitetur peccatum, deum iustificat et verificat: quia didt id de se, quod deus dicit de eo", 3 , 289, 3 3 f., ib. 2 9 1 , 1 6 - 2 1 [Dictata . . . 1 5 1 3 - 1 6 ] ; 56, 265, 1 7 - 2 3 (Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ] ; eine ähnliche Formulierung gibt es später in der Vorlesung über Ps. 5 1 1 5 3 2 , 40 II, 379, 2 5 - 2 8 (Dr.]. " „Quia qui peccat, iustificat deum in sermonibus eius et ita dat gloriam Deo, per quod iam ipse quoque iustus est . . . Ergo confiteri peccatum et esse iustum idem sunt", 3, 409, 3 0 - 3 4 (Dictata . . . 1 5 1 3 - 1 6 ] ; ib. 465, 5 - 3 5 ; 56, 393, 1 3 - 1 7 (Vöries, über den Römerbrief "
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Siehe besonders in der Römerbriefvorlesung 1 5 1 5 - 1 6 : 56, 2 1 2 , 2 2 - 2 1 3 , г 5, den ganzen Abschnitt 2 1 4 - 2 2 2 , und 226, 3 - 2 2 7 , 16; das ist ein Hauptgedanke bei Grundmann 1964, besonders das Kapitel „Die Rechtfertigung Gottes durch den Menschen und die Rechtfertigung des Menschen durch Gott", 8 9 - 1 0 5 . Weiter z.B.: „. . . und ist doch mehr ia drynnen denn neyn. Ja eytel ia ist drinnen, aber gar tieff und heymlich und scheynet
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nen, d.h. unsere Sünden bekennen, dann ist, meint Luther, Gottes Gerechtigkeit bereits in uns wirksam, und ohne dieses Handeln Gottes würden wir ihn nicht rechtfertigen und an ihn glauben können". Diese Doppelheit ist eine Einheit, dieses Nacheinander ist eine Gleichzeitigkeit nur in Christus, denn in ihm geschieht der selige Wechsel von Sünde und Gnade, Schrecken und Zuversicht. Das neue Leben des Glaubens wird ja von Luther als ein conformitasGeschehen, „vita crucis", ,.militia Christi", bezeichnet. Der Kampf beruht vor allem auf der mangelnden Kraft des Glaubens, ein Nein zur Sünde zu sprechen, und daher wird der Kampf zum unaufhörlichen Gebetskampf. Hier liegt der Kern der Problematik, die das Leben des Christen prägt, hier ist der ständige Wendepunkt in der Tiefe der Anfechtungen, der Startpunkt, der sich dauernd wiederholt. In Christus sein bedeutet, der Versuchung widerstehen, „dissentire peccato", im Fleisch sein bedeutet, der Sünde Beifall zollen, „consentire in concupiscentias peccati" Der Christ ist ja simul justus et peccator, gleichzeitig in Christus und im Fleisch - daher der unablässige Kampf. A n und für sich sollte die Sünde dem Menschen keinerlei Probleme bereiten, denn sie ist in Christus für ihn tot, und G o t t kann daher im Hinblick auf sie durch die Finger sehen. A b e r so verhält es sich nur in spe und coram Deo, hier in der Welt ist die Gerechtigkeit nur im Werden und das Austreiben der Sünde eine mortificatio imperfecta, hier geht der Kampf zwischen dissensus und consensus, voluntas und noluntas, das Gute wollen und doch das Böse tun, weiter. Luther betont in seiner Auslegung von Rom. 7 den Unterschied zwischen consentire als A u s f l u ß der verbliebenen Sünde - facere malum - was propter Christum nicht angerechnet wird, und consentire als bewußtem Willen zur Sünde - perficere malum - was ein peccatum mortale bedeutet und nicht nur Schwäche im Kampf. In beiden Fällen sind die Sünde und die Schuld wirklich, aber dem, der in Christus ist, ist sie vergeben, so lange er in Christus ist und wirklich simul justus et peccator ist'". W e n n der Christ die Sünde besiegt, ist das ein Werk Gottes in ihm und eytel neyn . . . Drumb mus sichs von solchem fülen keren und das tieffe heymliche Ja unter und über dem Neyn mit festem glauben auff Gotts wort fassen und hallten", 17 II, 203, 18-33 (Fastenpostille I 5 2 5)· " „Ibi enim ponitur, vt Deus Iustificetur per confessionem peccati nostri. Quia licet sit in se Iustus et verax, tarnen non in nobis, donee confessi dicamus: Tibi soli peccaui' etc.; tunc enim agnoscitur solus Iustus. Et ita in nobis quoque fit Iustus", 56, 214, 18-21 (Vöries, über den Römerbrief 1515-16}; ib. 269, 25-30, 271, 19-30; 5, 252, 10-24 (Operationes in Psalmos 1519-21); vgl. beim älteren Luther aus der Vorlesung über Ps. 51 1532: „Has confessione glorificas deum, et te econtra: hic tempus mihi iustificandi", 40 II, 376, 7 f. (Hs.}. Siehe u.a. Josefson 1939, 57 ff·, Gyllenkrok 1952, 54 ff., Prenter, Der barmherzige Richter 1961, und Schwarz 1962, 287 f f . 87 Das ist besonders in der Römerbriefvorlesung und in der Schrift gegen Latomus herausgestellt; für Belege siehe Hermann 1930, 155 ff. und Lerfeldt 1949, 80 ff.; ferner bei Luther: 6, 215 f. (Von den guten Werken 1520). 88 Siehe Hermann 1930, 187 ff. Man beachte die Bedeutung, die die consensus-dissensusDialektik in dem wichtigen communicatio-Zusammenhang in der Römerbriefvorlesung hat, 56, 342 f f .
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keine Folge davon, daß es ihm durch sein liberum arbitrium geglückt wäre, den Kampf zu einem guten Ende zu führen, ganz im Gegenteil wird er sich seiner Ohnmacht bewußt" 9 . Der Glaube ist ja auch nichts Qualitatives am Menschen, kein habitus, über den er nach eigener Wahl Eigentumsrecht erworben hätte und nun bestimmt, sondern er ist nur in Christus zu finden, ständig aufs neue geschenkt. Der dissensus peccato des Menschen ist daher ein Ausdruck für den Grund des Glaubens in Christus. „Pugnare contra se ipsos et peccatum suum" ist ganz gewiß eine menschliche Tätigkeit, aber sie ist ganz abhängig von Christus - und das ist kein Synergismus, sondern ein Ausfluß von communicatio idiomatum. Man kann sagen, daß dissensus eine ständige Ausrichtung des ganzen Menschen auf Christus bedeutet, einen Ruf der Verzweiflung aus der Versuchung, um sich an dem festzuklammern, der Hilfe und Sieg schenkt1. In dissensus liegt somit eine Verbundenheit mit Christus eingeschlossen, ein Teilhaben an einer Gemeinschaft, das einen tiefen Zusammenhang mit Luthers Gedanken vom corpus Christi und mirum commercium hat. Christus wohnt durch den Glauben im Herz, der dissensus des Christen ist gesichert, weil er an die iustitia Christi gebunden ist2. Dann bedeutet mortificatio carnis eine resistentia, die sich auf den Sieg Christi gründet, dann wird peccatum regnans zu peccatum regnatum, und so kann der Glaube weiterleben. Zum Schluß soll die Sünde definitiv besiegt und ausgetrieben sein, dann gilt: „finaliter non consentire peccato", aber bis dahin geht der Kampf weiter 3 . Wenn aber der Wille den Versuchungen unterliegt - noluntas, malum perficere - so enthüllt das einen Gegensatz im Menschen, der bedeutet, daß die Sünde die Herrschaft ergreifen darf: peccatum regnans, und daß der Glaube nachgibt: consensus peccato*. Nach Luthers Auffassung, so wie sie uns früher begegnete, hat dies dann seinen Grund darin, daß das Göttliche verdrängt wird; das mirum commercium hört auf, weil der Mensch keine Gemeinschaft mit Christus hat. Der Abfall läßt sich objektiv bezeichnen als ein Abfall vom Wort und von den Sakramenten, denn dadurch ist der Mensch vom Heil abgeschnitten. Alles strahlt zusammen im Gebet: Anfechtung, Verzweiflung, Demut, "
V o r allem in D e servo arbitrio 1525, z.B. 18, 636, 16 f f . , 677, 12 f . , 681, 27 f . , 699,
4 f f . , 736, 31 f f · , 7 6 7 , 6 f f . 1
V g l . Gyllenkroks Beschreibung der realen Gerechtmachung, nicht als „irgendein Be-
wußtsein des Besserwerdens", sondern als „die ständig zunehmende Hingabe des C h r i stenmenschen an Christus" С195 2, 1 1 8 ] . 2
56, 60, 2 - 6 1 , 12 [Vöries, über den Römerbrief
a
Ib. 330, 1 7 - 2 3 ; 8, 96, 8 - 3 2 , i 2 o ( 1 5 - 2 6 , 125, 1 2 - 3 9 [Rationis Latomianae confutatio
1515-16].
1 5 2 1 ) . In der Schrift gegen Latomus ist die Hauptstelle z u peccatum regnans -
peccatum
regnatum, 8, 94-97, aber der Gedankengang kehrt auch sonst o f t wieder, z.B. 7, 331, 1 - 1 3 [ G r u n d und Ursach . . . 1 5 2 1 ) ; 20, 658, 19-659, 5 [Vöries, über 1. Joh. 1527 R o t h ] ; 39 I, 510, 8 - 5 2 1 , 7 [ D i e dritte Disp. gegen die Antinomer 1538 A . ] ; 40 II, 93, 1 f .
[In
epistolam ad Galatas 1531 R . ] . 4
Siehe Belege in der vorig. A n m . ; von der Möglichkeit des A b f a l l e s v o m Glauben, siehe
Schloenbach 1963, 30. 23 - Nilsson
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Die Kirche u n d die W e r k e
Sündenbekenntnis, Ungewißheit, Verborgenheit, Wachsen, Freude5. Gerade in der Versuchung und im Zweifel hat das Gebet seinen Platz. Die Anfechtungen werden von Gott nicht geschickt, um zu verderben - das ist Luthers überall durchscheinende Überzeugung - sondern um den Christen „zum gebett, zum ruffen und zum streit" zu treiben, „damit er seinen glauben übe" Mit Gottes Hilfe soll der Mensch kämpfen und Gott selbst hat ihm befohlen, in aller Not ihn um Hilfe anzurufen. Anfechtung und Gebet hängen unauflöslich zusammen, und es wäre daher gefährlich, keine Anfechtungen zu haben, denn dann würde man keine Hilfe bei Gott suchen7. So wie Christus sein Leiden im Gebet zu Gott ausruft, so entspringt der Gebetsruf des Christen aus Not und Verzweiflung \ Die Konformität mit Jesus bewirkt, daß das Gebet als zugleich ein Werk des Geistes und eine menschliche Tat betrachtet werden kann, „eine sonderliche ubung", die das Eingreifen Gottes erwartet". Die verborgene Stärke des Gebets liegt eben darin, daß es der Seufzer des Geistes im Menschen ist. Im Gebet wird der Glaube in den Problemen des Alltags, in dem großen Kampf zwischen Böse und Gut inkarniert. Hier tritt an einem entscheidenden Punkt die Gleichzeitigkeit von Göttlichem und Menschlichem als klarer communicatio-Zusammenhang hervor. Luther legt häufig Sach. 12, xo, vom Geist der Gnade und des Gebets, und Vgl. H e r m a n n 1930, 293: „das Ineinander von Nicht-Wissen u n d Dennoch-Wissen f i n det wohl erst im Gebet seine Einheit u n d Wirklichkeit"; siehe auch Beintker 1954, 179 f f . - Luthers A u f f a s s u n g des Gebetes ist noch nicht gründlich untersucht worden. Einzelne Seiten sind in anderen Zusammenhänge u n d in Artikeln gut behandelt, siehe u.a. H e r m a n n 1930, 289 f f . , ders. i960, den A u f s a t z „Das Verhältnis von Rechtfertigung und Gebet", 11 f f . , R. Wagner, Luthers Gedanken über das Gebet, Luther 1938, 7 f f . u n d 46 f f . , Wingren 1952, 120 f f . , Lerfeldt 1949, 167 f f . und später z.B. I. Ludolphy, Luther als Beter, Luther 1962, 128 f f . , u n d H . Beintker, Die Bedeutung des Gebetes f ü r Theologie und Frömmigkeit unter Berücksichtigung von Luthers Gebetsverständnis, N Z S T h 1964, 126 f f . 5
" 3 1 Ι» 95/ 3 - I 7 (Confitemini 1530); 6, 223, 1 3 - 2 4 ( V o n den guten Werken 1520); io I:i, 372, 19 f . (Kirchenpostille 1522}; „Sehet das ist die rechte Christliche weyse, von unglück und ubel los zu werden, nemlich dulden und Gott a n r u f f e n " , 18, 319, 18 f. (Ermahnung z u m Frieden 1 5 2 5 ) ; siehe auch 38, 358 f f . (Eine einfältige Weise zu beten 1535]· ' 2, 125, 3 2 - 1 2 6 , 3 (Auslegung deutsch des Vaterunsers 1 5 1 9 ) ; 6, 223, 15-224, 13 ( V o n den guten W e r k e n 1520] u n d dazu u.a. 7, 585 f f . (Magnificat 1 5 2 1 ] , 30 I, 196 f . ( G r o ß e r Kat. 1529) u n d 32, 490 f f . ( W o c h e n p r e d . über Matth. 5 - 7 1 5 3 0 - 3 2 ] . 8 2, 101 f . (Auslegung deutsch des Vaterunsers 1 5 1 9 ) ; siehe Lerfeldt 1949, 1 1 3 f . mit Belegen. Vgl. Müller 1929, der über Luthers Auffassung der Kirche und des Gebetes sagt: „beide sind in der Christologie fundamentiert" (197, A n m . ] . ' 6, 232, 22-28 ( V o n den guten W e r k e n 1520); 19, 222 f . ( D e r Prophet Jona ausgelegt 1526); 32, 419 f . (Wochenpred. über Matth. 5 - 7 1 5 3 0 - 3 2 ] . Man beachte, wie Luther betont, daß wir, die Christen, mehr und mit Ernst beten sollten, 17 I, 429, 1 2 - 1 5 (Pred. 1525 D r . ) . In Confitemini 1530, 3 1 1 , 94-98, f o r d e r t Luther dringend zu ausdauerndem Gebet auf, während er gleichzeitig konstatiert: „diese kunst ist menschlicher natur unmuglich . . . kunst über alle kunst, u n d allein des heiligen geists werck . . . " , 94, 5 - 1 0 ( H s . ) ; „Darumb wo ein Christ ist, da ist eigentlich der heilige Geist, der da nicht anders thut, denn jmerdar betet", 45, 541, 27 f. - siehe die ganze, außerordentlich wichtige Auslegung von Joh. 14, 1 3 - 1 5 über das Gebet u n d das W e r k des Geistes in einem interessanten christologischen Zusammenhang, 45, 539-560 ( 1 5 3 8 ) .
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Rom. 8, 26, von dem unaussprechlichen Seufzen des Geistes, aus, und betont dabei nachdrücklich, daß das Gebet ein göttliches Werk des Geistes sei. Es ist kein Ergebnis menschlicher Kräfte und Möglichkeiten, sondern es ist der Geist, der im Christen und für ihn betet, es ist Christus, der selbst real gegenwärtig ist und im Gebet des Menschen wirkt 10 . Andererseits ist das Gebet etwas, was die Situation des Menschen kennzeichnet. Wenn Luther Jesu Worte: „Und ich will den Vater bitten" (Joh. 14, 16) kommentiert, stellt er fest: „das wort 'bitten' gehöre nicht Gott zu". Das Gebet entspringt aus menschlicher Not und Anfechtung und deutet auf Bedürfnisse und Unvollkommenheiten hin. Es muß insofern als eine menschliche Aktivität bezeichnet werden, und wenn Christus betet, so geschieht das auch, weil er wirklich Mensch ist. Bei diesem Stand der Dinge überrascht es wenig, daß dieser Gedankengang sich auch in einem in unserer Untersuchung früher behandelten communicatio-Text findet, wo er Luther direkt zu einer ausführlichen und ins Einzelne gehenden Auslegung der communicatio idiomatum veranlaßt11. Das Gebet ist, so könnte man die Sache ausdrücken, eine von Gott angetriebene und verursachte menschliche Wirksamkeit, die gerade als menschlich von Gott gewirkt ist, so wie Christi Gebetsruf aus der Tiefe des Leidens und der menschlichen Erniedrigung für Luther ein Handeln Gottes ist, des Gottes, der Deus in carne absconditus ist. Der Christ ist in Christus eingegliedert und mit ihm konform und daher in Christi Gebet eingeschlossen, so daß sein Gebet auch das des Christen wird. Die unaussprechlichen Seufzer des Geistes sind eine Lebensäußerung jener fides Christi, die ständig von ihrem Eigenen zu Gott flieht und ihr Alles in ihm hat. Hier herrschen ein Ineinander und eine Gleichzeitigkeit von Kreuz und Freude, Erniedrigung und Auferstehung, Sündenbekenntnis und Lobgesang, Furcht und Heilsgewißheit, die für die Situation des Gebets kennzeichnend sind. Das Menschliche begegnet dem Göttlichen, denn die Anfechtung bedeutet eine Aktivität der Verzweiflung - und eine Passivität des Unvermögens - die einen Gebetsseufzer um Hilfe von Gott hervortreibt12. 10 Es gibt bei Luther reichliche Belege für diese Gedanken und Bibelstellen, z.B. 56, 3 7 5 379 [Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ) ; 8, 360, 2 6 - 3 6 1 , 2 (Evang. von den zehn Aussätzigen 1 5 2 1 ] ; 10 I:i, 3 7 2 , 1 0 - 3 7 3 , Μ (Kirchenpostille 1 5 2 2 ) ; 17 I, 259, 1 4 - 2 6 0 , 3 5 (Pred. 1 5 2 5 R . ] ; 3 1 II, 404, 1 0 - 4 0 5 , 1 3 [Vöries, über Jesaia 1 5 2 7 - 3 0 ] ; sehr wichtig ist 40 I, 580, 2 5 - 5 8 6 , 28 [In epistolam ad Galatas 1 5 3 5 D r . ] ; 4 2 , 275, 1 - 1 0 , 662, 1 - 1 9 ( V ö r ies. über i . Mose 1 5 3 5 - 4 5 ] . A l s Mose mit Beben vor dem Roten Meer steht ( 2 . Mos. 1 4 , 1 5 ] , „tum gemitus inenarrabiles, ut vocat Paulus, incipiunt . . . tum fit copula et coniunctio virtutis Dei cum infirmitate humana, omnipotentia coniungitur cum nihilitudine et extrema imbecillitate . . .", 43, 5 1 9 , 1 1 - 3 4 (Ib.]; 46, 163, 8 - 1 6 4 , 29 (Pred. 1 5 3 8 R . ] ; „Sic quando diabolus in vita et tod terret, cogita an Christum et erige manus: Herr, hilff. Das ist gemitus inenarrabilis . . . Das macht praesentia Christi, qui docet gratiam et urget ad orationem", ib. 166, 1 0 - 1 8 . - Dieses Thema ist hervorragend von Prenter 1954 bearbeitet worden, besonders Kap. I, „Spiritus gratiae et precum", 2 1 - 1 0 6 . 11 Siehe den hier entscheidenden communicatio-Abschnitt 45, 5 5 4 - 5 6 0 (Das X I V und X V Kap. Joh. 1 5 3 8 ] ; vgl. oben Kap. II C : 2 , 247 f. 12 Siehe den ausführlichen Gedankengang 40 II, 3 3 6 - 3 4 1 (Enarratio Psalmi L I 1 5 3 2 ] ;
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Auf diese Weise, passiv und vernichtet und im Bewußtsein der eigenen Sünde auf Gott warten, bedeutet auch, Gott aktiv und von ganzem Herzen alle Ehre geben. Die feste Gewißheit, daß Aufrichtung nur bei ihm zu finden ist, verleiht dem Sündenbekenntnis schon als solchem einen Ton des Lobgesangs. Man kann sie eigentlich nicht voneinander trennen, denn das Gebet des Sündenbekenntnisses würde isoliert nur zu Hoffnungslosigkeit und desperatio führen, und die Danksagung, das Lob, würde an sich leer bleiben, eine sinnlose Aneinanderreihung von Worten, ohne die vom Kreuz gezeichnete Realität der Erniedrigung, die im Sündenbekenntnis liegt. Da aber für Luther der Christ simul justus et peccator, alter und neuer Mensch ist, kann auch das christliche Leben als ein simul von Anfechtung und Gebet, Bekenntnis und Lobgesang, Furcht und Hoffnung, Kreuz und Auferstehung charakterisiert werden". Die Bedrückung und Klage des Christen ist zugleich ein Gebet um Gnade, ein Ruf, eine Sehnsucht nach Gott. Für den Christen gilt also: „semper in tribulatione" und „semper invocare et dicere: Miserere mei et exaudi orationem me am" Der Mensch der Anfechtung kommt im Gebet mit leeren Händen und die Leere wird in Fülle umgetauscht, Gottes Nein in ein Ja verwandelt. Aber das geschieht nur im Kampf des Gebets, „Tröstung für eine Person in hohen Anfechtungen" wird nur dadurch geschenkt, daß man auf Christus schaut, an den Verheißungen des Wortes festhält und ausharrt im Gebet15. Gerecht ist der Mensch nur im Gebet, nur in spe und im Vertrauen auf die Gerechtigkeit Gottes Das Geheimnis allen progressus', eines jeden Aktes von dissensus und resistentia genau wie des schließlichen Sieges ist daher das Gebet. Die Zunahme des Glaubens und die Anfechtungen des Glaubens stehen nicht im Gegensatz zu «inander, sondern bedingen einander, denn die Kraft Gottes vollendet sich in Schwäche, und der Glaube ist am stärksten, wenn er am schwächsten ist und sich nur an das Wort halten kann. Dann kann Gott wirken und seinen Willen am Menschen geschehen lassen17. -vgl. auch 18, 782, 7 - 1 1 [ D e servo arbitrio 1 5 2 5 ) . - Hier schimmern verschiedene Aspekte in bezug auf das Gebet durch, die wir jetzt nicht näher behandeln können; siehe über früher erwähnte Literatur hinaus C. Müller 1934, 1 1 2 f f . und Vajta 1952, 295 f f . 13 „Sicut simul in mundo habent pressuram et in domino Christo pacem", 3, 1 8 1 , 4 f . (Dictata . . . 1 5 1 3 - 1 6 ] ; 18, 518, 2 0 - 3 5 ( D i e sieben Bußpsalmen 1 5 2 5 ] ; 40 II, 288-293 (Enarratio Psalmi II 1 5 3 2 ) ; „Ich wils beydes beysamen haben: timere, ne superbias, exultare, ne desperes . . . Die 2 stucke ynn einander mengen, est maxima scientia", ib. 288, 1 3 - 2 8 9 , 4 ( H s . ] ; „In medio consistit: leti in tristitia et humiles in letica", ib. 470, 5 f . (Enarratio Psalmi LI 1 5 3 2 ) . Vgl. oben Anm. 85. " 3, 62, 2 1 - 2 4 , 4, 88, 10 (Dictata . . . 1 5 1 3 - 1 6 ) ; 40 II, 340, 1 - 3 4 1 , 3 (Enarratio Psalmi LI 1532 Dr.). " 7, 779-791; 3, 42< 21-43, 3 (Dictata . . . 1 5 1 3 - 1 6 ) ; 56, 3 3 1 , 1 5 - 3 1 (Vöries, über den Römerbrief 1 5 1 5 - 1 6 ] . " Vgl. Aussagen von Hermann 1930, 295 f f . : „Gerechtigkeit ist doch wohl nur, indem zwischen Gott und Mensch die durch das Gebet gesetzte Gemeinschaft ist" (295) - mit Hinweisen auf u.a. 56, 252 f., 268 f. und 290 f. in der Römerbriefvorlesung. Siehe auch H . Beintker, Zu Luthers Verständnis vom geistlichen Leben des Christen im Gebet, LuJ 1964, 47 f f . 17 Siehe den Zusammenhang in 56, 256-259, und die Predigt von den zehn Aussätzigen
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„Fortschreiten heißt beten lernen", im Gebet ständig umkehren und aufs neue empfangen, ein „perseverare in conversione" unter täglichem Kampf und Streben18. Denn das Gebet befreit den Menschen nicht von Verantwortung und Aktivität, es ist vielmehr für Luther einmal an sich eine harte Arbeit und zum anderen ein ständiger Antrieb zu Wirksamkeit. Der Christ ist somit „semper timendum" und „semper orandum et semper operandum", immer angefochten, in Gebet und Arbeit, um sich neuen Aufgaben und dem Dienst am Nächsten hinzugeben". Damit wären wir beim Thema des nächsten Abschnitts angelangt. C. Das neue Handeln der Liebe Luther gibt einmal in der Kirchenpostille die folgende Anweisung: „das der anfang, folge und orden der menschen selickeytt sich alsso hallt: tzum ersten fur allen dingen das wortt gottis höre. Darnach glewbe, darnach wircke, und alsso selig werde" \ Diese Reihenfolge haben wir eingehalten. Unter Α untersuchten wir den usus redemptionis Christi, wie Luther meint, daß das Wort Gottes durch die Kirche und die Anordnungen und Einsetzungen gepredigt wird, die dort gegeben sind. Ex auditu entsteht nach Luther der Glaube, Christus kommt in einem täglichen Advent und tauscht die Sünde der Menschen gegen seine Gerechtigkeit aus. Unter В beschäftigten wir uns mit Luthers Verständnis der Rechtfertigung, sowohl als einer totalen Neuschöpfung, einer Zusage der Gnade, die in einem Augenblick die gesamte Situation des Menschen verändert, wie als eines partialen Fortschreitens, einer verborgenen Zunahme des Glaubens; beides geschieht gerade durch eine tägliche und wiederholte Bekehrung und Erneuerung. Diese Gleichzeitigkeit von totus und partim, in spe und in re, von etwas bereits Vollkommenem - in Christus und im Glauben, iustitia aliena in nobis imputata - und von etwas erst Begonnenem - in uns selber und im Werk, iustitia actualis - hatte eine deutliche communicatio-Struktur: ein Ineinander von Göttlichem und Menschlichem, wo der Mensch auf eine verborgene Art konform mit Christus gemacht wurde in Erniedrigung und Erhöhung, in Anfechtung und Glauben, Sündenbekenntnis und Lobgesang. Unter С wollen wir nun versuchen, ein Bild davon zu geben, wie Luther sich die menschliche Aktivität denkt, die durch die Tatsache hervorgelockt wird, daß im Glauben Christus im Menschen wohnt. Er hat den Menschen ergriffen und treibt ihn hinein in ständige Werke, in ein neues Handeln der Liebe. Das „darnach wircke", auf das Luther in seiner Kirchenpostille hinwies, schließt eine vielseitige Tätigkeit in sich, die wir bereits teilweise 1 5 2 1 , 8, 3 6 6 - 3 7 1 ; 10 I:i, 618 f. (Kirchenpostille 1 5 2 2 ] ; 44, 79, 20-80, 14 [Vöries, über 1. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ) · 18 Hermann 1930, 243; 56, 239, 1 4 - 2 3 und 264, 4-266, 4 (Vöries, über den Römerbrief 1515-16). " Ib. 66, 2 2 - 3 1 , 258, 17-259, 7; i o I : i , 615 f. (Kirchenpostille 1522); 44, 648 f. (Vöries, über i. Mose 1 5 3 5 - 4 5 ] . 1 10 I:i, 329, 6-8 ( 1 5 2 2 ) .
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beschrieben haben. Neu ist dieses Handeln nur insofern, als es im Glauben einen neuen Hintergrund erhalten hat, mit einem klareren Blick für die Bedürfnisse des Nächsten und einem größeren Erfindungsreichtum in der Ausführung, nicht in bezug auf die Werke als solche. Wie diese Werke im Verhältnis zu Luthers These „sola fide iustificamur" zu verstehen sind, ist das Problem, das uns jetzt in erster Linie beschäftigen soll - immer von dem hier im Mittelpunkt stehenden communicatio-Aspekt hinsichtlich des Verhältnisses von Gott und Mensch her. Schließlich soll diese Problematik in einen erweiterten Zusammenhang hineingestellt und in Relation zu der Frage von Gesetz und Evangelium bei Luther gesehen werden. Dabei wird vor allem der Platz der Ermahnung Interesse auf sich ziehen, Christus als Beispiel, die Bedeutung der Bergpredigt, überhaupt alle Gedankengänge bei Luther, in denen die menschliche Aktivität als von Gott befohlen hervorgelockt und letztlich auch von ihm gewirkt betrachtet wird. i. Der Glaube allein und die Werke des Glaubens In Sermo de duplici iustitia von 1519 spricht Luther von der Gerechtigkeit, die „aliena et ab extra infusa" ist, der Gerechtigkeit Christi, die den Menschen per fidem rechtfertigt und ihm in der Taufe geschenkt und in der Absolution ständig aufs neue zugesagt wird 1 . Diese Gerechtigkeit wird ihm ohne menschliche Werke, „sine actibus nostris", „per fidem in Christum", „per solam gratiam infusa" dargereicht s. Schon hier können wir folgendes feststellen: wenn Luther die Rechtfertigung aus dem Glauben unter Ausschluß aller menschlichen Werke betont, geschieht das nicht, um prinzipiell Glauben und Werke in einen kontradiktorischen Gegensatz zueinander zu stellen. Nur in Verbindung mit Gottes Gerechterklärung des Menschen, nur in loco iustificationis, sind menschliche Werke ausgeschlossen, denn diese Gerechterklärung gründet sich nur auf Christus, auf eine Gerechtigkeit, die aliena und externa ist, und darum nicht von den eigenen Handlungen des Menschen abhängen kann. Allein aus dem Glauben ist daher gleichbedeutend mit: allein aus Gnade - was direkt aus dem Text hervorgeht - und da kann man sich auf keinerlei Werke als Verdienst berufen. Aber sie sind nur als merita ausgeschlossen. Extra locum iustificationis, wenn nicht von Verdienstberechnungen die Rede sein kann, spricht Luther dauernd, unbekümmert und kühn von Werken. Auch das Empfangen der Gerechtigkeit durch den Glauben hat somit eine Seite menschlicher Wirksamkeit, aber sie ist nicht meritorisch. Theologisch gesehen, coram Deo, ist der Mensch passiv. Will man von menschlicher cooperatio und Aktivität reden, muß man sich deshalb darüber im klaren sein, daß das für Luther nur eine psychologische Bedeutung haben kann, indem die lauschende und empfangende Stellung des Menschen vor Gottes Wort und der von außen geschenkten Gerechtigkeit als eine 2 3
2, 4 5 , 9-15· 2, 146, 9 f., 29 f.
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menschliche Wirksamkeit bezeichnet wird. Er getröstet sich des Werkes Gottes in Christus und ergreift die iustitia Christi aliena. Das wird in einer aktivischen Terminologie ausgedrückt, trägt aber gleichwohl keinen meritum-Charakter. Die willensbestimmte Ausrichtung und Konzentration darauf, in die Kirche zu gehen, der Predigt zu lauschen, an den Sakramenten teilzunehmen usw. ist ja nur Ausdruck für ein psychologisches Faktum: „ich muss auch dabey sein" \ Und gleichwohl leitet hier dieser Gedankengang bei Luther über zu der „iustitia secunda", die „nostra et propria" genannt wird. „Iustitia prima" wird als ein Wohnen Christi in dem Christen beschrieben, der im Glauben „unum cum Christo" ist s . Daher ist es auch Christus, der im Christen wirkt; er treibt den alten Menschen „de die in diem magis et magis" aus. Der progressus wird somit durch und durch als ein Werk Christi dargestellt: „incipit, proficit et perficitur tandem in fine per mortem" - und das wird in Verbindung mit der Beschreibung der iustitia prima g e s a g t N u n aber heißt es weiter über den Zusammenhang der beiden Gerechtigkeiten: „haec iusticia est prima, fundamentum, causa, origo omnis iusticia propria seu actualis" *. Es ist offenbar, daß Luther hier, während er streng unterscheidet zwischen der fremden Gerechtigkeit in Christus und der aktuellen, eigenen Gerechtigkeit oder zwischen Glauben und Werken, Werk Gottes und menschlichem Handeln, doch auch zugleich einen tiefen Zusammenhang zwischen ihnen sieht, so daß das, was primär ein Werk Christi, sekundär auch als Ausdruck menschlicher Wirksamkeit bezeichnet werden kann. Es ist dann zu beachten, daß die Relation primär - sekundär nicht einen zeitlichen Unterschied ausdrückt sondern logisch bedingt ist - das geht deutlich aus dem letzten Zitat hervor - weshalb es kein Widerspruch ist, auch von Gleichzeitigkeit zu sprechen. Da es sich so verhält, überrascht es auch nicht, daß Luther zuerst sagen kann, Christus treibe Adam aus, und dann, die Niederringung Adams sei ein Ergebnis der iustitia secunda8. Und hier bezeichnet Luther expressiv diese Doppelheit als eine cooperatio: „Secunda iusticia est nostra et propria, non quod nos soli operemur earn, sed quod cooperemur illi primae et a l i e n a e " D i e iustitia prima ist ganz ein Werk Gottes in Christus, dabei ist menschliches Zusammenwirken ausgeschlossen, aber die iustitia secunda ist somit zugleich göttlich und menschlich. Diesen Charakter von cooperatio hat das Rechtfertigungsgeschehen, seit der Mensch im Glauben die ihm von außen geschenkte iustitia aliena empfangen hat und sodann in 4 6
Siehe vorigen Abschnitt zur A n m . 65. 2, 146, 1 4 - 2 8 .
° 2, 146, 3 2 - 3 5 . 7 2, 146, 16 f. Man kann hier u.a. an das Buch von Forell 1954 erinnern, 63 f f . , w o der Verfasser betont, wie die Ethik für Luther immer vom Glauben, von der Vergebung der Sünden, der Rechtfertigung in Christus, im Wort, d.h. von der iustitia prima, abhängig ist. 8 2, 146, 3 2 f . „Haec iusticia perficit priorem, quia semper laborat, ut A d a m perdatur et destruatur corpus peccati", 2, 1 4 7 , 1 2 f . ' 2, 4 6 / 36 f .
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all seinen Werken. Hier werden also Glaube und Werke in einer Einheit zusammengesehen, die Werke erscheinen als die Früchte des Glaubens und bilden eigentlich einen Bestandteil des Glaubens. Aber sobald das menschliche Handeln dazu tendiert, von meritum-Gedankengängen bestimmt zu werden, entsteht wieder ein Gegensatz zwischen dem Glauben und den Werken. Die iustitia propria wird dann kein Ausfluß der iustitia aliena, sondern deren Gegensatz, eine buchstäblich eigene Gerechtigkeit, iustitia legis et operum. Wenn Luther hier die von Christus hervorgetriebene menschliche Aktivität beschreiben will, die Werke, die im Glauben selbst kegen, „conversatio bona in operibus bonis", gibt er drei Richtungen für die Werke an „Erga deum" erscheinen sie in Demut und Gottesfurcht - hier wird also „Werk" in einem ungewöhnlich weitreichenden Sinn als Ausdruck einer offen empfangenden Haltung im Glauben beim Menschen gefaßt. „Erga seipsum" bestehen die Werke aus mortificatio, crucifixio carnis, odium sui; „non quaerit quae sua sunt" JErga proximum" zeigt sich die Gerechtigkeit beim Christen in Liebe, „Charitas", „quaerit quae alterius sunt" So erfüllt er den Willen Gottes, sagt Luther, „vivens sibi sobrie, proximo iuste, deo pie" Um noch stärker die Gleichzeitigkeit und das Zusammenwirken von Göttlichem und Menschlichem in diesem großen Zusammenhang zu unterstreichen, bedient sich Luther wieder christologischer Gedankengänge. Er beschreibt das sich-Ausgeben des Menschen als eine conformitas mit dem Herabsteigen Christi. So wie Christus seine forma dei ablegt und eine forma servi annimmt, um zu dienen und sich aufzuopfern, so ist der Christ, von Christus im Glauben beherrscht, in ein Dienergewand gekleidet, um in Liebe die Werke des Glaubens auszuführen So kommt Luther zu der konzentrierten Zusammenfassung: „Et in hoc imitatur exemplum Christi et conformis fit imagini eius" 15. Dieser Satz schließt die gesamte Darstellungswelt ein, in die wir früher einzudringen versuchten. Der hier analysierte Textzusammenhang ist mit seinem Reichtum an Gedanken ein unzweideutiger Beleg für Luthers Auffassung. Er bestätigt deutlich große Teile der Untersuchung im vorhergehenden Abschnitt, und mit seiner starken Betonung des Werkcharakters des christlichen Lebens ist er ein Kriterium dafür, welche Bedeutung und welchen reichen Inhalt 2, 146, 3 7 - 4 7 , 3· Vgl.: „Das sey von den wercken gesagt ynn gemeyn und die ein Christen mensch gegen seynem eygen leybe üben sol", 7, 34, 23 f . ( V o n der Freiheit eines Christenmenschen 1520). " Siehe wieder in derselben Schrift: „Denn der mensch lebt nit allein ynn seynem leybe, sondern auch unter andernn menschen auff erdenn . . . Darumb kan er nit on werck sein gegen die selbenn . . . soll seyne meyung ynn allen werckenn frey und nur dahynn gericht seyn, das er andernn leutten damit diene und nütz sey", 7, 34, 25-31. 10
11
,s
2, 47, 15-18.
2, 147, 34-149, 14. Vgl. auch hier hinsichtlich dieses christologischen ganges 7, 35, 2-27 ( V o n der Freiheit . . . 1520]. 14
" 2, 147, 19·
Gedanken-
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Luther der menschlichen Aktivität verleiht. Darauf kommt er immer wieder zurück. Eine Predigt von 1525 spricht einmal von dem Gewicht des Hörens des Wortes und des Gebets, zum anderen von der Entstehung des Glaubens ex auditu wie auch von der Übung des Glaubens und der Zunahme der Liebe - man beachte, daß dies die drei Glieder des einleitenden Zitates aus der Kirchenpostille sind - und betont dabei durchweg diesen Zug menschlichen Handelns im weiten Sinne. Luthers Überschrift für diese Predigt ist daher kennzeichnend für das, was wir beobachtet haben: „Eyn Sermon von Stärke und Zunehmen des Glaubens und der Liebe" 1β. Luther entwickelt dort ein wohlbekanntes Thema: der Glaube ist schwach und beinahe nicht zu merken, der Mensch kämpft täglich im Gebet und klammert sich am Wort fest, und der Glaube, obschon schwach, kommt in Werken am Nächsten zum Ausdruck „Das meynet Paulus mit den zweien stucken. Zum ersten, das wyr gegen Gott eyn richtigen glawben ym hertzen haben. Zum andern, das der selbige erfur breche und sich erzeyge durch die liebe gegen dem nehisten" Es ist nun charakteristisch, daß diese ständige menschliche Tätigkeit sich auf Christus und sein Werk gründet. Christus wohnt im Herzen des Menschen, und die zwei Stücke hängen ganz von ihm ab „Kurz umb, das alles, was er ist und vermag, ynn uns völlig sey und krefftig wircke, das wir gantz vergottet werden . . . das alles, was du redist, denckist, gehist, summa: deyn gantzes leben gar Gottisch sey" 20. Luther legt oft diese zwei Stücke im Leben des Christen aus: Glaube und Liebe". Es gibt, betont er ständig, eigentlich nur zwei Predigtthemen, vom Glauben und von den Werken Hinsichtlich sowohl des Glaubens wie der Werke - jener, die im Sermon von 1519 in iustitia secunda zusammengefaßt wurden - zeigt sich eine Verbindung zwischen Göttlichem und Menschlichem, eine Verbindung, die christologische Struktur hat. Das läßt sich in bezug auf sowohl den Glauben an sich wie das gegenseitige Verhältnis von Glauben und Werken feststellen. Diese Behauptungen ließen sich schon bei mehreren Gelegenheiten belegen, und die weitere Untersuchung wird sie noch nachdrücklicher bestätigen und bekräftigen. Die Einheit und Gleichzeitigkeit, die das Verhältnis von sowohl Gött18
1 7 1 , 428 f f . (Pred. 1525 Dr.). 17 I, 434, 11-435, 6, 436, 30-437, 7· 18 17 I, 437, 5-7· " „Wenn nu Christus ynn meynem hertzen wonet und regiret mein gantzes leben . . . da ist alle fülle . . . Wonen aber ist nichts denn Christum erkennen, was er sey und was man sich zu yhm versehen sol . . . Also wonet er bey uns ym hertzen . . . allein durch den lebendigen glawben . . . " , 17 I, 436, 5 - 2 1 . · · 17 I, 438, 19-28. 21 So z.B. in der Predigt von den zehn Aussätzigen 1 5 2 1 , die hier eine Hauptquelle ist, 8, 355, 20-29, 385, 6 - 1 0 , und bezeichnende Stellen in der Kirchenpostille 1522, 1 0 1 : i , 75, 20-23, 99, 20-100, 20 und an vielen Orten. Für weitere Belege siehe Ivarsson 1956, 127 f . 22 ix, 165, 4 (Pred. 1523 R.); 34 I, 518, 2 f . (Pred. 1531 R.); 5 1 , 123, 8 - 1 3 (Pred. 1546 RO. 17
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lichem und Menschlichem wie von Glauben und Werken kennzeichnet, macht es schwer, eines von jedem Paar allein darzustellen, aber es ist andererseits äußerst wichtig, auch eine rechte Trennung durchführen zu können, denn das Menschliche kann von Sünde geprägt sein und im Gegensatz zu Gott stehen, und die Werke können mit selbstsüchtiger Berechnung getan werden und ohne Verbindung mit einem rechten Glauben an Christus. Zunächst wollen wir daher zuhören, wie Luther den Begriff Glauben in einer hier für uns relevanten Terminologie definieren kann. Wir haben bereits oft gesehen, daß der Christ Luther zufolge durch den Glauben mit Christus vereint wird - conformitas - und die commercium-Vorstellung verleiht dem ja auch Ausdruck. Glauben läßt sich daher bestimmen als Christus anziehen, Christus Wohnung im Herzen nehmen lassen, eins mit ihm werden und mit ihm zusammen Kind Gottes werden: „credere enim in Christum est eum induere, unum cum eo fieri" Die Einheit mit Christus im Glauben wird bei Luther durchweg mit inkarnatorischen Ausdrücken geschildert. Das geschieht auf eine klärende Art bereits in einer Predigt vom Weihnachtstage 1 5 1 4 . Luther beschreibt die Menschwerdung Christi: das Wort ward Fleisch, nicht so, daß es in Fleisch verwandelt würde, sondern so, daß das Wort mit dem Fleisch untrennbar vereinigt ist und ohne substantielle Vermischung doch Fleisch ist - dies alles der communicatio idiomatum zufolge. Ebenso, fährt Luther fort, werden wir durch den Glauben mit dem Wort-Christus zu einer unauflöslichen Einheit vereinigt. Luther nimmt es genau damit zu erklären, daß der Mensch dann einerseits nicht in eine andere Substanz verwandelt wird, man andererseits aber auch nicht sagen kann, er habe Christus nur, d.h. er stehe nur in einem äußeren, mittelbaren Kontakt mit dem Wort, sondern er ist das Wort, das Wort nimmt Wohnung in ihm. Es heißt: „Ita nec nos qui sumus caro, sic effieimur verbum, quod in verbum substantialiter mutemur, sed quod asumimur et per fidem ipsum nobis utiimus, qua unione non tantum habere verbum sed etiam esse dieimur" Wir können somit feststellen, daß die Einheit von Christus und dem Christen im Glauben in dieser frühen Predigt klar und unzweideutig als ein communicatio-Verhältnis aufgefaßt wird. 23
2, 535, 24 f. (In epistolam ad Galatas 1 5 1 9 ] ; ib. 502, 12 f.; 2, 146, 14 (Sermo de duplici iustitia 1 5 1 9 ) - siehe oben zu Anm. 5.; schon in den Resolutiones disputationuni 1518: „Quia per fidem Christi efficitur Christianus unus spiritus et unum cum Christo", 1, 593, 14 f., aber auch später im Galaterbriefkommentar 1535: „Verum recte docenda est fides, quod per earn sic conglutineris Christo, ut ex te et ipso fiat quasi una persona quae non possit segregari sed perpetuo adhaerescat ei et dicat: Ego sum ut Christus, et vicissim Christus dicat: Ego sum ut ille peccator, quia adhaeret mihi, et ego illi; Coniuncti enim sumus per fidem in unam carnem et os . . . Ita, ut haec fides Christum et me aretius copulet, quam maritus et uxori copulatus", 40 I, 285, 24-286, 17 (Dr.). " i, 28, 36-41 (Sermone 1 5 1 4 - 1 7 ) . Schon in den Randbemerkungen zu Petrus Lombardus finden sich Ausdrücke in dieser Richtung, fides incarnationis, carnis, humanitatis etc., die doch mehr das Objekt des Glaubens als die Art des Glaubens angeben; darum kann man von dort nur mit Vorsicht Rückschlüsse auf Luthers Auffassung ziehen. Vgl. E. Seeberg II, 1937, 100; über den inkarnierten Glauben siehe auch Prenter 1954, 228 f f . und Modalsli 1963, 39 ff.
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Derartige Inkarnationsgedankengänge kennzeichnen keineswegs nur den jungen Luther, sie lassen sich daher nicht als lediglich vorreformatorisch erklären oder zu Argumentationsgliedern einer tropologischen Auslegung reduzieren, die später bei Luther verschwindet. Ohne sich näher auf die umfassende Diskussion um Luthers reformatorischen Durchbruch einzulassen, kann man hier nicht umhin, eine Reflexion darüber anzustellen. Es fragt sich, ob dieser Durchbruch nicht durch die Arbeit an dem Problem des Verhältnisses von göttlicher und menschlicher Aktivität veranlaßt wurde, wie er es selbst in Beichte und Satisfaktion erlebte. Luther hatte ja von der römischen Vorstellung vom Zusammenwirken zwischen Natur und Gnade auszugehen: ohne Verdienst keine Gnade und ohne Gnade kein Verdienst. Es war daher natürlich, daß Christologie, Anthropologie und Rechtfertigungslehre für ihn unter denselben Gesichtswinkel rückten. Es wäre eine interessante Aufgabe, diese Betrachtungsweise durch die Psalmen- und Römerbriefvorlesungen bis hin zur Hebräerbriefvorlesung zu verfolgen, nicht zuletzt gerade im Hinblick auf die tropologische DeutungsmQthode mit ihrer Zusammenschau von Christologie und Anthropologie Es ließe sich dann die Hypothese aufstellen, daß die Relation göttlich-menschlich, die allmählich in verschiedenen, oft polemischen Situationen im Sakraments- und Kirchenverständnis, in Christologie, Ethik, Regimentslehre usw. hervortritt, von Anfang an auch für Luthers Auffassung der Rechtfertigung grundlegend ist, und daß diese Relation trotz aller Veränderungen und wechselnden Gesichtswinkel durchweg eine beständige christologische Struktur hat, die sich am besten mit Hilfe des Gedankens der communicatio idiomatum beschreiben läßt. Das Inkarnationsdenken in der Bedeutung, von der wir hier gesprochen haben, hätte dann von Anfang an bei Luther eine zentrale Stellung innegehabt, und sein „Durchbruch" wäre in diesem Fall als ein Ausfluß hiervon an einem entscheidenden Punkt zu sehen. Im weiteren Verlauf werden wir immer wieder Texte behandeln, in denen eine solche inkarnatorische Argumentation hinsichtlich des Glaubens eine zentrale Rolle spielt und zweifellos von dem reifen Reformator herrührt. In der Kirchenpostille von 1522 z.B. wird das Werk des Glaubens folgendermaßen beschrieben: „der glawb mach auss Christo und den menschen eyn ding, das beyder habe gemeyn worden. Was Christus ist unnd hatt, das ist des glewbigen menschen eygen und widderumb" Mit aller erdenklichen Deutlichkeit wird in der Fastenpostille von 1525 festgestellt: „durch den glauben werden wyr Götter und teylhafftig Göttlicher natur und namen . . . das wyr auch also durch den glauben müssen Gottis kinder und götter, herrn und könige geporn werden, gleich wie Christus " Dieses Problem ist hier und da in der Literatur bearbeitet, in jüngster Zeit hat Metzger in seiner interessanten Untersuchung 1964 die tropologische Deutung in der ersten Psalmvorlesung behandelt und dabei den Zusammenhang zwischen Christologie und Anthropologie besonders betont, vor allem im Kap. „Die Affektanschauung im christologischen Zusammenhang", 137-199 und 221 f f . " 10 I:i, 319, 16-18.
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ynn ewigkeyt vom Vater eyn warer Gott geporn wird" 27. Auch im Galaterbriefkommentar von 1535 kehren derlei Gedanken häufig wieder, von Christi Wohnen im Menschen und seiner Gegenwart im Glauben und von der Vereinigung des Menschen mit Gott per fidem und propter Christum". Der Inhalt des Begriffs Glauben läßt sich hier also in einer Terminologie formulieren, die Inkarnationsbewegung ausdrückt: das Menschwerden des Göttlichen, das Herabsteigen Gottes ins Menschliche, die Inkarnation des Wortes, Christi Wohnen im Menschenherzen, seine reale Gegenwart im Leben des Christen, eine unio, eine conformitas, ein mirum commercium. Christi fremde Gerechtigkeit extra nos kommt reputatione Dei durch das Wort in nobis, und das bedeutet das Kommen Gottes selbst zum Menschen, adventus Christi. Luthers Glaubensbegriff muß somit in Relation zu dem Zusammenhang von Rechtfertigung und Christologie verstanden werden. Dies soll hier noch weiterhin in seinem systematischen Zusammenhang kommentiert werden. Wenn man von sola fide spricht, besteht die Gefahr, daß man den Glauben und Christus voneinander trennt, so daß der Glaube als etwas neben Christus Bestehendes aufgefaßt wird. Man überbetont den Glauben allein, als ob der Mensch einzig durch Glauben erlöst würde und nicht aus Gnade und um Jesu willen, als ob der Glaubensafef Gerechtigkeit verliehe, während es für Luther ja offenbar der Glaubensinhalt ist, d.h. Christus, der rechtfertigt. Die Gnade Gottes ist ja nicht vom Glaubensakt abhängig, sondern gerade von Christus. Es handelt sich nicht darum, daß der Mensch Gott durch etwas gefiele, was in ihm, isoliert von Christus, geschieht, z.B. in einem pietistisch gedachten Entscheidungsakt - hingegen treffen wir Luthers Standpunkt, wenn wir sagen, daß Gott in Christus durch das Wort den Menschen ergreift und ihn für sich e n s c h e i d e t W i r können feststellen: sola fide muß stets mit per Christum verbunden werden und in nobis mit extra nos. Indem er extra nos und iustitia aliena betont, hebt Luther hervor, daß Gott und die Gerechtigkeit zusammengehören und daß gerade in der Gerechtigkeitsauffassung eine Trennung der Gerechtigkeit Gottes von der eigenen und selbstgemachten Gerechtigkeit des Menschen besteht. Andererseits sieht Luther dadurch, daß er in nobis betont, wiederum Göttliches und Menschliches in einer Einheit, indem die iustitia Gottes durch einen seligen Tausch zur iustitia des Menschen wird. Auch hier wird wieder ein communicationVerhältnis sichtbar. Hier muß auf zwei christologische Fehler hingewiesen werden. Der eine ist die Folge einer einseitigen Trennung von Göttlichem und Menschlichem: Christus wird in weiter Ferne verborgen und nur als ein Etikett aufgefaßt, ein Vorbild, auf das man verweist; und sein Werk wird zu et27
17 II, 7 4 , 2 6 - 3 7 ; v gl- das Zitat oben Anm. 20 mit Kontext. Z.B. 40 I, 229, 2 2 - 3 0 ; siehe Zitat in A n m . 23 und vor allem die Kardinalstelle, die weiter unten behandelt werden wird, 40 I, 4 1 7 - 4 2 7 . " So sagt Luther z.B. in einer Predigt 1 5 3 3 : „ W e r da gleubet, der urteilet nicht, sondern lesset sich urteilen und gibt sich gefangen jnn eines andern urteil . . . So ist er geurteilet durchs wort, daran er sich helt", 3 7 , 39, 1 3 - 1 9 [ D r . ] ; 17 I, 443, 23 f . (Pred. 1 5 2 5 R . ) . 28
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was Transzendentem und nur Historischem, während der Glaube zur Fides historica wird, einem Fürwahrhalten dieser äußeren Heilstatsachen. Die Distanz Gott - Mensch macht eine wirkliche Inkarnation unmöglich. Der andere Fehler treibt den Gedanken der Einheit zu einer Vermischung: das Wohnen Christi im Menschen wird als ein Identifikationsprozeß betrachtet, als eine qualitative Veränderung, und der Glaube läßt sich dann am ehesten als eine fides infusa, ein habitus, eine qualitas in corde beschreiben. Die substantielle Verwandlung von Göttlichem und Menschlichem schließt also auch hier eine wirkliche Inkarnation und Einheit, ohne Spaltung und ohne Vermischung, aus. Es geht nicht an, Gott und den Menschen entweder als zwei statische Größen oder als eine mixtura zu sehen, das Göttliche läßt sich nicht vom Menschlichen isolieren, aber auch nicht von etwas Menschlichem einfangen oder begrenzen. Gott ist in dem Menschlichen, aber nur, indem er ständig in einer wiederholten Inkarnationsbewegung, adventus quotidianus Christi, kommt. Daher kann man die Versöhnung nicht nur als ein Geschehen im Himmel zwischen Vater und Sohn darstellen, jedoch auch nicht nur als ein Werk auf Erden von Christus qua homo. Ebenso geschieht auch die Rechtfertigung propter Christum nicht einzig extra nos. Eine solche Beschreibung wäre einseitig, denn sie betont nur die göttliche Seite und führt zu einer forensischen Rechtfertigungslehre. Fides Christi ist gewißlich Christi, auf eine äußere Gerechtigkeit gegründet, aber auch fides Christi, das Werk des Heiligen Geistes in nobis30. Jedoch kann ein allzu ausschließliches Unterstreichen der menschlichen Seite, per fidem in nobis, nicht nur zu Einseitigkeit führen, sondern Luthers Intention in bezug auf das Prinzip sola fide direkt zuwiderlaufen. Per fidem erhält nämlich, wenn es von propter Christum und in Christo isoliert wird, leicht die Bedeutung propter fidem, d.h. der Glaube wird als eine menschliche Disposition oder Qualität aufgefaßt, und dann verdrängt eine falsche Gerechtigkeit die Gerechtigkeit des Glaubens von Gott. Man muß diesen beiden Extremen gegenüber daran festhalten, daß Gott es ist, der in Christus und im Glauben zum Menschen kommt und dort mit all seinen Gaben ist 3l . 30 V g l . Iwand 1930, der in bezug auf das Verhältnis von sola fide und fides Jesu Christi sagt, es sei das Entscheidende, „daß wir es in Luthers Rechtfertigungslehre immer mit einer Korrelation von innermenschlichen und außermenschlichen Faktoren zu tun haben" [ 5 4 ) . Siehe die hervorragende Darstellung von fides Christi bei Prenter 1 9 5 4 , 57 f f . , dazu auch Brandenburg i960, 70 f f . und Alpers 1964, 1 8 1 f., 196 f f . , vom Zusammenhang zwischen Rechtfertigung und Heiligung, von dem Gesichtspunkt der Versöhnungslehre gesehen und als Ausdruck eines zugleich göttlichen und menschlichen Werkes. 31 7< 53» 2 0 - 2 3 (Tractatus de libertate Christiana 1 5 2 0 ] ; „ V e r a est igitur propositio: Sola fide iustificamur. Constat enim in nostris ecclesiis hoc significari: Propter solum Christum habemus remissionem peccatorum et sumus iusti, id est, accepti Deo ad vitam aeternam, non propter dignitatem nostrarum virtutum, etiamsi donato Spiritu sancto multae virtutes cum fide existunt", 39 II, 207, 9 - 1 3 (Prom. disp. von J . Marbach 1 5 4 3 ] . Über den rechten Zusammenhang zwischen propter fidem und propter Christum - wenn propter fidem nicht nur als Ausdruck menschlicher Glaubensentscheidung verstanden wird - siehe Josefson 1939, 54 f., 70 f . und Schloenbach 1962, 49 f f . ; vgl. auch Kap. III B:2, 3 3 4 , A n m . 19.
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Nun läßt sich dieser wichtige Gedankengang auch folgendermaßen ausdrücken: Nach Luther geht es nicht an, Gott, den Geber, für sich zu sehen und den Glauben des Menschen, die Gabe, ebenfalls für sich. Man hat vielmehr vor allem das Geben als solches zu beachten, die göttliche Bewegung und Aktivität. Sonst wird Gott isoliert und nur als eine transzendente Ursache der Gabe hinzugefügt, und die Gabe wird als etwas immanent Menschliches betrachtet, ein eingefangener und festgehaltener Raub. Das bedeutet, beim Hiersein stehen bleiben, das Irdische erhöhen, sich schwärmerisch auf ein sittliches und innerweltliches Ideal einstellen, die larvae Dei an Gottes Stelle treten lassen und nicht Gott, sein Werk und Kommen im Glauben sehen, d.h. den Heiligen Geist leugnen. Darum ist es - wie wir in III Β: ι sahen - so außerordentlich wichtig, gratia und donum, favor Dei und fides Christi, extra nos und in nobis, zusammen zu sehen, denn nur in diesem Ineinander kommt das für Luthers Glaubensbegriff charakteristische inkarnatorische Geschehen zu seinem Recht. Diese prinzipielle Erwägung hat umfassende Anwendungsmöglichkeiten und bezieht sich nicht nur auf den Inhalt des Glaubens, sondern auch auf das Verhältnis von Glauben und Werken. Einerseits ist der Glaube ein Werk Gottes, das im Gegensatz zu menschlichen Werken steht. Dann ist Werk dasselbe wie Unglaube, ein Ausfluß menschlichen Strebens nach Verdienst und Ruhm, eine Handlung, von der angenommen wird, daß sie Gottes Gesetz erfüllt, und die daher das Gewissen beruhigt. Das führt dann zu superbia und securitas, Selbstgerechtigkeit und Hintansetzung Gottes und seines Werkes in Christus. Andererseits ist der Glaube ein Werk Gottes, das menschliche Werke in sich schließt. Dann ist Werk dasselbe wie Glaube, ein Ausfluß des Glaubens an menschlicher Aktivität und Erfahrung. Das bedeutet nicht, daß man Gott ausschließt und selbst werden will sicut Deus, sondern daß man ganz im Gegenteil Gottes Kommen im Glauben in einer ständig erneuerten Inkarnationsbewegung in die Menschenwelt hinaus fortsetzen läßt 3Z . In der berühmten Vorrede zum Römer brief von 1522 sagt Luther: „Glawbe ist nicht der menschliche whan und trawm . . . Aber glawb ist eyn 32 Ein klares Beispiel aus Luthers Predigten über Joh. 6-8 1530: „Redet von dem werck, das wir thun sollen, nemlich gleuben, den der glaube ist ein werck, das von einem menschen geschehen mus undt wirdt auch gottes werck geheissen. Den das sol das rechte wesen, werck, leben undt dienst sein, damit gott will geehret werden undt ihm gedienet haben", 33, 29, 17-25 (Hs.). Diese „doppelte Glaubenssicht" ist von F. Frey, Luthers Glaubensbegriff. Gottesgabe und Menschentat in ihrer Polarität 1939, behandelt worden, siehe hier besonders 40-84. Ohne Zweifel ist es ein erheblicher Verdienst, dieses schwieriges Problem aufgenommen zu haben, aber gleichzeitig muß man konstatieren, daß Frey die Doppelheit von Gottes Tat - menschliches Werk zu zwiespaltig dargestellt hat, d.h. er hat dieses Verhältnis mehr problematisiert als Luther selbst. Das hängt einmal davon ab, daß die Rede vom menschlichen Werk nur vom Glauben selbst als Werk handelt, nicht von den Werken des Glaubens, zum anderen daß Frey den inkarnatorischen Gedankengang nicht durchgeführt hat. Siehe auch Bring 1955, 32 ff. und 44 ff., der hier sehr klärend ist, und zu Luthers Glaubensbegriff im allgemeinen u.a. Müller 1 9 2 9 , 1 2 1 f f . und von Engeström 1933.
Die Kirche und die Werke gotlich werck ynn uns" Er nimmt Abstand von den verschiedenen G l a u bensarten der scholastischen Tradition und der dort vorkommenden A u f spaltung des Glaubensbegriffs in „fides informis", „fides acquisita", ,/ides infusa", „fides caritate formata" u s w . " Derartige Distinktionen bedeuten für Luther einmal, daß der Glaube etwas Wirkungsloses und Unbedeutendes wird, das nur als ein vernunftmäßiges Akzeptieren gewisser Fakten oder als eine ruhende Eigenschaft aufgefaßt wird, die erst durch die W e r k e der Liebe rechtfertigende Bedeutung erhält; zum anderen bedeuten sie, daß die W e r k e vom Glauben isoliert werden und als selbständige Komplemente unter dem Vorzeichen des Gesetzes, als das, worauf die Rechtfertigung letztlich beruht, gesehen werden müssen. D e r Glaube ist also vielmehr ein W e r k Gottes, das bedeutet, daß Christus selbst anwesend ist und in allem T u n und Lassen des Christen lebt und wirkt. Dieses Kommen Christi ist zugleich ein Ergreifen Christi im Glauben von Seiten des M e n schen: „Sola fides apprehendit filium Dei", „fides nostra est virtus appreh e n s i v e " " . Daher ist der Glaube gleichzeitig ein W e r k Gottes und selbst wirksam „on unterlas", „eyn lebendig, schefftig, thettig, mechtig ding", das den alten A d a m tötet und den Menschen zu einem neuen Leben gebiert W i r wollen jetzt zu einem außerordentlich interessanten und bedeutsamen Textabschnitt im Galaterbriefkommentar v o n 1 5 3 5 übergehen, durch den die Frage von Glauben und W e r k e n eine vielseitige Beleuchtung er" DB 7, 8, 30-10, 6 (1522); mit ähnlichen Worten polemisiert Luther in einer Predigt gegen die, die meinen, daß der Glaube „sey eyn ding, das ynn yhrer macht stehe tzu haben oder nicht zu haben, als eyn ander naturlich menschlich werck", 10 Ш, 285 f . С1522); ι , 696, 20-24 [Sermon von der Bereitung zum Sterben 1519); 37, 459, 39 f. (Pred. 1534 Dr.); „fides per se est donum Dei et opus divinum in corde", 40 I, 164, 19 f . (In epistolam ad Galatas 1535 Dr.). " In Disp. de fide infusa et acquisita 1520, 6, 85 f f . , diskutiert Luther diese Glaubensarten und wendet sich gegen die traditionelle Darstellung, wie er sie selbst bei Gabriel Biel angetroffen hatte, siehe hierzu Hägglund 1955, 55 f f . , Grane 1962, 96 und Metzger 1964, 122 f f . Hier verwendet Luther noch positiv den Terminus fides infusa als Ausdruck eines rechten Glaubens - infusa bezieht sich da auf eine von außen, von Gott kommende Gerechtigkeit - später aber verwirft er die ganze Distinktion (Hägglund 1955, 58), z.B.: „Cum vero Paulus prolixe tribuit iustificationem fidei, necesse est ipsum de istis fidebus (ut sie dicam) acquisita, infusa, informi, formata, explicita, implicita, generali, speciali nihil dicere", 39 I, 45, 1 1 - 1 3 (Prom. disp. Wellers und Mediers. Thesen de fide 1535); 39 II, 237, 26-31, 249, 15-27 (Prom. disp. von Nopp und Bachofen 1543). " 39 II, 195, 18 (Prom. disp. von H. Schmedenstede 1542); 39 II, 319, 1 1 (Prom. disp. von Major und Faber 1544); fides apprehensiva Christi wird auch im Galaterbriefkommentar 1535 erörtert, u.a. 40 I, 232, 21-234, 2 3 (Dr.). Vgl. Hägglund 1955, der sagt: „Der Glaube ist gleichzeitig göttliche Gegenwart und menschliches Ergreifen dieser Gegenwart" (59) und dabei die Operationes in Psalmos zitiert: „Idem enim est, et utrumque simul est, Deus illuminans et cor illuminatum, Deus visus a nobis et Deus praesens", 5, 1 1 8 , 20-22 ( 1 5 1 9 - 2 1 ) . 38 DB 7, 10, 6-10 (1522). Diese Doppelheit ist durchweg das Thema bei Frey 1939; er sagt z.B.: „So ermahnt Luther zum Glauben und sagt zugleich, daß der Mensch nicht glauben kann" (58), und: „es ist derselbe Glaube, der bald als Tat des Menschen, bald als Gabe Gottes beschrieben wird" (74). Um zu vermeiden, daß der Glaube als eine Qualität, über die der Mensch verfügt, aufgefasst wird, will sich Luther so ausdrücken: „quod Spiritus sanetus involutus in charitate operetur in nobis, tunc etiam recte sentit", 39 I, 244, 30 f. (Prom. disp. von Palladius und Tilemann 1537 В.).
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halten kann". Luthers Hauptproblem ist dort, die Zusammengehörigkeit der beiden widersprüchlichen Sätze Gal. 3, 10 darzustellen: „Denn die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch" und „Verflucht sei jedermann, der nicht bleibt in alle dem, was geschrieben steht in dem Buch des Getzes, daß er's tue!" - d.h. die Zusammengehörigkeit von Paulus und Mose, von Verheißung und Gesetz Luther legt dabei großes Gewicht darauf, den Inhalt des Wortes „tun" zu bestimmen, da die, welche nach dem Gesetz tun, von zweierlei Art sind, einmal diejenigen, die alles auf den Werken des Gesetzes beruhen lassen und zum anderen diejenigen, die alles auf dem Glauben beruhen lassen " . Tun bedeutet in der Theologie etwas neues und ganz anderes als in der Philosophie und der natürlichen Sittlichkeit. Es ist ein Tun des Glaubens, das den Glauben voraussetzt und Glaube ist: ,/acere est primum credere et sie per fidem praestare legem"