Sendschreiben an die evangelischen Gemeinden in Preußen in Bezug auf die Neugestaltung unserer kirchlichen Verhältnisse [Reprint 2021 ed.] 9783112425824, 9783112425817


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Sendschreiben an die evangelischen Gemeinden in Preußen in Bezug auf die Neugestaltung unserer kirchlichen Verhältnisse [Reprint 2021 ed.]
 9783112425824, 9783112425817

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Sendschreiben an die evangelischen Gemeinden in Preußen in Bezug auf die Neugestaltung unserer kirchlichen Verhältnisse

von

Schultz, Superintendenten der Berliner Stadt-Diöces, Erstem Prediger an der Sophienkirche zu Berlin.

Berlin. Druck und Verlag von G. Reimer. 1849.

Die Zeit, in der wir leben, ist ernst und schwer.

Sie

mahnt uns durch alle ihre außerordentlichen Ereignisse über ihre

Bedeutung und über das Ziel nachzudenken, dem sie uns ent­ gegen führen wird.

Sie richtet aber auch an Jeden, der es

mit seinem Volke wohl meint, die ernste Forderung, dahin zu wirken, daß drohendem Unheil gewehrt; daß kein edles Gut, das die Weisheit und die Thatkraft der Vorzeit errungen hat,

uns entrissen werde; daß aus der allgemeinen Gährung eine reine edle Frucht hervorgehe und in der Gemeinschaft, der wir angehören, ein neues kräftiges Leben voll Geist und Wahrheit

begründet werde. Auch die evangelische Kirche kann sich vor dem Strome

der Bewegung nicht verschließen,

der mit seinen gewaltigen

Wogen in alle menschlichen Verhältnisse dringt; die äußern Zu­ stände der Kirche sehen einer durchgreifenden Veränderung ent­

gegen; sie kann sich der mit Nothwendigkeit eingetrrtenen Auf­

gabe nicht entziehen, ihre Stellung zum Staate zeitgemäß zu

gründen und sich der Sorge für ihre Leitung und Einrichtung selbstthätig zu unterziehen.

Sie muß die Pflicht, sich eine Ver­

fassung zu geben und ihre äußern Lebensverhältnisse zu gestalten, mit der weisesten Ueberlegung, mit dem regsten Eifer erfüllen, wenn sie ihrer erhabenen Bestimmung treu bleiben will, ein

Leib des Herrn, ein geistiger Tempel des Erlösers zu sein, die

höchsten heiligsten Güter der Menschheit zu wahren und sich als ein Licht der Welt als ein Salz der Erde zu erweisen. 1*

Bleibt

4 sich die Kirche dieses erhabenen Berufes auch in dieser Zeit der Anfechtung lebendig bewußt, vertreten ihre vom Geist erfüllten

Glieder kräftig die unvergängliche Wahrheit, die der Kirche ver­ traut ist, wissen sie mit reiner erleuchteter Glaubenskraft die

wahre Berechtigung der Kirche geltend zu machen, so wird auch

unsre Zeit Zeugniß geben

von

dem göttlichen Grunde jener

Verheißung, daß die Pforten der Holle den Fels nicht über­ wältigen sollen, aus dem die Kirche ruhet und daß wohl Himmel

und Erde vergehen werden, aber die Worte werden nicht ver­ gehen, die Christus geredet hat.

Die Neugestaltung ihrer Verhältnisse wird der evangelischen Kirche nicht allein geboten durch den innern Drang des in ihr lebendig gewordenen Geistes, der sich seit vier Jahrzehnden für

ihrer kirchlichen Gemeindezustände wie für

eine Verbesserung

eine größere Betheiligung der Gemeinden bei der Leitung der kirchlichen Angelegenheiten ausgesprochen hat; die Reorganisation

ihrer äußern Lebensform wird auch unabweislich gefordert durch die neuen bürgerlichen und gesetzlichen Zustände, welche bei uns

eingetreten sind.

Die Verfassung, welche der König unserm

Volke unterm 5ten December 1848 gegeben, welche nunmehr auch die Anerkennung der beiden Kammern gefunden hat, be­

stimmt in ihrem zwölften Paragraphen:

„die evangelische Kirche ordnet und verwaltet ihre Angelegen­ heiten selbstständig,"

und hieraus, folgt,

daß das Regiment der Kirche neu und

anders eingerichtet werden muß, als.es bisher bestanden hat;

daß die Staats-Regierung, welche seit den Zeiten der Refor­ mation bei uns das Kirchenregiment geführt hat, auf dasselbe

verzichten will, und daß die Kirche auch in dieser Hinsicht für sich selbst sorgen muß und genöthiget sein wird, durch ihre frommen

einsichtigen Vertreter Behörden einzusetzen, welche sich der Ver­

waltung der Kirche im Geiste des Evangelii unterziehen.

5 Daß das Werk der Umgestaltung unsrer kirchlichen Gemeinde-

Verhältnisse eine große wichtige Sache für die evangelische Kirche ist, sieht wohl Jeder, der ihr mit seiner innersten Liebe ange­

hört und der ihr Leben um so begeisterter will, je mehr er

davon durchdrungen ist, daß Christus in seiner Kirche gegen­ wärtig ist, und daß der Herr durch sie seinen Geist und seine

Gaben ausspendet und daß wir nur in dem Maaße von Christo erfüllt sind, als wir lebendige Glieder seiner Kirche sind.

Als

die für das reine Evangelium des Herrn begeisterten Christen vor 300 Jahren aus der Gemeinschaft der katholischen Kirche schieden und nun einerseits mannigfachen Anfechtungen ausge­

setzt waren und andrerseits eines schützenden Mittelpunktes ent­ behrten; da baten die Reformatoren, welche gleichsam Ober­

hirten der sich immer mehrenden evangelischen Gemeinden waren, die Fürsten, welche sich zu dem Evangelio bekannten, Schirm­ herren der Kirche zu werden und das Regiment der Kirche nach

Maaßgabe des göttlichen Wortes und der in den Bekenntnissen

ausgesprochenen evangelischen Grundsätze zu führen.

Man hat

dieses Verfahren der ersten Begründer der evangelischen Kirche

vielfach getadelt.

Ich

hierin Unrecht thaten;

glaube nicht,

daß

die Reformatoren

sie waren zu diesem Verfahren durch

den Drang der Umstände gezwungen, sie erkannten ein gött­

liches Recht der weltlichen Obrigkeit an, und folgerten aus dem­

selben für die Regenten die Pflicht, das Reich Gottes in der Kirche zu schützen; die Fürsten allein konnten es auch bewirken,

daß die kleine Heerde evangelischer Christen nicht von der Macht der herrschenden Kirche erdrückt ward,

daß die Predigt des

Evangelii in deutschen Landen größtentheils frei blieb, und daß

der junge Lebensbaum der evangelischen Kirche nicht von den

rohen wilden Kräften, die zu jeder Zeit gewaltsamer Erschütte­

rung blind und maßlos hervorbrechen, mit seinen ersten Blüthen wieder aus den Wurzeln gerissen wurde.

Es hätte sich freilich

b dies Kirchenregiment der weltlichen Fürsten im Laufe der Zeit

bei der weitern Entwicklung der evangelischen Kirche und beim Verschwinden der von Außen und Innen drohenden Gefahren

freier und so gestalten können, daß die Leitung der Kirche unter

Mitwirkung der Vertreter der christlichen Gemeinde geführt wor­

den wäre — wie dies auch in mehreren evangelischen Landen geschehen und in unsrer Mitte lange lebhaft gewünscht worden ist —; gewiß aber wäre es nicht im Geiste Christi gehandelt, wenn man zu der Zeit, zu welcher die evangelische Kirche unter

Zustimmung des Landesherr» zur vollsten Freiheit und zu einem selbstständigen Leben gelangen soll, über das rechten und hadern

wollte, worin in der Vergangenheit gefehlt worden ist.

Der

christlichen Gemeinde, die sich denen nicht gleich stellen wird,

welche auf einem andern Gebiet die Regierungen ohne alle An­

erkennung des ihnen durch dieselben zugeflossenen Guten mit Vorwürfen überhäufen, geziemt es, von dem Kirchen-Regiment

des Staates nur zu scheiden mit dem dankbarsten Bewußtsein der vielen Segnungen, die der Kirche durch den Schutz des

Staates durch die Wirksamkeit der Consistorien und besonders durch die fromme Theilnahme der Fürsten an der Kirche zu Theil geworden sind.

Es würde insbesondre den evangelischen

Gemeinden unseres Landes übel anstehen, wenn sie nicht mit dem innigsten Danke und mit dem bleibenden Gefühl unver­ gänglicher Ehrfurcht die treue Fürsorge, die hingebende fromme Liebe anerkennen wollten, welche so viele edle Churfürsten und

Könige unseres erlauchten Fürstenhauses der evangelischen Kirche

im innigen Glauben an den Erlöser und in heiliger Zuneigung zu dem christlichen Volke erwiesen haben.

Die Kirche wird

ihren Dank für das Alles gewiß dadurch bekunden, daß sie den Landesherrn und sein Regiment ferner zu einem Gegen­

stände ihrer innigen Fürbitte macht, daß sie die Gesinnungen treuer Liebe zum Könige und zum Vaterlande in ihren Gliedern

7 stärkt und den Staat in allen seinen wahrhaft sittlichen End­ zwecken und Bestrebungen zu unterstützen sucht.

Und nur dann

wird der evangelischen Kirche dieser Uebergang in einen freiern Zustand zum Segen werden, wenn sie selbst ein lebendiges Ge­

fühl von den Gefahren hat, die ihr bei dieser Umgestaltung drohen, wenn sie die Klippen ins Auge faßt, -an denen hierbei

ihr Heil scheitern kann.

Da die Gemeinden durch das landes­

herrliche Kirchenregiment bisher von der Leitung der kirchlichen

Gemeinde-Angelegenheiten fast gänzlich ausgeschlossen waren,

so liegt es am Tage,

daß dieselben die Pflicht, ihre kirch­

lichen Verhältnisse selbst zu gestalten ohne alle Erfahrung, ohne eine hierfür gebildete Geschicklichkeit übernehmen.

So kön­

nen aber auf diesem ernsten zarten Gebiet des innersten Volks-

Lebens leicht große Mißgriffe geschehen; es ist nicht unmög­ lich, daß die Viele irre leiten und leidenschaftlich stimmen

können, die für die Kirche als eine göttliche Heilsanstalt kein Herz haben, die überall nur sich zur Geltung zu bringen und Herrschaft an sich zu reißen suchen, und daß die an sich heil­ same Freiheit leicht herbe Früchte tragen könnte. Welche schweren

Folgen würden aber daraus hervorgehen, wenn in dieser großen Sache Irrthum, Unglaube und fleischlicher Sinn die Oberhand gewönnen!

Nicht nur dem gegenwärtigen Geschlechte würde

dadurch großes unheilbares Verderben bereitet werden, auch die nachfolgenden Geschlechter würden dadurch an ihrer wahren Sitt­

lichkeit, die immer von der Religion getragen wird, an ihrem

zeitlichen und ewigen Frieden gefährdet werden. alle Glieder der evangelischen Kirche bedenken!

Möchten das

Möchten sie die

heilige Pflicht fühlen, die ewigen Güter des Heiles rein und

unverkümmert den Kindern und spätesten Nachkommen zu über­ liefern! Und möchte Jeder, der in Christo sein Heil sucht, sich

so in dieser großen Angelegenheit betheiligen, daß sie zur Ehre Gottes und zum Segen der Menschen gedeihe!

8 Dieser bedenkliche Zustand der christlichen Kirche in unserm Vaterlande hat mich bestimmt,

mich über die den Gemeinden

vorliegende Aufgabe, ihre äußeren kirchlichen Verhältnisse selbst­ thätig zu gestalten,

äußern.

vor denselben in dieser kleinen Schrift zu

Mich hat bei ihrer Anfertigung nichts Anderes gelei­

tet als der aufrichtige Wunsch, von der evangelischen Kirche, in

der ich seit 35 Jahren in den verschiedensten Aemtern als Die­ ner des Wortes wirksam bin,

Schaden abzuwenden und zu

ihrer Belebung ein Kleines nach meinen geringen Kräften bei­

zutragen.

Meine Berechtigung, dies Wort an die christlichen

Gemeinden zu richten, finde ich allein in dem Bewußtsein, daß ich mit der innersten Liebe meines Herzens der evangelischen

Kirche und dem mir in ihr anvertrauten Amte angehöre und daß ich kein innigeres Sehnen in meinem Gemüthe trage, als dies, für den Zweck meines Berufs in der kurzen Frist, welche mir auf Erden nur noch zugemessen sein kann, einige Frucht

zu schaffen.

Ich will mich hierbei zugleich

Standpunkt erklären,

offen über

den

den ich als Lehrer der Kirche inne zu

halten bemüht gewesen bin.

Ich bin bei der Führung meines

Lehramtes immer von der Ueberzeugung ausgegangen, daß die

Blüthe der christlichen Kirche vornemlich von zwei Dingen ab­ hängt; zunächst davon, daß Christi Wahrheit und Leben, sein Geist und seine Liebe von redlichen möglichst einsichtigen Leh­

rern nach dem Urbilde der heiligen Schrift kräftig und reichlich

gepredigt werde;

daß

aber das Lehramt — wenn

dies die

wünschenswerthe Frucht bringen soll — getragen und gekräftiget

werden muß von der lebendigen Theilnahme, von der thätigen

Mitwirkung der christlichen Gemeinde.

Je weniger es bezwei­

felt werden kann, daß die Erkaltung der letztem für ihre kirch­

liche Gemeinschaft vornemlich daher rührt, daß sie in der Kirche nur eine Einwirkung auf sich zulassen,

nicht aber eine Wirk­

samkeit in derselben auf andre ausüben sollte;

desto lebhafter

9 habe ich zu jeder Zeit und bei jeder mir passend scheinenden Gelegenheit die Einführung einer Presbyterial- und SynodalVerfassung dringend empfohlen — denn die Kirche des Herrn

steht auf jener Freiheit, damit Christus uns befreiet hat.

Wie

sie keine höhere Aufgabe hat, als ihren Gliedern die Freiheit

der Kinder Gottes, die Freiheit,

die aus der Erkenntniß der

Wahrheit aus der Gemeinschaft des heiligen Geistes fließt, zu

verleihen, so kann ihr auch keine andre Lebens- und Regie­

rungs-Form eignen, als die welche dieser Freiheit entsprechend ist.

Ich hielt mich darum verpflichtet, im Interesse, der christ-

lichen Freiheit meinen Widerspruch einzulegen,

als die neue

Agende mit einer Geltung eingeführt werden sollte, daß durch ihren buchstäblichen Gebrauch der Erguß eines vom Geiste Got­

tes erregten Herzens gehemmt worden wäre, und ich habe mich

erst dann zu ihrer Annahme verstanden, als die an die Geist­ lichen gestellte Forderung so weit gemäßigt wurde,

daß eine

zur Knechtschaft verbindende Anwendung nicht mehr zugemuthet

wurde.

Und eben so habe ich denen nicht zustimmen können,

welche in unsern Tagen mit so großem Eifer die Meinung ver­ fechten, daß die Erweckung der Gemeinden und der Impuls zu

ihrer Belebung vornemlich ausgehen müßte von dem unbeding­

ten Festhalten an der Fassung des christlichen Glaubens, welche

uns in den Bekenntnissen der Reformatoren (Symbolen) ge­ geben ist.

Ich weiß mich in inniger Uebereinstimmung mit dem

Geist und dem wesentlichen Inhalt dieser Bekenntnisse; sie sind

mir die theuersten Denkmäler des Glaubens unsrer Väter, in ihnen fließt der reine Strom ächt evangelischen Lebens und

Denkens; sie sind ein unveräußerlicher Schatz der Kirche; aber ich hege die gewiß zu rechtfertigende Ueberzeugung,

daß die

Bekehrung zu Christo die Erweckung zu einem göttlichen Leben

vornemlich gewirkt werden müsse durch den kräftigen ursprüng­ lichen Lebensstrom des göttlichen Wortes und den daraus her-

10 fließenden lebendigen Glauben an den Erlöser und daß Nie­ mand dadurch die Ehre des Herrn

Reiches fördert,

und das Wachsen seines

daß er die Kirche mehr erbauen will auf den

Grund eines aus dem Worte Gottes abgeleiteten Bekenntnisses als auf den ewigen Grund dieses Wortes selbst.

Indem ich dem Gegenstände meines Sendschreibens näher trete, muß ich zunächst voranschicken, daß mir eine sehr große

Eile bei dem Werk der Neugestaltung unsrer kirchlichen Ver­ hältnisse nicht zweckmäßig erscheint.

Es wird feder Wohlmei­

nende zugeben müssen, daß die religiösen Angelegenheiten einer

großen kirchlichen Gemeinschaft eine sehr reifliche Erwägung, eine zarte vorsichtige Behandlung erfordern, denn leicht können

Gewissensbedenken verletzt, edle Ansprüche übersehen und klagenswerthe Spaltungen angerichtet werden.

be-

Die Warnung,

in dieser großen Angelegenheit des evangelischen Volkes nicht gar eilig vvrzuschreiten,

findet auch darin ihre volle Begrün­

dung , daß uns zur Behandlung so heiliger Interessen noch nicht die hierzu nöthige Ruhe des innern und äußern Lebens wieder­

gekehrt ist.

Wohl ist ein Zustand äußern Friedens bei uns

cingekehrt, aber die Macht der Bewegung, die Gluth der Lei­ denschaft wirkt noch tief im Innern fort;

die bürgerlichen und

politischen Angelegenheiten füllen fast noch allen Raum in den

Herzen aus; noch sind nicht entwickelt die neuen Zustände, in denen wir künftig eristiren werden; das deutsche Vaterland liegt

wie ein Chaos vor uns,

dessen Gestaltung nur der allsehende

Blick Gottes im voraus erschauen kann, und den Mensche« ist bange geworden vor Warten der Dinge,

den.

die da kommen wer­

So tritt die Theilnahme an den kirchlichen Angelegenhei­

ten und die Sorge für die Zukunft der Kirche noch in den Hin­

tergrund und feder erfahrne Mann wird anerkennen müssen, daß der Geist der Menschen noch nicht unbefangen und das Herz noch nicht ungetrübt genug ist, um die große Sache des

11 kirchlichen Lebens unparteiisch und tief zu ergründen, den Werth der Kirche mit Würde zu schätzen und ihre Verhältnisse richtig zu gestalten.

Beginge man hierin irgend eine Uebereilung, so

könnten die heiligsten Interessen der christlichen Gemeinde leicht gefährdet werden und das edle Werk einer zeitgemäßen Refor­

mation könnte sich leicht verwandeln in den Sturmeslauf der

Revolution, von welcher wir schon im staatlichen Leben sehen,

daß sie unter allen Verhältnissen die Heiligkeit des Gesetzes bricht, den sittlichen Geist gefährdet, von dem alle menschlichen

Einrichtungen getragen werden und daß sie zu immer neuen beklagenswerlhen Gewaltthaten fortreißt. Auch der Staat — wenn er sich wirklich auf dem Boden des höhern sittlichen Rechts bewegen will — kann hierin nichts zum Schaden der Kirche

übereilen.

Nachdem er die Kirche länger als 300 Jahre in so

großer Abhängigkeit von seiner Regierung gehalten und so die

Unerfahrenheit der christlichen Gemeinden in dem Werke der Kirchenleitung verschuldet hat, muß er die heilige Pflicht fühlen, die evangelische Kirche bei dieser Ueberleitung in einen freiern

selbstständigern Zustand vor der Gefahr des Zerfallens zu be­ wahren, und er darf und wird nicht gleichen wollen dem lieblo­ sen Vormunde, der den durch sein äußeres Recht zur Freiheit

gelangten Jüngling allen Gefahren der Verführung rücksichtlos

Preis giebt, nachdem er ihm lange drückende die Charakterbil­ dung hemmende Fesseln angelegt hatte.

Der Staat würde auch

wenig wahre heilige Liebe zum Volk an den Tag legen und in sein eignes Fleisch schneiden, wenn er bei diesem Uebergange

durch Eile die Kirche gefährdete.

Muß auch der freie Staat

nach dem Recht der Verfassung darauf verzichten, irgend eine

Religions-Partei vor der andern zu begünstigen, hat er auch

die Pflicht, jeder religiösen Gemeinschaft im Volke gleiche Be­ rechtigung zuzugestehen, so darf er sich doch auch der besondern Pflichten, die er in Bezug auf die evangelische Kirche übernom-

12 men hat, nicht eher entledigen,

als bis letztere für ein selbst­

ständiges Leben fähig geworden und zu demselben gelangt ist. Ja auch unbeschadet des gleichen Schutzes, den der Staat allen

Religionsgesellschaften beweis't, darf und wird sich derselbe doch von der Religion nicht lossagen wollen, wie Viele neuere Theo­

retiker ihm vorschreiben wollen.

die Religion ist das

Denn

theuerste Gut der Menschheit und mithin auch jedes einzelnen

Volkes, die Sehnsucht nach Gemeinschaft mit Gott schlummert in jeder menschlichen Natur, die Anlage zur Religion ist die

tiefste und durchgreifendste in jedem menschlichen Wesen,

ein

Volk ist sicher nur in dem Maaße rechtlich und sittlich, in wel­ chem es Gott fürchtet, Frömmigkeit ist der Adel, die Kraft, der Zauber und der Friede des Menschen.

Wehe dem Volke, das

in blinder Verkennung seiner wahren Größe die Anbetung Got­

tes aus dem Tempel seines öffentlichen Lebens verbannen will!

Es wird das sanfte milde Joch der heiligen Ehrfurcht bald mit einer Knechtschaft vertauschen, deren Fesseln den Menschen zur tiefsten Gemeinheit herabwürdigen.

von

Gewiß ist es daher auch

allen edlern Gliedern unsres Volkes

vernommen worden,

mit großer Freude

daß der Staat sich zu würdigen Grund­

sätzen in Bezug auf die Religion in den Motiven bekannt hat, die seinen Festsetzungen über die Kirche in der Verfassung vom 5ten December 1848 zum Grunde liegen.

Es will ja auch der

Staat, der unter uns aus den schweren Erschütterungen der letzten Zeit hervorgehen soll,

noch mehr als ein bloßer Rechts­

staat sein; er will ja ein Volksleben Hervorrufen, das sich auf die Herrschaft der Vernunft und Sittlichkeit gründet; und wie

er für diesen Zweck die Schule in seine ganz besondere Obhut nimmt, weil sie die richtige Erkenntniß verbreiten soll, so muß

auch die Kirche ein Gegenstand seiner redlichen Fürsorge blei­ ben,

denn alles Geschrei moderner Weltweisen wird den Satz

nicht vertilgen können, daß die Kirche eine alle menschliche Weis-

13 heit überstrahlende Wahrheit vertritt und daß sie gewiß im Besitz der kräftigsten Mittel ist, die reine Sittlichkeit im Volksleben zu fördern.

Wer darum ernstlich will, daß die Kirche ferner

wahre Weisheit und sittliches Leben verbreite und stärke, wer ihre heiligen Güter nicht in den oft so trüben Strudel der Zeit­ bewegung werfen will, der warne vor jeder Uebereilung in dieser

heiligen Sache unseres Volkes. So sehr aber diese Warnung Beachtung verdient, eben so sehr muß aber auch gewarnt werden vor den Bestrebungen de­

rer, die den gegenwärtigen Zustand der evangelischen Kirche ver­ ewigen möchten und die der Reorganisation unsrer kirchlichen Verhältnisse in der Hoffnung Schwierigkeiten in den Weg legen

wollen, daß die bisherige Consistorial-Verfassung, die sich über­

lebt und die Erstorbenheit der Kirche mitverschuldet hat und welche eine lebendige Betheiligung der christlichen Gemeinde bei der Kirchenleitung ausschließt, bis ins Ungewisse fortdaure. Hat

der im §. 12. der Verfassung ausgesprochene Grundsatz, daß

die Kirche ihre, Angelegenheiten selbstständig verwalten soll, die Anerkennung der Volksvertreter — woran wohl nicht zu zwei­ feln ist — gefunden, so wird der Staat verpflichtet sein, die

einleitenden Schritte zur Neugestaltung unsrer kirchlichen Ver­ hältnisse zu thun; ja er wird sich sogar durch ein provisorisches

Gesetz die Berechtigung verschaffen müssen, das bisherige Con­ sistorial-Regiment so lange ttt voller Wirksamkeit fortbestehen zu lassen, bis die evangelische Kirche in den Zustand der Selbst­

regierung gelangt ist und sich selbst die Form ihrer Leitung ge­

geben hat.

Es fehlt auf keinem Gebiet des öffentlichen Lebens

an solchen, die in den alten Zuständen des Bestehenden erstarrt

sind und die von jeder Umgestaltung der menschlichen Verhält­ nisse nur Untergang und Verderben fürchten und die auch der Kirche Auflösung und Vernichtung weissagen, wenn an ihren

äußern — doch menschlichen

und mithin der Verbesserung

14 fähigen Verfassungszuständen geändert wird.

Auch ich gehöre

zu denen, die gerne — um mit einem Dichter unseres Volkes zu reden — „dem alten Grunde vertraun, sich an der Väter Tha­

ten mit Liebe erbauen, und ihre Saaten fvrtpflanzen"; aber dies

Fortbauen auf dem alten Grunde der evangelischen Kirche legt auch die heilige Pflicht auf, nicht festzuhalten an erstorbenen For­

men und den begründeten Ansprüchen der Gegenwart ein volles Genüge zu thun.

Es darf daher denen, die sich der würdigen

zeitgemäßen Umgestaltung unsrer kirchlichen Verhältnisse entge­

genstellen, eben so wenig auf dem kirchlichen Gebiet Gehör ge­

geben werden, als die anderswo Beachtung finden, welche sich der Stimme des wahren berechtigten Fortschrittes verschließen. Gegen diese spricht die gar nicht abzuleugnende Thatsache, daß

seit länger als 70 Jahren das Zeugniß der edelsten Männer der Kirche voll Einsicht und Frömmigkeit sich für eine Presbyterial-Synodal-Verfassung, d. h. für jene Verfassung der Kirche

ausgesprochen hat, bei welcher die christliche Gemeinde durch

ihre freigewählten Vertreter im Einzelnen wie jm Ganzen re­ giert wird; gegen diese spricht die Erfahrung, daß die evange­

lische Kirche im Schutze dieser Verfassung in mehreren evan­ gelischen Ländern ein segensreiches Leben entwickelt hat; gegen

sie endlich spricht die klare Wahrheit, daß eine solche Verfas­ sung dem Geiste evangelischer Freiheit und christlicher Bruder­ liebe allein entsprechend ist.

Ein maaßloses Warten ist um so

weniger in dieser großen Sache des Volkes anzurathen, als doch

wohl einleuchtet, daß in der Wiederbelebung

der christlichen

Kirche — die ohne eine Umgestaltung ihrer Verfassung kaum

denkbar ist — doch wohl das allein wirksame Mittel gefunden

werden wird, die großen sittlichen Schäden der Zeit zu heilen und ihrem vielfachen Jammer ein Ende zu machen.

Wie vor

den großen Erschütterungen, die unsre bürgerlichen Verhältnisse

erfahren haben, sich so viele Kräfte, die im politischen Leben

15 etwas gelten wollten, darin vereinigten, die christliche Kirche zu

schwächen, ja zu zertrümmern; wie von ihnen sogar das öffent­ liche Urtheil so mißleitet war, daß selbst ein erleuchteter Eifer

für ächt christliche Wahrheit und Frömmigkeit der Verdächtigung frömmelnden Wesens und pietistischer Richtung nicht entgehen konnte, so wird die Ehre Gottes, die Herrlichkeit des Erlösers

darin einen Sieg feiern, daß wir diese unsre Schuld werden zu sühnen haben durch ein gemeinsames lebendiges Wirken für die

Wiederbelebung und Neugestaltung der christlichen Kirche und

daß wir es uns zur Ehre anrechnen werden, zum Heil unseres Volkes wieder zu erbauen, was wir in unsittlicher Verblendung, einer dem Göttlichen entfremdeten Weisheit zu befestigen such­

ten.

Denn wie ist es doch gekommen, daß so viel rohe Gottes­

leugner, welche die Unverletzlichkeit des Eigenthums, die Heiligkeit der Ehe und des Familien-Lebens und alle edler« Grundlagen

der menschlichen Gesellschaft in Frage stellen, unter uns ihr Haupt emporheben und in gewissen Kreisen des Volkes den größesten

Einfluß haben?

Es ist daher gekommen, daß die Macht der

christlichen Wahrheit, die doch eine ewige Geltung in der Mensch­ heit haben wird, in unserm Volksbewußtsein so weit zurück­

getreten ist und daß ein Geist der Sinnlichkeit, der nur Gewinn und Genuß kannte, ein entschiedenes Uebergewicht über die Herr­

schaft der unvergänglichen sittlichen Grundsätze, die in dem Chri­ stenthum ihre tiefste Wurzel haben, gewonnen hat.

Diese den

edelsten Kern unseres Volkslebens zerstörende fleischliche Rich­ tung hatte sich zuerst der mittlern und begüterten Klassen des

Volkes bemächtigt, die höhere Kraft und Würde des Bürger­

und Beamtenthumes gebrochen; bei ihnen zeigten sich die Früchte

jener von den Tiefen des sittlichen Gemüths losgeriffeuen Halb­ wisserei und oberflächlichen Bildung zunächst in der kaltherzigsten

hochmüthigen Gleichgültigkeit gegen die von der Kirche vertre­

tene göttliche Wahrheit und in der, die eigne innere Nichtigkeit

16 bekundenden Verachtung der Kirche und ihrer Diener; ja jedes Gefühl von der Bedeutung der Kirche und des Zusammenhanges mit ihr schien in ihnen zu ersterben; die von den höher» Stän­

den schon überwundene Oberflächlichkeit der Ansicht

und der

Gesinnung bemächtigte sich der mittleren Klassen des Volkes, die

man bisher als die Träger eines wahrhaftigen treuen frommen Sinnes

betrachtet hatte,

und daraus wurden die traurigen

Früchte der Eitelkeit, der sittlichen Kraftlosigkeit, des Wissens­ dünkels und der prunksüchtigen Ausschweifung geboren, die sich

dem sittlich anschauenden Menschenkenner hinter dem Schimmer eines glänzenden äußern Wohlstandes nicht verbargen.

So weit

war es in diesen mittleren Ständen des Volkes mit der Ver­

achtung der Religion und der tiefern Sittlichkeit gekommen, daß ein kirchlich frommes Leben ihnen unter ihrer Würde dünkte,

daß von einer religiösen oder kirchlichen Feier der Sonn- und Festtage bei ihnen gar nicht mehr die Rede war, daß sie, so­

weit sie sich bei kirchlichen Handlungen nothgedrungen betheiligen mußten, immer nur dem Zuge der Eitelkeit, selten aber einem

von richtiger Würdigung zeugenden Urtheile folgten, und daß sie die kirchlichen Gemeinschaften sorgfältig mieden, in welchen sich die Armen und Niedrigen vereinigten und so selbst in der

Kirche eine Scheidung zwischen Arm und Reich, Hoch und

Niedrig zu Stande kam.

Es wird ein charakteristisches Merk­

mal unsrer Neuzeit bleiben, daß die Bürgerwehr wenigstens in

einer großen Stadt das Dasein der christlichen Kirche völlig

ignorirte und ihre Uebungen immer am Sonntag Vormittag in den Kirchstunden vornahm und daß nun von Vielen, die frü­

her gegen vermeintlichen Kirchenzwang geeifert hatten, eine viel

größere Kränkung der religiösen Freiheit ausging, indem durch die Uebungen der Bürgerwehr am Sonntag die Glieder derselben

so bestimmt verhindert wurden, ihr religiöses Bedürfniß zu befriedigen.

Auch die Erfahrung kann wohl nicht als ein er-

17 freuliches Zeichen der Zeit betrachtet werden, daß die Thätigkeit

der Fortbildungs-Anstalten, welche für Erwachsene neuerdings

in einer größtentheils von Christen bewohnten Stadt gegründet worden sind, in die Vormittagsstunden von 8 — 1 Uhr am Sonntag gelegt und daß in ihnen dem religiösen Bedürfniß des Volkes auch keine Rücksicht gewidmet worden ist; ein Verfahren,

das auch wohl in dem Falle noch bedenklich erscheint,

wenn

man an die Obrigkeit nur die billige Forderung stellt, immer

von dem Standpunkte des öffentlichen Interesses aus zu handeln. So ist es denn durch die Verleugnung des christlichen Sinnes

geschehen, daß die niedern Stände der Arbeiter und Geschäfts­

gehülfen — die sonst mit ihren Brodherren selbst in so großer Gemeinschaft des äußern Lebens standen — von diesen völlig geschieden wurden und daß sich so auch eine Entfremdung der

ärmern Volksklassen von denen, die sich eines reichern Besitzes und einer reichern Bildung erfreuen, einfand, bei welcher die

Liebe erkaltete und das Herz sich gegenseitig von einander ab­ wand. So stehen wir denn an jenem furchtbaren Abgrunde, an

welchem wir mit Schauder erkennen müssen, wohin es führt, wenn der Mensch in sinnlichem Uebermuth die höher» sittlichen

Bande löset, mit welchen

der Geist Gottes die menschlichen

Verhältnisse wohlthätig umfangen hat; so können wir uns denn

der Erkenntniß nicht mehr verschließen, daß mit der Verleug­ nung der christlichen Wahrheit mit der Wirksamkeit und Blüthe der christlichen Kirche auch die Blüthe unsrer gesellschaftlichen

Zustände hinwelkt und alles Irdische nur durch das Göttliche

getragen und erhalten wird.

Wir werden daher

wenn unsre

Augen nicht völlig erblindet und unsre Herzen nicht unerweichlich

erstarrt sind — dahin wirken müssen, daß das geistige Gut uns wieder belebe, daß die christliche Kirche wieder unter uns zu neuem Leben erbaut und der evangelischen Wahrheit wieder der Einfluß

gesichert werde, der ihr gebühren wird bis an das Ende der Tage. 2

18 Wenn ich mich hier nun über die Neugestaltung der Le­ bensform der evangelischen Kirche aussprechen will, so versteht

es sich von selbst, daß hier nur von der kirchlichen Gemein­

schaft die Rede ist,

welche bisher unter

Consistorien stand und

welche sich aus

der Leitung unsrer

der Vereinigung der

lutherischen und reformirten Kirche gebildet hat und die unirte

Kirche genannt wird.

Sie ist der kirchliche Körper, dem die

evangelischen Gemeinden unseres Landes

ihrer größer« Zahl

nach angehören, für diese kirchliche Gemeinschaft muß ich das

Recht des Bestehenden in Anspruch nehmen.

Die unirte Kirche

ist also die moralische Person, welcher ein neues äußeres Da­ sein gegeben werden soll, sie muß in ihrem wohlbegründeten Rechte anerkannt und zum Gegenstände der Organisation ge­

macht werden, wenn das Werk der Neugestaltung ein ächt re­ formatorisches bleibeir und sich nicht in ein zerstörendes ver­ wandeln soll.

.Damit soll auf keine Weise ein nachtheiliges

Urtheil gefällt werden über die noch in Absonderung von der

Gemeinschaft der unirten Kirche für sich bestehenden lutherischen

und reformirten Gemeinden, welche sich dem zu Recht bestehenden landesherrlichen Kirchenregiment bisher nicht untergeordnet haben.

Hier soll nur gesagt werden, daß das in Angriff zu nehmende

Verfaffungswerk sich zunächst nicht auf sie beziehen kann, da sie

schon die Form ihres Bestehens haben und also einer solchen durchgreifenden Reorganisation nicht zu bedürfen scheinen, ob­

wohl die unirte Kirche sich nicht weigern wird, auch sie in den

kirchlichen Verband auf Verlangen mitaufzunehmen, in welchem die Glieder der unirten Kirche ihr kirchliches Leben neu be­

gründen wollen.

Indem ich hier die unirte Kirche unsers Landes als den kirchlichen Körper bezeichne, dem unsre reorganisirende Thätig­

keit gewidmet sein soll, halte ich es für eine durch vielfache ge­ gen die Union gerichtete Bestrebungen gebotene Pflicht, die in

19 unsrer evangelischen Landeskirche vor fast 32 Jahren zu Stande

gekommene Union gegen die zu rechtfertigen, welche dies Werk christlicher Einsicht und Liebe zu untergraben und gegen das­

selbe die christlichen Gemeinden mit dem tiefsten Mißtrauen zu erfüllen suchen.

Zu den beklagenswerthesten Erscheinungen auf

dem Gebiet des kirchlichen Lebens rechne ich insbesondre auch

dies, daß bei den Versuchen zur Auflösung der Union sich auch wohlgesinnte, im lebendigen Glauben an Christum stehende Män­

ner betheiligen und so eine Frucht des ächt evangelischen Geistes zu Grabe tragen helfen, die, als sie zuerst ins Leben trat, von

den größesten Gottesgelehrten und frömmsten Männern unsrer

Kirche mit der innigsten Freude begrüßt wurde.

Ich zähle es

zu den seligsten Erfahrungen meines Lebens, Zeuge der groß­

artigen Begeisterung gewesen zu sein, welche alle Geistliche unsrer Hauptstadt ergriff, als zuerst der Gedanke wie eine zündende Flamme in ihre Mitte geworfen wurde, die Jubelfeier der vor 300 Jahren begonnenen deutschen Reformation mit dem ersten

Schritt zur Union durch eine gemeinsame Abendmahls-Feier am

30sten October 1817 zu begehen und unvergeßlich wird mir der Eindruck bleiben, mit welcher Erhebung die christlichen Gemein­ den am hiesigen Ort dem Beispiel ihrer Seelsorger am 31sten Ok­

tober a. e. folgten und der gewünschten Union mit Freuden durch die That beitraten. Selbst der Zweifel, in den über die Theilnahme an dem gemeinsamen Abendmahl ein gläubiger von vielen hoch­ geachteter Geistlicher gerieth, wurde nicht auf eigne Gewissens­

bedenken, sondern nur auf die Besorgniß gegründet, daß schwache Glieder seiner Gemeinde daran Anstoß nehmen möchten und fand darum keine sehr günstige Beurtheilung. Ich kann mir bei red­

lichen christlichen Männern den Wunsch nach Aufhebung der

Union nur daraus erklären, daß sie in einer gewissen Befan­ genheit und Einseitigkeit des Urtheils den religiösen Kaltsinn der

Zeit der Union beimessen, der sie mit Unrecht einen gewissen 2*

20 Jndifferentismus gegen den Inhalt des christlichen Glaubens

zuschreiben, da doch ganz andre Ursachen nahe vor Augen lie­

gen, aus denen der Verfall der Frömmigkeit und des kirchlichen Lebens entstanden ist und die vornemlich deshalb so verderblich gewirkt haben, weil die Kirche nicht eine wohlgeordnete leben­

dige Gemeinschaft war, die ihre gesunde Wahrheit kräftiger ge­ gen den Irrwahn einer thörichten Weisheit und ihr inneres Leben ihren bewahrenden Einfluß entschiedener gegen die über­

hand nehmende materielle Richtung der Zeit hätte vertreten sol­

len.

Je mehr ich überzeugt bin, daß die, welche die kirchliche

Union auflösen und die Gemeinden wieder als lutherische oder

reformirte -organisiren und neben beiden allenfalls noch unirte Gemeinden statuiren

eine Schöpfung

wollen,

des

göttlichen

Geistes in der evangelischen Kirche zerstören, daß die Auflösung

der Union ein Rückschritt in eine von so genannter rechtgläu­ biger Hartnäckigkeit und blindem Eifer getrübte Zeit wäre und

darum

unmöglich

von einem

göttlichen Segen

begleitet sein

könnte, ja sicher mit der größesten Verwirrung in der Kirche

endigen würde, desto mehr fühle ich mich getrieben, mich für den Fortbestand O

Ihr!

die

der Union

ihr dies

auf das Innigste auszusprechen.

Werk

der

Vereinigung

evangelischer

Brüder antastet, habt ihr auch erwogen, daß ihr auflösen wollt, was doch in der That der Geist der Wahrheit und der Liebe verbunden hat und worauf die Sehnsucht

der Reformatoren

und der edelsten vom Hauche des Geistes angeweheten Männer

unsrer Kirche in allen Jahrhunderten gerichtet war?

Mögen

die, welche gegen'göttliche und kirchliche Dinge überhaupt gleich­ gültig sind, sich auch immerhin der Union nicht abhold gezeigt

haben, weil sie von ihr in thörichter Verblendung eine Schwächung

des christlichen Glaubens erwarteten; mag eine gewisse Schule sie auch so haben ausbeuten wollen, als sei durch sie eine Be­ seitigung der christlichen Glaubens-Bekenntnisse herbeigeführt;

21 sie, die Gegner der

im

Evangelio dargebotenen

haben die Union nicht ins Leben gerufen;

Gotteskraft

diese ist vielmehr

hervorgegangen aus dem sittlich gläubigen Bewußtsein, aus der treuen Arbeit derer, welche es vor dem unsichtbaren Herrn der

Kirche nicht verantworten zu können glaubten, daß die nicht

eine lebendige Kirchengemeinschaft mit einander geschlossen hatte»,

welche auf demselben Grunde des Glaubens stehen, welche ihr kirchliches Dasein denselben reformatorischen Grundsätzen ver-

danken,

welche

sogar in allen wesentlichen Grundlehren des

schriftgemäßen Glaubens zusammenstimmen und den mit Freuden

ihren Herrn und Heiland nennen, der uns das große Ziel stellt: ein Hirt und eine Heerde.

Mögen Etliche auch ihr Streben

für die Union verunreinigt haben durch die Einmischung irdischer

Mittel und sündiger Motive — wie das in einem Zustande der Kirche unvermeidlich ist, wo ihre Leitung in der Hand der Diener irdischer Machthaber liegt — sie haben das Werk der

Union wahrlich weder durch

die Macht der Belohnung noch

der Einschüchterung durchgesetzt; gelungen ist sie nur dadurch, daß der Geist Gottes sich für sie aussprach, daß das gereifte christliche Bewußtsein ihr innerlich beipflichtete.

Wäre sie mit

diesem Bewußtsein in Widerspruch getreten, so würde sie auch in dem gehemmten Zustande,

in welchem sich die Kirche bei

dem Beginn des Unionswerkes befand,

den

unerschrockensten

Widerstand gefunden haben und der Kampf, zu welchem die

Einführung der neuen Agende Veranlassung gab, hat es zu derselben Zeit bewiesen, daß in der Kirche noch Männer lebten, die für ihre heiligen Interessen ihr zeitliches Wohl einzusetzen

wagten.

Es war der laute Beifallsruf der geläuterten christ­

lichen Einsicht,

der rechtschaffenen

evangelischen Frömmigkeit,

welche die Union zum Siege führte,

welche die Glieder der

evangelischen Kirche zu ihr fortriß und die in Schranken hielt,

welche ihr Widerstreben gegen die weltliche Macht gern auch

22 auf dem kirchlichen Gebiet geltend gemacht hätten, wenn sich dazu in der Union irgend ein Anhalt geboten hätte.

Soll es

für uns gar keine Bedeutung haben, daß die Reformatoren selbst,

als Bucer und Capito 1536 nach Wittenberg von Straßburg kamen, mit diesen reformirten.Theologen zum Zeugniß ihrer

lebendigen Einigkeit im Geiste das heilige Abendmahl feierten

und

so ein Vorbild

des Geistes

zukünftiger Tage wurden?

Wollen wir es im entschiedenen Gegensatz gegen die geschicht­

liche Wahrheit verkennen, daß Luther dieses Band der Einig­ keit offenbar in einer getrübten Stimmung seiner Seele — die

ihn in spätern Jahren unter den Bedrängnissen seiner Zeit oft

beherrschte — ohne einen ausreichenden Grund wieder lösete? Soll es uns

gar nichts

gelten,

daß der große Mitarbeiter

Luthers — der tiefgelehrte innigfromme Melanchthon die Kirchen­ trennung zwischen den Bekennern des evangelischen Glaubens

als ein großes Unglück für die Kirche betrachtete und in seiner

edlen Milde stets bemüht war, das Getrennte wieder zu ver­

binden? Soll es für uns gar keine Bedeutung haben, daß die besten Männer beider Kirchen von anerkannter Gottesfurcht fortdauernd' eine lebendige geistige Gemeinschaft mit einander gehabt haben und

daß

die

frommen Glieder beider Kirchen

in der Brüder-Unität mit gleicher Bereitwilligkeit ausgenommen wurden? Ja wir können die Union — wenn wir sie im Lichte göttlicher Wahrheit betrachten — nicht anders als einen Sieg

des evangelischen Geistes, als eine schöne Frucht der sich fort­ entwickelnden Reformation der Kirche auffassen.

Die Reforma­

tion hat das unsterbliche Verdienst, daß sie den Geist der Gläu­ bigen aus der Zerstreutheit in viel äußerliches Wesen wieder

gesammelt und zurückgeführt hat zu dem wahren ewigen Mittel­ punkt des Glaubens, welcher ist Christus; die Union aber hat

das ebenfalls große Verdienst, die zur äußern Kirchengemein­ schaft geführt zu haben, welche sich zu demselben Grunde des

23 Glaubens gesammelt haben und ihr göttliches Leben an den­

selben Lebensquellen erfrischen.

Wenn der Apostel mit so großem

Rechte sagte: wer mag denen das Wasser der Taufe versagen,

die den heiligen Geist empfangen haben, so dürfen wir mit demselben Rechte sagen: wer will mit denen nicht in der äußern

Gemeinschaft der Kirche stehen, die aus dem heiligen Geiste mit uns alle Grundwahrheiten des Glaubens bekennen,

mit uns

die heilige Schrift als die alleinige Bekenntnißquelle der evan­ gelischen Wahrheit betrachten und mit uns die Rechtfertigung

des Menschen durch den Glauben als die Grundbedingung des Heiles annehmen?

Doch sprechen die Gegner der Union von

dem lutherischen Bekenntniß:

es giebt zwei Lehren, welche zwischen lutherischen und reformirten Christen eine ewige Scheidewand bilden, und welche

es uns unmöglich machen, mit den Gliedern der reformirten Kirche in der Kirchengemeinschaft zu verbleiben, das ist die

Lehre von der Gnadenwahl oder von der Erwählung des Menschen zur ewigen Seligkeit und dann ist es die Lehre

über die Art und Weise, wie Christus den Gläubigen im

Abendmahle gegenwärtig ist. Wir wollen über beide Bedenken uns mit kurzen Worten erklären.

Wir müssen zunächst zugeben, daß etliche Lehrer der re­

formirten Kirche von der Erwählung des Menschen zur Se­

ligkeit Meinungen aufgestellt haben,

die dem christlichen Be­

wußtsein, das sich auf die Verkündigung der in Christo allen Menschen erschienenen heilsamen Gnade Gottes stützt, entschie­

den widersprechen.

Aber diese sonderlichen Meinungen sind nie

der Glaube der reformirten Kirche geworden, ihre Bekenntnisse

und ihre allgemeine Lehre sind nie von dem Boden des reinen evangelischen Glaubens gewichen, indem sie die Lehre von der Erwählung des Menschen zum ewigen Heile nicht getrennt ha-

24 bett von der Nothwendigkeit seiner Bekehrung und Heiligung

nach der Ordnung des Heiles, die uns im Evangelio gestellt

ist.

Die reformirte Kirche hat bei der Lehre von der Gnaden­

wahl immer auf das Nachdrücklichste hervvrgehoben, daß unser

Beruf zur Seligkeit erst durch die Wiedergeburt im heiligen Geist verwirklicht und befestigt werde.

In dem Wesentlichen

der Lehre von der Berufung des Menschen zur Seligkeit stimmt

also die reformirte Kirche mit der lutherischen Kirche darin überein, daß der Mensch im Glauben an Christum durch die Gnadenwirkung des heiligen Geistes zum Heile gelange und es ist also kein Grund zu entdecken,

der die Glieder der lutheri­

schen Kirche berechtigte, um dieser Lehre willen die Kirchenge­

meinschaft mit den Reformirte« aufzuheben.

Auch ist hinrei­

chend bekannt, wie das Harte und Schroffe,

welches etliche

Lehrer der reformirte» Kirche hierin aufgestellt haben, in letzte­

rer selbst Widerlegung gefunden hat und aus dem Bewußtsein

der Glieder jener Kirche völlig verschwunden ist, seit eine tie­

fere Erforschung der Schrift das christliche Denken und Leben überall gereinigt hat; wie denn auch nicht unbemerkt bleiben

darf, daß die reformirte Kirche in den Brandenburgischen Län­

dern die schroffen Lehren über die Gnadenwahl nie anerkannt hat, wie solches das treffliche Bekenntniß des Kurfürsten Si­ gismund, der

von

der lutherischen zur reformirte« Kirche

übertrat, hinreichend darthut. Was nun die Verschiedenheit in der Lehre über das hei­ lige Abendmahl in beiden Kirchen betrifft,

so ist es bekannt,

daß Lutheraner wie Reformirte an die Gegenwart unseres Herrn

im heiligen Abendmahle glauben, Christo

daß die Vereinigung

mit

als der Kern und Mittelpunkt des heiligen Gnaden­

mittels angesehen wird und daß Buße und Glauben uns allein geschickt machen, des Heilsgutes theilhaftig zu werden, das uns

im heiligen Abendmahle

dargeboten wird.

Die Verschieden-

25 heit der Ansicht erstreckt sich allein auf die Art und Weise, wie

unser Herr uns im heiligen Abendmahle gegenwärtig ist.

Der

Streit bewegt sich hier auf dem Gebiet einer geheimnißvollen

Tiefe, ben ist,

welche dem endlichen Geiste zu durchschauen nicht gege­ auf welchem nur das religiöse Gefühl das Höchste zu

ahnen und sich anzueignen vermag.

Der bescheidene Schrift­

forscher wird zugeben müssen, daß die Meinungen, welche über die Art und Weise, wie uns Christus im Abendmahl gegen­

der Begründung in

aufgestellt worden sind,

wärtig ist,

heiligen Schrift entbehren;

der

ihr einfaches gesundes Gotteswort

beschränkt sich vielmehr darauf, uns die Versicherung der Gemein­ schaft mit ihm, der Entsündigung durch sein Leiden und Ster­

ben zu geben, wenn wir als bußfertige und gläubige Gäste an seinem Tische erscheinen und wenn uns der Apostel so nach­

drücklich vor dem unwürdigen Genusse des heiligen Abendmahls

warnt, so weis't er

wie offen im Korinther-Briefe vorliegt

— auf ganz andere Verirrungen in der christlichen Gemeinde

hin, als die sind, welche in den menschlichen Vorstellungen über

die Art und Meise,

wie uns Christus im Abendmahle gegen­

wärtig ist, gefunden werden.

Wie hoch wir aber auch un­

sern großen deutschen Reformator stellen müssen, nie sollen wir

in dieser großen Sache vergessen,

daß auch

ihn menschlicher

Eifer hierin zu weit geführt hat und daß es selbst nicht schwer sein würde,

nachzuweisen,

wie er in der Hitze des Kampfes

über diese Lehre Behauptungen aufstellte,

die den glaubens­

treuen Mann selbst mit wesentlichen Punkten der altchristlichen

Bekenntnisse in Widerspruch brachten.

Aus diesem Allen wird

für den unbefangenen friedfertigen Christen die Ueberzeugung

folgen, daß die Union unter uns nur die nothwendige kirchliche Ordnung,

welche durch einen unglücklichen Streit gestört war,

wiederhergestellt hat.

In richtiger Folgerung muß angenommen

werden, daß die, welche die Union aufzulösen suchen, sich in

26 der That an dem ewigen Grunde des christlichen Glaubens da­ durch versündigen;

daß fie denen ihr heiliges Recht auf Kir­

chengemeinschaft mit uns versagen, die doch mit uns auf dem­

selben Grunde des Glaubens stehen; daß sie Unwesentliches dem

Wesentlichen an die Seite setzen und dadurch letztern

schwächen und daß sie nicht

sammlen,

die Kraft des sondern

zer­

streuen.

Es wird aber hiernach noch nöthig sein, auf die von den Gegnern der Union so oft erhobene Beschuldigung einzugehen, daß die unirte Kirche eine bekenntnißlose Kirche sei.

Sie schlie­

ßen sich hier einer dem Christenthume überhaupt widerstrebenden Partei mit ihrem Urtheile an, indem sie sagen,

die Bekennt­

nisse der lutherischen und reformirten Kirche widersprechen sich in einigen Punkten,

man könne also die Bekenntnisse

beider

Kirchen nicht annehmen und daraus folge, daß — wenn man zu der unirten Kirche gehören wolle — man alle Bekenntnisse

der beiden Kirchen bei Seite legen müsse.

Der Vorwurf, daß

die unirte Kirche eine bekenntnißlose sei,

wäre schon in dem

Falle ein grundloser,

wenn dieselbe nur auf den Grundsätzen

der Reformation und der heiligen Schrift stände,

denn letztere

enthält die ersten herrlichen Bekenntnisse der Apostel und wer sich zu der heiligen Schrift als dem Worte Gottes bekennt, der

hat auch das große Bekenntniß des Apostels Petrus angenom­ men: Herr wir haben geglaubt und erkannt, daß du bist Chri­

stus des lebendigen Gottes Sohn;

wohin sollen wir gehen?

du hast Worte des ewigen Lebens.

Es kann aber auch nicht

mit dem mindesten Schein der Wahrheit behauptet werden, daß

die Bekenntnisse der lutherischen oder reformirten Kirche durch die Union beseitigt wären.

Die Union ist vielmehr in dem

Sinne geschlossen, daß die Glieder beider Kirchen sich ihre Ei­ genthümlichkeit, ihr volles Recht an jeden ihr zugehörigen gei­

stigen Besitz,

an ihre

besondere

Auffassung des

christlichen

27 Glaubens wahren,

daß mithin die Bekenntnisse beider Theile

der unirten Kirche in voller Kraft und Würde bleiben und daß beide sich zur äußern Kirchengemeinschaft in dem Bewußtsein

vereinigen,

daß die Verschiedenheit der Glaubensansicht und

des Bekenntnisses nicht so erheblich und wesentlich sei, daß da­ durch eine Trennung der Kirchengemeinschaft gerechtfertigt sei, daß dadurch eine Vereinigung im Kultus und unter derselben

Kirchenleitung unmöglich werde.

Ja!

es ist an eine Beseiti­

gung der evangelischen Bekenntnißschriften in der unirten Kirche

so wenig gedacht worden, daß zu jeder Zeit seit der Union die Berechtigung der Gemeinden anerkannt worden ist, die von ihr zu berufenden Prediger auf ihre besondern Bekenntnisse — je

nachdem sie zur lutherischen oder reformirten Kirche gehörten — zu verpflichten — eine Berechtigung, die auch künftig kei­

nem Zweifel unterliegen wird,

wenngleich das christliche Be­

wußtsein in der evangelischen Kirche sich dahin ausgesprochen

hat, daß bei den Fortschritten, welche die christliche Erkenntniß

seit der Reformation gemacht hat, es wohl besser sei, von den anzustellenden Geistlichen nur die reine Verkündigung des gött­

lichen Wortes nach der Schrift zu fordern, da es mit einer

streng gewissenhaften Handlungsweise wohl kaum vereinbar ist, eine Kirche überhaupt oder auch ein einzelnes Glied derselben

durch den Buchstaben eines menschlichen Bekenntnisses zu fes­ seln, indem die Kirche nicht steht auf dem Bekenntniß der Men­ schen,

sondern auf dem ewigen lebendigen Worte des Herrn.

Freilich hat das Kirchenregiment in Bezug auf die Geltung der Bekenntnißschristen in der evangelischen Kirche bei der Or­ dination und Anstellung der Geistlichen ein etwas schwankendes

Verfahren beobachtet; aber die Handlungsweise des landesherr­ lichen Kirchenregiments ist nicht als der Ausdruck der in der

Kirche herrschenden Gesinnung anzusehen; diese — die Kirche — besteht vielmehr aus der Gesammtheit der Gläubigen, und diese

28 mit ihren Lehrern haben nie beabsichtigt, theuren reformatorischen

durch die Union die

Bekenntnisse zu beseitigen.

Mögen

darum die — welche die gegenwärtige alle Bande auflockernde Verwirrung dazu benutzen, das Band zu zerreißen, welches die

Glieder der lutherischen und reformirten Kirche bisher geeiniget hat — mögen sie wohl zusehen, ob sie durch solches Beginnen nicht mehr ihrem eignen Geiste als dem Geiste Christi dienen;

mögen sie sich ernstlich fragen, ob sie das Wort: „ich glaube

an eine heilige allgemeine christliche Kirche" auch in der rechten Gesinnung bekennen; mögen sie in Zeiten bedenken, ob ihr Be­

streben auch die Probe der Prüfung im Wechsel der Zeiten be­ stehen wird;

mögen sie dafür sorgen,

daß sie nicht einst dem

Gerichte Derer unterliegen, die jetzt in der Aufregung sturm­

voller Zeitbedrängniffe Werkzeuge ihres Willens werden; mö­ gen sie es erkennen, daß in der evangelischen Kirche, die unter

der Leitung des göttlichen Geistes steht,

die Stunde schlagen

wird, in welcher richtige Weisheit und reine geläuterte Liebe ihr Beginnen nicht als eine heilvolle aus dem Geiste des Er­

lösers entsprungene That anerkennen wird.

Nachdem ich so

das Recht der unirten Kirche und die

für ihren Fortbestand sprechenden Gründe dargelegt habe, komme

ich zu der Beantwortung der wichtigsten Frage in diesem Send­ schreiben, jener Frage nemlich: wie die unirte Kirche zu einer

ihrem Geiste entsprechenden äußern Organisation gelangen kann

und welche Schritte geschehen müssen, um ihr für ihr selbst­ ständiges, Leben eine angemessene Form zu geben?

Ich gehe bei dieser Frage von

den wohl jeder,

dem Gesichtspunkt aus,

der für die Kirche ein Herz hat,

gern an­

erkennen wird, daß es für das innere Leben und die weitere

Entwicklung der evangelischen Kirche von der größesten Wichtig­ keit ist, daß sie bei diesem Uebergange in einen neuen Zustand uls ein großes Ganze zusammengehalten, und jede Zerspaltung

29 in Sekten und jede independentische Absonderung vermieden

werde.

Nur in einer großen Gemeinschaft können die erhabe­

nen Ideen des Christenthums sich in voller Blüthe und Kraft entwickeln, nur in ihr kann das großartige Leben, das der le­

bendige Glaube an den Erlöser mittheilt, zur vollen Erscheinung kommen, nur in ihr kann der christliche Glaube seiner Be­

stimmung, eine Weltreligion zu werden, näher treten.

Nur

in einer großen Gemeinschaft kann die Darstellung der christ­ lichen Lehre und des christlichen Lebens vor Einseitigkeit und

Engherzigkeit bewahrt werden, nur in ihr können die feindseligen

Kräfte, die das Christenthum von Innen und Außen bedrohen, mit den rechten Waffen bekämpft und überwunden werden,

nur in solcher Gestaltung kann die Kirche ihre schwächer« Glie­ der heben und mit göttlichem Leben durchdringen, nur in der

Vereinigung ihrer vom Geiste erfüllten Glieder kann sie auf die sittliche Bildung des Volkslebens den wünschenswertsten Einfluß üben und die würdevolle Stellung unter den Völkern

der Erde einnehmen, die ihr gebührt.

Zerfällt die Kirche in

atomistische Absonderung, so ist das ein Zeichen ihrer innern

Ohnmacht, ihres erkrankten Lebens, und das göttliche Leben,

welches sie darstellen soll, geht immer mehr in Siechthum über und erlischt oft gänzlich in vielen ihrer Glieder.

Damit

will ich keinesweges schmälern das große Verdienst, welches sich kleinere Gemeinden — wie die Waldenser und die Brüder­

gemeinde — um die christliche Kirche erworben haben; aber es ist bei der Würdigung derselben

wohl zu beachten,

daß sie

ihren Beruf und ihre Berechtigung in Zeiten hatten, in welchen die Kirche im Großen und Ganzen erstorben war, in welchen

todter Buchstabendienst und äußeres geistloses Wesen die lebendige

Kraft des Evangelii beseitigt hatten.

Der Geist, den Christus

über seine Kirche unverlierbar ausgegossen hat, zieht sich mit

Nothwendigkeit in kleinere Kreise zurück, wenn die größere Ge-

30 meinschaft ihn von sich stößet, um aus diesen kleinern Kreisen mit neuer Gewalt in die weitern leeren Räume der Kirche ein­

zudringen und sie mit göttlicher Lebenskraft zu erfüllen.

Wie

groß nun aber auch in unsern Tagen die Zahl der erstorbenen Glieder der'evangelischen Kirche sein mag, so glaube ich doch

nicht, daß ihr Zustand ein so zerrütteter sei, daß man die

Kirche als eine große Gemeinschaft aufgeben und nur daran denken müsse, das Leben in einzelnen kleinern Gemeinden zu

concentriren und von da aus die Versuche zur Wiederbelebung der größern Menge ausgehen zu lassen.

meinden unseres Landes hat der kräftigen

lebendigen Träger;

Fast in allen Ge­

christliche Geist noch seine

selbst in

den großen Gemein­

den der Hauptstädte, die so viele dem Christenthum feindliche Elemente in sich haben, empfinden doch Viele eine Sehnsucht nach Wiederbelebung der christlichen Kirche; bei aller Schmach,

die dem

geistlichen Amte hier und da angethan ist, hat der

Lehrstand der Kirche im Ganzen eine würdige Haltung behauptet, er ist nicht selten ausgezeichnet durch eine gründliche Bildung

und durch Treue in evangelischer Gesinnung und die Klagen

derer, welche die Kirche als verloren betrachten, sind mehr der Ausdruck eines verzweifelnden Herzens als eines auf richtiger Anschauung beruhenden Urtheils.

Darum muß die Organisation

der Kirche als eines großen Ganzen mit Kraft angestrebt und die separatistischen Gelüste müssen bekämpft werden.

Soll nun

aber die unirte Kirche sich eine neue Form und Leitung für ihr Gesammt-Leben schaffen, so liegt am Tage, daß zunächst

ein Organ hervorzubringen ist, welches diese neue Organisation zu Stande bringt.

Dieses

Organ kann aber nach

meiner

Ueberzeugung kein andres sein, als eine General- oder Landes-

Synode, welche aus der freien Wahl der Kirche hervorgehen

muß und in welcher die Vertreter der Gemeinden, des kirch­ lichen Lehrstandes und der theologischen Fakultäten zusammen-

31 treten und unter dem Beirach der bisherigen kirchlichen Behörden die Verfassung der unirten Kirche festzustellen haben.

solche Vertretung der Kirche ist berechtigt,

Nur eine

die Institutionen

für den Fortbestand und die Leitung der Kirche zu schaffen, sie allein wird auch im Stande sein, das zu finden,

was der

unirten Kirche in der That noth thut, ihre Beschlüsse werden die Anerkennung der christlichen Gemeinden xrhalten, durch ihre

Thätigkeit wird das Zerfallen der Kirche verhütet und dieselbe als eine große. Gemeinschaft zusammengehalten werden.

Bei

der Bildung dieser General-Synode muß von dem Grundsatz

ausgegangen werden, daß die Gemeinden die Grundbestand­

theile der christlichen Kirche sind; mit ihrer Gründung trat die Kirche ins Leben, ihre Berechtigung, bei den Verfassungsformen

der christlichen Kirche mitzuwirken, ist in den ersten Jahrhun­

derten ihres Daseins immer unbestritten anerkannt worden, von

ihrer Blüthe hängt das Gedeihen der Kirche im Großen und Ganzen ab, in ihrem Leben besteht die Verwirklichung

des

Christenthums, mithin ruht in ihnen die Kirche, sie bringen die

für den Cultus erforderlichen Mittel auf, es ist daher keinem Zweifel unterworfen,

daß die Gemeinden vorzugsweise

ein

Recht haben, in einer Synode durch freigewählte Vertreter mit-

zuberathen und zu beschließen, welche eine Verfassung der Kirche zu entwerfen hat. Das Recht der Gemeinden ist daher auch seit

dem Entstehen des Protestantismus immer lebendig wenigstens im Prinzip anerkannt worden und selbst die Kirchenrechtslehrer, welche das Kirchenregiment vornemlich in die Hand des Lehr­ standes und der geistlichen Behörden haben legen wollen, mußten

anerkennen, daß den Gemeinden selbst in Sachen der Lehre und der Einrichtung des Gottesdienstes ein Widerspruchs - Recht

zustände, das sie unter einer auf Gottes Wort und die Be­ kenntnißschriften gestützten Begründung geltend machen dürften, daß sie eine Mitwirkung bei der Besetzung des Lehramtes unter

32 Wahrung der höchsten Interessen der Kirche durch das Kirchen­ regiment in Anspruch zu nehmen hätten, daß sie nach Maaß­

gabe der Principien der evangelischen Kirche in Gemeinschaft

mit dem gehörig autorisirten Lehrstande die Disciplin in der kirchlichen Gemeinde aufrecht zu erhalten und daß sie — im

Falle das Lehramt und Kirchenregiment den ewigen Grund­ sätzen der christlichen Wahrheit untreu würden — sich beides nach

Maaßgabe des Evangelii neu zu schaffen berechtigt wären. Mag

eine neuere Weltweisheit auch den Grundsatz aufgestellt haben,

daß die große Masse das Moment im Volke sei, das nie wisse, was es wolle und für welches die Gedanken immer erst prä-

parirt werden müßten; mögen andre auch sagen, daß den Ge­

meinden die Befähigung abginge,

bei der Organisation der

Kirche mitzuwirken, so liegt es doch am Tage, daß es eine

Verletzung der heiligsten Rechte der christlichen Gemeinde sein würde, wenn sie, auf deren Wohl es ja in dieser großen Sache abgesehen ist, nicht vorzugsweise mitwirkend bei dem Werke der

Neugestaltung unsrer kirchlichen Verhältnisse auftreten sollte.

So unzweifelhaft das Recht der Gemeinde ist,

bei der

Organisation der Kirche mitzuwirken, so begründet ist aber auch

der Anspruch des Lehrstandes, in dieser Landes-Synode das Princip und den Geist der evangelischen Kirche zu vertreten

und die ihm beiwohnende Einsicht in das Wesen der Kirche

und die von ihm Behufs des Zustandes,

des Bedürfnisses

und der Leitung der Kirche gesammelte Erfahrung zum Segen der Gemeinde anzuwenden.

Gehen wir auf den Ursprung der

christlichen Kirche zurück, so liegt am Tage, daß der Herr — der die Kirche gegründet hat — zunächst das Lehramt stiftete,

ihm seine Gaben vertraute und durch dasselbe die Gemeinde

sammlen und fester begründen ließ.

Dem Lehramt war von

Anfang an der Beruf zur Verkündigung des göttlichen Wortes

zur Verwaltung

des Sakramentes

jur geistlichen Pflege

der

33 Seelen verliehen, es war ihm aber auch'sowohl in der ersten

christlichen Gemeinde wie bis auf den heutigen Tag ein sehr

bedeutender Antheil an der Kirchenleitung eingeräumt.

Zwar

hielten schon die Apostel es nicht mit ihrem Amte verträglich, sich der Verwaltung äußerer in die kirchliche Thätigkeit fallender Angelegenheiten zu unterziehen, wie es denn zu keiner Zeit für die geistliche Wirksamkeit segensreich gewesen ist, wenn dieselbe

sich auf Verwaltungsangelegenheiten von mehr zeitlicher Natur wandte; aber wenn die Kirchenleitnng solche Gegenstände um­ faßt, die rein geistlicher Beschaffenheit sind, die das innerste

Wesen und Leben der Kirche angehen, wohin alle die Lehre, den Kultus, die kirchliche Disciplin, die Besetzung und Ueberwachung

des Lehramtes

betreffende

Angelegenheiten

gehören,

so spricht für die Berechtigung des Lehrstandes, in diesen Sachen einen sehr bestimmten Einfluß zu üben, nicht blos das Vorbild

der ersten apostolischen Kirche, sondern auch das seit den Zeiten der Reformation in der evangelischen Kirche unbestrittene und

überall anerkannte Recht.

durch

bestätigt,

Fürsten aus

daß

selbst

Diese Behauptung wird auch da­

die Rechtslehrer,

welche für die

dem Hoheits-Rechte eine souveräne Gewalt in

der Kirche herleiten wollten, immer behauptet haben, daß die

Kirchengewalt — mag sie nun eine gesetzgebende oder eine ver­ waltende sein — nicht ohne Beirath und Zustimmung des Lehr­

standes ausgeübt werden dürfe.

Und wenn hierzu kommt, daß

auch der Erlöser den Lehrstand ebenso sehr — wie die christ­

liche Gemeinde — zur Leitung der Kirche in mehreren klaren Aussprüchen berufen hat; wenn neben der apostolischen Lehre

von dem geistlichen Priesterthum aller Christen sich immer auch

die Lehre von der Nothwendigkeit eines besondern Lehrstandes in der Kirche mit solchem Nachdruck erhalten hat, daß die Ab­ weichung von derselben stets als Fanatismus und Sektirerei

bezeichnet worden ist; wenn es endlich nicht bestritten werden 3

34 kann, daß für die Erhaltung des wahren Grundes der Kirche

nicht geringe Gefahren entstehen würden,

wenn der Einfluß

des Lehrstandes auf die Leitung der Kirche beseitigt und letzte­ rer nur als das Sprecheramt der Gemeinde festgehalten würde,

so ist wohl klar,

das der Lehrstand ein Recht hat,

in der

Landes-Synode die große Sache der christlichen Kirche mit zu

vertreten, wie denn der Lehrstand mit der Gemeinde — nach den Aussprüchen der bewährtesten Kirchenrechtslehrer — das eigentliche Subject der Kirchengewalt ist.

Indem wir diese

Berechtigung für den Lehrstand in Anspruch nehmen, versteht

es sich von selbst, daß wir die Träger des theologischen Lehr­ amtes auf unsern Universitäten mit in den Lehrstand der Kirche

begreifen.

Durch den Fortschritt der theologischen Wissenschaft

ist die Reformation entstanden, der theologischen Wissenschaft

verdankt die evangelische Kirche mit ihr Leben, sie wird erhalten und getragen durch den Einfluß einer tiefen Gottesgelehrtheit, die

deutsche Theologie ist ein erhabener Schatz der Nation, — wie sollte die evangelische Kirche sich ihres Lichtes entrathen dürfen,

wie sollten die, welche ihr mit heiligem Interesse eine neue Lebensform schaffen wollen, den Vertretern der theologischen

Wissenschaft nicht gerne eine mitberathende Stimme in der zu berufenden Landes-Synode einräumen wollen? Und wenn die

Behörden, denen bisher die Leitung der Kirche anvertraut war, Männer in ihrer Mitte haben, die einen großen Schatz von Erfahrung in der Leitung der Kirche einsammelten, und mit

den kirchlichen Zuständen unseres Landes sehr vertraut sind, so liegt am Tage, daß die Kirche sich eines wesentlichen Mittels

für einen glücklichen Erfolg bei dem ihr obliegenden Werke berauben würde, wenn sie nicht den Rath solcher Männer aus unsern Konsistorien hinzuzöge, deren theologische Bildung, deren

reines kirchliches Interesse eine allgemeine achtungsvolle Aner­

kennung gefunden hat.

35 Wie aber ist nun diese Landes-Synode in der Weise zu Stande zu bringen, daß die edelsten Kräfte der Kirche aus den

Lehrern und Gliedern der Gemeinde in dieselbe versammelt

werden?

Denn nur alsdann — wenn die Kirche in dieser

Synode ihre einsichtsvollsten frömmsten Männer vereinigt —

darf man hoffen, daß dieselbe vor den Gemeinden mit einer

hohen Autorität bekleidet sein wird, und daß die Grundsätze, welche sie für die Leitung der einzelnen Gemeinde als der Kirche

im Ganzen auöspricht, eine freudige Anerkennung finden werden. Auf diese willige Annahme ihrer Beschlüsse von Seiten der

Gemeinden kommt ja Alles an, da es am Tage liegt, daß von einer zwangweisen Einführung der Beschlüsse dieser Landes-

Synode nicht die Rede sein kann, da die Kirche ja in jeder

Beziehung auf den Beistand des weltlichen Armes verzichten

muß, dessen Mitwirkung bei der Durchführung kirchlicher Maaß­

regeln nie segensreich gewirkt hat; es läßt sich aber diese Zu­

stimmung der Gemeinden zu den Beschlüssen der General-Synode wohl annehmen, wenn die Gemeinden zu denselben durch ihre freie Wahl ihre besten christlichen Männer entsenden und wenn fanatischer und separatistischer Geist darauf verzichtet, die Ge­

meinden gegen die Beschlüsse der Landes-Synode einzunehmen. Da die Kirche in ihrem gegenwärtigen Zustande jedes selbst­ ständigen berechtigten Organes — das in ihrem Auftrage handeln

könnte — entbehrt, so versteht es sich von selbst, daß das jetzt zu Recht bestehende landesherrliche Kirchen-Regiment zur Be­

rufung dieser Landes-Synode die ersten einleitenden Schritte zu thun und für diesen Zweck eine solche Wahlordnung vor­

zuschreiben hat, welche, da sie die Berechtigung der Gemeinde

zur Wahl ihrer kirchlichen Vertreter nicht kränkt, letztere mit

freudiger Zustimmung anerkennen wird.

An dieser Zustim­

mung der Gemeinden wird es sicher nicht fehlen, wenn die­ selben

durch

diese Wahlordnung veranlaßt werden, zunächst 3*

36 nach Maaßgabe ihrer Seelenzahl Repräsentanten der kirchlichen

Gemeinde zu wählen. Diese Repräsentanten müßten eine zwie­ fache Vollmacht erhalten, zuerst die Glieder der Gemeinde zu

wählen, welche als Deputirte derselben der Kreis-Synode bei­

treten sollen; dann aber müßten diese Repräsentanten auch das

Organ bilden, durch welches die Landes-Synode — vermittelst

der Kreis-Synode — mit den Gemeinden Behufs der Ein­ führung ihrer Beschlüsse verhandeln könnte.

Die Wahl dieser

kirchlichen Gemeinde-Repräsentanten müßte von allen 25 Jahr alten, selbstständigen, unbescholtenen Gliedern der Gemeinde voll­

zogen werden, die einen eignen Hausstand begründet haben und

sich zur evangelischen Kirche bekennen.

Nur solche, die einen

eignen Hausstand begründet und sich mit den Interessen der Gemeinde enger und dauernder verbunden haben, halte ich zu

der Theilnahme an diesem Wahlgeschäft berechtigt, denn die christliche Gemeinde gründet sich wesentlich auf die Familie und

jedes für sich alleinstehende kirchlich gesinnte Gemeindeglied wird durch seinen Anschluß an eine christliche Familie Gelegenheit finden,

sein Interesse an der Sache zu bekunden, und seine

Wünsche und Gedanken vertreten zu lassen.

Das Bekenntniß

zur unirten evangelischen Kirche rechtfertigt sich von selbst als

eine nothwendige Forderung an die, welche ein kirchliches Wahl­ recht ausüben wollen und es versteht sich von selbst, daß Mitglieder andrer Religionsgemeinschaften, als der katholischen Kirche, der

Baptisten, der Herrnhuter, der separirten Lutheraner, der Jrwingianer, der sogenannten freien Gemeinden von diesem Wahl­ recht ausgeschlossen sind.

Die für diese Repräsentanten-Wahl

vorzuschreibende Wahlordnung muß dann auf das Bestimmteste

aussprechen, daß nur solche zu kirchlichen Repräsentanten wähl­

bar sind, welche nicht allein ein reiferes Alter — mindestens das 30ste Lebensjahr — erreicht haben; sondern welche sich auch in einer lebendigen Gemeinschaft mit der evangelischen Kirche

37 durch fleißige Theilnahme am Gottesdienste und an der Feier

des heiligen Abendmahles erhalten haben. Bei allen denen, die das Leben der Kirche wollen, kann darüber wohl kein Zweifel herrschen, daß nur solche zur Berathung und Beschlußnahme über kirchliche Angelegenheiten zu berufen sind, welche auf diesem

Lebensgebiet bereits einen regern Eifer bewiesen und eine größere Erfahrung gesammelt haben, wie dies ja auch die vollkommne Uebereinstimmung beweist, welche in Betreff dieses Anspruches

an die kirchlichen Repräsentanten in allen seit der Reformation erschienenen Kirchenordnungen

statt findet,

und

wie

derselbe

ja auch in andern evangelischen Ländern festgehalten worden ist, in denen Behufs der neuen Organisation der Kirche Ge­

setze und Verordnungen erschienen sind.

Freilich!

wer kann

darüber entscheiden, ob sich jemand lebendig in der Gemeinschaft

der Kirche bewahrt hat? Ich antworte: allerdings können Menschen

hierüber kein Urtheil sprechen; es muß sich hierin die menschliche Mitwirkung darauf beschränken, daß den wählenden Gemeinde­ gliedern

ans Herz gelegt wird,

mit welchem vollen

Rechte,

wenn die Kirche sich nicht selbst aufgeben will, von ihr dieser

Anspruch erhoben wird und wie die Gemeinde den Leib Christi, seine Kirche, zerstöre, wenn sie ihre Wahl auf andre, als kirch­ lich gesinnte und kirchlich bewährte Personen richte.

Denen

aber, auf welche sich das Augenmerk der Gemeinde Rücksichts der Repräsentanten-Wahl richtet,

muß es zu einer heiligen

Gewissens-Sache gemacht werden, die Wahl zu einem kirch­

lichen Gemeinde-Repräsentanten nur in dem Falle anzunehmen, daß sie diesen billigen und berechtigten Anspruch der Kirche er­ füllen.

Vertritt die Kirche in dieser Weise ihr unbestreitbares

Recht, daß nur solche in ihren Angelegenheiten wirksam sein

dürfen, die ihr Leben in sich tragen und durch die That fördern, so darf man im Vertrauen auf die göttliche Leitung der Kirche,

auf die Empfänglichkeit der Gemeinde für christliche Ermahnung

38 wohl hoffen , daß letztere nur solche Repräsentanten erwählen

wird, welche den Bau der Kirche zu fördern befähigt und be­ flissen sind.

Ist das Collegium der Gemeinde-Repräsentanten

ins Leben gerufen, so hat solches so viel Abgeordnete zur KreisSynode aus den Gliedern der Gemeinde zu wählen, als Geist­

liche in der Parochie angestellt sind.

Letztere gehören nach dem

ganzen Entwicklungsgänge der Kirche zu der Kreis-Synode und

sind

vornemlich berufen das Lehramt mit allen seinen Be­

ziehungen in derselben zu vertreten.

Sind die Kreis-Synoden

organisirt, so haben sich mehrere derselben — die Zahl muß nach Maaßgabe der Stärke der Landes-Synode bestimmt werden —

mit einander zu vereinigen, um die Deputirten > aus den geist­ lichen und weltlichen Gliedern der Kreis-Synode für die Landes-

Synode in gleichem Verhältniß zu erwählen. Ich kann es nicht

für angemessen erachten, daß aus den Kreis-Synoden zunächst eine Provinzial-Synode gewählt werde, welche dann die Wahl

zur Landes-Synode zu vollziehen habe.

Es kann der vorlie­

gende Zweck, die letztere ins Leben zu rufen, leichter, sicherer

und auch mit geringern äußern Opfern in der hier vorgeschla­ genen Weise erreicht werden.

Es leuchtet wohl ein, daß die

Bildung einer Provinzial-Synode blos für den Zweck, eine Wahl mehrerer Deputirten für die Landes-Synode zu voll­ ziehen, für dieselbe keine genügende Aufgabe sein würde.

Man

hat freilich gesagt: es würden durch die Berufung einer Pro­ vinzial - Synode die provinziellen kirchlichen Eigenthümlichkeiten

besser zur Anerkennung kommen; man übersieht aber hierbei, daß die Gesammtheit der aus den Kreisen zur Landes-Synode ent­

sendeten Deputirten diese provinziellen Interessen ja ebenfalls in derselben vertreten wird.

Auch wird die freie durch größere

Agitationen nicht getrübte Wahl in der hier vorgeschlagenen

Art mehr gesichert und die Hoffnung fester begründet, daß zur

Landes-Synode solche Deputirte gelangen werden, welche den

39 Gemeinden bekannt und in ihrem Vertrauen befestigt sind. Mag

den zur Wahl der Deputirten für die Landes-Synode ver­ einigten Kreis-Synoden die Berechtigung auch nicht versagt

werden, solche zu erwählen, welche ihrem kirchlichen Kreise nicht

angehören, so bleibt'es doch immer wünschenswerth, daß die

Abgeordneten der konstituirenden Kirchenversammlung aus den Kreisen hervorgehen, welche durch sie vertreten werden sollen, damit den Berathenden nie die reale praktische Basis fehle und

die' wirklichen Zustände des kirchlichen Volkslebens immer richtig im Auge behalten werden.

Wenn ich mich hier Behufs der

Wahl für die Landes-Synode gegen die Berufung von Pro­

vinzial-Synoden erkläre, so versteht es sich wohl von selbst, daß ich letztere nicht für die organisirte Kirche habe ablehnen wollen; in ihr sind sie vielmehr ein nothwendiges Glied für

das Leben der Kirche.

Auch versteht es sich wohl von selbst,

daß an die Mitglieder der Kreis-Synoden und der LandesSynoden wenigstens dieselben Ansprüche Rücksichts der kirch­

lichen Qualifikation — wenn nicht höhere — gemacht werden

müssen,

welche für die kirchlichen Repräsentanten aufgestellt

worden, da für ihren Beruf. Intelligenz auf dem Gebiet der

Kirche und wahre rechtschaffene Frömmigkeit unerläßliche Be­ dingungen sind.

Welches soll nun aber die Aufgabe sein, die die Landes-

Synode in Bezug auf die unirte Kirche zu lösen hat? Sie hat keine andere Aufgabe, als die der evangelischen Kirche entspre­

chende Lebensform zu finden, die für ihr selbstständiges Leben

erforderlichen Einrichtungen anzugeben, die verschiedenen Stu­ fen der Kirchenleitung zu bezeichnen, damit so die zum Leben

der Kirche nöthige Thätigkeit nicht allein überhaupt,

sondern

auch in der gehörigen Ordnung und in der nöthigen organi­ schen Verbindung statt finde.

Sie wird die Grundsätze ange­

ben, auf denen eine würdige kirchliche Gemeinde-Ordnung be-

40 ruhen muß, wenngleich die einzelnen Bestimmungen derselben nach lokalen und individuellen Verhältnissen modificirt werden können.

Sie wird sich auszusprechen haben über die Stellung

des Lehramtes in der Kirche, daß die reine Verkündigung des göttlichen Wortes auf dem Grunde der Schrift und im Geiste

unsrer herrlichen reformatorischen Bekenntnisse in voller Freiheit

und nach dem seit der Reformation gültigen Rechte gesichert bleibt; sie wird aber auch die Aemter bezeichnen müssen, durch

welche das Lehramt in der geistlichen Pflege der Gemeinde zu unterstützen ist, da es am Tage liegt, daß die Wirksamkeit des Lehramtes durch nichts mehr gehoben wird, als wenn die För­

derung des evangelischen Sinnes als eine gemeinsame Angele­

genheit der christlichen Gemeinde betrachtet wird und daß nichts mehr der Verbreitung des göttlichen Lebens hinderlich wird,

als wenn der Wahn um sich greift,

daß die Fortpflanzung

eines gläubigen Sinnes die spezielle und alleinige Sache der Diener deS göttlichen Wortes ist.

Sie wird aber auch die

Thätigkeiten bezeichnen, durch welche die äußeren Angelegen­ heiten der Kirche und namentlich der kirchlichen Armenpflege zu

besorgen sind. Ein sehr wichtiger Gegenstand der Berathung für die Lan­ des-Synode wird auch

die Feststellung der Grundsätze und

Normen sein, nach welchen künftig die Geistlichen an die Ge­ meinden zu berufen sind; denn es ist wünschenswerth, daß die

Gemeinden auf die Anstellung ihrer Seelsorger einen größer»

direkten Einfluß üben, als dies nach Maaßgabe der jetzt gül­ tigen gesetzlichen Bestimmungen geschehen konnte.

Es ist aber

diese Theilnahme der Gemeinden an der Besetzung des Pfarr­ amtes so zu ordnen, daß die höhern Interessen der Kirche und die Würde des Lehramtes dadurch gewahrt und es verhütet

werde, daß nicht unwürdige Subjecte durch verwerfliche, nur zu ihrem Vortheil geübte, Agitationen sich in die geistlichen Stel-

41 len eindrängen und die bisher in der evangelischen Kirche an­ erkannten Grundsätze über die ordnungsmäßige Berufung zum Lehramte nicht verletzt werden.

Die Regulirung des Patro­

natsrechts in der Kirche wird überhaupt eine der schwierigsten

Aufgaben bei der Neugestaltung der Kirche bilden, da mit die­

sem Rechte große Pflichten verbunden sind, und viele Patrone diesem Rechte gern entsagen werden, um dieser Pflichten entle­

digt zu sein.

Zur Vermeidung verderblicher Rechtsstreitigkeiten

ist es gewiß Wünschenswerth, daß die Landes-Synode sich über

die Stellung des Patronats-Rechtes in der evangelischen Kirche vorher ausspreche,

ehe das im §. 14. der Verfassung verhei­

ßene Gesetz (über das Kirchenpatronat und die Bedingungen,

unter welchen dasselbe aufzuheben,

wird ein besonderes Gesetz

ergehen) entworfen und angewendet wird,

damit das höhere

sittliche Recht der Gemeinden in dieser wichtigen Sache ohne Verletzung heiliger Privat-Jntereffen zur Geltung komme. Auch über das Verhältniß der Kirche

zu

der religiösen

Bildung der Jugend wird sie sich zu erklären haben, denn die Kirche, wenn sie eine lebendige ist, kann sich nimmer der Sorge

entschlagen,

daß das Heranwachsende Geschlecht den Geist des

Evangeliums in sich aufnehme und sie wird auf die eine oder die andre Weise Mittel und Wege angeben, daß die Jugend einen konfessionellen Religions-Unterricht erhalte, da die von neuern Pädagogen aufgestellte Theorie, daß der Religions-Unterricht

in den Schulen kein konfessioneller mehr sein solle,

aller ver­

nünftigen Begründung entbehrt, und ein reges christliches Be­ wußtsein nun und nimmermehr befriedigen wird.

Die Landes-

Synode wird dann aber auch die Organe bezeichnen,

welche

zur Erhaltung der Verbindung der Gemeinden unter einander

und zur Förderung ihres gemeinsamen evangelischen Lebens nö­

thig sind.

Sicher wird sie in dieser Beziehung den geschichtli­

chen Boden festhalten und nach dem Vorgänge in andern evan-

42 gelischen Ländern anrachen, die Leitung der Kirche so zu ord­

nen,

daß ein Ausschuß der Kreis-Synode — bestehend aus

einem von letzterer gewählten Superintendenten und mehreren geistlichen und weltlichen Mitgliedern — der Kirche des Kreises

vorstehe, ihre Angelegenheiten verwalte und alle in den Ge­

meinden auf die kirchliche Thätigkeit bezüglichen Aemter über­ wache;

daß ferner aus den Abgeordneten der Kreis-Synode

theils eine Provinzial-Synode, theils ein verwaltender Aus­

schuß derselben gebildet werde, welche die allgemeinen Angele­ genheiten der Provinzial-Kirche, die Prüfung und Ordination

der Geistlichen, die Entfernung untreuer kirchlicher Beamten, die Entwerfung der Regulative für die Verwaltungszweige, die

größern Administrations-Sachen der Provinzial-Kirche zu be­

sorgen haben,

und daß endlich aus den Provinzial-Synoden

eine Landes-Synode und ein von letzterer gebildeter verwal­

tender Ausschuß hervorgeht, welche sich der Sorge für die kirch­ lichen Landes-Angelegenheiten, für die Ordnung des Gottes­

dienstes in liturgischer Beziehung, für die Bildung zu Kirchen­ ämtern, für die Vertretung der Kirche dem Staate gegenüber zu unterziehen haben.

Dies und Vieles Andere, dessen Aus­

führung uns zu weit führen würde, wird die Aufgabe dieser

konstituirenden Kirchen-Versammlung sein; sie hat mit einem Worte die Verfassung der unirten Kirche für ihr freies selbst­

ständiges Dasein zu entwerfen. den, daß man,

Es ist vielfach gewünscht wor­

um die Schwierigkeiten dieser Arbeit zu er­

leichtern, der zu berufenden Landes-Synode empfehlen möge,

die Westphälische Kirchenordnung oder die von der GeneralSynode im Jahre 1846 entworfenen Grundlinien einer kirch­

lichen Verfassung anzunehmen. So sehr es Pflicht sein wird für

die in Rede stehende Synode, die vielen trefflichen Vorarbei­ ten, welche für ihre Aufgabe vorhanden sind, zu benutzen, so leuchtet doch auch ein, daß dieselbe eine für andre Verhältnisse

43 entworfene Verfassung nicht ohne

genaue Prüfung

annehmen

kann und daß ihre Arbeit das Produkt einer freien Selbstthä­

tigkeit, einer reiflichen Erwägung aller unsrer eigenthümlichen Zustände sein muß.

Dies wird auch schon dadurch nöthig ge­

macht, daß die Landes-Synode die künftige Stellung der Kirche

zum Staat mit letzterem festzustellen hat.

die unirte Kirche nicht ferner regieren,

Der Staat will zwar

er will dem religiösen

Bekenntniß ferner keinen Einfluß gestatten auf die Ausübung bürgerlicher Rechte,

er will die christliche Beziehung bei jedem

auf den Staat bezüglichen Akt aufheben, er will jeder neuent­ stehenden Religionsgesellschaft das Recht der Organisation zu­

er will die individuelle Religionsfreiheit so weit ge­

gestehen,

statten,

daß auch solche an

jedem Recht des Staatsbürgers

Theil nehmen können, die keinen Hehl daraus machen, daß sie

keine Religion haben; aber wie weit der Staat hierin auch ge­

hen mag,

so muß er sich doch ein anerkennendes Verhältniß

zur Religion überhaupt, insbesondere aber zu den christlichen Kirchen des Landes bewahren, wie davon selbst in dem §. 13.

der Verfassung eine Andeutung liegt.

Ja er wird sogar der

Religionslosigkeit eine Schranke setzen müssen, so lange er den

Eid als ein Siegel der Wahrheit in seinen Gesetzbüchern fest­ hält.

Er wird sich auch genöthiget sehen,

die christlichen Kir­

chen, zu welchen der größte Theil des Volkes gehört,

die in

dem Herzen in den geschichtlichen und noch lebendigen Zustän­

den des Volkes eine so tiefe Wurzel haben,

die für das sitt­

liche Leben des Volkes von der größten Bedeutung sind, noch in anderer Weise als blos nach den Grundsätzen des Vereins­ rechtes anzuerkennen. different verhalten,

Er kann sich gegen sie nicht völlig in­ denn das Volk ist berechtigt zu fordern,

daß die staatliche Verfassung und das im Lande waltende Ge­

setz eine dem individuellen Kulturzustande des Volkes, dessen Bildung und Gesittung im Christenthume wurzelt, entsprechende

44 Einrichtung erhalte.

Er hat die christlichen Kirchen als inte-

grirende Theile seiner öffentlichen Zustände zu betrachten; er selbst hat in seiner Verpflichtung für das christliche Volk dafür zu sorgen, daß das christlich religiöse Volksleben nicht ganz der

Zersplitterung in kleinen Religionsgemeinschaften anheim falle, daß die christlichen Kirchen auch ferner als beharrliche geschicht­

liche Träger der religiösen Seite des Volks-Daseins anerkannt

und geachtet werden; er muß ihr Fortbestehen von dem Stand­ punkt des öffentlichen Interesses aus wahren; er muß es er­ kennen, daß das geistige Leben der Kirche mit dem Gedeihen

des Staates unzertrennlich verbunden ist,

daß ein christliches

Volk nur dann dem Staate das Herz bewahren wird,

wenn

seinen heiligsten innerlichsten Interessen die billige Rücksicht ge­ widmet wird.

So wird der Staat daran ein Interesse äußern

müssen, daß nur fromme kenntnißreiche Lehrer in der Kirche wir­

ken, daß in den Verhältnissen der Kirche Alles ordnungsmäßig

zugehe, daß sie von keiner Seite in ihrem heiligen Rechte ge­ kränkt werde, und der Landes-Synode wird es obliegen, den Umfang und die Grenzen dieses kirchlichen Aufsichts-Rechtes —

das freilich kein jus in sacra mehr sein kann, sondern sich auf ein jus circa sacra wird beschränken müssen — festzustellen. Dies Alles,

was hier über die Anerkennung der Kirche von

Seiten des Staates gesagt ist, ist selbst den Grundsätzen ent­

sprechend,

zu welchen sich die französische Republik in Bezug

auf die Kirche neuerdings bekannt hat, und ist wohl um so we­ niger zu fürchten, daß die Regierung eines deutschen Landes

Grundsätze verleugnen wird, das

tiefste

deren Verletzung in der Praxis

heiligste Gefühl des Volkes schmerzlich

aufregen

würde. Es ist in Bezug auf die der Landes-Synode gestellte Auf­

gabe vielfach gesagt worden, daß man eine kirchliche Verfassung am leichtesten und besten herbeiführen werde, wenn man von

45 theologisch

gebildeten

praktischen Männern eine Verfassungs-

Vorlage entwerfen und diese zuvor in den Kreis- und Provin­ zial-Synoden berathen lasse, ehe die Landes-Synode an das Werk ginge, die der unirten Kirche entsprechende Lebensform, so

wie den Organismus der Kirchenleitung in einer Verfassung definitiv festzustellen.

ßesten Bedenken.

Ich hege gegen dieses Verfahren die grö-

Sieht man auch davon ab, daß die Bera­

thung der Verfassungs-Vorlage in den Kreis- und ProvinzialSynoden eine große Verzögerung der ganzen Angelegenheit her­

beiführen würde, unter welcher fich leicht unerwartete Uebel­ stände entwickeln und die separatistischen Bestrebungen manchen

Sieg erringen könnten; so ist doch auch sehr zu befürchten, daß in diesem Gange,

die Konstituirung der Kirche zu bewirken,

mehr eine Erschwerung als eine Beförderung der Angelegenheit

liegen würde.

Denn schwerlich würde vermieden werden, daß

die Glieder der Kreis- und Provinzial-Synoden, welche zur Landes-Synode deputirt worden, fich nicht in mancher Anficht

befestigten, die von dem Standpunkte aus,

den eine Landes-

Synode zu nehmen hat, keine Anerkennung fände; fie würden vielleicht bindende Instruktionen annehmen müssen;

sie würden

wahrscheinlich nicht den völlig unbefangenen Blick mitbringen,

den die Lösung dieser Aufgabe fordert und an einer völlig unpartheiischen unabhängigen Würdigung der Verhältnisse vielfach

behindert sein, und diese Vorbereitung in den angedeuteten Stu­ fen könnte also den glücklichen Erfolg,

die Einigung,

durch

welche die Kirche so wesentlich gefördert wird, sehr leicht be­ deutend hemmen.

Der hier vertretenen Ansicht, daß die neue Organisation

der Kirche am Besten durch die Berufung einer Landes-Sy­ node bewirkt werde, ist eine andere gegenüber getreten, welche

sich mit großem Nachdruck geltend zu machen sucht und welche sich dahin ausspricht,

daß man die Reorganisation der Kirche

46 von unten auf beginnen,

mit der Organisation der kirchlichen

Gemeinden anfangen und diesen

zunächst eine kirchliche Ge­

meinde-Verfassung verleihen müsse, welche dann die Basis einer

selbstständigen Verfassung der Kirche werden könne.

pfiehlt nach dieser Anficht,

Man em­

daß das jetzt zu Recht bestehende

Kirchenregiment, dessen Beruf in dieser Angelegenheit nach un­ srer Meinung nur das Erlassen einer Wahlordnung sein kann,

eine kirchliche Gemeinde-Ordnung vorzuschreiben habe,

nach

welcher die jetzt bestehenden kirchlichen Gemeinde-Aemter auf die vorzunehmenden Wahlen einen

sehr entschiedenen Einfluß

üben müßten, und daß von diesen, also von den Kirchenvor­

stehern, den Patronen und Geistlichen der Gemeinde die Per­ sonen zu bezeichnen wären, welche sie zu kirchlichen Gemeinde-

Repräsentanten, Aeltesten, Presbytern zu erwählen hätten.

Es

sollen nemlich durch die kirchlichen Gemeindeämter für die Stelle eines kirchlichen Vertreters

drei Mitglieder der Gemeinde in

Vorschlag gebracht werden, auf welche sich die Wahl der Ge­

meinde zu beschränken habe.

So, meinen die Vertheidiger dieser

Ansicht, werde das Werk da angefangen, wo das Fundament

der Kirche liegt, nemlich in den Gemeinden; so, hoffen sie, werde man die unchristlichen Elemente, welche auf Zerstörung der Kirche ausgehen und welche überall, besonders aber in den größer»

Städten zahlreich vorhanden sind, von jeder Mitwirkung an dem heiligen Werke ausschließen.

Ich habe dieser von so vielen

wohlgesinnten Männern vertretenen Ansicht die genaueste Prü­ fung gewidmet, bei reiflichem Nachdenken über dieselbe sind mir aber die Gefahren immer lebendiger zur Anschauung gekommen,

die aus diesem Verfahren für die Kirche entspringen würden. Wer die unirte Kirche so für sich in ihren einzelnen Bestand­ theilen organisiren will, der hat entweder kein lebendiges Be­

wußtsein von der wunderbaren Macht, die eine größere Ge­

meinschaft auf ihre einzelnen Glieder ausübt, oder es schweben

47 ihm andre Zwecke vor, die er gerade in dieser Weise zu erreichen hofft.

Denken wir uns zunächst den Fall, daß das jetzige

Kirchenregiment eine kirchliche Gemeindeordnung vorschriebe, so

würde eine solche aus der Macht herfließende, nicht auf einen bestimmten vorübergehenden Akt bezügliche, sondern für lange Zeit gültige Einrichtung in den Gemeinden gewiß nicht den

nöthigen Anklang und die freudige Billigung finden, die zu er­ warten find, wenn blos eine Wahlordnung, wie es die Noth­

wendigkeit erfordert, vorgeschrieben wird.

Würden die Ge­

meinden in diesem Verfahren nicht eine Kränkung der ihnen verheißenen Freiheit und Selbstständigkeit erblicken?

Würden

sie dagegen nicht um so lebhafter Widerspruch einlegen, als es

am Tage liegt, daß es eine vorzügliche Aufgabe der künftigen kirchlichen Vertreter sein wird, eine den Bedürfnissen entsprechende

kirchliche Gemeindeordnung zu entwerfen?

Man hat freilich,

um diesen Einwand zu beseitigen, gesagt: das jetzige Kirchen­ regiment habe nicht nöthig, diese Gemeindeverfassung zu geben;

es könne vielmehr jeder evangelischen Gemeinde überlassen bleiben, diese Verfassung für sich allein festzustellen.

Leuchtet es aber

nicht ein, daß dann eben so viel Gemeindeverfassungen entstehen würden, als Gemeinden sind, daß es damit um die Einheit

der Kirche geschehen und daß hiermit die Auflösung der Kirche als einer großen Gemeinschaft herbeigeführt sein würde? Könnte

es bei einem Verfahren — bei welchem die Gemeinden nicht in einer größer» Gesammtvertretung ein Korrektiv für ihr Ver­ halten haben — ausbleiben, daß die Gemeinden in ihrem jetzige»

Zustande nicht vielfach das Maaß des Befugten überschreiten, und sich hier und da zu unzweckmäßigen die Kirche gefährdenden

Schritten hinreißen lassen würden? denn bei der größesten An­

erkennung der Berechtigung der christlichen Gemeinde, in dieser

Sache mitzuwirken, darf doch auch dies nicht außer Acht ge­ lassen werden, daß ihr jede Erfahrung auf diesem Gebiet ab-

48 geht, und daß sich auf diesem Wege eine große Unfähigkeit bei

der Gestaltung der kirchlichen Gemeindeverhältnisse zum größten Nachtheil der wahren Interessen der Kirche an den Tag legen, und man auch hier so mancher unhaltbaren Theorie — welche

die Neuzeit ohne Reife geboren hat — zum grvßesten Verderben

huldigen würde.

Auf diesem Wege würden jene der Kirche

feindlichen Kräfte erst recht zu Einfluß gelangen, an deren Da­ sein nicht gezweifelt werden kann; sie würden so manches wohl­

gesinnte Gemeindeglied irre leiten, und die Kirche würde so in

atomistische und independentistische Theile zerfallen, bei denen es fraglich sein würde, ob sie sich noch untereinander als integrirende Theile der evangelischen Kirche anerkennen, und von

der evangelischen Kirche überhaupt als Bestandtheile derselben

anerkannt werden würden. — Man hat dann auch gesagt, daß eine wahrhaft segensreiche Verfassung nie von Vielen gemacht

worden, sondern immer nur das Produkt eines über seine Zeit­

genossen hervorragenden Geistes gewesen sei, der sich in einer größer» Gemeinschaft einer besondern Autorität erfreute, man hat sich zum nähern Beweise dieser Behauptung sogar auf das

Beispiel der Athenienser und der Bewohner von Kyrene be­ zogen, von denen erstere dem Solon, letztere dem Demonar den Auftrag ertheilten, eine Verfassung für das Volk zu ent­

werfen.

Insofern dieser Gedanke auf die christliche Kirche an­

gewendet werden soll, folgt aus demselben aber nur dies, daß die einsichtsvollsten besten Männer der Kirche mit ihrem Ver-

faffungswerke zu beauftragen sind.

Denn die christliche Kirche

beruht auf dem Prinzip der Gemeinschaft und der sich unter­ einander ergänzenden Liebe, nicht der Einzelne sondern die Kirche im Ganzen ist Träger der ihr vom Herrn verliehenen mannichfachen Gaben; es liegt auch am Tage, daß die christliche Ein­

sicht und die Fähigkeit für die Kirche zu wirken ein allgemeineres

Eigenthum der Bekenner Christi geworden ist und hieraus folgt

49 ganz natürlich, daß das große Verfassungswerk der unirten Kirche

nicht in die Hand eines Einzelnen oder einer kleinen Zahl, sondern vielmehr in die Hand einer Vertretung der Kirche gelegt werden

muß, welche nach einer zweckmäßig geordneten Wahl die edelsten Kräfte der Kirche in sich ausgenommen hat. — Man hat ferner

gesagt: es könne nur dann erst die Lösung der kirchlichen Ver­

fassungs-Frage durch eine General-Synode mit gutem Erfolge erwartet werden, wenn man zuvor in den Gemeinden Leben

erweckt habe. Auch diese Ansicht kann bei einer nähern Prüfung

nicht zu der Folgerung berechtigen, daß man für setzt noch nicht

an das Verfaffungswerk der evangelischen Kirche zu denken habe.

Ist hier das innere geistliche Leben und der kirchliche

Sinn gemeint, so wissen wir, daß solche nicht gänzlich in den

Gemeinden ausgestorben sind und daß andrerseits Niemand die Zeit im Voraus bestimmen kann, zu welcher eine höhere Er­ regung der Gemeinden für das Christenthum und die Kirche zu Stande gebracht sein möchte; da hierin, wie Jeder weiß,

Alles von der göttlichen Gnade und von der Wirksamkeit des göttlichen Geistes

abhängt

und

hierauf recht eigentlich das

Wort anwendbar ist, daß der Vater seiner Macht Tag und

Stunde vorbehalten habe.

Ist hier aber die Rede von dem

Leben, das sich in der Leitung kirchlicher Angelegenheiten be­ kunden soll, so ist wieder klar, daß solches sich nur erst dann

recht ersprießlich entwickeln kann, wenn die Kirche eine Organi­ sation erhalten und die Gemeinde innerhalb eines freiern Zu­

standes der Kirche gelernt haben wird, sich in rechter Weise bei

der Behandlung kirchlicher Gemeinde-Angelegenheiten zu be­ theiligen.

Aus dieser Betrachtung ergiebt sich daher mit ziem­

licher Gewißheit, daß die Vorschläge derer, welche vor der Be­ rufung einer Landes-Synode die Gemeindeorganisation in's Leben rufen wollen, nicht zum Heile führen, und ich kann es mir

nur hieraus erklären, daß Viele glauben, es suchten solche auf

4

50 diesen Weg zu leiten, welche in ihren symbolischen Sonder-In­

teressen den Fortbestand der unirten Kirche untergraben möchten. Indem ich mich gegen die Ansicht derer erkläre, welche —

auf eine Organisation der Kirche als einer größer» Gesammt­ heit verzichtend — nur auf die Einführung einer kirchlichen

Gemeinde-Verfassung im Einzelnen dringen, bin ich weit ent­

fernt, die Bestrebungen derer zu mißbilligen, welche die That der rettenden Liebe im Geist und in der Liebe unsers Erlösers für den Zweck üben wollen, um den erstorbenen Sinn für die evangelische Wahrheit'und die christliche Kirche wieder zu er­

wecken.

Das heilige Bestreben, Christi Werk fortzusetzen, sein

Reich zu pflanzen, mit seiner Kraft die Herzen zu beleben und

den Armen das Evangelium zu predigen, darf zu keiner Zeit in der Kirche ruhen, und wer möchte es in Abrede stellen, daß

unsre Zeit an Alle, die noch ein Herz für das in Christo er­ schienene Heil und für die Rettung der Menschen haben, die

dringende Mahnung ergehen läßt, ihren Eifer in dieser großen Sache zu verdoppeln.

Es wird

dies Bestreben auch

durch

keine Form der Kirche gehemmt, es hat seine göttliche Berech­ tigung in den Aussprüchen Christi und seiner Apostel, es kann

für den Zweck der Neugestaltung unsrer kirchliche« Verhältnisse nur segensreich wirken und muß um so freudiger begrüßt werden, als nicht zu verkennen ist, daß die erregten politischen Leiden­

schaften Viele der Kirche entfremdet haben, und daß viele Ge­

meinden im Lande zu einer Seelenzahl herangewachsen sind,

daß die vorhandenen seelsorgerlichen Kräfte zur Befriedigung des religiösen Bedürfnisses als unzureichend erscheinen müssen. Ich meinerseits habe mich der Unternehmung für die innere

Mission mit freudigem Herzen angeschlvssen, nicht bloß, weil mein Amt solches so mit sich brachte, sondern vornemlich des­

halb, weil sich in ihr ein Bewußtsein davon ausspricht, daß

die Glieder der Gemeinde berufen sind, mitzuarbeiten an dem

51 Werke des Herrn, weil die evangelische Kirche daran in der

That einen großen Mangel leidet, daß sie den Geist und die Liebe unseres Erlösers zu wenig in den Werken der rettenden

Liebe, zu denen Verirrte und Nothleidende auffordern, bekun­ dete, weil die innere Mission die in der That segensreiche Idee verwirklichen will, daß die in den einzelnen Vereinen zersplitter­ ten christlich bewegten Kräfte sich an die bestehenden kirchlichen

Verhältnisse anschließen und mit ihnen inniger verbinden, weil

die innere Mission die Erweckung des kirchlichen Sinnes be­

absichtiget, durch welchen die ausgestreute Saat des Evange­ liums gepflegt und fortgebildet wird, und weil sie endlich sich zu dem Grundsätze bekannt hat, nicht einer kirchlichen Partei oder Farbe allein Geltung zu verschaffen, sondern die Evangelisirung des christlichen Volkes zu bewirken und eine Bereinigung

aller von Christo erfüllten Seelen für den Zweck herbeizuführen,

daß die Herrlichkeit des Erlösers erkannt und sein Friede den von Leidenschaft und Elend

werde.

zerrütteten Menschen

mitgetheilt

Wird dieser wahrhaft evangelische Gedanke treu fest­

gehalten, wird in den neugestifteten Parochial-Vereinen so ge­

wirkt, daß das Lehramt in der Kirche durch ihre Thätigkeit nicht beeinträchtigt, sondern vielmehr gehoben und gestärkt wird;

wird durch die Wirksamkeit dieser Vereine dem Rechte der Ge­ meinden, bei der Organisation der Kirche mitzuwirken, in keiner Weise vorgegriffen, und wird durch das Liebeswerk dieser Ver­ eine wahrhaft Frucht geschafft für die an Leib und Seele Noth­

leidenden, so wird der gegen sie erhobene Einwand, als suchten

sie die kirchliche Union zu zerstören, sich nicht nur als völlig nichtig erweisen, sondern es wird durch sie eine wahre Union

in der Kirche im Geist und in der Liebe Christi bewirkt, und durch ihr Streben gewiß ein von der göttlichen Gnade gekrönter segensreicher Erfolg herbeigeführt werden.

Indem wir mit unserer Betrachtung wieder zu der von

4*

52 uns gewünschten Landes-Synode zurückkehren,

haben wir in

Bezug auf dieselbe noch eine Besorgniß zu beseitigen,

welcher

sich Viele hingeben. Es ist nemlich sehr oft gesagt worden und wird als ein vorzügliches Bedenken gegen die Landes-Synode

aufgestellt, daß die Bekenntnißfrage die Glieder derselben in

Zwiespalt bringen werde, und daß so alle jene traurigen Er­

scheinungen sich wiederholen würden, welche auf früheren Kir­ chenversammlungen große Verwirrung angerichtet haben.

Ich

bemerke hierauf, daß jene Spaltungen, welche kirchliche Syno­ den hervorgerufen haben, eben aus dem unberechtigten Bemühen derselben entsprungen sind, die rechtgläubige Lehre festzustellen,

und wollte sich die zu berufende Landes-Synode die Macht beilegen, Lber die in der unirten Kirche anzuerkennende Lehre irgend etwas

festzustellen, so würde sie nicht bloß sich in sich selbst zerspalten,

.sondern sie würde auch in der Kirche statt Frieden und Einigung den grvßesten Zwiespalt und Kampf hervorbringen.

Denn die

Meinungen über die Fassung der einzelnen Lehren des Christen­

thums sind in unsrer Zeit so verschieden, wie nur zu irgend einer früheren der Fall gewesen ist; es läßt sich auch nicht läugnen, daß die Kirche auf dem Gebiet der Lehre in einer gewissen Krisis

begriffen ist, und daß unsre Zeit wohl nicht den Beruf hat, die ewigen Grundlehren des Christenthums in neuer Formulirung

auf eine für das christliche Bewußtsein befriedigende Weise aus­

zusprechen.

Auch ist Allen bekannt, wie die gläubigsten Män­

ner der Kirche darüber die mannichfachsten Behauptungen auf­ gestellt haben, in wie weit die Bekenntnißschriften aus der re­

formatorischen Zeit in unsern Tagen zur Geltung zu bringen sind.

Es must aber auf das Entschiedenste bestritten werden,

daß es irgend die Aufgabe der zu berufenden Landes-Synode

sein könne,

über das Bekenntniß und die Lehre der unirten

Kirche eine Festsetzung zu machen. die Formen anzugeben,

Ihre Aufgabe ist nur die,

in welchen sich künftig das Leben der

53 unirten'Kirche am besten bewegen wird, und so wenig je eine

Kirchenversammlung berechtigt war, über den Glauben und die Lehre der Kirche endgültige Bestimmungen zu treffen, so wenig

wird auch unsre künftige Landes-Synode irgend eine Befugniß

hierzu haben.

Denn die evangelische Kirche und mit ihr auch

die künftige Landes-Synode steht auf dem Bewußtsein,

daß

ein gemeinsames Glaubens-Leben, das aus den Quellen der Schrift und der reformatorischen Bekenntnisse geflossen ist, die

Glieder der evangelischen Kirche erfüllt, und daß die große Ar­ beit, die aus dem Worte Gottes und dem Geiste unserer Be­ kenntnisse herfließende Lehre weiter zu entwickeln,

nicht Ein­

zelnen übertragen werden kann, sondern daß dies die Sache

der freien Thätigkeit der ganzen Kirche ist.

Darum kann es

nur zur höchsten Gefahr für die Freiheit des Glaubens und

des Gewissens geschehen, wenn eine kirchliche Vertretung diesen Lebensgrund und Kern der christlichen Gemeinde regeln und für

den Glauben den entsprechenden Ausdruck finden will, und der Geistesdruck, der hier und da von der Kirche ausgegangen ist,

er hat immer seinen Ursprung in dem aus Mißverstand ange­ maßten Rechte gehabt,

daß eine Versammlung von Vertretern

über den Ausdruck des Glaubens über den Inhalt der Lehre

für die Gesammtheit etwas bestimmen dürfe.

Die Landes-

Synode wird — wenn zu ihr wahrhaft einfichtige und fromme

Glieder gelangen — in dem Bewußtsein zusammentreten, daß

die evangelische Kirche gegründet ist auf dem lebendigen Glau­ ben an Christum, den Sohn Gottes, an sein ewiges in der

Schrift geoffenbartes Wort- und daß sie fortdauernd auf dem

Geist der reformatorischen Bekenntnisse ruht.

In diesem Be­

wußtsein werden sie den in der evangelischen Kirche vorhande­ nen konfessionellen Bestand, den Werth aller Bekenntnißschriften

der evangelischen Kirche anerkennen,

den Confessionen beider

Kirchen ein gleiches Recht zugestehen,

da ja beide Fraktionen

54 der unirten Kirche ein gleiches Anrecht haben an die fortdauernde Geltung der eigenthümlichen geistigen Schätze, die sie in ihrer

frühern abgesonderten Kirchengemeinschaft besaßen;

sie werden

die Berechtigung der Gemeinden anerkennen müssen, ihre Geist­ lichen auf die Symbole der evangelischen Kirche zu berufen, in welchen sie den vollen Ausdruck ihres Glaubens-Lebens fin­ den, wenn dadurch die Kirchengemeinschaft mit der andern Frak­

tion der evangelischen Kirche nicht gestört wird.

Je lebendiger

diese Landes-Synode in dem Glauben an Christum steht und

von seinem Geiste getragen wird, desto lebendiger wird sie da­ von durchdrungen sein, daß sie nicht das Heiligthum des in­ nern durch die Gnade Christi gewirkten Glaubens erst zu er­ bauen,

sondern daß sie sich vor demselben als einem ewigen

Gemeingut der Kirche,

das aus der göttlichen Gnade stammt,

in Demuth zu beugen hat; daß sie nicht einem christlichen Be­ kenntniß vor dem andern insofern

einen Vorzug geben darf,

als solches maßgebend für den allgemeinen oder individuellen

Glauben sein soll;

daß sie um so weniger hier in die Macht

des sich regenden göttlichen Geistes eingreifen darf,

denkende fromme Christ anerkennen muß,

als jeder

wie groß die Fort­

schritte der christlichen Einsicht in das Wesen unseres Glaubens sind,

seit eine tiefere gründlichere Erforschung der Schrift bei

uns sich verbreitet hat und seit durch dieselbe so viele schola­ stische, polemische und dogmatische Einseitigkeiten hinweggeräumt

worden sind.

Ich hege daher keine Besorgniß, daß die Sym­

bol-Frage die Glieder der Landes-Synode spalten wird;

ich

hege das Vertrauen zu den frommen Vertretern der Kirche, daß

sie in voller Anerkennung des Glaubens der evangelischen Kirche, in lebendiger Liebe zu unserm Erlöser nicht die verkehrten Wege

früherer Zeiten wandeln,

sondern sich darauf beschränken wer­

den, was ihre eigentliche Aufgabe ist, die Verfassung der unir­

ten Kirche in allen ihren Beziehungen zu entwerfen.

In dieser

55 Voraussetzung bestärkt mich auch die Erfahrung,

welche jüngst

in der evangelischen Kirche Frankreichs gemacht worden ist, de­

ren Vertreter sich unter voller Anerkennung des in der Kirche vorhandenen

Glaubens-Lebens

und konfessionellen Bestandes

darauf beschränkt haben, die Form und Leitung der Kirche un­ ter den neu gegebenen Verhältnissen zu bestimmen, und wenn

gleich zwei angesehene Glieder dieser Kirche darüber ihre Un­ zufriedenheit ausgesprochen haben, daß die Synode auf die Er­ örterung der Bekenntnißfrage nicht eingegangen ist, so ist doch

eben durch dies — wie ich glaube — richtige und weise Ver­ fahren ein Zerfallen der Kirche verhütet worden.

Auch die ge­

schichtliche Erfahrung spricht dafür, daß die Bekenntnißfrage die Landes-Synode unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht zer­

spalten, sondern daß sie vielmehr im lebendigen Glauben an Christum zum Heil der Kirche wirken wird.

Die Spaltungen

in der Kirche, welche aus dogmatischen Lehrbestimmungen, aus

der Formulirung des Bekenntnisses entsprungen sind, immer nur solchen Zeiten an,

Kirche entweichen und die Christenheit

erkaltet

tiget,



— in Erstarrung und Lähmung

übergehen wollte,

durch äußere Ruhe

des

innern Lebens

wie das auch der Blick auf jene Zeit bestä­

die der Erschütterung unsrer

vorherging.

gehören

in welchen der Geist aus der

gesellschaftlichen Zustände

Wenn die Kirche aber — wie in unsern Tagen —

bedrängt wurde,

wenn

sie mit einem Heer von feindseligen

Kräften um ihre Existenz zu ringen hatte, so kehrte sie zu ihrem

ursprünglichen gesunden Leben wieder zurück,

die Zerwürfnisse

über unwesentliche dogmatische Bestimmungen traten in Hintergrund,

den

und die von Christo wahrhaft belebten Kräfte

vereinigten sich in seiner Kraft und Liebe zum Kampfe für sein

Reich.

len,

Dies bestätiget die Geschichte der Evangelischen in Po­

Lutheraner und Reformirte einigten sich hier sehr bald im

Bewußtsein, daß sie auf demselben Grunde des Glaubens stän-

56 den, während sie gegen die Antitrinitarier, Unitarier und So-

cinianer feste Reihen schlossen, und die französische Kirche stellt

dies noch deutlicher ins Licht,

da in ihr der Kampf über die

Lehren vom Abendmahl und der Gnadenwahl nie so heftig ge­

führt worden ist,

weil der Druck der Verfolgung die Evange­

lischen darauf hinwies,

sich enger aneinander zu schließen und

sich fester zu stellen auf den lebendigen Grund des Glaubens.

Wenn die Kirchenversammlungen zu Trient und zu Dortrecht

die Einigkeit in der christlichen Kirche noch mehr gestört haben, so lag das eben daran, daß beide die rechtgläubige Lehre be­ stimmen wollten, und beide nicht verhandelten in der reinen Luft

ächt evangelischer Freiheit,

indem die eine von der römischen

Hierarchie, die andre von der weltlichen Macht für ihre beson­ dern Zwecke influirt wurde.

Im Hinblick auf alle diese ge­

schichtlichen Erfahrungen, im Vertrauen auf die Macht des evan­

gelischen Sinnes, der seine Pflicht für die Kirche in dieser ernsten Zeit erkennen wird,

fürchte ich also keine Zertrennung in

der Landes-Synode durch die Bekenntnißfrage;

ich hoffe viel­

mehr, daß der durch den Drang der Umstände gekräftigte evan­ gelische Geist die beklagenswerthe Richtung des deutschen Sin­

nes auf Absonderung und Trennung zum Heil der Kirche be­

siegen wird.

Es hat sich in der deutschen Geschichte der Zug

des deutschen Charakters, sich abzusondern und sich im Jndividualisiren und im Partikularismus zu gefallen,

ausgesprochen.

Es ist darum im Einzelnen

sehr deutlich

und Besondern

unter uns immer viel Großes und Herrliches zum Vorschein

gekommen,

aber das große Ganze hat uns bisher nicht recht

gelingen wollen.

Das große Ganze zu erstreben und demsel­

ben die einzelnen besonderen Interessen aufzuopfern, darin haben es mehrere andre Völker,

besonders aber die Engländer, den

Deutschen zuvorgethan, und aus dieser Vereinigung ihrer Kräfte

ist es hervorgegangen,

daß ihnen auch für das Reich Christi

57 so viel Großes gelungen ist.

Möge unsern» Volke, das nach

seiner redlichen sittlichen Eigenthümlichkeit vorzugsweise berufen

ist, dem Christenthum herrliche Siege zu erkämpfen, auch hierin der rechte Sinn aufgehen und möge uns immer mehr das Be-

wußtsein durchdringen, Leibe

des Herrn und

daß wir Glieder sein sollen an dem

daß unsre Stärke

unser Sieg in der

Vereinigung aller unsrer von Christo erfüllten Kräfte liegt!

Zur Förderung dieser Vereinigung wie des ganzen Wer­

kes wird es gewiß sehr wesentlich beitragen,

wenn die unirte

Kirche des Rheinlandes und von Westphalen sich unsrer Lan­ des-Synode Behufs der Neugestaltung ihrer kirchlichen Ver­ hältnisse anschlösse.

Auch sie kann sich wesentlichen Verände­

rungen in ihren kirchlichen Verhältnissen nicht entziehen,

denn

die Presbyterial- und Synodal-Verfassung, deren sie sich schon

lange erfreut,

war eng verbunden mit konsistorialen Einrich­

tungen, und das Kirchen-Regiment des Staates hat auch auf

sie einen bedeutenden Einfluß geübt.

Wir aber bedürfen es,

von dem Reichthum der Erfahrung, den jener Theil der evan­ gelischen Kirche besitzt, für das Werk unsrer kirchlichen Reor­

ganisation Gewinn zu ziehen.

Da auch sie das Bedürfniß

der Stärkung der evangelischen Kirche durch eine große leben­ dige Gemeinschaft anerkennen werden, so dürfen wir wohl hof­

fen, daß eine Kirche, die so viel treffliche evangelische Männer in sich hat, sich uns nicht entziehen werde, und ich hoffe da­

her, daß die Stimme,

welche sich in den westlichen Provinzen

unseres Landes für den Anschluß an unsre Landes-Synode er­

hoben hat, durchdringen, und daß die Bedenken werden besei­ tigt werden, welche dagegen von einer za Bonn stattgehabten Conferenz erhoben worden sind.

Schließlich halte ich mich noch verpflichtet,

mich im In­

teresse unsrer Gemeinden über die Verpflichtung zur Tragung der Kosten auszusprechen,

welche diese Landes-Synode verur-

58 Es ist mehrfach gesagt worden, daß die Mittel,

fachen wird.

welche die Berufung der >in Rede stehenden Kirchenversammlung

erfordern werde, von der Kirche, das heißt also von den Ge­

meinden aufgebracht werden müßten, welche in derselben ver­ treten sind.

Ich kann dieser Ansicht auf keine Weise beitreten.

Der Staat hat es mit der rühmlichsten Offenheit in dm Mo­

tiven zu den Festsetzungen über die Kirche in der Verfassung ausgesprochen,

daß

größten Theil nach

das

Domanial-Gut des

der Reformation aus

Staates

zum

geistlichen Gütern

entstanden ist, und daß dasselbe noch in diesem Jahrhundert durch

die Säkularisirung

einer Anzahl

evangelischer

einen sehr bedeutenden Zuwachs erhalten hat.

Stifter

Wäre dies auch

nicht officiell ausgesprochen worden , so giebt auch die Kirchen­

geschichte unseres Landes darüber hinreichenden Ausweis,

groß das Kirchengut gewesen ist,

wie

welches der Staat an sich

genommen hat, und wie sehr dadurch das Vermögen des Lan­

des vermehrt worden ist.

Der Staat hat daher auch — was

mit dem lebhaftesten Danke anerkannt werden muß — die Ver­

pflichtung nicht in Abrede gestellt, daß er nicht allein die kirch­ lichen Berwaltungskosten zu tragen,

sondern auch für die Do­

tation der Pfarren und Kirchen in solchen Gemeinden zu sor­

gen habe,

welche die hierzu erforderlichen Mittel aufzubringen

außer Stande sind.

DaS Einziehen des Kirchenguts wurde ja

vornemlich mit dem Grunde gerechtfertigt, daß der Staat die

zeitlichen Bedürfnisse der Kirche befriedigen und ihre Leitung

übernehmen wolle.

Wollte sich der Staat der Verpflichtung,

für die zeitlichen Bedürfnisse der evangelischen Kirche ferner zu sorgen,

mtziehen, so würde hieraus wohl das Recht für die

Kirche auf die Rückgabe des eingezogenen Kirchengutes folgen, da von einer Verjährung hier wohl nicht die Rede sein kann, wo der Staat gegen einen erheblichen Gewinn von dem Besitz

der Kirche in Bezug auf dieselbe eine bestimmte Pflicht bisher

59 geübt hat.

Entledigt sich der Staat dieser Pflicht,

so würde

die Kirche auch wieder in den Besitz ihres Rechtes eingesetzt werden müssen. haben würde, Pflicht hat,

Da dies aber die größesten Schwierigkeiten

so folgt wohl von selbst,

daß der Staat die

die Kosten für die Neugestaltung der Kirche —

welche er selbst durch seine Einrichtungen nöthig macht — zu

tragen,

mag nun die Organisation der Kirche durch Kreis-,

Provinzial- und Landes-Synoden oder nur durch eine Gene­

ral-Synode bewirkt werden.

Hierzu

bleibt der Staat nach

meinem Dafürhalten auch in dem Falle verpflichtet, wenn

wie wohl mit Sicherheit anzunehmen ist den





das Budjet für

evangelischen Kultus aus dem Ministerio der Geistlichen

Angelegenheiten an die künftige Administration der Kirche über­ geht, wodurch ja allein der §. 12. der Verfassung: „daß die evangelische Kirche im Besitz und Genuß der

„für ihre Kultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeits-

„zwecke bestimmten Anstalten,

Stiftungen und Fonds

„bleibe" zur Erfüllung käme> denn der Staat wird es ohne Weiteres

zugeben müssen,

daß er selbst bei der Uebernahme der durch

die neue Organisation der Kirche entstehenden Kosten im Vergleich zu den aus dem Bereich der evangelischen Kirche eingezogenen Gü­

tern noch gar sehr im Vortheil bleibt. Sollten diese Kosten durch die Gemeinden aufgebracht werden müssen, so würde die Neuge­

staltung der Kirche bei dem schwer drückenden Nothstände der Ge­ genwart große Schwierigkeiten finden, und es könnte dann leicht der Fall eintreten, daß die selbst in den Motiven zu den die Kirche

betreffenden Verfassungs-Paragraphen ausgesprochene Befürchtung

einträte, daß in dem Augenblicke, in welchem der Kirche ein selbst­ ständiges Leben gewährt werden soll, der Keim zu ihrem Tode gelegt würde.

Ich halte es daher auch für eine heilige Pflicht

der obersten geistlichen Behörde, hierin das Recht der Kirche

60 zu wahren, die kirchlichen Gemeinden insofern vor Schaden zu

behüten, daß ihnen nicht gleich beim ersten Beginn des ernsten

Werkes neue empfindliche Opfer zugemuthet werden, und daß

im Staats-Haushalte sogleich eine verhältnißmäßige Summe etatsmäßig ausgeworfen werde, um die Kosten für die LandesSynode und die neue Organisation der Kirche ausreichend zu

decken.

Es läßt fich wohl um so gewisser voraussetzen, daß

der Staat hierin den Gemeinden keine neuen Lasten zumuthen

wird, als ja bekannt genug ist, wie viel distinguirte Personen jetzt noch einen reichen Genuß von dem Kirchengut der Domund Kollegial-Stifter, welches recht eigentlich für die kirch­

liche Verwaltung bestimmt war, durch die Gunst des Staates oft auch wohl in Folge ausgezeichneter dem Staate geleisteter

Dienste haben.

Es haben hierüber bei den vielfach unbefrie­

digten Bedürfnissen der evangelischen Kirche zu allen Zeiten edle Freunde der Kirche ihren Schmerz ausgesprochen; Spener

hatte sogar die Ansicht, daß man in diesem Genusse ohne Ver­ letzung des Gewissens nur so weit verbleiben dürfe, als es die

Befriedigung der äußersten Nothdurft erfordere, und wahrschein­

lich wäre dem Mangel der Kirche schon dadurch wesentlich ab­

geholfen, wenn der Ertrag dieser Pfründen bei eintretender Vakanz derselben der Kirche Behufs der Deckung ihrer allge­

meiner» Administrations-Kosten zugewendet würde. — Und da

hier von den Rechten der Kirche auf äußeres Gut die Rede ist,

so muß ich auch darauf Hinweisen, daß bei der Trennung der Kirchenämter von dem Schulamte, was so vielfach gewünscht

worden ist, die rechtlichen Interessen der Kirche auch darin

wahrzunehmen sind, daß hierbei das Kirchengut nicht gefährdet werde.

Als sich die Reformation in Deutschland verbreitete

und für den Volksunterricht so wenig gesorgt war, wurde auf

Veranstaltung der Reformatoren die Einrichtung getroffen, daß

die Küster — deren Aemter von dem Kirchengut dotirt waren —

61 die Jugend in dem Katechismus unterrichten mußten.

Hiervon

hat in den mehrsten Oertern die Kirch -Parochial- und Volks­ schule ihren Ursprung genommen.

Sie ist — wie sehr dies

auch verleugnet werden mag — aus der Kirche fast überall hervorgegangen.

Sollte die gedachte Trennung zu Stande kom­

men, so würden die Einnahmen des Schulamtes, welche aus dem Kirchenamte stammen, zurückgezogen werden müssen, da die

Kirche des Dienstes der Küster und andrer Kirchenbeamten bedarf. Bei diesem Gegenstände kann ich ferner nicht unerwähnt lassen, wie der Staat durch seine neuen Einrichtungen auch noch manche

andre rechtlich begründete Entschädigungs-Ansprüche der Kirche

za befriedigen haben wird.

Im §. 16 der Verfassung heißt

es: die bürgerliche Gültigkeit der Ehe wird durch deren Ab­ schließung vor dem dazu bestimmten Civilstands- Beamten be­ dingt, die kirchliche Trauung kann nur nach der Vollziehung

des Civil-Aktes stattfinden.

Es leuchtet ein, daß hiernach ein

großer Theil der kirchlichen Proklamationen künftig

aufhören

wird, da fie insbesondre für solche, welche ihren Wohnsitz vor Kurzem verlassen haben, an dem Orte ihres frühern Aufent­ haltes kein gesetzliches Erforderniß mehr sein wird.

Wenn nun

auch angenommen werden kann, daß von Allen, die ein höheres Bewußtsein leitet, die kirchliche Trauung auch ferner begehrt werden wird, so ist doch auch zu befürchten, daß Etliche in fri­

volem weltlichen Sinne die kirchliche Kopulation nicht mehr

nachsuchen, und die Ehe bloß im Sinne eines bürgerlichen Ver­ trages auffassen werden.

Auch entsteht sehr die Frage, ob es

dem höher« Interesse der evangelischen Kirche, das dem Staate

nicht gleichgültig sein kann,

entsprechend sein wird,

die bei

Proklamationen und Kopulationen üblichen kirchlichen Gebühren ferner zu fordern, da sie leicht zu einem Vorwande werden

könnten, die kirchliche Trauung — nachdem solche zur Schließung

einer bürgerlich gültigen Ehe nicht mehr erforderlich ist — nicht

62 mehr zu begehren. Es bedarf wohl keiner weitern Ausführung, welche großen Verluste an rechtlich begründeten Einnahmen hier­ mit für Geistliche und Kirchenbeamte werden verbunden sein und es wird wohl kaum bezweifelt werden können, daß der

Staat, der die Vokationen der Geistlichen und Kirchen-Be­

amten bestätiget und ihnen den Fortbesitz der ihnen verheiße­

nen Einnahmen bei redlicher Dienstführung gewährleistet hat,

auch zu ihrer Schadloshaltung um so mehr verbunden ist, als er selbst diese neue Einrichtungen ohne das Andringen der kirch­ lichen Gemeinden herbeigeführt hat.

In Bezug auf letztere

bleibt es sogar zweifelhaft, ob sie durch die Einführung der

Civil-Ehe, durch welche die Heiligkeit der Ehe leicht im sitt­ lichen Vvlksbewußtsein geschwächt werden könnte, etwas ge­ winnen würden, so wie ich auch davon überzeugt bin, daß die

bürgerliche Ordnung durch die neue Einrichtung keinen Gewinn haben wird, wenn ich gleich anerkennen muß, daß die Noth­ wendigkeit der Civil-Ehe in vielen Fällen dadurch bedingt wird, daß die Verschiedenheit der Religion künftig ein Hinderniß zur

Schließung einer rechtsgültigen Ehe nicht mehr sein soll.

End­

lich bemerke ich noch, daß ein wahrhaft sittliches Rechtsgefühl

darüber nicht zweifelhaft sein kann, daß, wenn einzelne Glieder oder ein Theil einer unirten Gemeinde sich bestimmen ließen,

der Union zu entsagen und kleine lutherische oder reformirte

Gemeinden zu bilden, der unirten Gemeinde der volle Besitz des Kirchengutes verbleiben müsse, das sie bisher gehabt hat, und

daß das Verlangen derer, die in solchem Falle eine Theilung des Kirchengutes nach Verhältniß der Personen wünschen, ein großes den Fortbestand der Kirche gefährdendes Unrecht in sich

schließt.

Ohne Zweifel würde eine solche separatistische Fraktion

der Gemeinde auch die Pflicht haben für ihr neu zu konstituirendes Kirchenwesen die Kosten aufzubringen, und jedes positive

Recht, das die zu Recht bestehende unirte Gemeinde hierin be-

63 einträchtigte, oder auch jede Erfindung neuerer Rechtstheorien,

die das begünstigte, würde ein moralisches Unrecht sein und durch unerfreuliche Rechtsstreitigkeiten die Fortentwicklung evan­ gelischen Sinnes und kirchlichen Lebens hemmen. Ich schließe dieses mein Sendschreiben mit dem herzlichen

Wunsche, daß der Herr der Kirche sich als ihr kräftiger Hort in dieser Zeit des Sturmes und der Auflösung erweisen, daß

er durch seinen Geist unser theures Volk über seine wahren Interessen auch in Bezug auf die Kirche erleuchten, daß er die

Kirche aus der Gährung dieser Zeit in neuer kräftiger Gestalt hervorgehen lassen und in das Herz Aller, die ihr angehören, das Wort des Apostels legen wolle: ihr seid der Tempel des lebendigen Gottes; wie denn Gott spricht: ich will in ihnen

wohnen und in ihnen wandeln und will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein!

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