Selbstzeugnisse vom Rhein: Interdisziplinäre Zugänge zur Schreib- und Reisekultur in der Romantik [1 ed.] 9783412525170, 9783412525156


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Selbstzeugnisse vom Rhein: Interdisziplinäre Zugänge zur Schreib- und Reisekultur in der Romantik [1 ed.]
 9783412525170, 9783412525156

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Selbstzeugnisse der Neuzeit

Elisabeth Dietrich

Selbstzeugnisse vom Rhein Interdisziplinäre Zugänge zur Schreib- und Reisekultur in der Romantik

Selbstzeugnisse der Neuzeit Herausgegeben von Kaspar von Greyerz, Hans Medick, Iris Schröder, Kim Siebenhüner, Claudia Ulbrich und Roberto Zaugg Band 28

Selbstzeugnisse sind Aufzeichnungen, die individuelle und auf das »Selbst« bezogene Beobachtungen und Erfahrungen zusammenhängend zum Ausdruck bringen. In größerer Zahl gibt es sie seit dem 16. Jahrhundert. Besonderes Interesse in der internationalen Forschung wie beim interessierten Publikum findet die populare Autobiographik, also die Selbstzeugnisse aus Unterund Mittelschichten. Gerade sie erweisen sich als unverzichtbar für alle Versuche, soziale Praxis, Erfahrungszusammenhänge und Lebenswelten zu rekonstruieren. Selbstzeugnisse eröffnen neue Zugänge, um die historischen Akteure als empfindende und wahrnehmende, leidende und handelnde Perso­nen zu zeigen. Selbstzeugnisse der Neuzeit wollen bisher noch nicht publizierte Individual­quellen zugänglich machen, die historische Zeitgenossenschaft einprägsam reflektieren. Weiterhin wird die Reihe zu Unrecht vergessene oder vergriffene Selbstzeugnisse als kommentierte Nachdrucke verfügbar machen. Veröffentlicht werden auch exemplarische Analysen sowie beschreibende Verzeichnisse und Übersichten. Die Herausgeber hoffen zudem, daß mit diesem Vorhaben Schätze gehoben werden können, die bisher unbekannt sind.

Elisabeth Dietrich

Selbstzeugnisse vom Rhein Interdisziplinäre Zugänge zur Schreibund Reisekultur in der Romantik

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN

Veröffentlicht mit freundlicher Unterstützung des DABFörderausschusses / DAB e.V. – Deutscher Akademikerinnenbund sowie der FAZIT-Stiftung

Zugl. Diss. Friedrich-Schiller-Universität Jena, 2019 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande  ; Brill USA Inc., Boston MA, USA  ; Brill Asia Pte Ltd, Singapore  ; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland  ; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung  : Gegenstand  : Ansicht von Niederwald am Rhein. Objektdetails  : ID: 317477. Künstler  : Frenzel, Johann Gottfried Abraham (1782-1855) (?). Datierung  : 1827. Technik  : Kupferstich © Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen Korrektorat  : Constanze Lehmann, Berlin Einbandgestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52517-0

Inhalt

1. Selbstzeugnisse als Forschungsgrundlage einer Reisekultur am Rhein zur Zeit der Romantik .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Hinführung zum Thema  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Quellenauswahl .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Methode .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Aufbau und Erkenntnisinteresse .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

     

11 11 19 27 33 39

2. Entwicklungstendenzen in der Romantik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Medien und Kommunikation  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Formate: Briefe, Autobiografien, Reiseberichte  . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Personen: Reise- und Lesepublikum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Innovation und Tradition: Historische Selbstzeugnisse im Vergleich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Mobilität und Reisen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Motive und Reiseanlass  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Frauen auf Reisen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Räume und Praktiken .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Raum 1: Natur und Landschaft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Raum 2: Stadt versus Land  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6 Raum 3: Mittelalter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

   

44 44 45 54

       

57 62 64 66 69 74 76 79

3. Selbstzeugnisse vom Rhein  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Clemens Brentanos und Achim von Arnims Freundschaftsbriefe (1801–1829)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Helmina von Chézys Schilderungen vom Rhein (1814/15)  . . . . . . . . . 3.3 Johanna Schopenhauers Ausflucht an den Rhein (1818) und ihr Ausflug an den Niederrhein (1830/31)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Wilhelm und Adelheid Müllers Reisetagebuch (1827) .. . . . . . . . . . . .

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4. Historische Emotionenforschung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Emotion als Forschungsgegenstand der Geschichtswissenschaften  . . . . 4.2 Selbstzeugnisse als performative Darstellungsmittel  . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Emotionen in den Selbstzeugnissen vom Rhein  . . . . . . . . . . . . . . . . .

119 121 127 129

 84  90  97 105

6 |  Inhalt

5. Sensuelle Landschaftswahrnehmung – Reisen mit allen Sinnen  . . . . . . . . . 5.1 Die Dominanz des Visuellen: Kontinuitäten und Brüche  .. . . . . . . . . . 5.2 Auditives Erleben: (ver-)rauschende Winde und die Äolsharfe  . . . . . . 5.3 Riechen, schmecken, empfinden  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Geruchspraktiken .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Blaue Blume und Rosenduft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

144 148 157 175 178 192

6. Historische Raum- und Umweltforschung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Historische Raumforschung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Spatial und border studies in den Geschichtswissenschaften  . . . . 6.1.2 Raumbezüge in den Selbstzeugnissen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Historische Umweltforschung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Umweltforschung in den Geschichtswissenschaften  . . . . . . . . . . 6.2.2 Natur- und Landschaftsschutz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Ressource Wasser  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Ressource Wald  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

200 202 203 208 222 222 230 237 239

7. Der Rhein als politisches Symbol  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Rheinromantik als politisches Mittel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Grenzerfahrung – Fremderfahrung – Selbsterfahrung  . . . . . . . . . . . . . 7.3 Nationalpolitische Zuschreibungen in den Selbstzeugnissen  . . . . . . . . 7.3.1 Arnim und Brentano: Reisen als Mittel der (nationalen) Selbstverortung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Helmina von Chézy: räumliche und soziale Grenzüberschreitungen?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3 Johanna Schopenhauer: zwischen deutschen Ufern  . . . . . . . . . . 7.3.4 Wilhelm Müller: Griechenfreund und Patriot  . . . . . . . . . . . . . .

248 249 252 260 261 286 308 314

8. Ergebnisse der Analyse romantischer Selbstzeugnisse vom Rhein und Ausblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 9. Siglen-, Literatur- und Abbildungsverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siglen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primär verwendete Selbstzeugnisse .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primärliteratur: Textausgaben, historische Beschreibungen, Selbstzeugnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur: Forschungs- und Fachliteratur, wissenschaftliche Aufsätze, Zeitungsartikel, Rezensionen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

344 344 344 344 348

Inhalt | 7

Digitale Quellen und Online-Textausgaben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Abbildungsnachweise  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 Danksagung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Register  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388

Meiner Familie

»Das ist das Angenehme auf Reisen, daß auch das ­Gewöhnliche, durch Neuheit und Überraschung, das Ansehen eines Abenteuers gewinnt.« Johann Wolfgang von Goethe, Italienische Reise, 1787 (Neapel, 9. März)

1. Selbstzeugnisse als Forschungsgrundlage einer Reisekultur am Rhein zur Zeit der Romantik 1.1 Hinführung zum Thema Reisen, das Sich-von-Ort-zu-Ort-Bewegen oder Unterwegssein mit dem Ziel der Rückkehr an den Ausgangsort, ist eine zu Beginn des 19. Jahrhunderts verbreitete Kulturform, die vielerlei Beweggründe hat. So konnten Reisen der individuellen Wissens- und Bewusstseinserweiterung, der Befriedigung der Neugier1 oder der Erholung dienen  : Sie alle eint, dass diese Motive bis in die Gegenwart hinein Bestand haben und lediglich durch einige Neuerungen modifiziert wurden. Reisen waren um 1800 trotz infrastruktureller und verkehrstechnischer Neuerungen noch aufwendige und mitunter gefährliche Unternehmungen. Dennoch wurden sie gesellschaftsübergreifend genutzt, beispielsweise um Herrschaftsansprüche geltend zu machen, den eigenen (akademischen oder beruflichen) Werdegang abzuschließen, Handelsbeziehungen zu knüpfen oder Familienangehörige aufzusuchen. Die Motive waren so verschieden wie die Reisenden selbst, fanden jedoch mehrheitlich im Rahmen administrativer oder institutioneller Verpflichtungen statt und dienten seltener der individuellen Zerstreuung. Dass das Reisen zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen entscheidenden Bedeutungswandel erfuhr, ist einer generellen Aufwertung des Unterwegsseins geschuldet, das in seiner Gestaltung als individuelles Erlebnis mit literarischem bzw. künstlerischem Mehrwert nunmehr auch gesellschaftsübergreifend akzeptiert und intensiviert wurde.2 1

2

Nach L. Pikulik setzt mit dem Anbruch der Frühen Neuzeit besonders das Motiv der Neugier, also das Interesse am Fremden und Unbekannten, neue Anreize beim Reisen. Siehe dazu  : Pikulik, Lothar  : Erkundungen des Unbekannten. Neuzeitliche Formen des Reisens in authentischen und fiktiven Darstellungen, Hildesheim (u. a.) 2015, S. 9. Vgl. Rees, Joachim  : Lust und Last des Reisens. Kunst- und reisesoziologische Anmerkungen zu Italienaufenthalten deutscher Maler 1770–1830, in  : Büttner, Frank/Rott, Herbert W. (Hg.)  : Kennst du das Land. Italienbilder der Goethezeit [anlässlich der Ausstellung »Kennst Du das Land, Italienbilder der Goethezeit«, München, Neue Pinakothek, 4. Mai–31. Juli 2005], München 2005, S. 55–79, hier S. 55.

12 |  Selbstzeugnisse als Forschungsgrundlage einer Reisekultur am Rhein

Reisen in der Romantik bedeutet vor allem eins, nämlich, Unterwegssein, und zwar im wortwörtlichen Sinn, denn die Bewegung als solches wird zum Inbegriff des menschlichen Seins erhoben und ist dabei kein zeitlich begrenzter, sondern ein immerwährender Prozess. Keine andere Praxis hat sich in der Romantik so umfassend weiterentwickelt wie die Reisekultur  : Sie versteht »Bewegung durch den Raum als Selbstzweck«3 und setzt dabei neue Akzente, die weniger die Destination als das Reisen an sich betonen. Dass Reisen zunehmend auf die individuellen Bedürfnisse und Empfindungen abgestimmt wurden, war keineswegs neu, sondern wurzelte im philosophischen Gedankengut und Selbstverständnis der Aufklärung.4 Die Betonung von persönlichen Eindrücken und Gefühlen sowie eine unterhaltsame Ausdrucksweise beeinflussten von nun an die Reiseberichterstattung, die in Laurence Sternes A Sentimental Journey Through France and Italy (1768) ihren richtungsweisenden Auslöser fand.5 In dem Reiseroman thematisierte der Verfasser sich selbst in Bezug auf den bereisten Raum und die Erfahrung in der Fremde und stellte das Unterwegssein und die damit verbundenen Erlebnisse in den Mittelpunkt des Berichtes. Das Novum jener Sentimental Journey bestand darin, dass Sterne das Reisen selbst akzentuierte und damit Reisen zu einer emotionalen Praxis der Selbsterfahrung ausdeutete. Für gewöhnlich boten Berichte über ferne Länder den Daheimgebliebenen einen ersten Eindruck vom Reiseziel. Die meisten Reiseberichte unterstanden noch einem wissenschaftlichen Auftrag, dienten der Überprüfbarkeit und Vermittlung von praktischem Wissen und wurden von Forschenden, Seefahrern, Kaufleuten oder Missionaren verfasst.6 Erst mit der Neubewertung von Emotionen und dem Überangebot von enzyklopädischem Wissen veränderte sich auch der Anspruch an die Reiseliteratur.7 3 4

5 6 7

Pikulik, Lothar  : Romantik als Ungenügen an der Normalität  : am Beispiel Tiecks, Hoffmanns, Eichendorffs, Frankfurt/Main 1979, S. 391. Laut Herder resultiert Selbsterkenntnis aus der Erfahrung der Fremde, auch Toleranz und Menschenkenntnis werden in der Fremde geschult. Vgl. Grimm, Gunter E.: »das Beste in der Erinnerung«  : zu Johann Gottfried Herders Italien-Bild, in  : Keßler, Martin/Leppin, Volker (Hg.)  : Johann Gottfried Herder  : Aspekte seines Lebenswerkes (Arbeiten zur Kirchengeschichte 92), Berlin, New York 2005, S. 151–177, hier S. 154 f.; siehe auch  : Johann Gottfried von Herder’s sämmtliche Werke  : zur Philosophie und Geschichte, Bd. 19, Stuttgart, Tübingen 1830, S. 151. Vgl. Sauder, Gerhard  : Sternes »Sentimental Journey« und die »Empfindsamen Reisen« in Deutschland, in  : Griep, Wolfgang/Jäger, Hans-Wolf (Hg.)  : Reise und soziale Realität am Ende des 18. Jahrhunderts, Heidelberg 1983, S. 302–319. Vgl. Glaser, Horst Albert  : Weltumsegler und ihre Reiseberichte, in  : Glaser, Horst Albert/Vajda, György M. (Hg.)  : Die Wende von der Aufklärung zur Romantik 1760–1820  : Epoche im Überblick, Amsterdam (u. a.) 2001, S. 15–22, hier S. 15 f. Vgl. Schwab, Christiane  : Die Entdeckung des Alltags zwischen Aufklärung und Romantik  : Letters from Spain (1822) von José María Blanco White, München 2009, S. 46.

Hinführung zum Thema | 13

Die Neubewertung individueller Emotionen, Sehnsüchte und Erwartungen ermöglichte neue Formen der Reiseberichterstattung, die das reisende Subjekt in den Mittelpunkt stellten, die Neugier und Unterhaltungslust der Leserschaft berücksichtigten und nicht selten autobiografische Episoden enthielten.8 In der Romantik lässt sich eine veränderte Erzählstrategie erkennen, die sich von einer rein objektiven Dokumentation und einem Tatsachenbericht auf eine eindrucksvolle, gefühlsbetonte Schilderung, also Romantisierung des Erlebten verlagerte und die Entwicklung der Hauptperson fokussierte. Fortan war Reiseliteratur stärker ichbezogen und unterhaltsam formuliert  ; sie orientierte sich damit an den Prämissen des Romans, in dem nicht selten die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwammen und das subjektive Erleben im Mittelpunkt stand. Reisebeschreibungen hatten nicht länger den Anspruch, bloß Wissen zu vermitteln – sie sorgten für Kurzweil und Unterhaltung und enthielten darüber hinaus implizite Empfehlungen mit humanistischen, aber auch politischen Subtexten.9 Das Mittelrheintal – der Stromabschnitt zwischen Bingen und Bonn – entwickelte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einem verbindlichen Reiseziel der gesellschaftlichen Eliten aus Adel und Bürgertum und bildete in der Folge, neben den klassischen Routen durch Italien und Frankreich, einen Höhepunkt der Reisegesellschaften dieser Zeit.10 Ausschlaggebend dafür war auch der Wunsch nach Exklusivität, wonach die Reisenden etwas Neues fernab der bekannten Destinationen und klassischen Routen suchten.11 Mit der Entwicklung des Rheins zum Reiseziel verband sich auch eine ebenfalls in dieser Zeit einsetzende, spezifische Erwartungshaltung der Reisenden gegenüber der Geschichtsträchtigkeit der Region. Im Kontext französischer und preußischer Machtbestrebungen gewann der Rhein als territoriale Demarkationslinie national- und kulturpolitische Geltung. Neben dem ländlichen Lebens- und Arbeitsalltag der Einheimischen besann man sich auf althergebrachte Traditionen und Werte des Mittelalters  : Sodann bildeten das Ständesystem, das Zunftwesen und besonders das Rittertum Ideale, die durch die zahlreichen Burgen am Rhein erlebbar wurden.12   8 Vgl. ebd., S. 46.   9 Vgl. Sauder, Sternes »Sentimental Journey«, 1983, S. 308, S. 318 f. 10 Vgl. Geyken, Frauke  : Gentlemen auf Reisen  : das britische Deutschlandbild im 18. Jahrhundert (Campus Forschung 845), Frankfurt/Main 2002, S. 275. 11 Vgl. ebd. S. 252  ; Zunächst kamen britische Reisegesellschaften, die neue Maßstäbe im Reisekanon ihrer Continental Tour und damit neue Reisetrends im Allgemeinen festlegten. Persönlichkeiten aus dem Ausland, unter ihnen William Beckford (1782), Ann Radcliffe (1794), William Turner (1817), Alexandre Dumas (1838), Victor Hugo (1838–40) oder Mary Shelley (1840 und 1842), ließen sich von der Rheinlandschaft inspirieren, hielten ihre Reiseerlebnisse in Prosa, Briefen oder Zeichnungen fest. 12 Vgl. Sailmann, Gerald  : Der Beruf  : eine Begriffsgeschichte, Bielefeld 2018, S. 118.

14 |  Selbstzeugnisse als Forschungsgrundlage einer Reisekultur am Rhein

Vor dem Hintergrund der Neuausrichtung der Reiseliteratur und der Reiseanlässe stellt sich die Frage, wie sich in den historischen Reise- und Schreibpraktiken das romantische Potenzial der Rheinlandschaft herausstellte und welche darin eingeschriebenen individuellen, von kollektiven Erwartungen geprägten Vorstellungen den Mittelrhein als Reiseziel etablierten. Welche konkreten Praktiken und Handlungen stehen in Verbindung mit dem Reiseerlebnis am Rhein und werden von den Akteur:innen genutzt  ? Des Weiteren stellt sich die Frage, ob die individuellen (Selbst-)Entwürfe Rückschlüsse auf kollektive Reise- und Schreibmuster geben  ? Wie beeinflussten die Akteur:innen die Reisekultur ihrer Zeit und die Entwicklung des Wissens- und Erlebnisraums Rhein  ? Welche individuellen Einschreibungen und Einstellungen enthalten die Selbstzeugnisse in Bezug auf innen- und außenpolitische Entwicklungen und welche Rolle spielte dabei der Rhein  ? Ich vertrete die These, dass das Reisen im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts überhaupt erst kultiviert wurde, das heißt, dass es aus selbstbezogenen, ästhetischen Gründen erfolgte und Bestandteil einer programmatischen Lebensführung wurde. Individuell motivierte Reisen bilden in der Frühen Neuzeit kein Novum und werden selbstverständlich jenseits zeremonieller oder offizieller Aufgaben unternommen.13 Auch stellen Bildungs- und Vergnügungsreisen keine neuen Reiseformen dar, allerdings rückt nun die Beziehung zwischen den reisenden Akteur:innen und den bereisten Orten in den Vordergrund und das Reisen dient ganz klar auch der Profilierung des eigenen Ichs.14 Ein entscheidendes Merkmal für die Romantik ist, dass das Reisen nicht mehr nur als probate Praxis zur Ortsveränderung dient, sondern zu einer idealisierten Daseinsform erhoben wird. Der Literaturwissenschaftler Lothar Pikulik hat die Romantik als Ungenügen an der Normalität beschrieben und das Bestreben dieser Zeit so zusammengefasst, dass die Welt diesem Normalzustand zu entrücken, sie also zu »romantisieren« sei.15 Reisen gewährten, zumindest temporär, den Ausbruch aus gewohnten Verhältnissen, sie implizierten die Flucht vor physischer und mentaler Stagnation. Die Romantiker:innen reizten weniger die fernen exotischen Ziele als vielmehr die Gegenden, die als weniger bekannt galten.16 Ferne implizierte nicht eine räumlichmessbare Entfernung sondern eine Distanz von gesellschaftlichen Bestimmungen und

13 Vgl. dazu  : Cremer, Annette C./Baumann, Anette/Bender, Eva (Hg.)  : Prinzessinnen unterwegs  : Reisen fürstlicher Frauen in der Frühen Neuzeit, Berlin 2018. 14 Vgl. Danzer, Gerhard  : Voilà un homme  : über Goethe, die Menschen und das Leben, Berlin 2019, S. 268. 15 Vgl. Pikulik, Romantik als Ungenügen, 1979, S. 28. 16 Vgl. Bock, Benedikt  : Baedeker & Cook  : Tourismus am Mittelrhein 1756 bis ca. 1914 (Mainzer Studien zur neueren Geschichte 26), Frankfurt/Main 2010, S. 101.

Hinführung zum Thema | 15

Zwängen.17 Daher werden Landstriche aufgesucht, die abseits gesellschaftlicher Konventionen einen anderen Alltag bieten, eine eigene Normalität und Genügsamkeit, an denen die Romantiker:innen als Durchreisende jedoch nie teilhaben können.18 Ferne bedeutet hier auch beabsichtigte Distanz  : Das In-Bewegung-Bleiben ist notwendig, um in der Fremde zu keiner Zeit den Eindruck der Gewöhnlichkeit aufkommen zu lassen.19 Übertragen auf das Reisen steht dabei weniger das Ankommen als das Aufbrechen zu neuen Zielen und das Unterwegssein an sich im Vordergrund  : So gestaltet sich »der Wunsch nach der Permanenz der Bewegung«.20 Dabei ist auf den ersten Blick das Reiseziel nachrangig  ; wichtig ist das Bewusstmachen der landschaftlichen Reize und der historischen Bedeutung des bereisten Raums. Speziell die Neubewertung der Natur ist eine Besonderheit zu Beginn des 19. Jahrhunderts. »Natur als Landschaft zu genießen« war »keine frühneuzeitliche Alltagserfahrung«, sondern verweist auf die moderne Umbruchszeit.21 Die symptomatische Weltflucht resultierte auch aus den jüngst vorangegangenen Umwälzungen, die durch die Auflösung alter hierarchischer Strukturen mit dem Ende der Ständegesellschaft und der Ablösung der absolutistischen Regierungsformen eingeleitet worden waren. Die Gleichzeitigkeit von strukturellen Umwälzungen und Reformen eines beginnenden »Revolutionszeitalters«22 und einer an Tradition und Vergangenheit festhaltenden Romantik verweisen auf das umfassende Bedürfnis nach Selbstvergewisserung und kollektiver Zugehörigkeit. Persönliche Sinnsuche, Persönlichkeitsentfaltung und Selbsterneuerung bildeten Kriterien, um den fragilen äußeren Umständen eine neue stabile innere Basis entgegenzustellen. Die Erfahrung der Fremde half dabei, sich selbst zu erfahren, darüber hinaus Fremdes und Eigenes zu formulieren und im Medium Reisebericht reflexiv festzuhalten. Somit bildeten »Reisen und Reisebericht […] eine Möglichkeit zur Evasion, um in der Begegnung mit dem Fremden Eigenes klarzustellen.«23 17 18 19 20 21

Vgl. Pikulik, Romantik als Ungenügen, 1979, S. 363 f. Vgl. ebd. S. 42 f. Vgl. ebd. S. 362. Pikulik, Erkundungen des Unbekannten, 2015, S. 17. Gotthard, Axel  : Gibt es eine typisch frühneuzeitliche Raumwahrnehmung  ? in  : Neuhaus, Helmut (Hg.)  : Die Frühe Neuzeit als Epoche (= Historische Zeitschrift, Beihefte 49), München 2009, S. 307–323, hier S. 316. 22 Burckhardt, Jacob  : Geschichte des Revolutionszeitalters. Jakob Burckhardt Werke  : Kritische Gesamtausgabe, Bd. 28, aus dem Nachlass hg. von Wolfgang Hardtwig, u. a., München 2009. 23 Schmelzer, Dagmar  : Raum auf Abruf  ? Die auratische résurrection Spartas in Chateaubriands Orientreisebericht, in  : Hertrampf, Marina Ortrud M./Schmelzer, Dagmar (Hg.)  : Die (Neu)Vermessung romantischer Räume  : Raumkonzepte der französischen Romantik vor dem Hintergrund des spatial turn, Berlin 2013, S. 47–70, hier S. 47.

16 |  Selbstzeugnisse als Forschungsgrundlage einer Reisekultur am Rhein

Abb. 1  : Jean-Baptiste Greuze, Ein Wanderer auf seinem Reisebündel sitzend und ausruhend, Braune Kreide, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen.

Das Reisen in der Romantik war ein komplexer Lern- und Selbstfindungsakt, der sich in erster Linie als innerer Prozess vollzog, welcher sich immer auch in körperbezogenen Handlungen präsentierte.24 Das Wandern hat in keiner anderen Epoche eine derart populäre Entfaltung erfahren wie in der Romantik  ; es wurde zum Erkennungszeichen der Reisenden jener Zeit.25 Romantiker:innen auf Reisen inszenierten sich häufig als Einzelgänger:innen, als ziellos Umherziehende, die in ihrer Abgeschiedenheit ein Bewusstsein für die Ursprünglichkeit der Natur entwickelten. Nicht wenige Akteur:innen stilisierten sich in ihren Reiseberichten als einsame Wandernde.26 Das Reisen wurde fortan zum Selbstzweck, 24 Vgl. Schulz, Gerhard  : Romantik  : Geschichte und Begriff, München 2008, S. 91. 25 Vgl. Pikulik, Romantik als Ungenügen, 1979, S. 391. 26 Selbst die in dieser Arbeit zu Wort kommenden gemeinsam reisenden Akteur:innen stellen nicht selten das eigene Reiseerlebnis in den Vordergrund. Arnims und Brentano Reisewege trennten sich nach dem gemeinsamen Rheinaufenthalt. Johanna Schopenhauer erwähnt nur in der Privatkorrespondenz, dass ihre Tochter Adele sie begleitete. Chézy spricht nur vage von einer Reisegemeinschaft, die übrige Reise erscheint als Erfahrung einer Einzelnen. Auch andere prominente Beispiele (Victor Hugo) zeigen, dass die Stilisierung der Einzelreise selten der Realität entsprach. Siehe dazu  : Matzat, Wolfgang  : Verfremdung und Aneignung in Victor Hugos Le Rhin  : Reisebericht zwischen Realität und

Hinführung zum Thema | 17

so lässt sich die Zäsur der Reisekultur im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert am treffendsten bezeichnen, die das Unterwegssein an sich und das anschließende Berichten darüber zum eigentlichen Ziel und zum Reiseanlass bestimmte.27 Dieser Selbstzweck des Reisens tritt in solchen Textsorten explizit hervor, in denen das schreibende Selbst im Mittelpunkt steht  : Selbstzeugnisse. Darin werden die Akteur:innen als schreibende Zeitzeug:innen sichtbar  : Sie formulieren politische, kulturelle und soziale Zugehörigkeiten, dokumentieren Emotionen und Erfahrungen, bestätigen oder brechen Narrative. Die Reiseberichte reflektieren das soziale sowie geistige Selbstverständnis von Persönlichkeiten, die ihr literarisches Schaffen nebenbei auch als kulturpolitischen Auftrag und patriotischen Beitrag verstehen.28 Sechs Vertreter:innen der Romantik lasse ich in dieser Arbeit zu Wort kommen, indem ich mich mit den Verschriftlichungen ihrer Rheinerlebnisse beschäftige und sie hinsichtlich ihrer Schreib- und Reisepraktiken, ihrer selbstreflektierten Erfahrungen, ihrer eingeschriebenen Vorstellungen und Emotionen als Zeugnisse einer romantischen Reisekultur am Rhein lese  : die Briefe von Clemens Brentano und Achim von Arnim, die Rheinschilderungen von Helmina von Chézy, Johanna Schopenhauers Rheinreise­ berichte sowie das gemeinsam verfasste Reisetagebuch von Wilhelm und Adelheid Müller. Die Auswahl der Quellen ergibt sich einerseits aus der wissenschaftlichen Würdigung und den daraus resultierenden Forschungsbemühungen, die einen erheblichen Teil der Zeugnisse als bereits zugänglich und recherchierbar präsentieren.29 Abseits dieser erschlossenen Quellen existieren Dokumente, die aufgrund ihrer von der Forschung als weniger erkenntnisreich eingestuften Urheberschaft, ihrer Überlieferungsart oder Thematik bisher unzureichend bis gar nicht erforscht sind.30 Die Gegenüberstellung

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Imagination, in  : Jung, Willi/Lichtlé, Michel (Hg.)  : Der Rhein – Le Rhin  : im deutsch-französischen Perspektivenwechsel – Regards croisés franco-allemands, Göttingen 2019, S. 233–243, hier S. 233. Lothar Pikulik meint, dass generell die Bewegung im Raum zum Selbstzweck wird, ja, Reisen um des Reisens willen unternommen werden, in  : Ders., Romantik als Ungenügen an der Normalität, 1979, S. 391  ; Alexander Schmidt sieht im Selbstzweck den größten Unterschied zum adligen Reisen und die wichtigste Errungenschaft der bürgerlichen Bildungsreise, in  : Ders.: Reisen in die Moderne  : der Amerika-Diskurs des deutschen Bürgertums vor dem Ersten Weltkrieg im Europäischen Vergleich, Berlin 1997, S. 61. Vgl. Linder-Beroud, Waltraud  : »Immer hör’ vom Rhein ich singen …«  : der Rhein – ein Strom deutschen Gefühls, in  : Brednich, Rolf Wilhelm/Schmitt, Heinz (Hg.)  : Symbole  : zur Bedeutung der Zeichen in der Kultur (30. Deutscher Volkskundekongreß in Karlsruhe vom 25. bis 29. September 1995), Münster (u. a.) 1997, S. 267–284, hier S. 271. Dazu lässt sich die Korrespondenz von Arnim und Brentano zählen, die bereits gut erforscht und in edierter Form vorliegt. Tatsächlich lassen sich die übrigen hier vorgestellten Selbstzeugnisse von Chézy, Schopenhauer und den Müllers dieser Rubrik zuordnen.

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der Konvolute verspricht eine repräsentative Erfassung der historischen Schreib- und Reisepraktiken bürgerlicher Reisender aus der Zeit der Romantik. Die vorliegenden Texte von Achim von Arnim, Clemens Brentano, Helmina von Chézy, Johanna Schopenhauer sowie Adelheid und Wilhelm Müller lese ich als Selbstzeugnisse, da sie anders als konventionelle oder apodemische Reisebeschreibungen nicht (nur) als sachliche und informative Ratgeber oder chronologische Abfolgen das Geschehene darlegten, sondern als komplexe Niederschriften der Selbstthematisierung und Selbstdarstellung dienten. Die Bewertung der Quellen als Selbstzeugnisse resultiert aus mehreren formalen und inhaltlichen Kriterien. Ich beziehe mich zunächst auf Benigna von Krusenstjerns Definition, wonach Dokumente als Selbstzeugnisse zu bewerten sind, in denen ein Verfasser beziehungsweise eine Verfasserin freiwillig das eigene Handeln und Denken thematisiert.31 Im Gegensatz zu einem Reiseratgeber oder -führer setzt ein Selbstzeugnis »mehr als nur einen Berichterstatter oder Augenzeugen voraus«,32 nämlich das Agieren des Verfassers bzw. der Verfasserin innerhalb des Berichtes und die Reflexion des eigenen Handelns. Die schreibende Person tritt als handelndes Selbst mit individuellen Wünschen und Gefühlen in Aktion.33 Ein Reisebericht ist nie losgelöst von der schreibenden Person, die sich durch gesellschaftlich determinierte und im Text vermittelte Vorstellungen in einen Wertekanon einreihte oder Brüche provozierte, etwa durch sozial- oder religionskritische Tendenzen.34 Die schreibenden Akteur:innen stellen letztendlich sich selbst und ihre Wahrnehmung in den Vordergrund der Aufzeichnungen.35 Neben unmittelbaren Erlebnissen sorgen auch nachträglich reflektierte Gedankengänge dafür, die Echtheit des Erlebten zu bestätigen.36 31 Krusenstjern, Benigna von  : Was sind Selbstzeugnisse  ?   : begriffskritische und quellenkundliche Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert (= Historische Anthropologie 1994/3), S. 462–471, hier S. 463. 32 Vgl. ebd., S. 464. 33 Vgl. ebd. 34 Vgl. Schab, Entdeckung des Alltags, 2009, S. 47 f. 35 Vgl. Brenner, Peter  : Der Reisebericht in der deutschen Literatur  : ein Forschungsüberblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte (IASL, Sonderhefte 2), Tübingen 1990, S. 21  ; Kauß, Anja  : Der Einsiedler Steinigung und Siechtum vor romantischer Kulisse  : George Sands Reisebericht Un hiver à Majorque (1842) als Versuch einer Abrechnung, in  : Hertrampf, Marina Ortrud M./Schmelzer, Dagmar (Hg.)  : Die (Neu)Vermessung romantischer Räume  : Raumkonzepte der französischen Romantik vor dem Hintergrund des spatial turn, Berlin 2013, S. 153–174, hier S. 154  ; Martin, Alison E./Missinne, Lut/ van Dam, Beatrix  : Introduction, in  : Dies. (Hg.)  : Travel Writing in Dutch and German, 1790–1930  : Modernity, Regionality, Mobility, New York, London 2017, S. 8. 36 Vgl. Köhler, Ulrike Kristina  : Poetik der Nation  : Englishness in der englischen Romantik (Studia Imagologica  : Amsterdam Studies on Cultural Identity 25), Leiden, Boston 2019, S. 86.

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Selbstzeugnisse wie Briefe und Tagebücher – also mit stark autobiografischem Inhalt – erteilen Auskunft über die denkenden und handelnden Akteur:innen, deren niedergeschriebenen Vorstellungen, Erfahrungen und Erlebnisse.37 Die soziale Konformität der Akteur:innen zeigt Kongruenzen und Brüche beim Reiseverhalten, sodann den Austausch mit anderen Gesellschafts- und Reisegruppen  ; dies wird im Einzelfall zu untersuchen sein. Anhand der Kategorie Geschlecht ist indes zu prüfen, welchen gesellschaftlich konstruierten Rollenbildern von Mann und Frau sich die Verfasser:innen ausgesetzt fühlten und wie sie ihre Lebensführung in den Selbstzeugnissen zu rechtfertigen suchten. Neben dem Geschlecht können Alter, und – soweit nachvollziehbar – mentales und körperliches Befinden, berufliche und individuelle Entwicklung ebenfalls Rückschlüsse auf den Entstehungskontext der Zeugnisse liefern. Für die Bewertung der Reisekultur am Rhein bilden die Selbstzeugnisse wertvolle Quellen, da sie mögliche Kongruenzen zwischen den Ansprüchen, Hoffnungen und der Reisewirklichkeit aufzeigen und darüber hinaus spezifisch romantische Denk- und Handlungsmuster in Bezug auf Reise-, Selbst- und Fremderfahrungen offenlegen. Die stärker auf das Selbst bezogenen Rheinbeschreibungen bilden in diesem Kontext »eine Art unfreiwilliger kultureller Selbstdarstellung«.38 1.2 Forschungsstand Bei der Erforschung der europäischen Reisekultur und speziell der Rheinromantik fällt auf, dass Selbstzeugnisse in den meisten Untersuchungen bisher (noch) eine untergeordnete Rolle spielen  : Zumeist fungieren sie als Synonyme für Korrespondenzen und Lebensbeschreibungen oder sind Bestandteil eines schriftstellerischen Gesamtwerks.39 Neue Ansätze aus der Selbstzeugnisforschung fördern eine allmähliche Loslösung der Reiseliteratur von ihrer begrifflichen und methodischen Eingrenzung durch die traditionellen Stammfächer. Die deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft bietet eine große Auswahl an Fachliteratur zur Reisekultur und Rheinromantik, auch existieren aufschlussreiche Beiträge aus den Bereichen der Gender Studies, Musikwissenschaften, Religionswissenschaften, aus der Raumforschung und der Kunstgeschichte.40 Aufgrund 37 Vgl. Krusenstjern, Selbstzeugnisse, 1994, S. 467. 38 Harbsmeier, Michael  : Reisebeschreibungen als mentalitätsgeschichtliche Quellen, in  : Mączak, Antoni/ Teuteberg, Hans Jürgen (Hg.)  : Reiseberichte als Quellen europäischer Kulturgeschichte (Wolfenbütteler Forschungen 21), Wolfenbüttel 1982, S. 1–32, hier S. 1 f. 39 Siehe dazu  : Günzel, Klaus  : König der Romantik  : das Leben des Dichters Ludwig Tieck in Briefen, Selbstzeugnissen und Berichten, Tübingen 1981. 40 Beispielsweise  : Simon, Michael/Seidenspinner, Wolfgang/Niem, Christina (Hg.)  : Episteme der

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der Konzentrierung beziehungsweise Beschränkung auf das eigene Forschungsfeld halten sie kaum genre- oder fachübergreifende Ansätze bereit, die eine differenzierte Untersuchung der Rheinromantik eröffnen. Die einseitige Erforschung erzählender Literatur hat eine Auswertung anderer, bisher unterrepräsentierter Quellen und Zeugnisse weitgehend unterbunden, wobei die Hervorhebung von Prosa selbst ein Resultat der romantischen Schule ist.41 Die personenbezogene Fokussierung der Sprach- und Literaturwissenschaft unter Berücksichtigung der werkbiografischen Entwicklung stellt historische Akteur:innen in Beziehung zu ihrer Wirkungszeit und Rezeptionsgeschichte. Diese Bevorzugung unterbindet allerdings eine Auseinandersetzung mit anderen Personengruppen, die sich weder über ihre Professionalität oder Popularität definierten und außerhalb ihrer selbst verfassten oder diktierten Schriftstücke über kein Speichermedium erinnerbar blieben.42 Die Reiseliteratur ist dafür prädestiniert, die Entwicklung des mittleren Rheintals als Sehnsuchtsort in der Romantik nachzuzeichnen, da es sich bei dem Stromabschnitt um eine geografisch und räumlich fixierte Größe handelt, die vorwiegend reisend und vor Ort erkundet wird. Die Erforschung der Zusammenhänge von Rheinromantik und Reisekultur bildet bereits den Schwerpunkt diverser Arbeiten.43 Gisela Dischner Romantik  : volkskundliche Erkundungen, Münster 2014 (verschiedene Aufsätze)  ; Nebgen, Christoph  : Konfessionelle Differenzerfahrungen  : Reiseberichte vom Rhein (1648–1815) (Ancien Régime  : Aufklärung und Revolution 40), München 2014  ; Schönhagen, Astrid Silvia  : À la mode  : pittoreske Ansichten vom Rhein, das Interieur als Medium der Inszenierung von Rheinromantik und Westfalen-Mythos um 1800, in  : Wieder »salonfähig«  : Leinwand- und Papiertapeten des 18. Jahrhunderts (Denkmalpflege in Rheinland-Pfalz  : aus Forschung und Praxis 2), Petersberg 2016, S. 162–176  ; Bab, Bettina/Arend, Helga (Hg.)  : Romantik, Reisen, Realitäten  : Frauenleben am Rhein, Bonn 2002  ; Massenkeil, Günther  : Rheinromantik in der Musik  : eine Bestandsaufnahme, in  : Bodsch, Ingrid (Hg.)  : »An den Rhein, an den Rhein …«  : das malerische und romantische Rheinland in Dokumenten, Literatur und Musik, Karl Simrock (1802–1876) zum 200. Geburtstag gewidmet, Bonn 2002, S. 31–44  ; Kross, Siegfried (Hg.)  : Musikalische Rheinromantik  : Bericht (Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte 140), Kassel 1989. 41 Bereits Friedrich Schlegel wertete den Roman als »die ursprünglichste, eigentümlichste und vollkommenste Form der romantischen Poesie«. Zit. nach Bunzel, Wolfgang  : Briefnetzwerke der Romantik  : Theorie – Praxis – Edition, in  : Bohnenkamp, Anne/Richter, Elke (Hg.)  : Brief-Edition im digitalen Zeitalter (Beihefte zu editio, Bd. 34) Berlin, Boston 2013, S. 109–131, hier S. 111. 42 Ein seltenes Beispiel liefert Ulrich Bräker, ein einfacher Tagelöhner, welcher ohne literarische Ambitionen seine entbehrungsreiche Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg (1788) in einem Diarium festhielt. Damit beschäftigt hat sich zuletzt Claudia Ulbrich in ihrem Aufsatz  : Schreibsucht  ? Zu den Leidenschaften eines gelehrten Bauern, in  : Dies. (Hg.)  : Verflochtene Geschichte(n)  : ausgewählte Aufsätze zu Geschlecht, Macht und Religion in der Frühen Neuzeit, Köln, Wien 2014, S. 190–200. 43 Siehe dazu  : Lange, Sigrid/Bank, Matthias von der (Hg.)  : Vom Rhein nach Italien  : auf den Spuren der Grand Tour im 19. Jahrhundert, Petersberg 2019  ; Beller, Manfred/Leerssen, Joep (Hg.)  : The Rhine  : national tensions, romantic visions (European studies  : an interdisciplinary series in European culture,

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erkennt die Ursprünge der Rheinromantik in England (1972), und zwar gut zehn Jahre vor Beginn der deutschen Rheinromantik. So habe erst der neuartige Natur- und Landschaftsblick der reiseerfahrenen Engländer:innen den Mittelrhein auf der Durchreise als Pendant zum klassischen Italien etabliert.44 Andere Studien erörtern die Rheinbegeisterung anhand der zeitgenössischen Reiseliteratur  : So erläutert Ulrike Pretzel die Gattungsgeschichte des Reiseführers am Beispiel der Baedeker-Ausgaben vom Rhein, wobei sie schwerpunktmäßig semantische und stilistische Merkmale der Texte herausstellt.45 Zuletzt hat Thilo Nowack eine Abhandlung zum Ausflugs- und Erholungstourismus am Mittelrhein vorgelegt.46 Nowack erschließt neue und aufschlussreiche Quellen zur Einordnung der infrastrukturellen Entwicklungen und Prozesse am Mittelrhein, versäumt aber eine kritische Gegenüberstellung der Dokumente sowie eine dem Titel nach zu erwartende Rückbindung an die Romantik, die hier lediglich als Referenzrahmen für die Rekonstruktion der touristischen Vermarktung der Region dient. Das Gros der wissenschaftlichen Studien hierzulande bietet einen recht eingeschränkten, an deutschsprachigen Quellen orientierten Blick auf die Rheinroman­tik.47 Forschungsarbeiten aus dem Ausland versprechen eine teils differenziertere, in Ansätzen interdisziplinär kooperierende Auswertung von Reiseliteratur, die auch semi- und nicht-fiktionale Zeugnisse einschließt und die Romantisierung des Rheins als paneuropäisches Phänomen erfasst.48 Die Rekonstruktion der geschichtswissenschaftlichen Entwicklung der Reisekultur am Rhein zur Zeit der Romantik gestaltet sich hierzulande diffizil. Selbst Monografien zur touristischen Entwicklung des Rheins und der Rheinromantik sind meist als populäre, unterhaltsame Studien angelegt, die stärker deskriptiv als analytisch vorgehen und

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history and politics 43), Leiden (u. a.) 2017  ; Weihrauch, Franz Joseph  : Geschichte der Rheinreise  : 1770–1860, Politik, Kultur, Ästhetik und Wahrnehmung im historischen Prozess, Darmstadt 1989. Vgl. Dischner, Gisela  : Ursprünge der Rheinromantik in England  : zur Geschichte der romantischen Ästhetik (Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts 17), Frankfurt/Main 1972, S. 37 f. Pretzel, Ulrike  : Die Literaturform Reiseführer im 19. und 20. Jahrhundert  : Untersuchungen am Beispiel des Rheins (Europäische Hochschulschriften, 1  : Deutsche Sprache und Literatur 1531), Frankfurt/Main 1995. Nowack, Thilo  : Rhein, Romantik, Reisen  : der Ausflugs- und Erholungsreiseverkehr im Mittelrheintal im Kontext gesellschaftlichen Wandels (1890 bis 1970), Berlin 2006, URN  : https://nbn-resolving.org/ urn  :nbn  :de  :hbz  :5-08825, letzter Zugriff  : 06.04.2022. Ausnahmen bilden freilich Dischners und Fechners Studien zum englischen beziehungsweise italienischen Beitrag in der Entdeckung der Rheinlandschaft und deren Etablierung als romantisches Reiseziel. Siehe dazu  : Martin/Missinne/van Dam, Travel Writing, 2017  ; Thompson, C. W.: French Romantic Travel Writing  : Chateaubriand to Nerval, Oxford 2012, S. 139–160, Belle/Leerssen, The Rhine, 2017.

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vortouristische Entwicklungen ausklammern.49 Möglicherweise können die bestehenden Forschungslücken auch darauf zurückgeführt werden, dass das Reiseverhalten in der Romantik bisher nur unzureichend als eigenständige Kulturpraxis analysiert wurde und dass lediglich romantische Vorstellungen und Motive einer hauptsächlich künstlerisch-ästhetisch (und später patriotisch) geprägten Reisekultur vorgestellt wurden, ohne die Reisehandlungen mit den Ansprüchen und Vorstellungen der Akteur:innen in Bezug zu setzen.50 Indem die Romantik häufig auf ein bestimmtes Lebensmodell oder einzelne Wissenschaftszweige abstrahiert wird, verliert sie ihre Diversität und damit auch den Reiz, einen kontroversen und fachübergreifenden Dialog einzugehen. Sodann analysieren vereinzelte Fachpublikationen das Reiseverhalten in der Romantik an den Rhein oftmals unter fachinternen Prämissen, beispielsweise im Kontext der Geschlechterforschung als Ausdrucksform einer spezifisch weiblichen Mobilität.51 Peter Brenner bietet mit seinem Reisebericht in der deutschen Literatur (1990) ein Einführungswerk, das den Reisebericht der Romantik knapp auf die »Idealisierung und Poetisierung der Wirklichkeit«52 reduziert. Die Grundlage der Rheinromantik erkennt Brenner im Zusammenwirken der touristischen Entdeckung des Rheins und der Zunahme von Reiseführern.53 Das Ineinandergreifen von Literarität und Mobilität bestätigt sich auch in Michael Maurers Sammelwerk, welches Neue Impulse der Reiseforschung (1999) vereinigt, das die soziokulturelle Ausformung sowie die Literarisierung von Reisen in den Fokus rückt. Sowohl bei Brenner als auch bei Maurer werden Schreibpraktiken erschlossen, die das Reisen als Kulturtechnik etablierten und begleiteten. 49 Wenn auch Tümmers materialreiche Flussgeschichte von 1992 erstmals eine »mehrperspektivische Darstellung im Überschneidungsfeld von Kultur- und Umweltgeschichte« am Rhein bietet. Laux, Stephan  : Rezension zu  : Horst Johannes Tümmers  : Der Rhein  : ein europäischer Fluss und seine Geschichte, München  : C. H. Beck 1999, in  : sehepunkte 7 (2007), Nr. 5, 3 [15.05.2007], URL  : http://www.sehe punkte.de/2007/05/11180.html, letzter Zugriff  : 17.10.2018  ; Tümmers, Horst Johannes  : Der Rhein  : ein europäischer Fluss und seine Geschichte, München 1999  ; In einem früheren Werk zur Rheinromantik bezieht sich Tümmers zwar auf eine (bürgerliche) Reisekultur am Rhein, bewertet ihre Entwicklung zum Massenphänomen aber negativ als selbstzerstörerischen Prozess. Siehe dazu  : Korn, Karl  : Rezension zu  : Horst Johannes Tümmers  : Rheinromantik  : Romantik und Reisen am Rhein, Köln 1968 (= Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.05.1970), S. BuZ5. 50 Siehe dazu  : Cepl-Kaufmann, Gertrude  : Mythos Rhein  : vom romantischen Traum zur politischen Instrumentalisierung. in  : Bunzel, Wolfgang/Hohmann, Michael/Sarkowicz, Hans (Hg.)  : Romantik an Rhein und Main  : eine Topographie  ; ein Projekt der Romanfabrik Frankfurt/Main unter Mitwirkung des Freien Deutschen Hochstifts und des Literaturlandes Hessen, Darmstadt 2014, S. 57–79. 51 Siehe dazu  : Bab, Bettina/Arend, Helga (Hg.)  : Romantik, Reisen, Realitäten  : Frauenleben am Rhein, Bonn 2002  ; Jüssen, Anne  : Die Töchter der Loreley  : Romantik, Revolution und Feynsinn, Frauen am Rhein, Königstein/Taunus 2004. 52 Brenner, Reisebericht, 1990, S. 334. 53 Vgl. ebd. S. 338.

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Bei der Beschäftigung mit dem Medium Reiseführer zeigt sich, dass die touristische Entwicklung und Kommerzialisierung des Rheins parallel zur Entwicklung der Gattung selbst verliefen.54 Anhand einer speziellen Form der Überlieferung wird diese stark selbstreferenzielle Absicht deutlich, und zwar in Selbstzeugnissen. Seit etwa 30 Jahren rücken Schriften wie Briefe, Tagebucheinträge, Autobiografien, Memoiren, ferner auch Haushaltsbücher, Testamente, Chroniken sowie weitere schriftlich fixierte Dokumente von Privatpersonen in das Blickfeld der Forschung.55 Schriften mit hohem selbstreferenziellen Anteil bieten neue Untersuchungsbereiche für wissenschaftliche Abhandlungen, die den Lebensalltag von historischen Akteur:innen anhand von Verwandtschaftsverhältnissen oder Krankengeschichten analysieren.56 Die Erforschung von Alltagskultur in der Romantik unter Zuhilfenahme privater Zeugnisse lässt neben individuellen, konfessionell oder politisch geprägten Vorstellungen und Praktiken auch Rückschlüsse auf Selbstverständnis und Habitus kollektiver Gruppen und sozialer Eliten zu.57 Neue Forschungsansätze zur Rheinromantik beziehen sich auf andere schriftliche, bildhafte und materielle Quellen, welche die Handlungs- und Wahrnehmungsmuster historischer Akteur:innen am Rhein beschreiben.58 Das Erkenntnisinteresse der Reiseforschung richtet sich auf die in Dokumenten enthaltenen Narrative, Motive der Selbstdarstellung und den Anspruch der Verfasser:innen auf gesellschaftliche Bestätigung.59 54 Für die neuere Tourismusforschung ausgearbeitet in dem sehr übersichtlichen und profund recherchierten Werk über die beiden auf Reisen spezialisierten Unternehmen  : Bock, Baedeker & Cook, 2010. 55 Vgl. Ulbrich, Claudia/Medick, Hans/Schaser, Angelika (Hg.)  : Selbstzeugnis und Person  : transkulturelle Perspektiven (Selbstzeugnisse der Neuzeit 20), Köln (u. a.) 2012. 56 Siehe dazu  : Pape, Walter (Hg.)  : Die alltägliche Romantik  : Gewöhnliches und Phantastisches, Lebenswelt und Kunst (Schriften der Int. Arnim-Gesellschaft 11), Berlin, Boston 2016  ; Piller, Gudrun  : Krankheit schreiben  : Körper und Sprache im Selbstzeugnis von Margarethe E. Milow-Hudtwalcker (1748–1794) (Historische Anthropologie 7, 1999/1), S. 212–235. 57 Siehe dazu  : Spies, Britta  : Das Tagebuch der Caroline von Lindenfels, geb. von Flotow (1774–1850), Münster 2009  ; Teske, Gunnar (Hg.)  : Adelige über sich selbst  : Selbstzeugnisse in nordwestdeutschen und niederländischen Adelsarchiven, Münster 2015  ; Amelang, James S.: The Flight of Icarus  : Artisan autobiography in early modern Europe, Stanford 1998. 58 Beispielsweise bieten sich Besucherjournale zur Auswertung der Reiseströme und der Entwicklung des Rheins als Reiseziel an  : Ein »Who is Who« der Rheinromantik  : die Besucherbücher der Burg Klopp 1826–1882, hg. von der Historischen Gesellschaft Bingen e.V., Bad Kreuznach 2010. 59 Philipp Prein untersucht in seiner Dissertation anhand von vorwiegend ungedruckten Selbstzeugnissen das Reiseverhalten bürgerlicher Oberschichten im 19. Jahrhundert. Die Analyse zeigt, dass in Reiseberichten »gleichermaßen Fremd- und Selbsterfahrung, historische Tiefe und soziale Distinktion zur Sprache gebracht und vergleichend verhandelt« wurden. Thorsten Fitzon  : Rezension zu  : Philipp Prein  : Bürgerliches Reisen im 19. Jahrhundert  : Freizeit, Kommunikation und soziale Grenzen, Münster, Hamburg, Berlin, London  : LIT 2005, in  : sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL  : http:// www.sehepunkte.de/2006/03/8935.html, letzter Zugriff  : 21.06.2018.

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Innerhalb der Geisteswissenschaften bildet die Selbstzeugnisforschung im deutschen Sprachraum eine relativ junge Teildisziplin, deren Ergebnisse bereits in diversen Editionsprojekten und Datensammlungen erschlossen und abrufbar sind.60 Die Selbstzeugnisforschung stellt Textsorten in den Mittelpunkt, in denen, vereinfacht formuliert, ein schreibendes Selbst freiwillig und aus eigenem Antrieb Zeugnis über sich selbst ablegt.61 Die erforderte Objektivität wissenschaftlichen Arbeitens hinterfragt den Erkenntniswert hinsichtlich der Verwendbarkeit und Glaubwürdigkeit subjektiv formulierter Quellen. Historiker:innen stellen die Frage, ob und wie sich »überhaupt aus individualisierten Lebensentwürfen Muster ableiten und Prozesse erkennen«62 lassen, wie also von Einzelfällen ausgehend umfassende Aussagen zur Selbstzeugnisforschung getroffen werden können. Die banal wirkende Definition des Vorgangs »Zeugnis über sich selbst abzulegen«63 soll nicht über den Erkenntniswert der in diesen Dokumenten vermittelten personellen und kollektiven Deutungen, Denkweisen und Beziehungen hinwegtäuschen, die zur Einordnung von histo­ rischen Zusammenhängen den einzelnen handelnden und denkenden Menschen 60 Über die Schweizerische Selbstzeugnisdatenbank können Verfasser:innen von Selbstzeugnissen aus diesem Sprachraum gesucht werden  : URL   : http://wp.unil.ch/egodocuments/de/einleitung/, letzter Zugriff  : 06.04.2022  ; Selbstzeugnisse der Frühen Neuzeit bündelt die Datenbank der HerzogAugust-Bibliothek Wolfenbüttel (URL  : http://selbstzeugnisse.hab.de, letzter Zugriff  : 17.03.2022), auch Erzähl- und Lesetechniken werden in Archiven erschlossen (URL  : https://www.kultur.uni-hamburg. de/vk/einrichtungen/archivfae.html, letzter Zugriff  : 17.03.2022). Eine Datenbank bemüht sich um die Sammlung und thematische Aufarbeitung von Reiseberichten und Itinerarien des Spätmittelalters aus Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, den Niederlanden, England und Russland (URL  : http:// www.digiberichte.de, letzter Zugriff  : 17.03.2022). 61 Vgl. Krusenstjern, Selbstzeugnisse, 1994, S. 470. In den Niederlanden entwickelte sich die Erforschung von Ego-Dokumenten bereits in den 1950er-Jahren durch den Historiker Jaques Presser und wird heute fortgeführt von Rudolf Dekker (laufende Studien einsehbar über URL  : http://www.ego document.net, letzter Zugriff  : 17.03.2022). In Deutschland etablierte Winfried Schulze den Begriff in dem Sammelband über »Ego-Dokumente  : Annäherung an den Menschen in der Geschichte« (1996). Neuere Forschungsansätze bevorzugen allerdings den Begriff Selbstzeugnis  : So widmen sich einzelne Projekte beispielsweise der Erforschung Mitteldeutscher Selbstzeugnisse aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges (ThULB Jena, Hans Medick, Norbert Winnige), der Erforschung von Selbstzeugnissen in transkultureller Perspektive (F U Berlin, Claudia Ulbrich), der Erforschung einzelner Epochen, etwa Selbstzeugnissen der Frühen Neuzeit (Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel), oder einzelnen Regionen und Nationen, etwa Deutschschweizerischen Selbstzeugnissen der Frühen Neuzeit (Kaspar von Greyerz). 62 Jancke, Gabriele/Ulbrich, Claudia  : Vom Individuum zur Person  : neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung, in  : Dies. (Hg.)  : Vom Individuum zur Person  : neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung (Querelles, Jahrbuch für Frauen- und Geschlechterforschung 10), 2005, S. 7–27, hier S. 12. 63 Krusenstjern, Selbstzeugnisse, 1994, S. 462.

Forschungsstand | 25

einbeziehen – und zwar unabhängig von dessen Status, Herkunft, Geschlecht und Profession.64 Das wissenschaftliche Interesse an individuellen Schicksalen und Lebensläufen hat den Weg für zahlreiche mikrohistorische Studien geebnet, die mit ihren Ergebnissen wesentliche Zusammenhänge und Entwicklungen der Alltags- und Mentalitätsgeschichte erklärbar machen.65 Da Selbstzeugnisse keinem bestimmten Genre zuzuordnen sind – somit eine gewisse »Formfreiheit« vorherrscht – können sie sich sehr vielgestaltig präsentieren.66 Diese Optionalität offenbart wiederum, dass es sich bei den genannten Textsorten nicht zwangsläufig um Selbstzeugnisse handeln muss.67 Erzählstruktur, Reflexion und Thematisierung entscheiden über den personenbezogenen Aussagewert eines Dokumentes  : So bietet die vorsätzliche und explizite Selbstthematisierung in erster Linie Informationen über eigene Erfahrungen und Deutungen, aber auch unfreiwillige Aussagen impliziter Form, die unbewusst über Werte- und Moralvorstellungen referieren, etwa auch in Form der Beschreibung von Schicksalen, Erlebnissen, Leidens- und Lebensgeschichten anderer Personen.68 Michael Harbsmeier hat darauf verwiesen, dass zahlreiche Reisebeschreibungen der Neuzeit lange nicht in das Blickfeld wissenschaftlicher Forschung rückten, da sie »weder den Kriterien historischer Quellenkritik noch den hohen ästhetischen Ansprüchen einer auswählenden Literaturwissenschaft« gerecht wurden.69 Zudem blieben Quellen unbe64 Vgl. ebd., S. 462. 65 Als jüngste Veröffentlichungen seien hier genannt  : Henny, Sundar  : Vom Leib geschrieben  : der Mikrokosmos Zürich und seine Selbstzeugnisse im 17. Jahrhundert, Köln, Weimar (u. a.) 2016  ; Schmiedel, David  : »Du sollst nicht morden«  : Selbstzeugnisse christlicher Wehrmachtssoldaten aus dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, Frankfurt/Main, New York 2017  ; Wendler, Ulf  : Philipp Julius Toppius (1649–1727)  : Selbstzeugnisse eines Pastors und die Disziplinierung der ländlichen Gesellschaft, Uelzen 2017. Im Rahmen eines DFG-Projektes widmete sich die Forschungsgruppe der F U Berlin bis 2012 der kritischen Edition sämtlicher Schriften der Schauspielerin Karoline Schulze-Kummerfeld (1742–1815). Als Schlüsselwerk zur Mikrogeschichte gilt Carlo Ginzburgs »Der Käse und die Würmer  : die Welt eines Müllers um 1600« (1979), in dem die Vorstellungswelt eines Müllers anhand von Verhörprotokollen anlässlich dessen Anklage als Hexer rekonstruiert wird. 66 Dekker, Rudolf  : Ego-Dokumente in den Niederlanden vom 16. bis zum 17. Jahrhundert. In  : Schulze, Winfried (Hg.)  : Ego-Dokumente  : Annäherung an den Menschen in der Geschichte (Selbstzeugnisse der Neuzeit 2), Berlin 1996, S. 33–57, hier S. 41. 67 Laut Benigna von Krusenstjern sind Autobiografien immer den Selbstzeugnissen zuzuordnen (Dies., Selbstzeugnisse, 1994, S. 467). 68 Vgl. Leutert, Sebastian/Piller, Gudrun  : Deutschschweizerische Selbstzeugnisse (1500–1800) als Quellen der Mentalitätsgeschichte  : ein Forschungsbericht (Schweizerische Zeitschrift für Geschichte = Revue suisse d’histoire = Rivista storica svizzera 49, 2), S. 197– 221, hier S. 202  ; Kusenstjern, Selbstzeugnisse, 1994, S. 463, 465. 69 Harbsmeier, Reisebeschreibungen als mentalitätsgeschichtliche Quellen, 1982, S. 1.

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achtet, die laut Titelangabe nicht explizit auf eine Reise hinweisen oder aufgrund ihrer Gattung von vornherein ausgesondert wurden.70 Autobiografische und selbstreferentielle Schriften adliger und bürgerlicher Personengruppen mit besonderer Gewichtung der Frühen Neuzeit sind bereits in Ansätzen für die Selbstzeugnisforschung erschlossen.71 Dabei rücken Reiseberichte in Tagebuch- oder Briefform, die bisher aufgrund fehlender kritischer Edition und Aufarbeitung oder ihrer Nicht-Publikation und vermeintlichen Unwissenschaftlichkeit gemieden wurden, jüngst in das Blickfeld der Forschung.72 So beschäftigen sich Gabriele Jancke und Sebastian Cwiklinski in einem Aufsatz mit der »Gastfreundschaft im Reisebericht«, und zwar hinsichtlich räumlich gebundener Personenkonzepte.73 Dass hier Texte mit primär religiösen Bezügen ausgewertet werden, zeigt die bestehende Dominanz von Glaubens- und Konfessionsfragen bei der Erforschung interpersoneller Beziehungen in persönlichen Schriftstücken aus der Neuzeit.74 In Bezug auf die Rheinromantik bleibt festzustellen, ob und wie eine performative Selbstdarstellung durch identische Situationen und Personenkonzepte zustande kam und beispielsweise für spezifische persönliche oder auch politische Überzeugungen genutzt wurde. Für die Erforschung der Rheinromantik und meine Ausgangsfrage nach dem Potenzial von Selbstzeugnissen sind zwei Studien sehr aufschlussreich  : Benedikt Bock hat in seinem Übersichtswerk zur Reisekultur am Rhein von 1756 bis 1914 einerseits grundlegende Entwicklungen der touristischen Etablierung des Mittelrheins anhand von Reisehandbüchern und -führern, also der praktischen, kommerziellen Reise­ literatur von Baedeker und Cook erläutert.75 Christoph Nebgen arbeitete andererseits in seiner Studie zu konfessionellen Differenzerfahrungen protestantisch beziehungsweise 70 Vgl. Jancke/Ulbrich, Vom Individuum zur Person, 2005, S. 10. 71 Zum Beispiel  : Dethlefs, Gerd (Bearb.)  : Die Kavaliersreise des Franz Anton Freiherr von Landsberg  : 1675–1678  ; Tagebuch und Briefwechsel (Vereinigte Westfälische Adelsarchive e.V. 5). Münster 1984  ; Kühner, Christian  : »Je parlerai moi-même de moi«  : französische Adelsmemoiren des 17. Jahrhunderts als Selbstzeugnisse (Francia  : Forschungen zur westeuropäischen Geschichte 41), Ostfildern 2008, S. 129–151. 72 Vgl. Rees, Joachim/Siebers, Winfried  : Erfahrungsraum Europa  : Reisen politischer Funktionsträger des Alten Reichs 1750–1800, ein kommentiertes Verzeichnis handschriftlicher Quellen, Berlin 2005, S. 13. 73 Jancke, Gabriele/Cwiklinski, Sebastian  : Räume des Selbst  : Gastfreundschaft im Reisebericht des tatarischen gelehrten Publizisten Abdurraschid Ibrahim (frühes 20. Jahrhundert), in  : Bähr, Andreas/Burschel, Peter/Jancke, Gabriele (Hg.)  : Räume des Selbst  : Selbstzeugnisforschung transkulturell (Selbstzeugnisse der Neuzeit 19). Köln (u. a.) 2007, S. 131–150. Daraus ist eine Dissertation entstanden von  : Cwiklinski, Sebastian  : Abdürreşid İbrahim (1857–1944)  : eine Biografie, Berlin 2012. 74 Siehe dazu  : Dethlefs, Gerd/Kloosterhuis, Jürgen (Bearb.)  : Auf kritischer Wallfahrt zwischen Rhein und Weser  : Justus Gruners Schriften in den Umbruchsjahren 1801–1803, Köln (u. a.) 2009. 75 Neben diesen Textsorten hat Bock auch Bild- und Kartenmaterial, Fahrpläne, Broschüren und Zeitschriften sowie Legenden und Gedichte vom Rhein ausgewertet, um ein möglichst umfassendes

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katholisch geprägte Vorurteile auf das Stadtbild und die Wahrnehmung von Raum heraus. Das umfangreich erarbeitete Quellenmaterial von knapp 200 deutsch- und fremdsprachigen Reiseberichten ermittelt die konfessionell bedingten Stereotype am Rhein, die territoriale und damit religiöse Zersplitterung sowie die Gestaltung und Erfahrung von Raum anhand spiritueller Erinnerungsorte und Prozessionen. Nebgens Feststellung, dass der politische Einheitswille mit der Rückgewinnung der französisch besetzten Territorien die konfessionellen Vorbehalte zeitweise aufbrach, verweist an dieser Stelle bereits auf die politische Dimension der Rheinromantik.76 1.3 Quellenauswahl In meiner Arbeit analysiere ich anhand von fünf Rheinreisen im Zeitraum zwischen 1802 und 1828 die Reise- und Schreibpraktiken am Rhein, die das Selbst, also die handelnde und denkende Person in den Mittelpunkt stellen und über das eigene Reisen reflektieren lassen. Bei der Auswahl der zu untersuchenden Quellen war neben Verfügbarkeit und Lesbarkeit der Dokumente die Fokussierung auf den Rhein als Erlebnis- und Reiseziel entscheidend. Die vorliegenden Quellen entsprechen nach ihrer Überlieferungs- und Schreibform nicht den klassischen Kriterien von Reiseberichten, sie sind vielmehr Selbstzeugnisse. Sie thematisieren über das literarische Beschreiben einer fiktiven oder tatsächlich erlebten Reise hinaus auch berufliche und alltägliche Szenen, reflektieren zurückliegende und nicht die Reise betreffende Situationen. Aussagen zu historischen Personenkonzepten versprechen ferner diejenigen Zeugnisse, die entweder abwechselnd (Briefe von Arnim und Brentano) oder gemeinsam (Tagebuch der Müllers) verfasst wurden und neben persönlichen sowie familiären Beziehungen auch Geschlechterbeziehungen und den Umgang miteinander offenlegen. Die Bewertung durch außenstehende, nicht an der Reise beteiligte Personen spielt ebenfalls eine Rolle bei der Darstellung persönlicher Beziehungen. So sind einzelne Texte Bestandteil von posthum erschienenen Lebens- und Reiseerinnerungen, die eine Erzähltradition oder -veränderung durch Dritte belegen.77 Gesamtbild von der Professionalisierung und Kommerzialisierung des Rheintourismus aufzuzeigen, vgl. Bock, Baedeker & Cook, 2010, S. 407. 76 Vgl. Becker, Rainald  : Rezension zu  : Nebgen, Christoph  : Konfessionelle Differenzerfahrungen  : Reiseberichte vom Rhein (1648–1815), München 2014 (= Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 103, 2016/1), S. 104–105, hier S. 104. 77 Siehe dazu  : Chézy, Helmina von  : Unvergessenes  : Denkwürdigkeiten aus dem Leben, hg. v. Bertha Borngräber, 2 Bde., Bd. 2, Leipzig 1858  ; Schopenhauer, Johanna  : Jugendleben und Wanderbilder, 2 Bde., Bd. 1, Braunschweig 1839.

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Bereits das erste Textkorpus ist fernab einer konventionellen Reisebeschreibung verfasst, gewährt dennoch Einblicke in die Wahrnehmung und Deutung von Reisen  : Achim von Arnim und Clemens Brentano thematisierten die gemeinsame Rheinreise (1802) innerhalb ihres jahrzehntelangen freundschaftlichen Briefwechsels immer wieder, teils in kurzen, teils in ausführlichen Reminiszenzen. Ihre Korrespondenz dokumentiert zwar nicht den genauen Verlauf der Reise – war nicht einmal als Reisebericht konzipiert –, wirkte jedoch stilgebend bei der Raumerfahrung und Landschaftsbeschreibung. Brentanos und Arnims Freundschaftsbriefe sind aufgrund ihrer Einschätzung in der Literaturgeschichte bereits sehr gut erschlossen.78 Seit 1998 existiert eine vollständige, zweibändige Edition der zwischen 1801 und 1829 abgefassten Freundschaftsbriefe von Hartwig Schultz, die auch meiner Arbeit als primäre Textvorlage dient. Die Reise der beiden Dichterfreunde unterlag primär schriftstellerischen Ambitionen und war der Resonanzraum für ihre deutsche Volksliedsammlung Des Knaben Wunderhorn (1806). Obwohl in der Forschung der Konsens vorherrscht, dass das gemeinsame Reiseerlebnis Ausgangspunkt der Dichterfreundschaft und -zusammenarbeit darstellt,79 wird bisher hauptsächlich die Autorschaft Brentanos berücksichtigt.80 Ich korrigiere dieses Ungleichgewicht, indem ich den Beitrag Achim von Arnims innerhalb der Korrespondenz hervorhebe. Zugleich bearbeite ich erstmals das Desiderat einer Kontextualisierung der Freundschaftsbriefe mit anderen Selbstzeugnissen vom Rhein. Helmina von Chézys Schilderungen ihrer Reise an den Rhein wurden in der Augustausgabe des Journal des Luxus und der Moden von 1814 gedruckt.81 Sie zählt zu den Schriftstellerinnen, deren Geltung innerhalb der deutschsprachigen Literatur erst seit einigen Jahren erforscht wird, wobei ihre Schilderungen vom Rhein bislang wenig 78 Neben Hartwig Schultz kritischer Ausgabe der Freundschaftsbriefe (1998) wird in der Forschung besonders die Bedeutung der Rheinreise der beiden Dichterfreunde für die literarische Rheinromantik, insbesondere das gemeinsame Projekt Des Knaben Wunderhorn, hervorgehoben. Rölleke, Heinz  : Rheinromantik und des Knaben Wunderhorn  : Anregungen und Wirkungen der Arnim/Brentano’schen Liedersammlung von 1805/08, in  : Simon, Michael/Seidenspinner, Wolfgang/Niem, Christina (Hg.)  : Episteme der Romantik  : volkskundliche Erkundungen, Münster 2014, S. 21–36. 79 Vgl. Schwinn, Holger  : Kommunikationsmedium Freundschaft  : der Briefwechsel zwischen Ludwig Achim von Arnim und Clemens Brentano in den Jahren 1801–1816, Frankfurt/Main 1997  ; vgl. Ißler, Roland Alexander  : Europas Strom, aber nicht Europas Grenze  : zur Genese einer europäischen Sicht auf den Rhein zwischen Rheinromantik und deutsch-französischer Rheinkrise, in  : Jung /Lichtlé, Der Rhein, 2019, S. 164. 80 Siehe dazu  : Lermann, Gisela  : Clemens Brentanos Selbstverständnis als Briefeschreiber, Frankfurt/ Main 1988. 81 Chézy, Helmina von  : Schilderungen vom Rhein aus Briefen von Helmina, in  : Journal des Luxus und der Moden, Jg. 29 (1814), Ausgabe August, S. 131–147.

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Beachtung fanden.82 Ihre Reiseerinnerungen sind teilweise in ihren autobiografischen Schriften verarbeitet und fanden Erwähnung im Briefwechsel mit Kollegen:innen und Freund:innen. Obwohl Chézys berufsmäßiges Schreib- und Reiseverhalten in der jüngsten geschlechtergeschichtlichen Forschung bereits analysiert wurde, steht eine vollständige Edition ihrer Briefe und Reiseaufzeichnungen genauso aus, wie ihr konkreter Beitrag zur Rheinromantik, den ich mit meiner Arbeit erstmals erforsche. Die Auswertung Chézys Schilderungen im Kontext ihres breiten schriftstellerischen Repertoires erlaubt es mir, intertextuelle Bezüge, Selbstentwürfe, Raumprojektionen sowie Landschafts- und Naturwahrnehmungen zu untersuchen und ihre Selbsteinschätzung der Rheinreise im Lebenswerk zu deuten. Johanna Schopenhauer unternahm im Laufe ihres Lebens wiederholt Reisen an den Rhein (1816 und 1828)  ; literarisch verarbeitet hat sie diese Aufenthalte in ihrer Ausflucht an den Rhein (1818) und ihrem Ausflug an den Niederrhein (2 Bde., 1830–31), welche sie in Tagebuchform beziehungsweise in thematisch gebündelten Kapiteln als Anthologie darstellte. Bezüge zu ihren Reiseplänen finden sich auch im privaten Briefwechsel der Familie Schopenhauer.83 Johanna Schopenhauer zählte zu den ersten Reiseschriftstellerinnen Deutschlands, deren Bekanntheitsgrad bis heute ungebrochen ist.84 Anerkennung verschaffte ihr vor allem die Publikation ihrer frühen Europareisen, die sie nach Holland, Frankreich, die Schweiz, Preußen, England und Schottland führten.85 Ihre Rheinreiseberichte aus den Jahren 1818 und 1830/31 werden, wenn überhaupt, meist isoliert und ohne den Bezug auf vergleichbare Reiseberichte gelesen. Obgleich ihre Schriften in neueren Untersuchungen zu Frauenliteratur und Geschlechterdiskursen um

82 Besonders Karin Baumgartner hat sich mit Helmina von Chézy und ihrem literarischen Repertoire beschäftigt in  : Dies.: Das Reisehandbuch als weibliche Auftragsarbeit im Vormärz  : Helmina von Chézys Das Gemälde von Heidelberg (1816) und Norika (1833), in  : Ujma, Christina (Hg.)  : Wege in die Moderne  : Reiseliteratur von Schriftstellerinnen und Schriftstellern des Vormärz (FVF, Forum Vormärz Forschung, Jahrbuch 2008), Bielefeld 2009. S. 57–68  ; Dies.: Wanderer between the Worlds, Wanderer between the Words  : Crossing Borders as Aesthetic Approach in the Works of Helmina von Chézy (1783–1856), in  : Bland, Caroline/Müller-Adams, Elisa (Hg.)  : Schwellenüberschreitungen  : Politik in der Literatur von deutschsprachigen Frauen 1780–1918, Bielefeld 2007, S. 209–226. 83 URL  : https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/list.action?nodeid=g153999&page=1&sorting=41&reload= true, letzter Zugriff  : 09.04.2022. 84 Vgl. Schieth, Lydia  : Europa aus dem Blickwinkel einer Danzigerin  : die Reise-Erinnerungen der Johanna Schopenhauer, in  : Segebrecht, Wulf (Hg.)  : Europavisionen im 19. Jahrhundert  : Vorstellungen von Europa in Literatur und Kunst, Geschichte und Philosophie (Literatura 10), Würzburg 1999, S. 244–263  ; Bergmann, Ulrike  : Johanna Schopenhauer  : »Lebe und sei so glücklich als du kannst«  ; Romanbiographie, Leipzig 2002, S. 8, 13 f. 85 Ihre Reise durch England und Schottland (Leipzig 1818) erschien als zweite, verbesserte Auflage ihrer Erinnerungen von einer Reise in den Jahren 1803, 1804 und 1805 (Rudolstadt, 1813–1817).

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1800 in das Blickfeld der Forschung rückten,86 steht eine vergleichende Untersuchung ihrer genrebildend wirkenden Ausflucht an den Rhein (1818) mit anderen Reiseberichten nach wie vor aus. Ihre wiederholten Reisen an den Rhein und die Verschriftlichungen dieser Aufenthalte lassen sowohl räumliche, ideologische und emotionale Parallelen als auch Brüche im Reisekanon erkennen. Die Eheleute Wilhelm und Adelheid Müller reisten 1827 an den Rhein. Das gemeinsam verfasste Reisetagebuch bildet eine Sonderstellung innerhalb dieser Arbeit, da es während der Reise entstand und von zwei Personen gemeinsam beziehungsweise im Wechsel verfasst wurde. Die Besonderheit des Reisetagebuchs der Müllers resultiert aus der unmittelbaren Schreibsituation, die eine seltene, intime Momentaufnahme eines Rheinerlebnisses bietet. Es existieren keine erweiterten oder nachbearbeiteten Versionen der Reiseaufzeichnungen, da Wilhelm Müllers Tod wenige Wochen nach seiner Rückkehr etwaige Veröffentlichungen verhinderte. In der von seinem Freund Gustav Schwab posthum publizierten Biografie finden sich indes Bemerkungen zur Rheinreise der Müllers, die zeitweilig bei ihm logierten.87 Das Tagebuch, welches im Vergleich zu den übrigen Zeugnissen den geringsten Umfang aufweist, bildet vermutlich den authentischsten, da unmittelbar verfassten Bericht der untersuchten Rheinaufenthalte. Eine Gegenüberstellung des Reisetagebuches der Müllers mit anderen Selbstzeugnissen vom Rhein erfolgt erstmals in dieser Arbeit. Die vier Textkorpora verbindet die thematische und geografisch-räumliche Fixierung auf den Rhein und das Mittelrheintal sowie das subjektiv-reflektierte Reiseerlebnis. Das professionelle Schreiben der Akteur:innen bildet eine weitere Konstante  ; daher ihre Motivation, die Rheinreise schriftlich festzuhalten und zu vervielfältigen. Reisen an sich war eine weitere Gemeinsamkeit  : Mit Mobilität und Agilität brachten die Reisenden nicht nur ihr bildungsbürgerlich-freiheitliches Selbstverständnis zum Ausdruck, sie waren für ihre schriftstellerische Existenz unerlässlich. Die anschließende Sichtung der

86 Zabel, Tobias  : Nach Schottland also  ! Schottlandwahrnehmungen und Deutungen deutscher Reisender zwischen Romantik und Sachlichkeit von 1800–1870 (Quellen und Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte 2), Frankfurt/Main 2013  ; Fredereksen, Elke  : »Ich reise um zu leben«  : Selbsterfahrung in der Erfahrung des Fremden, zur Reiseliteratur von Frauen ( Johanna Schopenhauer u. Rahel Varnhagen zum Beisp.), in  : Iwasaki, Eijirō (Hg.)  : Begegnung mit dem »Fremden«  : Grenzen – Traditionen – Vergleiche (Begegnung mit dem »Fremden«, 9/15  : Erfahrene und imaginierte Fremde), München 1991, S. 209–219  ; Kempe, Stephan/Kempe, Erika/Ketz-Kempe, Christhild  : Die ersten Beschreibungen von Höhlen durch Frauen  : Lady Cravens Besuch der Höhle von Antiparos und Johanna Schopenhauers Schilderung der Peaks Cavern (Natur und Mensch  : Jahresmitteilungen der Naturhistorischen Gesellschaft Nürnberg 2005), S. 19–48. 87 Schwab, Gustav (Hg.)  : Biografie Müllers, in  : Vermischte Schriften von Wilhelm Müller, 5 Bde., Bd. 1, Leipzig 1830, S. XVII–LXIII, hier S. LVVV.

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Quellen wird zeigen, welche persönlichen Begegnungen und Verbindungen zwischen den Akteur:innen bestanden, die auf ein mögliches Beziehungsnetzwerk hinweisen. Die vorliegenden Texte sind bislang nicht als Selbstzeugnisse der Rheinromantik und in der Gegenüberstellung mit anderen Quellen erforscht worden. Ihre Einordnung als Selbstzeugnisse resultiert daraus, dass sie erstens ein handelndes und denkendes, explizites Selbst in den Mittelpunkt stellen, sie zweitens freiwillig und mit bestimmten persönlichen, beruflichen Absichten entstanden und drittens persönliche Interessen, Wünsche, Vorstellungen sowie Denkweisen bündelten. Darüber hinaus erlaubt der Vergleich der Selbstzeugnisse gegenüber anderen Quellentypen eine detaillierte Rekonstruktion damals üblicher, wechselvoller und oft beschwerlicher Reisepraktiken am Rhein. Neben der Einsicht in das individuelle Leben ermöglicht diese Form der Quellenrezeption Erkenntnisse, wie die historischen Akteur:innen sich selbst in Bezug auf ihre Umwelt und andere Personen einschätzten und aus welchen Gründen sie so handelten. Die Texte dokumentieren die an die Reise erhobenen Ansprüche und Erwartungen und zeigen, ob die Rheinromantik einem Konzept folgte, das mit der Entfaltung von Selbstentwürfen mittels Schriftlichkeit einherging. Es ist hinreichend darauf hingewiesen worden, dass das 18. Jahrhundert, die Übergangszeit von der Neuzeit in die Moderne, zahlreiche personenbezogene Schriften hervorbrachte.88 Die Steigerung der Lese- und Schreibkompetenzen, der Drang nach schriftlicher Selbstreferenz und dem eigenen Fortdauern, als Medium der autodidaktischen Bildung sowie die öffentliche Zurschaustellung des Selbst sind Indikatoren dieser Entwicklung, in die sich auch die Rheinromantik einordnen lässt. Räumlicher und zeitlicher Referenzrahmen sind damit grob abgesteckt. Variationen und Divergenzen ergeben sich bei der Art und Materialität der Selbstzeugnisse, personenbezogenen Kategorien wie Geschlecht und Status, den diversen Schreib- und Reisepraktiken, beim Erleben und Bewerten vom bereisten Raum. Es ist kein Zufall, dass die Zunahme selbstreferenzieller Schriften, wie Tagebücher und Briefe, mit einer Zunahme von Reiseschilderungen einhergeht, mehr noch beide Formen bedient. Auch die vorliegenden Quellen geben in Tagebuch- oder Briefform Auskunft über eine Reise und sind daher nicht nur Selbst- sondern Erlebnisberichte. Akzentuierung und Hervorhebung der Autorschaft sind wichtige Elemente für die Verfasser:innen, die gleichzeitig ihre Individualität aber auch ihren Konsens mit einer sozialen Gruppierung zum Ausdruck bringen. Es ging nicht bloß darum, den Daheimgebliebenen einen Eindruck vom bereisten Raum zu vermitteln, sondern um das Einschreiben in einen gesellschaftlichen Diskurs einer bildungsbürgerlichen Elite.

88 Vgl. Jancke/Ulbrich, Vom Individuum zur Person, 2005, S. 14.

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Die Selbstzeugnisse der Frauen nehmen eine Sonderrolle ein, da sie noch relativ selten waren. Deren Reisebeschreibungen richteten sich für gewöhnlich als Lehrbericht direkt an die weiblichen Nachkommen. Mithilfe dieser Berichte ließ sich vor allem, auch gegenüber der Familie, das eigene Reisen rechtfertigen.89 Johanna Schopenhauer und Helmina von Chézy umgingen die klassischen weiblichen Betätigungsräume, indem sie selbstbestimmt ihre Reisen durchführten und ihre Berichte sogar publizierten. Begleitet von ihren Kindern mussten sie die Berichte nicht nachträglich didaktisch oder moralisch rechtfertigen, sie konnten als Schriftstellerin tätig sein und gleichzeitig ihren mütterlichen Pflichten nachkommen.90 Diese Selbstzeugnisse veranschaulichen, dass Frauen sich (teils auch im Beisein ihrer Männer) um eine schriftliche Selbstreferenz bemühten und außerhalb ihrer Funktion als Mutter und Ehefrau individuelle Lebensund sogar Berufskonzepte entwickelten. Das Verfassen von Reisebeschreibungen war Frauen erlaubt, wurde jedoch als ein Affront gegen die männlich dominierte Gesellschaft und Literaturwelt gewertet, weil weibliches Sehen und Erleben im Mittelpunkt standen. Die Berichte boten sich an, neben Lebensdetails auch persönliche Interessen und mitunter kritische Meinungen einzufügen, um sich selbst ein schriftliches Denkmal zu setzen und für nachkommende Generationen nachvollziehbar zu bleiben. Hier zeigt sich, wie strategische Emanzipation und weibliche Persönlichkeitsbildung auf engstem Raum, zwischen zwei Buchdeckeln, erfolgreich stattfanden. Ein Teil der Reiseberichte erschien mit großem Zeitverzug oder unter Fremdherausgabe, was die Vermutung zulässt, dass die Originalaufzeichnungen nachträglich überarbeitet und redigiert wurden. Über die Veröffentlichung von Reiseberichten in Form von Diarien und Briefen entschieden oftmals Prominenz und Status der schreibenden Person, mithin ihre Rezeption bei der Nachwelt, aber auch die Publikationsform (als Beitrag in einem übergeordneten oder als eigenständiges Werk). Einige der vorliegenden Selbstzeugnisse wurden bereits zu Lebzeiten der Verfasser:innen publiziert, andere erschienen erst posthum als Herausgabe von Familienmitgliedern, oder Personen aus dem Bekannten- oder Freundeskreis. Einige sind in edierter Form als kompakte Sammelbände erschienen (Freundschaftsbriefe von Brentano/Arnim), während andere noch auf eine gründlich kommentierte Ausgabe warten (Reisetagebuch von Wilhelm und Adelheid Müller, Ausflucht an den Rhein von Johanna Schopenhauer).91 89 Vgl. Pelz, Annegret  : »Ob und Wie Frauenzimmer reisen sollen  ?«  : das reisende Frauenzimmer als Entdeckung des 18. Jahrhunderts (Vorträge – Reden – Berichte  : Bibliotheksgesellschaft Oldenburg 9), Oldenburg 1993, S. 130. 90 Vgl. Oechslen, Simone  : Wandern und Wissen in der Frühen Neuzeit  : Fortbewegung und Wissensvermittlung bei Martin Opitz und Johann T. Hermes, Stuttgart 2019, S. 346. 91 Wilhelm und Adelheid Müllers Reisetagebuch hat erstmals Maria-Verena Leistner in einem Aufsatz (Berlin, 2007, S. 61–68) analysiert. Von Johanna Schopenhauers Rheinaufenthalten wurde lediglich

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1.4 Methode Reisen und Reiseberichte werden in dieser Arbeit über fachübergreifende Forschungsansätze kontextualisiert und dabei die Romantik sowie das Selbstzeugnis wechselseitig neu perspektiviert. Der deduktive Ansatz der Analyse lässt neue, bisher vernachlässigte Deutungshoheiten der Rheinromantik und des Reiseverhaltens um 1800 zu und erlaubt, die Selbstzeugnisse auf Motive hin zu untersuchen, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen. Ich liefere einen Beitrag für die vergleichende Kulturgeschichte, fokussiere mich dabei auf die Entwicklung von kulturellen Praktiken (Schreibprozess, Reiseverhalten) sowie entsprechender Medien (autobiografischer Reisebericht) und erörtere deren mentalitätsgeschichtliche Zusammenhänge im Kontext der Romantik. Der kulturgeschichtliche Ansatz umfasst sowohl die habituellen Handlungen als auch die Verhaltens- und Denkweisen und damit den Lebensalltag des Menschen in der Romantik. Ich beziehe mich auf »sämtliche menschlichen Lebensäußerungen«, die Reise- und Schreibpraktiken, Ess- und Trinkgewohnheiten, zwischenmenschliche Beziehungen und familiäre Konstellationen, gesellschaftlich genormte Sitten, religiös geformte Handlungen und politische Meinungsbilder in den Blick nehmen.92 Die Einbeziehung von interdisziplinären Forschungsansätzen betont den pluralistischen Anspruch der Kulturgeschichte, welche menschliches Dasein und menschliches Handeln als kongeniale Einheit betrachtet. Die diversen Forschungsansätze ergänzen in wechselseitigem Austausch den kulturellen Komplex der Rheinromantik um innovative und erkenntnistheoretisch vielversprechende Deutungshoheiten. Die Perspektive der auktorialen Berichterstattung schließt neben der Beschreibung äußerer Einflüsse die Bezugnahme auf das erlebende und beschreibende Ich ein. Ob im brieflichen Austausch oder im Tagebuch, ob unmittelbar oder zeitversetzt  : Die Form der Verschriftlichung gibt Aufschluss über die emotionale Verfassung, spezifische Handlungs- und Denkmuster, die persönliche Entwicklung. In einem Aufsatz über Reisebeschreibungen als mentalitätsgeschichtliche Quellen hat Michael Harbsmeier dazu angeregt, Reiseberichte »als Zeugnisse für die spezifische Denkungsart der Verfasser« zu lesen.93 Diesem Bedürfnis entsprechend beziehe ich mich auf den epochen- und mentalitätsgeschichtlichen Hintergrund der Verfasser:innen und erweitere die Lesart der Selbstzeugnisse, indem ich bereits den Schreibprozess als immanenten Bestandteil ihr zweites Reisebuch von 1830/31 kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Karl Bernd Heppe und Annette Fimpeler (Essen 1987, 330 S.). 92 Friedell, Egon  : Kulturgeschichte der Neuzeit  : die Krisis der Europäischen Seele von der Schwarzen Pest bis zum Ersten Weltkrieg, Bd. 1  : Einleitung, Renaissance und Reformation, Hamburg 2011, S. 22, URL  : http://www.publish-Books.de/gutenberg/books/ID2244, letzter Zugriff  : 24.06.2022. 93 Harbsmeier, Reisebeschreibungen als mentalitätsgeschichtliche Quellen, 1982, S. 1.

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des Selbstzeugnisses einbinde. Ich beziehe mich dabei auf Studien von Claudia Ulbrich und Gabriele Jancke, nach denen sich »der Fokus zunächst einmal auf die Praxis des Schreibens verlagert« und damit auf den Kontext, die Intention und das anvisierte Publikum gerichtet wird.94 Selbstzeugnisse entstehen nicht zwecklos oder beiläufig, sondern zielen als Personenberichte auf die Rezeption der Leserschaft und dienen dem eigenen Andenken. Durch das schriftliche Fixieren von Reiseerfahrungen bleiben sie als gespeichertes Wissen erinnerbar.95 Sie enthalten zudem »Elemente der Selbstvergewisserung und der Selbstdarstellung«.96 Außen- und Breitenwirkung sind Qualitätsmerkmale, da sie auf Nachahmung zielen und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sichern. Für Gabriele Jancke sind autobiografische Texte »nicht nur auf ein »Selbst«, sondern auch auf Gemeinschaft und Zugehörigkeit bezogen«.97 Anders als in EgoDokumenten legt hier die betreffende Person Zeugnis über sich selbst ab, schreibt bisweilen stark autobiografisch und selbstreferentiell.98 Ferner »beruhen Selbstzeugnisse in der Regel auf ›realen‹ Erfahrungen, sind nicht bloße textuelle Konstrukte«,99 sondern referieren über die Lebensstationen oder -episoden der Schreibenden. Bei der Beschäftigung mit Selbstzeugnissen ist essentiell, diese nicht als Spiegelung der Wirklichkeit zu lesen, sondern als eine selbstverschriftlichte Deutung und Konstruktion des eigenen Lebens und einer neuen Wirklichkeit im Zeugnis.100 Selbstzeugnisse sind konstruierte Selbstentwürfe, denen eine Reflexion der Verfassenden vorausgeht, anschließend das eigene Leben ausgedeutet und nach festgelegten Kriterien

 94 Ulbrich, Claudia  : Europäische Selbstzeugnisse in historischer Perspektive – Neue Zugänge, hier S. 10, URL   : https://www.academia.edu/2777963/Europäische_Selbstzeugnisse_in_historischer_Perspek tive_-_Neue_Zugänge, letzter Zugriff  : 13.06.2020.  95 Vgl. Maurer, Michael  : Reiseberichte als Wissensspeicher  : Formen und Funktionen, in  : Grunert, Frank/ Syndikus, Anette (Hg.)  : Wissensspeicher der Frühen Neuzeit, Berlin 2015, S. 391–410, hier S. 391.  96 Nolde, Dorothea  : Religion und narrative Identität in Reiseberichten der Frühen Neuzeit, in  : Eder, Franz X. (Hg.)  : Historische Diskursanalysen  : Genealogie, Theorie, Anwendungen, Wiesbaden 2006, S. 271–289, hier S. 271.  97 Jancke, Gabriele  : Jüdische Selbstzeugnisse und Ego-Dokumente der Frühen Neuzeit in Aschkenas  : eine Einleitung, in  : Klein, Birgit E./Ries, Rotraud (Hg.)  : Selbstzeugnisse und Ego-Dokumente frühneuzeitlicher Juden in Aschkenas  : Beispiele, Methoden und Konzepte, Berlin 2011, S. 9–26, hier S. 15.  98 Vgl. Stephan, Anke  : Erinnertes Leben  : Autobiographien, Memoiren und Oral-History-Interviews als historische Quellen, S. 3, URL  : https://epub.ub.uni-muenchen.de/627/1/Stephan-Selbstzeugnisse.pdf, letzter Zugriff  : 16.04.2018.  99 Brändle, Fabian  : »Die alten Zeiten aufgefrischt«  : zum Selbstzeugnis des ladinischen Bauernsohns, Kutschers, Soldaten und Hotelportiers Anton Molling (1901–1987) (Geschichte und Region 2012, 20/1+2  : Bewegte Geschichte, Storia in movimento), S. 127–139, hier S. 128. 100 Vgl. Jancke/Ulbrich, Vom Individuum zur Person, 2005, S. 26.

Methode | 35

bewertet wird.101 Diese Selbstbeurteilung kann über das reuevolle Geständnis bis zur eitlen Selbstüberschätzung von variabler Gestalt sein. Selbstzeugnisse sind konstruierte, ichbezogene Quellen, was bedeutet, dass bewusst Details aus dem eigenen Leben verändert, betont oder gar verschwiegen wurden – was für das Lesepublikum aber kaum nachvollziehbar ist. Daher lässt sich der Wahrheitsgehalt von Selbstzeugnissen nicht zweifelsfrei erschließen, dafür aber, wie sich die Akteur:innen selbst darstellten und wie sie durch narrative Stilmittel ihr Leben beschrieben und warum sie so handelten. Die Schriften waren an Absichten geknüpft, die im Kontext ihrer Entstehung auf Personenkonzepte, Verhaltensweisen und Wertvorstellungen verweisen und zudem belegen, wie sich die Verfasser:innen in einen historischen Überlieferungskanon einzuschreiben versuchten. Selbstzeugnisse sind daher nicht selten fingierte, konstruierte Berichte, die die Partizipation in sozialen, religiösen oder politischen Gruppierungen sicherten und vielmehr kollektiv formulierte Standards als individuelle Denkweisen wiedergeben.102 Dies zeigt, dass Geschichte immer auch ein Produkt von handelnden Akteur:innen darstellt und genauso wie das Deuten von Geschichte abhängig ist von Standort und Perspektive.103 In der Darstellung der Reisen und der Erwartungshaltung sowohl der Reisenden als auch der Leserschaft bestehen signifikante Unterschiede zu Reiseberichten aus früheren Epochen. Die Reisenden betraten am Rhein weder unbekanntes Terrain noch lernten sie verborgene Kulturen kennen  ; sie entdeckten vielmehr eine Landschaft für sich selbst und darin eingeschriebene Sehnsüchte und Vorstellungen. Authentizität verbürgt die Form der Verschriftlichung, selbst wenn der Inhalt frei erfunden oder nachträglich hinzugefügt sein mag. Das führt dazu, »dass in einem Tagebuch unvermittelt Aufgeschriebenes, literarisch Überhöhtes und frei Erfundenes ununterscheidbar nebeneinanderstehen.«104 Wer den Stoff für Märchen und Romane in realen Erlebnissen findet, wird auch umgekehrt Fiktives in seine Erlebnisberichte einfließen lassen  ; zumal das Lesepublikum in beiden Gattungen eine willkommene Abwechslung von der Lebenswirklichkeit 101 Vgl. ebd. S. 26. 102 Vgl. Schulz, Ego-Dokumente, 1996. S. 25. 103 Siehe dazu  : Emich, Birgit  : Geschichte der Frühen Neuzeit studieren, Konstanz 2006, S. 78 f.; dass der eigene Kulturkreis auch über die Schreibart und die Bewertung von autobiografischem ­Schreiben Auskunft gibt, zeigt die Gegenüberstellung von Selbstzeugnissen der arabischen Tradition mit entsprechenden westeuropäischen Dokumenten. So werden beispielsweise Träume in der arabischen Tradition nicht als Verarbeitungen von persönlichen Problemen und Gedanken bewertet, sondern als Vorzeichen oder Bestätigungen ihres Lebens. Siehe dazu  : Reynolds, Dwight F. (Hg.)  : Interpreting the Self  : Autobiography in the Arabic Literary Tradition, Berkeley, Los Angeles 2001, S. 90. 104 Ulbrich, Europäische Selbstzeugnisse, S. 10.

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fand. Das Bedürfnis nach Unterhaltung ist ein wesentliches Kriterium bei der Auswahl und Produktion sowie Publikation von Texten.105 Es zeigt sich infolgedessen, dass eine klare Trennung von authentischen und erfundenen Erlebnissen kaum möglich ist. Sich schreibend mitzuteilen, ist vor dem beruflichen und gesellschaftlichen Hintergrund der Verfasser:innen obligatorisch. Dabei ist das jeweilige schriftliche Repertoire äußerst komplex  : Neben literarischen Texten wie Romanen, Märchen, Balladen, Gedichten, Kritiken, Biografien, Libretti, Rezensionen und Übersetzungen schreiben sie Diarien, kommunizieren über Briefe und kurze Botschaften miteinander, verfassen autobiografische Notizen und halbe Familienchroniken.106 Diese oft sehr subjektiven Zeugnisse ergänzen das professionelle Wirken als Schriftsteller:innen im Privaten, indem sie über den Alltag referieren, der gleichzeitig die Plattform für ihr literarisches Schaffen bildet. Sie geben in diesen teilweise vertraulichen Texten persönliche Details preis, schreiben über ihre Emotionen und Erfahrungen, über Ängste und Wünsche, Begegnungen, Schicksale und Hoffnungen. Sie bringen personelle Interaktionen und Autoritäten zum Ausdruck, und sie machen Enttäuschungen, Aufforderungen, Abneigungen und Sympathien sichtbar. Sie enthalten Wahrheiten und Erfundenes, referieren über vermeintlich Reales und Fiktives. Sie geben Auskunft über mutmaßlich Erlebtes, über konkrete Erfahrungen und einzelne Schicksalsschläge, machen Lebensläufe nachvollziehbar oder rechtfertigen sie.107 Die Akteur:innen entwickeln beim Schreiben eine Idee von sich selbst, in dem sie neben ihrem individuellen Sprachbild ihre Persönlichkeit herausbilden. Die Selbstzeugnisse entstehen demnach in der Auseinandersetzung der Akteur:innen mit ihrer Individualität, ihrer (Reise-)Situation, ihrem bisherigen Dasein. Gerade in diesem Detail, in dem sie über sich selbst referieren und von sich Zeugnis ablegen, steckt der Erkenntniswert für die Geschichtsschreibung. Hier lassen sich Selbst- und Fremdbilder erkennen und persönliche Kategorien wie Geschlecht, Status und Person auf gesellschaftliche, politische und kulturelle Prozesse übertragen.108 Kurz gesagt  : Kleine Geschichten erzählen und begleiten große Geschichte. 105 Vgl. Maurer, Reiseberichte als Wissensspeicher, 2015, S. 407. 106 Helmina von Chézys berichtet in ihrem Werk Unvergessenes ausführlich über den literarischen Werde­ gang ihrer Mutter Caroline Louise Klencke und besonders ihrer Großmutter, der Dichterin Anna Louisa Karsch – und schildert sich selbst in der Tradition dieses sozusagen familieneigenen Matriarchats. Siehe dazu  : Chézy, Unvergessenes, T. 1, 1858 (insbes. Kap. 1). 107 Autobiografische Zeugnisse als Medium der Selbstrechtfertigung zu nutzen, gelang Helmina von Chézy. Siehe dazu  : Kambas, Chryssoula  : Zwischen Kosmopolitismus und Nation  : Helmina von Chézy als Pariser Chronistin, in  : Heuser, Magdalene (Hg.)  : Autobiographien von Frauen  : Beiträge zu ihrer Geschichte (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte 85), Tübingen 1996, S. 245–264. 108 Vgl. Ulbrich, Europäische Selbstzeugnisse, S. 12.

Methode | 37

Die historisch-kritische Methode erleichtert die Rekonstruktion beziehungsweise kritische Auslegung eines Textes, »den der/die Autor/in im historischen UrsprungsKontext zum Ausdruck gebracht hat«.109 Dabei geht es neben dem Verstehen um die Einordnung in den historischen Kontext. Entstehungszeit, soziales Umfeld, mentaler und körperlicher Zustand sowie Schreibmotivation des  :r Verfassers:in bilden elementare Merkmale der Textinterpretation. Als eigentlich der Authentizität, Überprüfbarkeit und Neutralität enthobene Entwürfe scheinen Selbstzeugnisse keine wahrheitsgemäßen, wissenschaftlich verwertbaren Aussagen zu historischen Zusammenhängen liefern zu können.110 Entgegen diesen Vorbehalten bieten Selbstzeugnisse den Vorteil, dass gerade ihre Subjektivität und Freiwilligkeit von den individuellen Erfahrungen und Wahrnehmungen auf kollektive Verhaltensweisen schließen lassen. Der Erkenntniswert betrifft beispielsweise die Erschließung kollektiver Zugehörigkeiten, denn anders als der moderne Mensch »war die Person in der frühen Neuzeit kein isoliertes Individuum«.111 »Die gesteigerte Aufmerksamkeit für die Wahrnehmungen historischer Akteure brachte ein Interesse für diese subjektbezogenen Quellen hervor und heute werden sie sehr differenziert betrachtet, sodass ihr Quellenwert für viele Disziplinen als hoch eingestuft wird.«112 So bilden neben der normativen Reiseliteratur (in Form von Reise­ handbüchern, Apodemiken und Itinerarien) Selbstzeugnisse oft die einzigen überlieferten Aufzeichnungen zu einer Reisekultur der Romantik, seien es Tagebuchnotizen, Briefe, Empfehlungsschreiben, Zeichnungen, Ansichtskarten, Fotografien oder Gäste­ bucheinträge.113 Ich erschließe zunächst die Quellen formal über Gattung, Umfang, Erzählstil, Verfasserschaft, Zeit der Handlung sowie Entstehungszeit (und -ort) des Textes und ordne diese jeweils in die Werkbiografie beziehungsweise die Rheinreise innerhalb der Lebensgeschichte ein. Die profunde Erschließung dient der Tiefenanalyse, die sich anhand folgender Themenbausteine aufreiht  : Sinnesgeschichte, Emotionenforschung, Umweltgeschichte und Raumforschung, Politische Inszenierung beziehungsweise das Verhältnis zwischen Politik und medialer Öffentlichkeit. Diese Teildisziplinen helfen 109 Schart, Aaron  : Einführung in die historisch-kritische Methode der Textinterpretation, URL  : https:// www.uni-due.de/EvangelischeTheologie/Schart_ExegetischeMethode.shtml, letzter Zugriff  : 09.10. 2018. 110 Vgl. Jancke/Ulbrich, Vom Individuum zur Person, 2005, S. 12. 111 Gantet, Claire  : Der Traum in der Frühen Neuzeit  : Ansätze zu einer kulturellen Wissenschaftsgeschichte, Berlin 2010, S. 346. 112 Ralle, Inga Hanna  : Selbstzeugnisse digital – Erschließung, Präsentation und Benutzbarkeit, in  : Digitale Metamorphose  : Digital Humanities und Editionswissenschaft. Hg. von Roland S. Kamzelak und Timo Steyer. 2018 (Sonderband der Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften 2), URL  : https:// zfdg.de/sb002_005, letzter Zugriff  : 10.10.2018. 113 Zum Beispiel die edierten Besucherbücher der Burg Klopp von 1826–1882 (2010).

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mir dabei, die Zeugnisse im Hinblick auf die Selbsterfahrung, die sinnlich-ästhetische Naturerfahrung, die Raum- und Umwelterfahrung, die Artikulation von Emotionen und die politische Einstellung zu erfassen und bestehende Forschungslücken innerhalb dieser thematischen Zusammenhänge zu schließen. Die Gegenüberstellung von bekannten und bereits umfangreich erforschten Texten mit unzureichend aufgearbeiteten Dokumenten verdeutlicht die Varietät und Authentizität der Selbstzeugnisse vom Rhein. Zudem soll die inhaltliche Auswertung und Gegenüberstellung der Selbstzeugnisse aufzeigen, wie sich persönliche Vorstellungen und Wünsche in kollektive Reisemuster einfügten, diesen Normativen entsprachen oder auch Brüche formulierten. Die Konzentration auf ein komprimiertes Material ermöglicht eine tiefgreifende und sorgfältige Analyse der Quellen nach einzelnen Untersuchungseinheiten, die neue Erkenntnisse für die Reise- und Schreibkultur der Neueren Geschichte und für die Romantikforschung bereithalten. Die Auswertung der vorliegenden Selbstzeugnisse in Brief- und Tagebuchform verspricht im direkten Vergleich einen vielfältigen Einblick in die kulturelle, historische, politische und literarische Bedeutung des Rheins und legt mutmaßlich durch die zeitlich versetzte Rheinerfahrung, aber auch durch die individuelle Schwerpunktsetzung Abweichungen bei der Wiedergabe der landschaftlichen Besonderheiten offen. Der Rhein bildet in allen Selbstzeugnissen die thematische Grundlage und den Ausgangsbeziehungsweise Höhepunkt der Reisen. Die kulturhistorische Bedeutung der persönlichen Reiseschilderungen für die Entwicklung der Rheinromantik bedarf einer grundsätzlichen wissenschaftlichen Auseinandersetzung, die hier erstmals geleistet wird. Es sind gerade die kaum oder nicht erschlossenen Rheinberichte Chézys und des Ehepaars Müller, die verglichen mit den Schriften Brentanos und Arnims sowie Schopenhauers neue Einblicke in landschaftsästhetische, historische und politische Bedeutungszuschreibungen an den Rhein bieten. Die diversen Personenkonstellationen (Reisen in Gesellschaft oder allein) versprechen unterschiedliche Wahrnehmungsstrategien der bereisten Landschaft sowie differente Erzählmuster. In sämtlichen Quellen bildet der Rhein die thematische Referenz und den Ausgangs- bzw. Höhepunkt der Reisen, jedoch liegen zwischen den Aufenthalten jeweils ungefähr zehn Jahre. Die zeitlich versetzten Rheinerkundungen eröffnen nicht allein Einsichten in raumbezogene Abweichungen, emotionale Umdeutungen und Brüche bei der Darstellung von Landschaft und ihrer Geschichte, sondern ermöglichen zugleich erstmals die umfassendere Rekonstruktion der Zusammenhänge zwischen Reiseverhalten und Rheinromantik von circa 1800 bis 1830.

Aufbau und Erkenntnisinteresse | 39

1.5 Aufbau und Erkenntnisinteresse Ausgangspunkt meiner kulturwissenschaftlichen Untersuchung ist der grundsätzlich zu beobachtende Wandel der touristischen und ästhetischen Inanspruchnahme des Rheins zur Zeit der Romantik, der durch die Schreib- und Reisepraktiken historischer Akteur:innen nachvollziehbar wird. Die Zäsur, die hier stattfindet, bildet dabei nur eine Entwicklungsstufe auf der Treppe in die Moderne. Die Romantik und die von Reinhart Koselleck formulierte »Sattelzeit« oder »Schwellenzeit« verlaufen nahezu parallel  : Es ist die Zeit etwa zwischen 1750 und 1850, die Europa aus der Neuzeit in die Moderne führt – und zu einem modernen Geschichtsverständnis.114 Diese Umbruchszeit bringt diverse Veränderungen und Transformationen mit sich, die unter anderem im Bereich der Mobilität, der Kommunikation, der Selbst- und Fremderfahrung, der Raum- und Naturwahrnehmung sowie der nationalen Zugehörigkeit spürbar sind. Die Romantik ist kein Begleitphänomen, sondern tritt in ihren Formulierungen und Ansprüchen als kohärenter Bestandteil des kontinuierlichen Wandels in Erscheinung. Die ästhetische und historisierende Inanspruchnahme des Rheins, seine Rolle für kulturelle Identität und territoriale Ansprüche, ist dem Blick der Romantiker:innen geschuldet. Alle Ereignisse danach – auch die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland betreffend – sind geprägt von diesem romantischen Blick auf den Rhein und seine Landschaft, die nicht nur durchreist, sondern bewusst erlebt und beschrieben wird. Die Romantik bildet die weltanschauliche Grundlage für eine emotionale, geschichtsbewusste und im Diesseits verankerte kulturoptimistische Wahrnehmung von Lebenswelten. Die Selbstzeugnisse belegen den Paradigmenwechsel, ihnen sind die dafür wesentlichen romantischen Vorstellungen von Natur, Raum, Geschichte und Nation inhärent, die es zu erforschen gilt. Die Gleichzeitigkeit von Romantik und Sattelzeit demonstriert, dass die Veränderungen dynamisch und stufenweise erfolgten. Dass die Romantik sich auf alte Werte und Überlieferungen besann und in der Vergangenheit nach Vorbildern suchte, stellt keinen Widerspruch zu diesem Umbruch dar, der ein Überlagern von Kulturen, Objekten, Wertevorstellungen und Lebensformen,115 also ein »Nebeneinander von Traditionellem und Modernem« aufwies.116 114 Koselleck, Reinhart  : Einleitung, in  : Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hg.)  : Geschichtliche Grundbegriffe  : historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 1  : A–D, Stuttgart 1992, S. XIII–XXVII, hier S. XV. 115 Vgl. Brüggemann, Heinz  : Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, Universalität und Differenz, Synkretismen und Surrogat-Tempel  : zur Vielstimmigkeit romantischer Modernität, in  : Ders.: Romantik und Moderne  : Moden des Zeitalters und buntscheckige Schreibart  ; Aufsätze, Würzburg 2009, S. 265–300, hier S. 267. 116 Fulda, Daniel  : Sattelzeit  : Karriere und Problematik eines kulturwissenschaftlichen Zentralbegriffs, in  :

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Für die Einordnung der einzelnen Entwicklungstendenzen in der Romantik gehe ich zunächst auf die maßgeblichen Merkmale und Motive dieser Bewegung ein, die die Denk- und Handlungsweisen der Akteur:innen wesentlich beeinflusste (Kapitel 2). Ich beziehe mich auf elementare Veränderungen der Landschaftswahrnehmung, der Emotionalisierung von zwischenmenschlichen Beziehungen, der Subjektivierung von Texten und auf Praktiken einer bürgerlich formulierten Kritik an urbanen und konventionellen Lebensmustern (Wandern). Für die Zeit der Romantik ist ferner ein erhöhter Kommunikationsbedarf feststellbar, der neue Formen der überständischen Geselligkeit und des schriftlichen Austausches hervorbrachte beziehungsweise diese intensivierte.117 Anhand der Quellen stelle ich zudem das Verhältnis von Geschlecht und Mobilität in der Romantik heraus, analysiere geschlechtsspezifische Raumkonzeptionen und die Möglichkeiten weiblicher beziehungsweise männlicher Mobilität. Praktiken der Verschriftlichung der Reise sollen darüber aufklären, welche Formen der Berichterstattung Männer und Frauen nutzten und welche Erwartungen und gesellschaftlichen Normen sich daran knüpften.118 Im Anschluss stelle ich die einzelnen Selbstzeugnisse vor (Kapitel 3) und erörtere den jeweiligen Forschungsstand und bestehende Desiderate zu den Quellen. Dabei werden formelle, quantitative und situationsbedingte Unterschiede ermittelt und die persönlichen (werk)biografischen Entwicklungen kontextualisiert. Der Vorstellung der Quellen folgt der inhaltliche Vergleich der Selbstzeugnisse. Zur Untersuchung und Einordnung der historischen Reise- und Schreibpraktiken, sowie der Selbst-, Fremdund Landschaftswahrnehmung der Akteur:innen bediene ich mich fünf verschiedener interdisziplinärer Zugänge. Zunächst nutze ich die historische Emotionenforschung (Kapitel 4), um signifikant romantische Handlungsmotive wie ›Gefühl‹, ›Leidenschaft‹, ›Empfindsamkeit‹ oder auch ›Affekt‹ zu kontextualisieren. Das Zulassen und Beschreiben von Emotionen sind typische Handlungsweisen der Romantik, die im Kontext einer Reisekultur am Rhein das emotionale Verarbeiten und Beschreiben von raum- und personenbezogenen Erfahrungen aufzeigen. Schwerpunktmäßig konzentriere ich mich auf performing emotions, also auf die somatische Wiedergabe emotionaler Verhaltensmuster und die dynamische Intensität und Inszenierung der Emotionsbeschreibung

Décultot, Elisabeth/Fulda, Daniel (Hg.)  : Sattelzeit  : Historiographiegeschichtliche Revisionen (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 52), Berlin, Boston 2016, S. 1–16, hier S. 10. 117 Vgl. Kremer, Detlef/Kilcher, Andreas B.: Romantik  : Lehrbuch Germanistik, Stuttgart 2015, S. 6. 118 Unterschiede liegen in der Rezeption und anschließenden Niederschrift der Reiseeindrücke, nicht bedingt durch die natürliche Physis, sondern aufgrund der kulturell und gesellschaftlich geformten Erwartungen und Konventionen, vgl. Maurer, Michael  : Der Anspruch auf Bildung und Weltkenntnis  : reisende Frauen (Lichtenberg-Jahrbuch 1990), S. 122–158, hier S. 151 f.

Aufbau und Erkenntnisinteresse | 41

als Personen- und Gruppenentwurf in den konstruierten Selbstentwürfen.119 Dabei erkenne ich die Texte selbst als performative Praktiken, in denen die Akteur:innen ihre Emotionen artikulierten und wirkungsstark inszenierten, wodurch sie beim Lesen wiederum neue Emotionen erzeugten.120 Dieser methodische Zugang ermöglicht die Rekonstruktion eines Emotionenkanons der Rheinromantik – als Handlungs- und Beschreibungsmaxime, der für die Adressaten der Texte Vorbildcharakter besaß. Ich rekurriere auf die Sensuelle Landschaftswahrnehmung (Kapitel 5), um die Dominanz visueller Eindrücke zugunsten einer differenzierteren Auswertung sinnlicher Praktiken am Rhein zu brechen. Dafür stelle ich einige Motive und Symbole exemplarisch heraus und erläutere anhand der Motive Äolsharfe, Efeu und blaue Blume die gesamtsinnliche Dimension des Reiseerlebnisses. Das Aufzeigen olfaktorischer, gustatorischer, auditiver und haptischer Eindrücke in den Selbstzeugnissen verweist nicht nur auf das individuelle romantische Naturerlebnis mit allen Sinnen, sondern auf kollektive Beschreibungsmuster, die sensuell gesteuerte Verhaltensweisen für konkrete Räume dirigierten.121 Darüber hinaus beziehe ich mich auf methodologische Erkenntnisse der historischen Raumforschung einerseits sowie der Umweltgeschichte andererseits, die soziale Raumerfahrungen sowie naturraumbezogene Erkenntnisse miteinander kombinieren (Kapitel 6). Reisen und das Berichten darüber bedingen sich nach Michel de Cer­ teaus Prinzip gegenseitig  : »Every story is a travel story – a spatial practice«.122 Wie sich in diesen spatial stories das Verhältnis von Raum, Zeit, Person und Schriftlichkeit in Bezug auf soziokulturelle Produktions-, Wahrnehmungs- und Aneignungsprozesse der Rheinromantik verhielt,123 bildet einen weiteren Untersuchungsgegenstand meiner Arbeit.124 Dabei fokussiere ich neben der sozialen Selbstverortung der historischen 119 Vgl. Lichau, Karsten  : »The moving, awe-inspiring silence«  : zum emotionalen Potenzial der Schweigeminute, In  : Jarzebowski, Claudia/Kwaschik, Anne (Hg.)  : Performing emotions  : interdisziplinäre Perspektiven auf das Verhältnis von Politik und Emotion in der Frühen Neuzeit und in der Moderne, Göttingen 2013, S. 69–92, hier S. 72. 120 Vgl. Jarzebowski, Claudia  : Das gefressene Herz  : Emotionen und Gewalt in transepochaler Perspektive, in  : Jarzebowski, Claudia/Kwaschik, Anne (Hg.)  : Performing emotions  : interdisziplinäre Perspektiven auf das Verhältnis von Politik und Emotion in der Frühen Neuzeit und in der Moderne, Göttingen 2013, S. 93–112, hier S. 93. 121 Siehe dazu  : Reckwitz, Andreas  : Sinne und Praktiken  : die sinnliche Organisation des Sozialen, in  : Göbel, Katharina/Prinz, Sophia (Hg.)  : Die Sinnlichkeit des Sozialen  : Wahrnehmung und materielle Kultur, Bielefeld 2015, S. 441–455. 122 Certeau, Michel de  : The Practice of Everyday Life, Transl. by Steven F. Rendall, Berkeley (u. a.) 2004, S. 115. 123 Rau, Susanne  : Räume  : Konzepte, Wahrnehmungen, Nutzungen, Frankfurt, New York 2017, S. 179. 124 Vgl. Schmelzer, Raum auf Abruf, 2013, S. 47–70.

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Akteur:innen die Konzeption von Räumen als Projektionsentwürfe für konkrete fantastische und idealistische Vorstellungen.125 Soziale Interaktion, geschlechtsspezifische Kategorisierungen, Machtkonstellationen sowie symbolische und ideologische Aufladungen (Loreley) bilden für die räumliche Einordnung der Quellen entscheidende Bezugspunkte. Damit in Verbindung stehen die methodischen Prämissen der historischen Umweltforschung, die eine Analyse des Erlebens der Natur am Rhein und dieser Entwicklung ermöglichen.126 Mein Interesse richtet sich insbesondere auf die Reflexion menschlichen Handelns und dessen wahrnehmbare Auswirkungen auf die natürlichen Zustände  : Dabei werden Grundlagen des modernen Naturschutzes, Konzepte zur Nachhaltigkeit und Erhaltung von natürlichen Landschaften mit den in den Selbstzeugnissen wahrgenommen Zuständen und Veränderungen in Bezug gesetzt. Die Verlagerung der Erwartungshaltung der Reisenden von der Kategorie ›Natur‹ auf ›Nation‹ steht stellvertretend für einen Paradigmenwechsel innerhalb der Rheinromantik, den es in meiner Arbeit detailliert zu erforschen gilt. Die mentale Verbindung des Rheins mit national besetzten Motiven und Elementen bildet den fünften Themenbaustein, der die politische Inszenierung der Rheinlandschaft (Kapitel 7) untersucht. Real existente und daher räumlich fixierte Orte sowie ihre historischen und ahistorischen Ereignisse verknüpfen sich in den Selbstzeugnissen mit den Grundlagen der ästhetischen Wahrnehmung  : Attraktive Landschaftsabschnitte oder Etappen gewannen als Schauplätze fiktiver und realer Geschichte erhöhte Aufmerksamkeit und wurden als Erinnerungsorte deutscher Geschichte literarisch sublimiert.127 Im Zuge der Auseinandersetzungen und Grenzstreitigkeiten mit Frankreich (Napoleonische Kriege) wurde der Rhein zur territorialen Kampfzone und als Garant deutscher Nationalbestrebungen zum identitätsstiftenden, emotional geprägten Politikum. Die Selbstzeugnisse werden dabei auf ihre Ausdeutung des Rheins als deutsche Erinnerungslandschaft untersucht und mit (national-)politischen Überzeugungen der Verfasser:innen in Bezug gesetzt. Mit meiner Arbeit verfolge ich das Ziel, dem bestehenden Forschungsdesiderat zur Einordnung von Selbstzeugnissen innerhalb der Rheinromantik beizukommen. In Anwendung vielversprechender und moderner Forschungsansätze hebe ich überdies die interdisziplinäre Relevanz der Thematik hervor und eröffne eine differenzierte 125 Siehe dazu  : Jost, Erdmut  : Landschaftsblick und Landschaftsbild  : Wahrnehmung und Ästhetik im Reisebericht  ; 1780–1820  ; Sophie von La Roche – Friederike Brun – Johanna Schopenhauer (Rombach Wissenschaften  : Reihe Litterae 122), Freiburg/Br., Berlin 2005. 126 Siehe dazu  : Herrmann, Bernd/Kruse, Ute (Hg.)  : Schauplätze und Themen der Umweltgeschichte  : Umwelthistorische Miszellen aus dem Graduiertenkolleg (Graduiertenkolleg 1024 Interdisziplinäre Umweltgeschichte), Göttingen 2010. 127 Siehe dazu  : Czarnowski, Katja  : Die Loreley, in  : François, Etienne/Schulze, Hagen (Hg.)  : Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde., Bd. 3, München 2001, S. 488–502, hier S. 491 f.

Aufbau und Erkenntnisinteresse | 43

Auswertung der Selbstzeugnisse vom Rhein. Der theoretische Ansatz bedient sich der Selbstzeugnisforschung, Historischen Raumforschung, Emotionenforschung und der Umweltgeschichte.128 Ferner wird durch die Analyse der Selbstzeugnisse in Form von Briefen und Tagebüchern die literaturwissenschaftliche Ebene berücksichtigt. Die Quellen nach naturästhetischen, geschlechtsspezifischen, emotionalen, raum- und umweltbezogenen, kulturhistorischen sowie nationalpolitischen Darstellungen der Rheinlandschaft auszuwerten, ermöglicht deren genaue Analyse hinsichtlich der Leitmotive und -gedanken der literarischen Romantik. Sie veranschaulichen die Etablierung, Entwicklung und Nutzung romantischer Idealvorstellungen aufgrund symbolischer Besetzungen bis hin zur ideologischen Verklärung des Rheins. Die Selbstzeugnisse sowie deren Rezeption dienen als Anzeiger für die Entwicklung einer Reisekultur am Mittelrhein im frühen 19. Jahrhundert.

128 Die Raumforschung nutzt sowohl Methoden zur sozialwissenschaftlichen Raumanalyse (Raumkonstitution, Raumwahrnehmung, Interaktion im Raum) als auch ethnografische und geologische Daten. Die Umweltgeschichte bedient sich neben der »klassischen Quellen« (Reiseberichte, Karten) auch kaum beachteter Materialien, »die teils nur mit naturwissenschaftlichen Methoden lesbar werden und klassisch ausgebildeten Historiker/innen zunächst wie eine fremde Sprache erscheinen mögen«. (Melanie Arndt, Umweltgeschichte, Version  : 3.0, in  : Docupedia-Zeitgeschichte, 10.11.2015, URL  : https://docu pedia.de/zg/Arndt_umweltgeschichte_v3_de_2015, letzter Zugriff  : 09.04.2022. Das Ineinandergreifen von geschichts-, sozial- und naturwissenschaftlichen Teilgebieten ermöglicht neben einer Vielfalt von Methoden auch eine neue Lesbarkeit des Quellenmaterials  : So lassen sich konventionelle oder bisher unzureichend erforschte Quellen (Postkarten, Rechnungen, Gästebücher) neu bewerten. Die Selbstzeugnisforschung nutzt Methoden und Theorien der Geschichts-, Literatur- und Kulturwissenschaften, etwa das hermeneutische Verfahren (Textanalyse und Interpretation), um anhand von Zeugnissen autobiografischen Inhalts kollektive Handlungscluster zu erschließen. Auch statistische Auswertungen sowie die Einbindung innovativer, digitaler Tools können für die Erforschung von Selbstzeugnissen dienlich sein.

2. Entwicklungstendenzen in der Romantik

Um die Selbstzeugnisse nach ihren historischen Rahmenbedingungen und innerhalb ihrer Entstehungskontexte zu verstehen, erläutere ich folgend die für meine Fragestellung relevantesten Entwicklungstendenzen in der Romantik, welche vielfältige Umgestaltungen auf verschiedenen Ebenen zeitigte. Für mediale Veränderungsprozesse sorgte eine Steigerung der Kommunikationsmittel und -möglichkeiten, die neben der Zunahme von gedruckten Büchern und Zeitungen auch die Verdichtung persönlicher mündlicher und schriftlicher Kommunikation impliziert, vom Streitgespräch über die epistolarische Korrespondenz zum Schreiben von Tagebüchern und Memoiren. Mit dem gesteigerten Bedarf an Kommunikation verband sich eine gesteigerte Mobilität, die das Kommunizieren erst notwendig machte und Informationsflüsse ermöglichte. Die Verflechtung von Schreib- und Reisepraktiken ist eine logische Konsequenz dieser Intensivierung kommunikativer Möglichkeiten, welche bisher sozial unterrepräsentierte Gruppen und verstärkt auch Frauen in die Literaturproduktion einband. Die politischen, technischen und ökonomischen Veränderungen sowie der sich infolge der staatlichen Destabilisation einstellende Identitätsverlust sind mitverantwortlich für die sozial- und selbstkritischen Denkweisen, in denen sich alternative Lebensentwürfe formulierten, die das Reisen zu ursprünglichen Räumen zum Grundsatz erhob. Die nachfolgenden Abschnitte zeigen auch, wie die historischen Akteur:innen und ihr soziales Umfeld in diese Veränderungen eingebunden waren, von ihnen profitierten und sie begleiteten. 2.1 Medien und Kommunikation Die Romantik ist – vor allem, aber nicht nur – eine zentrale Entwicklungsstufe innerhalb der deutschsprachigen Literatur- und Kulturgeschichte  : Zum einen erlebte die Lese- und Schreibkultur zu dieser Zeit eine Hochkonjunktur, zum anderen stieg im Zuge einer pädagogisch ausgerichteten Aufklärung die Alphabetisierungsrate allmählich an  ; hinzu kam das Interesse einer (vorwiegend) bildungsbürgerlichen Gesellschaftsschicht an schriftlicher Selbstreferenz sowie die Zunahme weiblicher Autorenschaft.1 Insgesamt ist für das 19. Jahrhundert eine – wenngleich auch regional unterschiedlich dynamische – Zunahme von »Schriftlichkeit« oder »Literalität« zu verzeichnen, 1

Siehe dazu  : Goetsch, Paul (Hg.)  : Lesen und Schreiben im 17. und 18. Jahrhundert  : Studien zu ihrer Bewertung in Deutschland, England, Frankreich, Tübingen 1994.

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mithin die verbesserten Möglichkeiten für die Bevölkerung, Literatur zu konsumieren und selbst zu schreiben.2 Bevor ich auf die traditionellen und neuen Bedeutungszuweisungen von Reiseberichten mit selbstreferenziellem Charakter zu sprechen komme, möchte ich die mediengeschichtlichen Hintergründe und die Kommunikationsmöglichkeiten um 1800 umreißen. 2.1.1 Formate: Briefe, Autobiografien, Reiseberichte Eine Form der schriftlichen Kommunikation erfährt in der Romantik eine besondere Wertschätzung, sodass von einer regelrechten Hochphase gesprochen werden kann  : die (private) Briefkultur. Die Betonung zwischenmenschlicher Beziehungen in vielfältiger Ausprägung sowie ein intensiviertes Bewusstsein für die eigene Individualität und Selbstbestimmtheit, aber auch die stete Rückbindung der Kunst an das Leben beeinflussten die neue Qualität und Quantität von Briefkorrespondenzen.3 Orale Tradierungsmuster hatten sich bereits im Laufe der Aufklärung zugunsten einer selbstbestimmten Lese- und Schreiblust aufgelöst. Ich-Konstruktionen manifestierten sich in alten Kommunikationsmitteln wie dem privaten Brief, der eine neue Bedeutungszuweisung erhielt. Sich den Familienangehörigen, Bekannten, Geliebten, Partner:innen und Freund:innen schriftlich mitzuteilen, wurde fast wichtiger als das herkömmliche Gespräch vis-à-vis – manche Zeitgenossen würdigten den Brief gar als »eine freie Nachahmung des guten Gesprächs«.4 Insbesondere die bürgerliche Bildungselite pflegte eine reiche Briefkultur, um sich einerseits geistreich auszutauschen und sich andererseits künstlerisch und sprachlich frei zu entfalten. Diese imaginären Netzwerke betrieben sowohl Männer als auch Frauen. Sie sahen in den Briefen gleichfalls eine Anerkennung ihrer literarischen Leistung als auch ihrer Persönlichkeit.5. Der Germanist Wolfgang Bunzel hat in seinem Beitrag über Briefnetzwerke der Romantik eine für diese Zeit ungewöhnlich starke Kommunikationsvernetzung festgestellt, wodurch sich eine ganz eigene Gruppendynamik und Gruppenidentität entwickelte.6 Der dynamische 2 3 4 5 6

Hinrichs, Ernst  : Alphabetisierung  : Lesen und Schreiben, in  : Dülmen, Richard van/Rauschenbach, Sina (Hg.)  : Macht des Wissens  : die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft, Köln (u. a.) 2004, S. 539–561, hier S. 539. Vgl. Bunzel, Briefnetzwerke der Romantik, 2013, S. 109, 116. Gellert, Christian Fürchtegott  : Briefe, nebst einer praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen, Leipzig 1751, S. 3. Vgl. Nenon, Monika  : Aus der Fülle der Herzen  : Geselligkeit, Briefkultur und Literatur um Sophie von La Roche und Friedrich Heinrich Jacobi, Würzburg 2005, S. 68 f.; vgl. Becker-Cantarino, Barbara  : Schriftstellerinnen der Romantik  : Epoche – Werke – Wirkung, München 2000, S. 150 f. Vgl. Bunzel, Briefnetzwerke der Romantik, 2013, S. 116.

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Austausch von Briefen – welche durch ihr Abschicken und Ankommen ohnehin von einer eigenen Mobilität gekennzeichnet sind – garantierte einen Informationsaustausch weit über den eigenen Standort hinweg.7 Die privaten Korrespondenzen waren durchaus für die Verbreitung über den:die Adressaten:in hinaus bestimmt, etwa wenn literarische, kulturelle, politische oder soziale Diskussionen geführt wurden oder wenn sie Beschreibungen über fremde Länder und Völker enthielten – sie vermittelten und erzeugten ihrerseits Wissen.8 Die Veröffentlichung von Korrespondenzen bot sodann die Möglichkeit der Verlängerung der »Wirkungsmacht über die Zeit hinaus«, damit blieben historische Akteur:innen auch posthum präsent.9 Die Selbstinszenierung und Selbstdarstellung im Briefwechsel erlaubte im 18. Jahrhundert neuartige Möglichkeiten der schriftlichen Konversation und Selbstdarstellung, die »das steife Zeremoniell, das aus dem Schreiben eine besonders kunstfertige und den rhetorischen Distinktionen gemäße Art der Mitteilung machte«,10 ablöste und die Beziehung zwischen Briefschreiber:in und Adressat:in in den Fokus der Korrespondenz rückte. Indem die Schreibenden ihr Selbst und ihren Alltag offen darlegten, wurde der Briefwechsel selbst zum festen Bestandteil des Alltags – sozusagen »zu einer zweiten Natur« – indem er real erfahrene und geschriebene Lebenswelt miteinander verband.11 Die im Brief üblicherweise artikulierte Wiedersehens(vor-)freude las sich als »ein dynamisches Gefühl, dem der Wunsch nach Steigerung innewohnt« und im schriftlichen Austausch lebendig blieb.12 Sodann bot die schriftliche Konversation auch immer Raum für gefühlsbetonte, freundschaftliche und teils erotische Offenbarungen und (Ein-)Geständnisse, »die mit dem Reglement mündlicher Interaktion unvereinbar«, im Gewand des schriftlichen Austauschs aber durchaus akzeptiert und möglich waren.13 Der Soziologe Jürgen Habermas hat festgestellt, dass in der Folge der Betonung des privaten Raumes im 18. Jahrhundert das Bürgertum für sein Bedürfnis nach familiärer und persönlicher Intimität sowie Selbstbestimmung ein Ventil im Briefwechsel   7 Vgl. ebd. S. 112, 116.   8 Beispielsweise die Veröffentlichung des Briefromans Bettina von Arnims unter dem Titel Goethes Briefwechsel mit einem Kinde (2 Bde., Berlin 1835)  ; Siehe dazu auch  : Becker-Cantarino, Schriftstellerinnen der Romantik, 2000, S. 171 f.   9 Jahnke, Selma  : Einleitung, in  : Dies./Le Moël, Sylvie (Hg.)  : Briefe um 1800  : zur Medialität von Generationen, Berlin 2015, S.11-26, hier S. 19. 10 Koschorke, Albrecht  : Körperströme und Schriftverkehr  : Mediologie des 18. Jahrhunderts, München 1999, S. 186. 11 Ebd., S. 186. 12 Jacob, Joachim  : Hergestellte Nähe  : Friedrich Gottlieb Klopstock – Meta Moller, in  : Schuster, Jörg/ Strobel, Jochen (Hg.)  : Briefkultur von Martin Luther bis Thomas Bernhard  : Texte und Interpretationen, Berlin, New York 2013, S. 39–46, hier S. 41. 13 Koschorke, Körperströme und Schriftverkehr, 1999, S. 208.

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fand.14 Die Korrespondenz diente nicht bloß dem Austausch alltäglicher Nachrichten und Neuigkeiten, sondern vielmehr als »Behälter für die Ergießung der Herzen«, die Ich-Botschaften sollten »mit Herzblut geschrieben, […] geradezu geweint sein«.15 Die Briefe wurden persönlicher und emotionaler, sie förderten Freundschaft und Vertrauen durch die gegenseitige Bestätigung und das wechselseitige symbolhafte Geben und Nehmen. Der Brief wurde sowohl durch seinen materiellen als auch durch seinen ideellen Wert zu einem exklusiven und sehr persönlichen Geschenk, das den mündlichen Austausch sowie den Augen- und Körperkontakt ersetzte. Anhand Michael Maurers Beitrag16 über Freundschaftsbriefe und Brieffreundschaften lassen sich die Vorzüge dieses Schriftwechsels präzisieren  : »ihre Inszenierung als Gespräch unter Abwesenden, den Nutzen der Zeitdifferenz als distanzschaffend, die Materialität des Briefes als Zeichenfläche und Schmuckträger, letztlich die Tendenz der Brieffreundschaft zur radikalisierten, aber nicht-sexuellen Intimität«.17 Diese schriftliche Mitteilungsform implizierte die Möglichkeit, Vertrautes geheim zu halten oder mitzuteilen, ohne sich selbst oder den:die Empfänger:in zu kompromittieren, denn der Brief stellte eine Art Vertrauensbeweis dar.18 Gegenseitige Sympathie- und Gunstbezeugungen sowie vertraute Informationen zirkulierten in Form des Freundschaftsbriefes und bekundeten somit die neue Qualität eines Beziehungskultes, der gleichzeitig oder abwechselnd Beziehungen von Brüderlichkeit, Partnerschaft und Kameradschaft evozierte.19 Dass Freundschaften im Gegenzug auch zu Entfremdung, Ungunst und Zwist führen konnten, lässt sich ebenfalls im Briefwechsel der historischen Akteur:innen nachlesen. Brieffreundschaften und Freundschaften bargen immer auch Konfliktpotenzial, besonders wenn Lebenslauf, Werdegang und (politische oder religiöse) Überzeugung sich in unterschiedliche Richtungen entwickelten.20 Die Negation von Freundschaft in Korrespondenzen zeigt 14 Vgl. Habermas, Jürgen  : Strukturwandel der Öffentlichkeit  : Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt/Main 1990, S. 113. 15 Ebd., S. 113. 16 Maurer, Michael  : Freundschaftsbriefe – Brieffreundschaften, in  : Manger, Klaus/Pott, Ute (Hg.)  : Rituale der Freundschaft, Heidelberg 2006, S. 69–81. 17 Benedikt Jeßing  : Rezension zu  : Manger, Klaus/Pott, Ute (Hg.)  : Rituale der Freundschaft, Heidelberg 2006, in  : H-Soz-Kult, 20.08.2009, URL  : www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-9733, letzter Zugriff  : 16.05.2017. 18 Vgl. Mauser, Wolfram  : »Ich lasse den Freund dir als Bürgen«  : das Prinzip Vertrauen und die Freundschaftsdichtung im 18. Jahrhundert, in  : Pott, Ute (Hg.)  : Das Jahrhundert der Freundschaft  : Johann Wilhelm Ludwig Gleim und seine Zeitgenossen, Göttingen 2004, S. 11–20. 19 Siehe dazu  : Hilmes, Carola  : Georg Forster und Therese Huber  : eine Ehe in Briefen, URL  : http://www.goe thezeitportal.de/db/wiss/epoche/hilmes_forster_huber.pdf, letzter Zugriff  : 10.04.2022  ; Betz, Otto/Straub, Veronika (Hg.)  : Bettine und Arnim  : Briefe der Freundschaft und Liebe, 2 Bde., Frankfurt/Main 1986. 20 Die Unstimmigkeiten zwischen Brentano und Arnim infolge privater und werkbezogener Kontroversen

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Parallelen zu anderen narrativen Textsorten der Zeit, die interpersonelle Beziehungsgeflechte und Verbindungen stets als fragil und spannungsgeladen darstellten, welche immer auch Stimmungs- und Konfliktpotenzial boten.21 Eine Textsorte erfährt in der Romantik besondere Aufmerksamkeit, in welcher sich selbstreferentielles Schreiben und das Bewusstmachen um das Selbst in Schriftform als höchste Form der Eigenthematisierung miteinander verbinden  : die Autobiografie. Die in der Wissenschaft lange Zeit vorherrschende Dominanz der Sonderstellung von Autobiografien hat eine eigenständige Selbstzeugnisforschung unterbunden, obgleich die Autobiografie nur eine Gattung unter vielen darstellt.22 Autobiografien sind in erster Linie immer an die Ausgangsform der Biografie rückgebunden, nur mit dem Unterschied, dass die im Mittelpunkt stehende Person gleichzeitig Verfasser:in und Protagonist:in ist.23 Sie sind in der Regel retrospektiv und zum Lebensende hin offen verfasst  ; über Ableben und Nachwirken schrieb gelegentlich eine andere, dem:r Verfasser:in nah stehende Person. Die Erwartung an eine möglichst realitätsnahe, persönlich beglaubigte Selbstbiografie steht im Kontrast zur konstruierten, nachträglich veränderten Version des Lebens, was den Wahrheitsanspruch von autobiografischen Texten untergräbt. Schließlich konnte der  :die Autobiograf:in selbst entscheiden, über was geschrieben oder was verschwiegen wurde.24 Noch »bis weit ins 18. Jahrhundert hinein blieb der Wirkungskreis von Aufzeichnungen über das eigene Leben vorrangig auf

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sowie Interessenverlagerungen lassen sich im Briefwechsel nachvollziehen. Siehe dazu  : Rölleke, Des Knaben Wunderhorn, 2005, S. 13 f. Ob und wie Arnim die zunehmend spirituelle Verlagerung Brentanos miterlebte und darüber urteilte, kann aufgrund der bruchstückhaft erhaltenen Briefe nicht mehr nachvollzogen werden. Die derzeitige Quellenlage beeinträchtigt die Bewertung der freundschaftlichen Korrespondenz  : »Von den Briefen, die Brentano in den Jahren 1817 bis zum Tode Arnims im Jahre 1831 schrieb, sind nur wenige überliefert. Die einzigen erhaltenen umfangreicheren Episteln von 1820 und 1824 zeigen Brentanos missionarischen Eifer der Dülmener Jahre. Die Reaktionen Arnims auf derartige religiöse Bekenntnisse lassen sich nur schwer erschließen, denn seine Gegenbriefe sind nicht erhalten.« Schultz, Freundschaftsbriefe, Bd. 1, 1998, S. XXV. Vgl. Meyer-Krentler, Eckardt  : Freundschaft im 18. Jahrhundert, in  : Mauser, Wolfram/Becker-Cantarino, Barbara (Hg.)  : Frauenfreundschaft – Männerfreundschaft  : literarische Diskurse im 18. Jahrhundert, Tübingen 1991, S. 1–22, hier S. 14. Vgl. Krusenstjern, Selbstzeugnisse, 1994, S. 466. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Feststellung, dass Autobiografien immer Selbstzeugnisse sind, Selbstzeugnisse aber nicht zwingend Autobiografien sein müssen, etwa wenn sie einzelne Ereignisse ohne Selbstbezug sind oder die Lebensfahrt Dritter thematisieren. (Vgl. ebd. S. 467). Vgl. Maurer, Michael  : Die Biographie des Bürgers  : Lebensformen und Denkweisen in der formativen Phase des deutschen Bürgertums (1680–1815) (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 127), Göttingen 1996, S. 107. Vgl. Wagner-Egelhaaf, Martina  : Autobiografie und Geschlecht (Freiburger FrauenStudien 19  : Erinnerung Geschlecht), Freiburg/Br. 2006, S. 49–64, hier S. 51.

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den ›privaten‹ Bereich der eigenen Familie oder der Klostergemeinschaft beschränkt«,25 bis schließlich im Zuge der Aufklärung das öffentliche Interesse an selbstreferentiellen Schriften zunahm und deren Publikation forcierte. Selbstzeugnisse in Form von Biografien, Briefen und Memoiren suggerierten größtmögliche Authentizität und bildeten praktische Orientierungshilfen für die eigene Lebensführung.26 Eine Übersicht der vorliegenden Quellen zeigt, dass autobiografisches Schreiben im 18. und 19. Jahrhundert einen neuen Höhepunkt erreichte und darüber hinaus eine Form selbst erschaffenen literarischen Denkmals darstellte. Goethes Aus meinem Leben. Dichtung & Wahrheit markierte – als Zusammenstellung von persönlichen Erlebnissen, literarischen Projekten und zeitgenössischen Themen – wie kein anderes Werk die Blütezeit der Selbstbiografien und bot die Schablone für nachfolgende Lebensgeschichten, die Gelehrte wie Handwerkende und sowohl Männer als auch Frauen aufschrieben.27 Weiblich verfasste Autobiografien erweckten allerdings weit weniger Aufmerksamkeit  ; bis heute stellen die häufiger rezipierten und rezensierten Autobiografien eines Seume, Varnhagen von Ense, Grillparzer, Fontane und anderer die der Frauen in den Schatten des literatur- und kulturhistorischen Interesses.28 Autobiografische Schriften sind oft schwer von anderen Gattungen zu trennen. Eine Schnittstelle zum Reisebericht bildet das retrospektive Erzählen  ; das Erlebte wird reflektiert erinnert und aus einer zeitlichen Distanz bewertet. Der Reisebericht verändert seine Ausgestaltung  : Er »löst sich aus der objektiv verankerten, häufig deskriptiven historia und kann als autobiographischer Rechenschaftsbericht auch die individuellen Erlebnisse und Widrigkeiten ungemein stärker als bisher gewichten«.29 Das bewusste Selektieren und Reflektieren von Erfahrungen bestätigt die Wiedergabe des Lebens mit literarischen Mitteln.30 Auch Tagebücher und Briefe sind, obwohl im Regelfall 25 Scheutz, Martin/Tersch, Harald  : Selbstzeugnisse der Frühen Neuzeit  : der lange Weg der schriftlichen Selbstvergewisserung, in  : Eigner, Peter/Hämmerle, Christa/Müller, Günter (Hg.)  : Briefe – Tagebücher – Autobiographien  : Studien und Quellen für den Unterricht (Konzepte und Kontroversen 4), Innsbruck (u. a.) 2006, S. 13. 26 Vgl. Maurer, Michael  : Kulturgeschichte  : eine Einführung, Köln (u. a.) 2008, S. 254. 27 Vgl. Stein, Peter/Stein, Hartmut  : Chronik der deutschen Literatur  : Daten, Texte, Kontexte, Stuttgart 2008, S. 476. 28 Siehe dazu  : Ramm, Elke  : Warum existieren keine »klassischen« Autobiograhien von Frauen  ? in  : Holdenried, Michaela (Hg.)  : Geschriebenes Leben  : Autobiographik von Frauen, Berlin 1995, S. 130–141. Eine Übersicht weiblich verfasster Selbstbiografien vom 16. bis ins 20. Jahrhundert bietet Magdalene Heusers Sammelband Autobiographien von Frauen (1996). 29 Wolfzettel, Friedrich  : Reisebeschreibung und Abenteuer  : zum Problem der Fiktionalität im romantischen Reisebericht, in  : Ders. (Hg.)  : Reiseberichte und mythische Struktur  : romanistische Aufsätze 1983–2002, Stuttgart 2003, S. 39–57, hier S. 42. 30 Vgl. Rippl, Gabriele  : »Why hath this Lady writ her own Life« – Frühneuzeitliche Lebensbeschreibungen

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unmittelbar und nicht im Narrativ verfasst, den autobiografischen Schriften zuzuordnen.31 Das häufig vorgenommene freie Arrangement von mehr oder weniger tatsächlichen Erlebnissen offenbart »die Neigung, die Vergangenheit gegenüber der veränderten Gegenwart zu verklären«.32 Der Philologe Wolfgang Matzat meint, dass es sich bei autobiografischen Schriften stets um fiktive Werke handele, »zu denen man ja Reiseberichte – und zwar insbesondere die der Romantik – rechnen kann«.33 Hier tritt nun die Besonderheit romantischer Reisebeschreibungen hervor, welche ebenso fantasiereich und erfinderisch verfasst sind wie prosaische und poetische Werke, die Reales mit Erfundenem kombinieren. Persönliche Notizen (in Form von Tagebucheinträgen oder Briefen) werden in die für den Druck vorgesehenen Texte aufgenommen und narrativ arrangiert  : Anekdoten, Zwischenberichte, Rückblicke und Exkurse werden so kunstvoll in den Bericht eingebettet, um Begegnungen oder Ereignisse als Schlüsselerlebnisse zu pointieren.34 Als aufschlussreich zur Erforschung der Rheinromantik präsentiert sich die Reiseliteratur, die auch für die vorliegende Arbeit entscheidende Informationen etwa zum Streckenverlauf, zu Transportmitteln, Reiseverhalten und -praxis bereithält und daneben aufzeigt, wie konform sich der Reisekanon tatsächlich gestaltete. Reiseliteratur wird nicht nur als Informationsquelle vor und während der Reise genutzt, sondern entsteht auch als Produkt einer intensiven Nachbereitung der unterwegs gesammelten Eindrücke und Erlebnisse. Und gelegentlich bildete auch die anschließende Verschriftlichung den eigentlichen Beweggrund für die Reise. Die mobile Raumerfahrung und anschließende schriftliche Reflexion war eine Praxis der individuellen und sozialen Selbstvergewisserung.35

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englischer Frauen zwischen klassischer (männlicher) lettere e virtù-Tradition und neuen Formen autobiographischen Schreibens, in  : Baumann, Uwe/Neumann, Karl August (Hg.)  : Autobiographie  : eine interdisziplinäre Gattung zwischen klassischer Tradition und (post-)moderner Variation, Göttingen 2013, S. 151–74, hier S. 15 f. Kollektiv verfasste Tagebücher wurden in der Forschung zumeist nicht den autobiografischen Texten zugeordnet, da ihnen nicht nur die aufrechte Preisgabe der Gefühlswelt fehle, sondern auch die Übereinstimmung vom Ich in Gestalt des:r Verfasser:in, des:r Erzählers:in und der Handlungsperson. Philippe Lejeune geht davon aus, dass die implizite und explizite Nennung des Eigennamens Voraussetzung für autobiografische Texte sei. Vgl. Lejeune, Phillipe  : Der autobiographische Pakt, aus dem Franz. v. Wolfram Bayer, Frankfurt/Main 1994, S. 36. Stein, Chronik, 2008, S. 476. Matzat, Verfremdung und Aneignung, 2019, S. 234. Vgl. Köhler, Poetik der Nation, 2019. S. 86 f. Vgl. Prein, Philipp  : Bürgerliches Reisen im 19. Jahrhundert  : Freizeit, Kommunikation und soziale Grenzen, Münster (u. a.) 2005, S. 73, 191.

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Die dieser Arbeit vorliegenden Reiseschilderungen sind größtenteils autobiografische Erlebnisberichte, die in Brief- und Tagebuchform niedergeschrieben und teilweise publiziert wurden. Autobiografische Zeugnisse dienen auch der Forschung als Referenzwerke, da sie in gedruckter Form benutzerfreundlich und gut recherchierbar sind und darüber hinaus formale Vergleichsparameter bieten (Reiseziel, Reiseperson beziehungsweise -gruppe, Zeitraum). Ob mündlich oder schriftlich weitergegeben, ob als Brief oder in diarischen Aufzeichnungen verfasst, Reiseberichte vereinen die authentische Wiedergabe von Tatsachen mit fiktiver Erzählkunst, denn neben dem Reisevorgang als solchem steht der Bericht im Vordergrund, der die Zuhörer- bzw. Leserschaft unterhalten möchte und deshalb neben faktischen Begebenheiten nicht selten fantastische, erfundene Elemente enthält.36 Vorbilder für den unterhaltsamen Reisebericht fanden sich in der Belletristik  : Vor allem der Reiseroman fing die Persönlichkeitsentfaltung als metaphorischen Lebensweg auf und ließ »Subjektentwicklung und Reiseroute korrespondieren«37. Im Reiseroman wurden Persönlichkeitskonzepte und Einzelschicksale nachvollziehbar, ließen sich mitunter auf die eigene Laufbahn projizieren oder zumindest mögliche alternative Lebenswege entstehen. In Werken wie Tiecks Franz Sternbalds Wanderungen oder Eichendorffs Aus dem Leben eines Taugenichts verbindet sich das symptomatische Reisemotiv mit der romantischen Sehnsucht des Protagonisten nach der Ferne. Die zeitgenössische Reiseliteratur belegt, dass Reisen um 1800 nach wie vor unter teils strapaziösen Bedingungen stattfanden und ihnen nicht selten der pädagogische Nutzen abgesprochen wurde.38 Um den Reisenden jegliche Illusionen eines gefahrlosen und unbeschwerten Abenteuers zu nehmen, kamen geläufige Risiken und Pro­ bleme besonders oft zur Sprache, sodass sich der Eindruck verfestigt, die Lektüre habe weniger Reiselust als viel mehr Reisefrust ausgelöst. Die in hohem Maße auf Organisation und Sicherheit ausgerichteten Reisehandbücher offenbaren aber auch das Phänomen, das sich neben einer berufs- und standesgemäßen Mobilität immer mehr entwickelte, nämlich, Reisen aus ganz persönlichen Gründen heraus zu unternehmen. Praktische Informationen, Beschreibungen von Örtlichkeiten, Sehenswürdigkeiten sowie reisebegleitende Risiken wurden alsbald zugunsten einer sich beim Reisenden einstellenden identitätsstiftenden Phase ausgeblendet. Die Impulse dafür lieferten vor 36 Siehe dazu  : Wagner, Ewald  : Subjektive und objektive Wahrheit in islamischen Reiseberichten, in  : von Ertzdorff, Xenia/Neukirch, Dieter (Hg.)  : Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Amsterdam 1992, S. 43–65. 37 Grabbe, Katharina  : Deutschland – Image und Imaginäres  : zur Dynamik der nationalen Identifizierung nach 1990, Berlin, Boston 2014, S. 157. 38 Siehe dazu  : N.N.: Ermahnungen eines Patriziers an seinen Sohn, als dieser auf Reisen gieng (= Schweitzersches Museum 4, 1788/ 7), S. 546–553.

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allem Unterhaltungs- und Bildungsromane. »Das Stichwort, unter dem dieser Wandel zumeist verzeichnet wird, ist das der Subjektivierung. Gemeint ist jener Moment im Übergang zur Neuzeit, an dem es scheint, als sei die Literatur der herausragende Ort, an dem der Mensch ganz bei sich selbst ist.«39 Kennzeichnend für diesen Wandel war der bereits in diesem Zusammenhang erwähnte Roman A Sentimental Journey Through France and Italy von Laurence Sterne. »Anders als es der Titel erwarten lässt, tritt in Sternes Roman die Reisewirklichkeit« zugunsten einer völligen Subjektivierung der Handlung zurück  :40 Damit entging das Werk einer generellen Überprüfbarkeit – unbedeutend erschienen die realen Etappenziele und in der Regel sehenswerten Bauwerke und Denkmale – und rückte gleichzeitig das gefühlsbetonte Reiseerlebnis und die persönliche Entwicklung des Protagonisten in den Mittelpunkt. Sternes Romanwerk schilderte keine Reise im eigentlichen, praktisch ausgerichteten Sinn, sondern eine Reise zu sich selbst, die auch die Leser:innen miteinbezog.41 Die Veränderung der Reiseansprüche ließ die Reiseschilderungen von nun an der Unterhaltungsliteratur zuordnen. Die Beschreibung realer Zustände, verifiziert durch die anschließende Inaugenscheinnahme des Lesepublikums, wich dem Bedürfnis nach individueller Entfaltung. Reisen blieben weiterhin Teil gesellschaftlicher Initiationsriten (Kavalierstour), bei denen bestimmte Kompetenzen und habituelle Praktiken erlernt wurden, welche die soziale Zugehörigkeit sicherten. Ein Bericht über diese persönlichen Entwicklungsstadien erfolgte nicht selten in Schriftform. Unterwegs ließen sich Erlebnisse als Tagebucheinträge oder in Briefform festhalten und später in Buchform vervielfältigen.42 Die Zunahme von Reiseberichten wird in den zeitgenössischen Literaturmagazinen unterschiedlich bewertet  : Die Redundanz solcher Beschreibungen bagatellisiere das Reisen, vermindere die Exklusivität von gewissen Destinationen und führe schließlich zu einer Abwertung des Genres und achtbarer Autor:innen.43 Zudem untergrub diese Entwicklung das bisherige Alleinstellungsmerkmal der Gelehrsamkeit bei den gebildeten und wohlhabenden Gesellschaftsgruppen, die ihr Reisen auch immer als exklusiven 39 Lauer, Gerhard  : Reisen zum Ich in Gesellschaft  : zur allmählichen Verbürgerlichung der Gattung Reiseliteratur im 19. Jahrhundert, in  : Meine, Sabine/Grotjahn, Rebecca (Hg.)  : »Dahin  !…«  : musikalisches Reiseziel Rom  ; Projektionen und Realitäten, Hildesheim 2011, S. 21–31, hier S. 22. 40 Ebd., S. 23. 41 Vgl. ebd. S. 23. 42 Es sei hier beispielhaft auf Goethes Italienreise (1786–88), die Reisebriefe von Pückler-Muskau (1828– 29), Felix Mendelsohn Bartholdys Briefe über seine Reise durch Deutschland, Italien und die Schweiz (1829–32), oder Gustav Flauberts Reise nach Ägypten (1849–51) verwiesen. 43 Siehe dazu  : URL   : http://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00087730/ALZ_1802_ Bd3u4_616.tif, http://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00087730/ALZ_1802_Bd3u4_ 617.tif, letzter Zugriff  : 07.05.2022.

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Bildungsauftrag verstanden. Das literarisch-ästhetische Verständnis solcher Kritiken rekrutierte sich aus der eigenen noch ständisch geprägten traditionellen Lebenswelt, in welcher das Reisen nur denjenigen offenstand, die einen bildungsbürgerlichen Habitus pflegten und dementsprechend einen inhaltlich und sprachlich einwandfreien Bericht abzulegen imstande waren. Auch Angehörige von Berufsgruppen, die traditionell zu den Umherziehenden (Handelnde, Handwerkende, Personen auf der Walz) gehörten, notierten sich, was sie unterwegs erlebten, wobei es sich zumeist »um Autobiografien oder um Familienchroniken, weniger jedoch um Wanderschafts- und Reiseberichte« handelte.44 Inhärent ist für diesen Reisetypus auch der Bildungsaspekt  : So kann etwa die Ausbildungszeit der Gesell:innen als »handwerkliche Mobilität analog zur akademischen Bildung« und deren Wanderschaft als Pendant zur bürgerlichen Bildungsreise begriffen werden.45 Nicht unerheblich ist in diesem Kontext die soziale und familiäre Herkunft der historischen Akteur:innen, die in dieser Arbeit zu Wort kommen. Als Vertreter:innen des Adels beziehungsweise des Bürgertums unterschied sich ihre Art des Reisens von den mobilen Praktiken anderer sozialer Gruppen nicht nur in der Auswahl der Transportmittel, der Reisekleidung und der aufgesuchten Orte  ; vielmehr nutzten sie das Reisen, um sich von anderen Gesellschafts- und Reisegruppen abzugrenzen und das eigene Reisen in eine Traditionskette von speziellen Umgangsformen, Kleidungs- und Essensgewohnheiten zu stellen, die der intellektuellen Elite entsprach. Eine genaue Grenze zwischen den diversen sozialen Gruppen und ihren Reisemotivationen zu zeichnen, erscheint zunächst diffizil. Personen aus dem Handwerk verfolgten mit ihren Wanderungen zur Perfektion ihrer Fertigkeiten, der Zunahme ihres Ansehens, der Bestätigung ihrer Gruppenzugehörigkeit und sogar der persönlichen Entwicklung recht ähnliche Absichten wie Angehörige des Adels und Bürgertums.46 Der Standpunkt, dass der »Bildungsreisende Kultur, […] der Familiengründer den gerechten Lohn«47 für seine Körperarbeit suche, greift indessen zu kurz, da er den Facettenreichtum mobiler Gruppen und ihrer Motivation verkennt. Sicherlich bildete die finanzielle Ausstattung einen nicht zu unterschätzenden Unterschied, der auch das Reisen beeinflusste. Unsere Akteur:innen stammten aus bürgerlichen (teils adligen) Kreisen, waren zumindest größtenteils 44 Wadauer, Sigrid  : Die Tour der Gesellen  : Mobilität und Biographie im Handwerk vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Frankfurt/Main, New York 2005, S. 279. 45 Ebd., S. 42  ; Siehe dazu  : Bruckmüller, Ernst  : Ludwig Funder Aus meinem Burschenleben mit einem Anhang Meines Leben Maienzeit  : Gesellenwanderung und Brautwerbung eines Grazer Zuckerbäckers 1862–1869, Wien 2000, S. 25–30  ; Das NCL bezeichnet das Wandern der Gesellen als »eine treffliche Bildungsschule«, 1836, Bd. 12, S. 160. 46 Siehe dazu  : Wadauer, Die Tour der Gesellen, 2005, S. 25. 47 Ebd., S. 230.

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solvent und suchten auf Reisen vornehmlich Selbstbestätigung sowie Verwirklichung romantischer Lebensentwürfe. Handwerkende und Handeltreibende hingegen mussten reisen, um ihr Brot zu verdienen. In den verschriftlichten Reiseerinnerungen und autobiografischen Dokumenten werden indes sozial übergreifende Gemeinsamkeiten deutlich  : So bilden Familienkonflikte, Schicksalsschläge und persönliche Unsicherheiten universal gültige Themenschwerpunkte. Reisen präsentierten Individualität, Sensibilität und Souveränität des reisenden Subjekts, wobei das Ziel stets auf öffentliche Resonanz zielte, was kein Paradox darstellt. Die eigene Erfahrung mischte sich in einen bereits vorhandenen Erfahrungspool, der sich anhand von Konformität und Nachahmung auszeichnete. Reisen in der Romantik geschahen durchaus aus sehr persönlichen Gründen, waren aber stets durch den Wunsch nach sozialer Partizipation der Reisenden an gesellschaftliche Vorstellungen und Erwartungen rückgebunden. Im Kontext der Selbstzeugnisse vom Rhein kann diese Rückkopplung an soziale Erwartungen und Vorstellungen aufzeigen, welche Erzählstrategien die Akteur:innen anwandten, um einem Publikum zu gefallen und sich in den aktuellen Diskurs einzuschreiben. 2.1.2 Personen: Reise- und Lesepublikum Wenn über die reisenden Akteur:innen und deren Reiseberichte berichtet wird, so stellt sich auch immer die Frage nach den Konsumenten dieser Dokumente – und zwar nach der korrigierenden Lektüre der Manuskripte durch Publizierende, befreundete Personen und Familienmitglieder. Wer las Reiseberichte und zu welchem Zweck  ? Nur ein prozentual geringer Anteil der gesamten Bevölkerung las im ausgehenden 18. Jahrhundert regelmäßig, erhielt Lese- und Schreibunterricht und besaß über Bibel und Kochbuch hinaus Literatur. Der Vergleich regionaler sowie städtischer und ländlicher Strukturen lässt erhebliche Abweichungen bei den Schreib- und Lesefähigkeiten erkennen, weshalb eine genaue Bezifferung der alphabetisierten Personen um 1800 kaum möglich ist.48 Daneben ist die Funktion des Vortragens oder Vorlesens zur Information und Unterhaltung bildungsferner Gruppen nicht zu vernachlässigen und erschließt darüber hinaus andere Medienformate bei der Einordnung der Informationsversorgung in der Geschichte  : Zeitungsartikel, behördliche Bekanntmachungen und Flugschriften kursierten auf öffentlichen Plätzen, auf Märkten und in Gasthäusern und wurden in der 48 Vgl. Schön, Erich  : Lesestoffe, Leseorte, Leseschichten, in  : Glaser, Horst Albert/Vajda, György M. (Hg.)  : Die Wende von der Aufklärung zur Romantik 1760–1820  : Epoche im Überblick, Amsterdam (u. a.) 2001, S. 77–113, hier S. 82.

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Abb. 2  : Johann Peter von Langer, Strickende beim Lesen, um 1803, Feder und Pinsel in Braun, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen.

Regel dort publik gemacht. Auch konnten Bildmaterialien oder Symbole unterstützend wirken. Die Rezeption von solchen schriftlichen und gedruckten Erzeugnissen ist vermutlich erheblich größer als die von belletristischen Erzeugnissen und zeigt, wie auch nicht-alphabetisierte Schichten durch den Einsatz visueller und auditiver Formate in den städtischen und politischen Alltag eingebunden wurden und aus diesen Mitteilungen das Wichtigste für sich herauszufiltern vermochten.49 49 Vgl. Wittmann, Reinhard  : Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert  : Beiträge zum literarischen Leben 1750–1880 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 6), Tübingen 1982,

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Für die bildungsnahen Gesellschaftsgruppen war Lesen ein öffentliches Bedürfnis und wurde neben der privaten Lektüre in den eigenen vier Wänden zunehmend im gemeinschaftlichen Rahmen und Austausch gepflegt. Lesegesellschaften, Lesezirkel und Literatursalons waren beliebte Treffpunkte eines an Bildung interessierten Publikums, das kulturelle, wirtschaftliche, technische und politische Themen erörterte.50 Dass diese Institutionen zumeist von einem großbürgerlichen Publikum initiiert und besucht wurden, stand auch im Zusammenhang mit den städtischen Erwerbs- und Bildungsmöglichkeiten sowie deren Gestaltungsmöglichkeiten von arbeitsfreier Zeit. Die Lesefähigkeit war nicht nur Teil der standesgemäßen und berufsvorbereitenden Ausbildung, die Lektüre bildete auch eine willkommene Abwechslung vom Arbeitsalltag. Als Ausdruck von Freizeit, die freilich bürgerlich formulierte Tugenden einer sinnvollen und autodidaktischen Beschäftigung enthielt.51 Generell lässt sich feststellen, dass das Bürgertum die Entfaltung der schriftlichen und gedruckten Medien vorantrieb und weitgehend auch als deren Urheber wirkte – als Publizierende, Literaturschaffende, Illustrierende, Druckende, Verkaufende, Predigende und Lehrende trugen diese Repräsentant:innen der Bildungsschichten zur Verbreitung des gedruckten beziehungsweise geschriebenen Wortes bei.52 Schreib- und Lesepraktiken erschienen hier als durch soziale Zugehörigkeiten und kulturelle Fähigkeiten bestimmter Habitus, der gleichzeitig identitätsstiftend und distinktiv wirkte.53 Mobilität und Literatur nahmen in dieser Zeit eine besondere Wechselbeziehung ein, indem sie sich gegenseitig beeinflussten und wesentlich begünstigten. Reiseberichte und Beschreibungen fremder Länder und Kulturen dienten daneben nicht länger ethnisch und religiös begründeten Alteritätsdiskursen (wie beispielsweise in den Turcica54), son-

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S. 19  ; Siehe dazu  : Quéniart, Jean  : Alphabetisierung und Leseverhalten der Unterschichten in Frankreich im 18. Jahrhundert, in  : Gumbrecht, Hans Ulrich/Reichardt, Rolf/Schleich, Thomas (Hg.)  : Sozialgeschichte der Aufklärung in Frankreich  : Teil II  ; Medien, Wirkungen (Ancien Régime, Aufklärung und Revolution 4), München 1981, S. 113–170. Vgl. Roeck, Bernd  : Lebenswelt und Kultur des Bürgertums in der Frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte 9), München 2011, S. 65. Vgl. Schön, Lesestoffe, 2001, S. 109. Vgl. Maurer, Kulturgeschichte, 2008, S. 249. Vgl. Kaschuba, Wolfgang  : Deutsche Bürgerlichkeit nach 1800  : Kultur als symbolische Praxis, in  : Kocka, Jürgen (Hg.)  : Bürgertum im 19. Jahrhundert  : Deutschland im europäischen Vergleich, 3 Bde., Bd. 2  : Wirtschaftsbürger und Bildungsbürger, Göttingen 1995, S. 92–127, hier S. 100 f. »Das Türkenbild des 16. Jahrhunderts war voller Topoi und Stereotypen. Nicht religiös oder wenig religiös geprägte Texte und Bilder verbreiteten in erster Linie den Topos der Grausamkeit. Die Schilderungen von Türkengräueln (Mord, Vergewaltigung, Verschleppung von Gefangenen, Zerstörungen, Brandschatzung, Plünderungen, Schändung von Kirchen etc.) dienten dazu, die Bereitschaft zum Kampf gegen die Osmanen zu wecken. […] Reiseberichte und ethnographische Schriften des 16. Jahrhunderts fügten dem Alteritätsdiskurs über die Muslime und Türken weitere Facetten hinzu und brachten wichtige

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dern stellten den Moment des Abenteuers und den Reiz am Fremden in den Mittelpunkt. Sodann beflügelten die Entwicklungen auf dem Buchmarkt das individuelle Mitteilungsbedürfnis  : Die oftmals autobiografischen, laienhaft verfassten Publikationen zu Reisen erweckten bei den Lesenden den Eindruck, man könne ebenso gut etwas Schriftliches beisteuern. Dabei waren die Niederschriften nicht zwingend zur Publikation bestimmt, wohl aber für ein klar definiertes Publikum. Wolfgang Kaschuba meint, dass persönliche Briefe und Autobiografien aus dem 18. und 19. Jahrhundert gleichzeitig »Spiegelbild und Selbstbespiegelung des bürgerlichen Lebens« waren,55 da sie einerseits situatives Verhalten und zum anderen dessen subjektive Reflexion wiedergaben. Dieses selbstreferentielle, auf Wissenserweiterung, Selbstdarstellung und soziale Inklusion ausgerichtete Berichten war besonders im bürgerlichen Milieu eine weit verbreitete Technik, weshalb umgekehrt auch das Lesen von Reisebeschreibungen in dieser sozialen Gruppierung äußerst beliebt war.56 2.1.3 Innovation und Tradition: Historische Selbstzeugnisse im Vergleich Wenn wir berücksichtigen, dass Reiseschilderungen mit Selbstbezug kein Novum der Romantik sind, stellt sich dennoch die Frage nach Veränderungen in der Formulierung und Ausgestaltung von Selbstzeugnissen. Wie unterscheiden sich die vorliegenden Selbstzeugnisse mit autobiografischem Inhalt von ähnlichen Schriften aus früheren Jahrhunderten  ? Welche neuen Qualitäten oder Elemente kennzeichnen diese Reisezeugnisse aus der Feder der Romantiker:innen  ? Bei der Gegenüberstellung offenbaren sich zunächst einmal Berührungspunkte, und zwar bezüglich der Demonstration von Gelehrsamkeit und eines gewissen Bildungsniveaus  : Polyglott und welterfahren präsentieren sich Reisende in ihren autobiografischen Texten.57 Neben Menschenkenntnis und Erfahrung in der Fremde zahlte sich besonders das Beherrschen anderer Sprachen auch für die Rheinreisenden um 1800 aus. Elemente für dessen Weiterentwicklung. Reisende thematisierten in ihren Publikationen weniger die Türkengefahr als die von ihnen beobachteten kulturellen und sozialen Gegebenheiten im Osmanischen Reich, vor allem natürlich solche, die sich von jenen in ihrer Heimat unterschieden.« Konrad, Felix  : Von der ›Türkengefahr‹ zu Exotismus und Orientalismus  : der Islam als Antithese Europas (1453–1914)  ?, in  : Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 2010–12–03. URL  : http://www.ieg-ego.eu/konradf-2010-de, letzter Zugriff  : 24.07.2018). 55 Kaschuba, Deutsche Bürgerlichkeit, 1995, S. 93. 56 Vgl. Faulstich, Werner  : Die bürgerliche Mediengesellschaft  : 1700–1830 (Die Geschichte der Medien 4), Göttingen 2002, S. 15 ff. 57 Etwa der im Spätmittelalter lebende Ritter Oswald von Wolkenstein. Vgl. Treue, Wolfgang  : Abenteuer und Anerkennung  : Reisende und Gereiste in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (1400–1700), Paderborn 2014, S. 97 f.

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Nicht nur während der Besatzungszeit war das Französische unerlässlich – so manche Mitreisenden, die den Akteur:innen begegneten, parlierten in der Sprache des Nachbarlandes. Obendrein waren Sitten, Kultur, Literatur und Mode ganz wesentlich von Frankreich beeinflusst. Bereits erworbenes Wissen und bestimmte Kompetenzen bildeten demnach konstante Voraussetzungen, die das Reisen erleichterten. Dazu waren ein ausgeprägtes Statusbewusstsein sowie der Wunsch nach Anerkennung wichtige übereinstimmende Voraussetzungen dafür, eine Reise anzutreten. So spielte für den Adel die Bewährung ritterlicher Ideale und Pflichten, die sogenannte Aventiure, eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Reisemotivation, die sie zunächst an die europäischen Höfe und später in den Krieg führte.58 Bemerkenswert ist, dass Ritter auch dann Fahrten ins Blaue hinein antraten, wenn sich keine unmittelbaren Gelegenheiten oder Aufträge boten  : Die persönlich motivierte Reise in die Fremde verband sich dabei stets mit dem Streben nach militärischen Auszeichnungen um die Verteidigung der Christenheit und liest sich in den entsprechenden autobiografischen Texten als Rechtfertigungsstrategie ritterlicher Lebensführung.59 Die dominierende Eigenleistung im Kontext der Destination, das Zurschaustellen von Pionier- und Entdeckergeist, das Bezwingen anderer Völker sowie das Betonen der Fremderfahrung (fremder Länder, unbekannter Kulturen) früherer Generationen wird in der Romantik zugunsten einer auf Selbsterfahrung ausgerichteten Beschreibung ausgehebelt. Auch spielen zunehmend moderne Beweggründe, wie nationalpolitische Zuschreibungen und patriotische Bekundungen, eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Wahl des Reiseziels. Abweichungen sind zum Teil bei der Schreibmotivation und der damit verbundenen bezweckten Intention auszumachen  : Die Schreibenden aus Mittelalter und Früher Neuzeit dokumentierten in selbstbiografischen Aufzeichnungen vorwiegend ihren Lebenswandel infolge religiöser Läuterung oder konfessioneller Bekenntnisse, die Schriften waren vorwiegend gottesbezogen und an eine jenseitige Absolution adressiert. Die Bewertung des eigenen Handelns in Bezug auf christlichmoralische Werte und Prinzipien bildete ein beliebtes Sujet solcher Bekenntnis- und Konversionsschriften. Im Kontext absolvierter (Pilger-)Reisen ließ sich darin auch der persönliche Glaubensweg nachzeichnen. Die Themen bis zum Epochenbruch im ausgehenden 18. Jahrhundert waren religiöser und von frommer »Selbstbeobachtung« und »Selbstbefragung« durchdrungen.60 58 Vgl. Wenzel, Horst  : Höfische Geschichte  : literarische Tradition und Gegenwartsdeutung in den volkssprachigen Chroniken des hohen und späten Mittelalters (Beiträge zur älteren deutschen Literaturgeschichte 5), Bern (u. a.) 1980, S. 262 ff. 59 Vgl. ebd. S. 267. 60 Keller, Andreas  : Frühe Neuzeit  : das rhetorische Zeitalter, Berlin 2008, S. 150.

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Die alteuropäische Tradition, Selbstzeugnisse auf Latein zu verfassen und damit nur einem ausgewählten gelehrten Lesekreis zugänglich zu machen, wurde durch die mehrheitliche Verwendung der deutschen Sprache im 18. und 19. Jahrhundert allmählich abgelöst. Dennoch blieben auch die Zeugnisse aus der Romantik einer gebildeten Leserschaft vorbehalten. Sprachlich-rhetorische Elemente und Verweise auf kulturelles Leben und wissenschaftliche Diskurse vermochten als exklusives Insiderwissen nur gewisse Elitegruppen zu dechiffrieren. Damit bilden auch soziale Herkunft, Standesbewusstsein sowie Gelehrsamkeit historische Konstanten bei den Autoren und Autorinnen von (Reise-)Zeugnissen mit autobiografischen Bezügen.61 Im deutschsprachigen Raum ist für das späte 14. Jahrhunderte eine deutliche Zunahme von Selbstlebensbeschreibungen festzustellen.62 Autobiografische Schriften von Personen aus Adel und Stadtbürgertum dienten vor allem der Demonstration des sozialen Status sowie letztlich auch der Legitimation und Rechtfertigung von Herrschaftsansprüchen. Obwohl Selbstzeugnisse wie Memoiren, Autobiografien und Tagebücher eine weit in die Vergangenheit zurückreichende Tradition vorweisen, entwickelte sich die Gattung erst in der Neuzeit zu einer »gesamtgesellschaftliche[n] Erscheinung« und eigenständigen Textform, die nunmehr alle sozialen Bevölkerungsgruppen einband und ausschließlich auf freiwilliger Basis verfasst wurde.63 Motivation und Schreibanlass verweisen gleichfalls auf epochenübergreifende Gemeinsamkeiten. Hoheitliche Ansprüche, religiöse Motive, sozio-ökonomische Belange oder auch sehr persönliche Gründe ließen Menschen reisen und darüber schreiben. Auch Selbststilisierung und der Impuls, über den eigenen Tod hinaus präsent zu bleiben, sind kongruente Handlungsmuster beim Fixieren von Reiseerinnerungen. Letztlich wurden »alte Formen mit neuen Inhalten« gefüllt, in traditionelle Textsorten wurden neue Bedeutungen eingeschrieben.64 Die romantischen Selbstzeugnisse enthalten gleichfalls stilisierte Lebensentwürfe, Sozialisations- und Selbstbilder, die Akteur:innen strebten genauso danach, spezifischen sozialen Ansprüchen gerecht zu werden, auch wenn die Bedeutung von Glauben und Religion nun ästhetischen Bedürfnissen folgte und die Einheit von Kunst und Natur wahre Offenbarung verhieß.65

61 Vgl. Dekker, Rudolf  : Fiktion ist stärker als die Wirklichkeit  : über akademische Memoiren und Romane sowie Autoren und Figuren, in  : Lüdtke, Alf/Prass, Reiner (Hg.)  : Gelehrtenleben  : Wissenschaftspraxis in der Neuzeit, Köln (u. a.) 2008, S. 141–150, hier S. 141. 62 Vgl. Schmid, Barbara  : Schreiben für Status und Herrschaft  : deutsche Autobiographik in Spätmittelalter und früher Neuzeit, Zürich 2006, S. 13. 63 Vgl. Vocelka, Karl  : Geschichte der Neuzeit  : 1500–1918, Wien (u. a.) 2010, S. 62. 64 Ebd., S. 298. 65 Vgl. Schulz, Romantik, 2008, S. 94.

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Die Selbstzeugnisse der Romantik zeichnen sich durch eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vita aus. Die vorliegenden Selbstzeugnisse aus der Zeit der Romantik thematisieren nicht nur (abschnittweise) die Rheinreisen der Akteur:innen, sondern dokumentieren auch die damit in Zusammenhang stehenden Lebensetappen und lebensgeschichtlichen Erfahrungen.66 Auch wenn bei Tagebuchaufzeichnungen und Briefen die Schreibsituation, der Zeit- und Raumbezug wechselt, so enthalten sie häufig Bezüge zum eigenen Leben und reflektieren Eigenerfahrungen. Zudem sind die hier untersuchten diarischen Aufzeichnungen nicht wie üblich offen geschrieben, sondern als Reisetagebuch an einen zeitlichen Rahmen gebunden und damit durch Beginn und Ende der Reise eingefasst. Es handelt sich um losgelöste, teils fragmentarische Schriften, die nur in Verbindung mit weiteren Selbstzeugnissen die Lebensgeschichte lesbar machen. Die Formulierung und Erkenntnis der eigenen Identität sowie der Beziehung zwischen dem Ich und der Welt markierten elementare Kategorien des (bürgerlichen Selbst-) Bildungsprozesses. Dabei galt es stets, den zu erwartenden Vorwürfen von Eitelkeit, Eigenliebe und Selbstüberschätzung, ungenügender Selbstkritik sowie fehlender distanzierter Betrachtung eine möglichst aufschlussreiche und oft auch rechtfertigende Argumentationslinie entgegenzusetzen. So wurden die Autobiografien nicht selten als apologetische Schriften über die eigene (mentale und körperliche) Entwicklung genutzt.67 Zurückliegende (Fehl-)Entscheidungen werden innerhalb der komplexen Lebensfahrt als Auslöser von Veränderungen beurteilt – im Schreiben und Reflektieren ergibt sich erst eine abschließende Bewertung und Rechtfertigung der eigenen Biografie. Im Lebensrückblick wird zu vergangenen Erlebnissen – ganz gleich ob positiv oder negativ – Stellung bezogen und ein Urteil ausgesprochen.68 Im speziellen Fall von Helmina von Chézys Autobiografien Erinnerungen aus meinem Leben und Unvergessenes (Denkwürdigkeiten) bildete die Vorwegnahme einer kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Werdegang ein Hauptmotiv für die eigenverantwortliche Verschriftlichung der Vita.69 Mit der Herausgabe ihrer Lebenserinnerungen blieben diese auch nachfolgenden Generationen zugänglich und so bewahrte sie ihr literarisches Wirken und soziales Engagement vor dem Vergessen.70 Gleichzeitig waren 66 Zum Verhältnis von Reisebericht und Biografie siehe  : Maurer, Die Biographie des Bürgers, 1996, S. 112 f. 67 Vgl. ebd. S. 109. 68 Vgl. Lehmann, Jürgen  : Bekennen – Erzählen – Berichten  : Studien zu Theorie und Geschichte der Autobiographie (Studien zur deutschen Literatur 98), Tübingen 1988, S. 40. 69 Siehe dazu  : Chézy, Helmina von  : Erinnerungen aus meinem Leben, bis 1811, in  : Dies. (Hg.)  : Aurikeln  : eine Blumengabe von deutschen Händen, Berlin 1818, S. 1–190. 70 Es ist bemerkenswert, dass die Biografien und Autobiografien von Helmina von Chézy und Johanna Schopenhauer jeweils von Frauen weitergeführt oder kommentiert herausgegeben wurden  : Bei Chézy

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ihre in jungen Jahren verfassten und später weitergeschriebenen Erinnerungen als eine Form der selbstanklagenden Lebensbeichte angelegt, in der sie ihren Lebensabschnitt in Frankreich als Jugendsünde entlarvte und die Rückkehr nach Deutschland als persönliche Läuterung wertete. Die Tatsache, dass sie mit der französischen Lebensart, der Sprache und Literatur bestens vertraut war – teilweise einige Jahre im Nachbarland als Korrespondentin tätig war – konnte zwar nicht über die eigene Fremdbeeinflussung hinwegtäuschen, wurde jedoch mit der Heimkehr und dem Eingeständnis jugendlicher Unerfahrenheit entschuldbar. So rechtfertigte Helmina von Chézy ihre Emigration nach Frankreich nachträglich im autobiografischen Kontext, indem sie die Rheinüberquerung als zwiespältiges Ereignis inszenierte.71 Die vorliegenden Selbstzeugnisse der Akteur:innen Arnim, Brentano, Chézy, Schopenhauer und der Eheleute Müller geben partiell Auskunft über die Lebensstationen und -situationen, die im Zusammenhang mit den Reisen an den Rhein als Entwicklungsstufen des Selbst betrachtet werden. Für Arnim und Brentano begann damit nicht nur ihre Zusammenarbeit und Freundschaft, hier legten sie den Grundstein für ihr literarisches Schaffen der nächsten Jahre, für Chézy war das Reisen Bestandteil einer (nationalen) Selbstfindungsphase, für Schopenhauer gleichzeitig Bildungs- und Erholungsprogramm mit Festlegung des späteren (intellektuellen) Lebensmittelpunkts, für die Müllers war der Rhein lebenslanger Sehnsuchtsort und zumindest für Wilhelm Müller die letzte Station – für alle war der Rhein also nicht nur Pflichtprogrammpunkt im Reiseportfolio, sondern ein Ort individueller Sehnsüchte, Wünsche und Hoffnungen. Selbst die Berichte von Johanna Schopenhauer – die Ich-Aussagen vermied – enthalten implizite Hinweise zu ihren Lebensumständen, Beziehungen und Interessen.72 Hier wurden literarische Prozesse einer romantischen Generation initiiert. Die neue Qualität der romantischen Reiseberichte mit Selbstbezug formuliert sich in der intensiven Wechselbeziehung zwischen Identität und Destination, zwischen Person und bereistem Raum. besorgte ihre Nichte Bertha Borngräber, bei Schopenhauer ihre Tochter Adele die Publikation der Lebenserinnerungen und des Nachlasses. Dies lässt auf weibliche (familiär geprägte) Erinnerungsstrategien schließen  : Frauen schrieben über sich selbst und andere Frauen, um ein Andenken an weibliches Schreiben überhaupt zu garantieren. Adelheid Müller stellt einen Sonderfall dar  : Ihr Leben ist anhand von Briefwechseln und anhand des Reisetagebuches nachvollziehbar, eine eigenständige Biografie existiert nicht. 71 Ausführlich dazu im Kapitel 7.3.2. 72 Am Ende ihrer Ausflucht an den Rhein von 1818 schreibt sie  : »So wäre denn nun auch diese Reise beendet, auf die ich mich Jahre lang freute, wo ich alles, was ich von ihr hoffte, fand  : Gesundheit, Erholung nach langen Stürmen, großes Gefühl der wiedergewonnenen Freiheit und Stoff zu tausendfacher Erinnerung.« Schopenhauer, Ausflucht, 1818, S. 294.

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Ich vermute, dass die Selbstzeugnisse Auskunft über die (auto-)biografischen Wende-, Tief- und Höhepunkte im Leben der historischen Akteur:innen geben, die in der Verschriftlichung ihrer Reiseberichte immer auch die Sinnhaftigkeit und die Authentizität ihrer Handlungen in den Mittelpunkt stellten, die durch autobiografische Bezüge Bestätigung fanden. Im Reisen, das Haupt- oder zumindest wesentlicher Bestandteil des Lebensalltags der Akteur:innen darstellte, subsumierten sich bürgerliche Praktiken, die der Entfaltung der sozialen Identität, der Selbsterfahrung und Wissenserweiterung dienten. Der somatischen Fremd- und Selbsterfahrung vor Ort folgte die Reflexion des Geschehens in der Verschriftlichung, die, als Teil des Selbst, der eigenen Lebensfahrt Sinnhaftigkeit verlieh. Insofern bildet das autobiografische Schreiben einen Anhaltspunkt für die vergleichende Analyse der Selbstzeugnisse. Ich gehe davon aus, dass im reflektierten Schreiben das mobile und aufzeichnende Selbst sich inszenierte und die Rheinreise unmittelbar oder nachträglich als sinnstiftende Lebensstation gewertet wurde. 2.2 Mobilität und Reisen Die Wandlungsprozesse innerhalb der schriftlichen Kommunikation sind schließlich auch auf ein gesteigertes Mobilitätsaufkommen um 1800 zurückzuführen, das einen stetigen Austausch von Informationen und Neuigkeiten nach sich zog.73 Für die meisten Kommunikationsformen bildet Mobilität die Grundlage, etwa für den epistolarischen Austausch.74 Diese dynamische Qualität schriftlicher Kommunikation impliziert das Hin- und Herschicken des Mediums selbst, aber auch die Bewegungsfreiheit der Verfasser:innen, die ihre vertrauten Kontakte durch die materielle Präsenz des Briefes ins Hier und Jetzt übertrugen. Ständige Wohnortwechsel, permanentes Reisen und Umherziehen machten eine Unterhaltung per Brief oder das Tagebuchschreiben unabdingbar, ja, nur so ließen sich überregionale Kontakte und Freundschaften erhalten und neue eingehen, die Korrespondenz überbrückte die lange Zeit bis zum erneuten Wiedersehen und garantierte den Austausch von Neuigkeiten.75

73 Vgl. Frevert, Ute  : Stadtwahrnehmungen romantischer Intellektueller in Deutschland, in  : Graevenitz, Gerhart von (Hg.)  : Die Stadt in der europäischen Romantik, Würzburg 2000, S. 55–78, hier S. 55 f.; Bunzel, Briefnetzwerke der Romantik, 2013, S. 115. 74 Vgl. Frevert, Stadtwahrnehmungen, 2000, S. 56. 75 Vgl. Bunzel, Briefnetzwerke der Romantik, 2013, S. 114 f.

Mobilität und Reisen | 63

Abb. 3  : F. de Maleck, Der k. k.-Eilwagen der österreichischen Post, 1822, Farblithografie, Klassik ­Stiftung Weimar, Bestand Museen.

Das expandierende Nachrichten- und Transportsystem, vornehmlich die Schnellpost, trug obendrein Sorge dafür, dass nicht nur der:die Absender:in vorankam, sondern auch die Botschaften möglichst zügig ihr Ziel erreichten. Personen- und Schriftverkehr bedingten sich gegenseitig, wirkten als Katalysatoren einer dynamischen Reise- und Schreibpraxis. Die Beschleunigung sowie die stetig zunehmende Verlässlichkeit des Nachrichten- und Personentransportes begünstigten einen immer professionelleren, schnelleren Nachrichtenaustausch und den Ausbau eines überregionalen Kommunikationsnetzes.76 Allgemein feststellbar ist ein Wandel im Reiseverhalten und der Reiseberichterstattung. Diese Entwicklung versteht sich als dynamischer Prozess, in welchem sich Reiseund Schreibformen aneinander anpassten und ihrerseits neue Praktiken herausbildeten.

76 Vgl. Borscheid, Peter  : Das Tempo-Virus  : eine Kulturgeschichte der Beschleunigung, Frankfurt/Main, New York 2004, S. 104.

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2.2.1 Motive und Reiseanlass Der Impuls, Reisen zum Zweck der Unterhaltung, der Erfahrung und der Bildung auch im privaten nicht-institutionalisierten Rahmen zu unternehmen, wird von der kontinuierlichen Nachfrage und Produktion von Reisebeschreibungen im 18. und 19. Jahrhundert begleitet.77 Insbesondere das Bedürfnis nach Wissen und Unterhaltung bildete ein entscheidendes Moment auch bei der Erweiterung des Reisepublikums, das sich um die Jahrhundertwende vor allem aus (groß-)bürgerlichen Schichten rekrutierte. Diese aufgeklärte, bildungsorientierte Bevölkerungsgruppe setzte neue Maßstäbe für das Reisen. Individuelle Bildungserlebnisse und -erkenntnisse ließen sich bei der Erfahrung in und mit der Fremde erzielen. Dabei bezog sich die Bildungsreise auf ihr adliges Pendant der Grand Tour oder Kavalierstour  : die europäische Rundreise des Adels. Die Grand Tour als Höhepunkt der adligen Ausbildung war kein rein privater Vergnügungsakt, sondern vielmehr Ausdrucksform eines höfischen Selbstverständnisses und institutionalisierter Bestandteil einer traditionell ritterlichen Erziehung.78 Die Grand Tour bereitete den Zögling außerdem auf seine späteren herrschaftlichen und administrativen Ämter beziehungsweise Funktionen vor.79 Das humanistisch-aufgeklärte Bürgertum modifizierte diese Ansprüche und Ausformungen und entzauberte diese einst privilegierten Gruppen vorbehaltene Praxis des Reisens, indem sie gewissermaßen für alle möglich wurde.80 Der Vergnügungsaspekt der adligen Reisen, assoziiert mit kostspieligen Amüsements und Ausschweifungen, wurde abgelehnt, obgleich die Möglichkeit ästhetischen Genießens und der Erholung auch beim Bürgertum keine unwichtigen Beweggründe bildeten.81 Die Tatsache, dass Transport und Unterkünfte, Verpflegung, Kleidung und Amüsements oft beträchtliche 77 Benedikt Bock bezeichnet das 18. Jahrhundert als »Blütezeit der Reisebeschreibung« (Bock, Baedeker, 2010. S. 71). Auch Karl Guthke spricht von einem merklichen »Anstieg der Reiseliteratur um 1800« (Ders.: Die Entdeckung der Welt um 1800  : Die Geburt der globalen Bildung aus dem Geist der Geographie und Ethnologie, in  : Ders.: Die Erfindung der Welt  : Globalität und Grenze in der Kulturgeschichte der Literatur (Edition Patmos 11), Tübingen 2005, S. 9–82, hier S. 35–36). 78 Vgl. Leibetseder, Mathis  : Kavalierstour – Bildungsreise – Grand Tour  : Reisen, Bildung und Wissenserwerb in der Frühen Neuzeit. URL  : http://ieg-ego.eu/de/threads/europa-unterwegs/kavalierstourbildungsreise-grand-tour, letzter Zugriff  : 25.10.2016. 79 Vgl. Bender, Eva  : Die Prinzenreise  : Bildungsaufenthalt und Kavalierstour im höfischen Kontext gegen Ende des 17. Jahrhunderts (Schriften zur Residenzkultur 6), Berlin 2011, S. 9, 193 f.; siehe auch  : [August von Sachsen-Gotha-Altenburg, Prinz]  : Das italienische Reisetagebuch des Prinzen August von Sachsen-Gotha-Altenburg, des Freundes von Herder, Wieland und Goethe, hg. v. Götz Eckardt (Beiträge der Winckelmann-Gesellschaft, IX), Stendal 1985. 80 Vgl. Kaschuba, Deutsche Bürgerlichkeit, 1995, S. 126. 81 Vgl. Prein, Bürgerliches Reisen, 2005, S. 21.

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Kosten verursachten, zeigt, dass die monetäre Ausstattung für anspruchsvolle Reisende weiterhin ausschlaggebend blieb. »Wer sich Abwesenheit leisten konnte, brachte ökonomische Potenz, gesellschaftlichen Rang und den Anspruch auf allgemeine Wertschätzung zum Ausdruck.«82 Dass darüber hinaus diverse Vorbedingungen und Kenntnisse erforderlich waren – die bestimmte Stationen, Fortbewegungsarten und Sehweisen einschlossen – bestätigt den nach wie vor distinktiven Charakter von Reisen, nach dem sich bürgerliche Bildungsreisende sowohl nach oben als auch nach unten abgrenzten.83 Auch die im Voraus gewählte Route verdeutlicht diesen distinktiven Charakter, wonach Reisen keine zufälligen, sondern vorsätzlich getroffene Erkundigungen waren, die dem Bürgertum Meinungsbildung durch Anschauung gewährte. Das Aufsuchen (klassischer) Kulturdenkmale, die Besichtigung von Schauplätzen der jüngst zurückliegenden revolutionären Ereignisse, der Besuch von Staatsakten, Opernbällen, Kirchen und Manufakturen, Archiven und Gefängnissen bestätigte nicht nur das vielschichtige und kontrastreiche Interesse der Reisenden, sondern ein sowohl dem Fortschritt als auch der Tradition verpflichtetes Bewusstsein.84 Dass auch Adlige zunehmend zum Zweck der Unterhaltung und Ablenkung und somit aus persönlichem Interesse reisten, beweist der Italienaufenthalt des Herzogs Wilhelm zu Nassau im Jahr 1822, während dessen er sich größtenteils inkognito bewegte und damit kostspielige Audienzen an den Höfen vermied.85 Dieses Beispiel deckt sich mit der generellen Veränderung des Reiseprogramms, wonach sich das Besichtigen von Kulturdenkmälern mit Auszeiten der Erholung und dem Vergnügen abwechselten. Der Paradigmenwechsel innerhalb der Reisekultur – vom Bildungsaufenthalt zum kombinierten Kultur- und Freizeitvergnügen – betraf sowohl bürgerliche als auch adlige Reisemodelle und war daher ein ständeübergreifendes Phänomen, das stets einen Distinktionsgewinn einschloss  : Reisen brachten Kultiviertheit und Exklusivität zum Ausdruck. Zu den kombinierten Aufenthalten, die gleichfalls Vergnügen und Erholung garantierten, zählen unter anderem auch Reisen zur Gesundheitsförderung, also Kuraufenthalte und Badereisen. Zum Reisepublikum gehörten ebenfalls Kranke und Erholungsbedürftige, die durch gezielte Therapien auf Rekonvaleszenz ihrer Beschwerden hofften, sowie Gäste, die lediglich in den Geselligkeitsformen vor Ort Unterhaltung suchten.86 Kur82 Reichert, Folker  : Asien und Europa im Mittelalter  : Studien zur Geschichte des Reisens, Göttingen 2014, S. 143. 83 Vgl. Kaschuba, Deutsche Bürgerlichkeit, 1995, S. 126  ; vgl. Prein, Bürgerliche Reisen, 2005, bes. S. 191– 209, 252. 84 Vgl. Kaschuba, Deutsche Bürgerlichkeit, 1995, S. 126. 85 Vgl. Freller, Thomas  : Adlige auf Tour  : die Erfindung der Bildungsreise, Ostfildern 2007, S. 198. 86 Vgl. Sommer, Hermann  : Zur Kur nach Ems  : ein Beitrag zur Geschichte der Badereise von 1830 bis 1914, Stuttgart 1999, S. 28.

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bäder wie Pyrmont, Spa oder Schlangenbad waren nicht nur für ihre heilsamen Quellen, sondern auch als Zentren gesellschaftsübergreifenden Amüsements bekannt, als Orte für Vertragsschlüsse und Geschäftsverträge, als Partner- und Kontaktbörsen. Dieser gesellige Aspekt der Kuraufenthalte ließ die medizinische Wirkung und den Gesundheitsaspekt nebensächlich erscheinen, den Unterhaltungswert dafür umso wesentlicher.87 Den historischen Akteur:innen war eine unerlässliche Mobilität eigen, die neben den Verbindlichkeiten ihrer Profession auch ihren sozialen Status, und damit ihre Bewegungs- und Reisefreiheit zum Ausdruck brachte.88 Ihre somatische Ortsunabhängigkeit und Dynamik verbanden sich mit ihrem Anspruch auf geistige Freiheit, Selbstbestimmung – auch in der Berufswahl – sowie Gelehrsamkeit. Wer schon viel oder weit gereist war, hatte es bereits zu etwas im Leben gebracht und – mehr noch – konnte darüber aus erster Hand berichten. Reisen und Reiseberichte dokumentieren den kontinuierlichen persönlichen und beruflichen Entwicklungsprozess, bestätigen soziale Zugehörigkeiten und bürgerliche Identitäten. 2.2.2 Frauen auf Reisen In der Forschung besteht weitgehend der Konsens, dass das Reisen in der Vergangenheit eine überwiegend »männliche Domäne« war, da es dem traditionell patriarchalisch geregelten Alltag entsprach, welcher Männern eine aktive Rolle zusprach und Frauen im häuslichen Bereich verortete.89 Die reisende Frau als Begleiterscheinung hat die wissenschaftliche Aufarbeitung hierzulande von Formen und Motiven weiblicher Mobilität bis in die 1980er-Jahre weitgehend vernachlässigt.90 Das Wissen um weibliche Reisepraktiken ist auch aufgrund der Quellenlage begrenzt, was teils auf die Aussortierung entsprechender vorhandener Quellen, teils auf die beschränkten Zugänge weiblicher Selbstreferenz in Form schriftlicher Zeugnisse zurückzuführen ist.91 Die Dominanz 87 Vgl. Fuhs, Burkhard  : Kurorte als Orte des geselligen Vergnügens  : Anmerkungen zur Herausbildung einer neuen Unterhaltungskultur im 19. Jahrhundert, in  : Ananieva, Anna (Hg.)  : Geselliges Vergnügen  : kulturelle Praktiken von Unterhaltung im langen 19. Jahrhundert, Bielefeld 2011, S. 27–40, hier S. 30. 88 Vgl. Sailmann, Beruf, 2018, S. 120. 89 Hlavin-Schulze, Karin  : Man reist ja nicht um anzukommen  : Reisen als kulturelle Praxis (Campus Forschung 771), Frankfurt/Main, New York 1998, S. 59. 90 Erste Arbeiten stammten von Annegret Pelz, etwa  : Außenseiterinnen und Weltreisende, in  : Weibliche Biographien  ; Dokumentation der Tagung in Bielefeld, 1981 (Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis 7), München 1982, S. 29–36. 91 Dass dieses Defizit umgangen werden konnte, zeigt das Beispiel Margery Kempes (1373–1438)  : Sie diktierte ihr Reiseportfolio (Rom, Jerusalem, Santiago de Compostela, Aachen, u. a.) einem Priester unter dem Titel The Book of Margery Kempe, welches als eine der ersten englischsprachigen Autobiografien

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schriftlich fixierter Quellen ist auch ein Grund für die lückenhafte Reiseforschung aus weiblicher Perspektive. Mit der zunehmenden Fokussierung auf bildhafte und materielle Zeugnisse versuchen neuere Ansätze, dieser Lücke beizukommen und mithilfe von Objekten den Lebensalltag greifbar zu machen.92 Tatsächlich reisten Frauen zu allen Zeiten, mitunter aus sehr ähnlichen Beweggründen wie Männer.93 So nutzten Frauen die vielfachen Möglichkeiten der Fortbewegung ebenfalls, um repräsentative Aufgaben wahrzunehmen, Pilgerziele aufzusuchen, politischen und zeremoniellen Zusammenkünften beizuwohnen, um Krankheiten zu kurieren oder Verwandte zu besuchen.94 In Ausnahmefällen bedienten sich Frauen bisweilen einer männlichen Identität, ahmten Gestalt, Stimme und Auftreten nach, um einerseits mögliche (sexuelle) Übergriffe zu verhindern und zum anderen traditionell männlich besetzte Handlungsmuster und -räume einzunehmen.95 Das 18. und 19. Jahrhundert gilt als die Blütezeit des Reisens, in der immer mehr Personen das Unterwegssein zum Zweck der Bildung, Sensationslust, Selbsterfahrung und als Teil eines ständischen Initiationsritus für sich einforderten. »Im Hinblick auf reisende Frauen erweist sich diese Epoche jedoch als ,restriktiv‹, denn all die hier angesprochenen Möglichkeiten des Erkenntnisgewinnes galten für sie in der bürgerlichen Gesellschaft keineswegs.«96 Die Reiseschriftstellerin Sophie Schwarz beschrieb die Situation so  : »Unsere bürgerliche Verfassung bestimmt uns ferner zu einer sitzenden Lebensart und schränkt die weibliche Thätigkeit meistens nur in den Bereich des Hauses ein«.97 Dass Frauen der Zutritt zu öffentlichen Handlungsräumen und Praktiken

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den Lesekreis deutlich erweiterte. Vgl. Habinger, Gabriele  : Reisen, Raumaneignung und Weiblichkeit  : zur Geschichte und Motivationsstruktur weiblicher (Vergnügungs-)Reisen (= SWS-Rundschau 46, 2006/3), S. 271–295, hier S. 277. Zum Beispiel anhand von Reisetoilette, Kleidung und sonstigem Reisezubehör. Im Journal des Luxus und der Moden finden sich zahlreiche Abbildungen von modischen Artikeln, Kleidung und Accessoires (etwa eine Reise-Teemaschine, ein Reise-Schlafkissen, Reisegeschirr u. a.), auch ein Damensattel aus Ungarn wird gezeigt  : URL  : http://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00114157/ JLM_1799_H008_0036.tif, letzter Zugriff  : 28.06.2018. Vgl. Hlavin-Schulze, Man reist ja nicht um anzukommen,1998, S. 60. Vgl. Cremer, Prinzessinnen unterwegs, 2018  ; Schipperges, Heinrich  : Hildegard von Bingen, München 2004, S. 27 f. Siehe dazu die Arbeit von Angela Steidele  : In Männerkleidern  : das verwegene Leben der Catharina Margaretha Linck alias Anastasius Lagrantinus Rosenstengel, hingerichtet 1721  ; Biografie und Dokumentation, Köln 2004  ; Dekker, Rudolf M./van de Pol, Lotte C.: The tradition of female transvestism in early modern Europe, Basingstoke (u. a.) 1989, bes. S. 27. Habinger, Reisen, 2006, S. 280 f. [Schwarz, Sophie]  : Briefe einer Curländerin auf einer Reise durch Deutschland, 2 Tle., T.1, Berlin 1791, S. 5 f.

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erschwert beziehungsweise verwehrt wurde, zeigen auch die Vorbehalte gegenüber reisenden Frauen.98 Dass Frauen trotz gesellschaftlicher Vorbehalte Reisen unternahmen und zum Teil auch schriftlich verarbeiteten, ist auf den hohen Bildungsanspruch des a­ ufgeklärten Bürgertums und dessen Bedürfnis nach Selbstreferenz zurückzuführen, die im 18. Jahrhundert auch Frauen mobile und schriftliche Praktiken für sich einfordern und durchführen ließen.99 Am Übergang von der Neuzeit zur Moderne, in der sogenannten Sattelzeit, lässt sich eine Zunahme reisender Frauen und der entsprechenden Erlebnisberichte beobachten.100 Motivation und Beweggründe der reisenden Frauen gleichen den Ansprüchen und Wünschen ihrer männlichen Weggenossen  : Wissenserweiterung, Abenteuerlust sowie der Wunsch nach Entfaltung der eigenen Persönlichkeit veranlassten Frauen, wie beispielsweise Sophie von La Roche, Elisa von der Recke, Friederike Brun, Germaine de Staël, Ida Pfeiffer oder Ida Hahn-Hahn dazu, die Ferne zu erkunden und darüber zu schreiben.101 Mithilfe ihrer aufgezeichneten Reiseerlebnisse vermochten Frauen ihre Unternehmungen als Bildungs- oder Wissenschaftsauftrag zu legitimieren, was ihnen den Zutritt zu entsprechenden gesellschaftlichen Kreisen ermöglichte und ihnen überdies neue Handlungs- und Freiräume eröffnete.102 Frauen, die reisten und ihre Erlebnisse aufschrieben, provozierten mit ihrem unterwegs erworbenen Selbstbewusstsein und Wissen konventionelle Lebens- und Rollenbilder. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass diese Form weiblicher Mobilität vorerst nur für Vertreterinnen der oberen Gesellschaftsschichten möglich war, da sie durch Besitztum und Herkunft tatsächlich in der Lage waren zu reisen und durch ihre verschriftlichten Reisen gesellschaftliche Bestätigung suchten.103 Ich  98 Vgl. Habinger, Reisen, 2006, S. 279 ff.  99 Vgl. Scheitler, Irmgard  : Gattung und Geschlecht  : Reisebeschreibungen deutscher Frauen 1780–1850, Tübingen 1999, S. 64–70. 100 Siehe dazu das bibliografische Verzeichnis weiblicher Reiseschilderungen zwischen 1700 und 1810 in  : Griep/Pelz, Frauen reisen, 1995. 101 Die erwähnte bibliografische Zusammenfassung von Irmgard Scheitler bietet eine gute Grundlage und Übersicht zu deutschen Reiseschriftstellerinnen im genannten Untersuchungszeitraum. Speziell zu Reisebeschreibungen aus dem Orient siehe  : Stamm, Ulrike  : Der Orient der Frauen  : Reiseberichte deutschsprachiger Autorinnen im frühen 19. Jahrhundert, Köln, Weimar 2010. 102 So konnte Helmina von Chézy dank der Herausgabe eines Magazins an den vielfältigen, auch Frauen offenstehenden geselligen Programmen und Räumen in Paris partizipieren. 103 So erwähnt Franz Posselt in seinem Kapitel zum Thema Ob und wie Frauenzimmer reisen sollen  ? lediglich die »Frauenzimmer aus den höhern und gebildeten Ständen« als potenzielle Reisende. In  : Ders.: Apodemik oder Die Kunst zu reisen  : ein systematischer Versuch zum Gebrauch junger Reisenden aus den gebildeten Ständen überhaupt und angehender Gelehrten und Künstler insbesondere, 2 Bde., Leipzig 1795, S. 733.

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erkenne weibliche Mobilität in diesem Zusammenhang als Praxis privilegierter Gesellschaftskreise, die auch auf die in meiner Arbeit vorgestellten Verfasser:innen zutrifft. Für das bildungsorientierte Bürgertum stellten Reisen »ein konstituierendes Element des bürgerlichen Selbstverständnisses« dar, worin sich Bildungsanspruch und Selbstwertgefühl artikulierten.104 2.2.3 Räume und Praktiken Anhand spezieller Praktiken der Raum- beziehungsweise Landschaftsbegehung und -aneignung lassen sich romantische Deutungsmuster erkennen, die überhaupt erst definierten, wie der durchreiste Raum erfahren und gedeutet wurde. Nehmen wir als Beispiel die – tief im kulturellen Kontext der deutschen Romantik verwurzelte – Praktik des Spazierengehens in der Natur, den ›Waldspaziergang‹. Diese Praktik enthält zum einen beobachtbare routinisierte Handlungen, Körperbewegungen, die durch ein implizites Wissen gestützt werden  : das gemächliche Gehen in einer ›natürlich‹ erscheinenden, von Menschen nicht bewohnten Umgebung, ein Gehen, das einerseits zielgerichtet ist […], zugleich aber ein Gehen um des Gehens Willen.105

Hier verbindet sich der Erholungsmoment mit Naturbewusstsein und der Möglichkeit körperlicher Betätigung in einem festgelegten natürlichen Rahmen. Auch das Spazierengehen in Parks, öffentlichen Anlagen und auf Plätzen verband den Freizeitgedanken mit dem Bedürfnis nach körperlicher Bewegung (in der Natur) und diente nebenbei auch der »Statusdemonstration«.106 Das mit dem Gehen evozierte Naturerlebnis und die Naturwahrnehmung waren wichtige Indikatoren einer sich wandelnden Beziehung des Bürgertums zur Stadt, generell des Menschen zum Fortschritt. Insofern stellte das Spazierengehen einen temporären Ausbruch aus der städtischen Zivilisation und den Modernitätsschüben dar.107 Der Spaziergang implizierte – wie das Reisen überhaupt – eine temporäre Absenz mit der Absicht zur Rückkehr  ; der Spaziergang war jedoch als lokal ausgeführte Kulturpraxis angelegt, wohingegen eine Reise regionale Grenzen überwand und sich bereits 104 Habinger, Reisen, 2006, S. 278. 105 Reckwitz, Sinne und Praktiken, 2015, S. 448. 106 König, Gudrun  : Art. Spaziergang, in  : Jäger, Friedrich (Hg.)  : Enzyklopädie der Neuzeit, 16 Bde., Bd. 12  : Silber-Subsidien, Stuttgart 2010, Sp. 321–325, hier Sp. 322. 107 Vgl. Moser, Christian/Schneider, Helmut J.: Einleitung zur Kulturgeschichte und Poetik des Spaziergangs, in  : Gellhaus, Axel/Moser, Christian/Schneider, Helmut J. (Hg.)  : Kopflandschaften – Landschaftsgänge  : Kulturgeschichte und Poetik des Spaziergangs, Köln 2007, S. 7–27, hier S. 9.

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Abb. 4  : Joh. Christian Reinhart, Der Wanderer im Walde, 1810, Radierung, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen.

durch den ungleich größeren Zeit-, Kosten- und Vorbereitungsaufwand, die Wahl eines Transportmittels und der Ausstattung unterschied. Der zu Fuß gehende Mensch ist sich selbst und anderen direkt ausgeliefert, er bedient sich einer sehr ursprünglichen Form des Fortbewegens. Die Fortbewegungsformen des Spazierens, Gehens, Flanierens und Wanderns implizieren die körperbezogene Dynamik ohne den Schutz eines mobilen Reisegefährts und finden daher im direkten Kontakt und Austausch mit der bereisten Umgebung statt.108 Diese dynamischen Kulturpraktiken schufen und reproduzierten zugleich eigene architektonische Strukturen, etwa die Promenade oder die Allee, die möglichst repräsentativ und offen gestaltet zum einen den freien Blick der spazierenden Person auf das Geschehen ermöglichten und zum anderen den Blick auf den  :die Akteur:in öffneten, frei nach der Devise Sehen und Gesehen werden.109 108 Vgl. Sadowsky, Thorsten  : Gehen Sta(d)t Fahren  : Anmerkungen zur urbanen Praxis des Fußgängers in der Reiseliteratur um 1800, in  : Wanderzwang – Wanderlust  : Formen der Raum- und Sozialerfahrung zwischen Aufklärung und Frühindustrialisierung (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 11), Tübingen 1999, S. 61–90, hier S. 63. 109 Vgl. Moser/Schneider, Einleitung, 2007, S. 11.

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Ausflüge, Spaziergänge, kleine Lustfahrten und Landpartien bildeten willkommene Möglichkeiten, dem städtischen Alltag zu entfliehen.110 Das aufrecht, langsam gehende Individuum präsentierte in diesen Praktiken dessen »momentane Arbeitsfreiheit«, die obendrein ermöglichte, die freie Zeit selbstbestimmt und sinnvoll zu nutzen.111 In der Romantik vollzog sich ein Bewusstseinswandel innerhalb der Landschaftsbegehung, der neue Reiseformen herausbildete und gängige Reiseformen neu bewertete, sodass neben das Bildungs- und Erziehungsmoment die gefühlsbetonte Naturund Selbsterfahrung trat. Die Sehnsucht nach unberührter Natur, verbunden mit dem Streben nach individueller Entfaltung, die Knüpfung neuer Bekanntschaften sowie die Aussicht auf Abwechslung ließen »die scheinbar ziellose romantische Wanderschaft« zu einer beliebten Praxis,112 in der Romantik gar zur ständeübergreifenden »Massenbewegung« werden.113 Diese Variante des Fußreisens wurde »bewußt der herkömmlichen adligen Kavalierstour zu Pferde oder mit der Kutsche als versnobtes Gegenmodell gegenübergestellt«.114 Im Gegensatz nun zu dieser exklusiven, privilegierten Form des Unterwegsseins suggerierte das Reisen zu Fuß eine neue Verbindung des Menschen zur Natur und auch zu anderen Reisenden. Das Gehen in der Natur entsprach den bürgerlichen Idealen und Ansprüchen nach körperlicher Bewegung, Unabhängigkeit, Selbstbildung und diente der Vergewisserung um die Partizipation am Gesellschaftsleben.115 Auch wurde das Zu-Fuß-Gehen nicht länger mit sozialer Bedürftigkeit und Vagabundentum

110 Vgl. Prein, Bürgerliches Reisen, 2005, S. 250. 111 Warneken, Bernd Jürgen  : Biegsame Hofkunst und aufrechter Gang  : Körpersprache und bürgerliche Emanzipation um 1800, in  : Ders./Fiege, Thomas/Göttsch-Elten, Silke/Maase, Kaspar/Winkle, Ralph (Hg.)  : Populare Kultur  : Gehen – Protestieren – Erzählen – Imaginieren, Köln 2010, S. 57–70, hier S. 59  ; vgl. Baasner, Rainer  : Literarische Reflexionen des Wanderns  : Goethes frühe Gedichte und die Tradition, in  : Albrecht, Wolfgang (Hg.)  : Wanderzwang – Wanderlust  : Formen der Raum- und Sozialerfahrung zwischen Aufklärung und Frühindustrialisierung (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 11), Tübingen 1999, S. 177–191, hier S. 181 f. 112 Siegmund, Andrea  : Der Landschaftsgarten als Gegenwelt  : ein Beitrag zur Theorie der Landschaft im Spannungsfeld von Aufklärung, Empfindsamkeit, Romantik und Gegenaufklärung, Würzburg 2011, S. 266  ; Hans-Joachim Althaus vertritt die These, dass die Romantik das Wandern nicht erfunden, wohl aber popularisiert habe. In  : Ders.: Bürgerliche Wanderlust  : Anmerkungen zur Entstehung eines Kultur- und Bewegungsmusters, in  : Albrecht, Wolfgang/Kertscher, Hans-Joachim (Hg.)  : Wanderzwang – Wanderlust  : Formen der Raum- und Sozialerfahrung zwischen Aufklärung und Frühindustrialisierung (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 11), Tübingen 1999, S. 25–43, hier S. 26 f. 113 Ebd., S. 26. 114 Gräf, Holger Th./Pröve, Ralf  : Wege ins Ungewisse  : eine Kulturgeschichte des Reisens 1500–1800, Frankfurt/Main 2014, S. 113. 115 Vgl. Lauer, Reisen zum Ich in Gesellschaft, 2011, S. 27.

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assoziiert, sondern folgte einem freien Impuls – implizierte daher somatische und geistige Unabhängigkeit.116 Das Reisen in Form der Wanderschaft war nicht nur eine naturnahe Möglichkeit der Fortbewegung, sondern vor allem eine idealisierte Lebensform der Romantiker:innen, die das rastlose Umherziehen mit der Unerfüllbarkeit menschlicher Sehnsüchte gleichsetzten.117 Das Wandern wurde metaphorisch für die persönliche Entwicklung und Lebensfahrt eingesetzt. In der Lyrik wurde das Wandern mitunter zur »Chiffre der Selbstentfaltung«118 und des irdischen Daseins erhoben. So heißt es in einem Lied Wilhelm Müllers  : »Wißt ihr wohl das Losungswort, das die Welt treibt fort und fort  ? Wandern, Wandern  !«.119 Die zunehmende Bedeutung des Wanderns als Initiationsritus hinterließ auch Spuren in der zeitgenössischen Literatur. So wurde in Reise- und Abenteuerromanen das Umherziehen der Hauptfigur als dessen persönliche Entwicklungsgeschichte umzeichnet. Neben der Verarbeitung des Wandermotivs in Prosatexten entstanden bereits vor und verstärkend nach 1800 zahlreiche Reiseführer und -beschreibungen, die das Reisen zu Fuß thematisierten.120 »Die Bewegung im Raum war nicht mehr Mittel, sondern sie wurde zum Zweck«, sodass bisher bedeutende Parameter wie Ziel der Wanderschaft oder Ankunftszeit zu banalen Nebensächlichkeiten lancierten.121 Das Wandern verband die Sehnsucht nach einer anderen Realität jenseits des profanen, städtischen Alltags mit der Aussicht auf ein möglichst authentisches Naturerlebnis. »Der Romantiker erlebt im literarisch dargestellten Wandern eine andere als die rationalisierte bürgerliche Wirklichkeit  ; mehr 116 Vgl. Rees, Lust und Last des Reisens, 2005, S. 65. 117 Vgl. Link, Manfred  : Der Reisebericht als literarische Kunstform von Goethe bis Heine, Köln 1963, S. 99. 118 Baasner, Literarische Reflexionen des Wanderns, 1999, S. 184. 119 Müller, Wilhelm  : Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten, 2 Bde., Bd. 1, Dessau 1821, S. 67. 120 Aufgrund der Fülle an Publikationen seien – ohne Berücksichtigung auf Vollständigkeit – hier nur einige Titel genannt, die sich nach einer einfachen Suchrecherche in der ALZ ergaben  : Lohmann, Wilhelm  : Vaterländische Reisen. T. 1  : Fußreise durch Sachsen und dessen romantische Schweizergegenden  ; einen Theil der Anhaltschen, Brandenburg und Braunschweigschen Lande, nach Hannover  ; im Sommer 1804, Hannover 1805  ; N.N.: Meine Fußreise durch einen Theil der Alpen, Neuburg, Arnheim 1803  ; Bridel, Jean Louis/Bridel, Philippe Sirice  : Kleine Fußreisen durch die Schweiz, aus dem Französischen der Herren Gebrüder Bridel, Bd. 1–2, Zürich 1802  ; Diede, Philipp W.: Ausflüge nach dem Niederrhein, der Weser, Holland und dem Harz, mit Rücksicht auf Berathung angehender Fußreisenden, Kassel 1823. 121 Kutter, Uli  : Reisen – Reisehandbücher – Wissenschaft  : Materialien zur Reisekultur im 18. Jahrhundert  ; mit einer unveröffentlichten Vorlesungsmitschrift des Reisekollegs von A. L. Schlözer vom WS 1792/93, Neuried 1996, S. 25.

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noch  : er entwirft ausdrücklich ein Gegenbild zu ihr«.122 Die Sehnsucht nach der Ferne implizierte gleichzeitig die Sehnsucht nach dem Ich sowie die Sehnsucht nach dem Fremden, Unbekannten. Die Wanderschaft war durch rastloses Vorwärtskommen und kontinuierliche Ortswechsel gekennzeichnet. Im übertragenen Sinn ließ sich dieses stete Unterwegssein auf das menschliche Dasein und den menschlichen Willen übertragen. Das zivilisatorische Weiterkommen und die stete (Weiter-)Entwicklung der Menschheit unterband Stillstand. Gleichzeitig wurde erneut das romantische Motiv der Vergänglichkeit aufgenommen und glorifiziert.123 War das Zu-Fuß-Gehen ein Merkmal für die Weltgewandtheit und Bildung eines Mannes, mussten Frauen das Zu-Fuß-Gehen für sich erst legitimieren. Wandern und freies Umhergehen von Frauen wurden nämlich in der Regel nicht als Ausdruck freiheitlicher Selbstbestimmung und Weltgewandtheit, sondern als Indiz sozialer Randstellung, existenzieller Notwendigkeit oder gar unehrenhafter Lebensführung gewertet.124 So galten das Flanieren und langsame Wandeln lange Zeit als stigmatisierte Erkennungsmerkmale von Prostituierten.125 Sodann erzeugte der Schritt vom schmutzigen Straßenpflaster in die saubere Kutsche nicht nur eine räumliche Abgrenzung von den nicht-privilegierten Bevölkerungsgruppen, sondern das Fahren im Gefährt entsprach auch den aristokratischen beziehungsweise bürgerlichen Verhaltensnormen und Moralvorstellungen. Die meisten privilegierten Frauen reisten im Wagen  : So nahm Sophie von la Roche auf ihren Reisen die Umgebung, die sie durchquerte, überwiegend aus dem Kutschenfenster wahr  ; dadurch erlebte sie den Raum und die Natur freilich nur aus der Distanz.126 Wenn Frauen im 18. Jahrhundert reisten, so nahmen sie ihren ›Zaun‹ mit, ohne dabei ihr häusliches Verhalten abgelegt zu haben. Frauen reisten raumgebunden, mit privatem Binnenraum und einer engen Beziehung zu einer mitreisenden Person oder doch wenigstens im ständigen brieflichen Kontakt mit einer Person ihres Vertrauens.127 122 Brenner, Reisebericht, 1990, S. 331. 123 Vgl. Siegmund, Der Landschaftsgarten als Gegenwelt, 2011, S. 269. 124 Vgl. Ritter, Heidi  : Über Gehen, Spazieren und Wandern von Frauen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in  : Albrecht, Wolfgang (Hg.)  : Wanderzwang – Wanderlust  : Formen der Raum- und Sozial­ erfahrung zwischen Aufklärung und Frühindustrialisierung (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 11), Tübingen 1999, S. 91–104, hier S. 101. 125 Vgl. Baumgartner, Karin  : Constructing Paris  : Flânerie, Female Spectatorship, and the Discourses of Fashion in Französische Miscellen (1803) (= Monatshefte für deutschsprachige Literatur und Kultur 2008/100, 3), S. 351–368, hier S. 354 f.; vgl. Ritter, Über Gehen, Spazieren und Wandern, 1999. S. 98. 126 Vgl. ebd. S. 94. 127 Schanner, Anne-Susann  : Zum (un)Bekannten Rendez-vous mit weiblich Reisenden im 18. Jahrhundert, URL  : https://www.uni-erfurt.de/fileadmin/fakultaet/philosophische/Historisches_Seminar/

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Diese Art Selbstschutz kann als allmähliche Loslösung von privaten und gesellschaftlichen Raumzuweisungen und Rollenbildern fortschrittlich bewertet werden. Demnach bot die Fahrt in der Kutsche einerseits den vertrauten privaten Binnenraum, andererseits ließen sich hier unbemerkt neue weibliche Denk- und Handlungsmuster entwerfen oder selbst gewählte Tätigkeiten vollziehen. Das Wandern oder Flanieren entwickelte sich erst allmählich, im Zuge einer idealisierten und als echt deklarierten Natur- und Stadterfahrung, zu einer auch für Frauen zugänglichen Praxis. Was für Sophie von La Roche noch undenkbar, ja unmoralisch galt, nämlich das Wandern und Fußreisen, sollte sich für Frauen wie Johanna Schopenhauer und Helmina von Chézy bereits als selbstverständlich erweisen.128 2.2.4 Raum 1: Natur und Landschaft Da die Rheinromantik die Romantisierung der Rheinlandschaft beschreibt und es sich dabei um einen Naturraum handelt, bilden die ästhetischen Ansprüche und Wahrnehmungen von Landschaft in der Romantik wesentliche Grundlagen für die Einordnung der Selbstzeugnisse. Die romantische Landschaftswahrnehmung implizierte die Idealisierung und Entfremdung der realen Naturzustände entsprechend der Erwartungshaltung und Reisemotivation der Akteur:innen, die sich auf konkrete, im Vorfeld festgelegte Vorstellungen sowie romantische Motive der Sehnsucht nach dem Fernen und dem Anderen bezogen.129 Der Naturbegriff der Romantiker:innen unterschied sich insofern von ihren Vorgängern, als ökonomische Nutzbarkeit, wissenschaftliche Erforschung, Erklärbarkeit und damit Kontrollierbarkeit der Natur von einer dem Menschen überlegenen und ursprünglichen Naturvorstellung abgelöst wurden.130 Die Natur wurde in der Aufklärung als dem Menschengeschlecht untergeordnete Kategorie gewertet und ausschließlich in ihrer durch menschliche Gestaltung perfektionierten Landschaftsformung akzeptiert. Es dominierte die »Vorstellung einer vernünftigen Natur«131. Beliebt Geschichte_und_Kulturen_der_Raeume_in_der_Neuzeit/Schanner_Frauenreisen.pdf, letzter Zugriff  : 13.06.2020. 128 Helmina von Chézy verfasste sogar einen Leitfaden für alpine Wanderer. Chézy, Helmina von  : Norika  : neues ausführliches Handbuch für Alpenwanderer und Reisende durch das Hochland in Österreich, München 1833. 129 Diese Erwartungshaltung des Reisenden hat sich als Konstante bis in die Gegenwart erhalten. Vgl. Pikulik, Lothar  : Signatur einer Zeitenwende  : Studien zur Literatur der frühen Moderne von Lessing bis Eichendorff, Göttingen 2001, S. 116 ff. 130 Vgl. Siegmund, Andrea  : Die romantische Ruine im Landschaftsgarten  : ein Beitrag zum Verhältnis der Romantik zu Barock und Klassik, Würzburg 2002, S. 101. 131 Siegmund, Die romantische Ruine, 2002, S. 63.

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war ihre künstliche Konstruktion in Form von Landschaftsgärten, die sich als stilvoll angelegte Panoramen, raffinierte Blickbeziehungen und Sichtachsen präsentierten und deren natürlich wirkende Form darüber hinwegtäuschte, »was Teil der Anlage und was Teil der ›freien‹, d. h. ungestalteten Landschaft« war.132 Wesentliche Prämis­ sen der romantischen Naturvorstellung formulierten Vertreter der Frühromantik wie Friedrich von Hardenberg und Friedrich Schlegel, die erkannten, dass nur der zur Dichtkunst befähigte Mensch die Natur in ihrer Vollkommenheit begreifen könne, da er eine besondere (Wechsel-)Beziehung zu ihr pflege. Die Natur lieferte Motive und Impulse, welche die Romantiker:innen künstlerisch verarbeiteten und somit für die Menschen lesbar machten.133 Die Romantik erkannte die Natur als selbstschöpferisch, ursprünglich und erschuf zumindest ideell ein harmonisches wechselseitiges Verhältnis Mensch–Natur.134 Die romantische Erkenntnis der unmittelbaren Erfahrbarkeit und Erlebbarkeit von Natur stellte erstmals auch ihr Schutzbedürfnis in den Vordergrund, denn die fortschreitenden Industrialisierungs- und Urbanisierungsprozesse ließen eine allmähliche Verdrängung und Entbehrung landschaftlicher Besonderheiten erkennen.135 Die Modernisierungsschübe setzten eine Sehnsucht nach unberührter, ursprünglicher Natur und traditioneller, ländlich geprägter Lebensweise frei  ; dieses Streben verstand sich als Gegenbewegung zum bürokratischen, wirtschaftsorientierten, technisierten Alltag der Städte.136 132 Ebd., S. 69. 133 Vgl. Wittekind, Susanne  : Natur, Volk und Geschichte  : die künstlerische Konstruktion Norwegens in der Landschaftsmalerei Johann Christian Claussen Dahls (1788–1857), in  : Kleinschmidt, Erich (Hg.)  : Die Lesbarkeit der Romantik  : Material, Medium, Diskurs, Berlin 2009, S. 309–335, hier S. 309. »Die Poesie soll uns ein Bild geben von der gesammten äußern Erscheinung der Natur  ; dazu dient, was der Frühling irgend Erquickendes und Belebendes hat, das Edelste, was die Thierwelt an Gestalt und Leben, das Schönste und Liebste, was die Pflanzen- und Blumenwelt darbiethet, alles was in den äußern Veränderungen am Himmel und auf der Erde dem Auge der Menschen erhebend, oder doch bedeutend erscheint.« Schlegel, Friedrich  : Sämtliche Werke. 15 Bde., Bd. 1  : Geschichte der alten und neuen Literatur, Vorlesungen, gehalten zu Wien im Jahre 1812, Wien 1846, S. 81. 134 Vgl. Masius, Patrick  : Natur in der Moderne  : ein Leitbild zwischen Sehnsucht und Beherrschung, in  : Petersen, Sven/Collet, Dominik/Füssel, Marian (Hg.)  : Umwelten  : Ereignisse, Räume und Erfahrungen in der Frühen Neuzeit  ; Festschrift für Manfred Jakubowski-Tiessen, Göttingen 2015, S. 47–60, hier S. 51 f. 135 Vgl. Franke, Nils Magnus  : Naturschutz – Landschaft – Heimat  : Romantik als eine Grundlage des Naturschutzes in Deutschland, Wiesbaden 2017. S. 100  ; vgl. Schrutka-Rechtenstamm, Adelheid  : Die ursprünglichen Kreisläufe wieder schließen  : touristische Bilder von Natur, in  : Köck, Christoph  : Reisebilder  : Produktion und Reproduktion touristischer Wahrnehmung (Münchner Beiträge zur Volkskunde 29), Münster 2001, S. 21–30, hier S. 24 f. 136 Vgl. Bogner, Thomas  : Zur Bedeutung von Ernst Rudorff für den Diskurs über Eigenart im Naturschutzdiskurs, in  : Fischer, Ludwig (Hg.)  : Projektionsfläche Natur  : zum Zusammenhang von Naturbildern und gesellschaftlichen Verhältnissen, Hamburg 2004, S. 105–134, hier S. 112.

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Entscheidend für diese Art der Bewahrung natürlicher Zustände war ihre Bewertung nach ästhetischen Kriterien, die Eingriffe und Einflüsse durch den Menschen durchaus zuließen, zumindest wenn sie denn den Charakter der Landschaft betonten. So suggerierten Wirtschaftszweige am Rhein, wie der Weinbau, die Schifffahrt und die Fischerei, eine traditionelle und naturnahe Beziehung. Insofern verstand sich die ideale Natur in der romantischen Vorstellung immer auch als eine Kulturlandschaft.137 2.2.5 Raum 2: Stadt versus Land Reiseimpuls wie auch Reisezweck entwickelten sich zu entscheidenden Kategorien für die romantischen Reisenden. Dazu gehörten Erfahrung, Entdeckergeist, Erziehung und Eigenständigkeit. Der Topos Weltflucht spielte eine entscheidende Rolle innerhalb der Reisemotivation. Damit verbunden war die starke Intention der romantischen Autorinnen und Autoren, sich das Fremde anzueignen und sich in diesem Spannungsfeld zwischen Alterität und Identität zu bewegen  : Wolfgang Matzat spricht von der für die Romantik typischen »Dialektik von Verfremdung und Aneignung«.138 Damit gemeint ist die bezeichnende Weltflucht der Romantiker:innen, welche sich auch in einer gesteigerten Reiselust äußerte, die den Menschen aus seiner gewohnten, immer gleichen Umgebung herauszieht und in eine ferne, unbekannte Welt treibt, die er sich zu eigen macht. Die romantische Reiseliteratur arrangierte diese Lust am Fremden für das Lesepublikum besonders stimmungsvoll durch die Selbstinszenierung der Reisenden in dieser fremden Welt, welche sich ihrer eigenen Andersartigkeit stets bewusst waren und mit dem Doppelspiel von Fremdartigkeit kokettierten.139 Ein wichtiges Moment bürgerlichen Selbstverständnisses war neben dem Erleben und Vergegenwärtigen des eigenen sozialen Umfeldes schließlich das Ausbrechen aus der vertrauten urbanen Umgebung. »Das Besondere an den bürgerlichen Gegenwelten des 19. Jahrhunderts liegt darin, dass sie im Gegensatz zu einem spezifisch bürgerlichen Alltag standen – und dass sie nicht zuletzt auf Reisen gesucht wurden.«140 Eine Reise bot, auch im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Vergnügungen und Freizeitmöglichkeiten in der gewohnten Umgebung, eine räumliche und damit 137 Vgl. ebd. 119 f. 138 Matzat, Verfremdung und Aneignung, 2019, S. 235. 139 Vgl. ebd. S. 235. Diese Suche nach dem Eigenem im Fremden, die Gegenüberstellung von Fremdem und Vertrautem, gipfelt in der Romantik schließlich in der Konfrontation nationaler Charakteristiken  : Fremdsein und Andersartigkeit wird im Laufe des 19. Jahrhunderts verstärkt mit kulturellen Stereotypen und Identitäten gleichgesetzt und als Phänomen einer sich politisierenden Romantik in Kap. 7 noch ausführlich erläutert. 140 Prein, Bürgerliches Reisen, 2005, S. 89.

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körperbezogene Veränderung. Die Schnelllebigkeit des urbanen Alltags erschwerte mitunter das vernunftgelenkte und selbstbestimmte Denken und Handeln der Stadtbevölkerung. Die dadurch erzeugte Langeweile unterstrich zwar bürgerliche Bedürfnisse nach Zeitökonomie, Zweckorientierung und Selbstdisziplin, blockierte allerdings Emotionen. Das bürgerliche Zeitempfinden, das Handlungen und Tätigkeiten mit einem vorgegebenen zeitlichen Rahmen verknüpfte, ließ ein Gefühl der Langeweile entstehen.141 Körperliche Bewegung und Beschäftigung sowie das Zulassen von Gefühlen vermochten diesen mentalen und emotionalen Dämmerzustand zu kompensieren.142 Zeitfenster, die sich zwischen beruflichen Verpflichtungen auftaten und als unproduktiv erlebt wurden, galt es durch sinnvolle Alternativen zu schließen, die auch in dynamischen Handlungen und räumlichen Veränderungen gesucht wurden. Reisen geschahen also auch als klare Abgrenzung zur beruflichen und häuslichen Monotonie, die den Geist und damit die Produktivität einschränkte. Die freie Zeit diente einerseits der Abkehr von der Realität, andererseits auch der Reflexion des eigenen Lebensmodells sowie der Verinnerlichung bürgerlicher Werte. Mithin bildete die Reisepraxis einen festen Bestandteil bürgerlicher Erziehung und Bildung und implizierte neben dem bewussten Ausbruch auch die ausdrücklich erwünschte Rückkehr ins vertraute Milieu.143 Dass in der Reisepraxis der städtische Raum ein durchaus beliebtes Reiseziel darstellte, bestätigen die in den Selbstzeugnissen dokumentierten Aufenthaltsorte. So bildeten Städte wie Heidelberg, Frankfurt, Koblenz, Köln, Aachen, Mainz, Straßburg, Schaffhausen, Basel und Kleve obligatorische Stationen. Das Aufsuchen dieser Orte vermittelte das Bedürfnis der reisenden Akteur:innen, gesellschaftlichen Zusammenkünften und Vergnügungen beizuwohnen und sich in gewohnter Umgebung zu bewegen. Auch wenn die Städte entlang des Rheins keine Großstädte waren, so bildeten sie doch urbane Fixpunkte mit vertrauten gesellschaftlichen Strukturen im vorwiegend ländlich geprägten Raum. Der Ausbruch aus dem städtischen Alltag formulierte sich in Wahrheit nie als radikaler Bruch mit urbanen Praktiken und Räumen, sondern implizierte vielmehr das Pendeln zwischen klein- und großstädtischen Strukturen, die eine intellektuelle Kommunikation auch in der Fremde garantierten.144 Die Forderung des Bürgertums nach einer Flucht vor den urbanen Lebensumständen war zeitlich limitiert und als eine zeitweise Abkehr vom Alltag angelegt. Die eskapistischen Ideen der Romantiker:innen beinhalteten den Ausbruch aus einem sozial 141 Vgl. Schnell, Rüdiger  : Haben Gefühle eine Geschichte  ? Aporien einer History of emotions, T. 1, Göttingen 2015, S. 326. 142 Vgl. Kessel, Martina  : Langeweile  : zum Umgang mit Zeit und Gefühlen in Deutschland vom späten 18. bis zum 20. Jahrhundert, Göttingen 2001, S. 44. 143 Vgl. Prein, Bürgerliches Reisen, 2005, S. 87. 144 Vgl. Frevert, Stadtwahrnehmungen, 2000, S. 69.

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genormten intellektuellen Kosmos und die Teilhabe an einem anscheinend sorglosen und traditionellen Lebensalltag, der in gegensätzlichen Räumen gesucht wurde. Die Romantik entwickelte ein ideales Gegenbild von der fortschrittlichen Stadtwelt, das ein Leben ›im Grünen‹ und auf dem den modernen Prozessen entrückten Land beschwor. Die Vorstellung eines einfachen Lebens in einer ursprünglichen Natur bildete dabei nicht nur das Gegenbild von der vertrauten Zivilisation. Diese provinzielle Andersartigkeit rief wiederum ein Gefühl heimischer Geborgenheit und Vertrautheit hervor – sie leitete den Weg zur Ursprünglichkeit menschlichen Seins. Aus den formulierten Anforderungen und Wünschen des Bildungsbürgertums lässt sich feststellen, dass der ländliche Raum die ästhetische und gesundheitsfördernde Erfahrung, der urbane Raum gesellschaftlich-bürgerliche Partizipation und Unterhaltung bot.145 Das Stadtleben wirkte jedoch – trotz der zahlreichen Annehmlichkeiten und Vorteile – vereinzelt bedrohlich und erdrückend. Persönliche Isolation, Vereinsamung und subjektive Beklemmung waren negative Folgen des Stadtlebens.146 Städtisches Leben ermöglichte nicht nur sozialen Wohlstand und gesellschaftliche Teilhabe, sondern barg vor allem auch Risiken für das eigene Wohlbefinden  : Lärm, Schmutz, räumliche Begrenztheit, Hektik und Anonymität boten, um nur einige Negativ-Merkmale urbaner Lebenswirklichkeit zu nennen, frühe Ansatzpunkte für den kritischen StadtLand-Diskurs der »poetischen Naturkinder«.147 Die Teilhabe am Alltag der Landbevölkerung erlebten Reisende, wenn überhaupt, als außenstehende Beobachtende und flüchtige Durchreisende. Fand ein gesellschaftlich übergreifender Kontakt statt, dann entweder im Rahmen von Festlichkeiten, Jahrmärkten, Prozessionen, beim Besuch von öffentlichen Einrichtungen, Rasthäusern, Unterkünften oder bei der Nutzung der lokalen Infrastruktur – also aus einer gewissen Distanz und ohne den privaten Radius zu übertreten. Aus diesem Abstand ließ sich das als ursprünglich und unbeschwert bewertete Landleben romantisieren, dass sich nicht an der Lebenswirklichkeit orientierte.148 Der Einblick in den Lebens- und Arbeitsalltag der bäuerlichen Bevölkerung, der Handwerkenden, Tagelöhner:innen und Gewerbetreibenden wurde ganz bewusst vermieden, denn auch rurale Räume verkörperten gleichfalls körperliche Arbeit und Anstrengung, geistige Monotonie und 145 Vgl. Prein, Bürgerliches Reisen, 2005, S. 130, 153 ff. 146 Siehe dazu  : Eichendorff, Joseph von  : Ahnung und Gegenwart ( Joseph Freiherrn von Eichendorff ’s Werke T.2), Berlin 1841, S. 220. 147 Graevenitz, Gerhard von  : Einleitung, in  : Ders. (Hg.)  : Die Stadt in der europäischen Romantik (Stiftung für Romantikforschung 11), Würzburg 2000, S. 7–16, hier S. 7. 148 Vgl. Raude, Karin  : Jacob Grimm und der Volksgeist, in  : Arnold, Antje/Pape, Walter (Hg.)  : Romantik und Recht  : Recht und Sprache, Rechtsfälle und Gerechtigkeit (Schriften der Internationalen ArnimGesellschaft 12), Berlin, Boston 2018, S. 15–33, hier S. 29.

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wirtschaftliche Stagnation, die der idealisierten Vorstellung vom beschaulichen und anspruchslosen Alltag der Landbevölkerung widersprachen.149 Der Anspruch auf ein unberührtes echtes, also authentisches Naturerlebnis fernab moderner Strukturen erforderte entsprechende Räume zur praktischen Umsetzung. Ein Leitbegriff bei der Suche nach solchen Erlebnisräumen bildete die Einsamkeit  : abermals in harter Abgrenzung zur Bevölkerungsdichte urbaner Zentren und als Garant für eine Selbstfindung fernab technisch-rationalisierter Strukturen. Gegenbilder städti­ schen Treibens und technisierter, durchorganisierter Lebenswelten bildeten Räume, die noch nicht dem Unterdrückungs- und Gestaltungswillen des Menschen anheimgefallen waren, wie Gebirge, Wälder, Gewässer, ferner Steppen oder Wüsten. Die dort vorherrschenden natürlichen Bedingungen erschweren obendrein ein menschliches Eingreifen und Verändern. Idylle und Unberechenbarkeit der Natur standen bei der Auswahl romantischer Räume, »deren Reiz in der Entrückung von der Gegenwart« lag, in engem Zusammenhang.150 2.2.6 Raum 3: Mittelalter Diese Flucht vor der Gegenwart, vor den modernen Entwicklungen und Umständen verband sich sowohl zeitlich als auch räumlich mit der Flucht in eine historische Vergangenheit, in die Vor- und Wunschbilder hineinprojiziert wurden. In der Geschichte suchten die Romantiker:innen nach Vorbildern, nach einer intakten Ordnung und persönlichem Wohlergehen. Anders als in der Aufklärung, die Geschichte als kontinuierlichen Fortschritt menschlichen Handelns werten, bezog sich die Bewegung der Romantik bewusst auf vergangene, anachronistische Tugenden.151 Für diese sind weniger historische Tatsachen und die Überprüfbarkeit von Quellen ausschlaggebend für ein reales Abbild der Vergangenheit – sie ergänzen die historische Wahrheit ganz selbstverständlich mit Legenden und Mythen.152 Die Romantiker:innen legten keinen Wert auf die Überprüfbarkeit

149 Vgl. Siegmund, Landschaftsgarten, 2011, S. 324. 150 Ipsen, Detlev  : Ort und Landschaft, Wiesbaden 2006, S. 93. 151 Vgl. Brunschwig, Henri  : Gesellschaft und Romantik in Preußen im 18. Jahrhundert  : die Krise des preußischen Staates am Ende des 18. Jahrhunderts und die Entstehung der romantischen Mentalität, Frankfurt/Main (u. a.) 1976, S. 350. 152 Ein Beispiel dafür ist Brentanos Die Gründung Prags (1814). Hier offenbart sich das Selbstverständnis der Romantiker:innen als bessere Historiker:innen und deren Absicht, sagenhafte und mythische Überlieferungen dichterisch neu zu arrangieren und dramatisch zu überhöhen. Vgl. Schultz, Hartwig  : Clemens Brentano  : Reclam Literaturstudium, Stuttgart 1999, S. 176–185.

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historischer Fakten, sondern reisten an den Rhein, um sich in eine bestimmte Zeit und Atmosphäre einzufühlen.153 Die für die Romantik bezeichnende Begeisterung für die Vergangenheit verknüpfte sich mit der Vorstellung, den Glanz vergangener Zeiten anhand historischer Relikte nachzuerleben. Die Antike als von der Aufklärung propagierte zivilisatorische Hochphase wurde vom Mittelalter als kulturelle Blütezeit abgelöst. In diesem Zusammenhang erlebte vor allem die gotische Baukunst eine Renaissance, baufällige Schlösser und Burganlagen wurden zum Teil restauriert oder gänzlich neu erschaffen.154 Auch in diesem Punkt finden sich eskapistische Tendenzen der Romantiker:innen, die sich mit der Stadtflucht verbinden. Im Gegensatz zu den modernen und praktischen Stahlund Glaskonstruktionen der Neuzeit assoziierten diese Baukomplexe kulturelle Identifikation, Sicherheit und Tradition. Vor allem Burgen und Ruinen »had a powerful charisma for sensitive people who felt their world hurtling into a new and unsettling form of civilization«.155 Die stimmungsvolle Kulturlandschaft am Rhein, die aneinandergereihten Burgen, Schlösser und Weinberge lösten bei den Reisenden eine Konträrfaszination aus. Sie vermittelte eine Wertestabilität gegenüber einer drohenden Modernisierung und Überforderung der Gesellschaft. Im Zuge der Befreiungskriege erhielt der Wiederaufbau der Burg- und Schlossanlagen am Rhein zusätzlich eine nationalpolitische Komponente und wurde als Teil einer antifranzösischen Polemik zum Symbol preußischer Wehrhaftigkeit und deutscher Überlegenheit.156 Im Kontext dieser aufwendigen Restaurierungsmaßnahmen wurden die Schlösser und Burgen zu symbolhaften Garanten herrschaftlicher Machtansprüche und die Zugehörigkeit des Rheins wurde zur Staatsaufgabe.157 »Especially in the ruined castles of the Middle Rhine, writers, artists, esthetes, and sensitive travelers saw a reflection of their own belief that human beings themselves, like architecture, eventually dissolve back again into the universe.«158 Der Reiz des 153 Vgl. Fechner, Jörg-Ulrich  : Erfahrene und erfundene Landschaft  : Aurelio de’ Giorgi Bertòlas Deutschlandbild und die Begründung der Rheinromantik (Abhandlungen der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften 52), Opladen 1974, S. 187. 154 Siehe dazu  : Karneth, Rainer  : Romantisieren in Alzey  : der Wiederaufbau des Alzeyer Schlosses, in  : Episteme der Romantik  : volkskundliche Erkundungen, Münster 2014, S. 109–131. 155 Taylor, Robert R.: The castles of the Rhine  : Recreating the Middle Ages in modern Germany, Waterloo/Ont. 1998, S. 54. 156 Vgl. Tümmers, Der Rhein, 1999, S. 270. 157 Vgl. Beller, Manfred  : Restored Future  : A Panorama of the Castles, Churches and Monuments on the Confluence of Rhine and Nahe, in  : Ders./Leerssen, J. Th. (Hg.)  : The Rhine  : National tensions, Romantic visions (European studies  : an interdisciplinary series in European culture, history and politics 43), Leiden 2017, S. 113–132. 158 Taylor, The castles of the Rhine, 1998, S. 53.

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Morbiden, des Diesseits Entrückten und Schauerlichen ließ Burgruinen, Kapellen, Klöster und Friedhöfe zu romantischen Stimmungskulissen werden  ; sie verkörperten gleichzeitig Vergangenheit sowie Vergänglichkeit. Zu diesem Vanitas-Moment gehörten auch Ruinen als symbolische Chronoskope der Zivilisation, welche die Flüchtigkeit von durch Menschenhand erschaffenen Konstruktionen verdeutlichten. Verknüpft mit diesen baulichen Denkmalen waren Geschichten und Legenden, die das Vergangene in die Gegenwart übertrugen. Die Vorstellung von einem harmonischen, sorgenfreien und tugendhaften Mittelalter blieb mithilfe der landschaftlichen sowie architektonischen Elemente und besonders im Volkslied nachvollziehbar.159 Das Wunderhorn-Projekt von Arnim und Brentano bezeugt die Wiederbelebung mittelalterlicher Dichtung  ; es enthält neben mündlich tradierten Liedtexten vor allem Um- und Eigenkompositionen.160 Die Fokussierung auf altdeutsches Liedgut aus dem Mittelalter diente auch einer bewussten Abgrenzung von Einflüssen aus dem Ausland, insbesondere französischen Liedtexten. Aufbauend auf Herders Sprachphilosophie, Novalis’ romantischen Ideen und Fichtes appellierenden Reden an die deutsche Nation befassten sich maßgeblich die Brüder Schlegel mit der Erneuerung der deutschen Sprache und Dichtkunst, beginnend mit der Remythisierung deutscher Sagen, wobei sie die Tilgung aller fremdländischen, äußeren Einflüsse anstrebten.161 So ließ sich das Nibelungenlied als literarisches Kampfmittel einsetzen, um sich bewusst von der französischen Kultur und Geschichte abzugrenzen, wobei der Fokus auf der »Durchsetzung einer gemeinsamen deutschen Sprache, der Konstituierung einer deutschen Nationalliteratur und der Rückbesinnung auf deutsche Sitten und Gebräuche« lag.162 Als man gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts begann, mittelalterliche Kulturformen als eigene neue Lebenswerte aufzunehmen, mit anderen Worten beim Beginn der Romantik, gewahrte man im Mittelalter zunächst das Rittertum. Die frühe Romantik war geneigt, Mittelalter und Ritterzeit kurzweg gleichzusetzen.163

159 Vgl. Huizinga, Johan  : Herbst des Mittelalters  : Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und den Niederlanden, Stuttgart 1953, S. 36. 160 Vgl. Häntzschel, Günter  : »Des Knaben Wunderhorn« im Kontext der Anthologien des 19. Jahrhunderts, in  : Pape, Walter (Hg.)  : Das »Wunderhorn« und die Heidelberger Romantik  : Mündlichkeit, Schriftlichkeit und Performanz, Tübingen 2005, S. 49–58, hier S. 53. 161 Vgl. Lohner, Edgar (Hg.)  : August Wilhelm Schlegel  : Geschichte der romantischen Literatur (Kritische Schriften und Briefe IV), Stuttgart 1965, S. 114. 162 Zit. n. Martin, Bernhard R.: Nibelungen-Metamorphosen  : die Geschichte eines Mythos, München 1992, S. 8. 163 Huizinga, Herbst des Mittelalters, 1953, S. 73.

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Der Rückgriff auf die Vergangenheit implizierte keineswegs eine kritische und differenzierte Auseinandersetzung mit historischen Zusammenhängen  ; vielmehr ließen sich die positiv assoziierten Elemente des Mittelalters nutzen, um in der Vergangenheit nach Vorbildern für die Gegenwart zu suchen. Dass die Romantiker:innen nach einer Wiederbelebung der Mythologie, mitunter einer eigenen Mythologie strebten, bestätigen die vielfachen Versuche, antike Mythen und Gestalten in die jüngere Vergangenheit und auf andere Räume zu übertragen.164 Die Verehrung des Mittelalters implizierte auch eine Aufwertung der christlichabendländischen Religiosität, die sich gegen reformbedingte Tendenzen sowie eine entmythisierte Gesellschaft formulierte, und dabei philosophisch-säkulare Grundlagen zuließ.165 Die Betonung christlicher Glaubensinhalte ging wiederum einher mit der Bewunderung für das Mittelalter als vorbildhafte Epoche und Hochzeit des noch geeinten Christentums.166 Während inhaltliche Aspekte wie die religiöse Dogmatik oder konfessionelle Zuordnung dabei zweitrangig blieben, waren übergeordnete biblische und christologische Motive sowie Elemente von Naturreligionen beliebte Themen.167 In der bildenden Kunst wurden Ruinen, einzelne Bäume und Berggipfel ikonografisch in Szene gesetzt und als sakrale Landschaften dargestellt. Landschaft wurde nunmehr zum »subjektive[n] Empfindungsraum«168 mit christlichem Überbau stilisiert. Künstlerisch inszenierte Erhabenheit stimulierte das emotionale Befinden des Publikums, schärfte dessen Bewusstsein für die Unendlichkeit und Vollkommenheit des Augenblicks und erzeugte gleichzeitig eine optimistische Grundstimmung.169 Dass Rittertum, Ruinen und Religiosität ausschließlich positiv dargestellt wurden, verband sich mit der vielschichtigen »Sehnsucht nach einem schöneren Leben«.170 Sie verleitete die Romantiker:innen zu einer verfälschten Geschichtsschreibung, die ihre 164 So ist die Lorelei eine Adaption der Nymphe Echo, denn sie beide unterliegen dem Schicksal der unerfüllten Liebe. Vgl. Bellmann, Werner  : Brentanos Lore Lay-Ballade und der antike Echo-Mythos, in  : Lüders, Detlev (Hg.)  : Clemens Brentano  : Beiträge des Kolloquiums im Freien Deutschen Hochstift, Tübingen 1978, S. 1–9, hier S. 5–7. 165 Vgl. Schulz, Romantik, 2002, S. 96. 166 Vgl. Bredero, Adriaan H.: Christenheit und Christentum im Mittelalter  : über das Verhältnis von Religion, Kirche und Gesellschaft  ; aus dem Niederländischen von Ad Pistorius, Stuttgart 1998, S. 7. 167 Siehe dazu  : Wanning, Berbeli  : Die Fiktionalität der Natur  : Studien zum Naturbegriff in Erzähltexten der Romantik und des Realismus (Natur – Literatur – Ökologie 2), Berlin 2005, S. 125 f. 168 Brüggemann, Heinz  : Religiöse Bild-Strategien der Romantik  : die ästhetische Landschaft als Andachtsraum und Denkraum, in  : Bormann, Alexander von (Hg.)  : Romantische Religiosität (Stiftung für Romantikforschung 30), Würzburg 2005, S. 89–131, hier S. 91. 169 Vgl. Jost, Landschaftsblick und Landschaftsbild, 2005, S. 333 f. 170 Ich beziehe mich abermals auf Johan Huizingas Werk Herbst des Mittelalters und hier auf das gleichnamige Kapitel II.

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Abb. 5  : Julie Gräfin von Egloffstein, Bootsfahrt auf dem Rhein, 1818, Federzeichnung, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen.

Vorbilder im Mittelalter suchte. So ließen sich sämtliche Elemente in der Landschaft auf diese Entrückung von der Gegenwart umwerten und romantische Sehnsüchte kanalisieren. Intakte Burgen suggerierten Beständigkeit und Stärke, Ruinen wiederum Vergänglichkeit und Endlichkeit – und beide dienten gleichermaßen als Sehnsuchtsorte einer vergangenen Epoche. Verlust und Sehnsucht  : Beides wurde am Rhein in Geschichte und Geschichten greifbar und erhob die Landschaft zu einer Stimmungskulisse. Die Trias von einer schönen und erhabenen, einer symbolisch überformten Natur und einer Stimmungslandschaft kennzeichnet den romantischen Blick auf den Rhein. Die Ästhetik aus natürlichen und baulichen Elementen, der Rückgriff auf die Vergangenheit sowie die dadurch freigesetzten Emotionen begleiteten die Entwicklung des Mittelrheintals zu einem Sehnsuchtsort romantischer Reisegesellschaften.171

171 Vgl. Jost, Landschaftsblick und Landschaftsbild, 2005, S. 305.

3. Selbstzeugnisse vom Rhein

3.1 Clemens Brentanos und Achim von Arnims Freundschaftsbriefe   (1801–1829) Die Briefe von Brentano und Arnim bilden den Ausgangspunkt meiner Untersuchung der Selbstzeugnisse der Rheinromantik, einmal chronologisch und zum Zweiten exemplarisch, als Basis für nachfolgende Rheinreisen.1 Die Rheinreise von Brentano und Arnim stellt – neben Friedrich Schlegels Rheinreise 1802/03 – den von der Forschung weithin anerkannten Ursprung der deutschen Rheinromantik dar.2 Der gemeinsame Aufenthalt stand auch am Beginn einer jahrzehntelangen Dichterfreundschaft und -zusammenarbeit. Während des Studiums in Göttingen begegneten sich Brentano und Arnim zum ersten Mal, ihr beiderseitiges Interesse für die Literatur führte sie zusammen. Bald darauf entstand die Idee einer gemeinsamen Rheinreise, welche sie im Sommer 1802 umsetzten  : Von Mainz aus fuhren sie mit dem Postschiff den Rhein stromabwärts. Die Reise der beiden Dichterfreunde entlang der deutsch-französischen Grenze unterlag primär schriftstellerischen Ambitionen. Während ihres Aufenthaltes am Rhein entwickelten sie die Idee einer deutschen Volksliedsammlung, welche im Jahr 1806 als Des Knaben Wunderhorn erschien.3 Arnims Familienhintergrund war großbürgerlich beziehungsweise adelig geprägt  : auf der einen Seite das uckermärkische Adelsgeschlecht, auf der anderen Seite eine Bankiersfamilie.4 Die Großmutter mütterlicherseits, Caroline von Labes, übernahm bald nach dem Tod ihrer Tochter die Erziehung der Enkelsöhne Carl Otto und Carl Joachim. Beide Familienlinien waren preußisch geprägt und durch Besitztümer in 1

2 3 4

Vgl. Bunzel, Wolfgang  : Die Erfindung der Rhein-Romantik  : Achim von Arnims und Clemens Brentanos Rhein-Reise (1802)  ; Voraussetzungen, Hintergründe, Kontexte (Internationales Jahrbuch der Bettina-von-Arnim-Gesellschaft  : Forum für die Erforschung von Romantik und Vormärz, 24/25, 2012/2013), S. 43–59  ; Linder-Beroud, »Immer hör’ vom Rhein ich singen …«, 1997, S. 270. Vgl. Cepl-Kaufmann, Gertrude/Johanning, Antje  : Mythos Rhein  : zur Kulturgeschichte eines Stromes, Darmstadt 2003, S. 99. Arnim, Achim von/Brentano, Clemens  : Des Knaben Wunderhorn  : alte deutsche Lieder, 3 Bde., Heidelberg, Frankfurt/Main 1805–1808. Die biografischen Eckdaten zu Achim von Arnim entnehme ich der NDB  : Kluckhohn, Paul, »Arnim, Achim von« in  : NDB 1 (1953), S. 365–368 (Online-Version)  ; URL   : https://www.deutsche-biogra phie.de/pnd118504177.html#ndbcontent, letzter Zugriff  : 10.10.2017, sowie dem Sammelband von  : Burwick, Roswitha/Härtl, Heinz (Hg.)  : »Frische Jugend, reich an Hoffen«  : der junge Arnim  ; Zernikower Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft (Schriften der IAG 2), Tübingen 2000.

Clemens Brentanos und Achim von Arnims Freundschaftsbriefe (1801–1829) | 85

Brandenburg und Berlin, wo man abwechselnd wohnte, fest in der Region verankert. Während Achims Schulzeit in Berlin verfasste er diverse wissenschaftliche und philosophische Aufsätze, Gedichte und Beschreibungen von Stadt und Landleben. Seine frühesten Reisebeschreibungen stammen aus seiner Zeit in Zernikow, einem Gut der Familie Labes. Er thematisierte das Anwesen selbst sowie Ausfahrten in die nähere Umgebung und auch nach Hamburg. Da sich der Entstehungskontext nicht mehr exakt nachvollziehen lässt, können sie als literarische Selbststudien zwischen den schulischen »Pflichtübungen und den ersten dichterischen Versuchen« angesehen werden.5 Seinen familiären und standesgemäßen Verpflichtungen entsprechend und zur Vorbereitung auf den späteren Staatsdienst entschied er sich für ein Studium der Rechts- und Naturwissenschaften (1798–1801) in Halle und Göttingen. Hier machte er Bekanntschaft mit Tieck, Goethe und schließlich Brentano. Allesamt stärkten diese Begegnungen sein Interesse für die Dichtkunst und das Vertrauen in sein Schreibtalent. Besonders die Bekanntschaft Goethes muss ihn nachhaltig beeindruckt haben, denn schon bald nach Studienende erschien sein Romandebüt Hollin’s Liebeleben, das in Inhalt und Form dem Werther ähnelt.6 Die Brentanos waren seit mehreren Generationen am Rhein ansässig, neben Frankfurt am Main gab es einen Wohnsitz in Koblenz beziehungsweise Ehrenbreitstein, wo Clemens 1778 geboren wurde.7 Der Vater stammte aus einer erfolgreichen, ursprünglich lombardischen Kaufmannsfamilie, die ihren Stammsitz im 17. Jahrhundert in den Norden verlegte. Clemens Mutter Maximiliane, die einst als Muse Goethes galt, war ihrerseits Tochter der berühmten Schriftstellerin Sophie von La Roche. In diesem intellektuellen, wohlhabenden und sehr kinderreichen Umfeld wuchs Clemens auf, in dem, ebenso wie bei Arnim, die Großmutter nach dem frühen Tod der Mutter über Erziehung und Bildung der Nachkommen bestimmte. Der literarische Erfolg Sophies bestärkte Clemens, welcher sich, verursacht durch die finanzielle Sorglosigkeit und das Unvermögen, selbst eine kaufmännische Laufbahn einzuschlagen, verstärkt der Dichtkunst widmete. Sein Studium in Jena ließ ihn in Kontakt treten mit den Vertreter:innen aus Klassik und Frühromantik, wie Herder, Schelling, den Geschwistern 5 6 7

Dickson, Sheila  : Arnims Beschreibungen von Reisen, in  : Burwick, Roswitha/Härtl, Heinz (Hg.)  : »Frische Jugend, reich an Hoffen«  : der junge Arnim  ; Zernikower Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft (Schriften der IAG 2), Tübingen 2000, S. 31–41, hier S. 34. Vgl. Storz, Gerhard  : Klassik und Romantik  : eine stilgeschichtliche Darstellung, Mannheim (u. a.) 1972, S. 193 ff. Biografische Daten entnommen von  : Kluckhohn, Paul, »Brentano, Clemens« in  : NDB 2 (1955), S. 589– 593 (Online-Version)  ; URL  : https://www.deutsche-biographie.de/pnd118515055.html#ndbcontent, letzter Zugriff  : 02.09.2017, und der Biografie von Schultz, Hartwig  : Schwarzer Schmetterling  : zwanzig Kapitel aus dem Leben des romantischen Dichters Clemens Brentano, Berlin 2000.

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Schlegel, Wieland, Fichte und Goethe. Diese Bekanntschaften waren wie bei Arnim von besonderer Nachhaltigkeit, denn sie ermutigten den jungen Studenten zum Verfassen eigener Texte. In dieser Zeit vollendete er auch sein literarisches Werk Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter, in dem erstmals von einer gewissen Lore Lay die Rede ist.8 Dieser Roman dokumentiert Brentanos Interesse an volkstümlicher Lyrik und frühromantischen Ideen bereits vor seiner Bekanntschaft mit Arnim und dessen gemeinsamer Arbeit an der Volksliedsammlung Des Knaben Wunderhorn. Der Godwi impliziert die Glorifizierung eines außergewöhnlichen Lebens weitab von gesellschaftlichen Zwängen und alltäglicher Eintönigkeit. Das sinnliche Genießen wird gelobt, der Protagonist entzieht sich dem konservativen Lebensmodell, indem er aus dem strengen Elternhaus ausbricht und sich auf die Suche nach einem selbstbestimmten Leben und der Liebe begibt. Der letzte Teil des Romans beinhaltet den Rheinaufenthalt Godwis, die jener als idyllische, unbeschwerte Zeit erlebt  : [Er] trank mit den fröhlichen Weinlesern, und küßte die schönen lustigen Mädchen, wenn er mit ihnen getanzt hatte. Es war ein herrliches Leben, eine einzelne Liebe war nicht möglich, der Mensch konnte sich nicht zum einzelnen Menschen neigen, es war Alles wie in einer goldnen Zeit, man liebte Alles und ward von Allem geliebt. […] die Freude und Gesundheit ebnete und einigte Alles zu einem mannichfaltigen Tummelplatze glücklicher Menschen.9

Godwi erscheint hier nicht nur als tragische Romanfigur, sondern als das literarisch verarbeitete Ich des Verfassers, der weitab gesellschaftlicher Konventionen und familiärer Verpflichtungen individuelle Selbstverwirklichung sucht. Daneben erfährt er die irdischen Freuden, denn Godwi erfreut sich am Weingenuss, vergnügt sich beim Tanz und gewinnt die Aufmerksamkeit zahlreicher Mädchen. Die Gesamtheit dieser elysisch anmutenden Zustände hinterlässt einen durchweg positiven Eindruck und suggeriert seelisches sowie körperliches Wohlbefinden. Der beschriebene Raum erscheint als wahrhaftiges Paradies, als real gewordene Utopie, in welcher Glück, Wohlbefinden und Frohsinn vorherrschen. Brentanos Godwi wird dementsprechend als »erste rheinromantische Idealisierung der Landschaft« am Rhein innerhalb der deutschen Dichtkunst gewertet.10 Die Erlebnisse und Erfahrungen der Titelfigur sind poetologische und performative Abbilder seiner eigenen Erlebnisse am Rhein.11   8 Brentano, Clemens  : Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter  : Ein verwilderter Roman von Maria, Bremen 1801/1802, bes. S. 507–510 (»Zu Bacharach am Rheine«).   9 Ebd., S. 460 f. 10 Cepl-Kaufmann, Mythos Rhein, 2003, S. 81. 11 Tatsächlich erschienen der Godwi und die Ballade von der Lore Lay bereits vor der Rheinreise mit Arnim. Auch eine frühere Reise Brentanos im Jahr 1801 kann nicht als »Erlebnishintergrund« für die

Clemens Brentanos und Achim von Arnims Freundschaftsbriefe (1801–1829) | 87

Während des Studiums an der Universität in Göttingen traf Brentano auf Achim von Arnim, dessen sprachliche Begabungen im sofort auffielen. Bald darauf entstand die Idee einer gemeinsamen Rheinreise, die im Sommer 1802 umgesetzt wurde.12 Die Reise der beiden Freunde unterlag zwar schriftstellerischen Ambitionen, wurde aber auch als willkommener Ausbruch aus der vertrauten Umgebung und den familiären Verpflichtungen bewertet. Arnim befand sich gemeinsam mit seinem Bruder auf Bildungsreise  : Nach Aufenthalten in Dresden, Regensburg und Wien stellte der mittlere Rheinabschnitt nur einen kleinen, wenn auch im Rückblick wichtigen Zwischenstopp dar  ; bald nach dem Rheinaufenthalt reiste er weiter in die Schweiz, nach Italien, Frankreich, Holland und England. Brentano, dessen Familienhaus sich nicht weit entfernt befand, verblieb indessen am Rhein. Während des Rheinaufenthalts pausierte der Briefwechsel, denn logischerweise ersetzte das Zusammensein und gemeinsame Umherziehen den schriftlichen Austausch. Die Rheinreise ist folglich nur zeitversetzt im Briefwechsel nachvollziehbar. Bald nachdem sich ihre Wege wieder trennten, schrieben sie sich in Reminiszenzen über den gemeinsamen Rheinaufenthalt. So beschwor Brentano das Reisen mit dem Freund als die einzig richtige Art zu Reisen und beklagte den Abschied  : Ich hätte eigentlich mit dir reisen sollen, es reißt sich gut mit uns, und ich liebe wenige Menschen so wie dich, ich kann die Idee nicht ertragen einstens ohne dich zu leben, […]. Es wird mir nie Wieder so wohl werden als im Kahne von Asmannshausen, und zu Nothgottes, und im Kreuzbach, […]. […], du hattest mir keine Adreße gelaßen, ich schrieb mit groser Bescheidenheit darum an deine Tante […]. Meine Nächsten Briefe eher ich dich in Pariß weiß, laufen alle durch ihre Lieben Hände […].13

An dieser Stelle lassen sich nicht nur die nach Brentanos Auffassung wichtigsten Stationen des Rheinaufenthaltes nachvollziehen, wir erfahren nebenbei auch, dass Arnim seine weiteren Aufenthaltsorte selbst vor seinem Freund geheim hielt  ; lediglich seine Weiterfahrt nach Paris war ihm bekannt. Arnims Kavalierstour entwickelte sich nach der Rheinreise immer mehr zu einer Art Selbstfindungstrip, auf dem er über Stationen und Dauer der Aufenthalte ohne Zustimmung seiner Familie allein bestimmte. Der Wunsch nach Loslösung von gesellschaftlichen Bindungen und berufsorientierten rheinromantischen Texte herhalten. Allerdings können die räumliche Nähe der Familie zum Rhein und frühere Ausflüge als Indizien dafür dienen, dass Clemens schon bald die poetischen Qualitäten dieser Gegend erkannte und umsetzte. Vgl. Bellmann, Brentanos Lore Lay-Ballade, 1978, S. 7–9. 12 Vgl. Steig, Reinhold/Grimm, Hermann (Hg.)  : Achim von Arnim und die ihm nahe standen, Bd. 1  : Achim von Arnim und Clemens Brentano, Stuttgart 1894, S. 34. 13 Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 26 f.

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Aufgaben ging einher mit dem Wissen um die Möglichkeiten eines nicht-konventionellen, antibürgerlichen Daseins als Schriftsteller. Erst nach vier Jahren Bedenkzeit kehrte er nach dem Tod des Vaters zurück in die Heimat und zu seinen Verpflichtungen. Er musste sich um das Familiengut in Wiepersdorf kümmern, sein Erbe verwalten und entschied sich schließlich für ein ausbalanciertes Dasein als Landwirt und Schriftsteller. Die Erinnerung an die gemeinsame Rheinreise blieb auch Jahre danach im Briefwechsel der beiden Dichter lebendig.14 Die Reise begründete nicht nur eine jahrelange Freundschaft, sondern war auch Impulsgeber für die literarische Zusammenarbeit der beiden Dichter. Die Bedeutung der freundschaftlichen und berufspartnerschaftlichen Korrespondenz für die Romantik im Allgemeinen und die Rheinromantik im Besonderen wurde erst vor einigen Jahren dank einer neuen kritischen Auflage der Briefe für die Wissenschaft erschlossen. Seit 1998 existiert eine vollständige, zweibändige Edition der zwischen 1801 und 1829 abgefassten Freundschaftsbriefe, die auch dieser Arbeit als primäre Textvorlage dient. Der von Hartwig Schultz neu bearbeitete und veröffentlichte Sammelband enthält neben »Klatsch und Kunst, ästhetische[n] Diskussionen und persönliche[n] Erfahrungen«15 zahlreiche Gespräche über das gemeinsame literarische Projekt der selbst ernannten ›Liederbrüder‹. Des Knaben Wunderhorn bot den Dichtern eine literarische Plattform, ihren Forderungen nach einer einheitlichen deutschen Kultur und Sprache sowie einer gemeinsamen Vergangenheit nachzukommen, welche sie in den Mythen, Liedern und Sagen des einfachen Volkes lokalisierten. Das Bedürfnis nach einer einheitlichen Kultur und politischen Gesamtheit der Deutschen vereinte sich in den gesammelten Volksliedern  ; sie fungierten als Nationalgut, wobei ihr Herkunftsort, der Rhein, zum Ausgangspunkt nationaler Bestrebungen verklärt wurde. Daneben bot die Sammlung den beiden »vor allem die Möglichkeit, ihren schwärmerisch-lyrischen Briefstil in einem gemeinsamen Gegenstand objektiviert zu sehen«.16 Der freundschaftliche Schriftwechsel diente darüber hinaus als Motivation für literarische Werke. Die realen Erlebnisse wurden in die fiktionalen Erzählungen eingefügt, wobei die IchPerspektive eine Identifizierung des Autors mit seinen Romanfiguren erlaubte. Dieser

14 Vgl. Schultz, Schwarzer Schmetterling, 2000, S. 87. 15 Schultz, Hartwig  : Die »Liederbrüder« und ihre »Bresche in Göthens Litterairgeschichte«  : der Briefwechsel von Achim von Arnim und Clemens Brentano, in  : Ders. (Hg.)  : Freundschaftsbriefe  : Achim von Arnim und Clemens Brentano, Bd. 1  : 1801–1806, Bd. 2  : 1807–1829, Frankfurt/Main1998, S. V– XXVI, hier S. VI. 16 Schlaffer, Hannelore  : Rezension zu  : Hartwig Schutz  : Freundschaftsbriefe (15.02.1998), URL  : http:// www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/165334/, letzter Zugriff  : 05.09.2016.

Clemens Brentanos und Achim von Arnims Freundschaftsbriefe (1801–1829) | 89

Gattung bediente sich insbesondere Brentano, welcher »den Brief als Kunstform in der Literaturgeschichte überhaupt erst etabliert hat«.17 Ein erheblicher Teil innerhalb des Briefwechsels thematisiert außerdem die Erinnerungen an die gemeinsame Rheinreise, welche ihre gegenseitige Zuneigung dauerhaft prägen sollte. Die beiden reisten mit dem Marktschiff von Frankfurt bis zur Mainmündung nach Mainz, auf dem Rhein nach Bingen, schließlich über Rüdesheim und Koblenz, wo sich die Wege der Freunde wieder trennten und Arnim seine Kavalierstour in die Schweiz fortsetzte.18 Die Korrespondenz ist geprägt von einem gegenseitigen Versichern der tiefen Verbundenheit und Brüderlichkeit. Die vermeintliche Unbeschwertheit und Freude, die beide während der Reise empfanden, wird in romantischsentimentaler Weise stets rekapituliert. So schreibt Arnim in einem Brief ein Jahr nach ihrer Expedition  : »Die Erinnerung an unsre Rheinreise ist mir eine kräftige Riechbüchse, wenn es in der Gegenwart stinkt.«19 Brentano stellt in Aussicht, dass »wenn du den Sommer hier bist, wollen wir den Reihn [sic  !] wiedersehn, und die alten Schlößer beweinen und Besingen, wie könnte eine epische Elegie schöner Gedichtet werden«.20 Die gemeinsame Reise bot beiden bereits zu Beginn ihrer schriftstellerischen Laufbahn zahlreiche Anregungen für ihr zukünftiges Schaffen. Die Rheinreise war demnach mit systematischen und zweckgebundenen Ambitionen verknüpft  ; das angeeignete philosophische Gedankengut wurde während der Reise erprobt und gemeinsam verinnerlicht. Die Briefe schildern die unterschiedliche Art und Weise dieser Verinnerlichung und geben in einer Art Wettstreit detailliert Auskunft über den jeweiligen Grad der individuellen ›Romantisierung‹. Die Rheinfahrt wurde ferner zum Freundschaftssymbol stilisiert. Zwischen den beiden ungleichen Freunden herrschte eine aufrichtige Harmonie, die sich in dem periodisch wiederkehrenden Bruder-Motiv sowie in gegenseitigen Freundschaftserklärungen ausdrückt. Da der Großteil der vorliegenden Aufzeichnungen und Briefe Brentanos und Arnims nach deren Reise entstand, das gemeinsame Unternehmen also nur als reflektierte Wiedergabe erfolgt, können nur vereinzelt Rückschlüsse auf die tatsächlichen Erlebnisse gezogen werden. Alles Erinnerte, Orte, Menschen sowie Erlebnisse werden aus der Retrospektive der Schreiber zu einem idyllischen, melancholischen Reiseerlebnis am Rhein verklärt. 17 Lange, Carsten  : Architekturen der Psyche  : Raumdarstellung in der Literatur der Romantik, Würzburg 2007, S. 221. 18 Härtl, Heinz  : Kleine Arnim-Chronik der Bildungsreise, in  : Walter, Pape (Hg.)  : Neue Zeitung für Einsiedler, Mitteilungen der Internationalen Arnim-Gesellschaft 8/9 (2008/09), Köln 2010, S. 20–33, hier S. 24 f. 19 Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 16. 20 Ebd., S. 263.

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3.2 Helmina von Chézys Schilderungen vom Rhein (1814/15) Wilhelmine Christiane von Klencke, geschiedene von Hastfer, wiederverheiratete von Chézy, genannt Helmina, zählt zu den heute unbekannteren Schriftstellerinnen der deutschen Spätromantik. Ihre Unbekanntheit lässt sich anhand ihrer undifferenzierten und vorwiegend einseitigen und negativen Bewertung sowohl von Mitmenschen als auch der Forschung des späten 20. Jahrhunderts nachvollziehen. So wird sie von dem Literaturwissenschaftler Anders Hermann Krüger der sogenannten »Pseudoromantik« oder auch »Trivialromantik« zugeorndet,21 welche lediglich literarische und musisch-künstlerische Dilettant:innen hervorbrachte.22 In dem dieser Strömung zugehörigen Dresdner Liederkreis fand die Autorin Anfang des 19. Jahrhunderts eine gesellschaftlich übergreifende Kommunikationsplattform, die ein wichtiges Element bürgerlicher Geselligkeit darstellte.23 Bereits zu Lebzeiten wurde ihrer schriftstellerischen Tätigkeit unterschiedliche Aufmerksamkeit und Anerkennung zuteil. Kritische Stimmen bemängelten ihr unzureichendes Erzähltalent und bescheinigten ihre eine schwärmerische bis kitschige Sprache. Die vorwiegend negative Einschätzung wurde durch Details aus ihrem Privatleben unterstützt, das den gängigen patriarchalen Vorstellungen von familiären und geschlechtsspezifischen Zuständigkeiten widersprach. Entgegen den Diffamierungen entpuppt sich das Gesamtwerk Helmina von Chézys aufgrund ihrer vielseitigen Interessen sowie Tätigkeitsbereiche als überaus divers und facettenreich. Womöglich verursachte die unüberschaubare Vielfalt ihrer Schriften nur eine punktuelle, oberflächliche Auswertung ihres literarischen Gesamtwerkes. Sich mit diesem Œuvre kritisch und unter Berücksichtigung neu erschlossener Dokumente und Quellen auseinanderzusetzen, kann aufschlussreich für interdisziplinäre und internationale Forschungsarbeiten sein. In dieser Arbeit dienen ihre kaum bekannten Reiseschilderungen in Form von fingierten Briefen als entsprechendes Pendant zum realen Briefwechsel zwischen Brentano und Arnim sowie den privaten Tagebuchaufzeichnungen der Müllers. Übereinstimmungen hinsichtlich der Mitteilungs- und Publikationsform finden sich in Bezug

21 Krüger, Hermann Anders  : Pseudoromantik  : Friedrich Kind und der Dresdner Liederkreis, ein Beitrag zur Geschichte der Romantik, Leipzig 1904, S. 19. 22 Vgl. Lüdemann, Georg Wilhelm von  : Dresden wie es ist, Zwickau 1830, S. 117 f. 23 Vgl. Hempel, Dirk  : Literarische Vereine in Dresden  : kulturelle Praxis und politische Orientierung des Bürgertums im 19. Jahrhundert, Tübingen 2008, S. 65 f.; andere Studien sehen anhand der Quellenlage weder Chézys aktive Teilnahme noch ihren Besuch beim Liederkreis bestätigt. Siehe dazu  : CarlMaria-von-Weber-Gesamtausgabe, Digitale Edition, URL  : http://weber-gesamtausgabe.de/A090012, Version 4.5.0 vom 27.01. 2022, letzter Zugriff  : 14.04.2022.

Helmina von Chézys Schilderungen vom Rhein (1814/15) | 91

auf die Schilderungen Schopenhauers, die ebenfalls für eine kommerzielle Veröffentlichung vorgesehen waren.24 Im Sommer des Jahres 1814 unternahm die Dichterin, Journalistin und Librettistin Helmina von Chézy eine Reise an den Rhein. Ihre Eindrücke und Erinnerungen hat sie in Briefform sowie in ihrem autobiografischen Werk Unvergessenes festgehalten. Darin schildert sie, dass sich die Reise entlang des Rheins entgegen ihren Erwartungen »einladend und gar nicht kostspielig« gestaltete.25 Ihre Befürchtungen speisten sich wohl aus Erzählungen über mögliche Grenzkonflikte und die links- beziehungsweise rechtsrheinischen Streitigkeiten sowie den möglichen physischen Strapazen. Da Helmina von Chézys Reiseunternehmen stets beruflich motiviert, also mit dem Bestreben einer nachträglichen Publikation verbunden waren, lassen sich ihre schriftlich festgehaltenen Reflexionen nicht unbedingt mit dem tatsächlichen Reiseerlebnis gleichsetzen. Vielmehr erkannte sie in ihrem Schreiben die Möglichkeit, sich neue weibliche Handlungsfelder zu erschließen. Dafür orientierte sie sich an entsprechenden Vorbildern und imitierte nicht selten deren Beiträge. Mit ihrem späteren Roman Emmas Prüfungen von 1817 – der auch eigene Reiseerlebnisse enthält – verband sie das höchst anspruchsvolle Bestreben an sich selbst, »Deutschland zu schildern, wie die unsterbliche Staël Italien geschildert hatte« und damit einen annähernd bedeutsamen literarischen Beitrag zu leisten.26 Chézy bezieht sich hier auf den Roman Corinne ou l’Italie von Anna Louise Germaine von Staël-Holstein aus dem Jahr 1807. Mit jenem Werk hatte Madame de Staël »geradezu einen literarischen Baedeker geschaffen, der mitsamt der Autorin europäische Aufmerksamkeit erregte«27 und der das Italienbild einer ganzen Generation entscheidend prägte. Sie verfasste einige Jahre später ein Buch über Deutschland, welches jedoch aufgrund der politischen Tendenzen umgehend von der Zensur in Frankreich beschlagnahmt und verboten wurde. In De l’Allemagne, erstmals 1814 in der deutschen Übersetzung erschienen, schildert die Autorin das Land aus politischer, kultureller und geografischer Perspektive und prägte somit das Deutschlandbild im Ausland für viele Jahre. Ihre sichtliche Begeisterung für die Literatur und Philosophie der Deutschen sowie deren Befähigung, der Natur nach romantischer

24 Zu Analogien und Brüchen in der weiblichen Reise- und Schreibpraxis werde ich mich in den nachfolgenden Kapiteln äußern. 25 Chézy, Unvergessenes, T. 2, 1858, S. 110. 26 Ebd., S. 173  ; Dazu ausführlich  : Barbe, Jean-Paul  : Madame de Staëls De l’Allemagne als Politikum, in  : Gössmann, Wilhelm/Roth, Klaus-Hinrich (Hg.)  : Poetisierung – Politisierung  : Deutschlandbilder in der Literatur bis 1848, Paderborn (u. a.) 1994, S. 77–91. 27 Schulz, Gerhard  : Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration, 2 Tle., T. 2, 1806–1830 (Geschichte der deutschen Literatur 7), München 1989, S. 100.

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Auffassung »nicht bloß als Dichter, sondern als ein Bruder«28 entgegenzutreten, stieß allerdings in ihrer französischen Heimat auf Ablehnung. Chézys weniger aus politischem Kalkül als aus dichterischem Impuls entstandenes Werk Emmas Prüfungen blieb trotz ihrer Erwartung weit hinter der öffentlichen Anerkennung ihrer Schriftstellerkollegin zurück, obgleich Tieck es als ihr eindrucksvollstes Werk bezeichnete.29 Wenngleich Chézy kein ebenbürtiges Pendant zu De l’Allemagne schuf, so bieten ihre Schilderungen vom Rhein ein eindrucksvolles Abbild der Befindlichkeiten einer sich im Werden befindenden Nation. Der Rhein war Symbol einer konstanten, fast schon traditionellen Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland  ; seine nationale Zugehörigkeit wurde zum politischen Auftrag erhoben. 1814 befindet sich Deutschland nach wie vor im Konflikt mit Frankreich. Die okkupierten Gebiete sollen nach dem Willen Preußens von der Fremdherrschaft befreit werden. Von diesen Eindrücken gefärbt zeigt sich auch Helmina von Chézys Bericht vom Rhein. Chézy pflegte während ihrer Lebensstationen schriftlichen Kontakt zu verschiedenen Personen. Zwar teilte sie ihre Erinnerungen mit, da sie jedoch entweder allein oder mit wechselnden Begleitpersonen reiste, konnte oder wollte sich in ihren Briefen kein gemeinsames Andenken manifestieren. Ihre Briefe richten sich an eine fingierte Adressatin, welcher sie von den Erlebnissen und Entwicklungen am Rhein berichtet. Chézys Reise erstreckte sich über Baden-Baden, Heidelberg und Wiesbaden bis nach Köln und Belgien. Sie reiste mutmaßlich nicht nach einem festgelegten Fahrplan, sondern wählte alternative Routen und machte Ausflüge in die nahe Umgebung, reiste bisweilen auf dem Neckar, und entlang der Maas bis an den wallonischen Kurort Spa. Ihre mehrmonatige Reise fand also nicht kontinuierlich auf oder am Rhein statt, trotzdem betitelte sie ihre publizierten Reiseschilderungen entsprechend. Der Ausschnitt vom Rhein, die räumliche Ausdehnung und Mobilität, ist in ihrer Beschreibung also erheblich weiter gefasst als der Titel vermuten lässt. Sie gibt Auskunft über ihre Bekanntschaften und freundschaftlichen Begegnungen, gemeinsame Besichtigungen von regionalen Sehenswürdigkeiten, Museen, Kunstsamm­ lungen und der umliegenden Landschaft. Ihre Briefe erhalten dadurch einen erzählenden Charakter, sie wirken wie ein umfassender Reisebericht, in den sie die Momentaufnahmen ihrer jeweiligen Etappen integriert. Obwohl ihre Beschreibungen keine schriftliche Reaktion seitens der fiktiven Adressatin benötigen, verleiht die Briefform

28 Staël-Holstein, Anne Louise Germaine de  : Deutschland, Aus dem Französischen übersetzt, 3 Bde., Bd. 1, Berlin 1814, S. 95. 29 Vgl. Chézy, Unvergessenes, 1858, S. 173. Chézys Bemühen, dem Werk der Madame de Staël nachzueifern, schlug aufgrund der fehlenden öffentlichen Resonanz für ihre eigene literarische Leistung fehl.

Helmina von Chézys Schilderungen vom Rhein (1814/15) | 93

dem Bericht durch Ansprache und Vertraulichkeit Glaubwürdigkeit und schafft eine freundschaftliche Atmosphäre. Chézy reiste in Begleitung ihrer beiden Söhne sowie einer Gesellschafterin bzw. Kinderfrau, die sie in ihren Aufzeichnungen lediglich als »kleine alte treue Babet« bezeichnete.30 Die Berichte sind jedoch stets aus ihrer eigenen Perspektive geschildert und enthalten kaum Bezüge zu den Mitreisenden. Ihre Aufzeichnungen vermitteln überdies den Eindruck, dass sie nicht ausschließlich retrospektiv, sondern teilweise unmittelbar während ihrer Reise berichtete. Als Vorlagen für ihre publizierten Schilderungen dienten vermutlich reale Briefe, die sie ihrem Bekanntenkreis zukommen ließ  :31 Wahrscheinlich erreichten einige davon ihre langjährige Freundin Dorothea Schlegel,32 die selbst nur wenig reiste und in den Schilderungen anderer ein Ventil für ihre eigenen Sehnsüchte fand.33 Durch ihre Rolle als auktoriale Erzählerin fehlen Bezüge zum gemeinsamen Unterwegssein oder zu verknüpften Reiseerlebnissen – die unmittelbaren Rezipienten ihrer Schriften bleiben passiv und unbeteiligt, sie fungieren nur als Lesende ihres Berichts, nicht als aktive Akteur:innen. Weder auf gemeinsame Erinnerungspunkte noch auf Vorwissen beziehungsweise Vorerlebnisse wird Bezug genommen. Die Berichterstattung bleibt einseitig  ; damit verbunden können keine gemeinsamen Erlebnisse erinnert und nachempfunden werden. Chézy Berichte umkreisen häufig private Bekanntschaften, deren familiäre Situation und persönlichen Schicksale. Selten reißt sie wissenschaftliche, fachspezifische oder philosophische Fragestellungen an. Ihre Schilderungen blieben zunächst unreflektiert und nicht wertend, weder hinterfragte sie regionale Entwicklungen noch begründete sie eine Diskussionsplattform. Die deutsche Literaturwissenschaftlerin Barbara Becker-Cantarino hat dem Briefverkehr zwischen Frauen in der Romantik das kategorische Fehlen einer für die männlichen 30 Schilderungen vom Rhein aus Briefen von Helmina, in  : Journal des Luxus und der Moden 29 (1814), Ausgabe August, S. 131–147, hier S. 132. 31 Eine Brieffreundschaft bestand auch zu der Schriftstellerin Therese Huber. Eine ausführliche Untersuchung bietet folgendes Werk  : Kewitz, Jessica (Hg.)  : »Kommen Sie, wir wollen ’mal Hausmutterles spielen«  : der Briefwechsel zwischen den Schriftstellerinnen Therese Huber (1764–1829) und Helmina von Chézy (1783–1856), Marburg 2004. 32 Helmina von Chézy benennt im ersten Brief ihre Adressatin mit Clementine, wobei sie den Namen sichtbar hervorhebt, was auf ein Pseudonym beziehungsweise eine Koseform schließen lässt. In Dorothea Schlegels Roman Florentin trägt eine Romanfigur diesen Namen, vermutlich bezieht sich Chézy mit ihrer Anrede darauf. Zu ihrer Freundschaft ausführlich  : Hundt, Irina  : Geselligkeit im Kreise von Dorothea und Friedrich Schlegel in Paris in den Jahren 1802–1804, in  : Schultz, Hartwig (Hg.)  : Salons der Romantik  : Beiträge eines Wiepersdorfer Kolloquiums zu Theorie und Geschichte des Salons, Berlin, New York 1997, S. 83–133. 33 Vgl. Becker-Cantarino, Schriftstellerinnen der Romantik, 2000, S. 164.

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Verfasser typischen »breite[n] Selbstdarstellung der eigenen schriftstellerischen Karriere« unterstellt.34 Diese Hypothese stimmt mit dem Lebensstil jener Frauen überein, die das Schreiben lediglich als willkommene Abwechslung vom Alltagsleben und mit keinerlei literarisch-professionellen Ambitionen verbanden. Helmina von Chézy war allerdings aufgrund ihrer instabilen wirtschaftlichen Situation auf eine finanzielle Absicherung mithilfe ihrer Tätigkeit als Autorin und Publizistin angewiesen. Zudem zielten ihre Briefe und Schilderungen auf eine nachfolgende Veröffentlichung sowie die breite Resonanz beim Publikum – dieser Eindruck verfestigt sich bei der kritischen Auswertung ihrer Briefe. Diese erschienen zumeist in den damals tonangebenden Journalen und Zeitschriften für die gehobene Bürgerschicht. Im Journal des Luxus und der Moden wurde ein Großteil ihrer Briefe veröffentlicht, die der vorliegenden Arbeit als Referenzmedium dienen. Chézys Reiseschriften sind Ausdrucksmittel ihrer professionellen Autorenschaft und Belege für weibliche Dichtkunst, durch welche ihre fachliche Qualifikation öffentliche Beachtung und auch Anerkennung in zeitgenössischen Dichterkreisen fand.35 Darüber hinaus erschlossen solche Berichte den Frauen neue Betätigungs- und Handlungsräume, da sich mit dem nachträglichen Schreiben das vorangehende Reisen verband. Das von der Romantik propagierte Unterwegssein in der Natur erfasste bald auch jene Frauen, die aus ihrem häuslichen Lebensumfeld und den geschlechtsspezifischen Rollenmustern ausbrachen. Vor allem Vertreterinnen des Bildungsbürgertums gehörten nun zu den Reisenden, einen nicht unwesentlichen Anteil stellten dabei die Schriftstellerinnen. Viele Frauen nutzten das Reisen verbunden mit dem Schreiben als Ausdrucksform ihres neuen ungebundenen Lebensstils, wie etwa Ida Hahn-Hahn, die das Umherziehen von Ort zu Ort zum Lebensmotto proklamierte.36 Chézys Reiseabsichten erklären sich nicht aus einem für weibliche Reisende abgewandelten Modell der Grand Tour oder aus Prestigegründen  ; das Reisen diente primär dazu, ihre Existenz als Schriftstellerin und alleinerziehende Mutter zu sichern.37 Neben den brieflichen Rheinschilderungen existieren zwei von ihr verfasste Reisehandbücher aus den Jahren 1816 (Gemälde von Heidelberg) und 1833 (Norika), die sie in finanziellen

34 Ebd., S. 169. 35 Vgl. Hundt, Irina  : »Wäre ich besonnen, wäre ich nicht Helmina«  : Helmina von Chézy (1783–1856)  ; Porträt einer Dichterin und Publizistin. in  : Brandes, Helga/Kopp, Detlev  : Autorinnen des Vormärz (FVF, Forum Vormärz Forschung 1996), Bielefeld 1997, S. 43–79, hier S. 43. 36 Vgl. Ujma, Christina  : Wege in die Moderne  : Reiseliteratur von Schriftstellerinnen und Schriftstellern des Vormärz, in  : Dies. (Hg.)  : Wege in die Moderne  : Reiseliteratur von Schriftstellerinnen und Schriftstellern des Vormärz (FVF, Forum Vormärz Forschung 2008), Bielefeld 2009, S. 13–29, hier S. 21. 37 Vgl. Hundt, »Wäre ich besonnen, wäre ich nicht Helmina«, 1997, S. 50.

Helmina von Chézys Schilderungen vom Rhein (1814/15) | 95

Notlagen als Auftragsarbeiten verfasste.38 Ihren Reisen lagen demnach zumeist existenzielle Motive zugrunde. Ihre Reiseschilderungen dienten nicht der persönlichen Zerstreuung, sondern zielten auf eine künftige Publikation. Helmina von Chézy erhob Anspruch auf eine in ihrer Zeit für Frauen ungewöhnliche Mobilitätsfreiheit, welche durch häufige Wohnortwechsel und zahlreiche eigenständige Exkursionen und Ausflüge geprägt war. Laut dem Literaturhistoriker Adolf Stern führte sie »eine Art poetischen Wanderlebens«,39 das sich seit ihrer Rückkehr aus Frankreich bis zu ihrem Lebensende fortsetzte. Ihr nomadisch anmutendes Umherziehen sowie ihr eheloses und dabei wirtschaftlich unstetes, dabei unabhängiges Dasein zeitigte nicht in allen gesellschaftlichen Kreisen Sympathie und Anerkennung. Die unkonventionelle und unstete Lebensführung Chézys bot ihren Kritikern:innen willkommene, wenn auch meist triviale Angriffspunkte. Das Nichtgelingen eines häuslichen Familienidylls, ihr in Liebesdingen unterstelltes »leichtes Wesen«40 sowie das Scheitern ihrer Ehen wurde mit den bereits ungeordneten Verhältnissen der Mutter Karoline Louise von Klencke und Großmutter Anna Louise Karsch begründet.41 Adalbert von Chamisso beschrieb ihr Dasein als »eine lange Kette von Mißgeschicken«,42 das nach der Scheidung von ihrem zweiten Ehemann in der alleinigen Haushaltsführung und Kindererziehung seine Fortsetzung fand. Helmina setzte die beinahe schon familientypische Tradition des Matriarchats fort, indem sie ohne die obligatorische Unterstützung eines Ehemannes ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder besorgte.43 Die Tatsache, dass Helmina von Chézy sich nicht den konventionellen Geschlechterrollen fügte und männlich dominierte Verhaltensweisen und 38 Vgl. Baumgartner, Reisehandbuch, 2009, S. 58. 39 Stern, Adolf (Hg.)  : Fünfzig Jahre deutscher Dichtung  : 1820–1870  ; mit biographisch-kritischen Einleitungen, Leipzig 1871, S. 231. 40 Zitat von Dorothea Schlegel nach Baumgartner, Karin  : Wanderer between the Worlds, 2007, S. 210. 41 Auch die zweite Ehe mit Antoine-Léonard de Chézy verlief nicht glücklich  ; 1810 verließ sie gemeinsam mit ihren Söhnen Paris und kehrte nach Deutschland zurück. 42 Brief von Chamisso an Rosa Maria, vom 24. Juni 1810. In  : [Chamisso, Adelbert von]  : Adelbert von Chamisso’s Werke, Bd. 5  : Leben und Briefe, hg. v. Julius Eduard Hitzig, Leipzig 1842, S. 289. 43 Helmina von Chézy wuchs in einem von Kunst und Literatur dominierten Lebensumfeld auf, Mutter und Großmutter waren bereits als Schriftstellerinnen mehr oder weniger erfolgreich tätig gewesen und prägten sowohl Selbst- als auch Familienbild. Im Gegensatz zur berühmten ›Karschin‹ erreichten Mutter und Enkelin nie denselben literarischen Stellenwert, woran auch die über die drei Generationen hinweg einseitige Huldigung der Matriarchin einen erheblichen Anteil trägt. Ihre Tochter Caroline von Klencke und Enkeltochter Helmina von Chézy schrieben ihre Biografie erfolgreich fort, indem sie sie zum tonangebenden Teil ihrer eigenen Lebensgeschichten erhoben. Siehe dazu  : Heuser, Magdalene  : Stationen einer Karsch-Nachfolge in der Literatur von Frauen des 18. Jahrhunderts  : Caroline von Klencke, Helmina von Chézy und Therese Huber, in  : Bennholdt-Thomsen, Anke/Runge, Anita (Hg.)  : Anna Louisa Karsch (1722–1791)  : von schlesischer Kunst und Berliner »Natur«  ; Ergebnisse

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Denkmuster für sich in Anspruch nahm, wirkte auf ihr näheres Umfeld befremdlich und unangenehm, sodass selbst langjährige Weggefährt:innen ihr distanziert begegneten.44 Seit 1801 lebte Helmina als freischaffende Journalistin in Paris, nach der Trennung von ihrem zweiten Ehemann, dem Orientalisten Antoine-Leonard de Chézy, zog sie 1810 mit ihren Kindern nach Heidelberg. Hier unternahm sie zahlreiche Ausflüge in die nähere Umgebung, worüber sie auch schrieb. Die landschaftlich reizvolle Lage sowie die historische Bedeutsamkeit beeinflussten ihre Vorliebe für den mittleren Rheinabschnitt zwischen Bingen und Koblenz. Sie verbindet in ihren Aufzeichnungen die Sehenswürdigkeiten mit den landschaftlichen Besonderheiten der Gegend und kombiniert die Sagenwelt mit den historischen Denkmalen vor Ort, verknüpft Mittelalter mit der jüngsten Geschichte. Den Briefen kann entnommen werden, dass sie häufig die Fährverbindungen auf dem Rhein nutzte und von den Schiffsanlegern die Orte und Sehenswürdigkeiten zu Fuß aufsuchte. Das Reisen auf dem Fluss gestaltete sich schneller und in Begleitung ihrer Kinder auch praktischer als der häufig mühsame, zeitraubende Landweg. Auf ihrer Route über Köln bis an den Niederrhein war die Nutzung des Schiffes ohnehin ein probates Mittel. In ihren Briefen und den später veröffentlichten Reiseschilderungen berichtet sie zum Teil auch aus der Perspektive einer Spaziergängerin oder Wanderin, welche die Schönheit der Natur erst in unmittelbarer Nähe und als teilnehmende Beobachterin erkennt.45 Obwohl sie überwiegend im kleinen Familienkreis reiste, traf Helmina von Chézy unterwegs auf Freund:innen und Bekannte, mit denen sie teilweise auch gemeinsam die regionalen Sehenswürdigkeiten aufsuchte. Ihre Reisegesellschaft gestaltete sich nicht konform  ; so reiste sie bisweilen allein, wiederum vereinbarte sie gemeinsame Treffen mit befreundeten Personen vor Ort oder reiste erneut nur in Begleitung ihrer Söhne. Ihr Reiseverhalten ist geprägt von einer durchaus offenen Einstellung zu den damals verfügbaren Transportmitteln sowie einer flexiblen Mobilität, die das sukzessive Durchsetzen eines professionellen Reiseverkehrs am Rhein aufzeigt. Ihr Reiseplan brach kontinuierlich mit den bisherigen traditionellen Verhaltensmustern reisender Frauen und eröffnete, auch durch die technischen Innovationen, neue Möglichkeiten weiblicher Mobilität. Die wissenschaftliche Erforschung und Auswertung von literarischen Zeugnissen reisender Frauen wird erst seit einigen Jahrzehnten betrieben.46 Die Bedeutung der Zeugnisse mit weiblicher Autorschaft für die Literatur-, Geschlechter- und Kulturgeschichte des Symposiums zum 200. Todestag der Dichterin, Göttingen 1992, S. 149–161, hier bes. S. 151–156., vgl. Baumgartner, literary mothers, 2011, S. 52. 44 Dazu ausführlich  : Baumgartner, Wanderer between the Worlds, 2007, S. 209 f. 45 Vgl. Baumgartner, Reisehandbuch, 2009, S. 61. 46 Vgl. Ujma, Wege in die Moderne, 2009, S. 19.

Johanna Schopenhauers Ausflucht an den Rhein (1818) | 97

festzustellen, nimmt einen wesentlichen Aspekt der bisherigen Untersuchungen ein und wird auch in der vorliegenden Arbeit ermittelt. Dabei sollen mögliche Handlungsweisen weiblicher Mobilität aufgezeigt werden. Dass Helmina von Chézy während ihres Parisaufenthaltes die Praktiken urbaner Mobilität übernahm und professionalisierte, ist bereits in dem profund recherchierten Beitrag von Karin Baumgartner nachzulesen  : So nutzte Chézy die Möglichkeiten des Flanierens und des Fahrens in der Kutsche und besuchte weiblich dominierte Räume (Modegeschäfte, Parks, Märkte) für die Beschreibungen der Stadt in ihren Miscellen.47 Baumgartner beschäftigt sich erstmals ausführlich mit Helmina von Chézys Leistung als Korrespondentin aus Paris und ihrer nachhaltigen Beeinflussung durch weibliche französische Vorbilder. In der Regel wurde Helmina von Chézy in der Vergangenheit »darauf reduziert, Freundin beziehungsweise Briefpartnerin anderer, großer, in der Regel männlicher Repräsentanten der Literatur, Kunst und Politik gewesen zu sein«.48 In der vorliegenden Arbeit sollen weniger ihre Kontakte als ihre Person selbst und damit ihre Reiseschilderungen vom Rhein in den Fokus gerückt werden. Damit erhält auch ein bisher nicht erforschtes Textkorpus Helmina von Chézys eine wissenschaftliche Aufarbeitung. 3.3 Johanna Schopenhauers Ausflucht an den Rhein (1818) und ihr Ausflug an den Niederrhein (1830/31) »Schon unzählige Male, in Versen wie in Prosa, ist bis zum Überdruß der Menschen Leben einer Reise verglichen worden«,49 so banal und doch zutreffend beginnt der literarische Nachlass einer in ihrer Zeit wohl bekanntesten deutschsprachigen Schriftstellerin, einer Vielgereisten und Vielgebildeten, der Grande Dame und Salonière der Weimarer Klassik  : Johanna Schopenhauer. In ihren posthum erschienenen Memoiren lässt sie, obwohl bereits »etwas reisemüde«, ihr Leben noch einmal Revue passieren, indem sie bildhaft »auf den zurückgelegten langen Weg, auf die lieblichen Thäler« aber auch auf »die steilen dornigen Felsenpfade« blickt und über die wichtigsten Stationen ihrer bisherigen Lebensreise reflektiert.50 Dass diese Lebensfahrt durchaus von Höhen und Tiefen geprägt war, zeigen die diversen Schicksalsschläge  : von den (Erbschafts-)Streitigkeiten mit dem Sohn über die finanziellen und gar existenziellen Probleme nach dem frühen Tod ihres Gatten, 47 48 49 50

Vgl. Baumgartner, Constructing Paris, 2008, S. 357. Hundt, »Wäre ich besonnen, wäre ich nicht Helmina«, 1997, S. 44. Schopenhauer, Jugendleben und Wanderbilder, 1839, S. 1. Ebd., S. 1.

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der ihr wiederum ein unabhängiges Leben als (reisende) Schriftstellerin ermöglichte. Johanna Schopenhauer liefert uns eine nicht ganz untypische Biografie in Zeiten von gesellschaftlichen wie auch politischen Umbrüchen, die doch noch untypisch war, da unkonventionell für eine Frau ihres gesellschaftlichen Standes.51 Als Kind eines wohlhabenden Kaufmannes im Jahr 1766 in Danzig geboren, gestalten sich Unterricht und Erziehung ebenso standesgemäß wie die Verbindung mit dem Kaufmann Heinrich Floris Schopenhauer (1785), welche als arrangierte Ehe weniger einer Liebesheirat, dafür aber den üblichen gesellschaftlichen Vorstellungen einer Lebensgemeinschaft entspricht. Die geschäftlichen Ambitionen des Gatten und politischen Entwicklungen in Europa sorgen dafür, dass die junge Familie viel im Ausland unterwegs ist und sich zeitweise in Frankreich, Deutschland und England niederlässt. Die Kinder Arthur (*1788) und Adele (*1797) profitieren von dem kosmopolitischen und bildungsorientierten Lebensstil der Familie, die schließlich in Hamburg wohnhaft wird. Nach dem plötzlichen Tod von Heinrich Floris Schopenhauer (1805) zieht es Johanna nach Weimar, wo sie bald zu einer beliebten Gesellschafterin und Gastgeberin wird und sich auch die Anerkennung und Gunst am herzoglichen Hof sichert. Zu ihrem Bekanntenkreis gehören Bettina Brentano (verheiratete Arnim), Friedrich und August Wilhelm Schlegel, Wilhelm und Jacob Grimm, Tieck, Goethe, die Verleger Bertuch und Cotta. All diese Kontakte sichern ihr trotz ihrer fehlenden Nobilitierung die notwendige gesellschaftliche Partizipation und Akzeptanz.52 Ihre Vorliebe für Kunst und die Literatur, die sich auch in eigenen Entwürfen ausdrückt, wird durch den intensiven Umgang und ernsthaften Austausch mit diesen Persönlichkeiten bestärkt. Julia Frindte hat in ihrer Dissertation (2005) festgestellt, dass Johanna Schopenhauer ihre Beziehungen im Raum Weimar–Jena tendenziell nutzenorientiert knüpfte und diese nach ihren eigenen Interessen unterschiedlich intensiv pflegte.53 Diese zweifellos sehr eigennützige, dabei erfolgreiche und durchaus übliche Taktik der Kontaktaufnahme und -pflege – die ob ihrer Berechenbarkeit und Sprunghaftigkeit durchaus als unmoralisch kritisiert werden darf – machte sie innerhalb weniger Jahre zu einem zentralen Anlaufpunkt in Weimar und zur Initiatorin des bekannten ›Theetischs‹  : einer geselligen Zusammenkunft von Intellektuellen, Kunstschaffenden und Forschenden, die nach dem namensgebenden Zeremoniell aktuelle Themen und Entwicklungen 51 Julia di Bartolo (geb. Frindte) präsentiert in ihrer Arbeit »Selbstbestimmtes Leben um 1800  : Sophie Mereau, Johanna Schopenhauer und Henriette von Egloffstein in Weimar und Jena« die vielfältigen Handlungsspielräume von Frauen um 1800, die sich durch ihre Teilhabe an intellektuellen Kreisen und schriftstellerische Leistungen vom klassischen Rollenbild emanzipierten. 52 Vgl. Frindte, Julia  : Handlungsspielräume von Frauen in Weimar-Jena um 1800  : Sophie Mereau, Johanna Schopenhauer, Henriette von Egloffstein, Jena 2005, S. 201 f. 53 Vgl. ebd. S. 208, S. 240.

Johanna Schopenhauers Ausflucht an den Rhein (1818) | 99

erörterten, Bücher vorlasen, musikalische Kompositionen und Kunstwerke beurteilten.54 Dank Schopenhauers umfassender Allgemeinbildung, ihrer Weltgewandtheit und Aufgeschlossenheit wurde sie als ebenbürtige Gesprächspartnerin und zuvorkommende Gastgeberin bei Männern und Frauen gleichermaßen geschätzt. Neben rationaler Taktik und Erfolgsorientierung überzeugte sie auch mit ihrer Charakterstärke und ihren vielfältigen Interessen für Kunst, Literatur, Naturwissenschaften und Politik. Durch die Zusammenführung diverser öffentlicher Personen in ihren Privaträumen schuf sie ein geeignetes Umfeld für den gesellschaftsübergreifenden Dialog in der kleinstädtischen Provinz, so empfing sie als eine der Ersten Goethes Frau Christiane.55 Dass sie sich in diesem Umfeld nicht mehr nur über die neuesten Ereignisse im Bekanntenkreis, politische und wirtschaftliche Themen, Kunst und Kultur, Oper und Literatur mit anderen austauschte, sondern selbst tätig wurde, scheint bei diesem intellektuellen Umfeld nur selbstverständlich und konsequent. Zudem musste sie sich wegen der anhaltenden Finanzierungsprobleme neue Einnahmequellen sichern  ; dabei bildete eine schriftstellerische Tätigkeit für die umfassend gebildete und sprachgewandte Frau eine gute Kompensationslösung, wenn sie ökonomisch unabhängig und privat ungebunden bleiben wollte. Ihre finanziell durchweg instabile Situation wurde durch zusätzliche Probleme intensiviert  : Nach dem Konkurs des Danziger Bankhauses im Jahr 1819 verloren sie und Adele fast ihr gesamtes Vermögen – während der Sohn seinen Anteil retten konnte. Die Auseinandersetzungen und Differenzen zwischen den beiden verschärften sich infolge der Erbschafts- und Kapitalangelegenheiten.56 Arthur Schopenhauers Missgunst galt nicht nur gegenüber diversen Bekannt- und Freundschaften der Mutter, sondern vor allem dem Umgang der Mutter mit Geld, den er durch ihren allzu kostspieligen und verschwenderischen Lebensstil nachhaltig geschädigt sah. Johanna umgab sich nicht nur gern mit Persönlichkeiten aus den höheren Gesellschaftskreisen, sondern sie eiferte auch deren exklusiven Lebensstil nach. Die Historikerin Helga Schultz hat festgestellt, 54 Zu den Anfängen dieser Teetisch-Versammlungen siehe  : Kratzsch, Konrad  : Klatschnest Weimar  : Ernstes und Heiteres, Menschlich-Allzumenschliches aus dem Alltag der Klassiker, Würzburg 2002, S. 163 f. 55 Vgl. Rattner, Josef/Danzer, Gerhard  : Selbstverwirklichung  : seelische Hygiene und Sinnsuche im Dasein, Würzburg 2006, S. 196. 56 Der Briefwechsel zwischen Johanna und ihren Kindern Adele und Arthur Schopenhauer ist in den Jahrbüchern der Schopenhauer-Gesellschaft dokumentiert. Arthur Hübscher hat in den Ausgaben von 1971 bis 1979 bisher unveröffentlichte Briefe zwischen Johanna und Arthur und Adele beziehungsweise Adele und Arthur in kommentierter Form herausgegeben und anhand dessen das diffizile Familienverhältnis und Johannas stete Geldsorgen herausgestellt. Hübscher, Arthur  : Unbekannte Briefe von Johanna Schopenhauer an ihren Sohn ( Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft 1973), S. 108–149, URL  : 1971_Hübscher.pdf (uni-mainz.de), letzter Zugriff  : 24.07.2022.

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dass schon ein freies, ungebundenes Leben, mit Reisen, Büchern, Freunden und ohne drückende Amtspflichten […] durch Honorare allein schwer zu finanzieren [war]. Die Schriftsteller machten also selbstbewußt Schulden, und sie sahen insbesondere die Vorschüsse, die sie von den Verlegern erhielten, als einen Teil ihrer gerechten Honorierung an.57

Johanna Schopenhauer bestand nicht nur auf Anleihen, sondern auch auf höhere Honorare für ihre Funktion als Autorin und Rezensentin. Trotz ihrer vergleichsweise guten Entlohnung und Anerkennung beim Publikum blieb ihre wirtschaftliche Situation bis ins hohe Alter fragil. Der Erlös ihrer verkauften Bücher reichte oft nur aus, um die immensen Schulden abzugleichen – das bekräftigt, dass Autorinnen wie sie »weniger ein Einnahmenproblem als ein Ausgabenproblem« hatten.58 Der Kontakt zu Schlüsselfiguren der lokalen Verlagswelt, zu Bertuch und Brockhaus, war demzufolge umso wichtiger, als Johanna Schopenhauer anfangs Unterstützung für ihre weitgehende schriftstellerische Selbstständigkeit benötigte und natürlich langfristige Verträge mit Verlagen suchte. Diese halfen nicht nur bei der Vermittlung und Versorgung mit neuer Literatur, sondern auch bei der Herausgabe ihrer eigenen Texte – sie waren, wirtschaftlich betrachtet, stets an der Etablierung neuer erfolgversprechender Autoren:innen interessiert. 1810 erschien bei Cotta ihre erste literarische Arbeit  : eine Gedenkschrift über Carl Ludwig Fernows Leben. »War der Anlaß hierzu noch der Freundschaftsdienst gegenüber Fernows unmündigen, mit Schulden belasteten Kindern gewesen – als Gegenleistung verzichtete der Verleger Cotta auf seine Ansprüche –, so kam die Anregung zu dem zweiten Buch aus dem Weimarer Salon.«59 Hier verdichtete sich die Überzeugung, dass Johanna aufgrund ihrer umfangreichen Bildung und Reiseerfahrung sowie ihrer Rolle als Gastgeberin intellektueller Zirkel durchaus zu anspruchsvollen literarischen Leistungen imstande war. Wesentlich professioneller, selbstsicherer und dauerhaft einträglicher gestalteten sich dann ihre ersten Romane (Gabriele, Johann van Eyck, Sidonia) und die Verschriftlichungen ihrer Reisen nach England und Schottland beziehungsweise nach Paris und Südfrankreich, die sie ab 1813 als Reiseerinnerungen herausgab.60 In den zeitgenössischen Rezensionsorganen wurde der »Zauber der höchsten Einfachheit« gelobt,61 mit dem 57 Schultz, Helga  : Der Verleger Friedrich Justin Bertuch als Kaufmann und Literaturpolitiker, S. 5, URL  : https://helgaschultz.de/download/Friedrich_Justin_Bertuch.pdf, letzter Zugriff  : 28.05.2018. 58 Ebd., S. 5. 59 Fimpeler, Annette/Heppe, Karl Bernd  : Nachwort, in  : Schopenhauer  : Ausflug an den Niederrhein, Essen 1987 [Reprint], S. 313–330, hier S. 320. 60 Schopenhauer, Johanna  : Erinnerungen von einer Reise in den Jahren 1803, 1804 und 1805, 3 Bde., Rudolstadt 1813–1817. 61 JLM, 1814/Februar, S. 114–117, hier S. 115.

Johanna Schopenhauers Ausflucht an den Rhein (1818) | 101

die Autorin ihre Eindrücke über Land und Leute festhielt, ebenso die »Lebendigkeit der Darstellung« sowie die »Reinheit, Rundung und Lehrhaftigkeit ihres Stils«.62 Mit dieser überaus wohlwollenden Kritik wurde einer weiblichen Reiseberichterstattung auf ungewohnte Weise »neben dem delectare auch das docere zugestanden«.63 Schopenhauer bewies neben sachlicher Genauigkeit auch sprachlich-ästhetische Kompetenz und zeigte, dass Reiseberichte aus weiblicher Autorschaft nicht ausschließlich der leichten Unterhaltung dienten, sondern eloquent und gleichzeitig kurzweilig geschrieben sein konnten. Johanna Schopenhauer war sich des Erfolgs ihrer Schriften durchaus bewusst. Die Reaktionen ihres näheren Umfeldes, besonders aber der relativ hohe Absatz der Publikationen sowie ihre Forderungen nach höheren Honoraren bestätigen ihre Selbstund Fremdeinschätzung als professionelle Autorin.64 Die publizierten Reiseschilderungen vom Rhein aus den Jahren 1818 und 1831 sind kommerzielle Werke und möglicherweise als Auftragsarbeiten entstanden.65 Beide erschienen wie Johannas frühere Reiseerinnerungen mit Zeitverzug von zwei beziehungsweise drei Jahren nach dem eigentlichen Reiseerlebnis – es sind also keine unmittelbaren Momentaufnahmen, sondern sie sind aus der Erinnerung geschrieben, teilweise wohl mit Tagebuchaufzeichnungen als Gedankenstütze. Die erste Rheinreise erfolgte laut Untertitel im Sommer des ersten friedlichen Jahres 1816, also einem Jahr nach dem Ende der Befreiungskriege. Die Erinnerungen sind in Form von diarischen Einträgen mit lokaler Ortsangabe festgehalten, anhand derer der Verlauf ihrer Reise nachvollziehbar wird. Johanna schreibt, dass sie in Begleitung ihrer Tochter Adele am 6. Juli von Weimar aufbrach, über Frankfurt nach Wiesbaden und anschließend nach Darmstadt, Mannheim, Mainz, Bingen, St. Goar und Heidelberg reiste. Ihre Aufenthalte in Schlangenbad und Langenschwalbach (heute Bad Schwalbach) bezeugen, dass sie auch die Annehmlichkeiten der Kurorte nutzte, unterwegs bestehende Kontakte in Mannheim und Wiesbaden pflegte und Freunde:innen traf – sie kombinierte ihre berufsgebundenen und privaten Anliegen miteinander. Die erste Rheinreise, die Johanna Schopenhauer unter dem Titel Ausflucht an den Rhein im Jahr 1818 herausbrachte, ist bisher nicht in edierter Form erschienen und wartet auf eine umfassende Aufarbeitung. Der zweite, längere und ebenfalls literarisch verwertete Rheinaufenthalt erfolgte 1828, kurz bevor sie und Adele dauerhaft nach Unkel bei Bonn übersiedelten. Die Publikation dieser zweiten Rheinreise, ihr 62 63 64 65

beide in ALZ, Jg. 1814, Bd. 1, No. 55, Sp. 433–438, hier Sp. 434, 438. Scheitler, Gattung und Geschlecht, 1999, S. 229. Vgl. ebd. S. 93. Das Überangebot fremdsprachiger Reiseschilderungen und deren Übersetzungen zeigt, dass die Produktion »eigener« Reiseberichte zwingend erforderlich war, um konkurrenzfähig zu bleiben. Vgl. dazu ebd. S. 95.

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Ausflug an den Niederrhein und nach Belgien, liegt in kommentierter Form aus dem Jahr 1987 vor.66 Dass die Tochter ihre über sechzigjährige Mutter nicht begleitete, sondern bereits vor Ort auf sie wartete, wird im gedruckten Reisebericht mit keinem Wort erwähnt  ; lediglich die private Korrespondenz gibt Auskunft über die tatsächlichem Reiseumstände. In einem Brief an Karl von Holtei kündigte Johanna ihren baldigen Abschied an  : Zwischen dem 18. und 20. dieses [Monats  ?] geht es mit mir fort, zu meiner Adele und meinem lieben, lieben Rheine. In Frankfurt werden Geschäfte mich einige Tage aufhalten  ; dann fasse ich mir ein Herz, […], sitze auf dem Dampfboote und bin innerhalb zehn Stunden in Godesberg bei meinem Kinde.67

Hier erfahren wir, dass sich Adele bereits am Rhein aufhielt, genauer gesagt in Gesellschaft von Sybille Mertens-Schaaffhausen, ihrer Freundin und späteren Lebensgefährtin – deren Zureden es wohl auch zu verdanken war, dass Johanna für sich und ihre Tochter bald darauf eine neue dauerhafte Bleibe am Rhein suchte. Außerdem unterhielt die Rheingräfin einen ähnlich bekannten Literatursalon wie Johanna Schopenhauer in Weimar – es existierten also auch Gemeinsamkeiten hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Rolle als Vermittlerinnen von Wissen, Kunst und Kultur. Johanna schrieb weiter über ihr Reisevorhaben an Holtei  : In Godesberg bleibe ich bis Ende Juni und freue mich der himmlischen Gegend, […] dann gehe ich nach Aachen und in die Niederlande. Juli komme ich nach Köln, […]. Ende August oder Anfang September bin ich wieder hinter meinem grünen Theetisch, den Sie hoffentlich noch nicht vergessen haben.68

In ihrem nächsten Brief vom September berichtete sie dem Freund schließlich in aller Kürze – quasi als Abbild ihrer eigenen eng getakteten Reise und der gesteigerten Mobilität im Allgemeinen – von ihrem Aufenthalt am Rhein  :

66 Lediglich der 1. Band dieser Reiseschilderung wurde in kommentierter Form veröffentlicht  ; für den 2. Teilband zum Niederrhein und der Maas fehlt bislang eine kommentierte Ausgabe. 2021 wurden beide Bände nach neuer Rechtschreibung und mit einer Biografie der Autorin aufgelegt. NeuhausRichter, Klara (Hg.)  : Johanna Schopenhauer  : Ausflug an den Niederrhein und nach Belgien im Jahr 1828, beide Bände in einem Buch (Klassiker in neuer Rechtschreibung 98), Berlin 2021. 67 Brief vom 13. März 1828, in  : Schopenhauer, Johanna  : Briefe an Karl von Holtei, Leipzig 1870, S. 4. 68 Ebd., S. 4 f.

Johanna Schopenhauers Ausflucht an den Rhein (1818) | 103

Ich ertrug die Reise, freilich in einem sehr bequemen Wagen, weit besser als ich es erwartet hatte, hielt mich in Frankfurt nur auf, um einige Geschäfte zu besorgen, und eilte dann nach Mainz, schiffte mich ein, flog auf dem Dampfschiff mit unaussprechlichem Entzücken durch die paradiesische Gegend, und war um drei Uhr an Plittersdorf, wo Adele meiner harrte. […] Zwei Monate weilte ich mit ihr in Godesberg und lebte mit ihr ein schönes Leben, in ländlicher Stille […]. Dann ging’s den 1. August nach Köln, nach Aachen, von dort, längs

den Ufern der Maaß, über Lüttich, Namur […] nach Brüssel, von dort nach Gent, Brügge, Antwerpen, und sodann […], zurück nach meinem Godesberg, wo ich noch vierzehn Tage verweilte, und dann von Bonn aus per Dampf nach Koblenz, Mainz, Frankfurt, in die Winterquartiere mit meiner Adele heimeilte.69

In diesem Brief erfahren wir mehrere Details, die in der späteren Druckfassung für das Publikum verschwiegen wurden. Erstens reiste sie ab Bonn in Begleitung ihrer Tochter Adele, zweitens bildete der Mittelrhein nur einen kurzen Teilabschnitt, den sie innerhalb weniger Stunden absolvierte, da sie drittens hauptsächlich Bad Godesberg sowie die Städte Aachen, Köln und Bonn besuchte. Bemerkenswert ist, dass sie ihren Rheinaufenthalt bis an die Maas, nach Belgien und Flandern ausweitete und damit den Raumbezug der Rheinreise beträchtlich ausdehnte. Erneut sind es künstlerischästhetische Interessen und der Anspruch an ein exklusives Reiseerlebnis, mit denen sie eine Erweiterung des Reisekanons begründet  ; so gebe es »fast keinen schönen Punkt mehr, der nicht schon zwanzigmal von allen Seiten gezeichnet« worden sei.70 Der Reiz landschaftlicher Einmaligkeit vermischte sich mit den jüngst zurückliegenden Ereignissen, die auch Johanna Schopenhauer in die Region lockten und bis an die einstigen Kriegsfronten führten. Die zweite Rheinschilderung beinhaltet neben der Beschreibung der landschaftlichen Besonderheiten auch die neuen Möglichkeiten der Beförderung (Dampfschiff ) und thematisiert verstärkt die lokalen Kunstsammlungen (den Gemäldesammlungen und dem Wallraf-Museum widmet sie ganze Kapitel). Auskünfte über die wirtschaftliche Lage der bereisten Regionen erteilt sie ebenso wenig wie topografische Eigenheiten oder lokale Sehenswürdigkeiten. Schopenhauers Bericht ist weniger Handbuch als Erlebnisbericht. Über den Mittelrhein, den sie in der ersten Darstellung noch ausführlich beschreibt, finden sich in den Reiseschilderungen von 1830/31 kaum Hinweise. Sei diese Auslassung nun der Fortbewegung per Dampfschiff oder ihrer bereits vorhandenen Kenntnis dieses Rheinabschnittes geschuldet – die »landschaftlich reizvollste Strecke« gerät verhältnismäßig kurz und ist – dank neuster Technik in Gestalt 69 Brief vom 26. September 1828. Ebd., S. 10 f. 70 Schopenhauer, Ausflug, 1831/2, S. 94 f.

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eines Dampfschiffes – in weniger als zehn Stunden absolviert.71 Anders als im ersten Bericht sind ihre Reiseanekdoten nicht in Tagebuchform festgehalten, sondern in thematischen Kapiteln gebündelt. So widmet Schopenhauer einzelne Abschnitte der Fahrt mit dem Dampfschiff beziehungsweise den gegenwärtigen Reisetrends, amüsiert sich in einer Art Satire über die Reisenden ihrer Zeit, berichtet über Gemäldesammlungen, den Rheinischen Karneval und das Pfingstfest in Frankfurt, beschreibt die Vorzüge des Rheins gegenüber der Maas. Es sind Reiseeindrücke, die keiner persönlichen Überprüfung bedürfen, aber doch sehr persönliche Schwerpunkte am Rhein setzen  : Schopenhauers Berichte sind amüsant und lehrreich zugleich, da sie schildert, was sie sieht und dabei den Lesenden genügend Interpretationsspielraum lässt. Schopenhauers Entwicklung und Renommee als Schriftstellerin ist anhand ihrer Reise­berichte ablesbar, welche sie nicht nur nutzte, um Landschaft und Bevölkerung, Mentalität und Kulturleben der Region darzustellen, sondern auch, um ihr Kunstverständnis unter Beweis zu stellen – ein Affront gegen die zeitgenössische Auffassung weiblicher Zuständigkeiten.72 Auf ihrer ersten Reise besichtigt sie die Gemäldesammlung der Brüder Boisserée in Heidelberg, während ihres zweiten Ausflugs die berühmte Gemäldesammlung von Ferdinand Wallraf und die Kunstsammlungen der holländischen Maler – und schreibt über diese Besuche ausführliche kunstkritische Berichte. Die Kritiken zu ihren Veröffentlichungen der Rheinreisen von 1818 und 1830/31 geraten distanziert bis vernichtend  ; so äußert sich die ALZ anlässlich der Publikation ihrer Ausflucht an den Rhein zunächst gewohnt wohlwollend über eine Verfasserin, die sich »an ein echt weibliches deutsches Gemüth« richtet.73 Ihr Ausflug an den Niederrhein wird in den Blättern für literarische Unterhaltung jedoch kategorisch abgelehnt, da der Rezensent nichts so sehr verabscheue wie »1) schriftstellernde Damen, und 2) schriftstellernde Damen, die über Kunst schreiben«.74 Im weiteren Verlauf der Lektüre ist er dann doch »ganz angenehm überrascht« über die verständliche Sprache und den Inhalt des Werkes und verkündet, es den schreibenden Damen »künftig […] nachzusehen, wenn die Luft sie anwandelt, statt des Kochlöffels einmal bei Gelegenheit die Feder zu führen«.75 In derselben Zeitschrift bemüht sich ein anderer Kritiker, diese misogyne Beurteilung abzuschwächen. So seien doch »alle Vorzüge der geschätzten Reisebeschreiberin« in ihren neuesten Aufzeichnungen »höchst anziehend« vereint  : Eine eloquente, kluge und sachliche Berichterstattung ohne eine allzu ichbezogene oder ausschweifende Darstellung.76 71 72 73 74 75 76

Fimpeler/Heppe, Nachwort, 1987, S. 324. Vgl. Scheitler, Gattung und Geschlecht, 1999, S. 230 ALZ, Jg. 1818, Bd. 2, No. 115. Sp. 81–88, hier Sp. 81. BflU, Nr. 116 vom 26. April 1831. S. 505–507, hier S. 505. Ebd., S. 505. BflU, Nr. 237 vom 25. August 1831, S. 1032.

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Die Tatsache, dass Johanna Schopenhauer nicht anonym oder unter (männlichem) Pseudonym veröffentlichte, zeigt einerseits ihr Selbstvertrauen in die eigene schriftstellerische Leistung  ; andererseits bildete sie mit dieser Entscheidung eine Zielscheibe für die männlich dominierte Literaturwelt und -kritik, die Frauen erst noch als ebenbürtige Konkurrenz im Buchgeschäft akzeptieren musste. Ob und wie sich Johanna Schopenhauer mit diesen teils diffamierenden Kritiken auseinandersetzte, kann an dieser Stelle nicht eingeschätzt werden. Als regelmäßige Rezipientin der entsprechenden Zeitschriften und Magazine war sie gewiss mit den aktuellen Besprechungen und Debatten vertraut – und als Literatin ohnehin an der öffentlichen Wirkung ihrer Schriften interessiert. Da die Kritik sich mehrheitlich an der weiblichen Federführung störte oder sie darauf reduzierte, ist nicht sicher, wie Schopenhauers Schriften beim Lesepublikum tatsächlich aufgenommen wurden. Allerdings zeigen Auswertungen zeitgenössischer Leihbibliotheken, dass sie in den Beständen und den Leselisten an oberer Stelle verzeichnet ist – ihr Repertoire also bekannt und somit einem breiten Publikum zugänglich war.77 Die Themenbereiche von Johanna Schopenhauers Schriften umfassen neben Berichten über Alltags- und Kulturpraktiken Reiseberichte sowie schöngeistige Literatur. Dies waren gesellschaftlich akzeptierte literarische Betätigungsfelder für Frauen und diese Literatur wurde auch größtenteils von Frauen konsumiert. Da Schopenhauers Reiseschilderungen in den entsprechenden Zeitungen überwiegend anerkennend und positiv rezensiert wurden, verdichtet sich die Annahme, dass ihre Schriften von Männern und Frauen gleichfalls als Lektüre mit hohem Unterhaltungs- und Informationswert geschätzt waren. 3.4 Wilhelm und Adelheid Müllers Reisetagebuch (1827) »Es hat wo[h]l selten ein Dichter in einem kurzen Leben von dreißig Jahren seinen Namen so tief auf die Erinnerungstafeln der Geschichte deutscher Dichtung eingedrückt als Wilhelm Müller«.78 Diesem schriftlichen Andenken (das vielmehr einem 77 In der Zeit zwischen 1848 bis 1888 gehörte Johanna Schopenhauer zu den 100 erfolgreichsten Autoren:innen, deren Werke in Leihbibliotheken am meisten verzeichnet waren. Vgl. dazu  : Martino, Alberto  : Die deutsche Leihbibliothek  : Geschichte einer literarischen Institution (1756–1914), Wiesbaden 1990. S. 405 (Tabelle)  ; siehe auch  : Scheitler, Gattung und Geschlecht, 1999, S. 98  ; Helmina von Chézy ist zwar in den Katalogen vertreten, wird aber nicht als Erfolgsautorin aufgezählt  ; die Werke ihrer Großmutter Anna Louisa Karsch sind indes gar nicht enthalten. Dies mag ein Indiz sein für deren zurückgehende Bekanntheit bereits im 19. Jahrhundert. 78 Müller, Max  : Vorwort, in  : Ders. (Hg.)  : Gedichte von Wilhelm Müller, 2 Tle. (Bibliothek der deutschen Nationalliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts 17–18), Leipzig 1868, S. V–XIV, hier S. V.

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hoffnungsvollen Wunsch als der Realität entspricht) des Sprachforschers Max Müller an seinen Vater mögen viele beigepflichtet haben – obwohl eine Vielzahl bedeutender Dichter:innen ebenso früh das Zeitliche segnete  : hier seien Wilhelm Hauff, Friedrich von Hardenberg, Karoline von der Günderode oder Wilhelm Wackenroder genannt. Dass sich deren Namen entschieden tiefer in das Gedächtnis deutscher Dichtung eingedrückt haben als der Wilhelm Müllers, kann auf die wechselvolle Rezeptionsgeschichte des Philologen und Lyrikers zurückgeführt werden. Noch zu Lebzeiten von Kollegen:innen und Kritikern:innen gleichermaßen geschätzt,79 wurde ihm sein bis um die Jahrhundertwende zugesprochenes Verdienst um die deutsche Romantik von den nachfolgenden Generationen weitgehend abgesprochen. Müllers literarisches Erbe ist im 20. Jahrhundert von der Deutschen Sprachwissenschaft und Germanistik weitgehend vernachlässigt worden, erst seit den späten 80er-Jahren gibt es vereinzelte Ansätze, ihn zu rehabilitieren und sein Werk differenzierter zu betrachten.80 Entgegen der in der Forschung üblichen Auseinandersetzung mit dem literarischen Schaffen wird in den meisten Abhandlungen vorwiegend Müllers Persönlichkeit herausgestellt. Der ihm bescheinigte hohe Sympathiefaktor stellte für die wissenschaftliche Erforschung des Dichters lange Zeit gleichzeitig Fluch und Segen dar. Die Tatsache, dass seine lyrischen Schriften, Reiseberichte oder Übersetzungsarbeiten zugunsten seiner empathischen Wesensart wiederholt zurückgestellt wurden, ließ kaum konstruktivkritische Auseinandersetzungen mit seinem Gesamtwerk zu. Selbst in Biografien wird der Menschenfreund und sesshafte Familienvater Müller hervorgehoben, wobei jedoch wichtige richtungsweisende Episoden und Arbeitsphasen, wie etwa seine nationalpolitischen Ideen, vollkommen ausgeblendet werden. Sein Verdienst um die Textierung der Liederzyklen Die schöne Müllerin sowie Die Winterreise sind fast in Vergessenheit geraten – nach wie vor präsent sind hingegen die populären Vertonungen eines Franz Schubert.81 Selbst Müllers Beitrag für die Revolutions- und Kriegslyrik seiner Zeit fiel 79 Siehe dazu  : Hildebrand, Joseph  : Die deutsche Nationalliteratur im 18. und 19. Jahrhundert, 3 Bde., Bd. 2, Gotha 1875, S. 192. 80 Zu nennen wären hier  : Borries, Erika von  : Wilhelm Müller  : Der Dichter der »Winterreise«  : eine Biografie, München 2007  ; Roth, Tobias  : Mit scharfen und mit zerbrochenen Zithern  : Wilhelm Müllers Kriegslyrik, die Lieder der Griechen und der Kampf um Griechenlands Antike, in  : Ders./Hillemann, Marco (Hg.)  : Wilhelm Müller und der Philhellenismus, Berlin 2015. S. 19–43  ; Bohnengel, Julia  : Dem italienischen Volk begegnen  : Wilhelm Müllers »Rom, Römer und Römerinnen« und Christian August Vulpius’ »Scenen zu Rom« (= Komparatistik  : Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft), Bielefeld 2015, S. 247–268. 81 Vgl. Haefeli-Rasi, Madeleine  : Wilhelm Müller  : die schöne Müllerin  ; eine Interpretation als Beitrag zum Thema Stilwandel im Übergang von der Spätromantik zum Realismus, Zürich 1970. S. 5. Zahlreiche Aufsätze und Monografien bestätigen diesen Eindruck bereits im Titel, der zumeist nur den Komponisten, nicht aber den Textdichter berücksichtigt, als Beispiele seien hier genannt  : Drautzburg,

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durch eine »systematische Verniedlichung des Dichters«,82 die seine einseitige Beurteilung als schwärmerischer Volkspoet auslöste, lange Zeit kaum ins Gewicht. Zudem wurde seine Beschäftigung mit dem Genre Volkslied, dessen Prinzip eher mündliche Überlieferung denn kunstvolles Arrangement vermuten lässt, häufig als Argument für seine Unbekanntheit ins Feld geführt.83 Laut Forschungskonsens legte Müller den Grundstein für seinen eng gezogenen Bekanntheitsgrad quasi selbst, mitunter verstärkt durch das Scheinargument des Allerweltsnamens Müller. Wilhelm Müllers philosophisch-wissenschaftliche Abhandlungen und Übersetzungsarbeiten rückten zugunsten seiner Vorliebe für die Alltagskultur der einfachen, ländlich geprägten Volkskultur aus dem Blickfeld der Forschung. Bis in die 1920er-Jahre wurde Müllers Werk ausschließlich mit den Themen Volkslied und Populärkultur kontextualisiert. Das Bild vom »naivem Volkslieddichter« führte dazu, dass sein harmonisches, unauffälliges Familienleben und seine unzähligen Dichterfreundschaften im Fokus wissenschaftlicher Auseinandersetzungen standen.84 Erste kritisch-konstruktive Abhandlungen, welche Wilhelm Müllers Beitrag für die philhellenische Literaturbewegung und deren Nachwirkung in Deutschland thematisieren, stellen beispielsweise Polascheggs Arbeit zum Orientbild85 oder auch der Sammelband von Hillemann und Roth86 dar. Müllers intensive Beschäftigung mit europäischen Klassikern, insbesondere aus dem angelsächsischen Raum, erhält neuerdings Aufmerksamkeit. So stellen gleichfalls Blaicher87 als auch Leistner88 Wilhelm Müller als wichtigen (Ver-)Mittler der englischen Literatur im deutschsprachigen Raum dar.

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Martina  : Elemente der Romantik in Franz Schuberts »Winterreise«, München 2009, URL  : https:// www.grin.com/document/132757, letzter Zugriff  : 18.04.2022  ; Gruner, Veit  : Ausdruck und Wirkung der Harmonik in Franz Schuberts Winterreise  : Analysen, Interpretationen, Unterrichtsvorschlag, Essen 2004  ; Kreuels, Hans-Udo  : Schuberts Winterreise  : ein Wegweiser zum Verständnis und zur Interpretation  ; die Winterreise von Wilhelm Müller und Franz Schubert. Frankfurt/Main (u. a.) 2011. Roth, Wilhelm Müllers Kriegslyrik, 2015, S. 22. Vgl. Geleitwort von Hans-Georg Otto, in  : Wilhelm Müller  : eine Lebensreise  ; zum 200. Geburtstag des Dichters, Weimar 1994, S. 7. Griep, Wolfgang  : Das Reisen ist der Menschen Lust  : über prosaisches Reisen und lyrisches Schreiben bei Wilhelm Müller und einigen seiner Zeitgenossen, in  : Leistner, Maria-Verena (Hg.)  : Von Reisen und vom Trinken  : zwei Symposien der Internationalen Wilhelm-Müller-Gesellschaft Berlin 2003 und 2006 (Schriften der Internationalen Wilhelm-Müller-Gesellschaft III), Berlin 2007, S. 7–18, hier S. 16. Polaschegg, Andrea  : Der andere Orientalismus  : Regeln deutsch-morgenländischer Imagination im 19. Jahrhundert, Berlin, New York 2005, insbes. Kapitel 5. Roth & Hillemann (Hg.)  : Wilhelm Müller und der Philhellenismus, Berlin 2015. Blaicher, Günther  : Wilhelm Müller and the political reception of Byron in nineteenth-century Germany (= Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 1986/223), S. 1–16. Leistner, Maria-Verena  : Wilhelm Müller als Mittler der englischen Literatur, in  : George, Marion

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Die Italienreise Müllers wird in zahlreichen Aufsätzen thematisiert, so in Bezugnahme auf das deutsche Italienbild jener Zeit von Eilert89 oder mit Betonung der römischen Lebenswirklichkeit in einem Aufsatz von Borchmeyer90. Spezifische Themenbereiche, die Müllers privates Lebensumfeld in den Blick nehmen oder die Auseinandersetzung mit der von Schubert vertonten Winterreise, sind auf die Anstrengungen der Internationalen Wilhelm-Müller-Gesellschaft zurückzuführen.91 Diese seit 1994 bestehende Forschungsvereinigung ist bestrebt, das vielschichtige Interesse und Schaffen Wilhelm Müllers interdisziplinär zu vermitteln und seine bisher unveröffentlichten und unkommentierten Textausgaben zu publizieren. Gegenwärtig ist nur ein Bruchteil der Selbstzeugnisse und Schriften Müllers in edierter und kommentierter Form der Öffentlichkeit zugänglich. Zudem leidet das Bild Wilhelm Müllers nach wie vor unter der Degradierung als schwärmerisch-sentimentaler Volkslieddichter, obwohl einzelne Aufsätze in den letzten Jahren darum bemüht sind, sein Lebenswerk differenzierter zu bewerten.92 Wilhelm Müller, 1794 in Dessau geboren, interessierte sich schon in jungen Jahren für Sprachen und Literatur, verfasste in seinen Jugendjahren bereits kleine Gedichte und Geschichten. Mit 18 Jahren schrieb er sich an der neu gegründeten FriedrichWilhelms-Universität in Berlin für das Studium der Philologie, Geschichte und englischen Sprache ein. Seine Biografin Erika von Borries schreibt über seine Anfangszeit als Student  : Wilhelm Müller geriet in seiner Berliner Zeit in ein geistiges und politisches Spannungsfeld besonderer Art. Bis in die Hörsäle zogen sich die Meinungskämpfe zwischen restaurativ und liberal Gesinnten, zwischen den der klassischen Antike verpflichteten Humanisten und

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(Hg.)  : Kritische Fragen an die Tradition  : Festschrift für Claus Träger zum 70. Geburtstag, Stuttgart 1997, S. 60–80. Eilert, Hildegard  : Wilhelm Müllers Rom, Römer und Römerinnen und das deutsche Italien-Bild, in  : Hausmann, Frank-Rutger (Hg.)  : »Italien in Germanien«  : deutsche Italien-Rezeption 1750–1850 (Akten des Symposiums der Stiftung Weimarer Klassik, Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek, Schiller-Museum, 24.–26. März 1994), Tübingen 1996, S. 64–83. Borchmeyer, Dieter  : Zauberin Roma  : Wilhelm Müllers römische Briefe, in  : Chiarini, Paolo/Hinderer, Walter (Hg.)  : Rom – Europa  : Treffpunkt der Kulturen  ; 1780–1820, Würzburg 2006, S. 223–233. Beispielsweise in einem Beitrag für das 5. Symposium von Frank Kreißler  : »Laß uns daher in Geduld unser Dessau tragen«  : Wilhelm Müller und die Dessauer Lebenswirklichkeiten im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, in  : Leistner, Maria-Verena (Hg.)  : »… daß ich den Sorgen der Existenz und Nahrung enthoben bin«  : Wilhelm Müllers Dessauer Lebens- und Arbeitswelten, Köthen 2010, S. 15–36. In einem weiteren Konferenzband von Rainer Wieland unter dem Arbeitstitel Müller – Schubert – Heine widmen sich jeweils Gerhard Müller (Wanderer-Fantasien. Wilhelm Müller und Heinrich Heine) und Frank Schneider (»Die ganze Welt der Schmerzen muß ich tragen« – Die Heine-Lieder Franz Schuberts) der poetischen beziehungsweise musikalischen Fortsetzung der Werke Müllers. Siehe die Aufsätze in Roth & Hillemann  : Wilhelm Müller und der Philhellenismus, 2015.

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den sogenannten Vaterlandsromantikern, die im Mittelalter nationale Einheit und Größe Deutschlands vorgebildet fanden.93

Die Entscheidung für beziehungsweise gegen ein politisches Lager fiel dem jungen Studenten schwer und auch später sollte er sich nie politisch organisieren. Seine spätere Verbindung zum Turnvater Friedrich Jahn sowie seine Mitgliedschaft bei der Gesellschaft für deutsche Sprache lassen allerdings erkennen, dass er den nationalpolitischen Tendenzen und freiheitlichen Bestrebungen seiner Zeit durchaus zugetan war. Dies bestätigen neben den Griechenliedern besonders seine Tafellieder, die unter dem Tarnmantel rheinischer Lebensfreude eine zutiefst nationalsymbolische Metaphorik aufweisen.94 Wilhelm Müllers schriftstellerische Laufbahn wird von den politischen und kulturellen Umwälzungen sowie den überstaatlichen Konfrontationen seiner Zeit bestimmt  : Europa befindet sich in einer Art Selbstfindungsphase, die sich durch ein wachsendes Nationalbewusstsein auszeichnet, das von den kulturellen Eliten entschieden mitbestimmt wird (siehe Herders Stimmen der Völker). Die Auswirkungen der machtpolitischen Ereignisse in Europa prägen Leben und Werk des Dichters  : Der Widerstand Preußens gegen die Vormacht Napoleons sowie der Wunsch der Griechen, sich von der türkischen Besatzung zu befreien, prägen auch die frühen Arbeiten des Dessauers.95 Seine Auseinandersetzung mit den hellenischen Autonomiebestrebungen, woraus 1821 seine Lieder der Griechen entstehen, sowie die Verehrung Lord Byrons (welcher sich aktiv am griechischen Freiheitskampf beteiligte) bringen ihm den Beinamen ›Griechen-Müller‹ ein. Aber auch die Entwicklungen in der eigenen Heimat beeinflussen ihn  : Nationalstaatliche Bestrebungen und der damit verbundene Wunsch nach staatlicher sowie kultureller Einheit – forciert durch die Begeisterung für mündlich tradierte Lieder und Sagen – prägen seine literarische Arbeit wesentlich, auch wenn seine anfangs radikal patriotische Gesinnung später einer gemäßigten Überzeugung weicht. Innerhalb der Berliner Zirkel und Salons begegnet er gleichgesinnten Intellektuellen, Persönlichkeiten aus Kunst und Wissenschaft, die sein literarisches Schaffen in besonderer Weise forcieren. Hier trifft er auf Ludwig Rellstab, die Geschwister Hensel, Clemens Brentano, seinen später engsten Vertrauten Gustav Schwab. Bei einem dieser Zusammenkünfte wird die Grundlage für Müllers Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten gelegt, aus denen schließlich auch die Schöne Müllerin entsteht. In einer Art 93 Borries, Wilhelm Müller, 2007, S. 33. 94 Vgl. dazu Kiewitz, Susanne  : Poetische Rheinlandschaft  : die Geschichte des Rheins in der Lyrik des 19. Jahrhunderts, Köln 2003, S. 150–152. 95 Vgl. Borries, Wilhelm Müller, 2007, S. 34 f., 44.

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Künstlerwettstreit gilt es, »improvisierte Rollengedichte auf die Handlung der damals populären Oper La Molinera von Giovanni Paisello zu verfertigen«.96 Müllers Teilnahme an diesem Spiel resultiert in erster Linie aus seinem Nachnamen. »Müller, wer sonst, war der Müllerbursche und hatte der schönen Müllerin den Hof zu machen«.97 Müllers studienbezogene Leistungen wurden indes belohnt  : Seine Begeisterung für die Antike mündete 1817 schließlich in einer Einladung der Berliner Akademie der Wissenschaften, den Freiherrn Albert von Sack auf eine Reise nach Griechenland und Kleinasien zu begleiten und altertümliche Inschriften zu sammeln. Als die Reisegesellschaft durch die Meldung, in Konstantinopel sei die Pest ausgebrochen, zur Änderung der Route gezwungen wird, reist man kurzerhand weiter nach Italien.98 Währenddessen entschloss sich Müller neben der Fortsetzung seiner Reise ohne Protegé dazu, seinen Aufenthalt schriftlich festhalten, auch um Goethes biografischem Selbstfindungs-Werk endlich eine echte Reisebeschreibung entgegenzusetzen,99 welche Eindrücke aus dem Alltagsleben der einfachen Bevölkerung vermitteln sollte.100 In einer Rezension kurz nach der Publikation von Rom, Römer und Römerinnen (1820) ist zu lesen, Müller habe sich nicht auf Beschreibung von Kirchen, Museen, Gegenden und solche Gegenstände gewendet, womit uns die aus Italien heimkehrenden Reisenden in Tagebüchern, Briefen und Bemerkungen schon zur Gnüge [sic  !] erbaut und gelangweilt haben, sondern auf die Natur und Eigenthümlichkeit eines Volkes.101

Im Gegensatz zum vielgelesenen Klassiker, welcher vorzugsweise die antike Hochkultur Italiens preist – die noch Jahrhunderte später in Architektur und bildender Kunst  96 Honold, Alexander  : Lied-Wandel  : zu Franz Schuberts Liederzyklen Die schöne Müllerin und Winterreise, in  : Gellhaus, Axel/Moser, Christian/Schneider, Helmut J. (Hg.)  : Kopflandschaften – Landschaftsgänge  : Kulturgeschichte und Poetik des Spaziergangs, Köln 2007, S. 161–184, hier S. 165.  97 Ebd., S. 165. Dass die fiktive Gestalt der Müllerin in Wilhelm Müllers Wirklichkeit Luise Hensel hieß und diese ihn – übrigens genauso wie seinen Kontrahenten Clemens Brentano – abwies, verstärkt das dramatische Moment der unerfüllten, sehnsuchtsvollen Liebe des Müllerburschen.  98 Vgl. Eilert, Wilhelm Müllers Rom, Römer und Römerinnen, 1996, hier S. 66.  99 Vgl. Meier, Albert  : Drei Generationen auf Reisen  : Johann Caspar, Johann Wolfgang und August Goethe in Italien [Vorlesung von 2007], URL  : http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/ index/docId/120483_x_Goethe_in_Italien.pdf, hier S. 10, letzter Zugriff  : 20.03.2022. 100 Vgl. Hentschel, Uwe  : Rom, Römer und Römerinnen – ein moderner Reisebericht  ? in  : Leistner, MariaVerena (Hg.)  : Von Reisen und vom Trinken  : zwei Symposien der Internationalen Wilhelm-MüllerGesellschaft Berlin 2003 und 2006 (Schriften der Internationalen Wilhelm-Müller-Gesellschaft III), Berlin 2007, S. 19–26, hier S. 20 f. 101 ALZ, Jg. 1821, Bd. 3, No. 329, S. 901.

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nachvollziehbar bleibt – fokussiert sich der Philologe und Altertumsforscher Müller auf die gegenwärtige Volkskultur und Lebensweise der unteren Bevölkerungsschichten, die bei Goethe lediglich als Staffage fungieren. Müller orientiert sich an Herders Stimmen der Völker und dessen Idee von Volkspoesie, die sich aus dem mündlich tradierten Lied- und Erzählgut der einfachen Bevölkerung entwickelt. Mit dem Buch Rom, Römer und Römerinnen konnte Müller erstmals auch seine Qualitäten als Verfasser von Reisebeschreibungen unter Beweis stellen. Als mobiler Beobachter bemühte er sich um eine möglichst objektive Wiedergabe der landestypischen kulturellen Sitten und Charaktermerkmale, wobei die wiederum subjektive Gattungsform Brief beziehungsweise Tagebuch sowie die Wiedergabe von Alltagsszenen den Lesenden echtes Erleben vermitteln sollen.102 Seine Biografin Erika von Borries meint, Müller habe damit eine ganz »eigene, neue Form der Reisebeschreibung gefunden, den Vorläufer des Reisefeuilletons«.103 Auffallend an seinem Bericht ist, dass Müller bestehende negative Stereotype durch profunde Beobachtungen und kritisch-analytische Untersuchungen hinterfragte, was zu einer positiveren Einschätzung der italienischen Bevölkerung in der Heimat führte.104 Im Gegensatz zu den Liebhabern:innen von Malerei und Architektur beschäftigt ihn »nicht die tote, sondern die vom einfachen Volk gelebte Antike als Gegenbild zu städtisch-aufgeklärtem Bürgerwesen oder aristokratischer Lebensform«.105 Rom erscheint dabei als soziales Umfeld, Römer und Römerinnen fungieren als soziale Größen, wobei erstmals auch der Lebens- und Arbeitsalltag der Frauen in den Fokus deutschsprachiger Reiseberichte rückt. Die ursprüngliche Kultur und damit Authentizität eines Volkes präsentiert sich für Müller vor allem in traditionellen Liedern, Tänzen und Festen, weshalb er solche Anekdoten in seinem Reisebuch besonders herausstellt. Auch in seinen Dichtungen – von denen viele vertont und somit zum populären Liedgut erhoben wurden, z. B. die Winterreise von Franz Schubert – lobt er das gesellige, scheinbar unbeschwerte Leben der einfachen Bevölkerung, die trotz ihrer oft bescheidenen Verhältnisse in Wein und Gesang allseits Trost findet. Nicht der Umfang von Prestige und Kapital, sondern Gemeinschaftsgefühl und Identitätsbewusstsein prägen laut Müller die Lebensfreude und Zuversicht dieser Menschen und erheben sie zu den wahrhaftigen Vertretern:innen ihres Heimatlandes. In sein Interesse für die freiheitlichen Bestrebungen und spezifischen Traditionen anderer Völker Europas mischt 102 103 104 105

Vgl. ebd. S. 23. Borries, Wilhelm Müller, 2007, S. 83. Vgl. dazu  : Eilert, Wilhelm Müllers Rom, Römer und Römerinnen, 1996, S. 73 ff. Jäger, Hans-Wolf, »Müller, Wilhelm«, in  : NDB 18 (1997), S. 320–322 (Onlinefassung), URL  : https:// www.deutsche-biographie.de/pnd11858524X.html, letzter Zugriff  : 07.05.2022.

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sich stets der Wunsch, den nationalpolitischen Einheits- und Freiheitsgedanken auf die eigene Heimat zu übertragen. Die Sympathie für mündlich tradierte Volksweisen bildet auch die Grundlage für seine Trinklieder – diese entsprechen der Grundidee des Knaben Wunderhorn von Brentano und Arnim. Das Motiv der Wanderschaft und des Unterwegsseins bildet ein prägnantes Sujet innerhalb Wilhelm Müllers Werk  : Ob in den vertrauten Zeilen des Gedichts Das Wandern ist des Müllers Lust,106 seinen Reiseliedern, in denen er das Wandern zum Chiffre alles irdischen Lebens erklärt (»Wißt Ihr wohl das Losungswort, Das die Welt treibt fort und fort  ? Wandern, Wandern  !«) oder den Wanderliedern eines rheinischen Handwerksburschen – das Umherziehen des einfachen Volkes und dessen Gleichsetzung mit der eigenen Lebensreise sind beliebte literarische Motive bei Müller.107 Reisen bilden auch einen festen Bestandteil in seinem Lebensalltag. Die regelmäßigen Aufenthalte im nah gelegenen Leipzig, in Dresden und Berlin sind notwendig, um Aufträge zu schließen und Vertraute zu treffen. Sein Reiseportfolio enthält aber auch fernere Destinationen. Neben dem sinnstiftenden Italienaufenthalt (1817/18) gibt die Reise nach Rügen (1825) weitere wichtige Impulse für nachfolgende Schriften, während seine letzte Reise an den Rhein und nach Süddeutschland (1827) primär ein Wiedersehen mit Personen aus Freundes- und Bekanntenkreis bedeutet. Seine Existenz als Schriftsteller erforderte die kontinuierliche Bereitschaft zu reisen, um Kontakte zu anderen Personen aus der Literatur- und Verlagswelt zu pflegen beziehungsweise zu initiieren. Darüber hinaus belegen diverse Kur- und Erholungsaufenthalte besonders in den letzten Lebensjahren seine enorme Mobilität, die nun mehrheitlich gesundheitsfördernden Absichten folgte.108 Seine diversen Reiseaktivitäten und zugehörigen Reiseberichte sind erstmals im Rahmen des 3. Symposiums der Internationalen Wilhelm-Müller-Gesellschaft im Jahr 2003 unter dem Arbeitstitel Über das Unterwegssein – Wilhelm Müllers Reisetexte untersucht worden.109 Ein Beitrag von Maria-Verena Leistner widmet sich seinem Reisetagebuch, das während der knapp sechswöchigen Rheinreise entstand.110 Bis dato existieren darüber hinaus kaum nennenswerte wissenschaftliche Untersuchungen über Müllers Rheinaufenthalt oder das betreffende Tagebuch, was einerseits 106 107 108 109

Wanderlied aus dem Zirkel Die schöne Müllerin, in  : Müller, Gedichte,1821/1, S. 7. Ebd., S. 71, 74 f. Vgl. Borries, Wilhelm Müller, 2007, S. 257. Die 1994 in Berlin gegründete Gesellschaft unterstützt wissenschaftliche Untersuchungen zu Leben und Werk Wilhelm Müllers, die regelmäßig in der Schriftenreihe der IWMG erscheinen. 110 Leistner, Maria-Verena  : Wilhelm Müllers Reisetagebuch aus dem Jahr 1827, in  : Dies. (Hg.)  : Von Reisen und vom Trinken  : zwei Symposien der Internationalen Wilhelm-Müller-Gesellschaft Berlin 2003 und 2006 (Schriften der Internationalen Wilhelm-Müller-Gesellschaft III), Berlin 2007, S. 61–68.

Wilhelm und Adelheid Müllers Reisetagebuch (1827) | 113

auf die dem Bericht zugeschriebene Trivialität, andererseits auf die noch relativ junge Erforschung von Müllers Selbstzeugnissen zurückzuführen ist.111 Wilhelm Müller reiste zusammen mit seiner Frau Adelheid im Spätsommer 1827 an den Rhein, wenige Wochen vor seinem Tod. Den Aufenthalt hielt das Ehepaar in einem gemeinsam verfassten Tagebuch fest, wobei gut zwei Drittel der Aufzeichnungen Adelheid verfasste.112 Diese Form der gemeinsam festgehaltenen Reiserlebnisse war nicht unüblich und eröffnete dem Ehepaar die Möglichkeit, während der Reise auch schriftlich in Dialog zu treten und die Reise unmittelbar zu bewerten. Kollektiv geführte Tagebücher in dieser Form wurden nicht selten von nachfolgenden Generationen als (auto-)biografische Familiengeschichten fortgeschrieben  ; insofern diente das Reisejournal möglicherweise als Erinnerungsstütze für die Kinder und die Fortführung einer Familienchronik.113 Das Reisetagebuch wurde erstmals im Jahr 1931 von Paul Wahl als kritische und kommentierte Ausgabe veröffentlicht.114 Davor war es in Familieneigentum nur zum privaten Gebrauch vorgesehen und dem interessierten (Fach-)Publikum unzugänglich. Form und Inhalt des Diariums unterstreichen, dass es vorrangig für den Vortrag im häuslichen Bereich bestimmt war. Demgegenüber bezeugen die im Tagebuch vermerkten zahlreichen Treffen vor Ort mit Verlagspersonen oder anderen Schriftsteller:innen die berufsmäßigen Absichten, die Müller mit seinem Aufenthalt an Rhein und Neckar verband. Etwa ein Drittel der Reise entfällt dabei tatsächlich auf den Rhein, die nachfolgenden Etappen führen das Paar überwiegend nach Süddeutschland, an den Neckar und den Main, nach Frankfurt, Heidelberg und Straßburg. Als Befürworter der Volkspoesie mag Müller durchaus eine inhaltlich-konzeptionelle Verbindung zu den Vertretern:innen der Heidelberger Romantik gesucht haben  ; etwaige Projektideen sind nicht vermerkt. Während am Rhein Station um Station mit den wesentlichen Sehenswürdigkeiten aufgesucht wird, besucht das Paar entlang des Neckars und Mains lediglich die Orte, in denen es Kontakte unterhielt. Möglicherweise sammelte Müller während der ersten Reiseetappe Eindrücke und Impressionen, um sich anschließend 111 Lediglich in einem früheren Beitrag von Maria-Verena Leistner (1994)  : Hier bezieht sich die Autorin jedoch lediglich auf Müllers Aufenthalt in Schwaben und konzentriert sich auf seine Beziehung zu den dort ansässigen (befreundeten) Schriftstellerkollegen. Leistner, Maria-Verena  : Wilhelm Müllers Schwabenreise 1827  : »Der Weg … führte uns durch das Neckartal«, Marbach/Neckar 1994. 112 Vgl. Leistner, Wilhelm Müllers Rheinreise, 1827, S. 62. 113 Vgl. Herzberg, Julia  : Gegenarchive  : bäuerliche Autobiographik zwischen Zarenreich und Sowjetunion, Bielefeld 2013, S. 371. 114 Das original erhaltene Reisetagebuch sowie weitere handschriftliche Dokumente aus Müllers Feder (Stammbuch, Briefe) und dem nahen Bekannten- und Familienkreis befinden sich im Besitz der Anhaltinischen Landesbücherei in Dessau.

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mit anderen darüber auszutauschen und denkbare Publikationsarten seiner Reisenotizen zu besprechen. Obwohl sich im Nachlass keine Indizien dafür finden, dass Müller eine Publikation seiner Aufzeichnungen vom Rhein beabsichtigte, ist diese Annahme nicht unberechtigt. Seine Reiseunternehmen verbanden sich stets mit einer schriftlichen Fixierung der Erlebnisse, sei es in der eben erwähnten Feldstudie von Rom oder der Gedichtsammlung von Rügen. Ähnliche Vorarbeiten von diesen Reisen sind vorhanden beziehungsweise in Tagebuchaufzeichnungen und Briefen vermerkt. In seinem Vorwort zu Rom, Römer und Römerinnen entschuldigt er sich bei seinem fingierten Briefpartner für sein langes Schweigen und hofft, dass dessen »Zorn über den vernachlässigten Briefwechsel von sechs Monaten sich durch unausgesetzten Fleiß der andern Jahreshälfte auch besänftigen lassen« werde.115 Dass zwischen den Aufzeichnungen vor Ort und der (reflektierten und redigierten) Verschriftlichung der Erlebnisse in Wahrheit zwei Jahre liegen, bleibt dem Publikum vorenthalten. Mehr noch  : Die briefliche Entschuldigung schafft die Basis für ein verbürgtes unmittelbares Erleben und Schreiben. Müller nutzte die Zeit nach der Reise, um seine erinnerten Erlebnisse und Tagebucheinträge für sein Buch auszuformulieren – nach Absprache mit befreundeten Autoren:innen und den Verlagen und im Bewusstsein des Heimkehrers, der das Geschehene erst nachträglich reflektierte. Seine intensiven Vor- und Nacharbeiten zeigen, dass er sowohl mit dem Genre Reisebericht als auch den zeitgenössischen Lesebedürfnissen und dem existenten Italienwissen des Lesepublikums bestens vertraut war. Sein Italienbericht vermittelt den Eindruck, dass Müller bewusst die Form des Tagebuchs zur Bestätigung der »Wahrhaftigkeit des Mitgeteilten« wählte und neben der Reise- auch die »Schreibsituation selbst« schilderte – somit wurde die Produktion des Textes nachvollzieh- und verifizierbar.116 Aufgrund dieser Faktenlage spreche ich die Vermutung aus, dass Müllers Rheinaufenthalt in irgendeiner literarischen Form publiziert werden sollte und das Tagebuch dafür als Vorlage und Erinnerungsstütze diente.117 Sein vorzeitiger Tod zerschlug etwaige Pläne für eine Verschriftlichung, die auch posthum nicht von den nächsten Angehörigen oder engen Bekannten realisiert wurden. Das Tagebuch ist als Überbrückungsmedium für die Daheimgebliebenen, aber auch als familiäres Unterhaltungs- und Gedächtnisstück angelegt, als Reisealbum für ihre Kinder und sie selbst. Dass Müller neben der Selbsterfahrung der Rheinreise auch auf 115 Müller, Wilhelm  : Rom, Römer und Römerinnen  : Eine Sammlung vertrauter Briefe aus Rom und Albano mit einigen späteren Zusätzen und Belegen, 2 Bde., Bd. 1, Berlin 1820, S. 2. 116 Hentschel, Rom, Römer und Römerinnen, 2007, S. 23. 117 Darüber hinaus berichtet Gustav Schwab in seinem Nachruf auf Wilhelm Müller von einer erhaltenen Schreibtafel, auf der Motive fixiert waren, »welche er sich zu poetischer Bearbeitung gewählt hatte«. Schwab, Vermischte Schriften von Wilhelm Müller, 1830, S. LII f.

Wilhelm und Adelheid Müllers Reisetagebuch (1827) | 115

eine Rezeption von außen zielte, begründet neben seiner Profession auch seine übliche Auswertung und Fixierung von Reiseeindrücken. Auch wenn bei den Zusamenkünften mit anderen Schriftstellern:innen vorrangig das literarische Produzieren erörtert wird, bleiben im Tagebuch mögliche oder bereits entworfene publizistische Vorhaben unerwähnt. Dass der Aufenthalt am Rhein dennoch Gesprächsstoff geboten haben mag, liegt auf der Hand. Aktualität und Exklusivität des Reiseziels unterstützen diese Vermutung, die auch durch vereinzelte Andeutungen im Austausch mit unmittelbaren Zuhörern:innen seiner Reiseerlebnisse bestärkt wird, etwa bei seinem Besuch am Frauenplan in Weimar, bei dem laut Müller der »Gegenstand des Gesprächs […] größtentheils unsre Reise« war.118 Die kommentierte Ausgabe des Tagebuchs enthält neben der vollständigen Wiedergabe der Reisebeschreibung auch einige transkribierte Briefe in Form von Kondolenzschreiben, die kurz nach Müllers Tod seine Frau Adelheid erreichten und den sinnstiftenden Charakter der Rheinerfahrung verdeutlichen. Sie belegen, dass Müllers frühes Ableben in seinem Freundes- und Bekanntenkreis tiefe Trauer und Betroffenheit hervorrief. Gerade auch, weil viele der Korrespondierenden das Ehepaar einige Wochen zuvor noch auf der gemeinsamen Rheinreise angetroffen und ihnen mitunter Kost und Logis geboten hatten. Unweigerlich trugen die Beileidsbekundungen und Mutmaßungen aus dem Freundeskreis dazu bei, dass die letzte Reise innerhalb der Biografie Müllers einen erhöhten Stellenwert erreichte und der Rhein als Sehnsuchtsort und letzte Stätte des Dichters inszeniert wurde.119 Wenn das Tagebuch (nach Schriftbild und Inhalt) auch keine Indizien enthält, dass die Reise Müllers Gesundheit zu sehr forderte, so zeugen doch Reiseroute sowie die eng getakteten Ausflüge und Besuche von beträchtlichen Anstrengungen und Strapazen. So scheint die Fahrt von Dessau nach Frankfurt bereits unangenehm verlaufen zu sein, als wenige Stunden nach Reisebeginn Müller von einem »Deichselbruch in der Vorstadt hinter Naumburg« mit anschließendem »4stündige[m] Aufenthalt« berichtet.120 Das Reisetagebuch gibt Auskunft über die verschiedenen Destinationen und die unterwegs benutzten Verkehrs- und Transportmittel. Anhand dessen kann der Streckenverlauf recht gut nachgezeichnet werden. Genaue Zeitangaben ermöglichen überdies, die Dauer der Reise insgesamt sowie die Dauer der jeweiligen Aufenthalte zu überblicken. Streckenauswahl und Annotationen im Tagebuch lassen darauf schließen, dass der Reiseweg einem bestimmten Konzept folgte und im Voraus festgelegt worden war. Nach den obligatorischen Stationen am Mittelrhein schließt sich eine Tour nach 118 Müller, Reisetagebuch, 1827, S. 49. 119 Vgl. Borries, Wilhelm Müller, 2007, S. 253f. 120 Müller, Reisetagebuch, 1827, S. 25.

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Süddeutschland an, wo vorrangig befreundete Personen aufgesucht werden. Die Route kann in drei feste Etappen eingeteilt werden  : Die erste Etappe umfasst die Strecke zwischen dem Startpunkt in Dessau und dem Rhein. Die zweite Etappe beinhaltet den Mittelrhein, erstreckt sich stromabwärts bis nach Köln und wieder zurück nach Mainz. Die dritte Etappe führt entlang des Neckars zurück an den Rhein bis nach Straßburg, bevor es über Stuttgart und Würzburg zurück gen Dessau geht. Der Beginn der Reise wird auf den 31. Juli datiert, Müller notiert kurz  : »um 4 Uhr morgens von Dessau abgereist und nachmittags um 2 Uhr in Leipzig im Hotel de Saxe angekommen«.121 Dieser zeitlich genaue, äußerst straffe Reiseplan, der auch eine hohe Flexibilität bei der Nutzung der Transportmittel offenbart, wird an einer Stelle besonders deutlich  : Dann fuhren wir [mit der Droschke] bis nach Mehlem ließen den Wagen dort und fuhren mit einem Nachen nach Königswinter wo wir Esel nahmen und den Weg nach dem Drachenfels antraten. […] Eine kleine Eselei mit den Eseln nöthigte uns den Weg zu Fuß zurück zu machen, doch kamen wir ohne große Ermüdung unten an, fuhren über das Wasser und von da mit unserem Wagen nach Rolandseck. […] Dann fuhren wir noch nach Remagen wo wir Extrapost nahmen […] Abends gegen 10 kamen wir nach Coblenz, wo erst gar kein Quartier zu bekommen war, endlich ein Stübchen in den drei Schweitzern, eine schlechte Nacht und ganz früh am anderen Morgen wieder heraus.122

Interessant an dieser Textstelle ist auch der Verweis auf Begegnungen mit der lokalen Bevölkerung, die für gewöhnlich nur bei der Wahl der Unterkünfte beziehungsweise der Transportmittel zustande kamen. Beziehungen und Kontakte wurden hauptsächlich in einem sozial homogenen Umfeld gepflegt. Diese Diskrepanz zeigt sich besonders eindringlich während einer Prozession zu Ehren des Heiligen Rochus in Bingen, bei welcher eine Begegnung mit den Einheimischen bloß indirekt stattfand, da Müller als beschreibender Beobachter lediglich eine passive Rolle einnahm.123 Die Vermischung von sakralen Ritualen mit volksfesthaften Elementen ist bezeichnend für dieses Erlebnis. Obwohl Müllers Bericht sehr detailliert und ausführlich ausfällt, bleiben seine Darstellungen sachlich und von religiösen Empfindungen vollkommen befreit. Vielmehr ruft die Akkumulation sakraler Festelemente und menschlicher Ergriffenheit – explizit in Gestalt eines vortragenden Priesters – bei ihm offene Ablehnung hervor. Die dem Festakt beiwohnende Pilgerschar bezeichnet er gar als Menschen »von geringer Klasse«.124 121 122 123 124

Ebd., S. 25. Ebd., S. 32 f. Vgl. ebd. S. 33 f. Ebd., S. 33.

Wilhelm und Adelheid Müllers Reisetagebuch (1827) | 117

Die Prozession wird demnach von den teilnehmenden Personengruppen unterschiedlich gewertet und erlebt  : Müller und seine beiden Begleiter repräsentieren dabei das aufgeklärte Bildungsbürgertum, die unbeteiligt das Geschehen lediglich vom Rand aus wahrnehmen  ; dagegen wird die untere Gesellschaftsschicht von den Pilgern und Handeltreibenden vertreten, die das Geschehen bewusst erleben und aktiv begleiten, auch wenn uns ihr Erleben nur durch Müller geschildert wird.125 Gesellschaftliche Unterschiede werden durchweg durch Partizipation beziehungsweise Nicht-Partizipation wie auch räumliche Zugehörigkeiten und damit verbundene Praktiken hergestellt. Theater- und Opernvorstellungen gehören so selbstverständlich zum täglichen Repertoire der Müllers wie das Flanieren auf Promenaden, Plätzen, in Parks und Gartenanlagen.126 Das Aufsuchen bestimmter Kultureinrichtungen wie Museen, Galerien, Ausstellungen oder Kirchen sowie von Herbergen und Gasthäusern garantierte die Partizipation an einem einheitlichen gesellschaftlichen Diskurs. Es sind Praktiken des bürgerlichen Selbstverständnisses, die Bildung mit urbaner Lebensart verbinden und sich vom Habitus anderer Gesellschaftsgruppen abgrenzen. Man bewegt sich in einem sozialen Umfeld, welches durch einheitliche habituelle Praktiken und Direktiven bestimmt wird  ; dies sichert die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu, in welchem Wilhelm Müller auch die Bestätigung für sein kreatives Schaffen sucht. Anhand seiner Reiseerlebnisse lässt sich festhalten, dass sich Müller trotz wiederholter Beschäftigung mit der regionalen Alltags- und Populärkultur in einem sozial homogenen Umfeld bewegt. Auch der US-amerikanische Philologe und Müller-Forscher James Taft Hatfield bestätigt  : »Von ›Volksthümlichkeit‹ finden wir in dem, was seine persönlichen Beziehungen angeht, kaum eine Spur«.127 Müllers Begeisterung für die Alltagsweise der einfachen, zumeist ländlichen Bevölkerung schöpft sich nicht etwa aus dem aktiven Erleben und In-Kontakt-treten zu jener sozialen Gruppe, sondern ist vielmehr Ausdruck einer romantisch-verklärten Idee von Volksgeist und Volkskultur sowie seiner einseitigen Betrachtung von außen. Auch das Register seiner Reisebekanntschaften zeigt, dass Müller zwar die ländliche Bevölkerung für ihre authentische und unverfälschte Kultur lobt, eine philosophisch-kritische Auseinandersetzung mit deren Lebensart jedoch in einem bildungsbürgerlichen 125 Die auktoriale Erzählweise erlaubt es vermutlich aber auch, das Geschehen für die Vorstellungen und Meinungen des Lesers zu öffnen. Dass Müller seine Aufzeichnungen mit der Absicht der anschließenden Publikation verfasste, wird anhand der Erzählerstimme deutlich. 126 Laut den Tagebucheinträgen wurde sogar 2-mal im Rhein gebadet  : dieser Vorgang ist auch deshalb erwähnenswert, da in keinem der anderen hier vorgestellten Selbstzeugnisse davon die Rede ist. Siehe dazu  : Müller, Reisetagebuch, 1827, S. 28f. 127 Hatfield, James Taft  : Wilhelm Müllers unveröffentlichtes Tagebuch und seine ungedruckten Briefe (= Deutsche Rundschau 110), Berlin 1902, S. 362–380, hier S. 364.

118 |  Selbstzeugnisse vom Rhein

Kreis stattfindet. In diesem Zusammenhang stehen auch die regelmäßigen Begegnungen mit Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Religion. So trifft er während seiner Rheinreise u. a. auf Johann Georg August Galletti, Wilhelm Smets, Friedrich Schlegel, Carolina Bertuch, Ludwig Uhland, Wilhelm Hauff und Justinus Kerner. Bei der Rückfahrt über Weimar besucht er Goethe. Die direkte Rezeption seiner Reise von den intellektuellen Größen seiner Zeit und damit Einreihung in den gesellschaftlichen Diskurs waren demnach für Müller wichtige Bezugspunkte und auch Gradmesser seines Unternehmens. Wilhelm Müller ging es darum, sich selbst als Berufsschriftsteller innerhalb sozialer Kreise einzuordnen und einem bestimmten Diskurs zu entsprechen. Diese Einreihung in gesellschaftliche Normen geschah in Rückkopplung an das eigene Ich. Manche benutzen das Tagebuch, weil sie einen Ort brauchen, um sich ihrer selbst zu vergewissern, andere üben Selbstzensur, d. h. sie korrigieren die Geschehnisse des Tages durch eine entsprechende Darstellung. Tagebücher sind manchmal für Freunde, Verwandte oder die Öffentlichkeit geschrieben.128

Weder im Nachlass noch im Tagebuch selbst finden sich Hinweise, dass Müller einem konkreten Vorbild Folge leistete oder bestimmte Reisevorbilder wählte. Möglicherweise orientierte er sich einerseits an den bereits determinierten wichtigsten Stationen entlang des Mittelrheins, andererseits an den eigenen lokalen Präferenzen, die Besuche bei Bekannten und Verlagspersonen einschlossen. Damit veränderte Müller genauso wie Schopenhauer den üblichen räumlichen Rahmen, indem der Rhein als Destination ersten Ranges um Ziele an Neckar und Main erweitert wurde, sodass der Aufenthalt am Rhein einen wesentlich geringeren Anteil der gesamten Reise einnimmt, als der Titel des Tagebuches zu Beginn ahnen lässt.

128 Ulbrich, Europäische Selbstzeugnisse, S. 18.

4. Historische Emotionenforschung

Zu Beginn meiner vergleichenden Analyse der Selbstzeugnisse beziehe ich mich auf die Prämissen der historischen Emotionenforschung. Basis dieser Entscheidung ist die Tatsache, dass Selbstzeugnisse nicht nur das handelnde und schreibende Selbst, sondern auch dessen innere Zustände reflektieren. Wie Gefühle die Akteur:innen auf ihren Reisen begleiten und ihr Schreiben bestimmten, wird in diesem Kapitel ausführlich behandelt. Gefühle bestimmen unsere täglichen Handlungen, Entwicklungen und Entscheidungen und werden somit auch zu einflussreichen Instrumenten einer öffentlichen Meinungsbildung. Medial wirksame Schlagworte wie Politikverdrossenheit, Angstoder Wutbürger und auch Angstkultur sollen verdeutlichen, wie Menschen den gesellschaftspolitischen Entwicklungen der Postmoderne emotional begegnen. Obgleich Eindrücke wie Wut, Angst und Bedrohung eine generell negative Gefühlsstruktur beinhalten, besitzen sie durchaus ein progressives Potenzial,1 indem sie kollektive Gruppen mithilfe von Gefühlen vereinen und gesellschaftliche Veränderungen beziehungsweise Entwicklungen beeinflussen. Die Historikerin Bettina Hitzer ist davon überzeugt, dass negativ besetzte Gefühle wie Angst und Unsicherheit einen durchaus positiven Charakter einnehmen können, wenn sie öffentliche Diskurse und damit politische Entscheidungen bestimmen.2 So könnten die Friedliche Revolution von 1989, die Je-suis-Charlie-Bekundungen nach den Anschlägen in Paris 2015 oder die US-Präsidentschaft von Barack Obama als Ausdruck eines »prosozialen« Wir-Gefühls gewertet werden.3 Die höchst ambivalente Bewertung von Emotionen ist zum einen auf deren Un­mittelbarkeit zurückzuführen, zum anderen auf die kulturell und sozial geformte Ausdeu­tung und Ausdrucksweise von Emotionen. Ich meine, dass Emotionen sich immer in Form körperlicher Praktiken, basierend auf Normen und habituellen 1

2 3

Der Psychologe Jan Kalbitzer wertete in der Online-Ausgabe der ZEIT (17. März 2017) den Wahlausgang in den Niederlanden im März 2017 als positives Ergebnis einer kollektiven Angstkultur, URL  : http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2017-03/angst-wut-psychologie-hass-gesellschaft, letzter Zugriff  :18.03.2017. Vgl. Hitzer, Bettina  : Emotionsgeschichte – ein Anfang mit Folgen, in  : H-Soz-Kult, 23.11.2011, URL  : www.hsozkult.de/literaturereview/id/forschungsberichte-1221, letzter Zugriff  : 28.04.2017. Den Begriff »prosoziales Gefühl« habe ich folgendem Band entnommen  : Ciompi, Luc/Endert, Elke  : Gefühle machen Geschichte  : die Wirkung kollektiver Emotionen – von Hitler bis Obama, Göttingen 2011, besonders S. 175–196.

120 |  Historische Emotionenforschung

Ge­wohnheiten – artikulieren und sich als Gegenreaktion ebenfalls in Körpertechniken offenbaren. Der Einsatz von Mimik, Gestik, Körperhaltung und Gesichtsausdruck kann, je nach Tradition, Moral- und Wertvorstellungen, unterschiedlich ausgedeutet werden und so Missdeutungen und Vorbehalte freisetzen. Als Beispiel soll hier eine Geste aus der japanischen Kultur dienen  : Diese ist stark von Respekt und gegenseitiger Rücksichtnahme geprägt, was sich etwa in der Praxis des Verbeugens zeigt (und dies nicht nur gegenüber Lebewesen, sondern auch toten Dingen wie Bauwerken und Gegenständen). Diese äußerlich sichtbare somatische Form der Zurückhaltung mögen Menschen anderer Kulturen als Zeichen der Emotionslosigkeit und Passivität deuten. Ein zweites Beispiel aus dem religiösen Bereich  : Zwei Personen besuchen die heilige Messe, eine davon ist katholisch, die andere ist konfessionslos. Während des Gottesdienstes sinkt der Gläubige auf die Knie, erhebt die Hände und ist sichtbar tief bewegt. Auf die Begleitperson wirkt der eruptive Gefühlsausbruch des Gegenübers höchst befremdlich und unangenehm, sie deutet die körperlich sichtbare Gefühlsbetontheit als Zeichen eines antiquierten religiösen Fanatismus. Beide Beispiele veranschaulichen, dass performative Handlungen immer auch emotional gesteuert sind und wiederum neue Emotionen erzeugen. Die emotionalen Reaktionen auf Körperpraktiken sind stets an eigene kollektive Wertvorstellungen und Erlebnisse gebunden und werden nicht selten mit nationalen (oder auch konfessionellen) Stereotypen in Verbindung gebracht, wie die Beispiele verdeutlichen. So wurden und werden klima- und umweltbedingte Einflüsse sowie die Temperamentslehre genutzt, um bestimmte Handlungen oder Praktiken als nationale Eigenheiten zu begründen. Der emotionale Erfahrungshorizont eines Südländers speist sich aus seinem sozialen Umfeld, das Gefühle intensiver wahrnimmt und expressiver zeigt. Im Gegensatz dazu präsentieren sich Bewohner der Nordhalbkugel als zurückhaltend und gefühlsscheu.4 Die körperlichen Praktiken sind in beiden Fällen an bestimmte Werte und Überzeugungen rückgebunden, an denen sich die jeweiligen Handlungen orientieren. Die performativen Handlungen sind nicht nur an die eigenen körperlichen Sinneswahrnehmungen gebunden, denn »sensorische Praktiken evozieren ihrerseits durchaus auch heterogene Gefühle […] bei der Begegnung mit dem Fremden«.5 In beiden Fällen erzeugen Gefühle beim Rezipienten mitunter negative Gefühle wie Abneigung und Unsicherheit, 4 5

Vgl. dazu Zeman, Mirna  : Volkscharaktere und Nationalitätenschemata  : Stereotype und Automatismen, in  : Conradi, Tobias/Ecker, Gisela/Eke, Norbert Otto/Muhle, Florian (Hg.)  : Schemata und Praktiken, München 2012, S. 97–117. Hacke, Daniela/Krampl, Ulrike/Missfelder, Jan-Friedrich  : Can you hear the light  ? Sinnes- und Wahrnehmungspraktiken der Frühen Neuzeit  ; zur Einführung, in  : Brendecke, Amdt (Hg.)  : Praktiken der Frühen Neuzeit  : Akteure, Handlungen, Artefakte  ; 10. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit, Köln (u. a.) 2015, S. 386–390, hier S. 389.

Emotion als Forschungsgegenstand der Geschichtswissenschaften | 121

obwohl die Erzeugenden zweifellos positive Absichten mit ihren Handlungen assoziieren. Da sowohl Darstellung als auch Ausdeutung von Emotionen nie wertfrei und objektiv geschehen, ist es die Aufgabe der Wissenschaft, sie stets situationsabhängig und als sozial und kulturell geformte Praktiken zu lesen und zu analysieren. Wichtige Impulse im Bereich der Emotionssoziologie hat Norbert Elias geliefert  : Er erkannte im westeuropäischen Zivilisationsprozess und besonders in der höfisch-aristokratischen Gesellschaft mit ihrer praktizierten Tabuisierung von bestimmten Handlungen und Zuständen (Nacktheit, Sexualität) den Ausgangspunkt von Affekt- und Triebkontrolle sowie Selbstdisziplin.6 Von dieser Grundlage aus können nicht nur bestimmte (angstgesteuerte, d. h. aus Angst vor Fehlverhalten antrainierte) Verhaltensweisen als Ergebnisse zivilisatorischer Prozesse verstanden werden, sondern auch Gefühle, die ebenso dem sozialen Wandel unterliegen – und damit historisch geformt sind.7 Emotionen lassen Menschen aktiv werden. Sie bewegen sie zu Handlungen und Äußerungen, formen ihre Persönlichkeit wie auch ihre Umgebung. Emotionen repräsentieren und lenken Meinungen und Interessen von Menschen. Emotionen sind aber keinesfalls nur wirksame Instrumente in diplomatischen und ökonomischen Belangen oder bilden ausschließlich Themenschwerpunkte in den Kognitions- und Neurowissenschaften. Gefühle bestimmen unsere Handlungen und Entscheidungen in allen Lebensbereichen, sie sind quasi omnipräsent. Ihre konstante Anwesenheit und Veränderbarkeit macht Emotionen so interessant für die Geschichts- und Kulturwissenschaften, die sich von der Emotionsthematik neue Erkenntnisse und Forschungsansätze für die Bewertung gesellschaftlicher und alltagsgeschichtlicher Phänomene oder kultureller Praktiken und damit historischer Prozesse erhoffen. 4.1 Emotion als Forschungsgegenstand der Geschichtswissenschaften Dass Emotionen eine eigene Geschichte besitzen, ist Grundlage einer eigens etablierten Teildisziplin der Geschichtswissenschaften. Diese Geschichtsmäßigkeit ist vor allem praxeologisch ausgerichtet, impliziert also körperliche und sprachliche Handlungen, die Emotionen ausdrücken oder evozieren. Die Historikerin Ute Frevert geht davon 6 7

Siehe dazu  : Elias, Norbert  : Über den Prozess der Zivilisation  : soziogenetische und psychogenetische Entwicklungen, 2 Bde., Bd. 1  : Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes, Frankfurt/Main 1997, S. 15 ff. Vgl. Adloff, Frank/Farah, Hindeja (Hg.)  : Norbert Elias  : Über den Prozess der Zivilisation, in  : Senge, Konstanze/Schützeichel, Rainer (Hg.)  : Hauptwerke der Emotionssoziologie, Wiesbaden 2013, S. 108– 115, hier S. 114.

122 |  Historische Emotionenforschung

aus, dass »Gefühle […] sowohl Individuen als auch soziale Interaktionen [prägen]«.8 Emotionen steuern demnach nicht nur die eigenen Handlungen, sondern auch das Umfeld und die Emotionen und Handlungen anderer. Eine historische Emotionenforschung ist aber mitnichten Neuland  ; im vergangenen Jahrhundert wurden sogenannte Gefühlskulturen bereits intensiv untersucht, zumeist in mikrohistorischen, ideengeschichtlichen Studien etwa zur bürgerlichen Wertekultur.9 Insgesamt lässt sich für das späte 20. Jahrhundert eine grundsätzliche Hinwendung zur Emotionsthematik in der Forschung feststellen, welche sich ganz klar gegen die bisherige Emotionslosigkeit und Gefühlskälte formierte.10 Als Erstes setzte sich die Emotionsthematik in der Psychologie und der Evolutionsbiologie durch und lieferte in Folge neue Erkenntnisse in der Verhaltens- und Sexualforschung. So seien bestimmte Gefühlsregungen, wie Mitleid, Sympathie, Trauer, Angst und dergleichen, Ausdruck des Zusammenspiels kognitiver Fähigkeiten und spezifischer Verhaltensweisen, wobei sich diese als Lern- und Sozialisierungsprozesse sowie nicht-statisch artikulieren. In den letzten Jahren haben sich andere Fachbereiche der Emotionsthematik angenommen, um Werte, Strukturen, Handlungen oder auch Gegenstände als im Grunde emotionsgesteuert neu zu definieren und auch Emotionen selbst als sozial und kulturell geformte Prozesse aufzufassen.11 Im Zuge eines Paradigmenwechsels in den Geisteswissenschaften – der sich laut Bachmann-Medick in zahlreichen Neu- und Umorientierungen beziehungsweise kulturwissenschaftlichen turns ausdrückt – hat sich Kultur als Leitbegriff und Schwerpunkt etabliert, der neue Forschungsansätze und Interpretationsmöglichkeiten menschlichen Handelns und Denkens zulässt.12 Die sogenannte ›Gefühlswende‹, die nonver  8 Frevert, Ute  : Was haben Gefühle in der Geschichte zu suchen  ? (= Geschichte und Gesellschaft 35, 2009/2), S. 183–208, hier S. 191.   9 Erwähnenswert ist einmal die Abhandlung von Paul Mog über Ratio und Gefühlskultur (1976), in der er sich bereits mit dem Ineinandergreifen von Rationalität und Emotionalität in der bürgerlichen Alltagspraxis beschäftigt. Von einer sinnlichen Abstumpfung durch gezielte Affekt- und Triebkontrolle berichtet Alain Corbin in seinem Pesthauch und Blütenhauch (1982)  ; hier führt der Autor die zunehmende Desodorierung im Paris des 18. und 19. Jahrhunderts nicht nur auf die zunehmenden Hygieneanforderungen, sondern vor allem auf soziale Unterschiede zurück. 10 Vgl. Gammerl, Benno/Hitzer, Bettina  : »Wohin mit den Gefühlen  ? Vergangenheit und Zukunft des Emotional Turn in den Geschichtswissenschaften« (Teil 1), URL  : https://soziologieblog.hypotheses. org/7297, letzter Zugriff  : 07.05.2022. 11 So hat Daniel Spoerris Idee eines Musee Sentimental die Konzeption von Ausstellungen nachhaltig verändert, indem scheinbar belanglose Alltagsgegenstände nunmehr als sinnstiftende Objekte einer Arbeits-, Bürger-, Freizeit- oder anderweitig ausgeprägten Kultur ihren Weg in die Museen gefunden haben. Der ideelle (und nicht der materielle oder monetäre) Wert des Gegenstandes tritt dabei ebenso in den Vordergrund wie dessen Besitzer und seine (emotionale) Bindung an das Objekt. 12 Vgl. Bachmann-Medick, Doris  : Cultural turns  : Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek 2009.

Emotion als Forschungsgegenstand der Geschichtswissenschaften | 123

bales Kommunizieren und Handeln, körperliches Inszenieren und Präsentieren betont, bewirkte auch in den Geistes- und Kulturwissenschaften ein Umdenken  : Emotionen wurden nun nach ihrem Bezug zu Raum oder Performanz analysiert.13 Diverse Bildungs- und Forschungszentren im In- und Ausland sind in jüngster Zeit darum bemüht, Gefühle in den historischen Wissenschaften als festes Themenfeld zu etablieren,14 um aufzuzeigen, dass erstens Emotionen sozialen und kulturellen Normierungen unterliegen, und dass sie zweitens gezielt eingesetzt werden, um den Lauf der Geschichte zu beeinflussen.15 Anhand oftmals kleinster Untersuchungsfelder wird analysiert, welche Verbindung zwischen Emotionalität und Geschichte besteht und wie Gefühle menschliches Handeln sowohl in der Vergangenheit als auch der Gegenwart beeinflussen und damit Ereignisse bewusst oder unbewusst herbeiführen. Die Emotionshistoriker:innen beschäftigen sich mit konkreten Fragestellungen, etwa  : »Wie interpretieren wir Emotionen in historischen Belegen  ? Welche Beziehung besteht zwischen Emotionen und körperlichem Ausdruck  ? Wie kann das Historisieren von Gefühlen zu einem besseren Verständnis von Geschichte führen  ?«16 Die relativ junge 13 Zum Beispiel in dem interdisziplinären Sammelband von Gertrud Lehnert (Hg.)  : Raum und Gefühl  : der Spatial Turn und die neue Emotionsforschung (Metabasis 5), Bielefeld 2011, S. 9–25. Interessant in Bezug auf diese Arbeit ist der Beitrag von Sarah Willner über Atmosphären und Hierarchien der Geschichtserfahrung (2016), in welchem sie den (auto-)didaktischen Mehrwert eines Geschichtstourismus anhand von Wandertouren zur Fundstelle der Gletschermumie Ötzi erläutert. Willner stellt fest, dass der Erlebnisort Gletscher von den Touristen fußläufig erfahren, beziehungsweise erlaufen wird, um die historische Bedeutung dieses Raumes zu erfassen, was gleichzeitig ein Gefühl des Dabeiseins auslöst –eine Art persönlicher Aneignung von Geschichte. »Anhand der Analyse unterschiedlicher Erfahrungsmodi beim alpinen Wandern folgert sie, dass historische Präsenz dort erlebt wird, ›wo emotionale Wanderstile, ihre Performanzen und räumliche Bedingungen miteinander korrespondieren‹.« ( Juliane Tomann  : Rezension zu  : Willner, Sarah  ; Koch, Georg/Samida, Stefanie (Hg.)  : Doing History  : Performative Praktiken in der Geschichtskultur, Münster 2016, in  : H-Soz-Kult, URL  : www. hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-26862, letzter Zugriff  : 07.05.2022. Mit konfessionell geprägten Gefühlspraktiken beschäftigte sich der V. Internationale Kongress für Pietismusforschung im Jahr 2018 in Halle a. d. Saale  ; dabei wurde unter anderem die Existenz von spezifisch pietistischen Gefühlen hinterfragt. Ankündigung und Schwerpunkte der Tagung, URL  : http://www.hsozkult.de/ event/id/termine-33176, letzter Zugriff  : 07.05.2022. 14 Zu den bedeutenden Zentren gehören das australische ARC Centre of Excellence for the History of Emotions (Europe 1100‒1800) sowie das britische Queen Mary Centre for the History of the Emo­ tions, wobei die Bezeichnungen und Standorte bereits klar machen, dass hier vor allem westlich-abendländische Gefühlskulturen (meist der Frühen Neuzeit) im Mittelpunkt stehen. 15 Vgl. Laukötter, Anja  : Editorial, URL   : https://www.history-of-emotions.mpg.de/editorial, letzter Zugriff  : 18.04.2022. 16 Rozenblatt, Daphne  : »Das Lächeln des Attentäters  : Gesichtsausdruck als politischer Ausdruck«, in Geschichte der Gefühle – Einblicke in die Forschung, Oktober 2016, URL  : https://www.history-ofemotions.mpg.de/texte/das-laecheln-des-attentaeters, letzter Zugriff  : 18.04.2022.

124 |  Historische Emotionenforschung

historische Emotionenforschung versucht vor allem durch eine offene, auf fachübergreifende Kooperation ausgerichtete Basis, ihre Existenz und wissenschaftliche Reputation langfristig zu sichern.17 Der Forschungsbereich Geschichte der Gefühle am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin hat sich als hiesiges Laboratorium für die historische Dimensionalität und Reichweite von Emotionen herausgebildet. Die daran beteiligte Wissenschaftlerin Anja Laukötter meint, dass  : Emotionen und ihre Konzeption […] nicht statisch [sind]  ; […] [sondern] abhängig von Zeit und Raum, sie sind kulturell geformt und sozial erlernt. Emotionen sind historisch wandelbar  : Emotionen haben eine Geschichte.18

Dies deckt sich mit der Aussage von Ute Frevert, welche schreibt  : Gefühle machen Geschichte. Sie motivieren soziales Handeln, setzen Menschen individuell und kollektiv in Bewegung, formen Gemeinschaften und zerstören sie, ermöglichen Kommunikation oder brechen sie ab. Sie beeinflussen den Rhythmus und die Dynamik sozialen Handelns. […] Gefühle sind […] auch […] geschichtsträchtig. Sie machen nicht nur Geschichte, sie haben auch eine.19

Hier wird Gefühlen eine eigene Historizität zugestanden, sie werden quasi »zu Agenten der Geschichte« gemacht  ;20 sie sind »kulturell geformt und sozial erlernt«,21 sie entsprechen demgemäß bestimmten Vorstellungen und Weltanschauungen, sind nichtfassbare Produkte oder Phänomene von ganzen Epochen und Generationen, unterliegen dem steten Wandel und sind Auslöser von Veränderungen. Diese provokante Darstellung widerspricht im Grunde der Zivilisationstheorie von Norbert Elias, also dem Prozess einer kontinuierlichen Ablegung von Emotionen und Instinkten, und 17 Die historische Emotionenforschung bindet Ansätze der Psychologie, der Anthropologie und der Soziologie in ihre Erkenntnisse mit ein, obgleich die Akzentuierung auf eine Gefühlsgeschichte vereinzelt dieses fachübergreifende Bestreben infrage stellt. Zu lesen etwa in Gerhard Sauders Rezension zu  : Achim Aurnhammer/Dieter Martin/Robert Seidel (Hg.)  : Gefühlskultur in der bürgerlichen Aufklärung, Tübingen 2004, In  : IASLonline, URL  : http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=1185, Absatz 22, letzter Zugriff  : 07.05.2022. 18 Laukötter, Anja  : Editorial. URL  : https://www.history-of-emotions.mpg.de/editorial, letzter Zugriff  : 18.04.2022. 19 Frevert, Gefühle, 2009, S. 202. 20 Schnell, Haben Gefühle eine Geschichte, 2015, S. 40. 21 URL   : https://www.mpib-berlin.mpg.de/de/forschung/geschichte-der-gefuehle, letzter Zugriff  : 18.04.2022.

Emotion als Forschungsgegenstand der Geschichtswissenschaften | 125

will wiederum belegen, dass Menschen in der Geschichte nicht immer zugunsten eines »vernunftgeleiteten Kosten-Nutzen-Kalküls« entschieden haben.22 Zum Beleg dieser These verweisen die Emotionshistoriker:innen auf die Affektkontrolle des Bürgertums, die »keineswegs mangelndes Gefühlsvermögen oder gar Gefühlskälte« implizierte, da nachweisbar im kleinen meist familiären Kreis eine offene Gefühlskultur gelebt wurde.23 Aufrichtiges Empfinden und echte Gefühle seien im 18. und 19. Jahrhundert eher mit Gefühlskontrolle, nicht mit Gefühlsverlust, gleichgesetzt worden. Allzu affektiertes Handeln und expressives Gebaren suggerierte falsche Gefühle und falsches Handeln, gefährdete das eigene Wohl und das Wohl anderer. Ute Frevert stellt bedauernd fest, dass die »verhaltenssteuernde Rolle von Gefühlen und deren soziale Konstitutionsprozesse [von der] Kulturgeschichte bislang weitgehend übersehen« wurde.24 Dabei bieten sich ihrer Meinung nach gerade in dieser Disziplin aufschlussreiche Quellen und Dokumente für einen Nachweis von Gefühlskulturen, deren Bestand und Wandelbarkeit an. Ein Sammelband über Gefühlswissen (2011) hat den Versuch unternommen, diese Forschungslücke zu schließen und die historische Bedeutung von Emotionen seit dem 18. Jahrhundert aufzudecken, und zwar anhand der Auswertung von Konversationslexika, da diese »das zu einer bestimmten Zeit breit verfügbare und kommunizierte Wissen präsentieren, Normen vermitteln und Orientierungshilfen bieten«.25 Wie aber lassen sich Emotionen historisch nachweisen, wenn sie doch flüchtig und nicht wiederholbar sind und vermutlich anders artikuliert und bewertet wurden als aus heutiger Perspektive  ? Wie erkennen wir beispielsweise auf einem Gemälde, dass eine Person einer anderen zugeneigt war, wenn ihre Körpersprache doch keine Gefühlsregung erkennen lässt  ? Können mögliche Gesten oder Gegenstände darauf hinweisen  ? Und können wir vom heutigen Standpunkt betrachtet diese Emotionen überhaupt richtig deuten  ? Ist es überhaupt möglich zu fühlen wie ein Mensch des Mittelalters oder der Frühen Neuzeit  ? Die Emotionshistoriker:innen erklären dazu, dass es nicht ihre Aufgabe sein kann, vergangene Sinneserlebnisse real zu reproduzieren  ; allein die 22 Frevert, Gefühle, 2009, S. 198. 23 Schmidt, Anne  : Gefühle zeigen, Gefühle deuten, in  : Frevert, Ute/Scheer, Monique/Schmidt, Anne/ Eitler, Pascal/Hitzer, Bettina/Verheyen, Nina/Gammerl, Benno/Bailey, Christian/Pernau, Margrit (Hg.)  : Gefühlwissen  : eine lexikalische Spurensuche in der Moderne, Frankfurt/Main 2011, S. 65–91, hier S. 76. 24 Frevert, Gefühle, 2009, S. 198. 25 Marietta Meier  : Rezension zu  : Frevert, Ute/Bailey, Christian/Eitler, Pascal/Gammerl, Benno/Hitzer, Bettina/Pernau, Margrit/Scheer, Monique/Schmidt, Anne/Verheyen, Nina  : Gefühlswissen  : eine lexikalische Spurensuche in der Moderne, Frankfurt/Main 2011, in  : H-Soz-Kult, 03.04.2012, URL  : www. hsozkult.de/publicationreview/id/reb-15795, letzter Zugriff 18.04.2022.

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veränderten biologisch bedingten Fähigkeiten sinnlicher Wahrnehmung würden eine exakte Wiedergabe ausschließen.26 Die Historische Emotionsforschung versucht dagegen, anhand zumeist kleiner Untersuchungsfelder, den Einfluss von Emotionen auf die Entwicklung von Gesellschaften nachzuweisen. Sie beschäftigt sich mit der These, dass menschliches Verhalten und Handeln von den entsprechenden gesellschaftlichen Wert- und Moralvorstellungen, Leitbildern, Wahrnehmungen, Diskursen emotional geprägt und emotional gesteuert sind. Beispielsweise seien Benimm- und Anstandsregelungen des aufgeklärten Bürgertums Quellen dafür, wie, wann, was gefühlt werden sollte und durfte und was nicht. So können beispielsweise Erziehungsratgeber nicht die realen Handlungsweisen in Familien nachzeichnen, sie lassen aber »Rückschlüsse auf den normativen Rahmen der emotionalen Erziehung von Kindern« zu und zeigen, dass die Lektüre solcher Texte sowohl »den Umgang mit Kindern« als »auch die Emotionen der Eltern« regulierte.27 Kritische Stimmen bemängeln erstens die Grundproblematik der Überprüfbarkeit von Emotionskulturen, auch anhand der getroffenen Quellenauswahl  : Ratgeberliteratur habe zwar vorgegeben, was gefühlt werden durfte und was nicht, dies lasse aber noch längst keine Rückschlüsse auf die tatsächlichen Gefühle historischer Akteur:innen zu.28 Emotionshistoriker:innen halten hier entgegen, dass normative Literatur tatsächlich keine Gefühle nachweisen könne, dafür aber Auskunft gebe, »wie spezifische Situationen emotional zu erfahren« seien und somit »den Lern- und Einübungsprozess von Emotionen« aufzeige.29 Insgesamt, so die Kritiker:innen der Emotionsforschung, blende die Theorie einer emotionsgesteuerten Geschichtsauslegung rationale Gedankengänge und kognitive Fähigkeiten des Menschen vollkommen aus, sodass Geschichte zu einer Art Spielball der Gefühle lanciert.30 »Sie befürchten, dass durch das Ausblenden von Intentionen als kognitiv fassbare Motivationen jeglicher Maßstab für die politische und moralische Bewertung einzelner Handlungen verloren gehe. Denn wenn man die Affekttheorien 26 Vgl. Jarzebowski, Claudia  : Tangendo  : Überlegungen zur frühneuzeitlichen Sinnes- und Emotionengeschichte, in  : Brendecke, Arndt (Hg.)  : Praktiken der Frühen Neuzeit  : Akteure – Handlungen – Artefakte, 10. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit, Köln (u. a.) 2015, S. 391–404, hier S. 395. 27 Jensen, Uffa  : »Können Eltern zu viel lieben  ? Adolf Matthias’ Ratgeber ›Wie erziehen wir unsern Sohn Benjamin‹ (1897)«, in  : Geschichte der Gefühle – Einblicke in die Forschung, Oktober 2013, URL   : https://www.history-of-emotions.mpg.de/texte/koennen-eltern-zuviel-lieben, letzter Zugriff  : 18.04.2022. 28 Vgl. Schnell, Haben Gefühle eine Geschichte, 2015, S. 351. 29 URL  : https://www.history-of-emotions.mpg.de/editorial, letzter Zugriff  : 18.04.2022. 30 Bettina Hitzer widerspricht einer strikten Trennung von Emotion und Kognition, siehe dazu  : Dies.: Emotionsgeschichte – ein Anfang mit Folgen, in  : H-Soz-Kult, 23.11.2011, URL  : www.hsozkult.de/ literaturereview/id/forschungsberichte-1221, letzter Zugriff  : 07.05.2022.

Selbstzeugnisse als performative Darstellungsmittel | 127

konsequent zu Ende denke, so der Vorwurf, mündeten diese in eine Art Affekt-Determinismus, der die Individuen aus jeder Verantwortung für ihre Taten entlasse.«31 Die Theorie einer emotionsgesteuerten Geschichte bietet ausreichend Streit- und Diskussionspunkte. Neben den eben genannten Zweifelsfragen bildet die nach wie vor uneinheitliche Terminologie einen Schwachpunkt in der Emotionsforschung. Begriffe wie Affekt, Trieb, Instinkt, Gefühl, Emotion, Leidenschaft und dergleichen werden, sowohl in den Primärquellen als auch den aktuellen Forschungsarbeiten, oft synonym verwendet, besitzen offensichtlich aber unterschiedliche Bedeutungszuweisungen, besonders auch in ihrer Verwendung in der Geschichte. Diesen Fragenkatalog zu schließen und einheitliche Lemmata vorzuschlagen, kann diese Arbeit nicht leisten. Ich möchte jedoch den Versuch unternehmen, aufzuzeigen, ob und wie Emotionen die Akteur:innen bei ihren Reise- und Schreibpraktiken beeinflussten, wie sie emotional gesteuerte Bilder des Selbst und ihrer Umwelt aufbauten, wie sie Raum und Zeit mit Emotionen in Verbindung setzten und welchen Brüchen diese Entwicklungen unterlagen. 4.2 Selbstzeugnisse als performative Darstellungsmittel In Tagebüchern und Briefen entblößen sich die Verfasser:innen, indem sie ihre Gefühle offen darlegen und ihre Ängste, Sorgen, Wünsche und Sehnsüchte formulieren, die sonst ungehört blieben. Selbstzeugnisse oder Ego-Dokumente besitzen einen unschätzbaren Wert für die Erforschung von Emotionen, da sie Einblicke in die Gefühlskulturen einer bestimmten Zeit und Gesellschaft gewähren, andere daran teilhaben lassen und somit neue Gefühlswerte produzieren.32 Sie besitzen den von Forschenden eingeforderten emotionalen Erfahrungswert. Die geschilderten Situationen und Erfahrungen vermitteln, was die Verfasser:innen dabei gefühlt haben oder zumindest angeben, gefühlt zu haben – denn die Praxis des reflektierten Schreibens kreiert immer auch (neue oder fiktive) Emotionen. Schriftlich fixierte Gefühlsäußerungen können nicht bloße Beschreibung, sondern Inszenierung von Gefühlen sein. Sie entwickeln sich im Prozess des Schreibens, der ein performativer Akt ist.33 31 URL  : https://soziologieblog.hypotheses.org/7302, letzter Zugriff  : 18.04.2022. 32 In einer Tagungsankündigung wird der Begriff folgend umschrieben  : »Mit dem Begriff ›Gefühlskultur‹ soll hier die Annahme ausgedrückt werden, dass Gefühle historisch und kulturell jeweils verschieden mit Diskursen und Praktiken verbunden sind, in denen ihre Bedeutung, ihre un/angemessenen Orte und Situationen sowie die Modi ihrer Artikulierbarkeit ausgehandelt und reguliert werden.« (Gefühlskulturen. Narrative und Kontexte, 07.11.2012–09.11.2012 Gießen, in  : H-Soz-Kult, 17.10.2012, URL  : www.hsozkult.de/event/id/termine-20273, letzter Zugriff  : 18.04.2022. 33 Vgl. Jordis, Elisabeth  : Gemeinschaft der Gefühle  : Praktiken sozialer Einbindung in den Briefen einer

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Gefühle zu artikulieren und zu reflektieren, ist die eine Sache, sie richtig zu bemessen, die andere. Denn die Rezipienten konnten und können kaum unterscheiden zwischen echten und unechten Gefühlen, zwischen authentischen und künstlichen Gefühlsbekundungen. Dass die Verfasser:innen bestimmten Qualitätsanforderungen zur Überprüfbarkeit echter Gefühle entsprechen müssen, zeigt, dass die Vermittlung von Emotionen stets festen Standards und Wertevorstellungen folgt. Kennzeichnendes Merkmal der Selbstzeugnisse ist die Ausrichtung an bestimmte Rezipienten, die durch individuelle Ansprache oder Informationsweitergabe den privaten beziehungsweise öffentlichen Rahmen der Kommunikation anzeigen. Anstatt die Quelle daher als Abbildung von Gefühlen zu lesen beziehungsweise in Frage zu stellen, sollte sie als eine kommunikative, das heißt an Andere gerichtete, Reflexion über Gefühle verstanden werden. Ein reflexiv-kommunikatives Moment war Tagebüchern als Textsorte stets inhärent. Denn diese dienten erstens der Betrachtung des eigenen Tuns, und es war zweitens im 19. Jahrhundert durchaus üblich, Tagebücher anderen Personen zu lesen zu geben – etwa den Eltern, dem Ehemann oder Freunden, später den Kindern.34

Die Selbstzeugnisse belegen nicht nur eine intensive Beschäftigung mit dem Ich und der subjektiven Wahrnehmung, sondern schärfen auch das Verständnis für Andere.35 Es ist gleichsam die Gabe von Schreibenden und Lesenden, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen, diesem nachzuempfinden oder nachzufühlen. »Dass es in den Selbstverständigungsprozessen der Moderne nicht nur um den Anderen, sondern auch um das Andere ging, machte die Romantik zum Thema.«36 Gefühlsbegriffe wie Angst und (Todes-)Sehnsucht, Fremdheit, Langeweile und Melancholie erfreuten sich großer Beliebtheit, weil sie einerseits den Blick von der Normalität des Alltags auf abwechslungsreiche Ereignisse und Phänomene, quasi die Nachtseite des Menschen, lenkten,37 und weil sie andererseits der rationalisierten, gefühlslosen Gegenwart widersprachen, denen sich die Romantiker:innen ausgeliefert sahen. Intensive Gefühle und deren Artikulation wirkten attraktiv und anziehend, gerade in einer Epoche des Übergangs, in welcher technische Neuerungen und Entwicklungen wirtschaftlichen Aufschwung

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liberalen Bildungsbürgerin, in  : Traverse, Zeitschrift für Geschichte 14/2 (2007), URL  : http://www.eperiodica.ch/digbib/view?pid=tra-001:2007:2::51#51, letzter Zugriff  : 18.04.2022. Verheyen, Nina  : Tränen im Vorabdruck  : das »Tagebuch eines Vaters« in einer deutschen Familienillus­ trierten der 1870er Jahre, in  : Geschichte der Gefühle – Einblicke in die Forschung, Februar 2014, URL  : https://www.history-of-emotions.mpg.de/texte/traenen-im-vorabdruck, letzter Zugriff  : 18.04.2022. Vgl. Frevert, Gefühle, 2009, S. 193. Ebd., S. 194. Vgl. Pikulik, Romantik als Ungenügen, 1979, S. 233f., 247–255, 410–414, 457–461.

Emotionen in den Selbstzeugnissen vom Rhein | 129

und Sicherheit, aber eben auch Monotonie und Gefühlskälte vermittelten und gleichzeitig neue Ängste provozierten.38 4.3 Emotionen in den Selbstzeugnissen vom Rhein Die Reiseberichte vom Rhein bieten in Form von Tagebucheinträgen oder Briefen Einsichten in das individuelle Gefühlsleben der Akteur:innen, aber auch in deren vielfältigen Beziehungsgeflechte. Die Analyse der Selbstzeugnisse soll zeigen, wie zwischenmenschliche Verbindungen, Situationen und Räume emotional ausgedeutet werden und sich in Brief- oder Tagebuchform neu konzipieren. Die sehr persönliche, intime Kommunikationsform Brief beziehungsweise Tagebuch erlaubt es den Akteur:innen, Gefühle konkret zu formulieren, zuzulassen oder auch zu verschweigen. Die indirekte Kommunikation erleichtert das Eingestehen von unterdrückten Emotionen, dient dem geheimen Austausch und gegenseitigen Zusichern von Zu- oder Abneigung, Liebe, Freundschaft oder Feindseligkeit. Zudem können eingeschriebene konkrete Gefühle wie Freude, Angst, Spannung, Langeweile und Melancholie aufzeigen, wie bestimmte Erlebnisse, Raum- und Menschbeziehungen emotional ausgedeutet und reflektiert wurden und warum dies so geschah. Vor allem die Emotionalisierung des Rheinerlebnisses offenbart die Verbindung von Gefühlen und Räumen, denn »Raumwahrnehmung ist immer auch Gefühlswahrnehmung«39. Schon allein »der Name des Rheins genügt, um beim Leser ganz bestimmte Assoziationen, Gedanken, Gefühle, Stimmungen hervorzurufen«.40 Der bereiste Raum ist Stimmungsbild und Stimmungsträger zugleich, dementsprechend werden bestimmte Bilder aktiviert  ; Räume erzeugen und übertragen Stimmungen. Deshalb fokussiere ich die in den Selbstzeugnissen artikulierten Emotionen im Kontext des Rheinerlebnisses, der Wahrnehmung und Inszenierung von Zeit und Raum. Die Wahrnehmung der Rheinlandschaft – ob in Text- oder Bildform – folgt ganz konkreten ästhetischen Anforderungen und den individuellen Vorstellungen der historischen AkteurInnen. Der Rhein bildet den Höhepunkt der Reisen, einmal als geografisch festgelegtes Ziel auf der Route, einmal als symbolischer Ort für die Reisenden. Der Rhein selbst ist oftmals der Motivation des Reiseunternehmens. Der Rhein ist Stimmungslandschaft und wird genauso erfahren  : Eine neutrale oder unvoreingenommene Begehung dieses Raumes scheint in diesem Kontext unmöglich und auch unerwünscht. Die Reiseberichte 38 Vgl. Frevert, Gefühle, 2009, S. 194. 39 Lehnert, Raum und Gefühl, 2011, S. 13. 40 Linder-Beroud, »Immer hör’ vom Rhein ich singen …«, 1997, S. 270.

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demonstrieren außerdem, wie der Rhein richtig, sprich gängigen emotionalen Vorstellungen und Handlungsmaximen folgend, bereist werden sollte. Bestimmte Verhaltensund Gefühlsmuster sind übereinstimmend und werden miteinander kombiniert, um eine emotionale Situation zu verstärken, etwa das Betrachten des Sonnenuntergangs, das Beobachten der Rheinschiffer, das Besteigen eines Aussichtspunktes. Diesen Situationen liegen bildhafte Inszenierungen von Landschaftsräumen zugrunde. Gerade die Einnahme des Rheins durch künstlerische Ambitionen und Gedankenmodelle steuert den Blick auf den Rhein bereits vor dem Besuch und lässt die Verfasser:innen mit ganz bestimmten und bereits im Voraus gefestigten Erwartungen und Hoffnungen an den Rhein reisen. Um sich in diese sogenannte Stimmungslandschaft richtig einzufühlen, bedarf es nicht nur des ästhetisch geschulten Blickes und der passenden Lektüre, sondern einer besonders feinfühligen Wahrnehmung und Eloquenz, die den Akteur:innen eine sinnliche Beobachtungsgabe bescheinigt.41 Der Briefwechsel von Clemens Brentano und Achim von Arnim ist durch eine außerordentlich gefühlsbetonte Sprache gekennzeichnet – dies ist in besonderem Ausmaß kurz nach der gemeinsamen Reise und später immer wieder in Reminiszenzen nachlesbar. Der sehr wortreiche Briefwechsel bezeugt die emotionale Wahrnehmung, erstens der Akteure selbst, zweitens ihrer Beziehung zueinander und drittens der Rheinlandschaft. Solche privaten Korrespondenzen, wie von Brentano und Arnim, produzieren »sowohl über ihre Materialität als auch im Akt des Schreibens und Lesens emotionale Beziehungen«.42 Die persönliche Ansprache des Empfängers, das wechselseitige Geben und Nehmen, welches Vorfreude und Ungeduld erzeugt, aber auch Schriftbild und Optik des Inhalts können Rückschlüsse auf zwischenmenschliche Bindungen und deren Intensität zulassen. Das Sichmitteilen im Brief erzeugt aber auch emotionale Prozesse der Nähe  : Mitgefühl, Mitleid, Anteilnahme am Schicksal des Anderen. Der schriftliche Austausch erzeugt eine andere Qualität der Nähe, welche die körperliche zu ersetzen scheint  ; beide sind im Geist miteinander vereint. Das gemeinsame Reiseerlebnis bildet die Konstante innerhalb der Freundschaft und ist im Briefwechsel durchweg positiv konnotiert. Dies gelingt durch die Benennung von bereisten Orten und Situationen, die das gemeinsam Erlebte als emotionale Basis des brieflichen Austausches erkennen. Brentano und Arnim nutzten das Medium Brief, um sich über private und berufliche Entwicklungen auszutauschen und die räumliche Trennung zu überwinden. Oft bildete der Briefwechsel überhaupt die einzige Möglichkeit, Neuigkeiten und Nachrichten über den jeweils Anderen einzuholen. Während der gemeinsamen Rheinreise ließ sich 41 Vgl. Kiewitz, Poetische Rheinlandschaft, 2003, S. 24. 42 Jordis, Gemeinschaft der Gefühle, 2007, URL   : http://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=tra­001:2007:2::51#52, letzter Zugriff  : 18.04.2022.

Emotionen in den Selbstzeugnissen vom Rhein | 131

das bereits angeeignete romantische Gedankengut erproben und gemeinsam verinnerlichen. Die Freundschaftsbriefe geben in einer Art unausgesprochenem Wettstreit detailliert Auskunft über den jeweiligen Grad der individuellen ›Romantisierung‹, die sich durch intensive und inszenierte Gefühlbekundungen ausdrückte und »in erster Linie ein poetisches Abenteuer« war.43 Die Inszenierung, die dramatische Überhöhung von Gefühlen wird vor allem anhand der Einschätzung ihrer Beziehung nachvollziehbar. Das periodisch wiederkehrende Bruder-Motiv, bei Brentano auch die partiell homoerotischen Liebeserklärungen, belegen die Wertschätzung und Freundschaft  : […] du lieber Junge, du siehst tausend Dinge, und kannst mir so wunderschön darüber schreiben, ich sehe nur eins, dich im ganzen Umfang deiner Anmuth deiner Liebe, deines Talents, und kann dir nichts mehr sagen, als daß ich dich liebe wie ich noch keinen Menschen geliebt, daß es mir noch nie neben einem Menschen so ruhig, so wahr und glüklich geworden ist, als neben dir am Rhein.44

Brentano empfindet eine tiefe Verbundenheit zu seinem Kameraden, er bewundert dessen äußere Erscheinung und Verstand. Die Zuneigung Brentanos zu seinem Freund ist absolut und nicht mehr steigerungsfähig, sie hat ihren Zenit erreicht. Diese schwärmerischen Beteuerungen entsprechen dem Bedürfnis der Romantik, »alle Lebensbereiche zu ›poetisieren‹«.45 Diesem Bedürfnis nacheifernd fällt es Arnim schwer zu erkennen, ob die vom Freund im Brief beteuerte »Liebe realistisch oder idealistisch ist«.46 Mit seiner drastischen Liebeserklärung, die den Freund eher ratlos zurücklässt, möchte Brentano wohl auch ganz bewusst ein gesellschaftliches Tabu provozieren. Bei ihm verwischen die Grenzen zwischen Kameradschaft und erotischer Leidenschaft, Schwärmerei und körperlicher Zuneigung.47 Diese Form impliziert keine sexuelle Beziehung, sondern eine platonische, freundschaftliche Liebe, obgleich Hartwig Schultz in diesen Formulierungen einen »Beleg 43 44 45 46 47

Pikulik, Romantik als Ungenügen, 1979, S. 106. Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 172. Schultz, Die »Liederbrüder«, 1998, S. XVII. Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 111. Ein ganz ähnliches Muster liefern übrigens die gut 35 Jahre älteren Freundschaftsbriefe von Johann Georg Jacobi und Johann Wilhelm Ludwig Gleim, die ihre Treue- und Freundschaftsbekundungen in Tradition zu Petrarcas Liebeslyrik formulierten und mit der exzentrischen Darstellung von Männerfreundschaft zeitgenössische Moralvorstellungen infrage stellten. Vgl. dazu  : Aurnhammer, Achim  : Der Lorenzo-Orden  : ein Kult empfindsamer Freundschaft nach Laurence Sterne, in  : Pott, Ute (Hg.)  : Das Jahrhundert der Freundschaft  : Johann Ludwig Wilhelm Gleim und seine Zeitgenossen, Göttingen 2004, S. 53–60, hier S. 54.

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für homosexuelle Fantasien« zu erkennen glaubt.48 Brentano empfand fraglos eine tiefe Verbundenheit zu seinem Kameraden, er bewunderte dessen äußere Erscheinung und Verstand. Brentano beschrieb sich selbst als »armen Sünder« und fühlte sich gänzlich in seinem Herzschmerz und sentimentalen Gemütszustand isoliert.49 Dieses Versinken in ein fast pathetisches Selbstmitleid ist charakteristisch für seine Briefe, die sich durch eine besonders sorgfältige Wortwahl, bildhafte Sprache und feinfühlige Ausdrucksweise auszeichnen. Damit werden seine Briefe dem gefühlsbetonten Impetus der Romantik vollends gerecht. Zudem reflektieren Brentanos Gedankengänge und Wortspiele eine ausgeprägte poetische Fantasie und präsentieren einen philosophischen Tiefsinn, die in den Ideenfolgen Arnims bisweilen fehlen. Während Brentano die Rolle des gefühlsbetonten und nachdenklichen Melancholikers vollkommen ausfüllt, tritt Arnim zumeist als rationaler und ernsthafter Denker auf.50 Jene vor allem zu Beginn der Freundschaft gepflegte Art der gefühlsbetonten Konversation zwischen Brentano und Arnim, die Geschlechteridentitäten und Männlichkeitskonzepte aufbricht und gleichgeschlechtliche (körperliche) Liebe zumindest auf dem Papier zulässt, findet parallel zur Rheinreise statt. Was während der Reise geschah, wird im Briefwechsel nicht offenbar. Allerdings bleibt das Rheinerlebnis im Schreiben auch Jahre später präsent und gibt immer wieder Anlass für schwärmerische und melancholische Bekundungen einer innigen Zweisamkeit, die mit der Weiterreise Arnims ein jähes Ende nahm. So bezeichnet Brentano knapp zwei Jahre nach der Reise die Trennung als Wendepunkt und »eine der schlechtesten Streiche meines Lebens«.51 Noch 1808 erinnert er sich an folgende Situation, als »du [Achim von Arnim] klangst und sangst am Rhein, Abschied nahmst auf der fliegenden Brücke, da wendete sich mein Geschick«.52 Diese Anekdote wurde im Briefwechsel immer wieder reflektiert und als folgenschweres Erlebnis in Erinnerung gerufen. Eine Minute meines Lebens verfluche ich es ist, die an der fliegenden Brücke zu Coblenz, als ich dich verließ, ach ich wäre sicher mit dir in die Schweiz und nach Mayland gegangen, waren wir nicht recht glüklich am Rhein, Sei nicht stolz auf deine Alpen, wenn du dies ließt, ich war nie so glüklich als mit dir im kleinen Nachen, o wäre ich doch nicht von dir gegangen  !53

48 Schultz, Schwarzer Schmetterling, 2000, S. 90. 49 Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 106. 50 Vgl. Rezension  : Arnim, Achim von  ; Brentano, Clemens  : Freundschaftsbriefe, in  : FAZ, 24.03.1998, S. L8, URL  : www.gbv.de/dms/faz-rez/F19980324BRENTA-100.pdf, letzter Zugriff  : 14.04.2022. 51 Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 105. 52 Ebd., S. 561. 53 Ebd., S. 40.

Emotionen in den Selbstzeugnissen vom Rhein | 133

Der Abschied besiegelte einerseits das Ende einer glücklichen gemeinsamen Zeit, markierte andererseits aber die Trennung der Freunde. Für Brentano symbolisierte der Ort des Abschieds gleichfalls Trauer und Verzweiflung, danach erblickte er »nie wieder eine fliegende Brükke ohne Schrekken«.54 Die fliegende Brücke bei Koblenz wurde zur Metapher seines persönlichen Scheiterns und seiner permanenten Einsamkeit. Seine Briefe erwecken überdies den Eindruck, als fühle er sich gegenüber dem geschätzten Freund benachteiligt. Dieser Anschein wird durch gemeinsame Erlebnisse und die damit verknüpften Empfindungen seitens Brentano verstärkt. So erinnert er sich an eine Begebenheit während ihrer Reise, bei der er seine Unfähigkeit, mit dem Freund psychisch wie auch physisch mitzuhalten, allegorisiert  : Es war da wir mit einander in den Thurm bei Rüdesheim gestiegen waren, da stelltest du dich an das einzige Fenster in dem Thurm, und sahst den Rhein sehr ernsthaft hinauf, ich aber stand im dunklen Thurm, und spielte Guitarre, sehr einsam fühlte ich mich, und es war mir, als wärst du hundert Meilen von mir, als wir wieder von dem Thurme stiegen, fühlte ich recht wie ich hinter dir in Allem zurück bleiben würde, ich kletterte so langsam herab und du sprangst so geschwind.55

Die Nähe am Fenster und die äußerliche Gefasstheit des Freundes bezeugen dessen Selbstsicherheit, Charakterstärke und geistige ›Erleuchtung‹. Dagegen fühlte sich Brentano gefangen in der finsteren Umgebung des Turmes, die ebenfalls seine innerliche Zerrissenheit, Verzweiflung und Labilität symbolisiert. Die bildliche Erhöhung des Gefährten geht einher mit der gleichzeitigen Erniedrigung der eigenen Person. In der gefühlten Entfernung vom Kameraden entdeckte Brentano sein eigenes Unvermögen als Dichter, obgleich seine poetische und sprachliche Gewandtheit die des Freundes bei Weitem übertraf.56 Das für die Romantik charakteristische bildhafte Spiel mit Hell und Dunkel, Licht und Finsternis wird an dieser Stelle exemplarisch angewandt und auf die innere Verfassung der Personen übertragen. Brentanos Briefe sind geprägt von Analogien seiner inneren Seelenlandschaft mit realen Landschaftserlebnissen. Die unterschiedliche Stimmung, die ein bestimmter Raum auf den Betrachter auslöst, spielt hier ebenso eine Rolle wie die mentale Verfassung des Betreffenden. Brentanos Briefe sind in den nachfolgenden Jahren noch stark geprägt von den Reminiszenzen an die Rheinreise und die damit verknüpften positiven wie auch negativen Emotionen.

54 Ebd., S. 105. 55 Ebd., S. 106. 56 Vgl. Schultz, Schwarzer Schmetterling, 2000, S. 92.

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Ein knappes Jahr nach ihrer Trennung formuliert er schließlich sein Vorhaben  : »[W]o du mit mir warst, da fahr ich hin allein, und denke an dich, dich sehe ich überall wieder«57. Er beabsichtigt, jene Orte aufzusuchen, welche die beiden Freunde einst gemeinsam bereisten und welche mit besonderen Erinnerungen verknüpft sind. Symbole und Gegenstände werden dabei mit Räumen verbunden, wie etwa »das zackige Weinblatt auf dem Weg nach Ostein, und die Biegungen der Berge« am Rheinufer.58 Brentano schreibt an Weihnachten 1802  : »Du bist es immer nach dem mein Herz sich sehnt, wie wir auf dem Ostein waren, da war das Leben schön […]«.59 Arnim erwidert im Winter darauf, dass er fortan »den Ostein O Wehstein« zu nennen pflege, »jetzt wo ich nicht mehr dort bin«.60 Der Briefwechsel bietet nicht nur Raum für den persönlichen (intimen) Gedankenaustausch. Auch bildet die in der Korrespondenz erinnerte Rheinreise einen symbolischen Rückzugsort, der für Außenstehende unzugänglich scheint. Brentanos Briefe zeichnen sich durch eine besonders sorgfältige Wortwahl, bildhafte Sprache und feinfühlige Ausdrucksweise aus. Die starke Emotionalität seiner Briefe bezeugt nicht nur seine Offenheit, Gefühle zu artikulieren, sie entspricht vor allem auch der kontrastreichen Selbstreflexion der Romantiker:innen. Den sehr bildhaften Gedankengängen und emotionalen Bekundungen gegenüber wirken einige Briefe Arnims wie rationale Ideenfolgen ohne emotionalen Tiefgang.61 Der Germanist Daniel Fulda meint, dass die seit der Aufklärung propagierte Gefühlskultur den Antagonismus zwischen bürgerlichen und adligen Bevölkerungsschichten und deren habituellen Eigenheiten zusätzlich unterstrich  : auf der einen Seite der echte, empfindsame Bürger, auf der anderen Seite der verstellte, gefühlskalte Adlige.62 Dass das Zulassen und Zeigen von Gefühlen bisweilen nicht jedem und jeder konsequent gelingt, bestätigt sich in den frühen Freundschaftsbriefen, in denen Arnim (dem Adel entstammend, preußisch erzogen) zurückhaltend auf die Bekundungen Brentanos (aus gutbürgerlichem, weltoffenem Künstler-Haus) reagiert. Helmina von Chézys Schilderungen vom Rhein lesen sich als schwärmerische Reisebilder, die vor allem dem Publikum gefallen sollten  : Sie zeigt sich von der Landschaft, 57 58 59 60 61

Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 67. Ebd., S. 67. Ebd., S. 79. Ebd., S. 88. Vgl. Rezension  : Arnim, Achim von  ; Brentano, Clemens  : Freundschaftsbriefe, in  : FAZ, 24.03.1998, S. L8, URL  : www.gbv.de/dms/faz-rez/F19980324BRENTA-100.pdf, letzter Zugriff  : 14.04.2022. 62 Vgl. Fulda, Daniel  : Menschwerdung durch Gefühle  : Gefühlserregung durch eine Übermenschliche  ; Schillers »Jungfrau von Orleans« zwischen Aufklärung und Romantik, in  : Arnold, Antje/Pape, Walter (Hg.)  : Emotionen in der Romantik  : Repräsentation, Ästhetik, Inszenierung (Salzburger Kolloquien der Internationalen Arnim-Gesellschaft 9), Berlin 2012, S. 3–20, hier S. 6 f.

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den Menschen und den Städten, der Geschichte und den Geschichten gleichermaßen entzückt. Die geradlinig erscheinende dichte Gefühlskette zeigt dabei sowohl Ausbrüche in den Bereich positiver als auch negativer Emotionen. Über freudige Ekstase und Ehrfurcht bis zur schmerzlichen Anteilnahme verdichtet Chézy ihren Bericht mit stark selbstbezogenen Gefühlserlebnissen. Im Gegensatz zu der privaten Briefkorrespondenz zwischen Arnim und Brentano – die freilich in Freundschaftskreisen zirkulierte und vorgelesen wurde – zielt Chézys Bericht auf die Öffentlichkeit und ein reiseinteressiertes Publikum. Sie drückt demzufolge weniger ihre eigenen Gefühle aus als dass sie intensive Gefühle in die Landschaft einschreibt und nebenbei empfiehlt, wie die Landschaft emotional erlebbar wird. So schreibt sie über ihren Aufenthalt bei Koblenz  : […] groß, schön gebaut, in der köstlichsten Lage, vom Rhein und der Mosel umschlossen, mit dem majestätischem Schlosse, dem schönen Garten, den herrlichen freien Plätzen, eignet sich ganz zu einer Residenz, der Charakter der Gegend ist grandios und süß zugleich. Unvergeßlich ist mir der Gang auf die Carthause, […]. Auf der Höhe des Gipfels ist Einem nicht zu Muthe, wie sonst auf Bergen, wo die Thäler zu kleinlich erscheinen  ; denn dies so liebliche, als in großen köstlichen Massen abgetheilte Rheinthal bietet harmonische Verhältnisse dar, […]. Wie einzig süß und bedeutsam erscheint der Rhein, und am jenseitigen Ufer die Ruine [Stolzenfels] bei Vollmondlicht  ! Wie wild war noch der Abend […] und der folgende  !63

Die Beschreibung bietet zahlreiche romantische Stereotype  : prächtige Schlösser und mittelalterliche Ruinen, kunstvoll angelegte Gärten und im Gegensatz dazu die wilde Natur mit der sinnlichen Stimmung der Rheinkulisse im Mondlicht. Daneben bereichert Chézy ihre Darstellung der Stadt und ihrer Umgebung mit durchweg positiven Attributen wie grandios, herrlich, süß, harmonisch und lieblich. Auch berichtet sie von dem Blick auf das Rheinpanorama, das sich ihr vom am Deutschen Eck gelegenen Höhenzug der Kartause präsentiert. Sie präferiert die dargebotene Aussicht von der Anhöhe, da die Landschaft für die Wanderin aus näherer Distanz greifbar erscheint und somit erst erlebbar wird. Das dargebotene Panorama stellt sie dem Aussichtspunkt auf einem Berggipfel gegenüber, der die Betrachterin weit oberhalb der Landschaft positioniert und demgemäß kein entsprechend intimes Naturerlebnis vermitteln kann und alles ›kleinlich‹ wirken lässt. Helmina von Chézy favorisiert in ihren Briefen eine Landschaft, die von der Geschichte und den Menschen geprägt ist. Die emotionale Verbindung des Subjekts mit der Natur gelingt ihr auch durch die assoziative Verbindung und Gleichsetzung von natürlichen und Kulturdenkmalen (überwucherte Ruine, Schloss im Eichenwald). 63 JLM, 1815/April, S. 197.

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Die Verbindung von Landschaft mit Stimmungen ist nie wertfrei und sollt bei der Leserschaft wiederum bestimmte Emotionen freisetzen. Diese absichtlich erzeugten Stimmungsbilder sind situativ abhängig und unterliegen dem historischen Wandel. Suchten Arnim und Brentano auf ihrer Wanderschaft noch vorrangig das gesellige Beisammensein, die unberührte Natur und das ursprüngliche, fröhliche Volksleben, verbinden spätere Reisende wie Chézy (und auch Schopenhauer) ihre Reiserlebnisse »mit patriotischen Gefühlen, mit preußischen Tugenden und deutschem Nationalismus«.64 Demzufolge empfindet Chézy den Rhein als symbolischen Ausgangspunkt und Garanten einer künftigen deutschen Nation  ; sie schildert die tagespolitischen Ereignisse ebenso detailliert wie die Landschaft und die Städte, die sie besucht, verknüpft aber stets ihre Aufenthaltsorte mit Geschichte und Geschichten. Chézy erkennt, dass das Bedürfnis, den Rhein zu bereisen, neuen Motiven folgt  : Warum eilt der Mensch aus der lebendigen Fülle der Gegenwart zu den Denkmalen der Vergangenheit  ? Was ist’s, das ihn sehnsuchtsvoll hinüberzieht in die längst versunkene Zeit, wo Menschen, wie er, gelebt, gelitten, geliebt  ? Ist’s nicht das Große, das Schöne, das Gute, das im Busen anklingt, wo wir es finden  ? Gewaltig kräftig steht es dem Strome der Zeit entgegen, und wiederholt sich in neuen sinnvollen Erscheinungen zum bedeutenden Ganzen. Nun die unendliche Mannichfaltigkeit von großen Männern, und ihrer Wirkung auf die Welt, dann die unzerreißbare, wenn gleich oft lose, oft unsichtbare Verkettung, an welche sich die Vergangenheit in Größe und Pracht auch an die Gegenwart knüpft. Oft ist’s auch nichts Anderes, als das Bedürfnis, sich aus der Nichtigkeit des gewöhnlichen Lebens dahin zu retten, wo sich ein Schatz von Anschauungen eröffnet, eine Frische Quelle von Gedanken und Bildern, wo die vergangenen Zeiten vor uns liegen […].65

Empfindungen und Gedanken des Reisenden sind an eine glanzvolle und heroische Vergangenheit des Rheins geknüpft. Der Strom ist Sehnsuchtsort von Patrioten und Sensationslustigen, die der Nichtigkeit des gewöhnlichen Lebens zumindest zeitweise entkommen wollen. So gleicht ihr Abschied vom Rhein einer Verbannung aus dem Paradies  : Nicht ohne Schmerz verließ ich […] das blühende Rheingau, so reizvoll, so liebevoll, bewohnt von guten Menschen. Ich liebe den Rheinbewohner. Die Gegend und ihre Erzeugnisse, das leichtbewegte Leben und Treiben hin und her zu Lande und zu Wasser, machen ihn heiter

64 Maurer, Kulturgeschichte, 2008, S. 182. 65 JLM, 1815/April, S. 202.

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und befruchten seine Phantasie. […] Wohlstand herrscht im Rheingau, den die Systeme der Französischen Raubvögel noch nicht entkräftet hatten.66

Mentalität, natürliche Bedingungen und Ressourcen ergeben zusammen ein Stimmungsbild, dass das Rheinland als lebenswert darstellt. Die Vorzüge der Landschaft begründen nicht nur die leichte Lebensart und den Wohlstand der Bevölkerung, sondern auch die Sonderstellung und scheinbare Unantastbarkeit, die den Rheingau von den Repressalien infolge der französischen Besatzung verschonte. Chézy führt die Unversehrtheit der Region kontinuierlich auf deren historische Bedeutsamkeit zurück und begründet dies mit der langen Traditionslinie deutscher (Erfolgs-)Geschichte. Dieser Devise folgend erlebt sie den Rhein als Stimmungslandschaft, als natürlich und historisch gewachsenen Raum, der überregional ein Gefühl der Verbundenheit und Identität auslöste. Johanna Schopenhauer beschreibt in ihren Rheinschilderungen eine historisch gewachsene Stimmungslandschaft. So äußert sie sich bei ihrer Ausflucht an den Rhein (1818) ergriffen ob der historischen Bedeutsamkeit des Odenwaldes  : Mich ergriffen ahnende Schauer einer gewaltigen Vorzeit, da ich hindurch schritt. Schon der Name des Odenwaldes verkündet, daß er vor allem dem Dienste Odins geweiht war  ; die ganze Gegend bietet noch Spuren davon, und wohin man tritt ist altdeutscher klassischer Boden.67

Diese Ergriffenheit ist auch noch auf ihrer Reise 1828 präsent  : Das eigentliche Rheintal ist dem ernsten Nachdenken über große, wechselvolle, längst entschwundene Zeiten geweiht, es erscheint wie ein Tempel der Vergangenheit […]. Sobald man den üppig blühenden Rheingau bei Bingen aus dem Gesicht verliert, fühlt man von einem unbeschreiblich süßen, aber wehmütigen Gefühl sich ergriffen, von Schauern der Vergangenheit sich umweht, und dieses Gefühl verlässt uns nicht, bis der Dom von Köln, gleichsam ihr Grabstein, in ernster Trauer uns entgegentritt.68

Mythologisch überhöht wird der Rhein, genauer gesagt, der Abschnitt stromabwärts bis nach Köln, zu einem nationalen Stimmungsraum, der als historisch gewachsene Einheit die Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet. Der Mittelrhein wird hier in seiner Ausdehnung als Stimmungslandschaft abgesteckt und auch begrenzt. Als 66 Ebd., S. 205. 67 Schopenhauer, Ausflucht, 1818, S. 106. 68 Schopenhauer, Ausflug, 1831/2, S. 90.

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Schauplatz einer heroischen Vergangenheit (Nibelungen) wird der Rhein gleichfalls zu einem Garanten deutscher Geschichte und nationaler Einheit, die in der erhofften Fertigstellung des Kölner Doms ihre bildlich übertragene Vollendung findet. Emotionen werden hier mit historischen Ereignissen und Schauplätzen verknüpft, um nationale Legitimation und Identität zu verbreiten. Sodann war es nur natürlich, dass bei der Besichtigung von Städten und Landstrichen um 1815 beziehungsweise 1816 die unmittelbar zurückliegenden Kriegsverwüstungen und administrativen Zugehörigkeiten im Stadtbild, dem Alltagsleben und der Erinnerung der Bewohner:innen nach wie vor präsent waren – und somit auch den ReiseberichterstatterInnen nicht entgingen. Bei ihrem Aufenthalt in Mainz bemerkte Johanna Schopenhauer, dass die anhaltende französische Besatzung die kulturelle Identität der lokalen Bevölkerung nachhaltig verändert hatte  : Für jetzt scheinen mir die Mainzer in Kleidung und Sitte weder Franzosen noch Deutsche zu seyn  ; auch ihre Sprache hat viele französische Wörter und Wendungen angenommen. Sie rechnen nach Sous und Franks, nennen Mainz ›Majenze‹, und die Bürgerfrauen sehen aus wie eine Pariser Bourgeoise. Sie kommen mir alle wie Kinder vor, die lange in der Fremde blieben und sich vom Vaterhause entfernten. Jetzt, da sie heimgekehrt sind, wissen sie sich nicht gleich wieder darein zu finden, doch wird Nachsicht und sanfte Behandlung sie gewiss bald heimisch machen […].69

Ausgangspunkt dieser Beobachtung waren die strukturellen Veränderungen in den linksrheinischen Gebieten nach 1815  : Mainz stand als einstiger Ausgangspunkt der französischen Besatzung im Rheinland exemplarisch für den Wiederherstellungswillen der alliierten Verbündeten.70 Die Territorien links des Rheins unter ehemals französischer Administration mit ihren wichtigsten Städten – dazu zählten neben Bonn auch Köln und Koblenz – wurden nach dem Wiener Kongress neu aufgeteilt und fielen zum Großteil an das Königreich Preußen.71 Die aus preußischer Sicht gelungene Wiedereingliederung ursprünglich deutscher Provinzen konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die dort ansässige Bevölkerung über eine heterogene kulturelle 69 Schopenhauer, Ausflucht, 1818, S. 201. 70 Vgl. Schiffmann, Dieter  : Traditionen und Wirkungen regionaler politischer Kultur, in  : Sarcinelli, Ulrich/ Falter, Jürgen W./Mielke, Gerd/Benzner, Bodo (Hg.)  : Politik in Rheinland-Pfalz  : Gesellschaft, Staat und Demokratie, Wiesbaden 2010, S. 31–74, hier S. 42. 71 Außer Mainz  : Die Stadt stand jahrelang unter provisorischer Regierung und wurde gleichfalls von Preußen, Österreich und Hessen beansprucht. Siehe dazu  : Martin, Constanze  : »Mainzer Frage« 1814– 1816, URL  : https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/texte/aufsaetze/martin-mainzer-frage.html, letzter Zugriff  : 20.03.2022.

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und vor allem konfessionelle Identität verfügte, die »Ergebnis eines langen Prozesses im 19. Jahrhunderts von Abgrenzung, Konstruktion, Gewöhnung« und den jeweils herrschenden Systemen war.72 Bezeichnenderweise blieben Johanna Schopenhauer die alltäglichen Formen der Kommunikation und Interaktion im Gedächtnis, erwähnenswert erschien ihr jedoch nur das Auftreten ihrer Geschlechtsgenossinnen. Über weiblich definierte Zuständigkeiten, im konkreten Fall Kleidungsgewohnheiten, war es Frauen erlaubt, zur Aufrechterhaltung von Moral und Anstand Kritik zu üben. Schopenhauers Anmerkungen über den weiblichen Anteil der Bevölkerung, welcher in besonderem Maß den Sitten des französischen Großbürgertums zugetan war und als infantil bezeichnet wurde, verweist außerdem auf den Erziehungsauftrag und mütterlichen Beistand, den eine deutsche Frau eigentlich zu leisten hatte.73 Es bleibt fraglich, ob und wie sich Schopenhauers befürwortete ›sanfte Behandlung‹ auf die Mentalität und Identität, mithin den Lebensalltag der Rheinländer auszuwirken vermochte. Gefühle kultureller und konfessioneller Zugehörigkeit, die weit über die französische Beeinflussung durch sprachliche und administrative Eigenheiten hinausreichten, demonstrierten hier die Grenzen preußischer Einheitsbestrebungen, schürten allerdings den Franzosenhass. Der Gemeinschafts- und Einheitsgedanke, den auch Johanna Schopenhauer zu ihrer gleichnishaften Einschätzung anstiftete, verband sich mit dem Feindbild Frankreich  ; die ›Heimkehr‹ der Mainzer Bewohner stand darin sinnbildlich für die Rückgewinnung deutscher Territorien, die Rheinlande waren nun wieder vereint im ›Vaterhause‹ Preußen. Obgleich sich mit den restaurativen Bestrebungen des Wiener Kongresses und den Karlsbader Beschlüssen die Einheitsidee einer deutschen Nation vorerst zerschlug und die Zensur liberale beziehungsweise nationale Unterstützung unterband, blieb der Rhein als Nationalsymbol in der zeitgenössischen Dichtung und Literatur erhalten.74 Wilhelm Müller, ehemals aktiver Verfechter einer nationalstaatlichen Einigung, vermochte durch die Verbindung der symbolträchtigen, dabei aber straflos wirkenden Motive Rhein und Wein, die Begeisterung der Deutschen für das Vaterland in der Dichtung aufrechtzuerhalten und Forderungen nach individueller Freiheit zu formulieren.75 Während diese Form der Lyrik prädestiniert war, »das Wissen um den Rhein als nationales Symbol wachzuhalten«,76 ohne in das Blickfeld der strengen preußischen 72 Schiffmann, Traditionen und Wirkungen, 2010, S. 42. 73 Vgl. Brandt, Bettina  : Germania und ihre Söhne  : Repräsentationen von Nation, Geschlecht und Politik in der Moderne, Göttingen 2010, S. 103. 74 Vgl. Kiewitz, Poetische Rheinlandschaft, 2003, S. 150. 75 Vgl. ebd. S. 152. 76 Ebd., S. 154.

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Überwachungskommission zu geraten, scheint sein Rheinreisetagebuch weit davon entfernt, nationalpolitische Ideen in verschlüsselter Form preiszugeben. Zwar bildete das Motiv des Rheinweins und der fast täglich stattfindenden Trinkgesellschaften auch einen zentralen Aspekt im Reiseverlauf, allerdings finden sich keine direkten oder indirekten Bezüge zum Rhein als Nationalsymbol. Die im Zuge seiner Rheinweinlieder verdichteten Erwartungen an eine noch stärker gefühlsbetonte Wahrnehmung der Rheinlandschaft in Gestalt persönlicher Aufzeichnungen bleiben unerfüllt. Müller besuchte zwar während seines Aufenthaltes Vereine, kleine Gesellschaften und Salons, allerdings blieben die dort erörterten Themen laut der Tagebucheinträge immer auf Literatur und Kunst begrenzt. Gegenstände der Unterhaltungen werden nicht genannt, persönliche Begegnungen bleiben im gesamten Tagebuch deskriptiv und auf das Nötigste beschränkt. Möglicherweise können einzelne Tafellieder Müllers mit Rheinweinbezug Rückschlüsse auf reale Gesprächsthemen liefern,77 in welchen die »Utopie der Nation […], nur im freundschaftlichen Zirkel, wo das Weingelage das Gefühl der Zusammengehörigkeit im Kleinen vergegenwärtigt« gelang.78 Der Wein fungiert hier als positiver Stimmungsträger, der bei übermäßigem Verzehr auch dazu verleiten konnte, mehr preiszugeben, als gewollt und erlaubt war. Vermutlich war der politische Meinungsaustausch nur in geselligen kleinen Runden möglich, wie sie Adelheid und Wilhelm Müller während ihrer Reise des Öfteren besuchten – bei denen stets der Alkoholgenuss verbindlich war.79 Die Selbstzeugnisse verdeutlichen, dass das Schreiben oder Nicht-Schreiben über Gefühle, das reflektierte Einordnen von Erlebnissen und Erfahrungen für die Selbstund Fremdwahrnehmung wichtige Indikatoren einer emotionalen Rheinwahrnehmung sind. Der Erkenntniswert für die Historische Emotionsforschung beinhaltet nicht die faktische Belegbarkeit von Emotionen, sondern wie diese als Erfahrungs- und Erlebnisprozesse narrativ verarbeitet und reflektiert wurden und wie sich die Akteur:innen selbst inszenierten, um einer Gefühlskultur am Rhein zu entsprechen und einen Gefühlsraum Rhein zu konzipieren, indem sie Attribute eines Gefühlswissens adaptierten. Der bereits vorhandene Gefühlsfundus ließ sich während der Reise regelmäßig erweitern und bestätigen. Der Rhein wird in den Selbstzeugnissen als Raum für Freundschaft, Liebe, Identität, Nation und andere Lemmata symbolisch überformt und jenseits seiner geografischen und natürlichen Eigenschaften vor allem emotional wahrgenommen und 77 Etwa das Gedicht Der neue Demagoge, nachzulesen in  : Müller, Wilhelm  : Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten, 2 Bde., Bd. 2  : Lieder des Lebens und der Liebe, Dessau 1824, S. 31 f. 78 Kiewitz, Poetische Rheinlandschaft, 2003, S. 154. 79 Vgl. Müller, Reisetagebuch, 1827, S. 26, 35.

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erlebt. Der Mittelrhein ist eine multiplexe Stimmungslandschaft und unterliegt dabei nicht nur dem entsprechenden Zeitgeschehen, sondern ist auch abhängig von sozialer Stellung, Alter und Geschlecht der Verfasser:innen. So ist die Rheinlandschaft in den Texten abwechselnd ästhetische Kunstlandschaft, Landschaft der sinnlichen Freuden, einer romantisch-mythischen Vergangenheit, nationaler Ambitionen und Vater- oder Heimatland, wobei die Stimmungsbilder mit den entsprechenden Emotionen ausgestattet wurden. Die Kontrastschärfe und Vielfalt der Ausdeutung der mit natürlichen und kulturellen Reizen lockenden Rheinlandschaft löste Ehrfurcht und Melancholie, Begeisterung und Frohsinn aus. Die zunächst ästhetische Entdeckung des Rheins war dabei in erheblichem Ausmaß an der anschließenden romantisch-mythischen Überhöhung des Rheins als Sagen- und Geschichtslandschaft beteiligt. So konstatierte schon Schlegel während seiner Reise nach Frankreich, dass der »Anblick dieses königlichen Stromes […] jedes deutsche Herz mit Wehmuth« erfülle.80 Die Verknüpfung natürlicher Begebenheiten mit historischen und ahistorischen Ereignissen etablierte den Rhein als mythische Geschichtslandschaft, die gerade durch ihren Rückgriff auf germanische Mythen und mittelalterliche Sagen eine Verbindung mit der Gegenwart und der Zukunft schuf  : Auch wenn die Natur und die Burgen dem Lauf der Zeit ausgesetzt waren, so blieb doch der Rhein als Garant deutscher Geschichte erhalten. Der Rhein schärfte das historische Bewusstsein und dies setzte wiederum ein Gefühl der Gemeinschaft und Identität frei. Inmitten politischer und struktureller Krisen suggerierte er Beständigkeit und befriedigte das Bedürfnis nach Sicherheit, versprach eine jederzeit mögliche Rückkehr zum Ursprünglichen. Diese meistens mit Wehmut verknüpften Stimmungen nahmen entweder das vermeintlich sorgenfreie Leben der Menschen in zurückliegenden Zeitaltern, das einfache Leben der ländlichen Bevölkerung, die Blütezeit der Kunst und Poesie oder die scheinbare Einheit deutscher Sprache und Kultur in den Blick und produzierten eine romantische Verklärung der Vergangenheit, die Potenzial für eine künftige Nation enthielt.81 Dass gerade dieser Rückzugsort romantischer Traditionalisten und Hort deutscher Tugenden durch äußere Einflüsse entfremdet zu werden drohte, setzte nun ein Gefühl der Überlegenheit sowie ein verschärftes Feindbild frei. Überspitzt könnte man von einer Radikalisierung der Gefühlskultur sprechen, die vermehrt negative Emotionen bündelte und den Rhein als integralen Teil Deutschlands deutete, den es unter allen Umständen zu verteidigen galt. Die Selbstzeugnisse boten sodann auch eine Plattform 80 Schlegel, Friedrich  : Erinnerungen einer Reise nach Frankreich, in  : Europa  : eine Zeitschrift, Bd. 1, St. 1, Frankfurt 1803, S. 5–17, hier S. 15. 81 Siehe dazu ebd. S. 8 ff.

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für die Artikulation und Produktion nationaler und liberaler Gefühle, waren aber nicht ausschließlich Medien der preußischen Propaganda. Sie bedienten sich vielmehr einer situations- und zeitbedingten kollektiven nationalen Gefühlskultur und schrieben sich darin ein, indem sie spezifischen kulturellen und sozialen Gefühlsnormen entsprachen.82 Aus dem Gedanken- und Gefühlsarsenal der Romantiker:innen wurden Gefühlsbegriffe wie Schauer, Ergriffenheit und Erschütterung mit neuen Interpretationen und Sinnzuweisungen ausgestattet. Der Reisebericht schien prädestiniert für die Kanalisierung nationaler Emotionen, da das direkte Vor-Ort-Erlebnis, die Überschreitung von Grenzen und die unmittelbare Begegnung mit der (französischen) Fremdherrschaft eine authentische emotionale Erfahrung suggerierte und ganz nebenbei politische Botschaften weitervermittelt wurden. Dass ausgerechnet in den Rheinschilderungen von Helmina von Chézy und Johanna Schopenhauer eine Verknüpfung von Emotion und Nation erfolgt, mag aufgrund der konventionellen Geschlechterzuweisungen zunächst verblüffen – Frauen waren schließlich auf ihre reproduktive und karitative Rolle beschränkt und weibliche Aktivität dem männlichen Handeln stets untergeordnet.83 Die Form des Reiseberichts, welcher eigentlich dem Auftrag der Unterhaltung folgte, ermöglichte nachweislich auch Frauen einen patriotischen Beitrag zu leisten, indem sie durch die Verknüpfung von natürlichen und kulturellen Besonderheiten mit nationalen Gefühlen den Rhein als eine vielschichtige Stimmungslandschaft beschrieben. Mit der »Familiarisierung des Nationalen«,84 also der emotionalen Bezugnahme auf kämpfende Söhne, Väter und Kriegshelden, konnten auch Frauen ihre politische Meinung kundtun und nebenbei agitatorische Arbeit leisten. Aus dem Impuls, den Rhein lediglich zu bereisen, ließ sich leicht ein politisch motivierter Auftrag oder sogar Aufruf zum Kriegsbeistand ableiten, der Freiwillige aus ganz Deutschland anzog. Der Aktionsradius von politisch interessierten Frauen wurde in solchen Texten erweitert. Spezielle mit dem Weiblichen assoziierte Emotionen wie Mitleid, Nächstenliebe und Fürsorge konnten Mobilisierungssynergien freisetzen und gleichzeitig politische Teilhabe für Frauen ermöglichen.85 Da sich Selbstzeugnisse durch ihre bewusste Anfertigung auszeichnen, sind auch die emotionsbezogenen Raum- und Naturbeschreibungen in den vorliegenden Texten nicht wertfrei. Schriftliche Quellen arbeiten anders als Ton- oder Bildquellen mit Worten 82 Vgl. François, Etienne/Siegrist, Hannes/Vogel, Jakob  : Die Nation  : Vorstellungen, Inszenierungen, Emotionen, in  : Dies. (Hg.)  : Nation und Emotion  : Deutschland und Frankreich im Vergleich  ; 19. und 20. Jahrhundert (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 220), Göttingen 2011, S. 13–35, hier S. 19. 83 Vgl. Brandt, Germania und ihre Söhne, 2010, S. 367. 84 Ebd., S. 367. 85 Vgl. ebd. S. 106.

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und werden durch sprachlich erzeugte Bilder im Kopf authentisch, etwa mithilfe inszenierter Gefühle und ausdrucksstarker Handlungen. Gefühlsbilder und Gefühlsräume sind nachvollziehbar und übertragbar, da jeder Mensch von Natur aus über Gefühle verfügt und aus individuellen Erlebnissen Analogien zu den textlich verbürgten Empfindungen herzustellen vermag. Natur, die zunächst einmal ohne historischen Bezug ist, wird durch emotionale Bezugnahme zu einem sehens-, schützens- und erhaltenswerten Raum  : Etwa eine mit Efeu überwucherte Ruine, ein Hain aus Eichen, ein Wasserfall, ein Weinberg. So wird ein Bauwerk beispielsweise erst dessen seinen historischen oder auch poetischen Bezug kulturalisiert, während die Einbindung in die Landschaft durch Naturalisierung erfolgt und somit an beide Kategorien gebunden ist.86 Der Raum wird nicht nur als natürlicher, geografisch fixierter Raum wahrgenommen, sondern auch als imaginäres Raumkonzept, das regional übergreifende Gefühle wie Identitätsbewusstsein und nationale Verbundenheit evozierten. Dabei spielten ästhetische Kategorien, also Bewertungskriterien der Landschaftsmalerei die Grundlage für Bestrebungen, bestimmte Landschaften zu erhalten, die in Kapitel 6 erörtert werden.87

86 Vgl. Trom, Danny  : Natur und nationale Identität  : der Streit um den Schutz der Natur um die Jahrhundertwende in Deutschland und Frankreich (aus dem Franz. übers. v. Linda Gränz), in  : Nation und Emotion  : Deutschland und Frankreich im Vergleich  ; 19. und 20. Jahrhundert (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 220), Göttingen 2011, S. 147–167, hier S. 157. 87 Vgl. ebd. S. 158.

5. Sensuelle Landschaftswahrnehmung – Reisen mit allen Sinnen

Wenn wir die Reiseberichte der verschiedenen Akteur:innen analysieren und uns dabei auf das Reiseziel, nämlich den Rhein beziehungsweise das Mittelrheintal, konzen­ trieren, rückt die zeitgenössische Landschaftswahrnehmung in den Fokus. Das idealisierte Natur- oder Landschaftsbild bildete (und bildet nach wie vor) den elementaren Bestandteil der Rheinbegeisterung. Um die Natur ganzheitlich wahrzunehmen und (geistig und körperlich) zu erfahren, ist die Einbeziehung der menschlichen Sinne erforderlich. Die Romantik definiert sich durch eine Neubewertung der individuellen Sinnerfahrung und -deutung, welche eine emotionale Verbindung des Menschen zur Natur betont, weshalb die Landschaft besonders intensiv wahrgenommen und mit allen Sinnen beschreibbar wird.1 Selbstzeugnisse bieten sich an, sinnliche Eindrücke aufzuzeigen, da sie stark ichbezogen sind und über die eigenen Wahrnehmungen referieren, wodurch sie ihren Authentizitätsanspruch festigen und den Verfasser:innen ein Vor-Ort-Erlebnis bescheinigen. Im besten Fall reflektieren diese neben visuellen auch ihre auditiven, olfaktorischen, gustatorischen, taktilen und andere körperbezogene Eindrücke. Die Reflexion äußerer und innerer Reize kann auf konstante und variable Verhaltens- und Mobilitätsmuster, aber auch Schreibpraktiken hinweisen. Das Verarbeiten oder Nicht-Verarbeiten sinnlicher Eindrücke ist zudem der teilweise nachträglichen und zeitversetzten Verschriftlichung der Reiseerlebnisse geschuldet, in denen sich die Reisenden selbst in Szene setzen und dafür diverse Sinneseindrücke bevorzugen beziehungsweise vernachlässigen. Es wird eine Konstruktion und Inszenierung von Sinneswahrnehmungen vorgenommen, um den Erlebnischarakter der Reise zu intensivieren. Sinnliche Beobachtungen und Erfahrungen werden also entweder in extremer Ausprägung dargestellt oder sind konstruiert, um den Rheinaufenthalt als ganzheitliches Sinnerlebnis zu präsentieren. Von Bedeutung ist hierbei wiederum nicht die Ausforschung realer Sinneserlebnisse, sondern das Nachvollziehen bestimmter durch kollektive Verhaltensweisen geformter sinnlich gesteuerter Schreibpraktiken. In den Reiseberichten vom Rhein gelingt diese Entsprechung einer feinfühligen Naturwahrnehmung besonders intensiv, da neben visuellen auch die auditiven, haptischen und gustatorischen Reize erhöhte Aufmerksamkeit erfahren. Die Rekonstruktion von Seh-, Hör-, Riech-, Geschmacks- oder anderen Körpererfahrungen rekurriert dabei nicht nur auf individuelle Sinnesvorlieben, sondern auch auf sozial geformte 1

Vgl. Kiewitz, Poetische Rheinlandschaft, 2003, S. 23, 65 f.

Sensuelle Landschaftswahrnehmung – Reisen mit allen Sinnen | 145

Abb. 6  : Adam Friedrich Oeser, Wanderer im Nebel, ohne Jahr, Pinsel mit Sepia, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen.

Sinneshierarchien.2 Die Wiedergabe von sinnlichen Erlebnissen ist damit nicht frei von gesellschaftlichen Normativen, die beispielsweise das Sehen als wichtigste Fähigkeit für den Erkenntnis- und damit Wissensgewinn einschätzte. Dementsprechend fokussieren sich die Selbstzeugnisse vom Rhein auf visuelle Eindrücke, wie Landschaftspanoramen, die Beschreibung der Umgebung als Rahmenausschnitt, den Blick von oben herab auf die Ebene oder in die Tiefe, den Blick zum Horizont, farben- und kontrastreiche Landschaften, das Wechselspiel zwischen Hell und Dunkel, undeutliches Sehen oder vermeintliche Blindheit durch diffuse Lichtverhältnisse, Nebel- und Nachtszenarien. Die Akteur:innen bewegen sich auf ihrer Reise in verschiedenen, meist unbekannten (physischen) Räumen, die sie situations- und tageszeitabhängig begehen und erleben. Die Berichte über statische feste Gefühlsräume (z. B. Blumenwiese, Weinberg, Burgruine, Denkmal) sowie mobile Gefühlspraktiken (z. B. Bootsfahrt, Wanderung, Wirtshausbesuch) nehmen die Sinneswahrnehmungen unterschiedlich in Anspruch und werden unterschiedlich intensiv wahrgenommen und entsprechend divers in den Selbstzeugnissen verarbeitet. Beispielsweise unterstreicht die verschriftlichte Erinnerung an eine Kutschfahrt bei Regen die Unannehmlichkeiten für den eigenen Leib (etwa das Hinund Herschaukeln, die anhaltende Kälte und Feuchtigkeit) und blendet andere sinnbezogene Erlebnismomente aus – es sei denn, sie tragen zur Verdeutlichung der Notlage 2

Vgl. Schwibbe, Gudrun  : Wahrgenommen  : die sinnliche Erfahrung der Stadt, Münster 2002, S. 280.

146 |  Sensuelle Landschaftswahrnehmung – Reisen mit allen Sinnen

bei. Entsprechend dominieren körperbezogene Wahrnehmungen, wie Temperatur, Schmerz und Gleichgewicht, die Erinnerung des Reisenden an dieses spezielle Erlebnis. Eine Nachahmung oder Überprüfbarkeit dieser Sinnesreize ist kaum möglich, denn die Intensität ist von Person zu Person unterschiedlich. Wie können sinnliche Wahrnehmungen also in den Selbstzeugnissen nachgewiesen werden, wenn sie unmittelbar und anscheinend nebenbei stattfinden oder gar Konstrukte sind  ? Welchen Gerüchen die Akteur:innen in einem Postwagen oder auf einem Dampfschiff ausgesetzt waren und welche Rolle dabei die Ausmaße der Vehikel oder andere Mitreisende spielten lässt sich schwerlich nachweisen oder nachempfinden. Auch wenn das Tragen historischer Kleidungsstücke und Reiseaccessoires ein taktiles Erleben ermöglicht, so doch unter modernen Umständen  : meist in klimatisierten Räumen und im Bewusstsein um die Vorteile einer atmungsaktiven und praktischen Bekleidung. Auch die somatischen Eigenschaften und Bedingungen haben sich im Laufe der Geschichte verändert. So ist unsere Haut heute im Allgemeinen (durch den Einsatz von Chemikalien, häufiges Waschen, Häufung allergischer Reaktionen) sensibler und meist an feine, künstlich produzierte Textilfasern gewöhnt, weniger an Leinen oder grob gewebtes Kattun. Aufgabe einer historischen Sinnesforschung kann es demnach nicht sein, solche sensuellen Erfahrungen zu imitieren oder in die Gegenwart zu projizieren, sondern »durch Einbeziehung des Geruchs, Geschmacks, des Tastens und der Bewegungsempfindungen Vergangenheitsbilder zu ergänzen und zu erweitern und darüber hinaus zu erkunden, warum und wie sich Sehen, Schauen, Horchen und Hören im Lauf der Zeit gewandelt haben«.3 Dieser Ansatz lässt unter Umständen Rückschlüsse auf soziale und kulturelle Entwicklungen zu, auf körpergeschichtliche Zusammenhänge, die Fremd- und Selbstwahrnehmung, die Umweltgeschichte und im Rahmen dieser Arbeit auch auf die Reisekultur. Nebenbei lassen sich normative Veränderungen und ein allmählicher Wandel der Sinnesbewertung nachvollziehen. Die Auseinandersetzung der mit allen Sinnen erfahrbaren Landschaft (und deren schriftliche Fixierung) ist bei der Auswertung der Selbstzeugnisse meiner Meinung nach unumgänglich, da die Romantik eine ganzheitliche, sensuelle Wahrnehmung der Natur einforderte, ja, sich dadurch im Wesentlichen selbst definierte. Das Sehen war wesentlicher Bestandteil des Reiseerlebnisses. Nicht nur real Wahrgenommenes, auch Imaginäres ließ sich bildhaft beschreiben. Die Rheinberichte nach sinnlichen Einschreibungen und Hinweisen auszuwerten, und dabei die nach wie vor bestehende Dominanz der visuellen Reize zurückzustellen, ist Bestandteil meiner Arbeit. Mithilfe 3

Aichinger, Wolfram  : Sinne und Sinneserfahrung in der Geschichte  : Forschungsfragen und Forschungsansätze  ; Einleitung, in  : ders./Eder, Franz X./Leitner, Claudia (Hg.)  : Sinne und Erfahrung in der Geschichte (Querschnitte 13), Innsbruck (u. a.) 2003, S. 9–28, hier S. 9 f.

Sensuelle Landschaftswahrnehmung – Reisen mit allen Sinnen | 147

der Bewertung bestimmter Sinnes-Räume wird eine kartografische Markierung sensueller Höhepunkte am Rhein, eine Art Sinnes-Landkarte, möglich. Anhand dessen wird nachvollziehbar, wie sich sensuell gesteuerte Methoden der Raumbegehung und -wahrnehmung in der Romantik herausbildeten und sich als Kulturpraktiken etablierten. Ein anschauliches Beispiel für diese lange Rezeptionslinie sinnlich gesteuerter mobiler Praktiken liefert Andreas Reckwitz in seinem Beitrag über Sinne und Praktiken, in dem er die romantisch geprägte Kulturpraxis des Waldspaziergangs erläutert  : [dieser] wäre aber gar nicht zu verstehen, wenn man das Sinnesregime übergeht, das hier zum Einsatz kommt  : In das Spazierengehen ist eine bestimmte Weise des Sehens eingebaut – man achtet als Waldspaziergänger auf ›interessante‹ Details am Wegesrand, aber betrachtet die Umgebung auch nach Art des Panoramas.«4

Der Spaziergänger nimmt den Wald jedoch nicht nur visuell wahr, sondern es geht um eine Erfahrung der Umgebung mit allen Sinnen – auch mit dem Hörsinn (ein ›Lauschen‹ auf Umgebungsgeräusche), und dem Geruchssinn (›tiefes Durchatmen‹), dem Tastsinn, sofern man den Boden ›spürt‹ auf dem man geht etc. –, also gewissermaßen um eine sinnliche Immersion in das Gesamtkunstwerk Natur«.5

Der Mensch betritt den Raum Wald mit bestimmten (sensuellen) Erwartungen und erforscht ihn mittels konkreten (sensuell gesteuerten) Praktiken, die erlern- und abrufbar sind. Die natürlichen Elemente (Blätterrauschen, Vogelzwitschern, grün-braunes Farbspiel) lassen sich mit den Sinnen aufnehmen und ausdeuten. Der Raum, in diesem konkreten Fall der Wald, wird dabei nie neutral und intuitiv wahrgenommen, sondern nach genau determinierten Codes und Techniken, »damit die Praktik ›richtig‹ vollzogen wird«.6 Das Ergebnis einer geistigen Verbindung mit der Natur zielt auf menschliche Produktivität und Schaffenskraft durch die Belebung der Sinne. Den Romantiker:innen war es ein Bedürfnis, alle Sinne gleichmäßig zu nutzen und dadurch ein Kommunizieren mit der Natur, möglicherweise sogar mit sphärischen Kräften zu ermöglichen. Diese Verbindung wiederum erlaubte es, den sonst eingeschränkten menschlichen Geist bestmöglich, d. h. schöpferisch, zu nutzen. Novalis bezeichnet all das, was in der Entfernung liegt, als Poesie. Räumliche Ferne implizierte

4 5 6

Reckwitz, Sinne und Praktiken, 2015, S. 449. Ebd., S. 449. Ebd., S. 449.

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Natur in ihrem wilden, intakten, also von menschlichem Eingreifen freien Zustand.7 Daneben erfasste sie die dem Menschen entrückte Wirklichkeit, welche als Kontrast zum urbanen Leben und als romantisch-utopische Gegenwelt diente. Ein maximales Naturerlebnis gelang dann, wenn alle Sinne gleichermaßen angesprochen wurden. Die Begehung und -betrachtung der Umwelt folgte einem empfindsamen Naturverständnis. 5.1 Die Dominanz des Visuellen: Kontinuitäten und Brüche Der Rhein wird in den Berichten häufig als eine Art paradiesische Parallelwelt erfahren und ausgedeutet, die jedoch nur als Scheinzustand und jenseits realer Zustände besteht. Denn die in den Reiseberichten beschriebene Rheinlandschaft ist gekennzeichnet durch ein romantisches Zerrbild der Verfremdung, das auch durch eine gezielte Scharfstellung aller Sinne, etwa die charakteristische Fähigkeit »eines neuen Sehens« erschaffen wird.8 Primär bot der Rhein den Romantiker:innen erst einmal visuelle Höhepunkte (vor allem die zeitgenössische Landschaftsmalerei betonte das Sehen  ; Stichwort ›Inneres Auge‹). Dies bestätigt auch eine Auswertung der Selbstzeugnisse nach visuellen Erlebnissen. Die Akteur:innen beschreiben, was sie erblicken, referieren über die Eindrücke in Form bildhafter Beschreibungen und verwenden Begrifflichkeiten, die auf das Auge als Referenzorgan verweisen  : Panoramen, Aus- und Rundblicke, Impressionen und Aussichten. So erfreute sich Johanna Schopenhauer »an der herrlichen Aussicht auf den Rhein und in die kleinen grünen Thäler zwischen den benachbarten Felsen, und nahm dann das freundliche Sankt Goar selbst ein wenig in Augenschein«.9 Adelheid Müller schwärmte von der Aussicht auf den Rhein, der sich von ihrer Herberge aus bot  : »Mein Bett stand neben dem Fenster wo ich den Rhein wie einen großen See mit Bergen umgeben vor mir liegen hatte, und viel mals wachte ich auf in der Nacht und sah im Mondschein dieses Bild, welches mir wie im Traum vor Augen gerückt schien.«10 Die Beschreibung in Bildern ist vor allem dem künstlerisch-ästhetisch geschulten Blick der Romantiker:innen geschuldet. Farbenspiel, Licht, Dunkelheit und Kontraste werden besonders feinfühlig (als Affekte der Natur) wahrgenommen und bewertet. Die Rheinlandschaft wird mehrheitlich in Bildausschnitten erlebt, d. h. das Beschriebene im Brief oder Tagebuch wirkt wie ein Landschaftsporträt, wie eine Abfolge von Bildern,   7   8   9 10

Vgl. Novalis, Schriften, T.2, 1826, S. 165. Pikulik, Romantik als Ungenügen, 1979, S. 295. Schopenhauer, Ausflucht, 1818, S. 237. Müller, Reisetagebuch, 1827, S. 27.

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deren natürlicher Rahmen der Horizont, Bäume und Berge, Gebäude und Straßen oder der Fluss selbst bilden. Die Landschaft wird durch einen visuell vorgegebenen Rahmen – neben natürlichen und geografischen auch durch künstliche Gegebenheiten – begrenzt. Dabei bieten sich panoramabildende Räumlichkeiten an, um Fixpunkte in der Ferne zu beschreiben. So bilden Fenster und Torbögen, Ausgucke und Durchbrüche ebenso beliebte Rahmenbedingungen wie Talsenken, Baumwipfel, Efeu- oder Blumenranken. Der Rhein präsentiert sich im Wesentlichen anhand der Landschaftsmerkmale Fluss, Weinberg, Feld, Wald, Stadt und Burg(-ruine)  : Es handelt sich also um natürliche Räume, menschlich geformte Räume und solche Räume, die zwischen beiden Ebenen rangieren. In den Beschreibungen gehen diese Raum-Elemente regelmäßig ineinander über, überlagern sich und bilden somit eine natürliche Trias am Rhein  ; sie selbst sind mit signifikanten Motiven ausgestattet. So werden bestimmte Landschaftstexturen mit Motiven gleichgesetzt, die erstens Wiedererkennungspotenzial besitzen und zweitens das Imaginationsvermögen der Leser:innen abrufen. Beliebte Analogien oder Wortpaare bilden etwa Weinberg=Laub, Ruine=Efeu, Wald=Eiche, Wiese=Blume, Berg=Schloss. Die partielle Gleichsetzung von natürlichen mit künstlichen Elementen verdeutlicht, dass der Rhein zwar in seiner natürlichen Ursprünglichkeit betrachtet, aber gleichzeitig von künstlichen Merkmalen überlagert wird. Die Natürlichkeit ist nur eine scheinbare, durch den Eingriff des Menschen verfälschte Wirklichkeit. Die Verknüpfung einiger wesentlicher Elemente wird in einem Brief von Arnim passend beschrieben  : Ich fühle jetzt recht, […], daß eine gewaltige Dichtung durch die ganze Natur weht, bald als Geschichte, bald als Naturereignis hervortritt, die der Dichter nur in einzelnen schwachen Widerklängen aufzufassen braucht, um ins tiefste Gemüt mit unendlicher Klarheit zu dringen. Denn sehe ich nun herab aus dem griechischen Tempel, in den ich durch den deutschen Eichenwald getreten, so braust unter mir der starke Rhein und schäumt unwillig über den nutzlosen Widerstand  ; aber die Berge scheinen noch immer sich an ihn drängen zu wollen, die sinkenden Felsstücke mit den alten Schlössern auf ihren Spitzen fallen in ihn hinab, auch die Bäume in der Höhe und die Weinstöcke tieferhin saugen ihm sein feuriges Blut aus – und wir in der Nähe nähren uns von allem dem, als wenn es aus uns hervorgegangen wäre, als aus dem ewigen, schöpfenden Geiste […].11

Arnim gesteht der Natur den Besitz einer eigenen poetischen Kraft zu, sie tritt als schöpferischer Geist in Erscheinung und ist dadurch dem Dichter überlegen, der seine Ideen wiederum aus der Natur bezieht (bei Arnim und auch Brentano bildet die Natur eine Art 11 Jacobs, Arnims Werke, 1908, S. 119

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poetische Grundversorgung, die ihnen vor allem geistige Rohstoffe liefert). Der Fernblick vom klassizistischen Rundtempel aus ins Rheintal eröffnet erst die vollkommene Schönheit und Anmut der Landschaft  : Der das Tal durchdringende wilde Strom, die hoch gelegenen Burgen, die mit Wein bewachsenen Felshänge, die dem Rhein ›sein Blut aussaugen‹.12 Diese Formulierung versteht sich als »eine metaphorische Deutung des Verwandlungsprozesses, den die Natur ebenso wie die Poesie vollbringt«.13 Laut Arnim bezieht die Dichtkunst ihr Potenzial aus der schöpferischen Kraft der Natur  ; in seinen Briefen finden sich zahlreiche Gleichnisse für diese fruchtbringende Verbindung. Der Verweis auf den griechischen Tempel (der unterhalb des Niederwalddenkmals stand) lässt eine Verknüpfung von Vergangenheit mit Gegenwart zu  ; gleichzeitig wirkt der Rhein der Wirklichkeit entrückt und in eine klassische Vorzeit, fast ahistorische Kulisse, versetzt. Erst der Zusatz »deutsch« bestätigt seine nationale und territorial-räumliche Zugehörigkeit. Dass die Natur mit den Baulichkeiten der Vergangenheit in Verbindung gebracht wird, ist kein Zufall und typisch für die Landschaftswahrnehmung am Rhein. Bei Helmina von Chézy finden sich entsprechende Ausführungen. Auf ihren Wanderungen bemerkt sie eine außergewöhnliche Pflanzenvielfalt  ; ihre Schilderungen von Pflanzen und Blumen sind beispiellos für die Rheinschilderungen. Unweigerlich sieht sie nicht mehr oder weniger als die anderen Akteur:innen, sie nimmt einzelne Elemente aber stärker wahr beziehungsweise schreibt darüber. Zudem ist sie vornehmlich zu Fuß unterwegs, dies ermöglicht ein unmittelbareres und intensiveres Naturerlebnis als die Fahrt in der Kutsche. Die Vollkommenheit der Rheinlandschaft erschließt sich für sie gleichfalls aus der Einheit von kulturellen und natürlichen Elementen, geformter und ursprünglicher Natur. Unterwegs berichtet sie etwa von einer Schlossruine, die »mit einem Netze von breitblätterigem Epheu überzogen, wie aus Epheu erbaut« scheint.14 Der die Ruine umrankende Efeu wird selbst als Teil des Denkmals sowie der damit verknüpften Erinnerung wahrgenommen. Die üppige Blumenpracht suggeriert den Betrachtenden den Zutritt in einen wilden und verwunschenen Garten. Dieser Eindruck verstärkt sich beim Abstieg von der Ruine  : 12 Vgl. Werquet, Jan  : Gartenkunst und künstlerische Landschaftsgestaltung am Mittelrhein, in  : Der Geist der Romantik in der Architektur  : gebaute Träume am Mittelrhein (Veröffentlichungen des Landesmuseums Koblenz, Reihe B, Einzelveröffentlichungen 68) [Begleitpublikation zur Sonderausstellung »Gebaute Träume« des Landesmuseums Koblenz, Landesmuseum Koblenz, Festung Ehrenbreitstein, 3. Juli–17. November 2002], Regensburg 2002, S. 121–129, hier S. 122 f. 13 Ricklefs, Ulfert  : Lebensquell und Todesstrom  : zur Gewässermetaphorik Arnims, in  : Pape, Walter (Hg.)  : Romantische Metaphorik des Fließens  : Körper, Seele, Poesie (Schriften der Internationalen Arnim-Gesellschaft 6), Tübingen 2007, S. 217–243, hier S. 228. 14 Chézy, Unvergessenes, 1858, S. 6.

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Beim Herabwandeln des Ruinenbergs gab uns der silberklare Bach das Geleit. Ein seliges Grün unter hohen Bäumen erquickte mein Auge, jede Blume schaute mich so lieblich an, als flehte sie mich dort zu bleiben, und Epheu und Blüten umstrickten verhüllend die Felsenmassen, als wollten sie uns ihren Ernst entziehen, und ihr Dunkel erhellen.15

Die Natur wird zum Subjekt, ihre einzelnen Komponenten personifiziert  : Die Blumen blicken der Wanderin wehmutsvoll hinterher, während diese von einem Bach auf ihrem Weg begleitet wird. Die Efeuranken wiederum bestärken die geheimnisvolle, schauerliche Wirkung der Ruine und beleben die kalten leblosen Steine. Bei Chézy tritt die Natur durch sich selbst in Aktion. »Sie belebt die Landschaft mit aktiven Verben, so dass das sehende Objekt zum passiven Aufnahmeorgan wird.«16 Die Natur handelt gewissermaßen im Interesse der Reisenden, sie will der vorbeiziehenden Person gefallen und deren Aufmerksamkeit und Augen auf die landschaftliche Schönheit und Idylle lenken. Zudem intensiviert diese Personifikation von Natur das Landschaftserlebnis den Eindruck, dass Mensch und Natur in einer besonders engen Beziehung zueinanderstehen. Auch in Johanna Schopenhauers Ausflucht an den Rhein wird kontinuierlich die ästhetische Einheit von Natur und Architektur bewundert, wobei wiederum der Efeu eine zentrale Funktion übernimmt. Sie schreibt über einen Ausflug zum Schloss Auerbach  : Die Ruine des uralten, von den Franzosen im dreißigjährigen Kriege zerstörten Schlosses ist eine der herrlichsten in dieser ganzen, an kostbaren Überbleibseln des Althertums so reichen Gegend. Epheu von einer Größe, wie ich ihn nie sah, umschlingt mit mächtigen Zweigen die dunklen Mauern, die gewaltigen Thürme, und schmückt die Vergangenheit mit frischem jugendlichen Leben. […] Da saßen wir nun, bald auf der neuen Ringmauer, bald im Bogen eines ehemaligen Fensters, bald oben auf der Zinne des Thurmes, geblendet von der Pracht der uns umgebenen Natur.17

Auch hier wirkt der Efeu als natürliches konservatorisches Mittel  ; er versetzt die baulichen Überreste des Schlosses der Vergangenheit ins Hier und Jetzt. Weder Trauer noch Melancholie, sondern die euphorische Begeisterung für die Geschichtsträchtigkeit und Kontinuität der Landschaft dominieren ihren Eindruck. Die Ruine wirkt nicht leblos, sondern eingebettet in eine üppige Vegetation geradezu lebendig, nach modernem Verständnis zeigt sich hier Geschichte zum Anfassen, wird nun auch das taktile Erlebnis eingebunden. Die Natur funktioniert als Garant für eine Gedächtniskultur am Rhein 15 JLM, 1814/August, S. 500. 16 Baumgartner, Das Reisehandbuch als weibliche Auftragsarbeit, 2009, S. 64. 17 Schopenhauer, Ausflucht, 1818, S. 99.

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und vermag es, Geschichte und Geschichten bei den Betrachtenden in Erinnerung zu rufen. Die natürlichen Elemente wirken als Gedächtnisspeicher, sind gar Bestandteil des Bauwerks oder Denkmals. Dass der Efeu ein so wichtiges Element in der Landschaftsbeschreibung einnimmt und das Raumerlebnis verstärkt, kann anhand der Bedeutungsgeschichte aber auch der natürlichen Verbreitung der Pflanze erklärt werden. Der gemeine Efeu (Hedera helix) findet sich vermehrt in naturbelassenen, ehedem angelegten Gärten und Pflanzenarealen, ist ein beliebter Bodendecker, gedeiht aber auch an Häuserwänden und Mauern. Efeu kann andere Pflanzen überwuchern, dabei Hindernisse überwinden, ist häufig immergrün und sehr kälteresistent. Seine enorme Flächenausbreitung wurde in der Landschaftsgestaltung des 19. Jahrhunderts gezielt eingesetzt, um den Verfall oder die Verlassenheit von künstlich angelegten Ruinen zu verstärken.18 Die Assoziation von Vergänglichkeit, das Aufgreifen des beliebten Vanitas-Motivs, gelang durch den gezielten Einsatz überwuchernder Pflanzen, die selbst symbolisch aufgeladen sind  : als Zeichen der »ewigen Wiedererneuerung und Verjüngung des Lebens der Natur  ; mithin auch Symbol unvergänglicher Jugend und Kraft«19, Zeichen der Beständigkeit, Freundschaft und der (ehelichen) Treue. Das Herzsymbol, Bild der Zuneigung und Freundschaft, entspringt der Form des Efeublattes.20 Es sind wiederum diese durch den Efeu erzeugten konträren Stimmungsbilder, welche die Romantiker:innen aufgreifen. Zugleich sehen sie sich als Nachfolger der antiken Dichter:innen und Erzähler:innen, die den Efeukranz als »Symbol der Dichterweihe« und »Sinnbilde der Kunstprüfung selbst«21 trugen. An der Tatsache, dass der Efeu nicht nur Mauerreste und Ruinen bedecken, sondern auch intakte Gebäude nachhaltig beschädigen konnte, störten sich die Romantiker:innen nicht – wenn auch die zeitgenössischen Landschafts- und Gartenplaner:innen diverse Sorten gezielt einsetzten und kultivierten, um das Mauerwerk zu schonen, dabei aber den Eindruck des

18 Dieses Phänomen wird durch die Pflanze teils selbst beeinflusst, da sie sich positiv und negativ auf das Mauerwerk auswirkt, indem das Blätterwerk einerseits die Mauer vor Niederschlägen schützt, andererseits die Ausdehnung der Stämme und Äste dem Mauerwerk Schaden zufügen kann. Siehe dazu  : Arnold, Andreas  : Geschichte als Schlüssel zur Erhaltung  : nachhaltige Pflege als angemessene Reaktion auf die Schadensgeschichte, in  : Meier, Hans-Rudolf/Wohlleben, Marion (Hg.)  : Bauten und Orte als Träger von Erinnerung  : die Erinnerungsdebatte und die Denkmalpflege, Zürich 2000, S. 197–209, hier S. 200. 19 Symanski, Johann Daniel  : Selam oder die Sprache der Blumen, Berlin 1821, S. 189. 20 Seit der Antike wird der »Efeu als Symbol für Freundschaft, Liebe und enge verwandtschaftliche Bindungen« eingesetzt. Art. Efeu, in  : Butzer, Günter/Jacob, Joachim (Hg.)  : Metzler Lexikon literarischer Symbole, Stuttgart, Weimar 2008, S. 72-74, hier S. 72. 21 Symanski, Selam oder die Sprache der Blumen, 1821, S. 189.

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Verfalls zu bewahren.22 Darin ist auch die Vorstellung verankert, dass der Efeu selbst zum Teil der Ruine oder des Denkmals wird und daher selbst ein Teil der Erinnerung ist.23 Die Unendlichkeit historischer Gebäude und Ereignisse manifestiert sich im Efeu, der als botanischer Erinnerungsträger fungiert. Neben dem Efeu ist es vor allem der Wein, der als dionysische24 Kult- und Kletterpflanze eine Traditionslinie seit der Antike suggeriert. Beide Pflanzen werden in den Selbstzeugnissen immer wieder als beliebte Topoi der Romantik und wesentliche Naturelemente der Rheinlandschaft aufgegriffen.25 Obwohl die Landschaftsbeschreibung bei Wilhelm und Adelheid Müller verhältnismäßig nüchtern ausfällt – es überwiegt eine deskriptive Wiedergabe der wesentlichen visuell wahrgenommenen Landschaftselemente – bedienen sich beide der typischen Termini und Leitmotive der Romantik. Während eines Ausflugs bei Baden-Baden beschreibt Wilhelm die Aussicht  : Schöner Buchenwald. Ruine Ebersteinburg. Herrliche und weiträumige Ruine Baden mit Bäumen, Gestrüpp und Epheu wild verwachsen. Aeolsharfen. Aussichten aus den Ruinenfenstern, aus dem Badener Thal heraus nach der Rheinebene, dem Rhein und den Vogesen […].26 22 Ausgehend von England wurde der Einsatz von Efeu in der Landschaftsgestaltung vorangetrieben. In Shirley Hibberds Monografie The Ivy (1872) werden historische Bedeutung und Verwendung sowie die Sortenvielfalt anschaulich erörtert. Hibberd, Shirley  : The Ivy  : a Monograph  ; Comprising the history, uses, characteristics, and affinities of the plant and a descriptive list of all the garden ivies in cultivation, London 1872, URL  : https://archive.org/details/b2486416x/page/n9, letzter Zugriff  : 07.05.2022. 23 Vgl. Arnold, Geschichte als Schlüssel zur Erhaltung, 2000, S. 200. 24 Zur Pflanzensymbolik bei dionysischen Kulten siehe  : Blech, Michael  : Studien zum Kranz bei den Griechen (= Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 38), Berlin 1982. 25 Dass die Verfasser die Schreibweise Epheu verwenden, ist der etymologischen Entwicklung des Begriffes verbunden  ; so heißt es im GWB  : »ephaw, ephew  ; erst später epheu, efeu ausgesprochen, in welchem ebheu man anfangs irgend eine, wenig passende zusammensetzung mit houwi, hewe, heu, gras gefunden oder zu belebung des dunkeln ausdrucks gesucht haben musz. epheu klingt wie erdheu, hartheu, schaftheu und sein diphthongischer auslaut wäre sonst unbegreiflich  ; das eb, ep vor dem heu läszt sich kaum deuten« (GWB (Online-Version), Bd. 3, Sp. 678 bis 679), URL  : http://woerterbuchnetz.de/cgibin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB, letzter Zugriff  : 07.05.2022. Auch die Gleichsetzung mit Eppich, Sumpfeppich und Sellerie war gebräuchlich (vgl. Genaust, Helmut  : Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen, Basel 1983, S. 54). Deren lateinische Bezeichnung apium deutet auf die Gegenwart von Bienen (apes) hin. Vergil beschreibt einen Garten, in dem sowohl Sellerie als auch Efeu, ferner Gurke und Myrthe, gedeihen  : Das Nebeneinander von Nutz- und Zierpflanzen charakterisiert seine idealtypische Vorstellung von Landschaft, die von der realen Vegetation abweicht (vgl. Faber, Richard/Holste, Christine (Hg.)  : Arkadische Kulturlandschaft und Gartenkunst  : eine Tour d’Horizon, Würzburg 2010, S. 58). Die bereits in der Antike gebräuchliche Kombination von Sellerie, Efeu und Wein in der Gartengestaltung, bei Götterkulten und Bestattungsriten weist auf eine ähnliche Bedeutung und mithin Gleichsetzung der Pflanzen hin. 26 Müller, Reisetagebuch, 1827, S. 4.

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Der Fensterrahmen gibt den Blick frei auf die Landschaft, dadurch ist der Bildausschnitt begrenzt. Gleichzeitig wirkt der Blick aus dem Fenster wie ein Blick in eine fremde Welt oder eine andere Zeit. Die Zeitreise ist vorübergehend und an den Rahmenausschnitt gebunden. Die Lokalität der Ruine bestärkt diese zeitliche Entrückung. Auch hier fühlt sich der Betrachter beim Blick durch das Ruinenfenster in die Vergangenheit zurückversetzt, was ihm eine scheinbare Partizipation an einer glanzvollen und sagenhaften Vorzeit gewährt. Er blickt direkt in die Vergangenheit, die Zeit scheint stillzustehen. Die Pflanzenwelt wird als ungezähmt, üppig und wild geschildert. Die ungeordnete Verschlingung von Gehölz und Kletterpflanze unterstreicht den unzugänglichen, geheimnisvollen Charakter der Natur. Die Vegetation, bestehend aus wuchernden und rankenden Pflanzen, verstärkt den geheimnisvollen Charakter der Szenerie  : Der Efeu erschwert einerseits den freien Blick, andererseits konserviert er auch hier bauliche Überreste längst vergangener Zeiten. Die Historisierung der Rheinlandschaft durch die Einheit von Natur und Architek­ tur ist identisch in den Selbstzeugnissen. Ein weiteres gemeinsames Element bildet, wie in den Textauszügen partiell bereits erkennbar, die Wahrnehmung der Natur als geheimnisvoll und unzähmbar. Am Rhein vereinen sich auch die Vorstellungen von Geschichte und Geschichten, also die Verbindung realer Ereignisse mit fiktiven Erzählungen, die den Erlebnischarakter eines Ortes steigerten. Dunkelheit, Zwielicht, Nebel, Gewitter und andere wetterbedingte Phänomene trugen ihr Übriges dazu bei, Räume als verwunschen oder unberechenbar darstellen zu lassen. Burgen, Ruinen und verlassene Kapellen wurden in der Fantasie gern zu Spielstätten geheimnisvoller und unerklärlicher Begebenheiten und zu Heimstätten für Gespenster, Untote und andere düstere Geschöpfe. Darin zeigte sich erneut die Vorstellung der Romantiker:innen einer unerklärbaren Natur und ihr Interesse für metaphysische Phänomene, die sachlich nicht erklärbar schienen. Die Verfasser:innen nutzen visuelle Wahrnehmungen, wie Licht und Dunkelheit, Farben, Kontraste, Formen und Figuren nicht nur für ihre Beschreibung der Landschaft, sondern suggerieren dem Lesepublikum ein besonders intensives Sinnerlebnis am Rhein, das vorwiegend über das Auge abläuft. Die Akteur:innen versuchen wie in der Malerei, das Gesehene umzusetzen und auf Papier zu bringen, Worte ersetzen Zeichnungen.27 27 Die Briefe von Brentano und Arnim enthalten zuweilen auch kleine Zeichnungen, etwa Bilderrätsel oder Karikaturen, manchmal auch kleine Skizzen von aufgesuchten Orten und Personen. Dies zeigt, dass Erlebnisse und Erfahrungen auch bildhaft umgesetzt wurden und so im Freundschaftsgedächtnis erhalten blieben. Erst vor kurzem erschien eine Monografie, die sich mit Brentanos Brief-Kunst beschäftigt  : Frommhold, Maria  : Briefzeichnungen  : Clemens Brentanos Kunst der Kommunikation, Heidelberg 2021.

Die Dominanz des Visuellen: Kontinuitäten und Brüche | 155

Der Rahmen, durch den die Reisenden die Landschaft sehen und beschreiben, entspricht dem Bilderrahmen eines Gemäldes. So ist denn auch nicht nur die Beschreibung des Landschaftsausschnittes an die Landschaftsmalerei angelehnt, sondern auch die sprachliche Verwendung künstlerischer Stilmittel und Elemente. Farben spielen eine wichtige Rolle bei der Landschaftsbeschreibung. Der Silberglanz des Mondes oder das Rot der Abendsonne bilden in den Quellen beliebte und übereinstimmende Motive. Johanna Schopenhauer berichtet  : Jeder Moment bringt neue glänzende Farbenerscheinungen an dem weiten Horizont hervor  ; die nach einem heißen Tage […] aufsteigenden Dünste, in welchen die Lichtstrahlen widerscheinen, sind wohl die Ursache dieser unglaublichen Pracht. Rosig schimmernd tritt der Rhein in der Ferne hervor, und verbirgt sich wieder, um an einem anderen Ort noch glänzender zu erscheinen, ohne daß das Auge allen seinen Krümmungen zu folgen vermöchte.28

Die Schilderung des Landschaftsausschnittes gleicht der beschreibenden Betrachtung eines Gemäldes. Tatsächlich bildeten Besuche von Museen, Ausstellungen und Galerien einen wesentlichen Bestandteil des Rheinaufenthaltes. Das vorher am Kunstwerk geschulte Auge konnte sich in der Praxis auf die Dinge konzentrieren, die vorher der oder die Kunstschaffende bildhaft verarbeitet hatte. Auch wenn sie sich der Künstlersprache bedient, nutzt Schopenhauer zur Beschreibung der Landschaft oft ähnliche Prädikate  : unbeschreiblich anziehend, unbeschreiblich schön, unbeschreiblich reizvoll, unbeschreiblich langweilig. Gemeint ist nicht die mangelnde Fähigkeit der Autorin, das Gesehene in Worte zu fassen, sondern die Unübertreffbarkeit und Beispiellosigkeit der landschaftlichen Reize, die mit nichts Bekanntem vergleichbar sind. Nicht nur Formen und Farben, auch räumliche Vorstellungen entstehen meist zuerst vor dem inneren Auge. In der Einbildung erwächst das Bild einer expressiven, abwechslungsreichen Rheinlandschaft, die sich aus verschiedenen Landschaftstypen zusammensetzt. Der Wechsel dieser Landschaftsformen ist auch der Fortbewegungsart geschuldet  : Die Fahrt mit der Postkutsche und dem Dampfschiff lässt ein bewegtes Landschaftsbild entstehen, in dem sich Ufer, Städte, Weinberge, Felswände, Wald- und Grasflächen abwechseln oder ineinander übergehen. Aus diesen räumlichen Erfahrungen schöpfen sich die Vorstellungen und Erwartungen nachfolgender Reisegenerationen, die mit dem Rhein eben diese Landschaftstexturen und -formen verbinden. Neben den visuellen Höhepunkten werden in den Rheinbeschreibungen auch auditive, olfaktorische, gustatorische und taktile Eindrücke festgehalten. Die Einbeziehung aller Sinne wird häufig als Abgrenzungsmerkmal zur Aufklärung gewertet, welche 28 Schopenhauer, Ausflucht, 1818, S. 126.

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dem Sehen und der damit metaphorischen Erleuchtung des Menschen den Vorrang einräumte.29 Die Auf- und Umwertung des Gehörs begründet sich aber nicht nur durch die Abgrenzung von dieser Weltanschauung, sondern nach Vorstellung der Romantik ließen sich Verstand und Empfindung erst durch das Hören vereinen, da es sich »unmittelbar auf den inneren Sinn« auswirkte.30 Das Sehen hingegen suggerierte Gleichmacherei und Monotonie, das mögliche Versehen oder unscharfe Sehen definiert die Unvollkommenheit und Ungenauigkeit der Sehkraft. Sinnesbeeinträchtigungen sind meist visueller Natur  : Optische Täuschungen, verzerrte Bilder, unklares oder doppeltes Sehen, diffuse Lichtverhältnisse beeinträchtigen die Wahrnehmung – sind wiederum aber beliebte Elemente der romantischen (Schauer-)Literatur und widersprechen eigentlich einer strikten Abkehr vom Visuellen. Anders als die Aufklärung, die mit dem Ideal des klaren Sehens und Erkennens eine Horizonterweiterung und Ausbildung des Verstandes verband, rückte die Romantik die Fehlbarkeit und Begrenztheit des menschlichen Wahrnehmens in den Vordergrund, die Trübung der Gedanken und Aussetzung des Verstandes durch die Überlistung des menschlichen Auges und das der Realität entgegengesetzte traumhafte, visionäre Sehen. So blieb der Sehsinn die bestimmende sinnliche Fähigkeit und das Auge primäres Referenzorgan bei der Landschaftsbeschreibung. Die Romantiker:innen veränderten jedoch die Raum- und Naturwahrnehmungsgrundsätze, um eine Dominanz des Sehens zu überwinden, indem sie auf ein ganzheitliches Sinnerlebnis zielten. Unsere Verfasser:innen sind keine bloßen Berichtenden, sondern gehen eine emotionale Verbindung mit der Rheinlandschaft ein, die sie in ihren Schriften symbolisch überformen und ergänzen. Die Vorstellung der begrenzten klassischen Landschaft wird aufgelöst, indem sich die Reisenden in den Raum einfühlen und jenseits der Wirklichkeit auch traumähnliche Landschaftsformate imaginieren. Ideenreichtum, Einbildungskraft und Vorstellungsvermögen treten neben Wirklichkeit und Nachvollziehbarkeit, produzieren neue Räume und bestimmen den Schreibprozess. Dies führt dazu, dass die Romantiker:innen die bereiste Landschaft nicht nur sehend wahrnehmen und mit der Vernunft begreifen, sondern sinnlich durchdringen.

29 Vgl. Leibold, Tobias  : Kolossale Musik  : Klangfiguren, Neuroanatomie und Natursprache um 1800, in  : Krings, Marcel (Hg.)  : Phono-Graphien  : akustische Wahrnehmung in der deutschsprachigen Literatur von 1800 bis zur Gegenwart, Würzburg 2011, S. 123–138, hier S. 123. 30 Bär, Jochen A.: Das Konzept des Gehörs in der Theorie der deutschen Romantik, in  : Krings, Marcel (Hg.)  : Phono-Graphien  : akustische Wahrnehmung in der deutschsprachigen Literatur von 1800 bis zur Gegenwart, Würzburg 2011, S. 81–121, hier S. 92.

Auditives Erleben: (ver-)rauschende Winde und die Äolsharfe | 157

5.2 Auditives Erleben: (ver-)rauschende Winde und die Äolsharfe Sinneswahrnehmungen wie Geruch, Geschmack oder Gehör lassen mehr Abweichun­ gen und Eigeninterpretationen zu, da sie im Gegensatz zum Sehen unmittelbarer wirken und im Inneren ablaufen, daher individuell sind. Der Geschmack des Weines, das Rauschen des Windes oder das Gefühl nackter Steine wird unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Eine wesentliche sensuelle Wahrnehmungsebene bot neben den visuellen Reizen die Geräusch- und Klangkulisse der Rheinlandschaft. Wenn die Sehkraft an ihre Grenzen gerät, verlassen wir uns auf das Gehör. Töne und Geräusche können vorab auf etwas vorbereiten oder etwas ankündigen. So verweisen Kirchenglocken, Stimmen oder Hundegebell auf eine Ansiedlung, das Rauschen des Wassers oder ein Schiffssignal auf die Nähe zum Fluss. Außerhalb der Sichtweite oder des Sehvermögens kann das Gehör den Weg leiten, man gewinnt Planungs- und Wegsicherheit durch das Vernehmen von Stimmen, das auf Zivilisation hinweist, oder Geräusche, die ein nahendes Gewitter, eine Kutsche oder ein Dampfboot ankündigen. Besonders das Reiseerlebnis im Freien macht das Gehör zu einem äußerst hilfreichen Sinn, denn darüber lassen sich manche Situationen ausmachen, bevor sie überhaupt sichtbar werden  : Niederfallendes Geröll, das Rattern von Rädern, das Stolpern und Schreien von Lasttieren, die Geräusche der Mitreisenden. Der Hörsinn macht Unsichtbares wahrnehmbar, ist durch die Kommunizierbarkeit ein sozialer Sinn, da er auf andere ausgerichtet ist. Das Gehör stellt also ein wichtiges Instru­ ment für die Reisenden dar. Bloß wie wird darüber in den Selbstzeugnissen reflektiert  ? Welche Geräusche und Töne werden im Kontext der Reise erwähnt oder auch nicht  ? Dass die Romantik die Rangordnung der Sinne neu sortiert und dem Hören eine Schlüsselfunktion einräumt, ist ein wichtiger Ansatz bei der Auswertung der Selbstzeugnisse nach sinnlichen Erfahrungen. Das Ohr wird darin verschiedentlich in Anspruch genommen  : es wird berichtet von Unterhaltungen, Vogelgezwitscher, rollenden Vehikeln, Kirchenglocken, Hundegebell, Wind- und anderen Wettererscheinungen, Wasserrauschen, singenden und musizierenden Personen. Die Klangwahrnehmung erfährt auch deshalb eine besondere Aufwertung aufgrund der Sonderstellung des Liedes in der Romantik  ; Gedichte und Balladen wurden in ihrer musikalischen Vertonung und instrumentalen Begleitung erst sinnlich erfahrbar.31 Referenzpunkt dieser Märchen, Balladen und Erzählungen bildet neben den handelnden Figuren die Landschaft. Hier entfaltet sich eine Vielzahl natürlich erzeugter Töne, welche die romantische Kulisse akustisch untermalen. Da ist einmal der Rhein selbst, der an manchen Stellen als 31 Vgl. Görner, Rüdiger  : Die Pluralektik der Romantik  : Studien zu einer epochalen Denk- und Darstellungsform, Wien (u. a.) 2010, S. 12f.

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Rinnsal oder einem See ähnlich still und friedlich fließt, an anderen Stellen kraftvoll und brausend strömt, indem er Strudel bildet oder aus engen Tälern hervorbricht und bedrohlich anschwillt. Das Geräusch des Wassers erzeugt – je nachdem, ob leise fließend, plätschernd oder tosend – eine der Umgebung entsprechende Grundstimmung. Als fließendes und reinigendes Element wird ihm eine heilende und lebensspendende Bedeutung zugewiesen, sein leises monotones Rauschen erzeugt dieses Bild. Die Unberechenbarkeit und Unbändigkeit des Rheins bedeutet aber auch Gefahr und Zerstörung, das laute Brausen der Wasserschnellen warnt vor der Unkalkulierbarkeit der Naturkraft. Diese bedrohliche Seite zeigt sich am eindrucksvollsten an für die Schifffahrt riskanten Stellen. So suchen alle Akteur:innen die Loreley mit den stets gleichen Erwartungen und Befürchtungen auf, wobei sich bei der Wahrnehmung Unterschiede zeigen  : Helmina von Chézy etwa fühlt sich in eine romantische und mythische Märchenwelt versetzt, wenn sie begeistert berichtet  : Der Ruf Ade  ! wird immer süßer und schmelzender verhallend wie von Geisterstimmen, wie ein Seufzer der Musik wiederholt. Auf jedem Punkte des Felsens ist der Wiederhall verschieden, er prallt nicht, wie sonst ein Echo fühlbar von der Wand des Felsens zurück, aus dem Schooße der sieben Gipfel steigt er, wie aus einem Born, wundersam süß und schaurig zu den Sternen hinauf.32

Besonders die Geräuschkulisse des Wassers und der Widerhall des Felsens rufen bei ihr Begeisterung, aber auch Ehrfurcht hervor. Zum einen beeindruckt sie die Vielseitigkeit der klanglichen Resonanzen, zum anderen schreibt sie ihm einen geheimnisvollen Ursprung zu. Beide Komponenten erhöhen die Mystifizierung beziehungsweise die schwärmerische Überhöhung der Loreley als personifizierte Naturgewalt, die Leben schenkt oder nimmt. Adelheid und Wilhelm Müller können dieses besondere Klangerlebnis bei ihrem Ausflug zur Loreley nicht teilen, da die Wetterverhältnisse ungünstig sind und das beliebte Echo »vom Winde entführt« wird.33 Adelheid ist zwar beeindruckt von den brausenden Urkräften des Rheins, zeigt sich jedoch erleichtert, als das Boot wieder in ruhigerem Flusslauf treibt. Enttäuschung ob des versäumten Widerhalls vom Felsen auf der einen, Beunruhigung ob der rasanten Flussfahrt auf der anderen Seite – der Rhein bleibt für die Reisenden stets ein ambivalentes Naturphänomen. Der Rheinfall bei Schaffhausen, die Loreley, das Binger Loch  : Die Strudel und Wasserfälle am Rhein bilden beliebte Ausflugsziele, gerade auch wegen des sich dort bietenden geräuschvollen Klangerlebnisses. Dort zeigen sich einerseits die unbändigen 32 JLM, 1815/März, S. 136. 33 Müller, Reisetagebuch, 1827, S. 30.

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Kräfte der Natur, andererseits wirkt das monotone Rauschen fast schon als Nichtklang. Die Eintönigkeit des Rauschens, aber auch ihren Wohlklang schildert Johanna Schopenhauer bei einer abendlichen Stimmung, die in ihrer Beschreibung fast tonlos erscheint  : [Ich] sah den zitternden Lichtern zu, welche die Lämpchen in den Hütten von Goarshausen über den Strom streuten, und dem Funkeln der Sterngebilde des nächtlichen Himmels im

Westen. Jetzt ist auch das letzte Lämpchen in den Hütten erloschen, ihre müden Bewohner schlafen, kein Laut tönt mehr herüber, nur die Sterne funkeln noch, und die Wellen plätschern ihr eintöniges ewiges Lied.34

Das geschäftige Treiben der Menschen endet mit Beginn der Nacht, von nun ab übernimmt der Fluss wieder den akustischen Rahmen. Fernab der urbanen Lebenswirklichkeit wird die ungewohnte Stille als friedlich wahrgenommen, hier erahnt die Reisende eine Gegenwelt, die von störenden Einflüssen frei zu sein scheint. So findet sie sich während eines Ausflugs gut zwei Stunden von einem Städtchen entfernt wie in einer anderen Welt  ; so tiefe Ruhe und Stille herrscht in diesem engen grünen Thal. Ich komme mir darin vor wie ein Vogel, der sein Nest in den am dichtesten verschlungensten Zweigen einer mächtigen Linde erbaute  ; [ …]  ; es ist, als ob die übrige Welt gar nicht in der Welt wäre.35

Auch die Wälder und Gehölze besitzen ein hörbares Eigenleben, das Blätterrauschen oder Knacken der Äste, das Rascheln im Unterholz, das Zwitschern der Vögel – all dies verdeutlicht die Lebendigkeit der Natur. Zudem bilden Wald- und Flusslandschaft eine Gegenwelt, die mit ihren Klängen und Geräuschen ihre Fremdheit und Andersartigkeit vom urbanen Lebensraum zusätzlich verdeutlicht. Für Johanna Schopenhauer sind Abgeschiedenheit und Stille mancher Gegenden Balsam für die Seele, denn die anhaltende Ruhe tut ihr »unaussprechlich wohl nach den letzten vier geräuschvollen Wochen«.36 Ein Hinweis darauf, dass eine Rheinreise auch der körperlichen Erholung diente und gewisse Stationen bewusst zum Zweck der Regeneration aufgesucht wurden. Auch der Rheinaufenthalt der Müllers bestätigt dieses nicht unerhebliche Reisemotiv. Eine weitere Analogie zwischen romantischer Wahrnehmung und dem auditiven Erleben besteht in der Hervorhebung mündlicher Kommunikation und Überlieferung. Die schwärmerisch verklärte Art und Weise, wie sich die einfache Bevölkerung 34 Schopenhauer, Ausflucht, 1818, S. 236. 35 Ebd., S. 63. 36 Ebd., S. 70.

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artikulierte, Neuigkeiten austauschte oder Geschichten und Erzählungen rezitierte, entsprach ganz dem Anspruch der Romantik nach einer Rückbesinnung auf konventionelle Praktiken der mündlichen Tradierung und alte Erzähltechniken, die der fortschrittlichen Welt entrückt schienen. Nicht nur die Fähigkeit des Hörens wird hier eingebunden, sondern die der mündlichen Kommunikation und des sprachlichen Sichmitteilens, das Formulieren und Weitergeben von Eindrücken. Die romantische Denkweise implizierte die Weltflucht des Menschen, indem dieser aus seiner gewohnten Umgebung hinein in eine dem Alltag entrückte, idyllische Gegenwelt und Sehnsuchtslandschaft entwich. Arbeitsamkeit und gesellschaftliche Pflichten wurden gemieden, Muße und geistige Zerstreuung hingegen gesucht. Als idyllische Gegenwelt definierten die Romantiker:innen zumeist eine fern des städtischen Lebens gelegene wilde, unberührte Natur. In ihrer Dissertationsschrift Der Landschaftsgarten als Gegenwelt negiert Andrea Siegmund eine poetische Überhöhung des ländlichen Raumes, da jener dieselbe alltägliche Geschäftigkeit und Arbeit suggeriere wie die urbane Wirklichkeit und daher den Romantiker  : innen keine Zuflucht biete. Weiterhin führt sie an, dass die ländliche Umgebung – gesäumt von kultiviertem Ackerland und bäuerlicher Architektur – kaum romantische Motive präsentiere und daher keinerlei Stimuli bei den Betrachtenden erzeuge.37 Demnach erfolgte eine ästhetische Überhöhung der Natur nur bei wilden, unübersichtlichen Landschaftstypen, die mittelalterlichen Charme, mysteriöse und grauenhafte Empfindungen assoziierten. Aber selbst der Rhein war zu dieser Zeit schon lange kein unberührter Flecken mehr  : Schifffahrt, Fischfang und Weinbau zeugen von der ökonomischen Nutzung, Burgen und Schlösser sowie urbane Räume wiederum vom menschlichen Eingriff in die Landschaft. Wild und unbezähmbar war höchstens der Rhein selbst, als Urgewalt musste sich der Mensch seinem Willen beugen und seine Intensität berücksichtigen. Die Rheinlandschaft bot den Reisenden eine bunte Vielfalt aus bäuerlichen, kleinstädtischen und natürlichen Impressionen. Der Verlauf des Flusses erlaubte genauso wie die Beschaffenheit des Ufers abwechslungsreiche Panoramen. Neben den bizarren Felsformationen, majestätischen Burgen und Ruinen prägte neben der Bewirtschaftung der Natur (Wein- und Obstanbau, Fischfang) auch der Bootsverkehr mit seinen markanten ›fliegenden Brücken‹ das Landschaftsbild. Die ländlichen Gebiete am Rhein unterlagen noch keiner flächendeckenden Industrialisierung  ; das bäuerliche, einfache Dasein der Menschen suggerierte ein traditionelles, unverstelltes und sorgenfreies Leben und wurde von den Romantiker:innen durchaus als heile Welt idealisiert. Zwanglosigkeit und Vergnügen vermittelt auch der erste Vers aus dem Trinklied des Dichters Ludwig Hölty, welcher an den Ufern des Rheins den geneigten Wandernden 37 Vgl. Siegmund, Der Landschaftsgarten als Gegenwelt, 2011, S. 324.

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»ein Leben, wie im Paradies« in Aussicht stellt.38 Hölty preist besonders den Rheinwein, welcher »zur Lindrung unsrer Qual« medizinische Wunder zu vollbringen imstande sei.39 Bezeichnend ist die »Trias von Wein, Weib und Gesang«,40 welche eine von männlichen Vorstellungen dominierte Sehnsuchtslandschaft kennzeichnet. Die Alltagskultur der ansässigen Menschen wird bestimmt von einer unbeschwerten Fröhlichkeit, Gastfreundschaft und Geselligkeit, die in rauschenden Festen mit Musik, Tanz und Spiel kulminiert. In einem Beitrag der Rheinischen Touristenblätter werden die Rheingegenden gar als die eigentliche »Heimath der Volksfeste« gerühmt.41 Der Verfasser betont neben einer für die Feste bezeichnenden »heiteren Romantik« die Tatsache, »daß dieselben von neueren Zuthaten frei geblieben sind, sich ihren frischen volksthümlichen Character von ehemals bewahrt haben und so gewissermaßen ein ideales Band darstellen, welches die Gegenwart mit der Vergangenheit verknüpft«.42 Auch gesellschaftliche Zusammenkünfte, Sonn- und Feiertagsausflüge, Prozessionen und Festzüge werden stets als wahre Klangfeuerwerke beschrieben. »Dann erschallt das sonst so stille Thal von lautem fröhlichen Leben und Gläser erklingen zum Takt des raschen Walzers, in welchem das junge Volk sich lustig dreht.«43 Es wird musiziert, getanzt und gesungen. Gläser klingen, Stimmen erheben sich, die Menschen sind fröhlich und ausgelassen. Das gesellige Beisammensein, die lebensfrohe und stimmungsvolle Mentalität der Bewohner:innen  : All dies sind Merkmale einer der Natur entgegengesetzten Klangwelt am Rhein. Geselligkeit und Ausgelassenheit beherrschen den Alltag, der vor allem auch dem Weingenuss geschuldet ist  : »Das Leben wird hier schon recht leicht und fröhlich betrieben  ; wie überall, wo Reben gedeihen. Auf allen Tischen, im Schatten der Lauben und Bäume blinkt goldener Wein  ; fröhlich Gesichter jeden Ranges und Geschlechts sind um ihn versammelt […].«44 Der volkstümliche, traditionelle Charakter zeigt sich vor allem in der Musikalität der Bevölkerung, die weniger die Qualität des Gesanges als das Wissen um alte Volksweisen implizierte. In einem Brief an Luise Caroline Gräfin von Schlitz berichtete Achim von Arnim während seiner Rheinreise neben der Leichtigkeit des

38 N.N., Die Fahrt auf dem Rhein,1842, S. 60. 39 Ebd., S. 60. 40 Röhrich, Lutz  : Gesammelte Schriften zur Volkslied- und Volksballadenforschung (Volksliedstudien 2), Münster (u. a.) 2002, S. 458. 41 Rehm, Hermann Siegfried  : Rheinische Volksfeste (= Rheinische Touristenblätter, 1898/1), S. 4–5, hier S. 4. 42 Ebd., S. 4. 43 Schopenhauer, Ausflucht, 1818, S. 102. 44 Ebd., S. 81.

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Fortbewegens auf dem Wasser auch über »das Erlebnis von Volksfrömmigkeit und Volkspoesie« vor Ort  :45 Auf den Postschiffen ist ein herrliches Leben, ganz wie im Himmelreich, nur nicht umsonst, und etwas heißer. Die Rheinländer sind ein so edles Volk wie ihr Wein  ; sie haben außer dem Sinn für Dichtung eine helle, klingende, hohe Stimme, besonders die Schiffer. In einen alten

Mantel gehüllt, ohne Plan mit einem Freunde und einem Buche umherirrend, im Gesange der Schiffer von tausend neuen Anklängen der Poesie berauscht […] – so möchte ich wohl noch einmal leben  ; das Leben war frisch angebrochen wie die echte Quelle des rheinischen Weines. Wir trafen viel frohe Menschen und wurden in ihre Fröhlichkeit eingeweiht, […]. Dann zog ich wieder mit der Prozession nach Not Gottes und sang mit der aufbrechenden Morgenröte mit der lieblichen Walpurgis von dem Chor herab heilige Gesänge, die langsam und herrlich duftend wie Balsam über die Menge hinströmten.46

Arnim ist entzückt vom fröhlichen Alltagsleben, der Gastfreundschaft und dem poetischen Sinn der Rheinländer, vor allem dem Gesang der Seeleute. Daneben hebt er die außerordentliche Frömmigkeit hervor, die in den sakralen Gesängen der einfachen Leute zum Vorschein kommt. Die ›aufbrechende Morgenröte‹ kennzeichnete in der Romantik einen Akt der geistigen Erneuerung und inneren Erleuchtung, die im Gegensatz zur Aufklärung »neben der rein rationellen Vernunft auch das Unterbewusste, die Fantasie« erfasste und gleichzeitig eine Rückbesinnung auf die Religiosität kennzeichnete.47 Das traditionelle Bewusstsein umfasste hier neben der Tradierung von Balladen und Schwänken auch die Volksfrömmigkeit, das Singen kirchlicher Lieder. Das Ineinandergreifen kirchlicher Feste und weltlicher Vergnügungen war charakteristisch für die Menschen am Rhein  : Jede einzelne Kirche in jeder Stadt sowie in jedem Dorfe feiert zum Feste ihres heiligen Kirchpatrons unter lautem Glockengeläute eine wenigstens drei Tage lang währende Kirmes.

45 Barth, Johannes  : »Eine Welt des Glanzes und der Herrlichkeit«  : Rheinromantik bei Ludwig Achim von Arnim, in  : Pape, Walter (Hg.)  : Romantische Metaphorik des Fließens  : Körper, Seele, Poesie (Schriften der Internationalen Arnim-Gesellschaft 6), Tübingen 2007, S. 3–15, hier S. 5. 46 Jacobs, Arnims Werke, 1908, S. 118. 47 Littlejohns, Richard  : Aurora  : Überlegungen zu einem Topos der literarischen und malerischen Romantik in Deutschland, in  : Feilchenfeldt, Konrad/Hudson-Wiedenmann, Ursula/Mix, York-Gothart/Saul, Nicholas (Hg.)  : Zwischen Aufklärung und Romantik  : neue Perspektiven der Forschung  ; Festschrift für Roger Paulin (Publications of the Institute of Germanic Studies 89), Würzburg 2006, S. 386–396, hier S. 388.

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[…] Die Leute gehen den Tag über aus der Kirche ins Wirthshaus, aus diesem wieder in die Kirche, und die Nächste werden auf dem Tanzplatze oder bei der Flasche verjubelt.48

Die ländliche Umgebung, der Weinanbau und die Mentalität sind für die Reisenden Indikatoren eines idyllischen, vergnüglichen Daseins. Wein, Menschen und Natur werden stets miteinander in Beziehung gesetzt. »Der Wein sichert Teilhabe an einer höheren Welt der Poesie, des Rausches. Im Volk erfahren die Dichter so etwas wie eine ›Wiedergeburt‹  : ›das Leben war frisch angebrochen‹.«49 Der Kontakt mit dem einfachen Volk wird systematisch aufgenommen und damit zu einem wichtigen Bestandteil der Reise. So schildert Arnim eine Bootsfahrt als willkommene Abwechslung, bei welcher besonders der singende Schiffer in den Fokus seiner Aufmerksamkeit rückt. Die Lieder und Gesänge des Fährmanns kennzeichnen eine unverfälschte und ursprüngliche Dichtkunst, welche schließlich zum Bezugspunkt der Sammeltätigkeit von Volksliedern und der Produktion literarischer Werke lanciert. Abseits der natürlichen Klangräume erscheinen die architektonischen Elemente am Rhein erst einmal frei von musikalischen Qualitäten  ; die Denkmale wirken auf die Reisenden zunächst nur durch ihre Erscheinung, nicht durch ihre Akustik. Die Ruinen wirken leblos und verlassen und die anorganischen, kalten Steine besitzen keine hörbaren Stimmen. Diesen baulichen Überresten eine akustische Qualität einzuschreiben, gelingt durch die Unterstützung von klanglichen Hilfsmitteln. Mittels einer dramatisch-mythischen Inszenierung dieser Räume vor allem in Prosa und Lyrik der Romantik wird ihnen eine Klangwelt zugeschrieben, die oftmals einen sphärischen, überirdischen Charakter annimmt. Repräsentativ für diese künstliche Geräuscherzeugung steht die Äolsharfe. Die Harfe hat mit ihrer ungewöhnlichen Spielweise und Tonart die Dichtkunst in der Romantik derart nachhaltig beeinflusst, dass sie an dieser Stelle ausführlicher betrachtet werden soll. Zudem kann anhand ihrer Entwicklung als modisches Requisit in Privathäusern und Parkanlagen ihre Bedeutung für die Naturwahrnehmung der Rheinreisenden besser nachvollzogen werden. Die Beliebtheit der Äolsharfe steht auf den ersten Blick im Widerspruch zu der Überzeugung der Romantiker:innen, dass es keines Mediums oder Instruments bedurfte, damit sich ausgehend von der Gefühlswelt dem Individuum das Universum erschloss.50 Lediglich Objekte, welche die Naturphänomene zusätzlich abstrus oder mythisch erscheinen ließen, wurden von dieser Regel ausgeschlossen 48 Schopenhauer, Ausflug, 1831/2, S. 257 f. 49 Maurer, Kulturgeschichte, 2008, S. 179. 50 Vgl. Hankins, Thomas L./Silverman, Robert J. (Hg.)  : Instruments and the Imagination  : Chapter 5  : the Aeolian Harp and the Romantic Quest of Nature, Princeton 1999, S. 87.

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und fügten sich in die romantische Überzeugung einer Einheit von Mensch und Natur ein.51 Das ungewöhnliche Instrument war in der Musik, Naturwissenschaft und Philosophie ein beliebtes Sujet und wurde gern in Raritätensammlungen präsentiert, und zwar nicht allein wegen seines ungewöhnlichen Aufbaus und Klangs, sondern wegen seines zugesprochenen positiven Einflusses auf menschliche Affekte und Imagination. Eine Beschreibung vom Aufbau der Harfe finden wir in Lichtenbergs Taschen Calender aus dem Jahr 1792  : Es wird ein schmaler, etwas hoher und langer Kasten von trocknem Tannenholze verfertigt  ; der unten einen Resonanzboden hat, auf diesem werden über zwei Stege, die nahe an den schmalen Enden einander gegenüber liegen, acht bis zehn Darmsaiten, alle im Einklang (unisono), nicht allzu stark aufgespannt, eine der breiten Seiten läßt sich aufschieben, so daß man einen dünnen, aber breiten Luftstrom quer auf die Saiten leiten kann. […] So eingerichtet, wird das Instrument mit der Öffnung am Schieber dem Winde ausgesetzt. Sobald nun dieser durchzieht, tönt das Instrument.52

Im weiteren Verlauf beschreibt Lichtenberg die enorme Vielfalt der erzeugten Töne und Akkorde, die anfangs an den »Gesang entfernter Chöre« erinnern, im Wesentlichen jedoch »einem harmonischen Gaukelspiel ätherischer Wesen« gleichen  ;53 die Musik der Windharfe ist nicht länger mit den menschlichen Sinnen, sondern nur nach ästhetischem Empfinden wahrnehmbar.54 Bemerkenswert ist, dass Lichtenberg als aufgeklärter Naturwissenschaftler die Funktion des Gerätes nicht nur nach rein physikalischen Aspekten erläutert, sondern »durchaus auch eine Sensibilität für die klanglichen Ereignisse« besitzt, indem er dem Harfenklang eine Auswirkung auf die Gefühlswelt bescheinigt und darin letztlich einen Erkenntnisgewinn für den Menschen erkennt.55 Auch Johann Friedrich Hugo von Dalberg bezieht sich in seinem Werk Die Aeolsharfe. Ein allegorischer Traum auf das akustische Klangpotenzial der wiederentdeckten Harfe. Anders als Lichtenberg spekuliert er nicht über die positive Auswirkung der Windmusik auf die menschliche Vernunft und Gefühlswelt. Dalberg ist vom ästhetischen Gewinn fest überzeugt und erwägt bereits den nächsten Schritt, und zwar die bestmögliche (räumliche) Nutzung und Inszenierung dieses außergewöhnlichen 51 Vgl. ebd. S. 87, 112. 52 Lichtenberg, Georg Christoph  : Von der Aeolusharfe (Göttinger Taschen Calender 1792), S. 137–145, hier S. 141 f. 53 Ebd., S. 142. 54 Vgl. Freiling, Ulrike  : »Ist denn Vergnügen der Sinne gar nichts  ?«  : Sinnlichkeit in den Schriften Georg Christoph Lichtenbergs, Wetter/Hessen 2002, S. 95. 55 Ebd., S. 94.

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musikalischen Phänomens. Seine Überlegungen zur Nutzung der Harfe reichen über den häuslichen Gebrauch hinaus zu deren Errichtung an dafür prädestinierten Orten  : in Gärten, Lauben, auf Anhöhen, in Höhlen und Grotten.56 Im Vordergrund steht dabei nicht die mutmaßlich romantische Aura solcher Räume, sondern die bestmögliche Nutzung der Luft- und Windströmungen. Trotz des praktischen Hinweises steht für Dalberg der mystische und geheimnisvolle Charakter der Harfe im Vordergrund  ; anders als in Lichtenbergs teils selbstironischen Wertungen spricht er ernsthaft über seine Intentionen und Emotionen. Der Autor verknüpft dies mit seiner anschließenden Version vom Ursprung der Harfe  : Während eines Aufenthalts in Neapel besucht er die »Felsengrotte Possilippo’s am Ufer des Meeres […], als plötzlich von stärkerem Winde erregt, ein zauberisches Tonlispeln« einsetzt,57 das der Erzähler jedoch nicht lokalisieren kann. Erst vom Harfenspiel in den Schlaf versetzt, zeigt sich ihm die Nymphe der Grotte im Traum, die ihn zu den geweihten Stätten der antiken Gottheiten führt.58 Daraufhin präsentieren sich das Jenseits und dessen Bewohner:innen als Quell der »Gesänge süßer Wehmut«.59 Die Verwandlung des Eilands in eine Harfe und das anschließende Auswahlspiel, welcher Gott das Instrument wohl zu spielen wisse – das Los fällt auf Aelos –, ist eine schön ausgedachte Erzählung Dalbergs und vor allem eine Ode an die Tonkunst. Hier fungiert das Instrument als Mittelsmedium zu einer metaphysischen Zwischenwelt, welches gleichsam die Sprache von Menschen und Geistern beherrscht. Dalberg wünscht sich wohl deshalb auch den vermehrten Einsatz der Harfe in freier Natur, weil er das Instrument als quasi himmlisches Geschenk bewertet, welches den Menschen die kosmischen und die Ur-Kräfte der Natur verstehen lässt. Seine Erzählung kombiniert hier exemplarisch die Begeisterung für das klassische Altertum mit typischen Motiven der romantischen Naturwahrnehmung, die sich in Räumlichkeit (Grotte), Atmosphäre (Nacht) und Emotionen (Wehmut, Trauer) ausdrücken. Er lobt die Äolsharfe als Sinnbild für Harmonie und Wohlklang schlechthin  ; sie ist eine Art Ur-Instrument. Die Unstetigkeit und Unvorhersehbarkeit ihrer Töne entsprechen dem menschlichen Naturell, das ebenso unberechenbar und sprunghaft ist. Dalbergs Abhandlung über Wesen und Ursprung der Äolsharfe bescheinigt ihm neben seinem musikalischen Sachverständnis eine, wenn vielleicht auch nicht romantische, so doch empfindsame Naturwahrnehmung.

56 57 58 59

Dalberg, Johann Friedrich Hugo von  : Die Aeolsharfe  : ein allegorischer Traum, Erfurt 1801, S. IX. Ebd., S. 4, 6. Vgl. ebd. S. 9 f. Ebd., S. 16.

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Dalbergs Thematisierung der Äolsharfe zeigt, dass er ein Gespür für den a­ ktuellen Zeitgeist besaß. Das Interesse für das ungewöhnliche Instrument, das besonders in den Villen und Gartenhäusern der gehobenen Stände sowie in Parkanlagen des Adels zu hören gewesen sein mag, nahm stetig zu.60 Wer etwas auf sich hielt und es sich noch dazu leisten konnte, erwarb eine Äolsharfe.61 Damit entsprach man nicht nur dem aktuellen Kunstgeschmack, sondern konnte auch sein vermeintliches Wissen zu physikalischen Zusammenhängen oder zur Musiktheorie demonstrieren. Weniger Kunstverständnis und Musikalität, vielmehr Besitz und Präsentation waren die ausschlaggebenden Kriterien für den Erwerb des Instruments  ; weder »Kunstfertigkeit noch Vorübung« waren notwendig, »denn es klingt ganz von selbst«.62 Eine direkte (händische) Einwirkung auf das Instrument war nicht vonnöten.63 Die dem Instrument zugeschriebene Natürlichkeit und Unbestimmtheit, da die Töne unvermittelt und ohne menschliches Eingreifen entstehen, wurden in der Romantik häufig mit der Schlichtheit und Unbeständigkeit der Naturkräfte gleichgesetzt. Es sei erwähnt, dass das Interesse für die Äolsharfe nicht zufällig mit der Begeisterung für natürliche Tonerzeugungen, etwa das Echo, zusammenfällt. Die Isotopie zwischen Äolsharfen- und Echometaphorik liegt auf der Hand  : beide dienen der Versinnbildlichung eines Entsprechungsverhältnisses von Eindruck und Wiedergabe  ;

60 Konkrete Angaben zu den Käufern und deren Erfahrungen mit dem Instrument gibt es nach Quellenlage nur vereinzelt  ; bekanntester Besitzer einer Äolsharfe war wohl Justinus Kerner. Angaben zum Aufbau, Preisangaben und auch Mengenrabatte beim Kauf der Harfe finden sich etwa in dem Unterhaltungsblatt Der Freimüthige und Ernst und Scherz oder im Magazin von verschiedenen Kunst- und anderen nützlichen Sachen. In dem Artikel wird auch auf potenzielle Anbieter verwiesen etwa bei Steudel und Keil in Gotha (1804, S. XXXXVII)  ; andere Instrumentenbauer finden sich in Rudolstadt (Koch), Dresden (Kaufmann) und Hamburg (Melhop), siehe dazu  : Sachs, Lexikon der Musikinstrumente, S. 16. Ausführlich zu Melhop  : Pilipczuk, Alexander  : Zur Instrumentengeschichte der Windharfe unter besonderer Berücksichtigung des Hamburger Herstellers Wilhelm Peter (II) Melhop (1802–1868), in  : Minssen, Mins  : Äolsharfen  : der Wind als Musikant, Frankfurt/Main 1997, S. 139–198. 61 Einzelne Artikel, die die Verbreitung von Äolsharfen bescheinigen, finden sich vor allem in lokalen Tages- und Wochenblättern  : Insbesondere Anzeigen zu Wohnungsauflösungen und Versteigerungen, in denen der Hausstand akribisch aufgelistet ist, oder auch Verkaufsanzeigen, bieten ertragreiche Quellen. Z.B. im Amtsblatt für den Regierungsbezirk Marienwerder (1829, 19, 1, S. 63, 142, 150, 156), Amtsblatt der Regierung zu Danzig (1839, S. 179). 62 N.N.: Art. Die Äolsharfe (= Augsburger Sonntagsblatt 29, 1869/46), S. 365–366, hier S. 365. 63 Dieses Kriterium hat Georg Krieger in seinem Aufsatz Windharfe und Musik dazu veranlasst, die Frage zu stellen, ob die Äolsharfe tatsächlich ein Musikinstrument sei, da schließlich diese unmittelbare Beziehung zwischen Spieler und Instrument fehle und kein menschliches Einwirken auf den Klang möglich sei. Diesen Tatsachen folgend empfiehlt er den passenderen Begriff »Musikautomat«, der von selbst Töne erzeugt. Vgl. S. 59–87, hier S. 59.

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der Unterschied beider Bildfelder besteht darin, daß bei der Äolsharfe ein (tendenziell hörbarer) physikalischer Eindruck einen zeitgleichen Laut und beim Echo einen schwächeren nachzeitigen Laut hervorruft, d. h. die Harfe faßt eine metaphorische Übertragung ins Bild, während das Echo eine sich immer mehr abschwächende Reproduktionsbeziehung innerhalb dergleichen Seinssphäre umschreibt.64

Die Romantiker:innen »were not really interested in science, […], but in metascience«.65 Ästhetisch-psychologische Wirkung und atmosphärischer Klang ließen die physikalischen Zusammenhänge, Bau und Spielweise des Instruments zweitrangig erscheinen. In einer Epoche, in der (natur-)wissenschaftliches Know-how und technischer Fortschritt zunehmend den Alltag bestimmten, stellten die Romantiker:innen die Harfe als eine Art unkontrollierbares Produkt dem Erklärungsdrang der Neuzeit gegenüber. Sowohl Klangcharakter als auch Funktionsweise wiesen die Äolsharfe als zauberhaftes Instrument aus, wenn der Wind ihr wie durch Geisterhand seltsame, oft dissonante Melodien entlockte. Bereits die Bezeichnung Aeolos (von Αἴολος – in der griechischen Mythologie der Windgott) weist auf die ungewöhnliche Spielart des Instruments hin  : Die Saiten werden durch den Wind mehr oder minder stark in Schwingung versetzt und dadurch zum Klingen gebracht. Dieses nur durch die Ausrichtung der Harfe beeinflussbare Klingen regte die Fantasie an, konnte als seltenes Windspiel das Publikum gleichfalls beeindrucken und der Wirklichkeit entrücken. Die Wind-, Wetter- oder Geisterharfe, bereits in vorchristlicher Zeit in vielen Kulturen verbreitet, erlebte ab dem frühen 18. Jahrhundert in Europa eine Blütezeit. Von der britischen Literatur durch die Übersetzung griechischer Klassiker wiederentdeckt, breitete sich das neue Interesse für die Harfe bis in den deutschsprachigen Raum aus,66 wo in der zeitgenössischen Literatur besonders die Bau- und Funktionsweise sowie die ungewöhnliche Klangaura thematisiert wurden.67 Bereits für das späte 17. und 18. Jahrhundert (und weit bis ins 20. Jahrhundert) finden sich Belege für eine intensive 64 Leuschner, Pia-Elisabeth  : Orphic Song with Daedal Harmony  : die Musik in Texten der englischen und deutschen Romantik (Stiftung für Romantikforschung IX), Würzburg 2000, S. 127. 65 Hankins/Silverman, Instruments and the Imagination, 1999, S. 86. 66 So gaben Alexander Pope, James Macpherson, Samuel Taylor Coleridge und James Thomson der Äolsharfe in ihren Texten Raum, um nur einige wichtige Wegbereiter beziehungsweise Wiederentdecker der Äolsharfe auf englischer Seite zu nennen. 67 Hier sei erneut auf Lichtenbergs Artikel im Göttinger Taschen Calender von 1792 verwiesen, in welchem er die Wiederentdeckung der Harfe Alexander Pope zuschreibt, welcher Homer übersetzte und dabei wiederholt auf das Instrument stieß. Eine weitere interessante Quelle bietet die Vorrede von Dalbergs Aeolsharfe von 1801. Auch in wissenschaftlichen Abhandlungen wird dem Instrument Beachtung geschenkt, etwa in Ernst Florens Friedrich Chladnis Arbeit über Die Akustik (S. 68 ff.) oder in den zeitgenössischen Lexika (beispielsweise NCL, [Heinrich Christoph] Koch’s Musikalisches Lexicon).

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Auseinandersetzung mit der Äolsharfe, allerdings nicht in derselben dichten Fülle und literarischen Qualität wie in der Zeit zwischen 1800 und 1830.68 Das Sujet der Äolsharfe wurde häufig im künstlerischen Bereich verarbeitet, jedoch »am wenigsten wohl in der bildenden Kunst, da es in der Äolsharfenästhetik ja gerade um das Unsichtbare ging« und sich das Instrument als Bildmotiv nicht etablierte.69 Theater, Oper und Literatur bedienten sich hingegen der Äolsharfen-Metaphorik, um eine ästhetische Verbindung zwischen Natur und Mensch zum Ausdruck zu bringen. Die Harfe stand pars pro toto für die Unendlichkeit und Unberechenbarkeit des Universums, die das Individuum durch den sphärischen Klang nun vollends verstand.70 In der romantischen (Schauer-)Literatur ließen sich Elemente einer pittoresken (Ruinen-) Landschaft ausgezeichnet mit der Harfe arrangieren. Sie transportierte auf die gleiche Weise den Eindruck von Vergänglichkeit und Unvollständigkeit, Rätselhaftigkeit und Menschenleere wie die architektonischen Bruchstücke und Relikte. Die Harfe galt zugleich als Stimme aus dem Jenseits sowie aus einer glorreichen Vorzeit. Märchenhafte und Schauerszenarien, Räuberromane und Gespenstergeschichten wirkten durch den Einsatz der Harfe noch stimmungsvoller  : Durch sie artikulierten sich die Elementargeister, Untoten und Fabelwesen. Im Alltag fand die Harfe in manchen Sammlungen seltener Musikapparate einen Platz, wobei weniger die Klangqualität als das Besitzen und Vorzeigen des ungewöhnlichen Modegegenstandes ein entscheidendes Erwerbskriterium war.71 Nachhaltigere, da praxisnähere Spuren hinterließ das Instrument in der Landschafts- und Gartengestaltung als beliebtes Requisit einer arkadischen, mit allen Sinnen wahrnehmbaren Umgebung. Auch hier zeichnete wiederum England verantwortlich für dessen Durchsetzung in den deutschen Parkanlagen. In diesem Zusammenhang lässt sich feststellen, dass das damalige Bedürfnis nach einer »akustische[n] Ausstattung der Felsszenerien« in den angelegten Gärten und Grünanlagen überhaupt erst ein wieder aufkommendes Interesse für die Harfe ebnete, wobei die musikalische Qualität und Bauweise nun zugunsten einer effektvollen Inszenierung 68 Vgl. Windisch-Laube, Walter  : Einer luftgebornen Muse geheimnisvolles Saitenspiel  : zum Sinnbild der Äolsharfe in Texten und Tönen seit dem 18. Jahrhundert (Musik im Kanon der Künste 3), Mainz 2004, S. 182 f., S. 191. 69 Vgl. Tenhaef, Peter  : Bedeutungswandlungen der Äolsharfe von der Antike bis zur Romantik, in  : Hilley, David/Schüssler, Gosbert (Hg.)  : Echo  : Studien zur Kunstgeschichte und Musikwissenschaft zum Gedenken an Helmut Schwämmlein, Regensburg 2006, S. 139–153, hier S. 145. 70 Vgl. ebd. S. 145. 71 Auch heute noch sind Exemplare der Harfe in diversen wissenschaftlichen Sammlungen (bspw. in Hamburg, Berlin) zu finden. Siehe dazu  : https://www.musikwissenschaft.uni-wuerzburg.de/musik instrumente/bestand/inventarliste/n11-r50-aeolsharfen/, letzter Zugriff  : 05.06.2022, https://www. simpk.de/museum/sammlung/highlights/kuriositaeten.html#c24538, letzter Zugriff  : 05.06.2022.

Auditives Erleben: (ver-)rauschende Winde und die Äolsharfe | 169

in den Hintergrund traten.72 Das auditive Erleben in der Gartenkunst wurde bereits mithilfe nachgebildeter Bachläufe und Kaskaden bewerkstelligt, sie verstärkten die Geräuschvielfalt des Wassers und ermöglichten überhaupt erst eine bewusste Wahrnehmbarkeit der Klangqualität des nassen Elements.73 Regelrechte Erlebnisräume, da mit allen Sinnen wahrnehmbar, wurden künstlich erschaffen. Kein anderes Instrument schien durch Physis und Wirkung geeigneter als die Windharfe, um diese natürlich wirkende Geräuschkulisse fortzuführen. Die einzelnen Elemente in den Parks sollten durch das Installieren der Harfe nun vollständig akustisch erlebbar werden, was einer ganzheitlichen Inszenierung von Natur als Bühnenbild mit musikalischer Untermalung gleichkam. Gemeint sind hier die zahlreichen Parks und Gartenanlagen sowie deren eingefügte Baulichkeiten, sprich die angelegten und in Szene gesetzten Landschaftselemente. Die Harfe wurde dabei nicht wahllos, sondern bewusst an Örtlichkeiten eingesetzt, die eine konstante Luftströmung garantierten, etwa in Fenster- oder Torbögen, auf Türmen, und in Durchgängen. Öffentlich zugängliche Harfen fand man u. a. im Wörlitzer Park, im Ilmpark in Weimar, im Park zu Schloss Altenstein oder auf der Burg Klopp bei Bingen. Der ungewöhnliche Harfenklang galt als Ausdruck eines »empfindsam getönten Naturgefühls« und war fortan aus künstlichen Ruinen, Tempelanlagen, Lauben oder Grotten, zwischen Ästen hoher Bäume oder von freien Ebenen zu hören.74 Vor allem in felsigen, schroffen Partien wurde sie eingesetzt, denn diese Räume waren für die Umherwandelnden oftmals schwer einseh- oder begehbar. Die plötzlich erklingenden Töne ließen sich nicht eindeutig orten, wodurch der mystische, geheimnisvolle Eindruck dieser Anlagen intensiviert wurde. Neben der Garten- und Parkgestaltung ließ sich das »Lieblingsinstrument der Ro­mantiker«, wie bereits angemerkt, in den bildenden Künsten einsetzen.75 In der Malerei wurde die Harfe verhältnismäßig selten thematisiert  : so ist sie entweder in eine arkadische, sagenhafte Landschaft eingebettet (William Turner  : Thomson’s Aeolian Harp, 1809) oder in einem Fensterrahmen oder Turmbogen platziert (Carl Gustav Carus  : 72 Jost, Kilian  : Von Wasserrauschen und Naturtönen (Anthos – Zeitschrift für Landschaftsarchitektur, 3, 2014), S. 12–14, hier S. 12, URL  : https://doi.org/10.3929/ethz-a-010243482, letzter Zugriff  : 30.04.2022. 73 Vgl. Jost, Kilian  : Daß Harmonie in der Natur tief gegründet (…) zeigt uns ganz besonders auch die Aeolsharfe  : eine vergessene akustische Ausstattung des frühen Landschaftsgartens (Die Gartenkunst, Heft 2 2014), S. 201–208, hier S. 201, sowie ders.: Von Wasserrauschen und Naturtönen, 2014, S. 12. 74 Langen, August  : Zur Symbolik der Äolsharfe in der deutschen Dichtung, in  : Mahling, ChristophHellmut (Hg.)  : Zum siebzigsten Geburtstag von Joseph Müller-Blattau (Saarbrücker Studien zur Musikwissenschaft 1), Kassel 1966, S. 160–191, hier S. 191. 75 Istel, Edgar  : Die Blütezeit der musikalischen Romantik in Deutschland (Aus Natur und Geisteswelt 239), Leipzig (u. a.) 1909, S. 11.

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Die Musik, 1826) – beide Präsentationsformen richteten sich nach den in der Praxis üblichen Installationsformen des Instruments, wobei die Kunstschaffenden häufig eine elysisch-transzendente Stimmung durch weitere Elemente (bei Turner die nymphenartigen Tänzerinnen vor einer klassischen Landschaft, bei Carus das engelhafte Geschöpf ) herstellten. Die bildhafte Platzierung der Harfe in einem Fensterrahmen (quasi einem Zwischenraum) verdeutlichte wiederum die Kommunikationsfähigkeit des Instruments zwischen innen und außen, Diesseits und Jenseits. Sie vermochte es, eine zauberhaft-atmosphärische Stimmung einzufangen und diese von außen nach innen, zum Betrachter, zu transferieren. Die sich durch die Äolsharfe vermittelte Ablösung des Visuellen als Hauptsinn und Erhebung des Auditiven ist ein Grund für die wenigen Beispiele in der Malerei. Den wohl größten Einfluss hatte die Äolsharfe als poetisches Motiv in der Literatur. Zum einen symbolisierte sie die Inspirationskraft und Kreativität des dichtenden Person. Zum anderen glich die Unbestimmbarkeit des Saitenspiels der unausgesprochenen Anweisung an die Leserschaft, zwischen den Zeilen zu lesen. Besonders die Sprunghaftigkeit und Inkonsequenz des Instruments, da abhängig von Intensität und Wirkung des Windstromes, wurden mit dem menschlichen Gemüt gleichgesetzt, etwa, wenn Wilhelm Heinrich Wackenroder in seinen Herzensergießungen den Tonkünstler Berglinger befürchten lässt, sein Wesen würde »wohl lebenslang der schwebenden Aeolsharfe gleichen, in deren Saiten ein fremder, unbekannter Hauch weht, und wechselnde Lüfte nach Gefallen umwühlen«.76 Die Identifikation mit der Harfe erlaubt es dem Protagonisten, seine Emotionen frei zu artikulieren und als Laune der Natur auszulegen  : Freud und Leid liegen bei ihm nah beieinander und sein Gemüt ist sprunghaft wie die Klangwelt der Harfe. Die eigene Unausgeglichenheit führt er auf die Inkonsequenz des Instruments zurück und gleich diesem folgt er seinen natürlichen Instinkten und Eingebungen. »Für die Romantiker ist die Äolsharfe ein Symbol für das Weltganze, in das die menschliche Seele wie eine Saite mit eingespannt ist.«77 In anderen Texten überwiegt das mit dem Klang des Instruments assoziierte Ge­spens­ tische und Überirdische. Sein Einsatz verstärkte schauerhafte oder melancho­lische Szenerien, wie etwa im Faust I  : Es schwebet nun, in unbestimmten Tönen, Mein lispelnd Lied, der Aeolsharfe gleich, 76 Tieck, Ludwig/Wackenroder, Wilhelm Heinrich (Hg.)  : Phantasien über die Kunst  : für Freunde der Kunst, Hamburg 1799, S. 215. 77 Kienzle, Ulrike  : … dass wissend würde die Welt  : Religion und Philosophie in Richard Wagners Musikdramen, Würzburg 2005, S. 66.

Auditives Erleben: (ver-)rauschende Winde und die Äolsharfe | 171

Ein Schauer faßt mich, Thräne folgt den Thränen, Das strenge Herz es fühlt sich mild und weich.78

Bei Herder vereint die Harfe als Stimme eines Weltgeistes das Diesseits mit dem Jenseits, wenn das Zusammenspiel der Saiten die Einheit von Menschheit und Universum symbolisiert.79 Trauer und Erlösung, Wachsen und Sterben (der Töne) sind hierbei leitende Motive, die mit der Klangwelt der Harfe in Verbindung gesetzt werden. Darin lässt sich auch die für die Romantik typische Gegensätzlichkeit wiedererkennen, die ein Ineinandergreifen von Realität und Traumwelt zulässt. Auch Justinus Kerner trug mit seinem Gedicht Die Aeolsharfe in der Ruine zur symbolischen Aufladung des Instruments als Medium unsichtbarer und geheimnisvoller Kräfte bei  : In des Thurms zerfallner Mauer Tönet bei der Lüfte Gleiten, Mit bald ganz zerrissnen Saiten, Eine Harfe noch voll Trauer. In zerfallner Körperhülle Sitzt ein Herz, noch halbbesaitet, Oft ihm noch ein Lied entgleitet, Schmerzreich in der Nächte Stille.80

In diesen Zeilen hat Kerner unverkennbar alle Komponenten aus Wilhelm Müllers Reisebeobachtung (von Baden-Baden81) in einem Gedicht vereint. Die tragisch-mystische Atmosphäre verdichtet sich in beiden Textbeispielen durch den Umstand, dass die Harfe nicht länger Objekt bleibt, sondern zum Subjekt, zu einem menschenähnlichen Wesen nach Erscheinung (Körperhülle, Herz) und Gefühlswelt (Trauer, Träne) wird. Dazu passt, dass sie ganz von selbst, ohne sichtbaren Einfluss spielt. Während Goethe im Faust eine fast transzendente Situation arrangiert, in welcher Körper und 78 Goethe, Johann Wolfgang  : Faust  : eine Tragödie (Erster Theil), in  : Goethes Werke, hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen  : I. Abtheilung  : Goethes Literarische Werke  : 14. Bd., Weimar 1887, S. 6. 79 [Herder, Johann Gottfried von]  : Adrastea und das achtzehnte Jahrhundert  : und Briefe zu Beförderung der Humanität, hg. v. Johann v. Müller, Bd. 10, Tübingen 1809, S. 194. 80 Kerner, Justinus  : Die Aeolsharfe in der Ruine (Morgenblatt für gebildete Leser 33), Stuttgart, Tübingen 1839, S. 335. 81 Vgl. Müller, Reisetagebuch, 1827, S. 4.

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Seele in Einklang gebracht werden, also die emotionale Mitteilungsebene der Harfe dominiert, fügt Kerner ihr eine historische Bedeutung bei  : Sie dient als Relikt einer längst vergangenen Zeit. Trotz der fehlenden Saiten ist sie imstande, an die Vergangenheit anzuknüpfen und wehmutsvoll an die Flüchtigkeit des Augenblicks und Endlichkeit alles irdischen Lebens zu erinnern. Bereits bei Müller besitzt das Instrument die Fähigkeit, verschiedenen Räumen eine mythische, mitunter transzendente Atmosphäre zu verleihen. Er erlebt die Harfe als Medium zwischen innen und außen  : Aus dem Ruinenfenster blickend eröffnet sich ihm das Rhein-Panorama mit Flusslandschaft, Burgen und Wäldern. Müller folgt in seinen Ausführungen ganz Novalis, welcher forderte  : »[D]ie Gegenstände des Romantischen müssen, wie die Töne der Äolsharfe […], auf einmal, ohne Veranlassung« sein.82 Fast schon stoisch gibt Müller das Gesehene in knappen Worten wieder und bindet dabei die Äolsharfe wie selbstverständlich als romantisches Medium in den Text mit ein  ; die Prädikate Wald, Burg und Ruine verlangen geradezu nach einer akustischen Belebung der Szene. Bei Müller vervollständigt die Äolsharfe sein erzähltes Landschaftsbild, sodass ihre Existenz selbst vom Lesepublikum nicht angezweifelt wird. Die stete Verbindung des Instruments mit Ruinen ist symptomatisch für die Romantik, insbesondere am Rhein. Hier reihen sich entlang des Flusses die Baulichkeiten und Überreste der Vergangenheit aneinander, deren allmählicher Verfall sich durch den Klang der Harfe artikuliert.83 Die Harfenklänge erscheinen wie ein Trauerlied aus dem Jenseits  ; das Andenken an die Vergangenheit schärft das Verständnis für die eigene Vergänglichkeit und die Endlichkeit allen Daseins. In diesem Zusammenhang stehen auch die romantischen Prinzipien Weltschmerz und Weltflucht, welche die Äolsharfe akustisch zum Ausdruck brachte. Die Äolsharfe ließ aber auch die imaginären Räume der Erzählungen, Märchen und Gedichte auditiv erlebbar machen  : Waldlichtungen, Einsiedeleien, Friedhöfe, Kapellen, Verliese, Grotten, Tempel und Klosterruinen – all diesen bizarren Schauplätzen vermochte sie durch ihre teils dumpfen, teils harmonischen und dabei ständig wechselnden Schwankungen einen Ton zu verleihen. Speziell die Schwarze Romantik bediente sich der Äolsharfe, um eine Situation melodramatisch zu intensivieren  : Ihr Erklingen und Verstummen erfolgte unerwartet, fast wie von Geisterhand, und ihre Töne glichen dem Wehklagen von Dämonen oder anderen Kreaturen.84 Die auf reale physikalische 82 Novalis [Hardenberg, Georg Philipp Friedrich von]  : Novalis Schriften, hg. von Ludwig Tieck und Friedrich Schlegel, T. 1, Berlin 1826, S. 169. 83 Vgl. Langen, Symbolik der Äolsharfe, S. 165. 84 Etwa in E. T. A. Hoffmanns Nachtstück Der Sandmann und in Jean Pauls Roman Leben des Quintus Fixlein.

Auditives Erleben: (ver-)rauschende Winde und die Äolsharfe | 173

Kräfte rückzuführende Spielweise des Instruments interessierte die Romantiker:innen weniger als ihr archaischer Ursprung sowie ihre ungewöhnliche Klangwelt, welche die fantastische Vorstellung einer möglichen Verbindung zu metaphysischen Sphären und jenseitigen Welten nährte. Ziel war die Intensivierung einer sinnlich erlebbaren Natur infolge ihrer auditiven Wahrnehmung. Die Romantik war davon überzeugt, dass die Natur eine eigene Sprache besaß, deren Nachahmung und mithin Verständnis durch das Spiel der Windharfe möglich schien.85 Dass die Romantik im Gegensatz zur Aufklärung die ungekünstelte und entfesselte Natur einer praktischen Begrenzung natürlicher Gegebenheiten in Form von Gartenund Grünanlagen vorzog, ist in diesem Kontext besonders interessant  ; verweist doch die gezielte Errichtung von Äolsharfen auf ein bewusstes Eingreifen in die Natur durch Menschenhand. Im Grunde genommen unterschied sich dieser Eingriff in und das nachträgliche Arrangement von räumlichen Gegebenheiten nicht sehr stark von dem Reglementierungsdrang der Aufklärung mit dem Unterschied, dass diese weniger ursprüngliche Natur propagierte. Die überspitzte Forderung der Romantiker:innen nach einer wilden und wahllosen Natur sollte eine sinnliche Begegnung und Kontaktaufnahme zur Naturseele ermöglichen. Sie zielte auf ein ganzheitliches Naturerlebnis und Nachempfinden der Schöpfung, blieb allerdings als Teil einer inszenierten Gestaltung von Natur im Grunde naturfern. Der Germanist August Langen hat festgestellt, dass die Äolsharfe in der deutschen Dichtung »weder bei Novalis, noch bei Ludwig Tieck, weder bei Brentano, noch bei Arnim und Eichendorff, […] noch bei anderen Geringeren« thematisiert wird, obgleich doch »die romantische Landschaftsdichtung in Lyrik und Prosa bekanntlich einen ausgesprochen musikalischen Grundcharakter trägt«.86 Diese Hypothese kann anhand der o.g. Textpassagen revidiert werden, denn vereinzelte Textrecherchen offenbaren, dass Langen seine Beispiele nicht ausreichend studierte  : in Tiecks Phantasien über die Kunst wird eine Äolsharfe mit der menschlichen Seele verglichen, Brentano lässt im Godwi eine Windharfe erklingen, und auch Arnim und Eichendorff thematisieren das Motiv der Harfe,87 selbst wenn sie nicht immer ausdrücklich genannt wird. Langens Enttäuschung über die unzureichende Verarbeitung des Harfenmotivs trotz der vorgeblichen Betitelung als Lieblingsinstrument der Romantik ist auch auf seine eingegrenzte 85 Vgl. Schultz, Wolfgang-Andreas  : Klangkomposition – Zwischen Naturlaut und Vision, in  : Schmidt, Wolf Gerhard (Hg.)  : Faszinosum Klang  : Anthropologie – Medialität – kulturelle Praxis, Berlin 2014, S. 255–268, hier S. 256. 86 Langen, Symbol der Äolsharfe, 1966, S. 181. 87 Beispielsweise in Arnims Drama Halle und Jerusalem sowie Eichendorffs Gedicht Mondnacht nachzulesen.

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Auswahl an Texten zurückzuführen, die lediglich Lyrik und Prosa umfasst.88 Leider lässt ihn seine korrekte Diagnose um die Relevanz des Instruments für das sentimentale Naturgefühl der Romantiker:innen nicht auf die entsprechenden Quellen aufmerksam machen  : Reiseberichte und Landschaftsbeschreibungen.89 Diese Textsorten sind bisher nur ansatzweise auf deren Musikbezug oder Klangqualität wissenschaftlich untersucht worden.90 Dass die Äolsharfe als Medium transzendenter, überirdischer Wesen eine Verbindung zu einer sagenhaften Vorzeit suggerierte und als Element einer ganzheitlichen, harmonischen Naturbetrachtung eingesetzt wurde, ist für die Analyse der Erlebnisberichte der Rheinreisenden besonders aufschlussreich, da sie sich mit dem Bestreben der Romantiker:innen nach einer wild-urigen Naturwahrnehmung mit Vergangenheitsbezug weitgehend deckt. Die Beobachtung der Äolsharfe am Rhein – war sie nun erfunden oder real – zeigt sehr deutlich, dass dieses poetische Element auch abseits der Dichtkunst Verwendung fand, da es sich wie selbstverständlich in die real existente Burgen- und Flusslandschaft einfügte. Man könnte von einer Steigerung der romantischen Rheinwahrnehmung sprechen, hervorgerufen durch den Zusatz von (akustisch wahrnehmbaren) Requisiten und Motiven, etwa der Äolsharfe. Justinus Kerner ließ auf der Ruine Weibertreu nahe Heilbronn Äolsharfen installieren und im Neuen Schloss Baden-Baden wurde gut zwanzig Jahre nach Müllers Besuch ebenfalls eine Harfe angebracht. Man könnte von einer Steigerung der romantischen Rheinwahrnehmung sprechen, hervorgerufen durch den Zusatz von künstlerischen Requisiten und Motiven, etwa der Äolsharfe. Die sensuelle Wahrnehmung der Rheinlandschaft erfolgte demnach vor allem auch über akustische Elemente, die entweder durch natürliche Gegebenheiten (Echo, Schall) von selbst oder durch Hilfsmittel künstlich (Äolsharfe) erzeugt wurden. Dabei stehen beide Klangerzeugnisse keineswegs im Gegensatz zueinander, da sie denselben sensuellen Effekt erzielten und eine ähnliche atmosphärische Aura besitzen.

88 Wobei positiv hervorzuheben ist, dass Langen sehr ausführlich die entsprechenden Dichtungen sowohl in englischer als auch deutscher Sprache ausführt, sodass man einen durchaus zufriedenstellenden Überblick zur Äolsharfe in der Poesie gewinnt. 89 Dabei benennt Langen sogar die brieflichen Berichte über gesichtete Äolsharfen in Deutschland, nutzt dieses Quellenkorpus allerdings nicht für seine Ausführungen, siehe ders., Smybol der Äolsharfe, 1966, S. 165. 90 Zu den wenigen wissenschaftlichen Studien zählt u. a. folgende Monografie von Hans-Jakob Zimmer  : Wie klingt es im »Paradies«  ?   : deutschsprachige Reiseberichte als Quellen zur Musikgeschichte Brasiliens im 19. Jahrhundert, Bielefeld 2019.

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Die Isotopie zwischen Äolsharfen- und Echometaphorik liegt auf der Hand  : beide dienen der Versinnbildlichung eines Entsprechungsverhältnisses von Eindruck und Wiedergabe  ; der Unterschied beider Bildfelder besteht darin, daß bei der Äolsharfe ein (tendenziell hörbarer) physikalischer Eindruck einen zeitgleichen Laut und beim Echo einen schwächeren nachzeitigen Laut hervorruft, d. h. die Harfe fasst eine metaphorische Übertragung ins Bild, während das Echo eine sich immer mehr abschwächende Reproduktionsbeziehung innerhalb der gleichen Seinssphäre umschreibt.91

Während bei der Äolsharfe der Ursprung des Klangs genau lokalisiert werden kann und das Objekt sich sowohl optisch als auch haptisch wahrnehmen lässt, wirkt das unsichtbar erzeugte und nicht fassbare Echo stärker in den metaphysischen Bereich. Dem Leitbild der Romantik, dass Natur Stille und Ruhe impliziert (Stadt=Lärm), widerspricht die Echo- und Äolsharfenmetaphorik keinesfalls, da Unkalkulierbarkeit, Flüchtigkeit und Disharmonie der durch Naturprozesse erzeugten Klänge eine Gleichstellung mit anderen (menschlich erzeugten) künstlichen Tönen kaum zulässt. Es handelt sich hier vielmehr um Nicht-Musik, um ein dem Menschen übergeordnetes Klangreich der Natur. 5.3 Riechen, schmecken, empfinden Dass Auge und Ohr, also visuelle und auditive Reize, die sinnliche Wahrnehmung der Rheinromantik dominieren, bestätigen die Reiseberichte, indem sich deren Verfasser:innen vorwiegend des Vokabulars der Malerei und auch der Tonkunst bedienen, Vergleiche mit Gemälden und Kompositionen anstellen und den Rhein als ästhetisches Gesamtkunstwerk betrachten. Die Gründe für diese Sinn-Hierarchie sind vielfältig und speisen sich zum großen Teil aus dem allgemeinen Interesse der schönen Künste für den Rhein und seiner ästhetischen Neuentdeckung, seiner Verarbeitung in Illustra­ tionen und Vertonungen. Künstleraugen und -ohren sind für die sich hier bietenden Reize sensibilisiert und ausgebildet, Farb- und Klangräume lassen sich leicht erfassen und wiedergeben. Denken wir an den Rhein, bedienen wir uns dieser Vorstellungen und Imaginationen, Melodien lassen sich zitieren, vor unserem inneren Auge entstehen bestimmte Bilder, es lassen sich spezifische bildhafte Vorstellungen abrufen. Auch sind diese beiden Sinne so dominant, weil ihre Eindrücke gespeichert und damit nachvollziehbar sind. Ein Gemälde oder eine Zeichnung vermögen es, bauliche und natürliche Elemente am Rhein und deren Veränderung wiederzugeben. Die Vertonung dieser Eindrücke ist 91 Leuschner, Orphic song, 2000, S. 127.

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Abb. 7  : Johann Adam Klein, Der Landschaftsmaler auf der Reise, 1814, Radierung, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen.

in Liedern und Orchesterwerken festgeschrieben. Sie speichern sinnliche Wahrnehmungen und machen sie auch heute noch hör- beziehungsweise sichtbar. Wie diffizil bis unmöglich erscheint in diesem Kontext die Bewertung des Rheins nach Geruchs- und Geschmackserlebnissen, geschweige denn haptischen Eindrücken – Eindrücke, die flüchtig und kaum nachahmbar sind  ? Darüber hinaus sind historische Wahrnehmungserlebnisse kaum bis gar nicht verifizierbar. Mögen visuelle und auditive Reize mithilfe von Referenzmedien (Zeichnungen, Tonaufnahmen) und materiellen Quellen für unsere Augen und Ohren heute noch nachvollziehbar sein, gibt es kaum adäquate Speicher für Gerüche und Geschmacksempfindungen. Dabei stellen insbesondere das Riechen und Schmecken essentielle Sinne dar, die den Alltag bereichern, gerade weil sie so individuell und miteinander verbunden sind.92 92 Darüber hinaus wird beim Riechen und Schmecken auch der sogenannte Fühlnerv aktiviert, der Temperatur, Konsistenz, Textur, Schärfe oder Bitterkeit vermittelt. Vgl. Biedermann, Markus  : Essen als basale Stimulation  : fingerfood, eat by walking etc., Hannover 2004, S. 35.

Riechen, schmecken, empfinden | 177

Wie roch es am Rhein  ? Wie schmeckte der in den Gasthäusern ausgeschenkte Wein und die aufgetischten Speisen  ? Wie war es für die Reisenden, über mehrere Stunden in einer voll besetzten Kutsche zu sitzen, noch dazu bei Regenwetter, wenn die Kleidung klamm war, man dem eigenen und dem Geruch der Mitreisenden, wenn nicht gar Tabaksrauch ausgesetzt war  ? Diese sensuellen Eindrücke in die Gegenwart zu übertragen und nachzuempfinden, scheint geradewegs unmöglich  ; für so etwas wie Gerüche und Geschmäcker gibt es keinen geeigneten Speicher. Noch dazu erscheint eine Konservierung und damit Übersetzung von Sinnesempfindungen von vor etwa 200 Jahren diffizil. Selbst die heutzutage in einigen musealen Ausstellungen integrierten Riechstationen können nur bedingt Auskunft darüber geben, wie der Mensch in der Vergangenheit Gerüche wahrnahm, was er als angenehmen Duft oder als Gestank empfand.93 Wir Menschen der Moderne sind ganz unterschiedlichen klanglichen und visuellen Umwelten ausgesetzt, Stärke, Sequenzen und Kontraste folgen anderen Mustern, unsere Sinne sind in anderer Weise erzogen, geschärft oder abgestumpft. Was den mittelalterlichen Menschen stark reizte, ist für uns möglicherweise schwacher Stimulus – oder umgekehrt. Vor allem aber messen wir Erfahrungen andere Bedeutungen bei und bewerten sie unterschiedlich.94

Auch haben sich unsere Hemm- und Reizschwellen grundlegend verändert, wir nehmen Gerüche und Geräusche möglicherweise anders wahr und bewerten sie anders als noch Generationen zuvor. Selbstzeugnisse können über historische Sinneserlebnisse Auskunft erteilen, soweit sie entsprechende Hinweise bereithalten.95 Anders als bei Bild- oder Tonwerken bieten sich die Selbstzeugnisse vom Rhein an, um sinnliche (Körper-)Wahrnehmungen wie olfaktorische, taktile oder körperbezogene Eindrücke nachvollziehbar zu machen. Sie können selbst nicht konserviert werden  ; ihre Wahrnehmung bleibt nur mittels schriftlicher Fixierung erinnerbar. Und auch das Nicht-Erwähnen von olfaktorischen, gustatorischen, haptischen und anderen körperbezogenen Eindrücken kann darüber 93 Die Mehrheit der ambitionierten Versuche, Gerüche in Ausstellungen zu integrieren, um ein ganzheitliches Sinnerlebnis bei den Museumsbesuchern zu gewährleisten, sind zur Förderung der Inklusion angelegt. Siehe dazu  : URL  : http://www.dhm.de/blog/2019/12/03/dem-entdecker-auf-der-duft-spur/, letzter Zugriff  : 13.04.2020  ; Drobnick, Jim  : The Museum as Smellscape, in  : Levent, Nina/PascualLeone, Alvaro (Hg.)  : The Multisensory Museum  : Cross-Disciplinary Perspectives on Touch, Sound, Smell, Memory, and Space, Lanham 2014, S. 177–196. 94 Aichinger, Sinne, 2003. S. 10. 95 Ego-Dokumente als Quellen für historische Sinneswahrnehmungen zu nutzen, empfiehlt Wolfram Aichinger in seinem Aufsatz über Sinne und Sinneserfahrung in der Geschichte (S. 10).

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Aufschluss geben, wie der Rhein erlebt werden sollte – nämlich wohl vor allem mit offenen Augen und Ohren. Während das Auge nur die Oberfläche erfasste, vermochte das Gehör das Innere zu erfassen – ebenso wie andere nicht-visuelle Sinneseindrücke. 5.3.1 Geruchspraktiken Im Gegensatz zu der Dominanz von Augen und Ohren ist die sozial- und kulturwissenschaftliche Funktion der Nase bislang kaum erforscht und offenbart trotz einiger ernsthafter Arbeiten nach wie vor eklatante Forschungslücken.96 Dass der Geruchssinn in der kulturwissenschaftlichen Forschung wie im Lebensalltag eine eher untergeordnete Rolle einnimmt, wird häufig mit dem fortschreitenden Zivilisationsprozess begründet,97 wonach sich der Mensch von seinen ureigenen animalischen Instinkten gelöst und kultivierte Praktiken und Techniken entwickelt hat, die ihn einerseits vom Tier und dessen ursprünglicher Triebhaftigkeit unterscheiden und andererseits seine gesellschaftliche Partizipation garantieren. Diese Kulturtechniken äußern sich seit der Frühen Neuzeit zum einen in steigender Selbstdisziplin und der Kontrolle von Handlungen und Emotionen, die mit Scham, Ekel oder Angst negativ besetzt sind  : beispielsweise in der präzisen Überwachung und Unterdrückung körpereigener Vorgänge und Verhaltensweisen, etwa übermäßiger Körpergeruch oder das offene Riechen an Anderen.98 96 Als Standard- bzw. Einführungswerk nach wie vor empfehlens- und lesenswert  : Alain Corbins Le miasme et la jonquille von 1982 (dt. Pesthauch und Blütenduft, 1984). Darin behandelt der Autor die Desodorierung im Zuge der Urbanisierung. Da er weitgehend französische (und besonders Pariser) Verhältnisse und Entwicklungen schildert, können seine Ergebnisse nicht eins zu eins auf den deutschsprachigen Raum übertragen werden (eine entsprechende Abhandlung fehlt nach wie vor). Annick Le Guérer analysiert in ihrem Werk Les pouvoirs de l’odeur von 1988 (dt. Die Macht der Gerüche, 1992) zwar auch den sozialen Charakter (Diskriminierung, Ausschluss, Partizipation) von Gerüchen, dennoch beschäftigt sie sich hauptsächlich mit den medizinhistorischen und (neu) auch religionsgeschichtlichen Zusammenhängen olfaktorischer Reize. 97 Nach Norbert Elias  : Über den Prozeß der Zivilisation  : soziogenetische und psychogenetische Entwicklungen, 2 Bde, Bd. 1  : Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes, Frankfurt/Main 1997. 98 Die medizinhistorische Bewertung des Geruchsinns wird hier sichtbar  : Unangenehme Gerüche, Schmutz und Unrat waren Anzeiger für drohendes Unheil, etwa Epidemien. Eine Überwachung der eigenen Körpergerüche sollte die eigene als auch die Gesundheit der Allgemeinheit bewahren, wozu die Reinhaltung der eigenen Umgebung notwendig war. Erkennbar ist die soziale Distinktionskraft des Geruchsinns  : Düfte wurden mit Reinheit und Gesundheit, Gestank mit Schmutz und Elend in Verbindung gebracht. Siehe dazu  : Frey, Manuel  : Der reinliche Bürger  : Entstehung und Verbreitung bürgerlicher Tugenden in Deutschland, 1760–1860 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 119), Göttingen 1997, S. 41 f.

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Unangenehme (sowohl körpereigene als auch -fremde) Gerüche und Ausdünstungen jedweder Art werden nach Möglichkeit unterdrückt oder mithilfe künstlicher Duftstoffe überdeckt. Beim Einsatz von Duftwässern und Parfüms musste stets das rechte Maß eingehalten werden – eine Überdosierung barg nämlich erneut die Gefahr sozialer Abgrenzung. So war bei der Brautschau im Umgang mit Düften Vorsicht geboten  : Ein zu üppiger Einsatz von Duftwassern und Parfüms konnte die Ehrbarkeit der werbenden Person infrage stellen und eine Verheiratung durch üble Nachrede unterbinden. »Als Sinn der Lust, der Begierde, der Triebhaftigkeit« wurde der Geruch und das zu starke Parfümieren stets auch mit Lasterhaftigkeit oder Unkeuschheit, allemal moralischer Abtrünnigkeit, in Verbindung gebracht – was ihn umso reizvoller und gefährlicher erscheinen lässt.99 Kaum ein Sinnesreiz wird heutzutage derart planvoll eingesetzt, gesteigert oder reduziert wie der Geruch. Das Bekämpfen, Dämpfen und Verhindern von Gerüchen ist dabei genauso typisch für die neuzeitliche, moderne Gesellschaft wie das Fördern und bewusste Herstellen von Gerüchen. Gerüche sind situations- und raumabhängig, werden in bestimmten Momenten toleriert oder gemieden. Gerüche und ihre Bewertungen sind äußerst ambivalent. So können Aromen, die während der Zubereitung eines Gerichts entstehen, die Vorfreude und den Appetit auf die bevorstehende Mahlzeit steigern, während deren anhaltende Wirkung nach dem Essen als störend empfunden wird. Dieses Beispiel zeigt, dass wir Gerüche situativ unterschiedlich bewerten und stets mit bestimmten Handlungen oder Vorgängen assoziieren. Die ambivalente Einschätzung des Geruchs lässt sich anhand dessen Rezeptionsgeschichte nachzeichnen. Die Aufklärung erklärte das Auge zum wichtigsten Instrument des Menschen, um Erkenntnis und Wissen zu erlangen. Ein eklatanter Nachteil des Geruchsinns lag aus pädagogisch-philosophischer Sicht in der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit olfaktorischer Reize, welche eine produktive Beeinflussung des menschlichen Verstandes ausschloss. Für den menschlichen Verstand erschließt sich demnach kein nachhaltiger Nutzen aus der Wahrnehmung von Gerüchen. Auch die körperlichen (Gaumen-)Freuden, Genuss oder Ästhetik, konnten dieser Denkweise folgend nur einen kurzfristigen, flüchtigen Nutzen aus Gerüchen ziehen. Folgerichtig hielt die Aufklärung den Geruch für den entbehrlichsten Sinn. Kant schreibt dazu  : Es belohnt nicht, ihn [den Geruchsinn] zu cultivieren, oder wohl gar ihn zu verfeinern, um zu genießen  ; denn es giebt mehr Gegenstände des Ekels, (vornehmlich in volkreichern Örtern), als der Annehmlichkeit, die er verschaffen kann, und der Genuß durch diesen Sinn kann immer auch nur flüchtig und vorübergehend sein, wenn er vergnügen soll. – Aber als negative Bedingung des Wohlseins, um nicht schädliche Luft (den Ofendunst, den Gestank der 99 Corbin, Pesthauch und Blütenduft, 1984, S. 15.

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Moräste und Äser) einzuathmen, oder auch faulende Sachen zur Nahrung zu brauchen, ist dieser Sinn nicht unwichtig.100

Zwar besitzt die Nase als Gefahrenanzeiger eine durchaus nützliche Funktion für den Menschen, behält als Indikator für verdorbene Speisen, Feuersbrünste, Epidemien, Fäulnis und ähnliche Situationen jedoch eine vorwiegend negative Konnotation. Dass der Geruch den Geschmack wesentlich beeinflusst, spielt bei Kant noch keine Rolle, im Gegenteil – er entkräftet die gustatorische Nützlichkeit von Gerüchen anhand ihrer unaufhaltsamen, oftmals penetranten und meist unangenehmen Ausbreitungskraft  : Geruch ist gleichsam ein Geschmack in der Ferne, und Andere werden gezwungen, mit zu genießen, sie mögen wollen oder nicht, und darum ist er, als der Freiheit zuwider, weniger gesellig als der Geschmack, wo, unter vielen Schüsseln und Bouteillen, der Gast Eine nach seiner Behaglichkeit wählen kann, ohne daß Andere genöthigt werden, davon mit zu genießen.101

Kants anschauliches Beispiel einer Wirtshausszene verdeutlicht den unsozialen Charakter von Duft- und Geruchsnuancen, die sich ohne Rücksicht auf Andere ausbreiten. Die Wahl von geschmacksbezogenen Reizen erfolgt selbstbestimmt und ichbezogen, die Aromen und Geschmacksnuancen entfalten sich allerdings im Verborgenen (im Gaumen) und bleiben Anderen vorenthalten. Geschmack oder Nicht-Geschmack ist etwas höchst Intimes und Individuelles, ohne dass die Umgebung miteinbezogen oder beeinflusst wird. Ein Geruch hingegen muss mehr oder weniger erduldet werden, er entfaltet sich ungefragt und ohne Rücksicht auf persönliche Vorlieben. Diese Einschätzung bezeugt, welche Bedeutung die Aufklärung den diversen Sinnen für die freiheitliche Entfaltung und Selbstbestimmung des Individuums einräumten. Der Geruch vermochte es, dieses Freiheitsstreben einzuschränken, da er geistige Fähigkeiten und Interessen weder anregte noch steigerte. Auch erzielte er laut dieser Definition nicht denselben mnemotechnischen Effekt auf das denkende Individuum wie andere Sinneseindrücke, die bestimmte Reminiszenzen abriefen (etwa die Erinnerung an die Kindheit) – im Gegensatz dazu wurde bereits in der Antike die »enge Verbindung zu den Emotionen, zur Vorstellungskraft und vor allem zur Erinnerung« hervorgehoben.102 Zentraler für die Aufklärung war jedoch die Nachhaltigkeit von 100 [Kant, Immanuel]  : Immanuel Kant’s Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, hg. v. Johann Friedrich Herbart, Leipzig 1833, S. 53. 101 Ebd., S. 52. 102 Pasewalck, Silke  : »Die fünffingrige Hand«  : die Bedeutung der sinnlichen Wahrnehmung beim späten Rilke (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 21), Berlin 2002, S. 157.

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Sinneseindrücken auf den menschlichen Geist durch deren bewusste Kultivierung, die beispielweise durch das Trainieren des Auges gelang. Eben darin erkennen sie den Nachteil des Geruchs  : Olfaktorische Eindrücke können nicht antrainiert oder kultiviert werden, deshalb scheint eine ästhetische Erziehung der Geruchswahrnehmung unmöglich.103 »Das Riechen widersetzt sich der Objektivierung, ist schlichtweg nicht beweisbar und wird zum Paradigma des intuitiven, nicht operationalisierbaren Begreifens der Wirklichkeit.«104 Der Geruch missfiel auch deshalb den Vertreter:innen von Rationalismus und Idealismus, da er wie kein anderer Sinn die nach wie vor natürlich angeborene Triebhaftigkeit des Menschengeschlechts belegte und seine Verstandeskraft widerlegte.105 Für eine Ideologie, in welcher die geistige Entwicklung und Vorherrschaft des Menschen im Mittelpunkt stand, ein unzumutbarer Affront. Dass zumindest für die oberen Gesellschaftskreise die regelmäßige Verwendung von Duftwassern, Essenzen, parfümierten Pudern selbstverständlich war (und als Ausdruck von Autorität, Ästhetik und Reinlichkeit galt) und der Geruchssinn ungeachtet der Vorbehalte als innigster und intimster Sinn gewertet wurde, sogar im 19. Jahrhundert schließlich »zum privilegierten Sinn der Erziehung« des empfindsamen Individuums aufstieg – diese höchst gegensätzlichen Positionen zum Geruchsinn zementieren seine geradezu widersprüchliche Bedeutung im privaten und öffentlichen Raum.106 Als Sinnbild von Eros und Thanatos gleichermaßen symbolisierte er die tiefsten Wünsche sowie die größten Ängste der menschlichen Seele  : Fruchtbarkeit, Begierde und Lust ebenso wie Elend, Versuchung und Tod. Wesentlich präsenter zeigte sich die negative Seite des Geruchs im Alltag, die auch Kant kritisierte, nämlich sein Bewusstmachen um die menschliche Vergänglichkeit, als Vorbote von Krankheit und Tod. Die den Gerüchen zugeschriebene pathogene Qualität ist der zeitgenössischen medizinischen Entwicklung geschuldet, die noch keinen kausalen Zusammenhang zwischen Bakterien und Epidemien herzustellen vermochte, die entsprechenden Ausdünstungen aber bereits als möglichen Auslöser identifizierte. Die Vorstellung, dass sich Krankheiten über unreine Luft ausbreiteten, nährte die Angst vor meist engen Räumen, in denen viele Menschen viel Luft verbrauchten und wiederum schlechte Luft einatmeten  : Hospitäler, Kasernen, Gefängnisse, Schlachthäuser, Schiffe, Sümpfe, Abfall- und Kloakengruben.107 Im 103 Vgl. Corbin, Pesthauch und Blütenduft, 1984, S. 17. 104 Rheinz, Hanna  : Die Kunst des Riechens. Rezension zu Annick le Guérers Kulturgeschichte der Nase, in  : DIE ZEIT/40, 1992, 25. September 1992  : URL  : https://www.zeit.de/1992/40/die-kunst-des-riechens/komplettansicht, letzter Zugriff  : 07.05.2022. 105 Vgl. Le Guérer, Annik  : Die Macht der Gerüche  : eine Philosophie der Nase, aus dem Französischen v. Wolfgang Krege, Stuttgart 1992, S. 233 f. 106 Corbin, Pesthauch und Blütenduft, 1984, S. 17. 107 Vgl. Le Guérer, Die Macht der Gerüche, 1992, S. 70 f.

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Gegensatz zum Auge nahm die Nase Elend und Verfall dieser Orte nicht nur stärker wahr, sie suggerierte auch eine Übertragung von Krankheit und Unreinheit auf den eigenen Körper durch das Inhalieren der schlechten Luft. Ein Abwenden oder Wegschauen war in diesem Fall kaum möglich, Abhilfe versprachen lediglich der Einsatz von Duftwassern(!) oder das Nasezuhalten.108 Das bewusste Vermeiden schmutziger, übelriechender Räume sowie die Selbstkontrolle und Körperüberwachung dienten letztlich der allgemeinen Wohlfahrt und Gesundheit  ; diese peniblen Vorsichtsmaßnahmen sollten die Verbreitung ansteckender Krankheiten verhindern oder immerhin reduzieren. Die Tabuisierung von Krankheit und Tod mündete in einer vollständigen Tabuisierung jeglicher mit ihnen assoziierten Elemente und (Sinnes-)Eindrücke. Äußerlich sichtbare Krankheitssymptome wie offene Wunden, Ekzeme, Entzündungen oder Ausschläge konnten mithilfe von Bandagen und Umschlägen vor fremden Augen versteckt werden, die entsprechenden Ausdünstungen und Absonderungen blieben aber durch ihren Geruch weiterhin wahrnehmbar. Die unsichtbaren, nicht greifbaren Geruchseindrücke lancieren zu sichtbaren Barrieren des gesellschaftlichen Zusammenlebens, zu sozialen Stigmatisierungseinheiten. Die oftmals sehr empfindliche, nämlich geringschätzende Bewertung und Wahrnehmung von Geruchseindrücken war auch auf die fortschreitende Urbanisierung, das Gefälle zwischen Stadt und Land und das damit verbundene Unverständnis der jeweiligen Bevölkerungsgruppen für die Verhaltens- und Lebensweisen der Anderen zurückzuführen. Städtebauliche Isolierungsmaßnahmen, etwa die Planung von Vierteln für bestimmte Berufsgruppen, die Pflasterung von Straßen, sind auf die olfaktorischen Kriterien sozialer Gruppen und deren Willen nach Geruchsdistanz zurückzuführen. »Die soziale Frage ist nicht nur ein ethische, sondern auch eine Nasenfrage«,109 heißt  : Geruch beziehungsweise Gestank wird zum Kriterium für gesellschaftliche Zugehörigkeit beziehungsweise Fremdartigkeit. Herkunft und sozialer Status einer Person lassen sich neben äußerem Erscheinungsbild und Auftreten bereits anhand seines (Körper-) Geruchs feststellen, »anders gesagt, jeder Stand hatte seinen eigenen Geruch«.110 Mit gutem Geruch assoziierte man in der Neuzeit Reinheit und Anstand, Wahrung von Tugend und Moral und einen gewissen Bildungsstand. Nach Auffassung der Oberschicht waren die unteren Bevölkerungsgruppen – sprich die Arbeitenden, Bediensteten und Tagelöhner:innen, ebenso wie Prostituierte, Vagabunden sowie Bettelnde – außer Stande, den Mief ihrer eigenen Mittellosigkeit und Armut überhaupt 108 Vgl. Frey, Der reinliche Bürger, 1997, S. 39. 109 Simmel, Georg  : Soziologie  : Untersuchungen über die Formen der Gesellschaftung, Leipzig 1908, S. 657. 110 Frey, Der reinliche Bürger, 1997, S. 41.

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wahrzunehmen.111 Bestimmte Gerüche und Düfte entwickelten sich zu charakterisierenden, aber eben auch stigmatisierenden Elementen. Der Geruch untermauert dadurch seine Stellung als »sozialer Sinn, der sich im historischen Wandel der (Hygiene-)­ Diskurse als ein unaufhörlicher Prozess der Distinktion erweist«,112 indem er Reich und Arm, Oben und Unten anhand olfaktorischer Eigenheiten definiert und voneinander trennt. Der Wunsch nach Sauberkeit (zur Vorbeugung von Krankheiten) verbindet sich mit der Notwendigkeit, schädliche Gerüche zu tilgen oder zumindest aus dem eigenen sozialen Radius und Lebensalltag auszuschließen. Die Hygienevorkehrungen und -einrichtungen des städtischen Bürgertums erzeugten trotz der positiven Grundidee um die Erhaltung der Volksgesundheit eine »Verschärfung und Verfestigung sozialer Unterschiede«,113 da viele technische Neuerungen der einfachen Bevölkerung vorenthalten blieben. Diese vormodernen Entwicklungen sorgten laut Corbin für eine allmähliche Sensibilisierung der olfaktorischen Reize, der Desodorisierung.114 Infolgedessen werden Gerüche, welche das Zusammenleben von Menschen (und Tieren) auf engstem Raum suggerieren, als unzivilisiert und unmodern abgelehnt und gleichzeitig als Krankheitsherde identifiziert. Gerüche sind flüchtig, sie lassen sich nicht dinglich fassen und nur schwer begreifen oder (unterstützt durch das beschränkte uns zur Verfügung stehende Vokabular) in Worte fassen. Laut Georg Simmel sind sie daher »nicht auf die Ebene der Abstraktion zu projizieren«.115 Olfaktorische Eindrücke werden entweder beifällig als wohlriechend, ätherisch und aromatisch oder abwertend als beispielsweise faulig, verdorben, muffig, verbrannt und stechend definiert. Die Bewertung rangiert zwischen den beiden Extremen Duft und Gestank und verbietet eine objektive Einschätzung von Gerüchen. Diese divergierenden Bedeutungszuweisungen olfaktorischer Sinneseindrücke zeigen einerseits, dass Gerüche einen äußerst ambivalenten Beurteilungscharakter aufweisen, andererseits die fortschreitende Desodorisierung die Toleranzschwelle von Gerüchen senkte und eine bewusste Geruchlosigkeit herbeiführte. Die Flüchtigkeit und Unartikulierbarkeit olfaktorischer Sinneserlebnisse setzt sich auch in der Vernachlässigung beziehungsweise einseitigen Beschäftigung in der wissenschaftlichen 111 Vgl. ebd. S. 179. 112 Bischoff, Werner  : Korrespondierende Orte, in  : Berndt, Christian/Pütz, Robert (Hg.)  : Kulturelle Geographien  : zur Beschäftigung mit Raum und Ort nach dem Cultural Turn, Bielefeld 2007, S. 189–212, hier S. 198. 113 Raab, Jürgen  : Die soziale Konstruktion olfaktorischer Wahrnehmung  : eine Soziologie des Geruchs, Konstanz 1999, S. 140. 114 Vgl. Corbin, Pesthauch und Blütenduft, 1984. S. 81 f., 121 f., 189 f. 115 Simmel, Soziologie, 1908, S. 657.

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Auseinandersetzung mit Gerüchen fort. Meistens bildet der Geruchssinn im Kontext naturwissenschaftlicher, vorwiegend neuropsychologischer Arbeiten einen Themenschwerpunkt. In den Geistes- und Sozialwissenschaften werden Gerüche, wenn überhaupt, dann anhand medizin-historischer und sozialer (Raum-)Entwicklungen erörtert. Über die oben erwähnten Standardwerke von Corbin und Le Guérer hinaus existieren einige wenige nennenswerte Arbeiten etwa zu Geruchserfahrungen in der neueren Literaturgeschichte und in spezifischen Medienformaten116, zu urbanen Geruchslandschaften117. Jüngere interdisziplinäre Studien versuchen, historische Geruchswelten mithilfe von biochemischen und biomolekularen Methoden zu rekonstruieren und in Verbindung mit Ansätzen aus der Archäologie, Kultur- und Kunstgeschichte neue Erkenntnisse zur Menschheits- und Sinnesgeschichte zu erlangen.118 In Bezug auf die Reiseliteratur ließen sich Geruchswahrnehmungen vor allem in solchen Erlebnisberichten nachweisen, die den städtischen Raum und städtischen Alltag wiedergeben  : Metropolen wie London und Paris wurden oft schon vor dem Über- oder Eintritt erkannt – durch die wortwörtlich atemraubende Anhäufung von Gerüchen und die städtebauliche Abgrenzung sozialer Gruppen. Auch Christoph Nebgen stellt in seiner religionswissenschaftlichen Untersuchung den Geruch als typisches Merkmal der Stadtbesichtigung heraus  : Die fehlende Sauberkeit, der Schmutz der Straßen, Gassen, Häuser und darin lebenden Menschen wird besonders in den Reisebeschreibungen von Köln deutlich. In einzelnen Berichten vereinen sich die Beschwerden über den üblen Gestank mit der überwiegend katholischen Konfessionszugehörigkeit und manifestieren die generelle Rückschrittlichkeit der Stadt.119 Über Anwendung und Wahrnehmung von Gerüchen in der Reisepraxis und Reiseliteratur (der Romantik) finden sich darüber hinaus in den einschlägigen Werken nur wenige Anhaltspunkte. Dabei konservieren Reiseberichte das olfaktorische Gedächtnis ganzer Generationen  :

116 Etwa in  : Pasewalck, Die Fünffingrige Hand, 2002, S. 161 ff.; Krause, Frank  : Geruchslandschaften mit Kriegsleichen  : deutsche, englische und französische Prosa zum ersten Weltkrieg, Göttingen 2006. 117 Etwa  : Diaconu, Mădălina  : Sinnesraum Stadt  : eine multisensorische Anthropologie, Wien 2012  ; Dies. (Hg.)  : Sensorisches Labor Wien  : urbane Haptik- und Geruchsforschung (Austria  : Wissenschaft und Forschung 6), Münster 2011  ; Bischoff, Werner  : Nicht-visuelle Dimensionen des Städtischen  : Olfaktorische Wahrnehmung in Frankfurt am Main  ; dargestellt an zwei Einzelstudien zum Frankfurter Westend und Ostend (Wahrnehmungsgeografische Studien 23), Oldenburg 2007. 118 Siehe dazu  : Huber, Barbara/Larsen, Thomas/Spengler, Robert N./Boivin, Nicole  : How to use modern science to reconstruct ancient scents, in  : Nature Human Behaviour, 2022, URL  : https://doi.org/10.1038/ s41562-022-01325-7, letzter Zugriff  : 30.04.2022. 119 Vgl. Nebgen, Konfessionelle Differenzerfahrungen, 2014, S. 217.

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So waren die Beschreibungen von olfaktorischen Reizen charakteristisch für die Reiseberichte des 17. bis 19. Jahrhunderts  : Palermo rieche nach Zitrusfrüchten, Kairo nach billigem, gegerbten Leder, Delhi nach feuchter Erde, Djakarta nach Blumen, Bangkok nach Baumharzen und Weihrauch.120

Obwohl es sich hier mehrheitlich um exotische, für europäische Besucher:innen fremde Destinationen und Dufterlebnisse handelt, wird die Bedeutung der olfaktorischen Wahrnehmung für das sinnliche Reiseerlebnis und die Gleichsetzung von Stadt und Gestank deutlich. Die Analyse von Gerüchen, welche die Wissenschaft aufgrund der äußerst subjektiven und nicht-fassbaren Bewertung von olfaktorischen Einflüssen meist ablehnt, kann also durchaus über kulturelle und soziale Zusammenhänge und Entwicklungsprozesse aufklären. Die Untersuchung von historischen Texten mit einem stark subjektiven Bezug kann Parallelen und Brüche im Geruchsverhalten, der Rezeption und Narration von Gerüchen aufzeigen und gesamtgesellschaftliche Veränderungen, etwa in Körperwahrnehmung und Sozialverhalten, sichtbar machen. Die Textformen Tagebuch, Brief und Erlebnisbericht bieten sich an, um persönlichkeitsbezogene sinnliche Erfahrungen zu erörtern und im Kontext auf gesamtgesellschaftliche Konventionen zu bewerten. So werden beim Individuum offensichtlich auf ›geheimnisvolle‹ Art und Weise Erinnerungen, Emotionen, starke Lust- oder Unlustgefühle durch bestimmte Gerüche evoziert  ; die Einschätzung und Bewertung von Geruchswahrnehmungen kann aber wiederum individuell stark differieren.121

Dass das Erzählmoment einen wichtigen Faktor bei der (meist nachträglichen) Bewertung und Einschreibung von Gerüchen spielt, wurde bereits erläutert. Der Rhein wird nicht nur sinnlich-körperbezogen wahrgenommen, sondern auch sinnlich erzählt, worüber schriftlich reflektiert wird. Welche olfaktorischen Sinnesreize beeinflussen nun die Akteur:innen am Rhein, beziehungsweise welche Gerüche nehmen sie wahr und schreiben darüber  ? Zur Erinnerung  : In der Romantik lässt sich ein Wandel der Sinneshierarchie beobachten, der, begleitet durch das Interesse für Gegensätzlichkeit und Kontrastschärfe, dem Geruchsinn eine positive Um- und Aufwertung beschert. Die produktive Auswirkung von 120 Kühne, Olaf  : Distinktion – Macht – Landschaft  : zur sozialen Definition von Landschaft, Wiesbaden 2008, S. 56. 121 Raab, Soziologie des Geruchs,1999, S. 17.

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unstetigen und flüchtigen Eindrücken auf die Kreativität und künstlerische Fantasie, das intuitive Erleben und unmittelbare Umsetzen eines Reizes in Gedanken und Sinnbilder. All diese Vorzüge des Geruchsinns bilden eine Parallele zum Hören, dem Gipfelpunkt sinnlicher Erfahrung in der Romantik. Dem Geruch wird also eine neue Relevanz zugesprochen. Inwieweit lässt sich diese Bedeutungszuschreibung in den Reiseberichten feststellen  ? Die Flüchtigkeit und Unmittelbarkeit von Gerüchen fordert zwar die Imaginationskraft des Individuums noch intensiver als visuelle oder auditive Eindrücke. Andererseits erschweren womöglich die Vergänglichkeit und Unklarheit von Geruchseindrücken ihr Erfassen und Deuten. Die Komplexität und unterschiedlich starke Intensität der Gerüche kollidierten zudem mit der jeweiligen biologischen Fähigkeit des Riechens sowie der sozial geformten Geruchswahrnehmung unserer Verfasser:innen. In diesem Kontext scheint die Nase geradezu dafür prädestiniert, fremde und eigene Reize (bewusst oder unbewusst) zu überlisten und eine fiktive olfaktorische Sinnestäuschung zuzulassen. Praxeologische Schwierigkeiten ergeben sich bei dem Versuch, bestimmte Gerüche nachzuweisen oder nachzuvollziehen. Zweifellos lassen sich historische Geruchseindrücke aufgrund ihrer Immaterialität nicht ins Jetzt übertragen oder nachweisen. Auch die Wortwahl erzeugt Probleme bei der Ausdeutung von Gerüchen  : Was meint Helmina von Chézy etwa mit ›süßduftenden Teichen‹,122 wonach riechen ›köstliche Pappeln‹ und aus welchen Nuancen setzen sich ›Abenddüfte‹ zusammen  ?123 An diesen Stellen spart die Berichterstatterin mit weiteren konkreten Angaben zum eigenen Geruchserlebnis. Damit offenbart sie den Lesenden zwar nicht die Geruchsquelle, lässt aber wiederum Raum für olfaktorische Eigeninterpretationen und individuelle Geruchsvorstellungen und -erinnerungen. Chézy beschreibt ein Potpourri charakteristischer Gerüche am Rhein, das sich aus den Düften der Natur, meist blühenden Pflanzen, zusammensetzt. Auch Johanna Schopenhauer beschreibt Dufterlebnisse meist im Zusammenhang mit der blühenden Natur  : Wiesen sieht man selten, dazu ist der Boden zu kostbar, aber destomehr üppig gedeihende Kleefelder, deren Duft nebst dem der blühenden Bohnenfelder sich im Juni mit dem der blühenden Reben vereint und das ganze Land mit berauschendem Wohlgeruch erfüllt.124

Wohlgerüche kennzeichnen das vorwiegend positive Reiseerlebnis, das sich jenseits der Natur auch in geistlich-spirituellen Räumen wiederfindet. So beschreibt Johanna 122 JLM, 1814/August, S. 488. 123 Ebd., S. 489. 124 Schopenhauer, Ausflug, 1830/1, S. 99.

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Schopenhauer bei ihrem Besuch von St. Ursula in Köln ihren ersten Eindruck beim Betreten des sakralen Gebäudes  : Ein eigner seltsamer Geruch fiel beim Eintritt in das nicht große kapellenartige Gebäude mir auf, der von der eingeschlossenen Luft und früherem Weihrauchsdampf herrühren mochte, […]. Als wir aber, nicht ohne einen kleinen Schauder zu empfinden, die seltsame Verzierung

der Wände bemerkten, konnten wir nicht umhin, diese, den Athem beklemmende Luft einer andern Ursache zuzuschreiben. Viele Tausende unendlich zarter menschlicher Gebeine sind hier recht zierlich in verschiedenartigen Mustern dicht aneinandergefügt und bekleiden alle Wände von oben bis unten mit der seltsamsten, schauerlichsten Mosaik, die sich nur denken lässt.125

Bemerkenswert ist, dass weder Weihrauch noch Kerzenwachs, sondern die Vorstellung eines vermeintlichen Leichengeruchs, von den Reliquien ausgehend, die eigenartige Atmosphäre dieses sakralen Ortes beherrscht. Die Imagination von den Verwesungsprozess begleitenden Gerüchen dominiert hier die olfaktorische Wahrnehmung. Während Schopenhauers Bericht beim Lesen Abscheu und Entsetzen auslöst, wirkt Chézys Erlebnis des Kölner Domes sentimental und andächtig  : »Für den frommen Armen ist die goldstrahlende, blumenduftende, weihrauchathmende kerzenhelle Kirche ein irdisches Paradies.«126 Für Chézy steht der reinigende, erhebende Moment der heiligen Messe im Vordergrund  ; der Weihrauchdampf hat neben der emotionalen Einstimmung des Individuums auf den religiösen Akt vor allem eine integrierende und stabilisierende soziale Funktion. Nicht nur die unmittelbar an der Zeremonie Beteiligten, sondern alle Anwesenden sollen gleichzeitig und gleichermaßen an der geheiligten Atmosphäre, an der Verbindung mit Gott, teilhaben. Der Einsatz von Weihrauch […] markiert die Erfahrung und das Erlebnis eines gemeinsamen Übergangs der Gruppe vom profanen in den geheiligten Zustand.127

Die Romantisierung der christlichen Volksfrömmigkeit lässt sie sakrale Handlungen als sinnliche Ereignisse darstellen. Die Partizipation an der Messe suggeriert allen Bevölkerungsgruppen die Teilhabe am öffentlichen Leben und räumt allen ungeachtet ihrer Herkunft einen Platz in der Gesellschaft ein. Auch Menschen aus den Elendsvierteln 125 Ebd., S. 198. 126 JLM, 1815/März, S. 139. 127 Raab, Soziologie des Geruchs, 1998, S. 72.

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dürfen sich an den Klängen, Düften, Farben der heiligen Messe erfreuen und zumindest innerhalb dieses zeitlich und räumlich fixierten Rahmens ihren gewohnten Lebensumständen und Gerüchen entfliehen. Neben der olfaktorischen Romantisierung natürlicher und sakraler Räume wird Chézys Bericht auch von einem patriotischen Grundton bestimmt, der den Wohlgeruch urbanen Lebens preist, so lange sie sich auf deutschem Terrain bewegt. Aus dieser Beschreibung heraus werden durch olfaktorische Zuschreibungen Zugehörigkeiten und Grenzen definiert, Fremdes und Vertrautes durch Gestank und Duft markiert. So präsentieren sich die französisch-sprachigen Gebiete als übelriechende Stätten, in denen Schmutz und Armut vorherrscht  : »Die Stadt liegt tief  ; Dunst und Dampf ist ihre Atmosphäre, elende Hütten, verworren angelegte Straßen, armseliges Pflaster, verkünden in der Vorstadt einen grausigen Aufenthalt.«128 Auch wenn das belgische Verviers vom wirtschaftlichen Aufschwung profitiert, erkennt Chézy, dass dies nur für einen Teil der Bevölkerung gilt. Durch die Gleichsetzung des kleinstädtischen Verviers mit der Metropole Paris gelingen ihr auch Parallelen zum sozialen Gefüge  : »Pariser Eleganz herrscht in den großen Häusern, gränzenloser Schmutz beim ganzen Volke, jedoch ist das auch Parisisch.«129 Die bauliche Verengung der Städte führt zu einem Auseinanderdriften des sozialen Gefüges. Die Schere zwischen Arm und Reich ist auch anhand der Zunahme des sozialen Elends sichtbar, die Chézy in direkten Zusammenhang mit der französischen Staatsführung stellt. Reinheit wird mit Ehrlichkeit und Fortschritt, Schmutz mit Falschheit und Stagnation in Verbindung gebracht  ; es ist ersichtlich, dass hier national aufgeladene Vorurteile und Mentalitäten in die Praxis übertragen werden. Die Verknüpfung von städtischem Leben und Gestank wird auch bei Johanna Schopenhauers Bericht deutlich. So hinterlässt die Stadt Köln bei ihr […] keinen besonders freundlichen und erheiternden Eindruck, sie ist eine seltsame Zusammensetzung von Schön und Häßlich, von Alt und Neu, […]. In steter Furcht, überfahren zu werden, betäubt vom Lärm der Lastträger, der Karrenschieber und aller Unlust, eines in sehr beschränkten allerlei Gewerbe treibenden Volkes, windet man sich auf schlechtem, schlüpfrigem Steinpflaster durch düstre, enge Straßen von hohen, die Luft beengenden Giebelhäusern umgeben. […] Mit jedem Athemzuge trinkt man den erstickenden Qualm von Thran, Oel und Leder, Unschlitt und allen möglichen Warenartikeln ein […].130

128 JLM, 1815/März, S. 143. 129 JLM, 1815/März, S. 144. 130 Schopenhauer, Ausflug, 1830/1, S. 147 f.

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Leicht erscheint es, sich in diese bildhaft beschriebene Situation hineinzuversetzen, in welcher die Besucherin neben Hektik und Lärm auch dem »Gewerbe des treibenden Volkes« und den diversen Ausdünstungen ausgeliefert war. Daneben wirken die räumliche Beengtheit und die vielfachen Gerüche atemraubend. So überwältigend die unangenehmen (olfaktorischen) Eindrücke auch sind, so unerwartet verändern sich die Bedingungen während des Stadtspaziergangs  : »Breite, helle Straßen liegen vor uns, große, geräumige, zuweilen mit Bäumen besetzte Plätze und der Duft der Resede, der Rosen, des Jelängerjeliebers weht uns aus nahliegenden Gärten herüber […].«131 Über die olfaktorischen Eindrücke, die eine Reise und der Kontakt mit anderen Mitreisenden mit sich bringt, äußern sich die Verfasser:innen kaum. Zwar wird der Weg als zuweilen beschwerlich und manche Reisegesellschaft als unangenehm beschrieben, dennoch fehlen bestätigende Angaben zum Reisealltag, wie er sich 1793 in einem Reise­rathgeber darstellt. Eine Reise mit der Postkutsche gleicht einem Höllentrip, auch für die Sinne  : Das oft unbequeme enge Sitzen oft bey schwüler Luft, das langsame Fortrutschen mit phlegmatischen und schlafenden Postknechten, der oft pestilenzialische Gestanck unsauberer Reisegesellschafter, das Tobackdampfen und die zottigen schmutzigen Reden der ehrsamen bunten Reisecompagnie132

schildern nur einen Bruchteil der Geruchswahrnehmungen während einer Reise.

Dass die Reise in der Kutsche, in welcher man permanent und auf engstem Raum anderen Menschen und ihren Ausdünstungen ausgeliefert war, als unangenehm empfunden wurde, zeigt auch eine weitere Beschreibung, die während einer Reise vom Atlantik zum Pazifik entstand  : Die amerikanischen Postwagen haben eine ähnliche Einrichtung wie die deutschen, nur sind sie gewöhnlich etwas weniger weich gepolstert […]. Die Sitze sind für neun Passagiere berechnet, doch kommt es den Postcontractoren gar nicht darauf an auch zwölf und vierzehn in und auf den Wagen zu packen. In diesem Lande aber in einer übervollen Postkutsche zu fahren ist, glaube ich, so ziemlich das schlimmste was einem reisenden Menschenkinde passiren kann, besonders wenn es Nacht, das Wetter naß und kalt, und demzufolge die Öffnungen der Kutsche bis auf die letzte Fensterritze verstopft sind. Nur die Gegenwart einer Dame, […], vermag die traurige Situation in etwas zu mildern. Besteht die Gesellschaft aber 131 Ebd., S. 148. 132 Heinzmann, Johann Georg  : Reiserathgeber für junge Reisende, Leipzig, Bern 1793, S. 191.

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Abb. 8  : Johann Rudolf d.J. Füssli, Geschlossene Kutsche (…), Federzeichnung mit Sepia über Graphit, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen.

nur aus Männer, dann  : wehe dir  ! der du noch nicht an solche Reisemanier gewöhnt […]. Die Atmosphäre besteht im günstigsten Falle zu 75 Procent aus Tabaksrauch und Whiskeydunst, und die weiteren 25 Procent darffst du mit den eilf anderen Passagieren zur kümmerlichen Fristung deines Lebens brüderlich theilen.133

Der Textauszug zeichnet schonungslos, aber auch amüsant das beschwerliche Erlebnis einer Kutschfahrt nach. Ungewaschene Leiber, dazu körpereigene Ausdünstungen und künstliche Düfte, Tabakrauch, der Gestank der Zugpferde, dazu die Gerüche der durchfahrenen Landschaft (Sümpfe oder ländliche Gebiete) prägten das Geruchserlebnis unterwegs und fanden ihre Fortsetzung häufig mit der Ankunft am Reiseziel  : schmutzige Schlafkammern und Betten, ungewaschene Reisekleidung, dazu der Geruch anderer Herbergsgäste, der Gestank der Hinterhöfe und Poststationen, auf denen sich der Unrat von Menschen und Tieren ansammelte. Dass sich die Verfasser:innen der Rheinreiseberichte nicht zu dieser Seite der Reisewirklichkeit äußern, bedeutet nicht, dass sie mit dieser nicht in Kontakt traten. Stärker als die individuellen 133 N.N.: Reiseskizze vom atlantischen zum stillen Ocean (= Das Ausland  : eine Wochenschrift für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker 37, 1864/ 2), S. 25–28, hier S. 27.

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Geruchsfähigkeiten und -befindlichkeiten lenken die Reisemotivation sowie die Form der Verschriftlichung das Schreiben über die Reise. Denn mit der Rheinreise verbinden die Akteur:innen vorwiegend und fast ausschließlich positive Erfahrungen und Erinnerungen, die neben dem zeitweiligen Ausbruch aus dem bürgerlichen Alltag, den Erholungs- und Gesundungsabsichten auch die Reisegesellschaft mit einbindet. Wenn sich aus diesen grundlegend positiven Reiseerfahrungen das Schreiben über begleitende Sinnes- und Körperwahrnehmungen verbietet, lassen sich dennoch Geruchseindrücke feststellen, die auf bestimmte Erfahrungen und Erlebnisse Bezug nehmen. Der Wiedererkennungseffekt von Gerüchen ist bezeichnend für seine nachhaltige Wirkung auf Gedächtnis und Erinnerungsvermögen. Auch in den Selbstzeugnissen werden Erlebnisse erinnert und olfaktorisch reflektiert. Besonders eindrücklich erfolgt dies in einem Brief von Arnim an seinen Freund Brentano wenige Wochen nach ihrer gemeinsamen Reise  : Die Erinnerung an unsre Rheinreise ist mir eine kräftige Riechbüchse, wenn es in der Gegenwart stinkt. Nun stinkt es zwar eigentlich nicht, vielmehr schwelge ich in dem Dufte der Alpenkräuter, aber ich bin hier mit meinem einsamen Gemüthe doch nie so froh wie damals.134

Die Erinnerung an die Rheinreise besitzt also für Arnim olfaktorische Qualitäten, die er jederzeit abzurufen imstande ist. Das versinnbildlichte Rheinerlebnis in Form eines Riechgefäßes ist Gedächtnismedium für ein gemeinsam erlebtes und vergangenes Ereignis. Die imaginäre Riechbüchse weist darauf hin, dass die Erinnerung Balsam für Körper und Seele zugleich ist, auch in Abwesenheit des Freundes und trotz der realen Wohlgerüche der Alpenregion. Dies bestätigt auch, dass olfaktorische Eindrücke Erinnerungen abrufen, die mit dem bereisten Raum, bestimmten Erlebnissen oder gewissen Mitreisenden in Zusammenhang stehen. Praktiken zur eigenen Geruchsreduzierung werden, wenn sie denn erfolgen, nicht erwähnt. Dass sich Wasser zum Reinigen und zur Körperpflege eignete, wurde mit der Etablierung der Thermal- und Kurbäder am Rhein immer bekannter. Hygienemaßnahmen und Praktiken der Körperpflege bleiben im Rahmen der Reiseberichte unerwähnt. Sie bieten keine geeignete Plattform zur Formulierung von Maßnahmen gegen körpereigene und -fremde Gerüche, auch weil sie ein Publikum unterhalten, das an der Reisepraxis am Rhein und dem Landschaftserlebnis interessiert ist. Olfaktorische Eindrücke werden daher auch nur im Rahmen dieser beiden Kategorien erwähnt und sind vorwiegend positiv. Auch der Bewegungs- und Handlungsradius der Akteur:innen weist darauf hin, dass ihre sozialen Interaktionen innerhalb gesellschaftlicher Kreise 134 Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 16.

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stattfanden, die eine Desodorierung und Reduzierung von Gerüchen als Zeichen von Wohlstand und Bildung betrachteten. Die Aufnahme fremder Einflüsse mittels sensueller Praktiken sorgt dafür, dass Fremdes vertraut wird. Gustatorische Erlebnisse, etwa der Genuss des Weines, geschehen mittelbar und in direktem Kontakt. Auch das Sehen und Hören, Riechen und Fühlen impliziert eine räumliche Nähe und baut Distanzen ab. 5.3.2 Blaue Blume und Rosenduft Wie lassen sich Wahrnehmung, Bewertung und Fixierung von Geruchseindrücken in Selbstzeugnissen der Romantik nachweisen  ? Geht man davon aus, dass Gerüche stets auf den Geruchsträger zurückzuführen sind, erscheint unweigerlich das Symbol der blauen Blume als möglicher Referenzpunkt für die olfaktorischen Wahrnehmungen und Idealvorstellungen der Romantiker:innen. Dieser mutmaßlich logische Rückschluss erweist sich spätestens dann als fraglich, wenn man sich der konkreten botanischen Einordnung der Blume und ihrer Duftqualität zuwendet.135 Beide Komponenten bleiben ungeklärt und damit offen für verschiedene Interpretationen  : Die Duftqualität und -intensität von Lavendel und Veilchen verhält sich völlig konträr zu anderen Sorten wie Kornblume, Lilie, Wegwarte, Ehrenpreis, Eisenhut, Enzian oder Aster, welche wiederum mit einem satten Blauton und ihrer Blütenform bestechen. Möglich ist auch eine Gleichsetzung mit der sagenhaften blauen Blume Nimmerweh, der eine krankheitslindernde Wirkung nachgesagt wird.136 Auch die oft märchenhafte Erscheinung der Glockenblumen und die symbolhafte Besetzung eines Vergissmeinnichts sind denkbare Vorbilder. Die ungenaue Zuordnung der blauen Blume lässt sich auf ihre Duftqualität ausweiten  ; demnach ist sie mit keinem irdischen Gewächs und dessen Odeur vergleichbar  : Sie ist Fiktion und Metapher zugleich. Die gattungsspezifische Ungenauigkeit und Undefinierbarkeit der blauen Blume unterstreicht ihren primär symbolischen Charakter, nämlich als Sinnbild der Sehnsucht, der Grenzenlosigkeit und Ferne, der Mystik und Träumerei. Sie ist ein Zeichen für Weiblichkeit, ihre erotische Anziehungskraft und Fruchtbarkeit. In Novalis’ fragmentarisch erhaltenem Werk Heinrich von Ofterdingen meint der Protagonist, im 135 Dietmar Schuth widmet sich in seiner Dissertation Die Farbe Blau  : Versuch einer Charakteristik ausführlich der Frage nach der genauen botanischen Bezeichnung der Blauen Blume (1995) und negiert die Annahme, dass es sich nur um eine Metapher handelt (S. 146 ff.). 136 Zur Bedeutung der Farbe Blau, der Wirkung von blauen Blumen und blauen Gegenständen berichtet ausführlich das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hg. V. Verband deutscher Vereine für Volkskunde, Berlin (u. a.) 2011 [Reprint], Bd. 1  : Aal-Butzemann, Sp. 1386.

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Blütenkelch ein Mädchengesicht zu erkennen.137 Die traumhafte Vision der blauen Blume erschafft einen Raum für die dichterische Freiheit und Entfaltung, die in der Realität nicht umsetzbar ist. Das Motiv der Blume erfüllt damit das romantische Konzept einer realitäts- und rückwärtsabgewandten Lebensart, in welcher der Mensch seine Fantasie aus der Natur bezieht. Die Gleichsetzung der Blume mit weiblicher Fertilität bekräftigt die Vorstellung, dass der Künstler die Natur als reproduktive Kraft nutzt.138 Auch Heinrich verschweigt, um welche Blumensorte es sich handelt. Novalis’ Protagonist befindet sich in einer Art Dämmer- oder Traumzustand, wodurch die Bezugnahme auf Geister, Fabelwesen und magische Geschöpfe deutlich wird. Stärker als die Blumen- wirkt hier ohnehin die Farbsymbolik. Da satte Blautöne in der Natur und besonders der Pflanzenwelt recht selten vorkommen, sind sie Zeichen eines außergewöhnlichen, geheimen Moments. Die Präferenz der Romantik für Blautöne ergibt sich neben ihrer Rarität aus deren Vielseitigkeit, denn keine andere Farbe verfügt über so viele Schattierungen und Abstufungen ins Helle (Himmelblau) oder Dunkle (Mitternachtsblau), die oft auf ein gemeinsames Referenzelement (in diesem Fall der Himmel) verweisen. So steht das Dunkel des Blaus in unübersehbarem Kontrast zu seinem hellen Pendant. Nur das Dunkel der blauen Nacht manifestiert sich als Zustand des Geheimnisvollen, das zum einen auf ein lichtes Außerhalb verweist und den Ort des Imaginären bezeichnet. Das helle Blau des nicht endenden Himmels offenbart das Geheimnis der Transparenz, das das nächtliche Blau verschwieg.139

Die facettenreiche Kontrastschärfe zeigt die Ambivalenz der blauen Farbe. Tag und Nacht symbolisieren die menschliche Tag- und Nachtseite, mithin den Wechsel zwischen Traum und Wirklichkeit. »Es ist etwas Widersprechendes von Reiz und Ruhe im Anblick.«140 Die Farbnuancen können sehr unterschiedliche Emotionen wachrufen, sie wirken anregend, belebend, beängstigend, exotisch, entspannend, anziehend.141 Assoziationen zu Wasser und Eis, Bergen und dem Himmel begründen ihre Einordnung als kalte Farbe. 137 Vgl. Novalis, Schriften, 1826, S. 8. 138 Vgl. Versari, Margherita  : »Blaue Blume« – »Schwarze Blume«  : zwei poetische Symbole im Vergleich, in  : Gruber, Bettina/Plumpe, Gerhard (Hg.)  : Romantik und Ästhetizismus  : Festschrift für Paul Gerhard Klussmann, Würzburg 1999, S. 89–99, hier S. 98. 139 Müller-Funk, Wolfgang  : Die Farbe Blau  : Untersuchungen zur Epistemologie des Romantischen, Wien 2000, S. 8. 140 Goethe, Johann Wolfgang  : Zur Farbenlehre, 2 Bde., Bd. 1, Tübingen 1810, S. 295. 141 Vgl. ebd. S. 294.

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Blau suggeriert etwas Unbekanntes, Unheimliches und Unsicheres, manchmal auch Müßiges, so wird ›blaumachen‹ mit scheinbarem Nichtstun und Abkehr vom Alltag gleichgesetzt. Die als Redensart bekannte ›Fahrt ins Blaue‹ bestätigt das Motiv der Ferne und Reisesehnsucht, das Sicheinlassen auf ein unbekanntes, unbestimmtes Ziel. Die Sehnsucht nach der Fremde, das unermüdliche Fernweh der Romantiker:innen – die Symbolik der Farbe Blau zeigt sich auch in der Reisemotivation. Der Wunsch nach Ausbruch aus der gewohnten Umgebung und der Einkehr in die Fremde, farblich durch das Blau markiert, bleibt laut Rüdiger Safranski allerdings eine Wunschvorstellung der Epoche  : »Die Romantik wusste genau, dass die Erfüllung der größten Wünsche doch letztlich eine Enttäuschung zurücklässt, nicht nur eine Befriedigung. Es ist die Grenzenlosigkeit, das Unerfüllbare an der Sehnsucht.«142 Das Zurückkehren in den gewohnten Alltag bestätigt den bewussten Verzicht auf Wunscherfüllung. Zugleich lässt sich das Blau sentimental-metaphysisch ausdeuten, die Reise ins Blaue wird zur persönlichen Lebensfahrt und das Blau scheint »wie ein Horizont, auf den man zugeht« und den man doch nie erreichen kann.143 Die blaue Blume kann also nicht als Grundlage einer mutmaßlich stärkeren Fokussierung olfaktorischer Reizwahrnehmungen in der Romantik dienen, da sie im Gegenzug mittels ihrer Farbsymbolik stärker die visuellen Reize einbezog. Auf welche weiteren Duftmotive oder konkreten Geruchsmomente beziehen sich die Verfasser:innen in den Selbstzeugnissen vom Rhein  ? Die Verweise auf olfaktorische Reizwahrnehmungen sind – soweit vorhanden – sehr verhalten und beschränken sich in der Regel auf allgemeine Beobachtungen. Meistens bilden botanische Referenzpunkte, wie Blumen und Bäume, den Rahmen für Duftwahrnehmungen. So berichtet Helmina von Chézy während ihrer Reise eher beiläufig von einer »von Gärten durchduftete[n] Neustadt«,144 die »große Reinlichkeit« verströmt. Auch Johanna Schopenhauer benennt hauptsächlich Blumen, meist Rosen, als in Erinnerung gebliebene Dufterlebnisse. So empfiehlt sie den Besuch einer »von Rosen und Epheu umrankte[n] Felsengrotte, mitten in einem ländlichen Garten voll duftender Blumen«.145 Bei einem Besuch auf der Burgruine Klopp entdeckt sie in der weitläufigen Anlage, die mit Wein und Blumen bepflanzt ist, zahlreiche Aussichtpunkte, unter denen ihr ein Kabinett mit Aussicht besonders zusagte. Von dem Turmzimmer aus schildert die Reisende ihren Eindruck, wobei »duftende Blumen und eine unweit davon angebrachte Aeolsharfe […] die 142 N.N.: Blau als Ausdruck der Grenzenlosigkeit. Rüdiger Safranski im Gespräch mit Maja Ellmenreich vom 18.12.2016, URL  : https://www.deutschlandfunk.de/romantik-blau-als-ausdruck-der-grenzenlo sigkeit.694.de.html?dram:article_id=374223, letzter Zugriff  : 30.04.2022. 143 Ebd. 144 Chézy, Schilderungen vom Rhein, 1814, S. 487. 145 Schopenhauer, Ausflucht, 1818, S. 63.

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nächsten Umgebungen des kleinen traulichen Zimmers [sind]«, und formuliert den Wunsch, »wenn dies Kabinetchen nur mein wäre«.146 Der Blumenduft hilft zu beschreiben, was visuell nicht aufgenommen oder beschrieben werden kann. Zugleich unterstreicht und belebt der Duft die Wahrnehmung der Ruine, die auch durch Klänge (erneut der Äolsharfe  !) einen sinnlichen Gesamteindruck vermittelt. Die beschriebenen Düfte regen das olfaktorische Gedächtnis der Lesenden an  : Der Geruch von Veilchen und Rosen ist durchaus nachvollziehbar, es lässt sich aus eigenen Dufterlebnissen schöpfen und beim Lesen darauf zurückgreifen, daraus entsteht ein positives Geruchs-Gesamtbild am Rhein. Die Rheinlandschaft, die natürliche und künstlich erschaffene Räume einschließt, wird von den Akteur:innen mit positiven Geruchserlebnissen evoziert  ; sie schildern angenehme, also wohlriechende Eindrücke, wenn sie der Steigerung eines sinnlichen Landschaftserlebnisses dienen. Es dominiert die »Sehnsucht nach der Sinnlichkeit der »Natur«, die nur positiv gedacht wird und den Kontrast zur negativen Sinneswelt« bildet,147 in welcher Urbanität, Hektik, Lärm und Schmutz vorherrschen. Negative Sinneseindrücke formulieren sich zumeist im Kontext mit dem Erlebnisraum Stadt, der im Gegensatz zur Natur die unschönen, eben die realen, Tatsachen wiedergibt, nämlich soziales Elend, Krankheit, die durch kriegerische Auseinandersetzungen verwüsteten Landstriche und Stadtviertel. Hier zeigt sich wiederum, dass die bewusst emotionale Bewertung von Geruchseindrücken die Landschaftsbewertung und -wiedergabe dahingehend beeinflusst, ein gutes Gefühl bei den Rezipienten auszulösen. Es wird, ähnlich zum soundscape, ein Geruchsraum, sprich smellscape, erschaffen, der einen örtlich fixierten Raum mit charakteristischen Gerüchen meint.148 Der Rhein, also der Mittelrhein, wird als ein von Wohlgerüchen, meist von Blumendüften, beherrschtes Terrain beschrieben. Wie bei der Klangwahrnehmung setzt sich auch die Stadt-Land-Unterscheidung bei der olfaktorischen Bewertung des Rheins fort, der im Gegensatz zur urbanen Welt sowohl körperliche als auch geistige Erholung und Ruhe verspricht. Bereits hier wird das Bewusstsein der Schädlichkeit von den urbanen Begleiterscheinungen (Fabriken, Zunahme von Arbeitervierteln, Enge der Städte durch Bevölkerungszuwachs) genutzt, um den Mittelrhein als angenehmen smellscape zu definieren. Deckungsgleich ist der Wunsch, der Großstadt und dem technischen Fortschritt zu entfliehen, der Rhein bildet hierzu eine willkommene Gegenwelt. 146 Ebd., S. 216 f. 147 Aichinger, Sinne, 2003, S. 25. 148 Vgl. Hellbrück, Jürgen/Fischer, Manfred  : Umweltpsychologie  : ein Lehrbuch, Göttingen (u. a.) 1999, S. 154.

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Andererseits, und das ist bemerkenswert, lässt sich anhand der Reiseliteratur feststellen, dass der romantische Rhein bald von der kontinuierlichen Technisierung der Infrastruktur, dem Einsatz von Dampfschiffen und professionell organisiertem Rheintourismus eingeholt wurde. In diesem Zusammenhang verschoben sich sowohl die individuellen Geräusch- als auch die Geruchsgrenzen. Der Dampf der Schiffe und Eisenbahnen, die Zunahme von Schmutz und Abfällen, bedingt durch die Zunahme an Gästen, prägen die Reisewirklichkeit, werden aber auch anders bewertet. Ein Paradigmenwechsel hat auch den Anspruch der Reisenden dahingehend verändert, dass nun in kürzester Zeit möglichst viele Baudenkmale und Stationen besucht werden. Das gesamtsinnliche Erlebnis am Rhein ist einem zeitlich genau getakteten Absolvieren der wichtigsten Baudenkmäler, Sehenswürdigkeiten und lohnenswerten Touren gewichen, die nun wieder das Reizvolle, das visuelle Erleben, mithin also das Nachvollziehen der in den Reiseführern und Reisehandbüchern beschriebenen Orte, in den Mittelpunkt stellen. Die Technisierung und Kommerzialisierung der Reisen sowie die zunehmende Reisegeschwindigkeit ab Mitte des 19. Jahrhunderts führte dazu, dass die Naturerfahrung und die sinnliche Erfahrung zugunsten anderer Erlebnismomente (Überwindung von Raum, luxuriöse Ausstattung der Transportmittel, Freizeitangebote auf den Schiffen, Kur- und Badeaufenthalte) in den Hintergrund traten.149 Die Selbstzeugnisse verdeutlichen, dass es den Akteuren:innen bisweilen Schwierigkeiten bereitete, olfaktorische Wahrnehmungen und Reize in Worte zu fassen oder schriftliche Geruchsbilder zu erzeugen. Die Geruchs-Semantik in den Selbstzeugnissen ist sehr abstrahiert und auf bekannte Referenzpunkte, wie Blüten, beschränkt. Die Möglichkeit, (Geruchs-)Erfahrungen weiterzugeben, sie gar als Erinnerungsträger oder Duft-Chiffren der Rheinerfahrung zu nutzen, gelingt nur ansatzweise durch die oftmals sehr individuelle, verhaltene Wahrnehmung und Ausdeutung von Situationen. Geruchs- beziehungsweise Geschmackserfahrungen im Kontext von Ess- und Trinkpraktiken zu erörtern, scheint logisch. Indessen äußern sich die Reisenden kaum über die angebotenen Speisen und Getränke, Gaststuben oder Unterkünfte. Weder wird die Verpflegung zustimmend gelobt noch abwertend kritisiert, auch werden keine Empfehlungen für Gasthäuser ausgesprochen – wie in den kommerziellen Reiseführern später üblich. Der Rheinaufenthalt verbindet sich also nicht mit kulinarischen Höhepunkten.150 Selbst der Wein wird eher als Stimmungs- denn als Geschmacksmotiv positiv bewertet. 149 Vgl. Haug, Christine  : Reisen und Lesen im Zeitalter der Industrialisierung  : die Geschichte des Bahnhofs- und Verkehrsbuchhandels in Deutschland von seinen Anfängen um 1850 bis zum Ende der Weimarer Republik, Wiesbaden 2007, S. 61. 150 Eine der wenigen Äußerungen zu den Mahlzeiten vor Ort liefert das Reisetagebuch der Müllers, wobei die Kommentare und Meinungen zum dargebotenen Essen selten über recht allgemeine Bewertungen (»Gutes Mittagessen«, S. 48) hinaus gehen.

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Eine Beurteilung der Reisebeschreibungen nach olfaktorischen Begrifflichkeiten und Zuschreibungen ergibt, dass Geruchserlebnisse entweder im Zusammenhang mit Aufenthalten im städtischen Raum oder der Natur auftreten, währenddessen sich das gesellige Beisammensein hingegen geruchlos präsentiert. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Nachvollziehen und Nacherleben von nicht-visuellen historischen Sinneserlebnissen schwierig bis kaum möglich ist. Auditive, haptische, olfaktorische oder gustatorische Wahrnehmungen in Selbstzeugnissen lassen sich kaum verifizieren und forschungsbezogen aufarbeiten. »Dennoch kann eine Aufmerksamkeit für die vielfältigen auch nichtvisuellen Sinneserfahrungen und Sinnessignale das Verständnis von kulturellen Formationen fordern.«151 Die Landschaftswahrnehmung ist stark durch die Landschaftsmalerei und damit die visuelle Wahrnehmung beeinflusst  ; auch die Rheinromantik ist stark von der bildenden Kunst geprägt. Gerüche und Klänge lassen sich nicht bildhaft darstellen, illustrierte Körper und Formen sich nicht mit den Händen greifen. Kompliziert gestaltete sich der Versuch, in den Selbstzeugnissen Geruchs-, Geschmacks-, Hör- oder Tasterlebnisse nachzuvollziehen, denn neben der sprachlichen Formulierung solcher Wahrnehmungen setzte hier das Fehlen von schriftlichen Sinneseindrücken Grenzen. Einschreibungen wie pittoresk, erhaben, ansehnlich, überwältigend, glänzend u. a. verwiesen zudem auf die stete Dominanz des Auges und die Verwendung bildhafter Sprache. Die Reisenden versuchen, ein Bild vom Rhein anhand von Sprache zu zeichnen. Allerdings lässt sich bei genauer Auslegung einer möglichen Nachvollziehbarkeit sinnlicher Wahrnehmungen auch ein visuelles Erleben und Reflektieren hinterfragen. Denn das vorwiegend auf das Sehen ausgerichtete Beschreiben von Gegebenheiten lässt keine Rückschlüsse auf das tatsächliche Reiseerlebnis zu  : Alles Erinnerte, Orte, Personen sowie Situationen werden – bis auf den Einzelfall des Reisetagebuchs –aus der Erinnerung der Verfasser:innen zu einem idyllischen, melancholischen Reiseerlebnis am Rhein verklärt. Zwar ist ein Abgleich der beschriebenen Räume, Landschaftsabschnitte, Burgen, Städte, Unterkünfte etc. durch Besuch und Inaugenscheinnahme vor Ort möglich, aber diese Prüfung verifiziert nicht das schriftlich reflektierte Reiseerlebnis, sondern nur das Vorhandensein geografisch fixierter Räume und Orte. Eine Landkarte gibt darüber in gleicher Weise Aufschluss, ist bestenfalls durch die Angabe von Streckenmeilen und Distanzen exakter. Echtheit und Authentizität liefern die Selbstzeugnisse durch ihre sehr individuellen Sinneswahrnehmungen und Emotionen, die sie bestimmten Räumen und Situationen einschreiben und die trotz ihrer Subjektivität auf das Lesepublikum ausgerichtet sind. Eine Innovation innerhalb der romantischen Landschaftsbeschreibung bildet 151 Aichinger, Sinne und Sinneserfahrung, 2003, S. 26.

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die Tatsache, dass »die Betrachter nicht nur sahen, was war, sondern was sie aus ihrer Erwartung sehen wollten und in der Rückerinnerung hineinprojizierten«.152 Entscheidend für die Rheinreisenden ist nicht länger das akribische Auf- und Untersuchen der in den Reiseberichten dargelegten Details sowie das ›Reisen nach Vorlage‹, sondern das Nachempfinden von bestimmten Stimmungen, ausgelöst durch Lichtverhältnisse, die Tages- oder Jahreszeit, die Wetterverhältnisse, das Farbenspiel der Natur,153 die natürlich das Auge stärker in Anspruch nahmen, aber auch bestimmte Geräusche und Gerüche, Wärme- und Kälteempfinden, Angst und Freude reflektierten. Indem die Akteur:innen ihre ganz persönlichen Empfindungen und Emotionen schilderten, verliehen sie den besuchten Räumen und Orten Lebendigkeit und auch Wiedererkennungswert. Die Selbstzeugnisse dokumentieren eine differenzierte Einschätzung und Bewertung der Landschaft, nach welcher die Akteur:innen das Reiseerlebnis am Rhein beschreiben und Erinnerungsräume schaffen, die mit bestimmten sinnlichen Wahrnehmungen assoziiert werden. Dies ist ein zentraler Unterschied zu den Reisehandbüchern und -führern jener Zeit, die ihre Empfehlungen zwar auch auf Grundlage eigener Aufenthalte aussprachen und authentisch machten, dabei aber individuelle sinnliche Erfahrungen und Erlebnisse zugunsten einer objektiven und deskriptiven Berichterstattung zurückstellten. Die Publikationen aus den Verlagen Baedeker und Cook bieten, wenn man so will, auf das Wesentliche reduzierte informative Handreichungen, die mit ihren sachbezogenen Hinweisen zu Reiseroute, Kosten und Streckenabschnitten den Reisenden Sicherheit und Ortskenntnis, jedoch keine Emotionen vermitteln. So verbindet Helmina von Chézy die Erfahrung am Loreley-Felsen mit einem Seufzer aus der Tiefe, in dem sich Liebesschmerz und melancholisches Sehnen der Rheinnixe mit den Klängen der Natur vermischt. Vollkommen anders präsentiert sich der Loreley-Felsen im kommerziellen Baedeker, dessen Widerhall »unbedeutender als sein Ruf« sei.154 Die Technisierung und infrastrukturelle Entwicklung der Region, begleitet von der Dampfschifffahrt und der Eisenbahn, verursachte nicht nur eine Destruktion der Natur, sondern auch eine sinnliche ›Entzauberung‹ der ursprünglichen Rheinlandschaft. Die Umgestaltung der Gegend durch den Zuwachs von Reisenden führte allmählich dazu, dass neue Geräusche eine ursprüngliche Geräuschkulisse 152 Lessenich, Rolf  : »Half created and half perceived«  : romantische Landschaft als Konstruktion des Betrachters, in  : Ernst, Anja/Geyer, Paul (Hg.)  : Die Romantik  : ein Gründungsmythos der Europäischen Moderne (Gründungsmythen Europas in Literatur, Musik und Kunst 3), Göttingen 2010, S. 325–336, hier S. 326. 153 Vgl. ebd. S. 326. 154 Baedeker, Karl  : Die Rheinlande von der Schweizer bis zu holländischen Grenze  : Schwarzwald, Vogesen, Haardt, Odenwald, Taunus, Eifel, Siebengebirge, Nahe, Mosel, Ahr, Wupper und Ruhr  ; Handbuch für Reisende, Koblenz 1856, S. 177.

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überlagerten und den ehemals auditiven Reiz von Räumen zunichte machten. Der Ausbau der Infrastruktur, die Zunahme von Dampfschiffen und der Bau von Tunnels für die Eisenbahn bewirkte, dass die natürlichen Räume schrumpften und ihre sinnlichen Reize beschränkt wurden. Die Akteur:innen versuchen indes, diesen Modernisierungsprozessen Einhalt zu gebieten, indem sie durch das bewusste Einfügen von Sinnes-Momenten das Reiseerlebnis am Rhein zu einem Erlebnis des Ursprünglichen und Natürlichem erheben. Das Einfügen von Sagen- und Märchenstoffen in den Selbstzeugnissen intensiviert die natürliche Dramatik sowie die kulturhistorische Bedeutung der Rheinlandschaft. Fiktive Gestalten treten in realen, dabei poetisierten Räumen in Aktion. Die Landschaft wird dadurch zu einem »integralen Bestandteil dieser Dichtung«.155 Die Rheinlandschaft wird in den Selbstzeugnissen nicht nur sinnlich beschrieben, sondern literarisch verwertet. Die mit ihr verbundenen Legenden und Sagen assoziieren eine glorreiche Vorzeit, erwecken Erinnerungen und Assoziationen zu einer traditionellen Lebensweise und bleiben in der Rückkopplung an die real existente, sichtbare und taktil fühlbare Landschaft unvergänglich.

155 Schillbach, Brigitte  : Landschaft in Clemens Brentanos »Märchen vom Rhein«, in  : Schultz, Hartwig (Hg.)  : Clemens Brentanos Landschaften  : Beiträge des ersten Koblenzer Brentano-Kolloquiums (Koblenzer Beiträge zur Geschichte und Kultur 3), Koblenz 1986, S. 75–81, hier S. 77.

6. Historische Raum- und Umweltforschung

Wie Räume erfahren und wahrgenommen werden, bestehende physische und metaphorische Räumlichkeiten imaginiert und konstruiert werden, wie sich die Akteur:innen im Raum und in der Natur bewegen und selbst reflektieren – diese Fragen resultieren aus meinen vorigen Kapiteln zur sinnlichen Wahrnehmung des Rheins. »Der im Raum lebende Mensch gestaltet diesen kulturell, er verleiht räumlichen Gegebenheiten Sinn und Bedeutung.«1 Die vielfältigen Raumverhältnisse und Bedeutungszuweisungen am Rhein können leicht anhand einer Fragestellung veranschaulicht werden  : Welche Bilder und Assoziationen verbinden wir mit dem Rhein  ? Möglicherweise denken wir an den Stromverlauf von der Quelle in den Alpen bis zur Mündung in die Nordsee, welcher ganz unterschiedliche natürliche Reize und geografische Besonderheiten bietet (Alpenrhein, Rheinfall bei Schaffhausen, Siebengebirge, Rhein-Maas-Delta), sowie anliegende Städte (Konstanz, Koblenz, Köln), die allesamt den Rhein präg(t)en und von ihm geprägt (worden) sind. Damit verknüpft sind regionale und lokale Merkmale, die den wirtschaftlichen Nutzen des Rheins für den Menschen in Bezug setzen (Transitstatus). Und nicht zuletzt denken wir an die stimmungsvolle Aneinanderreihung von Burgen und Schlössern, Klöstern und anderen Baudenkmalen, die in Verbindung mit Geschichte und Geschichten eine unikale Atmosphäre schaffen. Bis heute sind diese Eindrücke nachvollziehbar, fährt man etwa mit dem Zug die »Strecke am Rhein entlang, da, wo er am romantischsten ist – von Bingen nach Bonn«,2 eröffnet sich ein Panoptikum aus mittelalterlichen Gemäuern und Sehenswürdigkeiten, stets begleitet vom Wasserstrom. Sind diese räumlichen Elemente noch mehrheitlich kartografisch und materiell nachvollziehbar, scheint es nahezu unmöglich, abstrakte Kategorien wie Identitäten, Mentalitäten, soziale Hierarchien, Fremd- und Selbstbilder oder kulturelle Differenzen auf einer Übersichtskarte zu markieren. Die verschiedenen räumlichen Zuschreibungen und Imaginationen können unterschiedlich stark oder schwach ausgeprägt sein und konkrete (Reise-)Erfahrungen und Vorstellungen miteinbeziehen. Die in den Selbstzeugnissen ablesbare Erschaffung von imaginären Räumen lässt mich auf methodologische Erkenntnisse der historischen Raumforschung zurückgreifen. Darüber möchte ich aufzeigen, wie Reisepraktiken die Aneignung von Raum begünstigten, wie die historischen Akteur:innen Räume wahrnahmen, sich darin bewegten und darüber in ihren Zeugnissen reflektierten. 1 2

Maurer, Kulturgeschichte, 2008, S. 183. Heidenreich, Elke  : Alles kein Zufall  : kurze Geschichten, München 2016.

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Daneben ist der Rhein als Naturraum von natürlichen und landschaftlichen Merkmalen geprägt – da ist einmal der Fluss selbst, die zugehörige Tier- und Pflanzenwelt sowie die unterschiedlichen Flusstexturen, wie Schwemmland, Felshänge, Nebenflüsse und Mündungsgebiete. Der Mittelrhein ist landwirtschaftlich am stärksten geprägt vom Weinbau  ; die steilen Felshänge galten zwar als ungeeignet für Obstbäume und Viehwirtschaft, dafür ließ das milde Klima die Reben gut gedeihen und einen leichten Wein produzieren. Wie alle Flussgebiete war und ist auch der Mittelrhein vom Zustand des Stromes abhängig und gezeichnet  : Ob Hochwasser, Niedrigwasser, Eisgang oder Austrocknungen – der Rhein formt die Landschaft, durch die er fließt. Ebenso formen die Menschen den Fluss und unterwerfen ihn den eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen. Das bekannteste Beispiel bildet die Rheinbegradigung zwischen Basel und Mannheim durch Johann Gottfried Tulla (1817–1882, ab 1828 von Eduard Nobiling und Max Honsell fortgesetzt), durch welche der Flusslauf langfristig fixiert wurde, was unmittelbar der Schifffahrt, der Landwirtschaft und dem Hochwasserschutz zugutekam und durch die Trockenlegung der Sümpfe den Rückgang tödlicher Krankheiten wie Typhus und Malaria bewirkte. Langfristig zeigten sich allerdings auch die Nachteile dieses Eingriffs, etwa die Sohlenerosion, ein sinkender Grundwasserspiegel sowie das allmähliche Verschwinden des ökologischen Systems, wie etwa der Auenwälder.3 Spätere Umweltsünden, wie die Ableitung von Industrieabwässern, der Bau von Kraftwerken und der Bau von Staustufen, sind keine direkten Folgen der Rheinkorrektion durch Tulla, vielmehr kennzeichnen sie die anhaltenden Veränderungen des Rheins und den Willen des Menschen, die Natur bestmöglich nutzbar zu machen.4 Forschungsansätze der Umweltgeschichte verdeutlichen wie und in welchem Maße die Natur seit jeher dem Einfluss menschlichen Handelns ausgesetzt ist und wie sich diese Beziehung im Lauf der Geschichte gewandelt hat. Im Kontext dieser Arbeit werden die Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster der historischen Akteur:innen gegenüber der Rheinlandschaft als schützenswertem Raum herausgestellt. Im Zusammenhang mit der mythischen Überhöhung und der nationalpolitischen Vereinnahmung der Rheinlandschaft bildete später neben dem Natur- auch der Heimatschutz einen wesentlichen Schwerpunkt der Umweltbewegung. Ich lese die Selbstzeugnisse im Kontext eines erhöhten Naturbewusstseins, das sich in jener Zeit weiterentwickelte und einzelne landschaftliche Merkmale als erhaltens- und schützenswert einstufte. 3

4

Vgl. Gallusser, Werner A./Schenker, André  : Die Auen am Oberrhein/Les zones alluviales du Rhin su­périeur  : Ausmaß und Perspektiven des Landschaftswandels am südlichen und mittleren Oberrhein seit 1800/Etendue et perspectives de l’évolution des paysages dans le secteur méridional et moyen du Rhin supérieur depuis 1800, Basel 1992, S. 53 ff.,103. Vgl. Littmann, Franz  : Johann Gottfried Tulla und die Geschichte der Rheinkorrektion, [Schloss Bauschlott, 2020], S. 33. Vgl. ebd. S. 34.

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Die Kombination aus Prämissen der Raumforschung sowie der Umweltgeschichte soll verdeutlichen, dass selbst imaginäre Raumkonzepte immer auch an physische Ressourcen und natürliche Merkmale rückgebunden sind. Darüber hinaus möchte ich aufzeigen, welche räumlichen und landschaftlichen Qualitäten beziehungsweise Eigenschaften den Rhein als exklusives Reiseziel auszeichneten. 6.1 Historische Raumforschung Das Raumkonzept Edward Saids zu ›imagined geographies‹ hilft zu verstehen, dass Räume sich abseits ihrer geografischen Fixierung auch als von Individuen und Gesellschaften imaginierte, also ›gedachte‹ Produkte präsentieren und spezifische Aufladungen und Zuschreibungen aufweisen.5 So verbinden wir beispielsweise mit dem geografisch festgelegten Standort des Loreley-Felsens – ungeachtet der physikalischen Zusammenhänge und des bestehenden Risikos für die Binnenschifffahrt – vor allem die fantastische Vorstellung einer ambivalenten Frauengestalt, deren anmutige Erscheinung den Untergang für alle vorbeifahrenden Schiffe und deren Besatzung bedeutet. Das Echo am Felsen, die Untiefen und Strudel an dieser Stelle des Rheins verstärken den Eindruck eines bedrohlichen Raumes. Die Naturgewalten erhalten hier durch die mythologische Personifizierung geografischer Standorte eine zusätzliche Eigendynamik. Die menschliche Fantasie kreiert aus den vorhandenen Raumqualitäten eine neue Realität der Bedrohung. Auch Identität(en) und Gemeinschaft(en) lassen sich durch Zuweisungen und Abgrenzungen von Raum neu erfassen  : Der Rhein als politisch aufgeladener Strom trennte nicht nur deutsche und französische Einflussgebiete, sondern ließ sich als ideologisch aufgeladene Raumeinheit einsetzen, um wahlweise deutsche beziehungsweise französische Kultur, Historie und Bevölkerung gegeneinander auszuspielen. Dazu gehört, dass konkrete oder abstrakte Lokalitäten als relevante Erinnerungs- und Gedächtnisorte der jeweiligen Nationalgeschichte interpretiert werden. Nach innen wie auch nach außen demonstrieren sie Geschlossenheit und Gemeinschaft, Zugehörigkeit und Fremdheit. Solche imaginierten Räume verneinen nicht bloß reale (physische) Zustände, sie entwickeln auch selbst neue Realitäten, die ihrerseits vorgeben, wie Räume wahrgenommen und gedeutet werden und wie sich Gemeinschaften darin selbst entwickeln und sehen (etwa auch in Zwischenräumen, wie das Beispiel der Rheinländer:innen zeigt, die über nationale Zugehörigkeiten hinweg ein eigenes Gemeinschaftsgefühl entwickelten). 5

Vgl. Bachmann-Medick, Cultural turns, 2009, S. 294.

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6.1.1 Spatial und border studies in den Geschichtswissenschaften Raum ist ein entscheidender Faktor für unsere tägliche Wahrnehmung  : Als geografisch genau festlegbare Örtlichkeit und Standort, als imaginäre Konstruktion, die soziale, politische oder ethnische Zugehörigkeiten bündelt. Raum impliziert menschliche Handlungsfähigkeit und den Willen zu Veränderung, ist demnach dynamisch und nicht-statisch. Raum als ökonomisch-fortschrittlicher Faktor schließt die Möglichkeit ein, diesen bestmöglich auszunutzen. Raum stellt demnach eine wertvolle Ressource dar, auf die der Mensch zugreifen und die er formen kann. Der Mensch hat schon längst die Grenzen der natürlichen Räume (Ozeane, Gebirge, Weltall) überwunden, in der Postmoderne werden territoriale und nationalstaatliche Grenzen infrage gestellt, indem digital erzeugte Netzwerke und überstaatlich agierende Kollektive ein neuartiges Raumempfinden suggerieren, das scheinbar unabhängig vom Zeitfaktor ist und kein direktes physisches Beisammensein voraussetzt. Die Verknappung von Ressourcen bei gleichzeitiger Limitierung von Lebensraum (Abholzung der Regenwälder, Artensterben, Anstieg des Meeresspiegels, Überbevölkerung und Megastädte) verändert nicht nur Landschaft und Natur, sondern macht ein neues Raumdenken und Ausloten von Raummöglichkeiten notwendig, um den gegenwärtigen weltweiten Konflikten (Erderwärmung, Ressourcenknappheit, Pandemien) Lösungsansätze zu bieten. Das Raumparadigma ist mittlerweile allgegenwärtig und verlief doch in seiner Bedeutungsgeschichte keinesfalls als kontinuierlicher Prozess. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts spielte die Raumkategorie eine eher unerhebliche Rolle, denn der Zeitfaktor gab buchstäblich den Takt an, sei es im Alltag, in der Forschung oder der Technik. Die Zurückdrängung des Räumlichen ging einher mit den Leitgedanken einer fortschrittsorientierten Aufklärung und wurde während der industriellen Revolution und der Technisierung von Wirtschaft und Transportwesen in dem Maße verstärkt, dass Zeit nun unabhängig vom Raum zum alles bestimmenden Faktor wurde.6 Zeit ließ sich nunmehr auch ohne lokale Bezugnahme bestimmen, war sozusagen losgelöst vom eigenen Standpunkt und einer räumlich (und natürlich) bedingten Zeitwahrnehmung. Fortschritts- und Evolutionstheorien, dynamische Prozesse und Entwicklungen negierten Raum, der als sozial inaktive, leblose Größe erfasst wurde.7 Dass die Raumforschung in der deutschen Wissenschaftslandschaft erst verhältnismäßig 6 7

Vgl. dazu Rosa, Hartmut  : Beschleunigung  : die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt/Main 2005, S. 162 f. Vgl. Soja, Edward W.: Vom »Zeitgeist« zum »Raumgeist«  : new twists on the Spatial Turn, in  : Döring, Jörg/Thielmann, Tristan (Hg.)  : Spatial Turn  : das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008, S. 241–262, hier S. 245.

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spät Beachtung fand, bestätigt abermals die konstante Dominanz der Kategorie Zeit, die sich auch als Antwort auf die während des Dritten Reiches ideologisch aufgewerteten Schlagworte und negativen Konnotationen von Raumtopoi (›Blut-und-Boden‹, ›Volk-ohne-Raum‹, ›Ostpolitik‹) liest, die eine vorbehaltlose Beschäftigung mit Raumkonzepten für Jahrzehnte unterbanden. Selbst die Theorien von Georg Simmel und Walter Benjamin zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden hierzulande erst Jahrzehnte später von einer unabhängigen Generation aus den Sozialwissenschaften weiterverfolgt.8 Derweil erfolgte in den 1960er-Jahren in Frankreich eine Neuentdeckung des Räumlichen durch die Soziologen Henri Lefebvre (La révolution urbaine, 1970) und Michel Foucault (Les hétérotopies, 1967), indem sie Raum und Subjekt neu zueinander in Bezug setzten. Nach deren Überlegungen geben Räume und Orte Aufschluss über kollektive Verhältnisse und Bedeutungszusammenhänge, sie präsentieren Normen und Wertvorstellungen, indem sie diese bündeln und räumlich nachvollziehbar machen. Diese sozialen Raumkonstruktionen besitzen die Fähigkeit, wiederum imaginäre nicht-verortbare Räume neu zu erschaffen und diese auch wieder aufzulösen. Die Raumkategorie hat sich in der Folge als besonders aufschlussreich für die Erforschung von urbanen Strukturen erwiesen, die unsere westliche Gesellschaft stärker denn je beeinflussen. Städte sind Anzeiger kultureller Blüte und ökonomischen Fortschritts, sie sind Schmelztiegel ethnischer und sozialer Gruppen, sie gelten als Katalysatoren von Macht und Wohlstand, aber auch von Einengung und Armut, sind also Indikatoren sozialer Ungleichheit. Raum- und Stadtplaner:innen, Architekten:innen, Sozialgeografen:innen und Sozialwissenschaftler:innen, aber auch Akteur:innen aus der Politik erfassen städtischen Raum als Auslöser gesellschaftlicher Differenzen und bieten Lösungen für deren Überwindung.9 Das Raumparadigma erhielt in den 80erJahren besonders durch die Arbeiten des Geopolitikers und Raumplaners Edward W. Soja entscheidende Impulse, indem er als Mitinitiator einer Rückbesinnung auf die Raumebene dem ›spatial turn‹ zu einer breiten Prominenz verhalf. Die raumspezifischen Forschungsansätze in den Geschichtswissenschaften sind so vielfältig wie das Raumthema selbst  : Die Beschreibung von territorial-herrschaftlichen, ethnisch-kulturellen, konfessionellen Zugehörigkeiten oder Nicht-Zugehörigkeiten als Teil einer räumlich denkenden und handelnden Menschheitsgeschichte (kartografische Zeugnisse 8 9

Siehe dazu  : Buchenhorst, Ralph/Vedda, Miguel (Hg.)  : Urbane Beobachtungen  : Walter Benjamin und die neuen Städte, Übers. von Martin Schwietzke (Urban studies), Bielefeld 2010. Zum Beispiel das von Bund, Ländern und Gemeinden geförderte Programm »Soziale Stadt«, welches seit 1999 in die Integration und Aufwertung problembehafteter Wohnquartiere investiert und dafür »bauliche Investitionen der Stadterneuerung mit Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen« in benachteiligten Stadt- und Ortsteilen kombiniert. URL  : https://www.staedtebaufoerderung.info/ DE/ProgrammeVor2020/SozialeStadt/Programm/programm_node.html, letzter Zugriff  : 06.06.2022.

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wie Welt- und Seekarten, Atlanten, Globen), die Wahrnehmung und Konstruktion dinglicher (Grenzsteine, Grenzmarkierungen) und abstrakter Grenzen von Gesellschaften (Abgrenzungsrituale), das Ineinandergreifen von Kommunikation und Raum (Mediengeschichte), um nur einige Themenschwerpunkte zu nennen.10 Das Potenzial kartografischer Quellen und webbasierter Informationssysteme für die historische Forschung besteht in der Veranschaulichung der engen Verknüpfung von Raum und Zeit, welche »im besten Fall […] einen Mehrwert gegenüber der traditionellen Art, Geschichte zu schreiben, dar[stellen]«.11 Es hat sich der Eindruck verfestigt, dass die Raumkategorie in der Vergangenheit stiefmütterlich behandelt wurde – in Forschung und Wissenschaft ebenso wie im Alltag. Welche Entwicklungen und Faktoren führten zu einer Neubewertung des Räumlichen  ? Die Kulturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick hält in ihrer Aufsatzsammlung zu den cultural turns fest, dass die Renaissance des Raumes mit der Aufhebung der Machtblöcke im Kalten Krieg und einer generellen Überwindung von territorial geprägten Raumbegriffen eingeleitet wurde.12 Durch den Wegfall von Grenzen innerhalb Europas und die generelle Erweiterung von erfahrbaren Räumen im Zuge der Globalisierung erschlossen sich neue Wahrnehmungen von Raum, die sich scheinbar unabhängig von der Zeitkategorie entwickelten. Die sogenannte ›Raumrevolution‹ hob alte Grenzen und räumlich bedingte Antagonismen auf, ermöglichte gleichzeitig aber auch »das Aufkommen neuer Grenzziehungen, neuer räumlicher Disparitäten, Raumansprüche und Abgrenzungen«,13 denen mittlerweile geopolitische, kulturelle und soziale Kausalitäten zugrunde liegen. Staatengemeinschaften wie die Europäische Union (die einerseits die Öffnung von Grenzen für Wirtschaft und Tourismus fordert, andererseits aber die Zuwanderung von außen begrenzen möchte) oder digital vernetzte Gemeinschaften (Online-Communities wie facebook, twitter, XING, Wikipedia) hinterfragen die Idee des Nationalstaates und der territorial fixierten Raum- und Gruppenzugehörigkeit. Diese transnationalen, offenen Räume formen neue imaginäre Zugehörigkeiten und eröffnen neue Möglichkeiten der menschlichen Wirkungsebene.14 Die Herausbildung neuer Grenzziehungen bei gleichzeitiger Auflösung alter Grenzen verlangt nach einer Neudefinition von Raum- und Grenzbegriffen. 10 So widmete sich auch der 45. Deutsche Historikertag in Kiel (2004) dem Leitthema »Kommunikation und Raum«. 11 Rau, Räume, 2017, S. 178. 12 Vgl. Bachmann-Medick, Cultural turns, 2009, S. 287. 13 Ebd., S. 287. 14 Vgl. Schiffauer, Werner  : Transnationale Identitätsgruppen, Imaginäre Räume, Irreale Konditionalsätze, in  : Berking, Helmuth (Hg.)  : Die Macht des Lokalen in einer Welt ohne Grenzen, Frankfurt/Main 2006, S. 164–180, hier S. 169 f.

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In den letzten 20 Jahren hat der spatial turn auch in solchen Fächern Aufmerksamkeit erlangt, die vorher überhaupt nur marginal den Raumbegriff erörterten. Neben den eher klassischen Forschungsgebieten räumlicher Verhältnisse und Zusammenhänge (Physik, Astronomie, Geografie, Malerei, Fotografie) entwickeln mittlerweile Fachrichtungen wie die Medienwissenschaft, Geschlechterforschung, Wirtschaftswissenschaft, Psychologie, Theologie eigene raumbezogene Theorien und Methoden.15 Auch hat die schwerpunktmäßige Auseinandersetzung mit Raum gänzlich neue Teildisziplinen, wie etwa die Umweltgeschichte oder die border studies, hervorgebracht.16 Die Dominanz des räumlichen Denkens ereignet sich nach Edward W. Soja auf höherer, »pandisziplinärer Ebene«,17 was zu einer inflationären Interpretation des spatial turn führt – und häufig in eine Sackgasse. Die vor allem in den Gesellschafts-, Geo- und Geschichtswissenschaften betriebene Auseinandersetzung mit der Raumeinheit ermöglicht zwar neue Deutungsmöglichkeiten, erfolgt in der Regel jedoch ohne die Einbeziehung fachübergreifender Ansätze. Indem die Mehrheit der Wissenschaftler:innen den spatial turn für sich allein beansprucht, ohne den Blick über den eigenen Tellerrand hinweg zu richten, entsteht der Eindruck eines spatial turn im Plural,18 der wiederum die Forschungsergebnisse eingrenzt und keine einheitlichen Termini hervorbringt. Die fachspezifische Vereinnahmung der und eingeschränkte Sichtweise auf die Raumkategorie zeigt aber auch, wie hoch die »Gefahr ist, das Thema überzustrapazieren« und den eigentlichen Mehrwert dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu konterkarieren.19 Welchen wissenschaftlichen Erkenntniswert besitzt die Raumkategorie also für die Rheinromantik und speziell bei der Analyse der Selbstzeugnisse, die mutmaßlich als Quellen und Produzenten räumlichen Denkens und Handelns fungieren  ? Auf welche Art und Weise gibt die Kategorie Raum Auskunft über die Vorstellungen und

15 Dazu ausführlich  : Günzel, Stephan (Hg.)  : Raumwissenschaften, Frankfurt/Main 2009. 16 Vgl. Roll, Christine  : Grenzen und Grenzüberschreitungen in der Frühen Neuzeit  : eine Einführung in die Forschung, in  : Dies. (Hg.)  : Grenzen und Grenzüberschreitungen  : Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung (Frühneuzeit-Impulse 1), Köln 2010, S. 13–22, hier S. 18. 17 Soja, New twists, 2008, S. 243. 18 Vgl. Döring, Jörg/Thielmann, Tristan  : Einleitung  : Was lesen wir im Raume  ? Der Spatial Turn und das geheime Wissen der Geographen, in  : Dies. (Hg.)  : Spatial Turn  : das Raumparadigma in den Kulturund Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008, S. 7–45, hier S. 10 f. 19 Schmidt-Funke, Julia A.: Tagungsbericht  : Grenzen und Grenzüberschreitungen  ; Stand und Perspektiven der Frühneuzeitforschung (8. Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft »Frühe Neuzeit« im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, 24.09.2009–26.09.2009 Aachen), in  : H-SozKult, 09.12.2009, URL  : www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-2899, letzter Zugriff  : 25.02.2018.

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Wahrnehmungen der historischen Akteur:innen am Rhein, bestimmen räumliche Elemente ihre jeweiligen Reise- und Schreibpraktiken  ? Ein Blick auf den derzeitigen Forschungsstand verdeutlicht die Diskrepanz zwischen dem Willen der Forschung, Entwicklungen und Ereignisse raumbezogen aufzuarbeiten und den Ergebnissen, die fachübergreifende und weiterführende Arbeiten aufgrund der thematischen Einengung erschweren. Dies zeigt sich zum einen anhand des bevorzugt untersuchten Genres  : Die Raumdarstellung und -deutung in der Romantik wird in der Fachliteratur fast durchweg anhand der literarischen Gattungen Roman, Gedicht und Märchen erörtert. Klassischerweise bezieht sich die Literatur- und Sprachwissenschaft auf ihre fachliche Zuständigkeit für die Romantik und die ihr zugehörigen schriftlichen Quellen. Die Räume der Romantik werden im gleichnamigen Band von Mülder-Bach und Neumann (2007) stets im Kontext fiktionaler Erzählungen sowie personenbezogener Repertoires gedeutet. Zwar werden in einzelnen Aufsätzen über Raumprojektionen in Malerei und Ballett schließlich nicht nur die üblichen Disziplinen bedient, allerdings findet hier eine bewusste Inszenierung und Idealisierung von Raumkonzepten statt und auch sie zielen auf Publikum und öffentliche Resonanz (die bei Bühnenwerken unmittelbar geschieht). Einen historischen Überblick über literarisch geformte Landschaften bietet Kurt-H. Weber (2010), wobei die Literatur des 19. Jahrhunderts zentrales Thema ist. Neben den größtenteils philosophischen und ästhetischen Ausführungen zum Naturbegriff widmet der Autor ein Kapitel den Schriftstellern:innen und ihrer Landschaft. Jean Paul repräsentiert hierbei die Epoche der Romantik, da er bewusst realistische Landschaftsbilder entwirft, diese jedoch einer idealistischen Konzeption von Landschaft unterordnet.20 Diesem Leitbild folgend widmet sich Weber in seiner Analyse ausschließlich Dichtung und Prosa, das Feld der Reiseliteratur wird auch hier nicht bedient. Mit romantischen Raum-Zeit-Konzepten beschäftigt sich Almut Constanze Nickel in ihrem Beitrag Zur Nachwirkung des Schauerromans in der Trivialliteratur, namentlich im Nachtstück. Hier treten vornehmlich die Motive Mond und nächtliche Dunkelheit in den Mittelpunkt der Handlung, wobei die Autoren:innen die Schattenseite der Natur mit der Schattenseite der Seele verbinden und »mit romantiktypischen Motiven« ausstatten.21 So erzeugen architektonische Elemente, sogenannte »Schreckensorte«, wie Friedhöfe, Gräber, Geheimgänge, Katakomben, Höhlen, Kerker, einsame Hütten, 20 Vgl. Weber, Kurt-H.: Die literarische Landschaft  : zur Geschichte ihrer Entdeckung von der Antike bis zur Gegenwart, Berlin, New York 2010, S. 302. 21 Nickel, Almut Constanze  : Zur Nachwirkung des Schauerromans in der Trivialromantik  : das literarische Nachtstück und seine Motive, in  : Murnane, Barry/Cusack, Andrew (Hg.)  : Populäre Neuerscheinungen  : der deutsche Schauerroman um 1800 (Laboratorium Aufklärung 6), München 2011, S. 327–340, hier S. 329.

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verlassene Burgruinen und Kapellen, eine originäre Gruselkulisse, die sich wahlweise Elementen aus dem Ritter-, Räuber-, Liebes,- oder Schauerroman bedienen.22 Die Darstellung des Unheimlichen und Grauenhaften wird im romantischen Schauerroman perfektioniert, ist dieser doch als übernatürliches Sensationsstück angelegt und soll die verborgene, dunkle Seite der menschlichen Kreatur zeigen. Für den Verstand ist es nicht möglich, eine Grenze zwischen Wirklichkeit und Sinnestäuschung zu ziehen. Landschaften, architektonische und natürliche Elemente werden im Schauerroman durch Handlung und Figuren immer verzerrt oder zumindest verstärkt abschreckend und widernatürlich dargestellt. Dunkle, verborgene Räume suggerieren Enge und Orientierungslosigkeit, und obendrein lösen Schwellenräume zwischen dem Diesseits und dem Jenseits Furcht und Beklemmung aus. Sie sind die Grundlage und Kulisse für die Rahmenhandlung. Wie gespenstisch oder düster hingegen sich die in Selbstzeugnissen der Romantik beschriebenen Raumkonstruktionen und -deutungen gestalten, dazu finden sich keine Hinweise. Zwar beziehen sich in dem übergeordneten Sammelband zur Diskursgeschichte des Schauerromans in Deutschland einige Beiträge auf Reisen in den Süden, zu weit entfernten Zielen in der Südsee oder im ewigen Eis – um die bedrückende Fremdheit, Isolation und Abgeschiedenheit dieser Orte zu reflektieren –, allerdings spiegeln sie lediglich fantastische und fiktive, nicht aber reale Reiseerlebnisse der Romantiker:innen wider und binden keine Reiseberichte mit in ihre Analysen ein. 6.1.2 Raumbezüge in den Selbstzeugnissen Wie stellt sich die Ausgangslage bei den hier betrachteten Rheinreisenden dar  ? Der Briefwechsel zwischen Brentano und Arnim offeriert eine Fülle an Raumdeutungen und -projektionen der gemeinsam bereisten Rheinlandschaft. Die meist imaginären und traumhaften Raumkonstruktionen, welche kaum konkrete Hinweise zur Umgebung geben und sich daher in jeder anderen beliebigen Gegend abspielen könnten, gewinnen oft erst in Bezugnahme auf den Aufenthalt am Rhein eine örtliche Zuordnung. Das Rasten auf einer Wiese, der Blick ins Tal oder von einem Turm herab, die Fahrt auf einem Boot wirken ohne die konkrete namentliche oder örtliche Zuordnung bezugslos und werden oft erst durch den Verweis auf die gemeinsam erlebte Rheinreise lokalisierbar. Bedauerlicherweise wurde dem Raumsujet in der Korrespondenz der beiden Schriftsteller in der Forschung bisher kaum Beachtung geschenkt. Im Regelfall konzentrieren sich die wissenschaftlichen Beiträge nur auf einen der beiden und bewerten dessen sprachliche und literarische Fähigkeiten ganz unterschiedlich. Hartwig Schultz erörtert 22 Ebd., S. 336.

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in seiner Abhandlung über Clemens Brentanos Landschaften (1986) zwar fragmentarisch dessen Selbstverortung und den räumlichen Bezug auf die Rheinreise, etwa in seinem Kapitel über die Landschaft der Freundschaft. Er abstrahiert den Reiseeffekt einigermaßen lapidar damit, dass für Brentano »die Landschaft durch Freundschaft erst schön wird«,23 konkretisiert aber keine Erlebnisse und Stationen, welche diese erfahrene Schönheit ausmachen. Sämtliche Bedeutungszuweisungen von natürlichen und imaginären Räumen werden wiederum im Kontext von Märchen und Prosawerken erläutert.24 Außerdem bekundet Schultz die immense Bedeutung der Rheinlandschaft für Brentanos literarisches Repertoire, ohne konkrete oder gar lebensbezogene Beispiele (etwa aus der Kindheit) zu benennen. In einer Lebensbeschreibung über Brentano (2000) berichtet der Autor wiederum von der Rheinreise der Liederbrüder, »die zum Schlüsselerlebnis für beide wird«.25 Erstmals wird hier die Raumperspektive im Briefwechsel zumindest ansatzweise aufgegriffen, etwa wenn gemeinsam bereiste Orte immer wieder in Reminiszenzen ins Gedächtnis gerufen werden und somit zu erinnerungswürdigen »Ikone[n] für die paradiesische Zeit der Freundschaft und deren Verlust« lancieren.26 Die von beiden Seiten als folgenreich empfundene Reise (für den eigenen Werdegang, berufliche und private Entscheidungen sowie die Freundschaft) bleibt eine wesentliche Konstante und wichtiges Element innerhalb der jahrelangen Korrespondenz. Der Rhein bietet innerhalb des schriftlichen Austausches eine Art Gedächtnis- und Erinnerungsraum, den nur sie beide durch das Lesen und Schreiben betreten und wieder verlassen können. Brentanos Briefe als spatial stories zu lesen, gelingt dagegen Carsten Lange in seinem Werk Architekturen der Psyche (2007), denen er ein ganzes Kapitel widmet. Brentanos Briefe besäßen durch ihre bilderreiche und ausdruckstarke Sprache eine »ausgeprägte Literarizität«.27 Die stilistische und sprachliche Finesse seiner Schriften erzeugt Bilder des Geschehens, in denen sich Personen in Räumen bewegen und handeln. In einem Abschnitt über die Raumdarstellung in den Briefen Brentanos erkennt Lange die typische und allseits vorherrschende »Selbstinszenierung« des Romantikers  : Dieser nutzt den Brief nicht als reines Kommunikationsmedium und zum Austausch von Neuigkeiten, sondern erschafft sich innerhalb seiner Korrespondenz ein der Realität 23 Schultz, Hartwig  : Clemens Brentanos Landschaften (Beiträge des 1. Koblenzer Brentano-Kolloquiums), Koblenz 1986, S. 60. 24 Passend dazu das Buchbeispiel von Peter Lentwojt  : Die Loreley in ihrer Landschaft  : romantische Dichtungsallegorie und Klischee  ; ein literarisches Sujet bei Brentano, Eichendorff, Heine und anderen (Europäische Hochschulschriften  : deutsche Sprache und Literatur 1664), Frankfurt/Main 1998. 25 Schultz, Schwarzer Schmetterling, 2000, S. 87. 26 Ebd., S. 88. 27 Lange, Architekturen der Psyche, 2007, S. 219.

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abgewandtes, idealisiertes Lebens(welt)modell.28 Seine Briefe sind darum selbst »Kunstwerke«,29 denn sie vereinen Elemente eines empfindsamen, kunstliebenden und antibürgerlichen Menschen. Darüber hinaus belegen sie seinen Wunsch nach romantischer Durchdringung des Lebens bis ins kleinste Detail. Indem er sich selbst, sozusagen als Protagonisten eines Lebensspiels, in den Mittelpunkt seiner fiktiven Traumwelt stellt, gewinnt auch seine unmittelbare Umgebung eine Art Bühnencharakter.30 Langes Raumprojektionen beziehen sich hauptsächlich auf Brentanos Raummetaphern, welche auf die Verräumlichung innerer Zustände abzielen (etwa das Herz der Geliebten als zugängliche Wohnung).31 Sie sind oftmals unbegrenzte und abstrakte Gebilde ohne reales Ebenbild. Solche »räumlich konstruierte[n] Allegorien der poetischen Existenz« können bei Brentano so weit führen, dass er sich selbst als eine Ruine, ein Grab oder untergehendes Schiff darstellt.32 Auch seine empfindsamen Verortungen in Herz, Seele und Körper des Adressaten sind charakteristisch. Wirklichkeitsbezogene Raumbezüge sucht man in den wissenschaftlichen Abhandlungen vergeblich. Die Vermutung, dass Brentanos Raumerleben und Raumdeuten ausschließlich als imaginäres und inszeniertes Gedankenspiel erfolgt, verdichtet sich. Ein Tagungsband der Internationalen Arnim-Gesellschaft (IAG ) über die Romantische Metaphorik des Fließens (2007) stellt indes eine seltene Auseinandersetzung mit dem Element Wasser in Aussicht, das auch als Raum verstanden werden kann. Holger Schwinn greift in seinem Beitrag über Brentanos Briefkunst tatsächlich das Motiv des Wassers auf, allerdings entweder in seiner Funktion als Lebensquell oder als erneuernde Kraft, also lediglich als symbolisches Motiv. Entsprechend dem Titel werden die dem Wasser zugeschriebenen Qualitäten, das Zer- und Ineinander-Fließen, Reinigen, Zerstören, Erfrischen und Beleben, lediglich in ihrem metaphorischen Zusammenhang und als poetisches Stilmittel gewertet. Das Element Wasser und auch konkret verortbare, physische Gewässer (wie der Rhein) treten »folglich im Briefwerk nicht als Natur«,33 sondern als abstrahierte Kategorien einer sich stets im Wandel befindlichen Poesie in Aktion. Bei Achim von Arnim gestaltet sich die Forschungslage zu seinen im Briefwechsel dargestellten Raumbegehungen und -projektionen noch lückenhafter. Johannes Barth 28 Ebd., S. 219. 29 Ebd., S. 221. 30 Vgl. ebd. S. 242, dazu auch von Lothar Pikulik  : Erzähltes Welttheater  : die Welt als Schauspiel in der Romantik, Paderborn 2010. 31 Vgl. Lange, Architekturen der Psyche, 2007, S. 237. 32 Ebd., S. 261. 33 Schwinn, Holger  : Brentanos Briefkunst, in  : Pape, Walter (Hg.)  : Romantische Metaphorik des Fließens  : Körper, Seele, Poesie (Schriften der Internationalen Arnim-Gesellschaft 6), Tübingen 2007, S. 105–121, hier S. 119.

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Abb. 9  : N. N., Loreley-Felsen am Rhein, ohne Jahr, Stich, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen.

beschäftigt sich zwar im eben erwähnten Sammelband (2007) mit den Spuren der Rheinlandschaft in Arnims Schriften, das Hauptaugenmerk liegt jedoch auf seinen populären Dichtungen und Romanzen, allen voran das romantische Drama von der Päpstin Johanna, in welchem er eine Volkssage adaptiert, die ebenso wie die Loreley die Personifizierung und Mythisierung einer topografischen Besonderheit bestimmt  : die sieben Jungfrauen bei Oberwesel.34 Die natürlichen und baulichen Denkmale am Rhein (etwa die Burg Pfalzgrafenstein) dienen als Kulissen für Arnims märchen- und sagenhafte Stoffe, die sich der romantischen Motivik des Rittertums und der Volksfrömmigkeit verschrieben haben. Fluss und Bauwerke bilden dabei oft eine »organische Einheit«,35 sie prägen die Rheinlandschaft gleichermaßen. In einem früheren Sammelband der Internationalen Arnim-Gesellschaft (2000) thematisiert Sheila Dickson Arnims Reisebeschreibungen aus seiner Kindheits- und 34 Vgl. Barth, Rheinromantik, 2007, S. 6. 35 Ebd., S. 10.

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Studienzeit.36 Die Auseinandersetzung mit diesen bis dato unzureichend erforschten Reisebeschreibungen ermöglicht es der Autorin, erstens eine andere, bislang kaum erforschte Episode aus Arnims Reiseaktivitäten zu beleuchten, und zweitens, den in der Forschung allseits dominanten Status Brentanos auf der Rheinreise zu durchbrechen und Arnims Qualität als Reiseschriftsteller herauszustellen. Eine Erweiterung des Raumkanons im Briefwechsel auf die Darstellung der Rheinlandschaft von Arnim (wie sie Schultz bei Brentano ansatzweise gelingt) steht dagegen noch aus. Dass die Raumbegehung und -wahrnehmung bei Männern und Frauen unterschiedlich erfolgt, darauf beziehen sich Beiträge jüngeren Datums. Diese rekurrieren zunächst auf den Paradigmenwechsel in der Landschaftsbetrachtung und Raumwahrnehmung um 1800. Nicht die rationale Nutzbarkeit und Funktionalität der Natur steht nun im Vordergrund, sondern ihre Erhabenheit, Vollkommenheit und Schönheit, mithin ihre sinnliche Erlebbarkeit. Eine neue Sehweise, die »des schweifenden Auges, welches gerade in der Lage ist, mehr als den kleinen Ausschnitt zu erfassen, stellt die Natur nicht mehr als Fläche vor Augen, sondern durchmißt sie als Raum«.37 Der Blick von oben herab auf die Natur wird abgelöst zugunsten eines allumfassenden Rundblicks (Panorama). Erdmut Jost analysiert in ihrem gleichnamigen Band den Landschaftsblick und das Landschaftsbild in Reiseberichten von 1780 bis 1820, wobei sie für ihre Untersuchung drei Textbeispiele von Schriftstellerinnen wählt  : Sophie von La Roche, Friederike Brun und Johanna Schopenhauer. Ihre Abhandlung zielt zwar nicht auf eine Typisierung von Landschaftsbildern und Landschaftsaspekten nach geschlechtsspezifischen Kriterien, sondern vielmehr auf »eine ausführliche wissenschaftliche Würdigung der besonderen literarisch-ästhetischen Leistung der Autorinnen auf dem Gebiet der Landschaftsdarstellung innerhalb der Gattung der Reisebeschreibung«38. Dennoch ist die Hervorhebung des weiblichen Blickes auf die Rheinlandschaft unverkennbar. Die Autorin bezieht sich ausschließlich auf publizierte Werke, die sich in den ReiseliteraturKanon jener Zeit ohne weiteres einreihen lassen. Sonstige autobiografische beziehungsweise nicht-veröffentlichte Schilderungen, sodann auch Briefe und Tagebucheinträge, bleiben unerwähnt. Obwohl Jost die Stellung Johanna Schopenhauers als professionelle Reiseschriftstellerin würdigt und ihr kontinuierliches Nachwirken nicht nur auf die Genderdebatte beschränkt, bleiben die beiden Rheinreise-Berichte unerwähnt. Im Kontext dieser Arbeit habe ich aufgezeigt, dass sich in der Romantik allmählich Paradigmen verschieben, die die Wahrnehmung von Natur und Landschaft und mithin Raum betreffen. Für die Aufklärung bildeten Natur und Raum wertvolle Ressourcen, 36 Dickson, Arnims Beschreibungen, 2000, S. 31–41. 37 Jost, Landschaftsblick und Landschaftsbild, 2005, S. 75. 38 Ebd., S. 54.

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die es bestmöglich auszunutzen galt (Lebensraum, Wohnraum, bewirtschafteter Raum). Auch die Romantik war von der Zweckdienlichkeit der Natur überzeugt, die nun allerdings die kreative Beeinflussung der aus der Natur stammenden Schöpferkraft auf den Menschen in den Vordergrund stellte. Raum und Natur bilden am Rhein eine Einheit und werden auch in den Selbstzeugnissen stets miteinander in Bezug gesetzt, es entsteht die Vorstellung eines intakten Naturraumes (in Abgrenzung etwa zum städtischen Raum). Zusätzlich wird Raum als soziale Handlungsebene interpretiert, die durch Interaktion Menschen und Orte zueinander in Bezug setzt und Zugehörigkeiten beziehungsweise Abgrenzungen erzeugt. Solche Räume präsentieren sich materiell als Kutschen und Schiffe, Gasthäuser, Gärten und Herbergen sowie außerhalb solcher Kategorien als abstrakte Raumeinheiten, die von Vorstellungen und Stereotypen, Träumen und Illusionen geprägt sind. Mit dem gesteigerten Interesse für Räume und Raumkonzepte lässt sich fast als logische Konsequenz eine expandierende Beschäftigung mit Grenzen und Grenzräumen ableiten, wofür die Auswirkungen des Eisernen Vorhangs ausschlaggebend waren.39 Die scheinbare Auflösung von statischen Grenzen in der Postmoderne, die globale Entortung bei gleichzeitiger Gewichtung von lokalen Besonderheiten bewirkte eine Neubildung von imaginären Grenzkonstellationen und Trennlinien. Politisch und ökonomisch umkämpfte Grenzregionen, innerstaatliche kulturelle und konfessionelle Differenzen, die urbane Disposition von Wohlstand und Elend sowie die durch den Cyberspace eingeleitete virtuelle Überschreitung von raumbezogenen starren Orten erheben den Grenzbegriff zum Forschungsthema und legen gleichzeitig neue Bedeutungseinheiten (ohne Bezugnahme auf territoriale oder nationalstaatliche Begrenzungen) ab. Diese sogenannten border studies werden ebenso wie die spatial studies aus den unterschiedlichsten Perspektiven analysiert, wobei die Konstruktion imaginärer Raumkonstellationen und die Anwendung des mapping, sprich die »Kartierung als eine mentale Operation«, gängige Ausgangspunkte der Grenzstudien bilden.40 Abstrakte metaphorische Kartenmuster beschreiben diese mental maps, die im menschlichen Bewusstsein Räume neu kartieren lassen und dafür auf subjektive Wissens- und Erfahrungswerte, aber auch Emotionen und Erinnerungen zurückgreifen. Das individuelle Raum- oder Landschaftsbewusstsein setzt innere Bilder zusammen und kreiert eine bestimmte Merkmale hervorhebende oder ausblendende Landkarte (Raumqualität). 39 Vgl. François, Etienne/Seifarth, Jörg/Struck, Bernhard  : Einleitung  : Grenzen und Grenzräume  ; Erfahrungen und Konstruktionen, in  : dies. (Hg.)  : Die Grenze als Raum, Erfahrung und Konstruktion  : Deutschland, Frankreich und Polen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, Frankfurt/Main 2007, S. 7–29, hier S. 7. 40 Bachmann-Medick, Spatial Turn, 2009, S. 300.

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Die Mental-Maps-Methode hilft aufzuzeigen, wie Individuen und Gesellschaften Raum wahrnehmen, reflektieren – und kognitiv neugestalten. Raum-, Stadt- und Landschaftsplaner:innen nutzen dieses Verfahren, um physisch wahrnehmbare Räume den kognitiven und ästhetischen Raumvorstellungen und -wünschen der Bevölkerung anzupassen und entsprechend zu arrangieren. Ein Beispiel aus der Landschafts- und Raumplanung bestätigt die Theorie einer imaginierten Landschaft  : Eine repräsentative Befragung über das Landschaftsempfinden in der Schweizer Region Glarus Süd ließ erkennen, dass Landschaftswahrnehmung vornehmlich im Kopf stattfindet und »Landschaft als emotionale Ressource« den Identitätswert einer Region und das Wohlbefinden der Bevölkerung steigert.41 Reale geologische Elemente und imaginierte Merkmale einer schönen, romantischen und unberührten Landschaft korrespondieren miteinander und erhöhen die Lebensqualität. Bemerkenswert an der Studie ist die Feststellung, dass die romantisierte Vorstellung einer unberührten, ursprünglichen und agrarisch geprägten Landschaft weder der Realität entspricht noch einmalig ist für den Kanton  ;42 die stimmungsvolle Kombination aus natürlichen Elementen und Merkmalen einer traditionellen Kulturlandschaft ist für diverse Regionen nachweisbar. Das Beispiel zeigt, dass Landschaftsbilder im Kopf idealisierte Imaginationen und Vorstellungen bündeln und nicht per se der Realität entsprechen, ja, diese sogar konterkarieren können. Landschaft bildet sich im Inneren, ist ein Gemeinschaftsprodukt aus geistiger Vorstellungskraft, ästhetischer Bewertung und emotionaler Bindung.43 Dies setzt voraus, dass Landschaft erstens sinnlich (visuell, haptisch, olfaktorisch, akustisch) und zweitens sozial (häusliches Umfeld, kollektive Wertgemeinschaft) erlebt wird und aus der kognitiven Verarbeitung sich ein neues Landschaftsbild zusammensetzt. Dass die Raum- und Landschaftsplanung den Wert von Kultur- und Erinnerungslandschaften erfasst und gleichzeitig kollektive Bedürfnisse berücksichtigt, zeigt, dass eine fachübergreifende Zusammenarbeit für die Zukunft möglich und lohnend sein kann.44 Diese auffällige Kongruenz zeigen auch die Ansätze aus der Kultur- und Geschichtswissenschaft, für die »die Frage im Mittelpunkt [steht], wie persönliche 41 Meier, Christine  : Die Landschaft im Kopf (= Tec21/137  : Heft 26  : Sehnsucht Landschaft, 2011), S. 26–30, hier S. 29, URL  : http://www.sia.ch/fileadmin/TEC21_2011_26_LandschaftKopf_Meier. pdf, letzter Zugriff  : 30.04.2022. 42 Vgl. ebd. S. 28 f. 43 Vgl. Meier, Christine/Bucher, Annemarie  : Die zukünftige Landschaft erinnern  : eine Fallstudie zu Landschaft, Landschaftsbewusstsein und landschaftlicher Identität in Glarus Süd, Zürich (u. a.) 2010, S. 35. 44 So kann die qualitative und quantitative Auswertung der modernen Raumplanung neue Forschungsansätze für andere Disziplinen bieten, etwa für die Wirtschaftsgeschichte, Tourismusforschung oder die Volkskunde. Eine kategorische Abfragung von als einzigartig, typisch, normal oder nicht-zugehörig empfundenen Landschaftselementen wie bei Meier wäre auch für den Mittelrhein oder andere

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Raumvorstellungen durch kulturell vermittelte (Welt-)Bilder beeinflusst werden und wie kollektiv geteilte Repräsentationen einer – erfahrenen oder imaginierten – räumlichen Umwelt auf Prozesse kultureller Gemeinschafts- und Identitätsbildung zurückwirken«.45 Aktionsräume und deren Grenzen bilden ein Potenzial für die fachübergreifende historische Raumforschung, Identität, kollektives Bewusstsein, Herrschaft, Selbst- und Fremdbilder sichtbar und nachvollziehbar zu machen. Welche Materialien, Sach- und Schriftquellen erteilen uns Auskunft über das spezifische Raumverständnis, das räumliche Erleben, die Raum- und Landschaftswahrnehmung einer Gesellschaft oder einer Epoche  ? Während sich die Raum- und Landschaftsplanenden auf geologische Spurensuche in die Natur begeben, um Änderungen im Flusslauf oder der Vegetation nachzuvollziehen, richtet sich der Blick der Geschichtswissenschaft auf schriftliche Quellen aus der Vergangenheit, die das Raumerleben und Raumempfinden wiedergeben und sich dabei einer rein deskriptiven Wiedergabe von Raum- und Landschaftsmerkmalen entziehen. Wie lassen sich die Erkenntnisse aus der Raumforschung auf die Analyse der Selbstzeugnisse vom Rhein anwenden  ? Dass Raum sich am Rhein nicht nur anhand geografischer Fixpunkte verstehen lässt, sondern territoriale und imaginäre Grenzlinien markierte, wird in Kapitel 7 eingehend erläutert. Natürliche Elemente, die seit jeher den Hauptakteur für Grenzziehungen darstellten, wurden ab der Frühen Neuzeit zu untergeordneten Richtwerten, da nun der Mensch vorgab, was dazugehörte und was nicht.46 Über die Frage, wo das Herrschaftsgebiet begann und wo es endete, entschieden ab sofort die Fürsten und Landverwalter selbst. Dies sollte die Festlegung von Grenzen durch natürliche Elemente nicht ablösen, es bestärkte sogar deren Funktion. Dies zeigt sich einmal mehr an den dynamischen Grenzveränderungen und Kontroversen am Rhein zu Beginn des 19. Jahrhunderts und der zunehmend agitatorischen Kontroverse ab 1830. Die traditionelle, klassisch überlieferte Auslegung eines Grenzflusses ließ erst zusätzliche (imaginäre und materielle) Markierungen und eine Kontinuität (Fluss-)Landschaften denkbar, um aktuelle Imaginationen von Landschaft aufzuzeigen und in der Gegenüberstellung mit historischen Zeugnissen mögliche Brüche und Konstanten festzustellen. 45 Schenk, Frithjof Benjamin  : Mental Maps  : die kognitive Kartierung des Kontinents als Forschungsgegenstand der europäischen Geschichte, in  : Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 05.06.2013, URL  : http://ieg-ego.eu/de/threads/theorienund-methoden/mental-maps/frithjof-benjamin-schenk-mental-maps-die-kognitive-kartierung-­deskontinents-als-forschungsgegenstand-der-europaeischen-geschichte#Begriffsdefinitionmentalmap kognitiveLandkarte, Absatz 4, letzter Zugriff  : 30.04.2022. 46 Vgl. Landwehr, Achim  : Die Zeichen der Natur lesen  : »natürliche« Autorität im habsburgisch-venezianischen Grenzgebiet in der Frühen Neuzeit, in  : Roll, Christine (Hg.)  : Grenzen und Grenzüberschreitungen  : Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung (Frühneuzeit-Impulse, 1), Köln 2010, S. 131–145, hier S. 139.

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vom Rhein als Grenze zu.47 Die historischen Diskurse und Praktiken am Rhein zeigen, dass Raum auch als nationales Eigentum und integraler Bestandteil eines traditionellen Identitäts- und Geschichtsbewusstseins gewertet wurde – Sprachgebrauch, administrative Strukturen, Alltagsphänomene und auch Städtenamen bezeugen dies. Neben historischem Kartenmaterial – das außer territorialen Raum- und Grenzansprüchen vor allem das spezifische Raumverständnis, das Verorten von Eigenem und Fremden bei Hervorhebung des eigenen (eurozentrischen) Standpunktes abbildet – geben Selbstzeugnisse Auskunft zur Wahrnehmung und kognitiven Neu-Kartierung von Raum. Die Reiseberichte der Romantik reflektieren in Schriftform das sinnliche Natur- und Landschaftserlebnis und somit das Raumbewusstsein einer Epoche. Das Erleben vor Ort, das Unterwegssein, sich im Raum zu bewegen und aufzutreten, sich zu präsentieren, Orte mit bestimmten Handlungsmustern zu verbinden – dies sind entscheidende Kategorien bei der Aneignung und Wahrnehmung von Räumen in den Selbstzeugnissen. Die Reiseschilderungen vom Rhein geben nicht nur darüber Auskunft, wie die Akteur:innen natürliche und soziale Räume erleben und als Bühne für ihre Handlungen nutzen, sie bezeichnen auch den individuellen Raumbezug und mithin Identifikationsgrad, indem fremde und vertraute Raumeindrücke und Orientierungspunkte perzipiert und reflektiert werden. Da die Akteur:innen sich reisend fortbewegen und sich in einer nicht alltäglichen Situation an meist unbekannten Orten aufhalten, nehmen sie den Raum mutmaßlich anders wahr als Ortskundige. Sinneseindrücke wie Farben und Geräusche, Essgewohnheiten, sprachliche und kulturelle Besonderheiten werden in Bezug auf Gewohntes unterschiedlich bewertet und prägen den Erlebnis- und Erfahrungsraum. Auch die mobilen Praktiken geben Auskunft über die Wahrnehmung von Raum, so lässt das unmittelbare Fortbewegen zu Fuß ganz andere Eindrücke zu als in einem Gefährt. Dass sich diese mobilen Praktiken im 19. Jahrhundert weiterentwickeln und speziell am Rhein – auch gelenkt vom zunehmenden Gästestrom – klassische Reisepraktiken infrage stellen und gegen moderne Methoden der Fortbewegung ersetzen, kann anhand der Selbstzeugnisse nachvollzogen werden. Der Soziologe Hartmut Rosa schreibt zur kontinuierlichen Veränderung der Raumwahrnehmung am Beispiel des zu Fuß Gehenden  : »Solange wir uns zu Fuß fortbeweg(t)en, nehmen wir den Raum in allen seinen Qualitäten wahr  ; wir fühlen, riechen, hören und sehen ihn. Mit dem Straßenbau beginnt die Einebnung des Geländes, die 47 Vgl. dazu Wieland, Christian  : Grenzen an Flüssen und Grenzen durch Flüsse  : Natur und Staatlichkeit zwischen Kirchenstaat und Toskana, in  : Roll, Christine/Pohle, Frank/Myrczek, Matthias (Hg.)  : Grenzen und Grenzüberschreitungen  : Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung (Frühneuzeit-Impulse 1), Köln (u. a.) 2010, S. 147–160, hier S. 154 f.

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Beseitigung von Hindernissen, die Manipulation der Raumqualität […]«,48 zumindest der ursprünglichen Raumqualität, denn mit dem Ausbau der Infrastruktur werden schließlich auch neue Qualitäten der Raumkategorie Straße offenbar, etwa die Bequemlichkeit eines sanften (teils gepflasterten) Fahrbahngrundes, die Geschwindigkeit, aber auch sinnliche Qualitätsmerkmale, etwa der Ausblick in Kurven, von Brücken, von Anhöhen auf die Landschaft (Panoramablick), ohne Anstrengungen für den eigenen Körper. Auch das Fortbewegen per Fahrzeug ermöglicht eine neue Raumwahrnehmung  : der Kontakt zu anderen Mit-Reisenden, das von der durchfahrenen Landschaft unabhängige Erleben im Gefährt (das nebenbei ein ganz neues Raumerlebnis erzeugt), das unmerkliche Überwinden von Grenzen, Zeit- und Klimazonen (Flugzeug, Unterwassertunnel). Rosa setzt den technischen Fortschritt mit einem sinnlichen Rückschritt gleich. Die Eroberung des Raumes hat zu einer Entzauberung des Raumes beigetragen, im Fahrzeug (Kutsche, Automobil, Eisenbahn, Flugzeug) wirkt der durchfahrene Raum fremd und beziehungslos und die körperliche Distanz und Unmittelbarkeit vermindern die sinnliche Perzeption von Raum. Auch das Zeitempfinden hat sich infolgedessen verändert, indem es zwar als relevanter aber doch störender Faktor wahrgenommen wird. »Der moderne Reisende kämpft mit der Uhr, weil er Anschlüsse erreichen und Termine einhalten muss«, er ist vornehmlich ein Handlungsreisender und abhängig von »der Zeit als Orientierungsdimension«.49 Das Von-Ort-zu-Ort-Bewegen ist heutzutage institutionalisiert und größtenteils mechanisiert, verfügt über eigene organisatorische Strukturen und ist nicht mehr Ausnahme- sondern längst Alltagsphänomen, das festen Handlungs- und Erwartungsmustern folgt. Bis heute haben sich Aneignungs- und Handlungsmuster räumlicher Erfahrung erhalten, konstituieren sich Räume vor, während und nach dem Betreten. Egal, ob auf Reisen oder im Alltag, ob als Berufspendelnde oder Rucksacktouristen. Für das Mobilitätsempfinden Anfang des 19. Jahrhunderts finden sich Nachweise, dass sich die räumliche Dimension und räumliche Zugehörigkeit allmählich auflöst. Im Journal des Luxus und der Moden äußert sich ein Autor begeistert über die Möglichkeiten der modernen Verkehrsmittel  : Europa wird die Verschiedenheit der Völker immer mehr gegen einander ausgleichen, da die Gemeinschaft, die schriftliche, wie die persönliche, mit jedem Jahre, ja mit jedem Monate zunimmt. So hat eine schnellere Verbindung auch kürzlich zwischen Hamburg und London begonnen. In 60 Stunden fliegt ein Dampfschiff von Hamburg nach London hinüber. Man 48 Rosa, Beschleunigung, 2015, S. 164. 49 Ebd., S. 165.

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kann 4 Tage dort verweilen, und am 10ten Tage schon wieder zurück sein. Auch kann einer leicht von London nach Paris einen Abstecher machen, indem täglich Dampfböte nach Calais und beständig Gelegenheiten nach Paris geben. Was sonst schon zu großen, unternehmenden Reisen gehörte, gewinnt auf diese Weise das Ansehn einer Spazierfahrt und das Fremde hört auf fremd zu seyn.50

Die Reisenden werden durch schnellere Verbindungen ortsunabhängiger und flexibler  : diese können – vereinfacht gesagt – an einem Tag hier sein und am nächsten bereits dort. Das Vorwärtskommen in neuen Vehikeln macht das Reisen sicherer, schneller und auch angenehmer. Vormals anstrengende und aufwendige Reiseunternehmungen zwischen Inseln und europäischem Festland erscheinen nunmehr als Abstecher oder Spazierfahrten. Die institutionalisierte und auf die Bedürfnisse der Reisenden ausgerichtete Infrastruktur lässt Distanzen und räumlich beengte Wahrnehmungen auflösen, auch indem Fremdes aufhört fremd zu sein. Durch ihre ständige Verfügbarkeit und Begehbarkeit verlieren sie ihre Eigentümlichkeit und Individualität  : Nichts bleibt den Reisenden verborgen, keine Strecke und kein Ziel auf der Etappe unentdeckt. Vor diesem Hintergrund verwischen räumliche Eigenheiten und Merkmale, da nicht Raum, sondern Zeit die entscheidende Handlungsgröße darstellt. Einen weiteren entscheidenden Hinweis beinhaltet der Textauszug gleich zu Beginn, als der Autor von einer Verdichtung des schriftlichen und persönlichen Austausches spricht. Daran lässt sich ablesen, dass die fast lückenlose Versorgung mit Nachrichten und Mitteilungen eine entscheidende Rolle bei der Auflösung von Raum einnimmt. Physische Präsenz und Unmittelbarkeit werden durch die Möglichkeiten medialer Verbreitung ersetzt. Mobilität und Medialität sind eng miteinander verknüpft. Es geht also um das Erleben und Beschreiben von Räumen durch das mobile Subjekt, das narrative Verarbeiten und Konstituieren von Räumen. Reisen und das Berichten darüber bedingen sich nach Michel de Certeaus Prinzip gegenseitig  : »Every story is a travel story – a spatial practice«.51 Certeau hat sich mit der dynamischen Qualität von Räumen beschäftigt, die durch Praktiken angeeignet werden (z. B. das Gehen in einer Stadt, Orts- und Wegebeschreibungen) und dadurch beweglich und lebendig sind. »Berichte über den Raum beschreiben diesen nicht nur, sie produzieren gleichzeitig eine Handlungsgeographie, die den Raum organisiert und dabei bestimmten Prinzipien folgt.«52 Diese Handlungsprinzipien betreffen die Aneignung und Begehung von 50 JLM, 1825/August/Heft 64, S. 511 f. 51 Certeau, The Practice of Everyday Life, 2004, S. 115. 52 Füssel, Marian  : Tote Orte und gelebte Räume  : zur Raumtheorie von Michel de Certeau S. J. (= Historical Social Research 38, 2013/3), S. 22–39, hier S. 32.

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Raum, das Absolvieren einer Wegstrecke, das Haltmachen an diversen Markierungen und Orten. Neben der Tatsache, dass Raum durch Bewegung angeeignet wird, ist das Wie entscheidend. »De Certeaus Raumverständnis ist im Wesentlichen performativ. Räume sind nicht gegeben, sie werden gemacht.«53 Die Akteur:innen beleben und erschaffen Raum, d. h. beschriebene Räume sind nicht immer physisch nachvollziehbar und enthalten fiktive oder imaginierte Raumeinheiten. Dies kann beim Lesen von Belletristik nachvollzogen werden  : Das Beschreiben tatsächlich existierender (geografisch festgelegter) Räume erhöht den Wiedererkennungswert beim Lesepublikum. Sodann erzeugen wiedererkennbare Räume Authentizität und die Möglichkeit des Nachvollziehens beziehungsweise Nacherlebens.54 Dass dieser Raumbekanntheit auch Grenzen gesetzt sind, zeigt »die literaturwissenschaftlich viel kommentierte erzählerische Willkür, die bestimmte Orte ihrer topographischen Zuordenbarkeit entzieht« und Hauptfiguren sowie Rezipienten leicht in die Irre führt.55 Diese narrative Willkür und Selbstbestimmung, die eine ständige »Referentialisierbarkeit von Literatur« ausschließt und dabei Räume jenseits geografischer Fixierungsmöglichkeiten neu konstruiert, ist auch charakteristisch für die Selbstzeugnisse vom Rhein.56 Zwar ermöglichen die Tagebucheinträge und Briefkorrespondenzen mehrheitlich anhand von Datums- und Ortsverweisen die absolvierte Strecke mit dem Finger auf der Landkarte nachzuzeichnen. Auch verortbare, feste Räumlichkeiten, wie Gast- und Wohnhäuser, Parks, museale Sammlungen, Aussichtspunkte auf Türmen und Mauern, lassen sich zumeist noch nachweisen. Sogar die Benutzung eines Schiffes kann anhand der Orts- und Zeitangaben nachverfolgt und verifiziert werden. Diese raumbezogenen Angaben belegen ein tatsächliches Reiseerlebnis. Daneben lassen sich diverse Raumkonstellationen und -konstrukte erkennen, die ein auf realen Zuständen basierendes Erleben ausschließen. Da die Romantik als Epoche beschrieben wird, die eine frei begehbare einer kartierbaren und begrenzten Landschaft vorzieht, wird ihre Ablehnung von Karten oft als Zeichen ihrer realitätsfremden und rückwärtsgewandten Weltanschauung 53 Ebd., S. 30. 54 Vgl. Dünne, Jörg  : Geschichten im Raum und Raumgeschichte, Topologie und Topographie  : wohin geht die Wende zum Raum  ?, in  : Buschmann, Albrecht/Müller, Gesine (Hg.)  : Dynamisierte Räume  : zur Theorie der Bewegung in den Romanischen Kulturen  ; Beiträge der Tagung am Institut für Romanistik der Universität Potsdam am 28.11.2009, S. 5–26, hier S. 7, URL  : https://www.litwiss.uni-kon stanz.de/typo3temp/secure_downloads/87417/0/ff2850942750879db2f326a86e3cef826229177e/dyna misierte_raeume_komplett.pdf, letzter Zugriff  : 30.04.2022. Dünne zieht Cervantes’ Don Quijote als Beispiel dafür heran, wie sich kartografisch fixierbare Orte und erdachte Orte abwechseln, wodurch sich das Nacherleben und -gehen der literarisch verbürgten Strecke in der Realität schwierig gestaltet. 55 Ebd., S. 9. 56 Ebd., S. 9.

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bewertet.57 Diese Einschätzung pauschalisiert und verkennt das literarische Potenzial einer Generation, die kein schematisches Verweigern von Karten unternahm, sondern durch Zuschreibungen, Aneignungen und Begrenzungen das Raumempfinden reformierte und durch mediale Vermittlung neue Landschaftskarten erzeugte. So wird der Rhein beispielsweise in den Selbstzeugnissen erstens als nicht-statische Einheit und zweitens nicht nur als geografisch markierte Flusslinie wahrgenommen, sondern als mit Vorstellungen und Ambitionen aufgeladener Raum, der sich über physisch sichtbare Barrieren hinaus erstreckt. Wilhelm und Adelheid Müller bereisen auch den Neckar, Johanna Schopenhauer zieht es bis zum Niederrhein und an die Maas. Das Rhein-Erlebnis erstreckt sich, bildlich formuliert, über das eigentlich festgelegte Flussbett hinweg und bindet andere (Fluss-)Landschaften mit ein. Diese Neukartierung des Rheingebietes, das streng genommen auch den klassischen romantischen Mittelrheinteil erweitert, zeigt, dass Räume dynamisch und veränderbar sind. Der Rhein bleibt als feste geografische Markierung ein Orientierungspunkt für die Reisenden, seine Ausdehnung, Erlebbarkeit und Intensität variiert jedoch in den Berichten. Landkarten werden hier durch Zuschreibungen und Aneignungen erweitert, die zwischen individuellen ästhetischen Vorstellungen und politischen Ambitionen rangieren. Die mediale Vermittlung dieser Neukartierung des Rheins durch Reiseberichte lässt die Vermutung zu, dass Literatur »besonders dafür geeignet ist, vorstellungsmögliche Welten überhaupt erst zu einer imaginativ fassbaren Entität werden zu lassen«.58 Die imaginierten Räume und Grenzen beeinflussten möglicherweise die Kartierung und topografische Festlegung des Rheins. Die Kartierung geografischer Räume ist eine ältere Kulturtechnik als die Alphabetschrift, da sie Raumvorstellungen bildhaft widergibt und eine größere Akzeptanz und Wiedererkennung erfährt. Das (Be-)Schreiben von Bildern, das imaginative Ausformen räumlicher Elemente am Rhein geben Anhaltspunkte für die Entstehung einer Landkarte im Kopf. Die Reiseberichte vom Rhein besitzen also durchaus das Potenzial, existierende und imaginierte Räume zu beschreiben und miteinander in Beziehung zu setzen. Auch wenn sich die Auswertung der Selbstzeugnisse nach Raumbezügen weniger ergiebig darstellt, findet implizit eine Neubewertung von Raum statt. Der Rhein bietet Raum für reale und traumhafte Erlebnisse und Vorstellungen, für personenbezogene Handlungen und Interaktionen, für die Selbstdarstellung und 57 Vgl. Sick, Franziska  : Julien Gracq  : Stadtlandschaft, Karte im Spannungsfeld von Décadence und Moderne, in  : Dies. (Hg.)  : Stadtraum, Stadtlandschaft, Karte  : literarische Räume vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Tübingen 2012, S. 81–119, hier S. 92. 58 Dünne, Geschichten im Raum, 2009, S. 22.

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Abb. 10  : Karl Ferdinand Weiland, Allgemeine Post-Charte von Teutschland in 50 kleinen Sectionen Taschenformat (Ausschnitt), 1813, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Herzogin Anna Amalia Bibliothek.

Selbstinszenierung der Akteur:innen. Räume werden in ihrer sozialen Qualität als trennend und einend begriffen, sie werden sinnlich und optisch wahrgenommen, aufgesucht oder gemieden.

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6.2 Historische Umweltforschung Reisepraktiken sind als Praktiken der Aneignung und Nachahmung kollektiver Wertvorstellungen stets an konkrete Erwartungshaltungen und Vorerlebnisse geknüpft. Einerseits sind es die Erwartungen der Reisenden an sie selbst und ihre persönliche (künstlerische, politische) Entwicklung, zum anderen die Erwartungen an den zu bereisenden Raum, der sowohl soziale Zugehörigkeiten als auch die reale Umgebung einschließt. Bestimmte Praktiken erfordern eine bestimmte mentale, aber auch funktionale Ausgangslage, um sie richtig auszuführen. Das Wandern impliziert beispielsweise ein ganz anderes Naturerlebnis als das Reisen in der Kutsche. Die Natur wirkt unmittelbarer, aktiv erlebbar, man ist eins mit der Natur, sie wirkt zum Anfassen nah. Hier wird die sinnliche Ebene der Reisepraxis bedient (durch Berühren von Pflanzen, Berühren des Bodens, Einatmen der Luft) und lässt die Vermutung zu, dass eine symbiotische Verbindung zwischen Mensch und Natur besteht. Der Rhein wurde in der Romantik größtenteils zu Fuß, per Schiff oder mit der Kutsche bereist. Das Rheinerlebnis ist als Landschaftserlebnis angelegt, bei dem die Reisenden sehen, hören, schmecken, riechen, fühlen. Es ist kein reiner Eskapismus, der sie an den Rhein treibt, sondern Neugier, Ruhm und Geltungssucht, Nationalbewusstsein, auch Stil- und Trendbewusstsein sowie familiale, freundschaftliche, gesundheitliche oder auch geschäftsmäßige Angelegenheiten. Die Form der Reisemotivation, Landschaftsaneignung und auch Fortbewegungsart knüpft an einen weiteren methodischen Baustein in dieser Arbeit an  : die Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur. 6.2.1 Umweltforschung in den Geschichtswissenschaften Das Bewusstsein um das Wechselspiel menschlicher und natürlicher Sphäre ist keineswegs Neuland. Schon vorchristliche Kulturen wussten um die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, ergründeten die bestmögliche Kultivierung von Anbauflächen, registrierten die wetter- und klimabedingte Zerstörung von Naturräumen sowie Ernteausfälle durch Schädlinge oder Überschwemmungen. Die Kenntnis dieser naturbedingten Möglichkeiten und Risiken wird teils durch materielle wie auch textgebundene Überlieferung, teils durch das urvertraute Bewusstsein einer steten Abhängigkeit menschlicher Existenz von ihrer natürlichen Lebensgrundlage weitergetragen. In der Quellen- und Überlieferungsgrundlage erkennt die Geschichtswissenschaft einen Hauptanteil für die Erforschung umweltbedingter Entwicklungen. Der andere speist sich aus dem Erkenntnisinteresse sowie den daraus denkbaren Lernprozessen  : wie klimatische und geologische Veränderungen und Schwankungen (etwa die sogenannte »kleine Eiszeit« von ca. 1550 bis 1800, das »Jahr ohne Sommer« 1816) menschliches

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Handeln steuern, wie mitunter umweltbedingte Phänomene Einfluss auf soziokulturelle, ökonomische, industrielle und politische Entwicklungen nehmen und wie das Wissen darum das künftige Mensch-Natur-Verhältnis gestalten kann. Diese exemplarische Nennung von kleineren und größeren Umweltkatastrophen zeigt, dass Nachhaltigkeitsdiskurse, Ressourcenknappheit oder Artensterben keine Themen der letzten zwei Jahrhunderte darstellen und Auffassungen einer »vorindus­ triellen Harmonie von Mensch und Natur« ein Trugbild sind.59 Die Idee nachhaltiger Bewirtschaftung und Nutzung natürlicher Ressourcen ist im Übrigen eine Errungenschaft des frühen 18. Jahrhunderts. Der kurfürstlich-sächsische Kammer- und Bergrat Hans-Carl von Carlowitz er­­ kannte während einer Reise, dass die Ressource Holz überall in Europa ein knappes Gut war. In seinem Werk Sylvicultura oeconomica (1713) benennt er die Vorteile einer nachhaltigen, im Einklang mit der Natur arbeitenden Forstwirtschaft und Bergbauindustrie zur Vorbeugung von Rohstoffknappheit, Energiekrisen und damit einhergehend Hunger und Armut. Abgesehen von dem ökonomischen Nutzen spricht Carlo­ witz auch von einer ästhetischen Wirkung und Bedeutung von Waldgebieten, die es zu erhalten gelte. So seien in der Vergangenheit »wundervolle und schöne Gehöltze bißher der größte Schatz vieler Länder gewesen«.60 Das innovative Konzept, welches vorsah, »von den Erträgen einer Substanz und nicht von der Substanz selbst zu leben«, bündelte bereits landschaftsästhetische und ökonömische Ansprüche an die Natur und erkannte den langfristigen Nutzen von einem gewissenhaften, respektvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen.61 Diese Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur geben den Anstoß für interdisziplinäre Studien der Natur- und Kulturwissenschaften, die seit etwa 1980 in Nachhaltigkeitsdiskursen, Umweltschutzbewegung, Erhaltung der Artenvielfalt und Klimaschutzprojekten münden. Umweltgeschichte ist immer auch Menschheitsgeschichte. Anthropologische Veränderungen und Entwicklungen sind als Ursache für die Einschätzung klimatischer und umweltbedingter Phänomene anzuführen. Der offensichtliche Risiko- und Gefahrenschwerpunkt der meisten Untersuchungseinheiten (Wasser-, Luft- und Lichtverschmutzung, Bodenerosion, Trockenperioden, Erderwärmung, 59 Freytag, Nils  : Deutsche Umweltgeschichte – Umweltgeschichte in Deutschland  : Erträge und Per­ spektiven (= Historische Zeitschrift 283/2006), S. 383–407, hier S. 387. 60 Carlowitz, Hans Carl von  : Sylvicultura oeconomica, Oder Haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung Zur Wilden Baum-Zucht […], Leipzig 1713, S. 105. Carlowitz spricht sich zudem für eine »nachhaltende Nutzung« des Waldes aus, die den Bäumen genügend Zeit zum Wachsen lässt (ebd. S. 105). 61 Grunwald, Arnim/Kopfmüller, Jürgen  : Nachhaltigkeit  : eine Einführung, Frankfurt/Main, New York 2012, S. 19.

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Treibhausgasemission, Tier- und Pflanzensterben, u. a.) lässt »Umweltgeschichte primär als Problemgeschichte« darstellen, wobei der mahnende grüne Finger stets die wunde Stelle menschlichen Handelns berührt.62 Die vorrangige Beschäftigung mit solchen Problemfeldern ist der Tatsache geschuldet, dass die Umweltgeschichte hierzulande aus der politischen Umweltbewegung hervorging und stets umweltbezogene Debatten der jüngst zurückliegenden Geschichte sowie der Zeitgeschichte berücksichtigte.63 Die Umweltgeschichte hat sich in den letzten dreißig Jahren als eigenständiges Forschungsgebiet etabliert, eingeleitet durch die Debatten um das sogenannte Waldsterben und die generelle Infragestellung von Kernenergie in den 80er-Jahren  ; in der Postmoderne wurden die Inhalte um den Klimawandel und die Forderung nach einer generellen Energiewende erweitert. Diese Themen setzten im letzten Jahrzehnt ein Umdenken auf bundespolitischer und transnationaler Ebene bei der nachhaltigen und sauberen Energieversorgung frei und stellten die globale Dimension der Thematik nochmals heraus. Das Verhältnis zwischen Umwelt und Gesellschaft wurde nun erstmals in seiner historischen Entwicklung erfasst, indem »die Natur gleichsam zum historischen Akteur«64 erhoben wurde, den es nicht zu unterschätzen galt. Unter dem Stichwort Nachhaltigkeit haben die Umweltdebatten in den letzten Jahrzehnten an Brisanz und auch Popularität zugenommen und die wissenschaftliche Auseinandersetzung dahingehend geprägt, dass etwa die übermäßige Abholzung von (Regen- und Ur-)Waldgebieten oder der Anbau von Monokulturen nicht länger nur als regionale Angelegenheiten, sondern als globale Aufgaben behandelt werden. »Dass die künftige nachhaltige Nutzung begrenzter natürlicher Ressourcen auch manches Mal den Blick in die Vergangenheit erfordert, ist mittlerweile anerkannt«,65 ebenso wie der Blick in die ferne Zukunft. Die Einbindung verschiedener Forschungsansätze kann das gemeinschaftliche Verantwortungsbewusstsein künftiger Generationen prägen, und so hat sich neben der Globalisierung von Umweltthemen auch eine interdisziplinäre Ausrichtung der Umweltforschung durchgesetzt. Die diversen Arbeitsprojekte und Kooperationen zur Umweltforschung vereinen Ansätze aus Teilbereichen der Natur-, Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, 62 Lübken, Uwe  : Umweltgeschichte, in  : Clio Guide – ein Handbuch zu digitalen Ressourcen für die Geschichtswissenschaften, Hg. von Laura Busse, Wilfried Enderle, Rüdiger Hohls, Gregor Horstkemper, Thomas Meyer, Jens Prellwitz, Annette Schuhmann, Berlin 2016 (Historisches Forum, 19), URL  : https://guides.clio-online.de/guides/themen/umweltgeschichte/2018, letzter Zugriff  : 30.04.2022. 63 Vgl. Freytag, Deutsche Umweltgeschichte, 2006, S. 386. 64 Radkau, Joachim  : Natur und Macht  : eine Weltgeschichte der Umwelt, München 2002, S. 41. 65 Selter, Bernward  : Rezension zu  : Sylvia Hahn/Reinhold Raith (Hg.)  : Umwelt-Geschichte  : Arbeitsfelder, Forschungsansätze, Perspektiven, München 2001, in  : sehepunkte 3 (2003), 15.03.2003, URL  : http://www.sehepunkte.de/2003/03/1473.html, letzter Zugriff  : 30.04.2022.

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die dadurch nicht nur ihr Mitspracherecht an Umweltthemen verteidigen, sondern erstaunliche Schnittmengen eigentlich artfremder Fächer zeigen und somit einen wissenschaftlichen Austausch auf Augenhöhe garantieren.66 Eine gute und kritische Zusammenfassung der diversen Theorien und Forschungsstudien zur historischen Ökologie bietet das Buch von Friedemann Schmoll mit dem Titel Erinnerung an die Natur, wobei Schmoll eine »in der Regel vorgenommene Separation ideen-, mentalitäts-, kultur- und realgeschichtlicher Ebenen« feststellt,67 welche die Diskursgeschichte oder auch die materielle Geschichte des Mensch-Natur-Verhältnisses nicht berücksichtigt. Dabei könnte seiner Meinung nach die Verbindung mentalitäts- und kulturgeschichtlicher sowie ideologischer Hintergründe wertvolle Informationen nicht nur zu dem Beziehungsgeflecht Natur–Mensch liefern, sondern auch Veränderungen und Reaktionen aufzeigen, die sich im Bewusstsein um diese Verbindung ergaben. Die umweltbezogenen Entwicklungen und Veränderungen am Rhein sind in diversen Untersuchungen zur Landschafts- und Wassergeschichte relativ gut erforscht und auf die enorme Umbaugeschichte des Flusses in Form von Begradigungen, Regulierungen und Kanalisierungen sowie die späteren Renaturisierungsmaßnahmen zurückzuführen. Während die meisten dieser oft fachinternen Arbeiten historisches Kartenmaterial, Statistiken und Baupläne sowie Programme von Natur- und Heimatschutzvereinen als Quellengrundlage nutzen, bleibt das Erkenntnispotenzial von Ego-Dokumenten und historischen Selbstzeugnissen bisher weitgehend unangetastet. So erzählt Mark Cioc seine Rhein-Biografie (2002) ausschließlich anhand publizierter, kommerzieller Materialien und aus der Perspektive von Ökonom:innen, Ingenieur:innen und Politiker:innen, und lässt an den Fluss gebundene Traditionslinien und alltagsgeschichtliche Erscheinungen der lokalen Bevölkerung außen vor.68 Auch der Band von Christoph Bernhardt zur Umweltgeschichte des Oberrheins (2016) kann diese Lücke nicht schließen, da der Autor hauptsächlich die von der Öffentlichkeit formulierten Forderungen erst nach Verdrängung und später nach Wiederherstellung der natürlichen Bedingungen am Rhein nachzeichnet. Dass eine umfassende Renaturierung ab 1980 »unweigerlich historische Landschaftsbilder auf den Plan rief und zum

66 So erforschte das von der DFG geförderte Graduiertenkolleg Interdisziplinäre Umweltgeschichte. Naturale Umwelt und gesellschaftliches Handeln in Mitteleuropa von 2004 bis 2013 im überfachlichen Austausch die Raumnutzung und Raumerfahrung seit dem Mittelalter, die Erfahrung und Bewertung von Seuchen sowie das Konfliktpotenzial bei Rohstoffknappheit (Hungerkrisen). 67 Schmoll, Friedemann  : Erinnerung an die Natur, Frankfurt/Main 2004, S. 37. 68 Vgl. Knoll, Martin  : Rezension zu  : Mark Cioc  : The Rhine  : an Eco-Biography  ; 1815–2000, Foreword by William Cronon, Seattle 2002, in  : sehepunkte 7 (2007), Nr. 5, 15.05.2007, URL  : http://www.sehe punkte.de/2007/05/11178.html, letzter Zugriff  : 01.05.2022.

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Teil verklärte«,69 nutzt der Autor nicht, um auf diese wiederum bereits in der Vergangenheit verklärten Landschaftsbilder zu rekurrieren und Einflüsse aus Kunst, Literatur und Musik miteinzubeziehen. Zu seiner Feststellung, dass sich moderne »Leitbilder zur ökologischen Entwicklung des Oberrheins sehr stark auf historische Referenzzustände beziehen« und sogar eine regelrechte »Rückabwicklung« von Umwelteingriffen hervorbrachten, wünscht man sich eine gründlichere Nennung dieser Zustände.70 Obwohl die Begradigungsmaßnahmen am Rhein mit den Anfängen des Rheintourismus zeitlich zusammenfallen – und sich gegenseitig bedingten – wird der Informationsgehalt der Reiseliteratur bei den umwelthistorischen Diskussionen bislang kaum berücksichtigt, auch weil der dieser Gattung oft zugeschriebene Unterhaltungswert und das eingeschränkte Auffassungsvermögen die Frage nach der wissenschaftlichen Verwertbarkeit aufwirft. Welchen Erkenntniswert können die romantischen Rheinbeschreibungen liefern, die sich weniger durch sachliche und objektive Wiedergabe als durch eine subjektive und oftmals idealisierte Darstellung von Landschaft auszeichnen  ? Da die Selbstzeugnisse nicht zwingend ein Abbild der Reisewirklichkeit liefern, ist unklar, ob die Veränderungen am Rhein – wie der Bau von Tunnels, die Flussregulierungen und Trockenlegungen von Schwemmland zur Landgewinnung, die Abholzung von Auenwäldern, die Zunahme von Dampfschiffen infolge der wachsenden Besucher:innenzahlen sowie die Entwicklung des Gastgewerbes – überhaupt wahrgenommen und schriftlich verarbeitet wurden, da sie kaum in die romantische Landschaftsschablone passten. Wenn wir ähnliche textliche Beispiele aus dieser umfassenden »Sattelzeit« betrachten, etwa Theodor Fontanes Bericht über seine Schottlandreise von 1858, fällt auf, dass die verkehrstechnischen Innovationen inklusive touristischer Vermarktungsstrategien zugunsten einer poetischen, historisierten Landschaftsbeschreibung in den Hintergrund treten.71 Fontanes Bild einer wild-romantischen und ursprünglichen Landschaft erhält aber immer dann Risse, wenn er Zeichen einer übermäßigen kommerziellen Nutzung und Täuschung gewahrt. Die Wirklichkeit wird oft der imaginär erschaffenen und 69 Hannig, Nicolai  : Rezension zu  : Christoph Bernhardt  : Im Spiegel des Wassers  : eine transnationale Umweltgeschichte des Oberrheins (1800–2000), Köln (u. a.) 2016, in  : sehepunkte 17 (2017), Nr. 7/8 15.07.2017, URL  : http://www.sehepunkte.de/2017/07/24040.html, letzter Zugriff  : 01.05.2022. 70 Bernhardt, Christoph  : Mehr als Rhein-Mythos  : »Die Flussbiographie« des Oberrheins als transnatio­ nale Raum- und Umweltgeschichte, in  : IRS Jahrbuch 2015/Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozial­ forschung, Erkner 2016, S. 19–26, hier S. 24, URL  : https://leibniz-irs.de/fileadmin/user_upload/Fluss biographie_des_Oberreheins.pdf, letzter Zugriff  : 01.05.2022. 71 Vgl. Ermisch, Maren  : »Ein romantischer Zauber liegt über dieser Landschaft«  : Theodor Fontanes Schottland und der Tourismus, in  : Herrmann, Bernd/Kruse, Ute (Hg.)  : Schauplätze und Themen der Umweltgeschichte  : umwelthistorische Miszellen aus dem Graduiertenkolleg (Graduiertenkolleg 1024  : Interdisziplinäre Umweltgeschichte), Göttingen 2010, S. 41–71, hier S. 48.

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erhofften Welt nicht gerecht. Auch wenn sich zum Zeitpunkt von Fontanes Reise die Technisierung und Kommerzialisierung des Reisens schon professionalisierte, lassen sich Parallelen zur Reisepraxis am Rhein ziehen  : Anwerbung und Lenkung eines bestimmten Reisepublikums mittels der passenden Lektüre, die eine angeblich ursprüngliche Landschaft anpreist, und Anpassung der landschaftlichen Gegebenheiten an die Besucher:innen. Die Tatsache, dass die entsprechenden Selbstzeugnisse die Reisekultur am Rhein für einen Zeitraum von knapp dreißig Jahren dokumentieren, lässt die Vermutung zu, dass diese zumindest ansatzweise Auskünfte über die Einschnitte in der Landschaft erteilen oder in der direkten Gegenüberstellung Veränderungen bei der Raumbetrachtung und -begehung infolge der infrastrukturellen Umgestaltung zeigen. Ebenso spannend und erkenntnisreich wie die reflektierten Veränderungen am Rhein sind dabei die Berichte, die diese in die Moderne weisenden Entwicklungen ausblenden – sei es aus persönlichem Interesse oder aus der Furcht vor tiefgreifenden Veränderungen der eigenen Lebenswirklichkeit. Die Untersuchung der Selbstzeugnisse in Form von Briefen und Tagebucheinträgen hat bereits ergeben, dass die Akteur:innen sich selbst in Bezug zu ihrer Umgebung wahrnehmen und landschaftliche Merkmale gesondert herausstellen, die ihr Bild vom romantischen Rhein bekräftigen (beispielsweise Mondschein, Weinberg). Im Folgenden untersuche ich, ob und wie sich diese Beziehung zwischen Mensch und Natur im Hinblick auf die Wandlungen und Eingriffe in die natürliche Umgebung veränderte. Dieser Wandel, sofern er denn stattfand, kann anhand der Schreib- und Reisepraktiken nachvollzogen werden, die auf den zunehmenden Besucher:innenstrom und den Ausbau der Infrastruktur am Rhein reagierten. Für den Anfang möchte ich Friedemanns Schmolls Forderung nach einem mentalitäts- und ideengeschichtlichen Bezug nachkommen und das Naturbewusstsein der Romantik als Ausgangspunkt einer differenzierteren Landschaftswahrnehmung darstellen. In meinen Ausführungen zur Landschaftswahrnehmung in der Romantik habe ich bereits auf die veränderte Beziehung zur Natur hingewiesen, die nicht länger auf ihren wissenschaftlichen und ökonomischen Nutzen reduziert wurde. Zusammen mit einer ganzheitlichen, alle Sinne ansprechenden Naturbeobachtung und -wiedergabe widersprachen diese Leitgedanken dem vernunftorientierten Gedankengut der Aufklärung. Dieses sensuell ausgerichtete Erleben von Landschaften wird vor allem in den Künsten sichtbar  : Lebendigkeit, Schöpferkraft und Dynamik der Natur werden thematisiert.72 Die Romantik strebte eine Einheit von Mensch und Natur an, und zwar sowohl körperlich als auch geistig. Eine körperliche Verbindung habe ich bereits 72 Vgl. Theobald, Werner  : Mythos Natur  : die geistigen Grundlagen der Umweltbewegung, Darmstadt 2003, S. 48.

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mit der Kulturtechnik des Waldspazierganges vorgestellt. Diese impliziert bestimmte sensuelle Erwartungen an den Naturraum Wald, gleichzeitig werden alle Sinne gefordert, um diesen Raum richtig zu begehen. Diese Kulturtechnik setzt die Existenz eines Naturraumes Wald voraus, der den sinnlichen Erwartungshaltungen entspricht – diese Anmerkung sei vorgemerkt für später. Für die geistige Ebene rekurriere ich auf die Grundsätze der Mensch-Natur-Beziehung der Frühromantiker:innen. Die Natur selbst ist der Schlüssel zur Romantik, denn sie ist zugleich Ursprung und Quelle menschlicher Kreativität. Das Romantische in der Natur festzuhalten und einen Zusammenhang zwischen ihr und der Seele des Menschen herzustellen, gelingt in der Romantik durch die Verknüpfung mit der Poesie. Friedrich von Hardenberg, besser bekannt als Novalis, formuliert es so  : »So wird alles in der Entfernung Poesie  : ferne Berge, ferne Menschen, ferne Begebenheiten usw. (alles wird romantisch)  ; daher ergiebt sich unsre urpoetische Natur. Poesie der Nacht und Dämmerung.«73 Natur und Dichtkunst gehen nicht nur eine harmonische Beziehung ein, sie bedingen sich auch gegenseitig. Die Natur wird zur Poesie stilisiert, die Poesie fungiert wiederum als die höchste Form der Natur. Der zur Poesie befähigte Mensch ist die perfektionierte Vollendung der vermenschlichten Natur. Der Mensch ist laut Novalis im Begriff, die Schönheit der Natur nicht nur zu erkennen, sondern diese Erkenntnis mithilfe der Poesie auch nach außen zu transferieren. »Nur die Dichter haben es gefühlt, was die Natur den Menschen seyn kann […].«74 Lediglich der zur Dichtkunst befähigte Mensch verfügt also über die Begabung, die Natur in ihrer Vollkommenheit zu begreifen, da er eine besondere (Wechsel-)Beziehung zu ihr pflegt. Auch Friedrich Schlegel identifiziert in seiner dritten Vorlesung über die Geschichte der alten und neuen Literatur den produktiven Effekt der Natur auf die Dichtkunst  : Die Poesie soll uns ein Bild geben von der gesammten äußern Erscheinung der Natur  ; dazu dient, was der Frühling irgend Erquickendes und Belebendes hat, das Edelste, was die Thierwelt an Gestalt und Leben, das Schönste und Liebste, was die Pflanzen- und Blumenwelt darbiethet, alles was in den äußern Veränderungen am Himmel und auf der Erde dem Auge der Menschen erhebend, oder doch bedeutend erscheint.75

Bei Schlegel wird die ›gesamte äußere Erscheinung der Natur‹ – also Pflanzen, Tiere, Wetter – in den Blick genommen, und zwar in ihrer schönsten und edelsten Form. Nur 73 Novalis, Schriften, T. 2, 1826, S. 165. 74 Ebd., T. 1, S. 67. 75 Schlegel, Geschichte der alten und neuen Literatur, 1846, S. 81.

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das Beste ist gut genug für den schöpfenden Geist. Der Blick wird für Phänomene geschärft, die nach menschlichem Verstand und Geschmack bedeutend erscheinen. Novalis’ und Schlegels Schriften bezeugen eine Sonderstellung des kreativen Geistes, welcher sich auf die Urkräfte der Natur bezieht. Des Weiteren beinhalten sie die Erkenntnis, dass Natur nicht allein nach ihrer Wissenschaftlichkeit und Wirtschaftlichkeit erklärbar, sondern erst durch den fühlenden Menschen erfahrbar wird. Dieses emotional gesteuerte Naturverständnis verhält sich different zur Überzeugung der Aufklärung, welche die Natur den eigenen Bedürfnissen unterzuordnen gedachte und eine klare Trennungslinie zwischen Mensch und Natur zog. Nach diesem Prinzip wurde die Landschaft geformt und den ästhetischen Vorstellungen des Menschen unterworfen. Die zahlreichen Park- und Gartenanlagen des 17. und 18. Jahrhunderts zeugen von dem akribischen Willen, der Natur das Maßband anzulegen. Naturbeschreibung wurde in der Regel mit geografischen, botanischen oder physischen Belangen in Verbindung gebracht, folgte also einer objektiven, wissenschaftlichen Auseinandersetzung.76 Die Romantik tritt der räumlichen Begrenzung, einseitigen Betrachtung und fortschreitenden Ausbeutung der Natur entgegen und plädiert für eine Rückbesinnung auf das ursprünglich Sinnliche und Schöne in der Natur.77 Begriffe wie Unberührtheit, Wildheit, Erhabenheit und Schönheit beschreiben die ästhetischen Leitkategorien einer romantischen Naturwahrnehmung. Als ästhetisch ansprechend gelten die Rauheit und Unbezähmbarkeit der Elemente. In der scheinbaren Unordnung wird eine den Gesetzmäßigkeiten der Natur folgende Ordnung erkannt und den künstlich erschaffenen Gartenanlagen entgegengestellt. Die Romantiker:innen forderten die Einheit von Mensch und Natur, die nur durch den direkten Kontakt zwischen beiden gelingt. Nochmals zur Erinnerung  : Novalis bezeichnet all das, was in der Entfernung liegt, als Poesie. Räumliche Ferne impliziert Natur in ihrem wilden, intakten Zustand. Die Natur gilt als Ursprung der romantischen Poesie. Damit galt sie auch als schützenswert, denn die fortschreitende Industrialisierung und Urbanisierung beschleunigte ihre allmähliche Verdrängung. Hier setzt die These an, dass Natur und Kultur als Gegenspieler antreten  : Der Mensch erkennt, dass er für diese Verdrängung selbst verantwortlich ist, durch seinen steten Eingriff in die Natur, durch die Nutzung von Ressourcen und die Kultivierung von Lebensraum, die Urbanisierung und einen der Natur abgewandten Lebensstil. Vor 76 Vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, unter »Naturbeschreibung« und »Naturbetrachtung« URL  : https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB&lemma=natur#0, letzter Zugriff  : 01.05.2022. 77 Vgl. Straubinger, Johannes  : Sehnsucht Natur  : Geburt einer Landschaft, Norderstedt 2009, S. 43.

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diesem Hintergrund entwickelte sich ein Bewusstsein für bestimmte Naturräume, die den Kategorien ›schön‹, ›wild‹ und ›erhaben‹ entsprachen. 6.2.2 Natur- und Landschaftsschutz Soweit die theoretische Basis romantischer Naturauffassung, nun zur Anwendung der Grundlagen in der Realität, zur Schreib- und Reisepraxis und der reflektierten Landschaftswahrnehmung. Die Lemmata Natur und Landschaft, als kongeniale Größen oft synonym verwendet, sind im Grunde sehr verschiedene Bedeutungseinheiten. Natur als universale und oft abstrakte Größe meint erstens alles, was das irdische Dasein hervorbringt und verändert (nach Grimm »die schöpfung im activen sinne«)78, dazu zählen Pflanzen und Tiere sowie deren Lebensräume (»die schöpfung im passiven sinne  : die erschaffene welt und deren theile«)79  ; zweitens meint Natur auch einen (Ur-)Zustand, eine ursprüngliche Form, den Instinkt- und Triebeffekt aller Lebewesen. Der Naturbegriff in der Romantik meint etwas Metaphysisches, Ahistorisches, stets Konstantes, nicht Greifbares, welches das Erdenleben bedingt und teilweise spirituelle, ersatzreligiöse Züge annimmt. Ein beliebtes Bild ist auch die Gegenüberstellung von Natur und Kultur in Bezug auf die anthropologische Entwicklung  : Affekt und Trieb sind ureigene Wesensformen des Menschen, künstlich verstellt durch angeeignete Umgangsformen. Folgerichtig werden sinnliche Wahrnehmung und Empfindung von der Romantik als ursprüngliche Fähigkeiten des Menschen gewürdigt. Die Gleichsetzung des Menschen mit der Natur wird symbolträchtig hergestellt, etwa durch den Vergleich mit einem Baum oder einem Flusslauf  : Unabhängigkeit und Echtheit verbinden den Freigeist mit der Natur. Er ist wie das Naturvorbild unverstellt und stet. Die Kategorie Landschaft verweist bereits durch die Bezeichnung auf die Erschaffung, Gestaltung und Veränderung von Natur durch äußere (menschliche) Eingriffe, auf die charakteristische Formung von Landstrichen im Laufe der Zeit. Landschaft besitzt daher einen starken Bezug zu Geschichte und historischen Akteuren:innen, sie wird selbst zur Akteurin und zur historischen Ressource, indem sie kollektive Verhaltensmuster, Mentalitäten und Traditionen festhält (mental maps). Landschaften sind genau fixierte Punkte und als Orte der Erinnerung bedeutsame Träger menschlicher Identität. Wie artikuliert sich das romantische Landschaftsbild und wie wird die Rheinlandschaft von den Akteuren:innen konkret wahrgenommen und in den Dokumenten 78 Deutsches Wörterbuch, unter »Natur«, URL  : https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB&lemma=natur #0, letzter Zugriff  : 01.05.2022. 79 Ebd.

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verarbeitet  ? Welche landschaftlichen Veränderungen werden wahrgenommen und reflektiert  ? Clemens Brentano berichtet im Mai 1806 in einem Brief an seinen Freund Achim von Arnim von folgender Begebenheit  : Vor vierzehntagen bin ich […] zu Fuß nach Worms auf dem Sand wie nach klassischem

Boden gereißt, O Himmel, welche elende Statt, welch elendes Volk, doch elender noch, die es unterjocht, die Sieger von Austerlitz, diesseits des Rheins, Worms gegenüber liegt im darmstädtischen dicht um die Ueberfahrt herum ein Gehölz, von welchem die wenigen lezten ungeheuren Eichen eben gefällt wurden, um den Holländern abgeflözt zu werden, es heist bis auf diese Stund noch der Rosengarten, ich habe umsonst nach Rosen gesucht, um dir ein Blatt zu schicken, sie sind alle mit den Helden gefallen, jetzt stehen Weiden, und niedres Gestrauch um wenige Eichen, die es erlebten, daß ein Jüngling der Helden unter ihrem Dach gedachte, denen es noch keinen Schatten geben konnte.80

Die enge Verbindung zwischen Subjekt und Raum, zwischen Bevölkerung und Heimat wird im Zitat räumlich verdeutlicht. Der Rhein mit der Stadt Worms und den Gebieten jenseits des Rheins, ehemals deutsches Territorium, werden nun also fremdregiert und leiden unter der Besatzung. Die jüngsten Ereignisse geben uns einen Überblick zur politischen Lage, die Brentano anspricht  : Napoleons Sieg über die Alliierten in der Schlacht bei Austerlitz (1805) besiegelte die französische Vorherrschaft in Mitteleuropa sowie den französischen Einfluss in den deutschen Territorien, die sich bald mehrheitlich dem Rheinbund anschließen sollten. Was uns Brentano vor diesem Hintergrund schildert, ist nicht nur die prekäre Situa­ tion der Bevölkerung, sondern auch der Zustand der Umgebung, die sich schlagartig geändert hat. So berichtet er, dass infolge der Besatzung nah gelegene Wälder gerodet wurden, um den Holzbedarf in den zugehörigen Provinzen zu decken. Die kriegerischen Auseinandersetzungen zehren sichtbar an der Landschaft und ihrer Bevölkerung. Nach dem Abbau und der Plünderung aller verfügbaren Ressourcen wird ihnen eine trostlose und kahle Umgebung überlassen. Brentano erkennt, dass der Krieg auch sichtbare Eingriffe in den natürlichen Raum nach sich zieht und sich das ihm vertraute Bild vom Rhein verändert hat. Die üppige Vegetation, Wälder und Pflanzen, Eichen und Rosen sind verschwunden, nur wenige Bäume und niedere Gewächse sind übriggeblieben. Die Symbolhaftigkeit dieser Szene ist offensichtlich und kulminiert im Motiv der Eiche. Diese steht nicht nur für Stärke, Beharrlichkeit und Ausdauer, sondern ist ein beliebtes Motiv der noch jungen deutschen Nationalbewegung, die den Baum als 80 Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 380 f.

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Natur-Heiligtum verehrt und als spezifisch deutsches Motiv gegen die französische Besatzung einsetzt. Das Verschwinden der Eichen wird nun bei Brentano gleichgesetzt mit dem Verschwinden deutscher Militäreinheiten und der Handlungsunfähigkeit des Alten Reiches. Sein Verweis auf den klassischen Boden, den er bei Worms und dem Rosengarten betritt, bildet eine historische Traditionslinie zu den Schauplätzen der Nibelungensage. Der Rosengarten weist obendrein auf die Zerstörung eines sogenannten irdischen Paradieses hin, und versinnbildlicht zusammen mit der Weide die Trauer um die gefallenen Männer. Die Verwüstung der natürlichen Umgebung wird gleichgesetzt mit der Destruktion des Alten Reiches. Brentano nutzt geschickt die Pflanzensymbolik, um erstens seinen Freund über die Situation zu informieren, und zweitens seine politische Meinung indirekt kundzutun. Brentanos Landschaftsbilder sind, ähnlich wie bei Fontanes, von einer vorgefertigten Vorstellung geprägt, die seinem Metier folgend fantastische und realistische Elemente miteinander kombiniert. In seinen Schriften, ganz gleich ob im Brief oder Roman, gerät die beschriebene Rheinlandschaft oft als märchenhafte Kulisse, die sich als stimmungsvolle Abfolge von hügeligen Ebenen, schroffen Felsen, tiefen Schluchten und ausgedehnten Wäldern präsentiert. Es ist eine überhöhte, schöngefärbte Landschaft, eine romantische Gegenwelt zu einer fortschrittlichen Gegenwart, in der sich Land und Landschaften immer mehr verändern. Das Leben der einfachen Leute, die sich als Handwerkende, Bauersleute, Bedienstete, Fischer:innen, Bergleute, Forstleute verdingen, suggeriert einen sorgenfreien Alltag. Diese Personen leben in einer ursprünglichen, ungekünstelten und oft kargen Umgebung, die für Außenstehende fremd und gleichzeitig anziehend wirkt. Denn an solchen Orten präsentiert sich nicht bloß ein einfaches Leben, sondern, so die freudige Ahnung der Romantiker:innen, hier trifft man auch auf eine mysteriöse Welt mit Geister- und Fabelwesen. Undurchdringliche, einsame oder geheimnisvolle Orte wie Wälder, Berge und Haine dienen als Schauplätze für fantastische Geschichten. Neben diesen märchenhaften Zuschreibungen und Umdeutungen von Landschaft ist Brentano auch durch seine eigene Lebensfahrt und Herkunft an den Rhein gebunden. So präsentieren sich seine Märchenlandschaften als Erinnerungsorte einer eigenen sorgenfreien und unbeschwerten Kindheit.81 Er muss die Landschaften gar nicht erfinden, denn sie sind real zugänglich und allgegenwärtig. In seinen Zeilen schwingt nicht nur die Sorge vor dem Verlust der Heimat infolge der Fremdherrschaft mit, sondern auch die Sorge um den Verlust eines immateriellen, geistigen Erbes, die sein Bewusstsein für volkstümliches Erzähl- und Liedgut schärft.82 Der Rhein ist für ihn eine deutsche Kulturlandschaft. Geschichte und Geschichten 81 Vgl. Schultz, Brentanos Landschaften, 1986, S. 52. 82 Vgl. ebd. S. 80.

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legitimieren gleichermaßen den deutschen Anspruch auf die Rheingegend, indem sie signifikante landschaftliche Merkmale beinhalten, »so dass Landschaft und Geografie als Träger einer spezifischen nationalen Identität erscheinen«83. Die Gegend am Rhein präsentiert sich bei Brentano als Landschaft mit dreifacher Bedeutung  : als Sprachlandschaft, Heimatlandschaft und Erinnerungslandschaft. Geschichte, Identität und Tradition prägen sein Bild einer romantischen und erhaltenswerten Rheinlandschaft. Dabei geht es ihm tatsächlich weniger um die Bewahrung natürlicher Ressourcen und Bedingungen, sondern vielmehr um den Erhalt eines gewohnten Landschaftsbildes. Er beansprucht einen räumlichen Status quo  : Wenigstens die gleichbleibende Rheinlandschaft, vertraut aus Kindertagen und der gemeinsamen Reise mit dem Freund, soll ihm erhalten bleiben und eine Lebenskonstanten bilden. Zurückgewandt und traditionsbewusst lesen sich die Aufzeichnungen von Johanna Schopenhauer und auch hier gehen Geschichts- und Naturbewusstsein Hand in Hand  : […] wohin man tritt, ist altdeutscher klassischer Boden. Felsen und Steine, alte Denkmahle und Namen von Gegenden und Ortschaften, alles erinnert an die Geschichte der Niebelungen und einer großen Vorwelt, die jetzt im romantischen Dunkel einzelner Sagen verhüllt liegt. Starr und wild drängen sich die Felsen […] zu einer engen Schlucht zusammen, […] hin und wieder aber erweitert sich das Thal, und wo der Platz es erlaubt, ist auch eine Mühle hingebaut  ; hohe Erlen umgeben das ländliche Gebäude, und der Wiederhall verdoppelt das Rauschen des unwillig über die Räder sich stürzenden Bergstroms. Solcher Mühlen giebt es hier drei, die alle die romantische Schönheit des wilden Felsenthals erhöhen, jede auf besondre Weise und von den andern verschieden. Nächst einem Kloster wüßte ich nichts, das den Reiz einer gebirgigen Gegend mehr erhübe, als eine Mühle mit ihren brausenden Bächen, ihren immer im Schwunge sausenden Rädern, und jetzt, da die Klöster wie ausgenommene Nester dastehen, ist mir eine Mühle fast noch lieber, als ein solches verödetes oder gar zu einer Fabrik umgeschaffenes Kloster.84

Auch hier verknüpft die Reisende Geschichte und Geschichten mit Landschaft, erst durch die Kultivierung der Räume wird die Landschaft schön und romantisch zugleich. Der landschaftliche Reiz entsteht durch eine Kombination natürlicher Bedingungen mit menschlichen Eingriffen. Die Natur scheint steigerungsfähig zu sein, hier durch ein Kloster oder eine Mühle. Die Landschaft wirkt damit nahbarer und zugleich geschichtsträchtig. An diesen Orten wirkten Menschen, erlebten Freud und Leid. Landschaft wird bei Schopenhauer erst durch den Verweis auf menschliche Kultur (nach-)erlebbar. 83 Beaupré, Der Rhein, 2009, S. 145. 84 Schopenhauer, Ausflucht, 1818, S. 106 f.

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Eine Kulturlandschaft definiert sich über das Vorhandensein historischer Elemente, die »den heutigen zeitgenössischen Vorstellungen einer Landnutzung nicht mehr entsprechen«85, aber die Landschaft charakterisieren. Am Rhein waren das die Treidelschiffe, Mühlen, Waschschiffe, aber auch Türme, Burgen, Schlösser und Kapellen, die ihrer ursprünglichen Funktion enthoben waren. Man könnte es auch so formulieren, dass die Existenz der Landschaft aus ihrer historischen Bedeutsamkeit resultiert, zumindest für Schopenhauer. Bauliche Überreste und materielle Relikte einer vergangenen Zeit kennzeichnen ihre Landschaftsbeschreibungen. Auch Schopenhauer betritt wie bereits Arnim klassischen und altdeutschen, also geschichtsträchtigen, Boden und damit einen Erinnerungsort deutscher Kultur schlechthin. Bemerkenswert und gleichzeitig logisch ist, dass bauliche Elemente aus der Vergangenheit erwünscht sind, Fabriken als Anzeiger der Moderne strikt abgelehnt werden. Sie passen nicht in das ästhetische Bild einer romantischen Landschaft und besitzen keinen geschichtlichen Referenzrahmen. Bemerkenswert und aufschlussreich ist, dass Schopenhauer wiederholt, nämlich 1816 und 1828, also im Abstand von etwa zehn Jahren, an den Rhein reiste und sie im Gegensatz zu den anderen Akteuren:innen merkliche Veränderungen nachvollziehen konnte. Das Reiseerlebnis gestaltete sich beim zweiten Aufenthalt nicht nur anders, weil ihre Erwartungen sich an tatsächlichen Rheinreiseerlebnissen orientierten, sondern auch, weil sie die Veränderungen einer Reisekultur am Rhein als kontinuierlichen Prozess und nicht nur Episode erlebte. Auf ihrer zweiten Reise wird ihr bewusst, dass die zunehmende Anzahl von Reisenden die Infrastruktur am Rhein grundlegend verändert hatte, wodurch sich zwar neue mobile Möglichkeiten der Rheinerkundung ergaben, ihr aber die Benutzung vertrauter Praktiken und Transportmittel verwehrt wurde.86 Der bevorstehenden Fahrt mit dem Dampfschiff blickt sie mit Gefühlen der Neugier und Angst entgegen, die durch ihr Vorwissen um zurückliegende Unfälle genährt werden.87

85 Franke, Ulrich  : Landschaft lesen  : Impulse zur Landschaftsästhetik, Naturwahrnehmung und Landschaftsbildbewertung für die norddeutsche Kulturlandschaft, Schwerin 2008, S. 67. 86 So reiste Johanna Schopenhauer nicht mehr mit dem ihr vertrauten Marktschiff, das zwischen Mainz und Köln fuhr, da es nicht nur langsamer, sondern auch »aus der Mode gekommen« und veraltet war. Vgl. Schopenhauer, Ausflug, 1830/1, S. 53. 87 Über die natürlichen Gefahren des Rheins war man sich wohl bewusst, weshalb auch Maßnahmen zur verstärkten Sicherheit der Schifffahrt ergriffen wurden. So konnte man in einem zeitgenössischen Reisehandbuch Folgendes lesen  : »Im vergangenen Jahre 1827 hat das berüchtigte Binger Loch einige Mahle den Dampfschiffen bedeutenden Schaden gethan. Das wird bald aufhören. Denn das Kön. Preußische Ministerium des Innern hat […] beschlossen, sobald als möglich die Felsen, welche den sogenannten Lochstein bilden, sprengen zu lassen, wodurch die Durchfahrt um mehrere Fuß erweitert werden wird. Auch die mehr abwärts nach St. Goar zu liegenden Felsen sollen allmählig gesprengt

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Abb. 11  : Louise Friederike Augusta van Panhuys, Veitsburg am Rhein auf einem Felsen, Deckfarben auf Papier, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen.

Überhaupt scheint die Technisierung des Reisens am und auf dem Rhein Schopenhauer zunächst zu überfordern. Damit geht auch ein verändertes Raum- und Zeitbewusstsein einher, dass die Reisenden zu Gehetzten machte  : »der Gedanke, mit seinen Plänen von der Minute abzuhängen, gibt der Stunde vor der Abfahrt etwas Beängstigendes, Unangenehmes […] und eine Art quälender innerer Ungeduld steigert sich bis beinahe zum Unerträglichen«88. Auch berichtet sie in ihrer zweiten Reise von einer sich ändernden Reisegesellschaft, die den Rhein in sehenswerte und weniger sehenswerte Etappen teilte. Die Rheinreisenden wissen bereits vor Reiseantritt, welche Stationen das typische und emotionale Rheinerlebnis vermitteln. Johanna Schopenhauer schildert das Verhalten der Reisenden an Bord des Dampfschiffes als teilnahmslose Beobachtende, die die vorbeiziehende Landschaft wenn überhaupt nur noch als Staffage wahrnehmen und sich über die wesentlichen Orte und Stationen eher lesend informieren, als deren werden.« In  : Jacob, Georg  : Köln und Bonn mit ihren Umgebungen  : für Fremde und Einheimische  ; aus den besten, und vorzüglich aus noch unbenutzten, Quellen bearbeitet, Köln 1828, S. 204 f. 88 Schopenhauer, Ausflug, 1830/1, S. 56 f.

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Anblick zu genießen.89 Die Rheinreisen haben sich zu einem profitablen Geschäft entwickelt, die Reisekultur ist kommerzialisiert und auf die Bedürfnisse der Reisenden zugeschnitten, die möglichst viele Sehenswürdigkeiten in einem schmalen Zeitfenster bestaunen möchten. Indes lobt Schopenhauer die Möglichkeiten der Fahrt mit dem Dampfschiff, besonders die zahlreichen Unterhaltungs- und Konsummöglichkeiten, welche die Gäste anderweitig amüsieren, denn »vom Anblick der schönen Natur lebt man nicht allein«.90 Nicht der Weg, sondern das Ziel bestimmt nun die Reise, die immer bequemer, aber auch berechenbarer wird. Insgesamt verspricht das Unterwegssein auf dem Dampfschiff neue Landschaftsansichten und ein völlig verändertes Reiseerlebnis  : »Das Anlegen des Dampfschiffes an vielen dazu bestimmten Orten, längs den beiden Ufern des Rheins, bringt Wechsel in die Fahrt und gibt ihr einen neuen Reiz.«91 Auch die einheimische Bevölkerung profitiert von der guten und schnellen Anbindung der Rheinstädte und dem Nutzen des Dampfschiffes, das »ein neuer Geist von Geselligkeit, des freundschaftlichen Verkehrs« begründet.92 Schopenhauers Wahrnehmung des Reiseverhaltens am Rhein ist ambivalent, da sie Neues und Altes gleichermaßen schätzt und sich als Zeugin einer traditionellen Reisekultur erst den Neuerungen einer neuen Reisekultur anpassen muss. Am Rhein trafen unterschiedliche Reisegenerationen und mobile Gewohnheiten aufeinander. Johanna Schopenhauer entschied sich schließlich für das neuartige Rheinerlebnis per Schiff, das die Etappe von Mainz bis Köln in nur 12 Stunden zurücklegte und dabei viel Unterhaltung bot. Ihr Bericht ist ein Reiseführer im modernen Stil, welcher sowohl die Veränderungen der Umgebung als auch die Veränderungen der mobilen Möglichkeiten verarbeitete. Sie wird gewahr, dass sich das Reiseerlebnis innerhalb weniger Jahre entschieden verändert hat. Reiste sie 1816 noch mit einem recht wackligen Boot, das nicht nur unbequem, sondern auch langsam war, vergeht die Reise im Jahr 1828 wie im Flug und das Erlebnis des Mittleren Rheins wird zu einem unter vielen. Der natürliche Raum bietet – bis auf das Binger Loch – kaum noch Hindernisse für menschliches Handeln und Fortkommen. Natürliche Extreme bilden für die Reisenden am Rhein kaum noch Grenzen, sondern werden mittels gezielter Maßnahmen, etwa der Begradigung des Flusses, der Sprengung von Felsen und dem Ausbau der Infrastruktur, umgangen. Bei diesen Mitteln waren vor allem wirtschaftliche und weniger umweltverträgliche Kriterien entscheidend.

89 90 91 92

Vgl. ebd. S. 66 f. Ebd., S. 67. Ebd., S. 71. Ebd., S. 72 f.

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6.2.3 Ressource Wasser Neben diesen Bewertungen landschaftlicher Besonderheiten entgehen unseren Reisen­ den derweil nicht die schleichenden Veränderungen der Landschaft durch den Eingriff des Menschen, die technischen Entwicklungen und Neuerungen. Das Leben der Bevölkerung am Rhein ist vielfältig vom Wasser geprägt  : einmal als Rohstoff und Arbeitsmittel, als Fahrweg für Waren und Personen, und in Form von Überschwemmungen oder Dürren auch als Naturgewalt. Der Rhein war vor allem ein Wirtschaftsfaktor und ist es bis heute geblieben. Da die Ressource Wasser für die Manufakturen und Fabriken, die Veredlung und Bearbeitung von Materialien sowie die Warenproduktion und -beförderung unerlässlich war, entwickelten sich fließende Gewässer zu beliebten Wirtschaftsstandorten, noch dazu, wenn sie wie der Rhein ganzjährig schiffbar waren. Die umfassenden Regulierungsmaßnahmen des Rheins zwischen 1817 und 1866 sollten eine gefahrlose Nutzung der Ressource Wasser garantieren und darüber hinaus neue Gebiete für Städte und Fabriken erschließen. Allerdings wurde die veränderte Dynamik des Flusses zu einem neuen Risikofaktor für Umwelt und Mensch.93 Dass diese Strategie der Eindämmung und Kanalisierung die natürlichen Gegebenheiten beeinträchtigte, nahmen die Reisenden durchaus wahr und bewerteten sie höchst unterschiedlich. So beklagt sich Helmina von Chézy während ihres Aufenthaltes in Holland über »das dürre Sand- und Steppenland«, das »kaum zur Consumption Wasser genug [hat], weit umher wächst nichts als Haidekraut und Gestrüpp. […] das Ergiebigste, was man dem Boden abzwingen kann, ist Gras.«94 Die Natur präsentierte sich an manchen Orten weniger üppig und artenreich, zumeist in agrarisch oder industriell bewirtschafteten Gegenden sowie in der Nähe von Städten. Die bei Chézy besuchte Gegend am Niederrhein war bekannt für ihre intensive Textilherstellung, welche die ursprüngliche Natur zurückgedrängt hatte. Der intensive Wasserverbrauch zeigte an diesen Orten erste Folgen für Mensch und Tier. Chézys Bestandsaufnahme weist außerdem darauf hin, dass die Einschnitte in die Natur nicht nur die lokale Bevölkerung beeinflussen, sondern auch den Durchreisenden auffielen. Hier gestaltete sich die Landschaft anders als am Mittelrhein, war durch die flachen Ebenen anfälliger für Überschwemmungen, welche das gesamte Umland verwüsteten und Straßen unpassierbar machten. So musste Johanna Schopenhauer aufgrund anhaltender Niederschläge und damit einhergehender Überflutungen ihre Reiseroute verändern. Sie beschreibt die 93 Vgl. Prominski, Martin/Stokman, Antje/Zeller, Susanne/Stimberg, Daniel/Voermanek, Hinnerk  : Fluss, Raum, Entwerfen  : Planungsstrategien für urbane Fließgewässer, Basel 2012, S. 28 f. 94 Chézy, Schilderungen vom Rhein, 1814, S. 145 f.

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vorgefundene Rheinlandschaft als karg und öde und den Fluss als einen Unrat befördernden, stinkenden Strom  : Überall fanden wir Spuren der in diesem Frühling fast ganz Deutschland verheerenden Überschwemmungen  ; Felder und Wiesen standen zu beiden Seiten des Weges noch tief unter Wasser […]. Die in Verwesung übergehenden Pflanzen, die neuentstandenen, jetzt allmählich austrocknenden Moräste verpesteten die Luft […]. Bis Oppenheim verfolgte uns der traurige Anblick der Überschwemmungen und die durch sie verdorbene Luft längs den hier flachen, öden Ufern des Rheins.95

Die Auswirkungen verfolgen die Reisenden auf Tritt und Schritt und behindern die Weiterfahrt  : »Unaufhörlich strömender Regen machte die Straßen unwegsam, die Flüsse traten aus ihren Betten und große Überschwemmungen drohten überall dem Reisenden Gefahr.«96 Daneben erfahren auch Tiere die Folgen des Hochwassers  : […] ein Postilion erzählte uns, daß man erst vor wenigen Tagen die letzten Schweine von den Weidenbäumen herunter geholt hatte, auf welchen die lieben Thiere, vom Wasser gehoben, gelandet waren, um dort das Sinken desselben und ihre Rettung mehrere Tage lang mit großen Geschrei abzuwarten.97

Auch wenn diese Anekdote die Reisende mehr zu amüsieren als zu sorgen schien, wurden ihr die immensen Ausmaße des Hochwassers bewusst. Der Rhein zeigte sich von seiner rauen, bedrohlichen Seite, die für Mensch und Tier gleichfalls eine Gefahr darstellt. Stärker als die Unterbrechung ihrer Reise störte Schopenhauer jedoch das Einbüßen eines sinnlichen Erlebnisses, welches durch den sichtbaren Unrat und die verwüsteten Landstriche verwehrt blieb und die Erwartungen an ein harmonisches, schönes und intaktes Landschaftsbild unerfüllt ließ. »Daß sich hinter ästhetischer Kritik mehr verbarg als nur das Naserümpfen eines beleidigten Geschmackssinnes, zeigen im 19. Jahrhundert durch Überschwemmungen angestoßene Überlegungen, ob solche ›hausgemacht‹ seien und die Natur eben zurückschlage.«98 Der technologische Wandel am Rhein war nicht länger nur sichtbar, sondern wurde auch olfaktorisch wahrnehmbar. Es verdichteten sich die Ahnungen, 95 96 97 98

Schopenhauer, Ausflucht, 1818, S. 196, 198. Ebd., S. 3. Ebd., S. 3 f. Vgl. Schmoll, Erinnerung an die Natur, 2004, S. 82.

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dass der begradigte Flusslauf sein gewohntes Schwemmgebiet trotz der Eindämmung regelmäßig aufsuchte und die Abwässer und Fäkalien großräumig verteilte. Auenwälder und Marschland waren industriellen und städtebaulichen Projekten gewichen, die wiederum den Fluss als Abwassersystem nutzten, sodass der Rhein bald »more like a sewer than a Romantic icon« aussah.99 Auch die Geräuschkulisse veränderte sich, indem immer mehr Gäste den Rhein aufsuchten und dies vornehmlich per Dampfschiff und später Eisenbahn. Die originale Klangqualität des Rheins, sein Brausen und Rauschen, die stillen Ufer und Abschnitte, dies alles wich den geräuschvoll überlagernden Begleiterscheinungen des beginnenden Massentourismus. 6.2.3 Ressource Wald »Der deutsche Wald verkörperte spätestens seit dem 18. Jahrhundert nicht nur eine materielle Ressource, sondern auch emotionale Bindung und nationales Selbstverständnis«.100 Der Mythos Wald ist vor allem ein Produkt der Romantik, der sich in der Literatur und Malerei als undurchdringlich, dunkel und geheimnisvoll präsentierte und Kulisse für Märchen und Sagen bildete, aber auch im historischen Kontext zum Ursprungsort und Heiligtum der Germanen (Schlacht im Teutoburger Wald) erhoben wurde. Der Wald präsentierte sich gewissermaßen als Ersatzinstanz für die fehlende Regierungsgewalt, und von nun an verkörperte der Wald die Nation.101 Der Erhalt der deutschen Eiche wurde gleichgesetzt mit dem Erhalt eines deutschen Reiches. Wenn sich auch noch keine politische Einigung abzeichnete, verwirklichte sich der Traum von einer geeinten Nation zumindest in gemeinsamen Kultursymbolen.102 Der Wald verlieh der eigentlich abstrakten Kategorie Nation einen physischen seh- und begehbaren Körper.103  99 Cioc  : The Rhine 2002, S. 176. 100 Schmoll, Erinnerung an die Natur, 2004, S. 69. 101 Vgl. Suter, Robert  : Terror und Territorium  : von politischen Wäldern  ; »Rotes Mansfeld« – »Grünes Herz«  : wissenschaftliche Tagungen (Arnstadt, 10. Juni 2005 – 12. Juni 2005), in  : Ulbricht, Justus H. (Hg.)  : Deutsche Erinnerungslandschaften  : 2. »Rotes Mansfeld« – »Grünes Herz«  ; Protokollband der wissenschaftlichen Tagungen 18.–20. Juni 2004 in Lutherstadt Eisleben und 10.–12. Juni 2005 in Arnstadt, Halle/Saale 2005, S. 197–209, hier S. 207. 102 Vgl. Hürlimann, Annemarie  : Die Eiche, heiliger Baum deutscher Nation, in  : Weyergraf, Bernd (Hg.)  : Waldungen  : die Deutschen und ihr Wald  ; Ausstellung der Akademie der Künste vom 20. September bis 15. November 1987, Berlin 1987, S. 62–68, hier S. 62. 103 Vgl. Zolles, Christian  : Der Wald des Mittelalters  : Konstituierung eines alteritären Kulturraums im 11. bis 13. Jahrhundert, in  : Nies, Martin (Hg.)  : Raumsemiotik  : Räume – Grenzen – Iden­titäten (Schriften zur Kultur- und Mediensemiotik. Online/4, 2018), Flensburg 2019, S. 285– 312, hier S. 288. URL  : https://www.academia.edu/40675184/Raumsemiotik_Räume_-_Grenzen_-

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Die Eiche nahm bei der romantischen Naturverehrung eine Sonderstellung ein, denn sie verkörperte gleichzeitig deutsche Tugenden, die vor allem militärische Ideale assoziierten (Stärke, Treue, Freiheit), sowie das deutsche Volk selbst. Die Baumsymbolik erhielt in der Zeit der Napoleonischen Kriege eine nationalpolitische Komponente, als die Eiche als deutsches Pendant zum französischen Freiheitsbaum zum Garanten staatlicher Souveränität und Beständigkeit wurde.104 Hier zeigt sich, wie widersprüchlich sich die Verehrung der vermeintlich deutschen Eiche gestaltete. Denn eben jene Freiheitsbäume, die kurz nach der Revolution zahlreiche Dorfplätze in Frankreich (und auch in linksrheinischen Gebieten) schmückten und als Symbole einer neuen Ordnung die Freiheit des Bürgertums zum Ausdruck brachten, waren mehrheitlich Eichen.105 Es handelte sich demnach um ein Naturdenkmal französischer oder zumindest mitteleuropäischer Herkunft.106 Der Import des Baumes nach Deutschland zog eine Bedeutungsverschiebung im Sinne einer nationalpolitischen Vereinnahmung mit antifranzösischen Tendenzen nach sich. Der Baum der Französischen Republik wurde zum Baum der Deutschen, ihrer Stand- und Wehrhaftigkeit. Die Übertragung oder Rettung der deutschen Eiche kann als provozierende Erwiderung auf die anmutende fremde Vereinnahmung gewertet werden, als symbolhafter Befreiungsakt von der französischen Besatzung. Freistehende Eichen und gewundene Kränze aus Eichenlaub entwickelten sich folglich zu beliebten Motiven in der bildenden Kunst. Die Eichbaum-Studien von Caspar David Friedrich, in denen alte, knorrige, meist freistehende Eichen zu sehen sind, haben das Bild des typisch deutschen Waldes nachhaltig geprägt. Hier artikulierte sich das Bedürfnis nach mehr Waldesgrün, das allmählich verschwand. Im 18. Jahrhundert existieren in Mitteleuropa kaum noch geschlossene Wälder, denn durch intensiven Kahlschlag und die ausgeprägte Weidenutzung war der Bestand hoher Baumgruppen beträchtlich reduziert. Rodungen wurden notwendig durch den Städtezuwachs und den erhöhten Bedarf der Ressource Holz. Die intensive _Identitäten_Martin_Nies_Hg._SMKS_Online_No.4_2018?email_work_card=view-paper, letzter Zugriff  : 21.03.2022. 104 Vgl. Steuer, Heiko  : Das »völkisch« Germanische in der deutschen Ur- und Frühgeschichtsforschung  : Zeitgeist und Kontinuitäten, in  : Beck, Heinrich/Geuenich, Dieter/Steuer, Heiko/Hakelberg, Heinrich (Hg.)  : Zur Geschichte der Gleichung »germanisch-deutsch«  : Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen, Berlin, New York 2004, S. 357–502, hier S. 411. 105 Vgl. Hürlimann, Die Eiche, 1987, S. 63  ; Möhler, Henrike  : Doppeleichen, in  : Collet, Dominik/Jakubowski-Tiessen, Manfred (Hg.)  : Schauplätze der Umweltgeschichte in Schleswig-Holstein  ; Werkstattbericht (Graduiertenkolleg 1024  : Interdisziplinäre Umweltgeschichte), Göttingen 2013, S. 139–149, hier S. 142 f. 106 Vgl. Lehmann, Albrecht  : Der deutsche Wald, in  : François, Etienne/Schulze, Hagen (Hg.)  : Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 3, München 2009, S. 187–200, hier S. 191.

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Abb. 12  : Jean Barthélemy Pascal, Landschaft mit weißer Hirschkuh, um 1826, Öl auf Holztafel, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen.

Viehwirtschaft in den Wäldern zerstörte den ursprünglichen Unterwuchs und beeinträchtigte das Austreiben von Jungpflanzen. Sogenannte wilde oder gar Ur-Wälder waren schon lange gerodet, dafür entstanden neue Flächen, wie etwa weite Heideflächen, Nieder- und Hudewälder, die größtenteils freistehende Bäume und einzelne Waldlichtungen aufwiesen.107 Der landschaftlichen Umgestaltung ist es zu verdanken, dass sich bestimmte Tier- und Pflanzenarten, wie die Eiche, (erneut) etablierten, denn die Nutztiere wurden nicht mehr in die Wälder, sondern auf umzäunte Weiden 107 Ohnehin sei, so stellt Werner Kunz fest, dass Bild vom deutschen Urwald mehr Mythos als Realität, denn  : »Auf wohl allen Flächen, die für die Besiedlung geeignet waren, hat der postglaziale Mensch irgendwann einmal gesiedelt, wenn auch immer nur kurzfristig. Auf den dann aufgegebenen Flächen kam es zur Wiederbewaldung, aber die dort ursprünglich wachsenden Baumarten waren zunächst einmal beseitigt, und das gab anderen Baumarten […] die Chance, sich rechtzeitig durchzusetzen und die Ursprungsvegetation zu verdrängen.« Die Ausbreitung der Buche führte schließlich dazu, dass heimische Arten, wie etwa die Eiche zunehmend verschwanden. In  : Kunz, Werner  : Artenschutz durch Habitatmanagement  : der Mythos von der unberührten Natur, Weinheim 2017, S. 218 f.

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getrieben.108 Alte Eichbäume waren somit keine ursprünglichen Relikte aus Vorzeiten, sondern Kennzeichen einer vom Menschen erschaffenen Kulturlandschaft. Bestimmte Baumsorten wurden ausgewählt, gepflanzt und wieder gerodet. Die Pflanzenvielfalt war nicht natürlich gewachsen, sondern wurde kultiviert. Das Narrativ der deutschen Eiche hatte schließlich ganz wirklichkeitsbezogene, meist ökonomische Gründe. So wurden auf deutschem Territorium um 1800 überwiegend Eichen kultiviert, weil sich die Baumfrüchte der Eiche gut zur Mast eigneten und das Holz überaus geschätzt war. Das Überangebot an Eichen resultierte also nicht allein auf dem Mythos eines seit dem Altertum existenten Baumbestandes, sondern aus agrarischen Bestrebungen.109 Tatsächlich wurden die meisten neu gepflanzten Eichbäume bereits nach wenigen Jahren gefällt, um sie für die Papierherstellung, als Baustoff oder Brennmaterial weiterzuverwenden.110 Die Aufforstungsbemühungen in den Napoleonischen und Befreiungskriegen waren dann vor allem politisch motiviert, und zwar nicht unbedingt aus einem ökologischen Bewusstsein heraus, um Naturräume zu erhalten  ; sie folgten dem nationalistisch gefärbten Bestreben zum Erhalt eines deutschen Waldes und einer deutschen Heimat (und nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Beweggründen). Als ein vermutlich unbewusster Nebeneffekt blieben durch diese Politik einzelne geschlossene Waldgebiete erhalten – ein Umstand, der den deutschen Wald als Kulturmarke prägte. Wenn Brentano also die Eichen als ursprünglich deutsche Bäume erkennt, dann reiht er sich ein in die allgemeine Überzeugung von der Beständigkeit einer deutschen Kultur, die eine direkte Linie von der Hermannschlacht bis in die Gegenwart zieht, und eine konstante Einheit zwischen den Germanen und ihrem Wald beziehungsweise den Eichen erkennt. Die Rheinlandschaft ist hier Kulturlandschaft, eine durchaus nicht von Menschenhand unberührte Gegend, sondern kultiviert durch bestimmte Pflanzenarten, wie eben die Eiche. Das Vorgehen, historische Vergangenheit mit der Gegenwart gleichzusetzen und dafür eine konstante Natursymbolik zu nutzen, zeigt sich auch bei der Verwendung der Eiche als Motiv in der Baukunst. Als Johanna Schopenhauer den Kölner Dom aufsucht, assoziiert sie mit dem gotischen Gewölbe sofort die entsprechenden Vorbilder aus der Natur  : »Der Gedanke, daß die mächtigen Eichen und Buchen entsprießenden Laubgewölbe der alten Druidenhaine das Vorbild aller gothischen Architektur gewesen, muß an dieser Stätte mit unwiderlegbarer Wahrheit Jeden 108 Vgl. Küster, Hansjörg  : Geschichte des Waldes  : von der Urzeit bis zur Gegenwart, München 1998, S. 182. 109 Vgl. ebd. S. 182. 110 Peter Wohlleben erläutert anhand Caspar David Friedrichs Baummotiven, dass sich die Vorstellung durchgesetzt hat, knorrige alte und freistehende Eichen würden ein reales Abbild urzeitlicher Zustände liefern. Vgl. Wohlleben, Peter  : Der Wald  : eine Entdeckungsreise, München 2013, S. 44.

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ergreifen.«111 Das Dominnere vergleicht sie mit einem Wald, die Säulen gleichen den »kräftigen Stämmen eines uralten Forstes«,112 der sich bis über den Himmel erstreckt. Hier verbinden sich naturreligiöse Elemente mit patriotischen Empfindungen und bestätigen erneut romantische Vorstellungen von der Natur als heilige Stätte. Schopenhauers Vergleich des Doms mit den (Baum-)Heiligtümern von Urvölkern verbindet sich mit dem bereits im Mittelalter entwickelten, um 1800 wieder sehr populären architektonischen Konzept der ›Urhütte‹, bei welchem aufeinander zulaufende und verwachsene Baumkronen vorbildhaft für die markanten Spitzbögen gotischer Bauten standen.113 Eine ähnliche Begebenheit zeigt, dass Bäume eine Landschaft erst stimmungsvoll inszenierten und sich dadurch erst ihre romantische Atmosphäre entfaltete. So berichtet Schopenhauer von ihrem Besuch bei der mutmaßlichen ›Siegfriedquelle‹  :114 Um den obern Weiher schatteten sonst noch uralte mächtige Linden, und verdichteten das heilige gründämmernde Dunkel  ; sie wurden unter allerlei nichtigen Vorwänden vor wenigen Jahren gefällt und werden noch immer schmerzlich beklagt. Dieser Vernichtungsgeist, der die Menschen treibt, auch das Unersetzbare zu zerstören, nur um es anders zu haben, ist eine sehr traurige Erscheinung, der man nur zu oft begegnet.115

Auch hier fallen Bäume, diesmal Linden, dem menschlichen »Vernichtungsgeist« zum Opfer. Das Fehlen dieser Naturdenkmale zerstört vor allem das Bild von einer quasi heiligen Natur- und Kulturstätte, an dessen Ufern der Überlieferung nach Hagen von Tronje den Drachentöter Siegfried erschlug. Dieser originale Schauplatz ist nun durch eine abrupte Umgestaltung nachkommenden Generationen verwehrt und ein echtes Nachempfinden von Geschichte nunmehr unmöglich. Schopenhauers Bericht offenbart nicht nur ihr ehrliches Bedauern über die Zerstörung von kulturstiftender Landschaft, sondern weist auch darauf hin, dass es sich um keinen Einzelfall handelt. Den einzigen Grund für die Rodung sieht sie in dem stumpfen Willen des Menschen nach Veränderung, ohne die langfristigen Folgen zu bedenken. Schopenhauer erkennt in dem Verlust der Bäume vor allem einen Verlust der deutschen Vergangenheit und Identität. Diese Verlustangst liest sich auch als offene Kritik am menschlichen Handeln. 111 Schopenhauer, Ausflug, 1830/1, S. 163. 112 Ebd., S. 163. 113 Vgl. Confurius, Gerrit  : Architektur und Geistesgeschichte  : der intellektuelle Ort der europäischen Baukunst, Bielefeld 2017, S. 121. 114 Auch bekannt als Siegfriedbrunnen, ist im Nibelungenlied jener Ort, an dem Siegfried von Hagen von Tronje ermordet wurde. Lokalisiert wurde der in der Sage nicht näher spezifizierte Brunnen an vielen Stellen im Odenwald, etwa in Amorbach und Odenheim. 115 Schopenhauer, Ausflucht, 1818, S. 125.

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Dass Schopenhauer die Rodung einzelner Bäume überhaupt bemerkt, ist auch auf die Vegetation am Rhein zurückzuführen, die über keine ausgedehnten und artenreichen Waldlandschaften verfügt. Der sein Flussbett ändernde Strom sowie die traditionsreiche Bodennutzung und Landbestellung an seinen Ufern hatten dies seit Jahrhunderten unterbunden. Die Aufmerksamkeit für einzelne, die Landschaft prägende Naturdenkmale ist vor diesem Hintergrund logisch. Trotzdem können auch sie nicht über das Bedürfnis nach mehr Waldesgrün hinwegtrösten  : Nur eines vermisste ich ungern in diesem sonst so reich ausgestatteten Lande, die Pracht der grünen weitschattenden Wälder und einzelner hoch zum Himmel aufragender alter Bäume. Was man hier Wald nennt, ist nur Gebüsch mit wenigen höheren Bäumen untermischt, bei denen man an die majestätischen Eichen, die hohen prächtigen Buchen des nördlichen Deutschlands gar nicht denken mag. Wären die Steinkohlengruben in der weniger von der Natur begabten Nachbarschaft des Niederrheins nicht, man könnte, unerachtet des wärmeren Klimas, hier im Winter aus Mangel an Holz zu erfrieren fürchten  ; doch durch diese ist auch für dieses Bedürfnis […] gesorgt, […], indem die Schifffahrt auf dem Rhein den Transport des nöthigen, an sich sehr wohlfeilen Brennmaterials ungemein erleichtert.116

Das Fehlen ausgedehnter Waldgebiete wird an dieser Stelle nicht nur als landschaftlich-ästhetischer Verlust bewertet, sondern als sozial-ökonomisches Problem. Die Bevölkerung ist abhängig von den natürlichen Ressourcen und lokalen Bedingungen, das notwendige Brennmaterial ist allein über den Rhein als Transportweg verfügbar. Schopenhauer ahnt, dass sich die Rohstoffknappheit zu einem ernsthaften Problem entwickeln könnte. Das enorme Abhängigkeitsverhältnis wird deutlich, mitunter eine harmonische Verbindung zwischen Mensch und Natur angeraten, die sich ihr wiederum in anderer Form der Kultivierung von Natur zeigt  : Das Feldeigenthum des eigentlichen Landmannes, der fast durchgängig vom Weinbau leben muss, ist unglaublich klein, die Früchte, die er gewinnt, reichen meistens nur zum Bedarf seines eigenen Haushaltes hin, deshalb wachsen und blühen die mannichfaltigen Feld- und Gartenfrüchte auf den kleinen Feldern dicht neben einander und gewähren durch diese Mannichfaltigkeit einen unbeschreiblich reizenden Anblick. Auch das kleinste Fleckchen Erde hat hier bedeutenden Werth und muss so gut als möglich benutzt werden  ; Rebengelände, Obstbäume, weitschattende Nußbäume stehen überall zwischen Getreidefeldern und Gemüsegärten, kein urbares Fleckchen bleibt unbebaut […]. So geht es immerfort im ewigen

116 Schopenhauer, Ausflug, 1830/1, S. 99 f.

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Kreislauf. Die allernährende Erde hört nie auf, den Fleiß dieser arbeitsamen Menschen mit ihrem reichsten Segen zu belohnen.117

Selbst die Bevölkerung am Rhein wird hier romantisiert  : diese führt ein bescheidenes, mühevolles aber dennoch zufriedenes Leben und ist in ihrem Herkunftsort tief verwurzelt. Schopenhauers Rolle beschränkt sich auf die der Beobachterin. So registriert sie, dass die ansässigen Menschen das verfügbare Land beständig bewirtschaften müssen. Die Fülle an Obstwiesen, Weinhängen und Gemüsegärten passt sich so selbstverständlich in ihr idyllisches Bild von der Rheinlandschaft ein, dass die Notwendigkeit dieser intensiven Bewirtschaftung nachrangig erscheint. Über die Kehrseite dieses Daseins, die Anstrengungen und Folgen der schweren Körperarbeit, Ernteausfälle und Existenzängste schreibt sie nicht. Stattdessen nimmt sie die Besonderheiten der Rheinlandschaft wahr, etwa den mutmaßlich typischen »Mangel an Hausthieren«, welcher der Gegend »einen ganz eigenen Charakter von Abgeschiedenheit und Stille« beschert.118 Ob sich im Gegensatz zu den domestizierten Rassen andere heimische, wilde Tiere beobachten ließen, lässt sie offen. Insgesamt finden sich in den Berichten wenige bis gar keine Anhaltspunkte zur spezifischen Tier- und Pflanzenvielfalt am Rhein. Dass sich diese um 1815 als artenreich und vielfältig darstellte, beschreibt Marc Cioc in seiner Flussbiografie und berichtet von geradezu paradiesischen Zuständen, wonach »the river was full of islands and braids, its banks a continous corridor of lowland forests and meadows. Its catchment area supported innumerable plant and animal species, its trees a vibrant bird population, its waters a cornucopia of fish”119. Der Artenreichtum wurde durch die zunehmende Gewässerverschmutzung beeinträchtigt, was auch langfristige Auswirkungen auf die Flussfischerei und die lokale Versorgung mit Frischfisch hatte.120 Auf der Suche nach intakten Räumen – also von Fortschritts- und Modernitätsprozessen verschonten Räumen – präsentierte sich der Mittelrhein aus zweierlei Hinsicht als geeignetes Ziel. Zum einen unterstrich die Redundanz von Burgen und anderen historischen Bauwerken die mittelalterliche Atmosphäre, zum anderen fügten sich diese Bauten gemeinsam mit einer ebenmäßigen, scheinbar unberührten Natur in ein romantisches Gesamtbild. Die Sehnsucht nach vergangenen Zuständen beinhaltet demnach auch die landschaftliche Unversehrtheit und das Fortbestehen von Naturräumen am 117 118 119 120

Ebd., S. 98 f. Ebd., S. 102. Cioc, The Rhine, 2002, S. 146. Vgl. Heidenreich, Sybille  : Das ökologische Auge  : Landschaftsmalerei im Spiegel nachhaltiger Entwicklung, Wien (u. a.) 2018, S. 92.

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Rhein. Nur in originalen Kulissen ließen sich schließlich Geschichte und Geschichten hautnah nachempfinden. Diese Bestrebungen sind keinesfalls als Vorboten einer umfassenden Umweltschutzbewegung ab dem späten 20. Jahrhundert zu lesen  ; allerdings beinhalten sie bereits Impulse eines gesteigerten Interesses für die Erhaltung bestimmter Naturräume und definieren Besonderheiten von Kulturlandschaften. Die Reise an den Rhein kam somit immer einer Zeitreise gleich, einer Reise an den historischen Rhein, der sich fernab von modernen Umbrüchen und Verschiebungsprozessen als stabiler Rückzugsort präsentierte. Der Erhalt dieser Räume erschloss sich zudem aus deren identitätsstiftender, politischer Funktion. Der Schutz diverser Landschaften garantierte nämlich auch das Fortbestehen einer deutschen Kultur und eines deutschen Reiches. Übereinstimmend bei nahezu allen Selbstzeugnissen ist, dass Veränderungen oder Einschnitte in der Natur dann registriert und zumeist bedauert wurden, wenn spezifische und als schön definierte Landschaftsmerkmale, wie einzelne Bäume oder Schonungen, verschwanden. Der als romantisch definierte, wilde und ursprüngliche Charakter der Landschaft verringerte sich in dem Maße, wie sie den modernen Entwicklungen angepasst und Landschaften austauschbar wurden. Die Erwartungshaltung der Reisenden war oft eine andere. Diese wünschten sich eine üppige grüne Landschaft, in der Klöster, Burgen und Ruinen als Relikte einer sagenhaften Vorzeit erlaubt waren, nicht aber Bauwerke, die Moderne und Industrialisierung suggerierten, wie Manufakturen oder Fabriken. Auch der Weinbau wurde, obwohl durch den Menschen eingeführt und kultiviert, zum sinnstiftenden Kennzeichen der Gegend erhoben, da er traditionelles Handwerk sowie regionale Brauch- und Festkultur miteinander verband. Anhand dieser Merkmale zeigt sich, dass die Reisenden nach einer bestimmten Vorstellung reisten und beobachteten, dabei aber selbst bestimmten, was romantisch war und was nicht. Über die Fällung einzelner Bäume zeigten sie Unverständnis, die Rodung ganzer Waldflächen akzeptierten sie, wenn sich dadurch eine stimmungsvolle Perspektive, etwa ein besonders eindrucksvolles Panorama oder der Blick ins Tal, eröffnete. Dies wirft die Frage auf, ob die Romantiker:innen zwischen positiven und negativen, richtigen und falschen Eingriffen in die Natur unterschieden  ? Können diese Eingriffe als falsch oder richtig überhaupt nach modernen Maßstäben korrekt gewertet werden  ? Wenn wir die beschriebenen Eingriffe und Veränderungen in der Rheinlandschaft analysieren, können wir uns kaum nach den heute gültigen Kriterien für Naturschutzbestimmungen richten. So wird das Wissen um die Notwendigkeit von einzelnen Baumfällungen zum Artenerhalt ebenso wenig verbreitet gewesen sein wie die möglichen Folgen von übersäuerten Böden und Gewässern für Menschen, Tier- und Pflanzenwelt. Zwar wurde die zunehmende Lärm- und Schmutzbelastung bereits richtig in Zusammenhang mit der Technisierung und Industrialisierung der Lebenswelt gebracht, jedoch viel stärker in Bezug auf die gesundheitlichen Risiken für den Menschen als mit den

Historische Umweltforschung | 247

möglichen Langzeitfolgen für die Natur. Die Romantiker:innen ließen sich von ihrem ästhetischen Verständnis leiten, wenn sie Kupfermühlen, Textil- und Papierfabriken oder Eisenhütten als Schandflecken in der Natur bewerteten, da sie die Ebenmäßigkeit und Vollkommenheit bestimmter Landschaftsbilder unterbrachen. Die Natur war Stimmungsträger und ästhetisches Programm. Mithin wurde ihr Verlust als Verlust für die Kunst und die Literatur gewertet, dem es vorzubeugen galt. In diesem Kontext ist die von manchen Forschungsansätzen vertretene These, dass der Beginn des deutschen Umweltschutzes in der Romantik zu finden ist, durchaus streitbar.121 Tatsächlich präferierten die Romantiker:innen bestimmte Landschaftstypen, die ihren ästhetischen Ansprüchen genüge taten, in der Realität aber keineswegs dem Kriterium einer ursprünglichen, wildern Natur entsprachen, sondern vielmehr Kulturlandschaften waren. Doch sind es nicht gerade unberührte Landschaftsräume, die auch heute noch von Umweltaktivisten und -verbänden als Schutzräume benannt werden  ? Liegt nicht gerade in der Vermischung von Nutzräumen, Kulturlandschaften und wilden Landschaftstexturen die Aktualität und Bedeutsamkeit der Romantik  ? Und wird unser heutiges Naturbewusstsein nicht durch eben jene romantische Vorstellung von Natur nachhaltig geprägt  ? Basiert das moderne Umweltbewusstsein gar auf einem romantischen Naturverständnis  ? Möglicherweise kann die Erschließung von bisher ungenutztem, persönlichem Quellenmaterial für die diskursanalytische Aufarbeitung des Mensch-Natur-Verhältnisses, oder auch der Mensch-Tier-Beziehung neue Lösungsvorschläge bieten und die historische Umweltgeschichte um eine aufschlussreiche Komponente erweitern.122

121 Vgl. Schriewer, Klaus  : Natur und Bewusstsein  : ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Waldes in Deutschland, Münster, New York 2015, S. 7. Siehe dazu auch  : Franke, Naturschutz, 2017. 122 Die Human-Animal Studies sind ein noch relativ junges Forschungsfeld, das primär die Beziehung zwischen Mensch und Tier und verstärkt die Haltung von Tieren erforscht, und zwar mehrheitlich anhand narrativer Texte. Im Kontext der Romantik wurden bislang vor allem Tiergestalten in Märchen als Fabelwesen oder in ihrer sozialkritischen Funktion untersucht. Siehe dazu  : Beardsley, ChristaMaria  : E. T. A. Hoffmanns Tierfiguren im Kontext der Romantik  : die poetisch-ästhetische und die gesellschaftliche Funktion der Tiere bei Hoffmann und in der Romantik, Bonn 1985. Die Einbindung von anderen Gattungen, darunter etwa normative Literatur, Reiseberichte, Zeitschriften, Flugblätter, aber auch Fotografien und Werbebroschüren (etwa von Rassehundeausstellungen) könnte das Themenspektrum von »Tieren im Text« auf »Tiere im Bild« erweitern. Siehe dazu  : Hans-Joachim Jakob  : Tiere im Text  : Hundedarstellungen in der deutschsprachigen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts im Spannungsfeld von ›Human-Animal Studies‹ und Erzählforschung, in  : Textpraxis 8 (1.2014), URL   : http://www.uni-muenster.de/textpraxis/hans-joachim-jakob-tiere-im-text, letzter Zugriff  : 01.05.2022.

7. Der Rhein als politisches Symbol

Wurden die Selbstzeugnisse vom Rhein bisher nach naturästhetischen, umwelthistorischen Kriterien, dem Landschafts- und Raumverständnis sowie der Fremd- und Selbstwahrnehmung der historischen Akteur:innen ausgewertet, wird das folgende Kapitel an diese Bereiche anknüpfen beziehungsweise sie umfassend ergänzen, indem die politisch-­ ideologische Bewertung und Funktionalisierung des Rheins thematisiert wird. Dass die Reisenden mit bestimmten Vorstellungen und Erwartungshaltungen an den Rhein reisten, wurde bereits erläutert, auch dass diese Praxis wiederum an bestimmte Techniken der Aneignung von Landschaft und Raum geknüpft war. Anhand der Raumforschung und Emotionenforschung habe ich bereits festgestellt, dass der Rhein zugleich Stimmungs- und Erinnerungslandschaft darstellte  : Eine geradezu unikale Atmosphäre, erzeugt durch das Ineinandergreifen natürlicher und baulicher Elemente. Es zeigte sich, dass die historischen Akteur:innen ihre Reisen als Erfahrungs- und Erlebnisprozesse narrativ und reflektiert verarbeiteten und dass sie sich dabei selbst inszenierten, um einer Gefühlskultur am Rhein zu entsprechen und wiederum einen Gefühlsraum Rhein zu konzipieren. Der Reisebericht oder auch Erlebnisbericht ist als performativer Akt angelegt, in welchem die Akteur:innen ihr Fühlen, Denken und Handeln erzählerisch inszenieren und den bereisten Raum als Bühne für diese Praktiken nutzen. An diese Vorüberlegungen knüpfe ich nun an, indem ich die Selbstzeugnisse in deren zeithistorischem Kontext lese und auf das Vorhandensein nationalpolitischer Inhalte überprüfe. Dabei werden die einzelnen Berichte auch im Kontext der werkbiografischen Leistung sowie der politischen Überzeugung der Akteur:innen gelesen. Konkret untersuche ich, ob und wie der Rhein in den Selbstzeugnissen als politisches Instrument und nationaler Stimmungsträger wahrgenommen beziehungsweise eingesetzt wurde, um erstens die eigene politische Überzeugung mitzuteilen, zweitens der Erwartungshaltung einer nationalpolitisch geformten Öffentlichkeit und Leserschaft zu genügen und damit drittens, die schriftstellerische Reputation zu intensivieren. Ich stelle die Vermutung auf, dass die Vereinnahmung des Rheins als Symbol für territoriale Machtansprüche und nationalpolitische Forderungen konkrete negative und auch positive Emotionen bündelte.

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7.1 Rheinromantik als politisches Mittel Es hat sich der Eindruck verfestigt, dass der Rhein neben seinen topografischen Besonderheiten vor allem Geschichte mit Geschichten zusammenfasst und daher eine Art begehbares Freiluftmuseum darstellt. Neben den baulichen Relikten der Vergangenheit gewährte eine weitgehend mündliche Erinnerungskultur in Form von Liedern und Erzählungen einen Bezug zur Gegenwart. Lebensraum und -alltag einer mutmaßlich von modernen Entwicklungen verschonten Bevölkerung ließen die Vermutung zu, dass sich hier die Wiege einer deutschen Kultur und mithin deutschen Nation befand. Der Rhein diente als Projektionsraum für unterschiedliche Sehnsüchte. Eine dieser Sehnsüchte formulierte sich auch in Freiheits- und Autonomiebestrebungen, die nicht mehr nur das einzelne Subjekt, sondern die Gemeinschaft umfasste. Die Rheinromantik bündelte den Wunsch nach dieser nationalen Einheit und Selbstbestimmtheit, indem die Selbstverwirklichungsversuche der Romantiker:innen den freiheitlichen Bestrebungen der Zeit entsprachen. Auch wenn die Geschichtsschreibung mit dem Begriff einer politischen Romantik oft hadert, weil sie in den ideologischen Grundlagen der Strömung keine politische Überzeugung liest und – mehr noch – ihre Weltentfremdung und Gesellschaftskritik als realitäts- und politikfern einstuft,1 lassen sich doch zahlreiche Ansatzpunkte nennen, die ein Ineinandergreifen romantischer Ideen und politischer Bestrebungen belegen. So ist das Interesse der Romantiker:innen für das Mittelalter keineswegs als Negativ-Indiz für deren Realitätsflucht oder Rückschrittlichkeit zu bewerten, denn gerade in der Kombination mit jüngeren Ereignissen bewiesen sie, dass dem Rittertum entlehnte Ideale wie Tapferkeit, Loyalität und Ehre auch die Zukunft jüngerer Generationen bestimmten und in Gestalt der preußischen Armee lebendig blieben. Auch abseits imaginärer Wertvorstellungen bezeugte das Vorhandensein herrschaftlicher Residenzen und Bauwerke die einstige Macht und Ausdehnung des Deutschen Reiches. Von der Vorbildwirkung der eigenen Vergangenheit ist auch Friedrich Schlegel überzeugt, der über seine Reise nach Frankreich schreibt  : »Nirgends werden die Erinnerungen an das, was die Deutschen einst waren, und was sie seyn könnten, so wach, als am Rheine«.2 Die Stigmatisierung der Romantik als naiv, idealistisch und vergangenheitsbezogen hat ihr schon oft einen politischen Auftrag abgesprochen. In der Forschung herrscht weitgehend der Konsens, dass sich aus einer rein »literarischen […] eine politische Rheinromantik« entwickelte und die Epoche dementsprechend in zwei 1 2

Siehe dazu  : Schmitt, Carl  : Politische Romantik, Leipzig 1919. Schlegel, Reise nach Frankreich, 1803, S. 15.

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Entwicklungsphasen verlief.3 Diese Einteilung verkennt freilich das politische Engagement zahlreicher Vertreter:innen der Frühromantik sowie deren Anteilnahme und aktive Beteiligung an den postrevolutionären Ereignissen. Trotzdem konstatiert dieses Stufenmodell eine neue Qualität der Rheinromantik, die durch den Konflikt mit Frankreich einsetzt und aktive politische Partizipation durch literarische Produktivität, Meinungslenkung und Massenmobilisierung durch Publikation politischer Schriften auslöst. Bis 1840 fokussierte sich das Bild vom Rhein in Frankreich auf die landschaftlichen Vorzüge. Die Rheinromantik wies kaum politische Tendenzen auf und war stark international ausgerichtet. Dies änderte sich erst mit den aufkommenden nationalpolitischen Debatten und der Zunahme patriotisch gefärbter Poesie.4 Dass der Rhein überhaupt zum Symbol der deutschen Nationalbewegung und des Gründungsmythos der Deutschen wurde, ist ein Ergebnis seiner künstlerischen Verwertung durch die Romantiker:innen. Mehr noch als die Bildkunst hat die Dichtkunst dazu beigetragen, Vorstellungen von Zugehörigkeit und nationaler Identität zu produzieren und abzurufen, weil sich durch den Gebrauch einer eigenen Schriftsprache ein höherer Distinktionsgewinn einstellte und kollektive Vorstellungen bündelte. Der Politikwissenschaftler Benedict Anderson hat in seiner Abhandlung über Imagined Communities festgestellt, dass sich die jeweiligen Schriftsprachen über den Buchmarkt verbreiteten und Lese-Direktive durchsetzten, die neben der sprachlichen vor allem eine imaginäre Einheit herstellten.5 Laut Anderson erzeugte das Bewusstsein des Lesepublikums für die jeweils anderen »Mit-Leser« eine vorgestellte Gemeinschaft (imagined community), woraus sich ein nationales Bewusstsein entwickelte.6 Das Rheinthema steht exemplarisch für Andersons Ansatz, denn ob in Prosa-, Liedoder Gedichtform, im Zeitungsartikel oder Reisebericht  : Der Rhein wird auf dem Buchmarkt als Sinnbild für historische Kontinuität und staatliche Stabilität angepriesen und verbindet über dieses Medium sonst beziehungslose Gruppierungen durch dieselbe Sprache. Gedanklich-abstrakte sowie räumlich fixierte Ereignisse, etwa Blüchers Rheinüberquerung bei Kaub, lancierten zu Anknüpfungspunkten der sich politisierenden literarischen Romantik und erzeugten Vorstellungen von Gemeinschaft, Zugehörigkeit und Identität lange vor der Gründung eines Nationalstaates. Die primären Betätigungsbereiche der Romantiker:innen, nämlich Literatur, Malerei und Musik, ließen sich als öffentlichkeitswirksame Kanäle nutzen, um nationalpolitische 3 4 5 6

Tümmers, Der Rhein, 1999, S. 212. Vgl. Ißler, Europas Strom, 2019, S. 169, 189 ff. Vgl. Anderson, Benedict  : Die Erfindung der Nation  : zur Karriere eines erfolgreichen Konzepts, übers. v. Benedikt Burkard, Frankfurt/Main, New York 1988, S. 51 f. Ebd., S. 51.

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Ideen zu verbreiten und eine einheitliche Meinungslenkung zu betreiben. So erhielt der Rhein im politischen Lied oder Gedicht wahlweise das Prädikat »Lieblingsstrom der Deutschen«7 oder »Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Gränze«8. Im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm wird der Rhein »als grenze gegen Frankreich« und »als gröszter und schönster und echt deutscher flusz« bezeichnet,9 Schlegel kritisiert das permanente Bestehen einer »unnatürlich natürlichen Gränze«.10 Im Adelung-Wörterbuch von 1811 wird der Grenzbegriff beispielhaft am Rhein erklärt  : »Der Rhein war ehedem die Gränze von Deutschland gegen Abend, oder dienete Deutschland zur Gränze, machte die Gränze von Deutschland«.11 Die lexikalische Verwertung der Rheinlinie diente nicht nur der Veranschaulichung und Einprägung des Grenzbegriffs, sondern prägte mit der Akzentuierung auf den Rhein Vorstellungen von Grenzen. Infolge der sprachlichen Vereinnahmung wurde der Rhein – einerseits als Grenzlinie, andererseits als Grenzraum – »zum patriotischen Symbol, ja zu einem Nationalheiligtum stilisiert« und durch die territorialen Ambitionen rasch zu einem Politikum.12 »Auch wenn nationale Gefühle oft schon vor der Gründung eines Nationalstaats bestehen, beginnt seine historische Etablierung und die politische Existenz doch erst mit der Bestimmung seiner geographischen Grenzen.«13 Die natürlich fixierte Grenze Rhein wurde einerseits – in Frankreich – propagiert, andererseits – in Deutschland – angezweifelt. Neben der Geografie dienten auch andere Elemente wie Sprache, Kultur, Politik, Ökonomie, Gesellschaft als Argumente, um Zugehörigkeiten zu erschaffen, Fremdes und Eigenes zu definieren und Grenzen zu legitimieren. In Bezug auf die Selbstzeugnisse eruiere ich die Wahrnehmungen von Grenzen am Rhein, die im Bewusstsein der Akteur:innen bereits bestanden, vor Ort entstanden oder aufgehoben wurden. Zugleich möchte ich auf mögliche Verbindungslinien, Kontaktlinien und Brüche aufmerksam machen, die weniger das Trennende als das Einende fokussierten.14 Die Zuschreibungen und Wahrnehmungen von Eigenem und Fremden

  7 Tümmers, Der Rhein, 1999, S. 214.   8 Arndt, Ernst Moritz  : Schriften für und an seine lieben Deutschen  : zum ersten Mal gesammelt und durch Neues vermehrt, 2 Tle., T. 2, Leipzig 1845, S. 11.   9 Deutsches Wörterbuch, unter »Rhein«, URL   : https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB&lemma= rhein#0, letzter Zugriff  : 01.05.2022. 10 Schlegel, Reise nach Frankreich, 1803, S. 15. 11 Adelung  : Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, F-L, S. 777 f. http:// lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb00009132_2_2_2898, letzter Zugriff  : 07.05.2022. 12 Czarnowski, Die Loreley, 2001, S. 494. 13 Beaupré, Nicolas  : Der Rhein  : ein europäischer Erinnerungsort  ? in  : Buchinger, Kerstin/Gantet, Claire/ Vogel, Jakob (Hg.)  : Europäische Erinnerungsräume, Frankfurt/Main 2009, S. 141–153, hier S. 141. 14 Dafür nutze ich neben den Reiseberichten andere (publizierte) Schriften und Dokumente, welche

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können Rückschlüsse auf die nationale Überzeugung und Denkweise der Berichterstatter:innen sowie ihren Einfluss auf nationale Zuschreibungen am Rhein ermöglichen. 7.2 Grenzerfahrung – Fremderfahrung – Selbsterfahrung Die offenkundige Dominanz des Lexems Grenze beziehungsweise frontière im Kontext der Rhein-Debatte zwischen Frankreich und Deutschland verlangt vorab nach einer semantischen und historischen Erläuterung des Begriffes. Dieser Perspektivwechsel gibt Aufschluss über die jeweiligen Bewertungen und Deutungszuschreibungen des Rheins als Grenze, Identitätssymbol sowie Politikum in der Romantik. Grenzen sind erstens räumlich fixierte Konstrukte. Dabei orientieren sie sich beispielsweise an geografischen Orientierungspunkten wie Gebirgen und Gewässern, also lokalen Raumeinheiten, die eine Be- oder Umgrenzung aufgrund der Zugänglichkeit und geografischen Separation nach sich ziehen. Grenzen sind zum Zweiten imaginäre Konstrukte, also jenseits kartografischer Fixierungen oder haptisch wahrnehmbarer Markierungen in der Vorstellung bestehende Demarkationslinien, die Gemeinschaften vereinen oder voneinander trennen. Der im Deutschen verwendete Begriff Grenze, dem slawischen Wort granica entwendet,15 ist eine seit dem hohen Mittelalter gebräuchliche Umschreibung für eine Trennlinie oder Gebietsumrandung von Raum, im eigentlichen und im übertragenen Sinn. Im Französischen hingegen gibt es diverse Begriffe, die zwischen militärischen Frontlinien (frontière), (natürlichen) Umgrenzungen von Hoheitsgebieten (limite), konkreten von Menschen erschaffenen Orientierungspunkten (borne) oder abstrakten Grenzkonstrukten (confins) unterscheiden.16 Dass sich die frontière in der französischen Argumentation um die Grenzstreitigkeiten am Rhein durchsetzte, erklärt sich aus der eigentlichen Bedeutung einer militärischen Frontlinie, die nach außen hin prohibitiv wirkt. Die Rheingrenze war also aus französischer Sicht eine militärisch-organisierte Grenze beziehungsweise eine Grenzzone  ; aus deutscher Sicht war der Rhein Eigentum des Reiches und die französische Grenzziehung ein Affront gegen die eigene staatliche Souveränität. Unter welchen Bedingungen hat sich diese antagonistische Wahrnehmung des Rheins als Grenze entwickelt  ? zum einen die politische Vereinnahmung des Rheins und die jeweilige Politisierung der Akteur:innen nachzeichnen. 15 Schlögel, Karl  : Grenzen und Grenzerfahrung im alten und neuen Europa, in  : Knefelkamp, Ulrich/ Bosselmann-Cyran, Kristian (Hg.)  : Grenze und Grenzüberschreitung im Mittelalter (Symposium des Mediävistenverbandes 11), Berlin 2007, S. 3–20, hier S. 3. 16 Ausführlicher zur Etymologie  : François/Seifarth/Struck, Einleitung, 2007, S. 18 f.

Grenzerfahrung – Fremderfahrung – Selbsterfahrung | 253

Es scheint, als habe das Konzept der Grenze erst mit dem Aufkommen der Idee des Territorialstaats im 16. und 17. Jahrhundert an Bedeutung gewonnen. Grenzen wurden zunehmend sichtbarer und verstärkt im Kontext verschiedener Aspekte staatlicher Ideologien wahrgenommen und problematisiert.17

Grenzen dienten seitdem als Machtsymbole, demonstrierten staatliche Souveränität, administrative Zuständigkeiten und territoriale Hoheitsansprüche. Im Europa der Neuzeit existierten neben den etablierten Herrscherdynastien mit relativ festen Landesgrenzen unzählige kleine Splitterstaaten und Fürstentümer, wobei mehr noch als die regierende Obrigkeit die Sprachvielfalt, Zollbestimmungen, Zahlungsmittel, Glaubensbekenntnisse u.Ä. die Territorien in der Alltagspraxis voneinander abtrennten und beispielsweise auch die Wahrnehmung der Reisenden bestimmten, sich nun woanders zu befinden und womöglich fremd zu sein. Im Prozess der Nationalstaatenbildung seit dem 19. Jahrhundert besiegelte die territoriale Grenzziehung die staatliche Zugehörigkeit der »umgrenzten« Bevölkerung und garantierte zugleich Ordnung, Stabilität und Sicherheit. Innerhalb dieser Grenze fühlte man sich wahlweise Griechenland, Polen, Italien etc. zugehörig, während alles Außenstehende, also Fremde, als Gefahr für die nationale Selbstbestimmtheit und zuweilen als Feindbild bewertet wurde. Das unmittelbare Angrenzen von zwei oder mehreren Herrschaftsgebieten festigte solche Feindbilder, wobei besonders territoriale Ansprüche Rivalitäten provozierten, etwa im Grenzkonflikt zwischen Frankreich und Deutschland. Kulturelle, konfessionelle oder sprachliche Unterschiede wurden als nationalspezifische Alleinstellungsmerkmale hervorgehoben und dienten als Identitätsschlüssel, um die Existenz einer Gemeinschaft und ihrer räumlichen Ausdehnung zu rechtfertigen. Das nationale Selbstbild ist stark geprägt vom Bild der Anderen, auch hier werden imaginäre Grenzen erschaffen, die Eigenes und Fremdes definieren. Neben den räumlich fixierten, meist an geografischen Fixpunkten festgelegten Grenzen existieren also auch imaginäre Grenzmetaphern (siehe Benedict Anderson). Diese Abgrenzungsformen stellen »kein Realobjekt, sondern ein subjektives und intersubjektives Konstrukt« dar.18 Komplexe imaginäre Grenzformen, die über Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit entscheiden, existieren außerhalb der räumlich markierten oder auch natürlichen Grenzlinien im Bewusstsein der Menschen. Diese können sich jenseits fixierter Grenzen aus der Vorstellungskraft von Individuen und ganzen Gesellschaften heraus entwickeln, 17 Baramova, Maria  : Grenzvorstellungen im Europa der Frühen Neuzeit, in  : Europäische Geschichte, hg. vom Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 03.12.2003, URL  : http://www.ieg-ego.eu/ baramovam-2010-de, letzter Zugriff  : 01.05.2022. 18 Miggelbrink, Judith  : Räume und Regionen der Geographie, in  : Baumgärtner, Ingrid/Klumbies, PaulGerhard/Sick, Franziska (Hg.)  : Raumkonzepte  : disziplinäre Zugänge, Göttingen 2009, S. 71–94, hier S. 72.

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sogenannte mental maps beziehungsweise mental borders. Wie bereits erläutert, entstehen Grenzvorstellungen aus dem kollektiven Bewusstsein von Gruppierungen, also bereits vor der räumlich fixierten Grenzziehung und Etablierung von Nationalstaaten. Wenn wir die verschiedenen Destinationen und Erfahrungsräume untersuchen, steht am Ausgangspunkt zuerst die Frage nach der Herkunft und Intention des Reisepublikums um 1800. Wer reiste zu welchem Zweck wohin und welche Erwartungen knüpften sich an bestimmte Ziele  ? Vor allem Bewohner:innen Nordeuropas, vornehmlich aus England und Deutschland, kultivierten das Reisen in den Süden, wobei sich hier das Interesse für die Fremde mit dem Interesse für die eigene Abstammung verband. In Italien und Griechenland suchte man die Relikte der Antike, während Frankreich als kulturelles Vorbild galt. Zudem bildete Italien und besonders Rom als Sitz des Papstes schon seit dem Mittelalter ein beliebtes Reiseziel für Pilgernde aller sozialen Gruppierungen, die spirituelle Stärkung oder Vergebung ihrer Sünden suchten. Die Italien-Begeisterung im 18. und 19. Jahrhundert ist dem zeitgenössischen Bild von Italien geschuldet, das vor allem dessen Bedeutung als Ursprungsland der abendländischen Kultur positiv herausstellte, vor allem durch Literatur und Malerei. Der Eindruck von einem fremden Land ist nach Gunter E. Grimm »nicht bloß durch individuelle Beobachtungen und Erfahrungen geprägt, er präsentiert sich oft als kontrapunktisches Widerspiel zum eigenen kulturellen und nationalen Selbstverständnis«.19 Mit Blick auf das Reiseverhalten in der Neuzeit und die Wahl der Destinationen könnte man bereits von einem gesamteuropäischen Konzept sprechen, da in der Fremde stets das Einende, Einheitliche gesucht und wiederum durch Andersartiges konterkariert wurde. Ungewohntes mit Gewohntem zu vergleichen, Fremdes auszumachen und mitunter Vertrautes wiederzuerkennen, sind natürliche Reaktionen auf Reisen. Der Blick auf die eigene Herkunft wird geschärft, Eigenes und Charakteristisches wird rekapitu­ liert und erzeugt ein Gefühl der Zugehörigkeit. Es ist kein Zufall, dass sich diese Eindrücke und Vorstellungen in der Hochphase nationalstaatlicher Bestrebungen noch intensivieren, in der sich das Zugehörigkeitsgefühl nun in Nationalbewusstsein und auch Nationalstolz umwandelt. Die natürliche Grenzfunktion des Rheins diente ab der Neuzeit primär der Separation der französischen von den deutschen Einfluss- und Machtgebieten, wobei sich die Grenzlinie infolge von Annexionen und Rückeroberungen immer wieder verschob. (Auch der Flusslauf war regelmäßigen natürlich-bedingten Veränderungen ausgeliefert, die zumindest die unmittelbaren Anrainer bis zur Flussregulierung im 19. Jahrhundert betraf.) Um die Festlegung der Rheingrenze zu rechtfertigen, wurde seine Funktion als natürliche Barriere um eine historische Komponente erweitert, einerseits, um 19 Grimm, Herders Italien-Bild, 2005, S. 152.

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Fremdeinflüsse abzuwehren, und andererseits, um das nationale Selbstbild zu stärken. Die Demarkationslinie Rhein als Resultat der eigenen wechselvollen Geschichte zu lesen, erfolgte an beiden Ufern des Flusses, verstärkt ab der Französischen Revolution und mit dem Wirken Napoleons, der abwechselnd als Befreier und Besatzer auftrat. In der in Frankreich seit der Revolution vorherrschenden Vorstellung einer in alle Himmelsrichtungen abgesicherten Verteidigungslinie bildeten im Westen und Norden der Atlantik, im Süden Mittelmeer und Alpenraum, im Osten der Rhein die frontière naturelle der Republik.20 Diese Vorstellung orientierte sich stark an strategisch-militärischen Zielen und war nunmehr expansiv ausgerichtet.21 Der Rhein bewies anhand einer weit in die Vergangenheit zurückreichenden Ereigniskette seine historisch gewachsene Bestimmung als Grenzfluss. Grenzen mithilfe der Verknüpfung von historischen und geografischen Begebenheiten zu legitimieren, war besonders auf französischer Seite eine Praxis mit langer Tradition22, wobei neben der Abschottung von fremden Hoheitsgebieten die einstige territoriale Ausdehnung Galliens ausschlaggebend war. Auf deutscher Seite liest sich die historische Legitimie­ rung der Grenzen als Reaktion auf diesen antiken Rückgriff. Die Varusschlacht (um 9 n. Chr.) im Teutoburger Wald wird in Anlehnung an die germanische Herkunft des Helden zur Hermannschlacht. Ebenso erschließen sich zukünftige Prozesse aus der Vergangenheit und werden ungeachtet ihres historischen Kontexts miteinander gleichgesetzt. Der Sieg gegen die römischen Invasoren wird so zum Sieg gegen die französische Besatzung, der militärische Erfolg der Etrusker lässt sich geradewegs in die Gegenwart projizieren und als Befreiung Deutschlands durch Preußen gleichstellen. Die Gleichsetzung historischer Ereignisse aus verschiedenen Epochen dient der Konstruktion von kollektiven Identitätsentwürfen und formt dabei das nationale Selbstbild, das sinnstiftende Ereignisse als Schlüsselerlebnisse der eigenen Geschichte immer wieder reproduziert und erinnert. Auch der Anspruch auf den Rhein ließ sich historisch begründen, indem er als Besitztum oder defensive Grenze in der jeweiligen Landesgeschichte aufgearbeitet wurde und räumliche Kontinuitäten erzeugte. Bemerkenswert an der Beziehungsgeschichte zwischen Deutschland und Frankreich ist, dass das Rückgreifen auf historische Ereignisse zur Legitimation nationaler und

20 Vgl. Suckow, Dirk  : Der Rhein als politischer Mythos in Deutschland und Frankreich, in  : Büttner, Ruth/Peltz, Judith (Hg.)  : Mythical landscapes then and now  : the mystification of landscapes in search for national identity, Yerevan 2006, S. 200–215, hier S. 203 f. 21 Vgl. Erbe, Michael  : Herzschlagader oder natürliche Grenze  ? Der Rhein als Nationalsymbol  ; der Fluss als Bestandteil der Beziehungsgeschichte zwischen Deutschen und Franzosen (Der Bürger im Staat, 55, 2000/2 »Der Rhein«), S. 69–75, hier S. 73. 22 Vgl. Suckow, Der Rhein, 2006, S. 204  ; vgl. Beaupré, Der Rhein, 2009, S. 142 f.

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territorialer Ansprüche stets in Rückkopplung mit der jeweils anderen Überzeugung und Landesgeschichte erfolgte.23 In der deutschen Wahrnehmung verdichtete sich die Annahme, dass die Konfrontation zwischen den Ländern historisch gewachsen sei und auch zukünftige Generationen dies- und jenseits des Rheins beschäftigen sollte. So »lehrt die Geschichte, dass der Besitz des Rheins schon seit Jahrhunderten der eigentliche Grund der Kriege zwischen Deutschland und Frankreich war.«24 Die Vorherrschaft am Rhein wird also nicht nur anhand historisch gewachsener Kontinuität begründet, vielmehr wird sie durch emotionale Aufladung zur nationalen Angelegenheit obersten Ranges. Die Gestaltung der aktuellen beziehungsweise zukünftigen Grenzverläufe und Zuweisung von Hoheitsgebieten bilden ab 1840 immer wieder Streitpunkte bei der Durchsetzung nationaler Interessen. Die Rhein-Debatten sind auf beiden Seiten durch eine aggressive und einseitige Rhetorik gekennzeichnet  : Berichte über Erobernde und Unterworfene, Tatbegehende und Opfer, Plünderungen und Befreiungen bestärken Feindbild und Selbstbild, indem lokale Ereignisse überregional gefeiert werden und als Initialerlebnisse der Nationalgeschichte im kollektiven Gedächtnis erhalten bleiben. Diese Anekdoten erzeugen auf beiden Seiten ein jederzeit abrufbares Überlegenheitsgefühl und stärken die nationale Identität. In Form von mündlicher Tradierung, schriftlicher Vervielfältigung, künstlerischer oder auch architektonischer Verarbeitung25 erfährt auch die Bevölkerung in entfernten Regionen eine emotionale Verbindung zum Rhein, der selbst in der Fremde Heimatgefühle evoziert. In Um-Schreibungen von Geschichte dienen »rhetorisch-metaphorische FreundFeind-­Schemata« neben der Verinnerlichung von Fremdem und Eigenem auch einer latenten Mobilmachung und sind daher Mittel der Kriegspropaganda.26 Im Konflikt 23 Vgl. Beaupre, Der Rhein, 2009, S. 142. 24 Demian, Johann Andreas  : Geografisch-statistische Darstellung der deutschen Rheinlande nach dem Bestande vom 1. August 1820, Koblenz 1820, S. 20. 25 So beschreibt Astrid Silvia Schönhagen in ihrem Beitrag über das Wasserschloss Stapel im Münsterland, wie sich die Innenausstattung um 1800 »zum Ort der kulturellen Selbstverortung des Subjekts« (S. 51) entwickelte, beispielhaft an der Tapetenverkleidung im sogenannten Rheinsaal  : Landschaftsmotive und Figurenensemble lösen bei Bewohnern und Besuchern gleichfalls das Gefühl aus, Raum und Zeit zu überwinden. Solche Bildszenen in Wohnräumen trugen dazu bei, kollektive Identitäten und nationale Selbstbilder herzustellen, eben durch das Einlassen eigentlich fremder Welten in die private Welt. Schönhagen eröffnet den interessanten Forschungsansatz, dass die Rheinthematik nach außen Grenzen erschuf und dabei gleichzeitig Grenzen nach innen überwand, indem sie buchstäblich ins Innere, also die Wohnstatt, geholt und erlebbar wurde (S. 64f.). Schönhagen, Räume des Wissens, 2013, URL  : https://www.archimaera.de/2012/grenzwertig/raeumedeswissens/archimaera005_Schoen hagen.pdf, letzter Zugriff  : 01.05.2022. 26 Schmaus, Miriam  : Ein »Greulsystem von Worten«  : zur sprachlichen Ausweitung des Krieges in Heinrich

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zwischen Deutschland und Frankreich blieb diese kämpferische Rhetorik erhalten und setzte politische Akzente auch in der literarischen Rheinromantik. Der Historiker Lucien Febvre meint, dass der Rhein »kein von der Natur fertig hervorgebrachtes, sondern ein vom Menschen geformtes«27 Stück Landschaft ist. Indem jahrhundertelang der Verlauf des Flusses sowie die Ufer geformt, der Strom den diversen ökonomischen und machtpolitischen Interessen angepasst und als Rohstofflieferant, Transportweg und zunehmend auch als Ziel für Urlaubsgäste genutzt wurde, war er vielmehr »ein Gefangener und sogar eine Geisel der Menschen«28. Der Rhein ist ein vom Menschen geformtes Konstrukt und vom Veränderungswillen desselben abhängig. Wenn sich der Rhein als historisch gewachsene Demarkationslinie präsentierte, dann war diese keine natürlich gezogene, sondern eine durch politische und territoriale Bestimmungen, Konflikte und Auseinandersetzungen erzeugte Grenze. Diese entfaltete erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine solche machtpolitische Brisanz und löste eine bislang unbekannte Rivalität zwischen Preußen und Frankreich aus, dass der Rhein als personifizierte Größe auftrat (Vater Rhein, Wacht am Rhein, Germania, Loreley), und seine Existenz nunmehr die eigene nationale Existenz und das Bestehen eines Volkes (Lebensader) legitimierte. Genauso ist Ernst Moritz Arndts hochemotionales Gleichnis zu deuten, wenn er in seinem populären Pamphlet meint, »ohne den Rhein« könne »die teutsche Freiheit nicht bestehen«29. Eine Bewertung des Rheins als Grenze schließt automatisch seine Umkehrfunktion als Transferraum ein, und zwar topografisch und imaginär. Der Rhein war immer schon aufgrund seiner günstigen geografischen Lage ein Handels- und Transportweg, ein Strom des Austausches und Handels  ; durch institutionelle, wirtschaftliche, kulturelle oder auch familiäre Verflechtungen standen die Menschen auf beiden Seiten des Flusses miteinander stets in engem Kontakt. Die Geschichte des Rheins ist nicht-statisch und vom gegenseitigen Austausch seiner Bewohner:innen geprägt. Indem Flüsse ganze Regionen formen und erschließen, erzeugen sie relativ konforme Räume, die wiederum Zugehörigkeiten legitimieren. Dass der Grenz- und Verbindungscharakter des Rheins oft synchron genutzt wurde, ist kein Widerspruch, sondern geradezu folgerichtig bei der Formulierung von Fremd- und Selbstbildern.

von Kleists Hermannsschlacht, in  : Tschopp, Silvia V./Weber, Wolfgang (Hg.)  : Macht und Kommunikation  : Augsburger Studien zur europäischen Kulturgeschichte, Berlin 2012, S. 211–233, hier S. 211. 27 Febvre, Lucien  : Der Rhein und seine Geschichte, hg., übers. u. mit einem Nachwort v. Peter Schöttler, Frankfurt/Main (u. a.) 1995, S. 17. 28 Ebd., S. 12. 29 Arndt, Ernst Moritz  : Der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze, [o. O.] 1814, S. 14.

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Dass neben den geografischen, kartografisch fixierten Grenzen auch die kulturellen Demarkationslinien zwischen Frankreich und Deutschland pseudohistorisch begründet wurden und zum Teil bis in die Antike zurückreichten, erschwerte eine differenzierte und (selbst-)kritische Einschätzung des Rheinkonfliktes bis ins 20. Jahrhundert. ­Febvres Leistung besteht darin, dass er die einseitige Deutung und Verklärung des Rheins durch zwei konkurrierende Nationen durchbrach und neue Interpretationsansätze für eine kooperative gesamteuropäische Geschichte schuf. Die zweiseitige Bewertung des Rheins zeigt sich auch in der terminologischen Verwirrung  : einerseits als Deutschlands Strom und nicht als Grenzfluss, gleichzeitig aber als Grenze zu Frankreich, von französischer Seite wiederum als natürliche Grenze zum deutschen Nachbarland definiert. Die Grenzverschiebungen und -regulierungen, die in Folge von Annexionen und Rückeroberungen zwischen 1792 und 1840 stattfinden, begleiten die Gebietsansprüche auf beiden Seiten und erzeugen neue Konflikte. Wie wird dieser Grenzdiskurs am Rhein, der den Lebensalltag der ansässigen Bevölkerung und bald auch die aktuellen politischen Entwicklungen bestimmt, von durchreisenden Personen wahrgenommen  ? Vorweg der Hinweis  : Mobilität um 1800 bedeutete oft dem Extremen ausgesetzt sein, bildete insofern eine Ausnahme- und Grenzsituation für die meisten Reisenden. Neben den diversen Herrschaftsgrenzen erschwerten die verschiedenen Währungen, Steuern und Zollbestimmungen einen fließenden Reiseverkehr. Daneben stellten die imaginären Grenzen, etwa konfessionelle, mentale, ethnische und sprachliche Diversitäten, spürbare Hindernisse für die Ortsfremden dar. Zudem konnten unwegsames Gelände, Havarien, Überfälle, schlechte Witterung, Krankheiten, u. a. den Reiseverlauf behindern. So sind Reisenden von Vornherein sichtbare und unsichtbare Grenzen auferlegt, die es zu überwinden gilt. Diese Vorbedingungen sollen nicht das oft unerschrockene Vorgehen Reisender verkennen, soziale und natürliche Grenzen zu überwinden. »Reisen bedeutet stets das Überschreiten von Grenzen«,30 indem eine Person den privaten Bereich verlässt und unbekanntes Terrain betritt  ; das Reiseerlebnis erfolgt im eigentlichen sowie im übertragenem Sinn als Erfahrung von neuen Räumen und Personen. Die Reisenden geraten an ihre persönlichen Grenzen, die Reise wird zur eigenen physischen und psychischen Grenzerfahrung, darüber hinaus schärft sie das Bewusstsein für das Selbst sowie für das Andere. Wertvorstellungen, Identitäts- und Denkmuster werden durch das Verlassen 30 Struck, Bernhard  : Vom offenen Raum zum nationalen Territorium  : Wahrnehmung, Erfindung und Historizität von Grenzen in der deutschen Reiseliteratur über Polen und Frankreich um 1800, in  : François, Etienne/Seifarth, Jörg/Struck, Bernhard (Hg.)  : Die Grenze als Raum, Erfahrung und Kon­ struktion  : Deutschland, Frankreich und Polen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, Frankfurt/Main 2007, S. 77–104, hier S. 77.

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des vertrauten Raums und Übertreten von Grenzen überdacht, bestärkt und/oder umgeformt.31 Fremde Einflüsse tragen dazu bei, Eigenes zu überdenken und reflektiert zu beurteilen. »Das Gefühl des Fremdseins und der Fremdheit kann sich auf unterschiedliche Weise materialisieren, zumeist schriftlich in Form von Reisetagebüchern oder gedruckten Reisebeschreibungen«,32 da sie ein reflektiertes und selbstreferentielles Beurteilen von Fremdem und Eigenem zulassen und Anderssein den Daheimgebliebenen näherbringen. Das Medium des Briefes oder Tagebuchs lässt eine Beziehung der Lesenden zum Fremden zu, allein durch das Sichmitteilen der Verfassenden sowie die haptische Präsenz. Die Beziehung zwischen Absender:in und Adressat:in wird nicht nur durch die im Brief oder Tagebuch erzeugte Vertrautheit erzeugt, sondern ist auch materiell nachvollziehbar, quasi als Mittler zwischen hier und da. Die Selbstzeugnisse geben Einblicke in diese Gefühls- und Erfahrungswelten, schildern Begegnungen mit Fremden und das Überdenken und/oder Verinnerlichen von Vertrautem. Die Berichte stehen nie losgelöst, sondern immer im Zusammenhang mit ihren Verfassern:innen und deren Lebensumständen. Fremdes zu erfahren bedeutet immer auch, Grenzen zu erfahren und diese gegebe­ nenfalls zu überwinden  : seien es natürliche, körperliche oder sprachliche Barrieren. Das Gleichsetzen von Grenzerfahrung und Reisepraxis ermöglicht eine Untersuchung der Reiseberichte nach den politischen und identitätsstiftenden Zuschreibungen des Rheins im Hinblick auf seine trennende und vereinende Funktion, die sich zur Zeit der Grenzdebatten um 1800 verdichten. Durchaus berechtigt erscheint in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Rhein in seiner Funktion als Grenzraum überhaupt einer Nation zugerechnet werden kann  ? Welche Argumente und Beweise dienten der Legitimation von Zugehörigkeiten  ? Welche nationalpolitischen Deutungen und Vereinnahmungen spielten sich auf beiden Seiten des Rheins ab und wie wurden sie wechselseitig wahrgenommen  ? Eine abschließende Bewertung der Selbstzeugnisse soll im Kontext des tagespolitischen Geschehens und der jeweiligen politischen Überzeugung der Akteur:innen diese Fragen klären. Die Gegenüberstellung der Reiseberichte soll die Parallelen und Brüche einer national aufgeladenen Rheinromantik aufzeigen, also gleichzeitig kulturelle Verflechtungen, Überschneidungen, aber auch Konfliktpunkte offenlegen. Zugleich soll im Kontext der 31 Dazu ausführlich  : Bödecker, Hans Erich/Bauerkämper, Arnd/Struck, Bernhard  : Einleitung  : Reisen als kulturelle Praxis, in  : Dies. (Hg.)  : Die Welt erfahren  : Reisen als kulturelle Begegnung von 1780 bis heute, Frankfurt/Main, New York 2004, S. 9–30. 32 Riederer, Günter  : Vom Sammeln von Sehenswürdigkeiten  : Harry Graf Kessler und seine Reise um die Welt 1891/92, in  : Freytag, Nils/Petzold, Dominik (Hg.)  : Das »lange« 19. Jahrhundert  : alte Fragen und neue Perspektiven (Münchner Kontaktstudium Geschichte 10), München 2007, S. 165–181, hier S. 165.

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persönlichen und werkbiografischen Entwicklung die Grenzerfahrung Rückschlüsse auf die Eigen- sowie die Fremdwahrnehmung geben. 7.3 Nationalpolitische Zuschreibungen in den Selbstzeugnissen Wie nationalpolitisch ist nun die literarische Rheinromantik und wie äußert sich das Vorhandensein oder auch Nicht-Vorhandensein politischer Überzeugungen und die Meinungslenkung in den Selbstzeugnissen  ? Wie geraten Selbst- und Fremderfahrungen, werden Stereotype bedient oder geschieht die Einschätzung vorurteilsfrei  ? Wie wird das Übertreten von administrativen, sprachlichen, kulturellen oder sozialen Grenzen erlebt, werden Grenzüberschreitungen bewusst vermieden oder gezielt gesucht  ? Welche nationalen Zuschreibungen erhält der Rhein und welche spezielle Rolle spielt die Landschaft am Mittelrhein als Träger einer kulturellen (deutschen) Identität  ? Die vorliegenden Reiseberichte in Tagebuch- und Briefform umfassen einen Zeitraum von etwa drei Jahrzehnten, das älteste Zeugnis entstand um 1802, das jüngste 1827. Die Erwartungen damaliger (wie auch heutiger) Leser:innen fokussieren sich auf eine nationalpolitische Überzeugung und teils auch antifranzösische Rhetorik der Verfasser:innen, die durch die Geschichtsschreibung selbst und eine nach wie vor präsente Erinnerungskultur geprägt ist. Zudem bilden die Befreiungskriege, die Restaurationsbemühungen infolge des Wiener Kongresses und die liberalen Bestrebungen des Vormärz in Deutschland den historischen Rahmen, in dem sich die Akteur:innen bewegten. Die geografische Grenzlage des Rheins lässt die Erwartungen an prodeutsche (propreußische) und antifranzösische Stellungnahmen seitens der Akteur:innen noch steigern. Tatsächlich offenbaren die vorliegenden Selbstzeugnisse kein einheitliches Bild des Rheinkonfliktes, weder nach sprachlichen noch inhaltlichen Aspekten, die beispielsweise die politische Überzeugung oder nationale Zugehörigkeit betreffen. Reisepraxis, Reisemotivation sowie Form der Reiseberichterstattung zeigen gleichfalls Abweichungen. Die Reiserouten und absolvierten Stationen sind überwiegend kongruent, so bildet der Mittelrhein zwischen Köln und Mainz durchweg den Höhepunkt der Aufenthalte, ersichtlich anhand von Umfang und der Bedeutungszuweisung im Gesamtbericht. Abweichungen von der klassischen Route werden eingegangen, wenn die Akteur:innen ihre privaten Interessen mit ihrem schriftstellerischen Auftrag verknüpfen  : So hält sich Helmina von Chézy zum Kuren in Belgien und Holland auf, Wilhelm Müller erweitert seine Route um Neckar und Main, Arnim absolviert anschließend eine Europareise und Johanna Schopenhauer reist bis an die Maas. Diese Abweichungen von der klassischen Route des romantischen Mittelrheintals zeigen, dass der Rhein von

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der Quelle bis an die Mündung als Reiseziel wahrgenommen und erfahren wird, also auch seine Neben- und Zuflüsse, die ein flächendeckendes Stromgebiet umfassen. Die Reisenden beschränken sich in ihren Erlebnissen also nicht nur auf einen abgesteckten engen Raum, sondern erweiterten ihn kontinuierlich, indem sie angrenzende Gebiete aufsuchen. Welche mitunter politischen Motive sie leiten, um ihre Route zu erweitern beziehungsweise zu verändern, wird in den folgenden Abschnitten veranschaulicht. 7.3.1 Arnim und Brentano: Reisen als Mittel der (nationalen) Selbstverortung Die Korrespondenz der beiden Dichterfreunde Arnim und Brentano hält den Aufenthalt am Rhein retrospektiv fest, und zwar in Andeutungen und Erinnerungen an gemeinsam Erlebtes. Eine Bezugnahme auf das Reiseerlebnis erfolgt daher nur in Reminiszenzen, also zeit- und raumversetzt. Neben den Freundschaftsbriefen existieren weitere Korrespondenzen mit anderen Personen (aus dem Familien- und Bekanntenkreis), die zwar größtenteils deskriptive Hinweise zur Rheinreise beinhalten, allerdings auch nicht unmittelbar während, sondern vor oder nach der Reise entstanden. Anhaltspunkte einer Grenz- oder Fremderfahrung können daher nicht vom eigentlichen Reiseerlebnis ausgehend, sondern vom sich anschließenden Briefwechsel und den darauffolgenden reflektierten Erfahrungen festgestellt werden. Überhaupt besitzt die gemeinsame Rheinreise einen postreferentiellen Charakter, gewinnt also im Nachhinein und im schriftlichen Austausch an Bedeutung. Auch gemeinsame Erfahrungen erhalten erst im Rückblick eine emotionale Aufladung und Relevanz, die aus heutiger Sicht die Grundlage der Dichterfreundschaft bilden. Der Abschied auf der Fliegenden Brücke bei Koblenz bildet beispielsweise einen emotionalen Fixpunkt. Spätere Wiedersehen und Trennungen werden stets in Bezug zu diesem Initialerlebnis gesetzt. Die Erfahrung der Fremde (mitunter das Erfahren von anderen Kulturen und Ländern) sowie die Erfahrung des eigenen Ich setzen die Fähigkeit und auch Bereitschaft voraus, Grenzen zu überwinden. Ausgangslage sind die sozialen Umstände, die das Reisen erst ermöglichen  : Arnims und Brentanos Familien bewegten sich in Kreisen, in denen Mobilität und Flexibilität fester Bestandteil einer elitären Wertekultur und Distinktionsmerkmal zugleich war, Reisen bildeten für sie eher die Regel als die Ausnahme. Arnim entstammte einem alten preußischen Adelsgeschlecht, Brentano einer vermögenden Kaufmannsfamilie – Herkunft und Vermögen garantierten ihnen zumindest in jungen Jahren und unter dem Schutz der Familien eine gewisse mobile Flexibilität. Auch Arnims Tour durch Europa war Ausdruck seines adligen Standesbewusstseins. Zudem verlangte ihre auf das Schreiben und Publizieren fokussierte Tätigkeit – neben dem Sammeln von Märchen und Volksliedern für das Wunderhorn-Projekt sind hier auch Tätigkeiten als Herausgeber von Zeitungen zu nennen – eine hohe

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Reisebereitschaft.33 Wolfgang Bunzel schreibt, dass die außergewöhnlich hohe Mobilität und Standortunabhängigkeit der Romantiker:innen »nicht zuletzt eine Folge ihres großenteils unsicheren sozialen Status war«34. Diese Perspektive vermittelt die Diskrepanz des Reisens als Statussymbol einer exklusiven Gruppierung, denn hier wird – anders als erwartet – berufliche und finanzielle Instabilität als Reisemotivation genannt. Dass das Reisen für Arnim und Brentano dennoch ein Privileg ihres Standes darstellt, lässt sich an dem Umstand ablesen, dass sie trotz ihrer mitunter sozial unsicheren Situation mobil blieben. Mobilität verbindet sich in der Regel mit der Hoffnung auf Verbesserung der äußeren Lebensumstände, dies trifft auch für Arnim und Brentano zu. Entgegen der familiären Erwartungshaltung und dem gesellschaftlichen Druck, eine der Familientradition entsprechende oder zumindest respektable Position als Kaufmann, Mediziner, Jurist oder Staatsdiener anzunehmen, entschieden sich beide für eine Laufbahn als Schriftsteller. Die beständigen finanziellen Schwierigkeiten der beiden erzeugten ebenso wie die häuslichen Konflikte und literarischen Projekte eine hohe räumliche Flexibilität und eine unstete, dynamische Lebensweise.35 Die häufigen Orts- und Wohnortwechsel sind zugleich Ausdruck individueller Unsicherheit und Besorgnis ob der politischen Instabilität und stehen nicht selten in Zusammenhang mit privaten Verpflichtungen. Es ist offensichtlich, dass einzelne Ortswechsel nicht immer freiwillig erfolgten  : Fluchtartig anmutende Umsiedlungen und Wohnortwechsel mit und ohne Familie sind anhand der Briefe nachvollziehbar. Die Angst vor Repressalien durch die französische Besatzung, aber auch vor einer möglichen Kontrolle durch die eigenen Zensurbehörden führte zu einer hohen Standortunabhängigkeit und der Bereitschaft, stets mobil zu bleiben. Die epistolarische Kommunikation der beiden untereinander und mit anderen Personen sicherte ihnen trotz Ortswechsel und Entfernung den Kontakt und Austausch von Neuigkeiten  ; darüber ließen sich auch geplante oder abgeschlossene literarische Projekte diskutieren oder »Programmziele der romantischen Bewegung«36 verhandeln. Mobilität und Kommunikation bedingen sich gegenseitig. 33 Besonders die frühen Jahre sind geprägt von Reisen, wobei Arnims Bewegungsradius klar dominiert  : Die gemeinsame Rheinreise ist für ihn nur eine Station auf der für ihn obligatorischen Kavalierstour durch Europa mit Halt u. a. in der Schweiz, Holland, Frankreich, England. Brentano hingegen bleibt in der Heimat und bewegt sich verstärkt im familiären Dreieck Frankfurt–Marburg–Heidelberg, ferner besucht er die Zirkel in Jena und Berlin, auch Prag und Wien zählen zu wichtigen Stationen, später zum Lebensende wohnt er in Regensburg und München. Seine Wohnortwechsel geschehen oft fluchtartig und stehen meist in Zusammenhang mit literarischen Projekten und beruflichen Ämtern. Arnim – nunmehr verheiratet und stets knapp bei Kasse – hält sich meist in Wiepersdorf auf und reist nur gelegentlich zu Freund:innen und Familienmitgliedern nach Berlin. 34 Bunzel, Briefnetzwerke der Romantik, 2013, S. 114. 35 Vgl. Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 2, S. 689. 36 Bunzel, Briefnetzwerke der Romantik, 2013, S. 116.

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Die Mobilität von Arnim und Brentano präsentiert sich als kontinuierliches Bewegen zwischen Räumen, und zwar erstens innerhalb eines Kommunikations- und Familiennetzwerks mit flexiblen, verortbaren Zentren ( Jena, Marburg, Frankfurt, Heidelberg, Berlin, Wiepersdorf, Karlsbad) und zweitens als Übertreten in fiktive Sphären (Überoder Gegenwelt, Traum- und Märchenwelt). Auch die Trennung von Arbeits- und Lebenswelt – wenn denn eine Trennung stattfand – offenbart das dauerhafte Hin- und Herbewegen zwischen Räumen.37 In beiden Welten sind sie sowohl Fremdem und Unbekanntem – also mehr oder weniger Grenzsituationen – als auch Vertrautem und Bekanntem ausgesetzt. Auch ihr künstlerisches Schaffen wird davon bestimmt, dass sie neue Dimensionen erschaffen und konventionelle Raum- und Zeitvorstellungen übergehen, indem sie das Lesepublikum zu einer »höheren Wirklichkeit«38 führen. Die (körperliche und mentale) Entwicklung der Hauptfigur wird meist anhand einer Grenzüberschreitung eingeleitet, und zwar sowohl im übertragenen als auch im eigentlichen Sinne, indem eine Figur eine vorgegebene (gesellschaftliche) Ordnung und einen verortbaren Raum verlässt und etwas Neues erschließt und für sich entdeckt. Romane wie Godwi oder Die Kronenwächter präsentieren sich als reale Fluchtszenarien der Figuren, deren Entwicklung immer auch Metaphern für den Ausbruch des Subjekts aus dem gesellschaftlichen Gefüge und dessen Selbstfindungsprozess ist. Da Arnim und Brentano Fiktion und Realität oft miteinander vermischen und mitunter Autobiografisches in ihre Prosawerke mit einbinden, liegt die Vermutung nahe, dass sie das Überschreiten physischer und imaginärer Grenzen aus der eigenen Erfahrung beziehen und selbstreflektiert wiedergeben. Auch in den Freundschaftsbriefen finden sich Anhaltspunkte über Grenzsituationen, etwa als Bewegung zwischen Räumen oder auch Schwellenbereichen, also zwischen dem Hier und Da, als physisch reale und gedankliche Räume. Eine unmittelbare physische Grenz- und Fremderfahrung auszumachen, ist an den Stellen möglich, wo beide aufgrund von gewollter und ungewollter Mobilität – im Kontext der Geschichte etwa infolge militärischer Auseinandersetzungen und territorialer Umverteilungen – Grenzverschiebungen am eigenen Körper erlebten. Das Erfahren und bewusste Erleben von Grenzen erfolgte unmittelbar während sowie im Anschluss an die Rheinreise 1802, und zwar erneut sowohl im wörtlichen wie auch im übertragenen

37 So verbringt Arnim einen Großteil auf dem Familiengut Wiepersdorf, während seine Frau und die Kinder hauptsächlich in Berlin wohnen. 38 Andermatt, Michael  : »Zwischen beiden Welten als Vermittlerin«  : liminaler Raum bei L. Achim von Arnim, in  : Pape, Walter (Hg.)  : Raumkonfigurationen in der Romantik  : Eisenacher Kolloquium der Int. Arnim-Gesellschaft, Tübingen 2009, S. 193–202, hier S. 194.

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Sinn. Die beiden trafen in Frankfurt aufeinander und reisten stromaufwärts von Bingen über Koblenz nach Rüdesheim, die Reisezeit betrug in etwa vierzehn Tage. Ihre gemeinsame Reise beschränkte sich auf den mittleren und heute allgemein als romantisch titulierten Rheinabschnitt  ; davor und auch danach gingen beide getrennte Wege. Brentano blieb in Rüdesheim, während Arnim mit seinem älteren Bruder Carl weiter stromaufwärts bis nach Schaffhausen reiste. Der Rhein bildete also weiterhin eine Konstante, trotz der räumlichen Trennung. Die für die beiden Brüder obligatorische Bildungsreise nach dem Studium führte sie über die Schweiz, Italien und Frankreich bis nach England, Wales und Schottland. Der Rheinaufenthalt war, im Gesamtkontext und der zeitlichen Spanne von Achim von Arnims Reise betrachtet, nur ein kleiner Zwischenstopp. Zuvor hatte er Dresden, München und Wien besucht, danach folgten Zürich, Paris und London. Seine Reise dauerte zwei Jahre, allein in Paris verbrachte er vier Monate, bevor er in die Heimat zurückkehrte. Während seiner Grand Tour oder Bildungsreise durch Europa passierte er zahlreiche Landesgrenzen, erlebte den Übertritt in andere Länder auch durch den Wechsel der Sprachen sowie die verschiedenen Währungen. Diese äußeren Veränderungen werden in den Briefen an Brentano kaum erwähnt  ; lediglich über die Verkehrsverhältnisse und Reisemodalitäten im Nachbarland äußert er sich lobend. Wichtiger und erwähnenswerter sind ihm seine ganz persönlichen Erfahrungen mit dem Fremden und seine daraus resultierenden Selbstzweifel. Auf der Reise wird Arnim mit dem Fremden in der Weise konfrontiert, dass er Eigenes zu erinnern versucht, um seine Identitätskrise zu überwinden. Anfang des Jahres 1803 schreibt er an Brentano  : Ich lebe die eilenden Augenblicke und kehre ich zurück von meiner Reise, so weiß ich keinen Stein, wo ich mein Haupt lege ich fühle mich fremd in meiner Heimath, ich werde vielleicht zu diesem oder jenem Geschäfte scharf beredet werden, aber ich bin zu starr um mich zu fügen  ; […].39

Arnim spielte bereits seit einiger Zeit mit dem Gedanken, sich der Dichtkunst ernsthaft und auch berufsmäßig zu widmen  ; gewiss war Brentano ein wichtiger Vertrauter beziehungsweise Mitinitiator in dieser Angelegenheit. Arnims Zukunfts- und Existenzängste orientieren sich an den an ihn gerichteten Erwartungen, Amt und Ansehen der Familie durch eine aussichtreiche Position zu erhalten. Der Aufenthalt im Ausland stellte eine willkommene Gelegenheit dar, diesem Einfluss und Erwartungsdruck mittelfristig zu entkommen und eigene Zukunftspläne zu schmieden. Durch

39 Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 87.

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die gemeinsame Leidenschaft für die Poesie ergibt sich eine tiefe Verbundenheit mit dem Freund. So schreibt er weiter  : O Weh ich muß noch einmal zurückdenken an einen traurigen Augenblick meiner Reise ich saß in einem kleinen Orte zwischen Marseille und Avignon am Ofen und sah so ins Feuer, […], da stand im Feuer ein Mägdlein mit Blumen und hielt eine Fahne, und darauf stand deutsch geschrieben Frühling aber keiner verstand sie als ich. […], und sie grüste jeden und nur ich verstand, denn sie war geraubt aus ihrem Vaterlande und in die Hölle versetzet. So bin auch ich von Dir fort, ich bin plat und einfältig und werde gut fertig mit den Leuten, wenn sie mich auch nicht verstehen, und ich mich ihnen auch nicht eröffne.40

Das Dichten und Schreiben fällt dem Reisenden weitab der vertrauten Heimat und des Freundes sichtlich schwer  ; in der Fremde findet er weder emotionalen Halt noch künstlerische Inspiration. Sein Verständnis von Kunst und Literatur ist differenzierter als das vor Ort, wo es »nur eine Poesie [gibt] und das ist die Zerstörung«41. Die nachlassende Qualität der französischen Literatur sieht er in direktem Zusammenhang mit den postrevolutionären Entwicklungen, die »nach dem Hauptknall und Aufbrausen« nunmehr »schal« und »leer«42 sind. Diese inhaltliche und konzeptionelle Leere erkennt er auch in dem wenig schmeichelhaften Befund, dass das Palais Royal in Paris – einst Zentrum politischer Debatten – nunmehr ein Bordell sei.43 Nicht nur das Gebäude als Ausgangsort der Aufstände von 1789 sei entkernt, so Arnim, sondern auch das historische Bewusstsein der Menschen. Seine Bemerkungen über die französische Hauptstadt sind wenig wohlwollend, wenn er gegenüber Brentano bekennt, dass ihm eine ausführliche Beschreibung von Paris »närrisch« erscheine. Die Metropole hindere ihn am Schreiben, sie sei »wie Streusand auf einem Rechenbuche, es verwischt sich nichts aber es kommt auch nichts dazu«.44 Es sei die »langweilige trockene Einerleiheit«45 und »eine geistige Stickluft«46 vor Ort, die ihn und Andere blockiere.47 Er vergleicht den Menschenstrom in den Straßen mit seinem eigenen Gedankenstrom, im dem 40 41 42 43 44 45 46 47

Ebd., S. 88 f. Ebd., S. 89. Ebd., S. 90. Arnims Gedicht beginnt mit den Worten  : »Der Bienenkorb, das Palais Royal«. Vgl. dazu den Kommentar von Hartwig Schultz im Bd. 2 der Freundschaftsbriefe, S. 810. Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 107. Ebd., S. 107. Ebd., S. 107. Tatsächlich zeugen Umfang und Inhalt von Arnims Briefen davon, dass er keineswegs unter einer selbst diagnostizierten Schreibblockade litt  : Seine Berichte sind ausführlich und sehr persönlich, auch übt er sich im Dichten und schickt einige Versuche dem Freund.

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er nichts Konkretes findet. Er gewahrt die Trostlosigkeit der menschlichen Existenz, die auch den urbanen Raum der Moderne kennzeichnet  : Anonymität, Kriminalität, Beengtheit, Lärm. Nicht nur der denkende Geist, sondern auch das körperliche Wohl leiden unter den Umständen, denn »hier ist nichts als Kripe [Krüppel  ?], Huren und Restaurateurs, alles saugt an einem wie Blutigel«48. Arnims Parisaufenthalt nimmt insofern eine Sonderstellung im Briefwechsel ein, als sich darin Anziehungs- und Abstoßungkraft der Stadt abwechseln. Warum hielt es Arnim so lange in der Stadt, obwohl sie ihm offensichtlich missfiel  ? Die Parisreise barg primär Vorteile für die persönliche Entwicklung und die gesellschaftliche Anerkennung und entsprach darüber hinaus dem Zeitgeist  : Die zeitgenössische Reiseliteratur während und nach den revolutionären Ereignissen dokumentiert ein reges Interesse für die politischen Entwicklungen im Nachbarland, in denen sich Anzeichen für ein nicht näher bestimmbares neues Europa konstituierten. Paris, bereits vor der Revolution ein beliebtes Ziel deutscher Reisender, wurde nun zum zentralen Anlaufpunkt für Abenteuersuchende und Sensationsreisende, die sich von den nun stattfindenden Prozessen eine Veränderung ihrer eigenen Lebensumstände erhofften.49 Indem Arnim nach Paris reiste, stellte er sich zum einen in eine lange Traditionsreihe mit Anderen, die den Aufenthalt nutzten, um sich möglichst umfassend zu bilden und mit Persönlichkeiten aus Philosophie, Politik und Kultur in Kontakt zu treten. Unter den zahlreichen Deutschen suchte und fand Arnim Anschluss  : Johann Friedrich Reichardt, Friedrich Schlegel, Gustav von Schlabrendorff (der Einsiedler von Paris) und Helmina von Hastfer (spätere von Chézy) zählen nachweislich zu seinem engeren Bekanntenkreis in Paris. Sodann boten sich hier zahlreiche Gelegenheiten für eine unmittelbare Teilnahme an gesellschaftlichen Diskursen, Streitgesprächen und politischen Versammlungen, von dem reichhaltigen Kulturprogramm der Stadt einmal ganz abgesehen. Die Hauptstadt der Revolution suggerierte ein direktes Erleben von gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, man wurde Zeitzeuge der postrevolutionären Umstrukturierungen, zum staunenden Zuschauenden im Welttheater50. 48 Ebd., S. 107. 49 Vgl. Hammer, Karl  : Deutsche Revolutionsreisende in Paris, in  : Jürgen Voss (Hg.)  : Deutschland und die Französische Revolution  ; 17. Deutsch-französisches Historikerkolloquium des Deutschen Historischen Instituts Paris  ; Bad Homburg 29. September – 2. Oktober 1981  ; (Beihefte der Francia 12), München 1983, S. 26–42, hier S. 26 f., URL  : https://perspectivia.net//publikationen/bdf/voss_deutsch land/hammer_revolutionsreisende, letzter Zugriff  : 01.05.2022. 50 Zum Vergleich des postrevolutionären Paris mit einer Theaterbühne siehe Dedner, Ulrike  : Deutsche Widerspiele der Französischen Revolution  : Reflexionen des Revolutionsmythos im selbstbezüglichen Spiel von Goethe bis Dürrenmatt (Hermaea  : germanistische Forschungen 101), Tübingen 2003  ; auch Ernst Moritz Arndt, Johanna Schopenhauer und Joachim Heinrich Campe beschreiben in ihren Reise­ notizen die Stadt gelegentlich als Schaubühne für politische Dramen.

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Die räumliche Ausdehnung, das kulturelle und das Warenangebot, die Schnelllebigkeit, dazu die Dichte und Vielfalt der Bevölkerung, eingebettet in den zeitgeschichtlichen Kontext, trugen zur Popularität der Stadt bei und erzeugten den neuen »Typus der politischen Revolutionsreise«51. Darüber hinaus barg der Aufenthalt im Ausland vielfältige Annehmlichkeiten für die meist noch jungen Männer, die weitab des elterlichen Hauses ganz persönliche Interessen und Leidenschaften entwickelten und Lebenserfahrungen sammelten. Karl Hammer bestätigt, dass zwischen den strukturellen Veränderungen und den vorwiegend jungen Besuchern:innen ein Zusammenhang besteht, der wohl tatsächlich stärker als das politische Interesse die individuelle Entwicklung betraf  : Wenige Reisende standen in reiferem Alter, verfügten über scharfsinnige, tiefer gehende Urteilskraft. Es fällt auf, daß gerade sie zu dem Zeitpunkt ihrer Reise oft in der Heimat mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, nicht allein wegen ihrer Gesinnungen. Auf Grund ihrer Enttäuschungen waren sie verbittert und schon insofern für das revolutionäre Geschehen besonders aufgeschlossen, außerdem konnte es die eigenen Leidenschaften in Fluß halten.52

Hammer meint, dass sich unter dem Eindruck der Revolution und der nachfolgenden Ereignisse eine Generation in Paris aufhielt, die sich entwurzelt fühlte und aus dieser Wahrnehmung heraus eine Form der Trostgemeinschaft einging  : Fern der Heimat machte sich trotz aller kosmopolitischen Gesinnung ein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl bemerkbar, vielleicht aus sprachlichen Gründen. Einige wollten in ihrer Begeisterung die Schranken ihrer Herkunft vergessen und gleich Franzosen werden. […] Der eine oder andere verbrannte, wie der das Licht suchende Schmetterling an der glühenden Flamme der Freiheit, noch andere lebten in der Zukunft zwischen Adoptivvaterland und Heimat.

Arnim, der erst Jahre nach der Revolution und der Jakobinerherrschaft Pariser Boden betrat, war zwar weit davon entfernt, sich ein neues Vaterland zu suchen, sicher war er aber wie so Viele ein Suchender, der fern der Heimat erstmals ein Bewusstsein für die eigene Persönlichkeit und Profession entwickelte. 51 Erhart, Walter  : Reisen durch das alte Europa  : Ernst Moritz Arndts Reisen durch einen Theil Teutsch­ lands, Ungarns, Italiens und Frankreichs und die Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts, in  : Koch, Arne (Hg.)  : Ernst Moritz Arndt (1769–1860)  : Deutscher Nationalismus – Europa – Transatlantische Perspektiven  ; German Nationalism – European Visions – American Interpretations (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 112), Berlin 2007, S. 149–184, hier S. 161. 52 Hammer, Revolutionsreisende, 1983, S. 40.

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Neben diesen vorwiegend positiven Konnotationen offenbaren Arnims Berichte ein differenziertes, zunehmend befremdliches Bild von Paris, in dem die Kehrseiten der Großstadt unschön durchbrechen. Die geschilderte Einsamkeit und Einöde der urbanen Wirklichkeit konterkariert die Erwartungen an eine aufregende und moderne Stadt. In dem nicht anregend wirkenden Umfeld bleibt er unproduktiv. Verwunderlich, denn die Fülle an Theatervorstellungen, Belustigungen und Konzerten, die fast groteske Anzahl an Spiel- und Freudenhäusern verschafft ihm nicht die Befriedigung, die Andere verspürten. Arnim begegnet der permanenten und für ihn sinnfreien Zerstreuung mit Desinteresse, welches gleichzeitig eine Art Selbstschutz darstellt. Im Alltag wechseln sich lethargischer Dämmerzustand mit hastiger Geschäftigkeit ab. Fast scheint ihn das Überangebot an Versammlungen, Vorlesungen, Konzerten und Bällen zu überfordern, wenn er schreibt  : die Welt ist ein Lazaret von Müdigkeit, der Mensch will nie was er kann und kann selten, was er will, liegt er so hat er nicht die Kraft aufzustehen, und ist er aufgestanden, so kann er nicht wieder zur Ruhe kommen, denn er hat sie der Unruhe hingegeben.53

Arnim greift den zu dieser Zeit sehr beliebten Stadt-Land-Vergleich auf. So r­ eflektiert er die zuvor besuchte Schweiz als idyllisches Gegenbild zum urbanen Raum in einem Brief an Madame de Staël.54 Auch in London, wo er sich seit Juli 1803 aufhält, ergeht es ihm nicht anders  : Der Engel Land sieht grün aus und hat wie meine Schreibtafel einen Ueberfluß an Blättern, ist aber sehr dicht benebelt auf allerley Art, die Wärme drückt, die Kälte schauert, es hat mehr Gesetze als Lust zur Sünde, eine Sprache ohne Ton, ein Gesang ohne Klang, Früchte ohne Süsse […].55

Ähnlich wie zuvor in Paris betreibt Arnim eine scharfe Kulturkritik, wobei er nun in London die Tonlosigkeit der Sprache mit der minderen Qualität der Dichtkunst in Bezug setzt, die »seit Elisabeth stets gesunken« sei. »Daher ist Langeweile und Zeitungsmanie eine natürlige Folge denn diese Zeitungen sind wiederum die einzige lebende 53 Ebd., S. 107 f. 54 Vgl. Götze, Alfred  : Aus dem Briefwechsel der Frau von Staël, Staël (= Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 79, 1969/3), S. 285-288, hier S. 285. 55 Brief vom 19. August 1803 bei London verfasst, Adressat unbekannt, in  : Härtl, Hartmut  : Briefwechsel II, S. 295.

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Poesieen der Engländer.«56 Die wahren »Kronjuwelen«57 angelsächsischer Dichtkunst verortet er derweil nach Schottland, einem zu der Zeit noch eher unbekanntem Flecken Erde, und setzt wieder das Stadt-Land-Gefälle in den Fokus seiner Kritik. Arnims Briefe zeigen, dass sich die Wahrnehmung der Paris-Reisenden verändert hat  : Von der anfänglichen Euphorie und Veränderungskraft der Revolutionsgenera­ tion ist nicht viel geblieben  ; Willkürherrschaft und Unterdrückung der folgenden Jahre haben den revolutionären Leitgedanken und die Hoffnungen Vieler nachhaltig erschüttert. Arnims Sorge gilt nicht zuletzt dem historischen Erbe  : Eine auf stete Veränderung und Beschleunigung getrimmte Gesellschaft vermag sogar die jüngsten Ereignisse der Geschichte zu vergessen. Brentano hingegen ist in der Heimat und mit seinen ganz eigenen Problemen be­schäftigt, speziell mit einer Angelegenheit namens Sophie Mereau.58 Dass sie eine Art Ersatz für den Freund während seiner physischen Abwesenheit darstellt, ist brieflich belegt – obwohl die Differenzen zwischen den beiden eher ungleichen Personen Arnim und Mereau beträchtlich sind. Der briefliche Austausch ist und bleibt die einzige Informationsquelle und Kontaktmöglichkeit zwischen den Freunden, und auch ein geplantes und lang ersehntes Wiedersehen in Paris kommt nicht zustande, obwohl Arnim bereits seine verfügbaren Räumlichkeiten ausgemessen und die Gesamtkosten für den Freund berechnet hat.59 Als Ersatz dient die briefliche Kommunikation. Die Korrespondenz ist in der Zeit nach der gemeinsamen Zeit am Rhein besonders intensiv und wird von Brentano in gewohnt theatralischer Manier als Gegenwelt zur Realität konzipiert. Seine Briefe sind weniger von einer praktischen und vernunftorientierten Denkart des Freundes geprägt als von einem melancholischen Grundton, der von märchenhafter Utopie bis hin zu wahnhafter Verzweiflung reicht. Die real existierenden Raum- und Zeitgrenzen werden aufgehoben  ; Brentano reist zwar nicht nach Paris, denkt sich aber in seinen Briefen zuweilen dorthin. So berichtet er von einem Traum, in dem er sich erneut am Rhein befindet, in Begleitung des Freundes und nunmehr auch der Geliebten Sophie. Brentano erschafft in seinen Briefen eine »phantastisch-ästhetische Gegenwelt«60, die Nähe trotz räumlicher Distanz suggeriert, räumliche Grenzen übertritt und Verbindungen schafft. Zumindest in seinen Traumwelten erreicht er einen für ihn idealen Zustand. 56 Schultz, Freundschaftsbriefe, Bd. 1, 1998, S. 147. 57 Ebd., S. 147. 58 Die schwierige, oft ambivalente Beziehung zu der Schriftstellerin bleibt auch nach der Eheschließung 1803 angespannt und von Schicksalsschlägen geprägt, dazu gehören auch die Fehl- und Totgeburten, die zusätzlich Brentanos Selbstzweifel nährten, da sie seine Unfähigkeit als Familienvater offenbarten. 59 Vgl. Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 109. Brief vom 7. März 1803. 60 Lange, Architekturen der Psyche, 2007, S. 220.

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Brentano besuchte erst in späteren Jahren und unter anderen Lebensumständen die Metropole, erlebte dort folglich keine unmittelbaren postrevolutionären Verhältnisse. Die politischen Bekenntnisse des Freundes bleiben oft unkommentiert. Die Meinungsverschiedenheiten drehen sich meist um literarische Projekte und Familienangelegenheiten, später um Glaubensfragen. Brentanos politische Überzeugung ist wissenschaftlich unzureichend aufgearbeitet und wird zumeist im Kontext seiner aktiven Teilnahme an der Tischgesellschaft und seiner antisemitischen Schriften thematisiert. Auch Fremd- und Grenzerfahrungen werden in diesem historischen Zusammenhang behandelt, die aber in der Regel sein frühes Wirken ausklammern. Die Fremd- und Selbsterfahrung beziehungsweise Wahrnehmung von Fremdem und Eigenem tritt mit der Bekanntschaft Arnims und dem beginnenden Schriftwechsel besonders eindrücklich in den Vordergrund und ist möglicherweise ausschlaggebend für Brentanos Konstitution von imaginären Grenzen. In keinem Projekt kommt die Konstitution solch abstrakter Grenzen, das Betonen von eigenen Werten und Traditionen bei gleichzeitiger Ablehnung fremder Einflüsse so zum Ausdruck wie im Wunderhorn. In den Volksliedern vermuteten die Herausgeber eine echte deutsche Kultur, denn anders als Herder fokussierten sie sich nicht auf die Stimmen der Völker, sondern auf die Stimme eines deutschen Volkes. Vermutlich schufen Brentano und Arnim bereits während ihrer Reise den Grundstein für ihre Sammlung und die Wahrnehmung einer kulturellen Separierung, jedenfalls boten sich hier zahlreiche Eindrücke einer regionalen Alltags- und Festkultur, die sich in den Liedtexten wiederfinden. Spätestens mit der 1805 in einem Brief Brentanos formulierten Idee eines Werkes, das traditionelle und deutsche Volksweisen beinhalten, dabei aber fremde und unpassende Einflüsse ausblenden sollte, konstruiert er eine deutsche Kultur in Abgrenzung nach außen. Was war nun wert, aufgenommen zu werden, und was nicht  ? Welche Einflüsse wurden bewusst als fremd und nichtdeutsch wahrgenommen  ? Der Germanist Armin Schlechter hat die Entstehungsphase und unmittelbare Rezeption der Liedersammlung umfassend analysiert. Obwohl es keinen einheitli­ chen Fahrplan für das Projekt gab, formulierte zumindest Brentano sehr deutlich, »wovon sich das Wunderhorn abgrenzen sollte«61. Zum einen kritisiert er die literarisch-­ künstlerische Qualität ähnlicher Anthologien. So wurde im entscheidenden Brief »vom Februar 1805 […] das platte oft unendlich gemeine Mildheimische Liederbuch angegriffen. Diese überaus verbreitete Sammlung ging auf Rudolf Zacharias Becker 61 Schlechter, Armin  : Des Knaben Wunderhorn  : eine Momentaufnahme des populären Liedes (Ruperto Carola 1/2008), URL  : http://www.uni-heidelberg.de/presse/ruca/ruca08-1/02.html, letzter Zugriff  : 01.05.2022.

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(1752–1822) zurück, der mit Erfolg versucht hatte, die Aufklärung aus den Städten hinaus auf das Land zu tragen. Das Werk symbolisierte für Brentano die unpoetische Moderne in ihrem oberflächlichen Nützlichkeitsstreben.«62 Die geplante Liedersammlung konstituierte sich erstens also als Pendant zu den Kunstliedern einer fortschrittlich orientierten und im urbanen Raum angesiedelten Generation. Der Bruch mit spätaufklärerischen Tendenzen kennzeichnete auch die Themenauswahl der Romantiker:innen, die den Alltag der ländlichen Bevölkerung und das Mittelalter in den Blick nahmen. Zweitens missfallen Brentano die vor allem unter Studierenden weit verbreiteten Trink-, Spott- und Scherzlieder, die teils ordinäre Anspielungen enthalten. »Die Ablehnung der von ihm als lasterhaft und unmoralisch empfundenen studentischen Lebenswelten lässt sich bei Brentano auch biografisch fassen. Nachdem er sich 1797 in Halle zum Studium der Kameralwissenschaften immatrikuliert hatte, berichtete er einem Freund über Hallens Laster«, die sich vorwiegend in Prostitution und Völlerei zeigten. »Halle war zu dieser Zeit die Hochburg der galanten, auf französische Vorbilder zurückgehenden Literatur in Deutschland.«63 Dass sich Brentanos Widerstand nicht nur gegen die eindeutig sexuellen Andeutungen in den galanten Liedern formulierte, sondern vor allem gegen die frankophone Herkunft der Lieder und die Obszönität der Sprache, beweisen seine durchaus »erotisch-frivolen«64 und derben Bemerkungen sowohl in seiner brieflichen Korrespondenz als auch seine Liedvorschläge für die Wunderhorn-Sammlung.65 Nach Brentanos Vorstellung sollte die Auswahl der Sammlung »zwischen dem romantischen und alltäglichen schweben« und »Geistliche, Handwerks, Tagewerks, Tagezeits, Jahrzeits, und Scherzlieder ohne Zote enthalten«66. Daneben bildeten Lebenswelten von sozialen Randgruppen und fahrendem Volk ebenso beliebte Themen wie mittelalterliche Balladen und Motive der Vergänglichkeit und Sterblichkeit – diese entsprachen darüber hinaus der romantischen Programmatik. Die Anthologie war als Zusammenfassung mündlich tradierter Volksweisen und altdeutscher Literatur des 16. Jahrhunderts gedacht und ihre Herausgeber stellten sich damit 62 Ebd. 63 Ebd. 64 Bohrer, Karl Heinz  : Der romantische Brief  : die Entstehung ästhetischer Subjektivität, Frankfurt/Main 1989, S. 165. 65 Der zusätzliche Hinweis, dass Arnim vor der Drucklegung einzelne Textpassagen mit Kraftausdrücken redigierte, zeigt, dass sich Brentano weniger an der Derbheit der Umgangssprache störte als an der Beeinflussung durch fremdländische Begriffe. Während Brentano bereit war, die Dinge beim Namen zu nennen, versuchte Arnim, dem Geschmack der (mehrheitlich akademischen) Leserschaft zu genügen. Ich beziehe mich auf Heinz Rölleke, der beispielhaft auf die Restaurierung des Bettelvoigt-Inhalts eingeht. In  : Rölleke, Des Knaben Wunderhorn, 2014, S. 14 f. 66 Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 263.

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bewusst gegen die »philosophische Pedanterei«67 ihrer Zeit, indem sie auf eine philologisch-kritische Auswahl verzichteten. Dieses relativ freie Konzept ließ Korrekturen der »bessern Volkslieder« als auch »neue hinzugedichtet[e]«68 Eigenkreationen sowie verschiedene Variationen von Dichtungen durchaus zu. Bei den dem Publikum angepriesenen alten deutschen Liedern69 handelt es sich eigentlich um »Kunstlieder ›im Volksliedton‹«70. Die äußeren Umstände des Zusammentragens – der bildungsbürgerliche Hintergrund einzelner Beiträger:innen71 sowie das Kopieren kompletter Vorlagen aus bereits publizierten Liedsammlungen – unterstützen die damals wie heute betriebene Infragestellung der im Volk zusammengetragenen traditionellen Lieder.72 Dass Kompositionen bekannter Dichter:innen und deren Variationen bereits im Volksmund kursierten und durchaus auch aktuelle Lieder rezitiert wurden, entlarvt die im Wunderhorn gepriesene vergangenheitsgewandte Liedtradition des einfachen Volkes als realitätsferne Wunschvorstellung. Wenn zwischen den Herausgebern auch Uneinigkeit herrschte, etwa über die Bearbeitungstendenzen und Neudichtungen, die Auswahl des Liedmaterials, das Vermischen von neuen und alten Melodien und Texten,73 so entpuppte sich doch die Idee 67 Ebd., S. 101. 68 Ebd., S. 263. 69 Der Untertitel der Wunderhorn-Ausgabe bezieht sich auf das Sammelwerk Frische Teutsche Liedlein des Komponisten Georg Forster aus dem 16. Jahrhundert. Diese Bezeichnung ist wohl fälschlicherweise mit dem Volkslied-Begriff gleichgesetzt worden. Vgl.: Schlechter, Arnim  : Ediertes und nicht ediertes Wunderhorn-Material  : zu den Primärquellen von Des Knaben Wunderhorn, in  : Strack, Friedrich (Hg.)  : 200 Jahre Heidelberger Romantik (Heidelberger Jahrbücher 51), Berlin 2008, S. 101–118, hier S. 105. 70 Tumat, Antje  : »In diesem Schein des Bekannten liegt das ganze Geheimniß des Volkstons«  : die Dichtung der Heidelberger Romantik in der Musik, in  : Strack, Friedrich (Hg.)  : 200 Jahre Heidelberger Romantik (Heidelberger Jahrbücher 51), Berlin 2008, S. 161–182, hier S. 163. 71 Arnim berichtet im Brief vom 25. Januar 1808, dass er »zwey Packete […] von Nehrlich und von der Pattberg« erhalten habe (Schultz, Freundschaftsbriefe, Bd. 2, 1998. S. 475). Gemeint sind die zwei wichtigen Wunderhorn-Beiträger Karl Johann Nehrlich (1773–1849) und Auguste Pattberg (1769– 1850), die auf den »Zirkularbrief zur Volksliedsammlung« von 1806, welcher um Zusendungen warb, reagierten. 72 Siehe dazu die zeitgenössischen Rezensionen der ALZ, Jg. 1807, H. 1, No. 42. S. 329 f., sowie im Vorwort der Wunderhorn-Ausgabe von 1806 von J. W. von Goethe. 73 Diese Uneinigkeit ist anhand der Korrespondenz ablesbar  : In den Briefen Anfang des Jahres 1808 wird deutlich, dass Brentano und Arnim unterschiedliche Auffassungen über Auswahl und »Restauration« (Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 104, Bd. 2, S. 486) der Liedtexte vertraten  : Arnim kritisierte bei Brentano »das künstliche Altmachen« der Sprache, die den modernen Lesern:innen unverständlich sei, und die Beibehaltung eines Versrhythmus, der als Melodie nicht weiter auffiele, »aber nun in Schriftsprache gelesen sich zuweilen ganz in Pros[a] auflöst« (Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 101, Bd. 2, S. 477). Brentano hingegen hält dem Freund vor, dass er wahllos und ohne Rücksicht auf gattungsgeschichtliche oder stilistische Formeln Altes mit Neuem vermische, Liedtexte

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»die Poesie des Volkes wieder hervorzubringen«74 als überaus erfolgreich. Dies gelang mit der Auswahl von Liedsujets und Motiven, die den Tages- und Jahresablauf der einfachen, meist ländlichen Bevölkerung bestimmten. In dieser Gruppe vermuten nicht nur die beiden Dichter authentische Überlieferungsträger einer deutschen Liedkultur, die Wiege einer echten und unberührten Volkspoesie. Alles Moderne, Künstliche und Urbane widersprach diesem Konzept, etwa das höfische und bürgerliche Leben – ebenso wie fremdländische (sprachliche und habituelle) Einflüsse. Die Zurückweisung frankophoner Einflüsse ist nicht mit einer allgemeinen Ablehnung Frankreichs gleichzusetzen, zumindest bei Brentano. Sowohl Entstehungszeit als auch Konzeption der Sammlung lassen aber durchaus ein politisch motiviertes Moment erkennen, das von einem intellektuellen bildungsbürgerlichen Milieu und der Heidelberger Romantikgeneration getragen wird. Zumindest Arnim war überzeugt von der »Funktion der Literatur als Tat, sowohl im Hinblick auf die Produktion als auch auf die Rezeption«75, und betrachtete die »alten Lieder« (zu denen auch Kriegslieder gehörten) immer auch als Aufforderung. Das Wunderhorn war materialisierte, physisch greifbare Kultur  : Es legitimierte nicht nur die Existenz einer vergangenen deutschen Liedtradition, sondern auch den Zusammenhalt einer deutschen Nation. Die Liedersammlung war das »Sammelbecken einer einerseits rückwärts gewandten historischen deutschen Liedtradition, andererseits mythisierter noch lebendiger volksläufiger Überlieferung, die ein antimodernistischer Impuls verband«76. Wie das Wunderhorn-Projekt werden auch ein Großteil der Dichtungen und ProsaWerke der beiden Liederbrüder von einem Leitthema bestimmt  : dem Rhein77. Die sagenhafte Landschaft dient als beliebte Kulisse für heldenhafte- und Liebesgeschichten, in denen sich Fischer, Winzer, Schiffer, Bauern, Bischöfe oder Mägde als Referenzpersonen abwechseln, um die Authentizität der Erzählung zu bezeugen. Die märchenhaft

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der Vergangenheit mit neuartigen Formulierungen und Motiven ausstatte, als »wäre Goldne Zeit, die hat keine Vorzeit, und keine Vorurtheile von Kritick« (Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 104, Bd. 2, S. 487). Kritik fürchtet Brentano seitens des Publikums, welche die Eingriffe in historische Texte entlarven könnten wie eine »ganze Pastete (…) aus Gänselebern, die eine Gänsekrankheit hervor gebracht«. (Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 104, Bd. 2, S. 486). Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 101. Pape, Walter  : »Der König erklärt das ganze Volk adlig«  : ›Volksthätigkeit‹, Poesie und Vaterland bei Achim von Arnim 1802–1814, in  : Strack, Friedrich (Hg.)  : 200 Jahre Heidelberger Romantik (Heidelberger Jahrbücher, 51), Berlin 2008, S. 531–549, hier S. 533. Schlechter, Wunderhorn-Material, 2008, S. 117. Dass der Rhein ein bestimmendes Thema in der Liedsammlung einnimmt, bezeugt auch Arnim Schlechters Hinweis darauf, dass »einzelne Wunderhorn-Lieder, darunter Stund ich auf hohen Bergen / Und sah wohl über den Rhein,[…] in bis zu elf verschiedenen Versionen in diesem Material vertreten« sind. Ebd.

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ausstaffierte Rheinlandschaft dient Brentano nicht selten als romantische Gegenwelt zu einer gefühlskalten und strengen Realität, auch im Briefwechsel. Brentanos Rheinlandschaft ist überwiegend ländlich und frei von modernen Einflüssen. Darüber hinaus verbindet er mit dem Rhein Kindheitserinnerungen und erschafft in seinen Werken eine utopische, paradiesisch anmutende Landschaft.78 Dass er hier eine von der ­Realität abweichende Version der Rheinlandschaft gestaltet, steht im Kontrast zu den tatsächlich stattfindenden (ökonomischen und infrastrukturellen) Reformbemühungen in den französisch besetzten Gebieten, die auch das Landschaftsbild verändern  : »[S]telle dir vor, die Franzosen Verkaufen die alten Schlößer am Rhein um ein Lausegeld, Krämer kaufen sie und lassen sie als Baumaterialien abbrechen, das ist unsre Zeit«79. Die Fremdherrschaft bedeutet für Brentano nicht nur den Verlust der heimatlichen Gegend und die sichtbare Demontage von Baudenkmalen, sondern auch den Niedergang einer alten deutschen Geschichte und Tradition, die er mittels einer Rückbesinnung auf Überlieferungen zu bewahren hofft.80 Der Rhein wird als Kulturlandschaft zum Born deutscher Identität. Geschichte und Geschichten legitimieren gleichermaßen den deutschen Anspruch auf die Rheingegend, indem sie signifikante landschaftliche Merkmale beinhalten, »so dass Landschaft und Geografie als Träger einer spezifischen nationalen Identität erscheinen«81. Brentano erkennt in der volkstümlichen Poesie und Lyrik ein Ventil für die tiefsten Sehnsüchte der Menschen. Ihre Hoffnungen werden durch das Medium des Volksliedes artikulierbar. In seinen erst posthum veröffentlichten Rheinmärchen tritt der personifizierte Rhein als Vaterfigur und Beschützer des Volkes auf  : Weiß ich gleich nicht mehr wo hausen, Find ich gleich die Mühle nicht, Seh ich dich doch wieder brausen, Heil’ger Strom im Mondenlicht O willkomm  ! willkomm  ! Willkommen  ! Wer einmal in dir geschwommen, Wer einmal aus dir getrunken, 78 Vgl. Schultz, Brentanos Landschaften, 1986, S. 52. 79 Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 259. 80 Brentano bezieht sich neben den Baudenkmalen am Rhein wohl auch auf das Heidelberger Schloss, welches infolge von Besitzerwechseln und der Verlegung der kurfürstlichen Residenz nach Mannheim als bloßes Materiallager diente. Den Verfall des Bauwerks beendete ausgerechnet ein Edelmann französischer Herkunft, der Kunstsammler Charles de Graimberg (1774–1864), welcher 1810 die Ruine erwarb und sich ihrer Erhaltung widmete. 81 Beaupré, Der Rhein, 2009, S. 145.

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Abb. 13  : C. Kappes, Das Märchen von dem Rhein und dem Müller Radlauf, ohne Jahr, Radierung, ­Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen.

Der ist Vaterlandes trunken. […] Ström’ und Flüß’ hab ich gesehen, Reißend, schleichend durch das Land, Aber keiner weiß zu gehen Herrlich so durchs Vaterland. O willkomm  ! willkomm  ! Willkommen  ! Schild der Starken, Trost der Frommen, Gastherr aller Lebensgeister, Erzmundschenk und Küchenmeister  !82 82 Görres, Die Märchen des Clemens Brentano, 1846, S. 332 f.

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Eine der Hauptfiguren, der Müller Radlauf, berichtet von seiner Heimkehr an die Ufer des Rheins, wo er den Verfall seiner Mühle bemerkt. Trotz des Verlusts seiner ehemaligen Wohn- und Arbeitsstätte erkennt er im heiligen Strom seine eigentliche Heimat. Der Rhein bleibt als konstante Größe und Naturgewalt erhalten, seine Existenz ist scheinbar unendlich. Selbst am Rhein familiär verwurzelt, benutzt Brentano die Figur des Müllers, um seine persönliche Beziehung zum Rhein zum Ausdruck zu bringen. In dem »Gastherr aller Lebensgeister« findet er Hoffnung und Aufmunterung, seelisches sowie körperliches Labsal, der Rhein spendet Kraft und Trost. Auch wenn Arnim und Brentano partiell verschiedene Ambitionen und Erinnerungen mit dem Rhein verbinden, stellt er für beide den Inbegriff von Heimat dar. Neben dem gemeinsamen Reiseerlebnis als Ausgangspunkt der Rheinbegeisterung ist die Funktion des Stromes als Bewahrungsort einer echten und ursprünglichen deutschen Kultur ein weiterer Berührungspunkt. Arnim und Brentano hofften mit ihrer Sammlung und öffentlichen Verbreitung der Volkspoesie, einen Beitrag zur »Nationalerziehung der Deutschen, welche die Zersplitterung des Reichs in der Einheit der Kulturnation überwinden sollte«83, zu leisten. In seinem Aufsatz Von Volksliedern, der in der Wunderhorn-Sammlung als Nachschrift beigefügt ist, erläutert Arnim die Sinnhaftigkeit der Anthologie. Anhand einer Anekdote offenbart Arnim die enorme Anhäufung von kulturellen Überbleibseln am Rhein in Form von Geschichten und Gesängen  : Staunend saß ich da unter den lustigen Zechern im vollen Marktschiffe, sah drei wunderlichen Musikern mit immer neuem Liede zu  ; jeder ihrer Züge eine alte ausgespielte Saite, jeder ihrer Töne ein ausgebissen Trinkglas  ; ewig hin und zurück geht das Schiff, ihre Wiege, ihr Thron […]. Das Wunderbare hat immer einen fremden Übergang  ; der Zauberstab unterscheidet sich erst von einem gewöhnlichen Stabe nur durch die Farbe  ; so mag auch diese Kunst uns nur vorbereiten auf jene höhere am Rheine […].84

Er schätzt die Volkslieder als »höhere Kunst« ein, welche den Klassikern der Belletris­ tik in nichts nachstehen. Die poetisch abstrahierten Vorräte am Rhein reichen bis ins Unermessliche. Die Volksdichtung enthält seiner Auffassung nach Wertvorstellungen und Tugenden, die der Bevölkerung Identitätsmerkmale bieten und die über 83 Nienhaus, Stefan  : Vaterland und engeres Vaterland  : deutscher und preußischer Nationalismus in der Tischgesellschaft, in  : Härtl, Heinz/Schultz, Hartwig (Hg.)  : »Die Erfahrung fremder Länder«  : Beiträge eines Wiepersdorfer Kolloquiums zu Achim und Bettina von Arnim, Berlin, New York 1994, S. 127–151, hier S. 140. 84 Arnim, Ludwig Achim von  : Von Volksliedern, in  : Des Knaben Wunderhorn  : alte deutsche Lieder gesammelt von L. A. von Arnim Clemens Brentano, Bd. 1, Heidelberg 1819, S. 435–474, hier S. 466 f.

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gesellschaftliche und konfessionelle Grenzen hinweg eine kulturelle Einheit suggerieren. Sein Appell ist gleichzeitig ein Seitenhieb auf das Kulturverständnis der gebildeten Stände, die in den Erzeugnissen der darstellenden und bildenden Künste – in Theater, Tanz, Oper, Malerei – die höchste Form von Kultur erkennen, die aber freilich nur eine elitäre Minderheit einschließt. Arnim sieht im Fortschrittsdenken der modernen Zeit das Traditions- und Geschichtsbewusstsein bedroht  : In diesem Wirbelwind des Neuen, in diesem vermeinten urschnellen Paradiesgebären auf Erden waren auch in Frankreich (schon vor der Revolution, die dadurch vielleicht erst möglich wurde), fast alle Volkslieder erloschen, noch jetzt sind sie arm daran, was soll sie an das binden, was ihnen als Volk festdauernd  ? Auch in England werden Volkslieder seltener gesungen  ; auch Italien sinkt in seinem nationalen Volksliede, in der Oper durch Neuerungssucht der leeren Leute  ; selbst in Spanien soll sich manches Lied verlieren und nichts Bedeutendes sich verbreiten. – O mein Gott, wo sind die alten Bäume, unter denen wir noch gestern ruhten, die uralten Zeichen fester Grenzen, was ist damit geschehen, was geschieht  ? Fast vergessen sind sie schon unter dem Volke, schmerzlich stoßen wir uns an ihren Wurzeln. Ist der Scheitel hoher Berge nur einmal ganz abgeholzt, so treibt der Regen die Erde hinunter, es wächst da kein Holz wieder, daß Deutschland nicht so weit verwirthschaftet werde, sey unser Bemühen.85

Arnims Wunsch nach einer Wiedererneuerung der Volksliedtradition liest sich nicht nur als Ablehnung gegen die neue und moderne schöngeistige Kultur, sondern als Aufforderung an alle europäischen Nationen, ihre im Volkslied enthaltenen Traditionen zu bewahren. In der Folge wird der Wunsch, dem Einfluss von außen etwas Eigenes entgegenzusetzen, nun in aggressiv formulierten Postulaten von Schriftstel­ lern:innen wie Ernst Moritz Arndt erweitert, welcher in seinen Beiträgen dazu aufforderte, die französische zugunsten der deutschen Sprache aufzugeben.86 Nun wurde die Dualität zwischen beiden Nationen mit kämpferischer Rhetorik und militantem Eifer betrieben. Dass die Romantiker:innen nicht durchweg nationalistische Forderungen und antifranzösische Ressentiments vertraten, zeigen ihre realpolitischen Ideen und Grundhaltungen, die auch gesamteuropäische Dimensionen einschlossen. Eine profranzösische 85 Ebd., S. 438. 86 Vgl. Gruner, Wolf. D.: Ernst Moritz Arndt – die nationale Frage der Deutschen, in  : Koch, Arne (Hg.)  : Ernst Moritz Arndt (1769–1860)  : Deutscher Nationalismus – Europa – Transatlantische Perspektiven  ; German Nationalism – European Visions – American Interpretations (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 112), Berlin 2007, S. 31–63, hier S. 54.

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und prorevolutionäre Haltung vertritt anfangs auch der spätere Patriot und Frankophobe Ernst Moritz Arndt, der sich während seiner Frankreichreise 1799 noch anerkennend über Land und Bevölkerung äußert.87 Unerschütterlich ist auch die Begeisterung für Napoleon Bonaparte  : Zunächst als »Repräsentant des Fortschritts, des gebildeten Zeitgeists, der Freiheit, der Todfeind des Feudalismus und des Ancien Régime« sowie als »Retter aus dem Chaos« und »Einiger Europas«88 geschätzt, erkennen die Romantiker:innen in ihm eine Heilsfigur der Neuzeit. Sein Auftreten im europäischen Mächtesystem erschien Vielen wie ein Aufbruch in die Moderne, in der sich traditionelle und unzeitgemäße Machtstrukturen scheinbar auflösten. Der Umfang seiner persönlichen Eigenschaften, sein charismatisches und selbstsicheres Auftreten sowie seine Leistungen um eine Durchsetzung des Code Civil sind durchweg positiv konnotiert. Dieses Gesamtbild begründet auch die Euphorie der Rheinbundstaaten und deren loyale Haltung gegenüber der französischen Regierung. Unterdessen regte sich bereits erster Widerstand in den Rheinbundstaaten, die in den institutionellen Repressalien, hohen Steuereinforderungen sowie zunehmenden Militäreinsätzen die Kehrseiten der Fremdherrschaft erkannten. Der Rheinbund wurde nunmehr als das betrachtet, was er de facto seit Beginn an war  : ein Militärbündnis und Protektorat unter französischer Führung.89 Dass sich die Rheinbundstaaten 1793 noch mehrheitlich für eine französische Herrschaft entschieden hatten, dass sie von den Reformen des Zivilrechts, den Optimierungen der Infrastruktur und dem Ausbau der Industrie profitierten – ja, sich durch diesen Modernisierungsschub von den übrigen deutschen Territorien entschieden abhoben, geriet allmählich in Vergessenheit. Vor allem in den Gelehrtenkreisen, unter Literaturschaffenden und Publizierenden, regte sich Widerstand, denn diese fühlten sich durch die Zensur in besonderem Maße eingeengt. Die Bevölkerung forderte mehr politische Teilhabe durch Aufklärung, die die gleichgeschaltete Presse nicht mehr liefern konnte – und zwar sowohl in den Rheinbundstaaten als auch nach deren Auflösung in Preußen. So bittet Arnim in einem Brief im November 1813 seinen Freund, ihm »nur keine satyrische Sarkasmen« zukommen zu lassen, »denn Satyre kann mein Censor […] gar nicht vertragen und er streicht barbarische Kreutze, daß oft meine besten Gedanken an dies Kreutz geschlagen untergehen«90. Als Redakteur des Preußischen Correspondenten realisierte Arnim bald, dass das Pressewesen für die Staatsmacht lediglich ein Instrument der politischen 87 Vgl. Erhart, Reisen durch das alte Europa, 2007, hier S. 151. 88 Nipperdey, Thomas  : Deutsche Geschichte, 3 Bde., Bd. 1  : 1800–1866  : Bürgerwelt und starker Staat, München 1994, S. 28. 89 Vgl. ebd. S. 19. 90 Schultz, Freundschaftsbriefe,1998, Bd. 2, S. 689.

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Gleichschaltung und Mobilisierung darstellte, welches nach erfolgreichem Einsatz rasch reglementiert wurde, da man das selbstbestimmte Handeln der Beitragenden und Herausgebenden als Gefahr einstufte (so auch den Rheinischen Merkur von Görres).91 In Arnims und Brentanos Äußerungen schwingen Sorge und Gewissheit der romantischen Bewegung mit, dass das neue Zeitempfinden in der modernen Gesellschaft Unsicherheiten auslöste. Als besonders einschneidend wird die Französische Revolution gewertet, die auch in der raschen Abfolge von Ereignissen bisherige Wert- und Zeitvorstellungen des neuzeitlichen Menschen erschütterte. Von Frankreich aus erfasste sie schnell den europäischen Kontinent und sogar die Neue Welt, ließ alte Strukturen und Regierungen stürzen und neue Systeme wachsen, die fast ebenso schnell wieder erloschen. Die Geschichte erschien als nicht enden wollende Kette von Ereignissen, die ob ihrer Schnelligkeit und Unberechenbarkeit abstrakt und unergründlich blieben, das Individuum bisweilen anregten, überforderten und langweilten.92 Die Klarheit darüber, dass die Geschichte Veränderungen und Wandlungen hervorbrachte, diese aber nicht von Dauer sein mussten, verstärkte das Bedürfnis nach Beständigkeit und Resistenz. Das Individuum musste sich neu definieren, nachdem die ständische Herkunft keine Rolle mehr spielte. Brentano und Arnim zeigen diese unbeständige Suche des modernen Individuums nach Identität in ihren Prosawerken. Ihre Schlüssel- und Hauptfiguren – immer auf der Suche nach sich selbst – tragen stark autobiografische Züge. Die Erschütterung der alten Ordnung, die zwar eine neue Ordnung hervorbrachte, aber noch lange keine Gewissheit darüber, welche Rolle jede:r Einzelne nun einnahm, findet sich in den Selbstzeugnissen der beiden Dichter wieder  : Arnims Interessenkonflikt bezieht sich auf seine adlige Herkunft und seine nicht-standesgemäße Tätigkeit als Dichter, Brentanos Selbstzweifel stehen in Zusammenhang mit seinem eingestandenen Scheitern als Familienvater, Ehemann und Freund. Während Arnim sesshaft wurde und sich mit zunehmendem Alter eine gewisse Genügsamkeit aneignete, blieb Brentano ein Suchender und melancholischer Feingeist, der in einer tiefen Spiritualität Erlösung zu finden glaubte. Den Romantikern:innen gelang es, die Veränderungen ihrer Zeit zu reflektieren, kritisch zu hinterfragen und in Zusammenhang mit ihren eigenen Lebenswelten zu bringen.

91 Zu Arnims kurzzeitiger Herausgeberschaft siehe Knaack, Jürgen  : Achim von Arnim, der Preußische Correspondent und die Spenersche Zeitung in den Jahren 1813 und 1814, in  : Pape, Walter (Hg.)  : Arnim und die Berliner Romantik  ; Berliner Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft (Schriften der Internationalen Arnim-Gesellschaft 3), Tübingen 2001, S. 41–51. 92 Vgl. Petersdorff, Dirk von  : Ein Knabe saß im Kahne, fuhr an die Grenzen der Romantik  : Clemens Brentanos Roman »Godwi«, Goethezeitportal, 29.01.2014, S. 3f., URL  : http://www.goethezeitportal. de/db/wiss/brentano/godwi_petersdorff.pdf, letzter Zugriff  : 01.05.2022.

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Die gemeinsame Rheinreise markiert den Beginn einer lebenslangen Freundschaft, die sich im Medium Brief artikuliert und neben dem Austausch privater Anekdoten und Neuigkeiten dem intellektuellen Austausch dient. Daneben ist der Briefwechsel ein wichtiges Zeugnis für die zeitgeschichtlichen Ereignisse in Deutschland und Europa. Beide sind von den postrevolutionären Geschehnissen persönlich betroffen, sie wechseln (teils sogar gemeinsam) Wohn- und Arbeitsort, erweitern ihr schriftstellerisches Portfolio, zeigen Interesse für die politische Entwicklung in Deutschland und ergreifen Partei. Ihre politischen Überzeugungen sind keineswegs konträr, denn beide fordern systematische Veränderungen in Gestalt einer bürgernahen, demokratischen Staatsform. Die Französische Revolution mit ihren nachfolgenden Ereignissen markierte einen Wendepunkt in der europäischen Geschichte und stellte alte Regierungssysteme infrage. In diesen unsicheren Zeiten suchen Brentano und Arnim nach neuen Identifikationsfiguren, suchen ihr Selbst in fremden und teils erfundenen (Gegen-)Welten. Auch hier zeigt sich das politische Moment in der Romantik  : Als Reaktion auf unsichere Verhältnisse definiert sie keine universellen Lebensentwürfe, sie positioniert sich nicht klar zu alten oder neuen Strukturen und offenbart damit die eigentlichen Grundprobleme einer europäischen Wertegemeinschaft, die sich auch moralisch neu erfinden musste. Im Briefwechsel der beiden Liederbrüder Arnim und Brentano wird diese Umbruchstimmung nachskizziert. Anhand der Korrespondenz wird deutlich, wie unterschiedlich die Teilhabe an politischen Veränderungen bewertet wird. Während Arnim sich bereit erklärt, als einfacher Soldat in den Krieg zu ziehen, reagiert Brentano zurückhaltender und rät dem Freund, den Kampf lieber mit der Feder zu führen. Anlass dafür ist der Konflikt zwischen Frankreich und Preußen und die bevorstehenden Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft in den deutschen Territorien, welche die Einberufung von militärischen Einheiten und Freiwilligen auslösen. Arnim beklagt in einem Brief im Dezember 1805 die Situation des Alten Reiches, »wo die Leute um einiger Tage Durchmärsche willen verzweifeln« und spricht von einem »jämmerlichem Volke«93. Im August 1806 erkennt Arnim die Brisanz der politisch angespannten Situation und die Unumgänglichkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung  : Nicht daß ich den Krieg überhaupt für unser Land fürchte, es muß sich zeigen, ob es Kraft zu leben hat, sonst fort ausgewischt, fort mit uns, nur jetzt in diesem blinden Zutrauen unsrer Regierung auf Bonapartes wiederholte Versicherungen, die Armeen zerstreut, ich brachte eine schreckliche Nacht zu, […], mich loszureissen von viel schönen Reiseplänen war mir 93 Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 315.

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schmerzlich, wie oft rissen mich schon solche Zufälle aus meiner Bahn, ich tröstete mich, daß es oft schon über mir ergangen, daß die Entscheidung kürzer als man denkt, es floß ein Zutrauen in meine Seele und [ich] sehe ruhig dem Ende der Welt zu […].94

Der Krieg zwischen Frankreich und Preußen scheint nun unausweichlich  ; in ihm erkennt Arnim den einzigen richtigen Weg aus der Fremdherrschaft und eine Möglichkeit für eine politische und strukturelle Neuordnung im Reich. Seinen Unmut über die Untätigkeit Preußens hinsichtlich Napoleons Vorrücken in Mitteleuropa brachte er klar zum Ausdruck – als konsequent und zukunftsweisend deutet er nun den bevorstehenden Krieg, welcher, obwohl er seine persönlichen Vorhaben durchkreuzt, doch den allgemeinen Erwartungen entspricht  : »Offiziere und Soldaten jubelten als es hieß gegen die Franzosen, sie glauben sich so beschimpft und vernichtet, durch die bisherigen Verhandlungen unsres Königs, daß sie nur in Blut sich zu reinigen meinen.«95 Arnims Haltung zum Krieg ist deutlich, auch seine Loyalität gegenüber Preußen, »das nie irgend eine freundliche Gesinnung von Deutschland erfahren«96 hat. Brentano sieht dem bevorstehenden Krieg weit skeptischer entgegen, seine Briefe dokumentieren seine Angst vor den unmittelbaren Auswirkungen der Gefechte und seine Sorge um den Freund. Im Sommer 1806 schreibt er aus Heidelberg an Arnim  : Wenn du platterdings nach dem langweiligen Wanzen vollen Wiesbaden willst, so komme ich dort zu dir, aber wäre es nicht viel herrlicher, wenn du nach Baden giengst. Ein Bad, das um kein Haar von dem Wisbader abweicht, […], die ganze Armee liegt dort herum […]. In Baaden ist kein Franzoß – das ist schon, waß sehr angenehmes, ich bitte dich sehr, lieber zieh Baden vor, du thust mir eine große Freude mit.97

Ob Arnim tatsächlich zum Kuren nach Wiesbaden fahren wollte oder, wie Brentano eher vermutet, um den Auseinandersetzungen und damit dem Kriegsgeschehen näher zu sein, bleibt dahingestellt. Jedenfalls versuchte Brentano, den Freund umzustimmen, zu ihm in die süddeutschen Territorien zum (beabsichtigt hervorgehobenem) Baden, also zum harmlosen Kuren, zu kommen. Arnim reiste weder zu einem Kuraufenthalt nach Wiesbaden noch nach Heidelberg, sondern machte Station in Braunschweig und Göttingen und vertröstete den Freund auf höfliche aber bestimmte Art  : 94 95 96 97

Ebd., S. 416. Ebd., S. 417. Ebd., S. 407. Ebd., S. 409.

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[I]ch freute mich auf so vieles in Deinen Gegenden  ; wenn ich dahin komme wird mir Baden so lieb wie Wisbaden, da du es vorziehst. Baden ist nur überaus ärmlich, schmutzig und von Frankfurt entfernter, die Abwesenheit der Franzosen ist freilich viel werth, der Rhein doch noch mehr.98

Die Grenzlinie am Rhein, die infolge von Verschiebungen und Zuweisungen territoriale Zugehörigkeiten immer wieder korrigierte, stellte für Arnim einen stärkeren Anziehungspunkt dar als der beschaulichere südliche Teil Deutschlands, der ihm auch privat eher fremd war. (Seine Ruhe- und Friedenszeiten verbrachte er ohnehin lieber auf dem Familiengut in Wiepersdorf, wo er sich als Landwirt versuchte). Seine angekündigte Präsenz am Rhein zeigt aber, dass sich der öffentliche Arnim in seinen Schriften und Ämtern zu seinen politischen Überzeugungen bekannte, in seiner Tätigkeit als Redakteur und auch privat im Briefwechsel. Für Arnim markierte der offene Krieg mit Frankreich das Ende einer von diplomatischen Verhandlungen und Gebietsabtretungen bestimmten Ära, in der sich Preußen nun als Einzelkämpfer und Retter der Nation behaupten musste, denn nun »stehen wir allein, ganz verlassen, ohne Rücksicht denn es geht auf Leben und Tod«99. Das politische Unvermögen und die Isoliertheit des Reiches vom übrigen Europa wertete Arnim als Nachteil. Wenn er im »blinden Zutrauen unsrer Regierung auf Bonapartes wiederholte Versicherungen«100 die eigentliche Niederlage des Reiches erkannte, dann richtete sich diese Kritik gegen die Zurückhaltungs- und Neutralitätspolitik des Königs. Preußen war Heilsbringer und Retter der Deutschen, da es »als der einzige Punkt in Europa das System des Friedens durchgeführt«101 hatte. Enttäuscht von der Regierung, setzt Arnim nunmehr alle seine Hoffnungen auf die preußischen Streitkräfte und die Reformbemühungen. So berichtet er im Oktober 1806 – ganz ähnlich wie Brentano ein Jahr zuvor – vom festlichen Einzug der Truppen  : Ich habe hier Rüchels und Blüchers Corps recht mit Lust sehen können, alle Strassen waren voll Gesang und Musick, die Krone voll Trunk und Spiel  ; ich hörte General Blücher mitten im Platzregen auf dem Platze so wunderbar schön reden, daß er mir recht wie ein Kriegsheiliger vorkommt.102

 98  99 100 101 102

Ebd., S. 418. Ebd., S. 417. Ebd., S. 416. Ebd., S. 399. Ebd., S. 428.

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Der feierliche Empfang des preußischen Heeres verweist auf die öffentliche Stimmung, in der Frankreich und Napoleon nun als Feindbilder definiert werden. Das neu gewonnene Nationalbewusstsein wird durch »die romantische Neuentdeckung von nationaler Identität, deutscher Geschichte und Kultur, die gerade am Rhein eine große Rolle«103 spielt, aktiviert. Des Weiteren nehmen die militärischen Koryphäen, mit denen sich bestimmte Vorstellungen von der Vergangenheit und Zukunft des Reiches verbinden, eine identitätsstiftende Funktion ein. Bei Arnim ist es der Generalfeldmarschall Blücher, welcher diesem Anspruch gerecht wird, indem der Dichter ihn als ›Kriegsheiligen‹ tituliert. Die Sakralisierung solcher Leitbilder erfolgte durch ihre Gleichsetzung mit legendären Figuren (z. B. dem Siegfried aus der Nibelungensage). Deren signifikante Unverwundbarkeit, Tapferkeit und Pflichtgefühl wurden ungeachtet ihrer Ahistorizität in die Realität und auf Mitmenschen übertragen. Das Suchen und Finden einer gemeinsamen deutschen Identität wird zum Bildungsauftrag der Romantiker:innen. Wie bereits angeführt, plädieren sie für eine Reanimierung des mittelalterlichen Kultur- und Literaturguts, in welchem sich nach ihrer Auffassung bereits essentielle Tugenden und Eigenschaften eines Volkes herausgebildet haben  ; vor allem in Gelehrtenkreisen und literarischen Salons wird die Forderung nach einer Selbsterneuerung des deutschen Volkes, welches sich frei von Fremdeinflüssen entwickeln müsse, laut. Im Nibelungenlied und in der Sage von der Loreley finden sich Personen und Motive, die dem Wunschbild einer einheitlichen deutschen Nation entsprechen. Und diese Mythen werden – beruhend auf historischen Fakten beziehungsweise literarischen Produkten – in einer Gegend lokalisiert, die aufgrund ihrer landschaftlichen Besonderheiten sowie ihrer machtpolitischen Bedeutung zum gemeinsamen Fluchtpunkt der ›Vaterlands-verfechter‹ wird  : dem Mittelrheintal. Seit Kindesbeinen mit den preußischen Leitlinien vertraut, ist Arnims Einstellung zum Militär völlig konträr zu der von Brentano, der sich bereits in jungen Jahren dem deutschen Kriegswesen und militanten Ordnungszwang Preußens verweigert. Als er von Arnims Absichten erfährt, im Kriegsfall seinen Beitrag leisten zu wollen, fürchtet er das Schlimmste  : O Laße den Königen waß der Könige ist. […], halte dich, um Gotteswillen frei von gräßlichem in deinem Leben, werde kein Soldat in einer Zeit, wo es keine giebt, o bleibe der unsichtbaren Kirche der Kunst angehörig, damit ich nicht verliere, worum ich so unsäglich gern lebe, dein Dasein. Ich bin nicht feig, aber ich weiß nicht, waß ich thun soll, wenn du Krieg gegen uns führst, Weib und Kind verlassen, Arnim  ! Meine paar Heller fielen deinen Feinden in die Kriegskasse, kein Unterthan des Bundes darf außer dem Bunde dienen  ; du weist nicht, 103 Nipperdey, Deutsche Geschichte, 1994, S. 29.

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wie es mich erschreckt, wärst du Soldat, o sei keiner der untergeht, keiner der siegt, sei ein Mensch hoch über der Zeit, und falle nicht in diesem elenden Streit […].104

Brentano verortet das Schlachtfeld ihrer gemeinsamen Bemühungen im Bereich der Kunst zur Rettung der Volksdichtung.105 Er will den Freund fernhalten von »diesem elenden Streit«, der unter Herrschenden und nicht unter Dichtenden ausgetragen werden sollte. Er gesteht Arnim weder Sieg noch Niederlage zu, denn er plädiert für dessen neutrale Stellung in diesem Konflikt, in dem er »als ein Mensch hoch über der Zeit« auftreten soll. Krieg bedeutet für Brentano einen Rückschritt in der Entwicklung der Menschheit  ; lediglich im Frieden bietet sich seiner Meinung nach eine Möglichkeit für die langersehnte Einheit und Nationsbildung. Im schlimmsten Fall stünden sich die beiden Liederbrüder gegenüber, denn als »Untertan des Bundes« müsste Brentano seinen Kriegsbeitrag leisten. Er möchte dem Freund nicht als Feind begegnen. Brentanos Bedenken zeigen, dass er die Kriegswerbung Preußens viel kritischer einschätzte und sich nicht von den versprochenen Reformen und politischen Agitationen instrumentalisieren ließ.106 Seine und Arnims Stärken verortete er im Bereich der Literatur  : Hier steckte ihre wahre Passion und Lebensaufgabe, hier ließen sich denkwürdigere Ergebnisse und langfristige Erfolge erzielen. Was Arnim letztlich zur Vernunft brachte, war die unrealistische Aussicht auf ein militärisches Amt, da er weder über Geschick noch ausreichend Geld verfügte. Dessen ungeachtet blieb er seiner Mission dennoch treu und verlagerte sich nun auf das Schreiben und Herausgeben politischer Schriften, frei nach dem Motto »ein guter Rath ist auch eine That«107. Worüber Brentano schwieg, sich aber unmissverständlich mit seinem Ruf nach Heidelberg verband, war die erhoffte Weiterarbeit am Wunderhorn, die durch Arnims Interesse an den politischen Entwicklungen ruhte. Dass Brentano den Enthusiasmus und Kriegswillen des Freundes nicht teilt, mehr noch, ihn als harten Gegensatz zu seinem literarischen Schaffen stellt, wird ihm leicht als politisches Desinteresse ausgelegt.108 Seine märchenhaften Traumvorstellungen und utopischen Gegenwelten mögen diese Beurteilung stützen, sie unterschätzen aber den Scharfblick, mit dem er die politischen Entscheidungen und Entwicklungen einordnete und Konsequenzen ableitete. Zu den Briefen Arnims, der sich teilnehmend und allwissend zur Zeitgeschichte äußerte, stellen 104 Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 421. 105 Vgl. Nienhaus, Vaterland und engeres Vaterland, 1994, S. 141. 106 Vgl. Puschner, Marco  : Antisemitismus im Kontext der Politischen Romantik  : Konstruktionen des »Deutschen« und des »Jüdischen« bei Arnim, Brentano und Saul Ascher (Conditio Judaica 72), Tübingen 2008, S. 380. 107 Schultz, Freundschaftsbriefe, 1998, Bd. 1, S. 423. 108 Vgl. Puschner, Antisemitismus, 2008, S. 377.

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seine zaghaften und klugen Äußerungen zum politischen Geschehen ein beruhigendes Gegengewicht dar. Brentano toleriert zwar das Verpflichtungsgefühl des Freundes gegenüber Preußen, sieht aber die Ereignisse in einem größeren europäischen Zusammenhang. Bemerkenswert ist, dass er Arnims Kriegsbereitschaft toleriert und ihm auch seine Kameradschaft zusichert, denn »ich sah mich schon deine Waffen putzen, dein Zelt hüten, dir den Bügel halten«109. Dennoch rät er zur Besonnenheit, denn nach dem Frieden von Preßburg »ist Waffenstillstand, und wohl Friede, und so darf ich ihn dann auch segnen, denn Alles hat zwei Seiten«110. Der bedingungslose Gehorsam und blinde Hass des Freundes sind ihm fremd  : ist denn die Lage unsers Vaterlands so schrecklich, da es des Tods seiner Götter bedarf, um es zu erlösen, es ist etwas entsezliches, in einer Zeit, wo nur die Idee siegt, mit den Waffen in der Hand zu sterben. Wem thut dann Frankreichs Sieg weh, schönen Seelen, die nach dem Ideal eines Staates schmachten, du glaubst doch nicht, daß sie dem deutschen Kaiser, oder irgend einem andern Herrn wehe thäte […]. Die Staaten sind in dieser Zeit Egoisten, wer der klügste ist, dessen Ich ist das Liebenswürdigste, für sich selbst. Aber ich glaube nicht daß die freie herrliche Seele, die nach Gottes Ebenbild erschaffen für diesen Egoisten sich wagen darf, ja es ist ihr allein erlaubt alles, waß der Egoist brach und dürr liegen läßt mit listiger Kunst, zu veredlen, und in dem Meere des Staats grüne Inseln hervor gehen zu lassen, die eine Zuflucht der schönsten Gesinnung sich endlich vereinen und ein unsichtbares Vaterland hervorbringen, das endlich gereift in der Zeit, biß zur Ueberschwenglichkeit, eine schöne Heldenseele gebähren, aber auch ernähren kann, und dann seelig die Nachkommen.111

Die anfangs harmlose Verehrung des Rheins weicht in der späteren Korrespondenz immer mehr patriotischen Tendenzen. Die beiden Akteure Brentano und Arnim wussten um die politische Sprengkraft einer möglichen Befreiung der französisch regierten Rheingebiete. Besonders Arnim entwickelte zur Zeit der Befreiungskriege eine außerordentliche Begeisterung für den Kriegseinsatz der preußischen Truppen, die er als neue Heilsbringer definiert. Brentanos Reaktion auf diese Entschlossenheit war distanziert und zugleich warnend. Er sorgte sich um das Wohlergehen des Freundes und befürwortete eine passive, ausschließlich literarische Unterstützung für die kulturelle Einheit des Reiches. Arnim enthielt sich zunächst tatsächlich des Kriegsdienstes, bevor er 1813 gegen Napoleons 109 Ebd., S. 325. 110 Ebd., S. 326. 111 Ebd., S. 326 f.

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Truppen mitkämpfte.112 Für Brentano bedeutete der bevorstehende Krieg nicht nur den möglichen Verlust des Freundes, sondern auch eine entbehrungsreiche Zeit für alle Bereiche des Lebensalltags. Dabei setzte er die Zerstörung der Landschaft und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen gleich mit der sukzessiven Zersetzung der Reichsstruktur. Er nahm in seinen Briefen eine überwiegend pazifistische Rolle ein, auch wenn er der Befreiung seiner Heimat prinzipiell zustimmte. Dies zeigt, wie differenziert Brentano und Arnim die bevorstehenden strukturellen und machtpolitischen Veränderungen für sich und ihr Umfeld wahrnahmen und welche individuellen Handlungsoptionen sie daraus schlossen. 7.3.2 Helmina von Chézy: räumliche und soziale Grenzüberschreitungen? Die 1814 erstmals im Journal des Luxus und der Moden abgedruckten Schilderungen vom Rhein erschienen zu einem Zeitpunkt, da sich die anhaltende Enttäuschung über die napoleonische (Fremd-)Herrschaft nunmehr militärisch entlud und nationalpolitische Ideen mit dem Ziel eines geschlossenen Bundes freisetzte. »Die erhoffte staatliche Einheit sollten die Befreiungskriege nicht bringen. Aber eines war in die Wege geleitet  : eine Politisierung, in der sich Freiheitstöne und Nationalbewusstsein mit Franzosenhass mischten.«113 Die Autorin Helmina von Chézy offenbarte ihre Aversion gegenüber der französischen Besatzung, welche die Freiheit und Unabhängigkeit der deutschen Bevölkerung gefährdete und deutschen Boden für sich beanspruchte. Das proklamierte Feindbild passte in die »patriotisch antinapoleonische Großwetterlage«114 in Folge der Entdeckung eigener deutschnationaler und territorialer Ambitionen. Öffentliche politische Interessenbekundung oder gar Partizipation war Frauen nur eingeschränkt möglich und begrenzte sich auf ausdrücklich weibliche Sphären, etwa im Bereich der Armen- und Mütterfürsorge, der häuslichen Erziehung oder auch der Mode und Ästhetik. Schreibende Frauen wie Helmina von Chézy, die zwar nicht dem traditionellen Rollenbild entsprachen, bedienten sich dieser traditionellen Bereiche weiblichen Handelns, um es auch den Frauen zu ermöglichen, sich politisch zu engagieren und nationale Interessen zu vertreten.115 Das Medium des Modejournals ist daher kein zufällig gewähltes Organ für die Streuung patriotischer Empfindungen innerhalb 112 Kluckhohn, Paul, »Arnim, Achim von«, in  : Neue Deutsche Biographie 1, 1953, S. 365–368, URL   : https://www.deutsche-biographie.de/pnd118504177.html#ndbcontent, letzter Zugriff  : 01.05.2022. 113 Liehr, Günter  : Frankreich  : ein Länderportrait, Berlin 2016, S. 21. 114 Kambas, Zwischen Kosmopolitismus und Nation, 1996, S. 251. 115 Vgl. Ackermann, Astrid  : London, Paris und die europäische Provinz  : die frühen Modejournale 1770– 1830 (Europäische Hochschulschriften, Reihe III  : Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 1024), Frankfurt/Main 2005, S. 307 f.

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eines meist weiblichen Lesepublikums, denn Kleidung und modische Accessoires wurden bereits seit der Französischen Revolution als politische Erkennungszeichen genutzt, etwa die Jakobinermütze oder die Sansculottes. Im Zuge der Politisierung und Nationenbildung innerhalb Europas fanden sich in der Kleidung Elemente nationaler Identität und Besonderheit, die beide Geschlechter nutzten. Die Propagierung einer Nationaltracht berücksichtigte neben nationalpolitischen vor allem auch ökonomische Absichten, da unter dem Einfluss der Kontinentalsperre die deutsche Wirtschaft nachhaltig geschwächt war. Es galt, die nationalökonomische Abhängigkeit von Frankreich zu überwinden, eigene Alternativen zu schaffen und die heimische Wirtschaft zu stärken.116 Noch wenige Jahre zuvor hatte Chézy über die neuesten Entwicklungen und Erscheinungen aus Frankreichs Literatur, Malerei, Theater, Wissenschaft und Mode an das interessierte deutschsprachige Publikum korrespondiert. Als »Briefe117 einer teutschen Dame in Paris an ihre Freundin in Teutschland«118 erscheinen in der März-Ausgabe des Journal des Luxus und der Moden von 1809 ihre Berichte über die neuesten Pariser Moden, die sie in auf einem Spaziergang in den Tuilerien beobachtete.119 Eher belustigt als beeindruckt zeigt sie sich von den saisonalen Modetrends, den ungewöhnlich grellen Farben, Mustern, Schnitten und Hutmoden für Damen, die in Kombination »selten mehr als einer steht«120. Obwohl ihr die Farb- und Formkombinationen längst nicht an jeder gefallen, will sie der (fiktiven) Freundin »indes alles berichten, da Du leider darauf neugierig bist«121. Nicht nur, dass sie mit der direkten Anrede die gesamte (weibliche) Leserschaft einbezieht und charmant deren Unterhaltungs- und Klatschsucht überführt  ; sie nutzt die räumliche Distanz und das Wissensdefizit ihrer Leser:innen, um den eigenen Distinktionsgewinn auszukosten. Helmina von Chézy wirkt hier nicht nur als aufmerksame Beobachterin und kritisch-unterhaltsame Berichterstatterin,

116 Vgl. Wagner, Enrico  : Die Nationaltrachtdebatte im 18. und 19. Jahrhundert  : Motivation und Durchsetzung einer nationalen Kleidertracht in Schweden, Deutschland und Dänemark, Berlin 2018, S. 191. 117 Die Mitteilungsform des Briefes vermittelte einerseits Vertrautheit und Intimität, obendrein ließen sich ganz persönliche Eindrücke und Gefühlsregungen einpflegen, wodurch sich jede Leserin angesprochen fühlte – auch wenn Authentizität weniger ausschlaggebend war als die Ausübung gesellschaftlicher Rollenbilder. Vgl. dazu Ackermann, Modejournale, 2005, S. 87 f. 118 JLM, 1809/März, S. 187. 119 Die Modeartikel beeinflussten nicht unbedingt die Kleidungsgewohnheiten der heimischen Damenwelt, da sie ohnehin sehr schnelllebig waren, sicherlich aber das Bewusstsein für Mode und Stil – allein die Kenntnis der neuesten Moden aus Paris, Wien oder London sicherte der Leserin die Partizipation in entsprechenden gesellschaftlichen Kreisen. 120 JLM, 1809/März, S. 188. 121 Ebd., S. 188.

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sondern setzt sich selbst und das Pariser Leben weitab der heimatlichen Langeweile gekonnt in Szene.122 Obwohl Paris und London den Stil und die Mode bestimmten und als ­Vorbilder des guten Geschmacks dienten, wird in den Journalen immer auch der nationale G­schmack123 bedient. Merkmale der Abgrenzung und der Andersartigkeit werden bewusst aufgenommen und dem Vertrauten entgegengestellt  : Im Modebereich und bezogen auf Frauen gab es divergierende Schönheitsideale. Natürlichkeit und Ungeschminktheit wurden als deutsche Merkmale zu Gegenpolen französischer Künstlichkeit und Koketterie.124 So bemängelt Chézy, dass neben der farbenfrohen Kleiderwahl auch die entsprechende Kosmetik »die Sprache der Augen und des Lächelns«125 verfälsche. Dieser Trick kann dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Großteil der Damen »welk [und] abgemattet vom Pariser Leben« aussieht, meist »mit tiefen Augen, der gelben Farbe, die fast allen Französinnen eigen ist (denn Wenige sind weiß)«126. Dieser Befund, so stereotypisch er aufgrund der Betonung eines wohl landestypischen Teints wirken mag, enthält noch nicht die Abgrenzungsmerkmale einer nationalpolitischen Propaganda, die Freund-Feind-Schemata (Fremd-Reiz-Gefahr gegenüber Heimat-Demut-Sicherheit) hervorbrachte. Gut sechs Jahre später, mittlerweile wieder in Deutschland lebend, fand Helmina von Chézy drastischere Worte  : In einem Aufsatz darüber Was Sitte, Was Mode sey verurteilte sie die französische Lebensart als neumodische Erscheinung und lobte demgegenüber nun die alte und traditionelle deutsche Sitte, sich zu kleiden. Ihrer Meinung nach sei der Ausdruck »Mode […] ein elend französisch Wort«. Hingegen frei von fremden Einflüssen und »schön, reich, dauerhaft [sei] die alte deutsche Tracht«127. Traditionelle Kleidungsgewohnheiten benennt sie als Träger optisch wahrnehmbarer nationaler Zugehörigkeiten und Gruppenidentitäten, denn »auch äußerliche Zeichen müssen bekennen, daß wir stolz auf unser Vaterland sind«128. Die Autorin empfiehlt ein korrektes rollenspezifisches und standesgemäßes (biedermeierlich wirkendes) Auftreten, das durch die Bezugnahme auf eine vermeintlich spezifisch nationale textile Vergangenheit gelingt.129 Sittsamkeit, Demut, Reinheit und Bescheidenheit sollen nicht nur 122 Vgl. Ackermann, Modejournale, 2005, S. 88. 123 Ich beziehe mich auf Astrid Ackermanns Begriff in  : Modejournale, 2005, S. 260. 124 Vgl. Jurt, Joseph  : Frankreich, in  : Stierstorfer, Klaus (Hg.)  : Deutschlandbilder  : im Spiegel anderer Nationen  ; Literatur – Presse – Film – Funk – Fernsehen, Reinbek 2003, S. 75–97, hier S. 75 f. 125 JLM, 1809/März, S. 188. 126 Ebd., S. 188. 127 JLM, 1815/Juni, S. 333. 128 Ebd., S. 334. 129 So wurden Kleidungsmerkmale vergangener Jahrhunderte aufgenommen, die allerdings auch Modestile

Nationalpolitische Zuschreibungen in den Selbstzeugnissen | 289 Abb. 14  : Eduard Büchel, Mädchen in altdeutscher Tracht (nach F. Kaulbach), Reproduktion, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen.

die uniforme Kleiderwahl bestimmen, sondern den gesamten Lebensalltag der »Teutschen Hausfrau«130. Die Werbung für die deutsche Tracht setzte auch ein Zeichen gegen die Schnelllebigkeit und Wandelbarkeit der französischen Mode. Letztendlich konnten solche auf den ersten Blick trivial wirkenden Angelegenheiten auch Kennzeichen politischer Souveränität und Stabilität sein  : Beständigkeit im Kleidungsstil bedeutete Beständigkeit im Regierungsstil. Kleidung ließ sich als äußeres Scheinbild oder gar zweite Haut als Zeichen kulturspezifischer Normative einsetzen und konnte darüber die Zugehörigkeit zu einer Gruppe festlegen. Sie wirkte über die Beschaffenheit und Materialität hinaus als Objekt kollektiver Praktiken und Rituale, über welches die soziale Zugehörigkeit und Identität zum Ausdruck kam.131 aus England, Spanien und Frankreich adaptierten  : Dies zeigt, dass die deutsche Nationaltracht nur vermeintlich deutsch war. Siehe dazu  : Wagner, Die Nationaltrachtdebatte, 2018. S. 230 f. 130 JLM, 1815/Juni, S. 339. 131 Vgl. Jancke, Gabriele  : Exchanging, protecting, collecting, signifying  : clothes, person, and civilization in George Forster’s Voyage Round the World (1777), in  : Fashioning the self in transcultural settings  : the uses and significance of dress in self-narratives, Würzburg 2015, S. 45–69, hier S. 66.

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Diese Wortmeldungen zeigen Kontinuitäten und Brüche im literarischen Portfolio einer Autorin, die während ihres Parisaufenthaltes regelmäßig über ihre Wahlheimat nach Deutschland berichtete. In ihrer Funktion als Auslandskorrespondentin musste sie stets zwischen den Forderungen ihrer Auftraggebenden, des Lese-Publikums und ihrem eigenen literarischen Anspruch abwägen. Waren ihre Beiträge überhaupt mit dem Authentizitätsanspruch angelegt, der die Wiedergabeform Brief nahelegt  ? Unterlagen ihre Berichte nicht vielmehr dem Verlags- und Publikumswunsch sowie dem persönlichen Verlangen, den Parisaufenthalt als performativen Akt weiblicher Selbstverwirklichung und Aneignung urbaner Lebensart darzustellen  ? Die im zweiten Artikel geforderte Rückbesinnung auf alte (christliche) Traditionen und vermeintlich deutsche Wertevorstellungen steht im Kontrast zu einer Frau, die sich erstens entgegen gesellschaftlichen Konventionen positionierte, indem sie ein modernes Frauenbild mit Berufstätigkeit für sich einforderte, und die zweitens zumindest in Paris eine profranzösische und vor allem pronapoleonische Haltung einnahm. Welche beruflichen oder persönlichen Erfahrungen und Eindrücke ließen ihre Stimmung ins Gegenteil kippen  ? Veranlassten reiner Opportunismus, Verlagsvorgaben und ein restaurativer Buchmarkt sie dazu, antifranzösische Schriften zu verfassen, oder ließ sie sich von politischen Motiven und moralischen Selbstzweifeln leiten  ? Ihre Rolle bei der Analyse nationaler Feindschemata im Kontext der Grenzstreitigkeiten am Rhein ist deshalb so interessant, weil sie sich biografisch und werkbezogen stets zwischen Deutschland und Frankreich bewegte. Nicht nur vom räumlichen Standpunkt aus betrachtet stand sie zwischen zwei Nationen, auch ihre literarischen Themenschwerpunkte und persönlichen Entwicklungen bezeugen ihre vielschichtigen Grenzüberschreitungen.132 Während ihres 10-jährigen Aufenthaltes in Paris schrieb sie nicht nur aus der Perspektive einer Deutschen für die Daheimgebliebenen, sondern wirkte als moderierende Kosmopolitin. In ihrer Funktion als Auslands-Korrespondentin trat sie zwar nicht als Schlichterin auf, wohl aber als Vermittlerin, denn ihre Aufsätze trugen dazu bei, Bewusstsein und Verständnis für die jeweils andere Mentalität, Kultur und Lebensart zu festigen – und dabei sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten anzuerkennen. Welche biografischen Erfahrungen und Eindrücke dirigierten nun die nationalen Bilder sowie die sich verschiebende Selbst- und Fremdwahrnehmung einer Schriftstellerin, die ihre literarische Karriere in Frankreich begann und diesen Werdegang später teilweise zu revidieren versuchte  ? 132 Bezogen auf folgendes Zitat  : »Transgressing borders, geographically, socially, literary, and in terms of gender, became the defining aspect of Helmina’s life, writing, and aesthetics.«, in  : Baumgartner, Wanderer between the Worlds, 2007, S. 211.

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Am Anfang ihrer Berufsschriftstellerei steht ein Parisaufenthalt, welcher nicht wie bei ihren männlichen Kollegen üblich eine Ausbildung krönte, sondern als fluchtartiger Rückzug vor einer gescheiterten Ehe (mit Carl Gustav von Hastfer) und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Ressentiments angelegt war. Ihre Reise nach Frankreich war somit auch eine Art persönlicher Neuanfang und in diesem Kontext nicht nur als Zwischenstation geplant. Auf Einladung der befreundeten französischen Schriftstellerin Stephanie Félicité de Genlis reiste die erst 18-jährige Wilhelmine von Hastfer nach Paris und bezog vorerst Quartier in Versailles133. Als Protegé der Comtesse de Genlis verkehrte sie in höchsten gesellschaftlichen Kreisen und machte u. a. Bekanntschaft mit den Familien Bonaparte und Beauharnais. Die Hofdame verschaffte ihr auch erste Kontaktaufnahmen zu potenziellen Auftraggebern:innen und langfristigen Projektpartnern:innen, wie etwa Friedrich Schlegel und seiner späteren Ehefrau Dorothea Veit, die maßgeblich das Schreibtalent der jungen Frau förderten und mit denen sie auch kurzzeitig zusammenlebte. Über diesen Bekanntenkreis lernte sie weitere Persönlichkeiten aus der Kunst- und Wissenschaftsszene kennen, darunter zahlreiche deutsche Exilanten und germanophile ­Pariser:innen, wie den Sanskritforscher Antoine-Léonard de Chézy, ihren zweiten Ehemann und Vater ihrer Söhne. Berufliche Fortschritte sicherte ihr das äußerst kluge Verknüpfen von Netzwerken vor Ort und in der deutschen Heimat. Neben ersten Beiträgen für die in Berlin erscheinende Zeitschrift Eunomnia, Schlegels renommierte Europa sowie das bei Bertuch in Weimar erscheinende London und Paris zeichnete sie verantwortlich für das Journal Französische Miscellen sowie den Doppelband Leben und Kunst in Paris seit Napoleon dem Ersten. Diese und weitere Schriften erschienen im Zeitraum von circa acht Jahren, in denen sich Helmina als überaus produktive und vielseitige Schriftstellerin profilierte. Als Vorbilder dienten ihr neben Madame de Genlis und Madame de Staël auch Marie Sophie Cottin  : Deren professionelle und profitorientierte Schriftstellerei bildeten die Basis ihrer eigenen literarischen Bemühungen. Im Journal des Luxus und der Moden lobte sie mehrfach die französischen Autorinnen und setzte ihnen auch in späteren Schriften ein literarisches Denkmal.134 Neben ihrer Begeisterung für die französische weibliche Literaturszene bestand Chézys Anliegen darin, den Beiträgen der ausländischen Schriftstellerinnen ein Pendant entgegenzusetzen, indem sie als Deutsche über 133 Vgl. Chézy, Helmina von  : Leben und Kunst in Paris seit Napoleon dem Ersten, 2 Bde., Bd. 2, Weimar 1806, S. 114. 134 Im JLM vom November und Dezember von 1807 rezensierte sie mehrere Werke französischer Schriftstellerinnen, stellt ihnen aber auch deutsche Literatinnen, etwa Agnes von Lilien von Caroline von Wolzogen. Auch in ihrer Autobiografie Unvergessenes äußerte sie sich wohlwollend über die literarischen Erfolge von Madame de Staël und Madame de Genlis.

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das Leben in Frankreich berichtete. Nach Einschätzung der Germanistin Chryssoula Kambas erweiterte Chézy das Œuvre weiblicher Schriftstellerei, indem sie sich von der klassischen Reiseliteratur entfernte und nun »die Sorten der sentimentalen Phantasie, des Kultur- und Hofberichts, der Szenen aus dem Alltag, der autobiographischen Impression sowie des Wissenschaftsberichts«135 ausprobierte und sich dadurch nebenbei ein umfangreiches schriftliches Denkmal schuf. Chézys Schilderungen über das Leben in der Großstadt und am königlichen Hof, veröffentlicht unter anderem in dem Unterhaltungsjournal London und Paris, bezeugen Neugier und Interesse eines breiten Lese- und Reisepublikums für den Lebensalltag der höhergestellten Gesellschaftskreise.136 London und Paris waren sodann Anziehungspunkte insbesondere für deutschstämmige Intellektuelle, die keine vergleichbaren Me­ tropolen aus der Heimat kannten und sich weitab von traditionellen, ländlich geprägten Arbeits- und Geschlechterrollen moderne und individuelle Entfaltungsmöglichkeiten erhofften.137 Der Parisaufenthalt implizierte die Opportunität schriftstellerischer und persönlicher Entwicklung und Eigenverantwortung, gerade auch für die noch immer unterrepräsentierten Autorinnen. Diese nutzten die Annehmlichkeiten des Großstadtlebens, um sich persönlich, intellektuell und mitunter beruflich weiterzuentwickeln. Neben den ihnen zugestandenen Genres (Biografie, Briefroman, Lyrik, Reisebeschreibung) konnten sie sich hier auch zu den Veränderungen infolge der Revolution schriftlich äußern und ihr politisches Interesse bekunden – wenn zumeist auch unter Pseudonym und männlicher Kontrolle. Helmina von Chézy nutzte die Kommunikationsmöglichkeiten einer vielseitig interessierten Öffentlichkeit und korrespondierte darüber regelmäßig für die deutschsprachige Presse, und zwar unter ihrem Namen – eine für die Zeit höchst ungewöhnliche und fortschrittliche Praxis.138 Das Interesse des heimischen Lesepublikums am Pariser Leben resultierte aus dem Kontrast zwischen der eigenen eingeschränkten Lebenswelt und dem entfernten urbanen Raum. Helmina von Chézy berichtete über Schnelllebigkeit, Unterhaltungspotenzial und Abwechslung einer wachsenden Stadt, die scheinbar niemals schlief. Ihre Anekdoten über einen gewöhnlichen Tagesablauf beginnen oft mit einer Ausfahrt in 135 Kambas, Zwischen Kosmopolitismus und Nation, 1996, S. 251. 136 Dies geschah nicht aus alleiniger Antriebskraft, denn es handelte sich um eine Auftragsarbeit der Eunomnia, deren Herausgeber etwas Neueres als das bloße Aufzählen von Sehenswürdigkeiten forderten. 137 Vgl. Spokiene, Diana  : Gendered Urban Spaces  : Cultural Mediations on the City in Eighteenth-Century German Women’s Writing, in  : Fisher, Jaimey/Mennel, Barbara Caroline (Hg.)  : Spatial Turns  : Space, Place and Mobility in German Literary and Visual Culture (Amsterdamer Beiträge zur Neueren Germanistik 75), Amsterdam 2010, S. 123–140, hier S. 123. 138 Vgl. dazu Scheitler, Gattung und Geschlecht, 1999, S. 107.

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die nähere Umgebung, anschließend werden Kunstausstellungen oder museale Sammlungen besucht und danach ein obligatorischer Spaziergang in den zahlreichen Parkanlagen unternommen, wo man sich über Klatsch und die neueste Mode austauscht  ; nach einem ausführlichen Abendessen vergnügt man sich zumeist in einem der vielen Theater- oder Opernhäuser, Tanzsälen, Salons oder Spielkasinos. Das kulturell vielseitige und schnelllebige Großstadtleben, in dem niemals Stillstand oder Langweile herrschte, löste beim (kleinstädtischen, oft provinziellen) Lesepublikum gleichzeitig Bewunderung und Befangenheit aus. Die Pariser Jahre bescherten Helmina von Chézy die erhoffte Aufmerksamkeit und Beachtung als Autorin, die ihr in Deutschland kaum möglich gewesen wäre. Ihre Anwesenheit in den deutsch-französischen Zirkeln beeinflusste ihren Lebensweg und mithin ihr berufsmäßiges Schreiben wesentlich. Die gebürtige Berlinerin war als noch weitgehend unbekannte und dabei ambitionierte Autorin nach Paris gekommen  : Hier konnte sie ihre Schreibkompetenz festigen und neue Betätigungsfelder weitab üblicher Rollenklischees finden. In den Pariser Jahren legte sie den Grundstein für spätere Zusammenarbeiten, u. a. mit Friedrich und Wilhelm August Schlegel, Adalbert Chamisso und Madame de Staël. Paris suggerierte dem Bildungsbürgertum Moderne und Fortschritt, politische Partizipation und Selbstbestimmung. Neben diesen positiv besetzten Merkmalen bleibt auch die Kehrseite des städtischen Lebens nicht verborgen  : Helmina von Chézy berichtet über die staatlich und privat finanzierte Armenfürsorge in Form von Essensausgaben und Mütterunterstützung. Die um 1803 bereits bestehende Dichte von Wohlfahrtsanstalten zeigt, dass sich die städtischen Behörden der steigenden Bedürftigkeit in den jeweiligen Bezirken durchaus bewusst waren. Diese Maßnahmen konnten lediglich vorübergehend die schlimmsten Zustände der armen Bevölkerungsschichten eindämmen, nicht aber die Ursachen des sozialen Elends bekämpfen. Chézy zitiert aus einem Bericht der Kommission für die Armenspeisung, in welcher die Vorzüge einer nahrhaften und kostengünstigen Suppe nach Empfehlung des Grafen Rumford für die Erhaltung der Volksgesundheit erwähnt werden. Beurteilung und Erfolgsbilanz erfährt man nur aus zweiter Hand – die Empfangspersonen der Lebensmittelspenden, zumeist aus dem einfachen Volk, bleiben im Hintergrund und ohne eigene Stimme. Ihre Einbeziehung sozioethnografischer Themen bietet durchaus einen Perspektivwechsel, der das Leben fernab der feinen Pariser Gesellschaft zeigt. Chézys Schilderungen über die Pariser Armenfürsorge und Wohlfahrt sind allerdings keine Anzeichen ihres Bewusstseins für die existenziellen Nöte der unteren Bevölkerungsschichten, sondern lediglich Ausdruck ihres Mitleids sowie ihrer Bewunderung für die Opferbereitschaft einer wohlhabenden Schicht. Chézy bewegt sich außerhalb der hilfsbedürftigen Lebensund Leidenswelten und reflektiert nur aus ihrem eigenen sozialen Erfahrungsraum. So

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bekennt sie freimütig, dass in Paris allein Besitztum und Vermögen die Lebenserhaltung sichere und als »Ersatz für Stand, Talente, Geist und Annehmlichkeiten«139 diene. Sie versteht die Unterteilung der Bevölkerung in Stände als logisch, auch die ungleiche Verteilung von Vermögen und Wohlstand. Das überaus geschätzte »Freiheits- und Gleichheitssystem der Franzosen« sei ohnehin nur eine »anscheinbare Kraft«140 und entspreche weder der gelebten Praxis noch dem Willen der Pariser bonne Societé, welcher sie sich indirekt selbst zurechnet. Die Tatsache, dass Helmina von Chézy nur innerhalb ihres Milieus soziale Beziehungen unterhielt, deckt sich im Wesentlichen mit Ute Freverts Bemerkung, dass die Stadtwahrnehmung der Romantiker:innen keinen Blick für andere Gesellschaftsschichten zuließ, denn der »Bewegungs- und Aktionsradius war ungemein eng und orientierte sich an klaren sozialen Grenzen«141. Mit dem Doppelband über Leben und Kunst in Paris etablierte sich Helmina von Chézy als sprachgewandte, professionelle Schriftstellerin.142 Bereits kleinere Auftragsarbeiten, die in deutschsprachigen Journalen erschienen – vorrangig Eindrücke über die französische Großstadt, Berichte über die Kunst- und Literaturszene – bescherten ihr öffentliche Anerkennung und einen sicheren Lebensunterhalt. Ihr Doppelband zum Allatgs- und Kunstleben der Stadt knüpfte inhaltlich und formal an ihre Korrespondenzartikel an, indem das Werk Eindrücke aus dem gesellschaftlichen und kulturellen Alltag der Metropole festhält  : Berichte in Briefform über Theateraufführungen und Kunstausstellungen, Schilderungen über Architektur- und Modegeschmack der Pariser:innen, lokalpolitische Entwicklungen und Berichte über die persische Dichtkunst, über welche sie durch ihren Ehemann Kenntnis besaß.143 Fast zur selben Zeit erschienen die Französischen Miscellen (1803–1807), in denen monatlich über »die Fortschritte der schönen Künste und praktischen Wissenschaften«144 – ausdrücklich 139 140 141 142

Chézy, Helmina von  : Französische Miscellen, Bd. 1, Tübingen 1803, S. 117. Ebd., S. 117. Frevert, Stadtwahrnehmungen, 2000, S. 63. Benedicte Savoy bemerkt in ihrem Vorwort zu dem 2009 neu herausgegebenem und kommentiertem Band, dass Chézys Werk in Deutschland nie denselben Rang erreichte wie in Frankreich, wo es bis heute als wichtiges kulturgeschichtliches Zeugnis gilt. Savoy, Benedicte  : Vorwort, in  : Dies. (Hg.)  : Helmina von Chézy  : Leben und Kunst in Paris seit Napoleon I. [Neuausgabe der Version von 1805–1807], Berlin 2009, URL  : https://depositonce.tu-berlin.de/bitstream/11303/7971/3/Savoy_2009.pdf, letzter Zugriff  : 01.05.2022. In den zeitgenössischen Kritiken hierzulande lässt sich nachlesen, dass »äußerst kurze Notizen und oberflächliche Bemerkungen« die abschätzende Beurteilung des Werkes prägten (ALZ, No. 207, Jg. 1807, Sp. 413). 143 Antoine-Léonard de Chézy war an der Nationalbibliothek (ehemals kaiserliche Bibliothek) für die Bewahrung und Erforschung orientalischer Handschriften zuständig  ; einzelne Übersetzungen dieser Schriften sind ebenfalls in dem Doppelband enthalten. 144 Chézy, Französische Miscellen, 1803 [Vorrede].

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auch über »Industrie, Handel, Gesetze, öffentliche Anstalten, Notizen über berühmte Personen und Männer von Verdienst«145 – berichtet wurde. Ferner informierte die Herausgeberin über die französischsprachigen Journale und Zeitschriften, die darin enthaltenen Theaterkritiken und Buchrezensionen. Die Wahrnehmung der postrevolutionären modernen Metropole aus weiblicher Perspektive war auffallend und aufsehenerregend, selbst für das französische Publikum – auch wenn kritisches Reflektieren und Beurteilen, politische Gestaltung und Selbstbestimmung noch den Männern vorbehalten blieb. Der Großteil der im 19. Jahrhundert veröffentlichten Parisbeschreibungen aus weiblicher Feder war daher aus Sicht der reisenden Beobachterin angelegt, denn Reiseliteratur war als Einstiegsgenre beliebt und öffentlich geduldet. Auch Helmina von Chézy nutzte wiederholt den Reisebericht in Briefform (mit fingierter Adressatin), um ihre Eindrücke möglichst authentisch wiederzugeben und dabei dem Lesepublikum genug Raum für eigene Wertungen zu lassen. Im Fall der Beschreibung der städtischen Armenfürsorge kann ihr sogar eine Teilnahmslosigkeit oder zumindest einseitige Berichterstattung vorgeworfen werden, da sie Armut und soziales Elend nur aus sicherer Distanz und über Dritte erfuhr. Als teilnehmende oder moderierende Beobachterin trat sie hier nicht in Aktion  ; möglicherweise nahm sie in solchen Angelegenheiten eine passive Haltung ein, um keine Kontroversen zu provozieren. Erst in ihren späteren Schriften werden sozialkritische Themen offen angesprochen – vermutlich konnte sie diesen Schritt nun aufgrund ihrer schriftstellerischen Selbstsicherheit und gefestigten Verlagsbeziehungen wagen. Durch die sich im privaten sowie im beruflichen Bereich zunehmend verschlechternde Situation geriet Helmina von Chézy in eine existenzielle Krise. Nicht nur, dass sie infolge der zweiten gescheiterten Ehe und diverser Liebschaften gesellschaftlich kompromittiert war, auch ihre ökonomische Situation verschlechterte sich, da sie nun vollends auf Einkünfte aus ihren Publikations- und Übersetzungsarbeiten angewiesen war. Eine auf Mäzenatentum basierende Finanzierung, anfangs in Paris und zu Lebzeiten ihrer Großmutter Anna Louisa Karsch durchaus noch üblich, bildete keine Option mehr auf dem hart umkämpften Buchmarkt  ; Verhandlungsgeschick und Konkurrenzbewusstsein waren mittlerweile vonnöten, um erfolgreich zu publizieren.146 Neue und langfristige Verträge mit Verlagshäusern und eine breitere thematische Aufstellung, auch eine gebündelte Edition bereits erschienener Aufsätze stellten sichere Einnahmequellen 145 Ebd. 146 Vgl. Jahnke, Selma  : Eine Schriftstellerin überquert den Rhein  : Helmina von Chézys nachträgliche Abgrenzung vom französischen Rollenmodell der Madame de Genlis, in  : Busch, Anna/Hengelhaupt, Nana/Winter, Alix (Hg.)  : Französisch-deutsche Kulturräume um 1800  : Bildungsnetzwerke – Vermitt­ lerpersönlichkeiten – Wissenstransfer, Berlin 2012, S. 241–266, hier S. 244 f.

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in Aussicht. Die Rückkehr nach Deutschland war folgerichtig und auch notwendig, um eine an Mobilität und räumliche Flexibilität gebundene Berufsschriftstellerei weiter zu verfolgen. Auch die Möglichkeit, sich im Kontext der innen- und außenpolitischen Entwicklungen neue publizistische Aufträge zu sichern, mochte ihre Heimkehr erleichtern oder sogar verursachen. Ihre räumliche Verschiebung kam mithin einer thematischen Verlagerung gleich, da sie nunmehr auf die Berichterstattung über den höfischen und großstädtischen Alltag verzichten und sich anderen Gattungen widmen konnte.147 Den Brief als Form verbürgter Authentizität und Intimität behielt Helmina von Chézy bei und veröffentlichte auch nach der Rückkehr aus Frankreich Beiträge in der geläufigen Berichtform. So sind auch ihre Schilderungen vom Rhein in Briefform festgehalten  ; sie bezeugen das Wanderleben einer Heimkehrerin, die ihre Pariser Jahre zu rechtfertigen oder zumindest wiedergutzumachen sucht. Unverkennbar ist ihre selbstanklagende, apologetische Rhetorik, mit der sie ihren Aufenthalt in Paris rückblickend als Notwendigkeit einschätzt, derer ihr ein unkonventionelles Dasein als Autorin ermöglichte. In ihren Reiseschilderungen vom Rhein erhält dieser neben seiner Funktion als idyllischer Rückzugsort und Quelle poetischer Kreativität in Bezug auf die jüngsten Ereignisse eine politische Aufladung. Ihre Absichten zielen durchaus auf gesellschaftliche Anerkennung und Meinungslenkung. Neben ihrem Eingeständnis will sie das Publikum von ihrer politischen Positionierung überzeugen. Die beeindruckende Rheinlandschaft mit ihren Ruinen, Burgen, Denkmalen und mittelalterlichen Städten wird von ihr in den Blick genommen und soll nun im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen beim Lesepublikum ein positives Nationalgefühl freisetzen. Geschichten werden ungeachtet ihrer historischen Zusammenhänge miteinander gleichgesetzt, mittelalterliche Tugenden auf die Moderne übertragen. Den Lesern:innen wird dadurch eine vermeintliche Teilhabe an der Vergangenheit und dem Leben ihrer Ahnen suggeriert und deren lokale und patriotische Verbundenheit bestärkt. Die Fokussierung auf die Schauplätze historischer Begebenheiten war auch den unmittelbaren Geschehnissen der Zeit geschuldet  : Chézy unternahm ihre Rheinreise im Sommer des Jahres 1814, kurz nachdem sich die Verbündeten der Koalitionskriege erfolgreich gegen die französischen Truppen behauptet hatten und Napoleon vorerst abgesetzt worden war. Die Rheinüberquerung General Blüchers zu Beginn des Jahres ließ sich als Initialereignis für den Sieg über die napoleonische Vorherrschaft in weiten Teilen Europas feiern, zumindest auf deutscher Seite. Diesen Ereignissen war eine Vielzahl militärischer Entscheidungen, Siege und Niederlagen auf beiden Seiten vorangegangen, begleitet von der Anwerbung neuer Rekruten durch gezielte 147 Vgl. Kambas, Zwischen Kosmopolitismus und Nation, 1996, S. 262.

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Mobilisierungskampagnen, die Kriegsbegeisterung mit lokaler Verbundenheit kombinierten und die Befreiung des linken Rheinufers zur Staatsaufgabe erhoben.148 Wie Görres, Arndt und Fichte bewarb auch Helmina von Chézy die »Befreiung vom französischen Joch«149, exemplarisch in ihrem Lied an den Rhein  : O, woge, silbersüße Welle

Dahin, Unendlich lieblich, rein und helle Fließ hin  ! Des Vaterlandes grüner Boden Steht stolz und fest, Noch, haucht der Rhein den Lebensodem In Deutschlands Rest  ! So lang du strömst in deiner Schöne, O, Vater Rhein  ! So lange werden Teutschlands Söhne Noch Teutsche seyn. Nicht stets dem Fremdling untergeben Dein Ufer liegt  : Die Form zerfällt, der Stoff bleibt leben Das Gute siegt  !150

Der Rhein wird hier als Lebensodem und Garant für das Fortbestehen Deutschlands und der Deutschen gewertet. Wiederum ist es die Vaterfigur Rhein, welche »Teutsch­ lands Söhne noch Teutsche« sein lässt. Obwohl die historischen Ereignisse die Grenzen des Landes am Rhein verschieben und aufheben, bleibt seine Schutzfunktion bestehen. Schließlich ist nicht seine territoriale Zugehörigkeit, sondern seine bloße Existenz an das Bestehen des deutschen Reiches gekoppelt. Landschaftliche und historische Merkmale werden hier miteinander kombiniert, die Unversehrtheit der Natur wird auf 148 Vgl. Kandil, M. Mario  : Die Befreiungskriege in Westfalen und im Rheinland 1813/14 und die Wirksamkeit des neuen Konzeptes vom Nationalkrieg, in  : Veltzke, Veit (Hg.)  : Für die Freiheit – gegen Napoleon  : Ferdinand von Schill, Preußen und die deutsche Nation, Köln (u. a.) 2009, S. 201–218, hier S. 212. 149 Chézy, Unvergessenes, 1858, S. 69. 150 Der Text stammt bereits aus dem Jahr 1811. In  : Chézy, Helmina von  : Blumen in die Lorbeern von Deutschlands Rettern gewunden  : Zur Erinnerung d. Deklamatoriums am 29. November 1813 in Frankfurt am Main, Heidelberg 1813, S. 19.

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die Prädestination des deutschen Volkes übertragen, denn auch wenn »die Form zerfällt, der Stoff bleibt leben, das Gute siegt«. Diese pathetisch anmutende Überhöhung des Rheins überträgt sich auf die deutsche Bevölkerung, die das Menschsein in seiner vollkommensten Form, eben »das Gute«, verkörpert. Der Gegenspieler, das Böse, der Feind, lauert jenseits der Rheingrenze. Chézy verknüpfte die Stationen auf ihrer Route mit Etappen der Geschichte, die am Rhein unmittelbar erlebbar waren, denn hier reihen sich Schauplätze älterer und jüngster Ereignisse nahtlos aneinander. Lokale Ereignisse (Blüchers Rheinübergang) ließen sich aufgrund ihrer aktuellen politischen Bedeutsamkeit zu nationalen Angelegenheiten erheben und der Rhein zum Mittelpunkt patriotischer Bestrebungen. Die Grenzstreitigkeiten mit dem Nachbarland Frankreich verschärften die Tonlage. Die Befreiung der linksrheinischen Gebiete, die unter französischer Fremdherrschaft standen, galt als oberste und nationale Aufgabe. Sieg oder Niederlage konnten über die Existenz der Nation bestimmen. Von diesem Bewusstsein ergriffen, berichtete Chézy ehrfurchtsvoll über die wichtigen Stationen der Befreiungsaktion, die sie auf ihrer Reise aufsuchte  : Bei Caub rief uns der Schiffsmann aufs Verdeck, und sagte  : ›Hier gieng der Blücher über den Rhein  !‹ So einfach und ernst sagt hier wohl noch nach Jahrhunderten der Enkel des Schiffsmanns den Reisenden wieder  : hier gieng der Blücher über den Rhein  ! Ein Großes, Unvergängliches ist in dem schlichten Worte enthalten.151

Bisher bedeutungslose Orte gewinnen durch ihre Einbindung in historische Ereignisse an Attraktivität und lancieren zu hoch frequentierten Reisezielen. Sie werden, wie Kaub, durch ihre Einbindung in die unmittelbar stattfindenden Ereignisse, zu nationalen Erinnerungsorten. Der bereiste Raum wird an dieser Stelle anhand seiner jüngsten Vergangenheit als bedeutende Etappe innerhalb der nationalen Entwicklung eingestuft. Hier kann die Geschichte direkt nachvollzogen und nacherlebt werden. Der Schiffsmann fungiert als (mutmaßlicher) Zeitzeuge und Reiseführer zugleich  : Seine berufsmäßige und persönliche Beziehung zum Fluss und zur Landschaft erhebt ihn für die Ortsfremden zu einem Vermittler zwischen Einst und Jetzt. Chézy lobt die Glaubwürdigkeit und Schlichtheit, mit welcher er den Reisenden das Ereignis offenbart, ohne dieses dabei zu bagatellisieren. Die Klarheit seiner bündigen Aussage enthält ihrer Ansicht nach etwas »Großes und Unvergängliches« und erfasst die Beständigkeit der Geschichte. Mit der Weitergabe seiner Erinnerung an die folgenden Generationen leistet er einen wichtigen Beitrag zum kulturellen Erbe der Nation, selbst wenn sich seine Formel auf wenige Worte beschränkt. 151 JLM, 1815/März, S. 137 f.

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Auch Chézy selbst tritt in ihren Briefen als Zeitzeugin auf, etwa bei ihrem Aufenthalt in Darmstadt im Herbst 1813, wo sie die Rückkehr der französischen Truppen erlebt, die zuvor in der Völkerschlacht bei Leipzig geschlagen wurden  : Schon seit zwei Monaten und darüber, hatten uns ganze Schaaren französischer Blessirter, die theils verschmachtend, theils sterbend durch Darmstadt und die benachbarten Städte

gefahren wurden, ein Vorspiel gegeben, welches alle Herzen mit einer, mit Erbarmen vermischten Indignation füllte. […] Die Straßen von Frankfurt, die Häuser, die umliegenden Dörfer, die ganze Gränze des Rheins war erfüllt von diesen Schlachtopfern […]. Das zweite Vorspiel dieser großen Katastrophe gaben uns die Gefangenen, welche hieher und weiter transportirt wurden. Die Blessirten waren binnen einer Nacht über den Rhein geschafft worden, jetzt kamen die Gefangenen von Hanau und Leipzig, welche […] nicht die Neugier, nur die Milde der Einwohner Darmstadts in Anspruch nahmen. […] Aber der Keim des Todes, der fast in allen diesen Unglücklichen schlummert, entfaltete sich, […]. Die Franzosen wurden nicht bloß gespeist und beschenkt, auch größtentheils bekleidet, denn das menschliche Erbarmen in deutscher Brust kennt den Nationalhaß nicht, wenn er auch noch so gerecht ist.152

An dieser Stelle benennt sie erstmals auch die Kehrseiten des Krieges  : das Leid und die Verwüstung infolge der militärischen Auseinandersetzungen. Entgegen der erwarteten Euphorie über die Niederlage der französischen Truppen schildert die Autorin ein Schreckensszenario der geschlagenen und fliehenden Armee. Die zahlreichen Kriegsopfer, die von Verletzungen und Krankheit gezeichneten Soldaten erwecken das Mitleid der Bevölkerung. Chézy berichtet, wie von den Einheimischen »keine Pflicht der Menschlichkeit versäumt«153 wird, um die Not der Kriegsgefangenen zu lindern. Humanitäre Anteilnahme und Nächstenliebe wir jedem zuteil und lässt den Zwist zwischen den Nationen vergessen. Die Suggestion grenzenloser Barmherzigkeit gegenüber den Feinden soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass selbstloses Handeln und Helfen Teil eines politisch gelenkten Programms ist, welches durch die gezielte Einteilung in Gut und Böse durchaus Sieger und Verlierer festlegt. Preußen und seine Verbündeten als Personifikation des Guten auf der einen, Frankreich als böser Gegenspieler auf der anderen Seite. Quasi vorbestimmt, da vom göttlichem Willen gelenkt, siegt das Gute über das Böse  : Während die verbündeten Einheiten unverletzt und »unter lautem Jubel der 152 Chézy, Helmina von  : Frankfurt und Darmstadt vom November 1813 bis Februar 1814  : aus einem Briefe von Helmina, in  : JLM, Jg. 29 (1814), Ausgabe Februar, S. 95–113, hier S. 95 ff. 153 Ebd., S. 98.

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Einwohner«154 durch die Stadt ziehen, erleiden die gegnerischen Truppen Krankheit und Tod. Laut Chézy »waren dies Alles gezwungene Opfer«155, also zum Kriegsdienst verpflichtete Soldaten aus Frankreich und den besetzten Ländern, die gegen ihren Willen kämpften. Ihre Beobachtung liest sich als bittere Abrechnung der Kriegsdienstleistenden mit dem »Urheber ihres Elends«156, der namentlich unerwähnt bleibt, gewiss aber Napoleon Bonaparte meint. Chézy wertet die Ereignisse als Teil einer Anordnung von Oben, denn trotz der enormen Opferzahlen auf beiden Seiten sollte »nie ein Ruhm herrlicher leuchten, als der der Helden, die in diesem Kriege gefallen, der nicht bloß der heilige heißt – sondern es ist  !«157. Indes berichtet sie von den zahlreichen Entbehrungen der preußischen Armee und den alliierten Soldaten, unter denen sich nach Auskunft der Autorin auch zahlreiche befreundete und bekannte Personen befinden, die für Ehre und Vaterland in den Krieg zogen und damit »jede Rücksicht, jedes Studium, jede Aussicht zu künftigem Glück und Wohlstand […] freudig«158 aufgaben. Der Vergleich beider Kriegsparteien verdeutlicht, dass die gegnerische Partei nur unter Zwang, die Soldaten aus den eigenen Reihen aber mit Begeisterung in den Krieg zogen. Heldenverehrung und Selbstüberhöhung gehen hier Hand in Hand, denn obwohl Chézy als Frau selbst nicht in die Rolle der Soldatin schlüpfen kann, so vermag sie doch durch ihre wiederholte patriotische Haltung und Bewunderung für die Kriegshelden sich selbst in die Position der mitfühlenden Anhängerin zu rücken. In der Vorstellung einer sich aufopfernden, mitfühlenden und mildherzigen Frau vereinen sich idealtypische weibliche (christliche) Vorbilder wie Maria und Germania.159 Die unmittelbaren Erfahrungen der kriegerischen Auseinandersetzungen der Jahre 1813/14 prägen die Reiseschilderungen und es dominiert eine patriotische Grundstimmung. Dass ihre Rheinberichte neben Landschaft, Kultur- und Alltagsleben vor allem die zeitgeschichtlichen Ereignisse und politischen Entwicklungen aufgreifen, bestätigt das patriotische Konzept ihrer Aufzeichnungen, in die sie stets kulturpolitische Überzeugungen sät. Unter dem Eindruck eines Theaterbesuchs und dem Eintreffen des russischen Kaisers in Frankfurt lobt sie die russische Nation, Mentalität und Kultur, die sich im Gegensatz zu westlichen Zivilisationen durch einen stärkeren Bezug zur Familie, Religion und Staatsführung auszeichnen.160 Unverkennbar werden hier 154 155 156 157 158 159 160

Ebd., S. 97. Ebd., S. 97. Ebd., S. 97. Ebd., S. 101. Ebd., S. 99. Hürlimann, Die Eiche, 1987, S. 64 f. Vgl. Chézy  : Frankfurt und Darmstadt, Jg. 29 (1814), S. 104.

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reaktionäre Leitideen und konservative Machtstrukturen angeworben, als Grundlagen eines einheitlichen deutschen Staates. Ihre Mission, sich bei den Verbündeten erkenntlich zu zeigen, äußert sich bisweilen als übersteigerte Schmeichelei, etwa in ihrer Lobrede auf die Kaiserin Elisabeth Alexejewna, die sie zum Idol deutscher Frauen stilisiert. Diese Herausstellung einzelner (adliger) Frauengestalten folgt dem Ziel einer politischen Gleichschaltung, die im Kontext der kriegsstrategischen Entwicklungen alte Feindbilder (Frankreich) bestätigt und neue Verbündete (Russland) konstituiert. Chézys patriotische Rhetorik ist neben der zeitgenössischen Meinungslenkung auch dem Pressewesen und besonders dem zuständigen Verlagsinhaber geschuldet. Friedrich Justin Bertuch hatte schon frühzeitig die Möglichkeiten und (unternehmerischen) Vorteile einer politischen Berichterstattung erkannt und vertrat selbst eine antinapoleonische und antifranzösische Meinung.161 Dass er in seinen Zeitungen auch Autorinnen wie Helmina von Chézy oder Johanna Schopenhauer ein Betätigungsfeld politischer Meinungsbekundung genehmigte, war Teil seiner Verpflichtung als Informationsversorger für alle Lesenden, auch wenn er das weibliche Engagement lediglich auf die Bewahrung und Vermittlung von konservativen Wertvorstellungen reduzierte. Populäre, meist dem Hochadel entstammende Frauengestalten nahmen eine wichtige Vorbildfunktion bei der Positionierung der deutschen Frau als vaterlandsliebende, dabei sittsame und gehorsame Kameradin ihres Mannes ein. Regentinnen beziehungsweise deren mythisierte Inszenierung als Mütter der Nation repräsentierten eine ideale Verbindung und konstante Fortführung von monarchischer Regierungsstruktur mit traditionellem Frauenbild.162 Auf Anregung der preußischen Prinzessinnen entstanden im Übrigen ab 1813 ständeund konfessionsübergreifende Vereinigungen von Frauen, die durch ihre patriotische Hilfsarbeit, konkret das Sammeln von Sach- und Geldspenden, zunächst die Soldaten und mit fortschreitendem Verlauf auch die Opfer und Hinterbliebenen unterstützen.163 Ziel war eine Einbindung bisher unterrepräsentierter Bevölkerungsgruppen 161 Vgl. Macher, Heinrich  : Goethe und Bertuch  : der Dichter und der homo oeconomicus im klassischen Weimar, in  : Kaiser, Gerhard R./Seifert, Siegfried (Hg.)  : Friedrich Justin Bertuch (1747–1822)  : Verleger, Schriftsteller und Unternehmer im klassischen Weimar, Tübingen 2000, S. 55–77, hier S. 67 f. 162 Daher ist die Aussage Dirk Alexander Reeders, die Befreiungskriege seien Ausgangspunkt einer Frauenbewegung in Deutschland, äußerst kritisch zu bewerten. Eine aktive Partizipation am politischen Alltag war Frauen nur scheinbar möglich, denn sie wurde nach wie vor strikt kontrolliert und von Männern bestimmt. Die Einbindung von Frauen in politische Entwicklungen oder gar Entscheidungen war überaus gering und wenn überhaupt, dann nur Vertreterinnen aus den adligen Gesellschaftskreisen vorbehalten. Die Einteilung in weibliche und männliche Betätigungsfelder findet sich auch in der Presse wieder, die selbst Rubriken nach geschlechtsspezifischen Interessen und damit politischen Handlungsspielräumen trennte. Siehe Ackermann, Modejournale, 2005, S. 319. 163 Vgl. Wegener, Inke  : Zwischen Mut und Demut  : die weibliche Diakonie am Beispiel Elise Averdiecks (Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens 39), Göttingen 2004, S. 43.

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in die Kriegsbegeisterung und -unterstützung, so auch durch karitative Maßnahmen, die größtenteils Frauen besorgten. Deren Unterstützung konnte die Kriegsrealität, die zahlreiche Tote und Verwundete, Waisen und Witwen hervorbrachte, zwar nicht aufheben, aber doch durch den regenerierenden Auftrag die Standhaftigkeit und Rekonvaleszenz des Heeres nach innen und außen demonstrieren. Die Propagierung der weiblichen Fürsorge sollte auch der einsetzenden Kriegsmüdigkeit und Politikverdrossenheit vorbeugen. Die sorgende Frau, im Idealfall selbst Mutter und Ehefrau, bildet einen Gegenentwurf zum Frontalltag, schafft einen Ausgleich zu den Negativmotiven und -momenten des Krieges. »Die patriotische Wohltätigkeit im Kontext der Befreiungskriege bot Frauen erstmals die Möglichkeit, sich national zu engagieren«164 und politische Verantwortung zu übernehmen. Die patriotischen Frauenvereine trugen dazu bei, dass sich die Versorgung der Verwundeten, aber auch der Witwen und Waisen erheblich verbesserte. In der Rolle der Krankenpflegerin konnten Frauen ihrer traditionell zuerkannten Rolle als fürsorgliche und häusliche Mutter, Ehefrau und Schwester nachkommen und obendrein einen patriotischen Beitrag leisten, indem sie ihren verwundeten Söhnen, Männern und Brüdern beistanden. Auch Helmina von Chézys Partizipation an den politischen Entwicklungen implizierte nicht nur ihre schriftlichen Aufrufe, sondern auch eine aktive Unterstützung der Kriegsopfer. Chézy, laut Selbstauskunft ausgestattet mit einer königlichen Order, reiste zu den Spitälern am Niederrhein und in Belgien, wo sie ihre Unterstützung bei der Pflege der Kranken und Verwundeten anbot. Ihr Beistand sah dabei keineswegs den direkten Kontakt zu den Kranken und Verwundeten vor, sondern beinhaltete mittelbare Hilfeleistungen, wie das Spenden von Lebensmittelvorräten und Medikamenten. So selbstlos ihre Unterstützung der Lazarette auch anmuten mag, so rational und zweckorientiert sind ihre schriftlich bekundeten Aktivitäten, die nicht nur das eigene Helfen in den Mittelpunkt stellen, sondern auch die an die Öffentlichkeit gerichtete ideelle Unterstützung der Regierung. Vor Ort entdeckte sie, dass es an solchen grundlegenden Materialien mangelte, was die »entsetzlichen Verwundungen« der Soldaten erklärte, welche »gleich und eingefallen wie Leichname« aussahen, da Hygienezustände sowie Verpflegung »von schlechter Qualität«165 waren. Ihre öffentliche Bekanntmachung der Missstände in den Lazaretten beinhaltete neben der Unterversorgung der Verwundeten und Überforderung des 164 Heese, Thorsten  : 1814//1914  : Frau und Patriotismus in Osnabrück, in  : Bösling, Carl-Heinrich/Führer, Ursula  ; Glunz, Claudia/Schneider, Thomas F. (Hg.)  : Männer. Frauen. Krieg  : Krieg und Frieden – eine Frage des Geschlechts  ? (Erich-Maria-Remarque-Jahrbuch 25, 2015), Göttingen 2015, S. 33–54, hier S. 35. 165 Chézy, Unvergessenes, 1858, S. 128.

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Pflegepersonals auch die Aufdeckung interner Straftaten, wie arglistige Täuschung, Veruntreuung, Betrug und Erpressung.166 Der daraus resultierende Rechtprozess, in dem sie sich selbst vor Gericht verantworten musste, verstärkte ihren Ruf als unbequeme Persönlichkeit. Ihr Wagnis, sich als Frau in Verwaltungsaufgaben einzumischen und Missstände öffentlich anzuzeigen, war ungewöhnlich und unangenehm, da es administrative Schwachstellen offenlegte und die Staatsmacht – vor allem die Unterbringung und Versorgung der verwundeten Militäreinheiten – infrage stellte. Helmina von Chézy geht damit neue Wege in der Berichterstattung, indem sie Reiseschilderungen nicht nur zu Unterhaltungszwecken, sondern als Medium eines sich demokratisierenden Buchmarktes nutzt, um »soziale Missstände öffentlich zu machen und dadurch Veränderungen zu erzielen«167. Helmina von Chézy schließt sich im übertragenem Sinn ihren Waffenbrüdern an, indem sie selbst nicht nur aktiv zur Unterstützung der Verwundeten aufruft, sondern ihre eigene Opferbereitschaft durch Taten verifiziert, indem sie nach eigener Aussage ihr Vermögen anonym spendet und mit ihren Söhnen in einfachen Verhältnissen lebt.168 Verbürgte (finanzielle) Einschränkung und bedingungslose Opferbereitschaft sind wiederkehrende Motive in Chézys autobiografischer Abrechnung mit sich selbst in der Zeit der Befreiungskriege, welche auch eine Wiedergutmachung ihrer Pariser Jahre darstellt.169 In ihren Erinnerungen reflektiert sie über ihr soziales und politisches Engagement und evoziert neben der eigenen auch eine fremde Anerkennung ihrer Leistungen, die ebenso wie die bezweckte Vermarktung ihrer Lebensgeschichte ihr allzu selbstloses Handeln allerdings infrage stellen. Dass ihre Leistungen um die Unterstützung der Soldatenversorgung anschließend tatsächlich Wertschätzung fand, lässt sich in einem Verwaltungsbericht von 1823 nachlesen  : Der Theil, den Frau v. Chézy an den Bemühungen der Frauenvereine am Rhein genommen hat, ist bekannt genug, und gewinnt um so mehr an Werth, da sie und der Märtyrer der Wahrheit, […] Dr. Frohwein […], Gegenstände zur Sprache brachten, die vielleicht stets verborgen geblieben wären.170 166 Vgl. ebd. S. 131 f. Der eingeleitete Rechtsprozess wurde ihr schließlich zum Verhängnis, als die von ihr angezeigte Invaliden-Prüfungskommission sie der Verleumdung beschuldigte. Sie wurde schließlich vom Berliner Kammergericht unter dem Vorsitz von E. T. A. Hoffmann freigesprochen. 167 Baumgartner, Das Reisehandbuch, 2009, S. 67. 168 Chézy, Unvergessenes, 1858, S. 134. 169 Ausführlich dazu  : Kambas, Zwischen Kosmopolitismus und Nation, 1996, S. 260 ff. 170 Neigebaur, Johann Daniel Ferdinand  : Die angewandte Cameral-Wissenschaft  : dargestellt in der Verwaltung des Generalgouverneurs Sack am Nieder- und Mittelrhein, Leipzig 1823, S. 361 f.

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Politische Gleichschaltung und patriotische Meinungslenkung verkennen hier wie in vielen Geschichten über Freiheitskämpfenden und Kriegshelden die Kehrseiten der sogenannten Freiheitskriege, denn in der Berichterstattung werden fast ausschließlich Opfer auf der eigenen Seite beklagt, nie aber deren vorangegangene Taten thematisiert. Dass preußische Söldner und deren Verbündete im Feld Menschen misshandelten, anschließend vermutlich plünderten, vergewaltigten und töteten, wird ausgeblendet – oder zumindest als verbindlicher Teil des Soldatenlebens bewusst hingenommen und verschwiegen. Insofern ist der Personenkult um die gefallenen und verwundeten Soldaten aus den eigenen Reihen ein einseitiger, auf das Jetzt ausgerichteter Propagandatrick, der wiederum in Gut und Böse teilt ohne selbstkritische Zwischennuancen zuzulassen. Diese verzerrte, subjektive Wiedergabe der Geschehnisse bekräftigt die gängigen Freund-Feind-Stereotypen, die einerseits die positiv konnotierte Formel Heimat – Opfer – Held und andererseits die Negativ-Formel Fremde – Täter – Verlierer aufstellt. Auch bleibt das Schicksal vieler Kriegsüberlebenden – etwa die unmittelbaren Auswirkungen auf Familien, und hier besonders Frauen und Kinder – größtenteils unerwähnt. Dabei begrenzt sich die Anteilnahme von Frauen am Kriegsgeschehen mitnichten nur auf das Bild vom wartenden Heimchen am Herd, sondern ist durchaus von Kriegsbegeisterung und Patriotismus geprägt, welche sich in diversen Kampagnen artikuliert. Der politische Rhein wird als Heimatfront und Kriegsfront nun auch für die Frauen zur nationalen Aufgabe. Hier werden nationale Integrität und historische Kontinuität verteidigt. Nationale Identität und politische (Schein-) Partizipation wird den Frauen zuteil, indem sie humanitäre und finanzielle Beihilfe leisten. Vor der Kulisse des wild-romantischen, geschichtsträchtigen und sagenhaften Rheins potenzieren sich Opferbereitschaft und Heldentum  ; die Landschaft setzt Erinnerungen und Emotionen frei, die eine bedingungslose Kriegsbegeisterung und Heimatverbundenheit auslösen. Helmina von Chézy verbindet in ihren Aufzeichnungen den mittelalterlichen Charme des Rheins mit seiner einheitsstiftenden Funktion und Symbol für die deutsche Freiheit. Die Tugenden und Werte einer glorreichen Vorzeit fungieren als Vorbilder für die jüngsten Ereignisse. In der Gegenwart erkennt sie die Fortsetzung einer germanischen Geschichte und auch Mythologie. Eine historische Kontinuität wird erschaffen, indem sich der militärische Erfolg der Stammväter bis in die Neuzeit fortsetzt und die Überlegenheit eines Volkes begründen. Das Motiv des Sieges zieht sich dabei als Konstante durch die eigene Geschichte. In der Zeit struktureller Unsicherheit und Veränderung wird eine ideologische Verklärung und kämpferische Aufladung betrieben, die den Rhein zum gemeinsamen Kampfplatz der Deutschpatrioten erhebt. Der Rhein lanciert zum symbolischen Ausgangspunkt einer künftigen deutschen Nation.

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Erst mit dem Auftritt der Preußen wird das Rheinland befreit und die Zugehörigkeit des Flusses zu Deutschland konsolidiert. Helmina von Chézys Reiseverhalten unterscheidet sich von dem ihrer Vorgänger durch die unterschiedlichen politischen Vorstellungen und Ambitionen, die sie mit ihrer Route verknüpfte. Brentano und Arnim suchten auf ihrer Wanderschaft vorrangig das gesellige Beisammensein, die unberührte Natur und das Erleben eines ursprünglichen, fröhlichen Volkslebens. Bei Chézy verbindet sich ihr Aufenthalt am Rhein nun »mit patriotischen Gefühlen, mit preußischen Tugenden und deutschem Nationalismus«171. Die Vertreter:innen der Frühromantik verbanden im Hinblick auf die mittelalterlichen Überbleibsel am Rhein Geschichte und Landschaft miteinander.172 Chézy erweitert diese Grundidee, indem sie die jüngsten politischen Ereignisse in Verbindung mit der Vorzeit setzt und dabei den historischen Kontext übergeht. Sie zieht eine direkte Verbindung zwischen dem Mittelalter und der neueren Geschichte. Gegenwart und Vergangenheit werden eins, die Autorin wandelt schwärmerisch zwischen den Epochen und idealisiert deren Verdienste für die Einheit des Reiches. Durch die Ereignisse Anfang des 19. Jahrhunderts, welche eine politische Instabilität des Reiches auslösten, wird die Rheinlandschaft zum Entscheidungspunkt für die nationalen Bestrebungen und der freie Rhein zur Basis für ein freies Deutschland. Diese nunmehr nationale Angelegenheit thematisiert Chézy in ihren Briefen. Die Befreiung des Rheinlands versteht sie als ehrenhaftes und notwendiges Verdienst der gefallenen Soldaten. Ihr Appell an das Nationalbewusstsein zeigt, »wie aus der literarischen eine patriotische Rheinromantik geworden«173 ist. Der Rhein wird nicht mehr nur wegen seiner einzigartigen landschaftlichen Reize aufgesucht, sondern aufgrund seiner historischen Bedeutung für die Existenz einer deutschen Nation. Die Rheinlandschaft legitimiert nicht nur durch bauliche, fassbare Relikte, sondern auch über abstrakte, mündlich tradierte Überlieferungen die Beständigkeit einer germanischen Vergangenheit  ; die Erinnerungskultur am Rhein wird politisiert, indem sie gewohnte romantische Motive (Burgen- und Ritterromantik) übernimmt und ergänzt (Heimat- und Vaterlandliebe). Dies lässt selbst die Berlinerin und Wahlpariserin Helmina von Chézy zu einer rheinischen Frau und Unterstützerin der Vaterlandsverteidigung werden. Verbundenheit und Nationalbewusstsein sind Motive, 171 Maurer, Kulturgeschichte, 2008. S. 182. 172 Vgl. Tavernier, Ludwig  : Bilder vom Rhein, in  : Der Geist der Romantik in der Architektur  : gebaute Träume am Mittelrhein (Veröffentlichungen des Landesmuseums Koblenz, Reihe B, Einzelveröffentlichungen 68) [Begleitpublikation zur Sonderausstellung »Gebaute Träume« des Landesmuseums Koblenz, Landesmuseum Koblenz, Festung Ehrenbreitstein, 3. Juli–17. November 2002], Regensburg 2002, S. 131–141, hier S. 133. 173 Ebd., S. 137.

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die lokale Grenzen überwanden und Menschen selbst weitab des Rheins zu mittelbaren Teilnehmenden deutscher Verteidigungs- und später auch Einigungsbemühungen werden ließen. Die Politisierung der Rheinromantik erwirkte, dass der Rhein räumlich übergreifende Gefühle der Zugehörigkeit und Identität evozierte und als sinnlich erlebbares Reiseziel um die Stimmungsfaktoren Vaterland und Heimat erweitert wurde. Helmina von Chézys öffentliches Auftreten und berufsmäßiges Schreiben sorgten ebenso wie ihr Privatleben aber auch für Missgunst und Ablehnung. Karin Baumgartner führt aus, dass insbesondere ihr moderner und urbaner Lebens- und Arbeitsstil die romantischen Leitideen infrage stellte.174 Chézy legte sich sowohl privat wie auch beruflich ungern fest, sie galt als unangepasst und souverän. Ihr unstetes (Reise-)Leben wurde nicht – wie bei ihren männlichen Äquivalenten – als Durchsetzung eines romantischen Lebensmodells positiv gewertet, sondern als gefährliche Abweichung von der Norm. Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit zeigt, dass die Lebensmodelle der Romantiker:innen praktisch schwer umsetzbar blieben beziehungsweise im Fall weiblicher Einforderung negativ konnotiert waren. Dies kann andererseits ein Grund dafür sein, dass Helmina von Chézy als romantische Autorin mit politischem Anspruch in der Forschung bislang kaum berücksichtigt wurde. Chézy reiste zum Zeitpunkt der Befreiungskriege an den Rhein. Dieser Umstand beeinflusst ihre patriotische Aufwertung des Rheins, an dessen Ufern ›Deutschlands Söhne noch Deutsche‹ sein dürfen. Ihre kriegsbezogenen Äußerungen sind prodeutsch und national ausgerichtet  ; der Sieg Preußens ist für sie eine logische Konsequenz. Die Existenz des deutschen Stromes ist an das Bestehen des Reiches gekoppelt  ; Beständigkeit von Landschaft und Geschichte werden auf diese Weise miteinander verknüpft. Wie Arnim proklamiert sie in ihren Briefen eine Sympathie für Preußen, die sich nun auf dessen militärischer Stärke und Durchsetzungskraft begründet. Zwar äußert sie sich bestürzt über die negativen Folgen des Krieges, die tausendfachen Kriegsopfer und das Leid der Gefangenen, dennoch überwiegt eine begeisterte Faszination, die Kriegsopfer ausklammert und eine Heldenverehrung inkludiert. Ihre Schwarz-Weiß-Malerei trennt klar die Sieger- von der Verliererpartei. Sie beschreibt das Unglück der Kriegsopfer auf französischer Seite, die nach den Kämpfen nun von Krankheiten heimgesucht werden. Die gefallenen Soldaten aus den eigenen Reihen bezeichnet sie hingegen als ruhmreiche Kriegshelden. Ehre und Vaterland sind entscheidende Chiffre in ihrer schriftlichen Mobilisierung gegen Frankreich. Obwohl in Paris einst ihr Lebensmittelpunkt lag, stellt sie sich als kämpferische Patriotin auf die Seite ihres Vaterlandes. Am Rhein intensiviert sich dieses Heimatbewusstsein nochmals. Der ›freie Rhein‹ wird zum Fluchtpunkt ihrer agitatorischen und nationalromantisch überladenden Losungen. Bei Arnim und 174 Baumgartner, Wanderer between the Worlds, 2007, S. 214.

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Brentano finden sich auch in der späteren Korrespondenz keine Anzeichen für diese überzogene Verfälschung des Rheins. Vielmehr deuten sie ihn als Ausgangspunkt einer unverfremdeten deutschen Kultur, welcher die Uneinigkeiten verwischen und ein Einheitsgefühl in der Bevölkerung erzeugen soll. Vollkommen konträr, da umfangreicher und leidenschaftlicher, gestalten sich die publizierten Berichte von Helmina von Chézy  ; bei ihr nehmen die Bezüge auf den Konflikt zwischen Frankreich und Preußen und die militärischen Auseinandersetzungen einen wichtigen Teil ein  ; die Verfasserin besucht Schauplätze der Kriegsereignisse und erlebt die historisch bedeutsame Landschaft mit allen Sinnen. Der Besuch der Kriegsschauplätze suggeriert ihr die Partizipation an der deutschen Geschichte und legitimiert quasi ihren Aufenthalt am Rhein, der nicht als Freizeitvergnügen angelegt ist, sondern der nationalen Bildung dient. Ihr Bericht richtet sich an ein entsprechend national gesinntes Lesepublikum und folgt dem Trend, dass der deutsche SchicksalsStrom nicht mehr nur Anlaufpunkt für Anhänger der Ästhetik, Kunst und Literatur war, sondern nun allen Bevölkerungsschichten offenstand. Der Rhein ist bei ihr zugleich Gedächtnisort einer wechselvollen Geschichte und Pilgerziel für alle Unterstützer:innen des deutschen Einheitsgedankens. Sicher schenkt sie den jüngst zurückliegenden Ereignissen auch ihr Augenmerk, weil das Lesepublikum jener Zeit wohl auch ein gewisses Interesse für solche Berichte an den Tag legte  ; ihre Auswahl folgte demnach auch der Nachfrage auf dem Buchmarkt. Mit ihren Aufzeichnungen verfolgte sie auch den Plan, die eigene Vergangenheit in Frankreich zu rechtfertigen. Die Fahrt über den Rhein zurück ans deutsche Ufer verklärt Chézy in ihren Schriften als schicksalhaften Wendepunkt in ihrem Leben und schmückte es nachträglich als patriotisches Schlüsselerlebnis aus  : Ich sah nicht ohne Schauder den Kahn, der mich hinüberführen sollte zu Frankreichs Ufern, und nicht ohne Wehmuth labte ich mich am herrlichen Schauspiel der Gegend um mich her. […] Ich beugte mich nieder, küsste das Ufer, pflückte eine manneshohe Kornähre ab und barg sie in ein Taschentuch. O, wie manche moralische Größe muß so klein geknickt und den Verhältnissen angepasst werden.175

Die Überfahrt und die Ankunft am anderen Ufer des Rheins bewertete sie rückblickend als ungünstige Fügung und in der Vorahnung kommender Ereignisse, über die sie selbstverständlich erst nachträglich reflektierte. Die dramatisch überhöhte Abschiedsszene soll die Unfreiwilligkeit ihrer Reise ins Nachbarland verdeutlichen, die tatsächlich sehr zweckgebunden und selbstbezogen erfolgte, um erstens einer Kompromittierung infolge 175 Chézy, Unvergessenes, 1858, S. 140.

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der Eheauflösung zu entgehen und zweitens eine neue Existenz im Ausland aufzubauen.176 Helmina von Chézy warb durch die Vermittlung ihrer besonderen Lebensumstände – die sie nicht selten übertrieben theatralisch arrangierte – um Verständnis für ihr unkonventionelles Dasein als Schriftstellerin und alleinerziehende Mutter, das sie in Frankreich führte. In ihren autobiografischen Schriften rechtfertigte sie aber nicht nur ihre Berufstätigkeit, sondern stilisierte sich selbstbewusst als Zeitzeugin einer bestimmten Kunstepoche und Vertreterin einer neuen Frauengeneration – die auch ein Resultat ihrer in Frankreich angeeigneten Freizügigkeit, Erwerbstätigkeit und Unabhängigkeit war.177 7.3.3 Johanna Schopenhauer: zwischen deutschen Ufern Auch Johanna Schopenhauer verknüpft in ihren Aufzeichnungen Geschichte mit Ge­schichten. Die Rheinlandschaft wird bei ihr erst durch den Verweis auf menschliche Kultur (nach-)erlebbar. Man könnte es auch so formulieren, dass die Existenz der Landschaft aus ihrer historischen Bedeutsamkeit resultiert. Bauliche Überreste und materielle Relikte einer als glorreich beschriebenen Vorzeit kennzeichnen die von ihr beschriebene Landschaft. Auch Schopenhauer betritt wie ihre Vorgänger:innen klassischen und altdeutschen, also geschichtsträchtigen Boden, und damit einen Erinnerungsort deutscher Vergangenheit schlechthin. Bemerkenswert ist, dass beide Reiseschilderungen unter dem Eindruck der unmittelbar zurückliegenden innenpolitischen Ereignisse entstehen. So unternimmt sie ihre erste Rheinreise laut Nebentitel im Sommer des ersten friedlichen Jahres, im Juli 1816. »Endlich hat der Sturm ausgetobt, der Jahre lang die halbe Welt verwüstete, der jede Aussicht in die Zukunft so verdunkelte, daß fast niemand Muth behielt, nur den Gedanken eines Plans für die nächsten Tage zu wagen.«178 Dieser Umstand ist nicht zu ignorieren, denn die Reise wird mit dem durchaus politisch motivierten Anliegen nach nationaler Erneuerung (und staatlicher Einheit) unternommen. Auch die Möglichkeit, überhaupt an den Rhein zu reisen, steht im Zusammenhang mit den jüngsten politischen Ereignissen. Nach Napoleons Niederlage und dem Wiener Kongress gelangten viele linksrheinische, ehemals der französischen Obrigkeit unterstehende Gebiete erneut in den Besitz deutscher Königreiche und Herzogtümer, beziehungsweise ein Großteil in den 176 Vgl. Baumgartner, Karin  : In search of literary mothers across the Rhine  : the influence of Genlis and Staël on the writing of Helmina von Chézy (= Women’s Writing 18, 2011/1), S. 50–67, hier S. 54. 177 Vgl. Kambas, Zwischen Kosmopolitismus und Nation, 1996, S. 248, vgl. Baumgartner, literary mothers 2011, S. 56. 178 Schopenhauer, Ausflucht, 1818, S. 1.

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Besitz Preußens.179 Schopenhauer berichtet über ihren schon lang gehegten Wunsch, den Rhein zu bereisen, wenn »dieser wieder zwischen deutschen Ufern hinströmen würde«180. Allein dieser Wunsch beinhaltet ein politisches Moment, da sich der Rhein unrechtmäßig im Besitz des Feindes befand und ein Besuch nicht mit dem Pflichtgefühl einer Deutschen vereinbar war. Nicht unwesentlich sind Destination und Zeitpunkt der Reise, die sie auch wählt, um sich im zeitgenössischen Diskurs zu Wort zu melden und Position zu beziehen, und zwar in dem für Frauen zugelassenen Genre der Reisebeschreibung. Sie konnte als eine der Ersten über die veränderten Strukturen in den Rheingebieten berichten. Die Gelegenheit gewährte über persönliche Ambitionen hinaus einen kommerziellen Vorteil  : Eine Rheinreise entsprach nicht nur einem Trend des Bildungsbürgertums  ; schließlich ließen die zeitlichen Umstände der Veröffentlichung auf eine breite Aufmerksamkeit und zufriedenstellende Verkaufszahlen hoffen. Auch ihre Verschriftlichung der zweiten Rheinreise von 1830/31 beginnt ebenfalls mit der Schilderung eines zurückliegenden historischen Ereignisses  : dem Erfurter Fürstenkongress von 1808, auf dem die beiden Kaiser Napoleon und Alexander I. bündnispolitische Vereinbarungen aushandelten. »Der Glanz der Erfurter Ereignisse war ihr [ Johanna Schopenhauer] sicherlich so lebhaft in Erinnerung, weil sie ihn im neugewonnenen Bewußtseins gesellschaftlichen Erfolgs im Weimarer Goethe-Kreis genießen konnte.«181 Neben den Persönlichkeiten aus Politik und Kultur begegnet sie einer enthusiastischen Bevölkerung, die zu einer Generation gehört, welche Politik popularisiert. Schopenhauer ist nicht unbeeindruckt von den politischen Entwicklungen und schreibt als Berichterstatterin und Zeitzeugin über diese so bedeutsamen Ereignisse. Ihre Reiseschilderungen sind daher unbedingt auch im Zusammenhang politischer Veränderungen zu lesen und zeigen, wie sich die Öffentlichkeit (zumindest die bürgerliche) politisierte und eine offene, freie Meinungsbildung für sich in Anspruch nahm. Im zweiten Band ihres Ausflugs an den Niederrhein steigert sich ihr Geschichtsbewusstsein in einem Vergleich der beiden Flüsse Rhein und Maas, der sich ihrer Meinung nach automatisch nach Überschreitung der Grenzen und der Weiterreise in Richtung der Rheinmündung aufdränge. Obgleich die Maas durchaus reizvolle Ufer und Städte aufweise, sei das Rheintal »ein Tempel der Vergangenheit«, in dem sich Burgen, Schlösser, Ruinen und deren Geschichten aus mehreren Jahrhunderten aneinanderreihen. 179 Vgl. dazu Brophy, James M., 1815 bis 1848 – Vom Wiener Kongress zur Revolution, in  : Internetportal Rheinische Geschichte, URL   : http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/ Epochen/1815-bis-1848---vom-wiener-kongress-zur-revolution-/DE-2086/lido/57ab241e7d1687. 63686537, letzter Zugriff  : 01.05.2022. 180 Schopenhauer, Ausflucht, 1818, S. 2. 181 Fimpeler/Heppe, Nachwort, 1987, S. 322.

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Alles am Rhein spricht zu uns von einst erlebten bessern, glorreichen Tagen  ; anders ist es an der weit unbedeutenderen Maas  : das Thal, durch welches ihr rascher Lauf sich windet, ist der lebensreichsten, thätigsten Gegenwart geweiht, wie das Rheinthal dem ernsten Zurückblicken.182

Doch auch in den Niederlanden wird sie an geschichtsträchtige Orte geführt, so erblickt sie kurz vor ihrer Ankunft in Brüssel die Ebenen der Schlacht bei Waterloo  : Wir waren ziemlich lange gefahren, wenigstens dünkte es uns so, als unser Kutscher Halt machte […]. Von nun an war die Oede der Gegend für uns verschwunden, das Interesse, welches jeder Fussbreit dieses mit Blut gedrängten, durch große unvergeßliche Ereignisse und Heldenthaten geheiligten Bodens uns einflößen mußte, ließ keine andere Bemerkung aufkommen.183

Johanna Schopenhauer ist von den Erzählungen und Orten dieser großen Feldschlacht, den gefallenen Kämpfern und Opfern der Auseinandersetzung, die erst einige Jahre zurückliegt, gleichfalls überwältigt und erschüttert. Neben ihrer Ergriffenheit ob der Bedeutsamkeit dieses Ortes erhalten wir durch ihre Schilderungen auch Kenntnis über die Entwicklung des Reisens, speziell die Motivation der reisenden Akteur:innen und der sich entwickelnden Strukturen am Ereignisort. So erfährt sie aus einem Gespräch mit einem ansässigen Wirt, »daß er wegen der großen Anzahl Reisender, die bei ihm einkehrten, um das Schlachtfeld zu sehen, seinen jetzigen Wohlstand doch im Grunde jenen bösen aber schnell vorübergehenden Tagen verdanke«184. Die wirtschaftlichen Vorteile für die lokale Bevölkerung werden hier als wichtige Faktoren einer beginnenden Erinnerungstradition bei Waterloo sichtbar. Auch Schopenhauers Gästeführer profitieren von der Zunahme an Reisenden, welche neben den üblichen Zielen, den Kunstschätzen und Denkmälern der großen Städte, nun auch die historischen Schauplätze der Drei-Tage-Schlacht besuchen. Im Bewusstsein um diese Trendwende nennt sie sogar Ratschläge für eine organisierte Leitung von Reisenden  : Sehr wünschenswerth und zweckmäßig wäre es, wenn an diesem […] ewig merkwürdigen Schauplatz der größten Tragödie, welche unsere Zeit gesehen, einige Invaliden angestellt würden, um die Reisenden mit würdigem Ernst auf jener […] Stätte herumzuführen, in deren Reihen sie einst mitgekämpft.185 182 183 184 185

Schopenhauer, Ausflug, 1831/2, S. 91 f. Ebd., S. 97 f. Ebd., S. 100. Ebd., S. 101 f.

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Wenn ihre Empfehlung, dienstunfähige Soldaten für die ortskundige Führung von interessierten Reisenden anzustellen, auf heutige Leser:innen auch makaber wirken mag, so artikuliert sie doch treffend das Anliegen eines Reisepublikums, das in der Begehung von authentischen Geschichtsorten mit authentischen Akteur:innen zugleich nach der eigenen Identität und Attraktion sucht.186 Die Bekanntschaft mit den Einheimischen vor Ort gehört ebenso zum beglaubigten Reiseerlebnis wie die Besichtigung der historischen Schauplätze – die Anwesenheit der lokalen Bevölkerung schafft einen Bezug zur Vergangenheit und sichert den Reiseeindruck durch den Zeitzeugenbericht doppelt ab. Darin steckt auch der Moment einer performativen Aneignung von Orten durch die gezielte Begehung und Einfühlung in Räume – in diesem Fall ein Schlachtfeld, das Schopenhauer mit Wehmut und Ehrfurcht betritt. Da es sich zunächst um einen eher unscheinbaren Ort mit einer ambivalenten Vergangenheit handelt – sie verbindet Bilder von Toten und Verwundeten, aber auch helden- und sieghafte Personen mit dem Ereignis – werden positiv besetzte Begriffe auf den Ort projiziert, die den Triumph der eigenen Truppen in den Mittelpunkt stellen. Ihr historisches Bewusstsein ist eng verknüpft mit den Stationen ihrer Reise, die sie immer wieder zu originären Schauplätzen der jüngsten Vergangenheit führt. Dass sie bei der zweiten Reise den Rheinaufenthalt mit einem Besuch der Schlachtfelder von Waterloo verband, folgte einem nationalbewussten Kalkül, wodurch sie die Höhepunkte der preußischen Geschichte (Gewinn der linksrheinischen Gebiete, Niederlage der französischen Armee) geschickt miteinander in Bezug setzte. Neu ist das Phänomen des geschichtsinteressierten Reisenden nicht  : Die Stätten der klassischen Antike und der Renaissance waren ebenso beliebt wie die europäischen Fürstenhöfe und deren Adelsfamilien  ; auch Städte wie Köln oder Frankfurt187 wurden als prägende Erinnerungsorte des Alten Reiches und der eigenen deutschen Vergangenheit aufgesucht. Neu war das organisierte, zunehmend kommerziell ausgerichtete Reisegeschäft sowie das unmittelbare Anknüpfungspotenzial  : die Möglichkeit, den jüngsten Ereignissen gewissermaßen nachzureisen und als Zeitzeuge sich selbst in diesem Gedächtnisraum wiederzufinden. So waren es durchaus auch patriotische, liberale Gründe, welche die Reisenden zu den Stätten der Französischen Revolution 186 Einen ausführlichen Beitrag zum Authentizitätsbegriff liefert folgender Beitrag  : Saupe, Achim  : Historische Authentizität  : Individuen und Gesellschaften auf der Suche nach dem Selbst – ein Forschungsbericht, 15.08.2017, speziell zum Geschichtstourismus siehe S. 50 f., URL  : http://hsozkult.geschichte. hu-berlin.de/index.asp?id=2444&view=pdf&pn=forum&type=forschungsberichte, letzter Zugriff  : 01.05.2022. 187 Vgl. Stalljohann-Stemme, Marina  : Stadt und Stadtbild in der Frühen Neuzeit  : Frankfurt am Main als kulturelles Zentrum im publizistischen Diskurs, Berlin 2017, S. 177.

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und ihrer Schlüsselfiguren führten.188 Natürlich war nebenbei der Unterhaltungswert einer solchen Lokalität nicht zu unterschätzen. Die Reisenden sind durchaus voyeuristisch veranlagt und verbinden mit ihrem Aufenthalt auch den Wunsch nach Kurzweil und Sensation. Seit den revolutionären Ereignissen entwickeln sich Tendenzen, welche die Reisenden mit einem erhöhten Geschichtsbewusstsein ausstatten, was eine »Popularisierung von Geschichte«189 zur Folge hat. Die Analogie zwischen Reisemotiv und Geschichtsbewusstsein besteht im Zusammentreffen von Fremdem, Anderem, das ein Unterhaltungselement beinhaltet. In beiden handelt es sich jeweils um Konstruktionen zur Identitätsfindung. Die eigene Geschichte ist sowohl für den Einzelnen als auch für die soziale Gruppe für die Standortbestimmung in der Gegenwart notwendig, sie liefert individuelle, regionale oder nationale Selbstbestätigung und gesellschaftliche und politische Legitimierung190.

Schreckens- und Schicksalsorte erfahren im Reisebericht eine positive Auf- beziehungsweise Umwertung, eben durch die kommerzielle Vermarktung für Reisende, zumindest in die eine Richtung. Denn das Beispiel Waterloo zeigt, wie unterschiedlich historische Ereignisse und Erinnerungsorte rezipiert wurden. Für Frankreich bedeutete es eine schwerwiegende Niederlage, für die Alliierten und Preußen Befreiung und Sieg (Schopenhauer sowie die preußische Geschichtsschreibung präferierten den Begriff Schlacht bei Belle Alliance191). In diesem Verständnis wurde Waterloo unterschiedlich erinnert und in die jeweilige nationale Geschichte eingebunden.192 Hier zeigt sich, dass der sich allmählich entfaltende Geschichtstourismus, der im Vor-Ort-Nacherleben Authentizität vermittelt und nebenbei imstande ist, nationale Emotionen zu erzeugen beziehungsweise zu befriedigen. Diese Art von

188 Vgl. Grosser, Thomas  : Reiseziel Frankreich  : deutsche Reiseliteratur vom Barock bis zur Französischen Revolution, Opladen 1989, Besonders Kapitel III., ab S. 183. 189 Siehe dazu der Forschungsbereich zur Popularisierung von Geschichte an der Universität Siegen, URL  : https://www.uni-siegen.de/phil/geschichte/neueregeschichte/forschung/popularisierung/popularisie rung_von_geschichte.html?lang=de, letzter Zugriff  : 01.05.2022. 190 Fleiß, Daniela  : Die Reise in die Vergangenheit. Geschichtstourismus im 19. und 20. Jahrhundert, 13.11.2014–15.11.2014 Siegen, in  : H-Soz-Kult, 20.01.2014, URL  : www.hsozkult.de/event/id/termi ne-­23905, letzter Zugriff  : 01.05.2022. 191 Vgl. NCL, 1836, Bd. 12, S. 213. 192 Siehe dazu  : Pelzer, Erich  : Waterloo (18. Juni 1815)  : Schlachtenmythos und Erinnerungssymbolik, in  : Krumeich, Gerd/Brandt, Susanne (Hg.)  : Schlachtenmythen  : Ereignis – Erzählung – Erinnerung, Köln 2003, S. 143–164, besonders S. 151 f.

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Tourismus konstruiert künstliche Welten, deren Erfahrung ebenfalls vorrangig zur Bestimmung des Eigenen dient. Beide, die populäre Produktion von Geschichte wie der Tourismus, suchen das Außeralltägliche, erfüllen das Bedürfnis, die Alltagsrealität hinter sich zu lassen, in die (zeitliche oder räumliche) Ferne zu gehen193.

Auch wenn hier das Vorhandensein historisch belegter Orte keine künstlichen Welten hervorruft, so bleiben doch einzelne Stationen der Schlacht abrufbar und am Ort des Geschehens umso eindrücklicher  : Schaudernd von Wehmuth durchdrungen, betrachtete ich das weite harte Sterbelager so vieler Tausende  ; wie manches Herz war hier in wilder Verzweiflung über den Untergang aller seiner Hoffnungen und Wünsche gebrochen, wie manches im erhebenden Gefühl, für Freiheit und Vaterland zu verbluten.194

Diese Trendwende in Reisemotivation und -verhalten ließ einen neuen Reisetypus entstehen, der Idealismus mit Abenteuerlust verband. Erinnerungsräume deutscher beziehungsweise preußischer Geschichte, Schauplätze unmittelbarer Vergangenheit lassen eine Reise in diese Vergangenheit zu, sie assoziieren staatliche Souveränität und bestärken die Einheitsforderungen in der Heimat. Johanna Schopenhauers Bericht zeigt, dass sich nicht nur die Rheinromantik politisierte, sondern dass auch die patriotischen Tendenzen über die Herrschaftsgrenzen und das Rheingebiet hinaus bis an die Schauplätze der preußischen beziehungsweise deutschen Geschichte den Reisenden getragen wurden. Wie das Beispiel Waterloo zeigt, wird der Bezug zur Heimat wiederum hergestellt, indem in Rückkopplung an den titelgebenden Ausflug an den Niederrhein die räumliche Ausdehnung des Stromes und damit des deutschen Einflussbereiches wiederhergestellt wird. In der Fremde hört das Fremde auf, fremd zu sein, mittels Rückbesinnung auf die eigene Geschichte. Auch der Vergleich von Rhein und Maas zeigt, dass sich in der Fremde bekannte, kennzeichnende Faktoren in Erinnerung rufen lassen. Die Stärke der Nation manifestiert sich an Orten und in Ereignissen, die ein Überlegenheits- und Zusammengehörigkeitsgefühl stiften. In den vorliegenden Selbstzeugnissen finden sich entsprechend ihrem unmittelbaren historischen Kontext und der individuellen politischen Überzeugung ihrer Verfasser:innen zahlreiche Belege für die Bewertung des Rheins als Sinnbild deutscher Tugenden und militärischer Stärke. Die reisenden und schreibenden Akteur:innen treten dabei 193 Fleiß, Die Reise in die Vergangenheit, 2014, URL  : www.hsozkult.de/event/id/termine-23905, letzter Zugriff  : 01.05.2022. 194 Schopenhauer, Ausflug, 1831/2, S. 104.

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nicht nur als Beobachtende in Erscheinung, sie sind sich mit ihren teils politischen Bemerkungen durchaus ihrer Wirkung bewusst, die ihre Schriften auslösten, welche ihre Teilnahme an bestimmten gesellschaftlichen Diskursen beziehungsweise Gruppen sicherten. In der Rolle als Rückkehrende waren sie beliebte Bezugspersonen für patriotisch gesinnte Daheimgebliebene und konnten, wie etwa Johanna Schopenhauer, aus erster Hand berichten. 7.3.4 Wilhelm Müller: Griechenfreund und Patriot Wilhelm Müllers Laufbahn wird von den politischen und kulturellen Umwälzungen und überstaatlichen Konfrontationen seiner Zeit bestimmt  : Europa befindet sich in einer Art Selbstfindungsphase, die sich durch ein wachsendes Nationalbewusstsein auszeichnet, das von den kulturellen Eliten entschieden mitbestimmt wird. Die Auswirkungen der machtpolitischen Ereignisse in Europa prägen Leben und Werk des Dichters  : Der Widerstand Preußens gegen die Vormacht Napoleons (er selbst meldet sich 1813 freiwillig zum Kriegsdienst) sowie der Wunsch des griechischen Volks, sich von der türkischen Besatzung zu befreien, prägen das frühe Werk des Dessauers. Seine Auseinandersetzung mit den hellenischen Autonomiebestrebungen, woraus 1821 seine Lieder der Griechen entstehen, sowie die Verehrung Lord Byrons (welcher sich aktiv am griechischen Freiheitskampf beteiligte) bringen ihm den Beinamen »GriechenMüller« ein. Aber auch die Entwicklungen in der eigenen Heimat beeinflussen ihn  : Nationalstaatliche Bestrebungen und der damit verbundene Wunsch nach kultureller Einheit – forciert durch die Begeisterung für mündlich tradierte Lieder und Sagen – prägen seine literarische Arbeit wesentlich, auch wenn seine anfangs radikal patriotische Gesinnung später einer gemäßigten Überzeugung weicht. Dass der Rhein als der deutsche Strom schlechthin bezeichnet wird, als Inbegriff deutscher Identität und Freiheitsliebe, wird in der Romantik begründet, die Vereinnahmung als militantes Kampfmittel ist ein Produkt späterer Jahre und verkennt die Bemühungen um ein national vereintes Deutschland ohne Auseinandersetzung. Der Rhein entwickelt sich im 19. Jahrhundert immer mehr zum Ziel für Urlaubsgäste, die Schauplätze historischer Geschehnisse besuchen, sozusagen Besucher:innen mit historischem Interesse, oft der oberen Mittelschicht entstammend und mit nationalpolitischer, kleindeutscher Gesinnung. Die Bedeutung des volkstümlichen Kulturguts wurde infolge der politischen Veränderungen um 1800 und der sich verschärfenden Rivalität zwischen Frankreich und Preußen nachdrücklich forciert. Die Rheingegenden besaßen aufgrund ihrer topografischen Lage eine Sonderstellung in den deutsch-französischen Beziehungen  ; insbesondere als sich in Folge der »staatsterritorialen Neuordnung Europas« vor und nach der Herrschaft Napoleons der Rhein

Nationalpolitische Zuschreibungen in den Selbstzeugnissen | 315

zu einem Zankapfel bei den Grenzziehungen entwickelte.195 Die sich abwechselnden territorialen Zugehörigkeiten prägten freilich eine sprachlich und kulturell vermischte Bevölkerung, verstärkten aber auch das Bedürfnis nach Verbindlichkeit und politischer Beständigkeit. Der Rhein wurde aus französischer Sicht stets als natürliche Grenze zwischen den französischen und den deutschen Territorien beurteilt, während das Nachbarland den Fluss als deutsches Eigentum deklarierte.196 Die Rheinkrise sowie der wiederauflebende Konflikt mit Frankreich ab 1840 lösten einen Literaturstreit auf beiden Seiten aus und führten zu hoch emotionalisierten Bekundungen und nationalen Zuschreibungen des Rheins. Max Schneckenburgers Wacht Am Rhein und Nikolaus Beckers Rheinlied, beide aus dem Jahr 1840, erhielten den Mythos vom deutschen Rhein und bestärkten die Ablehnung der Frankreichs als Erbfeind.197 Diese patriotischen Bekundungen sorgten für einen »monatelang schwelenden poetischen Schlagabtausch«, der den Rheinkonflikt verschärfte, durch seine fehlende sprachliche Finesse aber auch banalisierte.198 Auch Wagners Ring des Nibelungen, ein Werk des späten 19. Jahrhunderts, knüpfte an die glorreiche Vorgeschichte der Deutschen an und trug die Atmosphäre des mythischen Rheins in die Moderne. Der Rhein bot ein Potpourri aus romantischen Elementen  : Architektonisch bestach es durch die imposanten Festungen und Residenzen aus Mittelalter und Neuzeit, charismatische Persönlichkeiten wie Hildegard von Bingen oder Siegfried der Drachentöter belebten die Staffage mit Legenden. Diese wurden durch Gestalten der jüngst zurückliegenden Geschichte wie Generalfeldmarschall Blücher und Friedrich Wilhelm  III. ersetzt, ahistorisches mit historischem Geschehen vermischt. Das Fehlen einer einenden, zentralen Staatsgewalt beziehungsweise einer charisma­ tischen Identifikationsperson steigerte die Vorliebe für alte Mythen und Legenden, die eine gemeinsame Tradition und kulturelle Blütezeit implizierten. Insbesondere das Nibelungenlied, dessen Schauplätze am Rhein lokalisiert wurden, bot ein Ventil für die Sehnsucht nach nationaler Identität und politischer Souveränität. Die heroischen Sagen legitimierten eine deutsche Vergangenheit, forcierten das Streben nach der Befreiung der rheinischen Provinzen und wurden zu »Kennzeichen der deutschen nationalen Einheit am Beispiel einer Landschaft«199. Die unmittelbare Nähe zu Frankreich, des195 Ißler, Europas Strom, 2019, S. 168. 196 Vgl. Beaupré, Der Rhein, 2009, S. 142. 197 Becker sorgte seinerseits mit der Vervielfältigung seines Textes sowohl in der deutschen als auch der französischen Presse dafür, dass sein Text besonders populär wurde und zum Referenzpunkt weiterer Streittexte avancierte. Vgl. Ißler, Europas Strom, 2019, S. 173 f. 198 Ebd., S. 173. 199 Fischer, Helmut  : Erzählen – Schreiben – Deuten  : Beiträge zur Erzählforschung (Bonner kleine Reihe zur Alltagskultur 6), Münster (u. a.) 2001, S. 52.

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sen expansive Ambitionen sowie die daraus resultierenden Kontroversen mit Preußen steigerten die nationale Verklärung und Instrumentalisierung der Rheinprovinzen. Zudem verschärfte die anhaltende Besetzung der linksrheinischen Provinzen durch französische Truppen die Situation. Der Rhein wurde als natürliche Abgrenzung von Frankreich zum Sinnbild deutscher Freiheitsbestrebungen. Damit einhergehend nahm auch die Rheinromantik eine patriotische Färbung an, welche die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich aber auch den Kriegswillen der Bevölkerung festigen sollte. In dem Reisetagebuch der Müllers finden sich keine patriotischen Ausdeutungen von Landschaft und Raum. Es entstand unmittelbar während der Reise im Jahr 1827 und enthält die aus Sicht der Eheleute wichtigsten Notizen zur absolvierten Route, die neben dem Besuch von Kulturdenkmalen und Galerien den Besuch von Freund:innen und Kolleg:innen einschließt.200 Die Aneinanderreihung von Poststationen, Unterkünften, Speisefolgen, Sehenswürdigkeiten und Spaziergängen wirkt deskriptiv und politisch wertfrei. Diese Beschreibung des Reiseverlaufs verdeckt, dass Wilhelm Müller durchaus von den nationalstaatlichen Ideen seiner Zeit nicht unberührt bleib, in jungen Jahren sich den Befreiungskriegen anschloss und nationalpolitische Texte verfasste. Diese zurückliegenden Lebensstationen bilden nicht mehr das Hauptthema in der täglichen Berichterstattung und den Gesprächskreisen. Der Reisebericht vom Rhein ist fast geschichtslos ohne einen Bezug auf die jüngere Vergangenheit, so beiläufig und unberührt lesen sich die Bemerkungen über die sichtbaren Kriegsschäden in den Städten, etwa am Mainzer Dom.201 Diese Vorgehensweise setzt sich fort  : Ein festlicher Umzug der Studierenden am 25. August, dem Ludwigstag bei Weinheim, die folgenlose Begegnung mit französischen Grenzsoldaten, der Besuch einer militärischen Messe in Straßburg, der Besuch des Schillervereins in Stuttgart. All diese Begebenheiten werden vollkommen wertfrei festgehalten. Müllers Reisenotizen sind insgesamt recht verhalten und geben die Situation der Rheingegend wieder, nicht aber die politische Gesinnung des Verfassers, der auch sonst keine Deutschtümelei betreibt und ebenso wie seine Frau neutral bleibt. Müllers Austausch vor Ort mit Journalisten, Politikern und Philosophen lässt aber die Vermutung zu, dass auch aktuelle tagespolitische Probleme und Entwicklungen zumindest angesprochen und registriert wurden. Dass sich weder Wilhelm noch Adelheid Müller dazu äußern, ist vielleicht aber auch logisch aufgrund der Erstfassung der Reise 200 Das Reisetagebuch liest sich derweil als Abfolge freundschaftlicher und kollegialer Begegnungen, die Müller als relevant erachtete  : Neben Georg Döring in Frankfurt besuchte er seinen Freund Gustav Schwab in Stuttgart, über welchen er wiederum in Kontakt mit Ludwig Uhland, Justinius Kerner und Wilhelm Hauff, und Konrad Kocher geriet. Auf dem Rückweg begegnete er in Weimar Johann Wolfgang von Goethe. 201 Müller, Reisetagebuch, 1827, S. 27.

Nationalpolitische Zuschreibungen in den Selbstzeugnissen | 317

als Tagebuch. Die Notizen zu den Treffen mögen als Gedankenstützen für eine spätere Publikation gedient haben, in denen eine Rückversicherung um die eigene Meinung nicht notwendig erschien. Sodann war die Familie kein geeignetes Publikum für die Bestätigung von politischen Meinungen und das Reisetagebuch zunächst nicht auf Öffentlichkeit angelegt. Möglicherweise erübrigte die während der Reise stattfindende Überprüfung der Stimmungslandschaft Rhein dessen romantische und nationalsymbolische Verklärung  : Möglicherweise setzte das reale Raumerlebnis nicht dieselben Gefühle frei wie in seiner Schreibstube beim Verfassen der Tafellieder. Eine abschließende Bewertung von Müllers Rheinreise, ob sie auch an seine politischen Ideen aus Jugendjahren anknüpfte, lässt sich aufgrund der vorliegenden Quellenlage nicht gesichert vornehmen. Dass er den Kontakt zu bestimmten zeitgenössischen Meinungsträgern, wie Uhland und Görres, mehrfach suchte, kann allerdings als Indiz für sein politisches Interesse gelesen werden. Maria-Verena Leistner will in Wolfgang Menzels Charakteristik Müllers dessen Abneigung gegenüber deutschen Burschenschaften erkennen202  ; zumindest stand er den radikalen Ansichten eines Ernst Moritz Arndt und Turnvaters Jahn skeptisch gegenüber. Möglicherweise waren mit einer Publikation der Rheinreise in einem für die Öffentlichkeit geeignetem Format frühere politische Anknüpfungspunkte geplant  ; dann hätte er vermutlich auch die Begegnungen mit Personen oder einzelne Etappen auch in einen entsprechenden Zusammenhang gebracht. Eine politische Überhöhung der Rheinlandschaft erfolgt im Reisetagebuch jedoch nicht, weder inszenierten er oder seine Frau eine nationalsymbolisch entworfene Landschaft noch bekundeten sie ihre politische Meinung, wie es in den anderen Selbstzeugnissen durchaus üblich war. Wenigstens der Impuls für die Rheinreise resultierte zu einem erheblichen Teil aus Müllers lyrischen Repertoire, in dem sich der Dessauer bereits vor dem Aufenthalt ein sehr persönliches Doppeltes Vaterland schuf  : An der Elbe Strand Liegt mein Vaterland, Lieb’s von ganzer Seele. Aber meine Kehle Ist zu Haus am Rhein, Dürstet nur nach Wein.203

202 Vgl. Leistner, Wilhelm Müllers Reisetagebuch, 2007, S. 67. 203 Müller, Gedichte, 1824/2, S. 14.

8. Ergebnisse der Analyse romantischer Selbstzeugnisse vom Rhein und Ausblick

Mit meiner Arbeit habe ich eine umfangreiche Betrachtung der Reisekultur am Rhein zur Zeit der Romantik geleistet, indem ich durch die Einbeziehung bislang unzureichend erforschter Selbstzeugnisse die zeitliche und thematische Dimension der Rheinromantik erweitern und weitere Brüche beziehungsweise Parallelen in den Schreib- und Reisepraktiken aufzeigen konnte. Dabei ließen sich mobile und Schreibpraktiken miteinander in Beziehung setzen und die Selbstzeugnisse unabhängig von ihren äußeren Entstehungskontexten grundlegend als Reiseberichte vom Rhein identifizieren. Dafür habe ich ein signifikantes, aber in Teilen kaum erschlossenes Quellenkorpus aus der Romantik erstmals vergleichend ausgewertet. Mittels der vergleichenden Analyse der Selbstzeugnisse konnten die wesentlichen Entwicklungspfade der Rheinromantik, Brüche und Kontinuitäten kritisch reflexiv nachgezeichnet werden. Die Bezugnahme auf individuelle Erfahrungen und Handlungsabläufe erfolgte in den vorliegenden Selbstzeugnissen unterschiedlich intensiv und reicht von ausführlichen, emotionalen Reflexionen des Erlebten bis hin zu rein deskriptiven Beschreibungen des Reisealltags, die nur rudimentär Auskunft über das denkende und fühlende Selbst erteilen. Diese Abweichungen sind unter anderem der Form der Niederschriften geschuldet  : In Helmina von Chézys und Johanna Schopenhauers publizierten autobiografischen Schriften und Reisefeuilletons wurden die Rheinreisen ausführlicher, da nachträglich aufgearbeitet beziehungsweise im Gesamtwerk der Autorinnen bewertet, während das für den privaten Gebrauch bestimmte Reisediarum von Adelheid und Wilhelm Müller möglichst knapp die täglichen Ereignisse bündelte. Die Gewichtung der jeweiligen Reiserlebnisse gestaltet sich höchst unterschiedlich, da sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten entweder als Momentaufnahme oder bereits länger zurückliegende Erinnerung festgehalten und entsprechend ausgestaltet wurden. Identisch hingegen ist die starke Selbstthematisierung und die Fokussierung auf das individuelle Reiseerlebnis  ; die Erfahrungen anderer Reisender werden selten erwähnt. Dessen ungeachtet treten andere Reisende durchaus in Erscheinung – etwa, wenn Johanna Schopenhauer über die Reisegesellschaften ihrer Zeit sinniert oder das rege Treiben auf dem Dampfschiff beschreibt1. Diese Mitreisenden beeinflussten mit ihrem Auftreten und Handeln die schreibenden und reisenden Akteur:innen.2 1 2

Siehe dazu Schopenhauer, Ausflug, 1831/2, S. 44–76, 103–113. Vgl. Krusenstjern, Selbstzeugnisse, 1994, S. 464 f.

Ergebnisse der Analyse romantischer Selbstzeugnisse vom Rhein und Ausblick | 319

Die Selbstzeugnisse eint, dass sie mit der Absicht einer Einschreibung in kollektive Mentalitäten angefertigt und dementsprechend öffentlichkeitswirksam verfasst wurden. Stellt das Lesen von nicht selbstverfassten Briefen und Tagebüchern heutzutage aus Gründen der Diskretion ein Tabu dar, so waren Selbstzeugnisse im 18. und 19. Jahrhundert durchaus für den Vortrag in der Öffentlichkeit bestimmt  ; Briefe zirkulierten in gesellschaftlichen Salons, wurden vorgelesen und gemeinsam erörtert. Das Verschriftlichen und Publizieren von Reiseerlebnissen am Rhein ließ somit die Verfasser:innen unmittelbar an einem gesellschaftlichen Diskurs teilhaben. Habituelle Handlungsmuster, wie etwa Reise- und Schreibtechniken, aber auch Körperpraktiken, Selbstbildungspraktiken und soziale Interaktionen, durchaus auch die ästhetische Artikulation bestimmter Emotionen, entsprachen bildungsbürgerlichen Tendenzen und Leitmotiven (etwa die freie Bewegung in der Natur, der Kontrast von Stadt und Land, sozialkritische Tendenzen, der Besuch von Kunstsammlungen, historische Schauplätze). Dass die Reiseberichte auf Öffentlichkeit und Rezeption zielten, beweist neben der Erzählweise auch die Aufzählung der besuchten Denkmäler und Sehenswürdigkeiten, die den bürgerlichen Anspruch auf Bildung bekräftigten.3 Die Rheinreise und ihre Verschriftlichung war stets als Bildungsprogramm angelegt, wobei städtebauliche und kulturelle Fixpunkte ebenso beschrieben wurden wie die wirtschaftlichen, konfessionellen und sozialen Zustände vor Ort. Auch die Herausbildung der eigenen Persönlichkeit spielte dabei eine Rolle, etwa wenn die Akteur:innen die Reise als wichtige Entwicklungsstufe für ihre eigene Urteilsfähigkeit, (natur-)ästhetische und moralische Überzeugung betrachteten.4 Ich lese die Reisebeschreibungen der sechs Akteur:innen als Selbstzeugnisse, da sie als autobiografische Dokumente »stets Elemente der Selbstvergewisserung und der Selbstdarstellung« aufweisen.5 Solche Zeugnisse zeichnen sich dadurch aus, dass nicht die durchfahrene Landschaft und Natur den Kern des Berichtes bildet, sondern vielmehr die reflektierte Wertung und Einschätzung von Raum und Zeit, Entwicklung und Wissenserweiterung durch das beschreibende Ich. Nicht selten wird das Rheinerlebnis in der Folge und im Kontext der eigenen Biografie als bedeutsame Lebensstation gewertet  : So lancierte die gemeinsame Rheinreise von Brentano und Arnim zum 3 4

5

Vgl. Maurer, Michael  : Bildung, in  : Hahn, Hans-Werner/Hein, Dieter (Hg.)  : Bürgerliche Werte um 1800  : Entwurf, Vermittlung, Rezeption, Köln (u. a.) 2008, S. 227–238, hier 234 f. Hier finden sich konzeptuelle Bezüge zur Ars Apodemica und adligen Kavaliersreise, vgl. Müllenmeister, Horst Martin  : Lust auf Reisen  : Anmerkungen zu Theorien des Tourismus, in  : von Ertzdorff, Xenia/Neukirch, Dieter (Hg.)  : Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Amsterdam 1992, S. 5–28, hier S. 16  ; auch englische Reisende suchten den Rhein zur Perfektionierung ihres Kunstgeschmacks auf, vgl. Dischner, Ursprünge der Rheinromantik in England, 1972, S. 27. Nolde, Religion und narrative Identität, 2006, S. 271.

320 |  Ergebnisse der Analyse romantischer Selbstzeugnisse vom Rhein und Ausblick

Initiations- und Fixpunkt ihrer lebenslangen (Dichter-)Freundschaft. Des Weiteren zielen Selbstzeugnisse immer auch auf Gemeinschaft, auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.6 Niederschriften über Gesandten-, Studien-, Gelehrten-, Erholungs-, oder Vergnügungsreisen aus der Frühen Neuzeit belegen, dass Selbstzeugnisse stets Elemente der Selbstdarstellung enthalten – somit ist die schriftliche Vergewisserung um die Zugehörigkeit zu einer Gruppe bei gleichzeitiger Vergegenwärtigung von Unterschieden zu Fremden kein Alleinstellungsmerkmal der Romantik.7 Nur waren die Motive mitunter verschieden, die diese Reisen als Exploration der Fremde und des Selbst kennzeichneten. In Schriften bis weit ins späte Mittelalter spielte die Frage nach der Gläubigkeit und Konfessionszugehörigkeit eine entscheidende Rolle, ab dem 19. Jahrhundert gewannen hingegen nationale Identitäten immer mehr an Gewicht.8 Jene Verschiebung von der Kategorie Religion auf die der Nation bildete auch eine wichtige Komponente bei der Breitenwirkung der Rheinromantik, die vor allem auch durch eine narrative Einstimmigkeit in den Reiseberichten erzeugt wurde, die territoriale Zugehörigkeiten anhand nationaler Gründungsmythen begründeten.9 Die Vermutung, dass Selbstzeugnisse authentische Begebenheiten und Erlebnisse wiedergeben, scheitert an den kollektiven Entsprechungen und auch persönlichen Erwartungen der Akteur:innen an die Reise und sich selbst. Nicht selten schrieben sie ihre Reiseerinnerungen teilweise mit erheblicher zeitlicher Verzögerung nieder und passten sie den eigenen autobiografischen aber auch historischen Entwicklungen an.10 Es handelt sich demnach um eine rekonstruierte Wiedergabe tatsächlich erlebter Umstände und Erlebnisse, die in ihrer reflektierten Form eine neue Realität der Reiseumstände am Rhein schuf. Die an die Landschaft und den bereisten Raum erhobenen Erwartungen waren zudem eine Reminiszenz an bereits vorhandene Erfahrungen – sei es durch den Konsum von Literatur, vorherige persönliche oder fremde Reiseerfahrungen. Es ist also essentiell, dass Erwartungen an Erfahrungen rückgebunden sind,   6 Vgl. Ulbrich, Claudia  : Europäische Selbstzeugnisse in historischer Perspektive  : neue Zugänge, S. 16, URL  : https://www.academia.edu/2777963/Europäische_Selbstzeugnisse_in_historischer_Perspektive_-­ _Neue_Zugänge, letzter Zugriff  : 01.05.2022.   7 Vgl. Nolde, Religion und narrative Identität, 2006, S. 271 f.   8 Vgl. Scheutz/Tersch, Selbstzeugnisse der Frühen Neuzeit, 2006, S. 20 f.  9 Siehe Kap. 7. 10 Helmina von Chézy nimmt in ihren Lebenserinnerungen eine patriotische Umwertung ihrer Aufenthalte am Rhein vor. Ihre karitativen Bemühungen und Leistungen in den Lazaretten definierte sie als integralen Bestandteil dieser Reisen. Im Bericht lesen sie sich als Wiedergutmachungsakt für ihre gesellschaftlichen Vergnügungen und ihre Berufsschriftstellerei, die dem konventionellen Frauenbild widersprach. Eine Reise an den Rhein ließ sich in diesem Kontext als patriotischer Beitrag positiv umdeuten.

Ergebnisse der Analyse romantischer Selbstzeugnisse vom Rhein und Ausblick | 321

ebenso wie Erfahrungen Erwartungen produzieren.11 Diese bestimmten Erfahrungen beziehungsweise Erwartungen wiederum produzieren Geschichte  ; diese Geschichte zeigt sich unter anderem in Selbstzeugnissen.12 Die Forschungsansätze der Emotionenforschung ließen mich die Rheinlandschaft als Raum für konkrete Sehnsüchte, Wünsche und Ambitionen begreifen und die Selbstzeugnisse nach entsprechenden Belegen untersuchen, die nicht nur den Rhein als Gefühlsraum bestätigten, sondern auch ihrerseits Gefühlswissen bereithielten. In den Briefen und Tagebüchern ließen sich nicht nur Stimmungslandschaften erzeugen, sondern auch individuelle Wünsche, Gefühle, Sehnsüchte artikulieren. Dass diese Mitteilungen über das fühlende Ich auch auf das tatsächliche Ich schließen lassen, ist an dieser Stelle nicht nachweisbar  : Die vorliegenden Texte lassen ein Nachfühlen oder Einfühlen in die Befindlichkeiten historischer Akteur:innen kaum zu. Vielmehr richtete sich mein Interesse auf die beschriebene Inszenierung von Gefühlen, die beispielsweise bei Brentano zu einer völligen Entstellung realer Emotionen führten, da er seine Existenz und damit sein Gefühlsleben stets poetisierte.13 Ich konnte feststellen, wie die Akteur:innen ihre Emotionen beschrieben und welche Erlebnisse sie in welcher Weise emotional verarbeiteten. Landschaften wie der Rhein erzeugten und steuerten diverse Emotionen. Darüber hinaus stellte ich fest, dass sich die Akteur:innen nicht an einer wahrheits­ gemäßen Wiedergabe der örtlichen Gegebenheiten orientierten, sondern ihre Reiseberichte als Ausdruck eines romantischen Naturkonzeptes und einer entsprechenden Lebensform betrachteten und Landschaftsbilder inszenierten, Stimmungsbilder erzeugten und sich selbst darin verorteten. Demgemäß können auch die emotionalen Landschafts- und Personenerlebnisse in den Selbstzeugnissen als inszenierte Stimmungsbilder gelesen werden, die auf eine Übertragung von Gefühlen zielen –das Lesepublikum konnte aus diesen Stimmungsbildern für sich gleichzeitig Raumgefühle und Gefühlsräume erschließen.14 Über die sensuelle Landschaftswahrnehmung und -beobachtung konnte ich aufzeigen, dass die Reisenden ihre Sinne bewusst einsetzten oder sensibilisierten, um bestimmte akustische, visuelle, gustatorische oder haptische Eindrücke aufzunehmen und schriftlich zu verarbeiten. Prägende sinnlich beschreibbare Elemente, wie das Panorama, das Echo, die Äolsharfe, Weingenuss oder Rosenduft intensivierten den 11 Koselleck, Reinhart  : Vergangene Zukunft  : zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt/Main 2020, S. 352. 12 Vgl. ebd. S. 353. 13 Vgl. Borries, Wilhelm Müller, 2003, S. 107. 14 Vgl. Lehnert, Raum und Gefühl, 2011, S. 19.

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Eindruck einer Szenerie und trugen über dieses spezifische Vokabular zur literarischen Romantisierung der Rheinlandschaft bei. Übereinstimmend ist die Herausstellung positiver Sinneserlebnisse bei ästhetisch ansprechenden, also als schön und ursprünglich empfundenen, Landschaften. Sinneseindrücke waren zwar nicht exakt nacherlebbar, erzeugten aber bei den Lesenden bestimmte Vorstellungen und ließen das Rheinerlebnis authentisch erscheinen. Brentanos Zitat »waren wir nicht recht glüklich am Rhein« (S. 134) kann sodann auf alle Reisenden übertragen werden, die ihre Reisen mit einem positiven Erlebnis gleichsetzten. Wie beschwerlich und enervierend sich die Reisen auch gestalteten, die Begegnung mit der Rheinlandschaft entschädigte die Akteur:innen für die Strapazen und Unannehmlichkeiten. Die Prämissen der historischen Raumforschung ließen mich die Selbstzeugnisse als spatial stories lesen, in denen die Verfasser:innen nicht nur geografisch fixierte konkrete Räume wahrnahmen und beschrieben, sondern neue konstruierte Räume entwarfen und sich darin inszenierten. Dabei konnte ich vor allem nachweisen, dass der geografisch fixierte Raum des Rheins in den Reiserouten entscheidend erweitert wurde  : So orientierten sich die Akteur:innen am eigentlichen Stromverlauf, ergänzten die räumlich erfahrbare Rheinlandschaft allerdings durch Abweichungen und Erweiterungen. Der entscheidende Abschnitt zwischen Bingen und Bonn wurde von allen Akteur:innen zwar aufgesucht, der Radius der als romantisch befundenen und bereisten Landschaft überwand allerdings sowohl geografische Absteckungen als auch territoriale Zuständigkeiten. So reichte die romantische Rheinlandschaft Helmina von Chézys bis nach Heidelberg, die von Achim von Arnim sogar bis nach Schaffhausen, für Clemens Brentano gestaltete sich die Rheinlandschaft zumeist als eine ortsunabhängige Traumund Märchenlandschaft. Johanna Schopenhauer befand noch die Gegenden jenseits der deutschen Grenze als pittoresk und erlebenswert  ; Adelheid und Wilhelm Müller fühlten bis an die Ufer des Neckars die romantischen Nachwehen des Rheinerlebnisses. Diese Überwindung fester Staats- und Raumgrenzen in den Selbstzeugnissen zeigt, dass die Verfasser:innen nach ihren mobilen Schwerpunkten und persönlichen Interessen heraus neue räumliche Zugehörigkeiten schufen. In diesem Kontext wird auch deutlich, dass ästhetisch definierte Attribute einer schönen Landschaft auf andere Gegenden frei übertragbar sind – beispielsweise auf den Harz oder die Sächsische Schweiz15 – und »daß die Textlandschaft Rhein anderen Gesetzen folgt als die Raumlandschaft Rhein«16. Die in den Selbstzeugnissen selbstverständliche Einbindung der 15 Clara und Robert Schumann unternahmen ihre Hochzeitsreise über Leipzig in die Sächsische Schweiz und führten dabei auch ein gemeinsames Tagebuch. Schumann, Robert/Schumann, Clara  : Ehetagebücher 1840–1844, hg. v. Gerd Nauhaus u. Ingrid Bodsch, Frankfurt/Main 2007. 16 Kiewitz, Poetische Rheinlandschaft, 2003, S. 28.

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Flussgebiete Neckar, Maas und Mosel zeigt, dass die romantische Rheinlandschaft weit über den tatsächlichen Flussverlauf hinausreichte und sich entsprechende Landschaftstypen einverleibte. Die topografische Landkarte des Rheins wurde von einer imaginären Geografie überdeckt. In diesem Kontext könnte eine Gegenüberstellung von (Fluss-)Landschaften mit ähnlichen romantischen Einschreibungen und Aufladungen von Raum und Natur weitere Erkenntnisse liefern.17 Im Gegenzug und sozusagen als Konsequenz aus der räumlichen Erweiterung der Rheinlandschaft wurden bisweilen Abschnitte entlang des Rheins, die den Prädikaten einer romantisch-lieblichen Natur nicht entsprachen, bewusst gemieden. Äußere Umstände, wie Witterungsverhältnisse, physische Verfassung sowie Zustand von Kost und Logis, konnten darüber entscheiden, ob Räume und Landschaften als sehens- und erlebniswert eingestuft beziehungsweise überhaupt beschrieben wurden. Dadurch werden auch die quantitativen Unterschiede der Textumfänge einzelner Etappen und Ortschaften erklärbar. Der Rhein ließ und lässt sich reisend erkunden  ; der Stromlauf markiert die Route mit zentralen Stationen und populären Sehenswürdigkeiten wie Loreley, Ehrenbreitenstein, Kölner Dom, Niederwald und Rolandseck – um nur einige Marksteine am Rheinufer zu benennen. Die Etablierung solcher Fixpunkte der Rheinromantik erfolgte zu einer Zeit, da sich Reisepraktiken, Natur- und Raumwahrnehmung, historisches und soziales Bewusstsein grundlegend veränderten. Industrielle Entwicklung, technischer Fortschritt und Urbanisierung sind nur einige Phänomene, welche zu Beginn des 19. Jahrhunderts in die Moderne weisen und gleichzeitig ein Gefühl des Ausgeliefertseins auslösten, das nach Haltepunkten in Landschaft und Geschichte suchen ließ. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Reisen nicht nur in realen stattfanden, sondern auch in imaginierten Räumen. Es waren Reisen mit den Sinnen, in die Geschichte, die Akteur:innen reisten einem Erlebnis hinterher, um einen Moment festzuhalten, sich selbst in die Geschichte einzuschreiben und damit für nachfolgende Reise- und Lesegenerationen erinnerbar zu bleiben. 17 In Ansätzen gelingt dies bereits in  : Hertrampf, Marina Ortrud M./Schmelzer, Dagmar (Hg.)  : Die (Neu) Vermessung romantischer Räume  : Raumkonzepte der französischen Romantik vor dem Hintergrund des spatial turn, Berlin 2013. Aufbauend darauf bieten sich folgende Werke zu Flusslandschaften an  : Király, Edit  : Die Donau ist die Form  : Strom-Diskurse in Texten und Bildern des 19. Jahrhunderts, Wien (u. a.) 2017  ; Friedhoff, Jens/Wagener, Olaf (Hg.)  : Romantik und Historismus an der Mosel  : verklärtes Mittelalter oder geprägte Moderne  ? (Akten der 4. wissenschaftlichen Tagung in Oberfell an der Mosel), Petersberg 2009  ; Die Romantisierung der Mosel wurde nachgezeichnet in  : Seifert, Hans-Ulrich  : Das Bild der Mosel im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit  : einige Anmerkungen zu Aufkommen und Verbreitung graphischer Bilderfolgen und illustrierter Reisewerke über die Moselgegend, in  : Dühr, Elisabeth/Hütte, Richard (Hg.)  : Im Bilde reisen  : Moselansichten von William Turner bis August Sander, Trier 1996, S. 47–58.

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Über Ansätze der historischen Umweltforschung und Überlegungen zur Romantik als mögliche Grundlage eines deutschen Naturschutzes befragte ich die Selbstzeugnisse nach möglichen Anzeichen für ein verändertes Naturbewusstsein. Die Wahrnehmung des Rheins als Stimmungs- und Kulturlandschaft wies darauf hin, dass sich über die ästhetische Bewertung der Landschaft auch die Notwendigkeit ihrer Bewahrung abzeichnete. Das Ineinandergreifen natürlicher und kultureller Elemente war ausschlaggebend für das Bedürfnis, Landschaften zu erhalten. Bauliche Elemente wie Mühlen und Burgen wurden dabei als Indikatoren einer Kulturlandschaft betrachtet  : Als Relikte der Vergangenheit und ihrer ursprünglichen Funktion enthoben, bildeten sie nach wie vor typische Elemente der Rheinlandschaft. Ebenso wurden natürliche Merkmale, wie Bäume, Wein und Efeu, als landschaftsprägende Motive bewertet, wobei ihre Wirkung oft erst mit ihrem Verschwinden offensichtlich wurde. Das Verschwinden von Naturdenkmalen schärfte erst den Blick für die Umwelt und machte den Akteur:innenn die Veränderungen und Einschnitte in der Natur am Rhein bewusst. Das Bewusstmachen um die Seltenheit und Einmaligkeit natürlicher Elemente ging dabei immer einher mit ihrer Verknüpfung von Geschichte und Geschichten sowie ihrer Einbettung in ein landschaftlich-ästhetisches Ganzes. Erst diese Auffälligkeiten entwickelten ein Bedürfnis nach ursprünglichen Landschaften und ihrer Erhaltung  ; insofern kann die erhöhte Aufmerksamkeit der Akteur:innen für landschaftliche Eingriffe und Entwicklungen auf ein erhöhtes Naturbewusstsein ausgehend von der Romantik schließen. Der Rhein als Symbol nationalpolitischer Bestrebungen bildete den abschließenden Themenbaustein meiner Arbeit und fokussierte die tendenzielle Verschiebung von einer ästhetisch-schönen Naturlandschaft auf eine mythisch überhöhte Kulturlandschaft. Die charakteristische Verknüpfung von Natur mit Geschichte wurde in den meisten Selbstzeugnissen gesteigert, indem historische Ereignisse der unmittelbaren Vergangenheit mit dem Mittelalter verbunden wurden und sich dadurch eine Argumentationskette deutscher Geschichte ergab. Die Akteur:innen ergänzten die Relevanz der von ihnen besuchten Stationen und Aufenthaltsorte, indem sie deren Geschichtsträchtigkeit in den Vordergrund ihrer Besuche stellten. Die Besichtigungen lösten sich zum einen aus einer mutmaßlich getroffenen Wahllosigkeit und ließen sich zum anderen als Programmpunkte einer Nationalaufgabe werten. Dabei konnte ich sowohl die diversen politischen Überzeugungen als auch die patriotischen Einschreibungen der Akteur:innen im Raum herauslesen. Darüber hinaus ließen sich kollektive (nationale) Zugehörigkeiten über die Erfahrung der Fremde und der Fremden sowie konkrete Grenzerfahrungen nachweisen, die nun vor allem die Feindseligkeit gegenüber Frankreich zum Ausdruck brachten. Am Ausgang meiner Untersuchungen stellte ich mir ferner die Frage, welche geschlechtsspezifischen Unterschiede die Selbstzeugnisse anzuzeigen vermochten. So

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ging ich etwa davon aus, dass Frauen und Männer unterschiedliche mobile Praktiken gebrauchten und sich aus diesem Verhalten unterschiedliche Narrative entwickelten. Tatsächlich nutzten Frauen im Regelfall dieselben Transportmittel und Möglichkeiten der Fortbewegung wie die männlichen Reisenden – die auch neue technologische Innovationen wie das Dampfschiff einschlossen –, wozu auch konventionelle ­Praktiken zählten. Wanderungen und Spaziergänge zu Fuß bildeten keine Ausnahmen für beiderlei Geschlechter, sondern waren bei kleineren Ausflügen in die Umgebung oder Erkundungen in städtischen Parks und Gärten obligatorisch. Bemerkenswert ist, dass das Zu-Fuß-Gehen von Frauen um die Jahrhundertwende bereits einen Großteil seiner stigmatisierenden Verleumdung eingebüßt hatte und innerhalb eines zeitlich und räumlich begrenzten Rahmens als geselliges Vergnügen geschätzt und demgemäß auch von allen Akteurinnen praktiziert wurde.18 Die Analyse der Quellen zeigte vielmehr, dass die Akteur:innen die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Fortbewegung den persönlichen und situativen Möglichkeiten sowie Vorlieben anpassten. Das Zu-Fuß-Gehen war keineswegs immer ein Vergnügen  : Johanna Schopenhauer beruhigte »der Gedanke […], zu Fuße von einem Gasthofe zum andern wandern zu müssen«.19 Auf ihren Reisen waren sie und ihre weiblichen Mitreisenden häufiger zu Fuß unterwegs, nicht immer ganz freiwillig  : Auch müde laufen kann man sich in Köln so gut als in Paris und Berlin, und vermißt dabei schmerzlich die, […] auf bestimmten Plätzen immer bereitstehenden Fiacker, um bei zu großer Ermüdung oder bei einem plötzlichen Regenschauer schneller und bequemer fortkommen zu können. […] [E]in Gang von einem Ende der Stadt bis zum anderen dehnt sich dadurch oft zu einer kleinen Fußreise aus, die durch das unbequeme Steinpflaster sehr ermüdend werden kann.20

Die Wahl der Transportmittel erfolgte also stets zweckgebunden und wurde zumindest in den Städten einem Fußmarsch und den damit verbundenen körperlichen Anstrengungen vorgezogen.21 Die durchaus häufigere Nutzung von Verkehrsmitteln bezeugt, dass die Reisenden am Rhein ihre mobilen Praktiken raum- und zeitoptimiert planten und realisierten. Sie wählten die Postkutsche für längere Strecken auf dem Landweg und das Marktschiff 18 19 20 21

Vgl. Ritter, Über Gehen, Spazieren und Wandern von Frauen, 1999, S. 97. Schopenhauer, Ausflug, 1831/2, S. 156. Schopenhauer, Ausflug, 1830/1, S. 149. Später erlebte Johanna Schopenhauer eine ähnliche Situation, bei der sie in Aachen nach dem Theaterbesuch ihren Rückweg zu Fuß und in völliger Dunkelheit bestreiten musste, da weder Kutscher noch eine Straßenbeleuchtung vorhanden waren. Vgl. Ebd. 1831/2, S. 40.

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beziehungsweise das Dampfschiff, um größere Distanzen auf dem Wasser zu überwinden.22 Dabei machten sie sich die Annehmlichkeiten der zunehmend immer mehr aufeinander abgestimmten Verkehrsmittel und Fahrtzeiten am Rhein zu eigen.23 Die mobilen Praktiken der Reisenden unterschieden sich insofern vom Anspruch einer romantischen Natur- und Raumerfahrung, als sie neben dem Zu-Fuß-Gehen durchaus die Bequemlichkeit und Sicherheit eines Verkehrsmittels zu schätzen wussten, zumal neben ihnen selbst auch ihr Gepäck zu transportieren war. Hinzu kommt, dass die Rheinreisen – obgleich sie freie Zeiteinteilung und Unabhängigkeit suggerierten – stets an die zeitlichen Vorgaben und Verpflichtungen der Reisenden gebunden waren  ; die Aufenthalte konnten nicht beliebig verlängert werden. Familiäre und soziale Erwartungen, finanzielle Angelegenheiten sowie der Auftragsdruck von Verlagen erforderten nicht nur ihre baldige Rückkehr, sondern auch die ganz praktische Veröffentlichung der Reiseerlebnisse. Der Erwartungs- und Zeitdruck, der die Vorstellung des romantischen und souveränen Reisenden stört, aber in den Selbstzeugnissen indirekt zum Ausdruck kommt, führte zumindest bei einigen Akteur:innen dazu, dass manche Stationen aufgrund schlechten Wetters oder Nichtgefallens unvermittelt ausgelassen wurden.24 Die romantische Idee von langsam wandelnden Reisenden und bedächtigen Wandernden gerät infolge der in Wirklichkeit straffen Zeit- und Reiseplanung der Akteur:innen zur Illusion.25 Das in den meisten Fällen dokumentierte aufwendige Besuchs- und Kulturprogramm verdeutlicht die mit einer Reise verbundenen körperlichen Anstrengungen und enthält wertvolle Hinweise zum Reisealltag zwischen Anspruch und Wirklichkeit.26 Die Nutzung von Fortbewegungsmitteln wie Kutsche und Dampfschiff wurde in den Selbstzeugnissen dann verschwiegen, wenn sie sich zu einem romantischen Landschaftsund Reiseerlebnis nicht kongruent verhielten.27 Wichtiger war für die Akteur:innen das sich bietende Landschaftspanorama. So war Johanna Schopenhauer auf ihrer ersten Reise begeistert von der Fahrt mit einer Segeljacht, bei der »jeder Augenblick […] den Anblick einer neuen schönen Landschaft«28 bot. Die Fahrt auf dem wesentlich schnel22 So wählte Johanna Schopenhauer auf ihrer zweiten Reise an den Rhein das schnellere Dampfschiff, da sie dieses Mal dem Flussverlauf stromabwärts bis nach Holland und Belgien folgte. 23 So zeigte sich Johanna Schopenhauer begeistert von dem extra für Reisende eingerichteten Service, vom Dampfschiff aus mit einem kleineren Boot an Land zu setzen und die Fahrt nach Godesberg per Kutsche fortzusetzen. Vgl. Schopenhauer, Ausflug, 1830/1, S. 89 f. 24 Vgl. Müller, Reisetagebuch, 1827, S. 31. 25 Vgl. Leistner, Wilhelm Müllers Reisetagebuch, 2007, S. 66. 26 Siehe dazu den Reisebericht der Müllers (Reisetagebuch, 1827, bspw. S. 25–26, 29, 33 ff.). 27 Vgl. Fechner, Erfahrene und erfundene Landschaft, 1974, S. 145. 28 Schopenhauer, Ausflucht, 1818, S. 213.

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leren Dampfschiff gut zwölf Jahre später verglich sie mit einem Flug, der das gewohnte Zeit-Raum-Empfinden aushebelte. Neben der durchaus als angenehm empfundenen schnelleren Fortbewegung gewahrte sie auch den Nachteil durch die Zeiteinsparung, die ein wesentlich komprimierteres, eingeschränktes und dadurch oberflächliches Landschaftserlebnis zur Folge hatte. Entsprechend wurde das Zu-Fuß-Gehen als Gegenmodell zu einer technisierten und rationalisierten Mobilität präsentiert  : Das Wandern erzeugte eine willkommene Entschleunigung – wenn man für diesen Zeitraum schon das Bedürfnis nach Entschleunigung ansetzt29 – und gewährte gleichzeitig eine direkte Begegnung mit Landschaft und Umgebung. Auch hier divergiert der romantische Anspruch einer unmittelbaren Naturerfahrung mit dem in den Zeugnissen nachzulesenden Nutzungsverhalten. Unbefahrbares Gelände mit starker Steigung beziehungsweise Neigung oder dichter Vegetation wurde zu Fuß oder auf Lasttieren absolviert – dabei handelte es sich zumeist um Strecken, die innerhalb weniger Stunden bewältigt werden konnten. Auch Ausflüge in die nahe Umgebung unternahmen die Reisenden meist zu Fuß  : Spaziergänge, Wanderungen, Lustfahrten oder Streifzüge boten sich an, um die Gegend zu erkunden. Ästhetisch herausragende und daher sinnlich erfahrenswerte Abschnitte am Rhein wurden ebenfalls beschritten. Das unmittelbare Naturerlebnis zu Fuß erfuhr hier eine Bevorzugung im Gegensatz zur indirekten Erfahrung aus der Kutsche heraus, die immer nur ein bestimmtes Blickfeld eröffnete und die haptische, olfaktorische und auditive Wahrnehmung der durchfahrenen Landschaft einschränkte. Die Gehpraktiken wurden raumgebunden vollzogen, das heißt  : Art und Dynamik des Gehens, Garderobe und Reisezubehör waren an die Umgebung angepasst und richteten sich entweder nach den üblichen urbanen oder ländlichen Formen der Raumbegehung, auf Gepäck wurde bei kleineren Ausflügen in der Regel verzichtet (zumindest blieb es unerwähnt). Als Wanderungen bezeichneten die Akteur:innen selbst ihre Ausflüge zu Fuß in die Natur, etwa zu Aussichtspunkten und durch Weinberge. Einen Spaziergang unternahmen sie hingegen entlang des Rheins, in und zwischen Ortschaften, in Gärten und Parks. Auf Spaziergängen ließen sich kürzere Distanzen überwinden, während Wanderungen mehr Zeit und auch ein gewisses Maß an körperlicher Ausdauer und Kraft erforderten. Nicht in allen Quellen wird das Wandern thematisiert oder bezeichnen sich die Akteur:innen selbst als Wandernde. Wilhelm Müller, Verfasser diverser Wandergedichte30, 29 Vgl. Huber, Florian  : Grenzkatholizismen  : Religion, Raum und Nation in Tirol 1830–1848, Göttingen 2016, S. 189  ; Becker, Ulrike  : Wanderungen in französischen Deutschlandberichten  : Raum und »musa pedestris«, in  : Hertrampf, Marina Ortrud M./Schmelzer, Dagmar (Hg.)  : Die (Neu)Vermessung romantischer Räume  : Raumkonzepte der französischen Romantik vor dem Hintergrund des spatial turn, Berlin 2013, S. 133–151, hier S. 149. 30 Wanderlieder in  : Müller, Gedichte, 1824/2, S. 139–150.

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die durch ihre Vertonung populär wurden, verwendet den Begriff in seinem Reisetagebuch überhaupt nicht. Wilhelm und Adelheid Müllers Beschreibung ihrer Nutzung mobiler Techniken und Möglichkeiten unterscheidet sich auch deshalb von den anderen Berichten, da sie in ihren täglichen Niederschriften sehr detailliert und ausführlich angaben, welche Fortbewegungsart sie zu welcher Tageszeit, zu welcher Witterung und zu welchem Anlass wählten oder auch nicht. Dabei machten beide ähnliche Angaben, die keine geschlechtsspezifischen Vorlieben oder Handlungen aufwiesen – allerdings reisten sie auch gemeinsam als Paar. So nutzten sie für die Strecken zwischen den einzelnen Stationen zeitsparende Verbindungen über Land, in der Regel die Schnellpost. Das beständig schlechte Wetter zwang sie nicht selten zu Verschiebungen und Änderungen im Reiseplan und ließ sie ihre Abfahrten häufig verzögert antreten. Auch über die Qualität der Fahrten selbst äußern sich beide kaum, selten über Dauer, Beschaffenheit der Straßen und Mitreisende, nie zur Bequemlichkeit. Die Fahrten in der Kutsche wurden als notwendige Praktiken hingenommen, schließlich ermöglichten sie ein schnelles und trockenes Fortkommen. Dagegen wurden die Fahrten zu Wasser ausführlicher geschildert  ; wohl stellte diese Form des Fortkommens eine außerordentliche und eben romantische Erfahrung dar. Erlebnisorientierte Orte und Räume gesellschaftlichen Amüsements wie städtische, administrative und kulturelle Einrichtungen, also Kunstsammlungen, Theater, Gasthöfe, Brücken, öffentliche Plätze, Schlösser, Denkmäler, Parks und Grünanlagen, wurden hingegen zu Fuß erreicht. Räume, die auf ein rein landschaftliches Erlebnis zielten und eine bestmögliche Aussicht versprachen (etwa von Anhöhen oder Türmen herab), wurden ebenfalls zu Fuß aufgesucht. Exkursionen in die nähere Umgebung, deren Bewältigung körperliche Anstrengungen und Zeitaufwand bedeuteten, ließen sich auf Eseln erreichen. Kurze und längere Spaziergänge wurden hingegen häufig und zu jeder Tageszeit – gern auch in den Abendstunden – unternommen  ; meistens führten sie am Flussufer entlang, durch Weinberge, zu natürlichen Aussichtpunkten und Ruinen.31 Von den äußeren Bedingungen, der Wahl und Bevorzugung mobiler Praktiken abgesehen, gewahrte ich subtilere Formen einer geschlechtsdifferenten Reise- und Schreibpraxis, etwa bei der Wahrnehmung der bereisten Landschaft. So beschrieben sowohl Helmina von Chézy als auch Johanna Schopenhauer die Rheinlandschaft als besonders farb- und artenreich. Die Natur tritt in ihren Verschriftlichungen häufig personifiziert in Aktion, indem sie menschliche Züge und Attribute annimmt, die Blumen sehen und fühlen lässt. Bei der Artikulation nationalpolitischer Gefühle und Überzeugungen ließen sich ebenfalls Unterschiede feststellen  : Frauen nutzten das Genre 31 Vgl. Müller, Reisetagebuch, 1827, S. 27, 32.

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des Reiseberichts einerseits, um ihre eigene politische Meinung unbehelligt kundzutun und andererseits, um abseits geschlechtstypischer Zuständigkeiten und Rollenbilder auch einen patriotischen Beitrag zu leisten. Versuchten Soldaten mit Gewehr und Bajonett das Vaterland zu verteidigen, bekundeten Frauen wie Schopenhauer und Chézy mit Feder und Tinte ihre nationale Loyalität. Im Hinblick auf die Beschreibung von patriotischen Emotionen lassen sich kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellen  : Obwohl in den Selbstzeugnissen mit weiblicher Urheberschaft Gefühle wie Sanftmut, Mitleid und Besorgtheit dominieren, werden in entsprechenden Situationen negative Gefühle, wie Rachsucht und Abscheu als logische Folgen der zurückliegenden französischen Besatzung und des Grenzkonfliktes durchaus auch von Frauen benannt. Emotionen im Hinblick auf die Rheinzugehörigkeit sind nicht auf das Geschlecht reduziert oder individuell erzeugt, sondern unterliegen einem kollektiven Bedürfnis nach einer Zurschaustellung von einerseits Zugehörigkeit (deutsch) und Fremdheit andererseits (französisch). Wenn die Selbstzeugnisse vom Rhein als authentische Quellen zu historischen Schreibund Reisepraktiken gelesen werden, müssen stets auch die Absicht der Veröffentlichung, die zeitgenössischen Lesebedürfnisse sowie die Entwicklungen auf dem Buchmarkt berücksichtigt werden. Die Texte bedienten nicht nur das Interesse des Lesepublikums nach Unterhaltung und Kurzweil, sondern beleuchteten auch aktuelle technische, ökonomische und politische Entwicklungen, bemerkten soziale und strukturelle Unterschiede und deuteten das eigene Reiseverhalten nicht zuletzt innerhalb der betreffenden Reisekultur. Die Verfasser:innen waren sich der Wirkung ihrer Aufzeichnungen durchaus bewusst und erkannten deren Einfluss auf die Entwicklung des Reiseverhaltens am Rhein. Denn in ihren Berichten gaben sie auch Hinweise, wie die Landschaft bereist werden sollte  : Die Nutzung verschiedener mobiler Praktiken weist darauf hin, dass die Akteur:innen nicht nur bereits determinierten Routen folgten, sondern auch selbst neue Reisewege und konkrete Wander- und Spazierpfade aufmachten. Das Nachahmen, mithin Kopieren von Reiserouten und Reiseerlebnissen sowie das Einfügen von fiktiven Erlebnissen spielt auch bei der Analyse der Rheinreiseberichte eine nicht unbedeutende Rolle und zeigt, welchen öffentlichen Ansprüchen und Anforderungen ein solches Unternehmen unterlag. Neben der Wiedergabe der Begebenheiten vor Ort geht es den Akteur:innen primär um das vermittelte Reiseerlebnis, das literarischen Ansprüchen folgend ergänzt wird. Wenn auch Zeit- und Ortsangaben sowie detailgenaue Beschreibungen eine positive Überprüfbarkeit der Reisen suggerieren, bleiben sie doch Dokumente eines Lebensgefühls, welches ein romantisches Naturerlebnis und das historische Bewusstsein kunstvoll miteinander verband. Die Selbstzeugnisse vom Rhein sind dabei keine frei erfundenen Berichte,

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sondern sie dokumentieren vielmehr einen eigenen Wahrheitsanspruch, der sich aus tatsächlichem Reiseerlebnis und in die Reise projizierten Einschätzungen und Selbstbildern zusammenfügt. Die Akteur:innen wussten um die Möglichkeiten und (zeitlichen als auch materiellen) Grenzen ihrer Schriften  ; deshalb ließen sie ihre Texte zirkulieren und publizieren, veränderten und ergänzten Anekdoten, die das Gedankengut nachhaltig sicherten und einer nachfolgenden Leserschaft zur Verfügung standen. Das Ziel der Verschriftlichung der Reise war die Archivierung des eigenen Berichtes als historische Wahrheit. Erzählstil und Themenspektrum offenbaren das selbstbezogene und doch auf Öffentlichkeit abzielende Schreibverhalten der Akteur:innen, die neben der Schilderung der Landschaft und des Reisealltags ihre politischen Überzeugungen, sozialen Zugehörigkeiten und persönlichen Interessen miteinbezogen.32 Insofern bestätigt sich hier die Veränderung der Funktion von Reisebeschreibungen, die neuartige und zuweilen völlig konträre Erzählstränge hervorbrachte und im Zusammenhang mit der Erweiterung des Reisepublikums und dessen Absichten und Erwartungen zu lesen ist.33 Die bisher im Rahmen der zeitgenössischen Reiseliteratur geleistete objektive Erklärbarkeit der Welt wich dem Wunsch der Leserschaft nach intelligenter literarischer Unterhaltung.34 Auch wenn einige der Selbstzeugnisse unveröffentlicht blieben und für den privaten Gebrauch vorgesehen waren, so gestaltete sich doch die Schreibintention bei allen Akteur:innen gleich. Ihre Berichte waren mit Kalkül verfasst, richteten sich an ein sozial konformes, thematisch vorgebildetes Lesepublikum mit dem Bedürfnis nach anspruchsvoller literarischer Unterhaltung. Die Berichte dienten als Plattform, das individuelle literarisch-künstlerische und sprachliche Können unter Beweis zu stellen und nebenbei kollektiven ästhetischen sowie politischen Ansprüchen an den bereisten Raum gerecht zu werden. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen bürgerlich-romantischen Vorstellungen und der praktischen Reiseerfahrung vor Ort. Reisen waren nicht selten als Kontrastprogramm zum Alltag des städtischen Bürgertums angelegt, führten also zu fremden Städten und Menschen, folgten dabei aber einer genau festgelegten Abfolge kultureller, kulinarischer und gesellschaftlicher Höhepunkte in sozial homogegen Räumen, die soziale Zugehörigkeiten betonten. Die Auswertung der Selbstzeugnisse hat gezeigt, dass das romantische 32 Vgl. Lauer, Reisen zum Ich in Gesellschaft, 2011, S. 22. 33 Vgl. Brenner, Reisebericht, 1990, S. 320 ff. 34 Vgl. Hentschel, Uwe  : Studien zur Reiseliteratur am Ausgang des 18. Jahrhunderts  : Autoren – Formen – Ziele (Studien zur Reiseliteratur- und Imagologieforschung 4), Frankfurt/Main 1999, S. 15.

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Bedürfnis nach Abgeschiedenheit, Authentizität und Naturerfahrung in der Praxis zuweilen an den eingeübten bürgerlichen Verhaltensweisen scheiterte  : Weder ergaben sich sozial übergreifende Kontakte, noch wurden kultivierte Formen der Geselligkeit (Oper, Ball, Atelier, Literatursalon) aufgegeben, sondern gezielt gesucht. Städtische Strukturen und Einrichtungen wurden ebenso selbstverständlich genutzt wie moderne mobile Praktiken (Dampfschiff ). Zwar wurde das arbeitsame und einfache Leben der Bevölkerung gelobt, aber eben nur aus der Perspektive des städtischen Bildungsbürgertums, das sich selbst in dieser romantisierten Gegenwelt ein Kontrastprogramm vorstellte, zu dem es selbst aber keinen praktischen Zugang fand. Dass räumliche Abwesenheit nicht durchweg vor der Monotonie des Alltags schützen konnte, zeigt sich einmal bei Achim von Arnim, in dessen Briefen an seine Frau Bettina sich nachlesen lässt, dass das beständige Unterwegssein ihn gelegentlich langweilte.35 Seine mobile Freizügigkeit – existenziell für seine Tätigkeit als Schriftsteller und Herausgeber sowie kongruent zu dem damaligen Männlichkeitsbild – empfand er nicht selten als unbefriedigend und monoton  : Das Reisen bildete für ihn keinen Ausgleich vom Alltag, sondern war schlichtweg Alltag. Dass die Rheinreisen nicht immer Abwechslung und Kurzweil versprachen, zeigt auch das Beispiel Wilhelm Müllers, der zuweilen von den Routen und Wegen ernüchternd schrieb, dass sie »wenig anziehend« oder gar »langweilig« seien.36 Hier wird deutlich, dass das Unterwegssein nicht automatisch eine Lösung aus der Monotonie des Alltags und der Rhein nicht durchweg aufregende oder interessante Stationen bot. Auch für die anderen Akteur:innen waren kürzere und ausgedehnte Reisen, Wechsel der Wohn- und Wirkungsstätten üblich und bestimmten ihr Dasein. Das Leben aus dem Koffer, auch das stete Umherziehen und Anpassen bildete eine Konstante in den Biografien der Akteur:innen und bietet einen lebenswirklichen Hinweis, der vom Ideal des romantischen Wanderlebens ohne Verpflichtungen und feste Ziele abweicht. Das auf Vorbildern basierte Reise- und Naturerlebnis am Rhein sicherte die Teilhabe an einem einheitlichen gesellschaftlichen Diskurs. Rheinreisen wurden sozusagen fester Bestandteil bürgerlicher Sozialisation und folgten normierten Routen und Reisetechniken. Entgegen dieser homogenen Praxis werden aber gleichzeitig auch Brüche und Abweichungen sichtbar, die neue Formen der Reisekultur am Rhein zuließen, welche einerseits aus Eigeninteresse, andererseits aber auch im Hinblick auf Rezipierende und Auftraggebende begangen wurden. Diese Phänomene veranschaulichen, dass die Selbstzeugnisse der Rheinreisenden, die ein starkes Ich-Bewusstsein vermitteln, dennoch einem bestimmten Publikum gefallen sollten  ; Reisen an den Rhein folgten also 35 Ausführlich dargelegt in Kessel, Langeweile, 2001, S. 127 ff. 36 Müller, Reisetagebuch, 1827, S. 48.

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mitnichten bloß privaten Beweggründen, sie zielten stets auf die öffentliche Resonanz und Anerkennung und trugen gerade deshalb auch zur Konstitution der Rheinromantik bei. Da die Zeugnisse in Erzähl- und Darstellungsform variieren, stellt sich auch die Ausrichtung an mögliche Rezipierende unterschiedlich dar  : Das Reisetagebuch der Müllers war der Lektüre im privaten Bereich vorbehalten, während Schopenhauers und Chézys Publikationen auf ein entsprechend vorgebildetes und interessiertes Publikum zielten. Arnim und Brentano schrieben sich Briefe, die nachweislich aber auch an befreundete und verwandte Personen weitergeleitet und von ihnen gelesen wurden und bereits in ihrer Entstehung auf ein breites Lesepublikum ausgerichtet waren. Dass die Rezeption der Reise neben der schriftlichen Fixierung auch orale Erzählund Erinnerungsstrategien enthielt, beweist unter anderem die Tatsache, dass die Akteur:innen über ihre Reise auch mündlich berichteten. So machten die Müllers auf ihrer Heimreise nach Dessau einen Zwischenhalt in Weimar, wo sie laut Wilhelms Tagebucheintrag mit Goethe über die zurückliegende Rheinreise sprachen.37 Auch unterwegs noch hatte sich Wilhelm Müller häufig mit Dichterkollegen ausgetauscht  : Entsprechende Treffen sind im Tagebuch festgehalten und belegen seine schriftstellerischen Absichten an die Reise, wenn auch die Gesprächsthemen nur ansatzweise erwähnt werden, publizistische Vorhaben gar nicht belegt sind. Die mündlichen Unterhaltungen und Diskussionsthemen bleiben für Lesende erst einmal unhörbar und nicht nachvollziehbar. Die Publikation der Reiseerlebnisse steht unausgesprochen zwischen den Zeilen und war für seine Mitverfasserin und Frau Adelheid genauso selbstverständlich wie für sein näheres und privates Umfeld – bedurfte mutmaßlich keines schriftlichen Vermerks. Dass Wilhelm Müller die Erlebnisse der Rheinreise nicht in seinen laufenden diarischen Aufzeichnungen einschrieb, sondern ihnen ein separates Tagebuch widmete und dieses auch dementsprechend betitelte, zeigt die Bedeutungszuschreibung der Reise innerhalb von Müllers Lebenswerk und die Absicht einer späteren Publikation. Das Reisetagebuch von Wilhelm und Adelheid Müller sowie die Briefkorrespondenz von Brentano und Arnim zeigen in der direkten Gegenüberstellung mit den anderen publizierten Reisebeschreibungen auch, dass es unter diesen Variationen und Fassungen gab. Das Textzeugnis der Müllers stellt das Fragment eines Reiseberichtes dar, da es mit großer Wahrscheinlichkeit als Rohfassung und Vorlage für ein umfangreicheres Reisewerk dienen sollte – es zeigt den Facettenreichtum und die Pluralität von Textfassungen, die allesamt einem Reiseerlebnis zuzuordnen sind. Die publizierten Reiseberichte, die wir heute in den Händen halten, erhielten ihre endgültige für den Druck bestimmte Form erst allmählich, wurden von den Akteur  :nnen oder nachfolgenden Generationen 37 Müller, Reisetagebuch, 1827, S. 49.

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Abb. 15  : Screenshot Chronotopos Romantik, (Lebenswege im Vergleich  : Achim von Arnim, Clemens Brentano, Wilhelm Müller) © Freies Deutsches Hochstift (Deutsches Romantik-Museum, Frankfurt a. M.) – https://chronotopos-romantik.freies-deutsches-hochstift.de/.

verändert, umgeschrieben und erweitert und in späteren Ausgaben ergänzt. Das Reisetagebuch der Müllers und die Briefe von Brentano und Arnim erwecken den Anschein der Vorläufigkeit, die durch eine nachträgliche Bearbeitung erst zu den Werken werden sollten, die für das Publikum bestimmt waren. Dass Helmina von Chézy und Johanna Schopenhauer ihre Berichte als Tagebücher und Briefe konzipierten, deutet auf Vorarbeiten in privat geführten Diarien und Schriftwechseln hin. Die Selbstzeugnisse sind daher auch mit ihren Entstehungsstadien in Bezug zu setzen. Nicht zuletzt soll nun auch auf die offensichtlichen und mutmaßlichen Beziehungen und Verbindungen der Akteur:innen untereinander verwiesen werden, die zumindest implizit Hinweise dafür liefern, dass romantisches Gedankengut im Kontext von Reisen verinnerlicht und ausgetauscht wurde. Persönliche Zusammenkünfte sowie gemeinsame literarische Projekte zwischen mehreren Akteur:innen sind durchaus bekannt – zumeist liefern wiederum Korrespondenzen Hinweise auf Gespräche und Kooperationen. Helmina von Chézy und Achim von Arnim kannten und schätzten sich  ; Brentano und Arnim sind Wilhelm Müller während ihrer Zeit in Berlin wiederholt im Rahmen der Deutschen Tischgesellschaft und anderer Literatursalons begegnet. Die Bedeutung von Städten für den intellektuellen Austausch des Bildungsbürgertums kann ohnehin nicht hoch genug eingeschätzt werden, da hier Kontakte geknüpft, Projekte diskutiert und vor allem Literatur besprochen wurde. Innerhalb dieser geselligen Salons bewegten

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sich die Romantiker:innen in einem intellektuell homogenen und dabei sozial heterogenen Kreis.38 In Johanna Schopenhauers Salon in Weimar wurden die geselligen Zusammenkünfte ebenso gepflegt wie bei der Familie Arnim in Berlin, aber auch in Jena, Dresden, Frankfurt und Heidelberg – allesamt geistig-intellektuelle Zentren und Orte, die in den Lebensläufen der Akteur:innen eine Rolle spielen.39 Wenn auch nicht zwischen allen Akteur:innen Beziehungen und Begegnungen nachgewiesen werden können, so ist davon auszugehen, dass sie zumindest über das literarische Schaffen der jeweils anderen im Bilde waren – und sich als Impulsgebende und Konkurrierende gegenseitig wahrnahmen. Dies wird auch anhand von Rezensionen und Kritiken in zeitgenössischen Literaturzeitschriften nachvollziehbar. So veröffentlichte Helmina von Chézy 1803 in ihren Französischen Miscellen Arnims Liebesstück Aloys und Rose40. Die Urteile fielen trotz persönlicher Sympathien nicht immer wohlwollend aus  : So äußerte sich Arnim in einem Streitgespräch41 kritisch über ein Werk Chézys. Eine kurze, aber heftige Auseinandersetzung zwischen Wilhelm Müller und Clemens Brentano (es ging um die Gunst von Luise Hensel) dokumentiert ebenfalls das Konfliktpotenzial der Schriftstellerkollegen, die schließlich in vielerlei Hinsicht auch Rivalen sein konnten.42 Dementsprechend unterschieden sich die untereinander und voneinander getroffenen Bewertungen und (Vor-)Urteile  : Chézy beschrieb Brentano als ernsthaften und schweigsamen Menschen, der sich ihrer Ansicht folgend eher 38 Vgl. Jansohn, Christa  : Einige Gedanken zur Vortragstätigkeit in Weimar, vor allem im 19. Jahrhundert, in  : Dies., u. a. (Hg.)  : »Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde«  : Festgabe für Michael Knoche  ; 25 Jahre Bibliotheksdirektor der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar (1991–2016) (Studien zur englischen Literatur und Wissenschaftsgeschichte, 29), Berlin 2016, S. 107–144, hier S. 111. 39 Über das Projekt »Chronotopos Romantik« des Freien deutschen Hochstifts lassen sich mithilfe einer interaktiven Karte chronologisch die Lebensstationen einzelner Vertreter:innen der Romantik nachverfolgen und übereinanderlegen, womit ein direkter Vergleich möglich wird. Der Screenshot (Abb. 15) zeigt beispielhaft die Lebenswege von Achim von Arnim (pink), Clemens Brentano (blau) und Wilhelm Müller (rot). Die Bewegungsprofile offenbaren neben den biografisch bedingten individuellen Stationen auch viele Schnittstellen und belegen das engmaschige Beziehungsnetzwerk der deutschen Romantiker:innen, URL  : https://chronotopos-romantik.freies-deutsches-hochstift.de/, letzter Zugriff  : 01.05.2022. 40 Siehe  : Arnim, Achim von  : Aloys und Rose  : aus dem Tagebuch eines hypochondrischen Reisenden, in  : Hastfer, Helmina von (Hg.)  : Französische Miscellen, 3/1, Tübingen 1803, S. 1–18. 41 Siehe dazu  : Arnim, Achim von (Hg. u. Komm.)  : Ungedruckte Briefe der Karschin  : mit einer Erklärung von Helmina von Chézy, in  : Geistige Feldzüge  : bedeutsam bleibende literargeschichtliche Kämpfe, Berlin 1857, S. 85–110. 42 Laut Heinz Wetzel bezieht sich Brentano in seiner Erzählung über Die mehreren Wehmüller und ungarischen Nationalgesichter (1817) auf Wilhelm Müller (sprich W. Müller), mit dem er offen um die Gunst Luise Hensels warb. Vgl. Knauer, Bettina  : Allegorische Texturen  : Studien zum Prosawerk Clemens Brentanos (Hermaea 77), Tübingen 1995, S. 112.

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in den »Zauberkreisen der Phantasie«43 als dem Diesseits wohlfühle. Indes lobte sie seinen und Arnims Verdienst um die Etablierung einer gemeinsamen Volksliedkultur und einer gefühlsbetonten Dichtkunst in Deutschland. Abgesehen von gemeinsamen literarischen Projekten zeugen die Korrespondenzen auch von Kontakten über das engere Berufsfeld hinaus. Neben der freundschaftlichen Verbundenheit zwischen Achim von Arnim und Clemens Brentano belegen die Briefe zwischen Wilhelm Müller und Helmina von Chézy, dass außerhalb literarischer Projekte und Kooperationen auch private Angelegenheiten und Vertraulichkeiten ausgetauscht wurden.44 Müllers Unterredungen und Treffen während der Rheinreise deuten darauf hin, dass die mündliche Wieder- und Weitergabe von Reiseerfahrungen und -erlebnissen eine ebenso spielte wichtige Rolle wie ihre schriftliche Fixierung. Gerade auch im Hinblick auf spätere Veröffentlichungsabsichten und entsprechende Vorarbeiten boten sich gesellige Zusammenkünfte an, um literarische Vorhaben, thematische Übereinstimmungen und Diskrepanzen zu besprechen.45 Eine Konstante bilden die Ansprüche und Erwartungen der Akteur:innen an den Rhein als eine ursprüngliche Natur- und Kulturlandschaft. Dazu wurden Kriterien und Bedingungen für ein einmaliges Raumerlebnis definiert. Andere Reisende wurden innerhalb einer als ursprünglich und als intakt empfundenen Landschaft von den historischen Akteur:innen schnell als störend empfunden.46 Das eigene Erlebnis verlor durch die gleichzeitige Anwesenheit von Anderen an Exklusivität, schließlich suggerierten Einsamkeit und Menschenleere den Vorteil des Erstankömmlings. Die Abgeschiedenheit der Landschaft war essentiell für die Authentizität der als ursprünglich erlebten Natur, wobei die Bewohner:innen als Statisten in dieser traditionellen Kulisse 43 Chézy, Unvergessenes, 1858, S. 165. 44 Siehe dazu  : Hentschel, Rom, Römer und Römerinnen, 2007. S. 19, 24  ; Übereinstimmungen finden sich auch bei ihren Textvorlagen für Bühnenmusiken und Konzerte  : Chézy schrieb das Libretto von von Carl Maria von Webers Euryanthe und Franz Schubert vertonte Müllers Liederzyklen Die schöne Müllerin und die Winterreise. 45 So tauschte sich Wilhelm Müller mit anderen Personen über deren Reisen und literarische Vorhaben aus, etwa mit Wilhelm Hauff, den er kurz nach dessen Rückkehr aus Tirol traf, wo er Material für einen geplanten Roman (über Andreas Hofer) gesammelt hatte. Vgl. Müller, Reisetagebuch, 1827, S. 45. 46 So stellte Johanna Schopenhauer bei ihrem zweiten Rheinaufenthalt fest  : »Bei der jetzigen, fast epidemieartigen Reiselust, die in einem einzigen Jahre zehnmal soviel Reisende auf den Heerstraßen hin und hertreibt, als ehemals in zehnmal so langer Frist, fallen mir zweierlei Gattungen derselben besonders auf, denen man früher fast niemals begegnete  : reisende Engländerinnen und reisende Kinder.« Schopenhauer, Ausflug, 1830/1.; vgl. Aschenbrand, Erik  : Die Landschaft des Tourismus  : wie Landschaft von Reiseveranstaltern inszeniert und von Touristen konsumiert wird (RaumFragen  : Stadt – Region – Landschaft), Wiesbaden 2017, S. 69.

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durchaus erwünscht waren. Der romantic gaze47 macht deutlich, dass die Forderung nach einem authentischen Landschaftserlebnis und die Betonung des Sinnlichen eine Konstante in der touristischen Aneignung von Landschaft bildet, dessen Ausgangspunkt bis in die Epoche der Romantik zurückführt.48 Ziel meiner Arbeit war es, über die Selbstzeugnisse vom Rhein das Reiseziel Mittelrhein neu zu perspektiveren. Dabei untersuchte ich mithilfe vielversprechender Forschungsansätze die Vielschichtigkeit der Selbstzeugnisse. Die Verknüpfung interdisziplinärer Themenschwerpunkte ließ mich neue Erkenntnisse zur Rheinromantik und der Reisekultur zur Zeit der Romantik gewinnen. Dabei war das Quellenmaterial zu den einzelnen Untersuchungseinheiten unterschiedlich ergiebig. Während sich nur wenige Raumbezüge feststellen ließen, bildete der Rhein als nationalpolitisches Symbol eine wesentliche Thematik. Meine Annahme, dass Reisen in der Zeit der Romantik zum Selbstzweck wurden, also Reisen um des Reisens Willen geschahen, lässt sich nun teilweise revidieren. Die Akteur:innen verbanden mit ihren Reisen intentionale Zwecke der beruflichen und privaten Kontaktpflege, auch verknüpften sie mit ihren Reisen umfangreiche Bildungsund Erholungsprogramme und erhofften sich ein ursprüngliches Naturerlebnis. Somit lässt sich feststellen, dass neben dem Reisevorgang in besonderem Maße das Reiseziel mit dem Mittelrhein als Höhepunkt der Reisen zentraler Motivationspunkt war. Da Reisen einen beliebten und unter Umständen lukrativen Gegenstand für Publikationen bildeten, blieb der berufsverbindliche Anlass weiterhin bestehen  ; Reisen und das Schreiben darüber sicherten die Existenz und das Ansehen der Akteur:innen. Sodann findet das Reisen als Selbstzweck Bestätigung, denn erst in der Praxis des Reisens, dem Sich-von-Ort-zu-Ort-Bewegen und der dynamischen Veränderung lag das Potenzial, aus dem die Akteur:innen literarischen Gewinn erzielten. Meine Arbeit bietet Anschlussmöglichkeiten bezüglich der Verknüpfung interdisziplinärer Forschungsansätze, etwa, um die Schreib- und Reisepraktiken zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht nur im Rahmen literarischer und sprachwissenschaftlicher Prämissen aufzuzeigen, sondern die Reisekultur am Rhein als komplexen kulturhistorischen Prozess zu begreifen, welcher in der Entstehungsperiode der Romantik wesentliche Grundlagen für nachfolgenden Reisegenerationen ausbildete. Die Aktualität romantischer Raum- und Selbsterfahrungspraktiken ließe sich auch anhand jüngerer 47 Der romantic gaze verbindet das Bewusstsein um das Aussehen schöner Landschaften mit dem Wissen um die richtige (praktische) Aneignung dieser Landschaft. Ich beziehe mich auf John Urry  : The Tourist Gaze, London (u. a.) 2002, S. 94. 48 Vgl. Schäfer, Robert  : Tourismus und Authentizität  : zur gesellschaftlichen Organisation von Außeralltäglichkeit, Bielefeld 2015, S. 55 f.

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Selbstzeugnisse vom Rhein und einer grundsätzlichen Erweiterung des Quellenfundus überprüfen. Vielversprechend scheint beispielsweise die Analyse von modernen Medienformaten (Fotografie, Selfie, Sprachmemos, Social Media), um anhand neuer technologischer Funktionen der Selbstinszenierung und Selbstvergewisserung mögliche Konstanten und Veränderungen bei der Wahrnehmung und Aneignung der Rheinlandschaft und dem Reiseerlebnis aufzuzeigen.49 Die Analyse dieser Medien wäre zweifellos aufschlussreich, um die Bedeutung der Performance, also der Betonung von körperbezogenen Handlungen, Interaktionen und Stimmungen, als stabile Kategorie einer auf das Subjekt bezogenen Rheinromantik nachzuzeichnen. Da die historischen Akteur:innen sich selbst in der Landschaftskulisse Rhein inszenierten, die Selbstzeugnisse auf ein größeres Publikum zielten, steht die Performance, also die künstlerische Darstellung im Mittelpunkt. Damit »bezieht sich der Performance-Ansatz auf ausdrücklich künstlerisch kommunikative Handlungen«50, ist also auf Wirkung konditioniert, an eine bestimmte Öffentlichkeit gerichtet. Darüber ließen sich konstante Verhaltensmuster der Selbstinszenierung in einer traditionellen Geschichtslandschaft ableiten. An dieser Stelle möchte ich auf einzelne nach wie vor bestehende Forschungslücken hinweisen. Neben den offenliegenden Erkenntnissen haben die Quellen längst nicht auf alle Forschungsfragen Antworten geben können. Das Nicht-Erwähnen von Tieren habe ich bereits angesprochen, auch sind die Bemerkungen über einen Wahrnehmungswandel des Rheins infolge der Technisierung recht spärlich. Selbst aus den vergleichenden Reiseerlebnissen Johanna Schopenhauers lassen sich kaum Bemerkungen herauslesen bezüglich der Ambivalenzen zwischen den Ansprüchen auf eine intakte Natur und der zunehmend technisierten Infrastruktur am Rhein, welche nicht nur das Landschaftsbild veränderte, sondern auch dessen Wahrnehmung in Bezug auf das Hören und Riechen. Eine Erweiterung der Quellenauswahl (Bildpostkarten, ausländische Reiseberichte) kann hier möglicherweise zu neuen Einschätzungen beitragen und bestehende Forschungsdesiderate schließen. Um an meine einleitenden Anmerkungen über Kontinuitäten und Brüche von autobiografischen Reisebeschreibungen anzuknüpfen, möchte ich nochmals auf die neuen Qualitäten von Selbstzeugnissen der Romantik zu sprechen kommen. Die Selbstbiografien und ichbezogenen Schriften aus Mittelalter und Früher Neuzeit standen in der Regel in der Tradition einer niedergeschriebenen Familienchronik, 49 Auf die Praxis der Selbstvergewisserung anhand moderner fotografischer Selbstportraits vor Sehenswürdigkeiten, die das eigene Reiseportfolio wirkungsstark präsentieren, verweist Marco d’Eramo in seinem Buch Die Welt im Selfie (2018). 50 Knoblauch, Hubert  : Pragmatische Ästhetik  : Inszenierung, Performance und die Kunstfertigkeit alltäglichen kommunikativen Handelns, in  : Willems, Herbert/Jurga, Martin (Hg.)  : Inszenierungsgesellschaft  : ein einführendes Handbuch, Wiesbaden 1998, S. 305–324, hier S. 308.

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die ein genealogisches und zumeist dynastisches Selbstbewusstsein dokumentierte.51 In dieser repräsentativ-inszenierten Selbstdarstellung, die auf starke Außenwirkung zielte, kamen selbstkritische Nuancen lediglich in Konfessionsfragen zum Vorschein.52 Gewiss dienten die Selbstzeugnisse der Romantik ebenso der (verherrlichenden) Selbstdarstellung und unterlagen den Auswahlkriterien der Verfasser:innen  ; allerdings standen diese Schriften selten im Zusammenhang einer übergeordneten Familiengeschichte, auch wenn die Dokumente nicht selten zum Lesen im Familienkreis bestimmt waren. Selbst Helmina von Chézys Einschreiben in ein quasi familientypisches Matriarchat erfüllte weniger öffentlichkeitswirksame Ambitionen als den Wunsch, den Leistungen der (weiblichen) Ahnen gerecht zu werden. Der Fokus dieser Arbeit auf die Beschreibungen der eigenen Mobilität offenbart, dass Strategien der Selbstverwirklichung und Selbstentfaltung, die auch die freie Wahl des Wohn- und Arbeitsorts implizieren, wesentlich wichtiger waren als die Einschreibung in Familientraditionen. Exemplarisch zeigt sich das anhand von Brentanos Ausbrechen aus einem bürgerlich-kaufmännischen Lebensumfeld und der Flucht vor seiner durch die Familie vorgezeichneten Bestimmung. Selbstzeugnisse der Romantik resultieren aus einer übermäßigen Beschäftigung der Autor:innen mit sich selbst, mit dem Ziel der kollektiven Bestätigung. Die Selbstzeugnisse bieten ihrer Leserschaft insofern Anknüpfungspotenzial, als sie zugleich Inspirationsquelle für alternative Lebensmodelle waren oder solche anpriesen.53 Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu ähnlichen Texten aus dem 16. und 17. Jahrhundert ist, dass sich die Selbstzeugnisse der Romantik überwiegend nicht den repräsentativen Aufgaben oder Funktionen der Akteur:innen unterordnen, sondern deren Selbstverständnis als professionelle Schriftsteller:innen zum Ausdruck bringen. Selbstbiografisches Schreiben erfolgt hier nicht als verpflichtender Programmpunkt, sondern dient der Zurschaustellung des literarischen Könnens – bildet oft gar den eigentlichen Anlass der Reise. Die stärker auf das Selbst bezogenen Rheinbeschreibungen sind »Zeugnisse für die spezifische Denkungsart der Verfasser« und bilden in 51 Vgl. Wenzel, Höfische Geschichte, 1980, S. 254 f. 52 In diesem Kontext möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass durchaus auch Krisensituationen infolge von politischen Umbrüchen sowie private Probleme in höfischen Selbstzeugnissen der Frühneuzeit zur Sprache kamen. Siehe dazu  : Averkorn, Raphaela  : Schreiben als Methode der Krisen- und Problembewältigung  : Untersuchungen zu kastilischen »Ego-Dokumenten« des 14. und 15. Jahrhunderts, in  : Heimann, Heinz-Dieter/Monnet, Pierre (Hg.)  : Kommunikation mit dem Ich  : Signaturen der Selbstzeugnisforschung an europäischen Beispielen des 12. Bis 16. Jahrhunderts (Europa in der Geschichte  : Schriften zur Entwicklung des modernen Europa 7), Bochum 2004, S. 53–98. 53 Vgl. Brachmann, Jens  : Der pädagogische Diskurs der Sattelzeit  : eine Kommunikationsgeschichte (Beiträge zur Theorie und Geschichte der Erziehungswissenschaft 30), Bad Heilbrunn 2008, S. 174.

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diesem Kontext »eine Art unfreiwilliger kultureller Selbstdarstellung«, aus der Reiseund Schreibverhalten ablesbar sind.54 Die Selbstzeugnisse der Romantik verdeutlichen, dass sich Reisen und Schreiben gegenseitig bedingen und sich als gleichberechtigte Partner einer kulturellen Praxis durchsetzen. Grundsätzlich lässt sich beobachten, dass die Reisebeschreibungen als Selbstbeschreibungen integraler Bestandteil der verschriftlichten Vita sind. Auch wenn einzelne Reiseerfahrungen separat veröffentlicht wurden oder dafür vorgesehen waren – beispielsweise das Reisetagebuch der Müllers und auch Johanna Schopenhauers Reise­beschreibungen – blieben sie im Kontext der übergeordneten Funktion der Selbstbiografie. Nichtsdestotrotz nahmen sie in den Aufzeichnungen eine Sonderfunktion ein, da sie Selbsterkenntnis und damit die persönliche Entwicklung der Akteur:innen nachzeichneten, oft auch Lebenswege rechtfertigten. So erkenne ich als neue Qualität der Selbstzeugnisse der Romantik die kritische Auseinandersetzung mit dem Ich. Helmina von Chézys Lebenserinnerungen lesen sich als eine Art Rechenschaftsbericht, wodurch sie möglichen Kritiken zuvorkam  : Fehlverhalten und jugendliche Unwissenheit werden zwar eingestanden, der Frankreichaufenthalt aber im Prinzip als probates Mittel mit der Absicht einer eigenständigen Lebensführung als professionelle Schriftstellerin gerechtfertigt. Ihre Schriften sind quasi als Flucht nach vorn zu deuten, in denen sie selbstkritisch und reflektiert ihren Lebensweg beurteilt, gleichzeitig aber angibt, dass sie keine andere Wahl hatte. Selbstanzeige, Selbstanklage und Selbstverteidigung sind wesentliche Kernpunkte der narrativen Lebensbeschreibungen. Das reflektierte, selbstkritische Erzählen der eigenen Vita, die zwischen selbstsicherem Auftreten und sorgenvoller Befangenheit schwankt, ist als Begleitphänomen einer sich im Wandel befindenden Gesellschaft an der Schwelle zur Moderne zu bewerten, die traditionelle Lebensentwürfe infrage stellte und in der die Akteur:innen für sich und auch ihre folgenden Generationen neue Orientierungspunkte suchten. Die Akteur:innen wurden gewahr, dass sich nicht nur vertraute Muster auflösten, sie waren selbst von diesen Auflösungserscheinungen betroffen. Lebensläufe erschienen im Kontext sich überschlagender Ereignisse geradezu obsolet und unbeständig  : Brentanos verschriftlichte Befürchtung, dem Freund künftig als Feind gegenüberzustehen, bestätigt die Fragilität bestehender Verhältnisse, die auch personelle Beziehungen auf die Probe stellen konnten. Im Kontext politischer und struktureller Veränderungen sei auch auf die Relevanz der Destination verwiesen, denn der Rhein war nicht zufällig das übereinstimmende Reise­ ziel der Akteur:innen. Die naturästhetische Programmatik der romantischen Bewegung hatte den Rhein zunächst als idyllisches Pendant zur urbanen Lebenswelt erkoren. Im Verlauf herrschaftlich-politischer und struktureller Veränderungen kam es auch zu 54 Harbsmeier, Reisebeschreibungen, 1982, S. 1 f.

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einer thematischen Schwerpunktverlagerung des Rheins, der in seiner Grenzfunktion überregionale Brisanz erhielt und durch historische wie auch ahistorische Ereignisse mythologisch überformt wurde. Der Rhein stand nun wie kein anderer Landstrich für kulturelle Einheit, politische Integrität und nationale Identität, die es um jeden Preis zu bewahren galt. Die Rheinreisenden knüpften an dieses Geschichtsbewusstsein und die patriotischen Ambitionen an und schrieben sich in diesen romantischen, traditionsbewussten und politisch-motivierten Diskurs ein. Damit wird in den Selbstzeugnissen verstärkt die politische Einstellung anhand des Reiseziels zum Ausdruck gebracht. Abschließend möchte ich an meine zu Beginn genannten Ausführungen einer Gleichzeitigkeit von Romantik und »Sattelzeit« anknüpfen. Dass infolge politischer Umbrüche und Veränderungen traditionelle und moderne Lebensformen, Werte und Praktiken nebeneinander existierten, offenbarte sich beispielsweise anhand der Nutzung von Transportmitteln. Auch die vermeintliche Rückkehr zu einer traditionellen Lebensweise und zu einer sich dem Fortschritt verwehrenden heilen Welt wurde durch das Aufsuchen urbaner und sozial homogener Räume konterkariert. Das Überschreiten sozialer Grenzen und Räume gelang kaum  ; gewöhnlich blieben die Akteur:innen unter ihresgleichen, und behielten dieses Verhalten auch in späteren Jahren mehrheitlich bei.55 Erheblich ist, dass die strukturellen, politischen, sozialen und auch kulturellen Veränderungen den Akteur:innen geläufig sind. Die Veränderungen der Rheinlandschaft, bemerkbar durch den Eingriff in die Natur, die Professionalisierung der Reisen (die auch die Redundanz der Reiseliteratur einschließt) und die generelle Zunahme von Reisenden werden den Akteur:innen unterwegs bewusst. Sie kommen mit bestimmten Vorstellungen an den Rhein, denen die Landschaft teilweise nicht mehr gerecht wird, etwa am Binger Loch und dem Loreley-Felsen  : Der Echo-Effekt geht infolge der Eingriffe in die Landschaft verloren  ; dazu verliert der Ort durch die Masse von Schaulustigen seinen Anreiz. Auch wenn die in den Quellen festgehaltenen Darstellungen meistens Momentaufnahmen sind und sichtbare Veränderungen des bereisten Raums in der Regel einer erneuten Reise bedurften, so geben die Selbstzeugnisse zusammenhängend gelesen Aufschluss über eine dynamische Reisekultur am Rhein, die in eine von Revolutions-, 55 Ewart Reder hat darauf verwiesen, dass Brentanos Aufenthalt in Dülmen (1818–1824) bei der stigmatisierten Nonne A. K. Emmerick einem »Teilausstieg aus seiner bürgerlichen Existenz« und einem einmaligen »Bruch mit seiner Klasse (auf Widerruf )« gleichkam. Seine infolge seiner Generalbeichte völlige Abkehr von weltlichen Belangen und auch weltlicher Literatur (die auch seine bisherigen Werke einschloss) passte zur Umgebung, in der er sich nun bewegte  : Das bescheidene, unaufgeklärte Leben ermöglichte eine zeitlich begrenzte »kleinräumige soziale Utopie«. Reder, Ewart  : Wesentliche Wandlung  : Wie Clemens Brentano vor 200 Jahren zum »Schreiber Gottes« wurde und dabei ein romantischer Dichter blieb (Weimarer Beiträge 63,3), Wien 2017, S. 389–409, hier S. 398.

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Reform- und Restaurationsbestrebungen geprägte Phase fällt, die auch die Akteur:innen am eigenen Leib zu spüren bekamen. Entscheidend ist, dass die Menschen, die in dieser Zeit lebten, jene beschleunigten Verschiebungs- und Transformationsprozesse »nicht nur als Ende oder Anfang (…), sondern als Übergangszeit« oder auch Epochenschwelle erkannten und explizierten.56 Friedrich Schlegel hielt in einem mehrteiligen Aufsatz die mit den jüngsten Konflikten und Schwierigkeiten in Bezug stehende Unsicherheit der Gesellschaft als eine repräsentative »Signatur des Zeitalters« fest.57 Dabei deutete er »die Anzeichen am Horizonte der irdischen Weltentwicklung«58 seit 1789 weder als drohende Apokalypse noch als heilsbringendes Versprechen, sondern als unumgänglichen Vorgang der Geschichte, der sich bereits mit der Auflösung des religiösen Staatssystems und der Zeit der Aufklärung angekündigt hatte.59 Die Zukunft präsentierte sich als dauerhafter »Zustand der Krise«, welche die Angst vor einer »permanenten Revolution« schürt.60 Die Schnelllebigkeit und stete Überholbarkeit historischer Ereignisse erzeugte nicht selten Beklommenheit und Überforderung. Diese Situation bewirkte wiederum bei vielen seiner (romantisch gesinnten) Zeitgenossen ein Streben in die Vergangenheit. Als Ausweg erschien die Wiederherstellung der alten Ordnung unter monarchischer Herrschaft  : Das Mittelalter präsentierte sich als Zeitalter, das für Beständigkeit statt Beschleunigung und Gleichmäßigkeit statt Wandel stand. Die romantischen Akteur:innen wirken auch hier als Vermittelnde zwischen der alten Welt und einer neuen Ordnung. Dieser historische Rückgriff und das Streben nach einem Zustand vor dem politischen Umbruch begriff das Mittelalter auch als kulturelle Blütezeit, die frei war von fremden, insbesondere französischen Einflüssen. Das literarische Programm unserer Rheinreisenden – beispielsweise Brentanos Novelle Die Schachtel mit der Friedenspuppe, Victoria und ihre Geschwister oder auch das gemeinsam mit Arnim initiierte Wunderhorn-Projekt – bezeugen diesen Wunsch nach einer Rückkehr zur alten Ordnung und einer von fremden Einflüssen unberührten Kultur. Das Reise- und Schreibverhalten bekräftigt auch die persönliche Unsicherheit in einer von Unsicherheiten geprägten Ära, in der sich die Akteur:innen in Räume zurückzogen und Räume neu für sich erschlossen, welche von diesen Umbrüchen unberührt zu sein schienen, die also Beständigkeit und Tradition vermittelten. Dass auch der Rhein nicht von den technischen 56 Koselleck, Vergangene Zukunft, 2020, S. 328. 57 Schlegel, Friedrich  : Signatur des Zeitalters (= Concordia  : eine Zeitschrift 1820–1823/I–IV), Wien 1823. 58 Ebd. (Heft I, 1820), S. 3. 59 Ebd., S. 26 f. 60 Koselleck, Reinhart  : Kritik und Krise  : eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Frankfurt/ Main 1973, S. 134 f.

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und strukturellen Veränderungen verschont blieb, zeigt etwa der Einsatz von Dampfschiffen ab 1816 – übrigens eine der frühesten Dampfschifffahrtsverbindungen in Deutschland und Zeugnis für die rasante touristische Erschließung des Mittelrheins. Zudem bildete der Rhein schon bald darauf die Plattform für territoriale, patriotische und kulturelle Auseinandersetzungen, die von den gesellschaftlichen und politischen Übergangsprozessen bestimmt wurden. Die spätere Rheinkrise war auch das Resultat einer literarischen sowie bildhaften, insgesamt künstlerischen Vereinnahmung, die auf beiden Seiten des Flusses vonstatten ging. Der Rhein war auch deshalb ein beliebtes Reiseziel, weil hier der Konflikt unmittelbar und räumlich erlebbar war. Ich vertrete daher die These, dass die Akteur:innen den Umbruch am Rhein, dem sie vorher ausgewichen waren, selbst forcierten. Ihre, wenn man so will, Pionierleistung bestand nicht allein im Aufsuchen bestimmter Orte am Rhein, sondern in deren historischer Aufwertung und Bedeutungszuweisung, die sie in den Selbstzeugnissen publikumsorientiert niederschrieben. Auch wenn sich die Romantiker:innen der Tradition verpflichtet fühlten und mit ihren Reisen eskapistische Vorstellungen verbanden, so lebten sie in der Praxis freilich in einer Welt des Wandels und nutzten die Möglichkeiten einer selbstbestimmten und unkonventionellen Lebensführung, die ganz von den Prozessen und Ereignissen eines steten Wandels beeinflusst waren. Dies drückt sich vor allem auch in ihrer uneingeschränkten Mobilität aus, die einer Raumergreifung gleichkommt, und individuelle Entfaltung mit Nationalbewusstsein kombinierte. In dieser unsicheren Ära bietet sich das selbstreflexive Schreiben, das Festhalten von Gedanken und Ängsten, Wünschen und Hoffnungen in Selbstzeugnissen an, um diese Übergangszeit zu verarbeiten. Der Brief und das Tagebuch stellt einen sicheren Rückzugsort dar, in welchem die historischen Akteur:innen diese Veränderungen begreifen und individuell verarbeiten.61 Hier bestätigt sich erneut die Annahme, dass sich die Romantik im Wesentlichen in den Selbstzeugnissen konstituierte und weiterentwickelte, eine eigene Semantik und Programmatik entwarf. Die in den Selbstzeugnissen eingeschriebenen Erlebnisse und Erfahrungen des Ichs, aber auch der Fremde sind gleichfalls Szenarien des persönlichen Übergangs und der voranschreitenden Transformation, obwohl sich die Akteur:innen stets einer kulturellen Vergangenheit verpflichtet fühlen. In diesem Prozess erkennen sie, dass sie diesem kontinuierlichen Wandel ausgeliefert sind, und versuchen, mithilfe literarischer Verarbeitung kulturelle Werte zu erhalten und in die neue Epoche zu transferieren. 61 Diese Praxis ist übrigens bei bürgerlichen und adligen Autor:innen übereinstimmend festzustellen. Siehe dazu  : Rößner-Richarz, Maria  : Selbstzeugnisse als Quellen adliger Lebenswelten in der Sattelzeit  : eine Bestandsaufnahme, in  : zeitenblicke 9, Nr. 1,10.06.2010, URL  : http://www.zeitenblicke. de/2010/1/roessner-richarz/index_html, letzter Zugriff  : 01.05.2020.

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Die Romantik sorgte sich nicht nur um den Erhalt von Ursprünglichkeit und Traditionen, sondern setzte auch neue Akzente  : durch eine sinnlich ausgerichtete, geschichtsbewusste Landschaftsbegehung oder die Erkenntnis einer schützenswerten Natur. In diesem intellektuellen Übergangsprozess reflektieren die Akteur:innen ihre Erlebnisse, die sie zusammen mit ihren traditionellen Wertvorstellungen in ihre Selbstzeugnisse einschreiben, welche auf diese Weise Wissensspeicher einer ganzen Generation darstellen. Dieses gebündelte Wissen besitzt bis heute Gültigkeit – erkennbar anhand der gewohnten Reisepraktiken am Rhein (sei es zu Fuß oder mit dem Schiff )  ; ebenso aktuell sind die Vorstellungen einer idyllischen und mythischen Landschaftsbegehung und eines echten Naturerlebnisses. Auch wenn diese Erfahrungen nach wie vor von technischen und touristischen Modifikationen begleitet werden, verdeutlicht diese Realität abermals das Nebeneinander von Tradition und Moderne, welches das Erlebnis am Rhein zu einer multihistorischen Erfahrung werden lässt.

9. Siglen-, Literatur- und Abbildungsverzeichnis

Siglen ALZ

Allgemeine Literaturzeitung BflU Blätter für literarische Unterhaltung JLM Journal des Luxus und der Moden (Ausgaben 1787–1812) Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode (Ausgaben 1814–1826) NCL Neues Rheinisches Conversations-Lexicon  : oder Encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände (12 Bde., 1830–1837) Primär verwendete Selbstzeugnisse Chézy, Helmina von  : Unvergessenes  : Denkwürdigkeiten aus dem Leben, hg. v. Bertha Borngräber, 2 Bde., Leipzig 1858. Chézy, Helmina von  : Erinnerungen aus meinem Leben, bis 1811, in  : Dies. (Hg.)  : Aurikeln  : eine Blumengabe von deutschen Händen, Berlin 1818, S. 1–190. Müller, Wilhelm, Müller, Adelheid  : Reisetagebuch von 1827, in  : Wahl, Paul (Hg.)  : Wilhelm Müllers Rheinreise von 1827 sowie Gedichte und Briefe  : mit vier Abbildungen (Veröffentlichungen der Anhaltinischen Landesbücherei Dessau 2), Berlin 1831. Schopenhauer, Johanna  : Ausflug an den Niederrhein und nach Belgien im Jahr 1828, 2 Bde., Leipzig 1830–31. Schopenhauer, Johanna  : Ausflucht an den Rhein und dessen nächste Umgebungen im Sommer des ersten friedlichen Jahres, Leipzig 1818. Schultz, Hartwig (Hg.)  : Freundschaftsbriefe  : Achim von Arnim und Clemens Brentano, 2 Bde., Bd. 1  : 1801–1806, Bd. 2  : 1807–1829, Frankfurt/Main 1998. Primärliteratur: Textausgaben, historische Beschreibungen, Selbstzeugnisse [August von Sachsen-Gotha-Altenburg, Prinz]  : Das italienische Reisetagebuch des Prinzen August von Sachsen-Gotha-Altenburg, des Freundes von Herder, Wieland und Goethe, Hg. v. Götz Eckardt (Beiträge der Winckelmann-Gesellschaft  IX ), Stendal 1985.

Primärliteratur | 345

Arndt, Ernst Moritz  : Der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze, [o.O.] 1814. Arndt, Ernst Moritz  : Schriften für und an seine lieben Deutschen  : zum ersten Mal gesammelt und durch Neues vermehrt, 2 Tle., T. 2, Leipzig 1845. [Arnim, Achim von]  : Arnims Werke  : Auswahl in vier Teilen, hg. mit Einl. u. Anm. versehen v. Monty Jacobs, T. 1  : Gedichte  : Von Volksliedern  : Erinnerungen eines Reisenden, Briefe, Berlin (u. a.) 1908. Arnim, Achim von (Hg. u. Komm.)  : Ungedruckte Briefe der Karschin  : mit einer Erklärung von Helmina von Chézy, in  : Geistige Feldzüge  : bedeutsam bleibende literargeschichtliche Kämpfe, Berlin 1857, S. 85–110. Arnim, Achim von  : Aloys und Rose  : aus dem Tagebuch eines hypochondrischen Reisenden, in  : Hastfer [Chézy], Helmina von (Hg.)  : Französische Miscellen, 3/1, Tübingen 1803, S. 1–18. Arnim, Achim von/Brentano, Clemens  : Des Knaben Wunderhorn  : alte deutsche Lieder, 3 Bde., Heidelberg, Frankfurt/Main 1805–1808. Baedeker, Karl  : Die Rheinlande von der Schweizer bis zu holländischen Grenze  : Schwarzwald, Vogesen, Haardt, Odenwald, Taunus, Eifel, Siebengebirge, Nahe, Mosel, Ahr, Wupper und Ruhr  ; Handbuch für Reisende, Koblenz 1856. Bertòla, Aurelio de’ Giorgi  : Mahlerische Rhein-Reise von Speyer bis Düsseldorf aus dem Italienischen des Abbate de Bertola, Mannheim 1796. [Brentano, Clemens]  : Die Märchen des Clemens Brentano, hg. v. Guido Görres, Stuttgart 1846. Brentano, Clemens  : Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter  : Ein verwilderter Roman von Maria, Bremen 1801/1802. Brentano, Clemens  : Die Schachtel mit der Friedenspuppe, hg. v. Josef Körner, Wien 1922. Bridel, Jean Louis/Bridel, Philippe Sirice  : Kleine Fußreisen durch die Schweiz, aus dem Französischen der Herren Gebrüder Bridel, Bd. 1–2, Zürich 1802. Carlowitz, Hans Carl von  : Sylvicultura oeconomica, Oder Haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung Zur Wilden Baum-Zucht […], Leipzig 1713. Chézy, Helmina von  : Norika  : neues ausführliches Handbuch für Alpenwanderer und Reisende durch das Hochland in Österreich, München 1833. Chézy, Helmina von  : Gemälde von Heidelberg, Mannheim, Schwetzingen, dem Odenwalde und dem Neckarthale  : Wegweiser für Reisende und Freunde dieser Gegenden, Heidelberg 1816. Chézy, Helmina von  : Blumen in die Lorbeern von Deutschlands Rettern gewunden, Frankfurt/Main 1813.

346 |  Siglen-, Literatur- und Abbildungsverzeichnis

Chézy, Helmina von  : Leben und Kunst in Paris seit Napoleon dem Ersten, 2 Bde., Weimar 1805/06. Dalberg, Johann Friedrich Hugo von  : Die Aeolsharfe  : ein allegorischer Traum, Erfurt 1801. Demian, Johann Andreas  : Geografisch-statistische Darstellung der deutschen Rheinlande nach dem Bestande vom 1. August 1820, Koblenz 1820. Diede, Philipp W.: Ausflüge nach dem Niederrhein, der Weser, Holland und dem Harz, mit Rücksicht auf Berathung angehender Fußreisenden, Kassel 1823. Eichendorff, Joseph von  : Ahnung und Gegenwart ( Joseph Freiherrn von Eichendorff ’s Werke T.2), Berlin 1841. Gellert, Christian Fürchtegott  : Briefe, nebst einer praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen, Leipzig 1751. Genaust, Helmut  : Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen, Basel 1983. Goethe, Johann Wolfgang  : Zur Farbenlehre, 2 Bde., Bd. 1, Tübingen 1810. Goethe, Johann Wolfgang  : Faust  : eine Tragödie (Erster Theil), in  : Goethes Werke, Hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen  : I. Abtheilung  : Goethes Literarische Werke  : 14. Band, Weimar 1887. Goethe, Johann Wolfgang  : Italienische Reise, hg. v. Christoph Michel u. Hans-Geord Dewitz, 2 Bde., (Deutscher Klassiker Verlag 48), Berlin 2011. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hg. v. Verband deutscher Vereine für Volkskunde, Berlin (u. a.) 2011 [Reprint]. Heidenreich, Elke  : Alles kein Zufall  : kurze Geschichten, München 2016. Heinzmann, Johann Georg  : Reiserathgeber für junge Reisende, Leipzig, Bern 1793. [Herder, Johann Gottfried von]  : Johann Gottfried von Herder’s sämmtliche Werke, Bd. 19  : Zur Philosophie und Geschichte, Stuttgart, Tübingen 1830. [Herder, Johann Gottfried von]  : Adrastea und das achtzehnte Jahrhundert  : und Briefe zu Beförderung der Humanität, hg. v. Johann v. Müller, Bd. 10, Tübingen 1809. [Chamisso, Adelbert von]  : Adelbert von Chamisso’s Werke, Bd. 5  : Leben und Briefe, hg. v. Julius Eduard Hitzig, Leipzig 1842. Jacob, Georg  : Köln und Bonn mit ihren Umgebungen  : für Fremde und Einheimische  ; aus den besten, und vorzüglich aus noch unbenutzten, Quellen bearbeitet, Köln 1828. [Kant, Immanuel]  : Immanuel Kant’s Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, hg. v. Johann Friedrich Herbart, Leipzig 1833. Lichtenberg, Georg Christoph  : Von der Aeolusharfe (Göttinger Taschen Calender 1792), S. 137–145. Lohmann, Wilhelm  : Vaterländische Reisen, T. 1  : Fußreise durch Sachsen und dessen

Primärliteratur | 347

romantische Schweizergegenden  ; einen Theil der Anhaltschen, Brandenburg und Braunschweigschen Lande, nach Hannover  ; im Sommer 1804, Hannover 1805. Lüdemann, Georg Wilhelm von  : Dresden wie es ist, Zwickau 1830. Müller, Wilhelm  : Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten, 2 Bde., Dessau 1821–24. Müller, Wilhelm  : Rom, Römer und Römerinnen  : Eine Sammlung vertrauter Briefe aus Rom und Albano mit einigen späteren Zusätzen und Belegen, 2 Bde., Berlin 1820. Neigebaur, Johann Daniel Ferdinand  : Die angewandte Cameral-Wissenschaft  : dargestellt in der Verwaltung des Generalgouverneurs Sack am Nieder- und Mittelrhein, Leipzig 1823. N.N.: Ermahnungen eines Patriziers an seinen Sohn, als dieser auf Reisen gieng (= Schweitzersches Museum 4, 1788/ 7), S. 546–553. N.N.: Reiseskizze vom atlantischen zum stillen Ocean (= Das Ausland  : eine Wochenschrift für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker 37, 1864/2), S. 25–28. N.N.: Meine Fußreise durch einen Theil der Alpen, Neuburg, Arnheim 1803. Novalis [Hardenberg, Georg Philipp Friedrich von]  : Novalis Schriften, hg. v. Ludwig Tieck und Friedrich Schlegel, 2 Tle., Berlin 1826. Posselt, Franz  : Apodemik oder Die Kunst zu reisen  : Ein systematischer Versuch zum Gebrauch junger Reisenden aus den gebildeten Ständen überhaupt und angehender Gelehrten und Künstler insbesondere, 2 Bde., Leipzig 1795. Rehm, Hermann Siegfried  : Rheinische Volksfeste (= Rheinische Touristenblätter 1898/1), S. 4–5. Schlegel, Friedrich  : Sämtliche Werke, 15 Bde., Bd. 1  : Geschichte der alten und neuen Literatur  : Vorlesungen, gehalten zu Wien im Jahre 1812, Wien 1846. Schlegel, Friedrich  : Die Signatur des Zeitalters (= Concordia  : eine Zeitschrift 1820– 1823/I–IV), Wien 1823. Schopenhauer, Johanna  : Briefe an Karl von Holtei, Leipzig 1870. Schopenhauer Johanna  : Jugendleben und Wanderbilder, 2 Bde., Bd. 1, Braunschweig 1839. Schopenhauer, Johanna  : Reise durch England und Schottland, 2 Bde., Leipzig 1818. Schopenhauer, Johanna  : Erinnerungen von einer Reise in den Jahren 1803, 1804 und 1805, 3 Bde., Rudolstadt 1813–1817. Schumann, Robert/Schumann, Clara  : Ehetagebücher 1840–1844, hg. v. Gerd Nauhaus u. Ingrid Bodsch, Frankfurt/Main 2007. Schwab, Gustav (Hg.)  : Vermischte Schriften von Wilhelm Müller [und mit einer Biografie Müllers begleitet], 5 Bde., Bd. 1, Leipzig 1830. [Schwarz, Sophie]  : Briefe einer Curländerin auf einer Reise durch Deutschland, 2 Tle., Berlin 1791.

348 |  Siglen-, Literatur- und Abbildungsverzeichnis

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Sekundärteratur | 349

inszeniert und von Touristen konsumiert wird (RaumFragen  : Stadt – Region – Landschaft), Wiesbaden 2017. Aurnhammer, Achim  : Der Lorenzo-Orden  : ein Kult empfindsamer Freundschaft nach Laurence Sterne, in  : Pott, Ute (Hg.)  : Das Jahrhundert der Freundschaft  : Johann Ludwig Wilhelm Gleim und seine Zeitgenossen, Göttingen 2004, S. 53–60. Averkorn, Raphaela  : Schreiben als Methode der Krisen- und Problembewältigung  : Untersuchungen zu kastilischen »Ego-Dokumenten« des 14. und 15. Jahrhunderts, in  : Heimann, Heinz-Dieter/Monnet, Pierre (Hg.)  : Kommunikation mit dem Ich  : Signaturen der Selbstzeugnisforschung an europäischen Beispielen des 12. bis 16. Jahrhunderts (Europa in der Geschichte  : Schriften zur Entwicklung des modernen Europa 7), Bochum 2004, S. 53–98. Baasner, Rainer  : Literarische Reflexionen des Wanderns  : Goethes frühe Gedichte und die Tradition, in  : Albrecht, Wolfgang (Hg.)  : Wanderzwang – Wanderlust  : Formen der Raum- und Sozialerfahrung zwischen Aufklärung und Frühindustrialisierung (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 11), Tübingen 1999, S. 177–191. Bab, Bettina/Arend, Helga (Hg.)  : Romantik, Reisen, Realitäten  : Frauenleben am Rhein, Bonn 2002. Bachmann-Medick, Doris  : Cultural turns  : Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek 2009. Bär, Jochen A.: Das Konzept des Gehörs in der Theorie der deutschen Romantik, in  : Krings, Marcel (Hg.)  : Phono-Graphien  : akustische Wahrnehmung in der deutschsprachigen Literatur von 1800 bis zur Gegenwart, Würzburg 2011, S. 81–121. Barbe, Jean-Paul  : Madame de Staëls De l’Allemagne als Politikum, in  : Gössmann, Wilhelm/Roth, Klaus-Hinrich (Hg.)  : Poetisierung – Politisierung  : Deutschlandbilder in der Literatur bis 1848, Paderborn (u. a.) 1994, S. 77–91. Barth, Johannes  : »Eine Welt des Glanzes und der Herrlichkeit«  : Rheinromantik bei Ludwig Achim von Arnim, in  : Pape, Walter (Hg.)  : Romantische Metaphorik des Fließens  : Körper, Seele, Poesie (Schriften der Internationalen Arnim-Gesellschaft 6), Tübingen 2007, S. 3–15. Baumgartner, Karin  : In search of literary mothers across the Rhine  : the influence of Genlis and Staël on the writing of Helmina von Chézy (= Women’s Writing 18, 2011/1), S. 50–67. Baumgartner, Karin  : Das Reisehandbuch als weibliche Auftragsarbeit im Vormärz  : Helmina von Chézys Gemälde von Heidelberg (1816) und Norika (1833), in  : Ujma, Christina (Hg.)  : Wege in die Moderne  : Reiseliteratur von Schriftstellerinnen und Schriftstellern des Vormärz (FVF, Forum Vormärz Forschung, Jahrbuch 2008), Bielefeld 2009, S. 57–68. Baumgartner, Karin  : Constructing Paris  : Flânerie, Female Spectatorship, and the

350 |  Siglen-, Literatur- und Abbildungsverzeichnis

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Sekundärteratur | 351

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Abbildungsnachweise | 385

Signatur Ku 2°  XI -50, Aufnahme  : Renno (1993), Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen. Abb. 4 Joh. Christian Reinhart, Der Wanderer im Walde, 1810, Radierung, 287 × 441 mm, Inv.-Nr. KK 12/1942, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen. Abb. 5 Julie Gräfin von Egloffstein, Bootsfahrt auf dem Rhein  : Beaulieu-Marconnay, Henriette Sophie Franziska Friederike Albertine von Egloffstein (1773–1864), Beaulieu-Marconnay, Gatte und Tochter Auguste, Unbekannter Hofpoet und Kestner, August Georg Christian (1777–1853), 1818, Federzeichnung und Pinsel in Grau über Bleistift, 160 × 206 mm, Inv.-Nr. KHz1993/00184, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen. Abb. 6 Adam Friedrich Oeser, Wanderer im Nebel, ohne Jahr, Pinsel mit Sepia, laviert, 200 × 330 mm, Inv-Nr.: KK 1506, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen. Abb. 7 Johann Adam Klein, Der Landschaftsmaler auf der Reise, 1814, Radierung mit Umrandungslinie, 138 × 191 mm, Inv.-Nr. Gr-2018/321 Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen. Abb. 8 Johann Rudolf d. J. Füssli, Geschlossene Kutsche, aus der ein Mann mit Dreispitz nach vorn aussteigt. Auf dem Bock zwei Bediente, davor ein Pferd mit Reiter, hinten zwei weitere Bediente, auf den Rücksitz kletternd, unten rechts laufender Mann mit gezogenem Degen. Federzeichnung mit Sepia über Graphit, 167 × 258 mm, Inv.-Nr.  KK  522, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen. Abb. 9 N. N., Loreley-Felsen am Rhein, ohne Jahr, Stich, 160 × 230 mm, Inv.-Nr. KGr, ID  : 353949, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen. Abb. 10 Karl Ferdinand Weiland, Allgemeine Post-Charte von Teutschland in 50 kleinen Sectionen Taschenformat (Ausschnitt), Verlag des Geogr. Instituts Weimar, 1813, Inv.-Nr. Kt 105-10 E, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Herzogin Anna Amalia Bibliothek (Karten und Atlanten). Abb. 11 Louise Friederike Augusta van Panhuys, 3 Bl. »Landschaft mit Stadt in der Ferne, an einem mit Bergen umgrenzten See«, Veitsburg am Rhein auf einem Felsen, Deckfarben, hellbraun grundiert auf grauem Papier montiert, 218 × 297 mm, Inv.-Nr. GHz/Sch.I.298,0765, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen. Abb. 12 Jean Barthélemy Pascal, Landschaft mit weißer Hirschkuh, 1826 oder früher, ölhaltige Farben auf Holztafel, 47,8 × 62,7 cm, Inv.-Nr. GGe/00473, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen. Abb. 13 C. Kappes, Das Märchen von dem Rhein und dem Müller Radlauf, ohne Jahr, Radierung, 554 × 678 mm, Inv.-Nr. Reg-2011/2655, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen. Abb. 14 Eduard Büchel, Mädchen in altdeutscher Tracht (nach F.  Kaulbach),

386 |  Siglen-, Literatur- und Abbildungsverzeichnis

Reproduktion, 448 × 322 mm, Inv.-Nr. Reg-2011/2222, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen. Abb. 15 Lebenswege im Vergleich  : Achim von Arnim, Clemens Brentano, Wilhelm Müller, Screenshot Chronotopos Romantik, © Freies Deutsches Hochstift (Deutsches Romantik-Museum, Frankfurt a.M.)  – https://chronotoposromantik.freies-deutsches-hochstift.de/.

Danksagung

Die Idee zu diesem Werk entstand während eines Seminars zur Kulturgeschichte des Reisens an der Friedrich-Schiller-Universität Jena unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Maurer. Er hat mein Interesse für die Rheinromantik und die Reisekultur geweckt, mich in meinem Entschluss stets bestärkt und meine wissenschaftliche Arbeit nachhaltig geprägt. Für seine hervorragende Lehre, engagierte Betreuung, wertvollen Hinweise und Expertisen möchte ich ihm an dieser Stelle einen besonderen Dank aussprechen. Ich danke dem Deutscher Akademikerinnenbund e.V. und der FAZIT-Stiftung für ihr Vertrauen und ihre großzügige Unterstützung meines Projektes. Außerdem danke ich den Mitarbeitenden der Fotothek der Herzogin Anna Amalia Bibliothek und des Freien Deutschen Hochstifts für die gute Zusammenarbeit und die freundlich gewährte Abdruckgenehmigung der im Buch verwendeten Abbildungen. Zuletzt ein großes Danke an diejenigen, die mich persönlich unterstützt und motiviert haben, allen voran meiner lieben Familie  : Papa, Mama, Oma, Maria, Marcus, Aaron, Marius, Julia, Peter, Karin, Konstantin und Klara. Großen Dank an Stefan  : du hast die Arbeit vermutlich genauso oft gelesen wie ich und ich danke dir für deine Ideen, deinen Enthusiasmus und deine Freundschaft. Besonderen Dank an Robert  : du hast mir oft den Rücken freigehalten und mich aufgebaut, und ich danke dir für die seelische und technische Unterstützung, deinen Glauben an mich und deine Liebe. Elisabeth Dietrich, Erfurt im Juli 2022

Register Adel 13, 23, 26, 53, 58 f., 64, 84, 261, 301, 311 Äolsharfe 41, 157–175, 195, 321 Arndt, Ernst Moritz 251, 257, 277 f., 297, 317 Arnim, Achim von 17 f., 27 f., 38, 61, 81, 84–89, 112, 130–136, 149 f., 161 f., 173, 191, 208, 210– 212, 231, 234, 261–273, 276–286, 305 f., 319, 322, 331–335, 343 Arnim, Bettina von 46, 98, 331 Aufklärung 12, 44 f., 49, 74, 79 f., 134, 155 f., 162, 173, 179–180, 203, 212, 227, 229, 271, 278, 341 authentisch, Authentizität 30, 35–38, 49, 62, 72, 79, 111, 117, 128, 142 f., 144, 197 f., 219, 273, 290, 295 f., 311 f., 320–322, 330, 335 f. autobiografisch, Autobiografie 13, 19, 23, 26, 29, 33–36, 45, 48–51, 53 f., 57–62, 91, 212, 263, 279, 292, 303, 308, 318–320, 337

Brief, Briefkultur 19, 23, 26, 28, 31 f., 33, 36 f., 45–52, 57, 62, 73, 87–89, 90–94, 111, 114, 127, 129 f., 132, 134 f., 185, 208–210, 259, 262 f., 269, 271, 280, 290, 294 f., 296, 319, 321, 332, 342 Burg 80, 149, 169, 172, 197, 211 bürgerlich, Bürgertum 13, 18, 26, 30 f., 40, 44–46, 53, 55–57, 59 f., 62, 64–69, 71–73, 76–78, 84, 88, 90, 94, 111, 117, 122, 125 f., 134, 138 f., 183, 191, 210, 240, 272 f., 293, 309, 319, 330 f., 333, 338

Baden-Baden 92, 153, 171, 174 Befreiungskriege 42, 80, 93, 101, 231, 240, 242, 260, 285 f., 298, 302 f., 306, 316–315, 318 Berlin 85, 108–110, 112, 264, 291 f., 293, 325, 333 f. Bertuch, Friedrich Justin 98, 100, 118, 291, 301 Bevölkerung 45, 54, 59, 77 f., 79, 104, 110 f., 116 f., 134, 137–141, 143, 161–163, 187 f., 202 f., 214, 225, 231, 236 f., 244 f., 249, 253, 256–258, 267, 271, 273, 276, 278, 286, 293 f., 298 f., 301, 307, 309, 319, 336 Bildung 14, 30 f., 44 f., 52–54, 56 f., 60 f., 64–69, 71, 73, 77 f., 85, 94, 98 f., 100, 117, 182, 192, 264, 272 f., 283, 307, 311, 321, 337 f. Bingen 13, 89, 96, 101, 116, 137, 169, 200, 264, 315, 322 Blaue Blume 41, 192–194 Blücher, Gebhardt Leberecht von 250, 282 f., 296, 298, 315 Bonn 13, 102 f., 138, 200, 294, 322 Brentano, Clemens 17 f., 27 f., 32, 38, 61, 81, 84– 89, 109, 112, 130–135, 149, 173, 191, 208–212, 231–234, 243, 261–265, 269–276, 279–282, 284–286, 305, 307, 319, 321 f., 332–336, 338 f., 341

Dalberg, Johann Friedrich Hugo von 164–167 Dampfschiff 103 f., 146, 155, 196, 198 f., 217, 226, 234–236, 239, 318, 325–327, 331, 342 Dresden 87, 112, 264, 334

Chamisso, Adalbert 95, 293 Chézy, Helmina 17 f., 28 f., 32, 38, 60 f., 74, 90–97, 134–137, 142, 150 f., 158, 186–188, 194, 198, 237, 260, 266, 286–308, 320, 318, 322, 328 f., 332–335, 338 f. Cotta, Johann Friedrich 98, 100

Efeu 41, 143, 149–154, 324 Eiche 143, 149, 231 f., 239–242, 244, 302 Eichendorff, Joseph von 173 Emotionen, Emotionsforschung 12 f., 17 f., 30, 33, 36–43, 47, 77, 82 f., 119–143, 165, 170, 178, 180, 185, 189, 193, 197, 198, 213., 229, 236, 240, 248, 256 f., 261, 265, 304, 312, 315, 318–321, 329 England, Engländer, englisch 21, 29, 87, 98, 100, 107 f., 168, 254, 264, 269, 277 Erfahrung 12, 15, 17, 19, 25–28, 34–41, 49 f., 54, 57–60, 62, 64, 67, 71, 74, 76, 78, 86, 100, 114 f., 120, 127, 140–142, 144–147, 155, 157, 177, 184–187, 191, 196–198, 200, 213, 216 f., 248, 252–264, 267, 270, 290, 293, 300, 318, 320 f., 324, 326–330, 335 f., 339, 342 f. Erinnerung 27 f., 42, 54, 59–61, 88–90, 92 f., 101, 113, 132–134, 138, 145 f., 150, 152 f., 180, 185 f., 191, 197–199, 202, 209, 213 f., 230, 232 f., 248 f., 260 f., 274, 298, 303–305, 308–313, 320, 332, 339

Register | 389 Fichte, Johann Gottlieb 81, 86, 297 Fontane, Theodor 49, 226 f., 232 Frankfurt am Main 77, 85, 89, 101–104, 113, 115, 263 f., 282, 299 f., 311, 334 Frankreich, französisch 13, 27, 29, 39, 42, 58, 61, 80 f., 84, 87, 91 f., 95, 97 f., 100, 137–139, 142, 188, 202, 204, 231 f., 240, 249–258, 260, 262, 264 f., 267, 271, 273 f., 277–301, 306–308, 311 f., 314–316, 324, 329, 339, 341 Fremde, Fremdes 12, 15, 19, 27, 36, 39 f., 46 f., 56–58, 61 f., 64, 73 f., 76 f., 81, 92, 120, 128, 140–142, 146, 148, 154, 159, 170, 179, 182, 185 f., 188, 191 f., 194, 200, 202, 208, 215–219, 231 f., 240, 248 f., 251–261, 263–265, 270, 273 f., 276, 278, 280–283, 285–288, 290, 298, 303 f., 307, 312 f., 320, 324, 329 f., 341 f., Freundschaft, freundschaftlich 26, 28, 46 f., 61 f., 84, 88 f., 92 f., 99 f., 107, 129–135, 140, 152, 209, 222, 236, 261, 263, 279, 320, 335 Gehör 146, 156–161, 163, 166, 169 f., 174 f., 177 f., 186, 192, 216, 222, 337 Geruch 146 f., 157, 176–192, 194–198, 216, 222, 337 Geschichtsbewusstsein 39, 216, 277, 309, 311 f., 340, 343 Geschlecht, geschlechtsspezifisch 40, 42 f., 90, 94–96, 132, 139, 141 f., 206, 212, 287, 292, 324 f., 328 f. Goethe, Johann Wolfgang von 11, 49, 85 f., 98 f., 110 f., 118, 171, 309, 332 Görres, Joseph 279, 297, 317 Grenze (räumlich, territorial) 42, 69, 84, 91, 137, 139, 142, 156f, 173, 188, 202 f., 205, 213, 215–217, 219 f., 236, 251–261, 263 f., 269 f., 277, 282, 286, 288, 290, 294, 297–299, 306, 309, 313, 315 f., 322, 324 f., 329 f., 340 Griechenland, griechisch 109 f., 150, 167, 253 f. 314 Grimm, Jacob & Wilhelm 98, 230, 251 Hauff, Wilhelm 106, 118 Heidelberg 77, 92, 94, 96, 101, 104, 113, 263, 273, 281, 284, 322, 334 Herder, Johann Gottfried 81, 85, 109, 111, 171, 270, 274–276, 279, 283 Identität, identitätsstiftend 111, 132, 137–143, 200,

202, 214–216, 230, 233, 243, 246, 250, 252 f., 255 f., 258–260, 264, 287–289, 304, 306, 311 f., 314 f., 320, 340 Imagination, imaginär 45, 143, 145, 149, 156, 164, 172, 175, 186 f., 191, 193, 200–205, 208–210, 213–215, 219 f., 226, 249 f., 252 f., 257 f., 263, 270, 323 Italien 13, 21, 87, 91, 110, 253 f., 264, 277 Jahn, Friedrich Ludwig 109, 317 Jena 85, 98, 263, 334 Karsch, Anna Louisa 95, 295 Kavalierstour 52, 64 f., 71, 87, 89 Kerner, Justus 118, 171 f., 174 Kleidung 53, 64, 138 f., 146, 177, 190, 287–289 Koblenz 77, 85, 89, 96, 103, 133, 135, 138, 200, 261, 264 Köln 77, 92, 96, 102 f., 116, 137 f., 184, 187 f., 200, 236, 242, 260, 311, 323, 325 Kommunikation 39 f., 44 f., 62 f., 77, 90, 128 f., 139, 159 f., 170, 205, 209, 262 f., 269, 292, 337 Kutsche 71, 73 f., 97, 150, 155, 157, 177, 189 f., 213, 217, 222, 310, 325–328 La Roche, Sophie von 68, 73 f., 85, 212 Landschaftswahrnehmung 40 f., 74, 144–156, 197, 214 f., 227, 230, 321 Loreley 42, 158, 198, 202, 211, 257, 283, 323, 340 Mainz 77, 84, 89, 101, 103, 116, 138 f., 236, 260, 316 Malerei 111, 143, 148, 154 f., 169 f., 175, 197, 206 f., 239, 250, 254, 277, 287 Märchen 35 f., 157 f., 168, 172, 199, 207, 209, 211, 232, 239, 261, 263, 269, 273–275, 322, Mittelalter 13, 58, 79–83, 96, 109, 135, 141, 160, 177, 200, 243, 245, 249, 252, 254, 271, 283, 296, 304 f., 315, 320, 324, 337, 341, Mittelrhein 13 f., 21, 26, 30, 43, 83, 103, 115 f., 118, 137, 141, 144, 195, 201, 220, 237, 245, 260, 283, 336, 342 Mobilität 22, 30, 39 f., 44, 46, 51, 53, 56, 62 f., 66–69, 92, 95–97, 102, 112, 144, 217 f., 258, 261–263, 296, 327, 338, 342 Mosel 135, 323

390 |  Register Müller, Adelheid 17 f., 27, 30, 32, 38, 61, 90, 105, 113, 115, 140, 148, 153, 158 f., 220, 316, 318, 322 328, 332 f., 339 Müller, Wilhelm 17 f., 27, 30, 32, 38, 61, 72, 90, 105–118, 139 f., 153, 158 f., 171 f., 174, 220, 260, 314–318, 322, 327 f., 331–335, 339 Musik (Klang) 99, 157 f., 161–170, 173–175, 226, 250 Nachhaltigkeit (Ressourcen) 42, 86, 180, 222–224 Napoleon 109, 231, 255, 278, 281, 283, 285 f., 291, 296, 300, 308 f., 314 nationalpolitisch 58, 80, 140, 240, 248–250, 260–318 Neckar 92, 113, 116, 118, 220, 260, 322 f. Nibelungen 61, 138, 232, 283, 315 Novalis 81, 147, 172 f., 192 f., 228 f. Paris 87, 96 f., 100, 119, 138, 184, 188, 218, 264– 269, 287 f., 290–296, 303, 306, 325 patriotisch, Patriotismus 17, 22, 58, 109, 136, 142, 188, 243, 250 f., 277, 285 f., 296–298, 300–302, 304–307, 311, 313–316, 324, 329, 340, 342 Performanz, performativ 26, 41, 86, 120, 123, 127–129, 219, 248, 290, 311, 337 Preußen, preußisch 13, 29, 80, 84, 92, 109, 134, 136, 138 f., 142, 249, 255, 257, 260 f., 278, 280– 285, 299–301, 304–307, 309, 311–314, 316 Raumforschung 19, 37, 41, 43, 200, 202–221, 248, 322 Realität 13, 48, 72, 77, 156, 171, 193, 202, 209, 214, 230, 247, 249, 263, 269, 274, 283, 302, 313, 320, 343 Reflexion 17 f., 25, 27, 30, 34, 42, 49 f., 57, 60, 62, 77, 89, 91, 114, 119, 127–129, 132, 134, 140, 144, 157, 185, 191, 197 f., 200, 208, 214, 216, 227, 230 f., 248, 259, 261, 263, 268, 279, 293, 295, 303, 307, 318–320, 339, 342 f. Reiseliteratur 12–14, 19–21, 26, 37, 50 f., 76, 184, 196, 207, 212, 226, 266, 292, 295, 330, 340 Religion, religiös 18 f., 26 f., 33, 35, 56, 58 f., 82, 116, 118, 120, 162, 184, 187, 230, 243, 300, 320, 341 Revolution 65, 106, 119, 203, 205, 240, 250, 255, 265–267, 269 f., 277, 279 f., 287, 292, 295, 311 f., 340 f.

Rheinbund 231, 278 Rheinkrise 315, 342 Rom 110 f., 114 254 Romantisieren 13 f., 21, 74, 78, 89, 131, 187 f., 214, 245, 322, 331 Rüdesheim 89, 133, 264 Ruine 80–83, 135, 143, 145, 149–154, 160, 163, 168 f., 171 f., 174, 194 f., 208, 210, 246, 296, 309, 328 Sattelzeit 39, 68, 226, 340 Schauerromantik 81, 142, 156, 168, 170, 207 f. Schlegel, August Wilhelm 81, 86, 98, 293 Schlegel, Dorothea 93, 291 Schlegel, Friedrich 75, 81, 84, 86, 98, 118, 141, 228 f., 249, 251, 266, 291, 293, 341 Schopenhauer, Adele 98 f., 101–103 Schopenhauer, Johanna 17 f., 29 f., 32, 61, 74, 97– 105, 137–139, 142, 148, 151, 155, 159, 186–189, 194, 212, 220, 233–237, 242, 260, 301, 308–314, 318, 322, 325 f., 328, 333 f., 337, Schubert, Franz 106, 108, 111 Schwab, Gustav 30, 109 Sehen (Sinn) 32, 70, 145–148, 151, 155–157, 192, 197, 216, 222 Sehnsucht 13, 20, 35, 51, 61, 71–75, 82 f., 93, 115, 127 f., 160 f., 192, 194, 245, 249, 274, 315, 321 Selbstbild 59, 200, 253, 255–257, 330 Selbstreferenz 23, 26, 31 f., 34, 44 f., 48 f., 57, 66, 68, 259 Selbstzeugnisforschung 19, 24, 26, 43, 48 St. Goar 101, 148 Staël, Germaine de 68, 91, 268, 291, 293 Sterne, Laurence 12, 52 Tieck, Wilhelm 51, 85, 92, 98, 173 Uhland, Ludwig 118, 317 Umweltforschung 37, 41–43, 146, 201 f., 206, 222–239, 247, 324 urban, Urbanität 40, 75–79, 97, 111, 117, 148, 159 f., 182, 184, 188, 195, 204, 213, 229, 266, 268, 271, 273, 290, 292, 306, 323, 327, 339 f. Volkslied 28, 81, 84, 86, 88, 107 f., 163, 261, 270, 272, 274, 276 f., 335

Register | 391 Wald 79, 137, 147, 149, 155, 159, 172, 228, 231 f., 239–246, 255 Wandern 16, 40, 53, 70–74, 95 f., 112, 135 f., 145, 150 f., 160, 205, 222, 296, 305, 325–327, 329, 331 Weimar 97 f., 100–102, 115, 118, 169, 291, 309, 332, 334 Wein 76, 80, 86, 111, 139 f., 149 f., 153, 157, 160–163, 177, 192, 194, 196, 201, 244–246, 321, 324, 327 f.

Weltflucht 15, 76, 160, 172 Wiesbaden 92, 101, 281 Zensur 91, 139, 262, 278 Zugehörigkeit 15, 17, 34, 37, 39, 52 f., 56, 66, 80, 92, 117, 138 f., 150, 182, 184, 188, 202–205, 213, 217, 222, 250 f., 253 f., 257, 259 f., 282, 288 f., 297, 305 f., 315 f., 320, 322, 324, 329 f.