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HEGEL-STUDIEN BEIHEFT 45
HEGEL-STUDIEN Herausgegeben von FRIEDHELM NICOLIN und OTTO PÖGGELER
Beiheft 45
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
DIE DIALEKTIK UND IHRE BESONDEREN FORMEN IN HEGELS LOGIK Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen
von RAINER SCH¾FER
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Für Irene
Die Deutsche Bibliothek ± CIP-Einheitsaufnahme Rainer Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik : Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen / von Rainer Schäfer. - Hamburg : Meiner, 2001 (Hegel-Studien : Beiheft ; 45) Zugl. Köln, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-7873-1585-3
Felix Meiner Verlag, Hamburg 2001. ISSN 0440-5927 Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorgehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Film, Bänder, Platten und andere Medien, woweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: H & G Herstellung, Hamburg. Druck: Strauss, Mörlenbach. Bindung: Keller, Kleinlüder. Umschlag: Groothuis & Consorten, Hamburg. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.
INHALT
vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX erstes kapitel Logik und Dialektik in Hegels früher Jenaer Zeit 1801±1803/04 Die negative Dialektik als Überwindung der Endlichkeit und als Propädeutik der Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Der erste Teil der Logik Aufstellung der allgemeinen Formen der Endlichkeit . . . . . . . . . . . . . 9 1. Die produktive Einbildungskraft als Wurzel der logischen Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Die Struktur und Tätigkeit der endlichen Reflexion und die Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 II. Der zweite Teil der Logik Die subjektiven Formen der Endlichkeit: Begriff, Urteil, Schluû . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 III. Der dritte Teil der Logik Vernünftige Aufhebung des endlichen Erkennens: Die spekulative Bedeutung des Schlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 IV. » ... ± noch einige dialektische Bemerkungen.« Der Bezug von Verstandessynthesis, Widerspruch und negativer Dialektik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 V. Antinomische Destruktion der Endlichkeit und spekulative Konstruktion des Absoluten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Philosophische Reflexion und intellektuelle Anschauung . . . . . . 41 2. Antinomie und Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 VI. Hegels Auseinandersetzung mit der Antinomienlehre Kants in der frühen Jenaer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 VII. Hegels Deutung von antikem Skeptizismus und von Platons Parmenides-Dialog in der frühen Jenaer Zeit . . . . . . . . . . . . 61 VIII. Hegels Verhältnis zu Schellings Konzeption von Logik, Dialektik und Skeptizismus zwischen 1801 und 1803 . . . . . . . . . . . . 81 IX. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
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Inhalt
zweites kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Logik und Dialektik in Hegels mittlerer Jenaer Zeit 1804/05 Anfang und Entwicklung der drei Weisen von Dialektik . . . . . . . . . . . . . . . 91 I. Die dialektische Grundstruktur der Logik von 1804/05 . . . . . . . . . . 94 II. Die dialektische Unendlichkeit als Vollendung der »einfachen Beziehung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 III. Die Unendlichkeit und das »Verhältnis« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 IV. Die »Proportion« und das Erkennen als dialektische Methode 1. Die Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Methode des dialektischen Erkennens: Der Fortgang als Rückgang in den Grund und das Verhältnis von Inhalt und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Erste Ansätze zu einer metaphysischen Dialektik . . . . . . . . . . . . . . . 152 VI. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 drittes kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Logik und Dialektik in Hegels später Jenaer Zeit 1805/06±1807 Die Subjektivität als das Prinzip spekulativer Dialektik . . . . . . . . . . . . . . . 159 I. Die veränderte systematische Rolle der Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 II. Die Logikskizze von 1805/06 und das Verhältnis der logischen Kategorien zu den Bewuûtseinsgestalten aus der Phänomenologie des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 III. Spekulative Dialektik und »spekulativer Satz« in der »Vorrede« zum System aus der Phänomenologie des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 IV. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 viertes kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Die dialektische Methode in Hegels Nürnberger propädeutischen Schullogiken 1808 bis 1812 Fortführung und Vertiefung der verschiedenen Formen von Dialektik in der Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 I. Verschiedene Formen der Vermittlung in der Logik aus der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.) . . . . . . . . 202
Inhalt
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II. Die drei spezifischen Vermittlungstypen in der Logik für die Mittelklasse (1810/11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 III. Die »drei Seiten des Logischen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 IV. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 fünftes kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Die Dialektikkonzeption in Hegels reifer Logik 1812±1831 Die »absolute Idee« als Vollendung der Dialektik in der Logik . . . . . . . . 219 I. Die Grundstruktur der Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und als Bedingung der Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die absolute Idee als Form und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfehlungen des Sinnes der Dialektik in der Philosophiegeschichte bei Zenon, Sokrates, Platon und Kant . . . . . . . . . . . . . 4. Die Idee als dynamischer Prozeû der konkreten Allgemeinheit
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II. Die Stufen und die Entwicklung der absoluten Idee . . . . . . . . . . . . 238 III. Der Anfang: Die Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 IV. Der Fortgang Die erste Prämisse des methodisch-dialektischen Schlusses: Die Allgemeinheit ist Besonderheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Verschiedenheit von Allgemeinheit und Besonderheit . . . . 2. Bestimmte Negation und dialektische Aufhebung . . . . . . . . . . . . 3. Analytische und synthetische Momente der ersten Prämisse und das Dialektische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der weitere Fortgang der absoluten Subjektivität Die zweite Prämisse: Die Besonderheit ist Einzelheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das »Recht des Unterschiedes«: Die Entwicklung des Gegensatzes zum Widerspruch in der Einzelheit . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Selbstbezüglichkeit der Einzelheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Analytische und synthetische Momente in der zweiten Prämisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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263 267 279 282
VI. Das Ende Die Konklusion: Die Einzelheit ist Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . 284 VII. »Triplicität« und »Quadruplicität« und der Fortgang als Rückgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 VIII. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
VIII
Inhalt
sechstes kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Die drei grundlegenden Dialektiktypen und Formen ihrer kategorialen Spezifikationen in Hegels reifer Logik . . . . . . . . . . . . . . 295 I. Die Übergangsdialektik in der »Lehre vom Sein« . . . . . . . . . . . . . . . 297 II. Die Reflexionsdialektik in der »Lehre vom Wesen« . . . . . . . . . . . . . 303 III. Die Entwicklungsdialektik in der »Lehre vom Begriff« . . . . . . . . . . 311 IV. Die drei Dialektiktypen in Hegels Vorlesungen über die Beweise vom Daseyn Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . 319 V. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
VORWORT
Ziel dieser Untersuchung ist es, in hermeneutischer und kritischer Interpretation den Denkweg Hegels in der Entfaltung seiner dialektischen Methode im Rahmen der Logik darzulegen. Die Verfahrensweise der Untersuchung ist entwicklungsgeschichtlich in dem Sinne, daû sie die dialektische Methode der Logik Hegels inhaltlich und systematisch in ihrem gedanklichen Werden eruiert und rekonstruiert. Es sollen hierbei die ursprünglichen, philosophischen Fragen aufgedeckt werden, die Hegel mit der dialektischen Methode zu lösen hoffte, und es soll gezeigt werden, wie diese Lösungen beschaffen sind. Kritisch wird zu beleuchten sein, ob es Hegel gelungen ist, diese Fragen zu beantworten. Die Grundthese dieser Arbeit besagt, daû beim späten Hegel in der spekulativen Logik die Methode zugleich Prinzip ist. Die Methode der Logik Hegels ist die Dialektik, das Prinzip die absolute Subjektivität. Hegels Leistung besteht darin, daû er die dialektische Methode selbst als Prinzip, als absolute Subjektivität denkt. In der Philosophie der Neuzeit sind, seit Descartes, einerseits die Subjektivität als Prinzip und andererseits eine gesicherte, wissenschaftliche Methode die beiden entscheidenden Grundprobleme. Hegel denkt beide in eins. Daher stellt die spekulativ idealistische Logik Hegels eine Vollendungsgestalt in der Philosophie der Neuzeit dar. Soll die dialektische Methode in der Logik Hegels zutreffend erfaût werden, stellt sich die Aufgabe, zu klären, was für Hegel Spekulation bedeutet; denn seine ausgereifte Logik ist spekulativ. Damit verbunden ist die Darstellung der dialektischen Methode, denn sie entfaltet systematisch die spekulativen Gehalte. Diese methodische Entfaltung der spekulativen Gehalte in der Logik verläuft nicht schematisch; die dialektische Methode ist keine starre Schablone. Eine der Aufgaben dieser Arbeit wird es sein, zu zeigen, daû und wie die dialektische Methode in der Logik mit ihrem jeweiligen Gehalt korreliert. Unmittelbare spekulative Gehalte entfalten sich dialektisch anders als hochstufig vermittelte. Es gibt daher nach Hegel drei Weisen von Dialektik. Dies sind: 1. Die Dialektik des Übergangs in der Lehre vom Sein; sie entsteht, wenn einfache Bestimmungen miteinander verknüpft werden. 2. Die Dialektik des Scheinens im Entgegengesetzten in der Lehre vom Wesen; sie ergibt sich, wenn Verhältnis- oder Reflexionsbestimmungen miteinander verknüpft werden. 3. Die Dialektik der Entwicklung in der Lehre vom Begriff; sie entfaltet sich, wenn Bestimmungen, die ein Selbstver-
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Vorwort
hältnis haben, miteinander verknüpft werden, hier sind alle Momente einer Bestimmung in allen Teilmomenten dieser Bestimmung bereits enthalten. Durch diese drei Weisen von Dialektik wird aber nicht bloû das filigrane Verhältnis von Methode und spekulativem Inhalt deutlich, sondern überdies die Hervorbringung der spekulativen Gehalte durch die Methode selbst. Diese Hervorbringung wird hier interpretiert als schöpferischer Akt der absoluten, göttlichen Subjektivität, die im Denken des Denkens sich selbst begreift und so das Gedachte, den Denkakt und sich selbst als Denkendes miteinander identifiziert und damit ihr Selbstverhältnis in der höchsten Form aktualisiert. Zugleich soll in diesem inneren Verhältnis von Methode und Inhalt die immanente Bestimmungsbewegung spekulativer Kategorien zum Ausdruck kommen. Damit zeigt sich ein weiteres schwerwiegendes Problem, das Hegel mit der dialektischen Methode zu lösen sucht, nämlich eine begriffliche Darstellung der intellektuellen Bewegung, die das spekulative Denken vollzieht. Die dialektische Methode soll also eine nichtsinnliche, rein geistig begriffliche Bewegung und Aktuosität darstellen. Um den Problemhorizont und die komplexe Argumentationsfolge der Dialektik verstehen zu können, muû man ihre entwicklungsgeschichtliche Genesis herausheben. Die entwicklungsgeschichtliche Analyse der Logikentwürfe Hegels soll sich hierbei auf Vorformen der entscheidenden Momente konzentrieren, die die späte, ausgereifte Dialektikkonzeption Hegels auszeichnen. Diese wesentlichen Momente der späten Dialektikkonzeption sind: a) Die Dialektik ist spekulative Methode. b) Die Methode ist Aktuosität der absoluten Subjektivität. c) Es gibt analytische und synthetische Bewegungsformen innerhalb der verschiedenen Stufen der Dialektik; diese Bewegungsformen bezeichnen die spezifische Stellung der durch die dialektische Methode zu vermittelnden Bestimmungen zueinander. d) Es gibt drei verschiedene Weisen von Dialektik in Hegels Logik. ± Die entwicklungsgeschichtlichen Vorformen zeigen sowohl Identität als auch Wandel in Hegels Logikkonzeptionen und decken die ursprünglichen Fragen und Probleme Hegels auf, die ihn bewogen haben, drei verschiedene Weisen von Dialektik zu konzipieren, die die Entfaltung der absoluten Subjektivität in der Logik bedeuten. Die Untersuchung beginnt mit Hegels Logikkonzeption aus der frühen Jenaer Zeit von 1801 bis 1803/04. Zu dieser Zeit ist Hegels Logik zwar noch keine spekulative Wissenschaft, dennoch werden hier die ursprünglichen Ausgangspunkte und Probleme deutlich, von denen ausgehend, Hegel in der Folgezeit seine spekulative Logik entwickelt. Daran schlieût sich eine Analyse des Fragments Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05 an, in dem sich erste Präfigurationen der drei verschiedenen Dialektiktypen finden, die in Hegels reifer Lehre die Spezifika der Dialektik des Seins, des We-
Vorwort
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sens und des Begriffs ausmachen. Es folgen, ausgehend von Hegels Bestimmungen zur Logik und Dialektik, insbesondere in der Lehre vom »spekulativen Satz« aus der »Vorrede« zur Phänomenologie des Geistes von 1807, Untersuchungen zu den überlieferten propädeutischen Schullogiken Hegels in der Nürnberger Zeit von 1808 bis 1812/13. Darauf folgt eine differenzierte Untersuchung der Dialektikkonzeption Hegels in der »absoluten Idee« aus der Wissenschaft der Logik. Abschlieûend werden die drei verschiedenen Dialektiktypen der Seins-, Wesens- und Begriffslehre aus der Wissenschaft der Logik von 1812/13 und 1816 dargestellt. Dabei sind sowohl die Logikkonzeptionen in den verschiedenen Versionen der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften von 1817, 1827 und 1830 als auch die von Hegel selbst überarbeitete und posthum erschienene zweite Auflage der »Lehre vom Sein« von 1832 zu berücksichtigen. Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln im Wintersemester 1999/2000 als Dissertation anerkannt. Die Arbeit wurde von Herrn Professor Dr. Klaus Düsing und von Herrn Professor Dr. Jens Halfwassen betreut. Inbesondere bei meinem Lehrer Klaus Düsing darf ich mich für unzählige Anregungen, Diskussionen, lehrreiche Seminare und die intensive philosophische Anteilnahme am Zustandekommen der Arbeit bedanken. Durch das unerschöpfliche philosophische Wissen, die Sachkenntnis und die Erfahrung von Herrn Düsing erlernte ich einen selbständigen Umgang mit der Philosophie Hegels. Nachhaltig beeinflussend wirken auch die Anregungen und tiefen Einblicke, die ich durch Herrn Halfwassen erfahre. Für anregende Gespräche danke ich auch Herrn Professor Dr. Klaus Erich Kaehler. Bedanken darf ich mich auch bei Irene und Ute Pelka, Christian Hanewald, Henning Peucker, Morteza Ghasempour, Dirk Fonfara, Thane Naberhaus, Ralph Paland, Dieter Lohmar und meinen Eltern Renate und Fritz Schäfer, ohne deren Anteilnahme und die interessanten Gespräche diese Arbeit nicht zustande gekommen wäre. Den Herausgebern der Hegel-Studien Herrn Professor Dr. Otto Pöggeler und Herrn Professor Dr. Friedhelm Nicolin und dem Felix Meiner Verlag danke ich besonders für die Aufnahme dieser Schrift in die Reihe der Hegel-Studien Beihefte. Köln, im Mai 2001
Rainer Schäfer
erstes kapitel Logik und Dialektik in Hegels früher Jenaer Zeit 1801±1803/04 Die negative Dialektik als Überwindung der Endlichkeit und als Propädeutik der Metaphysik
Die Bedeutung der Dialektik beim frühen Jenaer Hegel wird durch die Funktion, die sie in der Logik innehat, deutlich. Die Dialektik dient der Überwindung der endlichen und entzweienden Verstandeslogik. Die Entzweiung der Verstandeslogik muû nach Hegel überwunden werden, um Metaphysik als vernünftige Erkenntnis des in sich einigen Absoluten betreiben zu können. Um die Dialektik in dieser frühen Entwicklungsphase Hegels begreifen zu können, muû daher zunächst die in sich entzweite Verstandeslogik rekonstruiert werden. Auf dieser Grundlage wird die Vermittlungsrolle der Dialektik zwischen Logik und Metaphysik transparent. Hegels Logikkonzeption der frühen Jenaer Zeit von 1801 bis 1803/04 ist nur fragmentarisch erhalten.1 Es liegen zwei Manuskripte zu Vorlesungen Hegels von 1801/02 vor. Das eine Manuskript bezieht sich auf die Vorlesung »Logica et Metaphysica« von 1801/02, und das andere Manuskript bezieht Zu Hegels Logikkonzeption in der frühen Jenaer Zeit äuûert sich grundlegend und richtungsweisend K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 75±150, und ders.: Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801±1802). Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften von I.P.V. Troxler, herausgegeben, eingeleitet und mit Interpretationen versehen von K. Düsing. Köln 1988, 157±188. Zum Thema vgl. auch H. Kimmerle: Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Hegels »System der Philosophie« in den Jahren 1800±1804. Bonn 1970, 39±73, 99±112. Kimmerle will allerdings die Logikkonzeption von 1804/05 als »Quelle für die nähere inhaltliche Ausführung« (a. a. O., 52) der frühen Jenaer Logik Hegels heranziehen. Kritisch äuûern sich zu diesem Versuch, Hegels Logikkonzeption von 1801±1803/04 mit Hilfe der Logik von 1804/05 zu rekonstruieren: J.H. Trede: Hegels frühe Logik (1801±1803/04). In: Hegel-Studien 7, 1972, 123±168, und R.-P. Horstmann: Probleme der Wandlung in Hegels Jenaer Systemkonzeption. In: Philosophische Rundschau 19, 1972, 87±118. Nach diesen Kritiken ist eine unmittelbare und direkte Applikation der Logik 1804/05 auf die Konzeption zwischen 1801±1803/04 nicht möglich, und es muû zwischen diesen beiden Phasen entwicklungsgeschichtlich differenziert werden. Auch L. Lugarini (Hegel dal mondo storico alla filosofia. Rom 1973, 89 ff.) nimmt diese Phasenunterscheidung vor. Zum Thema ebenso M. Baum: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. Bonn 1989, 142±173; vgl. auch ders.: Zur Methode der Logik und Metaphysik beim Jenaer Hegel. In: Hegel-Studien, Beiheft 20, 1980, 119±138. Ebenfalls zum Thema: O. Pöggeler: Hegels Jenaer Systemkonzeption. In: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg/München 1973, 110±170; H. Schneider: Anfänge der Systementwicklung Hegels in Jena. In: Hegel-Studien 10, 1975, 133±171; R.-P. Horstmann: Jenaer Systemkonzeptionen. In: Hegel. Hrsg. O. Pöggeler, Freiburg/München 1977, 43±58; K.R. Meist: Hegels Systemkonzeption in der frühen Jenaer Zeit. In: Hegel-Studien Beiheft 20, 1980, 59±79. 1
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Logik als Einleitung in die Metaphysik
sich auf die Vorlesung »Introductio in Philosophiam« aus demselben Semester. Beide Manuskripte stammen aus Hegels eigener Hand und haben den Charakter von Gliederungsentwürfen.2 Darüber hinaus ist eine Nachschrift der Vorlesung über Logik und Metaphysik von 1801/02 von I.P.V. Troxler überliefert.3 Des weiteren gibt es verstreute Bemerkungen Hegels zu einzelDer erste und detailliertere Gliederungsentwurf zur Logikvorlesung von 1801/02 ist abgedruckt in: K. Rosenkranz: Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben. Berlin 1844, Nachdruck: Darmstadt 1977, 190 ff. Rosenkranz hat allerdings eine leicht verkürzte Version wiedergegeben (als Zweitbelegstelle neben GW, Bd. 5 im folgenden zitiert als: Rosenkranz). Ebenfalls wurde dieser Gliederungsentwurf zur Logikvorlesung abgedruckt in: Dokumente zu Hegels Entwicklung. Hrsg. von J. Hoffmeister, Stuttgart 1936, 346 ff. Hier sind jedoch einzelne Sätze, die bei Rosenkranz überliefert sind, nicht abgedruckt. 1975 wurden die Manuskripte selbst wiederentdeckt von E. Zische (Unbekannte Manuskripte aus der Jenaer und Nürnberger Zeit im Berliner Hegel-Nachlaû. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 29, 1975, 430±444). Der Gliederungsentwurf ist unter dem Titel Logica et Metaphysica ungekürzt ediert in: Hegel, Gesammelte Werke, Bd. 5, Schriften und Entwürfe (1799±1808), Hrsg. M. Baum und K.R. Meist unter Mitarbeit von T. Ebert, Hamburg 1998 (im folgenden zitiert als: GW, Bd. 5), 269 ff. Hier zeigt sich, daû die Überlieferung durch Rosenkranz stellenweise lückenhaft war, einzelne Sätze fehlen bei ihm. Vorgestellt wurde das Manuskript in: M. Baum und K.R. Meist: Durch Philosophie leben lernen. In: Hegel-Studien 12, 1977, 42±81. Ein Aushang Hegels zu der Logikund Metaphysik-Vorlesung im Wintersemester 1801/02 liegt vor in GW, Bd. 5, 654. Ein Gliederungsentwurf zu der zweiten Vorlesung Hegels in Jena von 1801/02, der ebenfalls Bestimmungen zur Logik enthält, ist in GW, Bd. 5, 259 ff. abgedruckt. Er trägt den Titel der Vorlesung: Introductio in Philosophiam; in den thematischen Umkreis dieses Gliederungsentwurfs gehört eine Systemskizze mit dem Titel: Die Idee des absoluten Wesens, worin sich ebenfalls Bestimmungen zur Logik und Metaphysik finden (a. a. O., 262 f.). Kimmerle datiert diese Systemskizze auf den Herbst 1801 und hält eine Zugehörigkeit zur Introductio-Vorlesung für wahrscheinlich (vgl. Kimmerle: Die Chronologie der Manuskripte Hegels. In: GW, Bd. 8, 353 f.). Ob diese Introductio-Vorlesung tatsächlich stattgefunden hat, ist zweifelhaft; es liegen jedenfalls bislang keine Belege vor (vgl.: Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801±1807). Hrsg. H. Kimmerle. In: Hegel-Studien 4, 1967, 78 f., die Ankündigung findet sich 53). Die Vorlesung über Logik und Metaphysik hat dagegen stattgefunden, wie die Teilnehmerliste der Vorlesung beweist (vgl.: a. a. O., 53 u. 59; Hegel muûte diese Vorlesung allerdings vorzeitig abbrechen, vgl. hierzu die folgende Anm.). In der frühen Jenaer Zeit 1801 bis 1803/04 hat Hegel in folgenden Semestern angekündigt, über Logik und Metaphysik zu lesen: Wintersemester 1801/02, Sommersemester 1802, Wintersemester 1802/03, Sommersemester 1803 (hier hat Hegel allerdings angekündigt, über das gesamte System der Philosophie zu lesen, wozu natürlich auch Logik und Metaphysik gehören) und Wintersemester 1803/04 (vgl. a. a. O., 54). Mit groûer Sicherheit haben von diesen Vorlesungen die im Winter 1801/02 und die im Winter 1803/04 stattgefunden (für diese Vorlesungen liegen Zuhörerlisten vor; vgl. a. a. O., 59 f., 76; für die anderen Vorlesungen liegen keine verläûlichen Zeugnisse vor, vgl. a. a. O., 78). Zum Thema vgl. auch: K. Düsing, Hegels Vorlesungen an der Universität Jena. In: Hegel-Studien 26, 1991, 15±24. 3 Ediert in: Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801±1802). Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften von I.P.V. Troxler, herausgegeben, eingeleitet und mit Interpretationen versehen von Klaus Düsing. Köln 1988, 63±77 (im folgenden zitiert als Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik). Wegen Zuhörermangels muûte Hegel wohl seine Vorlesung über Logik und Metaphysik von 1801/02 abbrechen; er hat 2
Logik als Einleitung in die Metaphysik
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nen Fragestellungen der Logik in den veröffentlichten Schriften aus dieser Zeit. Von diesen Quellen ausgehend, ist es möglich, Hegels Logikkonzeption in der frühen Jenaer Zeit zu rekonstruieren. Nach Hegel gilt für die Philosophie als Wissenschaft, daû sie »weder einer Einleitung bedarf, noch eine Einleitung verträgt«.4 Die Philosophie beginnt also mit sich selbst. Die systematische Funktion der Logik in Hegels früher Jenaer Zeit von 1801 bis 1803/04 besteht darin, in die Metaphysik einzuleiten. Die Logik ist daher zwar schon selbst wissenschaftliche Philosophie, hat aber die Funktion, in das eigentliche Zentrum der Philosophie, in die Metaphysik, einzuleiten. Aufgabe der Philosophie im ganzen ist die Erkenntnis des Absoluten, also ein absolutes Erkennen. Dieses Erkennen nennt Hegel »Spekulation«, im Gegensatz zur »Reflexion«, dem endlichen Erkennen.5 Die Spekulation erkennt die absolute Identität, die Vernunftidee ist und den positiven Sinn des Widerspruchs in sich enthält. »Das Absolute selbst aber ist darum die Identität der Identität und der Nichtidentität; Entgegensetzen und Einsseyn ist zugleich in ihm.«6 sie wahrscheinlich privat für einige Interessierte fortgesetzt (vgl. hierzu K. Düsings Einleitung a. a. O., 12 ff.; vgl. auch ders.: Hegels Vorlesungen an der Universität Jena. In: Hegel-Studien 26, 1991, 16 ff.). 4 GW, Bd. 5, 259. 5 Vgl. GW, Bd. 5, 271; Rosenkranz, 190. 6 GW, Bd. 4, 64. ¾hnlich bestimmt Hegel schon im Systemfragment von 1800 das göttliche, absolute Leben: »[...] das Leben sei die Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung« (Hegels theologische Jugendschriften. Hrsg. H. Nohl, Tübingen 1907, 348, im folgenden zitiert als Nohl). In Hegels Systemfragment von 1800 ist die gesamte Philosophie Einleitung in die Religion. Die Reflexion vermag nicht die Innigkeit und das Einessein des absoluten Lebens der Religion zu erreichen und muû daher zugunsten einer transzendentes Sein und Leben schauenden Theologie überwunden werden (vgl. Nohl, 305, 348). In dieser Bestimmung absoluten Lebens ist schon ein positiver Gehalt des Widerspruchs impliziert, denn das Sein Gottes kann nicht Nichts sein. Hegel schreibt kurz vor seinem Weggang aus Frankfurt nach Jena in dem berühmten Brief vom 2. November 1800 an Schelling: »In meiner wissenschaftlichen Bildung, die von untergeordnetern Bedürfnissen der Menschen anfing, muûte ich zur Wissenschaft vorgetrieben werden, und das Ideal des Jünglingsalters muûte sich zur Reflexionsform, in ein System zugleich verwandeln; [...]« In: Briefe von und an Hegel. Hrsg. J. Hoffmeister, Hamburg 1961, Bd. 1, 1785±1812, 59. Hegel kommt also schon 1801 mit dem Konzept, das Absolute systematisch im Bewuûtsein zu konstruieren, nach Jena und hat seinen früheren Ansatz einer ekstatisch angeschauten und gefühlten, göttlichen Transzendenz aufgegeben. Den positiven Sinn des Widerspruchs für absolutes Erkennen fordert Hegel später aber weiterhin ein. Den positiven Sinn des Widerspruchs formuliert ganz deutlich die erste Habilitationsthese Hegels von 1801: »Contradictio est regula veri, non contradictio, [est regula; d. V.] falsi.« (GW, Bd. 5, 227; Rosenkranz, 156) Im sogenannten Skeptizismus-Aufsatz von 1802 fordert Hegel ebenfalls ausdrücklich, daû der Widerspruch begangen werden muû, will man vernünftig erkennen (vgl. GW, Bd. 4, 208 f.). Die Thematik des unendlichen Lebens als Einheit von Einheit und Vielheit oder als Identität von Identität und Nichtidentität, spielte wohl in den Gesprächen des Homburger und Frankfurter Freundeskreises um Hegel, Hölderlin, Zwilling und Sinclair eine
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Die Metaphysik expliziert die spekulativen Bestimmungen. Die endliche Reflexion wird dagegen systematisch im Rahmen der Logik expliziert und destruiert, um dem endlichen Denken den Übergang in die Metaphysik zu ermöglichen. »Die Philosophie hat nemlich als Wissenschafft der Wahrheit, das unendliche Erkennen, oder das Erkennen des Absoluten zum Gegenstande; diesem Erkennen aber, oder der Spekulation aber steht das endliche Erkennen, oder die Reflexion gegenüber, nicht als ob beyde absolut einander entgegengesetzt wären, das endliche Erkennen, oder die Reflexion abstrahirt nur von der absoluten Identität desjenigen, was in der vernünftigen Erkenntniû aufeinander bezogen, oder einander gleichgesetzt ist, und durch diese Abstraktion allein, wird es ein endliches Erkennen«.7 Daû Hegel die endliche Reflexion der Logik und die vernünftige Spekulation der Metaphysik zuordnet, ergibt sich auch aus der Vorlesungsankündigung für das Sommersemester 1802: »Logicam et Metaphysicam sive systema reflexionis et rationis«.8 Logik und Metaphysik haben zwei verschiedene Erkenntnisweisen: rein endliche Reflexion und Spekulation. Die Erkenntnisweise der Reflexion ist defizient gegenüber derjenigen der Spekulation. Dennoch ist die Logik der Philosophie als ganzer wesentlich. Die Philosophie hat den Anspruch der Vollständigkeit, sie soll alles erkennen, muû daher auch das defiziente Wissen der endlichen Reflexion beinhalten. Erst durch diese Vollständigkeit aller möglichen Ansichten des Absoluten, also auch der defizienten Ansicht des Verstandes, die eigentlich das Absolute entstellt, kann die Philosophie zeigen, daû die »einfache unscheinbare Idee, das höchste, ein heiliges Denken ist«.9 Durch die Systematik und Vollständigkeit wird die Philosophie zu einem »heiligen Denken«. Die Selbstproduktion des Absoluten muû sich
wichtige Rolle. So formuliert bereits Zwilling, daû die »Beziehung auf ihrer höchsten Stufe Beziehung mit der Nichtbeziehung ist und daher die allgemeinste Beziehung oder Kategorie der Beziehung überhaupt, genau betrachtet, die Unendlichkeit selbsten ist« (in: Jacob Zwillings Nachlaû. Hrsg. D. Henrich und Chr. Jamme. Hegel-Studien. Beiheft 28, 1986, 65). Auch Hölderlin äuûert sich in seinem Entwurf Über die Verfahrungsweise des poetischen Geistes (um Anfang bis Mitte 1800) ähnlich. Danach ist die »unendliche Einheit« durch ihre »dreifache Natur« ausgezeichnet: Sie ist a) Entgegensetzung, die auf Einheit bezogen ist, b) Einheit, die auf Entgegensetzung bezogen ist, und c) einige Einheit von Einheit und Entgegensetzung, ihre Identität; nach Hölderlin ist diese unendliche Einheit nur fühlbar, sie ist nicht begrifflich erkennbar (vgl. Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 4, Hrsg. F. Beiûner, Stuttgart 1962, 262 f.; Hölderlin wird nach der sog. »Kleinen Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe« zitiert). Zu den mittel- und neuplatonischen Einflüssen auf Hegels Denken in der Frankfurter Zeit vgl. J. Halfwassen: Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Bonn 1999, 44±78. 7 GW, Bd. 5, 271; Rosenkranz, 190. 8 Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801±1807). Hrsg. H. Kimmerle. In: Hegel-Studien, 4, 1967, 53. 9 GW, Bd. 5, 264.
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nämlich »hemmen und sich in eine Gestalt organisiren«,10 damit sie dem Bewuûtsein begreiflich wird. Eine solche Hemmung und Gestaltgebung geschieht in der Logik als systematischem Teil der Philosophie als ganzer. Die Logik hat damit die systematische Funktion, in die Metaphysik einzuleiten, und bildet selbst einen Teil der Wissenschaft als ganzer, sie ist wissenschaftliche Einleitung. »Ich glaube, daû von dieser spekulativen Seite allein die Logik als Einleitung in die Philosophie dienen kan, insofern sie die endlichen Formen als solche fixiert indem sie die Reflexion vollständig erkennt und aus dem Wege räumt, daû sie der Spekulation keine Hindernisse in den Weg legt; und zugleich gleichsam in einem Widerschein immer das Bild des Absoluten vorhält, und damit vertraut macht.«11 Die »spekulative Seite« ist aber für die endliche Reflexion nicht positiv in der Logik zu erkennen, sondern nur ihre destruktive Wirkung auf die endlichen, nicht spekulativen Reflexionsbestimmungen. Die Einleitungsfunktion der endlichen Logik in die spekulative Metaphysik wird auch deutlich, wenn Hegel in seinem »Kollegium über Logik und Metaphysik« im Wintersemester 1801/02 sagt, er nehme die »propädevtische Rüksicht [...] von dem endlichen [...] GW, Bd. 4, 91. GW, Bd. 5, 272 f.; Rosenkranz 191. Wie diese Stelle zeigt, haben O. Pöggeler (Die Komposition der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien, Beiheft 3 1966, 38 ff.), K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 75 ff.) und H. Kimmerle (Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Hegels »System der Philosophie« in den Jahren 1800±1804. Bonn 1982, 50) zu Recht die Logik Hegels in der frühen Jenaer Zeit als systematische Einleitung in die Metaphysik interpretiert. Dagegen wendet sich M. Baum (Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. Bonn, 2. Aufl. 1989, 2 f.). Baum ist der Ansicht, daû die Logik »auf jeden Fall in der frühen Jenaer Zeit nach der Idee des Absoluten abgehandelt werden« muû (a. a. O., 3; ähnlich 119, 144). Baum bezieht sich (a. a. O., 153 ff.) auf Hegels skizzenhaften Gliederungsentwurf Die Idee des absoluten Wesens (GW, Bd. 5, 262 ff.) zur Begründung seiner These, daû die intellektuelle Anschauung der absoluten Identität systematisch der Logik vorangehen muû. Dies führt bei Baum dazu, die Rolle der intellektuellen Anschauung in der Spekulation besonders hervorzuheben und die Rolle der philosophischen Reflexion abzuwerten (vgl. Baum, a. a. O., 108, 112, 123). In Baums Deutung ist die Logik nichts anderes als die Metaphysik, behandelt dieselbe Sache, nämlich das Absolute, nur mit anderen Erkenntnisformen, nämlich mit der Erkenntnisform der endlichen Reflexion und nicht mit der spekulativen Erkenntnisart, woraus sich ihr Unterschied ergibt (vgl. Baum, a. a. O., 158). Eine ganz ähnliche Interpretation der frühen Jenaer Logik Hegels wie Baum vertritt H.S. Harris: Hegel's Development: Night Thoughts (Jena 1801±1806). Oxford 1983, 18 ff., 29 f. Anm. 3; Harris sieht die Logik seit Beginn der Jenaer Zeit Hegels als spekulative Wissenschaft und versucht darüber hinaus, verschiedene Bedeutungen von Logik beim frühen Jenaer Hegel zu differenzieren (a. a. O. 19, Anm. 1), wobei das Schwergewicht auf der Ansicht liegt, daû die Logik die metaphysische, spekulative Idee expliziere. Bei diesen Deutungen von Baum und Harris ist problematisch, daû in Hegels früher Jenaer Zeit die Logik die Bestimmungen der Endlichkeit und deren Aufhebung behandelt und die Metaphysik das Absolute als die Eine Substanz, was zwei unterschiedliche Themengebiete sind, wobei natürlich letzten Endes die endlichen Verstandesbestimmungen in der Einen Substanz enthalten sind. 10 11
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an[zu]fangen um von ihm aus, nemlich insofern es vorher vernichtet wird, zum Unendlichen [zu] gehen.«12 Die endliche Logik ist also eine Einleitungswissenschaft. Wie kann der endlichen Reflexion aber der »Widerschein« und das »Bild« des Absoluten vorgehalten werden? Die Logik soll doch allererst zur Metaphysik und zum Absoluten hinführen. Hegel sagt im Gliederungsentwurf zur Introductio-Vorlesung von 1801/02, daû das »Erste nun ist, daû wir die einfache Idee der Philosophie selbst erkennen«.13 Dieses Erste, die einfache Idee, wird zunächst in »ihrer höchsten Einfachheit vorgetragen« und scheint daher »keine Bedeutung zu haben«. Ihre vollständige Bedeutung erlangt diese Idee erst nach dem Durchgang durch die »ganze Philosophie und das Leben«. Diese anfängliche Idee ist das »feste klare Anschauen«, sie ist die »erste Bedingung des Philosophierens«.14 Mit der einfachen Idee am Anfang des Philosophierens ist wohl die intellektuelle Anschauung gemeint, die als »Erstes« auch der Logik noch vorangeht. Aber in diesem Stadium des Philosophierens ist die Idee bloû intellektuelle Anschauung, sie kann noch nicht mit der Reflexion verknüpft sein. Erst in der Verknüpfung der Reflexion mit der intellektuellen Anschauung besteht nach Hegel die eigentliche Spekulation.15 Somit ist in der anfangenden intellektuellen Anschauung noch nicht die Aufgabe der Philosophie eingelöst, das Absolute »fürs Bewuûtseyn«16 zu konstruieren, im Gegenteil, es ist eigentlich sogar nur bewuûtlos vorgegeben. Daher ist die anfangende Idee nur als Vorgriff zu verstehen, nicht aber als die eigentliche Metaphysik. Diese kann erst nach der Darstellung der Entzweiung, des reflektierenden Bewuûtseins, d. h. nach der Logik, vollständig expliziert werden, weil die Trennung und Entzweiung der metaphysischen Totalität selbst notwendig ist, »denn die nothwendige Entzweyung ist Ein Faktor des Lebens, das ewig entgegensetzend sich bildet, und die Totalität ist, in der höchsten Lebendigkeit, nur durch Wiederherstellung aus der höchsten Trennung möglich«.17 Die anfangende intellektuelle Anschauung, GW, Bd. 5, 271; Rosenkranz, 190; zur Einleitungsfunktion der Logik in die Metaphysik vgl. auch Hegels kommentierende Vorlesungsankündigung zur Logik- und Metaphysik-Vorlesung vom Wintersemester 1801/02: »Das PrivatKollegium über Logik und Metaphysik, wird zuerst die allgemeine oder transcendentale Logik, nemlich das System der Endlichkeit¬ Formen der Endlichkeit [...] abhandeln, [...] Durch die Betrachtung der Vernunft, welche die in der Logik aufgestellten Formen der Endlichkeit zerstört, wird der Übergang zur Metaphysik gemacht«. GW, Bd. 5, 654. 13 GW, Bd. 5, 263. 14 GW, Bd. 5, 264. 15 Vgl. GW, Bd. 4, 27 f. 16 GW, Bd. 4, 16. 17 GW, Bd. 4, 13 f.; vgl. auch Hegels ähnliche Ausführungen in der Introductio-Vorlesung: »[...] die schlechte Reflexion [damit ist insbesondere die Reflexionslogik gemeint; d. V.] ist das Bestehen der Bestimmtheiten des Gegensatzes; die absolute Reflexion ist das Aufheben derselben, und das absolute Erkennen ist eben diese Reflexion 12
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die noch nicht die Entzweiung der Reflexionslogik in sich enthält, bedeutet also nicht die höchste Form des Lebens, bzw. der Metaphysik. Die höchste Form der Metaphysik kann sich erst nach der Entzweiung darstellen, und in diese, die eigentliche Metaphysik, leitet die Logik systematisch ein. Wenn Hegel im Manuskript Die Idee des absoluten Wesens aus dem Gliederungsentwurf zur Introductio-Vorlesung sagt, daû die Logik »als Wissenschafft der Idee selbst Metaphysik ist«,18 so bedeutet dies, daû aufgrund der anfangenden, noch unbewuûten intellektuellen Anschauung geahnt, noch nicht wirklich gewuût wird, daû eigentlich alles in der metaphysischen intellektuellen Anschauung enthalten ist, sogar die der Metaphysik entgegengesetzte endliche Logik. Daher gibt es die Möglichkeit, der endlichen Reflexion das »Absolute« als »Widerschein« und »Bild« vorzuhalten, auch wenn das Absolute noch nicht spekulativ erkennbar ist. Die endliche Reflexion ahnt aufgrund der bewuûtlosen intellektuellen Anschauung, daû es noch etwas Höheres als die Endlichkeit gibt. Die Logik, die die Position der Endlichkeit darstellt und destruiert, um die Position der Unendlichkeit, der spekulativen Metaphysik mit der bewuûten intellektuellen Anschauung, ex negativo zu erreichen, ist notwendig angesichts der Positionen endlicher Rationalität, die von Kant, Reinhold und Fichte kurz zuvor, teilweise aber auch gleichzeitig aufgestellt worden sind. Hegel muû sich auch gegen die Position Jacobis wenden, daû Gott adäquat nur im nicht rationalen Glauben, nicht im bloû endlichen Wissen, begegnet werden kann. Hegel muû angesichts der von anderen Philosophen konzipierten Positionen der Endlichkeit menschlicher Rationalität eigens begründen, daû eine vernünftige Erkenntnis des Absoluten möglich sein soll. Daher wird eine Einleitung in die Metaphysik notwendig, die besonders gegen Kant zeigen soll, daû es gesicherte Erkenntnis nicht nur im Rahmen des auf die Erfahrung bezogenen Wissens geben kann, sondern daû auch darüber hinaus eine rein rationale Erkenntnis des Absoluten möglich ist.19 Es ging Hegel auch darum, das Identitätssystem Schellings und die Wissenschaftslehre Fichtes als zwei verschiedene Positionen dem öffentlichen Bewuûtsein deutlich vor Augen zu stellen. Schelling selbst dachte 1801 welche in den Gegensatz auseinandergeht, aber ihn zurüknimmt, und absolut vernichtet. Ohne Gehen in den Gegensatz ist seine Aufhebung nicht möglich. Ihn aufzuheben, nicht ihn zu ignoriren nicht von ihm zu abstrahiren ist das absolute Erkennen.« GW, Bd. 5, 264 f. 18 GW, Bd. 5, 263. 19 Aufgrund dieser Abgrenzungsbestrebungen Hegels gegenüber anderen Positionen, die nicht mit seiner eigenen und derjenigen Schellings übereinstimmen, bezeichnet G. Lukµcs (Der junge Hegel. Über die Beziehungen von Dialektik und Ökonomie. Werke, Bd. 8, Neuwied/Berlin 1967, 330) Hegels frühe Jenaer Publikationen als »Kampfschriften«.
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noch, daû seine eigene Position mit derjenigen Fichtes konvergiere.20 Hegel wandte sich dagegen und verdeutlichte seinen Standpunkt mit der Veröffentlichung Differenz des Fichte'schen und Schelling'schen Systems der Philosophie von 1801. ¾hnlich äuûert sich Hegel in einem Briefentwurf an Mehmel vom August 1801: »Überhaupt wird man erst genötigt sein, Fichtes und Schellings Sache immer mehr zu trennen«.21 Hegel sah zu dieser Zeit dagegen ein gemeinsames Ziel seiner eigenen Position und derjenigen Schellings. Daû Hegel in die Metaphysik mit der Logik einleitet und von der Logik aus, durch die Vernichtung endlicher Bestimmungen die Metaphysik zu erreichen versucht, hat also den systematischen Grund, vollständig alle Formen der Bestimmtheit aufzuweisen, also auch die endlichen, um das Absolute in allen seinen Formen darstellen zu können. Zugleich ist das Absolute nicht unmittelbar zu erkennen, sondern seine Erkenntnis setzt eine vorgängige Destruktion der Endlichkeit voraus. Solange die Endlichkeit nicht vollständig aufgehoben und ihr eigentlicher, metaphysischer Grund aufgedeckt ist, können sich immer wieder endliche Bestimmungen in die Erkenntnis des Absoluten einmischen, die sie verendlichen würden. Das Absolute wäre auf diese Weise verfehlt. Die vorgängige Aufstellung endlicher Erkenntnisformen, wie sie die Logik auch leistet, bietet für das endliche Bewuûtsein einen Anknüpfungspunkt, denn es ist die Aufgabe der Philosophie, das Absolute »fürs Bewuûtseyn« zu konstruieren. Bei dieser Aufstellung der endlichen Bestimmungen darf allerdings nicht stehengeblieben werden, sondern angesichts des Absoluten muû ihre Ungültigkeit aufgewiesen werden. Die Logik gliedert Hegel zu der frühen Jenaer Zeit inhaltlich in drei Teile: Der erste Teil expliziert die Verstandesbestimmungen der Endlichkeit, der Vgl. hierzu Schellings Brief an Fichte vom 24. Mai 1801, in: Schelling. Briefe und Dokumente, Bd. II, 1775±1803, Zusatzband. Hrsg. H. Fuhrmans, Bonn 1973, 325 f.; Schelling spricht hier von einer »Uebereinstimmung« mit Fichte: »[...] das was ich will, ist nur dasselbe was Fichte denkt« (a. a. O., 326). Anders stellt sich das Verhältnis von Schelling zu Fichte aber schon in Schellings Brief an Fichte vom 3. Oktober 1801 dar: »Daû meine Philosophie eine andere ist, als die Ihrige, [...]« (a. a. O., 355). Zu einer Miûstimmung zwischen beiden kam es auch, weil Fichte in Berlin Schelling als seinen »Mitarbeiter« angekündigt hat (vgl. a. a. O., 354 f.). Vor allem haben aber philosophisch inhaltliche Gründe zu der Entzweiung geführt: So z. B., daû Schelling den systematischen Anfang des Philosophierens mit dem Absoluten machen will (a. a. O., 349), das »ungetrübte Indifferenz« (a. a. O., 348) ist. Kritisch sieht Schelling nun auch, daû das Spekulative nach Fichtes Bestimmung des Menschen nur im Glauben vorkommen kann, nach Schelling hat aber der Glaube in der Philosophie keinen Ort (vgl. a. a. O., 350). Darüber hinaus macht sich ein Einfluû Hegels auf Schelling bemerkbar, wenn Schelling sich gegen die »Verstandesreflexion« wendet, deren entgegengesetzte Bestimmungen sich zu »Antinomien« im Sinne Kants entwickeln. Mit einer solchen Verstandesreflexion identifiziert Schelling hier die Position Fichtes (vgl. a. a. O., 351). Dies ist eine Interpretation Fichtes, die genau der Hegelschen Interpretation entspricht. 21 Briefe von und an Hegel. Hrsg. J. Hoffmeister, Bd. 4, Hamburg 1960, 3. 20
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zweite Teil stellt die traditionelle Lehre von Begriff, Urteil und Schluû dar, und der dritte Teil hat die Funktion, die Zerstörung der Endlichkeit durch die Vernunft aufzuweisen. Auch methodisch gliedert Hegel die Logik in drei Teile: Es gibt einen analytischen, bzw. antithetischen, einen synthetischen und einen dialektischen Teil. Diese beiden Unterteilungen, die inhaltliche und die methodische, systematisieren die Logik zwar, sind aber ± wie sich zeigen wird ± nicht zu parallelisieren. I. Der erste Teil der Logik Aufstellung der allgemeinen Formen der Endlichkeit Hegel will im ersten Teil der Logik »die allgemeinen Formen oder Geseze der Endlichkeit, sowohl in objectiver als subjectiver Rüksicht, oder abstrahirt davon ob diese Formen subjectiv oder objectiv sind; hierbey immer Ihre Endlichkeit, und sie als Reflex des Absoluten darstellen«. Am Rande notiert Hegel hierzu: »allgemeine Logik, Kategorien«.22 In diesem ersten Teil der Logik soll systematisch eine Kategorienlehre entfaltet werden, die die Bestimmungen der Endlichkeit als Verstandesbestimmungen vollständig aus der absoluten Vernunft ableitet und sie nicht »empirisch zusammengerafft«23 nebeneinanderstellt. Es soll gezeigt werden, wie die Kategorien »aus der Vernunft hervortreten«.24 1. Die produktive Einbildungskraft als Wurzel der logischen Kategorien Das Hervortreten der Kategorien aus der Vernunft ist eigentlich keine Thematik, die sich im Rahmen einer in die Metaphysik einleitenden, endlichen Logik stellt. Denn die spekulative Vernunft hat in der Metaphysik ihren Ort, nicht aber in der endlichen Logik. Es handelt sich also bei dem Problem der Konstitution der Kategorien durch die Vernunft um ein metaphysisches Thema. Die Logik selbst kann eigentlich nur die internen Verstandesbestimmtheiten und die Anwendungsweise der Kategorien untersuchen. Da aber der erste Teil der Logik die Systematik und Abfolge der kategorialen Bestimmungen behandelt, kann ihr Ursprungsort nicht vollständig auûer acht bleiben. Soll der Ursprungsort der Kategorien untersucht werden, dann werden spekulative Bestimmungen vorweggenommen, die eigentlich 22 23 24
GW, Bd. 5, 273; Rosenkranz, 191. GW, Bd. 5, 272; Rosenkranz, 190. GW, Bd. 5, 272; Rosenkranz, 190.
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erst in der Metaphysik abgeleitet werden können. Da aber der erste Teil der Logik ohne diese spekulativen Bestimmungen nicht nachvollzogen werden kann, müssen schon hier in unsere Darstellung metaphysische Argumente einflieûen. Hegel wendet sich mit seiner Konzeption, ähnlich wie schon zuvor Fichte, Reinhold und Schelling, gegen die Kategorienlehre Kants. Hegel kritisiert die Kategorienlehre Kants als nicht systematisch, weil sie die Kategorien nicht in ihrer genetischen Ableitung aus der absoluten Identität der Vernunft zeige. Die Fundierung der Kategorien in der absoluten Vernunfteinheit ist nach Hegel notwendig, weil eine Fundierung im trennenden Verstand keine Vollständigkeit der Kategorien garantieren könnte. Vollständigkeit verbürgt allein dasjenige, welches selbst die Totalität ist, nämlich die Vernunft. Nach Hegel hat Kant in der synthetischen Einheit der Apperzeption zwar schon ein spekulatives Prinzip entdeckt, das als Ausgangspunkt für eine solche Ableitung dienen könnte, dennoch habe Kant diese wichtige systematische Arbeit nicht geleistet.25 Hegels Deutung von Kants Theorie der synthetischen Einheit der Apperzeption, wie er sie in Glauben und Wissen von 1802 expliziert hat, ist von zentraler Bedeutung für seine eigene Logikkonzeption, weil der erste Teil der Logik die »Kategorien der Endlichkeit« darstellen soll. Die Kategorien werden nämlich nach Hegel wie nach Kant von der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption hervorgebracht. Zugleich ist hier wichtig, daû Hegel in der späteren Wissenschaft der Logik den »Begriff«, der in seiner höchsten Aktualisierung die dialektische Methode ist, mit Kants ursprünglich synthetischer Einheit der Apperzeption identifiziert.26 In der Auseinandersetzung des frühen Jenaer Hegel mit Kants Theorie der Einheit der Apperzeption wird also eines der ursprünglichen Probleme deutlich, von denen ausgehend, Hegel seine Dialektik und den Begriff als das Prinzip der Logik entfaltet hat. Hegel interpretiert in Glauben und Wissen das synthetische Moment der Apperzeption als Vernunfteinheit, in der »das Entgegengesetzte absolut Eins ist«.27 Die Entgegengesetzten sind das »leere Ich«, der spontane Verstand einerseits und die durch die Sinnlichkeit gegebene »Mannichfaltigkeit«,28 Zu Hegels spekulativer Umdeutung von Kants Theorie der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption vgl. Glauben und Wissen, GW, Bd. 4, 326 ff., auch 335 f. Die Einheit der Apperzeption wird hier als Vernunft¬, Idee¬, Identität Ungleichartiger¬ bestimmt; a. a. O., 6 bezeichnet Hegel sie als das »Princip der Spekulation«. Zum Thema der Kritik Hegels an Kant, bei diesem fehle eine systematische Ableitung der Kategorien, vgl. a. a. O., 6, 100, 236. 26 Vgl. GW, Bd. 12, 17 ff. 27 GW, Bd. 4, 328. Vgl. zum Thema auch I. Görland: Die Kantkritik des jungen Hegel, Frankfurt a. M. 1966, 16 f., vgl. auch K. Cramer: Spekulatives Denken und synthetisches Urteil a priori. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 51, 1997, 507±536. 28 GW, Bd. 4, 328. 25
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die sinnliche Rezeptivität andererseits. Die synthetische Einheit darf aber nicht als abkünftig von den beiden Entgegengesetzten verstanden werden, sondern ist die ursprüngliche Einheit beider, sofern in ihr einfach und unmittelbar die Entgegengesetzten Eines sind. Die Trennung in zwei Entgegengesetzte ist dann das abkünftige Resultat des trennenden Verstandes, d. h. des »leeren Ich«. Somit hebt Hegel den trennenden Unterschied zwischen rezeptiver Sinnlichkeit und spontanem Verstand in der Vernunfteinheit auf. Im Gefolge der Aufhebung dieses Unterschiedes hebt sich auch der Unterschied von a priori und a posteriori auf. Eine Deduktion der Kategorien, so wie Kant sie verstand, als Ausweis der Rechtmäûigkeit der Anwendung von Kategorien auf Anschauungen, wird damit für Hegel gar nicht mehr zum Problem, weil ursprünglich beide eines sind. Metaphysisch ist hieran, daû in der synthetischen Einheit die beiden »Entgegengesetzten absolut Eines« sind. Absolute Einheit ist kein Produkt des trennenden Verstandes, sondern der spekulativen Vernunft. Daran zeigt sich also eine metaphysische Implikation als Voraussetzung für die endliche Logik. Die sinnliche Anschauung ist Moment der synthetischen Einheit, jedoch ist sie versenkt in die Mannigfaltigkeit. Der Verstand ist ebenso Moment der synthetischen Einheit, aber er ist fähig, die Mannigfaltigkeit auf Begriffe zu bringen. Daher unterscheidet er sich von demjenigen, was er vollzieht und er ist in der Lage, eine relative Identität des Mannigfaltigen herzustellen. Die relative Identität des Mannigfaltigen, die der Verstand mittels der Begriffe aufstellt, ist das Objekt; sofern der Verstand sich von demjenigen, was er vollzieht, unterscheidet, hat er ein Selbstverhältnis zu sich. Hegel unterscheidet Verstand und ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption, im Unterschied zu der Lehre Kants, wo die synthetische Einheit der Apperzeption das Zentrum und der »höchste Punkt«29 des Verstandes ist. Nach Kant ist die Einheit der Apperzeption nichts vom Verstand verschiedenes. Weil der Verstand der begrifflichen Allgemeinheit fähig ist, die sich sowohl auf das Sinnlichmannigfaltige bezieht als auch von ihm unterscheidet, nennt Hegel ± in Anlehnung an Schellings Potenzenlehre aus dem System des transzendentalen Idealismus ± den Verstand die »höhere Potenz« gegenüber dem Sinnlichmannigfaltigen der Anschauung.30 Die BegrifKant, Kritik der reinen Vernunft, B 134 Anm. GW, Bd. 4, 327. Entwicklungsgeschichtlich liegt hier sicher einer der Anfangs- und Ausgangspunkte für die später von Hegel konzipierte Geschichte des Selbstbewuûtseins, die systematisch Vermögen, deren Leistungen und deren Rechtmäûigkeitsansprüche auf Erkenntnis der Wahrheit ableiten soll. Diese Geschichte des Selbstbewuûtseins begann Hegel ab 1804 auszuarbeiten (vgl. Rosenkranz, 214) und vollendete sie in der Phänomenologie des Geistes. Das Hervorgehen von Verstand und Anschauung aus der synthetisch spekulativen Einheit der Apperzeption gehört ebenfalls zu diesem Problemkreis und stellt auch einen rudimentären Ausgangspunkt für die Geschichte des Selbstbewuûtseins dar. Daû Hegel über eine solche Geschichte des Selbstbewuûtseins bereits 1801/02 ver29 30
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fe, auf die der Verstand das Mannigfaltige bringt, sind die Kategorien. Die Kategorien sind nichts anderes als die Einheit des Verstandes, des Ichs, aber aufgefächert in verschiedene Formen von Einheit. Die Kategorien sind die diversifizierten »Dimensionen«31 der Spontaneität. Hegel identifiziert die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption mit der Einbildungskraft. Die Einbildungskraft ist wie die Apperzeption synthetische Einheit der Vernunft: »Diese Einbildungskraft als die ursprüngliche zweyseitige Identität, die nach einer Seite Subject überhaupt wird, nach der andern aber Object, und ursprünglich beydes ist, ist nichts anders als die Vernunft selbst«.32 Sofern die produktive Einbildungskraft synthetische Vernunfteinheit ist, ist sie sowohl Subjekt als auch Objekt. Die produktive Einbildungskraft wendet das Ideelle auf das Reelle an und umgekehrt.33 Das heiût, die produktive Einbildungskraft wendet das Ideelle, dies sind die diversifizierten »Dimensionen« der Spontaneität, die Kategorien, auf das Reelle, dies ist das Mannigfaltige der Anschauung, an und bringt umgekehrt das reelle Mannigfaltige der Anschauung unter die ideellen »Dimensionen« des Verstandes, d. h. unter die Einheit der kategorialen Begriffe. Die Einbildungskraft ist die Wurzel des Verstandes, sie bringt ihn hervor. Die Verstandeskategorien sind die fixierten Begriffe der bestimmenden, formalen Aktuosität der produktiven Einbildungskraft. Die Aktuosität der Einbildungskraft ist formal, wenn die Einbildungskraft sich selbst als Verstand setzt. Die zum Verstand depotenzierte Einbildungskraft setzt sich selbst der Anschauung entgegen. Depotenziert ist die Einbildungskraft in dem Sinn, daû sie sich verendlicht hat, denn sie hat sich in zwei entgegengesetzte Vermögen getrennt. Der Verstand auf der einen Seite hat mit seinen Kategorien formale Ordnungsprinzipien, ist aber inhaltsleer; die Anschauung auf der anderen Seite ist zwar in der Lage, Inhalte zu geben, aber, da hier die Anschauung auch einseitig ist, sind ihre Inhalte, das Mannigfaltige, ungeformt. Einerseits erhalten die Anschauungen ihre Form allererst vom Verstand, und andererseits erhält der Verstand seine Inhalte allererst von der Anschauung, ist daher auf diese angewiesen, setzt sie voraus. Hegel expliziert, »daû diese productive Einbildungskraft nur Verstand heiût, insofern die Kategorien als die bestimmten Formen der erfahrenden Einbildungskraft unter der Form des Unendlichen gesetzt, und als Begriffe fixiert werden, welche gleichfalls in ihrer Sphäre ein vollständiges System bilden«.34 Mit den »befügte, kann jedoch aufgrund der spärlichen ¾uûerungen nicht festgestellt werden; alles, was gesichert gesagt werden kann, ist, daû Ansatzpunkte, die noch nicht systematisch ausgeführt wurden, vorhanden sind. 31 GW, Bd. 4, 335. 32 GW, Bd. 4, 329. 33 Vgl. Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 73. 34 GW, Bd. 4, 329.
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stimmten Formen der erfahrenden Einbildungskraft« verweist Hegel wohl auf die transzendentalen Schemata der produktiven Einbildungskraft wie Kant sie konzipiert und versucht sie in seinem Sinne umzudeuten. Die produktive Einbildungskraft selbst setzt sich nach Hegel als »erfahrende Einbildungskraft«. Sofern die ursprünglich produktive Einbildungskraft sich zu einer bloû erfahrenden Einbildungskraft depotenziert, ist sie auf Anschauungen angewiesen, die sie in einen Erfahrungszusammenhang bringt und ordnet. Die Einbildungskraft ist erfahrend, weil sie auf konkrete Anschauungsgehalte gerichtet ist. In dieser Vermittlungsfunktion der Einbildungskraft zeigt sich, daû sie ursprünglich sowohl Anschauung als auch Verstand war, denn sonst könnte sie nicht zwischen beiden vermitteln. ± Nach der Lehre Kants in der 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft sind dagegen die Schemata der produktiven Einbildungskraft eine Einwirkung des Verstandes auf den inneren Sinn. ± Für Hegel enthalten die Schemata der produktiven Einbildungskraft Rezeptivität und Spontaneität gleichursprünglich in sich und bringen diese sogar allererst hervor. Daû die Schemata unter die »Form des Unendlichen gesetzt« werden, heiût dann, sie werden als formale Einheitsstiftungen betrachtet, nach der Maûgabe der Form der unendlichen Vernunft, die darin besteht, Einheit hervorzubringen. Die Formalität der Schemata rührt daher, daû sie von der »erfahrenden Einbildungskraft« als den Anschauungsinhalten entgegengesetzt betrachtet werden. Aus dieser Perspektive sind die Schemata nicht selbst schon inhaltliche Bestimmungen, sondern nur Formen, die der Anschauung bedürfen, um inhaltliche Erfüllung zu erlangen. Diese anschaulich-inhaltlich erfüllten und schematisierten Einheiten werden dann begrifflich fixiert, und diese Fixierungen sind die Kategorien. Die produktive Einbildungskraft, die synthetische Vernunfteinheit ist, bildet dagegen die ungetrennte Einheit von Anschauung und Verstand. Auf dieser Einheit basiert die Trennung beider Vermögen. Von dieser Deutung Hegels unterscheidet sich die Lehre Kants. Nach der Lehre Kants in der 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft sind die Kategorien nicht Produkte der Schemata produzierenden transzendentalen Einbildungskraft, sondern umgekehrt sind die Schemata der transzendentalen Einbildungskraft in den Kategorien des Verstandes fundiert. Die Schemata der Einbildungskraft sind zeitliche und räumliche Ordnungseinheiten. Als solche Ordnungseinheiten sind sie gesetzmäûige Verknüpfungen. Gesetzmäûige Verknüpfung und Synthesis ist nach Kant immer eine Leistung des spontanen Verstandes. In diesem Sinne sind die Schemata der Einbildungskraft in den verschiedenen Synthesisleistungen des Verstandes, d. h. in den Kategorien fundiert. Die Schemata sind als Ordnungsfunktionen nach Kant nichts anderes als die Kategorien, aber angewandt auf die Anschauungsformen, in denen sie als figürliche Synthesen Anschauungsordnungen herstellen. Die figürlichen Synthesen bringt die Einbildungskraft hervor. In diesem
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Sinne sind die Schemata der Einbildungskraft »eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit«.35 Die produktive Einbildungskraft ist nach der Lehre Kants aus der 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft nicht gleichursprünglich die Wurzel von Rezeptivität und Spontaneität. Indem Hegel die Kategorien als Produkte der Einbildungskraft versteht, folgt er in diesem Punkt der Konzeption Fichtes.36 Die Konzeption Fichtes interpretiert Hegel jedoch insofern um, als für ihn die Kategorien verstandesmäûige Vereinseitigungen der synthetischen Einheit der spekulativ verstandenen produktiven Einbildungskraft sind. Hegel geht auch darin über Fichtes Interpretation der produktiven Einbildungskraft bei Kant hinaus, daû er die Einbildungskraft als die Quelle von Rezeptivität und Spontaneität interpretiert. Die Einbildungskraft enthält nach Hegel gleichursprünglich Rezeptivität und Spontaneität in sich. Die Einbildungskraft »schwebt« also Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 152. Vgl. Fichte: Grundriû des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre. Gesamtausgabe, Abt. I, Bd. 3, Hrsg. R. Lauth u. H. Jacob, Stuttgart-Bad Cannstatt 1966 (im folgenden werden Fichtes Werke nach dieser Ausgabe zitiert als GA), 189: »In der Wissenschaftslehre entstehen sie [die Kategorien; d. V.] mit den Objekten zugleich und um dieselben erst möglich zu machen, auf dem Boden der Einbildungskraft selbst.« Die Einbildungskraft ist nach Fichte das Grundvermögen des theoretischen Ich, vgl. z. B. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794/95). GA, Abt. I, Bd. 2, 353, 369. Sofern Fichte die Kategorien in der Einbildungskraft gründen läût, unterscheidet sich also auch seine Konzeption von derjenigen Kants. Zu Fichtes Konzeption der Einbildungskraft vgl. auch W. Janke: Fichte ± Sein und Reflexion ± Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970, 145±162, D. Schäfer: Die Rolle der Einbildungskraft in Fichtes Wissenschaftslehre 1794/95. Köln 1967, K. Düsing: Einbildungskraft und selbstbewuûtes Dasein beim frühen Fichte. In: Kategorien der Existenz. Festschrift für W. Janke. Hrsg. K. Held u. J. Hennigfeld. Würzburg 1993, 61±77, vgl. auch besonders eindringlich und erhellend zum Thema C. Hanewald Apperzeption und Einbildungskraft. Die Auseinandersetzung mit der theoretischen Philosophie Kants in Fichtes früher «Wissenschaftslehre« (erscheint demnächst). Die Kategorien werden nach Fichte durch eine doppelte Abstraktion von den ursprünglichen Handlungen des Ichs gewonnen. In einem ersten Abstraktionsschritt wird davon abgesehen, daû das Ich der Gehalt der Handlung ist, hier wird die Form der Verknüpfungshandlung rein als solche betrachtet, ohne den ausführenden Akteur der Handlung zu berücksichtigen. Daraus entstehen die Gesetze der Logik. In einem zweiten Abstraktionsschritt wird davon abgesehen, daû das Urteil eine Handlung ist, d. h. es wird nur noch das Resultat der Handlung berücksichtigt. Daraus entstehen die Kategorien. Wird z. B. abstraktiv nur das Resultat der logischen Handlung des Entgegensetzens -A nicht=A betrachtet, erhält man die Kategorie des Nicht-Seins, die Negation (vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794/95). GA, Abt. I, Bd. 2, 261, 267, 282). Auch I. Görland (Die Kantkritik des jungen Hegel. Frankfurt a.M. 1966, 22 ff.) geht differenziert auf Hegels Deutung der Einbildungskraft als vernünftiger Einheit Entgegengesetzter ein. Görland meint jedoch, daû die Trennung Entgegengesetzter in der Verstandessynthesis daher rühre, daû »das Vernünftige [...] den Gegensatz noch nicht völlig überwunden« (a. a. O., 26) hat. Dies wird Hegel nicht gerecht, denn das Vernünftige kann nur als vernünftig gesehen werden, sofern es den endlichen Gegensatz überwunden hat; liegt noch ein einseitiger Gegensatz vor, handelt es sich nach Hegel um Verstandesbestimmungen. 35 36
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nicht bloû zwischen Rezeptivität und Spontaneität, wie Fichte sagen würde, sondern ist dies beides zugleich, und gleichursprünglich ist sie die Setzung des Unterschiedes beider. Fichte versucht dagegen, die Einbildungskraft als Grundvermögen des endlichen Ich, aufzuweisen. Die Einbildungskraft ist hier zwar Grundvermögen, weil sie, zwischen Rezeptivität und Spontaneität schwebend, beide miteinander vermittelt, aber sie ist nicht spekulative Einheit Entgegengesetzter. Heidegger ist der Auffassung, daû Hegel Kants Konzeption der produktiven Einbildungskraft »ursprünglicher« verstanden habe als Fichte, weil sie die hervorbringende Wurzel von Rezeptivität und Spontaneität sei. Hegels Auffassung der Kantischen Konzeption der transzendentalen Einbildungkraft komme daher auch derjenigen von Heidegger näher als diejenige Fichtes.37 Heidegger deutet allerdings die Einbildungskraft nicht ± wie Hegel ± als spekulatives Vermögen, weil sie metaphysische Einheit von Entgegengesetzten ist, sondern als endliches Vermögen. Vor diesem Hintergrund lassen sich nun die Bestimmungen Hegels zum ersten Teil der Logik klären. Nun ist deutlich, was Hegel meint, wenn er sagt, daû im ersten Teil der Logik gezeigt werden muû, wie die Kategorien »aus der Vernunft hervortreten«. Gemeint ist das Verhältnis des Verstandes zur produktiven Einbildungskraft, die die Vernunfteinheit Entgegengesetzter ist. In diesem ersten Teil der Logik sind die Kategorien sowohl in objektiver als auch in subjektiver Rücksicht gleichursprünglich als endliche zu behandeln. Aufgrund der Bestimmung der produktiven Einbildungskraft in Glauben und Wissen können die Kategorien sowohl subjektiv als auch objektiv sein, denn die produktive Einbildungskraft ist gleichursprünglich beides. Subjektiv bedeutet hier, daû die Kategorien Geltung für das denkende Ich haben, und objektiv, daû sie Geltung für die gegenständliche Welt haben. Da die Kategorien in der Einbildungskraft fundiert sind, können sie »sowohl
Vgl. M. Heidegger: Der Deutsche Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) und die philosophische Problemlage der Gegenwart. Vorlesung vom Sommersemester 1929. Gesamtausgabe, Abt. II, Bd. 28, Hrsg. C. Strube, Frankfurt a.M., 1997, § 19 b, 200. Heideggers Deutung der produktiven Einbildungskraft bei Kant geht dabei von einer spezifischen Interpretation der Lehre Kants in der 1. Auflage der Kritik der reinen Vernunft aus. In der 2. Auflage sei Kant vor seiner grundlegenden Einsicht in die Subjekt-Objekt-Einheit und in die Rezeptivität-Spontaneität-Einheit der produktiven Einbildungskraft »zurückgewichen«, die er in der 1. Auflage konzipierte. Vgl. hierzu Heidegger: Kant und das Problem der Metaphysik. Gesamtausgabe, Abt. I, Bd. 3, Hrsg. F.-W. von Herrmann, Frankfurt a.M. 1991, § 31, 160. Ob es sich bei Kant um ein »Zurückweichen« vor grundlegenden Einsichten handelt, kann allerdings bezweifelt werden. Die ¾nderung der Rolle der Einbildungskraft zwischen 1. und 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft basiert wohl eher darauf, daû Kant den Unterschied zwischen Rezeptivität und Spontaneität noch deutlicher sieht und klarer hervorheben will. Dies betont auch schon E. Cassirer (Kant und das Problem der Metaphysik. Bemerkungen zu Martin Heideggers Kant-Interpretation. In: Kant-Studien 36, 1931, 1±26). 37
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in objectiver als subjectiver Rüksicht«38 gelten. Die Möglichkeit, daû Kategorien sowohl objektiv als auch subjektiv gelten können, basiert letzten Endes auf metaphysischen Gründen. Hegels frühe Jenaer Metaphysik-Konzeption des Absoluten als Subjekt-Objekt-Einheit ist der eigentliche Grund, weshalb in der Logik davon gesprochen werden darf, daû die Kategorien sowohl subjektiv für das denkende Ich als auch objektiv für die seiende Welt gelten. Die Subjekt-Objekt-Einheit des Absoluten ist nämlich so beschaffen, daû in ihr das Subjekt nicht bloû Subjekt, sondern zugleich auch Objekt ist, und umgekehrt ist das Objekt nicht nur Objekt, sondern auch Subjekt, so daû das Absolute die Einheit von subjektiver Subjekt-Objekt-Einheit und objektiver Subjekt-Objekt-Einheit ist. Daher ist es möglich, daû »das Subjekt in Objekt, oder Objekt in Subjekt dem Wesen nach übergehen« kann. Deswegen kann »das Subjekt sich selbst objektiv werden, weil es ursprünglich objektiv, oder weil das Objekt selbst Subjektobjekt ist; oder das Objekt subjektiv werden, weil es nur ursprünglich Subjektobjekt ist«.39 Für die Logik gilt jedoch, daû in ihr von diesen metaphysischen Prinzipien abstrahiert wird, wenn sie auch für die Logik konstitutiv sind. Dieser wesenhafte Bezug zum Absoluten, zur Subjekt-Objekt-Einheit, wird in der Logik ausgeblendet. Weil die Kategorien sowohl objektiv für die gegenständliche Welt als auch subjektiv für das denkende Ich gelten, kann in der Logik davon auch abstrahiert werden, ob sie subjektiv oder objektiv sind, wenn es um das Wesen dessen geht, was sie konstituieren, nämlich die Endlichkeit. Endlichkeit gibt es sowohl als Endlichkeit des Subjekts als auch als Endlichkeit des Objekts. Die Kategorien rein in ihrer Endlichkeit betrachten heiût sie als Verstandesprodukte analysieren. Der Verstand ist nach Hegel das Vermögen der Endlichkeit und der Abstraktion, d. h., er sieht von der spekulativen Einheit und absoluten Identität ab, die ihm selbst zugrundeliegt und die ihn konstituiert.40 Die verständige Reflexion bleibt blind und einseitig gegenüber der Vernunft, daher bilden die Kategorien lediglich den »Reflex« des Absoluten. Der Verstand ist nur ein Moment der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption, die Hegel als Vernunfteinheit Entgegengesetzter konzipiert. Der relativen Identität liegt die absolute Identität zugrunde, die in vorgängiger, unmittelbarer Einheit die Entgegengesetzten in sich enthält und sie als solche allererst aus sich entläût. Dies wissen im Rahmen der Logik allerdings nur wir, die Philosophen, die Einblick in die Metaphysik GW, Bd. 5, 273; Rosenkranz, 191. GW, Bd. 4, 66. 40 Vgl. GW, Bd. 4, 334; vgl. auch GW, Bd. 5, 272; Rosenkranz, 190. Diese Bestimmung des Verstandes als eines Vermögens der Abstraktion hält sich im gesamten späteren Denken Hegels durch, vgl. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830), GW, Bd. 20, § 80. 38 39
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haben, nicht der endliche und einseitige Verstand, der gegenüber der Vernunfteinheit blind ist. Der Verstand erkennt seine eigene Wurzel und Quelle nicht. Daher handelt es sich bei der Aufdeckung der Wurzel des Verstandes um eine spekulativ metaphysische Leistung, die aber in der Konstitution des endlichen Verstandes und in seinen Hervorbringungen impliziert ist. Der Verstand hat nach Hegel die Fähigkeit, sich von der ursprünglichen Einheit abzutrennen. Die Bestimmungen des Verstandes, der sich von der Vernunft abgetrennt hat, sind die kategorialen Bestimmungen der Endlichkeit. Die Verstandeslogik hat durch diese Abtrennung eine relative Eigenständigkeit und damit auch die Berechtigung, als eigener Teil der Philosophie zu bestehen: »Und aus blossen Reflexionsprodukten kann sich die Identität nicht als Totalität konstruiren, denn sie entstehen durch Abstraktion von der absoluten Identität, die sich gegen sie unmittelbar nur vernichtend, nicht construirend verhalten kann. Eben solche Reflexions-Produkte sind, Unendlichkeit und Endlichkeit, Unbestimmtheit und Bestimmtheit u.s.w. vom Unendlichen gibt es keinen Übergang zum Endlichen, vom Unbestimmten keinen Übergang zum Bestimmten; der Übergang als die Synthese wird eine Antinomie; eine Synthese des Endlichen und Unendlichen, des Bestimmten und Unbestimmten aber kann die Reflexion, das absolute Trennen, nicht zu Stande kommen lassen, und sie ist es, die hier das Gesetz gibt; sie hat das Recht nur eine formale Einheit geltend zu machen, weil die Entzweyung in Unendliches und Endliches, welche ihr Werk ist, verstattet und aufgenommen wurde; die Vernunft aber synthesirt sie in der Antinomie und vernichtet sie dadurch.«41 Die Synthese, die die Reflexion nicht zustandekommen lassen kann, ist die absolute Synthesis Entgegengesetzter. ± Daû GW, Bd. 4, 65 f. Nach Hegel gibt es also für die endliche Reflexion keinen Übergang vom Unendlichen zum Endlichen, weil es die endliche Reflexion ist, »die hier das Gesetz gibt«. Es ist daher problematisch, wenn H. Kimmerle (Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Hegels »System der Philosophie« in den Jahren 1800±1804. Bonn 1982, 50) sagt, daû die endliche Reflexion »kein eigenes methodisches Recht beanspruchen« darf. Die Reflexion ist zwar der Spekulation unterzuordnen, hat aber doch zumindest eine relative Eigenständigkeit, sonst lieûen sich die Trennungen des Verstandes nicht als nach einem eigenständigen Gesetz entstandene Abstraktionen erklären. ± Schon Jacobi interpretiert die Lehre Spinozas dahin gehend, daû es nach ihr keinen »Übergang des Unendlichen zum Endlichen« gibt. Jacobi: Über die Lehre des Spinoza, in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn, 1. Auflage, Breslau 1785, 14; wieder abgedruckt in: Jacobi, Werke, Bd. 4, Erste Abteilung, Hrsg. F. Roth und F. Köppen, Darmstadt 1976 (reprografischer Nachdruck der Ausgabe: Leipzig 1819) 56. Hölderlin zitiert den Satz Jacobis in seinem Exzerpt aus dem Jacobischen Briefwechsel mit Mendelssohn (vgl. Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 4, Hrsg. F. Beiûner, Stuttgart 1962, 216). Auch Schelling bezieht sich auf diese Stelle bei Jacobi in: Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kriticismus. (1795) Sämtliche Werke, Abt. I, Bd. 1, Stuttgart/Augsburg 1856, 193 f. (im folgenden wird Schelling nach dieser Ausgabe zitiert als SW mit römischer Ziffer, die die Abteilung, und arabischer Ziffer, die den Band bezeichnet). 41
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und wie auch die Reflexion einer, wenn auch bloû endlichen, Synthesis fähig ist, wird noch zu zeigen sein. ± Es wird deutlich, daû der Verstand sich von seiner eigenen Wurzel, der Vernunft, der »absoluten Identität« abtrennt. War bei der Entstehung des endlichen Verstandes aus der produktiven Einbildungskraft die Bewegung zu beobachten, daû sich die absolute Identität selbst verendlicht, so ist nun die entgegengesetzte Bewegung zu beobachten: Der endliche Verstand trennt sich scheinbar selbstmächtig von der Vernunft ab. Die Selbstmächtigkeit des reflexiv trennenden Verstandes, die zur endlichen Logik führt, besteht darin, daû er »hier das Gesetz gibt«. Die Logik der trennenden Reflexion hat daher eine gewisse Eigenständigkeit. Diese geht so weit, daû die spekulative Vernunft in der trennenden Reflexionslogik nicht mehr konstruktiv eingreifen kann. Sie kann sich nur destruktiv gegen den Verstand verhalten, wenn sie ihre Geltung durchsetzen will. Diese Destruktion besteht in der widersprüchlich-antinomischen Vernichtung der Bestimmungen der trennenden Reflexion. Trotz der Eigenständigkeit des Verstandes gilt gleichermaûen auch, daû der Verstand sich der synthetischen Einheit der Vernunft verdankt und er nur Abbild vom Urbild ist. Diesen Abbildcharakter des Verstandes hat besonders der dritte Teil der Logik noch weiter zu vertiefen. Aber schon im ersten Teil der Logik steht diese Problematik in einer doppelten Hinsicht im Hintergrund: einerseits, weil die Kategorien aus der Vernunft hervorgehen und andererseits, weil sich die endliche Reflexion in ihren endlichen Synthesen in Widersprüche verwickelt, die die vernünftige Einheit Entgegengesetzter evozieren, wenn auch, wie noch zu untersuchen sein wird, die endlichen Synthesen auf den antinomisch vernünftigen Widerspruch nur vorausdeuten und nicht dieser selbst sind. Um diesen Abbildcharakter weiû aber nur der Philosoph, der schon spekulative Metaphysik betrieben hat, nicht der endliche Verstand, der allererst die in die Metaphysik einleitende Logik vollzieht. 2. Die Struktur und Tätigkeit der endlichen Reflexion und die Kategorien Zur Bestimmung der Tätigkeit der Reflexion folgt Hegel in diesem ersten Teil der Logik den Handlungen des Ich, wie Fichte sie in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794/95) in den ersten drei Grundsätzen konzipiert.42 Hegel interpretiert die Handlungen des reinen Ich jedoch um zu Zu Hegels uminterpretierender Aufnahme der drei ersten Grundsätze aus Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794/95) vgl. Hegel, GW, Bd. 4, 396 f. Besonders zu berücksichtigen ist, daû sich Hegels Interpretation des ersten Grundsatzes von Fichte zwischen der Differenzschrift und Glauben und Wissen gewandelt hat. In der Differenzschrift war der erste Grundsatz Ich = Ich noch »das kühn ausgesprochne ächte 42
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den Handlungen der endlichen Reflexion. Die Tätigkeit der Reflexion ist thetisch, antithetisch und synthetisch. »Jede Bestimmtheit ist dadurch begründet, daû sie unter einem Setzen, Entgegensetzen und Beziehen hervorgeht.«43 Wie der noetische Vollzug der Reflexion in einem Setzen, Entgegensetzen und Beziehen besteht, so ist auch das von der Reflexion noematisch Vollzogene ein Gesetztes, Entgegengesetztes und Bezogenes. Setzen bedeutet für Hegel Aufstellung einer Identität; das, was gesetzt ist, ist mit sich selbst gleich. Entgegensetzen ist Aufstellung einer Nichtidentität; etwas wird gegen etwas anderes abgegrenzt. Dabei gehört das ausgegrenzt Unterschiedene aber doch mit zu der allgemeinen Bestimmtheit, von der auch das Setzen ausgeht. So ist z. B. die Negation ebenso eine Qualität wie die Realität, der sie dennoch entgegengesetzt wird. Beziehen ist die Aufstellung einer relativen und begrenzten Identität; d. h., durch eine Hinsichtenunterscheidung wird eine partielle Angleichung der Entgegengesetzten aufgestellt, die der anfänglich gesetzten Gleichheit mit sich selbst gemäû ist. Gleichwohl wird durch die Hinsichtenunterscheidung auch die Entgegensetzung aufrechterhalten. Daher zeigt sich in der endlichen Synthesis der Reflexion die Einseitigkeit und Trennung des Verstandes. »Die Reflexion setzt mit jedem Bestimmten zwei Entgegengesetzte und sucht sie dann wieder zu synthesieren.«44 Hier wird auch die allgemeine Bedeutung der Begriffe Identität und Nichtidentität für die Aufstellung der Kategorien klar. Identität und Nichtidentität sind operative Begriffe, welche die allen Setzungen, Entgegensetzungen und Beziehungen der Reflexion zugrundliegenden logischen Akte bezeichnen. »In unsrer bisherigen Betrachtung haben wir die Identität und Nichtidentität als Ausdrücke gewählt, die nichts bestimmtes bezeichnen, sondern nur wie Zahlen zu arithmetischem Behufe dienen, sie erscheinen uns als die höchsten Abstraktionen.«45 »Höchste Abstraktionen« sind Identität und Nichtidentität, weil sie allen ohnehin schon abstrakt einseitigen Setzungen, Entgegensetzungen und Beziehungen der Reflexion gemeinsam zugrundeliegen. Sie sind also Operatoren, die die kategorialen Bestimmungen regelhaft erzeugen. Princip der Spekulation« (a. a. O., 6 f.). In Glauben und Wissen interpretiert Hegel dagegen das Ich = Ich nur noch als »formale Identität« (a. a. O., 396). Zum Verhältnis Hegels zu Fichte vgl. K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 120 ff.; auch I. Görland (Die Kantkritik des jungen Hegel. Frankfurt a. M. 1966, 17 ff.) äuûert sich zum Verhältnis von Hegel zu Fichte zu dieser Zeit, sie macht jedoch in ihrer Darstellung des frühen Jenaer Hegel nicht auf die fundamentalen Unterschiede zwischen den Konzeptionen Hegels und Fichtes aufmerksam. 43 Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 71. 44 Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 70. 45 Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 71.
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Die Synthese muû daher als endliche verstanden werden und nicht im Sinne der Vernunftsynthese als vollständige Einheit Entgegengesetzter, denn sie wird von der Reflexion aufgestellt. Das synthetische Beziehen der Reflexion soll Bestimmungen hervorbringen, es ist daher nicht gleichzusetzen mit dem vernünftigen Beziehen endlicher Bestimmungen aufeinander, welches die endlichen Bestimmungen in Widersprüche verwickelt und damit zerstört. Durch die Synthesis der endlichen Reflexion sollen endliche Bestimmungen aufgestellt und noch nicht zerstört werden. Der Verstand hat das Ganze der Vernunft in Momente zerrissen, die nun »als Teile, als Unvollständige erscheinen«.46 Der Übergang von einem Setzen zu einem Entgegensetzen ist daher als »Vervollständigung« zu verstehen. Die Bestimmungen des Verstandes und der Reflexion sind fixierend und einseitig; sie bedürfen der »Vervollständigung« durch das ihnen jeweils Entgegengesetzte.47 So muû die Kategorie der Realität durch die Kategorie der Negation »vervollständigt« werden, denn sonst wäre der Bereich dessen, was Qualität ist, nicht ausgemessen. Die Negation wird also systematisch bestimmt, als diejenige Qualität, die der Qualität: Realität entgegengesetzt ist. Werden beide Qualitätskategorien in einer endlichen Synthese aufeinander bezogen, entsteht die Kategorie der Limitation, der begrenzten Bestimmtheit. Dies ist eine Realität, die Negation an sich hat, ein Sachverhalt, der anderes nicht ist, es aus seiner Bedeutung ausschlieût. Ebenso gehen einerseits die Quantitätskategorien Einheit, Vielheit und Allheit aus der reflexiven Tätigkeit des Verstandes hervor wie andererseits die Relationskategorien Substanz-Akzidenz, Ursache-Wirkung und Wechselwirkung. Die Modalitätskategorien integriert Hegel in die Ableitung der Relationskategorien und erhält so die Trias Qualität, Quantität und Relation. Diese drei Kategorienklassen gehen insgesamt aus einem Setzen, das eine Bestimmtheit ist (Qualität), einem Entgegensetzen, das die Gleichgültigkeit der Bestimmtheit ist (Quantität), und einem Beziehen (Relation) hervor.48 Nach Hegel gehen aber nicht nur einerseits die jeweils erste Kategorie aus einem Setzen, die zweite aus einem Entgegensetzen und die dritte aus einem Beziehen hervor und andererseits ebenso die erste Kategorienklasse aus einem Setzen, die zweite Kategorienklasse aus einem Entgegensetzen und die dritte aus einem Beziehen, sondern es gilt: »Jede Bestimmtheit ist dadurch begründet, daû sie unter einem Setzen, Entgegensetzen und Beziehen hervorgehet.«49 Also ist auch jede einzelne Bestimmtheit in sich schon durch die Tätigkeit der Reflexion strukturiert. Dies ist dadurch bedingt, daû jede 46 47
68 ff. 48 49
Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 70. GW, Bd. 4, 17. Zum folgenden vgl. Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 70. Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 71.
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einzelne Bestimmung als endliche gesetzt ist, d. h. sie ist einer anderen entgegengesetzt, auf die sie sich gleichwohl bezieht. Der Endlichkeitscharakter besteht in dieser Struktur. So erschöpft sich z. B. der Bedeutungsgehalt der Kategorie Realität nicht in einem reinen Setzen, sondern endliche Realität kann nur gesetzt werden als anderem entgegengesetzt; als solchem anderem Entgegengesetztes ist es natürlich auch schon auf dieses bezogen. Von jeder Bestimmtheit kann gezeigt werden, »sie sey gar nicht denkbar und gar nichts, ohne Beziehung auf die ihr entgegengesetzte; aber dadurch, daû sie nur ist und nur Bedeutung in Beziehung auf diese hat, kann und muû unmittelbar diese entgegengesetzte ebenso vorhanden seyn, und aufgezeigt werden.«50 Die Synthese ist zwar in der Abfolge der Reflexionsschritte das dritte und letzte Moment, aber wesentlich und eigentlich ist sie das erste Moment. »Das Identische setzt sich different und bezieht die Differenzen aufeinander, welches Bezogensein aber an sich das erste ist, obschon es nur als das dritte erscheint.«51 Die Entgegensetzung ist nur möglich, wenn die Entgegengesetzten vorgängig schon aufeinander bezogen wurden. Wären sie nicht aufeinander bezogen worden und wären hierbei nicht schon Hinsichtenunterscheidungen getroffen worden ± die nur durch vorgängige Aufstellung von Gemeinsamkeiten gesetzt werden können ± so hätte schon die Entgegensetzung einen Widerspruch impliziert. Endliches Setzen ist ebenfalls nur möglich, wenn vorgängig schon eine Entgegensetzung stattgefunden hat. Reines Setzen ohne Entgegensetzen ist unendlich, aber nicht mehr endliches Setzen. Endliches Setzen impliziert also Entgegensetzen, Entgegensetzen impliziert Beziehen. Daher ist das Beziehen das eigentlich Erste, wenn es auch in der Abfolge das letzte ist. Für das nachvollziehende, reflektierende Denken ist die Synthesis das dritte und letzte Moment, aber eigentlich ist sie das erste Moment.52 Die Synthesis enthält vorgängig die gesetzten und entGW, Bd. 4, 474. Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 74. 52 Dieses von Hegel schon 1801 formulierte Theorem, daû das Dritte das eigentlich Erste ist, übernimmt auch Schelling in seiner Kategoriendeduktion im Rahmen seines Identitätssystems (vgl. den Dialog Bruno von 1802, in: Schelling, Bruno, SW, Abt. I, Bd. 4, 295; das Theorem taucht bei Schelling mehrfach auf: a. a. O., 267, auch in: Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie von 1802, a. a. O., 378 f., 399). In der Darstellung meines Systems der Philosophie von 1801 bezeichnet Schelling die Synthese allerdings als etwas »Untergeordnetes« (a. a. O., 134, Anm.), sie ist also hier nicht das eigentlich Erste. Bei Hegel taucht dieses Theorem wieder in Glauben und Wissen (GW, Bd. 4, 319, 399) auf. Daran zeigt sich die enge Zusammenarbeit Hegels und Schellings in der Zeit von 1801 bis 1803. Zugleich stellt dieses Theorem eine Vertiefung des Fichteschen Ansatzes dar, nach dem Antithesis und Synthesis sich wechselweise bedingen (vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794/95). GA, Abt. I, Bd. 2, 270 f., 274, 276). 50 51
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gegengesetzten Momente in sich. Daraus folgt, daû die Verstandeskategorien schlieûlich in der letzten und damit höchsten und eigentlich ersten Synthesis gründen, in der Synthesis der Wechselwirkung. Diese Synthesis, wenn sie auch die höchste des Verstandes ist, bleibt dennoch eine endliche und ist nicht mit der spekulativen oder absoluten Synthesis der Apperzeption und der produktiven Einbildungskraft zu verwechseln. Damit nimmt Hegel indirekt und modifiziert die Grundstruktur der Kategorienkonzeption Schellings auf, die dieser 1800 im System des transzendentalen Idealismus entworfen hat. Nach Schelling gibt es eigentlich nur eine ursprüngliche und fundierende Kategorienklasse, nämlich die der Relation. Jede Kategorienklasse besteht aus drei Kategorien, wobei in jeder Kategorienklasse die jeweils erste und zweite Kategorie die jeweils dritte Kategorie implizit voraussetzen, also in dieser dritten Kategorie fundiert sind. Die dritte Kategorie der Kategorienklasse der Relation ist die Wechselwirkung. Die Kategorie der Wechselwirkung ist also von grundlegender Bedeutung für alle anderen Kategorien, alle anderen Kategorien implizieren nach Schelling immer schon die ursprüngliche Kategorie der Wechselwirkung.53 Inhaltlich schlieût sich Hegel jedoch eher der Kantischen Kategorientafel an. Er nimmt allerdings zwei wesentliche ¾nderungen vor: 1. Die Kategorienklasse der Qualität stellt er vor die Kategorienklasse der Quantität. Dies ist durch Hegels Versuch bedingt, die Kategorien selbst aus der Aktuosität der Reflexion als Setzen, Entgegensetzen und Beziehen abzuleiten. Es muû zunächst Bestimmtheit (Qualität) gesetzt sein, damit eine quantitative Bestimmtheit entgegengesetzt werden kann. 2. Hegel integriert die Modalitätskategorien in die Relationskategorien. Auch diese Umwandlung der viergliedrigen Ordnung bei Kant in eine dreigliedrige geschieht aufgrund der Angleichung der Kategorienklassen an die dreigliedrig strukturierte Tätigkeit des Verstandes. Grundlage der Kategorien ist das Sein. »Das reine Sein (das Sein (nicht das Absolute) das uns nur durch Negation eines Gegensatzes entsteht) kann entweder als ein Ganzes, das allein selbständig, oder als Teile, die allein selbständig sind, betrachtet werden. Dieses letztre ist die Ansicht des Verstandes, nach welcher das Objektive in Bestimmtheiten zerfällt.«54 Die Bestimmtheiten, in die das Objektive zerfällt, sind die Kategorien mit ihrer objektiven Gültigkeit. Die kategorialen Bestimmungen sind Teile des verstandesmäûig erfaûten Seins. Reines, ganzheitliches Sein ist die Grundlage für bestimmtes, in sich geteiltes Sein. Daher muû das reine, ganzheitliche Vgl. Schelling, System des transzendentalen Idealismus. SW, Abt. I, Bd. 3, 514 f. Eine ähnliche Konzeption hat Schelling im Identitätssystem ab 1801 weiter modifiziert und in sein Identitätssystem zu integrieren versucht (vgl. Schelling, Bruno, S.W. Abt. I, Bd. 4, 295 f.). 54 Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 67. 53
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Sein dem in Qualität, Quantität und Relation gegliederten, bestimmten, teilbaren Sein vorausgehen. Das »reine Sein« entsteht »nur durch Negation eines Gegensatzes«. Dieser Gegensatz, aus dem das reine, ganzheitliche Sein entsteht, ist das geteilte Sein des Verstandes. Wird das geteilte Sein verneint, d. h., wird von den Besonderheiten abgesehen und auf das Gemeinsame hingesehen, entsteht das Sein als ganzes, das dem kategorial gegliederten Sein zugrundeliegt. Das Sein ist also ein letztes, das eigentlich das Erste ist. Das ganzheitliche Sein ist das zuletzt Erkannte, weil es nur durch Negation des vorhergehenden, teilbaren Seins zu denken ist; zugleich ist es aber auch das zugrundeliegende, eigentlich Erste, das für das teilbare Sein vorauszusetzende Ganze. Da dieses Sein nur via negationis des teilbaren Seins erreicht wird, kann es »nicht das Absolute« selbst sein.55 Ist das ganzheitliche Sein nämlich nur auf der Grundlage der Negation des verstandesmäûig geteilten Seins zu erkennen, das ein Produkt der Reflexion ist, dann kann auch das ganzheitliche Sein nur ein Produkt der Reflexion sein, denn es setzt ein Reflexionsprodukt voraus. In diesem Sinne eines Reflexionsproduktes ist das ganzheitliche Sein des Anfangs »nicht das Absolute«. Dieses Sein gehört als notwendige Vorbestimmung mit zur Kategorienlehre, ist dieser selbst aber vorgeordnet. Aufgrund dieser Vorordnung ist das Sein »selbständig«, denn es liegt dem teilbaren Sein zugrunde. In dieser Bestimmung des Seins ist eine Vorform für die spätere Bestimmung des Seins als »unbestimmte Unmittelbarkeit« zu sehen, die allen Seinskategorien in der Wissenschaft der Logik zugrundeliegt.56 II. Der zweite Teil der Logik Die subjektiven Formen der Endlichkeit: Begriff, Urteil, Schluû Die Aufgabe des zweiten Teils der Logik umreiût Hegel folgendermaûen: »II. die subjectiven Formen der Endlichkeit, oder das endliche Denken, den Verstand betrachten; weil der Verstand nur in die Organisation des menschlichen Geistes gehört, werden [wir] dieselbe kürzlich konstruiren [und ihn] nach eben diesen Rüksichten, und in seinem Stuffengange durch Begriffe In der Frankfurter Zeit Hegels war das Sein noch die Bezeichnung für das Absolute, vgl. Glauben und Sein (Nohl, 382 ff.). Daran zeigt sich eine grundlegende Wandlung der Konzeption Hegels in der frühen Jenaer Phase gegenüber der Frankfurter Zeit. 56 Vgl. GW, Bd. 11, 43 f.; auf diesen Zusammenhang macht bereits K. Düsing (Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 161 ff.) aufmerksam. Düsing interpretiert darüber hinaus, daû Hegel bereits 1801/02 nicht nur über die Anfangskategorie Sein, sondern auch über die Kategorie Nichts verfügte. 55
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Urtheile und Schlüsse betrachten«.57 Hegel konzipiert hier also die Explikation des subjektiven Verstandes. Der erste Teil der Logik galt sowohl subjektiv als auch objektiv, dieser zweite Teil gilt nur subjektiv. Die formell einseitige Subjektivität bestimmt Hegel hier als endliches Denken. Es wird strukturiert durch Begriff, Urteil und Schluû. Diese Strukturmomente endlichen Denkens sind aber nicht einfach einander koordiniert, sondern bilden einen »Stufengang«. Der Stufengang stellt dar, wie der Verstand »die Vernunft in einer Produktion der Identität nachahmt, aber nur eine formelle Identität hervorbringen kann«58. Die »Produktion« einer »Identität« durch den Verstand, ist entscheidend für die Thematik dieses Teils der Logik. Damit meint Hegel, daû hier die Aktuosität des Verstandes zentrales Thema ist. Die Aktuosität des Verstandes kommt durch die Produkte seines Denkens zum Ausdruck, dies sind Begriff, Urteil und Schluû. Somit entwirft Hegel eine Systematik des Verstandes, die die noetische Tätigkeit der Reflexion aus ihren noematischen Produkten erschlieût. Die noetische Tätigkeit des Verstandes besteht im Begreifen, Urteilen und Schlieûen, diesen Tätigkeiten korrelieren die noematischen Produkte Begriff, Urteil und Schluû. In diesen noematischen Produkten des Verstandes wird jeweils eine Form der noematischen Identität zum Ausdruck gebracht, der wiederum eine noetische Form der Identität entspricht. Hegel verortet den Verstand, der sich durch die Begriffs-, Urteils- und Schluûstruktur auszeichnet, als Moment in der »Organisation des menschlichen Geistes«. Der Geist entfaltet sich selbst in der Weiter- und Höherentwicklung seiner Fähigkeiten. Die verschiedenen Formen von Identität, die der Verstand jeweils in Begriff, Urteil und Schluû aufstellt, bilden somit Stufen in der Höher- und Weiterentwicklung des menschlichen Geistes.59 Wie Hegel sich in dieser frühen Jenaer Zeit die einzelnen Bestimmungen des Begriffs, Urteils und Schlusses gedacht hat, ist leider nicht detailliert überliefert. Es ist jedoch zu vermuten, daû Hegel hier die Bestimmungen der formalen, traditionellen Logik dargestellt hat. Den Begriff hat Hegel wahrscheinlich als diskursive Allgemeinheit dargestellt, die die besonderen Bestimmungen analytisch als Merkmale unter sich enthält, also nicht das Besondere in sich hat, wie Hegels spätere Bestimmung konkreter Allgemeinheit es vorsieht. Inhalt und Umfang der diskursiven Begriffe stehen in einem reziproken Verhältnis zueinander. Dieser Begriff ist eine Funktion des »leeren Verstandes«, also ein Produkt der einseitigen, endlichen Subjektivität. Die Vernunftidentität, die im Verstandesbegriff nachgeahmt wird, ist die GW, Bd. 5, 273; Rosenkranz, 191. GW, Bd. 5, 272; Rosenkranz, 190. 59 Hierin liegt wahrscheinlich entwicklungsgeschichtlich ein Vorläufer zur »Geschichte des Selbstbewuûtseins«, die Hegel dann später vor allem in der Phänomenologie des Geistes systematisch ausgearbeitet hat (vgl. hierzu Anmerkung 30 zu diesem Kapitel). 57 58
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völlig leere Identität der Subsumtion des Besonderen unter das Allgemeine. Das Urteil versteht Hegel ähnlich wie Hölderlin als »Ur-Theilung«. Hölderlin bestimmt im Entwurf Urteil und Sein von 1795: »Urteil. ist im höchsten und strengsten Sinne die ursprüngliche Trennung des in der intellectualen Anschauung innigst vereinigten Objekts und Subjekts, diejenige Trennung, wodurch erst Objekt und Subjekt möglich wird, die Ur=Teilung.«60 Die Ur-teilung des Urteils drückt sich nach Hölderlin vorrangig im Satz »Ich bin Ich« aus. Das Ich entsteht in der Identitätssetzung des Ich mit sich, das Subjekt-Ich identifiziert sich mit dem Objekt-Ich, das denkende Ich setzt sich dem gedachten Ich gleich. Dies impliziert nach Hölderlin aber gerade die Trennung von Subjekt-Ich und Objekt-Ich, also die Trennung in ein sich von sich unterscheidendes Ich. Identität des Ich mit sich impliziert so Trennung des Ich von sich. Mit dieser Trennung des Ich von sich wird die Implikation des Selbstbewuûtseins im Ich deutlich, denn Selbstbewuûtsein ist nach Hölderlin nichts anderes als die vollzogene Trennung von sich selbst, die dazu führt, daû sich das Selbst mit sich als selbig erkennen kann. Das »Ich bin Ich« ist also nach Hölderlin ein Urteilsvollzug, der Trennung und Identifizierung im Selbstbewuûtsein impliziert.61 Wie wir sehen werHölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 4, Hrsg. F. Beiûner, Stuttgart 1962, 226. Hölderlin kritisiert von hier aus Fichte. Nach letzterem ist die Identität des absoluten Ich, das »Ich bin Ich«, reine Einigkeit mit sich und gerade keine Trennung. Diese reine Einigkeit mit sich, die Tathandlung, bestimmt Fichte als intellektuelle Anschauung (vgl. z. B.: Fichtes Rezension Aenesidemus, oder über die Fundamente der von dem Hrn. Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. 1794, GA, Abt. I, Bd. 2, 48, vgl. auch Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre im Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre von 1797/98, GA, Abt. I, Bd. 4, 216 ff., 224 ff., 265 f.; in der zwischen diesen beiden Veröffentlichungen erschienenen Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794/95 berücksichtigt Fichte merkwürdigerweise die intellektuelle Anschauung nicht). Nach Hölderlin setzt dagegen Identität des Ich mit sich Trennung voraus. Denn das reine Ich impliziert trennend beziehendes Selbstbewuûtsein. Die Einigkeit des schlechthinnigen Seins, der intellektuellen Anschauung, zeichnet sich aber nach Hölderlin gerade dadurch aus, daû hier nicht getrennt werden kann, ohne das Zu-Trennende zu zerstören. Das Ich = Ich ist eine Trennung dessen, was in der intellektuellen Anschauung vereint ist, daher ist das Ich = Ich eine Verletzung der ursprünglichen Einheit, ist also nicht das schlechthinnige Sein, sondern abkünftig. Mit dieser Kritik an der Grundsatzphilosophie Fichtes hat Hölderlin vielleicht auch die damalige Konzeption Schellings im Auge, die ihm wohl aus den Gesprächen im Sommer und im Dezember 1795 bekannt war. (Vgl. hierzu Chr. Jamme: »Ein ungelehrtes Buch.« Die Philosophische Gemeinschaft zwischen Hölderlin und Hegel in Frankfurt 1797±1800. Bonn 1983, 115.) Schellings damalige Position war sehr stark an Fichte orientiert. Vgl. hierzu z. B. Schellings Brief an Hegel vom 4. Februar 1795. In: Briefe von und an Hegel, Hrsg. J. Hoffmeister, Bd. 1, 1785±1812, Hamburg 1961, 22. Daû es zwischen Hölderlin und Schelling bei diesen Treffen Meinungsverschiedenheiten gab, belegen Hölderlins Briefe an Niethammer vom 22. Dezember 1795 und vom 24. Februar 1796 (Sämtliche Werke, Bd. 6, Hrsg. F. Beiûner, Stuttgart 1969, Nr. 111, 207 und Nr. 117, 220); zu den Meinungsverschiedenheiten zwischen Hölderlin und Schelling vgl. auch den Brief an die Mutter vom 1. September 1798 (a. a. O., Nr. 164, 301). Nähere Ausführungen zur intellektuellen An60 61
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den, stellt auch Hegel einerseits diesen inneren Bezug zwischen Selbstbewuûtsein und Urteil her, und andererseits versteht auch Hegel das Urteil als Teilung einer ursprünglichen Einheit. Zunächst ist daher zu klären, was nach Hegel unter einem Urteil zu verstehen ist. In Glauben und Wissen geht Hegel auf die Struktur des Urteils näher ein. Hiernach ist das Urteil die Ur-Teilung der »absoluten Identität«, die sich in »Subject und Prädicat, Besonderes und Allgemeines«62 trennt. Die absolute Identität, die sich urteilt, ist die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption. Diese »sondert«63 sich in Begriffsbestimmungen, die nach Hegel im Urteil zueinander in Beziehung stehen. Es sind Allgemeinheit und Besonderheit. Diese Sonderung verendlicht und vereinseitigt die beiden Momente, die im Urteil aufeinander bezogen werden sollen. Aufgrund dieser Sonderung kann im Urteil nur eine relative Identität, nicht mehr die absolute zum Ausdruck gebracht werden. Die Identität von Subjekt und Prädikat, von Besonderem und Allgemeinem wird im Urteil durch die Kopula »ist« zum Ausdruck gebracht. Die Kopula drückt also nicht bloû eine Verbindung oder Relation zweier voneinander verschiedener Begriffe zueinander aus, sondern auch deren relative Identität. ± Diese Struktur »S ist P« trifft eigentlich nur auf kategorische Urteile, nicht aber auf hypothetische oder disjunktive zu. ± Die Kopula »ist« bezieht Differente aufeinander. Da es sich um einseitig Differente handelt, die nicht spekulativ identisch sind, ist die Kopula »ist« formell, d. h., sie ist unspezifisch, gilt für unbegrenzt viele Aussagen, daher ist das Verbindende im Urteil leer, nicht erfüllt durch einen bestimmten Gehalt. Aufgrund dieser Unerfülltheit mit einem spezifischen Gehalt ist die Kopula des Urteils nicht eigentlich ein Verbindendes für die spezifischen Gehalte von Subjekt und Prädikat, vielmehr drückt sie die Unverbundenheit beider aus: »das Urtheil selbst ist nur die überwiegende Erscheinung der Differenz«.64 Wie im diskursiven Begriff die vollstänschauung macht Hölderlin im Entwurf Über den Unterschied der Dichtarten (Sämtliche Werke, Bd. 4, 279 f.) Vgl. zu Hölderlins Fichte-Kritik in Urteil und Sein auch D. Henrich: Der Grund im Bewuûtsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794±1795), Stuttgart 1992, 40±48, zu Hölderlins Schelling-Kritik a. a. O., 126±135. 62 GW, Bd. 4, 328. Eigentlich versucht Hegel hier, zu interpretieren, was synthetische Urteile a priori bei Kant bedeuten. Wie sich aber zeigen wird, sind Hegels Bestimmungen nicht mit denjenigen Kants zu vereinbaren. Es handelt sich daher um eine eigenständige Bestimmung der Urteilsstruktur, die Hegel hier vornimmt. Sie geht zwar von Hölderlins Bestimmungen des Urteils aus, ist aber dennoch als originärer Ansatz Hegels zu werten, denn Hölderlin sagt ± im Unterschied zu Hegel ± nichts über die Begriffsbestimmungen und die Leerheit der Kopula im Urteil. 63 GW, Bd. 4, 328. 64 GW, Bd. 4, 328; Hegel hat seine Bestimmung der Kopula »ist« damit gegenüber der Frankfurter Zeit geändert. Im Frankfurter Entwurf Glauben und Sein heiût es: »Vereinigung und Sein sind gleichbedeutend; in jedem Satz drückt das Bindewort »ist« die Vereinigung des Subjekts und Prädikats aus ± ein Sein«. (Nohl, 383) Das »ist« drückt nach
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dige Identität des Allgemeinen und Besonderen nicht zum Ausdruck kommt, weil das Besondere nur unter das Allgemeine subsumiert wird, so ist in der Kopula des Urteils »die vernünftige Identität der Identität, als des Allgemeinen und des Besondern [...] das Bewuûtlose«.65 D.h., die Identität Entgegengesetzter kommt gerade nicht zum Ausdruck, wenn sie auch latent zugrundeliegt, denn sie selbst ist es, die sich »sondert«, aber diese Identität Entgegengesetzter wird nicht bewuût vollzogen, sie bleibt bewuûtlos. Das Urteil bildet für den Verstand auch eine positive Leistung: In »dem Urtheil zieht sich die Identität als Allgemeines zugleich aus ihrem Versenktseyn in die Differenz, die auf diese Weise als Besonderes erscheint, heraus, und tritt diesem Versenktseyn gegenüber«.66 Dies bedeutet, daû sich im Urteilsakt die Identität oder die Einheit des Selbstbewuûtseins zwar einerseits auf das gegebene Mannigfaltige bezieht, dies ist das »Versenktsein in die Differenz«, andererseits unterscheidet sich das Selbstbewuûtsein vom Mannigfaltigen, »tritt ihm gegenüber« und »zieht sich aus ihm heraus«. Dieser Akt des Sich-Unterscheidens vom gegebenen Mannigfaltigen ist ± in Kants Terminologie ± der Akt des »Auf-den-Begriff-Bringens« des Vielfältigen, das zur Einheit zusammengefügt wird. Der Urteilsvollzug ist also die sich beziehende Unterscheidung des Subjekts vom sinnlich Mannigfaltigen, das ihm allererst durch diese Unterscheidung der Allgemeinheit vom Mannigfaltigen zu etwas Besonderem werden kann. Hieran wird wiederum die antithetisch-synthetische Tätigkeit der Verstandesreflexion deutlich. In dem Urteilsakt wird sich das Subjekt seiner selbst als eines Allgemeinen bewuût. Im Urteilsakt sind das Selbstverhältnis des Selbstbewuûtseins und der Akt der Objektivierung, d. h. die selbstbewuûte Setzung des Objekts als eines vom Selbstbewuûtsein Unterschiedenen, miteinander verbunden. Im Urteilsakt zeigt sich, wie Subjekt und Objekt wechselseitig aufeinander bezogen sind. Im Verstandesurteil vollzieht sich auf diese Weise bereits eine erfülltere Form von Identität als im Verstandesbegriff. Damit ist im »Stufengang« der Untersuchung des subjektiven Verstandes in diesem zweiten Teil der Logik eine höhere Stufe gegenüber dem einfachen Verstandesbegriff erreicht, sowohl in Hinblick auf die Identität als auch Hinsichtlich des Geistes. Der Schluû kommt in dieser Logikkonzeption Hegels in zwei verschiedenen Bedeutungen vor. Hier im zweiten Teil der Logik wird der Schluû als reiner Verstandesschluû expliziert: »in Rüksicht auf die Schlüsse ist zu bemerken, daû wenn in ihnen die vernünftige Form sich klarer andeutet, und sie daher auch gewöhnlich als das vernünftige Denken, der Vernunft zugediesem frühen Entwurf Hegels auf der sprachlichen Ebene das Sein aus, das letztlich nur geglaubt werden kann. 65 GW, Bd. 4, 329. 66 GW, Bd. 4, 329.
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schrieben werden, wir zeigen [daû] sie insofern sie ein bloû formelles Schliessen sind, dem Verstande angehören; [und daû] was der Vernunft angehört, bloû eine Nachahmung der Vernunft durch den Verstand ist«.67 Im dritten Teil der Logik dagegen hat der Schluû spekulative Bedeutung. Daher muû zwischen beiden Schluûkonzeptionen differenziert werden. Der Verstandesschluû in diesem Teil der Logik ist lediglich ein formeller Schluû. Es handelt sich dabei also nur um eine äuûerliche Verknüpfung von Begriffen. Daher ist zu vermuten, daû Hegel hier die traditionelle, formale Schluûlehre explizieren wollte. Als Beispiel dafür, was Hegel mit dem formellen Schluû meint, mag der traditionelle Schluû in der ersten Figur dienen: Hier wird im Modus Barbara das Prädikat der ersten Prämisse mit dem Subjekt der zweiten Prämisse in der Konklusion zusammengeschlossen, indem in der Konklusion der Mittelbegriff, der in der ersten Prämisse Subjekt und in der zweiten Prämisse Prädikat ist, eliminiert wird: B ± C und A ± B, also A ± C. Es ist also zu vermuten, daû Hegel hier die klassischen, traditionellen Schluûfiguren und Modi zu skizzieren beabsichtigte. Einzelheiten hierzu sind jedoch aus dieser Zeit nicht überliefert. Der Verstand ahmt mit seiner endlichen Identität die Vernunftidentität nach. Daraus ergibt sich ein schwerwiegendes konzeptionelles Problem der frühen Jenaer Logik Hegels: »Um aber den Verstand als nachahmend zu erkennen, müssen wir uns zugleich das Urbild, das er kopirt, den Ausdruk der Vernunft selbst immer vorhalten.«68 Um das Abbild als Abbild erkennen zu können, muû man immer schon das Urbild kennen. Daraus resultiert das Problem, daû man eigentlich schon Metaphysik betrieben haben muû, um die Wahrheit und den eigentlichen Grund dieses zweiten Teils der Logik vollziehen zu können. Die Logik soll aber in die Metaphysik einleiten; als Einleitung darf sie nicht zugleich für ihre eigene Erkennbarkeit die Metaphysik voraussetzen. Dieses Zirkelproblem stellt sich auch schon im ersten Teil der Logik, denn um zu erkennen, wie die Kategorien aus der Vernunft hervorgehen, muû vorgängig geklärt sein, was Vernunft und damit spekulativ metaphysisches Erkennen bedeutet. Eine solche der Logik vorangehende Klärung metaphysischer Bestimmungen sollte wohl die in Hegels Introductio-Vorlesung von 1801/02 angedeutete intellektuelle Anschauung leisten.69 Wie von uns bereits untersucht wurde, ist diese intellektuelle Anschauung aber von der intellektuellen Anschauung zu unterscheiden, die systematisch für das Bewuûtsein durch die philosophische Reflexion konstruiert und in der Spekulation erkannt wird. Die intellektuelle Anschauung, die am Anfang der philosophischen Wissenschaft steht, bietet noch keine Erkenntnis, 67 68 69
GW, Bd. 5, 273; Rosenkranz, 191. GW, Bd. 5, 272; Rosenkranz, 190 f. GW, Bd. 5, 264.
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sondern nur eine Ahnung des Absoluten, weil sie noch nicht für das Bewuûtsein konstruiert ist. Eine solche, bloû geahnte intellektuelle Anschauung löst jedoch das Zirkelproblem nicht, denn um das Hervorgehen der Kategorien aus der Vernunfteinheit und den Abbildckarakter der Logik zu erkennen, kann eine bloûe Ahnung nicht ausreichen. Diese grundlegende systematische Schwierigkeit ist es auch, die Hegel vermutlich von seiner Konzeption einer Logik als Einleitung in die Metaphysik abbrachte. Noch deutlicher wird sich dies in dem Fragment Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05 zeigen, wo die Logik mehr und mehr metaphysische Gehalte aufnimmt, gleichwohl aber noch in die Metaphysik einleiten soll. Als konzeptionelles Problem war es Hegel in seiner frühen Jenaer Zeit aber wohl noch nicht vollständig bewuût, daû die Einsicht in den Abbildcharakter der Logik die Erkenntnis des Urbildes voraussetzt. Später, ab 1805/06 versteht Hegel die Logik selbst als Metaphysik und umgekehrt auch die Metaphysik als Logik. Das Problem, daû die Logik als Einleitung in die Metaphysik gleichzeitig metaphysische Gehalte impliziert, stellt sich dort nicht mehr. III. Der dritte Teil der Logik Vernünftige Aufhebung des endlichen Erkennens: Die spekulative Bedeutung des Schlusses Die Aufgabe des dritten Teils der Logik formuliert Hegel mit diesen Worten: »Drittens wird das Aufheben dieses endlichen Erkennens durch die Vernunft aufgezeigt werden.«70 Aus dieser Aufhebung folgt, »welche Bedeutung und welchen Gehalt, diese endlichen Formen des Erkennens für die Vernunft haben; die Erkenntniû der Vernunft insofern sie der Logik angehört, wird also nur ein negatives Erkennen derselben seyn«.71 D.h., erst durch die Vernichtung der Endlichkeit wird deren eigentliche Funktion als bloûe Aufstiegsmöglichkeit zum Absoluten klar. Die Vernunft selbst ist es, welche die endlichen Formen des Erkennens aufhebt. Dieses Aufheben ist aber noch nicht selbst das positiv Vernünftige ± wie dies der späte Hegel aufgrund seiner Theorie der bestimmten Negation in Anspruch nehmen würde ± sondern lediglich die negative Seite des Absoluten. Daher handelt es sich hier auch nur um ein »negatives Erkennen« der Vernunft. Daran wird auch deutlich, daû der Terminus »Aufhebung« hier noch nicht den berühmten spekulativen Bedeutungshorizont von Vernichtung, Aufbewahrung und Erhebung hat. Dies hängt offensichtlich damit zusammen, daû Hegel zu dieser Zeit noch nicht die Theorie der bestimmten Negation entwickelt hat. 70 71
GW, Bd. 5, 273; Rosenkranz, 191. GW, Bd. 5, 272; Rosenkranz, 191.
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In diesem dritten Teil der Logik »wird theils der Ort [seyn] die spekulative Bedeutung der Schlüsse zu untersuchen, theils die Aufhebung der im vorhergehenden vorgetragenen Verstandesformen oder Gesetze der Endlichkeit aufzuzeigen theils überhaupt die Fundamente eines wissenschafftlichen Erkennens anzugeben; ± die eigentlichen Gesetze der Vernunft, sofern sie in die Logik gehören, d. h. das negative der Spekulation«.72 Dieses Zitat belegt Hegels zweite Konzeption des Schlusses. Waren die Schlüsse im zweiten Teil der Logik lediglich Verstandesschlüsse ohne spekulative Bedeutung, so stellt sich hier im Schluû ein spekulativer Gehalt dar. Die zentrale Rolle des Schlusses wird auch aus Hegels zweiter Habilitationsthese von 1801 deutlich: »Syllogismus est principium Idealismi«.73 Mit diesem Idealismus ist aber wohl nicht der bloû endliche und einseitige, sondern der echte Idealismus gemeint, der in seiner dreigliedrigen Struktur einen »Keim des Speculativen«74 enthält. Der Syllogismus stellt eine Vermittlung von Bestimmungen im Rahmen der Dreiheit von Oberbegriff, Mittelbegriff und Unterbegriff dar. Die Dreiheit ist nach der dritten Habilitationthese Hegels das Gesetz des Geistes. Somit drückt sich im Syllogismus das Prinzip des Idealismus, der Geist in seiner Reinheit aus, deswegen ist der Syllogismus das Prinzip des Idealismus. Im vernünftigen Schluû ist nicht die unspezifische, daher leere Kopula das Verbindende, sondern das »Vernünftige oder, [...] die absolute Identität, als Mittelbegriff, stellt sich [...] im Schluû dar«.75 Die Konklusion im Schluû ist vermittelt durch einen spezifischen Mittelbegriff, der nach Hegel die beiden entgegengesetzten Extreme des Schlusses, Oberbegriff und Unterbegriff, in sich enthält. Im Mittelbegriff stellt sich die ursprüngliche Identität dar, auf der im Urteil die Trennung beruht. Im Urteil erscheint wesentlich die Differenz von Subjekt und Prädikat, die Selbstsonderung der absoluten Identität. Im Mittelbegriff des Schlusses mit spekulativer Bedeutung wird dagegen dem Denken bewuût, daû es für die Trennung vorgängig eine Identität voraussetzen muû. ± Nach der traditionellen Logik ist im Schluû der Unterbegriff unter den Mittelbegriff subsumiert und unter den Oberbegriff ist der Mittelbegriff selbst subsumiert. Im Rahmen der traditionellen Logik kann also nicht davon gesprochen werden, daû der Mittelbegriff die Extreme in sich enthält, es gibt lediglich die beiden verschiedenen Subsumtionsverhältnisse. ± Der Mittelbegriff des spekulativen Schlusses ist nach Hegel daher nicht mehr leer, wie noch im Urteil die unspezifisch einfache Kopula »ist«, sondern es handelt sich hier um einen spezifischen Be72 73 74 75
GW, Bd. 5, 273 f.; Rosenkranz, 191. GW, Bd. 5, 227; Rosenkranz, 157. GW, Bd. 4, 335. GW, Bd. 4, 328.
Spekulative Bedeutung des Schlusses
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griff, der Oberbegriff und Unterbegriff miteinander verbindet, indem er beide gleichursprünglich in sich enthält. Erste und zweite Prämisse werden durch den Mittelbegriff miteinander verbunden, und die Verbindung wird in der Konklusion eigens thematisch ausgedrückt, indem der Mittelbegriff hier in seinen beiden Momenten dargestellt wird. Der erfüllte Mittelbegriff in einem spekulativen Schluû müûte aufgrund dieser Voraussetzungen synthetisch die antithetisch einander entgegengesetzten Extreme des Schlusses in sich enthalten. Das Enthaltensein von antithetischen und synthetischen Momenten in Einem vernichtet zugleich Antithese und Synthese als solche. Somit wäre der vernünftige Schluû die begrifflich aufgestellte und ausformulierte Antinomie, die jedoch nicht bloû negativ die einander endlich Entgegengesetzten zerstört, sondern zugleich deren inneres Verhältnis in der absoluten Identität darstellt, d. h., der vernünftige Schluû zeigt, daû die Antithese zugleich Synthese und daû die Synthese zugleich Antithese ist. Im vernünftigen Schluû ist somit die Antinomie überwunden und die philosophische Reflexion erreicht. Die Antinomie stellt die negative Seite des Absoluten dar. Hierin besteht ihre spekulative Bedeutung, sie macht reflexives Denken unmöglich, es kann nur noch intellektuell das Entgegengesetzte in Eines geschaut werden. Der spekulative Schluû stellt also nach Hegel für die endliche Reflexion einen in sich widersprüchlichen und erfüllten Mittelbegriff dar. Dieser läût sich nur in positiv philosophischer Reflexion, die mit der intellektuellen Anschauung »synthesiert«76 ist, erfassen. Der spekulative Schluû hat daher wohl die philosophische Reflexion selbst zu seinem Mittelbegriff, sofern diese mit der intellektuellen Anschauung verknüpft ist. Damit werden auch die »Fundamente eines wissenschafftlichen Erkennens«, nämlich die bewuût vollzogene intellektuelle Anschauung, erreicht. Objektiviert sich die philosophische Reflexion selbst, d. h., macht sie sich zum Gegenstand bewuûten Vollziehens, dann wird sie selbst zur intellektuellen Anschauung.77 Mit der Erkenntnis dieser »spekulativen Bedeutung« des Schlusses wird der eigentliche, metaphysische Grund erreicht, der allem bloû verständigen Schlieûen, Urteilen und Begreifen vorausliegt. Somit wird »die Aufhebung der im vorhergehenden [gemeint ist der erste und zweite Teil der Logik; d. V.] vorgetragenen Verstandesformen und Gesetze der Endlichkeit«78 erreicht. Die Logik als einleitende Wissenschaft in die Metaphysik ist damit abgeschlossen. »Von diesem dritten Theile der Logik, nemlich der negativen, oder vernichtenden Seite der Vernunft wird der Übergang zur eigentlichen Philosophie oder zur Metaphysik gemacht werden; wir haben hier vor allen Dingen 76 77 78
GW, Bd. 4, 16. Vgl. GW, Bd. 4, 77. GW, Bd. 5, 274.
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uns das Princip aller Philosophie vollständig zu konstruiren und nach seinen verschiedenen [Momenten] deutlich zu machen«.79 Das Prinzip aller Philosophie ist nach dem frühen Jenaer Hegel die mit der intellektuellen Anschauung verknüpfte philosophische Reflexion, welche die positive Seite des Absoluten schaut und diese für das Bewuûtsein konstruiert. Dieses Prinzip wird in der Metaphysik konstruiert.80 Es handelt sich hierbei um die absolute Subjekt-Objekt-Identität, die inhaltlich im Rahmen einer Substanzmetaphysik expliziert wird. Die Substanz versteht Hegel nach dem Vorbild Spinozas als causa sui, die aber nicht als statisch, sondern als sich entwikkelnd begriffen wird. Die Substanz ist das absolute Sein, das in einem Werden begriffen ist.81 Diese Substanz bestimmt das Wesen aller historisch auftretenden Philosophie. Daher hat »es zu allen Zeiten nur Eine und eben dieselbe Philosophie gegeben«, somit stellt auch die Metaphysik Hegels »das älteste Alte«82 dar. Hegel will dieses »älteste Alte« gegen den Unverstand seiner Zeit schützen und restituieren. Der Ursprung des Denkens soll revitalisiert werden. Philosophiegeschichte ist nach Hegel unter dem Gesichtspunkt zu betreiben, daû in den verschiedenen historischen Konzeptionen jeweils ihr spekuGW, Bd. 5, 274; Rosenkranz, 191 f. Daû das »Prinzip aller Philosophie« in der Metaphysik und nicht in der Logik zu konstruieren ist, verdeutlicht sich in der Ankündigung zur Logik- und Metaphysik-Vorlesung vom Wintersemester 1801/02, vgl. GW, Bd. 5, 654: »Durch die Betrachtung der Vernunft, welche die in der Logik aufgestellten Formen der Endlichkeit zerstört, wird der Übergang zur Metaphysik gemacht, und in ihr die Aufgabe der Philosophie in ihrem ganzen Umfange so wie in den verschiedenen Formen theils des menschlichen Interesses überhaupt, theils der bedeutendsten Systeme, und ebenso ihre Auflösung vorgelegt werden.« Vgl. hierzu auch K. Düsing, Einleitung zu Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 12 f. Anm. 81 Vgl. zur Spinozistischen Substanzmetaphysik des frühen Jenaer Hegel: GW, Bd. 4, 24, 33 (wo Hegel das »Substantialitätsverhältniû« als »das wahre Verhältniû der Spekulation« bezeichnet; vgl. auch 68, wo Hegel ausführt, wie das Substantialitätsverhältnis in der ausgeführten Philosophie der absoluten Identität von Subjekt und Objekt zu denken ist: In der Transzendentalphilosophie ist das Subjekt die Substanz und das Objekt das Akzidens, und in der Naturphilosophie ist das Objekt die Substanz und das Subjekt ist Akzidens), 208, 433; auch GW, Bd. 6, 268; vgl. auch Hegels achte Habilitationsthese: »Materia postulati rationis, quod philosophia critica exhibet, eam ipsam philosophiam destruit, et principium est Spinozismi.« (GW, Bd. 5, 227; Rosenkranz, 159). Danach ist der substanzmetaphysische Spinozismus der Grund des Postulats der kritischen Philosophie, daû es in Gott einen einheitlichen Grund von Natur und Freiheit geben müsse. Den Spinozismus des frühen Jenaer Hegel deutet schon O. Pöggeler (Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg/München 1973, 281) an. K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 134 ff.; vgl. auch ders.: Idealistische Substanzmetaphysik. Probleme der Systementwicklung bei Schelling und Hegel in Jena. In: Hegel-Studien, Beiheft 20, 1980, 25±44) hat den spinozistischen, substanzmetaphysischen Hintergrund der Metaphysikkonzeption Hegels in der frühen Jenaer Zeit erhellt und auch den Bezug zu Schellings Konzeption in dieser Zeit hergestellt. 82 GW, Bd. 5, 274; Rosenkranz, 192. 79 80
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latives Moment zu untersuchen ist; es gilt, in der Philosophiegeschichte jeweils »der in unendlich mannichfaltigen Formen sich darstellenden ewigen und einen Vernunft«83 nachzuspüren. Daher ist festzustellen, daû Hegel in seiner frühen Jenaer Zeit noch nicht die spätere Position vertritt, daû sich die Erkenntnis des Absoluten in der Geschichte der Philosophie entwickelt und das Absolute in der geschichtlichen Entwicklung immer deutlicher erkannt wird. Nach dem frühen Jenaer Hegel ist bereits im »ältesten Alten« die eine und selbe Philosophie ausgesprochen wie in den späteren philosophischen Konzeptionen. Welche Philosophen mit dem »ältesten Alten« genau gemeint sind, hat Hegel nicht ausgeführt. Vermuten läût sich jedoch, daû es sich um die Vorsokratiker Parmenides und Heraklit handelt. Die Substanz, wie Hegel sie konzipiert, als in sich werdendes Sein, entspräche genau einer Verknüpfung dieser beiden Denker. IV. » ... ± noch einige dialektische Bemerkungen.«84 Der Bezug von Verstandessynthesis, Widerspruch und negativer Dialektik Der zitierte Satz stammt aus der von Troxler angefertigten Nachschrift von Hegels Jenaer Vorlesung über Logik und Metaphysik aus dem Wintersemester 1801/02. Leider hat Troxler die »dialektischen Bemerkungen«, die Hegel offensichtlich an die Aufstellung der Kategorien im ersten Teil der Logik anschloû, nicht notiert, denn nach dem wiedergegebenen Satz folgt lediglich eine Rekapitulation der zuvor aufgestellten Reflexionswissenschaft. Zu vermuten ist, daû die »dialektischen Bemerkungen« für Troxler zu komplex waren und daû er sie deshalb nicht notiert hat. Daher ist es notwendig, zu rekonstruieren, was »Dialektik« hier zu bedeuten hat und wie sie die Reflexionsbestimmungen methodisch umwandelt. »Die Logik zerfällt in zwei Teile, die analytische und synthetische ± wozu nun auch noch der dritte oder dialektische kömmt.«85 Dies ist eine methodische Dreiteilung der Logik, die nicht einfach mit der inhaltlichen Dreiteilung zu parallelisieren ist. Der erste inhaltliche Teil, die Aufstellung der KaGW, Bd. 4, 31. Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 70. 85 Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 63. Diese beiden Stellen, a. a. O., 63 und 70, sind die beiden ersten, in denen das Wort Dialektik bei Hegel in terminologischer Bedeutung vorkommt, zusammen mit den beiden Stellen im Naturrechtsaufsatz von 1802, GW, Bd. 4, 446, und im System der Sittlichkeit, GW, Bd. 5, 310. Kimmerle datiert in: Die Chronologie der Manuskripte Hegels (in: GW, Bd. 8, Jenaer Systementwürfe III, Hrsg. R.-P. Horstmann, Hamburg 1976, 354), das System der Sittlichkeit auf Herbst bis Winter 1802/03. 83 84
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tegorien der Endlichkeit, ist nicht nur analytisch, sondern auch synthetisch. Der zweite inhaltliche Teil, die Aufstellung der formalen Logik in Begriff, Urteil und Schluû, ist nicht nur synthetisch, sondern auch analytisch. Der dritte inhaltliche Teil, die Aufhebung der Endlichkeit durch die negative Vernunft, ist nicht nur dialektisch, denn er setzt das analytisch-synthetische Gefüge des Verstandes voraus, das er zerstören soll. Darüber hinaus macht Hegel nach der Nachschrift von Troxler die dialektischen Bemerkungen gerade im ersten Teil der Logik, also dort, wo die Kategorien der Endlichkeit aufgestellt werden. Die Einführung dialektischer Betrachtungen in den ersten Teil der Logik hat zusätzlich noch den Vorteil, von vornherein das Miûverständnis zu vermeiden, die Kategorien der Endlichkeit hätten Bestand und würden sich nicht aufheben. Auch aus diesem Grund hat Hegel wohl hier schon die dialektische Aufhebung der Bestimmungen der Endlichkeit expliziert. Zu vermuten ist daher vielmehr, daû die drei methodischen Schritte in allen drei inhaltlichen Teilen der Logik vorkamen.86 Dies hat allerdings zur Folge, daû schon im ersten Teil der Logik ein Aspekt thematisiert wird, der eigentlich in den dritten Teil der Logik, nämlich in die Aufhebung der Formen der Endlichkeit gehört. Die methodische Dreiteilung der Logik, die Hegel in der Vorlesung angibt, überlagert so die inhaltliche Dreiteilung und hebt sie in ihrer klaren Architektonik auf. Aus Hegels Formulierung, »wozu nun auch noch der dritte oder dialektische kömmt«, läût sich aber bereits ersehen, daû er wohl die Einführung einer dialektischen Methode in die Verstandeslogik als eine originäre Neuerung ansah, die vor ihm in dieser Form noch niemand vollzogen hat. Im folgenden soll versucht werden, zu rekonstruieren, worin diese »dialektischen Bemerkungen« bestanden haben. Dies ist angesichts der dürftigen Überlieferungen zu diesem Thema aus der frühen Jenaer Zeit Hegels schwierig und kann an einigen Stellen nur im Rahmen einer gröûtmöglichen Wahrscheinlichkeit geklärt werden. Zu diesem Rekonstruktionsversuch müssen auch noch andere Texte Hegels aus der frühen Jenaer Zeit herangezogen werden. Die Reflexion als Bestimmung der Endlichkeit scheitert. Ein Grundprinzip der Reflexion ist die Vermeidung des Widerspruchs. Aber in genau diesen gerät sie, indem sie versucht, die einseitigen Bestimmungen, die sie antithetisch aufstellt, zu synthetisieren.87 Die Synthesis, welche die Reflexion aufstellt, ist aber noch nicht selbst der Widerspruch, sondern deutet nur auf diesen hin. Diese Hindeutung der Verstandessynthesis auf den Widerspruch Damit schlieûe ich mich der Deutung von K. Düsing (Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 159) an. Düsing wendet sich ebenfalls (a. a. O., 158 f.) gegen eine Parallelisierung von inhaltlicher und methodischer Dreiteilung in der frühen Jenaer Logik Hegels. 87 Vgl. Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 70. 86
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besteht darin, daû in der Synthesis verschiedene Bestimmungen aufeinander bezogen werden. Diese Bezogenheit von verschiedenen Bestimmungen aufeinander stellt aber eigentlich ein Hinausgehen über das Prinzip des endlichen Verstandes dar, nämlich über die einseitige Identität. Eigentlich gilt nach der Verstandesidentität bezüglich endlich einander Entgegengesetzter, »daû das eine nicht ist, insofern das andere ist«.88 Darüber geht aber bereits die endliche Synthesis der Reflexion hinaus, auch hier wird zwar immer noch eine endliche Bestimmung aufgestellt, diese ist aber bereits in sich komplexer als eine einfache Tautologie. Im Widerspruch sind dagegen immanent zwei entgegengesetzte Bestimmungen zu einer vereinigt. Diese Vereinigung Entgegengesetzter zeichnet sich in der Verstandessynthesis vor. Diese Vorzeichnung des Widerspruchs führt Hegel selbst nicht im einzelnen aus, sie läût sich aber mit einiger Wahrscheinlichkeit aus den Andeutungen Hegels erschlieûen: Bei den Qualitätskategorien zeigt sich dies, indem die Reflexion entgegengesetzte Bestimmungen wie Realität und Negation aufeinander bezieht, um die Grenze, in Kants Terminologie: die Limitation zu setzen. Die Grenze ist eine ausschlieûende Bestimmtheit, d. h. eine Bestimmtheit, die ihre Identität über das bestimmt, was sie nicht ist. Die Identität soll aber lediglich Gleichheit mit sich selbst sein. Die Identität der Grenze ± in der eben Realität und Negation aufeinander bezogen werden ± ist aber nicht mehr einfache Gleichheit mit sich, sondern eine Gleichheit mit sich, die mit sich gleich ist, weil sie anderem gegenüber ungleich ist. Die Kategorie der Grenze ist eine relative Vereinigung Ungleichartiger, die zwar noch keinen Widerspruch bildet, aber bereits über die einfache Identität hinausgeht, die bloû tautologisch mit sich selbst gleich ist. Die Reflexion geht also schon in der Aufstellung der Kategorien im ersten Teil der Logik über eine einfache, tautologische Identität mit sich hinaus. Die Reflexion ist nicht mehr nur trennend, sondern auch beziehend. ± Ebenso verhält es sich mit den Quantitätskategorien: In der Allheit sind Einheit und Vielheit synthetisiert. Einheit soll aber numerisch einfache Einheit mit sich sein, also numerische Identität. Vielheit soll der numerisch einfachen Einheit entgegengesetzt, mit dieser nicht identisch sein. Dennoch sind beide in der Allheit, in der die Vielheit als Einheit gedacht ist, verknüpft. Über die einfache, einseitige Identität muû die Reflexion auch bei der Synthesis der Relationskategorien hinausgehen: In der Wechselwirkung sind Substantialität und Kausalität verknüpft. Einerseits verliert die Kausalität in der Wechselwirkung die asymmetrische Relation von Ursache und Wirkung, denn was Ursache ist, soll zugleich Wirkung sein, und umgekehrt, was Wirkung ist, soll Ursache sein. Andererseits wird in der Wechselwirkung die Reihe von Ursache und Wirkung noch mit der Substantialität synthetisiert, d. h., sie wird 88
GW, Bd. 4, 64.
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als beharrlich und unwandelbar gesetzt. Diese substantielle Unwandelbarkeit des ursache-wirkungsmäûig Wandelbaren ist eine in sich komplexe Identität Verschiedenartiger.89 Auf diese Weise bildet die Synthesis des Verstandes schon komplexe Identitäten Verschiedenartiger aus. Sie geht über die einseitige und trennende Identität hinaus und deutet auf den Widerspruch voraus, in dem die Verschiedenartigen als einander entgegengesetzte absolut vereinigt sind. Der Unterschied zwischen der Identität Verschiedenartiger in der Verstandessynthesis und im Widerspruch besteht darin, daû die Entgegengesetzten in der Verstandessynthesis nur relativ vereinigt sind, d. h., es bestehen noch Hinsichtenunterscheidungen. Die Hinsichtenunterscheidungen, die der Verstand trifft, sind z. B. bei der Kategorie der Grenze, daû der begrenzt bestimmten Realität die Realität nicht in derselben Hinsicht zukommt, wie ihr die Negation zukommt; die Negation kommt dem Begrenzten in Hinsicht auf ein anderes zu, das es selbst nicht ist; die Realität kommt ihm dagegen in Hinsicht auf es selbst zu. Im Widerspruch sind dagegen die Hinsichtenunterscheidungen aufgehoben. Die Entgegengesetzten sind absolut vereinigt, d. h., sie sind eines. Diese vollständige, absolute Einheit Entgegengesetzter ist aber nur in der spekulativen Metaphysik positiv zu thematisieren, noch nicht in der Logik, die allererst in die Metaphysik einleiten soll. »Die Reflexion setzt mit jedem Bestimmten zwei Entgegengesetzte und sucht sie dann wieder zu synthesieren. Dadurch drückt sie das Streben der Vernunft aus, nur verwickelt sie sich dadurch, daû sie die Nichtigkeit ihrer Gegensätze und Synthesen nicht anerkennt, in Widersprüche.«90 Die endlichen Antithesen und Synthesen selbst sind es also, die die Reflexion in Antinomien führen. Von der Seite des Verstandes aus gesehen, ist die Antinomie der aufgestellte Widerspruch endlicher Bestimmungen. Die Antinomie ist die Vernichtung des reflektierenden Verstandes, der sich darin aufhebt. Es war daher wohl die Aufgabe der Dialektik, die Hegel im Rahmen des ersten Teils seiner frühen Logikkonzeption vornehmen wollte, die Hinsichtenunterscheidungen, die der Verstand bei der Aufstellung seiner Antithesen und Synthesen trifft, als bloûen Schein zu entlarven und die Hinsichtenunterscheidungen zu destruieren. Die Hinsichtenunterscheidungen, die der reflektierende Verstand vornimmt, sind die Unterscheidungen zwischen der entgegensetzenden Antithesis und der bloû relativ beziehenden Synthesis. Die endliche Reflexion »muû, was in der absoluten Identität Eins ist, trenVgl. Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 69 f.; hier wird deutlich, daû Hegel darin Kant folgt, daû die jeweils dritte Kategorie einer Kategorienklasse aus der Synthesis der jeweils ersten beiden Kategorien dieser Klasse resultiert. Vgl. hierzu Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 110 f. 90 Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 70; ähnlich äuûert sich Hegel in GW, Bd. 4, 24, 29. 89
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nen und die Synthese und die Antithese getrennt, in Zwei Sätzen, in einem die Identität, im andern die Entzweyung, ausdrükken«.91 Diese Trennung von Antithese und Synthese als bloû scheinbar zu destruieren, war wohl die Aufgabe der »dialektischen Bemerkungen« Hegels im ersten Teil der Logik. Die Dialektik hat nur eine vernichtende Funktion, denn ihre Destruktion der Hinsichtenunterscheidung führt noch nicht zur Aufstellung der spekulativen Einheiten, die dem Widerspruch zugrundeliegen, sondern lediglich zur Zerstörung des antithetisch-synthetischen Bestimmungsgeflechts des Verstandes. In der Logik zeigt sich auf diese Weise nur die negative, den Verstand und die Endlichkeit zerstörende Wirkung des Widerspruchs. Aus der Bestimmung der Dialektik als rein negativ bleibender methodischer Zerstörung der Endlichkeit läût sich folgern, daû Hegel zu dieser Zeit noch nicht den Begriff der bestimmten Negation kannte, die selbst schon ein positives Resultat ist. Die Dialektik selbst stellt noch nicht ein neues, positives Resultat auf; dies leisten nach Hegel erst die philosophische Reflexion und die intellektuelle Anschauung in der Metaphysik. Das Resultat der Dialektik darf ohnehin in einer einleitenden Logik nur negativ, noch nicht positiv sein. Wäre das Resultat der Dialektik in der Logik positiv, d. h., würde die Dialektik eine spekulative Einheit Entgegengesetzter als positives Resultat haben, wäre die Logik selbst schon spekulative Wissenschaft. In der Metaphysik, wo entgegengesetzte Bestimmungen positiv und absolut vereinigt sind, hätte Hegel zeigen müssen, daû z. B. die Realität selbst Negation ist; damit wäre eine positiv spekulative Einheit Entgegengesetzter dargestellt; aber durch die Dialektik im Rahmen einer in die Metaphysik einleitenden Logik kann Hegel lediglich explizieren, daû z. B. in der Kategorie der Grenze ein Widerspruch vorliegt, der sowohl die Kategorie der Realität als auch die Kategorie der Negation unmöglich macht und damit auch die Kategorie der Grenze aufhebt. Die Dialektik ist daher für den frühen Jenaer Hegel noch keine spekulative Methode, sondern, gemäû der Einleitungsfunktion der Logik, zur Spekulation hinführend.92 ± Wie der frühe Jenaer Hegel den Widerspruch selbst als Aufstellung des antithetischsynthetischen Bestimmungsgeflechts in den Hinsichtenunterscheidungen des Verstandes konzipiert, wird noch durch die Darstellung von Hegels Antinomienlehre zu untersuchen sein. ± Diesen lediglich negativen Sinn der Dialektik belegen auch die beiden anderen Erwähnungen aus der frühen Jenaer Zeit Hegels: einerseits im Naturrechtsaufsatz von 1802 und andererseits im System der Sittlichkeit von GW, Bd. 4, 24. Es ist daher nicht richtig, wenn G. Varnier (Naturphilosophie, Identitätsphilosophie, vernichtende Logik. Natur und Geist beim Jenaer Hegel. In: Hegels Jenaer Naturphilosophie. Hrsg. K. Vieweg, München 1998, 57±70) in bezug auf den frühen Jenaer Hegel sagt: »Die noch-nicht-positive Dialektik ist also schon spekulativ« (a. a. O.; 64). 91 92
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1802/03. Nach dem Naturrechtsaufsatz hat die Dialektik zu zeigen, »daû das Verhältniû überhaupt nichts an sich ist«.93 Verhältnis bedeutet hierbei nach Hegel die bloû »relative Identität der entgegengesetzten«.94 Verhältnisbestimmungen in diesem Sinn sind also relationale Bestimmungen mit bloû relativer, d. h. partieller Identität. Die Dialektik hat daher nach der Andeutung im Naturrechtsaufsatz zu zeigen, daû relationale, bloû partiell identische Bestimmungen nichts an sich vernünftig Bestehendes sind und sich aufheben. Also auch hier hat die Dialektik Bestimmungen, die einander entgegengesetzt sind, lediglich zu destruieren und zu zeigen, daû sie kein wahrhaftes Bestehen haben. Als dialektisch bezeichnet Hegel im System der Sittlichkeit das »Vernichtetseyn des Gegensatzes«, das »rein negativ« ist und in dem »Aufheben der Bestimmtheit« besteht.95 Auch hier deutet Hegel an, daû GW, Bd. 4, 446. Die beiden Stellen im Naturrechtsaufsatz und im System der Sittlichkeit, wo Hegel die Dialektik erwähnt, interpretiert bereits K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 102 ff.) treffend. Auf diese beiden Stellen zur Dialektik geht auch M. Baum (Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. Bonn 1989, 225±235) differenziert ein. 94 GW, Bd. 4, 433. Ab 432 f. gibt Hegel eine Systemskizze: Im Absoluten sind Indifferenz und Verhältnis vereinigt. Die Indifferenz ist die reine, vollständige Identität, das Verhältnis, vollständig aufgestellt, enthält die Momente Einheit und Vielheit, wobei unterschiedlich jeweils Einheit oder Vielheit prävalieren können. Prävaliert im Verhältnis die Einheit gegenüber der Vielheit, auf die die Einheit dennoch bezogen ist, ergibt sich die »sittliche Natur« (a. a. O.); prävaliert die Vielheit gegenüber der Einheit, auf die sie aber bezogen bleibt, ergibt sich die »physische Natur« (a. a. O.). Diese Verhältnisbestimmungen sind also nicht dieselben wie die Verhältnisbestimmungen, die die Dialektik destruiert. Bei den Verhältnisbestimmungen, die dem Absoluten immanent sind, handelt es sich um Bestimmungen der philosophischen, nicht der endlichen Reflexion; nur auf die endlichen Reflexionsbestimmungen bezieht sich die Destruktion der Dialektik, nicht auf die Bestimmungen der philosophischen Reflexion, denn diese werden in der Metaphysik nicht destruiert, sondern sie konstruieren im Gegenteil das Absolute im Bewuûtsein, wie z. B. nach der Systemskizze im Naturrechtsaufsatz die Bestimmungen Einheit und Vielheit als Verhältnisbestimmungen, die mit der Indifferenz vereinigt sind, das Absolute bestimmen. Nach dem System der Sittlichkeit ist das endliche Verhältnis »eine unvollkommene Vereinigung« (GW, Bd. 5, 280). Zur Systemskizze im Naturrechtsaufsatz vgl. auch R.-P. Horstmann: Jenaer Systemkonzeptionen. In: Hegel. Hrsg. O. Pöggeler, Freiburg/München 1977, 43±58, bes. 48 f. Horstmann ist der Ansicht, daû Hegel damit seine Systemkonzeption gegenüber den Ansätzen aus der Differenzschrift (GW, Bd. 4, 67 ff.) »weitgehend modifiziert« (Horstmann, a. a. O., 48) habe. Es ist jedoch problematisch, ob diese ¾nderung tatsächlich grundlegender Natur ist. Das Ziel des Systems bleibt dasselbe, es ist die absolute Substanz, die die beiden Attribute Natur und Intelligenz hat. Die Momente, in denen sich die absolute Substanz entfaltet, werden in der Differenzschrift einerseits in der Subjekt-Objekt-Relation beschrieben, Hegel bezeichnet sie aber andererseits auch als Identität und Nichtidentität (a. a. O., 64), was der Einheit-Vielheit-Konstruktion aus dem Naturrechtsaufsatz schon nahe kommt, wenn die Identität als Form der Einheit und die Nichtidentität als Form der Vielheit gesehen wird. Es liegt also sicherlich noch keine grundlegende ¾nderung der Konzeption zwischen der Differenzschrift und dem Naturrechtsaufsatz vor. 95 GW, Bd. 5, 310. 93
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die Dialektik rein negativ bleibt und lediglich die Vernichtung des Gegensatzes expliziert, nicht dagegen die absolute Einheit, die der Entgegensetzung von Bestimmungen zugrundeliegt. Die Verhältnisbestimmungen aus dem Naturrechtsaufsatz und die Gegensatzbestimmungen aus dem System der Sittlichkeit sind dabei als kategoriale Bestimmungen zu verstehen, deren eigentlicher Deduktionsort die Logik ist; im System der Sittlichkeit werden diese kategorialen Bestimmungen vorausgesetzt und zeigen sich, bezogen auf Probleme der Sittlichkeit, in einer konkreten Anwendung. Sowohl im Naturrechtsaufsatz als auch im System der Sittlichkeit handelt es sich jeweils um eine »Bestimmtheit«, die in einer »relativen Identität Entgegengesetzter« besteht. Dies bezeichnet genau die Charakteristik der Kategorien und Bestimmungen in der Logik. Wenn also hier der Titel Dialektik im Rahmen von zwei Schriften fällt, die sich mit der praktischen Philosophie beschäftigen, heiût dies nicht, daû der Ursprungsort der Dialektik die praktische Philosophie Hegels sei, sondern auch an diesen beiden Stellen zeigt sich der Bezug der dialektischen Methode zur Logik.96 Die endliche Reflexion erlangt nur durch die Vernunft »ein Bestehen«.97 Die synthetische Einheit der endlichen Reflexion ist nur »Reflex des Absoluten«.98 Reflex meint hier, daû die endliche Einheit der Reflexion Abbild oder Kopie der unendlichen Einheit der Vernunft ist. Im Bereich der Endlichkeit wird also durch das Aufstellen von relativen Einheiten das »Streben der Vernunft«99 ausgedrückt und nachgeahmt. Diese Nachahmung besteht in der relativen Synthesis des Verstandes, die als komplexe Identität Verschiedenartiger mit Hinsichtenunterscheidungen auf den Widerspruch vorausdeutet. Die Nachahmung der Vernunft durch den Verstand ist dadurch bedingt, daû es eigentlich nur das Absolute und die absolute Vernunfteinheit gibt und somit alles nach ihrem Maû geschaffen ist. Daher gilt: »diese Leitung zur Totalität der Nothwendigkeit ist der Antheil und die geheime WirksamDies zeigt, daû in Hegels früher Jenaer Zeit der Ort der Dialektik die Logik ist. M. Gessmann (Skepsis und Dialektik. Hegel und der platonische Parmenides. In: Skeptizismus und spekulatives Denken in der Philosophie Hegels. Hrsg. H.F. Fulda u. R.-P. Horstmann, Stuttgart 1996, 50±63) kommt zu der anderslautenden These, daû Dialektik und Skeptizismus beim frühen Jenaer Hegel »logische Mittel für die Lösung eines im Ursprung praktischen Problems« (a. a. O., 63) sind, was er an Hegels Andeutungen zur Dialektik im System der Sittlichkeit und im Naturrechtsaufsatz festmacht. Diese beiden Andeutungen Hegels sind jedoch besonders vor dem Hintergrund der Logik zu sehen. Ausführlich stellt Gessmann seine These unter Berücksichtigung auch der theologischen Jugendschriften Hegels dar in: Logik und Leben. Zur praktischen Grundlegung der Hegelschen Dialektik. Tübingen 1991. 97 GW, Bd. 4, 17. 98 GW, Bd. 5, 273; Rosenkranz, 191. 99 Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 70. 96
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keit der Vernunft«.100 Es ist also die Vernunft, die den Verstand zur »Vervollständigung« und zum Synthetisieren von Antithesen treibt. Diese »geheime Wirksamkeit der Vernunft« ist im ersten Teil der Logik für die endliche Reflexion nur latent vorhanden, sie kann nicht thematisch erkannt werden, weil die Kategorien hier als »durch den Verstand des Vernünftigen beraubt, nur in ihrer Endlichkeit«101 darzustellen sind. Der Verstand, der die Kategorien der Endlichkeit aufstellt, gründet ± wie oben aufgewiesen ± in der spekulativen Einheit der produktiven Einbildungskraft, die als solche wiederum in der spekulativen Vernunft gründet. »Daû nun diese Reflexionsformen als Teile, als Unvollständige erscheinen, beruht darauf, daû das Ganze in sie zerrissen worden, es wird also vorausgesetzt.«102 Diese Voraussetzung des Absoluten für die Verstandesreflexion gilt natürlich auch schon im ersten Teil der Logik, denn es soll ja gelten, daû die endlichen Verstandesbestimmungen »aus der Vernunft hervortreten«, um sie systematisch als »Reflex des Absoluten« abzuleiten. Der Verstand gründet also in doppelter Hinsicht in der Vernunft: 1. geht er aus ihr hervor, 2. sind seine Vollzüge auf eine »geheime Wirksamkeit der Vernunft« zurückzuführen. Diese doppelte Begründung des Verstandes in der metaphysischen Vernunft ist aber nur für den Philosophen einsichtig, der schon Einblick in die spekulative Metaphysik hat und noch nicht für den endlich reflektierenden Verstand. Wie noch genauer zu untersuchen sein wird, versucht Hegel wohl, mit seiner Logikkonzeption von 1804/05 dieses Problem systematisch zu lösen, indem er unterscheidet zwischen »unserer« dialektischen Reflexion, die nur der Philosoph als eine methodische Destruktion einseitiger Bestimmungen vollzieht, und den Bestimmungen, bzw. Kategorien der Logik selbst, in denen die Dialektik nur latent, nicht ausdrücklich angelegt ist. Worin die Dialektik im zweiten und im dritten Teil der Logik bestanden hat, ist nicht zu eruieren, da von Hegel zu dieser Thematik aus der frühen Jenaer Zeit keine ¾uûerungen überliefert sind. Vermutlich war aber auch hier die Dialektik nur negativ zerstörend, was sich besonders auf den dritten Teil der Logik beziehen läût, der ohnehin die negativ-vernünftige Aufhebung der Endlichkeit projektierte und daher wohl von dialektischen Überlegungen dominiert war. Hegel schlieût den Logikteil seiner Vorlesung von 1801/02 mit der Bemerkung: »Ende der Transzendentallogik«.103 An diesem Titel wird einerseits deutlich, daû Hegel sich in der Aufstellung seiner Logik an Kant ori100 101 102 103
GW, Bd. 4, 17. GW, Bd. 5, 272; Rosenkranz, 190. Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 70 f. Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 77.
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entiert, andererseits wird angesichts der dargestellten Gehalte deutlich, daû Hegels Verständnis von Transzendentallogik kaum noch etwas mit demjenigen Kants gemeinsam hat. Denn die Transzendentallogik Hegels stellt nicht die apriorischen Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis restringiert auf sinnliche Anschauungen dar, sondern geht weit darüber hinaus. V. Antinomische Destruktion der Endlichkeit und spekulative Konstruktion des Absoluten 1. Philosophische Reflexion und intellektuelle Anschauung Die Dialektik hat für den frühen Jenaer Hegel lediglich die Vernichtung des Verstandes und seiner Bestimmungen zum Resultat. Diese Vernichtung erscheint als ein Nichts, das »der höchste formelle Ausdruk des Wissens und der Wahrheit«104 ist. Das Resultat der Reflexion, zu dem die Dialektik führt, ist also ein wissendes Nichtwissen¬.105 Im wissenden Nichtwissen¬ als Selbstaufhebung der Reflexion liegt der Übergang vom Verstand zur spekulativen Vernunft. Ziel dieses Übergangs ist die Metaphysik. Da der Widerspruch »formeller Ausdruck« des Nichts und der Nichtigkeit des Verstandes ist, fällt er noch in die Reflexion; aber in eine Reflexion, die von der endlichen, einseitigen Reflexion zu unterscheiden ist. Die endliche Reflexion hält an ihren einseitigen Bestimmungen fest, gelangt also gar nicht zur Erkenntnis ihrer Nichtigkeit; sogar ihre Synthesen sind, wenn auch auf komplexerem Niveau, immer noch abstrakt einseitig, denn auch hier gelten noch Hinsichtenunterscheidungen. Daher gilt auch noch bei den endlichen Synthesen der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch. In den endlichen Reflexionssynthesen sind die dialektischen Destruktionen der Hinsichtenunterscheidungen noch nicht vollzogen. Die Reflexion dagegen, welche die Nichtigkeit der Hinsichtenunterscheidungen erkennt, geht über die endliche Reflexion hinaus und wird dadurch zum »Instrument des Philosophierens«.106 Wir haben daher zwischen der endlichen Reflexion und der philosophischen Reflexion zu unterscheiden. Dies ist eine Unterscheidung, die Hegel
GW, Bd. 4, 26. Eine ähnliche Problematik steht im Hintergrund, wenn Hegel schon im Systemfragment von 1800 sagt: »[...], dasjenige zum Beispiel, was Verbindung der Synthesis und der Antithesis genannt wurde, sei nicht ein Gesetztes, Verständiges, Reflektiertes, sondern sein für die Reflexion einziger Charakter sei, daû es ein Sein auûer der Reflexion ist.« Nohl, 348. 106 GW, Bd. 4, 16. 104 105
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selbst allerdings nicht eindeutig vornimmt, die aber notwendig ist, weil sich sonst endliche und philosophische Reflexion vermischen und damit der Unterschied zwischen Reflexion und Spekulation nivelliert wird, denn die philosophische Reflexion ist Spekulation. Endliche und philosophische Reflexion bilden keine Vermögen im Sinne Kants, sondern verschiedene Erkenntnisweisen. Die philosophische Reflexion ist Vernunft und dient der Konstruktion des Absoluten im Bewuûtsein; das Absolute darf nicht ein dem Bewuûtsein Transzendentes bleiben, dadurch wäre das Bewuûtsein unbefriedigt. Offensichtlich ist die philosophische Reflexion gemeint, wenn Hegel sagt: Die »Reflexion hat als Vernunft Beziehung auf das Absolute, und sie ist nur Vernunft durch diese Beziehung; die Reflexion vernichtet insofern sich selbst und alles Seyn und Beschränkte, indem sie es aufs Absolute bezieht; zugleich aber eben durch seine Beziehung auf das Absolute hat das Beschränkte ein Bestehen«.107 Die philosophische Reflexion ist aber nicht einfach identisch mit der Dialektik. Sofern die philosophische Reflexion der positiven Konstruktion des Absoluten im Bewuûtsein dient, kann sie nicht Teil der in die Metaphysik einleitenden Logik sein, sondern gehört zur Metaphysik. Sofern die philosophische Reflexion sich selbst objektiviert und erkennt, wandelt sie sich zur transzendentalen, intellektuellen Anschauung.108 Diese intellektuelle Anschauung ist zu unterscheiden von der intellektuellen Anschauung die Hegel in der Introductio-Vorlesung von 1801/02 an den Anfang der philosophischen Wissenschaft stellt.109 Jene intellektuelle Anschauung, die eine Ahnung des Absoluten ermöglicht und keine vollständige Erkenntnis, ist noch keine Spekulation im eigentlichen Sinn. Die reine intellektuelle Anschauung ist weder Subjekt noch Objekt, da sie beides gleichursprünglich ist, sie ist »absolute, weder subjektive noch objektive Identität«. In ihr liegt keine Entgegensetzung von Selbstbewuûtsein und Objekt vor. Da aber die intellektuelle Anschauung nicht unbewuût bleiben darf, sonst wäre sie nur eine unbeweisbare, schwärmerische Voraussetzung, muû sie in der für das Bewuûtsein konstitutiven Relation von Objekt und Subjekt dargestellt werden. Hier liegt die Funktion der philosophischen Reflexion, sie stellt das Absolute, die intellektuelle Anschauung für das Bewuûtsein dar. Um die reine intellektuelle Anschauung für das Bewuûtsein darzustellen, muû diese aber depotenziert werden, d. h. die intellektuelle Anschauung muû so dargestellt werden, daû das Bewuûtsein in der intellektuellen Anschauung etwas Sinnvolles erkennen kann. Das endliche Bewuûtsein, die endliche Reflexion bringt Subjekt und Objekt als Entgegengesetzte hervor. Daher muû die in107 108 109
GW, Bd. 4, 16 f. Vgl. GW, Bd. 4, 77. Vgl. GW, Bd. 5, 264.
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tellektuelle Anschauung, wenn sie für das Bewuûtsein konstruiert werden soll, in der Relation von Subjekt und Objekt dargestellt werden. Die philosophische Reflexion nimmt die Depotenzierung der reinen intellektuellen Anschauung vor. Diese Depotenzierung besteht aber nicht darin, daû Subjekt und Objekt einfach voneinander getrennt werden, sondern trotz des Unterschiedes von Subjekt und Objekt wird von der philosophischen Reflexion der innere Bezug beider aufeinander dargestellt. Denn würde nur die Trennung von Subjekt und Objekt von der philosophischen Reflexion dargestellt, dann wäre bereits die nächste Depotenzierung vollzogen, dann befände man sich auf der Ebene der endlichen Reflexion. »Als Gegenstand der Reflexion wird sie [die reine intellektuelle Anschauung; d. V.] Subjekt und Objekt; diese Produkte der reinen Reflexion setzt die philosophische Reflexion, in ihrer bleibenden Entgegensetzung, ins Absolute; die Entgegensetzung der spekulativen Reflexion ist nicht mehr ein Objekt und ein Subjekt, sondern eine subjektive transcendentale Anschauung, und eine objektive transcendentale Anschauung, jene Ich, diese Natur, beydes die höchsten Erscheinungen der absoluten sich selbst anschauenden Vernunft.«110 Die philosophische Reflexion setzt also Subjekt und Objekt in das Absolute ohne ihren Unterschied zu nivellieren. Diese Absolut-Setzung vollzieht sich dadurch, daû gleichursprünglich Identität und Nichtidentität von Subjekt und Objekt gesetzt werden. Es wird nämlich die Subjekt-Objekt-Identität der reinen intellektuellen Anschauung in der philosophischen Reflexion zweimal gesetzt, einmal mit einer Prävalenz des Subjekts und einmal mit einer des Objekts, woraus sich eine subjektive Subjekt-Objekt-Einheit und eine objektive Subjekt-Objekt-Einheit ergeben. In der einen wird die Transzendentalphilosophie, also die Geistesphilosophie abgehandelt, in der anderen die Naturphilosophie. In der philosophischen Reflexion wird daher die intellektuelle Anschauung selbst zum Gegenstand der Untersuchung, und zwar in ihrer zweifachen Bedeutung als subjektive und als objektive Subjekt-Objekt-Einheit. In der philosophischen Reflexion tritt die intellektuelle Anschauung oder die reine Vernunft daher in ein Selbstverhältnis, erkennt sich selbst. Deshalb ist die philosophische Reflexion Spekulation, in ihr sind intellektuelle Anschauung und Reflexion synthetisiert. Allerdings ist die Spekulation in einem gewissen Sinn bedingt, sie hat nicht die reine Subjekt-Objekt-Identität der reinen intellektuellen Anschauung zum Thema, sondern eine depotenzierte intellektuelle Anschauung, die depotenziert ist, weil in ihr Subjekt und Objekt unterschieden sind. Ohne diesen Unterschied wäre die Spekulation nicht als Wissenschaft möglich, d. h. sie wäre nicht bewuût zu vollziehen. »Die philosophische Reflexion ist bedingt, oder die transcendentale Anschauung kommt ins Bewuûtseyn 110
GW, Bd. 4, 77.
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durch freye Abstraktion von aller Mannichfaltigkeit des empirischen Bewuûtseyns, und insofern ist sie ein subjektives; macht die philosophische Reflexion sich insofern selbst zum Gegenstand, so macht sie ein bedingtes zum Princip ihrer Philosophie«.111 Die intellektuelle Anschauung ist, so wie sie die philosophische Reflexion darstellt, bedingt, denn die intellektuelle Anschauung steht nicht von vornherein fest, ist kein unmittelbar erstes, wenn sie für das Bewuûtsein konstruiert werden soll. Die intellektuelle Anschauung, die Vernunfteinheit, ist zwar das Absolute, aber in der spekulativen Konstruktion muû die intellektuelle Anschauung im Ausgang vom Bewuûtsein und dessen Trennungen deduziert und begründet werden. Diese Begründung besteht offensichtlich darin, daû »durch freie Abstraktion von aller Mannigfaltigkeit des empirischen Bewuûtseins abgesehen« wird. Diese Abstraktion hat wohl die Funktion, dem Bewuûtsein zu zeigen, daû sich alle seine Mannigfaltigkeiten nicht selbst begründen können, sondern dazu einer höheren Instanz bedürfen, die alles Mannigfaltige einheitlich in sich enthält. Die intellektuelle Anschauung in der Darstellung der philosophischen Reflexion scheint zunächst etwas Subjektives zu sein, denn sie ist das Produkt einer freien, Hegel meint wohl auch befreienden, Abstraktion. Die Freiheit besteht bei dieser Abstraktion darin, daû die Uneinheitlichkeit der Mannigfaltigkeit überwunden wird. Nach dieser Überwindung können subjektive und objektive Subjekt-Objekt-Einheit der philosophischen Reflexion konstruiert werden. Die Dialektik destruiert im Unterschied zur philosophischen Reflexion lediglich die Verstandesbestimmungen, und weil sie nur destruktive Funktion hat, kann sie auch im Rahmen einer einleitenden Logik, die noch nicht selbst Metaphysik ist, abgehandelt werden. Die Dialektik steht jedoch mit der philosophischen Reflexion in einem inneren Verhältnis: sofern die Antinomie »formeller Ausdruck der Wahrheit« ist, handelt es sich einerseits um ein Reflexionsprodukt, andererseits aber um ein Wissen, das gerade die einseitige, endliche Reflexion zerstört. Wird darüber hinaus die philosophische Reflexion mit der intellektuellen Anschauung verknüpft, vermag sie spekulative Begriffe positiv-vernünftig zu explizieren. Hegel nennt Beispiele für Bestimmungen der philosophischen Reflexion, die einseitig gesetzt werden können und in denen dann für die einseitig endliche Reflexion ein Widerspruch liegt, der die endliche Reflexion zerstört112: Paradigmatisch hierfür ist nach Hegel Spinozas Bestimmung der Substanz als immanente Ursache der Welt. Gott ist die Ursache der Welt, die Welt ist GW, Bd. 4, 77. Vgl. zum folgenden GW, Bd. 4, 208. Diese Beispiele untersucht M. Baum (Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. Bonn 1989, 177 ff.); vgl. hierzu auch J. Halfwassen (Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Bonn 1999, bes. 81 ff.). 111 112
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die Wirkung der Schöpfung Gottes. Soll nun aber Gott selbst als die Welt, als immanent in der Welt gedacht werden, entsteht für die endliche Reflexion der Widerspruch, daû die Ursache zugleich als Wirkung und die Wirkung zugleich als Ursache gedacht werden muû. Für den Verstand sind aber Ursache und Wirkung einander entgegengesetzt, »das eine ist nicht, insofern das andere ist«, daher entsteht für den Verstand ein Widerspruch, den er nicht mehr sinnvoll denken kann. Dieses innere Verhältnis von Ursache und Wirkung in Spinozas Konzeption Gottes als Substanz ist nach Hegel eine »Antinomie«,113 die einander Widersprechendes ± wie die Ursache, die für den Verstand nicht zugleich Wirkung sein kann, und die Wirkung, die für den Verstand nicht zugleich Ursache sein kann, ± vereint. In Spinozas Bestimmung der Substanz als causa sui ist nach Hegel eine weitere Bestimmung der philosophischen Reflexion impliziert, die für die endliche Reflexion in den Widerspruch führt. Hier ist im Begriff des Wesens zugleich die Existenz gedacht. Der einseitige Verstand trennt jedoch zwischen dem Wassein, d.i. dem Begriff des Wesens, und dem Daûsein, d.i. der Existenz dieses Wesens. Soll der Verstand nun das Wassein selbst als Daûsein erkennen, entsteht ihm ein Widerspruch. Die philosophische Reflexion ist als positive Explikation begrifflicher Verhältnisse des Absoluten also auch positiver Bestandteil der Spekulation. Sofern in der Logik die Bestimmungen der endlichen Reflexion in antinomischen Widersprüchen vernichtet werden, ist die philosophische Reflexion nur negativ und zerstörend wirksam. Dem Verstand selbst wird die Ursache dieser zerstörerischen Wirkung nicht klar, er sieht nur die destruierenden Auswirkungen der negativen philosophischen Reflexion. In einer Logik als systematischer Einleitung in die Metaphysik kann die philosophische Reflexion keine positiv-spekulativen Bestimmungen aufstellen. Gleichwohl kann es nicht die endliche Reflexion des bloûen Verstandes sein, die die antinomischen Widersprüche aufstellt, welche die Dialektik in der Logik thematisiert, denn hier werden begriffliche Verhältnisse in der Form von widersprüchlichen Entgegensetzungen aufgestellt, die über die Fähigkeiten des trennenden, endlichen Verstandes hinausgehen. Hegel selbst unterscheidet diese Formen der Reflexion allerdings nicht deutlich. Wir haben eigentlich drei Formen der Reflexion zu unterscheiden: 1. Die endliche Reflexion, die die Kategorien der Logik in einem endlichen, antithetisch-synthetischen Bestimmungsgeflecht aufstellt. 2. Die negative philosophische Reflexion, die das endliche Bestimmungsgeflecht der bloûen GW, Bd. 4, 24; Spinoza selbst wollte freilich nicht gegen den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch verstoûen; nach Spinoza ist das, was einen Widerspruch in sich schlieût, unmöglich; vgl. Ethik, nach geometrischer Methode dargestellt. Teil I, Anmerkung 1 zu Lehrsatz 33. Hamburg 1976, 35. 113
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Verstandesreflexion zerstört, was Aufgabe der Dialektik in der Logik ist. Diese Reflexion ist zwar an sich bereits vernünftig, weil sie in einem synthetischen Beziehen von einander Widersprechenden die Hinsichtenunterscheidungen der endlichen Reflexion zerstört. Aber im Rahmen einer in die Metaphysik allererst einleitenden Logik kann diese Form der philosophischen Reflexion nicht bereits positiv-spekulative begriffliche Verhältnisse explizieren. Hier wird nur die negative Auswirkung der Vernunft bemerkbar, nämlich die Zerstörung endlicher Bestimmungen und nicht dasjenige, was dieser Wirkung positiv als Ursache zugrundeliegt, daher handelt es sich um eine »geheime Wirksamkeit der Vernunft«.114 3. Die positive philosophische Reflexion, welche, in der Spekulation mit der intellektuellen Anschauung verknüpft, positiv spekulative begriffliche Verhältnisse expliziert, wie z. B. den Begriff Gottes als einer immanenten, nicht transzendenten Ursache der Welt, oder den Begriff der causa sui oder die »Identität von Identität und Nichtidentität« im Absoluten. Insbesondere die erste und die zweite Form der Reflexion differenziert Hegel nicht deutlich voneinander. Will man jedoch den Einleitungscharakter der Logik in die Metaphysik berücksichtigen, mit der sich daraus ergebenden Konsequenz, daû in der Logik selbst positiv metaphysische Bestimmungen nicht expliziert werden können, und will man aber auch den Unterschied zwischen der Aufstellung und der Zerstörung der endlichen Kategorien nicht nivellieren, dann muû man, Hegels Gedankengang rekonstruierend, der Aufstellung und der Zerstörung der Kategorien der Endlichkeit jeweils eine eigene Form der Reflexion zuordnen. Der Aufstellung der endlichen Kategorien die rein endliche Reflexion und der Zerstörung der Verstandeskategorien die negative philosophische Reflexion. Die Vernichtung der Endlichkeit geschieht in der Antinomie. In der Antinomie sind Antithese und Synthese nicht mehr durch Hinsichtenunterscheidungen getrennt, wie es in der endlichen Reflexion noch der Fall ist.115 Hier liegt also negativ-vernünftig erkennbare Einheit Entgegengesetzter vor. Die positive Einheit Entgegengesetzter ist dann in der spekulativen Metaphysik zu thematisieren. In der Logik trennt die endliche Reflexion zwischen Antithese und Synthese. Daher ist dem endlichen Verstand die reflexiv aufgestellte Identität bloû relativ, und erscheint ihm selbst nicht als antinomisch. Die Identität des endlichen Verstandes ist relativ, weil seine Hinsichtenunterscheidungen bloû eine partielle und keine vollständige GW, Bd. 4, 17. Vgl. GW, Bd. 4, 24, 27, 29; bereits in der Frankfurter Zeit entwickelt Hegel einen eigenständigen Antinomiebegriff (vgl. Glauben und Sein, Nohl, 382; vgl. auch Systemfragment von 1800, Nohl, 349). Zu diesen Antinomiekonzeptionen der Frankfurter Zeit Hegels vgl. K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 50 ff. 114 115
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Identität zulassen. Der Identität der negativen philosophischen Reflexion, der negativen Vernunft liegt dagegen unmittelbar die absolute Identität zugrunde. Die negative Vernunft weiû nämlich, daû Identität, und sei es bloû die relative Identität der Verstandesreflexion, letzten Endes immer auf der absoluten Identität der Vernunft beruht; daher entwickelt sich für die philosophische, vernünftige Reflexion die relative Identität der endlichen Verstandesreflexion in eine Antinomie.116 2. Antinomie und Widerspruch Die Antinomie ist »analytisch [d. h. antithetisch; d. V.] und synthetisch zugleich«.117 Sofern die Antinomie zugleich antithetisch und synthetisch ist, wird es dem Verstand nach Hegel unmöglich, die Antinomie in einem Satz auszudrücken, da der Satz als solcher der Verstandesdisjunktion unterliegt, entweder antithetisch oder synthetisch zu sein. Im Verstandessatz ist es nicht möglich, beides zugleich auszusprechen. Daher hebt sich in der Antinomie für den Verstand der einseitige Satz auf. Da im Widerspruch die Hinsichtenunterscheidungen der Entgegengesetzten aufgehoben sind, stellt der Widerspruch die Vereinigung der Entgegengesetzten dar. Der Widerspruch hebt die Trennungen der Bestimmungen auf, die der Verstand in seinen unterschiedlichen Hinsichten setzt. Der Widerspruch entsteht nach dem frühen Jenaer Hegel dadurch, daû Identität und Nichtidentität, d. h. Differenz, als immanent aufeinander bezogen erkannt werden. Der Satz der Identität A = A sagt nicht nur die Selbigkeit des A mit sich durch das Gleichheitszeichen aus, sondern enthält zugleich nach Hegel auch noch die Nichtidentität des A mit sich, denn »das eine A ist Subjekt, das andere Objekt«.118 Wie hier Subjekt und Objekt genau zu verstehen sind, führt Hegel nicht aus. Hegels Theorie des Urteils als Urteilung bildet wohl den Hintergrund für diese Bestimmung der Nichtidentität, die in der Identität enthalten ist. Im Satz A = A teilt sich das A in Subjekt und Prädikat, damit liegen nach Hegel eigentlich zwei verschiedene A vor. Das A als Satzsubjekt bildet dabei das der Aussage Zugrundeliegende, das hypokeimenon, ist insofern »Subjekt«, und das prädizierte A stellt dasjenige im Satz dar, was über das Subjekt als etwas über es Gewuûtes ausgesagt wird, und bildet somit das »Objekt«. Ohne diese Nichtidentität wäre nicht zu denVgl. GW, Bd. 4, 27. GW, Bd. 4, 24. 118 GW, Bd. 4, 25; vgl. auch 26. Auf das Problem der Antinomie, die sich nach Hegels Differenzschrift in dem inneren Bezug der beiden Sätze A = A und A = B ausdrückt, geht auch, allerdings recht unkritisch, W.Chr. Zimmerli (Die Frage nach der Philosophie. Interpretationen zu Hegels »Differenzschrift«. Bonn 1974, 129 ff.) ein. 116 117
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ken, was A ist; es muû in Bezug auf sich selbst gebracht werden, dieser Bezug des A auf sich ist aber nur möglich, wenn die Nichtidentität zwischen A als Satzsubjekt und prädiziertem A als Identität gesetzt wird. Kritisch anzumerken ist hierzu jedoch, daû im Satz A = A eigentlich bloû eine Tautologie vorliegt, in der eben keine Verschiedenheit des A mit sich behauptet wird, sondern bloû die Selbigkeit des A als Satzsubjekt und des prädizierten A. Dem Satz A = A ist nach Hegel der Satz A = B entgegengesetzt. Hier wird etwas als etwas anderes prädiziert, das A wird als in B begründet ausgesagt. A = B kann nach Hegel auch als Satz vom Grunde verstanden werden.119 Danach wird von dem A ausgesagt, daû ihm ein Sein zukommt, das nicht sein eigenes ist, sondern das des B. Der Satz A = B ist wiederum aus dem Satz A nicht= A abzuleiten. Da im Satz A = B das A als B und nicht als A ausgesagt wird, sieht Hegel darin den Satz der Nichtidentität A nicht= A impliziert. Hegel schieût also indirekt, daû, weil A B ist, der Satz zum Ausdruck bringt, daû A nicht gleich A sei. In diesem Satz der Nichtidentität wird nach Hegel von der Identität, die im Satz A = A zum Ausdruck kommt, abstrahiert. Umgekehrt wird im Satz A = A von der Nichtidentität, die im Satz A nicht= A ausgedrückt wird, abstrahiert. Die Einseitigkeit der beiden Sätze A = A und A = B, vermittelt durch A nicht= A, ist daher nach Hegel die Folge einer Abstraktion. Bei der Identität wird von der Nichtidentität und bei der Nichtidentität von der Identität abstrahiert. ± Dies ist jedoch problematisch, denn es ist nicht notwendig, daû A mit sich selbst nicht identisch ist, weil A = B ist; auch wenn A = B gilt, kann und muû A mit sich selbst identisch sein. Hinzu kommt noch die Schwierigkeit, daû Hegel nicht berücksichtigt, daû A = B ein bejahendes Urteil und A nicht= A ein verneinendes Urteil ist, daû also A nicht= A auch nicht direkt in A = B impliziert sein kann, weil dies ein bejahendes Urteil ist. ± Um überhaupt ein Satz zu sein, der eine sinnvolle Aussage zum Ausdruck bringt, ist nach Hegel im Satz des Entgegensetzens A nicht= A impliziert, Vgl. GW, Bd. 4, 25. Bereits Fichte bezeichnet den dritten Grundsatz aus der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794/95), daû das Ich im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegensetzt, als die materiale Grundlage für den formallogischen Satz des Grundes, den Fichte als »A zum Teil = -A« formuliert (vgl. GA, Abt. I, Bd. 2, 272). Nach Fichte beruht die Möglichkeit des Satzes vom Grunde also auf der antithetisch-synthetischen Limitation des Ich. Fichte differenziert allerdings noch den Unterscheidungsgrund, dieser besteht in dem Teil, worin A mit -A nicht identisch ist, und den Beziehungsgrund, dieser besteht in dem Teil, in dem A mit -A identisch ist. Mit der Unterscheidung der antithetischen Momente von den synthetischen liegt eine Hinsichtenunterscheidung bei Fichte vor, die den Widerspruch vermeidet und somit Identität und Nichtidentität als voneinander unterschieden aussagt. An diesem fundamentalen Unterschied zu Hegel zeigt sich, daû Fichtes Konzeption insbesondere des dritten Grundsatzes gerade nicht als Vorläufer für Hegels Dialektik geltend gemacht werden kann, sondern geradezu eine Gegenposition zu Hegel darstellt. 119
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daû beide Entgegengesetze auch aufeinander bezogen sind. Somit ist in der Entgegensetzung auch Beziehung impliziert. Darüber hinaus impliziert der Satz A = B, daû A gesetzt ist, denn A muû = A sein, damit überhaupt A in bezug auf B gesetzt werden kann. Damit kommt im Satz A = B einerseits das Nichtgesetztsein, die Nichtidentität des A mit sich zum Ausdruck, aber andererseits kommt auch das Gesetztsein zum Ausdruck, die Identität des A mit sich, da A = A vorausgesetzt werden muû, wenn A = B sein können soll, denn es muû etwas gesetzt sein, wenn es in bezug auf anderes gesetzt werden soll. »A als gesetztes und als Nichtgesetztes zugleich zu setzen ist schon die Synthese des ersten und zweiten Satzes.«120 Dadurch, daû in dem Satz A = B sowohl der Satz A = A indirekt enthalten ist, also die Identitätssetzung, die eigentlich die Vermeidung des Widerspruchs bedeutet, zugleich aber auch im Satz A = B indirekt der Satz A nicht= A enthalten ist, also die Setzung der Nichtidentität oder die Entgegensetzung, wird nach Hegel ausgesagt, »daû der Widerspruch eben so nothwendig ist, als der Nichtwiderspruch«.121 In diesem Widerspruch, in dem sich hier Identität und Nichtidentität befinden, liegt für den Verstand die Antinomie begründet. Diese innere Beziehung beider Sätze aufeinander ist der »höchst mögliche Ausdruk der Vernunft durch den Verstand«.122 Der Verstand hebt sich in dieser Antinomie selbst auf, denn seine einseitige Abstraktion, indem sie die Identität ohne die Nichtidentität und ebenso die Nichtidentität ohne die Identität setzt, vernichtet sich. »A = A enthält die Differenz des A als Subjekts und des A als Objekts, zugleich mit der Identität, so wie A = B die Identität des A und B, mit der Differenz beyder«.123 Identität und Nichtidentität haben ± wie wir gesehen haben ± als operative Begriffe zentrale Bedeutung für die Aufstellung der Kategorien im ersten Teil der Logik. Hier wird die destruktive Wirkung der Dialektik deutlich. Waren die Hinsichtenunterscheidungen mittels der Bestimmungen Identität und Nichtidentität für die Aufstellung der Verstandeskategorien von zentraler Bedeutung, so werden diese nun generell destruiert, indem die Hinsichtenunterscheidungen von Identität und Nichtidentität durch die philosophische Reflexion aufgehoben werden. Damit ist die immanente Beziehung von antithetischem Entgegensetzen und synthetischem Beziehen aufgewiesen. Das, was also eigentlich in den Sätzen A = A und A = B zum Ausdruck kommt, ist die Synthesis von Antithesis und Synthesis, die nicht mehr die einfache Synthesis der endlichen Reflexion sein kann, sondern eine 120 121 122 123
GW, Bd. 4, 25. GW, Bd. 4, 25. GW, Bd. 4, 26. GW, Bd. 4, 26.
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höherstufige Synthesis bedeutet, nämlich die der philosophischen Reflexion, genauer die Synthesis der negativen philosophischen Reflexion, die Identität und Nichtidentität zu einem immanenten, wechselseitigen Widerspruchsverhältnis verbindet. Diese reflexive Darstellung des Zusammenhangs von Identität und Nichtidentität ist für die endliche Reflexion ein sie selbst zerstörender Widerspruch, der zugleich »der höchste formelle Ausdruk des Wissens und der Wahrheit«124 ist. Der Verstand, der die Beziehung beider Sätze aufeinander erkennt, ist nicht mehr nur einfacher, endlicher Verstand, sondern er ist vernünftiger Verstand oder philosophische Reflexion. Die endliche Reflexion vollzieht lediglich die Selbstzerstörung im aufgestellten Widerspruch, den eigentlichen positiven Grund für die Zerstörung erkennt die endliche Reflexion dagegen nicht mehr, sondern die Erkenntnis des eigentlichen, spekulativen Grundes der Zerstörung erkennt die positive philosophische Reflexion, allerdings erst im Rahmen der Metaphysik des frühen Jenaer Hegel. Die Vernunft erkennt im antinomischen Widerspruch nicht nur das Zerstörende, sondern auch den Grund der Zerstörung, die positive Einheit der widersprüchlich Entgegengesetzten. In »dieser Antinomie erblikt die gemeine Reflexion nichts als den Widerspruch, nur die Vernunft [erkennt; d. V.] in diesem absoluten Widerspruche die Wahrheit, durch welchen beydes gesetzt und beydes vernichtet ist, weder beyde, und beyde zugleich sind«.125 Mit diesem Erreichen der philosophischen Reflexion ist zugleich die Logik abzuschlieûen: »Die logische Erkenntniû, wenn sie wirklich bis zur Vernunft fortgeht, muû auf das Resultat geführt werden, daû sie in der Vernunft sich vernichtet, sie muû als ihr oberstes Gesetz, die Antinomie erkennen.«126 Diese Bestimmungen Hegels zur Antinomie, die er hier an den Begriffen Identität und Nichtidentität entfaltet, sind für die spätere Dialektik in seinem ausgereiften System von grundlegender Bedeutung. Die späte Dialektik Hegels entfaltet nämlich die Identität einer Bestimmung dadurch, daû immanent zu der jeweils entgegengesetzten Bestimmung übergegangen werden muû. Die Entgegensetzung ist dabei nicht beliebig, sondern besteht in einem Widerspruchsverhältnis. Dies ist nach dem späteren Hegel eine immanente Bestimmungsbewegung, die sich im Spannungsverhältnis von Identität und Nichtidentität entfaltet. Hier, beim frühen Jenaer Hegel führt die widersprüchliche Entgegensetzung von Identität und Nichtidentität zunächst zur Antinomie, die, von der philosophischen Reflexion erfaût, die endliche Reflexion zerstört und so den Weg zur Spekulation freimacht, in GW, Bd. 4, 26; nach Hegel ist »für die Reflexion kein anderes Auffassen des Absoluten, als durch Antinomie möglich« (a. a. O., 46). 125 GW, Bd. 4, 77. 126 GW, Bd. 4, 82. 124
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der die philosophische Reflexion mit der intellektuellen Anschauung zu verbinden ist. Insofern deckt sich ein Teil der Antinomienlehre mit den Aufgaben der Dialektik in der frühen Logik Hegels, nämlich mit der Destruktion der Formen der Endlichkeit. Deshalb ist davon auszugehen, daû die Dialektik in der Logik antinomisch Begriffsverhältnisse der endlichen Kategorien aufstellte127 und wahrscheinlich jeweils, von deren Identität mit sich ausgehend, aufzuzeigen hatte, daû in dieser einseitigen, tautologischen Identität eine Nichtidentität impliziert ist, die die tautologische Identität mit sich aufhebt und im Widerspruch von Identität und Nichtidentität einer Kategorie mit sich diese jeweils aufhebt. Wie sich jedoch diese antinomische Aufhebung der Kategorien im einzelnen vollziehen sollte, ist nicht überliefert. VI. Hegels Auseinandersetzung mit der Antinomienlehre Kants in der frühen Jenaer Zeit Aus Hegels Kritik in Glauben und Wissen an der Antinomienlehre Kants aus der Kritik der reinen Vernunft läût sich ersehen, auf welche Weise Hegel Antinomien nicht aufgelöst wissen wollte. Wir können hier einerseits sehen, welches Auflösungsprogramm für Antinomien Hegel nicht verfolgte, und andererseits deuten sich Hegels eigene Lösungsstrategien für Antinomien in seiner Kritik an der Kantischen Lösung der Antinomien an. Hier kann es allerdings nicht das Untersuchungsziel sein, die Miûverständnisse und Unangemessenheiten der Deutung Hegels gegenüber der Antinomienlehre Kants im einzelnen aufzuweisen. Vielmehr sollen Dialektik und Antinomienlehre Kants skizzenhaft dargestellt werden, um vor diesem Hintergrund die Hegelschen Umdeutungen in ihrer Tragweite für das Denken des frühen Jenaer Hegel einschätzen zu können. Auch für den späten Hegel in der zweiten Auflage der »Lehre vom Sein« aus der Wissenschaft der Logik sind die Antinomien Kants »immer ein wichtiger Theil der kritischen Philosophie; sie sind es vornehmlich, die den Sturz der vorhergehenden Metaphysik bewirkten, und als ein Hauptübergang in die neuere Philosophie angesehen werden können«. Die in sich widersprüchliche, antinomisch-dialektische »Natur der Vernunft zeigt überhaupt jeden Begriff als Einheit entgegengesetzter Momente auf«.128 Nach dem späten Hegel ist Kant vor der Konsequenz zurückgeschreckt, in allen logischen Kategorien die antinoBereits K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 96 f., 104) geht auf die Dialektik in Hegels früher Jenaer Logik als antinomische Aufstellung von Widersprüchen ein. 128 GW, Bd. 21, 179 f. 127
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misch-dialektische Struktur aufzuweisen, wenn er auch dazu mit seiner Antinomienlehre die Richtung gewiesen hat. Somit zeigt sich in Hegels früher Jenaer Auseinandersetzung mit der Antinomienlehre Kants eines der ursprünglichen Probleme, die zur Ausbildung von Hegels eigener Dialektik beigetragen haben. Daher ist es nicht nur entwicklungsgeschichtlich, sondern auch systematisch-inhaltlich zentral das Problem in seinem Ursprungsort, nämlich in der frühen Jenaer Zeit, zu untersuchen. Nach Kant ist die Dialektik eine »Logik des Scheins«.129 Die Dialektik ist Logik, weil hier die logisch formalen Strukturen des Denkens als Organon betrachtet werden. Eine solche Logik, die sich anmaût, Organon für die Erkenntnis zu sein, beansprucht, inhaltliche und objektive Erkenntnisbestimmungen hervorzubringen. Die formale Bestimmung unserer Erkenntnisse wird zugleich als Inhalt der Erkenntnisse angesehen. Nach der Lehre Kants ist das logische Denken bloû formales Moment der Erkenntnisse. Der Schein, der in der menschlichen Vernunft liegt, beruht auf Vernunftschlüssen, die entweder zu einer rationalen Psychologie, zu einer rationalen Kosmologie oder zu einer rationalen Theologie führen. Uns soll hier nur die Dialektik der rationalen Kosmologie interessieren, weil in ihr die Antinomienlehre Kants enthalten ist.130 Die rationale Kosmologie besteht aus Weltbegriffen, die jeweils versuchen, in einer objektiven Synthesis sämtliche wirklichen Erscheinungen zu einer vollständigen Totalität zu vereinen, die die Reihe der Einzelerscheinungen übersteigt und jeweils eine Aussage über das Weltganze darstellt. Dies erfolgt aus dem Grundsatz der Vernunft, »wenn das Bedingte gegeben ist, so ist auch die ganze Summe der Bedingungen, mithin das schlechthin Unbedingte gegeben, wodurch jenes allein möglich war«.131 Diese Forderung nach einer vollständigen Totalität, die das Unbedingte zur Reihe des Bedingten darstellt, ist eine Forderung der Vernunft. Dieses Unbedingte wird nun in der dialektischen Kosmologie jeweils in Aussagen über das Weltganze ausgesprochen. Diese Aussagen sind aber, weil sie transzendent sind, durch die Erfahrung weder zu verifizieren noch zu falsifizieren. Diese Aussagen über das Weltganze fuûen auf der Lehre des dogmatischen Realismus, der die Welt und ihre Bestimmungen als Dinge an sich, nicht als bloûe ErKant, Kritik der reinen Vernunft, B 86. Grundlegend zur Dialektik bei Kant ist das differenzierte und erhellende Werk von H. Heimsoeth: Transzendentale Dialektik. Ein Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Berlin 1966±1971. 130 Wie wichtig Kant die Antinomienlehre und die Auflösung der Antinomien war, ist aus dem Brief an Chr. Garve vom 21. September 1798 (Akademieausgabe, Bd. XII, 257 f.) zu entnehmen. Kant sagt dort, daû es die Problematik der Antinomien der reinen Vernunft war, die ihn aus dem »dogmatischen Schlummer zuerst aufweckte und zur Critik der Vernunft selbst hintrieb, um das Scandal des scheinbaren Wiederspruchs der Vernunft mit sich selbst zu heben«. 131 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 436; vgl. hierzu auch a. a. O., B 525. 129
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scheinungen ansieht. Jeder Aussage über das Weltganze steht antithetisch eine entgegengesetzte gegenüber, die ebenso wie die Thesis dogmatisch ist. Die Antithesen behaupten jeweils einen dogmatischen Empirismus, der weit über das hinausgeht, was eigentlich vom Standpunkt eines neuzeitlich verstandenen Empirismus her ausgesagt werden könnte, denn er beansprucht eine wirklich gegebene Unendlichkeit des Bedingten, so z. B. wenn die Antithesis der ersten Antinomie die Unendlichkeit von Raum und Zeit behauptet. Die Aufstellung einer Antinomie vollzieht sich bei Kant durch einen apagogischen oder indirekten Beweis: Soll die These bewiesen werden, dann wird zunächst von der ihr entgegengesetzten Antithese ausgegangen, um in dieser Widersprüche aufzuzeigen. Aus diesen Widersprüchen der Antithese wird dann gefolgert, daû die These richtig sein muû. Umgekehrt ist die Vorgehensweise bei der Antithese, hier wird zunächst die These angenommen, Widersprüche werden in ihr aufgewiesen, und daher wird die Richtigkeit der Antithese gefolgert. Somit ist bei der Aufstellung der Antinomien der Beweisgang für eine jeweilige These oder Antithese apagogisch bzw. indirekt, von der Falschheit des Entgegengesetzten wird auf die Wahrheit der gegenteiligen Aussage zurückgeschlossen. These und Antithese der ersten und zweiten Antinomie, der mathematischen Antinomien, sind einander konträr entgegengesetzt, bilden also eine reale Opposition. So besagt die Thesis der ersten Antinomie, daû die Welt einen Anfang in der Zeit hat und in räumlichen Grenzen eingeschlossen ist; die Antithese besagt dagegen, die Welt ist sowohl der Zeit als auch dem Raum nach unendlich.132 Die Thesis der zweiten Antinomie besagt, daû jede zusammengesetzte Substanz und auch alles andere in der Welt aus einfachen Teilen besteht; die Antithese besagt dagegen, daû nichts Zusammengesetztes aus einfachen Teilen besteht, daû es Einfaches gar nicht gibt und daû alles unendlich teilbar ist.133 In den beiden ersten Antinomien gelten Raum und Zeit als Dinge an sich, sie existieren für sich, sind nicht bloûe Anschauungsformen für die Erscheinungen. Eine Synthesis des Gleichartigen liegt bei diesen beiden Antinomien jeweils sowohl der Thesis als auch der Antithesis zugrunde. Wegen dieser Synthesis des Gleichartigen bezeichnet Kant diese Antinomien als die mathematischen Antinomien. So werden in der ersten Antinomie gleichartige Raum- und Zeitteile miteinander verknüpft. Den Thesen und Antithesen der dritten und vierten Antinomie liegt dagegen jeweils eine Synthesis des Ungleichartigen zugrunde. So besagt die Thesis der dritten Antinomie, daû es nicht nur Naturkausalität, sondern auch Kausalität aus Freiheit gibt; die Antithesis sagt dagegen, daû es nur 132 133
Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 454 ff. Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 462 ff.
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Naturkausalität gibt.134 Die Thesis der vierten Antinomie besagt, daû zur Welt als ihre Ursache ein notwendiges Wesen gehört; die Antithesis sagt dagegen, daû es kein schlechthin notwendiges Wesen in oder auûerhalb der Welt als ihre Ursache gibt.135 Diesen Antinomien liegt jeweils eine Synthesis des Ungleichartigen zugrunde, so werden in der dritten Antinomie Wirkungen als mit Ursachen verknüpft gedacht, und in der vierten Antinomie wird die Zufälligkeit der Erscheinungen der Welt als mit einem notwendigen Wesen verknüpft gedacht. Es handelt sich also um eine Synthesis des Ungleichartigen in der Verknüpfung von Ursache und Wirkung einerseits und in der Verknüpfung von Zufälligem und Notwendigem andererseits. Aufgrund dieser spezifischen Synthesisart nennt Kant diese Antinomien, im Unterschied zu den mathematischen, die dynamischen. Daraus ergibt sich auch die Lösung dieser beiden Antinomien. Sie besteht darin, daû Kant Hinsichtenunterscheidungen einführt, nach denen die Bedingung jeweils untersucht wird. Die eine Hinsicht ist die, etwas nur als Erscheinung zu betrachten. In dieser Hinsicht haben die beiden Antithesen recht, es gibt dann nur Naturkausalität und keine Kausalität aus Freiheit, und es läût sich kein schlechthin notwendiges Wesen auffinden. Die andere Hinsicht besteht darin, etwas in seinem rein intelligiblen Charakter, als Ding an sich zu untersuchen; in diesem Fall sind Kausalität aus Freiheit und ein notwendiges Wesen zumindest denkmöglich, als nicht der Reihe der Naturerscheinungen widersprechend, denn sie sind gar nicht in der Reihe der Erscheinungen enthalten, sie sind jenseits der Phänomenalität. Kausalität aus Freiheit und das schlechthin notwendige Wesen tangieren auf diese Weise den Lauf der Naturerscheinungen nicht. Hegel deutet in Glauben und Wissen Kants Auflösung der mathematischen Antinomien, als das Hervorbringen der »empirischen Unendlichkeit«.136 Die Auflösung der mathematischen Antinomien durch Kant besteht Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 472 ff. Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 480 ff. 136 Vgl. GW, Bd. 4, 337. Zu der Aufnahme der Antinomienlehre Kants durch den frühen Jenaer Hegel äuûern sich auch: M. Baum (Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. Bonn 1989, 210 ff.), B. Burkhardt (Hegels Kritik an Kants theoretischer Philosophie: dargestellt und beurteilt an den Themen der metaphysica specialis. München 1989, 156 ff.) Baum und Burkhardt sehen die Entstehung der »empirischen Unendlichkeit« als Deutung Hegels bezüglich der Aufstellung der Antinomien bei Kant, also bezogen auf die Gegenüberstellung von Thesis und Antithesis bei Kant. Sinnvoller und mit Kants eigenen Bestimmungen organischer zusammenstimmend ist es aber, die »empirische Unendlichkeit«, von der Hegel hier spricht, bezogen auf Kants Auflösung der Antinomien zu verstehen, also auf den bloû durch die Vernunft postulierten unendlichen Fortschritt bzw. Regreû bis hin zum Unbedingten. Hier findet auch eher eine verständige Setzung eines A und dessen beständige Aufhebung in der Form eines Übergangs zu einem anderen statt, von der Hegel ± wie wir sehen werden ± im folgenden spricht. Baum und Burkhardt deuten dieses A und seine Aufhebung durch die Setzung eines anderen als 134 135
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darin, daû das durch die Vernunft geforderte Unbedingte zu erreichen eine unendliche Aufgabe als regulatives Vernunftprinzip für die Naturforschung ist. Nach Hegel bedeutet diese unendliche Aufgabe, daû ein A gesetzt wird. Mit diesem A meint Hegel wohl einen bestimmten Raum- Zeitabschnitt (was auf die erste Antinomie Kants zu beziehen wäre) oder eine bestimmt groûe Substanz (was auf die zweite Antinomie Kants zu beziehen wäre). Nun ist aber von der Vernunft das Weitergehen bis hin zum Unbedingten gefordert. Daraus folgt, daû das A wiederum nicht gesetzt sein soll, es soll nämlich über das A hinausgegangen werden, es wird zu »einem andern übergegangen«.137 Die Vernunftforderung nach dem Unbedingten ist ein schlechthin nicht abschlieûbarer Progreû, bzw. Regreû, bei dem inhaltlich nicht bestimmt ist, worin dieses andere jeweils besteht: »diese leere Foderung eines Andern, und das absolute Seyn dessen, für welches ein Anderes gefodert wird, geben diese empirische Unendlichkeit«.138 Das »absolute Sein« des A meint hier die Setzung des A durch den Verstand als etwas mit sich Identisches, das A »ist gesetzt, indem es bleibt, was es ist«.139 Gleichzeitig zu dieser Verstandesidentität wird aber von der Vernunft das Hinausgehen über das A gefordert, also sein anderes, seine Nichtidentität. »Die Antinomie entsteht, weil sowohl das Andersseyn als das Seyn, der Widerspruch in seiner absoluten Unüberwindlichkeit gesetzt wird.«140 Hegel spricht hier davon, wie die »Antinomie entsteht«. Nun deutet er offensichtlich die Aufstellung der mathematischen Antinomien, wobei sich seine vorherigen ¾uûerungen offensichtlich auf die Auflösung der Antinomien durch Kant beziehen. Daran wird deutlich, daû Hegel Kants Aufstellung der Antinomien sogleich von ihrer Auflösung her versteht, die sie durch Kant erfahren. Hegel interpretiert wohl, daû das mit sich identische A als ein verständig bestimmtes bereits in der Aufstellung der mathematischen Antinomien gesetzt sei. Genauer meint Hegel wahrscheinlich die Thesis der ersten und zweiten Antinomie bei Kant, in der jeweils ein bestimmter und begrenzter Raum- Zeitpunkt, bzw. eine bestimmt groûe, nämlich einfache Substanz, als das Gegenüber von Thesis und Antithesis. Dieses Übergehen von der Thesis zur Antithesis wird in Kants Aufstellung der Antinomien, sowohl in den mathematischen als auch in den dynamischen, nicht vollzogen. Somit hätte Hegels Deutung der empirischen Unendlichkeit keinen direkten Bezugspunkt auf Kants Antinomienlehre. Dagegen hat Hegel wahrscheinlich, von der Deutung der Auflösung der Antinomien bei Kant ausgehend, auch Kants Aufstellung der Antinomien verstanden. Bei Kant sind antithetische Aufstellung und transzendental idealistische Auflösung der Antinomien klar voneinander getrennt, Hegel schiebt dagegen offensichtlich Aufstellung und Auflösung der Antinomien in seiner Deutung ineinander. 137 GW, Bd. 4, 337. 138 GW, Bd. 4, 337. 139 GW, Bd. 4, 337. 140 GW, Bd. 4, 337.
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unbedingte Bestimmtheit des Weltganzen gesetzt wird. Die Antithesis geht darüber jeweils in der Form eines wirklich gegebenen unendlichen Progresses bzw. Regresses hinaus. Hegel scheint also auch die aufgestellte Thesis und die aufgestellte Antithesis in einen inneren Argumentationsgang bringen zu wollen. Bei Kant dagegen sind beide voneinander getrennt, es ist nicht so, daû die Thesis durch die Antithesis vervollständigt würde, wie es Hegel wohl sieht. Hegel deutet, daû bei Kant sowohl in beiden Thesen als auch in beiden Antithesen der mathematischen Antinomien jeweils Setzung und aufhebender Übergang zum Anderen enthalten sei. Jeder einzelne der antithetisch entgegengesetzten Sätze enthält nach Hegel auch sein Gegenteil in sich. »Die eine Seite der Antinomie [damit ist wohl die These gemeint; d. V.] muû also seyn, daû hier der bestimmte Punct, und die Widerlegung, daû das Gegentheil, das Andersseyn gesetzt wird; die andere Seite der Antinomie [also die Antithese; d. V.] umgekehrt.«141 In jeder der beiden »Seiten« der Antinomie ist also sowohl die Setzung eines Bestimmten, als auch seine Widerlegung enthalten. Hier wird deutlich, daû für Hegel in der Antinomie die Hinsichtenunterscheidung aufgehoben ist. Wenn jedes der beiden Momente jeweils immer schon sein Gegenteil impliziert, sind die Hinsichtenunterscheidungen desjenigen Gehalts, der der These und desjenigen Gehalts, der der Antithese zukommt, aufgehoben. In der Antinomie geschieht also wie in der Dialektik der frühen Jenaer Logik Hegels eine Zerstörung der Hinsichtenunterscheidungen. Der Widerspruch wird erzeugt. Hier wird der Hintergrund deutlich, vor dem Hegel die Antinomien Kants interpretiert; den Hintergrund bildet seine eigene Lehre von der Antinomie, wie er sie in der Differenzschrift angedeutet hat. Hiernach stehen sich in der Antinomie Identität und Nichtidentität, einander wechselseitig fordernd, gegenüber und implizieren sich gegenseitig, auf für den Verstand widersprüchliche Weise, allerdings gebraucht Hegel in Glauben und Wissen statt der Termini »Identität« und »Nichtidentität« die Begriffe »Sein« und »Anderssein«. Die Antinomie ist auch in Glauben und Wissen der gesetzte Widerspruch. Hegel hebt an der Auflösung der Antinomien durch Kant hervor, daû dieser erkannt habe, daû der dialektische Schein (hier im Sinne Kants gemeint) mit Notwendigkeit im Rahmen der Endlichkeit, genauer in der endlichen Vernunft entsteht.142 Dieser Schein tritt nach Hegel nicht im Unendlichen auf, denn hier ist der Widerspruch von Endlichem und Unendlichem GW, Bd. 4, 337. Wahrscheinlich meint Hegel mit der »Widerlegung« den indirekten, apagogischen Beweis, den Kant jeweils den aufgestellen Sätzen von These und Antithese folgen läût. 142 Vgl. GW, Bd. 4, 337. 141
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gehoben; im wahren Unendlichen stehen sie sich nicht einander ausschlieûend gegenüber, sondern schlieûen sich wechselseitig ein. Daher kritisiert Hegel an Kant die Inkonsequenz, daû Kant, wenn er schon gesehen habe, daû es die Endlichkeit selbst ist, die in den Widerspruch führt, nicht auch die Endlichkeit aufgehoben habe und zum wahren Unendlichen vorgedrungen sei. Statt dessen habe Kant mit dem transzendentalen Idealismus als dem Schlüssel zur Lösung der Antinomien die Strategie verfolgt, den Widerspruch als solchen zu versubjektivieren, und nicht gesehen, daû der Widerspruch in der Sache selbst liegt. Der Vorwurf Hegels an Kant lautet, er habe die Entstehung des Widerspruchs bloû in die subjektive Vernunft verlegt. Hegel meint damit insbesondere, daû Kant die Idee nicht als etwas Objektives versteht, sondern als »ein bloûes Geschöpf der Vernunft, welche also die Verantwortung [für den dialektischen Schein; d. V.] nicht von sich abweisen und auf den unbekannten Gegenstand schieben kann«.143 Die Dialektik entsteht nach Kant nur in der Idee, und dieser korrespondiert kein wirklicher Gegenstand. Nach Hegels Sicht läût Kant mit dieser Versubjektivierung des Widerspruchs diesen eigentlich bestehen, denn er habe nicht gesehen, daû der Widerspruch objektiv, tatsächlich besteht, Kant habe den Widerspruch zu einer bloûen Illusion der verwirrten Vernunft herabgespielt. Die Auflösung der Antinomien bei Kant ist daher nach Hegel unzureichend, es wird nur beiden antithetisch entgegengesetzten Aussagen ihr Wahrheitsanspruch benommen. Die Endlichkeit des transzendentalen Idealismus als Lösungsweg der Antinomien Kants ist schuld daran, daû diesem das Eigentliche der dialektischen Widersprüche nicht vor Augen kommen konnte. Dieses Eigentliche ist »das Positive dieser Antinomieen, ihre Mitte«.144 Mit dieser Mitte meint Hegel die spekulative Einheit Entgegengesetzter, die Kant nach Hegel aufgrund seines verfehlten Ansatzes nicht sehen konnte. Höchstens als »negativen Schlüssel« zur Lösung der Antinomien könne man den transzendentalen Idealismus Kants sehen, darüber hinaus führe er nicht: »die Vernunft erscheint rein blos von ihrer negativen Seite, als aufhebend die Reflexion, aber sie selbst in ihrer eigenthümlichen Gestalt tritt nicht hervor«.145 Diese negative Vernunft entspricht der von uns zuvor untersuchten negativen philosophischen Reflexion, die in der Logik mittels der Dialektik systematisch die endlichen Kategorien zerstört. Aufgrund der Versubjektivierung des Widerspruchs bei Kant, zeigt sich nach Hegel bei Kant die »eigentümliche Gestalt« der negativen Vernunft nicht. Sie wird verhüllt und kann ihre destruktive Wirkung auf die Endlichkeit gar nicht voll entfalten. Die Wider143 144 145
Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 507. GW, Bd. 4, 337. GW, Bd. 4, 337.
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sprüchlichkeit wird nur dem Subjekt angelastet, ihre objektive Problematik und Relevanz werde von Kant übersehen. Kant schrecke vor der Destruktion der Endlichkeit zurück. In diesem Zusammenhang wird auch Hegels siebte Habilitationsthese von 1801 deutlich: »Philosophia critica caret Ideis, et imperfecta est Scepticismi forma.«146 Der kritische Idealismus entbehrt der Ideen, weil er sie versubjektiviert und verendlicht. Weil der transzendentale Idealismus nicht in der Lage ist, die »Mitte« der Antinomien, das den Entgegengesetzten zugrundeliegende Positive sehen zu lassen, weil er die Endlichkeit als ein Letztes setzt und bestehen läût, ist er ein bloû unvollkommener Skeptizismus. Der vollkommene Skeptizismus führt darüber hinaus die Vernichtung der Endlichkeit durch die negative Vernunft so weit, daû das Zugrundeliegende der positiven Vernunft, die spekulative Einheit der Widersprechenden, unmittlbar in der negativen Vernunft vorausgesetzt ist, wie es z. B. in Platons Parmenides-Dialog geschehe, den Hegel im Skeptizismus-Aufsatz als philosophischen Skeptizismus deutet. Was die Destruktion der Endlichkeit angeht, war nach dem frühen Jenaer Hegel Platon im Parmenides-Dialog konsequenter, als es Kant in der Auflösung der Antinomien war. Hegels Deutung, daû der kritische Idealismus ein unvollständiger Skeptizismus sei, läût sich auch direkt auf Kant beziehen, nämlich auf die Antinomienlehre, in der Kant fordert, nach der »skeptischen Methode«147 vorzugehen. Nach Kant besteht jedoch die skeptische Methode in einer neutralen Beobachterposition zwischen verschiedenen, metaphysisch transzendenten Positionen, die ohne Parteinahme die Scheinhaftigkeit in den transzendenten Positionen untersucht und sich so lediglich negativ, zur Vermeidung der Fehler der verschiedenen metaphysischen Argumente belehrt. Nach Kant ist diese Methode »aber nur der Transzendentalphilosophie allein wesentlich eigen«148 und für die Antinomienlehre und die Möglichkeit der Auflösung der Antinomien von zentraler Bedeutung. Der Skeptizismus selbst, sofern er nicht in die kritische Philosophie eingebunden wird, ist aber nach Kant keine sinnvolle philosophische Position, da er die »Grundlagen aller Erkenntnis untergräbt, um, wo möglich, überall keine Zuverlässigkeit und Sicherheit derselben übrigzulassen«.149 Die von Hegel gegen Kant geforderte Aufhebung der Endlichkeit gehört in den Kontext seines eigenen Denkens in dieser Zeit, genauer in den Kontext der endlichen Logik, die durch die negative, zerstörende Dialektik in die Metaphysik einleitet. Zugleich zeigt sich, daû es nach Hegel notwendig ist, 146 147 148 149
GW, Bd. 5, 227; Rosenkranz, 159. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 451; vgl auch B 513 f.; B 535. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 452. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 451.
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über diese bloûe Zerstörung der Endlichkeit, über die bloû negative Vernunft, zur positiven Vernunft und damit zur Metaphysik in seinem Sinne fortzuschreiten. Hier wird sichtbar, daû und wie Hegel, von eigenen systematischen Problemen ausgehend, die Dialektik Kants umdeutet. Die Auflösung der dritten und vierten Antinomie zeigt nach dem frühen Jenaer Hegel die Schwäche des transzendentalen Idealismus Kants, denn sie »bekennt den absoluten Dualismus dieser Philosophie«.150 Der Dualismus besteht zwischen der rein intelligiblen Welt der Dinge an sich und den sinnlichen Erscheinungen. Bei Kant ist es gerade diese Hinsichtenunterscheidung, die es bei der Auflösung der dritten Antinomie ermöglicht, sowohl Naturkausalität als auch Kausalität aus Freiheit zugleich zu denken, ohne daû sich beides widerstreitet. Diese Hinsichtenunterscheidung ermöglicht es auch, bei der Auflösung der vierten Antinomie ein notwendiges Wesen angesichts der bloû kontingenten Erscheinungen zu denken. Was bei Kant also eine positive Lösung der Antinomien ist, die den Widerspruch vermeidet, zeigt nach Hegel gerade die Schwäche des kritischen transzendentalen Idealismus. Intelligible und sinnliche Welt sind nach Hegel bei Kant dargestellt »als absolut ungleichartig, auûer aller Gemeinschaft seyend«.151 Was Hegel hier wiederum vermiût, ist die positive Mitte, in der die einander Widersprechenden vereint sind. Hegel lobt allerdings zugleich »die völlige reine Trennung«,152 die Kant zwischen intelligibler und sinnlicher Welt vollzieht. Aber diese Trennung darf nach Hegel nicht als ein Letztes stehenbleiben, so wie Kant diesen Unterschied verfestigt habe, sondern es muû sich aus dieser Trennung die Einheit der Entgegensetzung restituieren, so »daû ihre absolute Identität ganz rein gesetzt werde«.153 Der trennende kritische Idealismus Kants hat also in Hegels Sicht durchaus eine Berechtigung, wenn auch keine letztgültige, sondern nur als zu überwindende Vorstufe, die die Herstellung der absoluten Identität umso dringlicher vor Augen stellt. An die Vernunftforderung nach »absoluter Vollständigkeit«154 bei Kant erinnert Hegels Prinzip der »Vervollständigung« aus der Differenzschrift. Bei Hegel ist es die Vernunft als »Kraft des negativen Absoluten«, die den Verstand dazu verführt, sich selbst zu transzendieren, die philosophische Reflexion bringt den Verstand nämlich dazu, »eine objektive Totalität zu producieren; jedes Seyn ist, weil es gesetzt ist, ein entgegengesetztes, bedingtes und bedingendes; der Verstand vervollständigt diese seine Beschränkungen durch das Setzen der entgegengesetzten Beschränkungen, als der Bedingungen; diese bedürfen derselben Vervollständigung, und seine Aufgabe 150 151 152 153 154
GW, Bd. 4, 337. GW, Bd. 4, 338. GW, Bd. 4, 338. GW, Bd. 4, 338. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 436.
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erweitert sich zur unendlichen«.155 Bereits die Terminologie Hegels ± »objektive Totalität«, »Bedingungen«, »Bedingtes«, »Aufgabe«, »Vervollständigung« ± zeigt die Nähe zu den Bestimmungen aus der Antinomienlehre Kants in der Kritik der reinen Vernunft. Diese »Leitung zur Totalität der Nothwendigkeit ist der Antheil und die geheime Wirksamkeit der Vernunft; indem sie den Verstand grenzenlos macht, findet er und seine objektive Welt in dem unendlichen Reichthum den Untergang; denn jedes Seyn das der Verstand producirt, ist ein Bestimmtes, und das Bestimmte hat ein Unbestimmtes vor sich und hinter sich, und die Mannichfaltigkeit des Seyns liegt zwischen zwey Nächten, haltungslos, sie ruht auf dem Nichts, denn das Unbestimmte ist das Nichts für den Verstand, und endet im Nichts«.156 Hegel gibt hier offensichtlich eine methodische Beschreibung der Tätigkeit der philosophischen Reflexion bei der antinomischdialektischen Zerstörung der endlichen Verstandesreflexion. Die Bestimmungen der Verstandesreflexion sind nach Hegel endlich und begrenzt, weil sie jeweils anderes von sich ausschlieûen, das sie nicht sind, diese Ausschlieûung geschieht nach dem Satz vom zu vermeidenden Widerspruch. Aber die Vernunft stellt an die endliche Reflexion, nach dem Vorbild Kants, die Forderung einer objektiven Totalität. Dieser Forderung nachzukommen, strebt der Verstand und vervollständigt seine beschränkten Bestimmungen durch antinomisch Entgegengesetzte, ebenfalls beschränkte Bestimmungen, die wiederum nur bedingt sind. Diese Bedingtheit vermag der Verstand nicht zu überschreiten, er findet zu jeder Bedingung wiederum eine höhere Bedingung, macht also aus jeder Bedingung selbst wieder ein Bedingtes, damit wird seine Aufgabe zur unendlichen, und er erkennt, daû jedem Bestimmten ins Unendliche ein Bestimmtes sowohl progressiv als auch regressiv vorausliegt. Diese Unendlichkeit von Bestimmungen erscheint dem Verstand als Unbestimmtheit, denn es ist das Wesen des Verstandes, »auf durchgängige Bestimmung«157 auszugehen. Die Unbestimmtheit, die sich für den Verstand sowohl im Progreû als auch im Regreû ergibt, ist somit die Einsicht in die Unendlichkeit der Aufgabe der Bestimmung. Diese Unendlichkeit erscheint dem Verstand als »Nichts«, als »Nacht«, d. h. als Abwesenheit des Lichts einer endgültigen Bestimmung. Da sich die Unbestimmtheit sowohl im Progreû als auch im Regreû ergibt, spricht Hegel wohl von den »zwei Nächten« zwischen denen der Verstand haltlos umherirrt. Damit entsteht dem Verstand aus dem Reichtum der immer weiter zu treibenden Bestimmbarkeit das Nichts, also seine eigene Nichtigkeit. Der Verstand wird durch sein Eingehen auf die Forderung der Vernunft selbst vernichtet. 155 156 157
GW, Bd. 4, 17. GW, Bd. 4, 17. GW, Bd. 4, 17.
Deutung von antikem Skeptizismus und Platons Parmenides-Dialog
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VII. Hegels Deutung von antikem Skeptizismus und von Platons Parmenides-Dialog in der frühen Jenaer Zeit Hegels Dialektikkonzeption der frühen Jenaer Zeit soll nun mit Hilfe seiner Deutung des philosophischen Skeptizismus weiter erhellt werden. Wie wir sehen werden, kommt diesem eine der Dialektik in der Logik analoge Funktion zu, er hat nämlich auch die endliche Verstandesreflexion zu zerstören. Herausragendes Beispiel für den philosophischen Skeptizismus ist in Hegels Sicht Platons Dialog Parmenides. Damit zeigt sich neben Kants Antinomienlehre ein weiteres Vorbild für Hegels Entwicklung der Dialektik. Die Dialektik in Platons Dialog Parmenides und diejenige Kants unterscheiden sich zwar stark voneinander, bilden aber zusammen die wichtigsten Anregungsquellen für Hegel bei der Entfaltung seiner eigenen Dialektik, die freilich nicht einfach aus einer Aufnahme beider Vorbilder hervorgeht. Hegels Interpretationen beider Dialektikkonzeptionen sind von eigenen Interessen geleitet und beinhalten daher Umdeutungen. Diese sind nicht als Ungenauigkeiten Hegels herabzuqualifizieren, sondern zeigen vielmehr einerseits seine eigene Konzeption und andererseits seinen Umgang mit der Geschichte der Philosophie als lebendige Forschung. Hegel bestimmt in dem Aufsatz Verhältniû des Skepticismus zur Philosophie, Darstellung seiner verschiedenen Modificationen, und Vergleichung des neuesten mit dem alten von 1802 den echten Skeptizismus als Teil einer jeden wahren Philosophie.158 »Neuere« skeptische Richtungen, wie diejenige Vgl. GW, Bd. 4, 206. Zum Thema vgl. auch H. Buchner: Zur Bedeutung des Skeptizismus beim jungen Hegel. In: Hegel-Studien Beiheft 4, 2. Aufl. 1984, 49±56, vgl. auch ders.: Skeptizismus und Dialektik. In: Hegel und die antike Dialektik. Hrsg. M. Riedel, Frankfurt a. M. 1990, 227±243. Buchner deutet hier die Skeptizismusauslegung des frühen Jenaer Hegel als Vorstufe zur Dialektik des späteren Hegel, mit der systematischen Aufgabe, die endliche Reflexion zu zerstören. Diese endliche Reflexion trennt Buchner jedoch nicht eindeutig und differenziert von der philosophischen Reflexion ab, die beim frühen Jenaer Hegel mit der intellektuellen Anschauung zusammen die Spekulation ausmacht. Buchner verwischt daher den Unterschied von endlicher und philosophischer Reflexion (vgl. a. a. O., 231). Zum Skeptizismus vgl. auch G. Maluschke: Kritik und absolute Methode in Hegels Dialektik. Bonn 1974, 19±54. Maluschke ist der Überzeugung, daû es Hegel nicht gelingt, den Skeptizismus zu widerlegen, da es »prinzipiell unmöglich« (a. a. O., 42) sei, den Skeptizismus zu widerlegen. Den Anspruch auf Unwiderlegbarkeit darf aber der Skeptizismus im Sinne eines radikalen Skeptizismus eigentlich nicht erheben, da er damit eine Lehrmeinung aufstellen würde, die die Wahrheit der Unwiderlegbarkeit beansprucht. Daher haben auch die antiken Pyrrhoneischen Skeptiker, wie Sextus Empiricus sie darstellt, nicht den Anspruch erhoben, unwiderlegbar zu sein. Der radikale Skeptiker darf sich eigentlich gar nicht in Argumentationen einlassen, er darf noch nicht einmal gegen etwas argumentieren, da er mit einer Argumentation schon Rationalität voraussetzt, er müûte daher, mit Aristoteles gesprochen, »wie die Pflanzen« sein und »schweigen«, der Skeptizismus wird damit aber zugleich philosophisch irrelevant. Hegels Skeptizismussicht in der frühen Jenaer Zeit beleuchtet auch L. 158
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von Schulze,159 sind nach Hegel kein wahrer Skeptizismus, denn der wahre Skeptizismus ist in der Radikalität seiner Erkenntniskritik wesentlich konsequenter als die damals aktuellen Richtungen, er ist »unendlich skeptischer«.160 Der Skeptizismus von Schulze geht von den wahrnehmbaren und erfahrungsmäûigen »Tatsachen des Bewuûtseins« aus, diese seien unbezweifelbar, da jeder Zweifel an ihnen selbst wiederum eine Tatsache des Bewuûtseins sei. Der Skeptizismus Schulzes richtet sich nur gegen bewuûtseinstranszendente Gründe der Tatsachen des Bewuûtseins, diese seien nicht zu erkennen, unterliegen der Erkenntnisrestriktion auf die bewuûtseinsimmanenten Tatsachen. Die Tatsachen des Bewuûtseins seien nicht bloû erkennbar, sondern durch die Bewuûtseinsevidenz werde auch ihre Existenz bewiesen. Die Grundsätze und Bestimmungen des Verstandes seien ebenfalls als Tatsachen des Bewuûtseins unleugbare Gewiûheiten.161 Damit bezweifelt der Skeptizismus Schulzes die Endlichkeit und die Beschränktheit des Bewuûtseins nicht. Hegel erkennt dagegen den antiken Skeptizismus als konsequente und radikale Erkenntniskritik an, weil er sämtliche endliche Bestimmungen in seine Skepsis einbezieht. Hasler: Skepsis und Natur. Zur philosophischen Funktion des Skeptizismus beim frühen Hegel. In: Hegel-Jahrbuch, 1976, 333±342. Hasler vertritt die These, daû in der frühen Jenaer Zeit Hegels der Skeptizismus die Funktion übernimmt, die vormals die Religion innehatte. Es gehe Hegel dabei um eine revolutionäre Umwälzung der Reflexionsphilosophie. Dazu ist zu sagen, daû beim frühen Jenaer Hegel nicht der Skeptizismus, sondern die spekulative Metaphysik die Aufgabe übernimmt, die zuvor, beim Frankfurter Hegel, die Religion erfüllte. Vgl. auch E. Csikós: Hegels Verhältnis zum Skeptizismus. In: Jahrbuch für Hegelforschung 1, 1995, 121±139. Deutlich wird hier der Unterschied zwischen Hegels früher und später Interpretation des Skeptizismus und dem antiken Skeptizismus selbst herausgearbeitet. Diese Umänderungen in Hegels Sicht des Skeptizismus und der fünf Tropen des Agrippa insbesondere, die der späte Hegel positiver bewertet und denen er gröûeres systematisches Gewicht zuspricht als in der frühen Jenaer Zeit, berücksichtigt nicht M.N. Foster: Hegel and Skepticism. Harvard/Cambridge/London 1989. Foster geht nicht entwicklungsgeschichtlich vor, übersieht daher auch die spezifische systematische Funktion des Skeptizismus für den frühen Jenaer Hegel. Vgl. auch G. Varnier: Skeptizismus und Dialektik. Zu den entwicklungsgeschichtlichen und erkenntnistheoretischen Aspekten der Hegelschen Deutung. In: Hegel-Studien 21, 1986, 129±141. 159 Hegel kritisiert und rezensiert hier Schulzes Werk: Kritik der theoretischen Philosophie, 2 Bde., Hamburg 1801. Bereits 1801 hat Hegel in der Erlanger Literatur-Zeitung die Rezension Bouterweks Anfangsgründe der spekulativen Philosophie verfaût, wo er Bouterwek als modernen Skeptiker kritisiert (GW, Bd. 4, 95±104). Vgl. zum Thema A. Engstler: Hegels Kritik am Skeptizismus Gottlob Ernst Schulzes. In: Skeptizismus und spekulatives Denken in der Philosophie Hegels. Hrsg. H.F. Fulda und R.-P. Horstmann, Stuttgart 1996, 98±116. Zu Schulzes Reaktion auf die Kritik Hegels vgl. K.R. Meist: »Sich vollbringender Skeptizismus«. G.E. Schulzes Replik auf Hegel und Schelling. In: Transzendentalphilosophie und Spekulation. Der Streit um die Gestalt einer ersten Philosophie (1799±1807). Hrsg. W. Jaeschke, Hamburg 1993, 192±230. 160 GW, Bd. 4, 207. 161 Vgl. GW, Bd. 4, 202 ff.
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Das Prinzip des wahren Skeptizismus ist der Satz: »pantM lügw lügoV hsoV ntßkeitai«.162 Aus diesem von Sextus Empiricus festgehaltenen Prinzip, daû jedem sinnvollen Satz, jeder sinnvollen Rede ein ebenso sinnvoller Satz, eine ebenso sinnvolle Rede entgegengestellt werden kann, folgt die Isosthenie. Die gleiche Gültigkeit von einander entgegengesetzten Aussagen muû nach Sextus Empiricus zu der Konsequenz einer radikalen Urteilsenthaltung, der EpochØ, führen, weil nicht argumentativ zu begründen ist, welcher der einander entgegengesetzten Sätze wahr ist und welcher falsch. Hegel interpretiert das Prinzip des antiken Skeptizismus, die gleiche Geltung zweier entgegengesetzter Aussagen, so, daû in ihm die Aufhebung des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch impliziert ist. Nach Hegel zeigt sich an dem Prinzip des antiken Skeptizismus, daû ein einseitiger, endlicher Satz immer durch den ihm entgegengesetzten Satz zu ergänzen ist. Beide einander entgegengesetzten Sätze haben dabei denselben Geltungsanspruch. Bei Hegel führt dies aber nicht zur völligen Urteilsenthaltung und zur Aufgabe aller Lehrmeinungen wie bei Sextus Empiricus. Hegel bezieht die Gültigkeit des Satzes nur auf einseitige Verstandesbestimmungen und die Sätze der endlichen Reflexion. Nur diese werden in ihrer einseitigen Gültigkeit vernichtet, nicht aber die Vernunftbestimmungen. Hegel folgt hier, wie bei der Aufstellung der Antinomien, dem von ihm in der Differenzschrift aufgestellten Prinzip der Vervollständigung: Der »Verstand vervollständigt diese seine Beschränkungen durch das Setzen der entgegengesetzten Beschränkungen, als der Bedingungen; diese bedürfen derselben Vervollständigung, und seine Aufgabe erweitert sich zur unendlichen«.163 Hegel hatte bei diesem Prinzip der Vervollständigung wahrscheinlich nicht nur Kants Bestimmungen aus der Antinomienlehre, wonach die Vernunft »Vervollständigung« der Reihe des Bedingten bis hin zum Unbedingten fordert, vor Augen, sondern darüber hinaus wohl auch den zweiten der »spätern GW, Bd. 4, 208; im Kontext übersetzt, lautet die Passage bei Sextus Empiricus: »Des skeptischen Verharrens Anfang (Grundprinzip) aber ist hauptsächlich, daû jeder Rede eine gleiche Rede gegenübersteht; denn von hier aus gelangen wir zuletzt, wie mir scheint, dahin, keine Lehransichten zu haben.« Sextus Empiricus, Pyrrhoneische Grundzüge. Übers. von E. Pappenheim, Leipzig 1877, Erstes Buch, Kapitel 6, Abschnitt 12, 26; vgl. ebenfalls hierzu: 1. Buch, Kapitel 27, Abschnitt 202 f., 73. Dieses Grundprinzip des Skeptizismus steht auch bei Kant im Hintergrund, wenn er formuliert: Die skeptische Widerlegungsmethode »stellt Satz und Gegensatz wechselseitig gegeneinander, als Einwürfe von gleicher Erheblichkeit, einen jeden derselben wechselweise als Dogma und den anderen als dessen Einwurf, ist also auf zwei entgegengesetzten Seiten dem Scheine nach dogmatisch, um alles Urteil über den Gegenstand gänzlich zu vernichten« (Kritik der reinen Vernunft, A 388 f.). Dieses Grundprinzip des Skeptizismus erwähnt auch Schelling, allerdings ohne eingehende Untersuchung: Über die Konstruktion in der Philosophie, SW, Abt. I, Bd. 5, 126. 163 GW, Bd. 4, 17. 162
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fünf Tropen«,164 der die Begründung einer Bestimmung unmöglich machen soll durch den Regreû, bzw. Progreû ins Unendliche, weil für jeden Grund wiederum ein weiterer Grund usw. ins Unendliche anzugeben ist, woraus die »zwey Nächte« für den Verstand entstehen. In Vernunftbestimmungen sind nach Hegel einander widersprechende Bestimmungen zu absolut Einem vereinigt. Die Vernunftbestimmungen implizieren sowohl intellektuelle Anschauung als auch die begrifflichen Bestimmungen der philosophischen Reflexion. Werden die begrifflichen Bestimmungen der philosophischen Reflexion in ihre Momente aufgegliedert, d. h. werden die Begriffe der philosophischen Reflexion »isolirt«,165 dann entstehen allererst einseitige Bestimmungen, bzw. die einseitigen Sätze des Verstandes. Diese vereinseitigten Bestimmungen und Sätze sind es, die einander entgegengesetzt werden können und, sofern sie isoliert zur Geltung kommen, einander ausschlieûen. Für den Verstand folgt aus der Gegenüberstellung einseitiger Bestimmungen und Sätze, daû erkannt wird, daû beide gleiche Gültigkeit haben. Wenn aber beide gleich gelten, muû versucht werden, beide als eine Aussage zu denken. Denkt der reflektierende Verstand entgegengesetzte Aussagen als eine, entsteht ein Widerspruch. Für die Bestimmungen folgt daraus: »beyde sind zugleich negirt«,166 weil der Verstand Bestimmungen nach dem Prinzip der einseitigen Identität denkt. Der Widerspruch entsteht, »wenn in irgendeinem Satze, der eine Vernunfterkenntnis ausdrückt, das Reflectirte desselben, die Begriffe, die in ihm enthalten sind, isoliert, und die Art, wie sie verbunden sind, betrachtet wird, so muû es sich zeigen, daû diese Begriffe zugleich aufgehoben, oder auf eine solche Art vereinigt sind, daû sie sich widersprechen, sonst wäre es kein vernünftiger, sondern ein verständiger Satz«.167 Der Widerspruch ergibt sich also spezifisch aus der »Art«, wie einseitige Verstandesbestimmungen als verbunden gedacht werden müssen. Die Art der Vereinigung besteht darin, daû die Bestimmungen sowohl antithetisch entgegengesetzt als auch syntheVgl. hierzu GW, Bd. 4, 218. Diese »späteren fünf Tropen«, die Sextus Empiricus überliefert hat, stammen von Agrippa. Daû Hegel bereits in der Frankfurter Zeit die Pyrrhoneischen Grundzüge des Sextus Empiricus kannte, ist belegt durch Rosenkranz, 100. Vermutlich hatte Hegel auch bei seiner Kritik der Grundsatzphilosophie (Reinhold, der frühe Fichte) diesen Tropus vor Augen, da die Philosophie nach einem Grundsatz unmöglich ist, weil gilt: »ein Satz ist für sich ein Beschränktes und Bedingtes, und bedarf einen andern zu seiner Begründung u.s.f. ins Unendliche« (GW, Bd. 4, 23). Gegen eine Grundsatzphilosophie lieûen sich insbesondere auch noch der dritte und der vierte Tropus des Agrippa ins Feld führen. Der dritte Tropus Agrippas bezeichnet die Relativität von Sätzen, d. h. die notwendige Bezogenheit auf andere Sätze, wodurch kein Satz als ein erster von anderen Aussagen isolierbar ist. Der vierte Tropus wendet sich gegen ein absolut Erstes, da dieses eine unbewiesene Voraussetzung darstelle. 165 GW, Bd. 4, 208. 166 GW, Bd. 4, 208. 167 GW, Bd. 4, 208. 164
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tisch aufeinander bezogen sind. Antithese und Synthese sind in der Vernunfterkenntnis nicht diskursiv auseinandergehalten, dies ist nur bei der endlichen Reflexion der Fall, sondern die Antithese ist selbst Synthese, und die Synthese ist selbst Antithese.168 Für Vernunftbestimmungen ist der begangene Widerspruch geradezu ein Wahrheitskriterium. »Der sogenannte Satz des Widerspruchs ist daher so wenig auch nur von formeller Wahrheit für die Vernunft, daû im Gegentheil jeder Vernunftsatz in Rücksicht auf die Begriffe einen Verstoû gegen denselben enthalten muû; ein Satz ist bloû formell, heiût für die Vernunft, er für sich allein gesetzt, ohne den ihm contradictorisch entgegengesetzten eben so zu behaupten, ist eben darum falsch. Den Satz des Widerspruchs für formell anzuerkennen, heiût also ihn zugleich für falsch erkennen. ± Da jede ächte Philosophie diese negative Seite hat, oder den Satz des Widerspruchs ewig aufhebt, so kann, wer Lust hat, unmittelbar diese negative Seite herausheben, und sich aus jeder einen Skepticismus darstellen.«169 Der Skeptizimus als methodische Bestreitung des Wahrheitsanspruches von endlichen Aussagen erhält also bei Hegel einen Ort in der Systematik der Philosophie. An die Vernunfterkenntnisse langt das erkenntniskritische Prinzip des Skeptizismus nach Hegel nicht heran, da hier nicht einseitige Bestimmungen aufgestellt werden, denen eine entgegengesetzte entgegengestellt werden könnte. In der Vernunft sind die Entgegengesetzten identisch, und es ergibt sich nicht die ausschlieûende Disjunktion, ob entweder das eine oder das andere wahr ist. Hegel unterteilt den antiken Skeptizismus in drei Arten:170 a) Die erste Art des Skeptizismus ist selbst Philosophie. Damit ist der Parmenides-Dialog von Platon gemeint, den wir noch näher zu untersuchen haben. b) Die zweite Art ist ein Skeptizismus, der nicht selbst Philosophie ist und sich auch nicht gegen die Vernunft richtet; damit meint Hegel die Haupttendenz des antiken Skeptizismus, wie sie von Sextus Empiricus in den ersten zehn Tropen der Pyrrhoneischen Grundzüge überliefert worden ist. Vernichtet wird durch diese zweite Art des Skeptizismus nach Hegel der »Dogmatismus des gemeinen Bewuûtseyns«, d. h., die Selbstgewiûheit des Endlichen wird als Schein entlarvt. Daraus resultiert die »Indifferenz des Geistes, vor der alles, was die Erscheinung oder der Verstand gibt, wankend gemacht wird«. Diese Gleichgültigkeit des Geistes gegen die Endlichkeit bilVgl. GW, Bd. 4, 24. GW, Bd. 4, 208 f., auch schon a. a. O., 206 erklärt Hegel, »daû mit jeder wahren Philosophie der Skepticismus selbst aufs innigste Eins ist«, ebenso a. a. O., 213. 170 Vgl. GW, Bd. 4, 213; Hegel kommt auf die drei Arten des Skeptizismus zurück a. a. O., 222. Bereits H. Buchner (Skeptizismus und Dialektik. In: Hegel und die antike Dialektik. Hrsg. M. Riedel, Frankfurt a.M. 1990, 234 ff.) geht auf diese Differenzierung des Skeptizismus in drei verschiedene Arten durch Hegel ein. 168 169
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det die »erste Stuffe zur Philosophie«, weil sie die »Ahndung einer höheren Wahrheit« ermöglicht.171 Diese Indifferenz des Geistes ist die gleichgültige Gelassenheit, die Ataraxie, gegenüber der sich selbst zerstörenden Endlichkeit. Die zehn von Sextus Empiricus überlieferten Tropen werden dem Aenesidemus zugeschrieben und richten sich nicht nur gegen die Sinneswahrnehmung, sondern auch generell gegen das Denken als Quelle gewisser Erkenntnis. Die zehn Tropen des Aenesidemus hatten die Aufgabe, philosophische Lehrmeinungen aufzuheben. Hegel interpretiert dagegen diese zweite Art des antiken Skeptizismus so, daû dieser in seiner Haupttendenz gar nicht beabsichtigt habe, die Philosophie oder die Vernunft zu widerlegen, sondern nur das »gemeine Bewuûtsein« und den endlichen Verstand.172 c) Die dritte Art des Skeptizismus ist, wie die vorige, nicht selbst Philosophie, richtet sich aber gegen die Vernunft und versucht diese aufzuheben. Damit meint Hegel eine Nebentendenz des antiken Skeptizismus, die in den »spätern fünf Tropen«,173 die Sextus Empiricus festgehalten hat, hervortritt. Diese fünf Tropen werden Agrippa zugeschrieben. Hegel versucht, den antiken Skeptizismus des Agrippa zu widerlegen, indem er aufzeigt, daû dieser zu seinen Angriffen auf die Vernunft jeweils endliche »Reflexionsbegriffe«174 verwendet. Diese von Hegel als Reflexionsbegriffe bezeichneten Bestimmungen sind die begrifflichen Bestimmungen der fünf Tropen des Agrippa: 1. Die Verschiedenheit oder der Widerstreit von Aussagen. 2. Die Iteration ins Unendliche der Bestimmungen Grund und Begründetes. Jeder Grund muû selbst auch wieder begründet werden, was sich ins Unendliche fortsetzt. 3. Das Verhältnis, alle Bestimmungen sind relativ und nur in bezug auf andere zu verstehen. 4. Das bloû vorausgesetzte Erste, das nicht weiter begründet werden kann, ist eine bloûe Voraussetzung, die ohne Beweis nicht gerechtfertigt ist, weshalb es möglich ist, diesem vorausgesetzten Ersten ein anderes ebenfalls bloû vorausgesetztes Erstes entgegenzustellen. 5. Die wechselseitige Voraussetzung von Beweisgrund und Bewiesenem, d. h., das Bewiesene wird auch wieder selbst zum Beweisgrund für den ersten Beweisgrund, damit ist die logische Diallele als fehlerhafter Zirkel im Schluû gemeint.175 Diese endlichen Reflexionsbegriffe sind nach Hegel ohnehin in GW, Bd. 4, 214 ff. Vgl. GW, Bd. 4, 215. 173 GW, Bd. 4, 218. 174 GW, Bd. 4, 219. 175 Vgl. GW, Bd. 4, 218. Detailliert geht Hegel auch später noch auf diese fünf Tropen des Agrippa in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. II, TheorieWerkausgabe, Bd. 19, 386 ff. ein. In dieser späteren Zeit schätzt Hegel die fünf Tropen des Agrippa wesentlich höher als noch in der frühen Jenaer Zeit. 171 172
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der wahren Vernunft destruiert und können also gar nicht gegen die Vernunft ins Feld geführt werden. Nach Sextus Empiricus sind die ersten zehn und die daran anschlieûenden fünf Tropen keinesfalls unterschiedliche Formen des Skeptizismus, wie Hegel interpretiert, sondern die fünf Tropen des Agrippa bilden eine weiterführende Ergänzung der zehn Tropen des Aenesidemus.176 Diese fünfzehn Tropen bilden zusammengenommen nach dem antiken Skeptizismus ein Instrumentarium, das zur Widerlegung der Philosophie dienen soll. Wichtig ist hierbei, daû insbesondere auch die dialektische Philosophie durch den Skeptizismus widerlegt werden soll, denn die Dialektik ist nach Sextus Empiricus eine dogmatische Methode, die Wahrheit und Falschheit voneinander zu unterscheiden sucht und auf diese Weise ein dogmatisches Lehrgebäude zu errichten strebt.177 Der philosophische Skeptizismus und derjenige, der sich gegen das endliche Bewuûtsein richtet, um, wie Hegel sagt, propädeutisch die »Ahndung einer höheren Wahrheit« zu ermöglichen, also die beiden ersten Varianten des Skeptizismus aus Hegels Unterteilung des antiken Skeptizismus, sind durchaus vereinbar mit Hegels eigenem System der Philosophie aus der frühen Jenaer Zeit. Besonders die erste Art des Skeptizsmus, derjenige Skeptizismus, der selbst Philosophie ist, läût sich in Hegels eigene Philosophiekonzeption aus dieser Zeit integrieren. Der philosophische Skeptizismus hat die gleiche Aufgabe wie die Dialektik im ersten Teil der Logik, denn er bildet die »negative Seite« der Philosophie, die »alles Beschränkte«178 aufhebt. Auch die Dialektik destruiert endliche Verstandesbestimmungen und bleibt dabei rein negativ, weil sie die positive Einheit, die dem sich Widersprechenden zugrundeliegt, nicht zu erkennen gibt. Auch der philosophische Skeptizismus erörtert nach Hegel nicht die spekulative Einheit selbst, die demjenigen zugrundeliegt, was er zerstört. Daher ist nun genauer zu untersuchen, welche inhaltlichen Bestimmungen den philosophischen Skeptizismus auszeichnen. Aus der Gleichheit der Funktionen des philosophischen Skeptizismus und der Dialektik werden sich auch weitere Erkenntnisse über die dialektische Methode und ihre Funktion in der frühen Jenaer Logik Hegels ergeben. Vgl. Sextus Empiricus, Pyrrhoneische Grundzüge. Übers. von E. Pappenheim, Leipzig 1877, Erstes Buch, Kapitel 15, Abschnitt 177, 64. 177 Vgl. Sextus Empiricus, Pyrrhoneische Grundzüge. Übers. von E. Pappenheim, Leipzig 1877, Zweites Buch, Kapitel 9, Abschnitt 94, 114; gegen die Dialektik äuûert sich Sextus Empiricus auch a. a. O., Kapitel 13, Abschnitt 146 ff., 127 f.; Kapitel 17, Abschnitt 213, 145; und Kapitel, 22, Abschnitt 229 ff, 151 ff. 178 GW, Bd. 4, 207. Auch später behält Hegel diese Bestimmung des Skeptizismus bei. Vgl. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. II, Theorie-Werkausgabe, Bd. 19, 358; dort bestimmt Hegel den Skeptizismus auch als »die Dialektik alles Bestimmten« (a. a. O., 359). 176
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Hegel deutet Platons Dialog Parmenides als philosophischen Skeptizismus. »Welches vollendetere und für sich stehende Dokument und System des ächten Skeptizismus könnten wir finden, als in der Platonischen Philosophie den Parmenides?«179 Der Parmenides-Dialog stelle die »negative GW, Bd. 4, 207. Grundlegend und richtungsweisend zu dem Verhältnis von Hegel zu Platon sind die Arbeiten von: J.-L. Vieillard-Baron: Platon et l'idØalisme allemand (1770±1830). Paris 1979, bes. 129±149; zu Hegels späterer Auseinandersetzung mit Platons Parmenides in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie vgl. a. a. O., 305 ff.; auch ders.: Einleitung zu G.W.F. Hegel: Vorlesungen über Platon (1825±1826). Hrsg. und eingeleitet von J.-L. Vieillard-Baron, Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1979, 11±60; und K. Düsing: Ontologie und Dialektik bei Plato und Hegel. In: Hegel-Studien 15, 1980, 95±150; vgl. auch ders.: Hegel und die Geschichte der Philosophie. Darmstadt 1983, daraus: Plato, 55±97; und ders.: Formen der Dialektik bei Plato und Hegel. In: Hegel und die antike Dialektik, Hrsg. M. Riedel, Festschrift für H.-G. Gadamer, Frankfurt a. M. 1990, 169±191; in: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 100 ff. hat K. Düsing den Zusammenhang von wissenschaftlichem Skeptizismus und dialektischer Methode in der Logik des frühen Jenaer Hegel herausgearbeitet; und J. Halfwassen: Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Bonn 1999, 80 ff. Zu Hegels Sicht des antiken Skeptizismus und Platons Parmenides in der frühen Jenaer Zeit auch R. Trienes: Das Problem der Dialektik in Platons »Parmenides« unter Berücksichtigung von Hegels Interpretation. Frankfurt a.M./Bern/New York/Paris 1989, bes. 129±137. Eine Zusammenfassung in ders.: Bemerkungen zu Hegels Interpretation des platonischen »Parmenides« in seinem Jenaer Skeptizismus-Aufsatz. In: Philosophisches Jahrbuch 97, 1990, 118±125. Zu Hegels Verhältnis zu Platons Parmenides vgl. auch W. Künne: Hegel als Leser Platos. In: Hegel-Studien 14, 1979, 109±146. Künne hat allerdings keinen entwicklungsgeschichtlichen Ansatz, der zeigen würde, daû sich in Hegels Deutung des Parmenides wichtige entwicklungsgeschichtliche ¾nderungen ergeben, die auch den Wandel von Hegels eigener Dialektikkonzeption beleuchten. So deutet Künne bezüglich des Skeptizismus-Aufsatzes von 1802, daû für Hegel der Skeptizismus selbst einen »positivvernünftigen Sinn« (a. a. O., 141) habe. Dies läût sich aber nicht damit vereinbaren, daû nach Hegel »der Platonische Parmenides nur auf der negativen Seite erscheint« (GW, Bd. 4, 207). Hegel deutet den Parmenides erst später, in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie II (Theorie-Werkausgabe Bd. 19, 81 f.) positiv, als »die reine Ideenlehre Platons« und ± in Anlehnung an die Neuplatoniker und insbesondere an Proklos ± als »die wahrhafte Enthüllung aller Mysterien des göttlichen Wesens«. Diese positive Deutung des Parmenides setzt jedoch nicht bloû eine negative, sondern eine positive Dialektik voraus, die Hegel zur Zeit der Abfassung des Skeptizismus-Aufsatzes 1802 noch nicht vertrat. Auch G. Maluschke (Kritik und absolute Methode in Hegels Dialektik. Bonn 1974) berücksichtigt in diesem Zusammenhang nicht die Entwicklungsgeschichte des Hegelschen Denkens. Daher kommt er zu dem Resultat, daû in Hegels Deutung des Parmenides-Dialogs der negativen Dialektik eine »positive Dialektik« (a. a. O., 46) zugrundeliege. In dieser Allgemeinheit trifft diese These nicht zu, sie gilt besonders nicht für die frühe Jenaer Dialektikkonzeption Hegels. Entwicklungsgeschichtlich untersucht Ch. Jamme (Platon, Hegel und der Mythos. In: Hegel-Studien 15, 1980, 151±169) Hegels Verhältnis zu Platon und besonders zum Parmenides-Dialog. Jamme geht detailliert auf Hegels ¾uûerung in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes ein, Platons Parmenides sei »das gröûte Kunstwerk der alten Dialektik« (GW, Bd. 9, 48). Jamme untersucht auch die Wandlung in Hegels sich veränderndem Bild des Parmenides-Dialogs und kommt zu dem einleuchtenden Resultat: »M.a.W. die Platon-Rezeption [speziell des Parmenides-Dialogs; d. V.] Hegels spiegelt sehr genau die grund179
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Seite« der Philosophie Platons dar, die »gegen alles Beschränkte« gerichtet ist. Damit deutet Hegel zumindest einen Teil der Philosophie Platons als Skeptizismus. Nicht die gesamte Philosophie Platons wird von Hegel als Skeptizsmus gedeutet, denn es gibt auch eine »positive Seite«180 der Philosophie Platons, die nicht skeptisch ist. Diese Deutung Hegels hat bereits in der Philosophiegeschichte Vorläufer. Hegel selbst berichtet davon, daû im »Alterthume [...] ein groûer Streit darüber obgewaltet« hat, ob Platon Skeptiker oder Dogmatiker war, d. h., es ging in diesem Streit darum, ob Platon eine Lehrmeinung aufgestellt hat oder ob er sich skeptisch aller Aufstellung einer Lehrmeinung enthielt. Eine dritte Interpretation besagt, daû die Philosophie Platons nur zum Teil skeptisch und zum anderen Teil dogmatisch war. Diese letztere Ansicht entspricht der Deutung Hegels.181 Das Besondere an Platons Parmenides ist nach Hegel, daû er »das ganze Gebiet jenes Wissens durch Verstandesbegriffe umfaût und zerstört«.182 Der Bereich des Verstandes wird nicht nur zum Teil und unvollständig zerstört, sondern es geht um »ein gänzliches Negiren aller Wahrheit eines solchen Erkennens«.183 Aufgrund dieser Radikalität der Erkenntniskritik ist es auch nicht zureichend, den Skeptizismus als ein bloûes Zweifeln zu bezeichnen. Er geht weit über ein bloû partielles Zweifeln hinaus. Diese Ansicht Hegels wird in Platons Parmenides besonders deutlich durch die berühmte Schluûzusammenfassung des Gesprächsführers Parmenides ausgedrückt: »So sei demnach dieses gesagt, und auch, daû, wie es scheint, legende Wandlung seiner Dialektik-Konzeption in der Jenaer Zeit, eben den Weg von einer »negativen« zur positiven Dialektik und zu einer spekulativen Logik« (a. a. O., 166). Eine allgemeine Darstellung des Verhältnisses Hegels zur antiken Philosophie gibt M. Heidegger: Hegel und die Griechen. In: Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken. Festschrift für H.-G. Gadamer, Tübingen 1960, 43±57. In ähnlich tiefblickender und lehrreicher Form auch H.-G. Gadamer: Hegel und die antike Dialektik. In: H.-G. Gadamer, Gesammelte Werke, Bd. 3, Tübingen 1987, 3±28. 180 GW, Bd. 4, 207. 181 Vgl. GW, Bd. 4, 211. Hegel sagt, daû die »Akten des Streits für uns verlohren sind« (a. a. O.) und wir daher über die inhaltlichen Argumente der streitenden Parteien nichts Genaues sagen können. Hegels Quelle für seine Aussagen über diesen »Streit« war wohl Diogenes Laertius Leben und Meinungen berühmter Philosophen, Drittes Buch, Platon, Abschnitt 51 (Hamburg 1998, 172) und auch Sextus Empiricus Pyrrhoneische Grundzüge. Erstes Buch, Kapitel 33, Abschnitt 220 ff, Wodurch von der Akademischen Philosophie die Skepsis sich unterscheidet, Leipzig 1877, 78. Sextus Empiricus selbst ist allerdings der richtigen Ansicht, daû Platon ein Dogmatiker und kein Skeptiker war (a. a. O., Abschnitt 225, 80). Der Streit ob Platon Dogmatiker, Skeptiker oder bloû zum Teil Skeptiker und zum Teil Dogmatiker war, hat sich wohl in der mittleren Akademie entfacht, die selbst eine skeptische Richtung vertrat. Mit der Geschichte des Skeptizismus in der Akademie und auch bei Sextus Empiricus setzt sich eingehend L. Robin (Pyrrhon et le Scepticisme Grec. Paris 1944) auseinander. 182 GW, Bd. 4, 207. 183 GW, Bd. 4, 207.
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ob Eines nun ist oder nicht ist, es selbst und die Anderen, und zwar für sich sowohl als in Beziehung aufeinander, alles auf alle Weise ist und nicht ist und scheint sowohl als nicht scheint.« Die Antwort des jungen Aristoteles lautet: »Vollkommen wahr.«184 Das Resultat des Parmenides-Dialogs, daû »alles auf alle Weise ist und nicht ist«, ist es wohl, was Hegel als ein »gänzliches Negieren« des endlichen Verstandesdenkens interpretiert, zugleich ist dies in Hegels Sicht der Kern des philosophischen Skeptizismus. Da Hegel diesem Resultat Platons in bezug auf das endliche Verstandesdenken zustimmt, ist nun die Art und Weise, mit der Platon zu diesem Resultat kommt, zu klären. Dies ist von zentraler Bedeutung, weil Hegels ¾uûerungen über Platons Parmenides-Dialog im Skeptizismus-Aufsatz keine detaillierten Untersuchungen darstellen, sondern vielmehr auf allgemeinem Niveau gehalten sind. Wie sich allerdings zeigen wird, verweisen diese allgemeineren ¾uûerungen auf ein intensives und detailliertes Studium des Platonischen Dialogs durch Hegel. Aufgabe der Interpretation der Hegelschen ¾uûerungen zum Parmenides-Dialog ist es daher, zu versuchen, die Bestimmungen Hegels soweit als möglich exakt auf das Werk Platons zu beziehen und so die für Hegel wesentlichen Anschluûpunkte herauszuarbeiten. Wir haben bereits gesehen, daû nach Hegel der Skeptizismus einseitigen, endlichen Aussagen die Gültigkeit bestreitet, indem er einem sinnvollen Satz einen ebenso sinnvollen Satz, der dem ersten entgegengesetzt ist, gegenüberstellt. Nach Hegel ergibt sich daraus der Widerspruch des Endlichen, der dieses zerstört, indem der Widerspruch die antithetisch-synthetischen Hinsichtenunterscheidungen des Verstandes destruiert. Nach genau dieser Methode, die auch die dialektische Methode im ersten Teil der Logik Hegels ist, geht der philosophische Skeptizismus vor, den Platon, nach Hegels Interpretation, im Dialog Parmenides anwendet. Parallel zur rein negativ bleibenden Dialektik im ersten Teil von Hegels früher Logik gilt auch für den Parmenides-Dialog Platons, daû er »nur auf der negativen Seite erscheint«.185 Hegels Aussagen über den Skeptizismus in Platons Parmenides-Dialog sind auf den zweiten Teil des Dialoges (ab 137 c bis 166 c) zu beziehen, in welchem jeweils einander entgegengesetzte Hypothesen über das Eine und das Viele im Rahmen einer dialektischen Übung aufgestellt werden, die zu dem paradoxen Resultat führt. Die Methode, die Platon für diese Untersuchung heranzieht, ist: »Dieselbe, o Sokrates, die du eben vom Zenon gePlaton, Parmenides. In: Platonis Opera. Recensuit J. Burnet. 5 Bde. Oxford 1900 (Nachdruck 1979±82); es wurde die Übersetzung von F. Schleiermacher, Hamburg 1961 herangezogen (zitiert wird nach den Seiten- und Abschnittsangaben von Henricus Stephanus, Paris 1578), 166 c. Hegel übersetzt später genau diese Stelle in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. II, Theorie-Werkausgabe, Bd. 19, 81. 185 GW, Bd. 4, 207. 184
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hört hast.«186 Die Methode Zenons ist die Dialektik,187 die durch indirekte, apagogische Beweise zeigt, daû das vorausgesetzte sinnliche Viele in sich widersprüchlich ist und daher nicht sinnvoll angenommen werden kann. Bei der Methode Zenons ist also gerade die Gültigkeit des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch vorausgesetzt, denn Zenon schlieût von der Widersprüchlichkeit des von ihm Untersuchten auf die Wahrheit, des diesem konträr Entgegengesetzten, nämlich des Einen. Zenon wollte mit seinen Untersuchungen des Vielen aufzeigen, daû die Annahme des Vielen in Widersprüche führt und daher, statt des Vielen, das Eine des Parmenides angenommen werden muû, um eben jene Widersprüche zu vermeiden. Die in Paradoxien führenden Untersuchungen des Vielen sollten so das Eine des Parmenides apagogisch beweisen. Die Dialektik Zenons hatte also lediglich bezüglich des Vielen einen negativen Charakter und ist eine Widerlegungskunst, die sich gegen Hypothesen richtet. Platon nimmt im zweiten Teil des Dialogs Parmenides insofern die Methode Zenons auf, als auch er von Hypothesen ausgeht. Platon sagt jedoch nicht, daû das Resultat der Untersuchung einer jeweiligen Hypothese apagogisch das Gegenteil dieser Hypothese beweisen soll. Er zeigt nur auf, daû sich Widersprüche ergeben, wenn die Hypothese »Wenn Eines ist« angenommen wird, ebenso zeigt er die Widersprüche auf, die folgen, wenn die Hypothese »Wenn Eines nicht ist«, d. h., »Wenn Vieles ist«, gilt. Platon folgert jedoch nicht die Richtigkeit der einen Hypothese aus der Falschheit der entgegengesetzten. Insofern ist die Hypothesendialektik, die Platon hier anwendet, unzenonisch. Platon geht in seinem Dialog Parmenides jedoch noch weiter über die Methode Zenons hinaus. Platon systematisiert diese Methode, die dann auch von ihm im zweiten Teil des Dialogs, um vier wesentliche Punkte erweitert, angewandt wird.188 Diese vier Veränderungen werden nun Platon, Parmenides, 135 d. Nach einer ¾uûerung von Aristoteles ist Zenon der »Erfinder der Dialektik« (vgl. Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen, Buch IX, Kapitel 5, Abschnitt 25, Hamburg 1998, 172 f.; auch Kant sagt lobend über Zenon, er sei »subtiler Dialektiker« (Kritik der reinen Vernunft, B 530); zu Hegels und auch besonders zu Kants Verhältnis zu Zenon äuûert sich perspektiven- und kenntnisreich M. Baum: Kosmologie und Dialektik bei Platon und Hegel. In: Hegel und die antike Dialektik. Hrsg. M. Riedel, Frankfurt a. M. 1990, 202 ff.). Zur folgenden Charakterisierung der Methode und des Ziels der Philosophie Zenons vgl. Platon, Parmenides, 127 e ± 128 e. 188 Vgl. Platon, Parmenides, 135 e ff. Diese methodischen Vorbestimmungen Platons befinden sich zwar noch im ersten Teil des Dialogs, bilden aber die methodische Propädeutik für den zweiten Teil, der sich auch direkt an diese methodischen Vorbestimmungen anschlieût. Vgl. dazu auch F.M. Cornford (Plato and Parmenides. London, 6. Aufl. 1969, 102 ff.), die Hypothesen interpretiert Cornford a. a. O., 109 ff. Platons Parmenides-Dialog interpretiert differenziert und facettenreich J. Halfwassen (Der Aufstieg zum Einen. Untersuchungen zu Platon und Plotin. Stuttgart 1992, 265±405). Er folgt dabei der metaphysisch-positiven Auslegungsrichtung des Parmenides-Dialogs und stellt 186 187
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in ihrer Abfolge dargestellt. Es wird sich dabei zeigen, daû sich Hegels Deutung des Parmenides organisch und nahtlos in seine Deutung des philosophischen Skeptizismus einfügt und somit eine konsistente Interpretation des Parmenides im Rahmen von Hegels früher Jenaer Philosophiekonzeption darstellt. Die erste Veränderung von Zenons Methode durch Platon besteht darin, daû die Dialektik nicht nur auf das sinnlich Vielfältige anzuwenden ist, sondern auch auf reine Ideen, bzw. auf die Eide.189 Schon durch diese methodische Erweiterung des Untersuchungsbereiches für die dialektische Methode wird die Methode Zenons entscheidend verändert. Zenon wendet sich mit seiner Methode nur gegen das, was in Wahrheit nicht ist, gegen das vielfältig Sinnliche. Wenn Platon die Methode auf das rein Gedachte anwendet, dann verändert er die Dialektik in einer Weise, die nicht mehr zenonisch ist. Nach der Lehre des Parmenides selbst sind Denken und Sein dasselbe, Zenon hätte daher die Dialektik wohl nicht auf das reine Denken angewandt, denn dann hätte er zugleich auch das Eine, das Sein als zu widerlegende Hypothese setzen müssen, was unzenonisch wäre. Bezüglich der Deutung des Parmenides-Dialogs durch Hegel bedeutet die Veränderung des Untersuchungsgebietes der Dialektik auf das rein Gedachte, daû die Untersuchung hierdurch allererst das eigentlich wissenschaftliche philosophische Interesse verdient. Denn wenn nur rein sinnliche Vielfältigkeit untersucht würde, verbliebe die dialektische Übung bloû im Bereich der Empirie, wäre also gar kein Gegenstand einer rein wissenschaftlichen Philosophie. Eine solche Untersuchung wäre in Hegels Unterteilung des Skeptizismus der zweiten Art zuzurechnen, dem Septizismus, der sich zwar nicht gegen die Vernunft, wohl aber gegen die Endlichkeit wendet und kein philosophischer Skeptizismus ist. Erst durch die Veränderung des Untersuchungsgebietes auf das rein Denkbare bekommt wohl die Dialektik des Parmenides-Dialogs für Hegel die Dignität eines philosophischen Skeptizismus. Die zweite Veränderung, die Platon an der Methode Zenons vornimmt, besteht darin, daû nach Platon nicht nur zu untersuchen ist, was folgt, wenn Zenons Hypothese »Wenn Vieles ist« aufgestellt wird. Es ist auch zu untersuchen, was aus der gegenteiligen Hypothese »Wenn Eines ist« folgt.190 Die Hypothese »Wenn Eines ist«, ist jedoch gegen den Sinn der Philosophie des Parmenides. Nach Parmenides kann das Eine gar nicht in Frage gestellt werVerbindungen zur »ungeschriebenen Lehre« Platons dar. Hier werden auch die verschiedenen Deutungsalternativen und deren Auftreten in der Philosophiegeschichte dargestellt. Insbesondere werden die Auslegungen der Neuplatoniker berücksichtigt. A.a. O., 298 ff. wird detailliert die erste Hypothese untersucht. 189 Platon, Parmenides, 135 e. 190 Platon, Parmenides, 136 a.
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den, nur das Nicht-Eine, das Viele kann in Frage stehen und sich als unwahr erweisen. Sich dem Einen auf dem Wege einer Hypothese zu nähern ist nach Parmenides keine adäquate Weise, das Sein zu erforschen. Denn das Eine ist schlechthin, kann niemals in Frage stehen. Auch an dieser Veränderung der Methode des Zenon durch Platon zeigt sich die Tendenz zur Systematisierung. Die Dialektik wird zur universellen Methode, sie wird sogar auf das Eine selbst angewendet. Dies entspricht einer Radikalisierung, die ebenfalls nicht mehr in einem eleatischen Horizont steht, sondern weit über die Lehre der Eleaten Zenon und Parmenides hinausreicht. In Hegels Deutung des Skeptizismus entspricht diese Gegenüberstellung zweier entgegengesetzter Hypothesen, dem von Sextus Empiricus geforderten »pantM lügw lügoV hsoV ntßkeitai«. In seiner ganzen Überzeugungskraft tritt das Prinzip des Skeptizismus also auch bei den einander gegenüberzustellenden Hypothesen aus Platons Parmenides auf. Auch die dritte Veränderung, die Platon an der Methode des Zenon vornimmt, besteht in einer Systematisierung: Es soll nicht nur gefragt werden, was folgt, »Wenn Eines ist«, und was folgt, »Wenn Vieles ist«, sondern es soll jeweils bei diesen beiden Hypothesen noch gefragt werden, a) was in bezug auf das In-Frage-Stehende selbst folgt und b) was für das In-Frage-Stehende in bezug auf sein Entgegengesetztes folgt und c) was für das Entgegengesetzte in bezug auf das In-Frage-Stehende folgt und d) was für das Entgegengesetzte selbst nur in bezug auf sich folgt. Es werden hierbei jeweils dem Fraglichen Prädikate und Bestimmungen entweder zu- oder abgesprochen. Die Prädikate sind zum Beispiel, ob dem Fraglichen zugesprochen werden kann, daû es Ganzes ist oder Teile hat, daû es Anfang, Mitte und Ende, also Gestalt hat usw.191 Daraus ergeben sich acht Hypothesen, die im zweiten Teil des Dialogs der Reihe nach behandelt werden: 191
I. Wenn Eines ist ... 1. Wenn Eines ist, was folgt in bezug auf es selbst? (137 c; alle Bestimmungen werden dem Einen abgesprochen.) 2. Wenn Eines ist, was folgt für das Eine in bezug auf das Viele? (142 b; alle Bestimmungen werden dem Einen zugesprochen; mit Korollar zur zweiten Hypothese ab 155 e; die die Neuplatoniker als eigene Hypothese deuteten, weshalb diese in ihrer Zählung auf neun Hypothesen kamen.) 3. Wenn Eines ist, was folgt für das Viele in bezug auf das Eine? (157 b; dem Vielen werden alle Bestimmungen zugesprochen.) 4. Wenn Eines ist, was folgt für das Viele in bezug auf sich selbst? (159 b; dem Vielen werden alle Prädikate abgesprochen.) II. Wenn Eines nicht ist ... 5. Wenn Eines nicht ist, was folgt für das nichtseiende Eine in bezug auf das Viele? (160 d; dem nichtseienden Einen werden alle Bestimmungen zugesprochen.)
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Die systematische Untersuchung der beiden Grundhypothesen »Wenn Eines ist« und »Wenn Eines nicht ist« erfolgt also aus einer methodischen Überlegung Platons heraus. Die Methode Zenons wird auch durch diese Systematisierung der Dialektik verändert. Platon systematisiert die Dialektik in dem Sinne, daû sämtliche möglichen Hinsichten auf die beiden Grundhypothesen unterschieden und abgehandelt werden. Dies führt bei Platon zu einer dialektischen Geübtheit, die dazu befähigt, die Wahrheit zu erkennen. Denn man muû alle Voraussetzungen durchgehen, um »vollkommen geübt auch die Wahrheit gründlich durchschauen«192 zu können. Hier zeigt sich wohl, weshalb Hegel in seiner Interpretation den Parmenides-Dialog als »vollendetes Dokument« des philosophischen Skeptizismus bezeichnen kann. Es handelt sich um eine systematisierte, dialektische Übung, die alle Hinsichten auf die beiden Grundhypothesen berücksichtigt, also eine Vollständigkeit anstrebt, die weit über empirisch zufällige Hinsichten hinausgeht, welche immer unvollständig sein müssten; alle grundlegenden Hinsichten werden einander gegenübergestellt und abgehandelt, nicht nur einige. So wie Platon alle Hinsichtenunterscheidungen erörtert, so untersucht auch Hegels Dialektik in der Logik alle Hinsichtenunterscheidungen, die den endlichen Kategorien zugrundeliegen. Darüber hinaus deutet Hegel, daû Platon im Parmenides »das ganze Gebiet jenes Wissens [des endlichen Wissens; d. V.] durch Verstandesbegriffe umfaût und zerstört«.193 Damit bezieht sich Hegel einerseits auf die Prädikate und Bestimmungen, die Platon in den einzelnen Untersuchungen der Hypothesen dem Einen und dem nichtseienden Einen bzw. dem Vielen entweder jeweils vollständig zuspricht oder abspricht. ± Andererseits ist Hegels ¾uûerung, daû »das ganze Gebiet« der Verstandesbegriffe in Platons Parmenides destruiert werde, auch auf die noch zu betrachtende vierte Veränderung der Methode Zenons durch Platon zu beziehen. ± 6. Wenn Eines nicht ist, was folgt für das nichtseiende Eine in bezug auf sich selbst? (163 b; dem nichtseienden Einen werden alle Bestimmungen abgesprochen.) 7. Wenn Eines nicht ist, was folgt für das Viele in bezug auf das nichtseiende Eine? (164 b; dem Vielen werden die Bestimmungen nur scheinbar alle zugesprochen, dem Sein nach aber abgesprochen.) 8. Wenn Eines nicht ist, was folgt für das Viele in bezug auf es selbst? (165 e; dem Vielen werden alle Bestimmungen abgesprochen.) Eine ähnliche Liste der Hypothesen aus dem zweiten Teil von Platons Parmenides haben bereits A.E. Taylor (Plato. The Man and his Work. London, 2. Aufl. 1927, 361), K. Düsing (Formen der Dialektik bei Plato und Hegel. In: Hegel und die antike Dialektik. Hrsg. M. Riedel, Frankfurt a.M. 1990, 175, Anm.) und auch J. Halfwassen (Der Aufstieg zum Einen. Untersuchungen zu Platon und Plotin. Stuttgart 1992, 299 f.) aufgestellt. 192 Platon, Parmenides, 136 c. 193 GW, Bd. 4, 207.
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Einige der Bestimmungen, die Platon bei der Untersuchung der Hypothesen dem Einen und Vielen jeweils zu- oder abspricht, sind z. B. Teile / Ganzes, dasselbe mit sich selbst oder mit anderem / verschieden von sich selbst oder von anderem, gleich mit sich selbst oder mit anderem / ungleich mit sich selbst oder mit anderem, ähnlich mit sich selbst oder mit anderem / unähnlich mit sich selbst oder mit anderem.194 Dadurch, daû Platon diese Bestimmungen dem Einen jeweils vollständig zuschreibt und auch wieder abspricht und ebenso dem Vielen die Bestimmungen jeweils vollständig zuschreibt und abspricht, ergibt sich in Hegels Deutung eine gänzliche Zerstörung des Verstandesdenkens. Denn in allen Hinsichten wird jeweils einer verständig sinnvollen Bestimmung eine ebenso sinnvolle Bestimmung entgegengesetzt, wie es der Skeptizismus fordert. So wird dem Einen z. B. sowohl zu- als auch abgesprochen, Ganzes zu sein und Teile zu haben. Auch dem Vielen wird sowohl zu- als auch abgesprochen, Ganzes zu sein und Teile zu haben. Daraus folgt nach Hegel für den einseitigen Verstand, der nicht begreifen kann, wie zwei entgegengesetzte Bestimmungen demselben zukommen können, ein Widerspruch, der auf ein »gänzliches Negiren aller Wahrheit eines solchen Erkennens« hinausläuft. Das führt in Hegels Skeptizismus-Deutung zu den Paradoxien, die die Urteilsenthaltung, die EpochØ des endlichen Verstandes begründen. Daran zeigt sich also der Aspekt an Platons Parmenides-Dialog, um dessentwillen Hegel ihn als vollendetes »System«195 des Skeptizismus bezeichnet. Die Berücksichtigung aller grundlegenden Hinsichten und Prädikate in der Untersuchung des Einen und Vielen im Parmenides-Dialog ist wohl der Grund für die von Hegel gelobte Systematik dieses Skeptizismus.196 Weitere Bestimmungen aus Platons Parmenides, die Hegel als Verstandeskategorien versteht, sind z. B.: Eines, Vieles, Ganzes, Teile, Anfang, Mitte, Ende, Begrenztheit, Unbegrenztheit, Wechsel, Ruhe, Sein, Seiendes, Nichtsein, In-sich-Sein, In-einem-anderen-Sein. Hegel selbst nennt als Beispiele die »Wahrheiten des Verstandes, der die Dinge als mannichfaltig, als Ganze, die aus Theilen bestehen, ein Entstehen und Vergehen, eine Vielheit, Aehnlichkeit u.s.w.« (GW, Bd. 4, 207) erkennt. Interessant ist, daû Hegel in der frühen Jenaer Zeit in seiner eigenen Logik nicht eine solche Fülle von Verstandesbestimmungen aufstellt und sich mehr an Kants Kategorientafel orientiert. Von daher stellt sich die Frage, ob Hegels eigene Kategorienableitung überhaupt vollständig ist, oder ob er die Verstandesbegriffe Platons als nicht eigenständige Verstandesbegriffe ansah, sondern als in den Grundkategorien implizit enthalten. (Hegel sah wohl die Grundbegriffe aus Platons Parmenides, die in seiner eigenen Konzeption keine Kategorien sind, als bloûe Prädikabilien an, die sich aus den eigentlichen Kategorien ableiten lassen und in diesen implizit enthalten sind, nach dem Muster Kants, der ebenfalls Prädikabilien annahm, wie z. B. die Kraft, die keine eigentliche Kategorie, aber aus Kategorien ableitbar ist.) 195 Vgl. GW, Bd. 4, 207. 196 In diesem Zusammenhang ist die Deutung von F. Chiereghin interessant (Platonische Skepsis und spekulatives Denken bei Hegel. In: Skeptizismus und spekulatives Denken in der Philosophie Hegels. Hrsg. H.F. Fulda u. R.-P. Horstmann, Stuttgart 1996, 194
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Nach Platon dagegen sind die Bestimmungen, die dem Einen und Vielen jeweils zu- oder abgesprochen werden, wie auch das Eine und Viele selbst, keine bloûen Verstandesbestimmungen; das dianoetische Verstandesdenken, das im Gegensatz zur Vernunft sinnliche Bilder braucht, um Klarheit über einen Sachverhalt zu gewinnen, beschränkt sich auf die Mathematik;197 es handelt sich vielmehr bei den Bestimmungen, die dem Einen und Vielen zu- oder abgesprochen werden, um vernünftige Eide. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zwischen Platon und Hegel, der zeigt, wie stark Hegel Platon umdeutet und von seiner eigenen Konzeption her sieht. In Hegels Sicht ist die Form der Aufhebung des Wahrheitsanspruches des Verstandes durch Entgegensetzung zweier sich widersprechender Bestimmungen eine rein negative Destruktion und »setzt unmittelbar die Vernunft als die positive Seite voraus«.198 Die »positive Seite« der Vernunft bildet die Grenze für den wissenschaftlich philosophischen Skeptizismus. Die Skepsis kann somit nicht alles Wissen, insbesondere nicht das spekulative Wissen, unterwandern. In Hegels eigenem System der frühen Jenaer Zeit ist die positive Explikation der spekulativen Einheit Entgegengesetzter, die im Widerspruch vernünftig vereint sind, Aufgabe der Metaphysik. Daher erscheint der philosophische Skeptizismus aus Platons Parmenides, ebenso wie die Dialektik in der Logik, »nur auf der negativen Seite«. Dialektik und philosophischer Skeptizismus haben also dieselbe Aufgabe, denn sie bewirken zusammen die Zerstörung des Endlichen. Dabei nimmt diese Form der Zerstörung von der Endlichkeit her ihren Ausgang und beginnt nicht mit einer positiven Bestimmung des Absoluten. Die vierte und letzte Veränderung, die Platon an Zenons Methode vornimmt, besteht darin, daû man die Methode der Hypothesenbildung auch auf die Ideen ¾hnlichkeit, Unähnlichkeit, Bewegung, Ruhe, Entstehen, Vergehen, Sein und Nichtsein auszuweiten hat.199 Mit diesen Ideen ist also nach dem Parmenides-Dialog ebenso zu verfahren wie mit dem Einen und Vielen. 29±49, bes. 30 f.). Chiereghin deutet, daû Hegel aufgrund einer Einbeziehung des ersten Teils des Parmenides-Dialogs, zu der Einschätzung eines systematischen Skeptizismus in Platons Parmenides-Dialog gelangt sei. Chiereghin meint diejenigen Passagen des Parmenides-Dialogs, die der Darstellung der Schrift Zenons durch Sokrates, und die der Widerlegung der Ideenlehre des Sokrates durch Parmenides gewidmet sind. Chiereghin deutet, daû Hegel in diesem ersten Teil des Parmenides-Dialogs die fünf jüngeren Tropen des Sextus Empiricus vorgezeichnet sah (vgl. a. a. O., 33 ff.). Problematisch ist an dieser Deutung, daû sich nach Hegel die fünf jüngeren Tropen gegen die Philosophie wenden und daher nicht verständlich wäre, wie der Parmenides-Dialog in Hegels Sicht philosophischer Skeptizismus sein könnte. 197 Vgl. Platon, Politeia, 510 b f. 198 GW, Bd. 4, 207. 199 Platon, Parmenides, 136 b.
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Daran wird eine Universalisierung der Methode der Hypothesendialektik deutlich. Alle grundlegenden Gedankenbestimmungen und Ideen sind nach dialektischer Methode zu erörtern. In Platons Dialog Sophistes bilden Ruhe, Bewegung, Sein, Dasselbe und Verschiedenheit oberste Gattungen im Ideenkosmos. Platon fordert also im Parmenides, die obersten Gattungen ebenfalls in einer dialektischen Übung zu untersuchen. Im Sophistes-Dialog stellt Platon dann auch tatsächlich eine dialektische Untersuchung solcher Ideen an, die aber nicht in einer Paradoxie endet wie der Parmenides-Dialog. Im Spohistes-Dialog ist die Dialektik vielmehr eine Methode der Ideenverknüpfung, die durch die Theorie der Teilhabe der Ideen aneinander und der Hinsichtenunterscheidung gerade Paradoxien vermeidet und zu einem positiven, nicht aporetischen Resultat gelangt. Platon hat im Sophistes-Dialog die Hypothesendialektik des Parmenides-Dialogs aufgegeben, zugunsten einer Dialektik, die diskursiv die Teilhabe und die Nichtteilhabe, also den Unterschied, von Ideen aneinander rein begrifflich expliziert. Neben der dritten Veränderung der Dialektik Zenons durch Platon im Parmenides-Dialog spielt Hegel wohl auch auf diese vierte Veränderung an, wenn er im Skeptizismus-Aufsatz sagt, daû Platon im Parmenides »das ganze Gebiet jenes Wissens durch Verstandesbegriffe umfaût und zerstört«. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daû Platon die dialektische Untersuchung der Ideen ¾hnlichkeit, Unähnlichkeit, Bewegung, Ruhe, Entstehen, Vergehen, Sein und Nichtsein nach dem methodischen Muster der Hypothesendialektik, die er bei Einem und Vielem angewandt hat, im Parmenides-Dialog zwar programmatisch einfordert, aber noch nicht leistet. Daher ist die ¾uûerung Hegels wohl besser auf Platons dritte Veränderung der Dialektik Zenons zu beziehen. Es hat sich gezeigt, daû Hegel in der frühen Jenaer Zeit den zweiten Teil des Parmenides-Dialogs rein negativ auslegt, im Gegensatz zu den Neuplatonikern, die ihn als positive Lehre Platons auslegen. Sehen die Neuplatoniker im zweiten Teil des Parmenides ± speziell in der ersten Hypothese ± eine Henologie des überseienden Einen, so versteht Hegel den zweiten Teil des Parmenides lediglich als eine Vorbereitungswissenschaft, die die Ansprüche der Endlichkeit aus dem Wege räumt und so der Metaphysik Platz schafft. Diese Vorbereitungswissenschaft ist der philosophische Skeptizismus, der dieselbe Funktion hat wie die Dialektik in der frühen Jenaer Logik Hegels. Die theologische Interpretation des Parmenides-Dialogs durch die Neuplatoniker und Marsilio Ficino war Hegel zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt. Auf beide Deutungen geht Hegel jedoch nicht direkt ein, sondern referiert lediglich die Andeutungen, die Tiedemann in seiner Darstellung der Dialoge Platons macht.200 Vgl. hierzu Tiedemann: Dialogorum Platonis argumenta exposita et illustrata. Biponti ex typographia societatis, Marburg 1786, 339±353. Tiedemann deutet (a. a. O., 340) Marsilio Ficinos und Proklos' Auslegung des Parmenides-Dialogs an, wonach in 200
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Die Methodenreflexion am Ende des ersten Teils und der gesamte zweite Teil von Platons Parmenides-Dialog kann, nach dem Vorbild der Neuplatoniker, als postitiv-metaphysische Lehre Platons gedeutet werden; man kann diese Passagen aus Platons Parmenides-Dialog aber auch als eine dialektische Übung interpretieren, die dazu befähigt, die Wahrheit zu erkennen. Nach dieser Deutung bilden die Methodenreflexion am Ende des ersten Teils und der gesamte zweite Teil des Parmenides-Dialogs eine notwendige dialektische Propädeutik. Denn man muû nach Platon alle Voraussetzungen dialektisch durchgehen, um »vollkommen geübt auch die Wahrheit gründlich durchschauen«201 zu können. Diese Übung ist esoterisch, nur für wenige bestimmt und soll auf die eigentliche Lehre vorbereiten.202 Die Methodenreflexion am Ende des ersten Teils und der zweite Teil des Parmenides-Dialogs haben in dieser Deutung die propädeutische Funktion, die Notwendigkeit von Hinsichtenunterscheidungen und dialektischer Argumentationsweise aufzuweisen. Insbesondere das aporetische Ende des Dialogs, daû »alles auf alle Weise ist und nicht ist« zeigt die zentrale Bedeutung von Hinsichtenunterscheidungen. Werden die Hinsichten nicht unterschieden, dann müssen dem Einen wie dem Vielen sämtliche Prädikate sowohl zu- als auch abgesprochen werden. Das paradoxe Ende lehrt den schmalen Grat zwischen Aporie und Wahrheit zu erkennen. Es zeigt auf, daû Aporien unvermeidbar sind, wenn die notwendigen Hinsichtenunterscheidungen nicht getroffen werden. Daran zeigt sich, daû die Dialektik nur dann zur Erkenntnis führt, wenn sie Hinsichten unterscheidet und Widersprüche vermeidet. Der Parmenides-Dialog weist die fatalen Folgen nach, die es gibt, wenn ein und dasselbe Prädikat dem Einen und dem Vielen sowohl zu- als auch abgesprochen wird und wenn darüber hinaus auch entgegengesetzte diesem die »gesamte Theologie« Platons und die »Offenbarung der Mysterien aller Theologie« enthalten ist, ebenso deutet Tiedemann Ficinos Forderung nach enthaltsamer Askese vor dem »heiligen Studium« des »heiligen Werkes« an. Hegel referiert (GW, Bd. 4, 207) auch Tiedemanns polemisch-kritische Sicht der Neuplatoniker und Ficinos, die er selbst allerdings nicht teilt; dies findet sich bei Tiedemann a. a. O., 339 f. und 350 ff. Über die Deutungstradition von Platons Parmenides selbst vgl.: R. Klibansky, Plato's Parmenides in the Middle Ages and in the Renaissance. In: Mediaeval and Renaissance Studies. 1, 1943, 281±330. Zu der von Hegel in der späten Frankfurter und in der Jenaer Zeit herangezogenen Bipontiner-Ausgabe der Werke Platons, in der eine lateinische Übersetzung und Anmerkungen von Ficino abgedruckt waren und zu welcher Tiedemanns Dialogorum Platonis ... den Ergänzungsband bildet, vgl. J.-L. Vieillard-Baron, G.W.F. Hegel: Vorlesungen über Platon (1825±1826). Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1979, Einleitung 32. Vgl. zu Hegels Rezeption des Neuplatonismus die differenzierte Darstellung von J. Halfwassen: Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Bonn 1999; vgl. auch ders.: Die Bedeutung des spätantiken Platonismus für Hegels Denkentwicklung in Frankfurt und Jena. In: Hegel-Studien 33, 2000, 85±131. 201 Platon, Parmenides, 136 c. 202 Vgl. Platon, Parmenides, 136 d-e.
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Prädikate dem Einen und auch dem Vielen sowohl zu- als auch abgesprochen werden, dann »ist alles auf alle Weise«. Diese Hinsichtenunterscheidungen berücksichtigt Platon dann in der Ideendialektik, wie er sie in dem Dialog Sophistes darstellt. Heidegger deutet, daû Platons Lehre von der Wahrheit sich von einer Wahrheit, die als Unverborgenheit gedacht ist, zu einer Wahrheitskonzeption wandelt, die Wahrheit als Richtigkeit denkt.203 Diese Deutung aufnehmend kann gesagt werden, daû nach Platon Wahrheit nicht nur einerseits »Entborgenheit« und »Lichtung« des überseienden Guten ist, wie es das Sonnengleichnis aus der Politeia nahelegt,204 sondern daû diese Lichtung andererseits auch rein denkend durch die Vernunft erschlossen werden muû. Die Vernunft bedient sich dabei der Dialektik, um das wahrhaft und an sich Seiende, die Ideen in ihrem Zusammenhang darzustellen. Dies wird bereits im Liniengleichnis aus der Politeia angedeutet. Hier findet sich eine Form der Hypothesendialektik. Aber im Unterschied zum Parmenides-Dialog besteht die Dialektik, die im Liniengleichnis der Politeia dargestellt wird, darin, die Voraussetzungen immer weiter zu hinterfragen, um so in aufsteigender Weise den Ideenkosmos bis zum Voraussetzungslosen, dem Guten an sich, vorzudringen, um anschlieûend wiederum den Abstieg vom Voraussetzungslosen zu den bedingteren Ideen zu vollziehen. Den Aufstieg vollzieht die dialectica ascendens und den Abstieg die dialectica descendens. ± Damit sei jedoch nicht gesagt, daû nach Platon die Vernunft in ihrem dialektischen Druchgang des Ideenkosmos die Ideen konstituiert. Nach Platon sind die Ideen der Vernuft vielmehr als das zu Denkende vorgegeben, denn das vernünftige Denken setzt einen rein gedachten Inhalt voraus. ± Die Hinterfragung der Voraussetzungen unterscheidet nach Platons Lehre aus der Politeia die dialektische Vernunft vom mathematischen Verstand, der die Hypothesen als gegeben voraussetzt und ihre Gründe nicht weiter thematisiert.205 Der Parmenides-Dialog stellt eine Propädeutik für die Erkenntnis der Wahrheit als Richtigkeit dar; er hat die Funktion mit seinem aporetischen Ende zu zeigen, daû die Vernunft ohne methodisch eingeübte Hinsichtenunterscheidungen nicht zu einer angemessenen Erkenntnis des Ideenkosmos gelangen kann. Im Parmenides-Dialog expliziert Platon zwar eine Hypothesendialektik, aber die Gründe für die sich hier zeigenden Widersprüche des Einen und Vielen werden erst in der späteren Lehre aufgewiesen und noch nicht im Parmenides-Dialog, der daher eine Propädeutik darstellt. Vgl. Heidegger, Platons Lehre von der Wahrheit. Bern 1975, 3. Aufl., 25, 31 ff., 40 ff.; vgl dazu auch ders.: Vom Wesen der Wahrheit. Zu Platons Höhlengleichnis und Theätet. Vorlesung vom Wintersemester 1931/32. Gesamtausgabe, Abt. II, Bd. 34, Hrsg. H. Mörchen, Frankfurt a.M., 1988, 21±147. 204 Vgl. Platon, Politeia, 508 d ff. 205 Vgl. Platon, Politeia, 511 b f. 203
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Daher schlieût sich auch der Sophistes-Dialog nahtlos an den ParmenidesDialog an, weil hier zunächst der Schein des Sophisten, der den Logos miûbraucht, von der Wahrheit des vernünftige Dialektik treibenden Philosophen getrennt werden soll. Das Resultat des Parmenides-Dialogs, daû »alles auf alle Weise ist und nicht ist«, stellt nämlich die argumentative Basis des Sophisten dar, die es nach Platon zu bekämpfen gilt. Die Unterscheidung von Sophist und Philosoph ist eine Aufgabe, die im Parmenides-Dialog noch nicht gelöst ist, die dort aber in aller Dringlichkeit durch die unvermeidbaren Aporien vor Augen gestellt wird, denn man gerät notwendig in Widersprüche, wenn nicht Hinsichtenunterscheidungen getroffen werden. Daher ist über die Propädeutik des Parmenides-Dialogs hinauszugehen, die Widersprüche können nicht bestehen bleiben. Die fatalen aporetischen Konsequenzen und die entstehenden Widersprüche, die der ParmenidesDialog darstellt, sind wohl auch der Grund für die Esoterik dieses Dialogs. »Denn die Menge weiû nicht, daû, ohne so das ganze Gebiet durchzugehen und zu umwandeln, es nicht möglich ist, die Wahrheit treffend richtige Einsicht wirklich zu erlangen.«206 Die Dialektik des Sophistes-Dialogs ist daher eine andere als diejenige des Parmenides-Dialogs, sie stellt keine Hypothesen und unaufgelösten Widersprüche auf, sondern ist eine Methode der reinen Ideenverknüpfung, welche die Bedeutungsgehalte der einzelnen Ideen für sich betrachtet und dann in Hinsichtenunterscheidungen untersucht, ob es überhaupt möglich ist, ohne einen Widerspruch zu begehen, die Ideen miteinander zu verknüpfen, oder ob sich dieses aufgrund des drohenden Widerpruchs verbietet. Platon gibt also im Sophistes-Dialog die Hypothesendialektik auf, wie sie im Parmenides-Dialog vorgesehen war.207 Hegel nimmt Platons Parmenides-Dialog auf und macht ihn für seine eigene Konzeption fruchtbar. Die Logik des Verstandes gilt es nach Hegel zu überwinden. Wie das Resultat des Parmenides-Dialogs darf die Logik nach dem frühen Jenaer Hegel keine letzte Gültigkeit beanspruchen, sondern sie ist nur Einleitung in die wahre Vernunfterkenntnis der Metaphysik. Beim frühen Jenaer Hegel hat die dem Verstand gegenüber skeptische Dialektik Platon, Parmenides, 136 d/e. Mit dieser Deutung soll nicht gesagt sein, daû sämtliche Argumente, die Platon im zweiten Teil des Parmenides-Dialogs vorbringt in sich widersprüchlich und falsch seien. F.v. Kutschera (Platons »Parmenides«. Berlin, New York 1995, bes. 140±148) unterscheidet mehrere Schichten des Parmenides-Dialogs, der nach seiner Ansicht daher sowohl in einzelnen Partien aporetisch als auch in anderen Paritien absichtlich ironisch und verwirrend argumentiert und in wieder anderen Partien tatsächliche Lehren Platons enthalte. Allerdings ist das Gesamtresultat des Dialogs eine Aporie, »alles ist auf alle Weise und ist nicht«. Kutscheras Deutung ist strukturell derjenigen von Damaskios ähnlich, der einzelne Hypothesen als positiv und andere als absurd interpretiert. Vgl. zu der Deutung von Damaskios J. Halfwassen (Der Aufstieg zum Einen. Stuttgart 1992, 271 Anm. 21, dort auch mehr Literatur zu Damaskios' Deutung). 206 207
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dieselbe Bedeutung wie das paradoxe Resultat von Platons Parmenides-Dialog, daû »alles auf alle Weise ist und nicht ist«, nämlich die Einsicht, daû es eine höhere Wahrheit geben muû, die nicht in ein Unwissen führt. Ist dies bei Platon die Ideendialektik ohne paradoxen Ausgang und unter Vermeidung des Widerspruchs, wie er sie im Sophistes-Dialog ausführt, so ist dies bei Hegel in der frühen Jenaer Zeit die Substanzmetaphysik, in der allerdings der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch gerade nicht mehr gilt, was einen fundamentalen Unterschied zu Platons Konzeption bedeutet. Wie der frühe Jenaer Hegel in der Logik als Einleitung in die Metaphysik noch keine spekulativen Bestimmungen darstellt, so gibt auch Platon in der Propädeutik des Parmenides-Dialogs noch keine Antworten auf die dort aufgeworfenen Probleme. Wir haben Hegels Deutung des philosophischen Skeptizismus herangezogen, um die Vorgehensweise der Dialektik in der Logik zu verdeutlichen. Dies ist möglich, weil beide dieselbe destruktiv negative Funktion gegenüber der einseitig endlichen Verstandesreflexion haben. Vollständig ist es laut Hegel eigentlich erst nach dem Durchgang durch die Metaphysik und erst, nachdem das oberste »Princip der Philosophie« erkannt wurde, möglich, das »Gespenst des Skepticismus [...] in seiner Blösse«208 zu durchschauen. Dies liegt darin begründet, daû der Skeptizismus als die negative Seite der Philosophie unmittelbar die positive Seite voraussetzt. Es machen sich also im Skeptizismus metaphysische Implikationen geltend, die zwar für den Verstand, der skeptisch zerstört wird, nicht erkennbar sind, aber die Kraft des ihn zerstörenden Widerspruchs erfährt der Verstand dennoch, wenn sie auch auf der Vernunft und auf der vernünftigen Einheit Entgegengesetzter beruht. Dieser Sachverhalt aber ist nur für uns, die Philosophen, die bereits metaphysisches Wissen haben, zu erkennen, nicht für die endliche Reflexion. Die Zerstörung der endlichen Reflexion soll der Skeptizismus zwar leisten, und damit erwirkt er die notwendige Einsicht, daû sich die Endlichkeit zerstört. Daû sich aber auch der Skeptizismus zerstört und daû er nicht letzter und höchster Systemteil ist, kann erst nach dem Durchgang durch die Metaphysik gezeigt werden. VIII. Hegels Verhältnis zu Schellings Konzeption von Logik, Dialektik und Skeptizismus zwischen 1801 und 1803 Hegel und Schelling verband in der Jenaer Zeit zwischen 1801 und 1803 nicht nur dasselbe philosophische Ziel, nämlich die vollständige vernünftige Erkennbarkeit des Absoluten systematisch darzustellen und das Absolute als 208
GW, Bd. 5, 275.
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Prinzip der Philosophie zu explizieren, sondern sie verband auch eine enge Freundschaft. Sie arbeiteten in Jena zusammen, Schelling habilitierte Hegel, ab 1801 hielten sie an derselben Universität Vorlesungen, wohnten eine Zeitlang zusammen und gaben ab 1802 gemeinsam die Zeitschrift Kritisches Journal der Philosophie heraus, wobei sie, um ihre philosophische Zusammengehörigkeit zu dokumentieren, nicht kenntlich machten, ob ein Aufsatz oder eine Arbeit von Schelling oder von Hegel stammte.209 In der Sekundärliteratur wird bezüglich des Zeitraumes von 1801 bis 1803 häufig Hegel als bloûer Anhänger Schellings gesehen, so z. B. bei P. Kondylis (Die Entstehung der Dialektik. Eine Analyse der geistigen Entwicklung von Hölderlin, Schelling und Hegel. Stuttgart 1979, z. B. 619, 627, 652). Kondylis hat jedoch einen undifferenzierten Begriff von Dialektik und findet daher schon beim frühen Jenaer Hegel ± ebenso bei Schelling ± eine positive Dialektik, die nicht nur die Bestimmungen der Endlichkeit zerstört, sondern auch das Absolute selbst bestimmt, vgl. a. a. O., 652. Auch W. Hartkopf (Kontinuität und Diskontinuität in Hegels Jenaer Anfängen. Königstein/Ts. 1979, 10, 61) sieht eine klare Abhängigkeit Hegels von Schelling. Zum Thema auch ders.: Die Anfänge der Dialektik bei Schelling und Hegel. Zusammenhänge und Unterschiede. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 30, 1976, 545±566. ¾hnlich schon R. Haym (Hegel und seine Zeit. Berlin 1857, (Nachdruck: Darmstadt 1962) 153). Haym betont allerdings auch, daû zu dieser Zeit beide Positionen »völlig in Eins« zusammengewachsen sind (ebd.). Auch W. Dilthey (Die Jugendgeschichte Hegels. Gesammelte Schriften, Bd. IV, Stuttgart/ Göttingen, 3. Aufl. 1963, 195, 197 ff., 212) sieht Hegel unter dem Einfluû Schellings. Es gibt jedoch auch die umgekehrte Deutung, die Schelling lediglich in Abhängigkeit von Hegel sieht, so z. B. C.L. Michelet (Das System der Philosophie als exacter Wissenschaft. Bd. III, Berlin 1878, 584 ff.). Eine dritte Forschungsrichtung ist differenzierter, sie untersucht detailliert beide Positionen und kann verschiedene Aspekte jeweils entweder originär Hegel oder originär Schelling zuschreiben, wobei sich bei verschiedenen Untersuchungsgebieten immer wieder Prioritäten von einem der beiden Denker aufweisen lassen. So war z. B. die Logik in der Jenaer Zeit von Schelling und Hegel 1801 bis 1803 sicherlich ein besonderer Schwerpunkt von Hegel, nicht aber von Schelling. Dieser Forschungsrichtung gehört z. B. K. Düsing an, vgl.: Spekulation und Reflexion. Zur Zusammenarbeit Schellings und Hegels in Jena. In: Hegel-Studien 5, 1969, 95±128; ders.: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 134±150; ders.: Idealistische Substanzmetaphysik. Probleme der Systementwicklung bei Schelling und Hegel in Jena. In: Hegel-Studien Beiheft 20, 1980, 25±44. Differenziert und luzid äuûert sich auch M. Fujita in seiner Arbeit: Philosophie und Religion beim jungen Hegel. Unter besonderer Berücksichtigung seiner Auseinandersetzung mit Schelling. Bonn 1985, 133±172. Zum Verhältnis Schellings und Hegels äuûert sich auch Werner Marx (Die Bestimmung der Philosophie im Deutschen Idealismus. In: Vernunft und Welt. Den Haag 1970, 1±20); er sieht bereits in Hegels Bestimmungen der Philosophie in der Differenzschrift eine sachliche Differenz und Kritik an Schellings Position. Zumindest den eigenen Intentionen Hegels entspricht dies jedoch nicht, vielmehr wurde die Differenzschrift verfaût, um Schellings Philosophie gegen diejenige Fichtes und Reinholds aufzuwerten. Differenzen zwischen Hegels und Schellings Position sind nur zwischen den Zeilen zu finden, wohl weil diese Differenzen beiden Denkern selbst noch nicht bewuût waren. W. Marx ist also insofern zuzustimmen, daû es Differenzen im Philosophieverständnis Hegels und Schellings gab, eine bewuûte Kritik entsprang daraus zu diesem frühen Zeitpunkt jedoch noch nicht. Vgl. auch H. Fuhrmans: Schelling und Hegel. Ihre Entfremdung. In: Schelling. Briefe und Dokumente. Bd. I, 1775±1809. Hrsg. H. Fuhrmans, Bonn 1962, 451±553; und X. Tilliet209
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Schelling konzipiert in den Werken Darstellung meines Systems der Philosophie von 1801 und Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie von 1802 die Erkenntnis des Absoluten durch die Vernunft. Die absolute Identität ist selbst unmittelbar die Vernunft. Vernunft und Absolutes sind identisch, und nur in der Vernunft ist ein Zugang zum Absoluten gegeben. Das Absolute ist nach Schelling absolute Identität, also die vollständige Selbigkeit von Subjekt und Objekt. Diese vollständige Identität ist in der intellektuellen Anschauung realisiert, denn das intellektuell Anschauende ist zugleich unmittelbar das Angeschaute, der Unterschied beider ist aufgehoben. Die Vernunft ist nach Schelling intellektuelle Anschauung. Schelling schreibt am 30. Juli 1805 an Eschenmayer, daû ihm »das Licht in der Philosophie aufgegangen ist, seit 1801«.210 Mit dem Licht ist das Identitätssystem gemeint, in dem die vollständige, vernünftige Erkenntnis des Absoluten im Rahmen der Philosophie postuliert wird. Es bedarf daher nach Schelling nicht der Reflexion, um das Absolute zu erkennen. Dies unterscheidet Schellings Konzeption von derjenigen Hegels, die mit der Logik eine notwendige und systematische Einleitung in die Metaphysik vorsieht, die von der endlichen Reflexion und deren Destruktion ausgeht. Nach Schelling ist das endliche Denken von der Erkenntnis des Absoluten vollständig ausgeschlossen, es hat keine einleitende Funktion. Daher kommt auch im Dialog Bruno von 1802 der Logik keine zur philosophischen Spekulation hinführende Rolle zu. »Bruno: [...] Die Logik also [...] werden wir als eine bloûe Verstandeswissenschaft ansehen müssen? Lucian: Notwendig. Bruno: Welche Hoffnung also zur Philosophie für den, welcher sie in der Logik sucht? Lucian: Keine.«211 Schellings Konzeption der Logik unterscheidet sich daher grundlegend von derjenigen Hegels. Nach Schelling ist die Logik keine Philosophie. Die Logik führt lediglich zu einer verstandesmäûigen Erkenntnisart des Absoluten, sie ist nicht wie bei Hegel notwendige, einleitende, negative Explikation des Absoluten. Die Logik als Einleitung ist zwar nach dem frühen Jenaer Hegel auch noch keine Metaphysik, dennoch gehört sie als systematischer Teil in die Philosophie. te: L' Absolu et la philosophie. Essais sur Schelling. Paris 1987, daraus: Hegel et Schelling à IØna. 97±120; auch ders.: Schelling. Une philosophie en devenir. Bd. 1., Le Systme vivant 1794±1821. Paris 1970, 295±305; auf die verschiedenen Standpunkte betreffs des Verhältnisses von Schelling und Hegel in der Sekundärliteratur geht X. Tilliette ein, in: Hegel in Jena als Mitarbeiter Schellings. In: Hegel-Studien Beiheft 20, 1980, 11±24, zum Thema auch: H. Krings: Die Entfremdung zwischen Schelling und Hegel (1801±1807). München 1977. 210 Schelling. Briefe und Dokumente. Bd. III, 1803±1809. Zusatzband. Hrsg. H. Fuhrmans, Bonn 1975, 222. 211 Schelling, Bruno, SW, Abt. I, Bd. 4, 300.
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Nach Schelling kann die Logik allererst richtig betrieben werden, wenn zuvor die metaphysischen Gehalte erkannt worden sind: »In deine Betrachtung [gemeint ist die Betrachtung der Formen des Verstandes; d. V.] versenkt sich der Forscher, nachdem er in dir das Abbild des Herrlichsten und Seligsten erkannt hat.«212 Also erst nachdem die absolute Identität erkannt worden ist, kann die nichtige Rolle der Verstandesreflexion eingesehen werden. In dem Werk Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie betont Schelling die Rolle der intellektuellen Anschauung. Diese ist unmittelbare, intuitiv vernünftige Erkenntnis des Absoluten.213 Die Methode dieser Erkenntnis des Absoluten ist die Konstruktion. Zentral für die Konstruktion ist die intellektuelle Anschauung, denn in der Konstruktion werden nach Schelling Ideen, die die wesentliche Einheit von Allgemeinem und Besonderem sind, intellektuell angeschaut.214 Es gibt also auch nach diesem Werk Schellings keine Einleitung in die intuitionistische Spekulation. Mit diesem Unterschied zwischen Hegel und Schelling, nämlich daû letzterer keine Einleitung in die Spekulation vorsieht, hängt auch ein methodisches Problem zusammen: Schelling nimmt den »mos geometricus« von Spinoza euphorisch auf. Der »mos geometricus« ist für Schelling das Vorbild für seine Darstellung meines Systems. Hegel sieht dagegen den »mos geometricus« Spinozas wesentlich kritischer. Die Schwierigkeit, die Philosophie mit der unmittelbaren Definition des Absoluten anfangen zu lassen, besteht Schelling, Bruno, SW, Abt. I, Bd. 4, 297; die hier im Terminus »Seligsten« im Hintergrund anklingenden Neuplatonismen bei Schelling hat W. Beierwaltes (Absolute Identität. Neuplatonische Implikationen in Schellings »Bruno«. In ders.: Identität und Differenz. Frankfurt a.M. 1980, 204±240; vgl. auch ders.: Platonismus und Idealismus. Frankfurt a.M. 1972, bes. 100±144) herausgearbeitet. 213 Vgl. Schelling, Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie, SW, Abt. I, Bd. 4, 346 f. und 368 f. 214 Zur Methode der Konstruktion bei Schelling vgl. Fernere Darstellungen, SW, Abt. I, Bd. 4, 408 f.; vgl. auch Über die Konstruktion in der Philosophie, SW, Abt. I, Bd. 5, 125±151; in diesem Aufsatz aus dem Kritischen Journal der Philosophie von 1802 rezensiert Schelling das Werk des schwedischen Philosophen Benjamin Carl Hoyer: Abhandlung über die philosophische Konstruktion, als Einleitung zu Vorlesungen in die Philosophie. Stockholm 1801. Dieser bezieht sich, wie auch Schelling in seiner Rezension, kritisch auf Kants Konstruktionsbegriff aus der transzendentalen Methodenlehre der Kritik der reinen Vernunft B 740±755. Anders als für Kant ist die reine, intellektuelle Anschauung sowohl für Hoyers als auch für Schellings Konstruktionsbegriff zentral. Zu Hoyer vgl. Abhandlung über die philosophische Konstruktion, 48 f., wo Hoyer im Anschluû an Fichte Kants ursprüngliche Apperzeption als intellektuelle Anschauung uminterpretiert, und 51, wo deutlich wird, daû für Hoyer Konstruktion begriffliche Einschränkung, d. h. begrenzende Bestimmung eines durch reine, intellektuelle Anschauung gegebenen Stoffes ist, vgl. auch 79 und 157, wo das Vorbild für Hoyers Konstruktionsmethode deutlich wird, nämlich Fichtes methodischer Dreischritt in These, Antithese und Synthese. Zur intellektuellen Anschauung in der philosophischen Konstruktion bei Schelling vgl. Über die Konstruktion in der Philosophie, SW, Abt. I, Bd. 5, 129 ff. 212
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nach Hegel darin, daû sich »die Vernunft von der Subjektivität des Reflektirens«215 noch nicht befreit hat. Die Überwindung der Einseitigkeit des Verstandes hat nach dem frühen Jenaer Hegel die Logik zu leisten. Was Hegel hier also kritisiert, ist das Fehlen einer Einleitung in die Spekulation, wenn man nach dem Vorbild Spinozas unmittelbar mit der Definition des Absoluten das System beginnt. Daû Hegel mit dieser Kritik eigentlich Schellings Ansatz im Auge hatte, ist möglich, kann aber nicht eindeutig verifiziert werden. Jedenfalls zeigt sich daran ein wichtiger Unterschied in den Konzeptionen Schellings und Hegels. Schelling ist ebenso wie Hegel der Ansicht, daû in der absoluten Identität »der Gegensatz des Analytischen und Synthetischen selbst nicht existiert«.216 Allerdings verstehen Schelling und Hegel das Analytische und Synthetische unterschiedlich. Analytisch ist nach Schelling das formallogische reine Denken, das nach der Verstandesidentität begriffsimmanent bleibt. Synthetisch meint dagegen eine relative, Denken und Sein verknüpfende Identität. Hegel versteht unter dem Analytischen ein antithetisches Entgegensetzen217 und unter der Synthesis der endlichen Reflexion eine bloû relative, d. h. partielle, Identität Unterschiedener. Darüber hinaus unterscheidet Hegel noch eine Synthesis der philosophischen Reflexion, die eine Vereinigung widersprüchlich Entgegengesetzter ist: Wie wir gesehen haben, differenziert Hegel methodisch für die Logik ab 1801 über antithetisches Entgegensetzen und synthetisches Beziehen hinaus noch die dialektische Methode, die in Antinomien das Entgegensetzen der Antithesis und das Beziehen der Synthesis in einen widersprüchlichen Zusammenhang überführt. Dabei differenziert Hegel gegenüber Fichte auch noch eine höhere, vernünftige synthetische Einheit, die dem endlichen Synthetisieren des Verstandes zugrundeliegt und die endliche Reflexionssynthesis leitet. Thesis, Antithesis und Synthesis konzipiert Schelling dagegen als rein endliche Akte der Reflexion. Diese drei Akte als grundlegende Handlungen der endlichen Reflexion integriert Schelling in die synthetische Methode, sie bilden deren Vollzugsmomente.218 In der Konstruktion aber, in der philosophischen, intellektuell intuitiven Darstellung der vernünftigen Einheit von Allgemeinem und Besonderem, d. h. Denken und Sein, Wesen und Form Hegel, Differenzschrift, GW, Bd. 4, 24. Schelling, Fernere Darstellungen, SW, Abt. I, Bd. 4, 345, vgl. auch die dortige Anm.; zur analytischen und synthetischen Methode auch: a. a. O., 399; vgl. ebenfalls Schellings Darstellung in: Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 46; zu Hegel vgl. Differenzschrift, GW, Bd. 4, 24: Die Reflexion »muû, was in der absoluten Identität Eins ist, trennen und die Synthese und die Antithese getrennt, in zwei Sätzen, in einem die Identität, im andern die Entzweyung, ausdrükken«. 217 Vgl. GW, Bd. 4, 79 f. 218 Vgl. Schelling, Fernere Darstellungen, SW, Abt. I, Bd. 4, 399. 215 216
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kommen die drei Akte der Reflexion, Thesis, Antithesis und Synthesis, nicht vor. In der Konstruktion sind diese Drei »eins und ineinander«.219 Dies ist wieder vergleichbar mit Hegel, für den auch Antithese und Synthese »in der absoluten Identität Eins«220 sind, wobei jedoch zur Einsicht dieser Einheit von Antithese und Synthese die Vermittlung der Dialektik notwendig ist, sofern sie in der Antinomie erkennen läût, daû antithetisches Entgegensetzen nur in Bezug auf synthetisches Beziehen und umgekehrt möglich ist. Im Unterschied hierzu findet sich in Schellings Schrift Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie eine solche Differenzierung nicht. Der Terminus Dialektik kommt bei Schelling in den Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums vor, die 1803 veröffentlicht wurden. Diese Vorlesung hielt Schelling nach eigenem Bezeugen bereits 1802 in Jena.221 Die eigentliche Philosophie kann nach Schelling nicht erlernt werden, sie ist eine Frage des Talents. Die Dialektik hat die pädagogisch didaktische Funktion, in die Philosophie einzuüben. »Das, was von der Philosophie, nicht eigentlich gelernt, aber doch durch Unterricht geübt werden kann, ist die Kunstseite dieser Wissenschaft, oder was man allgemein Dialektik nennen kann. Ohne dialektische Kunst ist keine wissenschaftliche Philosophie! Schon ihre Absicht, alles als eins darzustellen und in Formen, die ursprünglich dem Reflex angehören, dennoch das Urwissen auszudrücken, ist Beweis davon. Es ist dieses Verhältnis der Spekulation zur Reflexion, worauf alle Dialektik beruht.«222 Wie die philosophische Spekulation beruht auch die Dialektik auf einem »produktiven Vermögen« und hat daher eine Seite, »von welcher sie nicht gelernt werden kann«.223 Offensichtlich bestimmt Schelling damit das Verhältnis von Reflexion und Spekulation anders als in den übrigen Werken aus dieser Zeit. Einen derartigen Übergang von der Reflexion zur Spekulation mit Hilfe der Dialektik konzipiert Schelling speziell in den Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums. Die Dialektik soll in den Reflexionsformen die absolute Identität darstellen. Die Dialektik wird notwendig für eine wissenschaftliche Darstellung der Philosophie. Schellings Bestimmungen der Dialektik changieren jedoch. Die Dialektik dient der Einübung, soll aber gleichwohl nicht erlernbar sein. Dies erinnert an Platons Bestimmung der Schelling, Fernere Darstellungen, SW, Abt. I, Bd. 4, 399. Hegel, Differenzschrift, GW, Bd. 4, 24. 221 Vgl. Schelling, Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, SW, Abt. I, Bd. 5, 209. 222 Schelling, Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, SW, Abt. I, Bd. 5, 267. 223 Schelling, Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, S.W. Abt. I, Bd. 5, 267. Zur Nichterlernbarkeit von Philosophie vgl. auch Schelling, Fernere Darstellungen, SW, Abt. I, Bd. 4, 267. 219 220
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Dialektik als Gesprächskunst, die die angeborenen Ideen durch Rede und Gegenrede klarmacht. Auch hier wird ein »Urwissen« im Unterricht eingeübt. In Hegels Dialektikbestimmungen aus dieser Zeit spielt dagegen die dialogische Dialektik, besonders der frühen Dialoge Platons, keine Rolle. Die Formen und Bestimmungen, mit denen die Dialektik nach Schelling operiert, gehören »ursprünglich dem Reflex« an, d. h., sie sind reflexiv endlich; dennoch sollen sie »alles als eins« darzustellen streben, was einer vernünftigen, nicht endlichen Auffassung entspricht. Hier stehen vermutlich Hegels Bestimmungen im Hintergrund, die Schelling aus mannigfachen Gesprächen mit Hegel in der frühen Jenaer Zeit bekannt gewesen sind.224 Bei Schelling ist jedoch die Zuordnung der Dialektik entweder zur Reflexion oder zur Spekulation unklar.225 Die Dialektik ist in dieser Zeit bei Hegel in Bezug auf das Absolute zwar auch bloû negativ, aber sie ist nicht eine bloûe »Kunstseite« der Philosophie wie bei Schelling, sondern ein notwendiger methodischer Bestandteil der Logik, mit systematischer DestruktionsfunkK. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 100 ff.) hat herausgearbeitet, daû diese Aspekte der Dialektikkonzeption Schellings in den Vorlesungen zur Methode des akademischen Studiums nur vor dem Hintergrund von Hegels Konzeption einer die Endlichkeit destruierenden dialektischen Logik adäquat zu verstehen sind. Ebenso zeigt Düsing (a. a. O.), daû Schellings Bestimmung der endlichen Logik als wissenschaftlicher Skeptizismus vor dem Hintergrund Hegelscher Bestimmungen zu entschlüsseln ist. Demzufolge ist festzustellen, daû es wohl Hegel war, der Schelling in der Bestimmung der Rolle der Logik als wissenschaftlicher Skeptizismus und der Dialektik beeinfluût hat. Dies wirft auch ein Licht darauf, wie eng bei Hegel in der frühen Jenaer Zeit Skeptizsmus und Dialektik in der Logik verschwistert sind. 225 Dies deutet wiederum auf eine noch tiefere Problemdimension der Konzeption Schellings hin, nämlich auf das Verhältnis von Endlichkeit und Absolutem. So deuten sich schon in dem Entwurf des Identitätssystems einerseits die Probleme und andererseits die Ansätze an, aufgrund derer Schelling später das Identitätssystem entscheidend modifiziert und eine Theorie des Abfalls vom Absoluten konzipiert, die das Verhältnis von Endlichkeit und Absolutem klären soll. Die Theorie des Abfalls vom Absoluten konzipiert Schelling z. B. in Philosophie und Religion von 1804 und in der Freiheitsschrift von 1809. Das Problem wird in der Jenaer Zeit Schellings bereits deutlich in den Ferneren Darstellungen (1802), SW, Abt. I, Bd. 4, 389: »Das wahre Seyn ist nur in den Ideen, jedes Ding aber, das sich absondert und durch diese Absonderung selbst sich seine Zeit und das zeitliche und empirische Daseyn setzt, ist abgesondert nur für sich selbst und durch sich selbst, und der höchste und allgemeinste Absonderungs= und Übergangspunkt aus der absoluten Idealität in die Aktualität ist die relative Einheit des Idealen und Realen, die relative Ichheit; diese aber ist immer nur ihr eigenes Handeln, nichts unabhängig von sich selbst und auûer sich selbst.« ¾hnlich auch im Dialog Bruno, SW, Abt. I, Bd. 4, 258. Vgl. zum Thema auch H. Zeltner: Das Identitätssystem. In: Schelling. Hrsg. H.M. Baumgartner, Freiburg/München 1975, 75±94, bes. 90 f. Zur Problematik des Abfalls vom Absoluten und der Freiheit bei Schelling vgl. S. Peetz: Die Freiheit im Wissen. Eine Untersuchung zu Schellings Konzept der Rationalität. Frankfurt a.M. 1995; S. Jürgensen: Freiheit in den Systemen Hegels und Schellings, Würzburg 1997, äuûert sich sowohl zum Identitätssystem (a. a. O., 74±113) als auch zum Freiheitsproblem und der Theorie des Abfalls vom Absoluten bei Schelling (a. a. O., 113±153). 224
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tion. Bezogen auf die Konzeption der Dialektik zeigen sich zwischen Schelling und Hegel also sowohl Übereinstimmungen als auch Unterschiede. Im Gefolge der veränderten Bestimmung des Verhältnisses von Reflexion und Spekulation in Schellings Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums ändert sich auch seine Bestimmung der Logik. Die Logik gehört hier zwar auch »zu den empirischen Versuchen in der Philosophie«,226 hat aber, sofern sie wissenschaftlich durchgeführt wird, dieselbe Funktion wie die Dialektik, d. h. sie ist mit dieser identisch. Die Logik ist als eine solche Dialektik ein »wissenschaftlicher Skepticismus«, sofern sie »die Formen der Endlichkeit in ihrer Beziehung aufs Absolute«227 darstellt. Die Dialektik ist also Skeptizismus. Dies entspricht genau den Bestimmungen Hegels, wie er sie im Skeptizismus-Aufsatz ausgeführt hat. Schelling betont, daû es eine solche Logik noch nicht gebe. Vielleicht spielt er damit darauf an, daû Hegel eine solche noch nicht veröffentlicht hat. Schelling muû jedenfalls gewuût haben, daû Hegel zu dieser Zeit bereits über eine ähnliche Konzeption der Logik verfügte, die mit Hilfe der Dialektik die destruktive Aufhebung der »Formen der Endlichkeit«228 leisten soll. Schellings Bezeichnung »Formen der Endlichkeit« ist ein wörtliches Zitat aus Hegels Ankündigung seiner Logik- und Metaphysik-Vorlesung vom Wintersemester 1801/02; ebenso taucht diese Wendung in Hegels Gliederungsentwurf zu dieser Logik- und Metaphysik-Vorlesung auf. In der Konzeption der Dialektik zeigt sich in den Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums eine offenkundige Nähe Schellings zu Hegel, was nahelegt, daû Schelling in diesem Werk die entscheidende Anregung von Hegel erfahren hat, zumal in den weiteren Schriften Schellings aus der Zeit von 1801 bis 1803 eine andere Konzeption des Verhältnisses von Reflexion und Spekulation vorherrscht, welche die Dialektik gar nicht berücksichtigt. IX. Zusammenfassung und Ausblick Die Dialektik in der frühen Jenaer Zeit Hegels von 1801 bis 1803/04 kann als systematische Entgegensetzung von Reflexionsbestimmungen beschrieben werden, welche die dialektische Methode in einen Widerspruch führt und damit zerstört. Diese Form wissenschaftlichen Aufstellens von Antinomien bleibt aber bezüglich der Erkenntnis des Absoluten rein negativ und ist auf die positive Erkenntnis des Absoluten durch die philosophische Reflexion Schelling, Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, SW, Abt. I, Bd. 5, 269. 227 Schelling, Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, SW, Abt. I, Bd. 5, 269. 228 Vgl. Hegel, GW, Bd. 5, 654 und 272 f.; Rosenkranz, 190 f. 226
Zusammenfassung und Ausblick
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angewiesen, die in der Spekulation mit der intellektuellen Anschauung verknüpft ist. Hegels reife Dialektik zeichnet sich dagegen durch ihre positive Erkenntnis spekulativ absoluter Bestimmungen mit rein begrifflichen Mitteln aus. Eine positiv-spekulative Dialektik konzipiert Hegel in der frühen Jenaer Zeit offensichtlich noch nicht. Zwischen Reflexion und Spekulation steht beim frühen Jenaer Hegel die Dialektik in der Mitte als negatives Bild des Absoluten. Die Dialektik vermittelt zwischen endlichem und unendlichem Wissen. Der antinomische Widerspruch zeigt sich in der Destruktion des obersten Verstandesgesetzes, welches besagt, daû Identität und Nichtidentität auseinanderzuhalten sind, um den Widerspruch zu vermeiden. Der immanente Zusammenhang von Identität und Nichtidentität bildet für den Verstand den antinomischen Widerspruch und hebt die Verstandesreflexion auf, womit der Weg für die Spekulation frei wird. Der antinomisch-dialektische Widerspruch kann aber nicht durch die nur endliche Reflexion aufgestellt werden. Wenngleich die endliche Reflexion die zerstörerische Wirkung des Widerspruchs zu spüren bekommt. Die Antinomie als synthetische Beziehung und innerer Zusammenhang von Identität und Nichtidentität wird als Dialektik im Rahmen der Logik von der negativen philosophischen Reflexion vollzogen. Diese ist in der Lage, eine solche Verknüpfung aufzustellen, die die Hinsichtenunterscheidungen der bloû endlichen Reflexion aufhebt und bereits auf die positive philosophische Reflexion vorausweist, die dann in der spekulativen Metaphysik, mit der intellektuellen Anschauung verbunden, das Absolute erkennt. Im Unterschied zur positiven philosophischen Reflexion ist die negative im Bereich einer in die Metaphysik einleitenden, endlichen Logik durchführbar, weil hier nur die destruktive Wirkung der Antinomie aufgezeigt wird. Es wird nicht die positiv spekulative Einheit Entgegengesetzter expliziert, die erst in der Metaphysik untersucht werden kann. Es gibt jedoch ein entscheidendes Problem in Hegels früher Jenaer Konzeption der Logik als Einleitung in die Metaphysik. Dieses Problem besteht darin, daû die Reflexionslogik in die spekulativ metaphysische Vernunfterkenntnis der absoluten Identität einleiten soll, gleichwohl aber metaphysische Implikationen für das Zustandekommen der Reflexionslogik vorausgesetzt werden müssen. Derartige metaphysische Implikationen bestehen z. B. darin, daû die Kategorien des Verstandes »aus der Vernunft hervortreten« oder daû die Verstandesreflexion als kopierendes »Abbild« der Vernunft, die das »Urbild« ist, gezeigt werden soll und daû die Verstandesreflexion in ihren endlichen Synthesen einer »geheimen Wirksamkeit der Vernunft« folgt und, indem sie dieser folgt, sich in antinomisch-dialektische Widersprüche verstrickt. Die Reflexion setzt auf diese Weise die Spekulation voraus. Da jedoch die Logik in die Metaphysik einleiten und zu ihr allererst hinführen soll, dürfen eigentlich keine metaphysischen Voraussetzungen gemacht werden.
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Logik als Einleitung in die Metaphysik
Diese Voraussetzungen sind für denjenigen, der noch nicht Metaphysik betrieben hat, nicht einsichtig. Sie sind nur für den Philosophen zu erkennen, der bereits den Standpunkt der spekulativen Vernunft erreicht hat, sie gelten also nur »für uns«, die spekulativen Philosophen, nicht für den endlichen Verstand als solchen, der aus seiner Perspektive die Bestimmungen und Formen der Endlichkeit in der Logik aufstellt. In der Logikkonzeption aus der frühen Jenaer Zeit ist der methodisch-systematische Ort der metaphysischen Implikationen, die wir, die Philosophen machen, die schon über spekulatives Wissen verfügen, noch nicht eindeutig benannt. In der Logik von 1804/05, die ebenfalls noch die Funktion einer Einleitung in die Metaphysik hat, versucht Hegel, den systematisch-methodischen Ort der metaphysisch-spekulativen Bestimmungen, die nur wir Philosophen kennen, genauer zu bestimmen, indem er in der Logik zwei Argumentationsebenen unterscheidet, dies ist einerseits die Argumentationsebene der Kategorien selbst und andererseits »unsere Reflexion«, die wir Philosophen tätigen. In der Logikkonzeption von 1804/05 ist es zunächst nämlich nur »für uns«, die spekulativen Philosophen, gegeben, daû die Kategorien ineinander übergehen und sich in ihrer Gültigkeit aufheben. Diese Umwandlung eines logisch-kategorialen Bedeutungsgehaltes zu etwas anderem bezeichnet in dieser mittleren Jenaer Zeit Hegels eine Konzeption der dialektischen Methode, als »unsere Reflexion«, die aber nicht bereits in den ineinanderübergehenden Bestimmungen selbst gelegen ist. Dieser Unterschied wird dann stufenweise aufgehoben: Je komplexer und höher die Kategorien dieser Logik sich entwickeln, desto mehr reflektieren sie auch in sich selbst ihre Wandlung zu jeweils anderen Bedeutungsgehalten, bis dann schlieûlich unsere Reflexion und die innere Bewegung der Kategorien in eins fallen und der Standpunkt der Metaphysik erreicht ist. In der Logik des mittleren Jenaer Hegel von 1804/05 gibt es also den systematisch-methodischen Unterschied zwischen zwei Argumentationsebenen: Einerseits gibt es die Ebene, die sich »für uns«, die Philosophen mit spekulativem Wissen darbietet, und andererseits gibt es die Ebene der kategorialen Bestimmungen selbst. Vermutlich hat Hegel diesen systematischmethodischen Unterschied zwischen beiden Argumentationsebenen in die Logik eingeführt, um jene Probleme zu vermeiden, die sich in seiner frühen Logikkonzeption einstellten, daû nämlich metaphysische Implikationen in einer Logik gemacht werden müssen, die doch allererst in die Metaphysik einleiten soll. Daran zeigt sich auch, daû Hegel in der frühen Jenaer Zeit zwischen 1801 und 1803/04 im Rahmen der Logik die Dialektik noch nicht als positiv-spekulative Methode angesehen hat, wie dies in seinem ausgereiften System der Fall ist.
zweites kapitel Logik und Dialektik in Hegels mittlerer Jenaer Zeit 1804/05 Anfang und Entwicklung der drei Weisen von Dialektik
Am 29. September 1804 schreibt Hegel an Goethe: »Meine bisherigen literarischen Arbeiten sind zu geringfügig, als daû ich es wagen dürfte, sie vor die Augen Eurer Excellenz zu bringen; der Zweck einer Arbeit, die ich diesen Winter für meine Vorlesungen zu vollenden hoffe, eine rein wissenschaftliche Bearbeitung der Philosophie, wird es mir gestatten, sie Eurer Excellenz, wenn dieselben es gütigst erlauben werden, vorzulegen.«1 Eines der Resultate dieser »rein wissenschaftlichen Bearbeitung der Philosophie« ist das Fragment Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05.2 Parallel zu dieser Arbeit hat Hegel für das Wintersemester 1804/05 in Jena eine Vorlesung über das gesamte System der Philosophie angekündigt, er wollte also über Logik und Metaphysik, Natur- und Geistesphilosophie Briefe von und an Hegel. Bd. 1: 1785±1812, Hrsg. J. Hoffmeister, Hamburg 1961, 85. Dieses Fragment wurde zuerst von H. Ehrenberg und H. Link unter dem Titel Hegels erstes System. Heidelberg 1915, herausgegeben. Zunächst wurde das Fragment von Rosenkranz (vgl. Rosenkranz, 102 und 141) und Haym (vgl. Hegel und seine Zeit. Berlin 1857; Nachdruck: Hildesheim 1962, 93) auf das Ende der Frankfurter Zeit Hegels datiert, kurz bevor er 1801 nach Jena ging. Ehrenberg datierte das Fragment auf 1801/02 (vgl. Hegels erstes System. Einleitung, XI). Diese falschen Datierungen wurden eindeutig widerlegt durch H. Kimmerles verdienstvolle Arbeit: Zur Chronologie von Hegels Jenaer Schriften. In: Hegel-Studien 4, 1967, 144 und 164 ff. Danach entstand das Fragment zwischen Sommer 1804 und Anfang 1805. Erst aufgrund dieser richtigen Datierung ist es möglich, die Entwicklungsgeschichte der Hegelschen Logikkonzeptionen aus der Jenaer Zeit richtig zu rekonstruieren. Hier wird die Ausgabe der Gesammelten Werke Bd. 7, Jenaer Systementwürfe II. Logik, Metaphysik, Naturphilosophie. Hrsg. R.-P. Horstmann u. J.H. Trede, Hamburg 1971, verwandt (im folgenden zitiert als GW, Bd. 7). Mit der Logik und Metaphysik aus diesem Fragment setzt sich eingehend K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 150±198) auseinander. Vgl. auch H. Kimmerle: Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Hegels »System der Philosophie« in den Jahren 1800±1804. Bonn 1982, 76±98 und 120±134. Kimmerle zeichnet die Entwicklung der Logik und Metaphysik von 1804/05 nach, untersucht jedoch nicht das Problem der Dialektik, die allerdings für diese Logikkonzeption Hegels konstitutiv ist. Zum Thema auch M. Baum: Zur Methode der Logik und Metaphysik beim Jenaer Hegel. In: Hegel-Studien Beiheft 20, 1980, 119±138, bes. 130 ff.; vgl. auch ders.: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. Bonn 1989, 236±260; Baum interpretiert kenntnisreich, daû Hegel die zentrale Rolle der intellektuellen Anschauung für die Philosophie mehr und mehr zurücknimmt und statt dessen das nichtintuitive Denken an Gewicht gewinnt. Vgl. auch zum Thema L. Lugarini: Substance et rØflexion dans la Logique et MØtaphysique Hegelienne dÝØna. In: Hegel-Studien Beiheft 20, 1980, 139±156 und auch H.S. Harris: Hegels Development: Night Thoughts (Jena 1801±1806). Oxford 1983, 340 ff. 1 2
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lesen. Hegel kündigt bereits seit Beginn des Wintersemesters 1803/04 als ersten Systemteil der spekulativen Philosophie »logicam et metaphysicam«3 an; weitere Systemteile bilden Natur- und Geistesphilosophie als die beiden realphilosophischen Teile der wissenschaftlichen Philosophie. Logik und Metaphysik bilden nunmehr zusammen den ersten Teil der Philosophie, sie sind in gewisser Hinsicht eine Einheit. Denn Logik und Metaphysik sind gegen die Realphilosophie abzugrenzen, welche als Philosophie der Natur und des Geistes »konkrete« Phänomene behandelt, Logik und Metaphysik thematisieren dagegen das reine Denken, den reinen Geist. Doch zeigt die getrennte Auflistung von Logik und Metaphysik in den Vorlesungsankündigungen der Zeit vom Wintersemester 1803/04 bis zum Wintersemester 1804/05, daû die Logik noch nicht Metaphysik ist. Hegel hat in dem Fragment Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05 die Logik grundlegend überarbeitet und auch inhaltliche ¾nderungen eingeführt. So hat die Logik jetzt nicht mehr die drei Teile 1. Aufstellung der Formen der Endlichkeit, 2. Lehre von traditionellem Begriff, Urteil, Schluû und 3. negativ vernünftige Aufhebung der Endlichkeit. Hegel unterteilt die Logik nun wie folgt: 1. »Einfache Beziehung«, 2. »Verhältniû« und 3. »Proportion«. In diese drei Teile werden Themen der vorhergehenden LoDokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801±1807). Hrsg. H. Kimmerle. In: Hegel-Studien 4, 1967, 54. Hegel kündigt für das Sommersemester 1804, das Wintersemester 1804/05 und das Sommersemester 1805 (vgl. a. a. O., 54) jeweils an, über das gesamte System der Philosophie zu lesen, worin eben auch Logik und Metaphysik enthalten sind. Im Sommersemester 1805 las Hegel entgegen seiner Ankündigung allerdings nur über Logik, was die Überschrift der Teilnehmerliste beweist (vgl. a. a. O., 62, 77, 82). H.S. Harris (Hegels Development: Night Thoughts (Jena 1801±1806). Oxford 1983, 411) sieht die Vorlesung vom Sommersemester 1805 als »revolutionär« an, weil hier Logik allein für die spekulative Philosophie stehe. Dies ist aber erst im Sommersemester 1806 eindeutig der Fall. Aus der Tatsache, daû Hegel trotz seiner Ankündigung, im Sommersemester 1805 über das gesamte System der Philosophie zu lesen, nur die Logik behandelt hat, läût sich nicht schlieûen, daû Hegel im Sommer 1805 die Logik allein als spekulative Philosophie angesehen und den Hiatus zwischen Logik und Metaphysik überwunden hat. Die Andeutungen dafür, daû Hegel die Logik als vollständige Explikation der Metaphysik ansieht, häufen sich erst ab Winter 1805 und Anfang 1806; vgl. hierzu die Systemskizze in dem Vorlesungsmanuskript Jenaer Systementwürfe III, Naturphilosophie und Philosophie des Geistes, GW, Bd. 8, 286 von 1805/06 und die Vorlesungsankündigung vom Sommersemester 1806 in: Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801±1807). Hrsg. H. Kimmerle. In: Hegel-Studien 4, 1967, 55. Mit Sicherheit haben die Vorlesungen im Wintersemester 1804/05 und Sommersemester 1805 stattgefunden (für diese Vorlesungen liegen Zuhörerlisten vor; vgl. a. a. O., 61 f., 76; für die Vorlesung vom Sommer 1804 liegen keine verläûlichen Zeugnisse vor, vgl. a. a. O., 78). Interessant ist auch noch Hegels Ankündigung für das Wintersemester 1805/06, wo er erstmalig eine Vorlesung über die Geschichte der Philosophie ankündigt; diese hat auch tatsächlich stattgefunden (vgl. a. a. O., 55, 62 und den Bericht Gablers über diese Vorlesung, bes. a. a. O., 69 f.). Vgl. zum Thema auch K. Düsing: Hegels Vorlesungen an der Universität Jena. In: Hegel-Studien 26, 1991, 15±24. 3
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gikkonzeption von Hegel integriert; so finden sich die Qualitäts- und Quantitätskategorien des vormals ersten Teils in der »einfachen Beziehung« wieder; Hegel erweitert diesen Bereich um die Kategorien Quantum und Unendlichkeit. Die Relationskategorien, die vormals auch zum ersten Teil gehörten, sind nun, wie die Lehre von Begriff, Urteil und Schluû, die vormals den zweiten Teil bildete, in modifizierter Weise im Verhältniskapitel wiederzufinden. Der vormals dritte Teil, der das »wissenschaftliche Erkennen« thematisierte, findet sich stark modifiziert und differenziert im Proportionskapitel wieder, denn dieses bildet eine Untersuchung wissenschaftlicher Erkenntnismethoden. Inhaltlich modifiziert Hegel, wie wir sehen werden, seine vormalige Lehre stark. Die Neubearbeitung und Systematisierung zeigt die zentrale Rolle der Logik für Hegels Konzeption. Die Metaphysik gliedert Hegel folgendermaûen auf: »Das Erkennen als System von Grundsätzen«, »Metaphysik der Objectivität« und »Metaphysik der Subjectivität«. Den vollendenden Abschluû der Metaphysik bildet also die Subjektivität. Daran wird deutlich, daû sich auch Hegels Metaphysikkonzeption gegenüber derjenigen von 1801 bis 1803/04 grundlegend gewandelt hat. Gab es zu den Themen der Metaphysik beim frühen Jenaer Hegel kaum mehr als verstreute Andeutungen und Hinweise, so findet sich in diesem Fragment von 1804/05 zum ersten Mal bei Hegel eine differenziert ausgeführte Metaphysik. Kern der Metaphysik aus der frühen Jenaer Zeit war die eine, absolute Substanz; nun vollendet sich die Metaphysik in einer spekulativen Lehre von der reinen Subjektivität. Die spekulative Metaphysik thematisiert nicht mehr die intellektuelle Anschauung des Absoluten, die für das Bewuûtsein konstruiert werden muû. Das reine Denken der absoluten Subjektivität soll nunmehr in seiner Selbsterkenntnis das Absolute erschlieûen.4 Hierbei wird der bewuûte, klare und distinkte Vollzug nicht aufgehoben, weshalb die intellektuelle Anschauung ihre zentrale Rolle für die Metaphysik verliert; das Denken ist nun selbst in der Lage, sich zu erschlieûen. Es ist dadurch unbedingt und selbst als das Absolute gesetzt. Hegel wendet sich damit gegen eine intuitionistische Erkenntnis des Absoluten. Dies bedeutet eine Annäherung von Logik und Metaphysik von der Seite der Metaphysik aus, denn wenn die Logik das Denken thematisiert und die Metaphysik sich zu einer Wissenschaft wandelt, die klar und distinkt das Absolute denkt, rücken beide Wissenschaften enger zueinander. Die Annäherung der Metaphysik an die Logik wird auch im ersten Teil der Metaphysik, »Das Erkennen als System von Grundsätzen«, deutlich. Dort behandelt Hegel logische Themen wie den Satz der Identität, den Satz vom WiderDies stellt bereits K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 189 ff.) deutlich heraus. 4
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spruch, den Satz vom ausgeschlossenen Dritten und den Satz vom Grund.5 ± Dies sind logische Themen, die Hegel später in der Wissenschaft der Logik in der »Lehre vom Wesen« verorten wird. ± Umgekehrt nähert sich auch die Logik der Metaphysik an, sofern sie spekulative Gehalte aufnimmt. Diese Aufnahme ist aber im Gegensatz zur früheren Konzeption nicht mehr bloû negativ vernichtend im Rahmen einer Logik der endlichen Verstandesreflexion, sondern wird positiv expliziert. Die »Unendlichkeit« ist ein solches bereits in der Logik abgehandeltes, aber eigentlich metaphysisches Thema.6 Entwicklungsgeschichtlich wird daran deutlich, daû Logik und Metaphysik sich wechselseitig einander annähern und daû sich in Hegels Denkentwicklung die Logik nicht einfach in die Metaphysik oder umgekehrt die Metaphysik in die Logik transformiert. Die Entfaltung einer spekulativen Logik beginnt also schon hier, in dem Fragment von 1804/05. Dies war Hegel selbst in dieser Form nicht deutlich, denn nach seinen eigenen ¾uûerungen muû die Logik überwunden werden, damit spekulative Metaphysik betrieben werden kann.7 Die Logik bildet also in Hegels Selbstverständnis immer noch eine systematische Einleitung in die Metaphysik, obgleich dieser Einleitungscharakter de facto nach und nach aufgehoben wird. Entwicklungsgeschichtlich ist das Fragment Logik, Metaphysik, Naturphilosophie des mittleren Jenaer Hegel also auûerordentlich wichtig, weil es zeigt, wie sich Logik und Metaphysik wechselseitig einander annähern und wie die Logik mehr und mehr spekulativen Charakter bekommt, wenngleich diese Annäherung Hegel selbst offensichtlich in dieser Form 1804/05 noch nicht deutlich war. I. Die dialektische Grundstruktur der Logik von 1804/05 Hegel unterscheidet in der Logik von 1804/05 zwei Argumentationsebenen: 1. die Argumentationsebene einer Bestimmung oder Kategorie der Logik jeweils für sich selbst und 2. die Ebene des An-sich-Seins dieser Kategorie, d. h., wie sie sich dem Philosophen in seiner Reflexion darbietet. Diesen methodischen Unterschied in der Betrachtungsart der Kategorien der Logik hat Hegel in seiner vorherigen Logikkonzeption noch nicht gemacht. Dort blieb ungeklärt, wie es möglich sein soll, daû dem Verstand als »Abbild« und »Kopie« sein »Urbild«, die Vernunft vorgehalten werden kann. Es blieb unklar, wie der Verstand als bloû defiziente Nachahmung der Vernunft erkannt 5 6 7
Vgl. GW, Bd. 7, 130±138. Vgl. GW, Bd. 7, 29±36. Vgl. GW, Bd. 7, 126 f.
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werden sollte, denn die Logik des defizienten Verstandes sollte doch allererst in die Vernunftmetaphysik einleiten. Wie kann der Verstand dann aber als Abbild gesehen werden, wenn das Urbild noch gar nicht erschlossen ist? Wohl aufgrund dieses ungelösten Problems konzipiert Hegel die beiden verschiedenen Betrachtungsarten. Auf diese Weise kann in der Logik die Defizienz der endlichen Kategorien gegenüber einem unendlichen Denken aufgezeigt werden, das in der Lage ist, den Widerspruch zu begreifen. Daher ergibt sich in der Struktur der Darstellung der Logik für die Bestimmungen der Logik eine doppelte Betrachtungsart. Die Kategorien werden jeweils zunächst, wie sie für sich selbst sind, dargestellt. Dies ist eine kategorienimmanente Analyse. Die zweite Betrachtungsart untersucht, was die jeweiligen kategorialen Bestimmungen für uns, die Philosophen, in unserem begreifenden Nachdenken sind. »Es war bisher [d. h. in der Logik; d. V.] ein Moment unserer Betrachtungsart, jedes Resultat, oder jede Bestimmtheit überhaupt zunächst als etwas positives zu nehmen, und sie dann aufzuheben; [...]«8 Unsere Reflexion, die Methode des Philosophen, der die Bestimmungen und Kategorien der Logik erkennt, ist die Dialektik. Mit diesem Neuansatz vertieft Hegel die Möglichkeit, endlichen Bestimmungen ihre Einseitigkeit und Defizienz nachzuweisen. »Bisher war das Übergehen des Begriffs in sein Anderswerden oder in seine Realität, und die Zurüknahme dieses Anderswerdens unter den Begriff, unsere Reflexion; eine dialektische Behandlung, die die Gegensätze entwikelte, welche in dem gesetzten unentwickelt vorhanden waren; das gesetzte aber oder der Innhalt, war nicht ein solches, der sich so in sein Anderswerden, und aus demselben zurük selbstbewegte, sondern ein todtes dessen Bewegung ausser ihm war [...]«9 Das Zitat steht im letzten und abschlieûenden Kapitel der Logik; das »Bisher« bezieht sich daher auf die gesamte Logik. Unsere Reflexion, die dialektische Betrachtungsart der Kategorien, ist also ein in sich bewegter, intellektueller Erkenntnisprozeû. Die Bewegung, die dieser Erkenntnisprozeû mit seinen jeweiligen Inhalten vollzieht, ist eine Realisierung dieser Inhalte. Bewegte Realisierung ist hier so zu verstehen, daû durch die dialektische Reflexion des Philosophen das, was die Inhalte an sich sind, was in ihnen latent und potentiell angelegt ist, verwirklicht wird. Die Dialektik bewirkt also einen Übergang von verborgenen und unerschlossenen Momenten einer Bestimmung zur Offenlegung dieser Momente, was die Realisierung der Bestimmung als ganzer bedeutet. Die Dialektik liegt also zumindest latent auch schon in den Kategorien der Logik selbst, aber um sie zu verlebendigen, ist unsere Reflexion notwendig, weil die kategorialen Inhalte selbst »ein totes« sind, sie sind daher der Selbst8 9
GW, Bd. 7, 128. GW, Bd. 7, 111 f.
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bewegung nicht fähig.10 Die Kategorien der Logik sind der Selbstbewegung noch nicht fähig, weil sie noch keine Subjektivität im metaphysischen Sinne sind. Die spekulativ selbstbewuûte Subjektivität wird nach dieser Konzeption des mittleren Jenaer Hegel erst in der Metaphysik erreicht; dort ist sie Prinzip der Lebendigkeit; solange diese absolute Subjektivität nicht erreicht ist, sind die gedachten Inhalte der Logik bloû »ein totes«. Die dialektische Reflexion des Philosophen besteht darin, daû an einer gesetzten Kategorie aufgewiesen wird, wie sie sich verändert, d. h., es wird gezeigt, daû die Kategorie in ihrer anfänglichen Bestimmtheit auch das ihr selbst Entgegengesetzte impliziert. Damit wird das »Anderswerden« einer logischen Kategorie vollzogen. Dann wird die Einheit der beiden einander zwar implizierenden aber doch entgegengesetzten Momente aufgewiesen. Dies führt zu einer höheren Einheit in der die beiden Momente enthalten sind, damit vollzieht sich die »Zurücknahme des Anderswerdens unter den Begriff«. Ein neuer, höherer Begriff wird aufgestellt, in dem beide Momente vereint sind. Dieser neue Begriff stellt eine logische Kategorie dar, die ebenfalls wieder von der Dialektik erfaût wird und sich dadurch verändert. In der Logik ist allererst unsere Reflexion notwendig, um zu zeigen, daû jede Bestimmtheit, weil sie Bestimmtheit ist, eine ihr entgegengesetzte Bestimmtheit hat, auf die sie aber immanent und dialektisch bezogen ist; aufgrund dieses inneren Bezugs zum Entgegengesetzten wandelt sich die Bestimmung zu etwas anderem. Die jeweilige kategoriale Bestimmtheit scheint zunächst das ihr Andere von sich auszuschlieûen, auf dieses keinen Bezug zu haben. Dies ergibt die kategorienimmanente erste Betrachtungsreihe. Die dialektische Reflexion zeigt aber, daû dies eine einseitige Verkürzung ist, die nicht aufrechterhalten werden darf, und daû eine Bestimmung um den Bezug auf ihr Gegenteil bereichert werden muû. Methodisch gesichert werden kann diese unsere Reflexion, sofern es gelingt, zu zeigen, daû die Bestimmungen, die aus unserer Reflexion stammen, für die jeweilige Kategorie selbst konstitutiv sind. Gesichert ist diese Methode, wenn es zu zeigen gelingt, daû schon die Setzung der defizienten Bestimmung für sich, ohne diejenigen Bestimmungen, die aus unserer Reflexion stammen, nicht möglich ist. Dies zeigt sich im Stufengang der Logik selbst, sofern die vorangehenden Kategorien die folgenden notwendig implizieren, d. h. ohne diese nicht hätten gedacht werden können. In der reifen Konzeption der Wissenschaft der Logik konzipiert Hegel dann, daû die Kategorien Die Dialektik erbringt 1804/05 also auch eine produktive Realisierung der kategorialen Bestimmungen. Es ist daher nicht richtig, wenn H.S. Harris (Hegel's Development: Night Thoughts (Jena 1801±1806). Oxford 1983, 358) gerade in bezug auf das Fragment von 1804/05 sagt, die Dialektik habe nur destruktive und auflösende Funktion. 10
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der Logik durchgängig ihre dialektische Bewegung in sich selbst und aus sich selbst entfalten. In Hegels früher Jenaer Logikkonzeption blieb die Dialektik rein negativ, sie zerstörte die einseitigen Bestimmungen des Verstandes. Jetzt, in der mittleren Jenaer Phase Hegels, realisiert die dialektische Methode die Bestimmungen, sie zeigt, was die Bestimmungen in ihrem vollen Umfang jeweils sind und zerstört sie nicht bloû. Hinsichtlich der Kategorien wirkt die Dialektik aber nicht nur realisierend, sondern auch zerstörend, denn eine kategoriale Bestimmung wandelt sich in der dialektischen Reflexion jeweils zu einer anderen Bestimmung und bleibt damit nicht, was sie war. Den Prozeû der Weiterentwicklung, den jede einzelne Kategorie durchläuft, indem sie sich zu etwas Anderem wandelt, nennt Hegel hier Deduktion.11 Deduktion ist also für Hegel eine dialektische Transformation von Erkenntnisinhalten. Die Dialektik ist somit das Deduktionsprinzip der Vereinigung von einander entgegengesetzten logischen Denkinhalten. Diese dialektische Transformation in der Logik ist bezüglich der Kategorien eine lineare Bewegung von einer logischen Bestimmung zur nächsten. In der Metaphysik dagegen lieûe sich die Entwicklung von Bestimmungen am ehesten mit einer Kreismetapher beschreiben, weil im metaphysischen Erkennen des Geistes sich dieser zu sich selbst verhält und jede Veränderung in ihm selbst vollzogen wird. In der Logik dagegen fehlt dieses spekulative Selbstverhältnis, vielmehr verändern sich die Bestimmungen, ohne daû sie selbst zu sich zurückkehren, es findet eine lineare Aufwärtsbewegung im Rahmen einer stufenweisen Höherbestimmung kategorialer Inhalte statt.12 Die Inhalte der Logik sind daher einem »dialektischen Fortgehen und Aufheben«13 unterworfen. Dies unterstreicht die zentrale Rolle der Dialektik für die Logik. Die dialektische, methodische Transformation kategorialer Inhalte bedeutet für die Logik ein ruheloses Fortgetriebenwerden, das erst in der Metaphysik durch das spekulative Selbstverhältnis des Geistes zur Ruhe kommt. Wenn Hegel am Ende der Logik sagt, daû unsere dialektische Reflexion den kategorialen Inhalten der Logik gegenübersteht und diese verlebendigt, weil sie für sich selbst »ein todtes [sind; d. V.] dessen Bewegung ausser ihm war«, dann ist dies eigentlich zu schematisch und nur zusammenfassend gesagt und Hegels eigener Konzeption nicht angemessen. Vielmehr bildet die Logik einen stufenweisen Annäherungsprozeû von lebendiger Erkenntnissubjektivität und dem kategorialen Inhalt dieser Erkenntnis. Die lebenVgl. GW, Bd. 7, 120. Vgl. GW, Bd. 7, 127. 13 GW, Bd. 7, 127; vgl. auch 137, wo Hegel von »dem Verschwinden in der Dialectik« spricht. 11 12
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dige Erkenntnissubjektivität ist am Anfang der Logik nur unsere Reflexion. Stufenweise wandelt sich in der Logik der Inhalt mehr und mehr zur Erkenntnisprozessualität, bis er diese selbst wird. Damit ist ein schematisches Gegenüber von Erkenntnisweise und Erkenntnisinhalt gerade nicht gegeben. So wird z. B. die Untersuchung der »Unendlichkeit« ergeben, daû ganz bestimmte Momente unserer Reflexion in dem kategorialen Inhalt der Logik selbst gesetzt werden, was Hegel selbst auch gesehen hat: »[...] da vorhin das dialektische ihrer Momente [gemeint sind die Momente der Qualität, der Quantität und des Quantums; d. V.] nur unsere Reflexion war; daû sie in ihrem Wesen sich widersprechen, diû ist itzt als Reflexion der einfachen Beziehung in sich selbst, als absolut dialektisches Wesen, als Unendlichkeit gesetzt«.14 Hieraus könnte gefolgert werden, daû es für die Bestimmungen der Qualität, der Quantität und des Quantums ein starres Gegenüber von Erkenntnismethode und Erkenntnisinhalt gibt, und daû die Unendlichkeit dieses starre Gegenüber aufhebt. Die Unendlichkeit bedeutet damit zumindest eine partielle Identität von Methode und Inhalt, die im Verlauf der Logik weiter zunimmt. Allerdings beginnt die schrittweise Setzung von Momenten unserer Erkenntnismethode in dem Erkenntnisinhalt bereits auf rudimentärerer Ebene bereits bei den Kategorien der Qualität, der Quantität und des Quantums. Aber erst bei der Unendlichkeit wird der Prozeû deutlich, daû Momente der Methode schrittweise in dem Inhalt gesetzt werden. Besonders hieran zeigt sich die Funktion der Logik als »Organon« der Metaphysik; die Logik stellt in zunehmender Stufenfolge das Instrumentarium auf, mit Hilfe dessen die Metaphysik in die Lage gebracht wird, den spekulativen, selbstbezüglichen Geist zu explizieren. Wichtig und einschneidend für die Entfaltung der Logik sind also diejenigen Schnittstellen, wo die lineare Deduktionsabfolge von Kategorien in der Logik sich in eine Kreisbewegung umzubeugen beginnt. Damit ist gemeint, daû in der Logik stufenweise ein Annäherungsprozeû an das metaphysische Erkennen erreicht werden soll, dessen Bewegungs- und Erkenntnisform Hegel durch die Metapher des Kreises versinnbildlicht, weil es sich zu sich selbst verhält und nicht einfach zu einem Anderen wandelt, dessen Identifikation mit sich nur unsere, nicht seine eigene Leistung ist. Eine dieser Schnittstellen, wo sich die Linie der Logik in einen Kreis umzubeugen beginnt, bildet z. B. die Unendlichkeit, die selbst ein »absolut dialektisches Wesen« ist, worin ein Moment unserer Reflexion in einem Inhalt der Logik selbst gesetzt wird, nämlich das Moment der Widersprüchlichkeit ± was von uns später ausführlich untersucht werden wird ±. Auch das »Verhältnis des Denkens« bildet eine solche Schnittstelle, denn von dieser Bestimmung an gilt: »unsere Reflexion wird die Reflexion dieses Verhältnisses selbst wer14
GW, Bd. 7, 29.
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den«, daher »müssen wir gleichsam ebenso unsere Reflexion beruhigen, und nur nehmen was da ist«.15 Die letzte und für die Logik höchstmögliche Umbeugung der linearen Abfolge von Bestimmungen hin zu einem in sich kreisenden Selbstverhältnis bildet im Proportionskapitel das Erkennen, denn auch hier werden entscheidende Momente unserer Reflexion in den Inhalt der Logik aufgenommen. Hegel trennt in der Logik sehr deutlich zwischen dem Inhalt, d. h. der Kategorie selbst, und der Erkenntnis als dialektischer Reflexion, »der Innhalt und das Erkennen fallen auseinander«.16 Aufgrund dieser Trennung ist die Logik noch keine Metaphysik, d. h., sie ist keine reine, absolute Selbsterkenntnis. In reiner Selbsterkenntnis ist der Inhalt des Erkennens nichts anderes als das Erkennen selbst. Spekulativ-metaphysisches Erkennen ist erst dort realisiert, wo unsere dialektische Reflexion, die Erkenntnisweise und der betrachtete Inhalt identisch sind. Dies ist dann ein spekulatives Selbstverhältnis. Erst ein solches absolutes Selbstverhältnis erkannter Erkenntnis gehört in den Bereich der Metaphysik. Es bedarf daher in der Metaphysik gar nicht mehr unserer dialektischen Reflexion, die einen gegebenen Inhalt aufnimmt.17 Dies heiût jedoch nicht, daû es in der Metaphysik von 1804/05 nicht mehr die Position des »Für-uns« gäbe.18 Prinzipiell gibt es diese Position solange, bis sich der absolute Geist in sich selbst vollendet hat. Die metaphysischen Bestimmungen sind, für sich betrachtet, bereits auch spekulative Selbstverhältnisse, wie der absolute Geist. Dies unterscheidet die metaphysischen von den logischen Bestimmungen, aber die metaphysischen Bestimmungen sind am Anfang der Metaphysik noch nicht in sich vollendete spekulative Selbstverhältnisse, sondern müssen dies allererst durch einen gestuften Entwicklungsgang werden. Diese Position hat also ihren Ursprungsort in der Logik und breitet sich von hier aus auch über die Metaphysik aus. In der Metaphysik ist die Setzung des je anderen ein immanenter, selbstbewuûter Akt. Daher nennt Hegel das metaphysische Erkennen auch das GW, Bd. 7, 76; das Verhältnis des Denkens untersucht eingehend K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 160±176; zum Thema auch H. Schmitz: Hegel als Denker der Individualität. Meisenheim a.G. 1957, 101 ff. Schmitz geht jedoch noch von der falschen Datierung des Logik, Metaphysik, Naturphilosophie Fragments auf 1801 (a. a. O.) aus. Zum Thema auch H.S. Harris: Hegel's Development: Night Thoughts (Jena 1801±1806). Oxford 1983, 375±381; Harris beachtet jedoch die hier herangezogene, für das Verhältnis des Denkens zentrale Stelle nicht. 16 GW, Bd. 7, 120; ähnlich 121, auch das zunächst herangezogene Zitat »Bisher war das Übergehen [...]« von 111 f. beruht auf dieser strikten Trennung von Inhalt und Erkennen. 17 Vgl. GW, Bd. 7, 126. 18 Daû es die Position des »Für-uns« auch in der Metaphysik gibt, bezeugen z. B. folgende Stellen: GW, Bd. 7, 144, 146, 148, 150, 155 ff., 161 f., 169 ff., 176 f. 15
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»absolute Ich«.19 In der Logik sind Erkennen und erkannter Inhalt zwar getrennt, aber die Logik hat die für die Metaphysik wichtige Vermittlungsfunktion, zu zeigen, daû es ein solches spekulatives Selbstverhältnis geben kann, wo das Erkannte zugleich das Erkennen selbst ist. Die Logik bildet einen Stufengang, in dem sich Erkennen und erkannter Inhalt immer mehr aneinander annähern, bis sie identisch werden.20 Die Kategorien, der Logik nehmen mehr und mehr die Struktur der Erkenntnisbewegung in sich auf. Die Logik von 1804/05 erfüllt damit eine Einleitungsfunktion in die spekulative Metaphysik; diese Aufgabe soll ab 1807 die Phänomenologie des Geistes erfüllen. Die Phänomenologie des Geistes soll nach Hegels Konzeption aus der späteren Jenaer Zeit gegen das natürliche, in sich entzweite Bewuûtsein zeigen, daû ein absolutes Wissen, bei dem Wissen und Gegenstand des Wissens identisch sind, möglich ist. Dieses spekulative, absolute Wissen soll gegen das gewöhnliche und endliche Bewuûtsein als notwendig aufgewiesen werden. 1804/05 hat noch die Logik die Aufgabe, zu zeigen, daû Erkennen und Inhalt des Erkennens identisch sind. Wo dies realisiert ist, beginnt für den mittleren Jenaer Hegel die spekulative Metaphysik, die zugleich das Ende der Logik bedeutet. Dort, wo in der Logik unsere Reflexion selbst vollständig thematisiert wird und nicht bloû latent im Hintergrund steht, wird die Grundlage für die Metaphysik gelegt. Dies geschieht im Kapitel »Es ist gesetzt das Erkennen«.21 Das Erkennen selbst nennt Hegel nicht Dialektik. Aber unsere Reflexion nennt er eine »dialektische Behandlung«.22 Sofern unsere Reflexion die dialektische Methode ist und das Erkenntniskapitel unsere Reflexion behandelt, wodurch Erkennen und Inhalt des Erkennens identisch werden, kann das »Erkennen« als dialektische Methode bezeichnet werden. Wobei selbst in diesem Erkenntniskapitel noch Inhalt und Erkenntnisweise getrennt sind. Daher gehört das Erkennen noch zur Logik. Das Erkennen thematisiert die letzte Stufe des Identischwerdens von Inhalt und Erkenntnisweise, noch nicht ihr Identischsein. Das Identischsein von Inhalt GW, Bd. 7, 127; vgl. auch 126; 168 f.; zum metaphysischen Erkennen vgl. auch die Beilage Zwei Anmerkungen zum System, a. a. O., 343 ff., bes. 346. 20 K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 150) interpretiert daher, daû für Hegel 1804/05 die Logik »zureichende Grundlegung der Metaphysik« ist. Es werden in der Logik »die in der Metaphysik zu verwendenden Kategorien und Erkenntnisverfahren erst systematisch und vollständig entwickelt«. Die Logik stellt also das Fundament der Metaphysik dar. Nach Düsing versucht Hegel nun, diesen Grundlegungscharakter der Logik mit ihrem Einleitungscharakter ± den sie bereits in der frühen Jenaer Zeit für Hegel als Destruktion der endlichen Bestimmungen hatte ± zu verbinden. Düsing weist nach, daû es Hegel nicht gelungen ist, Einleitungs- und Grundlegungsfunktion der Logik für die Metaphysik miteinander zu verbinden (vgl. a. a. O., 154). 21 Vgl. GW, Bd. 7, 111±125. 22 GW, Bd. 7, 111. 19
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und Erkenntnisweise wird auf seiner ersten Stufe in der Metaphysik thematisiert durch »Das Erkennen als System von Grundsätzen«. Deshalb ist eine eingehende Untersuchung des Erkenntniskapitels notwendig, will man die Dialektikkonzeption Hegels in der mittleren Jenaer Periode analysieren. Hegel sagt: »Das Erkennen ist als in die Metaphysik übergehend das Aufheben der Logik selbst, als der Dialektik, oder des Idealismus.«23 Das soll besagen, daû das logische Denken, die Dialektik und der Idealismus mit dem Erreichen der Metaphysik vernichtet sind. Hegel verwendet hier die Termini Dialektik und Idealismus als zwei verschiedene Charakterisierungen der Logik. Daran zeigt sich wiederum die zentrale Rolle der Dialektik für die Logik von 1804/05. Es ist allerdings eine spezifische Form des Idealismus gemeint, der mit dem Erreichen der Metaphysik vernichtet ist. Ansonsten wäre nicht verständlich, wie Hegel das metaphysische Erkennen als »absolutes Ich« bezeichnen kann. Absolutes Ich ist das metaphysische Erkennen aufgrund seines Selbstverhältnisses, in dem das Erkennen mit dem Erkenntnisinhalt identisch ist, weil das Erkennen sich zu sich selbst verhält, sofern es einen Inhalt erkennt, der es selbst ist. Somit stellt die Metaphysik sehr wohl einen Idealismus dar, aber keinen einseitigen, endlichen, der dem Subjekt ein Objekt abstrakt gegenüberstellt, sondern einen spekulativen Idealismus, der sich in einer Metaphysik des Geistes vollendet.24 Derjenige Idealismus, der mit dem Durchgang durch die Kategorien der Logik und mit dem Erreichen der Metaphysik überwunden wird, ist der endliche Idealismus.25 Damit ist ein Idealismus gemeint, der nicht in der Lage ist, Entgegengesetzte vollständig zu vereinen. Hier hat Hegel wohl insbesondere den Idealismus Fichtes vor Augen. Die Vereinigungen und Synthesen dieses Idealismus sind immer nur relative, die aufgrund der Begrenztheit der Synthesen immer weitere Synthesen implizieren, was sich in eine »schlechte Unendlichkeit« iteriert. Dies ist dadurch bedingt, daû dieser Idealismus den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch anerkennt; der endliche Idealismus ist daher nicht in der Lage, Entgegengesetzte absolut, d. h. vollständig, zu vereinigen. Mit der Anerkennung des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch wird zugleich deutlich, daû dieser Idealismus auch das traditionelle, formale Verständnis des Satzes der Identität teilt, denn der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch setzt den Satz der Identität voraus. Der endliche Idealismus wird von Hegel als »Logik des Verstandes«26 bezeichnet, weil dieser Idealismus die Gültigkeit des logischen Satzes der Identität und des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch anerkennt 23 24 25 26
GW, Bd. 7, 127. Vgl. GW, Bd. 7, 165 ff.; besonders 173 f. Vgl. GW, Bd. 7, 3 f. GW, Bd. 7, 3 f., vgl. auch GW, Bd. 4, 400.
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und weil dieser Idealismus sogar sein Prinzip, bei Fichte das Ich, so konzipiert, daû es den formalen logischen Gesetzen gemäû ist, diese also in einem gewissen Sinne zum Richtmaû seiner Prinzipien macht. Daher ist dieser Idealismus Logik. Dieser formallogisch-endliche Idealsimus wird mit dem Erreichen der Metaphysik aufgehoben. Die Dialektik der Logik ist in der Metaphysik aufgehoben. Ist die Trennung von Erkenntnisinhalt und Erkenntnisweise vollständig überwunden, dann ist auch die Dialektik als einseitige Erkenntnismethode unserer Reflexion, die gegebene kategoriale Inhalte aufnimmt und zu ihrer Realisierung forttreibt, überwunden. In der Metaphysik ist es der Geist als höchste Bestimmung der spekulativen Subjektivität, der die wahre Erkenntnis der Unendlichkeit leistet. »Indem der Geist die Unendlichkeit so erkennt, so begreifft er sich selbst, denn sein Begreiffen ist diû, daû er sich als bezogen auf ein anderes setze; er begreifft sich denn er setzt sich auf das Andere bezogen, d. h. sich selbst als das Andere seiner selbst, als unendlich, und so sichselbst gleich. Diû [ist; d. V.] der absolute Kraislauff des absoluten Geistes.«27 Die Unendlichkeit ist zugleich nach Hegel ein »absolut dialektisches Wesen«.28 Ist der Geist wahre Erkenntnis der Unendlichkeit und ist die Unendlichkeit ein dialektisches Wesen, dann wäre eigentlich auch der Geist dialektisch. Dies wäre eine metaphysische Dialektik des spekulativen Geistes, sie würde bereits vorausweisen auf die Konzeption des späten Hegel. Über diese Bedeutung von Dialektik, die sich sogar auf die Metaphysik ausdehnen lieûe, war sich Hegel jedoch 1804/05 noch nicht im klaren, wenn sie auch schon in seiner Theorie latent enthalten ist. Vielmehr unterscheidet Hegel 1804/05 noch zwischen der logischen und der metaphysischen Unendlichkeit.29 Die metaphysische Unendlichkeit des Geistes bedeutet im Unterschied zur logischen nicht nur eine prozessuale Veränderung einer Bestimmung, sondern darüber hinaus ein darin ausdrücklich enthaltenes Selbstbewuûtsein des sich Verändernden. Die logische Unendlichkeit enthält dieses Selbstbewuûtsein des Geistes nicht, wenn Hegel also über die logische Unendlichkeit sagt, sie sei ein »absolut dialektisches Wesen«, dann ist die Dialektik 1804/05 offensichtlich noch nicht das methodische Selbstbewuûtsein der Subjektivität, geschweige denn das absolute Selbstverhältnis der absoluten Subjektivität wie später in der »absoluten Idee« der Wissenschaft der Logik. Die Dialektik ist 1804/05 für Hegel keine selbstbezügliche Methode wie dies später durchaus der Fall ist. Für die linear verlaufende Logik gilt daher, daû »der Weg durch das Gehen sich darstellt«, erst indem die Logik vollzogen wird, ergeben sich 27 28 29
GW, Bd. 7, 173. GW, Bd. 7, 29. Vgl. GW, Bd. 7, 179 f.
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die jeweiligen kategorialen Bestimmungen. In der Metaphysik des selbstbezüglichen Geistes ist dagegen dieser Weg »vorher schon entworfen, so wie die Nothwendigkeit ihn zu gehen dadurch gesetzt; daû er in der That schon angetreten ist«.30 Die Dialektik ist also eigentlich mit der Metaphysik aufgehoben und gilt nur für den Bereich der Logik. Von daher verwundert das Auftreten der Dialektik in der Naturphilosophie des Fragments von 1804/05, denn die Naturphilosophie gehört zum ausgeführten System und setzt, als Teil der Realphilosophie, die Gültigkeit der Metaphysik voraus. Die Dialektik tritt in der Naturphilosophie von 1804/05 an einer Stelle im Rahmen des »Chemismus« auf. Wie selbstverständlich spricht Hegel davon, daû die Aufhebung der Verschiedenheit chemischer Elemente im Medium der Flüssigkeit »die eigene Dialektik ihrer Natur«31 bildet. Das Auftreten der Dialektik in der Naturphilosophie erscheint im Rahmen der Konzeption von 1804/05 somit inkonsequent, zeigt aber, daû die Dialektik, ausgehend von der Logik, sich auf das weitere System Hegels auszuweiten beginnt. Auch in der Naturphilosophie der Vorlesungsmanuskripte zur Realphilosophie von 1805/06 Naturphilosophie und Philosophie des Geistes tritt der Terminus Dialektik wieder auf. Hier bezieht sich Hegel auf die berühmte dialektische Argumentation Zenons, die beweisen sollte, daû es keine Bewegung gibt, weil dasjenige ± bei Zenon ein Pfeil ±, was sich bewegt, seinen Ort verlassen muû und einen neuen, anderen einnehmen muû; was aber seinen alten Ort verläût und den neuen noch nicht erreicht hat, das nimmt im Moment des Übergangs von einem Ort zum anderen keinen Ort ein; dies ist jedoch nicht sinnvoll zu denken, denn was an keinem Ort ist, das existiert auch nicht.32 Auch hieran zeigt sich die Ausweitung der Dialektik auf die Realphilosophie bei Hegel. Der Terminus Dialektik tritt bei Hegel aber auch im Gliederungsentwurf zur Metaphysik33 auf, der um 1804 entstanden ist und in den thematischen Kontext der Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05 gehört. GW, Bd. 7, 137. GW, Bd. 7, 259. 32 Hegel: Gesammelte Werke, Bd. 8, Jenaer Systementwürfe III. Naturphilosophie und Philosophie des Geistes. Hrsg. R.-P. Horstmann unter Mitarbeit von J.H. Trede, Hamburg 1976, 16. Die Aristotelische Lösung des Problems durch Einführung des Raums als kontinuierliche Gröûe berücksichtigt Hegel an dieser Stelle nicht. 33 Vgl. GW, Bd. 7, 341. H. Kimmerle datiert diesen Gliederungsentwurf zur Metaphysik auf den Sommer 1804 (vgl. H. Kimmerle: Die Chronologie der Manuskripte Hegels. In: GW, Bd. 8, 357; vgl. auch ders.: Zur Chronologie von Hegels Jenaer Schriften. In: HegelStudien 4, 1967, 144; 164); ähnlich datieren auch R.-P. Horstmann und J.H. Trede die Entstehungszeit dieses Dokumentes zwischen Ende 1803 und spätestens Sommer 1804 (vgl. GW, Bd. 7, 363 f., Editorischer Bericht). Auch M. Baum (Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. Bonn 1989, 259) hält es für wahrscheinlich, daû der Gliederungsentwurf zur Metaphysik kurz vor der Logik, Metaphysik, Naturphilosophie entstanden ist. 30 31
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Wie noch zu untersuchen sein wird, zeigt dieser Gliederungsentwurf, daû sich bei Hegel seit der mittleren Jenaer Zeit um 1804 eine spekulativ-metaphysische Dialektik auszubilden beginnt. II. Die dialektische Unendlichkeit als Vollendung der »einfachen Beziehung« Die der Unendlichkeit vorangehenden Kategorien sind hier nur kurz zu skizzieren: Die einfache Beziehung beginnt mit der Qualität. Die Qualität besteht nach Hegel in dem einfachen Für-sich-sein einer Bestimmtheit oder Kategorie. Dies besagt, daû die jeweilige Bestimmtheit sich zu der ihr entgegengesetzten anderen gleichgültig verhält und daû sie ihrem eigenen Wesen nach nicht relativ auf diese bezogen ist. Die Kategorien bestehen auûereinander, sie sind einander äuûerlich.34 Diese einfache Sich-selbst-Gleichheit ist nicht nur Wesensmerkmal der Qualität, sondern sie ist es für die einfache Beziehung insgesamt. Die einfache Beziehung besteht in einer solchen ¾uûerlichkeit der Bestimmungen und Kategorien zueinander. Daher bezeichnet Hegel diesen ersten Teil der Logik auch als »Logik des Verstandes«,35 weil der Verstand das Vermögen einseitiger ¾uûerlichkeit und der Abstraktion ist.36 Die Bestimmung der Grenze bildet den Abschluû der Qualität. Die Grenze schlieût anderes aus, indem sie dieses nicht ist. Damit wird die anfängliche, unmittelbar einfache Sichselbstgleichheit der Qualitätsbestimmungen relativiert. Die Grenze »ist nicht absolut fürsich, sondern so daû sie fürsich ist, insofern ein anderes nicht ist«.37 Auch die Grenze bildet also noch eine Selbstgleichheit, aber eine solche, die dadurch vermittelt ist, daû sie anderes nicht ist. Die Grenze setzt damit ein Moment unserer Reflexion auf den Bedeutungsgehalt der Qualität: »Die Gräntze, als die Totalität als diese Negation die sich in ihrem Beziehen auf sich selbst [als] ein anderes ausschlieût, hiemit sich auf ein anderes als Bestehen bezieht, setzt dasjenige, was unsre nothwendige Reflexion auf die Qualität war, daû nemlich die für sich seyende Bestimmtheit, was die Qualität seyn soll, nicht ist, nicht eine Vgl. z. B. GW, Bd. 7, 5, 6, 112: »[...]; das reine Seyn ist für sich befriedigt.« GW, Bd. 7, 175. 36 Es läût sich sogar genau angeben, bis zu welcher Bestimmung der Verstand die Logik noch nachvollziehen kann: dies ist die schlechte Unendlichkeit. »Die schlechte Unendlichkeit ist die letzte Stuffe, zu welcher die Unfähigkeit, den Gegensatz auf eine absolute Weise zu vereinigen und aufzuheben fortgeht«. (GW, Bd. 7, 32) Der Verstand ist zwar in der Lage, die schlechte Unendlichkeit und die Kategorien, die dieser vorangehen, nachzuvollziehen, aber unsere diesbezügliche dialektische Reflexion kann er nicht mehr begreifen. 37 GW, Bd. 7, 6. 34 35
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wahrhafft beziehungslose Bestimmtheit, sondern in ihrer Beziehung auf sich selbst, negativ sich auf ein anderes bezieht«.38 Mit der auf die Qualität folgenden Bestimmung der Quantität als einer rein äuûerlichen, zufälligen Bestimmung für eine Sache wendet sich Hegel indirekt gegen Schelling. Nach der Lehre Schellings ist im Identitätssystem die quantitative Differenz dem endlichen Etwas wesentlich. Sie bildet zugleich die spezifische Differenz zum Absoluten, das keine quantitative und auch keine qualitative Differenz in sich enthält. Das Was-sein von etwas Endlichem wird durch die spezifische quantitative Zusammensetzung bestimmt, die in ihm enthalten ist. Dagegen äuûert sich Hegel von seiner Konzeption der Quantität her: Die »Einsicht in die Natur einer bestimmten Sache ist allein darin, daû ihre Bestimmtheit, als eine Bestimmtheit an sich selbst, nicht als eine zufällige d. h. quantitative erkannt wird. Die Bestimmtheit eines Quantums ist eine nicht durch die Sache selbst gesetzte, oder nicht eine solche, wie sie an der Sache selbst ist«.39 Daher lehrt Hegel, daû der eigentliche Gegensatz der qualitative ist, denn in diesem ist zumindest latent der Gegensatz gegen anderes gesetzt. Der qualitative Gegensatz, als sich selbst durch ein Entgegengesetztes aufhebende Bestimmtheit, ist auch dem Absoluten nach Hegel nicht äuûerlich ± was Schelling im Identitätssystem konzipierte ±, sondern wesentlich und immanent. Das Absolute ist nichts anderes als der Gegensatz und die Tätigkeit der Selbstaufhebung des Gegensatzes.40 Daû der Gegensatz dem Absoluten selbst immanent ist, erhält seine Rechtfertigung daraus, daû »Nichts ausser dem Absoluten ist«,41 somit darf auch der Gegensatz nichts dem Absoluten ¾uûerliches, sondern muû in ihm selbst sein. Hegel macht hier also mit dem bereits von Jacobi in bezug auf die Substanzkonzeption Spinozas interpretierten »immanenten Ensoph«42 ernst, d. h. mit einem der Welt innerlichen unendlichen Wesen; ein transzendenter Gott wird von Hegel aufgrund der Konsequenz abgelehnt, daû dann der Übergang vom Endlichen GW, Bd. 7, 7. GW, Bd. 7, 17. 40 Vgl. GW, Bd. 7, 15 f. (Anmerkung 1). Damit kritisiert Hegel Schelling deutlicher als 1801 bei der Aufstellung der absoluten Identität (vgl. hierzu Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 72). An unserer Stelle (GW, Bd. 7, 15 f.) wird zwar der Name Schellings nicht genannt, aber aufgrund der für Schelling spezifischen Terminologie (»quantitativer Unterschied«, »Differenz«, »Form«, »Wesen«) ist eindeutig, daû Schelling gemeint ist. Auch M. Baum (Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. Bonn 1989, 245) sieht in der vorliegenden Stelle eine Auseinandersetzung Hegels mit dem »ungenannten Autor« Schelling. 41 GW, Bd. 7, 16; das Absolute geht also nicht aus sich selbst heraus, wenn es die Endlichkeit schafft; vgl. auch a. a. O., 34, 173. 42 Jacobi: Über die Lehre des Spinoza. Werke, Bd. 4, 1. Abt., Leipzig 1819 (Nachdruck: Darmstadt 1976), 56. 38 39
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zum Unendlichen oder umgekehrt vom Unendlichen zum Endlichen nicht begriffen werden kann. Die Rede von einem Aus-sich-selbst-Herausgehen des Absoluten ist angesichts einer immanenten, nicht transzendenten Absolutheit sinnlos. Der Gegensatz ist die Erscheinungsweise des Absoluten, es geht darin nicht aus sich selbst heraus, es ist immer in sich selbst, weil der Gegensatz die im Absoluten, von diesem selbst immanent gesetzte Andersheit ist. Der Gegensatz ist eine sich in sich bewegende Unruhe und Prozessualität. Das Absolute ist nichts anderes als die Prozessualität, mit der sich das Bestimmte in seinen Gegensätzen aufhebt. Diese Aufhebung geschieht nicht auûerhalb des Absoluten, sondern in ihm. ± In Parenthese sei gesagt, daû der Gegensatz sich im Widerspruch vollendet, dieser ist die »Unendlichkeit«, die den Abschluû der »einfachen Beziehung« bildet. Die Bestimmungen des in sich gegensätzlichen Absoluten sind daher auf höherem Niveau in der Unendlichkeit verwirklicht. ± Der Gegensatz, die in sich bewegte Unruhe kann nicht selbst noch weiter in der Form hinterfragt werden, daû der Gegensatz selbst auch wieder Einheit und Ruhe voraussetzt, die dann auf den Gegensatz unbezogen wäre. Denn diese Einheit und Ruhe wäre wiederum dem Gegensatz und der Unruhe entgegengesetzt, diese Einheit wäre somit auch wieder nur etwas in Beziehung auf ein anderes, dem sie entgegengesetzt ist.43 Eine solche Hinterfragung würde also selbst dasjenige wiederum voraussetzen, was sie hinterfragen wollte. Der Gegensatz ist somit für Hegel »unhintergehbares« Prinzip. Bereits hier spricht Hegel vom Absoluten; er tut dies fast wie selbstverständlich und ohne sich methodisch-systematisch zu rechtfertigen, denn eigentlich dürfte er in einer Logik als Einleitung in die Metaphysik noch keine positiven Aussagen über das Absolute fällen, sondern erst in der Metaphysik. Daû Hegel hier das Absolute thematisiert, zeigt den Grundlegungscharakter, den die Logik in diesem Fragment für die Metaphysik gewinnt. Hegel wendet sich hier sogar in doppelter Weise gegen Schellings Konzeption des Identitätssystems; einerseits ist das Wesen des Endlichen nicht bloû durch eine Bestimmung der quantitativen Differenz hinreichend zu erfassen, sondern es bedarf einer qualitativen Bestimmung, und andererseits ist das Absolute nicht reine Indifferenz, auûerhalb derer sich der Gegensatz und dessen Aufhebung vollzöge, sondern im Gegenteil: Das Absolute ist der rein sich in sich selbst bewegende und aufhebende Gegensatz. Die Jenaer Phase, nachdem Schelling im Sommer 1803 von Jena nach Würzburg übersiedelte, war offenbar eine Zeit der Besinnung für Hegel, in der er den zuvor mit Schelling gemeinsam vertretenen Standpunkt des Identitätssystems aufgab. Die frühere Konzeption der einen, absoluten Substanz, in der die 43
Vgl. GW, Bd. 7, 34.
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»Identität der Identität und der Nichtidentität« gesetzt sein sollte, wird in Hegels mittlerer Jenaer Phase grundlegend geändert. Das Absolute ist nicht mehr die eine Substanz, sondern besteht in der Struktur des sich in sich vermittelnden Gegensatzes. Dieser Gegensatz ist auch nicht mehr als in einer ruhenden Identität aufgehoben zu denken, sondern bildet ein selbständiges Vermittlungsgeschehen. Mit dieser Kritik wendet sich Hegel implizit, aber deutlich, gegen Schelling. Diese Kritik gipfelt dann später in der berühmten Polemik aus der »Vorrede« zur Phänomenologie des Geistes gegen Schelling, daû das Absolute als Indifferenz »die Nacht« sei, in der »alle Kühe schwarz sind«;44 an einem Absoluten, das als absolute Indifferenz bestimmt ist, gebe es gar nichts mehr zu erkennen. Die sachlichen und gedanklichen Grundlagen dieser Polemik bereiten sich schon in dem Logik, Metaphysik, Naturphilosophie-Fragment von 1804/05 vor. Ein Zeugnis dieser Schelling-Kritik Hegels ist auch der Bericht Gablers über Hegels Vorlesung über die Geschichte der Philosophie vom Wintersemester 1805/06. Hegel stellt das Identitätssystem Schellings als »unvollendeten« Ansatz dar und »insbesondere als Mangel desselben die ruhende unmittelbare Einheit der Gegensätze im Absoluten und die bloû quantitativ gefaûte Differenz«.45 Die Unendlichkeit, die sich zunächst aus den Bestimmungen der Qualität, der Quantität und dem Quantum herstellt, ist allerdings die schlechte Unendlichkeit. Die schlechte Unendlichkeit ergibt sich daraus, daû an einer Qualitäts-, Quantitäts- oder Quantumsbestimmtheit eine Veränderung von etwas Bestimmtem zu etwas anderem gesetzt wird. Bei der schlechten Unendlichkeit wird eine bleibende Bestimmtheit46 gesetzt, an der z. B. eine quantitative, prinzipiell nicht abschlieûbare Vermehrung vollzogen wird. Die schlechte Unendlichkeit ist eine prinzipiell nicht vollendbare Reihe, bei der in unserem Beispiel die quantitative Vermehrung unabschlieûbar ist. Das Quantum schlieût das Anderssein von sich aus, damit auch die Begrenzung durch anderes, daraus folgt die Unbegrenztheit, die quantitative prinzipiell unabschlieûbare Vermehrbarkeit des Quantums, dies ist eine Form Hegel, Phänomenologie des Geistes. GW, Bd. 9, 17. Hegel notiert bereits in der Zeit zwischen 1803 bis 1806 den Aphorismus: »Das Absolute: in der Nacht sind alle Kühe schwarz. ± Das absolute Erkennen der groûe Besen, der Alles wegfegt, qui fait la maison nette.« (Unbekannte Aphorismen Hegels aus der Jenaer Periode. Mitgeteilt von F. Nicolin, in: Hegel-Studien 4, 1967, 14). Die Auseinandersetzung Hegels mit Schelling insbesondere in der Phänomenologie des Geistes wird prägnant dargestellt von M. Fujita (Hegels Kritik an Schelling. In: Idealismus mit Folgen. Festschrift für O. Pöggeler, Hrsg. H.-J. Gawoll u. C. Jamme, München 1994, 211±219). 45 Zitiert nach: Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801±1807). Hrsg. H. Kimmerle. In: Hegel-Studien 4, 1967, 70; nach Rosenkranz (vgl. Rosenkranz, 201) hat Hegel im Rahmen dieser ¾uûerungen in der Vorlesung zur Geschichte der Philosophie von 1805/06 auch einen »Mangel an Dialektik« in Schellings Konzeption getadelt. 46 Vgl. GW, Bd. 7, 29. 44
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der schlechten Unendlichkeit.47 Die Unabschlieûbarkeit führt zu einem unendlichen Pro- oder Regreû. Die Unendlichkeit, wenn sie an Qualitäts-, Quantitäts- oder Quantumsbestimmungen gesetzt wird, ist eine »unreine«,48 denn die Unendlichkeit wird hier nicht an sich selbst gesetzt, sondern an etwas anderem, eben z. B. an etwas Quantitativem; daher handelt es sich hier um die schlechte Unendlichkeit. Es wird nur das »Bestreben«49 nach Unendlichkeit ausgedrückt, nicht die Unendlichkeit selbst in ihrer Reinheit als eigener Gedankeninhalt. Es wird der Fehler gemacht, an etwas Endlichem Unendlichkeit zu setzen, ohne daû die Endlichkeit dadurch zerstört würde. Die schlechte Unendlichkeit, die an der Quantität gesetzt wird, besteht darin, daû die »Allheit«50 gedacht werden soll. Dies geschieht dadurch, daû eine bestimmte Gröûe, eine quantitative Grenze gesetzt wird, die Grenze schlieût aber andere Quanten von sich aus, es wurde also nicht die Allheit als »reine Einheit«51 aller Quanten gedacht, daher muû über die gesetzte Allheit wiederum hinausgegangen werden zu einer gröûeren Quantität, die nun als Allheit gesetzt wird, auch diese hat wiederum ihre quantitative Grenze, auch sie muû überschritten werden usw. ins Unendliche. Gesetzt ist das »Abwechseln des Setztens und des Aufhebens der Gräntze, und der sich selbstgleichen Einheit [mit letzterem ist die bestimmt gesetzte quantitative Allheit gemeint; d. V.]; indem an jedem unmittelbar die Foderung des andern ist, geht beydes ins unendliche fort.«52 Hier wird deutlich, daû Hegel seine Kritik aus Glauben und Wissen von 1802 an Kants Auflösung der Antinomien in seine Logik integriert, denn dort beschrieb Hegel insbesondere die Kantische Auflösung der mathematischen Antinomien als unendliche Aufgabe, als »empirische Unendlichkeit«53 (nach Kant ist das Resultat der Auflösung der ersten beiden Antinomien jedoch keine »schlechte Unendlichkeit«, sondern regulatives Prinzip der Vernunft, das sich der Naturforschung aufgrund des Postulats der Vernunft nach Vollständigkeit stellt), die ± und das ist analog zur schlechten Unendlichkeit in der Logik Hegels von 1804/05 ± in einem abwechselnden Setzen und Aufheben eines Bestimmten besteht, das in infinitum fortgesetzt wird. Die schlechte Unendlichkeit der Logik von 1804/05 ist zugleich aber auch die Einheit von Qualität und Quantität; in ihr ist die einfache, qualitative Beziehung auf sich und die ausschlieûende quantitative Beziehung auf an47 48 49 50 51 52 53
Vgl. GW, Bd. 7, 15, auch 30. GW, Bd. 7, 29. GW, Bd. 7, 29. GW, Bd. 7, 30. GW, Bd. 7, 30. GW, Bd. 7, 30. GW, Bd. 4, 337.
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deres vereint. Dies ist die Grundstruktur der schlechten Unendlichkeit, auf der die schlechte Unendlichkeit, sofern sie als Qualitäts-, Quantitäts- oder Quantumsbestimmtheit gesetzt wird, basiert. Die einfache Beziehung auf sich der Qualität bezeichnet Hegel nun als »schlechte Realität«, die ausschlieûende Beziehung auf anderes der Quantität nennt er »schlechte Idealität«.54 Beide sind einseitig, daher schlecht. Die Beziehung auf sich bezieht sich nicht immanent auf anderes, und umgekehrt bezieht sich die ausschlieûende Beziehung auf anderes nicht immanent auf sich selbst. Damit bezieht sich die quantitative Beziehung auf anderes eigentlich auch nur auf sich selbst, nicht auf das andere ihrer selbst, denn dies andere ihrer selbst ist die Beziehung auf sich, dieses andere, die Beziehung auf sich, schlieût die quantitative Beziehung auf anderes aber von sich aus. Daher gehört auch die quantitative Beziehung zur einfachen Beziehung und hat die einfache Sichselbst-Gleichheit nicht überwunden, sie bezieht sich in ihrem Ausschlieûen nämlich nicht auf ihr anderes, die Beziehung auf sich. In der schlechten Unendlichkeit sind zwar Beziehung auf sich und ausschlieûende Beziehung auf anderes vereint, aber ihre Einseitigkeiten behalten sie bei. Daher ist die schlechte Unendlichkeit »das Und der Beziehung auf sich selbst, und der Beziehung auf anderes, mit der Reflexion darauf, daû diese beyden Beziehungen ebenso sich setzen, als sie sich ausschliessen«.55 Das »Und« meint das gleichgültige Nebeneinanderbestehen beider Beziehungen in der schlechten Unendlichkeit, das zum unendlichen Regreû und Progreû führt, der prinzipiell immer weiter vermehrt werden kann, sofern eine bleibende qualitative Bestimmung gesetzt wird, an der eine quantitative Vermehrung oder Verminderung iterativ vollzogen wird. Die »absolute Unendlichkeit hingegen [ist; d. V.] das absolute Und, die absolute Rükkehr der einfachen Beziehung in sich selbst, oder das einfache unmittelbare Aufheben der entgegengesetzten an ihnen selbst«.56 Um die wahre Unendlichkeit zu begreifen, muû also die Bedeutung des »absoluten Und« geklärt werden. Die wahre Unendlichkeit enthält zwei sich widersprechende Momente, die Beziehung auf sich und die Beziehung auf anderes. Anders als bei der schlechten Unendlichkeit ist bei der wahren Unendlichkeit, daû immanent jeweils die Beziehung auf sich in derselben Hinsicht, wie sie Beziehung auf sich ist, Beziehung auf anderes ist; und umgekehrt, ist die Beziehung auf anderes in der selben Hinsicht, wie sie Beziehung auf anderes ist, Beziehung auf sich. Damit verschärft sich der Widerspruch in doppelter Weise, weil sich einerseits die beiden Momente widersprechen und weil andererseits beide Momente je für sich einen Widerspruch enthalten. Diese 54 55 56
GW, Bd. 7, 31. GW, Bd. 7, 31. GW, Bd. 7, 32.
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Widersprüchlichkeit bestimmt die Struktur des »absoluten Und«. Die Unendlichkeit ist nichts anderes als der Widerspruch, sie ist daher ein »absolut dialektisches Wesen«.57 Indem sich eine Bestimmtheit der einfachen Beziehung auf anderes bezieht, ist sie eigentlich nicht, sie ist nur, sofern sie sich auf sich bezieht. Es hat sich aber durch unsere dialektische Reflexion erwiesen, daû die Beziehung auf anderes der Beziehung auf sich wesentlich ist, da etwas Bestimmtes bestimmt ist, weil es sich von anderem abgrenzt. Die Abgrenzung besagt aber ein Nicht-sein. Einfache Bestimmungen sind also, weil sie nicht sind; und sie sind nicht, weil sie sind. Das Endliche ist insofern unendlich, als es sich in seinem Sein selbst aufhebt. »Diû ist allein die wahrhaffte Natur des endlichen, daû es unendlich ist, in seinem Seyn sich aufhebt.«58 Als das wahre Wesen der einfachen Beziehung zeigt sich die dialektische Widersprüchlichkeit. Die Unendlichkeit bildet so das Wesen einer jeden einfachen Bestimmung, sei dies nun eine Qualitäts-, eine Quantitätsoder eine Quantumsbestimmung.59 Für den endlichen Verstand ist das, was sich widerspricht, nichts. Es kann nichts Sinnvolles bei einem sich selbst Widersprechenden gedacht werden. So wäre also das Resultat der Untersuchung der einfachen, endlichen Bestimmungen das Nichts? In Hegels früher Jenaer Phase wäre hier tatsächlich das Ende des logischen Denkens erreicht. Das logische Denken vernichtete sich nach dieser früheren Lehre Hegels am Widerspruch. Die Logik wäre genau mit dem Erreichen der wahren Unendlichkeit zu Ende, und die Metaphysik würde beginnen. Warum ist das jetzt, 1804/05 nicht mehr der Fall? Der Grund, weshalb die Logik nicht mit dem gesetzten Widerspruch des Unendlichen zu Ende ist, besteht in der Struktur der Unendlichkeit und des Widerspruchs selbst, die Hegel jetzt neu bestimmt. Das Ende sinnvollen Denkens angesichts des drohenden Widerspruchs will Hegel mit Hilfe der Theorie der bestimmten Negation und mit Hilfe der Theorie der doppelten Negation vermeiden.60 Der Widerspruch besagt, daû das entgegengesetzte, ausgeschlossene andere in der jeweiligen Bestimmung selbst enthalten ist. Dieses Enthaltensein ist nach Hegel nicht nur negativ, sondern auch positiv. Es zerstört die Bestimmung nicht bloû, sondern konstituiert sie auch. Die Bestimmungen GW, Bd. 7, 29; als »absoluten Widerspruch« bezeichnet Hegel die Unendlichkeit z. B. a. a. O., 29, 33, 34. 58 GW, Bd. 7, 33. 59 M. Baum (Zur Methode der Logik und Metaphysik beim Jenaer Hegel. In: Hegel-Studien Beiheft 20, 1980, 135) bezeichnet daher völlig zu Recht die wahre Unendlichkeit als »Metakategorie aller Kategorien der einfachen Beziehung¬«. 60 ¾hnlich argumentiert schon K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 179 ff.), der die bestimmte Negation anhand der Begriffsbestimmungen Allgemeines, Besonderes und Einzelnes expliziert. 57
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der einfachen Beziehung sind dadurch, daû sie nicht sind, d. h., sie sind dadurch, daû sie anderes nicht sind, das Anderes-nicht-Sein bedeutet für einfache Bestimmungen eine Teilhabe am Nichtsein. Einfache Bestimmungen sind nicht, indem sie sind, denn dadurch, daû sie sind, sind sie anderes nicht. Positiv konstituiert sich eine Bestimmung dadurch, daû sie ihr Gegenteil ist. Das, was wahrhaft ist, ist der sich widersprechende Gegensatz. Der Gegensatz hat so bei Hegel durchaus ontologische Bedeutung.61 Die Konstitution seiner selbst durch das entgegengesetzte andere nennt Hegel die »absolute Reflexion des Bestimmten in sich selbst«.62 Reflexion bekommt hier einen neuen Sinn, der von demjenigen, den die Reflexion noch in der frühen Jenaer Phase Hegels hatte, abweicht. Reflexion bezeichnete dort entweder das einseitige Verstandesdenken, das wesentlich in der Abstraktion, also in dem Absehen vom Gegensatz besteht. Oder es war die vernünftige, philosophische Reflexion gemeint, die als negative ein wissendes Nichtwissen¬ bedeutete, das die Vernichtung und die Nichtigkeit endlicher Bestimmungen in ihrer Widersprüchlichkeit erkannte und einen negativen Vorblick auf das Absolute erlaubte, oder die als positive philosophische Reflexion, mit der intellektuellen Anschauung verbunden, das Absolute im Bewuûtsein positiv konstruierte. In unserem jetzigen Zusammenhang bedeutet »absolute Reflexion« aber etwas anderes: Die »absolute Reflexion« meint den Prozeû der zurückbeugenden Selbstspiegelung einer Bestimmung, der darin besteht, daû sie sich als selbstwidersprüchlich durch den immanenten Bezug auf das Gegenteil ihrer selbst konstituiert; dieser Prozeû ist die bestimmte Negation. Negativität bedeutet nach Hegel immer einen ausschlieûenden, ausgrenzenden Bezug auf anderes. Aber durch diesen ausschlieûenden Bezug auf anderes wird dieses andere zugleich auch positiv eingeschlossen in den bestimmend ausschlieûenden Bezug: »das negative bezieht sich schlechthin auf ein anderes, und als diese Beziehung ist es das andre seiner selbst, oder es ist ideell, aufgehoben«.63 Sofern sich eine Bestimmung absolut reflektiert, d. h. sofern sie sich selbst konstituiert durch das konträr Entgegengesetzte, das ihr widersprüchlich entgegengesetzt ist, hebt sich ihre Endlichkeit auf. Sie wird zum Moment der Unendlichkeit, denn der immanente Widerspruch zerstört die Endlichkeit der Bestimmung. Hier liegt die Theorie der bestimmten Negation zugrunde. Um dies zu erkennen, muû die spezifische Struktur des entgegengesetzten anderen und seine spezifische Weise, nicht zu sein, bedacht werden. Das entgegengesetzte andere zu einer jeweiligen Bestimmung ist »nemlich nicht ein anderes über61 62 63
Vgl. GW, Bd. 7, 33 f. GW, Bd. 7, 33. GW, Bd. 7, 10.
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haupt, gegen das es für sich gleichgültig wäre, sondern das unmittelbare Gegentheil«.64 Weil das Bestimmte auf sein spezifisches Gegenteil bezogen ist und weil das Gegenteil sein Gegenteil ist, steht das Gegenteil ihm nicht gleichgültig gegenüber, sondern wird in seiner Existenz von ihm gesetzt. Dadurch ist das entgegengesetzte andere »nicht Nichts, indem es das andere selbst, und diû andre ebenso das Gegentheil seiner selbst wieder das erste ist«.65 Das Entgegengesetzte ist also nicht das schlechthinnige Nichts, sondern ein bestimmtes, spezifisches Nichtsein, das spezifisch auf die Bestimmung, die es verneint, bezogen ist. Es handelt sich nicht bloû um eine rein logische Entgegensetzung, die nach der traditionellen Logik kontradiktorisch wäre, vielmehr handelt es sich um eine konträre Entgegensetzung. Durch die spezifische Bestimmtheit des verneinenden Bezugs ist das Entgegengesetzte dem Bestimmten nicht äuûerlich, sondern in ihm selbst enthalten. Das im Bestimmten selbst Enthaltensein des jeweiligen spezifisch Entgegengesetzten wird für uns aus dem vernichtenden Bezug des Entgegengesetzten einsichtig. Das Entgegengesetzte gehört zu der Bestimmung selbst, macht also ihr inneres Wesen mit aus, sonst wäre die vernichtende Wirkung des Widerspruchs gar nicht möglich, denn wie sollte der Widerspruch zwei entgegengesetzte Bestimmungen zerstören, wenn beide gar nichts miteinander zu tun hätten. Die Zerstörung durch den Widerspruch ist nur zu denken, wenn beide Bestimmungen in einem inneren Verhältnis zueinander stehen. Stünden sie nicht in einem inneren Verhältnis und würden sich beide gar nicht tangieren, wie sollten sie sich dann gegenseitig im Widerspruch aufheben? Von daher wirkt das Entgegengesetzte also nicht nur zerstörend, sondern es ist auch konstitutiver Bestandteil einer Bestimmung. So ist in unserer dialektischen Reflexion des Quantums das Viele dem Einen zwar entgegengesetzt, aber nicht bloû rein logisch kontradiktorisch ± es wäre dann bloû das Nicht-Eine, hätte also keine inhaltliche Bestimmung ±, sondern es ist als das Viele konträr entgegengesetzt. Das Viele konstituiert auch das Eine, sofern eine Vielheit zu einer numerischen Einheit zusammengezählt wird. Gleichwohl ist das Eins, weil es nicht Vieles ist, und umgekehrt ist Vieles, weil es nicht Eines ist. Auf diese Weise konstituiert und zerstört das jeweils Entgegengesetzte bei der einfachen Beziehung eine Bestimmung. Jedes der beiden Entgegengesetzten hat das Entgegengesetzte, von dem es sich unterscheidet, an sich selbst. Dies ist die bestimmte Negation. Die wechselseitige Setzung und Aufhebung bildet die »absolute Unruhe«,66 die das Wesen alles Bestimmten und Endlichen auszeichnet. Diese 64 65 66
GW, Bd. 7, 33. GW, Bd. 7, 33. GW, Bd. 7, 33.
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Unruhe ist die Unendlichkeit. Die Unendlichkeit ist nichts anderes als die wechselseitige Setzung und Aufhebung des Endlichen: Das aufzuhebende Endliche »entsteht in seinem Vergehen, denn das Vergehen ist nur, indem etwas ist, das vergeht«.67 Endlichkeit und Unendlichkeit stehen in einem inneren Wechselverhältnis, das sie beide ineinanderfügt. »Die Unendlichkeit als dieser absolute Widerspruch ist hiemit die einzige Realität des Bestimmten, und nicht ein Jenseits sondern einfache Beziehung, die reine absolute Bewegung, das aussersichseyn in dem in sich seyn; indem das bestimmte mit seinem entgegengesetzten eins ist, und beyde nicht sind, so ist ihr Nichtseyn oder das Andersseyn derselben ebenso nur in der Beziehung auf sie, und es ist unmittelbar ebenso das Gegentheil seiner selbst oder ihr Seyn, beydes setzt sich ebenso unmittelbar als es sich aufhebt.«68 Das Unendliche ist nicht bloû als eine Relation aus zwei einander entgegenstehenden Bestimmungen zu verstehen, sondern im Unendlichen sind beide Entgegengesetzte selbst enthalten, beide sind daher selbst unendliche Bestimmungen, und die Unendlichkeit bedarf auf diese Weise keiner Vermittlung zwischen beiden Entgegengesetzten. Die Unendlichkeit ist das »absolute Und« der Entgegengesetzten, sie ist beides, daher ist sie unmittelbar das Gegenteil ihrer selbst. Die Theorie der bestimmten Negation, die Hegel an dieser Stelle zwar nicht mit diesem Terminus benennt, die aber doch offensichtlich den Hintergund der Argumentation bildet,69 wird durch die Theorie der doppelten Negation ergänzt und vervollständigt. Im Unterschied zu Hegels Theorie der bestimmten Negation wird die Theorie der doppelten Negation auch von der traditionellen Logik anerkannt. Dasjenige, was zweimal verneint wird, wird bejaht: Duplex negatio est affirmatio. Hegel bindet diesen auch formallogisch korrekten Satz jedoch in seine Bestimmung der Unendlichkeit ein, was die traditionelle, formale Logik allerdings in dieser Weise nicht mehr gelten lieûe. Die doppelte Negation hat folgende Struktur: Charakteristikum der Unendlichkeit ist der widersprüchliche Übergang von einer Bestimmung zu ihrer entgegengesetzten. Wenn dieser widersprüchliche Übergang vollzogen GW, Bd. 7, 36. GW, Bd. 7, 34. Bereits im Naturrechtsaufsatz von 1802 bezeichnet Hegel die Unendlichkeit als »das Princip der Bewegung und der Veränderung«, das Wesen der Unendlichkeit ist es »das unvermittelte Gegentheil seiner selbst zu seyn« (GW, Bd. 4, 431). Wie sich hier zeigt, gibt es eine Parallele zwischen der Unendlichkeit in der Logik von 1804/05 und in der Konzeption des frühen Jenaer Hegel; in beiden Fällen ist das Unendliche der unmittelbare Gegensatz. 69 Im Rahmen seiner Theorie des negativen Urteils im zweiten Teil der Logik von 1804/05 geht Hegel explizit auf die bestimmte Negation ein, die er gegen das völlig bestimmungslose Nichts abgrenzt, vgl. GW, Bd. 7, 87 f. und 89, explizit erwähnt Hegel die bestimmte Negation auch a. a. O., 159. 67 68
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wurde, hat sich ein bestimmtes Etwas zu einem anderen gewandelt; doch dieses andere steht selbst wiederum in einem immanenten Bezug zu dem bestimmten Etwas, von dem der Ausgang genommen wurde, denn auch dieses andere ist etwas Bestimmtes. Es ist dies dadurch, daû es das Etwas, von dem der Anfang des Prozesses ausgeht, von sich ausschlieût. Daher ist das andere auch in sich widersprüchlich, denn es soll das andere des bestimmten Etwas sein; ist aber auch wiederum positiv auf das bestimmte Etwas bezogen, daher ist dieses andere zugleich das »andere seiner selbst«.70 Das andere, zu dem sich das bestimmte Etwas entwickelte, ist, weil es auf das bestimmte Etwas ± aufgrund der bestimmten Negation ± bezogen ist, das Anderssein des anderen.71 Diese Rückkehr des anderen zum anderen seiner selbst vollendet den Widerspruch, den hiermit nicht nur die eine der beiden entgegengesetzten Bestimmungen vollzogen hat, sondern auch die andere Bestimmung. Nicht nur das bestimmte Etwas, von dem die Entwicklung ihren Ausgang nimmt, wird als widersprüchlich ausgewiesen, sondern auch das andere, sofern es zum anderen des anderen wird. Der Widerspruch liegt dabei jeweils in der immanenten Bezogenheit auf das entgegengesetzte andere. Die doppelte Negation besteht also in der rückläufigen Bewegung des anderen zum anderen seiner selbst. Die Rückläufigkeit besteht darin, daû das andere als durch das bestimmte Etwas konstituiert gesehen wird, von dem der Ausgang genommen wurde. Insofern kann die doppelte Negation als Rückgang in den Anfang der Entwicklung bezeichnet werden. Damit wird das Verhältnis von bestimmter und doppelter Negation deutlich: Die doppelte Negation ist auch eine bestimmte Negation, da das andere seiner selbst, das andere des anderen, auf das bestimmte Etwas bezogen ist. Das andere des anderen ist nicht unspezifisch auf das Nichts überhaupt bezogen, sondern auf ein bestimmtes Nichtsein. Die doppelte Negation ist also bestimmte Negation, die aber schon eine höhere Stufe des dialektischen Bestimmungsprozesses bezeichnet, nämlich den Rückgang zum Ausgangspunkt. »Die Unendlichkeit ist in dieser Unmittelbarkeit, des andersseyn und des andersseyn dieses anders, oder wieder das erste seyns, der duplicis negationis, die wieder affirmatio ist, einfache Beziehung, in ihrer absoluten Ungleichheit sich selbst gleich; denn das ungleiche, oder das anders ist ebenso unmittelbar als seinem Wesen nach ein anderes das andere seiner selbst.«72 Die bestimmte und die doppelte Negation sind hier also spezifisch in die Bestimmung der wahren Unendlichkeit eingebunden. Die Unendlichkeit als dialektisch widersprüchliche »Unruhe« wird durch ihre Struktur, die 70 71 72
GW, Bd. 7, 34, auch 35 f. Vgl. GW, Bd. 7, 34. GW, Bd. 7, 34.
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doppelte Negation, zur Vollendung der einfachen Beziehung, denn sie ist »in ihrer absoluten Ungleichheit sich selbst gleich«. Dies ist das eigentliche Wesen der einfachen Beziehung, nämlich in der Ungleichheit, d. h. in der immanenten, konstitutiven Beziehung auf anderes, sich selbst gleich zu sein, d. h. zum anderen des anderen zu werden und sich auf diese Weise sich selbst anzugleichen. Die einfache Beziehung als einfache Sich-selbst-Gleichheit hebt sich auf, denn es ist das Resultat der Unendlichkeit, daû die Gleichheit mit sich Resultat der Ungleichheit ist. Daraus folgt, daû alles in einem Gegensatz befangen ist; alles was ist, ist der »absolute Gegensatz«.73 Es wird gesetzt, daû der einfache Bezug auf sich anderes von sich ausschlieût. Dieses andere, das verneint wird, ist aber inneres Moment des Sich-auf-sich-Beziehens. Würde der Bezug auf sich nicht innerlich den Bezug auf anderes ausschlieûen, wäre er Bezug schlechthin. Bezug schlechthin hätte aber als Resultat niemals etwas Bestimmtes.74 Die wahre Unendlichkeit ist also die reine Struktur der Umwandlung von etwas Bestimmtem zum anderen und dieses anderen zum anderen des anderen. Die Unendlichkeit ist somit eine reine Vermittlungsbewegung, die zwischen gesetzten Bestimmungen vollzogen wird. Dabei kann diese Vermittlungsbewegung der Unendlichkeit auch als Anderswerden bezeichnet werden. Dieses Anderswerden impliziert eine wandelbare Identität, die für den Verstand, der nur eine starre, abstrakte Identität anerkennt, widersprüchlich ist. Aufgrund dieser wandelbaren Identität und des AnderswerGW, Bd. 7, 34; damit wendet sich Hegel wieder gegen Schelling: Es gibt keine für sich seiende, reine Indifferenz, die allen Gegensätzen enthoben ist. 74 H. Schmitz (Hegels Logik. Bonn/Berlin 1992, z. B. 185, 223) differenziert in Hegels Bestimmung der Unendlichkeit von 1804/05 eine »monistische« und eine »dualistische« Unendlichkeit. Die monistische Unendlichkeit bestimmt Schmitz als alle Bestimmtheit im Widerspruch zerstörende Einheit, die dualistische Unendlichkeit sei dagegen die Einheit, in der gegensätzliche Momente so vereint sind, daû sie ein Bestehen haben, sofern jedes der beiden gegensätzlichen Momente das je Entgegengesetzte in sich selbst enthält und so jedes einzelne Moment eigentlich der gesamte Gegensatz ist. Diese dualistische Unendlichkeit ist von uns als bestimmte und als doppelte Negation untersucht worden, die zusammen das Unendlichkeitsstrukturgeflecht ausmachen. Es handelt sich jedoch bei »monistischer« und »dualistischer« Unendlichkeit nicht um zwei verschiedene »Unendlichkeiten«, sondern um zwei Momente ein und derselben Unendlichkeit. Nach H. Schmitz (a. a. O., 184±189) ist das monistische Moment der Unendlichkeit lediglich zerstörerisch. Wie unsere Untersuchung zeigte, ist die Unendlichkeit nach Hegel nur dadurch zureichend zu erfassen, daû beide Momente in einer Einheit gesehen werden. Durch die Verbindung von »monistischem« und »dualistischem« Moment der Unendlichkeit ist die Unendlichkeit selbst aber nicht mehr nur zerstörerisch, sondern auch ein Entstehen im Vergehen desjenigen, was als unendlich gesetzt wird (vgl. GW, Bd. 7, 36). Schmitz differenziert (a. a. O.) nicht die Unendlichkeit in den verschiedenen Stadien, in denen sie im Rahmen von Logik und Metaphysik bei Hegel 1804/05 auftritt. Hegel selbst unterscheidet dagegen deutlich zwischen einer metaphysischen und einer logischen Unendlichkeit (vgl. GW, Bd. 7, 179 f.). 73
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dens ist die Unendlichkeit der gesetzte Widerspruch, ein »absolut dialektisches Wesen«. Die Dialektik, die unsere Reflexion ist, leistet durch die intellektuelle Erkenntnisbewegung die Aufdeckung von verborgenen Momenten an Kategorien und Bestimmungen der Logik. Sie leistet dies zunächst, indem sie die Widersprüchlichkeit der Bestimmtheit von Kategorien aufzeigt. Die Struktur der Unendlichkeit ist reine Widersprüchlichkeit. Damit ist in einer Bestimmung der Logik selbst, nämlich in der Bestimmung der Unendlichkeit, ein Moment unserer Reflexion, die dialektische Widersprüchlichkeit, gesetzt.75 Die Grundstruktur der Logik von 1804/05 war als beständige Annäherung von Inhalt und Erkenntnismethode bestimmt worden. In der Unendlichkeit wird diese Annäherung deutlich: Die Widersprüchlichkeit ist jetzt nicht mehr nur in unserer Reflexion, sondern in der logischen Kategorie selbst gesetzt. Es darf aber nicht übersehen werden, daû dies erst eine partielle Identität von Inhalt und Erkenntnismethode ist. Denn in der Unendlichkeit ist z. B. noch nicht der intellektuelle Bewegungs- und Vermittlungsprozeû gesetzt, der unsere Reflexion als geistigen Prozeû kennzeichnet. Diese Identifikation geschieht erst im »Erkennen«. Dadurch wird auch deutlich, daû die Annäherung von Inhalt und Methode in der logischen Entwicklung über partielle Identifikationen fortschreitet und nicht mit einem Schlag erreicht wird. Dennoch bedeutet die Setzung des Widerspruchs in der Unendlichkeit einen entscheidenden Fortschritt gegenüber der Qualität, der Quantität und dem Quantum; denn dort fiel die Widersprüchlichkeit der jeweiligen Bestimmung vollständig in unsere dialektische Reflexion. Nun hat sich mit der Immanenz des Widerspruchs in der Unendlichkeit als der höchsten Bestimmung der einfachen Beziehung gezeigt, was diese unmittelbare Sichselbstgleichheit in Wirklichkeit ist, nämlich eine unruhige Unbeständigkeit. Zugleich enthält die Unendlichkeit ein weiteres Moment unserer dialektischen Reflexion. Die »absolute Reflexion«, die die Selbstwidersprüchlichkeit der Unendlichkeit auszeichnet, ist ein rudimentäres Anfangsstadium einer intellektuellen Erkenntnisbewegung, denn die absolute Reflexion ist ein aktiver Bezug auf anderes. Der aktive Bezug selbst wird jedoch lediglich vollzogen und noch nicht eigens thematisch reflektiert, er ist daher bloû mitgegeben. Aufgrund dieses Eingangs dieses wesentlichen Bestandteils der dialektischen Methode unseres Erkennens in die Unendlichkeit, als dem inneren Wesen der einfachen Beziehung, ist festzuhalten, daû es im ersten Teil der Logik, in der einfachen Beziehung, eine spezifische Dialektik gibt. Die Unendlichkeit als die vollendende Realisierung der einfachen Beziehung, zeigt, 75
Vgl. GW, Bd. 7, 29.
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was die einfache Beziehung als Qualität, Quantität und Quantum eigentlich ist, nämlich die widersprüchliche Unruhe der wechselseitigen Setzung und Aufhebung. Diese widersprüchliche Unruhe ist keine unmittelbar einfache Sichselbstgleichheit. Die Unendlichkeit als realisierte Widersprüchlichkeit ist ein »absolut dialektisches Wesen«. Somit gibt es eine spezifische Dialektik der einfachen Beziehung. Diese Dialektik ist nicht identisch mit der Dialektik des Verhältnisses oder derjenigen des Erkennens; verglichen mit der letzteren hat die Dialektik der einfachen Beziehung noch eine reduzierte Bedeutung. Sie ist nicht zugleich eine thematische Reflexion der Erkenntnisbewegung. Die Dialektik der einfachen Beziehung, die in der Unendlichkeit gesetzt wird, ist noch kein thematisches Selbstverhältnis, auch wenn hier schon der Bezug auf anderes als Bezug auf sich selbst gesetzt wird. Aber die Aktivität, die im Bezugnehmen der Unendlichkeit liegt, wird nicht thematisch in der Bestimmung selbst reflektiert. Daher ist die Unendlichkeit in der einfachen Beziehung zu verorten, wenn sie auch deren letzte und höchste Stufe ist, in der ein spezifisches Moment der Dialektik, nämlich die Widersprüchlichkeit in den Kategorien der Logik gesetzt wird. »Es erhellt, daû das dialektische der Momente, der Qualität, Quantität und des Quantums und ebenso der Momente dieser, nichts anderes gewesen ist, als daû sie unendlich gesetzt wurden«.76 Mit dem Unendlich-Setzen von Qualität, Quantität und Quantum ist gemeint, daû diese Bestimmungen und ihre jeweiligen Momente jeweils in einen Widerspruch überführt werden. Diese Prozessualität, etwas Bestimmtes in ein anderes und weiter dieses andere zu einem anderen seiner selbst zu wandeln, bezeichnet die spezifische Dialektik der einfachen Beziehung. Diese Dialektik als Vermittlungsprozeû einfacher Bestimmungen fällt jedoch bei Qualität, Quantität und Quantum in unsere Reflexion, d. h. in die Reflexion des Philosophen, nicht in die Entfaltung der jeweiligen Kategorien selbst. Diese unsere dialektische Reflexion ist aber zunächst spezifisch auf Kategorien der einfachen Beziehung gerichtet und verknüpft einfache, einander gleichgültige Bestimmungen miteinander, wodurch die spezifische dialektische Methode der einfachen Beziehung entsteht. Unsere dialektische Reflexion hat die Aufgabe, dasjenige thematisch zu setzen, was in den Kategorien der einfachen Beziehung nur latent gesetzt ist, nämlich ihr immanenter Widerspruch. Zur Überwindung der bloûen Latenz des Widerspruchs ist konstitutiv unsere Reflexion notwendig, weil die Bestimmungen der einfachen Beziehung »nicht an ihnen selbst die nothwendige Beziehung auf ihr entgegengesetztes ausdrückten«.77 Später wird Hegel in der »Lehre vom Sein« aus der Wissenschaft der Logik die Seinskategorien wie die Kategorien der einfachen Beziehung in 76 77
GW, Bd. 7, 35. GW, Bd. 7, 35.
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der Logik von 1804/05 als einfache Sich-selbst-Gleichheiten verstehen. Charakteristikum der Seinskategorien in der Wissenschaft der Logik ist die spezifische Weise, wie sie sich zueinander verhalten: Sie gehen ineinander über, woraus die Dialektik des Übergehens, die spezifische Dialektik der »Lehre vom Sein« resultiert. Diese Dialektik entfalten die Kategorien des Seins aus sich selbst, sie bedürfen dazu nicht in konstitutiver Weise unserer Reflexion. Dies ist ein entscheidender Unterschied zu Hegels Konzeption von 1804/05. Die spezifische Weise der Dialektik, als Dialektik des Übergehens, ergibt sich beim späten Hegel aus der inhaltlichen Bestimmung der Seinskategorien als einfacher Sichselbstgleichheit. Das Übergehen der Seinskategorien besteht darin, daû sich ihre Bedeutung unmittelbar zu einer anderen Bedeutung verändert, die zwar den Bedeutungsgehalt der ihr vorangehenden Kategorie in sich enthält, zugleich aber auch wieder eine unmittelbare Bestimmung ist, die in einfacher Weise mit sich gleich ist. Diese Dialektik des Übergehens ist in dem ersten Teil der Logikkonzeption von 1804/05 vorgeprägt, weil auch hier in der Qualität, der Quantität und dem Quantum einfache Bestimmungen vorliegen, die einander äuûerlich sind. Die spezifische Dialektik des Übergehens wird 1804/05 von Hegel noch nicht als eigenständiges Theorem dargestellt, wenn er auch, entwicklungsgeschichtlich gesehen, in diesem Fragment für die spätere Dialektik des Übergehens den Grundstein legt. Die spezifische Dialektik des Übergehens, wie Hegel sie 1804/05 konzipiert, wird deutlich, wenn er sagt: »Die Unendlichkeit in welche das reine Seyn oder das Nichts überging, war diû Seyn und Nichtseyn diû Verschwinden und Auftreten der Gegensätze; aber diese Bewegung [war] nur eine aüsserliche, d. h. eine solche, in welcher nur das Seyn der Bestimmtheit, und dann ihr Nichtseyn als Seyn einer andern auftrat; das woraus das auftretende herkam, und [worin] das verschwindende sich verlor, das innere, die Null des Durchgangs, [war] jenes leere Seyn oder Nichts selbst; der absolute Begriff ist selbst das begrifflose, unbegriffene, die Gleichheit ist nur das Nichts.«78 Die Bewegung der Setzung und Aufhebung der Gegensätze ist den Kategorien äuûerlich, weil sie in unsere Reflexion fällt, nicht in die Kategorien selbst. Diese dialektische Reflexion vollzieht die methodischen Schritte der Setzung und Aufhebung einer Bestimmung, wobei aus der Aufhebung sogleich eine neue Setzung, d. h. eine neue Kategorie entsteht. Dabei ist von zentraler Bedeutung, daû die neu gesetzte Kategorie nur ein Anderes zur vorangehenden darstellt. In der jeweils neu aufgestellten Kategorie der einfachen Beziehung ist die vorgängige Setzungs- und Aufhebungsbewegung nicht mitgesetzt, deshalb ist auch die neu gesetzte Kategorie eine einfache Gleichheit mit sich. Die Vermittlungsbewegung, die Hegel hier als 78
GW, Bd. 7, 112.
Die dialektische Unendlichkeit
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»absoluten Begriff« bezeichnet, ist selbst nicht gesetzt, sie ist deswegen »die Null des Durchgangs«, d. h. sie bleibt unthematisch, obgleich sie für die Entstehung der Kategorien eine zentrale Rolle spielt. Eine weitere Stelle, an der Hegel den Begriff des »Übergehens« bereits in der »einfachen Beziehung« der Logik von 1804/05 in einer terminologischen Bedeutung verwendet, findet sich im Quantitätskapitel. Über das numerische Eins, das sich in die Vielheit umwandelt, sagt Hegel: »Aber dadurch, daû es [das numerische Eins; d. V.] negative Einheit ist [die Vielheit von sich ausschlieûend; d. V.] ist es Bestimmtheit [weil Bestimmtheit Ausgrenzung gegen anderes ist; d. V.], und hebt sich durch das Übergehen in sein Gegentheil auf«.79 Die numerische Einheit geht über, ist nicht mehr sie selbst, wenn sie sich in die Vielheit umgewandelt hat. Sie ist nicht mehr, weil die numerische Einheit eine einfache, sichselbstgleiche Bestimmung ist, die in der Vielheit wiederum zu einer, wenn auch höherstufigen, einfachen Sichselbstgleichheit wird. Die Verwendung des Begriffs »Übergehen« weicht allerdings an einigen Stellen stark von der späteren Bedeutung in der »Lehre vom Sein« der Wissenschaft der Logik ab; denn 1804/05 führt Hegel den Terminus in einer emphatischen Bedeutung auch im »Verhältnis« ein, genauer: in der Bestimmung der Wechselwirkung. »Die Wechselwirkung ist der Begriff des Übergehens oder der Vermittlung; eine Einheit in welcher auf eine unbestimmte, aüsserliche Weise ein Andersseyn gesetzt [ist], das continuierlich, nach einer absolut willkührlichen Einheit, addierend, d. h. eben aüsserlich hinzutretend fortgeht; DAS ÜBERGEHEN ist in Wahrheit die Substantialität, die Bestimmtheit des Bestehens selbst; [...]«80 Übergehen wird hier zur Bestimmtheit der miteinander in Wechselwirkung stehenden Substanzen. Die verschiedenen Substanzen mit ihren verschiedenen Bestimmungen treten gegeneinander auf, d. h. eine bloû mögliche Substanz geht in die Wirklichkeit über und verdrängt so eine andere wirkliche Substanz, die dann zu einer bloû möglichen wird. Dieses wechselweise Übergehen ist das Entstehen und Vergehen von Substanzen. Hier findet sich also eine kategorial spezifizierte Form des Übergehens. Das Entstehen ist der notwendige Übergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit, und das Vergehen ist der notwendige Übergang von der Wirklichkeit zur Möglichkeit. ± Hegel verortet also Entstehen und Vergehen anders als später in der Wissenschaft der Logik. Entstehen und Vergehen gehören in Hegels späterer Konzeption in die Seinslogik. Dort bilden Entstehen und Vergehen die beiden Momente des Werdens, Entstehen ist der Übergang vom Nichts zum Sein und Vergehen ist der Übergang vom Sein zum 79 80
GW, Bd. 7, 10. GW, Bd. 7, 72.
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Nichts.81 In der Wesenslehre aus Hegels späterer Konzeption verhält sich die Eine Substanz nicht entstehend und vergehend, sondern schaffend und zerstörend. Das Erschaffen besteht darin, daû die Substanz als absolute Macht ein Akzidens von der Möglichkeit in die Wirklichkeit überführt, und die Zerstörung besteht darin, daû die Substanz ein Akzidens aus seiner Wirklichkeit in die Möglichkeit zurückführt. Zugleich zeigen die 1804/05 auftretenden Bestimmungen Wirklichkeit, Möglichkeit und Notwendigkeit im Rahmen der Verhältnisbestimmung der Wechselwirkung, daû Hegel die in der Logik von 1801 bis 1803 sich andeutende Integration der Modalitätskategorien in die Relationskategorien weiterbestimmt. ± In der Konzeption von 1804/05 ist das Übergehen die Bestimmung von Substanzen, die in Wechselwirkung miteinander stehen. Dieses kategorial spezifizierte Übergehen differenziert sich in die beiden Momente des Entstehens und Vergehens. Wie wir sehen werden, ist es ein Grundcharakteristikum der Verhältnisbestimmungen, daû sie ihrem Wesen nach relational auf ihr Entgegengesetztes bezogen sind, was vorausweist auf die dialektische Verhaltensweise der Bestimmungen des Wesens aus der Wissenschaft der Logik, die in ihrem jeweils Entgegengesetzten scheinen. Wenn Hegel 1804/05 auch in der Verhältnisbestimmung der Wechselwirkung eine emphatische und terminologische Bedeutung des Übergehens einführt, dann zeigt dies, zusätzlich zu der Nähe anderer ¾uûerungen zur späteren Lehre, daû Hegel bereits zu diesem frühen Zeitpunkt erste Einsichten in die Verschiedenheit der Phasen und Stadien der Dialektik hat. Diese Einsichten werden allerdings von Hegel später noch wesentlich differenziert. III. Die Unendlichkeit und das »Verhältnis« Die Entwicklung der Logik von 1804/05 geht von der »einfachen Beziehung« zum »Verhältnis« über, das sich zweifach aufgliedert, in: 1. das »Verhältniû des Seyns«, hier werden Substantialität, Kausalität und Wechselwirkung verhandelt, und 2. in das »Verhältniû des Denkens«, wo Begriff, Urteil und Schluû untersucht werden. Das Verhältnis bedeutet ein höherstufiges Sichzu-sich-Verhalten gegenüber der einfachen Sich-selbst-Gleichheit der einfachen Beziehung. Das »Verhältnis« ergibt sich aus der Unendlichkeit. Die Unendlichkeit ist eine in sich bewegte, sich verändernde Struktur. Diese Struktur besteht darin, daû eine Bestimmtheit zu etwas anderem wird, das sich wiederum zu einem anderen dieses anderen wandelt. Die Unendlichkeit ist also eine reine 81
Vgl. GW, Bd. 11, 57; für die Logik von 1804/05 vgl. bes. GW, Bd. 7, 71 ff.
Die Unendlichkeit und das »Verhältnis«
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Beziehungsprozessualität. Diese Beziehung ist aber nicht mehr nur einfache Beziehung, sondern »eine vielfache Beziehung und die Beziehung eines vielfachen«.82 Die Unendlichkeit wandelt somit die »einfache Beziehung« in eine in sich vielfältig relational gegliederte Beziehung. Die »einfache Beziehung« geht daher in das »Verhältnis« über. Die Unendlichkeit als höchste Bestimmung der »einfachen Beziehung« ist zwar schon reine Prozessualität, d. h. eine Gegensatzrelation. Aber diese bedarf jeweils eines Etwas, an dem sie sich vollzieht. Die Relation bedarf scheinbar noch ihr äuûerlicher Relata, an denen sie sich vollzieht. Das, woran sich die Unendlichkeit als dialektisch widersprüchliche Umwandlung vollzieht, ist jeweils etwas Endliches, eine Bestimmung der einfachen Beziehung. Daraus resultiert die Schwierigkeit, daû die Unendlichkeit sich in der einfachen Beziehung jeweils an einem Endlichen vollzieht. In der »einfachen Beziehung« ist die Unendlichkeit nicht selbstmächtig, sondern bedarf eines anderen, an dem sie sich vollzieht. Das »Unendliche ist also nicht aus sich hergekommen, und nicht ein zu sich zurückgekehrtes; es ist nur sein Begriff, nicht seine Realität gesetzt«.83 Die bislang bloû geforderte Realität der Unendlichkeit besteht darin, sie für sich zu setzen, d. h. sie als aus sich selbst herkommend aufzuzeigen und nicht bloû aus dem Widerspruch des Endlichen. Die Realisierung der Unendlichkeit besteht darin, daû auch dasjenige, an dem sie sich vollzieht, unendlich ist. Diese Realisierung der Unendlichkeit ist die Aufgabe des »Verhältnisses«. Die Unendlichkeit wird dadurch selbst unendlich gesetzt. Im »Verhältnis« geht es darum, daû nicht nur die Relation der Bestimmungen unendlich ist, d. h. daû die Relation eine Bestimmung in ein anderes und in das andere des anderen wandelt, sondern es geht darum, daû auch die Relata der Relation als unendliche aufgewiesen werden und daû sie somit die Struktur des Anderswerdens in sich selbst haben. Nach Hegel wird auf diese Weise die Unendlichkeit selbst unendlich gesetzt. Sofern die Unendlichkeit ein »absolut dialektisches Wesen« ist und sofern sie im »Verhältnis« selbst unendlich gesetzt wird, findet im »Verhältnis« eine zunehmende Intensivierung der Dialektik statt, die in einer weitergehenden Hereinnahme unserer dialektischen Reflexion in die Inhalte der Logik besteht. Im »Verhältnis« wird gezeigt, daû nicht nur die Relation der Bestimmungen unendlich oder dialektisch ist, sondern auch die Relata selbst. Die Dialektik soll mehr und mehr als immanentes Moment der Bestimmungen selbst aufgewiesen werden. Sofern nun im »Verhältnis« gezeigt werden kann, daû nicht nur die Relation unendlich ist, sondern daû auch die Relata der Relation unendlich sind, wird gesetzt, daû die Unendlichkeit aus sich selbst und nicht aus einem anderen 82 83
GW, Bd. 7, 37. GW, Bd. 7, 37 f.
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wird. Die Unendlichkeit wird durch diesen Begründungsgang erst vollständig gesetzt. Daû nicht nur die Relation Unendlichkeit ist, sondern auch die Relata unendliche sind, wird dadurch erwiesen, daû aufgezeigt wird, daû die Relata nichts anderes als reine Relationen sind. Die Relata sind in sich selbst Relationen, d. h. Beziehungen auf anderes, das sie nicht sind, das aber dennoch zu ihrer Konstitution notwendig ist. Dabei verwandelt sich dieses andere zum anderen seiner selbst weiter. Diese Struktur soll nun nicht mehr bloû die Relation auszeichnen, sondern die Relata, oder die Bezogenen selbst. Hierdurch wird zugleich das Einessein der Unendlichkeit erwiesen, »es ist allein darum zu thun, dieses Einesseyn des getheilten näher zu bestimmen«.84 Mit dem »Geteilten« ist das »Verhältnis« als Resultat der Unendlichkeit gemeint. Das Unendliche ist eine »vielfache Beziehung und die Beziehung eines vielfachen«. Als eine in sich gegliederte und strukturierte Relationalität ist das Unendliche nicht einfachhin Eines, sondern es ist zugleich in sich geteilt, vielfältig. Die Unendlichkeit muû aber auch in sich zusammenhängend sein, sonst wäre sie kein Prozeû, sondern nur ein verstreutes Mannigfaltiges. Sie muû daher Einheit haben und Eines sein. Die Unendlichkeit wandelt sich so in das Verhältnis, wo die Unendlichkeit ein in sich geteiltes Eines ist.85 Die Einheit des in sich geteilten und unterschiedenen Einen folgt aus dem Aufweis, daû das Unendliche aus sich selbst wird. Aus sich selbst wird das Unendliche, sofern es zu zeigen gelingt, daû auch die Relata unendlich sind und nicht nur die Relation. Dieses Aus-sich-selbst-Werden ist zugleich die Einheit des in sich geteilten unendlichen Einen. Die Einheit des in sich geteilten Unendlichen soll also zugleich mit der Realisation des Unendlichen gezeigt werden; dies ist die Aufgabe des »Verhältnisses«. Die Relata oder Glieder des »Verhältnisses« beziehen sich in sich selbst jeweils schon auf ihr Entgegengesetztes. Die »Glieder desselben [des »Verhältnisses«; d. V.] haben durchaus nur Bedeutung in Beziehung aufeinander, sie sind nur als diû dem anderen entgegengesetzte«.86 GW, Bd. 7, 37. Vgl. GW, Bd. 7, 37. 86 GW, Bd. 7, 38; vgl. auch 39, wo Hegel die Bestimmungen der Substanz expliziert als relational aufeinander bezogene, die sich wechselseitig fordern, »denn es ist jede nur in Beziehung auf die andere; oder jede ist nur, insofern die andere nicht ist, aber sie ist nur als wesentlich bezogen auf die andere; insofern also diese nicht ist, ist sie selbst nicht; und insofern sie ist, ist unmittelbar die andere ebensowohl als auch nicht.« ¾hnliches gilt für die Kausalität, wo die Ursache relational auf die Wirkung bezogen ist; jedes Moment der Kausalität ist nur »indem es festgehalten wird, ehe es in sein Gegentheil übergeht [dies ist ein wesentlicher Unterschied zu den Bestimmungen der »einfachen Beziehung«, diese werden nicht festgehalten, sondern verschwinden und lösen sich in der nächst höheren Bestimmung auf; d. V.], aber indem es so festgehalten nur ist, als bezogen auf sein Gegentheil, so ist sein Bestimmen als ein festgehaltenseyn, selbst die Darstellung seines in sein Gegentheil übergegangenseyns« (a. a. O., 44 f.). 84
85
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Das »Verhältnis« ist auf diese Weise die Realisation der Unendlichkeit. In der Unendlichkeit als reiner Gedankenbestimmung ist gefordert, daû Entgegengesetzte Eines sind; dieses Einessein soll sowohl die Setzung, als auch die Zerstörung dieser Entgegengesetzten als Entgegengesetzter sein. Wenn dies tatsächlich realisiert ist, ist die Grundbestimmung des Verhältnisses erfüllt, realisiert.87 Dieses in sich unterschiedene Einessein von Bestimmungen, das z. B. in der Wechselwirkung der Substanzen untereinander besteht, indem sie ihre Bestimmungen selbst setzten und sich darin wechselseitig setzen und aufheben, »ist das dialektische dieses Verhältnisses [des »Verhältnisses des Seins«; d. V.], das als unsre Reflexion sich in seiner Realisirung selbst zu setzen hat, unmittelbar hier [im »Verhältnis des Denkens«; d. V.] geht uns nichts an, als diû nothwendig so entstandene, und wie die Unendlichkeit an ihm beruhigt ist, so müssen wir gleichsam ebenso unsere Reflexion beruhigen, und nur nehmen was da ist; unsere Reflexion wird die Reflexion dieses Verhältnisses selbst werden«.88 Es zeigt sich, daû die Dialektik im »Verhältnis des Seins« ± wie bereits in der »einfachen Beziehung« ± unsere Reflexion ist, die aber auch in den kategorialen Bestimmungen Substantialität, Kausalität und Wechselwirkung selbst vorliegt. Dieses Vorliegen ist nur latent; ausdrücklich wird die Dialektik erst durch unsere Reflexion, diese leistet die Erkenntnis, daû z. B. in den aufeinander wechselwirkend bezogenen Substanzen verschiedene, entgegengesetzte Substanzen auftreten, die wechselseitig entstehen und vergehen, und daû dieses »Übergehen« der verschiedenen Substanzen alle Substanzen auszeichnet und sie wesentlich bestimmt. Es gibt daher eigentlich bloû Eine Substanz, die in sich der wechselseitige Übergang im Setzen und Aufheben entgegengesetzter Bestimmungen ist.89 Die vielen wechselwirkenden Substanzen bilden also eigentlich bloû Eine Substanz. Dieses Übergehen der vielen Substanzen, in Vgl. GW, Bd. 7, 75. Hegel kommt damit in die Nähe von Hölderlins durch Heraklit geprägte Bestimmung des Göttlichen, »Unendlicheinigen« und der Schönheit als das »Eine in sich selber unterschiedene« (Hölderlin, Hyperion. Sämtliche Werke, Bd. 3, Stuttgart 1958, 85). Hölderlin führt das in sich unterschiedene Eine in dem Entwurf Über die Verfahrungsweise des poetischen Geistes (Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 4, Stuttgart 1962, 262 ff.) näher aus, als unendliche Einheit, in der die Einheit auf die Entgegensetzung, die Entgegensetzung auf die Einheit bezogen ist und in der zugleich ± als drittes Moment ± Einheit und Entgegensetzung eine Einheit bilden. Hegel war diese Annäherung wahrscheinlich nicht bewuût, denn es finden sich in diesem Zusammenhang keine Anspielungen auf Hölderlin. Für Hölderlin ist dieses Unendlicheinige ± als menschlich-endliches Bewuûtsein übersteigend ± nur durch die Schönheit darstellbar. Es kann nur als ursprüngliche Totalempfindung gefühlt, nicht wie bei Hegel als Begriff dargestellt werden, weil es nach Hölderlin die Endlichkeit übersteigt. Dies ist ein fundamentaler Unterschied zu Hegel, der das Unendliche und seine Realisation in der Logik begrifflich darzustellen bestrebt ist. 88 GW, Bd. 7, 75 f. 89 Vgl. GW, Bd. 7, 75. 87
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ihrem wechselseitigen Entstehen und Vergehen bildet zusammengenommen die Eine Substanz. Zugleich ist das wechselseitige Entstehen- und Vergehenlassen in der Einen Substanz eine Tätigkeit und Aktuosität. Weil diese Aktuosität Grundcharakter der Wechselwirkung ist und die Wechselwirkung ihrerseits ein wesentliches Charakteristikum des »Verhältnisses« überhaupt, kann Hegel das Verhältnis als »die absolute Thätigkeit«90 bezeichnen. Die Aktuosität im Einessein Entgegengesetzter aus dem »Verhältnis des Seins«, die sich in der Wechselwirkung kristallisiert, wird jedoch in dieser kategorialen Bestimmtheit geradehin vollzogen; es wird nicht reflektiert, was sie vollzieht, »da im Verhältnisse des Seyns, die Bestimmtheit, nicht zugleich in sich reflectirt, an ihr selbst ist, sondern nur nach aussen geht«.91 Dieses »Nach-auûen-Gehen« dokumentiert sich bei der Wechselwirkung z. B. darin, daû jeweils andere Bestimmtheiten zum Entstehen oder Vergehen gebracht werden, dieser Prozeû aber nicht von den Substanzen reflektiert wird. Das »Verhältnis des Denkens« leistet allererst nicht nur einerseits ein wechselweises Einwirken entgegengesetzter Bestimmtheiten, das nach auûen geht, also anderes als sich selbst hervorbringt, sondern andererseits auch die Reflexion der Bestimmtheiten in sich. Die Reflexion des tätigen Einesseins von Entgegengesetzten, die sich darin zugleich hervorbringen und aufheben, darf nicht bloû unsere dialektische Reflexion bleiben, denn sonst wäre nicht die vollständige Realisation der Unendlichkeit geleistet; die Unendlichkeit würde sich noch immer nicht selbst hervorbringen, sondern wäre auf unsere Reflexion angewiesen. Daher muû sich die Dialektik unserer Reflexion in den kategorialen Bestimmungen der Logik selbst setzen, welcher Prozeû im »Verhältnis des Denkens« weiter intensiviert und in der »Proportion«, dem dritten Teil der Logik, vollendet wird. Im »Verhältnis« haben die entgegengesetzten Bestimmungen »durchaus nur Bedeutung in Beziehung aufeinander, sie sind nur als diû dem andern entgegengesetzte«. Dieses Grundmerkmal der Verhältnisbestimmungen weist voraus auf Hegels spätere Lehre der Relationsbestimmungen in der »Lehre vom Wesen« aus der Wissenschaft der Logik. Hier sind z. B. Identität und Unterschied Relationsbestimmungen, deren Sinn sich lediglich aus ihrem Ineinanderscheinen ergibt. Identität mit sich kann nach Hegels späterer Lehre in der Wesenslogik nur relational bezogen auf den Unterschied ausgesagt werden. Die Identität ist unterschieden vom Unterschied. Damit macht nach Hegel der Unterschied ein immanentes Moment der Identität aus, wäre die Identität nicht unterschieden vom Unterschied, wäre sie gar nicht Identität. Umgekehrt muû der Unterschied mit sich selbst identisch 90 91
GW, Bd. 7, 69. GW, Bd. 7, 77.
Die Unendlichkeit und das »Verhältnis«
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sein, sonst wäre der Unterschied nicht Unterschied. Identität und Unterschied sind nur in ihrer Relation zueinander zu explizieren, ohne diese Relation auf das Entgegengesetzte wäre gar nicht begreifbar, was Identität oder Unterschied sein soll; ähnliches gilt z. B. für die Relationsbestimmungen Gleichheit und Ungleichheit, die sich ebenfalls wechselseitig ineinander reflektierend bestimmen »beyde haben wesentlich diese Beziehung, und ausser ihr keine Bedeutung«.92 In Parenthese sei bemerkt, daû Hegel 1804/05 die Bestimmung der Identität nicht in der Logik verortet, sondern im ersten Teil der Metaphysik »Das Erkennen als System von Grundsätzen«.93 Andere Bestimmungen, die beim späten Hegel ebenfalls zur »Lehre vom Wesen« gehören, wie die Relationskategorien, verortet Hegel 1804/05 dagegen in der Logik, genauer im »Verhältnis des Seins«, und nicht in der Metaphysik. Daher kann gesagt werden, daû der mittlere Jenaer Hegel noch keine einheitlich-systematische Wesenslehre ausgebildet hat, wenn auch bereits entscheidende Bestimmungen aus der späteren »Lehre vom Wesen« thematisiert werden.94 ± Nach Hegels »Lehre vom Wesen« in der Wissenschaft der Logik ergibt sich aus der wechselseitigen Verweisung von Bestimmungen aufeinander die spezifische Dialektik, die für Relationsbestimmungen konstitutiv ist. Wie wir gesehen haben, deutet sich diese spezifische Form der Dialektik aus der Wesenslehre, die Hegel später als das »Scheinen in dem Entgegengesetzten«95 bezeichnet, bereits 1804/05 an. Ein wichtiger Unterschied zwischen der Lehre von 1804/05 und derjenigen des späteren Hegel ist allerdings, daû die Reflexionsbestimmungen in GW, Bd. 11, 269; an dieser Formulierung zeigt sich deutlich die Nähe zu Hegels Bestimmung der Relata im »Verhältnis« von 1804/05, die »durchaus nur Bedeutung in Beziehung aufeinander« haben; zu Identität und Verschiedenheit vgl. GW, Bd. 11, 262 ff. 93 Vgl. GW, Bd. 7, 130±132. 94 Zum »Erkennen als System von Grundsätzen« vgl. die Darstellung bei K. Düsing (Identität und Widerspruch. Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der Dialektik Hegels. In: Giornale di metafisica, 1984, 315±358, bes. 328±338). H. Schmitz (Hegels Logik. Bonn/Berlin 1992, 197±207, bes. 204 f.) betont die Parallelen, die sich in der Logik und Metaphysik Hegels von 1804/05 zur »Lehre vom Wesen« aus der Wissenschaft der Logik finden. Derartige Parallelen zur späteren Wesenslehre der Wissenschaft der Logik sind mit Recht zu untersuchen, dürfen jedoch nicht überbewertet werden, da Hegel 1804/05 noch keine einheitliche Wesensbestimmung kannte. 1804/05 gibt es, entwicklungsgeschichtlich gesehen, Ansätze zu einer Wesenslehre, die in verschiedenen Bestimmungen bestehen, die Hegel später integrierend zur Wesenslehre zusammenschlieût; erste Andeutungen eines einheitlichen Wesensbegriffs finden sich in der Phänomenologie des Geistes von 1807, vgl. GW, Bd. 9, 19, 298, 324, 410 f.; eine einheitliche und systematische Wesensbestimmung beginnt sich in Hegels Werk erst ab 1808 auszubilden, vgl. Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.) »II. Wesen«, in: Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, Nürnberger und Heidelberger Schriften 1808±1817, 17±22. 95 Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), GW, Bd. 20, § 240. 92
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der Wesenslehre der Wissenschaft der Logik ihre spezifische Dialektik des Scheinens im Entgegengesetzten aus sich selbst entfalten und nicht, wie noch 1804/05, dazu einer dialektischen Reflexion bedürfen, die der Philosoph vollzieht ± die also bloû »unsere Reflexion« ist und sich nicht von vornherein in den kategorialen Bestimmungen der Logik selbst vollzieht ±. Offensichtlich ist Hegels spätere Konzeption der Logik als spekulativer Metaphysik der absoluten Subjektivität der Grund dafür, daû in dieser späteren Lehre die Kategorien der Logik für sich bereits jeweils ein Selbstverhältnis darstellen, das jeweils der Grund dafür ist, daû die Dialektik sich aus ihnen selbst zu entfalten in der Lage ist. Wie sich nämlich in unserer Untersuchung der »absoluten Idee« aus der Wissenschaft der Logik zeigen wird, ist die dialektische Methode für den reifen Hegel die gedankliche Selbstentfaltung der absoluten Subjektivität. 1804/05 bilden die Kategorien der Logik offensichtlich noch keine spekulativ-metaphysischen Selbstverhältnisse, sind daher auch nicht in der Lage, ihre Dialektik aus sich selbst heraus zu entfalten, und bedürfen dazu in konstitutiver Weise unserer Reflexion, wie sich dies auch an den Verhältnisbestimmungen gezeigt hat. IV. Die »Proportion« und das Erkennen als dialektische Methode Der von Hegel mit »Proportion« bezeichnete dritte und abschlieûende Teil der Logik von 1804/05 bildet eine Methodenlehre.96 Hier werden die Methoden des wissenschaftlichen Erkennens abgehandelt. Diese bestehen in der »Definition«, der »Einteilung« und dem »Erkennen«.97 Das Erkennen bildet hier insofern eine Methode, als Hegel die verschiedenen Momente und Stadien des Erkennens als methodische Schritte versteht. Diese Schritte bestehen aus Definition, Einteilung, Konstruktion, Beweis und Deduktion. Diese Vgl. GW, Bd. 7, 105±125. Vgl. zur genetisch deduktiven Ableitung der »Proportion« aus dem »Verhältnis« die Deutung von K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 176), der hervorhebt, daû das »Verhältnis des Seins« und das »Verhältnis des Denkens«, in der Proportion in eine Einheit gesetzt sind, die auch als »Adäquatheit« von Denken und Sein bezeichnet werden kann. 97 Auch noch später in der Wissenschaft der Logik behält Hegel diese Erkenntnismethoden als logische Bestimmungen bei. Sie sind dort allerdings in der Ideenlehre verortet, und Hegel bereichert die Erkenntnismethoden noch um den Lehrsatz (vgl. GW, Bd. 12, 210±230). Anders als in der Logik von 1804/05 sind in der späteren Lehre Hegels Definition und Einteilung selbst das Erkennen und nicht nur Vorstufen zu diesem. In der späteren Lehre ordnet Hegel sie dem synthetischen Erkennen zu, also einer Erkenntnisform, die versucht, eine Mannigfaltigkeit zu einer Einheit zu verknüpfen und die in dieser Verknüpfung eine Notwendigkeit, eine Gesetzmäûigkeit in das Mannigfaltige zu bringen versucht. Diese Synthesisleistung wird von Hegel in der Lehre von 1804/05 noch nicht konzipiert. Analog ist in Hegels früher und reifer Konzeption, daû Einteilung und Definition jeweils endliche Erkenntnismethoden sind. 96
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wissenschaftlichen Methoden bilden die Stufen des »Erkennens«. Deshalb versteht Hegel das Erkennen als wissenschaftliche Methode. Wahrheit besteht in der Gleichheit von Denken und Sein, genauer in der Angemessenheit beider aneinander. Diese Gleichheit wird erreicht, indem die der »Proportion« vorangehenden Verhältnisse des Seins und Denkens als dasselbe gesetzt werden. Die Gleichheit von Sein und Denken, die in einem inneren Verweisungszusammenhang beider aufeinander besteht, wird von Hegel in einer Methodenlehre näher ausgeführt. Die wissenschaftliche Methode expliziert im Rahmen der Logik wahre Erkenntnis, die in der Angemessenheit des Denkens, das jeweils nach einer dieser wissenschaftlichen Methoden vorgeht, an das Sein besteht. In dem die Logik von 1804/05 abschlieûenden, »Erkennen« wird die methodische Reflexion selbst reflektiert, also die Art und Weise, wie erkannt wird. Damit wird dasjenige, was in der gesamten Logik von Hegel als »unsere Reflexion« bezeichnet wird, selbst zum Inhalt der Logik. Das »Erkennen« als höchste Form der »Proportion« bildet daher eine differenzierte Untersuchung »unserer Reflexion«, welche die Dialektik ist.98 In diesem Sinne berichtet Rosenkranz: »Endlich [ab Hegels Zeit in Nürnberg 1808; d. V.] schwand aber auch für den Begriff der dialektischen Methode der nicht recht passende Name der Proportion, dessen sich Hegel noch 1806 bediente.«99 Daraus kann wohl geschlossen werden, daû Hegel bereits 1804/05 unter dem Titel »Proportion« die dialektische Methode verstand und diese insbesondere im »Erkennen« als der höchsten Bestimmung der »Proportion« als realisiert betrachtete. Um Hegels Verständnis von Dialektik in der Logik von 1804/05 differenziert zu analysieren, müssen also die Proportion und insbesondere das »Erkennen« genau untersucht werden. Wesentliche Momente des Erkennens bilden die »Definition« und die »Einteilung«; diese beiden Erkenntnismethoden sind wesentliche Stationen im »Erkennen«. Um das »Erkennen« begreifen zu können, müssen daher zuvor die »Definition« und die »EinteiH. Schmitz (Hegels Logik. Bonn/Berlin 1992, 199 f.) sieht eine Explikation der Hegelschen Dialektik von 1804/05 nicht in dem Kapitel »Es ist gesetzt das Erkennen«, sondern in dem Kapitel »Das Erkennen als System von Grundsätzen« aus der Metaphysik. Damit stellt sich aber das Problem, daû die Dialektik von Hegel dann im Rahmen der Metaphysik expliziert werden würde. Hegel sagt allerdings: »Das Erkennen ist als in die Metaphysik übergehend das Aufheben der Logik selbst, als der Dialektik, oder des Idealismus.« (Vgl. GW, Bd. 7, 127) Das logisch-dialektische Erkennen ist in der Metaphysik aufgehoben, weil hier nicht mehr Inhalt und Erkenntnisform getrennt sind; das soll aber nicht heiûen, daû das Erkennen in der Metaphysik generell aufgehoben ist. Nur das logische Erkennen ist aufgehoben, nicht das metaphysische, welches ein spekulatives Selbstverhältnis des absoluten Geistes bedeutet; und dieses ist es, was das Kapitel »Das Erkennen als System von Grundsätzen« aus der Metaphysik in seiner ersten und rudimentärsten Form expliziert. 99 Rosenkranz, 257. 98
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lung« als gesonderte Bestimmungen, die Hegel dem eigentlichen Erkennen voranschickt, untersucht werden. 1. Die Definition Das Subjekt der Definition ist nach Hegel eine »reale Allgemeinheit«. An dieser Bestimmung wird die Gleichheit des »Verhältnisses des Denkens« und des »Verhältnisses des Seins« deutlich. Das Subjekt der Definition, also das Definiendum ist einerseits ein Reales, dies ist ein Moment des »Verhältnisses des Seins«, und das Definiendum ist andererseits ein Allgemeines, d. h. ein Moment des »Verhältnisses des Denkens«. Daher stellt sich die Frage, wie kann das real existierende Einzelne zugleich allgemein sein? Hegel hat bei seiner Bestimmung der Definition offensichtlich eine Realdefinition und nicht bloû eine Nominaldefinition vor Augen. Er bezeichnet das Definiendum als ein »dieses«, ein »Individuum« und als »Eines«.100 In der Definition wird die wesentliche Bestimmung des Individuums angegeben. Das konkrete Einzelding wird durch seine differentia specifica definiert. Daher ist das Individuum mit der Besonderheit verknüpft, denn es ist zwar Einzelnes, aber ihm ist die besondere Bestimmtheit der differentia specifica wesentlich, d. h., das Individuum ist nur, was es ist, aufgrund der ihm zukommenden besonderen Bestimmung. Die wesentliche und besondere Bestimmtheit, die das Subjekt als Reales hat, ist nicht eine solche, die anderes, durch das sie bestimmt wird, einfach von sich ausschlieût, wie es bei den Bestimmtheiten der »einfachen Beziehung« der Fall ist. Denn die Bestimmtheit des Definitionssubjekts ist zugleich Allgemeines und schlieût anderes in sich ein. Daher ist in dem Definitionssubjekt als einzelnem Individuum Allgemeinheit und Besonderheit vereint. In der Definition ist die reale Bestimmtheit an das Allgemeine, zurückgebunden. Worin diese Allgemeinheit besteht, ist näher zu untersuchen: Als Beispiele für sich definierende Entitäten gibt Hegel »lebendige Dinge« an, die »Waffen des Angriffs oder der Vertheidigung« besitzen; er denkt hier offensichtlich an Tiere, weiterhin nennt Hegel »Pflanzen«.101 Diesen Einzeldingen kommen jeweils wesentliche Bestimmungen zu. Tieren, z. B. ihre spezifischen »Waffen des Angriffs«. Durch diese Bestimmungen werden die Vgl. GW, Bd. 7, 107. Vgl. GW, Bd. 7, 106 f.; vgl. hierzu auch die die Natur beobachtende Vernunft aus Hegels Phänomenologie des Geistes von 1807 (GW, Bd. 9, 140 f.). Hier versucht die Vernunft die Natur dadurch zu erkennen, daû sie wesentliche Merkmale an Naturobjekten bestimmt. So z. B. bei Tieren die »Klauen und Zähne«, durch die nicht nur einerseits die Vernunft die Tiere voneinander unterscheidet, sondern andererseits sich auch die Tiere selbst in ihrem Selbsterhaltungsprozeû gegeneinander abgrenzen. 100 101
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Definitionssubjekte nicht nur einerseits begrifflich definiert, sondern sie erhalten sich andererseits mit Hilfe der wesentlichen Bestimmungen im realen Lebenskontext gegen andere, ihnen entgegengesetzte Subjekte, die ebenfalls über wesentliche Bestimmungen verfügen. »Das Subject, das seiner Definition gleich, und nichts als diese ist, ist hiemit nicht ein einzelnes; seine wesentliche Bestimmtheit ist diejenige, in welcher das Subject gegen andere Besondere gekehrt, und in diesem gegen sie gekehrt seyn sich selbst erhält.«102 Die Definition des Einzeldings besteht also darin, daû es sich selbst erhält. Die Selbsterhaltung wird dadurch vollzogen, daû das Einzelding sich mittels seiner wesentlichen Bestimmungen gegen anderes wendet und dieses bekämpft. Damit ist das Einzelding auf anderes bezogen, es geht aber in diesem Bezug auf anderes nicht unter, sondern verhält sich gerade zu sich selbst, denn das Entgegengesetzte soll zugunsten der eigenen Existenz vernichtet werden. »Das wesentliche des Subjects, das sich dadurch als Individuum als einzelnes erhält, ist, daû es in diesem seinem gekehrtseyn gegen anderes sich selbstgleich ist, sich nur auf sich selbst bezieht; es bleibt sich selbstgleich, indem es in seinem Anderswerden nicht aufhört zu seyn was es ist, sondern vielmehr diû andere seiner selbst aufhebt.«103 Darin liegt die Allgemeinheit des Definitionssubjekts begründet: Im Rahmen des Selbsterhaltungsprozesses zeigt sich die dem Definitionssubjekt zukommende Allgemeinheit. Dadurch, daû das Definitionssubjekt auf das andere seiner selbst bezogen ist und es in sich aufhebt, umfaût es dieses. Die das andere umfassende Beziehung ist nach Hegel als Allgemeinheit zu bezeichnen. Mittels der wesentlichen Bestimmungen umfaût das Definitionssubjekt nicht nur sich selbst und ist Einzelnes, sondern auch sein Entgegengesetztes und ist daher Allgemeines. Das Definitionssubjekt mit seiner wesentlichen Bestimmtheit, der differentia specifica ist »dem Allgemeinen gleich und diû so, daû es sein andersseyn als ein anderes von sich abgetrennt [hat], und darauf vernichtend sich bezieht, so daû es in seinem Aufheben als allgemeines ist, und sich als diese Bestimmtheit erhält«.104 Daraus resultiert eine unmittelbare Einheit von Besonderheit, differentia specifica, und Allgemeinheit, Umfassen des anderen in sich selbst, die sich im Definitionssubjekt geltend macht: Mittels seiner Besonderheit umfaût das Definitionssubjekt das ihm entgegengesetzte Definitionssubjekt. Die unmittelbare Einheit von Besonderheit und Allgemeinheit ist nach Hegel zugleich ein Charakteristikum der »Proportion« insgesamt: »Diese wahrhaffte Realität des dieses, daû seine Besonderheit ist und besteht, und als solche in die Allgemeinheit aufgenommen, für sich ist, drückt den Begriff 102 103 104
GW, Bd. 7, 106. GW, Bd. 7, 107. GW, Bd. 7, 108.
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der Proportion überhaupt aus, in welchem das Verhältniû ganz auf die eine Seite tritt, das beondere dem allgemeinen unmittelbar einverleibt ist, und das diese unmittelbar auf beydes bezogen«105 ist. Das Definiendum hat »zu seinem Wesen nur die Einheit«106 von Allgemeinem und Besonderem. Die unmittelbare Einheit von Allgemeinem und Besonderem, die das Definitionssubjekt als Einzelnes auszeichnet, besteht darin, daû die besondere Bestimmung, die differentia specifica, dazu dient, andere Definitionssubjekte aufzuheben, also allgemein zu sein. In diesem Sinne sind Besonderes und Allgemeines vereint. Die unmittelbare Einheit und der unmittelbare Bezug des Besonderen auf das Allgemeine in der Definition zeigen sich auch daran, daû das Definitionssubjekt, das sich im realen Lebenskontext mittels seiner wesentlichen Bestimmungen selbst erhält, zusätzlich in den allgemeinen Lebensprozeû eingebunden ist. Durch die Selbsterhaltung des Definitionssubjektes wird ein Moment unserer dialektischen Reflexion methodisch in der Definition des Einzeldinges gesetzt, nämlich der für eine Bestimmung konstitutive Bezug auf das Entgegengesetzte. Das Spezifische an der Definition als Selbsterhaltung ist nämlich, daû der Bezug auf das Entgegengesetzte nicht zur Zerstörung des Definitionssubjekts führt, sondern gerade zu seiner Konstitution. Das Entgegengesetzte wird vom Definitionssubjekt zum Zwecke der Selbsterhaltung vernichtet. Für das zu definierende Einzelding gilt daher: Sein »für sich seyn ist nicht eine Abstraction von dem entgegengesetzten, sondern es ist bezogen darauf, und das Einsseyn beyder ist nicht das Aufheben beyder, sondern das Eine ist selbst das Allgemeine in seiner Bestimmtheit, oder das Aufheben des andern«.107 Damit wird wiederum ein Moment unserer Reflexion in einer logischen Kategorie gesetzt. In der Definition wird ein dialektisches Moment gesetzt; nämlich der positiv konstitutive Bezug auf das Entgegengesetzte. Dieser Bezug war vor der Definition nur unserer dialektischen Metareflexion zugänglich, nun ist er auch in einem kategorialen Inhalt der Logik gesetzt. Einerseits gibt es also in der Definition das zuvor untersuchte Moment der Dialektik, das im Definitionssubjekt thematisch gesetzt wird. Andererseits GW, Bd. 7, 107. GW, Bd. 7, 107. 107 GW, Bd. 7, 107; das Selbsterhaltungsmoment in der Definition interpretiert H. Marcuse (Vernunft und Revolution. Hegel und die Entstehung der Gesellschaftstheorie. Frankfurt a.M. 1990, 73) als reproduzierende Widerspiegelung von realen Ereignissen der Objektwelt im Rahmen der logischen Bestimmung Definition. Umgekehrt wäre es wohl dem Hegelschen Denken angemessener zu sagen, die reale Objekt- und Naturwelt spiegelt die Selbsterhaltung aus der logischen Definition wider. Darüber hinaus zeigt die Einheit von Selbsterhaltungsprozeû und logischen Begriffsverhältnissen in der Definition die Einheit des »Verhältnisses des Seins« und des »Verhältnisses des Denkens« in den Bestimmungen der »Proportion«. 105 106
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gibt es aber auch noch ein zweites Moment der Dialektik, das allerdings zunächst nur unserer Reflexion angehört. Dieses Moment der Dialektik destruiert die Definition und führt zur nächst höheren wissenschaftlichen Methode, zur Einteilung. Die Dialektik, welche die Definition vernichtet, besteht darin, daû im Definitionssubjekt »das allgemeine [...] nicht zu seinem Rechte gelangt«108 ist. Eigentlich soll in der Definition ein reales Allgemeines oder, wie Hegel sich auch ausdrückt, ein »wahrhafft allgemeines«109 gesetzt sein. Die Allgemeinheit in der Definition besteht jedoch darin, daû in ihr, zum Zwecke der Selbsterhaltung, das andere Definitionssubjekt zerstört wird. Die Allgemeinheit erweist sich so als eine bloû vom Definitionssubjekt gesetzte, denn die Vernichtung des anderen Definitionssubjekts stellt keine wirkliche Vereinigung der Entgegengesetzten dar, sondern nur die Nivellierung der Entgegensetzung. In »Wahrheit ist nur die Seite seiner [des Definitionssubjekts; d. V.] Allgemeinheit diû sich selbst erhaltende«110 gesetzt. Die besonderen, spezifischen Bestimmtheiten der Definitionssubjekte bleiben bestehen und wandeln sich nicht dialektisch um, wenn das Definitionssubjekt allgemein wird und sein Entgegengesetztes in sich vernichtend umfaût. Die wesentliche »Bestimmtheit, dem allgemeinen einverleibt, besteht«.111 Durch die wesentliche Bestimmtheit nimmt das Definitionssubjekt das Entgegengesetzte nicht wirklich positiv in sich auf, so daû dieses mit ihm eine Einheit bilden könnte. Das Definitionssubjekt als allgemeines »ist nur gesetzt als subsumirend Eine der entgegengesetzten Bestimmtheiten; diese Glieder sind nicht gesetzt als das was sie in Wahrheit sind, die Bestimmtheit nicht ein ideelles, das allgemeine nicht eine reale, nicht negative Einheit zugleich«.112 Die lediglich eine Besonderheit subsumierende Allgemeinheit der Definition reicht nach Hegel noch nicht hin, um die reale Allgemeinheit zu setzen, denn durch den Subsumtionsakt wird nicht zugleich die entgegengesetzte Bestimmtheit als ebenso in der Allgemeinheit enthalten gesetzt. Die Allgemeinheit des Definitionssubjekts enthält nicht wirklich das Entgegengesetzte in sich, sondern nivelliert das Entgegengesetze, indem sie es vernichtet. »Die Definition drückt daher nur die Foderung des in sich zurückgekehrtseyns, der absoluten Realität aus«.113 Das entgegengesetzte Definitionssubjekt soll im Definitionssubjekt positiv enthalten sein und nicht bloû von ihm nivelliert werden, sonst ist die reale Allgemeinheit nicht verwirklicht, vielmehr »ist das Ganze unter der Bestimmtheit der Besonderheit«.114 Hätte das Defi108 109 110 111 112 113 114
GW, Bd. 7, 107. GW, Bd. 7, 108. GW, Bd. 7, 108. GW, Bd. 7, 108. GW, Bd. 7, 108. GW, Bd. 7, 108. GW, Bd. 7, 108.
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nitionssubjekt das Entgegengesetzte positiv in sich, dann wäre es auch nicht mehr bloû ein konkret existierendes Individuum, sondern reale Allgemeinheit, die sich in sich, d. h. in ihre Besonderungen selbst unterscheidet. Damit wandelt sich das Definitionssubjekt zum Einteilungssubjekt. Die nächste wissenschaftliche Methode ist erreicht, nämlich die Einteilung. Dieses Konzept einer sich selbst besondernden Allgemeinheit ist für den späteren Hegel ein wesentliches Moment der dialektischen Methode.115 Nach Hegels späterer Lehre steht am Anfang einer dialektischen Entwicklung eine Allgemeinheit, die sich selbst besondert, wenn der bestimmte Gedankeninhalt gedacht wird, der in dieser Allgemeinheit impliziert ist. Eine solche »wahre Allgemeinheit«, die Hegel 1804/05 für das Definitionssubjekt fordert, die aber in der Definition noch nicht verwirklicht wird, läût sich nicht mit der traditionellen Logik vereinbaren. Nach der traditionellen Logik ist in der Definition das Besondere unter die Allgemeinheit zu subsumieren, als Merkmal. Das Besondere ist nicht im Allgemeinen enthalten, im Allgemeinen wären sonst verschiedene Besondere enthalten. Nach der traditionellen Logik würde derjenige Begriff, der die besonderen Merkmale in sich enthält, widersprüchlich sein; er wäre damit unmöglich.116 Die von Hegel geforderte »wahre Allgemeinheit« des Definitionssubjekts ist nach der traditionellen Logik kein diskursiver Begriff, sondern ein intuitiver Gehalt. In Hegels Lehre von der Definition in der Logik von 1804/05 wird die »wahre Allgemeinheit« nicht bewiesen, Hegel zeigt nicht die Denkmöglichkeit einer solchen »realen Allgemeinheit« auf, sondern postuliert sie lediglich.
Vgl. Wissenschaft der Logik. GW, Bd. 12, 239 ff., wo diese »konkrete Allgemeinheit« als sich selbst bestimmende und das Besondere in sich tätig hervorbringende absolute Subjektivität beschrieben wird. 116 Wären z. B. im allgemeineren Begriff des Werdens die besonderen Begriffe des Entstehens und Vergehens selbst enthalten, dann wäre das Werden in sich selbst widersprüchlich. Der allgemeine Begriff des Werdens subsumiert dagegen unter sich alle Arten der Veränderung, also sowohl Entstehen als auch Vergehen, enthält diese aber nicht in sich. Daraus folgt, daû sich Hegels Lehre vom sich selbst besondernden Allgemeinen nicht mit der logischen Gesetzmäûigkeit der Reziprozität von Inhalt und Umfang der Begriffe vereinen läût. Bei der von Hegel geforderten »wahren Allgemeinheit« hat der allgemeine Begriff denselben Inhalt wie der besondere Begriff, da dieser in jenem enthalten sein soll, sich aus diesem vollständig entfaltet. Nach der traditionellen Logik, die den Widerspruch vermeidet, sind die Besonderen, in unserem Beispiel Entstehen und Vergehen nicht analytisch im allgemeinen Begriff des Werdens enthalten. Analytisch enthalten die besondern Begriffe Entstehen und Vergehen, daû sie Veränderungen sind; in dieser Hinsicht haben sie teil am allgemeinen Begriff des Werdens; die besonderen Arten der Veränderung, die im Entstehen und Vergehen gedacht sind, sind nicht analytisch im Werden enthalten, sondern müssen synthetisch hinzugedacht werden, da sonst das Werden zugleich entstehen und vergehen würde, was nicht sinnvoll zu denken ist. 115
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Die Realisation der Allgemeinheit, die darin besteht, sich selbst zu besondern und aufzuheben und in dieser Aufhebung die eigene Identität und Tätigkeit des Definitionssubjekts zu setzen, wird nach Hegels Lehre von 1804/05 in der Definition nicht erreicht. In diesem Sinne sagt Hegel: »Dialektik der Definition; sie setzt in der That ein einzelnes.«117 Die Dialektik der Definition besteht also darin, daû eigentlich eine »wahre Allgemeinheit« gesetzt werden soll, in Wirklichkeit aber lediglich eine Subsumtionsallgemeinheit gesetzt wird, die bloû eine Besonderheit ist, weil sie der Besonderheit als solcher entgegengesetzt ist, und diese Besonderheit stellt sich wiederum bloû als ein Einzelnes heraus, d. h. als Individuum, dem ein besonderes Merkmal zugeschrieben wird. Hier wird deutlich, was in Hegels Konzeption von 1804/05 unsere dialektische Reflexion enthält und wie sie konstitutiv in die Logik eingreift. Unsere dialektische Reflexion enthält das Wissen um die »wahre Allgemeinheit«, das Wissen um dasjenige, was eigentlich in der »Definition« gesetzt werden sollte. Das, was in der »Definition« tatsächlich gesetzt ist, die subsumierende Allgemeinheit, wird in unserer dialektischen Reflexion an der »wahren Allgemeinheit« gemessen und als unzureichender, sich selbst zerstörender Inhalt erkannt. Die »wahre Allgemeinheit« muû allererst noch realisiert werden, was nach Hegel die »Einteilung« zumindest zum Teil leistet. Mit der subsumierenden Allgemeinheit der Definition ist eigentlich nur ein Besonderes gesetzt, nicht die Allgemeinheit, denn es gibt nicht Eines, das Alles ist, als in sich widersprüchlich, sich hervorbringend und sich selbst bestimmend. Es ist also eine Allgemeinheit gefordert, welche die Besonderen in sich durch Teilung setzend hervorbringt. Damit handelt es sich um ein Allgemeines, das sich in sich einteilt. Die Einteilung ist somit eine neue Bestimmung, die aus dem Resultat der Dialektik der Definition folgt. 2. Die Einteilung Die Einteilung geht von dem Definitionssubjekt aus, in welchem das Besondere unmittelbar unter das Allgemeine subsumiert ist. Weil die Allgemeinheit unmittelbar auf das Besondere bezogen ist, wird sie selbst etwas bloû Besonderes. Die Besonderheit ist auf diese Weise gegenüber der Allgemeinheit nichts Bestimmtes mehr. Daher gilt: »Das besondere hebt seine Bestimmtheit vielmehr auf, und wird allgemeines«.118 Das Besondere wird in seiner Verallgemeinerung zu dem, was es eigentlich und wesentlich ist, nämlich Allgemeines. Die Grundlage der Einteilung bildet also ein Allgemeines, 117 118
GW, Bd. 7, 107, Randbemerkung. GW, Bd. 7, 109.
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in der traditionellen Terminologie der Gattungsbegriff. Nach Hegel bestehen in diesem allgemeinen Gattungsbegriff die verschiedenen Besonderen nebeneinander. Die Besonderen bezeichnen hier die Bestimmtheiten und Merkmale, in traditioneller Terminologie die Artbegriffe. In diesem Sinn spricht Hegel davon, daû das Allgemeine »der leere indifferente Raum, das Bestehen der Bestimmtheiten«119 ist. Die Einteilung selbst ist ein spontaner Akt der Allgemeinheit, diese teilt sich selbst in verschiedene Bestimmte, die Artbegriffe, ein. Die Bestimmtheiten bilden hierbei selbst wiederum Definitionen.120 Damit bringt Hegel Einteilung und Definition in ein doppeltes Verhältnis zueinander: Einerseits folgt die Einteilung aus dem Definitionsallgemeinen, andererseits ist die Einteilung eine Diversifikation des Allgemeinen in Definitionen von in ihm enthaltenen Besonderen. Weil die Definitionen der Besonderen sich gleichermaûen auf das sich selbst einteilende Allgemeine beziehen, stehen die Definitionen in einem inneren Zusammenhang. »[...] diese ihre Gleichheit [damit ist das sich einteilende Allgemeine, das gleichermaûen den Definitionen zugrundeliegt, gemeint; d. V.] ist ihre Substanz«.121 Das Allgemeine ist sich in seinen Besonderungen, den Artbegriffen gleich. Daher liegt in der Einteilung eine »Verdopplung des Allgemeinen«122 vor. Zwei Allgemeinheiten liegen vor: einerseits das Allgemeine selbst und andererseits das Allgemeine in seinen Diversifikationen, in den Artbegriffen. Das Einteilungsgeschehen besteht nun darin, daû das Allgemeine in den Einteilungsgliedern, den Artbegriffen, sich selbst etwas anderes wird, nämlich zu Besonderen. Diese Besonderen definieren sich aber über die Allgemeinheit, denn sie bildet deren Substanz. Auf diese Weise »findet«123 sich das Allgemeine in den Besonderen. Damit liegt in der Einteilung die Struktur des Anders-Werdens von etwas und wiederum das Anders-Werden dieses anderen vor. Die Einteilungsglieder sind so »Momente«124 im in sich bewegten Einteilungsgeschehen des Allgemeinen. Die Einteilung ist daher sowohl antithetisch, denn die sich definierenden Besonderen sind einander entgegengesetzt, da es sich um voneinander verschiedene Einteilungsglieder handelt, als auch synthetisch, denn die unterschiedenen Artbegriffe sind auf den allgemeinen Gattungsbegriff zu beziehen. Das sich einteilende Allgemeine ist also eine antithetisch-synthetische Einheit. Der Einteilungsgrund ist der allgemeine Gattungsbegriff selbst. Dieser liegt gleichermaûen allen Artbegriffen zugrunde. Das Allgemeine ist auf 119 120 121 122 123 124
GW, Bd. 7, 109. GW, Bd. 7, 109. GW, Bd. 7, 109. GW, Bd. 7, 109. GW, Bd. 7, 110. GW, Bd. 7, 110.
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diese Weise bloû ein »gemeinschafftliches«125 der besonderen Artbegriffe. Als bloû Gemeinschaftliches besondert sich das Allgemeine eigentlich nicht, sondern bleibt auch in den Besonderen, was es als solches bereits vor der Einteilung war. Somit ist die Einteilung bloû »die Vertheilung des Allgemeinen; sodaû es als continuirliche Einheit ausser diesen [den Besonderen; d. V.] ist, in denen es ist«.126 Das »gemeinschaftliche Allgemeine« der Einteilung ist ähnlich strukturiert wie die Subsumtionsallgemeinheit der Definition. Beide genügen nicht der immanenten Selbstbesonderung in zwei entgegengesetzte Bestimmte, die das »wahre Allgemeine« vollzieht. Indem das Allgemeine der Einteilung sich auf die Besonderen »verteilt«, ist dennoch etwas erreicht, was die Definition nicht verwirklichen konnte. In der Definition hebt sich das Allgemeine selbst auf, weil es nur die einseitige Setzung des zu definierenden Subjekts ist, das sein Entgegengesetztes vernichtet; in der Einteilung verteilt sich das Allgemeine auf die Besonderen, es bleibt also bestehen. Die »Selbsterhaltung«127 des Allgemeinen der Einteilung wird im Gegensatz zu derjenigen der Definition verwirklicht. Die Einteilung »stellt die Allgemeinheit her, welche in der Definition unterdrükt, ihr Recht nicht erhalten hatte«.128 Die Allgemeinheit erreicht dies insofern, als die Besonderen selbst allgemeine sind, denn in der Einteilung sind die Besonderen durch den Einteilungsgrund bestimmt, d. h. durch den allgemeinen Gattungsbegriff. Die »Dialektik der Einteilung«129 ergibt sich aber gerade aus dem bloû »gemeinschaftlichen Allgemeinen«, das als allgemeiner Einteilungsgrund den Besonderen gleicherweise zukommt. Die Dialektik zeigt hier, wie die Selbsterhaltung und Beständigkeit der Allgemeinheit in der Einteilung in ihr Gegenteil, die Auflösung der Allgemeinheit, umschlägt: Die Einteilungsglieder, die Artbegriffe bestehen nebeneinander, sie sind nicht in einer Einheit miteinander. Die Vielheit, die in den Artbegriffen gesetzt ist, zeigt auf, wie die Allgemeinheit der Einteilung, der Gattungsbegriff eigentlich beschaffen ist. Da die Vielheit der Artbegriffe bestehen bleibt, zeigt sich, daû die Allgemeinheit nicht in der Lage ist, aus ihrer eigenen Besonderung zu sich selbst zurückzukehren. Die Allgemeinheit ist nicht »für sich selbst«.130 Sofern das Allgemeine nämlich das bloû Gemeinsame der Besonderen ist, ist es nicht diese Besonderen selbst, »in der Eintheilung selbst erhält die Allgemeinheit sich nur als ausser dem Vielen fallend«.131 In der Einteilung sind die Art- und 125 126 127 128 129 130 131
GW, Bd. 7, 110. GW, Bd. 7, 111. GW, Bd. 7, 109. GW, Bd. 7, 111. GW, Bd. 7, 111. GW, Bd. 7, 111. GW, Bd. 7, 111.
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Gattungsbegriffe nicht vollständig identisch, die Artbegriffe enthalten als Besondere ein »Mehr« an Bestimmtheit und Bestimmungen gegenüber dem allgemeinen Gattungsbegriff. Die Dialektik folgt nun daraus, daû die in der Einteilung gesetzte Allgemeinheit nicht der von Hegel geforderten »wahren Allgemeinheit« genügt, die aus ihren Besonderungen zu sich selbst zurückkehrt. Aus den Artbegriffen geht nicht wieder die Allgemeinheit hervor, weil sie als bloû voneinander verschiedene gleichgültig nebeneinander bestehen. Daher notiert Hegel am Rande: »Dialektik der Eintheilung. Die eingetheilten sind gleichgültig gegeneinander.«132 Die bloû »gemeinschaftliche Allgemeinheit« der Einteilung ist insofern defizient, als sie sich auf die Besonderen verteilt und sich damit »nicht für sich selbst«133 erhält, sondern nur in diesen Besonderen. Die Allgemeinheit kommt in der Einteilung also nicht zu einem Selbstverhältnis. Weil die Besonderen nicht in einem Allgemeinen als dessen immanente Momente gesetzt sind, sondern die »gemeinschaftliche Allgemeinheit« ein externes Verhältnis zu den vielen Besonderen hat, ist die Einfachheit, die der Allgemeinheit nach Hegel eigentlich zukommt, nicht realisiert. Diese Einfachheit der Allgemeinheit besteht darin, daû der allgemeine Gattungsbegriff sich selbst als »ungetrennt«134 von den Artbegriffen setzt, d. h., daû er, die Vielheit der Artbegriffe aus sich selbst hervorbringend, sich einerseits aufhebt und andererseits sich selbst aus dieser Vielheit als Einheit aktiv herstellt, indem sich die Artbegriffe wieder zur Einheit des Gattungsbegriffs versammeln. Damit soll nach Hegel der Gattungsbegriff der Einteilung, ähnlich wie die geforderte »wahre Allgemeinheit« der Definition, eine in sich unterschiedene Einheit sein, die »als positives in sich vielfaches, das in Theile zerfällt, und dieses zerfallen ebenso wieder aufhebt«,135 sich spontan mit sich selbst identifiziert. Die die Einteilung aufhebende Dialektik ergibt sich also aus dem Vergleich der »einfachen Allgemeinheit« mit der »gemeinschaftlichen Allgemeinheit«. Letztere erweist sich als nicht einfach, kehrt nicht aus den Vielheiten der Artbegriffe zu sich selbst zurück. Die von Hegel hier mehr geforderte, als bewiesene, in sich unterschiedene Einheit des allgemeinen Gattungsbegriffs läût sich nicht mit der Einteilungslehre der traditionellen Logik vereinbaren. Denn nach dieser sind die vielen Verschiedenheiten der Artbegriffe nicht analytisch im Gattungsbegriff enthalten. Vielmehr ist beim allgemeinen Gattungsbegriff gerade von den Verschiedenheiten der Artbegriffe zu abstrahieren, da der Gattungsbegriff sonst in sich widersprüchliche Merkmale enthalten müûte. Darüber hinaus bilden 132 133 134 135
GW, Bd. 7, 111, Randbemerkung. GW, Bd. 7, 111. GW, Bd. 7, 111. GW, Bd. 7, 111.
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bei Hegel sowohl die Definition als auch die Einteilung jeweils für sich bereits ein aktives Geschehen. Die Erkenntnismethoden werden von Hegel als spontane, sich selbst vollziehende Aktuositäten beschrieben. In dieser Weise ist dies problematisch, denn Definitionen und Einteilungen vollziehen sich nicht von selbst, sondern bedürfen eines sie vollziehenden Subjekts, welches allererst mit Spontaneität diese Erkenntnismethoden vollzieht. Definition und Einteilung sind nicht selbst »Subjektivitäten«, sondern Methoden, derer sich die Subjektivität bedient, um wissenschaftlich zu erkennen. Erst durch Hegels genetisches Deduktionsprinzip, daû der »Deduktionsfortgang Rückgang in den eigentlichen Grund« ist, wird verständlich, wie Hegel Definition und Einteilung Spontaneität zuschreiben kann und wie sie eine »Subjektivierung« erfahren: Weil der absolute Geist, das Deduktionsziel der Metaphysik von 1804/05, spontanes Selbstbewuûtsein ist, kann Hegel auch den beiden Erkenntnismethoden selbstbezügliche Aktuosität in rudimentärer Form zuschreiben. Um dies aber konsequent durchzuführen, dürfte eigentlich nicht die von Hegel aufrechterhaltene strikte Trennung von Logik und Metaphysik bestehen, denn in der Logik liegt nach Hegels damaliger Konzeption noch keine spekulative Selbstbezüglichkeit des absoluten Geistes vor. Hegel äuûert sich auch nicht zu dem Problem, ab wann eine Einteilung abzuschlieûen ist. Bei Platons und Aristoteles' Lehre von der Dihairesis ist der Endpunkt einer Einteilung erreicht, wenn sie bis zu einem einfachen, nicht weiter teilbaren Eidos fortgeschritten ist. In Hegels Terminologie wäre dieser unteilbare Artbegriff wohl das Einzelne; so daû die Einteilung vom Allgemeinen und dessen Besonderungen bis zu einem Einzelnen, das sich nicht weiter besondern kann, fortschreiten müûte. 3. Das Erkennen Das »Erkennen« thematisiert Hegel als Ende und Abschluû der Logik, es bildet somit die letzte Vorstufe zum metaphysischen Selbstverhältnis. Das »Erkennen« ist ein Inhalt der Logik. Daran wird deutlich, daû sich auch im »Erkennen« noch Erkenntnisweise und logischer Inhalt gegenüberstehen.136 Vgl. auch zum Thema U. Richli: Die Bewegung des Erkennes in Hegels Jenenser Logik und Metaphysik. In: Philosophisches Jahrbuch 85, 1978, 1. Halbband, 71±86. Richli geht davon aus, daû es zwischen der Jenaer Konzeption von 1804/05 und Hegels Nürnberger Konzeption ab 1812 keine tiefgreifenden Differenzen gibt und beide Konzeptionen sich daher wechselseitig erhellen (a. a. O., 73). Wechselseitige Erhellung von früherer und späterer Konzeption Hegels ist sinnvoll, ergibt sich aber gerade durch grundlegende Differenzen beider Ansätze. Die Logik ist 1804/05 noch nicht spekulativ, noch nicht selbst Metaphysik, wenn sie auch teilweise spekulative Gehalte behandelt. Die dialektische Methode in der Logik von 1804/05 mit dem Titel »Erkennen« stellt die abschlieûende Bestimmung der einleitenden Logik dar und führt zur Metaphysik. Eine 136
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Charakteristisch ist an diesem Inhalt jedoch, daû in ihm selbst die Erkenntnisweise thematisiert wird, nämlich der Erkenntnisprozeû als solcher. Dieser Inhalt unterscheidet sich daher grundlegend von den anderen Inhalten der Logik, wie z. B. von der Quantität in der »einfachen Beziehung«, die dasjenige, wodurch sie erkannt wird, nicht thematisiert, sondern dem Erkennen und seiner Methode gegenüber blind ist. »Hier beschreibt die Reflexion sich selbst.«137 Im Erkennen wird unsere Reflexion, die in der gesamten Logik die Dialektik der Bestimmungen vollzieht, selbst zum Gegenstand der logischen Betrachtung. Das Erkennen stellt somit die dialektische Methode dar. Die Dialektik bildet für Hegel 1804/05 also eine logische Erkenntnismethode, die sich in verschiedenen Stufen und Phasen vollzieht, welche Hegel, in Anlehnung an die Lehre von den verschiedenen Epochen der Geschichte des Selbstbewuûtseins aus Schellings System des transzendentalen Idealismus, auch als »Potenzen«138 bezeichnet. Die verschiedenen Stufen des Erkenntnisprozesses bestehen nach Hegel in Definition, Einteilung bzw. Konstruktion und Beweis. Die letzte und den Erkenntnisprozeû abschlieûende Stufe, die sich aus dem Beweis ergibt, bezeichnet Hegel als Deduktion. Die Deduktion erkennt bereits den Inhalt des Erkennens in seiner veränderten Gestalt, die er durch den Erkenntnisprozeû erlangt, d. h. als neuen und veränderten Inhalt, der zugleich wieder eine Definition darstellt. An dieser neuen Definition mit verändertem Inhalt vollzieht sich nun wiederum der Erkenntnisprozeû. Der Erkenntnisprozeû bewirkt an seinem jeweiligen Inhalt, daû sich dieser von der indifferenten Einheit seiner Momente zu einer differenten Einsolche Überwindungsfunktion kommt der Dialektik in der methodischen Betrachtung der Dialektik in der absoluten Idee am Ende der Wissenschaft der Logik allerdings nicht mehr zu. Zum »Erkennen« aus der Logik und Metaphysik von 1804/05 vgl. auch T.S. Hoffmann: Der Begriff des Erkennens beim Jenenser Hegel und die Überwindung der Gnoseologie. In: Aufhebung der Transzendentalphilosophie? Hrsg. T.S. Hoffmann und F. Ungler, Würzburg 1994, 95±123. Hoffmann deutet das Erkennen als Grundlage der gesamten Logik und Metaphysik. Daher geht Hoffmann wohl auch nicht differenziert auf den Abschnitt »Es ist gesetzt das Erkennen« aus der Logik von 1804/05 ein. Nach Hoffmann fängt die Logik mit dem Erkennen an (vgl. a. a. O., 103±107). Aus den Textverweisen Hegels selbst in der Logik und Metaphysik von 1804/05 ergibt sich lediglich, daû die Logik höchstwahrscheinlich mit Sein und Nichts angefangen hat; ob dies rudimentäre Grundstrukturen des Erkennens sind, läût sich am Text Hegels nicht belegen. Hoffmann hat ein ungenaues Bild der Entwicklungsgeschichte des Hegelschen Denkens. Daher schiebt er zudem die Hegelschen Konzeptionen von 1801 bis 1803 und die von 1804/05 ineinander (vgl. a. a. O., z. B. 103, 118) und kommt auch zu wenig zutreffenden Einschätzungen der frühen Jenaer Konzeption Hegels, in die er z. B. eine absolute Subjektivität hineininterpretiert (vgl. a. a. O., 100). Ein solches absolutes Erkennen, das Hoffmann aus Hegels Konzeption von 1804/05 extrapoliert, läût sich an den Texten aus Hegels früher Jenaer Zeit nicht nachweisen. 137 GW, Bd. 7, 112. 138 Vgl. GW, Bd. 7, 113 f.
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heit verändert, in der sich die Momente wesentlich durcheinander bestimmen. Mit dieser Umwandlung des Erkenntnisinhalts von der indifferenten, positiven Einheit zur differenten, negativen Einheit ist aber die Metamorphose, die der Inhalt des Erkennens durch den Erkenntnisprozeû erfährt, noch nicht abgeschlossen. Die Metamorphose kann nicht bei der Einheit eines Inhalts stehenbleiben, die einerseits in wechselseitiger, negativ ausschlieûender Beziehung der Momente untereinander besteht und andererseits in der negativ ausschlieûenden Beziehung der besonderen Teile und Merkmale zum Ganzen des Erkenntnisinhalts. Dieser differenten Einheit steht noch die indifferente Einheit des Anfangs gegenüber. Auch diese wird nun einbezogen, positive und negative Einheit werden zu einer Einheit verbunden, die beides, Indifferenz und Differenz, in sich enthält.139 Der Erkenntnisprozeû vollzieht also mit seinem Inhalt eine Metamorphose, die in einem Wandel von der Indifferenz zur Differenz und von hier aus zu einer Einheit von Indifferenz und Differenz besteht. Diesen Stufen ordnet Hegel die Erkenntnismethoden Definition, Einteilung bzw. Konstruktion und Beweis zu. Das Erkennen beschreibt damit genau den Vorgang, den unsere dialektische Reflexion an den Kategorien der Logik immer wieder vollzog. Zunächst wird eine Kategorie als indifferente, positive Einheit aufgefaût, und anschlieûend werden durch unsere dialektische Reflexion die bloû latenten Momente dieser Kategorie zu einer differenten Einheit entwickelt. Zunächst wird an dem Inhalt des Erkennens eine Definition vollzogen. Den Erkenntnisinhalt bezeichnet Hegel als »Eins«,140 um die positive Einheit zu verdeutlichen, die den Inhalt am Anfang des Erkenntnisprozesses auszeichnet. Das Eine wird im Erkenntnisprozeû zunächst definiert. Diese Definition besteht darin, daû das Eine dargestellt wird. Diese definierende Darstellung als Anfang des Erkenntnisprozesses hat mit der zuvor untersuchten Definition gemeinsam, daû die Besonderheit, d. h. die Bestimmtheit und die Allgemeinheit unmittelbar zu einer Einheit verbunden sind. Das zu Erkennende ist also zunächst eine ungeschiedene Einheit von den Besonderen und der Allgemeinheit, von dem Erkenntnisinhalt als ganzem und den verschiedenen Teilen dieses Ganzen. Als ungeschiedene Einheit ist dieses Eins nach Hegel ein »dieses«.141 Wir haben es also mit einem Einzelnen zu tun, welches das Definiendum bezeichnet und sich von sich her im Definitionsgeschehen darstellt. Die Definition durch Allgemeinheit und Besonderes ist selbst das Eine. Einerseits setzt sich das Eine selbst als umfassende Allgemeinheit und andererseits setzt es sich als mit einer ihm wesentlichen, spezifischen Besonderheit bestimmt. »[...] in der Definition ist es zunächst um die in sich re139 140 141
Vgl. zu diesem Zusammenhang GW, Bd. 7, 113±116. GW, Bd. 7, 112. GW, Bd. 7, 112, 114.
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flectirte Bestimmtheit zu thun, als wesentliches Merkmahl, das der Gattung einverleibt, das diese für sich enthält, und zu einem einzelnen macht [...]«142 Die Dialektik der Definition, wie wir sie zuvor untersucht haben, besteht darin, daû die reale Allgemeinheit nicht verwirklicht wird. Durch die Definition wird lediglich eine Subsumtionsallgemeinheit gesetzt, die bloû eines der entgegengesetzten Merkmale unter sich als wesentliches subsumiert, von den anderen Merkmalen wird dagegen abstrahiert. Die positive Einheit der Definition ist somit nicht in der Lage, das Allgemeine wirklich zu setzen. Die verschiedenen Momente, die nach Hegel im Allgemeinen enthalten sind, werden vielmehr in der Definition, auch in der Definition als Anfangsstufe des Erkenntnisprozesses, als voneinander verschiedene unterdrückt. Auch im Erkenntnisprozeû ergibt sich nach Hegel die Einteilung aus dem Resultat der Dialektik der Definition.143 Die Dialektik der Definition führt im gesetzten Erkennen dazu, daû sich die Allgemeinheit auf andere Art, als es in der Definition der Fall war, zu setzen bestrebt. Sie teilt sich nun in verschiedene Merkmale. Diese Merkmale sind aber nicht gleichgültig gegeneinander, da sie alle aus der Allgemeinheit stammen, die dem Definitionssubjekt zukommt. Die bereits untersuchte Einteilung hatte die gleichmäûige Verteilung des Allgemeinen auf die Besonderen, auf die Bestimmtheiten der Artbegriffe zur Folge, wodurch sich das Allgemeine selbst verlor, nicht »für sich« war. Dies ist nun in der Einteilung des gesetzten Erkennens anders: Das Allgemeine bleibt in der Erkenntniseinteilung »der Grund, die sie [die Besonderheiten; d. V.] umfassende Sphäre«, die Besonderheiten bilden »schlechthin nur Teile« und sind »bezogen aufeinander«.144 Im gesetzten Erkennen zeigt sich daher ein immanenter Zusammenhang von Definition und Einteilung. Die Einteilung bestimmt das anfängliche Allgemeine der Definition genauer. Durch die Einteilung ist das Allgemeine nicht bloû eine definitorische Subsumtionsallgemeinheit, die ihr Entgegengesetztes von sich ausschlieût, sondern es handelt sich um eine Allgemeinheit, die sich selbst in die in ihr unterschiedenen Momente einteilt und somit nicht von ihnen abstrahiert.145 Die Einteilung als zweite Stufe des gesetzten Erkennens bezeichnet Hegel auch als »Konstruktion«.146 Dies ist jedoch in Hegels Konzeption von 1804/05 nicht einheitlich. Einerseits setzt er Konstruktion und Einteilung einander gleich, andererseits unterscheidet er Konstruktion und Einteilung so voneinander, daû sich in der ersteren, in der Konstruktion, die ganzheitliche Einheit der Definition in einander gleichgültige Teile scheidet und daû 142 143 144 145 146
GW, Bd. 7, 116. Vgl. GW, Bd. 7, 118. GW, Bd. 7, 113. Vgl. GW, Bd. 7, 113. GW, Bd. 7, 113.
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sich in der letzteren, in der Einteilung, diese Gleichgültigkeit der Teile gegeneinander aufhebt. So daû die Konstruktion eine in einander gleichgültige Teile geteilte positive Einheit ist, welche sich in der Einteilung zu einer negativen Einheit verschärft und vom indifferenten Verhältnis in das »differente Verhältnis«147 übergeht. Danach liegt in der Metamorphose des Inhalts des Erkennens der Übergang von der Indifferenz zur Differenz genau im Übergang von der Konstruktion zur Einteilung.148 Generell kann jedoch trotz dieser Zweideutigkeit gesagt werden, daû die zweite Stufe des Erkenntnisprozesses in Konstruktion und Einteilung besteht und daû hier die unmittelbare Einheit der Definition aufgelöst wird. Dies geschieht zugunsten einer Einteilungseinheit, in der sich die Teile einerseits voneinander unterscheiden und andererseits vom Inhaltsganzen, das sich einteilt, dem Allgemeinen. Es bedarf jedoch einer eigenen Untersuchung, die zeigt, daû die Besonderen nicht je für sich sind, sondern sich in sich aufeinander als zusammengehörige Teile beziehen, und daû sie Teile eines Ganzen, des Allgemeinen sind, das selbst wiederum wesentlich auf seine Teile bezogen ist. Daran wird deutlich, daû Hegel hier das Verhältnis der Besonderen zur Allgemeinheit nach dem Modell von Teilen und Ganzem versteht. Es bedarf also dieser gesonderten Untersuchung, um zu erkennen, daû die Teile einem Allgemeinen zukommen und Momente seiner Besonderung darstellen. Diese dritte Stufe des Erkennens nennt Hegel »Beweis«.149 Der Beweis als dritte Stufe des Erkennens leistet somit Entscheidendes. Durch ihn wird erwiesen, daû das Allgemeine, von dem der Erkenntnisprozeû ausging, in Wirklichkeit nichts einfach Vorgefundenes ist, sondern daû es als wahrhaft Allgemeines, das die Besonderen aktiv in sich setzt, hergestellt werden muû.150 In der konstruierenden Einteilung bleibt der Schein zurück, daû die Teile auch für sich bestehen. Das wird durch den Beweis aufgehoben, der zeigt, daû das Allgemeine selbst das Tätige ist, welches seine Teile hervorbringt. Das Allgemeine soll somit nach Hegel durch den Beweis als organische, tätige Einheit von Teilen und Ganzem aufgewiesen werden. Nach der ersten Teilung des Allgemeinen durch die konstruierende Einteilung zeigt der Beweis eine »zweyte Theilung und deren Einheit«151 auf. Durch die Darstellung der entgegengesetzten Besonderen als bezogen auf Eines und das selbe, aus dem sie hervorgehen, wird die Allgemeinheit als »negative Einheit, die sich die Theile unterwirft«,152 bewiesen. Das Eine als 147 148 149 150 151 152
GW, Bd. 7, 117. Vgl. GW, Bd. 7, 117. GW, Bd. 7, 113; Randbemerkung. Vgl. GW, Bd. 7, 113. GW, Bd. 7, 115. GW, Bd. 7, 113.
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Erkenntnisgegenstand erweist sich damit als in sich geteiltes Eines, »das an ihm selbst das Aufheben der Theile ist«.153 Die latent am Erkenntnisgegenstand vorhandene Einheit Entgegengesetzter in Einem macht die beweisende dialektische Reflexion offensichtlich. In der Einteilung des Erkenntnisprozesses verändert sich das zu Erkennende, es wird in seine Bestandteile geteilt, diese sind aber etwas anderes als dasjenige Ganze, dessen Teile sie sind. Der Beweis führt die Teile auf das Ganze zurück. Er leistet damit die Erkenntnis, daû das Andere, die Teile, dem Ganzen immanent ist. Durch den Beweis wird eigentlich erst die Funktion der konstruierenden Einteilung im Erkenntnisprozeû deutlich, denn »die Construction hat dieses Eins [die sich zunächst definierende Allgemeinheit; d. V.] der Bewegung des Beweises aufzuschliessen«.154 Im Beweis wird aber nicht nur aufgezeigt, daû die entgegengesetzten Besonderen aus dem Einen, das hier jeweils sozusagen als »Platzhalter« für eine Kategorie der Logik steht, hervorgehen und die kategoriale Bestimmung der Logik damit jeweils ein Eines in sich Unterschiedenes ist, sondern der Beweis soll nach Hegel darüber hinaus auch aufzeigen, daû die einander entgegengesetzten Besonderen, als spezifische Merkmale des Einen, sich jeweils wesentlich untereinander aufeinander beziehen. Er soll zeigen, daû die Teile des Ganzen, obwohl sie voneinander unterschieden sind, dennoch innerlich ein zusammengehöriges Strukturgeflecht bilden. Mit dieser Zusammengehörigkeit der entgegengesetzten Teile wird nach Hegel ihre Einheit erwiesen. Beide Aspekte zusammen, einerseits die in sich unterschiedene Beziehung der Teile auf das Ganze und andererseits die in sich unterschiedene Beziehung der Teile als solcher zueinander bilden die »negative Einheit« oder die Differenz, die der Beweis aufzeigt.155 GW, Bd. 7, 113. GW, Bd. 7, 114. 155 Hegel versucht den Erkenntnisprozeû durch den mathematischen Beweis des Satzes des Pythagoras zu verdeutlichen. Nach Hegel entsprechen den Erkenntnisstufen Definition, Konstruktion bzw. Einteilung und Beweis im Satz des Pythagoras die verschiedenen mathematisch-geometrischen Beweisebenen. 1. die Figur des rechtwinkligen Dreiecks als Ganzheit entspricht der Definition, der ungeschiedenen Einheit von Allgemeinem und den Besonderen (vgl. GW, Bd. 7, 114; die Definition eines rechtwinkligen Dreiecks ist, daû die Summe der Quadrate über den Katheten dem Quadrat über der Hypotenuse gleich ist). 2. die Hilfslinienkonstruktion der Quadrate über den beiden Katheten a und b und die Hilfslinienkonstruktion des Quadrats über der Hypotenuse c entspricht der Konstruktion bzw. der Einteilung, dem Gegenübertreten der verschiedenen Besonderen, damit könnten die beiden Kathetenquadrate gemeint sein, und dem besonderten Allgemeinen, damit könnte das Hypotenusenquadrat gemeint sein, das insofern umfassender, und in diesem Sinn allgemeiner, als die Kathetenquadrate ist, als es die Summe dieser bildet (vgl. a. a. O., 115, 116; wobei Hegel hier von verschiedenen Winkeln und Dreiecken spricht, die der Konstruktion angehören, er meint wohl die beiden Hypotenusen-Katheten-Winkel, die in ac und bc eingeschlossen sind, und den 153
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Im Beweis gehen die Indifferenz, als einfache Gleichheit von Allgemeinheit und Besonderheit, und die Differenz, als in sich unterschiedene Einheit von einerseits Allgemeinheit und Besonderen und andererseits den Besonderen unter sich, in eine höhere Einheit von Indifferenz, positiver Einheit, und Differenz, negativer Einheit, über. Diese Einheit von Indifferenz und Differenz ist selbst aber auch wieder eine unmittelbare Einheit; der Unterschied von Indifferenz und Differenz hebt sich in ihr auf, und diese höhere Einheit geht in eine neue Indifferenz, bzw. positive Einheit, über. Diese neue Indifferenz stellt sich in der Logik jeweils als neue kategoriale Bestimmung dar, aus welcher das Sich-zu-einem-anderen-Wandeln der logischen Inhalte folgt. Diese Aufstellung eines anderen als Resultat der Erkenntnisbewegung durch Definition, Konstruktion bzw. Einteilung und Beweis bezeichnet Hegel als »Deduction«.156 durch die Katheten eingeschlossenen rechten Winkel ab). 3. die rückführende Gleichsetzung der Kathetenquadrate und des Hypotenusenquadrates in der Formel a2 + b2 = c2, entspricht nach Hegel dem Beweis im Erkenntnisprozeû (vgl. a. a. O., 115, 116). Welchen Beweis für den Satz des Pythagoras Hegel hier genau vor Augen hat, wird aus seinen Andeutungen nicht klar. Hegels Vergleich des Erkenntnisprozesses mit dem mathematischen Beweis für den Satz des Pythagoras ist in mehrfacher Hinsicht fragwürdig (was Hegel auch selbst zumindest zum Teil gesehen hat, vgl. a. a. O., 117 f.): Das Dreieck als solches ist keine allgemeine Einheit, die sich selbst in besondere Merkmale einteilt und sich tätig als Einheit im Beweis selbst wiederherstellt. Darüber hinaus ergibt sich als Resultat der Beweisführung für den Satz des Pythagoras nicht eine höhere mathematische Bestimmung, wie Hegel dies für die Kategorien der Logik vorsieht. Interessant ist die Vermutung U. Richlis (Die Bewegung des Erkennens in Hegels Jenenser Logik und Metaphysik. In: Philosophisches Jahrbuch 85, 1978, 1. Halbband, 74), daû Hegels Bezeichnungen Konstruktion und Beweis für das Erkennen durch den Beweis des pythagoreischen Lehrsatzes inspiriert sind. Allerdings steht im Hintergrund für Hegels Bezeichnung der zweiten Stufe des Erkennens als Konstruktion auch die um die Jahrhundertwende lebendige Diskussion um die Konstruktion, die in Schellings Aufsatz von 1802 im Kritischen Journal der Philosophie: Über die Konstruktion in der Philosophie (SW, Abt. I, Bd. 5, 125±151) zum Ausdruck kommt. Schelling rezensiert hier das Werk des schwedischen Philosophen Hoyer: Abhandlung über die philosophische Konstruktion, als Einleitung zu Vorlesungen in die Philosophie. Stockholm 1801. Dieser bezieht sich, wie auch Schelling in seiner Rezension, kritisch auf Kants Konstruktionsbegriff aus der transzendentalen Methodenlehre der Kritik der reinen Vernunft B 740±755. Es ist sehr wahrscheinlich, daû Hegel die Abhandlung Hoyers durch Gespräche mit Schelling und vor allem durch dessen Rezension im Kritischen Journal der Philosophie kannte. Die reine, intellektuelle Anschauung ist für Hoyers (vgl. a. a. O., 48 f., 51) wie auch für Schellings (vgl. Über die Konstruktion in der Philosophie, in: SW, Abt. I, Bd. 5, 129 ff.) Konstruktionsbegriff zentral. Bei Hegel spielt dagegen in der philosophischen Konstruktion die Anschauung keine Rolle, was die Eigenständigkeit von Hegels Konstruktionsbegriff ebenso unterstreicht wie der Teilungsgedanke, der bei Hoyer nicht vorkommt. Die Eigenständigkeit von Hegels Konstruktionsbegriff wird auch dadurch deutlich, daû die Konstruktion nach Hegel der Definition und des Beweises bedarf und nicht, wie bei Schelling und Hoyer, eine selbständige Methode bildet. 156 GW, Bd. 7, 119. Zu diesem Stufengang des Erkennens durch Definition, Konstruktion bzw. Einteilung, Beweis und Deduktion steht eine Stelle merkwürdig quer, die
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Ein Problem bildet allerdings die von Hegel als »Differenz« bezeichnete negative Einheit, die der Beweis an den logischen Kategorien offenlegen soll. Diese negative Einheit besteht sowohl in dem wechselseitigen Bezug des Bestimmungsganzen, das eine logische Kategorie ist, zu seinen Momenten oder Merkmalen, die ihm eignen als seine Teile als auch im wechselseitigen Bezug dieser Teilmerkmale zueinander. Nach Hegel sind die Teilmerkmale einerseits einander entgegengesetzt, andererseits sind sie in dem Bestimmungsganzen enthalten. Die logischen Begriffe bilden auf diese Weise organische Ganzheiten, in denen sich wechselseitig die Teile und das Ganze durcheinander bestimmen. Dies sprengt jedoch den Rahmen der diskursiven Begriffsbildung, bei der gerade abstrakte Begriffe zustandekommen, indem von den Besonderheiten der Teilmerkmale abgesehen wird. Hegels organologische Begriffsbildung setzt somit auch das Gesetz des zu vermeidenden Widerspruchs als ungültig voraus, was Hegel in der Logik von 1804/05 auch im Proportions-Kapitel nicht bewiesen hat, sondern eigentlich nur postuliert. Gerade in der Erkenntnisstufe des Beweises zeigt sich am Verhältnis der Teile untereinander und am Verhältnis der Teile zum Ganzen, daû Hegels organologische Begriffsbildungskonzeption den Widerspruch notwendig als etwas Denkbares voraussetzt. Besonders in der »absoluten Idee« aus der Wissenschaft der Logik, wo Hegel auch die Reflexionsbestimmungen Identität, Unterschied und Widerspruch zur Begründung seines Anspruches der Denkbarkeit des Widerspruches heranzieht, werden wir wieder auf dieses Problem zurückkommen, da Hegel dort auch differenziertere und teilweise neue Argumente einbringt, die in seinem Entwurf von 1804/05 noch nicht ausgeführt sind. An diese Problematik schlieût sich eine weitere an: Das gesetzte Erkennen als begriffliche, nicht intuitive Darstellung der Einheit Entgegengesetzter übernimmt teilweise Funktionen, die in der frühen Jenaer Phase von Hegels Denkentwicklung der intellektuellen Anschauung zukamen. In der frühen dem sonstigen Argumentationsgang Hegels nicht entspricht: »[...] das Realisiren [einer logischen Kategorie; d. V.] durch die Construction und den Beweis ist ein Übergehen der Definition in die Eintheilung und aus diesen beyden, die selbst Theile der Construction sind in das Zusammennehmen beyder, ein anderes als die Definition ist; [...]« (GW, Bd. 7, 119.) Nach diesem Passus sind Definition und Einteilung Teile der Konstruktion. Die Aussage Hegels kann entweder so verstanden werden, daû die Realisation einer logischen Bestimmung einerseits in der Konstruktion ein Übergang der Definition in die Einteilung ist und daû andererseits der Beweis ebenfalls ein Übergang von der Definition in die Einteilung ist, oder aber die Aussage kann so verstanden werden, daû die Konstruktion in den Beweis übergeht durch den Übergang von der Definition in die Einteilung. In beiden Alternativen sollen dann abschlieûend Definition und Einteilung synthetisiert werden. In jedem Falle läût sich dieser Passus mit den übrigen ¾uûerungen Hegels nicht in Einklang bringen und muû als Zeichen einer konzeptionellen Unsicherheit des mittleren Jenaer Hegel gedeutet werden.
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Jenaer Zeit war es die intellektuelle Anschauung, welche die Einheit Entgegengesetzter mit Hilfe der positiven philosophischen Reflexion intuitiv erschauen konnte. Diesen Intuitionismus eliminiert Hegel aus seinem Neuansatz der Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05 zugunsten einer rein begrifflichen Zusammenfügung der Entgegengesetzten zu einer Einheit, die einerseits das dialektische Erkennen für die Kategorien der Logik leisten soll und andererseits das spekulative Erkennen des Geistes für die Bestimmungen der Metaphysik. Problematisch an dieser Wandlung der Konzeption Hegels ist, daû die organische Einheit von Teilen einer Bestimmung, die einander entgegengesetzt sind, und der Ganzheit, die diesen Teilbestimmungen zugrundeliegt, nicht mehr intuitiv, wie noch in der frühen Jenaer Phase Hegels, sondern rein begrifflich erkannt werden soll. Fragwürdig ist es, ob eine solche organische Ganzheit überhaupt durch eine begriffliche Methode erkennbar ist, denn die Begriffe sind dann keine diskursiven Denkgehalte mehr. Die Momente des Erkennens, Definition, Konstruktion, bzw. Einteilung, Beweis und Deduktion bilden eine Einheit, in der jedes Moment die anderen voraussetzt und impliziert. Dies weist auf ein wesentliches Moment der spezifischen Dialektik voraus, die Hegel später in der Wissenschaft der Logik für den Begriff konzipiert. Nach der späteren Lehre Hegels kommt dem Begriff in der Logik die spezifische Dialektik der »Entwicklung«157 zu. Entwicklungsdialektik bedeutet für den späten Hegel, daû die Momente und einzelnen Phasen einer dialektischen Entfaltung nicht voneinander abzutrennen sind, sondern sich wechselseitig positiv implizieren. Positiv, nicht nur negativ ausschlieûend, sind alle Momente in jedem einzelnen Moment mitgegeben. In jedem einzelnen Moment der Entwicklung ist die gesamte Entwicklung anwesend. Dies wird besonders bei den Begriffsbestimmungen Allgemeines, Besonderes und Einzelnes deutlich, die Hegel in der »Lehre vom Begriff« in der Wissenschaft der Logik in die »absolute Idee« integriert. Um z. B. das Allgemeine zu denken, müssen immer schon Besonderheit und Einzelheit als ihre notwendigen Implikate mitgedacht sein. In der Logik von 1804/05 weist die innere Einheit, die Definition, Konstruktion bzw. Einteilung, Beweis und Deduktion eingehen, auf die Entwicklungsdialektik des späteren Hegel voraus. Diese ist jedoch 1804/05 noch nicht ausgeführt, Hegel gibt zu diesem Zeitpunkt über eine solche spezifische Form der Dialektik auch keine theoretische Rechenschaft. Es gibt jedoch rudimentäre Ansätze zu einer Entwicklungsdialektik. Diese bestehen z. B. in der Verwendung von Begiffsbestimmungen, die dazu dienen, die Inhalte von Definition (Allgemeines), Konstruktion bzw. Einteilung (in sich entzweites Allgemeines, d. h. Besonderes), Beweis (Einzelnes) 157
Vgl. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830), GW, Bd. 20, § 161.
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und Deduktion (wieder hergestelltes Allgemeines) zu beschreiben. Hegel sieht jedoch 1804/05 den Ursprungsort der Begriffsbestimmungen: Allgemeines, Besonderes und Einzelnes in dem »Verhältnis des Denkens«. Die Begriffsbestimmungen bilden also für Hegel 1804/05 keine Proportionen. Ein weiterer rudimentärer Ansatzpunkt zu einer Entwicklungsdialektik besteht in dem immanenten Verhältnis, in dem die Stufen des Erkennens zueinander stehen, wobei jedoch entscheidend ist, daû nach Hegel diese Stufen einander noch nicht unmittelbar positiv implizieren, sondern sich zunächst wechselseitig negieren. So ist z. B. die Konstruktion noch nicht selbst unmittelbar schon der Beweis. Der Beweis folgt negativ aus der Konstruktion, weil diese lediglich die Teilung, nicht aber auch die notwendige Einheit des sich besondernden Allgemeinen darstellt. Beim späten Hegel ist dagegen in der »absoluten Idee« der Wissenschaft der Logik das Besondere an ihm selbst in negativer und in positiver Hinsicht sowohl das Allgemeine als auch das Besondere. Diese unmittelbare, positive wechselseitige Implikation mangelt noch den Stufen des Erkenntnisprozesses von 1804/05, die Definition ist für Hegel nicht bereits schon in sich selbst Konstruktion bzw. Einteilung, und die Einteilung ist noch nicht selbst schon in sich Beweis. Anders verhält sich dies im absoluten Geist aus der Metaphysik von 1804/05, den Hegel als spekulativen Erkenntnisprozeû beschreibt. »Im absoluten Geiste ist Construction und Beweis absolut Eins.«158 Die Selbstteilung in besondere Bestimmungen ist, aufgrund des Selbstbewuûtseins des absoluten Geistes der Metaphysik, sein Sich-zu-sich-Verhalten. Der Geist erkennt sich selbst und seine eigene Einheit in seinen Teilen. Der Beweis ist daher für den spekulativen Geist identisch mit der einteilenden Selbstunterscheidung. Dieses Moment des unmittelbaren, positiven Bei-sich-selbst-Seins-im-Sein-beimanderen-seiner-selbst, das dem absoluten Geist aus der Metaphysik von 1804/05 eignet, weist auch auf die von Hegel später konzipierte Entwicklungsdialektik des Begriffs voraus. 4. Die Methode des dialektischen Erkennens: Der Fortgang als Rückgang in den Grund und das Verhältnis von Inhalt und Methode Der Erkenntnisprozeû als ganzer enthält nach dem mittleren Jenaer Hegel auf die zuvor geschilderte Weise zwei gegenwendige Bewegungen in sich: »An der ersten Einheit [damit ist die Indifferenz des Definitionssubjekts gemeint; d. V.] wurde aufgezeigt, daû sie in der That eine Trennung in sich 158
GW, Bd. 7, 174.
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habe; gegen diese Trennung [damit ist die Differenz des Konstruktions- und Einteilungssubjekts gemeint; d. V.], daû ihr vielmehr die Beziehung wesentlich sey. Das negative kehren des Trennens gegen die Einheit, der Einheit gegen das Trennen wird positives Resultat in der Realität, die beydes zusammenschlieût, dadurch daû sie allgemeines in sich selbst reflectirtes, Definition ist [damit ist die nächst höhere kategoriale Bestimmung gemeint, in der Indifferenz und Differenz zu einer höherstufigen Einheit synthetisiert sind; d. V.], in welcher die erste und [zweyte] Potenz nicht nichts sind, sondern als aufgehobene oder als ideelle gesetzt sind.«159 Die Realisierung der Kategorien und Bestimmungen der Logik besteht in diesem Erkenntnisprozeû, den sie durchlaufen. Realisierung bedeutet hier die Verwirklichung von latent in einer Kategorie enthaltenen Bestimmtheiten. In diesem Erkenntnisprozeû sind Definition, Konstruktion bzw. Einteilung und Beweis nicht voneinander abzutrennen. Sie bilden einen inneren Verweisungszusammenhang, in dem sich alle Momente gegenseitig voraussetzen. So setzt die Einteilung die Definition und der Beweis die Einteilung voraus. Umgekehrt gilt aber auch, da im Erkennen latente, aber wesentliche Momente einer Bestimmung offengelegt werden, daû die Definition Einteilung und Beweis voraussetzt, und damit setzt auch die Einteilung den Beweis voraus. Diese zweite Voraussetzungsrichtung, daû das im Erkenntnisprozeû Frühere das Spätere und nicht nur das Spätere das Frühere, voraussetzt, ist möglich, weil das Spätere sich nach Hegel als Konstitutionsbedingung für das Frühere erweisen soll. So erweist sich beispielsweise in unserer Erkenntnis der »einfachen Beziehung« die Unendlichkeit als eigentlicher Grund für die Setzungen von Qualität, Quantität und Quantum als in sich widersprüchlichen Bestimmungen, die sich aufheben. Hier zeigt sich die Verstärkung einer Argumentationsweise, die sich bereits im Ansatz beim frühen Jenaer Hegel zwischen 1801 bis 1803/04 andeutete, wenn er das Dritte als das »wahrhaft Erste« bezeichnet.160 Diese Argumentationsweise, das Frühere durch das Spätere zu begründen, baut Hegel später noch weiter aus und systematisiert sie. Das Motiv des im Bestimmungsprozeû Späteren als Bedingung der Möglichkeit des Früheren entfaltet Hegel in der Wissenschaft der Logik auf rein spekulativer Ebene zu der Konzeption, daû der Fortgang im Sich-selbst-Bestimmen der absoluten Idee zugleich der Rückgang in den Grund ist.161 1804/05 beschreibt Hegel diesen Prozeû für die Logik folgendermaûen: »Das Fortwälzen des Begriffs durch seine Momente ist auf diese [Weise] eine in sich zurükkehrende BeGW, Bd. 7, 113 f. Vgl. GW, Bd. 4, 319, 399; auch Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik, 74. 161 Vgl. GW, Bd. 11, 34 f.; auch in der 2. Auflage der »Lehre vom Sein« (1832) findet sich dieselbe Argumentation, vgl. GW, Bd. 21, 57 f. 159 160
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wegung, und der Krais derselben ist die Reflexion, und das für sich-seyende ist nur als diû Ganze des Kraises oder der Reflexion.«162 Hegel spricht in der Logik von 1804/05 auch von einem linearen Verlauf in der Abfolge der kategorialen logischen Bestimmungen. Diese SchwierigGW, Bd. 7, 114. Auch die Zwei Anmerkungen zum System (vgl. GW, Bd. 7, 343±347) thematisieren die Problematik, daû der Fortgang Rückgang in den Grund und der Rückgang Fortgang ist. Dieses Dokument ist wohl auf die Zeit zwischen Ende 1803 bis 1804/05 zu datieren und gehört in den thematischen Umkreis der Logik und Metaphysik von 1804/05 (vgl. GW, Bd. 7, 364 ff. Editorischer Bericht; vgl. auch H. Kimmerle: Zur Chronologie von Hegels Jenaer Schriften. In: Hegel-Studien 4, 1967, 144; 162 f., und ders.: Die Chronologie der Manuskripte Hegels. In: GW, Bd. 8, 357). Nach diesen Zwei Anmerkungen zum System bildet nur Eine Idee den Gehalt der gesamten Philosophie. Die Philosophie ist als ganze ± also nicht bloû Logik und Metaphysik, sondern auch Natur- und Geistesphilosophie ± Darstellung und Entfaltungsgeschichte der Einen Idee. Daher handelt es sich in den Zwei Anmerkungen zum System um eine etwas andere Konzeption als die der Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05. Nach den Zwei Anmerkungen zum System wird die eine, in sich vollendete, voraussetzungslose und unbedingte Idee in einem Satz dargestellt. Dieser Satz ist leider nicht überliefert. Hegel bestimmt die Eine Idee dahingehend, daû sie aufgrund ihres Vollendungscharakters im Anfang, Fortgang und am Ende ihrer Entfaltung die selbe ist. Die absolute Idee ist im Anfang schon, was sie am Ende der Entfaltung sein wird. Sie ist am Anfang nur für uns, die Philosophen mit absolutem Wissen, bereits das, was sie am Ende ihrer Entwicklung sein wird. Für sich selbst ist diese Idee scheinbar in ihrem Anfang noch nicht in sich vollendet, weil sie sich noch nicht vollständig entfaltet hat. In der Entfaltungsgeschichte der Idee gilt daher nach Hegel: »das folgende bedingt das vorherige und umgekehrt« (GW, Bd. 7, 344, Randbemerkung). In diesem Dokument wird auch der Grund deutlich, weshalb Hegel eine solche Systematik und Begründungsmethode verfolgt. Bei einem bloû linear verlaufenden Begründungsgang, bei dem für etwas Bedingtes jeweils ein höherer Grund als Bedingung angegeben wird, läût sich die Begründung bis ins Unendliche fortsetzen, für jeden Grund läût sich wiederum ein noch höherer Grund angeben. Das Grund-Folge-Verhältnis führt so in die »schlechte Unendlichkeit« (GW, Bd. 7, 343), die nicht nur einerseits keine wahrhafte Begründung zustandekommen läût, sondern andererseits auch nur Bedingtes, niemals aber Unbedingtes aufweisen kann. Die absolute Idee der Philosophie soll aber nach Hegel unbedingt sein. Darüber hinaus hat eine lineare Grund-Folge-Reihe das Problem, daû die Gründe jeweils etwas anderes als die Folgen selbst sind. Damit sind Grund und Folge in einem lediglich äuûerlichen Verhältnis. Ist dagegen die Folge selbst Grund und ist der Grund selbst Folge, dann gibt es kein bloû äuûerliches Verhältnis der beiden Bestimmungen, sondern einen immanenten Weiterbestimmungsprozeû. Die Argumente, mit denen sich Hegel hier auseinandersetzt, ¾uûerlichkeit, Bedingtheit und Unabschlieûbarkeit im Grund-Folge-Verhältnis einer philosophischen Systematik, erinnern an die skeptischen Argumente der fünf Tropen des Agrippa, die Sextus Empiricus überliefert hat. Hegel hat sich mit diesen, wie er sie nennt, »spätern fünf Tropen« (GW, Bd. 4, 218) bereits in seiner frühen Jenaer Zeit auseinandergesetzt. Der zweite (unendlicher Regreû des Grund-Folge-Verhältnisses), der dritte (Bestimmungen sind immer nur relativ) und der vierte (ein bloû vorausgesetztes Erstes ist unbewiesen, ihm kann mit gleichem Recht etwas anders entgegengesetzt werden) dieser Tropen scheinen wohl diejenigen skeptischen Argumente gewesen zu sein, mit denen sich Hegel in diesen Zwei Anmerkungen zum System implizit auseinandersetzt. Die Problematik einer impliziten Auseinandersetzung mit dem antiken Skeptizismus steht wohl auch im Hintergrund, wenn Hegel das Erkennen in der 162
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keit des gleichzeitigen Bestehens von linearer Abfolge der Kategorien einerseits und in sich zurückkehrender Kreisbewegung, in der der Fortgang Rückgang in den Grund ist, andererseits löst sich dadurch, daû lediglich unsere Reflexion, d. h. die dialektische Erkenntnismethode, in sich jeweils eine Kreisbewegung vollzieht, die kategorialen Inhalte der Logik dagegen wandeln sich jeweils zu etwas anderem, verschwinden also in einer linearen Aufwärtsbewegung in der nächst höheren Kategorie. Die Inhalte der Logik reflektieren nicht in sich selbst diejenige Kategorie, in die sich sich wandeln. »Das Erkennen ist in seiner Wiederholung in den verschiedenen Sphären zu denen es übergeht, dasselbe, aber der Inhalt ist ein verschiedener, und wird sich selbst ungleich; seine Rükkehr in sich selbst ist vielmehr das Fortwälzen in einen anderen, [...]«.163 Das Erkennen bleibt sich also selbst gleich, wiederholt sich und bildet insofern bildlich gesprochen einen Kreis. Die logischen Inhalte sind dagegen jeweils andere, sie wälzen sich linear fort. So ist auch die logische Unendlichkeit der einfachen Beziehung zwar ein reiner Wechsel, das reine Übergehen der Entgegengesetzten, aber »das woraus das auftretende herkam, und [worin] das verschwindende sich verlor, das innere, die Null des Durchgangs, [war] jenes leere Seyn oder das Nichts selbst; [...]« Auf diese Weise ist das Übergehen in Entgegengesetzte, welches die logische Unendlichkeitskategorie vollzieht, lediglich »eine aüsserliche«164 Bewegung und dasjenige, was sich in der Unendlichkeit wandelt, bleibt unerkannt. Es findet hier keine Erkenntnis des »Woher« und »Wohin« des Wechsels statt. Das Erkennen soll sich dagegen an den logischen Bestimmungen jeweils wiederholen und den eigentlichen Grund der logischen Kategorien offenlegen, der dann jeweils eine neue kategoriale Bestimmung bezeichnen soll. Diese sich wiederholende Kreisbewegung des Erkennens ist dabei nur für unsere Reflexion erkennbar, nicht für die logischen Kategorien. Daran wird das Grundmerkmal der Logik deutlich: »[...] der Innhalt und das Erkennen fallen auseinander«.165 Daû dieses Auseinanderfallen in der Metaphysik aufgehoben ist, macht den fundamentalen Unterschied zwischen Logik und Metaphysik in Hegels Konzeption von 1804/05 aus. Die kategorialen Inhalte der Logik erhalten ihre Bewegung nur von dem Erkennen. Dieses ist der Bewegungsquell der Kategorien, welche für sich betrachtet, sich lediglich in »Ruhe«166 befinden. Logik von 1804/05 nicht als etwas verstanden wissen will, »das vor und rükwärts in die schlechte Unendlichkeit ohne Rast und Ruhe auslaüfft, als ein Begründen, dessen Grund, seinem Wesen nach, selbst wieder begründet zu werden nöthig ist« (GW, Bd. 7, 121). 163 GW, Bd. 7, 120; ähnlich äuûert sich Hegel auch a. a. O., 121; 122. 164 GW, Bd. 7, 112. 165 GW, Bd. 7, 120. 166 GW, Bd. 7, 121.
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Wodurch kommt dieser Unterschied von Inhalt und Methode in der Logik von 1804/05 zustande? Die logisch-kategorialen Inhalte können als in sich unbewegte diesen Unterschied nicht setzen; er muû also durch das Erkennen gesetzt sein. In diesem Sinne sagt Hegel: »Die Allgemeinheit des Erkennens ist selbst diese Form der Gleichgültigkeit, in welcher der Inhalt auftritt, [...] Die Bestimmtheit wird selbst nur ein Innhalt, durch die Form des Erkennens«.167 Der Inhalt der Logik ist eigentlich nichts anderes als das Erkennen. Nur, daû sich das Erkennen, sofern es sich als kategorialen Inhalt der Logik setzt, als das andere seiner selbst setzt, als gleichgültig und nicht in sich selbst bewegt. Das Erkennen hebt seine innere, lebendige Bewegung auf und wird so zum logisch-kategorialen Inhalt. Die aktive Erkenntnismethode setzt sich selbst jeweils in verschiedenen hierarchischen Stufen als passive logische Kategorie und somit als Inhalt. Mit diesem Wissen wird das Fundament für die Metaphysik gelegt. Die Bewegung, die die logisch-kategorialen Bestimmungen erfahren, wenn sie sich jeweils zu einem anderen Inhalt wandeln, wird durch die Methode des Erkennens hervorgebracht. Die für sich gesehen passiven Kategorien der Logik werden durch die Erkenntnismethode verlebendigt und in Bewegung gesetzt. Darin bleibt das Erkennen durch die gesamte Logik mit sich identisch. Die Inhalte wechseln zwar, aber die Veränderungsart der Inhalte, d. h. das Erkennen, bleibt gleich. »[...] die Sichselbstgleichheit des Erkennens erhält sich dadurch, daû es den Innhalt, der ein anderes ist, als es, aufhebt, zu einem andern seiner selbst macht«.168 Die Identität des Erkennens stellt sich auf diese Weise aber auch allererst her, nämlich als dasjenige, welches die Veränderung der Inhalte bewirkt. Es ist wohl kaum möglich, dieses Verhältnis von Inhalt und Erkenntnismethode für die Logik von 1804/05 detaillierter zu rekonstruieren, denn es fehlt der Passus im Kapitel »c. Es ist gesetzt das ERKENNEN«, der sich mit gröûter Wahrscheinlichkeit eingehender mit der Thematik auseinandersetzte, wie sich der Inhalt der Logik zur Erkenntnismethode verhält, wenn eingesehen wird, daû es jeweils das Erkennen ist, das sich als Inhalt setzt und diesen sich selbst mehr und mehr gleich macht, also seine Passivität sukzessiv aufhebt.169 Umgekehrt geht aber auch von dem Inhalt eine Wirkung auf die Erkenntnismethode aus, sofern der Inhalt als ein von der Erkenntnismethode gesetzter erkannt wurde, d. h., wenn erkannt ist, daû der Inhalt selbst das Erkennen ist. Im Erkennen wird das Erkennen selbst zum Inhalt. Hier ist der Inhalt selbst etwas Bewegtes, nämlich das Erkennen in seiner intellektuellen GW, Bd. 7, 122. GW, Bd. 7, 123. 169 Vgl. die Lücke im Text GW, Bd. 7, 124; es fehlen zwei Blätter aus Hegels Manuskript. 167 168
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Prozessualität, die sich durch Definition, Konstruktion, bzw. Einteilung, Beweis und Deduktion vollzieht. Die beständige Veränderung, die das Erkennen als Methode mit seinen jeweiligen Inhalten in der Logik vollbracht hat, vollzieht es nun an sich selbst, sofern es sein eigener Inhalt wird. Daher ist im Erkennen der Wechsel der Bestimmtheit nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Erkenntnismethode selbst. »Das Erkennen ist auf diese Weise die realisierte Unendlichkeit« ± diese ist in der einfachen Beziehung bereits als unablässiger Wechsel in den Entgegengesetzten bestimmt worden ± »die sich in das verdoppelte Verhältnis auseinandergeworfen, und zu sich zurükgekehrt ist; ihre Momente waren Abstractionen, die Momente des Erkennens sind selbst unendliche sind Verhältnisse. Der ganze Weg ist nichts als eine Bereicherung dieser Momente gewesen.«170 Daran zeigt sich die fundamentale Bedeutung der Unendlichkeit für die Logik von 1804/05. Die Unendlichkeit ist nicht nur der einheitliche Grund, das Fundament der »einfachen Beziehung«, sondern sie ist auch von grundlegender Bedeutung für das Verhältnis, sofern dies die Unendlich-Setzung der Unendlichkeit ist, und darüber hinaus ist die Unendlichkeit auch für die Proportion und das Erkennen fundamental. Das Erkennen bildet die für die Logik höchstmögliche Bestimmung der Unendlichkeit. Zugleich zeigt sich, daû nach Hegel die Unendlichkeit des Erkennens eine konkrete Allgemeinheit darstellt: Der Bedeutungsgehalt der logischen Kategorien reichert sich im Verlauf der Logik an. Die realisierten Kategorien gehen in den Bedeutungsgehalt der nächst folgenden Kategorie jeweils ein, wodurch sich eine konkrete Allgemeinheit bildet, die in der letzten Kategorie der Logik, im gesetzten Erkennen ihre gröûte Bedeutungsfülle erreicht. Daû es jeweils das Erkennen ist, das sich selbst passiv als logische Kategorie setzt und sich so in seiner Bestimmtheit jeweils selbst »bereichert«, kann erst einleuchten, wenn das Erkennen selbst erkannt ist. Daran zeigt sich, daû sich in der Logik der »Weg«, die inhaltliche Abfolge der Kategorien, erst im »Gehen [...] darstellt«171 und daû der Plan des Weges nicht zuvor in den Kategorien selbst schon deutlich ist. Nur für uns, die Philosophen, ist die Zwangsläufigkeit der Abfolge der Kategorien klar, wir wissen schon im voraus, daû die Logik zur metaphysischen Subjektivität des Geistes führen muû.
170 171
GW, Bd. 7, 124. GW, Bd. 7, 137.
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V. Erste Ansätze zu einer metaphysischen Dialektik Metaphysik ist für Hegel in seiner Konzeption von 1804/05 grundlegend das Sich-selbst-Wissen des Geistes. Spekulative Metaphysik besteht also für Hegel ab 1804/05 in einem Selbstverhältnis des Geistes zu sich. Dieses verwirklicht sich dadurch, daû der Erkenntnisinhalt selbst das Erkennen ist. Der Geist, das spekulative Erkennen, ist bei sich selbst im anderen seiner selbst, dem Erkenntnisinhalt, denn der Erkenntnisinhalt ist selbst das Erkennen.172 Nach Hegel ist der Geist die selbstbezügliche Unendlichkeit. Unendlichkeit bedeutet hier das Sich-zum-anderen-seiner-selbst-Wandeln, wie wir es bereits als logische Unendlichkeit untersucht haben. Diese logische Unendlichkeit besteht darin, daû das Endliche aufgehoben wird. Unterschiedlich zur logischen Unendlichkeit ist jedoch, daû die metaphysische Unendlichkeit des Geistes selbstbezüglich ist, sich also nicht, wie die logische Unendlichkeit, in einer nächst höheren Bestimmung verliert. Die logische Unendlichkeit ist nicht selbstbezüglich; als reine Selbstveränderung ist sie im Moment des Wechsels zwischen den Entgegengesetzten nur das »leere Seyn oder das Nichts selbst«.173 Dagegen ist der metaphysische Geist im anderen seiner selbst bei sich, und auf diese Weise ist er reiner Wechsel und Wandel, verliert sich aber nicht im anderen seiner selbst, sondern bezieht sich in einem spekulativen Selbstverhältnis auf sich. Daran wird deutlich, daû die Logik, insbesondere mit der Kategorie der Unendlichkeit und mit der Bestimmung des Erkennens, das erkenntnistheoretische Instrumentarium für die Metaphysik bereitstellt, welches aber in der Metaphysik noch wesentliche spekulative Umänderungen erfährt. Der Geist in der Metaphysik Hegels von 1804/05 ist die sich selbst erkennende Unendlichkeit.174 Hegel streitet zwar ab, daû es in der Metaphysik eine Dialektik gibt. Diese endet mit der Destruktion der statischen und formellen Relation von Erkenntnismethode auf der einen Seite und dem Inhalt dieses Erkennens auf der anderen Seite; aber indem Hegel als Grundbestimmungen des Geistes Unendlichkeit und metaphysisches Erkennen angibt, kann wohl davon gesprochen werden, daû es in der Metaphysik de facto eine Dialektik gibt. Hegel selbst bezeichnet die Methode der Metaphysik allerdings 1804/05 nicht als Dialektik, denn diese ist primär eine Methode Vgl. GW, Bd. 7, 176. GW, Bd. 7, 112; es ist daher nicht richtig, wenn H. Marcuse (Vernunft und Revolution. Hegel und die Entstehung der Gesellschaftstheorie. Frankfurt a.M. 1990, 70 f.) die logische Unendlichkeit aus Hegels Logik von 1804/05 als Subjektivität interpretiert, denn der logischen Unendlichkeit eignet keine Selbstbezüglichkeit, diese kommt vielmehr erst der metaphysischen Unendlichkeit zu, die dann auch korrekt als absolute Subjektivität interpretiert werden kann. 174 Vgl. GW, Bd. 7, 165 ff. und 173 ff. 172 173
Erste Ansätze zu einer metaphysischen Dialektik
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der Logik; und die Logik hat neben der Funktion, das erkenntnistheoretische Instrumentarium für die Metaphysik bereitzustellen, auch die Funktion, das endliche Denken aufzuheben und in die Metaphysik einzuleiten. Der spätere Hegel würde die Struktur des metaphysischen Geistes in der Konzeption von 1804/05, sich zu sich selbst im Anderssein zu verhalten, allerdings als dialektisch bestimmen. Hegel hatte also bereits 1804/05 die Idee einer metaphysischen Dialektik, er hat sie sich jedoch noch nicht zu eigen gemacht.175 Das Dokument Gliederungsentwurf zur Metaphysik gehört in den thematischen Umkreis der Logik und Metaphysik von 1804/05.176 Nach diesem Entwurf bildet die »Idee des Erkennens« das »erste der Metaphysik«.177 Die Idee des Erkennens ist nach diesem Entwurf die Seele. Dies ist der Konzeption der Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05 ähnlich, denn dort wird in der Metaphysik das »Erkennen als System von Grundsätzen« in der »Metaphysik der Objektivität« zur Seele. In dem Gliederungsentwurf zur Metaphysik sagt Hegel von der metaphysischen Seele: »Das dialektische der Seele ist die Beziehungslosigkeit«.178 Dies bedeutet, daû es nach diesem Entwurf eine Dialektik in der Metaphysik gibt. Dagegen erwähnt Hegel in der Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05 eine metaphysische Dialektik der Seele nicht.179 Die Dialektik der Seele besteht nach dem Gliederungsentwurf zur Metaphysik darin, daû die Seele beziehungslos ist. Mit der Beziehungslosigkeit der Seele ist wohl gemeint, daû die Seele alles zu ihrem thematischen Inhalt machen kann, daher nicht relational auf etwas Spezifisches bezogen ist, sondern unspezifisch Beziehungsmöglichkeit überhaupt ist. Aus der Dialektik der Seele ergeben sich nach dem Gliederungsentwurf die Themen der metaphysica specialis: Welt, Freiheit der Seele und Gott. Zunächst ist die beziehungslose Seele indifferent, d. h., sie unterscheidet sich noch nicht von sich selbst und bezieht sich auch noch nicht tätig auf Sehr deutlich wird die Dialektik, die in der Metaphysik von 1804/05 bereits vorliegt, in dem »Grundsatz der Ausschliessung eines Dritten« (GW, Bd. 7, 132±134). Dieser metaphysische Grundsatz des spekulativen Erkennens operiert mit den Bestimmungen Einheit bzw. Eines und Vieles, die sich in ihrer Entgegensetzung wechselseitig bedingen, wobei jedes der Momente das »Gegentheil seiner selbst« (a. a. O., 134) und »an ihm selbst das andere seiner selbst« (a. a. O., 133) ist. Vgl. hierzu J. Halfwassen (Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Bonn 1999, 88 ff.), der den immanenten Bezug des Einen auf das Viele und des Vielen auf das Eine im »Grundsatz der Ausschlieûung eines Dritten« zu Recht als positive, metaphysische Dialektik deutet und auch den Hintergrund dieser Dialektik zutreffend herausarbeitet, nämlich die zweite Hypothesis aus Platons Parmenides-Dialog. 176 Vgl. GW, Bd. 7, 341. Zur gewöhnlichen Datierung des Gliederungsentwurfes zur Metaphysik auf den Sommer 1804 vgl. Anm. 33 in diesem Kapitel. 177 GW, Bd. 7, 341. 178 GW, Bd. 7, 341. 179 Vgl. GW, Bd. 7, 139±142. 175
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Anfang und Entwicklung der drei Weisen von Dialektik
sich. Diese Indifferenz der Seele ist es wohl, die dazu führt, daû eine an sich seiende Welt entsteht. Das Ansichsein der Welt besteht darin, daû eine Welt scheinbar jenseits oder auûerhalb der Seele existiert. Die Seele hat sich in diesem Stadium noch nicht als das die Welt setzende Prinzip erkannt. Wird die Seele als different gesetzt, d. h. als sich von der vorherigen Gleichgültigkeit unterscheidend, ergibt sich die Freiheit der Seele. Diese Freiheit ist wohl als Unabhängigkeit von der Welt zu denken. Die Seele unterscheidet sich als ein Inneres von einem ¾uûeren und setzt sich als unabhängig von diesem ¾uûeren. Wird die indifferente Seele, die Welt, auf die differente Seele, die Freiheit, als ein und dasselbe bezogen, dann ergibt sich, als Einheitsgrund von Welt und freier Seele, Gott.180 Im Detail muû wohl die Dialektik der Seele, wie Hegel sie in diesem Gliederungsentwurf konzipiert hat, ungeklärt bleiben, da der überlieferte Text diese Dialektik nur andeutet und eine kurze Denkskizze Hegels darstellt. Soviel kann jedoch zu dieser metaphysischen Dialektik der Seele gesagt werden: Es ist nicht bloû eine destruktive Dialektik, sondern eine konstruktive. Die Gehalte der metaphysica specialis Welt, freie Seele und Gott werden durch diese Dialektik positiv hervorgebracht. An diesem Gliederungsentwurf zur Metaphysik wird deutlich, daû sich offensichtlich die Dialektik in Hegels Denkentwicklung von einer Methode, die rein auf die Logik begrenzt ist, auf die Metaphysik auszuweiten beginnt. Die Dialektik findet sich in der Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05 auch in der Naturphilosophie. Daraus kann geschlossen werden, daû sich die Dialektik seit 1804/05 auf das gesamte System Hegels auszuweiten beginnt. Die Dialektik ist dabei nicht mehr bloû eine Methode zur Destruktion endlicher Bestimmungen und Kategorien, wie noch in Hegels früher Jenaer Phase, sondern entwickelt sich zu einer positiven, Bestimmungen hervorbringenden Methode, die ihren Anwendungsbereich auch auf die Metaphysik ausweitet. In der Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05 geschieht diese Ausweitung der Dialektik auf die Metaphysik nur implizit; doch nach den Maûstäben des späten Hegel handelt es sich bei der sich selbst erkennenden Geistesmetaphysik von 1804/05 bereits um eine Entfaltung von spekulativen Gehalten nach der dialektischen Methode. Der Gliederungsentwurf zur Metaphysik zeigt überdies, daû es im thematischen und zeitlichen Umfeld der Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05 bereits Ansätze zu einer ausdrücklichen, nicht bloû impliziten, metaphysischen Dialektik bei Hegel gibt.
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Vgl. GW, Bd. 7, 341 f.
Zusammenfassung und Ausblick
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VI. Zusammenfassung und Ausblick Die Dialektik bildet in der Logik, Metaphysik, Narturphilosophie von 1804/05 eine Erkenntnisbewegung und Erkenntnismethode, die ihre spezifische Geltung für die Logik hat. Sie führt defiziente logische Kategorien in einen Widerspruch, der diese Bestimmungen zerstört. Gleichwohl ist die Dialektik aber nicht mehr bloû destruktiv, wie noch in Hegels früher Jenaer Zeit, sondern sie ist auch konstruktiv. Aus der Destruktion defizienter Bestimmungen durch widersprüchliche Entgegensetzung zweier Momente dieser Bestimmung wird durch die Dialektik eine höhere Einheit dieser Entgegengesetzten hervorgebracht. Diese höhere Einheit bildet dann die jeweils nächste logische Kategorie. Somit handelt es sich bei der Dialektik in der Logik von 1804/05 sowohl um eine destruktive als auch um eine konstruktive Methode. Dies bedeutet einen entscheidenden Schritt in Hegels Entwicklungsgeschichte. Die Dialektik ist für die Logik von zentraler Bedeutung, was auch durch Hegels synonyme Verwendung dieser beiden Termini deutlich wird. Gleichzeitig bietet die Dialektikkonzeption von 1804/05 die Lösung für ein Problem, das sich in Hegels früher Jenaer Logik andeutet. Für die frühe Jenaer Logik stellte sich als Einleitung in die Metaphysik das Problem, daû in ihr immer wieder metaphysische Voraussetzungen durchschienen ± erinnert sei an das »Hervortreten« und Entstehen der logischen Verstandeskategorien aus der metaphysischen Vernunft und an die »geheime Wirksamkeit der Vernunft«, welche die endliche Synthesis des Verstandes leitet ±. Aus dieser Konzeption der Logik als Einleitung ergibt sich das Problem, wie diese auftretenden metaphysischen Implikationen dem endlichen Verstand nachzuweisen sind. In der frühen Jenaer Zeit blieb methodisch und systematisch ungeklärt, wie dem endlichen Verstand seine Defizienz nachgewiesen werden kann, wenn in demjenigen systematischen Teil, in dem er abgehandelt wird, in der Logik, noch keine metaphysischen Bestimmungen expliziert werden dürfen, welche es doch gerade sind, auf denen seine Defizienz beruht. Mit der dialektischen Methode der Logik von 1804/05 entwikkelt Hegel ein Instrument, das die Endlichkeit, auch diejenige des Verstandes nachzuweisen und zu zerstören in der Lage ist: Die Dialektik ist als unsere Reflexion eine Erkenntnismethode des Philosophen, der die Fähigkeit hat, der Endlichkeit ihre Defizienz und ihre Selbstaufhebung nachzuweisen. Sofern Hegel in der Logik von 1804/05 die Dialektik als Methode des Philosophen einführt, der über spekulatives Wissen verfügt und die latenten Momente, die in den logischen Kategorien enthalten sind, reflektiert und sie als widersprüchlich und sich zerstörend erkennt, hat sich Hegel ein methodisches Instrumentarium geschaffen, welches es ihm erlaubt, die Endlichkeit systematisch und methodisch gesichert zu destruieren. Durch die
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Anfang und Entwicklung der drei Weisen von Dialektik
Einführung der dialektischen Metareflexion des Philosophen relativiert sich aber die Einleitungsfunktion der Logik in die Metaphysik. Die Logik stellt nicht bloû endliche Bestimmungen auf, sondern es wird auch jeweils stufenweise in den kategorialen Inhalten der Logik ein Moment unserer dialektischen Reflexion gesetzt. Die Logik erhält dadurch mehr den Charakter einer Grundlegung für die Metaphysik. Daraus wird deutlich, daû die Logik für Hegel 1804/05 verschiedene systematische Funktionen hat: 1. Die Logik bildet eine systematische Aufstellung und Herleitung der Kategorien. 2. Die Logik vollzieht eine Destruktion der nichtmetaphysischen Endlichkeit. 3. Die Logik bildet eine Grundlegung der Metaphysik, indem sie darstellt, wie sich Erkenntnismethode und Erkenntnisinhalt einander schrittweise annähern. Die Logik stellt damit dar, daû es notwendig ist, den Denkinhalt und die Methode seiner Entfaltung als eine Einheit zu begreifen. Auf dieser Basis können dann die Bestimmungen der Metaphysik als sich aus sich selbst entfaltende Denkinhalte konzipiert werden. 4. Die Logik hat, z. B. mit der Unendlichkeit, fundamentale Kategorien bereitzustellen, die für das gesamte System Hegels von 1804/05, also auch für die Metaphysik und die Realphilosophie, die Natur- und Geistesphilosophie, fundamentale Bestimmungen bilden. Die dialektische Erkenntnismethode aktualisiert sich als intellektuelle Vollzugsweise über die Stufen Definition, Konstruktion, Einteilung, Beweis und Deduktion. Dieser Fortgang ist ein stufenweises Setzen und Aufheben von Indifferenz und Differenz der jeweiligen Momente einer logischen Kategorie. Damit hat die Dialektik die Funktion, latent vorhandene, widersprüchliche Momente an den Kategorien der Logik explizit zu machen, welche die logischen Bestimmungen von sich aus nicht entfalten würden, weil sie als nichtmetaphysische Bestimmungen noch nicht über das spekulative Selbstverhältnis der absoluten Subjektivität verfügen. Wie es sich gezeigt hat, liegt insbesondere mit der Kategorie der Unendlichkeit eine logische Bestimmung vor, die eigentlich bereits metaphysische Dignität hat, obgleich Hegel 1804/05 Logik und Metaphysik noch voneinander trennt. Diese Trennung von Logik und Metaphysik hebt sich zunehmend im Laufe der späten Jenaer Phase Hegels auf, also in der Zeit von 1805/06 bis zur Phänomenologie des Geistes von 1807. Bezüglich der vom reifen Hegel konzipierten drei Weisen von Dialektik in der Logik ± Dialektik des Übergehens in der »Lehre vom Sein«, Reflexionsdialektik in der »Lehre vom Wesen« und Entwicklungsdialektik in der »Lehre vom Begriff« ± ist festzuhalten, daû sich in der Logik von 1804/05 bereits Ansätze finden. So gibt es eine spezifische Form von Dialektik in der »einfachen Beziehung«, im »Verhältnis« und in der »Proportion«. Diese spezifischen Weisen von Dialektik beruhen darauf, daû »unsere« methodisch dialektische Reflexion schrittweise in die kategorialen Inhalte der
Zusammenfassung und Ausblick
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Logik Einzug hält. Aus dieser stufenweisen Anreicherung der kategorialen Inhalte der Logik mit der dialektischen Reflexion folgen spezifische Weisen von Dialektik. Aus dem Verhältnis, das unsere Reflexion jeweils zu ihren Inhalten hat, folgen zwar spezifische Formen von Dialektik, aber diese Dialektik ist keine, welche die Kategorien aus sich selbst hervorbringen; dazu ist jeweils unsere Reflexion konstitutiv notwendig. Dies ist dadurch bedingt, daû nach dem mittleren Jenaer Hegel die Logik noch nicht selbst Metaphysik ist und somit die Bestimmungen auch noch nicht an der selbstbewegenden Kraft des absoluten, metaphysisch spekulativen Geistes teilhaben. Diese Konzeption wird sich, wie wir sehen werden, in der späten Jenaer Zeit Hegels dahingehend wandeln, daû die Logik selbst Metaphysik ist und die Kategorien der Logik daher ihre Dialektik aus sich selbst entfalten können.
drittes kapitel Logik und Dialektik in Hegels später Jenaer Zeit 1805/06±1807 Die Subjektivität als das Prinzip spekulativer Dialektik
Aus der späten Jenaer Zeit Hegels ist keine ausgearbeitete Logik überliefert und damit auch keine Explikation der dialektischen Methode, nach der eine solche Logik vorginge. Aus Andeutungen Hegels in verschiedenen Texten lassen sich dennoch die Grundstrukturen der Logik und der ihr zugehörigen dialektischen Methode eruieren. Aus der späten Jenaer Zeit Hegels ist eine Systemskizze überliefert, die sich in dem Manuskript zur Vorlesung über Naturphilosophie und Philosophie des Geistes von 1805/06 findet.1 Der erste Teil dieser Systemskizze zählt die grundlegenden Kategorien und Kategoriengruppen der Logik auf. Insbesondere sind der »Vorrede« zur Phänomenologie des Geistes grundlegende Bestimmungen zur dialektischen Methode zu entnehmen, die auch für die Logik Geltung haben.2 Es ist für das Verständnis von Hegels Logikkonzeption aus der späten Jenaer Zeit wichtig, daû die Logik nicht mehr Einleitung in die spekulative Metaphysik ist. Die Logik ist vielmehr selbst spekulative Metaphysik. Dies wird auch deutlich aufgrund der Einleitungsfunktion in die wissenschaftliche Philosophie und spekulative Logik, die nun die Phänomenologie des Geistes übernimmt. Damit verändert sich der systematische Status der Logik entscheidend. I. Die veränderte systematische Rolle der Logik Hegels späte Jenaer Zeit ist vor allem durch die Ausarbeitung und Fertigstellung der Phänomenologie des Geistes geprägt, die 1807 veröffentlicht wurde. Seit Februar 1806 gibt Hegel erste Bögen des Werkes in den Druck. Nach Rosenkranz beginnt Hegel seit 1804 damit, seiner Logik und Metaphysik eine Einleitung voranzuschicken, die »den Begriff der Erfahrung, welche das Bewuûtsein von sich selbst macht« entwickelt. Aus dieser Einleitung »entsprang seit 1804 die Anlage zur Phänomenologie«.3 Hegel: Gesammelte Werke, Bd. 8, Jenaer Systementwürfe III. Naturphilosophie und Philosophie des Geistes. Hrsg. R.-P. Horstmann unter Mitarbeit von J.H. Trede, Hamburg 1976 (im folgenden zitiert als GW, Bd. 8), 286. 2 Hegel: Gesammelte Werke, Bd. 9, Phänomenologie des Geistes. Hrsg. W. Bonsiepen und R. Heede, Hamburg 1980 (im folgenden zitiert als GW, Bd. 9). 3 Rosenkranz, 202. 1
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Die Subjektivität als Prinzip spekulativer Dialektik
Die Phänomenologie des Geistes von 1807 hat die Funktion, in die spekulative Philosophie systematisch einzuleiten, indem defiziente, d. h. nicht spekulative Weisen des Für-wahr-Haltens und die zugehörigen Bewuûtseinsgestalten widerlegt, zerstört und aufgehoben werden. Diese defizienten Bewuûtseinsgestalten sind die sinnliche Gewiûheit, die Wahrnehmung, der Verstand, das Selbstbewuûtsein, die Vernunft, der Geist und die Religion. Die Destruktion unzureichender Weisen des Für-wahr-Haltens und der zugehörigen Gestalten des Bewuûtseins geschieht in einem aufsteigenden Stufengang bis zur höchsten Wissensweise, dem absoluten Wissen, das in der Lage ist, spekulative Begriffe zu denken. Im absoluten Wissen ist in der höchsten Weise die Erkenntnis verwirklicht, daû der Inhalt des Wissens und das Wissen selbst dasselbe sind. Auf dieser Erkenntis aufbauend, ist es nach Hegel möglich, metaphysische Bestimmungen zu explizieren. Die phänomenologische Erkenntnis, daû der Inhalt des Wissens und das Wissen selbst dasselbe sind, bildet die Grundlage der spekulativen Logik als Metaphysik. Diese Grundlage besteht darin, daû Denken und Sein dasselbe sind, d. h., die reinen Bestimmungen des Denkens sind zugleich die reinen Bestimmungen dessen, was wahrhaft ist. Damit erhält die Phänomenologie des Geistes in Hegels System eine Funktion, die in der frühen Jenaer Zeit noch die Logik innehatte. Die Einleitung in die spekulative Philosophie durch die Phänomenologie des Geistes bedeutet eine Überwindung defizient endlichen Denkens im Rahmen konkreter Bewuûtseinsgestalten. Dies ist allerdings eine andere Form der Überwindung der Endlichkeit als jene, welche die Logik in der frühen und mittleren Jenaer Zeit Hegels leisten sollte, wenn auch das Ziel dieser Einleitung dasselbe ist, denn es gilt, wie in der vormaligen Logik, Voraussetzungen zu schaffen, um spekulative Bestimmungen explizieren zu können. Die Überwindung der Endlichkeit durch die Logik in Hegels früherer Konzeption stellt eine Destruktion reiner, endlicher Denkbestimmungen und bloû endlicher Denk- und Erkenntnisweisen dar. Die Phänomenologie des Geistes soll dagegen ihr Ziel, die spekulative Wissenschaft, mittels einer Destruktion konkreter Bewuûtseinsgestalten und konkreter Weisen und Stufen des Fürwahrhaltens dieses Bewuûtseins erreichen. An dieser Konzeptionsänderung sind zwei Momente von systematischer Bedeutung: 1. Die Einleitung in die Metaphysik geschieht nach der Konzeption der Phänomenologie des Geistes nicht mehr durch die Destruktion reiner Denkbestimmungen und ihrer Denk- und Erkenntnisweisen, sondern durch Aufhebung konkreter Bewuûtseinsgestalten. Die Verlagerung der Einleitungsfunktion von der Logik auf die Phänomenologie des Geistes bietet den systematischen Vorteil, das konkrete und natürliche Alltagsbewuûtsein von seinen unphilosophischen Vormeinungen zu reinigen. Diese Aufgabe konnte die Logik als Einleitung in das spekulative System nicht erfüllen, denn die
Die veränderte Systematische Rolle der Logik
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Logik operiert bereits mit reinen Denkbestimmungen, die im konkreten, natürlichen Bewuûtsein aktualiter nicht selbst vorkommen. Nur latent vollzieht das natürliche Bewuûtsein logische Bestimmungen; intentional auf konkrete Inhalte gerichtet, thematisiert es keine logischen Kategorien. Angesichts der Problemstellung einer Reinigung des natürlichen Bewuûtseins von seinen unphilosophischen Meinungen und Vormeinungen ist es systematisch konsequent, die Phänomenologie des Geistes mit dieser Aufgabe zu betrauen und nicht die Logik. 2. Der Logik muû eine andere systematische Rolle zukommen, sie kann nicht mehr bloû eine Einleitung in die spekulative Metaphysik sein, wenn diese Funktion die Phänomenologie des Geistes übernimmt. Wenn sich die Logik an die Phänomenologie des Geistes systematisch anschlieût4 und nach dem Durchgang durch die Phänomenologie des Geistes die Spekulation als metaphysische Wissenschaft erreicht ist, dann muû die Logik spekulativ metaphysische Wissenschaft sein. Indem die Logik spekulativ-metaphysische Wissenschaft ist, fällt der Hiatus zwischen Logik und Metaphysik weg, den Hegel in seiner frühen und mittleren Jenaer Zeit zwischen beiden Wissenschaften noch konzipierte. Diese Konzeption hat Hegel in der späten Jenaer Zeit offensichtlich vollständig überwunden, was sich allerdings bereits in der mittleren Jenaer Zeit Hegels andeutet, wenn er einerseits Bestimmungen mit spekulativem Charakter, wie die »Unendlichkeit«, schon in der Logik abhandelt und andererseits den rein sich selbst denkenden Geist als Grundlage der Metaphysik konzipiert. Dies zeigt bereits, daû die Metaphysik auf den Logos und das reine Denken ausgerichtet ist. Einen systematisch gewichtigen Grund, die Logik selbst als Metaphysik zu konzipieren, bildet ferner Hegels Wendung gegen den äuûerlichen methodischen Formalismus, der in den damaligen Wissenschaften herrschte. Insbesondere die Anhänger Schellings hatten mit der »Konstruktion« von diesem eine Methode übernommen, die dem Inhalt, der untersucht werden Diese systematische Reihenfolge von Phänomenologie des Geistes, der sich die Logik anschlieût, belegt die Jenaer Vorlesungsankündigung für das Wintersemester 1806/07. Hier kündigt Hegel u. a. »Logicam et Metaphysicam s. philosophiam speculativam« an, wobei er der spekulativen Philosophie einleitend noch die »Phaenomenologia mentis« voranschicken will (vgl. Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801±1807). Hrsg. H. Kimmerle. In: Hegel-Studien 4, 1967, 55 f.); fast gleichlautend ist die Ankündigung für das Sommersemester 1807 (vgl. a. a. O., 56). Diese beiden Vorlesungen haben wohl eher nicht stattgefunden (vgl. a. a. O., 77 f.). Vgl. hierzu auch K. Düsing: Hegels Vorlesungen an der Universität Jena. In: Hegel-Studien 26, 1991, 19. Daû der Phänomenologie die spekulative Logik folgt, belegt auch die Selbstanzeige der Phänomenologie, vgl. GW, Bd. 9, 447: »Ein zweyter Band [nach der Phänomenologie des Geistes als erstem Band; d. V.] wird das System der Logik als speculativer Philosophie [...] enthalten.« Daû die Logik als spekulative Wissenschaft der einleitenden Phänomenologie folgt, wird auch in der Phänomenologie des Geistes selbst deutlich, vgl. GW, Bd. 9, 30. 4
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sollte, äuûerlich gegenüberstand und schematisch immer nach dem selben Muster vorging, auch wenn es sich um völlig verschiedene Inhalte handelte.5 In Hegels mittlerer Jenaer Zeit war die Methode der Dialektik in der Logik den Kategorien zunächst auch äuûerlich. Wenn jedoch, wie in der späten Jenaer Zeit, die Dialektik in der Logik aus den Kategorien selbst entspringt, dann ist damit die ¾uûerlichkeit von Methode und Inhalt unterbunden; ein starrer Schematismus wird so von vornherein vermieden, denn einerseits richtet sich die Methode nach dem Inhalt, und andererseits richtet sich der Inhalt nach der Methode, denn er ist eigentlich nichts anderes als eine bestimmte Manifestation der Methode. Diese Zusammenhänge werden noch genauer zu untersuchen sein, hier ist nur wichtig, festzuhalten, daû Hegel mit einer metaphysischen Logik, in der die Methode aus dem kategorial-logischen Inhalt selbst hervorgeht, einen äuûerlichen Schematismus und Formalismus vermeidet. Aus diesem spezifischen Verhältnis von Inhalt und Methode ergeben sich dann beim reifen Hegel die verschiedenen Formen von Dialektik in den verschiedenen Teilen der Logik. Vgl. zur Kritik an der schematischen Methode der »Konstruktion« von Schelling und dessen Anhängern GW, Bd. 9, 36 f. Gegen formalistischen, methodischen Schematismus wendet sich Hegel auch schon im ersten Entwurf zu einem Brief an Voû, der wohl gegen Ende 1805 entstanden ist (vgl. Briefe von und an Hegel. Hrsg. J. Hoffmeister, Hamburg 1961, Bd. 1, 1785±1812, 96); ähnlich auch im Hauptentwurf zu diesem Brief (a. a. O., 99). Schelling bezieht die Formalismus-Kritik aus der »Vorrede« zur Phänomenologie des Geistes auf seine Anhänger und »Nachschwätzer« (Brief an Hegel vom 2. November 1807, a. a. O., 194), verübelt Hegel aber, daû dieser nicht klar zwischen ihm und seinen Anhängern unterscheidet. Hegel hatte zuvor an Schelling geschrieben, daû er mit der Formalismus-Kritik nicht diesen selbst meine, sondern nur die »Plattheit, die besonders mit Deinen Formen soviel Unfug und Deine Wissenschaft zu einem kahlen Formalismus herabtreibt« anklage (Brief an Schelling vom 1. Mai 1807, a. a. O., 162; daû Hegel eindeutig zwischen Schelling und dessen Anhängern unterscheidet, zeigt eine von Rosenkranz überlieferte Einleitung zu einer Vorlesung Hegels, die wohl zwischen 1803 und 1805 stattfand und das gesamte System der Philosophie behandelte, vgl. Rosenkranz 184 f., auch in GW, Bd. 5, 470 f., zur Datierung vgl. a. a. O., 702 ff.). Polemisierend tadelt später Sinclair in einem Brief an Hegel die »Modephilosophie« und die »Scharlatanerie Schellings und seiner Konsorten«, die »nichts als Methodenlosigkeit und unerwiesenes Geschwätz ist, das sich heuchlerisch hinter einem läppischen Enthusiasmus verbirgt« (Brief an Hegel vom 16. August 1810, a. a. O., 321). Hegel widerspricht dieser barschen Einschätzung Sinclairs nicht, sondern bestätigt sie in einem Briefentwurf an diesen (Entwurf zu einem Brief an Sinclair von Mitte Oktober 1810, a. a. O., 332). Interessant für unseren Kontext ist auch, daû Sinclair in seinen philosophischen Bemühungen ein ähnliches Methodenideal verfolgt wie Hegel: »Ich glaube die Methode aus dem Gegenstand selbst geschöpft zu haben und konsequent ihr gefolgt zu sein. Bisher aber scheint man mir die Methode willkürlich gewählt zu haben und noch willkürlicher ihr gefolgt zu sein: z. B. Spinoza die geometrische« (Brief an Hegel vom 16. April 1811, a. a. O., 354). Sinclair beansprucht, diese Methode, die er auch »Konstruktion« nennt, in seinem Werk Wahrheit und Gewiûheit (Metaphysik), 3 Bde., Frankfurt 1811, umgesetzt zu haben (vgl. zu der Methode von Sinclair: H. Hegel, Isaak von Sinclair zwischen Fichte, Hölderlin und Hegel. Frankfurt a.M. 1971, 189±237.). 5
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Das Zusammenwachsen von Logik und Metaphysik zu einer spekulativen Wissenschaft deutet sich in den Vorlesungsankündigungen Hegels an der Universität Jena seit dem Wintersemester 1804/05 deutlicher an. Seitdem kündigt Hegel »philosophiam speculativam« als »logicam et metaphysicam«6 an. Vor diesem Zeitpunkt, in der Vorlesung vom Wintersemester 1803/04 bezeichnet Hegel noch die gesamte Philosophie als Spekulation, also nicht bloû spezifisch Logik und Metaphysik, sondern auch Natur- und Geistesphilosophie. Erst seit dem Wintersemester 1804/05 bilden speziell Logik und Metaphysik zusammen den spekulativen Teil der Philosophie. Diese Zusammennahme von Logik und Metaphysik zum spekulativen Teil der Philosophie stellt allerdings, verglichen mit der ausgearbeiteten Logik von 1804/05, eine Ungenauigkeit dar, denn diese Logik-Konzeption zeigt, daû für Hegel die Logik zu diesem Zeitpunkt noch keine rein spekulative Wissenschaft war, vielmehr unterscheiden sich Logik und Metaphysik noch stark voneinander, und die Logik muû überwunden werden, damit die metaphysischen Bestimmungen des absoluten Geistes expliziert werden können. Daû Hegel in der Vorlesungsankündigung von 1804/05 die Logik dennoch zur spekulativen Philosophie zählt, hängt wohl eher damit zusammen, daû er Logik und Metaphysik als Einheit von der Philosophie der Natur und des Geistes, d. h. von der Realphilosophie abgrenzen will. Im Sommersemester 1805 kündigt Hegel ebenfalls wieder »philosophiam speculativam (logicam et metaphysicam)« an. Aus der Überschrift der Teilnehmerliste des Kollegiums geht jedoch hervor, daû Hegel nur über Logik gelesen hat. Daher ist es wahrscheinlich, wenn auch nicht eindeutig beweisbar, daû Hegel bereits seit dem Sommersemester 1805 die Logik vollständig als spekulative Metaphysik konzipiert.7 Von besonderem Interesse und ein eindeutiger Beleg für die Konzeption der Logik als spekulativer Metaphysik ist Hegels Vorlesungsankündigung für das Sommersemester 1806. Hegel kündigt hier »Philosophiam speculativam s. logicam«8 an. In dieser Vorlesungsankündigung läût Hegel also das bei seinen anderen Ankündigungen übliche »et metaphysicam« weg. Bei keiner anderen Vorlesungsankündigung zur spekulativen Philosophie aus der Jenaer Zeit Hegels wird nur die Logik angegeben. Es ist daher anzunehmen, daû Hegel spätestens seit Sommer 1806 die Logik selbst als spekulative Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801±1807). Hrsg. H. Kimmerle. In: Hegel-Studien 4, 1967, 54. 7 Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801±1807). Hrsg. H. Kimmerle. In: Hegel-Studien 4, 1967, 54 und 62; vgl. Anm. 3 zu Kap. 2. 8 Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801±1807). Hrsg. H. Kimmerle. In: Hegel-Studien 4, 1967, 55. Diese Vorlesung hat auch tatsächlich stattgefunden, vgl. die Teilnehmerliste a. a. O., 63. K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 156) ergänzt das »s.« aus dem Zitat zu »sive«. 6
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Metaphysik konzipiert, wobei es wahrscheinlich ist, daû Hegel diese Konzeption bereits seit dem Sommersemester 1805 verfolgt. In den folgenden Semestern nach dem Sommersemester 1806 kündigt Hegel allerdings wieder »Logik und Metaphysik« zusammen als spekulative Philosophie an.9 Man darf aus diesen Ankündigungen jedoch nicht schlieûen, daû Hegel seine Konzeption zugunsten der älteren wieder aufgegeben hätte, wo er Logik und Metaphysik zwar zusammen als spekulative Wissenschaft verstand, aber zwischen beiden einen Hiatus konzipierte. Das »und« hat in den Ankündigungen zum Wintersemester 1806/07 und zum Sommersemester 1807 wohl nicht mehr die Funktion, eine Trennung zwischen beiden Wissenschaften anzuzeigen, es hat auch nicht bloû aufzählenden, sondern explikativen Charakter.10 II. Die Logikskizze von 1805/06 und das Verhältnis der logischen Kategorien zu den Bewuûtseinsgestalten aus der Phänomenologie des Geistes Ein wichtiges Dokument für das Zusammenwachsen von Logik und Metaphysik zu einer spekulativen Wissenschaft in Hegels Denken seit 1805/06 bildet die Logikskizze, die sich in dem Manuskript zur Vorlesung über Naturphilosophie und Philosophie des Geistes findet.11 Diese Logikskizze steht im Kontext einer Skizze der grundlegenden Bestimmungen des gesamten Systems, welche von Hegel an dieser Stelle angedeutet wird. Die Logikskizze legt Hegel im Rahmen der Vollendung der Geistesphilosophie dar. Der reale Geist vollendet sich nach diesen Bestimmungen Hegels in Kunst, Religion und Wissenschaft, wobei die Religion und die absolute Wissenschaft, d. h. die Philosophie, denselben Inhalt haben. Dieser Inhalt besteht darin, Gott als lebendigen Geist zu erfassen. In der christlichen Religion ist diese Erfassung Gottes als Geist mit der Lehre von der Trinität Gottes verbunden. Zunächst ist der christliche Gott das absolute Wesen, das zugleich das Sein ist. Dann wird Gott in Jesus Christus zum Menschen, der sich für die Menschheit opfert, indem Gott selbst Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801±1807). Hrsg. H. Kimmerle. In: Hegel-Studien 4, 1967, 55 f. 10 Darauf, daû das »und« in den späten Jenaer Vorlesungen Hegels über »Logik und Metaphysik« einen anderen Sinn haben muû als in den vorangehenden Vorlesungen, weist schon O. Pöggeler (Die Komposition der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien Beiheft 3, 1966, 40) hin. Pöggeler macht überdies darauf aufmerksam, daû Hegel noch für seine Vorlesungsankündigungen in Berlin den Titel »Logik und Metaphysik« wählte. 11 GW, Bd. 8, 286. 9
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stirbt. Die Trinität erfüllt sich, indem Gott in der Andacht der Gemeinde zum Geist wird.12 Diese selbstbezügliche Struktur des Geistes der christlichen Religion deutet Hegel philosophisch als Ich: »Die absolute Religion aber ist das Tiefe, das zu Tage herausgetreten ± diû Tiefe ist das Ich ± es ist der Begriff, die absolute reine Macht.«13 Diesen Inhalt eines konkreten, zu sich selbst werdenden Geistes hat auch die Philosophie. Nur ist die Philosophie der Religion darin überlegen ± sie bildet daher auch die Vollendung des Geistes ±, daû sie die Wahrheit des zu sich selbst werdenden Geistes nicht bloû vorstellt und glaubt, wie die Religion, sondern darüber, wie sich der Geist vollendet, Einsicht, Erkenntnis und Rechenschaft abzulegen in der Lage ist. Die Philosophie hat die »Form des Begriffs«,14 d. h. die Philosophie liefert eine denkerische Begründung dafür, daû das Absolute der Geist ist, und operiert nicht mit unwissenschaftlichen, konkreten Vorstellungen, wie dies in der Religion geschieht. Die Philosophie ist dadurch »absolute Wissenschafft«.15 In der Philosophie ist das Ich das Prinzip, das Ich selbst ist das »Wissen des absoluten Geistes«. In der Philosophie »ERKENNT Ich das Absolute, es erkennt ± es begreifft ± es ist kein anderes ± Unmittelbar, es ist dieses Selbst«.16 Die Logik oder spekulative Philosophie als ersten Systemteil, in dem die »absolute Wissenschaft« begründet wird, bestimmt Hegel wie folgt: »± a) speculative Philosophie absolutes Seyn, das sich andres, (Verhältniû wird) Leben und Erkennen ± und wissendes Wissen, Geist, Wissen des Geistes von sich ±«.17 Hier ist angedeutet, daû es zwei unterschiedliche Entwicklungsstufen in der spekulativen Philosophie gibt. Nämlich eine erste, die eher der Logik von 1804/05 entspricht, und eine zweite, die eher der Metaphysik von 1804/05 entspricht. Der zweite Teil hat das spekulative Wissen als solches zum Inhalt, der erste Teil thematisiert die spekulativen Inhalte dieses Wissens in der Form der Unmittelbarkeit. Damit deutet sich eine Unterscheidung hinsichtlich der zu erörternden Inhalte der spekulativen Wissenschaft an. Auf diese Weise würde der Hiatus zwischen Logik und Metaphysik auch in der Logikskizze von 1805/06 noch durchschimmern. Wobei die Themenbereiche der vormaligen Logik selbst spekulativ-metaphysische Bestimmungen werden, die aber noch nicht das Wissen des Geistes selbst thematisieren.18 Vgl. GW, Bd. 8, 282 ff. GW, Bd. 8, 281. 14 GW, Bd. 8, 286. 15 GW, Bd. 8, 286. 16 GW, Bd. 8, 286. 17 GW, Bd. 8, 286; am Anfang dieser Skizze muû es wohl richtiger heiûen: absolutes Sein, das sich anderes (Verhältnis) wird ... 18 Bereits J.H. Trede (Phänomenologie und Logik. In: Hegel-Studien 10, 1975, 199 f.) interpretiert diese Logikskizze in dieser Ausrichtung. 12 13
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Analog zur Struktur der Religion kann man die Grundbestimmungen der spekulativen Philosophie in zwei Triaden unterteilen. Die erste Triade besteht aus dem »absoluten Sein«, dem »Verhältnis« und dem »Erkennen«, dem die Bestimmung des »Lebens« beigeordnet ist. Die zweite Triade besteht aus dem »wissenden Wissen«, dem »Geist« und dem »Wissen des Geistes von sich«.19 Grundlegend zeigt sich an Hegels Bestimmungen aus dieser Logikskizze, daû die Logik spekulative Metaphysik ist. Damit zeichnen sich eine Fortführung und teilweise eine Beibehaltung der Bestimmungen der Logik und Metaphysik von 1804/05 in Hegels später Jenaer Zeit ab. Das »absolute Sein« von 1805/06 bildet eine Entsprechung zur »einfachen Beziehung« von 1804/05; das sich selbst Anderswerden des Seins, das »Verhältnis« von 1805/06, entspricht dem »Verhältnis« von 1804/05, und das »Leben und Erkennen« von 1805/06 entspricht der »Proportion« von 1804/05.20 Durch RoH.S. Harris (Hegel's Development: Night Thoughts (Jena 1801±1806). Oxford 1983, 519) bezeichnet den Aufzählungsstil Hegels treffend als »summierend telegraphisch«. Unterschiedlich zu der hier vorgenommenen Einteilung sieht Harris (a. a. O.) »Leben, Erkennen und absolutes Wissen« als die letzte Trias sowohl von Hegels Schullogik von 1808 als auch der Logik aus dieser Skizze von 1805/06. Bezüglich der Schullogik von 1808 hat Harris recht (vgl. Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.). Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 30 ff.). Bezüglich der Logikskizze von 1805/06 ist die Interpretation von Harris jedoch kaum zutreffend; die letzte Trias bilden vielmehr »wissendes Wissen, Geist, Wissen des Geistes von sich«. Daran wird deutlich, daû sich verschiedene inhaltliche Bestimmungen in Hegels Logik zwischen 1805/06 und 1808 gewandelt haben. H. Schmitz (Hegels Logik. Bonn/Berlin 1992, 300 ff.) ist der Auffassung, daû Hegel mit den angegebenen Bestimmungen aus der Logikskizze von 1805/06 nicht »die sukzessiven Glieder seiner spekulativen Philosophie aufzählen« (a. a. O., 301) wolle. Es handle sich vielmehr um zwei ineinander »verzahnte«, »wechselseitige« und simultane Bestimmungsreihen. »Absolutes Sein«, »Verhältnis«, »Leben und Erkennen« bilden nach der Interpretation von Schmitz die eine Betrachtungsreihe und »wissendes Wissen«, »Geist« und »Wissen des Geistes von sich« bilden die andere Betrachtungsreihe, die nicht als Sukzessionen zu verstehen seien, sondern als zwei Ansichten derselben Sache, nämlich der spekulativen Philosophie (a. a. O., 303). Damit erübrigt sich nach Schmitz auch die Frage nach einer Entsprechung zwischen den Bewuûtseinsgestalten der Phänomenologie des Geistes und den Kategorien der Logikskizze von 1805/06, denn es handle sich hier gar nicht um eine Aufzählung von Kategorien (bes. a. a. O., 306). Die Interpretation von Schmitz stimmt mit dem vorliegenden Textbestand Hegels jedoch nicht überein, läût sich durch den Text nicht stützen. Gegen die Interpretation von Schmitz sprechen auch offenkundige Parallelen zur Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05. Sowohl O. Pöggeler (Die Komposition der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien Beiheft 3, 1966, 55), als auch J.H. Trede (Phänomenologie und Logik. In: Hegel-Studien 10, 1975, 195 ff.), als auch K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 156 ff.) gehen davon aus, daû es sich bei den Termini der Logikskizze Hegels von 1805/06 um grundlegende Kategorien der Logik handelt. 20 Auf diese Besonderheit und die Entsprechungen der Logikskizze von 1805/06 zur Logik von 1804/05 macht J. Heinrichs (Die Logik der »Phänomenologie des Geistes«. Bonn 1974, 97, Anm. 64) aufmerksam. Er setzt gleich: »Absolutes Sein = einfache Beziehung; Verhältnis = Verhältnis; Leben und Erkennen = Proportion (Definition, Ein19
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senkranz ist überliefert, daû sich Hegel noch 1806 des Titels »Proportion« bediente, um die dialektische Methode zu bezeichnen.21 Von daher läût sich vermuten, daû Hegel 1805/06 unter dem Titel »Erkennen« auch die dialektische Methode abgehandelt hat. Dabei ist wichtig, daû Hegel diesen ersten Teil der spekulativen Philosophie mit dem »absoluten Sein« beginnen läût.22 An dieser Bezeichnung zeigt sich eine entscheidende Veränderung gegenüber der frühen Jenaer Konzeption von 1801/02. Dort ist das reine Sein nicht absolut, sondern lediglich durch Abstraktion von den verschiedenen Formen des Seienden gewonnen, die in den anderen logischen Kategorien des Verstandes ausgesagt werden.23 Auch gegenüber der Logikkonzeption von 1804/05 deutet sich eine Veränderung an: Einerseits bezeichnet Hegel 1805/06 den ersten Teil der Logik nicht mehr als »einfache Beziehung«, und andererseits bildet die »einfache Beziehung« der Logik von 1804/05 zumindest bis zur Kategorie der Unendlichkeit eine »Logik des Verstandes«24 ± worunter die Kategorien der Qualität, der Quantität, des Quantums und der schlechten Unendlichkeit fallen ±. Zur Verstandeslogik kann das »absolute Sein« der Logikskizze von 1805/06 jedoch schwerlich gehören. An dem »absoluten Sein« zeigt sich die spekulative Bedeutung, welche die Logik 1805/06 von vornherein innehat. Die terminologische Bezeichnung »absolutes Sein« für den ersten Teil der Logik von 1805/06 weist auf Hegels reife Logikkonzeption der Wissenschaft der Logik voraus, nämlich auf deren ersten Teil, die »Lehre vom Sein«. Nach der Logikskizze von 1805/06 ist es das »absolute Sein« selbst, »das sich andres [...] wird«. Damit deutet Hegel wohl an, daû dem Sein einerseits eine spontane Tätigkeit der Selbstveränderung zukommt und andererseits teilung, Erkennen); wissendes Wissen = Grundsätze des Erkennens; Geist = Metaphysik der Objektivität; Wissen des Geistes von sich = Metaphysik der Subjektivität«. Heinrichs berücksichtigt jedoch die Vorlesungsankündigungen Hegels in Jena nicht; ihm wird daher nicht deutlich, daû Hegel 1805/06 eine gegenüber 1804/05 modifizierte, nämlich eine spekulative Logikkonzeption hat. Heinrichs sieht in der Logikskizze von 1805/06 lediglich die »Unklarheit der terminologischen Brocken« (a. a. O., 97, ähnlich auch 506; vgl. J.H. Tredes Rezension (Die endgültige Lösung einer Diskussion? In: Hegel-Studien 11, 1976, 228±234) zu den mannigfachen Fehleinschätzungen in Heinrichs Abhandlung). 21 Rosenkranz, 257. 22 K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 157) expliziert zu Recht, das »absolute Sein« der Systemskizze von 1805/06 bilde für eine ganze Reihe von logischen Kategorien den Obertitel. Durch die Bestimmung »absolut« werde zum Ausdruck gebracht, daû »die Logik von Anfang an Explikation des Absoluten sein soll«. Düsing (a. a. O., 157) macht in seiner Untersuchung dieser Logikskizze ebenfalls auf die Entsprechungen zwischen der Logik und Metaphysik von 1804/05 und der Logikskizze von 1805/06 aufmerksam. 23 Vgl. Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801±1802), 67. 24 GW, Bd. 7, 175.
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eine Form von Selbstbezüglichkeit, denn es wird »sich« anderes, wenn es sich zum »Verhältnis« umwandelt. Auch dies deutet auf den spekulativen Charakter des Seins und damit der Logik hin. Zugleich deutet sich damit an, daû die Dialektik, als die Methode der Umwandlung logischer Bestimmungen, nicht mehr bloû »unsere Reflexion« ist, wie noch 1804/05, sondern von den logischen Kategorien selbst vollzogen wird. Hegel fügt in dieser ersten Trias der Logikskizze von 1805/06 der Grundbestimmung des Erkennens noch das Leben hinzu. Das Leben bildet eine neuartige Bestimmung, die in den vormaligen Logikkonzeptionen Hegels nicht vorkam. Wenn Hegel in der Logikskizze von 1805/06 das »Leben« als eigenständige logische Kategorie bestimmt, bedeutet dies eine entscheidende ¾nderung gegenüber der Logikkonzeption von 1804/05, denn dort sind die logischen Kategorien »ein todtes dessen Bewegung ausser ihm«25 ist, weil der spekulativ-lebendige Selbstbezug des metaphysischen Geistes in den Kategorien der Logik noch nicht verwirklicht ist. Der eigentliche systematische Ort des Lebens ist nach Hegel 1804/05 daher in der Naturphilosophie, weil das Leben den metaphysischen Geist voraussetzt, denn das Leben ist der »metaphysische Proceû«26 des sich auf sich beziehenden Geistes, der sich nach dem Durchgang durch die Metaphysik als Natur realisiert. Wenn Hegel 1805/06 das »Leben« in die Logik integriert, dann können die logischen Kategorien nicht mehr bloû ein »totes« sein, sondern müssen in sich selbst bewegte, lebendige Denkinhalte sein, die zumindest rudimentär die Lebendigkeit des metaphysischen Geistes in sich enthalten, denn bereits in der Konzeption der Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05 setzt das Leben in der Natur spekulativ metaphysische Bestimmungen voraus. Damit deutet in der Systemskizze von 1805/06 auch die Einführung der Bestimmung des »Lebens« in die Logik darauf hin, daû es sich hierbei um eine spekulative Logik handelt, die selbst Metaphysik ist. Die Bestimmung des Lebens liegt in der Phänomenologie des Geistes kategorial dem Selbstbewuûtsein zugrunde.27 Die logische Bestimmung des »Lebens« behält Hegel auch noch in seiner späteren Konzeption der Wissenschaft der Logik bei. Dort ist das »Leben« die grundlegende Bestimmung der Idee, die Idee in ihrer ersten und rudimentärsten Form.28 Da in Hegels späGW, Bd. 7, 112; in dieser Allgemeinheit ist diese ¾uûerung Hegels wohl seiner eigenen Konzeption nicht angemessen und zu schematisch, denn nach und nach werden stufenweise durch das Eingehen der Erkenntnismethode in den Erkenntnisinhalt der Logik von 1804/05 die Kategorien verlebendigt. 26 GW, Bd. 7, 181. 27 Vgl. GW, Bd. 9, 104 ff. 28 Vgl. GW, Bd. 12, 179 ff.; bereits in Hegels Entwürfen zu den Schullogiken aus der Nürnberger Zeit findet sich die »Idee des Lebens«, vgl. Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.), 30 ff. und Begriffslehre für die Oberklasse (1809/10), 157 f. 25
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terer Logik das »Leben« eine Idee bildet und somit eine Vollendungsbestimmung der Logik darstellt, läût sich vermuten, daû das »Leben« in der Konzeption von 1805/06 inhaltlich noch wesentlich anders bestimmt war, denn hier ist sein systematischer Ort gegen Ende des ersten Teils der Logik und nicht, wie es der späteren Konzeption eher entspräche, gegen Ende des zweiten Teils. Die zweite Triade der Logikskizze von 1805/06 beginnt mit dem »wissenden Wissen«. Das Wissen ist also nicht mehr unmittelbar in seine spekulativen Inhalte versenkt, sondern hat sich selbst aktualiter zum Thema. Damit wird deutlich, daû es sich um ein selbstbezügliches Wissen handelt, das wohl auf seine eigenen metaphysischen Grundbestimmungen reflektiert. In der zweiten Trias der Logikskizze von 1805/06, »wissendes Wissen, Geist, Wissen des Geistes von sich«, zeichnet sich eine spekulativ-metaphysische Logik des Geistes ab, die sich in einem Selbstverhältnis des Geistes vollendet. Auch die Metaphysik von 1804/05 vollendet sich in einem spekulativen Selbstverhältnis des absoluten Geistes.29 Daraus würde folgen, daû der sich selbst wissende Geist von 1805/06 dem »absoluten Geist« aus der »Metaphysik der Subjektivität« von 1804/05 entspricht. Hegel scheint die zentrale Rolle des Geistes im Entwurf von 1805/06 stärker betonen zu wollen, wenn er nicht bloû im dritten, sondern auch schon im zweiten Abschnitt dieses Teils der Logik den Geist einführt. Nach Hegels berühmtem und viel interpretiertem Wort aus der Phänomenologie des Geistes, »entspricht jedem abstracten Momente der Wissenschaft eine Gestalt des erscheinenden Geistes«.30 Den Bewuûtseinsgestalten der Phänomenologie des Geistes ± sinnliche Gewiûheit, Wahrnehmung, Verstand, Selbstbewuûtsein, Vernunft, Geist, Religion, absolutes Wissen ± sind also jeweils Kategorien der Logik korreliert. Daû hier mit der »Wissenschaft« die Logik gemeint ist und nicht das gesamte System der Wissenschaft, also Logik, Natur- und Geistesphilosophie, wird daran deutlich, daû Hegel von den »abstrakten Momenten der Wissenschaft« spricht. Damit grenzt er die Natur- und Geistesphilosophie aus. Diese haben nämlich keine abstrakten, sondern reale, konkrete Momente zu ihrem Inhalt. Das Zitat bezieht sich also auf die Logik. Damit erweist sich die zentrale Rolle der Logik für ein zureichendes Verständnis der Phänomenologie des Geistes. Es gibt einen spekulativ-metaphysischen Hintergrund, vor dem die Bewuûtseinsgestalten expliziert werden. Die Bewuûtseinsgestalten des »erscheinenden Wissens« folgen einander nicht willkürlich, sondern in einer notwendigen Reihenfolge. Diese notwendige Abfolge der Bewuûtseinsgestalten ist diejenige der Kategorien der Lo29 30
Vgl. GW, Bd. 7, 173 f., 176 f. GW, Bd. 9, 432.
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gik. Den Weisen des Fürwahrhaltens des natürlichen Bewuûtseins aus der Phänomenologie des Geistes liegen also konstitutiv logische Kategorien zugrunde. Dem natürlichen Bewuûtsein kann die wirkliche Bedeutung der logischen Kategorien allerdings nicht einleuchten, solange es noch nicht zum »absoluten Wissen« fortgeschritten ist.31 Nur »für uns«, die Philosophen, die bereits über spekulatives Wissen verfügen, ist die Bedeutung der logischen Kategorien gegeben. Das natürliche Bewuûtsein operiert zwar mit diesen spekulativen Bestimmungen, hat sie jedoch noch nicht in ihrer Reinheit und eigentlichen Wahrheit vor Augen. Das natürliche Bewuûtsein ist der Ansicht, daû sein wahrer Inhalt etwas anderes als die reinen Gedankenbestimmungen sei, nämlich ein vorgegebener, äuûerlicher Stoff.32 Die Bildung des Bewuûtseins zur Wissenschaft besteht darin, das Bewuûtsein von dieser Vormeinung zu befreien und es zur Erkenntnis der reinen Gedankenbestimmungen zu führen.33 Die logische Kategorienabfolge, die den Bewuûtseinsgestalten der Phänomenologie des Geistes zugrundeliegt, ist wohl in ihrer Grundintention diejenige, die in der Logikskizze von 1805/06 angedeutet ist. Diese Logikkonzeption liegt einerseits zeitlich der Phänomenologie des Geistes am nächsten, andererseits gibt es inhaltliche Parallelen; dies kann hier jedoch nur skizziert werden.34 Nach O. Pöggeler (Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg/München 1973, 257 ff.) kann daher gesagt werden, daû das natürliche Bewuûtsein in der Phänomenologie des Geistes den Umgang mit logischen und spekulativen Kategorien einübt. Thematisch erfaût das natürliche Bewuûtsein diese Kategorien allerdings nicht, es ist vielmehr auf konkrete Phänomene gerichtet, in denen die logischen Kategorien nur mitthematisch gegeben sind. Die logischen Kategorien sind auch auf der Seite des Bewuûtseins, in den Weisen des Fürwahrhaltens, mitthematisch gegeben, für das Bewuûtsein aber bloû latent wirksam. 32 Vgl. GW, Bd. 9, 80. 33 Auf diesen Zusammenhang geht auch Werner Marx (Hegels Phänomenologie des Geistes. Die Bestimmung ihrer Idee in »Vorrede« und »Einleitung«. Frankfurt a.M. 1971, 84 f.) ein; vgl. zur Grundkonzeption der Phänomenologie des Geistes auch U. Claesges (Darstellung des erscheinenden Wissens. Bonn 1981). 34 H.F. Fulda (Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik. Frankfurt a.M. 1965, 142) versuchte, im Ausgang von Hegels propädeutischer Logik von 1808/09 die Logik zu rekonstruieren, die der Phänomenologie des Geistes zugrundelag. O. Pöggeler (Die Komposition der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien Beiheft 3, 1966, 52 ff.) hat sich gegen einen solchen Rekonstruktionsversuch gewandt und die entwicklungsgeschichtlichen und systematischen Gründe aufgezeigt, warum die Logikskizze von 1805/06 eher als Rekonstruktionsgrundlage anzunehmen ist. H.F. Fulda (Zur Logik der Phänomenologie von 1807. In: Hegel-Studien Beiheft 3, 1966, 75±101) hat daraufhin die Vermutung angestellt, daû der Phänomenologie des Geistes eine eigene Logikkonzeption zugrundeliegt, also nicht diejenige von 1805/06 (vgl. a. a. O., 97), und daû Hegel darüber hinaus während der Abfassung der Phänomenologie des Geistes seine Logikkonzeption geändert habe (vgl. a. a. O., 100), so daû dem Anfang des Werkes eine 31
Die Logikskizze von 1805/06
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Es läût sich bezüglich der logischen Kategorienabfolge, die das Fundament der Bewuûtseinsgestalten der Phänomenologie des Geistes bildet, folgern:
andere Logik zugrundeliegt als seinem Ende. Pöggeler (Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg/München 1973, 270 f.) geht dann von seiner vormaligen Position ab und vermutet auch eine eigene Logikkonzeption, die im Hintergrund der Phänomenologie des Geistes stehe. Diese sei nicht überliefert und auch nicht mit den vorherigen und späteren Ausarbeitungen der Logikkonzeptionen Hegels in Deckung zu bringen. Überdies habe Hegel seine Logikkonzeption geändert, was Pöggeler aufgrund eines Bruches in der Konzeption der Phänomenologie des Geistes, zwischen einerseits Erfahrungswissenschaft des Bewuûtseins und andererseits phänomenologischer Wissenschaft der Selbstsetzungen des Geistes, schlieût. Pöggeler (Selbstbewuûtsein als Leitfaden der »Phänomenologie des Geistes«. In: G.W.F. Hegel Phänomenologie des Geistes. Hrsg. D. Köhler und O. Pöggeler, Berlin 1998, 132 f., 137 f.; dieser Aufsatz ist zuerst abgedruckt in: Reflections on Various Problems of Modern Western Philosophy. Hrsg. Tetsugaku-Kai, Tokyo 1989, Vo. CIV, No. 776, 210±218) scheint aber diese Position wiederum zu relativieren, wenn er in diesem Aufsatz die Logikskizze von 1805/06 heranzieht, um die grundlegenden logischen Kategorien der Phänomenologie des Geistes zu rekonstruieren. Vgl. zum Thema auch: R. Bubner (Problemgeschichte und systematischer Sinn einer Phänomenologie. In: Hegel-Studien 5, 1969, 129±159). J. Heinrichs (Die Logik der »Phänomenologie des Geistes«. Bonn 1974, 96) sieht keine Konzeptionsänderung zwischen der Logik und Metaphysik von 1804/05 und der Logikskizze von 1805/06 ± worauf aber z. B. schon die Begriffe des »absoluten Seins« und des »Lebens« als eigenständige logische Kategorien von 1805/06 hinweisen ± und will daher zur Rekonstruktion der Logik, die der Phänomenologie des Geistes zugrundeliegt, unmittelbar und direkt die Logik und Metaphysik von 1804/05 heranziehen. Das Unzureichende eines solchen Versuchs zeigt J.H. Trede (Die endgültige Lösung einer Diskussion? In: Hegel-Studien 11, 1976, 228±234) in seiner Rezension zu Heinrichs Arbeit. Trede schlieût sich dabei in den wesentlichen Aspekten derjenigen Position an, die bereits O. Pöggeler (Die Komposition der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien Beiheft 3, 1966, 52 ff.) vertrat. Zum Verhältnis von Logik und Phänomenologie des Geistes äuûert sich auch L.B. Puntel (Darstellung, Methode und Struktur. Untersuchungen zur Einheit der systematischen Philosophie G.W.F. Hegels. Bonn 1973, 272±284). J.H. Trede (Phänomenologie und Logik. In: Hegel-Studien 10, 1975, 173±209) hat die inhaltliche Nähe der Phänomenologie des Geistes zur Logikskizze von 1805/06 klar herausgearbeitet und geht von folgender Entsprechung der Kategorien der Logikskizze von 1805/06 zu den Bewuûtseinsgestalten der Phänomenologie des Geistes aus: »absolutes Sein, das sich Anderes (Verhältnis) wird« entspricht dem Bewuûtsein, also sinnlicher Gewiûheit, Wahrnehmung und Verstand, wobei insbesondere der Wahrnehmung und dem Verstand Relationskategorien korrelieren (vgl. a. a. O., 203); »Leben und Erkennen« entsprechen dem Selbstbewuûtsein; »wissendes Wissen« entspricht der Vernunft (vgl. a. a. O., 200 f.); der logische »Geist« entspricht dem phänomenologischen Geist; »Wissen des Geistes von sich« entspricht dem phänomenologischen Wissen des Geistes von sich (zu diesen Entsprechungen vgl. a. a. O., 196). Trede geht für diese Einteilung von Hegels vormaliger Gliederung der Phänomenologie des Geistes aus, nicht von seiner späteren, weil Trede einerseits gegen Pöggeler zeigen will, daû es in der Konzeption der Phänomenologie des Geistes keinen Bruch gibt, und weil er andererseits davon ausgeht, daû die vormalige Unterteilung mit Buchstaben eine Gliederung ist, die sich an der Logikkonzeption Hegels orientiert. Auch K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 158 f., Anm. 24 u. 25) geht davon aus, daû für eine
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1. Der phänomenologischen Bewuûtseinsgestalt der »sinnlichen Gewiûheit« liegt als logische Bestimmung das »reine Seyn«35 zugrunde. Die sinnliche Gewiûheit hält das unmittelbar gegebene Sinnliche für denjenigen Stoff, über den sie ihre Aussagen fällt. Ihre eigentliche, für sie aber in ihrer Reinheit unthematische Bestimmung, ist die reine Unmittelbarkeit, die einfache Gleichheit mit sich selbst. Auf logischer Ebene ist diese Unmittelbarkeit und einfache Sich-selbst-Gleichheit das reine Sein. 2. Der phänomenologischen Bewuûtseinsgestalt der »Wahrnehmung« entspricht die Kategorie des »Dinges mit seinen Eigenschaften«.36 Wobei nach Hegel die Eigenschaften zunächst gleichgültig gegeneinander sind, nur nebeneinander bestehen, was die »Dingheit überhaupt« als neutrales Medium der vielen Eigenschaften ausmacht. Dabei setzt Hegel offensichtlich die vorherige Ableitung der Quantität voraus, denn es gibt viele Eigenschaften. Zugleich ist eine Voraussetzung für die Dingheit mit vielen Eigenschaften, daû die Qualität, d. h. die Bestimmtheit abgeleitet wurde, denn die Eigenschaften der Dingheit bestehen nicht nur gleichgültig nebeneinander, sondern sind einander auch entgegengesetzt, denn die eine schlieût die andere von sich aus. Sonst wären sie unbestimmt, nach der Spinozistischen Definition der Bestimmtheit: »omnis determinatio est negatio«. Das impliziert aber, daû sich die Bestimmtheiten, indem sie sich wechselseitig ausschlieûen, auch aufeinander beziehen. Diese Relation führt dazu, daû die zunächst unbestimmte Dingheit zu etwas Bestimmtem wird. Damit geht die Dingheit in das Ding über, das »Eins, ausschlieûende Einheit«37 ist. Als eine solche Einheit, die anderes von sich ausschlieût, kann es aber nicht mehr nur ein Ding geben, es muû viele Dinge geben. Rekonstruktion der logischen Kategorien, die den Bewuûtseinsgestalten der Phänomenologie des Geistes zugrundeliegen, die Logikskizze von 1805/06 heranzuziehen ist: Das »Sein« liegt der »sinnlichen Gewiûheit« zugrunde; verschiedene Kategorien des »Verhältnisses« liegen der »Wahrnehmung« und dem »Verstand« zugrunde; »Leben und Erkennen« dem »Selbstbewuûtsein«; »Wissendes Wissen« dem Vernunftkapitel; »Geist« dem Geist ± wohl auch dem Religionskapitel ±; und das »Wissen des Geistes von sich« liegt wohl dem »absoluten Wissen« als logische Kategorie zugrunde (vgl. a. a. O.). H. Schmitz (Hegels Logik. Bonn/Berlin 1992, 306 f.) kommt zu dem Schluû, daû es gar keine einheitliche Logik gebe, die der Phänomenologie des Geistes zugrundeliege; die Suche nach einer solchen Logikkonzeption erübrige sich daher. Hegels eigene These der Entsprechung von Bewuûtseinsgestalten und logischen Kategorien sei lediglich ein »Postulat, hinter dem kein fertiges Rezept steht« (a. a. O., 307). Diese Einschätzung beruht wohl hauptsächlich darauf, daû Schmitz die Bestimmungen der Logikskizze von 1805/06 nicht als Kategorien ansieht (vgl. hierzu Anm. 19 zu diesem Kapitel), daher bietet sich in seiner Sicht auch keine adäquate Logikkonzeption, die der Phänomenologie des Geistes entsprechen könnte. 35 GW, Bd. 9, 65, vgl. auch 80. 36 GW, Bd. 9, 72 f. 37 GW, Bd. 9, 73.
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Das Ding ist daher nur relational zu verstehen. Es ist entweder für sich, dies ist es, sofern es anderes von sich ausschlieût, sich also in bezug auf sich selbst reflektiert, oder aber es ist für ein anderes. Das Ding ist somit eine Relationsbestimmung, es ist, was es ist nur im Verhältnis zu anderem. Auch das Für-sich-Sein ist ein Verhältnis zu anderem, denn wenn das Ding für sich ist, bezieht es sich ausschlieûend doch auf anderes.38 Als grundlegend für die Wahrnehmung stellt sich damit diejenige logische Bestimmung heraus, die Hegel in der Logik von 1804/05 und auch in der Logikskizze von 1805/06 als »Verhältnis« bezeichnet. 3. Für die phänomenologische Bewuûtseinsgestalt »Verstand« ist die Kraft wesentlich. Das Resultat der »Wahrnehmung« ist, daû die Dinge die ungeschiedene Einheit ihres Für-sich-Seins und ihres Seins-für-anderes sind. Die Dinge zeichnet aus, daû sie sich ineinander entfalten und auseinandertreten. Der Verstand erfaût diesen Prozeû als Kraft.39 Die Kraft ist die »Substanz«,40 die der Einheit von Sein-für-anderes und Für-sich-Sein gleichermaûen zugrundeliegt. Damit deutet Hegel logische Kategorien an, in denen die phänomenologische Bewuûtseinsgestalt des Verstandes fundiert ist. Es sind die Verhältnisbestimmung der Substanz und die Verhältnisbestimmung der Kraft. Hegel hat in seiner Logik von 1804/05 sowohl die Substanzbestimmung als auch die Kraft im »Verhältnis des Seins« eingeführt. Die Kraft hat Hegel im Rahmen der Verhältnisbestimmung der Kausalität abzuleiten versucht.41 Die Ursache ist danach wesentlich diejenige Kraft, welche die Wirkung hervorbringt. Daraus kann gefolgert werden, daû dem »Verstand« die logischen Verhältnisbestimmungen der Substantialität und der Kausalität entsprechen. Die dritte logische Kategorie des »Verhältnisses des Seins«, die Wechselwirkung benennt Hegel jedoch im Verstandeskapitel der Phänomenologie des Geistes nicht eindeutig. Hegel behält die Kategorien Substanz, Kausalität und Kraft modifiziert und differenziert auch noch in seiner späteren Lehre der Wissenschaft der Logik, als Relationsbestimmungen in der »Lehre vom Wesen« bei.42 Daran zeigt sich, daû der phänomenologischen Bewuûtseinsgestalt »Verstand« verschiedene logische Bestimmungen des »Verhältnisses des Seins« aus der Logik von 1804/05 zugrundeliegen. Da auch die Logikskizze von 1805/06 das »VerhältVgl. GW, Bd. 9, 77 f. Vgl. GW, Bd. 9, 84. 40 GW, Bd. 9, 84. 41 Zur Bestimmung der Kraft vgl. GW, Bd. 7, 44 f. und 51 ff.; zur Substanzbestimmung vgl. a. a. O., 39±43. 42 Vgl. zur Substanz und Kausalität beim reifen Hegel GW, Bd. 11, 394 ff.; zur Kraft vgl. a. a. O., 359±364. Auch schon die Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.) (Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 19 ff.) führt Kraft, Substanz und Kausalität als Wesensbestimmungen auf. 38 39
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nis« aufführt, zeigt sich ebenfalls eine Entsprechung der Bewuûtseinsgestalt des »Verstandes« zu dieser. Hegel führt darüber hinaus den Begriff der »Erscheinung« und des »Scheins« in der Phänomenologie des Geistes ein. Diese Bestimmungen sind auch für Hegels spätere »Lehre vom Wesen« von zentraler Bedeutung. Nach der Phänomenologie des Geistes ist der Verstand mittels seines Begriffs der Kraft in der Lage, das eigentliche, innere Wesen der Dinge zu verstehen. Um die Kraft feststellen zu können, muû sie sich jedoch äuûern. Diese ¾uûerung der Kraft ist aber damit verbunden, daû sie verschwindet, denn wenn die Kraft etwas hervorgebracht hat, besteht nur noch das Hervorgebrachte, aber nicht mehr die Kraft. Das was also eigentlich mit der Kraft gesetzt ist, ist der Schein. Diesen definiert Hegel daher als »das Seyn, das unmittelbar an ihm selbst ein Nichtseyn ist«. Die Erscheinung ist »ein Ganzes des Scheins«.43 ¾hnlich bestimmt Hegel den Schein auch noch in der Wesenslehre der Wissenschaft der Logik: »Das Seyn des Scheins besteht allein in dem Aufgehobenseyn des Seyns, in seiner Nichtigkeit«.44 Der Schein ist also auch für den späteren Hegel in der spekulativen Logik ein in das Nichtsein verschwindendes Sein. Das unmittelbare Verschwinden im eigenen Nichtsein, das das Wesen nach der späteren Lehre Hegels vollzieht, ist ein grundlegendes Moment für die spezifische Dialektik des Wesens: das »Scheinen im Entgegengesetzten«. Anzeichen für einen solchen Begriff des Scheins und damit für diesen spezifischen Typus der Dialektik des Scheins finden sich also bereits in der Phänomenologie des Geistes. Vorausweisend auf die Dialektik des Scheinens im Entgegengesetzten der späteren Wesenslehre ist auch, was Hegel in anderem Zusammenhang in der Phänomenologie des Geistes über logische Relationskategorien sagt: »Einheit, Unterschied und Beziehung sind Kategorien, deren jede nichts an und für sich, nur in Beziehung auf ihr Gegentheil ist, und die daher nicht auseinander kommen können. Sie sind durch ihren Begriff aufeinander bezogen, denn sie sind die reinen Begriffe selbst; und diese absolute Beziehung und abstracte Bewegung macht die Nothwendigkeit aus.«45 Die Relationskategorien Einheit, Unterschied und Beziehung entstehen nach dieser ¾uûerung Hegels nicht nacheinander. Als Wechselbegriffe entspringen sie mit ihrem Gegenteil gleichursprünglich. Einheit ist nicht ohne Mannigfaltigkeit, Unterschied nicht ohne Identität und Beziehung nicht ohne Ausschlieûung zu denken. Im Hinblick auf die Entwicklungsgeschichte der drei Weisen von GW, Bd. 9, 88. GW, Bd. 11, 246. 45 GW, Bd. 9, 200; mit ganz ähnlicher Intention sagt Hegel über die Verhältnisbegriffe des Positiven und Negativen: »das positive ist nur als Beziehung auf ein negatives, oder das positive ist an ihm selbst der Unterschied von sich selbst, wie eben so das negative« (a. a. O., 93). 43 44
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Dialektik, die Hegel in seiner späteren Lehre konzipiert ± die Dialektik des Übergehens in der »Lehre vom Sein«, des Scheinens im Entgegengesetzten in der »Lehre vom Wesen« und der Entwicklungsdialektik in der »Lehre vom Begriff« ± ist an dieser Stelle festzuhalten, daû Hegel offensichtlich bereits bei der Abfassung der Phänomenologie des Geistes klar war, daû sich Relationskategorien in einer spezifischen Weise dialektisch auseinander generieren, nämlich nicht sukzessiv aus dem ihnen Entgegengesetzten, wie dies in Hegels späterer Lehre die Kategorien des Seins vollziehen, sondern gleichursprünglich mit dem ihnen jeweils Entgegengesetzten entspringen. Hegel vertieft damit Einsichten in die Relationalitätsstruktur von Verhältnisbestimmungen, die sich bereits zuvor im »Verhältnis« aus der Logik von 1804/05 zeigten. Auch dieser Zusammenhang deutet darauf hin, daû dem Verstand das »Verhältnis« aus der Logikskizze von 1805/06 zugrundeliegt. In der Phänomenologie des Geistes verdeutlicht Hegel die Struktur, nach der der »Verstand« die Dinge begreift, als einen »Schluû«: das Innere der Dinge entspricht ihrer Erscheinung, die Erscheinung ist die Kraft, die Kraft ist eine Bestimmung des Verstandes, ergo ist der Verstand in der Lage, das Innere der Dinge zu begreifen.46 Daû der Verstand eigentlich in ein Selbstverhältnis tritt und sich selbst erkennt, indem er das Innere der Dinge begreift, denn es ist sein Inneres der Dinge, das er erkennt, ist eine Einsicht, die den Verstand aufhebt, und er geht damit in die nächst höhere Bewuûtseinsgestalt, das Selbstbewuûtsein über.47 Den »Schluû« hat Hegel in der Logik von 1804/05 ebenfalls als Verhältnisbestimmung im »Verhältnis des Denkens« verortet. Auch dies weist darauf hin, daû der phänomenologischen Bewuûtseinsgestalt des »Verstandes« logische Kategorien des Verhältnisses entsprechen. 4. Für das Selbstbewuûtsein ist zunächst die Bestimmung des »Lebens« von zentraler Bedeutung.48 In der phänomenologischen Gestalt des Selbstbewuûtseins wird dem natürlichen Bewuûtsein auch das Denken und Erkennen als solches bewuût.49 Daran zeigt sich, daû dem Selbstbewuûtsein die logischen Kategorien »Leben und Erkennen« aus der Logikskizze von 1805/06 zugrundeliegen.50 Vgl. GW, Bd. 9, 89. Vgl. GW, Bd. 9, 102. 48 Vgl. GW, Bd. 9, 104 f., vgl. auch 106 f., wo Hegel auf den Lebens- und Gattungsprozeû verweist. 49 Vgl. GW, Bd. 9, 116 f. 50 Diesen Zusammenhang hat J.H. Trede (Phänomenologie und Logik. In: Hegel-Studien 10, 1975, 201 f.) deutlich gemacht. Er zeigt, daû in der Phänomenologie des Geistes im Skeptizismus kritisch auf die Erkenntnismethode reflektiert wird. Dies sieht Trede in Analogie zum »Erkennen« aus der Logik von 1804/05. Daher schlieût er, daû dem phänomenologischen Selbstbewuûtsein das logische Erkennen korreliert. 46
47
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5. Der phänomenologischen Gestalt der Vernunft liegt das Wissen des Idealismus zugrunde. Hier werden die Positionen Kants und insbesondere Fichtes verhandelt, die nach Hegel darin bestehen, daû das selbstbewuûte Ich alle Realität ist.51 In der Vernunft herrscht das Wissen um die reine, einfache Kategorie; dies ist das Ich.52 Dieses Wissen ist aber noch kein Geist, weil ihm noch nicht die Bedeutung seines eigenen Gewordenseins einleuchtet. Erst der Geist vermag zu wissen, woraus er sich entwickelt hat. Die Vernunft muû zuerst ihre »unhistorische« Ansicht von sich selbst überwinden, um ihre Genese als zu ihr selbst gehörig zu begreifen und sich damit zum Geist zu wandeln. In der Phänomenologie des Geistes verortet Hegel die logischen »Gesetze des Denkens«53 ± gemeint sind der Satz der Identiät, des Widerspruchs, des ausgeschlossenen Dritten und der Satz vom Grunde ± in der reinen, sich selbst beobachtenden Vernunft. Hegel sagt über die Gesetze des Denkens: »Die nähere Entwicklung gehört in die speculative Philosophie, worin sie sich als dasjenige zeigen, was sie in Wahrheit sind, nemlich einzelne verschwindende Momente, deren Wahrheit nur das Ganze der denkenden Bewegung, das Wissen selbst ist.«54 Der phänomenologischen Gestalt der Vernunft liegt daher die Kategorie des »wissenden Wissens« aus der Logikskizze von 1805/06 zugrunde. Auch dieses ist ein aktiver, selbstreflexiver Bezug des Wissens auf sich. Das Wissen vollzieht sich nicht mehr bloû geradehin an einem gewuûten Inhalt, sondern ist unmittelbar bei sich selbst als der »denkenden Bewegung«. Auch in der Logik von 1804/05 hat Hegel die Grundgesetze des Denkens abgehandelt. Dort stehen sie unter dem Titel »Das Erkennen als System von Grundsätzen« als erste Bestimmungen am Anfang der Metaphysik. Auch dies weist darauf hin, daû die Vernunft aus der Phänomenologie des Geistes dem »wissenden Wissen« aus der Logikskizze von 1805/06 zuzuordnen ist. 6. Dem Geist, der Religion und dem absoluten Wissen aus der Phänomenologie des Geistes entsprechen dann die Bestimmungen des »Geistes« und des »Wissens des Geistes von sich« aus der Logikskizze von 1805/06.
Vgl. GW, Bd. 9, 132 ff. Vgl. zum Terminus »Wissen« im Vernunftkapitel GW, Bd. 9, 137: »[...]; die Vernunft geht darauf, die Wahrheit zu wissen«. 53 GW, Bd. 9, 167. 54 GW, Bd. 9, 168. 51 52
Spekulative Dialektik und »spekulativer Satz«
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III. Spekulative Dialektik und »spekulativer Satz« in der »Vorrede« zum System aus der Phänomenologie des Geistes Für den späten Jenaer Hegel ist die Logik also spekulative Wissenschaft und Metaphysik. Die Logik ist daher die Lehre vom eigentlich und wesentlich Seienden. Dies beruht auf der Voraussetzung, daû das Denken in der Lage ist, das Seiende adäquat zu erfassen; in letzter Instanz bedeutet dies sogar nach Hegels Lehre, daû das Denken selbst das eigentlich und wesentlich Seiende ist. Das Denken bringt selbst das Gedachte hervor, und das Gedachte ist das Seiende in seinen wesentlichen Bestimmungen. Darin ist das methodische Problem impliziert, welche Rolle die Dialektik für eine solche Ontologie spielt. Der Hiatus zwischen Logik und Metaphysik beim mittleren Jenaer Hegel bestimmte wesentlich die Rolle der Dialektik, die 1804/05 auf die Logik begrenzt und »unsere« Reflexion war. Die Dialektik war notwendig, um latente Gehalte der logischen Kategorien zu explizieren, weil diese keine metaphysischen Selbstbestimmungen des absoluten Geistes waren, sondern allererst zu diesem hinführen sollten. Dabei ging die Dialektik schrittweise aus unserer Reflexion in die Kategorien der Logik selbst über und wurde daher auch in den Kategorien mehr und mehr explizit. Wenn der späte Jenaer Hegel nun die Logik selbst als metaphysisch spekulative Wissenschaft konzipiert, dann muû sich damit auch die Rolle der dialektischen Methode ändern. Sind die Kategorien der Logik selbst bereits spekulativ-metaphysische Bestimmungen, dann wird auch die Dialektik, als Verknüpfung dieser Bestimmungen, zu einer spekulativen Methode mit universeller, metaphysischer Geltung und vollzieht sich in den logischen Kategorien selbst. Die Dialektik ist von vornherein nicht mehr nur »unsere« Reflexion, sondern sie ist ein aktiver Bestimmungsprozeû, den die Kategorien aus sich selbst entfalten. Die Logik ist als spekulative Wissenschaft nichts anderes als die Darstellung der dialektischen Selbstbewegung von reinen Denkbestimmungen: »Denn die Methode ist nichts anderes als der Bau des Ganzen in seiner reinen Wesenheit aufgestellt.«55 Die Dialektik zeigt die Konstitutionsbedingungen sämtlicher Kategorien und Bestimmungen der spekulativen Logik auf. Die Methode ist den Bestimmungen selbst wesentlich. Damit wendet sich Hegel insbesondere gegen Schelling und dessen Anhänger, die in einen methodischen Formalismus geraten sind, wo Methode und Inhalt nach Hegel einander äuûerlich gegenüberstehen, so daû bei diesen im Prinzip beliebig alles ihrer allgemeinen Konstruktionsmethode unterworfen werden kann. Diese Beliebigkeit will Hegel als unwissenschaftlich ausschlieûen, denn sie 55
GW, Bd. 9, 35.
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ist nicht in der Lage, das Wirkliche, Konkrete in seiner lebendigen Bewegung zu erfassen. Daher sind nach Hegel bei Schelling und dessen Anhängern nicht nur die Methode, sondern auch die Inhalte verfehlt.56 Das Wirkliche, als in sich zweckmäûig Bewegtes, hat nach Hegel vielmehr eine dialektisch-methodische, prozeûhafte Seinsweise. Die Dialektik ist somit die Bewegung des Seienden selbst. Die Bewegung des Seienden verläuft nach Hegel in zwei verschiedenen Richtungen. Einerseits handelt es sich um eine »Entfaltung«.57 Die Entfaltung besteht darin, daû sich eine Bestimmtheit zu etwas anderem umwandelt, sich von sich unterscheidet. Andererseits beschreibt das wesenhaft Seiende eine in sich selbst zurückgehende Bewegung, dies ist das »Werden der bestimmten Einfachheit«.58 Das, was etwas wesenhaft ist, zu dem wird es. Die Einfachheit bedeutet hier, daû etwas einen bestimmten und begrenzten, rein gedachten Bedeutungsgehalt hat. Der Bestimmungsprozeû des Seienden ist in der Negativität begründet. Die Negativität ist wiederum in der Subjektivität begründet. Die Subjektivität ist der Prozeû der Negativität. Somit ist der Bestimmungsprozeû des wesentlich Seienden in der Subjektivität begründet. Die Negativität der Subjektivität ist wiederum die Dialektik. Die substantielle, d. h. wesentliche Bestimmung der Subjektivität ist »die reine einfache Negativität, ebendadurch die Entzweyung des Einfachen, oder die entgegensetzende Verdopplung, welche wieder die Negation dieser gleichgültigen Verschiedenheit und ihres Gegensatzes ist; nur diese sich wiederherstellende Gleichheit oder die Reflexion im Andersseyn in sich selbst ± nicht eine ursprüngliche Einheit als solche, oder unmittelbare als solche, ist das Wahre. Es ist das Werden seiner selbst, der Kreis, der sein Ende als Zweck voraussetzt und zum Anfange hat, Vgl. zur Kritik an der Methode die Schelling und dessen Anhänger konzipierten GW, Bd. 9, 17, 19, 36 f.; vgl. auch Anm. 5 zu diesem Kapitel. Auch Hegels Kritik an der Mathematik aus der »Vorrede« der Phänomenologie des Geistes a. a. O., 31±34, ist vor diesem Hintergrund zu sehen, denn Schelling nimmt mit seiner Konstruktionsmethode den mos geometricus von Spinoza auf, also eine mathematische Methode, die mit Axiomen, Definitionen und Lehrsätzen operiert. Spinoza orientiert sich dabei an Euklids mathematischem Lehrbuch »Elementa«. Auf Euklids mathematische Methode geht Hegel bei der Idee des synthetischen Erkennens aus der Wissenschaft der Logik ein, (vgl. GW, Bd. 12, 222 ff.), wo er feststellt, daû die Axiome und Definitionen Euklids nicht vollständig bewiesen sind, die eigentlichen Beweise der Axiome und Definitionen sind vielmehr aus dem Begriff zu führen, was allerdings nicht in die mathematische Aufgabenstellung Euklids gehöre, der daher auch mit Recht diese Beweise seiner Axiome nicht darstellte, sondern als unbewiesene Voraussetzungen unerörtert lasse. H. Röttges (Der Begriff der Methode in der Philosophie Hegels. Meisenheim a.G. 1981, 86±89) deutet Hegels Kritik an der Mathematik in der »Vorrede« der Phänomenologie des Geistes als Kritik an der neuzeitlichen Philosophie im ganzen, deren methodisches Ideal seit Descartes die Mathematik ist. 57 GW, Bd. 9, 38. 58 GW, Bd. 9, 38. 56
Spekulative Dialektik und »spekulativer Satz«
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und nur durch diese Ausführung und sein Ende wirklich ist.«59 Die dialektische Negativität der Subjektivität besteht also darin, daû zunächst eine einfache Einheit gesetzt ist. Das Subjekt ist zunächst sich selbst gleich. Aber diese Gleichheit mit sich setzt in sich eine Verschiedenheit. Diese Verschiedenheit ist zunächst noch relativ unbestimmt und in diesem Sinn »gleichgültig«. Die Verschiedenen entwickeln sich dann weiter zu einem Gegensatz. ± Hegel führt an dieser Stelle nicht aus, wie sich die Weiterentwicklung der anfänglichen Einheit zur Verschiedenheit und zum Gegensatz vollzieht. Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung von der Identität zur Verschiedenheit und zum eigentlichen Gegensatz leistet Hegel erst später in den Reflexionsbestimmungen »Identität«, »Verschiedenheit« und »Gegensatz« aus der »Lehre vom Wesen« in der Wissenschaft der Logik.60 Hierzu liegen also in der Phänomenologie des Geistes erste Ansätze vor, die Hegel hier allerdings unmittelbar auf die Subjektivität bezieht. ± Nach Hegels Andeutungen in der Phänomenologie des Geistes bildet, die von der Subjektivität selbst gesetzte Verschiedenheit und der Gegensatz eine Negativität, nämlich eine Selbstunterscheidung von sich, welche die Subjektivität vollzieht. Diese Negativität wird aber nochmals negiert, in dieser zweiten Negation wird wieder eine Einheit restituiert. Bei dieser restituierten Einheit handelt es sich aber nicht mehr um die einfache und unmittelbare Einheit des Anfangs, sondern nun liegt eine Einheit vor, in der der Unterschied nicht mehr bloû latent gesetzt ist. Durch die Negativität erster Stufe ist der Unterschied ein thematisch gesetzter, der in der restituierten Einheit der zweiten Negation erhalten bleibt. Die zweite Einheit mit sich, zu der die Subjektivität in ihrem Bestimmungsprozeû gelangt ist, nivelliert den Unterschied gerade nicht, sondern erkennt ihn als wesentlich zur Selbstvermittlung der Subjektivität gehörig. Hegel wendet sich hier implizit wieder gegen Schelling und dessen Konzeption einer einfachen, unmittelbaren und absoluten Identität, wenn er sagt, daû nicht die unmittelbare Einheit als solche das Wahre ist, sondern nur die Einheit, die den Unterschied in sich enthält und ihn nicht nivelliert. Nun wird auch klar, woher das Seiende seine dialektische Bewegtheit empfängt, nämlich von der Subjektivität. Die spekulative Logik stellt auf diese Weise die metaphysischen Kategorien als »bestimmte Begriffe, und [...] die organische in sich selbst gegründete Bewegung derselben«61 dar. Hegel bestimmt das begreifende, spekulative Denken im Rahmen seiner Theorie des »spekulativen Satzes« in der »Vorrede« zur Phänomenologie des Geistes genauer. Er unterscheidet hier noch nicht zwischen »Satz« und »Urteil«. Man könnte diese Theorie spekulativer Dialektik daher auch als Theo59 60 61
GW, Bd. 9, 18. Vgl. GW, Bd. 11, 260 ff. GW, Bd. 9, 432.
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rie des »spekulativen Urteils« bezeichnen.62 Da Hegel hier seine dialektische Methode ausdrücklich im Rahmen des Urteils entfaltet, kann, entwicklungsgeschichtlich gesehen, davon ausgegangen werden, daû er den dialektischen Schluû und die komplexe Lehre vom Syllogismus, die später für ihn das paradigmatische Darstellungsmedium der dialektischen Methode bilden, noch nicht vollständig entwickelt hat. Weil wir speziell klären wollen, wie sich der methodisch-dialektische Denkakt und die dialektische Selbstbewegung von logischen Bestimmungen vollziehen, werden wir im Rahmen unserer Darstellung des spekulativen Satzes nicht auf das Verhältnis von räsonnierendem und begreifend-spekulativem Denken eingehen, sondern lediglich das letztere einer intensiven Untersuchung unterziehen und das räsonnierende Denken nur dort heranziehen, wo es zur Einsicht und Umgrenzung des spekulativen Denkens notwendig erscheint.63 Diese nicht getroffene Unterscheidung zwischen Satz und Urteil wird in Hegels synonymer Verwendung beider Termini deutlich (vgl. GW, Bd. 9, 43: »[...] die Natur des Urtheils oder Satzes überhaupt, [...]«. In der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830) § 167 Anm. unterscheidet Hegel dagegen Satz und Urteil. Danach artikulieren Sätze einzelne, subjektive Bestimmungen wie z. B. wechselnde Zustände und einzelne Handlungen; mit einem Urteil wird dagegen der Anspruch auf objektive, allgemeine Gültigkeit erhoben. Die Unterscheidung von Satz und Urteil findet sich auch schon, ein Jahr, nachdem die Phänomenologie des Geistes erschienen war, in Hegels Schullogiken, vgl. Logik für die Mittelklasse (1808/09) § 63, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 104, und auch Begriffslehre für die Oberklasse (1809/10) § 12, a. a. O., 142. 63 Zum »spekulativen Satz« äuûert sich H.-G. Gadamer (Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen 1960, 441 ff.). Gadamer versucht, über Hegel hinausgehend, den spekulativen Satz in seinen eigenen Ansatz einer Hermeneutik zu integrieren. Zum Thema auch Werner Marx (Vernunft und Sprache. In: ders. Vernunft und Welt. Den Haag 1970, 21±44; zunächst erschienen unter dem Titel: Absolute Reflexion und Sprache. Frankfurt a.M. 1967.) Marx ist der Ansicht, Hegels Theorie des »spekulativen Satzes« gehöre in den Kontext »einer Erfahrungsgeschichte, aufgrund derer sich das räsonnierende und vorstellende Denken zum begreifenden verwandeln muû« (a. a. O., 24, Anm. 8). Die Theorie des »spekulativen Satzes« steht daher nach Marx in einem phänomenologischen Zusammenhang, der das natürliche Bewuûtsein von seinen unwissenschaftlichen Vormeinungen zu befreien sucht. Gegen diese Ansicht wendet sich zu Recht R. Heede (Die göttliche Idee und ihre Erscheinung in der Religion. Untersuchungen zum Verhältnis von Logik und Religionsphilosophie bei Hegel. Münster 1972, 205±254, zu Marx bes. 206); Heede macht darauf aufmerksam, daû der »spekulative Satz« in den Kontext der spekulativen Logik gehört. Da Hegel im Rahmen des »spekulativen Satzes« das wissenschaftlich begreifende, spekulative Denken selbst untersucht, ist diese Interpretation von Heede zutreffend (vgl. zum Thema auch ders.: Die Dialektik des spekulativen Satzes. In: Hegel-Jahrbuch 1974, 280±293). Wie W. Marx und R. Bubner (Strukturprobleme dialektischer Logik. In: Zur Sache der Dialektik. Stuttgart 1980, 7±39, bes. 22±29) betont auch H. Hülsmann (Der spekulative oder dialektische Satz. Zur Theorie der Sprache bei Hegel. In: Salzburger Jahrbuch für Philosophie X/XI, 1966/67, 65±80) die zentrale Rolle der Sprache als Darstellungsmedium der spekulativen Gehalte des spekulativen Satzes. Zum spekulativen Satz äuûert sich auch, allerdings ohne auf Details einzugehen, L.B. Puntel: Darstellung, Methode und Struktur. Untersuchungen zur Einheit der systematischen Philosophie G.W.F. Hegels. Bonn 1973, 62
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Die übliche Satzform in kategorischen Sätzen mit Satzsubjekt und Prädikat drückt den Unterschied beider aus, indem sie jeweils eine unterschiedliche grammatische Funktion haben, und normalerweise ± es sei denn, es handelt sich um eine Tautologie, die keinen Informationswert hat ± haben Satzsubjekt und Prädikat eine inhaltlich unterschiedliche Bedeutung. Im »spekulativen Satz« soll das Prädikat jedoch das Wesen des Satzsubjekts ausdrücken, also die Identität beider. Der »spekulative Satz« enthält also zugleich Identität und Unterschied in sich. Mit Hegels Bestimmung des Absoluten aus der Differenzschrift ausgedrückt, stellt der philosophische Satz die »Identität der Identität und der Nichtidentität« dar. Die Nichtidentität ist der bestimmte Sinn, d. h. der bestimmte Unterschied von Satzsubjekt und Prädikat. Das Prädikat und das Satzsubjekt bilden keine einfache Tautologie, sondern eine Synthesis verschiedener Bestimmungen. Hegel führt als Beispiele philosophisch-spekulativer Sätze auf: »Gott ist das Seyn« und »das Wirkliche ist das Allgemeine«.64 Nach der traditionellen Logik handelt es sich hierbei um universell bejahende kategorische Urteile, für die eine apodiktische Gültigkeit beansprucht wird. Die Prädikate scheinen zunächst jeweils verschieden von den Satzsubjekten, denn sie scheinen weder umfangs- noch inhaltsgleich mit den Satzsubjekten zu sein. Nach der traditionellen Logik scheinen dies synthetische Urteile zu sein. »Die Form des Satzes ist die Erscheinung des be32±34. Vgl. auch K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 198±204; vgl. auch ders.: Syllogistik und Dialektik in Hegels spekulativer Logik. In: Hegels Wissenschaft der Logik: Formation und Rekonstruktion. Hrsg. D. Henrich, Stuttgart 1986, 20 ff.), der insbesondere die zentrale Rolle der Subjektivität hervorhebt und zeigt, daû Hegel später seine Konzeption des spekulativen Satzes zugunsten einer syllogistischen Darstellung spekulativer Sachverhalte aufgegeben hat. Düsing hat aufgewiesen, daû es sich bei der dialektischen Methode, wie Hegel sie in der »absoluten Idee« aus der Wissenschaft der Logik darstellt, um einen Schluû handelt und welche Figur dieser hat. Vgl. zum Thema auch H. Röttges (Der Begriff der Methode in der Philosophie Hegels. Meisenheim a.G. 1981, 63±89) und G. Wohlfart (Der spekulative Satz. Bemerkungen zum Begriff der Spekulation bei Hegel. Berlin/New York 1981, im engeren Sinne mit Hegels spekulativem Satz befaût: 177±223). Wohlfarts Untersuchung von Hegels Analogie des spekulativen Satzes zu Rhythmus, Metrum und Akzent (a. a. O., 198 ff.) ist allerdings problematisch, denn Wohlfahrt stellt den spekulativen Satz in einen ästhetisch-religiösen Kontext ± warum dies notwendig sein soll, wird nicht deutlich ±; auch Wohlfarts detaillierte Untersuchungen zu Rhythmus, Metrum und Akzent in Musik, Poesie und »Tanzkunst« (a. a. O., 198±221) sind dem Verständnis weniger förderlich, denn diese Untersuchungen tragen nicht zur Klärung der Struktur und Bedeutung des spekulativen Satzes bei. Es ist auch problematisch, wenn Wohlfart das spekulative Denken als »gehemmtes oder aufgehaltenes, vorstellendes Denken« (a. a. O., 191) charakterisiert. Das spekulative Denken ist einerseits über die Vorstellung, die es mit einem stofflichen Inhalt zu tun hat, dem sie sich einseitig gegenüberstellt, hinaus, andererseits will Hegel mit der Theorie des spekulativen Satzes gerade die dynamische, flieûende Bewegung des spekulativ-dialektischen Denkens hervorheben. 64 GW, Bd. 9, 44.
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stimmten Sinnes«.65 Die grammatische Form des Satzes, also die verschiedenen grammatischen Stellen, die Satzsubjekt und Prädikat im Satz haben, diese grammatische Satzform bildet ein Medium für die Erscheinung eines wichtigen inhaltlichen Moments der logischen Bedeutung eines Satzes, nämlich daû der inhaltliche Sinn von Satzsubjekt und Prädikat etwas Unterschiedliches bezeichnet. Daher können Tautologien keine spekulativen Sätze sein, sie geben nichts zu erkennen, denn Erkenntnis kann es nur dort geben, wo ein Unterschied vorliegt; im nivelliert Gleichen gibt es dagegen keine Erkenntnis. Es ist der inhaltliche Unterschied von Satzsubjekt und Prädikat, »den die Form des Satzes ausdrückt«.66 Im spekulativen Satz ist aber zugleich das Prädikat auch »die Substanz, [...] das Wesen und der Begriff dessen, wovon [im Satzsubjekt; d. V.] die Rede ist«.67 Daher kommt im philosophischen Satz nicht nur einerseits der Unterschied von Satzsubjekt und Prädikat zur Geltung, sondern auch deren Identität. »Das Subject, das seinen Inhalt erfüllt, hört auf, über diesen hinaus zu gehen, und kann nicht noch andere Prädicate oder Accidenzen haben. Die Zerstreutheit des Inhalts ist umgekehrt dadurch unter das Selbst gebunden; er ist nicht das allgemeine, das frey vom Subjecte mehreren zukäme.«68 Satzsubjekt und Prädikat sollen im spekulativen Satz nicht nur unterschieden sein, sondern sie sollen auch den selben Begriffsinhalt und den selben Begriffsumfang haben.69 In den Sätzen des räsonnierenden, gewöhnlichen GW, Bd. 9, 44. GW, Bd. 9, 44. 67 GW, Bd. 9, 43. 68 GW, Bd. 9, 43. 69 R. Heede (Die göttliche Idee und ihre Erscheinung in der Religion. Münster 1972, 210 f.) interpretiert sehr richtig, daû durch die vollständige Identitätssetzung von Prädikat und Satzsubjekt die gewöhnlichen Verhältnisse des Urteils von Inhärenz und Subsumtion aufgehoben werden. Hegel wendet sich also damit gegen die traditionelle formale Logik. Zugleich interpretiert Heede aber auch (a. a. O., 216 ff.), Hegel lasse sich von den Theoremen der klassischen Logik leiten und halte sich »an die traditionellen Konversionsregeln« von Subjekt und Prädikat, wenn er in der Wesensprädikation eine Umkehr vom Prädikat zurück zum Satzsubjekt konzipiert. Wie wir noch sehen werden, beruht diese Umkehrung nach Hegel allerdings auf der tätigen Subjektivität, die in das Satzgefüge eingeht und aus dem Prädikat selbst ein Subjekt macht. Dies widerspricht der klassischen Logik, hier sind diskursive Begriffe nicht in sich selbst bewegte Entitäten, eine Aussage besteht auch nicht aus zwei Subjekten, und in einer Aussage sind auch nicht Identität und Nichtidentität zugleich aussagbar. Dies impliziert nach traditioneller Logik vielmehr einen Widerspruch, der nicht sinnvoll denkbar ist. Es handelt sich bei der Wesensprädikation, die im Denken eine Umkehrung vom Prädikat zurück zum Satzsubjekt herbeiführt, also nicht um eine Konversion im traditionellen Sinn. Vielmehr soll nach Hegel in der Umkehrung, im »Gegenstoû« das Satzsubjekt eine höhere Bestimmtheit gewinnen, Satzsubjekt und Prädikat verändern ihre Bestimmtheit in dem dialektischen Prozeû der Umkehrbewegung. All dies spricht dagegen, daû sich Hegel an die traditionellen Konversionsregeln hält. Nach der traditionellen aristotelischen Logik sind allgemein bejahende Aussagen auch nur in partikulär bejahende Aussagen umkehr65 66
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Denkens sind Satzsubjekt und Prädikat einander äuûerlich. Im Satz: »Die Rose ist rot«, bildet »rot« ein Prädikat, das auch anderen Gegenständen zukommen kann, zugleich kommen der Rose auch noch andere Prädikate, wie z. B. »wohlriechend« oder »schön«, zu. Satzsubjekt und Prädikat spiegeln so die ¾uûerlichkeit des räsonnierenden Denkens auf der Ebene der Satzaussage wieder. Diese ¾uûerlichkeit soll in der Wesensprädikation des spekulativen Satzes überwunden sein. Die Identität von Satzsubjekt und Prädikat, die der Nichtidentität entgegengesetzt ist, kommt dadurch zustande, daû das Satzsubjekt im spekulativen Satz nicht einfach nur ein grammatisches Subjekt ist, sondern das »wissende Ich«.70 Im spekulativen Satz wird also das Satzsubjekt durch das Erkenntnissubjekt, durch die denkende Subjektivität abgelöst. Hegel spielt hier mit der Doppeldeutigkeit des Begriffs Subjekt, einmal im grammatischen und einmal im noetischen Sinn. Das Satzsubjekt spekulativer Sätze ist also jeweils eine Subjektivität mit dem Charakter des Ich. In diesem Sinne bezeichnet Hegel ± wohl auch in Anspielung auf die neuplatonische Tradition ± die logischen Kategorien Ansichsein, Fürsichsein und Sichselbstgleichheit als »Seelen«.71 Die Subjektivität, das »wissende Ich« setzt im spekulativen Satz seine eigene Bestimmung in der Form einer Wesensprädikation. Es ist »der sich bewegende und seine Bestimmungen in sich zurücknehmende Begriff«,72 der sich in seinen Prädikaten selbst erkennt. Der Akt des Zurücknehmens der Bestimmungen in sich ist die gesetzte Identität des Subjekts mit sich, die im spekulativen Satz den Unterschied von Satzsubjekt und Prädikat, »die Form des Satzes« zerstört. Die Identität, die die Subjektivität im spekulativen Satz durch die Wesensprädikation erlangt, führt dazu, daû auch das Prädikat seine grammatische Funktion verliert und wie das Satzsubjekt zu einem erkennenden Subjekt wird.73 Im spekulativen Satz tritt die Subjektivität in ein thematisches Verhältnis zu sich. Beim bloû räsonnierenden, gewöhnlichen Denken in Sätzen bleibt sich das Selbst in seiner Denkbewegung unthematisch verborgen. Im räsonnierenden Denken ist das Selbst bloû das »ruhende Subjekt«, eine starre »Basis« und der »feste Boden« beliebiger Prädikationen. Im begreifend spekulativen Denken wird dieses unthematische Moment der Subjektivität überwunden. Die Wesensprädikation ist im spekulativen Denken ein in sich bewegtes Selbstverhältnis, ein thematisches Erfassen der eigenen Aktuosität der Subjektivität. bar; bloû patrikuläre Aussagen bleiben aber sicherlich hinter Hegels spekulativem Anspruch zurück. 70 GW, Bd. 9, 43. 71 GW, Bd. 9, 41. 72 GW, Bd. 9, 42. 73 Vgl. GW Bd. 9, 44.
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Hegel stellt zur Verdeutlichung der Theorie des spekulativen Satzes eine Analogie zur Dichtung her. Im Gedicht ergibt sich der Rhythmus aus der »schwebenden Mitte und Vereinigung«74 von Metrum und Akzent. Der Rhythmus steht für den spekulativen Satz als ganzen, also für die Identität der Identität und der Nichtidentität. Das Metrum ist eine vergleichsweise starre Form, in der, in klassischen antiken Sprachen, lange und kurze Silben eines Verses unterschieden sind. Das Metrum steht daher in der Analogie für die »Form des Satzes«, für den Unterschied von Satzsubjekt und Prädikat.75 Der Akzent bildet im Gedicht ein verlebendigendes Element, das Zusammenhänge herstellen kann. Der Akzent steht daher wohl für das »wissende Ich«, die »Einheit des Begriffs«, die als lebendige Subjektivität die Wesenseinheit und Identität von Satzsubjekt und Prädikat setzt.76 So wie im Rhythmus des Gedichts Metrum und Akzent harmonisch vereinigt sind, »soll auch im philosophischen Satze die Identität des Subjects und Prädicats [der Akzent; d. V.] den Unterschied derselben, den die Form des Satzes ausdrückt [das Metrum; d. V.] nicht vernichten, sondern ihre Einheit [soll] als eine Harmonie [der Rhythmus; d. V.] hervorgehen«.77 »Formell kann das Gesagte so ausgedrückt werden, daû die Natur des Urtheils oder Satzes überhaupt, die den Unterschied des Subjects und PräGW, Bd. 9, 43. Vgl. zum Metrum auch Hegels spätere Vorlesungen über die ¾sthetik. III. Teil. Theorie-Werkausgabe, Bd. 15, 293, wo Hegel das Metrum als »das feste Zeitmaû der Silben in dem einfachen Unterschiede der Längen und Kürzen, [...]« definiert; vgl. auch a. a. O., 311: »Das Metrum der rhythmischen Versifikation erwies sich als ein vielfach gegliedertes Verhältnis unterschiedener Längen und Kürzen, [...]« 76 Vgl. zum Akzent Hegels Vorlesungen über die ¾sthetik. III. Teil. Theorie-Werkausgabe, Bd. 15, 293, wo Hegel von der »rhythmischen Belebung durch Akzent, Zäsur und Gegenstoû des Vers- und Wortakzents« spricht. Nach Hegels ¾sthetik geht im Gedicht also ein »Gegenstoû« vom Akzent gegen das Metrum aus, was seine verlebendigende Wirkung ausmacht. Hegel spricht vom »Gegenstoû« des Akzents auch noch a. a. O., 299 und 317. Dieser »Gegenstoû« ist analog zum »Gegenstoû« (GW, Bd. 9, 43) zu sehen, den das »wissende Ich« mit seiner Wesensprädikation gegen die Form des Satzes im spekulativen Satz auslöst. Auch dies spricht dafür, den Akzent mit der wesensprädizierenden Subjektivität, der »Einheit des Begriffs« zu analogisieren. Auch wenn Hegel über den Akzent in der ¾sthetik (a. a. O., 297) sagt, durch ihn werden »gesetzmäûig bestimmte Stellen herausgehoben, welche dann die anderen anziehen und sich so erst zu einem Ganzen abrunden«, dann scheint uns dies ein Hinweis auf die Analogie von Akzent und »Einheit des Begriffs« im spekulativen Satz zu sein, denn dort ist es die Subjektivität, welche die in der Form des Satzes Unterschiedenen zu einem einheitlichen Ganzen zusammenfügt. 77 GW, Bd. 9, 43 f. Die Analogie von spekulativem Satz und Rhythmus, Metrum und Akzent bewertet H. Röttges (Der Begriff der Methode in der Philosophie Hegels. Meisenheim a.G. 1981, 68) als Unklarheit Hegels: »Das Ausweichen Hegels in Bilder bzw. Analogien deutet wohl auf prinzipielle methodische Unsicherheiten, die [...] erst in der WdL ihre Klärung finden können.« Hegel könnte die Analogie aber auch gewählt haben, weil in der »Vorrede« zum System noch keine detaillierten Untersuchungen anzustellen sind. 74 75
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dicats in sich schlieût, durch den spekulativen Satz zerstört wird, und der identische Satz, zu dem der erstere wird, den Gegenstoû zu jenem Verhältnisse enthält.«78 Mit dem »identischen Satz« ist die gesetzte Identität des Wesensprädikats mit dem Subjekt gemeint. Das Identität prädizierende »wissende Ich« bildet also einen »Gegenstoû«, eine gegenwendige Bewegung zu der ersten Bewegung, die vom Satzsubjekt zum Prädikat fortging. Der spekulative Satz stellt also kein starres Schema, sondern ein dynamisches Aussagegeschehen dar. Der »identische Satz«, die spekulative Wesensprädikation »wird« aus dem in der Satzform gesetzten Unterschied. Erst wenn ein Unterschied gesetzt ist, kann die Identität der sich in sich unterscheidenen Subjektivität daraus hervorgehen. Läge kein Unterschied im Satz vor, dann wäre er lediglich eine Tautologie. Mit dem Gegenstoû gegen den Unterschied von Satzsubjekt und Prädikat, den das »wissende Ich« vollzieht, indem es die Wesenseinheit von Satzsubjekt und Prädikat setzt, kommt eine gegenwendige Bewegung zum Ausdruck, die für die Dynamik des spekulativen Satzes charakteristisch ist. Zunächst wird, vom Satzsubjekt ausgehend, der Unterschied zum Prädikat gesetzt, dann wird aber durch das »wissende Ich«, durch die lebendige Subjektivität die Identität von Prädikat und Subjekt gesetzt, das Prädikat wird selbst zum Subjekt. Diese in sich gegenwendige Bewegung, welche die Subjektivität vollzieht, ist die dialektische Methode. »Der Satz soll ausdrücken, was das Wahre ist, aber wesentlich ist es Subject; als dieses ist es nur die dialektische Bewegung, dieser sich selbst erzeugende, fortleitende und in sich selbst zurückgehende Gang.«79 Die Dialektik ist somit die reine intellektuelle Bewegung, die die Subjektivität in sich spontan vollzieht. In Hegels Analogie zum Gedicht gesprochen, sind damit aber bislang nur das Metrum, der Unterschied von Satzsubjekt und Prädikat in der Satzform, und der Akzent, die von der Subjektivität gesetzte Identität, die Einheit des Begriffs, in die spekulative Bewegung einbezogen, aber noch nicht der Rhythmus, die harmonische Identität der Identität und der Nichtidentität. Die Bewegung des spekulativen Satzes bleibt nicht beim Akzent stehen, denn »jener Acczent verklingt«80 und löst sich auf in den harmonischen Rhythmus, in den spekulativen Satz als ganzen. Die die Identität der Wesensprädikation setzende Subjektivität muû in das Gesamtgefüge des spekulativen Satzes als Identität der Identität und der Nichtidentität eingehen. Bliebe der Akzent, die Identitätsprädikation das letzte im spekulativen Satz, wäre der Unterschied nivelliert. Die Wesensidentität der Subjektivität oder die Einheit des Begriffs mit sich bildet zwar einen »Gegenstoû« zum Unter78 79 80
GW, Bd. 9, 43. GW, Bd. 9, 45. GW, Bd. 9, 44.
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schied, aber sie soll ihn »nicht vernichten«,81 sondern sich mit ihm vereinen, und so erst wird der spekulative Satz zu einem ganzen. Dieses Aufgehen der Identität setzenden Subjektivität in die höhere Identität des spekulativen Satzes, die die Nichtidentität ebenso in sich enthält wie die Identität, ist gemeint, wenn Hegel sagt, daû »das Subject selbst ins Allgemeine [damit ist der spekulative Satz als ganzer gemeint; d. V.] fällt«.82 Bliebe die spekulative Bewegung bei der Identität stehen, ohne sie mit dem Unterschied in eine höhere Einheit zu überführen, käme Hegel in eine auûerordentliche Nähe zu der Position Schellings, gegen die er sich aber, insbesondere in der »Vorrede« zur Phänomenologie des Geistes, immer wieder abgrenzt. Wir wollen nun genauer das Verhältnis von Unterschied, der in der Satzform ausgedrückt wird, und Wesensidentität, als der Einheit des Begriffs untersuchen. Wie kommt es überhaupt zum Unterschied, wenn doch das spekulative Denken gerade die Identität des Wesensprädikats mit dem Subjekt setzt? Hegel sagt: »Die Form des Satzes ist die Erscheinung des bestimmten Sinnes oder der Accent, der seine Erfüllung unterscheidet; [...]«83 Die Form des Satzes ist der gesetzte Unterschied von Satzsubjekt und Prädikat, in der Analogie zum Gedicht deuteten wir dies als das Metrum. In diesem Zitat scheint Hegel aber zu sagen, daû die Form des Satzes der Akzent sei, den wir als das Identität setzende, wissende Ich interpretierten. Damit scheint ein Widerspruch vorzuliegen.84 Dieser ist nun aufzulösen: Der AkGW, Bd. 9, 44. GW, Bd. 9, 44. 83 GW, Bd. 9, 44. 84 Wenn man den Satz »Die Form des Satzes ist die Erscheinung des bestimmten Sinnes oder der Accent, der seine Erfüllung unterscheidet; [...]« nicht in unserem Sinne deutet, dann ergeben sich Widersprüche. Denn dann bleibt nur noch übrig, hier die »Form des Satzes« mit dem Akzent aus der Analogie zum Gedicht gleichzusetzen, das im Vergleich zum Akzent starre und formale Metrum stünde dann für die lebendige sich mit sich wesensmäûig identifizierende Subjektivität. Dies vertreten z. B. H. Glockner (Hegel. Bd. 2, Stuttgart 1940 = Bd. 22 der Jubiläumsausgabe der Sämtlichen Werke Hegels, 467) und wohl im Anschluû an diesen auch G. Wohlfart (Der spekulative Satz. Berlin/New York, 1981, 221). Für Wohlfart ergibt sich daraus die für ihn nicht auflösbare Schwierigkeit, warum die vorhergehenden ¾uûerungen Hegels das Gegenteil andeuten, nämlich die Identifizierung der Satzform mit dem Metrum und der Einheit der Subjektivität mit dem Akzent. Diese Schwierigkeit tritt in unserer Deutung nicht auf, weil wir interpretieren, daû dieser Satz Hegels zum Ausdruck bringen soll, daû es die lebendige Subjektivität (der Akzent) ist, die die Form des Satzes (das Metrum) hervorbringt. Stünde der Akzent dagegen für die Satzform, dann bestünde darüber hinaus noch die Schwierigkeit, zu klären, wie die starre Satzform die aktive Tätigkeit hervorbringen soll, die eigene Erfüllung zu unterscheiden. R. Heede (Die göttliche Idee und ihre Erscheinung in der Religion. Münster 1972, 213 f.) deutet: »Die Form des Satzes ist der Akzent (das Unterschiedene); die begriffliche Einheit von Subjekt und Prädikat ist das Metrum (das Identifizierende); der spekulative Satz in seiner Totalität ist der Rhythmus, und zwar die Identität der Identität und Differenz insofern, als das Prädikat das ganze, wirkliche Wesen der Sache, nicht nur eine abstrakte Eigenschaft ausdrückt, und ebenso 81 82
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zent, das »wissende Ich«, das die wesensmäûige Identität von Satzsubjekt und Prädikat setzt, ist es selbst, welches das Metrum, den Unterschied setzt. Der Unterschied der Satzform wird durch die Identität des Ich zunächst gesetzt und anschlieûend wieder aufgehoben. Da Hegel hier über den Akzent sagt, daû er es selbst ist, der seine »Erfüllung unterscheidet«, d. h. sich einen bestimmten Sinn gibt, kann mit dem Akzent nicht die Satzform gemeint sein, denn der Akt der Unterscheidung der eigenen Erfüllung ist eine aktive Tätigkeit der Subjektivität. Die starre Satzform mit Satzsubjekt und Prädikat gibt sich nicht selbst ihre Erfüllung, dazu ist nur die wesensprädizierende Subjektivität fähig. Die Subjektivität setzt ihre eigene unterschiedene Bestimmtheit, sie »geht in die Unterschiede und [in den; d. V.] Inhalt ein, und macht vielmehr die Bestimmtheit, das heiût, den unterschiedenen Inhalt wie die Bewegung desselben aus«.85 Daû es die die Einheit des Begriffs, die Wesensidentität setzende Subjektivität ist, die den Unterschied, der in der Satzform erscheint, hervorbringt, widerspricht nicht unserer vorherigen Deutung des Verhältnisses von Identität und Nichtidentität, in der wir sagten, daû die Identität aus dem Unterschied hervorgeht, wie Hegel sagt »wird«. Es handelt sich bei jenem Hervorgehen der Identität aus der Nichtidentität um die erste Bewegungsrichtung im spekulativen Satz. Die zweite, zur ersten gegenwendige Bewegung des Identischsetzens von Prädikat und Subjekt, zeigt dagegen in der Form des »Gegenstoûes«, daû dasjenige, was der Nichtidentität zugrundeliegt, die Identität der Subjektivität ist. Wie wir zuvor schon untersucht haben, ist nach Hegel die Subjektivität die »Entzweiung des Einfachen«, das Setzen des Unterschiedes und die Wiederaufhebung des Unterschiedes. Für das räsonnierende Denken ist der Unterschied, die Satzform zuerst gesetzt und erst danach zeigt sich ihm die Identität des Begriffs, die zugleich das räsonnierende Denken aufhebt. An sich ist aber die Identität des Begriffs der Grund für den Unterschied der Satzform. Daher ist die Begriffsidentität an sich das erste, aber für das räsonnierende Denken das zweite.
das Subjekt nicht nur ein begriffloses Seiendes ist, sondern selbst ins Allgemeine fällt¬.« Wie Glockner und Wohlfahrt deutet also auch Heede Akzent und Metrum umgekehrt wie wir. Zu Heedes Interpretation des spekulativen Satzes als ganzem, d. h. zum Rhythmus, ist zu sagen, daû er dessen Sinn verfehlt, wenn er ihn mit der ganzheitlichen Erfassung des Subjekts durch das Prädikat identifiziert. Dabei handelt es sich vielmehr um die identitätsetzende Wesensprädikation durch die Subjektivität, die sich als Identität der Nichtidentität entgegensetzt. Der spekulative Satz als ganzer ist aber erst in der Identität der Identität und der Nichtidentität erreicht, d. h., wenn der »Akzent verklingt«. Auch die wesensprädizierende Subjektivität muû sich in eine noch höhere Identität aufheben, die dann allererst der spekulative Satz als ganzer ist, in sich Identität und Nichtidentität enthaltend. 85 GW, Bd. 9, 43.
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Damit wird die zentrale Rolle der Subjektivität im spekulativen Satz deutlich. Nicht nur, daû das »wissende Ich« die Wesensidentität von Subjekt und Prädikat setzt, es setzt auch den Unterschied, die Nichtidentität, und die Subjektivität hebt sich in die höhere Einheit von Identität und Nichtidentität auf, ist also auch für diese konstitutiv. Die dialektische Methode ist die spekulative Selbstbewegung von Bestimmungen aufgrund der sich selbst denkenden Subjektivität. Dies bringt jedoch ein prinzipielles Darstellungsproblem mit sich. Sätze und Urteile sind nicht in der Lage, die dialektische, in sich gegenwendige Bewegung vom Satzsubjekt zum Prädikat und vom Prädikat als Wesensprädikat, als Begriff zurück zum Satzsubjekt, das sich in dieser Bewegung als Subjektivität zeigt, auszudrücken. In Sätzen kann jeweils nur eine Bewegungsrichtung dargestellt werden. Daher kann es eigentlich keinen spekulativen Satz als Satz geben. Der spekulative Satz als solcher treibt über sich selbst hinaus, zu einem anderen Satz, der die entgegengesetzte Bewegung zum ersten Satz darstellt, welcher auch wieder über sich hinaustreibt, zu einem weiteren Satz, in dem sich die Einheit der beiden vorherigen Sätze ausdrückt. Identität, Unterschied und die resultierende Identität der Identität und der Nichtidentität werden in mindestens drei Sätze zerrissen. ± Hegel wird später in seiner weiter ausgereiften Theorie die Dialektik wohl aufgrund dieses Problems als einen Schluû konzipieren. Es darf nach Hegel nicht dabei stehengeblieben werden, in einem Satz nur eine der Bewegungsrichtungen auszusagen und darauf zu vertrauen, daû, wer diesen Satz vernimmt, sich, in einem bloû innerlichen Prozeû, den Rest selbst hinzudenkt oder diesen intuitiv erschauend miterfaût: »Sondern diese entgegengesetzte Bewegung muû ausgesprochen werden; sie muû nicht nur jene innerliche Hemmung, sondern diû Zurückgehen des Begriffs in sich muû dargestellt seyn.«86 Auf diese Weise treibt der spekulative Satz aufgrund seines eigenen, immanenten Inhalts über sich selbst hinaus und erfordert weitere Sätze zur Vervollständigung des adäquaten Ausdrucks seines Gehaltes. Aber auch damit läût sich die dialektische Bewegung nicht wirklich aussagen, denn auch die weiteren Sätze sind immer noch Sätze und damit jeweils ein starres Gefüge. In Sätzen kommt die kontinuierliche dialektische Bewegung nicht zum Ausdruck, sondern voneinander abgetrennte Wörter, diskrete Satzteile. »Es kann hierüber erinnert werden, daû die dialektische Bewegung gleichfalls Sätze zu ihren Theilen oder Elementen habe; die aufgezeigte Schwierigkeit scheint daher immer zurückzukehren, und eine Schwierigkeit der Sache selbst zu seyn.«87 Hegel analogisiert dieses Problem mit dem unendlichen Regreû von Grund und Begründetem. So wie sich in der äuûeren, end86 87
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lichen Reflexion jeder Grund wiederum in einem noch höheren Grund begründen läût, so läût sich auch der dialektische Überschuû an Bedeutung, der in einem Satz nicht ausgedrückt werden kann, in einem höheren Satz aussagen. Eine Lösung für das aussagemäûige Darstellungsproblem dialektischspekulativer Gehalte scheint Hegel zu dieser Zeit allerdings nicht zu haben, denn abschlieûend sagt er: Der »Satz ist unmittelbar eine nur leere Form«.88 Darin besteht aber genau das Problem, in einer »leeren Form«, d. h. in einer in sich nicht dialektisch bewegten Form, nämlich in der satzmäûigen Aussage, dialektische Bewegung adäquat zum Ausdruck zu bringen. Hegel scheint daher die grammatische Satzform von der spekulativen Darstellung ausschlieûen zu wollen, wenn er sagt: »Die eine Weise stört die andere, und erst diejenige philosophische Exposition würde es erreichen, plastisch zu seyn, welche strenge die Art des gewöhnlichen Verhältnisses der Theile eines Satzes ausschlösse.«89 Damit fordert Hegel eine spekulativ-dialektische Darstellung, die sich nicht einer starren Subjekt-Prädikat-Relation in einem Urteil bedient. Die spekulative Logik hat Begriffsverhältnisse und Begriffsbewegungen in ihrer Reinheit darzustellen, ohne daû der räsonnierende Verstand diese dialektischen Bewegungen auf eine starre und einsinnige Subjekt-PrädikatRelation reduzieren könnte. Wie eine solche »plastische Exposition« sprachlich darzustellen ist, sagt Hegel an dieser Stelle allerdings nicht. Darin liegt ein sprachkritisches Argument. Die gewöhnliche Sprache mit ihren diskreten Wörtern und Satzteilen ist eigentlich nicht fähig, die kontinuierliche Bewegung des Denkens auszudrücken. Sie ist dem Denken nicht angemessen. Zugleich ist auch zu berücksichtigen, daû diese »Schwierigkeit [...] immer zurückzukehren« scheint. Die Sprache ist nämlich ein notwendiges Darstellungsmedium für das Denken. Ohne sie bliebe die intellektuelle Denkbewegung völlig unartikuliert, »und nur das Aussprechen derselben [der dialektisch-spekulativen Bewegung; d. V.] ist speculative Darstellung«.90 ± Hegel scheint später eine Lösung für dieses Problem anzudeuten, wenn er in der Wissenschaft der Logik sagt: »Die Logik stellt daher die Selbstbewegung der absoluten Idee [der dialektischen Methode; d. V.] nur als das ursprüngliche Wort dar, das eine Aeusserung ist, aber eine solche, die als ein Aeusseres unmittelbar wieder verschwunden ist, indem sie ist; die Idee ist also nur in dieser Selbstbestimmung, sich zu vernehmen, sie ist in dem reinen Gedanken«.91 Hier deutet sich an, daû die dialektische Selbstbewegung GW, Bd. 9, 45. GW, Bd. 9, 45. 90 GW, Bd. 9, 45. 91 GW, Bd. 12, 237. Hegel spielt mit dem »ursprünglichen Wort« auf den Anfang des Johannesevangeliums an. Hegel hat bereits in seiner theologischen Jugendschrift Der Geist des Christentums und sein Schicksal die Anfangsworte des Johannesevangeliums als »eigentlichere Sprache« gedeutet, weil die Prädikate »Seiendes, Lebendiges« sind, das 88 89
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zwar in sprachlichen Ausdrücken geschieht, aber, da es sich um »ursprüngliche Worte« handelt, ist die ¾uûerlichkeit, d. h. die Darstellung in voneinander diskreten Wörtern, überwunden. Diese ursprünglichen Wörter können jedoch nicht beliebige sein, sondern sie müssen in sich selbst nicht nur sprachliche, sondern auch gedankliche Bestimmtheit haben, es müssen daher Begriffe sein. Offensichtlich wendet sich Hegel damit gegen den Intuitionismus. Soll die Philosophie systematisch und wissenschaftlich sein, dann darf sie ihre methodische Ableitung von Bestimmungen nicht einem bloû innerlichen Anschauen anvertrauen, sondern muû ihre Bestimmungen in allgemein begreifbarer Weise darstellen. Das Problem des Intuitionismus ist es, seine »Beweise« nicht allgemeingültig führen zu können; sie gelten jeweils nur für denjenigen, der fähig ist, das geforderte innere Anschauen auch tatsächlich zu vollziehen. So ist zum Beispiel bei Schelling im System des transzendentalen Idealismus die intellektuelle Anschauung durch den reflektierenden Philosophen innerlich anzuschauen, aber nicht begrifflich darzustellen, auch das künstlerische Genie ist nur in der Lage, die intellektuell anzuschauende Subjekt-Objekt-Identität ästhetisch-objekiv darzustellen; bei Fichte ist nur derjenige fähig, das Ich vollständig zu begreifen, der intellektuell anzuschauen vermag.92 »Wir sehen uns daher oft von philosophischen Expositionur scheinbar die Reflexionsstruktur von Urteilen aufweist: »Im Anfang war das Wort, / und das Wort war bei Gott, / und das Wort war Gott. [...] In ihm war das Leben, / [...]« (Joh. 1,1). Dasjenige, wogegen sich Hegel in der »Vorrede« zur Phänomenologie des Geistes wendet, ein nur innerliches Auffassen der spekulativen Bewegung, fordert er in der Jugendschrift über den Geist des Christentums. Dort muû der »tiefe Geist« »passiv«, kontemplativ in sich aufnehmen, was unaussprechlich ist, weil Gott oder das Göttliche das Unaussprechliche ist (vgl. Nohl, 306). 92 Zu Schelling vgl. System des transzendentalen Idealismus (1800). SW, Abt. I, Bd. 3, 612 ff. Zum Intuitionismus Fichtes vgl. Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre. Fortsetzung. GA, Abt. I, Bd. 4, 272, wo Fichte auch das Problem einer sprachlichen Darstellung der Akte des Ich sieht, aber nicht in seiner Dringlichkeit erkennt, wie Hegel dies getan hat. Fichte formuliert: »Die SprachZeichen nämlich sind durch die Hände der Gedankenlosigkeit gegangen, und haben etwas von der Unbestimmtheit derselben angenommen; man kann durch sie sich nicht sattsam verständigen. Nur dadurch, daû man den Act angiebt, durch welchen ein Begriff zu Stande kommt, wird derselbe vollkommen bestimmt. Thue, was ich dir sage, so wirst du denken, was ich denke.« Zur intellektuellen Anschauung vgl. a. a. O., 276 ff., vgl. hierzu auch Das System der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre. GA, Abt. I, Bd. 5, 60. Zum Problem der Sprache bei Fichte äuûert sich W. Janke (Die Wörter »Sein« und »Ding« ± Überlegungen zu Fichtes Philosophie der Sprache. In: Der transzendentale Gedanke. Hrsg. K. Hammacher. Hamburg 1981, 49±68). B. Zimmermann (Freiheit und Reflexion. Untersuchungen zum Problem des Anfangs des Philosophierens bei Joh. G. Fichte. Diss. Köln 1969, 214±237) verteidigt Fichtes Anfang der Philosophie mit der intellektuellen Anschauung gegen die Kritik Hegels und versucht zu zeigen, daû Fichte insbesondere mit der gegenüber der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794/95) geänderten Konzeption in der Wissenschaftslehre nova methodo den Einwänden Hegels
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nen an dieses innre Anschauen verwiesen, und dadurch die Darstellung der dialektischen Bewegung des Satzes erspart, die wir verlangten.«93 Der Intuitionismus hat die unbefriedigende Seite, gerade dasjenige, auf das es in philosophischen Beweisen und Argumenten ankommt, nicht allgemein verständlich ausdrücken zu können. Für die Dialektik ergibt sich also ein doppeltes Darstellungsproblem: Einerseits enthalten dialektisch-spekulative Bestimmungen eine Vielheit von Momenten. Dieses Problem löst Hegel später, indem mehrere Sätze aufgestellt werden, also statt bloû eines Satzes eine Abfolge von Sätzen, die Syllogismen bilden. Andererseits ist es ein Problem, die kontinuierliche Denkbewegung in statischen gewöhnlichen Aussagesätzen darzustellen. Dieses Problem will Hegel später lösen, indem »ursprüngliche Worte«, die sich unmittelbar in die reine Denkbewegung aufheben, die spekulativen Sachverhalte darstellen sollen. Hegel identifiziert seine Dialektik mit dem Beweis: »Diese Bewegung, welche das ausmacht, was sonst der Beweis leisten sollte, ist die dialektische Bewegung des Satzes selbst. [...] Bey dem sonstigen Erkennen macht der Beweis diese Seite der ausgesprochnen Innerlichkeit aus. Nachdem aber die Dialektik vom Beweise getrennt worden, ist in der That der Begriff des philosophischen Beweisens verloren gegangen.«94 Dies ist eine der wenigen Stellen, an denen Hegel, der sonst mit dem gröûten Respekt von Aristoteles spricht, es wagt, diesen zumindest indirekt und versteckt zu kritisieren. Hegel bezieht sich hier kritisch auf Aristoteles' Lehre vom syllogistischen Beweis.95 Aristoteles war der erste, der den philosophischen Beweis von der entgeht. Zimmermann bezieht sich auf Einwände Hegels in der Differenzschrift, Glauben und Wissen und insbesondere in der Wissenschaft der Logik. Nach Zimmermann entgeht Fichte den antiintuitionistischen Einwänden Hegels, weil er die intellektuelle Anschauung im Rahmen einer transzendentalen Argumentation als ein notwendiges Strukturmoment der Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung ausweise und damit rechtfertige; ohne die intellektuelle Anschauung könne die Möglichkeit der Erfahrung nicht begründet werden. Zur intellektuellen Anschauung bei Fichte vgl. auch J. Stolzenberg (Fichtes Begriff der intellektuellen Anschauung. Die Entwicklung in den Wissenschaftslehren von 1793/94 bis 1801/02. Stuttgart 1986) und besonders intensiv argumentierend C. Hanewald (Apperzeption und Einbildungskraft. Die Auseinandersetzung mit der theoretischen Philosophie Kants in Fichtes früher »Wissenschaftslehre«. Erscheint demnächst). 93 GW, Bd. 9, 45. 94 GW, Bd. 9, 45. 95 Bereits O. Pöggeler (Dialektik und Topik. In: Hermeneutik und Dialektik. Hrsg. R. Bubner, K. Cramer und R. Wiehl, Tübingen 1970, Bd. 2, 273±310, zu Hegel 306±308) geht auf diese Stelle aus der »Vorrede« zur Phänomenologie des Geistes ein. Zu dieser Stelle auch H. Röttges (Der Begriff der Methode in der Philosophie Hegels. Meisenheim a.G. 1981, 71 f.). Auch er kommt zu der Ansicht, daû sich Hegel hier gegen Aristoteles wende; Röttges stellt die interessante Vermutung an, die sich allerdings an Hegels Text nicht eindeutig belegen läût, daû Hegel vor dem Problem stand, »daû eine Neuformulierung der Dialektik als unvereinbar mit der [traditionellen; d. V.] Syllogistik erscheint«,
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Methode der Dialektik abtrennte. Nach der Lehre des Aristoteles ist die Form des Beweises der Schluû. Der Beweis mit der Form des Schlusses in der Logik des Aristoteles ist nach Hegel der Versuch, hierarchisch geordnet nacheinander die Einheit verschiedener Bestimmungen darzustellen, die sich nach seiner Konzeption als dialektische Bewegung ausdrückt. Nach Hegel ist es von zentraler Bedeutung, den Beweis selbst als dialektische Bewegung zu begreifen. Hegels Kritik an Aristoteles besteht darin, daû dieser den syllogistischen Beweis, der Evidenz beanspruchen darf, von der Dialektik unterschieden hat, denn die Dialektik ist nach Aristoteles eine Logik der Wahrscheinlichkeitsschlüsse. Aristoteles hat im ersten Buch der Topik in polemischer Absicht gegen Platon die Dialektik als eine Schluûmethode bestimmt, deren Prämissen nur wahrscheinlich sind, d. h. die nur vielen, den meisten oder den Weisen wahr zu sein scheinen. Diese bloû wahrscheinlichen Prämissen unterscheiden sich von denjenigen im strengen, syllogistischen Beweis dadurch, daû letztere unmittelbar durch sich selbst einleuchten oder daû diese Prämissen zumindest auf solche unmittelbar einleuchtenden Wahrheiten zurückzuführen und nicht, wie die bloû wahrscheinlichen Prämissen der Dialektik, auf die Autorität anderer angewiesen sind. Konsequent weitergedacht, hätte die Dialektik auf diese Weise kein wirkliches, wissenschaftlich gesichertes Fundament.96 Hegel seinerseits wendet sich gegen den Intuitionismus in Beweisen, nichts darf unausdrücklich bleiben. Bei Aristoteles daû Hegel also aus seiner neuartigen Bestimmung der Dialektik heraus auch konsequenterweise eine neuartige Syllogistik zu konzipieren hatte, die als Beweisform der Dialektik angemessen ist. Da Hegel sich zu einer solchen Syllogistik hier nicht äuûert, folgert Röttges: »Hegel ist an diesem Punkt seiner philosophischen Entwicklung offensichtlich noch nicht so sicher, der Dialektik auch eine ganz neue Fassung der Syllogistik zuzutrauen, die das Problem, das der spekulative Satz nicht befriedigend lösen zu können scheint, im Kern erfaût und löst« (a. a. O., 72). Ansätze zu einer solchen neuartigen Syllogistik, die der Dialektik gerecht wird, zeigen sich aber bereits in Hegels Vorlesungsmanuskript Naturphilosophie und Philosophie des Geistes von 1805/06, wenn Hegel die Vernunft als unendlichen Schluû bestimmt: »Sie [die Vernunft; d. V.] ist der Schluû in seiner Unendlichkeit, der sich in Extreme entzweyt, welche unmittelbar, indem sie sind, eben zu ihrem Ansich das andere haben.« (GW, Bd. 8, 200) In dieser Bestimmung des Schlusses kommt bereits die syllogistische Form als Form der dialektischen Selbstbewegung von Bestimmungen zum Ausdruck. Zumal Hegel ± wie von uns untersucht ± bereits im Fragment Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05 die Unendlichkeit als »absolut dialektisches Wesen« (GW, Bd. 7, 29) bezeichnet. Die Überarbeitung der Schluûlehre läût sich auch in Hegels propädeutischen Schullogiken verfolgen (vgl. Hegel, Nürnberger und Heidelberger Schriften 1808±1817. Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, Hrsg. E. Moldenhauer und K.M. Michel, Frankfurt a.M. 1975, 24 ff., 149 ff.) und an dem Fragment Zur Lehre von den Schlüssen (GW, Bd. 12, 299±309), das 1809 (vgl. a. a. O., 333), also kurz nach der Phänomenologie des Geistes, von Hegel niedergeschrieben wurde. 96 Vgl. Aristoteles, Organon V, Topik 1. Buch. Kapitel 1, 100 a f., und a. a. O., Kapitel 10, 104 a; vgl. auch Organon IV, Lehre vom Beweis, Zweite Analytik 1. Buch. Kapitel 19, 81 b.
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stellt sich aber gerade das intuitionistische Problem insofern, als es erste Wahrheiten geben soll, welche die Grundlage für die syllogistische Beweisform sind. Diese sollen unmittelbar durch sich selbst einleuchten. Da die Konklusionen jeweils durch die beiden ersten Prämissen vermittelt sind, tritt hier das intuitive Moment nicht auf, die Konklusionen werden nicht unmittelbar erkannt, die beiden Prämissen aber sehr wohl.97 Hegel kritisiert also an dieser Stelle Aristoteles' gegen die Dialektik gerichtete Polemik, die ihren Einfluû auch noch in Kants Unterscheidung zwischen Analytik und Dialektik in der Kritik der reinen Vernunft bekundet. Hegel will vielmehr gegen diese Tradition den vor Aristoteles herrschenden »Begriff des philosophischen Beweisens« restituieren. Damit ist wohl insbesondere die Dialektik Platons gemeint. In diesem Zusammenhang ist Hegels Lob zu sehen, daû »der Parmenides des Plato, wohl das gröûte Kunstwerk der alten Dialektik« sei.98 Danach hatte Platon es noch verstanden, Dialektik und Beweis als Einheit zu sehen. Hegel entwickelt ± wie noch zu sehen ist ± die dialektische Methode in der »absoluten Idee« aus der Wissenschaft der Logik als einen spekulativen Syllogismus. Damit will Hegel offensichtlich das in der »Vorrede« zur Phänomenologie des Geistes mehr geforderte als explizierte »philosophische Beweisen«, das vor Aristoteles die Philosophie bestimmte, auf neuer dialektischer und subjektivitätstheoretischer Basis wiederherstellen. In Hegels späterer Konzeption sind Dialektik und syllogistischer Beweis wieder zu einer Einheit verbunden, wobei die Syllogistik Hegels nicht die traditionelle an Aristoteles orientierte ist, sondern eine spekulative. Damit verabschiedet sich Hegel zugleich von seiner Konzeption der dialektischen Methode als »spekulativem Satz«. Er baut die Dialektik in seiner späteren Lehre zur syllogistischen Beweisform aus. 99
Zur intuitionistischen Erkenntnis der Prämissen in Syllogismen bei Aristoteles vgl. Organon IV, Lehre vom Beweis, Zweite Analytik 1. Buch. Kapitel 23; vgl. auch a. a. O., Kapitel 22, 84 a, wo deutlich wird, daû Aristoteles mit Hilfe des Intuitionismus den unendlichen Regreû der Begründung der Prämissen vermeiden will, und a. a. O., II Buch, Kapitel 19, 100 b. 98 GW, Bd. 9, 48. Vgl. hierzu insbesondere J. Halfwassen (Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Bonn 1999, 92 ff.); vgl. auch C. Jamme: Platon, Hegel und der Mythos. In: Hegel-Studien 15, 1980, 151±169. Hegel lobt an dieser Stelle auch »die Aristotelische Philosophie um ihrer speculativen Tiefe willen«. Dieses Lob erhält Aristoteles aber sicherlich nicht wegen seiner Polemik gegen die Dialektik, sondern eher wegen seiner Nous-Lehre. 99 Dies expliziert in ähnlicher Weise auch schon K. Düsing (Syllogistik und Dialektik in Hegels spekulativer Logik. In: Hegels Wissenschaft der Logik: Formation und Rekonstruktion. Hrsg. D. Henrich, Stuttgart 1986, 21). 97
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IV. Zusammenfassung und Ausblick In Hegels Konzeption der Dialektik im spekulativen Satz aus der »Vorrede« zur Phänomenologie des Geistes, die insbesondere für die Logik Geltung hat, sind alle wesentlichen Merkmale, die auch seine reife Dialektik auszeichnen, enthalten. Die Dialektik ist eine spekulative Methode, die die Selbstbewegung von spekulativen Bestimmungen ausmacht. Diese Selbstbewegung ist diejenige der sich selbst denkenden absoluten Subjektivität. Allerdings ist Hegels damalige spekulative Dialektikkonzeption, verglichen mit der späteren, noch nicht so differenziert. Hegel will in der späten Jenaer Zeit die Dialektik mit Hilfe des spekulativen Satzes darstellen. Diese Konzeption des spekulativen Satzes gibt er später zugunsten einer syllogistischen Darstellung auf. Zugleich bezeichnet Hegel den dialektischen Unterschied, welcher der Identität entgegengesetzt ist, nie direkt. Er sagt lediglich über ihn, daû er in der Form des Satzes durch die verschiedenen grammatischen Funktionen, die Satzsubjekt und Prädikat innehaben, zum Ausdruck kommt. In der späteren Lehre löst Hegel die Bestimmung des Unterschiedes von der Satzform völlig ab und betrachtet den Unterschied als reinen Denkinhalt. In der Theorie des spekulativen Satzes bedient sich Hegel auch nicht der später zentralen Bestimmungen von analytischem und synthetischem Fortgang in der dialektischen Methode. Das wichtigste Resultat, das sich aus der Bestimmung der dialektischen Methode in der späten Jenaer Zeit Hegels für die spekulative Logik ergibt, ist es, daû Methode und Inhalt eine innere Einheit bilden. Diese innere Einheit von Methode und Inhalt ergibt sich daraus, daû das Sein und das Denken identisch sind. Das dialektisch-spekulative Denken ist selbst das Sein, d. h. der Inhalt des Denkens. Die Methode ist damit an ihren jeweiligen Inhalt gebunden, sie steht diesem nicht statisch gegenüber, sondern soll diesem angemessen sein. Diese Angemessenheit der dialektischen Methode an den Inhalt bildet die systematische Grundlage für Hegels sich in der folgenden Zeit ausprägende Theorie der drei Weisen von Dialektik, die für die spekulative Logik, insbesondere in der Wissenschaft der Logik, konstitutiv werden. Die drei Weisen von Dialektik ± die Dialektik des Übergehens in der »Lehre vom Sein«, die Dialektik des Scheinens im Entgegengesetzten in der »Lehre vom Wesen« und die Dialektik der Entwicklung in der »Lehre vom Begriff« ± ergeben sich daraus, daû es jeweils der logisch-kategoriale Inhalt selbst ist, der seine Dialektik vollzieht und sie ergeben sich daraus, wie einfach oder komplex der logisch-kategoriale Inhalt in sich bestimmt ist. Wenn der Inhalt unmittelbar ist, nur ein in sich einfacher, an sich seiender Begriff, dann geht er dialektisch in anderes über; ist dieser Inhalt reflexiv bestimmt, scheint er dialektisch im anderen seiner selbst; und wenn dieser Inhalt die logische Einheit des Begriffs erreicht hat, entwickelt er sich dialek-
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tisch zum anderen seiner selbst. Systematische Grundlage für diese sich je nach Vermitteltheit des logisch-kategorialen Inhalts ändernde Einheit von Inhalt und Methode ist eben, daû Inhalt und Methode überhaupt eine Einheit bilden. Diese Einheit hat Hegel, wie wir gesehen haben, in der späten Jenaer Zeit entfaltet. Sie bildet damit eine wichtige Grundlage für Hegels Theorie der drei Weisen von Dialektik. Hegel hat insbesondere in der »Vorrede« zur Phänomenologie des Geistes diese innere Einheit von Inhalt und Methode entwickelt, um sich gegen den äuûerlichen methodischen Formalismus und Schematismus abzugrenzen, der zu dieser Zeit die Wissenschaften beherrschte. Dieses Anliegen setzt sich in den späteren, ausgereifteren Reflexionen Hegels zum Verhältnis von dialektischer Methode und deren Inhalt weiter fort, differenziert und vertieft sich.
viertes kapitel Die dialektische Methode in Hegels Nürnberger propädeutischen Schullogiken 1808 bis 1812 Fortführung und Vertiefung der verschiedenen Formen von Dialektik in der Logik
Hegel schreibt am 20. Mai 1808 aus Bamberg, wohin er aus Jena vor den Kriegswirren geflüchtet war, an seinen Freund Niethammer: »Hätte ich ein paar Jahre über meine Logik, wie sie jetzt zu werden anfängt, zu der ich in Jena kaum den Grund gelegt und nicht ausführlich gelesen habe, gelesen, so wüûte ich mir vielleicht zu helfen.«1 Hegel sollte damals eine propädeutische Logik als Lehrbuch für den Philosophieunterricht auf Gymnasien entwerfen. Niethammer hatte ihn dazu in seiner Eigenschaft als Oberschulrat von Bayern angeregt. Hegel bringt zum Ausdruck, daû er in Bamberg mit der Thematik der Logik befaût ist. Doch schreibt er, seine Logik beginne erst zu werden. Daher stellt es sich für Hegel als Problem dar, eine propädeutische Logik auszuarbeiten. In Jena habe er »kaum den Grund« zu der Logik gelegt. Mit diesem Grund meint Hegel wohl den Gedanken einer spekulativen Logik, die darauf beruht, daû Denken und Sein dasselbe sind und daû eine solche Logik durch die absolute Subjektivität begründet ist, die ihre Bestimmungen dialektisch entfaltet. Der Grund für eine solche Logik ist gelegt. Hegel geht nun daran, sie in ihren Einzelheiten auszuarbeiten. Wenn Hegel sagt, er habe an der Universität zu Jena über die Logik »nicht ausführlich« Vorlesungen gehalten, dann handelt es sich dabei scheinbar um eine Untertreibung. Die Logik stand fast in jedem Semester auf Hegels Lehrplan. In ihrer spekulativ-metaphysischen Gestalt stand sie allerdings frühestens seit 1805 auf dem Vorlesungsplan. Seit dem Wintersemester 1806/07 hat Hegel in Jena keine Vorlesungen mehr halten können. In Jena hat Hegel also tatsächlich nicht ausführlich über die Logik in ihrer spekulativen Gestalt gelesen, »wie sie jetzt zu werden anfängt«. Nur in der Zeit zwischen 1805 und 1806 hat Hegel in Jena über spekulative Logik Vorlesungen abgehalten. Bald nach dem Brief an Niethammer siedelt Hegel von Bamberg und seiner ungeliebten Stelle als Zeitungsredakteur nach Nürnberg über, wo er, durch die Vermittlung von Niethammer, Rektor des Aegidiengymnasiums und Lehrer der philosophischen Vorbereitungswissenschaften wird. Briefe von und an Hegel. Hrsg. J. Hoffmeister, Hamburg 1961, Bd. 1, 1785±1812, 230; auf diese Briefstelle geht auch O. Pöggeler ein (Fragment einer Hegelschen Logik. Mit einem Nachwort zur Entwicklungsgeschichte von Hegels Logik herausgegeben von O. Pöggeler. In: Hegel-Studien 2, 1963, 50 ff.) und L. Lugarini (Die Bedeutung des Problems des Ganzen in der Hegelschen Logik. In: Hegel-Studien Beiheft 18, 1978, 19 ff.). 1
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Die aus der Zeit von 1808 bis 1812/13 erhaltenen Schullogiken Hegels sind problemreich.2 Schon R. Haym bezeichnet die propädeutisch-pädagogischen Schullogiken Hegels als »ein gemischtes Produkt der philosophischen Überzeugung und der pädagogischen Accommodation«.3 Es ist von Zuerst wurden die Schullogiken Hegels durch Rosenkranz ediert, unter dem Titel Philosophische Propädeutik als Bd. XVIII der Werkausgabe des »Vereins von Freunden des Verewigten«, Berlin 1840 (= Jubiläumsausgabe, Bd. 3, Philosophische Propädeutik, Gymnasialreden und Gutachten über den Philosophie-Unterricht. Stuttgart 1961). Rosenkranz hatte sich jedoch mit dieser Edition zum Ziel gesetzt, ein kanonisches Lehrbuch für den Philosophieunterricht auf Gymnasien zu schaffen. Daher systematisierte er die überlieferten Texte in einer Weise, die ihrer eigentlichen Gestalt nicht angemessen ist. In dieser Systematisierung geht verloren, daû es in den Schullogiken Hegels verschiedene Entwicklungsstadien und verschiedene Logikkonzeptionen gibt. Die Edition von Rosenkranz verdeckt die Vorläufigkeit der Schullogiken Hegels. Neu ediert wurden die Schullogiken dann in Hegel: Nürnberger Schriften. Texte, Reden, Berichte und Gutachten zum Nürnberger Gymnasialunterricht. 1808±1816. Hrsg. J. Hoffmeister, Leipzig 1938. Die bislang letzte Edition liegt vor in Hegel: Nürnberger und Heidelberger Schriften 1808±1817. Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, Hrsg. E. Moldenhauer und K.M. Michel, Frankfurt a.M. 1975 (zu der Edition von Rosenkranz vgl. Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, Editorischer Bericht, 604). 1975 sind originale Manuskripte aus Hegels Nürnberger Lehrertätigkeit, die als verschollen galten, wiederaufgefunden worden (über diesen Fund berichtet E. Zische: Unbekannte Manuskripte aus der Jenaer und Nürnberger Zeit im Berliner Hegel-Nachlaû. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 29, 1975, 430±444). Im Rahmen der historisch-kritischen Ausgabe der Gesammelten Werke Hegels wurden diese Texte noch nicht ediert. Daher muû hier auf die Theorie-Werkausgabe, Bd. 4 zurückgegriffen werden, die auch mit ihrer chronologischen Anordnung der Texte eine entwicklungsgeschichtliche Perspektive am ehesten ermöglicht. Bereichert wird dieser Textbestand durch einzelne Editionen verschiedener Schullogiken und Fragmente in den Hegel-Studien. Vgl.: Hegels propädeutische Logik für die Unterklasse des Gymnasiums. Herausgegeben von F. Nicolin. In: Hegel-Studien 3, 1965, 9±38. Dieser Text diente auch als Grundlage für die Logik für die Unterklasse (1809/10), Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 124±138. Vgl. zu dieser Logik auch ergänzend und spezifisch zur Urteilslogik, die Hegel in der Unterklasse vortrug: Ein Entwurf Hegels zur Urteilslogik. Herausgegeben und erläutert von K. Düsing. In: Hegel-Studien 13, 1978, 9±15. In inhaltlicher und zeitlicher Nähe zur Begriffslehre für die Oberklasse (1809/10) (Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 139±161) steht das Differenzierungen bietende Fragment aus einer Hegelschen Logik. Mit einem Nachwort zur Entwicklungsgeschichte von Hegels Logik herausgegeben von O. Pöggeler. In: Hegel-Studien 2, 1963, 11±70 (mittlerweile auch in GW, Bd. 12, 259±298 ediert). Vgl. auch: Hegels »Philosophische Enzyklopädie« in Nürnberg. Mit einer Nachschrift von 1812/13 herausgegeben und erläutert von U. Rameil. In: Hegel-Studien 30, 1995, 9±38. Diese Nachschrift ist allerdings bezüglich der Logik gegenüber anderen überlieferten Schullogiken Hegels undifferenzierter. Vgl. zum Thema auch W. Lefvre (Die Realisierung des Begriffs. ± Der Objektivitäts-Abschnitt der Begriffslogik in der Nürnberger Propädeutik. In: Die Logik des Wissens und das Problem der Erziehung. Nürnberger Hegel-Tage 1981. Hrsg. W.R. Beyer, Hamburg 1982, 80±90) und U. Rameil (Der teleologische Übergang zur Ideenlehre und die Entstehung des Kapitels »Objektivität« in Hegels propädeutischer Logik. In: Hegel-Studien 28, 1993, 165±191). 3 R. Haym (Hegel und seine Zeit. Berlin 1857 (Nachdruck: Hildesheim 1962), 281). Haym kommt zu der negativen Bewertung, daû aus den Schullogiken Hegels insbesondere die dialektische Methode nicht zu eruieren sei, da die Entwicklung der dialekti2
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daher Aufgabe einer Untersuchung der Schullogiken, zwischen pädagogisch-propädeutischen und systematisch-philosophischen Hinsichten zu differenzieren und nur die letzteren in die systematisch-entwicklungsgeschichtliche Analyse einzubeziehen. Diese Unterscheidung ist aber häufig schwer zu treffen. Dabei ist es auch wichtig, zu berücksichtigen, daû sich Hegel in seiner Unterrichtsgestaltung an vorgegebene Lehrpläne zu halten hatte. Hier ist insbesondere an das damals geltende Unterrichtsnormativ zu denken, an dem Niethammer mitgearbeitet hat. Dieses Normativ sah 1. für die Unterklasse die traditionelle formale Logik vor, 2. für die untere Mittelklasse rationale Kosmologie und rationale Theologie, unter Berücksichtigung der Kritik Kants, insbesondere am kosmologischen und physikotheologischen Gottesbeweis in der Kritik der reinen Vernunft, 3. für die obere Mittelklasse Psychologie und Grundbegriffe der Ethik und des Rechts und 4. für die Oberklasse die systematische Zusammenfassung der vorherigen Unterrichtsstoffe in einer philosophischen Enzyklopädie.4 Dieses Unterrichtsnormativ hat Hegel weitgehend berücksichtigt. Er integriert jedoch seine eigenen Theoreme in den Unterricht. Es ergibt sich das Problem, daû die Schullogiken, je nach Altersstufe der Schüler, eine andere Gestalt haben können. So ist z. B. die an der traditionellen formalen Logik orientierte Begriffslehre der Unterklasse anders angelegt als diejenige für die Oberklasse, in welcher viel von Hegels eigener spekulativer Begriffskonzeption durchscheint.5 Diese auf der »pädagogischen Akkomodation« beruhenden Unterschiede müssen daher nicht notwendig unterschiedliche Entwicklungsstufen darstellen, sondern können zum Teil als verschiedene pädagogische Konzepte gewertet werden, durch welche Hegel die Schüler auf die Philosophie vorbereiten wollte.6 schen Zusammenhänge zwischen den logischen Kategorien für eine Propädeutik zu komplex sei (vgl. a. a. O., 287). Ganz so negativ ist dies sicherlich nicht zu sehen; wenn auch dialektische Zusammenhänge für die Schüler zu komplex gewesen sein mögen, so sind sie doch zumindest von Hegel im Grundriû skizziert worden und andeutungsweise zu entnehmen. 4 Das Unterrichtsnormativ ist auszugsweise abgedruckt bei: Rosenkranz, 254 f. Zu Hegels Lehrplan für die Schule vgl. U. Rameil: Die Phänomenologie des Geistes in Hegels Nürnberger Propädeutik. In: Hegels Theorie des subjektiven Geistes in der »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse«. Hrsg. L. Eley, Stuttgart-Bad Cannstatt, 1990, 88 ff. 5 Vgl. Logik für die Unterklasse (1809/10), Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 127±138 und Begriffslehre für die Oberklasse (1809/10), a. a. O., 139±161. 6 Zu Hegels erzieherischem Ansatz in Nürnberg, der hier nicht weiter verfolgt werden kann, vgl. G. Schmidt: Hegel in Nürnberg. Untersuchungen zum Problem der philosophischen Propädeutik. Tübingen 1960; vgl. auch F. Nicolin: Pädagogik ± Propädeutik ± Enzyklopädie. In: Hegel. Einführung in seine Philosophie. Hrsg. O. Pöggeler, Freiburg/München 1977, 91±105; vgl. zur Pädagogik Hegels auch den Sammelband Die Logik des Wissens und das Problem der Erziehung. Nürnberger Hegel-Tage 1981. Hrsg. W.R. Beyer,
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Ein methodischer Grundsatz, der Hegels reife Logik seit der Wissenschaft der Logik charakterisiert, besagt, daû Methode und Inhalt eine Einheit bilden, die sich in sich entwickelt, indem von einfacheren zu immer komplexeren Bestimmungen fortgeschritten wird, welche in sich selbst auch jeweils schon methodisch bestimmt sind. Dieser methodische Grundsatz bildet in Hegels späterer Logik die Grundlage dafür, daû es keine in sich ununterschiedene dialektische Methode gibt, die schematisch immer dieselbe bleibt, sondern daû sich die Methode mit der ansteigenden Komplexität ihrer Inhalte im Verlaufe der Logik wandelt. Es gibt also nicht eine formalistische Dialektik, sondern die Dialektik wandelt sich, da sie inhaltsbezogen ist. Allerdings gibt es in Hegels reifer Konzeption seit der Wissenschaft der Logik, wie noch zu untersuchen ist, auch eine einheitliche Struktur der verschiedenen Dialektikformen, die allen dialektischen Vermittlungsprozessen zugrundeliegt. Aber diese einheitliche und grundlegende Struktur ist nicht bereits am Anfang der Logik sichtbar, denn die anfänglichen Inhalte sind noch unmittelbare Bestimmtheiten und die Dialektik ist daher zunächst auch nur eine unmittelbare. Die Vermittlung auf grundlegenderer, höherer und komplexerer Ebene muû sich allererst aus rudimentäreren Strukturen herstellen, liegt aber zumindest in potentieller Weise den rudimentären Strukturen immer schon zugrunde. Die höchste und grundlegende Vermittlungsform, die die Dialektik zum Ausdruck bringen kann, liegt nicht in der Unmittelbarkeit, sondern in höher vermittelten Inhalten. Daraus resultieren verschiedene Formen der Dialektik in der Logik. In Hegels reifer Logik, seit der Wissenschaft der Logik, gibt es daher drei unterschiedliche Arten von Kategoriensequenzen, mit jeweils unterschiedlichem Vermittlungsniveau. Dies sind die logischen Bestimmungen des Seins, des Wesens und des Begriffs. Entsprechend gibt es auch drei verschiedene Formen von Dialektik: 1. Für die Kategorien des Seins gilt die Dialektik des unmittelbaren Übergehens. 2. Für die Wesenskategorien gilt die Dialektik des Scheinens im Entgegengesetzten. Die Wesenskategorien sind in sich auf einem höheren Niveau vermittelt. Sie sind nicht mehr unmittelbar einander entgegengesetzt, wie die Seinskategorien, sondern relational aufeinander bezogen. Diese Vermittlungsstruktur der Kategorien des Wesens kann daher auch als Reflexionsdialektik bezeichnet werden. 3. Die höchste VermittHamburg 1982; vgl. auch J.-E. Pleines: Hegels Theorie der Bildung. 2 Bde. Hildesheim 1983/86. Letzterer stellt die verschiedensten Materialien, Interpretationen und Sekundärtexte zur Bildungstheorie Hegels zusammen. Die Dialektik ist nach Hegel pädagogisch relevant, weil sie beim zu Erziehenden die Fähigkeit des »Selbstdenkens« befördern soll. Pädagogisch gesehen, dient die Dialektik der Selbstbefreiung des Menschen, der im aktiven, dialektischen Nachdenken die Macht und Unabhängigkeit seines Denkens erkennt (vgl. hierzu Hegels Privatgutachten für Niethammer (1812), Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 411 f.).
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lungsform ist die Dialektik des Begriffs. Der Begriff vermittelt sich positiv in sich selbst und bedarf nicht eines Entgegengesetzten, gegen das er sich zunächst nur negativ abgrenzt, denn die in sich selbst vermittelten Begriffsbestimmungen sind positiv in allen anderen Begriffsbestimmungen immer schon enthalten.7 An diesen drei verschiedenen Dialektiktypen wird die sich zu sich entwickelnde und sich schrittweise komplexer selbst denkende Subjektivitätsstruktur der dialektischen Logik des reifen Hegel deutlich. Insbesondere durch die spezifische Dialektikform in der »Lehre vom Begriff« wird die Struktur logischer Subjektivität deutlich; die logische Subjektivität ist nach Hegel eine positiv sich mit sich selbst vermittelnde und sich in den gedachten Inhaltsbestimmungen wissende Selbstbezüglichkeit. Ansätze zu den verschiedenen Formen von Dialektik in der Logik dokumentieren sich in noch nicht entfalteten Antizipationen bereits in Hegels Schullogiken. Die Problematik verschiedener Vermittlungsformen logischer Bestimmungen deutet Hegel allerdings nur in kurzen Skizzen an. Zu dem Zeitpunkt um 1808 waren die verschiedenen Vermittlungsformen in den verschiedenen Bereichen der Logik Hegel selbst wohl noch nicht deutlich. Wenn auch Präfigurationen festzustellen sind, so hat Hegel sie sich in den Nürnberger Schullogiken noch nicht in dem Maûe zu eigen gemacht, wie dies seit der Wissenschaft der Logik der Fall ist. Hegel bezeichnet diese verschiedenen Vermittlungstypen in den Nürnberger Schullogiken auch noch nicht ausdrücklich mit dem Terminus Dialektik. Die in den Schullogiken enthaltenen Vorstufen zu verschiedenen Formen der Dialektik sind, verglichen mit Hegels späterem Ansatz, noch durch eine gewisse Uneinheitlichkeit gekennzeichnet. Dies liegt daran, daû Hegel z. B. in der Logik aus der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.) noch nicht, wie später in der Wissenschaft der Logik, eine einheitliche Wesens- oder Begriffslehre konzipiert, sondern als ersten Teil der Logik eine »ontologische Logik« aufstellt, die sich in »Sein«, »Wesen« und »Wirklichkeit« gliedert. Den zweiten Teil dieser Logik bildet die »subjektive Logik«, die sich in »Begriff«, »Urteil« und »Schluû« unterteilt. Abgeschlossen wird die damalige Logik durch einen dritten Teil, der in einer »Ideenlehre« besteht. Das »Wesen« hat in der Logik aus der Schulenzyklopädie von 1808 ff. also die noch untergeordnete Funktion, zwischen »Sein« und »Wirklichkeit« zu vermitteln, bildet also noch keinen eigenständigen Teil der Logik, wie dies später der Fall sein wird. In Hegels Wissenschaft der Logik bildet die »Wirklichkeit« den dritten und abschlieûenden Teil der »Lehre vom Wesen«. An dieser Entwicklung des Hegelschen Denkens ist also zu beobachten, wie das »Wesen« mehr und mehr an Gewicht gewinnt. Analog bildet in Hegels späterer Konzeption die »Lehre 7
Vgl. hierzu Enzyklopädie 1830, § 240.
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vom Begriff« den dritten, abschlieûenden Teil, in den die Ideenlehre integriert ist. I. Verschiedene Formen der Vermittlung in der Logik aus der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.) Bezüglich der drei verschiedenen Weisen von Dialektik in Hegels späterer Logik ist der § 77 aus der Logik der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.) aufschluûreich: »Dies Ganze der sich selbst gegenseitig voraussetzenden Vermittlung, die eben darin einfache Unmittelbarkeit ist, bringt ein Dasein hervor, welches jene Ursache und deren Tätigkeit zu ihrer Voraussetzung hat, aber umgekehrt ist das Hervorgebrachte ebensosehr Grund der Tätigkeit und des Hervorbringens selbst. Diese Vermittlung ist daher weder ein Übergehen wie das Werden des Seins überhaupt, worin das Übergehende in seinem Entgegengesetzten sich verliert; noch ist es ein Hervorbringen wie das Erscheinen des Grundes, das nur unmittelbar ist oder die ¾uûerung der Kraft, deren Tätigkeit bedingt ist; noch ein Wirken wie das der Ursache, deren Tätigkeit in der Wirkung verschwindet.«8 Hier wird deutlich, daû Hegel bereits in den Schullogiken zwischen verschiedenen Formen der dialektischen Vermittlung von logischen Bestimmungen differenziert. Hegel will hier die Vermittlungsform, welche die »ontologische Logik« in Sein, Wesen und Wirklichkeit bestimmt, von dem Vermittlungstypus abgrenzen, der die »subjektive Logik« bestimmt. Die verschiedenen logischen Vermittlungstypen bezeichnet Hegel in diesem Zusammenhang allerdings noch nicht ausdrücklich als verschiedene Formen von Dialektik. Die verschiedenen logischen Vermittlungsformen bilden antizipierende Präfigurationen von Hegels späterer Theorie der drei verschiedenen Dialektiktypen. Es lassen sich in dem § 77 aus Hegels Philosophischer Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.) fünf verschiedene Vermittlungstypen feststellen: Zunächst ist das spezifisch dem Sein zukommende »Übergehen« herauszustellen. Die logisch-begriffliche Vermittlung im Sein besteht darin, daû die Seinsbestimmungen ineinander »übergehen« und sich nicht positiv in demjenigen, in welches sie übergehen, erhalten. Vielmehr »verliert« sich »das Übergehende in seinem Entgegengesetzten«. Die Seinsbestimmungen lösen sich in ihrem Übergehen ineinander auf. Das »Übergehen« ist hier in einem terminologischen Sinn als die spezifische Art zu verstehen, in der die Seinsbestimmungen auseinander werden und sich in aufsteigender Linie generieren. Diese Vermittlungsform betrifft in Hegels enzyklopädischer Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.), § 77, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 27 f. 8
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Schullogik von 1808 ff. die Kategorien der Qualität, der Quantität und der Unendlichkeit. Warum sich ein solch unmittelbares Übergehen mit den Seinskategorien vollzieht, expliziert Hegel in dieser Schullogik noch nicht. Man kann allerdings vermuten, daû dieses verschwindende Übergehen darin begründet ist, daû die Seinsbestimmungen einfache, unmittelbare und nicht in sich relationale Bestimmungen sind. In der Wissenschaft der Logik und in den verschiedenen Auflagen der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften von 1817, 1827 und 1830 geht Hegel differenzierter auf diese Form der logischen Vermittlung ein, die in diesen späteren Werken Hegels als Übergangsdialektik zu charakterisieren ist. Daher ist eine genauere Analyse des Übergehens von Seinsbestimmungen auf spätere Untersuchungen aufzuschieben. Entwicklungsgeschichtlich ist hier nur festzuhalten, daû Hegel die Form logischer Vermittlung als »Übergehen« bereits 1808 ff. skizziert und eindeutig dem Sein zuordnet. Schon in der Logik und Metaphysik von 1804/05 hatte Hegel eine spezifische Dialektik der »einfachen Beziehung« konzipiert, die ähnlich wie seine ausgereifte Logik, die Kategorien der Qualität, der Quantität, des Quantums und der Unendlichkeit miteinander vermittelt. Allerdings lag in der Konzeption von 1804/05 die spezifische Form der Dialektik wesentlich darin begründet, daû die Kategorien der »einfachen Beziehung« ihre widersprüchliche Bestimmtheit nicht aus sich selbst entfalten konnten, sondern unsere Reflexion, die Reflexion des nachvollziehenden Philosophen konstitutiv notwendig war, um die bloû latenten dialektischen Momente einer solchen Kategorie aufzudecken. Dabei wurde unsere dialektische Reflexion schrittweise auch in den Kategorien selbst gesetzt, was besonders bei der Unendlichkeitskategorie deutlich wurde. In Hegels Logik-Konzeption aus der Schulenzyklopädie von 1808 ff. sind es dagegen die Seinskategorien selbst, die ihre spezifische Vermittlung und ihr Übergehen ineinander aus sich entfalten. In dem von uns herangezogenen § 77 der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse von 1808 ff. unterscheidet Hegel zusätzlich zum Übergehen der Seinsbestimmungen verschiedene andere Vermittlungstypen: »ein Hervorbringen wie das Erscheinen des Grundes, das nur unmittelbar ist« und »die ¾uûerung der Kraft, deren Tätigkeit bedingt ist« und »ein Wirken wie das der Ursache, deren Tätigkeit in der Wirkung verschwindet«. Diese drei verschiedenen Vermittlungsformen, das Hervorbringen, die ¾uûerung und das Bewirken sind unterschiedlichen Teilen der »ontologischen Logik« von 1808 ff. zuzuordnen. Die hervorbringende Erscheinung ist dem zweiten Teil der »ontologischen Logik«, dem »Wesen« zuzuordnen und bezieht sich auf die Bestimmungen aus dem Abschnitt »C. Grund und Begründetes«, dem wiederum die sich in Relation zueinander bestimmenden Wesenskate-
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gorien »Ganzes und Teile«, »Kraft und ihre ¾uûerung« und »Inneres und ¾uûeres« untergeordnet sind.9 Die Erscheinungsvermittlung des Grundes bezieht sich also auf eine ganze Gruppe von logischen Kategorien. Einen Spezialfall der hervorbringenden Erscheinungsvermittlung, den Hegel im § 77 hervorhebt, bildet die »¾uûerung der Kraft«. Im § 46 der enzyklopädischen Schullogik von 1808 ff. sagt Hegel: »Das Wesen ist Grund seines Daseins als sich selbst erregende Tätigkeit, und es ist in seinem Dasein nichts Fremdes oder nichts, das nicht durch den Grund selbst gesetzt wäre. Das Wesen und sein Dasein sind somit dasselbe.«10 Das, was das Wesen ist, kommt in seiner Erscheinung zum Ausdruck, liegt nicht jenseits dieser Erscheinung. Zugleich ist die Erscheinung des Wesens als dessen Produkt, auf seine Tätigkeit zurückzuführen, die Erscheinung des Wesens ist somit seine eigene Schöpfung. Daher kommt dem Wesen als Grund nach Hegel die spezifische Vermittlungsform der Hervorbringung zu. Das Wesen bedarf einer äuûeren Sphäre, an der es sich zeigen kann. Das Wesen ist als Grund in sich selbst relational auf das Begründete bezogen. Dies ist ein Vermittlungstypus, den der späte Hegel in seiner Enzyklopädie (1830) als dialektisches »Scheinen in dem Entgegengesetzten«11 bezeichnet. Die Bestimmungen des Wesens sind nach der reifen Lehre Hegels reine Relationsbestimmungen, die sich wechselseitig jeweils durch ihr Entgegengesetztes bestimmen, so z. B. Identität und Unterschied. Ein wichtiges Charakteristikum dieser Bestimmungen ist es, daû sie, indem sie in ihrem Entgegengesetzten erscheinen, dieses und sich selbst zugleich hervorbringen. Damit zeichnet diese Relationsbestimmungen eine rudimentäre Form von produktiver Aktuosität aus. Diese spezifische Form der Dialektik des Wesens zeichnet sich bereits in Hegels enzyklopädischer Schullogik von 1808 ff. in Präfigurationen ab, denn das »Erscheinen des Grundes« ist ein »Hervorbringen«. Zugleich mit diesem Vorgriff auf die ausgereifte Lehre Hegels zeigt sich aber auch, daû hier Resultate der Logik- und Metaphysikkonzeption von 1804/05 aufgenommen werden. Analog zu Hegels Bestimmung der relationalen logischen Kategorien des »Verhältnisses« von 1804/05 ± »die Glieder desselben haben durchaus nur Bedeutung in Beziehung aufeinander, sie sind nur als diû dem andern entgegengesetzte«,12 was, wie wir untersucht haben, von Hegel in der Phänomenologie des Geistes von 1807 weiterentwickelt wurde ± gilt auch für die Wesensbestimmungen von Grund und Begründetem aus der enzyklopädischen Schullogik von 1808 ff., daû diese Bestimmungen nur in Relation zueinander Vgl. Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.), §§ 42±47, TheorieWerkausgabe, Bd. 4, 18 ff. 10 Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.), § 46, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 20. 11 Enzyklopädie (1830), § 240; genauso bereits in der Enzyklopädie (1817), § 187. 12 GW, Bd. 7, 38. 9
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Bedeutung haben. Das, was sie sind, sind sie nur in Bezug auf ihr Entgegengesetztes. Auch hier läût sich allerdings ein systematisch-methodisches Begründungsdefizit feststellen; so begründet Hegel in dieser Schullogik nicht, wie sich der logische Vermittlungstypus der Erscheinung aus dem des Übergehens im Sein ergeben kann. In Hegels Schulenzyklopädie von 1808 ff. ist die spezifische Vermittlungsform der Wirkung einer Ursache im Unterschied zur Hervorbringung des Grundes dem dritten Teil der »ontologischen Logik«, der »Wirklichkeit« zuzuordnen. Die Wirkung der Ursache bildet also eine höhere Vermittlungsform als der Vermittlungstypus der Hervorbringung des Grundes, der das »Wesen« bestimmt. Hier wird die von uns zuvor schon konstatierte Uneinheitlichkeit der Konzeption von 1808 besonders deutlich. Hegel hat noch nicht wie später eine einheitliche Wesenslehre entwickelt, sondern das »Wesen« hat lediglich eine vermittelnde Funktion zwischen dem »Sein« und der »Wirklichkeit«. Da die »Wirklichkeit« von Hegel 1808 noch nicht in das »Wesen« integriert ist, kommt ihr auch eine gesonderte Vermittlungsform zu. In dem Abschnitt »Wirklichkeit« verortet Hegel die Relationsbestimmungen von Substanz und Akzidenz, Ursache und Wirkung und der Wechselwirkung. In der Wissenschaft der Logik bilden diese Relationsbestimmungen den letzten Teil der »Wirklichkeit« in der »Lehre vom Wesen«, ihnen gehen noch die an Spinoza orientierten Bestimmungen des Absoluten und die Modalitätskategorien »Wirklichkeit«, »Möglichkeit« und »Notwendigkeit« voran. Die »Wirklichkeit« ist nach Hegels Schulenzyklopädie von 1808 ff. dasjenige, was das »Wesen« in bloû latenter Form ist, nämlich ein aktives Selbstverhältnis. Das Verhältnis von Grund und Begründetem aus dem Wesen ist eigentlich kein äuûerliches, sofern das Begründete eine im Grund selbst verursachte Ausprägung seiner selbst ist. Das Begründende, sofern es immanent ein Begründetes setzt, ist ein innerer Grund. Mit der Erkenntnis des inneren Grundes wird nach dieser Konzeption Hegels das Wesen zur Wirklichkeit transformiert, und damit ändert sich auch die spezifische Vermittlungsform. Nicht gegenüber einem äuûerlich Entgegengesetzten vermittelt sich der innere Grund, sondern er vermittelt sich mit sich selbst, denn er setzt das Begründete in sich selbst. Daher handelt es sich bei der Wirklichkeit um ein Selbstverhältnis: »Die Wirklichkeit ist das selbständige Verhältnis. Sie hat die Momente ihrer Erscheinung oder ihres Daseins, welches das Verhältnis zu sich selbst ist, und ihrer Möglichkeit als des Ansichseins oder Wesens ihres Daseins. Das Wirkliche selbst ist die Einheit seiner Möglichkeit und seines Daseins.«13 Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.), § 48, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 20. 13
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Hier wird deutlich, daû Hegel die Modalitätskategorien in die Relationskategorien integriert: Das Wirkliche ist seine eigene Ermöglichung, sofern der Grund nur von sich selbst abhängt und nicht durch anderes auûer ihm begründet wird. Der Grund verwirklicht sich auch selbst, denn das Begründete, das Verwirklichte setzt der Grund, der das Ermöglichende ist, in sich selbst. In diesem Sinne besteht die Wirklichkeitsbestimmung der Substanz in einem Selbstverhältnis, sofern sie sich in ihren Akzidenzien verwirklicht. Die Substanz ist hier der Grund, die Akzidenzien sind das Begründete.14 ¾hnlich verhält es sich bei der Ursache und deren Wirkung. Sofern an der Substanz die Seite betont wird, daû sie das, was sie ist, hervorbringt, tritt sie in die Kategorie der Kausalität über. Dann wird nämlich das von der Substanz Bewirkte, ihre Wirkung betont. Insbesondere wird die Notwendigkeit, mit der dies geschieht, betont. Was die Substanz in sich ist, das muû sie auch hervorbringen, die Wirkung ist notwendig in der Ursache gelegen. Damit spielt Hegel auch auf Spinozas Konzeption der Substanz als causa sui an, die sich selbst verursacht. In diesem Sinne sagt Hegel: »Die Substanz tritt in das Verhältnis der Kausalität, insofern sie sich in dem Gegensatz der Notwendigkeit darstellt. Die frei wirkende absolute Ursache ist die Substanz nicht nur als das Bewegende, dessen Tätigkeit in sich anfängt, sondern das auch den ganzen Inhalt in sich hat, den sie hervorbringt und der als Wirkung Dasein erhält.«15 In der Kausalität ist die Substanz der tätig verursachende Grund der Wirkung, in der sich die Substanz selbst realisiert, d. h. »Dasein erhält«. Verwirklichung bedeutet also die relationale Entfaltung der eigenen Bestimmungen, die sich in dem selbst Erschaffenen darstellt. Diese Relationalität der Bestimmungen der Wirklichkeit ist wohl der Grund, weshalb Hegel später die Wirklichkeit nicht mehr als selbständigen Teil neben das Wesen stellt, wie noch in der enzyklopädischen Schullogik von 1808, sondern, wie schon in der Logik für die Mittelklasse (1810/11), die Wirklichkeit in die »Lehre vom Wesen« integriert. Es ist daher nur konsequent, wenn Hegel in seinen späteren Logikkonzeptionen die Wirklichkeit in der »Lehre vom Wesen« verortet. Den fünften Vermittlungstypus beschreibt Hegel im § 77 der Schulenzyklopädie von 1808 als symmetrische Relation, in der nicht nur das Hervorbringende der Grund des Hervorgebrachten ist, sondern auch umgekehrt das Hervorgebrachte der Grund des Hervorbringens ist. Dabei handelt es sich offensichtlich um eine Vermittlungsform, die ihre eigenen Bedingungen bedingt. In Hegels Bestimmung dieser logischen VermittVgl. Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.), § 49, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 20. 15 Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.), § 51, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 21. 14
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lungsform liegt ein Widerspruch, weil das Hervorgebrachte zugleich das Hervorbringende ist. Dieser spezifische Vermittlungstypus ist insbesondere auf Hegels Schluûlehre aus der Schulenzyklopädie von 1808 zu beziehen, denn die Erläuterungen zu diesem spezifischen Vermittlungstypus in § 77 schlieûen sich unmittelbar an die Schluûlehre der §§ 65 bis 76 an. Hegel sagt über die wechselseitige Implikation der verschiedenen Schluûfiguren: »Das Unmittelbare fordert die Vermittlung und geht nur aus ihr hervor, so wie umgekehrt die Vermittlung aus dem Unmittelbaren hervorgeht. Jene Schlüsse machen einen Kreis der gegenseitigen Voraussetzung aus, der als Ganzes sich mit sich selbst bindet und in der einfachen Vermittlung, die ebensosehr unmittelbar ist, sich als in dem Mittelpunkte zusammenfaût.«16 In Hegels Schluûlehre aus der Schulenzyklopädie von 1808 ist das Hervorgebrachte das Hervorbringende und zugleich das Hervorbringende das Hervorgebrachte. Nach dieser Konzeption Hegels gibt es drei Schluûfiguren, die jeweils die drei Begiffsbestimmungen: Einzelheit, Besonderheit und Allgemeinheit miteinander zusammenschlieûen. Die erste Schluûfigur lautet: Einzelnes ist Besonderes, Besonderes ist Allgemeines, also ist das Einzelne Allgemeines. Dies ist der Subsumtionsschluû, aufsteigend vom Einzelnen wird eine begrenztere Bestimmung unter eine jeweils allgemeinere subsumiert. Die zweite Schluûfigur lautet: Besonderes ist Einzelnes, Einzelnes ist Allgemeines, also ist das Besondere Allgemeines. Dies ist der Induktionsschluû, induktiv wird von einem Besonderen auf das Allgemeine geschlossen. Die dritte Schluûfigur lautet: Einzelnes ist Allgemeines, Allgemeines ist Besonderes, also ist das Einzelne Besonderes. Dies ist der Analogieschluû, analogisierend wird die Einzelheit vom Besonderen her verstanden.17 Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.), § 76, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 27. 17 Vgl. zu dieser Schluûlehre Hegels: Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.), §§ 66, 67, 72, 74, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 24 ff. Vgl. auch das 1809 entstandene Fragment Zur Lehre von dem Schlüssen (GW, Bd. 12, 299±309, vgl. auch zur Datierung und Entwicklungsgeschichte dieses Fragments den editorischen Bericht a. a. O., 333). Dort hat Hegel seine Schluûlehre bereits weiter modifiziert und differenziert gegenüber der Schluûlehre aus der Schulenzyklopädie von 1808 ff.; in diesem späteren Fragment sind der Subsumtions-, der Induktions- und der Analogieschluû, also die drei Schluûfiguren von 1808, nur noch eine Unterart der Abstraktionsschlüsse, daneben gibt es noch den Schluû des Seins und die Schlüsse der Bestimmtheit. In der Begriffslehre für die Oberklasse (1809/10) §§ 39±55, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 149 ff. hat Hegel auch diese Schluûkonzeption weiter modifiziert. Es gibt nach dieser Konzeption, die derjenigen der Wissenschaft der Logik bereits nahesteht, die Schlüsse der Qualität, der Quantität und der Relation. In dieser Konzeption von 1809/10 wird der Induktionsund der Analogieschluû den Schlüssen der Quantität zugeordnet. Deutlich legt K. Düsing (Syllogistik und Dialektik in Hegels spekulativer Logik. In: Hegels Wissenschaft der Logik: Formation und Rekonstruktion. Hrsg. D. Henrich, Stuttgart 1986, 15±38) die reife 16
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1. Figur: E ± B, B ± A, E ± A. 2. Figur: B ± E, E ± A, B ± A. 3. Figur: E ± A, A ± B, E ± B. Das Entscheidende an dieser Schluûlehre Hegels ist, daû die drei Schluûfiguren nicht einfach als nebeneinanderstehende, verschiedene Möglichkeiten des Schlieûens verstanden werden, sondern daû sie eine Einheit bilden sollen, »einen Kreis der gegenseitigen Voraussetzung«. Eine Synthesis der drei Schluûfiguren ist zu denken. In dieser Einheit zeigt sich, daû jede Begriffsbestimmung, sowohl Allgemeinheit wie Besonderheit als auch Einzelheit jeweils einmal Mittelbegriff, medius terminus ist. Zugleich sollen auch alle Prämissen durch die jeweils anderen Schluûfiguren bewiesen werden. »Der erste Schluû, E-B-A, der Vermittlung der Einzelheit und Allgemeinheit durch die Besonderheit, setzt die beiden folgenden, durch welche seine beiden unmittelbaren Beziehungen [damit sind erste und zweite Prämisse gemeint; d. V.] vermittelt werden, voraus. Umgekehrt aber setzen diese beiden sich gegenseitig und ebenso den ersten voraus.«18 Der Obersatz der ersten Figur, Einzelnes ist Besonderes, ist durch die dritte Figur zu beweisen; der Untersatz der ersten Figur, Besonderes ist Allgemeines, ist durch die zweite Figur zu beweisen. Umgekehrt beweist die erste Figur mit ihrer Konklusion, Einzelnes ist Allgemeines, sowohl den Untersatz der zweiten Figur als auch den Obersatz der dritten Figur. Die Konklusion der zweiten Figur, Besonderes ist Allgemeines, soll nicht nur den Untersatz der ersten Figur beweisen, sondern darüber hinaus auch den Untersatz der dritten Figur. ± Bei dem letzteren ergibt sich aber das Problem, daû in der dritten Figur das Allgemeine medius terminus ist und der Untersatz daher »Allgemeines ist Besonderes«, die Konklusion der zweiten Figur jedoch umgekehrt »Besonderes ist Allgemeines« lautet. Zwar ist es möglich, daû verneinende universelle Urteile umgekehrt werden. Bei bejahenden Urteilen ist aber eine Umkehrung nur dann möglich, wenn das ursprünglich universell bejahende Urteil in ein nur noch partikulär bejahendes umgekehrt wird. Wäre der Untersatz der dritten Figur also ein universell verneinender Satz, dann lieûe sich »Allgemeines ist Besonderes« in »Besonderes ist Allgemeines« vollständig umkehren.19 Der Satz wäre dann aber auch nach der Umkehrung noch verneiSchluûlehre Hegels, ihre Struktur und ihre Schwierigkeiten insbesondere in der Wissenschaft der Logik und in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften dar. 18 Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.), § 76, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 27. 19 Daû Hegel den Untersatz und auch den Obersatz in der dritten Figur als verneinend konzipiert, zeigt sich in der Begriffslehre für die Oberklasse (1809/10), § 45, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 151. Hegel bringt hier als Beispiel für den Analogieschluû in der dritten Figur: »Kein endliches Wesen ist heilig. Gott ist kein endliches Wesen. Also ist Gott heilig.« Analogisierend wird von der Nicht-Endlichkeit auf die Heiligkeit Gottes geschlossen. Dieser Schluû ist aber natürlich nicht universell gültig, denn es kann auch
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nend. Damit entstünde weiter das Problem, daû dann auch die Konklusion der zweiten Figur ein universell verneinender Satz sein müûte und ebenso der Untersatz der ersten Figur. Denn diese müssen dieselben Sätze sein, damit sich die drei Schluûfiguren gegenseitig beweisen können. Die Prämissen und auch die Konklusion der ersten Figur sind aber nach Hegel bejahend. Damit schlieût sich der von Hegel konzipierte Kreis der Schluûfiguren nicht, sondern bleibt eher ein Postulat. Da die Prämissen und die Konklusion der ersten Figur universell bejahend sein sollen, kann Hegel auch nicht davon ausgehen, daû der Untersatz in der dritten Schluûfigur ein bejahender Satz ist, der sich aus der Umkehrung der Konklusion der zweiten Figur ergäbe. Diese müûte dann nämlich ein universell bejahender Satz sein, der aber durch die Umkehrung im Untersatz der dritten Figur nur noch ein partikulär bejahender Satz sein könnte. Daraus entstünde die Schwierigkeit, daû ein partikulär bejahender Satz einen universell bejahenden beweisen sollte. Auch auf diese Weise schlieût sich also der von Hegel konzipierte Kreis der Schluûfiguren nicht. Zumal sich ganz ähnliche Probleme für den Beweis des Obersatzes der zweiten Figur »Besonderes ist Einzelnes« aus der Konklusion der dritten Figur »Einzelnes ist Besonderes« ergeben, denn auch hier liegt eine Urteilsumkehrung vor. Die dritte Figur könnte zwar als Beweis für den Obersatz der ersten Figur gelten, nicht aber für den der zweiten. ± Mit der Lehre der zirkulären, wechselseitigen Vermittlung der Schlüsse will sich Hegel wohl auch von der Schluûlehre des Aristoteles abgrenzen. Nach Aristoteles sind die beiden Prämissen eines Schlusses jeweils unmittelbare Voraussetzungen, die nicht bewiesen werden. Einzig die Konklusion ist bewiesen und vermittelt, eben durch die beiden Prämissen. Mit der Konzeption von zwei Prämissen, die unmittelbare Sätze sind und nicht selbst syllogistisch bewiesen werden, will sich Aristoteles vor dem unendlichen Regreû im syllogistischen Beweis schützen, denn wenn auch die Prämissen in einem Schluû durch einen anderen Schluû zu beweisen wären, dann müûten auch die Prämissen dieses Schlusses durch einen weiteren Schluû bewiesen werden, was sich ins Unendliche forttriebe.20 Hegel will dagegen die Schluûfiguren zu einem sich in sich schlieûenden Kreis synthetisieren, weil dadurch die Unbewiesenheit der jeweiligen Prämissen aufgelöst und auch die Ober- und Untersätze der Schlüsse bewiesen werden könnten. Zugleich will auch Hegel mit seiner Konzeption einer in sich zirkulären Struktur der drei Schluûfiguren den unendlichen Regreû, in seiner Terminologie die »schlechte Unendlichkeit«, vermeiden. derartiges geben, das zwar nicht endlich, aber auch nicht heilig ist, wie z. B. eine unendliche mathematische Zahlenreihe. 20 Vgl. hierzu Aristoteles: Organon IV, Lehre vom Beweis, Zweite Analytik 1. Buch. Kapitel 3, 72 b, und besonders a. a. O., Kapitel 22, 84 a f.
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An dieser Schluûlehre Hegels wird die von ihm angestrebte, spezifische Vermittlungsform deutlich, welche die Begriffslehre von 1808 und auch noch die »Lehre vom Begriff« in seiner Wissenschaft der Logik auszeichnet. Indem sich alle Schluûfiguren durch die jeweils anderen positiv mit sich selbst vermitteln und jede die andere einerseits voraussetzt, andererseits von den anderen auch jeweils vorausgesetzt wird, ist das Hervorgebrachte zugleich ein Hervorbringendes. Das Hervorgebrachte, die einzelne Schluûfigur, bringt zugleich die anderen Schluûfiguren hervor. Jedes einzelne Moment des Vermittlungsprozesses bleibt in dem Gesamtprozeû erhalten, geht nicht verloren, wie dies im Übergehen der Seinsbestimmungen der Fall ist. Der Obersatz der ersten Figur findet sich positiv auch in der zweiten (wenn auch umgekehrt) und dritten Figur wieder; ebenso soll es mit allen ersten und zweiten Prämissen und mit allen Konklusionen geschehen. Dies ist eine sich wechselseitig voraussetzende Vermittlung. Diese zeichnet den Begriff als konkrete, d. h. in sich unterschiedene und bestimmte Allgemeinheit aus: »Die Allgemeinheit aber als wahrhafte Mitte ist die innere Natur und der ganze Begriff, in welchem die negative Einheit, die Subjektivität sowie die Objektivität, der Inhalt und die Besonderheit des Daseins sich durchdringen und welche der absolute Grund und Zusammenhang des Insichseins und des Daseins ist.«21 Hegel bezeichnet diese Form der Vermittlung allerdings in der Schulenzyklopädie von 1808 ff. noch nicht als Entwicklungsdialektik, wie er es später im § 161 der Enzyklopädie (1830) tut. Der Begriff ist in der späteren Lehre Hegels die freie Selbstbestimmung. Das, was er ist, setzt er selbst, er ist nicht von etwas anderem abhängig oder bedingt. Er ist also, wie in der enzyklopädischen Schullogik von 1808ff., seine eigene Hervorbringung.22 Hegel stellt jedoch 1808 noch keine differenzierten methodischen Reflexionen an, die zeigen würden, warum der Begriff und die Idee sich in dieser Weise vermitteln und bestimmen. Derartige systematisch-methodische Argumente thematisiert Hegel hier nicht. Problematisch ist allerdings, daû sich in Hegels Schluûlehre der Kreis des Beweisens nicht schlieût. Somit gibt es hier eigentlich das von Hegel postulierte Hervorgebrachte, das seine Hervorbringung selbst gestaltet, nicht.23 Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.), § 75, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 27. 22 Vgl. zur Freiheit des Begriffs in der Wissenschaft der Logik z. B. GW, Bd. 12, 29, 253. 23 Da in der Schulenzyklopädie von 1808 ff. die Konzeption des Zwecks ein Teil des subjektiven Begriffs ist, wäre es zu kurz gefaût, die von uns untersuchte spezifische Vermittlung, in der das Hervorgebrachte zugleich das Hervorbringende ist, nur auf den Zweck zu beziehen; diese Auffassung vertritt jedoch K. Kozu (Bewuûtsein und Wissenschaft. Zu Hegels Nürnberger Systemkonzeption. Frankfurt a.M./Berlin/Bern 1999, 49), der den § 77 insbesondere auf die Lehre vom Zweck bezieht. Gegen eine solche Auffassung spricht auch, daû sich Hegels Beschreibung des spezifischen Typs der Hervorbrin21
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Die Logikkonzeption in der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.) macht deutlich, daû Hegel bereits verschiedene Formen der spekulativen Vermittlung von logischen Bestimmungen konzipiert. Dies stellt eine unausgeführte und noch undifferenzierte Präfiguration seiner späteren Lehre von verschiedenen Typen der Dialektik in der Logik dar; Hegel hat zu der Zeit noch nicht die Theorie von drei Formen der Dialektik ausgebildet, die wie in seiner späteren Lehre die drei Bereiche der Logik: Sein, Wesen und Begriff bestimmen. II. Die drei spezifischen Vermittlungstypen in der Logik für die Mittelklasse (1810/11) Die Logik für die Mittelklasse (1810/11) ist genauso eingeteilt wie Hegels spätere Ausarbeitungen der Logik: in die drei Bereiche des Seins, des Wesens und des Begriffs. Hier hat Hegel also seine Einteilung in »ontologische Logik«, »subjektive Logik« und »Ideenlehre« aus der Logik der Schulenzyklopädie von 1808 ff. aufgegeben. Die vormalige »ontologische Logik« wird nun in zwei Teile unterteilt, Sein und Wesen, und als »objektive Logik«24 bezeichnet. Die Wirklichkeit integriert Hegel in die Lehre vom Wesen, und die Ideenlehre integriert er in die Lehre vom Begriff. Beide Integrationen stellen eine systematische Vereinheitlichung dar. Die systematisierende Vereinheitlichung der Integration der Ideenlehre in die »Lehre vom Begriff« hat Hegel allerdings bereits in der Begriffslehre für die Oberklasse (1809/10)25 vollzogen und nicht erst in der Logik für die Mittelklasse (1810/11). Die Vereinheitlichungen bestehen darin, daû hier von Hegel Bestimmungen zu Kategorienklassen oder genauer: zu zusammengehörigen Kategoriensequenzen zusammengefaût werden, die sich jeweils durch eine ähnliche logische Vermittlungsform auszeichnen. Diese vereinheitligungsvermittlung unmittelbar an die Schluûlehre anschlieût. O. Pöggeler (Fragment aus einer Hegelschen Logik. Mit einem Nachwort zur Entwicklungsgeschichte von Hegels Logik herausgegeben von O. Pöggeler. In: Hegel-Studien 2, 1963, 57) hat zunächst vermutet, daû die den Zweck betreffenden §§ 78±83 der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.) nicht von 1808 ff. stammen, sondern eine spätere Einfügung sind, die entweder von Hegel oder von Rosenkranz vorgenommen worden ist. K. Kozu (Das Bedürfnis der Philosophie. Ein Überblick über die Entwicklung des Begriffskomplexes »Bedürfnis«, »Trieb«, »Streben« und »Begierde« bei Hegel. Bonn 1988, 192, Anm. 1) weist jedoch darauf hin, daû sich auch in einer anderen Schülernachschrift der Enzyklopädie für die Oberklasse von 1808/09 die entsprechenden §§ finden, daû somit die Lehre vom Zweck bereits in der frühen Nürnberger Zeit Bestandteil der Lehre vom subjektiven Begriff war und es sich nicht um eine spätere Einfügung handelt. 24 Logik für die Mittelklasse (1810/11), § 6, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 164 f. 25 Vgl. Begriffslehre für die Oberklasse (1809/10), §§ 66±87, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 157 ff.
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Fortführung und Vertiefung
chende Systematisierung und die Unterschiedenheit der den verschiedenen Bereichen der Logik zukommenden spezifischen Vermittlungsformen bringt Hegel zum Ausdruck, wenn er sagt: »Die subjektive Logik hat nicht mehr die Kategorie und die Reflexionsbestimmung, sondern Begriffe zu ihrem Gegenstand. Erstere ist das Sein in einer einfachen Bestimmtheit, als Grenze, die zweite das Wesen in einer Bestimmung, die durch eine Voraussetzung eines Anderen vermittelt ist. Der Begriff dagegen ist das Ursprüngliche, insofern seine Bestimmung seine Reflexion in sich selbst ist; oder er ist ein einfaches Ganzes, das seine Bestimmungen in sich enthält und aus welchem alle seine Bestimmungen flieûen.«26 Die spezifische Vermittlungsform des Begriffs wurde von uns bereits anhand der Schluûlehre aus der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.) eingehend untersucht. Jenen Ansatz zur spezifischen Vermittlungsform des Begriffs, die symmetrische Relation von Hervorbringendem und Hervorgebrachtem, weiterführend, bestimmt Hegel hier die spezifisch begriffliche Vermittlung dadurch, daû die besonderen Bestimmungen des Begriffs aus diesem »flieûen«, wobei diese Bestimmungen aber nicht als Emanationen des Begriffs zu verstehen sind, sondern als die dem Begriff selbst notwendigen Momente seiner eigenen Bestimmtheit; die besonderen Bestimmungen sind für den Begriff als ganzen konstitutiv und wesentlich. Der Begriff als das Hervorbringende ist nur, was er ist, vermittels des Hervorgebrachten. Der Begriff vollendet sich in einem Bestimmungsprozeû und hat nicht, wie im neuplatonischen Emanationsmodell, im Anfang die höchste Seinsfülle. Diesen Terminus aufnehmend könnte man sagen, daû bei Hegel der Begriff erst nach und nach im Bestimmungsprozeû die Seinsfülle gewinnt. In diesem Sinn wendet sich Hegel auch noch in der Wissenschaft der Logik gegen ein Ableitungsmodell von logischen Bestimmungen, welches mit der Metapher des »Überflieûens« oder der Emanation argumentiert: »Der Fortgang ist daher nicht eine Art von Ueberfluû; er wäre diû, wenn das Anfangende in Wahrheit schon das Absolute wäre«.27 Die konstitutiven Gründe für das »Übergehen« als die spezifische Form der logischen Vermittlung, die für das Sein bestimmend ist, werden in der Logik für die Mittelklasse (1810/11) von Hegel zwar deutlicher benannt, als dies in der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.) der Fall war, doch auch jetzt werden sie nicht detailliert dargestellt. Das Übergehen besteht darin, daû sich die Kategorien des Seins zu ihrem anderen jeweils in der Weise verändern, daû sie sich in demjenigen, worein sie übergehen, Logik für die Mittelklasse (1810/11), § 90, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 192 f. GW, Bd. 12, 241, ähnlich auch a. a. O., 250: »[...]; der Fortgang ist deûwegen nicht als ein Fliessen von einem Andern zu einem Andern zu nehmen.« 26 27
Die drei spezifischen Vermittlungstypen
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nicht positiv erhalten. Dieses Übergehen ist für die Kategorien der Qualität von grundlegender Bedeutung: »Die Qualität ist die unmittelbare Bestimmtheit, deren Veränderung das Übergehen in ein Entgegengesetztes ist.«28 Wie Hegel hier andeutet, bildet die Unmittelbarkeit und Einfachheit der Bestimmungen des Seins einen entscheidenden Grund für das Übergehen als auflösende Veränderung. Was in sich unmittelbar einfach ist, verliert seine spezifische Bestimmtheit, wenn diese verändert wird. Es wird zu einer anderen einfachen, unmittelbaren Bestimmtheit, die sich wiederum in derselben Weise auflöst. Von dieser Dialektik des Übergehens im Sein unterscheidet Hegel die spezifische logische Vermittlungsform, die dem Wesen zukommt. Die Bestimmungen des Wesens sind in sich relational. Sie sind, was sie sind, nur im Bezug auf das ihnen jeweils Entgegengesetzte. Sie weisen daher bereits eine höhere Form von Einheit untereinander auf als die Seinskategorien, die solche relationale Einheiten mit ihrem Entgegengesetzten nicht bilden. In diesem Sinne differenziert Hegel die in sich relationale Vermittlungsstruktur des Grundes als einer Wesensbestimmung gegenüber dem Übergehen der Seinskategorien in einer Randnotiz zur Logik für die Mittelklasse (1810/11): »Der Grund ist das Setzende überhaupt, insofern etwas dadurch zum Dasein kommt; dies ist kein Übergang in entgegengesetzte Bestimmungen, wie das Werden im Sein, sondern es ist darin eine Einheit der Beziehung; obgleich das gesetzte Dasein zugleich eine von seinem Grunde verschiedene Gestalt sein kann, so muû es doch zugleich darin enthalten sein.«29 Die Relationalität der Wesensbestimmungen beruht darauf, daû diese Bestimmungen von vornherein Wechselbestimmungen sind. »Indem die wesentlichen Bestimmungen in der Einheit des Wesens sind, so ist das Dasein derselben ein Gesetztsein, d. h. sie sind in ihrem Dasein nicht unmittelbar und für sich, sondern vermittelt. Es sind daher Denkbestimmungen in der Form von Reflexionen.«30 Reflektierend sind die Bestimmungen des Wesens also in dem Sinne, daû sie in ihrem Entgegengesetzten ihren jeweiligen eigenen Bedeutungsgehalt entfalten. So ist z. B. das Begründete zwar dem Grund entgegengesetzt, aber der Bedeutungsgehalt des Grundes zeigt sich allererst im Logik für die Mittelklasse (1810/11), § 8, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 166. Logik für die Mittelklasse (1810/11), § 38, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 173; ähnlich stellt Hegel die Differenz von Übergehen und Wesensreflexion auch a. a. O., § 40 dar. 30 Logik für die Mittelklasse (1810/11), § 35, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 172. Interessant hierzu ist auch die Textvariante des entsprechenden Paragraphen in der Edition von Rosenkranz, dort als § 34 gezählt (Philosophische Propädeutik, Gymnasialreden und Gutachten über den Philosophie-Unterricht. Jubiläumsausgabe, Bd. 3, Stuttgart 1961, 122): »Das Wesen scheint in sich selbst und bestimmt sich. Aber seine Bestimmungen sind in Einheit. Sie sind nur Gesetztsein, d. h. sie sind nicht unmittelbar für sich, sondern solche, die in ihrer Einheit bleiben. Sie sind daher Beziehungen. Es sind Reflexionsbestimmungen.« 28 29
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Fortführung und Vertiefung
Begründeten.31 Das Produkt einer derartigen, reflektierenden Vermittlung, bei der die Bestimmungen nur relativ auf ihr Entgegengesetztes ihre eigene Bestimmtheit entfalten, indem sie sich in diesem reflektieren, nennt Hegel »Erscheinung«.32 Der Grundcharakter des spezifischen Vermittlungstypus des Wesens besteht darin, daû die Bestimmungen nichts an sich Bestehendes sind, sondern nur in Relation auf ihr Entgegengesetztes, indem sie in diesem erscheinen. Sollen Wesensbestimmungen erfaût werden, dann sind also reine Relationen zu denken. Warum das Wesen derart relationale Bestimmungen hat, wird von Hegel hier nicht begründet. Es wird nur gesagt, daû das Wesen diese impliziere. Auch in der Logik für die Mittelklasse (1810/11) finden sich also verschiedene Formen der logischen Vermittlung von kategorialen Bestimmungen. Diese bilden allerdings wie auch in der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.) nur antizipierende Präfigurationen von Hegels späterer Theorie der drei Typen von Dialektik, welche die spezifische Ableitung von Kategoriensequenzen in den drei Bereichen der Logik Hegels bestimmen, in der »Lehre vom Sein«, der »Lehre vom Wesen« und der »Lehre vom Begriff«. Allerdings kommt Hegel dieser spezifischen Typologie dreier verschiedener Formen der Dialektik in der Logik für die Mittelklasse (1810/11) einen entscheidenden Schritt näher, indem er hier erstmals die Unterteilung der Logik in Sein, Wesen und Begriff vornimmt. Daû aus dieser Unterteilung und der damit verbundenen spezifischen Struktur der jeweils zu einem Bereich zugehörigen Kategorien auch jeweils eine spezifische Form der Dialektik hervorgeht, hat sich Hegel jedoch offensichtlich noch nicht vollständig zu eigen gemacht. III. Die »drei Seiten des Logischen« In der Nürnberger Zeit entwickelt Hegel eine formale Bestimmung der Dialektik, die er der Logik häufig einleitend voranschickt. Diese Bestimmung der Dialektik integriert er in das Theorem, daû die Form des Logischen drei Seiten hat. Diese drei Seiten sind: 1. die abstrakt-verständige, 2. die negativvernünftige oder dialektische und 3. die positiv-vernünftige oder spekulative. Andeutungsweise kommen die drei Seiten des Logischen bereits in Hegels Brief an Niethammer vom 24. März 1812 vor: »Dem spekulativen Denken Vgl. zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Reflexionsbestimmungen K. Düsing (Identität und Widerspruch. Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der Dialektik Hegels. In: Giornale di metafisica, VI, Nr. 3, 1984, 315±358). 32 Logik für die Mittelklasse (1810/11), § 46, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 175. 31
Die »drei Seiten des Logischen«
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kann oder muû das abstrakte Denken vorhergehen, der verständige abstrakte Begriff in seiner Bestimmtheit«. »Das Dialektische führt sich selbst herbei, und darin liegt dann das Spekulative, insofern das Positive des Dialektischen aufgefaût wird.«33 Dieses Theorem der »drei Seiten des Logischen« taucht zum ersten Mal deutlicher ausgeführt in der »Vorrede« zur Wissenschaft der Logik in der ersten Auflage von 1812 auf,34 dann in Hegels Privatgutachten für Immanuel Niethammer von 1812,35 anschlieûend in der Logik aus der Enzyklopädie für die Oberklasse 1812/13.36 Auch in den drei Auflagen der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften von 1817, 1827 und 1830 treten die drei Seiten des Logischen auf.37 Entwicklungsgeschichtlich relevant ist, daû die drei Seiten des Logischen bereits in der Logik aus der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.) auftreten. Dort sind sie allerdings noch nicht klar voneinander abgetrennt, und Hegel verwendet noch nicht die später in diesem Zusammenhang üblichen Termini des Negativ-Vernünftigen und des Positiv-Vernünftigen für die dialektische und die spekulative Seite logischer Bestimmungen. Diese Vorform der drei Seiten des Logischen in der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.) bildet den Abschluû der Logik. Hegel konzipiert diese Vorform der drei Seiten des Logischen in dieser propädeutischen Schullogik als die »Absolute Idee oder das Wissen«: »Der Begriff konstruiert sich aus sich selbst, indem er als Werden ist und den in ihm enthaltenen Gegensatz in der Form verschiedener für sich bestehender reaBriefe von und an Hegel. Hrsg. J. Hoffmeister, Hamburg 1961, Bd. 1, 1785±1812, 397 f. 34 Vgl. GW, Bd. 11, 7 f. 35 Vgl. Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 412 ff. 36 Vgl. Hegels »philosophische Enzyklopädie« in Nürnberg. Mit einer Nachschrift von 1812/13 herausgegeben und erläutert von U. Rameil. In: Hegel-Studien 30, 1995, 28, § 8. Die hier von uns geschilderte Chronologie hat K. Kozu (Bewuûtsein und Wissenschaft. Zu Hegels Nürnberger Systemkonzeption. Frankfurt a.M./Berlin/Bern 1999, 78 f.) herausgearbeitet. In der Theorie-Werkausgabe kommen die »drei Seiten des Logischen« bereits in der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.), § 12 vor (TheorieWerkausgabe, Bd. 4, 11 f.); dabei handelt es sich allerdings wohl um eine aus der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (1812/13) stammende Ergänzung, die in dieser Edition nicht kenntlich gemacht wurde. In dieser Schullogik Hegels treten die drei Seiten des Logischen allerdings, wie von uns noch zu untersuchen ist, ein zweites Mal auf. 37 Vgl. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1817), Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe, Bd. 6. Hrsg. H. Glockner, Stuttgart 1988, §§ 13±16; vgl. hierzu auch die reichhaltigen Anmerkungen zu diesen Paragraphen in der Mitschrift von Hegels Logikund Metaphysik-Vorlesung vom Sommersemester 1817 von F.A. Good. In: G.W.F. Hegel Vorlesungen, Bd. 11. Vorlesungen über Logik und Metaphysik. Heidelberg 1817. Mitgeschrieben von F.A. Good. Hrsg. K. Gloy, Hamburg 1992, ad § 13 ± ad § 16); vgl. auch Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1827) und (1830), GW, Bd. 19 und Bd. 20, jeweils §§ 79±82; hier machen die drei Seiten des Logischen den formal vorbereitenden »näheren Begriff der Logik« aus. 33
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Fortführung und Vertiefung
ler oder Verstandesbestimmungen darstellt. [...] Indem die realen Bestimmungen zunächst in ihrer Reflexion zu Verstandesbestimmungen werden, stellt ihre Dialektik sie nicht nur als sich wesentlich aufeinander beziehend, sondern auch in ihre Einheit übergehend dar. Aus dieser ihrer negativen Bewegung resultiert ihre positive Einheit, welche den Begriff in seiner realen Totalität ausmacht.«38 Hier dienen die drei Seiten des Logischen offensichtlich dazu, die Struktur des sich selbst denkenden und des sich seiner selbst bewuûten spekulativen Begriffs zu beschreiben. Die Subjektivitätsstruktur des Begriffs wird beschrieben in den Momenten der verständigen Aufstellung entgegengesetzter einseitig fixierter Bestimmungen, die durch die Dialektik als notwendig einheitlich und immanent aufeinander bezogene gewuût werden, um die positive Einheit der Entgegengesetzten aufzustellen. Hegel hat diese Konzeption der Vollendung der Logik in der absoluten Idee durch die drei Seiten des Logischen allerdings in der Wissenschaft der Logik zugunsten einer syllogistischen Darstellung der reinen methodisch-dialektischen Denkstruktur der absoluten Subjektivität aufgegeben. Die drei Seiten des Logischen bilden in Hegels reifer Logikkonzeption lediglich eine formal-methodische Vorbestimmung. Diese Vorbestimmung hat die Funktion, die allgemeinen Strukturmerkmale des methodischen Fortgangs der Logik darzustellen. In Hegels reifer Konzeption der drei Seiten des Logischen in den drei Auflagen der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften und in der Wissenschaft der Logik hat 1. die abstrakt-verständige Seite in logischen Bestimmungen die Aufgabe, die Kategorien in ihrer Einseitigkeit zunächst aufzustellen und ihren Bedeutungsgehalt einseitig zu fixieren, 2. die dialektische oder negativ-vernünftige Seite hat die Funktion, die Einseitigkeiten des abstrakten Verstandes in einer antinomischen Gegenüberstellung der Verstandeshinsichten zu destruieren, und 3. hat die spekulative oder positiv-vernünftige Seite zur Aufgabe das positive Resultat in der dialektisch-antinomischen Auflösungsbewegung festzuhalten und so zu einer neuen logischen Bestimmung zu führen. Die dialektische Destruktion endlich Entgegengesetzter führt nach Hegel über sich selbst hinaus. Denn in der dialektischen Destruktion wird zugleich die positive Einheit der Entgegengesetzten gesetzt. Die durch die positiv-vernünftige Spekulation gesetzte neue Bestimmung wird wiederum vom Verstand einseitig festgehalten, von der negativen Vernunft als in ihr Gegenteil übergehend gezeigt und von der positiven Vernunft spekulativ zu einer die Gegensätze enthaltenden Bestimmung gebracht. Dieser Prozeû setzt sich in der Logik immer weiter fort von der Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.), § 95, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 33. 38
Die »drei Seiten des Logischen«
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einfachsten Bestimmung bis hin zur höchsten, mit der die Logik dann abschlieût. Die drei Seiten des Logischen sind nach Hegel nicht voneinander zu trennen, sie implizieren einander wechselseitig und gehen daher von sich aus jeweils ineinander über. Die drei Seiten bilden einen kontinuierlichen Bestimmungsprozeû. Eine Trennung der drei Seiten des Logischen würde einen Rückfall in den trennenden Verstand bedeuten, der ihre notwendige Einheit nicht erkennt. Verstand und Vernunft sollen im Rahmen dieses Theorems nicht zum Ausdruck bringen, daû die Logik in einer Vermögenspsychologie begründet ist. Verstand und Vernunft als konkrete Vermögen sind nach Hegel vielmehr in der Geisteslehre als zwei konkrete »Tätigkeitsweisen des Geistes«39 zu verorten. Der Verstand soll in der Logik vielmehr nur verdeutlichen, daû logische Bestimmungen zunächst abstrakt und trennend einander gegenübergestellt werden. Bereits der reflektierende Verstand bezieht aber nach Hegel in seinen Trennungen die einseitigen Bestimmungen aufeinander, denn um sie voneinander zu trennen, muû er sie miteinander vergleichen. Der reflektierende Vergleichsakt stellt nach Hegel bereits ein »Hinausgehen« über die Trennung dar. Wenn die Reflexion in ihrem äuûerlichen Vergleichsakt feststellt, daû die einander entgegengesetzten Bestimmungen nicht miteinander identisch sind, dann läût sie diese zwar in ihrer Getrenntheit bestehen, bringt sie aber auch in eine Verbindung. Diese Verbindung ist allerdings bloû äuûerlich, denn für den reflektierenden Verstand sind nicht die Bestimmungen als solche verbunden, sondern nur in dem einseitig den Bestimmungen gegenüberstehenden endlichen Denken der Reflexion sind beide Bestimmungen als voneinander getrennte miteinander in einen Zusammenhang gebracht. Die Dialektik als negativ-vernünftige Erkenntnisweise logischer Bestimmungen ist dagegen nach Hegel in der Lage, einen inneren Zusammenhang der entgegengesetzten Bestimmungen zu erkennen. Durch diesen inneren Zusammenhang wird die verständig trennende Reflexion und ihre einseitigen Bestimmungen zerstört. Der innere Zusammenhang Entgegengesetzter hebt die Hinsichtenunterscheidungen der endlichen Reflexion auf. »Das Dialektische macht daher die bewegende Seele des Fortgehens aus und ist das Princip, wodurch allein immanenter Zusammenhang und Notwendigkeit in den Inhalt der Wissenschaft kommt, so wie in ihm überhaupt die wahrhafte nicht äuûerliche Erhebung über das Endliche liegt.«40 Vgl. Enzyklopädie (1830), § 440; vgl. zu diesem Thema auch L.B. Puntel (Verstand und Vernunft in Hegels »Wissenschaft der Logik«. In: Hegels Wissenschaft der Logik: Formation und Rekonstruktion. Hrsg. D. Henrich, Stuttgart 1986, 229±241). Zum Folgenden vgl. Enzyklopädie (1830), § 81, bes. Anm. 40 Enzyklopädie (1830), § 81, Anm. 39
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Fortführung und Vertiefung
IV. Zusammenfassung und Ausblick In der Nürnberger Zeit zwischen 1808 und 1812 bildet Hegel seine dreiteilige Logik in zunehmender Systematisierung aus. In den Logikkonzeptionen dieser Zeit differenziert Hegel von vornherein mehrere Typen logischer Vermittlung, die den verschiedenen kategorialen Bereichen der Logik zukommen. Begründungen für die verschiedenen Vermittlungsformen in der Logik gibt Hegel allerdings in den von ihm überlieferten Schullogiken nicht an. Er begründet auch nicht, warum von einer spezifischen Vermittlungsform zu einer anderen fortgeschritten werden muû und wie diese Formen untereinander zusammenhängen. Derartige Zusammenhänge muû es jedoch geben, denn sonst würde die Logik kein zusammenhängendes Lehrgebäude sein, sondern eine zusammenhangslose ± und damit für Hegel unsystematische ± Pluralität von Kategorien. Derartige Probleme und Fragen thematisiert Hegel erst in seiner reifen Logik, also seit der ersten Auflage der »Lehre vom Sein« in der Wissenschaft der Logik von 1812. Diese Fragen sind äuûerst komplex, denn sie setzen schwierige methodische und komplizierte inhaltliche Reflexionen voraus. Hegels skizzenhafte Andeutungen in den Nürnberger Schullogiken zu spezifischen Vermittlungsformen, die die Genese und Ableitung in Kategoriensequenzen bestimmen, insbesondere in der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.) und in der Logik für die Mittelklasse (1810/11), stellen Ansätze und antizipierende Präfigurationen zu Hegels späterer Theorie von drei verschiedenen Formen der Dialektik in der Logik dar. Hegel hat sich allerdings in den Nürnberger Schullogiken diese spezifischen Vermittlungstypen noch nicht als spezifische Formen der Dialektik zu eigen gemacht. Darüber hinaus entwickelt Hegel in seiner frühen Nürnberger Zeit, also seit 1808 ff. eine formale Bestimmung der dialektischen Methode, die er in sein Theorem der »drei Seiten des Logischen« integriert. Dieses Theorem wird Hegel in seinen späteren Ausarbeitungen der Logik zwar nicht mehr, wie noch in der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.) als Vollendung der Logik, d. h. als absolute Idee konzipieren, doch behält das Theorem als methodischer Vorbegriff seine Gültigkeit. Die absolute Idee bildet in Hegels späteren Ausarbeitungen der Logik nach den propädeutischen Schullogiken vielmehr einen Schluû, der die dialektische Methode als Struktur der absoluten Subjektivität und als die reine spekulative Selbsterkenntnis des Absoluten explizieren soll.
fünftes kapitel Die Dialektikkonzeption in Hegels reifer Logik 1812±1831 Die »absolute Idee« als Vollendung der Dialektik in der Logik
Aus entwicklungsgeschichtlicher Perspektive haben wir gesehen, daû Hegel seit 1808 ff. spezifische Formen logischer Vermittlung für die verschiedenen Bereiche seiner spekulativen Logik differenziert, die er allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht eindeutig als verschiedene Formen und Typen von Dialektik bezeichnet. Damit haben sich Präfigurationen der verschiedenen Formen von Dialektik gezeigt, die von Hegel in seiner reifen Logikkonzeption differenziert werden. Es stellt sich die Aufgabe, die systematischen, inhaltlichen und methodischen Gründe zu eruieren, die ihn in seiner reifen Logik seit der Wissenschaft der Logik dazu bewogen haben, verschiedene Dialektiktypen für die verschiedenen Bereiche der Logik zu unterscheiden. Wir haben dabei sicherzustellen, welches der grundlegende, für alle anderen Dialektikformen in der Logik konstitutive Typus der Dialektik ist. Dies ist die Frage nach der höchsten Form von Dialektik in der Logik, nach der Entwicklungsdialektik des Begriffs, welche die anderen Dialektiktypen, die Übergangsdialektik des Seins und die Reflexionsdialektik des Wesens, die ihr vorangehen, hervorbringt und diesen einheitlich zugrundeliegt. Durch diesen einheitlichen Dialektiktypus wird der Zusammenhang und die Einheit der verschiedenen Bereiche der Logik und ihrer verschiedenen Dialektikformen gewährleistet. Die Übergangsdialektik des Seins und die Reflexionsdialektik des Wesens stellen nur potentiell-latente Vorformen dieser letzten, höchsten und grundlegenden Form von Dialektik dar. Diese Untersuchungen sind auf der Basis von Hegels reifer Logikkonzeption durchzuführen. Dort wird in der »absoluten Idee« aus der »Lehre vom Begriff« die Dialektik in ihrer höchsten Form dargestellt. In der absoluten Idee wird die Dialektik selbst zum Denkinhalt; bei allen anderen Kategorien der Logik, die der absoluten Idee vorangehen, ist die Dialektik nur horizonthaft mitgegenwärtig, wird aber nicht eigens thematisiert. Wir gehen bei diesen Untersuchungen davon aus, daû sich seit dem Erscheinen der ersten Auflage der »Lehre vom Sein« und der »Lehre vom Wesen« 1812 und 1813, bis zu Hegels Tod 1831 die konstitutiven Grundbestimmungen und das Grundgerüst der spekulativen Logik nicht mehr geändert haben. Hegel verändert im Laufe dieser Zeit nur noch Nuancen und Details, einzelne Kategorien werden zum Teil anders bestimmt.1 Aber die grundlegenden BestimBereits H.-G. Gadamer (Die Idee der Hegelschen Logik. In: Gesammelte Werke, Bd. 3, Neuere Philosophie I. Hegel, Husserl, Heidegger. Tübingen 1987, 71) hat darauf 1
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Die »absolute Idee« als Dialektik
mungen der spekulativen Logik bleiben gleich, wie z. B. die Dreiteilung der Logik in die »Lehre vom Sein«, die »Lehre vom Wesen« und die »Lehre vom Begriff«, und mit diesen drei voneinander zu unterscheidenden Bereichen der Logik bleibt auch gleich, daû ihnen jeweils ein eigentümlicher Typus von Dialektik zukommt und daû es die Kategorien selbst sind, welche die Dialektik aus sich hervorbringen und es nicht ± wie noch in Hegels Konzeption von 1804/05 ± eine den Kategorien selbst äuûerliche methodische Reflexion des Philosophen gibt, welche die Dialektik der logischen Kategorien herbeiführt. Die Dialektik ist dabei auch nicht ± wie in Hegels früher Jenaer Konzeption zwischen 1801 bis 1803/04 ± ein bloû negativ-skeptisches, endliche Bestimmungen destruierendes Verfahren: Einerseits destruiert die Dialektik defiziente Momente der logischen Kategorien, andererseits bringt sie neue logische Bestimmungen hervor. Die Untersuchung der absoluten Idee wird zeigen, wie der spezifische Dialektiktypus der »Lehre vom Begriff«, die Entwicklungsdialektik beschaffen ist. Wir erhellen also zugleich mit der absoluten Idee einen grundlegenden Typus der Dialektik in der Logik und das teleologische Ziel der gesamten Logik. Hier sind zwei Hinsichten auf die absolute Idee zu unterscheiden: Einerseits ist die absolute Idee als das eigentliche Wesen des spekulativen Begriffs die Dialektik überhaupt; in dieser Hinsicht ist sie der konstitutive Grund der gesamten Logik. Andererseits ist die absolute Idee eine Bestimmung der Begriffslogik. Daher kommt ihr auch eine spezifische Form der Dialektik zu, nämlich der Typus der Entwicklungsdialektik. In Hegels Logik ist die absolute Idee die allgemeine Gattung für alle Formen von Dialektik; zugleich stellt sie aber auch eine spezifische Art der Dialektik dar. Dies ist dadurch bedingt, daû nach Hegel das zuhöchst Seiende, die absolute Idee mit ihrer spezifischen Bestimmtheit, zugleich dasjenige ist, welches allem anderen Seienden konstitutiv zugrundeliegt.
aufmerksam gemacht, daû in Hegels Logik noch Raum für weitere Differenzierungen vorhanden ist, denn in »feineren Unterscheidungen« kann weiter ausgeführt werden, was Hegel »in groûen Linien skizziert« hat. Weitere Ausführungen sind aber nach Hegel nur in Detailfragen möglich, denn die Vollständigkeit der Kategoriendeduktion beansprucht er durchaus, weil die Logik kein offenes System ist, sondern ein in sich geschlossener »Kreis von Kreisen« (GW, Bd. 12, 252).
Die Grundstruktur der Idee
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I. Die Grundstruktur der Idee 1. Die Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und als Bedingung der Wahrheit Wir wollen die Methode der Logik untersuchen, wie sie Hegel am Ende der Wissenschaft der Logik, als »Die absolute Idee«, in teilweise kryptischen Bemerkungen darstellt. Um zu klären, was Hegel unter der absoluten Idee versteht, muû zuvor zumindest skizziert werden, was die Idee in ihrer Grundstruktur auszeichnet. Die Idee kann zunächst als die Einheit der beiden ihr vorausgehenden Kategorienklassen bestimmt werden: »Die Subjektivität« und »Die Objektivität«. Die Idee ist also Subjekt-Objekt-Einheit.2 Als Einheit von Subjektivität und Objektivität enthält die Idee »den härtesten Gegensatz in sich«.3 Dieser Gegensatz zeigt sich als die höchste Form der Entgegensetzung innerhalb der Logik. Hegel macht auf einen zentralen Unterschied zwischen der Subjektivität, d. h. dem Begriff im engeren Sinne und der absoluten Idee aufmerksam: »Der Unterschied vom Begriffe als solchem ist dann nur der, daû dieser abstrakte Bestimmungen zu seinen Seiten hat, der weiter bestimmte Begriff aber (die Idee) selbst in sich konkrete Seiten, zu denen jene allgemeinen Bestimmungen nur der Boden sind.«4 Die Bestimmungen der Subjektivität, des Begriffs im engeren Sinn, wie sie der erste Abschnitt der »Lehre vom Begriff« darlegt, sind also der »Boden«, das Fundament der Bestimmungen der Idee. Dies zeigt sich insbesondere daran, daû die absolute Idee sich in den Begriffsbestimmungen Allgemeines, Besonderes und Einzelnes vollzieht. Es zeigt sich auch daran, daû die Ideen des Lebens und des Erkennens wie die absolute Idee jeweils einen Schluû bilden.5 Die Momente der Idee sind aber im Gegensatz zu den Momenten der einseitigen Subjektivität, des Begriffs im engeren Sinn, selbst schon konkret. So zeigt sich z. B. ein Unterschied zwischen der konkreten Allgemeinheit in Hegels Lehre vom Schluû aus dem Begriff im engeren Sinne und der konkreten Allgemeinheit in der absoluten Idee daran, daû im Schluû aus dem Begriff im engeren Sinne die konkrete Allgemeinheit nur im erfüllten Mittelbegriff anwesend ist, wogegen sich im methodisch dialektischen Schluû der absoluten Idee die konkrete Allgemeinheit in allen drei Begriffsbestimmungen selbst gestaltet; also sowohl in der Allgemeinheit, der Besonderheit als auch in der Einzelheit. Es gibt daher nicht mehr bloû einen erfüllten Mittelbegriff, sondern eine dreiVgl. GW, Bd. 12, 176. GW, Bd. 12, 177. 4 Hegel: Vorlesungen über die Beweise vom Daseyn Gottes. Siebente Vorlesung. GW, Bd. 18, 263. 5 Vgl. GW, Bd. 12, 182, 184, 199 f., 202, 209, 232 f. 2 3
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malige Selbstgestaltung der konkreten Allgemeinheit, bei der jeweils eine der drei Begriffsbestimmungen prävaliert, wodurch die Unterschiedenheit in der absoluten Idee gewährleistet wird, sonst gäbe es nur eine einfache Identität, ohne Unterschied. Der Unterschied beider Formen konkreter Allgemeinheit besteht darin, daû die Vermittlung beim Begriff im engeren Sinne sich noch abstrakter Momente bedient, wogegen in der Ideenlehre sämtliche Momente des Vermittlungsprozesses von vornherein in sich konkret sind. Daran wird deutlich, daû die Form der Dialektik im Rahmen der »Lehre vom Begriff« nicht statisch ein und dieselbe ist, sondern daû sie sich wandelt. Die Konkretion der Momente wandelt sich und damit auch der Typus der Entwicklungsdialektik des Begriffs, im Sinne einer Intensivierung des inneren Zusammenhangs der verschiedenen Momente des dialektischen Entwicklungsprozesses. Daher liegt eine unterschiedliche Vermittlungsstruktur von Begriffsbestimmungen beim Begriff im engeren Sinne und der absoluten Idee vor, die Entwicklungsdialektik intensiviert sich. Hegel macht auf einen weiteren methodischen Unterschied zwischen der Dialektik des Begriffs im engeren Sinn und derjenigen der absoluten Idee aufmerksam: »Wie der Begriff für sich betrachtet wurde, erschien er in seiner Unmittelbarkeit; die Reflexion oder der ihn betrachtende Begriff fiel in unser Wissen. Die Methode ist diû Wissen selbst, für das er nicht nur Gegenstand, sondern als dessen eigenes, subjectives Thun ist, als das Instrument und Mittel der erkennenden Thätigkeit, von ihr unterschieden, aber als deren eigene Wesenheit.«6 Wie diese Stelle zeigt, unterscheidet Hegel methodisch in der spekulativen Logik zwischen zwei Betrachtungsarten einer zu untersuchenden begrifflichen Bestimmung: Einerseits gibt es die Hinsicht der begrifflichen Bestimmung selbst, wie sie für sich selbst ist, und andererseits gibt es die Hinsicht, wie die begriffliche Bestimmung uns, den metareflektierenden Philosophen erscheint, die wir bereits über das Wissen der absoluten Idee verfügen. Offensichtlich ist diese Hinsichtenunterscheidung auch noch in der »Lehre vom Begriff« gültig und führt zu einem methodischen Unterschied. In der absoluten Idee sind der Gegenstand der Betrachtung und unser methodisches Wissen um ihn dasselbe. Die Methode ist die »Sache selbst«. Das unterscheidet die absolute Idee nicht nur vom Begriff im engeren Sinne, sondern auch von allen ihr vorangehenden logischen Inhalten. Der Idee kommt im Anschluû an die Kategoriengruppen der Subjektivität und der Objektivität die Aufgabe zu, den Begriff in seiner vollständigen Seinsweise zu setzen. Es gilt, die Selbstvergessenheit der Subjektivität in der Objektivität zu überwinden und zu zeigen, durch welche Bestimmungen der 6
GW, Bd. 12, 238.
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Subjektivität die Objektivität konstituiert ist. Durch die Bewältigung dieser Fragestellung soll zugleich die dem Begriff anhaftende Formalität, wie er sie in seiner ersten Entwicklungsstufe, der Subjektivität im engeren Sinne, noch hat, überwunden werden. In der ersten Entwicklungsstufe des Begriffs, in der Subjektivität im engeren Sinne, ist der Begriff noch formell, weil er hier in seiner Unmittelbarkeit auftritt und sich noch nicht vollgültig in seiner eigenen Objektivität erfaût hat, sondern ihr noch gegenübersteht. In der zweiten Entwicklungsstufe des Begriffs, der Objektivität, handelt der Begriff dagegen selbstvergessen, er hat sich verdinglicht. Der Begriff ist »zum Anderen seiner selbst« geworden. Die Funktion der Idee beschreibt Hegel daher wie folgt: »Sie ist der Verlauf, daû der Begriff als die Allgemeinheit, welche Einzelnheit ist, sich zur Objectivität und zum Gegensatz gegen dieselbe bestimmt, und diese ¾uûerlichkeit, die den Begriff zu ihrer Substanz hat, durch ihre immanente Dialektik sich in die Subjectivität zurückführt.«7 Die Selbstvergessenheit des Begriffs wird innerhalb der Ideenlehre durch einen stufenweisen Aufstieg überwunden, der sich von niedrigeren Weisen des Wissens um sich selbst als Subjekt-Objekt-Einheit bis hin zur höchsten Weise des Sich-Wissens, der absoluten Idee, entwickelt. Die Stufen der sich entwickelnden Ideenlehre Hegels sind das Leben, das Erkennen und die absolute Idee. Daran ist zu sehen, daû von der Idee als Subjekt-Objekt-Einheit nur adäquat gesprochen werden kann, wenn die Idee als diejenige Subjektivität begriffen wird, welche die Subjekt-Objekt-Einheit nochmals umgreift und sich dieser selbst bewuût ist. Die einfache Subjekt-Objekt-Einheit, die sich nicht selbst als solche weiû, ist gegen die absolute Subjektivität, die sich als solche Einheit weiû, ein defizienter Modus. Die absolute Subjektivität liegt damit als sich wissende Selbstbeziehung der einfachen Subjekt-ObjektEinheit zugrunde. Wird die Idee einfach als Subjekt-Objekt-Einheit verstanden, dann ist damit bloû die Grundstruktur der Idee bezeichnet. Die beiden Momente Subjektivität und Objektivität sind zwar auch in der Idee enthalten, aber in veränderter Form. »Die Idee hat sich nun gezeigt, als der wieder von der Unmittelbarkeit, in die er im Objecte versenkt ist, zu seiner Subjectivität befreyte Begriff, welcher sich von seiner Objectivität unterscheidet, die aber eben so sehr von ihm bestimmt [ist; d. V.] und ihre Substantialität nur in jenem Begriffe hat.«8 Dies ist ein zentraler Gedanke in Hegels spekulativer Umdeutung der Transzendentalphilosophie auf der metaphysischen Ebene der Logik. Denn hier zeigen sich die Konstitutionsbedingungen der Objektivität durch die absolute Subjektivität. Die Subjektivität unterscheidet sich nicht nur von der Objektivität, sondern bestimmt diese auch. Jeder objek7 8
Enzyklopädie 1830, § 215; dies findet sich bereits in der Enzyklopädie 1817, § 163. GW, Bd. 12, 176.
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tive Gegenstand des absoluten Wissens hängt inhaltlich und formal von den Strukturen des Wissens selbst ab, wird also durch diese gesetzt. Die Subjektivitätstheorie wird auf diese Weise selbst zur Ontologie. Die Objektivität ist nichts anderes als der Akt des Sich-von-sich-Unterscheidens der absoluten Subjektivität. Diese unterscheidet in sich nämlich den Akt des Denkens vom Gedachten. Somit ist der Selbstunterscheidungsakt der Subjektivität die Bedingung der Möglichkeit des Gedachten als solchen, also der Objektivität. Zugleich ist die absolute Subjektivität für Hegel der höchste Bedingungsgrund der Wahrheit. Wahrheit kann es nur dort geben, wo Subjekt und Objekt übereinstimmen. Dabei wird die Übereinstimmung von Hegel als Leistung der Subjektivität in Anspruch genommen. Die Subjektivität, die die Objektivität als Setzung ihrer selbst weiû, ist es, die die Übereinstimmung ermöglicht. In dieser Hinsicht stellt Hegel also eine Adäquations-Theorie der Wahrheit auf, wobei er noch die Bedingungen der Möglichkeit einer solchen Adäquation, nämlich die Unterscheidungstätigkeit der absoluten Subjektivität aufweisen will.9 Die Wahrheit als Übereinstimmung ist nach Hegel nicht ein starr vorliegender Sachverhalt, der in einem statischen Urteil ausgesagt werden könnte. Wahrheit wird letztlich in der Aktuosität des absoluten Subjekts begründet, sofern dieses sich von sich unterscheidet und sich mit sich in diesem Unterscheidungsakt in Übereinstimmung setzt, d. h. sich mit sich in seiner immanent gesetzten Differenz identifiziert; die Differenz und Selbstunterscheidung setzt das Subjekt, das Denkende selbst, indem es sich als Objekt, als Gedachtes erkennt und dieses Gedachte selbst als das Denkende weiû. Diese Form der Wahrheit ist allerdings nicht als intuitiv zu erschauende, unaussagbare Aktuosität des Subjekts zu verstehen, sondern diese »aktive Wahrheit« ist in Aussagen zu formulieren. Hegel ist kein Intuitionist, auch wenn nach ihm Wahrheit im höchsten Sinne in einem selbstbewuûten Geschehen besteht, denn dieses Geschehen muû sich begrifflich im Gedachten darstellen und darf nicht hinter diesem zurückbleiben. Dabei ist allerdings zentral, daû das Gedachte nicht bloû deswegen wahr ist, weil es Gedachtes der absoluten Subjektivität ist. Denn dann gäbe es die Möglichkeit logischen Irrtums nicht, das Gedachte wäre immer wahr, bloû weil es Gedachtes ist. Darüber hinaus muû das Gedachte, um wahr zu sein, auch in einer bestimmten Art und Weise gedacht sein, nämlich in dialektischer Weise. Erst wenn das Gedachte in sich dialektisch und von der absoluten Subjektivität gedacht ist, kann es als wahr bezeichnet werden. Die Methode »ist darum die Seele und Substanz, und irgend etwas ist nur begriffen Vgl. GW, Bd. 12, 173 f., vgl. auch a. a. O., 25 ff.; vgl. zu Hegels Konzeption der Wahrheit als Adäquation die Darstellung von R. Bubner (Hegels Logik des Begriffs. In: Zur Sache der Dialektik. Stuttgart 1980, 70±123, bes. 91±116). 9
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und in seiner Wahrheit gewuût, als es der Methode vollkommen unterworfen ist«.10 Die erste Bedingung für die Wahrheit ist die Übereinstimmung des Gedachten mit dem Denken, hier wird die Adäquation von Subjekt und Objekt in der denkenden absoluten Subjektivität begründet; die zweite Bedingung der Wahrheit ist, daû das Gedachte dialektisch ist, wie auch das Denken. Die dialektische Methode ist die Wahrheit als methodisch geregelte Übereinstimmung von Subjekt und Objekt in der Selbstbezüglichkeit der absoluten Subjektivität: »Die Methode ist daraus als der sich selbst wissende, sich als das Absolute, sowohl Subjective als Objective, zum Gegenstande habende Begriff, somit als das reine Entsprechen des Begriffs und seiner Realität, als die Existenz die er selbst ist, hervorgegangen.«11 2. Die absolute Idee als Form und Inhalt Die absolute Idee ist die dialektische Methode. Die Methode ist absolute Subjektivität: »Die Methode ist der reine Begriff, der sich nur zu sich selbst verhält«.12 Die Methode ist die allgemeine Form des Denkens. Mit der diaGW, Bd. 12, 238. GW, Bd. 12, 238. 12 GW, Bd. 12, 252; insbesondere K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 289 ff.) geht auf die absolute Subjektivität und auf die sich wissende Subjekt-Objekt-Einheit als Idee ein. K. Harlander (Absolute Subjektivität und kategoriale Anschauung. Eine Untersuchung der Systemstruktur bei Hegel. Meisenheim a.G. 1969) macht zwar einerseits auf die absolute Idee als absolute Subjektivität aufmerksam (vgl. a. a. O., 67 f.), postuliert aber andererseits den mit Hegels reifer Konzeption schwer zu vereinbarenden Gedanken, daû die absolute Subjektivität einer intellektuellen Anschauung fähig sein müsse, um sich als Einheit der gesamten Logik selbst erkennen zu können (vgl. a. a. O., 106 ff. und 125 ff.). Eine intellektuelle Anschauung der absoluten Idee postulieren auch S. Rosen (G.W.F. Hegel. An Introduction to the Science of Wisdom. New Haven/London 1974, 271) und G. Wohlfahrt (Die absolute Idee als begreifendes Anschauen. Bemerkungen zu Hegels Begriff der spekulativen Idee. In: Perspektiven der Philosophie 7, 1981, 317±338). Auch C. Iber (Subjektivität, Vernunft und ihre Kritik. Prager Vorlesungen über den Deutschen Idealismus. Frankfurt a.M. 1999, 188) deutet die dialektische Methode als Subjektivität. D. Henrich (Hegels Logik der Reflexion. Neue Fassung. Hegel-Studien Beiheft 18, 1978, 203±324) sieht Schwierigkeiten bei dem Versuch, die dialektische Methode im Ausgang von der absoluten Idee zu rekonstruieren. Hegels Bestimmungen seien nicht nur undeutlich, sondern auch unzureichend und formelhaft. Zur Rekonstruktion der Dialektik eignen sich nach Henrich die Reflexionsbestimmungen aus der Wesenslehre besser (vgl. a. a. O., 222±229). Hierbei muû man jedoch beachten, daû die Dialektik der Reflexionsbestimmungen nicht die Dialektik in ihrer höchsten Vollendung innerhalb der Logik darstellt. Dies leistet nur die absolute Idee. Vgl. auch L. de Vos (Hegels Wissenschaft der Logik: Die absolute Idee. Einleitung und Kommentar. Bonn 1983). Zu Hegels Ideenlehre vgl. auch V. Verra (Idee¬ nel sistema hegeliano. In: Idea. Atti des VI Colloquio internazionale del Lessico Intellettuale Europeo. Roma 1989. A cura di M. Fattori e M.L. Bianchi. Roma 1990, 393±410); auch A. Nuzzo (Idee¬ bei Kant und Hegel. In: Das Recht der Vernunft. Kant und Hegel über Denken, Erkennen und 10 11
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lektischen Methode wird daher die Art und Weise angegeben, wie sich die Aktuosität des Denkens vollzieht. Das Denkende, die absolute Subjektivität tritt damit in ein tätiges Selbstverhältnis. Die Tätigkeit der absoluten Subjektivität wird erkannt, indem die Form und der Inhalt ihres Denkens untersucht wird. Durch die Form des Denkaktes wird nicht nur das Denkende erkannt, sondern zugleich wird auch das Gedachte in seiner grundlegenden inhaltlichen Bestimmung gewuût. Denn das Gedachte muû notwendig der Form des Denkens entsprechen, sonst wäre es undenkbar. In dieser Hinsicht bestimmt die Form den Denkinhalt. Die dialektische Methode klärt also nicht bloû die Form des Denkens, sondern auch die grundlegenden Strukturen des Gedachten und des Denkenden. Im folgenden wird zu untersuchen sein, was insbesondere das Sich-zu-sich-Verhalten, also die Subjektivität der Methode in der absoluten Idee bedeutet. Die dialektische Methode ist bei Hegel kein äuûerlich schematisches Verfahren, sondern wird selbst zum abgeleiteten Denkinhalt. Den Inhalten des Denkens steht die Art und Weise, wie das Denken verfährt, nicht äuûerlich gegenüber.13 ¾hnlich hatte es sich bereits bei unserer Untersuchung von Hegels Bestimmungen zur Methode in der »Vorrede« zur Phänomenologie des Geistes von 1807 gezeigt, daû sich Hegel gegen einen methodisch äuûerlichen Schematismus wendet, wie er, nach Hegels Vorwurf, von Schelling und dessen Anhängern mit der Methode der Konstruktion praktiziert wurde. So wendet sich Hegel auch in der Wissenschaft der Logik gegen den methodischen Formalismus: »Der Formalismus hat sich zwar der Triplicität [gemeint ist die Konstruktionsmethode von Setzen, Entgegensetzen und Vereinigen; d. V.] gleichfalls bemächtigt, und sich an das leere Schema derselben gehalten; der seichte Unfug und das Kahle des modernen sogenannten Construirens, das in nichts besteht, als jenes formelle Schema, ohne Begriff und immanente Bestimmung überall anzuhängen, und zu einem äuûerlichen Ordnen zu gebrauchen, hat jene Form langweilig und übel berüchtigt gemacht.«14 Nach Hegels grundlegendem Postulat für die Logik hat eine Ableitung der Kategorien die verschiedenen Kategorien auf ein einheitliches Prinzip zurückzuführen und zu zeigen, wie die Kategorien in ihm begründet sind. Handeln. Festschrift für H.F. Fulda zum 65. Geburtstag, Hrsg. C. Fricke, P. König, T. Petersen, Stuttgart-Bad Cannstatt 1995, 81±120) stellt Hegels Ideenlehre dar; sie differenziert allerdings nicht deutlich zwischen den verschiedenen Entwicklungsphasen des Hegelschen Denkens und erläutert z. B. Habilitationsthesen Hegels von 1801 im Zusammenhang mit seiner reifen Ideenlehre aus der Enzyklopädie 1830 (vgl. a. a. O., 102 f. 107 f., 114, 116), wodurch entscheidende entwicklungsgeschichtliche Differenzen in Hegels verschiedenen Konzeptionen nivelliert werden. 13 Vgl. hierzu GW, Bd. 21, 27; ebenso äuûert sich Hegel bereits in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), GW, Bd. 11, 15. 14 GW, Bd. 12, 247 f.
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Die absolute Idee ist dieses einheitliche Prinzip, auf das die Kategorien oder logischen Denkbestimmungen zurückgeführt werden. Die absolute Idee als Prinzip der Logik ist die dialektische Methode. Die Methode ist gleichursprünglich der höchste Inhalt des logischen Denkens und die Form des Denkens in ihrer Reinheit. Dennoch bleiben bei der Methode die Form und der Inhalt distinkt voneinander zu unterscheidende Momente: »Die logische Idee hat somit sich als die unendliche Form zu ihrem Inhalte; ± die Form, welche insofern den Gegensatz zum Inhalt ausmacht, als dieser die in sich gegangene und in der Identität aufgehobene Formbestimmung so ist, daû diese concrete Identität gegenüber der als Form entwickelten steht; er hat die Gestalt eines Andern und Gegebenen gegen die Form, die als solche schlechthin in Beziehung steht, und deren Bestimmtheit zugleich als Schein gesetzt ist. ± Die absolute Idee selbst hat näher nur dieû zu ihrem Inhalt, daû die Formbestimmung ihre eigene vollendete Totalität, der reine Begriff, ist.«15 Form und Inhalt als zwei Momente der absoluten Idee sind dadurch voneinander zu unterscheiden, daû der Inhalt eine bestimmte Manifestation der allgemeinen Methode, d. h. der Form darstellt. Als gedanklicher Inhalt ist die absolute Idee ein Kristallisationspunkt der absoluten Idee als Form des Denkens. Ein solcher Kristallisationspunkt, im Sinne einer bestimmten Manifestation mit begrenzter Bedeutung ist gemeint, wenn Hegel von der »in sich gegangenen Formbestimmung« spricht, die eine konkrete Identität ist, d. h. eine bestimmt abzugrenzende Bedeutung hat.16 Zugleich steht die absolute Idee als dialektische Methode, als Form des Denkens, »schlechthin in Beziehung«. Dies bedeutet, daû die dialektische Methode als Form eine intentionale Struktur aufweist. Die Form ist immer Form von etwas, sie ist Form eines Inhalts und daher notwendig auf diesen bezogen. Die absolute Form muû sich in die verschiedenen Kategorien diversifizieren. So wie nach Fichtes zutreffender Deutung bei Kant die verschiedenen Kategorien und die logischen Denkgesetze ± also insbesondere die Urteilsfunktionen, als die logischen Einheiten, die den Kategorien zugrundeliegen ± nur verschiedene Selbstsetzungen der synthetischen Einheit der Apperzeption GW, Bd. 12, 237. Aufgrund dieser Bestimmtheit der kategorialen Inhalte der Logik ist die Kritik von H. Schmitz (Hegels Logik. Bonn/Berlin 1992, 17) interessant, aber auch problematisch. Schmitz kommt zu dem Resultat, es gebe bei Hegel keinen bestimmten Sinn einzelner Kategorien, da sich durch die dialektische Methode ein universelles »Satzsinngleiten« einstelle. Die einzelnen Bestimmungen in Hegels System können aber sehr wohl jeweils für sich und abgetrennt gedacht werden, allerdings ist das Resultat dieser Bestimmtheiten dann jeweils das Fortschreiten zu neuen bestimmten Bedeutungen, die auch wieder eine begrenzte Bedeutung haben und sich weiterleiten. Dieses Weiterleiten, das Schmitz als »Satzsinngleiten« bezeichnet, setzt also vielmehr bestimmte und begrenzte Bedeutungen voraus, aus denen es sich jeweils ergeben kann. 15 16
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sind, die sich dadurch in verschiedene Formen von Einheit auffächert,17 so sind strukturanalog bei Hegel die verschiedenen Kategorien der Logik auch bloû verschiedene, inhaltliche Selbstsetzungen und Diversifizierungen der absoluten Idee, die sich in verschiedene inhaltlich bestimmte Einheitsbedeutungen auffächert. Die absolute Idee ist nach Hegel »der einzige Gegenstand und Inhalt der Philosophie«.18 Es ist also die absolute Idee, die sich in den verschiedenen Kategorien jeweils in unterschiedlichen Gestalten und Aspekten ihrer selbst manifestiert. »Was also hier noch zu betrachten kommt, ist somit nicht ein Inhalt als solcher, sondern das Allgemeine seiner Form, ± das ist, die Methode.«19 3. Verfehlungen des Sinnes der Dialektik in der Philosophiegeschichte bei Zenon, Sokrates, Platon und Kant Hegel kritisiert im Rahmen der »absoluten Idee« historische Positionen zur Dialektik. Ausgehend von Hegels Konzeption der Idee als Subjekt-ObjektEinheit wird seine Kritik an diesen historischen Positionen deutlich: Diejenigen Philosophen, welche die Idee, das eigentlich und zuhöchst Seiende, nicht als sich selbst denkende Subjekt-Objekt-Einheit erkannten, muûten nach Hegel notwendigerweise auch den wahrhaften Sinn und die Bedeutung der dialektischen Methode verfehlen. Denn sie sahen nicht, daû die dialektische Methode als Idee sowohl die Subjektivität als auch die Objektivität konstituiert. Daher wiederholte sich in der Geschichte der Philosophie der Fehler, Dialektik als etwas bloû Subjektives oder als etwas bloû Objektives zu verstehen, sie für eine entweder subjektive oder objektive »Nichtigkeit«, d. h. sie für bloûen Schein zu halten.20 Die Dialektik ist keine »Kunst«, die auf einem bloû subjektiven Talent oder auf Genie beruht, denn alle eigentliche Objektivität, d. h. die durch die absolute Subjektivität, also durch das reine, logische Denken konstituierte Wirklichkeit, ist selbst dialektisch. Wäre die Dialektik eine Frage des Talents, dann wäre sie eine bloû zufällige Methode, denn solange sich kein entsprechendes Talent findet, würde die Wahrheit unentdeckt bleiben und Vgl. Fichte, Ueber das Verhältniû der Logik zur Philosophie oder transscendentale Logik. 1812. VIII. Vortrag. In: Fichtes Werke, Hrsg. I.H. Fichte, Berlin 1971, Bd. IX, 177. 18 GW, Bd. 12, 236. 19 GW, Bd. 12, 237. 20 Vgl. hierzu und zum folgenden GW, Bd. 12, 243 f.; ähnlich argumentiert Hegel auch in der Enzyklopädie 1830, § 81 Anm.: »Die Dialektik wird gewöhnlich als eine äuûere Kunst betrachtet, welche durch Willkühr eine Verwirrung in bestimmten Begriffen und einen bloûen Schein von Widersprüchen in ihnen hervorbringt, so daû nicht diese Bestimmungen, sondern dieser Schein ein Nichtiges und das Verständige dagegen vielmehr das Wahre sey.« Dasselbe findet sich bereits in der Enzyklopädie 1817, § 15. 17
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wäre nicht allgemein deduzierbar. Aus diesem Blickwinkel ist es nach Hegel eine groûe Einsicht Kants in das Wesen der Dialektik, sie als etwas Notwendiges erkannt zu haben. Nach Kant gerät die Vernunft notwendigerweise in die Dialektik, denn es ist ihr Wesen, transzendente und metaphysische Fragen nach dem Unbedingten zu stellen, die zu dialektisch-widersprüchlichen Denkbestimmungen führen. Nach Kant ist die Dialektik eine Logik des Scheins und der Trugschlüsse.21 Kant zieht nach Hegel die Schluûfolgerung, daû durch die Vernunft als einem Vermögen des Subjekts die Dialektik aus bloû subjektiven Gründen entspringe und ihr keine objektive Wahrheit korreliere. Hegel wehrt sich dagegen, die Dialektik nur in einem subjektiven Sinne zu verstehen. Kant habe auf diese Weise die subjektive wie objektive Notwendigkeit der Dialektik doch wieder verfehlt: »Es ist als ein unendlich wichtiger Schritt anzusehen, daû die Dialektik wieder als der Vernunft nothwendig anerkannt worden, obgleich das entgegengesetzte Resultat gegen das, welches daraus hervorgegangen, gezogen werden muû.«22 Entgegen der Lehre Kants folgt nach Hegel aus der Dialektik nicht die Unerkennbarkeit der Dinge an sich. Die Dialektik zeigt vielmehr, wie das rein Gedachte und eigentlich Seiende in sich selbst beschaffen ist. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten, die Dialektik miûzuverstehen. Die eine folgert aus der Dialektik die Nichtigkeit des Gegenstandes. Hier wird Dialektik betrieben, um zu zeigen, daû das Objekt, auf das sie angewandt wird, nicht existiert. Die Dialektik zeigt auf, daû der zu untersuchende Gegenstand in sich widersprüchlich ist. Eine solche Dialektik haben die Eleaten, Hegel meint wohl spezifisch Zenon, betrieben. Sie folgerten z. B., daû »der Welt, der Bewegung, dem Punkte die Wahrheit abgesprochen«23 werden müsse, aufgrund der Dialektik, in die sich diese Gegenstände verwikkeln. Dabei ist eigentlich nicht die Dialektik als solche paradox, sondern bloû der Gegenstand, gegen den sie gerichtet wird. Die Dialektik ist hier eine rechtmäûig durchzuführende Methode, um die Unwahrheit des Gegenstandes aufzudecken. Vor der Dialektik der Eleaten hat Hegel den gröûten Respekt: »Unendlich sinnreicher und tiefer, als die betrachtete Kantische Antinomie sind die dialektischen Beyspiele der alten eleatischen Schule«.24 Die andere Richtung, die ebenfalls den Sinn der Dialektik verfehlt, ist diejenige, die die Dialektik gegen das Subjekt und dessen Erkenntnisfähigkeit wendet. Dies ist die Fehlinterpretation des »gesunden Menschenverstandes«, für den nach Hegel Diogenes ein Beispiel ist, denn er meint, das diaVgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 354; vgl. auch S. 51±60 dieser Arbeit. GW, Bd. 12, 242; ähnlich äuûert sich Hegel GW, Bd. 21, 40; dies findet sich auch schon in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), GW, Bd. 11, 26 f. 23 GW, Bd. 12, 243. 24 GW, Bd. 21, 187; dies findet sich auch schon in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), GW, Bd. 11, 120. 21 22
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lektische Denken sei ein Schein, der sich durch den Verweis auf das Bestehen der Sachverhalte in der Sinnlichkeit entkräften lieûe.25 Gegen die Zenonische Dialektik, die beweisen sollte, daû es keine Bewegung gibt, protestierte Diogenes, indem er stumm umherging. An einer solchen Entkräftung der Dialektik ist allerdings problematisch, daû sie sich der rationalen Argumentation entledigt, den Gegner nicht durch rationale Beweise überführt. Der Verweis auf die intuitive Einsicht durch die Sinnlichkeit wird dort unhaltbar, wo es um rein intelligible Gegenstände geht, wie z. B. Gott und Freiheit, die gar nicht in der Sinnlichkeit anzutreffen sind, daher auch nicht durch sinnliche »Beweise« widerlegt werden können. Diogenes wendet sich gegen die Dialektik selbst und versucht sie als ein bloû subjektives Argumentationsverfahren zu entkräften. Die Sokratische Dialektik, die das Wissen nichts zu wissen, aufweisen sollte, wendet sich ebenfalls gegen die subjektive Erkenntnisfähigkeit, bedient sich dazu jedoch rationaler Argumente. Insbesondere gegen die Dialektik der Sophisten gerichtet, sollte die Dialektik des Sokrates hypertrophe Erkenntnisansprüche zurückweisen. Hier zeigt sich, daû in der Antike verschiedene Dialektikmodelle miteinander konkurrierten. Die dialektische Willkür der Sophisten bestand darin, alles beweisen zu wollen, ohne Ansehen, ob es sich um einen sinnvollen Gegenstand handelt oder nicht: da es das Nichtseiende nicht gibt, muû es alles, was aussagbar ist, geben; deshalb gibt es nach den Sophisten auch keinen Irrtum, keine Unwahrheit und keine Lüge. Insbesondere wenn die dialektische Willkür der Sophisten ethische Themen behandelte und aus Gerechtigkeit Ungerechtigkeit machte, wurde der »Zorn«26 des Sokrates geweckt. Die Radikalität der Sokratischen Dialektik, nur über ein wissendes Nichtwissen verfügen zu können, lieû allerdings auch den Zorn des athenischen Volkes gegen Sokrates entbrennen. Die Ansichten von Diogenes und Sokrates richten sich gegen spezifische Formen der Dialektik. Diese Richtung der Dialektikkritik unterscheidet sich also von der ersten, der objektiven Richtung der Eleaten, nicht nur dadurch, daû sie sich auf das fehlerhaft erkennende Subjekt bezieht, dem der dialektische Schein angelastet wird, sondern auch dadurch, daû sie sich gegen bestimmte Formen der Dialektik richtet, und damit diese für fehlerhaft hält, nämlich gegen die Zenonische und die Sophistische Dialektik. Eine weitere Richtung der Dialektikkritik wendet sich nach Hegel nicht gegen die Dialektik als solche, sondern nur gegen die mit ihr verbundenen Erkenntnisansprüche des Subjekts. Dieser Richtung sind Kant und der anGW, Bd. 12, 243; vgl. auch GW, Bd. 21, 188, wo Hegel ebenfalls auf Diogenes' scheinbare Widerlegung der dialektischen Bewegungsparadoxien der Eleaten eingeht; dies findet sich auch in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), GW, Bd. 11, 120. 26 GW, Bd. 12, 243. 25
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tike Skeptizismus zuzuordenen. Wie Kant so richte sich auch die antike skeptische Philosophie gegen die Erkenntnisfähigkeit des Subjekts. Radikal hat die antike Skepsis ihre Form der Dialektik, gegen einen Satz und seinen Beweis genau den gegenteiligen Satz und dessen Beweis aufzustellen, »auf alle wissenschaftlichen Begriffe ausgedehnt«.27 Diese skeptische Dialektik hat Platons Dialog Parmenides zum paradigmatischen Vorbild. Dieser Dialog ist wohl gemeint, wenn Hegel sagt, Platon wende sich mit seiner Dialektik »gegen die Kategorieen und Reflexions-Bestimmungen«.28 Hegel hat Platons Parmenides-Dialog, wie von uns untersucht, bereits in der frühen Jenaer Zeit im Skeptizismus-Aufsatz von 1802 als radikale skeptisch-dialektische Untersuchung der endlichen Kategorien gedeutet. Dies legt an unserer Stelle eine negative Interpretation des Parmenides-Dialogs nahe: Hegel scheint in den Aporien des Platonischen Dialogs keine positive Metaphysikkonzeption zu sehen, sondern eine Destruktion endlicher Bestimmungen, die durch den Aufweis der Wahrheit entgegengesetzter Bestimmungen in den Widerspruch führt und so mit Hilfe der Dialektik endliche Erkenntnisansprüche zerstört, sich aber nicht gegen die Dialektik als Erkenntnismethode selbst wendet.29 Diese Form skeptischer Dialektik nimmt Hegel in seine Logik auf. »Das dialektische Moment ist das eigene Sich-Aufheben solcher endlichen Bestimmungen und ihr Uebergehen in ihre entgegengesetzte. [...] Das Dialektische vom Verstande für sich abgesondert genommen, macht insbesondere in wissenschaftlichen Begriffen aufgezeigt den Skepticismus aus; er enthält die bloûe Negation als Resultat des DialektiGW, Bd. 12, 243; vgl. hierzu auch S. 61±81 dieser Arbeit. GW, Bd. 12, 243. 29 ¾hnlich äuûert sich Hegel auch GW, Bd. 21, 40; dies findet sich ebenfalls in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), GW, Bd. 11, 26; vgl. auch GW, Bd. 21, 87, wo Hegel die Dialektik Platons im Parmenides-Dialog als äuûere Reflexion bezeichnet; dies findet sich allerdings in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812) noch nicht. Diese negative Interpretation von Platons Parmenides-Dialog durch Hegel zeichnet sich auch ab, wenn er in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie sagt: »Das Zusammenfassen der Gegensätze in Eines und das Aussprechen dieser Einheit fehlt im Parmenides.« (Theorie-Werkausgabe, Bd. 19, 69) ¾hnliches meint Hegel auch, wenn er sagt, Platon sei in diesem Dialog bei der Negation stehengeblieben und habe nicht die Negation der Negation ausgesprochen, die unmittelbar Affirmation ist (vgl. a. a. O., 82). In dieser Vorlesung Hegels gibt es allerdings auch Stellen, die eine andere Interpretationsrichtung Hegels nahelegen, z. B. wenn er davon spricht, im Parmenides sei der »höhere Sinn« enthalten, die Entgegengesetzten mittels des spekulativen Denkens zusammenzubringen (vgl. a. a. O., 76, ähnlich wenn Hegel sagt, daû nach Platons Lehre im Parmenides-Dialog, das Eine an sich selbst in das Viele umschlage und dieser Dialog »die reine Ideenlehre Platons« sei, vgl. a. a. O., 80 ff.). Diese positive Interpretation des Parmenides-Dialogs, also daû in ihm selbst die spekulative Einheit der Entgegengesetzten ausgesprochen ist, macht es allerdings unmöglich, in diesem Dialog eine nur skeptische Dialektik zu sehen. Vgl. zu diesem Thema auch J. Halfwassen (Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Bonn 1999, 175±196, 205 ff.). 27 28
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schen.«30 Bei diesem bloû negativen Resultat ist nicht stehenzubleiben, sondern es ist vielmehr über den wissenschaftlichen Skeptizismus, wie ihn Platons Parmenides lehrt, zur spekulativen Vereinigung der Entgegengesetzten hinauszugehen. Daran wird einerseits die Kontinuität in Hegels Denkweg sichtbar, denn bereits in der frühen Jenaer Zeit zwischen 1801 und 1803 hatte die Logik die Funktion, die endlichen Verstandesbestimmungen mit Hilfe dialektisch-skeptischer Argumente zu überwinden. Andererseits wird die Weiterentwicklung des Hegelschen Denkens deutlich, denn in seiner reifen Logikkonzeption soll die Einheit der Entgegengesetzten, also ihre spekulative Vereinigung, aufgezeigt werden. Nach Hegel wurde in der Geschichte der Philosophie bei den verschiedenen Konzeptionen der Dialektik zwar jeweils entweder das Objekt oder das Subjekt berücksichtigt. ± Wie aus Hegels eigener Ideenkonzeption ersichtlich wird, ist dies allerdings ein Fehler, denn die Dialektik wurde nicht als Idee, als Subjekt-Objekt-Einheit begriffen. ± Bei den historischen Formen der Dialektik blieben jedoch die prädizierten Bestimmungen selbst und deren Bedeutungen unberücksichtigt. Die prädizierten Bestimmungen habe allererst Kant berücksichtigt, der damit den Weg für die »Betrachtung der Denkbestimmungen an und für sich« freigemacht habe und damit für eine »Logik und Dialektik«, für welche die reinen Gedanken der »wahrhafte Gegenstand und Inhalt der Vernunft« sind.31 Hegel spielt damit wohl auf seine eigene Deutung der Antinomien Kants an. Die Antinomien Kants »sind es vornehmlich, die den Sturz der vorhergehenden Metaphysik bewirkten, und als ein Hauptübergang in die neuere Philosophie angesehen werden können, indem sie insbesondere die Ueberzeugung von der Nichtigkeit der Kategorien der Endlichkeit von der Seite des Inhalts herbeyführen halfen«.32 Die Überwindung der Endlichkeit vollzieht sich nach Hegel in den Antinomien Kants also insbesondere im Ausgang von der inhaltlichen Seite kategorialer Bestimmungen. Kant habe damit den begrifflichen Inhalt, also die reinen Gedankenbestimmungen in das Zentrum der dialektischen Untersuchung gestellt. Nach Hegels Deutung konkurrieren in den Antinomien Enzyklopädie 1830, § 81 mit Anm.; ebenso Enzyklopädie 1817, § 15; vgl. auch a. a. O., § 36 Anm.: »Der Skepticismus, als eine durch alle Formen des endlichen Erkennens durchgeführte, negative Wissenschaft, würde gleichfalls sich als eine solche Einleitung darbieten. Aber er würde nicht nur ein unerfreulicher Weg, sondern auch darum etwas überflüssiges seyn, weil das dialektische selbst ein wesentliches Moment der positiven Wissenschaft ist, wie oben gesagt; [...]« Hegel spielt hier auf den § 15 an. Der § 36 fiel Hegels Umarbeitungen des »Vorbegriffs« und den »Drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität« in der zweiten und dritten Auflage der Enzyklopädie zum Opfer. 31 Vgl. GW, Bd. 12, 244. 32 GW, Bd. 21, 179 f.; ähnlich bereits in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812) GW, Bd. 11, 114, allerdings sagt Hegel hier noch nicht, durch die Antinomien Kants werde die Nichtigkeit der Endlichkeit von inhaltlicher Seite angegriffen. 30
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nicht entgegengesetzte Aussagen über das Weltganze miteinander, sondern es treten jeweils zwei entgegengesetzte Momente einer kategorialen Bestimmung in einen dialektischen Widerstreit. Kant habe die den antinomischen Aussagen zugrundeliegenden kategorial begrifflichen Bestimmungen in der »concreten Form kosmologischer Bestimmungen«33 verdunkelt. »Allein die tiefere Einsicht in die antinomische oder wahrhafter in die dialektische Natur der Vernunft zeigt überhaupt jeden Begriff als Einheit entgegengesetzter Momente auf, denen man also die Form antinomischer Behauptungen geben könnte.«34 Wenn Hegel sagt, daû die Antinomien Kants ein »Hauptübergang in die neuere Philosophie« bilden, dann wird daran deutlich, daû für die Ausbildung von Hegels eigener Dialektikkonzeption insbesondere die Antinomienlehre Kants eine entscheidende Anregungsquelle bildet. Der Sinn der Dialektik wird verfehlt, wenn entweder das Subjekt oder das Objekt als ein hypokeimenon, als eine ruhende Basis, miûverstanden wird, an welchem die verschiedenen Denkbestimmungen widerspruchsfrei und ebenfalls ruhend angeknüpft sind, und die Dialektik allererst später zu diesem hypokeimenon hinzutritt und im Subjekt, im Objekt und in den Denkbestimmungen die Verwirrung des Widerspruchs stiftet. Dies wäre eine äuûerliche Dialektik, die »erst durch die fremde und zufällige Verbindung in und von einem Dritten«35 entstünde. In Hegels Philosophie sind dagegen das denkende Subjekt, das gedachte Objekt und der Denkakt von vornherein selbst der dialektischen Bewegung unterworfen und in dieser vereint. 4. Die Idee als dynamischer Prozeû der konkreten Allgemeinheit Ein zentraler Gedanke Hegels besagt: »Die Idee ist wesentlich Proceû, weil ihre Identität nur in sofern die absolute und freie des Begriffs ist, in sofern sie die absolute Negativität und daher dialektisch ist.«36 Die Identität der Idee ist nicht statisch, sondern ergibt sich aus einer aktiven geistigen Bewegung. Die Negativität wird in der Ideenlehre als das Movens der Begriffsbewegung erkannt: Sie bestimmt die Prozessualität des Begriffs, und der Begriff erkennt seine eigene, positive Identität in ihr. Die Idee als Prozeû meint das Durchlaufen einer Entwicklung, die das Anderswerden des Begriffs als seine eigene Natur erkennt. Entwicklung bedeutet immer auch Veränderung desjenigen Sachverhalts, der sich entwickelt. Dasjenige, was sich entGW, Bd. 21, 180. GW, Bd. 21, 180; ebenso in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812) GW, Bd. 11, 114. 35 GW, Bd. 12, 244. 36 Enzyklopädie 1830, § 215; ähnlich bereits in der Enzyklopädie 1817, § 163. 33 34
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wickelt, wird zu einem anderen. Das Spezifikum in der Entwicklung der Idee besteht darin, daû sie gerade in dieser verändernden Entwicklung ihre Identität hat. Die Identität der Idee besteht darin, verschiedene Bestimmungen in sich zu vereinigen. Identität bedeutet also in bezug auf die Idee: Einheit verschiedener Bestimmungen, die sich dynamisch entwickeln. Diese verschiedenen Bestimmungen kommen der Idee aber nicht äuûerlich zu. In diesem Fall wäre die Idee bloû eine zugrundeliegende Entität, ein hypokeimenon, das unveränderlich nur in sich selbst ruhen würde, und dem darüber hinaus neben diesem Beharren akzidentell auch noch die Bestimmungen zukämen. Tatsächlich ist aber die Einheit nur, was sie ist, aufgrund der Verschiedenheit der ihr immanenten Bestimmungen und aufgrund des Zusammenhangs dieser Bestimmungen. Die zusammenhängende Verschiedenheit der Bestimmungen der Idee ist es, welche die Idee zu einem Konkreten und nicht zu einem Abstrakten macht. Als abstrakt hat nach Hegel dasjenige zu gelten, was keine Verschiedenheit in sich enthält. Abstrakt in diesem Sinn sind die diskursiven Begriffe, weil in ihnen gemeinsame Merkmale festgehalten und zu einer gemeinsamen Gattung vereint werden. Von anderen Merkmalen der Entitäten, welche die diskursiven Begriffe bezeichnen, wird hierbei abgesehen. In der Einheit der Idee wird dagegen von der Verschiedenheit nicht abgesehen. Für die Idee oder den spekulativen Begriff gilt, »daû er schlechthin konkret in sich sey, eine Einheit, welche nicht unbestimmt, sondern wesentlich bestimmt, und so nur als Einheit von Bestimmungen ist, und diese Einheit selbst so an ihre Bestimmungen gebunden, also eigentlich die Einheit von ihr selbst und den Bestimmungen ist, daû ohne die Bestimmungen die Einheit nichts ist, zu Grunde geht«.37 Für die Bestimmungen als solche gilt: »ihre Einheit ist eine ihnen selbst wesentliche, das heiût nur eine solche, daû sie durch die Bestimmungen selbst konstituirt wird, und umgekehrt, daû diese unterschiedenen Bestimmungen als solche an ihnen selbst dieû sind, untrennbar von einander zu seyn, sich selbst in die andere überzusetzen, und für sich genommen ohne die andere keinen Sinn zu haben, so daû wie sie die Einheit konstituiren, diese deren Substanz und Seele ist«.38 Den einzelnen Bestimmungen muû Aktuosität und Spontaneität zukommen, wenn sie sich ineinander »übersetzen« können. Das Verhältnis von Einheit und den dieser Einheit immanenten Begriffsbestimmungen in der Idee charakterisiert die konkrete Allgemeinheit. Die 37
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Vorlesungen über die Beweise vom Daseyn Gottes. Siebente Vorlesung. GW, Bd. 18, Vorlesungen über die Beweise vom Daseyn Gottes. Siebente Vorlesung. GW, Bd. 18,
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Bestimmtheit oder Besonderheit, die der konkreten Allgemeinheit immanent ist, erweist sich als eine solche Bestimmung, die wesentlich zur Einheit des spekulativ begriffenen Allgemeinen gehört. Allgemeinheit ist hier so zu verstehen, daû sie das substantielle Wesen der besonderen Bestimmungen ist; es handelt sich also um eine eidetische Allgemeinheit.39 Ebenso bedarf umgekehrt die spekulative Allgemeinheit der Besonderheit, weil sie sonst nicht bestimmt wäre. Die absolute Idee als dialektische Methode ist das Prinzip der konkreten Allgemeinheit und auch deren darstellende Entfaltung. »Das bewegende Prinzip des Begriffs, als die Besonderungen des Allgemeinen nicht auflösend, sondern auch hervorbringend, heiûe ich die Dialektik«.40 Die dialektische Methode als Entfaltung und höchste Bestimmung der konkreten Allgemeinheit ist in Hegels spekulativer Logik also die absolute Idee. In der absoluten Idee ist die Dialektik die Selbstdarstellung der konkreten, absoluten Subjektivität, die ihre verschiedenen Bestimmungen als ihre eigene, einheitliche Identität weiû und zugleich erkennt, daû sie selbst es ist, welche die besonderen Bestimmungen hervorbringt. Die konkrete oder absolute Subjektivität gründet sich selbst als Einheit in den Bestimmungen, und gleichzeitig werden von ihr die einzelnen Bestimmungen in ihrer Einheit begründet. Die konkrete Allgemeinheit ist von der gewöhnlichen analytischen Allgemeinheit eines Begriffs zu unterscheiden, wie sie z. B. Kant als Leistung der Reflexion, Abstraktion und Komparation konzipiert. Die analytische, diskursive Allgemeinheit besteht nach Kant in einer Zusammenfassung von Merkmalen auf abstrakter Ebene. Diese Zusammenfassung ist in letzter Instanz eine Leistung der analytischen Einheit der Apperzeption, welche die selbigen Merkmale in den verschiedenen Gegenständen aufgrund ihrer apperzeptiven, durchgängigen Identität festzuhalten in der Lage ist. Nach Kant ist die analytische Begriffsallgemeinheit konstituiert durch »die analytische Einheit des Bewuûtseins, welche sie [die Vorstellung, die als Verschiedenem gemeinsam gedacht wird; d. V.] zum conceptus communis macht«.41 Diese Allgemeinheit kann nach Hegel keinen Anspruch auf Wahrheit erheben, da sie von den Besonderen und Einzelnen absieht, d. h., sie sieht nicht die Ganzheit einer Bestimmung, sondern nur einseitige Ausschnitte eines eigentlich komplexen Sachverhalts. Denken und Gegenstand stimmen nicht Vgl. GW, Bd. 12, 238. Grundlinien der Philosophie des Rechts. § 31. Theorie-Werkausgabe, Bd. 7, 84; diese Beschreibung der Dialektik wird von H.F. Fulda (Hegels Dialektik als Begriffsbewegung und Darstellungsweise. In: Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels. Hrsg. R.-P. Horstmann, Frankfurt a.M. 1989, 2. Aufl., 136 ff.) näher interpretiert. 41 Kant, Kritik der reinen Vernunft. B 134 Anm. Zu Kants Bestimmungen über Komparation, Reflexion und Abstraktion als den Begriffsallgemeinheiten bildenden Vollzügen vgl. Reflexion Nr. 2876, in: AA, Bd. XVI, 555. 39 40
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überein. Nach Hegel ist die analytisch-diskursive Allgemeinheit ein Produkt des trennenden, endlichen Verstandes, der die abstrakte Identität zu seinem Gesetz hat und daher nicht in der Lage ist, die konkrete Allgemeinheit mit dem von ihr implizierten Widerspruch des Besonderen und des Einzelnen in dem Allgemeinen zu denken. Selbst wenn Hegel die anfangende Allgemeinheit des dialektischen Schlusses der absoluten Idee als »abstract«42 bezeichnet, so ist damit nicht die abstrakte, diskursiv-analytische Begriffsallgemeinheit gemeint, denn Hegels abstrakte Allgemeinheit des Anfangs ist an sich bereits eine konkrete Allgemeinheit; nur ist sie dies in unentwickelt latenter Form. Sie ist also nicht die einseitige Reflexionsallgemeinheit des Verstandes. Der Anfang der Methode ist Bestandteil der absoluten Idee, unterliegt also den Prinzipien der Vernunft, die ± wie bereits der frühe Jenaer Hegel lehrte ± nur vernünftig ist, indem sie den trennenden Verstand überwunden hat. Die anfangende Allgemeinheit der dialektischen Methode Hegels ist abstrakt, weil sie sich noch nicht selbst als konkrete Allgemeinheit weiû, sondern diese bloû in latenter Weise ist. Die anfangende Allgemeinheit in Hegels absoluter Idee enthält das Besondere in sich. Daran sieht man, daû Hegel die konkrete Allgemeinheit, die nicht nur das Besondere, sondern auch das Einzelne in sich enthält, für seine dialektische Methode voraussetzt. Als Prinzip der Bestimmtheit wird die konkrete Allgemeinheit aber in der methodischen Reflexion der absoluten Idee nicht eigens bewiesen, sondern sie ist eine Voraussetzung, die, wie Hegel beansprucht, bereits in der Begriffs-, Urteils- und insbesondere in der Schluûlehre aus dem Abschnitt »Die Subjektivität« bewiesen wurde und in der absoluten Idee in ihrer logisch-reinsten und höchsten Vollendung dargestellt wird. Die konkrete Allgemeinheit ist dabei für die Dialektik in Hegels Sinn von solch zentraler Bedeutung, daû die Dialektik mit der konkreten Allgemeinheit steht und fällt. Bei Kant wäre eine Allgemeinheit, die das Besondere in sich enthält, synthetische Allgemeinheit, die zu erkennen Gott vorbehalten ist. Wie Kant im § 77 der Kritik der Urteilskraft ausführt, ist der menschliche, endliche Verstand auf die sinnliche Anschauung angewiesen, die das Besondere und Einzelne als Mannigfaltigkeit in der Form von Sinnesdaten für den Verstand rezeptiv aufnimmt. Diese Besonderheit wird durch die Urteilskraft unter die analytische Allgemeinheit des Begriffs subsumiert. Durch die Allgemeinheit ist daher für den Verstand noch keine Besonderheit gegeben. Die besonderen Merkmale sind nach Kant nämlich nicht in einem allgemeinen Begriff vereint, sondern nur unter dem allgemeinen Begriff subsumiert. Allgemeinheit bedeutet nach Kant, daû eine Bestimmung vieles unter sich versammelt. Ist aber vieles unter einen Begriff subsumiert, dann muû dieser, da 42
GW, Bd. 12, 239.
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er nicht widersprüchliche Inhalte in sich enthalten kann, inhaltlich relativ unbestimmt sein. Daraus folgt die Reziprozität von Inhalt und Umfang der Begriffe: Allgemeinbegriffe müssen, je allgemeiner sie sind, umso inhaltsleerer und formeller sein. Dagegen wäre nach Kant ein anschauender Verstand auch in der Erkenntnis der Besonderheiten rein spontan, er bringt die angeschaute Besonderheit im Denken der Allgemeinheit selbst hervor. Der anschauende Verstand ist nicht auf die Rezeptivität angewiesen, wie der menschliche Verstand, dem sie die Besonderheiten und Einzelheiten durch die Anschauung gibt. Kant lehrt daher im § 77 der Kritik der Urteilskraft, daû ein solcher intuitiver Verstand »nicht vom Allgemeinen zum Besonderen und so zum Einzelnen« durch diskursive Begriffe zu gehen braucht. Er hat alle diese Bestimmungen auf einen Schlag. Der anschauende Verstand ist nach Kant der göttliche, urbildliche Intellekt; dieser ist für den diskursiven Verstand nur »negativ«, d. h. durch Entschränkung der Endlichkeit, zu denken. Diese Entschränkung hat zum Resultat, daû der unendliche Verstand dasjenige ist, was der endliche Verstand nicht ist. In Hegels Konzeption der absoluten Idee als dialektischer Methode soll die Einheit eine Vielheit von Bestimmungen in sich enthalten, die miteinander verbunden werden, indem von einer zur nächsten fortgeschritten wird. Es handelt sich also nicht um eine bloûe Pluralität von Bestimmungen, sondern um eine Entwicklung, die zu immer gröûerer Konkretion aufsteigen soll. »Dieser Reichthum in der Fortbestimmung [des spekulativen Begriffs, oder der Idee in ihrer vollsten Entfaltung; d. V.] aber muû nicht bloû als eine Mehrheit von Bestimmungen gedacht werden, sondern konkret werden; diese konkreten Seiten für sich genommen erscheinen selbst als vollständige für sich existierende Ganze, aber in Einem Begriffe, Einem Subjekte gesetzt, sind sie nicht selbstständig, getrennt von einander in ihm, sondern als ideell, und die Einheit des Subjekts wird dann um so intensiver.«43 Die absolute Idee entfaltet sich also in einer Hierarchie der Bestimmungen, die jeweils einen intensiveren Ausdruck der sich dialektisch bestimmenden absoluten Subjektivität darstellen. Die absolute Subjektivität ist also nicht lediglich ein loses »Bündel« von Bestimmungen, sondern die einheitlich sich durchhaltende Identität in den verschiedenen Aspekten ihrer selbst, die sie als ihre eigenen Bestimmungen setzt. Sofern es nämlich ihre eigenen Bestimmungen sind, muû die absolute Subjektivität eine durchgängige Identität in den verschiedenen Bestimmungen haben, sonst könnten sie nicht jeweils ihr selbst zugeschrieben werden. Daran wird deutlich, wie Hegel Kants Konzeption des intuitiven Verstandes und der synthetischen Allgemeinheit aufnimmt und beides weiterführt als Strukturmerkmale der absoluten Subjektivität. 43
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II. Die Stufen und die Entwicklung der absoluten Idee Hegel gliedert die absolute Idee, bzw. die Dialektik sowohl in der Wissenschaft der Logik44 als auch in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse in allen drei Auflagen von 1817, 1827 und 183045 in drei Stufen, die jeweils ein entscheidendes Moment in der dialektischen Bewegung darstellen. Die drei Stufen sind »Anfang«, »Fortgang«, und »Ende«. Diese drei Stufen stellen Stationen der reinen Denkbewegung, d. h. der dialektischen Methode dar. ± Diese drei Stufen hat Hegel in den Schullogiken aus der Nürnberger Zeit zwischen 1808 und 1812 noch nicht unterschieden; sie scheinen also eine originär in der »Lehre vom Begriff« aus der Wissenschaft der Logik von 1816 eingeführte Differenzierung der absoluten Idee zu sein. ± Da Hegel einerseits von der These: »Alles Vernünftige ist ein Schluû«46 ausgeht und andererseits von ihm betont wird, daû die Idee vernünftig ist,47 kann gefolgert werden, daû die absolute Idee ein Schluû ist. Den drei Stufen Anfang, Fortgang und Ende ist daher jeweils eine Position in dem methodischen Schluû zuzuordnen, der die dialektische Methode ist, so daû der Anfang die erste Prämisse, der Fortgang die zweite Prämisse und das Ende die Konklusion bilden.48 In bezug auf den Anfang muû man genauer sagen, daû er zur ersten Prämisse führt, denn für Hegel impliziert eine Prämisse innerhalb eines Schlusses die Trennung in Subjekt und Prädikat. Im Gegensatz zum Urteil bleiben Subjekt und Prädikat bei einer Prämisse im Schluû nicht in ihrer Trennung bestehen, sondern werden zu einer Einheit vermittelt, in der jedes einzelne der Unterschiedenen das Ganze aussagt. Diese Vermittlung geschieht bei der ersten Prämisse durch die zweite Prämisse und die Konklusion. Diese Vgl. GW, Bd. 12, 239 ff. Vgl. Enzyklopädie 1817, §§ 185, 186, 188; Enzyklopädie 1827, §§ 238, 239, 242; Enzyklopädie 1830, §§ 238, 239, 242. 46 GW, Bd. 12, 90. 47 Vgl. GW, Bd. 12, 173. 48 M. Cekic (Fragmente über Dialektik. Hegel-Jahrbuch, 1975, 416±423, bes. 417) deutet, nicht speziell auf Hegels Dialektik bezogen, an, daû die Trias These, Antithese, Synthese dem Syllogismus mit Obersatz, Untersatz und Schluûsatz entspreche. Insbesondere K. Düsing (Syllogistik und Dialektik in Hegels spekulativer Logik. In: Hegels Wissenschaft der Logik: Formation und Rekonstruktion. Hrsg. D. Henrich, Stuttgart 1986, 15±38, bes. 31±38) hat herausgearbeitet, daû die dialektische Methode, wie Hegel sie in der absoluten Idee darstellt, ein Schluû ist und daû dieser Schluû die Figur A-B, B-E, E-A hat. ¾hnlich auch in seiner teilweise sprachphilosophisch angeregten Darstellung H.F. Fulda (Hegels Dialektik als Begriffsbewegung und Darstellungsweise. In: Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels. Hrsg. R.-P. Horstmann, Frankfurt a.M. 1989, 2. Aufl., 154 ff.), H. Kimmerle (Die allgemeine Struktur der dialektischen Methode. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, 33, 1979, 200) und C. Iber (Subjektivität, Vernunft und ihre Kritik. Frankfurt a.M. 1999, 181 ff.). 44 45
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Struktur der Trennung und Aufhebung der Trennung hat der Anfang als solcher jedoch noch nicht vollzogen. Deshalb führt der Anfang der dialektischen Methode zur ersten Prämisse, er ist diese aber noch nicht. III. Der Anfang: Die Allgemeinheit Der Anfang der spekulativ-dialektischen Methode muû unmittelbar sein, denn wenn er vermittelt wäre, würde er etwas voraussetzen, auf das er sich bezöge und das sein Grund wäre, dann würde es sich aber nicht mehr um den Anfang als solchen handeln. Folglich darf der Anfang »nichts voraussetzen«.49 Er muû zugleich einfach sein, weswegen er keine gegeneinander entwickelten Momente haben darf, aus denen er sich zusammensetzt, da er sonst diese Momente voraussetzen würde und damit nicht voraussetzungslos wäre. In der Voraussetzungslosigkeit des Anfangs ist seine Einfachheit impliziert. Mit der Einfachheit ist die Unbestimmtheit des Anfangs gesetzt, denn was in der Weise einfach ist, daû es keine in sich unterschiedenen Momente hat, ist unbestimmt. Daher ist der Anfang »von höchst einfacher Natur«.50 So darf er nicht von anderen Bestimmungen abgeleitet sein, weswegen er etwas »aufgenommenes, vorgefundenes, assertorisches«51 zu sein scheint. Diese Umschreibungen sollen den Anfang als etwas noch nicht Abgeleitetes, scheinbar Willkürliches charakterisieren. Aus der Unvermitteltheit des Anfangs rührt der Schein seiner Willkür. Dabei ist der Anfang allerdings nicht wirklich willkürlich, da er notwendigerweise unmittelbar und einfach sein muû. Da hier der Anfang des reinen Denkens, des sich selbst denkenden Begriffs thematisiert wird, muû ihm eine Begriffsbestimmung zukommen, denn die Begriffsbestimmungen sind sowohl das Element als auch das Medium des Denkens. »Das, was die Methode hiemit ausmacht, sind die Bestimmungen des Begriffes selbst und deren Beziehungen, die in der Bedeutung als Bestimmungen der Methode nun zu betrachten sind.«52 Der Anfang muû also entweder Allgemeinheit, Besonderheit oder Einzelheit sein. Ihm kommt die Begriffsbestimmung der Allgemeinheit zu, weil Besonderheit und Einzelheit keine anfangenden Begriffsbestimmungen sein können, denn diese beiden letzteren setzen immer Unterscheidung und damit Vermittlung voraus. Besonderes oder Einzelnes ist ein Sachverhalt, indem er von etwas anderem, gegen das er sich abgrenzt, unterschieden ist. Die UnGW, Bd. 21, 56; diese ¾uûerung Hegels findet sich bereits in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), vgl. GW, Bd. 11, 33. 50 GW, Bd. 12, 239. 51 GW, Bd. 12, 239. 52 GW, Bd. 12, 239. 49
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terscheidung in Besondere oder Einzelne setzt eine Einheit voraus, aus der die Unterschiedenen entspringen. Eine solche Einheit ist vorauszusetzen, da sonst die Besonderen oder Einzelnen nichts Einheitstiftendes hätten, auf dessen Grundlage sie als voneinander Unterschiedene gesetzt werden könnten. Eine solche Einheit bildet die Begriffsbestimmung der Allgemeinheit. Die Allgemeinheit muû somit die Begriffsbestimmung sein, die dem Anfang des dialektischen Denkens zukommt. Die Allgemeinheit ist zunächst als in sich ununterschiedene, unmittelbare Einheit zu begreifen. Die Allgemeinheit ist zunächst abstrakt, d. h., in ihr wird von aller Vielheit und Besonderheit abgesehen.53 Weil der Anfang nichts voraussetzt, ist er unmittelbar, und deshalb hat er die Bedeutung der abstrakten Allgemeinheit, die eine einfache Beziehung auf sich selbst ist, weil sie nur sich selbst thematisiert, also mit sich identisch ist. Dem Anfang kommt diese einfache Selbstbeziehung zu, weil es noch gar nichts anderes gibt, auf das er sich beziehen kann. Am Anfang gibt es nur den Anfang. Diese einfache Beziehung auf sich, die die anfangende Allgemeinheit bestimmt, ist auch der Grund, weshalb in der absoluten Idee die Allgemeinheit Moment im Denken ihrer selbst sein kann. Bereits die anfangende Allgemeinheit stellt ein, wenn auch noch rudimentäres und unentfaltetes, Selbstverhältnis dar. Es wird bei diesem methodischen Anfang allerdings um seiner Anfänglichkeit willen davon abgesehen, daû dieses Allgemeine eine Begriffsbestimmung ist. An sich hat das Allgemeine des Anfangs das Besondere und Einzelne in sich, andernfalls könnte nach Hegels Ansicht gar nicht sinnvoll vom Allgemeinen gesprochen werden. Der immanente Zusammenhang aller drei Begriffsbestimmungen in seiner höchsten und vollendeten Form ist jedoch erst das Resultat der absoluten Idee. Die konkrete Allgemeinheit, bei der die Einheit, d. h. die Allgemeinheit auf ihre immanenten Bestimmtheiten, Besonderheit und Einzelheit, bezogen ist, kann noch nicht am Anfang des dialektischen Denkens seiner selbst, welches die absolute Idee vollzieht, vorhanden sein. Denn dies setzt eine immanente Selbstvermittlung voraus, die im unmittelbaren Anfang noch nicht geleistet sein kann. Auch aufgrund dieser bloû latenten, unthematischen konkreten Allgemeinheit ist der Anfang abstrakte Allgemeinheit. Bei dem Anfang der absoluten Idee und dem Anfang des rein logischen Denkens ist es wichtig, um überhaupt systematisch richtig anzufangen, d. h. ohne unbewiesene Voraussetzungen zu beginnen, alles Vorwissen auszuschlieûen, das wir über den Begriff mitbringen, z. B., daû er nicht bloû einfache Unmittelbarkeit sein kann, sondern daû er auch Bestimmtheit impliziert. Dies ist ein notwendiges, methodisches Unwissen, in das es sich hineinzuversetzen gilt, um nicht unbedachte und am Anfang noch nicht zu 53
Vgl. GW, Bd. 12, 239.
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rechtfertigende Bestimmungen einflieûen zu lassen. Damit würde nämlich der Anfang mit der Allgemeinheit in seiner Ursprünglichkeit und Unmittelbarkeit verfehlt. »Die Beglaubigung des bestimmten Inhalts, mit dem der Anfang gemacht wird, scheint rückwärts desselben zu liegen; in der That aber ist sie als ein Vorwärtsgehen zu betrachten, wenn sie nemlich zum begreiffenden Erkennen gehört.«54 Die Rechtfertigung des Anfangs und die Erkenntnis, daû auch der unmittelbare Anfang einen bestimmten Inhalt impliziert, liegt noch vor ihm, nicht bereits hinter ihm. Wenn der Anfang gemacht wird, scheint es zunächst so, daû bereits vor diesem Anfang schon Bestimmungen vorhanden sind, die den Anfang bestimmen, die ihm also vorherlägen. Dann wäre aber kein wirklicher Anfang gemacht. Der Anfang gestaltet sich nur, wenn alle Formen der Bestimmtheit nach ihm auftreten und von ihm als Ausgangspunkt in einem Voranschreiten gewonnen werden. ± Dies schlieût nicht aus, daû dem Anfang der Logik die Phänomenologie des Geistes vorangeht und systematisch in die Logik durch die Hinführung des natürlichen Bewuûtseins zum absoluten Wissen einleitet. In unserer Untersuchung geht es nur um den in der Logik selbst zu vollziehenden logischen und rein spekulativen Anfang, also um den der Logik immanenten Ursprung des reinen Denkens. ± Der Anfang der dialektischen Methode changiert zwischen der an sich vorhandenen Totalität des Begriffs und dessen Unmittelbarkeit, die ihm notwendig ist, da er sonst kein Anfang wäre: »Das Allgemeine gilt aber in der absoluten Methode nicht als bloû abstractes, sondern als das objectivAllgemeine, d. h. das an sich die concrete Totalität, aber noch nicht gesetzt, noch nicht für sich ist.«55 Die objektive Allgemeinheit bezeichnet den Begriff, wie er an sich ist, sofern er die Vermittlungsstruktur mit sich selbst durch alle drei Begriffsbestimmungen zwar schon ist, aber diese noch nicht für sich selbst vollzogen hat. In der absoluten Idee als der höchsten Entwicklungsstufe des Begriffs besteht der anfängliche Begriff im Stadium des Ansichseins zwar schon als diese Vermittlungsstruktur, doch er weiû sich noch nicht als diese Struktur. Ansichsein ist hier also im Sinne von Potentialität zu verstehen. Die Idee weiû sich in diesem anfänglichen Stadium noch nicht in ihrer vollständigen Bestimmtheit. Abstrakte und objektive Allgemeinheit sind lediglich zwei verschiedene Hinsichten auf ein und dasselbe. Sie machen zwei verschiedene Aspekte des Anfangs der dialektischen Methode deutlich. Beim objektiven Allgemeinen liegt der Akzent auf dem ontologischen Moment der Unmittelbarkeit, bei der abstrakten Allgemeinheit dagegen auf der Leere und Unbestimmtheit des Anfangs. 54 55
GW, Bd. 12, 240. GW, Bd. 12, 240.
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Weil die Begriffsbestimmung im weiteren Fortgang der absoluten Idee eine Bewegung darstellt und weil der Anfang der Ausgangspunkt dieser Bewegung ist, scheint man sich den Anfang als einen Ruhepunkt denken zu müssen, als ruhenden Ausgangspunkt der Begriffsbewegung. Dies ist aber problematisch, denn die absolute Idee thematisiert die Struktur des reinen Denkens. Das Denken ist immer schon intellektuelle Bewegung, ohne sie wäre das Denken nicht Denken. Fragt man zurück, nach dem Punkt, in dem diese Bewegung anhebt, kann man nicht einen Ruhepunkt als solchen denken, denn sofern sich das Denken vollzieht, ist es eine intellektuelle Bewegung. Die Frage nach einem ruhenden Ausgangspunkt des Denkens ist also paradox. Sie lieûe sich auch so stellen: was war das Denken, bevor es Denken war?56 Diese Frage kann in der Logik nicht beantwortet werden, weil sie den Rahmen des reinen Denkbaren überschreitet. Das Denken war vor seiner intellektuellen Bewegung noch kein Denken. Der Anfang der absoluten Idee muû daher bereits eine intellektuelle Bewegung sein. Daû der Anfang tatsächlich in sich bewegt ist, läût sich nach Hegel aber erst durch den Fortgang erkennen, der aufzeigt, daû der Mangel und die »Abstraktheit« des Anfangs bereits jeweils Momente der dialektischen Bewegung sind. Die intellektuell dialektische Bewegung des Denkens muû notwendig mit sich selbst anfangen. In der Logik gibt es bezüglich des rein logischen Anfangs in diesem Sinne kein dem Denken Vorausgehendes, denn dies wäre eben noch kein rein logisches Denken. Daher ist der Anfang auch nicht ein ruhender Ausgangspunkt der Denkbewegung. Der Anfangspunkt ist immer schon überschritten, sofern gedacht wird. Aus diesem Grund, weil das Denken immer schon über einen ruhenden Anfangspunkt hinaus ist, gehen die Anfangsbestimmungen der Logik »Sein« und »Nichts« nicht aktualiter ineinander über, sondern sie haben dies immer schon vollzogen. Deshalb gilt: »daû das Seyn in Nichts, und das Nichts in Seyn, ± nicht übergeht, ± sondern übergegangen ist«.57 Das Sein als reine Unbestimmtheit ist kein ruhender Ausgangspunkt, der sich dann in Bewegung setzt und zum Nichts wird, sondern das anfangende Denken hat diesen Übergang immer schon vollzogen, sofern es die Unmittelbarkeit und Unbestimmtheit denkt. Sofern das Sein gedacht wird, ist das Nichts immer schon an ihm unmittelbar hervorgebrochen.58 Dies ist eine ähnliche Frage, wie diejenige, die Fichte (Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794/95). GA, Abt. I, Bd. 2, 260) als unsinnig verwarf: »was war ich wohl, ehe ich zum Selbstbewuûtseyn kam?« Nach Fichte ist das Ich kein Ich, wenn es sich nicht als solches setzt. Ein dem Ich vorgängiges Substrat, aus dem es sich entwickelt, ist nach Fichte undenkbar. 57 GW, Bd. 21, 69; dasselbe sagt Hegel auch schon in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), vgl. GW, Bd. 11, 44. 58 Vgl. GW, Bd. 21, 86. 56
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Die unbestimmte Unmittelbarkeit des Anfangs der absoluten Idee ist dem »Sein« am Anfang der Logik analog, denn auch dieses ist eine unbestimmte Unmittelbarkeit. Allerdings ist das Sein am Anfang der Logik die reine, völlig unmittelbare Unbestimmtheit, wogegen der Anfang der absoluten Idee eine hoch vermittelte Form der Unmittelbarkeit bildet, weil dieser Anfang bereits eine logische Genese aus den ihm vorangehenden Kategorien voraussetzt. »In der That ist diese erste Allgemeinheit eine unmittelbare, und hat darum ebensosehr die Bedeutung des Seyns; denn das Seyn ist eben diese abstracte Beziehung auf sich selbst.«59 In ähnlicher Weise, wie der Anfang der absoluten Idee einfache Beziehung auf sich ist, weil es nichts anderes gibt, auf das sich die anfangende Allgemeinheit beziehen könnte, ist auch das reine Sein einfache, in diesem Sinne abstrakte Beziehung auf sich.60 Dasjenige, was Hegel in methodischer Hinsicht als Bestimmung des Anfangs entwickelt, muû auf alle Kategorien zutreffen, die im Rahmen der Logik jeweils den Anfang einer logischen Entwicklung bilden. Das Sein ist allerdings ein paradigmatischer Fall anfangender Dialektik, denn es bildet den Anfang der Logik insgesamt.61 Daran wird deutlich, daû bereits das Sein die GW, Bd. 12, 239. Enzyklopädie 1830, §§ 112, auch in der Anm., 159 Anm., 193 Anm. ¾hnlich auch GW, Bd. 21, 323: »Das Seyn als solches ist unmittelbare Gleichheit der Bestimmtheit mit sich selbst.« ¾hnlich äuûert sich Hegel bereits in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), vgl. GW, Bd. 11, 189. 61 H. Schmitz (Hegels Logik. Bonn/Berlin 1992, 61 f., auch 173 f.) bezieht Hegels ¾uûerungen über den Anfang der absoluten Idee direkt auf das Sein; den Fortgang, das Zweite der absoluten Idee bezieht Schmitz auf das Wesen. Diese direkte Applikation ist jedoch problematisch, da die absolute Idee am Ende der Logik diejenige Methode thematisiert, welche die gesamte Logik zumindest horizonthaft durchzieht. So muû sich z. B. der Fortgang auch in der »Lehre vom Sein« finden, und Anfangsstadien dialektischer Vermittlung finden sich auch im Wesen. In diesem Sinne sagt Hegel, »Seyn, Wesen, Allgemeinheit« seien jeweils »absolut erste Anfänge« (GW, Bd. 12, 249). In unserer Interpretation soll aber nicht abgestritten werden, daû das Sein einen paradigmatischen Fall anfangender Dialektik bildet. Eindrucksvoll und differenziert expliziert H.-G. Gadamer (Die Idee der Hegelschen Logik. In: Gesammelte Werke, Bd. 3, Neuere Philosophie I. Hegel, Husserl, Heidegger. Tübingen 1987, 76 ff.) die dialektische Bewegung von Sein, Nichts und Werden; zum Thema auch D. Henrich (Anfang und Methode der Logik. In: Hegel im Kontext. Frankfurt a.M. 1971, 73±94); E. Tugendhat (Das Sein und das Nichts. In: Philosophische Aufsätze. Frankfurt a.M. 1992, 50 ff., vormals abgedruckt in: Durchblicke. Festschr. für M. Heidegger zum 80. Geburtstag, Frankfurt a.M. 1970, 132±161) kritisiert Hegels Anfang der Logik mit dem Sein und dem Nichts aus einer sprachphilosophischen Perspektive. Gegen Tugendhats Kritik wendet sich T. Kesselring (Voraussetzungen und dialektische Struktur des Anfangs der Hegelschen Logik. In: Das Problem der Dialektik. Hrsg. D. Wandschneider, Bonn 1990, 94 f.); D. Wandschneider (Grundzüge einer Theorie der Dialektik. Rekonstruktion und Revision dialektischer Kategorienentwicklung in Hegels Wissenschaft der Logik¬. Stuttgart 1995, bes. 50 ff., eine Zusammenfassung bietet ders.: Zur Struktur dialektischer Begriffsentwicklung. In: Das Problem der Dialektik. Hrsg. D. Wandschneider, Bonn 1990, 114±169) versucht, die Struktur der Dialektik im Ausgang von Sein und Nichts zu rekonstruieren, was allerdings schwierig ist, da die Dia59 60
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sich selbst denkende absolute Idee impliziert, allerdings in einer gänzlich unentwickelten und rudimentären Form. Es ist aber nicht so, daû der Anfang der Logik mit dem Sein überhaupt erst aufgrund der absoluten Idee verständlich wäre. Er muû vielmehr auch schon für sich selbst begreifbar sein, denn sonst würde man die Ableitungsordnung der logischen Kategorien unberechtigterweise umkehren. Das, was noch abzuleiten ist, die späteren Kategorien, dürfen nicht zur Begründung der früheren Kategorien herangezogen werden.62 Hat man jedoch die letzte und höchste Kategorie der Logik, die absolute Idee, erreicht, dann zeigt sich, daû diese in allen vorangehenden Kategorien mitgegenwärtig ist, sofern alle vorangehenden Kategorien sich auch schon nach der dialektischen Methode bestimmen, diese aber noch unthematisch bleibt. Daran wird deutlich, daû der Anfang zwar auch schon für sich einleuchten muû, damit er aber vollständig einleuchtet, ist seine Betrachtung aus der Perspektive der absoluten Idee notwendig. Bereits das Sein ist eine einfache Beziehung auf sich. Damit kommt dem Sein Selbstbezüglichkeit zu, die in der letzten Instanz die absolute Idee als sich selbst denkende absolute Subjektivität ist. Das »Allgemeine ist unmittelbar selbst diû Unmittelbare, weil es als abstractes auch nur diese abstracte Beziehung auf sich ist«.63 Die absolute Idee ist der Bewegungsinitiator, der die immanente Bewegung des Seins leitet, das sich aufgrund seiner völligen Unbestimmtheit in das Nichts umwandelt. Diese dialektische Tätigkeit des Seins, sich in das Nichts umzuwandeln, wird in ihrer vollständigen Bedeutung erst in der absoluten Idee deutlich. Die absolute Idee zeigt allererst die absolute Subjektivität als das Zentrum aller Tätigkeit auf und damit auch der Umwandlung des Seins in das Nichts. Die Zirkelstruktur der Logik wird hier deutlich. Der Anfang mit dem Sein hat bereits das Ende, die absolute Idee in sich. Dies weiû allerdings der Anfang aus seiner Perspektive noch nicht. »Von der speculativen Idee aus aber ist es ihr Selbstbestimmen, welches als die absolute Negativität oder Bewegung des Begriffs urtheilt und sich als das Negative seiner selbst setzt. Das Seyn, das für den Anfang als solchen als ablektik von Sein und Nichts am Anfang der Logik noch nicht die vollendete dialektische Methode, sondern eine Ausgangsbasis dialektischer Entwicklung darstellt, wenn es sich auch um eine grundlegende Form von Dialektik handelt. 62 Darauf macht auch W. Wieland (Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik. In: Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels. Hrsg. R.-P. Horstmann, Frankfurt a.M. 1989, 200 f.) aufmerksam. H.-G. Gadamer (Die Idee der Hegelschen Logik. In: Gesammelte Werke, Bd. 3, Neuere Philosophie I. Hegel, Husserl, Heidegger. Tübingen 1987, 72) hat allerdings gezeigt, wie es in Hegels Logik immer wieder vorkommt, daû logische Kategorien, bereits bevor sie deduziert wurden, zu explikativen Zwecken verwendet werden können und müssen, so z. B. die Reflexionsbestimmungen Identität und Unterschied. Gadamer nennt dies den »Unterschied zwischen den operativen Begriffen des Denkens und ihrer Thematisierung« (a. a. O.). 63 GW, Bd. 12, 240.
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stracte Affirmation erscheint, ist so vielmehr die Negation, Gesetztseyn, Vermitteltseyn überhaupt und Vorausgesetztseyn. Aber als die Negation des Begriffs, der in seinem Andersseyn schlechthin identisch mit sich und die Gewiûheit seiner selbst ist, ist es der noch nicht als Begriff gesetzte Begriff, oder der Begriff an sich.«64 Aus der Perspektive der absoluten Idee ist der Anfang der Logik mit dem Sein ihre eigene spontane Selbstsetzung. Die Unbestimmtheit des Begriffs in seinem Anfang als Sein ist der Grund, weshalb er allgemein ist. Er ist allgemein in dem Sinne, daû er noch nichts Bestimmtes ist. Er ist zwar unbestimmt, dadurch ist er aber auch dasjenige, welches für alle Bestimmtheit aufnahmefähig ist und in diesem Sinne alle Bestimmtheit in sich umfaût und allgemein ist. Das Sein als unbestimmte Unmittelbarkeit ist aus der Sicht der absoluten Idee selbst eine Negation, nämlich eine Negation der absoluten Idee; das Sein schlieût z. B. dasjenige aus, was die absolute Idee als vollständige Bestimmtheit ist. Die Unmittelbarkeit des Anfangs erweist sich so im Rückblick der absoluten Idee als ein notwendiger methodischer Schein. Die unbestimmte Unmittelbarkeit muû sich selbst auflösen, denn sie ist ein methodisches Konstrukt, um systematisch richtig anfangen zu können. Das Sein als Anfang ist unentfaltete Potentialität für Bestimmtheit überhaupt, es ist daher abstrakt und enthält keine Konkretion. In diesem Sinne ist der Anfang auch der Mangel, er hat nicht bloû die Eigenschaft der Mangelhaftigkeit an sich, sondern ist diese selbst: Da die absolute Idee als dialektische Methode »die objective, immanente Form ist, so muû das Unmittelbare des Anfangs an ihm selbst das Mangelhafte, und mit dem Triebe begabt seyn, sich weiter zu führen«.65 Der Anfang hat die Bestrebung sich zu vollenden, weil die absolute Idee selbst schon der Anfang ist. Daû der Anfang bereits eine spontane Selbstsetzung der absoluten Idee ist, bedeutet, daû das Ende der Logik die Voraussetzung für deren Anfang ist. Der Anfang setzt das Ende voraus, dieses ist das zweckhafte Ziel, das einerseits am Ende der Logik steht, zugleich aber auch das Wesen aller vorherigen Entwicklungsstufen der Logik bildet. Das Telos der Logik ist zugleich das Eidos der vorangehenden Stufen. Wäre der Anfang nicht bereits an sich der vollständige Begriff, wäre nicht zu verstehen, warum ihm der Trieb zur Vervollständigung innewohnen sollte. »Man kann daher wohl saEnzyklopädie 1830, § 238; ebenso bereits Enzyklopädie 1817, § 185. GW, Bd. 12, 240; ähnlich sagt bereits U. Guzzoni (Werden zu sich. Freiburg/München, 3. Aufl. 1982, 38), daû es »nicht einen Mangel am¬ Anfang« gibt, sondern daû der Mangel die »eigenste Natur« des Anfangs als eines solchen ist. Auch H.F. Fulda (Hegels Dialektik als Begriffsbewegung und Darstellungsweise. In: Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels. Hrsg. R.-P. Horstmann, Frankfurt a.M. 1989, 139) betont, daû der Mangel nicht bloû eine Beschaffenheit des Anfangs ist, die dieser auch nicht haben könnte, sondern daû der Mangel den Anfang wesentlich bestimmt. 64 65
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gen, daû mit dem Absoluten aller Anfang gemacht werden müsse«.66 So kann auch der Anfang als das Absolute bezeichnet werden, allerdings handelt es sich hier noch um das abstrakt Absolute. Das Absolute des Anfangs ist allerdings nicht das vollkommen Absolute, da es seine Vervollkommnungsentwicklung noch vor sich hat. Erst am Ende ist das Absolute in seiner Vollendung gesetzt. In der Hinsicht der absoluten Idee auf das Sein als den Anfang der Logik zeigt sich, daû der Anfang als solcher sowohl analytisch als auch synthetisch ist. »Da aber das Logische unmittelbar eben so Allgemeines als Seyendes, eben so von dem Begriffe sich vorausgesetztes, als unmittelbar er selbst ist, so ist sein Anfang eben so synthetischer als analytischer Anfang.«67 Wenn die absolute Idee auf den Anfang der Logik mit dem Sein zurückblickt, zeigt sich ihr das Sein einerseits als sie selbst. In dieser Hinsicht weiû der absolute Begriff sich in seinem Anfang als sich selbst, allerdings in einem noch rudimentären Stadium; das Sein ist zwar schon der absolute Begriff, aber nur an sich, denn das Sein hat sich noch nicht für sich selbst zum absoluten Begriff entwickelt. Dies ist das analytische Moment des Anfangs: Der absolute Begriff weiû um sich und um seine Identität mit sich in seinem eigenen Anfangsstadium. Andererseits ist der Anfang etwas völlig anderes als der absolute Begriff. Der absolute Begriff besteht in einer vollständigen immanenten Selbstvermittlung, der Anfang mit dem Sein ist dagegen unbestimmte Unmittelbarkeit, die sich allererst zu dem anderen ihrer selbst, zum absoluten Begriff entwickeln soll. Dies ist das synthetische Moment des Anfangs: Der anfängliche Begriff ist etwas völlig anderes, als das, was er in seinem Endstadium sein wird; gleichwohl verknüpft sich der absolute Begriff mit seiner anfänglichen Andersheit. Das analytische und das synthetische Moment des Anfangs zeigen sich allerdings nur für die absolute Idee, die auf den Anfang mit dem Sein zurückblickt. Für den Anfang selbst ergeben sich die beiden Momente nicht, denn die unbestimmte Unmittelbarkeit kann diese MoGW, Bd. 12, 241; vgl. auch GW, Bd. 21, 100; wo Hegel sagt, daû das Reale in allem Realen, also Gott der Anfang sei; dies findet sich an der Parallelstelle in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812) noch nicht, vgl. GW, Bd. 11, 64 f. 67 Enzyklopädie 1830, § 238 Anm.; ähnlich bereits Enzyklopädie 1817, § 185 Anm.; H. Kimmerle (Die allgemeine Struktur der dialektischen Methode. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, 33, 1979, 192) deutet diesen Satz als Ungenauigkeit Hegels, der hier »nicht streng« den Anfang als solchen und den Übergang zum Fortgang unterscheide. Wir interpretieren dagegen, daû Hegel analytisch und synthetisch im Anfang selbst unterscheiden kann, weil er hier die rückblickende Perspektive der absoluten Idee auf den Anfang thematisiert und nicht den unmittelbaren Anfang des Seins selbst. Eine Ungenauigkeit wird Hegel nicht gerade dort unterlaufen sein, wo er den Anfang einführt und definiert. Darüber hinaus hätte Hegel eine solche Ungenauigkeit, wenn sie ihm in der ersten Auflage der Enzyklopädie unterlaufen wäre, wohl in der zweiten oder dritten Auflage eliminiert. 66
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mente nicht wissen, sonst enthielte sie bereits Vermittlung in sich. Also nur für die absolute Idee und für uns, die metareflektierenden Philosophen, die über das Wissen der absoluten Idee verfügen, zeigt sich der Anfang sowohl analytisch als auch synthetisch.68 In Parenthese sei zum Problem des Anfangs der Subjektivität noch gesagt, daû der konkrete Anfang der Subjektivität in Hegels Logik nicht in den Seinskategorien Sein, Nichts oder Werden liegt, sondern erst im »Dasein«, genauer im daseienden »Etwas«. »Das Negative des Negativen ist als Etwas nur der Anfang des Subjects; ± das Insichseyn nur erst ganz unbestimmt. Es bestimmt sich fernerhin zunächst als Fürsichseyendes und sofort bis es erst im Begriff die concrete Intensität des Subjects erhält. Allen diesen Bestimmungen liegt die negative Einheit mit sich zugrunde.«69 Eine formale Grundstruktur der Subjektivität, das Insichsein, liegt also schon in der endlichen Kategorie des Etwas vor, weil hier die dialektische doppelte Negation konkret vollzogen wird. Freilich ist damit die Subjektivität noch nicht ausreichend bestimmt. Das Insichsein ist eine logische Grundstruktur der Subjektivität, die im Fortgang der kategorialen Bewegung noch höher und reicher zu bestimmen ist. Von hier aus ergibt sich aber das Problem, in welchem Verhältnis das Sein, das Nichts und das Werden des Anfangs der Logik zur Subjektivität stehen, wenn diese erst in der Sphäre des Etwas anfängt. Auch der Anfang der Logik ist bereits an sich seiender Begriff, also muû bereits das Sein eine Grundstruktur des Begriffs, der Subjektivität aufweisen. Sein, Nichts und Werden sind jeweils sich selbst gleich. Die Sichselbstgleichheit ist daher eine abstraktere und allgemeinere Bestimmung, die der Struktur des Insichseins der Kategorie des Etwas zugrundeliegt, mit der die Subjektivität im eigentlichen Sinne beginnt. Die Sichselbstgleichheit ist damit eine Voraussetzung für das Insichsein. In sich kann nur dasjenige sein, was sich selbst gleicht, denn was sich nicht selbst gleicht, ist nicht. Allerdings ist die Sichselbstgleichheit noch viel zu allgemein, um spezifisch als logische Struktur von Subjektivität gelten zu können. Um der Anfänglichkeit willen ist bei der reinen Sichselbstgleichheit von Sein, Nichts und Werden noch keine Unterscheidung gesetzt, die als Insichsein begriffen werden könnte. Dieser Unterschied ist aber sowohl der Bestimmtheit als auch der Subjektivität Vgl. hierzu Vorlesung über Logik und Metaphysik. Heidelberg 1817. Mitgeschrieben von F.A. Good. In: Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Bd. 11. Hrsg. K. Gloy, Hamburg 1992, ad § 185: »In diesem ersten Momente der Methode [also im Anfang; d. V.] ist es [das philosophisch-spekulative Denken, also unser Wissen; d. V.] als zwei Seiten: das Wir [und] das An-sich-Sein oder das Allgemeine und das Seiende unterschieden. Die Idee enthält diese beiden Momente. Insofern also im Anfange ihr Unterschied noch nicht gesetzt ist, so ist er selbst nur an sich oder in uns.« 69 GW, Bd. 21, 103; diese Ausführungen finden sich noch nicht an der Parallelstelle der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812); vgl. GW, Bd. 11, 66. 68
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wesentlich, und deshalb ist die einfache Sichselbstgleichheit »das Unsagbare, die bloûe Meynung«.70 Die Sichselbstgleichheit ist ein bloû »gemeintes« Strukturmoment der Subjektivität, sofern ihr noch kein Insichsein zukommt. Sein, Nichts und Werden sind also die allgemeinen Seinsweisen, d. h. sie sind diejenige fundamentale und reine Sichselbstgleichheit, aus der sich allererst ein Seiendes und damit das daseiende Etwas ergeben kann. Das daseiende Etwas ist dann als Insichsein die spezifisch ontologische Bedeutung der Subjektivität. Die Sichselbstgleichheit ist so die anfängliche Voraussetzung für die Subjektivität. Die Selbstbezüglichkeit als Insichsein beruht auf der Sichselbstgleichheit, wobei die Sichselbstgleichheit nur von der selbstbezüglichen Subjektivität erkannt und ausgesagt werden kann. Nur dasjenige kann selbstbezüglich sein, was sich selbst gleich ist, und nur dasjenige kann Selbstgleichheit mit sich über sich aussagen, was selbstbezüglich ist. Daher wird auch erklärbar, weshalb in der absoluten Idee die anfangende Allgemeinheit ein Moment des Denkens seiner selbst sein kann. Die Selbstgleichheit des Anfangs ist ein notwendiges Moment der Subjektivität. IV. Der Fortgang Die erste Prämisse des methodisch-dialektischen Schlusses: Die Allgemeinheit ist Besonderheit »Die concrete Totalität, welche den Anfang macht, hat als solche in ihr selbst den Anfang des Fortgehens und der Entwicklung.«71 Die Bestimmungsbewegung des anfänglichen Allgemeinen beginnt durch den immanenten Mangel. Das Unmittelbare, Einfache und Unbestimmte der anfangenden Allgemeinheit ist nur zu denken, wenn von der Bestimmtheit und dem Besonderen abgesehen wird. Da das Allgemeine des Anfangs nur darin besteht, daû von etwas abgesehen wird, was es selbst nicht ist ± genauer: noch nicht ist ± gibt es etwas, was es von sich ausschlieût, d. h. negiert. Dadurch wird der Mangel des Anfangs deutlich, der Anfang soll allgemein sein, in dem Sinne, daû er alles in sich enthält: Alles soll in der »objektiven Allgemeinheit« enthalten sein. Zugleich gibt es aber etwas, das sie von sich ausschlieût. Dadurch wird die Allgemeinheit zu etwas, das nicht alles in sich befaût. Dasjenige, was einiges von sich ausschlieût, ist nicht Allgemeines, sondern Besonderes. Die Besonderheit ist damit »die Wahrheit«72 der AllEnzyklopädie 1830, § 88, Anm.; ebenso bereits Enzyklopädie 1817, § 41, Anm. GW, Bd. 12, 241. 72 GW, Bd. 12, 245. H. Schmitz (Hegels Logik. Bonn/Berlin 1992, 60 ff., 66, 69, 173 ff.) deutet, daû Hegel in der Aufstellung der Begriffsdialektik inkonsequent gewesen sei, und daû dort eigentlich dieselbe Dialektik zum Tragen komme wie im Wesen, nämlich eine »zweipolige« (von Schmitz definiert a. a. O., 41) und nicht, wie es eigentlich Hegels Be70 71
Erste Prämisse: Die Allgemeinheit ist Besonderheit
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gemeinheit. Diese Besonderung des Allgemeinen ist ein immanenter Bewegungs- und Bestimmungsprozeû, den der Begriff vollzieht. Dasjenige, was anderes von sich ausschlieût und dieses andere nicht ist, ist etwas Bestimmteres als dasjenige, welches ununterschieden alles in sich enthält. Der Begriff bestimmt sich selbst, er beginnt sich in sich zu unterscheiden und teilt sich selbst. In diesem Sinne bezeichnet Hegel den Fortgang als »Urtheil der Idee«.73 Die absolute Idee vollzieht im Fortgang also zunächst ihre »Ur-teilung«. Die Unbestimmtheit des Anfangs ist selbst seine Bestimmtheit, denn die Unbestimmtheit ist gegen die Bestimmtheit abzugrenzen; daher macht sie sich selbst zu etwas Bestimmtem. Dasjenige, was gegen anderes abgegrenzt ist, ist damit auch bestimmt. »Der Anfang hat somit für die Methode keine andere Bestimmtheit, als die, das Einfache und Allgemeine zu seyn; diû ist selbst die Bestimmtheit, wegen der er mangelhaft ist.«74 Der Anfang selbst ist der Mangel, denn er ist die bloûe Potentialität der Bestimmtheit, welche Unbestimmtheit selbst zu seiner Bestimmtheit wird. Diese Bestimmtheit ist der Mangel an Bestimmtheit. Mit dieser Besonderung wird der unmittelbare Anfang zu einem Moment des Prozesses der Aufhebung der Unmittelbarkeit. Die Unbestimmtheit ist als Negation der Bestimmtheit zu bestimmen. Daran zeigt sich, daû die Unbestimmtheit Bestimmtheit impliziert. Wird der Anfang gedacht, dann muû er als etwas Bestimmtes gedacht werden, denn das Denken impliziert immer schon eine Bestimmtheitsrelation. Zugleich zeigt sich, daû der Fortgang vom Allgemeinen nicht gemacht wird, weil das Endziel der Entwicklung, die vollständige absolute Idee bereits am Anfang feststeht, sondern weil der Anfang über sich selbst hinaustreibt. Daher ist die Methode auch nicht schematisch, den Bestimmungen äuûerlich, sondern sie wird nach Hegel von den Bestimmungen in ihrer Selbstbewegung vollzogen. »Die Allgemeinheit ist der reine, einfache Begriff, und die Methode als das Bewuûtseyn desselben weiû, daû die Allgemeinheit nur Moment und der Begriff in ihr noch nicht an und für sich bestimmt ist. Aber mit diesem Bewuûtseyn, das den Anfang nur um der Methode willen weiter führen wollte, wäre diese ein Formelles, in äuûerlicher Reflexion gesetztes. Da sie aber die objective, immanente Form ist, so griffskonzeption erfordere, eine »dreipolige«. Schmitz deutet, daû Hegel in der absoluten Idee das Besondere unterschlage und nur die zweipolige Dialektik von Allgemeinem und Einzelnem thematisiere. Hegel selbst sagt jedoch über die absolute Idee, daû »ihr Wesen diû ist, durch ihre Selbstbestimmung oder Besonderung zu sich zurückzukehren« (GW, Bd. 12, 236, zur Rolle des Besonderen auch a. a. O., 244). Insbesondere in der Untersuchung des Fortgangs werden wir diese »Dreipoligkeit« und die bedeutende Aufgabe des Besonderen für die Selbstvermittlung der absoluten Idee beobachten können. 73 Enzyklopädie 1817, § 186; analog in den Enzyklopädien 1827 und 1830, jeweils § 239. 74 GW, Bd. 12, 240.
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muû das Unmittelbare des Anfangs an ihm selbst das Mangelhafte, und mit dem Triebe begabt seyn, sich weiter zu führen.«75 Mit dem »Trieb« des Anfangs meint Hegel die Tendenz und Bestrebung des Anfangs, sich aus sich selbst weiterzuentwickeln. Weshalb allerdings dem Anfang selbst seine Mangelhaftigkeit einsichtig sein soll, wird von Hegel nicht gezeigt, denn wenn der Anfang tatsächlich nur unbestimmte Unmittelbarkeit ist, die sich selbst gleich ist, dann dürfte der Anfang seine Mangelhaftigkeit gar nicht einsehen, vielmehr ist nur aus der Perspektive des methodisch metareflektierenden Philosophen, der vom weiteren Fortgang der Begriffsbestimmung weiû, die Mangelhaftigkeit zu erkennen, weil dieser weiû, daû es etwas gibt, was der Anfang von sich ausschlieût. Über dieses Wissen verfügt der Anfang als solcher allerdings nicht; denn daû es etwas anderes als ihn selbst gibt, ist seiner reinen Selbstgleichheit nicht einsehbar. »Diû ist nun selbst der vorhin bezeichnete Standpunkt, nach welchem ein allgemeines Erstes an und für sich betrachtet, sich als das Andre seiner selbst zeigt. Ganz allgemein aufgefaût, kann diese Bestimmung so genommen werden, daû hierin das zuerst Unmittelbare hiemit als Vermitteltes, bezogen auf ein andres, oder daû das Allgemeine als ein Besonderes gesetzt ist. Das zweyte, das hiedurch entstanden, ist somit das Negative des Ersten; und indem wir auf den weitern Verlauf zum Voraus Bedacht nehmen, das erste Negative.«76 Damit hat Hegel die erste Prämisse des methodischen Schlusses der Dialektik als Allgemeines ± Besonderes bestimmt. Das Allgemeine hat nach Hegel also das Besondere in sich selbst; damit aber auch den Unterschied, denn das Allgemeine ist nun gesetzt als etwas, das sich vom Besonderen unterscheidet. Es grenzt dieses von sich aus und hebt sich von diesem ab. Es handelt sich jetzt um ein bestimmtes Allgemeines, dem das Besondere gegenübersteht. Die einfache Gleichheit mit sich, die den Anfang auszeichnete, hebt sich zu einer Gleichheit mit sich auf, die deshalb mit sich gleich ist, weil Unterschiedenes von ihr abgehoben wird. Das Allgemeine ist nun nicht mehr schlechthin einfach mit sich gleich, weil kein anderes vorhanden ist, wogegen es ungleich sein könnte, sondern das Allgemeine ist gleich mit sich, da es die unterschiedene Bestimmung des Besonderen von sich abhebt, auch wenn das Allgemeine in seinem abhebenden und unterscheidenden Bezug auf dieses bezogen ist. In diesem Sinne negiert die Allgemeinheit die Besonderheit und ist etwas Bestimmtes. »Omnis determinatio est negatio«77 und umgekehrt ist für Hegel auch jede eindeutige Negation eine Bestimmung. Da das Allgemeine das Besondere von sich negierend abhebt, ist es etwas Bestimmtes. Der Un75 76 77
GW, Bd. 12, 240. GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 21, 101.
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terschied wird damit gesetzt, und diese Unterschiedssetzung ist das spezifisch Dialektische der ersten Prämisse: »Weil das Erste oder Unmittelbare der Begriff an sich, daher auch nur an sich das Negative ist, so besteht das dialektische Moment bey ihm darin, daû der Unterschied, den es an sich enthält, in ihm gesetzt wird.«78 Die erste Prämisse bringt den latenten Unterschied, den der Anfang in sich enthält, zum Vorschein. Die Unmittelbarkeit des Anfangs erweist sich als etwas Vermitteltes, nämlich als vermittelt durch das Absehen von anderem, d. h. vom Besonderen. Zugleich ist aber auch die Besonderheit vermittelt, indem die Besonderheit nämlich von der Allgemeinheit gesetzt ist. Dieses »erste Negative« ist die erste Prämisse des methodisch-dialektischen Schlusses der absoluten Idee. Sie besteht darin, daû das Allgemeine Besonderes ist, weil es nicht Besonderes ist. Diese paradoxe Formulierung hebt den Widerspruch hervor, der bereits in der Bestimmungsbewegung des Allgemeinen in der ersten Prämisse des methodisch-dialektischen Schlusses latent liegt. Der Widerspruch ist hier bloû latent, denn die Vermittlungsbewegung des Begriffs ist auf dieser Ebene noch nicht so weit fortgeschritten, daû sich bereits ein solch komlexes Gebilde wie der Widerspruch hätte entfalten können. Die besonderte Allgemeinheit »ist als Concretes in sich unterschieden; wegen ihrer ersten Unmittelbarkeit aber sind die ersten Unterschiedenen zunächst Verschiedene. Das Unmittelbare ist aber als sich auf sich beziehende Allgemeinheit, als Subject, auch die Einheit dieser Verschiedenen. ± Diese Reflexion ist die erste Stuffe des Weitergehens, ± das Hervortreten der Differenz, das Urtheil, das Bestimmen überhaupt. Das Wesentliche ist, daû die absolute Methode die Bestimmung des Allgemeinen in ihm selbst findet und erkennt.«79 Daraus ist zu folgern, daû in der ersten Prämisse des methodischen Schlusses der Dialektik der Widerspruch noch nicht gesetzt ist. Der Unterschied hat sich noch nicht zum Widerspruch zugespitzt, sondern zunächst nur zu einer Verschiedenheit geführt. Daher befinden wir uns »nur« im ersten Stadium der Selbstdifferenzierung und Selbstbestimmung des Allgemeinen, der Widerspruch ist bloû latent vorhanden.80 Dieses Stadium der dialektischen Methode, das »erste Negative« wird aber erst explizit gesetzt, wenn die »Einheit der Verschiedenen« gesetzt GW, Bd. 12, 245 f. GW, Bd. 12, 241. 80 H. Kimmerle (Die allgemeine Struktur der dialektischen Methode. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 33, 1979, 195) deutet, anders als wir, einen gesetzten und thematischen Widerspruch bereits im ersten Negativen, nämlich gegen das Positive. Der Widerspruch leitet sich aber, in unserer Deutung, erst aus einer bloûen Verschiedenheit, die im ersten Negativen gesetzt ist, her, sonst wäre der Widerspruch unmittelbar gesetzt und nicht deduktiv durch Verschiedenheit und Gegensatz als ihm vorangehende Schritte gerechtfertigt, wie Hegel dies intendiert. 78 79
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wird. Dazu ist notwendig, daû die Verschiedenen als in und durch eines und dasselbe gesetzt erkannt werden. Dies macht die spezifische Bedeutung der Subjektivität in der ersten Prämisse des methodisch-dialektischen Schlusses aus. Wäre die Besonderheit nicht in der Allgemeinheit selbst gesetzt, d. h., wäre der Unterschied als Verschiedenheit der Bestimmungen nicht in der anfangenden Indifferenz der Allgemeinheit gesetzt, dann wäre die Bestimmung ein bloû äuûerlicher Prozeû. Eine äuûerliche Reflexion würde von der Allgemeinheit die Besonderheit prädizieren. Damit wäre nicht das Allgemeine selbst bestimmt, wie es an sich selbst ist, sondern wie es der äuûerlichen Reflexion erscheint. Das Allgemeine verhält sich zu sich selbst, wenn es sich besondert, denn die Ausschlieûung des Besonderen geschieht im Allgemeinen selbst. Deswegen gibt es eine durchgängige Einheit, die sich im Allgemeinen und Besonderen durchhält. Diese bezeichnet Hegel als Subjektivität. Daher muû auf dieser Stufe des Bestimmungsprozesses schon die »Einheit der Verschiedenen« hervortreten. ± Diese Einheit wird im methodisch-dialektischen Schluû vollgültig erst in der zweiten Prämisse und in der Konklusion, genauer in der Begriffsbestimmung des Einzelnen gesetzt. Die Einheit der Unterschiedenen, die in der ersten Prämisse gesetzt wird, ist im Vergleich zur Einheit der Einzelheit in der zweiten Prämisse und in der Konklusion eine bloû vorläufige. ± 1. Die Verschiedenheit von Allgemeinheit und Besonderheit Hegels Bestimmungen zum Unterschied und zur Verschiedenheit, die in der ersten Prämisse der absoluten Idee gesetzt werden, sind an dieser Stelle nicht ausführlich, eigentlich kaum verständlich, wenn man nicht seine Bestimmung der Verschiedenheit aus der Wesenslogik zu Rate zieht.81 Hierbei muû erstens bewuût sein, daû es sich bei dieser Bestimmung um eine wesenslogische Reflexionsbestimmung handelt, und nicht, wie in der absoluten Idee, um Begriffsbestimmungen. Was mit Hilfe der wesenslogischen Bestimmung eruiert wird, ist daher auf die Ebene der Begriffsbestimmungen zu transponieren. Ferner muû zweitens bewuût sein, daû auf der Ebene der ersten Prämisse des methodischen Schlusses noch nicht die Reflexionsbestimmungen Gegensatz, Widerspruch und Grund vollzogen sind, sondern nur der Unterschied im Stadium der Verschiedenheit. In den Reflexionsbestimmungen aus der Wesenslogik entwickelt sich die Identität zum Auf derartige Entsprechungen zwischen den verschiedenen Ebenen der dialektischen Methode in der absoluten Idee und in den Reflexionsbestimmungen aus der »Lehre vom Wesen« macht bereits D. Henrich (Hegels Logik der Reflexion. In: Hegel im Kontext. Frankfurt a. M. 1971, 101 ff. bes. 104) aufmerksam; ebenso K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 319). 81
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Unterschied, der die Verschiedenheit und den Gegensatz in sich enthält, und zum Widerspruch, der sich wiederum zum Grund entwickelt, der die widersprüchlich Unterschiedenen einheitlich in sich enthält.82 Die Reflexionsbestimmung der Verschiedenheit soll nun kurz skizziert werden: Die Verschiedenheit konstituiert sich in den Bestimmungen der Gleichheit und der Ungleichheit. Verschieden ist etwas, das mit sich gleich und anderem gegenüber ungleich ist. Gleichheit und Ungleichheit stehen sich als voneinander Unterschiedene gegenüber. Die Gleichheit ist dabei eine derivate Form der Identität, welche die erste der Reflexionsbestimmungen ist, und Ungleichheit ist ein Derivat der Unterschiedenheit, der NichtIdentität. Gleichheit ist also eine partikuläre Identität und Ungleichheit ein partieller Unterschied. Die Gleichheit ist die Identität, sofern diese abgelöst von der Unterschiedenheit betrachtet wird, um zu erkennen, was die Identität für sich selbst ist. Die Ungleichheit ist die Nicht-Identität, sofern diese abgelöst von der Identität betrachtet wird, um zu erkennen, was die NichtIdentität an sich ist. »Die Momente des Unterschiedes sind die Identität und der Unterschied selbst. Verschiedene sind sie als in sich selbst reflectirte, sich auf sich beziehende; so sind sie in der Bestimmung der Identität, Beziehungen nur auf sich; die Identität ist nicht bezogen auf den Unterschied, noch ist der Unterschied bezogen auf die Identität; indem so jedes dieser Momente nur auf sich bezogen ist, sind sie nicht bestimmt gegen einander.«83 Am Beginn der Reflexionsbestimmungen gibt es noch gar keinen Unterschied zwischen Identität und Unterschied. Die Nicht-Identität ist in der Identität selbst enthalten. Die Identität ist das Nichtsein des Unterschieds, enthält ihn als aufgehobenen bereits in ihrem Anfang in sich. Von vornherein ist die Identität spekulativ verstanden als die Identität der Identität und der Nicht-Identität. Erst wenn beide voneinander unterschieden werden, entstehen die Reflexionsbestimmungen: Gleichheit und Ungleichheit. Um die identische Gleichheit mit sich zu erkennen, wird der Bezug der Gleichheit auf die Ungleichheit geleugnet. Um im Gegenzug die Ungleichheit zu erkennen, wird deren Bezug auf die Gleichheit auûer acht gelassen. Daher überwiegt bei Gleichheit und Ungleichheit die Bestimmung der Identität, denn beide sind sich selbst gleich. Da diese Sichselbstgleichheit keine ist, die das jeweils Entgegengesetzte bereits in sich enthält, sondern darin besteht, das Entgegengesetzte auszuschlieûen, stehen sich Gleichheit und Ungleichheit »gleichgültig«84 gegenüber. Diese Gleichgültigkeit bedeutet zweierlei: 1. Gleichheit und Ungleichheit beanspruchen gleichermaûen Geltung für sich. Vgl. GW, Bd. 11, 260 ff.; vgl. zu den Reflexionsbestimmungen die vorzügliche und detaillierte Darstellung von C. Iber (Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik. Berlin/New York 1990, 239 ff.). 83 GW, Bd. 11, 267. 84 GW, Bd. 11, 267. 82
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2. Es besteht eine Indifferenz, eine »Uninteressiertheit«, beider Momente gegeneinander. Jeweils ist das eine, was das andere nicht ist. »Das Unterschiedene besteht als gegeneinander gleichgültig verschiedenes, weil es identisch mit sich ist, weil die Identität seinen Boden und Element ausmacht«.85 ± Diese spekulative Doppelbedeutung des Begriffs »gleichgültig« erinnert an das Prinzip der Isosthenie der antiken Skeptiker, wo ebenfalls durch das gleiche Gelten entgegengesetzter Sätze die Gültigkeit beider Sätze uninteressant, irrelevant wird. Dies ist der Grund, weshalb Hegel in der absoluten Idee über das besonderte Allgemeine, das dem Besonderen gegenübersteht, sagt: »Was hiemit nunmehr vorhanden ist, ist das Vermittelte zunächst oder gleichfalls unmittelbar genommen, auch eine einfache Bestimmung, denn da das Erste in ihm untergegangen, so ist nur das Zweyte vorhanden.«86 Auch in der absoluten Idee kann das »Zweite«, die besonderte Allgemeinheit und die von ihr verschiedene Besonderheit, die ihr gegenübersteht, als etwas Unmittelbares, Einfaches verstanden werden, weil jedes zunächst nur mit sich gleich ist. Denn wie Gleichheit und Ungleichheit einander gleichgültig im doppelten Sinne gegenüberstehen, so stehen sich auch Allgemeinheit und Besonderheit zunächst gleichgültig gegenüber, sind einfach, nur auf sich bezogen und insofern einander gleich. Auf dieser Stufe der absoluten Idee, in der ersten Prämisse des methodisch-dialektischen Schlusses, hat sich noch kein eigentlicher Gegensatz der Unterschiedenen ausgebildet. Allgemeinheit und Besonderheit sind nur Verschiedene. 2. Bestimmte Negation und dialektische Aufhebung In der ersten Prämisse des methodisch-dialektischen Schlusses der absoluten Idee hat Hegels Gedanke der bestimmten Allgemeinheit und der Besonderheit, die sich als Verschiedene wechselseitig implizieren, die Theorie der bestimmten Negation zur Voraussetzung. »Das Unmittelbare ist nach dieser negativen Seite in dem Andern untergegangen, aber das Andere ist wesentlich nicht das leere Negative, das Nichts, das als das gewöhnliche Resultat der Dialektik genommen wird, sondern es ist das Andere des Ersten, das Negative des Unmittelbaren; also ist es bestimmt als das Vermittelte, ± enthält überhaupt die Bestimmung des Ersten in sich. Das Erste ist somit wesentlich auch im Andern aufbewahrt und erhalten. ± Das Positive in seinem GW, Bd. 11, 267; diese Form der Gleichgültigkeit wird auch deutlich, wenn Hegel sagt: »Ob Etwas einem andern Etwas gleich ist oder nicht, geht weder das eine noch das andere an; jedes derselben ist nur auf sich bezogen« (a. a. O., 268). 86 GW, Bd. 12, 245. 85
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Negativen, den Inhalt der Voraussetzung im Resultate festzuhalten, diû ist das Wichtigste im vernünftigen Erkennen; es gehört zugleich nur die einfachste Reflexion dazu, um sich von der absoluten Wahrheit und Nothwendigkeit dieses Erfordernisses zu überzeugen.«87 Hier deutet Hegel die Theorie der bestimmten Negation im Rahmen der ersten Prämisse des methodisch-dialektischen Schlusses der absoluten Idee an. In der ersten Prämisse des methodisch-dialektischen Schlusses soll eine bestimmte Negation stattfinden. Einerseits ist die Negation bestimmt, weil sie eine Ausgrenzung bedeutet. Aus- und Abgrenzung ist nach Hegel immer eine Form von Bestimmtheit: »Omnis determinatio est negatio«. Andererseits ist die Negation des Besonderen gegen das Allgemeine bestimmt, weil es dieses in sich enthalten soll. Das Besondere ist nicht bloû eine logischkontradiktorische Verneinung des Allgemeinen, sondern die bestimmte, spezifische Entgegensetzung zum Allgemeinen. Es handelt sich nicht um das logisch-kontradiktorisch entgegengesetzte Nicht-Allgemeine, sondern um das konträr entgegengesetzte Besondere. Das Allgemeine geht in seiner Besonderung nicht verloren, sondern soll darin erhalten bleiben, seinen Sinngehalt an das Besondere weitergeben, sich ihm »mitteilen«.88 Eine bestimmte Negation gegen das Allgemeine kann nicht willkürlich in irgendeiner Bestimmung bestehen, die ihr entgegengesetzt wird, sondern es muû sich um eine Bestimmung gleicher Art handeln. Wenn sich also die Allgemeinheit als Begriffsbestimmung negiert, kann sie nicht willkürlich irgendeine Seins- oder Wesensbestimmung als ihre Entgegensetzung hervorbringen, sondern es muû ebenfalls eine Begriffsbestimmung sein, denn sie negiert sich selbst, daher muû auch das Entgegengesetzte ihr ähnlich sein. Allerdings ist diese erste bestimmte Negation noch keine vollständige Bestimmung, denn im ersten Schritt der dialektischen Methode treten nur zwei Verschiedene einander gegenüber, die in gewisser Hinsicht einander auch gleichgültig sind. In diesem Sinne einer noch nicht genauer bestimmten ersten Negation sagt Hegel in der »Lehre vom Sein«: »Aber dabey ist die Negation als erste, als Negation überhaupt wohl zu unterscheiden von der zweyten, der Negation der Negation, welche die concrete, absolute NegatiGW, Bd. 12, 245. ¾hnlich äuûert sich Hegel bereits in der »Einleitung« zur Phänomenologie des Geistes von 1807 (GW, Bd. 9, 57) über die bestimmte Negation und den Fehler des »Skepticismus, der in dem Resultate nur immer das reine Nichts sieht, und davon abstrahirt, daû diû Nichts, bestimmt das Nichts dessen ist, woraus es resultirt. Das Nichts ist aber nur, genommen als das Nichts dessen, woraus es herkömmt, in der That das wahrhafte Resultat; es ist hiemit selbst ein bestimmtes und hat einen Innhalt. [...] Indem dagegen das Resultat, wie es in Wahrheit ist, aufgefaût wird, als bestimmte Negation, so ist damit unmittelbar eine neue Form entsprungen, und in der Negation der Uebergang gemacht«; vgl. auch zur bestimmten Negation GW, Bd. 21, 38; dies findet sich auch schon in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), GW, Bd. 11, 25. 88 GW, Bd. 12, 246; auch a. a. O., 251. 87
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vität, wie jene erste dagegen nur die abstracte Negativität ist.«89 Die erste Negation ist aber nicht schlechthin abstrakt, da es sich in einem solchen Fall nicht um eine bestimmte Negation handeln würde, sondern nur um diejenige der traditionellen formalen Logik, also um eine bloû kontradiktorische Opposition. »Abstrakt« ist die erste Negation nach Hegel nur in Hinsicht auf die zweite Negation, die Negation der Negation, die wir noch beim expliziten Widerspruch als der folgenden Stufe der dialektischen Methode zu untersuchen haben. Die erste Negation ist in dem Sinne abstrakt, als sich bestimmte Allgemeinheit und Besonderheit voneinander unterschieden und gleichgültig gegenüberstehen und weil noch nicht die Konkretheit und Einheitlichkeit der Bestimmungen erreicht ist, wie sie im Widerspruch herrscht, weil dort die Entgegengesetzten eines sind. Vom Standpunkt der Subjektivität ist die Theorie der bestimmten Negation erklärbar: Die Subjektivität erhält sich und ihre Identität in ihrer Besonderung. Die sich von sich unterscheidende, d. h. die sich besondernde Subjektivität bleibt in diesem Prozeû mit sich identisch. Insofern erhält sich die Subjektivität in der von ihr selbst gesetzten zweiten Bestimmung, die sie sich selbst gibt, im Besonderen. Die Theorie der bestimmten Negation expliziert auch die »Einheit der Verschiedenen« Allgemeinheit und Besonderheit im ersten Schritt der dialektischen Methode näher: Die Position des Anfangs ist nicht getrennt von ihrer Negation, sondern in dieser enthalten und enthält umgekehrt die Negation in sich; indem also das Besondere das Allgemeine in sich enthält und umgekehrt das Allgemeine das Besondere in sich enthält, wird die Einheit beider gewahrt. Vom logischen Standpunkt gesehen, ergeben sich allerdings Schwierigkeiten: Mit der Theorie der bestimmten Negation hebt Hegel die Diskursivität des Begriffs auf. Wenn nämlich der allgemeinere Begriff den bestimmteren, besonderen Begriff in sich enthält, dann kann die Reziprozität von Inhalt und Umfang diskursiver Begriffe nicht gelten. Nach der traditionellen Logik sind unter den inhaltlich reicher bestimmten besonderen Begriff weniger Entitäten zu subsumieren, weil er inhaltlich genauer bestimmt ist; er gilt für eine geringere Klasse von Sachverhalten, muû daher einen geringeren Umfang haben. Der allgemeinere Begriff subsumiert dagegen mehr Entitäten unter sich, eben weil er inhaltlich unbestimmter ist, weniger spezifische Merkmale aufzuweisen hat; er hat einen gröûeren Umfang, weil er einen geringeren Inhalt hat. Den geringeren Inhalt hat der allgemeinere Begriff, weil er die besonderen Begriffe und Bestimmungen nicht in sich enthält. Wenn nach Hegel der allgemeinere Begriff den inhaltlich reicher bestimmten, besonderen Begriff in sich enthält, dann muû der allgemeine GW, Bd. 21, 103; in der Parallelstelle der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812) findet sich diese Bestimmung noch nicht (vgl. GW, Bd. 11, 65 f.). 89
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Begriff auch den gröûeren Inhalt haben und mehr Inhalt in sich enthalten als der bestimmte, besondere Begriff. Nach traditioneller Logik ist dies ein Widerspruch. Hegel sagt jedoch ausdrücklich, daû der besondere Begriff, der durch die bestimmte Negation entsteht, nicht nur der »reichere«, sondern zugleich auch der »höhere«, d. h. allgemeinere sei.90 In der bestimmten Negation ist die methodische und spekulative Mehrfachbedeutung von »Aufhebung« im Sinn von Verneinung, Aufbewahrung und Erhebung auf eine höhere Stufe zu fundieren. Die Aufhebung im Sinn von Verneinung stellt sich ein, wenn bei einer Negation das ausschlieûende Moment der neuen Bestimmung betont wird. So stellt sich in der dialektischen Methode das Besondere als Verneinung des anfangenden Allgemeinen dar. Aufhebung im Sinn von Aufbewahrung stellt sich ein, wenn die positive Bestimmtheit der Negation gesehen wird. Die Negation hat in dieser Hinsicht nach Hegel dasjenige in sich, was sie negiert. In der absoluten Idee ist das Allgemeine im Besonderen positiv enthalten. Aufhebung im Sinn von Emporhebung stellt sich ein, wenn die neue Bestimmung, welche die alte in sich aufbewahrt und verneint enthält, als eine höhere Bestimmung erkannt wird. So ist in der absoluten Idee im Besonderen das Allgemeine nicht nur verneint und aufbewahrt, sondern zugleich zu einer konkreteren Bestimmung geworden. Dadurch wurde die anfangende Allgemeinheit auf eine höhere Bestimmtheitsstufe emporgehoben. In diesem Sinn führt Hegel den Terminus »Aufhebung« in der »Lehre vom Sein« in sachlichem Bezug zur bestimmten Negation ein: »Was sich aufhebt, wird dadurch nicht zu Nichts. Nichts ist das Unmittelbare; ein Aufgehobenes dagegen ist ein Vermitteltes, es ist das Nichtseyende, aber als Resultat, das von einem Seyn ausgegangen ist; es hat daher die Bestimmtheit aus der es herkommt, noch an sich.«91 Der spekulative Bedeutungshorizont der Aufhebung folgt also aus der bestimmten Negation.
Vgl. GW, Bd. 21, 38; ebenso äuûert sich Hegel bereits in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), GW, Bd. 11, 25; zu diesem Problem äuûert sich ebenfalls M. Baum (Anmerkungen zum Verhältnis von Systematik und Dialektik bei Hegel. In: Hegels Wissenschaft der Logik. Formation und Rekonstruktion. Hrsg. D. Henrich, Stuttgart 1986, 65±76, bes. 72 ff.). 91 GW, Bd. 21, 94; ebenso bereits in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), GW, Bd. 11, 58. M. Heidegger (Hebel der Hausfreund. Pfullingen 1958, 15) führt aus, daû Aufhebung bei Hegel bedeutet: a) »vom Boden aufnehmen, was vorliegt«, damit ist wohl das phänomenologische Zusehen gemeint, b) »aufbewahren«, c) »hinaufheben, verklären, veredeln und dadurch verwandeln«. Bei dieser Deutung der Aufhebung wird allerdings das verneinende Moment nicht thematisiert; das dann als vierte Bedeutungsebene noch hinzukäme. 90
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3. Analytische und synthetische Momente der ersten Prämisse und das Dialektische In der ersten Prämisse des methodisch-dialektischen Schlusses der absoluten Idee zeigen sich gleichursprünglich Einheit, Verschiedenheit und Einheit der Verschiedenen. Die Einheit besteht in der Gleichheit und durchgängigen Identität des Allgemeinen, da es selbst das Besondere in sich enthalten soll. Die Verschiedenheit und Andersheit ist ein gesetzter Unterschied, denn das Allgemeine verändert sich zum Besonderen und bleibt sich nicht unmittelbar gleich. Sofern das Allgemeine unmittelbar zum Besonderen wird, ist seine Einheit und Gleichheit mit sich im Fortgang gedacht. Dies ist methodisch gesehen ein analytischer Fortgang. Analytisch¬ bedeutet die Selbigkeit mit sich im Entwicklungsprozeû. Sofern allerdings die gesetzte Andersheit, der Unterschied, in der ersten Prämisse betont wird, handelt es sich aus methodischer Sicht um einen synthetischen Fortgang. Synthetisch¬ bedeutet die Verknüpfung von etwas mit etwas anderem. Die Andersheit ist dasjenige, woraufhin die synthetische Entwicklung erfolgt, wobei das synthetische Moment nicht nur darin besteht, daû zu einem anderen übergegangen wird, sondern um eine Synthesis, eine Verknüpfung zu sein, muû in der Entwicklung zu einem anderen zugleich eine Einheit gesetzt werden. Die Synthesis bildet somit eine vermittelte Form der Verknüpfung zweier voneinander verschiedener Bestimmungen. Dies ist die »Einheit der Verschiedenen«, die sich in der synthetisierten Andersheit der beiden Bestimmungen Allgemeines und Besonderes zeigt. Das analytische Moment besteht dagegen darin, daû sich eine Entwicklung in einer unmittelbaren Form vollzieht. In dieser unmittelbaren Entwicklung wird zwar auch eine Verschiedenheit gesetzt, doch bildet in dieser Hinsicht das Verschiedene lediglich ein unmittelbar im vorangehenden Begriff enthaltenes Moment, das sich unmittelbar zeigt, so wie sich die Allgemeinheit unmittelbar und direkt zum Besonderen entwickelt. Der dialektische Fortgang ist zugleich analytisch und synthetisch. Sofern die Synthesis eine Verknüpfungseinheit hervorbringen soll, weist sie auf den einheitlich analytischen Fortgang zurück. Die Synthesis setzt die Analysis voraus. Umgekehrt setzt die analytische, gleichbleibende Einheit die Synthesis voraus, denn identische Einheit ist nach Hegel nicht ohne Andersheit, Nicht-Identität, in der sich die Identität durchhält, zu denken. Die Gleichursprünglichkeit und wechselseitige Bezogenheit von analytischem und synthetischem Fortgang ist das spezifisch Dialektische: »Die Methode des absoluten Erkennens ist insofern analytisch. Daû sie die weitere Bestimmung ihres anfänglichen Allgemeinen ganz allein in ihm findet, ist die absolute Objectivität des Begriffes, deren Gewiûheit sie ist. ± Sie ist aber ebensosehr synthetisch, indem ihr Gegenstand, unmittelbar als einfaches
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allgemeines bestimmt, durch die Bestimmtheit, die er in seiner Unmittelbarkeit und Allgemeinheit selbst hat, als ein Anderes sich zeigt. [...] Dieses so sehr synthetische als analytische Moment des Urtheils, wodurch das anfängliche Allgemeine aus ihm selbst, als das andere seiner sich bestimmt, ist das Dialektische zu nennen.«92 Hegel argumentiert in der Anmerkung zum § 186 aus der Enzyklopädie 1817 ähnlich: »Dieser Fortgang ist eben sowohl analytisch, indem durch die immanente Reflexion nur das gesetzt wird, was in dem unmittelbaren Begriffe enthalten ist; ± als synthetisch, weil in diesem Begriffe dieser Unterschied noch nicht gesetzt war.« In den beiden späteren Auflagen der Enzyklopädie von 1827 und 1830 ersetzt Hegel präzisierend den Terminus »immanente Reflexion« durch »immanente Dialektik«.93 Die Dialektik ist aus dem wechselseitigen Bezug von analytischem und synthetischem Fortgang zu begreifen. Dialektik ist die doppelte Erkenntnis, daû etwas mit sich gleich ist (analytisches Moment), indem es sich verändert (synthetisches Moment), und daû etwas, indem es sich verändert, mit sich gleich ist bzw. mit sich selbst gleich wird. Diese Simultankonstitution der Selbigkeit in der Andersheit und der Andersheit in der Selbigkeit zeigt, daû analytischer Fortgang nicht ohne synthetischen und synthetischer nicht ohne analytischen zu denken ist. Weil die dialektische Bewegung in der absoluten Idee sowohl analytisch als auch synthetisch ist, kann sie nicht in einem einfachen Urteil ausgedrückt werden. Ein Urteil würde jeweils nur eine der beiden Seiten aussagen können. Ein Urteil kann nur entweder die Selbigkeit zweier Bestimmungen oder deren Andersheit aussagen, aber nicht beides zugleich. Das Urteil kann nur entweder aussagen: »Das Allgemeine ist Besonderes« oder aber: »Das Allgemeine ist nicht Besonderes«. Für die Dialektik ist es jedoch entscheidend, beides zugleich zu denken. Es liegt im Wesen des Selbigkeit aussagenden Urteils, daû es »unfähig ist, das Speculative und die Wahrheit in sich zu fassen. Die nächste Ergänzung desselben, das negative Urtheil müûte wenigstens ebensosehr beygefügt werden.«94 Umgekehrt gilt auch für GW, Bd. 12, 242. Vgl. zur Enzyklopädie 1827 und 1830 jeweils § 239. Entwicklungsgeschichtlich findet sich das Theorem der Einheit des analytischen und synthetischen Fortgangs in der dialektischen Methode bereits in der Begriffslehre für die Oberklasse (1809/10) ausformuliert: »Der Gang oder die Methode des absoluten Wissens ist ebensosehr analytisch als synthetisch. Die Entwicklung dessen, was im Begriff enthalten ist, die Analysis, ist das Hervorgehen verschiedener Bestimmungen, die im Begriff enthalten, aber nicht als solche unmittelbar gegeben sind, somit zugleich synthetisch.« (Begriffslehre für die Oberklasse (1809/10), § 85, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 161). 94 GW, Bd. 12, 245. H. Kimmerle (Die allgemeine Struktur der dialektischen Methode. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, 33, 1979, 193) macht den interessanten Vorschlag, sich ein dialektisches Urteil als unendliches Urteil vorzustellen. Kimmerle gibt als Beispiele: das »Zweite ist das Nicht-Erste«, das »Vermittelte ist das Nicht-Un92 93
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das synthetisch unterschiedliche Bestimmungen verknüpfende Urteil, daû es des Selbigkeit aussagenden Urteils als seiner »Ergänzung« bedarf. In derartigen Urteilen wäre das anfangende Unmittelbare das Satzsubjekt, und das Vermittelte wäre das Prädikat. Hier zeigt sich dasselbe Problem, welches sich auch bei Hegels Theorie des spekulativen Satzes aus der »Vorrede« zur Phänomenologie des Geistes von 1807 andeutete. Urteilssätze sind nicht in der Lage, die gegenwendig analytisch-synthetische Bewegung der Dialektik darzustellen, die nicht nur die Identität, sondern auch die Andersheit in einem Bestimmungsprozeû zum Ausdruck bringen soll. Nur ein Schluû kann die dialektisch gegenwendige Bewegung aufzeigen. Daher konzipiert Hegel in seiner reifen Lehre den notwendigen Fortgang von der ersten Prämisse der Dialektik, die zunächst »das gesetzte Urtheil der Idee«95 ist, hin zur zweiten Prämisse, welche die gegenwendige Bewegung zur ersten Prämisse darstellt. Um die gegenwendige Bewegung spekulativer Begriffe adäquat darstellen zu können, konzipiert Hegel also in seiner reifen Lehre die Dialektik als Schluû. Daû Urteile das spekulative Denken nicht beschreiben können, ist nach Hegel also insofern problematisch, als Urteile immer einseitige Aussagen sind, die in dialektischem Sinne einer Ergänzung durch ein entgegengesetztes Urteil bedürfen. Daraus ist also keinesfalls zu folgern, dialektische Entwicklungen seien prinzipiell nicht aussagenmäûig zu artikulieren, sie bedürfen zu ihrer Artikulation nur mehrerer zusammenhängender Aussagen. Die Einheit des analytischen und synthetischen Fortgangs macht nicht nur das Dialektische aus, sondern bildet auch den spezifischen Unterschied zwischen spekulativem und endlichem Erkennen.96 Das endliche Erkennen mittelbare«. Wie sich allerdings schon an den Beispielen zeigt, ist das Prädikat in diesen unendlichen Urteilen eine bloû logisch-kontradiktorische Entgegensetzung. Kimmerle scheint das unendliche Urteil im Sinne Kants zu verstehen, weil ein solches Urteil bejahend ist, zugleich aber auch ein verneinendes Prädikat enthält. Nach Hegel drückt das unendliche Urteil den Widerspruch endlicher Bestimmungen aus. Von Hegel wird jedoch gefordert, daû die Negation in der Dialektik eine bestimmte sein soll, die eine genau anzugebende Bedeutung hat, was eine kontradiktorische Opposition nicht leisten kann. Kimmerle verweist (a. a. O.) auch auf die prinzipielle Unzulänglichkeit einzelner Urteile, das dialektische Bewegungsgeschehen auszudrücken, und fordert daher »einen Zusammenhang mehrerer Sätze«. Hegel sagt allerdings selbst: »Die Idee ist das unendliche Urtheil, dessen Seiten jede die selbstständige Totalität sind, und eben dadurch, daû jede sich dazu vollendet, in die andere eben so sehr übergegangen ist.« Enzyklopädie 1830, § 214 Anm.; ähnlich bereits in der Enzyklopädie 1817, § 162 Anm. Hier deutet sich allerdings ein Verständnis des unendlichen Urteils an, das über ein Urteil als einfachen Satz hinausgeht und eine in sich gegenwendige Bewegung zweier Begriffe impliziert, die nur durch einen Syllogismus auszudrücken ist. 95 Enzyklopädie 1830, § 239. 96 Vgl. GW, Bd. 12, 242; instruktiv untersucht K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 295 ff., auch 314) das endliche analytische und synthetische Erkennen im Verhältnis zum absoluten Erkennen und zu dessen analy-
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trennt zwischen beiden methodischen Fortgängen, kann nicht den analytischen Fortgang als synthetischen und nicht den synthetischen als analytischen begreifen. Wird ein zu untersuchender Gegenstand analytisch in seine Merkmale zergliedert, dann ist dies für das endliche Erkennen kein synthetischer Erkenntnisfortschritt, der neue Bestimmungen mit dem zu untersuchenden Gegenstand verknüpft. Das endliche analytische Erkennen geht nach Hegel passiv vor, findet nur, was gegeben ist und spürt diesem mit seinen Merkmalsbestimmungen nach. Dabei kann es entweder die Bestimmungen aus dem Gegenstand aufnehmen oder aber diese in ihn hineinlegen. ± Daran wird allerdings deutlich, daû das endliche analytische Erkennen nicht vollständig passiv sein kann, denn sowohl das Aufnehmen von Bestimmungen aus dem Gegenstand als auch das Hineinlegen der Bestimmungen in den Gegenstand stellen eine Aktivität dar. ± Geht das endliche Erkennen synthetisch vor, dann versucht es, eine vorgegebene Mannigfaltigkeit auf einen Begriff zu bringen. Dieser Akt, Verschiedenes zur Einheit eines Begriffes zu verknüpfen, ist eine endliche Synthese, weil das zu Synthetisierende, die Gegenstände in ihrer Einzelheit und Abgesondertheit voneinander, dem Erkennen als vorgegeben erscheint. Letztlich ist das endliche synthetische Erkennen immer bedingt durch das, was ihm zufälligerweise als Einzelnes gegeben ist, erkennt aber nicht sich selbst und seine Erkenntnismethode als identisch mit dem Gegenstand. Dies ist analytischem und synthetischem Erkennen gleich und bildet ein Charakteristikum des endlichen Erkennens. Beiden liegt der verstandesmäûige Hiatus zwischen Subjekt und Objekt zugrunde, das Erkennende und das zu Erkennende sind voneinander getrennt; ihre eigentliche Identität, die Subjekt-Objekt-Identität wird nicht erkannt, statt dessen werden beide vom endlichen Subjekt durch die Erkenntnismethode äuûerlich miteinander verbunden.97 Das endliche synthetische Erkennen geht dabei nach den wissenschaftlichen Methoden: Definition, Einteilung und Lehrsatz vor.98 Aufgrund dieser Struktur von analytischem und synthetischem endlichem Erkennen ist das endliche Denken nicht fähig, die spekulativ dialektische Erkenntnis zu vollziehen. Bei tischen und synthetischen Momenten; vgl. auch U. Guzzoni (Werden zu sich. Eine Untersuchung zu Hegels »Wissenschaft der Logik«. Freiburg/München, 3. Aufl. 1982, 66 ff.) zum Thema. Interpretierend sagt sie, wohl angeregt von Hegels Bestimmungen zum endlichen analytischen und synthetischen Erkennen, über den analytischen Fortgang im dialektischen, absoluten Erkennen, daû dieser die Bestimmungen nur vorfinde, der synthetische Fortgang die Bestimmungen aber setze und verknüpfe (vgl. a. a. O., 69). Beides wird von Hegel selbst zwar nicht gesagt, stellt aber eine Verdeutlichung seiner Theorie dar. Zum Thema auch K. Harlander (Absolute Subjektivität und kategoriale Anschauung. Meisenheim a.G. 1969, 65 ff.) und L.B. Puntel (Darstellung, Methode und Struktur. Bonn 1973, 232 ff.). 97 Vgl. GW, Bd. 12, 209 ff., 238 f. 98 Vgl. GW, Bd. 12, 209 ff., 239 ff.
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letzterer gibt es die Kluft zwischen Subjekt, Objekt und Methode nicht. Die absolute Methode ist die »Sache selbst«. Bei dem endlichen Erkennen stellt sich notwendig die ¾uûerlichkeit der Methode gegenüber der zu untersuchenden Sache ein, denn die Methode steht weder in einem inneren Bezug zum Objekt noch zum Subjekt. Wegen der Unbezogenheit auf das Objekt ist die Methode des endlichen Erkennens inhaltlich leer, und wegen des fehlenden Bezugs auf das Subjekt ist die Methode unlebendig und statisch. Von daher stellt sich die Frage, weshalb Hegel das endliche analytische und synthetische Erkennen überhaupt in seine Ideenlehre aufnimmt, denn die Idee ist Subjekt-Objekt-Einheit. In der Idee des Erkennens liegt die Unterscheidung von Subjekt, Objekt und Methode vor, die zuvor im Leben als unmittelbare Einheit vollzogen wurde. Die unmittelbare Einheit muû sich in sich unterscheiden, denn sonst wäre nicht erkennbar, welche Momente sie impliziert. Diese Erkenntnis der Momente der Idee in ihrer Getrenntheit hat die endliche Idee des Erkennens zu leisten. In Hegels Dialektikkonzeption von 1804/05 spielten die wissenschaftlichen Methoden: Definition, Einteilung, Konstruktion und Beweis noch die entscheidende Rolle. Indem die Dialektik als das gesetzte Erkennen die endlichen Erkenntnismethoden Definition, Einteilung, Konstruktion, Beweis und Deduktion in ihrer Einheit erkannte, transzendierte sich das endliche dialektische Erkennen zum unendlichen, spekulativen Erkennen der Metaphysik, wo die Dialektik in ihrer konstitutiven Funktion als die Struktur der Metareflexion des die logischen Kategorien betrachtenden Philosophen aufgehoben sein sollte. In der reifen Konzeption der Wissenschaft der Logik verbannt Hegel die Methoden: Definition, Einteilung und Axiomatik allerdings aus seiner Dialektikkonzeption der absoluten Idee. Sie zeichnen vielmehr das bloû endliche, synthetische Erkennen aus. Die Dialektik als spekulative Methode hat sich in Hegels reifer Logikkonzeption von den endlichen Erkenntnismethoden vollständig emanzipiert.99 Weder in der »Lehre vom Begriff« aus der Wissenschaft der Logik, noch in den drei Auflagen der Enzyklopädie von 1817, 1827 und 1830 treten die wissenschaftlichen Erkenntnismethoden Definition, Einteilung, Axiomatik, Konstruktion und Beweis im Rahmen der absoluten Idee auf, sie sind vielmehr dem endlichen Erkennen zugeordnet. Lediglich in der Mitschrift von F.A. Good zu Hegels Logikvorlesung von 1817, die sich an der Logik aus der ersten Auflage der Enzyklopädie orientiert (Vorlesungen über Logik und Metaphysik. Heidelberg 1817. Mitgeschrieben von F.A. Good. In: Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Bd. 11. Hrsg. K. Gloy, Hamburg 1992, ad § 186), wird der Prozeû der Besonderung des Allgemeinen mit den wissenschaftlichen Erkenntnismethoden beschrieben: Das Allgemeine definiert sich, bestimmt seine Unbestimmtheit zu seiner Bestimmtheit, besondert sich dadurch und teilt sich zugleich ein, denn als besonderte Allgemeinheit sei zugleich die »unmittelbare Partikularisation« als Einteilung in viele Besondere gegeben. Zugleich gilt: »Dieser Fortgang ist immanente Konstruktion und immanenter Beweis, deren die höhere Philosophie, d.i. Philosophie allein fähig ist.« (A. a. O.) Dieser Kommentar der Vorlesungsmitschrift scheint nicht 99
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V. Der weitere Fortgang der absoluten Subjektivität Die zweite Prämisse: Die Besonderheit ist Einzelheit Die Einheit der beiden Verschiedenen, bestimmte Allgemeinheit und Besonderheit, entwickelt sich weiter: »Die zweyte Bestimmung, die Negative oder Vermittelte, ist ferner zugleich die Vermittelnde. Zunächst kann sie als einfache Bestimmung genommen werden, aber ihrer Wahrheit nach ist sie eine Beziehung oder Verhältniû; denn sie ist das Negative, aber des Positiven und schlieût dasselbe in sich. Sie ist also das Andere nicht als von einem, wogegen sie gleichgültig ist, so wäre sie kein Anderes, noch eine Beziehung oder Verhältniû; ± sondern das Andre an sich selbst, das Andre eines Andern; darum schlieût sie ihr eigenes Anders in sich, und ist somit als der Widerspruch, die gesetzte Dialektik ihrer selbst.«100 Mit dem »Anderen an sich selbst« spielt Hegel auf die seinslogische Kategorie des »Anderen an ihm selbst« an, die er auch als das »Andere seiner selbst« und als das »Andere des Anderen« bezeichnet. Diese seinslogische Kategorie folgt daraus, daû das Andere, das dem Etwas entgegengesetzt ist, selbst zum Anderen seiner wird, denn, als dem Etwas entgegengesetzt, ist das Andere selbst ein Etwas. Im Anderen an sich selbst tritt das Andere in ein Selbstverhältnis, denn das Andere bezieht sich auf sich.101 kompatibel mit der sonstigen Lehre des reifen Hegel. Es ist nicht denkbar, daû, wenn die endlichen wissenschaftlichen Erkenntnismethoden Definition, Einteilung, Konstruktion, Beweis (Axiomatik wird nicht in der Mitschrift von Good erwähnt) eine konstitutive Rolle in der Explikation der dialektischen Methode gespielt hätten, Hegel sie nicht mindestens in der absoluten Idee aus der Wissenschaft der Logik erwähnt hätte. Es handelt sich in der Vorlesungsmitschrift wohl eher um eine verzerrte Darstellung der absoluten Idee. Die Mitschrift von Good ist lückenhaft; bezüglich des weiteren Fortgangs vom besonderten Allgemeinen zum Einzelnen, also der zweiten Prämisse des methodischdialektischen Schlusses der absoluten Idee, gibt sie keine Auskunft (ein Kommentar zu den §§ 187 und 188 der Enzyklopädie 1817 fehlt). Über das »Ende«, also die letzte Stufe der dialektischen Methode wird gesagt, daû sich auch diese wieder einteile (vgl. a. a. O., ad § 189). Die Mitschrift von Good scheint in diesem Punkt unzuverlässig. Das läût sich auch durch für Hegels Lehre untypische Behauptungen untermauern: »Der Begriff als der Widerspruch ist die Tätigkeit. Die Tätigkeit bringt nichts hervor, sondern, was hervorgebracht werden soll, muû an und für sich schon dagewesen sein, und die Tätigkeit ist nur ein Trüben, ein Schein, aus dem die Manifestation hervorgeht.« (A. a. O., ad § 189). Daû der Begriff Tätigkeit und Widerspruch ist, läût sich mit Hegels Lehre vereinen, daû er aber ihm Vorgegebenes passiv aufnehme und nicht aktiv hervorbringe, steht in krassem Gegensatz zu Hegels Lehre in der absoluten Idee; Vorgegebenes rezeptiv aufzunehmen ist nach Hegel vielmehr ein Spezifikum des endlichen Erkennens und der endlichen Erkenntnismethoden. 100 GW, Bd. 12, 245. 101 Vgl. GW, Bd. 21, 106. Hegel beruft sich hier auf die Dialektik des Selben und des Verschiedenen aus Platons Sophistes-Dialog als historischen Vorläufer, allerdings deutet er diese Dialektik in seinem Sinne um (in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812) ist
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Durch eine genauere Bestimmung dessen, was die bestimmte Negation bedeutet, also durch eine tiefere Einsicht, was es bedeutet, daû das Positive im Negativen enthalten ist, ergibt sich nach Hegel die Erkenntnis, daû die Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit in der ersten Prämisse nicht eine Einheit ist, in der die Verschiedenen sich gleichgültig gegenüberstehen, sondern daû mit dieser Einheit ein wechselseitiger Bezug beider aufeinander vorliegt, der sich zum Widerspruch zuspitzt. Die bloûe Gleichgültigkeit und gleiche Gültigkeit von Allgemeinem und Besonderem, die darin besteht, daû das eine ist, was das andere nicht ist, verändert sich dahingehend, daû erkannt werden soll, daû das Allgemeine das Besondere ist und daû gleichursprünglich erkannt werden soll, daû das Besondere in sich selbst Allgemeines ist. Zugleich soll auch der Unterschied beider Begriffsbestimmungen gesetzt werden. Mit diesem Setzen der Einheit und des Unterschiedes wird der dialektische Widerspruch beider gegeneinander gesetzt. Die bestimmte Negation als Einheit der Verschiedenen in der ersten Prämisse entwickelt sich auf der Ebene der zweiten Prämisse dadurch weiter, daû die spezifische Struktur einer Negation bestimmt wird, die zugleich das Positive des Anfangs vollständig in sich enthält. Das Besondere soll also nicht bloû »einiges« des Allgemeinen sein, sondern dessen eigentliches Wesen. Nach Hegel ist diejenige Besonderheit, die alles in sich umgreift, die also in einem substantiellen Sinne allgemein ist, die Einzelheit. Die Einzelheit ist die Einheit, die in sich Allgemeinheit und Besonderheit umgreift. Die Einzelheit ist diejenige Besonderheit, d. h. Bestimmtheit, die allgemein ist. Die besonderte Allgemeinheit ist eine bestimmte Allgemeinheit, denn als etwas Besonderes grenzt sie anderes, das sie nicht ist, von sich auf bestimmte Weise aus. Anderes nicht zu sein, sich gegen dieses abzugrenzen setzt ein aktives Selbstverhältnis voraus, »dies bestimmte Allgemeine ist die sich auf sich beziehende Bestimmtheit; die bestimmte Bestimmtheit oder absolute Negativität für sich gesetzt. Die sich auf sich selbst beziehende Bestimmtheit aber ist die Einzelnheit«.102 Die Einzelheit ist wesentlich dadurch bestimmt, daû sie sich nicht auf etwas bezieht, das ihr äuûerlich entgegensteht, sondern die Einzelheit verhält sich nur zu sich selbst. Sie ist für sich und in einem exklusiven Sinn reine Selbstbezüglichkeit und sich selbst bestimmende Subdiese Bestimmung nur angedeutet, der Bezug auf Platon fehlt ganz; vgl. GW, Bd. 11, 61); vgl. hierzu H.-G. Gadamer (Hegel und die antike Dialektik. In: Gesammelte Werke, Bd. 3, Neuere Philosophie I. Hegel, Husserl, Heidegger. Tübingen 1987, bes. 18 ff.), R. Bubner (Dialog und Dialektik. In: Zur Sache der Dialektik. Stuttgart 1980, bes. 135 ff.) und K. Düsing (Dialektikmodelle. Platons Sophistes¬ sowie Hegels und Heideggers Umdeutungen. In: Das Problem der Dialektik. Hrsg. D. Wandschneider, Bonn 1990, bes. 9 ff.). 102 GW, Bd. 12, 43.
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jektivität. Würde sie sich auf etwas anderes beziehen, das ihr äuûerlich entgegensteht, wäre sie etwas Vergemeinschaftetes, aber nicht mehr Einzelheit, nicht mehr etwas, das für sich allein ist. Die zweite Prämisse des methodisch-dialektischen Schlusses lautet daher: Besonderes ist Einzelnes. Im Stadium der zweiten Prämisse des methodisch-dialektischen Schlusses entfaltet das Negative, das zugleich positiv ist, den ihm immanenten Widerspruch. So wie die beiden Reflexionsbestimmungen Gleichheit und Ungleichheit die bloûe Verschiedenheit zum Gegensatz fortentwickeln, weil die Einheit der Verschiedenen grundlegender bestimmt wird ± d. h., die Gleichheit wird als das wechselseitige Implikat von Gleichheit und Ungleichheit bestimmt, und gleichursprünglich wird die Ungleichheit als das wechselseitige Implikat von Gleichheit und Ungleichheit erkannt, woraus sich der Gegensatz der Bestimmungen Positives und Negatives ergibt ± so entwickelt sich auch im methodisch-dialektischen Schluû der absoluten Idee die erste Prämisse: »Allgemeines ist Besonderes« zur zweiten Prämisse: »Besonderes ist Einzelnes«, weil sich nun die Einheit der Verschiedenen, d. h. bei der absoluten Idee die wechselseitige Implikation des Allgemeinen im Besonderen und des Besonderen im Allgemeinen genauer bestimmt. Als die Einheit, welche die wechselseitige Implikation ermöglicht, zeigt sich das Einzelne. »Wie die Erste [Prämisse durch; d. V.] das Moment der Allgemeinheit und der Mittheilung, so ist die zweyte durch die Einzelnheit bestimmt«.103 Die erste Negation als bestimmte Negation stellt einerseits den Unterschied und andererseits die Einheit der einander Negierenden als aufeinander einheitlich bezogen dar. Wird diese Einheit, das Bestehen des Positiven im Negativen bestimmt, so entwickelt sich die erste Negation zur zweiten Negation, zur Negation der Negation. Die Besonderheit als Negation der Allgemeinheit wird nun selbst negiert. Diese Negation der Negation wird von dem Besonderen selbst vollzogen, denn die Negation negiert sich selbst. Damit erweist sich die Negativität, also das Prinzip abhebender und unterscheidender Bestimmung, als selbstbezüglich. Die Allgemeinheit bildet die Position, affirmative Gleichheit mit sich, das Besondere bildet die Negation der Position, und die Einzelheit negiert die Negation der Besonderheit. Die Negation der Negation stellt ein Selbstverhältnis dar. »Die Beziehung des Negativen auf sich selbst, ist als die zweyte Prämisse des ganzen Schlusses zu betrachten.«104 Die Selbstbezüglichkeit besteht darin, daû sich das Besondere zum anderen seiner selbst macht, nämlich zur Einzelheit. Die Andersheit negiert sich auf der Ebene der zweiten Prämisse selbst und verwandelt sich damit wiederum zu etwas anderem. Die Andersheit erster Stufe bezieht sich aber nicht auf eine Andersheit, die ihr äuûerlich gegen103 104
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übersteht, sondern die Andersheit entwickelt sich zum Anderen ihrer selbst. Dies ist eine Andersheit zweiter Stufe, zu der sich die Andersheit erster Stufe selbst umgestaltet. Das Besondere als das Andere der Allgemeinheit wird sich selbst zu etwas anderem; die Einzelheit ist nämlich wiederum etwas anderes gegenüber dem Besonderen. In diesem Selbstverhältnis zeigt sich die Subjektivitätsstruktur der Dialektik. Der logische Entwicklungsprozeû der Dialektik ist für Hegel ein aktives Sich-zu-sich-Verhalten, also eine reine sich selbst denkende Subjektivität. Wurde zunächst in der ersten Prämisse des methodisch-dialektischen Schlusses im Ausgang vom unmittelbaren Anfang vorrangig der Unterschied gesetzt, so ist es nun nach Hegel wichtig, die Einheit in den Unterschiedenen zu setzen. Diese Einheit liegt bereits in den voneinander Unterschiedenen selbst. Jetzt ist aber mit der Einheit nicht mehr die noch relativ unbestimmte »Einheit der Verschiedenen« gemeint, die wir bereits auf der Ebene der ersten Prämisse untersucht haben, sondern es handelt sich nun um eine höherstufige Form der Einheit, die auf der Ebene der zweiten Prämisse gesetzt wird. Diese folgt zwar aus der Einheit, die bereits in der ersten Prämisse gesetzt ist, geht aber über diese hinaus. Der Unterschied als solcher impliziert die Einheit der Unterschiedenen: »Das Zweyte hingegen ist selbst das Bestimmte, der Unterschied oder Verhältniû; das dialektische Moment besteht bey ihm daher darin, die Einheit zu setzen, die in ihm enthalten ist.«105 Nun geht es also darum, die Einheit der Unterschiedenen Allgemeines und Besonderes, die in der ersten Prämisse nur als »Einheit der Verschiedenen« vorgezeichnet war, vollständig und vollgültig zu thematisieren. Daraus ergibt sich der Widerspruch der beiden Relata, denn nun werden »die entgegengesetzten Bestimmungen in Einer Beziehung«106 gesetzt. D.h., in der selben Hinsicht sollen Einheit und Unterschied der Relata gesetzt werden. Das Allgemeine soll in der selben Hinsicht Besonderes sein, in der auch das Besondere Allgemeines ist, und ebenso soll in der selben Hinsicht der Unterschied gesetzt werden, daû das Allgemeine nicht das Besondere und das Besondere nicht das Allgemeine ist. Auf der Ebene der zweiten Prämisse wird deutlich, daû das »Denken des Widerspruchs, das wesentliche Moment des Begriffes«107 ist. Zu einem solchen Denken des Widerspruchs ist nach Hegel nur die absolute Subjektivität in der Lage. Fast hymnisch erklärt Hegel, daû die Negation der Negation die absolute Subjektivität ist, also das lebendige und dialektische Zentrum seiner spekulativen Logik: »Die betrachtete Negativität macht nun den Wendungspunkt der Bewegung des Begriffes aus. Sie ist der einfache Punkt der 105 106 107
GW, Bd. 12, 246. GW, Bd. 12, 246. GW, Bd. 12, 246.
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negativen Beziehung auf sich, der innerste Quell aller Thätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung, die dialektische Seele, die alles Wahre an ihm selbst hat, durch die es allein Wahres ist; denn auf dieser Subjektivität allein ruht das Aufheben des Gegensatzes zwischen Begriff und Realität und die Einheit, welche die Wahrheit ist. ± Das zweyte Negative, das Negative des Negativen, zu dem wir gekommen, ist jenes Aufheben des Widerspruches, aber ist so wenig als der Widerspruch, ein Thun einer äusserlichen Reflexion, sondern das innerste, objectivste Moment des Lebens und Geistes, wodurch ein Subject, Person, Freyes ist.«108 Diese hymnisch-vitalistische Beschreibung kann jedoch eine deduktiv-notwendige Herleitung der zweiten Prämisse nicht ersetzen. Es bleibt vielmehr unklar, wie der Widerspruch im Einzelnen thematisch gesetzt wird. Zu diesem Problem äuûert sich Hegel in der absoluten Idee aus der Wissenschaft der Logik nicht differenziert. Wie das Zitat zeigt, überspringt Hegel in der absoluten Idee aus der Wissenschaft der Logik das Problem der Setzung und der Denkbarkeit des Widerspruchs und schreitet sogleich zur Aufhebung des Widerspruchs fort, welche die Subjektivität vollbringt, die sich aber erst auf der Ebene der Konklusion durchsetzt. 1. Das »Recht des Unterschiedes«: Die Entwicklung des Gegensatzes zum Widerspruch in der Einzelheit Im § 241 der Enzyklopädie von 1830109 deutet Hegel genauer an, was sich in der zweiten Prämisse des dialektisch-methodischen Schlusses ereignet: »Die Entwicklung dieser Sphäre wird Rückgang in die erste, wie die der ersten ein Uebergang in die zweite ist; nur durch diese gedoppelte Bewegung erhält der Unterschied sein Recht, indem jedes der beiden Unterschiedenen sich an ihm selbst betrachtet zur Totalität vollendet, und darin sich zur Einheit mit dem andern bethätigt. Nur das Sich-Aufheben der Einseitigkeit beider an ihnen selbst läût die Einheit nicht einseitig werden.« Hier wird deutlicher, welche Funktion die Negation der Negation in der zweiten Prämisse hat. Sie führt zu einer gegenwendigen Bewegung zur ersten Prämisse. In dieser stehen sich Allgemeines und Besonderes so gegenüber, daû sich das Allgemeine selbst zum Besonderen wandelt. Umgekehrt ist das Besondere die Negation des Allgemeinen, schlieût dieses von sich aus; sofern das Besondere aber auch als bestimmte Negation auf dasjenige bezogen ist, welches es negierend von sich ausschlieût, enthält es auch das Allgemeine in sich. Ohne einen GW, Bd. 12, 246. In der Enzyklopädie 1817 fehlt ein analoger Paragraph. Hegel erörtert hier, wie auch in der absoluten Idee aus der »Lehre vom Begriff« in der Wissenschaft der Logik von 1816, die Setzung des Widerspruchs in der zweiten Prämisse noch nicht so deutlich wie in der zweiten und dritten Auflage der Enzyklopädie von 1827 und 1830. 108 109
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positiven Bezug auf das zu Negierende wäre das Negierende selbst völlig unbestimmt, hätte gar keinen Bedeutungsgehalt: ohne Allgemeines kein Besonderes, und im Gegenzug: ohne Besonderes kein Allgemeines. Auf diese Weise ist das Besondere Allgemeines und das Allgemeine Besonderes. Jedes der beiden macht sich selbst zur »Totalität«. Beide voneinander Unterschiedenen haben ihr Entgegengesetztes in sich. Sofern jedes der beiden das andere in sich selbst hat, liegt eine »doppelte«, d. h. in sich gegenwendige Bewegung beider Momente vor. Das »Recht des Unterschiedes« besteht darin, daû nun die beiden Momente nicht mehr bloû verschieden voneinander sind, sie sind nicht mehr bloû das eine, was das andere nicht ist, sondern jedes der beiden ist einerseits es selbst und andererseits das von ihm Verschiedene. Auf diese Weise totalisieren sich die Momente. Damit spitzt sich die Verschiedenheit zum Gegensatz und zum Widerspruch zu. »Die zweite Sphäre entwickelt die Beziehung der Unterschiedenen zu dem, was sie zunächst [hier im Sinne von »vorrangig« zu verstehen; d. V.] ist, zum Widerspruche an ihr selbst«.110 Diese Zuspitzung zum Widerspruch, als das Herzstück der Dialektik des reifen Hegel, muû allerdings genauer erläutert werden. Hierzu ist, ähnlich wie bei der ersten Prämisse, auf Hegels Ausführungen zu den Reflexionsbestimmungen in der »Lehre vom Wesen« zurückzugreifen, denn im Rahmen der absoluten Idee spielt Hegel zwar mit dem »Recht des Unterschiedes« auf das Entwicklungsverhältnis von Verschiedenheit, Gegensatz und Widerspruch an, erläutert dieses aber nicht. Die Bestimmung des Gegensatzes findet sich in der »Lehre vom Wesen«: »Die Verschiedenheit, deren gleichgültige Seiten eben so sehr schlechthin nur Momente als Einer negativen Einheit sind, ist der Gegensatz.«111 Die »negative Einheit« von Gleichheit und Ungleichheit bildet den eigentlichen Gegensatz. In diesem Gegensatz, in dieser negativen Einheit verwandelt sich die Gleichheit zur Bestimmung des Positiven und die Ungleichheit wird zum Negativen. Das Positive ist die Gleichheit, die in sich auch Ungleichheit ist, weil in dieser Gleichheit gesetzt ist, daû sie der Ungleichheit ungleich ist; und das Negative ist die Ungleichheit, die in sich auch Gleichheit ist, weil diese Ungleichheit der Gleichheit ungleich und daher mit sich selbst gleich ist. »Ihre Reflexion in sich besteht darin, daû jedes an ihm selbst die Einheit der Gleichheit und Ungleichheit ist.«112 Das Positive als die Gleichheit, die in sich nichts anderes als das Nichtsein der Ungleichheit ist, und das Negative, Enzyklopädie 1830, § 242; dies findet sich noch nicht in dem analogen § 188 der 1. Auflage der Enzyklopädie 1817. 111 GW, Bd. 11, 270; die Reflexionsbestimmungen zu Gegensatz und Widerspruch werden ausführlich von C. Iber (Metaphysik absoluter Relationalität. Berlin/New York, 1990, 380 ff.) dargestellt. 112 GW, Bd. 11, 272. 110
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das in sich nichts anderes als das Nichtsein der Gleichheit ist, bilden zwei Bestimmungen, die ihre spezifische Bedeutung nur dadurch erlangen, daû sie auf ihr je Entgegengesetztes ausschlieûend bezogen sind. Dabei setzt jedes der beiden Momente das Entgegengesetzte als nichtseiend. Indem sich jedes der Momente durch das Nichtsein seines Entgegengesetzten setzt, ist es, erhält es seine spezifische Bedeutung. Da aber jedes der Momente das Entgegengesetzte in der Form des Nichtseins in sich selbst auch noch enthält und dem Entgegengesetzten damit nicht nur äuûerlich gegenübersteht, ist sein eigenes Sein im Entgegengesetzten in ihm selbst als Nichtsein gesetzt. Der ausschlieûende Bezug ist die negative Einheit, in der Positives und Negatives verbunden sind. Der Gegensatz besteht darin, daû jedes einzelne Moment sich durch das andere setzt. Nach Hegel folgt aus diesem ausschlieûlich durch den Bezug auf das entgegengesetzte Moment gewonnenen Bedeutungsgehalt der Relata: Positives und Negatives, daû sie das jeweils entgegengesetzte Moment in sich selbst haben. Dadurch, daû das Positive nur positiv ist, sofern es das Negative von sich ausschlieût, und dadurch, daû das Negative nur negativ ist, indem es das Positive von sich ausschlieût, implizieren sie nach Hegel einander notwendig, beide sind angewiesen auf ihr jeweiliges Nichtsein und konstituieren dadurch ihren spezifischen Sinn. Damit entwickelt sich jedes einzelne Moment zum Ganzen, zur Totalität. Das Positive impliziert das Negative, das Negative impliziert das Positive. Beide sind reine Wechselbestimmungen, die in sich jeweils die ganze Wechselbestimmung spiegeln. Das Positive ist dadurch Positives, daû es das Negative von sich ausschlieût; sofern das Positive aber das Negative ausschlieût, ist es selbst negativ. Das Positive ist nach Hegel nämlich nicht bloû äuûerlich negativ, denn wenn das Positive nicht das Negative von sich ausschlösse, wäre es gar nicht, somit ist dem Positiven das Negative wesentlich und immanent. Umgekehrt ist das Negative dadurch Negatives, daû es das Positive von sich ausschlieût, durch diese Ausschlieûung ist das Negative mit sich selbst positiv identisch, es ist also selbst auch positiv. Damit ist dem Negativen seine eigene Positivität wesentlich, ohne den Ausschluû des Positiven wäre das Negative nicht es selbst. Indem das Positive positiv und negativ und umgekehrt das Negative negativ und positiv ist, werden beide Bestimmungen selbständig. Selbständigkeit besteht bei den Reflexionsbestimmungen Positives und Negatives darin, daû sich die einzelnen Momente zur Totalität des ganzen Gegensatzes entwickeln. Die beiden Momente sind nicht auf ¾uûerliches angewiesen, weil jedes einzelne Moment des Gegensatzes selbst bereits der ganze Gegensatz ist. Das ist gemeint, wenn Hegel in der absoluten Idee im § 241 der Enzyklopädie (1830) davon spricht, daû »jedes der beiden Unterschiedenen sich an ihm selbst betrachtet zur Totalität vollendet«. Das Besondere ist nicht nur
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Besonderes, sondern auch besonderte Allgemeinheit und die Allgemeinheit ist nicht nur Allgemeinheit, sondern auch Besonderes. Die Bestimmungen des Gegensatzes in der »Lehre vom Wesen« verdoppeln sich: das Positive ist 1. positiv und 2. negativ; das Negative ist 1. negativ und 2. positiv. Die wechselseitige Implikation von Positivem und Negativem bedeutet ein »Aufheben dieses Andersseyns in sich«.113 Aufgrund dieser Verneinung und Ausschlieûung des anderen haben die Bestimmungen überhaupt ein Bestehen, würden sie nur in ihrem eigenen Nichtsein bestehen, dann könnte es sie gar nicht geben. »Jedes ist daher nur, insofern sein Nichtseyn ist, und zwar in einer identischen Beziehung.«114 Mit der »identischen Beziehung« meint Hegel, daû Sein und Nichtsein von Positivem und Negativem in der selben Hinsicht gelten. In der selben Hinsicht schlieûen sich das Bestehen von Positivem und Negativem jeweils für sich und das verneindende Ausschlieûen von Positivem und Negativem in Bezug auf das je entgegengesetzte ein. Bezogen auf die absolute Idee, wird hier deutlich, daû die Negation der Negation, oder die doppelte Negation, die Totalisierung der entgegengesetzten Momente zum Ganzen des Gegensatzes bedeutet. Die Aktuosität, die in dem selbstbestimmenden Ausschluû des Gegenteils impliziert ist, die in der Wesenslehre Positives und Negatives vollziehen, wird allerdings erst in der »Lehre vom Begriff« erkannt, dort wo die tätige Subjektivität selbst thematisiert wird, was in der letzten und höchsten Instanz in der absoluten Idee geschieht. Dort zeigt sich, daû es der absolute Begriff, die reine logische Subjektivität ist die sich bestimmt. Mit der Selbigkeit der Hinsicht für Sein und Nichtsein der Reflexionsbestimmungen des Positiven und Negativen ist nach Hegel der bloûe Gegensatz zum Widerspruch geworden. Daran wird deutlich, daû in Hegels Herleitung der Reflexionsbestimmungen der Widerspruch zumindest latent bereits auf der Ebene des Gegensatzes vorliegt und somit das, was allererst bewiesen werden soll, bereits im Gegensatz angelegt ist. Problematisch ist allerdings, ob mit dem Gegensatz, wie Hegel ihn konzipiert, ein sinnvoller Denkinhalt vorliegt. Ein Gegensatz liegt nach Hegel vor, wenn Positives und Negatives als einander in derselben Hinsicht implizierend erkannt werden, also wenn das Positive in derselben Hinsicht positiv ist, wie es negativ ist, Umgekehrtes gilt für das Negative. In Hegels Konzeption ist das Positive aber in Hinsicht auf sich selbst positiv und in Hinsicht auf das Negative negativ. Damit liegen eigentlich doch zwei verschiedene Hinsichten vor, die keinen Gegensatz im Hegelschen Sinne, nämlich als latenten Widerspruch, auftreten lassen, ihn vielmehr vermeiden. 113 114
GW, Bd. 11, 273. GW, Bd. 11, 273.
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Auch das Negative ist nicht in derselben Hinsicht negativ, wie es positiv ist: Positiv ist das Negative in Hinsicht auf sich selbst, nämlich als mit sich selbst Identisches, negativ ist es in einer anderen Hinsicht, nämlich gegen das Positive. Daran zeigt sich, daû der Widerspruch und der Gegensatz im Hegelschen Sinne nicht sinnvoll zu denken sind, auch wenn Hegel dies postuliert. Auch bei Hegel ist das widersprüchlich Entgegengesetzte nicht in derselben Hinsicht als vereint gedacht. Dies ist deswegen nicht möglich, weil dann diese Gedanken prinzipiell nicht mehr sinnvoll wären. Ein Widerspruch wäre nur dann tatsächlich gegeben, wenn das Positive nicht nur in Hinsicht auf das Negative negativ wäre, sondern wenn das Positive auch in Hinsicht auf sich selbst negativ wäre, dann würde das Positive aber das Positive negierend von sich ausschlieûen, was keinen sinnvollen Denkinhalt mehr darstellt. Ein Positives, das nicht Positives ist, wäre Nichts. Umgekehrt gilt auch für ein Negatives, das kein Negatives ist, daû es Nichts ist. Aus einem solchen Widerspruch folgt ein leerer Gedanke. Die Relation von Positivem und Negativem ist nämlich im vollständigen Widerspruch völlig symmetrisch: Das Positive schlieût nicht nur das Negative aus sich aus, sondern auch das Positive und umgekehrt schlieût auch das Negative nicht nur das Positive aus, sondern auch das Negative; so daû nichts Denkbares mehr zurückbleibt. Daran zeigt sich, daû der Gedanke, daû Positives und Negatives in zwei verschiedenen Hinsichten einerseits positiv und andererseits negativ sind, nicht nur den Gegensatz im Hegelschen Sinne, also den bloû latenten Widerspruch, betrifft, sondern auch den eigentlichen, den gesetzten Widerspruch. Wenn der Widerspruch tatsächlich in der Relation von Positivem und Negativem gesetzt wäre, dann könnte auch das Grund-Folge-Verhältnis nicht mehr gelten. Wenn sie nämlich in derselben Hinsicht gesetzt sind, dann liegt eine völlig symmetrische Relation beider zueinander vor; jedes wäre in der selben Hinsicht Grund und Begründetes. Dies würde aber das asymmetrische Verhältnis von Grund und Folge und deren notwendig mitgedachte Unumkehrbarkeit aufheben. Wäre also der Widerspruch sinnvoll denkbar, dann lieûe sich nicht mehr sagen, was in der Relation von Positivem und Negativem jeweils Grund und was Begründetes ist. Damit stellt sich aber auch Hegels weitere Ableitung der Bestimmung des »Grundes« nach dem »Widerspruch« in der »Lehre vom Wesen« als besondere Schwierigkeit dar. Wenn im Widerspruch eine völlig symmetrische Relation der Relata Positives und Negatives vorliegt, dann kann sich daraus kein asymmetrisches Grund-Folge-Verhältnis herstellen.115 Kritisch äuûert sich auch K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 222 ff.) zu Hegels Gedanken über den Gegensatz und den Widerspruch. H. Kimmerle (Die allgemeine Struktur der dialektischen Methode. In: Zeitschrift 115
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Nach Hegel entwickelt sich aus dem Gegensatz der Widerspruch, denn in seiner Sicht werden Positives und Negatives in derselben Hinsicht ausgesagt: Beide nehmen am Negativen teil, sofern sie ihr jeweiliges Gegenteil ausschlieûen, beide nehmen aber auch am Positiven teil, sofern sie beide jeweils mit sich identisch sind. Das, was die gesetzte Selbständigkeit der Reflexionsbestimmungen ausmacht, also, daû sie sich selbst jeweils zur Totalität des Gegensatzes entwickeln, dieses Moment ist es, was sie in den Widerspruch treibt: »Indem die selbstständige Reflexionsbestimmung in derselben Rüksicht, als sie die andere enthält, und dadurch selbstständig ist, die andere ausschlieût, so schlieût sie in ihrer Selbstständigkeit ihre eigene Selbstständigkeit aus sich aus; denn diese besteht darin, die ihr andere Bestimmung in sich zu enthalten und dadurch allein nicht Beziehung auf ein äusserliches zu seyn, aber eben so sehr unmittelbar darin, sie selbst zu seyn und die ihr negative Bestimmung von sich auszuschliessen. Sie ist so der Widerspruch.«116 Der entstehende Widerspruch kann auch so beschrieben für philosophische Forschung 33, 1979, 193 ff.) hält den dialektischen Widerspruch für denkbar, er schlieût sich darin L. Erdei an (Der Gegensatz und der Widerspruch in der Hegelschen Logik. In: Hegel-Jahrbuch 1973, 18±23). Das Beispiel Kimmerles und Erdeis: vom Tapferen, dessen Tapferkeit eine nicht realisierte Feigheit ist, vermag jedoch nicht zu überzeugen, denn ein Widerspruch läge nur dann tatsächlich vor, wenn die Tapferkeit selbst die Feigheit wäre, solange sie die nicht realisierte Feigheit ist, wird der Widerspruch gerade vermieden. 116 GW, Bd. 11, 279; G.M. Wölfle (Die Wesenslogik in Hegels »Wissenschaft der Logik«. Stuttgart ± Bad Cannstatt 1994, 238 ff.), der Hegels Deduktion des Widerspruchs für gelungen hält, plädiert dafür, Gegensatz und Widerspruch in eine Stufe zusammenzufassen. Abgesehen davon, daû dieser Ansatz die explizite Setzung der entgegengesetzten Relata in derselben Hinsicht nivelliert, kann dann Hegels Deduktion des Widerspruchs nicht als gelungen betrachtet werden, denn gerade der Gegensatz macht die Schwierigkeit von Hegels Deduktion deutlich, daû das Positive nicht in der selben Hinsicht positiv und negativ ist, was umgekehrt auch für das Negative gilt. Richtig ist allerdings, daû nach Hegel der Widerspruch implizit und latent bereits auf der Ebene des Gegensatzes vorhanden sein soll. Wenn es Hegel jedoch nicht gelingt, den Widerspruch auf der Ebene des Gegensatzes zu deduzieren, dann kann es ihm auch nicht im Widerspruch selbst gelingen, denn dieser baut auf der vorangehenden Ebene des Gegensatzes auf. M. Wolff (Über Hegels Lehre vom Widerspruch. In: Hegels Wissenschaft der Logik: Formation und Rekonstruktion. Hrsg. D. Henrich, Stuttgart 1986, 107±128) macht zu Recht darauf aufmerksam, daû der Widerspruch in Hegels »Lehre vom Wesen« ein objektiver Widerspruch und kein bloû subjektiver ist, weil er in der objektiven Logik verortet ist. Daher handele es sich beim Widerspruch im Hegelschen Sinne auch nicht um einen bloû formallogischen Selbstwiderspruch. Hegels Deutung des Widerspruchs sei daher auch nicht mit den Mitteln der formalen Logik zu kritisieren (ähnlich äuûert sich Wolff bereits in: Über das Verhältnis zwischen logischem und dialektischem Widerspruch. In: Hegel-Jahrbuch 1979, 340±348). Da allerdings nach Hegel der dialektische Widerspruch den Verstand mit seinen einseitigen Hinsichtenunterscheidungen aufheben und zerstören soll, muû der dialektische Widerspruch auch einen formallogischen Widerspruch implizieren, sonst würde der formelle Verstand nicht zerstört. Auch die von Hegel postulierte Selbigkeit der Hinsichten, in denen Positives und Negatives sich wechsel-
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werden, daû in ihm die Beziehung auf das negierende andere zu einer rein inneren Beziehung beider Relata aufeinander wird. Die Setzung des eigenen Seins und Bestehens ist zugleich die Aufhebung, bzw. das Setzen des eigenen Nichtseins, der Relata. Das Positive und das Negative haben das eigene Nichtsein, also ihr jeweils Entgegengesetztes zur Bedingung ihres eigenen Seins. Indem das Entgegengesetzte immanente Bedingung des eigenen Seins ist, totalisieren sich die Momente, sie werden jeweils zum Ganzen der Entgegensetzung. Die Totalisierung der Momente konstituiert einerseits die Selbständigkeit der Reflexionsbestimmungen. Andererseits wird, paradox formuliert, gerade durch die Selbständigkeit die zuvor gesetzte Selbständigkeit zerstört. Denn die beiden Reflexionsbestimmungen heben sich durch ihren immanenten Widerspruch selbst auf. Die in den Relata gesetzte Selbständigkeit »ist es, was in Wahrheit im Widerspruche zu Grund geht.«117 Mit dem Zugrundegehen spielt Hegel bereits auf die nächste Reflexionsbestimmung, auf den »Grund«, an. Der Grund ist die gesetzte Aufhebung der eigenen Bestimmtheit, die Identität mit sich in der eigenen Negativität,118 also ein Bestehen, das selbst die eigene Aufhebung ist. Dies ist nur vom gesetzten Widerspruch und von dessen Struktur her zu verstehen. Der Widerspruch, der sich in der setzendzerstörenden Einheit des Positiven und Negativen zeigt, ist es, der sich zum Grund, der gesetzten Einheit der Widersprechenden entwickelt. Dabei ist allerdings entscheidend, daû in der Selbstaufhebung des Widerspruchs nicht die Selbständigkeit als solche verlorengeht, diese bleibt erhalten. Nur das Gesetztsein der Selbständigkeit in den Relata zerstört sich. Der Grund als die unmittelbare Einheit der Widersprechenden ist auch selbständig, in sich autark, nicht auf ¾uûerliches angewiesen. Aber wegen der unmittelbaren Einheit, zu der die Widersprechenden im Grund vereint sind, ist die Selbständigkeit im Grund nur latent gesetzt, nicht ausdrücklich, was allerdings bei den Relata des Widerspruchs der Fall ist, die in sich die Artikulation des ganzen Widerspruchs sind.119 Der Grund ist also eine unartikulierte Ganzheit. seitig setzen und aufheben, zeigt, daû der dialektische Widerspruch nach Hegel zugleich einen formallogischen Selbstwiderspruch implizieren soll. Wobei dann unsere Kritik anzumerken ist, daû sich durch einen vollständigen Widerspruch die widersprechenden Relata in einer symmetrischen Relation befänden und Positives und Negatives zu leeren Gedanken werden; dieser Einwand gilt nicht nur aus der Perspektive der Verstandeslogik, sondern auch immanent in einer spekulativen und objektiven Logik. 117 GW, Bd. 11, 281. 118 Vgl. GW, Bd. 11, 291. 119 Hiervon abweichend interpretiert H.F. Fulda (Hegels Dialektik als Begriffsbewegung und Darstellungsweise. In: Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels. Hrsg. R.-P. Horstmann, Frankfurt a.M. 1989, 146), daû sich im Widerspruch die Selbständigkeit selbst und nicht ihr bloûes Gesetztsein aufhebe.
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Die Setzung des Widerspruchs als Totalisierung der Momente beschreibt Hegel auch als doppelten Übergang: »Daû die Totalität gesetzt sey, dazu gehört der gedoppelte Uebergang, nicht nur der einen Bestimmtheit in ihre andere, sondern ebenso der Uebergang dieser andern, ihr Rückgang, in die erste. Durch den ersten ist nur erst an sich die Identität beyder vorhanden; ± [...] Daû diese [die zweite Bestimmtheit; d. V.] umgekehrt ebenso in der ersten enthalten, sie ebenso nur als aufgehobene ist, ergibt sich im zweyten Uebergang, ± der Rückkehr in das erste; diese Bemerkung über die Nothwendigkeit des doppelten Uebergangs ist von groûer Wichtigkeit für das Ganze der wissenschaftlichen Methode.«120 Die Totalisierung der Momente kommt in Hegels grundsätzlich für die »wissenschaftliche Methode« geltender Theorie des »doppelten Übergangs« zum Ausdruck. Sie findet also nicht erst in den Reflexionsbestimmungen des Wesens statt, wenn sie auch dort ihre explizite Rechtfertigung erfährt, sondern durchzieht die gesamte Logik. So vollzieht sich bereits in der seinslogischen Kategorie des Werdens ein doppelter Übergang. Einerseits geht im Werden das Sein in das Nichts über, andererseits geht auch das Nichts in das Sein über. Letzteres ist das Entstehen, ersteres bildet das Vergehen, die beide Momente des Werdens sind und beide Totalitäten darstellen. Bezogen auf die absolute Idee aus der »Lehre vom Begriff« bedeutet dies, daû durch den dialektischen Fortgang von der Allgemeinheit zur Besonderheit die Einheit beider noch nicht vollständig thematisch gesetzt ist, sie ist nur »an sich«. Erst durch die doppelte Negation, den »doppelten Übergang«, der zeigt, daû das Besondere selbst auch Allgemeines ist, wird die Einheit thematisch gesetzt. Das Besondere wird dadurch Allgemeines, daû es als Einzelnes gesetzt wird. Dasjenige Besondere, das in sich vollständig bestimmt ist und alle Bestimmtheit in sich enthält, ist die wahre, substantielle Allgemeinheit. Im doppelten Übergang zeigt sich bereits eine neue Richtung der dialektischen Bewegung ± die sich allerdings im methodisch-dialektischen Schluû der absoluten Idee erst in der Konklusion vollendet ± es zeigt sich die Gegenwendung zum bisherigen Verlauf. Wurde bisher in der ersten und zweiten Prämisse eine Bewegung fort von der ersten unmittelbaren Einheit hin zur urteilenden Trennung in eine Vielheit vollzogen, so richtet sich nun die Bewegung des Denkens zum Anfang, von der Vielheit zur Einheit, zurück. Die GW, Bd. 21, 320; interessant ist, daû sich dieser Passus in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812) noch nicht findet, vgl. die Parallelstelle, an der er hätte stehen müssen GW, Bd. 11, 185 ff. Nach Hegel vollziehen allerdings bereits in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« die Bestimmungen den doppelten Übergang ineinander. Beispielsweise, wenn zunächst die Qualität in Quantität und anschlieûend die Quantität in Qualität übergeht, aus welcher Einheit sich das Maû ergibt. Es handelt sich also offensichtlich um eine grundsätzliche methodische Reflexion, die Hegel sich aber erst in späterer Zeit ausdrücklich klar gemacht hat. 120
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Rückkehr zur Einheit wird allerdings erst vollständig in der Aufhebung des Widerspruchs gesetzt, die sich in der Konklusion des methodisch-dialektischen Schlusses vollzieht. Die Reflexionsbestimmungen zu Gegensatz und Widerspruch lassen sich aber noch genauer auf das Verhältnis der Begriffsbestimmungen in der absoluten Idee analogisierend übertragen. Das »Recht des Unterschieds« in der zweiten Prämisse wird dadurch deutlicher. Die Einzelheit ist die Einheit von bestimmter Allgemeinheit und Besonderheit. Besonderte Allgemeinheit und Besonderheit bilden eine in sich gegenwendige Einheit, sofern die Allgemeinheit selbst Besonderheit und die Besonderheit selbst Allgemeinheit ist, beide vervollständigen sich zum Ganzen. Der Widerspruch liegt für Hegel darin, daû das Einzelne, als Einheit von Allgemeinem und Besonderem, beides zugleich in der selben Hinsicht sein muû. Damit ist eine konkrete Allgemeinheit gesetzt, eine Allgemeinheit, die das Besondere in sich selbst enthält und nach Hegel ohne Hinsichtenunterscheidungen ihre eigene Allgemeinheit in den Besonderheiten selbst realisiert. Die Allgemeinheit ist in diesen Besonderungen zugleich mit sich identisch, verhält sich in den Besonderungen nur zu sich selbst, weil sie als Einzelheit zugleich ein vollständig individueller Begriff ist und die Besonderheiten in sich selbst allgemein sind. Die Einzelheit bedeutet einen vollständigen Ausschluû aller äuûerlichen Andersheit, also reine Selbstbezüglichkeit. Diese Selbstbezüglichkeit ist der Grund, weshalb die Allgemeinheit die Besonderungen als die ihrigen weiû. Sofern Allgemeinheit und Besonderheit in der Einzelheit ihre Einheit haben, sind sie auf widersprüchliche Weise vereint. Die Besonderheit ist in der selben Hinsicht als Allgemeinheit zu denken, wie die Allgemeinheit als Besonderheit zu denken ist. Beide sind identisch, aber in sich unterschieden identisch, gesetzt. Hier wird ein Unterschied zu den Reflexionsbestimmungen Positives und Negatives deutlich. Bei Positivem und Negativem ist das Gegenteil jeweils das Nichtsein ihrer selbst. Das Positive ist das, was das Negative nicht ist und umgekehrt. Bei den Begriffsbestimmungen ist der jeweilige Gegensatz aber nicht bloû das eigene Nichtsein, da dies bedeuten würde, daû das Allgemeine bloû dasjenige ist, was das Besondere nicht ist. In der absoluten Idee zeigt sich dagegen in den Begriffsbestimmungen jeweils die eigene Identität positiv im Entgegengesetzten. Das Allgemeine erhält positiv seine Bedeutung vom Besonderen, so wie das Besondere vom Einzelnen. Diese Bestimmungen entwickeln sich ineinander. Die Reflexionsbestimmungen reflektieren sich ineinander. Die Reflexion der Bestimmungen des Wesens ist allerdings damit behaftet, daû sie sich vermittels des eigenen Nichtseins der Relata vollzieht, so wie es sich bei dem Verhältnis von Positivem und Negativem zeigte. Daran wird ein grundlegender Unterschied der dialektischen Vermittlung von Wesens- und Begriffsbestimmungen deutlich. Das
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positive Impliziertsein der Begriffsbestimmungen ineinander wird jedoch nicht erst in der absoluten Idee gesetzt, sondern dies ist bereits im Abschnitt »Die Subjektivität«, dem ersten Teil aus der »Lehre vom Begriff« der Fall, insbesondere im vollendeten Begriff, im disjunktiven Urteil, und es zeigt sich auch in Hegels Schluûlehre. In der absoluten Idee gestaltet sich das positive Impliziertsein der Begriffsbestimmungen allerdings in der höchsten Weise. Hegel sagt über die Reflexionsbestimmung des Unterschieds: »Der Unterschied überhaupt ist schon der Widerspruch an sich«.121 Daran wird deutlich, daû nach Hegel bereits die Reflexionsbestimmungen Unterschied, Verschiedenheit und Gegensatz den Widerspruch in latenter Weise in sich enthalten, diesen also noch nicht gesetzt haben; was sie vom Widerspruch als solchem unterscheidet. Der im Unterschied latente Widerspruch wirkt auch auf die Identität, die erste Reflexionsbestimmung zurück, denn die Identität ist nichts anderes als das Nichtsein des Unterschieds. Nach Hegel ist die Identität nur in Entgegensetzung zum Unterschied zu verstehen. Damit zeigt sich, daû der Widerspruch von Hegel bereits in der Identität als latent angelegt verstanden wird. Dies läût sich auf die absolute Idee übertragen. Auch dort sind die anfängliche Identität des Allgemeinen, die Verschiedenheit der Begriffsbestimmungen Allgemeines und Besonderes und der Gegensatz der Begriffsbestimmungen bereits in sich widersprüchlich. Der Widerspruch ist dort ebenfalls nur latent. So ist z. B. das Absehen vom Besonderen, durch das sich das anfangende Allgemeine bestimmt, bereits ein Widerspruch, denn das Absehen soll zwar eigentlich eine Ausschlieûung des Besonderen bedeuten, stellt aber zugleich einen Bezug auf das Besondere dar; und wenn dieser Bezug das einzige ist, wodurch die anfangende Allgemeinheit ihre Bedeutung gewinnt, dann ist dieser Bezug wesentlich für sie, d. h., widersprüchlicherweise soll vom Besonderen abgesehen werden, obgleich der ausschlieûende Bezug auf das Besondere das einzig Bedeutunggebende für die anfangende Allgemeinheit ist. Nun erklärt sich auch vollends, weshalb der Anfang »mit dem Triebe begabt« ist, sich zu vervollständigen, und nicht einfach selbstgenügsam in seiner Unmittelbarkeit verharrt. Die anfangende Unmittelbarkeit ist an sich selbst bereits, wenn auch nur latent, widersprüchlich. Die Widersprüchlichkeit der Unmittelbarkeit liegt darin, daû ein reiner Anfang zu denken ist, der keine Vermittlung implizieren soll, gleichwohl ist das Denken immer schon Vermittlung. Das Denken vollzieht sich als eine Einheit von Vermittlung und Unmittelbarkeit. Die Vermittlung der Unmittelbarkeit besteht darin, daû von der Vermittlung abgesehen werden soll, das Absehen ist aber selbst auch eine Form der Vermittlung. Das Anfangen als solches ist daher in sich 121
GW, Bd. 11, 279.
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widersprüchlich, Unmittelbarkeit und Vermittlung stehen in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander.122 Der Widerspruch in den vorangehenden Stufen der absoluten Idee ist aber erst im nachhinein zu erkennen. Solange die absolute Idee sich noch nicht zur einfachen Einheit der Einzelheit entwickelt hat, ist der Widerspruch bloû latent. Erst in der Einzelheit als einfacher Einheit sind die Hinsichtenunterscheidungen völlig aufgehoben. In einer solchen Form von Einheit und In-sich-Geschlossenheit, wie sie die Einzelheit darstellt, können nach Hegel keine Hinsichtenunterscheidungen mehr gefällt werden. Hegel wirft dem endlichen Verstandesdenken vor, daû es durch den Versuch, den Widerspruch zu vermeiden, unfähig sei, die Gedanken zur Einheit zusammenzubringen, da durch die Hinsichtenunterscheidungen die Gedanken voneinander getrennt würden. Diese Trennung entspricht nach Hegel einer Versinnlichung der Gedanken. »Das formelle Denken aber macht sich die Identität zum Gesetze, läût den widersprechenden Inhalt, den es vor sich hat, in die Sphäre der Vorstellung, in Raum und Zeit herab fallen, worin das Widersprechende im Neben- und Nach-einander, ausser einander gehalten wird, und so ohne die gegenseitige Berührung vor das Bewuûtseyn tritt.«123 Abgesehen davon, daû auch die »Berührung« von Gedanken eine versinnlichende Metapher ist, kann bei den logischen Hinsichtenunterscheidungen nicht davon die Rede sein, daû es sich um raum-zeitliche Verhältnisse handelt. Die Unterscheidung verschiedener logischer Bedeutungsebenen ist zwar diskursiv, aber Diskursivität darf nicht mit räumlichem Nebeneinander oder zeitlicher Sukzession verwechselt werden, weil die beiden letzteren eine anschauungsmäûige, also intuitive Unterschiedenheit bedeuten. Hegels Vorwurf an den endlichen Verstand, er verfalle mit seinen Hinsichtenunterscheidungen einer Versinnlichung, hat daher polemischen Charakter, stellt jedoch kein wirkliches Argument gegen Hinsichtenunterscheidungen dar. Daher verhält es sich auch nicht so, daû der endliche Verstand den Widerspruch zu denken gezwungen wäre, ihn »factisch«124 denkt, aber sogleich in einem Abstraktionsakt von ihm absieht. Der endliche Verstand ist von vornherein nicht in der Lage, den Widerspruch sinnvoll zu denken, weil für ihn der mögliche Sinngehalt eines GeVgl. GW, Bd. 21, 54: Es gibt nichts, »was nicht ebenso die Unmittelbarkeit enthält als die Vermittlung, so daû sich diese beyden Bestimmungen als ungetrennt und untrennbar« erweisen. Bei diesem Zitat handelt es sich um einen Zusatz der 2. Auflage der »Lehre vom Sein«, der sich nicht in der 1. Auflage findet. Bereits H.-G. Gadamer (Die Idee der Hegelschen Logik. In: Gesammelte Werke, Bd. 3, Neuere Philosophie I. Hegel, Husserl, Heidegger. Tübingen 1987, 76) hat darauf aufmerksam gemacht, daû der Anfang als solcher dialektisch und widersprüchlich ist. 123 GW, Bd. 12, 246. 124 GW, Bd. 12, 246. 122
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dankens dessen Widerspruchsfreiheit als notwendige Bedingung voraussetzt. Aus Hegels Vorwurf, der Verstand versinnliche die Gedanken, wenn er sie durch Hinsichtenunterscheidungen trennt, ist allerdings zu ersehen, daû Hegels Theorie der dialektischen Bewegung des Denkens nicht eine sinnliche, also auch keine zeitliche Bewegung darstellt, sondern einen überzeitlichen, dynamischen Prozeû reiner Denkbestimmungen beschreiben will.125 W. Schulz (Hegel und das Problem der Aufhebung der Metaphysik. In: M. Heidegger zum 70. Geburtstag, Hrsg. G. Neske, Pfullingen 1959, 67±92, bes. 84 f.) betont ebenfalls, daû Hegels dialektisches, reines Denken in der Logik nicht zeitlich ist, sieht jedoch gerade in der Unzeitlichkeit die Aufhebung des Denkens. Nach Schulz ist ein unzeitliches Denken nicht möglich. Auch P. Rohs (Der Grund der Bewegung des Begriffs. In: Hegel-Studien Beiheft 18, 1978, 43±62) kritisiert insbesondere die Unzeitlichkeit der dialektischen Bewegung reiner Begriffsbestimmungen in Hegels Logik. Rohs nimmt hierbei Heideggers (Sein und Zeit. Tübingen 1986, 16. Aufl., 435) kritisch gegen Hegel gerichtete Frage auf, »ob die Wesensverfassung des Geistes als Negieren der Negation überhaupt anders möglich ist, es sei denn auf dem Grunde der ursprünglichen Zeitlichkeit«. Die dialektische Bewegung impliziert danach Zeit, kann nicht überzeitlich sein. Hier stellt sich das Problem, ob es über- oder unzeitliche Prozesse überhaupt geben kann. Berücksichtigt man jedoch, daû z. B. auch mathematische Beweise und Denkgesetze der formalen Logik keine zeitlichen Gebilde sind, weil sie zu jeder Zeit gelten sollen und zu jeder Zeit jeweils genau dasselbe gedacht werden soll, dann zeigen sich dort bereits überzeitliche Denkprozesse. Für die Dialektik Hegels wäre dann eine ebensolche Überzeitlichkeit in Anspruch zu nehmen wie für mathematische und formallogische Beweise, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, daû menschliches Denken derartige Prozesse immer nur zeitlich und in der Zeit vollziehen kann. Der Vorwurf zeitlich-sinnlicher Voraussetzungen für die dialektische Begriffsbewegung ist dem gegen Hegel gewendeten Vorwurf A. Trendelenburgs (Logische Untersuchungen. Leipzig 1870, 3. Aufl., 38 ff.) analog, daû Begriffsbewegung eine räumlich-anschauungsmäûige Bewegung voraussetze und in Analogie zu dieser vorgestellt werde. In Hegels Theorie dialektischer Begriffsbewegung seien daher intuitive Anschauungsbestimmungen implizit vorausgesetzt, das Denken könne sich nicht selbstmächtig aus sich begründen, sondern sei dazu auf die Anschauung angewiesen. Ebenso sei die dialektische Negation als reale, und nicht bloû logisch-kontradiktorische, Opposition auf die Anschauung des real Entgegengesetzten angewiesen, das nicht durch eine bloû logisch-begriffliche Untersuchung erkannt werden könne. Wäre die intellektuelle Begriffsbewegung in Analogie zur räumlichen Bewegung zu denken, würde sich das Problem einstellen, daû die Begriffsbewegung intuitivunmittelbar und nicht mehr intellektuell-geistig wäre. Daher verfehlt die Analogie zur räumlichen Bewegung gerade das Spezifische der intellektuellen Denkbewegung, eine solche Analogie verbietet sich daher. Auf die Entwicklungsgeschichte des Vorwurfs Trendelenburgs in der Hegelrezeption des 19. Jahrhunderts geht R. Bubner ein (Strukturprobleme dialektischer Logik. In: Zur Sache der Dialektik. Stuttgart 1980, bes. 19 ff.). Auch Kierkegaard (Der Begriff Angst. Gesammelte Werke, Hrsg. E. Hirsch, Abt. 11/12, 4. Aufl. 1995, 9 ff.) kritisiert, daû die in Hegels Logik vollzogene Bewegung der Negativität eigentlich keine logische, sondern vielmehr eine konkret existentiale Bestimmung sei und ihren Ort nicht in einer Logik haben könne, die nur statische Gesetzmäûigkeiten thematisiere. Wie allerdings die Konzeptionen einer transzendentalen Logik z. B. Kants, Fichtes und Husserls zeigen, thematisiert diese Form der Logik nicht bloû statische Gesetzmäûigkeiten, denn sie berücksichtigt insbesondere die konstitutiven Leistungen der Subjektivität. Diese vollzieht mit ihren Synthesisleistungen eine intellektuelle Tätigkeit, 125
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2. Die Selbstbezüglichkeit der Einzelheit Die Einzelheit, als widersprüchliche Einheit, ist als selbstbewuûte Lebendigkeit zu verstehen: Der Widerspruch »ist die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit; nur insofern etwas in sich selbst einen Widerspruch hat, bewegt es sich, hat Trieb und Thätigkeit«.126 Die Einzelheit der absoluten Idee ist der gesetzte Widerspruch in seiner höchsten Form. Die Einzelheit ist als Subjektivität, als aktives Selbstverhältnis zu begreifen. Dadurch bleibt der Widerspruch nicht ein anonymes, vitalistisches Geschehen, sondern wird von der Einheit der absoluten Subjektivität selbstbewuût vollzogen. In der absoluten Idee ist der Widerspruch, die Negation der Negation »der innerste Quell aller Thätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung, die dialektische Seele, [...] auf dieser Subjektivität allein ruht das Aufheben des Gegensatzes«.127 Die Einzelheit ist als Subjektivität zu begreifen. Sie ist Subjektivität, weil in der Einzelheit die Negativität, als Negation der Negation, selbstbezüglich ist. Die Einzelheit ist also eine abgeschlossene Einheit. In diesem Sinne einer Geschlossenheit, die sich auf sich selbst bezieht, ist die Subjektivität als Einzelheit zu begreifen, »die zunächst ausschliessend und als für sich und verschieden, sich auf das Andere bezieht«.128 Die Einzelheit ist eine aktive Begriffsbestimmung, welche die erste Stufe der Unterscheidung, die »Ur-teilung« des Besonderen, von sich ausschlieût, also tätig einen Ausschlieûungsakt vollzieht und sich darin auf sich selbst bezieht, »für sich« ist. Damit verdeutlicht sich der Zusammenhang von Einzelheit, Subjektivität, Widerspruch und doppelter Negation. Die Negation der Negation ist selbstbezüglich, stellt also innerhalb der absoluten Idee ein Bewuûtsein ihrer selbst dar und ist daher als Einzelheit zu bezeichnen: Sie ist nur auf sich selbst bezogen, und sie ist als Einheit in sich widersprüchlich, denn in der selben Hinsicht ist sie Allgemeines und Besonderes. Dabei ist in unserer Deutung der Ausschluû von anderem, den die Einzelheit vollzieht, allerdings auch ein Moment der Selbstbezüglichkeit. Anderes auszuschlieûen setzt nicht nur voraus, zu wissen, was das andere ist, sondern impliziert auch ein Wissen-um-sich, das aktiv die Ausschlieûung und die Ausschlieûungskriterien erkennt.129 Differenzierte Erkenntnis und Ausdie keine sinnliche Bewegung ist. Analog hierzu ist auch die Hegelsche Begriffsbewegung nicht sinnlich, also weder räumlich noch zeitlich. 126 GW, Bd. 11, 286. 127 GW, Bd. 12, 246. 128 GW, Bd. 12, 246 f. 129 Durch diese Deutung wird eine Schwierigkeit vermieden, die sich in D. Henrichs (Formen der Negation in Hegels Logik. In: Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels. Hrsg. R.-P. Horstmann, Frankfurt a.M. 1989, 213±229, bes. 223 f.) Interpretation der doppelten Negation stellt. Henrich deutet einleuchtend die doppelte Negation als Selbstverhältnis und Selbstbezüglichkeit; von dieser Form der doppelten Negation un-
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schlieûung der Andersheit in bezug auf sich selbst setzt ein Selbstverhältnis, also Subjektivität voraus. Nach Hegel setzt vollständiges Wissen um sich, also das Selbstverhältnis der Subjektivität allerdings auch den ausschlieûenden Bezug auf anderes voraus, das damit aber nicht ein abstrakt anderes ist, sondern indem dieses andere ein Moment in der Selbstbestimmung der Subjektivität ist, wird es zum immanenten Moment der Subjektivität. Die Einzelheit ist die Vollendung »der Subjectivität und des Begriffes selbst, als des in seinen identischen Grund zurückgekehrten Gegensatzes der Allgemeinheit und Besonderheit«.130 Die Einzelheit ist das logische Prinzip der konkreten Individualität.131 Die Einzelheit ist lebendig, wegen des sie beweterscheidet er allerdings noch eine zweite, die den Sinn: »einfache Beziehung verschiedener Relata« (a. a. O., 223) hat, die jedoch nicht selbstbezüglich sei, weil sie nur anderes aus sich eliminiert. In unserer Deutung zeigt sich eine Einheit beider von Henrich differenzierten Formen doppelter Negation. Einerseits ist die Einzelheit als doppelte Negation in der absoluten Idee die Beziehung der Negation auf sich selbst (in Henrichs Deutung das selbstbezügliche Moment), und andererseits ist die Einzelheit einfache Einheit, die anderes von sich ausschlieût (bei Henrich die nicht selbstbezügliche, Anderes von sich ausschlieûende Einheit). Die doppelte Negation ist, wie die absolute Idee lehrt, die Henrich allerdings nicht in seine Untersuchung einbezieht, sowohl ausschlieûende, als auch selbstbezügliche doppelte Negation. Mit dieser Arbeit führt Henrich Gedanken weiter, die er zuvor entwickelt hatte (Hegels Grundoperation. In: Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschr. für Werner Marx, Hrsg. U. Guzzoni, Hamburg 1976, 208±230). Bereits hier betont Henrich, daû die doppelte Negation selbstbezüglich ist (a. a. O., 216, 218). Nach dieser Arbeit Henrichs ist die Negation die »Grundoperation« Hegels. Hegel habe einerseits gesehen, daû Negation immer Negation von etwas ist, andererseits habe er die Negation »autonomisiert«, d. h., er habe sie aus »jeder Korrelation« befreit; die Negation in diesem Sinne ist Negation »ohne Beziehung auf irgendein Etwas« (a. a. O., 214 f.). Diese Ansicht ist angesichts der Beziehungsstruktur der Negation problematisch, denn nach Hegel ist die Negation immer Negation von etwas; insbesondere die bestimmte Negation ist immer Negation von etwas Bestimmtem, wodurch sie ihre Bestimmung erhält; auch die Negation der Negation ist Negation von etwas, nämlich von sich selbst. Henrich verbindet mit der autonomisierten Negation allerdings die doppelte Negation; beide Formen der Negation bilden nach ihm ein zusammengehöriges Geschehen, wobei die doppelte Negation die von uns eingeforderte Beziehungsstruktur auch nach Henrich aufweist (vgl. a. a. O., 215). Im folgenden hebt Henrich den zuvor von ihm gemachten Unterschied zwischen »autonomer« und doppelter Negation allerdings auch wieder auf, und sagt, die »autonome« Negation sei immer schon doppelte, letztere ermögliche die »autonome« (a. a. O.). In Henrichs Arbeit bleibt daher die Frage offen, ob »autonome« und doppelte Negation dasselbe sind oder nicht. Kritisch äuûert sich auch R. Bubner (Die Sache selbst¬ in Hegels System. In: Zur Sache der Dialektik. Stuttgart 1980, 40- 69, bes. 67, Anm. 13) zu Henrichs Rekonstruktion einer »Grundoperation« in Hegels Logik. Eine solche »Grundoperation« unterliegt dem Problem, sich abstrakt »vom Gang der Sache selbst reflexiv isolieren zu müssen« (a. a. O.). 130 Enzyklopädie 1830, § 569; dasselbe sagt Hegel bereits in der Enzyklopädie 1817, § 469. 131 Vgl. GW, Bd. 12, 49: »[...] die Einzelnheit, das Princip der Individualität und Persönlichkeit [...]«
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genden Widerspruchs, wegen der Vielheit, die hier als in Einem vereint zu denken ist. Problematisch ist allerdings, daû man die Begriffsbestimmungen: Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit nicht einfach als Verschiedene oder als voneinander getrennte Stufen verstehen darf. Es ist ein und dieselbe Identität, genauer gesagt, ein und dieselbe Subjektivität, die sich in den Begriffsbestimmungen vermittels erster Negation und doppelter bzw. zweiter Negation entwickelnd selbst bestimmt. Wenn man nämlich die Begriffsbestimmungen nicht als Bestimmungen der selben, einen Subjektivität begreift, dann ist die dialektische Bestimmungebewegung der absoluten Idee nicht selbstbezüglich. Würde man die Begriffsbestimmungen nicht als ein und derselben Subjektivität zugehörig verstehen, dann wäre diese in sich uneinheitlich. Die von Hegel intendierte absolute Subjektivität ist als sich entwickelnde zwar nicht statisch, aber sie darf dennoch nicht in ein »loses Bündel« von Bestimmungen zerfallen. In der absoluten Idee sind die verschiedenen Begriffsbestimmungen vielmehr als jeweils konkretere und gehaltreichere Bestimmungen ein und derselben Subjektivität zu begreifen. Wären die Begriffsbestimmungen nicht Bestimmungen ein und derselben Subjektivität, dann wäre diese auch nicht selbstbezüglich, in Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit. Daran wird deutlich, daû in Hegels Konzeption der sich entwickelnden logischen Subjektivität in der absoluten Idee eine durchgängige Identität vorauszusetzen ist, aufgrund derer die verschiedenen Bestimmungen als derselben absoluten Subjektivität zugehörend zu setzen sind. Diese durchgängige Identität der absoluten Subjektivität ist jedoch nicht von ihren besonderen Begriffsbestimmungen: Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit zu trennen und als zugrundeliegendes Substrat oder hypokeimenon zu deuten, sondern sie geht in diesen besonderen Bestimmungen auf und ist nur in ihrer Bestimmungsbewegung präsent. Bliebe die durchgängige Identität der absoluten Subjektivität hinter den besonderen Bestimmungen als Substrat zurückliegen, dann wäre sie ein opakes, anonymes und unerkennbares Prinzip. Gegenüber der Einzelheit erscheinen sogar die zuvor an der dialektischen Bewegung partizipierenden Begriffsbestimmungen Allgemeinheit und Besonderheit als abstrakt. »Die beyden ersten Momente der Triplicität sind die abstracten, unwahren Momente, die eben darum dialektisch sind, und durch diese ihre Negativität sich zum Subjecte machen.«132 Daran ist zu sehen, daû für Hegel die Begriffsbestimmungen der Allgemeinheit und Besonderheit zwar notwendige Stadien in der Entwicklung der Subjektivität bilden, aber die Subjektivität nicht in ihrer ganzen Fülle und Konkretion repräsentieren. Man darf jedoch Allgemeinheit und Besonderheit nicht als 132
GW, Bd. 12, 248.
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bloû unwahre Durchgangsstadien der Einzelheit begreifen; sie stellen vielmehr die notwendigen Voraussetzungen dafür dar, daû sich die Einzelheit überhaupt konstituieren kann. Die Allgemeinheit und Besonderheit selbst sind es, die sich zum Einzelnen machen. »Abstrakt« ist in diesem Zusammenhang auch nicht so zu verstehen, daû damit die endlich-einseitige Abstraktheit des Verstandes gemeint wäre. Nach dieser wäre bereits die Besonderung des Allgemeinen unmöglich. Allgemeines und Besonderes in Hegels absoluter Idee sind nur mit der Einzelheit verglichen abstrakt. Allgemeines und Besonderes stellen auch schon konkrete Begriffe dar, die keine diskursiven Begriffsallgemeinheiten sind. Hegel hat eigentlich nur angedeutet, daû die Einzelheit die absolute Subjektivität ist, er hat sie nicht differenziert dargestellt, insbesondere hat er nicht detailliert expliziert, wie sich Allgemeinheit und Besonderheit in ihrer widersprüchlichen Einheit in der Einzelheit zueinander verhalten. Rekonstruierend kann man aber sagen, daû die Einzelheit als logische Subjektivität die verschiedenen logischen Bestimmungen setzt; die verschiedenen logischen Bestimmungen und Kategorien stellen Besonderheiten dar, denn sie haben jeweils einen bestimmt abzugrenzenden Bedeutungsgehalt. Sofern die Subjektivität diese Bestimmungen setzt, sind sie in ihr enthalten. Damit ist die Subjektivität das Allgemeine, denn die Bestimmungen sind in ihr gemeinsam enthalten. Die Subjektivität ist das allgemeine, setzende Prinzip der besonderen Bestimmungen. Zugleich gilt aber auch, daû die allgemeine Subjektivität nur diejenige Bedeutung hat, die sie durch die besonderen Bestimmungen erhält. In dieser Perspektive ist die Subjektivität durch die Bestimmungen gesetzt. Nun sind also die Bestimmungen das Allgemeinere, unter das die Subjektivität zu subsumieren ist. Auf diese Weise ist die Subjektivität zugleich das Bestimmende, das Allgemeine und das Bestimmte, das Besondere. Allgemeinheit und Besonderheit verweisen in der Subjektivität als Einzelheit, die sie beide enthält, wechselseitig aufeinander. Die Subjektivität ist als Einzelheit konkrete Allgemeinheit und die mannigfachen logischen Bestimmungen und Kategorien sind nur die diversifizierten Dimensionen ihrer Selbstsetzung und ihrer Selbstgestaltung. Hier ist allerdings nur die logische Bedeutung der Subjektivität beschrieben. Die Subjektivität hat nach Hegel, um sich vollenden zu können, auch noch die Stadien der Natur- und Geistesphilosophie zu durchlaufen. 3. Analytische und synthetische Momente in der zweiten Prämisse »Die erste [Prämisse; d. V.] kann man, wenn die Bestimmungen von analytisch und synthetisch in ihrem Gegensatze gebraucht werden, als das analytische Moment ansehen, indem das Unmittelbare sich darin unmittelbar zu
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seinem Andern verhält, und daher in dasselbe übergeht oder vielmehr übergegangen ist; ± obgleich diese Beziehung, wie schon erinnert, eben deûwegen auch synthetisch ist, weil es ihr Anderes ist, in welches sie übergeht. Die hier betrachtete, zweyte Prämisse kann als die synthetische bestimmt werden, weil sie die Beziehung des Unterschiedenen als solchen auf sein Unterschiedenes ist.«133 Offensichtlich will Hegel hier das Prävalieren des analytischen Moments in der ersten Prämisse und des synthetischen Moments in der zweiten Prämisse hervorheben. Die zweite Prämisse ist vor allem synthetisch, weil hier die Andersheit, der Unterschied, der bereits in der ersten Prämisse das synthetische Moment darstellte, sich selbst wiederum zu etwas anderem wird und diese Andersheit zugleich mit dem Vorangehenden verknüpft wird. Die Einzelheit war in der ersten Prämisse noch nicht gesetzt, sie stellt einen neuen Gehalt dar, der zuvor noch nicht erkennbar war. Sofern sich die Einzelheit nicht unmittelbar in der zuvor gesetzten ersten Prämisse findet, ist sie nicht bloû analytisch-unmittelbar darin aufzufinden. Es bedarf einer Synthesis, einer Vernküpfung mit einer neuartigen Bestimmung, welche die Einzelheit hervorbringt und damit einen Übergang zu einer neuartigen Bestimmung bedeutet. Die in sich unterschiedene Besonderheit unterscheidet sich von sich, wird sich zu etwas anderem, zur Einzelheit. Die sich vereinzelnde Besonderheit ist synthetische »Beziehung des Unterschiedenen« auf sich. Die Setzung eines neuen Unterschieds durch den Unterschied ist synthetisch. Allerdings deutet sich hier bereits an, daû dieser Übergang nicht bloû synthetisch, sondern auch analytisch ist, denn es ist nicht ein Unterschied, der aus dem Nichts entspringt, sondern ein Unterschied, der sich notwendig aus der ihm vorangehenden Stufe der absoluten Idee ergeben soll. D.h., es gibt auch eine identische Einheit in der Setzung des Unterschieds des Unterschieds, welche als analytisch zu bezeichnen ist. Daher ist auch die zweite Prämisse nicht nur synthetisch, sondern auch analytisch. Hegel selbst expliziert das analytische Moment der zweiten Prämisse allerdings nicht. In Hegels Darstellung einer Prävalenz des analytischen Moments in der ersten Prämisse und eines synthetischen in der zweiten liegt eine Inkonsequenz. Analytisches und synthetisches Moment sind im Anfang als solGW, Bd. 12, 246; T. Kesselring (Die Produktivität der Antinomie. Frankfurt a.M. 1984, 264) deutet: »Als analytisch¬ bezeichnet Hegel den ersten Schritt, weil er von der Einheit zur Zweiheit oder Auflösung (griech.: ana-lysis¬) der Einheit führt, und als synthetisch¬ den zweiten, weil er von der Entzweiung wieder zur Einheit zurückführt, die dissoziierten Elemente also wieder zusammensetzt oder genauer: ihre Ununterschiedenheit nachweist.« Da Hegel analytisch aber immer im Zusammenhang einer unmittelbaren, einfachen Entwicklungsform und synthetisch im Zusammenhang von einer sich verändernden und sich unterscheidenden Entwicklungsform verwendet, stellt sich die Deutung von Kesselring als problematisch dar, da das zu Kesselrings Deutung genau umgekehrte Verhältnis eher Hegels Gedanken entspricht. 133
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chem und in der ersten Prämisse gleichursprünglich. Aus ihrer Gleichursprünglichkeit ergibt sich ein wesentliches Moment der Dialektik, nämlich die analytische Einheit als synthetische Verschiedenheit zu denken. Werden nun aber von Hegel verschiedene Gewichtungen zwischen den beiden Entwicklungsformen in der ersten und zweiten Prämisse vorgenommen, dann würde dies darauf deuten, daû sie nicht in sich eine Einheit sind und nicht jede der beiden selbst als das andere zu denken ist. Dies hat Hegel wohl auch selbst verspürt, wie seine Formulierung, »wenn die Bestimmungen von analytisch und synthetisch in ihrem Gegensatze gebraucht werden«, andeutet. Eigentlich sind sich analytische und synthetische Entwicklungsform nämlich nicht entgegengesetzt, sondern zwei gleichursprüngliche Momente des dialektischen Bestimmungsprozesses. Wenn sie dies sind, darf man aber auch nicht Prävalenzen hervorheben, denn dies würde die Gleichursprünglichkeit aufheben. VI. Das Ende Die Konklusion: Die Einzelheit ist Allgemeinheit Das Einzelne setzt nicht nur den Widerspruch, sondern hebt ihn zugleich auf und transformiert sich in dieser Aufhebung zum Allgemeinen. Die neue Allgemeinheit ist das positive Resultat des Widerspruchs. In dieser Allgemeinheit sind die sich widersprechenden Momente einerseits enthalten, weil die neue Allgemeinheit aus ihnen folgt, und andererseits sind sie verneint, weil sich zeigt, daû die Momente etwas anderes als ihren Grund zur Voraussetzung haben. Der »Schluûsatz«134 des methodisch-dialektischen Schlusses der absoluten Idee stellt die Aufhebung des Widerspruchs dar. »In diesem Wendepunkt der Methode kehrt der Verlauf des Erkennens zugleich in sich selbst zurück. Diese Negativität, ist als der sich aufhebende Widerspruch die Herstellung der ersten Unmittelbarkeit, der einfachen Allgemeinheit; denn unmittelbar ist das Andre des Andern, das Negative des Negativen, das Positive, Identische, Allgemeine. Diû zweyte Unmittelbare ist im ganzen Verlauffe, wenn man überhaupt zählen will, das Dritte, zum ersten Unmittelbaren und Vermittelten.«135 Die Konklusion lautet daher: das Einzelne ist Allgemeines. Die Setzung und Aufhebung des Widerspruchs in der Einzelheit stellt insofern einen »Wendepunkt« des dialektischen Erkenntnisprozesses dar, als in der Setzung des Widerspruchs eine Totalisierung der Momente stattfindet. In dieser Totalisierung zeigt sich bereits, daû sich die trennende Urteilung des Fortgangs selbst aufgehoben hat und eine neue Ganzheit hergestellt 134 135
GW, Bd. 12, 248. GW, Bd. 12, 247.
Konklusion: Die Einzelheit ist Allgemeinheit
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wird. Diese Ganzheit bedeutet eine Rückkehr zur anfänglichen Einheit, die zuvor durch den Fortgang aufgehoben wurde. Die Totalisierung der Momente, die im gesetzten Widerspruch erzeugt wird, führt sich in der Aufhebung des Widerspruchs weiter, die Momente zeigen sich als Eines. Damit findet eine gegenwendige Bewegung zum bisherigen Fortgang statt. Stand am Anfang der dialektischen Bewegung die Einheit und bestand der Fortgang darin, diese Einheit zu trennen, so vollzieht sich nun eine Rückführung der entstandenen Vielheit zur Einheit, die das Ende des dialektischen Erkenntnisprozesses bedeutet. Die gegenwendige Bewegung zeichnet Hegels reife Theorie der Dialektik aus. Allerdings ereignet sich diese Gegenbewegung nicht im Rahmen eines einzelnen Satzes oder Urteils, wo sie keinen expliziten Ausdruck findet, sondern sie geschieht im Kontext eines Schlusses, wo die erste Bewegungsrichtung und die Gegenbewegung explizit ausgesagt werden können. Die Gegenbewegung wird durch die Konklusion Einzelnes ist Allgemeines ausgesagt. Hier wird die Rückkehr zum Allgemeinen eigens thematisiert. Wenn Hegel in der Wissenschaft der Logik sagt: Die »Formen des Urtheils [...] sind nicht vermögend«,136 die dialektische Bewegung angemessen darzustellen, dann klingt dies fast wie ein Zitat seiner eigenen kritischen Reflexionen zur Satzstruktur in der Theorie des spekulativen Satzes aus der »Vorrede« zur Phänomenologie des Geistes von 1807. Nach Hegels reifer Lehre in der Wissenschaft der Logik ist die Einzelheit Einheit der Entgegengesetzten. Als eine solche Einheit ist sie zugleich dasjenige, was den Entgegengesetzten gemeinsam ist und ihnen substantiell zukommt. Daher ist die Einzelheit Allgemeinheit, denn sie enthält in sich eine Mehrheit von Bestimmungen. Somit ist die Allgemeinheit des Anfangs restituiert. Es handelt sich allerdings um eine Allgemeinheit, die in sich nicht mehr ein bloûes Absehen von dem Besonderen ist, sondern nun ist eine Allgemeinheit erreicht, die sich aus der Besonderheit und der Einzelheit entwickelt hat. »Näher nun ist das Dritte das Unmittelbare aber durch Aufhebung der Vermittlung, das Einfache durch Aufheben des Unterschiedes, das Positive durch Aufheben des Negativen, der Begriff der sich durch das Andersseyn realisirt, und durch Aufheben dieser Realität mit sich zusammengegangen, und seine absolute Realität, seine einfache Beziehung auf sich hergestellt hat.«137 Die Aufhebung zu einer zweiten Unmittelbarkeit bedeutet eine Intensivierung des Selbstverhältnisses der Subjektivität. Diese ist GW, Bd. 12, 248; vgl. zu den kritischen Reflexionen Hegels zur Satzstruktur in der Phänomenologie des Geistes, GW, Bd. 9, 45, vgl. auch Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Theorie-Werkausgabe, Bd. 20, 164: »[...] doch ist der einzelne Satz falsch, indem er nur eine Seite der Negation ausdrückt. Nach der anderen Seite ist die Negation Negation der Negation und dadurch Affirmation«; vgl. auch S. 177±193 dieser Arbeit. 137 GW, Bd. 12, 248. 136
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nicht mehr bloû sich selbst gleich, wie am Anfang die erste Unmittelbarkeit, sondern sie hat sich aktiv mit sich selbst vermittelt. Die Subjektivität hat in ihrer Selbstvermittlung die eigene Tätigkeit entfaltet und damit ihre anfängliche, bloû scheinbare Passivität überwunden. Das Selbstverhältnis ist nun kein vorgefundenes mehr, sondern ein »hergestelltes«. Die hergestellte, zweite Unmittelbarkeit ist »nicht ein ruhendes Drittes, sondern eben als diese Einheit, die sich mit sich selbst vermittelnde Bewegung und Thätigkeit«.138 Damit ist nach Hegel im Dritten das Selbstverhältnis, das Für-sichSein der absoluten Subjektivität erreicht. Aufgrund ihrer Herstellung aus der Urteilung und Trennung im Fortgang ist die erreichte zweite Unmittelbarkeit nicht mehr die erste Unmittelbarkeit, mit der der Prozeû anfing. Wenn dem so wäre, dann könnte mit der dialektischen Methode kein wirklicher Erkenntnisfortschritt erreicht werden, denn man befände sich in einem tautologischen Zirkel. »Die Methode der Wahrheit aber, die den Gegenstand begreift ist zwar, wie gezeigt selbst analytisch, da sie schlechthin im Begriffe bleibt, aber sie ist ebensosehr synthetisch, denn durch den Begriff wird der Gegenstand dialektisch und als Anderer bestimmt.«139 Es ist also insbesondere das synthetische Moment der Methode, das die unendliche Wiederholung des selben vermeidet. Hiermit verändert sich aber auch der Status der zweiten Unmittelbarkeit gegenüber der Unmittelbarkeit erster Stufe. Bestimmte die Unmittelbarkeit am Anfang des dialektischen Denkprozesses nicht nur die Form, sondern auch den Inhalt, so hat bei dieser zweiten Unmittelbarkeit die Unmittelbarkeit nur noch formale Bedeutung. Der Inhalt des dialektischen Denkens ist durch den bisherigen Prozeû vermittelt. Daher ist die zweite Unmittelbarkeit nicht mehr inhaltlich, sondern formal zu verstehen. »Die Methode bleibt an der neuen Grundlage, die das Resultat als der nunmehrige Gegenstand ausmacht, dieselbe, als bey dem vorhergehenden. Der Unterschied betrifft allein das Verhältniû [im Sinn von »Zustand« zu verstehen; d. V.] der Grundlage als solcher; sie ist diû zwar itzt gleichfalls [nämlich unmittelbare Grundlage; d. V.], aber ihre Unmittelbarkeit ist nur Form, weil sie zugleich Resultat war; ihre Bestimmtheit als Inhalt ist daher nicht mehr ein bloû aufgenommenes, sondern abgeleitetes und erwiesenes.«140 Mit der Veränderung des Status der Unmittelbarkeit zu einer bloû noch formalen, zeigt es sich, daû Hegel mit dem Erreichen einer neuen Unmittelbarkeit nicht jeweils wieder vom ersten Anfang ausgehen muû, denn der Inhalt ist vermittelt und GW, Bd. 12, 248. GW, Bd. 12, 248 f. 140 GW, Bd. 12, 249; bereits U. Guzzoni (Werden zu sich. Eine Untersuchung zu Hegels »Wissenschaft der Logik«. Freiburg/München, 3. Aufl. 1982, 47) und T. Kesselring (Die Produktivität der Antinomie. Frankfurt a.M. 1984, 270 f.) machen darauf aufmerksam, daû die zweite Unmittelbarkeit nur formale Bedeutung hat. 138 139
Konklusion: Die Einzelheit ist Allgemeinheit
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kann für die Entfaltung der nächst höheren dialektischen Bewegung als bewiesen vorausgesetzt und daher in die nächste dialektische Bestimmungsebene konstitutiv aufgenommen werden. Nach Hegel ist die Aufhebung des Widerspruchs unmittelbar einsichtig. Die Aufhebung besteht darin, daû erkannt wird, daû die doppelte Negation, welche die Entgegengesetzten vollziehen, eine neue Position ist. Der Gedanke, daû die doppelte Negation Affirmation ist, findet sich bereits in Hegels Logikkonzeption von 1804/05.141 Die Einfachheit, mit der die Einsicht gelingen soll, daû die doppelte Negation Position ist, entspricht der Einfachheit, mit der nach Hegel deutlich ist, daû in der bestimmten Negation die Negation nicht leer ist, sondern ein bestimmtes Resultat, also selbst etwas Positives ist.142 Die Position, die durch die bestimmte Negation gesetzt wird, findet in der doppelten Negation, die wieder Affirmation ist, ihren Abschluû. Die beiden Theoreme der bestimmten und der doppelten Negation bilden somit eine Einheit, und sie sind nicht voneinander zu trennen. Denn das Positive im Negativen festzuhalten, gelingt erst vollständig, wenn die Affirmation durch die doppelte Negation gesetzt ist und damit das zweite Unmittelbare erreicht wird. Dies stellt sich allerdings als eine äuûerst komplexe Struktur dar, die ± entgegen Hegels Postulat ± nicht unmittelbar einsichtig ist. »Die Negation der Negation ist Widerspruch, sie negiert die Negation; so ist sie Affirmation, ebenso ist sie aber auch Negation überhaupt. Diesen Widerspruch kann der Verstand nicht aushalten; er ist das Vernünftige.«143 Der aufgehobene Widerspruch besteht darin, die Entgegengesetzten als Eines zu erkennen. Diese hergestellte Einheit der Entgegengesetzten ist Vgl. GW, Bd. 7, 34; dort steht die doppelte Negation, die wieder Affirmation ist, im Kontext der logischen Kategorie der Unendlichkeit, die nach Hegel einen dialektischen Widerspruch bedeutet; vgl. hierzu S. 113±116 dieser Arbeit. In den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (Theorie-Werkausgabe, Bd. 20, 171) deutet Hegel an, daû das Theorem aus dem Kontext der Grammatik stammt. Dies kann allerdings nur als äuûerliche Anregungsquelle gelten und nicht den Gedanken Hegels verdeutlichen. 142 So postuliert Hegel, daû »nur die einfachste Reflexion dazu« (GW, Bd. 12, 245) notwendig sei, das Positive im Negativen zu erkennen. ¾hnlich sagt Hegel auch in der Einleitung zur »Lehre vom Sein«, daû es eine »ganz einfache Einsicht« sei, daû das Negative positiv ist (in der ersten Auflage der »Lehre vom Sein« (1812) sagt Hegel noch nicht, daû diese Einsicht einfach sei, vgl. GW, Bd. 11, 25). Auch nach der »Einleitung« in die Phänomenologie des Geistes von 1807 ergibt sich eine neue Position, also eine neue Bewuûtseinsgestalt, »unmittelbar«, wenn die Negation als bestimmt gedacht wird, wenn also das Positive im Negativen erkannt wird (vgl. GW, Bd. 9, 57; allerdings handelt es sich nach Hegel um einen »logischen« Satz, um eine logische Erkenntnis, wenn das Negative als positiv erkannt wird (vgl. GW, Bd. 21, 38 ebenso GW, Bd. 11, 25), sie ist daher in der Phänomenologie des Geistes nicht vom betrachteten, konkreten Bewuûtsein zu leisten, sondern von uns, den betrachtenden Philosophen, die bereits über das Wissen der Logik verfügen). 143 Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Theorie-Werkausgabe, Bd. 20, 164. 141
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nicht einfach die Summe der in ihr enthaltenen Entgegengesetzten, sondern bildet eine neuartige Bestimmung. Die Entgegengesetzten können als aufgehoben betrachtet werden, denn sie schlieûen sich im Widerspruch gegenseitig aus, sind aber jetzt als vereint zu denken. Das zu Vereinende verändert seine Bestimmung, wenn es mit seinem widersprüchlich Entgegengesetzten als vereint zu denken ist; es kann nicht dasselbe sein wie vor dem Widerspruch, denn es zerstört sich im Widerspruch. Sind die vorherigen Momente als solche aufgehoben und verneint, dann muû jetzt eine neuartige Bestimmung hervortreten. Neuartig muû die hergestellte zweite Unmittelbarkeit sein, »weil das Dritte die Einheit der zwey ersten Bestimmungen ist, diese aber, da sie verschiedene sind, in Einheit nur als aufgehobene seyn können«.144 Diese Neuartigkeit dürfte wohl, was Hegel nicht ausführt, das synthetische Moment in der Konklusion sein. Daû diese neuartige Einheit sich aber auch unmittelbar aus den Entgegengesetzten ergibt, stellt dann wohl das analytische Moment der Konklusion dar. Mit diesem Ende schlieût sich nach Hegel der Kreis des dialektischen Denkens in einen neuen Anfang. VII. »Triplicität« und »Quadruplicität« und der Fortgang als Rückgang Wir haben jetzt die Struktur des reinen, dialektischen Denkens dargestellt. Die Methode ist zugleich eine Beschreibung der Tätigkeit des Denkens, also der Art und Weise, wie sich die absolute Subjektivität vollzieht. Fragt man sich nun, aus wie vielen Schritten die dialektische Methode besteht, so gibt Hegel keine eindeutige Auskunft. Es können sowohl drei als auch vier Schritte unterschieden werden. Beides ist gleichermaûen möglich. Die eine Zählmöglichkeit besteht darin, den Anfang, das erste Unmittelbare als erste Stufe, den Fortgang mit der Negativität, das Vermittelte als zweite und das Ende, die zweite Unmittelbarkeit als dritte Stufe zu unterscheiden. Hier werden bei der zweiten Stufe, beim Vermittelten nicht die erste und die zweite Negation voneinander unterschieden, sondern die bestimmte Negation und die Negation der Negation werden als ein zusammenhängender Vorgang gesehen. Die andere Zählmöglichkeit besteht darin, den Anfang mit der ersten Unmittelbarkeit als erste Stufe, den Fortgang mit der ersten Negation als zweite Stufe, den weiteren Fortgang mit der zweiten Negation, der Negation der Negation als dritte Stufe und das Ende, die zweite Unmittelbarkeit als vierte Stufe zu unterscheiden. »Diû zweyte Unmittelbare ist im ganzen Verlauffe, wenn man überhaupt zählen will, das Dritte, zum ersten Unmittelbaren und zum Vermittelten. Es ist aber auch das Dritte zum ersten oder 144
GW, Bd. 12, 247.
»Triplicität« und »Quadruplicität«
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formellen Negativen, und zur absoluten Negativität oder dem zweyten Negativen; insofern nun jenes erste Negative schon der zweyte Terminus ist [denn die erste Negation setzt die Position voraus; d. V.], so kann das als Dritte gezählte auch als Viertes gezählt, und statt der Triplicität die abstracte Form als eine Quadruplicität genommen werden; das Negative oder der Unterschied ist auf diese Weise als eine Zweyheit gezählt«.145 Mit dieser Gleichgültigkeit, ob man drei oder vier Schritte der Dialektik unterscheidet, und dadurch, daû Hegel »Triplizität« und »Quadruplizität« als »abstrakte Formen« bezeichnet, macht er einerseits darauf aufmerksam, daû die Dialektik eigentlich ein kontinuierlicher Prozeû ist, bei dem eine zahlenmäûige Einteilung äuûerlich und willkürlich ist, und andererseits wendet sich Hegel indirekt wiederum gegen den methodisch-formalen Schematismus Schellings und seiner Anhänger, die sich in ihrer Konstruktionsmethode nach Hegel einer sinnentleerten, bloû formalen »Triplicität« von Setzen, Entgegensetzen und Vereinen bedienen.146 Damit ist Hegel einer der ersten, die sich dagegen verwahren, das Schema These, Antithese und Synthese äuûerlich anzuwenden. Hegels dialektische Methode ist wesentlich komplexer als dieses Schema und darüber hinaus soll die dialektische Methode ihre Rechtfertigung in den »Sachen selbst« finden. Für Hegels Methode in der Logik ist von zentraler Bedeutung, daû »das Vorwärtsgehen ein Rückgang in den Grund, zu dem Ursprünglichen und GW, Bd. 12, 247; T. Kesselring (Die Produktivität der Antinomie. Frankfurt a.M. 1984, 266 f.) und C. Iber (Subjektivität, Vernunft und ihre Kritik. Frankfurt a.M. 1999, 183 ff.) unterscheiden zwei verschiedene Dreiteilungen und eine Vierteilung voneinander und nicht bloû, wie bei uns, eine Drei- und eine Vierteilung. Kesselring und Iber unterscheiden: 145
I.
II.
III.
1. Erstes Unmittelbares 2. Vermitteltes 3. Zweites Unmittelbares
1. Erstes Negatives 2. Zweites Negatives 3. Zweites Unmittelbares
1. Erstes Unmittelbares 2. Erstes Negatives 3. Das zweite Negative 4. Zweites Unmittelbares
I. ordnen Kesselring und Iber der Seins-, II. der Wesens- und III. der Begriffslogik zu. Hegel erwähnt eine solche Zuordnungsmöglichkeit jedoch nicht. II. bildet wohl nach Hegels eigenen Intentionen keine eigene Dreiteilungsmöglichkeit, sondern stellt nur eine nähere Ausführung zu I. dar; vgl. das Hegelzitat im Haupttext. Iber (a. a. O., 186) schlägt, über Hegel hinausgehend, ein Fünfphasenmodell der Dialektik vor, das wohl an Fichtes Lehre von der fünfgliedrigen Synthesis orientiert ist. Iber will damit eine weitere Differenzierungsstufe zwischen der ersten und zweiten Stufe der Dialektik einführen, so daû es im Vierphasenmodell mit der doppelten Negation nicht bloû eine Zwischenstufe zwischen dem ersten Negativen und der zweiten Unmittelbarkeit gibt, sondern auch eine zwischen der ersten Unmittelbarkeit und dem ersten Negativen. Worin diese zusätzliche Differenzierungsstufe bestehen soll und welchen Sinn sie haben soll, wird allerdings von Iber nicht ausgeführt. 146 Vgl. GW, Bd. 12, 247 f.; vgl. hierzu S. 162, Anm. 5 dieser Arbeit.
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Die »absolute Idee« als Dialektik
Wahrhaften«147 sein soll. Das Vorangehen ist ein Fortgang der Ableitung der Kategorien, der darin besteht, den Anfang der Logik als den ersten Grund überhaupt anzusehen und alle weiteren Entwicklungen und kategorialen Ableitungen, die diesem ersten Grund folgen, als durch das Erste bedingt zu GW, Bd. 21, 57; dasselbe sagt Hegel bereits in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), vgl. GW, Bd. 11, 34. Hegels Bestimmung, daû das Vorwärtsgehen zugleich Rückgang in den Grund ist, bildet eine strukturelle Analogie zur Konzeption des Geistes bei Proklos. Grundlegend ist nach diesem der Geist durch die Trias »Verharren«, »Hervorgang« und »Rückkehr« methodisch-wesenhaft geordnet. Das Verharren bezeichnet dabei die Sichselbstgleichheit des Geistes, die sich aber in einem, diesem Verharren selbst notwendigen, rein geistigen Bestimmungsprozeû zu einem Hervorgang aufhebt; dieser Hervorgang aus dem Verharren ist jedoch zugleich der Rückgang des Geistes in sich, denn das, was der Geist in der Fülle seines Hervorgangs bestimmt, ist er selbst. Der Geist kehrt also in sich selbst zurück, indem er aus sich hervorgeht. Diese gesamte Struktur macht das Wissen des Geistes um sich selbst aus, sein Selbstverhältnis (vgl. hierzu W. Beierwaltes: Proklos. Grundzüge seiner Metaphysik. Frankfurt a.M. 1979, 118 ff.). Hegel äuûert sich speziell zu Proklos' Triade »Verharren«, »Hervorgang« und »Rückkehr« in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. II, Theorie-Werkausgabe, Bd. 19, 471 f., 484 (vgl. zu Hegels Verhältnis zu Proklos insbesondere J. Halfwassen: Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Bonn 1999, 386±462). In der 2. Auflage der »Lehre vom Sein« von 1832 der Wissenschaft der Logik (vgl. GW, Bd. 21, 56 ff.) ist Hegels Konzeption eines voranschreitenden Rückgangs allerdings eine methodische Lösung für ein durch Reinhold aufgeworfenes Problem. Reinhold (Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts. Herausgegeben von C.L. Reinhold. Heft 1. Hamburg 1801, 101) hatte das Anfangsproblem der Philosophie dadurch lösen wollen, daû er einen bloû hypothetischen und problematisch-möglichen Anfang mit dem reinen Denken machen wollte. Bei Reinhold, der sich in dieser Schrift als Anhänger Bardilis versteht, ist der problematisch-hypothetische Anfang durch den argumentativen Fortgang und die weitere Untersuchung zu verifizieren, also in seiner Notwendigkeit aufzuweisen (vgl. a. a. O., 74, 91). Der Fortgang der Untersuchung führt nach Reinhold und Bardili zum »Urwahren«, das dem ersten Wahren des problematisch-hypothetischen Anfangs noch zugrundeliegt; das »Urwahre« soll zugleich den Anfang verifizieren, ist aber, und darin liegt die entscheidende Schwierigkeit dieses Ansatzes, das schlechthin Unbegreifliche. Wie sich aus dem historischen Teil der Arbeit Reinholds ergibt, ist dieses unbegreifliche Urwahre Gott (vgl. a. a. O., 13 f., 23; vgl. auch a. a. O., 73 f., 78, 91, 101). Gegen den bloû problematisch-hypothetischen Charakter des Anfangs wendet sich Hegel an unserer Stelle, weil auch der Anfang als etwas Notwendiges zu deduzieren ist, aber nicht durch ihm vorangehende Voraussetzungen, sondern durch den dem Anfang folgenden deduktiven Rückgang. Auch in der absoluten Idee kommt Hegel auf den »provisorisch und hypothetisch« zu machenden Anfang Reinholds zurück und bezieht hier, ebenfalls kritisch abwehrend, seine Konzeption des Fortgangs als Rückgang auf Reinholds Anfangsentwurf (vgl. GW, Bd. 12, 251). Hegel bescheinigt Reinhold, daû seinem provisorisch-hypothetischen Anfang »ein wahrhaftes Interesse zu Grunde liegt, welches die speculative Natur des philosophischen Anfangs betrifft« (GW, Bd. 21, 57). In der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« von 1812 hatte sich Hegel noch nicht so lobend geäuûert, sondern vorsichtiger formuliert, daû Reinholds Anfangskonzeption »eine wesentliche Betrachtung« (GW, Bd. 11, 34) sei. Hegels Auseinandersetzung mit Reinholds hypothetisch-provisorischer Anfangskonzeption beginnt bereits 1801 in der Differenzschrift (vgl. GW, Bd. 4, 84 ff.). Dort ist Hegels Haltung gegenüber Reinholds Anfangskonzeption allerdings noch durchweg abwehrend. Zu Bar147
Zusammenfassung und Ausblick
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betrachten. Die dem Anfang folgenden Bestimmungen sind in dieser Hinsicht »Resultate«, denn sie setzen den Anfang als ihren Grund voraus. Zugleich ist die Ableitungsbewegung der Logik Hegels aber auch ein Rückgang zu den eigentlichen, höheren Gründen und zum Prinzip. Der Anfang in seiner Unmittelbarkeit ist zu begründen, denn das Unmittelbare zeichnet sich dadurch aus, daû es unbegründet ist. »Auf diese Weise ist es, daû jeder Schritt des Fortgangs im Weiterbestimmen, indem er von dem unbestimmten Anfang sich entfernt, auch eine Rückannäherung zu demselben ist, daû somit das, was zunächst als verschieden erscheinen mag, das rückwarts gehende Begründen des Anfangs, und das vorwartsgehende Weiterbestimmen desselben in einander fällt und dasselbe ist.«148 In diesem Sinn ist die absolute Idee der höchste Grund in Hegels Logik, sie ist das vollendete Absolute der Logik, in dem alles ihr Vorangehende begründet ist. Die absolute Idee ist das Prinzip der Logik. Die Logik bildet einen »Kreislauf in sich selbst [...], worin das Erste auch das Letzte, und das Letzte auch das Erste wird«,149 weil der Fortgang Rückgang in den Grund ist. Analytischer Fortgang und synthetischer Rückgang bedingen sich wechselseitig. VIII. Zusammenfassung und Ausblick Die dialektische Methode, so wie Hegel sie in der absoluten Idee darstellt, ist also ein Syllogismus, der das Allgemeine zum terminus maior, das Besondere zum terminus medius und das Einzelne zum terminus minor hat. Der Obersatz lautet: Allgemeines ist Besonderes, der Untersatz: Besonderes ist Einzelnes und die Konklusion: Einzelnes ist Allgemeines. Mit diesem Syllogismus soll kein starres Aussagengefüge vorliegen, vielmehr soll dieser Schluû die intellektuelle Bewegung des spekulativen Denkens der absoluten Subjektivität darstellen. Diese Bewegung besteht darin, daû sich ein Allgemeines zu einem Besonderen, das Besondere sich zu einem Einzelnen und das Einzelne sich zu einem Allgemeinen entwickelt. Die absolute Subjektivität ist dabei nicht als hypokeimenon, das dem Schluû abstrakt zugrundeliegt, zu denken. In diesem Schluû wird das Denkende, die absolute Subjektivität selbst zu einem Gedachten, sofern der Schluû den Denkakt darstellt, also die Tätigkeit des Denkenden. Denkendes, Gedachtes und Denken fallen in eins zusammen. Das Denkende bleibt nicht opak hinter dem Gedachten oder dem Denkakt zurück, sondern geht in diesem auf. Das dilis und Reinholds Position vgl. auch M. Bondeli (Das Anfangsproblem bei Karl Leonhard Reinhold. Frankfurt a.M. 1995, bes. 277 ff.). 148 GW, Bd. 12, 251. 149 GW, Bd. 21, 57; dasselbe sagt Hegel bereits in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), vgl. GW, Bd. 11, 35.
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Die »absolute Idee« als Dialektik
Denkende stimmt mit dem Gedachten überein, tritt daher in ein aktives Selbstverhältnis. Dieses Selbstverhältnis droht nicht, in einen iterativen Zirkel zu geraten, bei dem sich die Subjektivität, als das Denkende, für das Gedachte, das sie selbst ist, jeweils vorauszusetzen hätte. Denkendes, Gedachtes und Denken bilden eine Einheit, die eine iterative Selbstvoraussetzung der Subjektivität vermeidet. Da das Denkende, die absolute Subjektivität, vollständig im Gedachten aufgeht, ist das Gedachte, der dialektisch-methodische Schluû, kein starres Aussagengefüge, sondern ein aktives Selbstvermittlungsgeschehen. Hegel vermeidet mit dieser begrifflichen Darstellung der Subjektivität intuitionistische Argumente. Die absolute Subjektivität bedarf keiner intellektuellen Anschauung, um sich selbst darzustellen, sondern nur der Rationalität des Begriffs. Mit der absoluten Idee ist das Telos erreicht, auf das die gesamte Entwicklung der spekulativen Logik der reifen Konzeption Hegels hinstrebt. Die dialektische Methode ist daher das höchste Ziel der Logik, denn das dialektische Fortgehen des Begriffs »erhebt auf jede Stuffe weiterer Bestimmung die ganze Masse seines vorhergehenden Inhalts, und verliert durch sein dialektisches Fortgehen nicht nur nichts, noch läût es etwas dahinten, sondern trägt alles Erworbene mit sich, und bereichert und verdichtet sich in sich«.150 Man darf jedoch in der dialektischen Methode, wie sie die absolute Idee darstellt, nicht den Schlüssel zum Verständnis jeder einzelnen dialektischen Bewegung in der Logik Hegels sehen. Die Richtigkeit oder Falschheit einer dialektischen Bewegung muû sich vom zu denkenden Inhalt leiten lassen. Man darf nicht von einer vorausgesetzten Methode ausgehen und dieser den kategorialen Inhalt schematisch unterordnen. Damit würde der argumentative Gang der »Sache selbst« verfehlt. Die absolute Idee vermag nicht, die Richtigkeit der dialektischen Übergänge der logischen Kategorien ineinander und deren Spezifika anzugeben. Sie gibt nur das allgemeine Prinzip dialektischer Bewegung an, indem sie sich im methodisch-dialektischen Schluû selbst zu ihrem Inhalt macht.151 Die Dialektik in der absoluten Idee setzt den ihr vorangehenden Inhalt der Logik voraus, und aus diesem Inhalt ist sie herzuleiten, denn sie kann nicht unmittelbar ein Erstes sein. Wird das höchste Prinzip der Logik in der absoluten Idee mit der Erkenntnis der dialektischen Methode erreicht und GW, Bd. 12, 250. In diesem Sinne sagt R. Bubner (Die Sache selbst¬ in Hegels System. In: Zur Sache der Dialektik. Stuttgart 1980, 62): »Ob die Sache selbst statt unserer subjektiven Reflexion den Fortgang abnötigt, vermag sich einzig in concreto zu bewähren. Die Nagelprobe auf die Notwendigkeit der logischen Bewegung erfolgt stets bei den einzelnen Übergängen von Begriff zu Begriff. Hier und nirgends sonst wird über die Stichhaltigkeit des Verfahrens einer methodisch, von auûen nach innen gewendeten Reflexion entschieden.« 150 151
Zusammenfassung und Ausblick
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bilden die ihm vorangehenden logischen Bestimmungen einfachere Selbstsetzungen des Prinzips, d. h. der dialektischen Methode als absoluter Idee, dann muû es auch niedrigere Formen von Dialektik geben, die der absoluten Idee vorangehen. Dabei ist zu beachten, daû diese niedrigeren Formen von Dialektik notwendige Vorstufen bilden. Die absolute Idee setzt die rudimentären dialektischen Strukturen voraus, die sich in der »Lehre vom Sein« und in der »Lehre vom Wesen« zeigen. Wir haben daher nun zu untersuchen, welches die der absoluten Idee vorangehenden Typen von Dialektik sind.
sechstes kapitel Die drei grundlegenden Dialektiktypen und Formen ihrer kategorialen Spezifikationen in Hegels reifer Logik
Es gibt bereits in der Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05 erste Ansätze, die zeigen, daû Hegel verschiedene Formen der dialektischen Vermittlung in der Logik konzipiert, diese Ansätze vertieft Hegel in den propädeutischen Schullogiken zwischen 1808 und 1812. In seiner reifen Logikkonzeption, seit der ersten Auflage der »Lehre vom Sein« von 1812 aus der Wissenschaft der Logik führt Hegel diese Ansätze systematisch aus, modifiziert und differenziert sie. Dies zeigt nicht nur die Wissenschaft der Logik, sondern auch die ausgearbeitete und grundriûhaft dargestellte Logik in den drei Auflagen der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften von 1817, 1827 und 1830. In Hegels reifer Logikkonzeption sind den drei verschiedenen Bereichen der Logik, der »Lehre vom Sein«, der »Lehre vom Wesen« und der »Lehre vom Begriff« jeweils spezifische Dialektiktypen zugeordnet. Diese Dialektiktypen ergeben sich daraus, welche Struktur die Kategorien jeweils haben. Wenn es sich um einfache Kategorien handelt, ist die dialektische Vermittlungsstruktur anders, als wenn es sich um komplexe Kategorien handelt. Dabei ergibt sich allerdings die Struktur der Kategorien jeweils daraus, auf welcher Vermittlungsebene der absolute Begriff sich setzt. Setzt sich der absolute Begriff, also die absolute Idee als dialektische Methode, unmittelbar, dann ist auch ihre Vermittlungsstruktur unmittelbar, d. h. einfach. Setzt sich der absolute Begriff in komplexer vermittelter Weise, dann ist auch die Vermittlungsstruktur der Kategorien komplex. Im Sein ist der Begriff unmittelbar gesetzt, die Vermittlungsstruktur der Kategorien ist daher auch einfach. Mit den Kategorien des Seins vollzieht sich eine Dialektik des Übergehens. Im Wesen ist der Begriff auf komplexere Weise gesetzt, daher vollzieht sich mit den logischen Bestimmungen des Wesens eine Reflexionsdialektik. Im Begriff ist der absolute Begriff in der höchsten und komplexesten Weise aktualisiert. Die Bestimmungen der Begriffslogik vollziehen daher die Entwicklungsdialektik, als höchste Form der Dialektik in der Logik. Die Setzungsmodalitäten des Begriffs bestehen darin, daû er im »Sein« nur an sich, im »Wesen« gesetzt und im »Begriff« an und für sich ist.1 In diesem Sinn sagt Vgl. zu den verschiedenen Setzungsmodalitäten des absoluten Begriffs Enzyklopädie 1830, §§ 83, 84, 112; der § 83 der Enzyklopädie 1830 ist aus dem § 37 der Enzyklopädie 1817 entstanden; dort bezeichnet Hegel den sich in verschiedenen Modi setzenden und 1
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Die drei grundlegenden Dialektiktypen
Hegel in der Enzyklopädie von 1830: »Die abstracte Form des Fortgangs ist im Seyn ein Anderes und Uebergehen in ein anderes, im Wesen Scheinen in dem Entgegengesetzten, im Begriffe die Unterschiedenheit des Einzelnen von der Allgemeinheit, welche sich als solche in das von ihr Unterschiedene continuirt und als Identität mit ihm ist.«2
aktualisierenden absoluten Begriff allerdings noch etwas unspezifischer als »Gedanken«. Auf die verschiedenen Formen der Dialektik in Hegels Logik geht auch J.E. Mc Taggart (Studies in the Hegelian Dialectic. Cambridge, 2. Aufl. 1922, 119 ff. und 133 ff.) ein. Vgl. auch K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn, 3. Aufl. 1995, 327±332), er arbeitet insbesondere die für die drei Typen der Dialektik konstitutive Setzung der absoluten Subjektivität heraus und zeigt auf, wie dies unterschiedliche Vermittlungsstrukturen der Kategorien bedingt. Vgl. zum Thema auch K.J. Schmidt (Zum Unterschied zwischen wesenslogischer und seinslogischer Dialektik. In: Das Problem der Dialektik. Hrsg. D. Wandschneider, Bonn 1997, 32±51), der insbesondere die Einheit von Reflexions- und Übergangsdialektik differenziert darstellt, diese Einheit wird schrittweise in der »Lehre vom Wesen« realisiert. Die spezifische Dialektik des Begriffs berücksichtigt Schmidt allerdings nicht. Daher werden die entscheidenden Gründe, weshalb es überhaupt unvollkommenere Vorformen der Dialektik in Hegels Logik gibt, nicht deutlich. Zu den drei verschiedenen Dialektiktypen in Hegels Logik vgl. auch G.M. Wölfle (Die Wesenslogik in Hegels »Wissenschaft der Logik«. Stuttgart-Bad Cannstatt, 1994, 101±114). 2 Enzyklopädie 1830, § 240; der § 240 der Enzyklopädie 1827 ist gleichlautend. Im analogen § 187 aus der Enzyklopädie 1817 hebt Hegel zusätzlich noch das Spezifikum des dialektischen Fortgangs in der Ideenlehre hervor: »In der Idee ist diese Mitte schon die zweyte Negation, die Negation der Negation, die lebendige Seele der Totalität.« Die Dialektik der absoluten Idee zeigt, daû im methodisch-dialektischen Schluû der absoluten Idee bereits im Fortgang, genauer in der zweiten Prämisse, die die Begriffsbestimmung der Einzelheit setzt, die doppelte Negation gesetzt ist, also nicht erst in der Konklusion. Hegel hat diese Bemerkung in der zweiten und dritten Auflage der Enzyklopädie vermutlich gestrichen, weil sie Unklarheit stiftet. Wenn die doppelte Negation in der Idee bereits im Fortgang gesetzt wird, ist dies dann in den anderen Dialektiktypen der Logik, also in der Übergangsdialektik des Seins und in der Reflexionsdialektik des Wesens, nicht der Fall? Oder ist die ¾uûerung speziell auf die »Lehre vom Begriff« zu beziehen? Bedeutet diese ¾uûerung, daû im Begriff im engeren Sinn und in der Objektivität die doppelte Negation allererst im Ende und noch nicht im Fortgang einer jeweiligen dialektischen Entwicklung gesetzt wird? Welche Deutungsalternative auch gemeint ist, in jedem Falle wird die Dialektik der Idee gegen andere dialektische Fortgangsmöglichkeiten abgehoben; dadurch wird eine gewisse Uneinheitlichkeit der verschiedenen Dialektikformen suggeriert, die Hegel wohl durch die Streichung der Bemerkung in der 2. und 3. Auflage der Enzyklopädie vermeiden wollte. Diese Uneinheitlichkeit besteht in der hier scheinbar angedeuteten verschiedenartigen Verortung der doppelten Negation in einer dialektischen Bewegung.
Die Übergangsdialektik in der »Lehre vom Sein«
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I. Die Übergangsdialektik in der »Lehre vom Sein« Die Grundbestimmung des »Seins« ist nach Hegel die einfache Selbstgleichheit und unmittelbare Selbstbezüglichkeit.3 Diese Selbstbezüglichkeit ist aufgrund der Unmittelbarkeit des Seins noch keine wissende Selbstbeziehung, sondern ein einfaches Gleichsein mit sich. Die einfache Selbstgleichheit besteht darin, daû die Kategorien des Seins andere Bestimmtheiten von sich ausgrenzen und scheinbar nicht auf diese bezogen sind. Diese unmittelbare Ausgrenzung anderer Kategorien, die für die Seinsbestimmungen konstitutiv ist, wird durch den sich im Sein nur unmittelbar vollziehenden absoluten Begriff gesetzt. Im ersten Teil der Logik, also im Sein, ist der absolute Begriff nur zu einfachen, in sich noch nicht relationalen Bestimmtheiten fähig, weil hier noch keine vorgängig bestimmten Kategorien vorhanden sind, diese sind allererst noch abzuleiten. »Das Seyn ist der Begriff nur an sich, die Bestimmungen desselben sind seyende, in ihrem Unterschiede Andre gegeneinander, und ihre weitere Bestimmung (die Form des Dialektischen) ist ein Uebergehen in Anderes.«4 Das Übergehen der in sich einfachen Kategorien des Seins besteht darin, daû sich derartige Kategorien in ihrem dialektischen Bestimmungsprozeû zu etwas anderem, das ihnen entgegengesetzt ist, umwandeln. Dieses Entgegengesetzte, in das sie übergehen, sind sie dann nicht mehr selbst. Die Kategorie, in die eine einfache Bestimmung übergeht, ist etwas anderes als die zuvor gesetzte. Auch diese jeweils folgende Seinskategorie bildet wieder eine einfache Bestimmung, die scheinbar unrelational ist. Diese Kategorien sind scheinbar unbezogen aufeinander, »ihr Sinn erscheint als vollendet auch ohne ihr Anderes«.5 Die immanente Bezogenheit der Seinskategorien, d. h. ihr Beziehungs- und Begründungsgeflecht wird nicht in ihnen selbst gesetzt. Wenn das dialektische Bestimmungsgeflecht auch unthematisch und latent mitvorhanden ist, so sind es eigentlich nur wir, die metareflektierenden Philosophen, welche, über das Wissen des absoluten Begriffs verfügend, die den Seinskategorien zugrundeliegende Begriffsstruktur und die ihnen zugrundeliegende begriffliche Einheit erkennen. Den dialektischen Übergang vollziehen die einfachen Kategorien des Vgl. z. B. GW, Bd. 11, 43, 66, 189, GW, Bd. 12, 128, 239 f., Enzyklopädie 1830, § 112 mit Anm. 4 Enzyklopädie 1830, § 84; dieser § findet sich in der Enzyklopädie 1817 noch nicht; Hegel äuûert sich ähnlich wie in § 84 der Enzyklopädie 1830 in der 2. Auflage der »Lehre vom Sein«: »In der Sphäre des Seyns ist das Sich-bestimmen des Begriffs selbst nur erst an sich, so heiût es ein Uebergehen« (GW, Bd. 21, 109); dabei handelt es sich um einen Zusatz, der sich in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812) noch nicht findet. 5 GW, Bd. 21, 109 f.; dieses Zitat steht in einem Passus der sich in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812) noch nicht findet. 3
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Die drei grundlegenden Dialektiktypen
Seins zwar aus sich selbst, aber er wird in ihnen selbst nicht thematisch vollzogen. Die Übergangsdialektik des Seins besteht also in einem schrittweisen Transformationsprozeû einfacher Bedeutungseinheiten in ihr jeweils Entgegengesetztes. Im Unterschied hierzu ist die Reflexionsdialektik im Wesen dadurch gekennzeichnet, daû sich die entgegengesetzten Wesenskategorien gleichursprünglich und wechselseitig hervorbringen; so sind »Identität« und »Unterschied« gleichursprüngliche Relationskategorien, die nach Hegel von vornherein ohne ihr jeweils Entgegengesetztes nicht zu denken sind. »Uebergehen ist dasselbe als Werden, nur daû in jenem die beyden, von deren einem zum andern übergegangen wird, mehr als aussereinander ruhend und das Uebergehen als zwischen ihnen geschehend vorgestellt wird.«6 An dieser ¾uûerung Hegels ist allerdings problematisch, daû Vorstellungen auf der Ebene der Logik und des reinen, spekulativen Denkens überwunden sind. Wenn Hegel hier also von »ruhend« und »zwischen« spricht, dann ist dies nicht raum-zeitlich zu verstehen, sondern nur metaphorisch gemeint. Daû das Übergehen nicht in den Kategorien selbst, sondern »zwischen« ihnen stattfindet und sie als »ruhend« vorgestellt werden, bedeutet, daû die Seinskategorien einfach und sich selbst gleich sind, in diesem Sinn »ruhend«, und zugleich ist das dialektische Übergehen nicht in ihnen selbst thematisch gesetzt, dies ist wohl die Bedeutung dessen, daû der Übergang »zwischen« den Kategorien des Seins stattfindet. Die Übergangsdialektik im Sein zeigt sich z. B. besonders deutlich an der Daseinskategorie des »Etwas«. Diese geht vermittels der Kategorie »Anderes« in die Kategorie des »Anderen an ihm selbst« über: Das Etwas ist ein bestimmtes Dasein, als solches ist das Etwas zunächst mit sich selbst gleich. D.h., das Etwas ist von demjenigen zu unterscheiden, was es nicht ist. An dieser Gleichheit mit sich zeigt sich die scheinbare Unbezogenheit der Seinskategorien aufeinander. Das, was das Etwas nicht ist, ist dem Etwas entgegengesetzt. Dasjenige Daseiende, was das Etwas nicht ist, ist das Andere. Das Andere ist dasjenige Daseiende, welches das Etwas von sich ausschlieût. Indem das Etwas anderes nicht ist, ist es selbst aber auch ein Anderes, denn es ist das Andere zum Anderen. Somit geht das Etwas zum Anderen über, wird selbst ein Anderes. Daran zeigt sich, daû die einfachen Bestimmtheiten des Seins in ihrem Übergang verschwinden; das Etwas ist selbst zum Anderen geworden, es ist nicht mehr Etwas. Umgekehrt ist aber auch das Andere nicht nur Anderes, sondern auch Etwas. Das Andere ist nämlich gegen das Etwas Anderes; so ist auch das Andere Etwas, denn es ist gegen das Etwas etwas anderes. Auf diese Weise geht auch das Andere in das Etwas über. Das GW, Bd. 21, 80; dies ist ein Zusatz, der sich in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812) noch nicht findet. 6
Die Übergangsdialektik in der »Lehre vom Sein«
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Andere, das selbst Etwas ist, ist das Andere seiner selbst. Das Andere ist selbst Anderes seiner selbst geworden, denn es ist Etwas. Auch hier zeigt sich wieder das Verschwinden im Übergehen; das Andere ist jetzt nicht mehr einfach Anderes, sondern Anderes, das selbst Etwas ist und damit die Struktur einfacher Andersheit eingebüût hat. Das Andere zum Anderen ist eine Andersheit zweiter Stufe, denn es ist nicht mehr eine Andersheit die dem Etwas nur gegenübersteht, sondern selbst Etwas ist.7 In dieser sukzessiven Bedeutungstransformation des Etwas zum Anderen und des Anderen zum Anderen an sich selbst wird die Grundstruktur der Übergangsdialektik einfacher Kategorien im Sein deutlich. Es gibt allerdings in der Seinslogik kategorial spezifizierte Formen der Übergangsdialektik. So gehen z. B. die beiden ersten Kategorien der Seinslogik »Sein« und »Nichts« nicht aktuell ineinander über, sondern, da die Bedeutung des Seins unbestimmte Unmittelbarkeit ist und das Nichts ebenso unbestimmte Unmittelbarkeit ist, ist das Sein in das Nichts immer schon übergegangen.8 Aktualiter ist dieser Übergang vom Denken nicht zu begreifen, denn wenn das Denken mit der ersten, unmittelbarsten Denkbestimmung anfängt, ist es immer schon über diese hinaus und denkt die Bewegung des Seins zum Nichts. Der intellektuelle Denkprozeû hat keinen ruhenden Ausgangspunkt, sondern befindet sich immer schon, auch in seinem Anfang, in der Bewegung des Denkens. Weitere kategoriale Spezifizierungen der Dialektik des Übergehens in der »Lehre vom Sein« sind hier nur zu skizzieren: Die kategorialen Spezifizierungen des Übergehens zeigen sich in den drei verschiedenen Themenbereichen der Seinslogik, in der Qualität, der Quantität und im Maû. Das Übergehen als sukzessive Transformation von Bedeutungseinheiten in ihr Entgegengesetztes liegt in seiner Reinheit eigentlich nur in den Seinskategorien der Qualität vor, denn diese ist einfache, seiende Bestimmtheit. Dagegen ist die Quantität von anderer Art, denn in ihr ist die einfache Bestimmtheit, die der Qualität eignet, gleichgültig geworden. »Denn die Quantität ist die schon negativ-gewordene Qualität; die Gröûe ist die Bestimmtheit, die nicht mehr mit dem Seyn eins, sondern schon von ihm unterschieden, die aufgehobene, gleichgültig gewordene Qualität ist. Sie schlieût die Veränderlichkeit des Seyns ein, ohne daû die Sache selbst, das Seyn, dessen Bestimmung sie ist, durch sie verändert werde; da hingegen die qualitative Bestimmtheit mit ihrem Seyn eins ist, nicht darüber hinausgeht, noch innerhalb desselben steht, sondern dessen unmittelbare BeschränktVgl. GW, Bd. 21, 105 ff.; vgl. auch Enzyklopädie 1830, § 95. Vgl. GW, Bd. 21, 69; zu dem »Immer-schon-übergegangen-Sein« von Sein und Nichts vgl. S. 242-248 dieser Arbeit. 7 8
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heit ist.«9 Mit der »Veränderlichkeit des Seins« ist die Übergangsdialektik gemeint. Die Quantität vollzieht also nach Hegel auch ein dialektisches Übergehen. Wenn bei der Quantität die einfache, qualitative Bestimmtheit als gleichgültig gesetzt ist, dann kann hier die Form der Dialektik allerdings nicht mehr in einem Übergehen bestehen, wie es bei der Qualität der Fall ist, denn dort ist gerade die einfache unmittelbare Verknüpfung der Bestimmtheit mit dem Bestehen von Etwas der Grund des Übergehens. In der Quantität vollzieht sich daher ein kategorial spezifiziertes Übergehen, das darin besteht, daû sich die Quantität in ihr anderes kontinuiert. Dies bedeutet, daû an einer qualitativen Bestimmung eine quantitative ¾nderung vollzogen wird; diese ¾nderung der Quantität kann beliebig fortgesetzt werden, als Vermehrung oder Verminderung bis in unendlich kleine oder in unendlich groûe ¾nderungen der Quantität, ohne daû sich die eigentliche Bestimmtheit, die qualitative Beschaffenheit, dadurch mitverändern würde. Dieses Kontinuieren in das andere bedeutet allerdings bei den Quantitätsbestimmungen etwas anderes als bei den Begriffsbestimmungen. Wie Hegel im § 240 der Enzyklopädie 1830 sagt, liegt bei den Begriffsbestimmungen eine Bestimmtheit und eine positive Identität mit sich vor, wenn sie sich in ihr anderes entwickeln oder kontinuieren. Bei den Quantitätskategorien liegt eine Gleichgültigkeit der Bestimmtheit vor, die selbst die Bestimmtheit der Quantität ist. Daraus folgt, daû bei den Quantitätskategorien die Kontinuierung in das andere darin besteht, sich bloû in einem anderen zu wiederholen, ohne sich wirklich in dieses zu entwickeln. Dies ist das kontinuierliche Übergehen der Quantitätskategorien. Hegel differenziert daher auch zwischen den spezifischen Formen qualitativen und quantitativen Fortgangs: »Die qualitative Bestimmtheit ist als unmittelbar, und bezieht sich auf das Andersseyn wesentlich als auf ein anderes Seyn, sie ist nicht gesetzt, ihre Negation, ihr Anderes an ihr selbst zu haben. Die Gröûe hingegen ist, als solche, aufgehobene Bestimmtheit; sie ist gesetzt, ungleich mit sich und gleichgültig gegen sich selbst, daher das Veränderliche zu seyn.«10 Eine weitere kategoriale Spezifizierung des Übergehens in anderes liegt im dritten Teil der »Lehre vom Sein«, im Maû vor. Im Maû ist die Einheit von Qualität und Quantität gesetzt, hier sind die Kategorien von vornherein so GW, Bd. 21, 67; dies findet sich auch schon in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), GW, Bd. 11, 41. Vgl. zu einer ähnlichen Bestimmung der Quantität auch Enzyklopädie 1830, § 99, analog dazu Enzyklopädie 1817, § 52. Vgl. auch GW, Bd. 21, 373: »[...]; die reine Quantität ist die Indifferenz als aller Bestimmungen fähig, so aber, daû diese ihr äusserlich, und sie aus sich keinen Zusammenhang mit denselben hat«. Dies hat Hegel an der analogen Stelle aus der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812) noch nicht ausgeführt, vgl. GW, Bd. 11, 224. 10 GW, Bd. 21, 219; dies findet sich ebenfalls in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), GW, Bd. 11, 140. 9
Die Übergangsdialektik in der »Lehre vom Sein«
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gesetzt, daû sich in ihnen ein doppelter Übergang vollzieht.11 Nicht nur, daû eine Maûbestimmtheit in ihr anderes übergeht, sondern in dieser Maûbestimmung ist zugleich ihr Rückgang aus diesem anderen in sie selbst gesetzt. Das Andere wird zum »Zustand« einer Maûbestimmtheit, die sich damit in ihr anderes einerseits kontinuiert, was ein quantitatives Moment ist, zugleich aber auch in dieses andere übergeht, was ein qualitatives Moment ist. Im Maû gilt: »Damit sind die Maaûe und die damit gesetzten Selbstständigkeiten zu Zuständen herabgesetzt. Die Veränderung ist nur Aenderung eines Zustandes und das Uebergehende ist als darin dasselbe bleibend gesetzt.«12 Durch das Beharren im Wechsel, welches das Maû vollzieht, wird das Übergehen schrittweise überwunden. Das in den Kategorien des Maûes gesetzte doppelte Übergehen hebt das einfache, qualitative Übergehen auf, denn im doppelten Übergang wird gesetzt, daû die Bestimmtheiten in sich Relative, auf ihr Entgegengesetztes wesentlich Bezogene sind.13 Dadurch wird eine andere Form dialektischer Vermittlung vorbereitet, nämlich die Reflexionsdialektik des Wesens. Aus methodischer Sicht wird also mit der spezifischen Übergangsdialektik des Maûes die Grundlage für die Reflexionsdialektik des Wesens erreicht. Die hier skizzierten kategorialen Spezifikationen der Übergangsdialektik im Sein werden von Hegel angedeutet: »Die qualitative Unendlichkeit, wie sie am Daseyn ist, war das Hervorbrechen des Unendlichen am Endlichen, als unmittelbarer Uebergang und Verschwinden des Disseits in seinem Jenseits. Die quantitative Unendlichkeit hingegen ist ihrer Bestimmtheit nach schon die Continuität des Quantums, eine Continuität desselben über sich hinaus. Das Qualitativ-Endliche wird zum Unendlichen; das QuantitativEndliche ist sein Jenseits an ihm selbst, und weiût über sich hinaus. Aber diese Unendlichkeit der Specification des Maaûes setzt ebensowohl das Qualitative wie das Quantitative als sich ineinander aufhebend, und damit die erste, unmittelbare Einheit derselben, welche das Maaû überhaupt ist, als in sich zurückgekehrt und damit selbst als gesetzt. [...] Diese so sich in ihrem Vgl. GW, Bd. 21, 320; in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812) findet sich dieser Passus zum doppelten Übergang noch nicht. 12 GW, Bd. 21, 371; ähnlich äuûert sich Hegel bereits in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), GW, Bd. 11, 222 f. 13 Vgl. GW, Bd. 21, 382, wo die absolute Indifferenz als letzte Seinskategorie in ihrem dialektischen Verhalten bestimmt wird: »Das Bestimmen und Bestimmtwerden ist nicht ein Uebergehen, noch äusserliche Veränderung, noch ein Hervortreten der Bestimmungen an ihr, sondern ihr eigenes Beziehen auf sich, das die Negativität ihrer selbst ist.« Das »Übergehen« ist hier auf die qualitative Übergangsdialektik, die »äuûerliche Veränderung« auf die quantitative Übergangsdialektik und das »Hervortreten« auf die spezifische Übergangsdialektik des Maûes zu beziehen. Diese ¾uûerungen Hegels finden sich in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein (1812), GW, Bd. 11, 230 f. nur sinngemäû. Vgl. zur Aufhebung der Dialektik des Übergehens auch Enzyklopädie 1817, § 63. 11
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Wechsel der Maaûe in sich selbst continuierende Einheit ist die wahrhaft bestehenbleibende, selbständige Materie, Sache.«14 Für die qualitativ bestimmte Übergangsdialektik in der »Lehre vom Sein« ist charakteristisch, daû sie in »Sprüngen« verläuft. Die Übergangsdialektik im Sein ist »sprunghaft«, weil die ineinander übergehenden Seinsbestimmungen, als einfache Selbstgleichheiten einander äuûerlich zu sein scheinen und daher in sich nicht miteinander als kontinuierlich vermittelte Bestimmungen erscheinen. Eine allmähliche, kontinuierliche Dialektik gibt es in der »Lehre vom Sein« nur als Zwischenstufe in der Quantität. Aber sowohl die Dialektik der Qualität als auch die des Maûes vollziehen sich »sprunghaft« in ihrem dialektischen Anderswerden. Im Maû sind nach dem Durchgang durch die Quantität qualitative Momente restituiert. In diesem Sinn führt Hegel aus: »Nach der qualitativen Seite wird daher das bloû quantitative Fortgehen der Allmähligkeit, das keine Grenze an sich selbst ist, absolut abgebrochen; indem die neu eintretende Qualität nach ihrer bloû quantitativen Beziehung eine gegen die verschwindende unbestimmt andre, eine gleichgültige ist, ist der Uebergang ein Sprung; beyde sind als völlig äuûerliche gegeneinander gesetzt. ± Man sucht sich gern durch die Allmähligkeit des Uebergangs eine Veränderung begreiflich zu machen; aber vielmehr ist die Allmähligkeit gerade die bloû gleichgültige Aenderung, das Gegentheil der qualitativen. In der Allmähligkeit ist vielmehr der Zusammenhang der beyden Realitäten, ± [...] ± aufgehoben; es ist gesetzt, daû keine die Grenze der andern, sondern eine der andern schlechthin äusserlich ist; hiemit wird gerade das, was zum Begreiffen nöthig ist, wenn auch noch so wenig dazu erfodert wird, entfernt.«15 Der dialektische »Sprung«, den qualitativ bestimmte Seinskategorien vollziehen, ist allerdings nur eine versinnlichende Metapher für die unmittelbare und direkte dialektische Transformation einfacher seinsmäûiger Bestimmtheiten. Nach Hegel wird gerade die Grenze und damit die Bestimmtheit, die etwas hat, durch einen bloû allmählichen, quantitativ-kontinuierlichen Übergang nivelliert. Hegel wendet sich damit indirekt gegen Schellings Konzeption der »quantitativen Differenz«. Nach dieser Konzeption Schellings ist die verschiedenartige Bestimmtheit endlicher Entitäten durch ihr spezifisch quantitatives Mischungsverhältnis bestimmt. Wahrhaft gibt es nur das Absolute, in dem alles eines ist und qualitativ alles identisch gesetzt ist; die Vielfalt der Welt entsteht dagegen durch das quantitative Mischungsverhältnis der Teile zueinander. Die Qualität endlicher Bestimmungen ist nach dieser KonzepGW, Bd. 21, 370; ähnlich äuûert sich Hegel bereits in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), GW, Bd. 11, 221. 15 GW, Bd. 21, 366, vgl. hierzu auch die Anm. 366 f.; dasselbe sagt Hegel bereits in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812), GW, Bd. 11, 217 f. 14
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tion Schellings aus der Quantität herzuleiten. Nach Hegel nivelliert diese Konzeption die spezifische qualitative Verschiedenheit und kann sie nicht erklären.16 Das »sprunghafte« Moment der Übergangsdialektik ist durch die Einfachheit der Seinskategorien bedingt, in ihrem Übergehen werden sie unmittelbar zu etwas anderem, woran ihre qualitative Begrenztheit deutlich wird. II. Die Reflexionsdialektik in der »Lehre vom Wesen« Die Bestimmungen des Wesens sind in sich relational. Hegel sagt daher in der Enzyklopädie 1830: »Das Wesen ist der Begriff als gesetzter Begriff, die Bestimmungen sind im Wesen nur relative, noch nicht als schlechthin in sich reflectirt; darum ist der Begriff noch nicht als Fürsich.«17 In einer Vorausdeutung auf den Begriff stellt Hegel hier den Unterschied zwischen Begriff und Wesen dar. Der Begriff bildet ein thematisches Selbstverhältnis. Im Wesen ist dieses noch nicht erreicht. Vielmehr sind die Bestimmungen des Wesens dadurch gekennzeichnet, daû sie sich nur so auf sich selbst beziehen können, indem sie sich auf anderes ihrer selbst beziehen, das sie nicht sind. Diese Beziehung auf anderes, das nicht als immanentes Moment von einer Bestimmung selbst gesetzt ist, bildet noch kein Selbstverhältnis wie es der Begriff vollzieht. Der Bezug auf sich besteht im Wesen zwar nicht mehr, wie noch im Sein, in einer einfachen Gleichheit mit sich, aber der Selbstbezug der Bestimmungen des Wesens erfolgt dadurch, daû sie auf anderes ihrer selbst bezogen sind, das ihr eigenes Nichtsein bedeutet. Im Begriff ist das andere jeweils eine freie Selbstsetzung; daher verhält sich der Begriff in seinem anderen zu sich selbst. Dies ist allerdings im Wesen noch nicht realisiert, weil hier das andere als das eigene Nichtsein gesetzt ist. Daraus resultiert eine spezifische Form der Dialektik, die das Wesen auszeichnet, nämlich die Reflexionsdialektik, weil die Wesensbestimmungen in sich relative sind, scheinen sie in ihrem Entgegengesetzten. Damit verschärft und systematisiert Hegel seine Kritik an Schellings bloû quantitativer Bestimmung der Endlichkeit, die Hegel bereits in seinem Fragment Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05 geäuûert hat; vgl. hierzu S. 104±107 dieser Arbeit. 17 Enzyklopädie 1830, § 112; in dem analogen § 64 der Enzyklopädie 1817 stellt Hegel noch nicht die Überlegung an, daû das Wesen der bloû gesetzte und noch nicht der vollständig selbstbezügliche Begriff ist. Den Bezug des Wesens auf den Begriff hat Hegel aber nicht erst in den späteren beiden Auflagen der Enzyklopädie expliziert, sondern bereits in der »Lehre vom Wesen« in der Wissenschaft der Logik von 1813 (vgl. z. B. GW, Bd. 11, 243). 16
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Die Entgegensetzung, also das jeweilige Nichtsein in den Wesensbestimmungen, ist nicht im Sinne der traditionellen Logik als bloû logisch-kontradiktorische Opposition zu verstehen, sondern es handelt sich, wie auch bei den Entgegensetzungen der Seinskategorien, um eine konträre Opposition, denn das Entgegengesetzte einer Wesensbestimmung soll jeweils ihr spezifisch Entgegengesetztes sein. Die Wesensbestimmungen sollen sich als relative durch ihr konträres Gegenteil bestimmen; läge in der Entgegensetzung der Reflexionsbestimmungen eine bloû logisch-kontradiktorische Opposition im Sinne der traditionellen Logik vor, könnten sich die Wesenskategorien nicht wechselseitig bestimmen. Weil jedes kategoriale Gebilde des Wesens »so für sich ist, als es nicht das Andere ist, scheint jedes in dem Andern und ist nur sofern das Andere ist. Der Unterschied des Wesens ist daher Entgegensetzung, nach welcher das Unterschiedene nicht ein Anderes überhaupt, sondern sein Anderes sich gegenüber hat; d. h. jedes hat seine eigene Bestimmung nur in seiner Beziehung auf das Andere, ist nur in sich reflectirt, als es in das Andere reflectirt ist, und ebenso das Andere; jedes ist so des Andern sein Anderes.«18 So ist z. B. das »Negative« das Nichtsein des »Positiven«; umgekehrt ist auch das »Positive« das Nichtsein des »Negativen«. Sowohl dem Positiven als auch dem Negativen ist nach Hegel ± wie wir bereits untersucht haben ± der Bezug auf das Entgegengesetzte wesentlich und immanent. Daher reflektiert sich das Positive in das Negative: Es scheint in seinem Entgegengesetzten. Beide Entgegengesetzte sind gleichursprünglich, von vornherein ist das Positive nicht ohne den Bezug zum Negativen zu denken und umgekehrt das Negative nicht ohne den Bezug zum Positiven. Die entgegengesetzten Seinsbestimmungen sind dagegen nicht gleichursprünglich, sondern folgen einander schrittweise, wie sich z. B. das »Andere« erst nach dem »Etwas« darstellen läût. Aufgrund der wechselseitigen Reflexion ineinander hält Hegel die Bestimmung von Positivem und Negativem für einen paradigmatischen Fall der Reflexionslogik: »das Positive und Negative ist die Reflexionsbestimmung an und für sich«.19 Anhand der Relation von Positivem und Negativem wird die Reflexionsdialektik des Wesens daher besonders deutlich. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei, daû es für Hegel keine existierenden Entitäten gibt, die dann gegenüber anderem Bestehendem die Relation von Positivem und Negativem entfalten, sondern Positives und Negatives sind als reine Relationen zu denken. Die Voraussetzung eines existierenden Substrats, das sich dann positiv oder negativ verhält, wäre nach Hegel eine äuEnzyklopädie 1830, § 119; ebenso äuûert sich Hegel bereits in der Enzyklopädie 1817, § 71; vgl. hierzu auch GW, Bd. 11, 266; vgl. zum folgenden S. 268±273 dieser Arbeit. 19 GW, Bd. 11, 274. 18
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ûerliche Bestimmung, die den rein relationalen Sinn der Bestimmungen verfehlen würde. Auûerdem würde das Bestehen einer solchen Entität, die dem Positiven und Negativen zugrundeliegt, das Positive voraussetzen, denn die Entität müûte positiv bestehen; daher würde eine solche Erklärung voraussetzen, was sie beweisen soll. Allerdings wird erst im »Grund« die vollständige Reflexionsstruktur, die eine reine Relationalität bedeutet, gesetzt. Im »Grund« wird deutlich: »Die reine Vermittlung ist nur reine Beziehung, ohne Bezogene.«20 Diese reine Relationalität ist aber auch schon für die Reflexionsbestimmungen, die vor dem »Grund« abgehandelt werden, konstitutiv.21 Die Reflexionsdialektik des Wesens stellt bereits eine Annäherung an das aktive Selbstverhältnis des Begriffs dar, denn sie ist über die unmittelbare Bestimmtheit der Seinskategorien hinaus, die sich dadurch bestimmen, daû sie in anderes übergehen und zu diesem scheinbar keinen Bezug haben, weil sie einfache und unmittelbare Bestimmungen sind. Die Kategorien des Wesens sind dagegen in sich relational, sie sind in ihrem eigenen Bedeutungsgehalt jeweils immanent auf ihr Entgegengesetztes, auf ihr Nichtsein, bezogen. Im § 65 der Enzyklopädie 1817 hebt Hegel daher die Reflexionsdialektik des Wesens von der Übergangsdialektik des Seins ab: »In der Sphäre des Wesens macht die Relativität die herrschende Bestimmung aus. In der Sphäre des Seyns ist die Identität unmittelbare Beziehung auf sich, und das Negative das bloûe Andersseyn; in der gegenwärtigen Sphäre dagegen ist alles nur so als seyend gesetzt, daû zugleich darüber hinausgegangen ist; es ist ein Seyn der Reflexion, Verhältniû.« In den beiden späteren Überarbeitungen der Enzyklopädie streicht Hegel diesen Paragraphen allerdings. Er hebt jedoch nicht die Differenzierung zwischen den beiden verschiedenen Dialektikformen des Seins und des Wesens auf.22 Die Reflexionsdialektik GW, Bd. 11, 292. Aufgrund dieser reinen Relationalität ist es problematisch, wenn M. Wolff (Über Hegels Lehre vom Widerspruch. In: Hegels Wissenschaft der Logik: Formation und Rekonstruktion. Hrsg. D. Henrich, Stuttgart 1986, 122 ff.) ein »reflexionslogisches Substrat« geltend macht, um den Widerspruch zwischen Positivem und Negativem zu erläutern. Das reflexionslogische Substrat liege als neutrale Bestimmung den beiden entgegengesetzten Richtungen der Positivität und Negativität zugrunde. Substrate für die reinen Relationsbegriffe nimmt aber nach Hegel nur der Verstand an (vgl. Enzyklopädie 1830, § 117 Anm.). Gegen die Annahme eines Substrats, das der reinen Relationalität der Wesensbestimmungen zugrundeliegt, wendet sich Hegel auch in GW, Bd. 11, 249 f., 292. 22 Vgl. Enzyklopädie 1830, § 114, wo Hegel betont, daû im Wesen der Widerspruch als reine Relationalität thematisch gesetzt und im Sein nur latent ist; vgl. auch §§ 115, 116 Anm., 125 Anm., 131, 142 Anm., 240; weitere Passagen, wo Hegel die Übergangsdialektik des Seins von der Reflexionsdialektik des Wesens abgrenzt, finden sich in der »Lehre vom Wesen« (1813) aus der Wissenschaft der Logik, vgl. GW, Bd, 11, 242 f., 249 f., 255 ff., 259, 266, 295, 360, und in der 2. Auflage der »Lehre vom Sein« (1832), GW, Bd. 21, 90, 109 f. 20 21
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des Wesens bildet auch deshalb eine Annäherung an die spontane Begriffsdialektik, weil sich die Wesensbestimmungen wechselseitig »hervorbringen«, also einen bestimmten Grad an Aktuosität besitzen. So bringt die Wesensbestimmung der »Ursache« die »Wirkung« hervor, die Seinsbestimmung des Anderen folgt dagegen bloû aus dem Etwas. Die Seinskategorien bringen sich nicht wechselseitig hervor, sondern folgen einander nur.23 Im Sein findet eine schrittweise Transformation von Bedeutungseinheiten in ihr Entgegengesetztes statt; im Wesen sind die Entgegengesetzten dagegen gleichursprünglich gesetzt, beide sind nicht ohneeinander zu denken. Dies bedeutet jedoch nicht, daû die beiden Entgegengesetzten im Wesen von vornherein denselben Bedeutungsgehalt hätten, sondern daû, obwohl beide aufeinander bezogen sind, sie dennoch distinkt voneinander zu unterscheidende Bedeutungen haben, »die Reflexionsbestimmungen sollen jede für sich abgesondert von der entgegengesetzten, gefaût werden und gelten«.24 Die Einheit der entgegengesetzten Relationskategorien im Wesen muû allererst gesetzt werden, sie ist nicht von vornherein thematisch in ihnen gesetzt. So muû z. B. bei Positivem und Negativem der Grund als Einheit der Entgegengesetzten durch die an beiden aufzuweisende und thematisch zu setzende wechselseitige Implikation der Entgegengesetzten dargestellt werden. Erst wenn sowohl am Positiven thematisch gesetzt ist, daû es positiv und negativ ist, und erst wenn am Negativen thematisch gesetzt ist, daû es negativ und positiv ist, kann ihr Widerspruch sich in den Grund als die Einheit transformieren, die sowohl das Positive als auch das Negative gleichursprünglich in sich enthält. Der Bedeutungsgehalt einer Wesenskategorie bestimmt sich aus dem Bezug auf ihre entgegengesetzte. Diese entgegengesetzte Wesenskategorie hat die Bedeutung des Nichtseins derjenigen Wesenskategorie, von der ausgegangen wurde; es zeigt sich aber, daû die entgegengesetzte Wesenskategorie ein immanenter Bestandteil des Bedeutungsgehalts der ersten Wesenskategorie ist. Konstitutiv für eine Wesenskategorie ist es daher, daû in ihr das eigene Nichtsein thematisch gesetzt wird. Nach Hegel wird daher durch die Reflexionsdialektik des Wesens die Negativität als Struktur des Bestimmungsprozesses in der »Lehre vom Wesen« in ihrer Reinheit gesetzt. Die dialektische Tätigkeit des Setzens der Bestimmtheit, also des Unterschiedes von anderem im Wesen bestimmt Hegel daher wie folgt: »Das Unterscheiden ist das Setzen des Nichtseyns, als des Nichtseyns des Andern. Aber das Nichtseyn des Andern ist Aufheben des Andern, und somit des UnterscheiVgl. GW, Bd. 21, 109; dies ist ein Zusatz, der sich in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812) noch nicht findet. 24 Enzyklopädie 1830, § 164; ebenso äuûert sich Hegel bereits im analogen § 113 der Enzyklopädie 1817. 23
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dens selbst. So ist aber das Unterscheiden hier vorhanden, als sich auf sich beziehende Negativität, als ein Nichtseyn, das das Nichtseyn seiner selbst ist; ein Nichtseyn, das sein Nichtseyn nicht an einem andern, sondern an sich selbst hat. Es ist also der sich auf sich beziehende, der reflectirte Unterschied vorhanden, oder reine, absolute Unterschied.«25 Die Selbstbezüglichkeit der Negativität unterscheidet die spezifische Form der Dialektik des Wesens von derjenigen des Seins. Im Sein führt die Dialektik jeweils zu einer anderen Bestimmung, im Wesen ist dagegen die Negativität als Dialektik in den relationalen Kategorien selbst gesetzt. Findet der Übergang in den Seinskategorien »zwischen« diesen statt, so ist das Erscheinen im Entgegengesetzten »in« den Wesenskategorien selbst gesetzt. Auch daher liegt mit der Reflexionsdialektik des Wesens eine Annäherung an die Entwicklungsdialektik des Begriffs vor. Im Begriff ist die dialektischmethodische Entwicklung ebenfalls in den Bestimmungen selbst thematisch gesetzt, dies allerdings in einem höheren und deutlicheren Grad, als es durch die Reflexionsdialektik im Wesen der Fall ist. Wie es in der »Lehre vom Sein« kategorial spezifizierte Formen der Übergangsdialektik gibt, so gibt es auch in der »Lehre vom Wesen« kategorial spezifizierte Formen der Reflexionsdialektik, also des Scheinens im Entgegengesetzten. Hier ist insbesondere auf die Manifestationsdialektik aufmerksam zu machen, die im dritten Teil der »Lehre vom Wesen«, in der »Wirklichkeit« vollzogen wird. Die Manifestationsdialektik bildet die Vorstufe zur Entwicklungsdialektik des Begriffs. In der »Wirklichkeit« findet zwar auch ein reflektierendes Scheinen im Entgegengesetzten statt, aber dasjenige, in dem die Wirklichkeitsbestimmungen sich reflektieren sind sie selbst. Das Entgegengesetzte sind die Wirklichkeitsbestimmungen jeweils selbst. Das »Wirkliche« »ist daher dem Uebergehen entnommen und seine Aeuûerlichkeit ist seine Energie; es ist in ihr in sich reflectirt; sein Daseyn ist nur die Manifestation seiner selbst, nicht eines Andern«.26 Damit führt Hegel Ansätze zur Manifestation als einer spezifischen Reflexionsdialektik differenzierter und systematisch ausgearbeitet weiter, welche sich bereits in seiner propädeutischen Logik für die Mittelklasse von 1810/11 zeigten. Dort sprach Hegel, mit Anklang an Spinozas Substanz- und Leibniz' Monadenkonzeption, davon, daû die Wirklichkeit als Substanz in ihren Bestimmungen eine »manifestatio sui« bildet, die sich in den »Monaden« darstellt.27 Auch in der Wissenschaft der Logik konzipiert Hegel die Manifestation in der »Wirklichkeit« offensichtlich im Anklang an Spinoza und Leibniz. Nach GW, Bd. 11, 261 f. Enzyklopädie 1830, § 142 Anm.; ebenso äuûert sich Hegel bereits in der Enzyklopädie 1817, § 91, Anm. 27 Logik für die Mittelklasse (1810/11), § 61, Randbemerkung, Theorie-Werkausgabe, Bd. 4, 179; Hegel erwähnt die Manifestation auch a. a. O., §§ 65, 68. 25 26
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Leibniz repräsentiert und reflektiert die Monade in ihren Perzeptionen das gesamte Universum. Da die Monade aber aufgrund ihrer Einfachheit nicht durch ¾uûeres bestimmt werden kann und daher nicht passiv-rezeptiv sein kann, folgert Hegel, daû die Repräsentationen in ihr von ihr selbst aktiv gesetzt sind. Die Perzeptionen sind also nichts anderes als die selbstreflexiven Bestimmungen der Monade selbst. Die Monade reflektiert sich selbst in ihren Perzeptionen. Dies begreift Hegel als Manifestation: »Die Monade ist daher wesentlich vorstellend; sie hat aber, ob sie wohl eine endliche ist, keine Passivität; sondern die Veränderungen und Bestimmungen in ihr sind Manifestationen ihrer selbst. Sie ist Entelechie; das Offenbaren ist ihr eigenes Thun.«28 Damit geht Leibniz nach Hegels Deutung über Spinoza hinaus, denn dieser hatte die Substanz zwar bereits als causa sui, als Ursache ihrer selbst konzipiert, bei der das Wesen nicht hinter seiner eigenen Verwirklichung zurückbleibt, vielmehr impliziert in Spinozas Konzeption das Wesen, das Wassein zugleich die Wirklichkeit, das Daûsein. Dies ist ein zentrales Moment in der Manifestationsdialektik der »Wirklichkeit« aus Hegels Logik, denn hier ist die Einheit von Wirklichkeit und Wirklichkeit hervorbringendem Wesen thematisch gesetzt.29 Aber in dieser Konzeption Spinozas bleibt nach Hegel das Moment der Reflexion unberücksichtigt. Daû und wie die absolute Substanz, in der alles eines ist, die Mannigfaltigkeit der Welt reflektieren und setzen kann, bleibe bei Spinoza unerklärbar. Dies zeigt sich nach Hegel auch daran, daû Spinoza seine Ethik unmittelbar mit der Definition der Substanz beginnt, und die Bestimmungen von Attribut und Modus mit der Substanzdefinition unverbunden folgen läût; daher sind Attribut und Modus nach Hegel nicht in der Substanz selbst als deren selbstreflexive Momente gesetzt.30 Bei Leibniz sind dagegen die Attribute,
GW, Bd. 11, 378; vgl. auch a. a. O., 379: »Es ist ein höchst wichtiger Begriff, daû die Veränderungen der Monade als Passivitätslose Actionen, als Manifestationen ihrer selbst vorgestellt, und das Princip der Reflexion in sich, oder der Individuation als wesentlich hervorsteht.« Die Monade ist also als vollständig bestimmter und individueller Begriff für Hegels Konzeption der sich selbst manifestierenden Substanz von zentraler Bedeutung. Nach Leibniz haben die Monaden allerdings verschiedene Grade der Aktivität und auch der Passivität, vgl. Monadologie, Hamburg 1982, § 52, aus diesen verschiedenen Aktivitäts- und Passivitätsgraden erklären sich nach Leibniz auch die verschiedenen Grade der Klarheit und der Deutlichkeit der Perzeptionen. 29 Vgl. Enzyklopädie 1830, § 142 mit der Anm. 30 Vgl. GW, Bd. 11, 376 f. In Spinozas eigener Konzeption kann man allerdings im »Amor Dei intellectualis« eine Form von Selbstreflexion sehen. Die absolute Substanz tritt in ein aktives Selbstverhältnis, sofern die von ihr geschaffene Seele der spekulativen Erkenntnisart »sub specie aeternitatis« fähig ist und Gott in seinen Offenbarungen liebt; da die Seele von Gott geschaffen ist, liebt sich Gott in der Liebe der Seele zu ihm selbst. 28
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die Perzeptionen der Substanz-Monade, deren in ihr selbst gesetzte reflexive Selbsterkenntnis.31 Für die sich manifestierende Wirklichkeit des Absoluten gilt daher nach Hegel: »So als die Manifestation, daû es sonst nichts ist und keinen Inhalt hat, als die Manifestation seiner zu seyn, ist das Absolute die absolute Form. Die Wirklichkeit ist als diese reflectirte Absolutheit zu nehmen.«32 Die Manifestationsdialektik der Wirklichkeit als Sonderform der Reflexionsdialektik ist dadurch ausgezeichnet, daû hier die Unmittelbarkeit, das seinsmäûige Moment der Wirklichkeit, mit der Reflexion, also dem Scheinen im Entgegengesetzten verknüpft ist. Die Wirklichkeit, als sich dialektisch manifestierende, ist »die gesetzte Einheit der Reflexion und der Unmittelbarkeit«.33 Dieses Liebesselbstverhältnis der absoluten Substanz wäre wohl für Hegel keine adäquate, d. h. reflexive Selbsterkenntnis, sondern nur eine intuitive. 31 Es ist allerdings ein zentraler Unterschied zwischen Spinozas und Leibniz' Substanzkonzeptionen, daû es nach Spinoza nur eine einzige Substanz und nach Leibniz unendlich viele gibt; ein weiterer Unterschied zwischen beiden ist, daû Spinoza die Substanz im wesentlichen von ihrer Selbständigkeit her definiert, Leibniz versteht dagegen vor allem das Merkmal der Einfachheit als definitiv für Substanzen. Er kann daher auch im Unterschied zu Spinoza endliche Substanzen konzipieren, denn für endliche Substanzen ist charakteristisch, daû sie an etwas anderem existieren und nicht vollständig selbstständig sind, nur relative Selbständigkeit haben. Die unendliche Substanz ist nach Leibniz dagegen nicht nur in der höchsten Weise einfach, sondern darüber hinaus auch unabhängig von anderem, denn sie ist der zureichende Grund (vgl. Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade. Hamburg 1982, § 8), der sich selbst begründet; daher kommt nur Gott als der unendlichen Substanz Selbständigkeit im Sinne einer Selbstbegründung und Selbstsetzung zu. 32 GW, Bd. 11, 380. 33 GW, Bd. 11, 380. Aufgrund dieser gesetzten Einheit von Unmittelbarkeit und Reflexion ist die Wirklichkeit auch von der Erscheinung und der Existenz zu unterscheiden; dort ist diese Einheit nur unthematisch, daher gilt: »Die Wirklichkeit steht auch höher als die Existenz« (a. a. O.). Es gibt daher auch für den zweiten Teil der Wesenslehre, »Die Erscheinung« eine kategorial spezifizierte Reflexionsdialektik, die Erscheinungs- oder Existenzdialektik, die Hegel auch als Analyse beschreibt: »Aber weil die Existenz nicht die erste Unmittelbarkeit des Seyns ist, sondern das Moment der Vermittlung an ihr selbst hat, so ist ihre Bestimmung zum Dinge und die Unterscheidung beyder nicht ein Uebergang, sondern eigentlich eine Analyse; und die Existenz als solche enthält diese Unterscheidung selbst in dem Momente ihrer Vermittlung« (a. a. O., 327). Die Erscheinungsdialektik ist also von der Manifestationsdialektik der Wirklichkeit deshalb unterschieden, weil in ihr das Moment der Unmittelbarkeit nicht gesetzt ist, und eine Erscheinungsbestimmung keine wirkliche Selbständigkeit erlangt, dazu vielmehr einer anderen, selbständigen Bestimmung bedarf. Für die Wirklichkeit gilt daher im Unterschied zur Erscheinung: »Sein [der Wirklichkeit; d. V.] Verhalten zu anderem ist die Manifestation seiner, weder ein Uebergehen, so bezieht sich das seyende Etwas auf ein anderes; ± noch ein Erscheinen, so ist das Ding nur im Verhältniû zu andern, ist ein Selbstständiges, das aber seine Reflexion-in-sich, seine bestimmte Wesentlichkeit, in einem andern Selbstständigen hat« (a. a. O., 386).
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Aufgrund dieser durch die Wirklichkeit restituierten Unmittelbarkeit macht sich am Ende der Wesenslehre wieder zunehmend die Übergangsdialektik des Seins geltend. In der Wirklichkeit wird daher methodisch auf eine spezifische Weise die Einheit zweier verschiedener Dialektiktypen vollzogen, nämlich die Einheit von Übergangsdialektik und Reflexionsdialektik.34 Aufgrund dieser Einheit beider Dialektiktypen und aufgrund der komplexen Struktur der Kategorien der Wirklichkeit sind allerdings die beiden Dialektikformen kategorial modifiziert. Das Übergehen ist nicht mehr einfach eine Transformation eines kategorialen Bedeutungsgehaltes zu etwas anderem, in dem das Übergehende verschwindet. Umgekehrt ist das reflexionsdialektische Scheinen im Entgegengesetzten nicht mehr eine bloûe Relation ohne Relata. Denn die restituierte Unmittelbarkeit bildet eine Bestimmtheit, ein Relat für die Relation. Dieses Relat besteht in der Substanz. So gehen beispielsweise die Akzidentien der Substanz ineinander über, eines wechselt zu einem anderen, gleichzeitig reflektiert sich die Substanz in ihren Akzidentien und in deren Wechsel selbst.35 Die Einheit von Übergangsdialektik des Seins und Reflexionsdialektik des Wesens ist dadurch bedingt, daû das Absolute nach Hegel die Einheit von Sein und Wesen ist. Daher bestimmt Hegel die »absolute Notwendigkeit«, welche die letzte Bestimmung vor der Substanz ist, folgendermaûen: »Die absolute Nothwendigkeit ist so die Reflexion oder Form des Absoluten; Einheit des Seyns und Wesens, einfache Unmittelbarkeit, welche absolute Negativität ist. Einerseits sind ihre Unterschiede daher nicht als Reflexionsbestimmungen, sondern als seyende Mannichfaltigkeit, als unterschiedene Wirklichkeit, welche die Gestalt von selbstständigen Anderen gegen einander hat. Andererseits da ihre Beziehung die absolute Identität ist, ist sie das absolute Umkehren ihrer Wirklichkeit in ihre Möglichkeit und ihrer Möglichkeit in Wirklichkeit.«36 Das »Umkehren« von Möglichkeit und Wirklichkeit bestimmt sich dann in der Substanzkategorie dahingehend, daû die aktuelle Wirklichkeit eines Akzidens aufgehoben wird, damit geht dieses Akzidens in seine Möglichkeit über, das Akzidens wird damit zerstört. Umgekehrt kann das Akzidens durch die Substanz aber auch von seiner bloûen Möglichkeit in die Wirklichkeit übergehen, damit liegt dann die Erschaffung des Akzidens vor. Hier zeigt sich wiederum die Einheit von Übergangsdialektik Bereits K.J. Schmidt (Zum Unterschied zwischen wesenslogischer und seinslogischer Dialektik. In: Das Problem der Dialektik. Hrsg. D. Wandschneider, Bonn 1997, 40±51) macht darauf aufmerksam, daû die Manifestation eine spezifische Dialektikform in der Wesenslehre bildet, die Übergangs- und Reflexionsdialektik miteinander vereint (a. a. O., 47 ff.). 35 Vgl. Enzyklopädie 1830, §§ 150±152; ähnlich bereits in der Enzyklopädie 1817, §§ 98, 99. 36 GW, Bd. 11, 391. 34
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und Reflexionsdialektik: Die Substanz ist »absolute Macht« und reflektiert sich selbst in dem Erschaffen und Zerstören der Akzidentien. Daher ist die Substanz als absolute Macht mit sich selbst positiv identisch. Zugleich sind die Akzidentien durch das Übergehen, das unmittelbare Anderswerden ihrer selbst bestimmt, sie gehen von der Möglichkeit zur Wirklichkeit über, oder sie gehen von der Wirklichkeit in die Möglichkeit über. Die Entwicklungsdialektik des Begriffs folgt nach Hegel daraus, daû die Übergangsdialektik des Seins und die Reflexionsdialektik des Wesens zu einer Einheit gebracht werden, die beide Dialektikformen transformiert in sich enthält.37 Die Entwicklungsdialektik des Begriffs ist daher eine kombinierende Weiterführung von Übergangs- und Reflexionsdialektik: Entwicklung bedeutet ein sich in sich reflektierendes Übergehen in anderes, das eine Begriffsbestimmung jeweils selbst ist. In diesem Sinn liegt die Vollendung der objektiven Logik darin, ihre beiden grundlegenden Dialektikformen miteinander zu kombinieren. Diese am Ende der Wesenslogik erreichte Kombination bildet die Grundlage für die Entwicklungsdialektik des Begriffs. In diesem Sinn sagt Hegel über den Dialektiktypus, den die »Wechselwirkung« als Abschluû der Wesenslehre auszeichent: »das Uebergehen in Anderes ist Reflexion-in-sich selbst«.38 III. Die Entwicklungsdialektik in der »Lehre vom Begriff« »Der Begriff ist das schlechthin Concrete, weil die negative Einheit mit sich als An- und Für-sich-bestimmtseyn, welches die Einzelnheit ist, selbst seine Beziehung auf sich, die Allgemeinheit ausmacht. Die Momente des Begriffes können in sofern nicht abgesondert werden; die Reflexionsbestimmungen sollen jede für sich abgesondert von der entgegengesetzten, gefaût werden und gelten; aber indem im Begriff ihre Identität gesetzt ist, kann jedes seiner Momente unmittelbar nur aus und mit den anderen gefaût werden.«39 In der Begriffslehre ist die Allgemeinheit die unmittelbare Bestimmung des Begriffs. Die Allgemeinheit als Unmittelbarkeit ist daher die Selbstbeziehung des Begriffs, denn die Unmittelbarkeit ist einfache Selbstgleichheit. Die Unmittelbarkeit ist bereits in der Seinslehre einfache Selbstgleichheit. Im Begriff ist die Unmittelbarkeit der Allgemeinheit allerdings eine komplexere Form der Selbstgleichheit als im Sein. Denn im Begriff ist die unmittelbare Vgl. GW, Bd. 11, 408 f., GW, Bd. 12, 34 f., Enzyklopädie (1817), § 108 mit Anm., analog dazu Enzyklopädie (1830), § 159 mit Anm. 38 GW, Bd. 11, 408. 39 Enzyklopädie 1830, § 164; ähnlich äuûert sich Hegel bereits in der Enzyklopädie 1817, § 113, nur daû Hegel hier noch nicht die Einzelheit des Begriffs als »An- und Fürsich-bestimmtsein« bezeichnet. 37
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Allgemeinheit in sich selbst auf die Negativität, d. h. auf den dialektischen Bestimmungsprozeû bezogen. Diesen dialektischen Bestimmungsprozeû umschreibt Hegel mit dem »An- und Für-sich-bestimmtsein«, das die Einzelheit ist. Die Einzelheit hat sich bereits in der Untersuchung der absoluten Idee als das dialektische Zentrum der doppelten Negation gezeigt. Hegels ¾uûerung bedeutet daher, daû in der »Lehre vom Begriff« in den jeweiligen Begriffsbestimmungen bereits ihr eigener dialektischer Bestimmungsprozeû thematisch gesetzt ist. In den Begriffsbestimmungen sind die ihnen jeweils entgegengesetzten thematisch und positiv gesetzt. Daher sind in allen drei Begriffsbestimmungen: in Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit die beiden jeweils entgegengesetzten Begriffsbestimmungen positiv und thematisch mitenthalten. Auf diese Weise ist der Begriff konkrete Allgemeinheit: »Aber das Allgemeine ist das mit sich Identische ausdrücklich in der Bedeutung, daû in ihm zugleich das Besondere und Einzelne enthalten sey. Ferner ist das Besondere das Unterschiedene oder die Bestimmtheit, aber in der Bedeutung, daû es allgemein in sich und als Einzelnes sey. Ebenso hat das Einzelne die Bedeutung, daû es Subject, Grundlage sey, welche die Gattung und Art in sich enthalte und selbst substantiell sey. Diû ist die gesetzte Ungetrenntheit der Momente in ihrem Unterschiede (§ 160) ± die Klarheit des Begriffes, in welchem jeder Unterschied keine Unterbrechung, Trübung macht, sondern eben so durchsichtig ist.«40 Daraus folgt die spezifische, kontinuierliche Entwicklungsdialektik des Begriffs. Die Entwicklungsdialektik des Begriffs hat sich bereits bei der Untersuchung der absoluten Idee gezeigt. Sie besteht darin, daû sich die Bestimmungen der Idee kontinuierlich in ihr Entgegengesetztes wandeln und daû sie dieses Entgegengesetzte nicht einfach von sich ausschlieûen, sondern es jeweils positiv in ihrem eigenen Bedeutungsgehalt implizieren. So impliziert nach Hegel in der absoluten Idee die anfangende Begriffsbestimmung der Allgemeinheit in direkter Weise die Bestimmung der Besonderheit. Die Allgemeinheit geht in der Besonderheit nicht verloren, hebt sich nicht in dem Sinne auf, daû sie nivelliert in ihrem Entgegengesetzten untergegangen wäre, sondern die Allgemeinheit findet im Besonderen ihre in ihr selbst enthaltene, genauere und komplexere Bestimmung. Ebenso vollendet sich die Bestimmung der Besonderheit positiv in der Begriffsbestimmung der Einzelheit, die sich wiederum positiv zur Allgemeinheit umwandelt. Die Bestimmungen, die in der »Lehre vom Begriff« auftreten, sind also in sich komplex, weil sie das ihnen jeweils Entgegengesetzte nicht einfach von sich ausschlieûen, sondern vielmehr dieses von vornherein in sich enthalten. Das positive Enthaltensein macht den Komplexionsgrad einer Enzyklopädie 1830, § 164 Anm.; dies findet sich in der Enzyklopädie 1817, § 113 Anm. noch nicht. 40
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Bestimmung aus. Darin zeigt sich die Struktur der konkreten Allgemeinheit, auf der logischen Ebene des Begriffs. Die Begriffsbestimmungen enthalten einander in komplexer Weise als notwendige Implikate. Die eigene Bedeutung einer Begriffsbestimmung ist von den von ihr unterschiedenen Begriffsbestimmungen nicht abzutrennen. Im Begriff ist die dialektische »Fortbewegung nur Entwicklung; es ist in ihm dasjenige schon vorhanden, was in ihm hervortritt, und die Demonstration ist insofern nur eine Monstration, eine Reflexion als Setzen desjenigen, was [...] schon vorhanden ist«.41 Das besondere Signum der Begriffsbestimmungen ist daher die positive Beständigkeit in ihrem Entgegengesetzten. Diese positive Beständigkeit ist gemeint, wenn Hegel davon spricht, daû sich in der »Lehre vom Begriff« die voneinander unterschiedenen Bestimmungen ineinander »kontinuieren«. Wenn Hegel im § 240 der Enzyklopädie 1830 gerade den sich entwickelnden Unterschied von Einzelheit und Allgemeinheit erwähnt, dann geschieht dies, weil diese beiden Begriffsbestimmungen die Unterschiedenheit, die in den Begriffsbestimmungen gesetzt wird, besonders deutlich machen, denn es handelt sich bei Einzelheit und Allgemeinheit um die einander am deutlichsten entgegengesetzten Begriffsbestimmungen. Die spezifische Entwicklungsdialektik besteht also in dem positiven Sich-Erhalten einer Bestimmung in ihrer entgegengesetzten. Kontinuierlich erhalten und enthalten sich die Bestimmungen der »Lehre vom Begriff« in ihren in ihnen selbst gesetzten Unterscheidungen. Die Kontinuität der Entwicklungsdialektik des Begriffs ist in seiner Identität begründet. Die Identität des Begriffs besteht darin, daû er sich aktiv zu sich selbst verhält, wenn er seine eigenen Bestimmungen, also seine immanenten Unterschiede setzt. Das immanente Setzen der eigenen Bestimmtheiten ist ein freier Akt des Begriffs. Freiheit ist hier als Unbedingtheit durch ein ¾uûeres zu verstehen. Der Begriff ist frei, weil er nicht durch anderes, sondern durch sich selbst bestimmt ist. In diesem Sinn ist die Freiheit des Begriffs als Autonomie zu verstehen, denn die Setzung des Unterschieds erfolgt nach Hegel in den Begriffsbestimmungen gesetzmäûig, wobei sich die Gesetzmäûigkeit aus den Bestimmungen selbst ergibt. Freiheit besteht nach Hegel also darin, daû der Begriff ein aktiv sich wissendes Selbstverhältnis ist. »Das Fortgehen des Begriffs ist nicht mehr Uebergehen noch Scheinen in Anderes, sondern Entwicklung, indem das Unterschiedene unmittelbar zugleich als das identische mit einander und mit dem Ganzen gesetzt, die Bestimmtheit als ein freyes Seyn des ganzen Begriffes ist.«42 Hier grenzt Hegel wiederum die Übergangsdialektik des 41 42
GW, Bd. 12, 59. Enzyklopädie 1830, § 161.
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Seins und die Reflexionsdialektik des Wesens gegen die Entwicklungsdialektik des Begriffs ab.43 Die Abgrenzung gegen die Übergangsdialektik des Seins und die Reflexionsdialektik des Wesens ist zu vollziehen, weil in diesen Typen der Dialektik noch kein aktives, sich wissendes Selbstverhältnis vorliegt, wie es der autonome, sich selbst bestimmende Begriff realisiert. Darin besteht der Grund für die Zweiteilung der Logik in objektive und subjektive Logik. Sein und Wesen bilden die objektive Logik, weil in ihren Bestimmungen und in der dialektischen Struktur, die diesen Bestimmungen zugrundeliegt, noch nicht das begriffliche Sich-zu-sich-Verhalten realisiert ist: »Die vorhergehenden logischen Bestimmungen, die Bestimmungen des Seyns und Wesens, sind zwar nicht bloûe Gedankenbestimmungen, in ihrem Uebergehen, dem dialektischen Momente, und in ihrer Rückkehr in sich und Totalität erweisen sie sich als Begriffe. Aber sie sind (vgl. § 84 u. 112) nur bestimmte Begriffe, Begriffe an sich, oder was dasselbe ist, für uns, indem das Andere, in das jede Bestimmung übergeht oder in welchem sie scheint und damit ein relatives ist, nicht als Besonderes, noch ihr Drittes als Einzelnes oder Subject bestimmt, nicht die Identität der Bestimmung in ihrer entgegengesetzten, ihre Freiheit gesetzt ist, weil sie nicht Allgemeinheit ist.«44 Dies bedeutet, daû auch die Bestimmungen der objektiven Logik nicht bloû endlich-einseitige, verständigsubjektive Bestimmungen sind. Auch diese Bestimmungen sind rein logische Gedanken und keine subjektiv willkürlichen Einfälle, denn sie partizipieren bereits an der reinen, spekulativen Dialektik. Dies macht sie zu logisch-spekulativen Bestimmungen, denn sie vereinigen in sich Entgegengesetztes. Aber in diesen Begriffen vollzieht sich nicht ein spekulatives Selbstverhältnis, wie es der Begriff realisiert. Das absolute »Subjekt« ist in den Bestimmungen des Seins und Wesens nicht im eigentlichen, thematischen Sinn gesetzt. Zwar gibt es auch in Sein und Wesen Subjektivitätsstrukturen; so ist das Etwas aus der »Lehre vom Sein« der »Anfang des Subjects«,45 weil hier die Im analogen § 110 der 1. Auflage der Enzyklopädie 1817 findet sich diese Abgrenzung nicht. Hegel hat diese differenzierende Abgrenzung von Übergangs-, Reflexionsund Entwicklungsdialektik allerdings bereits in der »Lehre vom Begriff« aus der Wissenschaft der Logik von 1816 vorgenommen (vgl. GW, Bd. 12, 34 f., 38, 41, 48, 57, 66, 79, 167, 195 f.). Auch in einer Skizze zu einer Logikvorlesung, die im zeitlichen Umfeld der Heidelberger Enzyklopädie 1817 entstanden ist, grenzt Hegel, allerdings nur stichwortartig, Übergangs-, Reflexions- und Entwicklungsdialektik voneinander ab (vgl. Unveröffentlichte Vorlesungsmanuskripte Hegels. Herausgegeben und erläutert von H. Schneider. In: Hegel-Studien 7, 1972, Ms. 152 b, 25; zur Datierung zwischen 1817 und 1827 vgl. a. a. O. 52 ff.). 44 Enzyklopädie 1830, § 162 Anm.; sinngemäû ebenso bereits Enzyklopädie 1817, § 111 Anm., vgl. hierzu auch GW, Bd. 21, 45 f., in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812) findet sich dieser Passus noch nicht. 45 GW, Bd. 21, 103. 43
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dialektische, doppelte Negation erstmalig konkret vollzogen wird; aber daû die Dialektik die Struktur der Subjektivität selbst ist, wird von den Kategorien der objektiven Logik nicht vollzogen. Daû die Kategorien der objektiven Logik Begriffsbestimmungen sind, also von der absoluten Subjektivität, die in letzter Instanz die absolute Idee ist, gesetzt sind, ist in diesen objektiven Bestimmungen nur latent gelegen und nur für uns zu erkennen. Der metareflektierende Philosoph, der bereits über das Wissen der absoluten Idee verfügt, ist in der Lage, die Kategorien der objektiven Logik als spekulative Begriffe der absoluten Subjektivität zu erkennen. Die spekulative Einheit der Begriffsbestimmungen: Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit wird in höchster und komplexester Weise erst in der absoluten Idee methodisch realisiert. Nur aus dieser absoluten Perspektive zeigen sich die Strukturen absoluter Subjektivität in den kategorialen Bestimmungen des Seins und Wesens. Diese Strukturen bestehen darin, daû die Kategorien der objektiven Logik an der Dialektik partizipieren. Für den notwendigen und methodisch gesicherten Ableitungsprozeû der Logik ist es jedoch von zentraler Bedeutung, daû dieses Vorwissen, das der metareflektierende Philosoph aus der absoluten Perspektive hat, nicht in die Kategorien der objektiven Logik einflieût. Was wir wissen und was zwar an sich wahr ist, aber noch nicht systematisch abgeleitet wurde, ist vielmehr von den Kategorien der objektiven Logik fernzuhalten: »In den verschiedenen Kreisen der Bestimmung und besonders im Fortgange der Exposition, oder näher im Fortgange des Begriffs zu seiner Exposition ist es eine Hauptsache, diû immer wohl zu unterscheiden, was noch an sich und was gesetzt ist, wie die Bestimmungen als im Begriffe und wie sie als gesetzt oder als seyend-für-anderes sind. Es ist diû ein Unterschied, der nur der dialektischen Entwicklung angehört, den das metaphysische Philosophiren, worunter auch das kritische gehört, nicht kennt«.46 In den Ableitungsprozeû der Kategorien der Logik würden unbewiesene Prämissen einflieûen, wenn unser Wissen und die Begriffsbestimmungen vorzeitig in die objektive Logik eingebracht würden. Unser Wissen ist daher streng von dem Ableitungsprozeû der Kategorien fernzuhalten. Es kann höchstens zu erläuternden Zwecken mitberücksichtigt werden, darf aber nicht zu Begründungszwecken herangezogen werden.47 GW, Bd. 21, 110; dieser methodisch zentrale Passus findet sich in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812) noch nicht. 47 GW, Bd. 21, 97: »Beydes ist immer wohl von einander zu unterscheiden; nur das, was gesetzt ist an einem Begriffe, gehört in die entwickelnde Betrachtung desselben, zu seinem Inhalte. Die noch nicht an ihm selbst gesetzte Bestimmtheit aber gehört unserer Reflexion, sie betreffe nun die Natur des Begriffes selbst, oder sie sey äussere Vergleichung; eine Bestimmtheit der letztern Art bemerklich zu machen kann nur zur Erläuterung oder Vorausandeutung des Ganzen dienen, der in der Entwicklung selbst sich dar46
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Daran wird ein konstitutiver Unterschied zwischen Hegels mittlerer Jenaer Logik- und Dialektikkonzeption von 1804/05 und seiner reifen Lehre deutlich. In der mittleren Jenaer Konzeption war unsere dialektische Metareflexion von entscheidender, konstitutiver Bedeutung für die Kategorien; in Hegels reifer Konzeption entfalten dagegen die Kategorien aus sich selbst ihre Dialektik und können auch die in ihnen latenten Bedeutungsebenen, die zunächst nur wir sehen, schrittweise aus sich selbst entfalten. Im Gegensatz zur Konzeption von 1804/05 ist es sogar von entscheidender Bedeutung, unsere Reflexion aus dem Ableitungsprozeû der logischen Kategorien selbst auszuschlieûen, um nicht unbewiesene Prämissen einflieûen zu lassen. Es gibt allerdings in Hegels reifer Konzeption den Unterschied zwischen den Bestimmtheiten selbst und unserer Reflexion auf diese nicht nur in der Übergangsdialektik des Seins und in der Reflexionsdialektik des Wesens, sondern auch noch in der Entwicklungsdialektik des Begriffs.48 Unsere Metareflexion hebt sich erst in der absoluten Idee vollständig auf, denn dort sind unser Wissen und der kategoriale Inhalt der Logik identisch, der Inhalt ist die absolute Methode, die Dialektik selbst. Wenn auch für die Begriffsbestimmungen gilt, daû sie aktive Selbstverhältnisse der absoluten Subjektivität sind, so gibt es doch bei ihnen noch verschiedene Grade der Realisation der absoluten Subjektivität; diese ist nicht bereits am Anfang der Begriffslogik vollendet, sondern muû verschiedene Stadien ihrer Entwicklung durchlaufen. Ohne diese verschiedenen Stadien gäbe es keine Entwicklungsdialektik des Begriffs, denn er wäre entwicklungslos derselbe am Anfang und am Ende der Begriffslogik.49 An der Entwicklungsdialektik des Begriffs wird ein wesentliches Strukturmoment der absoluten Subjektivität deutlich. Die sich dialektisch ineinander entwickelnden Begriffsbestimmungen aus der »Lehre vom Begriff« bilden nicht Prädikate, die dem Begriff, bzw. der absoluten Subjektivität zufälliger- oder akzidentellerweise zukommen, sondern sie bilden in ihrem dialektischen Zusammenhang den Begriff selbst. In diesem Sinn identifiziert Hegel seine Konzeption des Begriffs als absoluter Subjektivität mit Kants Theorie der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption und lobt Kants transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe: »Kant ist über dieses äusserliche Verhältniû des Verstands als des Vermögens der Begriffe, und der Begriffe selbst, zum Ich, hinausgegangen. Es gehört zu den tiefsten und richtigsten Einsichten, die sich in der Kritik der Vernunft finden, daû die Einheit, die das Wesen des Begriffs ausmacht, als die ursprüngstellen wird.« Auch dieser methodisch zentrale Passus findet sich in der 1. Auflage der »Lehre vom Sein« (1812) noch nicht. 48 Vgl. GW, Bd. 12, 230, 238, 248. 49 Vgl. hierzu S. 221 f. dieser Arbeit.
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lich-synthetische Einheit der Apperception, als Einheit des Ich denke, oder des Selbstbewuûtseyns erkannt wird. ± Dieser Satz macht die sogenannte transcendentale Deduction der Categorie aus«.50 Nach Hegel ist es eine der wesentlichsten Einsichten Kants, daû die Kategorien und logischen Urteilsfunktionen nicht der Einheit des Selbstbewuûtseins äuûerlich sind, sondern daû das reine Ich selbst nichts anderes als die Einheit dieser Denkbestimmungen ist. Hegel deutet die verschiedenen Kategorien als Selbstsetzungen der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption, die sich in diesen diversifizierten kategorialen Selbstsetzungen ihrer selbst innewird und daher als aktives Selbstbewuûtsein und Subjektivität zu bestimmen ist. Über den in der Logik konzipierten Begriff sagt Hegel daher: »Der Begriff [...] ist nichts anderes als Ich oder das reine Selbstbewuûtseyn.«51 Nach dem reifen Hegel besteht Kants transzendentale Deduktion der Kategorien darin, daû die Objektivität als Leistung des Selbstbewuûtseins, genauer der synthetischen Einheit der Apperzeption bewiesen wird. Objekt ist nach Kant wie nach Hegel dasjenige, »in dessen Begriff das Mannichfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist«;52 präzisierend ist hinzuzufügen, daû das Objekt in einer gesetzmäûigen Synthesis des Mannigfaltigen besteht. Nach Kant wie nach Hegel kann die Gesetzmäûigkeit und Aktuosität der Synthesis nicht etwas Gegebenes sein, sie muû einerseits hergestellt werden und andererseits gesetzmäûig sein. ± Nach Kant bringen die logischen Synthesen allerdings nur die formalen Bedingungen der Objektivität, nicht aber den Inhalt der Vorstellungen hervor; der Inhalt muû dem endlichen Verstand vermittels der sinnlichen Anschauung als Mannigfaltiges gegeben werden. Nach Kant besteht die formale Bedingung der Objektkonstitution in der gesetzmäûigen Verknüpfung des Mannigfaltigen. Darüber hinaus ist es nach Kant eine notwendige Möglichkeit, daû Vorstellungen vom »Ich denke« begleitet werden. An dieser Vehikelmetapher Kants wird deutlich, daû das Ich die Vorstellungen nicht hervorbringt, sondern daû es lediglich möglich sein muû, daû bewuûte Vorstellungen in selbstbewuûte umgewandelt werden können. D.h., bei jeder bewuûten Vorstellung muû es möglich sein, auch wenn es aktuell nicht immer vollzogen wird, daû ein Ich sich diese Vorstellungen zuschreiben kann. Nach Hegel begleitet das »Ich denke« die Vorstellungen nicht bloû, sondern bringt diese aktiv inhaltlich und formal hervor. ± Nach Hegels Deutung von Kants transzendentaler Deduktion liegt in der Objektkonstitution ein aktiver Selbstbezug der synthetischen Einheit der 50 51 52
GW, Bd. 12, 17. GW, Bd. 12, 17. GW, Bd. 12, 18.
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Apperzeption vor: Das Selbstbewuûtsein macht sich den Gegenstand »zu eigen«,53 indem es ein bloû anschauungs- und vorstellungsmäûig Gegebenes in ein vom Selbstbewuûtsein selbst begrifflich Bestimmtes umwandelt. Diese »Aneignung« des Gegenstands durch das Selbstbewuûtsein bestimmt ihn jedoch nach Hegel nicht nur formal, sondern auch inhaltlich: Wie der Gegenstand »aber im Denken ist, so ist er erst an und für sich«.54 Durch diese Umwandlung unmittelbarer Gegebenheit in spontane, begriffliche Bestimmtheit wird nach Hegel der bloûe Anschauungsgegenstand allererst zu einem »Gesetztseyn«.55 Da die gesetzmäûige Synthesis die Leistung des Selbstbewuûtseins ist, wird das Objekt in die Einheit des Selbstbewuûtseins »aufgenommen«.56 Die Subjektivität wird sich nach Hegel ihrer selbst in der Erkenntnis inne, daû es ihre eigenen Denkbestimmungen sind, die das Objekt hervorbringen. In dieser Erkenntnis ist nach Hegel impliziert, daû die begrifflichen Bestimmungen des Objekts das Subjekt selbst sind, und damit auch die Erkenntnis, daû die reinen Gedankenbestimmungen selbst die Einheit der Apperzeption sind, weil die Begriffe sonst nicht die Begriffe der Subjektivität wären. Die Subjektivität erlangt so ein Wissen ihrer selbst, indem sie sich als konstitutiv für das andere ihrer selbst, für das Objekt weiû. Dadurch werden die Begriffsbestimmungen der Subjektivität als sie selbst erkannt. Die besonderen Begriffsbestimmungen in Hegels »Lehre vom Begriff« sind daher, analog zu seiner Deutung des Verhältnisses von Objektivität, objektiver Begriffseinheit und synthetischer Einheit der Apperzeption bei Kant, als diversifizierte Selbstsetzungen der absoluten Subjektivität zu begreifen, die in ihren besonderen Bestimmungen in ein aktives und thematisches Selbstverhältnis tritt und sich schrittweise in komplexerer und reicherer Weise selbst erkennt. In der Logik Hegels vollzieht die absolute Subjektivität die höchste und komplexeste Selbsterkenntnis in der absoluten Idee. Hier erkennt sich die absolute Subjektivität selbst als produktive Methode und als Prinzip aller vorangehenden Begriffsbestimmungen. Damit konzipiert Hegel in seiner Logik eine absolute Subjektivität, die sich stufen- und schrittweise thematisch und in zunehmender Komplexion in ihren von ihr selbst getätigten Bestimmungen selbst begreift und sich in diesem Sinn zu sich selbst »entwickelt«. Analog zu Hegels Deutung, daû bei Kant die verschiedenen reinen logischen und kategorialen Bestimmungen nur diversifizierte Formen der Selbstsetzung der ursprünglich GW, Bd. 12, 18. GW, Bd. 12, 18. 55 GW, Bd. 12, 18; in Hegels Terminus des »Gesetztseins« sind zwei für die Objektkonstitution zentrale Momente zu beachten: a) das Moment der Gesetzmäûigkeit und b) das Moment der aktiven Setzung als Leistung der Subjektivität. 56 GW, Bd. 12, 18. 53 54
Hegels Vorlesungen über die Beweise vom Daseyn Gottes
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synthetischen Einheit der Apperzeption bilden, sind nicht nur die Bestimmungen aus der »Lehre vom Begriff« Selbstsetzungen der absoluten Subjektivität, sondern auch alle anderen logisch-kategorialen Bestimmungen, also auch diejenigen aus der »Lehre vom Sein« und aus der »Lehre vom Wesen«. Hegels Lehre von den drei verschiedenen Formen von Dialektik ± der Übergangsdialektik im Sein, der Reflexionsdialektik im Wesen und der Entwicklungsdialektik im Begriff ± ist daher als die genetisch herleitende Darstellung der sich schrittweise selbst erkennenden absoluten Subjektivität zu deuten. Die Stadien der zu sich selbst werdenden absoluten Subjektivität und die Erkenntnis ihrer Aktuosität bilden das unmittelbare Übergehen, die höherstufig vermittelte Reflexion und die Entwicklung in der thematischen Selbsterkenntnis des Begriffs. IV. Die drei Dialektiktypen in Hegels Vorlesungen über die Beweise vom Daseyn Gottes Die drei grundlegenden Dialektiktypen der Logik: Übergangsdialektik, Reflexionsdialektik und Entwicklungsdialektik sind auch in Hegels Realphilosophie von Bedeutung. So stellt sich im Rahmen der Religionsphilosophie bei der Problematik des Gottesbeweises nach Hegel die Aufgabe, das Daûsein Gottes und sein Wassein, d. h. den Begriff Gottes, miteinander dialektisch zu vermitteln. Im Gottesbeweis sollen also zwei Bestimmungen dialektisch miteinander verknüpft werden. Hierfür gibt es nach Hegel drei Möglichkeiten: Entweder wird das Sein Gottes als in den Begriff Gottes übergehend bewiesen, oder beide Bestimmungen werden als sich ineinander reflektierend aufgezeigt oder aber sie werden als sich ineinander entwikkelnd bewiesen. »Um dieû bestimmter angeben zu können, schicke ich die weitere Unterscheidung voraus, daû es drei Grundweisen sind, in denen der Zusammenhang zweier Seiten oder Bestimmungen steht: die eine ist das Uebergehen der einen Bestimmung in ihre andere; die zweite die Relativität derselben oder das Scheinen der einen an oder in dem Seyn der anderen; die dritte Weise aber ist die des Begriffs oder der Idee, daû die Bestimmung in ihrer anderen sich so erhält, daû diese ihre Einheit, die selbst an sich das ursprüngliche Wesen beider ist, auch als die subjektive Einheit derselben gesetzt ist.«57 In der dritten Möglichkeit, zwei Bestimmungen miteinander zu vermitteln, d. h. in der dialektischen Entwicklung, ist die Besonderheit gelegen, daû nicht nur aufgewiesen wird, wie eine der beiden Seiten zur anVorlesungen über die Beweise vom Daseyn Gottes. Neunte Vorlesung. In: Gesammelte Werke, Vorlesungsmanuskripte II (1816±1831), Bd. 18, 270; im folgenden zitiert als GW, Bd. 18. 57
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deren wird, sondern von jeder der beiden Bestimmungen wird gezeigt, wie sie das je andere in sich selbst enthält. Damit wird nach Hegel »die subjektive Einheit derselben gesetzt«, d. h., beide Bestimmungen werden im eigentlichen Sinne als Begriffe gesetzt, denn ihre immanente dialektische Bewegung und Entwicklung wird in ihnen selbst thematisch vollzogen. Auf den Gottesbeweis angewandt, bedeutet dies, daû nicht bloû vom Sein Gottes gezeigt wird, daû es das Wassein Gottes, seinen Begriff in sich enthält, sondern es wird darüber hinaus auch gezeigt, wie sich der Begriff Gottes selbst das Sein gibt, also, wie sich das Wassein Gottes zu seinem Daûsein gestaltet. Dagegen wird in der Dialektik des Übergehens nur gezeigt, wie die Existenz Gottes zu dem Wassein Gottes übergeht. Der Beweis Gottes als bloûer Übergang bleibt daher einseitig: »Wenn nun nur die eine Seite sich zu der anderen bestimmte, so wäre dieses Bestimmen eines Theils nur ein Uebergehen, in dem die erste sich verlöre, [...]«.58 Auf dem Boden der Religionsphilosophie bedeutet also das dialektische Übergehen einer Bestimmung in eine andere, daû sie sich in demjenigen, in welches sie übergeht, verliert. So wie in der Seinslehre aus der Logik die einfachen, sich selbst gleichen Seinskategorien in ihr anderes übergehen und damit ihre vormalige Bedeutung aufgeben, so verliert sich das Daûsein Gottes in seinem Wassein, wenn der Gottesbeweis als bloûer Übergang konzipiert wird. Hegel ordnet diesem Gottesbeweis, der von der Existenz zur Essenz Gottes übergeht, den kosmologischen Gottesbeweis zu. Dies ist »der Beweis ex contingentia mundi«.59 Bei dem kosmologischen Gottesbeweis wird von dem kontingenten und unbeständigen Sein der Welt ausgegangen. Da die kontingente Welt nicht selbständig existieren kann, muû es ein notwendiges Wesen geben, das der erhaltende Grund der Kontingenz ist. Die kontingente Welt wird als das von Gott geschaffene Sein im kosmologischen Gottesbeweis transzendiert und geht in diesem Sinn in das nichtkontingente Wesen Gottes über, ohne daû eine Rückkehr von dem Wesen Gottes zurück zum kontingenten Sein der Welt geleistet würde. Die Kontingenz wird nicht als dem Wesen Gottes notwendig erkannt. Dieser Gottesbeweis geht nur von einem kontingenten Sein zu einem eminenten Wesen über. Wird der Gottesbeweis dagegen in der Form einer dialektischen Reflexion geführt, wenn also gezeigt wird, daû Daûsein und Wassein Gottes nur als relationale Bestimmungen zu begreifen sind, dann geschieht eine Transzendierung in einem anderen Sinn, nämlich »ein Scheinen« der Bestimmung aus sich selbst hinaus. »Wenn nun nur die eine Seite sich zu der anderen bestimmte, so wäre dieses Bestimmen eines Theils nur ein Uebergehen, in dem die erste sich verlöre, oder anderen Theils ein Scheinen ihrer hinaus, 58 59
GW, Bd. 18, 271. GW, Bd. 18, 273.
Hegels Vorlesungen über die Beweise vom Daseyn Gottes
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auûer sich selbst, worin jene zwar sich für sich erhielte, aber nicht in sich zurückkehrte, nicht für sich selbst jene Einheit wäre.«60 In diesem reflektierenden Gottesbeweis wird von dem Daûsein Gottes ausgegangen, um dann zu zeigen, daû dieses Daûsein nur in bezug und relativ auf ein göttliches Wassein angenommen werden kann. Diesem reflektierenden Gottesbeweis wird von Hegel »der teleologische Beweis vom Daseyn Gottes«61 zugeordnet. Der teleologische Gottesbeweis folgert aus der zweckmäûigen Ordnung der Welt, die als zweckmäûige in sich selbst bereits vernünftig ist, daû es ein ebenfalls vernünftiges Wesen geben muû, das diese vernünftige Ordnung erschaffen hat. Die Vernünftigkeit der Welt reflektiert sich also in der Vernünftigkeit Gottes. Damit wäre dann zwar aufgezeigt, daû das Daûsein Gottes, die vernünftig geordnete Welt, ein anderes seiner selbst ist, nämlich das Wassein Gottes, die Vernünftigkeit Gottes selbst; aber das umgekehrte Moment wäre noch nicht bewiesen, nämlich daû das Wassein Gottes auch wieder zu seinem Daûsein wird. Damit erweist sich nach Hegel auch der dialektische Reflexionsbeweis für das Dasein Gottes als unzureichend und einseitig. Die Einheit der beiden sich dialektisch ineinander wandelnden Bestimmungen von Daûsein und Wassein Gottes wird im Übergangs- und im Reflexionsbeweis nicht in den Bestimmungen selbst gesetzt. Die Einheit beider unterschiedener Bestimmungen ist »nur für ein Drittes, nur für uns, die darin liegende Einheit, sie wäre nicht an und für sich selbst vorhanden, nicht die wahrhafte«.62 Dies ist analog zur Übergangsdialektik des Seins und zur Reflexionsdialektik des Wesens in der Logik; auch dort sind die Bestimmungen zwar »an sich« Begriffe, aber ihre begrifflich-dialektische Struktur ist in ihnen nicht thematisch gesetzt. Die Seins- und Wesensbestimmungen sind nur »für uns« Begriffe. Hegel ordnet dem entwickelnden, begrifflichen Beweis für das Dasein Gottes den ontologischen Gottesbeweis zu, wie er von Anselm von Canterbury formuliert wurde.63 Dieser Gottesbeweis berücksichtigt insbesondere den Begriff Gottes, also Gottes Essenz und Wassein, und verknüpft mit diesem Begriff dialektisch das Daûsein, die Existenz Gottes. Hier wird der Begriff Gottes als dasjenige Höchste oder Vollkommenste gedacht, über das hinaus nichts Höheres oder Vollkommeneres denkmöglich ist; der höchste Begriff ist aber nur dann wirklich höchster, wenn ihm auch die Existenz zukommt. Würde dem Begriff Gottes die Existenz mangeln, dann wäre ein höherer Begriff als derjenige Gottes denkmöglich. Auch in der »Lehre vom 60 61 62 63
GW, Bd. 18, 271. GW, Bd. 18, 273. GW, Bd. 18, 271. Vgl. GW, Bd. 18, 273.
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Die drei grundlegenden Dialektiktypen
Begriff« aus der Wissenschaft der Logik ordnet Hegel den ontologischen Gottesbeweis, allerdings in spekulativ-logisch transformierter Weise, dem sich entwickelnden Begriff zu.64 Die Vorlesungen über die Beweise vom Daseyn Gottes hielt Hegel 1829. Er hatte in diesem Zusammenhang den Plan, ein Buch »Über das Dasein Gottes« zu veröffentlichen. Dieser Plan konnte jedoch nicht mehr realisiert werden.65 Wenn Hegel in dieser Vorlesung die drei Typen der Dialektik aus der Logik auf das metaphysische Problem der Gottesbeweise überträgt, dann zeigt dies, daû für ihn die Gottesbeweise eine logisch-spekulative Frage darstellen. Die Gottesbeweise sind für Hegel ein spekulativ metaphysisches Problem, das sich nur mit den Mitteln der dialektischen Vermittlungstypen, die er in der Logik entwickelt hat, adäquat beantworten läût. Der Entstehungsort der drei grundlegenden Dialektiktypen ist die spekulative Logik und nicht der Kontext der Gottesbeweise. Die Gottesbeweise sind nach Hegel also auf dem Fundament der spekulativen Logik zu führen. In der Logik differenziert Hegel bereits seit der ersten Auflage der »Lehre vom Sein« von 1812 und seit der »Lehre vom Wesen« von 1813 eindeutig verschiedene Dialektiktypen, was sich auch schon in der Logik von 1804/05 andeutet. Die Logik ist also der originäre Ursprungsort für Hegels Theorie von drei Grundformen der Dialektik.
Der subjektive Begriff, der sich zur Unmittelbarkeit der Objektivität vermittelt, und ebenso die absolute Idee, welche die Natur aus sich entläût, stellen Hegels begriffliche Transformation des ontologischen Gottesbeweises auf der Ebene der Logik dar; vgl. GW, Bd. 12, 127 ff.; a. a. O., 128 sagt Hegel: »Wenn es nun scheinen möchte, als ob der Uebergang des Begriffs in die Objektivität etwas anderes sey, als der Uebergang vom Begriff Gottes, zu dessen Daseyn, so wäre einerseits zu beachten, daû der bestimmte Inhalt, Gott, im logischen Gange keinen Unterschied machte, und der ontologische Beweis nur eine Anwendung dieses logischen Ganges auf jenen besonderen Inhalt wäre.« Dem ontologischen Gottesbeweis liegt also die logische Entwicklung des subjektiven Begriffs zur Objektivität zugrunde, denn sie stellt diese Entwicklung in ihrer logischen Reinheit dar. A. a. O. 129 führt Hegel aus, daû die »Objektivität« noch nicht die wirklich Gott angemessene Realität ist, daû diese erst in der sich selbst Realität gebenden Idee verwirklicht ist. Vgl. hierzu W. Albrecht (Hegels Gottesbeweis. Eine Studie zur »Wissenschaft der Logik«. Berlin 1958); vgl. auch D. Henrich (Der ontologische Gottesbeweis. Sein Problem und seine Geschichte in der Neuzeit. Tübingen, 2. Aufl. 1967, 189±219); vgl. auch A. Nuzzo (Zur logischen Bestimmung des ontologischen Gottesbeweises. In: HegelStudien 30, 1995, 105±120). 65 Vgl. hierzu GW, Bd. 18, Editorischer Bericht, 398 f.; Hegel hat den Vertrag mit dem Verlag am 11. November 1831 unterzeichnet. 64
Resümee
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V. Resümee Entwicklungsgeschichtlich zeigt sich, daû Hegel in seiner frühen Jenaer Zeit 1801 bis 1803/04 eine endliche Logik konzipierte, welche die Aufgabe hatte, in die Metaphysik einzuleiten. Die in der Logik auftretende Dialektik hatte die Funktion, den endlichen Verstand zu destruieren. Die Dialektik bildete somit ein zentrales Instrument zur Überwindung der Endlichkeit. Insbesondere die Dialektikkonzeptionen Kants aus der Antinomienlehre der Kritik der reinen Vernunft und Platons im Parmenides-Dialog bildeten entscheidende Anregungsquellen für Hegels eigene negativ-skeptische Dialektik. Die Konzeption der Logik als Einleitung in die Metaphysik gibt Hegel in der mittleren Jenaer Zeit 1804/05 zunehmend auf. Tendentiell zeigt sich, daû die Logik Grundlegungswissenschaft für die Metaphysik wird. Die Funktion der Dialektik ist nun nicht mehr bloû negativ, d. h., die Zerstörung des Wahrheitsanspruchs der endlichen Denkbestimmungen ist nicht mehr die einzige Aufgabe der Dialektik. Die Dialektik wandelt sich vielmehr zur methodischen Reflexion des die Logik nachvollziehenden und Widersprüche der Kategorien aufweisenden, metareflektierenden Philosophen. Die Dialektik wird zu »unserer« Erkenntnismethode, die schrittweise in den kategorialen Inhalten gesetzt wird und dadurch neue logische Kategorien hervorbringt. Die Dialektik ist daher konstruktiv und nicht mehr bloû destruktiv. Bedingt durch das schrittweise Setzen unserer Reflexion in den kategorialen Inhalten der Logik und die verschiedenartige Struktur der logischen Kategorien, gibt es hier erste Ansätze zu verschiedenen Typen und Formen von Dialektik in der Logik. 1804/05 ist die Logik für Hegel jedoch noch keine Metaphysik, wenn sie auch mehr und mehr zu einer Grundlegungsdisziplin für die Metaphysik umgestaltet wird. So stellt die Logik z. B. mit der Kategorie der »Unendlichkeit« eine auch für die Metaphysik zentrale Bestimmung auf, die allerdings auf metaphysischer Ebene von Hegel modifiziert wird. Daû die Logik noch nicht selbst Metaphysik ist, beruht auf der für die Logik konstitutiven Trennung von Inhalt und Methode. Unsere Methode ist vom kategorialen Inhalt der Logik zunächst vollständig getrennt und wird dann schrittweise in ihm gesetzt. Dagegen bildet die Metaphysik eine Wissenschaft, deren Bestimmungen von vornherein, als Bestimmungen des metaphysischen Geistes, ein spekulatives, sich wissendes Selbstverhältnis darstellen. Wissen und gewuûter Inhalt bilden in der Metaphysik eine Einheit. Seit 1805/06 wird die Logik für Hegel zu einer rein spekulativen Wissenschaft, die selbst Metaphysik ist. Der Logikskizze von 1805/06 sind die grundlegenden kategorialen Bestimmungen der spekulativen Logik zu entnehmen, wie sie Hegel zu dieser Zeit konzipierte. Die grundlegenden logischen Bestimmungen sind danach: »absolutes Seyn, das sich andres, (Ver-
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hältniû) wird, Leben und Erkennen ± und wissendes Wissen, Geist, Wissen des Geistes von sich ±«. Die Logik vollendet sich nach dieser Gedankenskizze Hegels in einer spekulativen Metaphysik des Geistes. Hier deutet sich an, daû insbesondere im Wissen des Geistes von sich ein spekulatives Selbstverhältnis vorliegt. Damit nimmt Hegel die Konzeption der Metaphysik von 1804/05 auf, deren letzte und höchste Bestimmung der »absolute Geist« in der »Metaphysik der Subjektivität« bildete. Die Kategorienabfolge der spekulativen Logik von 1805/06 liegt wohl auch der Abfolge der Bewuûtseinsgestalten aus der Phänomenologie des Geistes von 1807 zugrunde. Auch durch Hegels Konzeption der Phänomenologie des Geistes als Einleitung in die spekulative Wissenschaft wird deutlich, daû die Logik nicht mehr eine negative Einleitung in die Metaphysik bildet, sondern selbst spekulative Metaphysik ist. Die Logik expliziert nach dieser Konzeption die reinen spekulativen Begriffe. Mit dieser Umänderung ist allerdings verbunden, daû sich auch die Rolle der Dialektik in der Logik ändert; sie kann jetzt nicht mehr bloû unsere Reflexion sein, sondern muû von den logischen Kategorien selbst vollzogen werden, denn diese stellen in sich selbst bewegte, sich selbst bestimmende, spekulative Bestimmungen dar. Die Methode dieser Selbstbewegung der Kategorien der Logik ist die Dialektik. Die Selbstbewegung logischer Begriffe rührt in letzter Instanz von der sich selbst setzenden absoluten Subjektivität her. Insbesondere die Lehre vom spekulativen Satz aus der »Vorrede« zur Phänomenologie des Geistes zeigt, daû es die Subjektivität ist, die die lebendige Bewegung spekulativer Bestimmungsprozesse dialektisch vollzieht. In den propädeutischen Schullogiken zwischen 1808 und 1812 überarbeitet Hegel seine spekulativ-metaphysische Logik. Die Ansätze zu verschiedenen Dialektiktypen in der Logik von 1804/05 hat Hegel offensichtlich in seinen Nürnberger propädeutischen Schullogiken modifiziert wiederaufgenommen und dann in seiner reifen Logik systematisch und differenziert ausgeführt. Seit der ersten Auflage der »Lehre vom Sein« aus der Wissenschaft der Logik von 1812 bildet die Logik mit den reinen Gedankenbestimmungen ein komplexes Geflecht aus verschiedenen Typen der Dialektik. Es gibt nicht statisch nur eine Form der Dialektik. Vielmehr spezifiziert sich die Methode und paût sich im Verlauf der Logik den verschiedenen Kategorientypen an. In diesen verschiedenen Dialektiktypen kommt insbesondere die sich denkende und entwickelnde absolute Subjektivität zum Ausdruck, die Hegel in der »absoluten Idee« aus der »Lehre vom Begriff« als dialektische Methode darstellt. Die absolute Subjektivität als absolute Methode und als absolute Idee entwickelt sich und ist durch verschiedene Stadien ihres Werdens charakterisiert. Die absolute Subjektivität ist somit nicht nur das Prinzip, sondern auch der spekulative Gehalt der Methode der reifen Logik
Resümee
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Hegels. Da diese Logik zugleich Ontologie und Metaphysik ist, stellt die absolute Subjektivität das eigentlich und wahrhaft Seiende dar. Der metaphysisch-spekulative Idealismus Hegels vollendet sich im Rahmen der Logik im rein methodischen Denken seiner selbst, also in dem Selbstverhältnis der absoluten Subjektivität, die in der absoluten Methode, in der Dialektik ihre eigene Seinsweise begreift, dazu jedoch verschiedener, rudimentärer dialektischer Vorstrukturen ihrer selbst bedarf. Die verschiedenen Formen von Dialektik werden von Hegel in der Logik seit der ersten Auflage der »Lehre vom Sein« von 1812 bis zu seinem letzten Werk, der posthum 1832 erschienenen zweiten Auflage der »Lehre vom Sein« als konstitutiv für den Ableitungsprozeû der logischen Kategorien konzipiert. Die Konzeption, daû es in der Seinslehre eine Übergangsdialektik, in der Wesenslehre eine Reflexionsdialektik und in der Begriffslehre eine Entwicklungsdialektik gibt, ändert der reife Hegel nicht mehr, diese Konzeption hat für ihn in seiner späten Zeit beständig Gültigkeit. Bereits in der ersten Auflage der »Lehre vom Sein« konzipiert Hegel kategorial spezifizierte Formen der Übergangsdialektik einfacher Seinskategorien. Die Übergangsdialektik wird in der »Quantität« zu einem dialektischen Kontinuieren in das andere spezifiziert. Das »Maû« weist eine kategorial spezifizierte Dialektik des doppelten Übergehens auf. Diese spezifische Übergangsdialektik bildet eine Verknüpfung von qualitativem Übergehen und quantitativem Kontinuieren. Auch die Reflexionsdialektik des Wesens erfährt kategoriale Spezifizierungen, so bildet sich im zweiten Teil der Wesenslehre, »Die Erscheinung« eine Erscheinungs- bzw. eine Existenzdialektik heraus und im letzten Teil der Wesenslehre bildet sich die Manifestationsdialektik der Substanz aus. In der Begriffslehre bildet die Entwicklungsdialektik eine Form von Dialektik, in der sich der selbstbewuûte Begriff in zunehmender Intensität thematisch selbst erkennt. Hegels Dialektik in der Logik soll vor allem die Struktur des reinen Denkens beschreiben. Hegel hat gezeigt, daû, wenn man nicht auf intuitionistische Argumente zurückgreifen will, eine Beschreibung reiner Denkstrukturen methodisch zu lösen ist. Die Struktur des Denkens läût sich als Methode untersuchen. Die Methode gibt die Struktur der Subjektivität an. Die Subjektivität ist nichts anderes als das in der Methode aktualisierte, sich selbst wissende Denkende. Hegels dialektische Logik zeigt auf, daû die Methode des reinen Denkens nicht ohne den Bezug auf die Subjektivität darzustellen ist. Ohne die Subjektivität wäre nicht nachvollziehbar, wie ein reines Denken ein Prozeû sein kann. Ein anonymer Denkprozeû ohne Denkendes ist ein Widerspruch, denn rein gedachte Prozessualität impliziert ein durchgängig mit sich Identisches und Aktives. Sonst wäre der Prozeû nicht als durchgängig zu bestimmen. Ohne durchgängige Identität des Denkenden
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läge im Gedachten lediglich eine Vielheit und Mannigfaltigkeit vor, aber nicht die Einheit eines Gedankens, der etwas mit etwas anderem verknüpft. Eine solche Verknüpfung impliziert ein Verknüpfendes, dies ist die Subjektivität. Diese Aufgaben, die Struktur und die Tätigkeit des reinen Denkens adäquat zu erfassen, stellen sich jeder philosophischen Konzeption. Die Hegelsche Dialektikkonzeption versucht, diese Aufgabe zu bewältigen. Die Dialektik Hegels impliziert jedoch auch unüberwindbare Schwierigkeiten, so z. B. die Aufhebung der Reziprozität von Inhalt und Umfang der Begriffe durch die konkrete Allgemeinheit, die spekulativ das Besondere und Entgegengesetzte in sich enthalten soll, aber auch die sinnvolle Denkbarkeit des Widerspruchs und die Theorie der bestimmten und doppelten Negation, nach der das Negierende das Negierte positiv in sich enthält. Diese problematischen Theoreme sind allerdings nicht einfach aus Hegels spekulativer Logik zu eliminieren, denn sie haben nach ihm eine zentrale Rolle für die metaphysische Erkenntnis des Absoluten. Würde man diese Theoreme aus Hegels Logik beseitigen, dann wäre das Resultat, entgegen den Intentionen Hegels, nur noch eine endliche Verstandeslogik, die Hegel gerade als unzureichend abwehren will. Das Denken des Absoluten und das absolute Denken bilden nach Hegel die Aufgabe der Philosophie. Das Absolute rein denkend zu erfassen bleibt dem menschlich-endlichen Denken jedoch versagt. Hegels Logik bietet allerdings in ihren Grundintentionen eine fruchtbare Subjektivitätstheorie. Die schrittweise verlaufende Selbsterkenntnis der Subjektivität vollzieht sich nach Hegel über verschiedene einfachere Bestimmungen hin zu komplexeren. Die Subjektivität wird sich hierin in immer komplexer werdenden Bestimmungen ihrer selbst als des tätigen und handelnden Prinzips bewuût. Mit dieser Konzeption können intuitionistische Argumente zur Explikation der Subjektivität und ihres Wissens um sich selbst vermieden werden, da die Subjektivität in ihren komplexen Synthesen durch einfachere vermittelt ist und zugleich als letztbegründendes Prinzip ausgewiesen wird. Zugleich zeigt sich an Hegels Logik, daû die Subjektivität nicht nur als das Prinzip der Philosophie zu bestimmen ist, sondern auch als deren Methode. Die Methode der Philosophie hat sich selbst von ihrem Prinzip herzuleiten. Wenn die Subjektivität das letztbegründende Fundament und Prinzip der Philosophie ist, dann muû auch die Methode mit diesem Prinzip identisch sein, sonst wäre die Methode nicht apodiktisch gewiû. Die Methode der Philosophie muû dieselbe Struktur haben, wie die Aktuosität und die Handlungen der Subjektivität. Somit erwächst aus Hegels Logik die schwierige aber produktive Aufgabe, die Subjektivität nicht nur als schrittweise komplexer werdende Selbsterkenntnis zu begreifen, sondern die reinen Handlungsweisen der Subjektivität zugleich als Methode zu explizieren.
Resümee
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In einer heutigen, nachhegelschen Subjektivitätstheorie ist die Einheit von Methode und Prinzip sicherlich, gegenüber Hegels Intentionen, in einem nur reduzierten Maû in Anspruch zu nehmen, wenn man einerseits die spekulativ-metaphysischen Motive und andererseits die zuvor genannten logisch-begrifflichen Schwierigkeiten, die sich in Hegels Konzeption einstellen, vermeiden will. ± In dem Sinn einer Einheit von endlicher Subjektivität als dem Prinzip der Philosophie und der philosophischen Methode konzipiert insbesondere der frühe Fichte in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794/95) die thetisch-antithetisch-synthetisch verfahrende Methode nach den grundlegenden Tätigkeiten und Strukturen der Subjektivität; die Einheit von Methode und Prinzip wird allerdings von Fichte nicht mit derselben Konsequenz und programmatischen Klarheit wie von Hegel verfolgt; Fichte hat diese Konzeption auch bereits in der Wissenschaftslehre nova methodo aufgegeben und nicht weiterverfolgt. ± Der sich wissende Selbstvollzug der Subjektivität vollzieht sich in notwendig geregelter Weise, diese Vollzugsweise ist daher in sich methodisch. Das Programm einer in der endlichen Subjektivität, also im Prinzip der Philosophie verankerten Methode verspricht eine methodisch gesicherte Explikationsmöglichkeit und Selbstbegründung der Subjektivität. Letztfundierendes Prinzip der Philosophie ist die Subjektivität.
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PERSONENREGISTER 1
Aenesidemus 66 f. Agrippa 62, 64, 66 f., 148 Albrecht, W. 322 Anselm von Canterbury 321 Aristoteles 61, 71, 103, 137, 191 ff., 209 Bardili, C.G. 290 f. Baum, M. 1, 2, 5, 38, 44, 54 f.91, 103, 110, 257 Beierwaltes, W. 84, 290 Bondeli, M. 291 Bouterwek, F. 62 Bubner, R. 171, 180, 224, 264, 280, 292 Buchner, H. 61, 65 Burkhardt, B. 54 f. Cassirer, E. 15 Cekic, M. 238 Chiereghin, F. 75 f. Claesges, U. 170 Cornford, F.M. 71 Cramer, K. 10 Csikós, E. 62 Damaskios 80 Descartes, R. IX, 178 Dilthey, W. 82 Diogenes 229 f. Diogenes Laertius 69 Düsing, K. 1, 2, 5, 14, 19, 23, 32, 34, 38, 46, 51, 68, 74, 82, 87, 91 ff., 99 f., 110, 125 f., 161, 163, 166 f., 171 f., 181, 193, 198, 208, 214, 225, 238, 252, 260, 264, 271, 296 Ehrenberg, H. 91
Engstler, A. 62 Erdei, L. 272 Eschenmayer, A.K.A. 83 Euklid 178 Fichte, J.G. 7 f., 10, 14 f. 18, 21, 25, 48, 64, 82, 84, 85, 101 f., 176, 190 f., 227 f., 242, 278, 289, 327 Ficino, M. 77 f. Foster, M.N. 62 Fuhrmanns, H. 82 Fujita, M. 82, 107 Fulda, H.F. 170, 235, 238, 245, 273 Gadamer, H.-G. 69, 180, 219 f., 243 f., 264, 277 Gessmann, M. 39 Glockner, H. 186 f. Goethe, J.W. von 91 Good, F.A. 215, 262 f. Görland, I. 10, 14, 19, Guzzoni, U. 245, 261, 286 Halfwassen, J. 4, 44, 68, 71, 74, 78, 80, 153, 193, 231, 290 Hanewald, C. 14, 191 Harlander, K. 225, 261 Harris, H.S. 5, 91 f., 96, 99, 166 Hartkopf, W. 82 Hasler, L. 62 Haym, R. 91, 198 f. Heede, R. 180, 182, 186 f. Hegel, Hannelore 162 Heidegger, M. 15, 69, 79, 257, 278 Heimsoeth, H. 52 Heinrichs, J. 166 f., 171
Kursivierte Ziffern bezeichnen die Erwähnung der Person in einer Fuûnote auf der betreffenden Seite, bei normaler Ziffer wird die Person im Haupttext genannt. 1
342
Personenregister
Henrich, D. 26, 225, 243, 252, 279 f., 322 Heraklit 33, 123 Hoffmann, T.S. 138 Hoffmeister, J. 2, Hölderlin, F. 3 f., 17, 25 f., 123 Horstmann, R.-P. 1, 38, 103 Hoyer, B.C. 84, 143 Hülsmann, H. 180 Husserl, E. 278 Iber, C. 225, 238, 253, 268, 289 Jacobi, F.H. 7, 17, 105 Jamme, C. 25, 68 f., 193 Janke, W. 14, 190 Jürgensen, S. 87 Kant, I. 7, 8, 10-15, 22, 26, 36, 40 f., 51-60, 61, 63, 71, 75, 84, 108, 143, 176, 193, 199, 227 f., 228-233, 235 ff., 260, 278, 316 ff., 323 Kesselring, T. 243, 283, 286, 289 Kierkegaard, S. 278 Kimmerle, H. 1, 2, 5, 17, 33, 91, 103, 148, 238, 246, 251, 259 f., 271 f. Klibansky, R. 78 Kondylis, P. 82 Kozu, K. 210 f., 215 Krings, H. 82 Künne, W. 68 Kutschera, F. von 80 Lefvre, W. 198 Leibniz, G.W. 307 ff. Link, H. 91 Lugarini, L. 1, 91, 197 Lukµcs, G. 7 Maluschke, G. 61, 68 Marcuse, H. 130, 152 Marx, Werner 82, 180 Mc Taggart, J.E. 296 Meist, K.R. 1, 2, 62, Michelet, C.L. 82 Neuplatoniker 212 Nicolin, F. 199 Niethammer F.J. 197, 199, 214 f.
Nuzzo, A. 225 f., 322 Parmenides 33, 72 f. Peetz, S. 87 Platon 58, 61, 65, 68-81, 86 f., 137, 192 f., 228 ff., 263 f., 323 Pleines, J.-E. 200 Pöggeler, O. 1, 5, 32, 164, 166, 170 f., 191, 197, 211 Proklos 68, 77 f., 290 Puntel, L.B. 171, 180, 217, 261 Pyrrhoneische Skeptiker 61, 148, 230 f., 254 Rameil, U. 198 f. Reinhold, C.L. 7, 10, 64, 82, 290 f. Richli, U. 137, 143 Robin, L. 69 Rohs, P. 278 Rosen, S. 225 Rosenkranz, K. 2, 91, 107, 127, 159, 166 f., 198, 211, 213 Röttges, H. 178, 181, 184, 191 f. Schäfer, D. 14 Schelling, F.W.J. 3, 7 f. 10, 11, 17, 21, 22, 25, 32, 63, 81-88, 105-107, 115, 138, 143, 161 f., 177 f., 179, 186, 190, 226, 289, 302 f. Schmidt, G. 199 Schmidt, K.J. 296, 310 Schmitz, H. 99, 115, 125, 127, 166, 172, 227, 243, 248 f. Schneider, H. 1, 314 Schulz, W. 278 Schulze, G.E. (Aenesidemus) 62 Sextus Empiricus 61, 63-67, 69, 73, 148 Sinclair, I. von 3, 162 Sokrates 228 ff. Spinoza, B. de 17, 32, 44 f., 84 f., 105, 162, 172, 178, 205 f., 307 ff. Stolzenberg, J. 191 Taylor, A.E. 74 Tiedemann, D. 77 f. Tilliette, X. 82 f. Trede, J.H. 1, 103, 165 ff., 171 Trendelenburg, A. 278
Personenregister
Trienes, R. 68 Troxler, I.P.V. 2, 33 f. Tugendhat, E. 243 Varnier, G. 37, 62 Verra, V. 225 Vieillard-Baron, J.-L. 68, 78 Vos, L. de 225 Voû, J.H. 162 Wandschneider, D. 243 f.
Wieland, W. 244 Wohlfart, G. 181, 186 f., 225 Wolff, M. 272, 305 Wölfle, G.M. 272, 296 Zelter, H. 87 Zenon 70-77, 103, 228 ff. Zimmerli, W.C. 47 Zimmermann, B. 190 f. Zische, E. 2, 198 Zwilling, J. 3 f.
343
SACHREGISTER
Absolutes 1-8, 16, 29, 31, 42, 59, 81 ff., 88 f., 93, 106 f., 111, 291, 309 f. 326 Abstraktion/abstrakt 16, 19, 111, 214, 234, 240, 256, 277, 282 Allgemeinheit 26 f., 84, 128 ff., 133 ff., 140 ff., 207 ff., 221, 233-237, 239, 248 ff., 258 ff., 264 ff., 275 f., 281 f., 285 f., 291 f., 311 ff. Analytisch 9, 19, 34, 85 f., 246, 258 ff., 282 ff. Anfang 238-251, 285 f. Anschauung, intellektuelle 6 f., 28 f., 31, 41-47, 64, 83, 89, 93, 111, 144 f., 190 Anschauung, sinnliche 11 ff., 317 Antinomie (vgl. auch Widerspruch) 17, 31, 36, 41 ff., 47-61, 89, 108, 232 f. Antithesis/Entgegensetzung 20 f., 27, 31, 36 f., 47 ff., 52 ff., 64 f., 70, 85 f. Apperzeption 10 ff., 16, 26, 227 f., 235 f., 316 ff. Aufhebung 29, 257
Einbildungskraft, produktive 9, 12 ff., 40 Einleitungsproblematik 3 ff., 18, 28 f., 31, 40, 89 f., 94 f., 100, 106, 155 f., 159 ff. Einteilung 126, 133-137, 140 ff., 156, 261 f., Einzelheit 207 ff., 221, 239, 263 ff., 275 ff., 279 ff., 284 ff., 291 Ende 238, 284-288 Endlichkeit 8 f., 16 f., 21, 29, 56 ff., 76, 88, 105 f., 110 f. Entwicklungsdialektik 145 f., 194 f., 200 f., 210, 219 f., 295 f., 311-322, 325 EpochØ 63 Erkennen, endliches 3 f., 24, 29, 62, 126-151, 260 ff. Etwas/Anderes 298 f.
Begriff, formaler 9, 23 ff., 132, 144, 235 f., 256 Begriff, spekulativ-selbstbewuûter 10, 186, 211, 220 ff., 234, 295, 311-319 Besonderheit 26 f., 84, 129 ff., 134 ff., 141, 207 ff., 221, 236, 239, 248 ff., 258 ff., 263 ff., 275 f., 281 f., 285 f., 291 f. Beweis 126, 138 ff., 142 ff., 156, 191 ff., 262 Bewuûtsein 6, 42 f., 62, 66 f., 100, 160 f., 169 ff., 241
Gegensatz 106, 111, 115 Geist 97, 99, 102 f., 146, 152 f., 168 f., 176, 324 Gott 153 f., 164 f., 319-322 Grenze/Limitation 20, 35 Grund 205, 271, 273, 305
Definition 126 ff., 135, 138 ff., 156, 261 f. Denken 177, 189, 224 ff., 242, 277 f., 291, 299, 325 f.
Fortgang 238, 248-285 Freiheit 313
Hinsichtenunterscheidung 19, 39, 41, 70, 74, 78 ff., 89, 109, 217, 270 ff., 277 ff. Ich 12, 18, 25, 100, 102, 183 ff., 187, 316 f. Idealismus 30, 57, 59, 101 f. Idee 3 f., 6, 57, 72, 76 f., 84, 87, 168, 189, 201 f., 215 f., 219-293, 312
Sachregister
Identität 19, 24, 26 f., 39, 47 ff., 56, 83, 89, 101, 106 f., 115, 124 f., 174, 179, 183 ff., 233 ff., 281, 313 Kategorien/reine Denkbestimmungen 9 ff., 18 ff., 51 f., 94 ff., 116, 118 f., 139, 147 ff., 169 ff., 177, 226 ff., 244, 295 f., 297 Konkret 234 Konstruktion 126, 138 ff., 156, 161 f., 226 Kontinuitätsdialektik 299 f. Kopula 26, 30 Leben 168 f., 175 Logik 1-9, 16, 18, 28 f., 80 f., 83, 87 ff., 147 ff., 156 f., 159 ff., 164 ff., 197, 289 ff., 314, 323 ff. Manifestationsdialektik 307 ff. Mannigfaltiges 12, 27, 317 Maû 300 f. Metaphysik 1-8, 16, 18, 28 f., 51, 80 f., 83 f., 89 ff., 149, 152 ff., 159 ff., 323 ff. Monade 308 f. Negation, bestimmte 29, 110 f., 113, 254 ff., 264 ff., 279 ff. Negation, doppelte, zweite 110, 113 ff., 179, 247, 255 f., 265 ff., 287 f., 315 Negation/Negativität 19 f., 23, 35, 110 ff., 178 ff., 244 f., 250, 288 f. Nichtidentität 19, 47 ff., 56 f., 89, 185, 187 Objekt/Objektivität 9, 15 f., 27, 31, 42 ff., 49, 221 ff., 228, 262, 317 f. Positives/Negatives 268 ff., 304 ff. Proportion 124, 126-146, 156, 167 Qualität 19 f., 22, 35, 93, 98, 104 ff., 116 f., 172, 203, 299 ff. Quantität 20, 22, 35, 93, 98, 105 ff., 112, 116 f., 172, 203, 299 ff. Realität 19 f., 35 Reflexion 3 ff., 17, 18 ff., 23, 28, 31 f., 35,
345
41-47, 64, 83, 85 ff., 89, 111, 138, 213, 217 Reflexionsdialektik 125 f., 174 f., 194 f., 200, 203 ff., 213, 219, 295 f., 303-311, 314, 319 ff., 325 Relation 20, 93, 213 Rezeptivität 13 ff. Satz, spekulativer 177-195, 260, 285 Schema/Schematismus 13 Schluû/Syllogismus, formaler 9, 23 ff., 27 f., 175 Schluû/Syllogismus, spekulativer 29 ff., 188, 192 f., 207 ff., 221, 238, 248-288, 291 Sein 22 f., 117 f., 167 f., 172, 201 ff., 211 ff., 243 ff., 247, 295 f., 297 ff. Selbstbewuûtsein 25, 27, 102, 168, 175, 318 Skepsis/Skeptizismus 58, 61-81, 88, 231 f. Spekulation 3 ff., 15, 42 ff., 84-89, 214 ff. Spontaneität 12 ff., 234 Subjekt/Subjektivität 9, 15 f., 23 ff. 27, 42 ff., 49, 93, 96, 102, 128 ff., 178 f., 183 ff., 187 f., 201, 216, 221 ff., 228, 235, 237, 244, 247 f., 256, 262, 266, 279-282, 285, 292, 314 ff., 324 ff. Subjekt-Objekt-Einheit 16, 32, 43 f., 221-225, 228, 232, 262 Substanz 20, 32, 35, 44 f., 81, 93, 105, 107, 119 f., 123 f., 206, 308 ff. Synthese/synthetisch 9, 17 f., 19 ff., 27, 31, 34 ff., 47, 49, 53, 64 f., 70, 85 f., 246, 258 ff., 282 ff., 317 f. Thesis/Setzung 20 f., 52 ff., 85 f. Transzendentallogik 40 f. Übergangsdialektik/Übergehen 118 ff., 175, 194 f., 200, 202 f., 212 f., 219, 295 f., 297-303, 305 f., 310 f., 313 f., 319 ff., 325 Unendlichkeit 56 f., 60, 94, 104-126, 151 f. Unmittelbarkeit 239 ff., 250, 276 f., 285 f., 297, 311
346
Sachregister
Urteil, formales 9, 23 ff., 183, 238 Verhältnis 38, 120 ff., 173 ff., 204 Vernunft 9, 11, 15 ff., 29, 33, 39 f., 51 f., 59 f., 76, 79, 94 f., 176, 214 ff., 238 Verstand 1, 9 ff., 15 ff., 20, 22, 33 ff., 39 f., 60, 62, 64, 75 f., 79, 94 f., 110, 173 ff., 214 ff., 277 f., 323 Vollständigkeit/Vervollständigung 4, 10, 20, 59 f., 63 f., 245 Voraussetzungslosigkeit 239 Wahrheit 76, 78 f., 224 f.
Wechselwirkung 20, 22, 35 Wesen 94, 124 f., 174, 201, 204 ff., 211, 213, 295, 303 ff. Widerspruch (vgl. auch Antinomie) 21, 34 ff., 41, 45, 47-51, 59 f., 63 ff., 70, 80, 89, 101, 109 ff., 144, 251, 264 ff., 268 ff., 284 Wirklichkeit 205, 307 ff. Wissenschaft/wissenschaftlich 1 Zeit 277 f.
meiner
cassirer-forschunge n
Christa Hackenesch Selbst und Welt Zur Metaphysik des Selbst bei Heidegger und Cassirer Cassirer-Forschungen, Band 6 2001. V, 211 S. 3-7873-1546-2. Kartoniert. Die Namen Heideggers und Cassirers repräsentieren in verschiedener, ja konträrer Weise, den Bruch mit der metaphysischen Tradition der Philosophie der Subjektivität. Heidegger kennzeichnet seine Ontologie des „Daseins“ offen als „Destruktion“ dieser Tradition. Cassirer wendet sich von ihr ab in der Entfaltung einer Philosophie der weltenerzeugenden Potenz des endlichen Menschen. Die Arbeit demonstriert, daß entgegen diesem selbstbekundeten Bruch Heidegger wie Cassirer tatsächlich der systematischen Gestalt der Philosophie der Subjektivität verpflichtet bleiben, wie sie im Werk Hegels ihre paradigmatische Darstellung gefunden hat. Beide zeichnen, in gegenläufiger Weise und darin aufeinander bezogen, ein Bild des Verhältnisses von Selbst und Welt, das, vor dem Horizont der Endlichkeit des Menschen, dessen Hegelsche Bestimmung, Verwirklichung von Freiheit zu sein, tradiert, statt sie hinter sich zu lassen. Heidegger führt dies zu dem Begriff eines Selbst, das als die absolute Freiheit eines Einzelnen eine Welt zu begründen beansprucht. Cassirer geht umgekehrt von den Formen, den Gestalten von Welt aus, um in ihnen, in der Prozessualität ihres Werdens, das Wirklichwerden des Selbst als Freiheit zu entziffern.
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monographie
Andreas Dorschel Nachdenken über Vorurteile 2001. XIII, 190 S. 3-7873-1572-1. Kartoniert. Der Fortschritt ist seit der Aufklärung wesentlich verstanden worden als ein Vorgang, in welchem der menschliche Geist alle Vorurteile ausmerzt. Daß dieser Kampf nicht erfolgreich gewesen ist, muß man wohl einräumen; doch ist dies kein Einwand. Vorurteile sind keine Spezialität von Rassisten. Vielmehr haben Vorurteile ihren unverzichtbaren Platz im Kopf eines jeden. Deshalb sind rassistische Vorurteile auch nicht zurückzuweisen, weil sie Vorurteile, sondern weil sie rassistisch sind. Der Vorwurf des Vorurteils ist in solchen Fällen nur darum so beliebt, weil er scheinbar erlaubt, statt sich mit einem Wust moralischer Probleme auseinanderzusetzen, eine Rüge ob mangelnder Einsicht zu erteilen: der Betreffende hat einfach vorschnell geurteilt. Ihrer bewundernswerten Ökonomie zum Trotz geht diese Rechnung nicht auf. Sie spielt vielmehr Erscheinungen wie etwa Rassismus herunter. Wenn es sich bei diesem um einen Fall von Vorurteil handelt, so hat er das mit einer Unzahl harmloser, ja selbst vernünftiger Haltungen gemein. Wer an jenen Erscheinungen Kritik üben will, kommt, so die Schlußfolgerung, nicht daran vorbei, moralisch Stellung zu beziehen.
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