Sein und Welt: Die Fragmente neu übersetzt und kommentiert von Helmuth Vetter 9783495818015, 9783495488010


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Table of contents :
Inhalt
Vorbemerkung
Einleitung
1. Exposition
a. Problemanzeige
b. Herausforderung und Aneignung
2. Durchführung
a. Hinweise zur Interpretation
a. Philosophie und Philologie
I. Historie
1. Die Vorsokratiker
a. Vorbemerkung zur Terminologie
i. »Vorsokratiker«
ii. »Philosophie« · »Ontologie«
b. Interpretationen
i. Spekulation und System
i. Historische Methode
ii. Vorgänger in der östlichen Literatur
iii. Λόγον διδόναι – Europa?
2. Parmenides
a. Leben
b. Die Fragmente
i. Überlieferung
iv. Titel
v. Lehrgedicht
vi. Dichtung und Philosophie
3. Tradition · Wirkung
a. Vorläufer
i. Orphik
ii. Pythagoreer
iii. Xenophanes
d. Eleaten
i. Zenon von Elea
ii. Melissos aus Samos
e. Heraklit von Ephesos
i. Zeitgenossen
vii. Gemeinsames · Trennendes
4. Rezeption
a. Platon
b. Aristoteles
c. Die Stoa
d. Skeptizismus
II. Text · Übersetzung
1. Zur Übersetzung
2. Text · Übersetzung · Worterklärungen
III. Kommentar
Vorbemerkung.
1. Initiation (B 1.1–21)
2. Begegnung (B 1.22–32 / B 2.1–8)
a. Die Göttin
b. Der Kuros
3. Sein und Denken (B 3 · B 8.34)
a. Νοεῖν
b. Εἶναι
c. Αὐτό
d. Das Worumwillen
4. Die Schau (B 4 · B 5)
a. An- und Abwesen
b. Ursprungslosigkeit
5. Wege, die keine sind (B 6 · B 7)
a. Ausweglosigkeit: Das Nichts
b. Irrwege: Die unwissenden Sterblichen
6. Der Weg des Seins (B 8.1–51)
a. Ἔλεγχος und λόγος
b. Strukturierung
i. Die Zeichen des Seins
i. Das Ganze
viii. Die Unversehrtheit der Kugel des Seins
iii. Notwendigkeit: Ἀνάγκη und Μοῖρα
x. Die πίστις ἀληθής
7. Das Sein und die Zeit
a. Vorgriff auf Aristoteles
b. Profane Zeit · heilige Zeit
8. Die scheinbare Welt (B 8.51–61)
a. Die Sterblichen und die Irre
i. Setzungen
xi. Namen
b. Sein und Schein
9. Die Kosmologie des Parmenides (B 9 – B 19)
Synopsis
Corrolaria
IV. Indices
1. Siglen
2. Zeittafel
3. Personen
4. Literatur
Alphabetisches Verzeichnis aller im Buch zitierten Schriften:
5. Sachregister
Alfred Dunshirn: Neuere Literatur zu Parmenides
Bio-bibliographische Notiz
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Sein und Welt: Die Fragmente neu übersetzt und kommentiert von Helmuth Vetter
 9783495818015, 9783495488010

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Parmenides

Sein und Welt Die Fragmente neu übersetzt und kommentiert von Helmuth Vetter

VERLAG KARL ALBER

https://doi.org/10.5771/9783495818015

.

B

Parmenides Sein und Welt Die Fragmente neu übersetzt und kommentiert von Helmuth Vetter

VERLAG KARL ALBER

A

https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Das »Lehrgedicht« des Parmenides, das nur in Fragmenten erhalten ist, gehört zu den Grundtexten der antiken Philosophie. Die Forschungen zu Parmenides gehen mehrheitlich davon aus, dass das Sein als abstrakter Begriff jenseits von Zeit und Werden, die Welt dagegen als bloßer Schein zu verstehen sei. Die hier vorliegende Interpretation geht demgegenüber von einem grundlegend anderen Ansatz aus: 1. Das Sein ist nicht überzeitlich und kein abstraktes Eines, sondern es einigt und hält die in der überlieferten Kosmologie aufgebrochenen Gegensätze zusammen. 2. Die Welt ist nur für die im Irrtum befangenen Sterblichen bloßer Schein; sie wird von Parmenides nicht verneint, sondern auf ihre Wahrheit zurückgeführt. 3. Die in der Tradition immer wieder von neuem gestellte Frage nach der Einheit der Fragmente erhält dadurch eine Basis für weitere Untersuchungen.

Ao. Univ.-Prof. i. R. Dr. Helmuth Vetter, geb. 1942. Bis zum Ruhestand Professor für Philosophie an der Universität Wien. Mitbegründer und zehn Jahre Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Phänomenologie sowie Begründer und Mitherausgeber der Reihe der Österreichischen Gesellschaft für Phänomenologie. Herausgeber von Band 23 der Heidegger-Gesamtausgabe, Geschichte der Philosophie von Thomas von Aquin bis Kant. Frankfurt a. M. 2006. – Arbeitsschwerpunkte: Phänomenologie, Hermeneutik, Philosophie der Antike. Zahlreiche Publikationen, namentlich zu Heidegger. Zuletzt: Grundriss Heidegger. Ein Handbuch zu Leben und Werk. Hamburg 2014. PD Dr. Alfred Dunshirn, geb. 1977. Klassischer Philologe und Philosoph. Arbeitsschwerpunkt: Philosophie der Antike. Publikationen u. a. zum homerischen Epos, zu Platon und zu Heideggers Interpretationen zur Antike. Letzte Buchveröffentlichungen: Logos bei Platon als Spiel und Ereignis. Würzburg 2010. Griechisch für das Philosophiestudium. Wien 22013.

https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Parmenides

Sein und Welt Die Fragmente neu übersetzt und kommentiert von Helmuth Vetter

Verlag Karl Alber Freiburg / München

https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

2. Auflage 2017 © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2016 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise GmbH, Trier ISBN (Buch) 978-3-495-48801-0 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-81801-5

https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Inhalt

Vorbemerkung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

1.

Exposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Problemanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Herausforderung und Aneignung . . . . . . . . . .

13 13 14

2.

Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Hinweise zur Interpretation . . . . . . . . . . . . b. Philosophie und Philologie . . . . . . . . . . . . .

16 16 20

I.

Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

1.

Die Vorsokratiker . . . . . . . . . . . . . a. Vorbemerkung zur Terminologie . . . i. »Vorsokratiker« . . . . . . . . . ii. »Philosophie« · »Ontologie« . . . b. Interpretationen . . . . . . . . . . . i. Spekulation und System . . . . . ii. Historische Methode . . . . . . . iii. Vorgänger in der östlichen Literatur iv. Λόγον διδόναι – Europa? . . . .

22 22 22 25 27 27 29 32 35

2.

Parmenides . . . . . . . . . . . . a. Leben . . . . . . . . . . . . . b. Die Fragmente . . . . . . . . i. Überlieferung . . . . . . ii. Titel . . . . . . . . . . . iii. Lehrgedicht . . . . . . . iv. Dichtung und Philosophie

. . . . . . .

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37 37 40 40 41 41 44

5 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Inhalt

3.

Tradition · Wirkung . . . . . . . . a. Vorläufer . . . . . . . . . . . i. Orphik . . . . . . . . . . ii. Pythagoreer . . . . . . . iii. Xenophanes . . . . . . . b. Eleaten . . . . . . . . . . . . i. Zenon von Elea . . . . . . ii. Melissos aus Samos . . . c. Heraklit von Ephesos . . . . . i. Zeitgenossen . . . . . . . ii. Gemeinsames · Trennendes

45 46 46 46 47 49 49 50 51 51 53

4.

Rezeption . . . . a. Platon . . . b. Aristoteles . c. Die Stoa . . d. Skeptizismus

. . . . . . . . . . . . . . . .

II.

Text · Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

1.

Zur Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

2.

Text · Übersetzung · Worterklärungen B1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . B2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . B3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . B4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . B5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . B6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . B7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . B8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . B9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . B 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . B 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . B 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . B 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . B 14 . . . . . . . . . . . . . . . . . B 15 . . . . . . . . . . . . . . . . . B 16 . . . . . . . . . . . . . . . . . B 17 . . . . . . . . . . . . . . . . . B 18 . . . . . . . . . . . . . . . . . B 19 . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

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56 56 62 63 65

70 71 92 95 97 101 103 107 112 136 139 140 141 143 143 144 144 149 149 149

Inhalt

III. 1. 2.

3.

4.

5.

Kommentar

. . . . . . . . . . . . . Initiation (B 1.1–21) . . . . . . . . . Begegnung (B 1.22–32 / B 2.1–8) . . a. Die Göttin . . . . . . . . . . . b. Der Kuros . . . . . . . . . . . . Sein und Denken (B 3 · B 8.34) . . . a. Νοεῖν . . . . . . . . . . . . . b. Εἶναι . . . . . . . . . . . . . . c. Αὐτό . . . . . . . . . . . . . . d. Das Worumwillen . . . . . . . Die Schau (B 4 · B 5) . . . . . . . . . a. An- und Abwesen . . . . . . . b. Ursprungslosigkeit . . . . . . . Wege, die keine sind (B 6 · B 7) . . . a. Ausweglosigkeit: Das Nichts . . b.

. . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . .

Irrwege: Die unwissenden Sterblichen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.

Der Weg des Seins (B 8.1–51) . . . . . . . a. Ἔλεγχος und λόγος . . . . . . . . . b. Strukturierung . . . . . . . . . . . . c. Die Zeichen des Seins . . . . . . . . . i. Das Ganze . . . . . . . . . . . . ii. Die Unversehrtheit der Kugel des Seins iii. Notwendigkeit: Ἀνάγκη und Μοῖρα . iv. Die πίστις ἀληθής . . . . . . . . . .

7.

Das Sein und die Zeit . . . . . . . . . . . . . a. Vorgriff auf Aristoteles . . . . . . . . . . b. Profane Zeit · heilige Zeit . . . . . . . . .

8.

Die scheinbare Welt (B 8.51–61) a. Die Sterblichen und die Irre i. Setzungen . . . . . . ii. Namen . . . . . . . . b. Sein und Schein . . . . .

9.

Die Kosmologie des Parmenides (B 9 – B 19) a. Wahrheit und Unwahrheit . . . . . . b. Sein, Schein und Erscheinung . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

Synopsis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Corollaria . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

152 153 154 154 164 166 166 166 167 169 170 170 171 172 173 173 175 175 176 178 180 181 182 183 183 183 187 189 189 189 192 193 195 196 199 200 203 7

https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Inhalt

IV.

Indices . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

204

1.

Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

204

2.

Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

205

3.

Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

206

4.

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

210

5.

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

227

Alfred Dunshirn: Neuere Literatur zu Parmenides . . . . . . .

231

8 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Vorbemerkung

Die vorliegende Arbeit versteht sich als Einladung zu einer neuen Lektüre des Parmenides. Dies soll auf verschiedenen Wegen erreicht werden: mit einer vollständigen neuen Übersetzung und einem neuen Kommentar. Die Beweisführung beider verteilt sich auf zwei Ebenen: als Wortkommentar zu jedem einzelnen der 153 in griechischer und 6 in lateinischer Sprache überlieferten Fragmente – hier dominiert die philologisch-historische Forschung; und als Kommentar, der das Ganze der Schriften im Auge hat – hier hat die Philosophie den Vorrang. Außerdem hofft der Verfasser, zum wechselseitigen Verständnis von Philosophie und Philologie beitragen zu können. Indirekt betrifft dies auch die Wahl der Sekundärliteratur. Soweit dies nötig ist und verantwortet werden kann (auch dazu gibt es Begründungen in den beiden Kommentaren), kommen Arbeiten sowohl aus der Philosophie als auch der philologisch-historischen Forschung zur Sprache; dass angesichts ihrer Fülle nur ein relativ kleiner Teil berücksichtigt werden konnte (soll nämlich auf sie wirklich eingegangen werden und nicht nur mit einem belanglosen »s. a.« oder »vgl.«), mögen manche als Manko betrachten; doch enthalten viele der im Buch genannten Arbeiten zahlreiche zusätzliche bibliographische Hinweise, die einer weiteren Erarbeitung von Nutzen sein könnten. Der Einleitung folgen drei Teile, die ineinander verschränkt sind; sie machen den Hauptinhalt dieses Buches aus. Ein vierter Teil dient der Information, ihm folgt ein Anhang zu neuerer Parmenides-Literatur. Der I. Teil – H i s t o r i e – vermittelt historische Belege und geht von der üblichen Zuordnung aus: Ihr zufolge war Parmenides ein Vorsokratiker und Begründer der Schule der Eleaten. Wieweit dies aber mit bestimmten Interpretationsvorgaben kompatibel ist, ist anhand verschiedener Beispiele zu befragen. Einigen wenigen Daten zu Leben und Werk des Parmenides folgen Beispiele seiner Nachwirkung in der Philosophie der Antike. 9 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Vorbemerkung

Der II. Teil – Te x t – umfasst zwei Abschnitte. Der erste behandelt Fragen der nachfolgenden Übersetzung. Der zweite Abschnitt enthält den originalen Text und die Übersetzung sämtlicher Fragmente sowie abweichende Lesarten, die vollständige Neuübersetzung, Worterklärungen im Kommentar zu den einzelnen Wörtern sowie Gründe für die Bevorzugung bestimmter Lesarten gegenüber anderen. Der III. Teil – K o m m e n t a r – hat im Unterschied zu den Worterklärungen des II. Teils, die sich vor allem auf Details beziehen, alle Fragmente des Parmenides in Gänze zum Gegenstand. Der Kommentar bezieht sich damit auf die zentralen Themen, wobei er im Allgemeinen den Fragmenten in ihrer Aufeinanderfolge nachgeht; Textgrundlage ist die Ausgabe von Diels/Kranz. Der Interpretation liegt hier die These der reziproken Zusammengehörigkeit von Denken und Sein zugrunde. Im Resultat widerspricht die Arbeit schon mit ihrem Titel in zumindest zwei Hinsichten den wirkungsgeschichtlich dominanten Interpretationen: 1. Das S e i n ist nicht das Resultat einer Abstraktion. 2. Die We l t ist ausschließlich aus der Sicht der »Sterblichen« bloßer Schein. Demgegenüber ist meinem Verständnis zufolge das Sein der einigende Grund der Welt, und die Welt erscheint in ihrer Wahrheit und Konkretion – nicht im Schein der δόξαι, sondern als Erscheinung qua ἀ-λήθεια. Am Ende des III. Teils steht eine Synopsis. Sie enthält die Zusammenfassung des Ganzen unter Hervorhebung der einzelnen Schwerpunkte. Zum IV. Teil – I n d i c e s – gehören das Siglenverzeichnis, ein Abriss zur Chronologie, Angaben zu Personen der Antike, namentlich zu Philosophen, die für Parmenides eine größere Rolle spielen, eine Liste aller im Buch zitierten Literatur sowie ein Sachregister. Im Anhang folgt der von Alfred Dunshirn verfasste Bericht über neuere Literatur zu Parmenides. Mit Ausnahme der Originalzitate wird die neue Rechtschreibung verwendet. Ausschließlich wegen der besseren Lesbarkeit gelten alle einschlägigen Wörter sowohl für das weibliche als auch für das männliche Geschlecht. * Die Arbeit hat Lukas Trabert in das Programm des Verlags Karl Alber aufgenommen. Dafür und nicht zuletzt auch für seine Geduld: gratiam ago. Dem gesamten Team des Alber-Verlags möchte ich für die 10 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Vorbemerkung

so ansprechende graphische Gestaltung meinen herzlichen Dank aussprechen. Mein Dank gilt auch Hans Rainer Sepp für seine Hilfe. Für den Gedankenaustausch mit Alfred Dunshirn und dessen Korrekturen namentlich des griechischen Textes: χάριν ἔχω. Das Buch ist Franz Danksagmüller zugeeignet, quod musica ars sit pars eruditionis philosophicae. Wien, im Herbst 2016

11 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Einleitung

»Das einzig Wichtige ist, aus den Werken der Vergangenheit das herauszulesen, was über alle Zeiten wirksam und wichtig ist.« (Nicolaus Harnoncourt) 1

1.

Exposition

a.

Problemanzeige

Erstens. Cui bono? Wem nützt die Beschäftigung mit einem Philosophen, der vor etwa zweieinhalbtausend Jahren in Süditalien gelebt hat und von dem 153 Verse in einem altgriechischen Dialekt und 6 lateinische Verse überliefert wurden? Die noch heute maßgebliche Edition stammt aus dem 19. Jahrhundert. Damals gab es bekanntlich noch einen lebendigen Forschergeist, was nicht allein mit dem bewunderungswürdigen Fleiß der Forscher zu tun hatte, galten doch »die Griechen« als ein Ideal, an dem sich namentlich »die Deutschen« zu orientieren hätten, sodass es schon als moralische Pflicht erschien, die Dokumente der »Alten« zu ordnen und für künftige Generationen aufzubewahren. Dieser Optimismus scheint heute kaum noch vorhanden zu sein (man mag darüber denken, wie man will). Manches wird noch von Institutionen vorbildlich betreut, doch ist es nicht so, dass sich im Geheimen (macht man sich nichts vor) der Zweifel an der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns regt? Zweitens. Gesetzt, es soll interpretiert werden (was ja in dieser Arbeit geschieht): Woran misst sich die Gültigkeit einer Interpretation? Auch hier ist das 19. Jahrhundert in der besseren Position. Es

Booklet zur DVD der Zürcher Aufführung von Claudio Monteverdi: Il ritorno d’Ulisse in patria, 13.

1

13 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Einleitung

gibt Hegels geniale Geschichte der Philosophie und Philosophie der Geschichte, es gibt die Hegelianer, und überragende Historiker der Philosophie wie Eduard Zeller sammeln ein gewaltiges Material. Und noch im 20. Jahrhundert hat Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff das Gesamtgebiet seines Faches überblickt. Andere wären zu nennen, vor allem Karl Reinhardt – ohne mit den hier nicht Genannten Wertungen zu verbinden. Drittens. Doch um ein Maß zu wählen, setzt dies ein gewisses Augenmaß beim Interpreten voraus, d. h. eine Ahnung davon, worauf es ihm ankommt. Viertens. Interpretieren ist eine Sache der Hermeneutik, nicht der Hermetik. Der Interpret soll vermitteln, was ihm allenfalls an Einsichten zugewachsen ist. Das Geschäft der Vermittlung ist besonders in diesem Fall wichtig, wo es um die Überbrückung sprachlicher und kultureller Ferne geht – um eine Annäherung an den Gegenstand – also Parmenides – und an potentielle Leserinnen und Leser. Fünftens. Cui bono? Wo steckt das Problem? Die Arbeit heißt »Sein und Welt«. Vielleicht lohnt es sich, darüber gleich am Anfang kurz nachzudenken. Um auf die Frage zurückzukommen: Sie wird griffiger, wenn der Titel nicht nur als Überschrift, sondern als Problem genommen wird.

b.

Herausforderung und Aneignung

Solange Parmenides nicht aus seinem Umfeld »herausgelesen« wird (um ein Wort des großen Dirigenten Nicolaus Harnoncourt zu gebrauchen – wobei in »lesen« auch ein Sich-Sammeln und gar auf etwas »Erlesenes«, Kostbares gemeint sein könnte), ist und bleibt Parmenides – bei allem Aufwand an noch so respektablen Interpretationen und Forschungen – jemand, der für uns Heutige mehr oder minder vergangen (und dann, horribile dictu, abgetan) sein könnte und faktisch nicht selten auch ist. Es ginge ihm gar wie dem Spinoza, nach Lessings bekanntem Wort, die Leute gingen mit ihm um wie mit einem toten Hund. Parmenides und sein Umfeld: Verlangt dies nicht mehr als nur die Rekonstruktion vergangener Einflüsse? Worin liegt dieses »Mehr«? Parmenides ist aus seiner Situation heraus zu interpretieren. Das heißt: ihn befragen, was ihm widerfahren ist, sodass es ihn herausgefordert, gepackt hat, entscheidend für ihn wird – und ihn 14 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Exposition

deshalb zur Stellungnahme veranlasst, gar zum Anstoß wird, alles Bisherige zu überdenken. Auch wenn Aristoteles dies etwas anders gemeint haben wird, ist es doch eine treffende Charakteristik des hier angedeuteten Vorgangs: ἀναγκαζόμενος δ’ ἀκολουθεῖν τοῖς φαινομένοις sei Parmenides genötigt gewesen, dem zu folgen, »was sich ihm gezeigt hat«. 2 Zur Frage wird die Begegnung mit der Situation, wenn sie den Betroffenen dazu bringt, nach neuen Antworten zu suchen, Sinnzusammenhänge, die möglicherweise in Verlust geraten und eben daher fraglich sind, neu zu knüpfen. Und dies scheint der Fall des Parmenides zu sein. Die Situation, der er sich gegenübersieht, ist die Kosmologie der milesischen Philosophen. Sie führt zu Verwerfungen hinsichtlich der alten von Mythen getragenen Kosmologie. In Gefahr gerät dadurch das Heilige – was freilich noch zu erhärten ist. Denn eine solche Behauptung beruht auf der Hypothese, dass das Heilige zwar zum Wesen des Mythos gehört, nicht aber in gleicher Weise zur Kosmologie. Wie steht es aber dann um die Heiligkeit der Welt? Diese Frage – die allerdings erst im Kommentar näher begründet werden kann (°III.2. a) – wird für Parmenides zur großen Herausforderung. Seine Antwort läuft aber alles andere als auf eine Rückkehr zum Mythos hinaus; mit ihr betritt er die Auseinandersetzung mit der Kosmologie. Doch wird das Heilige – gesetzt, dass in dessen Rettung Parmenides seine vornehmlichste Aufgabe erblickt – nur dann plausibel, wenn diese Antwort das Niveau der Kosmologen überbietet. Dies geschieht so, dass die entscheidenden Weisungen der Fragmente zwar von einer Göttin ausgehen, deren wahrhaft fundamentale Forderung jedoch darin besteht, »ihren« Mythos zu prüfen, d. h. Rechenschaft über ihn abzulegen (die spätere Formel: λόγον διδόναι) und ihn einem ἔλεγχος auszusetzen: Die scheinbare Paradoxie: Rettung des Mythos durch den Logos (was geradezu eine Umkehr der weit verbreiteten Wegbeschreibung »vom Mythos zum Logos« 3 bedeutet).

2 3

Aristoteles Metaph. A 5, 986b31 (Zur Art der Zitation °IV.4 Vorspann). Nestle 1942, Buchtitel.

15 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Einleitung

2.

Durchführung

a.

Hinweise zur Interpretation

Es ist die These, dass sich Parmenides einer bestimmten Herausforderung gewärtig und deshalb zu einem »neuen« Denken genötigt war. Diese Behauptung braucht Interpretation. Sie ist auf zwei Wegen zu bewerkstelligen (was in der Vorbemerkung schon angedeutet wurde). Der eine Weg ist jener der philologisch-historischen Untersuchung; der zweite der philosophischer Hermeneutik. Zu beiden kann hier nur das Nötigste gesagt werden – nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen Vorstellungen über jene und diese. Auch können als maßgebende Zeugen für diese Versuche nur jeweils einer ihrer Hauptvertreter zu Wort kommen. Die philologisch-historische Untersuchung beschränkt sich nicht auf die Textkritik, doch gehört diese zu ihren wichtigsten Aufgaben. Ein Autor beschreibt sie als die »philolog. Methode zur Überprüfung in ihrer Authentizität nicht gesicherter bzw. fragwürdiger Texte«. 4 In summa gehört dazu die Korrektur jener Irrtümer, die auf mangelhafte Überlieferung zurückgehen, und einiges mehr: »Schreibfehler des Kopisten aus Unachtsamkeit, Flüchtigkeit und mangelndem Verständnis e. Stelle, Lesefehler durch Fehlen von Worttrennung und Interpunktion in der Antike, bewußte Änderungen in Lautstand und Orthographie je nach der Mundart des Schreibers oder des Bestellers, Veränderungen im Wortlaut durch Ersetzung unverständl. oder veralteter Wörter zwecks leichterer Verständlichkeit, Kürzungen, Erweiterungen durch Einschub unechter Zeilen {…} und Glossen, versehentl. Auslassung durch Überspringen von Zeilen (bes. zwischen zwei gleichen Wörtern) oder ganzer (evtl. in der Vorlage entfernter) Seiten, beim Diktieren mangelnde Aufmerksamkeit oder Hörfehler u. a. m. Da für die antiken Werke fast gar keine {…} Originalhss. oder authent. Texte vorliegen und selbst die erhaltenen Abschriften bei antiken Werken oft um ein Jahrtausend {…} vom Original entfernt sind, werden derartige Fehler im Zuge mehrfachen Abschreibens nicht nur übernommen und vermehrt, sondern auch, wo sie Unverständliches ergeben, nach Auffassung des Schreibers ›verbessert‹.« 5

Die Rekonstruktion des Textes umfasst drei Hauptstufen:

4 5

Wilpert 1989, 931. Wilpert 1989, 931 f.

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Durchführung

(1) Rezension = »Sammlung und krit. Sichtung aller bestehenden Zeugnisse«, (2) Examination = »krit. Prüfung und Wertung des als überliefert festgestellten Textbestandes im Hinblick auf seine Echtheit«, (3) Konjektur bzw. Emendation = »auf Vermutung des Herausgebers beruhende Veränderung des überlieferten Textbestandes und seine möglichst weitgehende Annäherung an den vermutlichen Originalwortlaut über die Unzulänglichkeiten der Überlieferung hinaus«. 6

Dass dies für antike Texte und namentlich für das frühe griechische Denken von besonderer Bedeutung ist, liegt auf der Hand. Hier sei einer der großen Philologen als Zeuge genannt. Hermann Diels hat gegen die Lesart °B 1.29 εὐφεγγέος (bei Proklos) anstelle von εὐκυκλέος (bei Simplikios) drei Grundsätze herausgestellt: »1) Die Majorität der Zeugen entscheidet nicht. | 2) Die leichtere, sofort verständliche Lesart ist voraussichtlich falsch. | 3) Die aus einer Hds. des Autors direct geflossene Ueberlieferung bietet voraussichtlich das Wahre.« 7

Die Punkte 1) und 3) verstehen sich wohl unmittelbar von selbst. Im Punkt 2) bezieht sich Diels auf die lectio difficilior, die Bevorzugung nicht der unmittelbar einleuchtenden, sondern der schwierigeren Lesart, »die in den meisten Fällen als original anzusehen ist und infolge ihrer Schwierigkeit zur Fehlerquelle wurde«. 8 Nach diesen Bemerkungen zur philologisch-historischen Forschung folgen noch einige unter dem Stichwort »Hermeneutik«. Nach schon längst vorhandenen Spezialhermeneutiken (bereits in der Antike gibt es bedeutende Arbeiten zu diesem Thema in den Bereichen der Philologie, Theologie und Jurisprudenz) wird F. D. E. Schleiermacher zum Begründer der allgemeinen und philosophischen Hermeneutik; sie wirkt im 20. Jahrhundert vor allem durch Wilhelm Dilthey, Martin Heidegger und Hans-Georg Gadamer (wenn auch in ganz unterschiedlichen Ausprägungen) weiter. 9 Es ist für Schleiermacher, den Übersetzer Platons, bezeichnend, dass er Hermeneutik und philologische Kritik zusammen nennt und beide sogar unter dieser subsumiert: »Hermeneutik und Kritik, beide philologische Disziplinen, beide Kunstlehren, gehören zusammen, weil die Ausübung einer jeden die andere vorausWilpert 1989, 932 f. Diels 2003, 54. 8 Wilpert 1989, 932 f. 9 Dilthey GW V; Dilthey 1965; Heidegger GA 2; Heidegger GA 63; Gadamer 1974; Gadamer GW 1; Gadamer GW 2. 6 7

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Einleitung

setzt. Jene ist im allgemeinen die Kunst, die Rede eines andern, vornehmlich die schriftliche, richtig zu verstehen, diese die Kunst, die Echtheit der Schriften und Schriftstellen richtig zu beurteilen und aus genügenden Zeugnissen und Datis zu konstatieren.« 10

Schleiermacher zählt eine Reihe von »Kanones« auf; für ihn sind es die maßgebenden Regeln des Verstehens. Die ersten zwei lauten: »Erster Kanon. Alles, was noch einer näheren Bestimmung bedarf in einer gegebenen Rede, darf nur aus dem dem Verfasser und seinem ursprünglichen Publikum gemeinsamen Sprachgebiet bestimmt werden.« 11

Damit ist die Kontextualität der Auslegung gemeint. Doch enthält jeder Text etwas Unbestimmtes, z. B. einzelne zusammenhanglose Sätze, Archaismen, technische Ausdrücke u. dgl. »Wie erfahren wir aber, was für Leser sich der Verfasser gedacht? Nur durch den allgemeinen Überblick über die ganze Schrift.« 12 Die vielen oft unklaren Einzelfälle konfrontieren mit der Aufgabe, die Regel in ihrer Allgemeingültigkeit anzuwenden. Damit kommt zur »grammatischen« Seite des Verstehens mit der »Tatsache im Denkenden« die »psychologische« oder »technische«. Anwendung des Allgemeinen auf das Einzelne ist »Kunst« (ein »technisches« Verfahren in der Bedeutung des griechischen τέχνη) und Sache der Urteilskraft – Kants Verständnis zufolge das Besondere als Fall einer Regel aufzusuchen. 13 »Daher auch eben diese Regel eine Kunstregel ist deren glückliche Anwendung auf einem richtigen Gefühle beruht.« 14 Somit befindet sich die Hermeneutik in größerer Nähe zur Kunst als zur Wissenschaft, in aristotelischen Termini: Sie ist der τέχνη näher als der ἐπιστήμη. 15 Die Bemerkungen zum Kontext und zum Verhältnis von EinzelSchleiermacher 1977, 71. Zu Schleiermachers Stellung in der Geschichte der Philosophie: Braun 1990, § 39. 11 Schleiermacher 1977, 101. 12 Schleiermacher 1977, 102. 13 Unerachtet von Kants weitergehenden Unterscheidungen in der Kritik der Urteilskraft bediene ich mich seiner Definition aus der Anthropologie: »Wenn nun Verstand das Vermögen der Regeln, die Urteilskraft das Vermögen, das Besondere, sofern es ein Fall dieser Regel ist, aufzufinden, ist, so ist die Ve r n u n f t das Vermögen, von dem Allgemeinen das Besondere abzuleiten und dieses letztere also nach Prinzipien und als notwendig vorzustellen« (Kant WA XII, 509). 14 Schleiermacher 1977, 102. 15 Zur Unterscheidung der Kunst (τέχνη) von der Wissenschaft (ἐπιστήμη) genüge hier ein Hinweis auf die fünf Wege, auf denen Wahrheit sich zeigt: Aristoteles EN Z 3, 1139b15–17. 10

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Durchführung

nem und Allgemeinem enthalten bereits einen Hinweis auf den sogenannten hermeneutischen Zirkel: »Zweiter Kanon. Der Sinn eines jeden Wortes an einer gegebenen Stelle muß bestimmt werden nach seinem Zusammensein mit denen die es umgeben.« 16

Der Name »Zirkel« geht auf Aristoteles zurück, doch meint dieser etwas anderes. Er stellt in den Ersten Analytiken die Frage, wie es möglich sei, dass sich aus falschen Prämissen etwas Wahres ergibt, und analysiert im 5. Kapitel des 2. Buchs den so genannten Zirkelbeweis (er sagt κύκλος »Kreis«). Dieser circulus vitiosus gilt später als ein Fehler im Beweis: Was bewiesen werden soll, wird schon vorausgesetzt. Übertragen auf den »hermeneutischen« Zirkel hieße dies: Das Ganze ist die Voraussetzung, um die Teile zu beweisen, vice versa werden diese als Beweis für das Ganze vorausgesetzt. Dies betrifft jedoch nicht den hermeneutischen Zirkel. Denn Einzelnes (z. B. das einzelne Wort) und Ganzes (z. B. alle Fragmente) werden nicht auseinander bewiesen; vielmehr tritt am Einzelnen das Ganze nur umrisshaft in Erscheinung; mit fortschreitender Lektüre bei Vermehrung der Details wird auch das Ganze entsprechend klarer. Es gibt hier keine Beweise, allenfalls Berichtigungen, und von einem vitiosum kann ebenso wenig die Rede sein wie auch das Bild des Zirkels leicht in die Irre führt. Dem gemeinten Sachverhalt kommt möglicherweise das Bild einer Spirale näher. Die Kritik ist auf die Historie angewiesen – Schleiermacher steht hier dem späteren Zeller näher als Hegel: 17 »Da die historische Kritik kein Begriff a priori ist, sondern mit dem Geschäft selber erst sich gebildet und erweitert hat, so kann man auch nur auf diesem Wege zu seiner richtigen Erklärung gelangen.« 18

Ein Beispiel: »Es enthalte eine Handschrift alle Schriften eines und desselben Verfassers, darunter aber sei eine, der es an der gehörigen Identität mit den andern fehlt, so daß der Verdacht entsteht, sie sei nicht von dem Verfasser, wie ist dieser Fall anzusehen? Sind Zeugnisse und Gründe genug da, daß die Handschrift nur Schriften desselben Verfassers enthalten soll, steht auch z. B. durch die Überschrift fest, daß der, von dem die Handschrift ausgeht, alles 16 17 18

Schleiermacher 1977, 116. °I.1.b.i; °I.1.b.ii. Schleiermacher 1977, 247.

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Einleitung

als Schrift desselben Verfassers ansah, so sagt dies Zeugnis als Tatsache aus, daß der Verfasser auch jene Schrift verfaßt habe. Wenn nun die Schrift doch verdächtig ist, so ist eine Differenz zwischen der Relation und der Tatsache, und diese Differenz ist auszumitteln. Dieser Fall gehört der sogenannten höheren Kritik an.« 19

b.

Philosophie und Philologie

Für Schleiermacher gehören beide, Hermeneutik und Kritik, zusammen; überdies sind sie oft ein wichtiges Korrektiv für- und manchmal auch gegeneinander. Denn nur zu oft bedient sich die Kritik nicht weiter geprüfter »Vorurteile« 20 und rekurriert deshalb stillschweigend auf den gesunden Menschenverstand, den sie für selbstverständlich hält. Nun verbittet sich aber Kant in den Prolegomena mit gutem Grund »die Entscheidung vermittelst der Wünschelrute des so genannten g e s u n d e n M e n s c h e n v e r s t a n d e s , die nicht jedermann schlägt, sondern sich nach persönlichen Eigenschaften richtet«. 21 Auf der anderen Seite begegnet man bei Philosophen (auch solchen von Rang) nicht selten Behauptungen, die sich als unhaltbar herausstellen, sobald sie auf genauere Textkenntnis bezogen und durch Kritik einer näheren Prüfung unterzogen werden. Beidem sei hier begegnet. Dabei hat bei den Worterklärungen im II. Teil die philologisch-historische Kritik das größere Gewicht, im Kommentar des III. Teils die philosophische Hermeneutik. Doch sind beide stets aufeinander bezogen; das den Überschriften vorausgehende Zeichen ° soll dies auch optisch zum Ausdruck bringen. Zur Sekundärliteratur (auch zu ihr darf auf die Vorbemerkung hingewiesen werden) sei nur noch gesagt, dass die Auswahl notwendigerweise Beschränkungen unterliegt, wenn auch nur von ferne so Schleiermacher 1977, 249. Das Wort »Vorurteil« wird hier nicht negativ, sondern neutral aufgefasst und wie von Gadamer mit lat. praeiudicium verbunden. »Es bedarf einer grundsätzlichen Rehabilitierung des Begriffes des Vorurteils und einer Anerkennung dessen, daß es legitime Vorurteile gibt, wenn man der endlich-geschichtlichen Seinsweise des Menschen gerecht werden will« (Gadamer GW 1, 281). Allerdings stellt Gadamer kritisch fest, das Vorurteil der Aufklärung (d. h. der ungeprüften Annahme, es gebe keine Vorurteile) sei »das Vorurteil gegen die Vorurteile überhaupt und damit die Entmachtung der Überlieferung« (ebd. 275). 21 Kant WA V, 247. 19 20

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Durchführung

etwas wie eine Art von Dialog mit den gewählten Autoren möglich sein soll. Die Berücksichtigung von allem und jedem ist für den Leser kaum von Nutzen und schlimmstenfalls Symptom einer Profilierungsneurose des Urhebers. Dass sich davon der Verfasser dieses Buches nicht von vornherein ausschließt, bemerkt er nur, um allfälligen Einwänden zu begegnen.

21 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

I. Historie

1.

Die Vorsokratiker

a.

Vorbemerkung zur Terminologie

i.

»Vorsokratiker«

Der Terminus »Vorsokratiker« (engl. presocratic, presocratics, frz. présocratique, présocratiques) ist eine Wortbildung des 19. Jahrhunderts. Seine Erfinder gehen davon aus, dass die griechische Philosophie ihren Gipfel mit Sokrates, Platon und Aristoteles erreicht und dass alles, was diesen »Klassikern« vorausgeht, vorläufig und daher auch unvollkommen ist. Diese Auffassung ist heute aus mehreren Gründen in Frage zu stellen. Dies gilt zum einen für die Philosophen und namentlich für Parmenides – worauf noch ausführlich einzugehen sein wird. Doch ist der Begriff des Klassischen und der Klassik auch aus historischer Sicht ein Problem. Die Bezeichnung »Sokratiker« (Sokratikoi) geht vermutlich auf das philosophiegeschichtliche Werk des Peripatetikers Sotion aus Alexandria zurück; 1 von »Vorsokratikern« ist aber erst in der Neuzeit

°IV.3. »Nach der Theorie des Sotion, die vor allem bei Diog. Laert. vorliegt, sind alle Gründer philos. Schulen des 4. Jh.s Schüler des Sokrates gewesen; in den {…} Schulen lebt also die διαδοχή der sokrat. Lehre fort« (KP 5, 257; H. D). »Er {Sotion} kam zu zwei Ausgangspunkten: dem jonischen und dem italienischen Ursprung der Philosophie. Die erste Sukzessionslinie geht von Thales über die mittlere Akademie bis Chrysipp, die zweite führt von Pythagoras über die Skeptiker zu Epikur. Sotion erliegt hier der Versuchung, die Ergebnisse der Analyse der philosophischen Situation seiner Gegenwart auf die ganze frühere Geschichte der Philosophie zu projizieren, insbesondere aber auch auf die Vorsokratiker. Es ist bekannt, wie sehr diese Zweiteilung die spätere Geschichtsschreibung prägen sollte. Diogenes Laertius wird sie übernehmen und zum organisierenden Prinzip seiner Geschichte machen. Wir finden sie noch bei 1

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Die Vorsokratiker

die Rede. »Der Name ist das Produkt einer philologisch orientierten Historiographie der Philosophie, wie sie sich – die alte Doxographie ablösend – seit der zweiten Hälfte des 18. Jh. entwickelt. Die Anfänge des Philosophierens in den Blick nehmend, differenziert J. A. Eberhard zwischen der ›poetischen‹ und der ›wissenschaftlichen Philosophie‹. Die ›vorsokratische Philosophie‹ firmiert bei ihm als erste Periode der ›wissenschaftlichen Philosophie‹«. 2 Für Johann Jakob Brucker (1696–1770) sind die frühen griechischen Philosophen Ionier und Italiker – er folgt dabei, wie schon gesagt, Sotion und Diogenes Laertius. 3 Seine Historia critica (mit einem Umfang von über 7.000 Seiten; das Gesamtwerk umfasst mehr als 20.000 Seiten) wird Vorbild für die spätere Geschichte der Philosophie. Auch jene, die ihm nicht folgen, zitieren ihn (so auch Hegel). Brucker verzichtet – was neu ist – auf das enzyklopädische Wissen der Polyhistorie. An dessen Stelle treten einzelne Disziplinen: ein Vorgriff auf das Spezialistentum des 19. Jahrhunderts. Seine Darstellung der frühen Philosophen atmet den Geist der Aufklärung. Daher rechtfertigt er immer dann die »heidnischen« Philosophen, wenn sich diese dem Aberglauben ihrer Zeit widersetzen und (wie etwa Anaxagoras) ihre Thesen mit Vernunftgründen untermauern. 4 Hermann Diels 5 veröffentlichte 1897 die Ausgabe Parmenides Lehrgedicht, dieser folgten 1903 Die Fragmente der Vorsokratiker. Seine Edition ist bis heute Grundlage für die Mehrzahl aller InterpreBrucker, der 1742 in seiner Historia Critica von Zenon auf Pythagoras zurückgeht. Diese Zweiteilung sollte also mehr als zeitausend Jahre überdauern« (Braun 1990, 27). 2 HWPh 1, 1222 (H. Hüni). Ausführlich HWPh 1, 1222–1226 s. v. »Vorsokratisch; Vorsokratiker« (H. Hüni). 3 »Jakob Brucker, der die monumentale und für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts maßgebliche Historia critica philosophiae (1742–1767) verfasst hat, kannte den Begriff der ›Vorsokratiker‹ nicht. Er kannte ihn schlicht deshalb nicht, weil man die Epochen der antiken Philosophie zu seiner Zeit noch nicht mit den Begriffen einer unabdingbaren, linearen historischen Entwicklung unterteilt hatte, die erst ab etwa 1800 zu finden sind« (Gemelli I, 373). 4 »Anaxagoras zum Beispiel findet seine Zustimmung, weil er versucht hat, Behauptungen auf Beweise und Erfahrung zu stützen« (Braun 1990, 135). 5 Hermann Diels (1848–1922) studierte Philologie bei Hermann Usener (1834–1905); seine Doktorarbeit baute er zu den monumentalen Doxographi Graeci (1879) aus. Von Eduard Zeller nach Berlin geholt, wurde er 1881 Mitglied der Akademie der Wissenschaften und 1883 Universitätsprofessor. Zusammen mit einem internationalen Mitarbeiterstab edierte Diels die antiken griechischen Aristoteles-Kommentare (26 Bände in 57 Teilen). (Vorwort von Walter Burkert, in: Diels 2003, XXIII.)

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Historie

tationen und Kommentare zur frühen griechischen Philosophie. Mit Walther Kranz als zweitem Herausgeber wird die in zahlreichen Auflagen vorliegende Sammlung als »Diels/Kranz« (DK) zitiert und ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Forschung. Nimmt man für die Biographie des Parmenides als ungefähres Datum 500 v. Chr. an, dann gehört er zur griechischen Staatenwelt in klassischer Zeit, welche die Jahre 500 bis 336 v. Chr. umfasst. Peter Funke, der Autor des einschlägigen Beitrags in der Geschichte der Antike, 6 lässt aber Vorsicht mit dem von ihm untersuchten Begriff erkennen: »Die Ausbildung neuer Formen in der Musik, in der bildenden Kunst und im literarischen Schaffen stand in einer fruchtbaren Wechselwirkung mit der Entwicklung neuer Ideen und Denkweisen in der Philosophie. Wie die Tragödie sucht auch die Philosophie Antworten auf die Herausforderungen der Zeit. Im 6. und frühen 5. Jh. hatten die ionischen Naturphilosophen in Kleinasien (u. a. Thales, Heraklit, Anaximander und Xenophanes) sowie Pythagoras und seine Schüler und die ›Eleaten‹ in Unteritalien (Parmenides, Zenon) bereits die Bahnen vorgezeichnet, in denen sich dann auch in Athen philosophisches Denken bewegte und alle Wissenschaftsbereiche durchdrang. Anaxagoras aus dem kleinasiatischen Klazomenai gehörte zu den Vordenkern einer neuen Aufklärungsphilosophie, die mit ihren rationalistischen Erklärungsmodellen die traditionellen kosmologischen Vorstellungen in Frage stellte und einem Skeptizismus das Wort redete, der an den Grundfesten der geltenden Normen rüttelte.« 7

Diese Darstellung ist zugegebenermaßen überaus verkürzt und trotzdem sehr informativ, weil sie deutlich macht, wie zeitbedingt die Kosmologie (namentlich die eines Anaxagoras) den alten Kosmos-Gedanken in Frage stellte und damit auch die Bedeutung des Heiligen. Damit ist die Herausforderung angedeutet, die Parmenides auf seine

Gehrke/Schneider 2013, 145–210. Funke, in: Gehrke/Schneider 2013, 207. Zum Epochenbegriff der »Klassik« schreibt Funke: »Dieser Begriff ist einer vornehmlich kunsthistorisch orientierten Betrachtungsweise verpflichtet und hat vor allem die Werke der bildenden Kunst und Literatur der damaligen Zeit im Blick, die dann auch schon in der Antike als Spitzenleistungen künstlerischen Schaffens angesehen und entprechend kanonisiert wurden. Aufgrund seiner stilgeschichtlichen Provenienz ist der Begriff jedoch nur bedingt geeignet, um als allgemeiner Epochenbegriff für diesen Zeitraum zu dienen. Die Fokussierung auf das ›Klassische‹ im Sinne höchster Vollendung verstellt allzu leicht den Blick für die Vielfalt der Entwicklungen in Politik, Kultur und Gesellschaft der damaligen griechischen Staatenwelt« (Gehrke/Schneider 2013, 145 f.).

6 7

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Die Vorsokratiker

nur ihm eigene Art sich anzueignen genötigt war (°E.1.b). Doch es kommt noch etwas anderes hinzu. Das scheinbar harmlose »Vor-« enthält eine Wertung. Schon von Sotion wird Sokrates zum klassischen Philosophen stilisiert, und mit ihm empfangen Platon und Aristoteles die Würde von Klassikern 8, an denen jeder andere Philosoph zu messen sei. Ihre Vorgänger erscheinen aus dieser Perspektive als Vorläufer – doch sind »Vordenker« (wie oben vom Historiker geschildert) nicht grundsätzlich mehr als nur Vorläufer? Und wird der Vielfalt solcher Vordenker die Reduktion auf Vorgänger jener Klassiker gerecht? Heute kann der Terminus »Vorsokratiker« zweierlei meinen: erstens ein Werturteil, mit dem das Vorläufige, aber auch Unvollkommene der frühen Philosophen ausgedrückt wird; zweitens einen Epochenbegriff. Die Ausgabe von Diels/Kranz enthält 90 Autoren. Die ältesten stammen aus dem 6. und 5. Jh. v. Chr. – es handelt sich um die Dichtung der Orphiker. 9 Am anderen Ende befinden sich die sogenannten ΔΙΣΣΟΙ ΛΟΓΟΙ, »die um 400 {…} ein dorisch schreibender, namentlich von Protagoras beeinflußter Sophist hielt«. 10 Innerhalb dieser rund 150 Jahre fungiert der Terminus »Vorsokratiker« als neutraler Epochenbegriff. Ausschließlich in dieser Bedeutung wird er in vorliegender Arbeit (und angesichts der Problematik des Klassik-Begriffs) gebraucht. 11 ii.

»Philosophie« · »Ontologie«

Ist Parmenides ein Philosoph? Wird von Parmenides gesagt, διὰ ποιημάτων φιλοσοφεῖ, 12 er habe »durch Dichtungen philosophiert«, ist dies nur eine späte Zuschreibung des Diogenes Laertius und entbehrt wie in anderen Fällen der historischen Beglaubigung. Als erster nennt 8 »Klassik (lat. classicus = zur 1., höchsten Steuerklasse gehörig, nach der Vermögensstufung der röm. Bürger durch Servius Tullius, daher = materiell und geistig hervorragend; seit Gellius, 2. Jh. n. Chr., erscheint ›scriptor c.‹ als mustergültiger Schriftsteller ›1. Ranges‹), bezieht sich seit der Anerkennung des antiken Vorbildes in der Renaissance auf Kultur, Kunst und Lit. des griech.röm. Altertums« (Wilpert 1989, 455). 9 KP 4, 356; K. Z. 10 DK II, 4051. Zur Stellung der Vorsokratiker-Interpretation: Gadamer 1996, 169 ff. 11 Von hier an (außer bei Originalzitaten) mit »VS« abgekürzt. 12 28 A 1.

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Historie

sich Pythagoras einen Philosophen 13 (vermutlich eine »Rückprojizierung aus späterer Zeit«), 14 und Heraklit von Ephesos, ein Zeitgenosse des Parmenides, gebraucht den Ausdruck φιλοσόφους ἄνδρας, »philosophische Männer«. 15 Außerdem wird ihm der Satz zugeschrieben: χρὴ γὰρ εὖ μάλα πολλῶν ἵστορας φιλοσόφους ἄνδρας εἶναι. 16 Wenn im Folgenden zuweilen Begriffe wie »Ontologie«, »ontologisch«, »ontisch« »transzendental« oder »systematisch« verwendet werden, handelt es sich aus historischer Perspektive um Anachronismen. So ist das Wort »Ontologie« für Parmenides noch unbekannt, auch wenn für ihn als ersten das Sein zum Grundthema eines Denkens wird (und er deshalb als »Vater« der Ontologie gilt). Erst zwei Jahrhunderte später ist die Ontologie Thema der Untersuchungen des Aristoteles, allerdings wieder unter anderem Namen: Sie heißt jetzt πρώτη φιλοσοφία, »Erste Philosophie«. Am Anfang des vierten Buches der später so genannten Metaphysik steht der Satz: Ἔστιν ἐπιστήμη τις ἣ θεωρεῖ τὸ ὂν ᾗ ὂν καὶ τὰ τούτῳ ὑπάρχοντα καθ’ αὑτό. »Es gibt eine Wissenschaft, die das Seiende als Seiendes betrachtet und das diesem hinsichtlich seiner selbst Zugrundeliegende.« 17

Und noch einmal etliche Jahrhunderte darnach tritt »Ontologie« als Terminus in Erscheinung: Rudolf Goclenius gebraucht 1613 das Wort in seinem Lexicon philosophicum. 18 Vergleichbares gilt hier wie für den Terminus »VS«: Solange mit solchen und ähnlichen Worten keine anachronistische Wertung verbunden ist (die sich nicht selten auf die Autorität eines Platon oder Aristoteles berufen kann), ist gegen einen neutralen Gebrauch solcher Termini nichts einzuwenden.

DL I, 10. HWPh 7, 573 (M. Kranz). 15 22 B 35. 16 22 B 35. »(Denn) gar vieler Dinge kundig müssen weisheitsliebende Männer sein.« (DK I, 159) Doch ist Vorsicht geboten: »Das einzige Vorkommen des Adjektivs bei HERAKLIT: VS 22, B 35 kann als doxographische Hinzufügung angezweifelt werden« (HWPh 7, 576; G. Bien). 17 Metaph. Γ 1, 1003a21–22. 18 HWPh 6, 1189 (K. Kremer). 13 14

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Die Vorsokratiker

b.

Interpretationen

Einleitend wurde die Frage cui bono? gestellt. Wozu die Beschäftigung mit einem Philosophen solchen Alters, zumal sich seiner Interpretation einige Hindernisse in den Weg stellen? Solche Fragen wurden schon früher implizit gestellt und auf die eine oder andere Weise beantwortet. Ich wähle vier Beispiele unterschiedlicher Interpretationen: Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Eduard Zellers Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Walter Burkerts Arbeiten über die Zeit vor den Griechen, wofür paradigmatisch sein Buch Die Griechen und der Orient. Von Homer bis zu den Magiern stehen kann, schließlich der vorliegende Versuch, der von der Frage nach einer gemeinsamen Einheit der verschiedenen Interpretationen geleitet ist und von der Intention des Parmenides bestimmt wird. i.

Spekulation und System

»Die Geschichte der Philosophie ist die Geschichte der Entdeckung der Gedanken über das Absolute, das ihr Gegenstand ist.« 19 Dieser Satz aus Hegels Enzyklopädie ist für seine Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie von grundlegender Bedeutung. Sie beginnen mit der »orientalischen« Philosophie und setzen sich bis zu Hegels Gegenwart fort. 20 Das Absolute wird in den Vorlesungen näher bestimmt: »Das Absolute ist der Geist. Doch bei der Auffassung des Geistes kommt es auf die bestimmte Form an, in welcher der Geist vorgestellt wird. Sprechen wir vom Geiste als allgemeinem, so wissen wir, daß er für uns nur in der innerlichen Vorstellung ist; daß es aber dahin komme, ihn nur in der Innerlichkeit des Denkens und Vorstellens zu haben, ist selbst erst infolge eines weiteren Weges der Bildung geschehen.« 21 So erscheint die Geschichte der Philosophie in Gestalt eines ProHegel WA 8, 22. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) hält die Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie zuerst 1816/17 in Heidelberg, dann wiederholt in Berlin, zuletzt 1829/30. Er legt in ihnen »seine Theorie der Philosophiegeschichte dar und betrachtet die bisherigen philosophischen Positionen auf der Basis seines Systems. – Die Philosophie ist die höchste Form der Selbsterfassung des Geistes« (Volpi 1, 642; F. Longato). 21 Hegel WA 12, 211 f. 19 20

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Historie

zesses, der mit dem Geist beginnt und diesen in dialektischen Schritten bis zum absoluten Geist entfaltet. Hegel gebraucht dafür den Ausdruck »Enzyklopädie«. 22 Sie beginnt mit dem Versuch, durch Nachdenken die Wahrheit zu erkennen, hält aber an einzelnen Verstandesbestimmungen fest. Drei Arten, die Geschichte zu betrachten, zählt Hegel auf: »a) die ursprüngliche Geschichte, b) die reflektierende Geschichte, c) die philosophische«. 23 Die erste ist jene der Geschichtsschreiber (Herodot und Thukydides werden genannt). An zweiter Stelle stehen jene Historiker, die über ihre Gegenwart hinausgehen. Zu ihnen gehören jene, die den historischen Stoff verarbeiten und eine allgemeine Geschichte schreiben; dazu jene, die sich mit einer Welt beschäftigen, die nicht die ihre ist; schließlich jene, die allgemeine Gesichtspunkte ausbilden und damit den Schritt zur philosophischen Weltgeschichte tun. Diese ist vom Glauben an die Vernunft getragen und von der allgemeinen Überzeugung, »daß Vernunft in der Welt und ebenso in der Weltgeschichte geherrscht habe und herrsche«. 24 Hegel deutet den Gang der Geschichte der Philosophie als Einheit eines Systems, das als ein in sich kreisender Prozess verläuft: Der Geist geht aus sich heraus, entfaltet sich dialektisch und kehrt dorthin zurück, wo er immer schon war. Dies gilt sowohl für den Gang der Weltgeschichte als auch für die Geschichte der Philosophie. 25 Nach einem Vorbericht zur orientalischen Philosophie (einschließlich der Chinesen und Inder) beginnt Hegel mit der Philosophie der Ionier, setzt bei den Pythagoreern fort und gelangt dann zu den Eleaten; er folgt dabei weitgehend der Doxographie des Aristoteles. 26 Wo steht hier Parmenides? Parmenides ist für ihn »eine ausgezeichnete Figur« in der eleatischen Schule. 27 Zur Darstellung kommen F0 und in Grundzügen F1, wobei Hegel den Text teilweise mit eigener Übersetzung wiedergibt. 28 Seine Trennung in F1 und F2 folgt der üblichen Zweiteilung in einen Wahrheitsteil und einen Teil, der die bloß scheinbare Welt zum Inhalt Wörtlich: Eine Bildung (παιδεία) die im Kreis (ἐν κύκλῳ) zur Entfaltung kommt. Hegel WA 12, 11. 24 Hegel WA 12, 23. 25 »Auf diesen Unterschied kommt der ganze Unterschied in der Weltgeschichte an« (Hegel WA 18, 40). 26 °I.4.b. – »Aristoteles ist die reichhaltigste Quelle« (Hegel WA 18, 190). 27 Hegel WA 18, 284. 28 Zu den Siglen vgl. IV.1. 22 23

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Die Vorsokratiker

hat. Vergleicht man den betreffenden Abschnitt mit jenem über Heraklit, 29 lässt sich allerdings kaum eine besondere Nähe zu Parmenides feststellen. ii.

Historische Methode

1856 bis 1868 entsteht Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, eine Darstellung der griechischen Philosophie von Thales bis Boethius. Ihr Verfasser ist Eduard Zeller, 30 und es handelt sich um die bis auf weiteres umfangreichste historische Darstellung dieses Gegenstandes. Trotz einer gewissen Nähe zu Hegel verneint Zeller die Voraussetzungen von dessen Entwurf. Er leugnet zwar keineswegs die Bedeutung der Vernunft, lehnt es allerdings ab, sie als das absolute Prinzip zu begreifen. Doch bedeutet dies nicht, damit nun alles aufzugreifen und einzubeziehen, was bei den Griechen »Philosophie« heißt und was sie in ihren Schriften hinterlassen. Denn die Merkmale, welche die Zuordnung zur Philosophie begründen, sind selbst dem Begriff der Philosophie zu entnehmen. Voraussetzung dafür ist, dass die Arbeit von einem Vorbegriff der Philosophie und insbesondere der griechischen Philosophie geleitet wird. Zeller unterscheidet die Philosophie von den Einzelwissenschaften. Diese haben jeweils ein besonderes Gebiet zum Gegenstand ihrer Forschung, jene dagegen das Ganze – mit Zellers eigenen (und wohl mit Blick auf Aristoteles gewählten) Worten: Die Philosophie fasst »die Gesamtheit des Seienden als Ganzes ins Auge«. 31 Wie weit reicht der Umfang der griechischen Philosophie? Ist er von vornherein durch das Volk der »Hellenen« begrenzt, oder muss das ganze hellenische »Bildungsgebiet« berücksichtigt werden? Endet »Von ihm ist der Anfang der Existenz der Philosophie zu datieren; er ist die bleibende Idee, welche in allen Philosophen bis auf den heutigen Tag dieselbe ist, wie sie die Idee des Platon und Aristoteles gewesen ist« (Hegel WA 18, 336 f.). 30 Eduard Zeller (1814–1908) gehört ursprünglich zur Tübinger Schule der Theologie, muss aber seinen Marburger theologischen Lehrstuhl aufgrund der Einwände gegen seine liberale Theologie aufgeben. Er geht nach Heidelberg, 1862 nach Berlin und lehrt dort bis 1894. Philosophisch orientiert er sich zuerst an Hegel, dann an Kant. 1856 bis 1868 entsteht Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, seine sechsbändige Darstellung der griechischen Philosophie von Thales bis Boethius. Dass er den Terminus »Erkenntnistheorie« geprägt hat, trifft allerdings nicht zu (HWPh 2, 683; A. Diemer). 31 Zeller I/1, 8. 29

29 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Historie

die Geschichte der »griechischen Wissenschaft« mit dem Übergang zu den Römern und zur orientalischen Welt, oder ist deren Nachwirkung »bis auf unsere Gegenwart herab« zu verfolgen? Zeller meint, es sei »das Natürliche«, »die Philosophie so lange eine griechische zu nennen, als das Hellenische in ihr über das Fremde im Übergewicht ist, sobald sich dagegen dieses Verhältnis umkehrt, auf jenen Namen zu verzichten«. 32 Diese Antwort mag plausibel erscheinen, enthält aber einen durchaus zu hinterfragenden Vorrang des »Hellenischen«. Denn es bleibt erstens offen, auf welche Weise dem Hellenischen durch das »Fremde« Grenzen gezogen werden; zweitens stellt sich die Frage, ob es denn »das Natürliche« sei, die Fortwirkung der griechischen Philosophie bis in die Gegenwart zu verfolgen. Zeller bindet sich in seiner historischen Forschung an keine besonderen Vorgaben, es sei denn an eine »den Deutschen« besondere Vorliebe zu »den Griechen«. Die großen und bewunderungswürdigen Unternehmungen eines Boeckh oder Diels bis hin zu WilamowitzMoellendorff, die Bedeutung des Griechisch-Unterrichts in den Gymnasien, die intensive Auseinandersetzung mit der Dichtung des Griechentums und mit seiner Geschichte, nicht zuletzt die wachsende Bedeutung Friedrich Hölderlins 33 lassen dies auf vielfältige Art erkennen. Zwar erklärt Zeller im Rückgang auf die »orientalische Spekulation« die griechische Philosophie aus ihren Ursprüngen; doch das, was den Griechen vorausgeht, ist das »Fremde«. Die Lehren solcher Vorgänger lassen sich zwar nicht »aus der einheimischen Tradition der Griechen« erklären; doch bleibt derartigen Quellen das Unbekannte – »weil alles, was man nicht kennt, die Einbildungskraft zu reizen und in dem geheimnisvollen Nebel, durch den es gesehen wird, sich weit größer auszunehmen pflegt, als es in der Wirklichkeit ist«. 34 Zeller ist, wie schon angedeutet, alles andere als ein Sammler historischer Daten. Er weist eine solche Standpunktlosigkeit entschieden von sich: »Wer keinen philosophischen Standpunkt hat, ist desZeller I/2, 9. Sie verdankt sich vor allem Norbert von Hellingrath (1888–1916), der über Hölderlins Pindar-Übertragungen dissertiert und die Historisch-kritische Ausgabe der Werke Hölderlins begründet hat. Er meint, die Deutschen würden sich als »Volk Goethes« verstehen, doch sei diesem Begriff jener vom »Volk Hölderlins« vorzuziehen. Dieses Wort (und die nicht ungefährliche Auffassung von einem »geheimen Deutschland«) steht aber im Zeichen von Hölderlins Entdeckung eines »ursprünglicheren« Griechentums (s. a. Vetter 2014, 125 f.). 34 Zeller I/1, 23. 32 33

30 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Die Vorsokratiker

halb doch nicht überhaupt ohne Standpunkt; wer sich über philosophische Fragen keine wissenschaftliche Überzeugung gebildet hat, der hat darüber eine unwissenschaftliche Meinung; sollen wir zur Geschichte der Philosophie keine eigene Philosophie mitbringen, so heißt dies, wir sollen für ihre Behandlung den unwissenschaftlichen Vorstellungen vor wissenschaftlichen Begriffen den Vorzug geben.« 35 Zellers Absicht unterscheidet ihn von Hegel: »Was wir verlangen, ist {…} nur die vollständige Durchführung eines rein historischen Verfahrens, wir wollen die Geschichte nicht von oben herab konstruiert, sondern von unten herauf aus dem gegebenen Material aufgebaut wissen; dazu gehört allerdings auch, daß dieses Material nicht im Rohzustande belassen, daß durch eine eindringende geschichtliche Analyse das Wesen und der innere Zusammenhang der Erscheinungen erforscht werde.« 36 Damit wird Hegels »Geschichtskonstruktion« nicht verneint, wohl aber relativiert: »Wenn sie wenigstens richtig verstanden wird, kann sie nie dazu führen, daß den Tatsachen Gewalt angetan und die freie Bewegung der Geschichte einem abstrakten Formalismus geopfert wird; denn nur die geschichtlichen Überlieferungen und Tatsachen selbst sind es, aus denen wir auf den Zusammenhang des Geschehenen schließen, nur in dem frei Erzeugten soll die geschichtliche Notwendigkeit aufgesucht werden.« 37 Zur wahren Philosophie gelangt man allein auf dem Weg historischen Verstehens: Geschichte und Philosophie bedingen einander. »Dieser Kreis ist auch nie ganz zu durchbrechen: die Geschichte der Philosophie ist die Probe für die Wahrheit der Systeme, und ein philosophisches System ist die Bedingung für das Verständnis der Geschichte; je wahrer und umfassender eine Philosophie ist, um so vollständiger wird sie uns die Bedeutung der früheren erkennen lehren, und je unverständlicher uns die Geschichte der Philosophie bleibt, umso mehr Grund haben wir, an der Wahrheit unsrer eignen philosophischen Begriffe zu zweifeln. Was aber hieraus folgt, ist nur dieses, dass wir die wissenschaftliche Arbeit auf dem geschichtlichen so wenig als auf dem philosophischen Gebiete jemals für beendigt halten dürfen.« 38 35 36 37 38

Zeller I/1, 20. Zeller I/1, 18. Zeller I/1, 18. Zeller I/1, 20.

31 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Historie

iii. Vorgänger in der östlichen Literatur Hegel zählt zur »orientalischen Philosophie« die Philosophie der Chinesen; zu ihr gehören der Konfuzianismus 39 und der Taoismus. Der Zeit vor den Griechen geht auch die indische Philosophie mit dem »Samkhja-System« 40 und dem Buddhismus voraus. Doch trotz aller Würdigung dieser Erkenntnisweisen und der Weisheitslehrer dieser Epochen beginnt für Hegel das wahre Philosophieren bei den Griechen: »Bei dem Namen Griechenland ist es dem gebildeten Menschen in Europa, insbesondere uns Deutschen, heimatlich zumute.« 41 Diese Tendenz, sich primär an der griechischen Philosophie zu orientieren, wird erst im 20. Jahrhundert in Frage gestellt. Neue und neueste Forschungsergebnisse (namentlich die Entzifferung der Hieroglyphen und der Keilschrift) haben dazu ebenso wie ein unbefangener Blick beigetragen – nicht zu vergessen eine Distanz zu politischen Vorurteilen. Denn wie Walter Burkert (einer der Bahnbrecher in der Erforschung von Kulturen, die den Griechen vorausgehen) gezeigt hat, geht die Entdeckung der indogermanischen Sprachwissenschaft Hand in Hand mit der Errichtung einer Barriere: in Abgrenzung zu »den ›Semiten‹, {…} den Hebräern des Alten Testaments«. 42 Homer erscheint als »Genie des hellenischen Ursprungs«, was der Bemühung nicht förderlich ist, den Alten Orient neu zu entdecken. Der Umschlag erfolgt, was nahe liegt, erst mit Ende des sogenannten Dritten Reiches. Auch hier soll die besondere Position des Parmenides kurz angesprochen werden. Im Hinblick auf Späteres ist folgende Feststellung besonders wichtig: »{…} die Bücher, die die sogenannten Vorsokratiker damals schrieben, entstehen nicht im leeren Raum. Sie haben indirekte Vorgänger in der längst bestehenden ›östlichen‹ Literatur, in den sogenannten Weisheitstexten einerseits, in kosmogonischer Mythologie und Spekulation andererseits.« 43 Burkert führt dazu weiter aus: »Wir können Kontinuitäten, Kontakte, Vorzeichnungen der griechischen Philosophie in mannigfachen Formen in den älteren Hoch- und Schriftkulturen feststellen. Deutlich ist, daß die Vorsokratiker die mythische Tradition zumindest 39 40 41 42 43

Auf dessen Vermittlung durch Leibniz er eigens hinweist (Hegel WA 18, 142). Hegel WA 18, 152. Hegel WA 18, 173. Burkert 2009, 10. Burkert 2009, 55.

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Die Vorsokratiker

als Gerüst benützen, dem folgend sie die eigenen Entwürfe, und auch ihre Gegenentwürfe konstruieren. Es wäre nicht gut ohne das Gerüst gegangen; einige Verbiegungen freilich dürften darauf zurückzuführen sein, daß man sich dem Gerüst anpaßte. Und doch ist sonst nirgends daraus Philosophie in jener Form entstanden, wie sie sich seit den Vorsokratikern entwickelt hat. {…} Auch zu Mathematik und Astronomie läßt sich zeigen, wie die Griechen ganz neue, bislang nicht dagewesene Formen in Gestalt ihrer deduktiven Geometrie entwickelt haben.« 44 Solche für die Griechen eigentümlichen Besonderheiten meint Burkert bei Parmenides zu finden: »Besonders eigentümlich aber ist Parmenides mit seiner besonderen Art des Argumentierens und Beweisens. Parmenides’ berühmte, paradoxe These, daß ›das Seiende ist‹, Nicht-sein aber nicht ist und darum weder Werden noch Vergehen möglich seien, weil sie das Nichtsein voraussetzen würden, scheint in einer Hinsicht ganz aus der Sprache zu wachsen, und zwar aus der griechischen Sprache, die den scharfen Aspektgegensatz kennt zwischen einer Dauer überhaupt – ausgedrückt etwa durch den Verbalstamm es- – gegenüber den markanten Anfangs- und Endpunkten einer Handlung – ausgedrückt durch den Aoriststamm wie phu- oder gen-, physis, genesis. Zugleich aber, und dies ist das Merkwürdige, ist in der These des Parmenides ein Satz erfaßt, der mit gewissen Modifikationen bis heute unser wissenschaftliches Weltbild beherrscht: das Prinzip von der Erhaltung von Materie-Energie. Nichts kann aus purem Nichts entstehen, und nichts kann zunichte werden – daher unsere Probleme mit der Entsorgung des Unvernichtbaren. Auch hier kann man aber noch die Sprache des kosmogonischen Mythos wahrnehmen, oder vielmehr die Distanzierung von diesem. ›Werden und Vergehen‹, ›Schaffen und Zerstören‹ sind als sprachliche Antithesen und damit als verallgemeinerte Denkformen in der Welt-Spekulation längst etabliert, im Mesopotamischen und Ägyptischen wie dann im Griechischen. Im Enuma elish etwa wird der Gott Anshar angeredet: ›Du bist von weitem Herzen, Bestimmer der Bestimmungen. Was geschaffen wird, vernichtet wird, existiert in Verbindung mit dir‹ ; man spricht also von ›Vorhanden sein‹ (bashû) zwischen ›Werden‹ bzw. ›Schaffen‹ (banû) und ›Vergehen‹ bzw. ›Zerstört werden‹ (hulluqu) und bezeichnet so einen verallgemeinerten Dreischritt der Wirklichkeit. Später aber sprechen die Götter zu Mar44

Burkert 2009, 76.

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Historie

duk: ›Sprich Vernichten und Erschaffen: Es wird gelten‹, und offenbar muß eben dies die Macht des Gottes beweisen, wie dann auch der christliche Gott aus dem Nichts schafft, indem er sein ›es werde‹ spricht. Das kann er nicht, sagt Parmenides, und ebensowenig kann etwas zunichte werden; und unser Wissen pflichtet ihm bei.« 45 Mit Burkerts Ausblick und einer Frage schließe ich diesen Abschnitt: Nehmen wir einen »eurozentrischen« Standpunkt ein, wenn wir mit Parmenides darauf bestehen, dass Denken und Sprechen dem Seienden adäquat sein sollte? Oder sollten wir einfach etwas vorsichtiger sein? »Die ›Weisheit‹ des just so ist versunken. Fragen und Argumentationen sind geblieben.« 46 Im Hinblick auf unterschiedliche Texttypen schließt an Burkert die Klassische Philologin und Religionswissenschaftlerin Laura Gemelli Marciano an. 47 Sie hinterfragt die vor allem für Hegel und Zeller maßgeblichen hermeneutischen Vorgaben: »Unsere kollektiven Prämissen wurzeln vor allem in den Interpretationen Hegels und Zellers. Auf methodologischer Ebene besteht die wichtigste (und zugleich am schwersten erkennbare) Auswirkung von Zellers Ansatz darin, dass die moderne Forschung der so genannten Vorsokratiker nicht zwischen verschiedenen Texttypen unterscheidet.« 48 Dieser Mangel an Differenzierung hat zur Folge, »für Poesie wie für Prosa, für esoterische wie für exoterische Schriften dieselben Interpretationskriterien« anzuwenden. 49 So soll eine zusammenhängende philosophische Lehre gewonnen werden – ein Verfahren, das nicht zuletzt und besonders wirksam der klassischen Edition der VS von DK zugrundeliegt. Die VS sind aber keine »Denkergemeinschaft in einem homogenen Kontext«, 50 und dies schon deshalb nicht, weil viele Theorien mündlich und von verschiedenen Seiten verbreitet wurden und dabei vieles verloren ging. Sogenannte Einflüsse können auf ganz unterschiedliche Quellen zurückgehen und von »variablen zeitlichen, geographischen und persönlichen Fakten« 51 abhängig sein. Burkert 2009, 76 f. Burkert 2003, 136. 47 Laura Gemelli Marciano war während einiger Jahre wissenschaftliche Mitarbeiterin von Walter Burkert und ist Herausgeberin der in drei Bänden erschienenen Auswahl Die Vorsokratiker. 48 Gemelli I, 382. 49 Gemelli I, 382. 50 Gemelli I, 383. 51 Gemelli I, 384. 45 46

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Die Vorsokratiker

So wichtig die dadurch gewonnenen Erkenntnisse auch sind (auf Gemellis Beobachtungen zu den Themen »Mythos und Logos« oder das »Problem der Ursprünge« kann hier nur hingewiesen werden, um sie gegebenenfalls am entsprechenden Ort wieder aufzunehmen), in einem Punkt ist aber Vorsicht geboten: Der alleinige Rückgang zu den Quellen (an dem auch Walter Burkerts Forschungen wesentlichen Teil haben) 52 reicht nicht aus. Damit kommt zu den bisher lediglich typologisch umrissenen drei Arten, sich Parmenides anzunähern, eine vierte hinzu. iv.

Λόγον διδόναι – Europa?

Lässt sich z. B. Parmenides im Rückgang auf die Religionsgeschichte zureichend verstehen? Um direkt auf die FF einzugehen: Führt F0 (angenommen, es handle sich hier um den Prozess einer Initiation) gleichsam von selbst zu F1 und damit zum fundamentalen Thema von Denken und Sein? 53 Oder müsste mehr darauf geachtet werden, was bei Parmenides an wirklich Neuem herauskommt? Dass er sich zwar auf ältere Traditionen einlässt (hier stehen der Forschung noch weitere Aufgaben bevor), diese jedoch auf seine und nur ihm eigene Weise aneignet, weil ihn die Tradition – wiederum für ihn ganz spezifisch – herausfordert und zu neuen Fragen veranlasst – darin sehe ich den Sinn seiner verschiedenen Zurufe der Göttin an den Kuros: λεῦσσε δ’ ὅμως ἀπεόντα νόῳ παρεόντα βεβαίως· »Schau’ auf das Seiende, obgleich es abwesend ist: für das geistige Auge ist es da auf zuverlässige Burkert 2003; Burkert 2008. Es ist m. E. ein Mangel, wenn Peter Kingsley die für Parmenides relevanten kulturgeschichtlichen Hintergründe zwar kenntnisreich und umsichtig einbezieht, das Motiv der philosophischen Aussagen des Parmenides jedoch vernachlässigt. Ich teile daher Martina Stemichs Kritik: »Ein Haupteinwand gegenüber dieser Deutung, die zugegebenermaßen auf den ersten Blick überzeugt, liegt darin, dass diese Sichtweise für eine Interpretation des parmenideischen Denkens nicht hinreicht. Denn, obwohl Kingsleys Deutung viele übersehene Aspekte des Eleatischen Denkens in den Vordergrund stellt, berücksichtigt sie zu wenig, dass der Weg der Forschung des Parmenides zu einer geistesklaren, kritisch nachprüfbaren Erkenntnis führen soll. Strenggenommen verführt Kingsleys These zur Assoziation von Parmenides’ Lehre mit Schamanenartigem, welche gerade Parmenides’ Wahrheitslehre, aber auch seinen wissenschaftlichen Fragmenten im zweiten Teil des Lehrgedichtes, widerspricht. Schließlich reicht Kingsleys Parmenidesinterpretation, die Parmenides’ Wirken als Heiler, Höhlenpriester und Politiker hervorhebt, nicht, um Parmenides’ Seinslehre besser zu verstehen. Nicht zuletzt ist diese Interpretation, weil sie einzig auf dem Prooimion aufbaut, für Parmenides’ philosophisches Gedankengebäude nicht zugänglich« (Stemich 2008, 20 f.).

52 53

35 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Historie

Weise.« (B 4.1) Und vor allem: κρῖναι δὲ λόγῳ πολύδειριν ἔλεγχον, »Entscheide doch auch durch Rechenschaftslegung den viel bestritt’nen Beweis« (B 7.5). Dieses λεύσσειν und dieses κρίνειν ist die dem Parmenides eigentümliche Antwort, die nicht einfach aus der Vergangenheit herauswächst, sondern sich nur aus einer »kritischen« (κρίνειν!) Auseinandersetzung mit dieser ergibt. – Eine frühe Urkunde europäischen Denkens? Es ist kein Widerspruch zu Gemelli (abgesehen von unterschiedlichen Auffassungen in Einzelfragen) und präzisiert nur ihren Ansatz, wenn an sie die Frage gerichtet wird, wieweit es dem Parmenides gerecht wird, ihn ohne weiteres einen Philosophen zu nennen. Wozu diese dem Anschein nach möglicherweise unnötige Vorsicht und Zurückhaltung? Der so gewaltige Platon hat es gezeigt und exemplarisch vorgeführt, wie rasch das Spätere (zumal wenn es so überzeugend und gründlich wie von ihm, doch auch von Aristoteles argumentiert wird) Früheres überwölbt und für lange Zeit völlig ausgeblendet werden kann: Die Auslegung der δόξα aus der Perspektive der αἴσθησις führt dies aus interpretationshistorischer Sicht nur zu eindrucksvoll vor Augen (°III.8.b). Lässt sich Parmenides umstandslos als »Philosoph« bezeichnen? Was meint überhaupt damals das Wort »Philosophie«, das bekanntlich erst mit den Pythagoreern zum Terminus wird, bei Parmenides aber noch nicht vorkommt? Meiner Auffassung nach sollte ein wesentlicher Gewinn darin bestehen, zu erkennen, dass bei Parmenides etwas Neues zum Durchbruch kommt. Wird dieses unbedacht von einem späteren Begriff von Philosophie her gedeutet (wozu wir seit Platon verführt sind: °I.4.a), entzieht es sich. Ich erinnere deshalb daran, dass der Terminus »VS« im Rahmen dieser Arbeit keinerlei Wertung enthält, sondern ausschließlich chronologisch gemeint ist (°I.1.a). Auch wenn F0 durch die Wortwahl den Prozess einer Initiation nahelegt und sich damit als Thema einer historischen Analyse anbietet, ist dies noch keine Grundlage, um das Ziel der FF zu verorten. Dieses findet sich erst in F1, wenn die Göttin ihren Mythos der Wege erzählt und ihr Gegenüber einlädt, ihren Worten zu folgen (κόμισαι δὲ σὺ μῦθον ἀκούσας, »höre du aber den Mythos und eigne ihn an«, B 2.1). Bietet der Rekurs auf die Geschichte der Interpretation eine Vielfalt von Möglichkeiten, denen es nachzugehen gilt, so der Rekurs auf die Philosophie die durch den Weg des Seins gestiftete Einheit und die entsprechenden Aufgaben der Interpretation – bei aller Achtsamkeit auf die unterschiedlichen Textsorten. 36 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Parmenides

Ich sehe es als unumgängliche Aufgabe der Interpretation, die aus historisch-philologischer Analyse geschöpfte Vielheit mit der durch das philosophische Ziel vorgegebenen Einheit zu vermitteln und solcherart beiden – der Geschichte wie der Philosophie – so weit als möglich gerecht zu werden. Dass dieser Auffassung zufolge der Philosophie ein Vorrang zukommt (was noch zu begründen sein wird), enthält keinerlei Missachtung von Philologie und Historie (wie die fortlaufenden Hinweise auf deren Forschungen belegen werden). Daraus ergibt sich über die bisher genannten drei Möglichkeiten hinaus (Apriori der Philosophie, Aposteriori der Geschichte, unterschiedliche Texttypen) – eine vierte Möglichkeit; sie ist durch das komplexe Verhältnis von Geschichte und Philosophie und in eins damit durch das Ineinander von Vielheit und Einheit bestimmt, wobei dieser der Vorrang zukommt.

2.

Parmenides

Von Parmenides sind nur wenige biographische Daten überliefert. Obwohl seine Schrift schon im Altertum einen großen Ruf besaß, wurde sie doch wenig gelesen. Die quantitativ sehr ungleiche Überlieferung geht auf die unterschiedliche Wertschätzung zurück: Während F0 vollständig und F1 in teils umfangreichen Fragmenten vorliegt, gibt es von F2 nur kleinere Bruchstücke. Es handelt sich um wirkliche Fragmente, nicht etwa um Aufzeichnungen von der Art der Pensées eines Pascal.

a.

Leben

Über das Umfeld des Parmenides schreibt Lesky in seiner Literaturgeschichte: »Die Lebenszeit des Parmenides fällt in die zweite Hälfte des 6. und die erste des 5. Jahrhunderts. Elea, seine unteritalische Heimat, war uns eben in ihrer Bedeutung für Xenophanes begegnet und ihre Nähe zu den Zentren des Pythagoras stellt es außer Frage, daß der Einfluß dieser Bewegung auch in ihr wirksam war. Die immer wieder behaupteten Beziehungen zu Heraklit sind schwer zu sichern, aber die älteren Ioner hat er gekannt, und manches bei ihm setzt Anaximander und Anaximenes voraus.« 54 Lesky 1963, 236. Was die Deutung der Schrift des Parmenides anlangt, hält sich der Autor an das Übliche.

54

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Historie

Diogenes Laertius schreibt in seiner Sammlung über Leben und Meinungen berühmter Philosophen: 55 »Parmenides aus Elea, Sohn des Pyres, war ein Schüler des Xenophanes {…}. Obwohl er Schüler des Xenophanes war, teilte er seine Auffassungen nicht. Wie Sotion berichtet, schloß er sich auch an Ameinias an, den Sohn des Diochaitas, einen Pythagoräer, der zwar arm, aber ein ganz hervorragender Mann war. Seinen Auffassungen neigte er auch mehr zu, und als Ameinias starb, errichtete ihm Parmenides, der aus einem angesehenen Geschlecht stammte und reich war, ein Heroenheiligtum: ihm, nicht Xenophanes verdankte er seine Wendung zum kontemplativen Leben. {…} Seine Blütezeit fällt in die 69. Olympiade [d. h. 504–501] {…}. Wie Speusipp in seiner Schrift Über die Philosophen berichtet, soll er auch als Gesetzgeber für die Bürger gewirkt haben.« 56

In den Fünfziger- und Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts hat man in Velia einige Porträt-Hermen gefunden. »Eine kopflose Herme trägt die Inschrift: ›Parmeneides, Sohn des Pyres, Uliades, physikos‹. Drei weitere Inschriften, die auf einer Statue bzw. auf zwei Hermen eingraviert sind, sind je einem Oulis und Arzt (iatros) gewidmet, der in verschiedenen Jahren (auch die Zeitangaben sind rätselhaft) als pholarchos ›Herr der Höhle‹ gedient hat {…}. Es handelt sich also um die Porträts der Vorsteher einer Ärzteschaft, die sich auf Parmenides berief. Der Beiname des Parmenides, physikos, kann in diesem Kontext nicht nur ›Naturphilosoph‹ bedeuten, wie üblich in der späteren Zeit, sondern auch ›Arzt‹ {…}.« 57

Bei Parmenides fällt die Knappheit der Darstellung ins Auge, vergleicht man ihn etwa mit Heraklit (und den recht seltsamen Geschichten, die ihm angedichtet werden). 56 Mansfeld 1995, 23 (DK 28 A 1). 57 Gemelli II, 43. »Ouliades«, »Oulis«: οὔλω »ganz, heil sein, gesund sein, kommt nur im imperat. οὔλέ τε καὶ μέγα χαῖρε vor, Od. 24, 402« (Pape 2, 414). »But the word Ouliadês isn’t just a longer form of the name Oulis. It also has a longer history; can be traced back further in time. And this makes it easier to see what parts of the Greek world it had the closest links with. | The place where it was most popular of all was one particular area of Anatolia. That was the mountainous region to the south of Phocaea called Caria – the same Caria where Apollo Oulios was worshipped, where Apollo’s title Phôleutêrios came from, where it was natural to compare lying down at an incubation shrine with lying down in a phôleos or lair.« (Kingsley 1999, 107 f.) – Diese enge Verbindung von Philosophie und Heilkunde findet sich auch später, etwa in Platons Höhlengleichnis. Die Befreiung der leiblich wie geistig in der Höhle Gefangenen nennt Platon αὐτῶν λύσιν τε καὶ ἴασιν τῶν τε δεσμῶν καὶ τῆς ἀφροσύνης (Platon R. 515 c), Lösung und Heilung (ἴασις: ἰατρός = »Arzt«) von ihren Fesseln und ihrem Unverstand. 55

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Parmenides

Von Parmenides heißt es auch, er sei ein φυσιολόγος gewesen, also ein der φύσις Kundiger. Demzufolge war er nicht nur Philosoph, sondern auch Arzt – in einem wie dem anderen Fall ein des Heiles Kundiger. Man sollte dies – ebenso die Verbindung zu älteren, vorgriechischen Kulturen 58 – ernst nehmen, ohne das philosophische Anliegen des Parmenides – sein Kernthema »Sein und Denken« – aus dem Auge zu verlieren (°III.3). Dies enthält also auch Hinweise auf eine (genauer nicht bekannte) aktive Rolle in Elea und nicht nur auf sein philosophisches Werk. Nicht zuletzt soll Parmenides seiner Geburtsstadt Gesetze gegeben haben – so Speusipp in seinem Buch über die Philosophen: λέγεται δὲ καὶ νόμους θεῖναι τοῖς πολίταις, ὥς φησι Σπεύσιππος ἐν τῷ Περὶ φιλοσόφων. 59 Parmenides wurde demnach in Velia oder Elis (Elea) geboren. Die Stadt, an der Westküste Unteritaliens gelegen, »war kurz nach 540 v. Chr. von Griechen, die ihre kleinasiatische Heimat unter dem Druck der Perser verlassen hatten, neugegründet worden und hat sich als wohlhabender Handelsort bis in die Römerzeit behauptet«. 60 Zwei Autoren werden für die Lebensdaten des Parmenides immer wieder genannt: Apollodor von Athen und Platon. Apollodor 61 gibt 544/541 v. Chr. als Geburtsjahr an. Allerdings neigt dieser Chronist dazu, Jahreszahlen zu harmonisieren. Das betrifft etwa die Angabe der ἀκμή, der »Blüte« eines Autors, die umstandslos auf das 40. Lebensjahr festgesetzt wird. Xenophanes hatte demnach 540 v. Chr. seine ἀκμή, Parmenides um 500 v. Chr. und Zenon von Elea weitere 40 Jahre darnach. 62 In seinem nach Parmenides benannten Dialog schreibt Platon, jener habe als 65jähriger den etwa 20jährigen Sokrates getroffen (Prm. 127a–d); auch im Theaitetos weist Sokrates auf seine Begegnung als junger Mann mit Parmenides hin (Tht. 183e; Sph. 217c).

»{…} die Bücher, die die sogenannten Vorsokratiker damals schrieben, entstehen nicht im leeren Raum. Sie haben indirekte Vorgänger in der längst bestehenden ›östlichen‹ Literatur, in den sogenannten Weisheitstexten einerseits, in kosmogonischer Mythologie und Spekulation andererseits« (Burkert 2003, 55). 59 28 A 1. »{…} noch in späteren Zeiten wurden ihre geordneten Verhältnisse auf ihn zurückgeführt« (Heitsch 1974, 59). 60 Heitsch 1974, 58. – Lageplan: Padrutt 1991, 17. 61 °IV.3. 62 Mit »Blüte« (ἀκμή) wird der Höhepunkt im Schaffen eines Autors bezeichnet. 58

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Historie

Geht man davon aus, wäre das Geburtsjahr des Parmenides mit etwa 515 v. Chr. anzusetzen. Diogenes Laertius nennt Parmenides zwar einen Schüler des Xenophanes, schränkt aber gleichwohl ein, jener habe dessen Auffassungen nicht geteilt und habe sich dem Amenias 63 angeschlossen – er beruft sich dazu auf Sotion (°I.1.a). Dem Pythagoreer Amenias habe Parmenides seine Wende zum kontemplativen Leben, zur ἡσυχία (»Ruhe, Frieden«) verdankt und ihm dafür ein Heiligtum errichtet. 64

b.

Die Fragmente

i.

Überlieferung

Die Fragmente des Parmenides sind bei verschiedenen Autoren, vornehmlich der Spätantike, sowohl in griechischer wie lateinischer Sprache überliefert. Die umfangreichsten Zitate aus Parmenides’ Lehrgedicht finden sich bei Sextus Empiricus und Simplikios. Eine mustergültige Zusammenstellung der Fragmente bietet die Ausgabe von Hermann Diels (°I.1.a).

Der von der Mehrzahl der Autoren nicht weiter erwähnte Amenias wird von Kingsley in einem eigenen Kapitel behandelt. »What Ameinias taught Parmeneides wasn’t anything to do with thinking as we understand thinking, or philosophical reflection. It had to do with incubation.« (Kingsley 1999, 181) Wenn Diogenes Laertius schreibt, dem Amenias, nicht dem Xenophanes habe Parmenides »seine Wendung zum kontemplativen Leben« verdankt, οὐχ ὑπὸ Ξενοφάνους εἰς ἡσυχίαν προετράπτη (DK 28 A 1), so erklärt dies Kinsley so: »For hêsychia and phôleos are two words that happen to belong together: repeatedly they occur side by side in ancient Greek. When Strabo tried to describe what happened at the incubation shrine near Acharaca he wasn’t the only writer who chose to sum up the experience of lying motionless – just like an animal in a phôleos or lair – by using the word hêsychia« (Kingsley 1999, 181 f.). 64 Das Wort ἡσυχία kann im 5. Jh. v. Chr. »unmöglich im Sinne der ›Ruhe des kontemplativen Lebens‹ der hellenistischen Philosophen interpretiert werden. Denn das Wort ist mit dem pythagoreischen Schweigen und der besonderen Ruhe verbunden, durch die auch prophetische Träume hervorgerufen werden {…}. Hesychia taucht aber auch {…} im Zusammenhang mit der Inkubation auf. So lässt sich die Gesetzgebung und die Iatromantik des Parmenides in einem Kontext erklären, der auf den Pythagoreismus und auf die apollonische Heilkunst verweist« (Gemelli II, 46). 63

40 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Parmenides

ii.

Titel

»Das Gedicht des Parmenides trug im Altertum den Titel ›Über die Natur‹, und Simplicius zweifelte nicht daran, daß es des Autors eigene Überschrift war.« 65 Im Übrigen tragen die Schriften dieser frühen griechischen Philosophen häufig den Titel Περὶ Φύσεως. Doch während etwa bei Heraklit die Φύσις eine tragende Rolle spielt, ist dies bei Parmenides nicht der Fall. Das Wort φύσις kommt bei ihm nicht oft vor (B 10, 1 und 5; B 16, 3), was freilich noch nicht besagt, damit sei auch ihre sachliche Bedeutung ausgeschlossen. Was ist mit φύσις gemeint? Das transitive Verbum φύω bedeutet »wachsen lassen, schaffen«, 66 das Substantiv φύσις (oder Φύσις 67) einen Prozess, in dem alles, was ist, wächst, also zunehmend in Erscheinung tritt. Götter und Menschen, Gesteine, Tiere und Pflanzen, Himmel, Erde und Unterwelt erscheinen. Am Rande sei angemerkt, dass ein solches Geschehen keine weitere Ursache hat und sich dadurch vom Gedanken einer Schöpfung aus dem Nichts unterscheidet. Wenn sich das Wort »Sein« auf alles, was es überhaupt gibt, bezieht (°B.3) und mit dem Substantiv φύσις das Erscheinen all dessen, was ist, angezeigt wird, lässt sich auch der Titel Περὶ Φύσεως sachlich begründen, mag er nun vom Autor der FF gebraucht worden sein oder nicht. iii. Lehrgedicht Der üblichen Gliederung zufolge beginnen die Fragmente mit dem Proömion oder Eingangslied, ihm folgen der erste und zweite Teil. Hauptthema des ersten Teils ist die ἀλήθεια, des zweiten die δόξα. 68 Die FF unterscheiden sich deutlich in ihrem Umfang: F0 ist vollständig erhalten; von F1 sind FF von unterschiedlicher Größe überliefert; von F2 gibt es nur meist kurze Bruchstücke. Die Edition von DK enthält 18 FF mit 153 Versen in griechischer und ein F mit 6 Versen in lateinischer Sprache. Reckermann, in: Hölscher 2014, 60. natura creatrix, »die Natur, die hervorbringt« (DK III); »θεία, ἡ τῶν πάντων φύσις« (Gemoll); »hervorbringen, wachsen, entstehen lassen« (Pape). 67 Groß und Kleinschreibung (Φύσις oder φύσις) ist wie hier auch anderswo zu vernachlässigen. 68 Siglen: »F« = »Fragment«, »FF« = Fragmente, »F « = Proömion, »F « = erster Teil, 0 1 »F2« = zweiter Teil. 65 66

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Historie

Diese 19 FF werden meist der Gattung »Lehrgedicht« zugeordnet. Das deutsche Wort stammt aus der Barockzeit und bezieht sich auf alle Formen gereimter Lehrdichtung. 69 Als literarische Form gibt es das Lehrgedicht freilich schon in der Antike. Eines der berühmtesten Beispiele sind die Phainomena des Aratos, 70 eine Sternkunde in Hexametern mit insgesamt 1154 Versen, die geradezu kanonischen Charakter erhielt. 71 Parmenides schreibt wie Aratos in Hexametern. Doch damit erschöpft sich der Vergleich. Das betrifft sowohl den Inhalt (Parmenides: »Sein«, Aratos: »Gestirne«) als auch die Vertrautheit mit einem bereits bekannten Thema. Der Stoff, den Aratos gestaltet, ist vorgegeben und wird nur noch in eine Form gebracht, die seiner Rezeption dient. Dagegen ist das Thema des Parmenides neu und muss dem Verstehen erst nahe gebracht werden. Auch wenn hier gleichfalls didaktische Momente im Spiel sind, 72 so wird doch nicht die Übernahme einer bestehenden Lehre verlangt, sondern die Entscheidung für einen Weg. Ein besonderes Problem stellt die Einheit der FF dar; dies betrifft vor allem den inneren Zusammenhang von F1 und F2. Dahinter steht zunächst eine Abwertung von F2, was freilich die Frage aufwirft, warum dann Parmenides so viel Aufwand mit etwas getrieben hat (die vorhandenen FF von F2 lassen dies zumindest vermuten), das für ihn selbst nur von allenfalls untergeordneter Bedeutung war. Ein Beispiel für den Umgang mit dieser Verlegenheit bietet Friedrich Nietzsche. Seine Abhandlung Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen enthält den Versuch einer Erklärung: »Parmenides hat, wahrscheinlich erst in seinem höheren Alter, einmal einen Moment der allerreinsten, durch jede Wirklichkeit ungetrübten und völlig blutlosen Abstraktion gehabt; dieser Moment – ungriechisch wie kein anderer in den zwei Jahrhunderten des tragischen Zeitalters – dessen Erzeugniß

Wilpert 1989, 505. °IV.3. 71 »Schon im 2. Jahrhundert v. Chr. entnahmen die Gebildeten dem Gedicht alles, was sie über die Sternbilder und Wetterzeichen wissen wollten, und aus diesem Grund wurde es in den Gymnasien zur Grundlage des Astronomieunterrichtes; das blieb es bis ins Mittelalter. Für die Dichter diente es als Handbuch astronomischer und meteorologischer Motive« (Aratos 1971, 115). 72 Die Göttin der FF erzählt dem Kuros (°III.2.b) ihren besonderen Mythos und fordert ihn auf, sich diesen anzueignen (κόμισαι δὲ σὺ μῦθον ἀκούσας, αἵπερ ὁδοὶ μοῦναι διζήσιός εἰσι νοῆσαι B 2.1–2). 69 70

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Parmenides

die Lehre vom Sein ist, wurde für sein eignes Leben zum Grenzstein, der es in zwei Perioden trennte: zugleich aber zertheilt derselbe Moment das vorsokratische Denken in zwei Hälften, deren erste die Anaximandrische, deren zweite geradezu die Parmenideische genannt werden mag.« 73

Nietzsche interpretiert den Unterschied von F1 und F2 biographisch. Zuerst habe sich Parmenides die Kosmologie des Anaximander zu eigen gemacht; im höheren Alter sei eine Phase der Abstraktion gefolgt. Doch offenbar konnte es dabei nicht bleiben, und so kam es zu einer Rückbesinnung: »Doch scheint er nicht alle väterliche Pietät gegen das kräftige und wohlgestaltete Kind seiner Jugend verloren zu haben, und er half sich deshalb zu sagen: ›Zwar giebt es nur einen richtigen Weg; wenn man aber einmal auf einen andern sich begeben will, so ist meine ältere Ansicht, ihrer Güte und Consequenz nach, allein im Recht.‹ Mit dieser Wendung sich schützend hat er seinem früheren physikalischen Systeme einen würdigen und ausgedehnten Raum selbst in jenem großen Gedicht über die Natur gegönnt, das eigentlich die neue Einsicht, als den einzigen Wegweiser zur Wahrheit proklamiren sollte. Es ist diese väterliche Rücksicht, selbst wenn durch sie ein Irrthum eingeschlichen sein sollte, ein Rest von menschlicher Empfindung, bei einer durch logische Starrheit ganz petrificierten und fast in eine Denkmaschine verwandelten Natur.« 74

Diese biographische Erklärung ist unhaltbar. Doch die Matrix einer solchen Interpretation (mit der Trennung von F1 und F2) findet sich in abgewandelter Form selbst bei einem so bedeutenden Philosophiehistoriker wie Eduard Zeller: »So schroff aber Parmenides die Wirklichkeit der Erscheinung, das vernünftige Denken den Täuschungen der Sinne entgegensetzt, so kann er sich doch nicht enthalten, im zweiten Teil seines Lehrgedichts zu zeigen, welche Weltansicht sich auf dem Standpunkt der gewöhnlichen Vorstellung ergeben würde, und wie das einzelne von hier aus zu erklären wäre.« 75

Karl Reinhardt erbringt 1916 den Nachweis der inneren Zusammengehörigkeit von F1 und F2 – ein Durchbruch in der Parmenides-Forschung. 76 Nietzsche KSA 1, 836. »Aufzeichnungen über die vorsokratische Philosophie lassen sich im Nachlaß vom Sommer 1872 an feststellen; eine druckmanuskriptartige Fassung unter dem Titel Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen {…} bringt N im April 1873 mit nach Bayreuth« (KSA 14, 108). 74 Nietzsche KSA 1, 836. 75 Zeller I/1, 700 f. 76 »Es hat dem Verständnis sehr zum Schaden gereicht, daß man die beiden Teile des 73

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Historie

iv.

Dichtung und Philosophie

Welche Bedeutung hat die formale Gestaltung dieses Werkes? Parmenides schreibt nicht in Prosa, sondern dichtet in Versen, um seine Philosophie auszudrücken. Gibt es einen inneren Zusammenhang zwischen der dichterischen Form und seinem Denken? Man kann die verschiedenen Urteile etwa so zusammenfassen: 1. Die Wiedergabe in Versen geht auf äußere Einflüsse zurück. 77 2. Sie ist nicht geglückt. 78 3. Sie ist ein Rückschritt, da schon vor Parmenides für philosophische Texte der Prosa der Vorzug gegeben wurde. 79 4. Die Dichtung ist mythische Einkleidung des Denkens. 80 5. Zwischen dem Denken, um das es primär geht, und dessen AusGedichtes nur getrennt, als gänzlich unvereinbar und selbst unvergleichbar zu betrachten sich gewöhnt hat. Für Parmenides ist keiner der beiden ohne den anderen denkbar, und zusammen erst ergeben sie ein Ganzes« (Reinhardt 2012, 32). 77 Verwandt mit der »Literaturgattung der Ὑποθῆκαι, der belehrenden und warnenden Dichtungen, wie sie Hesiod an seinen Bruder Perses, Theognis an seinen jungen Freund Kyrnos richtete«, müsse man sich dennoch hüten, »eine im einzelnen durchgeführte Allegorese darin zu suchen, wie dies im Altertum und teilweise auch noch von neueren Erklärern geschehen ist. Aber d e n Gedanken werden wir allerdings als den Sinn dieser dichterischen Einkleidung festhalten dürfen, daß es für die Erkenntnis der Wahrheit einer Losreißung von allem Irdischen, eines völligen Bruchs mit der Alltagsmeinung der Menschen bedürfe« (Zeller I/1, 728 f.). – »Die frühesten Philosophen, Anaximander, Anaximenes und Herakleitos schrieben alle in Prosa und die einzigen Griechen, die überhaupt jemals Philosophie in Versen schrieben, waren eben diese beiden, Parmenides und Empeklos; denn Xenophanes war von Haus aus nicht mehr Philosoph als Epicharmos. Empedokles ahmte Parmenides nach und dieser war ohne Zweifel von Xenophanes und den Orphikern beeinflußt. Aber die Sache war eine Neuerung und zwar eine, die sich nicht erhielt« (Burnet 1913, 158). 78 »In der Antike und heute ist man sich gleichermaßen einig, daß das schriftstellerische Talent des Parmenides gering einzuschätzen ist. Er besitzt im Ausdruck wenig Gewandtheit, und das Ringen darum, neue, schwierige und hoch abstrakte philosophische Gedanken in eine metrische Form zu zwingen, endet häufig in unauslöslicher Unklarheit, besonders in syntaktischer Unklarheit. Andererseits erreicht er in den weniger argumentativen Passagen des Gedichts doch einen unbeholfenen hohen Stil« (Kirk & al. 1994, 265). Noch härter urteilt bereits 1897 Diels, demzufolge »die ganze Einkleidung sich nicht über eine dürftige Allegorie erhebt, der jeder poetische Nerv fehlt« (Diels 2003, 22). 79 »Bleibt Parmenides nicht wirklich hinter der Entwicklung, die die kritische Reflektion genommen hatte, zurück?« (Heitsch 1974, 66). 80 Nestle (Herausgeber der 6. Auflage von 1919) schreibt, dass Zeller »die künstlerische Einkleidung, die Parmenides seinem Lehrgedicht gegeben hat, unberücksichtigt gelassen« habe. »Der Dichter führt seine Philosophie ein in der mythischen E i n k l e i d u n g e i n e r O f f e n b a r u n g « (Zeller I/1, 726).

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Tradition · Wirkung

druck wird nicht klar unterschieden. 81 6. Auch die didaktische Vermittlung ist ein Motiv. 82 7. In der dichterischen Einkleidung steckt ein besonderer Sinn. 83 8. Es handelt sich um einen literarischen Kunstgriff, der die Merkfähigkeit der Rezipienten untertützt. 84 Bei aller Verschiedenheit der Urteile über die dichterische Gestaltung der FF: Wirkt nicht die durchgehende Form des Hexameters wie eine Klammer, die das Ganze zusammenhält, gleichsam als Element der Einheit des Ganzen?

3.

Tradition · Wirkung

Wiederholt wird Parmenides in die Nähe zu Pythagoras gerückt, manche sehen in ihm überhaupt einen Pythagoreer, andere auch einen Orphiker. Bezüglich des Xenophanes haben Platon und Aristoteles wesentlichen Anteil an der Behauptung, jener sei der Lehrer des Parmenides gewesen. Was die »Schule« von Elea betrifft: Nur zwei Philosophen sind als Nachfolger des Parmenides anzusehen: der Eleate Zenon und Melissos.

»Die Bildersprache ist ebenso eindrucksvoll, wie sie auch durchsichtig war für die mit dieser Sprache Vertrauten. Es geht immer um das Denken; und dabei wird, nach archaischer Art, nicht scharf unterschieden zwischen dem Denkprozeß, dem Gehalt der Gedanken, und drittens ihrer Formulierung und Verlautbarung im Gedicht« (Fränkel 1993, 4007). 82 »Indeed, Parmenides, convinced he has discovered an essential, basic, and fundamental truth, wants to communicate his discovery, and in order to do so he presents his Poem as a real course in philosophy, in which a professor (in the text, an anonymous goddess) explains to a pupil (in the text, an enthusiastic but inexperienced youth) how to go about seeking truth« (Cordero 2004, 15). 83 »Die Schlüsselfrage ist dabei, ob die Dichtung des Eleaten nur die gewählte Einkleidung des philosophischen ›Gehalts‹ in eine bestimmte Form der Darstellung oder ob das poetische Element als unwillkürlicher Träger mythischer Assoziationen auch eine der Grundlagen und Ursachen, der Ursprünge und Quellen seiner geistigen Einsichten ist« (Böhme 1980, 9). 84 »Zu den Kunstgriffen dieser Art gehört das Mittel der Wiederholung {…}. Dieses Mittel wird für ein Publikum benutzt, das nicht liest, sondern dem durch den Verfasser gesprochenen Vortrag des Textes folgt. Das ist kennzeichnend für die vorliterarische Kulturepoche, mit der wir es hier zu tun haben. Darum darf die Wiederholung nicht als Zufall angesehen werden. Sie gehört zur Mnemotechnik, wie man wohl sagen darf, und zwar ebenso auf seiten des Rhapsoden wie auf seiten des Hörers. Daraus geht hervor, daß der Text des Parmenides auch vom literarischen Standpunkt durchaus nicht archaisch ist, sondern sich als vorzüglich artikulierte Komposition darstellt – auch durch ›Wiederholung‹« (Gadamer 1996, 161). 81

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Historie

a.

Vorläufer

i.

Orphik

Der Name »Orphiker« geht auf die mythische Gestalt des Orpheus zurück. Die historischen Bezüge zu Parmenides sind ungewiss. Orpheus ist im Mythos der bekannteste Zeuge für die Macht der Musik. Daraus hat man den Schluss gezogen: »Wenn O. der älteste Sänger, also auch der älteste Dichter war, mußte er logischerweise auch der Erfinder des als das älteste geltenden Versmaßes sein, in dem die unter seinem Namen umlaufenden Dichtungen abgefaßt waren: des versus heroicus, des Hexameters.« 85 Zu den bekanntesten Fragmenten gehört jenes vom Körper (σῶμα) als dem Grab (σῆμα) der Seele. 86 Auch bedürfen die dem Kreis des Orpheus Zugehörigen der Weihe: θύρας δ’ ἐπίθεσθε βέβηλοι. »Macht aber die Türen zu, ihr Uneingeweihten!« 87 ii.

Pythagoreer

»Orpheus ist und bleibt Mythos, und a l s M y t h o s bietet er sich als Idee dar.« 88 Auf Pythagoras trifft dies freilich nicht zu. Ionien war, so berichtet Herodot, unter die Fremdherrschaft der Perser geraten. 89 Nur die Bewohner von Milet blieben verschont, denn sie hatten mit Kyros II. ein Bündnis geschlossen. 90 Doch unter dessen Nachfolger Dareios kam es zur Katastrophe, »da die meisten Männer von den langhaarigen Persern erschlagen, ihre Weiber und Kinder zu Sklaven gemacht und ihre Heiligtümer, der Tempel und das Orakel in Didyma, geplündert und verbrannt wurden«. 91 Den Überlebenden wies man Wohnsitze unweit vom Roten Meer zu. Lediglich die Samier wollten nicht bleiben und machten sich nach Sizilien zusammen mit den zu ihnen geflüchteten Milesieren auf. 92 In diesem

85 86 87 88 89 90 91 92

KP 4, 353; K. Z. DK 1 B 3. DK 1 B 7 = DK I, 9. Kerényi 1940, 6. Zu Herodot: Lesky 1963, 337–361. Herodot I 169. Herodot 2001, 480 (= VI 19). Herodot VI 22.

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Tradition · Wirkung

neuen Umfeld entstanden Neuerungen in Philosophie und Religion, die mit dem Denken der Ionier kaum noch Gemeinsames hatten. »Die neuen Anschauungen waren in Ionien wahrscheinlich so natürlich und allmählich emporgewachsen, daß ein plötzlicher Konflikt und eine Reaktion mit ihren gewaltsamen Folgen vermieden worden waren; aber dies konnte nicht so bleiben, als die Anschauungen in Gegenden übertragen wurden, wo die Menschen nicht im geringsten darauf vorbereitet waren, sie zu übernehmen.« 93

Pythagoras wurde um 570/60 v. Chr. auf der Insel Samos geboren. Er verließ seine Heimat wegen der Tyrannis des Polykrates und ging um 530 nach Kroton, der damals mächtigsten Stadt in Unteritalien. Seit dieser Zeit war die Gemeinschaft der Pythagoreer maßgeblich an der Gestaltung des öffentlichen Lebens beteiligt. Aufgrund ihrer wachsenden politischen Bedeutung kam es zu einem Aufstand, worauf Pythagoras nach Metapont flüchtete, wo er Anfang des 5. Jh.s v. Chr. starb. 450 v. Chr. wurde der Versammlungsort der Pythagoreer niedergebrannt, sie selbst wurden erschlagen. In anderen Städten Süditaliens gab es die Bewegung noch bis in die zweite Hälfte des 4. Jh.s v. Chr. 94 iii. Xenophanes Die Blüte des Xenophanes wird mit etwa 540 v. Chr. angegeben. Mit 25 Jahren soll er sein unstetes Wanderleben begonnen und noch im Alter von 92 gedichtet haben. Dem Zeugnis des Theophrast 95 zufolge hat er Anaximander gehört. Aus seiner kleinasiatischen Geburtsstadt vertrieben, ging er nach Sizilien und trug dort seine Elegien und Satiren vor. Es sind etwa 200 Verse in Hexametern und Distichen. Sicherlich weist das umfangreiche Œuvre des Xenophanes Parallelen zu Parmenides auf; bei näherem Hinsehen treten allerdings die Differenzen deutlich hervor. Weder ist der Gott des Xenophanes mit dem Sein des Parmenides identisch, noch liegt dessen Begriff der δόξα auf einer Ebene mit dem δόκος des Xenophanes. Die Kritik des Xenophanes an den überlieferten Gottesvorstellungen bezieht sich vor allem auf Homer und Hesiod: »Alles haben

93 94 95

Burnet 1913, 67. Gemelli I, 170. °IV.3.

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Historie

den Göttern Homer und Hesiod angehängt, | was nur bei Menschen Schimpf und Tadel ist: Stehlen und Ehebrechen und einander Betrügen.« 96 Diese menschlich-allzumenschlichen Vorstellungen von Göttern sind relativ: »Doch wenn die Ochsen und Rosse und Löwen Hände hätten oder malen könnten mit ihren Händen und Werke bilden wie die Menschen, | so würden die Rosse roßähnliche, die Ochsen ochsenähnliche Göttergestalten malen | und solche Körper bilden, wie jede Art gerade selbst ihre Form hätte.« 97 Entsprechend die Selbstaussagen verschiedener Völker: »Die Äthiopier behaupten, ihre Götter seien stumpfnasig und schwarz, | die Thraker, blauäugig und rothaarig.« 98 Gerade an der Gottesvorstellung zeigt Xenophanes die Beschränktheit und Situiertheit menschlichen Wissens auf. Doch wenn auch der menschliche Anteil an der Findung der Wahrheit begrenzt ist, hat dies nicht nur negative Bedeutung. Anders als im Mythos werden neue Entdeckungen nicht mehr als Geschenk der Götter betrachtet, sondern als Ergebnis menschlichen Forschens: »Wahrlich nicht von Anfang an haben die Götter den Sterblichen alles enthüllt, | sondern allmählich finden sie suchend das Bessere.« 99 Xenophanes vertritt einen strengen Monotheismus: εἷς θεός, ἔν τε θεοῖσι καὶ ἀνθρώποισι μέγιστος, | οὔτι δέμας θνητοῖσιν ὁμοίιος οὐδὲ νόημα. »Ein einziger Gott, unter Göttern und Menschen am größten, weder an Gestalt den Sterblichen ähnlich noch an Gedanken.« 100 οὖλος ὁρᾷ, οὖλος δὲ νοεῖ, οὖλος δέ τ’ ἀκούει. »Gott ist ganz Auge, ganz Geist, ganz Ohr.« 101 Angesichts dieser Gottheit ist dem Wissen der Sterblichen eine prinzipielle Grenze gezogen. Dafür gebraucht Xenophanes das Hapaxlegomenon δόκος. Es entspricht dem Substantiv δόκησις, drückt demnach eine »Meinung, die nicht begründet ist«, aus: 102 δόκος δ’ ἐπὶ πᾶσι τέτυκται. »Schein(meinen) haftet an allem.« 103

21 B 11. DK I, 132 f. (21 B 15). 98 DK I, 133 (21 B 16). 99 DK I, 133 (21 B 18). 100 21 B 23 (DK I, 135). 101 21 B 24 (DK I, 135). 102 Pape 1, 653. 103 21 B 34 (DK I, 137). 96 97

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Tradition · Wirkung

d.

Eleaten

Von einer Schule von Elea kann bei Zenon die Rede sein, bei Melissos ist dies eher fragwürdig. Nach diesen beiden gibt es keine weiteren Vertreter, wobei die Argumente der Genannten die Atomisten und Sophisten vorbereiten. Gemeinsam ist ihnen der Versuch, das Eine Sein des Parmenides argumentativ zu untermauern: Zenon auf dem Weg der Dialektik, Melissos durch eine umfassende Interpretation. »Mit Zeno trifft Melissus 104 in dem Bestreben zusammen, die Lehre des Parmenides gegen die herrschende Vorstellungsweise zu verteidigen. Während aber jener diese Verteidigung auf indirektem Wege, durch Widerlegung der gewöhnlichen Annahmen, versucht und infolge davon den Gegensatz beider Denkweisen aufs äußerste gespannt hatte, will Melissus direkt zeigen, daß das Seiende nur so gedacht werden könne, wie Parmenides seinen Begriff bestimmt hatte; wobei er sich aber doch, wie wir finden werden, in einer nicht ganz unerheblichen Beziehung von seinem Lehrer entfernt.« 105

i.

Zenon von Elea

Zenon von Elea (* um 495 v. Chr., mit Zenon, dem Begründer der Schule der Stoa, nicht zu verwechseln) gilt antiken Zeugnissen zufolge als Schüler und Geliebter des Parmenides. Ein Tyrann soll ihn zu Tode gefoltert haben. Folgenreich – nicht zuletzt für die Rezeption des Parmenides – war Zenons Versuch, die These, es gäbe nur das eine Sein, zu verteidigen. Dazu gebraucht er Beweise, die sich gegen den offenkundigen Anschein (παρὰ δόξαν) richten: die sogenannten zenonischen Paradoxien. Für Aristoteles ist Zenon der Erfinder der Dialektik. 106 Sie ist Burnet zufolge »hauptsächlich gegen die Pythagoreer gerichet«, 107 näherhin »gegen eine gewisse Anschauung von der Einheit«. 108 In seiner Physik gibt Eudemos den Ausspruch Zenons wieder, »wenn irgendeiner ihm sagen könnte, was das Eine sei, so würde er seinerseits imstande sein zu sagen, was die Dinge sind«. 109 Dazu Simplikios Zeller: lateinische Schreibweise. Zeller I/1, 765 f. – Xenophanes von Kolophon wird von manchen als Begründer dieser »Schule« angesehen: °I.3.a.iii. 106 DL IX 25. 107 Burnet 1913, 285. 108 Burnet 1913, 286. 109 Simplikios Physik, zit. Burnet 1913, 286. 104 105

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Historie

in der Physik: »Wie Eudemos erzählt {…}, versuchte Zeno, ein Schüler des Parmenides, zu zeigen, es sei unmöglich, daß die Dinge ein Vieles seien, weil er sah, daß keine Einheit in den Dingen war, wogegen Viele eine Anzahl von Einheiten bedeutet.« 110 ii.

Melissos aus Samos

Über Leben und Denken des Melissos schreibt Diogenes Laertius: »Melissos, des Ithagenes Sohn, war ein Samier. Er war ein Schüler des Parmenides. Doch kam er auch in wissenschaftliche Berührung mit Herakleitos, aus welchem Anlaß er ihn auch den Ephesiern, die von seiner Bedeutung keine Vorstellung hatten, empfahl, wie Hippokrates den Demokrit den Abderiten empfahl. Auch als Staatsmann war er bedeutend und stand bei seinen Mitbürgern in hoher Achtung. Daher wurde er auch zum Seebefehlshaber gewählt, in welcher Stellung er noch größere Anerkennung und Bewunderung fand wegen der ihm eigenen hohen Vorzüge. Sein philosophischer Standpunkt war folgender: Die Welt sei unendlich und unveränderlich und unbeweglich, eine sich selbst gleiche Einheit und durchaus gefüllt; Bewegung gebe es nicht, wohl aber den Schein derselben. Aber auch über die Götter, sagte er, dürfe man sich nicht auf Erörterungen einlassen, denn es gebe keine strenge Erkenntnis derselben. Apollodor sagt, seine Blütezeit liege in der 84. Olympiade (444/1 v. Chr.).« 111

Dass Apollodor die ἀκμή des Melissos in die 84. Olympiade verlegt, hängt mit dem einzig verlässlichen biographischen Datum zusammen: Unter dem Kommando des Melissos wurden 441 v. Chr. in einer Seeschlacht die Athener geschlagen, so der folgende Bericht: »Denn als er [sc. Perikles] die Segel setzen ließ, blickte Melissos, Sohn des Ithagenes, ein Philosoph, der damals in Samos das Kommando innehatte, voller Verachtung auf die geringe Zahl der Schiffe oder auf die Unerfahrenheit ihrer Kommandanten und überredete die Bürger, die Athener anzugreifen. Es kam zu einer Schlacht, die die Samier gewannen. Sie nahmen so viele der Athener gefangen und zerstörten derart viele Schiffe, daß sie die Seehoheit hatten und von dem, was zur Kriegführung nötig ist, so viel opferten, wie sie bis dahin noch nie besessen hatten. Von Melissos wurde, wie Aristoteles sagt, in einer früheren Seeschlacht auch Perikles selbst geschlagen.« 112 Zit. Burnet 1913, 287; DK 19 A 21. DL 171 f. (IX 4). Apollodor: °IV.3. 112 Kirk & al. 1994, 426. Das Zeugnis des Aristoteles stand in der verlorenen Verfassung der Samier. 110 111

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Tradition · Wirkung

Von ihm sind einige größere Fragmente überliefert, deren Wirkung aber schon in der Antike gering ist; sie sind wieder in Prosa verfasst. Die Schrift des Melissos trägt den Titel Περὶ Φύσεως ἢ περὶ τοῦ ὄντος. Sie verteidigt die Lehre der Eleaten von der Einheit des Seins gegen Empedokles und gegen die Atomistik. Zeugnisse des Aristoteles über Melissos: Metaph. A 5, 986b25; Ph. Δ 6, 213b12; SE 5, 167b13; Ph. A 2, 185a32. Vermutlich hat das ungünstige Urteil des Aristoteles dazu beigetragen, dass Melissos in der Literatur nicht gebührend berücksichtigt wird. 113 »Mit Zeno trifft Melissus 114 in dem Bestreben zusammen, die Lehre des Parmenides gegen die herrschende Vorstellungsweise zu verteidigen. Während aber jener diese Verteidigung auf indirektem Wege, durch Widerlegung der gewöhnlichen Annahmen, versucht und infolge davon den Gegensatz beider Denkweisen aufs äußerste gespannt hatte, will Melissus direkt zeigen, daß das Seiende nur so gedacht werden könne, wie Parmenides seinen Begriff bestimmt hatte; wobei er sich aber doch, wie wir finden werden, in einer nicht ganz unerheblichen Beziehung von seinem Lehrer entfernt.« 115 »Wie das Problem des Widerspruchs die Eleaten trieb, die Welt der Sinne zu verwerfen, zeigt am deutlichsten Melissos als der beste Kommentator zur Δόξα des Parmenides.« 116

e.

Heraklit von Ephesos

i.

Zeitgenossen

In seiner Metaphysik des Altertums zieht Julius Stenzel folgenden Vergleich zwischen Heraklit und Parmenides: »Alles tritt zurück gegenüber der Bedeutung des parmenideischen Eleatismus. Heraklit hält den Grundgedanken der Einheitslehre durchaus fest (B 10 am Schluß: καὶ ἐκ πάντων ἕν καὶ ἐξ ἑνὸς πάντα). Er greift aber das damit neu gestellte Problem der Vielheit mit radikaler Kraft auf: für ihn ist 113 »ungerechtfertigter Weise unterschätzt« (Burnet 1913, 299); »unduly neglected« (Loenen 1959, 125). 114 Zeller bedient sich der lateinischen Formen. 115 Zeller I/1, 765 f. – Auf Xenophanes von Kolophon, der für manche als Begründer dieser »Schule« gilt, gehe ich im Kommentar näher ein (°III.2.a). 116 Reinhard 2012, 202.

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Historie

das ἕν die Gesamtheit aller Dinge; deren Existenz ist auch für ihn abgeleitet, sekundär gegenüber dem Einen, aber das Eine ist ebenso wesensmäßig auf die ihm gegenüberstehende Vielheit angewiesen, es ist das Ganze, das notwendig Teile braucht, es ist die Einheit des Mannigfaltigen. Diese Funktion der Einheit erscheint bei Heraklit zunächst scheinbar eingeschränkt, in der Tat ist sie aber intensiviert als Einheit desjenigen Mannigfaltigen, das sich – scheinbar – der Einheit am stärksten entzieht, ihr wesensmäßig zu widerstreben scheint, der E i n h e i t d e s G e g e n s ä t z l i c h e n . Wenn Heraklit die Einheit der Gegensätze nachweist, glaubt er die umfassende – eleatische – Wahrheit mitbewiesen zu haben, daß ›alles eins‹ ist.« 117

Stenzel hält sich zwar nicht an die übliche Unterscheidung zwischen Parmenides als dem Denker des unveränderlichen Seins und jenem des steten Werdens, hält aber gleichwohl am »abstrakten« Sein des Parmenides fest. Damit entgeht ihm die bei ihm doch selbst angelegte weiterführende Möglichkeit seiner Interpretation: das Festhalten des Parmenides am einzigen wahren Weg und die Eröffnung der Pluralität von Wegen bei Heraklit. »Damit ist aber in dem komplexen Begriff des eleatischen ἕν eine wichtige Umlagerung eingetreten.« 118 Der Gegensatz zwischen Parmenides und Heraklit wird also schon früh einem Schema unterworfen. So schreibt Aristoteles 119 in seiner Abhandlung über den Himmel, Melissos und Parmenides hätten Werden und Vergehen gänzlich aufgehoben, beide würden uns nur so scheinen. 120 Dagegen ließen andere alles werden und fließen, sodass es nichts Festes und Dauerhaftes gebe, sondern nur Eines, aus dem alles durch Umgestaltung hervorginge – dies wollten offenbar viele andere sagen, auch Heraklit, der Ephesier. 121 Dieses Konstrukt bestimmt die Philosophiegeschichte bis heute: hier das ewige unwandelbare Sein des Parmenides, dort das unaufhörliche Werden des Heraklit. Der Gegensatz liegt auch nicht darin, dass Heraklit in Prosa schreibt, die FF des Parmenides aber in Hexametern verfasst sind. Stenzel 1931, 56 f. Stenzel 1931, 57. 119 Auch Simplikios nimmt Bezug darauf (°B 19.2). 120 οὐθὲν γὰρ οὔτε γίγνεθαί φασιν οὔτε φθείρεσθαι τῶν ὄντων, ἀλλὰ μόνον δοκεῖν ἡμῖν, οἷον οἱ περὶ Μέλισσόν τε καὶ Παρμενίδην (Aristoteles De caelo Γ 1, 298b15–17). 121 οἱ δὲ τὰ μὲν ἄλλα πάντα γίνεσθαί φασι καὶ ῥεῖν, εἶναι δὲ παγίως οὐθέν, ἓν δέ τι μόνον ὑπομένειν, ἐξ οὗ ταῦτα πάντα μετασχηματίζεσθαι πέφυκεν· ὅπερ ἐοίκασι βούλεσθαι λέγειν ἄλλοι τε πολλοὶ καὶ Ἡράκλειτος ὁ Ἐφέσιος (Aristoteles Cael. Γ 1, 298b29–33). 117 118

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Tradition · Wirkung

Denn auch jene des Heraklit sind nicht ohne Rhythmus, wenn dieser auch nicht so fassbar wie bei Parmenides ist. 122 Allgemein ist für die griechische Kultur des Lesens das Folgende festzustellen: »Ein für allemal soll zunächst daran erinnert werden {…}, daß die Alten und besonders auch Heraklit laut gelesen werden müssen. So oft es bereits geschehen ist, es muß zuerst und immer gerade auch, wenn es um Fragen des Rhythmus geht, daran erinnert werden, daß auch das Lesen seine Geschichte hat, und daß wir uns in vielem den Weg zu den Alten versperren, wenn wir ihre Sätze nicht hören, sondern allein mit dem Auge aufnehmen, also nur, oder in erster Linie nur, ihren Inhalt. Sind wir doch unserer Gewohnheit gemäß mit wenigen Ausnahmen geneigt, Buchstaben, Wörter, Sätze, ganze Werke nur als praktische Zeichen der Gedankenübermittlung anzusehen, nicht auch als Erscheinungen, die ohne das Akustische nicht existierten. Ja, das laute Lesen scheint uns besonders bei bestimmter Prosa dem Verständnis fast ein Hindernis zu sein, das von dem Inhalt des Geschriebenen und Gedruckten ablenken könnte. Anders eben bei den Griechen und erst recht bei ihren ältesten Schriftstellern einschließlich solchen, bei denen die Formel dominiert, die der Logik etwa oder der Mathematik. Auch die Eleaten mit ihren abstrakten Argumentationen sprachen, wenn sie gelesen wurden, zum Ohr. Die Form des Syllogismus prägte sich nicht nur durch das äußere Bild seines Aufbaues, sondern auch auf dem Wege über das laute Lesen der einzelnen Glieder ein, ein Lesen, das dann aber auch seine Besonderheit hatte. Es muß dem Gegenstand entsprochen haben, ein Lesen mit innerer Konzentration gewesen sein, das wir uns dementsprechend als langsam vorstellen werden.« 123

ii.

Gemeinsames · Trennendes

Jene, die den Weg der Göttin nicht mitgehen, nennt Parmenides οἱ βροτοί, »die Sterblichen«. 124 Auch bei Heraklit findet sich dieser Gegensatz: αἱρεῦνται γὰρ ἓν ἀντὶ ἁπάντων οἱ ἄριστοι, κλέος ἀέναον θνητῶν· οἱ δὲ πολλοὶ κεκόρηνται ὅκωσπερ κτήνεα. »Eins gibt es, was die Besten allem anderen vorziehen: den Ruhm{,} den ewigen{,} den

122 »Auf den Klang hinhörend, sollen, entsprechend Heraklits Grundgedanken, die Leser nicht überrascht sein, wenn sich in seiner Sprache Gleichheit und Identität des Entgegengesetzten spiegeln, also Rhythmus herrscht« (Deichgräber 1963, 485). 123 Deichgräber 1963, 481 f. 124 B 1.30, B 6.4, B 8.39, B 8.51, B 8.61.

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vergänglichen Dingen. Die Meisten freilich liegen da vollgefressen wie das liebe Vieh.« 125 Κρῖναι λόγῳ – λόγος Die Schrift des Heraklit ist in jonischer Prosa verfasst. 126 Auch bei Heraklit lautet der Titel Περὶ Φύσεως. Antiker Überlieferung zufolge hat seine Schrift aus drei Teilen bestanden. 127 Doch sind nur einzelne FF vorhanden – eine Rekonstruktion des Ganzen erweist sich als unmöglich. Gemeinsam ist Parmenides und Heraklit die Abgrenzung der Philosophen von den übrigen Menschen. Bei Parmenides heißen sie οἱ βροτοί, die Sterblichen, bei Heraklit οἱ πολλοί, die Vielen. Doch zeigt sich schon hierin ein Unterschied. Eine Annäherung soll Heraklits erstes Fragment bringen: τοῦ δὲ λόγος τοῦδ’ ἐόντος ἀεὶ ἀξύνετοι γίνονται ἄνθρωποι καὶ πρόσθεν ἢ ἀκοῦσαι καὶ ἀκούσαντες τὸ πρῶτον· γινομένων γὰρ πάντων κατὰ τὸν λόγον τόνδε ἀπείροισιν ἐοίκασι, πειρώμενοι καὶ ἐπέων καὶ ἔργων τοιούτων, ὁκοίων ἐγὼ διηγεῦμαι κατὰ φύσιν διαιρέων ἕκαστον καὶ φράζων ὅκως ἔχει. τοὺς δὲ ἄλλους ἀνθρώπους λανθάνει, ὁκόσα ἐγερθένθες ποιοῦσιν, ὅκωσπερ ὁκόσα εὕδοντες ἐπιλανθάνονται (22 B 1).

»Vom Logos, obwohl er doch da ist, gewinnen die Menschen nie ein Verständnis, sowohl bevor sie ihn hören, und sogar da sie ihn erstmals gehört haben. Denn während alles gemäß dem Logos geschieht, sind sie Unerfahrenen ähnlich, wenn sie solche Worte und Werke erproben, wie ich sie berichte, indem ich jegliches seiner Physis gemäß unterscheide und zeige, wie sich’s verhält. Den anderen Menschen aber ist verborgen, was sie als Wachende, so wie sie vergessen, was sie als Schlafende tun.« 128

Eine Gliederung des Fragments ergibt die folgenden Themen: Der λόγος und die Distanz zu den Menschen, die Zuordnung des ἀεί, der Widerspruch der Menschen, das Tun des Heraklit, das ἐγώ. 22 B 29, Übersetzung Diels. Zur Deutung vgl. Stemich Huber 1996, 54 ff. Die Logosinterpretation in der Heraklitforschung von Schleiermacher bis Kahn zeigt »eine Entwicklung von den idealistischen zu den rationalistischen und zu den materialistischen Logosauffassungen« (Bartling 1985, 5). 127 Zeller I/2, 788. 128 Übersetzung Vetter. 125 126

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Der λόγος. Ich lasse das Wort vorläufig unübersetzt (die Schreibung mit großem oder kleinem Lamda kann ohnedies unberücksichtigt bleiben). Dass damit gleich am Anfang ein entscheidendes Thema zur Sprache kommt, ist unübersehbar. 129 Entscheidend ist dieser Einsatz, weil er zwischen dem, was Heraklit intendiert, und dem, was die anderen Menschen nicht verstehen, radikal trennt. Die Zuordnung des ἀεί ist unklar, was schon Aristoteles in der Rhetorik festgestellt hat. 130 Zwei Versionen sind möglich: {ii1} Der λόγος ist immer da, doch die Menschen verstehen ihn nicht. {ii2} Der λόγος ist da, doch die Menschen haben für ihn nie ein Verständnis. Plausibler scheint {ii2} zu sein. Denn dass der λόγος immer da ist, ergibt sich auch in anderen Zusammenhängen und müsste nicht eigens betont werden. Dagegen verstehen die Menschen (qua πολλοί: 22 B 17, 22 B 104) niemals den λόγος, obwohl er doch da ist. Heraklit vergleicht die πολλοί mit Unerfahrenen und stellt damit einen Widerspruch heraus: ἄπειροι – πειρώμενοι, »wie Unerfahrene – trotz all ihrer Erfahrung« 131 (πεῖρα als tertium comparationis). Die Unerfahrenheit erscheint zweimal: im Wachzustand als λανθάνειν (etwas bleibt verborgen) und nach dem Erwachen aus dem Schlaf als ἐπιλανθάνεσθαι (etwas wird vergessen). Was verborgen bleibt, sagt 22 B 50: οὐκ ἐμοῦ, ἀλλὰ τοῦ λόγου ἀκούσαντας ὁμολογεῖν σοφόν ἐστιν ἓν πάντα εἶναι. Snell: »Habt ihr nicht mich, sondern den Sinn vernommen, so ist es weise im gleichen Sinn zu sagen: E i n s ist alles.« 132 Verborgen bleibt den Menschen die Einheit von Allem, und sie vergessen sie, obwohl diese doch ihrem ganzen Verstehen zugrunde liegt. Heraklit erläutert das, was er tut, mit folgenden Worten: ἐγὼ διηγεῦμαι κατὰ φύσιν διαρέων ἕκαστον καὶ φράζων ὅκως ἔχει. Jegliches wird auf die φύσις bezogen und auseinandergenommen und damit entschieden. 133 Dies geschieht κατὰ Φύσιν (auch »Physis« bleibt vorläufig unübersetzt, wird aber, anders als bei DK und Snell,

»Vorher ging etwa Ἡράκλειτος Βλόσωνος Ἐφέσιος τάδε λέγει« (DK I, 150). Aristoteles Rh. Γ 5, 1407b14–18. 131 Snell (Heraklit 2007, 7). – Anders Mansfeld: »Wenn man – nicht auf mich, sondern – auf die Auslegung hört, ist es weise, beizupflichten, daß alles eins ist« (Mansfeld VS I, 257). 132 Heraklit 2007, 19. 133 διαιρέω »auseinandernehmen« (Homer Il. 20, 280); »entscheiden« (Herodot 4, 23). 129 130

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groß geschrieben). Es wird gezeigt, ὅκως ἔχει, »wie es sich verhält«, d. h. durch die διαίρεσις wird ein Verhältnis angezeigt. Heraklit thematisiert sein ἐγώ, das eigene Ich: ἐδιζησάμην ἐμωυτόν. »Ich suchte mich selbst« (22 B 101). 134 Nicht zuletzt dadurch unterscheidet er sich von Parmenides. Dazu gehört auch die (bei Parmenides gänzlich fehlende) Polemik gegen bestimmte Personen: gegen Homer, Hesiod oder Pythagoras. δαίμονες – ἐγώ »Den Milesiern hatte sich die Seele als Problem noch nicht gezeigt, Parmenides bekam nur die Erkenntnisfrage zu Gesicht; erst Heraklit ›durchforschte sich selbst‹, erst er entdeckte die Seele für die Erkenntnis; er durchzog ihr unbekanntes Reich in allen Richtungen und konnte an kein Ende gelangen, so unergründlich fand er ihren Logos.« 135

4.

Rezeption

Wie bereits erwähnt, wurde Parmenides in der Antike nur wenig gelesen, doch war seine Wirkung von überragender Bedeutung. Wirkungsgeschichtlich besonders bedeutsam sind vier Autoren und deren Gedanken: Platon, Aristoteles, die Stoa und der Skeptizismus.

a.

Platon

Abgesehen von den schon erwähnten biographischen Bemerkungen (°I.2.a), enthalten Platons Schriften vor allem zwei grundlegende Stellungnahmen zur Philosophie des Parmenides; ihr Einfluss auf seine Wirkungsgeschichte kann wohl kaum überschätzt werden. Es handelt sich um die These, Erkenntnis sei gleich Sinneswahrnehmung, ἐπιστήμη = αἴσθησις, die in drei Schritten zurückgewiesen wird. Dass sie ihre Wirkung auch in der Neuzeit nicht verloren hat, zeigt sich schon an deren Anfang: Descartes gebraucht durchaus vergleichbare Argumente. (i) Platon: Die Wahnsinnigen oder die Träumenden stellen Falsches vor (ψευδῆ δοξάζουσιν); jene halten 134 Stemich 2008139 mit Parallelstellen; ausführlich zu Heraklit 22 B 101: Stemich Huber 1996, 92–107. 135 Reinhardt 2012, 201.

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sich für Götter, diese meinen, zu fliegen, obwohl sie träumen. Descartes: Die Wahnsinnigen halten sich für Könige, obwohl sie bettelarm sind, oder sie meinen, aus Glas zu sein u. dgl. (ii) Platon: Es ist überaus schwierig, ein Kennzeichen zu finden, um klar zu entscheiden, ob wir jetzt wachen oder träumen. Descartes: Wachsein und Träumen lassen sich nicht durch sichere Kennzeichen unterscheiden. (iii) Platon: Die sinnliche Wahrnehmung ist nicht nur bei verschiedenen Menschen verschieden, sondern sogar beim selben Menschen unter verschiedenen Umständen. Trinke ich als gesunder Wein, erscheint er mir lieblich und süß, einem Kranken dagegen erscheint er bitter. Descartes: Weil die Sinne zuweilen täuschen, ist es ein Gebot der Klugheit (prudentiae est), ihnen niemals zu trauen (Platon Tht. 158 a ff.; Descartes 1973, 32 f. = Meditationes I 3–4). Platon bezieht sich wiederholt auf Parmenides. Biographische Zeugnisse enthalten die Dialoge Theaitetos und Parmenides, 136 besonderes Gewicht für eine kritische Auseinandersetzung kommt dem Dialog Sophistes zu. Platon geht davon aus, dass seine Vorgänger in der Bestimmung des Seienden unverständlich geblieben seien; auch Parmenides ist keine Ausnahme: Εὐκόλως μοι δοκεῖ Παρμενίδης ἡμῖν διειλέχθαι καὶ πᾶς ὅστις πώποτε ἐπὶ κρίσιν ὥρμησε τοῦ τὰ ὄντα διορίσασθαι πόσα τε καὶ ποῖά ἐστιν. »Etwas obenhin {εὐκόλως} scheint Parmenides mit uns umgegangen zu sein und wohl alle, die jemals zu jener Scheidung schritten, welche im Bestimmen der Seienden besteht, welcherlei und wievielerlei sie sind.« 137

In Platons Sophistes sagt der Fremde (der Hauptunterredner des Dialogs): »Jeder, scheint es, hat uns eine Geschichte erzählt wie Kindern: Der eine, dreierlei wäre das Seiende, es läge aber bisweilen einiges davon miteinander im Streit, dann jedoch wieder sei alles freund, da es dann Hochzeiten gibt und Zeugungen und Auferziehungen des Erzeugten. Ein anderer beschreibt es als zwiefach, feucht und trocken oder warm und kalt, und bringt beides zusammen und stattet es aus. Unser eleatisches Volk aber, vom Xenophanes und noch früher her beginnend, trägt seine Geschichte so vor, als ob das, was wir Alles nennen, nur Eins wäre. Gewisse ionische und sizilische Musen aber haben späterhin gemerkt, es wäre sicherer, beides zusammenflech136 Wenig überzeugende Einwände gegen Platons Parmenides: Angehrn 2000, 266– 304. 137 Platon Sph. 242 c; SW 4, 214.

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tend zu sagen, das Seiende sei Vieles und auch Eines und werde durch Feindschaft und Freundschaft zusammengehalten. Denn als sich veruneinigend vereinige es sich immer, sagen die strengeren Musen; die weicheren aber lassen nach, daß sich dies immer so verhalten solle, und sagen abwechselnd sei das Ganze bisweilen Eins und durch Aphrodite befreundet, dann wieder Vieles und sich selbst feindselig, erregt durch den Streit. Ob nun an dem allen einer von ihnen etwas Wahres gesagt hat oder nicht, das ist schwierig, und es ist wohl auch frevelhaft, so hochberühmten Männern des Altertums Vorwürfe zu machen; soviel aber kann man doch, ohne sich irgend zu vergeben, behaupten.«

Seinem jungen Gesprächspartner zugewandt meint der Fremde: »{…} verstehst denn du, Theaitetos, bei den Göttern, jemals etwas hiervon, was sie meinen?« 138 Es erzähle doch jeder dieser Leute einen anderen μῦθος. In dieser Aufzählung des Fremden steht an erster Stelle offenbar Pherekydes aus Syros, ein jüngerer Zeitgenosse des Anaximander. 139 Seiner Auffassung nach tritt das Seiende in drei Gestalten auf, ὡς τρία τὰ ὄντα. 140 Die Namen entlehnt Pherekydes den Mythen, bringt aber durch ihre Umformulierung das für ihn Neue zum Ausdruck: Er nennt sie Zas, Chronos und Chthonie, alle sind ewig: Ζὰς μὲν καὶ Χρόνος ἦσαν ἀεὶ καὶ Χθονίη. 141 Ein anderer (wohl einer der milesischen Kosmologen) nimmt eine Zweiheit des Seienden an, δύο δὲ ἕτερος εἰπών, 142 und erblickt die Einheit in den Gegensätzen von feucht und trocken, warm und kalt. Zur dritten Gruppe gehört das eleatische Volk, Ἐλεατικὸν ἔθνος, das mit Xenophanes beginnt. Dieser behauptet, ὡς ἑνὸς ὄντος τῶν πάντων καλουμένων οὕτω διεξέρχεται τοῖς μύθοις, dass das, was wir in den Mythenerzählungen Vieles nennen, Eines sei. Es folgen die ionischen und sizilischen Musen, Heraklit und Empedokles. Sie flechten beides zusammen und behaupten, das Seiende sei sowohl Vieles als auch Eines und werde durch Feindschaft und Freundschaft, ἔχθρᾳ τε καὶ φιλίᾳ, 143 zusammengehalten.

138 139 140 141 142 143

Platon SW 4, 214 f. Dass Platon Pherekydes meint, hat schon Zeller vermutet (Zeller I/1, 102). Platon Sph. 241 c. DK 7 B 1. Platon Sph. 241 d. Sph. 241 e.

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Die Art, wie sich der Fremde der Position des Parmenides nähert, lässt den Beginn einer genaueren Untersuchung erkennen; es handelt sich um das Problem des Benennens. Parmenides gehe demnach davon aus, ἕν που μόνον εἶναι, dass das Sein irgendwie Eins ist. 144 Doch hier meldet sich ein innerer Widerspruch: Indem »eins« als Name, ὄνομα, und »Sein« als πρᾶγμα, Sache, zum Thema werden, wird das Eine durch eine Zweiheit erweitert und ist daher nicht mehr eins. Parmenides meint zwar das Ganze des Seienden, lässt aber offen, ob es vom seienden Einen verschieden oder mit ihm identisch ist: τὸ ὅλον ἕτερον τοῦ ὄντος ἑνὸς ἢ ταὐτόν. 145 Dazu wird B 8.43–45 zitiert; das Seiende sei πάντοθεν εὐκύκλου σφαίρης ἐναλίγκιον ὄγκῳ, | μεσσόθεν ἰσοπαλὲς πάντῃ· τὸ γὰρ οὔτε τι μείζον | οὔτε τι βαιότερον πελέναι χρεόν ἐστι τῇ ἢ τῇ. »{…} von allen Seiten her, einer wohlgerundeten Kugel Masse ähnlich, | inmitten überall gleich; denn nicht etwas größer, | noch etwas kleiner ist Not, dass es ist, da oder dort.« 146 Parmenides behauptet also, dass das Seiende Mitte und Enden, d. h. Teile hat. Dies läuft für Platon auf vier Widersprüche hinaus: 1. Wenn das ὄν nur πώς, »irgendwie«, identisch ist, dann kann es keine Identität geben. 2. Wenn das ὄν nicht ὅλον ist und wenn jedoch dieses ist, dann fehlt dem ὄν etwas. 3. Wenn ὄν und ἕν jedes ihr eigenes Wesen haben, ihre ἰδία φύσις, dann geht alles über das ἕν hinaus und ist mehr als eins. 4. Wenn es das Ganze, τὸ ὅλον, nicht gibt, dann kann τὸ ὄν auch nicht geworden sein, denn aus dem Werdenden entsteht immer ein Ganzes. Aus dieser Problemlage heraus entwickelt Platon seine γιγαντομαχία περὶ τῆς οὐσίας, 147 den Kampf der Giganten mit Bezug auf das Sein mit dessen prägender Bedeutung für die Interpretation der δόξα (°III.8.a.). Diese Einwände führen später dazu, dass das parmenideische ὄν einer grundsätzlichen Kritik unterzogen wird. Im ἐὸν ἔμμεναι (B 6.1) erblicken die Interpreten eine Abstraktion; das Vorurteil der Petrifizierung (um Nietzsches Wort zu gebrauchen) wird fortan leitend, die Welt wird als Schein interpretiert.

144 145 146 147

Vgl. Sph. 244 b. Sph. 244 d. Sph. 244 e. Sph. 246 a.

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Nicht die δόξα ist Schuld am »Sündenfall« der Erkenntnis, 148 sondern deren einseitige Zuordnung zum Schein. Denn τὰ δοκοῦντα sind nicht nur Schein, sondern Erscheinendes schlechthin. Zu ihnen gehört alles, was sich zeigt: das Sein sowohl als auch der Kosmos, sei er aufgrund der Namensetzung der Sterblichen bloßer Schein oder zeige er sich aus der Sicht der Göttin in der Fülle seiner Erscheinungen (°III.8.b). Die Gleichsetzung von Schein und Erscheinung geht auf Platon zurück und ist für die Mehrzahl der späteren Interpretationen des Parmenides von maßgeblicher Bedeutung. Die Weichen dazu werden u. a. im Theaitetos gestellt. 149 Sokrates führt hier ein Gespräch mit den Mathematikern Theodoros und Theaitetos. An Letzteren stellt er die das Gespräch weiterhin bestimmende Frage: τί σοι δοκεῖ εἶναι ἐπιστήμη; »Was scheint dir Erkenntnis zu sein?« 150 Das Ziel ist die endgültige Widerlegung des Satzes: ἐπιστήμη = αἴσθησις, »Wahrnehmung«. Die Zurückhaltung, mit der sich Sokrates der Lösung dieser Aufgabe nähert, hat mit Parmenides zu tun: »Den Melissos zwar und die andern, welche sagen, das Ganze sei ein unbewegliches Etwas (οἵ ἓν ἑστὸς λέγουσι τὸ πᾶν), scheue ich, daß wir sie nicht etwas täppisch mustern (μὴ φορτικῶς σκοπῶμεν), minder jedoch sie scheuend, als den einen Parmenides. Parmenides aber ist nach dem Homeros ›ehrenwert mir‹ (αἰδοῖός τέ μοι) und zugleich ›furchtbar‹ (δεινός τε). Denn ich habe Gemeinschaft mit dem Manne gehabt noch ganz jung, da er schon alt war, und es offenbarte sich mir eine ganz seltene und herrliche Tiefe des Geistes (μοι ἐφάνη βάθος τι ἔχειν παντάπασι γενναῖον).« 151

Neben dem schon erwähnten biographischen Hinweis (°I.2.a) ist diese Würdigung des Parmenides vielleicht nicht ganz frei von sokratischer Ironie, enthält aber wohl einiges, das der Wahrheit entspricht. Parmenides ist demnach ehrenwert, αἰδοῖος, einer, dem αἰδώς, Achtung, gebührt, doch ist er auch δεινός, »furchtbar« – somit »außerordentlich« und »erstaunlich«. Ihm, dem Sokrates, sei das βάθος γενναῖον, die angeborene Tiefe, des Parmenides erschienen. 152 Reinhardt 2012, 27 (°B 1.30). Überblick und Literatur: Erler 2007, 97–100. 150 Platon Tht. 146 c. 151 Platon SW 4, 150 / Tht. 183 e. 152 Meint Sokrates nicht zumindest auch ein wahrnehmbar-sinnliches Erscheinen? Doch wäre dies, seinen späteren Ausführungen nach, nicht bloß seine Einbildung, δόξα? (°III.8.a.) 148 149

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Die Beweisführung beginnt mit der Unterscheidung zwischen dem, was zum Leib gehört, τοῦ σώματος; durch dessen Vermittlung wird Warmes, Hartes, Leichtes und Süßes wahrgenommen, θερμὰ καὶ σκληρὰ καὶ κοῦφά καὶ γλυκέα. 153 Dies sind αἰσθητά, wahrnehmbare Gegenstände. Unter ihnen gibt es solche, die man hören kann – sie werden mit dem Gehör, der ἀκοή, wahrgenommen; andere kann man sehen, sie werden durch den Gesichtssinn, die ὄψις, vermittelt. Diese spezifischen Wahrnehmungen sind alle Ton, Farbe (ὅτι ἀμφοτέρω ἐστόν) und eine von der anderen verschieden (ἑκάτερον ἑκατέρου μὲν ἕτερον), mit sich selbst aber identisch (ἑαυτῷ δὲ ταὐτόν). 154 Doch gibt es kein leibliches Organ, mit dessen Hilfe Verschiedenheit oder Selbigkeit erfasst werden können – insbesondere betrifft dies die οὐσία, die doch bei allen am meisten da ist. 155 Sokrates schließt daraus: Nicht der Leib, sondern »die Seele scheint mir vermittels ihrer selbst das Gemeinschaftliche in allen Dingen zu erforschen« (ἀλλ’ αὐτὴ δι’ αὑτῆς ἡ ψυχὴ τὰ κοινά μοι φαίνεται περὶ πάντων ἐπισκοπεῖν). 156 Das Sein – Thema der γιγαντομαχία περὶ τῆς οὐσίας – setzt zu seiner Erfassung ὅμοιον καὶ τὸ ἀνόμοιον καὶ τὸ ταὐτὸν καὶ ἕτερον, 157 Gleiches und Ähnliches voraus, Selbiges und Verschiedenes. Mit dem Leib lassen sich diese Bestimmungen nicht gewinnen – doch wie sollte jemand überhaupt die Wahrheit, ἡ ἀλήθεια, erreichen können, und wie Erkenntnis, ἡ ἐπιστήμη, wenn er nicht einmal über einen Begriff des Seins verfügt? Die vorläufige weitere Schlussfolgerung: Οὐκ ἄρ’ ἂν εἴη ποτέ, ὦ Θεαίτητε, αἴσθησίς τε καὶ ἐπιστήμη ταὐτόν. »Auf keine Weise also, o Theaitetos, wäre Wahrnehmung und Erkenntnis dasselbe.« 158

Tht. 184 e. Tht. 185 a. 155 τοῦτο γὰρ μάλιστα ἐπὶ πάντων παρέπεται, Tht. 186 a. 156 Platon SW 4, 152 / Tht. 185 d–e. Auf die allerdings grundlegende Unterscheidung Platons zwischen σῶμα und ψυχή, Leib und Seele, kann hier nicht näher eingegangen werden; dazu »Dualismus (LeibSeeleVerhältnis«) in: Schäfer 2007, 99–101 (Martin Thurner). Die frühe griechische Philosophie kennt diesen Dualismus ebenso wenig wie die Festlegung der δοκοῦντα auf die δόξα. 157 Platon Tht. 186 a. 158 Tht. 186 e / SW 4, 154. 153 154

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b.

Aristoteles

DK verweist fünfmal auf Aristoteles: 159 Metaph. A 5, 986b18; Cael. Γ 1, 298b14; Ph. Γ 6, 207a9; GC B 3, 330b13; PA B 2, 648a25. i. In der Metaphysik räumt Aristoteles dem Parmenides einen Platz in der Doxographie ein. 160 Deren Leitfaden ist die ἀρχή, d. h. die von den Vorgängern gestellte Ursprungsfrage. Parmenides sucht über das materielle Prinzip des Thales hinaus (das Wasser als ἀρχή) ein zweites Prinzip als Ursache der Veränderung. Parmenides wird damit zum Vertreter der Auffassung, das Eine und die ganze Natur seien unbeweglich: τὸ ἓν ἀκίνητόν φασιν εἶναι καὶ τὴν φύσιν ὅλην οὐ μόνον κατὰ γένεσιν καὶ φθοράν. 161 Doch gelte dies nicht nur mit Bezug auf Werden und Vergehen, denn dies sei alt und alle stimmten darin überein; sondern es beziehe sich auch auf jeden anderen Umschlag, καὶ κατὰ τὴν ἄλλην μεταβολὴν πᾶσαν. 162 ii. In De Caelo meint Aristoteles, unter den früheren Philosophen einen Zwiespalt zu erkennen, πρὸς ἀλλήλους διηνέχθησαν. 163 Im Gegensatz zu jenen, die nur ein Werden annehmen, 164 sagten andere, es gebe weder ein Werden noch ein Vergehen des Seienden, sondern dies scheine uns nur so, οὐθὲν γὰρ οὔτε γίγνεσθαι οὔτε φθείρεσθαι τῶν ὄντων, ἀλλὰ μόνον δοκεῖν ἡμῖν. 165 iii. Der Physik zufolge hat Parmenides besser als Melissos gesprochen. Denn dieser sagt, das Ganze sei unbegrenzt, ἄπειρον τὸ ὅλον φησίν, 166 jener aber, das Ganze sei begrenzt, »inmitten überall gleich«, τὸ ὅλον πεπεράνθαι, ›μεσσόθεν ἰσοπαλές‹. 167 Weil sie das Unbegrenzte mit dem »alles umfassen« (τὸ πάντα περιέχειν) und »das Ganze in sich haben« (τὸ πᾶν ἐν ἑαυτῷ ἔχειν) verbinden, legen sie dem ἄπειρον aufgrund einer gewissen Ähnlichkeit mit dem Ganzen die Heiligkeit bei, λαμβάνουσι τὴν σεμνότητα κατὰ τοῦ ἀπεί28 A 24, 25, 27, 35, 52. Aristoteles als »Historiker«: Braun 1990, 17–21. Die Doxographie besteht darin, »Meinungen (doxai, placita) von Philosophen unter eine Reihe feststehender Rubriken zu sammeln und zu ordnen« (Braun 1990, 22). 161 Metaph. 984a31 f. 162 Metaph. 984a33. 163 Cael. 298b14. 164 Aristoteles bezieht sich auf Hesiod, die ersten Naturphilosophen (φυσιολογήσαντες) und Heraklit. 165 Cael. 298b15 f. 166 Ph. 207a16. 167 Ph. 207a16 f.; °B 8.44. 159 160

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ρου, διὰ τὸ ἔχειν τινὰ ὁμοιότητα τῷ ὅλῳ. 168 Doch so werde nicht »Leinen mit Leinen verbunden« (d. h. Passendes mit Unpassendem). Aristoteles kritisiert die Gleichsetzung des Ganzen (ὅλον) mit dem Unbegrenzten (ἄπειρον). Dieses ist zwar der Möglichkeit nach (δυνάμει) das Ganze, doch nicht der Wirklichkeit nach (ἐντελεχείᾳ). Aus dieser Verwechslung folgt, dass das Ganze, als unbegrenzt aufgefasst, auch unerkennbar (ἄγνωστον) ist. 169 iv. Die Abhandlung De Generatione et Corruptione übt Kritik an der Kosmologie des Parmenides und der Zahl der Elemente (στοιχεῖα). Denn jener nehme zwei an, Feuer und Erde, 170 er hingegen vier. Doch unter seiner, des Aristoteles, Annahme von vier Elementen, stünden diese nur von einem her in einem Gegensatz: die Erde zum Trockenen, das Feuer zum Warmen. 171 Doch reichen diese Elemente als Ursachen (αἰτίαι) nicht aus, denn sie erklären nicht ausreichend die Bewegung (τὴν κίνησιν). Ist die Form die Ursache, weshalb erzeugt sie dann nicht immer kontinuierlich (συνεχῶς), sondern bald doch, bald nicht? 172 v. In De Partibus Animalium erörtert Aristoteles einen empirischen Befund. Insgesamt bezieht sich die aristotelische Kritik auf unterschiedliche Annahmen des Parmenides; auf dessen Verneinung von Werden und Vergehen und deren Interpretation als Schein (i.–ii.); auf die Verkennung der Differenz von Möglichkeit und Wirklichkeit (iii.); auf die Kosmologie (iv.); schließlich auf eine fehlerhafte Beobachtung (v.). Wirkungsgeschichtlich kommt besonderes Gewicht der Annahme zu, das Sein sei unveränderlich und ohne Bewegung, das Werden und Vergehen hingegen bloßer Schein (i.–ii.).

c.

Die Stoa

Sextus Empiricus 173 referiert in seiner Schrift Gegen die Gelehrten die von den Stoikern praktizierte allegorische Auslegung von F0. 174 168 169 170 171 172 173 174

Ph. 207a18 ff. Ph. Γ 6, 207a15–32 = 28 A 27. Parmenides spricht von Feuer und Nacht (B 8.56–59). Aristoteles GC B 3, 330b13–15. Aristoteles GC B 9, 336a36 = 28 A 35. °IV.3. Belege zur allegorischen Mythendeutung: Nestle 1942, 128–131.

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Für ihn ist Parmenides ein Schüler des Xenophanes, der das auf Meinen gegründete Denken verwirft (τοῦ μὲν δοξαστοῦ λόγου κατέγνω), das Denken dagegen, das der Erkenntnis fähig und unfehlbar ist, als Kriterium annimmt (τὸν δ’ ἐπιστημονικόν, τουτέστι ἀδιάπτωτον, ὑπέθετο κριτήριον). Auch sei Parmenides gegenüber der Glaubwürdigkeit der Wahrnehmungen auf Distanz gegangen (ἀποστὰς καὶ τῆς τῶν αἰσθήσεων πίστεως). Im Einzelnen ergibt sich folgender Vergleich: 175 1 ἵπποι ταί με φέρουσιν

»In diesen Versen meint Parmenides nämlich, daß die vernunftlosen Antriebe und Bestrebungen der Seele (τὰς ἀλόγους τῆς ψυχῆς ὁρμάς τε καὶ ὀρέξεις) ihn als ›Stuten tragen‹«

2 ὁδὸν {…} πολύφη- »{…} ›den ruhmvollen Weg der Gottheit‹ gehen μον heißt, die Untersuchung gemäß dem philosophischen Denken führen (πορεύεσθαι τὴν κατὰ τὸν λόγον θεωρίαν), das nach Art eines göttlichen Geleiters zur Erkenntnis aller Dinge den Weg weist (ὃς λόγος προπομποῦ δαίμονος τρόπον ἐπὶ τὴν ἁπάντων ὁδηγεῖ γνῶσιν)«. 5 κοῦραι

»die Wahrnehmungen führen ihn als seine Jungfrauen (κούρας δ’ αὐτοῦ προάγειν τὰς αἰσθήσεις)

7–8 δοιοῖς {…} κύκλοις

»Über das Hören spricht er in verrätselter Weise (ὧν τὰς μὲν ἀκοὰς αἰνίττεται), indem er sagt, sie [die Achse] werde ›getrieben […] von zwei wirbelnden Rädern‹, d. h. durch die Räder der Ohren, durch die sie Töne aufnehmen«

9–10 Ἡλιάδες κοῦραι {…} δώματα Νυκτός {…} εἰς φάος, ὠσάμεναι

»das Sehen (τὰς δὲ ὁράσεις) nennt er (›Heliadenmädchen‹), die ›das Haus der Nacht‹ hinter sich ließen und sich ins Licht stürzten, da das Sehen ohne Licht unmöglich ist (διὰ τὸ μὴ χωρὶς φωτὸς γίγνεσθαι τὴν χρήσιν αὐτῶν)«

175 Erste Spalte: Verse aus B 1. Zweite Spalte: Paraphrase nach Sextus. – Übersetzung: Mansfeld 1981, 37. Die Allegorien sind unterstrichen.

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Tradition · Wirkung

14 Δίκη πολύποινος ἔχει κληῖδας ἀμοιβούς

»Daß er zur ›unerbittlichen Dike‹ kommt, welche die [für Tag und Nacht] ›wechselnden Schlüssel‹ hat, bedeutet, daß er zum Denken kommt, welches das sichere Erfassen der Dinge gewährleistet (τὴν διάνοιαν ἀσφαλεῖς ἔχουσαν τὰς τῶν πραγμάτων καταλήψεις).«

22 ὑπεδέξατο

»Nachdem diese ihn aufgenommen hat, kündigt sie an, ihn diese zwei Dinge zu lehren (δύο ταῦτα διδάξειν)«

29 ἀληθείης εὐκυ- »Sowohl das unerschütterliche ›Herz der Wahrκλέος ἀτρεμὲς ἦτορ heit‹, d. h. den unverrückbaren Sitz der Erkenntnis (ὅπερ ἐστὶ τὸ τὴς ἐπιστήμης ἀμετακίνητον βῆμα)« 30 βροτῶν δόξας {…} ἀληθής

»zweitens aber ›die Meinungen der Sterblichen, denen keine wahre Verläßlichkeit innewohnt‹, d. h. all das, was in den Bereich des bloßen Meinens gehört, weil es unbeständig ist (τουτέστι τὸν ἐν δόξῃ κείμενον πᾶν, ὅτι ἦν ἀβέβαιον)«

An die Stelle wörtlichen Verstehens tritt die allegorische Deutung: Ein Wort sagt etwas anderes (ἄλλο ἀγορεύει), als es unmittelbar meint. Demzufolge werden die Pferde als Sinne gedeutet, der Weg der Gottheit entspricht dem philosophischen Denken, die Jungfrauen sind die Wahrnehmungen, die Räder des Wagens die Ohren, die Heliaden das Sehen. Dike gewährleistet ein sicheres Erfassen der Dinge, das Herz der Wahrheit erscheint als unverrückbarer Sitz der Erkenntnis und das Fehlen wahrer Verlässlichkeit der Sterblichen fällt in den Bereich bloßen Meinens. 176

d.

Skeptizismus

Die Kritik durch Platon und Aristoteles und deren Autorität führen dazu, dass man F2 eine wesentlich geringere Bedeutung als F1 zubilligt; dies hat sowohl für die Überlieferung von F2 Folgen (sie können

176

Für eine detailliertere Ausführung °I.4.d.

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Historie

an der Anzahl der FF gemessen werden) als auch für die Interpretation des sogenannten Doxa-Teiles. Doch findet sich mindestens ein Beispiel außerhalb der allgemeinen und üblichen Sicht. Es stammt von Plutarch, u. zw. aus dessen Abhandlung Adversos Colonos. 177 Als Anhänger Platons verteidigt Plutarch in diesem Brief Parmenides gegen die Einwendungen des Epikureers Kolotes. 178 ἀλλ’ ὅ γε Παρμενίδης οὔτε πῦρ ἀνῄρηκεν οὐθ’ ὕδωρ οὔτε κρημνὸν οὔτε πόλεις – ὥς φησι Κωλώτης – ἐν Εὐρώπῃ καὶ Ἀσίᾳ κατοικουμένας· ὅς γε καὶ διάκοσμον πεποίηται καὶ στοιχεῖα μιγνὺς τὸ λαμπρὸν καὶ σκοτεινόν, ἐκ τούτων τὰ φαινόμενα πάντα καὶ τὰ διὰ τούτων ἀποτελεῖ. καὶ γὰρ περὶ γῆς εἴρηκε πολλὰ καὶ περὶ οὐρανοῦ καὶ ἡλίου καὶ σελήνης καὶ ἄστρων, καὶ γένεσιν ἀνθρώπων ἀφήγηται· καὶ οὐδὲν ἄρρητον, ὡς ἀνὴρ ἀρχαῖος ἐν φυσιολογίᾳ καὶ συνθεὶς γραφὴν ἰδίαν (καὶ οὐκ ἀλλοτρίαν διαφορῶν) τῶν κυρίων παρῆκεν. ἐπεὶ δὲ καὶ Πλάτωνος καὶ Σωκράτους ἔτι πρότερος συεῖδεν, ὡς ἔχει τι δοξαστὸν ἡ φύσις, ἔχει δὲ καὶ νοητόν, ἔστι δὲ τὸ μὲν δοξαστὸν ἀβέβαιον καὶ πλανητὸν ἐν πάθεσι πολλοῖς καὶ μεταβολαῖς τῷ φθινεῖν καὶ αὔξεσθαι καὶ πρὸς ἄλλον ἄλλως ἔχειν καὶ μηδ’ ἀεὶ πρὸς τὸν αὔτὸν ὡσαύτως τῇ αἰσθήσει, τοῦ νοητοῦ δ’ ἕτερον εἶδος, ἔστι γὰρ {οὐλομελές τε

»Aber weder hat Parmenides, wie Kolotes [dessen Parmenidesinterpretation Plutarch hier bekämpft] [zu Unrecht] behauptet, das Feuer abgeschafft, noch das Wasser, noch den gefährlich-steilen Abhang, noch die bewohnten Städte in Asien und Europa. Im Gegenteil: er hat sogar eine Weltordnung beschrieben und, indem er Elemente – das Helle und das Dunkle – sich miteinander vermischen läßt, bildet er aus ihnen und durch sie alle Phänomene. Hat er doch gar vieles über Erde und Himmel, Sonne und Mond und Sterne gesagt, die Entstehung der Menschen behandelt und überhaupt keine wichtige Frage unerörtert gelassen – d. h. natürlich, insofern letzteres einem frühen und übrigens originellen Naturphilosophen (der sich nicht mit fremden Federn schmückte) möglich war. Früher als Sokrates und Platon hat er nämlich begriffen, daß die Wirklichkeit sowohl einen erkennbaren als einen meinbaren Teil enthält und daß das

Text und Übersetzung: Mansfeld I, 310/311 f. (Klammern [ ] wie im Text). °IV.1. – Kolotes: »Aus Lampsakos, Schüler Epikurs, wohl seit 309/06; * also kaum später als 325« (KP 3, 275; G. Schm.). 177 178

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Tradition · Wirkung

καὶ ἀτρεμὲς ἠδ’ ἀγένητον} ὡς αὐτὸς εἴρηκε, καὶ {ὅμοιον ἑαυτῷ} καὶ {μόνιμον ἐν τῷ εἶναι} –, ταῦτα συκοφαντῶν ὁ Κωλώτης καὶ τῷ ῥήματι διώκων οὐ τῷ πράγματι τὸν λόγον ἁπλῶς φησι πάντ’ ἀναιρεῖν τῷ ἓν ὂν ὑποτίθεσται τὸν Παρμενίδην. ὁ δ’ ἀναιρεῖ μὲν οὐδετέραν φύσιν, ἑκατέρᾳ δ’ ἀποδιδοὺς τὸ προσῆκον.

Meinbare etwas Unzuverlässiges ist, in vielerart Zuständen und Wandlungen Befindliches, indem es untergeht und wächst und sich jedem andern gegenüber anders und für die sinnliche Wahrnehmung nicht immer in derselben Weise demselben gegenüber verhält, während das Erkennbare anderer Art ist; es ist nämlich aus einem Glied und unbeweglich und nicht entstanden, wie er selbst sagt, und mit sich selbst identisch und bleibend im Sein. Indem nun Kolotes einzelnes aus seinem Zusammenhang löst und es dann wörtlich, und d. h. falsch, interpretiert und sich statt auf die Sache auf den Buchstaben beruft, behauptet er, daß Parmenides alles abschafft, wenn er annimmt, daß das Seiende eins ist. Parmenides jedoch schafft keine von beiden Naturen ab, sondern gibt jeder Natur [d. h. der erkennbaren wie auch der meinbaren] das ihr Zukommende.«

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II. Text · Übersetzung

Teil II enthält den griechischen Text und die vollständige Neuübersetzung. Letztere geht nach Möglichkeit parallel mit den Zeilen des Originals, allein die Interpunktion wird da oder dort geändert. Alle FF werden mit »B« ohne Autorenziffer zitiert, und jedem F folgt ein Abschnitt mit Worterklärungen und Beispielen aus der Literatur; falls nötig, wird auf abweichende Lesarten Bezug genommen, vor allem aber die Übersetzung einzelner Wörter (namentlich im Unterschied zur Mehrzahl der Übersetzungen) begründet. Von DK abweichende Lesarten sind kursiv hervorgehoben, Ziffern zwecks Gliederung fett gedruckt. Zusätze und Kürzungen des Verfassers stehen in geschwungenen Klammern = { }, {…}. Ein hochgestellter kleiner Kreis 1 verweist auf die Worterklärungen (z. B. °B 1.1) und vice versa auf den Kommentar (z. B. °III.1.a.i).

1.

Zur Übersetzung

Die sprachliche Form der FF ist der Hexameter (°I.2.b.iv). Dem Übersetzer stellt sich daher auch die Frage, ob er dem Original folgen oder eine Übersetzung in Prosa bevorzugen sollte. In respektvollem Abstand erinnere ich dazu an Wolfgang Schadewaldt. In seiner Übersetzung der Ilias imitiert er in freien Rhythmen deren Versmaß, während er die Odyssee in Prosa wiedergibt – und hat für die Wahl beider Möglichkeiten gute Gründe. Zu seiner Neuübersetzung der Ilias schreibt Schadewaldt: »Die neue Übersetzung von Homers Ilias, die ich hier bringe, unterscheidet sich nicht wenig von den zahlreichen sonstigen deutschen Übersetzungen. Das Wesentliche: Sie verzichtet auf die Beibehaltung des sechsfüßigen

1

Der cum grano salis auch als hermeneutischer Zirkel aufgefasst werden könnte.

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Zur Übersetzung

Hexameters der originalen Form, versucht aber auf der anderen Seite, die Sprache und die Art Homers mit größter Treue zu bewahren.« 2

Schadewaldt denkt natürlich an Johann Heinrich Voß, der 1781 die Odyssee, 1793 die Ilias übersetzt hat. So erfolgreich er damit auch war, hat er sich vielleicht allzu sehr dem Zwang des fremden Versmaßes unterworfen: Das quantifizierende Metrum der Antike und der akzentuierende Rhythmus des späteren Abendlandes sind von Grund auf verschieden. 3 Man kann die Details von Schadewaldts Argumentation übergehen (Parmenides ist ja nicht Homer); konkret stellt sich die Frage, welchen Vorteil es haben sollte, einen philosophischen Text im Versmaß des Originals wiederzugeben. Nochmals Schadewaldt: »Wenn ich für diese Übersetzung der homerischen Odyssee – nach manchen eigenen Versuchen mit dem Hexameter – die Prosaform gewählt habe, so bin ich mir bewußt, daß mit dem Verzicht auf den durchgehenden Rhythmus, der der Sprache die höhere Musikalität und den Glanz verleiht, ein erhebliches Opfer gebracht ist. Doch haftet dieser Glanz und diese Musikalität untrennbar an dem originalen griechischen Vers und Wort, und opfert man sie, so opfert man, was die deutsche Übersetzung angeht, wohl gar nur einen falschen Glanz. Doch wird dieser notgedrungene Verzicht dadurch wettgemacht, daß der Übersetzer mit der Prosaform ein völliges sprachliches Neuland betritt und es, unbehindert durch die nun einmal geschichtlich vorgeprägte Sprachform des Voßschen Hexameters, unternehmen kann, die eigene Art, wie Homer sieht, denkt und spricht, in deutscher Zunge nachzubilden.« 4

Vor beide Möglichkeiten gestellt, habe ich mich dafür entschieden, auf die ohnehin kaum machbare Nachbildung des Hexameters zu verzichten, doch nicht völlig auf eine vorsichtige Rhythmisierung. Als Beispiel zitiere ich B 1.1 – links der quantifizierende Hexameter, rechts der akzentuierende Rhythmus: Schadewaldt, in: Homer 1975, 425. »Die antike Metrik und Prosodie beruhen (ähnl. der ind., arab. und hebr.) auf dem konventionell fixierten Unterschied von Längen {…} und halb so langen Kürzen, die als Maßstab die Zeitdauer von einer bzw. zwei Moren erhalten, ohne Rücksicht auf die Betonung, da der altgriech. Akzent musikalisch war, d. h. nur auf Höhe und Tiefe des Tones beruhte.« Ab dem 3. Jh. n. Chr. trat »ein akzentuierendes Prinzip« ein (Wilpert 1989, 733 f.). More: »metr. Einheit in quantitierender Dichtung: der Zeitwert (Aussprachedauer) e. kurzen Silbe {…}; e. Länge entspricht zwei M.en« (Wilpert 1989, 590). Beispiele für die »Trennung von sprachlichem und musikalischem Rhythmus im abendländischen Vers«: Georgiades 1958, 30 ff. 4 Schadewaldt, in: Homer 1958, 323. 2 3

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Text · Übersetzung

ἵπποι ταί με φέρουσιν, ὅσον τ’ ἐπὶ θυμὸς ἱκάνοι

Stuten sind’s, die mich tragen, bis dorthin, wohin ein Selbst gerade noch reicht

Es ist nicht zu überhören (und dank der unterstrichenen Vokale auch nicht zu übersehen): Den sechs Hebungen des Originals stehen acht der Übersetzung gegenüber. Es fragt sich nun, wie sinnvoll eine rhythmisierende Übersetzung ist. Ein Vergleich macht allerdings deutlich, dass die Unterschiede beider Versionen nicht selten äußerst gering sind. Dies trifft schon auf die Übersetzung selbst zu. Ein Beispiel: »Das Rossegespann, das mich trägt, zog mich fürder, soweit ich nur wollte {…}«. 5 Ob eine Übersetzung das Gemeinte adäquat wiedergibt, hat weniger damit zu tun, ob das Original rhythmisch oder in Prosa übersetzt wird. Ein anderes Prosa-Beispiel: »Die Stuten, die mich bringen, so weit nur die Sehnsucht gelangt {…}«. 6 Wenn hier »Sehnsucht« für θυμός steht, im ersten Beispiel θυμός unübersetzt bleibt, muss dieses Wort genauer erklärt werden – wieder unabhängig davon, ob der Vers nun in Prosa oder leicht rhythmisiert übersetzt wird. Die Lesefreundlichkeit hängt wohl kaum an der einen oder anderen Version. In summa: Der Unterschied zwischen Rhythmus und Prosa ist nicht allzu erheblich, vor allem geht es um Verständlichkeit und Werktreue.

2.

Text · Übersetzung · Worterklärungen

Dieser Versuch einer Neuübersetzung des griechischen Textes basiert auf der Ausgabe von DK. Von ihr abweichende Lesarten sind durch Kursive gekennzeichnet, signifikante Unterschiede zu anderen Übersetzungen werden in den Worterklärungen begründet. Mit dem Zeichen ▶ wird das (manchmal nur vorläufige) Ergebnis angezeigt, ein hochgestellter Kreis ° verweist auf die wechselseitige Erläuterung der Teile II und III. 7 Es versteht sich wohl von selbst, dass andere Übersetzungen und Kommentare bei aller Kritik mit Gewinn herangezogen wurden.

5 6 7

Diels 2003, 29. Gemelli II, 11. Ein Zeichen für den hermeneutischen Zirkel (°E.2.a).

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B1

B1 1 ἵπποι ταί με φέρουσιν, ὅσον Rosse, Stuten sind’s, die mich traτ’ ἐπὶ θυμὸς ἱκάνοι, gen, bis dorthin, wohin ein Selbst gerade noch reicht, 2 πέμπον, ἐπεὶ μ’ ἐς ὁδὸν βῆ- geben Geleit, da sie mich auf den σαν πολύφημον ἄγουσαι Weg, den reiche Kunde bringenden, führen, 3 δαίμονος, ἣ κατὰ πάντ’ ἄστη {auf} der Göttin {Weg}, der über alle φέρει εἰδότα φῶτα· Wohnstätten hin trägt den Menschen, der etwas gesehen hat. 4 τῇ φερόμην· τῇ γάρ με πολύφραστοι φέρον ἵπποι

Auf dem ward’ ich davongetragen; denn dorthin bringen mich fort die vielverständigen Rosse

5 ἅρμα τιταίνουσαι, κοῦραι δ’ und ziehen gestreckten Laufes den ὁδὸν ἡγεμόνευον. Wagen; Koren aber weisen den Weg. 6 ἄξων δ’ ἐν χνοίῃσιν ἵει σύριγγος ἀυτήν

In den eisernen Büchsen knarrt die Radnabe mit der Achse,

7 αἰθόμενος (δοιοῖς γὰρ ἐπεί- steht in Flammen (getrieben beiderγετο δινωτοῖσιν seits von zwei kreisrunden 8 κύκλοις ἀμφοτέρωθεν), ὅτε Rädern); da eilen, um das Gefährt σπερχοίατο πέμπειν nach Hause zu bringen, 9 Ἡλιάδες κοῦραι, προλιποῦ- des Helios Töchter, die hinter sich σαι δώματα Νυκτός lassen das Haus der Nacht 10 εἰς φάος, ὠσάμεναι κράτων ἄπο χερσὶ καλύπτρας.

zum Licht hin; sie stoßen mit ihren Händen die Schleier von ihren Häuptern zurück.

11 ἔνθα πύλαι Νυκτός τε καὶ Ἤματός εἰσι κελεύθων,

Dort ist das Tor der Bahnen der Nacht und des Tages,

12 καί σφας ὑπέρθυρον ἀμφὶς ἔχει καὶ λάινος οὐδός·

ein Türsims hält es auf beiden Seiten und eine steinerne Schwelle;

13 αὐταὶ δ’ αἰθέριαι πλῆνται μεγάλοισι θυρέτροις·

es ist aus Luft vom Wohnsitz der Götter gemacht und gefüllt mit gewaltigen Türen;

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Text · Übersetzung

14 τῶν δὲ Δίκη πολύποινος ἔχει von denen aber hat Dike, die vielκληῖδας ἀμοιβούς. strafende, die passenden Schlüssel. 15 τὴν δὴ παρφάμεναι κοῦραι μαλακοῖσι λόγοισιν,

Der nun sprechen die Mädchen zu mit zärtlichen Worten,

16 πεῖσαν ἐπιφραδέως, ὥς σφιν bitten sie klug und verständig, ihnen βαλανωτὸν ὀχῆα den zapfenbewehrten Riegel 17 ἀπτερέως ὤσειε πυλέων ἄπο· ταὶ δὲ θυρέτρων

flugs vom Tore zu stoßen; dieses aber der Türen

18 χάσμ’ ἀχανὲς ποίησαν ἀνα- weitaufgähnende Kluft tut es auf. πτάμεναι πολυχάλκους Auf fliegt’s und dreht die reich mit Erz beschlagenen 19 ἄξονας ἐν σύριγξιν ἀμοιβα- Torpfosten wechselweis’ in den δὸν εἰλίξασαι Pfannen, 20 γόμφοις καὶ περόνῃσιν ἀρη- beide mit Zapfen und Dornen geρότε· τῇ ῥα δι’ αὐτέων fügt; durch dieses also 21 ἰθὺς ἔχον κοῦραι κατ’ ἀμαξιτὸν ἅρμα καὶ ἵππους.

halten die Mädchen den Fahrweg entlang Wagen und Rosse.

22 καί με θεὰ πρόφρων ὑπεδέξατο, χεῖρα δὲ χειρί

Und eine Göttin empfängt mich geneigten Sinnes, mit ihrer Hand

23 δεξιτερὴν ἕλεν, ὧδε δ’ ἔπος fasst sie die rechte von mir. So aber φάτο καί με προσηύδα· nimmt sie das Wort und redet mich an: 24 ὦ κοῦρ’ ἀθανάτοισι συνάορος ἡνιόχοισιν,

Jüngling, unsterblichen Wagenlenkerinnen gesellt,

25 ἵπποις ταί σε φέρουσιν ἱκά- du bist zu unserem Haus gelangt νων ἡμέτερον δῶ, mit Stuten, welche dich überbringen, 26 χαῖρ’, ἐπεὶ οὔτι σε μοῖρα κακὴ προὔπεμπε νέεσθαι

freu’ dich! Kein schlimmes Geschick hat dich heimzukehren geleitet

27 τὴνδ’ ὁδόν (ἦ γὰρ ἀπ’ ἀνden Weg (denn vom Fußsteig der θρώπων ἐκτὸς πάτου ἐστίν), Menschen ist er wahrlich weitab), 28 ἀλλὰ θέμις τε δίκη τε. χρεὼ sondern es waren Satzung und δέ σε πάντα πυθέσθαι Recht. Not aber ist, dass du alles erfährst:

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B1

29 ἠμὲν ἀληθείης εὐκυκλέος ἀτρεμὲς ἦτορ

sowohl der Wahrheit wohlgerundetes, ruhiges Herz

30 ἠδὲ βροτῶν δόξας, ταῖς οὐκ als auch der Sterblichen Meinungen, ἔνι πίστις ἀληθής. in denen nicht wahres Vertrauen wohnt. 31 ἀλλ’ ἔμπης καὶ ταῦτα μαθή- Aber auch dies wirst du lernen, dass σεαι, ὡς τὰ δοκοῦντα das, was erscheint, 32 χρῆν δοκίμως εἶναι διὰ παν- notwendig ist und, indem sich’s ein τὸς πάντα περῶντα. Ansehen gibt, durch alles hindurch alles durchdringt.

B 1.1 ἵπποι ταί: Aus den FF geht die Dominanz des weiblichen Elementes hervor. 8 1. Für diese Fahrt und das besondere Gefährt 9 scheinen Stuten 10 besser geeignet zu sein, weil sie »leichter zu lenken« 11 sind. 2. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Feuer und dem Weiblichen, woraus folgt, dass es sich besser als das Männliche verstehen lässt. 12 3. Das weibliche Element dominiert in den FF (°III.2.a). ▶ Die emphatische Wiedergabe mit »Rosse, Stuten« unterstreicht das Femininum. με: Ausdrückliche Bezugnahme auf das »Subjekt« dieser Reise. »Verstanden sich die vorsokratischen Denker, mehr als die homerischen Helden, als autonome Individuen?« 13 φέρουσιν: Die Stuten tragen den Reisenden davon. »{…} the route ›carries the man {…} (a long journey)‹«. 14 »Dahintragen« 15 »The universe he describes is a feminine one; and if this man’s poem represents the starting point for western logic, then something very strange has happened for logic to end up the way it has« (Kingsley 1999, 49); »Vorzüge des einen oder anderen Geschlechts« (Deichgräber 1958, 2581). °III.2.a. 9 »The mares were preferred for charioteer races« (Tarán 1965, 9), °B 1.5. 10 DK I, 228: »Rosse«. »Stuten«: Bormann 1971, 29 = Gemelli II 10; »mares«: Coxon 2009, 48, Tarán 1965, 8. 11 Deichgräber 1958, 658. 12 »P.s choice here is motivated by his view {…} that the female constitution is ›hotter‹ than the male and therefore more akin to the element of fire or light, which is the source of ›better and purer understanding‹« (Coxon 2009, 270). 13 Stemich 2008, 55. 14 Mourelatos 2008, 17 . 21 15 DK I, 228. 8

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Text · Übersetzung

klingt eher passiv, »tragen« 16 zu allgemein; ▶ »davongetragen« entspricht vielleicht am ehesten diesem Aufbruch ins Unbekannte. θυμὸς: Die Übertragung ins Deutsche wirft mehrere Probleme auf. 1. Schon im Griechischen wird θυμός mehrdeutig gebraucht, sowohl semantisch 17 als auch kulturgeschichtlich 18. 2. Die Wiedergabe durch deutsche Wörter muss auf deren sprachgeschichtliche Entwicklung Rücksicht nehmen. 19 3. Es kommen besonders bei der Übersetzung von θυμός mit »Mut«, »Wille« u. dgl. philosophische Vorgaben ins Spiel. 20 4. Übersetzungen: »soweit mein Sinn vorwärts begehrte«; 21 »soweit jeweils mein Verlangen reicht«; 22 »soweit ich nur wollte«; 23 »soweit nur die Lust mich ankam«; 24 »soweit nur die Sehnsucht gelangt«; 25 »soweit nur immer mein Mut gelangt«; 26 »soweit jeweils mein Gemüt verlangt«; 27 »so weit nur mein Wille dringt«; 28 »so weit nur mein Mut reicht«; 29 »so weit die Regung reicht«; 30 »Soweit mein Z. B. Mansfeld 1995, 5, Riezler 2001, 25, Kirk & al. 267. – Frisk I, 720: »kommen, gelangen, erreichen«. 17 »Geist, Mut, Zorn, Sinn« (Frisk I, 693). – »1. Leben, Lebenskraft, 2. Leidenschaft – a. Mut, Tapferkeit, b. Heftigkeit, 3. Empfindungsvermögen, Gemüt, Herz, 4. Geist, Verstand« (Gemoll 379). »soul, spirit, as the principle of life, feeling and thought« (LSJ 810). – »1) L e b e n , L e b e n s k r a f t , Lebensfülle, deren Sitz in der Brust, στῆθος, und bestimmter im Zwerchfell, φρένες, ist; {…} 2) {…} a) Ve r l a n g e n , Tr i e b , N e i g u n g {…} b) M u t h , der sich auch durch lebhaftes Athmen äußert, als besondere Thätigkeit der Lebenskraft erscheint {…} c) Zornmut, Z o r n , d) übh. E m p f i n d u n g , G e f ü h l , wo wir gew. H e r z sagen {…} G e s i n n u n g , S i n n {…} G e d a n k e , E r w ä g u n g « (Pape 1, 1224; zahlreiche Belege). 18 Stellung des θυμός in der griechischen Adelszeit: »Zorn, Appetit, Mitleid, Mut« (Grønbech I, 63). »Thymos ist bei Homer das, was die Regungen verursacht, und Nóos das, was die Vorstellungen bringt: auf diese zwei verschiedenen geistig-seelischen Organe ist das Geistig-Seelische gewissermaßen verteilt« (Snell 2000, 19). 19 »Mut« in der Bedeutung von Kühnheit und Unerschrockenheit hat ahd. und mhd. einen größeren Bedeutungsumfang als heute; so bedeutet ahd. muot »›Kraft des Denkens, Seele, Herz, Gemütszustand, Gesinnung, Gefühl, Absicht, Neigung‹ (8. Jh.)« (Pfeifer 1997, 903). 20 Siehe HWPh 12, s. v. »Wille«. 21 Jaeger 1953, 112. 22 Bormann 1971, 29. 23 Diels 2003, 29. 24 DK I, 228. 25 Gemelli II, 11. 26 Günther 1998, 13. 27 Heidegger GA 35, 108. 28 Hölscher 2014, 5; beinahe gleich: Thanassas 1997, 275. 29 Mansfeld 1995, 5. 30 Padrutt 1991, 25. 16

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B1

Sinn begehrt«; 31 »as far as my will wishes to go«; 32 »as far as ever my spirit reached«; 33 »aussi loin que le cœur le désire me portaient« / »quanto oltre il cuore aspira a giungere«; 34 »as far as ever my heart may desire; 35 »conforme allo slancio della mia volontà«. 36 5. Die Wiedergabe von θυμός mit »das Selbst« ist allerdings erklärungsbedürftig, weil es das entsprechende Wort bei Parmenides nicht gibt. Zwar sagt sein Zeitgenosse Heraklit: ἐδιζησάμην ἐμεωυτόν, 37 »ich erforschte mich selbst«, doch ein vergleichbarer Selbstbezug fehlt bei Parmenides (trotz με: B 1.1). 6. Gleichwohl ist die Übersetzung mit ▶ »das Selbst« für θυμός nicht ungeeignet. Auch wenn »das Selbst« erst in der neuzeitlichen Philosophie der Subjektivität als Grundbegriff fungiert, 38 schließt dies dessen »Vorgeschichte« nicht aus, wie der Religions- und Kulturhistoriker Vilhelm Grønbech mit Berücksichtigung anderer Grundbegriffe der frühen Griechen ausführt: »Das Selbst, die Persönlichkeit, die den Namen Thymos trägt, hat nichts Vages, Unbestimmtes an sich. Sie kann ganz praktisch als Kydos, Kleos und Arete bestimmt werden. Das ist dieser Thymos, der im Jüngling wächst und langsam durch Lehre und Erfahrung zur Männlichkeit reift. Eines schönen Tages findet er sich selbst, er entdeckt, daß er ein Mann ist, wenn er hört, was das Volk von ihm, dem Sohne eines großen Mannes, erwartet. Er hat gelernt und er weiß, was recht und was unrecht ist, und das bedeutet für ihn, was seine Ehre und Pflicht, seine Aidos und Nemesis ist. Er erwacht zur Gewißheit, ein Mann zu sein, weil er Entrüstung fühlen und in Mut entflammen kann, weil er imstande ist, Pläne zu schmieden und sie ins Werk zu setzen. Dieser Thymos bricht in seinem Mut, seinem Zorn, seiner Freude und seiner Lust hervor. Was wir Gemütszustand nennen, ist nichts anderes als sein Thymos, der sich, gleich seiner Arete, nach den Forderungen der Stunde abstimmt, sich zum Willensakt konzentriert, in Gefühlen entfaltet, sich zu Gedanken klärt, sich bei Beleidigungen im Zorn versteift, sich zu Sehnsucht erhitzt oder sich zu einem Klumpen von Mißmut zusammenzieht.« 39 Riezler 2001, 25. Cordero 2004, 191. 33 Coxon 2009, 48. 34 Di Giuseppe 2011, 13 / 29. 35 Tarán 1965, 8. 36 Untersteiner 1958, 121. 37 22 B 101. 38 »›S.‹ gilt als ein Konzept, das erst innerhalb der Subjektivierungstendenzen des neuzeitlichen Denkens philosophische Bedeutung gewinnen konnte und deshalb keine Vorgeschichte hat« (HWPh 9, 292; Red.). 39 Grønbech I, 62. 31 32

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Text · Übersetzung

ὅσον τ’: Die Wiedergabe von ὅσον τ’ ἐπὶ θυμὸς ἱκάνοι mit ▶ »bis dorthin, wohin ein Selbst gerade noch reicht«, bezeichnet den Punkt, zu dem der Erzähler von F0 mit äußerstem Einsatz seines »Selbst« gerade noch imstande ist, hinzukommen. Der unbestimmte Artikel könnte darauf anspielen, dass dieser Mensch noch nicht im vollen Besitz seiner Kräfte ist. In diesem Zusammenhang ist das ὅσον τ’ zu sehen: Mit dem ▶ τ’ 40, »etwa«, wird angedeutet, dass der Erzähler zwar alles, was in seiner Macht steht, gibt, doch dort, wo es ums Äußerste geht, auf göttliche Hilfe angewiesen ist (°III.2.a). ἱκάνοι: ἱκάνειν »ankommen, hingelangen«, auch im Zusammenhang mit Zuständen und Stimmungen, die einen berühren. 41 »{…} the optative is that of indefinitive frequency, as in σπερχοίατο [›made haste‹] in {B} 1.8«. 42 B 1.2 πέμπον: πέμπειν drückt das Besondere der Fahrt aus: Die begleitenden Rosse geben feierliches Geleit. 43 Möglicherweise klingt auch »heimsenden« an, 44 begibt sich doch der Erzähler auf eine Reise, die ihn zu sich selbst, gleichsam nach Hause bringen soll. ὁδὸν: Weg (ὁδός) und Methode (μετὰ τὴν ὁδόν, »hinter einem Weg her«) sind trotz sprachlicher Verwandtschaft aus philosophischer Sicht zu unterscheiden (°III.6). 45 »{…}« schließt sich vorangehenden, namentlich gern relativen Wörtern an« (Gemoll 731). 41 μέγα πένϑος Ἀχαιΐδα γαῖαν ἱκάνει (Homer. Il. 1, 254). – S. a. Frisk I, 720, s. v. ἵκω. 42 Coxon 2009, 270. 43 πομπή »Festzug«; lat. pompa, »feierlicher Aufzug, Pracht, Prunk« (Pfeifer 1997, 1027); Lehnwort »Pomp«. πέμπω »auch Adj. ›geleitend, Kunde bringend‹« (Frisk II, 502). 44 Drei Hauptbedeutungen von πέμπειν: »entsenden«: 1. »entsenden, schicken«; 2. »entlassen«, auch »heimsenden«; 3. »geleiten (z. B. πομπήν, einen Festzug)« (Gemoll 589). 45 Dies gilt nicht nur für den von Descartes inaugurierten neuzeitlichen Methodenbegriff, sondern bereits für den vorliegenden Text. »Die philosophische Sprache der späteren Zeit prägte das ähnliche Wort μέθοδος, das ebenfalls den Weg zu einem Ziel bezeichnet, aber wie leer, wie bloß ›methodisch‹ erscheint der Sinn dieser Metapher im Vergleich mit dem Wege des Parmenides {…}« (Jaeger 1953, 116). – Zu Descartes vgl. Regulae ad directionem ingenii, Präambel zur 2. Regel: »Circa illa tantum objecta oportet versari, ad quorum certam et indubitatam cognitionem nostra ingenia videntur sufficere.« »Nur mit solchen Gegenständen darf man umgehen, zu deren zuverlässiger und unzweifelhafter Erkenntnis unsere Erkenntniskraft offenbar ausreicht« 40

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πολύφημον: »vielgerühmt« 46 für Tarán unhaltbar. »Φήμη does not mean ›fame‹, but ›news‹, ›intelligence‹, ›meaningful word‹.« 47 Daher ▶ »den Weg, den reiche Kunde bringenden«. 48 ἄγουσαι: »mit sich nehmen« sollte das Ungewöhnliche, ja Gewaltsame dieser Fahrt andeuten: 49 gewaltsam, weil der Weg von den ἄστη wegführt, die den βροτοί Schutz gewähren (°B 1.3). B 1.3 δαίμονος: Zwei Lesarten: 1. δαίμονες, »die Dämonen (die Göttinnen)«, »d. i. Ἡλιάδες«. 50 2. δαίμονος, »der Göttin«; 51 »der Gottheit«. 52 »Der ›Weg der Gottheit‹ bleibt unbestimmt wie andere Details der ersten Verse. Epos und Lyrik sprechen von einem ›Weg der Götter‹, der den Menschen unzugänglich ist.« 53 Ist der Weg von Wesen gesäumt, die Göttinnen gleich sind, oder ist es nicht gerade deshalb der Weg der ▶ Göttin, weil er ihr eigen ist, indem er zu ihr führt und insgeheim von ihr geleitet wird? κατὰ πάντ’ ἄστη: Drei Lesarten: 1. κατὰ πάντ’ ἄστη, »über alle Wohnstätten hin« (DK): 54 Der Erzähler hat sich auf eine Fahrt eingelassen, die ihn über alles bisher Vertraute hinwegführt (°III.2. a). 2. κατὰ πάντ’ ἀδαῆ, »durch alles Dunkle hin«: 55 Der Weg führt (Descartes 1973, 6). Ein solcher methodischer Vorgriff, der bestimmte Gegenstände von vornherein ausschließt, wenn sie den Forderungen von certitudo und indubitatio nicht genügen, ist ungriechisch, wie sich etwa bei Aristoteles zeigen lässt: Λέγοιτο δ’ ἂν ἱκανῶς, εἰ κατὰ τὴν ὑποκειμένην ὕλην διασαφηθείη (EN A 1, 1094a 11 f.). Auch Aristoteles fordert Durchsichtigkeit, doch hat für ihn, anders als für Descartes, die Mathematik nicht paradigmatische Bedeutung. 46 »vielgerühmten« (Diels 2003, 29). 47 Tarán 1965, 10. – πολύς 3 »›viel, zahlreich, häufig‹ (seit Il.). Als Vorderglied unbegrenzt produktiv« (Frisk II, 502). – »In Homer the word πολύφημος [›of much discourse‹] characterises ἀοιδός [›bard‹] and ἀγορήν (assembly) and means ›with many stories or voices‹« (Coxon 2009, 271). 48 »{…} der Weg heißt πολύφημος, nicht ›vielgerühmt‹, {…} sondern ›reiche Kunde bringend‹, entsprechend den ἵπποι πολύφραστοι« (Becker 1937, 140). 49 Kroisos zu Kyros auf die Frage, ob die Perser nicht des letzteren Stadt plündern: φέρουσί τε καὶ ἄγουσι τὰ σά, »sie nehmen und führen gewaltsam mit sich das Deine weg« (Herodot I, 88). 50 DK I, 228 und 228 . »Die Götter im ganzen heißen δαίμονες ebensogut wie δω19 τῆρες« (Wilamowitz I, 356 f.). 51 Diels 2003, 29. Bormann 1971, 28/29. 52 Gemelli II, 11. 53 Gemelli II, 73. Vgl. Homer Od. 13, 112. 54 DK I, 228. 55 Gemelli II, 11.

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den Erzähler durch das Dunkel der Unwissenheit hindurch und zum Wissen empor. 3. κατὰ πάντ’ ἄ{ν}τη{ν}, »through every stage to meet her face to face«: 56 Jeder dieser Schritte erfolgt im Angesicht der Göttin (°B 1.3). 57 Alle drei Lesarten lassen sich begründen. Die Entscheidung für ▶ 3 ergibt sich parallel zu B 1.27: ἦ γὰρ ἀπ’ ἀνθρώπων ἐκτὸς πάτου ἐστίν, »denn vom Fußsteig der Menschen ist er wahrlich weitab«. εἰδότα φῶτα: 1. εἰδὼς φώς wird meist wiedergegeben mit »der wissende Mann«, 58 obwohl doch jemand zu Beginn einer solchen Reise noch gar nicht wissen kann, wie sie ausgeht. 59 Das soll auch deutlicher aus der Übersetzung hervorgehen. 2. Der εἰδὼς φώς gehört zwar noch nicht zu den Wissenden; trotzdem hat er schon etwas gesehen – für ihn ein entscheidendes Motiv, sich auf diese gefährliche Reise zu begeben (was auch noch dadurch betont wird, dass εἰδώς zur Mysteriensprache gehört) 60. 3. Der εἰδὼς φώς ist demzufolge zwar nicht »der wissende Mann«, aber ein ▶ »Mensch, der etwas gesehen hat«. 61 4. φώς, ▶ »Mensch« wähle ich statt »Mann«, um so die wenig sinnvolle Aufeinanderfolge Mann B 1.3, Jüngling B 1.24, zu vermeiden. 62

Coxon 2009, 48. ἄντην »1. entgegen, gegenüber, 2. ins Angesicht, 3. vor aller Augen, offen« (Gemoll 77). 58 »{…} den ›eingeweihten Mann‹« (Diels 2003, 49, mit Literaturhinweisen). 59 »Das Wort bezeichnet hier unmöglich den Menschen, der die Wahrheit schon kennt {…}, weil die Reise noch nicht begonnen hat und eine solche Bedeutung im 5. Jahrhundert v. Chr. ungewöhnlich gewesen wäre (Empedokles Fr. 186 verwendet in Bezug auf Pythagoras εἰδώς mit dem Akkusativ-Objekt ἀνὴρ περιώσια εἰδώς ›ein Mann, der übermäßig viel weiß‹)« (Gemelli II, 74). 60 »{…} εἰδώς absolut gebraucht, gehört zur Mysteriensprache« (Diels 2003, 49). ° III.2.a. 61 Auch etymologisch und grammatisch lässt sich dies begründen: εἰδω *ϝιδ, lat. video, ahd. wizzan, Perfekt οἶδα (Gemoll 242). Das Perfekt hat zwar die Bedeutung von »wissen, verstehen, kennen«, als Perfekt genommen bedeutet es εἴδω »gesehen haben«. 62 Etwas andere Deutung: »Im dritten Vers bezeichnet sich der Kuros als wissenden Mann, was ohne weiteres als Widerspruch zum Begriff ›Kuros‹ als den einzuweihenden Jüngling gelesen werden kann. Doch das Nebeneinander von κοῦρος und wissendem Mann macht klar, dass der Terminus ›Kuros‹ im Lehrgedicht als Arbeitsbegriff dient und nicht den Eleaten als jung und unterworfen charakterisieren will« (Stemich 2008, 60). 56 57

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B 1.4 πολύφραστοι: Sie werden deshalb »die vielverständigen Rosse« 63 genannt, weil sie den Weg kennen. 64 B 1.5 ἅρμα τιταίνουσαι: ἅρμα: Streit- oder Triumphwagen. 65 Dies lässt, wie die folgenden Verse zeigen, an eine schnelle und wagnisreiche Fahrt denken. Vielleicht deutet ein solches Kampfgefährt – im Kontext von F0 – auch auf den Streit mit der Lebensform der anderen Menschen hin (κατὰ πάντ’ ἄστη B 1.3; πολύδηριν ἔλεγχον B 7.5), 66 d. h. der βροτοί (B 1.30, B 6.4, B 8.39, B 8.51, B 8.61). Der Geschwindigkeit dieser Wagenfahrt entspricht auch »und ziehen gestreckten Laufes den Wagen«. 67 κοῦραι: κόρη, jon. κούρη, poet. κόρα und κούρα (Fem. von κόρος, »Jüngling«), »Mädchen, Jungfrau, öfter von Göttinnen«. 68 »κοῦραι [›maidens‹]: the word is emphatic, since female charioteers are unusual.« 69 B 1.6 σύριγγος: Übersetzungen von ἵει σύριγγος ἀυτήν u. a.: »{…} mit pfeifendem Tone«; 70 »{…} einer Syrinx Laut«; 71 »Pfeifton«; 72 »Schrei der Pfeife«. 73 Während die Mehrzahl der Übersetzer mit σῦριγξ eine Flöte assoziiert, meint Kingsley das Zischen einer Schlange. 74 ▶ Eine Bormann 1971, 29; »sagacious mares« (Coxon 2009, 48); die unsterblichen Rosse des Achill: Di Giuseppe 2011, 168. 64 »because they know the way« (Tarán 1965, 12, mit Hinweis auf Homer Il. 19, 401). 65 »chariot, esp. warchariot, Homer Il. 5, 231« (LSJ 242). – Genaue Beschreibung derartiger Fahrzeuge: Greenhalgh 1973. 66 Von dem an Schnelligkeit unübertrefflichen Achill heißt es (Il. 22, 23): »Stürmend wie ein preistragendes Pferd mit dem Wagen, | Das leicht dahineilt, gestreckten Laufes durch die Ebene« (Homer 1975, 366). 67 Anders z. B. »den Wagen ziehend« (DK I, 228) oder »den Wagen eilends ziehend« (Bormann 1971, 28). 68 Gemoll 447. 69 Coxon 2009, 273. 70 Diels 2003, 29. 71 Bormann 1971, 28. 72 Gemelli II, 11. 73 Padrutt 1991, 641. 74 »The word for ›pipe‹ that Parmenides keeps using is syrinx. It had a very particular spread of meanings. Syrinx was the name either for a musical instrument or for the part of an instrument that makes a piping, whistling sound – the sound called syrig63

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genauere Besichtigung des ἅρμα lässt jedoch vermuten, dass es sich um die in ihren eisernen Büchsen (ἐν χνοίῃσιν) knarrende Radnabe 75 handelt. B 1.7 αἰθόμενος: Aufgrund der hohen Geschwindigkeit des Wagens steht die Radachse in Flammen. Das kann zweierlei bedeuten: 1. Sie selbst ist entflammt, d. h. in Glut geraten; 2. sie steht in Flammen, indem sie wie in grelles Licht getaucht erscheint. Der αἰθήρ (verwandt mit αἴθω) erscheint bei Homer als Raum des strahlenden Himmelsglanzes. ▶ Somit wäre der ἄξων angestrahlt und deshalb »in Flammen«, weil der Wagen von den Töchtern des Helios εἰς φάος, empor zum Licht des ἥλιος geleitet wird (B 1.9 f.). B 1.8 ὅτε σπερχοίατο πέμπειν: Sie beeilen sich, das Gefährt nachhause zu bringen, d. h. εἰς φάος, »zum Licht hin« (B 1.10). B 1.9 Ἡλιάδες κοῦραι: Sind die κοῦραι B 1.9 und B 1.5 identisch? B 1.8 steht ὅτε σπερχοίατο πέμπειν, »da eilen {die Ἡλιάδες κοῦραι}, das Gefährt nach Hause zu bringen«. Diese Koren weisen den Weg (κοῦραι δ’ ὁδὸν ἡγεμόνευον: B 1.5). Es handelt sich B 1.5 und 1.9 um dieselben Koren oder Heliaden, wobei diese jene (als Lichtbringer) näher charakterisieren. δώματα Νυκτός: das Haus der Nacht. Zunächst scheint nahe zu liegen, dass hier ein Schritt aus nächtlicher Finsternis in die Helle des Sonnenlichtes getan wird. Allerdings liegen die Verhältnisse nicht so einfach. Der Rückgang auf bestimmte Zeremonien in Delphi lässt erkennen, dass den Frauen die mit Dionysos verbundenen Auferstehungszeremonien anvertraut wurden. 76 Dies würde bedeuten, dass die Koren nicht allein zur oberen Welt der Sonne gehören, sondern auch zum Reich des Dionysos: »Er war der Vertraute und Genosse der

mos. But there’s one aspect of these words that you have to bear in mind: for Greeks this sound of piping and whistling was also the sound of the hissing made by snakes« (Kingsley 1999, 128). 75 ἀϋτή »of the creaking of the axle« (LSJ 279, mit ausdrücklichem Verweis auf B 1.6); »hole in the nave of a wheel« (LSJ 1731 s. v. σύριγξ), ein Loch in der Nabe des Rades. 76 Plutarch, Griechische Fragen 12; Aristophanes, Frösche 373–96, mit Scholien.

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Totengeister.« 77 Wenn die Heliaden aus dem Reich der Nacht emporsteigen, so verlassen sie damit nicht den einen Ort ihres Aufenthalts, um ihn mit einem anderen einfach zu vertauschen; der nächtliche Ort erinnert an eine Gefahr, von der die Sonnentöchter – und der, dem sie ihr Geleit geben – nie ganz frei sind. »In welcher Sphäre sind wir nun? Es kann kein Zweifel sein, daß es die des Todes ist. Auch die Schrecken der Vernichtung, die den ganzen Lebensraum durchzittern, gehören als schauerliche Lust dem Reiche des Dionysos an. Der Ungeheure, dessen geisterhafte Doppelheit aus der Maske zu uns spricht, ist mit einer Seite seines Wesens der e w i g e n N a c h t zugewandt.« 78 Helios: Ist damit ein reines Lichtreich gemeint? Es bestehen Bedenken. Im Kult hat die Sonne zwar »nur eine untergeordnete Rolle gespielt«, doch haben griechische Religion und Mythologie »Züge alter ›unterirdischer‹ Hierophanien der Sonne bewahrt«, »ebenso chthonische wie infernalische Bedeutungen«. 79 Es ist nicht zu leugnen, dass Helios »Beziehungen zu gewissen Mächten der Finsternis: Hexerei und Unterwelt« unterhält. Er »ist Vater der Magierin Circe und Großvater Medeas {…}; von ihm hat Medea jenen von geflügelten Schlangen gezogenen Wagen {…}. Pferde und Schlangen gehören in erster Linie in den Bereich chthonischer Totensymbole. Der Eingang zum Hades hieß das ›Tor der Sonne‹ {…}. Die Polarität LichtFinsternis, solarisch-chthonisch konnte also als wechselnde Erscheinungsform ein und derselben Realität gefaßt werden.« 80 Ist das, was die Göttin vom Kuros verlangt (°B 7.5), eine Entscheidung zugunsten des Lichtes und gegen die Nacht, wenn die Fahrt vor den πύλαι Νυκτός τε καὶ Ἤματος anhält, »dem Tor der Bahnen der Nacht und des Tages« (B 1.11)? Offen bleibt, ob Parmenides das Haus der Nacht von Hesiod übernommen hat. 81 Es gebe zwar, so Michael Bartling, »hesiodsche Motive«, doch hätten »in seinem Bewußtsein entweder nur Tag oder

Otto 2011, 49. Otto 2011, 104. 79 Eliade 1954, 169. Attribute: πύθιος (Hinweis auf die Spiele in Delphi zu Ehren Apollons), παιάν (Παιάν: ein Arzt der Götter), χθόνιος (der Unterwelt angehörig), πλούτων (Πλούτων: Hades, der Gott der Unterwelt), τιτάν (die Titanen – ein von Zeus gestürztes Göttergeschlecht). 80 Eliade 1954, 75. E. Alc. 855: κόρη ist Persephone. 81 Bartling 1985, 105. 77 78

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nur Nacht in dem Haus der Nacht Platz«. 82 Würde aber Parmenides mit diesem die Gegensätze ausschließenden Entweder-Oder nicht auf die Stufe der βροτοί zurückfallen? Auch sind es nicht πύλαι Νυκτός ἢ Ἤματος κελεύθων, sondern Νυκτός τε καὶ Ἤματος κελεύθων, es ist also ein Tor, das beide Eingänge enthält. Erst dadurch wird es für den Kuros möglich, eine Entscheidung zu treffen. Unterstützt wird er dabei von den Sonnenmädchen, die das Haus der Nacht verlassen, ihre Schleier zurückstoßen, d. h. was sie verhüllt hat, sichtbar machen, »entbergen« (B 1.10), und den Wagen hinauf zum Licht geleiten (B 1.10). Nachdem sie Dike, die Türhüterin darauf eingestimmt haben (B 1.16), öffnet sich die Kluft (B 1.18), fliegen die Tore auf (B 1.18), und der Kuros steht vor der Göttin (B 1.22). ὠσάμεναι: ὠθέω »zurückstoßen«. Ein Moment der Gewaltsamkeit (das auch dem Ritus der Initiation nicht fremd ist) liegt im »stießen {…} zurück«. 83 B 1.10 καλύπτρας: καλύπτρα »Schleiertuch«, verwandt mit καλύπτω »verhüllen, bergen«, als Gegenüber = ἀληθεύειν, »enthüllen, entbergen« – ein Wortspiel? Der Schleier lässt etwas sehen und enthält zugleich ein Versprechen auf Unsichtbares. B 1.11 πύλαι Νυκτός τε καὶ Ἤματος: Das »Haus von Tag und Nacht« hat bei Hesiod und Heraklit Entsprechungen. 84 Nύξ, »Nacht«, könnte auch den Hinweis auf eine Strafe enthalten. 85 B 1.13 αἰθέριαι: Mit αἰθήρ ist der heitere Himmel gemeint, die obere Luftschicht, in der die Götter wohnen (°B 1.7), mit ἀήρ die untere, dicke Luft, erfüllt von Nebel und Dunkelheit. Weil die Reise von der Nacht zum Licht geht, umschreibe ich αὐταὶ δ’ αἰθέριαι mit ▶ »es ist aus Luft vom Wohnsitz der Götter«.

Bartling 1985, 106. »mit Gewalt und Anstrengung von der Stelle bringen« (Pape 2, 1408). 84 Bartling 1985, 104–107. 85 Aischylos, A. 356, 460 ff., bestrafen Νύξ und Zeus die ungehorsamen Götter. Vgl. Böhme 1980, 12–82. 82 83

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B 1.14 Δίκη πολύποινος: i. »Dike, die vielstrafende«, und »die viel strafende Dike«; 86 »Dike, die gewaltige Rächerin«; 87 »die hartstrafende Dike«; 88 »die vergeltende Dike«; 89 »Dike, die genau vergeltende«; 90 »der unerbittlichen Dike unterstellt«; 91 »die vielrächende Dike«; 92 »Dike, die Göttin der Vergeltung«; 93 »Dike, whose vengeance is stern«. 94 »Unter den göttlichen Wesen, die das Wesen des Rechts bezeichnen und als Götternamen erscheinen, begegnen am meisten θέμις und δίκη.« 95 – ii. Ist an eine Gottheit oder die Göttin der Rechtsprechung zu denken? Während für die meisten Übersetzer Δίκη eine Göttin ist, sagt Coxon »retributive justice« 96 und versteht sie als Gerechtigkeit im juristischen Sinn. »From the fact that this expression also occurs in an Orphic fragment {…} it must not be inferred that Parmenides took it over from Orphic conceptions«. 97 ▶ Mit »Dike, die vielstrafende«, ist hier, anders als B 1.28, wohl die Göttin gemeint. 98 κληῖδας ἀμοιβούς: »wechselnd« von ἀμείβω med. »an die Stelle eines anderen treten«, »abwechseln«. 99 κλείς »Schlüssel«. Es sind »passende Schlüssel«, weil sie für beide Schlüssellöcher geeignet sind und daher sowohl das Tor des Tages als auch jenes der Nacht auf- und zuschließen können. B 1.17 ἀπτερέως: ἀπτερής »ursprünglich ein Vogel, der beide Flügel zugleich schlägt«, 100 daher ▶ »flugs«. DK und Gemelli II, 11. Diels 2003, 28. 88 Bormann 1971, 31. 89 Heitsch 1974, 11. 90 Hölscher 2014, 5. 91 Mansfeld 1995, 5. 92 Riezler 2001, 25. 93 Wolf 1950, 287. 94 Tarán 1965, 8. 95 Wolf 1950, 22. 96 Coxon 2009, 50. 97 Tarán 1965, 15. 98 Angehrn 1996, 297. Böhme 1980, 21–73. 99 Böhme spricht von einer »altorpheischen Dike«: »Diese Δίκη πολύποινος mit den Wechsel-Schlüsseln lässt sich aber vom Tor – den πύλαι da sich die Wege von Nacht und Tag begegnen – natürlich nicht abtrennen, denn: zu diesem Jenseitstor hat sie die Schlüssel, dieses Tores waltet sie« (Böhme 1980, 21). 100 Diels 2003, 52. 86 87

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B 1.18 χάσμ’ ἀχανὲς: »Parmenides kann den gähnenden Schlund nur dank besonderer göttlicher Gnade überwinden. Bei Hesiod ist der ›riesige Schlund‹ (Th. 740–743) für die Menschen nicht betretbar und sogar für unsterbliche Götter schrecklich: Denn wer durch die Tore hineinträte, würde durch furchtbare Stürme bald hierhin, bald dorthin gerissen und käme nicht einmal im Laufe eines Jahres zum Grund.« 101 Die »weitaufgähnende Kluft« entspricht diesem Befund. B 1.22 θεά: Hat die Göttin einen Namen? Es gibt eine Reihe von Vermutungen, die von Persephone bis Mnemosyne reichen, oder es bleibt ihre Anonymität gewahrt (°III.2.a). B 1.23 δεξιτερὴν ἕλεν: Jemanden bei der rechten Hand nehmen. προσηύδα: Sie redet ihn feierlich an, vgl. Homer Il. 1, 92: καὶ ηὔδα μάντις ἀμύμων. B 1.24 ὦ κοῦρ’: κοῦρος (jonisch, poetisch): »Knabe, Jüngling; inbes. a. junger Held, b. Sohn«; »boy, lad (even before birth)«. 102 Coxon präferiert den Helden: »the word κοῦρος [›youth‹] is used by Homer of heroes aged up to thirty or more (cf. Il. N 91–95, O 281–284), and it is difficult to suppose that P.’s poem is the work of a younger man than thirty.« 103 κοῦρος ist ein Begriff der Mysterienliteratur und kommt in der Philosophie nicht vor Parmenides vor: »Kouros is an ancient word, older even than the Greek language. Often it’s a title of honour, never an expression of contempt. When the great poets before Parmenides used the term it was always to communicate a sense of nobility. It was the kouros, more than anyone else, who was a hero.« 104 »Der Begriff ›Kuros‹ bezieht sich in der Mysterienliteratur rituell auf einen einzuweihenden Jüngling. Kein Philosoph wendet diesen Begriff vor Parmenides an. Dann ist der Terminus bei Empedokles zur Bezeichnung von ›Knabe‹ und ›Sohn‹ zu finden. Parmenides stellt 101 102 103 104

Gemelli II, 77. Gemoll 448; LSJ 981. Coxon 2009, 281. Kingsley 1999, 71 f.

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sich im Lehrgedicht selbst als Kuros vor, der von einem göttlichen Wesen belehrt wird.« 105 Die Übersetzung mit »Jüngling« eignet sich (sofern man nicht »Kuros« unübersetzt lässt), denn dieses Wort »bezieht sich in der Mysterienliteratur rituell auf einen einzuweihenden Jüngling« 106 (°III.2.b). B 1.25 μοῖρα κακὴ: DK: μοῖρα, »Fügung«, das Schicksal des Kuros. Gemelli: der Tod. 107 Wolf: Eine der Gegnerinnen der Dike, die »böse« Eris, »die zerstörende und vernichtende Zwietracht«. 108 Μοῖρα ist eine jener drei Göttinnen, die den Menschen ihr gutes oder böses Lebensgeschick zuteilen. Zur zeitlichen Bedeutung von Klotho, Lachesis und Atropos °III.6.c.iii. ▶ Ich übersetze μοῖρα B 1.26 (das menschliche Lebensschicksal) und ebenso B 8.37 Μοῖρ’ (die Göttin) mit »Geschick«, weil göttliche Einwirkung und menschliches Los miteinander verwoben sind; daher μοῖρα κακὴ ein schlimmes Geschick. B 1.27 ἀπ’ ἀνθρώπων ἐκτὸς πάτου: bezieht sich auf κατὰ πάντ’ ἄστη B 1.3. B 1.28 θέμις τε δίκη τε: DK schreibt B 1.14 und B 8.14 Δίκη groß (Göttin) und B 1.28 δίκη klein (»das Recht«). In den Übersetzungen findet sich einerseits der juridische Wortgebrauch: »Satzung und Recht« (Bormann 1971, 33); »right and justice« (Tarán 1965, 9; Coxon 2009, 52); daneben der mythische: »Themis und Dike« (Gemelli II, 13; Riezler 2001, 27). – Mit Δίκη πολύποινος in B 1.14 kann nur die Göttin gemeint sein, in B 1.28 liegt die juridische Bedeutung »Satzung und Recht« näher. – Ob Dike und Themis auch auf die biographische Überlieferung hinweisen (°I.2.a)? Parmenides hat bekanntStemich 2008, 52. Stemich 2008, 52; ebd. 45–65 mit zahlreichen Belegen. 107 »Hier wird ohne Zweifel der Tod bezeichnet, denn μοῖρα hat bei Homer gerade diese Bedeutung (Il. 13, 602: τὸν δ’ ἄγε μοῖρα κακὴ θανάτοιο τέλοσδε. Vgl. auch Il. 16,849; 21,83: μοῖρ’ ὀλοή; Od. 11,61: αἶσα κακή). {…} Das ist eine weitere Bestätigung dafür, dass die Reise des Parmenides eine Reise in die Unterwelt ist« (Gemelli II, 78). 108 Wolf 1950, 47. Zur Gleichsetzung von Dike und Eris verweist Wolf auf Heraklit, 22 B 80. 105 106

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lich den Einwohnern von Elea Gesetze gegeben (νόμους θεῖναι τοῖς πολίταις, A 1.1) und seine Vaterstadt durch die besten Gesetze in Ordnung gebracht (τὴν ἑαυτοῦ πατρίδα διεκόσμησε νόμοις ἀρίστοις, A 12). χρεὼ: Alle Etymologien sind hypothetisch. 109 Das Imperfekt χρῆν, »es wäre nötig«, drückt aus, dass etwas nicht ausgeführt wird, »die betreffende Handlung nicht erfolgt ist oder nicht erfolgt«. 110 »χρή and χρεών ἐστι in Archaic Greek do not mean, ›it is necessary‹ {…} but ›it is right, proper, meet‹, {…} it was rightfully {»rechtmäßig«: θέμις, δίκη}«. 111 Eine einfache Wiedergabemöglichkeit ist »Not«. πυθέσθαι: »{…} πεύθομαι hat genaue formale Entsprechungen in mehreren Sprachen: aind. bódhati {…}, ›wachen, aufmerksam sein, verstehen‹«. 112 Das Verbum πυνθάνεσθαι 113 hat einen größeren Bedeutungsumfang als etwa der aristotelische Begriff der ἐμπειρία 114 oder gar der Erfahrungsbegriff des Empirismus; dies beachtend lässt sich übersetzen mit »dass du alles erfährst«. B 1.29 ἀληθείης εὐκυκλέος: DK schreibt Ἀληθείης, als wäre hier eine Göttin gemeint. Ich halte dies für inkonsequent, weil als Gegenstück von ἀληθείης εὐκυκλέος ἀτρεμὲς ἦτορ B 1.30 βροτῶν δόξας fungieren. Vor allem aber wird ἀλήθεια hier als philosophischer Terminus gebraucht. Das Substantiv ἀλήθεια ist ein Kompositum aus λήθη, »Verbergung, Verborgenheit«, mit vorangestelltem α privativum, wörtlich »Un-verborgenheit«. »Jedes λήθειν setzt eine mögliche Mitwisserschaft voraus; es geschieht nur unter solchen, die ständig in der Lage sind, daß sie das eine wissen, während sie anderes nicht wissen, weshalb auch der eine auf das Wissen des anderen angewiesen sein kann – unter solchen, die einander wissen lassen können, was sie noch nicht oder nicht mehr gemeinsam wissen.« 115 »So wie das φαίFrisk II, 1119. Bornemann/Risch 1978, 231. »necessary« Coxon 2009, 54; »necessity« Coxon 2009, 285 mit Hinweis auf B 8, 53 f. 111 Mourelatos 2008, 207. 112 Frisk II, 625. Diskussion von πάντα bei Di Giuseppe 2011, 73. 113 »1. sich erkundigen, forschen, fragen {…} 2. erfahren, vernehmen, hören« (Gemoll 659). 114 Aristoteles Metaph. A 1. 115 Boeder 1959, 92. 109 110

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νειν etwas ans Licht bringt und vor Augen hält, wirkt im Gegenzug dazu auch das λήθειν. Es besagt demnach: jemanden über etwas im Dunklen lassen, jemandem etwas verhehlen, und sogar: jemanden hintergehen, jemanden ›hinters Licht führen‹.« 116 Pellikaan-Engel vergleicht B 1.29–30 mit Hesiod, Theogonie 27–28: 117 ἠμὲν ἀληθείης εὐκυκλέος ἀτρεμὲς ἦτορ

ἴδμεν ψεύδεα πολλὰ λέγειν ἐτύμοισιν ὁμοῖα,

ἠδὲ βροτῶν δόξας, ταῖς οὐκ ἔνι πίστις ἀληθής.

ἴδμεν δ’ εὖτ’ ἐθέλωμεν ἀληθέα γηρύσασθαι.

»Welche Bedeutung aber hat ἀλήθεια innerhalb der parmenideischen Philosophie?« 118 Feyerabend erblickt in ἀτρεμὲς ἦτορ eine biologische Metapher. 119 εὐκυκλέος: »wohlgerundet«, wie εὔκυκλος »well-rounded, round« (Simplikios). 120 Diels 2003 wählt diese Lesart und begründet sie mit der lectio difficilior, denn »εὐκυκλέος ist für den ersten Augenblick formell und inhaltlich so anstössig, dass es psychologisch schlechterdings unmöglich ist, sich die Genesis einer solchen Interpolation vorzustellen« (°E.2.a). Proklos: εὐφεγγέος – εὐφεγγής »schön leuchtend, strahlend«. 121 Doch hält es Diels für begreiflich, »dass ein Mann wie Proclus, der alles im neupythagoreischen Licht (wörtlich zu verstehen) erblickte, der {…} beim Dociren selbst von einem Heiligenschein umgeben war {…}, die Lesart εὐφεγγέος selbst dann für richtig hielt, wenn ihm andere Ueberlieferung bekannt geworden sein sollte. Denn selbst erfunden hat er, wenn wir seinen Worten trauen, εὐφεγγές nicht. Es ist aber vermutlich irgendwo im neupythagoreischen Kreise aufgekommen.« 122 Sextus u. a.: εὐπειθέος – εὐπειθής »1. (πείθομαι) leicht zu überreden, leicht gehorchend, folgsam {…} 2. (πείθω) leicht überredend, überzeugend«. 123 »Auch ältere Philosophen wussten mit εὐκυκλέος nichts anzufangen. Darum verfielen sie, indem sie eine Zeile weiter lasen ταῖς οὐκ ἔνι 116 117 118 119 120 121 122 123

Boeder 1959, 93. Pellikaan-Engel 1974, 79 f. Boeder 1959, 65. Zit. in: Di Giuseppe 2011, 462. LSJ 720. Aischylos, Pers. 379. Diels 2003, 55. Gemoll 343.

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πίστις ἀληθής, auf εὐπειθέος. Es ist möglich, dass diese Conjectur recht alt ist, aber echt ist sie nicht.« 124 Cordero 2004 u. a. lesen εὐκυκλέος, Stemich zieht εὐπειθέος vor; der Terminus sei »wortverwandt mit πειθώ (überzeugen) und πίστις (Glauben), was auf ein weiteres Charakteristikum der Wahrheit des Parmenides hinweist«. 125 ▶ Könnte aber εὖ nicht auch mit »gut« übersetzt werden und sich auf den κόσμος beziehen? Daher ▶ »gut gerundet«. B 1.30 βροτῶν: Die Sterblichen, βροτοί, und die unsterblichen Götter, θεοὶ ἀθάνατοι – ein Gegensatz bei Homer und dessen Nachfolgern; βροτός ist mit lat. mortuus verwandt. 126 Meijer u. a. unterscheiden zwischen den ἄνθρωποι und den βροτοί, »ordinary people and special people« – »an important distinction«. 127 δόξας: Vor jeder Analyse sollte auf Gadamers Hinweis geachtet werden, dass Parmenides nicht δόξα im Singular, sondern ▶ δόξαι im Plural gebraucht: »Die Wahrheit ist nur eine einzige, während die Meinungen der Menschen mannigfaltig sind. Die Doxa ist doch wohl erst ein platonischer Begriff, durch den der Unterschied zwischen den Meinungen und der einen Wahrheit markiert wird.« 128 δόξα (verwandt mit δοκεῖν °B 1.31) = (1) die Meinung, Vorstellung, Erwartung, die jemand hat (daher ist παρὰ τὴν δόξαν, »paradox«, was der δόξα zuwiderläuft), z. B. »Einbildung, Wahn, Schein«; (2) die Meinung, die andere von einem haben, daher auch »Ruf, Ruhm, Ehre«. 129 Die Gegenüberstellung von δόξα, »Schein«, und ἀλήθεια, »Wahrheit«, geht auf die von Platon geprägte Auslegung zurück. Reinhardt hält an der einseitigen Deutung der δόξα = Schein fest und lässt die Göttin darüber »wie von einer Begebenheit der Vorzeit, einer Art Sündenfalls der Erkenntnis« 130 reden; seiner Interpretation widerspricht Beaufret zu Recht: »La vie des δοκοῦντα est sans péché oriDiels 2003, 55. Stemich 2008, 83. 126 ἀνὴρ βροτός: Homer Il. 5, 361; Gemoll 164. 127 Meijer 1997, 225. 128 Gadamer 1996, 137. 129 Gemoll 225. – »In dem Worte δόξα liegt diese Wendung nach zwei Richtungen, dieses Schweben zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Aktiv und Passiv durch seine Bedeutung von ›Ansicht‹ im doppelten Sinne der ›Meinung‹ und des ›Ansehens‹, da es vom Verbum δοκέω stammt, das schon bei Homer als puto und putor auftritt.« (Snell 1924, 53) – Sprute 1962, 34–44: »Die Wortbedeutung von δόξα«. 130 Reinhardt 2012, 27. 124 125

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ginel. Le monde de l’illusion n’est pas une illusion de monde« 131 (°III.8.a, °III.9.b). πίστις: (1) Etymologie, Semantik. »Mit πείθω deckt sich formal genau das lat. themat. Wz.-präsens fīdō.« 132 – »Es scheint gesichert, daß als Grundbedeutung der Wurzel bheidh- > peith-, die dem lateinischen fid- phonetisch und semantisch entspricht, ›Vertrauen‹ anzusetzen ist, und daß die mit pis-t- gebildeten Wörter ursprünglich eine zweifache Bedeutung zeigen: Es heißt πιστός entweder ›vertrauend‹ oder ›vertrauenswürdig‹. Ebenso kann πίστις das aktive wie das passive Vertrauen bedeuten. Mit dieser semantischen Ambivalenz steht die schwankende Bewertung des Vertrauens in engem Zusammenhang. Vertrauen ist ja stets auf ein Gegenüber angewiesen, welches es rechtfertigt bzw. in Frage stellt. Die Beziehung des Vertrauens zu dem Vertrauten, die Wechselwirkung zwischen diesen beiden Polen, die sich in der semantischen Ambivalenz des einen Terminus ausdrückt, ermöglicht auch die ambivalente Bewertung dieser Beziehung.« 133 (2) Hauptbedeutungen. »1. Treue, Zuverlässigkeit, Redlichkeit, Glauben; 2. was Vertrauen erweckt, Beweis, Zusicherung, Bürgschaft, Unterpfand der Treue«. 134 (3) Wirkung. Den Sterblichen wohnt kein wahres Vertrauen inne, »which comprise no genuine conviction«, 135 οὐκ ἔνι πίστις ἀληθής (°B 8.28). Übersetzung. Gibt man βροτῶν δόξας, ταῖς οὐκ ἔνι πίστις ἀληθής (B 1.30), wieder mit »die Meinungen der Sterblichen, in denen kein wahrer Beweis ist«, 136 geht der Begriff des Vertrauens verloren. ἀληθής: °B 1.29; °III.9.α. B 1.31 μαθήσεαι: μανθάνειν »seinen Sinn auf etwas richten, 1. lernen, 2. kennen lernen, erfahren, vernehmen, hören, einsehen, sich gewöhnen«. 137 Zu μανθάνειν, »lernen«, gehört nicht nur die Aufnahme des Beaufret 1973, 58. »Das Leben der δοκοῦντα ist ganz frei von Ur-Sünde. Diese Welt des Scheins ist doch keine Scheinwelt« (Beaufret 1976, 69 f.). 132 Frisk II, 488. 133 Wolfram 2010, 106. Für den parmenideischen Begriff der πίστις ist dieser Aufsatz von grundlegender Bedeutung. 134 Gemoll 607. 135 Coxon 2009, 54 und 284. 136 Gemelli II, 13; ähnlich »die Eindrücke der Menschen, die ohne evidenten Beweis sind« (Heitsch 1974 13). – Besser: »das Scheinwesen menschlicher Setzung, die da ohne Verlaß ist« (Riezler 2001, 27). 137 Gemoll 483 f. 131

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Wissens, sondern die Aneignung dessen, was gelernt werden soll, »so daß das μανθάνειν im ›Können‹ wurzelt«. 138 τὰ δοκοῦντα: δοκεῖν 1. transitiv = »die Meinung annehmen, meinen, glauben, wähnen, dafür halten«, 2. intransitiv = »den Anschein haben, gelten, sich den Anschein geben«. 139 Diese zweifache Valenz erlaubt es nicht, δοκεῖν auf »bloße Erscheinung« festzulegen und daraus auf den Gegensatz von »Sein« und »Schein« zu schließen; τὰ δοκοῦντα, »das, was erscheint«, kann alles bedeuten, was jemand »annimmt« (δοκεῖν ist mit δέχεσθαι, »etwas annehmen, hinnehmen« verwandt). 140 ▶ Unter Berücksichtigung der verschiedenen Aspekte (°III.8.a.i) schlage ich vor: »das, was erscheint«: Alles, was ist, erscheint (noch nicht platonisch interpretiert); dies gehört notwendig zu jedem Seienden. Darunter gibt es auch jenes Erscheinen, das »wie gute Münze angenommen wird«, 141 aufgrund dieses Anscheins von Seriosität aber darüber hinwegtäuscht, dass es sich nur um Schein handelt. Besondere – und für die weitere Interpretation wichtige – Aufmerksamkeit widmet Panagiotis Thanassas der besonderen Bedeutung von τὰ δοκοῦντα. (III.9.a.i). 142 B 1.32 χρῆν: Das Imperfekt χρῆν drückt wie χρεών (B 2.5, B 8.15; verneinend B 8.15; °III.6.f) die unabänderliche Notwendigkeit aus. »Wir müssen, glaube ich, χρῆν δοκιμῶσαι (d. i. δοκιμάσαι) im genauen Wortsinne nehmen und χρῆν mit dem Infinitiv bedeutet ›sollten haben‹. Das natürlichste Subjekt für den Infinitiv ist in diesem Falle βροτούς, während εἶναι von δοκιμῶσαι abhängen und δοκοῦντα zum Subjekt haben muß. Die Auffassung dieser Worte wird bestätigt durch fr. 8, 54, τῶν μίαν οὐ χρεών ἐστιν {…}«. 143 δοκίμως: δόκιμος »erprobt, bewährt, tadellos«; von Münzen »gangbar, gut; bewährt, echt« 144 (δοκίμως wie δόκιμος, »angeSnell 1924, 73. Gemoll 223. 140 Gemoll 190. 141 Pape 1, 654. 142 Thanassas 1997, 36. 143 Burnet 1913, 170 . 1 144 Schmidt HW 188; »annehmlich, was wie gute Münze angenommen wird« (Pape 1, 654). »{…} mit dem Amte eines treuen Wardeins {d. h. eines Münzprüfers} verglichen, der die Münzen auf Schrot und Korn prüft (δοκιμῶσαι)« (Diels 2003, 63). 138 139

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sehen«). 145 »how the appearances had to be real (for mortals)« 146 – »in poetry and prose from Heraclitus onwards, is ›acceptable‹ or ›accepted‹ and hence, notable, reliable«. 147 In Ansehen stehend: Zum Schein gehört es, dass er sich als solcher verbirgt und damit das Ansehen geben kann, wahr zu sein. διὰ παντὸς πάντα: Die δόξα ist ausnahmslos überall; erst die Göttin wird die Täuschung aufdecken (°III.8.a); »immerfort«: 148 »Parechesis der Formen von πᾶς {…} prosaische Rhetorik« 149 (°B 4.3 πάντῃ πάντως, B 16.4 καὶ πᾶσιν καὶ παντί), »characteristic of P.« 150 – »epexegetic of ὡς and δοκίμως« 151 – »ranging through all things from end to end«; 152 »überall hindurch«, 153 ▶ »durch alles hindurch«. περῶντα: Zwei Lesarten: 1. περῶντα »durchdringt«; 154 2. περ ὄντα Simplikios, »alle ja doch durchaus seiend«; 155 »δοκίμως sind die δοκοῦντα nur, sofern sie sind«. 156 »{…} the combination with περῶντα is odd and strained in itself, but also incongruous in the context of Parmenides’ argument. {…} So we should no longer hesitate to spell περ ὄντα – which is the better attested reading anyway.« 157 Trotz guter Gründe für περ ὄντα spricht mehr für ▶ περῶντα, 158 »durchdringt«.

145 Vgl. Herodot I 65: Λυκούργου τῶν Σπαρτιητέων δοκίμου ἀνδρὸς ἐλθόντος ἐς Δελφοὺς ἐπὶ τὸ χρηστήριον {…}. »Als Lykourgos, ein angesehener Spartiat, nach Delphi kam, um das Orakel zu befragen {…}« (Herodot 2001, 46). 146 Tarán 1965, 214. 147 Coxon 2009, 285. 148 Schmidt HW 590. 149 Diels 2003, 60. S. a. Di Giuseppe 2011, 73. 150 Coxon 2009, 285. 151 Mourelatos 2008, 215. 152 Coxon 2009, 285. 153 Becker 1937, 103. 154 »ganz und gar durchdringt« DK I, 230. 155 Thanassas 1997, 50 – versteht den »Text als den einzig möglichen« ebd. 39. 156 Thanassas 1997, 41. 157 Mourelatos 2008, 214. 158 Auch gegen Thanassas 1997, 37, und mit Fleischer 2001, 149–151.

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B2 1 εἰ δ’ ἄγ’ ἐγὼν ἐρέω, κόμισαι Wohlan denn, ich werde reden, höre δὲ σὺ μῦθον ἀκούσας, du aber den Mythos und eigne ihn an, 2 αἵπερ ὁδοὶ μοῦναι διζήσιός εἰσι νοῆσαι·

welche als einzige Wege des Suchens nämlich zu denken sind:

3 ἡ μὲν ὅπως ἔστιν τε καὶ ὡς οὐκ ἔστι μὴ εἶναι,

der eine: dass es ist und dass es nicht sein kann, dass es nicht ist –

4 πειθοῦς ἐστι κέλευθος (Ἀληθείῃ γὰρ ὀπηδεῖ),

er ist des Vertrauens Pfad (folgt er der Wahrheit doch);

5 ἡ δ’ ὡς οὐκ ἔστιν τε καὶ ὡς χρεών ἐστι μὴ εἶναι,

der andere: dass es nicht ist sowohl und dass Notwendigkeit besteht, dass es nicht ist,

6 τὴν δή τοι φράζω παναπευθέα ἔμμεν ἀταρπόν·

bezogen auf diesen Fußsteig zeige ich freilich, dass er ganz richtungslos ist.

7 οὔτε γὰρ ἂν γνοίης τό γε μὴ Denn du könntest das Nichtseiende ἐὸν (οὐ γὰρ ἀνυστόν) nicht erkennen (nicht ist es ja zu erreichen), 8 οὔτε φράσαις.

noch könntest du es erklären.

B 2.1 κόμισαι: κομίζω »sorgen, pflegen, warten, erhalten, retten«; 159 »davontragen« (Homer): Das Wort der Göttin soll wie das Gold, das sich Achilles aneignet, als Beute davongetragen werden; nicht viel anders steht es mit der Aneignung des Mythos durch den, der sich mit ganzer Kraft um ihn »sorgt«, d. h. ihn nicht bloß hört, sondern ihm folgt, u. zw. auf dem einzig möglichen Weg. 160 μῦθον ἀκούσας: μῦθον ἀκούειν »ein Wort, eine Rede, das Gesagte hören«. 161 ▶ »Mythos« wörtlich: Betont wird dadurch, dass

Gemoll 446 s. v. κομίζω mit Hinweis auf κομέω »besorgen, pflegen, warten«. χρυσὸν δ’ Ἀχιλεὺς ἐκόμισσε δαΐφρων; »und das Gold trug Achilleus davon, der kampfgesinnte« (Homer Il. 2, 875; Homer 1975, 45). 161 Homer Od. 11, 561. 159 160

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auch die Göttin einen Mythos erzählt, wenn auch einen im Gegensatz zur Überlieferung (°III.2.b). B 2.2 διζήσιος: δίζησις »Suchen, Untersuchung« = besser als »Forschung«, 162 da weniger durch Vorgaben der neuzeitlichen Philosophie belastet; entspricht auch der Aufforderung der Göttin, der Kuros solle den Weg selbst suchen (°B 6.3, °B 7.2, °B 8.6). B 2.3 ὅπως ἔστιν τε καὶ ὡς οὐκ ἔστι μὴ εἶναι: (1) Beispiele für »Sein« als Subjekt: »dass IST ist«; 163 »daß ›es ist‹«; 164 »daß (etwas) ist«; 165 »exists«; 166 »that a thing is«; 167 »dass es ›ist‹«. 168 Die Übersetzungen deuten teilweise schon im Schriftbild auf die Schwierigkeiten der Wiedergabe hin. Einige wie Coxon beziehen sich auf Seiendes (Hölscher 2014, Coxon 2009), andere, darunter DK, Tarán und Gemelli, meinen wohl (was allerdings nicht völlig klar ist) das Sein. (2) ἔστιν: Dreifacher existentialer und nicht-kopulativer Gebrauch: »Possessive: ἔστι μοι χρήματα ›I have money‹ | Potential: ἔστι + infinitive ›It is possible, permissible (to do so-and-so)‹ | Veridical: ἔστι ταῦτα, ἔστι οὕτω ›That is so.‹« 169 ὅπως ἔστιν: »dass es möglich ist«. Der andere Weg (der in Wahrheit keiner ist, °III.5.a) kann überhaupt nicht erreicht werden (°B 2.6). B 2.4 πειθοῦς: DK = Πειθοῦς ▶ Πειθώ als Göttin. 170 In Analogie zu πίστις ἀληθής (B 1.30, B 8.28) besteht kein Anlass, eine Gottheit Lat. scrutator, »Durchsucher, Untersucher«, Verbum scrutor »umwühlend durchsuchen, durchstöbern, durchwühlen«, bildlich »nachforschen, durchforschen, untersuchen« (Georges 2, 2548). 163 DK I, 231. 164 Bormann 1971, 33. 165 Hölscher 2014, 9. 166 Tarán 1965, 32. 167 Coxon 2009, 56. 168 Gemelli II, 15. 169 Kahn 1973, 228. 170 »›Überredung‹, (bes. die Erotik betreffende Göttin); Tochter des Okeanos {…}. P. auch mit anderen Gottheiten verbunden (Aphrodite, Artemis). Verbindung mit Ananke, vgl. Hdt. 8, 111 (δύο θεοὺς μεγάλους Π. τε καὶ Ἀνάγκην) u. Spätere« (KP 4, 591; W. P.). 162

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ins Spiel zu bringen. ▶ Deshalb »Vertrauen« (°B 1.30, °B 8.12, °B 8.28, °B 8.50). κέλευθος: »Das Wort κέλευθος wird etymologisch zusammengestellt mit κέλης, κελεύω, κέλλω, vgl. lat. celer, excello. Diese Worte ordnen sich unter die Grundbedeutung ›treiben‹, ›in rasche Bewegung versetzen‹. Typisches Objekt für dieses Tun ist das Tier {…}, das Pferd. Das ist kein bloßes Befehlen und Zurufen, sondern ein richtiges Treiben mit der Peitsche, das die Pferde kräftig zum Laufen bringt.« 171 Passt auch zu ἵπποι (B 1.1) und ἅρμα (B 1.5). ὀπηδεῖ: ὀπαδέω (ep. und ion. ὀπηδέω) = »das Geleit geben, mitgehen, folgen«. 172 B 2.6 παναπευθέα: παναπευθής »utterly inscrutable«. 173 »The way of οὐκ ἔστιν (fr. 8, 16) is called ἀνόητον ἀνώνυμον, which corresponds to οὔτε … ἂν γνοίης … οὔτε φράσαις (fr. 2, 7–8), and also to οὐ … ἀληθής … ὁδός, to which correponds παναπειθέα or παναπευθέα ἀταρπον (fr. 2, 6).« Dieser Fußsteig ist aber nicht nur unerforschlich, sondern überhaupt ▶ richtungslos: ἄ-ταρπος (ion. ἄτραπος) ▶ τρέπω = »eine Richtung geben, hinwenden, lenken. 174 B 2.7 ἀνυστόν: »das ist ja unausführbar«, 175 »denn das ist nicht durchführbar«, 176 »for it is impossible«. 177 Mourelatos: »The context requires that the parenthetic γάρ-sentence should provide an explanation of the impossibility of knowing what-is-not, not a reiteration of that impossibility.« 178 Wiesner: »denn das ist unmöglich« als Ausdruck der »Zwangsläufigkeit«, negativ; positives Gegenstück χρή: 179 »es ist doch nicht durchführbar«. Anaxagoras: οὐ γὰρ ἀνυστόν πάντων Becker 1937, 7. »Als menschliches Fortbewegungsmittel wird das S c h i f f sehr oft unter dem Bilde des Pferdes oder besser Gespanns (Wagens) gesehen. So hat denn das fahrende Schiff seinen κέλευθος, den es durcheilt {…}« (Becker 1937, 9). Gegen den Zusammenhang mit κελεύω: Pape 1, 1414. 172 Pape 2, 355. 173 LSJ 1296. 174 Gemoll 746. 175 DK I, 231. 176 Bormann 1971, 33. 177 Coxon 2009, 56. 178 Mourelatos 2012, 23 . 36 179 »In negativer und positiver Entsprechung stehen sich hier οὐ ἀνυστόν und χρή 171

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πλείω εἶναι. 180 ἀνύειν ὁδόν = »einen Weg vollenden, erreichen« – ein Wortspiel mit ἀνυστόν? ▶ ἀνυστόν = »erreichbar« ergibt sich aus der Richtungslosigkeit von ἀταρπός (▶ ἀμηχανίη °B 6.5). B 2.8 φράσαις: »erklären« setzt »erkennen« voraus, um als Mitteilung möglich zu sein. Ähnlich wie B 2.7–8 (οὔτε γνοίης – οὔτε φράσαις) argumentiert Gorgias von Leontinoi indirekt gegen Parmenides. In Περὶ τοῦ μὴ ὄντος ἢ Περὶ φύσεως verneint er das ὄν in dreierlei Hinsicht – als solches, hinsichtlich seiner Erkennbarkeit und hinsichtlich der Möglichkeit, es mitzuteilen: ἕν μὲν καὶ πρῶτον ὅτι οὐδὲν ἔστιν, δεύτερον ὅτι εἰ καὶ ἔστιν, ἀκατάληπτον ἀνθρώπῳ, τρίτον ὅτι εἰ καὶ καταληπτόν, ἀλλὰ τοί γε ἀνέξοιστον καὶ ἀνερμήνευτον τῷ πέλας. 181 B3 … τὸ γὰρ αὐτὸ νοεῖν ἐστίν τε καὶ … das Selbe nämlich ist Denken εἶναι. sowohl als auch Sein.

γὰρ: Es ist plausibel, in B 3 die Fortsetzung von B 2 zu sehen. 182 Denn B 2.7–8 zufolge scheitert jede Erkenntnis oder Erklärung des Nichtseienden, und B 3 begründet dies (γάρ). Einwand: νοῆσαι, B 2.2, und νοεῖν, B 3, können nicht gleichgesetzt werden: »{…} it is not at all necessary to give to νοεῖν ἐστιν the same meaning as to εἰσι νοῆσαι in frag. 2, 2. If frag. 3 contained the statement ›Only of that which is can be thought,‹ it would mean, ›Only of that which is, is knowledge possible.‹ Then ›can be thought‹ would have the meaning ›can be known by thinking‹. In frag. 2, 2, however, νοεῖν has a different meaning, viz. ›conceiving, imagining‹. If, then, the word νοεῖν in zum Ausdruck der Unmöglichkeit und Notwendigkeit gegenüber« (Wiesner 1996, 48). 180 DK 59 B 5. 181 82 B 3; Gorgias 1989, 42–63. – °IV.3. 182 In Erweiterung dieser Zuordnung: »Daß es dem Fragment 8 vorangegangen sein muß, wird allgemein angenommen« (Fleischer 2001, 58). – Wohl nur wenige Autoren dürften Gadamer folgen: »Inzwischen hat mich Mansonner überzeugt, daß Fragment 3 überhaupt kein Parmenides-Zitat ist, sondern eine von Platon selbst stammende Formulierung {…}« (Gadamer 1996, 154). Mit dem fälschlich als »Mansonner« Zitierten bezieht sich Gadamer auf A. Marsoner: La struttura del Proemio di Parmenide, in: Annali dell’Istituto Italiano per gli Studi Storici 5 [1976–78] 127–181.

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these two passages is used in a different sense, this is, indeed, an argument against Zeller’s interpretation of νοεῖν ἐστιν.« 183 ▶ B 3 setzt B 2 fort, 1. wegen der Begründung mit γάρ und 2. weil dadurch B 3 besser verständlich wird. αὐτὸ: Das Selbe, τὸ αὐτό, und das Gleiche, τὸ ὅμοιον, unterscheiden sich dadurch, dass αὐτό die Identität einer Sache mit sich selbst meint, ὅμοιον die Beziehung einer Sache auf eine andere mit einem tertium comparationis. Z. B. gleichen einander mehrere Menschen hinsichtlich bestimmter Auffassungen, sie sind dann οἱ ὅμοιοι »Leute ihresgleichen«. 184 Dagegen ist jeder als solcher mit sich identisch. 185 Das Verhältnis von νοεῖν und εἶναι ist reziprok (τε … καὶ); in diesem Wechselverhältnis kommt dem εἶναι der Vorrang zu (°III.3.a–c). 186 νοεῖν: Man kann νοεῖν mit »gewahren« übersetzen; Vorteil: Der philosophisch vorbelastete Terminus »denken« wird vermieden. 187 ▶ Bei entsprechender Erklärung ist auch »denken« möglich; zudem tritt dadurch der sprachliche Zusammenhang von νοεῖν, »denken«, und νόημα, »Gedanke«, hervor (°B 8.34, °III.3). τε καὶ: »sowohl – als auch«; °III.3.c.

Verdenius 1964, 34. Gemoll 541. – »Zum Wesen der Gleichheit gehört Selbigkeit. Gleichheit ist eine Selbigkeit von Verschiedenem« (Heidegger GA 88, 182). »Zur Selbigkeit bedarf es nicht verschiedener ›Dinge‹, nicht mehrerer sondern je nur eines; jedes ist (als es ›selbst‹) das selbe« (Heidegger GA 88, 184). 185 Entsprechend sagt Platon im Sophistes mit Bezug auf die obersten Seinsbestimmungen, was verschieden sei, sei stets in Beziehung auf ein anderes verschieden, ἕτερον ἀεὶ πρὸς ἕτερον, für sich selbst aber dasselbe, αὐτὸ δ’ ἑαυτῷ ταὐτόν (Platon Sph. 255 d und 254 d). 186 Drei Möglichkeiten sind auszuschließen, eine Interpretation bleibt übrig: »Man kann die Bedeutung ›das Subjekt des Denkens ist mit dem Subjekt des Seins identisch‹ ohne weiteres ausschließen. Dann dächte ja das Seiende selbst, es wäre ein Νοῦς, ein Geist. Daß das Seiende ein Geist sei, erhellt aber sonst nirgendwo aus dem Lehrgedicht. {…} Auch die Umkehrung jener Bedeutung, ›das Denkende ist mit dem Seienden identisch‹, scheidet aus. {…} Wir können weiter noch die Auffassung eliminieren, laut der im Fr. 3 eine monolithische Identität von Sein und Denken gemeint sei. Denn das Denken des Parmenides ist nicht monistisch in dem Sinne, wie schon erhellt aus den vielen (πολλά, Fr. 8.2) Kennzeichen, welche im Fr. 8 am Seienden unterschieden werden {…}. Das einzig Übrigbleibende ist mithin, daß der Gegenstand des Denkens zugleich Subjekt des Seins ist« (Mansfeld 1964, 67). 187 Eine solche Übersetzung findet sich nur bei zwei Autoren: »Dies Selbige nämlich ist Gewahren wie auch Sein« (Padrutt 1991, 645; s. a. Padrutt 2002, 133 f.). – »Die Bedeutung des ›Gewahrens‹ für den Gedanken des Parmenides« (Buchheim 1994, 108–115). 183 184

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εἶναι: Das Wort kommt in den FF mit mehr oder weniger weit gestreuten Bedeutungen neunmal vor 188 (°III.3.b). B4 1 λεῦσσε δ’ ὅμως ἀπεόντα νόῳ Schau’ auf das Seiende, obgleich es παρεόντα βεβαίως· abwesend ist: Für das geistige Auge ist es da auf zuverlässige Weise. 2 οὐ γὰρ ἀποτμήξει τὸ ἐὸν τοῦ Denn nicht wird es trennen das Seiἐόντος ἔχεσθαι ende vom Zusammenhang mit dem Seienden, 3 οὔτε σκινδνάμενον πάντῃ πάντως κατὰ κόσμον

nicht, wenn es sich überall ganz und gar in die Welt hin verteilt,

4 οὔτε συνιστάμενον.

noch, indem sich’s verdichtet.

B 4.1 λεύσσε: »Etymologisch gehört es {λεύσσειν} zu λευκός, glänzend, weiß, und so beziehen sich von den vier Beispielen der Ilias, wo das Wort ein Akkusativobjekt bei sich hat, drei auf Feuer und glänzende Waffen. Da ist es also: etwas Helles schauen. Außerdem heißt es: in die Weite schauen. Das Wort hat also einen Klang wie das deutsche Wort ›schauen‹ in Goethes Vers: ›Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt‹. Es ist ein stolzes, freudiges, freies Sehen.« 189 Das λεύσσειν wirft »Licht auf den bisher noch nie erprobten Ansatz eines Denkers«. 190 Ähnlich »Intuition«, »Kontemplation« und »Wesensschau« (°III.4). Unterschiedlicher Wortgebrauch: »Im Prooimion meint das Verb ἀπεῖναι räumliches Entferntsein von Dingen, wogegen das Verb παρεῖναι an keiner weiteren Stelle des Lehrgedichtes existiert.« 191 Die Aufgabe des Kuros besteht darin, »die Paradoxie der

B 1.32, B 2.3, B 2.5, B 3, B 6.1, B 6.8 mit syn. πέλειν, B 7.1, B 8.32, B 8.39. Snell 2000, 15. – »Es ist mehrfach gesagt worden, daß Sehen nicht nur der Zugang der Griechen zu ihrer Welt war, sondern daß ihr Verstehen der Welt sich am Akt des Sehens orientierte. Man kann diese These noch verschärfen durch die Einschränkung, daß es das ruhende Sehen und das Sehen des ruhenden Gegebenen war, dem die Griechen den höchsten Rang einräumten« (Blumenberg 1971, 38). 190 Gadamer 1996, 155. 191 Stemich 2008, 182. 188 189

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ab- oder anwesenden Vielheit in seiner Wahrnehmung mit einer besonderen Art der Schau zu überwinden.« 192 ὅμως: Zwei Lesarten: (1) ὅμως, »gleichwohl, dennoch«, (2) ὁμῶς, »gleicherweise«. Tarán bezieht sich auf Hölscher und Untersteiner, die beide ὁμῶς lesen, dem Wort aber unterschiedliche Bedeutung geben. Hölscher vereint νοῦς mit ἀπεόντα und παρεόντα; dies würde aber bedeuten, dass Parmenides der Auffassung ist, dass für den Geist die Dinge abwesend sind, und damit B 4.2 widersprechen. Untersteiner versteht ὁμῶς als ὁμοίως = »ähnlich«, für Tarán ist dies unnötig. 193 Mit anderer Begründung Coxon: »In P. here the word qualifies ἀπεόντα adversatively, ›in spite of their being absent‹, and it is best to follow the ms. of Clement in giving it the normal fifth century accent.« 194 Meijer: »The word ὅμως does not occur in Parmenides, but ὁμῶς ist not unpopular.« 195 Seiendes ist zwar abwesend, lässt sich aber »gleichwohl« durch ein λεύσσειν erfassen; An- und Abwesendes sind »gleicherweise« ἐόντα. Doch (2) nivelliert die Differenz zwischen An- und Abwesendem, daher ▶ (1) = »gleichwohl, dennoch«. νόῳ: Eine adäquate Wiedergabe von νοῦς ist aufgrund der Streuung des philosophischen Kontextes nur schwer möglich: »Denken«, 196 »Geist«, 197 »Vernunft«, »Erkennen«, »Verstehen«, 198 »Verständnis«, 199 »Gewahrsein«, 200 »mind«, 201 »intellect«, 202 auch unübersetzt. 203 Nach Marcinkowska-Rosół kommt »νόος explizit nur einmal«, »Geist« bei DK jedoch »an drei Stellen« vor, außerdem ist diese Übersetzung »nicht die einzig mögliche«, und es handelt sich um »eine über das Sprachliche hinausgehende Dimension«. 204 – Die Übersetzung mit »Geist« setzt πνεῦμα voraus, doch kommt dieses

Stemich 2008, 183. Tarán 1965, 45. 194 Coxon 2009, 306. 195 Meijer 1997, 76. 196 Bormann 1971, 35. 197 Gemelli II, 15; Hölscher 2014, 37; Kirk & al. 1994, 288. 198 Heitsch 1974, 19 und 146. 199 Mansfeld 1995, 9. 200 Padrutt 1991, 113; Buchheim 1994, 108 ff. 201 Tarán 1965, 45. 202 Cordero 2004, 192. 203 »Nous«: Riezler 27; Thanassas 1997, 277; Unterschied zwischen göttlichem und menschlichem νοῦς: Mansfeld 1964, 6 f. 204 Marcinkowska-Rosół 2010, 205 (Kommentar dazu 206–215). 192 193

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Wort bei Parmenides nicht vor. 205 Um die Zusammengehörigeit von νόος und νόημα auch im Deutschen zu erhalten, übersetzt Schmitz »der Bemerk« und »die Bemerkung«. 206 Klemens von Alexandrien schickt dem Parmenides-Zitat einen Vers des Empedokles voraus und sagt, »daß man Immaterielles wie die Objekte der Hoffnung und des Glaubens, das Gerechte und das Schöne sowie die Wahrheit nicht mit den Augen (τοῖς ὀφθαλμοῖς), sondern nur mit dem geistigen Auge (τῷ νῷ) sehe. Der Empedoklesvers stimmt deshalb zu dieser Deutung, weil sich ἣν bzw. τήν im Originaltext auf φιλότης (V. 20) als geistige Kraft bezieht und der Gegensatz von geistigem und sinnlichem Sehen (νόῳ – ὀφθαλμοῖς) in V. 21 ausdrücklich thematisiert ist.« 207 ▶ Daher Umschreibung von νόῳ = »für das geistige Auge«. 208 ἀπεόντα – παρεόντα: »May be interpreted in spatial or in temporal sense.« 209 Zeitlich: Klemens, der das Zitat bringt, fügt als Begründung hinzu, »weil auch der Hoffende wie der Glaubende mit Hilfe des νοῦς das Denkbare und das Zukünftige sieht« (ὁρᾷ τὰ νοητὰ καὶ τὰ μέλλοντα). 210 βεβαίως: »βεβαίως [›steadily‹]: this is the earliest extant occurrence of any form of this word.« 211 »Das βεβαίως hebe ich deshalb mit Nachdruck hervor, weil es im Lehrgedicht vielfach in Erinnerung gerufen wird, daß stets erneut die Gefahr besteht, von dem zur Wahrheit führenden Weg abzukommen und sich von dem Anschein verlocken zu lassen, wonach etwas dann, wenn es eben in Erscheinung tritt, vorher nicht existiert hat.« 212 Dies betrifft grundsätzlich die Gegensatzspannung von ἀ-λήθεια und δόξα (°III.9.a; °III.5.b).

205 In der milesischen Kosmologie bedeutet πνεῦμα »Luft«, »Atem«, »Wind« sowie »Hauch«, eine Metapher für »Seele« (DK III, 358 f.). – »Geist« findet sich zwar schon bei den frühen Griechen, fungiert aber als Grundwort erst in der Bibel (Bauer 1338– 1347, s. v. πνεῦμα, πνευματικός, πνευματικῶς). 206 Schmitz 1988, 65. Zur Kritik an dessen Auslegung Wiesner 1996, 238 ff. 207 Wiesner 1996, 241 f. Empedokles: τὴν σὺ νόῳ δέρκευ, μηδ’ ὄμμασιν ἧσο τεθηπώς (31 B 17.21). »Sie {Φιλότης, die Liebe} betrachte mit deinem Geiste (und sitze nicht da mit den Augen verwundert)« (DK I, 317). 208 Schon Diels hat zuerst »durch des Geistes Auge« (Diels 2003, 33), ändert aber dann auf »mit dem Geist« (DK I, 232). 209 Tarán 1965, 46. 210 DK I, 232. 211 Coxon 2009, 306. 212 Gadamer 1996, 156.

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B 4.2 ἀποτμήξει: ἀποτέμνω »abschneiden«. Theophrast sieht darin einen methodischen Schritt des Parmenides, 213 doch geht die ontologische Bedeutung darüber hinaus: Das λεύσσειν schneidet das Seiende nicht auseinander, trennt also nicht An- und Abwesendes, sondern erblickt dieses in jenem (°III.4.a). Wenn das ἐόν zweimal genannt wird, ist damit nicht dessen ontologische Verdoppelung gemeint (An- plus Abwesendes – dies widerspräche all seinen Bestimmungen), sondern der Ausschluß der Sicht der βροτοί, die – unfähig zum λεύσσειν – An- und Abwesendes trennen. B 4.3 σκιδνάμενον: σκίδναμαι »sich verbreiten, ausbreiten, sich nach mehreren Seiten hin vertheilen, zerstreuen«. 214 Das Wort kommt bei den VS nur noch bei Heraklit 22 B 91 vor. 215 Die Verse B 4.3–4 zeigen zwei Folgen des ἀποτέμνειν auf; in beiden Fällen ist an Heraklit zu denken. Die θνητὴ οὐσία, die vergängliche Substanz, verstreut sich bei ihrer Bewegung (μεταβολή) und sammelt sich wieder, σκίδνησι καὶ πάλιν συνάγει (22 B 91). Ähnlich sagt Parmenides, dass sich das Seiende »überall ganz und gar hin in die Welt verteilt«. κατὰ κόσμον: Parmenides hat B 4.3 κατὰ κόσμον und B 8.52 κόσμον, nicht aber den Nominativ κόσμος. Übersetzungen: »nach der Ordnung«, 216 »gemäß der Ordnung«, 217 »von seinem Zusammenhang«, 218 »›in regular order‹, as in Homer«. 219 »The difficulty of this Zit. Coxon 2009, 143. Pape 2, 898. 215 »Man kann nicht zweimal in denselben Fluß steigen nach Heraklit und nicht zweimal eine ihrer Beschaffenheit nach identische vergängliche Substanz berühren, sondern durch das Ungestüm und die Schnelligkeit ihrer Umwandlung zerstreut sie sich und sammelt sich wiederum und naht sich und entfernt sich«, σκίδνησι καὶ π ά λ ι ν σ υ ν ά γ ε ι (μᾶλλον δὲ οὐδὲ πάλιν οὐδ’ ὕστερον, ἀλλ’ ἅμα συνίσταται καὶ ἀπολείπει) κ α ὶ π ρ ό σ ε ι σ ι κ α ὶ ἄ π ε ι σ ι (DK I, 171). 216 DK I, 232. Dies entspricht auch dem sprachlichen Befund. »Die Wurzel ked – oder mit indogermanischem Ablauf kod – bedeutet ›ordnen‹, ›anordnen‹, κόσμος, entstanden aus *κοδσμος, ›gefügte Ordnung‹, und dieses Wort mit seinen Derivaten ist im Griechischen bereits sehr früh gebraucht worden vom Anordnen in Heeres- oder Staatsgemeinschaft, also zum Ausdruck einer zweckvollen menschlichen Ordnung« (Kranz 1958, 8). 217 Heitsch 1974, 19. 218 Mansfeld 1981, 9. 219 Coxon 2009, 308. 213 214

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interpretation is that κόσμος appears {…} to be the ›order‹ (or the law) of Parmenides’ own Being. But for Parmenides the law of Being prevents it from being dispersed or coming together.« 220 ▶ Die Übersetzung mit »Welt« zielt ab auf σκιδνάμενον B 4.3 und συνιστάμενον B 4.4. B 4.4 συνιστάμενον: Durch Verdickung und Zusammenziehung der Luft sind Wasser und Erde entstanden: τὸ πᾶν ἐστι ὁ ἀήρ, καὶ οὗτος πυκνούμενος καὶ συνιστάμενος ὕδωρ καὶ γῆ γίνεται. 221 Wenn Parmenides B 4.4 sagt, dass das Seiende von seinem Halt an das Seiende nicht zu trennen ist, »indem sich’s verdichtet«, bezieht er sich auf Anaximenes. Dieser »stellt die Luft als eine göttliche Kraft dar, die das Weltgeschehen von Anfang an bestimmt und leitet. Alles, was wird, was wurde und was sein wird, Götter und göttliche Dinge und alles Übrige, entstünden aus ihr. Ihre wichtigste Eigenschaft ist die Fähigkeit, sich zu verwandeln, d. h. beliebig dünn bzw. dicht zu werden (2 C). Bei der ersten Verdichtung der Luft ist die Erde entstanden {…}«, 222 also ▶ »indem sich’s verdichtet«. B5 1 ξυνὸν δέ μοί ἐστιν,

Es macht für mich keinen Unterschied,

2 ὁππόθεν ἄρξωμαι· τόθι γὰρ wo ich anfangen werde: Dort nämπάλιν ἵξομαι αὖθις. lich werde ich wiederum hinkommen.

B 5.1 ξυνὸν: Der Wortgebrauch von ξυνόν, »indifferent«, ist ungewöhnlich, »preserved only by Proclus«: 223 »Es ist einerlei, wo man mit dem Ἐόν beginnt.« 224 »Es ist für mich das Gleiche«. 225 »Per me indif-

220 221 222 223 224 225

Tarán 1965, 47. Anaximenes 13 A 8. Gemelli I, 87. Tarán 1965, 51. Diels 2003, 67. Hölscher 2014, 9.

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ferente«. 226 »ξυνόν dit unité ontologique«. 227 Auch könnte es einen Bezug zu Heraklit geben, 228 auch finden sich Parallelen zu Hippokrates. 229 Dass es einerlei ist, wohin man zurückkehrt, »bekräftigt offensichtlich die Homogenität, die Einheitlichkeit des seienden ›Seins‹, ein Thema, das später {…} erneut aufgegriffen wird«. 230 B 5.2 ἄρξωμαι – ἵξομαι: Melissos führt den Gedanken der Anfanglosigkeit weiter: ὅτε τοίνυν οὐκ ἐγένετο, ἔστι τε καὶ ἀεὶ ἔσται καὶ ἀρχὴν οὐκ ἔχει οὐδὲ τελευτήν, ἀλλ’ ἄπειρον ἐστιν (30 B 2). »Weil es nun also nicht entstanden ist, so ist es und war immerdar und wird immerdar sein und hat keinen Anfang und auch kein Ende, sondern ist unendlich.« 231 Das ὁππόθεν ἄρξωμαι besagt: Es gibt keine ἀρχή, d. h. einen letzten Ursprung (eine ἀρχή wie bei Thales das Wasser nach Annahme des Aristoteles). Auf Xenophanes weist ἵξομαι (ἱκνέομαι »kommen, gelangen«) hin: Zu Füßen des einen Gottes ist die obere Grenze der Erde zu sehen – sie geht in die Luft über; τὸ κάτω δ’ ἐς ἄπειρον ἱκνεῖται – die untere aber geht ins Grenzenlose. 232 πάλιν: Diels weist auf die Herkunft von πάλιν aus der Orphik hin. 233 Er verbindet das Bild des Kreises mit der wohlgerundeten Kugel (°B 8.43). 234 Reinhardt sieht dagegen die Kreisbewegung als Teil der Methode: »{…} sie geht aus vom Seienden und kehrt zum Seienden zurück, und jeder der drei Wege, wie man es auch anfängt, führt zum Ausgangspunkt zurück: τὸ ὂν ἔστιν.« 235 γὰρ: Das begründende γάρ, »nämlich«, bezieht sich auf ξυνόν. 236 Untersteiner 1958, 133. Di Giuseppe 2011, 152. 228 »{…} it is possible, as Diels suggests, that the unusual use {…} of ξυνὸν for ὁμοῖον [›alike‹] or ταὐτό [›the same‹] in the sense of ›indifferent‹ is an allusion to Heraclitus fr. 103 {22 B 103}« (Coxon 2009, 286 f.; B 5 = Coxon F 2). 229 Coxon 2009, 287. 230 Gadamer 1996, 157 f. 231 DK I, 268 f. 232 21 B 28. 233 »Es ist bekannt, wie in der orphischen Palingenesis der κύκλος γενέσεως eschatologischer Terminus geworden ist« (Diels 2003, 67). 234 »Bei Parmenides begreift sich das Bild aus der ihn beherrschenden Anschauung seines runden Weltsystems« (Diels 2003, 67). 235 Reinhardt 2012, 60. »Kreisförmigkeit der Gedankenführung« (Bormann 1971, 166, zu B 8.26–33). 236 Diels 2003, 33 (B 5 = Diels F 3). 226 227

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B6 1 χρὴ τὸ λέγειν τε νοεῖν τ’ ἐὸν Not ist, dass das, was du sagst und ἔμμεναι· ἔστι γὰρ εἶναι, denkst, ein Seiendes ist; es ist nämlich Sein, 2 μηδὲν δ’ οὐκ ἔστιν· τά σ’ἐγὼ ein Nichts gibt es nicht; das heiße ich φράζεσθαι ἄνωγα. dich zu bedenken. 3 πρώτης γάρ σ’ ἀϕ’ ὁδοῦ ταύ- So halte ich ab vom ersten Weg dieτης διζήσιος {εἴργω}, ser Forschung, 4 αὐτὰρ ἔπειτ’ ἀπὸ τῆς, ἣν δὴ hierauf von dem, den die Sterbβροτοὶ εἰδότες οὐδὲν lichen, welche nichts wissen, 5 πλάττονται, δίκρανοι· ἀμη- erdichten, die Doppelköpfe; denn χανίη γὰρ ἐν αὐτῶν Hilflosigkeit in ihrer 6 στήθεσιν ἰθύνει πλαγκτὸν νόον· οἱ δὲ φοροῦνται

Brust lenkt den irrenden Sinn; sie aber schleppen sich fort,

7 κωφοὶ ὁμῶς τυϕλοί τε, τεθη- taub sowohl als auch blind, Anstauπότες, ἄκριτα φῦλα, nen ist ihnen eigen, den verworrenen Scharen, 8 οἷς τὸ πέλειν τε καὶ οὐκ εἶ- denen das Sein wie das Nichtsein für ναι ταὐτὸν νενόμισται dasselbe gilt 9 κοὐ ταὐτόν, πάντων δὲ παλίντροπός ἐστι κέλευθος.

und nicht für dasselbe, in allem wendet ihr Pfad sich zum Gegenteil.

B 6.1 Maria Marcinkowska-Rosół weist auf die Möglichkeit hin, »dass der Satz χρὴ τὸ λέγειν τε νοεῖν τ’ ἐὸν ἔμμεναι nicht den ursprünglichen Text des Gedichtes darstellt«. 237 Unter Beiziehung anderer Arbeiten kommt sie zu folgendem Vorschlag, der »die beiden an eine plausible Emendation gestellten Bedingungen« erfüllt: »Erstens ist die Bedeutung des Satzes χρὴ τὸ λέγεις τὸ νοεῖς τ’ ἐὸν ἔμμεναι vollkommen klar: ›das, was du sagst und denkst, muss ein Seiendes sein‹. Zweitens stimmt der Satz hervorragend mit der Paraphrase des Simplikios überein: ὅπερ ἄν τις ἢ εἴπῃ ἢ νοήσῃ τὸ ὄν ἐστι: ›was man sagen oder denken könnte, ist das Seiende‹.« 238 237 238

Marcinkowska-Rosół 2010, 106. Marcinkowska-Rosół 2010, 109.

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χρή: »es braucht«, »ist nötig«; Substantiv synonym mit ἀνάγκη, »Notwendigkeit« (und dies mit μοῖρα °B 8.37). τὸ λέγεις τὸ νοεῖς τ’: Zwar sind Sagen und Denken wechselseitig aufeinander bezogen, doch gibt es eine Rangordnung. Es heißt zwar, man solle zuerst denken und darnach sprechen. Hier jedoch ergibt sich die Reihung aus dem Bezug des λέγειν zum κρῖναι δὲ λόγῳ (B 7.5): Nicht der λόγος als Rede ist gemeint, sondern der λόγος als ἔλεγχος, d. h. Widerlegung als Vorbereitung der Entscheidung, die ihrerseits das νοεῖν ermöglicht. B 6.4 βροτοὶ εἰδότες οὐδὲν: Sind die βροτοί in B 1.30, B 6.4, B 8.39·51·61, B 9.3, B 16.2 identisch? 239 Sie sind εἰδότες οὐδὲν, d. h. unfähig »to recognise the possibility of a non-empirical knowledge«. 240 »Die Menschen, wie Parmenides sie in den Versen 4–7 beschreibt, haben kein Wissen (εἰδότες οὐδὲν), sie irren umher (πλάττονται), sind hilflos (ἀμηχανίη), ohne feste Erkenntnis (πλαγκτὸν 241 νόον), taub und blind (κωφοί, τυφλοί); kurz, sie sind nicht in der Lage, die Verhältnisse zu durchschauen (τεθηπότες). Solche und ähnliche Wörter dienen in der frühgriechischen Literatur dazu, die Menschen in ihrer Stellung gegenüber den Göttern zu charakterisieren. Parmenides übernimmt sie und charakterisiert mit ihnen die Menschen, sofern sie im üblichen Denken und Sprechen befangen sind, und das heißt: sofern sie noch nicht seine Einsicht und seinen Sprachgebrauch übernommen haben.« 242 B 6.5 πλάττονται: »{…} wie der Dialect zeigt verdorben«; trotzdem »wird es richtig sein in dem singulären πλάσσονται die parmenideische Form zu sehen«. 243 »πλάζονται [›stray‹]: The archetype of our mss. of Simplicius read πλάττονται. Diels 2003 took this {…} for a Byzantine correction of πλάσσονται, which he argued to be an Italian variant form of the epic πλάζονται. P.’s dependence of Homer {…} makes it in the highest degree unlikely that he used a non-epic and

239 240 241 242 243

Bormann 1971, 101. Coxon 2009, 100. »πλακτὸν] Nebenform zu πλαγκτὸν wie B 8, 28 ἐπλάχθησαν« (DK I, 2334). Heitsch 1974, 150 f. Diels 2003, 72 f.

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otherwise unattested form of a common epic verb and it may be regarded as certain that πλάττονται is a simple corruption of the normal epic form {…}.« 244 δίκρανοι: Bormann hört »schmähende Polemik« heraus; 245 Reinhardt ist gegenteiliger Auffassung: »Daß dieser Name keine Schmähung sein soll, zeigen die übrigen Bezeichnungen, mit denen er zusammen steht: κωφοὶ ὁμῶς τυφλοὶ τε, τεθηπότες. Wir sahen bereits {…}, daß man hinter diesen Worten durchaus keine Gereiztheit oder persönliche Gegnerschaft zu suchen braucht, vielmehr erwiesen sich dieselben Worte in nicht viel späterer Literatur als übliche und festgelegte Bezeichnungen für die rein sinnliche Erkenntnis; als Polemik wären sie ohne Beispiel.« 246 Besonders das letzte Argument überzeugt, ebenso die folgende Erklärung, der auch Spätere folgen. 247 Die βροτοί sind Doppelköpfe, denn sie erdichten einmal dies und dann das – mit anderen Worten: Bald identifizieren sie Sein und Nichtsein, bald reißen sie beide auseinander. Coxon meint, dass mit den δίκρανοι auf eine Schlange des Mythos angespielt wird: »the fabulous small snake called ἀμφίσβαινα {…}, which was two-headed and dull-eyed (cf. τυφλοί, {B} 1.7) and, as its name indicates, moved in either direction indifferently«. 248 ἀμηχανίη: ἀμηχανία »Hilflosigkeit, Ratlosigkeit, Bedrängnis, Not«, 249 »Ohnmacht«. 250 μηχανή (davon »Maschine«) ist ein Mittel, um etwas zu bewerkstelligen. 251 B 6.6 στήθεσιν: στῆθος, »die Brust«, ist Sitz des θυμός (°B 1.1): τοῖσι δὲ θυμὸν ἐνὶ στήθεσσιν ὄρινεν 252 und des Gedankens (°B 8.34, B 8.50, B 16.4): οὔτε νόημα γναμπτὸν ἐνὶ στήθεσσι. 253 Coxon 2009, 300. Bormann 1971, 37. 246 Reinhardt 2012, 68. 247 So z. B. Tarán 1965, 63. 248 Coxon 2009, 300; ἀμφίσβαινα: »kind of serpent« (LSJ 94), verwandt mit βαίνω. 249 Gemoll 41. 250 »Ohnmacht hielt unseren Mut befangen« (Homer 1958, 116); ἀμηχανίη δ’ ἔχε θυμόν (Od. 9, 295). 251 μή, φίλα ψυχά, βίον ἀθάνατον | σπεῦδε, τὰν δ’ ἔμπρακτον ἄντλει μαχανάν. »Kein unsterblich Leben erstrebe, mein Herz, | Doch die durchführbare Arbeit schöpfe aus« Pindar 132/133 (P. 3, 61 f.). 252 Homer Il. 2, 142. 253 Homer Il. 24, 40 f. 244 245

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πλαγκτὸν νόον: πλαγκτός »umhergetrieben, irrend« hängt mit dem Verbum πλάζω zusammen, aktiv »von der rechten Bahn abdrängen«, medial »verschlagen werden, unstät herumirren«. 254 Die Wiedergabe von νοῦς mit »Sinn« zielt nicht auf Bedeutungen wie »Denken, geistiger Inhalt« ab, sondern auf die indoeuropäische Wurzel »*sent- ›eine Richtung nehmen‹«. 255 B 6.7 τεθηπότες: Mit dem Perfekt τέθηπα (θαμβέω) ist das Staunen im Sinne bloßen Anstaunens gemeint. 256 Diese verworrenen Scharen sind zu keiner Entscheidung (κρίσις: ἄκριτα φῦλα) imstande. Ihr Gaffen 257 ist freilich von völlig anderer Art als jenes Staunen, von dem Platon und Aristoteles sagen, es sei der Anfang der Philosophie. 258 φῦλα: zu »φύω, eigtl. von Natur zusammengehörig und sich von Andern nach der Art, nach dem Vaterlande od. nach der Blutsverwandtschaft unterscheidend«; 259 auch »Schar, Menge«. 260 B 6.8 νενόμισται: νομίζω »glauben, meinen für etw. halten«; auch »altem Herkommen folgend«; 261 νόμος »Weideplatz«, von νέμω, »austeilen, verteilen«, also ein Platz, der einem zugeteilt wird. B 6.9 παλίντροπος κέλευθος: »παλίντονος und παλίντροπος sind zwei alte Varianten. Bei den modernen Interpreten wird παλίντροπος vorgezogen, die in der Polemik des Parmenides {…} gegen diejenigen, die das Sein und Nichtsein als dasselbe und wieder nicht als dasselbe betrachten und einen sich umkehrenden Weg gehen (παλίντροπος Gemoll 607. Pfeifer 1997, 1294. 256 »τέθηπα pf. defect. mit Präsensbedeutung (vgl. τὸ τάφος u. θαμβέω) {…} in Erstaunen geraten, staunen« (Gemoll 731). 257 Homer Od. 17, 367. 258 Platon Tht. 155 d; Aristoteles Metaph. Α 2, 982b12–24. – »Bewunderung trägt man Dingen entgegen, die nicht radikal fremd sind, die nur schöner und vollkommener sind als das Alltägliche. Das griechische Wort für Bewundern, θαυμάζειν, ist von θεᾶσθαι abgeleitet, das ›schauen‹ bedeutet« (Snell 2000, 37 f.). 259 Pape 2, 1316. 260 Gemoll 795. 261 Gemoll 524. 254 255

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{…} κέλευθος), eine Kritik an Heraklit sehen wollen {…}. Diese Interpretation ist aber nicht näher zu begründen, weil Parmenides ausdrücklich auf die Menschen im Allgemeinen Bezug nimmt {…}. Ferner ist bei den antiken Autoren παλίντροπος sonst nirgends als Attribut des Bogens bzw. der Leier belegt, sondern immer in Bezug auf den Weg gebraucht. Für παλίντονος spricht die homerische Formel παλίντονα τόξα (Il. 8,266; 15,443 als rückgespannte Bogen {…})«; 262 »Gemeint wären damit die Herakliteer, denn ταὐτὸν νενόμισται κοὐ ταὐτόν = πάντα ταὐτὰ κοὐ ταὐτά 22 C 1 I 183, 1 u. dort ähnl. öfter, πέλειν τε καὶ οὐκ εἶναι nach {22}B 49a o. ä. {…}, παλίντροπος κέλευθος nach {22}B 51 (vgl. {22}B 60)«. 263 Gemelli: παλίντροπος. 264 Jedoch keine Verbindung zu Heraklit (°III.9.a): παλίντροπος, »zur Umkehr gewendet«. ▶ παλίντροπός »Gegenweg«, 265 »backwards again«, 266 »backward-turning«. 267 B7

262 263 264 265 266 267

1 οὐ γὰρ μήποτε τοῦτο δαμῇ εἶναι μὴ ἐόντα·

Nie nämlich kann dies zwingend erwiesen werden, dass es das Nichtseiende gibt;

2 ἀλλὰ σὺ τῆσδ’ ἀϕ’ ὁδοῦ διζήσιος εἶργε νόημα

du aber, schließe von diesem Weg den Gedanken des Suchens aus,

3 μηδέ σ’ ἔθος πολύπειρον ὁδὸν κατὰ τήνδε βιάσθω,

damit dich nicht allzu kluge Gewohnheit dränge auf diesen Weg,

4 νωμᾶν ἄσκοπον ὄμμα καὶ ἠχήεσσαν ἀκουήν

zu gebrauchen ein zielloses Auge, ein von Geräuschen erfülltes Ohr

5 καὶ γλῶσσαν, κρῖναι δὲ λόγῳ πολύδηριν ἔλεγχον

und das Gerede. Entscheide doch auch durch Rechenschaftslegung den viel bestritt’nen Beweis,

6 ἐξ ἐμέθεν ῥηθέντα.

den von mir angesagten.

Gemelli I, 353. DK I, 2332 ff. Gemelli II, 81. Diels 2003, 35. Coxon 2009, 58 mit Hinweis auf Homer Il. 8, 399, Zeus zu Iris (Coxon 2009, 304). Mourelatos 2008, 100.

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B 7.1 οὐ γὰρ: Vermutlich folgt B 7 mit dem »nie nämlich« unmittelbar auf B 6 und wendet sich gegen die Ansichten der βροτοί. 268 B 7 bis 8: Gadamer 1996, 162 ff. δαμῇ: »zwingend erwiesen werden«. 269 Diels bezieht δαμῇ auf die »Thorheit des Heraklitismus Sein und Nichtsein zu identificiren«. 270 Doch ergibt sich »zwingend« auch aus dem Kontext: Die notwendige Entscheidung (κέκριται δ’ οὖν, ὥσπερ ἀνάγκη, »nun aber ist entschieden worden, wie notwendig« B 8.16) fehlt den unwissenden Sterblichen (βροτοὶ εἰδότες οὐδὲν B 6.4). B 7.2 διζήσιος: »Suchen« statt »Forschung« (°B 2.2). B 7.3 πολύπειρον: Die Gewohnheit ist πολύπειρος, »vielerfahren, klug«. 271 Doch kann diese Art von Klugheit hier nur negativ gemeint sein, handelt es sich doch um eine »allzu kluge Gewohnheit«, um keine wirkliche Erfahrung, sondern eine sogenannte Klugheit, die sich auf eingefahrenen Geleisen bewegt. βιάσθω: Weil die Gewohnheit solchermaßen »eingefahren« ist, versucht sie das schon Bekannte mit Gewalt (βίᾳ) durchzusetzen, solches, das sich den Meinungen der Sterblichen zufolge von selbst versteht. Grund dieses βιάζειν sind daher die δόξαι (B 1.30, B 8.51). B 7.4 νωμᾶν: Gadamer 1996, 162. ἄσκοπον ὄμμα: Das Auge ist auf kein Ziel (keinen σκοπός 272) gerichtet, sondern darauf, was sich ihm soeben zeigt. ἄσκοπον: Gegenstück zu σκοπέω, »untersuchen, prüfen«; ἄσκοπος, »etwas nicht ins Auge fassend«, d. h. unfähig zu einer genaueren Prüfung. ἠχήεσσαν ἀκουήν: Das Ohr ist ein Wiederhall (ἠχώ) von dem, »It is likely that fr. 7 followed closely upon fr. 6, for the plural μὴ ἐόντα {…} seems to echo the plurals ἀπεόντα [›absent‹] and παρεόντα [›present‹] in fr. 6, 1 and the assertion that things that are not cannot be, to relate to the rejection in fr. 6 of the conceivability of anything which might sever what is form itself« (Coxon 2009, 308). 269 Bormann 1971, 37; Diels 2003, 35. 270 Diels 2003, 73. 271 Gemoll 619. 272 σκοπός »Ziel, nach dem man schießt« (Gemoll 680). 268

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was es gerade hört. ἠχήεις »schallend, tönend, tobend«. 273 Ἀκοή bezieht sich nicht nur auf das Hören oder das Ohr als Organ, sondern meint auch das Gerücht (d. h. das im Hören ohne Prüfung Weitergesagte). B 7.5 γλῶσσαν: Im selben Vers treffen γλῶσσα und λόγος aufeinander. Auch γλῶσσα, wörtlich »Zunge«, meint die Sprache, das Sprachvermögen und sogar die Redegabe. Doch γλώσσης χάριν bedeutet u. a. »nur um zu reden, einem nach dem Munde reden«. 274 Mit Bezug auf die Namengebung der Sterblichen (B 8.38 f.; °III.9.b) ist schon hier darauf hinzuweisen, »dass das νωμᾶν γλῶσσαν nicht nur nicht mit dem ὀνομάζειν identisch, sondern diesem genau entgegengesetzt ist, weil es sich auf keinen wahren Gegenstand bezieht und insofern keinen benennen kann: Es ist das ›Geräusch‹ oder der ›Laut‹ der Theorie des Antisthenes.« 275 κρῖναι δὲ λόγῳ: Die Bedeutungen der Aktivform des Verbums κρίνειν 276 spielen hier ineinander: Es handelt sich um ein Sichten und Wählen, denen die Entscheidung folgt. Diese Aktionen machen das Eigentümliche des B 7.5 gemeinten λόγος aus und legen ihn damit auf eine bestimmte Bedeutung fest. Unter den zahlreichen Bedeutungen von λόγος (deren spätere vor allem auf Platon zurückgehen und daher nur mit einiger Vorsicht gebraucht werden sollten) bietet sich eine besonders an: ▶ »Rechenschaft«. Denn das Neue bei Parmenides besteht nicht darin, Überkommenes zu bestätigen, sondern für den μῦθος ὁδοῖο durch Beweise Rechenschaft abzulegen, also λόγον διδόναι, rationem reddere. – Die Übersetzung von λόγος »beurteilen mit dem Denken« oder »mit der Vernunft« ist kaum möglich, weil »λόγος diese Bedeutung in der vorplatonischen Zeit noch nicht

Frisk I, 646. Pape 1, 496. 275 Marcinkowska-Rosół 2010, 87. – Der Sokratiker Antisthenes (~450/445 bis ~365) hat nach der Möglichkeit eindeutiger Erkenntnis gefragt. »Da nun die Erkenntnis eine absolute Erfassung (ihres Gegenstandes) sei, sei es unmöglich zu widersprechen (οὐκ ἔστιν ἀντιλέγειν), denn ›sagen‹ oder ›sprechen‹ bedeute, den Gegenstand (die Wahrheit) auszusagen, und eine Äußerung, die dies nicht tue, sei daher auch kein Sprechen oder Sagen, sondern ein bloßes Geräusch« (LA I/1, 133; O. G.). 276 »1. scheiden, sondern, sichten, unterscheiden | 2. absondern, aussondern, auswählen | 3. entscheiden, beschließen, richten, (ver)urteilen« (Gemoll 453). 273 274

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hat«. 277 Es handelt sich bei λόγῳ um einen modalen Dativ: »die Beurteilung findet auf erörternde Weise statt, ist also selbst eine Erörterung« 278 (°III.6.a). In Abgrenzung von den erwähnten Bedeutungen 279 steht »Rechenschaft« im Vordergrund, »account«, der sich als Rede materialisiert: »decide by discourse the controversial tool«; 280 »giudica col ragionamente la prova con molte discussioni«. 281 πολύδηριν ἔλεγχον: Der ἔλεγχος ist ein Beweismittel, um jemanden zu überführen. Ein πολύδηρις ἔλεγχος ist demnach ein in vieler Hinsicht bestrittener Beweis. 282 Gegenstand dieses Streites ist die Behauptung, das Sein sei geworden oder vergehe (B 8.5 usf.). Burnet schreibt: »Die große Neuerung im Gedicht des Parmenides ist die Methode der Beweisführung.« 283 Das ist deshalb so wichtig, weil es primär nicht darum geht, dass Parmenides das Werden und Vergehen zugunsten eines zeitlosen Seins verneint – mag dies auch auf einen solchen Befund hinauslaufen –, sondern dass er den Befürwortern von Werden und Vergehen (konkret: den Kosmologen einerseits, den mythologisierenden Genealogen auf der anderen Seite) zum Vorwurf macht, sie würden etwas behaupten, ohne sich dem κρῖναι λόγῳ zu unterwerfen. Daher ist der ἔλεγχος auch πολύδηρις, »viel umstritten«, weil er gleich nach mehreren Seiten geht. Verdenius 1966–67, 99 f. Verdenius 1966–67, 100. Cordero 2004, 136 f.: »The meaning of logos in Parmenides«. 279 Λόγος meint nicht »thinking«, »understanding, »reason«, sondern »reasoning«, »argument« (Verdenius 1964, 64). 280 Coxon 2009, 62. 281 Untersteiner 1958, 143; dazu sein Kommentar p. CXXXI ff. 282 »argument of disproof or refutation« (LSJ 531). »Aber wo wäre ein ἔλεγχος bisher geliefert oder auch nur angedeutet?« (Reinhardt 2012, 35). Mourelatos stellt fest, dass es vor B 8 keine »proofs« gibt und meint, »that Parmenides’ ἔλεγχος (masc.) is closer, in spite of the contrast in gender, to the Homeric τὸ ἔλεγχος, ›reproach, blame,‹ than to ὁ ἔλεγχος, ›refutation, scrutiny,‹ of classical literature {…}. As for πολύδηρις, on strictly morphological grounds it is more probable that it means ›much-contending‹ than ›much-contested‹« (Mourelatos 2008, 9146). Das Verbum ἐλέγχω »Lügen strafen, blamieren« lässt den späteren juristischen terminus technicus, »überführen, widerlegen«, schon anklingen (Nordheider 1991, 524). ἐλέγχω »crossexamine, question« (LSJ 531). οὐκ ἔχει ἔλεγχον (Herodot II 23), »beweist damit nichts« (Herodot 2001, 143); οὐ λέγοντος τὴν ἀληθείην ἤλεγχον οἱ γενόμενοι ἱκέται ἐξηγεύμενοι πάντα λόγον τοῦ ἀδικήματος (Herodot II 115), »der mit der Sprache nicht heraus wollte und sich aufs Lügen legte, {wurde} durch die Aussagen der Knechte überführt, die alles erzählten, was er sich hatte zuschulden kommen lassen« (Herodot 2001, 187). 283 Burnet 1913, 165 – jedoch ist der Unterschied zwischen »Methode« und »Weg« zu beachten (°B 1.2). 277 278

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λόγῳ: Zu den Grundbedeutungen von λόγος gehören Rede und Rechenschaft, 284 wobei von jener auszugehen ist. 285 Anders als im Fall der überlieferten Mythen gehört zum λόγος sowohl die Nachprüfbarkeit (λόγος qua Rede) als auch – wie hier – die Prüfung selbst (λόγος qua κρίνειν). Schwierig ist die Wiedergabe von λόγος mit einem Wort; 286 dies zeigt sich auch an den verschiedenen Übersetzungen (von denen einige anachronistisch sind): »mit dem Denken bring zur Entscheidung die streitreiche Prüfung«; 287 »entscheide mit dem Denken das vielumstrittene Gegenargument«; 288 »entscheide, dich besinnend, die streitvolle Prüfung«; 289 »argumentierend entscheide die streitbare Beweisführung«; 290 »beurteile mit dem Denken die hart bestreitende Widerlegung«; 291 »beurteile in rationaler Weise die streitbare Widerlegung, die ich ausgesprochen habe«; 292 »entscheide Vgl. Gemoll 475 f. s. v. λόγος: I. das Sprechen: 1. mündliche Mitteilung, 2. Erlaubnis zum Reden; II. das Berechnen: 1. Rechenschaft, 2. Rechnung, 3. Verhältnis, 4. Vernunft. 285 »Griech. λόγος, stellt den Ablaut vom Verbalstamme λεγ dar und bezeichnet zunächst Tätigkeit und Inhalt des Sprechens. Somit muß von der Bedeutung ›Rede‹ ausgegangen werden. Das Wort ist bei Homer noch ungebräuchlich (Belege nur Il. XV 393 und Od. I 56, beide Male nur im Plur.). L. ist mithin jüngstes Mitglied der Synonymen-Familie ἔπος μῦθος αἶνος λόγος. Die großen geistigen Umsetzungen des 6. und des 5. Jh. tragen zu strenger Differenzierung dieser zunächst bedeutungsverwandten Wörter bei. Dabei erfahren ἔπος μῦθος αἶνος starke, vorwiegend abwertende Bedeutungs-Einschränkungen; λόγος dagegen erfährt eine wertpositive BedeutungsErweiterung« und ist im Unterschied zu μῦθος »durch das Merkmal der Nachprüfbarkeit gekennzeichnet (ἔλεγχος, ἐλέγχειν)« (KP 3, 710; H. D.). Die Grundbedeutung von λόγος ist »Zählung«. »Dieser Tätigkeitsaspekt bleibt auch in den Sonderbedeutungen vorherrschend. Es gibt aber einige Bedeutungen, die man ›Nebenbedeutungen‹ nennen könnte, wo der Tätigkeitsaspekt zurücktritt. So bedeutet λόγος nicht nur das Zählen, sondern auch die Zahl, nicht nur das Erzählen, sondern auch die erzählte Geschichte, nicht nur das Rechnen, sondern auch die daraus resultierende Rechnung, nicht nur die Begründung, sondern auch den Grund, nicht nur die Beziehung in dem Sinne einer subjektiven Tätigkeit, sondern auch in dem Sinne einer objektiven Proportion. Auch die Bedeutung ›Definition‹ gehört wahrscheinlich hierher, denn die Definition ist ursprünglich, d. h. in der Sokratischen Praxis, das Resultat der Tätigkeit des Rechenschaftgebens« (Verdenius 1966–67, 83). 286 »Auch bei Parmenides gibt es {so wie bei Heraklit} kein eindeutiges Beispiel der Bedeutung ›Wort‹« (Verdenius 1966–67, 87). 287 DK. 288 Bormann 1971, 39. 289 Riezler 2001, 31. 290 Heitsch 1974, 25. 291 Hölscher 2014, 11. 292 Mansfeld 1995, 9. 284

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dich für den in meinen Worten enthaltenen viel umstrittenen Beweis«; 293 »judge with reason the much contested argument«; 294 »decide by discourse the controversial test«. 295 Es bahnt sich die spätere philosophische, von Aristoteles ausgehende Bedeutung an. Dieser begreift den λόγος als Moment der analogen Einheit des auf vielfache Weise gesagten Seienden. 296 Ich übersetze λόγος etwas umständlich mit ▶ Rechenschaftslegung und betone das Moment der »Entscheidung« (ἔλεγχον, κρῖναι: B 7.5). 297 B 7.6 ῥηθέντα: Reinhardts Einwand, hier sei kein Beweis angesagt worden (»Aber wo wäre ein ἔλεγχος bisher geliefert oder auch nur angedeutet?« 298), ist entgegen zu halten, dass sich die Göttin nicht auf etwas bezieht, das sie bereits gesagt hat, sondern auf die künftigen Beweise der σήματα τοῦ ἐόντος in B 8. B8 1 … μόνος δ’ ἔτι μῦθος ὁδοῖο … einzig aber der Mythos des Weges noch 2 λείπεται ὡς ἔστιν· ταύτῃ δ’ bleibt, weil es ihn tatsächlich gibt; ἐπὶ σήματ’ ἔασι auf diesem Weg aber sind Zeichen, 3 πολλὰ μάλ’ ὡς ἀγένητον ἐὸν viele gar: dass das Seiende ungeκαὶ ἀνώλεθρόν ἐστιν, worden und dem Verderben nicht unterworfen ist, 4 οὖλον οὐλομελές τε καὶ ἀτρεμὲς ἠδ’ ἀτέλεστον·

ganz und einzig in seinem Bau, unerschütterlich und ohne Ende;

5 οὐδέ ποτ’ ἦν οὐδ’ ἔσται, ἐπεὶ νῦν ἔστιν ὁμοῦ πᾶν,

nicht war es jemals, noch wird es sein, da es auf einmal im Augenblick alles ist,

Gemelli II, 19. Tarán 1965, 73. 295 Coxon 2009, 62. 296 τὸ ὂν λέγεται μὲν πολλαχῶς, ἀλλὰ πρὸς ἕν καὶ μίαν τινὰ φύσιν καὶ οὐχ ὁμωνύμως (Aristoteles Metaph. Γ 2, 1003a32–33). 297 Laut Duden »Folge von Gedanken, durch die sich jemand vor einer Entscheidung o. Ä. über etwas klar zu werden versucht«. 298 Reinhardt 2012, 35. 293 294

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6 ἕν, συνεχές· τίνα γὰρ γένναν eines, ununterbrochen; welches Erδιζήσεαι αὐτοῦ; zeugen wolltest du denn bei ihm erforschen? 7 πῇ πόθεν αὐξηθέν; οὐτ’ ἐκ μὴ ἐόντος ἐάσσω

Auf welche Weise gewachsen von wo? Nicht aus dem Nichtseienden lasse ichs

8 φάσθαι σ’ οὐδὲ νοεῖν· οὐ γὰρ φατὸν οὐδὲ νοητόν

sagen dich und auch nicht denken; nicht nämlich sagbar noch denkbar

9 ἔστιν ὅπως οὐκ ἔστι. τί δ’ ἄν ist, dass es nicht ist. Und welche μιν καὶ χρέος ὦρσεν Schuld trieb es denn 10 ὕστερον ἢ πρόσθεν, τοῦ μη- später oder früher, beim Nichts δενὸς ἀρξάμενον, φῦν; anfangend, zu sein? 11 οὕτως ἢ πάμπαν πελέναι χρεών ἐστιν ἢ οὐχί.

So muss es entweder ganz und gar sein oder nicht.

12 οὐδέ ποτ’ ἐκ μὴ ἐόντος ἐφή- Und niemals wird die Macht des σει πίστιος ἰσχύς Vertrauens zulassen, dass aus NichtSeiendem 13 γίγνεσθαί τι παρ’ αὐτό· τοῦ etwas daneben entstehe; deshalb εἵνεκεν οὔτε γενέσθαι weder zu werden 14 οὔτ’ ὄλλυσθαι ἀνῆκε Δίκη χαλάσασα πέδῃσιν,

noch zu verderben hat Dike nachgegeben den Fesseln,

15 ἀλλ’ ἔχει· ἡ δὲ κρίσις περὶ τούτων ἐν τῷδ’ ἔστιν·

sondern sie hält sie; die Unterscheidung über dieses liegt aber darin:

16 ἔστιν ἢ οὐκ ἔστιν· κέκριται Es ist oder es ist nicht; nun aber ist δ’ οὖν, ὥσπερ ἀνάγκη, entschieden worden, wie notwendig, 17 τὴν μὲν ἐᾶν ἀνόητον ἀνώνυ- den einen undenkbar ohne Namen μον (οὐ γὰρ ἀληθής zu lassen (denn nicht wahr 18 ἔστιν ὁδός), τὴν δ’ ὥστε πέ- ist der Weg), und dass folglich der λειν καὶ ἐτήτυμον εἶναι. andere ist und wirklich ist. 19 πῶς δ’ ἂν ἔπειτ’ ἀπόλοιτο ἐόν; πῶς δ’ ἄν κε γένοιτο;

Wie aber könnte das Seiende dann vergehen? Auf welche Art aber könnte es werden?

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20 εἰ γὰρ ἔγεντ’, οὐκ ἔστ(ι), Denn wenn es entstand, ist es nicht, οὐδ’ εἴ ποτε μέλλει ἔσεσθαι. noch wenn es irgend einmal zu werden gedenkt. 21 τὼς γένεσις μὲν ἀπέσβεσται So ist Werden gelöscht und Unterκαὶ ἄπυστος ὄλεθρος. gang unerkundet. 22 οὐδὲ διαιρετόν ἐστιν, ἐπεὶ πᾶν ἐστιν ὁμοῖον·

Auch ist es nicht teilbar, da gleich in jeder Beziehung.

23 οὐδέ τι τῇ μᾶλλον, τό κεν εἴργοι μιν συνέχεσθαι,

Auch gibt es dort nicht etwas Stärkeres, das es hinderte, zusammenzuhalten,

24 οὐδέ τι χειρότερον, πᾶν δ’ ἔμπλεόν ἐστιν ἐόντος.

noch etwas Schwächeres, ganz und gar ist es erfüllt vom Seienden.

25 τῷ ξυνεχὲς πᾶν ἐστιν · ἐὸν γὰρ ἐόντι πελάζει.

Dadurch hält es in jeder Hinsicht zusammen; Seiendes nämlich ist dem Seienden nahe.

26 αὐτὰρ ἀκίνητον μεγάλων ἐν Doch unbeweglich in Grenzen geπείρασι δεσμῶν waltiger Fesseln 27 ἔστιν ἄναρχον ἄπαυστον, ἐπεὶ γένεσις καὶ ὄλεθρος

ist’s ursprungslos, unaufhörlich, da Werden und Untergang

28 τῆλε μάλ’ ἐπλάγχθησαν, ἀπῶσε δὲ πίστις ἀληθής.

gar weit in die Ferne verschlagen, es verstieß sie das wahre Vertrauen.

29 ταὐτόν τ’ ἐν ταὐτῷ τε μένον Das Selbe im Selben verharrend und καθ’ ἑαυτό τε κεῖται bei sich selbst ruht es 30 χοὔτως ἔμπεδον αὖθι μένει· und verweilt so beharrlich dort; geκρατερὴ γὰρ Ἀνάγκη waltige Notwendigkeit nämlich 31 πείρατος ἐν δεσμοῖσιν ἔχει, hält in den Banden der Grenze es τό μιν ἀμφὶς ἐέργει, fest, die es ringsherum einschließt; 32 οὕνεκεν οὐκ ἀτελεύτητον τὸ deswegen ist es Satzung, dass das ἐὸν θέμις εἶναι· Seiende nicht ohne Vollendung ist; 33 ἔστι γὰρ οὐκ ἐπιδευές· μὴ ἐὸν δ’ ἂν παντὸς ἐδεῖτο.

nicht nämlich ist es bedürftig: Nichtseiendes aber hätte an allem Mangel.

34 ταὐτὸν δ’ ἐστὶ νοεῖν τε καὶ Das Selbe aber ist Denken sowohl als οὕνεκεν ἔστι νόημα. auch dessentwegen ist der Gedanke.

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35 οὐ γὰρ ἄνευ τοῦ ἐόντος, ἐν ᾧ Nicht nämlich ohne das Seiende, in πεφατισμένον ἐστίν, dem es gesagt ist, 36 εὑρήσεις τὸ νοεῖν· οὐδὲν γὰρ wirst du das Denken finden; denn {ἢ} ἔστιν ἤ ἔσται weder ist, noch wird sein 37 ἄλλο πάρεξ τοῦ ἐόντος, ἐπεὶ anderes außer dem Seienden, weil es τό γε Μοῖρ’ ἐπέδησεν die Moire bindet, 38 οὖλον ἀκίνητόν τ’ ἔμμεναι· ganz, und zwar unbeweglich zu sein; τῷ πάντ’ ὄνομ’ ἔσται, deshalb wird alles Name sein, 39 ὅσσα βροτοὶ κατέθεντο πε- was die Sterblichen festgesetzt haποιθότες εἶναι ἀληθῆ, ben, überzeugt davon, dass es wahr sei, 40 γίγνεσθαί τε καὶ ὄλλυσθαι, werden sowohl wie verderben, soεἶναί τε καὶ οὐχί, wohl sein als auch nicht zu sein, 41 καὶ τόπον ἀλλάσσειν διά τε und den Ort zu wechseln und durch χρόα φανὸν ἀμείβειν. Farbe das Licht zu tauschen. 42 αὐτὰρ ἐπεὶ πεῖρας πύματον, Doch da eine äußerste Grenze es τετελεσμένον ἐστί gibt, ist es vollendet 43 πάντοθεν, εὐκύκλου σφαίρης ἐναλίγκιον ὄγκῳ,

von allen Seiten her, ähnlich der Masse einer wohlgerundeten Kugel,

44 μεσσόθεν ἰσοπαλὲς πάντῃ· τὸ γὰρ οὔτε τι μεῖζον

inmitten überall gleich; denn nicht etwas größer,

45 οὔτε τι βαιότερον πελέναι χρεόν ἐστι τῇ ἢ τῇ.

noch etwas kleiner ist Not, dass es ist, da oder dort.

46 οὔτε γὰρ οὐκ ἐὸν ἔστι, τό κεν παύοι μιν ἱκνεῖσθαι

Denn einerseits gibt es nicht Seiendes, das es hinderte zu gelangen

47 εἰς ὁμόν, οὔτ’ ἐὸν ἔστιν ὅπως zum Gleichen, andererseits gibt es εἴη κεν ἐόντος nicht Seiendes, dass vorhanden vom Seienden 48 τῇ μᾶλλον τῇ δ’ ἧσσον, ἐπεὶ da mehr, dort aber weniger ist, denn πᾶν ἐστιν ἄσυλον· ganz ist es unversehrt; 49 οἷ γὰρ πάντοθεν ἶσον, ὁμῶς für sich nämlich überall gleich, ἐν πείρασι κύρει. ists auf dieselbe Weise in seinen Grenzen.

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50 ἐν τῷ σοι παύω πιστὸν λόγον Dadurch beend’ ich für dich meine ἠδὲ νόημα Vertrauen erweckende Rede und den Gedanken 51 ἀμφὶς ἀληθείης· δόξας δ’ ἀπὸ τοῦδε βροτείας

zu beiden Seiten der Wahrheit; aber die sterblichen Meinungen von da an

52 μάνθανε κόσμον ἐμῶν ἐπέων lerne, indem du auf meine Worte ἀπατηλὸν ἀκούων. hörst mit Blick auf die trügliche Welt. 53 μορϕὰς γὰρ κατέθεντο δύο γνώμας ὀνομάζειν·

Denn ihren Ansichten nach setzten sie fest, es seien zwei Formen zu nennen;

54 τῶν μίαν οὐ χρεών ἐστιν – ἐν von denen nicht Not tut eine allein – ᾧ πεπλανημένοι εἰσίν – sie irren deswegen –, 55 τἀντία δ’ ἐκρίναντο δέμας καὶ σήματ’ ἔθεντο

als Gegensatz hoben sie einen Körper heraus und setzten Zeichen

56 χωρὶς ἀπ’ ἀλλήλων, τῇ μὲν φλογὸς αἰθέριον πῦρ,

voneinander getrennt, da das ätherische Feuer,

57 ἤπιον ὄν, μέγ {ἀραιὸν} ἐλαφρόν, ἑωυτῷ πάντοσε τωὐτόν,

mild und sehr leicht, mit sich selber in jeder Hinsicht das Selbe,

58 τῷ δ’ ἑτέρῳ μὴ τωὐτόν· ἀτὰρ für das Andere aber nicht das Selbe; κἀκεῖνο κατ’ αὐτό doch auch 59 τἀντία νύκτ’ ἀδαῆ, πυκινὸν im Gegensatz dazu finstere Nacht, δέμας ἐμβριθές τε. ein dichter und schwerer Körper. 60 τόν σοι ἐγὼ διάκοσμον ἐοικότα πάντα φατίζω,

Von dieser Einrichtung sage ich dir, dass sie gleich ist in jeder Hinsicht,

61 ὡς οὐ μή ποτέ τίς σε βροτῶν sodass nie irgendein Wissen der γνώμη παρελάσσῃ. Sterblichen dich wird übertreffen.

B 8.1 μῦθος ὁδοῖο: »Mythos« wird »Weg-Kunde«, »Rede«, »Wegwort«, »story« u. dgl. vorgezogen. 299 Wenn die Göttin von einem μῦθος 299

DK I, 235; Bormann 1971, 38; Deichgräber 1983, 11; Coxon 2009, 314. – »A correct

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spricht, betont sie das Neue in Anknüpfung an das Alte bei gleichzeitiger Distanz zu diesem. ▶ Das Besondere am Mythos der Göttin liegt darin, dass er einer Rechenschaft unterzogen wird (κρῖναι δὲ λόγῳ πολύδηριν ἔλεγχον: B 7.5). Die Übersetzung mit »Mythos« entspricht der Dialektik von alt und neu. B 8.2 λείπεται: λείπομαι pass. und med. »zurückgelassen werden«. In den FF begegnet mehrmals ein Ausschlussverfahren: Was sich seitens der Sterblichen als Weg anbietet, ist keiner, sondern erweist sich als ungangbar (°III.5.a–b) und scheidet aus; übrig bleibt nur ein einziger Weg. Ferner hält die Göttin den Kuros von den Aporien der Kosmologen ab (εἴργω: B 6.3) und schließt von einem »Weg« den Gedanken der Forschung aus (εἶργε νόημα: B 7.2). ὡς ἔστιν: Bezieht sich »dass es ist« auf das Sein oder auf den Weg zum Sein? 1. Für »Sein« entscheiden sich Diels und in seiner Nachfolge so gut wie alle Übersetzer und Kommentatoren: »dass es ein Sein gibt«; 300 »daß IST ist«; 301 »daß ›es ist‹«; 302 »that a thing is«. 303 2. Trotz zahlreicher und gewichtiger Zeugen – von denen allerdings einige Schwierigkeiten bei der Darstellung (wohl auch mit dem Sinn) haben, wie die Schreibweise von DK deutlich macht – spricht für Weg 2.1 das folgende ταύτῃ, »auf diesem Weg«. ὡς ἔστιν wäre dann nicht mit »dass es ist« wiederzugeben, sondern mit »dass er {der Weg} ist«, d. h. dass ein solcher Weg überhaupt existiert. Das ist angesichts der von den βροτοί unüberlegt gewählten Wege (sie erweisen sich sogleich als ungangbar) durchaus plausibel. 2.2. ὡς bedeutet nicht nur in Folgesätzen »dass«, sondern auch ursächlich »weil«; somit könnte dies heißen: ▶ »weil es ihn tatsächlich gibt« (ἔστιν: B 2) – nämlich zum Unterschied von den zwei anderen Wegen, die in Wirklichkeit keine sind. σήματ’ ἔασι: Coxon meint, zwischen B 8.2 und σήματ’ ἔθεντο (B 8.55) einen Gegensatz feststellen zu müssen: »the contrast indicates that, while the characteristics of the two Forms into which P. analyses the physical world are, like the Forms themselves, empirical and translation is: There is a solitary word still left to say of a way: ›exists‹« (Tarán 1965, 85). 300 Diels 2003, 35. 301 DK I, 235. 302 Bormann 1971, 39. 303 Coxon 2009, 64.

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conventional in status, those of Being are objectively real.« 304 Dies zugestanden, bleibt aber offen, worin der Zusammenhang von »empirisch« und »objektiv« besteht. ▶ Die B 8 aufgewiesenen zahlreichen σήματα (»very many signs are on this road« 305) sind »hinterlassene Zeichen«, »Spuren«, auch »Zeichen des Zukünftigen«. 306 Lässt sich zwischen »Zeichen« und »Spuren« differenzieren? Inwiefern verweisen diese auf Vergangenes und jene auf Kommendes? Eine mögliche Antwort wäre diese: Wenn die Göttin von Werden und Vergehen und damit von Nicht-Seiendem spricht (B 8.12–14), bezieht sie sich auf die überlieferten Mythen bzw. Kosmologien (°III.2.a). Sie findet Zeichen auf dem begangenen Weg (z. B. ὡς ἀγένητον ἐὸν καὶ ἀνώλεθρόν: B 8.3) und damit auch Spuren (z. B. οὖλον οὐλομελές τε καὶ ἀτρεμὲς ἠδ’ ἀτέλεστον: B 8.4), die auf den einzig begehbaren Weg, nämlich jenen des Seins, hinweisen (°III.6.b). B 8.3 πολλὰ: Der Plural kann als Indiz verstanden werden, dass dem Kuros auf seinem Weg δόξαι begegnen. Dieser müsste sich ihrer allerdings vergewissern und auch dies lernen (ἀλλ’ ἔμπης καὶ ταῦτα μαθήσεαι: B 1.31), ὡς τὰ δοκοῦντα | χρῆν δοκίμως εἶναι διὰ παντὸς πάντα περῶντα, »dass das Scheinende | notwendig ist und {…} durch alles hindurch alles durchdringt« (B 1.31 f.). Er müsste, wie schon erwähnt, das ἀγένητον und ἀνώλεθρον (B 8.3) im μὴ ἐόν aufspüren, vorausgesetzt, er hat dazu den nötigen Blick (λεῦσσε δ’, »schau’ aber hellen Blickes«: B 4.1). Diese Spuren führen im ersten Fall zu Hesiod, 307 im zweiten zu Anaximander, 308 vgl. B 8.3–6. ἀγένητον: »{…} the earliest genuine occurence of ἀγένητον [›ungenerated‹], which may be P.s coinage«. 309 Die Übersetzung mit »ursprungslos« 310 betont den Unterschied zu allen genealogischen Versuchen, Seiendes auf einen Ursprung zurückzuführen. Dies gilt für Hesiods Genealogie wie (unter Voraussetzung der aristotelischen Doxographie: °I.4.b) für die Frage der Milesier nach der ἀρχή. Coxon 2009, 314. Tarán 1965, 85. 306 Gemoll 672. 307 Aus Gaia und Uranos entstehen die übrigen Götter, οἵ τ’ ἐκ τῶν ἐγένοντο (Hesiod Th. 46). 308 ἀθάνατον … καὶ ἀνώλεθρον (τὸ ἄπειρον) (12 B 3). 309 Coxon 2009, 314. 310 »uncreated, unoriginated« (LSJ 8). 304 305

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ἀνώλεθρόν: Vgl. ἀτρεμὲς ἦτορ B 1.29; ὄλεθρος »ruin, destruction, death«. 311 B 8.4 οὖλον: »οὖλον (oder ὅλον) kann besagen, daß etwas in seinen Teilen vollständig ist, ein Ganzes bildet, das Teile hat {…}. Das trifft jedoch für Parm. frg. 8,4 nicht zu. Was Teile hat, ist teilbar, was geteilt werden kann, setzt sich aus Teilen zusammen; das parmenideische Seiende aber ist nicht teilbar und hat demnach keine Teile. {…} Da das Seiende keine Teile hat, aber οὖλον ist, ist mit οὖλον die Ganzheit des Seienden ausgesprochen, ohne daß es innerhalb der Ganzheit Teile gibt. Was damit gemeint ist, ist aus frg. 8,36–38 zu ersehen: Das Seiende ist οὖλον und ἀκίνητόν, deshalb gibt es nichts ἄλλο πάρεξ τοῦ ἐόντος.« 312 »Für die Methode des Parmenides ist frg. 8,4 sehr aufschlußreich. Aus einem übergeordneten Begriff (οὖλον) werden die untergeordneten deduziert, und zwar so, daß die ihm am nächsten stehenden Termini zuerst abgeleitet werden, anschließend die entfernter stehenden.« 313 Schema der Beweisstruktur von B 8.1–21: 314 Thema Deduktion (das Seiende ist ganz usw.) Indirekter Beweis (auf Grund der in der Deduktion erzielten Resultate) 1) gegen Werden aus dem Nichts a) das Nichts ist undenkbar b) Werden aus dem Nichts ist nicht notwendig, daher unmöglich

2) gegen Werden aus dem Seienden a) Entstehung aus Seiendem wäre Entstehung aus dem Nichts, deshalb b) ist das Seiende »gefesselt«, Werden und Vergehen sind unmöglich

Abweisung des Nichts durch die κρίσις 311 312 313 314

LSJ 1213. Homer Il. 11, 174. Bormann 1971, 152. Hinweis auf Platon Prm. 137 c: Coxon 2009, 315. Bormann 1971, 154. Bormann 1971, 160 f.

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Sicherung des Resultats (unter Rückgriff auf Vorausgegangenes) Beantwortung des Themas

οὐλομελές: 1. οὐλομελές »ganz in seinem Bau«; ἔστι γὰρ οὐλομελές Plut. adv. Col. u. a.; 315 »aus einem Glied«; 316 »einzig ohne Geschwister«; 317 »sound of limb«. 318 2. Diels wählt μουνογενές, »ungeboren«, 319 und kommentiert: »μουνογενής] ein latenter Widerspruch. Das ewige Sein kann nicht geboren, also auch nicht ›eingeboren‹ sein. {…} Der Widerspruch, den man fühlte, scheint später Aenderungen des geflügelten Verses hervorgerufen zu haben. So citirt Plutarch ἔστι γὰρ οὐλομελές, was auch Proclus in seinem Exemplar gelesen zu haben scheint. Der Anstoss ist unberechtigt. Denn das ziemlich häufige Wort war offenbar damals bereits abgegriffen. Für uns erscheint es zuerst bei Hesiod Erga 376 μουνογενὴς πάις {…}«; 320 »Einzigartiges«; 321 »aux membres intègres«. 322 »einzig«; 323 »einheitlich«; 324 »entire {= μουνογενής}, unique, unmoved and perfect«: 325 »›of the solitary kind‹, i. e. ›unique‹«. 326 ▶ Ich ziehe οὐλομελές vor (»einzig in seinem Bau«) und teile Gadamers Bezugnahme auf das Universum: »Das Wort οὐλομελές bedeutet soviel wie ›mit heilen Gliedern‹, eine Formulierung, die an den lebendigen Organismus gemahnt, also an jenes Bild, das oft als Modell benutzt wird, um das Universum zu beschreiben, und zwar nicht in seiner Vielheit, sondern als das Eine, das sein Leben führt und dem es an nichts mangelt, um es selbst zu sein, ein einziger großer Organismus eben. Das von

DK I, 235. Mansfeld 1995, 11. 317 Riezler 2001, 31. 318 LSJ 1270 mit Hinweis auf Parmenides. 319 Diels 2003, 35. 320 Diels 2003, 74. 321 Bormann 1971, 39. »Daß das Seiende ›einzigartig‹ ist, wurde aus seiner Ganzheit deduziert« (Bormann 1971, 168). 322 Di Giuseppe 2011, 17. 323 Heitsch 1974, 25; Gemelli 19. 324 Hölscher 2014, 11. 325 Coxon 2009, 64. 326 Coxon 2009, 315; Hinweis auf Platon Ti. 31 b, 92 c; »for the termination cf. θηλυγενής, ›of the female sex‹ {…} ὁμοιογενής, ›like in kind‹, etc.« (ebd.). 315 316

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Parmenides gebrauchte Wort οὐλομελές besagt offensichtlich, daß das Universum eines ist und selbst alles in sich hält.« 327 ἠδ’ ἀτέλεστον: »ἠδ’ † ἀτέλεστον [›and perfect‹]: whenever 1.4 is quoted by itself, even by Simplicius, it ends ἠδ’ ἀγένητον.« Für Coxon widersprechen Bedeutungen wie »imperfect«, »uninitiated« oder »untaxed« der B 8.5 folgenden Aussage des Parmenides, das Seiende habe weder Vergangenheit noch Zukunft. Für ihn hat »the Homeric clausula (Δ 26)« den wahren Text verdrängt: »The best emendation is ἠδὲ τέλειον [›and perfect‹]«. 328 ▶ Nun entsprechen aber ἀτέλεστον und τέλειον einander als kontradiktorischer Gegensatz, was die Übersetzung mit »ohne Ende« rechtfertigt. B 8.5 νῦν: Di Giuseppe sieht in diesem νῦν nichts weniger als eine Bedrohung der olympischen Götter: »{…} la marque νῦν (B8,5b) n’est pas, si l’on peut dire, sans menace pour l’Olympe: par la concentration de ce monosyllabe, Parménide efface l’éternité des dieux, l’épos qui s’y étaie et la vocation de l’aède. Que EST soit maintenant – l’instant éternel – réfute aussi bien la nature des dieux {…}.« 329 νῦν ἔστιν ὁμοῦ πᾶν, ἕν, συνεχές: Die aristotelische Interpretation des νῦν ist fernzuhalten (°III.7.a); es meint vielmehr »gegenwärtig, von der unmittelbaren Gegenwart«: 330 Kalchas, der Seher, weiß τὰ ἐόντα {…} ἐσσόμενα πρό τ’ ἐόντα. 331 Die Musen erfreuen auf dem hohen Olymp dem Vater Zeus durch Singen den hohen Sinn, εἴρουσαι τὰ τ’ ἐόντα τά τ’ ἐσσόμενα πρό τ’ ἐόντα! 332 Aus der Perspektive des νοῦς (und nur aus dieser) war das Seiende niemals in der Vergangenheit, auch wird es nie sein; Begründung: ἐπεὶ νῦν ἔστιν ὁμοῦ πᾶν, »da es auf einmal im Augenblick alles ist« (B 8.5). – Die meisten Interpreten betonen die Überzeitlichkeit des Seins, beachten aber nicht, dass ihr Verständnis von »Zeit« jenem des Aristoteles und dessen Definition entspricht. Anders der μακρὸς χρόνος in Sophokles’ Ajax: ἅπανθ’ ὁ μακρὸς κἀναρίθμητος χρόνος | φαίνει τ’ ἄδη-

327 328 329 330 331 332

Gadamer 1996, 164. Coxon 2009, 315. Di Giuseppe 2011, 141. Gemoll 526. Homer Il. I, 70. Hesiod Th. 38.

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λα καὶ φανέντα κρύπτεται. 333 Hier ist die Zeit nicht als Schwinden einzelner nicht fassbarer Augenblicke gemeint, sondern als Macht, die das Verborgene offenbar macht und, was verborgen war, erscheinen lässt; sie ist κἀναρίθμητος χρόνος, d. h. eine Zeit, die der Zahl (dem ἀριθμός) nicht unterworfen ist (im Gegensatz zur aristotelischen Definition ἀριθμὸς κινήσεως). πᾶν: wie ὅλος auf Einheit bezogen (»ganz, unversehrt, vollständig« 334); ἕκαστος dagegen auf Mehrheit bezogen (»jeder Einzelne, im Gegensatz zu einer Vielheit oder Gesammtheit« 335). Ich stimme mit Theunissen überein, dass »der jeweils nachfolgende Begriff den vorhergehenden expliziert«, teile aber nicht seine Erklärung im einzelnen: »Das Wort πᾶν ist dem Mißverständnis ausgesetzt, als meine es τὰ πάντα, das All als die Gesamtheit der Dinge. Dieses Mißverständnis wehrt das Wort ἕν ab. Die Rede von einem ἕν mag jedoch ihrerseits den falschen Eindruck erwecken, als nenne sie bloß Einzelnes, etwas hier und jetzt auf sich Vereinzeltes. Eine solche Fehleinschätzung berichtigt wiederum der letzte Begriff, der des συνεχές. Er charakterisiert das Eine als ein Kontinuum, das nach seiner maßgeblichen Bedeutung zeitlicher Art ist. Gemäß dem Sprachgebrauch Homers stellt er klar, dass das Seiende als Eines ununterbrochen ist.« 336 »Wie immer dieser Satz zu verstehen ist, sicher ist, daß beide Begriffe, das πᾶν wie das ἕν, aber auch συνεχές nicht aus der Verbindung mit νῦν ἔστι, dem positiven Prädikat nach dem negativen, niemals ἦν, niemals ἔσται, gelöst werden dürfen. Konstitutives Merkmal des Seienden ist seine volle Gegenwart, sein stetes Sein eines nicht in der Vergangenheit gewesenen oder erst in der Zukunft – nach, ἔπειτα – sich vollendenden ἐόν.« 337 B 8.6 συνεχές: »συνεχές kann in frg. 8,6 im Gegensatz zu frg. 8,25 nicht das räumliche, sondern nur das zeitliche Kontinuum bedeuten – das räumliche Kontinuum könnte nicht als Beweis für die Unentstandenheit dienen –, greift also auf ἀτέλεστον in frg. 8,4 zurück.« 338 333 Sophokles Aj. 646 f. »Die unermeßlich lange Zeit macht offenbar | alles Verborgne und verhüllt, was sichtbar ist« (Sophokles 1966, 101). 334 Pape 2, 326. 335 Pape 1, 751. 336 Theunissen 1991, 113. Homer Il. 12, 25–26. 337 Deichgräber 1983, 14. 338 Bormann 1971, 155 f.

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Gegen die Auffassung, Parmenides gebrauche hier eine noch nicht ausgebildete philosophische Terminologie und es handle sich bloß um Metaphern, wendet Bormann ein: »1) Es gibt in den Fragmenten keinen Hinweis, daß es sich hier um Metaphern handelt. 2) Wenn ein Sachverhalt deutlich erfaßt ist, finden sich auch die geeigneten Worte, um ihn darzustellen. {…} 3) Aus anderen Stellen ist erkennbar, daß Parmenides die Räumlichkeit des Seienden nicht als Metapher wertet.« 339 Eugen Fink hat grundsätzlich auf den Unterschied hingewiesen, welches Modell ein Philosoph gebraucht und woran er sich dabei orientiert. 340 B 8.7 ἐκ: Die Präposition ἐκ, »infolge von«, meint die ἀρχή, die Abstammung bzw. den Ursprung. Definition der ἀρχή bei Aristoteles: πασῶν μὲν οὖν κοινὸν τῶν ἀρχῶν τὸ πρῶτον εἶναι ὅθεν ἢ ἔστιν ἢ γίγνεται ἢ γιγνώσκεται. 341 »Allen Ursprüngen ist es gemeinsam, das Erste zu sein, woher etwas entweder ist oder entsteht oder erkannt wird.« Dabei sind der genetische und ontologische Ursprung prinzipiell zu unterscheiden: jener wie im genealogischen Mythos des Hesiod (ὅθεν γίγνεται), dieser als Grund des Seins (ὅθεν ἔστιν) bzw. der Erkenntnis (ὅθεν γιγνώσκεται). ἐάσσω | φάσθαι σ’ οὐδὲ νοεῖν: Die Göttin lässt ein Sagen nicht zu, das ein Denken des Nichts wäre. Was sie sagt, ihr λόγος, ist vertrauenswürdig: {παύω} πιστὸν λόγον ἠδὲ νόημα, »{beend’ ich} meine Vertrauen erweckende Rede und den Gedanken« (B 8.5). Es gibt also ein Sagen, aus dem das Denken hervorgeht, der Gedanke des Seins; und eines, worauf dies nicht zutrifft: τῷ πάντ’ ὄνομ’ ἔσται, | ὅσσα βροτοὶ κατέθεντο; »deshalb wird alles Name sein, | was die Sterblichen festgesetzt haben« (B 8.38 f.). Die Gegensätze: Sagen der Göttin und der aus ihm entstehende Gedanke / Festsetzung der Sterblichen; πιστὸς λόγος der Göttin, der auf πίστις beruht / βροτοὶ κατέθεντο πεποιθότες εἶναι ἀληθῆ, »was die Sterblichen festgesetzt haben, überzeugt davon, dass es wahr sei«; Wahrheit der Göttin / vermeintliche Wahrheit der Sterblichen.

339 340 341

Bormann 1971, 162; die »anderen Stellen« beziehen sich auf B 8.42–49. Fink 1958. Metaph. Δ 2, 1013a17–19.

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B 8.8 οὐ γὰρ φατὸν οὐδὲ νοητόν: Nicht der Gedanke geht dem Sagen voraus (nach dem Motto »erst denken, dann reden«), sondern das im Vertrauen gegründete Sagen macht erst ein Denken möglich. B 8.9 χρέος: »The phrase τί χρέος … [›what necessity‹] is synonymous in fifth century poetry with the more colloquial τί χρῆμα … [›what?‹/ ›why?‹]; and signifies simply ›what circumstance … ?‹ or ›what matter … ?‹« 342 Zur Erklärung von χρέος reicht dieser Hinweis auf den Sprachgebrauch aber nicht aus: »χρέος ist in Od. VIII 353 die Schuld, die jemand bezahlen muß, der Schadenersatz {…}. Diese Bedeutung weitet sich zu ›Schuld‹, die eingelöst werden muß, und zwar nicht nur als Schadenersatz {…}. Die Bedeutung ›Schuld‹ kann sehr weit gefaßt sein, sodaß χρέος auch die Schuldigkeit, Verpflichtung, Pflicht, Gebühr bezeichnen kann oder auch das Anliegen, die Obliegenheit {…}. Eine Verpflichtung kann so stark sein, daß sie gleichbedeutend ist mit Notwendigkeit. {…} Diese Bedeutung hat χρέος bei Parmenides frg. 8.9: Für das Seiende besteht keine Verpflichtung, keine Notwendigkeit, die es treibt, zu irgendeinem Zeitpunkt, früher oder später, in der Weise zu entstehen, daß es mit dem Nichts beginnt, d. h. daß es aus dem Nichts entsteht.« 343 ▶ »Schuld«. B 8.12 πίστιος ἰσχύς: Wer ist diese Macht, ἰσχύς? Und was meint πίστις? °B 2.4 πειθοῦς κέλευθος (Ἀληθείη γὰρ ὀπηδεῖ). Stets verbunden mit ἀλήθεια, also stillschweigend auch gegen den Schein. Treue, Glauben, Vertrauen, Zutrauen: πίστεις καὶ ἀπιστίαι ὤλεσαν ἄνδρας, Hes. Op. 370; ἐν ὄμμασι θέσϑαι πίστιν, Pind. N. 8, 44; Aesch. Pers. 435; θνήσκει δὲ πίστις, βλαστάνει δ’ ἀπιστία, Soph. O. C. 617 (Pape). B 8.14 Δίκη: »Dike ist die ontische ›Verbindlichkeit‹ oder die ›Wesensnotwendigkeit‹, und als solche ist sie für den νόος maßgebend. Nicht die Fesseln der logischen Verbindlichkeit lassen das Seiende nicht entstehen und vergehen, wie auch Tarán im Gefolge Fränkels annimmt, 342 343

Coxon 2009, 319. Bormann 1971, 76. »χρέος] so öfter bei Pindar, noch nicht episch« (Diels 2002, 75).

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sondern die Fesseln der ontischen Verbindlichkeit, d. h. die rechte Ordnung des Seienden. Was mit ontischer Ordnung oder Verbindlichkeit gemeint ist, ist aus Parallelstellen zu erkennen. Frg. 8,30 f.: ›Die starke Notwendigkeit hält es (das Seiende) in den Banden der Grenze, die es ringsum einschließt‹ ; ferner frg. 8,37 f.: ›Moira band es (das Seiende), ein Ganzes und ohne Bewegung zu sein‹.« 344 πέδῃσιν: »{…} zu erkennen ist lediglich, daß die Fesselung des Seienden die Folgerung daraus ist, daß Seiendes nicht aus Seiendem entstehen kann, weil diese Auffassung gleich der Behauptung wäre, Seiendes gehe aus dem Nichts hervor«. 345 Die Fesselung des Seienden in seinen Grenzen hat folgenden Grund: »Die dem Seienden immanente Notwendigkeit hält das Seiende in räumliche Grenzen eingeschlossen. Daher ist das Seiende vollendet, weil ihm nichts mangelt (und es sich deshalb nicht bewegt). Das Ende bildet ein direkter Beweis: Mangelte dem Seienden etwas, dann wäre es nicht seiend.« 346 B 8.16 κέκριται δ’ οὖν, ὥσπερ ἀνάγκη: κέκριται bezieht sich auf κρίσις B 8.15; ἀνάγκη °III.6.c.iii. B 8.17 τὴν μὲν ἐᾶν: bezieht sich auf ἡ ὁδός B 18. Er ist ἀνόητον ἀνώνυμον: ἀνόητον, weil er sich der νόησις entzieht und deshalb »undenkbar« ist; ἀνώνυμον, weil es nur ein Name wäre, da bloß eine Festsetzung der Sterblichen (τῷ πάντ’ ὄνομ’ ἔσται, | ὅσσα βροτοὶ κατέθεντο, »deshalb wird alles Name sein, | was die Sterblichen festgesetzt haben«: B 8.39). B 8.22 διαιρετόν: »Die Schwierigkeit in der Deutung der Kugelförmigkeit des Seienden {B 8.43} liegt darin, daß ihm mit der kugelförmigen Ausgedehntheit auch Teilbarkeit zugeschrieben werden müßte.« 347 πᾶν ἐστιν ὁμοῖον: »Was mit πᾶν ὁμοῖον gemeint ist, läßt sich aus dem Vorhergehenden entnehmen. 1) Werden und Vergehen sind nur möglich, wenn es eine Mehrheit von Seiendem gibt. {…} πᾶν 344 345 346 347

Bormann 1971, 158. Bormann 1971, 159. Bormann 1971, 166. Neumann 2006, 45.

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ἐστιν ὁμοῖον beinhaltet {…} 2) die Identität des Seienden in der Zeit. Das Seiende beharrt unveränderlich in der Zeit. 3) Als absolut einfach und in der Zeit uneingeschränkt mit sich identisch kann das Seiende keine Teile haben.« 348 B 8.25 πελάζει: »ἐὸν γὰρ ἐόντι πελάζει formulates positively what is negatively expressed in fr. 4: ›one shall not cut Being from Being.‹« 349 B 8.27 ἄναρχον ἄπαυστον: Das ἐόν ist ἄναρχον, da keine ἀρχή. Dadurch unterscheidet es sich von der Frage der Milesier nach einem letzten Ursprung. Daher kann die Göttin auch sagen, es mache für sie keinen Unterschied, ὁππόθεν ἄρξωμαι, »wo {sie} anfangen werde« (B 5.2) – ob mit dem Wasser (Thales), dem Apeiron (Anaximander) oder der Luft (Anaximenes). Es gibt damit auch kein Ende der Forschung; denn sobald eine jener ἀρχαί erreicht ist, kommt alles weitere Fragen zum Stillstand, daher ἄπαυστον, »unaufhörlich«. B 8.28 ἀπῶσε: ἀπωθέω »wegstoßen, vertreiben«, auch mit der Nebenbedeutung »verabscheuen«. πίστις ἀληθής: Sie wohnt nicht in den Meinungen der Sterblichen (βροτῶν δόξας, ταῖς οὐκ ἔνι πίστις ἀληθής: B 1.30), ist aber dem Seienden eigen. B 8.34 νοεῖν τε καὶ οὕνεκεν ἔστι νόημα: »Daß die Übersetzung von frg. 8,34 zum Problem wird, welches die Ausdeutung sehr beeinflußt, beruht darauf, daß οὕνεκεν verschiedene Bedeutungen haben kann, welche in frg. 8,34 jeweils guten Sinn ergeben, sich auch im Zusammenhang nicht von vornherein als abwegig erweisen und darüber hinaus auf das Parmenides-Verständnis entscheidend auswirken, da frg. 8,34 ff. eine der grundlegenden Aussagen über das Verhältnis von Denken und Sein ist.« 350 Simplikios: οὕνεκεν in finaler Bedeu-

348 349 350

Bormann 1971, 162. Zur Beweisstruktur B 8.22–25: Bormann 1971, 163 f. Meijer 1997, 77. Bormann 1971, 78; 78 ff. Referat der Interpretationen von Simplikios bis Hölscher.

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tung; für Diels richtig getroffen, wenn man von der neuplatonischen Deutung absieht; Fränkel u. a. »daß« oder »weil«; Gadamer »daß«; andere Autoren: »es ist möglich«; Hölscher: »Das Gesagte ist, hat Bestand oder beruht im Seienden.« Für Bormann »bleibt als einzige Möglichkeit, in frg. 8,34 οὕνεκεν die Angabe des logischen Grundes zu sehen {…} die richtige Übersetzung ist ›weswegen‹«. 351 Bestätigung durch v. Fritz und Schwabl, der aber Verdenius folgt, diesem auch Vlastos. »Zu übersetzen ist: ›Dasselbe aber ist möglich zu denken und (ist) das, weswegen das Denken ist.‹ ›Das, weswegen das Denken ist, heißt: Grund für das Denken.‹« 352 Die Zeile nimmt den Gedanken von B 3 auf, erweitert ihn aber um das οὕνεκεν, »dessentwegen«; der Sinn ist eindeutig, die Zuordnung aber zweideutig. Das οὕνεκεν bezeichnet den Grund, doch Grund wofür? Entweder ist gemeint, das νοεῖν sei Grund für das νόημα, oder beide gründen im ἐόν gemäß B 8.35–36 οὐ γὰρ ἄνευ τοῦ ἐόντος {…} εὑρήσεις τὸ νοεῖν: »Denn nicht ohne das Seiende {…} wirst du das Denken finden.« 353 Es gibt einen zweifachen Vorrang: den des νοεῖν vor dem νόημα. Ein Beispiel: Telemach will nach dem Verbleib seines Vaters Odysseus forschen, was Euryklea, dessen Dienerin, erschreckt: τίπτε δέ τοι, φίλε τέκνον, ἐνὶ φρεσὶ τοῦτο νόημα | ἔπλετο; »Wozu ist dir nur, liebes Kind, dieser Gedanke in den Sinn gekommen?« 354 Das νόημα, der Gedanke, ist Teil eines Gedankenganges: Euryklea soll Telemach Wein schöpfen, ihm Gerstenmehl bringen, das er am Abend holen wird, um dann mit einem Schiff nach Sparta zu gehen, »um Kunde einzuholen von der Heimkehr meines Vaters, ob ich irgend davon höre«. 355 Sind dies nicht verschiedene νοήματα, Gedanken, die dem Telemach in den Sinn gekommen sind, Absichten, die aber alle ein νοεῖν ausmachen? 356 Das ἐόν hat einen Vorrang vor dem νοεῖν.

Bormann 1971, 81. Bormann 1971, 81 f. 353 Vgl. Gadamer 1996, 167. 354 Homer Od. 2, 363. 355 Homer Od. 2, 360; Homer 1958, 26. 356 Picht bemerkt zur Stelle, »daß die Versreihe B 8.34–41 einen Durchblick durch den gesamten Aufbau des parmenideischen Denkens gibt; denn sie führt von dem Selben im Erkennen und ›Seienden‹ über die Fesseln der Moira bis in den Bereich der δόξα«, ferner »daß diese Versreihe sich in ihrem Aufbau genau an das Fragment {21} B 26 des Xenophanes anschließt« (Picht 1996, 53). 351 352

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B 8.35 οὐ γὰρ ἄνευ τοῦ ἐόντος: »non enim seorsum ab ente, in quo repositum est, cogitare reperies«. 357 πεφατισμένον: »φατίζω ist das Wort für ›sagen‹, das die Göttin in der Ankündigung der Kosmologie gebraucht ({B} 8.60). {…} Daß Parmenides ἔστιν natürlich als Kopula im Sinne von ›existieren‹, {B 8} 1.2.34 nicht stets als Bezeichnung des wahren Seins gebraucht, sollte erst recht nicht übersehen werden. {…} Wir übersetzen also: Man wird das Erkennen, in dem, was gesagt ist, nicht ohne das Seiende finden.« 358 B 8.37 Μοῖρ’: »μοῖρα f. ›Teil, Stück, Grundstück, Anteil, Grad, Los, (böses oder gutes) Schicksal, Todeslos‹, auch personifiziert ›Schicksalsgöttin‹ (seit Il.)«. 359 Bei Hesiod sind es drei Schicksalsgöttinnen, Klotho, Lachesis und Atropos: »Diese aber geben | den sterblichen Menschen das Gute und Schlechte.« 360 In den drei Moiren spiegelt sich die Dreidimensionalität der Zeit (°III.6.c.iii). μοῖρα und ἀνάγκη sind Synonyme. 361 ἐπέδησεν: Der Aorist drückt den einmaligen Akt aus, der das Lebensgeschick der Menschen mit Notwendigkeit bestimmt (ἐπιδέω »anbinden, verbinden«). B 8.38 τῷ πάντ’ ὄνομ(α) ἔσται: »sein Name wird ›alle Dinge‹ sein«. 362 B 8.40 εἶναί τε καὶ οὐχί: bezieht sich auf ἄκριτα φῦλα, | οἷς τὸ πέλειν τε καὶ οὐκ εἶναι ταὐτὸν νενόμισται | κοὐ ταὐτόν, »verworrene Scharen, denen das Sein wie das Nichtsein für dasselbe gilt | und nicht für dasselbe« (B 6.7–9). 357 S. Karsten: Parmenidis Eleatae carminis rell., Amstelodami 1835, zit.: Deichgräber 1983, 4. 358 Deichgräber 1983, 5. 359 Frisk II 196. 360 Hesiod Th. 905 f.; 1978, 119. 361 »garantisce ora l’integrità {…} il suo nomine è divenuto sinonimo di Ananke« (Untersteiner 1958, p. CLVII149). – Διώρεα Μοῖρ’ ἐπέδησε (Homer Il. 4, 517); Ἕκτορα δ’ αὐτοῦ μεῖναι ὀλοιὴ μοῖρ’ ἐπέδησεν (Il. 22, 5). S. a. Il. 24, 49; Od. 11, 292. 362 Gemelli II, 23 (vgl. ebd. 68 und 88).

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B 8.41 τόπον ἀλλάσσειν: »den Ort zu wechseln«: Ein Ort wird einem anderen vorgezogen. »das μετέρχεσθαι {Xenophanes 21 B 26.2} wird durch das τόπον ἀλλάσσειν – ›den Ort wechseln‹ – aufgenommen«. 363 διά τε χρόα φανὸν ἀμείβειν: »{…} und durch Farbe das Licht zu tauschen.« An die Stelle des durchscheinenden Lichtes 364 tritt die Farbe – ersetzt sie etwa das Weiß des λεύσσειν (B 4.1)? Dann wäre dies grundsätzlich mehr als nur ein Farbentausch 365 (wobei ja Weiß ohnehin keine Farbe ist), dementsprechend auch keine Änderung der Farbe durch verschiedene Mischung. 366 »Die Zeit vergeht, und auch die Farben vergehen … Das ist die Stimmung im Hintergrund dieses Bildes, und darauf will der Dichter zweifellos hinaus. Er will die Angst ins Bewußtsein rufen, welche die Sterblichen darüber empfinden, daß alles, was entsteht, der Vergänglichkeit anheimfällt, daß alles Geborene sterben muß. Aber die Göttin weiß es besser als die Sterblichen.« 367 ▶ Der Farbwechsel lässt demnach eine Abwehr erkennen: gegen das, ὅσσα βροτοὶ κατέθεντο, »was die Sterblichen festgesetzt haben« (°B 8.39) und womit sie das Sein verfehlen. B 8.42 πεῖρας πύματον: »Begrenzung und Vollendung bedingen nach Parmenides einander. Unbegrenzt wäre das Unvollendete; da Begrenzung dem Seienden zukommt, kann das Unbegrenzte nur das Nichts sein. Das Nichts ist nicht; folglich existiert das Unbegrenzte nicht.« 368 B 8.43 εὐκύκλου σφαίρης: ὡς Ὀρφεὺς εἶπεν ›ὠεὸν ἀργύφεον‹, »ein weißschimmerndes Ei« (28 A 20). »Die Vorstellung der wohlgerundeten, völlig ausgewogenen Seinskugel geht insofern auf Anaximander zuPicht 1996, 53. φανός, »licht, hell, leuchtend; πῦρ Plat. Phil. 16 c; – glänzend weiß, χλαῖνα, σισύρα, (Ar. Ach. 810)« (Pape 2, 1254). 365 »change their bright complexion to dark and from dark to bright« (Coxon 2009, 334). 366 πῶς ὕδατος γαίης τε καὶ αἰθέρος ἠελίου τε | κιρναμένων εἴδη τε γενοίατο χροῖά τε θνητῶν | τόσσ’, ὅσα νῦν γεγάσι (Empedokles 31 B 71). »{…} wie durch Mischung von Wasser, Erde, Äther und Sonne so viele Gestalten und Farben der sterblichen Dinge entstehen könnten, als jetzt entstanden sind« (DK I, 338). 367 Gadamer 1996, 168. 368 Bormann 1971, 171. 363 364

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rück, als Anaximander das Feststehen der Erde durch den gleichen Abstand nach allen Seiten erklärte.« 369 εὖ ἔχειν »in einem guten Zustand sich befinden«; 370 »comparable au volume d’une sphère à l’orbe pur«. 371 Zwei Quellen: »{…} d’une part, *εὐκυκλ- est bien un étymon parménidien; et d’autre part, nous constatons que Simplicius lisait εὐκυκλέος dans une copie intégrale du poème, témoin d’une tradition, manuscrite et exégétique, remontant, peut-être, à l’Académie de Platon.« 372 »That P. uses σφαῖρη here to mean ›sphere‹ and not simply ›ball‹ is indicated by the epithet εὐκύκλου [›well-rounded‹], which denotes that its roundness is perfect; that the sphere he has in mind is nevertheless physical is clear from the terms ὄγκῳ (›volume‹) and ἰσοπαλές (›equally poised‹).« 373 Simplikios schreibt im Kommentar zur aristotelischen Physik: »Weder wünscht er (nämlich Parmenides), dass das eine Seiende überhaupt körperlich sei, indem er es für unteilbar erklärt und sagt: ›Auch ist es nicht teilbar, da gleich in jeder Beziehung.‹ {B 8. 22} Was er hier sagt, passt nicht gerade für den Himmel, wie Eudemos berichtet, dass manche unterstellt haben, als sie den Ausdruck hörten, ›von allen Seiten her, ähnlich der Masse einer gut gerundeten Kugel‹. Denn der Himmel ist nicht unteilbar, und er ist nicht gleich einer Sphäre, sondern er ist eine Sphäre, die genaueste unter den natürlichen Dingen.« 374 Unter Berufung auf die Kugel kommt Burnet zu dem Schluss, Parmenides sei »nicht, wie einige gesagt haben, der ›Vater des Idealismus‹ ; im Gegenteil, aller Materialismus hängt mit seiner Anschauung der Wirklichkeit zusammen.« Ihn deshalb den »Vater des Materialismus« 375 zu nennen, widerspricht allerdings grundlegenden Aussagen der FF (°B 4.1–2). B 8.44 ἰσοπαλὲς: »gleich«. »Das tertium comparationis für Kugel und Seiendes ist die Gleichmäßigkeit und Homogenität: wie eine überall 369 Bormann 1971, 178; ebd. 171–179: Referat verschiedener Interpretationen des Kugelvergleichs. Zu weiterer Literatur: Neumann 2006, 38–44. 370 Pape 1, 1054. 371 Di Giuseppe 2011, 19. 372 Di Giuseppe 2011, 43. 373 Coxon 2009, 338; »any globe, Parm.8.43« (LSJ 1738). 374 Zit. Coxon 136/137. 375 Burnet 1913, 167. – Doch bemerkt auch Hegel, »die Art und Weise {…}, wie Parmenides die Empfindung und das Denken erklärte«, könnte »zunächst als Materialismus erscheinen« (WA 18, 292).

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gleichgewichtige Kugel ist das Seiende in sich stabil (Vers 44), da es nirgends ein Mehr oder Weniger gibt (Vers 44/45).« 376 B 8.45 βαιότερον: οὔτε τι μεῖζον | οὔτε τι βαιότερον sind quantitative Bestimmungen, die auf Αnaximenes hinweisen. Simplikios bringt in seiner Physik das Zitat, ὅτι ἄλλο μέν ἐστι τὸ κατὰ πλῆθος ἄπειρον καὶ πεπερασμένον {…}, ἄλλο δὲ τὸ κατὰ μέγεθος ἄπειρον καὶ πεπερασμένον, 377 d. h. dass die φύσις (er nennt sie ἄπειρον) einerseits der Menge nach, anderseits hinsichtlich ihrer Größe grenzenlos und vollendet ist. B 8.46 παύοι: Der Zurückweisung quantitativer Bestimmungen (οὔτε τι μεῖζον | οὔτε τι βαιότερον B 8.44–45) der räumlichen Auffassung (πεῖρας πύματον B 8.42) folgt jetzt die Negation des zeitlichen Ablaufs (παύειν »aufhören«). B 8.47 ὁμόν: »mir sonst unbekannte Fügung«. 378 B 8.48 πᾶν ἐστιν ἄσυλον: »Gemeint ist nicht, daß das Seiende vor Gewalt sicher ist; der Grund dafür, daß das Seiende ἄσυλον ist, liegt nicht darin, daß dem Seienden nichts schaden kann, sondern darin, daß das Seiende allseitig gleich ist und gleichmäßig in seinen Grenzen ist. Weil es von allen Seiten gleichmäßig in räumliche Grenzen eingeschlossen ist, ist die Gestalt des Seienden homogen und ›unverletzt‹. Ferner: Was an seinen Grenzen homogen ist, ist auch in sich selbst homogen. Daher ist das Seiende nicht nur in bezug auf seine Gestalt, sondern auch in sich selbst ›unverletzt‹ und vollkommen. ἄσυλον ist daher das Seiende gemäß seiner Gestalt und seinem inneren Zusammenhang.« 379 Hier wie bei ἀνώλεθρόν (B 8.3) und natürlich ἀτρεμὲς (B 8.4) besteht ein deutlicher Bezug zu ἀληθείης εὐκυκλέος ἀτρεμὲς ἦτορ (B 1.29). 376 377 378 379

Heitsch 1974, 175. Literatur zum Kugelvergleich: Untersteiner 1958, p. CLXIII174. DK 13 A 5. Diels 2003, 91. Bormann 1971, 175. ἄσυλος »safe from violence, inviolate« (LSJ 264).

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B 8.49 κύρει: κυρέω »treffen, antreffen«, bei den Tragikern »sich befinden, sein«. 380 B 8.50 παύω πιστὸν λόγον: Die Rede der Göttin ist πιστός, zuverlässig und glaubwürdig, anders als βροτῶν δόξας, ταῖς οὐκ ἔνι πίστις ἀληθής, »der Sterblichen Meinungen, in denen nicht wahres Vertrauen wohnt« (B 1.30). Was sie dem Kuros als ersten Weg kündet, πειθοῦς ἐστι κέλευθος (Ἀληθείῃ γὰρ ὀπηδεῖ), »ist des Vertrauens Pfad (folgt er der Wahrheit doch)« (B 2.4). Für die dafür geforderte Schau gilt für das Anwesende und vor allem für das Abwesende: ὅμως ἀπεόντα νόῳ παρεόντα βεβαίως, »obgleich es abwesend ist: für das geistige Auge ist es da auf zuverlässige Weise« (°B 4.1). B 8.51 ἀμφὶς ἀληθείης: ἀμφίς Genetiv-Präposition, »zu beiden Seiten«: nämlich in zweifacher Ausrichtung: bezogen auf das Herz der Wahrheit und auf die Meinungen der Sterblichen (B 1.29–30). δόξας: Der Plural drückt die Vielfalt der Meinungen aus, u. zw. der βροτοὶ εἰδότες οὐδὲν, der »Sterblichen, welche nichts wissen« (B 6.4). B 8.52 μάνθανε: »Aber von hier ab lerne die menschlichen Schein-Meinungen kennen, | indem du meiner Worte trügliche Ordnung hörst« (DK); »indem du meiner Verse trüglichen Bau anhörst«; 381 »die arglistige Ordnung«; 382 »die täuschende Ordnung«; 383 »das trügerische Gefüge«; 384 »trügendes Gefüge«; 385 »die trügerische Ordnung«; 386 »the

οὕνεκ’ ἐκτὸς αἰτίας κυρεῖς »dass du außer Schuld bist« (Aischylos, Pr. 330; Pape 1, 1535). 381 Diels 2003, 39. 382 Bormann 1971, 45. 383 Heitsch 1974, 35. 384 Hölscher 2014, 17. 385 Riezler 2001, 35. 386 Mansfeld 1995, 15. 380

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deceptive order«; 387 »hearing the deceptive composition of my verse«. 388 Alle diese Übersetzungen beruhen auf der Annahme des Gegensatzes von B 8.50–51: ἐν τῷ σοι παύω πιστὸν λόγον, »dadurch beend’ ich für dich meine Vertrauen erweckende Rede«, und δόξας δ’ ἀπὸ τοῦδε βροτείας | μάνθανε, »aber die sterblichen Meinungen von da an | lerne«. Im Gegensatz zur verlässlichen Rede, welche die Göttin dem Kuros zu dessen Sorge anvertraut (κόμισαι δὲ σὺ μῦθον ἀκούσας, »höre du aber die Kunde und eigne sie an«, B 2.1), steht bei den meisten Übersetzungen sinngemäß die trügliche Ordnung, bezogen auf die Worte der Göttin. Müsste aber daraus nicht folgen, dass die Göttin F1 »verlässlich« und F2 »trüglich« redet? Doch warum sollte der Kuros Worten vertrauen, die »trüglich« sind, d. h. die ihn täuschen? Ich ziehe daher eine andere Möglichkeit in Betracht (die auch grammatisch begründbar ist). Die Göttin sagt, der Kuros solle »die trügliche Welt« (κόσμον ἀπατηλὸν) kennen lernen. Sie ist »trüglich«, weil sie sich auf die δόξαι βρότειαι verlässt und aus diesem Grund für wahr gehalten wird; doch die δόξαι βρότειαι (ταῖς οὐκ ἔνι πίστις ἀληθής, »in denen nicht wahres Vertrauen wohnt«: B 1.30, im Gegensatz zum πιστὸς λόγος der Göttin: B 8.50) geben sich nur das Ansehen (δοκίμως: B 1.32), als wären sie wahr. Es stellt sich deshalb die Aufgabe, den alles durchdringenden Schein (διὰ παντὸς πάντα περῶντα: B 1.32) als solchen zu durchschauen. Dazu ist es aber unumgänglich, »auf meine {der Göttin} Worte zu hören«, ἐμῶν ἐπέων{…} ἀκούων, 389 um über die trügerische Welt, den κόσμον {…} ἀπατηλὸν 390 κρῖναι δὲ λόγῳ, »durch Ablegung von Rechenschaft den viel bestritt’nen Beweis« zur Entscheidung zu bringen« (B 7.5). ▶ Das Resultat: κόσμον {…} ἀπατηλὸν bezieht sich nicht auf die Worte der Göttin, sondern auf die Welt; die Übersetzung von B 8.52 lautet daher nicht: »indem du meiner Worte trügliche Ordnung hörst«, sondern: ▶ »lerne, indem du auf meine Worte hörst mit Blick auf die trügliche Welt«.

Tarán 1965, 86. Coxon 2009, 80. 389 ἔπος, »Wort«, findet sich außer an dieser Stelle nur B 1.23, wo es für die ganze Rede der Göttin steht; ἀκούειν mit Genetiv. 390 Ein accusativus respectus. 387 388

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B 8.53 κατέθεντο: Auseinandersetzung mit den Milesiern: Gadamer 1996, 140 und 189 ff. B 8.54 μίαν: »nur eine derselben, das sei unerlaubt«; 391 »von denen man freilich eine nicht ansetzen sollte«; 392 »von denen eine einzige nicht (benannt werden) darf«. 393 Nun bedeutet μία »eine einzige«, während bei DK ἑτέραν statt μίαν stehen müsste: eine von beiden. Der Sinn wäre dann: Eine dieser beiden Formen (z. B. die Nacht) dürfte man nicht ansetzen. »Versuchen wir bloß einmal zu übersetzen, indem wir uns folgendes ins Gedächtnis rufen: gegenüber stehen sich δύο μορφαί und μία (μορφή). Diese μία μορφή muß, wie das Relativpronomen deutlich zeigt, mit den δύο μορφαί in enger Beziehung stehen, also: ›zwei Gestalten, von denen eine Gestalt‹. Dabei darf das τῶν nicht partitiv aufgefaßt und unter der einen Gestalt nicht ›eine von den beiden‹ verstanden werden, weil ja dann das Griechische ἑτέρην forderte. | Wenn aber das τῶν nicht partitiv sein kann, so bleibt immer noch die Möglichkeit des Gegenteils, nämlich einer kollektiven Auffassung, d. h. das μία muß die Einheit der δύο sein, und so können wir übersetzen: ›denn sie legten ihre Meinung dahin fest, zwei Formen zu benennen, von denen eine Eine (d. h. eine einheitliche, die beiden zusammen erfassende Gestalt) nicht notwendig ist; in diesem Punkte sind sie in die Irre gegangen‹. Als die eine, die beiden ›Gestalten‹ zusammenfassende ›Gestalt‹ kommt natürlich nur das Sein in Frage, freilich nun als eine Gestalt der höheren, umfassenden, letzten Ebene und keineswegs in Analogie zu Licht und Dunkelheit: denn wo vom Sein die Rede ist, da kann von Licht und Dunkelheit nicht mehr die Rede sein.« 394

Ich übersetze deshalb mit Schwabl ▶ »von diesen braucht es nicht eine allein« und halte fest, dass das Sein weder dem Tag, noch der Nacht zuzuordnen ist, sondern als »die eine, die beiden ›Gestalten‹ zusammenfassende ›Gestalt‹« zu begreifen ist (°III.6.b–c).

Diels 2003, 41. DK I, 239. 393 Bormann 1971, 45. 394 Schwabl 1953, 53 f. Die dafür wichtigen weiteren Ausführungen sind diesem Aufsatz zu entnehmen. 391 392

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B 8.55 δέμας: Das Verbum δέμω, mit lat. domus verwandt, hat die Bedeutungen »bauen, erbauen, anlegen« (z. B. einen Steinwall, eine Mauer oder einen Weg); entsprechend bedeutet das Substantiv δέμας »Bau, Körperbau, Gestalt, Körper«. 395 Das Wort kommt bei Parmenides noch B 8.59 vor: νύκτ’ ἀδαῆ, πυκινὸν δέμας ἐμβριθές τε (»die Nacht, ein dichter und schwerer Körper«). Vor Parmenides sagt Xenophanes von den Göttern, sie würden geboren und hätten so wie die Sterblichen Kleidung, Stimme und Körper (ἐσθῆτα ἔχειν φωνήν τε δέμας τε, 21 B 14.2); demgegenüber ist der Gott den Sterblichen weder an Körper noch an Denken gleich (οὔτι δέμας θνητοῖσιν ὁμοίιος οὐδὲ νόημα, 21 B 23.2). Nach Parmenides findet sich δέμας bei Empedokles: αὔξει δὲ χθὼν μὲν σφέτερον δέμας, αἰθέρα δ’ αἰθήρ. »Es mehrt die Erde ihre eigene Gestalt, den Äther der Äther« (31 B 37; s. a. 31 B 62.7). B 8.60 διάκοσμον ἐοικότα: διάκοσμος wie διακόσμησις »Anordnung, Einrichtung«. Der aufgrund der Einrichtung der Göttin entworfene κόσμος ist »gleich in jeder Hinsicht«. Bezieht sich ἐοικότα auf die gut gerundete Kugel (B 8.43), μεσσόθεν ἰσοπαλὲς πάντῃ, »inmitten überall gleich« (B 8.44)? Entspricht daher dem in sich vollendeten Sein der seiner Einrichtung nach überall hin (πάντῃ) vollkommene Kosmos? Ist er deshalb unübertrefflich, weil es über die Vollkommenheit hinaus ja nichts geben kann? Wie steht es aber dann damit, dass quantitative Bestimmungen wie bei Anaximenes eigens zurückgewiesen werden (°B 8.45)? Wird dieser Weltentwurf des Parmenides nur von Anaximenes nicht übertroffen, oder wird dieser stellvertretend für die milesischen Kosmologen erwähnt? B 8.61 βροτῶν γνώμη: »Die Vorsokratiker gehen in ihrem Gebrauch von γνώμη von der Bedeutung ›Einsicht‹ aus. Dabei wird γνώμη jedoch nicht nur rein als Erkenntnisorgan gefaßt, sondern weiter, fast als Wille oder als Synonym für νοῦς.« 396 Gemoll 187. Snell 1924, 35. Beispiele: Heraklit 22 B 41; Epicharmos 23 B 4; Demokritos 68 B 191. – »Wir sehen, daß die ionischen Philosophen stets das Vernünftige der γνώμη hervorheben. Im charakteristischen Gegensatz dazu steht der Eleat Parmenides, dem 395 396

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παρελάσσῃ: »Der Grund, warum der Kuros, nachdem er (alles) über das Seiende und die wahre Erkenntnis gehört hat, nun auch die wahrscheinliche Welterklärung der Göttin erlernen soll, wird mit dem Vers B 8.61 evident, der besagt, dass niemand jemals den Kuros in seinen Schlussfolgerungen überholen solle. Die Begründung der Göttin ist der Idee nach mit traditionellen epischen Werten verknüpft: Tatsächlich erinnert sie an das homerische Ideal, dass der Held immer der Beste und stets den Anderen voraus sein sollte.« 397 Doch warum sollte der Kuros dies? Hier eröffnet die Göttin »eine epistemisch begründete Diskussion«, die über Homer hinausgeht: »Denn, wie es Platons Höhlengleichnis suggeriert, dass derjenige, der die Wahrheit gesehen hat, nochmals ins Dunkle hinabsteigen und der beste Schattendeuter sein kann, soll der Kuros neben der Seinserkenntnis, im Bereich der weltlichen Dinge außergewöhnlich fachkundig sein.« 398 Indem die Göttin dem Jüngling ihr Wissen vom Aufbau der Welt kundgibt, vermittelt sie ihm eine Kosmologie, die von keiner anderen übertroffen werden kann. Tarán geht wie die meisten Interpreten von der durchgehenden Scheinhaftigkeit der δόξα aus; daher »is the best explanation of empirical reality {…} incompatible with Parmenides’ philosophy and with his notion that the world of Doxa is absolute non-Being« (Tarán 1965, 227). ▶ Dagegen weise ich die Festlegung auf die Gleichung δόξα = Schein zurück (°B 8.52; III.8.a). B9 1 αὐτὰρ ἐπειδὴ πάντα φάος καὶ νὺξ ὀνόμασται

Doch da alles Licht war benannt und Nacht,

2 καὶ τὰ κατὰ σφετέρας δυνά- und zwar mit Rücksicht auf ihre μεις ἐπὶ τοῖσί τε καὶ τοῖς, eigenen Kräfte bei diesen und jenen, 3 πᾶν πλέον ἐστὶν ὁμοῦ φάεος ist alles zugleich des Lichtes voll und καὶ νυκτὸς ἀφάντου der dunklen Nacht,

nur das reine Denken gilt: γνώμη wird ihm zum Synonym von δόξα« (Snell 1924, 37). Diese Behauptung beruht auf der üblichen Entgegenstellung von milesischem und eleatischem Denken und ist daher zu verneinen. 397 Stemich 2008, 116 f. 398 Stemich 2008, 117; mit Hinweis auf Platon R. VII, 514 a – 517 a. »Genau: Pl. R. 520c16 {…}« (ebd. 117 f.354).

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4 ἴσων ἀμφοτέρων, ἐπεὶ οὐδε- die beide einander die Waage halten, τέρῳ μέτα μηδέν. dass keines von ihnen dem anderen nachsteht.

B 9.1 πάντα … ὀνόμασται: Es wird alles (πάντα) mit Namen genannt. 399 In den FF ist noch zweimal von Namen, ὀνόματα, die Rede: B 8.38 f.: τῷ πάντ’ ὄνομ’ ἔσται, | ὅσσα βροτοὶ κατέθεντο, »deshalb wird alles Name sein, | was die Sterblichen festgesetzt haben«; B 19.3: τοῖς ὄνομ’ ἄνθρωποι κατέθεντ’ ἐπίσημον ἑκάστῳ. »Diesen {Dingen} aber haben die Menschen festgesetzt einen Namen, mit einem Zeichen versehen für jedes einzelne Ding.« Handelt es sich um verschiedene Arten der Namengebung? Aufgrund seines Bezuges zu πάντα handelt es sich bei ὀνόμασται um einen ontologischen Namen, dagegen sind die ὀνόματα der Sterblichen ontische Namen, 400 d. h. Setzungen der scheinbaren Welt. Wenn Jantzen fragt, was mit πάντα gemeint sei, verkennt er diese Unterschiede. »Man könnte der Meinung sein, daß Parmenides an eine physikalische Theorie der Durchdringung der Welt durch bestimmte Grundkräfte denkt. Aber es ist weder eine derartige Theorie zu seiner Zeit bekannt noch werden Fr. 8. 50 ff. entsprechende Auffassungen von Parmenides dargelegt; Licht und Nacht durchdringen die Welt nicht.« 401 Ich stimme Jantzen (allerdings unter anderen Voraussetzungen) zu, dass Parmenides »in den auf Fr. 9 folgenden Fragmenten die Bedeutungen von Licht und Nacht zu einer offenkundig groß angelegten ›Kosmogonie‹ und ›Kosmologie‹« ausbreitet. 402 Doch eine solche Absicht würde der Reduktion auf die δόξα widersprechen, denn was hätte Parmenides dann vor? Etwa den anderen Kosmologen etwas vorzugaukeln, was doch widersinnig wäre? φάος καὶ νὺξ: Alles wird Licht und Nacht benannt. B 10 ff. beginnt die Göttin mit der Aufzählung der einzelnen Phänomene: mit der ätherischen Natur, den Zeichen des Himmels usf. Es wäre freilich

»ὀνόμασται] bedenkliche Form, zumal bei vocalischem Anlaut« (Diels 2003, 101). Zu den Termini »ontologisch« und »ontisch« °I.1.a.ii. 401 Jantzen 1976, 46. Da Jantzen von der δόξα-Welt ausgeht, kann er sogar sagen, darin liege »der parmenideische Versuch, Denken und Sprechen stillzustellen« (ebd. 60). 402 Jantzen 1976, 86. 399 400

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widersinnig zu meinen, dass nun alles zumindest den Beinamen φάος oder νύξ erhielte; 403 vielmehr zeigen sich alle Einzeldinge durch das Licht erhellt und vermittels des Lichtes oder im Dunkel der Nacht verborgen (°B 9.3). Es wäre auch missverständlich, von einer »Gesamtheit der Dinge« zu sprechen, 404 ist hier doch nicht die Summe aller Einzeldinge gemeint, sondern der Horizont ihres Erscheinens – sei es dass sie im Licht der Sonnenfackel (ἠελίοιο λαμπάδος B 10.2–3) stehen oder sich ins Dunkel der Nacht zurückziehen, wie Erde, Sonne und Mond (πῶς γαῖα καὶ ἥλιος ἠδὲ σελήνη B 11.1). Für alle diese ontischen Erscheinungen ist τὸ πᾶν die ontologische Bedingung dafür (ihr »Urtypus« 405), dass sie sich mehr oder minder deutlich zeigen. B 9.2 δυνάμεις: Sie sind »essential the same as semata«, 406 nämlich σήματα qua »Himmelszeichen« (B 10.2). Reinhardt: »nach ihren Kräften«; 407 Mansfeld umschreibend: »{…} und die Einzeldinge ihrer jeweiligen Einzelstruktur (d. h. Licht-und-Nacht-Struktur) gemäß benannt worden sind«. 408 B 9.3 πᾶν πλέον ἐστὶν ὁμοῦ φάεος καὶ νυκτὸς ἀφάντου: »Parmenides selbst nennt die eine ›Gestalt‹ Licht, Flamme und Feuer, die andere Nacht, und wir haben nun zu erwägen, ob diese mit den pythagoreischen Begriffen Grenze und Unbegrenztes identifiziert werden können. Wir haben guten Grund gefunden, zu glauben {…}, daß die Vorstellung von der atmenden Erde der frühesten Form des Pythagoreismus angehörte, und es kann keine Schwierigkeit bestehen, diesen ›unbegrenzten Atem‹ mit Dunkelheit zu identifizieren, die sehr passend für das Unbegrenzte eintritt. ›Luft‹ oder Dunst wurde immer als

403 Insofern verneint Schmitz mit Recht, dass in diesem Fall »die reine Frau demnach ›Licht‹, der reine Mann ›Nacht‹ hieße« (Schmitz 1988, 49). 404 Bormann 1971, 137. Vorsichtiger »better to translate ›since light and night have been given all names‹« (Coxon 2009, 359). 405 »{…} es sollte eine Art Urtypus darstellen, der sich im gesamten Kosmos wie in jedem Einzelding unendlich abgewandelt wiederhole« (Reinhardt 2012, 19). Reinhardt könnte hier an Goethe denken. Zur Entwicklung des Kosmos-Begriffes: Cassirer 2007, 27–35. 406 Tarán 1965, 162, mit Hinweis auf B 8.55. 407 Reinhard 2012, 31 . 1 408 Mansfeld 1964, 149.

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das dunkle Element angesehen. Und das, was der unbestimmten Dunkelheit Bestimmtheit verleiht, ist gewiß Licht oder Feuer {…}.« 409 ἀφάντου: Korrektur der häufig vorkommenden Übersetzung von ἄφαντος mit »unsichtbar«: 410 »ἄφαντος heißt nicht ›unsichtbar‹, sondern ›dunkel, lichtlos‹«. 411 Für Mansfeld entspricht ἄφαντος wie ἀδαής (B 8.59) »dem Prädikat ἀνόητος des Weges des Nichtseienden, ἤπιος und der Begriff des Feuers und des Lichts selber entsprechen der Denkbarkeit des Seienden«. 412 Würde dies zutreffen (was jedoch nicht der Fall ist), dann wäre die dunkle Nacht für alle weiteren Phänomene bestenfalls eine Täuschung, und nicht die Bedingung der Möglichkeit ihres Erscheinens (°B 9.1). B 9.4 ἴσων ἀμφοτέρων: Faktisch liegt zwar in den vorliegenden FF ein deutlicher Überhang des Lichts gegenüber dem Dunkel vor. Der Grund: Es gibt ein Mehr oder Weniger an Licht, ohne dass ihm das Dunkel als selbständige Größe nachgeordnet wäre. Beide sind einander »komplementär: ein Mehr (Weniger) von Hell, Leicht usw. bedeutet notwendig ein Weniger (Mehr) von Dunkel, Schwer usw.«, 413 οὐδετέρῳ μέτα μηδέν (B 9.4). 414 B 10 1 εἴσῃ δ’ αἰθερίαν τε φύσιν τά Und ferner wirst du kennen die Naτ’ ἐν αἰθέρι πάντα, tur, die ätherische, und alles im Äther, 2 σήματα καὶ καθαρᾶς εὐαγέος ἠελίοιο

die Himmelszeichen und der reinen heiligen Sonnenfackel

3 λαμπάδος ἔργ’ ἀίδηλα καὶ ὁππόθεν ἐξεγένοντο,

verzehrende Werke und woher sie geworden,

Burnet 1913, 172 f. Z. B. DK I, 241, Heitsch 1974, 37. 411 Gemelli II, 90; °B 8.59 νύκτ’ ἀδαῆ; Pindar N. 8, 34 f.: ἃ τὸ μὲν λαμπρὸν βιᾶται, | τῶν δ’ ἀφάντων κῦδος. – Vergleich mit ἀδαής (B 8.59): Mansfeld 1974, 133. 412 Mansfeld 1964, 133. »Licht ist Erkenntnis bei Pindar« (N. 7.12–13). 413 Fränkel 1993, 412. »So ist alles nach dem Lichtgehalt geordnet« (Fränkel 1955, 184). 414 »{…} both equally, since there is nothing which does not belong to either« (Tarán 1965, 161). 409 410

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Text · Übersetzung

4 ἔργα τε κύκλωπος πεύσῃ περίφοιτα σελήνης

und der rundäugigen Möndin umherwandernde Werke wirst du erfahren

5 καὶ φύσιν, εἰδήσεις δὲ καὶ οὐρανὸν ἀμφὶς ἔχοντα

und {ihre} Natur, du wirst aber auch den ringsum sich schließenden Himmel gesehen haben,

6 ἔνθεν [μὲν γὰρ] ἔφυ τε καὶ ὥς μιν ἄγουσ(α) ἐπέδησεν Ἀνάγκη

woher er entstand sowohl und wie ihn treibend die Not in Fesseln legte,

7 πείρατ’ ἔχειν ἄστρων.

um zu halten die Grenzen der Sterne.

B 10.2 σήματα: °B 9.2, B 8.2 und B 8.55. B 11 1 πῶς γαῖα καὶ ἥλιος ἠδὲ σε- wie Erde und Sonne und wie der λήνη Mond 2 αἰθήρ τε ξυνὸς γάλα τ’ οὐράνιον καὶ ὄλυμπος

und der gemeinsame Äther, die himmlische Milchstraße und der Olymp

3 ἔσχατος ἠδ’ ἄστρων θερμὸν am äußersten Ende und der Sterne μένος ὡρμήθησαν hitzige Kraft in Bewegung sich setzt, 4 γίγνεσθαι.

um zu entstehen.

B 11.2 ὄλυμπος: »Wie eine Mauer umgibt der ὄλυμπος ἔσχατος das Weltall.« 415

415 Fränkel 1955, 184. »Hier ist der homerische Olymp mit dem Himmelsgewölbe gleichgesetzt (das bei Parmenides fest ist, vgl. 19 A). Diese Gleichsetzung ist sehr wahrscheinlich dadurch angeregt worden, dass bei Homer bisweilen Olymp und Himmel nebeneinander vorkommen oder miteinander vertauscht werden (Il. 1, 43–97: … μέγαν οὐρανὸν Οὔλυμπόν τε; Od. 20,103: αὐτίκα δ’ ἐβρόντησεν ἀπ’ αἰγλήεντος Ὀλύμπου, und 113: ἦ μεγάλ’ ἐβρόντησας ἀπ’ οὐρανοῦ ἀστερόεντος)« (Gemelli II, 91).

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B 11–12

B 12 1 αἱ γὰρ στεινότεραι πλῆντο πυρὸς ἀκρήτοιο,

Denn die engeren Ringe waren mit ungemischtem Feuer gefüllt,

2 αἱ δ’ ἐπὶ ταῖς νυκτός, μετὰ δὲ φλογὸς ἵεται αἶσα·

die nach denen mit Nacht, darnach aber kommt der Anteil der Flamme;

3 ἐν δὲ μέσῳ τούτων δαίμων ἣ in der Mitte von diesen die Göttin, πάντα κυβερνᾷ· die alles regiert; 4 πάντα γὰρ {ἣ} στυγεροῖο τόκου καὶ μίξιος ἄρχει

denn alles beherrscht sie, die todesnahe Geburt und die Mischung des Fleisches,

5 πέμπουσ’ ἄρσενι θῆλυ μιγῆν τό τ’ ἐναντίον αὖτις

zum Männchen schickt sie das Weibchen und im Gegenteil dazu

6 ἄρσεν θηλυτέρῳ.

das Männchen zum Weibchen.

B 12.1 στεινότεραι: »Danach müssen also die 12, 1 στεινότεραι] nemlich στεφάναι, identisch sein mit den engern d. h. innern Schichten der beiden reinen Endsphären, des Firmamentes und der Erde.« 416 Gegen die Interpretation der »Kronen« als »Sphären« spricht sich Burnet aus: »Das Wort στέφαναι kann ›Ränder‹ heißen oder ›Rundkanten‹ oder etwas Derartiges, aber es scheint nicht glaubhaft, daß es für Sphären angewendet sein sollte. Es spricht auch nichts dafür, daß der feste Kreis, der alle Kronen einschließt, als sphärisch anzusehen ist.« 417

416 Diels 2003, 105. »Στεφάνη bezeichnet nach Ausweis der Lexika alle möglichen ringförmigen Gebilde, ausgenommen den Kranz (στέφανος). Cicero schreibt zwar coronae simile, kennzeichnet aber sofort diesen Vergleich (nicht Terminus) als einen Notbehelf, indem er das griechische Wort hinzufügt« (Fränkel 1955, 1831). »Nam Parmenides quidem commenticium quiddam coronae simile efficit (στεφάνην appellat), continente ardore lucis orbem, qui cingit caelum, quem appellat deum; in quo neque figuram divinam neque sensum quisquam suspicari potest, multaque eiusdem modi monstra: quippe qui Bellum, qui Discordiam, qui Cupiditatem ceteraque generis eiusdem ad deum revocat, quae vel morbo vel somno vel oblivione vel vetustate delentur« (Cicero, De natura deorum I, 11, 28 = 28 A 37). 417 Burnet 1913, 173.

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Text · Übersetzung

B 12.3 ἣ πάντα κυβερνᾷ: »welche den Lauf aller Dinge lenkt«. Deichgräber hält diese δαίμων für Aphrodite, »wahrhaftig eine Allgöttin«. 418 »Aetios, 419 das heißt Theophrastos, meint, daß dies ›in der Mitte der gemischten Kronen‹ bedeute, während Simplicius behauptet, daß es bedeute ›im Mittelpunkte der Welt‹. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß einer von beiden einen besseren Anhaltspunkt hatte, als die eben angeführten Worte des Parmenides, und diese sind zweideutig. Simplicius identifiziert diese Göttin {…} mit der pythagoreischen Hestia oder dem Zentralfeuer, während Theophrastus dies nicht tun konnte, weil er wußte und behauptete, daß Parmenides die Erde für rund und im Mittelpunkte der Welt gelegen hielt.« 420 Die Identifikation der δαίμων mit Δίκη oder Ἀνάγκη weist Diels zurück. 421 B 12.4 στυγεροῖο τόκου: Das Adjektiv στυγερός ist verwandt mit στύγος, »Abscheu, Hass, Gegenstand des Abscheus«, und στυγεῖν, »hassen, verabscheuen, schaudern vor, sich fürchten«. 422 Daher wird στυγεροῖο meist mit »grausig«, »hasserfüllt« u. dgl. übersetzt. 423 Ist die Geburt also hassenswert? Diels schreibt »weherfüllt« 424 und merkt zu στυγεροῖο an: »nicht propter ardoris vehementiam, sondern propter partum. Pessimistische, orphische Gedanken liegen hier fern. Denn Empedokles 262 {31 B 62.1–2 425} sagt ἀνδρῶν τε πολυκλαύτων τε γυναικῶν ἐννυχίους ὅρπηκας, wo der Gegensatz vor Irrtum schützt.« 426 Dasselbe gilt für den Beischlaf. ▶ Nun ist ἡ Στύξ (verwandt mit στυγεῖν) das »Wasser des Grausens«. »Bei dem Wasser der S. wurde geschworen, und es galt als todbringend für Menschen und Tier {…}«. 427 Bei Homer »ist Στυγὸς ὕδωρ ein Unterweltsfluß, Deichgräber 1983, 15. IV.3 s. v. »Aëtios«. 420 Burnet 1913, 175. 421 Diels 2003, 107. 422 Gemoll 693 s. v. στυγέω, στύγος. 423 »{…} grausige Geburt und Paarung« (DK I, 243); »{…} hateful birth and union« (Coxon 2009, 90); »{…} l’odieux enfantement et l’étreinte« (Di Giuseppe 2011, 21); »{…} il parto odioso e il mischiarsi« (Di Giuseppe 2011, 33). 424 Diels 2003, 43. 425 »{…} wie der viel beweinenswerten Männer und Frauen nachtverhüllte Sprossen {…}« (DK I, 335). 426 Diels 2003, 108. 427 KP 5, 402 f. 418 419

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B 13–14

bei dem die Götter schwören.« 428 Wenn die Geburt στυγεροῖος ist, dieses Adjektiv aber auf den Tod hinweist, dann ist jene insofern »tödlich« (und nicht unbedingt »verhasst«), als beide zusammengehören: Geburt und Tod. In der Welt des Scheins ist dies ein unaufhebbarer Gegensatz, dessen Momente jedoch in der erscheinenden Welt in einer höheren Einheit aufgehen: die »todesnahe« Geburt, der στυγεροῖος τόκος, und die μῖξις, die fleischliche Mischung. 429 B 13 πρώτιστον μὲν Ἔρωτα θεῶν μη- Als Ersten ersann sie von allen τίσατο πάντων … Göttern den Eros …

Ἔρωτα: Für Böhme hat der Eros »in der Kosmogonie den Platz, den er in der Orpheustradition hat. {…} Die allsteuernde Daimon, die diesen Eros als ersten der Götter ›ersonnen‹ bzw. erschaffen hat, entstammt ebenfalls der Orpheustradition«. 430 »The verb used, μητίομαι, ›contrive‹, ›devise‹, suggests that the creation by the goddess is a kind of ›ordering‹ things, i. e., it is nothing else than a mental act. Such is probably the way in which the δαίμων, πάντα κυβερνᾷ. As for the gods ›created‹ by the δαίμων, besides Eros, we depend on a passage of Cicero (N.D. I.11.28: multaque eiusdem monstra, quippe qui Bellum, qui Discordiam, qui Cupiditatem, ceteraque generis eiusdem ad deum revocat, quae vel morbo vel somno vel oblivione vel vetustate delentur; eademque de sideribus, quae reprehensa in alio iam in hoc omittantur).« 431 B 14 νυκτιφαὲς περὶ γαῖαν ἀλώμενον ἀλλότριον φῶς

bei Nacht leuchtendes, um die Erde herumirrendes fremdes Licht

ἀλλότριον φῶς: »The information provided by the doxographic tradition about P.’s theory of the moon is that it was formed out of the denser or cold mixture in the galaxy by separation {…} and is composed of a mixture of ›air‹ and fire {…}. It is of the same size as the

428 429 430 431

KP 5, 403. Hesiod Th. 361 ff., 383 ff., 775 ff. Herodot 3, 101. Böhme 1980, 21. Tarán 1965, 249.

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Text · Übersetzung

sun {…} and is illuminated by it {…}.« 432 Ἀλᾶσθαι »umherirren«, auch »eines Dinges beraubt werden«, 433 könnte im zweiten Fall auf das von der Sonne geborgte, »fremde« Licht hinweisen. – Karl R. Popper zu B 14 und B 15: »Ich persönlich verdanke Parmenides die unendliche Freude, die mir sein Gedicht von Selenes Sehnsucht nach Helios (DK 5 14–15) bereitet hat«. Um dies zu vermitteln, sei hier Poppers Übersetzung wiedergegeben: »Bright in the night, with an alien light, | Round the Earth she is drifting. | Always she wistfully looks | Out for the rays of the Sun.« »Leuchtend bei Nacht mit | Dem Licht, das er schenkt, | So umirrt sie die Erde. | Immerzu blickt sie, gebannt, | Hin auf den strahlenden Gott.« 434

»Nach Eudemos erkannte A. als erster, daß der Mond kein eigenes Licht besitzt, sondern das der Sonne zurückwirft.« 435 »The collocation ἀλλότριον φῶς is famously wordplay on the Homeric formula ἀλλότριος φώς ›a fellow from elsewhere, someone not known, a stranger‹.« 436 B 15 αἰεὶ παπταίνουσα πρὸς αὐγὰς ἠελίοιο.

immer umherblickend zu den Strahlen der Sonne.

παπταίνουσα: Plutarch zitiert B 15 und meint den Mond. B 16 1 ὡς γὰρ ἕκαστος ἔχει κρᾶσιν Wie nämlich jeder hat eine Miμελέων πολυπλάγκτων, schung umher getrieb’ner Organe, 2 τὼς νόος ἀνθρώποισι παρίσταται· τὸ γὰρ αὐτό

so tritt das Denken den Menschen zur Seite; das Selbe nämlich

3 ἔστιν ὅπερ φρονέει μελέων φύσις ἀνθρώποισιν

ist, was der Organe Natur den Menschen ansinnt,

4 καὶ πᾶσιν καὶ παντί· τὸ γὰρ allen und jedem; das Größere freiπλέον ἐστὶ νόημα. lich ist der Gedanke. 432 433 434 435 436

Coxon 2009, 373. Gemoll 30. Popper 1998, 174. LA I/1, 119 = O. G. Mourelatos 2012, 28; »full context in Plutarch«, ebd. 29.

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B 15–16

Kritisch zur Übersetzung von B 16 Popper – für ihn »eines der wichtigsten {Fragmente} des Gedichts«. 437 Die Übersetzung mit »Gliedmaßen«, engl. »limb« oder »member«, hält er für unhaltbar, während Diels »den richtigen Ausdruck ›Organ‹ gebrauchte«. 438 Popper zufolge kennen wir den Zusammenhang von B 16 nicht; er sagt aber: »Würde man mir allerdings die Pistole auf die Brust setzen, dann würde ich dafür plädieren, daß es zum Weg der Wahrheit in die Nähe von B 6 gehört«. 439 B 16.1 κρᾶσιν μελέων πολυπλάγκτων: Trotz einiger Übersetzungen, die in ähnliche Richtung gehen, ist offen, was mit den »immer schwankenden« 440 oder »viel schwankenden« 441 Körperteilen gemeint sein könnte bzw. mit der »Mischung der vielwandernden Glieder« 442. Mit den μέλη sind die Glieder des Körpers gemeint, oder mit Diels und Popper dessen Organe, weil der Leib ein organisches Ganzes ist. 443 Was löst deren Schwanken oder Wandern aus? Und im Besonderen: Inwiefern und auf Grund wovon irren die Glieder? Tarán umgeht diese Frage mit »much-changing body«. 444 Hölscher zitiert dazu Alexander: »Parmenides meint mit diesen Worten: Wie der Körper sich hinsichtlich seiner Meinung und Verfassung bei jedem verhält, so verhält sich 437 Popper 1998, 220. »Selbst berühmte Gelehrte haben den (zugegebenermaßen schwierigen) Text einfach nicht verstanden« (Popper 1998, 132). 438 Popper 1998, 134. 439 Popper 1998, 135. 440 Hölscher 2014, 35. 441 Heitsch 1974, 49. 442 Gemelli II, 39. 443 Bezüglich der ὄργανα vgl. Aristoteles, der das σῶμα der ψυχή als ὀργανικόν bestimmt und als Beispiel für ὄργανα τὰ τῶν φυτῶν μέρη angibt (de An. 412a28– 412b1). – Zur Unterscheidung von »Leib« und »Körper«: »Der Begriff Leib (L.) ist eine der deutschen Sprache eigentümliche Unterscheidung, die einen Körper (K.), insofern er als beseelt gedacht wird, durch ein besonderes Wort aus der Menge der übrigen K. heraushebt. Dem griechischen σῶμα, lateinischen ›corpus‹, italienischen ›corpo‹, französischen ›corps‹, spanischen ›cuerpo‹ und englischen ›body‹ stehen besondere Bezeichnungen für L. im Unterschied zu K. nicht zur Seite. Die Unterscheidung ergab sich aus der Verdeutschung von ›corpus‹ in der weiten Bedeutung, die es im Lateinischen bereits hatte, demgegenüber das mittelhochdeutsche ›lîp‹ (zunächst undifferenziert L. und Leben) allmählich die bestimmte Bedeutung von lebendigem, beseeltem, eine bestimmte Person darstellenden K. gewann« (HWPh 5, 174, s. v. »Leib, Körper«; T. Borsche). 444 Tarán 1965, 253.

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Text · Übersetzung

auch das Denken; wobei angenommen wird, daß das Denken von der Mischung und Veränderung des Körpers abhängt.« 445 Das Moment des Schwankens (πλάζομαι, »verschlagen werden, unstät herumirren« 446) lässt sich auch so interpretieren, dass der Leib mit seinen Organen äußeren Einflüssen ausgesetzt ist. Daran würde B 16.4 anknüpfen. Zur Klärung des Sachverhalts sind vor allem die Ausführungen von Martina Stemich über κρᾶσις und νόος plausibel. »Das Abstraktum κρᾶσις ist weder in der epischen Dichtung noch in vorparmenideischer Lyrik überliefert. Einzig die Verbform κεράννυμι, vermischen, verschmelzen, weist auf den möglichen Gehalt des Wortes bei Parmenides. {…} Wahrscheinlich hat Parmenides als erster den Begriff κρᾶσις auf den Menschen bezogen.« 447 »Im hippokratischen Sinn entsteht κρᾶσις dann, wenn die Elemente im Körper ebenmäßig verteilt sind. Ohne dieses Gleichmaß aber wird der Mensch krank. Εὐκρασία, die gute Durchmischung, steht in hippokratischen Texten selbstredend für Gesundheit.« 448 »Aus der Voraussetzung, dass gemäß B 16 das Denken der dominierende Faktor im Menschen ist, folgt, dass der Kuros mit seiner Denkkraft die rechte Krasis einüben kann. Fest steht mit diesem Fragment auch, dass die Krasis der Glieder Auswirkungen auf den Geist des Menschen hat. Es ist zudem plausibel, dass die vielbewegten Glieder (πολύπλαγκτα μέλεα: B 16.1) dem verwirrten Geist (πλαγκτὸν νόον: B 6.6) der Sterblichen entsprechen.« 449 Dass sich κρᾶσις μελέων in der »scheinbaren Realität« entfaltet, »ohne aber vom Doxa-Denken befreit zu werden«, 450 beruht auf dem Vorurteil von der trügerischen Welt. Unhaltbar wäre dann allerdings auch Burnets Befund: »Bei der Beschreibung der Ansichten seiner Zeitgenossen war Parmenides, wie wir aus den Fragmenten ersehen, genötigt, ziemlich viel über physiologische Fragen zu sagen.« 451 Wäre aber eine ernsthafte Auseinandersetzung überhaupt möglich, wenn Parmenides seine Ansichten für bloßen Schein gehalten hätte? Müsste dies nicht auch auf die Schilderungen des Kosmos zutreffen, wären aber die auf diesen bezüglichen Theorien 445 446 447 448 449 450 451

Heitsch 1974, 194. Gemoll 607. Stemich 2008, 158. Stemich 2008, 159. Stemich 2008, 169. Bormann 1971, 139. Burnet 1913, 178.

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B 16

wie auch die Fragen der Medizin nicht mehr als bloßer Schein? Könnte die Göttin dann sagen, kein Wissen der Sterblichen werde den Kuros übertreffen (B 8.61), vorausgesetzt, ihr διάκοσμος ist für ihn maßgeblich? Burnet nennt das Beispiel des Alkmaion von Kroton: 452 »Wir kennen auch den Namen eines sehr hervorragenden medizinischen Schriftstellers, der in Kroton zwischen der Zeit des Pythagoras und des Parmenides lebte, und die wenigen Tatsachen, die uns über ihn berichtet werden, setzen uns in den Stand, die physiologischen Ansichten, die Parmenides beschreibt, nicht als vereinzelte Sonderlichkeiten, sondern als Marksteine zu betrachten, vermöge deren wir den Ursprung und das Wachstum einer der einflußreichsten medizinischen Theorien verfolgen können, jener, welche die Gesundheit als ein Gleichgewicht von Gegensätzen darstellt.« 453 Coxon übersetzt κρᾶσιν μελέων πολυπλάγκτων mit »the temper which it has of the vagrant body at each moment«. 454 B 16.2 νόος ἀνθρώποισι παρίσταται: »Der Ausdruck ›νόος zu haben‹ hat in der epischen Dichtung nicht allein die Bedeutung von Verstand oder die Fähigkeit, etwas geistig zu durchdenken, sondern auch von Verstand, der ähnlich wie die Sinneserfahrung auf den Menschen zukommt. In den homerischen Texten hat jeder Mensch in verschiedenem Maß von Natur aus νόος. Doch ist er bei einigen Menschen abgestumpft und schwerfällig. Νόος grenzt sich bei Homer von blinden Emotionen ab und von Denken im Sinne einer intentionalen, intellektuellen Aktivität; er meint vielmehr ein geistiges Vermögen, das analog zur Sinneswahrnehmung aufnehmend und empfänglich ist. Diese passive Konnotation des Wortes drückt sich vor allem im Verhältnis des Denkens zu seinem Objekt aus. Letzteres ist dem Denken unmittelbar gegeben, also unabhängig vom Vorgang des Denkens vorhanden.« 455 Die Unabhängigkeit des Denkens vom »Objekt« (dem »Sein«: °B 3; °III.3) ist zu bestreiten. Anderseits wird deutlich, dass nicht (in Vorwegnahme der platonischen Differenz) der Gegensatz von νοῦς qua Vernunft und αἴσθησις qua Sinneswahrnehmung das 452 °IV.3. – Zu »Alkmaions Theorie der Gesundheit als einer ›Isonomie‹«: Burnet 1913, 179–181. 453 Burnet 1913, 179. 454 Coxon 2009, 94. 455 Stemich 2008, 149 ff.

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Text · Übersetzung

Entscheidende ist, sondern das Gemeinsame der Passivität; außerdem besteht kein Gegensatz zwischen νοῦς und Sinnlichkeit, sondern die Unterschiede beziehen sich auf den νοῦς selbst (Wachheit, Abstumpfung). Besonderes Gewicht für F2 hat Stemichs Warnung vor »reduktionistischen Schlussfolgerungen«, zu ihnen führe eine einseitige Bestimmung des Wortes νόος, »wie etwa, Parmenides habe die Sinneswahrnehmung in der Erkenntnissuche verworfen. Das war eine verbreitete Meinung in der Antike [Vgl. Arist. GC. A 8,325a13–14; Philodem. rhet. fr. inc. 3.7 (DK: A 49); Aët. IV 9,1], die auch bei modernen Autoren zu lesen ist. Vgl. Meijer (1997) 58: ›As Being and thinking are identical, so perception and Doxa.‹« 456 Die Reduktion der Welt auf die δόξα erweist sich einmal mehr als Hemmschuh für die Mehrzahl der Interpreten; sie hat mehr mit Platons Unterscheidung von νόησις und αἴσθησις zu tun als mit der Welt, die Parmenides sieht, ohne zu behaupten, sie sei bloßer Schein. B 16.3 φρονέει μελέων φύσις: »Beide Wörter, φρονέω und νόημα, bezeichnen eine geistige menschliche Qualität, die fraglos dem Denken des Kuros und implizite dem Denken der Göttin zukommen.« 457 Allerdings ist damit nicht gesagt, das »Subjekt« des νοῦς sei der eine Gott wie bei Xenophanes. 458 B 16.4 τὸ γὰρ πλέον: Der Gedanke ist gegenüber der φύσις τὸ πλέον, weil er die irrende φύσις unter seine Herrschaft bringt. Zwar ist der Leib mit seinen Organen (μελέων φύσις B 16.3) äußeren Einflüssen ausgesetzt und schwankt deshalb hin und her; dies trifft πᾶσιν καὶ παντί, für alle und auf jeden zu. Übersetzt man jedoch γάρ nicht mit »denn«, sondern mit »freilich, allerdings«, ergibt sich daraus dieser Sinn: Freilich (obwohl der Leib hin und her irrt) – das Größere ist der Gedanke. Mag der Leib mit seinen Organen noch so sehr schwanken: Der Geist ist freilich mächtiger. 459 Stemich 2008, 150457. Stemich 2008, 168. 458 εἷς θεός 21 B 23; οὖλος ὁρᾷ, οὖλος δὲ νοεῖ, οὖλος δέ τ’ ἀκούει 21 B 24. 459 Homer, Od. 18, 136–137: τοῖος γὰρ νόος ἐστὶν ἐπιχθονίων ἀνθρώπων | οἷον ἐπ’ ἦμαρ ἄγῃσι πατὴρ ἀνδρῶν τε θεῶν τε. »Denn immer nur so ist der Sinn der Erdenmenschen, wie den Tag heraufführt der Vater der Menschen und Götter« (Homer 1958, 238). Odysseus sagt vorher: »Nichts Armseligeres nährt die Erde als den Men456 457

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B 17–19

B 17 δεξιτεροῖσιν μὲν κούρους, λαιοῖ- auf der Rechten die Knaben, zur σι δὲ κούρας … Linken aber die Mädchen …

B 18 1 femina virque simul Veneris Wenn Frau und Mann zugleich der cum germina miscent, Liebe Keime mischen, 2 venis informans diverso ex sanguine virtus

die in den Adern sich bildende Kraft aus verschiedenem Blut

3 temperiem servans bene condita corpora fingit.

bildet bei Wahrung der Mischung wohlgefügte Körper.

4 nam si virtutes permixto se- Denn wenn durch vermischten mine pugnent Samen die Kräfte streiten 5 nec facient unam permixto in und sie nicht in dem gemischten corpore, dirae Körper eine einzige schaffen, grauenhaft 6 nascentem gemino vexabunt werden sie heimsuchen das entstesemine sexum. hende Geschlecht durch zweifachen Samen.

B 18.3 temperiem servans: temperies bezieht sich auf die richtige Mischung. B 18.6 gemino vexabunt: ἀνδρογύνους (Diels 2003, 115). B 19 1 οὕτω τοι κατὰ δόξαν ἔφυ τάδε καί νυν ἔασι

So also ist dies entstanden der Erwartung gemäß und ist jetzt,

2 καὶ μετέπειτ’ ἀπὸ τοῦδε τε- und nachher sich bildend sind sie λευτήσουσι τραφέντα· von da an beendet. schen unter allem, was auf der Erde Atem hat und kriecht« (ebd.). Das fügt sich zum schwankenden Leib des Menschen.

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Text · Übersetzung

3 τοῖς δ’ ὄνομ’ ἄνθρωποι κατέθεντ’ ἐπίσημον ἑκάστῳ.

Diesen aber haben die Menschen aufbewahrt einen Namen, mit einem Zeichen versehen für jedes einzelne Ding.

B 19.1 κατὰ δόξαν: Nicht »nach dem Schein« (DK) und schon gar nicht »nach dem Wahne«, 460 aber auch nicht nur »nach dem Eindruck (den die Menschen haben)« 461 sind sie (d. h. ist alles) entstanden, sondern der Erwartung gemäß, d. h. wie es dem διάκοσμος, der Einrichtung der Göttin (B 8.60) entspricht. B 19.2 τραφέντα: τρέφεσθαι »sich verdichten, groß werden, wachsen«; 462 τελευτᾶν »beenden, vollenden«. 463 Die Dinge der Welt wachsen (indem sie sich verdichten – wie B 4.4?). Sie werden dann, »nachdem sie sich bis zur Reife entwickelt haben, in Zukunft ein Ende nehmen«: »Warum diese ausführliche Darstellung in das Gedicht aufgenommen wurde, bleibt ein Rätsel: Die Göttin sucht die Phänomene so weit wie möglich zu retten; aber sie weiß und sagt uns, daß das Vorhaben unmöglich ist.« 464 Ein Rätsel ist dies aber nur dann, wenn von vornherein feststeht, dass es sich hier um eine Scheinwelt handelt. Dies gilt allerdings schon für Simplikios in dessen Kommentar zu Aristoteles, De caelo. Parmenides spricht klar von einem Zyklus: Jetzt steht es so um die Dinge, sie werden sich weiter entwickeln (ob durch Verdichtung oder in anderer Form, ist offen), um dann an ein Ende zu kommen: Entstehen, Werden, Vergehen – und »nachher sich bildend sind sie von da an beendet«. B 19.3 ὄνομ’ ἄνθρωποι κατέθεντ’ ἐπίσημον ἑκάστῳ: »Diesen aber haben die Menschen aufbewahrt einen Namen« entspricht ὅσσα βροτοὶ κατέθεντο (B 8.39), nun nicht mehr mit grundlosem Wahrheits460 461 462 463 464

Diels 2003, 45. Heitsch 1974, 53. Gemoll 746 f. Gemoll 733. Kirk & al. 1994, 288.

150 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

B 19

anspruch, sondern als Weltentwurf, der von keiner βροτῶν γνώμη (°B 8.61) jemals zu übertreffen ist. ▶ Daher gebe ich B 8.39 mit »gesetzt«, B 19.3 mit »aufbewahrt« 465 wieder. »Nach Simplikios beenden die Verse den zweiten Hauptteil. Ob damit auch das Gesamtwerk beendet war, oder ob noch ein allgemeiner gehaltenes Schlußwort folgt, wissen wir nicht.« 466

465 γαστέρες αἵδ’ αἰγῶν κέατ’ ἐν πυρί, τὰς ἐπὶ δόρπῳ κατθέμεθα κνίσης τε καὶ αἵματος ἐμπλήσαντες. »Da liegen Mägen von Ziegen auf dem Feuer, die wir für das Nachtmahl hingelegt, nachdem wir sie mit Fett und Blut gefüllt« (Homer Od. 18, 44 f.; Homer 1958, 236). 466 Heitsch 1974, 202.

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III. Kommentar

Vorbemerkung Den Hinweisen auf die Worterklärungen von II.2 ist ein hochgestellter Kreis ° vorangestellt – gleichsam als Symbol für den hermeneutischen Zirkel; dabei behandelt im Allgemeinen der II. Teil die Details, der III. Teil das Ganze. 1 Den Inhaltsangaben des Kommentars sind Textstellen zugeordnet. Der Übersicht halber folgt eine Liste (links das Inhaltsverzeichnis, rechts die Fragmente): Kommentar 1.

Initiation: B 1.1–21

2.

Begegnung: B 1.22–32 / B 2.1–8 a. Die Göttin: B 1.22 b. Der Kuros: B 1.24

3.

Sein und Denken: B 3 / B 8.34 a. Νοεῖν b. Εἶναι c. Αὐτό d. Das Worumwillen (οὕνεκεν): B 8.34

4.

Die Schau: B 4–B 5 a. An- und Abwesen: B 4.1–2 b. Ursprunglosigkeit: B 5.1–2

»Auch innerhalb einer einzelnen Schrift kann das Einzelne nur aus dem Ganzen verstanden werden, und es muß deshalb eine kursorische Lesung, um einen Überblick des Ganzen zu erhalten, der genaueren Auslegung vorangehen« (Schleiermacher 1977, 97). »Die Antizipation von Sinn, in der das Ganze gemeint ist, kommt dadurch zu explizitem Verständnis, daß die Teile, die sich vom Ganzen her bestimmen, ihrerseits auch dieses Ganze bestimmen« (Gadamer GW 2, 57).

1

152 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Initiation (B 1.1–21)

5.

Wege, die keine sind: B 6–B 7 a. Ausweglosigkeit. Das Nichts: B 6.1–3 b. Irrwege. Die unwissenden Sterblichen: B 6.4–9 / B 7.1–5

6.

Der Weg des Seins: B 8.1–51 a. Ἔλεγχος und λόγος: B 8.5 b. Strukturierung c. Die Zeichen des Seins: B 8.2 i. Das Ganze ii. Die Unversehrtheit der Kugel des Seins iii. Notwendigkeit: Ἀνάγκη und Μοῖρα iv. Die πίστις ἀληθής

7.

Das Sein und die Zeit a. Vorgriff auf Aristoteles b. Profane Zeit · heilige Zeit

8.

Die scheinbare Welt: B 8.51–61 a. Die Sterblichen und die Irre: B 8.53–54 i. Setzungen: B 8.53 ii. Namen: B 8.53 b. Sein und Schein

9.

Die Kosmologie des Parmenides: B 9–B 19 a. Wahrheit und Unwahrheit b. Sein, Schein und Erscheinung

1.

Initiation (B 1.1–21)

Jede Initiation ist ein Akt der Einweihung. Dem Initianden wird ein besonderes Wissen in Aussicht gestellt, sofern er sich bestimmten Regeln unterwirft. Außerdem wird ihm ein Weg angewiesen, den er zu gehen hat, um sein Ziel zu erreichen. Dies gilt sowohl für die (im weiteren Sinn) religiöse Initiation als auch für deren philosophisches Pendant in F0. Dieses lässt sich zwar nicht auf religiöse Vorbilder zurückführen, doch lassen sich gewisse Parallelen kaum übersehen. F0 hat zwar Züge, die unverkennbar an eine Initiation erinnern. Zugleich aber hat es damit hier wie auch in ähnlichen Fällen für Parmenides eine besondere Bewandtnis. Er übernimmt Momente der Tradition, sieht sich durch diese herausgefordert, eignet sie aber auf seine nur ihm eigene Art an. 153 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Kommentar

Dass es dafür »keine einfachen Antworten« gibt, hat Martina Stemich zu Recht festgesellt und dieses Ineinander von Herausforderung und Bewältigungsanspruch so zusammengefasst: »Vielmehr vermitteln die überlieferten Texte den Anschein, dass die vorsokratischen Denker ihre Ideen zur gleichen Zeit im Rahmen ihrer Tradition und diese überwindend formulierten.« 2

2.

Begegnung (B 1.22–32 / B 2.1–8)

a.

Die Göttin

Die Einführung einer Gottheit stellt vor 5 Fragen: 1. Warum ein Mythos? 2. Weshalb ein göttliches Wesen? 3. Weshalb eine weibliche Gottheit? 4. Kann sie einer bestimmten Göttin zugeordnet werden? 5. Lässt sich der Weg von F0 mit einer Initiation vergleichen? 1. Was spricht dafür oder dagegen, dass eine Göttin auftritt und einen Mythos verkündet? B 7.5 wird gefordert, die Zeichen des Seins vorab einer Prüfung zu unterziehen, u. zw. mit Hilfe des λόγος. Ist dann der μῦθος ὁδοῖο (B 8.1) eine Inkonsequenz oder ein Rückschritt? Sieht man jedoch davon ab, dass hier ein geradliniges Fortschreiten »vom Mythos zum Logos« erfolgt (um auf einen bekannten Buchtitel hinzuweisen), 3 dann erscheint der Mythos der Göttin in einem anderen Licht: Ihr μῦθος bricht geradezu mit den Mythen der Tradition. Parmenides schließt den μῦθος nur deshalb nicht aus, weil er Momente enthält, die ihm unverzichtbar erscheinen – um dafür ein einziges Wort zu gebrauchen (das wiederum auf die Göttin hinweist): Der Mythos ist die Genealogie des Heiligen. Gerade nun, weil sich eine solche Genealogie nicht mehr halten lässt, und nachdem sich die »modernen« Kosmologien vom Mythos verabschiedet haben, womit sie dessen zentrales Thema aufgeben, sieht sich Parmenides vor die Aufgabe gestellt, einen neuen μῦθος zu inaugurieren, der auch den Kosmologien standhält. Er ist es nur dann, wenn er sich der Prüfung durch den λόγος aussetzt (κρῖναι δὲ λόγῳ πολύδηριν ἔλεγχον: B 7.5). 2. Träte dem Kuros (°III.2.b) kein göttliches Wesen entgegen, um ihm den Weg zur Wahrheit zu weisen, wäre dies im Horizont griechischer Welterfahrung durchaus befremdlich. So wird – um nur die2 3

Stemich 2008, 55. Nestle 1942.

154 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Begegnung (B 1.22–32 / B 2.1–8)

ses eine Beispiel zu nennen – dem Thales von Milet das Wort zugeschrieben: πάντα πλέρη θεῶν. 4 Der Archäologe Karl Schefold sagt lapidar: »{…} alles empfindet der antike Mensch von Mächten durchwirkt. Deshalb muß die Kunst davon zeugen; es gibt keine profane Sphäre.« 5 Die Kunstgeschichte enthält zu diesem Befund nicht wenige Beispiele, um dies auch anschaulich zu belegen. 3. B 1.22 wird der Kuros von einer Göttin begrüßt. Dass an dieser für den weiteren Fortgang entscheidenden Stelle dem Mann eine Frau begegnet, wird von Walter Burkert vor dem religionsgeschichtlichen Hintergrund gedeutet: »Zur θεά gehört ihr κοῦρος; die Gemeinschaft der sterblichen Männer braucht, um zu bestehen, das Gegenbild der ›Göttin‹.« 6 F0 rückt damit in die Nähe – und vielleicht mehr als nur das – zu einer Initiation des Kuros, zu seiner religiös motivierten Einweihung in ein höheres Wissen. Nochmals Burkert, der das Folgende aber ausdrücklich als Arbeitshypothese verstanden wissen will: »Zugrunde liegen dem Komplex vom Königs- und Sonnenweg in die Höhle, zur Göttin anscheinend Initiationsriten von Männerbünden, deren kultisches Zentrum die heilige, ›mütterliche‹ Höhle war. Man weiß, daß Initiationsriten um Tod und neues Leben, um das ›Mysterium der Wiedergeburt‹ kreisen, ob es sich nun um die allgemeine Pubertätsweihe handelt – das Kind stirbt, ein erwachsener Mensch tritt ins Dasein – oder ob die exzeptionelle Initiation eines Auserwählten sich vollzieht, des Königs, Priesters, Sehers oder Schamanen. Wie eindrucksvoll in diesem δρώμενον von Tod und Wiedergeburt die Höhle sich in Szene setzen ließ, leuchtet ein: der instinktive Schauer beim Betreten des dunklen, unergründlichen Raums, und dann die blendende und zugleich beglückende Wiederbegegnung mit dem Licht. Auch die uralte Menschenkunst, das Feuer zu beherrschen, ließ sich damit verbinden, sodaß für den Kundigen das Dunkel sich in Licht verwandelte. Vom Licht zum Dunkel und vom Dunkel zum Licht, vom Leben zum Tod und vom Tod ins Leben – dies ist der Weg in die Höhle. Es ist für urtümlichkonkretes Vorstellen fast selbstverständlich, die Höhle auch als Mutterschoß zu sehen, vielmehr: zu erleben. Über die Symbolik von Mutter, Zeugung, Wiedergeburt haben Tiefenpsychologen viel gehandelt. Der Historiker kann sich begnügen festzustellen, daß die Symbolik zu Ritualen gehört im Rahmen der bekannten Grundkonstellation vorderasiatisch-mediterraner Religion: die große Göttin mit ihrem sterbenden Erwählten.« 7

4 5 6 7

Aristoteles de An. A 5, 411a7 = DK 11 A 22. Schefold 1959, 9. Burkert 2008, 19. Burkert 2008, 17 f.

155 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Kommentar

4. Wer ist diese Göttin? Für Kingsley und Gemelli ist es Persephone: »Parmenides has come down to the underworld, to the goddess who lives in the realms of the dead. The Greeks called her Persephone.« 8 »{…} aller Wahrscheinlichkeit nach Persephone, eine der Hauptgöttinnen Großgriechenlands, die in mehreren Inschriften einfach als ἡ θεά oder ἡ θεός bezeichnet ist«. 9 Deichgräber meint, bei der Göttin handle es sich um Dike: »Parmenides ist ein Mensch der Dike, so hat ihn die Göttin Dike aufgenommen.« 10 Sie ist πολύποινος, »die vielstrafende« (B 1.14), die in Gemeinschaft mit Themis den Kuros auf seinen Weg gebracht hat (B 1.28), sie hält auch das Sein in Fesseln, Δίκη χαλάσασα πέδῃσιν (B 8.14). Indizien sind auch für die große Erdmutter Γαῖα vorhanden. Sie ist die Mutter der Themis (der Erdgöttin Γῆς Θέμιδος 11) (°B 1.28, B 8.32). »T h e m i s erscheint unter den altgriechischen Göttern als eine Tochter der Ge oder Gaia, hervorgegangen aus der Vermählung dieser mütterlichen Gottheit des in sich ruhenden Erdenschoßes, mit Uranos, dem Vatergott, der den Erdenschoß überwölbt und umfaßt. Zu Γαῖα gehört das gründend-chthonische Wesen der Tiefe, zu Οὐρανός das weitend-aitherische Wesen der Höhe. Gaia selbst ist anfänglicher und gewaltiger als Uranos, der als Inbegriff des ›die Erde‹ Einhüllenden und Umgebenden (des Horizonts, des gestirnten Himmelsgewölbes, der Atmosphäre) gleich Πόντος, dem Meer, und Ὄλυμπος, dem Berg, ihrem Urschoß selber entsprungen ist und ihrem Bereich angehört. Gaia selbst ist, wie die älteste Sage lautet, zusammen mit Nyx (dem Nachtenden), Tartaros (der Unterwelt), Erebos (dem Abgrund) und Eros (dem Zeugenden) eine Geburt aus dem Chaos.« 12 Zu bemerken ist freilich, dass an jenen zwei Stellen, wo von Γαῖα ausdrücklich die Rede ist, nicht auf die Göttin Bezug genommen wird, sondern auf Erde, Sonne und Mond (B 11.1), auf die Gestirne, Äther und Milchstraße (B 11.2) und die Erde, um welche das Kingsley 1999, 94. Gemelli II, 57. Gegen eine »rein ikonographische Beweisführung« und insbesondere gegen die Orphik wendet Haase ein, »dass Parmenides mit der Metaphorik der Orphiker spielt, jedoch zentrale Elemente sich von dem unterscheiden, was die Göttin zu sagen hat« (Haase 2010, 26). 10 Deichgräber 1958, 664. 11 KP 5, 676; Chr. D. 12 Wolf 1950, 24. 8 9

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Begegnung (B 1.22–32 / B 2.1–8)

Mondlicht irrt (B 14). Gleichwohl gibt es Indizien, welche die Annahme stützen, dass es um Γαῖα geht: ihre Universalität, ihr Vorrang vor dem Vatergott und die Verbindung mit ihm durch die πύλαι {…} αἰθέριαι (B 1.11–13), die γάλα οὐράνιον (B 11.2), das χάσμ’ ἀχανές (B 1.18). Auch scheint eine Nahtstelle zu bestehen zum ταὐτόν τ’ ἐν ταὐτῷ τε μένον καθ’ ἑαυτό τε κεῖται (B 8.29), dem im Selben verharrenden in sich ruhenden Sein, lässt man den Bezug gelten, dass Gaia »anfänglich in sich den Wesenszug des Gefügten, Umgrenzten, Festen, im Licht stehenden« 13 trägt. Heidegger will mit seiner Antwort, wer diese Göttin sei, »das Ganze des Lehrgedichts« vorwegnehmen – sie ist Ἀλήθεια: »Die Göttin ist die Göttin ›Wahrheit‹. Sie selbst – ›die Wahrheit‹ – ist die Göttin.« 14 Sie ist keine Göttin neben anderen, sondern hier ist »die Wahrheit selbst als die Göttin erfahren«. 15 Gadamer meinte, »recht gut zu wissen, wer die Göttin ist, die mit dem Denker spricht. Es ist Mnemosyne, die Göttin der Mneme.« 16 Damit wäre sie wie Themis eines der zahlreichen Kinder von Uranos und Gaia 17 und die Mutter der Musen 18. Doch geht der Philosoph über diese mythischen Bezüge hinaus. Als Göttin der μνήμη, des Gedächtnisses, stellt sie das Wissen um den Sinn aller Erfahrungen bereit: »So gelangen wir zum Beispiel zur wahren Erkenntnis von der durch die von milesischen Denkern aufgestellten Theorie des Universums, sobald wir sie zu dem dadurch aufgeworfenen Problem in Beziehung setzen, und das ist die Frage, wie die Einheit des Universums selbst gedacht werden kann. Dieses Problem der Erinnerung bleibt natürlich im Hintergrund der Verse des Parmenides, und es kommt nicht in begrifflicher Gestalt zum Vorschein, sondern nur als dichterisches Bild der die Wahrheit offenbarenden Göttin.« 19 Ähnlich wie Heidegger weist Gadamer bereits über den Mythos hinaus auf dessen philosophischen Gehalt hin. Doch wenn auch diese Aussagen mehr oder weniger plausibel Wolf 1950, 24. Heidegger GA 54, 6 f. – »Anders als bei Xenophanes spricht zu ihm wieder die Göttin, aber diese Göttin ist nicht, wie die Musen, eine Mittlerin, sondern sie ist die Ἀλήθεια, die Wahrheit, selbst und unmittelbar« (Picht 1996, 54). 15 Heidegger GA 54, 7; s. a. GA 35, 110. 16 Gadamer 1996, 135 (Hervorhebung: H. V.). 17 Hesiod Th. 135. 18 Hesiod Th. 54–61. 19 Gadamer 1996, 136. 13 14

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Kommentar

und jedenfalls innerhalb ihres Kontextes zu sehen sind, wäre es trotz allem sinnvoll, ließe man die Anonymität der θεά auf sich beruhen. 20 5. Der Altphilologe Hermann Fränkel vergleicht den Anfang von F0 mit Versen aus Pindars 6. Olympischer Ode (22–27). Ihm zufolge hängen beide von demselben Original ab. »In diesem Original werden die übereinstimmenden Züge ähnlich nahe beieinander gestanden haben wie sie bei Pindar in wenigen Versen vereint sind, während sie sich bei Parmenides auf eine längere Strecke verteilen.« 21 Es folgt der Vergleich: Ὦ Φίντις, ἀλλὰ ζεῦξον ἤδη μοι σθένος ἡμιόνων ᾇ τάχος, ὄφρα κελεύθῳ τ’ ἐν καθαρᾷ βάσομεν ὄκχον, ἵκωμαί τε πρὸς ἀνδρῶν καὶ γένος. κεῖναι γὰρ ἐξ ἀλλᾶν ὁδὸν ἁγεμονεῦσαι ταύταν ἐπίστανται, στεφάνους ἐν Ὀλυμπίᾳ ἐπεὶ δέξαντο.

1 ἵπποι ταί με φέρουσιν, ὅσον τ’ ἐπὶ θυμὸς ἱκάνοι, πέμπον, ἐπεὶ μ’ ἐς ὁδὸν βῆσαν πολύφημον ἄγουσαι 5 … κοῦραι δ’ ὁδὸν ἡγεμόνευον 17 f. ταὶ δὲ (πύλαι) | ἀναπτάμεναι (ließen mich ein in das Reich der zu berichtenden Wahrheit)

Fränkel dazu: »Beide Dichter überlassen sich auf ihrer Fahrt außerpersönlichen Gewalten; die musische Kraft trägt und bewegt, lenkt und führt ihr Schaffen.« 22 Damit ist Parmenides »als Entrückter nicht nur seiner Weltlichkeit und Menschlichkeit ledig geworden {…}, sondern auch seiner Individualität und Zeitlichkeit«. Fränkel muss freilich auch einräumen: »Daß dem Parmenides solches in der Tat widerfahren und geglückt ist, läßt sich weder dokumentarisch beweisen noch zwingend widerlegen. Wohl aber gibt es gewichtige Argumente, daß Parmenides die unio mystica mit dem wahren Sein persönlich erfahren hat.« 23 »Nur für eine sehr kurze Zeit, vielleicht nur für Augenblicke, wird Parmenides, als Okzidentale, die Entrückung jeweils erlebt haben; bald muß er wieder in die Niederungen der Scheinwelt zurückgesunken sein, die ihn dann von neuem umfaßte und beherrschte wie jeden anderen. Es verblieb ihm aber auch dann sein theoretisches Wissen um die Wahrheit, und die Fähigkeit dafür Beweise anzutreten, wie sie im Hauptteil des Gedichts ge»Parmenides had good reasons to leave the goddess anonymous« (Tarán 1965, 16). »{…} she remains anonymous« (Coxon 2009, 280). 21 Fränkel 1955, 158. 22 Fränkel 1955, 158. 23 Fränkel 1993, 418. 20

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Begegnung (B 1.22–32 / B 2.1–8)

liefert werden. Und ferner verblieb ihm die Erinnerung an die Tatsache des Aufstiegs und die Hoffnung auf eine Wiederholung dessen was der Eingang beschreibt {…}.« 24

Dass der Weg von F0 zu einer ekstatischen Entrückung führt, ist aus mehreren Gründen bereits historisch ein Problem. So fragt sich, weshalb kein antiker Bericht auf eine derartige Einigung zumindest anspielt. Dazu kommt, dass eine ἕνωσις μυστική weder terminologisch noch sachlich dem Denken der VS zugeordnet werden kann und erst im Neuplatonismus breiten Raum einnehmen wird. 25 Nicht zuletzt kennen wir aus Berichten der Antike eine Reihe unterschiedlicher Phänomene der Entrücktheit, ohne dass es erkennbare Beziehungen zu Parmenides gibt. 26 Darüber hinaus scheint eine Verwechslung der Ziele vorzuliegen, wie der folgende Abschnitt zeigt. Trotzdem lässt sich bei aller Vorsicht kaum verkennen, dass F0 Momente einer Initiation enthält. Aus religionsgeschichtlicher Sicht gehört zu einer solchen »im allgemeinen eine dreifache Offenbarung: die Offenbarung des Heiligen, des Todes und der Sexualität«. 27 Diese Momente kehren in der Tat in F0 wieder: das Heilige als Begegnung mit der Göttin; der Tod als Absterben der bisherigen Lebensform, die den Menschen »über alle Wohnstätten« (B 1.3) hinwegführt; die Sexualität als »Göttin, die alles regiert« (B 12.3). Doch wenn auch der Religionshistoriker von einer geistigen Zeugung spricht, durch die man sich »eine übermenschliche Seinsweise« 28 erkämpft, so besteht doch ein grundlegender Unterschied zwischen dem Prozess archaischer Initiationen und dem von Parmenides entworfenen Neuanfang. Mag auch eine Analogie vorhanden sein, so ist gerade hier zu bedenken, dass das Ungleiche in diesem Vergleich größer ist als dasjenige, worin einander Initiation und Denken des Seins gleichen. Weshalb dann überhaupt einer solcher Vergleich, ist er mehr als bloß illustrativ? Er ist es insofern, als dadurch das Neue als Verwandlung des Alten erscheint – ein Vorgang, der auch für die Philosophie

Fränkel 1993, 419. »JAMBLICH kennt eine θεουργικὴ ἕνωσις, ›eine göttlich machende Einigung‹« (HWPh 2, 406; P. Heidrich). 26 Josef Mattes belegt solche Erscheinungen mit dem Terminus »Wahnsinn« und listet nicht weniger als 32 griechische »Wahnsinnsmythen« auf (tabellarische Zusammenfassung: Mattes 1970, 26–30). 27 Eliade 1990, 163. 28 Eliade 1990, 171. 24 25

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Kommentar

nicht nur nicht untypisch ist (auch wenn er zum ersten Mal bei Parmenides begegnet), sondern zu ihrem Wesen gehört. 29 Hält man sich an den Text, spricht ἡ θεά. Nur der Befund ist eindeutig: Das Wort hat eine Göttin, und alles, worüber sie spricht – das Sein, der Kosmos – kann vom Göttlichen nicht getrennt werden. Bei aller Neuerung, die dieses Denken bringt: Hätte sich Parmenides ganz davon verabschiedet, dass für das frühe griechische Denken (und dies weit über die klassische Zeit hinaus) die Welt von göttlichen Mächten erfüllt ist, gäbe es dann einen Grund, dass er die Wahrheit von einer Göttin verkünden lässt? Folgt man der Doxographie des Aristoteles, war Thales von Milet der erste Philosoph. Von ihm heißt es in De anima: Καὶ ἐν τῷ ὅλῳ δέ τινες αὐτὴν [scil. τὴν ψυχὴν] μεμῖχθαί φασιν, ὅθεν ἴσως καὶ Θαλῆς ᾠήθη πάντα πλήρη θεῶν εἶναι. »Einige sagen aber auch, sie [scil. die Seele] sei mit dem All vermischt, weshalb vielleicht auch Thales glaubte, alles sei voll von Göttern.« 30

Die θεά der FF muss mit keiner bestimmten Göttin identifiziert werden. Wenn hier Namen genannt wurden (°B 1.22, °III.2.a.4), so sind es nur σήματα, Zeichen (ähnlich wie die Attribute des Seins, °III.6.b). Wem der Kuros begegnet, was ihn an die Grenze seines θυμός führt (°B 1.1) und ihn das Folgende zu bedenken heißt (°B 6.2), ist eine göttliche Macht, die bei Parmenides ἡ θεά heißt. Durch ihren Anruf wird jener, der alles Vertraute hinter sich lässt, weil er etwas gesehen hat (B 1.3), zum Kuros, dem wissenden Jüngling (B 1.24). Die im vorigen Abschnitt genannten mythischen Bezüge und der Vergleich mit einer Initiation sowie die Gegenüberstellung von Parmenides und Pindar sind das Eine. Etwas anderes aber ist die Zielvorgabe, die nur dem Parmenides eigen ist. Heidegger hat dazu bündig festgestellt: »Parmenides fährt mit einem Rossegepann zum Hause der Göttin – Ἀλήθεια –. Er legt diesen Weg zur Göttin zurück. {…} Das nächste und wirkungsgeschichtlich bedeutendste Beispiel ist Platons Höhlengleichnis: Τοῦτο δή, ὡς ἔοικεν, οὐκ ὀστράκου ἂν εἴη περιστροφή, ἀλλὰ ψυχῆς περιαγωγὴ ἐκ νυκτερινῆς τινος ἡμέρας εἰς ἀληθινήν, τοῦ ὄντος οὖσαν ἐπάνοδον, ἣν δὴ φιλοσοφίαν ἀληθῆ φήσομεν εἶναι (Platon R. VII 521 c). »Das ist nun freilich, scheint es, nicht wie sich eine Scherbe umwendet, sondern es ist eine Umlenkung der Seele, die aus einem gleichsam nächtlichen Tag zu dem wahren Tage des Seienden jene Auffahrt antritt, welche wir eben die wahre Philosophie nennen wollen« (Platon SW 3, 229). Damit vergleichbar sagt Hegel, »daß die an und für sich seiende Welt die verkehrte der erscheinenden ist« (WW 6, 161). 30 Gemelli I, 18/19. Aristoteles de An. 411a7. DK 11 A 22. 29

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Begegnung (B 1.22–32 / B 2.1–8)

Dieser Weg und seine Reichweite ist bestimmt durch das ἐφικάνειν des θυμός, durch das eigene Vor-verlangen des Parmenides. Er selbst von sich aus macht sich auf den Weg, nicht eine mystisch-mysterienhafte Verzauberung und Verzückung reißt ihn weg.« 31 Dies hat für die Interpretation nicht geringe Folgen. B 1.1–21 schildert der zunächst Ungenannte (ein durch με eingeleitetes ἐγώ, das sich nur indirekt durch seinen θυμός meldet, B 1.1) seine Fahrt. Er berichtet, dass sie κατὰ πάντ’ ἄστη φέρει εἰδότα φῶτα, »über alle Wohnstätten hin führt den Menschen, der etwas gesehen hat« (B 1.3) und somit ungewöhnlich ist. Dies zeigt sich dadurch, dass diesen Menschen πολύφραστοι ἵπποι, »vielverständige Rosse« (B 1.4), fortbringen, dass ihm κοῦραι, »junge Frauen«, den Weg weisen (B 1.5) und dass ihn Ἡλιάδες κοῦραι, »des Helios Töchter« (B 1.9), begleiten. Am Ende dieses Weges lässt ihn Δίκη πολύποινος, »Dike, die vielstrafende« (B 1.14), durch ein im Übrigen recht genau beschriebenes Tor hindurch (B 1.17–20). In dieser neuen Umgebung halten die Stuten mit ihrem Wagen. B 1.22 erscheint ἡ θεά. Im Augenblick der Begegnung mit ihr wird der bis dorthin Gebrachte zum Kuros. Er ist dies, weil er nun alles erfahren soll: χρεὼ δέ σε πάντα πυθέσθαι, »Not aber ist, dass du alles erfährst« (B 1.28). Drei Erfahrungen kündigt die Göttin an: 1. ἀληθείης εὐκυκλέος ἀτρεμὲς ἦτορ, »der Wahrheit wohlgerundetes, ruhiges Herz«; 2. βροτῶν δόξας, ταῖς οὐκ ἔνι πίστις ἀληθής, »der Sterblichen Meinungen, in denen nicht wahres Vertrauen wohnt«; 3. ὡς τὰ δοκοῦντα χρῆν δοκίμως εἶναι διὰ παντὸς πάντα περῶντα, »dass das, was erscheint, notwendig ist und, in Ansehen stehend, durch alles hindurch alles durchdringt« (B 1.29–31). Dabei bleibt es nicht. Es folgt das Versprechen eines – der Göttin! – Mythos, womit gleichzeitig die Aufforderung an den Kuros ergeht, das Gesagte anzueignen: κόμισαι δὲ σὺ μῦθον ἀκούσας, »höre du aber den Mythos und eigne ihn an« (B 2.1). Der nun zum Kuros Gewandelte befindet sich nicht nur, mit einem Bild gesagt, in einer neuen Umgebung, sondern mit dem Wort χρῆν, »Not«, öffnet sich ihm auch eine neue Dimension des Denkens. Damit entfällt jeder Versuch, die FF außerhalb dieses Horizontes zu verstehen, etwa als unio mystica mit dem Sein: Die Vorgaben für den Interpreten sind dem Mythos der Göttin zu entnehmen: als Weisung für den einzig möglichen Weg bei gleichzeitiger Abwehr un31

Heidegger GA 35, 110.

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Kommentar

gangbarer, nur scheinbarer Wege (B 2.2–8, B 6.4–9, B 7.3–5); im Ausgang vom Grundgedanken der Selbigkeit von Denken und Sein (B 3, B 8.34); mit einem neuen Blick auf das Seiende (B 4.1); schließlich im Verfolg der Zeichen, die auf dem Weg (der auch weiterhin als philosophischer Mythos zu verstehen ist: B 8.1) begegnen (B 8.3–49). Nach diesem Teil der Rede endet die Göttin ihren πιστὸν λόγον ἠδὲ νόημα ἀμφὶς ἀληθείης, die »Vertrauen erweckende Rede und den Gedanken zu beiden Seiten der Wahrheit« (B 8.50–51), und es folgt eine Zäsur: δόξας δ’ ἀπὸ τοῦδε βροτείας μάνθανε κόσμον ἐμῶν ἐπέων ἀπατηλὸν ἀκούων, »{…} die sterblichen Meinungen von da an lerne, indem du meine Worte hörst über die trügliche Welt« (B 8.51–52). Das Missverständnis, das den δόξαι entspringt (B 8.53–59), betrifft die Welt: Nach Auffassung der βροτοί ist sie bloßer Schein. Für die Göttin beruht jedoch die wahre Einrichtung (διάκοσμον B 8.60) auf ihrer Einheit. (Dass diese ihrerseits das ἐόν zum Fundament hat, ist noch zu zeigen: °III.8.a). Die Hilfe seitens der historisch-philologischen Forschung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Interpretation ab der Anrede des Kuros seitens der Göttin (B 1.24) primär im Bereich der Philosophie zu bewegen hat. Deren Grundthemen heißen »Sein« und »Denken«. Über mögliche Vorläufer des Parmenides wurde bereits berichtet (°I.3.a). Es geht aber nicht allein darum, Einflüsse nachzuweisen (was im Übrigen schon seit Diels der Fall ist, in den Forschungen der letzten Jahrzehnte aber weiter ausgebaut wurde) 32, die Frage stellt sich, ob und inwieweit sich die Vergangenheit als Herausforderung für Parmenides erweist. Sind für ihn die Mythen – insbesondere die von Hesiod überlieferten – etwas, das überwunden werden muss, sodass erst dadurch die Besonderheit der FF (in Gestalt des neuen Mythos der Göttin: °III.2.a.1) heraustritt? Und gilt Ähnliches für das kosmologische Denken der Milesier, insbesondere für jene des Anaximander? Griechische Mythen sind in der Zeit des Parmenides noch durchaus lebendig. Indirekt lässt sich dies an ihrer Kritik durch Xenophanes ablesen (°I.3.a.iii), auch wenn diese im Werk des Parmenides keinen unmittelbaren Niederschlag findet. Was ist überhaupt ein Mythos, worin liegt seine Besonderheit? 32

Diels 2003, Burkert 2003, Burkert 2008, Gemelli II u. a.

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Begegnung (B 1.22–32 / B 2.1–8)

Der griechische Mythos wird nur im Lichte einer bestimmten Interpretation zugänglich. Um sich dieser und damit ihrem Gegenstand anzunähern, unterscheide ich mit Angehrn drei Aspekte: »Untersucht werden können die Logik, die Funktion oder der Inhalt des Mythos.« 33 Stellungnahme und Aneignung Bei den VSn findet sich das Wort μῦθος nur selten: zuerst bei Parmenides, am häufigsten bei Empedokles, später bei Demokrit und Kritias. 34 B 2.1–2 fordert die Göttin den Kuros auf, auf ihren eigenen Mythos zu hören und diesen sich anzueignen, κόμισαι δὲ σὺ μῦθον ἀκούσας. B 8.1–2 leitet zur Aufzählung der Attribute des Seins über, denn nun nur noch der Mythos des Weges sei übrig, μόνος δ ἔτι μῦθος ὁδοῖο | λείπεται. Es ist eine Herausforderung durch etwas, das Parmenides aus der Überlieferung begegnet und ihn veranlasst, Stellung zu beziehen: gegenüber dem Alten und mit Blick auf das Neue. Mit dem Alten sind der Mythos mit seinen Genealogien gemeint, dazu die Kosmologie im Geiste des neuen Wissens der milesischen Philosophie; neu ist das Denken des Seins. Indem die neue Aufgabe ergriffen wird, kann der alte Mythos zum Anstoß werden. Mythen sind Schöpfungen vor allem von Homer und Hesiod. Wie wir heute wissen, ist gerade Letzterer für Parmenides von Bedeutung, weit mehr als Homer. »Wenn Parmenides mit seiner Ontologie alle früheren Kosmologien ablehnt, dabei aber von seinen Vorgängern das verwendet, was Angehrn 1996, 31. – Doch gilt dies nur für den griechischen Mythos und kann »anderweitig nicht aufrecht erhalten werden. Vor allem zeigt sich bei den Kulturen der Sammler und Jäger, daß es ›den‹ Gott im Sinne einer klar umgrenzten (polytheistischen) Persönlichkeit eigentlich nicht gibt. Vielmehr geht es darum, daß sich das Göttliche mit den Gestalten der Erfahrung und den Vorstellungen des Bewußtseins – vielfach in reflexionsloser Objektivität und in gemeinschaftsbezogener Spontaneität – verbindet und dem Hier und Jetzt des Alltäglichen Sinn verleiht. Zwar kennt die einzelne Erzählung diesen oder jenen ›Gott‹, verglichen mit andern Erzählungen jedoch zeigt sich eine ständige Metamorphose der göttlichen Gestalten. Was einmal als Schöpfergott angesprochen ist, ist ein andermal der Urvater, Kulturbringer usw.« (Dupré 1973, 950 f.). 34 Parmenides: B 2.1; B 8.1. – Empedokles: 31 B 62.3; B 23.11; B 17.14–15; B 24.2; B 114.1. – Demokrit: 68 A 126 a. – Kritias: 88 B 6.10 (DK III, 288). 33

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Kommentar

er als richtig betrachtet, lassen sich bei ihm erste Ansätze zu einer immanenten Kritik feststellen, insofern er mit den richtigen Lehrmeinungen seiner Vorgänger deren falsche widerlegt.« 35 Das Herz der Wahrheit. Die Mitte des parmenideischen Denkens ist für die Göttin ἀληθείης εὐκυκλέος ἀτρεμὲς ἦτορ, »der Wahrheit wohlgerundetes, nicht erzitterndes Herz« (B 1.29). Ein solches Herz kann von außen nicht erschüttert werden, denn es gibt ja kein Außen (B 8.36–37). Damit ist es unbeweglich, was aber nicht heißt, dass es nicht eine eigene Art von Bewegtheit hat, ein In-sich-Ruhen: Es ruht in sich als das Selbe im Selben (B 8.29). 36 Da von einer strikten Trennung zwischen geistigen und körperlichen Funktionen abzusehen ist, können hier auch medizinische Überlegungen hereinspielen. 37

b.

Der Kuros

Kuros – »Jüngling« – ist ein Wort aus der Mysterienliteratur (°B 1.24). 38 Wesentlich ist hier, dass der Mensch, der etwas gesehen hat und sich deshalb mit allem ihm nur möglichen Einsatz auf eine gefährliche Reise einlässt (B 1.1, B 1.3), zum Kuros wird, sobald ihm die Göttin begegnet und auf die Notwendigkeit hinweist, sich allem, was sie nun sagen wird, auszusetzen: χρεὼ δέ σε πάντα πυθέσθαι. »Es ist aber Not, dass du alles erfährst« (B 1.28). Er hat dies aber auch zu »lernen« (μαθήσεαι: °B 1.31), d. h. nicht bloß zur Kenntnis zu nehmen, sondern anzueignen, indem er dem Weg folgt, den ihm die Göttin beschreibt, und in eins damit andere Wege – die sich nur als solche geben – vermeidet.

Bormann 1971, 151. Die Übersetzung von ἀκίνητον (B 8.26 und B 8.38) ist allerdings Interpretation. Denn jedes Verbaladjektiv kann zweierlei bezeichnen: »entweder das Bewirkte: λυτός gelöst, κρυπτός verborgen, {…} oder (häufiger) das Bewirkbare: λυτός lösbar, διδακτός lehrbar, νοητός denkbar {…}« (Bornemann/Risch 1978, 256). Die Entscheidung im Text für »unbeweglich« ergibt sich nicht aufgrund des häufigeren Vorkommens, sondern wird mit B 8.36–37 begründet: οὐδὲν γὰρ {ἢ} ἔστιν ἢ ἔσται | ἄλλο πάρεξ τοῦ ἐόντος. Im Übrigen darf bei aller Zurückhaltung gegenüber Anachronismen an den Unbewegten Beweger der aristotelischen Metaphysik erinnert werden. 37 Dönt 1984. 38 »Der Kuros als Lernender«: Stemich 2008, 42–65. »Die Seinsmerkmale aus der Sicht des Kuros«: Stemich 2008, 197–217. 35 36

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Begegnung (B 1.22–32 / B 2.1–8)

Der Nachvollzug dieser Forderung setzt eine Umkehr der gewohnten Einstellung voraus, denn nur so wird der Blick (B 4.1) auf solches frei, das nicht unmittelbar vor Augen liegt: für die ἀπεόντα. Der Kuros muss zuerst das Wagnis jener in F0 beschriebenen Fahrt auf sich nehmen – es ist seine Initiation (B 1.1–21). Erst wenn er ans Ende dieser Fahrt gekommen ist und damit sein erstes (ihm zunächst noch nicht in voller Deutlichkeit vorgegebenes) Ziel erreicht hat (die Begegnung mit der Göttin: B 1.22), muss er die nächste Aufgabe bestehen: Er muss sich einer Prüfung unterziehen (B 7.5). Und erst darnach vermag er die schon angekündigte Voraussetzung seines Weges zu erkennen, nämlich die Selbigkeit von Denken und Sein (B 3). Durch diese entscheidenden Schritte auf den Weg gebracht, begegnen ihm jene Zeichen (°III.6.b), die das Ganze des Seins gleichsam aufleuchten lassen – das Wort in der Bedeutung des λεύσσειν (B 4.1) und nicht etwa als mystisches Erlebnis verstanden: οὐδέ ποτ’ ἦν οὐδ’ ἔσται, ἐπεὶ νῦν ἔστιν ὁμοῦ πᾶν, »nicht war es jemals, noch wird es sein, da es auf einmal nun alles ist« (B 8.5); οὐδὲ διαιρετόν ἐστιν, ἐπεὶ πᾶν ἐστιν ὁμοῖον; »es ist nicht teilbar, da gleich in jeder Beziehung« (B 8.22); ἐὸν ἐόντι πελάζει, »Seiendes ist dem Seienden nahe« (B 8.25); πᾶν ἐστιν ἄσυλον, »ganz ist es unversehrt« (B 8.48); ταὐτόν τ’ἐν ταὐτῷ τε μένον καθ’ ἑαυτό τε κεῖται, »das Selbe im Selben verharrend und bei sich selbst ruht es« (B 8.29). Blick und Prüfung und Kenntnis der Voraussetzungen sind die wesentliche Grundlage für den Schritt zum Sein. Doch das Aufspüren der Zeichen ist nur möglich, wenn der Kuros den Weg selbst geht. 39 Mit anderen Worten: Er kommt immer wieder in Gefahr, sich im Ungangbaren zu verirren und zu verlieren. Dies ist deshalb der Fall, weil der Kuros zwar die Gewohnheiten und das Gewöhnliche der βροτοί hinter sich gelassen hat, deshalb aber sein Wesen als βροτός nicht von sich abgetan hat. Es wäre sogar die äußerste Verblendung, meinte er, dadurch nicht mehr der δόξα ausgesetzt zu sein. Die Irre gehört zur Wahrheit, und es wäre wohl die verhängnisvollste Verstrickung in jene, zu meinen, die ἀλήθεια wäre möglich, ohne sich den δόξαι auszusetzen (°III.8.a.i).

39

°B 1.2, °B 1.32, °B 2.4, °B 2.5.

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Kommentar

3.

Sein und Denken (B 3 · B 8.34)

Das dritte F ist das kürzeste und legt den Grund für alles Weitere. Νοεῖν

a.

B 3 wird meist im Anschluss an B 2.7–8 gelesen: οὔτε γὰρ ἂν γνοίης τό γε μὴ ἐὸν (οὐ γὰρ ἀνυστόν) | οὔτε φράσαις. »Denn du könntest das Nichtseiende nicht erkennen (es ist ja nicht durchführbar), | noch könntest du es erklären.« Parmenides begründet mit diesen zwei Versen die Unmöglichkeit, das Nichtsein zu erkennen, und damit auch jene, diese Erkenntnis anderen mitzuteilen. Unmittelbar darauf folgt B 3 mit der Begründung: … τὸ γὰρ αὐτὸ νοεῖν ἐστίν τε καὶ εἶναι. »… das Selbe nämlich ist Denken sowohl als auch Sein.« Im Vollzug des νοεῖν (und auf keine andere Weise) stößt der Mensch immer wieder auf Sein. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Um hier Klarheit zu schaffen, wird ein Blick auf die Semantik von νοεῖν vorausgesetzt. Kurt v. Fritz hat dessen Entwicklung in einer größeren Studie 40 untersucht – auf sie hat sich der Großteil der Interpreten nach ihm bezogen. Anders als diese ist Maria Marcinkowska-Rosół mit neuen Beobachtungen über v. Fritz hinausgegangen. 41 Εἶναι

b.

So wichtig die semantischen und historischen Beobachtungen zu εἶναι auch sein mögen, sie lassen die entscheidende Frage offen: Warum stößt Parmenides auf das Sein? B 6.1–2 sagt die Göttin zum Kuros: χρὴ τὸ λέγεις τὸ νοεῖς 42 τ’ ἐὸν ἔμμεναι· ἔστι γὰρ εἶναι, | μηδὲν δ’ οὐκ ἔστιν· τά σ’ ἐγὼ φράζεσθαι ἄνωγα. »Not ist, dass das, was du sagst und denkst, ein Seiendes ist; es gibt nämlich Sein, | ein Nichts gibt es nicht; das heiße ich dich zu bedenken.« Um sich einer Antwort zu nähern, ist nochmals auf das νοεῖν zurückzukommen, falls nur so und nicht anders (d. h. nur im Vollzug des νοεῖν) der Mensch das εἶναι entdeckt. 40 41 42

Fritz 1968. Marcinkowska-Rosół 2010. Lesart und Übersetzung: Marcinkowska-Rosół 2010, 109.

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Sein und Denken (B 3 · B 8.34)

Der Sinn dieser Aussage: Sagen und Denken sind intentional, d. h. ihrem Wesen nach ein Etwas-Sagen und ein Etwas-Denken. Das erklärt zwar – zumindest vorläufig – das λέγειν und νοεῖν, beantwortet aber immer noch nicht die Frage, wie und warum das Sein zum Grundthema des Parmenides geworden ist. Einen Hinweis enthalten die Verse vor und nach dem Zeilenwechsel: ἔστι γὰρ εἶναι, | μηδὲν δ’ οὐκ ἔστιν. Das Sein ist Thema, weil das Nichts als Herausforderung entgegentritt. Wo geschieht dies? Wie schon mehrmals erwähnt, ist die Kosmologie der Milesier jene Herausforderung, auf die sich Parmenides zur Antwort herausgefordert sieht (Herausforderung: das milesische μηδέν – Antwort: das parmenideische εἶναι). Da unter den Milesiern zu Anaximander von Milet eine besondere Nähe zu bestehen schein, sei eigens auf dessen Kosmogonie hingewiesen: »Die Erde sei schwebend, von nichts überwältigt, beharrend infolge ihres gleichen Abstandes von allen [Himmelskreisen]. Ihre Gestalt sei rund, gewölbt, einem steinernen Säulensegment ähnlich. Wir stehen auf der einen ihrer Grundflächen; die andere ist dieser entgegengesetzt. (4) Die Gestirne entstehen als Feuerkreis durch Abspaltung vom Feuer im Weltall und indem [das Abgespaltene] von Luft eingeschlossen wird. [An ihnen] seien gewisse röhrenartige Durchgänge vorhanden als Ausblasestellen; an diesen Stellen seien die ›Gestirne‹ sichtbar. In dieser Weise entstünden auch die Finsternisse, nämlich durch Verriegelung der Ausblasestellen. (5) Der Mond erscheine bald als Vollmond, bald als Halbmond infolge der Verriegelung bzw. Öffnung der Ausblasestellen. Der Kreis der Sonne sei 27mal so groß wie der der Erde, der des Mondes 19mal so groß; die Sonne sei zuoberst, die Kreise der Fixsterne hingegen zuunterst angeordnet.« 43

Das Zitat ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil es einen Vergleich mit der Kosmologie des Parmenides ermöglicht.

c.

Αὐτό

Das Selbe und das Gleiche. Das Selbe, τὸ αὐτό, ist Denken sowohl als auch Sein, νοεῖν ἐστίν τε καὶ εἶναι. Dabei ist vorweg nach der Bedeutung des αὐτό zu fragen. Unterschieden wurde das Selbe, τὸ ἀυτό, und das Gleiche, τὸ ὅμοιον (°B 3). Τὸ ἀυτό meint die Identität einer

43

Mansfeld I, 75. DK 12 A 11.

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Kommentar

Sache mit sich selbst, während sich τὸ ὅμοιον auf eine andere, mit ihm gleiche Sache bezieht; ein Beispiel: Im Dialog über den Sophisten stellt Platon fünf oberste Gattungsbegriffe, γένη, auf, um Sein und Bewegung zu erfassen: ὄν, στάσις, κίνησις, ταὐτόν und ἕτερον. Sie gleichen einander insofern, als sie aneinander Teil haben. Für sich genommen sind sie aber mit sich identisch. So kann der Fremde als Wortführer dieses Dialogs sagen: Οὐκοῦν αὐτῶν ἕκαστον τοῖν μὲν δυοῖν ἕτερόν ἐστιν, αὐτὸ δ’ ἑαυτῷ ταὐτόν. »Deren doch jedes verschieden ist von den andern beiden, mit sich selbst aber dasselbe.« 44

Die Reziprozität des αὐτό. Zur Bestimmung der Hierarchie in dieser Korrelation gibt es drei Möglichkeiten: 1. Das νοεῖν ist konstitutiv; 2. der Vorrang liegt beim εἶναι; 3. weder das eine noch das andere dominiert, es handelt sich vielmehr um eine gleichgewichtige Korrelation. Ad 1. Die Position ist die des Idealismus; sie wird von Hegel eingenommen. Dieser bezieht sich allerdings nicht unmittelbar auf B 3, sondern zitiert bzw. paraphrasiert B 8.34–36: »Das Denken und das, um weswillen der Gedanke ist, ist dasselbe. Denn nicht ohne das Seiende, in welchem es sich ausspricht (manifestiert, ἐν ᾧ πεφατισμένον ἐστίν), ›wirst du das Denken finden; denn es ist nichts und wird nichts sein außer dem Seienden.‹ Das ist der Hauptgedanke. Das Denken produziert sich; was produziert wird, ist ein Gedanke; Denken ist also mit seinem Sein identisch, denn es ist nichts außer dem Sein, dieser großen Affirmation. Plotin, indem er dies anführt, sagt, daß Parmenides diese Ansicht ergriff, insofern er das Seiende nicht in den sinnlichen Dingen setzte.« 45

Der Hinweis auf Plotin stellt klar: Das Denken kommt nicht von draußen, sondern hat seinen Grund in sich selbst, τὸ νοεῖν οὐκ ἔξω ἀλλ’ ἐν ἑαυτῷ. Dass es kein Sein außerhalb des Denkens gibt, lässt

Platon Sph. 254 d; SW IV, 228. Hegel WA 18, 289 f. – Hegel zitiert die neuplatonische Interpretation dieser Stelle durch Plotin, Enn. V 1, 8. Demnach habe Parmenides »Seiendes und Geist zusammenfallen {lassen} und das Seiende damit nicht unter die Sinnendinge« gesetzt; »denn dasselbe ist Denken wie Sein«, sagt er; οὐ γὰρ ἄνευ τοῦ ἐόντος: ὅτι τὸ νοεῖν οὐκ ἔξω ἀλλ’ ἐν ἑαυτῷ, »weil sein Denken nicht außen ist sondern in ihm selbst« (Plotin I a, 230/231).

44 45

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Sein und Denken (B 3 · B 8.34)

sich zwar mit Parmenides begründen; daraus folgt jedoch nicht, dass das Sein als solches unselbständig und nur im Denken enthalten ist. Ad 2. Man kann hier von der Position des Materialismus sprechen. Dies ist weniger eindeutig als bei 1. zu verorten, da es meines Wissens zwar Hinweise in der Sekundärliteratur gibt, doch kein Philosoph diese Auffassung vertritt. Der Philosophiehistoriker Burnet erblickt in Parmenides den »Vater des Materialismus«: »Was ist, ist ein endliches sphärisches, bewegungsloses, körperliches plenum und es ist nichts jenseits von ihm. Die Erscheinungen der Vielfältigkeit und Bewegung, des leeren Raumes und der Zeit sind Täuschungen. Wir sehen daraus, dass die Ursubstanz, nach der die alten Kosmologen forschten, jetzt eine Art von ›Ding an sich‹ geworden ist. Sie hat diesen Charakter niemals wieder ganz abgestreift. Was sich später als die Elemente des Empedokles darstellt, als die sogenannten ›Homoeomerien‹ des Anaxagoras und als die Atome des Leukippos und Demokritos, ist genau das ›Seiende‹ des Parmenides. Parmenides ist nicht, wie einige gesagt haben, der ›Vater des Idealismus‹ ; im Gegenteil, aller Materialismus hängt mit seiner Anschauung der Wirklichkeit zusammen.« 46

Ad 3. Es handelt sich um ein Wechselverhältnis, bei dem jedes Glied das jeweils andere mitbestimmt; damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass einem der beiden Glieder ein Vorrang zukommt. Die Reziprozität geht aus B 3 τε … καὶ, »sowohl als auch«, hervor, und der Vorrang des Seins vor dem Denken ergibt sich aus B 8.34 ταὐτὸν δ’ ἐστὶ νοεῖν τε καὶ οὕνεκεν ἔστι νόημα. »Das Selbe aber ist Denken sowohl als auch weswegen ist der Gedanke.«

d.

Das Worumwillen

Parmenides gebraucht nebeneinander die Termini νοεῖν und νόημα. Der Unterschied zwischen beiden wird durch das οὕνεκεν, »dessentwegen« angegeben: Das νόημα ist des νοεῖν wegen da. Ein Beispiel dazu aus der Odyssee. Telemach will nach dem Verbleib seines Vaters Odysseus forschen, was Euryklea, dessen Dienerin, erschreckt: τίπτε δέ τοι, φίλε τέκνον, ἐνὶ φρεσὶ τοῦτο νόημα | ἔπλετο; »Wozu ist dir nur, liebes Kind, dieser Gedanke in den Sinn gekommen?« 47 Das νόηBurnet 1913, 167. (Mit diesem Zitat ist allerdings bereits Burnets Untersuchung zu den späteren FFn vorweggenommen.) 47 Homer Od. 2, 363 f. 46

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Kommentar

μα, der Gedanke, ist Teil eines Gedankenganges: Euryklea soll Telemach Wein schöpfen, ihm Gerstenmehl bringen, das er am Abend holen wird, um dann mit einem Schiff nach Sparta zu gehen, »um Kunde einzuholen von der Heimkehr meines Vaters, ob ich irgend davon höre« (Schadewaldt). Sind dies nicht verschiedene νοήματα, Gedanken, die dem Telemach in den Sinn gekommen sind, Absichten, die aber alle ein νοεῖν ausmachen? Pichts Kommentar zu dieser Stelle lautet, »daß die Versreihe B 8.34–41 einen Durchblick durch den gesamten Aufbau des parmenideischen Denkens gibt; denn sie führt von dem Selben im Erkennen und ›Seienden‹ über die Fesseln der Moira bis in den Bereich der δόξα«, und »daß diese Versreihe sich in ihrem Aufbau genau an das Fragment {21} B 26 des Xenophanes anschließt«. 48

4.

Die Schau (B 4 · B 5)

Wie B 3 so etwas wie einen Kern des Ganzen bildet, ist B 4 für die Sichtweise, die dem Denken des Seins entspricht, von zentraler Bedeutung. In B 5 wird sie auf den Kosmos ausgeweitet.

a.

An- und Abwesen

Nach der Meinung einiger Interpreten ist die Einordnung des Fragments umstritten; es sei »ein Rätsel«, weshalb es »in das Gedicht aufgenommen« wurde«. 49 Demgegenüber halte ich B 4 für das Verständnis der FF für besonders wichtig. 50 Die Göttin ruft dem Kuros zu: λεῦσσε – »schaue«! Diese Schau bezieht sich auf Anwesendes wie auf Abwesendes, παρεόντα und ἀπεόντα, doch liegen beide nicht auf derselben Ebene. Anwesend sind Erscheinungen oder Vorgänge wie die Änderung einer Lage im Raum oder ein qualitativer Wechsel der Farbe (°B 8.41), auch Interpretationen der Welt (°B 4.3, °B 4.4). Es soll aber auch dasjenige erfasst werden, das sich dem unmittelbaren Hinsehen entzieht, also nur

Picht 1996, 53. Kirk & al. 1994, 288. 50 Auch Stemich widmet der »Gegensatzspannung« von ἀπεόντα – παρεόντα eine genauere Untersuchung (Stemich 2008, 184–188). 48 49

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Die Schau (B 4 · B 5)

der »Schau« zugänglich ist, 51 und auf diese Weise begriffen werden, obgleich (ὅμως B 4.1) es abwesend ist. Damit verliert das Anwesende (z. B. die Farbe eines Gegenstandes) keineswegs an Bedeutung. Denn nur unter Bezugnahme auf τὰ παρεόντα kann auch solches, das sich dem unmittelbaren Sehen entzieht, geschaut werden. Was B 3 als Fundament einführt und B 4.1 als besondere Art der Intuition herausstellt, wird in B 8 konkretisiert: Die ἀπεόντα sind jene σήματα (B 8.2), die auf unterschiedliche Weise als Attribute des Seins fungieren. B 4 wehrt drei Positionen ab: (1) οὐ γὰρ ἀποτμήξει, »nicht wird es {= das geistige Auge} trennen das Seiende« (B 4.2); (2) οὔτε σκιδνάμενον πάντῃ πάντως κατὰ κόσμον, »nicht, wenn es sich überall {…} hin verteilt« (B 4.3); (3) οὔτε συνιστάμενον, »noch, indem sich’s verdichtet« (B 4.4). Zusammenfassend: »Genaugenommen benennen die drei Untersagungen in negativer Formulierung Merkmale des Seienden; denn sie verwerfen, was das Seiende per definitionem nicht sein kann.« 52

b.

Ursprungslosigkeit

Das ξυνὸν δέ μοί ἐστιν, »es macht für mich keinen Unterschied« (B 5.1), bezieht sich auf die ἀρχή, »Anfang«. Der Doxographie des Aristoteles zufolge ist Thales von Milet der ἀρχηγός einer Philosophie, die nach der ἀρχή sucht. Als einzige Ursache gilt ihm der Stoff, die Materie, ἐν ὕλης εἴδει λεγομένην. 53 Andere von den Alten haben noch andere Ursachen hinzugefügt. Parmenides gehört jedoch, anders als die Milesier, nicht zu denen, die eigens nach der ἀρχή fragen. 54 Unterscheidet er sich hier von ihnen?

Eine solche Schau hat nichts mit mystischen Eingebungen zu tun, wie die Beschreibung zeigt; °B. 4.1. 52 Stemich 2008, 189. Anders formuliert: »Die drei Negationen bestätigen Seinsmerkmale. Der Kuros erlangt ein Objekt des ununterbrochenen Schauens, das weder veränderbar {…} noch beweglich sondern absolut unwandelbar ist« (Stemich 2008, 191). 53 Aristoteles Metaph. A 3, 984a17 f. 54 Dies entspricht dem Selbstverständnis des Parmenides. Bei Aristoteles erscheint er allerdings zusammen mit den Pythagoreern unter jenen, für die die Formursache zu den ἀρχαί gehört (Metaph. A 5). 51

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Kommentar

5.

Wege, die keine sind (B 6 · B 7)

Es gibt zweierlei Arten, in die Irre zu gehen; in beiden Fällen herrscht die Meinung vor, es sei ein Weg gefunden, der aber in Wahrheit nirgendwohin führt. Er ist ungangbar, denn er landet im Nichts. Es ist kein πόρος, kein Durchgang, daher ἄ-πορος, unwegsam, nicht zu passieren, 55 und daher etwas, das in wissenschaftlicher Terminologie eine Aporie genannt wird; mit ihr einher gehen Ratlosigkeit, Verlegenheit, Schwierigkeit 56 – im Grunde, wörtlich genommen: Ausweglosigkeit. Dieser scheinbare Weg mündet im Nichts. Die Göttin drängt aus eben diesem Grund den Kuros von diesem ersten Weg der (sogenannten) Forschung ab (ἀϕ’ ὁδοῦ ταύτης διζήσιος B 6.3) – denn: μηδὲν δ’ οὐκ ἔστιν, »ein Nichts gibt es nicht«. Doch sie fügt sogleich hinzu: τά σ’ ἐγὼ φράζεσθαι ἄνωγα, »das heiße ich dich zu bedenken« (B 6.2). Dass es kein Nichts gibt, muss der Kuros eigens für sich erst entdecken (φράζεσθαι, das auch »denken« bedeutet). Ausgehend von B 3 wäre zu sagen, dass die Entdeckung des Nichts erst auf der Ebene des νοεῖν möglich wird. Ungangbar sind erstens die milesischen Kosmologien. Diese konstituieren Gegensätze, gehen aber nicht – wie es rechtens wäre – von deren Einheit aus. Sie bilden diese erst im Nachhinein – sei es durch Einfügung der Gegensätze in die Welt (B 4.3) oder durch deren Verdichtung (B 4.4). In beiden Fällen fehlt der Blick (λεῦσσε B 4.1), der das Eine vorwegnimmt. Die zweite Gruppe, die sich auf einem solchen Irrweg befindet, sind die βροτοί, die Sterblichen. Sie halten sich am Gewohnten fest und gehen nicht κατὰ πάντ’ ἄστη »über alle Wohnstätten hin« (B 1.3) zum νοεῖν. Parmenides nennt sie δίκρανοι, »Doppelköpfe« (B 6.5), denn sie bejahen bald das, was sie für das Sein halten, bald jenes, das ihnen als Nichts erscheint, denn ihnen fehlt die πίστις ἀληθής, das wahre Vertrauen (B 1.30, B 8.28).

55 56

Pape 1, 332. Herodot 1, 79.

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Die Schau (B 4 · B 5)

a.

Ausweglosigkeit: Das Nichts

Für »Ausweglosigkeit« steht im Griechischen ἀπορία. Als terminus technicus findet sich das Wort zwar erst nach Parmenides, 57 ist aber indirekt auch schon für ihn nicht irrelevant (°B 7.5). Die ἀπορία – sagt Platon in seinen »etymologischen« Erklärungen im Kratylos – ist schlecht, wie alles, was am Gehen und Vorwärtskommen hindert, ἐμποδὼν ᾖ τῷ ἰέναι καὶ πορεῦεσθαι. 58 Dieses Hindernis erscheint bei Parmenides im »οὔτε … οὔτε« (B 2.7–8), weshalb es gilt, einen solchen Gedanken abzuwehren (διζήσιος εἶργε νόημα B 7.2). Er müsste dies freilich nicht eigens betonen, wäre das Nichts – und um dieses geht es dabei – außerhalb jeder Erfahrung. Denn die Göttin sagt nicht, der zweite Weg sei nicht zu denken. Seine ganze Ausweglosigkeit zeigt sich allerdings erst im Horizont des νοεῖν; erst hier tritt ein solches Vorhaben in seiner ganzen Vergeblichkeit in Erscheinung (οὐ γὰρ ἀνυστόν B 2.7). Zweierlei folgt daraus: Es ist unmöglich, das Nichtsein zu erkennen (οὔτε γὰρ ἂν γνοίης τό γε μὴ ἐὸν B 2.7); es ist daher auch nicht möglich, das Nichtsein zu erklären (οὔτε φράσαις B 2.8). Gegenüber dem Mythos würde dies heißen: Was nicht erkannt werden kann, d. h. wo es kein κρῖναι λόγῳ (B 7.5), keine auf dem λόγος beruhende Unterscheidung gibt, ist es auch nicht möglich, solche Behauptungen sachkundig zu vermitteln. Wer ist damit gemeint? Es sind zwei Adressaten, exemplarisch mit zwei Namen verbunden: dem des Hesiod und dem des Anaximander; jener steht für den Mythos, dieser für die Kosmologie der Milesier.

b.

Irrwege: Die unwissenden Sterblichen

Von den Aporien, von denen eben die Rede war, sind die Irrwege der Sterblichen zu unterscheiden. Handelt es sich bei jenen um Kosmogonien oder Kosmologien, so bestimmen hier die Irrwege des Alltags »Das Wort ›Aporie‹ {…} bedeutet Ausweglosigkeit, Not, Verlegenheit und Bedürftigkeit. In Platons Dialogen bezeichnet die A. das Empfinden eines Mangels, die inhaltliche Problematik eines philosophischen Sachverhaltes oder die Unfähigkeit, etwas beschaffen zu können. {…} Bei Platon steht die A. in engem Zusammenhang mit dem Verfahren des Elenchos, dessen ›Resultat‹ die A. beschreibt« (Aporie, in: Schäfer 2007, 48; Michael Erler). 58 Platon Cra. 413 c. 57

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Kommentar

die Meinungen der Sterblichen. Wird im ersten Fall das Sein unzureichend erkannt oder erklärt (B 2.6–7), so ist hier keine Sache des Wissens, sondern ein Weg des Erdichtens – ein Weg, ἣν δὴ βροτοὶ εἰδότες οὐδὲν | πλάττονται, »den die Sterblichen, welche nichts wissen, | erdichten« (B 6.4–5). Sie meinen bald »Sein« und bald »Nichtsein«, es sind jene, οἷς τὸ πέλειν τε καὶ οὐκ εἶναι ταὐτὸν νενόμισται | κοὐ ταὐτόν, »denen das Sein wie das Nichtsein für dasselbe gilt | und nicht für dasselbe« (B 6.8–9) – daher ihr Name δίκρανοι, »Doppelköpfe« (B 6.5). 59 Die Taubheit und Blindheit der δίκρανοι und ihre Unfähigkeit, zwischen Sein und Nichtsein im Denken zu unterscheiden, gründet darin, dass sie meinen, auf dem einzig möglichen Weg zu sein, ohne zu erkennen, dass sie sich verrannt haben. Die Hartnäckigkeit ihrer δόξα geht darauf zurück, dass sie für wahr halten, was sie selber gesetzt hatten: ὅσσα βροτοὶ κατέθεντο πεποιθότες εἶναι ἀληθῆ, »was die Sterblichen festgesetzt haben, im Vertrauen darauf, dass es wahr ist« (B 8.39). Doch was ist das für ein Vertrauen? Die Göttin sagt, dass in den Meinungen der Sterblichen (den δόξαι βροτῶν) οὐκ ἔνι πίστις ἀληθής, »nicht wahres Vertrauen wohnt« (B 1.30). Ihr Irrtum wird deutlich, erinnert man sich an B 8.34: ταὐτὸν δ’ ἐστὶ νοεῖν τε καὶ οὕνεκεν ἔστι νόημα. »Das Selbe aber ist Denken sowohl als auch dessentwegen ist der Gedanke.« Denken und Sein sind in wechselweiser Selbigkeit aufeinander bezogen (B 3). Die βροτοί irren in zweifacher Hinsicht: Zum einen sind sie noch nicht zum νοεῖν gelangt; deshalb bleiben sie – zweitens – im Bereich einseitiger Setzung. Dass das Denken nicht Selbstzweck, sondern intentional 60 auf sein Gedachtes bezogen ist, ja mehr noch: dass es durch dieses überhaupt erst die Möglichkeit erhält, sein Ziel zu erreichen (οὕνεκεν 61): diese Erkenntnis verfehlen die Doppelköpfe. Freilich haben auch sie ihre Intentionalität, nur sind sie taub und blind gegenüber dem, was ihnen begegnet. Parmenides gebraucht dafür das Wort τε-

Dieses Doppelgesicht erinnert an den zweigesichtigen Ianus. Dieser hat freilich nicht unmittelbar mit den Doppelköpfen zu tun: Ianus ist ein römischer Gott (»Schirmherr der öffentlichen Tore und Durchgänge, die gleichfalls ianus hießen«: KP 2, 1311; W. E.), dem keine griechische Gottheit entspricht. 60 Zum Begriff der Intentionalität: Vetter 2004, 297 (H. Kaletha). 61 »Poseidon, versage uns nicht,« οὕνεκα δεῦρ’ ἱκόμεσθα, »um wessentwillen wir hierher gekommen sind« (Homer Od. 3, 61; Homer 1958, 30). 59

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Der Weg des Seins (B 8.1–51)

θηπότες, »sie geraten in Erstaunen« (B 6.7), sie wundern 62 sich über alles, von dem sie meinen, es sei, und dann wieder meinen, es sei nicht. Wenn von Taubheit und Blindheit die Rede ist, so bezieht sich dies darauf, dass jedes Hören und Sehen jene Intentionalität voraussetzt, die hier einseitig der Setzung geopfert wird. Daher schleppen sie sich fort (φοροῦνται B 6.6), ἀμηχανίη γὰρ ἐν αὐτῶν | στήθεσιν ἰθύνει πλαγκτὸν νόον, »denn Hilflosigkeit in ihrer | Brust lenkt den irrenden Sinn« (B 6.5–6). 63 So sind diese Defekte primär keine solchen der Wahrnehmung, sondern grundsätzlich ontologischer Art. Indem die Sterblichen ihre eigenste Möglichkeit (die Identität von Denken und Sein) verkennen, treiben sie in der δόξα dahin.

6.

Der Weg des Seins (B 8.1–51)

B 8.1 bis B 8.51 stellt den inhaltlichen Hauptteil der FF dar. Er enthält die Zeichen des Seins, d. h. alle jene Attribute, welche konkretisieren, was mit dem Sein gemeint ist. Dies geschieht in beständiger Abwehr dessen, was dem Seinsgedanken entgegensteht: das genealogisch gedachte Werden und Vergehen. Inwiefern das Sein in dieser Abkehr von einem bestimmten Zeitbegriff nicht in jeder Hinsicht »zeitlos« ist und seine eigene »Zeit« hat und welche Bedeutung es für die Einheit der Welt besitzt, sollen die folgenden Überlegungen zeigen.

a.

Ἔλεγχος und λόγος

F 7 fordert die Göttin vom Kuros: κρῖναι δὲ λόγῳ πολύδηριν ἔλεγχον, »entscheide durch Rechenschaftslegung den viel bestritt’nen Beweis«. Die Entscheidung ist klar; sie bezieht sich auf die Alternative ἔστιν ἢ οὐκ ἔστιν, »es ist oder es ist nicht«, nämlich das Sein. Was aber ist mit dem λόγος gemeint? Übliche Übersetzungen mit »Denken« oder »Vernunft« sind nicht möglich, weil in dieser Bedeutung das Wort vor Platon noch nicht vorkommt (°B 7.5) Welchen Sinn hat dann »Rechenschaft« (λόγον διδόναι, rationem reddere)? Sie wird 62 οἱ δ’ ἀνὰ θυμὸν ἐθάμβεον· οὐ γὰρ ἔφαντο {…}. »Die aber wunderten sich in dem Gemüte, denn sie hatten nicht gedacht {…}« (Homer Od. 4, 638; Homer 1958, 57). 63 Πλαγκτὰς δή τοι τάς γε θεοὶ μάκαρες καλέουσιν. »Plankten nennen diese die seligen Götter (das ist: Felsen des Scheiterns« (Homer Od. 12, 61; Homer 1958, 156).

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Kommentar

nicht (was das Übliche wäre) einer Person gegenüber geleistet, sondern betrifft den Vollzug des νοεῖν, also des eigenen Denkens. Es genügt der Göttin nicht, dass der Kuros das Denken (die alles entscheidende neue Position gegenüber allem, was ihm begegnet) vollzieht. Die Göttin verlangt vom Kuros, dass er sich eigens auf dieses Denken einlässt, Rechenschaft von ihm gibt und nicht nur Beweise liefert, sondern dies λόγῳ tut: Es geht nicht nur darum, auf Grund wovon er denkt (instrumentaler Dativ), sondern wie er denkt (modaler Dativ). So legt er Rechenschaft ab.

b.

Strukturierung

B 8 ist mit 61 Versen das umfangreichste F, hat aber auch inhaltlich das größte Gewicht. Der Mythos des Weges (μῦθος ὁδοῖο: B 8.1) enthält viele Zeichen (σήματα πολλά: B 8.2–3). Auf ihm gibt es positive und neutrale Attribute, gegen die positiven Attribute positionierte negative Attribute, Beweise und nicht zuletzt Metaphern. Inhaltlich gesehen sind die wichtigsten Attribute diejenigen, welche in positiver Form die Ganzheit ausdrücken (πᾶν kommt in den Versen 5, 22, 24, 25 und 48 vor). Dies ist deshalb so bedeutend, weil sich um sie herum andere Schwergewichte gruppieren: νῦν und ὁμοῦ 5, ὁμοῖον 22, ἔμπλεόν 24, ξυνεχὲς und πελάζει 25, ἄσυλον 48. Bei den negativen Attributen können vier Gruppen unterschieden werden, je nach ihrem Bezug auf solches, das Aristoteles als Kategorien bezeichnet: Negationen mit Beziehung zu Zeitlichem (ἀγένητον / ἀνώλεθρόν 3, ἄναρχον ἄπαυστον 27), zu Räumlichem (αὐξηθέν 7, οὐδέ τι τῇ μᾶλλον / οὐδέ τι χειρότερον 23–24), zu Quantitativem (οὐδὲ διαιρετόν 22), zum Ort (τόπον ἀλλάσσειν διά τε χρόα φανὸν ἀμείβειν 41), zu Werden und Vergehen (οὔτε γενέσθαι / οὔτ’ ὄλλυσθαι 13–14). Als eigene Gruppe wären die Beweise zu behandeln, wobei mehrheitlich γάρ vorkommt (6, 8, 17, 25, 30, 33, 35, 36, 44, 49, 53). Weiters kommen die Ausdrucksmöglichkeiten hinzu: οὐ γὰρ φατὸν οὐδὲ νοητόν (8), οὐ γὰρ ἄνευ τοῦ ἐόντος {…} | εὑρήσεις τὸ νοεῖν (35–36). Nicht zuletzt bilden eine eigene Gruppe die Metaphern. Sie lassen sich noch weniger als die anderen Merkmale für sich allein betrachten. Weil sie mit einer Reihe anderer Bestimmungen eng zusammenhängen, stellt sich folgende Frage: Wenn das »Sein« von 176 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Der Weg des Seins (B 8.1–51)

jeder räumlichen Bestimmung (um nur dieses Beispiel zu nennen) abzugrenzen ist, wie kann dann von Ferne und Nähe (πελάζει 25, τῆλε 28) die Rede sein, was bedeuten die Banden der Grenze (πείρατος ἐν δεσμοῖσιν ἔχει 31), innerhalb derer die Notwendigkeit das Sein festhält, was ist mit der Bindung durch die Moira (Μοῖρ’ ἐπέδησεν 37) gemeint und was bedeutet der Vergleich mit der Masse einer wohlgerundeten Kugel (εὐκύκλου σφαίρης ἐναλίγκιον ὄγκῳ 43)? Bestätigt dies am Ende nicht doch Burnets Materialismus-These (°III.3.c)? Nach diesen Hinweisen auf die verschiedenen Textarten (positive und negative Attribute, Beweise, Metaphern) sei die Abfolge der σήματα in B 8 mithilfe einer Paraphrase des Inhalts dargestellt: 1–2 Einleitung

Als einziger noch der Mythos des Weges bleibt: dass es ist; auf diesem Weg gibt es Zeichen.

3–6 Beschreibung

Ungeworden und ohne Vergehen ganz und einzig in seiner Art, unerschütterlich und endlos, nicht war es jemals noch wird es sein: Es ist auf einmal nun alles, eines, Zusammenhalt.

6–10 Einwände

Welches Hervorbringen? Gewachsen von wo? nicht aus dem Nichtseienden sagbar weder noch denkbar; welche Not, anfangend mit dem Nichts, zu sein?

11–13 Folgerungen

Entweder vollständig sein oder nicht: Niemals aus Nicht-Seiendem entsteht etwas daneben, das Selbe im Selben verharrend.

13–15 Grund

Weder zu werden, noch zu verderben hat Dike den Fesseln nachgegeben, sondern hält sie.

15–18 Krisis

Unterscheidung: Es ist oder es ist nicht, entschieden auf Grund der Notwendigkeit: Der eine Weg undenkbar, namenlos, der andere Weg ist in Wahrheit.

19–21 Rückfragen mit Folgen

Wie könnte das Seiende vergehen, wie werden? Wenn entstanden und werden, dann nicht: Werden gelöscht, Untergang unverständlich.

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Kommentar

22–25 weitere Folgerungen

Nicht teilbar, kein Stärkeres, kein Schwächeres: vielmehr erfüllt vom Seienden, Zusammenhalt: Seiendes ist Seiendem nahe.

26–31 Ergebnis

Unbeweglich in Grenzen gewaltiger Fesseln, ursprungslos unaufhörlich, Werden und Untergang vom wahren Vertrauen verstoßen, das Selbe im Selben verharrend und in sich ruhend, beharrliches Verweilen, durch Ananke in Fesseln der Grenze gehalten.

32–33 Satzung

Seiendes nicht ohne Vollendung, da nicht bedürftig, Nichtseiendes hätte an allem Mangel.

34–37 Denken und Sein Das Selbe ist Denken und dessentwegen ist der Gedanke nicht ohne das Seiende, in dem es gesagt ist, ist Denken, nichts außer dem Seienden. 37–38 Geschick

Bindung durch Moira: ganz = unbeweglich zu sein

38–39 Einwände

Name als Setzung der Sterblichen, überzeugt davon, es sei wahr.

40–41 Irrtümer

Werden / verderben, Ortstausch, Farbwechsel.

42–45 Beschreibung

Äußerste Grenze: Vollendung von allen Seiten vollendet, einer Kugel Masse ähnlich, inmitten überall gleich = nicht größer, nicht kleiner.

46–48 Begründungen

Es gibt kein anderes Seiendes, denn ganz ist es unversehrt.

49 Schluss

Für sich überall gleich, ist’s auf dieselbe Weise in seinen Grenzen.

c.

Die Zeichen des Seins

Wer die Prüfung über sich ergehen hat lassen, ist nun nicht allein im Besitz einer höheren Erkenntnis; er ist auch bereit, die Rede der Göttin zu hören und vor allem sich anzueignen (κόμισαι δὲ σὺ μῦθον ἀκούσας: B 2.1), d. h. sich auf den einzig möglichen Weg zu begeben 178 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Der Weg des Seins (B 8.1–51)

(μόνος δ’ ἔτι μῦθος ὁδοῖο: B 8.1), wenn anders die Zeichen zu Spuren werden sollen, die zum Sein führen. 64 Von den σήματα ist noch zweimal die Rede: B 8.55 als Ergebnis der sterblichen Meinungen, B 10.2 als Himmelszeichen. Vier Fragen stellen sich hier: Was sind das – σήματα? Wo ist ihr Ort? Was ist der Grund ihres Erscheinens? Was bedeuten die σήματα von B 8.1–49 im Einzelnen? Σήματα sind »Merkzeichen«. B 8.2–55 gehören sie zum Mythos des einzigen Weges, der noch übrig ist (μόνος δ’ ἔτι μῦθος ὁδοῖο | λείπεται, B 8.1–2). Die anderen Wege erweisen sich als ungangbar und sind daher keine Wege: der eine aufgrund der Ausweglosigkeit des Nichts (°III.5.a), der andere als Irrweg der Doppelköpfe (°III.5.b). Es bleibt also nur der Weg, auf dem es Zeichen gibt, ὡς ἔστιν, »dass ›es‹ ist« (°B 8.2): χρὴ τὸ λέγεις τὸ νοεῖς τ’ ἐὸν ἔμμεναι· ἔστι γὰρ εἶναι. »Not ist zu sagen wie zu vernehmen, dass Seiendes ist; es ist nämlich Sein« (B 6.1). B 8.55 sind mit den σήματα die Setzungen der βροτοί gemeint (°III.8.a.i), und B 10.2 werden die Sternbilder σήματα genannt. Die σήματα sind ταύτῃ, auf diesem Weg (°B 8.2). B 8.52 muss der Kuros um die trügliche Welt wissen (μἀνθανε κόσμον {…} ἀπατηλὸν), hier ist die Irre der Ort der σήματα (πλάνη: ἐν ᾧ πεπλανημένοι εἰσίν, B 8.54). B 10.1–2 erscheinen alle σήματα an ihrem himmlischen Ort (ἐν αἰθέρι πάντα, | σήματα καὶ {…}). Die σήματα auf dem Weg des Seins erscheinen dem Kuros nur, wenn er auf das Seiende im λεύσσειν blickt: auf das Abwesende im Anwesenden (B 4.1). Auch hier ist die Abwehr kosmologischer Vorstellungen deutlich (°B 4.2; °B 4.3). Das gilt nicht nur für die Zeichen des Seins, sondern auch für die Erscheinungen der wahren (und nicht nur der scheinbaren) Welt: die φύσις und alle in ihr aufgehenden Himmelszeichen: für Sonne und Mond, den Himmel und die Gestirne, den Eros (B 13) und für das Männliche und das Weibliche (B 12.4– 6, B 17, B 18). Werner Jaeger sagt von der Schau des Abwesenden mit den Stiftern der Mysterien, »daß das tiefste Geheimnis immer nur im scheinbar Offenkundigen zu finden ist«. 65

Jaeger erinnert daran, »daß das griechische Wort für Weg (ὁδός) seit Homer ja nicht nur die gebahnte Spur oder Straße bezeichnet, sondern auch den Gang als solchen zu einem Ziel, welchen ein Mensch geht« (Jaeger 1953, 118). 65 Jaeger 1953, 117. 64

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Kommentar

Vorläufiges Resultat: B 8.50–51 Die Spuren, die zum Sein hinführen, beginnen mit einer Abwehr: Das Seiende sei ohne Ursprung und dem Verderben nicht unterworfen. Dass die Zeichen des Seins mit dem Ausschluss von Werden und Vergehen beginnen, ist keine vorübergehende Feststellung, sondern begleitet F 8 in immer neuen Wendungen. Jaeger versteht diese durchgehende Abwehr als Beweis, dass das »naive Weltbild« der milesischen Kosmologen »die Zielscheibe des Angriffs ist«. 66 Für all diese in F2 zur Darstellung gebrachten Phänomene der Welt wird F1 in zweifacher Hinsicht vorausgesetzt: durch Aneignung der auf das Sein verweisenden Zeichen und in eins damit in Abwehr der irrigen, dem Schein verhafteten Zeichen. Daher sind die σήματα der FF zwar von unterschiedlicher Art, doch hängen die drei Arten zusammen: B 8.2 ist Voraussetzung für die σήματα von B 10.12, die Aneignung der Zeichen führt aber zugleich den Irrtum der Sterblichen (σήματ’ ἔθεντο, B 8.55) durch »logische« Krisis (B 7.5 und B 8.15) auf die Wahrheit zurück. i.

Das Ganze

Den σήματα von B 8.1–49 geht ein Überblick voraus, es folgt eine Erklärung der einzelnen Zeichen. 67 Gibt es von 8.3 bis 8.49 eine Bewegung vom Anfang hin zum Ziel mit erkennbaren Zwischenschritten? Mehrmals erscheint πᾶν: οὐδέ ποτ’ ἦν οὐδ’ ἔσται, ἐπεὶ νῦν ἔστιν ὁμοῦ πᾶν, »nicht war es jemals noch wird es sein, da es auf einmal nun alles ist« (B 8.5); οὐδὲ διαιρετόν ἐστιν, ἐπεὶ πᾶν ἐστιν Jaeger 1953, 119. »Dass die Aufzählung dieser vielen Attribute des Seins in Widerspruch zur behaupteten Einheit des Seins stehe, ist oft gesagt worden. Es ist aber selbst bei einem ›anfänglichen‹ Denker wie Parmenides kaum plausibel, dass er diesen offenkundigen Widerspruch nicht bemerkt haben sollte. Man muss also zunächst einmal davon ausgehen, dass ›Sein‹ für Parmenides ein mit Inhalten gefüllter und kein leerer Begriff ist, dessen Einheit offenbar nicht in der leeren Gleichheit seines Inhalts besteht, sondern, wie Parmenides ausdrücklich sagt, in der Beziehung aller seiner Momente auf eine und dieselbe Einheit: ›Als ein Selbes im Selbigen bleibend, hat es sein Sein in Bezug auf sich selbst‹ ({B 8.}29). Allein die Aussage, dass im Sein ›Seiendes an Seiendes grenzt‹ ({B 8.}25), setzt voraus, dass Parmenides an Unterschiede innerhalb des Seins denkt« (Schmitt 2007, 113).

66 67

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Der Weg des Seins (B 8.1–51)

ὁμοῖον, »auch ist es nicht teilbar, da in jeder Beziehung gleich« (B 8.22); τῷ ξυνεχὲς πᾶν ἐστιν· ἐὸν γὰρ ἐόντι πελάζει, »dadurch hält es in jeder Hinsicht zusammen; denn Seiendes ist dem Seienden nahe« (B 8.25); ἐπεὶ πᾶν ἐστιν ἄσυλον, »denn ganz ist es unversehrt« (B 8.48). Das Adverb bzw. substantivisch gebrauchte πᾶν ist hier umfassend gemeint: »alles«, »in jeder Beziehung«, »in jeder Hinsicht« wird von der Grundbedeutung »ganz« geeint. 68 Das Sein ist das Ganze, doch dies impliziert, dass es aus Teilen besteht. Wie immer dies zu verstehen ist, mit diesem Befund verliert die Meinung, es handle sich um eine bloße (und damit leere) Abstraktion, etwas von ihrer Selbstverständlichkeit. Des Weiteren ist der Zusammenhang von νῦν ἔστιν ὁμοῦ mit πᾶν zu beleuchten. Für das νῦν bietet sich zwar das νῦν der aristotelischen Zeitanalyse im Sinne des Übergangs von einem Moment zum anderen an; diese Zuweisung würde allerdings daran vorbeigehen, dass das Ganze Teile »hat«. Temporal bedeutet νῦν »jetzt, soeben, nun«, τὸ νῦν εἶναι »eben jetzt, von der unmittelbaren Gegenwart«. 69 Da sich aus demselben Grund für νῦν die aristotelische Deutung verbietet, stellt sich die entscheidende Frage, ob sich die Bedeutung von νῦν in diesen lexikalischen Befunden erschöpft. ii.

Die Unversehrtheit der Kugel des Seins

πᾶν ἐστιν ἄσυλον (B 8.48) ist die Begründung für das, was diesem Vers vorausgeht: der Kugelvergleich (B 8.43) und die daraus sich ergebende Folgerung, dass es kein Größer oder Kleiner und ein dadurch bedingtes »Da oder Dort« gibt (B 8.44–45). Verneint werden hier quantitative Bestimmungen und in Verbindung mit ihnen solche des Ortes. Grund dafür ist, dass das Seiende im Ganzen ἄσυλον ist. Das Wort lebt seither im Fremdwort »Asyl«, das dazugehörige Adjektiv ist ἄσυλος, was »ungeplündert« bedeutet und »unverletztlich« – und dies deshalb ist, weil es im Schutz der Götter steht. 70

(τὸ) πᾶν, (τὰ) πάντα »im ganzen, ganz und gar, in jeder Beziehung« (Gemoll 584). – »neut. sg., τὸ πᾶν the whole« (LSJ 1345). 69 Gemoll 526. 70 Pape 1, 379. – τίς γῆν ἄσυλον καὶ δόμους ἐχεγγύους | ξένος παρασχὼν ῥύσεται τοὐμὸν δέμας; »Doch wo winkt mir die Freistatt, ein Land, ein Haus, | Das den Fremdling bewirtet, sein Leben beschirmt?« (Euripides I, 114/115 = Med. 387 f.) 68

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Kommentar

iii. Notwendigkeit: Ἀνάγκη und Μοῖρα Ἀνάγκη: B 8.28–38 Die Verse B 8.35–38 handeln von der μοῖρα, was hier interpretierend mit »Schicksal« wiedergegeben wird. Sie setzen als These die Selbigkeit von Denken und Sein voraus, erläutern und begründen sie. Die Erläuterung erfolgt in zweifacher Hinsicht: Sein und Denken sind »das Selbe«; in dieser Reziprozität hat das Sein vor dem Denken den Vorrang (°B 8.32); das νόημα, der Gedanke ist umwillen des νοεῖν, des Denkens da (zur Unterscheidung beider °B 8.34). Außerhalb des Seienden kann es nichts anderes geben. Grund dafür ist die Moira, das Schicksal: ἐπεὶ τὸ γε Μοῖρ’ ἐπέδησεν, »weil es {das Seiende} das Schicksal bindet« (B 8.37). Die bindende Kraft der μοῖρα ταὐτὸν δ’ ἐστὶ νοεῖν τε καὶ οὕ- Das Selbe aber ist Denken sowohl νεκεν ἔστι νόημα. als auch weswegen ist der Gedanke.

34

οὐ γὰρ ἄνευ τοῦ ἐόντος, ἐν ᾧ πεφατισμένον ἔστιν,

35

Nicht nämlich ohne das Seiende, in dem es gesagt ist,

εὑρήσεις τὸ νοεῖν· οὐδὲν γὰρ {ἢ} wirst du das Denken finden; denn ἔστιν ἢ ἔσται weder ist, noch wird sein

36

ἄλλο πάρεξ τοῦ ἐόντος, ἐπεὶ τό anderes außer dem Seienden, weil γε Μοῖρ’ ἐπέδησεν es die Moira bindet,

37

οὖλον ἀκίνητόν δ’ τ’ ἔμμεναι {…}.

38

ganz, und zwar unbewegt zu sein {…}.

Würde die Moira in einem einmaligen Akt das Sein binden, bestricken oder bezwingen (so die Bedeutungen von ἐπέδησεν B 8.37), dann gäbe es außerhalb des Seins noch etwas anderes; eine solche Annahme widerspräche aber B 8.3 οὐδὲν γὰρ {ἢ} ἔστιν ἢ ἔσται | ἄλλο πάρεξ τοῦ ἐόντος. Für dieses »nichts anderes außerhalb« ist die μοῖρα, das Schicksal, verantwortlich. In Hesiods Genealogie tritt die hier als Gottheit gedachte Μοῖρα in drei Gestalten in Erscheinung (°B 8.21): Klotho spinnt den Lebensfaden, Lachesis teilt das Lebenslos zu, Atropos trennt den Faden auf. In diesen Vorgängen zeigt sich der göttliche Eingriff in das Leben der Menschen. Doch besteht zwischen göttlichem Eingriff und menschlichem Leben kein Gegensatz, sondern ein reziprokes Ver182 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Das Sein und die Zeit

hältnis. 71 Aufgrund dieser gegenseitigen Bindung können sowohl B 1.26 μοῖρα als auch B 8.37 Μοῖρ’ mit »Schicksal« übersetzt werden (°B 1.26). iv.

Die πίστις ἀληθής

Von einem jüngeren Zeitgenossen des Parmenides, dem Komödiendichter Epicharm, 72 ist ein Fragment überliefert, das sich als anthropologisch charakterisieren lässt: νᾶφε καὶ μέμνασ’ ἀπιστεῖν· ἄρθρα ταῦτα τᾶν φρενῶν. »Nüchtern sei und Mißtrauen übe, das sind des Geistes Gelenke.« 73 Mit dem ἀπιστεῖν beschreibt Epicharm ein Verhältnis negativer Art; es bestimmt die Grundhaltung der Sterblichen zum Sein. Dieser muss die Wahrheit immer wieder von Neuem abgerungen werden (°III.8.a.i), und erst daraus entsteht die πίστις ἀληθής.

7.

Das Sein und die Zeit

a.

Vorgriff auf Aristoteles

Im 10. Abschnitt des 4. Buches der Physik handelt Aristoteles von der Zeit, dem χρόνος. Er geht von zwei Fragen aus: 1. Gehört die Zeit zum Seienden oder zum Nicht-Seienden? 2. Was ist ihr Wesen? πότερον τῶν ὄντων ἐστὶν ἢ τῶν μὴ ὄντων, εἶτα τίς ἡ φύσις αὐτοῦ. 74 Die Frage, ob es die Zeit überhaupt gibt, hat mit ihrer Flüchtigkeit zu tun. Dies zeigt sich am Augenblick (τὸ νῦν), der sich nicht fassen lässt: vergangen ist er nicht mehr, zukünftig ist er noch nicht. Weil die Teile das Maß für das Ganze sind, kann τὸ νῦν daher auch kein Teil der Zeit sein. Außerdem ist offen, ob der Augenblick, indem er Vergangenes und Zukünftiges trennt, immer ein und derselbe ist, oder ob er dabei anders wird. Bleibt er derselbe, dann sind Ereignisse, die 10.000 Jahre zurückliegen, mit solchen von heute identisch. Wird er aber ununterbrochen anders, muss das, was jetzt nicht ist, doch »In gewissem Sinn stehen also Zeus und die Götter über μ., indem sie diese verwirklichen, in gewissem Sinne aber μ. über Zeus und den Göttern, da μ. die Ordnung ausdrückt, welche diese zu verwirklichen haben« (KP 3, 1394; H. v. G.). 72 °IV.3. 73 23 B 13; DK I, 201. 74 Aristoteles Ph. Δ 10, 217b31 f. 71

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Kommentar

früher einmal gewesen, untergegangen sein, sodass eine Identität der Augenblicke nicht möglich wäre. Aristoteles lässt diese Fragen zunächst unbeantwortet. Mit der Frage nach dem Wesen der Zeit (τίς αὐτοῦ ἡ φύσις) berührt er (wenn auch nur indirekt) die VS und deren Thema περὶ φύσεως. Er bezieht sich hier auf zwei Ansichten der Tradition. Den einen zufolge ist die Zeit die Bewegung des Ganzen (οἱ μὲν γὰρ τὴν τοῦ ὅλου κίνησιν εἶναι φασιν). Andere sagen, sie sei mit der Weltkugel identisch (οἱ δὲ τὴν σφαῖραν αὐτήν). 75 Die erste Ansicht verwirft er, weil dann die Bewegung selbst die Zeit voraussetzen würde. 76 Im zweiten Fall verweist er auf die Möglichkeit mehrerer Himmelskugeln; in diesem Fall würden viele Zeiten nebeneinander bestehen – eine Meinung, die allzu einfältig 77 sei, um genauer untersucht zu werden. Die eigentliche Untersuchung setzt bei einem augenscheinlichen Befund an; darnach ist die Zeit offensichtlich eine Art der Bewegung: ἐπεὶ δὲ δοκεῖ μάλιστα κίνησις εἶναι καὶ μεταβολή τις ὁ χρόνος, τοῦτ’ ἂν εἴη σκεπτέον. 78 Identisch können beide nicht sein. Denn Bewegung ist immer die eines bestimmten Seienden, dagegen ist die Zeit überall und bei allen Dingen. Auch sind Bewegungen schneller oder langsamer, was freilich auf die Zeit nicht zutreffen kann; denn »langsam« oder »schnell« werden ja mittels der Zeit bestimmt. Anderseits ist die Zeit auch nicht ohne Bewegung. Wenn wir z. B. schlafen und nicht merken, dass Zeit vergeht, verknüpfen wir beim Aufwachen sehr wohl das frühere mit dem neuen Jetzt. Es wird eines, ohne dass wir die Zeit wahrnehmen – der Unterschied der einzelnen Augenblicke bleibt uns verborgen. Offenkundig ist nur dies: Ohne Bewegung und Veränderung ist Zeit nicht denkbar. Dieses Ergebnis (die Zeit ist nicht mit der Bewegung identisch und doch nicht ohne diese) führt zur genaueren Überlegung: τῆς κινήσεώς τι ἐστιν ὁ χρόνος, 79 dass die Zeit etwas an der Bewegung ist. Aristoteles Ph. 217a33–218b1. Wieweit hier der Mythos die Kritik begründet, kann offen bleiben. »Aber alle Mythologie hat ihren Grund in bestimmten Erfahrungen und ist alles andere als eine pure Dichtung oder Erfindung« (Heidegger GA 24, 331). 77 εὐηθικώτερον Aristoteles Ph. 218b8. Allerdings unterstellt Aristoteles dabei seine Kosmologie jener der VS. 78 Aristoteles Ph. 218b9 f. 79 Ph. 219a8 f. 75 76

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Das Sein und die Zeit

Etwas, das bewegt wird, bewegt sich immer von etwas zu etwas; auch verläuft jede Größe kontinuierlich, συνεχές; somit folgt die Bewegung der Größe, ἀκολουθεῖ τῷ μεγέθει ἡ κίνησις. 80 Weil die Größe συνεχές, kontinuierlich ist, ist dies auch die Bewegung, und daher auch ὁ χρόνος. Wie lange eine Bewegung dauert, so viel Zeit ist auch vergangen; infolgedessen bezieht sich das Früher und Später primär auf den Ort, τὸ δὴ πρότερον καὶ ὕστερον ἐν τόπῳ πρῶτόν ἐστιν. 81 Auch sagen wir, Zeit sei vergangen, wenn wir etwas an einer Bewegung wahrnehmen. Wenn wir die beiden gegenüber liegenden Enden als verschieden von ihrer Mitte begreifen und mit der Seele 82 zwei Augenblicke erfassen, sagen wir, dies sei Zeit – so die Voraussetzung. Daraus ergibt sich für Aristoteles diese Definition: τοῦτο γάρ ἐστιν ὁ χρόνος, ἀριθμὸς κινήσεως κατὰ τὸ πρότερον καὶ ὕστερον. 83 »Dies nämlich ist die Zeit: Zahl der Bewegung hinsichtlich des Früher und Später.«

Der aristotelische Zeitbegriff spielt für die Interpretation des parmenideischen Seins eine erhebliche Rolle, wenn auch nur indirekt. Um dies deutlicher zu machen, muss auf eine andere Interpretation eingegangen werden, u. zw. Heideggers Auslegung des aristotelischen Zeitbegriffs. 84 Es handelt sich dabei keineswegs um die Bevormundung durch eine bestimmte Philosophie, sondern um die Rückführung der Zeitdefinition des Aristoteles auf deren Voraussetzungen mit dem Ziel, zu einem umfassenderen Verständnis der Zeit zu gelangen. Heidegger destruiert damit die Voraussetzung des Aristoteles, seine Definition biete den einzig möglichen Zugang zur Zeit. Seine Grundlage ist die zählende Wahrnehmung bzw. die Wahrnehmung des Gezählten. Diese Definition entspricht aber nur einem bestimmten Zeitbegriff. Heideggers Feststellung läuft an diesem Punkt darauf hinaus, »daß in der Zeitdefinition die Herkunft der vulgär verstandePh. 219a11 f. Ph. 219a14 f. 82 ἡ ψυχή ἐστιν ἐντελέχεια ἡ πρώτη σώματος φυσικοῦ δυνάμει ζωὴν ἔχοντος. »Seele ist die urspüngliche Wirklichkeit eines von Natur gegebenen Körpers, der seiner Möglichkeit nach Leben hat« (Aristoteles de An. B 1, 412a27 f.). Mit »Seele« meint Aristoteles hier den Vollzug des Denkens. 83 Aristoteles Ph. 219b1 f. 84 Dem »Aufriß der aristotelischen Zeitabhandlung« (α) folgt die »Auslegung des aristotelischen Zeitbegriffs« (β) (Heidegger GA 24, 336–342); die weiteren Ausführungen Heideggers werden hier übergangen. Zum Kontext: Vetter 2014, I. Teil, § 12. 80 81

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Kommentar

nen, d. h. der nächstbegegnenden Zeit, aus der Zeitlichkeit an den Tag kommt«. 85 Was immer schon an der Bewegung der Größe abgelesen und daraus auf die Zeit geschlossen wird, geht in die aristotelische Definition ein: Bewegung, Stetigkeit, Ausdehnung, Ortsveränderung. Heidegger führt dies nun auf konkrete Erfahrungen zurück. Als Beispiel wählt er den Uhrgebrauch (wobei dessen Besonderheiten hier keine Rolle spielen, z. B. wurden in der Antike Reden oder Wettläufe mit der Sanduhr gemessen). Im Rückgang auf die Erfahrung wird deutlich, dass die Orte kein undifferenziertes Nebeneinander von Hier nach Dort sind, sondern das Dort stets ein »von dort her« und das Hier ein »hier hin« bedeutet. Sehen wir auf die Uhr, lesen wir die Zeit ab, d. h. wir haben »der Uhr schon die Zeit vorgegeben«. 86 Indem Aristoteles der Zeit die Zahl zuweist (als μέτρον ist sie ἀριθμός), ebenso wenn ich die so gemessene Zeit an der Uhr ablese, ist dies ein »›mit der Zeit rechnen‹, ›sich nach ihr richten‹, ›ihr Rechnung tragen‹« 87 – Zeit, um etwas zu tun. Heidegger kommt somit zu diesem vorläufigen Ergebnis: »Das vulgäre Zeitverständnis bekundet sich zunächst ausdrücklich im Gebrauch der Uhr, in der Zeitmesssung. Wir messen aber die Zeit deshalb, weil wir die Zeit brauchen, d. h. weil wir uns Zeit nehmen bzw. Zeit lassen, und die Art, wie wir die Zeit brauchen, durch bestimmte Zeitmessung ausdrücklich regeln und sichern.« 88

Die so definierte Zeit gehört zum Dasein des Menschen; Heidegger spricht hier von »Weltzeit«. 89 Die Zurückführung auf das Dasein zeigt sich im Dann, dass ich einer Sache gewärtig bin (diese wird dann und dann eintreffen); im Damals, dass ich etwas, das geschehen ist, im Gedächtnis behalte oder vergessen habe; im Jetzt, dass etwas geHeidegger GA 24, 342. – Terminologische Zwischenbemerkung: »Heidegger denkt bei v. wohl an lat. vulgaris, ›allgemein, allen gemein, alltäglich, öffentlich‹. Dabei bezieht er sich nicht zuletzt auf den gesunden Menschenverstand {…}« (Vetter 2014, 364). – Zum Begriff der Destruktion: »Mit D. (von lat. destruere ›niederreißen‹) bezeichnet Heidegger allgemein den Abbau begrifflicher Vorprägungen, die selbstverständlich und damit als solche unkenntlich geworden sind, zugunsten eines Rückgangs auf die ursprünglich motivgebende Situation« (Vetter 2014, 112). 86 Heidegger GA 24, 347. 87 GA 24, 365. 88 GA 24, 368. 89 GA 24, 370. Auf den von Heidegger exponierten Weltbegriff wird hier nicht näher eingegangen. 85

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Das Sein und die Zeit

genwärtig ist. Die aristotelische Bestimmung der Zeit wird damit auf ihren ursprünglicheren Sinn zurückgeführt: »Diese drei Bestimmungen, die Aristoteles kennt, das Jetzt und die Modifikationen des Damals als Jetzt-nicht-mehr und des Dann als Jetzt-noch-nicht sind die Selbstauslegung von Verhaltungen, die wir als Gewärtigen, Behalten und Gegenwärtigen charakterisieren.« 90

Weil dieser von Aristoteles begrifflich gefasste χρόνος als selbstverständlich zugrundegelegt wird, meinen nicht wenige Interpreten des Parmenides, hier seien keine weiteren Fragen bezüglich der Zeit mehr nötig, und sie stellen der so begriffenen Zeit etwas »Überzeitliches« gegenüber. Parmenides wird solcherart zum Protagonisten der Zeitlosigkeit. Sein wird auf die eine oder andere Weise dem zeitlichen Ablauf des Werdens und des Vergehens als etwas Überzeitliches gegenübergestellt, wobei sich beide Seiten (Werden und Vergehen und andererseits das Sein) im Horizont des vordem skizzierten aristotelischen Zeitbegriffs bewegen. Dieser vollständige Rückzug auf das »vulgäre« Zeitverständnis sieht jedoch davon ab, dass es ein untaugliches Instrument ist, die Eigentümlichkeit des Seins zu erfassen – mit aller Vorsicht gesagt: seine spezifische Zeit. Um dies vorwegzunehmen: Der Religionswissenschaftler Mircea Eliade unterscheidet die profane (Heidegger hätte gesagt: die vulgäre) von der heiligen Zeit. Von dieser sagt er, sie sei »eine ontologische, eine ›parmenidische‹ {sic} Zeit, die sich immer gleich bleibt, die sich weder verändert noch erschöpft«. 91 Was darunter näherhin zu verstehen ist, sei im Folgenden betrachtet.

b.

Profane Zeit · heilige Zeit

Karl Reinhardt charakterisiert Parmenides als einen, »der keinen Wunsch kennt als Erkenntnis, keine Fessel fühlt als seine Logik, den Gott und Gefühl gleichgültig lassen, so sehr, daß es uns befremden will«. 92 Diesem Urteil widerspricht Werner Jaeger. 93 Denn sollte diese GA 24, 367. Eliade 1990, 63. 92 Reinhardt 2012, 256. 93 Er ist vor allem als Autor der dreibändigen Paideia hervorgetreten und wollte mit ihr einem »Dritten Humanismus« den Weg bereiten. Jaeger ist 1936 in die USA aus90 91

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Kommentar

Beschreibung zutreffen, hätte Parmenides im Kreis der griechischen Denker kaum einen Platz. Man müsse zwar nicht, so Jaeger, die einzige Wurzel aller Formen des menschlichen Geistes im Religiösen sehen, doch erledige dies nicht die Frage nach dem Zusammenhang von Sein und Gott. Wichtig ist Jaegers folgende Präzisierung: »Unsere Frage ist nicht: hat die Forschung nach dem reinen Sein für ihn {Parmenides} ein religiöses Ziel, etwa den Beweis des Daseins Gottes im überlieferten oder gar im christlichen Sinne? sondern: ist die Spekulation über das wahre Sein für ihren Urheber von einer irgendwie religiös zu qualifizierenden Bedeutung, obgleich er selbst dieses Sein nicht Gott nennt?« 94

Der in Frage stehende Text – fraglich ist, ob er als Zeugnis der »parmenidischen« Zeit zu lesen ist oder nicht – findet sich B 8.3–48. Er wird von einem πᾶν gleichsam eingerahmt: νῦν ἔστιν ὁμοῦ πᾶν (»es ist auf einmal im Augenblick alles«: B 8.5) – πᾶν ἐστιν ἄσυλον (»ganz ist es unversehrt«: B 8.48). Die Mehrzahl der Interpreten (seit Platon und bis heute) deuten das εἶναι als eine Abstraktion von der Zeit und deren Werden und Vergehen. Sie berufen sich auf B 8.21: τὼς γένεσις μὲν ἀπέσβεσται καὶ ἄπυστος ὄλεθρος. »So ist Werden gelöscht und Untergang unverständlich.« Aufgrund jener Sichtweise ist das Sein überzeitlich, zeitlos, ewig (wobei sich die Gleichsetzung dieser Attribute auch nicht von selbst versteht). Unbestreitbar verneint Parmenides an der genannten Stelle das Werden und das Vergehen, doch ohne sie schlechthin zu verwerfen. Was er negiert, ist die Setzung der Sterblichen, weil sie es nicht vermögen, die Zweiheit von Werden und Vergehen in ihrer Einheit zu denken (°III.6.b–c). Ist aber das Sein keine Abstraktion und in eins damit ohne Unterschiede, was ist dann von ihm zu sagen? Ein Hinweis auf B 8.37 führt hier im Anschluss an III.4.a weiter: Es gibt nichts außer dem Seienden, ἐπεὶ τὸ γε Μοῖρ’ ἐπέδησεν, »weil es das Schicksal bindet«. Die Μοῖρα erscheint im Mythos des Hesiod in drei Gestalten: als Klotho, Lachesis und Atropos. In der μοῖρα des Parmenides lebt diese mythische Vorgabe in verwandelter Gestalt auf: Das dreigestaltige Schicksal enthält die drei Dimensionen der Zeit: Klotho steht für gewandert, weil sein Gedanke einer am Ideal der Griechen orientierten Bildung im Nationalsozialismus keinen Platz finden konnte (Friedrich Solmsen: Jaeger, Werner, in: Neue deutsche Biographie. Bd. 10. Berlin 1974, 280 f.). 94 Jaeger 1953, 109.

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Die scheinbare Welt (B 8.51–61)

die Vergangenheit, Lachesis für die Gegenwart, Atropos für die Zukunft. Weil μοῖρα und ἀνάγκη Synonyma sind (°B 8.37), waltet das Sein aufgrund dieser Notwendigkeit als Zeit. Die göttliche Bindung durch die μοῖρα erlaubt es, von einer kosmischen Zeit zu sprechen. Aristoteles nimmt in seiner Zeitanalyse nur kurz die Frage auf, ob die Zeit mit der Weltkugel identisch ist, 95 verfolgt jene Frage aber im Zuge seiner Ausarbeitung des Zeitbegriffs nicht mehr weiter (°III.7.a). Es entgeht ihm daher die Ausfaltung der Problematik, inwiefern das Sein aus kosmologischer Perspektive in sich als Zeit begriffen werden kann. Aus Sicht des Parmenides stellt sich damit die Frage, die seit B 8.2 ff. aufgezählten σήματα auf ihren zeitlichen Sinn hin zu explizieren.

8.

Die scheinbare Welt (B 8.51–61)

B 8.51 bis B 8.61 hat den Irrtum der Sterblichen zum Thema und begründet ihn auch: Weil jene zwei Formen ansetzen, deshalb erscheint ihnen die Welt als bloßer Schein. Doch reduziert Parmenides die Welt nicht darauf, dass sie nur Scheinwelt ist. Die Mehrzahl der Interpretationen gehen zwar davon aus und folgen damit der platonischen Trennung von ἀλήθεια und δόξα (die auch für die Trennung in F1 und F2 verantwortlich ist). Auf diesem Boden erfolgt auch die Setzung der Sterblichen, weil diesen die wahre πίστις fehlt. Demgegenüber ist jedoch zwischen »Schein« und »Erscheinung« zu unterscheiden, um eine unverstellte Sicht auf die Welt zu ermöglichen.

a.

Die Sterblichen und die Irre

i.

Setzungen

Nach ihrer langen Rede über das Sein sagt die Göttin zum Kuros: δόξας δ’ ἀπὸ τοῦδε βροτείας | μάνθανε κόσμον ἐμῶν ἐπέων ἀπαAristoteles Ph. 217a33–218b1. »Platon läßt, Tim., 37cff., die Zeit entstehen als bewegliches Abbild der Unvergänglichkeit, und so wie er ihr Wesen und ihre Eigenschaften beschreibt, trifft es durchaus zu, sie sinngemäß als ›Bewegung des Alls‹ zu bezeichnen. Für die zweite Bestimmung hat man wesentlich weniger: Archytas soll gesagt haben, Zeit sei ›die Ausdehnung der gesamten Natur‹ {…}; und bei Aetios {…} findet sich von Pythagoras berichtet, nach ihm sei die Zeit ›die Kugel des Umfassenden‹ {…}. Ersteres ist sehr vieldeutig, Letzteres könnte seinerseits durch diese Aristoteles-Stelle verursacht sein« (Fußnote von Hans Günter Zehl, in: Aristoteles 1987, 266 f.119). 95

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Kommentar

τηλὸν ἀκούων. »{…} aber von da an auf die sterblichen Meinungen | richte dein Augenmerk, indem du auf meine Worte hörst mit Bezug auf die trügliche Welt« (°B 8.51–52). Wohl die Mehrzahl der Übersetzer bevorzugt ein anderes Objekt: »Aber von hier ab lerne die menschlichen Schein-Meinungen kennen, indem du meiner Worte trügliche Ordnung hörst.« 96 Ich schicke ein längeres Zitat von Karl Reinhardt voraus, um in Abgrenzung davon einige Gesichtspunkte deutlicher hervorzuheben: »War das, was es zu verneinen galt, nichts weniger als die gesamte Welt der Menschen, so war es zumindest kein überflüssiger und kein schlechter Einfall, das Verdammungsurteil einer Göttin in den Mund zu legen. So betrachtet erscheint die Form der Offenbarung als die natürliche Hülle und Haut für diese radikalste aller Philosophien. Doch damit ist zugleich gesagt, daß hier das Mythologische auch n u r die äußere Erscheinung bildet, n u r als Ausdrucksmittel verwendet, wenn man will, mißbraucht wird, und darum aus eigenem Trieb ein eigenes Leben nicht entfalten kann. Die Gestalten sind, als Mythologie betrachtet, wesenlos und schemenhaft, und das aus keinem anderen Grunde, als weil sie ausschließlich Ausdruck der Gedanken sind, und die Gedanken wiederum können es zu einer kräftigen und lebendigen Personifikation nicht bringen, weil sie nur mit dem Verstande und nicht aus den Bedürfnissen des Gefühls gewonnen sind. Daher der Eindruck des Gemachten und der Kälte. Wer von wahrer Mythologie herkommt, dem muß das, was er hier sieht, wie eine frostige Allegorie vorkommen; wer auf umgekehrtem Wege von der späteren Philosophie ausgeht, dem muß dasselbe wie ein lästiges Verharren in altmodischer, hieratischer Form erscheinen. Beide Eindrücke sind falsch, weil sie an fremden Maßstäben gewonnen sind und mit der archaischen Gebundenheit der Sprache und ihrer natürlichen Feindseligkeit gegen das emanzipierte Denken zu wenig rechnen.« 97

Es geht hier nicht um den für die Göttin spezifischen Mythos als solchen (°III.2.a.1), sondern um den Mythos der scheinbaren Welt. 98 Hier ist ἀπατηλόν, »trüglich«, auf den κόσμος der göttlichen Rede bezogen, ich beziehe es auf den κόσμος der trüglichen Welt. Der Unterschied zwischen diesen Bezugspunkten hat weitreichende Folgen für die Interpretation der Kosmologie des Parmenides. Denn nicht als solche ist die Welt »trüglich«, sondern sie ist dies nur aus der Sicht der sterblichen Meinungen (δόξας δ’ ἀπὸ τοῦδε βροτείας B DK I, 239. Reinhardt 2012, 67 f. 98 Für Burnet hätten die Zuhörer des Parmenides sofort verstanden, wie F2 gemeint war. »Jedenfalls war es die peripatetische Tradition, daß Parmenides im zweiten Teile des Gedichtes den Glauben der ›Vielen‹ wiedergeben wollte« (Burnet 1913, 168). 96 97

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Die scheinbare Welt (B 8.51–61)

8.51). Aus Sicht der βροτοί (B 8.39) ist die Welt nur eingebildet, ein bloßer Schein; doch anders verhält es sich für das Denken (B 3, B 8.34): Von diesem her gesehen ist die Welt kein Schein, sondern Erscheinung. Sie wird zwar von den Sinnen erfasst und durch diese immer wieder verfälscht; doch die Sinnlichkeit ist nicht der Grund für diesen Betrug. 99 Nicht die Sinne sind Schuld, dass die Welt trüglich erscheint. Der Irrtum gründet vielmehr darin, dass es nicht zum Denken (νοεῖν) kommt und in eins mit diesem zur Erfahrung des Seins (εἶναι). Statt die dafür geforderte Umkehr zu vollziehen, folgen die Sterblichen ihren eigenen Ansichten und Festlegungen: μορϕὰς γὰρ κατέθεντο δύο γνώμας ὀνομάζειν. »Denn ihren Ansichten nach setzten sie fest, es seien zwei Formen zu nennen« (B 8.51). Sein und Erscheinen werden verfälscht – woher aber kommt die Macht des Scheines? Die Interpretationen lassen sich immer wieder von der späteren, von Platon initiierten Unterscheidung (°I.4.a) in einen Bereich des überzeitlichen Seins und einen solchen der sinnlichen Wahrnehmung und des Werdens leiten. Deshalb interpretieren sie die Welt des Parmenides als eine solche des bloßen Scheines. Nimmt man Gadamers Hinweis ernst, dass Parmenides nicht von der δόξα im Singular spricht, sondern von δόξαι im Plural (°B 1.30), legt man zudem nicht die Unterscheidung von δόξα und ἀλήθεια im Sinne Platons zugrunde und vergisst auch nicht, dass δοκίμως u. a. »erprobt, bewährt, tadellos« bedeuten kann (°B 1.32): 100 Ich stimme hier mit Georg Picht überein: »Kein Grieche hätte eine Lehre vom Sein akzeptiert, die nicht auch den sinnlich sichtbaren Kosmos zu erklären erlaubt. In den Philosophiegeschichten können Sie lesen, Parmenides habe gelehrt, die sinnlich sichtbare Welt sei nur ein Schein. Wer eine solche Theorie für möglich hält, der hat von den Griechen nur sehr wenig verstanden. Die Natur ist für Parmenides kein leerer Schein, sie ist etwas anderes, nämlich die Erscheinung des göttlichen Seins. Wäre die Erscheinung nichts als nur ein Schein, so könnte das göttliche Sein in ihr nicht erscheinen. Wäre die Erscheinung umgekehrt mit dem Sein identisch, so wäre sie keine Erscheinung mehr. Wer den Kosmos als Erscheinung des Seins erklärt, der muß deshalb etwas Doppeltes leisten. Er muß einerseits die unüberbrückbare Kluft zwischen Sein und Erscheinung sichtbar machen; denn wenn man das Sein mit seiner Erscheinung verwechselt, wird beides – das Sein wie die Erscheinung – verfälscht. Er muß andererseits zu erklären vermögen, wie trotz dieser Kluft in der Erscheinung das Sein, wenn auch nur als Erscheinung, sichtbar wird« (Picht 1996, 199). Knapper, jedoch nicht weniger treffend, Friedrich Wolfram: »Es ist auch nicht die böse Welt, die dem Menschen etwas vorgaukelt, sondern es ist der Mensch, der sich und andere zu täuschen vermag und dem das auch sehr bewußt ist« (Wolfram 2010, 120). 100 Pape 1, 654: Λυκοῦργος τῶν Σπαρτιητέων δόκιμος ἀνήρ (Herodot I, 65). 99

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Kommentar

Dann stellt sich die Frage nach dem parmenideischen Sinn dieses Wortes – ohne damit den Gegensatz zur ἀλήθεια zu vernachlässigen. Dieser Gegensatz manifestiert sich im Plural. Er findet seinen Ausdruck in unterschiedlichen ὀνόματα, »Namen« (B 8.38), in allem, ὅσσα βροτοὶ κατέθεντο πεποιθότες εἶναι ἀληθῆ, »was die Sterblichen festgesetzt haben, überzeugt davon, es sei wahr« (B 8.39) – βροτοὶ εἰδότες οὐδὲν, »die Sterblichen, welche nichts wissen« (B 6.4), jene δίκρανοι, »Doppelköpfe«, οἷς τὸ πέλειν τε καὶ οὐκ εἶναι ταὐτὸν νενόμισται κοὐ ταὐτόν, »denen das Sein wie das Nichtsein für dasselbe gilt und nicht für dasselbe« (B 6.8–9). Der Plural δόξαι entspricht eben dieser Einstellung: Ihnen fehlt das, was die ἀλήθεια auszeichnet, die πίστις ἀληθής, »das wahre Vertrauen« (B 1.30, B 8.17). Die πίστις, dieses Vertrauen, ist an das Sein gebunden. Weil die Sterblichen nach ihrem Belieben bald diese Bindung in Anspruch nehmen, doch bei nächster Gelegenheit (wie B 6 deutlich macht) wieder fallen gelassen haben, deshalb πεπλανημένοι εἰσίν, »gehen sie in die Irre« (B 8.54). Die δόξαι sind nicht deswegen unwahr, weil sie den Sinnen vertrauen, sondern sie sind unwahr, weil sie dem Sein nicht vertrauen, anders gesagt: weil sie nicht den Weg der Initiation beschritten haben (F0) und zum Denken gelangt sind, daher auch dessen Identität mit dem Sein nicht erkennen. Denn von Seiten des Denkens ist das Verhältnis zum Sein wesentlich durch πίστις, Vertrauen, bestimmt. ii.

Namen

Sich diesem Vertrauen nicht überlassen, heißt soviel wie: Setzung aus eigenem Vermögen. Der Grund für den Irrtum der Sterblichen liegt im κατέθεντο, »sie setzten fest« (B 8.53). Festsetzen bedeutet auch: »für sich zurücklegen, a u f b e w a h r e n , aufheben«. 101 Diese Einseitigkeit – und nicht etwa die Sinnlichkeit – unterläuft die Bindung an das Sein und deren Vollzug im νοεῖν und liefert die Setzung den jeweils sich bietenden Umständen aus (°III.5.b). Der Namengebung der Sterblichen fehlt der intentionale Bezug auf den Gegenstand; sie ist daher nichts als Zungenfertigkeit und nur ein Geräusch (°B 7.5). Die Setzung der Sterblichen hat die Namen zur Folge: τῷ πάντ’ ὄνομ’ ἔσται | ὅσσα βροτοὶ κατέθεντο πεποιθότες εἶναι ἀληθῆ, 101 Pape 1, 1384 f. Unverkennbar ist dabei die Beziehung zu Hegels idealistischer Interpretation (°I.1.b.i).

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Die scheinbare Welt (B 8.51–61)

»deshalb wird alles Name sein, | was die Sterblichen festgesetzt haben, überzeugt davon, es sei wahr« (B 8.38–39). Dass der Name nicht als solcher schon in die Irre führt, ergibt sich aus seiner weiteren (»positiven«) Verwendung am Ende der FF: τοῖς ὄνομ’ ἄνθρωποι κατέθεντ’ ἐπίσημον ἑκάστῳ. »Diesen aber {den Dingen} haben die Menschen gesetzt einen Namen, mit einem Zeichen versehen für jedes einzelne Ding« (B 19.3). Allerdings ist in beiden Fällen von einer Setzung die Rede, sogar mit ein und demselben Wort. Die Differenz ergibt sich aus dem »überzeugt davon, es sei wahr« und »mit einem Zeichen versehen«. Ist im ersten Fall die Setzung selbstmächtig und ihrem Selbstverständnis zufolge im Besitz der Wahrheit, so ist sie im zweiten Fall durch die Intentionalität der Zeichengebung von vornherein als Zeichen von etwas auf etwas bezogen, das über sie hinausgeht. 102 Mit aller Vorsicht gesagt: ἐπίσημον kann auch »Symptom« bedeuten, 103 ein Symptom ist aber Anzeichen eines Grundes, der nicht anders als in Symptomen zur Erscheinung kommt (wie etwa das Fieber in der Rötung der Gesichtsfarbe). Ähnlich erscheint das Bezeichnete in den zeichenhaft gesehenen Namen. Damit ändert sich auch der Sinn von »Setzung«: Ist sie im ersten Fall die selbstmächtige Tat der Sterblichen, so im zweiten jene der Kosmologen.

b.

Sein und Schein

Dass die δόξα ihre eigene Notwendigkeit hat und dabei alles durchdringt, gibt die Göttin dem Kuros auf, damit er es sich lernend aneignet: καὶ ταῦτα μαθήσεαι, ὡς τὰ δοκοῦντα | χρῆν δοκίμως εἶναι διὰ παντὸς πάντα περῶντα. »Doch ebenso wirst auch dies du lernen, dass das, was erscheint, | notwendig ist und, in Ansehen stehend, durch alles hindurch alles durchdringt« (B 1.31–32). Ich habe für δοκίμως die eher ungewöhnliche Übersetzung »in Ansehen stehend« gewählt: διὰ παντὸς πάντα περῶντα (»sich’s ein Ansehen gibt, durch alles hindurch alles durchdringt«: B 1.32). Denn wenn die δόξα durch alles hindurchgeht und alles bestimmt, verbirgt sie sich vor den von ihr Betroffenen nicht zuletzt dergestalt, indem sie von einer bestimmten Ansicht begleitet wird, einer Erwartungshal102 103

°B 8.2. LSJ 655.

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Kommentar

tung, von Vorstellungen, die sich die Menschen von sich selber und von den anderen machen, auch von der Meinung, in der die Menschen bei anderen stehen: All dies begründet letzten Endes ihre Geltung, ja ihren Ruhm: Ansicht, Erwartungshaltung, Vorstellungen, Meinungen, Geltung, Ruhm – alle diese Bedeutungen vereinigen sich im Wort δόξα. 104 Erst dadurch bricht der Gegensatz auf: hier die alles durchdringende δόξα – dort ἀληθείης εὐκυκλέος ἀτρεμὲς ἦτορ, »der Wahrheit wohlgerundetes, nicht erzitterndes Herz« (B 1.29). Doch aus dem so begründeten Gegensatz von δόξα und ἀλήθεια folgt keineswegs, dass jene zum Sinnlichen gehört, diese zur Vernunft. – Eine solche Trennung wird erst Platon vornehmen und damit den Großteil der nachkommenden Interpretation der FF bestimmen (°III.8.a.i). Wäre dies im Griechischen möglich, ließe sich δόξα möglicherweise vielleicht am besten mit »Intrige« wiedergeben: So wäre das Verborgene, auch mehr oder weniger Unbestimmbare (wer ist »Subjekt«?) zum Ausdruck gebracht, dazu die Verbindung zu frz. intriguer »Ränke schmieden«, lat. intricare »verwirren« und ital. intrigare, »verwirren, sich einmischen« 105 – das Wort gleichsam dynamisiert und nicht zuletzt seiner Anbindung an die αἴσθησις entzogen. Doch woher kommt die Erfahrung der universalen δόξα (dass es sich um eine Erfahrung handelt, ist eindeutig: χρεὼ δέ σε πάντα πυθέσθαι, »Not aber ist, dass du alles erfährst«: B 1.28)? Weshalb gibt es so etwas wie eine Bruchstelle, in der die δόξα als solche auf den Plan tritt? Wo bricht jenes διὰ παντὸς πάντα περῶντα auf, wo endet sein Machtbereich? Nirgendwo anders als als auf dem Weg des νοεῖν (B 3; °III.3.a), dem einzigen Weg der Suche (B 2.1), geschieden von jenem, dessen Irrgänger die Göttin als βροτοὶ εἰδότες οὐδὲν, »Sterbliche, die nichts wissen« (B 6.4), beschreibt: jene, die es noch nicht gewagt haben, κατὰ πάντ’ ἄστη, »über alle Wohnstätten hin« (B 1.2) zu gehen. Erst aufgrund des Wissens, das dem εἰδὼς φώς (B 1.3) zuwächst und ihn bis zum νοεῖν führt, wird die alles durchdringende δόξα enthüllt, demaskiert (bei Euripides kommt dann der deus ex machina). Nochmals: nicht αἴσθησις – νόησις (das ist platonisch), sondern (schon interpretierend): Intrige – Enthüllung. Im euripideischen Hippolytos (428) dringt die Frage des Scheins bis zu den Göttern vor: Aphrodite und Demeter treten gegeneinander auf, und Hippolytos wird durch Phädra, die völlig verrückt nach ihm 104 105

Pape 1, 657. Pfeifer 1997, 589 s. v. »Intrige«.

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Die Kosmologie des Parmenides (B 9 – B 19)

ist, obgleich selbst ohne Schuld, in diesen für alle tödlichen Konflikt (darf hier nicht auch von Intrige die Rede sein?) hineingerissen. Im dritten Standlied des Hippolytos singt der Chor von diesem totalen Zerfall aller Ordnungen, durch den alles in Wechsel und Wandel hineingezogen wird: 106 ἦ μέγα μοι τὰ θεῶν

Wen die Gedanken vom Walten der Götter erfüllen, dem schwindet

μελεδήμαθ’, ὅταν φρένας ἔλθῃ,

Schweres Leid von der Seele.

λύπας παραιρεῖ· ξύνεσιν δέ τιν’ ἐλπίδι κεύθων λείπομαι ἔν τε τύχαις θνατῶν καὶ ἐν ἔργμασι λεύσσων·

Aber die heimliche Hoffnung Heiliger Ordnung wankt mir, wenn ich die Leiden und Taten der Menschen betrachte;

ἄλλα γὰρ ἄλλοθεν ἀμείβεται,

Alles im ewigen Wechsel!

μετὰ δ’ ἵσταται ἀνδράσιν αἰὼν

Leben im ewigen Wandel

πολυπλάνητος αἰεί.

Unstet getrieben.

Freilich: Gäbe es da nicht noch die Sorge 107 um die überlieferte Ordnung: Weder bei Euripides noch bei Parmenides würde das ἄλλοθεν ἀμείβεται oder das πολυπλάνητος αἰεί und der irrende Sinn (πλαγκτὸν νόον: B 6.6) zur erlittenen Erfahrung. Sorge um die Welt bedeutet nicht, sie zu verneinen, in einen nur scheinbaren Komos zu verweisen.

9.

Die Kosmologie des Parmenides (B 9 – B 19)

In der Vorlesung Die Anfänge der Philosophie bei den Griechen charakterisiert Wolfgang Schadewaldt Parmenides und dessen Geburtsort mit Worten, die das Vorurteil, Parmenides habe nur abstrakt gedacht oder sei eben vor allem ein »Logiker« gewesen (was immer dies aus historischer Sicht bedeuten mag), auch unter diesem Aspekt als sol106 Euripides V, 256/257 (Hipp. 1104–1110), Übersetzung Ernst Buschor. Was hier erlittene Erfahrung bedeuten kann, zeigt der Rückblick auf die Aufführung des Hippolytos: »Die ungezügelte Phaidra dieses Dramas erregte bei den Zuschauern schwersten Anstoß und wurde noch lange Zeit nach der Aufführung von dem Komiker Aristophanes als ›Hure‹ verspottet« (Ernst Buschor: Nachwort, in: Euripides V, 301). 107 Hipp. 1104 μελεδήμαθ’: μελέδημα »Sorge, Bekümmernis«.

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Kommentar

ches decouvrieren: »Ich habe mir sagen lassen, daß es noch heute dort besonders leicht sei, ihn zu verstehen, und daß jede abstrakte Deutung einem vergehen würde in dieser Natur und dieser Landschaft in ihrer besonderen Gestaltung. Wir werden ihn auch nicht als reinen Logiker verstehen dürfen, sondern als einen Mann, der das Sein in seiner Ganzheit, wie er es ausspricht, wirklich vor Augen gehabt hat.« 108

a.

Wahrheit und Unwahrheit

Vor einer Analyse der anstehenden Problematik zitiere ich Panagiotis Thanassas, der – anders als die Mehrzahl der Interpreten 109 – damit genau jene Probleme berührt, die für die gesamte Erfassung der FF von grundlegender Bedeutung sind: 108 Schadewaldt 1978, 311. Dagegen »abstraktester Gegensatz von Sein und Nichtsein« (Angehrn 2000, 23). 109 Weil mich die Arbeit von Thanassas so sehr überzeugt, soll die Kritik an ihm ausführlicher zu Wort kommen: »Thanassas plädiert dafür, daß ›wir uns von der Vorstellung freimachen, die Doxa als ein Wahngefüge und Parmenides als einen Weltleugner anzusehen‹ (a. a. O., S. 25). Zu 1.31–32: ›Die δοκοῦντα sind!‹, so überschreibt er einen wichtigen Abschnitt seines Buches (ebd., S. 36). Und alsbald liest man: Die ›Doxai (in denen kein wahres Vertrauen ist, 1.30) […] selbst können zwar nie Gegenstand der Akzeptanz (δοκίμως) werden, wohl aber das, was in ihnen angenommen wird: die δοκοῦντα‹ (ebd., S. 37). Diese sind. Fundament für Thanassas’ Ansatz ist seine Entscheidung für die Lesart περ ὄντα statt περῶντα am Ende von B 1, 32 (vgl. ebd., S. 39). Er beruft sich darauf, daß περῶντα nur in einer, περ ὄντα hingegen in drei Handschriften überliefert sei (vgl. ebd., S. 39, Anm. 31). Bezüglich der Lesart hatten schon andere Forscher wie er entschieden (darunter Schmitz) und entsprechend übersetzt. Thanassas teilt solche Übersetzungen mit und konstatiert: ›Nur J. Owens scheint die Vershälfte in gleicher Weise wie wir aufgefaßt zu haben (›all indeed beings‹, ›all indeed existent‹, 1974, S. 385), er hat aber die Konsequenzen daraus nicht gezogen‹ (ebd., S. 40, Anm. 32). Für Thanassas sagen die Verse aus: ›alle δοκοῦντα sind‹, und das ist ›die erste Ankündigung der Wahrheit, der Verweis auf das Sein. Das Dritte neben Wahrheit und Doxai […] ist die Bejahung des Seins der δοκοῦντα (der Dinge dieser Welt), und darin besteht auch der Übergang von den Doxai in die Aletheia‹ (ebd., S. 41). Unmittelbar anschließend gibt Thanassas seine Übersetzung der beiden Verse: ›Aber gleichwohl wirst du auch dies begreifen, wie alle δοκοῦντα in akzeptierter Weise zu sein hätten: als seiend.‹ (ebd.) {Fleischers Kritik an der Lesart περ ὄντα stimme ich zu (°B 1.32), nicht aber ihrer Gesamtkritik an Thanassas.} Doxa versteht Thanassas folgendermaßen: ›Die δόξαι sind keine Imaginationen oder willkürlichen Dafürhaltungen, und ebensowenig bloße trügerische Erscheinungen, sondern menschliche Annahmen‹; zu den Annahmen macht er die Anmerkung: ›Aus dem Wort ist hier freilich die Bedeutung von ›Vermutung‹ oder ›Ansicht‹ fernzuhalten: entscheidend ist der Charakter des bewußten und positiven

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Die Kosmologie des Parmenides (B 9 – B 19)

»Wie kann (oder muß) die Göttin sich neben der Wahrheit auch auf die menschlichen Doxai beziehen? Wie verträgt sich deren Mangel an ›wahrer Gewißheit‹ mit ihrer göttlichen Darlegung, und wann genau verdienen die δοκοῦντα eine Akzeptanz (δοκίμως, I,32)? Aber vor allem: worin liegt diese Wahrheit, die sich aufdrängt, alles Andere bei Seite schiebt und anscheiNehmens, des Entgegennehmens und Sich-Aneignens‹ (ebd., S. 44). Und zu den δοκοῦντα erläutert er, sie seien ›keine menschlichen Erfindungen, keine Phantome oder Fiktionen, sondern das, was in den δόξαι angenommen wird: der ›objektive‹ Pol von δοκεῖν, die durchaus wirklichen Dinge dieser Welt. Nicht diese, sondern die menschlichen Annahmen werden mit der göttlichen Wahrheit konfrontiert, welche das Sein jener angenommenen Dinge bejaht‹ (ebd., S. 45 f.; der letzte Satz bei Thanassas hervorgehoben). Die Annahmen stehen ›für einen Zugang zu δοκοῦντα […], der nur menschlich bleibt und die einzige Wahrheit notwendigerweise verfehlt. […] Nicht in den δόξαι | verdienen die δοκοῦντα ihre Akzeptanz, sondern allein als ὄντα‹ (ebd., S. 47; der letzte Satz bei Thanassas hervorgehoben). ›Das parmenideische Philosophieren findet […] auf einem Weg des Seins statt, wo dieses an den δοκοῦντα gesucht und entdeckt wird‹ (ebd., S. 65). ›Durch das Denken erhebt sich der Mensch aus der Welt der Phänomene, aus den trüglichen und unbeständigen Doxai und aus der Sinneswahrnehmung heraus – […] um diese eine und einzige, allen gemeinsame Welt endlich mit dem unfehlbaren Auge des νόος und im Lichte der Seiendheit zu erfassen‹ (ebd., S. 66 f.). Mit den δοκοῦντα als ὄντα soll ›keinesfalls […] die bloße Gesamtheit des Seienden gemeint‹ sein (ebd., S. 92). ›Nicht auf die Gesamtheit des Seienden kommt es Parmenides an, sondern auf das Sein dieses Seienden‹ (ebd., S. 94; bei Thanassas hervorgehoben). Und: ›Sein ist kein Seiendes, wird aber an den Seienden erfahren, an den δοκοῦντα, sofern sie nicht als diese oder jene, als entstehend oder vergehend, als sich vermehrend oder verschwindend betrachtet werden, sondern einfach und allein als seiend‹ (ebd., S. 96). Letzteres geschieht nach Thanassas im Wahrheitsteil des Lehrgedichtes. Es überrascht nicht, daß Thanassas mit den Wegmarken auf dem Weg der Wahrheit nicht viel anfangen kann: ›Die Einführung der vom einen Sein unterschiedenen Zeichen ist keinesfalls für dieses selbst konstitutiv; sie greift eher auf Differenzierungen zurück, wie sie von den menschlichen Doxai und von ihrer ›wissenschaftlichen‹ Zusammenstellung in der Gestalt der Physik nahegelegt werden‹ (ebd., S. 149 f.). Und: ›In der Einführung der σήματα aber unternimmt der Eleate einen weiteren Schritt: er geht faktisch zu einem pluralistischen Logos über, der sich zwar in einer Vielfalt von Bestimmungen äußert, ohne jedoch die Berechtigung dieser Bestimmungen eigens aufzuweisen und offenzulegen. Das Verhältnis von Einheit (Sein) und Vielheit (Zeichen) zeigt also keinen Widerspruch an, wohl aber einen letztlich ungeklärt bleibenden Status dieser Vielheit von Bestimmungen‹ (ebd., S. 150). Was ist nun aber das Sein bei Parmenides? ›Sein ist eine Idee‹ (ebd., S. 97). ›Sein ist hier immer Sein des Seienden, der ὄντα oder der δοκοῦντα, die somit in eine μέθεξις an jener Idee eintreten, welche für ihre Seiendheit aufkommt und sie als seiend erscheinen läßt‹ (ebd., S. 99). Thanassas fühlt sich Heidegger verpflichtet: ›Der beharrliche Hinweis Heideggers auf den doppelten Charakter des Partizips ἐόν darf als einer der wichtigsten Beiträge dieses Jahrhunderts zur Parmenidesforschung gelten‹ (ebd., S. 107). Verständlich ist unter diesen Umständen die Bemerkung: ›Eine gewisse Ratlosigkeit erleben wir ange-

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Kommentar

nend als Maßstab für die Verurteilung menschlichen Wissens gilt? Jede der in I.29–30 gegenübergestellten Sphären scheint der Überbrückung mit der anderen zu bedürfen: Nicht nur dem menschlichen Wissen muß die Möglichkeit eines Übergangs angeboten werden, von dem, was man ›zunächst und zumeist‹ glaubt, in das Wahre hinein; auch die göttliche Wahrheit muß ihr Wahrsein im Gegensatz zum menschlichen Dafürhalten und Meinen (also: in bezug auf dieses) aufweisen und zugleich als wahre Erklärung menschlichen Irregehens auftreten. Diese ›Vermittlung‹ ist man gewohnt, bei Parmenides zu vermissen, und deswegen das Ausbleiben jedes Verhältnisses zwischen Wahrheit- und Doxa-Teil zu bemängeln. Trifft dies aber in der Tat zu? An diesem Punkt ist philologische Kleinarbeit notwendig.« 110

Nicht nur philologischer, sondern vor allem auch philosophischer Kleinarbeit bedarf es, um den Fallstricken zu entgehen, die Platon ausgelegt hat und in welche die meisten Interpretationen geraten – in der scheinbaren Selbstverständlichkeit (διὰ παντὸς πάντα περῶντα: B 1.32!) liegt die Gefahr. Das dem deutschen Wort »Wahrheit« entsprechende griechische Äquivalent ist ἀλήθεια. Das Grundwort ist λήθη, »das Vergessen«, dazu das alpha privativum (ἀ στερητικόν) als Präfix. Es entspricht einem ἀν, womit das Wort, dem es vorangestellt ist, aufgehoben oder geschwächt wird, sowie der Genetiv-Präposition ἄνευ, »ohne«. Ἀ-λήθεια besagt demnach: Das Vergessen wird aufgehoben, es wird zugunsten der Erinnerung (der μνήμη) geraubt (worauf auch das στερηsichts der Ausführungen von Held: ›das prôton pseûdos der Parmenides-Interpretation liegt in der Annahme, daß ›to eón‹ doppeldeutig sei, daß also bei Parmenides bereits von einer Differenz von Sein und Seiendem auszugehen sei‹ (512)‹ ; Thanassas zitiert außerdem Held, S. 513: ›To eón ist nicht doppeldeutig, meint eindeutig eines: die ontologische Indifferenz‹ (Thanassas, S. 110 f., Anm. 13). Hier verweise ich auf meine Anm. 6. Was nun den Doxateil betrifft, so sieht Thanassas eine ›positive Doxa-Lehre der Göttin‹ gegeben, die zur Seinslehre nicht in Gegensatz stehe und nicht unverträglich mit ihr sei (vgl. Thanassas, S. 229). Näherhin soll man sich das so denken: ›Die Aletheia wendet sich dem Sein des Werdenden, der Doxa-Teil aber dem Werden des Werdenden zu‹ (ebd., S. 230; bei Thanassas hervorgehoben). ›Die an den Menschen | orientierte Doxa und die göttliche Aletheia bestehen parataktisch nebeneinander, beide als unaufhebbar und selbständig‹ (ebd., S. 237). Es wird niemanden verwundern, daß ich in der Parmenides-Interpretation Thanassas’ Parmenides nicht wiedererkennen kann. Dennoch möchte ich seinem Buch den Respekt nicht versagen, nicht nur wegen der Konsequenz, mit der er seine Grundthese durchführt, sondern besonders auch wegen der umfangreichen Verarbeitung von Forschungsliteratur, die wertvoll ist, auch wo man sich einzelner seiner Stellungnahmen vielleicht nicht anschließen will« (Fleischer 2001, 149–151). 110 Thanassas 1997, 36.

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Die Kosmologie des Parmenides (B 9 – B 19)

τικόν, »beraubend«, hinweist). Das bringt aber etwas Besonderes zum Ausdruck: Die Wahrheit ist nicht problemlos vorhanden, sondern muss stets von Neuem angeeignet werden. Der Grund liegt in der Verstrickung der βροτοί in die δόξα, denn zu dieser gehört das Vergessen ihrer selbst (°B 1.32). Der Vollzieher dieses Geschehens ist in Einsicht seiner Verstrickung ἀληθής, »unverhohlen, aufrichtig, wahr«. 111 Die faktisch in die scheinbare Welt verstrickten Sterblichen stehen daher nicht deshalb außerhalb der Wahrheit, weil sie sich dem Schein entzogen haben; das wäre der Gipfel der Selbsttäuschung: Gerade wenn sie meinen, in ihrer Setzung autark zu sein, πεπλανημένοι εἰσίν, »werden sie in die Irre getrieben« (B 8.54). °B 8.61 erinnert an Platons Höhlengleichnis. Wie dort steigt der Philosoph stufenweise empor bis zur Sonne, um dann in die Höhle zurückzukehren und den dort Verbliebenen (unter Lebensgefahr, wie das Schicksal des Sokrates gezeigt hat) die Wahrheit zu bringen. Beide gehören zusammen: der Auf- und Abstieg, Befreiung von der δόξα und Auseinandersetzung mit ihr. Erst damit erfüllt sich das schon im Wort vorgezeichnete Wesen der Wahrheit als ἀ-λήθεια.

b.

Sein, Schein und Erscheinung

Platon hat für den Gegensatz von Sein und Schein ein festes Fundament errichtet, das viele (gerade auch in der Interpretation des Parmenides) überzeugt hat, als verstehe es sich von selbst. Dessen ungeachtet trifft dies noch nicht auf Parmenides zu, wenngleich auch er innerhalb der δόξα zwischen Sein, Schein und Erscheinung differenziert. Hier gilt es zu unterscheiden, wie Georg Picht bemerkt, »daß ein Schein, der dem Echten gleichsieht, sich zum Sein nicht wie ein Trug sondern wie die Erscheinung verhält – eine Erscheinung, die freilich alsbald Trug wird, wenn man sie nicht als Erscheinung, sondern als Sein auffaßt. Deshalb ist die unerbittliche Unterscheidung von Sein und Nichtsein, d. h. von Sein und Erscheinung, die unerläßliche Bedingung nicht nur für die Erkenntnis der Wahrheit, sondern auch für die Erkenntnis der Erscheinung als solcher und damit für das angemessene Begreifen dieser unserer Welt, so wie sie ist«. 112 Es handelt sich somit nicht um die Differenz von Sein (εἶναι °B 6.1) und 111 112

Pape 1, 94. Picht 1996b, 67 (Kursivierung: H. V.).

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Kommentar

Schein (die δόξαι der βροτοί °B 1.30), sondern um die Gesamtheit aller Erscheinungen (τὰ δοκοῦντα °B 1.32), die sich erst dann als bloßer Schein erweisen (δόξας βροτείας °B 8.51), wenn sie meinen, sich an die Stelle des Seins setzen zu können (κατέθεντο °B 8.53). Zur genaueren Bestimmung dieses Sachverhaltes ist es nötig, eine phänomenologische Überlegung einzuschalten. 113 Sie schließt an das Vorige an. Unterschieden werden nicht allein Sein und Schein, sondern das beide umgreifende Phänomen der Erscheinung. In parmenideischen Termini: Der Unterschied betrifft das ἐὸν ἔμμεναι (B 6.1), die alles durchdringende δόξα (B 1.32) und τὰ δοκοῦντα (B 1.31) und die gesamte Kosmologie des Parmenides.

Synopsis Die Synopsis – also Zusammenschau – enthält zweierlei: eine Erklärung des Vorgehens und Corollaria, welche die Hauptthesen dieser Arbeit zusammenfassen. Die unter dem Namen des Parmenides überlieferten FF bilden eine in sich geschlossene Einheit. Diese wird nicht allein durch den Namen des Autors zusammengehalten (was sich ja mehr oder weniger von selbst versteht), sondern durch die Beziehung der einzelnen Teile (F0, F1, F2) zueinander (F1 und F2 heißen auch »Aletheia-Teil« und »Doxa-Teil«, was allerdings schon eine bestimmte Interpretation impliziert). Diese mehrfachen Bezüge galt es auch im Gesamtaufbau des Buches sichtbar zu machen. So verhalten sich der Wortkommentar (II.2) und der Kommentar (III.) wie die Teile zu einem Ganzen; jener enthält die Details, dieser ist durchgehend auf das Ganze bezogen. Ein solches Verhältnis von Ganzem und Einzelnem entspricht bekanntlich dem hermeneutischen Zirkel. Darüber hinaus sind auch die FF aufeinander bezogen. F1 und F2 setzen für ihren Nachvollzug F0 voraus. Denn F0 zeigt den Wandel des Erzählers zum Wissenden auf dem Weg von der Sicht des Alltags der Sterblichen bis hin zu einer Schau, aufgrund derer erst die ontologische Erkenntnis von F1 möglich wird. Erst dadurch erkennt der

113 Zur deren allgemeiner Bestimmung und ihren wichtigsten Positionen: Phänomenologie, phänomenologisch, in: Vetter 2004, 410–425 (H. Vetter).

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Synopsis

Kuros das Sein, dessen Selbigkeit mit dem Denken und beider reziprokes Verhältnis. Damit erhält auch die Wahl bzw. die Verwerfung der drei Wege ihren Sinn. Der eine (die Kosmologie der Milesier) wird als Aporie zurückgewiesen, der andere (die Pluralität der schwankenden Meinungen der Menschen) als Irrweg ausgeschieden. Im Verfahren des Elenchos bleibt nur jener eine Weg von F1 übrig, 114 auf dem es Zeichen gibt, die auf das Eigentümliche des Seins hindeuten. Das Ergebnis: Das Sein ist keine Abstraktion, sondern weist eine reiche Gliederung auf. Dadurch kann auch die innere Verbundenheit von F1 und F2 nachvollzogen werden: Das in F1 entfaltete Sein erweist sich nun als die ontologische Bedingung von F2, d. h. der Einheit der Welt in ihrer kosmologischen Vielfalt. Um dies zu erkennen, wird allerdings vorausgesetzt, »Sein« und »Welt« nicht anhand eines Modells zu deuten, das auf späteren (namentlich platonischen bzw. platonisierenden) Interpretationen von »Wahrheit« und »Schein«, »Vernunft« und »Sinnlichkeit« beruht. Der Abschied von einer solchen – die meisten Interpretationen leitenden – Sicht ändert von Grund auf den Blick auf den Status der Welt. Sie ist nur aufgrund jener platonisierenden Sichtweise ein Schein; wird sie von jener frei, tritt die Welt nicht im Horizont der δόξα, sondern in der Fülle der δοκοῦντα entgegen. Damit hängt auch die These vom alles durchdringenden Schein zusammen (διὰ παντὸς πάντα περῶντα). Sie hat Folgen für das Verhältnis von Wahrheit und Schein. Jene ist nur möglich, wird sie ihrem Wortsinn nach als ἀ-λήθεια begriffen: Sie muss der δόξα abgerungen werden (das α privativum in ἀ-λήθεια). Dies herauszustellen, ist die Aufgabe einer phänomenologischen Analyse. Ihr Ziel ist es, die Dualität von Sein und Schein aufzuheben und in der Einheit von Schein (δόξα), Sein (εἶναι) und Erscheinen (dem περᾶν der δοκοῦντα) zu gründen. Nicht zuletzt gehört zum Verständnis der Einheit der FF der Rückgang auf und die Auseinandersetzung mit Mythos und Kosmologie. Diese ist nicht äußeres Beiwerk, sondern eine wesentliche Voraussetzung zur Bestimmung der Stellung des Parmenides innerhalb der Geschichte der Philosophie. 114 »Mehrere Indizien weisen darauf hin, dass mit dem ἔλεγχος der Beweis gegen einen falschen Weg gemeint ist« (Marcinkowska-Rosół 2010, 87).

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Kommentar

Die zahlreichen Hinweise auf Texte der Sekundärliteratur sind nicht als Sammlung von Äußerungen anderer Autoren gemeint (so wichtig auch diese sein mögen). Sie sind ihrem Ziel nach Aneignung und insofern kritisch (ein κρίνειν), damit aber für jede Form von Gegenkritik offen, soweit diese nur jenem λόγον διδόναι entspricht, das sich Parmenides selbst zur Aufgabe gemacht hat. Daher liegt in der Auswahl der Literatur von vornherein eine Beschränkung. Kritik und Gegenkritik sind nur möglich, wenn es ein Gegenüber gibt. So gehört das Eingehen auf Texte der Sekundärliteratur auch zur Gattung des Dialogs (soweit freilich ein solcher außerhalb eines direkten Gespräches möglich ist), und dies nicht zuletzt um den Preis, den eigenen Versuch in Frage zu stellen. (Im Übrigen enthalten alle Literaturangaben eine Unzahl bibliographischer Hinweise, die weiteres Forschen ermöglichen.) Ein dialogisches Moment gehört auch zur Übersetzung. Indem sie sich (namentlich im Textteil) auf andere Übersetzungen bezieht, macht sie sich anfechtbar und erweist sich zudem als work in progress (was im Übrigen auch auf das Ganze dieser Arbeit zutrifft). So erweisen sich Übersetzung und Kommentar des Parmenides als ein Zusammenspiel hermeneutischer, phänomenologischer und kulturgeschichtlicher Analysen aus den Bereichen der Philosophie und der philologisch-historischen Forschung, letzten Endes als ein Versuch, fremdes Verstehen anzueigen, ohne dieses in seiner Andersheit auf die eine oder andere Weise »aufheben« zu wollen. Sagt man, »fremd« sei, was einem anderen gehört – weshalb sollte dieser Andere nicht auch Parmenides sein, und könnte eine solche Auffassung von Fremdheit nicht auch in den Interpretationen eine gewisse Rolle spielen? 115 *

115 »Fremd ist erstens, was außerhalb des eigenen Bereichs vorkommt (vgl. externum, extraneum, peregrinum; ξενόν; étranger; foreign) und was in der Form von Fremdling und Fremdlingin (so noch bei Schiller) personifiziert wird. Fremd ist zweitens, was einem Anderen gehört (vgl. ἀλλότριον; alienum; alien). Als fremd erscheint, drittens, was von fremder Art ist und als fremdartig gilt (vgl. insolitum; ξενόν, étrange; strange). Es sind also die drei Aspekte des Ortes, des Besitzes und der Art, die das Fremde gegenüber dem Eigenen auszeichnen. Diese Merkmale können unabhängig voneinander variieren. Der Nachbar in der eigenen Stadt kann mir von seinen Sitten her fremd sein; umgekehrt mag mir das Nachbarhaus, das einem anderen gehört, vertraut sein; eine Fremdsprache wird selbst dann nicht zur Muttersprache, wenn ich sie fließend spreche« (Waldenfels 1997, 20).

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Synopsis

Corollaria 116 Axioma I: Das Sein und die Welt sind in ihrer Ganzheit heilig (F1 1 F2). Axioma II: Es gibt Sein, ein Nichts aber ist nicht. (B 6.1–2). Propositio 1: Das Sein ist kein überzeitliches abstractum, sondern die Einheit, die das Ganze aller FF gründet und zusammenhält (F1 1 F2). Scholium ad prop. 1: Die Annahme der Überzeitlichkeit gründet in einem Vorgriff auf die Zeitdefinition des Aristoteles. Propositio 2: Die δόξα ist nicht nur Schein, sondern Erscheinung, die alles durchdringt (B 1.32 – F2 1 F1). Scholium ad prop. 2: Die Auslegung von Wahrheit und Schein gründet im Vorgriff auf Platons Trennung in νόησις und αἴσθησις. Propositio 3: Die δόξα ist nicht nur Schein, sondern Erscheinung, die alles durchdringt (B 1.32 – F0 1 F1 1 F2). Scholium ad prop. 3: Die Annahme universaler δόξαι beruht auf dem Vorrang der Sicht der βροτοί, die den einzig möglichen Weg der Göttin verfehlen (B 8.54).

116 Die Termini sind der Ethik Spinozas entnommen: Baruch de Spinoza: Opera / Werke. Lat./dt. Zweiter Band: Tractatus de intellectus emendatione / Abhandlung über die Berichtigung des Verstandes. Ethica / Ethik. Darmstadt 2008.

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IV. Indices

1.

Siglen

{}

Einfügungen des Verfassers

{…}

Kürzungen des Verfassers

|

Ende einer Verszeile oder Absatzwechsel

~

ungefähr (bei Jahresangaben)



Hinweis auf die bevorzugte (und manchmal erst vorläufige) Übersetzung

°

Hinweis auf andere Erklärungen (von Teil II zu III, von Teil III zu Teil II)

1

verbunden

E

Exposition

F

Fragment

F0

Proömion

F1

Fragmente, erster Teil (»Aletheiateil«)

F2

Fragmente, zweiter Teil (»Doxateil«)

FF

Fragmente

VS

Vorsokratiker

Nicht erwähnt sind die üblichen Abkürzungen sowie die des Literaturverzeichnisses (IV.4).

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Zeittafel

2.

Zeittafel

Daten zu Philosophie, Dichtung, Kunst, Geschichte und Politik 1 (alle = v. Chr.). 800 – ca. 700 Hesiod aus Askra, Böotien 800 – ca. 2. Hälfte 8. Jhd. Homer, Ilias ca. 700 spätestens Odyssee entstanden 700 Milet bedeutendste Handelsstadt im westlichen Kleinasien ca. 610 – 546 Anaximander von Milet ca. 600 – 500 orphische Dichtung (Orpheus bei DK erster VS) 2 ca. 600 Pythagoras von Samos ca. 585 – 525 Anaximenes von Milet 540 Neugründung von Elea (Velia) 525/24 – 456/55 Aischylos aus Eleusis ca. 520 – 460 Heraklit von Ephesos 500 – 493 Aufstand der ionischen Griechen gegen Persien, Zerstörung Milets 500 Xenophanes aus Kolophon ca. 500 Parmenides 495 – 445 Zenon von Elea 494 Zerstörung von Milet, Versklavung der Einwohner 490 Feldzug des Xerxes. Schlachten bei Artemision, den Thermopylen und Salamis 485 Hieron wird Tyrann in Gela ca. 484 – nach 430 Herodot aus Halikarnass 480 Parmenides soll Elea das Stadtrecht verliehen haben ca. 476 ἀκμή des Pindar 441 Melissos von Samos als Feldherr Gegner des Perikles 400 ΔΙΣΣΟΙ ΛΟΓΟΙ (anonymer Sophist, bei DK letzter VS) 3

1 2 3

Daten: LAG 13; Schachermeyr 1978. DK I, 1–20. DK II, 405–416.

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Indices

3.

Personen

Aufgenommen sind jene antiken Autoren, die im Zusammenhang mit Parmenides eigens genannt wurden. Nicht enthalten sind die I.3 und I.4 in eigenen Abschnitten vorgestellten Philosophen. – Jahreszahlen ohne weitere Angaben = »v. Chr.« 4 Aëtios: Doxograph, der um 100 n. Chr. ein umfangreiches Werk über die Sätze der Naturlehre verfasste. »Unter dem Namen des Plutarch ist uns ein wertvoller Auszug {über philosophische Lehren} erhalten.« 5 Es handelt sich um »ein gelehrtes Geschichtswerk, das (letztlich nach dem Vorbild von Theophrasts Buch über die Lehren der Naturphilosophen) die gesamte Naturphilosophie von Thales und Pythagoras an bis in die Zeit des Poseidonios nach Problemen verzettelt darstellt«. 6 Alkmaion (Alkmeon) von Kroton: ~ 570–500. Als Arzt und Naturphilosoph den Pythagoreern nahe, Verfasser einer Schrift περὶ φύσεως. Alkmaion widmet sich der Erforschung der Sinnesorgane und erklärt die Wahrnehmung durch Annahme von Kanälen (πόροι), die das Gehirn mit Ohr und Auge verbinden; er soll auch Operationen am Auge gewagt haben. 7 Unter der Annahme, »die Seele sei unsterblich wie die Gestirne und befinde sich wie diese in dauernder (Kreis-)Bewegung«, »scheint {er} als erster die Stellung des Menschen im Kosmos thematisch herausgearbeitet zu haben«. 8 Ameinias: Pythagoreer, durch den Parmenides zur Philosophie gekommen sein soll, der ihm daher aus Verehrung ein Heroon errichtet habe (°I.2.a). 9 Anaximander von Milet: * ~ 610/599, † ~ 547/46. »Er war der erste, der eine die Natur erklärende Prosaschrift verfaßte (περὶ φύσιος? frg. A 7); er soll die Sonnenuhr erfunden (frg. A 1), eine Land und See darstellende Karte entworfen und ein Modell der Himmelskugel entworfen haben (frg. A 1,2,6). Den Urstoff, der Die Verfasser der Beiträge von KP 1–5 und LA I/1–4 sind, wie dort üblich, nur mit den Anfangsbuchstaben ihrer Namen genannt; die Abkürzungen werden in diesen aber auch vollständig wiedergegeben. 5 KP 1, 105 (W. S.). 6 LA I/1, 76 (O. G.). 7 KP 1, 1531 (H. D.). 8 LA I/1, 103 (O. G.). 9 Zeller I/1, 6801. 4

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Personen

allem zugrunde liegt, nannte er das ἄπειρον« {12 B 1–3}. 10 Es ist »eine Explikation des hesiodischen Chaos als Ursprung (ἀρχή) aller Dinge.« 11 Anaximenes von Milet: ~ 580–520, »wahrscheinlich Schüler des Anaximandros. Wie dieser, suchte er die Verschiedenheiten der Elemente aus einem mittleren Stoff herzuleiten. So setzte er die Luft als Urstoff an {…} und erklärt die übrigen Elemente aus der Verdünnung der Luft (μάνωσις) – so das Feuer – oder aus ihrer Verdichtung – so Wasser und Erde. {…} Wie die Seele den Menschen regiert und zusammenhält, so umfängt die Luft die ganze Welt (frg. {13} B 2).« 12 »Die Erde ließ A. wie ein flaches Blatt auf der Urluft aufruhen. Nach Eudemos erkannte A. als erster, daß der Mond kein eigenes Licht besitzt, sondern das der Sonne zurückwirft.« 13 Apollodoros von Athen: »Grammatiker des 2. Jhs. v. Chr. Hielt sich nach seinen Studien in Athen bis zum Jahre 146 in Alexandria auf und kehrte dann nach Athen zurück.« 14 »Da er seine Χρονικά Attalos II. widmete, ist es nicht ausgeschlossen, daß er zeitweise in Pergamon lebte. Den Rest seines Lebens verbrachte er in Athen. Sein Todesjahr ist unbekannt, fällt aber nach 120/19. Die vielseitige Produktion des A. umfaßte {…} phil., hist. und mythographische Werke.« 15 Aratos: * 310 in Soloi in Kilikien, hörte in Athen den Stoiker Zenon. Berühmt wurde er durch die Φαινόμενα, das »Lehrgedicht von Stern- und Wetterzeichen, das als einziges erhalten ist«. 16 Diogenes Laertius: »Das Werk des Diogenes Laertius ist das einzig vollständig erhaltene Buch des griechisch-römischen Altertums über Philosophiegeschichte; es stammt – wahrscheinlich – aus der ersten Hälfte des dritten nachchristlichen Jahrhunderts, der Zeit der Blüte der römischen Jurisprudenz und der griechischen philosophischen Aristoteleskommentierung. Es ist nicht von einem Philosophen geschrieben, sondern von einem ›Philo-

10 11 12 13 14 15 16

KP 1, 339 (H. D.). LA I/1, 118 (O. G.). KP 5, 329 f. (H. D.). LA I/1, 119 (O. G.). LA I/1, 143 f. (Th. G.). KP 1, 438 (H. D.). Aratos 1971, 112.

207 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Indices

logen‹.« 17 Bei allen Vorwürfen, die gegen dieses Werk erhoben werden, 18 ist es als Quelle kaum zu überschätzen: »Diogenes dominiert die Philosophiegeschichte, wie niemand sie sonst dominiert hat, da er doch die philosophiegeschichtliche Literatur bis in die Mitte des 18. Jh. beherrscht. Die Philologen haben schon sehr früh ein besonderes Verdienst von Diogenes Laertius anerkannt, daß er nämlich Informationen bewahrt hat, die wir ohne ihn nicht kennen würden und die er mit einer eindrucksvollen Anzahl von Verweisen mitgeteilt hat.« 19 Epicharmos: »Herkunft umstritten: {…} Lebensdaten ungewiß«, 20 »dor.-sizil. Komödiendichter«, aus Megara oder Krastos, »wirkte unter Hieron in Syrakus«, Blüte 488/5. »Diels hat kühn, doch einleuchtend vermutet, bei Platons zweitem Besuch in Syrakus seien E.-Stücke vor ihm aufgeführt {…} worden«. 21 Herodotos: * nicht lange vor 480 oder 484 in Halikarnass (im Südwesten Kleinasiens). Forschungsreisen nach Ägypten, Phoinikien, Mesopotamien und ins Skythenland; in Athen zur Zeit des Perikles († 429). Seine Lebenszeit reicht bis in die ersten Jahre des peloponnesischen Krieges. Die 9 Bücher seines Werkes beginnen mit der Geschichte des Kroisos (~ 560–547) und enden mit der Eroberung von Sestos. »Kennzeichnend ist das Nebeneinander geographisch-ethnographischer Perihegese {περιήγησις »Erklären«} {…} und eigentlich historischer Darstellung, die ihre geschlossenste Form in der Behandlung des Xerxeszugs erreicht.« 22 Hippokrates aus Kos: 460 bis ~ 370, berühmtester Arzt der Antike. Mindestens 60 Schriften sind als Corpus Hippocraticum überliefert. Der Ärzteschule von Kos steht jene von Knidos gegenüber. »Die beiden Schulen unterscheiden sich voneinander grundsätzlich dadurch, daß die Koer von der Konzeption einer Allgemeinerkrankung und einer Semeiotik mit individuellen Abwandlungen ausgingen, während die Knidier bestrebt waren, lokalisierte Einzelerkrankungen zu fixieren und diese in ein mehr oder DL p. XII. Für Burnet z. B. ist die Schrift des Diogenes Laertius nur ein »Sammelsurium« (Burnet 1913, 334). 19 Braun 1990, 37. 20 LA I/2, 44 (Th. G.). 21 KP 2, 302 f. (W. K.). 22 LA I/2, 224 (W. Bk.). 17 18

208 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Personen

weniger festes, umfassendes Schema zu stellen; ferner waren die Knidier viel therapiefreudiger {…} als die Koer.« 23 »Wissenschaftlich hat er in der schließlich von Galen {129–199} geschaffenen Gestalt auf die abendländische Medizin bis zur Neuzeit hin gewirkt«. 24 Plutarch von Chaironeia: »popularphilosoph. Schriftsteller und berühmter Biograph, * kurz nach 45 n. Chr. {…} Das genaue Todesjahr steht nicht fest; jedenfalls nach 120.« 25 Sextus Empiricus: »Skeptiker aus der Schule Pyrrhons, ca. 2. H. 2. Jh. n. Chr. {…} Gegen die Gelehrten (Πρὸς μαθηματκούς) {…}, ein Angriff auf Grammatik, Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, Astrologie und Musik.« 26 Simplikios: Neuplatoniker, Schüler des Ammonios. Versucht nach Schließung der platonischen Akademie (529 n. Chr.) im persischen Reich neu Fuß zu fassen. »Die Harmonisierung von Aristoteles mit Platon wird von S. auf die Spitze getrieben: alle Unterschiede sind nur scheinbar«. 27 Fast ausschließlich als Kommentator tätig, der vor allem im Kommentar zur aristotelischen Physik zahlreiche Zitate der VS überliefert; »daß Empedokles und Parmenides für uns mehr sind als nur Namen, ist einzig S. zu verdanken«. 28 Sotion aus Alexandria: Peripatetiker, 2. Jh. v. Chr. Nur durch sein Hauptwerk διαδοχαὶ τῶν φιλοσόφων (Sukzession der Philosophen) bekannt. »Diesbezüglich stellt seine ›Sukzession der Philosophen‹ den methodischsten Versuch der Philosophiegeschichte dar, der vor Diogenes Laertius unternommen worden ist« (Braun 1990, 26). »Der Begriff διαδοχή = ›legitime Erbfolge‹ deckt sich mit dem staatsrechtlichen Begriff διαδοχή, durch den die Herrschaft der Nachfolger Alexanders d. Gr. legitimiert war.« 29 »Sein Einfluß auf Diogenes Laertius scheint groß gewesen zu sein {…}.« 30

23 24 25 26 27 28 29 30

KP 2, 1169 f. (F. K.). LA I/2, 239 (F. K.). KP 4, 945 (K. Z.). LA/Ph 4, 188 f. (M. S.). LA I/4, 194 (Ph. M.). KP 5, 206 (H. D.). KP 5, 290 (H. D.). LA I/4, 215 (O. G.).

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Indices

Thales von Milet: Nach der Doxographie des Aristoteles (°I.4.b) war Thales der erste Philosoph. Was von diesem überliefert ist, geht auf spätere Autoren, namentlich Aristoteles, zurück. »Lebensz.: 1. H. 6. Jh. v. Chr.; den chronol. Fixpunkt gibt die Sonnenfinsternis des 28. Mai 585 (Tag der Schlacht am Halys), die Th. vorausberechnete. Mit Bezug darauf wurde vermutl. die ἀκμή auf 585/ 584, die Verleihung des Ehrentitels σοφός auf 582/581 angesetzt. {…} Daß Th. das Wasser zur Ur-Substanz der Welt erklärt habe, war nachmals gängiges HB.-Wissen. Aber nur das Zeugnis des Aristot. metaph. 983b20 erlaubt eine Interpretation; als weiteres Faktum war dem Aristot. offenbar bekannt, daß Thales annahm, die Erde befinde sich schwimmend auf dem Wasser. {…} Wohl ist es oft als der eigentl. Beginn der ion. Naturphilos. gepriesen worden, daß sie sich vom Mythos ›emanzipierte‹. Aber von Th., seinem Leben und seiner Lehre ist zu wenig an Gesichertem erhalten, als daß dem Th. dieser große Schritt zugeschrieben werden dürfte.« 31 Theophrastos von Eresos: Schüler und Nachfolger des Aristoteles im Peripatos. DL V, 2 enthält ein Schriftenverzeichnis und das Testament des Theophrast, von dessen umfangreichem Schrifttum nur Bruchstücke erhalten sind. »{…} überaus wichtig war die Geschichte der Naturphilosophie (18 Bücher), in der Th. die Naturphilosophie von Thales bis Platon in systematischer Ordnung darstellte und bei jedem anmerkte, was von ihm aus gesehen richtig oder falsch war. {…} In seinen späthellenist. Exzerpten ist das Werk heute noch Hauptquelle für die Lehren der Vorsokratiker.« 32

4.

Literatur

Art der Zitation: Griechische Autoren werden mit vollem Namen zitiert, ihre Schriften nach LSJ, z. B. Aristoteles Metaph. 986b18. Bei Einzelausgaben werden der Name des Autors sowie die Jahres- und Seitenzahl angegeben, z. B. Aristoteles 2011, 25 = Aristoteles: Über Werden und Vergehen / De generatione et corruptione. Griechisch-deutsch. Hamburg 31 32

KP 5, 644 f. (H. D.). LA I/4, 273 (O. G.).

210 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Alphabetisches Verzeichnis aller im Buch zitierten Schriften

2011, S. 25. Dabei wird einheitlich die griechische Schreibweise angewendet (»Platon«, nicht »Plato«). VS: Zitiert wird nach DK mit Autorenkennzahl + A für Zeugnisse, z. B. 22 A 1 = Heraklit, Leben und Lehre, No 1, bzw. mit Autorenkennzahl + B für Originalzitate, z. B. 22 B 1 = Heraklit, Fragment No 1. Parmenides: Die Autorenkennzahl (= No 28) entfällt bei den Fragmenten, z. B. B 1.24 = Fragment 1, Vers 24. Sekundärliteratur: Zitiert werden Autor, Erscheinungsjahr des betreffenden Werkes und Seitenzahl; z. B. Böhme 1986, 35 = Robert Böhme: Die verkannte Muse, S. 35. Wörterbücher: Angegeben sind Autor und Seite, jedoch keine Jahreszahl; z. B. Gemoll 343; LSJ 815; gelegentlich wird auf das Stichwort verwiesen; z. B. LSJ s. v. (»sub voce«) δόξα. Gesamtausgaben: Zitiert werden der Autor, die Sigle der Ausgabe sowie Band- und Seitenzahl; z. B. Hegel WA 18, 284 = G. W. F. Hegel: Theorie Werkausgabe, Band 18, S. 28. Vor römischen Seitenzahlen steht »p.« oder »pp.« (»pagina«, »paginae«). Verfasser von Artikeln in Nachschlagewerken: Der Name des Autors wird nur in den Fußnoten angegeben, nicht aber im Literaturverzeichnis. Fußnoten werden durch tiefgestellte Ziffern nach der Seitenzahl angezeigt, z. B. Mourelatos 2008, 1721 = The route of Parmenides. Revised and Expanded Edition by Alexander P. D. Mourelatos, S. 17, Fußnote 21. Auflösung der Siglen °IV.1.

Alphabetisches Verzeichnis aller im Buch zitierten Schriften: Hinweis: Linke Spalte = Kurzform wie im Haupttext; rechte Spalte = vollständige Angaben. Weiterführende Literaturangaben finden sich in zahlreichen der hier genannten Arbeiten. Die Bibliographie Cordero 2004 ist im Internet abrufbar. 33

http://www.parmenides.com/images/pdfs/Pbib29Apr05online.pdf (letzter Zugriff am 19. Oktober 2016).

33

211 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Indices

Aischylos

Aischylos: Tragödien und Fragmente. Hg. und übersetzt von Oskar Werner. München o. J. – A. = Agamemnon. Pers. = Persae. Pr. = Prometheus Vinctus.

Angehrn 1996

Emil Angehrn: Die Überwindung des Chaos. Zur Philosophie des Mythos. Frankfurt a. M. 1996.

Angehrn 2000

Emil Angehrn: Der Weg zur Metaphysik. Vorsokratik, Platon, Aristoteles. Weilerswist 2000.

Aratos 1971

Aratos: Phainomena. Sternbilder und Wetterzeichen. Griechisch-deutsch. Hg. von Manfred Erren. München 1971.

Aristoteles

Aristotelis Opera 1–5 edd. Immanuel Bekker. Berlin 1831–70. – Apr. = Analytica priora; Cael. = de Caelo; de An. = de Anima; GC = de Generatione et Corruptione; Metaph. = Metaphysica; PA = de Partibus Animalium; Ph. = Physica; Rh. = Rhetorica.

Aristoteles 1987 Aristoteles’ Physik. Erster Halbband: Bücher I (Α) – IV (Δ). Übersetzt, mit einer Einleitung und mit Anmerkungen hg. von Hans Günter Zekl. Griechischdeutsch. Hamburg 1987. Bartling 1985

Michael Bartling: Der Logosbegriff bei Heraklit und seine Beziehung zur Kosmologie. Göppingen 1985.

Bauer

Walter Bauer: Wörterbuch zum Neuen Testament. Durchgesehener Nachdruck der 5. Auflage. Berlin/ New York 1971.

Beaufret 1973

Jean Beaufret: Dialogue avec Heidegger. I. Philosophie grecque. Paris 1973.

Beaufret 1976

Jean Beaufret: Das Gedicht des Parmenides, in: ders.: Wege zu Heidegger. Frankfurt a. M.1976, 62–101.

Becker 1937

Otfrid Becker: Das Bild des Weges und verwandte Vorstellungen im frühgriechischen Denken. Berlin 1937.

Blumenberg 1971

Hans Blumenberg: Wirklichkeitsbegriff und Wirklichkeitspotential des Mythos, in: Terror und Spiel. München 1971, 11–66 (Poetik und Hermeneutik; 4).

212 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Alphabetisches Verzeichnis aller im Buch zitierten Schriften

Boeder 1959

Heribert Boeder: Der frühgriechische Wortgebrauch von Logos und Aletheia, in: Archiv für Begriffsgeschichte 4 (1959) 82–112.

Böhme 1980

Robert Böhme: Der Sänger der Vorzeit. Bern/München 1980.

Böhme 1986

Robert Böhme: Die verkannte Muse. Dichtersprache und geistige Tradition des Parmenides. Bern 1986.

Bormann 1971

Karl Bormann: Parmenides. Hamburg 1971.

Bornemann/ Risch 1978

Griechische Grammatik von Eduard Bornemann unter Mitwirkung von Ernst Risch. Braunschweig 21978.

Braun 1990

Lucien Braun: Geschichte der Philosophiegeschichte. Bearbeitet und mit einem Nachwort von Ulrich Johannes Schneider. Darmstadt 1990.

Buchheim 1994

Thomas Buchheim: Die Vorsokratiker. Ein philosophisches Porträt. München 1994.

Burkert 2008

Walter Burkert: 1. Das Proömium des Parmenides und die Katabasis des Pythagoras, in: ders.: Kleine Schriften VIII. Philosophica. Hg. von Thomas A. Szlezák und Karl-Heinz Stanzel. Göttingen 2008, 1–27.

Burkert 2009

Walter Burkert: Die Griechen und der Orient. Von Homer bis zu den Magiern. München 32009.

Burnet 1913

John Burnet: Die Anfänge der griechischen Philosophie. Zweite Ausgabe. Aus dem Englischen übersetzt von Else Schenkl. Leipzig/Berlin 1913.

Cassirer 2007

Ernst Cassirer: Logos, Dike, Kosmos in der Entwicklung der griechischen Philosophie (1941), in: ders.: Aufsätze und kleine Schriften. Gesammelte Werke. Hamburger Ausgabe, Band 24. Hamburg 2007, 7–35.

Cordero 2004

Néstor-Luis Cordero: By Being, It Is. The Thesis of Parmenides. Las Vegas 2004.

213 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Indices

Coxon 2009

The Fragments of Parmenides. Revised and Expanded Edition by A. H. Coxon. Edited with New Translations by Richard McKirahan. With a New Preface by Malcom Schofield. Las Vegas & al. 2009.

Deichgräber 1958

Karl Deichgräber: Parmenides’ Auffahrt zur Göttin des Rechts. Untersuchungen zum Prooimion seines Lehrgedichts. Mainz 1958.

Deichgräber 1963

Karl Deichgräber: Rhythmische Elemente im Logos des Heraklit. Mainz 1963.

Deichgräber 1983

Karl Deichgräber: Das Ganze Eine des Parmenides. Fünf Interpretationen zu seinem Lehrgedicht. Wiesbaden 1983.

Descartes 1973

René Descartes: Regulae ad directionem ingenii / Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft. Kritisch revidiert, übersetzt und herausgegeben von Heinrich Springmeyer †, Lüder Gäbe, Hans Günter Zekl. Hamburg 1973.

Di Giuseppe 2011

Riccardo Di Giuseppe: Le Voyage de Parménide. Paris 2011.

Diels 2003

Hermann Diels: Parmenides Lehrgedicht mit einem Anhang über griechische Thüren und Schlösser. Zweite Auflage mit einem neuen Vorwort von Walter Burkert und einer revidierten Bibliographie von Daniela De Cecco. Sankt Augustin 2003 (Erstausgabe 1896).

DK I–III

Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und deutsch von Hermann Diels. Hg. von Walther Kranz. Band I. Hildesheim 171974. Band II. Hildesheim 16 1972. Band III. Hildesheim 151975.

DL

Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Erster und zweiter Band. Hamburg 2004.

Dönt 1984

Eugen Dönt: Die pseudohippokratische Schrift über das Herz, in: Wiener humanistische Blätter 26 (1984) 31–38.

214 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Alphabetisches Verzeichnis aller im Buch zitierten Schriften

Dupré 1973

Wilhelm Dupré: Mythos, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe 4 (1973) 948–956.

Eliade 1954

Mircea Eliade: Die Religionen und das Heilige. Elemente der Religionsgeschichte. Salzburg 1954.

Eliade 1990

Mircea Eliade: Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen. Frankfurt a. M. 1990.

Erler 2007

Michael Erler: Kleines Werklexikon Platon. Stuttgart 2007.

Euripides

Euripides: Sämtliche Tragödien und Fragmente. Griechisch-deutsch. Übersetzt von Ernst Buschor. Band I bis IV, München 1972. Band V, München 1977. – Hipp. = Hippolytos. Med. = Medea.

Fink 1958

Eugen Fink: Sein, Wahrheit, Welt. Vor-Fragen zum Problem des Phänomen-Begriffs. Den Haag 1958.

Fleischer 2001

Margot Fleischer: Anfänge europäischen Philosophierens. Heraklit, Parmenides, Platons Timaios. Würzburg 2001.

Fränkel 1955

Hermann Fränkel: Wege und Formen frühgriechischen Denkens. Literarische und philosophiegeschichtliche Studien. Hg. von Franz Tietze. München 21955.

Fränkel 1993

Hermann Fränkel: Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums. Eine Geschichte der griechischen Epik, Lyrik und Prosa bis zur Mitte des fünften Jahrhunderts. München 41993.

Frisk I, II

Hjalmar Frisk: Griechisches etymologisches Wörterbuch. Band I: Α–Κο. Heidelberg 1960. Band II. Κρ–Ω. Heidelberg 1970.

Fritz 1968

Kurt von Fritz: Die Rolle des ΝΟΥΣ (1943/1945/ 1946), in: Hans-Georg Gadamer (Hg.): Um die Begriffswelt der Vorsokratiker. Darmstadt 1968, 246– 363.

Gadamer 1968

Hans-Georg Gadamer (Hg.): Um die Begriffswelt der Vorsokratiker. Darmstadt 1968.

215 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Indices

Gadamer 1996

Hans-Georg Gadamer: Der Anfang der Philosophie. Stuttgart 1996.

Gadamer GW 1–10

Hans-Georg Gadamer: Gesammelte Werke 1–10. Tübingen 1990–1995. – GW 1 = Hermeneutik I: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. GW 2 = Hermeneutik II: Wahrheit und Methode. Ergänzungen/Register. GW 6 = Griechische Philosophie II. GW 7 = Griechische Philosophie III: Plato im Dialog.

Gehrke/Schnei- Hans-Joachim Gehrke, Helmuth Schneider (Hg.): der 2013 Geschichte der Antike. Ein Studienbuch. 4., erweiterte Auflage. Stuttgart/Weimar 2013. Gemelli I–III

Die Vorsokratiker. Band I: Thales, Anaximander · Anaximenes · Pythagoras und die Pythagoreer · Xenophanes · Heraklit. Griechisch-lateinischdeutsch. Auswahl der Fragmente und Zeugnisse, Übersetzung und Erläuterungen von M. Laura Gemelli Marciano. Berlin 2007. Band II: Parmenides · Zenon · Empedokles. Berlin 2009. Band III: Anaxagoras · Melissos · Diogenes von Apollonia · Die antiken Atomisten: Leukipp und Demokrit. Berlin 22013.

Gemoll

Griechisch-deutsches Schul- und Handwörterbuch von Wilhelm Gemoll. Durchgesehen und erweitert von Karl Vretska. Wien/München 91965.

Georges

Lateinisch-Deutsch. Deutsch-Lateinisch. Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. Kleines deutsch-lateinisches Handwörterbuch. Von Karl Ernst Georges. Zweite, erweiterte Ausgabe. Berlin 2004 (Digitale Bibliothek; Band 69).

Georgiades 1958 Thrasybulos Georgiades: Musik und Rhythmus bei den Griechen. Hamburg 1958. Gorgias 1989

Gorgias von Leontinoi: Reden, Fragmente und Testimonia. Hg. mit Übersetzung und Kommentar von Thomas Buchheim. Griechisch-Deutsch. Hamburg 1989.

216 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Alphabetisches Verzeichnis aller im Buch zitierten Schriften

Greenhalgh 1973

Peter A. L. Greenhalgh: Early Greek Warfare. Horsemen and Chariots in the Homeric and Archaic Ages. Cambridge 1973.

Grønbech I–II

Vilhelm Grønbech: Hellas. Griechische Geistesgeschichte I. Reinbek 1965. Götter und Menschen. Griechische Geistesgeschichte II. Reinbek 1967.

Günther 1998

Hans-Christian Günther: Aletheia und Doxa. Das Proömium des Gedichts des Parmenides. Berlin 1998.

Haase 2010

Frank Haase: Unterwegs im Medium Denken – Parmenides. München 2010.

Hegel WA

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Theorie Werkausgabe. Frankfurt a. M. 1971. – WA 6 = Wissenschaft der Logik I. WA 8 = Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I. WA 18 = Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I.

Heidegger GA

Martin Heidegger: Gesamtausgabe. Frankfurt a. M. 1975 ff. – GA 2 = Sein und Zeit. 1977. GA 35 = Der Anfang der abendländischen Philosophie. Auslegung des Anaximander und Parmenides. 2012. GA 54 = Parmenides. 1982. GA 63 = Ontologie (Hermeneutik der Faktizität). 1982. GA 88 = Seminare (Übungen) 1937/38 und 1941/42. 2008.

Heitsch 1974

Parmenides. Die Anfänge der Ontologie, Logik und Naturwissenschaft. Die Fragmente hg., übersetzt und erläutert von Ernst Heitsch. München 1974.

Held 1980

Klaus Held: Heraklit, Parmenides und der Anfang von Philosophie und Wissenschaft. Berlin 1980.

Heraklit 2007

Heraklit: Fragmente. Griechisch und deutsch hg. von Bruno Snell. Zürich/München 142007.

Heraklit 2007

Heraklit: Fragmente. Griechisch und deutsch hg. von Bruno Snell. Zürich/München 142007.

Herodot 2001

Das Geschichtswerk des Herodot von Halikarnassos. Aus dem Griechischen von Theodor Braun. Frankfurt a. M./Leipzig 2001.

217 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Indices

Herodot I–IX

Herodoti Historiae ed. Carolus Hude. Libri I–IV. Oxonii 31927. Libri V–IX. Oxonii 31927.

Hesiod

Hesiodus: Theogonia · Opera et dies · Scutum. Ed. Friedrich Solmsen. Fragmenta selecta. Ed. Reinhold Merkelbach et Martin L. West. Oxonii 1970. – Th. = Theogonia. Op. = Opera et dies.

Hesiod 1966

Hesiod: Werke und Tage. Aus dem Griechischen übertragen von Albert von Schirnding. München 1966.

Hesiod 1978

Hesiod: Theogonie. Hg., übersetzt und erläutert von Karl Albert. Kastellaun 1978.

Hölscher 1976

Uvo Hölscher: Der Sinn von Sein in der älteren griechischen Philosophie. Heidelberg 1976.

Hölscher 2014

Parmenides: Vom Wesen des Seienden. Die Fragmente. Griechisch-deutsch. Auf der Grundlage der Edition von Uvo Hölscher † mit einer Einleitung hg. von Alfons Reckermann. Hamburg 2014.

Homer

Homeri Opera edd. David B. Munro et Thomas W. Allen. Tom. I–II. Oxonii 1962. – Il. = Ilias. Od. = Odyssea.

Homer 1958

Homer: Die Odyssee. Übersetzt in deutsche Prosa von Wolfgang Schadewaldt. Hamburg 1958.

Homer 1975

Homer: Ilias. Neue Übertragung von Wolfgang Schadewaldt. Mit antiken Vasenbildern. Frankfurt a. M. 1975.

HWPh 1–11

Historisches Wörterbuch der Philosophie. Basel/ Stuttgart 1971–1984. Band 1–6, hg. von Joachim Ritter † und (ab Band 5) Karlfried Gründer. Band 7–13, hg. v. Joachim Ritter † u. Karlfried Gründer und (ab Band 11) Gottfried Gabriel. Basel 1989–2007.

Jaeger 1953

Werner Jaeger: Die Theologie der frühen griechischen Denker. Stuttgart 1953.

Jantzen 1976

Jörg Jantzen: Parmenides zum Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit. München 1976.

218 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Alphabetisches Verzeichnis aller im Buch zitierten Schriften

Kahn 1960

Anaximander and the Origins of Greek Cosmology. By Charles H. Kahn. New York 1960.

Kahn 1973

The Verb ›Be‹ and its Synonyms. Philosophical and Grammatical Studies edited by John W. M. Verhaar (6). The Verb ›be‹ in Ancient Greek by Charles H. Kahn. Dordrecht/Boston 1973.

Kant WA I–XII

Immanuel Kant: Werkausgabe, hg. von Wilhelm Weischedel. Band I-XII. – WA V = Schriften zur Metaphysik und Logik 1. WA XII = Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 2.

Kerényi 1940

Karl Kerényi: Pythagoras und Orpheus. Zweite Ausgabe mit einem Anhang über die Seelenwanderungslehre. Amsterdam 1940.

Kingsley 1999

Peter Kingsley: In the Dark Places of Wisdom. Inverness/California 1999.

Kirk & al. 1994

Geoffrey S. Kirk, John E. Raven, Malcolm Schofield: Die vorsokratischen Philosophen. Einführung, Texte und Kommentare. Stuttgart/Weimar 1994.

KP 1–5

Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike. Band 1–5. München 1979.

Kranz 1958

Walther Kranz: Kosmos. Archiv für Begriffsgeschichte. Band 2, Teil 1 und 2. Bonn 1958.

LA I/1–4

dtv-Lexikon der Antike I. Philosophie, Literatur, Wissenschaft. Band 1–4. München 1969.

Lesky 1963

Albin Lesky: Geschichte der griechischen Literatur. Bern/München 21963.

LfG

Lexikon des frühgriechischen Epos. Begründet von Bruno Snell. Hg. vom Thesaurus Linguae Graecae. Band 2, Β–Λ. Göttingen 1991.

Loenen 1959

J. H. M. M. Loenen: Parmenides, Melissus, Gorgias. A Reinterpretation of Eleatic Philosophy. Assen MXMLIX.

219 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Indices

LSJ

A Greek-English Lexicon. Compiled by Henry George Liddell and Robert Scott. With a Supplement 1968. Revised and Augmented throughout by Sir Henry Stuart Jones with the Assistance of Roderick McKenzie and with the Co-operation of Many Scholars. Oxford 91940 (Reprint 1977).

Mansfeld 1964

Jaap Mansfeld: Die Offenbarung des Parmenides und die menschliche Welt. Assen 1964.

Mansfeld 1995

Parmenides: Über das Sein. Griechisch-Deutsch. Mit einem einführenden Essay. Hg. von Hans von Steuben. Die Fragmente des Lehrgedichts. Übersetzung und Gliederung von Jaap Mansfeld. Stuttgart 1981. Bibliographisch ergänzte Ausgabe 1995.

Mansfeld VS I–II

Die Vorsokratiker. Auswahl, Übersetzung und Erläuterung von Jaap Mansfeld. Band I, Stuttgart 1983. Band II, Stuttgart 1986.

MarcinkowskaRosół 2010

Maria Marcinkowska-Rosół: Die Konzeption des ›noein‹ bei Parmenides von Elea. Berlin 2010.

Mattes 1970

Josef Mattes: Der Wahnsinn im griechischen Mythos und in der Dichtung bis zum Drama des fünften Jahrhunderts. Heidelberg 1970.

Meijer 1997

P. A. Meijer: Parmenides Beyond the Gates: The Divine Revelation on Being, Thinking and the Doxa. Amsterdam 1997.

Mourelatos 2008 The Route of Parmenides. Revised and Expanded Edition by Alexander P. D. Mourelatos with a New Introduction, Three Supplementary Essays, and an Essay by Gregory Vlastos. Las Vegas & al. 2008. Mourelatos 2012 Alexander P. D. Mourelatos: »The Light of Day by Night«: nukti phaos, Said of the Moon in Parmenides B 14, in: Richard Patterson, Vassilis Karasmanis, Arnold Hermann (edd.): Presocratics & Plato. Las Vegas & al. 2012, 25–58.

220 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Alphabetisches Verzeichnis aller im Buch zitierten Schriften

Nestle 1942

Wilhelm Nestle: Vom Mythos zum Logos. Die Selbstentfaltung des griechischen Denkens von Homer bis auf die Sophistik und Sokrates. Stuttgart 21942.

Neumann 2006

Günther Neumann: Der Anfang der abendländischen Philosophie. Eine vergleichende Untersuchung zu den Parmenides-Auslegungen von Emil Angehrn, Günter Dux, Klaus Held und dem frühen Martin Heidegger. Berlin 2006.

Nietzsche KSA

Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, Band 1–15. Hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München 1980.

Nordheider 1991 H. W. Nordheider: ἐλεγχείη, ἔλεγχος, ἐλέγχω, in: Lexikon des frühgriechischen Epos 2 (1991) 523–524. Otto 2011

Walter F. Otto: Dionysos. Mit einem Nachwort von Alessandro Stavrou. Frankfurt a. M. 72011 (Erstveröffentlichung 1933).

Padrutt 1991

Hanspeter Padrutt: Und sie bewegt sich doch. Parmenides im epochalen Winter. Zürich 1991.

Padrutt 1994

Hanspeter Padrutt: »Als allerersten den Eros zwar ersann sie von allen Göttern …«, in: Daseinsanalyse 11 (1994) 219–236.

Padrutt 2002

Hanspeter Padrutt: Das Rätsel Parmenides, in: Daseinsanalyse 18 (2002) 115–149.

Pannwitz 1927

Rudolf Pannwitz: Die Krisis der Europaeischen Kultur. Nuernberg 1927 (Neuauflage 1947).

Pape

Griechisch-Deutsch. Altgriechisches Wörterbuch. Von Wilhelm Pape. Neusatz und Faksimile. Zweite Ausgabe. Berlin 2006 (Digitale Bibliothek; Band 117).

Pellikaan-Engel 1974

Maja E. Pellikaan-Engel: Hesiod and Parmenides. A New View on their Cosmologies and on Parmenides’ Poem. Amsterdam 1974.

Pfeifer 1997

Wolfgang Pfeifer u. a. (Hg.): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. München 21997.

221 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Indices

Pfeiffer 1970

Rudolf Pfeiffer: Geschichte der klassischen Philologie. Von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus. Reinbek 1970.

Picht 1996a

Georg Picht: Die Fundamente der griechischen Ontologie. Mit einer Einführung von Hellmut Flashar. Stuttgart 1996.

Picht 1996b

Georg Picht: Die Epiphanie der Ewigen Gegenwart: Wahrheit, Sein und Erscheinung bei Parmenides, in: ders.: Wahrheit, Vernunft, Verantwortung. Philosophische Studien. Stuttgart 21996, 36–86.

Pindar

Pindar: Siegesgesänge und Fragmente. Griechisch und deutsch hg. und übersetzt von Oskar Werner. München o. J. (1967). – O. = Olympische Oden. P. = Pythische Oden. N. = Nemeische Oden.

Platon

Platonis Opera. edd. Ioannes Burnet. Tomus I-V. Oxonii 1901 sqq. – Alc. I = Alcibiades I. Crat. = Cratylus. Phlb. = Philebus. Prm. = Parmenides. R. = Res publica (Politeia). Smp. = Symposium. Sph. = Sophistes. Tht. = Theaetetus. Ti. = Timaeus (StephanusNummerierung).

Platon SW 1–6

Platon: Sämtliche Werke 1–6. In der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher, hg. von Walter F. Otto u. a. Hamburg 1957–59.

Plotin

Plotins Schriften. Griechisch–deutsch. Übersetzt von Richard Harder. Hamburg 1956–1971. Zitiert unter Angabe der Enneaden.

Popper 1998

Karl R. Popper: Die Welt des Parmenides. Der Ursprung des europäischen Denkens. München/Zürich 1998.

Reinhardt 2012

Karl Reinhardt: Parmenides und die Geschichte der griechischen Philosophie. Frankfurt a. M. 52012 (Erstveröffentlichung 1916).

Riezler 2001

Parmenides. Übersetzung, Einführung und Interpretation von Kurt Riezler. Bearbeitet und mit einem Nachwort von Hans-Georg Gadamer. Frankfurt a. M. 3 2001 (Erstveröffentlichung 1934).

222 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Alphabetisches Verzeichnis aller im Buch zitierten Schriften

Schachermeyr 1978

Fritz Schachermeyr: Griechische Geschichte. Entwicklung und Zusammenbruch. Erweiterte Ausgabe, München 1978.

Schadewaldt 1978

Wolfgang Schadewaldt: Die Anfänge der Philosophie bei den Griechen. Tübinger Vorlesungen, Band 1. Frankfurt a. M. 1978.

Schaeffler 1974

Richard Schaeffler: Verstehen, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe 6 (1974) 1628–1641.

Schäfer 2007

Christian Schäfer (Hg.): Platon-Lexikon. Darmstadt 2007.

Schefold 1959

Karl Schefold: Griechische Kunst als religiöses Phänomen. Hamburg 1959.

Schleiermacher 1977

Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Hermeneutik und Kritik. Mit einem Anhang sprachphilosophischer Texte Schleiermachers. Herausgegeben und eingeleitet von Manfred Frank. Frankfurt a. M. 1977.

Schmalzriedt 1976

Egidius Schmalzriedt (Hg.): Hauptwerke der antiken Literaturen. Einzeldarstellungen und Interpretationen zur griechischen, lateinischen und biblisch-patristischen Literatur. München 1976.

Schmidt HW

Griechisch-deutsches Handwörterbuch herausgegeben von Johann A. E. Schmidt. Leipzig 21919.

Schmitt 2007

Arbogast Schmitt: Parmenides und der Ursprung der Philosophie, in: Emil Angehrn (Hg.): Anfang und Ursprung. Die Frage nach dem Ersten in Philosophie und Kulturwissenschaft. Berlin/New York 2007, 109– 139.

Schmitz 1988

Hermann Schmitz: Der Ursprung des Gegenstandes. Von Parmenides bis Demokrit. Bonn 1988.

Schwabl 1953

Hans Schwabl: Sein und Doxa bei Parmenides, in: Wiener Studien. Zeitschrift für Klassische Philologie 66 (1953) 50–75.

Snell 1924

Bruno Snell: Die Ausdrücke für den Begriff des Wissens in der vorplatonischen Philosophie. Berlin 1924.

223 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Indices

Snell 2000

Bruno Snell: Die Entdeckung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen. Göttingen 82000.

Solmsen 1974

Friedrich Solmsen: Jaeger, Werner, in: Neue deutsche Biographie. Bd. 10. Berlin 1974.

Sophokles 1966

Sophokles. Tragödien und Fragmente. Griechisch und deutsch herausgegeben und übersetzt von Wilhelm Willige †, überarbeitet von Karl Bayer. München 1966. Aj. = Ajax. OC = Ödipus auf Kolonos.

Sprute 1962

Jürgen Sprute: Der Begriff der DOXA in der platonischen Philosophie. Göttingen 1962.

Stemich 2008

Martina Stemich: Parmenides’ Einübung in die Seinserkenntnis. Heusenstamm 2008.

Stemich Huber 1996

Martina Stemich Huber: Heraklit. Der Werdegang des Weisen. Amsterdam, Philadelphia 1996.

Stenzel 1931

Julius Stenzel: Metaphysik des Altertums. München und Berlin 1931.

Tarán 1965

Leonardo Tarán: Parmenides. A Text with Translation, Commentary, and Critical Essays. Princeton, New Jersey 1965.

Thanassas 1997

Panagiotis Thanassas: Die erste »zweite Fahrt«. Sein des Seienden und Erscheinen der Welt bei Parmenides. München 1997.

Theunissen 1991 Michael Theunissen: Die Zeitvergessenheit der Metaphysik. Zum Streit um Parmenides, Fr. 8.5–6a, in: ders.: Negative Theologie der Zeit. Frankfurt a. M. 1991, 89–130. Untersteiner 1958

Parmenide. Testimonianze e frammenti a cura di Mario Untersteiner. Firenze 1958.

Verdenius 1964

W. J. Verdenius: Parmenides. Some Comments on his Poem. Amsterdam 1964.

Verdenius 1966–67

W. J. Verdenius: Der Logosbegriff bei Heraklit und Parmenides, in: Phronesis XI (1966) 81–98; Phronesis XII (1967) 99–118.

224 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Alphabetisches Verzeichnis aller im Buch zitierten Schriften

Vernant 1995

Jean-Pierre Vernant: Mythos und Religion im alten Griechenland. Frankfurt/New York 1995.

Vetter 2004

Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe. Unter Mitarbeit von Klaus Ebner und Ulrike Kadi hg. von Helmuth Vetter. Hamburg 2004.

Vetter 2014

Helmuth Vetter: Grundriss Heidegger. Ein Handbuch zu Leben und Werk. Hamburg 2014.

Volpi 1–2

Franco Volpi (Hg.): Großes Werklexikon der Philosophie. Band 1: A–K. Band 2: L–Z. Stuttgart 1999.

Waldenfels 1997 Bernhard Waldenfels: Topographie des Fremden. Studien zur Phänomenologie des Fremden 1. Frankfurt a. M. 1997. Wiesner 1996

Jürgen Wiesner: Parmenides. Der Beginn der Aletheia. Untersuchungen zu B 2, B 3, B 6. Berlin/New York 1996.

Wilamowitz I–II Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Der Glaube der Hellenen. Erster und zweiter Band. Darmstadt 31959. Wilpert 1989

Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart 71989.

Wolf 1950

Erik Wolf: Griechisches Rechtsdenken. Band I: Vorsokratiker und frühe Dichter. Frankfurt a. M. 1950.

Wolfram 2010

Friedrich Wolfram: »Wahre Gewissheit« (πίστις ἀληθής) bei Parmenides. Zur Frühgeschichte des Themas »Glaube und Vernunft«, in: Hans-Dieter Klein, Rudolf Langthaler (Hg.): Transzendentale Konzepte in aktuellen Bezügen. Würzburg 2010, 105–143.

225 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Indices

Zeller I/1–III/2

Eduard Zeller: Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Hildesheim u. a. 1990 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1920–1923). I/1 = Erster Teil. Erste Abteilung. Allgemeine Einleitung. Vorsokratische Philosophie. Erste Hälfte. I/2 = Erster Teil. Zweite Abteilung. Allgemeine Einleitung. Vorsokratische Philosophie. Zweite Hälfte. II/1 = Zweiter Teil. Erste Abteilung. Sokrates und die Sokratiker. II/2 = Zweiter Teil. Zweite Abteilung. Aristoteles und die alten Peripatetiker. III/1 = Dritter Teil. Erste Abteilung. Die nacharistotelische Philosophie. Erste Hälfte. III/2 = Dritter Teil. Zweite Abteilung. Die nacharistotelische Philosophie. Zweite Hälfte.

226 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Sachregister

5.

Sachregister

A Allegorese 44, 63, 65 Apriori 27, 37 Arzt 39, 81 Auslegung 88, 99, 217

103, 108, 117, 126, 162, 172, 188, 197, 202, 232, 235 Fragmente 23, 51, 68, 214, 216–218, 224

B Bewegung 94, 100, 189 Beweise 23, 49 C chthonisch 81 D Denken 17, 98, 104, 111, 135–136, 159, 163, 174, 182, 215, 217, 224 –, νοεῖν 35, 39, 42–44, 64–65, 79, 95, 113–116, 127, 144, 160, 164, 166– 170, 178, 182, 191–192, 221–222, 237, 241–247 Dialektik 49 Dike, Δίκη, δίκη 113, 156, 177 Doxographie 118, 160, 171, 210 E Einheit 36–37, 51 Eleaten 45, 51 Emendation 17 Entwicklung 23, 27 Erde 41, 63, 66, 101, 129–130, 138, 140–144, 156, 207, 210 Erfahrung 23, 55, 75, 173 Erscheinung 41, 56, 90, 191, 222 Etymologie 86 Examination 17 F Feuer 63, 66, 73, 97, 116, 129, 138, 141, 151, 155, 207 Finsternis 81 Forschung, philologisch-historische 9, 17, 24, 29–30, 34–35, 43, 93,

G Ganzheit 196 Gedanke, νόημα 114, 174, 182 Geist 23, 74, 103 Geschichte, Historie 22, 29, 31, 36– 37, 213, 215, 217, 222 Geschichte der Philosophie 22, 31, 217 Göttin 15, 36, 42, 53, 60, 71–72, 77– 78, 81–86, 88, 91–93, 116–118, 123, 126, 128–129, 132–133, 135– 137, 141–142, 147–148, 150, 152, 154–157, 159–166, 170, 172–176, 178, 189–190, 193–194, 197–198, 203, 214, 236–237, 240–242, 247, 249–251 H Heil 39 Heilige, das 15, 153, 159, 215 Heliaden 65 Hermeneutik 14, 17–18, 20, 212, 216–217, 223 Herz, ἦτορ 65, 74, 164, 214, 240 Himmel 41, 66, 82, 179 I Initiation 36 Interpretation 22, 34, 36–37, 222 Irrtum 142 K Klassiker 22, 25 klassisch 22 Kommentar 152 Konjektur 17 Kontext 34, 38, 40, 98, 238, 241 Kontextualität 18

227 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Sachregister Kosmologie 15, 24, 43, 63, 99, 128, 136, 153, 163, 167, 173, 184, 190, 195, 201, 212 Kosmos 160, 170, 191, 237, 246 Kreis 28 Kritik 17–20, 35, 47, 59, 63, 65, 70, 99, 107, 162, 164, 184, 196, 202, 223, 238–240 Kuros 84, 133, 170

Philosoph 23, 25, 36, 39, 41, 84, 87, 160, 169, 214, 219 Philosophie 9, 22–23, 26, 29, 31, 36– 38, 42, 44, 47, 84, 87, 195, 212–213, 215–219, 221–226, 235–236, 238, 240–241, 245, 248, 250 Philosophiegeschichte 23, 213 philosophisch 248 Prozess 36, 41

L Lehrgedicht 41–42, 214 Lesarten 10, 68, 77, 91, 98 Licht 81, 87, 136, 144, 157 Logiker, Logik 196 Logos, λόγος 15, 35, 54, 56, 154, 197, 213–214, 221, 238, 250

R Religionsgeschichte 35, 215 Rezension 17 Rezeption 49 Reziprozität 182

M Menschenverstand, gesunder 20 Metaphysik 210 Mischung, κρᾶσις 144, 149 Moment, νῦν 82, 112, 181 Mythos 15, 33, 35–36, 42, 46, 48, 92, 105, 112, 116, 123, 154, 157, 161– 163, 173, 176–177, 179, 184, 188, 190, 201, 210, 212, 215, 220–221, 225 N Nacht, νύξ 71, 81–82, 116 Nichts, das, μηδέν 103, 113, 115, 166, 172 Nichtseiendes, μὴ ἐόν 113, 177 Not, χρή 72, 103, 161, 164, 166, 179, 194 O Ontologie 26, 217, 222, 235 Orphik 156 P Paradoxien 49 Persephone 81, 156 phänomenologisch 200–202, 225 Philologie 23, 222

S Schein 52, 88, 90–91, 132, 150, 180, 191 –, δόξα 124 Schicksal 85, 128, 182, 188 Seele 56, 99 Seiendes 97, 112–115, 121, 165, 171, 177–178, 181–182, 218, 224 Sein 35, 39, 41, 49, 52, 67, 90, 93, 95, 103, 105–106, 108, 110, 117, 128, 157–158, 166, 172, 174, 180–183, 188–189, 191–192, 196, 217, 222, 224 –, εἶναι 42, 52, 59, 129, 134, 160, 166–169, 175, 178, 180, 188–189, 191–192, 196, 215, 220, 223, 235– 239, 245–246, 248–249, 251 Sekundärliteratur 9, 20, 169, 202, 211 Selbe, das, ταὐτόν 114, 116, 169, 174, 178, 182 Selbigkeit 96, 182 Situation 14–15, 22, 186 solarisch 81 Sprache 41 Sterblichen, die 103, 115–116, 123, 125, 129, 132, 137, 174, 192–194 –, βροτοί 54, 73, 88–89, 132, 135, 161, 172, 191 Substanz 100

228 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Sachregister T Tag, ἦμαρ 71 Texttypen 34, 37

Z Zeichen, σῆμα 112, 116 Zeit 23, 26, 38, 128, 183, 188–189, 207, 217, 224 Zeit, kosmische 189 Zeitanalyse, Aristoteles 181 Zirkel, hermeneutischer 19, 70, 152, 200

U Übersetzung 216, 222 Überzeitlichkeit 121 unio mystica 158, 161 Ursprung, ἀρχή 22 V Venus 149 Verbergung, λήθη 86 Vergehen 177 –, ὄλεθρος 52, 150, 188 –, ὄλλυσθαι 115 Vertrauen, πίστις 113 Vielfalt 36 Vorgriff 23 Vorsokratiker, VS 22–23, 25, 34, 39, 55, 214, 216, 220 Vorurteil 195 W Wahrheit 10, 18, 43–44, 48, 52, 60– 61, 65, 88, 93, 99, 132, 136, 145, 154, 157–158, 160, 162, 164–165, 172, 177, 180, 183, 193, 196, 198– 199, 201, 215–216, 222, 234, 237, 240–241, 243, 248–249, 251 –, ἀλήθεια 31, 73, 78, 92, 116, 132, 161, 164, 194 Wahrnehmung 61, 64, 67 Weg, ὁδός 36, 71–72, 76–77, 107, 113 Welt 80, 97, 100, 136, 224 –, κόσμος 51, 89, 97, 116, 133, 143, 150, 160, 162, 170, 172, 175, 179– 180, 189–191, 215, 220, 222, 235– 236, 238, 246 Weltgeschichte 28 Werden, γίγνεσθαι 52, 114, 150, 177, 188 Wort 72, 195 –, ἔπος 36, 41, 72, 78, 97

α ἀήρ, die untere Luft 82, 101 αἰθήρ, obere Luftschicht 82, 140 ἄπειρον 102, 118, 207 ἅρμα, Streit-, Triumphwagen 79 ἀρχή, Ursprung, Anfang 123 ἄστυ, Wohnstatt 77, 79 β βροτοί, die Sterblichen 103–104, 108, 115, 123, 125, 129, 132, 137, 150, 174, 192, 194 γ γνώμη, Wissen 116, 151 δ δαίμων, Göttin 71 διαίρεσις 56 διάκοσμος, Einrichtung 116, 135, 162 δίκη 65, 72, 83, 85, 113, 124, 156, 161 δόκιμος, erprobt, bewährt 90 δοκοῦντα, das, was erscheint 73, 88 δόξα, Erscheinung, Meinung, Schein 65, 73, 87, 89, 116, 126, 132–133, 161–162, 189–190, 200 ε εἶναι, sein 115, 128 η Ἡλιάδες, Töchter des Helios 64, 71, 80, 161 θ θυμός, Mut 70–71, 74, 76

229 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Sachregister κ καλύπτω, verhüllen, verbergen 82 κόρη, Mädchen, Jungfrau 79, 81 κοῦραι, Mädchen 64, 71–72 κοῦρος, Jüngling 84 κρᾶσις, Mischung 144–145, 147

νῦν 121, 180–181 νύξ, Nacht 82

λ λήθη, Verbergung, Verborgenheit 86 λόγος 54–55, 72, 109, 111

π πᾶν 101, 121–122, 180–181 πέμπειν, geleiten 71 Περὶ Φύσεως 40–41, 51 πίστις, Vertrauen 73, 87–89, 113– 114, 124, 126, 132–133, 161, 172, 174, 183, 192 πολύφημος, bedeutend 64, 71 πολύφραστος, vielverständig 71, 161

μ μοῖρα –, Geschick 72, 85, 128 –, Schicksal 85, 104, 128, 182–183, 189 μῦθος 58, 111, 163, 179 ν νοεῖν –, Denken, das 95–96, 103–104, 114– 115, 126–127, 166–170, 172–173, 182, 192, 231, 233, 235, 237, 243– 245 νόημα –, Gedanke 99, 105, 114, 116, 126– 127, 135, 144, 169–170, 174, 182

ο ὁδός, Weg 76 ὁμοῦ 180–181

σ σῆμα, Zeichen 179–180 σῦριγξ 79 φ φύσις 55, 66, 179 –, »Natur« 39, 41, 144, 148 φώς, Mann (wissender) 71 χ χάσμα, Kluft 84, 157

230 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Alfred Dunshirn: Neuere Literatur zu Parmenides

Besprochen werden im Folgenden sieben Monographien, die – in den Jahren 2004 bis 2011 erschienen – zum Teil Retraktationen bekannter Parmenidesforscher und zum anderen bisher wenig beachtete Werke darstellen, die originelle Ansätze zur Lösung einiger cruces interpretum aufweisen. So bieten die Werke von Néstor-Luis Cordero und Panagiotis Thanassas die Gelegenheit, Grundpositionen dieser Gelehrten, die sich seit Jahrzenten mit den Fragmenten des Eleaten auseinandersetzen, in verdichteter Form erneut nachzuvollziehen. Der Nachdruck von Alexander Mourelatos’ grundlegendem Werk erscheint an sich schon willkommen, war die Ausgabe aus dem Jahr 1970 doch seit geraumer Zeit vergriffen. Zusätzlich versammelt die Neuauflage drei Aufsätze, denen man wichtige Stationen von Mourelatos’ weiterer Ausarbeitung seiner Parmenidesinterpretation entnehmen kann. Darüber hinaus macht das Buch ein bislang unveröffentlichtes Manuskript von Gregory Vlastos zugänglich. Auf wenig Resonanz stießen in der Parmenidesforschung bis dato die sehr unterschiedlichen Arbeiten von Frank Haase, Martina Stemich und Riccardo Di Giuseppe. Haases Büchlein ist der Schlusspunkt einer Reihe von medientheoretischen Arbeiten desselben Verfassers zu verschiedenen antiken Autoren. Stemichs postum edierte Habilitationsschrift widmet sich dem Pädagogischen in Parmenides’ Lehrgedicht, das diese Bezeichnung zu Recht trage – ein Werk, das nicht einmal in die akribisch ausgearbeitete Dissertation von Maria Marcinkowska-Rosół Eingang fand, die in Bezug auf die Protreptik bei Parmenides teilweise zu ähnlichen Ergebnissen wie Stemich kommt. Generell bietet diese Doktorarbeit zu vielen der zentralen Fragmente in nuce Forschungsberichte – Marcinkowska-Rosół führt wiederholt zu einzelnen Text- oder Interpretationsproblemen die verschiedensten Positionen minutiös an, sodass ihre Arbeit nicht nur für das Thema des νοεῖν als Standardreferenzwerk gelten kann. Nicht zufällig bildet Di Giuseppes Buch den Abschluss dieses 231 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

Alfred Dunshirn: Neuere Literatur zu Parmenides

kleinen Literaturberichts. Es kann in vielerlei Hinsicht als das bahnbrechendste der genannten Werke gelten, unternimmt doch der Autor darin – stets aufbauend auf einer Auswertung der jahrhundertelangen Forschung zu Parmenides – in Verknüpfung von philologischen, religionsgeschichtlichen, historischen und philosophischen Forschungen eine neue Gesamtdeutung des parmenideischen Gedichts als vielschalige Sphaira. * Néstor-Luis Cordero: By Being, It Is. The Thesis of Parmenides. Las Vegas: Parmenides Publishing 2004. Dieses Buch ist das dritte in einer Reihe von Werken von NéstorLuis Cordero, in denen er sich in unterschiedlichen Hinsichten mit der Überlieferung von Parmenides’ Fragmenten auseinandersetzt. Zum einen beleuchtet er die Zitierung des Parmenides bei antiken und spätantiken Autoren, zum anderen hat er die handschriftliche Tradition neu kollationiert. Das Buch aus dem Jahr 2004 beginnt mit biographischen Forschungen zu Parmenides, die vor allem die Unsinnigkeit der philosophiegeschichtlichen Unterscheidung von ionischen und italischen Naturphilosophen zeigen soll, da Parmenides der Spross einer phokäischen Pflanzstadt war. Das zweite Kapitel widmet sich einer gründlichen Darlegung der Bildlichkeit des Proömiums, wobei C. unter anderem die Überlieferungsprobleme des dritten Verses von Frg. 1 in Erinnerung ruft und sich ausführlich mit den Toren von Tag und Nacht befasst. Das dritte Kapitel rekapituliert verschiedene Möglichkeiten, wie das »ist« und »ist nicht« in Frg. 2 verstanden werden kann. Von den vier Möglichkeiten, die C. auflistet, propagiert er die letzte. Das subjektlose ἔστιν sei weder einem Überlieferungsfehler geschuldet (Möglichkeit 1), noch müsse man das Seiende von Anfang an als Subjekt ergänzen (Möglichkeit 2), noch sei es völlig subjektlos (Möglichkeit 3, wie sie Mourelatos postuliere), vielmehr sei das Subjekt analytisch aus dem betont hingestellten ἔστιν zu erschließen (vgl. z. B. S. 53). Kapitel vier referiert Überlegungen der jüngeren Zeit zur Grammatik des Verbums εἶναι und setzt sich dann ausführlich mit der Negation der – wie der Autor sie bewusst nennt – These des ἔστιν

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auseinander, wobei zahlreiche Denker und Logiker zu Wort kommen, die einen Vorrang der Behauptung vor jeder Negation betonten. Im knappen Kapitel fünf arbeitet C. anhand der Reziprozität von εἶναι und νοεῖν die Grundlagen von Parmenides’ »theory of knowledge« heraus. Bemerkenswert ist sein Hinweis auf die allgemein wenig beachtete Lesart für Frg. 8, 35 ἐφ’ ᾧ, welche auf die ProklosTradition zurückgeht. Der auf dieses Kapitel folgende Abschnitt wirbt für die Akzeptierung der Lesart der Simplikios-Handschriften von Frg. 6, 1: τὸ λέγειν τὸ νοεῖν sowie für die Auffassung der ersten beiden Verse dieses Fragments als Ausdruck nur des ersten Weges und nicht zweier Wege, nach denen im weiteren Fragment ein dritter geschildert werde. Diese Festlegung auf (nur) zwei Wege führt konsequenterweise zu der Fragestellung, wie sich die Verse drei und vier anschließen können, eine Frage, die in der Parmenidesforschung wiederholt verhandelt und beispielsweise durch Annahme einer Lücke erklärt wurde. Der Verfasser sucht die Lösung wiederum in der Überlieferung, konkret zweifelt er die Angemessenheit von Diels’ Konjektur εἴργω in Frg. 6, 3 an. C. schlägt als Konjektur ἄρξει vor (S. 124), ein Text, der gut mit dem »Beginnen« aus Frg. 5 korrespondiere. Kapitel sieben und acht bemühen sich um eine Widerlegung der Annahmen eines dritten Weges. Der Autor wendet sich hier gegen die unparmenideische Auffassung des Doxa-Teiles als Ausdruck des »Way of Seeming« (S. 140). Mit δόξα sei bei Parmenides ausschließlich die Meinung der Sterblichen bezeichnet, die stets falsch sei (eine ἀληθὴς δόξα ist demnach für Parmenides – im Gegensatz zu Platon – nicht denkbar, vgl. S. 154). C. befasst sich in diesem Zusammenhang auch mit Frg. 8, 53 und der Frage, ob das Zahlwort δύο in diesem Vers zu μορφάς oder γνώμας gehöre; er plädiert für zweitere Variante, da dadurch zum Ausdruck komme, dass die Sterblichen (fälschlich) zwei »Kriterien« (so fasst C. γνώμη) annähmen (S. 156). Das Abschlusskapitel widmet sich dem wahren Weg und den σήματα, die vor einem raum-zeitlichen Verständnis bewahrt werden sollen, wie dies z. B. Melissos’ Aussagen nahelegen, der der Begründer des realen Monismus sei. In diese Richtung argumentiert auch der Epilog, der sich noch einmal – und damit kommt C. auf seinen Ausgangspunkt zurück – mit der antiken Überlieferung zu Parmenides auseinandersetzt. Er zeichnet nach, wie mit Platon beginnend eine eleatische Schule konstruiert wurde, die es als solche nie gegeben habe. Melissos und 233 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

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Zenon seien jedenfalls nicht als Schüler oder Erben des Parmenides anzusehen. * Panagiotis Thanassas: Parmenides, Cosmos, and Being. A Philosophical Interpretation. Milwaukee, Wis.: Marquette University Press 2007 (Marquette Studies in Philosophy; 57). Der schmale Band widmet sich nach einer kurzen Einführung in die Zeugnisse zum Leben des Parmenides und einer Übersicht über dessen Fragmente der Zusammenschau der antiken Auseinandersetzung mit dem sogenannten Doxa-Teil und dem Einfluss von Platons Charakterisierung des grundlegenden parmenideischen Gedankens als ἓν καὶ πᾶν (S. 14). Am ausführlichsten jedoch referiert Panagiotis Thanassas in der Einleitung Karl Reinhardts bahnbrechendes Werk zur Würdigung des Doxa-Teiles, das selbst aber noch in den Bahnen von Hermann Diels und Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff bleibe, wenn es die Doxa als Illusion betrachte (S. 20); dem Doxa-Teil müsse in der Deutung des Gedichts seine eigenständige Bedeutung zuerkannt werden. Zu einer solchen Interpretation macht sich Th. anhand einer Auslegung der Endverse von Frg. 1 auf, wobei er Mourelatos’ Textgestaltung des Verses mit περ ὄντα aufgreift. Das hier im Partizip ὄντα vorhandene Verbum sei nicht kopulativ, sondern in seiner Vollform als einer »absolute syntactic construction« zu verstehen (S. 24). Dadurch sei der Übergang vom Bereich der Meinungen der Sterblichen zur ontologischen Wahrheit geebnet (S. 25), für die zu bedenken bleibe, dass beide Wege sowie die ontologischen Kategorien des Seins und Nichtseins zusammengehörten, wenngleich das nicht bedeute, dass letztere der ersteren ebenbürtig sei (S. 28). In seiner Übersicht über die verschiedenen Auffassungen der Bedeutung des ἔστιν in der Formulierung der zwei alternativen Routen (als verbum substantivum, als Kopula, als spekulative Prädikation nach Alexander Mouraletos etc.) in Kapitel drei bringt Th. die interessante Überlegung vor, dass, sollte für das ἔστιν ein Subjekt gesucht werden, nur die δοκοῦντα dafür in Frage kämen (Anm. 4, S. 31 f.). Seiner Auffassung nach sei das ἔστιν in Frg. 2, 3 jedoch absolut gebraucht. Die Diskussionen und Selbstkritiken von so wichtigen Theoretikern der Bedeutung des Seins wie Kahn hätten deutlich gemacht, dass 234 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

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das Sein, wie es von Parmenides eingesetzt werde, einen »exceptional use« darstelle (S. 35). Dennoch sei mit diesem außergewöhnlichen Gebrauch keine Verabschiedung von der Sprache, sondern vielmehr eine Reinigung derselben gegeben. Durch den Verweis auf die Wichtigkeit des νοεῖν sei das Sprechen vom Sein aus seiner Alltäglichkeit herausgehoben, wo »sein« unauffällig verschiedensten Dingen zugesprochen werde. Mit der Betonung des νοεῖν werde angezeigt, dass nur dieses das Sein adäquat fassen könne, da es über das unmittelbar Gegebene hinaus auch das Abwesende bewahre. Th. unternimmt hier eine wertvolle Bestimmung von Parmenides’ Idealismus, bei der er darauf hinweist, wie dieser nicht verstanden werden sollte (beispielsweise im Sinn von George Berkeley, S. 40). Im vierten, den σήματα gewidmeten Kapitel stellt sich der Autor in die Reihe derjenigen Gelehrten, die betonen, das ἐόν sei ausschließlich verbal zu verstehen. Das Partizip bezeichne nicht einen »massive ›block‹ of Being«, sondern zeige die Charakteristiken an, wie die seienden Dinge in der Welt »sind«, weshalb es gut mit dem aristotelischen ὂν ᾗ ὄν vergleichbar sei (S. 45). In der Bemühung um die Betonung des Zeichencharakters der σήματα (gegenüber Interpreten, die im Fragment 8 das Herzstück der parmenideischen Philosophie sehen) streicht Th. aber die Unterschiede zwischen Aristoteles’ Ontologie und dem eleatischen Projekt heraus (S. 55). Die beiden Schlusskapitel zur Doxa und zum Verhältnis dieser zur Aletheia leitet der Verfasser mit Betrachtungen zum Adjektiv ἀπατηλός ein: Es beziehe sich lediglich auf die Verse 53 bis 59 des achten Fragments. Korrekt sei es, gegenüber der trügerischen Ansicht der Sterblichen, die zwei voneinander getrennte Prinzipien festsetzten, eine Einheit der verschiedenen Formen anzunehmen. Deshalb übersetzt Th. die viel diskutierte Vershälfte 8, 54a – in der Nachfolge von Hans Schwabl – folgendermaßen: »a unity of which is not [deemed] necessary [to name]« (S. 66). Anstelle der vor allem von Cordero als unhaltbar erwiesenen Konjektur von Diels’ εἴργω in Frg. 6 schlägt Th. ein »I will convey« vor, ohne einen Textvorschlag für das Original zu machen. Nicht jedoch folgt er Cordero in der Argumentation, dass es keinen dritten Weg gebe. Für Th. stellt die Rede von einem dritten Weg keinen Widerspruch zu Frg. 2 dar, da der hier geschilderte Pfad kein Weg der Forschung, sondern die Schilderung des Herumstreunens der unentschiedenen, doppelköpfigen Menschen sei. Ihrem Tun gegenüber sol235 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

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le in der »positiven« Doxa die Phänomenalität der einen Welt und nicht einer zweiten, neben dem Sein bestehenden Welt thematisiert werden. Das Ende des Kapitels bildet eine Auseinandersetzung mit dem Proömium und seiner Anrede der Göttin an den Jüngling, das vor allem in Hinblick auf den Ursprung der Philosophie betrachtet wird. Die Appendix bietet eine englische Übersetzung der Fragmente. * Alexander P. D. Mourelatos: The Route of Parmenides. Revised and Expanded Edition, with a New Introduction, Three Supplemental Essays, and an Essay by Gregory Vlastos. Las Vegas/Zurich/Athens: Parmenides Publishing 2008. Es handelt sich bei diesem Band großteils um einen Nachdruck von Alexander Mourelatos’ The Route of Parmenides aus dem Jahr 1970, in dem die Seitenzählung der Erstausgabe beibehalten, Druckfehler geändert und Formulierungen adaptiert wurden. Das dem Wiederabdruck vorangestellte Vorwort gibt ausführlich Auskunft über die intellektuelle Entwicklung des Verfassers, von seiner Dissertation in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in Yale zu dem vorliegenden Buch, von einer Standardinterpretation des Parmenides als eines Vertreters des »Einen« zu seiner Deutung als eines Denkers des »was ist« (vgl. S. XIX). M. informiert bei dieser Gelegenheit die Leserschaft auch über seine philosophische Orientierung an Wittgenstein und Kant. Der erste Abschnitt des wiederaufgelegten Werkes, das M.’ überarbeitete Dissertation darstellt, bietet einen einleitenden philologischen Teil mit einer Darstellung von Parmenides’ sprachlichen Anleihen bei Homer und Hesiod; der Autor stellt danach wertvolle literaturwissenschaftliche Überlegungen zur Abgrenzung eines »Motivs« von einem »Thema« an. Es folgt eine eingehende Auseinandersetzung mit der Frage nach der Bedeutung des Seins, in der M. – wie er dies durchgängig in diesem Œuvre hinsichtlich verschiedener griechischer Begriffe tut – sehr behutsam verschiedenste Deutungen gegeneinander abwägt, um schlussendlich zu einer eigenen zu kommen. Im Fall des Wortes »sein« schlägt er vor, es als spekulatives Sein aufzufassen, wobei er explizit Bezüge zu Hegel ausschließt. Vielmehr geht es ihm darum, mit der Deutung des Seins als »what-is« in gewisser Weise die vielfach besprochenen Erscheinungsformen des 236 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

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Wortes »sein« als Kopula, Definition (Subsumption unter eine Gattung) und existenzielles Sein zusammenzuführen zu einem Sein, das ausdrückt, was etwas in Wahrheit ist. Im dritten Kapitel erfolgt eine kluge Abwägung der verschiedenen Übersetzungen von Frg. 8, 54 (τῶν μίαν οὐ χρεών ἐστιν). Die Leser mögen mit seiner Unterstützung der weit verbreiteten Auffassung der Bedeutung dieses Verses, dass es eine (das μία im Sinn von ἑτέρα aufgefasst) Form nicht geben sollte, nicht einverstanden sein, sie erhalten aber jedenfalls Anregungen zum Neudurchdenken dieses vielleicht unübersetzbaren Abschnittes. Daran schließt sich der Durchgang durch die Aufreihung der σήματα mit detaillierten Beobachtungen zum Vokabular (z. B. κινεῖν) sowie der Struktur der Verse und Argumentationsgänge. Zwei Kapitel zu den Begriffen πίστις und δόξα, in denen M. anhand zahlreicher Belege aus der Dichtung vor und nach Parmenides eindrucksvoll die Reziprozität und Vielstimmigkeit von Wörtern der Wortfamilien der Wurzeln πειθ- und δεχ- aufzeigt, rahmen einen Abschnitt über das Verhältnis von νοεῖν und εἶναι. Zu hinterfragen ist wohl seine Übersetzung von Frg. 8, 34: »is to be thought« (S. 166). Diese lässt vielleicht die Betonung der Selbigkeit von Denken und dem, worumwillen Denken ist, unterbelichtet zugunsten der Auslegung des Verses in dem Sinn, dass das ταὐτόν, worunter das ὄν der vorhergehenden Verse zu verstehen sei, denkbar sei. Wenig Zustimmung in der Forschergemeinschaft hat in den vier Jahrzehnten seit seiner ersten Veröffentlichung M.’ Deutung von Frg. 1, 32 gefunden (mit dem von ihm anstelle des περῶντα vertretenen περ ὄντα, S. 214). Sosehr M.’ Textgestaltung der Sache nach berechtigt sein mag, so unterschätzt er eventuell die Möglichkeit, dass die Göttin davon sprechen kann, wie es kommen konnte (χρῆν – notwendig war, nicht unbedingt nur kontrafaktisches »wie es hätte sein sollen«, vgl. S. 205 ff.), dass die δόξαι »akzeptierterweise« alles »durchdrungen« haben (wenngleich seine Einwände gegen die Auffassung von περᾶν als »durchdringen« im übertragenen Sinn bedenkenswert sind). Gerahmt wird M.’ Route durch ein Kapitel über die trügerische Doxa, in dem er – ähnlich wie im Eingangskapitel über Motive und Themen – ein bis dahin seiner Ansicht nach zu wenig beachtetes literaturwissenschaftliches Konzept bemüht, nämlich die Ambiguität und Ironie. So kann er gut die doppelte Verstehbarkeit der Äußerungen zum trügerischen Kosmos begründen. 237 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

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Der zweite Teil dieser Neuausgabe versammelt den Nachdruck dreier Aufsätze von M. und die erstmalige Veröffentlichung eines Textes von Gregory Vlastos. Der erste der hier abgedruckten Aufsätzen von M. (»Heraclitus, Parmenides, and the Naïve Metaphysics of Things«, S. 299–332) 1 geht der Frage nach, inwieweit sich eine »Naïve Metaphysics of Things« in der vorphilosophischen Sprache und Literatur findet und in welchem Ausmaß sich Philosophen in ihrer Argumentation auf eine derartige naive Metaphysik (als Kontrastfolie zu ihren eigenen Theorien) beziehen. Heraklit habe gegenüber der Annahme von unabhängig existierenden »character-powers« (S. 301) die Sicht einer Logos-strukturierten Welt vertreten. Allerdings würden die von ihm vorgebrachten Vermittlungen von Gegensätzen oft mehr zu einer Seite des Gegensatzes tendieren, was ihn für die Kritik des Parmenides anfällig gemacht habe. Dieser hätte die zu wenig radikale Trennung der Formen durch die Sterblichen kritisiert. M. erwägt in diesem Aufsatz als mögliche Bedeutung des εἶναι in der frühgriechischen Philosophie diejenige von »introduction and recognition« (S. 303, wie sie sich in Sätzen wie »Das ist Klaus.« zeige). Daher sei auch die Abwehr des Weges des Nicht-Seins erklärbar, weil sich aus der Verneinung von Namen im Unterschied zur Verneinung von Prädikaten keine neue (sinnvolle) Aussage ergebe (M. illustriert dies am Beispiel der Suche nach Nicht-Ithaka, die unvollendbar und unsagbar wäre, S. 328). Der zweite Aufsatz (»Determinacy and Indeterminacy, Being and Non-Being in the Fragments of Parmenides«, S. 333–349) 2 vertieft diese Auffassung von Sein als demjenigen, das mehr oder weniger mit Eigennamen bezeichnete Objekte einführe, wie Helden oder Inseln, die bestimmte Beschaffenheiten hätten. Im Kontext derartiger »Namen« sei es sinnlos, Negationen von ihnen angeben oder mit diesen etwas benennen zu wollen. Der dritte von Mourelatos’ wiederabgedruckten Aufsätzen schließlich (»Some Alternatives in Interpreting Parmenides«, S. 350–363) 3 bietet einerseits eine Übersicht über die Standardinterpretation des parmenideischen Gedichtes, wie sie sich in den 60er und Ursprünglich erschienen in: E. N. Lee, A. P. D. Mourelatos, R. M. Rorty (Hg.): Exegesis and Argument. Studies in Greek Philosophy presented to Gregory Vlastos. Assen/New York 1973, 16–48. 2 Ursprünglich erschienen in: R. A. Shiner, J. King-Farlow (Hg.): New Essays on Plato and the Pre-Socratics. Guelph, Ontario 1976, 45–60. 3 Ursprünglich erschienen in: The Monist 62 (1979) 3–14. 1

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70er Jahren des 20. Jahrhunderts ergeben habe – eine solche Zusammenschau ist an sich schon von Interesse, wenn sie von einem so gründlichen Kenner der Forschungen wie M. unternommen wird. Er versucht jedoch darauf aufbauend, die Schwächen dieser Deutung zu zeigen. Die Standardinterpretation sei vor allem deshalb unbefriedigend, weil sie weite Teile des Gedichts nicht erklären könne, sie nicht beachte oder sie für ihre Deutung nicht bräuchte. M. schlägt Alternativen dazu vor, die wieder in seinem Seinsverständnis gründen, aber auch in einer erneuten Herausstellung dessen, wie er die (zu wenig radikale) κρίσις der Menschen versteht. Um zu zeigen, warum die Trennung von Licht und Dunkel problematisch ist, rekurriert er auf die Unterscheidung von »constitutive« und »supervenient negation« (S. 358). Die in den von den Sterblichen vorgebrachten Gegensätzen impliziten Verneinungen seien constitutive, womit sie sich aber wieder das Problem der Sinnlosigkeit der Verneinungen von Namen einhandelten. Zur Illustration zieht M. den bekannten Pindarspruch von den Menschen als Schatten heran, wo Pindar – kongruent zu Parmenides’ Auslassung der Subjektund Objektstelle in seinem Reden vom Sein – die Sein-Stelle in Fragen wie τί δέ τις; und τί δ’ οὔ τις; unausgesprochen gelassen und damit die Unentschiedenheit der Menschen zum Ausdruck gebracht habe (S. 360); in diese Richtung könnte man auch die Kritik an Anaximanders A-peiron formulieren, das ein Paradebeispiel für etwas Unergründliches und Unaussprechbares sei. Der hier erstmals abgedruckte Aufsatz aus dem Nachlass von Gregory Vlastos, »›Names‹ of Being in Parmenides« (S. 367–390), setzt mit einer Diskussion der Problematik des ὄνομ(α) ἔσται vs. ὠνόμασται (Frg. 8, 38) ein und argumentiert zugunsten der von Woodbury vertretenen Textgestaltung ὀνόμασται. Vlastos zeigt auf, dass die gepressten Übersetzungen von Diels und anderen im Sinne von »bloße Namen« für ὄνομα keine Parallelen im Griechischen haben. * Martina Stemich: Parmenides’ Einübung in die Seinserkenntnis. Heusenstamm: Ontos 2008 (Topics in Ancient Philosophy; 2). Martina Stemich betrachtet in diesem Buch, das ihre postum erschienene Habilitationsschrift darstellt, die Fragmente des Parmenides aus lerntheoretischer Sicht – wie es möglich sei, mit dem Kou239 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

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ros den Standpunkt der Göttin einzunehmen. Zum anderen fragt sie nach dem »Geisteszustand des Erkennenden« (S. 9). Sie deutet das Proömium im Sinne ihrer Betonung der Form des Lehrgedichts als Ausdruck einer geistigen Veränderung, die weder Resultat einer Ana- noch einer Katabasis sei, sondern eine graduelle Entwicklung anzeigt, die auch anderen zugänglich ist. Auf ein hierarchisch gegliedertes Schüler-Lehrerin-Verhältnis deuteten die zahlreichen Imperative und andere sprachliche Signale hin, die erst in den Doxa-Fragmenten von einem »unpersönlichen Bericht« abgelöst würden (S. 53). Ihre Vorüberlegungen zum Lerncharakter des parmenideischen Gedichtes abschließend skizziert St. den »kulturellen Hintergrund zu Parmenides’ Selbstdarstellung« (S. 54), wobei sie auf das homerische Ich, die vorsokratische Philosophie als Überwindung Homers und die Wissenssuche des Kouros eingeht. Diese Exkurse sind jedoch stark generalisierend, beispielsweise wird das inzwischen vielfach angezweifelte Diktum vom homerischen Menschen, der keine freien Handlungen setzen könne, unkritisch wiederholt und ihm der »vorsokratische« Denker ziemlich holzschnittartig gegenübergestellt (vgl. S. 55). Wichtig für St.s weitere Untersuchung ist ihre Positionierung des Kouros zwischen reiner Passivität und vollständiger Autonomie. Er werde einerseits auf den Weg der Wissenssuche geführt, beschreite ihn aber auch freiwillig (S. 63). Das dritte Kapitel widmet sich dem »Lernversprechen« der Göttin und ihrem »Lernauftrag« an den Jüngling (S. 67), wie er in den Versen 28 bis 30 von Frg. 1 formuliert sei. Die Verfasserin analysiert gründlich einzelne Wörter dieser Zeilen wie das πυθέσθαι oder ἦτορ. Gemäß ihrem Programm der Frage nach den lerntheoretischen Implikationen der Fragmente deutet sie diese Verse als Anleitung für den Menschen, sowohl die vielfältigen »Scheinmeinungen« (dazu S. 88–98) wie auch das »unerschütterliche, überzeugende Herz der Wahrheit« zu erlernen (S. 87). Es gebe einen »dynamischen Bezug« (S. 97) dieser Bereiche aufeinander. Die ihnen korrespondierenden Erkenntnisweisen der Sinneswahrnehmung und des Geistes sollten durch die Kritik der Göttin an den Sterblichen nicht gegeneinander ausgespielt, sondern im Menschen verbunden werden (S. 98). Im Folgekapitel beleuchtet die Autorin die Grundlagen der erzieherischen Praxis zu Parmenides’ Zeit, nämlich die homerisch-hesiodeische Epik, die pythagoreischen Bildungskonzepte und das athenische Erziehungsideal, um Parmenides schließlich zwischen 240 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

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homerisch und platonisch geprägter Erziehungspraxis zu positionieren (vgl. S. 116). Das fünfte Kapitel befasst sich mit einer vertieften Betrachtung des Lernauftrags der Göttin, der in einzelne Lernschritte am Weg hin zur Seinserkenntnis gegliedert werden könne, nämlich in das Kennenlernen der Doxai, ihr Verinnerlichen und das kritische Beurteilen des Gelernten. Der anschließende Abschnitt umfasst bemerkenswerte Beobachtungen zum vergleichsweise selten diskutierten Frg. 16. St. konzentriert sich auf den Ausdruck der κρᾶσις, der (rechten) Mischung der (Körper-)Glieder. Bezogen auf das Thema der Seinserkenntnis bedeute diese Textstelle einen Auftrag an den Jüngling, wie er durch seinen νόος die »viel schwankenden Glieder« zu einer Einheit bringen (S. 149) und sie somit einer Eigenschaft des Seins (nämlich dem οὐλομελές) entsprechend werden lassen solle (S. 169). Diese Passage liefert auch ausführliche Erläuterungen zum Terminus κρᾶσις in der Philosophie und im medizinischen Kontext (v. a. S. 159 ff.). Der Deutung von Frg. 16 entsprechend wird im siebten Kapitel Frg. 4 als Aufforderung zur »Wahrnehmung der Einheit« interpretiert (S. 170), wobei die Autorin dem genauen Bedeutungsgehalt von λεύσσειν nachgeht. Im letzten Kapitel vor der abschließenden Zusammenfassung wird noch einmal ein Kernthema der Parmenidesfragmente aus der Sicht des lernenden Kouros betrachtet, nämlich die σήματα, die »einzig dem besonderen Denken des Kuros zugänglich« seien (S. 210). Das Abschlusskapitel widmet sich der Frage, ob Parmenides’ Denken als ein Beitrag zur »Lebenskunst« betrachtet werden kann und inwiefern es mit Heraklits »Weisheitssuche« vergleichbar ist (S. 219). Jedenfalls sei die Erkenntnisbewegung, wie sie in den Fragmenten geschildert ist, nicht als Erleuchtungserlebnis zu fassen. Es sei ebenso problematisch, in sie Therapeutisches im modernen oder im Sinn hellenistischer Philosophenschulen hineinzulesen, jedoch könne das »Bildungsgeschehen im Lehrgedicht zu Recht therapeutisch angelegt genannt werden« (S. 223). Sowohl Heraklit als auch Parmenides würden einen Aufbruch zu möglicherweise paradoxen Erkenntnissen beschreiben und die höchste Wahrheit für erreichbar halten (S. 224–227). In der Zusammenfassung ihrer Ergebnisse stellt St. das von ihr Gezeigte den bisherigen Äußerungen zu pädagogischen Ansätzen in der frühen griechischen Philosophie gegenüber und betont zum Abschluss eindringlich die 241 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

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notwendige Rückbeziehung der ἀλήθεια, von der die δαίμων spricht, auf den Menschen: »Die vorliegende Untersuchung führt die eleatische Lehre auf den Menschen zurück. Sie erklärt die Wahrheit der Göttin als Wahrheit für den Menschen […]« (S. 234). * Frank Haase: Unterwegs im Medium Denken – Parmenides. München: kopaed 2010 (Medienwissenschaft in Theorie und Praxis; 6). Das Büchlein (dessen griechische Zitate fast durchwegs einer Korrektur bedürfen) bildet den Abschluss einer Reihe von Studien des Verfassers zur Medialität des Denkens bei antiken Autoren wie Homer und Platon. Den Ausgang nahmen diese Untersuchungen – darüber informiert das Vorwort dieser Abhandlung zu Parmenides – von Jacques Derridas Grammatologie und dessen »These von der Schriftfeindlichkeit der abendländischen Metaphysik« (S. 8). Frank Haase betrachtet unter diesen Vorzeichen Parmenides’ Dichtung in eigentümlicher Weise als System, dessen Ausdruck die σήματα seien, die nämlich ein Zeichensystem darstellten. Überhaupt kann gesagt werden, dass H. mehrere originelle Antworten zu alten Fragestellungen zu περὶ φύσεως vorbringt, so bietet er etwa in der Mitte des Buches eine Lösung des Rätsels, wer sich hinter der θεά verbirgt (S. 53). Zunächst setzt er sich allerdings eingehend mit dem Proömium auseinander. In Hinblick auf dessen Auslegungsgeschichte befragt er kritisch die oftmals anzutreffende Gleichsetzung des parmenideischen Einleitungstextes mit Musenanrufen bei Homer oder Hesiod. Der Dichter zeige sich gegenüber jenen Vorläufern bewusst nicht als von der Muse inspiriert, es gebe keine Dichterweihe oder Musenanrufung (S. 23). Dies betont der Autor, weil daraus erhelle, dass der Dichter oder der sich im Proömium aussprechende Kouros nicht als Medium des Göttlichen zu verstehen sei. Vielmehr werde von der Göttin das »eigenständige Nachdenken« gefordert (ebd.). Daneben geht H. auf die Elemente der (Heim-)Reise und Techne (wie die der Wagenfahrt) ein, die Untersuchung mündet schließlich in eine Erinnerung an die Entdeckung der Medialität qua Zahl bei Pythagoras. Sie schreitet dann zu einer Auseinandersetzung mit Zahl und Schrift bei Platon fort und schließt somit den Kreis des Projekts. Der oben angesprochene Vorschlag zur Deutung der Göttin, die den Kouros anspricht, besagt, dass es sich nicht um eine unbestimmt 242 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

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bleibende θεά handle, sondern um die Titanin Thea, die in Rückgriff auf Hesiods Theogonie als »Wesenheit des Unterschieds« verstanden werden könne (S. 54). Gegen Ende des Buches (S. 88 ff.) erfolgt eine Reflexion auf das Nachdenken und die Entwicklung der Scheidung von erinnerndem Nachdenken und dem Nachgedachten, die an Martin Heidegger gemahnt. Im Epilog betont der Verfasser nochmals die Eigenständigkeit des parmenideischen Denkens, wobei man – bei aller Beachtung des Unterschieds zwischen der göttlich inspirierten Rede bei den Epikern und der Erzählung des parmenideischen Kouros – nicht vorbehaltlos der Feststellung zustimmen wird, dass Wahrheit ein »genuin anthropozentrischer Begriff« ist, »der seine Relevanz ausschließlich im menschlichen Denken hat« (S. 98). Folgte man einem solchen anthropozentrischen Wahrheitsbegriff, würde das Hören auf die göttliche Sprecherin, von dem in den Fragmenten die Rede ist, unterlaufen werden. * Maria Marcinkowska-Rosół: Die Konzeption des ›noein‹ bei Parmenides von Elea, Berlin/New York: De Gruyter 2010 (Studia Praesocratica; 2). In dieser eigens dem νοεῖν und verwandten Ausdrücken gewidmeten Studie werden die bekannten Fragmente des Lehrgedichts – vor allem auch die in großen Studien wie derjenigen von Mourelatos ausgesparten Fragmente 3 und 4 – anhand des Leitfadens der Frage nach der Bedeutung des Denkens sehr gründlich einer Betrachtung aus neuer Perspektive unterzogen. Maria Marcinkowska-Rosół geht in ihrer hier vorliegenden überarbeiteten, ursprünglich auf Polnisch verfassten Dissertation aber ebenso dem Denken im sogenannten Doxa-Teil nach. Sie betrachtet das Wortfeld νοῦς vor dem Hintergrund des Wandels des Begriffskreises von einem schwachen Ausdruck für eine menschliche Seelentätigkeit bei Homer zu einem philosophischen Zentralbegriff bei Platon und Aristoteles. Mit ihrer Studie leistet die Verfasserin einen wichtigen Beitrag zur eigenständigen Würdigung der Vorsokratiker und ihrer möglichst nicht von der antiken Auslegungstradition beeinflussten Deutung. Zugleich kann man der Abhandlung entnehmen, wie tendenziös Parmenides von der peripatetischen Schule zitiert wurde. 243 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

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In einem ausführlichen Einleitungskapitel zur Forschungsgeschichte werden die bisherigen Äußerungen und Studien zum νοεῖν bei Parmenides in zwei Gruppen unterteilt. Zuerst kommen diejenigen Autoren zu Wort, die in mehr oder weniger starker Anlehnung an Kurt von Fritz’ Untersuchungen zum νοεῖν bei Homer und den Vorsokratikern dieses als ein weitgehend unfehlbares Erfassen von über die Wahrnehmung hinausgehenden Gehalten betrachten. Davon abgehoben werden die Kritiker an Fritz’ Überlegungen, die – wie beispielsweise Jonathan Barnes oder James Lesher – sehr wohl daran festhalten wollen, dass νοεῖν als »denken« gefasst werden kann und nicht ein bloß rezeptives Vermögen ist, das – stets unfehlbar – Inhalte empfängt. Die Wichtigkeit der Beachtung des νοεῖν als Denken streicht M.-R. sogleich im folgenden, den Großteil der Abhandlung umfassenden dritten Kapitel heraus. Schon hinsichtlich der berühmten Frage nach dem Subjekt der Aussagen des ἔστιν in Frg. 2 sei es angebracht, daran zu erinnern, dass es sich um Wege für das Denken oder Wege, die zu denken sind, handelt. Zusätzlich betont die Verfasserin erneut, dass bei Parmenides das Denken in großer Nähe zum Sprechen und Benennen stehe. Ergo erscheine die Frage nach dem Subjekt »in einem neuen Licht« (S. 54): »Für einen Namen ist nicht das Verhältnis zu einem anderen Satzteil, nicht also die syntaktische Relation ›Subjekt – Prädikat‹, sondern die Beziehung zu dem bekannten Objekt grundlegend.« Insgesamt handle es sich bei Frg. 2 nicht um eine »vollständige Argumentation«, es lägen eher Thesen vor, die durch die folgenden Verse erläutert worden seien (S. 60). Dieser Auffassung entsprechend bemüht sich die Autorin um eine Rekonstruktion der in Frg. 2 angedeuteten Argumente durch Heranziehen der späteren Bruchstücke. Für die Ermittlung der Begründung der These vom Ist-nicht setzt sich M.-R. eingehend mit Frg. 3 auseinander, das oft als Basis für die Behauptung von der Undenkbarkeit des Nichtseins betrachtet werde. Sie stellt die traditionelle Auffassung des τὸ γὰρ αὐτὸ νοεῖν ἐστίν τε καὶ εἶναι der von Eduard Zeller begründeten Deutungsrichtung gegenüber und führt noch weitere Möglichkeiten der Übersetzung wie diejenige von Hermann Schmitz an: »Das Selbe nämlich ist (es für jemand), (etwas) zu bemerken und (es) zu sein« (S. 64). Erstaunlich ist, dass M.-R. hier nicht Martin Heidegger erwähnt, den sie im Kapitel über die Deutungsvarianten des νοεῖν als Archegeten der Interpretationsrichtung von Kurt von Fritz nennt (S. 26). 244 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

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Hat Heidegger sich doch über weite Strecken seiner Denkwege mit Frg. 3 befasst und es in unterschiedlichen Weisen übersetzt und ausgelegt. 4 Wenn die Verfasserin wiederholt auf die Missverständnisse hinweist, die sich bei verschiedenen Parmenides-Interpreten aufgrund eines nicht adäquaten Verständnisses von νοεῖν ergeben hätten, bleibt – bei allen Erwähnungen von unterschiedlichen Deutungsabsätzen des Wortes Sein (z. B. S. 73, Anm. 123) – einigermaßen unterbestimmt, wie aus Sicht der Autorin das εἶναι zu fassen ist. So drängt sich mitunter der Eindruck auf, dass beim Referat verschiedener Argumente für oder gegen die Selbstverständlichkeit der These vom Nichtseienden »existieren« und »sein« gleichgesetzt werden (vgl. S. 73). Wo die »existentielle« der »veritativen« Auslegung gegenübergestellt wird, wäre es angebracht, zur weiteren Differenzierung von Möglichkeiten, wie das Sein bei Parmenides verstanden werden kann, auf die Studien von Uvo Hölscher über den »Sinn von Sein« oder von Arbogast Schmitt zu Parmenides hinzuweisen. 5 Begrüßenswert ist die Anfügung eines Unterkapitels über die »Argumentation gegen das Nichtseiende in antiken Quellen« (S. 74– 76), das hauptsächlich platonische Stellen heranzieht. Diesen Interpretationsansatz könnte man vermutlich fruchtbringend weiterführen mit der Auswertung entsprechender Äußerungen bei den spätantiken Platon- und Aristoteles-Kommentatoren. Zum Abschluss der Rekonstruktion des Arguments gegen das Nichtseiende arbeitet die Autorin den engen Zusammenhang der Konzepte des λέγειν und νοεῖν heraus, die im Zusammenhang der Fragmente des Parmenides nicht zwei verschiedene Erkenntnisweisen bezeichnen könnten (S. 82 ff.). Das Unterkapitel über das Verhältnis von Denken und Sein beginnt mit einem ausführlichen Überblick über die unterschiedlichsten Deutungen von Frg. 6, 1–2. Zur Auflösung der Schwierigkeiten der Z. B. in der Vorlesung im Sommersemester 1932 (Martin Heidegger: Der Anfang der abendländischen Philosophie. Auslegung des Anaximander und Parmenides. Frankfurt a. M. 2012 [Gesamtausgabe Bd. 35], 115–120) oder in einem Vortrag im Jahr 1957, in dem er Frg. 3 folgendermaßen übertragen hat: »Sein gehört – mit dem Denken – in das Selbe« (Martin Heidegger: Identität und Differenz. Stuttgart 111999, 15 [Gesamtausgabe Bd. 11, 37]). 5 Uvo Hölscher: Der Sinn von Sein in der älteren griechischen Philosophie. Heidelberg 1976; Arbogast Schmitt: Parmenides und der Ursprung der Philosophie, in: Emil Angehrn (Hg.): Anfang und Ursprung. Die Frage nach dem Ersten in Philosophie und Kulturwissenschaft. Berlin/New York 2007 (Colloquia Raurica; 10), 109–139. 4

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fünf von M.-R. aufgelisteten Übersetzungsmöglichkeiten von 6, 1 rekurriert sie (analog zur Rekonstruktion des Arguments gegen das Nichtseiende) auf die antiken Zeugnisse über das Sagen des Seienden. Besonderes Augenmerk legt sie dabei auf Simplikios’ Paraphrase von Frg. 6, 1 (S. 104–106), der den ersten Teil dieses Verses folgendermaßen aufgefasst habe: »was man sagen oder denken könnte, ist das Seiende« (S. 105). Von hier ausgehend rekapituliert sie die Überlieferungsgeschichte des Verses und greift schließlich die Emendation der Zeile durch Ludwig Friedrich Heindorf aus dem Jahr 1810 auf: χρὴ τὸ λέγεις τὸ νοεῖς τ’ ἐὸν ἔμμεναι. Sehr gründlich geht die Verfasserin anschließend auch die verschiedenen Probleme in der Übersetzung und Interpretation von Frg. 8, 36–41 durch (S. 113 ff.). Innerhalb der Diskussion um die zeitlose Ewigkeit oder die fortwährende Dauer des Seienden schlägt sie eine neue Deutung jener Verse vor. Sie greift die Lesart von Vers 36 οὐδ’ εἰ χρόνος ἐστίν auf und nimmt die Konjektur οὐδ’ οἷ χρόνος ἐστίν vor (S. 137), mit der sie letztlich auch die Diskussion um Ewigkeit oder Dauer des Seins lösen könne. Bedenke man die ursprüngliche Bedeutung des Chronos als einer zerstörenden Macht, so sei das Dauernde eben gerade das außerhalb der Zeit Befindliche: »Das Parmenideische Seiende ruht für sich ›als dasselbe in demselben verharrend‹ […] und ›bleibt dort standhaft‹ […] eben deswegen, weil es außer der Zeit ist« (S. 145). Dieses Kapitel zur Gleichheit von Denken und Sein lässt M.-R. in einen Vergleich mit dem selbstgenügsamen Kosmos des Timaios und mit Aristoteles’ νόησις νοήσεως münden, wobei sie keine platte Gleichsetzung vornehmen möchte und die Unterschiede der Autoren betont. So würden im Unterschied zu Aristoteles’ Unbewegt Bewegendem dem Sein bei Parmenides »keine Züge eines Lebewesens zugeschrieben« (S. 156). Das vierte, dem »Denken in der Welt der ›Doxa‹« gewidmete Kapitel setzt mit einer Besprechung von Frg. 16 ein. Angesichts der zahlreichen Diskussionen und Aporien in Zusammenhang mit diesem Text betont die Autorin, dass darin keine Erkenntnistheorie angesprochen sei, sondern die Abhängigkeit des menschlichen Denkens vom Leib (S. 177). Hierbei bemüht sie sich um eine adäquate Deutung der Auseinandersetzung von Theophrast mit Parmenides’ Konzept des φρονεῖν (v. a. S. 178–183). Für den problematischen Halbvers τὸ γὰρ πλέον ἐστὶ νόημα (Frg. 16, 4b) schlägt sie als Lösung

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vor, das τό als Demonstrativum aufzufassen, was den Sinn ergäbe: »Denn dies ist mehr das Denken« (S. 186). Zum Abschluss dieses Kapitels unternimmt M.-R. bei der Frage nach dem Subjekt des ἔχει im ersten Vers von Frg. 16 eine bemerkenswerte Untersuchung der Belegstellen von aktivem ἔχειν bei Parmenides. Sie arbeitet heraus, dass bei sämtlichen der acht Belege die Konnotation von »herrschen«, »Macht haben« vorliegt. Daraus kann sie ableiten, dass die Mischung, von der in Frg. 16 die Rede ist, vom Herrschen der Daimon im Bereich der Doxa abhänge (S. 190–192). Da damit aber ein Determinismus des Menschen im Gebiet der Doxa einhergehe, der offensichtlich im Widerspruch zur Autonomie des Denkens, wie er im Proömium angesprochen zu sein scheint, steht, widmet die Autorin konsequenterweise das Schlusskapitel dem Thema »Erlösung«. Aufgegriffen wird dabei die in jüngerer Zeit mehrheitlich akzeptierte Auffassung der Bildlichkeit des Proömiums als Fahrt zum Haus der Unterweltsgöttin. Dort geschehe freilich – dies die Pointe von M.R. gegenüber anderen Auslegungen – »Nichts« außer dem Vortrag der Göttin über das Seiende (S. 198). Der Mensch werde von ihr aufgefordert, das eigene Denken zu steuern und sich von dem gewohnten Sinnen der zwieköpfigen Sterblichen abzuwenden (S. 201). Darauf folge – wie es in Frg. 4 ausgedrückt sei – eine Aufforderung zur Kontemplation des Seienden, das sich nicht von sich selbst abtrennen würde (S. 203 ff.). Die Verfasserin vertritt die Ansicht, Subjekt in Vers zwei dieses Fragments sei das Seiende, das Verb ἀποτμήξει sei mit Zeller intransitiv aufzufassen: Das Seiende werde sich also nicht vom Zusammenhang mit dem Seienden ablösen (S. 210). Hiervon ausgehend setzt M.-R. anhand des λεύσσε δ’ ὁμῶς ἀπεόντα νόῳ παρεόντα βεβαίως (Frg. 4, 1) zu einer finalen Übersicht über die Deutungen des Nous an. Es gehe in diesem Fragment um die Aufforderung zur Kontemplation des Seienden, das für den Nous (M.-R. bezieht den Dativ νόῳ auf παρεόντα) gegenwärtig sei: »Schaue jedoch auf das Abwesende, das für den Geist fest anwesend ist« (S. 213). Mit dieser Kontemplation sei die von Parmenides vermutlich intendierte Aufforderung zur Loslösung des Nous und dessen Angleichung an das Ewige verbunden – hier lassen sich laut M.-R. Verbindungen zum Pythagoreismus und vor allem Platons Timaios herstellen (S. 225–233). Analog zum pythagoreischen Dreischritt von Sünde-Strafe-Erlösung könne man einen Zusammenhang von Verirrung, begrenzter 247 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

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Erkenntnis und Erfassen des wahren Nous bei Parmenides festmachen. Vor allem durch die Betonung des Unterschieds von menschlichem, fehlbarem und von der verderblichen Mischung der Glieder abhängigem Nous von dem echten, einzig im »sein« seine Wahrheit findenden Nous kann die Verfasserin am Schluss ihrer Untersuchung Lösungen für einige der zentralen Fragen zum Nous andeuten (S. 234–250). * Riccardo Di Giuseppe: Le Voyage de Parménide. Paris: Orizons 2011. Diese überaus gründlich gearbeitete Studie betrachtet Parmenides im Kreuzungspunkt von Mystik und Logik sowie von Religion und Philosophie; sie umfasst sieben Kapitel, die sich schwerpunktmäßig unterschiedlichen Fachrichtungen zuordnen lassen. So folgen auf die einleitenden, eher philologischen Kapitel philosophisch-interpretierende, die von literaturtheoretisch-ästhetischen Betrachtungen abgelöst werden, welche in realienkundliche Überlegungen zu der Figur und dem Heimatort des Parmenides, nämlich Hyele, übergehen. Diesen Kapiteln vorangestellt ist eine griechisch-französische Textausgabe der Fragmente, gefolgt von einer italienischen Übersetzung. Der philologische Teil besteht großteils aus einer eingehenden Studie zu den als Programm des parmenideischen Gedichts betrachteten Versen Frg. 1, 28–32 und den Textproblemen rund um die Buchstaben ΔΟΚΙΜΩΣ in Frg. 1, 32 (S. 41–80). Diese Zeichenfolge fasst Riccardo Di Giuseppe als elidierten Infinitiv Aorist zu δοκιμόω auf. Dieses Verb zeige in Zusammenhang mit dem περῶντα, das als Akkusativ Singular zu betrachten sei (S. 48 f.), an, dass der Jüngling erfahren solle, dass einer, der alles durchfährt, akzeptieren müsse, dass die δοκοῦντα sind. Di Giuseppe gibt am Weg zur Erklärung dieser Textgestaltung und seiner Übersetzung eine minutiöse Erläuterung der Überlieferungsgeschichte und der Diskussionen von Textvarianten und Konjekturen in den Parmenidesausgaben der letzten Jahrhunderte. Hinsichtlich des vieldiskutierten ἔστιν in Frg. 2, 3 nimmt er an, dass es zunächst einen subjektlosen Zustand (»état sans sujet«, S. 88) beschreibe, woraus sich die anderen Formen von »Sein« in der Form einer ontologischen Deduktion oder Konjugation entwickelten (S. 101 ff.). 248 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

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Rund um diese ontologische Herleitung gruppiere sich bei Parmenides die allgemeine kosmologische Beschreibung im Ausgang von Hesiod (Kapitel 4), womit der Verfasser auf die für ihn zentrale Ringstruktur des parmenideischen Gedichts vorausdeutet, die er hauptsächlich im fünften Kapitel herausarbeitet. Am Weg dorthin greift er auf die von Schwabl in der hesiodeischen Theogonie aufgezeigte Pentadengliederung und ihre Verwandtschaft zur Anordnung der Verse im Proömium des Parmenides zurück. Der Autor unterzieht die langen Frg. 1 und 8 einer Großgliederung nach Zwanzigergruppen, die jeweils eine Abfolge von Zeit- und Raumschilderungen darstellten (S. 112 f.). Er kann durch die weitere Unterteilung jener Abschnitte in Fünferversgruppen interessante Bezüge von einzelnen Pentaden herausarbeiten. So zeigt er etwa Verbindungen zwischen den Achsen und Naben des Wagens, auf dem der Kouros fährt, zu den Achsen und Pfannen des Tores, zu dem ihn seine Fahrt führt, auf (vgl. v. a. S. 195 f.). Davor stellt Di Giuseppe noch die zugleich dia- wie synchrone Aufreihung der σήματα dar, die im Sinne einer »ontosphère« (S. 123, Anm. 2) zugleich eine Unabgeschlossenheit wie auch Abgeschlossenheit des Seins anzeigten, welche durch die Rahmung mit den scheinbar widersprüchlichen Charakterisierungen ἀτέλεστον (Frg. 8, 4) und τετελεσμένον (Frg. 8, 42) zum Ausdruck käme (v. a. S. 124 f.). Die Bewegung der Onto-Deduktion gipfle in dem Vergleich mit der Sphaira. Darauf wiederum aufbauend unternimmt der Verfasser Überlegungen zur Formulierung vom »unerschütterlichen Herzen der wohlgerundeten Wahrheit«, worin sich eine Auseinandersetzung mit der Anthropologie, wie sie im Epos anzutreffen ist, spiegle. Wie die Psyche im Soma, so verberge sich die Aletheia in der angesprochenen Sphaira. Im Folgekapitel, das den Titel »La gnose parménidienne« trägt, skizziert Di Giuseppe Parmenides’ Position innerhalb der hellenischen Religiosität, in welcher der Eleate durch sein Versetzen allen Werdens und damit verbunden der Theogonie, Kosmogonie und Anthropogonie in den Bereich menschlicher δόξαι einen Wendepunkt darstelle. Die von Parmenides entworfene – dies der Grundzug des vierten Kapitels über den »troisième enseignement« – »außerordentliche« Göttin (»déesse extraordinaire«, S. 150) vereinige alle jene Bereiche im Sein. Der springende Punkt seiner Pentadengliederung, auf die er im 249 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

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fünften Kapitel zurückkommt, ist, dass in der fünften Pentade des ersten Fragments scheinbar ein Vers fehlt, nämlich an der Scharnierstelle Frg. 1, 21/22 – hier ist die Schwelle des Übertritts in das Reich der Göttin beschrieben, die in der Versgliederung zum Verschwinden gebracht wird. Damit will der Autor auch zeigen, dass der Beginn der Philosophie im Griechentum in der Auseinandersetzung mit dem Epos und dessen Formalismen zu sehen ist. Deswegen geht er zunächst auch nicht den Anklängen an Textstellen bei Homer oder Hesiod nach, sondern der zur Theogonie parallelen Gliederung nach Pentaden. In der besonderen Übergangsstelle v. 21/22 ist laut Di Giuseppe das Zentrum der Sphaira-artigen Schilderungen zu sehen, deren äußerste Schale der Bereich der Doxa bilde. An dieser entscheidenden Stelle sei auch anhand des Wechsels der Sprecher – es berichtet nicht mehr der Jüngling von seiner Fahrt, sondern er wird von der Göttin angesprochen und belehrt – zu beobachten, wie intensiv Parmenides in die Schule der Dichtung gegangen sei (ein inhaltlicher Anklang an das Epos sei schon das erste Wort des Proömiums, die ἵπποι, die später als πολύφραστοι bezeichnet werden, womit eine Allusion auf die unsterblichen Stuten des Hades, von denen im Demeterhymnus zu hören ist, vorliege). Parmenides breche aber hier bewusst mit der Tradition der Rhapsoden und lasse als neue Art der Verkündung die Sprache der Weisheit zu Wort kommen (vgl. v. a. S. 165). Versinnbildlicht werde die wechselweise Trennung verschiedener Bereiche und ihre Zusammenführung innerhalb der σφαῖρα durch das in mythischer Weise beschriebene Aneinandervorbeiziehen der Personifizierungen von Tag und Nacht, die je eine Hemisphäre beherrschen und sich an der einen Schwelle begegnen. Diese Bewegung stünde für die Initiation des Kouros mit ihren (in Anlehnung an Arnold van Gennep benannten) Etappen »préliminaire, liminaire, post-liminaire« (S. 182). Dies führt den Verfasser auch zu einer dezidierten Angabe der Aufenthaltsdauer des Jüngling in den jeweiligen Weltbereichen: Seine Reise dauere 24 Stunden, von denen er jeweils einen Halbtag dies- und jenseits der angesprochenen Schwelle verbringe (S. 187). Der Übergang könne in vielerlei Hinsicht als Zentrum betrachtet werden, als Mittelpunkt des Proömiums wie auch des Logos, mit dem der weise Mann alles beurteilen soll. Das Überschreiten der Schwelle und das Angesprochenwerden durch die Göttin – die »phonophanie« – könne man als Selbstbewusstwerdung betrachten (»la première voix de l’autoconscience«, S. 190). 250 https://doi.org/10.5771/9783495818015 .

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Das sechste Kapitel geht der Frage nach den Bezügen zwischen den Opfergeschichten nach, wie sie sich in den Mysterien und vor allem im Kore-Kult finden, mit ihren Berichten einer καρδιουλκία und den Anspielungen auf diese Kulte bei Parmenides sowie der Frage nach »Hyele«, der Beischrift, die sich auf der ältesten in Elea gefundenen Münze unter dem Bildnis eines Mädchens findet. Davon ausgehend erwägt Di Giuseppe, ob es sich bei Hyele um die Stadt oder ein so benanntes Mädchen bzw. eine Nymphe, die der Siedlung ihren Namen gab, handle. Diese Frage ist für den Verfasser deshalb wichtig, weil die weibliche Figur mit Leukothea, der »weißen Göttin«, und mit Kore in Verbindung gebracht und als die »blasse Göttin«, aufgefasst werden kann, die von Parmenides in dessen Gedicht durch die Göttin Wahrheit substituiert worden sei. Das kurze Abschlusskapitel widmet sich der Frage nach der Argumentationsstruktur des »ist und nicht nicht ist«. Durch die Anwendung des Prinzips vom Widerspruch werde als Drittes das Meinen der Sterblichen ausgeschlossen (S. 230). Die Doxa, die unentschieden zwischen Sein und Nichtsein schwanke, werde im Überschreiten der Schwelle von Tag und Nacht geopfert und aufgegeben zugunsten der Dualität von Sein und Nichtsein, weshalb auch die in den Fragmenten anzutreffende Verbindung von Mysterien- und Opfersprache plausibel sei (S. 233).

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