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German Pages [668] Year 2021
Mira Becker-Sawatzky
Scientia & vaghezza im ästhetischen Diskurs der Lombardei des Cinquecento Zum Verhältnis von bildkünstlerischer Praxis und textverfasster Theorie
Historische Semantik Herausgegeben von Bernhard Jussen, Christian Kiening, Klaus Krüger und Willibald Steinmetz
Band 32
Mira Becker-Sawatzky
Scientia & vaghezza im ästhetischen Diskurs der Lombardei des Cinquecento Zum Verhältnis von bildkünstlerischer Praxis und textverfasster Theorie
Mit 177 Abbildungen
Vandenhoeck & Ruprecht
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer & Ehemaligen der Freien Universität Berlin e. V., Berlin. Zugleich Dissertation an der Freien Universität Berlin 2017 D188
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Leonardo da Vinci, Studie einer männlichen Büste und eine architektonische Skizze, rote Kreide, Feder und Tinte / Papier, 25,2 × 17,2 cm, Royal Collection Trust, Windsor, RCIN 912552 © Her Majesty Queen Elizabeth II 2020 Satz: textformart, Daniela Weiland, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0084 ISBN 978-3-666-36393-1
für Denis & Theodor
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.1 Thematik und Herangehensweise der Arbeit . . . . . . . . . . . . . 13 1.2 Historischer Einstieg und thematische Einstimmung – Filaretes libro architettonico . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1.3 Kapitelübersicht – Fragen, Themen und Materialkorpus der Fallstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2. Die Malerei in der Hierarchie der scientiae des lombardischen Diskurses um 1500 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2.1 Antiquarie prospetiche Romane composte per prospectivo Melanese depictore – Wissensordnungen im Antiken-Buch eines Mailänder Perspektivmalers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2.2 Bramantinos Muse der Geometrie, das geometrische Programm seiner Malerei & Luca Paciolis divina proportione . . . . . . . . . . 67 2.3 Interdisziplinäre Gelehrtendebatten um die Nobilitierung der Malerei, Verhandlungen elusiven Wissens & bildkünstlerische Stilfragen . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2.3.1 Scientifici duelli und die Academia Leonardi Vinci am Mailänder Hof Ludovico Sforzas . . . . . . . . . . . . . . 92 2.3.2 Stil- und Wissensfragen – Epistemische und ästhetische Dimensionen von prospettive & proportioni in der Mailänder Malerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
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Inhalt
3. Mitstreit und Agon von Malerei und Skulptur – Diskrepante Paragoni bildkünstlerischer Praxis und textverfasster Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3.1 Textbeiträge zum Verhältnis von Malerei und Skulptur im lombardischen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3.2 Medien- & materialgebundene Dialoge zwischen Werken Leonardos und lombardischer Skulptur – Ein ungeschriebener Mitstreit zum rilievo & den moti dell’anima . . . . . . . . . . . . . 164 3.3 Interaktion der Medien in sakralen Räumen . . . . . . . . . . . . 209 3.3.1 Santa Maria dei Miracoli in Saronno und die Werke von Bernardino Luini, Gaudenzio Ferrari, Giulio Oggioni, Andrea da Milano und Alberto da Lodi . . . . . . . . . . . 209 3.3.2 Gaudenzio Ferraris Werke für den Sacro Monte di Varallo . . 220 3.4 Theorie & Ästhetik von figure serpentinate . . . . . . . . . . . . . 240 3.4.1 Giovan Paolo Lomazzos Begriffskonzept der figura serpentinata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 3.4.2 Kontraposte ›serpeggianti‹ in den Bildkünsten . . . . . . . 252 4. Groteske Ästhetik in Bild und Text – Figurale Wissensformierungen 279 4.1 Visi mostruosi – Groteske Köpfe in Zeichnung, Druckgraphik und Malerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 4.2 Die Accademia della Val di Blenio: Programm und Profil . . . . . 327 4.3 Bizarrie in Dichtung und Bildkünsten . . . . . . . . . . . . . . . . 344 4.3.1 Groteske Dichtungen der Akademiemitglieder I – Grazia, Grotten und grotteschi . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 4.3.2 Groteske Dichtungen der Akademiemitglieder II – Komisch-lachhafte Szenen und Gruppenbilder . . . . . . . 358 4.3.3 Komposite Köpfe in Giuseppe Arcimboldos Malerei und Gregorio Comaninis Dichtung . . . . . . . . . . . . . . 370 4.4 Theorieorte und epistemologischer Status grotesker Ästhetik in kunsttheoretischen Schriften Lomazzos und Comaninis . . . . 390 4.4.1 Giovan Paolo Lomazzos Theorie der Grotesken, bizarrie und belle bruttezze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 4.4.2 Comanini und die Diskursivierung der imitazione fantastica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409
Inhalt
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5. Vaghezza & maniere – Eine ästhetische Kategorie elusiven Wissens und Konzeptionen künstlerischer Stile in Mailand und Cremona während des Secondo Cinquecento . . . . . . . . . . . 427 5.1 Vaghezza ordinata in Lomazzos Trattato dell’arte della pittura (1584) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 5.2 Alessandro Lamos Discorso (1584) – Vaghezza, die Konzeption regionalen Stils und verschwiegene Konkurrenzen . . . . . . . . . 452 5.3 Wenn das Schöne in den Sternen steht – Lomazzos kosmologisch-metaphysische Kunsttheorie in der Idea del tempio della pittura (1590) und die Pluralität der Stile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 6. Ausblick & Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 6.1 Federico Borromeos Ambrosiana – Accademia & Musaeum . . . . 503 6.2 Zentrale Beobachtungen und Analyseergebnisse in der Zusammenfassung & ein Ausblick auf Impulse . . . . . . . 528 7. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 7.1 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Frühneuzeitliche Quellentexte und Textausgaben . . . . . . . . . . 541 Konsultierte Digitalisate unedierter und edierter Quellentexte . . 543 Moderne Editionen vormoderner Werke . . . . . . . . . . . . . . . 543 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 7.2 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 Farbtafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 Abbildungen (im Fließtext, schwarz-weiß, kapitelweise nummeriert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 7.3 Farbtafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 7.4 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661
Vorwort
Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung meiner 2017 an der Freien Universität Berlin verteidigten Dissertationsschrift, die von Prof. Dr. Klaus K rüger (Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin) und von Prof. Dr. Ulrike Schneider (Institut für Romanische Philologie, Freie Universität Berlin) betreut wurde. Ich habe diese Arbeit im Kontext meiner wissenschaftlichen Mitarbeit an dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereich 980 Episteme in Bewegung. Wissenstransfer von der Alten Welt bis in die Frühe Neuzeit verfasst. Damit konnte ich die Arbeit in einem äußerst anregenden, transdisziplinären Umfeld schreiben und wertvolle Forschungsreisen tätigen, wofür ich sehr dankbar bin. Insbesondere das von Ulrike Schneider konzipierte und geleitete romanistische Teilprojekt, an dem ich während meiner Promotionszeit mitarbeitete, war für die wissensgeschichtliche Ausrichtung meiner Dissertation bedeutsam. Das Teilprojekt widmete sich von 2012 bis 2016 Theorie und Ästhetik von ›Nicht-Wissen‹ in der Frühen Neuzeit und untersuchte Konzeptualisierungen eines elusiven Wissens um das Schöne im ästhetischen Diskurs der Romania. Im Rahmen dieses Projekts fokussierte ich Verhandlungen elusiven Wissens und die Relevanz von Rhetorisierung und Literarisierung im kunsttheoretischen Diskurs des Cinquecento. Für meine Dissertation im Fach Kunstgeschichte bei Klaus Krüger verschränkte ich diese Thematik mit meinen Interessen an der Kunst und Kultur der Lombardei und an der Relationierung von bildkünstlerischer Praxis und textverfasster Theorie. Ich danke dem von Prof. Dr. Gyburg Uhlmann, Prof. Dr. Andrew James Johnston und Dr. Kristiane Hasselmann geleiteten SFB -Team für die gemeinsame Arbeit an produktiven Analyseinstrumenten und Denkfiguren, für anregenden Ideenaustausch sowie für kritische Nachfragen. Zumindest einigen Personen aus diesem Team möchte ich an dieser Stelle auch namentlich danken: Prof. Dr. Anne Eusterschulte, Sarah Fallert, Dr. Isabel von Holt, Prof. Dr. Christina Schaefer und Prof. Dr. Anita Traninger. Von Herzen danke ich des Weiteren meinen Kolleginnen Dr. Şirin Dadaş, Dr. Iris Helffenstein und Dr. Claudia Reu fer für ihre äußerst wertvollen, kritischen und geistreichen Anmerkungen zu einzelnen Kapiteln dieses Buches, für ihre Bereitschaft zu oftmals kurzfristigen Lektüren und generell für die motivierende Zusammenarbeit am SFB. Schließ-
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Vorwort
lich und mit besonderem Nachdruck: Grazie mille an meinen Doktorvater Klaus Krüger und an meine Zweitgutachterin und Teilprojektleiterin Ulrike Schneider. Ich danke beiden herzlichst für ihren äußerst wertvollen Rat, für wichtige Impulse und für kreativen Freiraum im disziplinenübergreifenden Zuschnitt meines Forschungsprojekts. Weiteren Forscherinnen und Forschern werde ich im Verlauf des Textes und im Kontext bestimmter Kapitel bzw. Themen für produktiven Austausch und für wichtige Anregungen zu einzelnen Aspekten dieser Arbeit danken. Für die großzügige finanzielle Unterstützung der Drucklegung dieses Buches danke ich sehr herzlich der Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften und der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer & Ehemaligen der Freien Universität Berlin, deren Förderung das Buch in der vorliegenden Form ermöglichte und deren Interesse an meiner Arbeit gerade für den Endspurt der Manuskriptfertigstellung sehr ermutigend war. Zudem bin ich für das Preisgeld dankbar, das 2019 mit dem Hedwig-Hintze Frauenförderpreis des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin verbunden war. Ich danke des Weiteren recht herzlich all jenen Institutionen, Kunstsammlungen, Kunstsammlern und Fotografen, die Bildrechte und teilweise zusätzlich qualitativ hochwertige Bilddateien für wissenschaftliche Qualifikationsschriften kostenfrei zur Verfügung stellen. Diese Bereitschaft ist keine Selbstverständlichkeit und zugleich eine enorme Unterstützung kunsthistorischen Arbeitens. Zudem bin ich den Herausgebern der Reihe Historische Semantik – Prof. Dr. Bernhard Jussen, Prof. Dr. Christian Kiening, Prof. Dr. Klaus Krüger und Prof. Dr. Willibald Steinmetz – für die Aufnahme meines Buches in ihre Schriftenreihe sehr dankbar. Mein herzlicher Dank geht außerdem an Kai Pätzke vom Verlagshaus Vandenhoeck & Ruprecht für seine verständnisvolle Geduld und professionelle Organisation der Drucklegung, an Julia Roßberg für die sorgfältige Vorbereitung des Manuskripts zum Satz und an Matthias Ansorge für die umsichtige Herstellungsleitung. Abschließend danke ich von ganzem Herzen und voller Zuneigung meiner Familie, die mich während der unterschiedlichen Arbeitsphasen meines Dissertationsprojekts und der nicht zuletzt auch pandemiebedingt langwierigen Drucklegung dieses Buches stets ihr vollstes Vertrauen hat spüren lassen. Für diesen wunderbaren Rückenwind und äußerst vielfältige Unterstützung bin ich meiner Schwester Sina, meinen Eltern Christina und Karl-Heinz, Dr. Jörg Binsack, Prof. Dr. Christoph Englert, Petra Ellinger sowie Charlotte Braeuer sehr dankbar. Mein innigster Dank gilt nun Denis und Theodor Otis, die mein Lebensstrahlen sind – Euch beiden widme ich dieses Buch voller Liebe, Anerkennung und Vorfreude auf unser weiteres gemeinsames Leben.
1 Einleitung
1.1 Thematik und Herangehensweise der Arbeit »[T]here is no history of knowledge. There are only histories, in the plural, of knowledges, also in the plural.«1
In der frühneuzeitlichen Lombardei bildet sich im ausgehenden Quattrocento textverfasste Theorie über bildkünstlerisches Werken sowie bildkünstlerische Werke heraus und etabliert sich während des Cinquecento. Dabei erforschen die Texte mit dem Bildkünstlerischen einen medial wie material alteritären Phänomenbereich, der im Austausch mit Gelehrten und Interessierten anderer Wissensdisziplinen auch einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden soll. Welche (Wissens)Fragen und Themen- bzw. Problemkonstellationen erweisen sich in diesem Zeitraum in der Lombardei für Schriften zur Kunst als besonders virulent und prägend? Und wie lässt sich mit Blick auf unterschiedliche charakteristische Themen, Fragen oder auch Konflikte das Verhältnis von textverfasster Theorie und bildkünstlerischer Praxis beschreiben, die beide mit ihren jeweils genuinen Darstellungsweisen und ihren je eigenen Funktions- und Bedingungszusammenhängen den ästhetischen Diskurs gestalten? Stehen textverfasste Theorie und bildkünstlerische Praxis in einem Dialog? In Reibung? Auf Distanz? In Diskrepanz? Welche Medienreflexionen, Interessensschwerpunkte bzw. – umfassender gedacht – welche Wissensgeschichten lassen sich in diesem Ausschnitt frühneuzeitlicher Ästhetik nachvollziehen? Die vorliegende Arbeit erörtert den frühneuzeitlichen ästhetischen Diskurs der Lombardei mit einem auf das Cinquecento fokussierten Blick. Anhand kunsthistorischer sowie literaturwissenschaftlich und wissensgeschichtlich fundierter Fallstudien werden textverfasste Theorie zu den Bildkünsten und bildkünst 1 Burke, Peter, What is the History of Knowledge?, Cambridge 2016, S. 7. Angemerkt sei hier zu Beginn der vorliegenden Arbeit, dass alle Hervorhebungen in Zita ten und alle Übersetzungen von Zitaten, wenn nicht anders angegeben, von mir (MBS) sind.
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Einleitung
lerische Praxis in ihrem vielfältigen Verhältnis zueinander erforscht und zentrale Themen- sowie Problemkomplexe des lombardischen Diskurses zwischen den 1460er- bzw. 1480er- und 1620er-Jahren in thematischen Clustern beleuchtet. Damit wird jener Zeitraum anvisiert, in dem sich das theoriehaltige Schreiben über die Bildkünste – mit besonderem Fokus auf der Malerei – herausbildete und in einem dynamischen Wandlungsprozess etablierte.2 In diesem Zusammenhang, so wird gezeigt werden, sind Fragen nach der epistemologischen Funktion sowie den epistemischen Potentialen und Dimensionen von Malerei bzw. der bildkünstlerischen Praxis von hoher Relevanz und nicht nur Leonardo da Vinci beschäftigte sich mit der Frage, »Se la pittura è scientia, o no«.3 Derartigen Wissensfragen und -debatten und, damit verbunden, Modi historischer Medienreflexionen wird mit Blick auf medial und material unterschiedlich gestaltete Weisen der Aushandlung nachgegangen. Ein besonderes Augenmerk liegt im Zuge dessen auf Reflexionen verschiedener Wissensformen und gerade auch eines solchen Wissens, das immanent an ästhetische Erfahrung und Erkenntnis gebunden und begrifflich nicht einholbar ist. Kapitelweise werden zunächst Um-Ordnungen der scientiae eruiert und anschließend die Pluralität und Diversität ›des‹ Paragone ergründet. Zudem werden die Virulenz und der Facettenreichtum grotesker Ästhetik dargelegt und konkurrierende Konzeptionsmodelle künstlerischer Stile sowie Bedeutungsdimensionen von vaghezza analysiert. Abschließend werden die Wurzeln der Mailänder Bildungsinstitution Ambrosiana samt Kunstakademie und Kunstsammlung sowie begleitenden Theorietexten besprochen. Verortet sind die Fallbeispiele und die mit ihnen untersuchten Mikrokonstellationen des lombardischen Diskurses dabei schwerpunktmäßig in Zentrum und Peripherie des Herzogtums Mailand sowie der Diözese Mailand, genauer gesagt in der frühneuzeitlichen Metropole Mailand, in Cremona und Rivolta d’Adda, in Lainate sowie in monastischen Zentren wie Pavia und in Pilgerstätten wie Varallo und Saronno.4 2 Das Cinquecento bildet den Schwerpunkt der vorliegenden Fallstudien, wird aber freilich in seinen Verschränkungen, Übergängigkeiten und Überlagerungen mit der zweiten Hälfte des Quattro- und dem beginnenden Seicento betrachtet. 3 Die Frage, ob die Malerei eine scientia sei oder nicht, notierte Leonardo da Vinci bekanntermaßen im ausgehenden 15. Jahrhundert in Mailand. Sie wird in Kapitel 2.3 eingehend erörtert. Zitiert nach: Farago, Claire J., Leonardo da Vinci’s Paragone. A Critical Interpretation with a New Edition of the Text in the Codex Urbinas, Leiden / New York 1992, S. 176. 4 Im betrachteten Zeitraum war die Lombardei als Region und soziokulturelles Gefüge durch einschneidende kulturpolitische und religiöse Reformprozesse sowie etliche politische Machtwechsel geprägt, die im Zuge der Fallstudien thematisiert werden. An der Jahrhundertwende wurde bspw. die Sforza-Herrschaft des Herzogtums Mailand durch eine französische Besetzung unterbrochen, bevor 1535 nach dem Tod Francesco II Sforzas die lombardische Region offiziell vom habsburgischen Spanien aus regiert wurde, wobei traditionsreiche lombardische Familien wie die Sforza, Visconti und Borromeo weiterhin einflussreich blieben. Vor dem Hintergrund des dynamischen Gefüges ›der‹ Lombardei
Thematik und Herangehensweise der Arbeit
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Mit der Lombardei wird ein Untersuchungsfeld in den Fokus gerückt, das in kunsthistorischen und literaturwissenschaftlichen Frühneuzeitforschungen bisher vernachlässigt bzw. marginalisiert wurde. In der Kunstgeschichte bspw. haben Florenz, Rom und Venedig deutlich mehr Aufmerksamkeit erhalten.5 Mittels der im vorliegenden Buch erarbeiteten Fallstudien werden nun zum einen erstmals die einschlägigen aus dem ästhetischen Diskurs der Lombardei des Cinquecento hervorgegangenen Texte zu den Bildkünsten in einer aspekt reichen Zusammenschau systematisch und werkanalytisch erfasst.6 Zum anderen und im Besonderen werden verschiedene Arten und Weisen der Relation von während der frühen Neuzeit und mit Blick auf die Verortungen der hier betrachteten Fallbeispiele sei an dieser Stelle noch angemerkt, dass Mantua aufgrund seiner politischen und kulturellen Eigenständigkeit und Eigendynamik nur sehr punktuell in die Untersuchung einbezogen wird. Ähnliches gilt für Sabbioneta. Siehe zur Bezeichnung Lombardei und den politischen Machtwechseln und Veränderungen der Region: Windt, Katja, Kunst unter Fremdherrschaft. Bernardino Luinis Beitrag zur Profanmalerei in der Lombardei zu Zeiten der französischen Besetzung, Berlin 1994, S. 148–156; Welch, Evelyn S., Art and Authority in Renaissance Milan, New Haven / London 1995, S. 267 ff.; Gamberini, Andrea, »Introduction. Between Continuity and Discontinuity: In Search of the Original Characteristics of the State of Milan«, in: A Companion to late Medieval and Early Modern Milan. The Distinctive Features of an Italian State, hg. v. dems., Leiden 2015, S. 1–18; Campbell, Stephen J., The Endless Periphery. Toward a Geo politics of Art in Lorenzo Lotto’s Italy, Chicago / London 2019, S. 172. 5 Die regionalen Schwerpunktsetzungen, die im Feld der Forschung zu beobachten sind, hebt bspw. 2019 auch Stephen Campbell in seiner geographisch hierarchisierende Ordnungsmodelle hinterfragenden Studie zum Kunstschaffen in der ›Peripherie‹ der italienischen Renaissance kritisch hervor und korreliert die Marginalisierung der lombardischen Region u. a. mit Giorgio Vasaris Kunstgeschichtsschreibung. »Our modern notion of Italian Renaissance art in large part depends on the success of a highly partisan historio graphy produced mainly in Florence and Venice in the mid-1500s.« Insbesondere »Vasari’s historical and geographic scheme of artistic progress and modernization« sei auch in der modernen Forschung weiterhin wirkmächtig, konstatiert Campbell. Campbell, The Endless Periphery, S. XVII und 6 f. 6 Es liegen zwei überblicksartige Studien zu theoriehaltigen Schriften zur Kunst bzw. vielmehr zu Erwähnungen von Künstlern in Texten der frühneuzeitlichen Lombardei vor. In diesen wichtigen Studien werden jedoch keine konkreten Textanalysen unternommen. Siehe: Agosti, Giovanni, »Scrittori che parlano di artisti, tra Quattro e Cinquecento in Lombardia«, in: Quattro pezzi lombardi, hg. v. Barbara Agosti, dems., Carl Brandon Strehlke und Marco Tanzi, Brescia 1998, S. 39–93; Rovetta, Alessandro (Hg.), Tracce di letteratura artistica in Lombardia, Bari 20072, siehe darin v. a.: Rovetta, Alessandro, »Introduzione«, in: Tracce di letteratura artistica in Lombardia, hg. v. dems., Bari 20072, S. V–XXIV. Laura Gnaccolini wiederum liefert einen historischen Überblick zu einschlägigen Forschungsbeiträgen zur Kunst der Lombardei vom späten 16. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, von Paolo Morigias La nobiltà di Milano (1595) bis hin zu Roberto Longhis Studien. Siehe: Gnaccolini, Laura P., »La letteratura artistica«, in: Pittura a Milano. Rinascimento e Manierismo, hg. v. Mina Gregori, Mailand 1998, S. 285–296. Aus Longhis Studien zur Kunst der Lombardei sei bspw. verwiesen auf: Longhi, Roberto, Me Pinxit e Quesiti Caravaggeschi 1928–1934, Florenz 1968.
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Einleitung
textverfasster Theorie und bildkünstlerischer Praxis – zwischen Dialog und Diskrepanz – erörtert.7 Die Analyse des ästhetischen Diskurses der Lombardei zielt dabei nicht darauf ab, a priori ein Gegen- bzw. Konkurrenzmodell zu anderen regionalen Diskursfeldern zu (re-)konstruieren, eine »regional microhistor[y]« zu isolieren oder verschiedene Wissenskulturen hierarchisierend aneinander zu messen.8 Vielmehr stellt sich die vorliegende Arbeit der Aufgabe, den ästhetischen Diskurs der Lombardei in seiner mitunter disparaten Vielfalt allererst themenfokussiert zu eruieren und dabei aufschlussreiche Beobachtungen zum Verhältnis von textverfasster Theorie und bildkünstlerischer Praxis zu ermöglichen – Beobachtungen, die sich auch für einen weiter gefassten Blick auf das Verhältnis von Begriff und Anschauung sowie auf frühneuzeitliche Wissensbegriffe und -modelle und dabei insbesondere auch auf Erörterungen ästhetischer Wahrnehmungs- sowie Erkenntnisweisen von Wissen und in diesem Sinne also gewissermaßen für Betrachtungen frühneuzeitlicher Ästhetik produktiv machen lassen. Zudem und nicht zuletzt erschließen die Fallstudien ein umfangreiches Materialkorpus an Texten und v. a. auch Bildwerken von Autoren sowie Kunstschaffenden, die oftmals – im Schatten von Leonardo da Vinci und Giovan Paolo Lomazzo – in der bisherigen, v. a. nicht italienischsprachigen Forschung zu wenig und teils gar nicht beachtet wurden. Zur theoretisch-methodischen Orientierung werden den Fallstudien im Rahmen dieser Einleitung nun einige Anmerkungen zum Titel des vorliegenden
Auf diejenigen Forschungsbeiträge zu textverfasster Theorie hingegen, die jeweils ›nur‹ einzelne Texte bzw. Autoren des kunsttheoretischen Diskurses der frühneuzeitlichen Lombardei fokussieren und die wiederum zahlreicher sind, wird dann im Verlauf der Fallstudien an entsprechenden Stellen verwiesen. 7 Anders als zur textverfassten Theorie liegen zur künstlerischen Praxis des lombardischen Cinquecento und deren kulturellen Kontexten mehrere umfassendere – v. a. im Zuge von Ausstellungsprojekten publizierte – Zusammenschauen mit je unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen vor. Siehe bspw.: Pyle, Cynthia M., Milan and Lombardy in the Renaissance: Essays in Cultural History, Rom 1997; Caroli, Flavio (Hg.), Il Cinquecento lombardo. Da Leonardo a Caravaggio, Ausst.kat., Mailand 2000; Frangi, Francesco / Morandotti, Alessandro (Hgg.), Il ritratto in Lombardia da Moroni a Ceruti, Ausst.kat., Mailand 2002; Isella, Dante, Lombardia stravagante. Testi e studi dal Quattrocento al Seicento tra lettere e arti, Turin 2005. Zum Quattro- und beginnenden Cinquecento im lombardischen Kunstzentrum Mailand siehe: Welch, Art and Authority; Natale, Mauro / Romano, Serena (Hgg.), Arte Lombarda dai Visconti agli Sforza. Milano al centro dell’Europa, Ausst.kat., Mailand 2015. Erwähnt sei zudem das an der Universität Lausanne von 2010 bis 2015 angesiedelte interdisziplinäre Forschungsprojekt Constructing Identity: Visual, Spatial, and Literary Cul tures in Lombardy, 14th to 16th century, aus dem – soweit ersichtlich – zwei Publikationen zum Trecento sowie folgender Sammelband hervorgegangen sind: Albonico, Simone / Romano, Serena (Hgg.), Courts and Courtly Cultures in Early Modern Italy and Europe. Models and Languages, Rom 2016. 8 Für einen kritischen Blick auf isoliert betrachtete »regional microhistories« siehe: Campbell, The Endless Periphery, S. XIX .
Thematik und Herangehensweise der Arbeit
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Buches sowie zur grundlegenden Herangehensweise vorausgeschickt. In der für eine auf konkrete Materialstudien fokussierte Arbeit gebotenen Kürze wird auf die Wortwahl ästhetischer Diskurs, bildkünstlerische Praxis, textverfasste Theorie sowie scientia & vaghezza eingegangen und die wissensgeschichtliche Perspektive skizziert. Anschließend wird mit dem Blick in ein Mailänder Architekturbuch der 1460er-Jahre der Einstieg in den historischen Kontext vorbereitet, auf den dann eine Vorschau auf das Materialkorpus sowie die konkreten Themen und Fragestellungen der einzelnen Kapitel des Hauptteils folgt. Um die »beiden Bereiche Theorie(korpus) und künstlerische Praxis nicht mehr als distinkte Blöcke« zu betrachten, sondern ihre Korrelationen differenziert zu begreifen und dabei stets auch die Art und Weise der Teilhabe der Bildwerke an den Diskursen zu erfragen, erweist sich das von Klaus Krüger, Valeska von Rosen und Rudolf Preimesberger konturierte Denkmodell des ästhetischen Diskurses als produktiv und prägnant.9 Mit der durch dieses Denkmodell sensibilisierten Analyseperspektive werden im Nachfolgenden Nahsichten auf medial und material unterschiedlich gestaltete Auseinandersetzungen mit einschlägigen Themenfeldern sowie auf Netzwerke und Dialogkonstellationen von textverfasster Theorie und bildkünstlerischer Praxis in der frühneuzeitlichen Lombardei eröffnet. Mit bildkünstlerischer Praxis wird der (kreative, künstlerische, handwerkliche und intellektuelle) Schaffensprozess samt der Artefakte mit ihrer genuinen Ausdrucksfähigkeit und Wirkkraft sowie ihren jeweiligen
9 Zum Zitat siehe: Rosen, Valeska von, »›Der stumme Diskurs der Bilder‹. Einleitende Überlegungen«, in: Der stumme Diskurs der Bilder. Reflexionsformen des Ästhetischen in der Kunst der frühen Neuzeit, hg. v. ders., Klaus Krüger, Rudolf Preimesberger, München / Berlin 2003, S. 9–16, S. 11 f. Zum Denkmodell des ästhetischen Diskurses siehe weiterhin: Rosen, Valeska von / K rüger, Klaus / Preimesberger, Rudolf, »Vorwort«, in: Der stumme Diskurs der Bilder. Reflexionsformen des Ästhetischen in der Kunst der frühen Neuzeit, hg. v. dens., München / Berlin 2003, S. 7–8. Der für dieses Denkmodell in Anschlag gebrachte Diskursbegriff »im Sinne eines ›System(s) des Denkens und Argumentierens, das von einer Textmenge abstrahiert ist‹« schließt an Michael Titzmann und dessen an Michel Foucault orientiertes Diskursverständnis an. Zum Zitat siehe erneut: Rosen, »›Der stumme Diskurs der Bilder‹«, S. 11; zu Titzmanns Diskursbegriff siehe außerdem: Titzmann, Michael, »Kulturelles Wissen – Diskurs – Denksystem. Zu einigen Grundbegriffen der Literaturgeschichtsschreibung«, in: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur, 99 (1989), S. 47–61; Burkhard, Thorsten / Hundt, Markus / Martus, Steffen / Ohlendorf, Steffen / Ort, Claus-Michael, »Einleitung«, in: Natur – Religion – Medien. Transformationen frühneuzeitlichen Wissens, hg. v. dens., Berlin 2013, S. 7–16, v. a. S. 11. Zu Foucaults Diskursanalyse siehe: Foucault, Michel, Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1973. Anregend ist weiterhin Andreas Kilchers Blick auf Diskurse, mit denen man »Prozesse der Konstituierung, der Legitimierung und des Transfers von Wissen« zu beschreiben sucht. Kilcher, Andreas B., »›Literatur‹. Formen und Funktionen der Wissenskonstitution in der Literatur der Frühen Neuzeit«, in: Wissensspeicher der Frühen Neuzeit. Formen und Funktionen, hg. v. Frank Grunert und Anette Syndikus, Berlin 2015, S. 357–376, S. 358.
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Einleitung
Entstehungs-, Funktions- und Bedingungszusammenhängen gefasst.10 Dabei wird bildkünstlerische Praxis als ars bzw. arte im Sinne eines »practical way of doing something, perhaps a ›best‹ way […] [and] a technique« zugleich auch als Reflexions-, Kontemplations- und Explorationsform des ›Schauens‹ und Erkennens – als ›theoria‹ (θεωρία) im ganz grundlegenden Sinne – in den Blick genommen bzw. als ästhetische Theoriebildung und bildlich artikulierte Auseinandersetzung mit textverfasster Theorie erörtert.11 Welche Sinn- und Erkenntniserzeugungspotentiale nun bildkünstlerische Werke bzw. Bilder fruchtbar machen können, sind Fragen, die sich für den hier betrachteten historischen und geographischen Untersuchungsbereich als bedeutsam erweisen und die für die analysierten theoriehaltigen Textbeiträge von zumeist großem Interesse sind. Und es sind Fragen, die auch während der vergangenen Jahrzehnte – freilich in veränderten Kontexten und mit anderen Konturen – von hoher Relevanz für Erforschungen des Phänomenbereichs des Bildlichen sind.12 Umgekehrt sind 10 Für eine Verwendung des Terminus’ bildkünstlerische Praxis in Korrelation zu schriftlich fixierter Theorie, mit der gemeinsam die bildkünstlerische Praxis einen ästhetischen Diskurs gestaltet, siehe ebenfalls: Rosen / K rüger / Preimesberger, Der stumme Diskurs der Bilder. 11 Mit Schauen wird hier freilich die Grundbedeutung von ›theoria‹ (θεωρία) in Ableitung von ›theoreo‹ (θεωρέω) aufgerufen – eine Grundbedeutung von Theorie, für die sich bspw. Giovanni Battista Pio 1498 in Mailand in seinem Kommentar zu Fulgentius’ Mythologiae interessiert. Pio setzt hier die griechischen Vokabeln mit dem Lateinischen ›contemplor‹ und ›indago‹ gleich: dem (An)Schauen und Erforschen. Siehe: Venuti, Martina, »L’editio princeps delle Mythologiae di Fulgenzio: Ioannes Baptista Pius’ Enarrationes allegoricae fabularum fulgentii placiadis, Mediolani 1498«, in: Paideia, 63 (2008), S. 407–426, S. 423. Zum ars-Zitat siehe: Zorach, Rebecca, »Renaissance Theory: A Selective Introduction«, in: Renaissance Theory, hg. v. James Elkins und Robert Williams, New York 2008, S. 3–36, S. 17. Vgl. auch Betrachtungen von Kunst als ›practiced theory‹ in: Campbell, Stephen J., »Vasari’s Renaissance and its Renaissance Alternatives«, in: Renaissance Theory, hg. v. James Elkins und Robert Williams, New York 2008, S. 47–67, hier v. a. S. 49. 12 Aus der vielseitigen Forschungsdebatte zum Fragenkomplex genuiner Erkenntnispotentiale und -dimensionen bildkünstlerischer / n Werke / ns und der Korrelation von Wissen und Bildkünsten können hier nur einige wenige Beiträge exemplarisch genannt werden: Krüger, Klaus, Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der Frühen Neuzeit in Italien, München 2001; Pfisterer, Ulrich (Hg.), Visuelle Topoi. Erfindung und tradiertes Wissen in den Künsten der italienischen Renaissance, München / Berlin 2003; Rosen, Valeska von / K rüger, Klaus / Preimesberger, Rudolf (Hgg.), Der Stumme Diskurs der Bilder. Reflexionsformen des Ästhetischen in der Kunst der Frühen Neuzeit, München / Berlin 2003; Boehm, Gottfried, Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens, Berlin 2007; Borsche, Tilman / Bocken, Inigo (Hgg.), Kann das Denken malen? Philosophie und Malerei in der Renaissance, München 2010; Grave, Johannes / Schubbach, Arno (Hgg.), Denken mit dem Bild. Philosophische Einsätze des Bildbegriffs von Platon bis Hegel, München 2010; Oy-Marra, Elisabeth, »Medialität des Sinns und Materialität der Bilder: Ripas Begriffsbilder im Medienwechsel«, in: Cesare Ripa und die Begriffsbilder der Frühen Neuzeit, hg. v. Cornelia Logemann und Michael Thimann, Zürich 2011, S. 199–220;
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ebenso selbstreflexive Thematisierungen der medialen und materialen Alterität zu den Bildkünsten, die in den frühneuzeitlichen Schriften zum Tragen kommen, von Belang für kunsthistorische und kunstwissenschaftliche Forschungen der vergangenen Jahrzehnte, da die genannte Alterität für sprachliche Reflexionen des Bildlichen als eine grundsätzliche Herausforderung, Problematik, reizvolle Spannung, Grenze und / oder als ein potentieller Denkfreiraum immer wieder neu Aktualität gewinnt und zur Diskussion gestellt wird.13 In der vorliegenden Arbeit wird nun die historische Auseinandersetzung mit derartigen Medienreflexionen und Wissensfragen fokussiert, wobei die Beiträge textverfasster Theorie »Prinzipienreflexionen und Erfahrungswissen« in unterschiedlicher Gewichtung schriftlich aufzubereiten suchen, dabei ästhetische Reflexionen und Diskussionen über die Herstellungsverfahren von Kunstwerken und über künstlerische Stile miteinander verbinden und sich gewissermaßen mit einer visual epistemology auseinandersetzen.14 Textverfasste Theorie kann
Pfisterer, Ulrich, »›Sinnes-Wissen‹. Jean Siméon Chardin und die Numismatik zwischen Kunst und Wissenschaft«, in: Translatio nummorum: römische Kaiser in der Renaissance, hg. v. Ulrike Peter und Bernhard Weiser, Wiesbaden 2013, S. 17–37; Briesen, Jochen, »Pictorial Art and Epistemic Aims«, in: Art Theory as Visual Epistemology, hg. v. Harald Klinke, Newcastle 2014, S. 11–24. Zudem sei auf zwei aktuelle Dissertationsschriften hingewiesen, die im Rahmen des von Klaus Krüger geleiteten Forschungsprojekts Das Wissen der Kunst. Episteme und ästhetische Evidenz in der Renaissance am Berliner SFB 980 verfasst wurden: Helffenstein, Iris, Wissenstransfer in Bildprogrammen des Trecento. Allegorie, Imitation und Medialität, Paderborn 2020; Reufer, Claudia, Artikulation und Generierung bildlichen Wissens. Die Zeichnungsbücher aus der Werkstatt Jacopo Bellinis, Paderborn (in Vorbereitung). 13 Die – oft aufschlussreich selbstreflexiven bzw. selbstkritischen – Forschungsbeiträge, die zum fundamentalen Diskrepanzverhältnis von bildlich-visuellen, mündlichen sowie schriftlichen Ausdrucksmodi arbeiten, sind zahlreich und setzen unterschiedliche Schwerpunkte. Verwiesen sei beispielhaft auf: Imdahl, Max, »Bis an die Grenze des Aussagbaren…«, in: Kunsthistoriker in eigener Sache. Zehn autobiographische Skizzen, hg. v. Martina Sitt, Berlin 1990, S. 244–272; Baxandall, Michael, »The Language of Art Criticism«, in: The Language of Art History, hg. v. Salim Kemal und Ivan Gaskell, Cambridge 1991, S. 67–75; Elkins, James, On Images and the Words that Fail Them, Cambridge 1998; Goldstein, Carl, »Writing History, Viewing Art. The Question of the Humanist’s Eye«, in: Antiquity and its Interpreters, hg. v. Alina Payne, Ann Kuttner und Rebekah Smick, Cambridge (Massachusetts) 2000, S. 285–296; Rosen / K rüger / Preimesberger, Der stumme Diskurs der Bilder; Oy-Marra, Elisabeth / Bernstorff, Marieke von / Keazor, Henry (Hgg.), Begrifflichkeit, Konzepte, Definitionen: Schreiben über Kunst und ihre Medien in Giovan Pietro Belloris Viten und der Kunstliteratur der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 2014; Bader, Lena / Grave, Johannes, »Sprechen über Bilder – Sprechen in Bildern. Einleitende Überlegungen«, in: Sprechen über Bilder – Sprechen in Bildern. Studien zum Wechselverhältnis von Bild und Sprache, hg. v. ders., Georges Didi-Huberman und dems., Berlin / München 2014, S. 1–22. 14 Vgl. Nadia Kochs pointierte Beschreibung von Kunsttheorie in der Vormoderne, aus der hier zitiert wird, die aber in der vorliegenden Arbeit dezidiert um die epistemologische
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wertvolle und zugleich konstruierte, literarisch ›gemachte‹ Einblicke in das zeitgenössische Sprechen über Bilder bzw. in zeitgenössische Debatten um die Bildkünste während der frühen Neuzeit gewähren – Debatten, an denen die Texte aktiv teilhaben und die sie mitgestalten.15 Insofern die Schriften das Sprechen, Nachdenken und Beurteilen von Bildwerken mitzugestalten vermögen, schreiben sie sich – gewiss mit je unterschiedlicher Prägnanz – in den ästhetischen Diskurs ein und können wiederum als Teil der aesthetic practice erörtert werden.16 Schließlich ist jeder der untersuchten frühneuzeitlichen Beiträge ein literarisch und rhetorisch gestalteter Text, der – ob als Manuskript oder Buch – ein spezifisches Layout hat, der ggf. kombiniert wird mit bildlichen Darstellungsformen und der seine eigenen Kontexte hat. Daher gilt es, eben auch die Textbeiträge des ästhetischen Diskurses in ihrer jeweils konkreten textuellen Verfasstheit in den Blick zu nehmen und sie auch auf ihre »ästhetisch-epistemologische Doppelfunktion von Literatur als artistisch und szientifische Schreibweise« hin zu betrachten bzw. zu befragen, wie Andreas Kilcher es generell für Dichtungen der frühen Neuzeit einfordert.17 Denn die frühneuzeitlichen Theorietexte zur Kunst haben nicht nur, worauf Rebecca Zorach verweist, »as much to say about literary genres, tropes, and topoi as they do about art«.18 Vielmehr noch sind ihre konkreten, oftmals gattungsspezifischen Diskursivierungs- und Veranschaulichungsstrategien bedeutungskonstitutiv und erkenntnisstiftend für ihre je spezifischen Reflexionen des Ästhetischen.19 Ein Dialogtext, so werden
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Dimension bzw. die potentielle Teilhabe an epistemischen Debatten bedeutsam erweitert wird: Koch, Nadia J., Paradeigma. Die antike Schriftstellerei als Grundlage der frühneuzeitlichen Kunsttheorie, Wiesbaden 2013, S. X f. Zu Theorietexten zur Kunst als Verhandlungen einer visual epistemology siehe: Klinke, Harald (Hg.), Art Theory as Visual Epistemology, Newcastle 2014. Für den Blick auf und den Begriff von frühneuzeitlicher textverfasster Theorie zur Kunst ist es dabei zugleich wichtig, deren historische Konzeption als theoriehaltige Beiträge in Anschlag zu bringen und nicht einen anachronistischen Theoriebegriff zu applizieren, worauf bspw. auch Rebecca Zorach hinweist, wenn sie sagt: »[M]uch of what we call Renaissance art theory is not theory at all, but guidance for practice: generalizations about method, the history of the practice, examples, biographies […] [with a] drive toward systematicity[.]« Zorach, »Renaissance Theory«, S. 18. Vgl. hierzu z. B.: Rosen, »›Der stumme Diskurs der Bilder‹«, S. 11. Vgl. Clark Hulses Erörterung von Texten zur Kunst bzw. dem Schreiben über Kunst als aesthetic practice: Hulse, Clark, The Rule of Art. Literature and Painting in the Re naissance, Chicago 1990. Zum Zitat siehe: Kilcher, »›Litteratur‹«, S. 360. Zorach, »Renaissance Theory«, S. 18. Valeska von Rosen wies bereits 2003 auf das Forschungsdesiderat und das große heuristische Potential hin, die textuelle Verfasstheit kunsttheoretischer Schriften stärker in kunsthistorischen Untersuchungen zu berücksichtigen und eingehend zu analysieren. Denn der Modus der Reflexion des Ästhetischen konstituiert sich gerade auch und maßgeblich über die konkrete Machart des jeweiligen Textes. Siehe: Rosen, Valeska von, »Multiperspektivität und Pluralität der Meinungen im Dialog. Zu einer vernachlässigten
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es die Fallbeispiele verdeutlichen, kann (Wissens-)Fragen und Themen anders adressieren und verhandeln als bspw. traktathafte Texte; Gedichte können verdichtete ästhetische Prägnanz vor Augen stellen, wo der Argumentation Begriffe fehlen; und eine Künstlerbiographie kann Stil anders konfigurieren als etwa ein literarisch inszenierter Tempelrundgang. Die spezifische Machart der Beiträge bedingt, wie Wissen zur Darstellung kommt und vermittelt wird. Dabei vermittelt textverfasste Theorie oftmals eine »idea of art in idealized form« und macht einsehbar, »what was felt to be at stake in practice«, wie Robert Williams es ausdrückt.20 Doch nicht nur das, was in der Kunstpraxis ›auf dem Spiel stand‹, lässt sich, wie noch gezeigt wird, über die Beiträge mit ihrer je spezifischen Machart und in ihrem jeweiligen Wechselspiel mit der bildkünstlerischen Praxis nachvollziehen. Zum Tragen kommen ebenso Fragen und Themen, die mit weitreichenderen, interdisziplinären ästhetischen und epistemischen Diskussionen in Verbindung und in Austausch stehen. Und zugleich ist kritisch zu erfragen, kunsttheoretischen Gattung«, in: Der stumme Diskurs der Bilder. Reflexionsformen des Ästhetischen in der Kunst der Frühen Neuzeit, hg. v. ders., Klaus Krüger und Rudolf Preimesberger, München / Berlin 2003, S. 317–336. Jenes Forschungsdesiderat hat Ulrike Schneider in der Konzeption des – hier bereits im Vorwort erwähnten – am SFB 980 angesiedelten romanistischen Forschungsprojekts zu Konzeptualisierungen elusiven Wissens um das Schöne in der frühneuzeitlichen Romania in Angriff genommen. In diesem Projekt setzten wir uns von 2012 bis 2020 intensiv mit den bedeutungskonstitutiven und erkenntnisstiftenden Dimensionen der Diskursivierungs- und Veranschaulichungsstrategien von primär expositorischen Texten zu Dichtung und Bildkünsten auseinander. Zur Arbeit des Teilprojekts siehe den folgenden Sammelband mit Beiträgen von Ulrike Schneider, der Verfasserin, Şirin Dadaş und Christina Schaefer: Schneider, Ulrike (Hg.), Medien- und gattungsspezifische Modi der Diskursivierung elusiven Wissens in Dichtungen der Frühen Neuzeit, Wiesbaden (in Vorbereitung zum Druck). Zum Konzept elusiven Wissens siehe weiter unten in der vorliegenden Einleitung. Zum Dialogtext als spezifischem Modus einer Bildanalyse hat zudem Johannes Grave einen sehr lesenswerten Beitrag vorgelegt: Grave, Johannes, »Das Bild im Gespräch. Zu Situationen des Sprechens über Bilder in kunsttheoretischen Dialogen des Cinquecento und bei Nicolaus Cusanus«, in: Divulgierung vs. Nobilitierung? Strategien der Aufbereitung von Wissen in Dialogen, Lehrgedichten und narrativer Prosa des 16.–18. Jahrhunderts, hg. v. Rotraud von Kulessa und Tobias Leuker, Tübingen 2011, S. 17–33. Zudem zeugt die Dissertationsschrift von Corinna Albert zu Dialogen zur Kunst aus der frühneuzeitlichen Iberromania von der wachsenden Aufmerksamkeit für die analytische Relevanz der textuellen Verfasstheit von Theorietexten zur Kunst. Siehe: Albert, Corinna, Sehen im Dialog. Bedeutungsdimensionen intermedialer Phänomene in den spanischen Re naissancedialogen zu Kunst und Malerei, Stuttgart 2017. Siehe auch: Becker-Sawatzky, Mira, »Rezension von Corinna Albert: Sehen im Dialog. Bedeutungsdimensionen intermedialer Phänomene in den spanischen Renaissancedialogen zu Kunst und Malerei«, in: Romanische Forschungen. Vierteljahrsschrift für romanische Sprachen und Literatur, 4 (2019), S. 503–509. 20 Williams, Robert, »Italian Renaissance Art and the Systematicity of Representation«, in: Renaissance Theory, hg. v. James Elkins und Robert Williams, New York 2008, S. 159–184, S. 165.
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wann, wie bzw. inwiefern die theoriehaltigen Texte die gleichen oder eben gerade andere Themen fokussieren, als die, die in der bildkünstlerischen Praxis akut sind. Sprich: In welchen Konstellationen setzen textverfasste Theorie und bildkünstlerische Praxis ähnliche Schwerpunkte und in welchen Fällen lassen sich vielmehr differente Problemstellungen beobachten? Die Auseinandersetzung mit diesen Fragenkonstellationen und Annäherungen an Antworten ermöglichen zum einen die Relationierungen von textverfasster Theorie und bildkünstlerischer Praxis, die in den Fallstudien themenorientiert vollzogen werden. Zum anderen schärft die wissensgeschichtliche Perspektive auf die Untersuchungsgegenstände und -bereiche den Blick für unterschiedliche epistemische Potentiale, Dimensionen und epistemologische Funktionen. Ein wichtiger Bezugspunkt für diese Perspektive ist die Wissensgeschichtsforschung am interdisziplinären Berliner Sonderforschungsbereich 980 Episteme in Bewegung. Wissenstransfer von der Alten Welt bis in die Frühe Neuzeit, der Teil der sich in den letzten Jahrzehnten intensivierenden, internationalen Forschung zur Wissensgeschichte ist.21 Vormoderne Wissensgeschichte(n) werden im Berliner Forschungsverbund auf die Pluralität von Wissensmodi sowie auf die Beweglichkeit von Wissen durch stete De- und Rekontextualisierungen in komplex verflochtenen Austauschprozessen hin untersucht. Vor diesem Aufmerksamkeitshorizont wird Wissen weit gefasst: als Wissen von etwas, d. h. mit Gegenstandsbezug, als reflektierbar und wahrheitsfähig und als etwas, das 21 Zur Arbeit des SFB 980 sei an dieser Stelle zunächst auf die Website http://www.sfbepisteme.de/ (zuletzt eingesehen am 15.07.2020) hingewiesen, zu der ab Sommer 2021 zusätzlich ein Blog zu vormodernen Wissensgeschichten online gehen wird, sowie stellvertretend auf folgende Sammelbände: Cancik-Kirschbaum, Eva / Traninger, Anita (Hgg.), Wissen in Bewegung. Institution – Iteration – Transfer, Wiesbaden 2015; Eusterschulte, Anne / Schneider, Ulrike (Hgg.), Gratia. Mediale und diskursive Konzeptualisierungen ästhetischer Erfahrung in der Vormoderne, Wiesbaden 2018; Schneider, Medien- und gattungsspezifische Modi; Eusterschulte, Anne / Helffenstein, Iris / K rüger, Klaus / Reufer, Claudia (Hgg.), Figurales Wissen. Medialität, Ästhetik und Materialität von Wissen in der Vormoderne, Wiesbaden (in Vorbereitung). Generell sind Forschungsliteratur und Diskussionen »zu Theorie und Geschichte von Wissen […] inzwischen unüberschaubar«, wie vor einiger Zeit bereits die Herausgeber des Sammelbandes zu Transformationen frühneuzeitlichen Wissens konstatierten. Burkhard / Hundt / Martus / Ohlendorf / Ort, »Einleitung«, S. 7. Einen im Rahmen des Möglichen dennoch sehr pointierten und kondensierten Überblick über Beiträge, Perspektiven sowie institutionell verankerte Forschungsprojekte und -einrichtungen zur Wissensgeschichtsforschung liefert Peter Burke, der seit Jahrzehnten intensiv und auf sehr anregende Weise zu Wissensgeschichten forscht: Burke, What is the History of Knowledge?, S. 2–11. Vgl. zudem die breit aufgestellte Forschung des Züricher Zentrum Geschichte des Wissens, daraus u. a. den Beitrag: Sarasin, Philipp, »Was ist Wissensgeschichte?«, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, hg. v. Walter Erhart, Norbert Bachleitner, Christian Begemann, Gangolf Hübinger, 36/1 (2011), S. 159–172. Vgl. des Weiteren: Siegel, Steffen, »Medien des Wissens in der Frühen Neuzeit. Ein Literaturbericht«, in: Frühneuzeit-Info, 16 (2005), S. 87–97.
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sich in spezifisch ästhetischen Verfahren bzw. der jeweiligen Medialität und Materialität der Phänomene konkretisiert bzw. durch sie allererst konfiguriert, vermittelbar und in Aushandlungsprozessen um Geltungsansprüche beobachtbar wird.22 Die Verfasstheit von Wissen und die Verschränkung ästhetischer sowie epistemischer Dimensionen sind in der vorliegenden Arbeit einerseits für die Analysen der Texte und Bilder sowie die Erfassung gerade auch figuraler Wissensformierungen äußerst relevant.23 Andererseits stehen sie im historischen Diskurs selbst zur Debatte. Denn die Werkanalysen werden verdeutlichen, dass auf unterschiedliche Art und Weise epistemische Potentiale und Dimensionen sowie epistemologische Funktionen von bildkünstlerischen / m Werken erörtert und der Rang der Bildkünste im Wissensmodell der Zeit diskutiert werden. Mit der Rede von epistemischen Potentialen und epistemischen Dimensionen sind die wissensgeschichtlichen Befragungen der Fallbeispiele schließlich nicht nur aufmerksam gegenüber unterschiedlichen Manifestations-, Gestaltungs- und Ausdrucksweisen von Wissen, sondern gerade auch offen für Infragestellungen, Entgrenzungen und Inversionen von Wissen bzw. Geltungsansprüchen. Ein spezifischer Wissensmodus wiederum, der in der untersuchten frühneuzeitlichen textverfassten Theorie zu den Bildkünsten im Rahmen von Lehrwerken, Prinzipienreflexionen und theoretischen Bestimmungsversuchen sowie Regelorientiertheit immer wieder zur Geltung kommt, ist der elusiven Wissens: Denn es ist in den Beiträgen immer wieder zu beobachten, dass an entscheidenden Stellen in der Verhandlung von bildkünstlerischen / m Werken ein Wissen zur Sprache kommt, das dezidiert mit Begriffen nicht (in Gänze) zu erfassen und nicht zu definieren ist, das an ästhetische Erfahrung und Erkenntnis gebunden ist und das in den Texten auf je spezifische Art und Weise erörtert und gewissermaßen rekonfiguriert, anschaulich, erfahrbar, reflektierbar und beurteilbar gemacht wird. Ulrike Schneider liefert mit dem maßgeblich von ihr konturierten Konzept elusiven Wissens, das sie im Zuge ihrer Forschung zu frühneuzeitlicher Ästhetik etabliert hat, ein äußerst produktives Analyseinstrument, um ein geltungsstarkes Wissen um »Phänomene der Un(er)fassbarkeit, Unbestimmbarkeit, 22 Für den Fokus auf spezifisch ästhetische Verfahren und die mediale und materiale Bedingtheit von Wissen in der Vormoderne siehe u. a.: Eusterschulte, Anne / Schneider, Ulrike, »Gratia in der Vormoderne«, in: Gratia. Mediale und diskursive Konzeptualisierungen ästhetischer Erfahrung in der Vormoderne, hg. v. dens., Wiesbaden 2018, S. 1–6, v. a. S. 4; Schneider, Ulrike, »(Nicht)Wissen? Relevanz und Modalitäten elusiven Wissens in Ästhetik und Verhaltenslehre der Frühen Neuzeit«, in: Dynamiken der Negation – (Nicht) Wissen und negativer Transfer in vormodernen Kulturen, hg. v. Şirin Dadaş und Christian Vogel, Wiesbaden 2021, S. 43–72. Vgl. auch Kilchers Forschung zu Wissen, das »durch die spezifischen ästhetischen Verfahren und Formen der Literatur erzeugt und konstituiert wird.« Kilcher, »›Litteratur‹«, S. 358. 23 Siehe zum Denkmodell figuraler Wissensformierungen ausführlich und mit Literaturverweisen Kapitel 4.1.
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Unsagbarkeit« zu untersuchen und wissensgeschichtlich zur Sprache zu bringen.24 Mit elusivem Wissen fasst Schneider ein nur näherungsweise diskursivierbares bzw. medial vermittelbares, ein ungefähres, vages Wissen […], das gleichwohl als solches zur Darstellung gelangt. Dabei handelt es sich um ein Wissen von bzw. um etwas, das sich begrifflich nicht klar fassen lässt und sich dem Versuch regelhafter Festschreibung gerade zu entziehen scheint und das dennoch mit einem klaren Geltungsanspruch versehen ist. […] [Es handelt sich um einen] spezifischen Wissensmodus […], der durch Facetten einer substantiellen Negativität im Sinne des Verborgenen, Unerfassbaren, Unaussagbaren geprägt ist und dessen mediale und diskursive Konzeptualisierungen zugleich eben diese Negativität selbst aufscheinen, sich zeigen, sagbar, mitteilbar und wahrnehmbar werden lassen.25
Und während sich in den vergangenen Jahrzehnten ein verstärktes Interesse und eine erhöhte Sensibilität in wissensgeschichtlich ausgerichteten philosophischen sowie literatur-, kunst- und kulturwissenschaftlichen Forschungen an einem Wissen ausmachen lässt, das nicht in Aussagesätzen aufgeht, so wird ein solches Wissen doch oftmals als defizitär bzw. problematisch markiert, etwa wenn von nicht-propositionalem Wissen im Gegensatz zu propositionalem Wissen die Rede ist.26 Mit dem entschieden nicht dichotom angelegten Konzept elusiven 24 Schneider, Ulrike, »(Nicht)Wissen?«, siehe zum Zitat S. 44 und zum Konzept elusiven Wissens ebd., S. 44–54. Siehe zudem: Eusterschulte / Schneider, »Gratia in der Vormoderne«. Schneider entwirft das Konzept elusiven Wissens im Kontext des erwähnten Teilprojekts am SFB mit Blick auf vormoderne Schönheitskonzepte, die maßgeblich an den Regelhaftigkeit und Bestimmbarkeit suggerierenden Kriterien von Maß, Zahl und Proportion orientiert sind und innerhalb derer Kategorien elusiven Wissens wie leggiadria oder grazia Unbestimmtheitsstellen besetzen, einen wichtigen »epistemischen Impuls« setzen und von großer »epistemischer Relevanz« und Virulenz sind. Siehe: Schneider, »(Nicht) Wissen?«, S. 43 ff. (für die Zitate siehe ebd., S. 44 und 45). 25 Schneider, »(Nicht)Wissen?«, S. 52 f. 26 Siehe zu dieser Problematik der Begriffskonzepte: ebd., S. 52 f. Wichtige Forschungsbeiträge für die Auseinandersetzung mit Wissen, das begrifflich-definitorisch nicht fassbar ist, sind u. a.: Ryle, Gilbert, »Knowing How and Knowing That«, in: Proceedings of the Aristotelian Society, 46/1 (1946), S. 1–16; Polanyi, Michael, The Tacit Dimension, London 1966; Schildknecht, Christiane / Teichert, Dieter, »Einleitung«, in: Philosophie in Literatur, Frankfurt am Main 1996, S. 11–14; Schildknecht, Christiane, Aspekte des Nichtpropositionalen, Bonn 1999; Hogrebe, Wolfram, Echo des Nichtwissens, Berlin 2006; Blumenberg, Hans, Theorie der Unbegrifflichkeit, Frankfurt am Main 2007; Franke, William, On what cannot be said. Apophatic Discourses in Philosophy, Religion, Literature, and the Arts, Bd. 1, Notre Dame (Indiana) 2007; Gugerli, David / Hagner, Michael / Sarasin, Philipp / Tanner, Jakob (Hgg.), Nicht-Wissen (Nach Feierabend. Züricher Jahrbuch für Wissensgeschichte), Zürich 2009; Bromand, Joachim / K reis, Guido (Hgg.), Was sich nicht sagen lässt. Das Nicht-Begriffliche in Wissenschaft, Kunst und Religion, Berlin 2010; Gabriel, Gottfried, »Die Bedeutung von Begriffsgeschichte und Metaphorologie für eine systematische Philosophie«, in: Literaturwissenschaft als Begriffsgeschichte, hg. v. Christoph Strosetzki, Hamburg 2010, S. 17–28; Kilcher, »›Litteratur‹«; Krüger, Klaus, Grazia.
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Wissens lässt sich demgegenüber im Besonderen die Produktivität und Beweglichkeit eines begrifflich unbestimmten Wissens beobachten und dabei, das dynamische Ausloten von epistemischen Grenzen sowie das »positive Momentum« fokussieren, das einem solchen Wissen impulsgebend für Erkenntnissuchen bzw. auch als Reibungsfläche oder Sollbruchstelle in einem Regelsystem eignen kann.27 Wie also, so nun im vorliegenden Zusammenhang die Frage, wird im Kontext von Systematisierungsbestrebungen und Regelorientiertheit frühneuzeitlicher Nachahmungsästhetiken mit elusivem Wissen in den untersuchten Textbeiträgen umgegangen bzw. inwiefern wird ein solches Wissen anschaulich und reflektiert? Das titelgebende Relationspaar scientia & vaghezza alludiert das sich vor dem skizzierten Fragehorizont konfigurierende Spannungsgefüge von unterschiedlichen Wissensansprüchen und Wissensmodi, gewissermaßen von Begriff und Anschauung, und spielt zugleich auf das Verwobensein epistemischer und ästhetischer Dimensionen an. In frühneuzeitlicher Prägung fasst scientia im engeren Sinne Wissensdisziplinen, die in einem hierarchischen Modell von Gelehrsamkeit und Bildung strukturiert sind, wobei Rangfolge und konkrete Zusammensetzung des Modells immer wieder zur Diskussion gestellt und gewandelt werden. In einem weiter gefassten Begriffsverständnis bezeichnet scientia, mit James A. Weisheipls prägnanter Formulierung für die mittelalterliche Begriffsverwendung gesprochen, »every field of intellectual endeavour in which true causal explanations could be discovered.«28 Des Weiteren ist Arjan van Dixhoorns und Susie Speakman Sutchs Begriffsverständnis der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen scientia – mit den zunehmend auch in Übersetzungen aus dem Lateinischen als internationaler Gelehrtensprache gebrauchten Varianten wie bspw. scienza – aufschlussreich, wonach scientia ein »theoretical, non-technical higher Learning and Knowledge« bezeichnet, »that was only to be acquired through serious study«.29 Für die lombardischen DiskurszusammenReligiöse Erfahrung und ästhetische Evidenz, Göttingen 2016; Eusterschulte / Schneider, »Gratia in der Vormoderne«; Schneider, Medien- und gattungsspezifische Modi der Diskursivierung elusiven Wissens. 27 Für das Zitat siehe: Schneider, »(Nicht)Wissen?«, S. 53. 28 Weisheipl, James A., »Classification of the Sciences in Medieval Thought«, in: Mediaeval Studies, 27/1 (1965), S. 54–90, S. 55. Weisheipl beobachtet des Weiteren: »[Scientia] was used to designate a discerning, penetrating, intellectual grasp of a situation or of a given subject. Technically it was employed of knowledge that explained the situation fully and accurately through all or any of its true causes[.]« Ebd. Weisheipl spricht hier zwar nur vom mittelalterlichen scientia-Begriff, Claire Farago führt aber überzeugend aus, dass dieses Verständnis auch auf die frühneuzeitliche Begriffsverwendung übertragbar ist. Siehe: Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 65. 29 Dixhoorn, Arjan van / Speakman Sutch, Susie, »Introduction«, in: The Reach of the Re public of Letters. Literary and Learned Societies in Late Medieval and Early Modern Europe, hg. v. dens., Bd. 1, Leiden / Boston 2008, S. 1–16, S. 14. Van Dixhoorn und Spe-
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hänge nun werden die nachfolgenden Fallstudien das historische Begriffsverständnis im Zusammenhang mit Debatten um die Nobilitierung der Malerei bzw. Bildkünste noch näher beleuchten bzw. anschaulich machen.30 Mit vaghezza geht es unterdes um wirkmächtige Vagheit und Unbestimmtheit, um verführerische Schönheit und sinnliche Faszination in Konnotation mit Neugier und Wissbegier und um eine geltungsstarke Kategorie, die im ästhetischen Diskurs des Quattro- und Cinquecento unterschiedlich kodiert und bewertet wurde und um die gerungen wurde. Im Titel dieses Buches steht vaghezza schließlich gewissermaßen auch für das mit scientia unauflöslich verschränkte, vielfältig reflektierte und erörterte Unbestimmte in Wissensfragen sowie in Produktions-, Rezeptions- und Wirkungsästhetik. Wissen wird in den Fallstudien der vorliegenden Arbeit demnach in seiner Pluralität und Offenheit thematisiert.31 »[T]here is no history of knowledge. There are only histories, in the plural, of knowledges, also in the plural«, wie Peter Burke es vor dem Erfahrungshorizont seiner seit den 1990er-Jahren aktiven und einschlägigen wissensgeschichtlichen Forschungsarbeit trefflich betont.32 Auch Burke stellt insbesondere die Notwendigkeit heraus, in Wissensgeschichten die unterschiedlichen Konzepte von Wissen und die unterschiedlichen Wissensformen zu erörtern, die koexistieren, miteinander wetteifern und miteinander im Konflikt stehen.33 Als anschauliches historisches Beispiel für den Konflikt unterschiedlicher Wissensmodi führt er bemerkenswerter Weise gerade ein Beispiel aus dem lombardischen Diskurs um 1400 an: When Milan cathedral was under construction […] a dispute between the local master masons and the French architect in charge of the project was formulated in akman Sutch erläutern, dass sie sich entschlossen »to translate the medieval and early modern sciensa, scienza, science, scientie, Wissenschaft, and wetenschap with Learning and Knowledge, instead of science. These concepts not only covered the natural sciences such as Biology, Mathematics, Astronomy, Medicine, but also the humanities such as Law, History, Theology, Philosophy, or Philology.« Ebd. 30 Es wird hier im Allgemeinen von scientia bzw. scientiae mit Rekurs und in Anspielung auf etablierte und traditionsreiche Gelehrtendiskurse die Rede sein und jeweils bei den konkreten Besprechungen von Primärtexten die Schreibweise im entsprechenden Text verwendet, sprich mal von scientia und ein andermal von scienza geredet, mal von scientiae, ein andermal von scientie oder scienze. 31 Die Offenheit und Unabgeschlossenheit von Wissen und Wissensbeständen ist gerade auch für den interdisziplinären Frage- und Denkhorizont einer wissensgeschichtlich ausgerichteten Historischen Semantik von Relevanz. Siehe: Kollmeier, Kathrin, »Begriffs geschichte und Historische Semantik. Version 2.0«, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 29.10.2012, http://docupedia.de/zg/Begriffsgeschichte_und_Historische_Semantik_Version_ 2 .0_ Kathrin_Kollmeier?oldid=125783 (zuletzt eingesehen am 21.06.2018). 32 Burke, What is the History of Knowledge?, S. 7. 33 Ebd., S. 7 ff., sowie: Judge, Joan, »Review: What is the History of Knowledge? by Peter Burke«, in: Canadian Journal of History, 52/1 (2017), S. 182–184.
Historischer Einstieg und thematische Einstimmung
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terms of the relative importance of practical knowledge (ars) and theory, especially geometry (scientia).34
Das Gerangel um Geltungsansprüche im Wissensmodell, das zwischen Jean Mignot und den lombardischen Baumeistern über die Pläne und die Konstruktion des Mailänder Doms Santa Maria Nascente stattfand, ist kein Einzelfall.35 Spätestens knapp 80 Jahre später sind Debatten um die scientiae – gerade auch in Korrelation mit den Bildkünsten und unter maßgeblicher Beteiligung renommierter Bildkünstler – in Mailand und Umgebung in vollem Gange und interdisziplinär weitreichend, wie im Folgenden gezeigt wird. Der Blick in ein Anfang der 1460er-Jahre im Kontext des Mailänder Sforza-Hofes entstandenes Architekturbuch ebnet nun den Einstieg in die Fallstudien der 1480er- bis 1620er-Jahre und lässt im Verlauf der Arbeit Übergängigkeiten von Theoriedebatten und Erkenntnisinteressen im langfristigen Wandlungsprozess nachvollziehbar werden.
1.2 Historischer Einstieg und thematische Einstimmung – Filaretes libro architettonico 1452 wurde der Florentiner Architekt, Goldschmied und Bildhauer Antonio Averlino, genannt Filarete, an den Mailänder Hof Francesco Sforzas berufen, wo er als herzoglicher Architekt bis 1464 die Planung bedeutender Aufträge (u. a. den Bau des Ospedale Maggiore) leitete und ein Buch über die Architektur verfasste.36 Filaretes libro architettonico entstand zwischen 1460 und 1464 – vermutlich im Auftrag Francesco Sforzas –, dem es auch gewidmet ist.37 Während des ausgehenden Quattrocento zirkulierte Filaretes libro in Manuskriptform in Mailand, aber auch überregional sowie international und begründet im ästhe tischen Diskurs der Lombardei gewissermaßen den Auftakt der schriftlich fixierten theoretischen Auseinandersetzungen von Künstlern mit ihrer Kunst 34 Burke, What is the History of Knowledge?, S. 8 f. 35 Siehe zum Streit um den Dombau: Welch, Art and Authority, S. 101. 36 Siehe zur Mailänder Schaffenszeit von Antonio Averlino, der sich selbst gräzisierend Filarete nannte: ebd., Kapitel 5 und 6. Für eine bündige Zusammenschau einschlägiger Aspekte des Entstehungs- und Funktionszusammenhangs von Filaretes Architekturbuch siehe: Tönnesmann, Andreas, »Filarete im Dialog: Der Architekt, der Fürst und die Macht«, in: Dialog und Gesprächskultur in der Renaissance, hg. v. Bodo Guthmüller und Wolfgang G. Müller, Wiesbaden 2004, S. 153–164. 37 Zur Verwendung des Titels libro architettonico anstelle des von der Forschung zumeist applizierten Titels Trattato dell’Architettura (der u. a. die dialogische Verfasstheit des Buches verdeckt) siehe: Pfisterer, Ulrich, »I libri di Filarete«, in: Arte lombarda, 1/155 (2009), S. 97–110, S. 97. Zur Auftraggeberschaft siehe: Tönnesmann, »Filarete im Dialog«, S. 153.
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als scientia.38 Filaretes Buch enthält dabei mehrere Aspekte und Passagen, die für die nachfolgenden Debatten um die Bildkünste relevant sind.39 Insgesamt wird in dem Text und Zeichnungen kombinierenden Werk ein Plädoyer für die Verwissenschaftlichung der Architektur und der Arbeit des Architekten als Konstruktionszeichner formuliert und die gesellschaftliche Anerkennung des Architekten als Teil des Gelehrtenreigens am Hof eingefordert. Daher stellt Filaretes – in der Forschung oftmals marginalisiertes – Buch einen sinnvollen Einstieg in das Thema dieser Arbeit dar, wenngleich der architekturtheoretische Diskurs ansonsten nicht weiterverfolgt wird, da dies den Rahmen der Untersuchung sprengen, aber auch die Korrelierungen von textverfasster Theorie und bildkünstlerischer Praxis zu sehr weiten würde.40 Filaretes libro architettonico umfasst 24 Bücher, in denen umfangreicher Text und zahlreiche, teils nicht mehr erhaltene Zeichnungen miteinander kombiniert werden. Der Text ist im volgare verfasst und in seiner Grundstruktur als Dialog angelegt, wobei die dialogische Verfasstheit zu jenem Zeitpunkt einzigartig im 38 Die erste gedruckte Ausgabe von Filaretes Buch erschien Ende des 19. Jahrhunderts. Für eine Übersicht der erhaltenen Handschriften, Datierungen und Druckausgaben von Filaretes libro siehe: Tigler, Peter, Die Architekturtheorie des Filarete, Berlin 1963, S. 7–17. Die frühneuzeitliche Verbreitung des Werkes in höfischen Kreisen wird nicht zuletzt durch eine Piero de’ Medici gewidmete erweiterte Version des Sforza-Manuskripts sowie durch eine von Antonio Bonfini d’Ascoli für den ungarischen König Matthias Corvinus angefertigte lateinische Übersetzung Ende der 1480er-Jahre belegt. Siehe u. a.: Tönnesmann, »Filarete im Dialog«, S. 154; Müller, Gernot Michael, »Architekturtheorie im Dialog. Antonio Filarete: Libro architettonico, 1464«, in: Das Buch als Entwurf. Textgattungen in der Geschichte der Architekturtheorie. Ein Handbuch, hg. v. Dietrich Erben, Paderborn 2019, S. 58–91, S. 58. 39 Siehe bspw. Kapitel 2.3.2 sowie Kapitel 3.1, in denen Filaretes Buch erneut thematisiert wird. 40 Neben Filaretes libro architettonico ist v. a. Cesare Cesarianos umfangreich kommentierte Edition von Vitruvs Architekturbüchern zu nennen, die nach jahrelanger Arbeit 1521 in Como erschien. Sie war prägend für die intensive Auseinandersetzung mit Vitruvia nischen Lehren bzw. Lehrmeinungen. Zu Cesarianos Vitruvedition siehe weiter Kapitel 2.1, Anm. 7 und Kapitel 2.3, Anm. 122, 141, 208. Die Marginalisierung von Filaretes Buch nicht zuletzt in einschlägigen Überblickswerken zu frühneuzeitlicher Architekturtheorie und -geschichte kritisiert in der aktuellen Forschung Gernot Michael Müller. Siehe: Müller, »Architekturtheorie im Dialog«, S. 59. Im Jahr 2020 ist jedoch eine Habilitationsschrift erschienen, die Filaretes Buch auf kulturgeschichtlich-ikonologische Weise untersucht, die aber aufgrund zeitlicher Überschneidungen mit der Fertigstellung des vorliegenden Buches nicht in diese Fallstudie einbezogen werden konnte. Siehe: Hub, Berthold, Filarete: Der Architekt der Renaissance als Demiurg und Pädagoge, Wien 2020. Kritik an Filaretes Buch formulierte Mitte des 16. Jahrhunderts z. B. Giorgio Vasari, der es als lächerlich abschreibt, auch wenn es ein paar nützliche Dinge beinhalte: »[A]lcuna cosa buona in essa [opera] si ritruovi, è nondimeno per lo più ridicola, e tanto sciocca che per avventura è nulla più.« Vasari, Giorgio, Le vite dei più eccellenti pittori, scultori e architetti, hg. v. Gaetano Milanesi, Bd. 2, Turin 1906, S. 457.
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theoriehaltigen Schreiben über Kunst ist.41 Warum er im volgare und in Dialogform schreibt, erläutert Filarete im Widmungsschreiben an Francesco Sforza: Anders als Leon Battista Alberti sei er kein Lateingelehrter und er habe seinen Text zudem so gestalten wollen, dass er nicht mit trockenen Rezepten ermüde, wie es in Vitruvs De architectura (1. Jahrhundert v. Chr.) der Fall sei.42 Filarete kündigt damit ein Alternativmodell zu den Theorietexten renommierter Autoritäten an. Oder zugespitzter formuliert: Er entwirft ein Konkurrenzmodell in einem Aushandlungsprozess darüber, wie sich Architektur theoriegeleitet am besten erörtern und vermitteln lässt.43 Die konkrete literarische Form von Filaretes Mailänder Buch ist vielschichtig, denn in den Dialog zwischen dem Sprecher-Ich, einem theoretisch versierten Architekten, und seinem herzoglichen Dienstherren bzw. dessen Sohn sind eine sehr ausführliche Beschreibung der Planung und Gründung der Idealstadt Sforzinda mit der Hafenstadt Plusiapolis ebenso integriert wie das Auffinden einer Schatztruhe mit einem ›Goldenen Buch‹ aus antiker Zeit, dessen Erzählung wiederum eine eigene Ebene des Gesamttextes begründet.44 Im Wechsel von langen, didaktisch verfahrenden Monologen, dialogischen Frage- und Antwort-Passagen sowie narrativen Einschüben präsentiert Filarete – qua Sprecher-Ich – den guten Architekten als gesellschaftlich hoch angesehenen Vertrauten des Herzogs, als gebildeten Lehrer des Fürstensohnes und als eloquenten und geistreichen Tischnachbarn in höfischer Gesellschaft, während »[w]eder bei Platon noch bei den italienischen Humanisten […] bis dahin Fürst und Fachmann, Macht und Expertise in ähnlicher Unbefangenheit als Gesprächspartner zusammengefunden« hatten, wie Andreas Tönnesmann hervorhebt.45 Bereits zu Beginn des ersten Buches geht es in einem Tischgespräch am Hof darum, mit welcher Art von Gelehrsamkeit und Theoriegehalt die Architektur zu verknüpfen sei und welche Kompetenzen ein guter Architekt besitzen müsse. Im Kontext dieser Diskussion legt der herzogliche Architekt seinen mitunter kritischen Gesprächspartnern dar, dass die Architektur eine komplexe Wissens41 Tönnesmann, »Filarete im Dialog«, S. 153, 157. 42 Siehe für eine edierte Ausgabe von Filaretes Buch: Averlino, Antonio genannt il Filarete, Trattato di Architettura, hg. v. Anna Maria Finoli und Liliana Grassi, 2 Bde., Mailand 1972. 43 Vgl. zu Filaretes Wahl des Dialogs als Konkurrenzmodell zu anderen etablierten Textgattungen des architekturtheoretischen Diskurses: Müller, »Architekturtheorie im Dialog«, S. 89. 44 Vgl. zu den unterschiedlichen Ebenen auch: Ebd., v. a. S. 82. Zur Planung der Idealstadt und dem Auffinden der Schatztruhe siehe: Hub, Berthold, »Founding an Ideal City in Filarete’s libro architettonico (c. 1460)«, in: Foundation, Dedication, and Consecration Ritual in Early Modern Culture, hg. v. Minou Schraven und Maarten Delbeke, Leiden 2012, S. 17–57. 45 Zum Zitat siehe: Tönnesmann, »Filarete im Dialog«, S. 157.
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disziplin sei, die einen verständigen, einfallsreichen und gebildeten Architekten erfordere; denn es gebe deshalb so viel Baupfusch, weil viele Vertreter des Faches der »scienza di disegno o di lettere o di misure« eben gerade nicht mächtig seien.46 Viele würden zeichnen »per una pratica«, aber das Zeichnen nicht wirklich verstehen.47 Im Dialog mit seinen noblen Gesprächspartnern konzipiert der Architekt seine Kunst somit als scienza und nimmt in diesem Zusammenhang v. a. den disegno in den Blick als Entwurf und Konstruktionszeichnung des Baus und als Medium der Erschließung der richtigen, anthropometrisch fundierten Maßverhältnisse.48 Der seines Faches würdige Architekt wird auf diese Weise als versierter Gelehrte und Experte vorgestellt. Der disegno ist dann auch leitendes Thema des Schüler-Lehrer-Gesprächs zwischen dem Fürstensohn und dem Architekten im 23. Buch des Dialogs. Der Architekt erklärt seinem Schützling in diesem Zusammenhang, dass der disegno für die Planung und Konstruktion von Bauten unerlässlich sei, und bespricht Theorie und Praxis des Zeichnens – Begriff, Anschauung und kreativen Akt.49 Dabei besetzen die Betrachtung von Zeichnungen sowie das Zeichnen selbst immer wieder Schlüsselpositionen im Erkenntnisprozess des Schülers, der vom Architekten eine Zeichnung zum besseren Verständnis erbittet oder aufgefordert wird, nun selbst zu zeichnen, um bestimmte Proportionsverhältnisse und Zusammenhänge begreifen zu können; mehrfach wird jedoch noch ein weiterer Schritt erforderlich für das vollkommene Verständnis der Architektur: das dreidimensionale Konstruieren bzw. Bauen.50 Es sei unmöglich, bestimmte Aspekte des Bauens zu verstehen, ohne sie gezeichnet zu sehen; doch auch im Medium der Zeichnung seien gewisse Aspekte schwierig bzw. nicht vollständig zu begreifen, so der Architekt zum Fürstensohn.51 Bestimmte Dinge, so heißt es, seien schlicht nicht mit Worten zu fassen, aber auch in der Zeichnung schwierig nachzuvollziehen; sehr wohl aber 46 Zitiert nach: Tigler, Die Architekturtheorie des Filarete, S. 31. Zur Architektur als scienza siehe bspw. auch Filaretes Widmungsschreiben an Francesco Sforza. 47 Zitiert nach Tigler, Die Architekturtheorie des Filarete, S. 31. 48 Zu Filaretes Konzeption der Architektur als theoriegeleitete scienza im Dialog vgl. auch: Tigler, Die Architekturtheorie des Filarete, S. 30–39; Müller, »Architekturtheorie im Dialog«, S. 80, 88. 49 Siehe: Averlino, Antonio genannt il Filarete, Trattato di Architettura, hg. v. Anna Maria Finoli und Liliana Grassi, Bd. 2, Mailand 1972, S. 650–665. 50 Ebd., S. 653 f. Der Architekt: »Hai inteso il modo a fare i casamenti tondi, e quadri, e affacciati. Ora ti bisogna a ogni modo studiare a disegnare, ché questi precetti che t’ho dati non saperesti perciò fare, se none adoperassi ed esercitassi la mano al disegno.« Ebd., S. 654, dazu tav. 134 a, b, c. Auch im Gespräch zwischen Architekt und Fürst erbittet letzterer regelmäßig Zeichnungen zum besseren Verständnis. Siehe: Müller, »Architekturtheorie im Dialog«, S. 73. 51 Der Architekt: »È impossibile a dare a intendere queste cose dello edificare se non si vede disegnato, e nel disegno ancora è difficile a’ntendere[.]« Zitiert nach: Tigler, Die Architekturtheorie des Filarete, S. 145 (Buch 6, f. 40r).
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dienten die Zeichnungen der Schärfung bzw. Verfeinerung des Intellekts.52 Es geht in derartigen Passagen des Gesprächs demnach um Fragen nach der Lehrund Lernbarkeit bzw. Vermittlung eines besonderen Wissens, das an spezifische ästhetische Konfigurationen und Wahrnehmungsbedingungen wie auch -kompetenzen gebunden ist. Und bezeichnenderweise zeichnet nicht nur der Architekt im Verlauf des Dialogs, sondern auch der Fürstensohn, wodurch Praxis und Theorie des Zeichnens nobilitiert und als unabdingbar für den Erkenntnisprozess markiert werden. Zusätzlich zum fiktionsinternen, performativen Zeichnen der Dialogfiguren wird auf etliche (teils nicht mehr erhaltene) Zeichnungen verwiesen, die fiktionsextern an den Rändern der Buchseiten sowie in freigestellten Flächen zwischen den Textpassagen zu betrachten sind (bzw. waren). Diese Zeichnungen Filaretes werden in die Fiktion der Unterhaltung mit einbezogen und mit dem Text verschränkt, dadurch dass die Dialogfiguren auf sie verweisen und ihre Anschauung als essentiellen Bestandteil des Erkenntnisprozesses markieren – essentiell sowohl für die Dialogteilnehmer als letztlich auch für die Rezipientinnen und Rezipienten des Buches.53 Mittels des Dialogs, der Theoriebildung im fiktionalen Modus ermöglicht und in der schriftlich mediatisierten Fiktion von Mündlichkeit Wissensfragen und Wissensgenese vorführbar macht, inszeniert Filarete schließlich zum einen den Architekten als gelehrten, anspruchsvollen Gesprächspartner, Berater sowie Lehrer der jungen Fürstengeneration und zum anderen die Architektur als integralen Teil des zeitgenössisch gültigen Wissensmodells.54 Die derart ambitionierten Gespräche zwischen Architekt und Hofgesellschaft, Fürst sowie Fürsten sohn können dabei durchaus als Modell betrachtet werden, das auf Filaretes ganz konkretes gesellschaftliches Umfeld in Mailand Eindruck machen sollte bzw. konnte.55 Dass der Sforza-Hof als Funktions- und Bedingungszusammenhang für Filaretes libro architettonico maßgeblich ist, verdeutlichen nicht nur die Widmung und die Planung der Idealstadt Sforzinda sowie die Namen der im Buch auftretenden Figuren, die zumeist Anagramme von Mitgliedern der 52 Der Architekt: »Queste cose esprimere in parole non si può, e anche per disegno è difficile a poterlo ben dare ad intendere. Pur si può comprendere chi vuole un poco assottigliare lo’ntelletto.« Zitiert nach: ebd., S. 145 (Buch 13, f. 99r). 53 Gernot Michael Müller hebt in diesem Zusammenhang außerdem hervor, dass Filaretes Buch das erste architekturtheoretische Werk ist, das vom »Autor selbst mit Illustrationen versehen wurde«. Müller, »Architekturtheorie im Dialog«, S. 60. 54 Vgl. hierzu auch: ebd., S. 80, 89. Zu Funktionen und Potentialen der Dialoggattung im ästhetischen Diskurs siehe ausführlich Kapitel 4.4.2. Zum Dialog als Teil des nicht-fiktionalen Diskurses bzw. als Theoriebildung im Modus der Fiktion siehe an dieser Stelle bereits: Häsner, Bernd, »Der Dialog: Strukturelemente einer Gattung zwischen Fiktion und Theoriebildung«, in: Poetik des Dialogs: aktuelle Theorie und rinascimentales Selbstverständnis, hg. v. Klaus W. Hempfer, Stuttgart 2004, S. 13–65. 55 Vgl. Müller, »Architekturtheorie im Dialog«, S. 90.
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Sforza-Familie und von Persönlichkeiten aus Filaretes engem Mailänder Umfeld sind, sondern auch seine Quellen und Berater. Erwähnenswert sind insbesondere die Humanisten Francesco Filelfo und Giannantonio Porcellio de’ Pandoni, die beide zeitgleich mit Filarete am Mailänder Hof tätig waren und mit denen Filarete nachweislich in engem Austausch stand. Filelfo war Experte der griechischen Sprache und Literatur und hatte u. a. eine bedeutende Sammlung von Texten Platons für die Sforza-Bibliothek erworben.56 Für Filarete konnten Platons Dialoge als antike Textgattungsmodelle – vermittelt durch Filelfo und dessen Expertise – ebenso bedeutsam und inspirierend beim Verfassen seines ArchitekturBuches sein wie Themen und Setting von Filelfos zweiteiligem Dialog Convivia Mediolanensia, der zwischen 1442 und 1444 geschrieben wurde, bis zum Druck 1484 in Manuskriptform zirkulierte und der Tischgespräche unter Mailänder Gelehrten über die artes liberales in Szene setzt.57 Giannantonio Porcellio de’ Pandoni wiederum verfasste Mitte des 15. Jahrhunderts in Mailand ein Traktat mit dem Titel De arte fuxoria und zwar dezidiert für seinen Freund Antonio, den Ulrich Pfisterer überzeugend mit Antonio Averlino genannt Filarete identifiziert.58 In dieser für Filarete angefertigten italienischsprachigen Abhandlung liefert Porcellio de’ Pandoni eine belesene Zusammenstellung diverser Informationen über Bildhauer und Maler, Statuen und Bauschmuck antiker Zeiten, die er antiken Quellentexten entnommen hat. Porcellios Text kann, wie Pfisterer es in seiner konzisen Werkanalyse des Traktats darlegt, als die erste eigenständige Abhandlung über antike Kunst und Künstler im 15. Jahrhundert angesehen werden, bevor kurze Zeit später eine breit aufgestellte, intensive Auseinandersetzung mit Plinius’ Historia naturalis einsetzte.59 Anhand von Porcellios Traktat in Verbindung mit Filaretes libro architettonico lässt sich, wie Pfisterer bereits betont hat, anschaulich nachvollziehen, »wie sich ein Frührenaissance-Künstler (Filarete) von einem Humanistenfreund (Porcellio de’ Pandoni) eine Zusammenfassung des antiken Wissens über Kunst und Künstler in Volgare erbittet, und in welcher Form diese Vorlage dann Eingang in den eigenen (Architektur-) Traktat findet«.60 Für Filarete war Porcellio de’ Pandoni mit seinem De arte fuxoria neben Vitruvs Architekturbüchern, Leon Battista Albertis Baukunst56 Siehe: Pfisterer, »Filaretes Künstlerwissen«. 57 Siehe: Müller, »Architekturtheorie im Dialog«, S. 86; zu Filelfos Dialog siehe: Gionta, Daniela, Per i Convivia Mediolanensia di Francesco Filelfo, Messina 2005; sowie Stefano Martinelli Tempestas Besprechung von Giontas Buch, die am 10.11.2007 auf Bryn Mawr Classical Review erschien und online abrufbar ist unter: http://bmcr.brynmawr.edu/ 2007/2007.11.10/ (zuletzt eingesehen am 10.07.2020). 58 Siehe: Pfisterer, »Filaretes Künstlerwissen«. Pfisterer liefert zudem eine vollständige Transkription von Porcellios Manuskript (Ottobonus latinus 2118, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vatikanstadt). Ebd., S. 131–142. 59 Siehe: Pfisterer, »Filaretes Künstlerwissen«, S. 125 f. 60 Ebd., S. 121.
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traktat sowie Platons Dialogen eine wichtige und ertragreiche Quelle, mit der er sich sein eigenes Bild von Gelehrsamkeit sowie antik fundierter Architektur und Kunstgeschichte machte.61 Diese aus dem skizzierten interdisziplinären Netzwerk am Mailänder Hof hervorgehende Gelehrsamkeit Filaretes und seine im Architekturdialog medienreflexiv argumentierten Formulierungen von Geltungsansprüchen für die Architektur als scienza und für ›den‹ Architekten als vielseitig gelehrten Lehrmeister und angesehenen Gesprächspartner am Hof konnten nicht nur modellbildend auf das direkte Mailänder Umfeld des Florentiner Autors wirken. Vielmehr noch konnten sie ertragreiche Anknüpfungspunkte für nachfolgende Wissensdebatten und Wissensfragen im ästhetischen Diskurs der Lombardei bieten, wie in den Fallstudien deutlich werden wird. Eine kapitelweise Übersicht dieser Fallstudien wird nun zunächst Themen und Fragestellungen sowie das Materialkorpus der vorliegenden Arbeit knapp darlegen.
1.3 Kapitelübersicht – Fragen, Themen und Materialkorpus der Fallstudien Kapitel 2 Die Malerei in der Hierarchie der scientiae des lombardischen Diskurses um 1500 Dass Leonardo da Vinci während seiner langjährigen Schaffenszeit in Mailand die Frage notiert und eruiert, ob die Malerei eine scienza sei oder nicht (»Se la pittura è scienza o no?«), ist weithin bekannt.62 Doch wie ungewöhnlich oder aber auch virulent und bedeutsam ist diese Frage im ästhetischen Diskurs der Lombardei im ausgehenden 15. Jahrhundert und beginnenden 16. Jahrhundert? Betraf sie v. a. Beiträge im direkten Kontext der interdisziplinären Debatten- und Wettstreitkultur am Mailänder Sforza-Hof, die bereits – wie soeben skizziert und freilich in anderer Besetzung – für Filaretes architekturtheoretische Auseinandersetzungen prägend und anregend war? Oder lässt sich eine weitere Kreise ziehende und in unterschiedliche Kontexte hinein wirksame Diffusion beobachten? Und inwiefern bzw. wie wurden derartige Wissensfragen in unterschiedlichen Medien sowie Funktions- und Bedingungszusammenhängen thematisiert, verhandelt und problematisiert? Zum Auftakt wird unter Punkt 2.1 das vermutlich um 1496 gedruckte und Leonardo da Vinci gewidmete Buch eines Mailänder Perspektivmalers untersucht, der einen Forschungsaufenthalt in Rom absolvierte und über die dor61 Vgl. auch: ebd., S. 130. 62 Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 176.
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tigen (v. a. antiken) Bau- und Kunstwerke in lombardischem Dialekt und in Versform schreibt. Die Antiquarie prospetiche Romane composte per prospectivo melanese depictore sind bisher in der Forschung wenig beachtet worden und zugleich eines der ersten im volgare verfassten Bücher des kunsttheoretischen Diskurses in Italien, die zeitgenössisch im Druck erschienen. Eine eindringliche Analyse des Frontispizes und des Textes werden verdeutlichen, inwiefern für den Mailänder Maler – auch jenseits höfisch situierter Nobilitierungsdebatten um die Ordnung geltungsstarker Wissensdisziplinen – das Thema der artes liberales in Verbindung mit den Bildkünsten von Interesse und Belang ist. Es wird nachvollzogen, wie der Autor und Maler Zusammenhänge zwischen dem bildkünstlerischen Schaffen und unterschiedlichen Wissensbereichen wie der Geometrie und der ihr zugehörigen Perspektive, aber auch der Astrologie, dem Antikenstudium und der Anatomie reflektiert und zu veranschaulichen sucht bzw. aufzeigt. Außerdem wird in der Werkanalyse des Buches der Frage nach der Autorschaft nachgegangen. Unter Punkt 2.2 wird anschließend ein Freskenzyklus besprochen, den Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, um 1502/03 im Auftrag von Louis du Luxembourg, Graf Ligny, im studiolo des Castello di Voghera malte. Bramantino stellt dort thronende Musen als scientiae dar, die Reflexionen auf Wissensdisziplinen veranschaulichen. Dabei rekurriert der Mailänder Maler auf verschiedenartige Vorstellungen von Wissensfiguren und Wissensordnungen. In den Fokus der Betrachtung des Freskenzyklus’ gelangt im Zuge dessen die Figur der Muse Erathon als Personifikation der Geometrie, für deren Darstellung Perspektiv- und Proportionslehren naturgemäß bedeutsam sind. Ein Konstruktionsprinzip, das auf ein ›verborgenes Wissen‹ zu verweisen vermag, wird sich dabei als besonders sinnfällig erweisen. Mit jenem wissensträchtigen Konstruktionsprinzip verbinden sich zugleich Forschungen des Mathematikers Luca Pacioli, die jener um 1500 am Mailänder Hof durchführte und zur Diskussion stellte. Der wissensgeschichtliche Kontext, in dem Pacioli forschte, wird wiederum unter Kapitel 2.3 ausgeleuchtet, wenn scientifici duelli, interdisziplinäre Wissensfragen und umfassender die antagonistische Debattenkultur des Mailänder Hofes Ludovico Sforzas thematisiert werden, im Zuge derer Ende des 15. Jahrhunderts das etablierte Wissensmodell der artes liberales in Bewegung gerät. Theologen und Mathematiker wie Luca Pacioli, Architekten und Bildkünstler wie Leonardo da Vinci und Donato Bramante, Musiktheoretiker wie Franchino Gaffurio, Dichter wie Gaspare Visconti u. a. m. diskutieren, inwiefern und warum welche Disziplin die noblere sei. Betrachtet werden in dieser Fallstudie sowohl schriftlich aufbereitete wie auch bildlich konfigurierte Diskussionsbeiträge bzw. ästhetische Konkretisierungen eines interdisziplinären epistemischen Agons. Es wird bspw. die von Leonardo im Castello Sforzesco gestaltete camera de’ moroni (Sala delle Asse) mit ihrem kunstvoll-gelehrten Bildprogramm als Setting für Kunstgespräche und scientifici duelli eines Gelehr-
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tenzirkels namens Ac(h)ademia Leonardi Vinci in den Blick genommen, in deren Zusammenhang wiederum auch eine Reihe von Kupferstichen nach Entwürfen Leonardos betrachtet werden. Verankert in der höfischen Wettstreitkultur wird zudem Luca Paciolis Compendium de divina proportione gemeinsam mit Leonardos posthum redigierten Aufzeichnungen zum Malereibuch daraufhin befragt, wie Um-Ordnungen der konventionellen Wissenshierarchie eingefordert und die Malerei als scientia konzipiert werden. Mit welchen Argumentationsstrategien und Begrifflichkeiten wird Malerei zur Wissensdisziplin und welche epistemischen Potentiale werden ihren Werken zugeschrieben? Als wichtige Dreh- und Angelpunkte erweisen sich dabei prospettive und proportioni, wodurch nicht zuletzt auch Vernetzungen mit Bramantinos Konfiguration der Muse der Geometrie weiter ausdifferenziert werden. In der Analyse der schriftlich artikulierten Wissensduelle wird zudem die Thematisierung unterschiedlicher Wissensmodi herausgearbeitet. Die Lektüre von Paciolis Buch macht etwa deutlich, dass elusives Wissen eine immanent wichtige Funktionsstelle besetzt, v. a. hinsichtlich der titelgebenden geheimnisvollen und rational nicht gänzlich fassbaren ›göttlichen Proportion‹. Bedeutsamer Teil von Paciolis Compendium sind zudem die zahlreichen, aufwendigen und teils von Leonardo angefertigten Zeichnungen regelmäßiger Polyeder. Eine Betrachtung der Zeichnungen sowie ihrer Beurteilungen durch den Mathematiker wird interessante Einblicke in die ihnen zugedachten epistemischen Dimensionen und Funktionen geben. Bei der Untersuchung von Leonardos Aufzeichnungen und den darin schriftlich inszenierten Wissensduellen zwischen ›dem‹ Maler und Vertretern anderer Disziplinen wird – wie auch bei Pacioli – Forderungen nach Veränderungen des Wissensmodells und der Wissenshierarchie nachgegangen und dazu hier v. a. der Schlagabtausch des Malers mit ›dem‹ Musiker in den Fokus der Analyse gerückt. Die Lektüre wird offenlegen, dass in den von Leonardo verfassten Duellen ein besonderer, gewissermaßen pluralisierter Modus ›göttlicher Proportion‹ als Darstellungskompetenz der Malerei in Anschlag gebracht wird. In einem weiteren Schritt der Untersuchung wird danach gefragt, ob sich womöglich auch ein Dialog bzw. Verschränkungen des Duells von Maler und Musiker mit Leonardos Malerei eruieren lassen. Analysiert wird dazu das Porträtgemälde eines Mannes mit Notenblatt. Die Bildbetrachtung lenkt schließlich den Blick von Erörterungen eines epistemischen Agons auf Beobachtungen eines ästhetischen Agons. Denn mit dem Bildnis des Mannes mit Notenblatt steht eine bestimmte Art der Porträtmalerei in Leonardos direktem Mailänder Umfeld im Austausch und ein Stil, der, so wird im Zuge der Fallstudie einsichtig, wiederum in Konkurrenz – bzw. gewissermaßen in ästhetischem Agon – mit der Malerei anderer renommierter Mailänder Maler und mit anderen Perspektiv- und Proportionslehren zu stehen scheint.
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Kapitel 3 Mitstreit & Agon von Malerei und Skulptur – Diskrepante Paragoni bildkünstlerischer Praxis und textverfasster Theorie In Verbindung mit den unter Kapitel 2 beleuchteten scientifici duelli Mailänder Hofkultur gewinnt ab Mitte des 15. Jahrhunderts ein weiterer Themenkomplex an Bedeutung, in dem die Bildkünste im Austausch mit interdisziplinären Wissensfragen reflektiert werden: Die Rede ist vom Paragone zwischen verschiedenen Bildkünsten bzw. Künstlern. Als ›Denkform historischer Medienreflexion‹ ist dieser Themenkomplex für den Fragehorizont der vorliegenden Arbeit äußerst relevant, zumal die Herausbildung und frühe Etablierung des theoriehaltigen Schreibens über einen Paragone von Malerei und Skulptur in Italien eben gerade im lombardischen Diskurskontext zu verorten ist. Es geht in diesem Kapitel jedoch nicht um einen isolierten Blick auf schriftlich aufbereitete Thematisierungen des Paragone im Kontext frühneuzeitlicher Hofkultur, sondern auch um solche Paragone-Passagen, die sich an anderen Theorieorten jenseits stilisierter Duelle finden lassen. Insbesondere aber geht es um ein InBezug-Setzen von Textbeiträgen und werkimmanent konfigurierten Paragoni der bildkünstlerischen Praxis mit ihren unterschiedlichen, je spezifischen Ausdrucksformen sowie Produktions- und Rezeptionszusammenhängen. Deutlich wird durch diesen Analysezugriff letztlich die Diversität bzw. Pluralität des reflektierten Relationierens von Malerei, Zeichnung und Skulptur im Untersuchungszeitraum. Um diese historische Diversität analytisch zu erfassen, wird ›der‹ Paragone nicht allein als polemische Rivalität von Malern und Bildhauern erörtert, sondern gerade auch im Sinne von Austauschprozessen zwischen den vielfältigen bildkünstlerischen Medien und Materialien von Malerei und Skulptur, von Wechselwirkungen, Aneignungsprozessen und Koalitionen. Paragone wird dementsprechend als Agon und als Mitstreit untersucht.63 Der gemeinsame Nenner der unterschiedlichen paragonalen Konstellationen ist somit der reflektierende Vergleich der Medien und Materialien sowie das Sichtbarmachen und -werden historischen Medienbewusstseins. Anhand ausgewählter Fallbeispiele werden in diesem Kapitel schließlich Virulenz und Varianz von Medienvergleichen im ästhetischen Diskurs der Lombardei zwischen Hof, Künstlerwerkstatt und Sakralraum anschaulich gemacht. In Unterkapitel 3.1 wird eine Zusammenschau von einschlägigen Textbeiträgen zum Paragone geliefert und danach gefragt, welche Schwerpunkte in den schriftlichen Auseinandersetzungen gesetzt werden, welche Interessen leitend 63 Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass das Begriffsverständnis von Paragone als ›Mitstreit‹ von Joris van Gastel, Yannis Hadjinicolaou und Markus Rath konzipiert und geprägt ist: Gastel, Joris van / Hadjinicolaou, Yannis,/Rath, Markus, »Paragone als Mitstreit«, in: Paragone als Mitstreit, hg. v. dens., Berlin 2014, S. 15–32.
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sind und welche Themen hingegen ausgegrenzt werden, die womöglich zeitgleich in Paragoni der bildkünstlerischen Praxis von hoher Aktualität sind. Konkret werden Passagen aus Filaretes libro architettonico besprochen sowie aus Francesco Melzis Kompilation der Aufzeichnungen Leonardos für ein libro di pittura, aber auch Passagen aus Baldassare Castigliones Libro del Cortegiano, aus Giovan Paolo Lomazzos kunsttheoretischen Schriften sowie aus Bernardino Campis Parer sopra la pittura. Im Anschluss werden unter Punkt 3.2 werkimmanente Paragoni der bildkünstlerischen Praxis erforscht. Dabei werden medienund materialgebundene Dialoge aufgezeigt, die zwischen Leonardos Malerei und Zeichnung sowie lombardischer Skulptur aus Marmor, aber insbesondere monochromen Terrakottawerken beobachtbar sind. Leonardos Gemälde der Dame mit dem Hermelin wird bspw. auf einen ästhetischen Mitstreit mit Marmorskulpturen hin untersucht, wobei u. a. ein Relief des Mailänders Giovanni Antonio Piatti ins Spiel kommt. Andererseits werden Dialoge aufgespürt, die sich zwischen Leonardos zeichnerischer Praxis und Malerei im Zusammenhang mit dem Projekt des Abendmahls einerseits und monochromer Terrakottaplastik an Innen- und Außenwänden von renommierten Großprojekten in Mailand und Pavia andererseits nachvollziehen lassen. Hier erweisen sich die Darstellungsmode ausdrucksstarker rundgerahmter Figurenbüsten sowie der sich etablierende Bildtypus lebensgroßer Beweinungsgruppen als relevant und insbesondere die Arbeiten von Agostino de’ Fondulis im Baptisterium der Mailänder Kirche San Satiro. Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Textlektüren wird schließlich neben den bildkünstlerisch artikulierten und virulenten Paragoni gerade auch das Verhältnis von Leonardos schriftlichen Positionierungen für ein libro di pittura zu seinen bildkünstlerischen Gestaltungen greifbar. In Unterkapitel 3.3 geht es schließlich um Interaktionen und Kombinationen von Malerei und Skulptur in sakralen Räumen bzw. von in einem Kirchenraum interagierenden Medienkonstellationen. In den Blick genommen werden unterschiedlich modellierte Paragoni in der Kirche Santa Maria dei Miracoli in Saronno, wobei Arbeiten von Andrea da Milano, Bernardino Luini, Gaudenzio Ferrari, Giulio Oggioni und Alberto da Lodi besprochen werden. Anhand der Bildbetrachtung von Bernardino Luinis Fresken graumonochromer Tugenddarstellungen in der Sockelzone buntfarbiger biblischer istorie wird z. B. ein Spiel mit unterschiedlichen Medien- und Materialreferenzen beobachtbar. In der Kuppelgestaltung hingegen interagieren Freskomalerei und polychrom gefasste Holzskulpturen, deren Verschränkung auf wirkungsästhetische und semantische Aspekte hin untersucht wird. Das zweite Fallbeispiel dieses Unterkapitels veranschaulicht dann noch einmal anders nuancierte Medienkombinationen. Analysiert werden die intermedialen Kapellen des Sacro Monte di Varallo, der seit 2003 zum UNESCO -Weltkulturerbe zählt. Fokussiert werden in diesem Zusammenhang die Kapellengestaltungen Gaudenzio Ferraris und v. a.
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die Kreuzigungskapelle. Dort sind Freskomalerei und polychrome Terrakottasowie Holzfiguren in einem intrikaten und produktiven intermedialen Zusammenspiel auf das engste miteinander verzahnt – ein Zusammenspiel, dessen Effekten und Implikationen nachgegangen wird. Zur Erschließung des historischen Beschreibungsvokabulars sowie der historischen Wahrnehmungskompetenzen und Reflexionen derartiger Medienkombinationen im Kontext franziskanischer Bildtheorie, katholischer Reformbewegungen und der Trienter Konzilsbeschlüsse werden schließlich zwei Pilgergedichte von 1514 und 1566, ein Umbauplan aus den 1560er-Jahren sowie Statements von Kunsttheoretikern des Secondo Cinquecento in die Analyse dieses Medienvergleichs mit einbezogen. Zum Abschluss der Paragoni-Studien werden unter Punkt 3.4 Theorie und Ästhetik von figure serpentinate erörtert. Es wird Giovan Paolo Lomazzos Begriffskonzept der figura serpentinata beleuchtet und der Umgang seitens der Forschung mit eben jenem Konzept kritisch besprochen sowie das Verhältnis von Begriffskonzept und bildkünstlerischer Praxis erörtert. Wie konzipiert Lomazzo die figura serpentinata? Welchen Theorieort und welche Systemstelle schreibt er ihr in der Proportionslehre seines Trattato zu? In welchem Kontext erscheint sein Begriffskonzept besonders sinnfällig verortet zu sein? Und in welchem Verhältnis steht die figura serpentinata zur bildkünstlerischen Praxis und zu cinquecentesken Aushandlungsprozessen von figure serpentinate? Zur Erörterung der letztgenannten Frage werden u. a. Werke von Bramantino, Antonio Mantegazza, Leonardo, Giampietrino und Bambaia zur Diskussion gestellt. Kapitel 4 Groteske Ästhetik in Bild und Text – Figurale Wissensformierungen In Kapitel 4 wird der facettenreiche Phänomenbereich grotesker Ästhetik erschlossen und konturiert, wobei sich eine der frühesten – wenn nicht die früheste – schriftliche Fixierung des Begriffs grottesche bezeichnenderweise in den in Kapitel 2.1 analysierten Antiquarie prospetiche Romane findet und zwar im Zusammenhang mit der poetischen Beschreibung von abenteuerlichen Künstlertouren durch die freigelegten, höhlenartigen Räume der domus aurea, an deren Wänden fantastisch-monströse Figuren und Ornamentik bestaunt werden konnten. Die dort bewunderten Grotesken sind Teil eines in der vorliegenden Arbeit als groteske Ästhetik gefassten und fokussierten vielfältigen Phänomenbereichs, dessen Elemente, wie gezeigt wird, über gemeinsame Strukturprinzipien, Motive und Wissensfragen sowie eine gemeinsame Beschreibungssprache miteinander verschränkt sind und dessen Virulenz und Varianz eine Besonderheit des lombardischen Diskurses darzustellen vermag. Die Fallbeispiele des Kapitels umfassen Zeichnungen und Malerei, Dichtungen sowie textverfasste Theorie, die Grottenanlage einer noblen Villa sowie Programm, Profil und Praxis einer interdisziplinären Akademie. Betrachtet werden Konfigurationen grotesk-deformer
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und teils ›monströser‹ Köpfe, aber auch ornamental-fantastische, ›bizarre‹ Grotesken, komisch-laszive und mehrdeutige Gruppenszenen, Ridikülisierungen von grazia, ›kapriziös‹ zusammengesetzte Figuren sowie schriftlich artikulierte theoretische Reflexionen und Einordnungen grotesker Ästhetik in Lehrwerken frühneuzeitlicher Nachahmungsästhetik. Gleich zum Auftakt des Kapitels wird zur Veranschaulichung einer pointierten Verschränkung von Grotesken und Groteskem ein monumentales Deckenfresko von 1506 in der Kirche Santa Maria dell’Immacolata in dem kleinen Ort Rivolta d’Adda vorgestellt und besprochen. Zudem werden einleitend begriffliche und konzeptionelle Überlegungen zu grotesker Ästhetik und figuralen Wissensformierungen skizziert. Denn das Denkmodell figuraler Wissensformierungen dient in diesem Kapitel (bzw. als Vorbereitung auf die Werkanalysen in diesem Kapitel) der Schärfung eines für den Phänomenbereich frühneuzeitlicher grotesker Ästhetik produktiven Wissensbegriffs. Die in den Fallstudien relevant werdenden epistemischen Potentiale und Dimensionen der bildkünstlerischen Arbeiten perspektiviert durch das Denkmodell figuraler Wissensformierungen zu erkunden, erweist sich gerade insofern gewinnbringend, als mit diesem die Aufmerksamkeit nicht nur auf die Gestalthaftigkeit von Wissen gerichtet wird, sondern zugleich Aushandlungsprozesse des De- und Refigurierens sowie Relationsgefüge und Spannungen zwischen Norm und Abweichungen pointiert in den Blick kommen. Die erste Fallstudien-Sektion in 4.1 analysiert grotesk-deforme Köpfe und Figurenbüsten, die ab dem späten 15. Jahrhundert in der bildkünstlerischen Praxis des ästhetischen Diskurses der Lombardei in bemerkenswert mannigfacher Zahl entstehen und u. a. als visi mostruosi im Gespräch sind. Betrachtet werden Feder- und Kreidezeichnungen, Ölgemälde, Fresken und druckgraphische Werke von Künstlern wie Leonardo da Vinci, Martino Piazza da Lodi, Girolamo della Porta, Francesco Melzi sowie den Mitgliedern der Accademia della Val di Blenio Aurelio Luini, Giovan Paolo Lomazzo und Giovanni Ambrogio Brambilla. Dabei kommen unterschiedliche epistemische Potentiale und Dimensionen zur Darstellung und es wird gezeigt, dass sich Iterationen grotesker Köpfe das gesamte Cinquecento hindurch über Mediengrenzen hinweg nachvollziehen lassen und ein komplexes Referenzsystem ausbilden, in dem manche Figur der Normabweichung selbst zum Modell wird. In Unterkapitel 4.2 werden die institutionellen Verankerungen der Gestaltexplorationen grotesker Ästhetik näher beleuchtet und die maßgeblich von Bildkünstlern initiierte und geleitete interdisziplinäre Accademia della Val di Blenio besprochen, die Mitte des 16. Jahrhunderts zu Zeiten einer zunehmend rigiden Kulturpolitik im Kontext der Katholischen Reform und spanischen Regentschaft gegründet wurde. Um Programm, Profil und Praxis dieser eigenwilligen und für die Erörterung grotesker Ästhetik im ästhetischen Diskurs der Lombardei sehr bedeutsamen A kademie zu erfassen, wird zum einen das offizielle Akademiebuch Rabisch
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(~Arabesken) mit den darin enthaltenen Statuten und Textbeiträgen unterschiedlicher Akademiemitglieder untersucht. Zum anderen wird das Selbstporträt des berühmten Akademiepräsidenten Giovan Paolo Lomazzo als Vorsitzender und Maler analysiert. Eine zentrale Rolle spielen dabei u. a. Bezugnahmen auf eine ländliche Region und auf sogenannte facchini, aber auch ein spezifischer, schwer verständlicher Dialekt, kuriose Decknamen, die Verehrung Bacchus’ sowie furor und umiltà. In Unterkapitel 4.3 werden weitere bizarrie sowohl der bild- als auch der dichtkünstlerischen Praxis des direkten sowie weiteren Umfelds der Accademia della Val di Blenio vorgestellt und auf gemeinsame Themen, Motive und Strukturen hin untersucht, die sich als charakteristisch für eine groteske Ästhetik erweisen. Es geht um ›bizarre‹ Gedichte, eine Grottenanlage mit Marmorskulpturen und ornamental-fantastische Grotesken, komische Gruppenbilder und -szenerien sowie ›kapriziös‹ zusammengesetzte Figurenbüsten und auf diese verfasste Lyrik. Konkret besprochen werden Passagen aus Lomazzos Libro dei sogni und aus den Rime ad imitazione dei Grotteschi (1587), wobei u. a. das rekurrente, mit den Konzepten grottesco und grotteschi verwobene Beschreibungsvokabular von capriccio, bizarro und mostruoso thematisiert wird. Des Weiteren wird sich mit zwei Gedichten Bernardo Rainoldis aus dem Akademie-Buch Rabisch näher auseinandergesetzt, wobei in dem einen Poem v. a. ein subversives Spiel mit der wirkmächtigen Kategorie der grazia beobachtet wird und Anspielungen auf den Akademieprotektor Pirro Visconti und dessen noblen Landsitz mit Grottenanlagen und Marmornymphen in Lainate von Interesse sind. Das Anwesen Pirros in der lombardischen Provinz gerät dann genauer in den Blick, wodurch sich das gestalterische Ausmaß grotesker Ästhetik im lombardischen Diskurs weiter erschließt. Die aufwendigen Grottenanlagen mit ihren Wasserspielen gilt es in diesem Kontext v. a. hinsichtlich ihrer frühneuzeitlichen Produktions- und Rezeptionsästhetik als Imitationen der schöpferischen Kraft der Natur und etymologisches Wurzelwerk des Grotesken zu thematisieren. Außerdem kommen medial und material unterschiedlich gestaltete ornamental-fantastische Grotesken in Garten und Landvilla zur Sprache und Anschauung. Anhand der Analyse eines zweiten Gedichts von Bernardo Rainoldi aus den Rabisch werden dann mit dem De- und Refigurierungen des menschlichen Körpers bzw. Gesichts und mit der Inszenierung komisch-bizarrer Gruppenszenen weitere wichtige thematisch-motivische sowie strukturelle Schwerpunkte grotesker Ästhetik erörtert, die erneut zugleich in Werken der bildkünstlerischen Praxis von hoher Relevanz sind. Dies wird mittels der Werkanalysen von einerseits komisch-lasziven, ambiguen und mit Dekorumsbrüchen operierenden Gruppenbildern und andererseits kompositen Figurenbüsten verdeutlicht. Zu den in dieser Fallstudie besprochenen Bildbeispielen zählen ein Halbfigurengemälde von Ricotta-Essern des Cremoneser Künstlers Vincenzo Campi, eine Bildserie von Vier lachenden Personen mit einer Katze aus dem di-
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rekten Umfeld der Accademia della Val di Blenio sowie Gemälde kompositer Köpfe von Giuseppe Arcimboldo. In der Betrachtung der Gruppenszenen wird v. a. das Movens des Lachens als zentraler Aspekt der Bildfindungen diskutiert. In den Gemälden Arcimboldos wird derweil die eigenwillige Darstellungsstruktur der Bilder in den Blick genommen, mittels derer aus körperfremden Elementen menschlich anmutende Figuren konfiguriert sind. Da Arcimboldos Bilder kompositer Figurenbüsten zeitgenössisch vielfach poetisch beschrieben, imitiert und kommentiert werden, wird in einem weiteren Analyseschritt das interdisziplinäre Mailänder Netzwerk von Bildkünstlern und Literaten beleuchtet, zu dem neben Arcimboldo bspw. auch der Mailänder Maler Giovan Ambrogio Figino sowie die Literaten und Gelehrten Gregorio Comanini, Filippo Gherardini, Giuliano Gosselini, Bernardino Baldini und Torquato Tasso zählen. Der intensive Austausch unter ihnen vollzieht sich in Werkstattbesichtigungen, Ausstellungen, gemeinsamen Publikationsprojekten und dem Dichten zu Gemälden. Um diesen Zusammenhang und diese Austauschprozesse beispielhaft zu beleuchten, werden ein 1591 herausgegebener Gedichtband zu Arcimboldos Flora und Vertumnus sowie eine unediert gebliebene Textsammlung aus der Londoner British Library vorgestellt. Im Zusammenspiel von Bild- und Textanalysen werden so kreative Dialoge offengelegt, im Zuge derer nicht nur Figinos Stilllebenmalerei nobilitiert wird, sondern auch und insbesondere Arcimboldos groteske Figuren. Unter Punkt 4.4 gilt es schließlich textverfasste Theorie daraufhin zu befragen, ob und wie Facetten grotesker Ästhetik in eine von Parametern einer Nachahmungsästhetik fundierte Theorie integriert werden, deren grundsätzliche Beurteilungsmaßstäbe an Dekorumsvorstellungen und dem Schönen – gerade auch als Erkenntnisfaktor der Kunst – ausgerichtet sind. Welche Theorieorte, welche epistemischen Potentiale und welcher epistemologische Status werden grotesker Ästhetik bzw. ihren einzelnen Facetten mit den Gestaltexplorationen des Deformen und Schön-Hässlichen, des Monströsen sowie des Fantastischen und Lachhaften zugeschrieben? Für (Annäherungen an) Antworten auf diese Fragen werden die kunsttheoretischen Schriften von Lomazzo und Comanini untersucht und somit Texte von Autoren, deren eigene bild- und dichtkünstlerische Praxis sowie gesellschaftliche Netzwerke von tiefgreifenden Interessen an und anspruchsvollen Gestaltungen von grotesker Ästhetik geprägt sind. Bei der Lektüre der Texte liegt ein besonderes Augenmerk auf der Beschreibungssprache und den Bewertungsmaßstäben, aber auch auf den Diskursivierungs- und Veranschaulichungsstrategien, mit denen Facetten grotesker Ästhetik thematisiert und in die Theorie eingearbeitet werden. Es werden zum einen Lomazzos Auseinandersetzungen mit bizarrie im Trattato dell’arte della pittura (Mailand 1584) untersucht und z. B. das Kapitel zu den bizarrie da ridere näher betrachtet, das im 16. Jahrhundert einen der wenigen textverfassten Theoriebeiträge zur zeitgenössischen komisch-lachhaften Malerei darstellt. Ein Vergleich von Lomazzos
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Erörterungen dieses Phänomenbereichs mit v. a. Gabriele Paleottis theoretischen Überlegungen zu den pitture ridicole kann feine und zugleich aufschlussreiche Unterschiede in der theoretischen Debatte um das in der Praxis hoch aktuelle ›Genre‹ komischer Malerei verdeutlichen und zugleich Einblick in transdisziplinär verhandelte Fragen zum Lachen geben. Zudem macht der vergleichende Blick auf Lomazzos theoretische Auseinandersetzungen mit den bizarrie da ridere und auf die unter Punkt 4.3 besprochenen Gemälde interessante Differenzen hinsichtlich der Gestaltung und Bewertung von Lachen, Laszivität und Dekorumsverstößen nachvollziehbar. Abschließend werden Lomazzos Theoretisierungsversuche der Grotesken im Kontext des Grotesken-Streits erörtert und es wird danach gefragt, inwiefern der Mailänder Kunsttheoretiker die Grotesken zu systematisieren sowie zu reglementieren versucht und welche Rolle er ihnen in der Darstellungswelt zuschreibt. Thema von Unterkapitel 4.4.2 sind schließlich besondere Diskursivierungsstrategien, mittels derer groteske Ästhetik in Theorietexten verhandelt wird. Nach einem kurzen Blick auf Lomazzos lobende und bewundernde Besprechung von Arcimboldos Flora in der Idea del tempio della pittura (Mailand 1590) wird Gregorio Comaninis Dialog Il Figino overo del fine della pittura (Mantua 1591) eingehend untersucht. Comanini integriert mehrere eigene Gedichte zu Werken Arcimboldos in seine kunsttheoretische Abhandlung, deren Funktionen und Darstellungs- sowie Erkenntnispotentiale im Zuge der Werkanalyse eruiert werden. Mit dem in Mailand verorteten Dialog zwischen drei Figuren, die nach dem Maler Giovan Ambrogio Figino, dem Dichter Stefano Guazzo und dem Geistlichen Ascanio Martinengo benannt sind, wird eine Textgattung des Theoriediskurses in den Blick genommen, die dezidiert andere Möglichkeiten der Veranschaulichung und Diskursivierung bietet als bspw. traktathaft verfahrende Texte. Wie also werden in diesem Dialog konkret Konzepte des Neuartigen, Kapriziösen und Bizarren im Gespräch der drei unterschiedliche Meinungen zur Malerei repräsentierenden Dialogfiguren besprochen und bewertet? Welche epistemischen Potentiale und Dimensionen werden mit der imitazione fantastica korreliert? Und lassen sich Unterschiede in der textuellen Gestaltung des Gesprächs über die imitazione fantastica im Vergleich zu der Gestaltung und Diskursivierung des Gesprächs über die imitazione icastica im zweiten Teil des Buches beobachten? Kapitel 5 Vaghezza & maniere – Eine ästhetische Kategorie elusiven Wissens & Konzeptionen künstlerischer Stile in Mailand und Cremona während des Secondo Cinquecento In dem den Hauptteil dieses Buches abschließenden Kapitel geht es um schriftlich artikulierte, malereitheoretische Verhandlungen des Schönen im Secondo Cinquecento und um Erörterungen der Fragen danach, wie bzw. inwiefern ästhe
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tische und epistemische Dimensionen des Schönen in Malerei sinnlich manifest und erfahrbar (gemacht) werden. Inhärent sind den Auseinandersetzungen mit diesen Fragen zugleich Vorstellungen von bestimmten Dispositionen der Maler und Malerinnen – bspw. von deren Talent, Wissen, Imaginationskraft und Kunstfertigkeit –, um Schönheit in Malerei zur Anschauung bringen zu können. Dieser Themen- und Fragenkomplex kann freilich nur exemplarisch und stichprobenartig für bestimmte Mikrokonstellationen erörtert werden, wobei der Zugriff auf die Thematik in diesem Kapitel über die Analyse von Begriffs- und Stilkonzeptionen in Giovan Paolo Lomazzos Trattato dell’arte della pittura (1584) und Idea del tempio della pittura (1590) sowie in Alessandro Lamos Discorso intorno alla scoltura et pittura (Cremona 1584) erfolgt. Konkret werden vaghezza und maniere in den Blick genommen. Mit vaghezza ist eine Kategorie gewählt, mit der es im Kern um Unbestimmtheit und zugleich Bedeutsamkeit geht und die in Textbeiträgen des ästhetischen Diskurses im Cinquecento zunehmend präsent und relevant ist. Die kontextualisierende und vergleichende Studie von vaghezza macht deutlich, dass es sich um eine schillernde, semantisch divers aufgeladene, teils positiv, teils negativ bewertete und mitunter sehr spezifisch funktionalisierte Kategorie handelt. Mit maniere werden verschiedene Konzeptionen und Denkmodelle von bildkünstlerischem Stil anvisiert sowie differente Weisen im Umgang mit Stilfragen und Stil als Wissensform bzw. als Konfigurationsmodus des Schönen erörtert. Anhand der zweiteiligen Aufmerksamkeit in diesem Kapitel für einerseits eine ästhetische Kategorie in unterschiedlichen Zusammenhängen und für andererseits verschiedene Stilkonzeptionen wird die Verwobenheit von Begriffsdebatte und Stilkonzeptionen thematisiert sowie greifbar gemacht und gerade auch die Bedingtheit von sprachlich gefassten Stilentwürfen kritisch erörtert, die in ihrer medialen und materialen Differenz unweigerlich in Spannung stehen zu den bildkünstlerischen Konkretionen, die mit ihnen geordnet werden sollen. Unter Punkt 5.1 wird Lomazzos Umgang mit vaghezza analysiert. Um diesen adäquat verorten zu können, wird vorbereitend eine knappe Zusammenschau des Wortgebrauchs von vaghezza, vago und vagare in Theoriebeiträgen zwischen dem 15. Jahrhundert und späten 16. Jahrhundert geliefert – mit Passagen aus Schriften von Leon Battista Alberti, Filarete, Leonardo, Paolo Pino, Giorgio Vasari, Lodovico Dolce, Giovanni Andrea Gilio, Giovanni Battista Gelli, Cristoforo Sorte und Giovanni Maria Paroli. Dadurch wird bereits eine gewisse Diversität der semantischen Aufladungen und Bewertungen der Kategorie ersichtlich. Vor diesem Hintergrund macht die Lektüre von Lomazzos Trattato schließlich ein ›regelrechtes‹ Ringen um Konkretisierungen der Kategorie nachvollziehbar, wodurch sich neue Perspektiven auf die Virulenz und Signifikanz der ästhetischen Kategorie und ihres Wissensstatus eröffnen. In Unterkapitel 5.2 wird Alessandro Lamos Discorso besprochen, der kurz nach der Veröffent-
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lichung von Lomazzos Mailänder Trattato in Cremona erschien und in dem ›die‹ Cremoneser Malerei vorgestellt wird – insbesondere Leben und Werk Bernardino Campis. Dezidiert anders als Lomazzo nimmt Lamo vaghezza für seine Konzeption von Personal- und Regionalstil in Anspruch und schreibt ihr spezifische epistemische Dimensionen und Valenzen zu, wie gezeigt wird. Während L amos Discorso, der Künstlerbiographie und regionale Geschichtsschreibung mit einem theoretischen Rahmentext kombiniert, in der bisherigen Forschung als Quellendokument für Zuschreibungs- und Datierungsfragen fokussiert wurde, bringt das close reading dieser Fallstudie gerade auch mit dem Fokus auf Stilfragen weitere, v. a. auch wissensgeschichtlich relevante Facetten des Buches zur Sprache und verdeutlicht, dass es sich um einen eigenständigen und bei Weitem nicht unbedeutenden Beitrag des frühneuzeitlichen ästhetischen Diskurses in Italien handelt. Es wird dargelegt, inwiefern Lamo seine Schrift in kritischer Reaktion auf Vasaris Vite und deren Stilmodellierungen sowie allgemeiner in Konkurrenz zur florentinisch-römischen Kunstgeschichtsschreibung und dem venezianischen Künstlergespräch entwirft. Die Analyse wird zugleich aufdecken, dass Lamo die Cremoneser Malerei ebenso im Wetteifer mit Mailänder Theorie- und Kunstpraxis stilisiert. Aufschlussreich ist hier zusätzlich zur Textanalyse der Blick auf persönliche Rivalitäten, auf den Mailänder Zunftkontext sowie auf Streitigkeiten um Privilegien und Auftragsvergaben. In Differenz zu Lamos Buch wird im Unterkapitel 5.3 wiederum Lomazzos einige Jahre nach dem Discorso publizierte Idea del tempio della pittura untersucht und nachvollziehbar gemacht, wie Lomazzo ein sowohl in literarischer wie auch kunsttheoretischer und epistemologischer Hinsicht alternatives Denkmodell zur Vitenschreibung entwirft, um bildkünstlerische maniere zu konfigurieren. Die Textanalyse verdeutlicht, wie Lomazzo über ein kosmologisch-metaphysisch fundiertes Analogieverfahren und einen neuplatonischen Schönheitsbegriff die Pluralität künstlerischer Personalstile sowie individuelle Naturbegabungen von Kunstschaffenden zu begründen, zu beurteilen und für eine Betrachtung von Malerei als Erkenntnisfenster des Schönen produktiv zu machen sucht. Dabei erweist sich bspw. Lomazzos Rezeption von Marsilio Ficinos De amore als bedeutsam und zwar nicht allein auf inhaltlicher Ebene, sondern ebenso hinsichtlich diskursiver Vorgehensweisen, über die das Schöne und dessen Wissensmodus erkundet werden. Kapitel 6 Rückblick & Ausblick Die Arbeit schließt mit einem Rückblick und Ausblick. Unter Punkt 6.1 wird die vom Mailänder Erzbischof Federico Borromeo gegründete und in ihrer Konzeption originelle und ambitionierte diözesane Bildungseinrichtung Ambrosiana besprochen und damit exemplarisch ein historischer Ausblick auf das frühe
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Seicento mit strukturellen Umordnungen bzw. Wandlungsprozessen im Schreiben über die Bildkünste sowie in der Lehre bildkünstlerischer Praxis eröffnet. Beleuchtet werden die Gründungsphase der Kunstakademie und des Kunstmuseums der Mailänder Ambrosiana sowie die sie begleitende textverfasste Theorie Borromeos. Es geht um Lehrpläne zur Reglementierung zeitgenössischer Kunstpraxis im posttridentinischen Mailand, um die Funktionen einer Lehrsammlung und damit verbunden nun den Versuch der Kanonbildung. Es geht aber auch um einen im Vergleich zu den zuvor analysierten Beiträgen textverfasster Theorie anders perspektivierten Blick in Borromeos Büchern zur Kunst – um eine Aufmerksamkeitsverschiebung hin zu Bildbesprechungen und Reflexionen konkreter Materialität. Zudem wird mit der Analyse von Borromeos Schriften ein wieder anders konturierter Schönheitsbegriff relevant, der mit einem für die Materialität konkreter Gemälde sensiblen Betrachterblick verschränkt ist. Damit wird die werkanalytische Zusammenschau von textverfasster Theorie zu den Bildkünsten von der frühen Etablierungsphase bis zum beginnenden 17. Jahrhundert gewissermaßen abgerundet – mit den Jahrzehnten letztlich, in denen sich Schwerpunktsetzungen des Schreibens über Malerei deutlich verändern. Oder mit den Worten Alessandro Rovettas gesprochen: »[C]on Federico l’apporto lombardo alla teoria artistica chiude una sua brillante stagione: era giunto il tempo di pensare in termini storiografici.«64 In Unterkapitel 6.2 werden schließlich kurze Rückblicke auf die in den Kapiteln präsentierten Fallstudien gegeben, um zentrale Beobachtungen, Zusammenhänge und herausgearbeitete Dreh- und Angelpunkte Revue passieren zu lassen. Zugleich wird am Ende der Arbeit aber auch ein Ausblick auf Impulse skizziert, die von den untersuchten Konstellationen des ästhetischen Diskurses der frühneuzeitlichen Lombardei ausgehen können und die für weitere und diverse Wissensgeschichten produktiv gemacht werden können.
64 Rovetta, Alessandro, »Introduzione«, in: Tracce di letteratura artistica in Lombardia, hg. v. dems., Bari 20072, S. V–XXIV, S. XII .
2. Die Malerei in der Hierarchie der scientiae des lombardischen Diskurses um 1500
2.1 Antiquarie prospetiche Romane composte per prospectivo Melanese depictore – Wissensordnungen im Antiken-Buch eines Mailänder Perspektivmalers Ein ›Mailänder Perspektivmaler‹ verfasste eines der ersten im Druck erschienenen volkssprachlichen Bücher zu den Bildkünsten: die Antiquarie prospetiche Romane composte per prospectivo Melanese depictore.1 Der Titel des Buches, 1 Es sind zwei Exemplare der Erstausgabe des Buches erhalten: Rom, Biblioteca Casanatense, Inc. 1628; Venedig, Fondazione Giorgio Cini, inv. Cini 947. Eine frühneuzeitliche Abschrift samt Reproduktion des Frontispizes findet sich im anthologischen Liber antiquitatum cum epigrammatibus des Nürnberger Mediziners Hartmann Schedel (1504, München, Bayerische Staatsbibliothek, BSB Clm 716, ff. 68–74). Für eine kritische, kommentierte Ausgabe der Antiquarie prospetiche Romane mit einer von Dante Isella erarbeiteten italienischen Prosa-Übersetzung des in Dialekt verfassten Gedichts siehe: Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane, hg. v. Giovanni Agosti und Dante Isella, Parma 2004; Agosti, Giovanni, »Cronaca delle ›Antiquarie‹«, in: Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane, hg. v. dems. und Dante Isella, Parma 2004, S. XXIX–XC ; Isella, Dante, »Le capre di Tivoli«, S. IX–XXVII . Vgl. auch: Isella, Dante, Lombardia stravagante. Testi e studi dal Quattrocento al Seicento tra lettere e arti, Turin 2005, S. 39–73. Zur Stellung des Buches als einem der ersten volkssprachlichen Bücher zur Kunst, die im Druck erschienen, siehe auch: Robertson, Charles, »Bramantino and the ›Historia‹ – A Strategy for a Competitive Market«, in: Bramantino e le arti nella Lombardia francese (1499–1525), Ausst.kat., hg. v. Mauro Natale, Mailand 2017, S. 23–34, S. 23. Weitere wichtige Forschungsbeiträge zum Buch des Mailänder Perspektivmalers sind: Tura, Adolfo, »Antiquarie prospetiche romane«, in: Bramante a Milano. Le arti in Lombardia 1477–1499, Ausst.kat., hg. v. Matteo Ceriana, Emanuela Daffra, Mauro Natale und Cristina Quattrini, Mailand 2015, Katalog-Nr. III .15, S. 198–200; Aldovini, Laura, »Anonimo lombardo (Bramantino?), Frontespizio delle Antiquarie prospetiche Romane Composte per prospectivo Melanese depictore«, in: Bramantino. L’arte nuova del Rinascimento lombardo, Ausst.kat., hg. v. Mauro Natale, Mailand 2014, Katalog-Nr. 21, S. 168–170. Die bisher einzige Monographie zu den Antiquarie prospetiche Romane legte 1971 Doris Fienga vor, in der sie auch eine englischsprachige Übersetzung des Textes in lyrischer Form liefert. Fienga, Doris Diana, The Antiquarie Prospetiche Romane Composte per Prospectivo Melanese Depictore.
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Die Malerei in der Hierarchie der scientiae
Abb. 2.01: Prospectivo Melanese depictore, Frontispiz der Anti quarie prospetiche Romane, Holzschnitt, um 1496, Biblioteca Casanatense, Rom © Roma, Biblioteca Casanatense, MiBACT
das höchst wahrscheinlich 1496 in Rom gedruckt wurde, markiert bereits zwei thematische Schwerpunkte: das Antikenstudium in Rom sowie die Perspektivkünste eines Mailänder Malers.2 Das Frontispiz wird durch einen ganzseitigen Holzschnitt (Abb. 2.01) gestaltet, auf den beim Aufschlagen des Buches zwei Widmungssonette an Leonardo da Vinci und schließlich der Haupttext folgen, in dem qua Gedichtform und in einer Art hybridisiertem lombardischen A Document for the Study of the Relationship Between Bramante and Leonardo da Vinci, Los Angeles 1971, für die Übersetzung siehe S. 38–56. 2 Auf Datierung und Autorschaft des Buches wird im weiteren Verlauf des Kapitels näher eingegangen.
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Dialekt römische Bau- und Kunstwerke beschrieben werden. Außer auf dem Titelblatt sind im Buch keine weiteren Bilder abgedruckt. Dennoch entstand der Text sicherlich in enger Verbindung mit der Praxis des Zeichnens und Malens. Darauf verweisen zum einen der Titel des Buches mit der Beschreibung der anti quarie als ›perspektivisch‹ (»prospetiche«) sowie der Bezeichnung des Autors als Perspektivmaler (»prospectivo depictore«) und zum anderen mehrere Verse, in denen der Schreibende aus der Ich-Perspektive berichtet, dass er schlicht nicht genügend Tinte habe, um all die Dinge, die es in der römischen domus aurea zu sehen gebe, abzeichnen zu können – »che sol de lor copiar son senz’inchiostro« –, und dass er nicht müde werde, die antiken Spolien Roms zu zeichnen – »onde a ritrarle non satio mie voglie«.3 Auf dem Frontispiz zeigt zum Auftakt des Buches ein Holzschnitt im Hochformat einen nackten, glatzköpfigen Mann mit ausgeprägten Muskeln und markanten Kiefer- und Schädelknochen. Der Mann kniet am Boden inmitten eines Kreises, in den verschiedene geometrische Figuren eingezeichnet sind. Den linken Arm stützt er auf einen aufgespannten Zirkel, mit dem er ein Dreieck vermisst. Der rechte Arm ist leicht gebeugt nach oben gestreckt und hält eine Armillarsphäre zur Darstellung der Bewegung der Himmelskörper empor. Hinter dem Mann stehen links zwei Säulen und der Architrav einer antiken Ruine, mittig ein schmaler Baum und rechts ein mehrgeschossiger antiker Rundbau. In Relation zum Hintergrund wirkt der muskulöse Mann kolossal und zugleich aufgrund seiner s-förmig geschwungenen Körperhaltung sehr beweglich und elegant. Während er Kopf und Blick nach rechts neigt, lehnt er den Oberkörper zur Linken; das rechte Knie strebt nach vorn, der linke Unterschenkel und Fuß ragen in linearperspektivischer Verkürzung nach hinten und die Hüfte neigt zur Rechten. Die Beugungen und Wendungen der Figur nach links und rechts, vorne und hinten, oben und unten suggerieren eine spiralförmige Drehung. Zugleich wird das Bildfeld, in dem die Figur zur Darstellung kommt, durch den goldenen Schnitt bzw. die divina proportione proportioniert und der Kopf des die geometrischen Formen vermessenden Mannes an einem gewissermaßen göttlich inspirierten Ort im Bild positioniert (Abb. 2.02).4 Doris Fienga hat bereits 3 Zu den Zitaten siehe: Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane, Verse 204 und 363, S. 18 und 27. Vgl. auch: Tura, »Antiquarie prospetiche romane«, S. 199 f.; Adolfo Tura korrigiert zu Recht Dante Isellas Prosa-Übersetzung für Vers 363 und übersetzt »ritrarle« mit »copiarle in disegno« anstatt mit »descriverle«; Doris Fienga übersetzt ebenfalls passend mit »drawing«, siehe: Fienga, The Antiquarie Prospetiche, S. 55. Zudem sei angemerkt, dass die Schreibweise des Wortfeldes Perspektive zwischen prospectivo / a , prospetico / a oder auch prospetia und damit lateinischen und italienischen Prägungen variiert. 4 Die Aktualität, Aushandlungen und epistemologischen Implikationen des Konstruktionsprinzips des goldenen Schnitts bzw. der divina proportione zur Zeit der Entstehung des Antiken-Buches werden in den Unterkapiteln 2.2 sowie 2.3.1 eingehend besprochen.
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Abb. 2.02: Prospectivo Melanese depictore, Frontispiz der Antiquarie prospetiche Romane, Holzschnitt, um 1496 (mit Vermessungslinien von Mira Becker-Sawatzky)
auf die Anwendung des goldenen Schnitts im Titelblatt des Antiken-Buches hingewiesen und sie als Veranschaulichung Vitruvianischer Ideale aufgefasst.5 Im Verlauf des vorliegenden Kapitels wird durch einen umfassenden Blick auf das Umfeld des Mailänder Perspektivmalers im spätquattrocentesken Mailand deutlich werden, dass der goldene Schnitt als divina proportione in interdisziplinären Gelehrtenkreisen aktuelles Thema war, eingehend erörtert und auf eine wissensgeschichtlich interessante Weise konzeptualisiert wurde, die gerade auch für den Autor der Antiquarie prospetiche Romane anregend gewesen sein mag. In jedem Fall demonstriert das programmatisch auf dem Titelblatt platzierte Bild 5 Siehe: Fienga, The Antiquarie Prospetiche Romane, S. 68.
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des muskulösen, elegant gedrehten und mit unterschiedlichen Vermessungsinstrumenten vor einem antiken Setting operierenden Mannes ein komplexes Interesse an bzw. vielseitiges Wissen um Geometrie, Perspektive, Antike, Anatomie und Astrologie. Mit seiner kunstvollen Körperhaltung steht der Mann in Verbindung mit den ihn umgebenden Wissensbereichen und tritt zugleich als Protagonist gelehrter Disziplinen in Erscheinung. Gerahmt wird das Bild von einem wellenförmigen Schmuckband mit einem eingekreisten P auf der linken vertikalen Achse und einem M auf der rechten – vermutlich als die Initialen des prospectivo Melanese. Auf das Titelblatt folgen die Widmungsgedichte, in denen Leonardo im Wettstreit mit antiken Künstlern für sein Können in Bildhauerei und Zeichnung und v. a. sein Projekt des gigantischen Reiterstandbildes Francesco Sforzas gerühmt wird.6 Der anschließende Haupttext besteht aus 133 Terzinen und einem ungebundenen Vers zum Abschluss. Die Sprache ist eigenwillig und eine Form frühneuzeitlichen lombardischen Dialekts, der das volgare mit lateinischen Ausdrücken und Wortschöpfungen des Autors sowie phonetischen und lexikalischen Einstreuungen mittelitalienischer Provenienz mischt.7 Eingangs stellt sich der 6 Im ersten Widmungsgedicht heißt es: »[F]acendo a nui visivo d’arte fusa / sopr’ un caval el padre Lodovico. / […] magnera quel de Phidia e Praxitello. / Non fer li antiqui mai sì gran scultura / […].« Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane, S. 3. Im zweiten Sonett wird Leonardo mit seinen Werken qua Wortspiel gerühmt: »Victoria vince e vinci tu victore, / vinci colle parole, un proprio Cato, / e col disegno di sculpir sì grato / che honor ti porti col ferro pictore / Tal che dell’arte tua ogni auctore / resta dal vostro stil vinto e privato; / di Scopa pare el tò lavore ornato / o Praxitel che fu vero sculptore, / Po’ che di marmo fa Vinci un col core / divino aspecto sopra ogn’alto intaglio, togliendo de l’antichi el bon valore. / […].« Ebd., S. 5 f. Siehe zu den Widmungssonetten auch Kapitel 3.2. Zur Referenz der Verse auf ein Gedicht des Hofdichters Baldassare Taccone von 1493 über Leonardos Reiterstandbild siehe: Farago, Claire J., Leonardo da Vinci’s Paragone. A Critical Interpretation with a New Edition of the Text in the Codex Urbinas, Leiden / New York 1992, S. 35; zu Taccones Gedicht siehe auch: Beltrami, Luca, Documenti e memorie riguardanti la vita e le opere di Leonardo da Vinci in ordine cronologico, Mailand 1919, S. 209. 7 Eine solch ungeregelte Mischung von dialektalem volgare, Latein und neuen Wortschöpfungen findet sich im Mailänder Umfeld jener Zeit in mehreren Texten, z. B. in der ersten gedruckten, volkssprachlichen und illustrierten Edition von Vitruvs lateinischem Architekturbuch des Mailänders Cesare Cesariano: Cesariano, Cesare, Di Lucio Vitruvio Pollione de architectura libri dece, Gottardo da Ponte, Como 1521. Siehe zur Sprachmischung: Rovetta, Alessandro, »Note introduttive all’edizione moderna del primo libro del Vitruvio di Cesare Cesariano«, in: Cesare Cesariano e il classicismo di primo Cinquecento, Mailand 1996, S. 247–308, S. 258 f. Das Digitalisat der editio princeps von Cesarianos übersetzter und kommentierter Vitruv-Ausgabe ist online einsehbar unter: http://architectura.cesr. univ-tours.fr/traite/Images/BPNME276Index.asp (zuletzt eingesehen am 22.07.2020). Tura verweist bzgl. des literarischen Experimentierens mit sprachlicher Hybridität auch auf mögliche Referenzen zu Burchiello, dessen Schriften in Mailand zu jener Zeit kursierten, wie u. a. eine Inventarliste von Leonardos Mailänder Büchern zeigt; Tura merkt weiter-
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prospectivo Melanese depictore als Antikenliebhaber vor und formuliert den Anspruch, Wissen über die teils schon stark beschädigten Bau- und Kunstwerke Roms zu vermitteln und endlich seinem lieben »socio« Leonardo zu schreiben.8 In temporeicher und unvermittelter Aneinanderreihung werden anschließend zahlreiche Kunstwerke aus verschiedenen römischen Sammlungen aufgezählt und in poetischer Kürze ›beschrieben‹. Die Aufmerksamkeit liegt auf den unterschiedlichen Materialien der Werke, auf Wirkungsästhetik und Bewegungsmotiven sowie auf geometrischen Formen und astrologischen Bezügen – Aspekte, die größtenteils nahtlos an das programmatische Titelblatt anknüpfen und das Erkenntnisinteresse des Mailänder Malers verdeutlichen.9 Innerhalb der Aufzählungen sticht eine Werkbesprechung allerdings durch ihren vergleichsweise großen Umfang hervor und eröffnet einen wertvollen Einblick in die Vorstellung eines Wissensmodells. Es handelt sich um die Thematisierung eines als Academia di Virgilio bezeichneten römischen Bauwerks: Eraci di Virgilio una cademia edificata nel più bel di Roma et hor d’intorno a llei vi si vendemia. Erano septe scole all’alto soma, de fin colonne alla circumferentia, et hor ve ne son tre che aqua cola.
hin an, dass die Metrik der Antiquarie prospetiche Romane der didaktischen Dichtung des 15. Jahrhunderts entspricht. Siehe Tura, »Antiquarie prospetiche romane«, S. 199; Vgl. auch: Aldovini, »Anonimo lombardo (Bramantino?), Frontespizio delle Antiquarie prospetiche Romane«, S. 170; für eine sehr detaillierte Analyse der Sprache des Antiken-Buches siehe zudem: Isella, Lombardia stravagante, S. 39–73. 8 Siehe: Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane, S. 7 f. 9 Zu den Themen und Motiven vgl. folgende Zusammenstellung beispielhafter Passagen (hier in der Prosa-Übersetzung): »Dove si incontrano rovine di serpentino, marmo, creta, porfido, alabastro e altre gemme, ci stanno, di mano eletta di Fidia e Prassitele, due cavalli colossali […]. Poi in casa di un certo mastro Andrea c’è un torso ignudo, senza braccia e senza collo, di cui non ho mai visto, in pietra, un migliore. […] Molte cose poi hanno certi Maffei: vi è un nudo giacente, vinto da sopore, che mi fa spesso colare gli occhi dal pianto; […]. [C]’è un nudo che sta seduto, tutto coperto, tranne il piede sinistro, di un velo, che fa meravigliare chiunque lo vede; e una ninfa, postata sul piede sinistro, che si tiene la mano corrispondente sopra i fianchi, cinta di un bel velo bianco diafano […]. [C]’è un colle pieno di figure dipinte, tanto buono, o Leonardo nostro, che fa sudare i capelli a chiunque lo vede: meduse e arpie, priapi e mostri, driadi e amadriadi e ornamenti scenografici […]. È edificata una grande tomba […] [con] corpi con i semicerchi e pentagoni, ottagoni e tetràgoni e sfere di pietra, linee rette parallele e angoli […]. C’era lo stipendio del cavaliere delle acque […] circolare come il Colosseo […] innalzato su tre ordini di colonne, ciascuno con una cornice di ottone dorato e un rivestimento di marmo granito. Il primo colonnato era di porfido: lo formò Marte […] il secondo ordine era di Giove: di serpentino […].« Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane, S. 9, 11, 18 f., 21 f.
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Ciascuna havea per sé la sò scientia, più alta o bassa circuita altorno, qual danno de’ pianeti l’influentia. Era la prima, più propinqua ’l giorno, Astrologia che germina l’incanto, el quale hospitio dato er’ a Saturno. De sott’è Iove con el dolce canto, Musica ditta a llaudar Maria Che l’homo spegnie dall’arido pianto. Era la terza poi Geometria, ché porgi all’architator la ritta giona Marte col fondo de la prospetia, El quarto è quello che la vista introna, e d’Aritmetrica in ver è ’l ginatio che ci diriza per via ritta e bona. Retorica d’udirla mai son satio, ch’al quinto solio stava, et ancor Venere tutta contraria al casto e bel topatio. Mercurio poi experto in tutto genere Loica instruisce e fa l’homo practico Mostrando el falso vero e ’l duro tenere. Septimo vedi poi esser Grammatico, dove è più basso alla terra vicina, questo produce in fond’ el ciel lunatico.10 10 Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane, Verse 286–315, S. 23– 25. In der englischen Übersetzung von Doris Fienga: »There was the Virgilian Academy / built in the most beautiful part of Rome / around which I now see vines. // Seven levels [scole] gave majestic height, / each with fine columns around the periphery; / Now three levels stand from which water falls. // Each level was dedicated to a science / w ith the style of each colonnade / indicating the influence of the planets. // The first, located closest to the sky, / was dedicated to Astrology, the genitive of wonder / and was the abode given to Saturn. // The next, for Jupiter, was dedicated to sweet song / and music suitable to praise Mary / and thrust man out of his arid sadness. // The third, ruled by Mars, was given to Geometry: / source of lucid judgement for architects / and the foundation of perspective. // The fourth, ruled by the Sun, was given to Arithmetic / which bequeaths insight / and guides men into a straight and good path. // Rhetoric which wears me not, was fifth in level / and so was the presiding Venus, / opposite to the beautiful and chaste Sun. // The next honors Logic, ruled by Mercury, / which makes man astute and practical, / and able to discern firm truth from soft falsehood. // The seventh, being closest to the earth / ruled by the Moon, represents Grammar / which like the moon in the sky clari fies.« Fienga, The Antiquarie Prospetiche Romane, S. 51 ff. Zu Bedeutungen des Wortes »scola / schola« im frühneuzeitlichen Sprachgebrauch (u. a. als Bezeichnung für Orte der Bildung, der Zusammenkunft von Korporationen, aber auch für architektonisch gestaltete Rastplätze in der Stadt) siehe den Eintrag »schola« von Guido Calza und Raffaello Morghen in der Enciclopedia italiana (1936), einsehbar unter http://www.treccani.it/ enciclopedia/schola_%28Enciclopedia-Italiana%29/ (zuletzt eingesehen am 22.07.2020).
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Vorgestellt wird eine Art mehrstöckiger Wissenstempel, der aus den sieben Schulen bzw. scientiae der artes liberales besteht; auf der oberen Etage residiert die Astrologie, gefolgt von Musik, Geometrie, Arithmetik, Rhetorik, Logik und Grammatik.11 Der Mailänder Künstler stellt in diesen Versen eine imaginierte Rekonstruktion des 202 n. Chr. erbauten Septizodiums am Fuße des Palatins vor, welches im 15. und 16. Jahrhundert auch als settesoli und schola di Virgilio bekannt war.12 Ende des Quattrocento war von der einst monumentalen Brunnenanlage mit Skulpturen (u. a. der sieben Planetengötter) nur noch ein dreistöckiges Fragment mit Kolonnaden erhalten.13 Um 1476 hatte bereits ein anderer anonymer lombardischer Meister den ruinösen Bau des Septizodiums in einem Codex zu Bauten, Kunstwerken und Festen des antiken Roms in einer ganzseitigen Zeichnung dargestellt und Proportionen, Maße, Bauweise und Erhaltungszustand der schola beschrieben (Abb. 2.03).14 Zudem integrierte Macrino d’Alba das Motiv der Ruine 1496 in 11 Das aus der Spätantike transferierte und im 15. Jahrhundert gewissermaßen konventionelle Modell der artes liberales – unterteilt in Trivium (Grammatik, Rhetorik und Dialektik) und Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) – verleiht den sieben Wissensdisziplinen höchsten Geltungsanspruch; »the scheme of the seven liberal arts«, so erläutert bspw. Paul Kristeller, »served not only for a comprehensive classification of human knowledge but also for the curriculum of the monastic and cathedral schools down to the twelfth century.« Bis ins Cinquecento hinein galt dieses Modell als Maßstab der höheren Bildung, an dem sich andere Disziplinen in der Nobilitierungsdebatte zu messen hatten. Siehe: Kristeller, Paul Oskar, »The Modern System of the Arts: A Study in the History of Aesthetics (I)«, in: Journal of the History of Ideas, 12/4 (1951), S. 496–527, S. 507. 12 Zum Septizodium siehe: Lusnia, Susann S., »Urban Planning and Sculptural Display in Severan Rome: Reconstructing the Septizodium and Its Role in Dynastic Politics«, in: American Journal of Archaeology, 108/4 (2004), S. 517–544, v. a. S. 520–524; Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane, S. 109–112 (siehe dort den Kommentar Dante Isellas). Zu frühneuzeitlichen Bezeichnungen des Septizodiums, wie sie in bildkünstlerischen Werken festgehalten sind, siehe unten Anm. 15. Christina Fumarco merkt (leider ohne Quellenangaben) zudem an, dass sich die Bezeichnungen scuola und accademia di Virgilio auch in zahlreichen Pilgerreiseführern finden. Fumarco, Cristina, »›E molti ne aveva summa deletatiorie‹. Architetture, spettacoli e feste romane nel racconto e nei disegni del Taccuino di Salisburgo«, in: Arte Lombarda, nuova serie, 167 (2013), S. 52–80, hier Anm. 91. 13 Für eine Rekonstruktion des Septizodiums, mögliche Funktionsweisen und Bedeutungen des Skulpturenprogramms siehe: Lusnia, »Urban Planning«, S. 541. 14 Zum Codex Monumenta antiqua romana siehe: Fumarco, »›E molti ne aveva summa deletatiorie‹«; sowie den Eintrag in der digitalen Sammlungspräsentation der Universitätsbibliothek Salzburg: http://www.ubs.sbg.ac.at/sosa/handschriften/mIII40.htm (zuletzt eingesehen am 22.07.2020). Die Sprache, die gewählte Vermessungsweise und die Erwähnung vom Tod des Mailänder Herzogs Galeazzo Maria Sforza im Codex weist deutlich auf den lombardischen Kontext des Künstlers hin. Siehe bspw. folgende Textstelle, die neben der Zeichnung des Septizodiums zu lesen ist: »Questo edificio si è posto in Roma, el quale è adimandato Schola grecha
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Abb. 2.03: Lombardischer Künstler, Septizodium, aus dem Codex Monumenta antiqua romana, Zeichnung und Text mit Feder und Tusche / Papier, Universitätsbibliothek, Salzburg, Ital. M III 40, f. 21r © Universitätsbibliothek Salzburg, Handschriftensammlung, M III 40, 21r
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Abb. 2.04: Macrino d’Alba, Thronende Madonna mit Kind und den Heiligen Hugo von Langres und Hugo von Canterbury, Auferstehung Christi, die Evangelisten Matthäus und Lukas, Markus und Johannes, 1496, Polyptychon, Tempera / Holz, 285 × 170 cm, Kapelle des Heiligen Hugo, Certosa di Pavia © Bologna, Fototeca Zeri
die Hintergrundgestaltung eines Seitenflügels seines Polyptychons (Abb. 2.04) für die Certosa di Pavia nahe Mailand.15 Macrino und der prospectivo Melanese depictore teilten dabei nicht nur Interesse am und Kenntnis vom Septizodium [durchgestrichen] ed era parte de palazo mazore posto a levante. E dito edificio seguitava molto lungeza, sechondo che dimostra questa parte che è ora in piedi. notati che l’era un porticho aperto chon le log[g]ie di sopra; dal lato di dreto li era dui lochi secreti da poter andar da locho a locho: uno de esti lochi si ruvinò a tempo mio, quando el duca Galeazo fu morto, per le neve e giazi che fu a Roma in queli tempi.[…].« Zitiert nach: Fumarco, »›E molti ne aveva summa deletatiorie‹«, S. 70, Anm. 92. 15 Zahlreiche weitere Zeichnungen, Drucke und Gemälde bezeugen das Interesse an der Ruine im Verlauf des 16. Jahrhunderts. Vgl. z. B. eine Zeichnung von Giuliano da Sangallo mit der Beschriftung »Questa è la facata di Setensoli in Roma la quale si dice che fu la squola di Vergilio« (Vatikanstadt, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Codex Vaticano Barberiniano latino 4424, f. 30) oder eine Federzeichnung von Marten van Heemskerck (1532– 1535, Rom, Istituto Nazionale per la Grafica, inv. FN 491/F. N. 3381r). Siehe auch Isellas Kommentar in: Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane, S. 110 f.
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Abb. 2.05: Leonardo da Vinci, Der heilige Hieronymus in der Wüste, um 1490, Öl, Tempera / Walnussholz, 103 × 75 cm, Palazzi Vaticani, Pinacoteca Vaticana, Vatikanstadt © Bologna, Fototeca Zeri
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Abb. 2.06: Apollonios, männlicher Torso – sogenannter Torso Belvedere, Fragment, 1. Jahrhundert v. Chr., Marmor, 159 cm hoch, Museo Pio Clementino, Vatikanstadt © Photo Scala, Florence
(und nebenbei bemerkt bspw. ebenso der Grotesken der domus aurea).16 Auch Bewegungsmotiv und Anatomie der Christusfigur im Altarbild und des Knienden im Holzschnitt scheinen durchaus verwandt. Der sich drehende, kniende und muskulöse Mann des Holzschnitts kann zugleich auf eine Figur referieren, die wohl maßgeblich durch Leonardos Gemälde des Heiligen Hieronymus (Abb. 2.05) in Mailänder Künstlerkreisen prominent wurde, wie zwei Zeichnungen der Figur in Vorder- aber auch Rückansicht aus Leonardos direktem Umfeld zeigen.17 Es ist naheliegend, dass eine (vermutlich antike) Skulptur gemeinsames 16 Im Altarbild finden sich Grotesken am Fuß von Mariens Thron; in den Antiquarie prospetiche Romane werden sie im Zusammenhang mit der domus aurea thematisiert, im Zuge dessen vermutlich erstmals der Begriff der grottesche schriftlich festgehalten ist. Siehe dazu Kapitel 4.1. 17 Leonardos Hieronymus wird aufgrund seiner intensiven Rezeption im lombardischen Kunstdiskurs, der anatomischen Durchdringung der Figur und der Verwendung von Walnussholz als Malgrund auf die Zeit um 1490 datiert. Siehe: Bora, Giulio, »Dalla regola alla natura: Leonardo e la costruzione dei corpi«, in: Leonardo. Dagli studi di proporzioni al Trattato della Pittura hg. v. Pietro C. Marani und Maria Teresa Fiorio, Mailand 2007, S. 29–39, S. 33 f.; Bambach, Carmen, »Leonardo da Vinci, Saint Jerome Praying in the Wilderness«, in: Leonardo da Vinci. Masterdraftsman, Ausst.kat., hg. v. ders., New York
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Studienmodell für jene Zeichnungen, Leonardos Gemälde, aber auch jenes in der Certosa sowie womöglich ebenso den Holzschnitt war.18 Für letzteren konnte bspw. auch gleichermaßen der marmorne Torso von Apollonios (Torso Belvedere, Abb. 2.06) modellhaft sein, mit dem der Mann des Holzschnitts die Schulterrotation und entgegengesetzte Drehung des Beckens gemein hat und den der prospectivo Melanese depictore nach eigenen Angaben in der Sammlung des lombardischen Bildhauers Andrea Bregno in Rom studiert hatte: »Poi in casa di un certo mastro Andrea c’è un torso ignudo, senza braccia e senza collo, di cui non ho mai visto, in pietra, un migliore«.19 Der Blick auf die lose miteinander verwobenen Zeichnungen und Gemälde lässt gemeinsame Themen und Interessen an Bewegungsmotiven erkennen, die Hinweise auf eine Art Studiennetzwerk im lombardischen Diskurs geben, das sich eingehend mit antiken Kunstwerken Roms, Proportions- und Bewegungsdarstellungen sowie Modellen von Wissensdisziplinen bzw. einer Hierarchie der scientiae auseinandersetzte.20 Insbesondere die Frage nach der Interaktion der Bildkünste bzw. Bildkünstler mit unterschiedlichen Wissensbereichen scheint die Aufmerksamkeit des Mailänder Perspektivmalers für das Septizodium zu fundieren, das ausführlich thematisiert, rekonstruiert oder vielmehr imaginär entworfen wird. Und während das Septizodium frühneuzeitlich in unterschiedlichen Texten und Bildern als schola, accademia und mitunter auch als »septem omnium scientiarum domus« bezeichnet wird, sind die Antiquarie prospetiche Romane der einzige bekannte Text, in dem die Ruine der römisch-antiken Brunnenanlage mit ihrem Bildprogramm detaillierter zur Sprache gebracht und ausgestaltet wird.21 Der Mailänder Künstler präsentiert
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2003, Katalog-Nr. 46, S. 370–379; Nethersole, Scott, »Leonardo da Vinci, Saint Jerome, about 1488–90«, in: Leonardo da Vinci. Painter at the Court of Milan, Ausst.kat., hg. v. Luke Syson und Larry Keith, London 2011, Katalog-Nr. 20, S. 138–141. Die Zeichnungen des knienden Mannes in Rückenansicht aus Leonardos Umfeld finden sich in Mailand, Biblioteca Ambrosiana, Cod. F. 263 inf. 96 sowie in Windsor, Royal Collection, RL 12571. Zu einer (antiken) Skulptur als gemeinsames Modell siehe: Kwakkelstein, Michael W., »The Limited Impact of Leonardo da Vinci’s Ideas on Painting in Sforza Milan«, in: artibus et historiae. an art anthology, 77/39 (2018), S. 77–98, S. 81; Nethersole, »Leonardo da Vinci, Saint Jerome«, S. 141. Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane, S. 9. Siehe auch den Kommentar Isellas, ebd., S. 47 f. Zur Prominenz des Torso Belvedere während des Quattro- und Cinquecento siehe: Summers, David, »Contrapposto: Style and Meaning in Renaissance Art«, in: The Art Bulletin, 59/3 (1977), S. 336–361, S. 337 ff. Siehe zum frühneuzeitlichen Begriff der scientia / scienza im Kontext der Fallstudien der vorliegenden Arbeit: Kapitel 1.1; zu Leonardos scientia-Begriff siehe Kapitel 2.3.1. In dem um 1411 verfassten Tractatus de rebus antiquis et situ urbis Romae z. B. wird der römische Bau als Haus der sieben scientiae bezeichnet (»septem omnium scientiarum domus«) (Vatikanstadt, Biblioteca Apostolica Vaticana, Urb. Lat. 984), zitiert nach dem editorischen Kommentar in: Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane, S. 110.
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mit seiner poetischen Imagination eine Akademie der scientiae und korreliert jene mit den Planeten Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur und Mond. Diesen scientiae-Planeten-Konstellationen wiederum werden Funktionen in Erkenntnisprozessen und im wissensgeleiteten Gestalten zugeschrieben. Von besonderem Interesse mit Blick auf den epistemologischen Status der Bildkünste ist, dass der Mailänder Maler die Perspektive, prospetia, als maßgeblichen Teil der Geometrie explizit in die Hierarchie der scientiae aufnimmt: Die Perspektive ermögliche es Mars, dem Architekten den richtigen Weg zu weisen (»Era la terza poi Geometria, / ché porgi all’architator la ritta giona / Marte col fondo de la prospetia«).22 Der Architekt ist dabei vermutlich im vitruvianischen Sinne als Universalgelehrter zu verstehen und die Perspektive als ein Wissenszugriff bzw. -instrument über die Baukunst hinaus. Kurz nach der imaginierten (Re-)Konstruktion des Septizodiums wird das Thema des Wissensmodells in den Antiquarie prospetiche Romane erneut relevant, wenn es um das Bronze-Grabmal Sixtus’ IV. von Antonio Pollaiolo (Abb. 2.07) geht, in welchem Philosophie, Theologie, Geometrie, Musik, Perspektive, Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Astrologie und Arithmetik als personifizierte scientiae in einzelnen Bildfeldern um das Ganzkörperporträt des Papstes herum angeordnet sind.23 Fokussiert wird in den Versen der Antiquarie prospetiche Romane v. a. die perspektivische, plastische und anatomische Gestaltung der »virtù, muse e scientia«: Evi una tomba di corpo fusario Del quarto di Savona gran pastore com’ove giaque el nemico di Dario. Tutt’è di bronzo e par che sporti infore, ornato di virtù, muse e scientia, di laude cinto, premio et honore. […] 22 Eine beinah identische Kombination von scientiae und Planeten findet sich in Dantes Convivio (um 1303–1306, Buch 2, Kapitel XIII), in dem die Perspektive als Schwester der Geometrie präsentiert wird. Die Reihenfolge der scientie ist bei Dante allerdings eine andere. Der Text ist u. a. online einsehbar über die Webpräsenz des Projekts DigitalDante der Columbia University: https://digitaldante.columbia.edu/text/library/convivioitalian/#anchor29 (zuletzt eingesehen am 22.07.2020). Auf die Parallele zu Dantes Convivio verweist Isella in: Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane, S. 112. 23 Wichtige Quellen für Pollaiolos Auswahl der scientiae waren vermutlich Martianus Capellas De nuptiis Mercurii et Philologiae (verfasst 410–429) sowie Texte von Gundissalinus, Aegidius Colonna und Kilwardby, die gerade auch die Perspektive (im Sinne von Optik) als Teilbereich der scientiae benennen, wie Leopold Ettlinger herausgearbeitet hat. Siehe: Ettlinger, Leopold D., »Pollaiuolo’s Tomb of Pope Sixtus IV.«, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 16/3 und 4 (1953), S. 239–274, S. 260 f.
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Abb. 2.07: Antonio Pollaiolo, Prospectiva, Detail, Grabmal von Papst Sixtus IV, Bronze, Museo di San Pietro, Sankt Peter, Rom © Bologna, Fototeca Zeri
Et Anton Polli fé ’l proprio modello per nothomia et ogni nervo et osso como facto l’havessi Praxitello.24
Betrachtet man die langgliedrigen Frauenfiguren des Bronzegusses mit ihren detailliert ausgearbeiteten Händen und Füßen, muskulösen Armen sowie variationsreichen, gewundenen Posen (bspw. bei der Figur der Geometrie), wird die Rede vom »par che sporti infore« gut nachvollziehbar. Mit einem Zirkel konstruiert die Geometrie zwei Dreiecke in einem Kreis – ähnlich des Mannes im Titelblatt der Antiquarie prospetiche Romane. Noch naheliegender erscheinen interpikturale Bezüge zwischen Frontispiz und römischem Bronzegrabmal mit Blick auf die Figur der Prospectiva mit Armillarsphäre und Baumstämmchen, Kopfneigung und eleganter Handhaltung (Abb. 2.07). Auch das wellenförmige 24 Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane, v. 334–348, S. 26. In der Prosa-Version: »C’è una tomba fusa in metallo di Sisto IV, gran pastore di Savona, come quella in cui fu sepolto il nemico di Dario. È un monumento tutto di bronzo e pare sporgere in fuori, ornato di Virtù, Muse e Scienze, cinto di lodi, premi e onori. […] E Antonio Pollaiolo lo modellò anatomicamente in ogni nervo e osso, come l’avesse fatto Prassitele.« Ebd.
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Schmuckband des Bildrahmens findet sich in beiden Werken. Aspekte der bronzenen Prospectiva und Geometria sind gewissermaßen in der gedrehten Figur des nackten Mannes im Antiken-Buch zusammengeführt, der – gleichsam des Perspektivmalers – mehrere scientiae zugleich bündelt bzw. anwendet und kontempliert. Bücher, wie Pollaiolos Personifikationen sie aufgeschlagen bei sich haben, sind im Frontispiz der Antiquarie prospetiche Romane motivisch nicht präsent, vielmehr ist das Titelblatt selbst Teil eines Buches und eröffnet es sogar programmatisch.25 Frontispiz und Text des Antiken-Buches verdeutlichen also eine eingehende Auseinandersetzung des Mailänder Perspektivmalers mit der Thematik der scientiae und insbesondere der Perspektive und Geometrie, aber ebenso mit Anatomie, Proportion und Bewegungsdarstellung sowie mit antiken und zeitgenössischen Kunstbeständen Roms. Integrales Element dieser Interessenskonstellation ist dabei die Erörterung eines Modells der scientiae und deren Ineinandergreifen mit dem bildkünstlerischen Schaffen. In Anbetracht des lombardischen Dialekts des Textes, der sprachlichen Machart des Gedichts sowie der interpikturalen Bezüge des Frontispizes zu anderen Werken der lombardischen bildkünstlerischen Praxis ist die Aufbereitung und Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex wohl v. a. auf Rezipienten aus dem lombardischen Diskurskontext ausgerichtet. Deren bereits in den oben erwähnten Codices und Bildwerken evident werdendes Interesse an und Wissen von antiken Kunstwerken in Rom konnte in den Antiquarie prospetiche Romane durch unzählige Werksbesprechungen weiter vertieft werden.26 Insbesondere im Mailänder Kontext lässt sich eine intensive Auseinandersetzung mit Rom und seinen antiken Bau- und Kunstwerken, aber auch den antiken Ursprüngen der lombardischen Metropole als einstiger römischer Kolonie nachverfolgen.27 25 Leopold Ettlinger verweist darauf, dass es sich bei den Büchern der Bronze-scientiae um Schriften Euklids (Elementa) und Peckhams (Perspectiva) handle: Ettlinger, »Pollaiuolo’s Tomb of Pope Sixtus IV.«, S. 255 f., 258 f. 26 Zu nennen wäre an dieser Stelle bspw. auch noch der Codex Rovine di Roma (Mailand, Biblioteca Ambrosiana, Cod. S. P. 10/33), der rund 80 Zeichnungen von Grundrissen und Fassaden antiker römischer Bauten mit Kurzbeschreibungen beinhaltet und der wohl von einem Künstler aus dem Mailänder Umfeld Leonardos und Bramantes angefertigt wurde. Siehe auch weiter unten Kapitel 3.4.2 (Abb. 3.26) sowie: Mongeri, Giuseppe, Le rovine di Roma al principio del secolo XVI. Studi del Bramantino (Bartolomeo Suardi). Da un manoscritto dell’Ambrosiana di 80 tavole, Mailand 1875; Fumarco, Cristina, »Un Lombardo tra i sepolcri della campagna romana: nuove proposte per il codice delle ›Rovine di Roma‹«, in: Tracce di letteratura artistica in Lombardia, hg. v. Alessandro Rovetta, Bari 2004, S. 3–60; Granieri Phillips, Maria A., »Nuove ricerche sul codice ambrosiano sulle rovine di Roma«, in: Arte lombarda. Rivista di Storia dell’Arte, 64 (1983), S. 5–14. 27 Siehe: Agosti, Giovanni, Bambaia e il classicismo lombardo, Turin 1990. Für eine Aufzählung von Sammlern antiker Kunst in Mailand siehe ebd., S. 66. Vgl. auch: Agosti, Giovanni, »Sul gusto per l’antico a Milano, tra regime sforzesco e dominazione francese«, in: Prospettiva, 49 (1987), S. 33–46; Schofield, Richard, »Avoiding Rome: an Introduction
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Zahlreiche lombardische Künstler hielten sich dementsprechend längere Zeit in Rom auf, unter ihnen Ambrogio de Predis, Bernardo Zenale und Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino.28 Welcher der Mailänder Künstler sich nun hinter dem prospectivo Melanese depictore verbirgt, in welchem Jahr und an welchem Ort die Antiquarie prospetiche Romane gedruckt wurden, ist nicht explizit dokumentiert. Aufgrund der erwähnten Kunstwerke und Personen sowie der Abschrift des Textes und der Reproduktion des Holzschnittes im 1504 fertiggestellten Liber antiquitatum cum epigrammatibus Hartmann Schedels ist das Antiken-Buch des Mailänders zwischen 1495 und 1503 zu datieren.29 Eine präzisere Datierung auf das Jahr 1496 ermöglicht jedoch die Typographie des Buches, dessen Lettern bzw. Druckstock deutliche Hinweise auf die Zusammenarbeit der römischen Druckerei von Johann Besicken mit Andreas Freitag geben, die in eben jenem Jahr nachgewiesen ist.30 Die Frage der Autorschaft des Buches ist intensiv diskutiert, doch nur eine Identifikation des prospectivo Melanese depictore mit Bramantino kann letztlich überzeugen.31 Bramantino war ein Ende des 15. und im Verlauf des 16. Jahrhunderts als Meister der Perspektive bekannter Mailänder Maler, der außerhalb der italienischsprachigen Kunstgeschichte bisher wenig Beachtung gefunden hat und dessen bildkünstlerische Position im epistemischen Agon in diesem und dem nachfolgenden Unterkapitel herausgearbeitet wird.32 Die Argumente für
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to Lombard Sculptors and the Antique«, in: Arte Lombarda. Rivista di Storia dell’Arte, 1 (1992), S. 29–44, v. a. S. 33. Siehe: Pederson, Jill, The Academia Leonardi Vinci. Visualizing Dialectic in Renaissance Milan (1480–1499), Baltimore 2007, S. 97–100. Dante Isella und Giovanni Agosti liefern einen Überblick der Forschungsdebatte um Datierung und Zuschreibung: Isella, »Le capre di Tivoli«; Agosti, »Cronaca delle ›Antiquarie‹«; vgl. aber auch: Tura, »Antiquarie prospetiche romane«; Aldovini, »Anonimo lombardo (Bartolomeo Suardi, detto il Bramantino?), Frontespizio delle Antiquarie prospetiche Romane«. Siehe hierzu weiter: Tura, »Antiquarie prospetiche romane«, S. 199 f.; vgl. auch Isella, »Le capre di Tivoli«, S. IX–XI. Vgl. für die Zuschreibung an Bramantino auch: Robertson, »Bramantino and the ›Historia‹«; Robertson, Charles, »Bramantino, ›prospectivo melanese depictore‹«, in: Giovanni Antonio Amadeo. Scultura e architettura del suo tempo, hg. v. Janice Shell und Liana Castelfranchi, Mailand 1993, S. 377–391, S. 378–383; Bora, »Dalla regola alla natura«, S. 33 f.; Aldovini, »Anonimo lombardo (Bartolomeo Suardi, detto il Bramantino?), Frontespizio delle Antiquarie prospetiche Romane«. Wenig überzeugend ist etwa eine Zuschreibung an Ambrogio de Predis, der zwar angesehener Maler am Sforza-Hof, socio Leonardos und während der 1490er-Jahre nachweislich in Rom war, dessen bildkünstlerisches Œuvre aber nicht derart eng mit dem Buch vernetzt ist, wie es bei Bramantino der Fall ist. Zur Zuschreibung an de Predis siehe: Agosti, »Cronaca delle ›Antiquarie‹«, S. LXXXVII–XC . In der italienischsprachigen Forschung des vergangenen Jahrzehnts hat Bramantino mit seiner Kunst zunehmend Aufmerksamkeit erhalten, wie insbesondere die zwei ersten monographischen Ausstellungen in Mailand (2012) und Lugano (2014) verdeutlichen. Ein
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eine Zuschreibung der Antiquarie prospetiche Romane an den Mailänder Suardi sind vielfältig: Die Sprache des Gedichts, die interessengeleitete und kenntnisreiche Betonung von Perspektive, Geometrie und Antikenstudium sowie die Art der Figurendarstellung auf dem Titelblatt, die im Text erwähnten antiken Kunstwerke und die Bekanntschaft mit dem Widmungsempfänger Leonardo sind allesamt Aspekte, die sich schlüssig mit Bramantino und seinem Werk in Verbindung bringen lassen. Bartolomeo Suardi nannte sich ab 1490 Bramantino und rekurrierte damit auf den aus Urbino stammenden Maler, Architekten, Dichter und Ingenieur Donato Bramante.33 Bramante hielt sich seit etwa 1481 in Mailand auf, war einer der prominentesten Künstler am Sforza-Hof und einschlägig als Meister der Perspektivmalerei bekannt, nicht zuletzt weil er den flachen Chorraum der Mailänder Kirche Santa Maria presso San Satiro freskiert und eine illusionistische Raumdarstellung mit starken perspektivischen Verkürzungen geschaffen hatte, die einen Tiefenraum evoziert.34 Bramantino arbeitete in Mailand bei mehreren Projekten mit Bramante zusammen und war zudem zeitgleich mit jenem und Leonardo in Santa Maria delle Grazie tätig gewesen.35 Bramantinos eindringliches Interesse und fundierte Kenntnisse der Perspektive und Geometrie sind in zahlreichen seiner Werke evident und Artikel in der Neuen Züricher Zeitung mit dem Titel Der Renaissance-Maler Bramantino. Ein grosser Unbekannter (21.12.2014, nzz, Feuilleton) bezeugt aber einmal mehr seinen relativ unbekannten Status. Vgl. auch Martin Kemps Beschreibung des Künstlers als »the underrated Bartolomeo Suardi (Bramantino) who exploited perspectival devices in devotional subjects with great imagination.« Kemp, Martin, The Science of Art. Optical themes in western art from Brunelleschi to Seurat, New Haven / London 1990, S. 43. Auch Ulrich Rehm, der nach Wilhelm Suidas fundamentalen Forschungsbeiträgen zu Bramantino Anfang des 20. Jahrhunderts einer der wenigen Kunsthistoriker im deutschsprachigen Raum ist, die das Werk des Mailänder Künstlers eingehender studieren, weist darauf hin, dass Bramantino erst in jüngerer Zeit ›wiederentdeckt‹ wurde. Rehm, Ulrich, Klassische Mythologie im Mittelalter. Antikenrezeption in der bildenden Kunst, Köln 2019, S. 330. Aus Suidas Forschung sei an dieser Stelle exemplarisch verwiesen auf: Suida, Wilhelm, »Die Spätwerke des Bartolommeo Suardi, genannt Bramantino«, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses, 26 ((1906/07) 1967), S. 293–372. 33 Siehe: Rehm, Ulrich, Stumme Sprache der Bilder. Gestik als Mittel neuzeitlicher Bilderzählung, München / Berlin 2002, S. 287 f. Zu Bramantes Stellung im Gelehrtenzirkel des Sforza-Hofes siehe eingehend Kapitel 2.3.1. 34 Siehe: Bandera, Sandrina / Passoni, Maria Cristina / Ceriana, Matteo, »Il cantiere ›moderno‹ di Santa Maria presso San Satiro«, in: Bramante a Milano. Le arti in Lombardia 1477–1499, Ausst.kat., hg. v. Matteo Ceriana, Emanuela Daffra, Mauro Natale und Cristina Quattrini, Mailand 2015, S. 33–53, S. 35; Pederson, The Academia Leonardi Vinci, S. 92. 35 Siehe: Rossi, Marco, »Rinnovamento artistico e cultura dell’Osservanza in S. Maria delle Grazie: nuove indagini sulla tribuna e la sua decorazione«, in: Arte Lombarda, 78/3 (1986), S. 25–35, S. 32 f. Bramantino und Bramante kollaborierten wohl u. a. bei der Ausmalung von Räumen des Castello Sforzesco und dem Fresko Argo (Kapitel 3.4.2, Abb. 3.25). Grundlegend für die Betrachtung des Verhältnisses von Bramante und Bramantino ist weiterhin: Suida, Wilhelm, Bramante pittore e il Bramantino, Mailand 1953.
Wissensordnungen im Antiken-Buch eines Mailänder Perspektivmalers
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werden in frühneuzeitlichen Quellen hervorgehoben (Kapitel 2.2).36 Giovan Paolo Lomazzo etwa bezeichnet ihn als einen der »veri prospettivi« unter den lombardischen Künstlern, denen an und für sich bereits besondere Perspektivkünste als Charakteristikum zugeschrieben werden.37 Lomazzo berichtet auch von »diversi libri di antichità« Bramantinos und zitiert umfassend aus nicht erhaltenen Schriften des Mailänder Malers zur Perspektive.38 Mitte der 1490erJahre bis 1501 ist Bramantino außerdem nicht in Mailand dokumentiert und war sehr wahrscheinlich in Rom.39 Dafür spricht die in seinen dann nachfolgend 36 Bramantinos perspektivische Darstellungen und seine Kunstfertigkeit in der Darstellung von scorci wird u. a. von Giorgio Vasari und Giovan Paolo Lomazzo lobend hervorgehoben, was in Kapitel 2.2 und 2.3.2 näher besprochen wird. Siehe hier auch: Vasari, Giorgio, Le vite de’ più eccellenti pittori, scultori, e architettori nelle redazioni del 1550 e 1568, hg. v. Rosanna Bettarini und Paola Barocchi, Bd. 5 (testo), Florenz 1984, S. 431 ff.; Lomazzo, Giovan Paolo, »Trattato dell’arte della pittura, scoltura ed architettura (1584)«, in: ders., Scritti sulle arti, hg. v. Roberto Paolo Ciardi, Bd. 2, Florenz 1974, S. 9–631, S. 274 f. Status und Ansehen Bramantinos werden nicht zuletzt durch seine oftmals bedeutenden Auftraggeber (siehe Kapitel 2.2), die Tätigkeit in den Vatikanischen Stanze 1508 sowie seine Ernennung zum Hof-Maler und -Architekten Francesco II Sforzas im Jahr 1526 deutlich. Siehe: Dell’Acqua, Alberto, L’opera completa di Bramantino e Bramante pittore, Mailand 1978, S. 7; Suida, »Die Spätwerke des Bartolommeo Suardi«, S. 299. Zu Bramantinos Œuvre und Auftraggebern siehe ausführlich: Natale, Mauro (Hg.), Bramantino. L’arte nuova del Rinascimento lombardo, Ausst.kat., Mailand 2014; Natale, Mauro (Hg.), Bramantino e le arti nella Lombardia francese (1499–1525), Mailand 2017; Agosti, Giovanni / Stoppa, Jacopo / Tanzi, Marco (Hgg.), Il Rinascimento nelle terre ticinesi. Da Bramantino a Bernardino Luini, Mailand 2010; Agosti, Giovanni / Stoppa, Jacopo / Tanzi, Marco (Hgg.), Bramantino a Milano, Ausst.kat., Mailand 2012. Auf Bramantinos Prominenz als Meister der Perspektivmalerei könnte laut Oscar Hagen auch Albrecht Dürers mögliche Referenz im Dresdner Altar (1496, Dresden, Staatlichen Kunstsammlung, Gal.-Nr. 1869) auf Bramantinos Anbetung des Kindes (um 1485, Mailand, Pinacoteca Ambrosiana) hinweisen. Der Nürnberger Meister mag das Bild während einer Italienreise 1495 in Mailand gesehen haben. Siehe: Hagen, Oscar, »Dürer und Bramantino. Ein Beitrag zum Problem der ersten italienischen Reise«, in: Kunstchronik: Wochenzeitschrift für Kunst und Kunstgewerbe, 26 (1915), S. 267–272, S. 268, 271 f. 37 Lomazzo, »Trattato«, S. 274 f. Den lombardischen Künstlern, so Lomazzo, »è propria questa parte [la prospettiva] sí come il disegno è peculiare de’ romani, il colorire di veneziani e le bizzarre invenzioni de’ germani.« Ebd. 38 Siehe Lomazzo, Giovan Paolo, Idea del tempio della pittura, Mailand 1590; Vgl. auch: Marani, Pietro C., »Disegno e prospettiva in alcuni dipinti di Bramantino«, in: Arte Lombarda, 100 (1992), S. 70–88, S. 71. Zu einer Abhandlung Bramantinos über die Perspektive schreibt Lomazzo: »Sovviemmi d’aver già letto in certi scritti alcune cose di Bartolomeo chiamato Bramantino, milanese, celebratissimo pittore, attenenti alla prospettiva, le quali ho voluto riferire […] affine che sappiamo qual fosse l’opinione di così chiaro e famoso pittore intorno alla prospettiva […].« Lomazzo, »Trattato«, S. 240. Die zitierten Textpassagen werden in Kapitel 2.2 eingehender besprochen. 39 Ein späterer Aufenthalt Bramantinos in Rom ist für das Jahr 1508 dokumentiert, als er in den Vatikanischen Stanzen für Papst Julius II . als Maler tätig war. Siehe: Dell’Acqua, L’opera completa, S. 7; Suida, Bramante pittore e il Bramantino, S. 53. Während der ersten beiden Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts waren mehrere lombardische Künstler an Projek-
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entstandenen Bildern anschaulich werdende intensive Antikenrezeption, die oftmals genau jene antiken Kunstwerke betrifft, die in den Antiquarie prospetiche Romane thematisiert werden. Charles Robertson merkt daher zu Recht an: »[Bramantino] alone, among Milanese painters known as experts on perspective, demonstrated a familiarity with the antique sculptures that are one of the principal topics of the short poem[.]«40 So diente bspw. die Marmorskulptur eines sterbenden Niobiden (1. Jahrhundert v. Chr., München, Glyptothek, Inv. Gl. 269) aus der römischen Sammlung Maffei – von der es im Gedicht des prospectivo Melanese depictore heißt »un nudo giacente, vinto da sopore, che mi fa spesso colare gli occhi dal pianto« – als Studienobjekt für den in starker perspektivischer Verkürzung am Boden liegend dargestellten nackten, wohl die Häresie symbolisierenden Mann in Bramantinos Altarbild Madonna mit Kind und den Heiligen Ambrosius und Michael (Abb. 2.08).41 Zudem weist das Titelblatt des Antiken-Buches enge Verwandtschaft zu Bramantinos Malerei auf: Gesichtstyp, Kopfform, Gestik und Armillarsphäre des knienden Mannes ähneln den Musen Erathon und Urania (Abb. 2.01, 2.09, Farbtafel 1).42 Der Holzschnitt und das Fresko Erathons teilen außerdem gemeinsame geometrische Konstruktionsprinzipen, wie im nächsten Unterkapitel dargelegt werden wird. Muskulatur sowie Anatomie des Hals-Schulterbereichs des Mannes auf dem Buchtitel stehen zudem Bramantinos auferstandenem Christus (um 1490, Madrid, Museo Nacional ten in Rom bzw. im Vatikan tätig, was einerseits mit diplomatischen Aktivitäten des französisch geführten Mailands in Verbindung gebracht wird. Andererseits hat aber sicherlich gerade auch Bramante nach seinem Wechsel von Mailand nach Rom Auftragsvergaben an lombardische Meister wie Bramantino vermittelt. Siehe: Campbell, Stephen J., The Endless Periphery. Toward a Geopolitics of Art in Lorenzo Lotto’s Italy, Chicago / London 2019, S. 65. 40 Robertson, »Bramantino and the ›Historia‹«, S. 23. Charles Robertson weist überzeugend darauf hin, dass zahlreiche antike Skulpturen römischer Sammlungen, die in den Antiquarie prospetiche Romane genannt werden, für Bramantinos Entwürfe der Tapisserie-Serie der Zwölf Monate modellhaft waren (1504–1509, Mailand, Castello Sforzesco, Museo degli Strumenti Musicali). Vgl. u. a. die Beinstellungen und Sitzhaltungen der allegorischen Figur des Novembers und der Jupiter-Statue der Sammlung Ciampolini (1.–2. Jahrhundert v. Chr., Neapel, Museo Archeologico Nazionale), die im Gedicht (Vers 24 f.) genannt wird. Siehe: Robertson, »Bramantino, ›prospectivo melanese depictore‹«, S. 378–383. 41 Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane, S. 9, 11. Siehe zu den perspektivischen Verkürzungen in der Darstellung des nackten Mannes und des grünen Frosches Kapitel 2.3.2, Anm. 236. Bramantinos Gemälde war ursprünglich ein Triptychon für den Hauptaltar der Mailänder Kirche San Michele alla Chiusa in Porta Nuova. Siehe: Agosti, Giovanni / Stoppa, Jacopo, »Bramantino: Madonna con il Bambino tra i Santi Ambrogio e Michele arcangelo«, in: Bramantino a Milano, Ausst.kat., hg. v. dens. und Marco Tanzi, Mailand 2012, Katalog-Nr. 11, S. 164–179. 42 Siehe auch: Aldovini, »Anonimo lombardo (Bartolomeo Suardi, detto il Bramantino?), Frontespizio delle Antiquarie prospetiche Romane«, S. 170.
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Abb. 2.08: Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Thronende Madonna mit Kind und den Heiligen Ambrosius und Michael – sogenannter Trittico di San Michele / Madonna delle torri, 1515–1520 ca., Altarbild, Tempera und Öl / Holz, 122 × 157 cm, Pinacoteca Ambrosiana, Mailand © Bologna, Fototeca Zeri
Abb. 2.09: Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Die Musen Urania und Erathon, Detail, Musenzyklus, 1501–1503, Fresko, studiolo, Castello di Voghera – Foto: privat
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Thyssen-Bornemisza) nah.43 Die vielfältigen Bezüge von Werken Bramantinos zu Text und Frontispiz des Antiken-Buches liefern somit die ausschlaggebenden Argumente für eine schlüssige Zuschreibung. Bedeutsam ist in jedem Fall für die Antiquarie prospetiche Romane die thematische Ausrichtung, die ausgestellte Gelehrsamkeit des Bildkünstlers im Antikenstudium, in Geometrie und in der Perspektive sowie die Verhandlung des Wissensmodells der scientiae und damit verbunden die Beschäftigung mit dem epistemologischen Status des bildkünstlerischen Werkens. Die angebrachten Vergleiche können im Zuge dessen bereits punktuell aufzeigen, dass der lombardische Diskurs hinsichtlich der scientia-Thematik freilich vielfältig mit anderen regionalen Diskursfeldern bspw. in Rom und Urbino bzw. mit den in jenen verwurzelten prominenten Akteuren vernetzt ist.44 Der Fokus in diesem und den folgenden Unterkapiteln liegt dennoch dezidiert auf den Netzwerken des lombardischen Diskurses, um die Nahsicht auf einen komplexen und medial vielfältig artikulierten epistemischen Agon um die Jahrhundertwende im lombardischen Diskurszusammenhang allererst angemessen zu eröffnen und zu schärfen. Einem vielschichtigen epistemischen (und wie sich zeigen wird auch ästhetischen) Agon um die Hierarchie der scientiae sowie den Status und die epistemischen Potentiale der Bildkünste wird im nächsten Schritt anhand von Bramantinos Darstellung der Musen im Freskenzyklus von Voghera weiter nachgegangen. Damit werden die Aktualität und spezifischen Ausprägungen des Themenkomplexes noch deutlicher nachvollziehbar, bevor in Kapitel 2.3 interdisziplinäre Gelehrtendebatten am Sforza-Hof und bildkünstlerische Stilfragen dargelegt werden. 43 Siehe auch: Roberston, »Bramantino and the ›Historia‹«, S. 23. Bramantino wurde außerdem in einer Goldschmiedewerkstatt ausgebildet, was zu dem besonderen Interesse des prospectivo Melanse depictore an unterschiedlichen Gesteinsarten (v. a. Edelsteinen) passt, das in den lyrischen Werksbesprechungen deutlich wird. Siehe auch: Aldovini, »Anonimo lombardo (Bartolomeo Suardi, detto il Bramantino?), Frontespizio delle Antiquarie prospetiche Romane«. 44 Über die Referenz auf Pollaiolos Bronzegrabmal bspw. wurde angedeutet, dass die Debatte um das Verhältnis der Malerei zu den scientiae im Buch des Mailänders in vielfältige interregionale bzw. -nationale Dialoge eingebunden ist und keineswegs per se neuartig war. Leon Battista Alberti und Lorenzo Ghiberti bspw. setzten sich in der ersten Hälfte des 15. Jahrhundert intensiv mit Fragen nach der wissenschaftlichen Fundierung der Malerei durch die mathematischen Disziplinen der Geometrie und Perspektive auseinander. Auf weitere Vernetzungen des lombardischen Diskurses mit Zirkeln in Florenz, Rom, Urbino, Venedig oder Padua wird im Fortgang dieses Kapitels zumindest punktuell weiter eingegangen. Siehe zu Ghiberti: Ghiberti, Lorenzo, I Commentarii. Lorenzo Ghibertis Denkwürdigkei ten, hg. und kommentiert v. Julius von Schlosser, Bd. 1, Berlin 1912, hier z. B. S. 4. Zu Alberti: Bätschmann, Oskar / Gianfreda, Sandra, »Einleitung«, in: Leon Battista Alberti, Della Pittura. Über die Malkunst, hg. v. dens., Darmstadt 20023, S. 1–61, hier z. B. S. 8 f.; Zöllner, Frank, Bewegung und Ausdruck bei Leonardo da Vinci, Leipzig 2010, S. 49 ff.
Bramantinos Muse der Geometrie
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2.2 Bramantinos Muse der Geometrie, das geometrische Programm seiner Malerei & Luca Paciolis divina proportione Im Castello di Voghera in der Provinz Pavia – knapp 70 km vom Mailänder Castello Sforzesco und 40 km von der Certosa di Pavia entfernt – malte Bramantino zwischen 1501 und 1503 einen kleinen, hohen Raum im piano nobile des Ostflügels mit einem Musenzyklus aus (Abb. 2.09, 2.10, Farbtafel 1). Die Frauenfiguren sitzen auf einer Raumhöhe von zweieinhalb Metern in fingierten architektonischen Rahmungen. Die Sockelzone des Zimmers war sehr wahrscheinlich mit Regalen und Schränken für Bücher, Musikinstrumente und diverse Sammelobjekte ausgestattet, wie es für ein frühneuzeitliches studiolo üblich war.45 Bramantinos Fresken wurden in den 1990er-Jahren bei Restaurierungsarbeiten wiederentdeckt.46 Anhand eines Zahlungsbelegs und der oberhalb der Musen ins gemalte Rahmenwerk integrierten Impresen konnte Louis du Luxembourg, Graf von Ligny, als Auftraggeber ausgemacht werden; er besaß das Anwesen während der französischen Besatzung des Herzogtums Mailand, nachdem Ludovico Sforza entmachtet und Gian Galeazzo Sanseverinos Besitz in Voghera enteignet worden war.47 Auf dem Weg zum Musen-Zimmer durchquert man einen großen Saal, dessen etwa zeitgleich zum Musenzimmer von Braman45 Vgl. auch: Paganin, Maria Luisa, »Le Muse di Bramantino nel castello di Voghera«, in: Bramantino e le arti nella Lombardia francese (1499–1525), hg. v. Mauro Natale, Mailand 2017, S. 69–89, S. 69 f. Zu frühneuzeitlichen studioli im Hofkontext und ihrer komplexen Funktion als Raum des Studiums, der Meditation, der sozialen Distinktion, Selbstdarstellung und Sammlungspräsentation siehe: Campbell, Stephen J., The Cabinet of Eros. Renaissance Mythological Painting and the Studiolo of Isabella d’Este, New Haven 2004. 46 Freigelegt wurden Fragmente von sieben Musen sowie Teile von Apolls Pegasus. Erathon und Urania sind am besten erhalten, während Thalia, Melpomene, Euterpe und Polyhymnia stärker beschädigt wurden. Die Figur einer weiteren Muse konnte bisher nicht eindeutig identifiziert werden. Apoll und die neunte Muse des mythologischen Parnass sind verloren gegangen. 47 Die heraldischen Zeichen von Ludwig II . von Luxemburg, Graf von Ligny, Fürst von Altamura und Herzog d’Andria (um 1467/70–1503) sind besonders gut in der Dekorleiste oberhalb der Muse Urania zu erkennen. Zum Auftraggeber siehe: Paganin, Maria Luisa, »Un’impresa decifrata: il conte di Ligny committente di Bramantino a Voghera«, in: Prospettiva. Rivista dell’arte antica e moderna, 119–120 (2005), S. 95–97; Paganin, »Le Muse di Bramantino«, S. 69 f. Zu Gian Galeazzo Sanseverino, der enger Vertrauter Ludovico Sforzas, Condottiere der herzoglichen Kavallerie, Widmungsempfänger eines der Manuskripte von Luca Paciolis De divina proportione sowie Bekannter Leonardos war, siehe auch unten in Kapitel 2.3, Anm. 86 und 111; sowie: Welch, Art and Authority, S. 198 f. Zu Galeazzos Enteignung in Voghera siehe: Penati, Anna Maria, »Sulle tracce della Sala delle Asse: Leonardo, Ludovico e la corte di Milano«, in: La Sala delle Asse del Castello Sforzesco. Leonardo da Vinci. All’ombra del Moro, hg. v. Claudio Salsi und Alessia Alberti, Mailand 2019, S. 16–57, S. 42.
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Abb. 2.10: Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Musen, Detail, Musenzyklus, Fresko, studiolo, Castello di Voghera – Foto: privat
Abb. 2.11: Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, und Werkstatt, Landschaft mit Bäumen, Fresko, Durchgangszimmer zum studiolo, Castello di Voghera – Foto: privat
Bramantinos Muse der Geometrie
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tino und seiner Werkstatt gestaltete Wandmalerei eine Landschaft aus grünen Hügeln und Bäumen darstellt (Abb. 2.11).48 Von diesem Landschaftsidyll aus gelangt man in eine gemalte Architekturszenerie aus klar strukturierten Loggien mit rosaroten Steinrahmungen und ornamental geschmückten weißen Marmorsäulen. In den fingierten Loggien sitzen die überlebensgroßen Musen in antik anmutenden Gewändern und mit Attributen der ihnen zugedachten Tätigkeits- bzw. Wirkungsbereiche; Urania bspw. hält ein Astrolabium in der Hand und trägt einen Sternenkranz im Haar, während Erathon einen Zirkel und eine Art Laute in den Händen hält und eine Tafel mit geometrischen Figuren zu ihren Füßen lehnt (Abb. 2.09, 2.10, Farbtafel 1). Direkt über den Köpfen der Frauen sind ihre Namen zu lesen und ›eingehauen‹ in die rosarote Steintraverse darüber lateinische Verse. Die Musen sind in ihrer Körperlichkeit plastisch stark herausgearbeitet und thronen an der Schnittstelle von Innenraum und fingierter Außenwelt vor freiem Himmel und teilweise städtischen Architekturelementen. Entsprechend ihrer erhöhten Sitzposition im Raum sind sie in perspektivischer Untersicht konzipiert, die das linearperspektivisch fundierte, künstlerisch-mathematische Wissen des Malers wirkmächtig vor Augen stellt. Die monumentale Größe, die skulpturale Erscheinung und die variationsreichen Sitzpositionen der Figuren weisen Parallelen zu den antiken MarmorMusen (Abb. 2.12) aus der Hadrian-Villa in Tivoli auf, die 1490 ausgegraben worden waren und die Bramantino während eines Aufenthalts in Rom Mitte der 1490er-Jahre studiert haben konnte.49 Zugleich stehen Art und Weise, wie Bramantino die Figuren antiker Prägung in den gemalten Raum setzt, einem Freskenzyklus Bramantes nah, der ›den kleinen Bramante‹ zu einer thematisch verwandten Variation angeregt haben mag: Der Urbiner Künstler hatte 1477 an der Fassade eines Palastes in Bergamo die sieben Weisen der griechischen Antike 48 Bisher sind die Landschaftsdarstellungen in Voghera seitens der Forschung nicht eingehender betrachtet worden; auch im vorliegenden Kontext kann dies nicht geleistet, jedoch auf die Kombination von Landschaftsraum und Studierzimmer hingewiesen werden, die sich an weiteren Orten in der Lombardei zu jener Zeit finden lässt. Siehe dazu Unterkapitel 2.3.1 und die dortige Besprechung der Wandmalereien Bramantes in Gaspare Viscontis Mailänder Palazzo (Camera degli arbori, Camera della scuola) sowie Leonardos Sala delle Asse im Castello Sforzesco. Auf diese Parallelen verweist – während der Drucklegung der vorliegenden Dissertationsschrift – auch Alessia Alberti: Alberti, Alessia, »Dai giardini dipinti alle sale alberate: precedenti figurativi e letterari per la Sala delle Asse«, in: La Sala delle Asse del Castello Sforzesco. Leonardo da Vinci. All’ombra del Moro, hg. v. Claudio Salsi und Alessia Alberti, Mailand 2019, S. 108–131. S. 115 f. 49 Die Marmorstatuen der Musen (Madrid, Museo del Prado) waren ursprünglich im OdeonTheater des 117 v. Chr. entstandenen Villen-Areals aufgestellt. Siehe: Marani, Pietro C., »Leonardo, l’antico, il rilievo e le proporzioni dell’uomo e del cavallo«, in: Leonardo. Dagli studi di proporzione al trattato della pittura, hg. v. dems. und Maria Teresa Fiorio, Mailand 2007, S. 17–27, S. 22 f. Zu einem Aufenthalt Bramantinos in Rom während der 1490er-Jahre siehe Kapitel 2.1.
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Abb. 2.12: Anonym, Die Muse Clio, 130–150 v. Chr. Marmor, 152 × 74 cm, ehemals Odeon-Theater der Villa Hadrian, heute Museo del Prado, Madrid © Museo Nacional del Prado
in monumentaler Nischenarchitektur dargestellt (Abb. 2.13).50 Kontext und Originalität von Bramantinos Bildfindung sowie sein Bestreben, tradiertes Wissen zu den Musen im Medium der Malerei zu wandeln bzw. auf die epistemische Dimension der Musen hin engzuführen, werden jedoch gerade im Vergleich mit anderen, zuvor entstandenen Musenzyklen deutlich.51 Wirkmacht und Zuständigkeitsbereiche der Musen waren dabei generell seit antiken Zeiten in 50 Siehe zu Bramantes Fresken: Ceriana, Matteo / Daffra, Emanuela, »Donato Bramante. Chilone. 1477«, in: Bramante a Milano. Le arti in Lombardia 1477–1499, Ausst.kat., hg. v. dens., Mauro Natale und Cristina Quattrini, Mailand 2015, Katalog-Nr. I.6, S. 187 f. 51 Bramantinos Bestreben, etablierte Ikonographien und Modelle der Musendarstellungen zu erneuern, betont auch Maria Luisa Paganin: Paganin, »Le Muse di Bramantino«, S. 70.
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Abb. 2.13: Donato Bramante, Chilon von Sparta, aus dem Z yklus der Sieben Weisen der griechischen Antike, 1477, Fresko, 355,5 × 260,5 cm, Accademia Carrara, Bergamo, inv. 06ACDP00131 © Fondazione Accademia Carrara, Bergamo
stetem Wandel begriffen; je nach Funktions- und Bedingungszusammenhang traten sie als Protektorinnen bestimmter Künste- bzw. Wissensgebiete, als Erzeugerinnen der Sphärenklänge, als Figuren der Gelehrsamkeit und / oder Agentinnen der Inspiration auf.52 Die nachfolgende Analyse von Bramantinos Dar52 Laut Hesiods Theogonie (6. Jahrhundert v. Chr.) sind die Musen die neun Töchter von Zeus und Mnemosyne. Siehe Otto Gillens Kommentar in: Herrad von Landsberg, Hortus Deliciarum, hg. v. Otto Gillen, Neustadt 1979, S. 44. Zu den diversen Interpretationen der Musen – zwischen Mythos und Theorie – in unterschiedlichen antiken bis neuzeitlichen diskursiven Zusammenhängen, zu den Umbesetzungen ihrer Rolle, den ihnen zugeschriebenen epistemischen Potentialen bzw. Funktionen siehe: Chevrolet, Teresa, »From Myth to Theory: Names, Numbers and Functions of
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stellung der Muse Erathon als scientia Geometria wird verdeutlichen, dass der Mailänder Künstler in seinem Bildprogramm subtil und gekonnt ein visuelles Statement zum epistemologischen Status und epistemischen Potential der Malerei konfiguriert – ein Statement, das in Zusammenhang mit zeitgleich aktuellen Themen und interdisziplinär geführten Debatten am Sforza-Hof steht. »Der erste überlieferte monumentale Zyklus des Musenthemas in nachantiker Kunst« entstand Mitte des 15. Jahrhunderts für das studiolo von Leonello d’Este im Palazzo Belfiore bei Ferrara.53 In den sechs erhaltenen Tafelgemälden sitzt jeweils eine Muse auf einem aufwendig gestalteten Thron, darunter Erato als Muse der ehelichen Liebe mit Rosenbäumchen und leicht geöffnetem Mieder (Farbtafel 2).54 Der maßgeblich an der Konzeption des Bildprogramms beteiligte Literat Guarino da Verona lobte den Ferrareser Herzog 1447 für die »ausgezeichnete« Idee, das fürstliche studiolo mit Bildern der Musen auszustatten, die bereits ihrem griechischen Namen nach »Erforscherinnen« unterschiedlicher Wissensbereiche seien und somit zum menschlichen »Verlangen nach Wissen« im Studierzimmer passten; angesichts der anhaltenden Diskussionen um ihre the Muses from Mediaeval Mythography to Renaissance Neoplatonism«, in: Allusions and Reflections. Greek and Roman Mythology in Renaissance Europe, hg. v. Elisabeth Wåghäll Nivre, Newcastle upon Tyne 2015, S. 45–76. Teresa Chevrolets Studie macht deutlich, dass die Musen oft wichtige Positionen in Debatten um Wissensordnungen einnehmen. Dies wird sich im vorliegenden Kapitel auch anhand von Bramantinos Bildprogramm in Voghera zeigen. Zu Mythos und Rezeption der Musen siehe des Weiteren: Söffner, Jan, »Musen«, in: Mythenrezeption – Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. v. Maria Moog-Grünewald, Stuttgart 2008, S. 441–457; Ettlinger, Leopold D., »Muses and Liberal Arts. Two Miniatures from Herrad of Landsberg’s Hortus Deliciarum«, in: Essays in the history of art presented to Rudolf Wittkower, hg. v. Douglas Fraser, London 1967, S. 29–35; Ludwig, Walther, »Musenkult und Gottesdienst – Evangelischer Humanismus der Reformationszeit«, in: Die Musen im Reformationszeitalter, hg. v. dems., Leipzig 2001, S. 9–52. 53 Wedepohl, Claudia, In den glänzenden Reichen des ewigen Himmels. Cappella del Perdono und Tempietto delle Muse im Herzogspalast von Urbino, München 2009, S. 120. Bereits um 1480 wurden die Ferrareser Musentafeln von ihrem Bestimmungsort entfernt. Siehe: Paganin, »Le Muse di Bramantino nel castello di Voghera«, S. 85. Siehe einschlägig zum Bildprogramm des Estensischen studiolo und seinem kulturellen Entstehungskontext: Campbell, Stephen J., Cosmè Tura of Ferrara. Style, Politics and the Renaissance City, 1450–1495, New Haven / London 1997, S. 29–62. Die älteste erhaltene bildkünstlerische Darstellung von Musen findet sich auf zwei Reliefplatten aus der antiken griechischen Stadt Mantinea, die der Schule des Praxiteles zugeschrieben und auf etwa 320 v. Chr. datiert werden (Athen, Archäologisches Nationalmuseum, Inv. NAMA 215 und 217). Siehe: Söffner, »Musen«, S. 445; sowie den editorischen Kommentar in: Herrad von Landsberg, Hortus Deliciarum, S. 44. 54 Siehe zur Sinnlichkeit der Musenfiguren im Estensischen studiolo vs. göttlicher Keuschheit: Campbell, The Cabinet of Eros, S. 126 f. Erato wurde in antiken Kunstwerken v. a. als Muse der Chor- und Liebeslyrik mit Leier oder Kithara dargestellt. Siehe: Söffner, »Musen«, S. 445.
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Anzahl und Eigenschaften seien die Musen allerdings kein einfaches Thema, so Guarino.55 An die Stelle der artes liberales als prädestiniertem Thema von Studierzimmern und Bibliotheken traten in Belfiore also poetische Musen und sorgten für eine nachhaltige Umbesetzung der Themenwahl für das höfische studiolo.56 Ab Mitte des Quattrocento wurden Vorstellung und Darstellung der Musen zudem entscheidend von den sogenannten Tarocchi di Mantegna geprägt, einer Kupferstichserie zu Rängen und Ständen der Menschen, Apoll und den Musen, den artes liberales, den Tugenden, kosmischen Prinzipien sowie Planeten – entstanden in den 1460er-Jahren in Oberitalien.57 Die Musen werden dort als Musikerinnen dargestellt, jede mit einem anderen Instrument – Erato als Muse der Liebesdichtung, tanzend und das Tamburin schlagend (Farbtafel 3).58 Zugleich ist jeder Muse eine Sphärenkugel beigegeben, die nach neuplatonischer Auffassung auf die Verbindung der göttlich inspirierten Musen mit den Planetenbahnen verweist und die Musen als Erzeugerinnen kosmisch-klanglicher
55 Die Zitate sind meine Übersetzungen von Passagen des auf Latein verfassten Briefes vom 5. November 1447, den Stephen Campbell vollständig transkribiert und veröffentlicht hat: Campbell, Cosmè Tura of Ferrara, S. 31 mit Anm. 5, S. 169. 56 Siehe: Paganin, »Le Muse di Bramantino«, S. 85, Anm. 25, 26. Bereits in der römischen Antike werden neben Theatern auch Bibliotheken und Studierzimmer als prädestinierte Orte für Musendarstellungen genannt. Siehe: Polito, Eugenio, »Le Muse, la cultura e il potere. Immagini di Muse nell’impero romano«, in: Musa pensosa. L’immagine dell’intellettuale nell’antichità, hg. v. Angelo Bottini, Mailand 2006, S. 135–150. Zu frühneuzeitlichen Darstellungen der Musen in herzoglichen Räumen in Ferrara, Urbino, Rimini und Mantua siehe: Lorenzo, Andrea di / Mottola Molfino, Alessandra / Natale, Mauro / Zanni, Annalisa (Hgg.), Le Muse e il principe. Arte di corte nel Rinascimento padano, 2 Bde., Modena 1991. 57 Jüngst wurde die Serie im Zuge der Ausstellung L’Uomo divino. Ludovico Lazzarelli e i Tarocchi del Mantegna nelle collezioni dell’Ambrosiana in der Mailänder Biblioteca Ambrosiana dem aus dem Veneto stammenden Künstler Lazzaro Bastiani zugeschrieben. Siehe: Gnaccolini, Laura P. (Hg.), L’uomo divino. Ludovico Lazzarelli tra il mazzo Sola Busca e i ›Tarocchi del Mantegna‹, con una proposta per Lazzaro Bastiani, Mailand 2018. Andere Forschungspositionen schreiben die Kupferstiche einem Ferrareser Meister zu. Siehe z. B.: Campbell, The Cabinet of Eros, S. 128. Siehe zur Kupferstichserie auch die online-Präsentation der Sammlung der Hamburger Kunsthalle: https://www.hamburgerkunsthalle.de/sammlung-online/meister-der-e-serie-der-sogenannten-tarockkarten-desmantegna-meister-von-ferrara-3?get_filter=work_search&offset=16224 (zuletzt eingesehen am 22.07.2020). Die Musen und Apoll als »Repräsentanten der schönen Künste« finden sich in der Serie auf den Blättern 11 bis 20, gefolgt von den artes liberales als den »wissenschaftlichen Künsten« auf den Blättern 21 bis 30, wobei zu den antiken artes Poesie, Philosophie und Theologie ergänzt werden und die Astrologie gemäß der kosmo logischen Ausrichtung der Serie den übrigen artes vorangestellt wird. Siehe: Rehm, Ulrich, Klassische Mythologie im Mittelalter. Antikenrezeption in der bildenden Kunst, Köln 2019, S. 299 (für die Zitate), sowie S. 300 ff. 58 Hesiod ist eine einschlägige Quelle für die Vorstellung der Erato als Muse der Liebesdichtung mit der Lyra in der Hand. Siehe: Wedepohl, In den glänzenden Reichen, S. 115–118.
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Harmonie markiert.59 Die Musen der sog. Tarocchi wurden schließlich Modell zahlreicher Bildfindungen, etwa der Musendarstellungen zu Ludovico Lazzarellis prominentem mythographischem Gedicht De deorum gentilium imaginibus (um 1470), in welchem die tanzende und musizierende Erato im Text nicht allein als Muse des Gesangs und der Liebe, sondern zudem als Muse der Geometrie präsentiert wird – wie in Voghera.60 Auf die Tarocchi-Musen rekurrierten um 1480 auch Giovanni Santi und Kollegen in ihren Tafelgemälden der neun Musen für den Tempietto delle Muse im Urbiner Herzogspalast Federico Montefeltros (Abb. 2.14).61 Wieder sind die jungen Frauen in tänzerischem Kontrapost und mit Musikinstrumenten vor Landschaftsszenerien als dichterische und musische Inspirationsquelle dargestellt, diesmal jedoch ohne kosmischen Sphärenbezug. Ähnlich der Musen im studiolo von Voghera waren die Gemälde im Urbiner Palastzimmer über Wandverkleidungen mit Schränken angebracht. Anders als in Bramantinos Bildfindungen reflektieren die kleinformatigen Bilder die erhöhte Hängung jedoch nicht; und anders als in Voghera werden Wissen um Perspektive und Geometrie im Urbiner studiolo nicht qua der Musenbilder evident gemacht, sondern mittels der Intarsien der Wandverkleidungen.62 Erneut als tanzende und musizierende Frauen sind die neun Musen schließlich um 1500 in den Fresken en grisaille von Alessandro Pampurino an einer Zimmerdecke der Casa Maffi im lombardischen Cremona dargestellt.63 Die genannten oberita59 Geometria ist als Halbfigur auf einer Wolke schwebend beim Zeichnen eines Vierecks zwischen Kreis und Dreieck dargestellt. Siehe zum Thema weiter: Guidobaldi, Nicoletta, »Il concerto delle Muse nella città ideale: indagini sul programma iconografico del Tempietto del Palazzo ducale di Urbino con un’ipotesi di ricostruzione virtuale«, in: Music Cultures in Sounds, Words and Images: Essays in honor of Zdravko Blažeković, hg. v. Antonio Baldassarre und Tatjana Marković, Wien 2018, S. 479–498, S. 489; Campbell, The Cabinet of Eros, S. 128 f. 60 Siehe Buch II von Lazzarellis Gedicht, Verse 239–250; Wedepohl, In den glänzenden Reichen, S. 128, Anm. 774, S. 246. Für eine kritische Edition mit englischer Übersetzung siehe: Lazzarelli, Ludovico, A critical Edition of De Gentilium Deorum Imaginibus, eingel. und übers. v. William O-Neal, Lewiston 1997. Lazzarelli widmet sein Gedicht zunächst Borso d’Este, nach dessen Tod 1470 dem Nachfolger, Guidobaldo da Montefeltro. Die beiden erhaltenen illuminierten Manuskripte befinden sich in der Bibliotheca Apostolica Vaticana (Vat. Urb. Lat. 716 und 717). Vgl. zu den sog. Tarocchi und Lazzarelli auch: Campbell, The Cabinet of Eros, S. 126 f. 61 In der Forschung wird mitunter vermutet, dass Bramantino sich eine gewisse Zeit in Urbino aufgehalten hatte und eventuell im Gemälde der Madonna lactans (Boston, Museum of Fine Arts) den Urbiner Palazzo Ducale dargestellt hat. Siehe: Cunningham, C. C. (Hg.), A loan exhibition of fifty painters of architecture, Connecticut, Hartford 1947, S. 9. 62 Für eine virtuelle Rekonstruktion des Urbiner Musentempels siehe: Guidobaldi, »Il concerto delle Muse«, S. 496 f., Abb. 14, 15. Siehe zu den Intarsien: Wedepohl, In den glänzenden Reichen, v. a. S. 34–42, 109 f. 63 Die freskierte Zimmerdecke befindet sich heute im Londoner Victoria & Albert Museum: http://collections.vam.ac.uk/item/O72907/ceiling-from-the-casa-maffi-ceiling-pampurino- alessandro/ (zuletzt eingesehen 22.07.2020). Eine weitere, sehr prominente Darstellung
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Abb. 2.14: Giovanni Santi, Die Muse Erato, aus dem Musenzyklus des Tempietto delle Muse des Palazzo Ducale Federico Montefeltros, 1480–1490, Öl / Holz, 82 × 39 cm, Galleria Corsini, Florenz © Galleria Corsini, Firenze, photo Claudio Giusti
lienischen Bildprogramme der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts verdeutlichen einerseits die Aktualität der Musenthematik sowie andererseits die geläufige Darstellungsweise der Musen als tanzende, musizierende junge Frauen – ganz anders also als in Voghera. der Musen als tanzende junge Frauen, allerdings als Reigen und eingebettet in eine semantisch komplexe mythologische Szenerie, ist Andrea Mantegnas Parnass (um 1497, Paris, Musée du Louvre) für Isabella d’Estes studiolo in Mantua. Siehe: Campbell, The Cabinet of Eros, 2004, S. 117–144; Rehm, Klassische Mythologie im Mittelalter, S. 322–325.
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Abb. 2.15: Frontispiz von Franchino Gaffurios Practica musice (Mailand 1496), Druckgraphik – Foto: privat
Die beobachtete Virulenz der Musen ist auch in anderen disziplinären Kontexten auszumachen, etwa in musiktheoretischen und philosophischen Abhandlungen der Zeit. Zu nennen wäre der beinah zeitgleich mit Bramantinos Fresken entstandene Traktat Syntagma de Musis, in dem der Ferrareser Lilio Gregorio Giraldi die Musen – neuplatonisch fundiert – als antikische Zeichen göttlicher Inspiration, als Mittlerinnen zwischen Irdischem und Göttlichem und Erzeugerinnen kosmischer Harmonie präsentiert.64 Ein weiteres Beispiel 64 Giraldi verfasste den Traktat 1503 bis 1507 in Carpi; 1511 wurde das mit Holzschnitten illustrierte Werk in Straßburg gedruckt. Siehe: Ebert-Schifferer, Sibylle, »Harmonie als Wunschbild. Überlegungen zum Musenzyklus in Carpi«, in: Musica e Arti figurative. Rinascimento e Novecento, hg. v. Mario Ruffini und Gerhard Wolf, Venedig 2008, S. 80–99, S. 92.
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ist das 1496 in Mailand erschienene Buch Practica musice des Musiktheoretikers Franchino Gaffurio, das im Besonderen für das Verständnis des diskursiven Zusammenhangs von Bramantinos Musen einschlägig und erhellend ist. Gaffurio war Kapellmeister des Mailänder Doms und Mitglied eines interdisziplinären Gelehrtenkreises um Leonardo, Bramante und den Mathematiker und Theologen Luca Pacioli am Sforza-Hof.65 Auch Bramantino und Gaffurio waren wohl miteinander bekannt, da sie beide 1490 (u. a. mit Leonardo und Francesco di Giorgio Martini) Mitglieder eines Beratungsgremiums zur Gestaltung des Tiburiums des Mailänder Doms waren.66 In seinem Ludovico Sforza gewidmeten musiktheoretischen Traktat bespricht Gaffurio das Thema der Musen in einem eigenen Kapitel und weist ihnen einen prominenten Platz im Frontispiz zu (Abb. 2.15). Neuplatonische Vorstellungen visualisierend sind die einzelnen Musen dort mit bestimmten Planetensphären verbunden und musikalischen modi zugeordnet: Sie sind Agentinnen der Sphärenmusik, gelehrte und schöpferische Repräsentantinnen himmlischer Harmonie.67 Erato ist mit einem Zirkel als Geometrie konfiguriert – wie bei Lazzarelli und kurze Zeit später Bramantino; zudem ist Gaffurios Erato-Geometrie mit dem Planeten Mars verbunden – ähnlich der Verbindung von Mars und Geometrie in den Antiquarie prospetiche Romane.68 Die Verbindung von Erato, Geometrie und Mars findet sich bspw. 65 Die Academia Leonardi Vinci wird im Verlauf des Unterkapitels, aber v. a. in Kapitel 2.3.1 eingehend besprochen. 66 Siehe: Pederson, The Academia Leonardi Vinci, S. 36, 288–294; Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 43 f.; Onians, John, Bearers of Meaning. The Classical Orders in Antiquity, the Middle Ages, and the Renaissance, Princeton 1988, S. 223; Pyle, Cynthia M., Milan and Lombardy in the Renaissance: Essays in Cultural History, Rom 1997, S. 20. 67 Für eine ausführliche Interpretation von Gaffurios Frontispiz und seinem Rekurs auf Martiano Capellas De nuptiis Mercurii et Philologiae siehe: Wind, Edgar, Pagan Mysteries in the Renaissance. An Exploration of Philosophical and Mystical Sources of Iconography in Renaissance Art, New York 1968, S. 265–269, Abb. 20; Haar, James, »The Frontispiece of Gafori’s Practica Musicae (1496)«, in: Renaissance Quarterly, 27/1 (1974), S. 7–22; vgl. auch Wedepohl, In den glänzenden Reichen, S. 118 f. In der allegorischen Bildungsgeschichte des nordafrikanischen Gelehrten Capella laden die Musen die Philologie als Braut Merkurs in den Himmel ein, verleiten sie durch göttliche Melodien und werden mit den Planeten und der Sphärenharmonie assoziiert (Erato mit Mars, Buch 1). Vgl. z. B. die von Attavante degli Attavanti um 1485 für den ungarischen König Matthias Corvinus illuminierte Handschrift: Capella, Martianus, De nuptiis Mercurii et Philologiae, Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana, fol 6v, Lat. XIV, 35 (=4054): http://www.internetculturale.it/jmms/iccuviewer/iccu.jsp?id=oai%3A193.20 6.197.121%3A18%3AVE0049%3ACSTOR .244.14019 (zuletzt eingesehen am 22.07.2020). Siehe auch: Chevrolet, »From Myth to Theory«, S. 51; Ettlinger, »Muses and Liberal Arts«, 30 f.; Herrad von Landsberg, Hortus Deliciarum, S. 46. Insbesondere in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts findet eine intensivierte Rezeption Capellas statt, siehe: Rehm, Klassische Mythologie im Mittelalter, S. 293. 68 Der prospectivo Melanese depictore verbindet Mars und Geometrie im Zusammenhang der Rekonstruktion des römischen Septizodiums (Kapitel 2.1).
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auch in Coluccio Salutatis De laboris herculis (1406), dessen Konzeptualisierung der Musen in Korrelation mit den artes liberales und Planeten auf eine Umordnung des Wissensmodells hinführt, welche die Dichtung zur überlegenen Wissensdisziplin krönt.69 Die Querverweise verdeutlichen, dass über die Konfigurationen der Musen Wissensmodelle erörtert und mithin epistemologische Debatten gestaltet wurden. Bramantinos Bildprogramm nun ist Teil der skizzierten frühneuzeitlichen, v. a. oberitalienischen Aushandlungsprozesse um Deutung und Darstellung der Musen und setzt sich dabei dezidiert von den tanzenden und aktiv musizierenden Darstellungen ab, betont stattdessen die Assoziation der Musen mit den scientiae der artes liberales sowie sein Wissen als gelehrter (Perspektiv-)Maler: Die Musen in Voghera sitzen in architektonisch gestalteten Räumen, repräsentativ, monumental, in perspektivischer Untersicht, jenseits lasziver Sinnlichkeit, gerahmt von lateinischen Versen. Anders als im studiolo von Belfiore lösen sie nicht die Darstellung der artes liberales im Studierzimmer ab, sondern sind ganz explizit Musen und scientiae gleichermaßen: Erathon als Geometrie, Urania als Astrologie oder auch Polyhymnia als Rhetorik (Abb. 2.09, 2.10, Farbtafel 1).70 Um 1496 hatte der mit Bramantino identifizierte prospectivo Melanese depictore – wie erwähnt – die scientiae am Grabmal Sixtus IV. ebenfalls als »muse e scientia« betrachtet.71 Bezug nehmen konnte der Mailänder Maler mit der Korrelierung der Musen und scientiae bzw. artes liberales bspw. auf das breit rezipierte Werk Mythologiae (6. Jahrhundert) von Fabius Fulgentius, dessen editio princeps 1498 in Mailand erschien und Ludovico Sforza gewidmet ist; dort ist zu lesen: »novē musas doctrine atque scientie dicimus«.72 Erato ist nach Fulgentius die sechste
Erato als Muse der Geometrie findet sich bspw. auch in dem breit rezipierten spätantiken Gedicht Nomina Musarum, das Decimus Magnus Ausonius bzw. Vergil zugeschrieben wurde: »[…] Erato geometricam […] plectra gerens erato saltat pede, carmine, vultu.« Ausonius, Opuscula, hg. v. Rudolph Peiper, Leipzig 1886, S. 412; vgl. auch Paganin, »Le Muse di Bramantino«, S. 73 f. 69 Salutati gibt den Krieg als gemeinsamen Nenner von Erato, Geometrie und Mars an, da dem Krieg mit dem Gott Mars v. a. Streitigkeiten über Territoriumsgrenzen zugrunde liegen, die wiederum die Geometrie vermesse, während Erato etymologisch auf das griechische eris für Zwietracht und chthon für Erde verweise. Siehe: Chevrolet, »From Myth to Theory«, S. 51 ff. 70 Zur Polyhymnia als Muse der Rhetorik siehe: Paganin, »Le Muse di Bramantino nel castello di Voghera«. 71 Vgl. Kapitel 2.1; Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane, S. 26. 72 Siehe die vom Bologneser Humanisten Giovanni Battista Pio kommentierte Erstausgabe: Pio, Giovanni Battista, Enarrationes allegoricae fabularum fulgentii placiadis, Bartolomeo Calco, Mailand 1498, Kapitel Fabula De novem Musis, o. S. Siehe auch: Söffner, »Musen«, S. 446. Siehe zu Pios Aufenthalt in Mailand: Venuti, Martina, »L’editio princeps delle Mythologiae di Fulgenzio: Ioannes Baptista Pius, Enarrationes allegoricae fabularum fulgentii placiadis, Mediolani 1498«, in: Paideia, 63 (2008), S. 407–426, hier v. a. S. 407–414.
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Muse, die ihrem Namen nach auf das Suchen bzw. Auffinden des Ähnlichen spezialisiert sei (I,15) und damit die Geometrie verkörpere.73 Eine subtile Überblendung der Musen und freien Künste in Referenz auf Fulgentius findet sich auch in einer der äußerst raren mittelalterlichen bildkünstlerischen Darstellungen der Musen: In der elsässischen Bilderhandschrift Hortus Deliciarum (12. Jahrhundert) verschränkt die Hohenburger Äbtissin Herrad von Landsberg Musen- und scientiae-Darstellungen miteinander und stellt Erato z. B. als jene Muse vor, die die Ähnlichkeit mit dem Göttlichen suche – eine Auffassung, die auch für Bramantinos Erathon von Interesse sein wird.74 Erneut wird also offenkundig, dass das Thema der Musen zu gelehrten Gesprächen und intellektuellen Reflexionen über Wissensfragen anzuregen vermochte – so auch, wie nun gezeigt wird, im Falle der Musen-scientiae im studiolo von Voghera.75 Und während Philostrat d. Ä. in den Eikones die rhetorisch elaborierte Praxis des Sprechens über Bilder in einer aus edlen Steinen erbauten Loggia mit Durchblicken ins Freie und mit in Steinrahmungen eingelassenen Gemälden verortet, ist die Loggien-Architektur in Voghera allererst qua Malerei existent und die gemalten Bilder der Musen sind in fingierten Steinrahmungen platziert, wo sie als Impulsgeberinnen von Wissensfragen zur Anschauung kommen.76 Die Musen Bramantinos thronen
73 Fulgentius, Fabius Planciades, Mythologies, hg., übers., komm. v. Étienne Wolff und Philippe Dain, Villeneuve d’Ascq 2013, S. 68, 152, 196. 74 Herrad von Landsberg, Hortus Deliciarum, S. 44. Im Kapitel De philosophia et de septem artibus liberalibus sind in aufeinanderfolgenden Blättern die Büsten der neun Musen in Medaillons zu sehen (f. 31r) und dann eine diagrammatische Darstellung der personifizierten Philosophie, umkreist von den personifizierten artes liberales (f. 32v). Der begleitende Text bekräftigt die subtile Verlinkung von Musen und artes liberales »on account of their tutelage over humane studies«. Siehe: Ettlinger, »Muses and Liberal Arts«, S. 29. Herrads Text rekurriert stark auf Fulgentius’ Mythologiae und zitiert u. a. dessen Satz »Nos vero novem Musas doctrinae et scientiae dicimus«. Siehe ebd., S. 31 f. Vgl. zur Bilderhandschrift auch: Joyner, Danielle B., Painting the Hortus deliciarum. Medieval Women, Wisdom, and Time, Pennsylvania 2016, v. a. S. 71, 75. 75 In Bezug auf das studiolo von Urbino und seine Funktionalität weist Claire Farago auch auf die rhetorische Tradition des gelehrten Unterhaltens über Themen wie die artes liberales hin, die durch die Betrachtung bzw. Präsenz von Kunstwerken im Raum initiiert wurden und die wiederum in Wechselwirkung stehen konnten mit theoretischen Überlegungen zur Malerei und ihren Interferenzen mit anderen Disziplinen. Jene Aspekte sind auch für das studiolo in Voghera und Bramantinos Bildprogramm relevant, wie in der vorliegenden Arbeit gezeigt wird. Vgl.: Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 51 ff. Die Kopplung von Musen und Studierzimmer unterstreicht auch Giraldi im Syntagma de Musis, siehe: Wedepohl, In den glänzenden Reichen des ewigen Himmels, S. 34–42. 76 Im Vorwort der Eikones heißt es: »Ich wohnte aber vor der Stadtmauer [Neapels] draußen in einer zum Meer hin gelegenen Vorstadt, wo nach Westen hin eine Säulenhalle in etwa vier oder sogar fünf Geschossen mit der Aussicht zum Tyrrhenischen Meer gebaut war; sie glänzte zwar auch von all den Steinen, die dem Luxus behagen, ihre vornehmste Zierde aber waren Bilder auf eingelassenen Tafeln, die mir mit feinem Gefühl gesammelt schie-
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gleich belebter, antik anmutender Skulpturen und geben als Personifikationen der scientiae Ansporn zu vielfältigen Diskussionsthemen. Dabei werden auch Reflexionen über die epistemischen und gleichermaßen ästhetischen Potentiale der Malerei und über den Platz der Malerei in der Wissensordnung der artes liberales herausgefordert, wie die Analyse der Muse Erathon nun eingehend darlegen wird. Von der Zimmertür aus gesehen ist Erathon am Ende der rechtsliegenden Westwand, gegenüber der Fensterseite und auf Eck mit Urania platziert. Neben der Astrologie-Muse Urania ist das Fresko der Erathon als Muse der Geometrie mit Zirkel und Saiteninstrument sowie einer Tafel mit geometrischen Formen am besten erhalten. Ihre offenen Haare scheinen durch einen Windhauch leicht nach hinten zu wehen und ihr Blick ist nach oben gerichtet. Mit ihrer Rechten hält sie den großformatigen Zirkel – leicht aufgespannt und zum Einsatz bereit oder soeben benutzt. In ihrer Linken hält sie ein lautenartiges Instrument. Am Steinrahmen zu ihren Füßen lehnen zwei weiße Tafeln mit Zeichnungen geometrischer Figuren in linearperspektivischer Verkürzung – ein Viereck, ein Sechseck (unterteilt in zwei Rauten und zwei Dreiecke), ein Dreieck und ein Kreis in einem Quadrat mit sich kreuzenden Diagonalen. Im oberen Querbalken steht die Inschrift: »PLECTRA DECEN[S] ERATHON GERIT HAEC DEA NOMEN AMORIS DIGESTA ET TABULIS OMNIA SIGNA NOTAT«.77 Als Kommentar zur bildlichen Darstellung beschreiben die Worte Erathon als die Muse, die anmutig lyrische Gedichte hervorbringt bzw. die Laute spielt, als die Göttin, die den Namen Amors trägt, und als diejenige, die jegliches Zeichen auf ihren Tafeln in eine Ordnung bringt. Das wehende Haar, die geröteten Wangen, der leicht geöffnete Mund und der Blick gen Himmel können mit der proklamierten Anmut des Gedicht- und Liedvortrags zusammengebracht werden. Mit dem goldgelben Saiteninstrument kann die Muse musikalische Ordnung, sprich Harmonie, erzeugen. Und mit dem gleichgroßen, ebenfalls goldgelben Zirkel kann sie eine geometrisch-visuelle Ordnung erschaffen, repräsentiert in den geometrischen nen.« Philostratos, Eikones. Die Bilder. Griechisch – deutsch, nach Vorarbeiten von Ernst Kalinka, hg., übersetzt und erläutert v. Otto Schönberger, München 1968, S. 87. Zu Philostrats Ekphraseis: Baumann, Mario, Bilder schreiben: virtuose Ekphrasis in Philostrats ›Eikones‹, Berlin / New York 2011. 77 Die Verse scheinen eine distinkte Variation des bereits erwähnten Gedichts Nomina Musarum zu sein, siehe Anm. 68 dieses Kapitels. Vgl. auch Paganin, die abgeschwächt von »liberamente ispirato« spricht: Paganin, »Le Muse di Bramantino«, S. 72. Zugleich weist Paganin darauf hin, dass sich Parallelen zu Versen aus Ovids Ars amatoria (II, 2, 16) finden (»nunc Erato, nam tu nomen amoris habes«), siehe: ebd., S. 86, Anm. 37. Zu ergänzen ist, dass sich genau diese Formulierung, »nomen amoris habes« auch im erwähnten Kommentar zu Fulgentius’ Mythologiae in der 1498 in Mailand erschienen editio princeps an eben jener Stelle findet, an der die Muse Erato besprochen wird. Siehe: Pio, Enarrationes, Kapitel Fabula De novem Musis, o. S.
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Körpern auf der weißen Tafel. Eine solche geometrische Ordnung wird jedoch nicht nur motivisch thematisiert, sondern liegt zugleich der Konstruktion des Bildfeldes selbst zugrunde. In Bramantinos Werken lässt sich ab Mitte der 1490er-Jahre beobachten, dass die Bildfiguren in geometrisch-geordneten, typisierten und zeitlos anmutenden bzw. überzeitlichen Architekturräumen verortet sind.78 Ähnlich der Musen thronen auch die Madonnen nicht in prächtig verzierten Stühlen, in idyllischen Landschaften oder felsigen Grotten, sondern in klar strukturierten, architektonischen Settings, die reduzierte lineare Ordnungsmuster fokussieren bzw. sichtbar machen und linearperspektivisches Können ausstellen.79 Wie unter Kapitel 2.1 erwähnt, wurde Bramantino während der frühen Neuzeit nachdrücklich für seine Perspektivkonstruktionen gerühmt, v. a. auch für die scorci, eine besonders forcierte Form perspektivischer Verkürzung bzw. ein technischer Akzent v. a. für Bilder an hohen Anbringungsorten.80 Laut Lomazzos Wiedergabe einer nicht erhaltenen theoretischen Abhandlung zur Perspektive von Bramantino unterscheidet Suardi drei Arten der Perspektivkonstruktion. Die erste erfolge »con ragione«.81 Man arbeite, so Bramantino, mit Maß und 78 Zu Bramantinos überzeitlichen Architekturen siehe: Repishti, Francesco, »Bramantino e l’architettura dipinta«, in: Bramantino. L’arte nuova del Rinascimento Lombardo, Ausst. kat., hg. v. Mauro Natale, Mailand 2014, S. 338–347, v. a. S. 342, 345. Zu typisierten Architekturen als Hintergrund überzeitlicher Orte in frühneuzeitlicher Malerei siehe generell: Patetta, Tobia, »Marmi, pietre e mattoni: città modernamente antiche di Andrea Mantegna conoscitore d’architettura?«, in: Mantegna e Roma. L’artista davanti all’antico, hg. v. Teresa Calvano, Claudia Cieri Via und Leandro Venturo, Rom 2010, S. 271–301, S. 281. 79 Zu gemalter Architektur als Metapher für Schönheit siehe: Lillie, Amanda, »Introduction«, online veröffentlicht 2014, in: Building the Picture: Architecture in Italian Renaissance Painting, The National Gallery, London: http://www.nationalgallery.org.uk/paintings/ research/exhibition-catalogues/building-the-picture/introduction (zuletzt eingesehen am 22.07.2020). 80 Siehe zu den scorci weiter Kapitel 2.3.1, 2.3.2.; sowie: Bora, Giulio, »La prospettiva della figura umana – gli ›scurti‹ nella teoria e nella pratica pittorica lombarda del Cinquecento«, in: La prospettiva rinascimentale. Codificazioni e trasgressioni, Bd. 1, hg. v. Marisa Dalai Emiliani, Florenz 1980, S. 295–317, S. 302, 308; Marani, Pietro C., »Dürer, Leonardo e i pittori lombardi del Quattrocento«, in: Leonardiana. Studi e saggi su Leonardo, hg. v. dems., Mailand 2010, S. 325–342, S. 339; Baxandall, Michael, Die Wirklichkeit der Bilder. Malerei und Erfahrung im Italien des 15. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1988, S. 174 ff. 81 »[S]crive Bramantino che la prospettiva è una cosa che contrafà il naturale e che ciò si fa in tre modi, uno con ragione e l’altro senza ragione, ma solamente con pratica, et il terzo mescolatamente con pratica e con ragione. Circa il primo […] io riferirò […] le proprie parole sue. […] Adunque, la prima si dimanda prospettiva, cioè ragione la quale fa l’effetto dell’occhio, facendo crescere e calare secondo gl’effetti de gli occhi. […] E sappiasi che questa prospettiva, che si fa per ragione, misura et ordine, si essercita con il sesto e la rega e con la regola di detta prospettiva […]. L’altra seconda parte [della prospettiva] si fa senza misura alcuna, cioè ritrando, overo imitando il naturale, overo facendo di fantasia. Di questa sorte si trovano più pittori che d’altra, e però tenuti valenti perché fanno fatica in
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Zirkel, um das Kleiner- und Größerwerden von Gegenständen im Raum gemäß perspektivischer Regeln darstellen zu können. Bei der zweiten Art werde nur die »pratica« angewandt, wobei ohne jegliche Vermessung nach der Natur bzw. aus der Vorstellung frei gezeichnet werde. Dieses Vorgehen sei sehr verbreitet unter Malern, sorge aber für schwerwiegende Fehler, die den »intelligenti della ragione del vedere e dell’operare« nicht unterlaufen. Für die dritte Art der Perspektivkonstruktion verwende man eine graticola (Gitter) oder eine Glasplatte sowie einen velo (durchsichtiges Tuch) als mechanische Hilfsmittel, um Umriss- und Konstruktionslinien für eine perspektivisch überzeugende Darstellung zu ermitteln. Laut den von Lomazzo zitierten Passagen fordert Bramantino letztlich eine Perspektivkonstruktion ein, die, wenn nicht vollständig, so doch zumindest teilweise mathematischer Berechnung folgt, die mit mechanischen Messinstrumenten kombiniert werden kann.82 Dass Bramantino seine Bilder selbst genau vermaß und geometrisch durchorganisierte, legt Pietro C. Marani mit Verweis auf Infrarotanalysen dar, durch welche Vorzeichnungen sichtbar wurden, mit denen der Mailänder Künstler das Bildfeld zahlreicher seiner Gemälde in Kompartimente aufteilte und regelrecht quadrierte.83 Durch die Einteilung der Fläche in geometrische Felder schaffte er ein Modulsystem, das kompositorische Ausgeglichenheit gewährte und zugleich wohl das mathematische Fundament des gemalten Bildes und der in ihm dargestellten Natur demonstrieren sollte; die Konstruktionslinien verbarg er im weiteren Malprozess.84 Gerade bei der Darstellung Erathons, der Muse der Geometrie (und Pers pektive), stellt sich die Frage nach der Proportionierung des Bildfeldes besonders eindringlich; oder anders gesagt: das Sujet fordert eine ausgesprochen sinnfällige imitar il vero minutamente e secondo quello fanno delle fantasie, ma pur nelle opere loro si veggono di grandi errori che non commettono gl’intelligenti della ragione del vedere e dell’operare, come ho detto. […] La terza parte si fa con la graticola, overo in loco della graticola si mette un vetro fra’l pittore e la cosa vista e gua[r]dasi nel velo. E quello che batte nel velo si va contornando, overo profilando, sopra’l velo […]. E con questa graticola si può far maggiore e minore la cosa che si imita, secondo che lei, appresso essa graticola, così tira piú indietro […].« Lomazzo, »Trattato dell’arte della pittura«, S. 240 f. 82 Der Gebrauch dieser mechanischen Verfahren mit graticola bzw. vetro und velo dokumentiert auch Leonardo in seinen Mailänder Aufzeichnungen und skizziert einen solchen Apparat auf f. 5r des Codex Atlanticus (Mailand, Biblioteca Ambrosiana): https://www. ambrosiana.it/opere/codice-atlantico-codex-atlanticus-f-5-recto/ (zuletzt eingesehen am 22.07.2020). Siehe auch: Bora, »Dalla regola alla natura«, S. 34. Aus dem lombardischen Umfeld Leonardos und Bramantinos konnte bspw. Albrecht Dürer sein Wissen über die Glasplatte als Instrument zur Perspektivkonstruktion erwerben. Siehe: Panofsky, Erwin, Dürers Kunsttheorie vornehmlich in ihrem Verhältnis zur Kunsttheorie der Italiener, Berlin 1915, S. 39–44. 83 Siehe: Marani, »Disegno e prospettiva«, v. a. S. 75 ff. (mit Abbildungen, in denen diese Konstruktionsfelder sichtbar gemacht werden). 84 Siehe: ebd., S. 84 f.
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Anwendung der dargestellten scientiae gewissermaßen heraus. In der Tat kann eine bisher seitens der Forschung nicht thematisierte bzw. offengelegte Proportionierung des Bildes zeigen, dass nicht allein Konstruktionsprinzipien wie die perspektivische Untersicht und der Zusammenfall von Bildmittelpunkt mit dem Bauchnabel der Muse – gleich des Vitruvianischen homo ad circulum – auf das linearperspektivische Interesse und die kompositorische Gewandtheit des Malers verweisen. Vielmehr noch scheint es, dass Bramantino im Bild der Erathon ein komplexes und zeitgenössisch semantisch aufgeladenes Konstruktionsprinzip anwandte. Denn dem Bild liegt – wie im Fall des Titelblatts der Antiquarie prospetiche Romane (Kapitel 2.1, Abb. 2.02) – der goldene Schnitt, die divina proportione, als eine Art ›geheimer‹ Bauplan zugrunde (Farbtafel 4). Bei diesem Proportionsverhältnis ist eine Strecke so in zwei Teile geteilt, dass das Verhältnis der kleineren zur größeren Teilstrecke dem Verhältnis der größeren Teilstrecke zur Gesamtstrecke entspricht. Der Punkt, der die Gesamtstrecke gemäß dem goldenen Schnitt teilt, lässt sich über geometrische Vermessungen mithilfe des Zirkels ermitteln.85 Teilt man die beiden Längsseiten des vom roten Stein gerahmten Bildfeldes der Erathon gemäß dem goldenen Schnitt und zieht vom Teilungspunkt aus im rechten Winkel zur Vertikalen eine Gerade durch das Bildfeld und teilt man nun die beiden Breitseiten des Bildfeldes auf die gleiche Weise und zieht im rechten Winkel zur Horizontalen wiederum eine Gerade durch das Bildfeld, dann überschneiden sich diese Geraden und unterteilen das Bildfeld in vier Vierecke. Teilt man diese Vierecke wiederum gemäß dem goldenen Schnitt, ergibt sich ein Rechteck, das den Kopf der Muse rahmt; dieser ist damit an einer Art idealen Position des Bildes platziert, von wo aus die Muse – qua der divina proportione göttlich inspiriert – gen Himmel blickt. Auf diese Weise ist die Muse pointiert als eben jene konfiguriert, die das Ähnliche mit dem Göttlichen sucht, auffindet und spiegelt. Zudem findet sich die Proportionierung nach dem goldenen Schnitt im vorderen Schenkel des übergroßen Zirkels. Der Bogen des Zirkels ist genau an dem Punkt der sichtbaren Schenkellänge angebracht, an dem die Strecke gemäß dem goldenen Schnitt geteilt wird. Die scientia der Erathon wird damit nicht nur motivisch durch ihre Attribute Zirkel, Saiteninstrument und Tafel mit geometrischen Körpern zur Darstellung gebracht und von Versen beschrieben. Vielmehr noch liegt die scientia der Geometrie durch die Perspektivkonstruktion und durch die divina proportione der Darstellung selbst zugrunde, ordnet und gliedert das Bildfeld. 85 Zur Ermittlung des goldenen Schnitts siehe: Sinisgalli, Rocco, »Leonardo e la sezione aurea«, in: Approfondimenti sull’Uomo vitruviano di Leonardo da Vinci, hg. v. Paola Salvi, Mailand 2014, S. 125–127. Siehe weiterführend Kapitel 2.3.1. Siehe zur irrationalen Zahl Φ zur Berechnung der Teilstrecken des goldenen Schnitts, alternativ zur geometrischen Ermittlung: Ziegler, Günter M., Mathematik – Das ist doch keine Kunst!, München 2013, S. 27 f.
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Das Proportionsverhältnis des goldenen Schnitts wurde im kulturellen Kontext, in dem Bramantino sein Bildprogramm entwarf, aktuell diskutiert und auf besondere Weise semantisch kodiert. Zwischen 1496 und 1498 hatte der Theologe und Mathematiker Luca Pacioli in Mailand zu eben jenem Themenkomplex das Compendium de divina proportione verfasst, das aus Texten sowie aus Bildern nach Zeichnungen Leonardos besteht und Ludovico Sforza gewidmet ist, der Pacioli als Mathematikprofessor nach Mailand berufen hatte.86 Zu Paciolis Freunden und Gesprächspartnern in Mailand und insbesondere am Sforza-Hof zählten u. a. Leonardo, Bramante sowie Gaffurio.87 Dementsprechend richtete Pacioli seine wissenschaftlichen Publikationen nicht nur an ein mathematisches Fachpublikum, sondern an eine interdisziplinäre Leserschaft, für die er mathematisches Gelehrtenwissen im volgare praxisorientiert aufzubereiten suchte.88 Dass Pacioli dabei gerade auch geometrische Konstruktionen in der Malerei bzw. deren Wirkungsästhetik interessieren, macht er bereits in seinem 1494 ebenfalls in Mailand erschienenen Buch Summa de Arithmetica deutlich.89 Im Widmungsschreiben an Guidobaldo de Montefeltro betont er, dass die Bilder bestimmter Maler, die ihre Werke mit Lineal und Zirkel proportionieren, von wunderbarer Perfektion seien und im Auge des Betrachters nicht menschlich, 86 Den Auftakt des Compendium bildet ein philosophisch-theologischer Teil, in dem die unterschiedlichen scientie und ihre Hierarchie (allen voran die Mathematik) besprochen werden und die Praxis des scientifico duello am Mailänder Hof dokumentiert wird (hierzu eingehend Kapitel 2.3.1). Darauf folgt die kommentierte bzw. aufbereitete volgare-Übersetzung von Euklids 13. Buch der Elementa mit Fokus auf den goldenen Schnitt und dreizehn seiner »mirabili effetti«. Anschließend werden die fünf regelmäßigen Polyeder als Repräsentanten der fünf Grundelemente der Schöpfung nach Platons Timaios erläutert. Zu jenen Polyedern finden sich (teilweise von Leonardo entworfene) Zeichnungen. Siehe zu den Polyedern und Leonardos Zeichnungen ebenfalls weiter Kapitel 2.3.1. Es sind zwei Manuskripte des Compendium erhalten: in der Mailänder Biblioteca Ambrosiana (S. P. 6, ehemals Cod. F. 170 sup.) mit Widmung an Ludovico Sforzas Condottiere Gian Galeazzo Sanseverino; in der Genfer Bibliotéque Publique et Universitaire (ms. Langues Etrangéres n. 210) mit Widmung an Ludovico il Moro. Augusto Marinoni hat einen Faksimiledruck des Mailänder Manuskripts mit hochwertigen Farbdrucken und fundierter Einleitung ediert. Siehe: Marinoni, Augusto, »Luca Pacioli e il ›De Divina Proportione‹«, in: Pacioli, Luca, De Divina Proportione, hg. und eingel. v. dems., Mailand 2010, S. 5–15; Pacioli, Luca, De Divina Proportione, hg. und eingel. v. Augusto Marinoni, Mailand 2010. 87 Vgl. auch: Marinoni, »Luca Pacioli«, S. 5. 88 Siehe ebd., S. 6. Elisabeth Tiller bezeichnet Pacioli als »Protagonisten der rinascimentalen Wissenserneuerung«. Tiller, Elisabeth, »›Peroché dal corpo umano ogni mesura con sue denominazioni deriva‹. Luca Paciolis De divina proportione (1509) und die mathematische Aneignung des Körpers«, in: Kunsttexte.de, 3 (2011), S. 1–21, S. 1. 89 Siehe: Colli Franzone Bonzanini, Adele, Un viaggio nell’armonia. Il Rinascimento, Pavia 2012, S. 85. Paciolis Summa de Arithmetica, Geometria, Proportioni et Proportionalità ist »möglicherweise das erste gedruckte Buch eines Mathematikers überhaupt«. Ziegler, Mathematik – Das ist doch keine Kunst!, S. 26.
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sondern göttlich erscheinen.90 Dem Interesse an der »göttlichen« Wirkungsästhetik mathematisch durchdachter Bildfindungen geht er im Compendium de divina proportione weiter nach. 1509 wurde Paciolis Werk gemeinsam mit zwei weiteren in einem Band in Venedig gedruckt: Divina proportione. Opera a tutti gli ingegni perspicaci e curiosi necessaria. Ove ciascun studioso di Philosophia: Prospectiva Pictura Sculptura: Architectura: Musica: e altre Mathematice: suavissima: sottile: e admirabile doctrina consequira: e delectarassi: con varie questioni de secretissima scientia.91 Dem Titel nach geht es im Band um den Erwerb von Wissen, das mit der äußerst lieblichen, subtilen und bewundernswerten (»suavissima, sottile e admirabile«) Lehre einer sehr geheimen (»secretissima) scientia verbunden ist und von unabdingbarem Nutzen für Schüler und Gelehrte der unterschiedlichen »Mathematice« sei – für u. a. Schüler der Philosophie, Per spektive, Malerei, Skulptur, Architektur und Musik. Das Begriffspaar divina proportione steht im mehrteiligen Band nicht allein für das Proportionsverhältnis des goldenen Schnitts, der im Mailänder Compendium eindringlich verhandelt wird, sondern metaphorisch weiter gefasst für eben jene Wissensbereiche, denen ein besonderer epistemologischer Status zugesprochen wird. Bereits im Titel des Bandes wird so ein elusives Wissen als integraler Bestandteil der mit der Mathematik als verbunden gedachten Disziplinen zur Geltung gebracht.92 Warum Pacioli den goldenen Schnitt als divina proportione bezeichnet, erläutert er im Mailänder Compendium theologisch sowie im Rekurs auf Platons Timaios und Euklids Elementa.93 Das Proportionsverhältnis sei göttlich, da es 90 Pacioli lobt in jener Passage die Perspektivkünste von Malern wie Andrea Mantegna, Piero della Francesca und Melozzo da Forlì und schreibt: »sempre con libella e circino lor opre proportionando a perfection mirabile ducano; in modo che non humane ma divine negli ochi s’apresentano«. Pacioli, Luca, Summa de Arithmetica, Geometria, Proportioni et Proportionalità, Paganinus de Paganinis, Venedig 1494, Widmungstext an Guidobaldo de Montelfeltro. Vgl. zur Übersetzung von »libella« mit »Lineal«: Colli Franzone Bonzanini, Un viaggo nell’armonia, S. 39. 91 Der Band umfasst neben dem Compendium de divina proportione den Tractato dell’architectura und Il Libellus in tres partiales tractatus divisus (die volgare-Übersetzung von Piero della Francescas De corporibus regularibus). 92 Zum Konzept elusiven Wissens siehe Kapitel 1.1. 93 »La prima è che lei [la divina proportione] sia una sola e non più e non è possibile di lei asegnare altre specie e differentie. […] La seconda convenientia è dela sancta trinita. Cioe si commo in divinis una medesima substantia sia fra tre persone padre figlio e spirito sancto. Cosi una medesima proportione de questa sorte sempre convien se trovi fra tre termini. […] La terça convenientia è che si commo idio propriamente non se po diffinire ne per parolle a noi intendere cosi questa nostra proportione non se po mai per numero intendibile asegnare ne per quantita alcuna rationale exprimere ma sempre sia occulta e secreta e dali Mathematici chiamata irrationale. La quarta convenientia e che si commo idio mai non se po mutare e sia tutto in tutto e tutto in ogni parte cosi la presente nostra proportione sempre in ogni quantita continua […] sia una medesima e sempre invariabile […]. La quinta convenientia [sia la] quinta essentia [dei] [q]uatro elementi Terra Aqua
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in vielerlei Hinsicht dem ewigen, dreifaltigen, unveränderlichen Gott ähnle. Es handle sich um ein immer gleichbleibendes Relationsgefüge, eine dreiteilige Einheit, die sich nicht logisch-begrifflich erfassen bzw. definieren lasse; es gebe für diese Proportion eben keine rationale Zahl, stets bleibe sie okkult. Zudem liefere sie das Konstruktionsschema des Dodekaeders, der als komplexester der regelmäßigen Polyeder das Element des Himmels repräsentiere.94 In den anschließenden Kapiteln des Compendium zählt Pacioli dreizehn der unzähligen »mirabili«, »ineffabili«, »innominabili«, »inextimabili« Effekte auf, welche die divina proportione qua mathematisch-geometrischer Figuren erzeugen könne.95 Stets unterstreicht er, dass sich die divina proportione mit ihrer spezifischen Wirkungsästhetik sprachlichem Zugang und v. a. begrifflicher Definition entziehe. »The irrationality of geometry becomes a touchstone of excellence«, formuliert John Onians diesbezüglich treffend.96 Dabei eröffnet das Proportionsverhältnis des goldenen Schnitts laut Pacioli Einblick in und Erkenntnis über göttliches Wissen. In der Konsequenz bedeutet dies, wenn der gelehrte Künstler die Lehre der Geometrie und v. a. des goldenen Schnitts anwendet, können die bildkünstlerischen Medien Malerei und Zeichnung genau diese epistemische Dimension sichtbar machen. Über jene Konzeption der göttlichen Proportion und der damit Aire e fuoco. […] Cosi questa nostra sancta porportione (sic!) lesser formale da (secondo lantico Platone in suo Timeo) a epso cielo atribuendoli la figura del corpo detto Duodecadron [che] senza la nostra proportione non è possibile poterse formare.« Pacioli, Divina proportione, f. 3v–5v. 94 In Platons Timaios (53b–c) werden vier Grundelemente der göttlichen Schöpfung genannt, denen vier gleichmäßige Polyeder als geometrische Grundbausteine analog gesetzt werden (Tetraeder – Feuer; Hexaeder – Erde; Oktaeder – Luft; Ikosaeder – Wasser) und die durch jeweils angemessene Proportionen entstehen; der Dodekaeder steht unterdessen für den Kosmos / Himmel. Zur Proportion, insbesondere der des goldenen Schnitts, als quasi poietischer Mittlerin schreibt Platon: »Daher schuf der Gott, als er den Körper des Alls zusammenzusetzen begann, ihn aus Feuer und Erde. Daß sich zwei Bestandteile allein ohne einen dritten wohl verbinden, ist nicht möglich; denn ein bestimmtes Band in der Mitte muß die Verbindung zwischen beiden schaffen. Das schönste aller Bänder ist aber das, welches sich selbst und das Verbundene, soweit möglich, zu einem macht. Das aber vermag ihrer Natur nach am besten die Proportion zu bewirken. Wenn nämlich von drei Zahlen, seien es nun irgendwelche Mengen- oder Quadratzahlen, sich die mittlere so zur letzten verhält wie die letzte sich zur mittleren so die mittlere zur ersten[.]« Platon, ΤΙΜΑΙΟΣ . TIMAIOS , in: ders., Werke in Acht Bänden. Griechisch und deutsch, Bd. 7 (Timaios. Kritias. Philebos), bearbeitet v. Klaus Widdra, Darmstadt 2005 (4. unveränderte Auflage), S. 41, 31b–c, 32a. Bezüglich der Referenz auf Euklids Elementa wiederum merkt Marinoni an, dass Pacioli sich auf die lateinische Edition von Giovanni Campano beziehe. Siehe: Marinoni, »Luca Pacioli e il ›De Divina Proportione‹«, S. 8. 95 Er wählt die Zahl 13, da sie der Anzahl der Apostel und Jesus beim Abendmahl entspreche – wobei er zugleich auf Leonardos Wandbild des Abendmahls in Mailand verweist. Pacioli, Luca, Divina proportione, Paganius Paganinus, Venedig 1509, Prima Pars, Kapitel 23, 7v–8r. 96 Onians, Bearers of Meaning, S. 219.
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Abb. 2.16: Abbildung eines menschlichen Profils mit den Vermessungslinien des goldenen Schnitts aus: Pacioli, Luca, Divina proportione (Venedig 1509), Tafel 1 – Foto: privat
einhergehenden Reflexionen der sprachlichen Grenzen des daran gebundenen Wissens ergeben sich Diskursinterferenzen etwa mit der negativen Theologie, bspw. mit Cusanus’ De docta ignorantia, wodurch die Bedeutung und Gelehrsamkeit der Thematik zusätzlich bestärkt wird.97 Die Überlegungen zu einem göttlichen und begrifflich nicht fassbaren Proportionsverhältnis, die im Kontext des interdisziplinären Gelehrtenkreises im Mailänder Hofkontext in den 1490erJahren entfaltet wurden, finden auch in Bramantinos Muse der Geometrie in 97 Zur negativen Theologie und Cusanus’ Reflexionen der Grenzen menschlichen Wissens über das Göttliche sowie der Möglichkeiten spiritueller und intellektueller Annäherungsversuche an eben jene epistemischen Grenzen siehe bspw.: Frensch, Michael, Das gelehrte Nichtwissen. Die Philosophie des Nikolaus Cusanus im Verhältnis zur Geistesentwicklung des Mittelalters, Frankfurt am Main 1978, S. 43–56, 66.
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Voghera Widerhall. Sowohl Erathon als auch das Gemälde an sich qua seiner Faktur werden zur Figur göttlichen Wissens. Der epistemologische Status der Malerei als scientia ist somit unbestreitbar – und Bramantinos Gelehrsamkeit ebenso. Zugleich ist die Anwendung des goldenen Schnitts zur Ausrichtung der Figuren im Bildfeld in Bramantinos Malerei kein Einzelfall oder gar Zufall, sondern eine Darstellungsstrategie, die sich (neben dem Titelblatt der Antiquarie prospetiche Romane) auch in mehreren seiner Madonnen-Darstellungen Ende der 1490er-Jahre finden lässt. Dabei wandte der Mailänder Maler das Kompositionsschema wohlgemerkt nicht in seinem frühen Werk der Madonna del latte (um 1485, Boston, Museum of Fine Arts) an, das vor dem Aufenthalt Paciolis in Mailand und der durch ihn geprägten intensiven Auseinandersetzung mit der divina proportione entstand.98 In der späteren, um 1495/1500 entstandenen, quadratischen Tafel der Anbetung der Könige (Farbtafel 5 und 6) hingegen rahmt ein Rechteck der göttlichen Proportion genau jenen Ort, an dem das Jesuskind auf Mariens Schoss steht und von Johannes dem Täufer den Betrachtenden als Gottessohn und Erlöser gezeigt wird.99 Zudem wird Maria – mit einem Turban in Analogie zur Figur einer Sibylle – auch kompositionell als Figur göttlich inspirierten Wissens dargestellt.100 Auf den Stufen des Throns sind außerdem steinerne Gefäße, Kuben und Vasen in verschiedenen Ansichten und linear98 Zur Bostoner Madonna siehe: Cairati, Carlo, »Bramantino, Madonna con il Bambino o Madonna che allatta il Bambino«, in: Bramantino. L’arte nuova del Rinascimento lombardo, Ausst.kat, hg. v. Mauro Natale, Mailand 2014, Katalog-Nr. 2, S. 86 f. Ich danke Frederick Ilchman, Kurator Art of Europe am Museum of Fine Arts Boston, herzlich für die Möglichkeit, das Gemälde Bramantinos im Depot studiert haben zu können. Nicht nur Bramantino und selbstverständlich Pacioli, sondern auch Leonardo wandte den goldenen Schnitt in ausgewählten Werken an. Pacioli bspw. in Darstellungen des Profils eines ideal proportionierten Gesichts (siehe Abb. 2.16 sowie: Pacioli, Divina proportione, Prima Pars, f. 25v) und Leonardo im berühmten Porträt ›la Gioconda‹ (Paris, Musée du Louvre), in dem der goldene Schnitt die Längsseite des Bildfeldes über die horizontale Mauerkante hinter der Porträtierten in ideale Teilstrecken unterteilt. Zu Pacioli siehe weiter: Angelini, Alessandra, »Leonardo da Vinci e Luca Pacioli. Una tipografia aurea«, in: Approfondimenti sull’Uomo vitruviano di Leonardo da Vinci, hg. v. Paola Salvi, Mailand 2014, S. 191–202, S. 194, 198. Zu Leonardos Gemälde und dem goldenen Schnitt siehe: Brown, David Alan, »Leonardo and the Idealized Portrait in Milan«, in: Arte Lombarda. Nuova Serie, 67/4 (1983), S. 102–116, S. 116; Sinisgalli, »Leonardo e la sezione aurea«, S. 125–127. 99 Siehe zum Gemälde im allg.: Robertson, Charles, »Bramantino, The Adoration of the Kings«, online veröffentlicht 2014, in: Building the Picture: Architecture in Italian Renaissance Painting, The National Gallery, London, http://www.nationalgallery.org.uk/ paintings/research/exhibition-catalogues/building-the-picture/architectural-time/ bramantino-adoration-of-the-kings (zuletzt eingesehen am 22.07.2020). 100 Zum Turban als Attribut von Madonnenfiguren in Analogie zu Sibyllen siehe: Ferrari, Simona, Jacopo de’ Barbari. Un protagonista del Rinascimento tra Venezia e Dürer, Mailand 2006, S. 111 f.; Dalli Regoli, Gigetta, »›Non …da natura, ma per lungo studio‹: riferi-
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Abb. 2.17: Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Thronende Madonna mit Kind und den Heiligen Ambrosius und Michael – sogenannter Trittico di San Michele / Madonna delle torri, 1515–1520 ca., Altarbild, Tempera und Öl / Holz, 122 × 157 cm, Pinacoteca Ambrosiana, Mailand (mit Vermessungslinien von Mira Becker-Sawatzky)
perspektivischen Verkürzungen gemalt. Neben der Semantik des Empfangens und Darbietens in der Anbetungsszene demonstrieren sie Wissen und Können des Malers, geometrische Formen in linearperspektivischen Konstruktionen zu zeigen. Darüber hinaus stehen die Gefäße in ihrer rhythmisch verteilten Farbgebung in Grün, Rosa, Weiß und Blau in Analogie zur Farbe der Kleidung der Madonna und können über dieses Bezugssystem von Symmetrie und farblicher Harmonie auf die grazia der Gottesmutter hinweisen.101 Es entfaltet sich demnach ein dichtes Netz an perspektivischen Konstruktionen und geometrischen wie chromatischen Proportionierungen. Auch in dem um 1505 gemalten Mailänder Altarbild der Madonna mit Kind und den Heiligen Ambrosius und Michael (Abb. 2.08, 2.17) scheint es, dass der goldene Schnitt zur Geometrisierung eben mento, citazioni e rielaborazioni nelle Madonne di Raffaello«, in: Studi su Raffaello, hg. v. Micaela Sambucco Hamoud und Maria Letizia Strocchi, Urbino 1987, Bd. 1, S. 419–428. 101 Zur frühneuzeitlichen Konzeption von grazia / gratia siehe Kapitel 5.1 und: Eusterschulte, Anne / Schneider, Ulrike, »Gratia in der Vormoderne«, in: Gratia. Mediale und diskursive Konzeptualisierungen ästhetischer Erfahrung in der Vormoderne, hg. v. dens., Wiesbaden 2018, S. 1–6.
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jenes Teils des Bildes angewandt wurde, der beginnend mit der Stufe des Thrones den himmlischen Bereich der Darstellung betrifft und somit gewissermaßen eine Trennung von den am Boden liegenden, negativ besetzten Figuren zu den heiligen Figuren der Sacra conversazione vollzieht und die Gottesmutter am idealen Ort des Bildes positioniert.102 Und ebenso im großformatigen Fresko der Madonna mit Kind und Engeln (um 1512) rahmt die göttliche Proportion exakt den von einem Strahlenkranz erleuchteten Kopf der thronenden Gottesmutter, wenn man das Bildfeld ab der Sockelkante, auf der die Madonna ihren Fuß scheinbar über die Bildgrenze hinausschiebt, durch die Proportionierungen des goldenen Schnitts aufteilt (Farbtafeln 7 und 8) – erneut wird also zudem eine Schwellensituation markiert, von Irdischem zu Göttlichem.103 In Verschränkung mit der Positionierung in idealisierten Bildfeldern göttlicher Proportion sind die Madonnen Bramantinos zudem typisiert; ihre Gesichter sind fern eines Interesses an individuellen Physiognomien gestaltet, vielmehr idealisiert und gewissermaßen übernatürlich.104 Dabei verhüllen außerdem voluminöse, monochrome und tektonische Gewänder die Anatomie der Körper, monumentalisieren die überirdisch schönen Gestalten und stellen sie quasi still in überzeitlichen Szenerien göttlicher Harmonie.105
102 Siehe zu diesem Gemälde auch oben in diesem Kapitel Anm. 41. 103 Zum Fresko allg.: Natale, Mauro / Rossetti, Edoardo, »Bramantino, La Madonna con il Bambino e due angeli (Soli Deo)«, in: Bramantino. L’arte nuova del Rinascimento lombardo, Ausst.kat, hg. v. Mauro Natale, Mailand 2014, Katalog-Nr. 43, S. 258–264. 104 Francesca Rossi spricht diesbezüglich treffend von einer »tipologia femminile che Bramantino inizia a replicare fin dall’Adorazione dei Magi […]. Un’indagine dell’artista [che] non è incline a un’esplorazione fisionomica di carattere scientifico [ma che] propende piuttosto per la definizione di un’umanità ideale sostanzialmente antinaturalistica«. Rossi, Francesca, »Bramantino, Tre studi fisionomici recto, studio di un dettaglio roccioso e per una corazza militare verso, 1502–10«, in: Bramantino. L’arte nuova del Rinascimento lombardo, Ausst.kat., hg. v. Mauro Natale, Mailand 2014, Katalog-Nr. 20 a–b, S. 164–167, S. 165 f. 105 Vgl. Jozef Grabskis Studie zur bildkünstlerischen Strategie der Monumentalisierung und Stillstellung der Figuren durch tektonische Gewänder in der Malerei Mantegnas und dessen Umfeldes: Grabski, Jozef, »Dignitas figurae. Andrea Mantegna: interrelazioni fra la scultura e la pittura«, in: Mantegna e Roma. L’artista davanti all’antico, hg. v. Teresa Calvano, Claudia Cieri Via, Leandro Ventura, Rom 2010, S. 303–338, S. 305–308. Die ikonographische Nüchternheit von Bramantinos Werken verbindet Mauro Natale des Weiteren überzeugend mit den Mendikantenorden als Auftraggeber Bramantinos: Natale, Mauro, »La mostra di Lugano. Seguendo Bramantino per un tratto«, in: Braman tino. L’arte nuova del Rinascimento lombardo, Ausst.kat., hg. v. dems., Mailand 2014, S. 16–41, S. 38 f. Für einen entsprechenden zeitgenössischen Quellentext siehe: Savonarola, Girolamo, Prediche italiane ai Fiorentini. Quaresima del 1496, III .1, hg. v. Roberto Palmarocchi, Florenz 1933, S. 391 f.; Savonarola, Girolamo, Esposizione sopra l’orazione della Vergine, Florenz o. J. (um 1496/97). Zu den überzeitlichen Architekturszenerien der Werke Bramantinos siehe oben Anm. 78.
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Und wie bei den Madonnenfiguren ist auch der Kopf des Protagonisten im Titelblatt der Antiquarie prospetiche Romane im Rechteck des goldenen Schnitts des Bildfeldes platziert, wodurch der Künstler als Schöpfer geometrischer Formen und als Gelehrter der mathematischen scientiae positioniert wird (Abb. 2.02, Kapitel 2.1). Auf dieselbe Weise nun wird Erathon als Geometrie konfiguriert, die die göttliche Proportion liefert und schöne Harmonie ermöglicht. Die Malerei des Mailänder Malers bzw. ›Perspektivmalers‹ bringt die wirkmächtige Schönheit der divina proportione zur Anschauung, ohne dass ihr Geheimnis entkräftet wird, bleibt doch die Konstruktionsweise geheimnisvoll verhüllt. In einem einzigen Blickfeld werden damit im Bild der Erathon schließlich zahlreiche Aspekte in Verschränkung aufgezeigt: die geheimnisvolle Schönheit geometrischer Ordnung und ihrer göttlichen Proportion, Wissen um Perspektivkon struktionen sowie Verweise auf visuelle und klangliche bzw. poetische Harmonie und Stimmigkeit. Dadurch positioniert Bramantino die Malerei im studiolo in der Wissenshierarchie auf Augenhöhe mit anderen etablierten scientiae, wenn nicht gar – in Anbetracht der verdichteten Zusammenführung der Themen- und Wissensbereiche im Bild – als überlegene ars & scientia.106 Am Beispiel des Bildprogramms im studiolo von Voghera und den Antiquarie prospetiche Romane wird deutlich, dass im lombardischen Diskurs um 1500 eine wissensgeschichtlich bedeutsame Debatte um den Status und die epistemischen Potentiale der Malerei im Gang war, im Zuge derer für ein Verständnis der Malerei als scientia aufgrund ihrer engen Beziehungen zur Geometrie und der ihr zugehörigen Perspektiv- und Proportionslehren argumentiert wird. Dabei handelt es sich um eine scientia, die gerade auch qua solchen Wissens agiert bzw. ein solches Wissen zur Anschauung bringt, das als ein elusives Wissen im zeitgenössischen Diskurs reflektiert und geltend gemacht wird. Die Debatte wird in unterschiedlichen Medien, Materialien und thematischen Zusammen106 Dass Bramantino in seinen Werken bildkünstlerische Kompetenzen in den Bereichen Geometrie und Perspektive ausstellt und damit einen Beitrag zum Wettstreit der Malerei mit anderen Künsten bzw. Wissensbereichen konfiguriert, zugleich mit einer gewissen Opazität seiner Werke spielt, wird auch im frühen, kleinformatigen und auf Pergament gemalten Bild Philemon und Baucis (Köln, Wallraff-Richartz-Museum) deutlich. Ulrich Rehm hat überzeugend herausgearbeitet, dass in jenem Gemälde der prominent ins Bild gesetzte Knoten des Tischtuchs das Auge des Betrachters zu repräsentieren vermag, in welchem die Strahlen der Albertinischen Sehpyramide bzw. die zentralperspektivischen Konstruktionslinien zusammenlaufen, während die dargestellte mythologische Geschichte und die Art ihrer visuellen Inszenierung die Malerei erfolgreich mit der Dichtung wetteifern lassen. Siehe: Rehm, Stumme Sprache der Bilder, S. 288 ff.; Rehm, Klassische Mythologie im Mittelalter, S. 331–338. Rehm konstatiert zudem treffend: »[F]ür wie richtungsweisend man die künstlerische Position Bramantinos auch halten mag: Sie zeugt von einer Komplexität, die erhebliche Herausforderungen an die Betrachter stellt.« Rehm, Klassische Mythologie im Mittelalter, S. 331.
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hängen geführt. Die Herausbildung der Wissensfragen und die Debattenkultur, mit der die soeben besprochenen Werke in Dialog treten, wird nun im Folgenden weiter konturiert. Dabei sind die für die Musen in Voghera und die Antiquarie prospetiche Romane bereits herausgearbeiteten Dialogpartner Leonardo, Bramante, Pacioli und Gaffurio unter den Akteuren, die den epistemischen Agon im Kontext des Mailänder Sforza-Hofes während der 1490er-Jahre maßgeblich gestalten.
2.3 Interdisziplinäre Gelehrtendebatten um die Nobilitierung der Malerei, Verhandlungen elusiven Wissens & bildkünstlerische Stilfragen 2.3.1 Scientifici duelli und die Academia Leonardi Vinci am Mailänder Hof Ludovico Sforzas Der Mailänder Hof Ludovico Sforzas kann als einer der »most sumptuous in Europe« während der frühen Neuzeit beschrieben werden, in dessen Kontext zahlreiche prominente, internationale Kulturschaffende unterschiedlicher Disziplinen aktiv waren.107 Von einer eindrucksvollen Gelehrtenkultur berichtet etwa Bernardino Corio 1503 in seiner Mailänder Stadtchronik: Lodovico Sforza Principe glorioso: & Illustrissimo: a suoi stipendii: e quasi infine da le ultime parte de Europa haveva conducto homini excellentissimi. Quivi nel greco era la doctrina: quivi versi e la prosa latina risplendevano: quivi del rimitare [ed. 1646: rimare] eran le muse: quivi nel sculpire erano i maestri: quivi nel depingere li primi da longinqua regione erano concorsi: quivi de canti e soni da ogni generatione erano tante suave e dolcissime armonie che dal cielo pareano fussen [fossero] mandate a la ex[cellente] corte.108
107 Zum Zitat siehe: Brown, »Leonardo and the Idealized Portrait«, S. 102 f. Vgl. zum SforzaHof v. a. die unter Anm. 109 genannten Forschungsbeiträge sowie umfangreiches Material liefernd und gewissermaßen ein ›Klassiker‹: Malaguzzi Valeri, Francesco, La corte di Ludovico il Moro, 4 Bde., Mailand 1913–1929. Zum Mailänder Hof als Kunstzentrum im Vergleich zu anderen norditalienischen Fürstenstädten siehe: Rosenberg, Charles M. (Hg.), Artistic Centers of the Italian Renaissance. The Court Cities of Northern Italy. Milan, Parma, Piacenza, Mantua, Ferrara, Bologna, Urbino, Pesaro, and Rimini, New York 2010. 108 Corio, Bernardino, Patria Historia, Alessandro Minuziano, Mailand 1503, o. S. (erste Seite des Kapitels Bernardini Corii Marci. F. patricii qui primus origines et inclyta mediolanensium gesta monumentis literrarum mandavit patriae historiae. Pars septima et ultima). Siehe auch die Neuauflage: L’historia di Milano volgarmente scritta dall’eccellentissimo oratore M. Bernardino Corio gentil’huomo milanese, Padua 1646, S. 882.
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In dieser Vielfalt florierte eine interdisziplinäre Debatten- und Wettstreitkultur, an der insbesondere auch Bildkünstler prominent beteiligt waren und innerhalb derer es um Wissensfragen sowie Um-Ordnungen traditioneller Wissensmodelle und nicht zuletzt den epistemologischen Status der Bildkünste ging, wie mit den nun folgenden Beispielen dargelegt wird.109 An einem »laudabile e scientifico duello« nahm etwa Luca Pacioli am 9. Februar 1498 im Castello Sforzesco teil, wie er zu Beginn seines Ludovico Sforza gewidmeten Compendium de divina proportione berichtet.110 Pacioli beschreibt eine illustre Besetzung dieses Wettstreits: Neben dem Mailänder Herzog zählt er eine Reihe historisch identifizierbarer und nachweislich miteinander bekannter Persönlichkeiten auf – Mediziner, Astrologen, Physiker, Mathematiker, Theologen, Redner, Juristen, Sekretäre, einen Condottiere sowie Ingenieure und Künstler, wobei er v. a. »Leonardo da venci nostro conpatrio Fiorentino« als großartigen Bildhauer und Maler lobend hervorhebt.111 Demnach handelte es sich also explizit um einen Wettstreit von Vertretern unterschiedlicher scientie, anders als bspw. im Falle des zwischen 1485 und 1492 unter Herzogin Beatrice d’Este am Mailänder Hof inszenierten Dichterwettstreits zwischen den Hofpoeten Gaspare Visconti und Bernardino Bellincioni, bei dem es u. a. um Donato Bramante sowie v. a. um die
109 Während der letzten Jahrzehnte haben u. a. Monica Azzolini, Jill Pederson, Cynthia Pyle und Evelyn Welch in einschlägigen Studien wichtige Aspekte der Relation von (v. a. spät-)quattrocentesker Mailänder Hofkultur bzw. signoriler Auftraggeberschaft und dem gesellschaftlichen Status von Bildkünstlern herausgearbeitet. Siehe: Azzolini, Monica, »Anatomy of a Dispute: Leonardo, Pacioli and Scientific Courtly Entertainment in Renaissance Milan«, in: Early Science and Medicine, 9/2 (2004), S. 115–135; Azzolini, Monica, »In Praise of Art: Text and Context of Leonardo’s Paragone and Its Critique of the Arts and Sciences«, in: Renaissance Studies, 19/4 (2005), S. 487–510; Pederson, Jill, »Leonardo, Bramante, and the Visual Tradition of Friendship«, in: Leonardo in Dialogue. The Artist Amid His Contemporaries, hg. v. Francesca Borgo, Rodolfo Maffeis und Alessandro Nova, Venedig 2019, S. 147–164; Pederson, Jill, »›Under the Shade of the Mulberry Tree‹: Reconstructing Nature in Leonardo’s Sala delle Asse«, in: Leonardo da Vinci – Nature and Architecture, hg. v. Constance Moffatt und Sara Taglialagamba, Leiden 2019, S. 168–190; Pederson, The Academia Leonardi Vinci; Welch, Art and Authority; Pyle, Milan and Lombardy. 110 Pacioli, Divina proportione, Pars Prima, f. 1r. Zu Gliederung, Themen, erhaltenen Ma nuskripten und frühneuzeitlichen Editionen des Compendium de divina proportione siehe oben in diesem Kapitel Anm. 86. 111 Pacioli, Divina proportione, Pars Prima, f. 1r. Genannt werden u. a. der Hofastrologe A mbrogio Varesi da Rosate, der Mediziner Gabriele Pirovano, der Arzt Nicola Cusano, der Prediger Fra Domenico Ponzone und der Condottiere Gian Galeazzo Sanseverino. Vgl. auch: Azzolini, »Anatomy of a Dispute«, S. 120, 122; Hessler, Christiane J., Zum Paragone: Malerei, Skulptur und Dichtung in der Rangstreitkultur des Quattrocento, Berlin 2014, S. 196–201. Überraschend ist, dass Pacioli Donato Bramante nicht namentlich erwähnt, obwohl dieser neben Leonardo einer der prominentesten Künstler am SforzaHof war.
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Frage ging, ob Dante oder Petrarca Vorrangigkeit gebühre.112 In Ergänzung der Bemerkungen zum scientifico duello zu Beginn des Compendium kommt Pacioli an etwas späterer Stelle des Textes noch auf eine Kunst- und Architekturdebatte über die Ausstattung des Mailänder Doms zu sprechen, die ebenfalls 1498 und in ganz ähnlicher interdisziplinärer Besetzung am Sforza-Hof stattgefunden habe – genauer gesagt in der »camera detta de moroni«.113 Die »camera detta de moroni« ist ein Raum in der Rocca des Castello Sforzesco, der wohl als Empfangssaal und für Treffen des Herzogs mit engen Vertrauten vorgesehen war.114 Das lombardische »moroni« steht für Maulbeerbäume (ital. moro / mori) und im übertragenen Sinne zugleich für den Herzog selbst: Denn Ludovico Sforza trug vermutlich aufgrund seiner Hautfarbe (ital. moro: schwarz) sowie aufgrund einer mit dem Motiv des Maulbeerbaums spielenden Emblematik den Beinamen il Moro.115 Der Maulbeerbaum mit seinen brombeerähnlichen Beeren, herzförmigen und runden Blättern und dem gewundenen Astwerk galt laut Plinius als der weiseste Baum, wartete er doch den rechten Moment ab, um nach langsamer Reife schlagartig Früchte und Blüten zu tragen.116 Zudem lieferte der Maulbeerbaum das Hauptnahrungsmittel für Seidenraupen, die im Herzogtum Mailand in großem Stil für die dort ansässige Seidenproduktion gezüchtet wurden.117 Das Motiv des Maulbeerbaums bot sich daher in sinnfälliger Weise für ein emblematisches Herrscherlob Ludovicos an, wie es sich z. B. in einem Sonett Bernardino Bellincionis findet. Unter dem Titel In laude di 112 Siehe Hessler, Zum Paragone, S. 200 f. Zum poetischen Wettbewerbsbeitrag Gaspare Viscontis siehe: Beltrami, Luca, Bramante poeta. Colla raccolta dei sonetti in parte inediti, Mailand 1884, S. 8. Christiane Hessler weist zudem nachdrücklich darauf hin, dass sich das Format der Mailänder scientifici duelli in Auseinandersetzung mit rhetorischen Wortgefechten quattrocentesker Festkultur etablierte. Siehe: Hessler, Zum Paragone, S. 197. 113 Pacioli, Divina proportione, Pars Prima, f. 35r (Kapitel 20, Delle colonne situate sopra altre colone nelli hedifitii). Siehe auch: Pederson, »›Under the Shade of the Mulberry Tree«. Vgl. auch Hessler, Zum Paragone, S. 202. 114 In den 1490er-Jahren ließ Ludovico Sforza eine Serie von camerini neu erbauen bzw. umgestalten (Kapelle, Schatzkammer und camera detta de moroni bzw. Sala delle Asse), deren vorherrschendes Thema heraldisch war. Siehe: Welch, Art and Authority, S. 208, 232 f. Zur camera detta de moroni als Empfangssaal: Syson, Luke, »The Rewards of Service. Leonardo da Vinci and the Duke of Milan«, in: Leonardo da Vinci. Painter at the Court of Milan, Ausst.kat., hg. v. dems. und Larry Keith, London 2011, S. 12–53, S. 43. 115 Siehe: Pederson, »Leonardo, Bramante«, S. 156 f. Zum Maulbeerbaum als Herrschaftssymbol Ludovicos siehe auch: Marani, Pietro C., »Leonardo e le colonne a tronchonos: tracce di un programma iconologico per Ludovico il Moro«, in: Raccolta Vinciana, 21 (1982), S. 103–120. 116 Siehe: Wind, Pagan Mysteries in the Renaissance, S. 112. 117 Ludovico Sforza hatte die Pflanzung zahlreicher Maulbeerbäume zur Unterstützung der Seidenproduktion im Herzogtum Mailand gefördert. Siehe: Schneider, Andrea, Das Kulturgut Seide. Der Seidenhandel unter historischen und kulturgeschichtlichen Aspekten, Hamburg 2014, hier v. a. S. 41.
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quattro uomini famosi nutriti sotto all’ombra del Moro wird il Moro in Gestalt eines Schatten spendenden Maulbeerbaums als Schirmherr berühmter Künstler gefeiert, zu denen u. a. der Goldschmied Caradosso und Leonardo gehören.118 Auch Gaspare Visconti wusste das symbolträchtige Motiv des Maulbeerbaums zu nutzen. Im Prolog der Pasithea (1. Hälfte der 1490er-Jahre) – einer favola mitologica, die auf Ovids Metamorphosen-Geschichte von Pyramus und Thisbe rekurriert – heißt es, dass Mailand unter dem Schatten eines »Moro« weltweiten Ruhm erhalten habe: »sotto un Moro a l’ombra / che di sua fama tutto el mondo ingombra«.119 1498 transferierte Leonardo die Idee des Schatten spendenden Maulbeerbaums als Sinnbild der ertrag- und ruhmreichen Regentschaft Ludovicos in das Medium der Wand- und Deckenmalerei: Er hatte vom Herzog den Auftrag erhalten, jenes Zimmer des Hofes von Porta Giovia zu gestalten, das auch als Sala delle Asse bekannt ist (Abb. 2.18, Farbtafeln 9 und 10).120 Seitdem wachsen an den Wänden – heute nur noch fragmentarisch erhalten – aus behauenen Steinen Baumstämme empor, deren Äste und Zweige entlang der Decke ein dichtes, rautenförmig strukturiertes Geflecht bilden. Dabei erweckt die illusionistische Pergola aus den für den Maulbeerbaum charakteristischen herzförmigen und runden Blättern sowie Beerenfrüchten den Eindruck eines Außenraumes.121 118 Bellincioni, Bernardino, Le Rime di Bernardo Bellincioni, hg. v. Pietro Fanfani, Bologna 1876, S. 106, Sonett 77. 119 Visconti, Gaspare, Rime, Mailand, Biblioteca Trivulziana, Codex Triv. 1093, für den Text der Pasithea siehe ebd., ff.75v–100r, hier f. 76. Zu Viscontis Pasithea siehe ausführlich: Pyle, Milan and Lombardy, S. 139–150. Die Verbreitung der emblematischen Funktionalisierung des Maulbeerbaums in Ludovicos Herrscherlob während der 1490er-Jahre zeigt sich ebenso in einem von Giovan Pietro Birago illuminierten Manuskript von Giovanni Simonettas Sforziade (1490), in dem Ludovico Sforza in Gestalt eines Baumes zu sehen ist und seinem jungen Neffen Gian Galeazzo Schutz bietet. Siehe: Pederson, »›Under the Shade of the Mulberry Tree‹«, S. 179 ff. 120 Siehe Catturini, Carlo, »Leonardo da Vinci nel Castello Sforzesco di Milano: una citazione di Luca Pacioli per la Sala delle Asse ovvero la camera dei Moroni«, in: Prospettiva, 147–148 (2012), S. 159–166. Zu den Quellendokumenten der Sala delle Asse siehe: Costa, Patrizia, La Sala delle Asse in the Sforza Castle in Milan, University of Pittsburgh 2006, S. 188–249. Siehe aus der jüngsten Forschung zur frisch restaurierten und 2019 wiedereröffneten Sala delle Asse: Palazzo, Michela / Tasso, Francesca / Salsi, Claudio (Hgg.), Leonardo da Vinci. La Sala delle Asse del Castello Sforzesco. Sotto l’ombra del Moro, Mailand 2019; siehe zu den monochromen Stein-, Wurzel- und Astwerkdarstellungen an der Wand und den im Zuge der jüngsten Restaurierungsarbeiten freigelegten Vorzeichnungen – gerade auch hinsichtlich der Referenzen auf süddeutsche Druckgraphik: Salsi, Claudio, »Riflessi düreriani e tedeschi nella Sala delle Asse del Castello di Milano«, in: Dürer e il Rinascimento tra Germania e Italia, Ausst.kat., hg. v. Bernard Aikema, Mailand 2018, S. 115–123. Zu Leonardos Stand am Hof siehe: Syson, »Leonardo and Leonardism«, S. 106. 121 Vgl. auch: Welch, Art and Authority, S. 235. Die Äste umranken vier heraldische Plaketten, die auf politische und diplomatische Erfolge Ludovicos verweisen.
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Abb. 2.18: Leonardo da Vinci, Sala delle Asse, Detail der Nordwest-Wand, 1498, Wandmalerei, Museo d’Arte Antica del Castello Sforzesco, Mailand © Comune di Milano, tutti i diritti riservati
Während die Wahl des Maulbeerbaums auf Ludovico Sforza verweist, können die Baumstämme sowie das Flechtwerk aus Zweigen und Blättern zudem als gelehrte Referenz auf Vitruv verstanden werden. Denn im ersten Buch von De architectura verortet der römische Architekt den Ursprung der Architektur in den ersten aus Baumstämmen, Blättern und ineinander verflochtenen Ästen erbauten Hütten.122 Aus dem Mauerwerk herausbrechende Bäume finden sich 122 Dass Leonardo mit jener Idee Vitruvs vertraut war, bezeugt ein Vermerk in seinen Notizbüchern; zudem hatte er kurz zuvor den sog. Vitruvianischen Mann gezeichnet. Die Werke Vitruvs konnte er bspw. in Gaspare Viscontis Bibliothek einsehen oder sie mit Bramante oder Cesariano besprechen. Vgl.: Pederson, »Leonardo, Bramante«, S. 157 f.
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Abb. 2.19: Schule von Mailand (Meister der Romanzenhandschrift / Maestro di Paolo e Daria), Eröffnungsseite des dritten Kapitels eines Manuskripts von Gaspare Ambrogio Viscontis Di Paolo e Daria amanti, Ende 15. Jahrhundert, Buchmalerei und Text, Deckfarben auf Pergament, 27 × 17,8 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Berlin, inv. 78 C 27, f. 29r © bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Jörg P. Anders
außerdem in einer illuminierten Berliner Handschrift des Romanzo di Paolo e Daria (Abb. 2.19), den Gaspare Visconti für Ludovico Il Moro verfasst hatte, wodurch sich durchaus ein weiter gespanntes Interesse an dem Motiv im Mailänder Hofkontext nachvollziehen lässt.123 Zwischen dem Gehölz, den Blättern und den Zur Auseinandersetzung Leonardos mit dem Motiv des Gartens siehe: Alberti, »Dai giardini dipinti alle sale alberate«. 123 Siehe zur Handschrift: Wescher, Paul (Hg.), Kupferstichkabinett Studiensaal, Beschreibendes Verzeichnis der Miniaturen, Handschriften und Einzelblätter des Kupferstichka-
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Beeren des Maulbeerbaumzimmers sticht des Weiteren ein elegant geschlungenes goldenes Band hervor, das in unterschiedlichen Knotenarten ineinander verschlungen ist – gewissermaßen kunstvolle Fäden der Mailänder Seiden raupen.124 Über die verschlungenen goldenen Fäden im Maulbeerbaumzimmer konnte Leonardo zugleich einen Dialog mit der am Sforza-Hof hoch geschätzten und geförderten Textilkunst, dem Knüpf- und Stickhandwerk initiieren, in der derartige Schlaufenmuster für das Design von Kleidern und Tapisserien zu jener Zeit in Mode waren. 1492 z. B. hatte der Mailänder Hofmann und Dichter Niccolò da Correggio eine Reihe von »fantasia dei vinci« für die Stickerei eines Kleides für Isabella d’Este entworfen.125 Leonardo da Vinci imaginierte für die Sala delle Asse schließlich seine eigene fantasia ›del Vinci‹ im poetisch-spielerischen Transfer der Motive und ihrer allegorischen Bildhaftigkeit im Rahmen der Figuration von Natur.126 Darin offenbart sich nicht zuletzt Leonardos Auffassung, dass die Schöpfungskraft eines Malers in der Fähigkeit gründet, »to transform the natural, as experienced by the senses, into something new, by the disciplined exercise of reason (scienza) and imagination (fantasia)«, wie es Luke Syson treffend formuliert.127 Die camera de moroni als Veranstaltungsort von Kunstgesprächen und scientifici duelli steht mit ihren gewundenen Ästen, verschlungenen goldenen Kordeln und Knotenmustern zudem in engem Bezug zu einer Kupferstichserie, die Mitte der 1490er-Jahre nach Entwürfen Leonardos entstanden ist (Abb. 2.20).128
binetts der Staatlichen Museen Berlin, Leipzig 1931, S. 131 f. Auf einem weiteren Blatt der Handschrift (f. 15r) sind zudem in elegante Schlaufen gelegte goldene Bänder präsent, die aber dort als Aufhängungen von Medaillons und Ornament dienen und als solche einer buchmalerischen Darstellungstradition des Quattrocento verbunden zu sein scheinen. 124 Siehe: Kiang, Dawson, »Gasparo Visconti’s Pasitea and the Sala delle Asse«, in: Achademia Leonardi Vinci. Journal of Leonardo Studies and Bibliography of Vinciana, hg. v. Carlo Pedretti, 2 (1989), S. 101–109, S. 108. 125 Antonio Tagliente bezeichnet derartige Knotenmuster in seinem Lehrbuch zur Stickerei als »groppi moreschi, et arabeschi«. Siehe: Bambach, Carmen C., »Leonardo, Tagliente, and Dürer: ›La scienza del far di groppi‹«, in: Achademia Leonardi Vinci: Journal of Leonardo Studies and Bibliography of Vinciana, 4 (1991), S. 72–98, S. 76 f.; Pederson, »Leonardo, Bramante«, S. 162. 126 Auf diese poetisch-allegorische Art der Neukontextualisierung wies Jill Pederson aufschlussreich hin: Pederson, »Leonardo, Bramante«, S. 163. Die unterschiedlichen interpikturalen Bezüge und Bedeutungsebenen des Bildprogramms wurden dem exklusiven frühneuzeitlichen BetrachterInnenkreis vermutlich von einem »courtly guide« erläutert, siehe: Welch, Art and Authority, S. 236 f. 127 Syson, »The Rewards of Service«, S. 42. 128 Für die Zuschreibung der nach Vorlagen Leonardos gefertigten Kupferstiche an Francesco Galli, genannt Napoletano, der zur Mailänder Künstlergruppe um Leonardo gehörte, siehe: Rinaldi, Furio, »The Achademia Leonardi Vinci. Leonardo’s Pupils, Followers and the Legacy of the Master’s Works«, in: Leonardo da Vinci. The Design of
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Abb. 2.20: nach Leonardo da Vinci, Schlaufen- und Knotenformation mit der Inschrift ACADEMIA LEONARDI VINCI – Sechster Knoten, um 1490/1500, Kupferstich, 24,77 × 24,45 cm, Rosenwald Collection, National Gallery of Art, Washington, 1961.17.57.a–e © open access image download National Gallery of Art Washington
Die Drucke zeigen ein elaboriertes Spiel mit Symmetrien und ornamentalen Strukturen aus komplex ineinander verknoteten Linien. Auch in Leonardos Notizbüchern finden sich vergleichbar formierte Knotenmuster (Paris, Institut de France, Manuskript A, f. 114v, Manuskript H, f. 33v, 35r). Jill Pederson hat gezeigt, dass beim Isolieren einzelner Linien Formen sichtbar werden, die Leonardos architektonischen Zeichnungen von achteckigen Zentralbauten äußerst ähnlich sind (Abb. 2.21).129 Und gerade solche symmetrischen Grundrisse bezeichnet Leonardo in seinen Aufzeichnungen als »gruppi di Bramante« (um the World, Ausst.kat., hg. v. Pietro C. Marani und Maria Teresa Fiorio, Mailand 2015, S. 439–449, S. 447. Siehe zu möglichen Verbindungen der Kupferstiche zu islamischer Kunst: Bambach, »Leonardo, Tagliente, and Dürer«; Pederson, The Academia Leonardi Vinci, S. 152–162. 129 Siehe: Pederson, »Leonardo, Bramante«, S. 159 mit Abbildung.
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Abb. 2.21: Leonardo da Vinci, Zeichnungen u. a. von einer Kirche und einem Kirchengrundriss mit Text, um 1490, Feder und Tinte / Papier, Institut de France, Paris, Manuskript B (Ms 2173), f. 95r © RMN-Grand Palais (Institut de France) / René-Gabriel Ojéda
1490, Mailand, Biblioteca Ambrosiana, Codex Atlanticus, f. 611r).130 Mit Donato Bramante verband Leonardo in Mailand das Interesse für Zentralbauten, v. a. aber auch eine Freundschaft; so berichtet Leonardo in seinen Notizen bspw. davon, dass »Donnino« ihm die Konstruktionsweise einer Zugbrücke erklärt habe.131 Die beiden vielseitig versierten und gebildeten Künstler gehörten zudem jenem intellektuellen, höfischen Mailänder Netzwerk an, auf das die Inschrift 130 Siehe ebd. 131 Leonardo notierte im Manuskript M (um 1499, Paris, Institut de France, Ms. M., f. 53v): »Modo del ponte levatoio che mi mostrò Donnino«, zitiert nach ebd. S. 162.
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im Zentrum der Kupferstiche verweist: die Academia Leonardi Vinci. Zu der wohl informellen, aber eng verwobenen Gruppe gehörten neben Leonardo und Bramante u. a. auch Gaspare Visconti, Bernardino Bellincioni und Luca Pacioli, die sich in der camera de moroni zu scientifici duelli treffen und dabei auch über die Kupferstiche der gruppi di Bramante bzw. fantasie del vinci austauschen konnten.132 1618 berichtet Girolamo Borsieri von einer Architektur-Akademie am Mailänder Sforza-Hof mit Leonardo und Bramante sowie Antonio Boltraffio als Mitgliedern, wobei er mit dem Begriff der Architektur durchaus das vitruvianische Ideal vom Universalgelehrten aufzurufen vermag.133 Vor dem Hintergrund dieser Information bzw. Bezeichnung der Akademie erscheint das Thema der achteckigen Zentralbauten als Grundstruktur des Kupferstichdesigns noch einmal sinnfälliger. Zudem verweist Borsieri auf unterschiedliche, Leonardo zugeschriebene »lettioni di prospettiva, di macchine, e di edificij« an jener Akademie, die er im Besitz Guido Mazentas eingesehen habe.134 Derartige Berichte über Text und / oder Bild basierte lettioni passen durchaus zu Paciolis Berichten über interdisziplinäre Kunst- und Architekturgespräche in der camera de moroni im Jahr 1498. V. a. aber das bisher unveröffentlichte Manuskript der Isola Beata von Henrico Boscano (um 1513, Mailand) liefert interessante Belege und Informationen zur Zusammensetzung der Academia, die wohl ganz im Sinne des frühneuzeitlichen accademia-Begriffs aufgrund eines gemeinsamen Wissensdrangs zu ihren scientifici duelli zusammenkam und eine »re-examination of the hierarchies of knowledge« diskutierte.135 Die Virulenz dieser Thematik zeigte sich in den vorangegangenen Unterkapiteln bereits in den Antiquarie prospetiche Romane sowie im Musenzyklus Bramantinos. Boscano nun zählt im Rahmen
Die Pläne für Zentralbauten können als Referenz auf Filaretes in Mailand entstandenes libro architettonico (Kapitel 1.2) und frühchristliche Mailänder Kirchen (San Lorenzo, spätes 5. Jahrhundert) aufgefasst werden. Siehe: ebd., S. 161 f. Bramante hatte bspw. für Santa Maria presso San Satiro eine oktagonale Sakristei mit abwechselnd runden und eckigen Nischen entworfen, siehe ausführlich Kapitel 3.2. 132 Der Name der Akademie kann auf Leonardo als Gründer, Vorsitzenden oder prominentes Mitglied verweisen. Zur Ac(h)ademia Leonardi Vinci und ihrer Rezeption im lombardischen Diskurs des 16. Jahrhunderts siehe ausführlich Kapitel 4.2 sowie: Becker, Mira, »Grottesco & suavitas: Zur Kopplung von ästhetischem Programm und institutioneller Form in zwei Mailänder Kunstakademien der Frühen Neuzeit«, in: Wissen in Bewegung. Institution – Iteration – Transfer, hg. v. Eva Cancik-Kirschbaum und Anita Traninger, Wiesbaden 2015, S. 415–440, v. a. S. 422 ff. 133 Borsieri, Girolamo, Il supplemento della nobiltà di Milano, Giov. Battista Bidelli, Mailand 1619, Kapitel 16, S. 57 ff. 134 Ebd. 135 Siehe: Pederson, The Academia Leonardi Vinci, S. 30 f.; sowie S. ii, 12 ff. Zum frühneuzeitlichen Akademie-Begriff siehe: Kapitel 4.2 sowie Becker, »Grottesco & suavitas«; Lukehart, »The Accademia Seminars«, S. 47, 52.
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eines fiktiven Briefwechsels zwischen ihm als Autor und seinem Cousin Andrea »in lingua Milanese« zahlreiche Mitglieder auf, die er aus der »aacademia« gut kenne – allesamt historisch identifizierbare Persönlichkeiten aus dem Umfeld des Mailänder Hofes: Neben Leonardo, Bramante, Visconti und Bellincioni nennt er die Dichter und Schriftsteller Giovanni Cieco da Parma, Antonio Filormo Fregoso, Bartolomeo Simonetta, Cesare Sacco, Bernardo Accolti, Antonio Pelotti, Cornelio Balbo und Ambrosio Archinto sowie die Musiker Giovanni Maria Giudeo, Gaspare Werbecke, Johannes da Liege und Pietro da Olli (die beiden letzteren waren bis 1492 in Mailand) sowie den bereits in Bellincionis Sonett erwähnten Goldschmied Caradosso.136 Dass es in der aacademia gerade auch um das epistemische Potential der einzelnen Disziplinen der Mitglieder in einem agonalen Vergleich ging, wird etwa deutlich, wenn Boscano anmerkt, dass er im Geschriebenen nicht alle Regungen des Körpers erfassen könne, genauso wenig wie jemand ein wunderbares Gemälde oder eine Marmorskulptur hinreichend schriftlich beschreiben könne.137 Dass sich außerdem direkte Verbindungen des Mailänder Gelehrten- und Freundeskreises zum ebenfalls informellen Akademiezirkel um Marsilio Ficino im Umfeld der Medici in Florenz ziehen lassen, unterstreicht Jill Pederson – u. a. mit Verweis auf Personen wie Antonio Pelotti, genannt Archillini, der in beiden Zirkeln Mitglied war.138 Neben derartigen personellen und institutionellen Schnittstellen zeugt das Sujet eines um 1486 entstandenen Freskos von Bramante im Mailänder palazzo seines Freundes Gaspare Visconti vom kulturellen Netzwerk Florenz-Mailand: Die Rede ist vom weinenden Heraklit und lachenden Demokrit (Abb. 2.22). Dieses Bildthema war zu jener Zeit äußerst selten und – soweit bekannt – außer in Mailand nur in einem heute verlorenen Fresko in den 136 Boscano schreibt: » [Q]uelli homini da bene che io conobbe in la aacademia e primi che io me ricorda furno li magnifici Gaspare Visconti e Antonio Fileremo da Campo Fulgosio. Anchora Bartolomeo Simonetta, Messer Cesare Sacco, el Lancino, e Bernardo Aretino detto ›Unico‹, e il Cornigero, el Antonio Pelloto, el Bellincioni, Cornelio Balbo, Ambrosio Archinto. Poi certi pictori et ingegneri, Leonardo da Vinci, Bramante, e Caradosso. Poi Joanne Maria Giudeo, e Bagino perfecti sonatori da liuti. Poi certi musici M. Janes da legi, e Pietro da Olli, e Gasparo, e Giovan Ciecho, e molti altri philosophi et musici che io non mi ricordo di soi nomi. Poi Antonio Pagano Perino, e Maphirone sonatori de fianti, piferi, e tromboni.« Zitiert nach Pederson, The Academia Leonardi Vinci, S. 21 (in Boscanos Manuskript, das sich in Privatbesitz befindet, ff. 9v–10r). An anderer Stelle verweist Boscano zudem auf ein Zusammentreffen der Gruppe, bei dem neben Leonardo auch Theologen, Physiker und Ritter genannt werden. Ebd., S. 19– 21. Vgl. zu den genannten Personen auch: Syson, »Leonardo and Leonardism«, S. 111. 137 Boscano schreibt: »[I]o so che tutti li sentimenti dil corpo non si possano exprimere in scripto come per exemplo chi volesse scrivere duna formosa imagine depinta o sculpita in marmo.« Zitiert nach: Pederson, The Academia Leonardi Vinci, S. 50 (f. 9r des Manuskripts). 138 Ebd., S. 52.
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Abb. 2.22: Donato Bramante (Donato di Pascuccio), Heraklit und Demokrit, ca. 1486, Fresko auf Leinwand übertragen, 102 × 127 cm, ehemals aus einem Zimmer des Mailänder Palazzo von Gaspare Visconti (später Casa Panigarola), Pinacoteca di Brera © Pinacoteca di Brera, Milano
Räumlichkeiten des Florentiner Zirkels um Ficino dargestellt und von Ficino in einem Brief an Cristoforo Landino beschrieben worden.139 Bramantes Mailänder Fresko nun befand sich gemäß eines Inventars von 1500 in der »camera de la scola«, neben einer ebenfalls von Bramante 1487 ausgestatteten »camera di baroni« und einer »camera de li arbori«.140 Demnach diente das Zimmer mit dem Fresko Heraklits und Demokrits als Ort der Bildung und des intellektuellen Austauschs.141 In jenem Funktionskontext bringt das Bild, wie Jill Pederson 139 Pederson, »Leonardo, Bramante«, S. 152. 140 Für das Zitat siehe: https://pinacotecabrera.org/collezione-online/opere/eraclito-e-demo crito-bramante/ (zuletzt eingesehen am 22.07.2020). Wie in Voghera findet sich auch im Palast Viscontis die Kombination von Räumen mit Landschaftsdarstellungen und Architektursettings, wobei letzterer immer Ort der Gelehrsamkeit war. Siehe in diesem Kapitel Anm. 47. 141 Cesare Cesariano berichtet bspw. in seiner Edition von Vitruvs Architekturlehre davon, dass Viscontis Haus Treffpunkt illustrer Kulturschaffender war und er neben Bramante selbst oft zu Gast war. Schofield, Richard, »Gaspare Visconti, mecenate del Bramante«, in: Arte, committenza ed economia a Roma e nelle corti del Rinascimento, 1420–1530, hg. v. Arnold Esch und Christoph Luitpold Frommel, Turin 1995, S. 297–330, S. 310 f.
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überzeugend darlegt, philosophische Gegensätze zur Darstellung, die in ihrem Prinzip auf eine produktive, unterschiedliche Meinungen erörternde Streitkultur als epistemischen Modus der Wahrheitsfindung und in diesem Sinne auf scientifici duelli verweisen, worüber sie mit der höfischen Debattenkultur in Mailand verbunden werden können, zu welcher sowohl der Auftraggeber Gaspare Visconti als auch der Künstler des Freskos, Donato Bramante, gehörten.142 Heraklits Diktum »omnia secundum litem fieri« konnte dabei durchaus eine grundlegende Devise der interdisziplinären Mailänder scientifici duelli sein. Das Diktum wird auch von dem von Visconti hoch verehrten Petrarca in der Vorrede des zweiten Buches von De remediis utriusque fortunae angeführt – ein Buch, das Visconti nachweislich besaß: Von allem Gelesenen oder Gehörten, das meine Zustimmung fand, hat wohl kaum etwas so tief sich mir eingeprägt, so zäh in mir gehaftet, so häufig dem Gedächtnis Grund zur Wiederholung gegeben wie jenes Wort Heraklits: ›Alles geschieht gemäß dem Streit‹.143
Mittels dieser Maxime thematisiert Petrarca schließlich Fehden zwischen Philosophen, Grammatikern, Rhetoriklehrern und Vertretern aller artes, deren Konflikt quasi eine Art unabdingbares Naturgesetz bedeute.144 Eine solch produktive Streitkultur pflegte auch Visconti im bereits erwähnten Dichterwettstreit mit Bellincioni sowie in einem provokanten Gedicht, über das er sich mit einem Maler ins Duell begibt. Unter dem Titel In malum pictorem wird ein Maler dafür kritisiert, dass er immerzu dieselben Motive male und v. a. immer wieder ungewollt sich selbst porträtiere.145 Während Jill Pederson den Maler mit Leonardo als Viscontis Kollegen in der Academia identifiziert, argumentiert Luke Syson überzeugend für eine Anspielung auf Bramante.146 Denn Leonardo lehnte die sprichwörtliche Praxis »Jeder Maler malt sich selbst« entschieden ab, während Bramantes kurz zuvor vollendete Uomini d’arme für Viscontis palazzo in mehreren Fällen Verwandtschaft mit einem seiner Selbstporträts auf einer Bronze-Medaille (London, British Museum, Inv.nr. 1923,0611.8) aufweisen.
142 Siehe: Pederson, »Leonardo, Bramante«, S. 151 f., 154. 143 Im Original lautet die Passage: »Ex omnibus, quae vel mihi lecta placuerint vel audita, nihil paene vel insedit altius vel tenacius inhaesit vel crebrius ad memoriam rediit quam ilud Heracliti: ›Omnia secundum litem fieri.‹« Petrarca, Francesco, Heilmittel gegen Glück und Unglück. De remediis utriusque fortunae, lateinisch-deutsche Ausgabe in Auswahl übers. und komm. v. Rudolf Schottlaender, hg. v. Eckhard Keßler, mit den Abbildungen aus der deutschen Ausgabe Augsburg 1532, München 1988, hier S. 154 f. 144 Siehe ebd.; sowie: Pederson, »Leonardo, Bramante«, S. 152. 145 Siehe: Pederson, »Leonardo, Bramante, S. 152. 146 Vgl. ebd., sowie: Syson, »The Rewards of Service«, S. 40.
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Im Rahmen einer solchen florierenden antagonistischen Debattenkultur am Hof konnten jedenfalls traditionelle bzw. konventionelle Wissensmodelle sehr viel leichter in Frage gestellt und überarbeitet werden als dies innerhalb des institutionellen Rahmens von Universitäten oder Zünften der Fall war.147 Wie Veränderungen der Hierarchie der scientiae und die Frage nach dem Platz der Malerei im Wissensmodell nun konkret erörtert und eingefordert wurden, wird ein fokussierter Blick auf Beiträge Paciolis und Leonardos zeigen. Gleich zu Anfang des Compendium de divina proportione rühmt Pacioli die beiden großen herzoglichen Projekte Leonardos in Mailand – das Reiterstandbild Francesco Sforzas sowie das Abendmahl –, wobei er Leonardos Prominenz als Bildkünstler in der Reihe bedeutender Gelehrter unterstreicht. Auf das Lob folgt sogleich die Darlegung des Kernthemas des scientifico duello von 1498: Die Frage nach der Hierarchie der scientie und der Rolle der unterschiedlichen Disziplinen beim Erwerb von Wissen. Pacioli proklamiert, dass es ohne Geometrie, Arithmetik und Proportion keinen Erkenntnisgewinn gebe, da die göttliche Schöpfung auf Maß, Zahl und Ordnung basiere. Bereits Platon habe jene, die der Geometrie unkundig waren, nicht an seinem »celeberrimo Gymnasio« zugelassen, da es die Geometrie sei, in der sich »ognaltra scientia occulta« wiederfinde.148 Darauf aufbauend argumentiert Pacioli für eine Neuordnung des traditionellen Modells der artes liberales wie es bei Platon, Isidor von Sevilla und Boethius zu finden sei. Konkret fordert Pacioli, die Perspektive, die zusammen mit Arithmetik, Geometrie, Astrologie, Musik, Architektur, Kosmographie und allen anderen von jenen abhängigen Disziplinen Teil der jegliches Verstehen fundierenden »scientie e discipline mathematiche« sei, in den Reigen des Quadriviums (Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik) aufzunehmen; andernfalls, so Pacioli, müsse man die Musik aus der Gruppe entfernen.149 Denn vergleichbar der Musik, so die Argumentation des Mathematikers, könne die Perspektive Harmonie, Ordnung und damit Schönheit erzeugen sowie die Sinne erfreuen. Während die Musik jedoch den Hörsinn anspreche, richte sich die Perspektive an den Sehsinn, welcher
147 Monica Azzolini formuliert zur Wandlungsfähigkeit tradierter Wissensmodelle im Kontext des Hofes gegenüber jenen der Universitäten und Zünfte treffend: »Leonardo’s Paragone and Pacioli’s De divina proportione are likewise the outcome of the Milanese ›scientific duel‹. By challenging the traditional hierarchy of the arts, they both exemplify the dynamics of social and intellectual promotion of mathematicians and artists in the privileged setting of Renaissance courts, where courtly patronage could subvert the traditional disciplinary rankings.« Azzolini, »Anatomy of a Dispute«, S. 115; siehe auch ebd. S. 128; Azzolini, »In Praise of Art«, S. 491 f.; Hessler, Zum Paragone, S. 198 f. 148 Pacioli, De divina proportione, Prima Pars, f. 3r. 149 Ebd., f. 3r (für das Zitat), sowie 1v–2v. Vgl. auch: Ciocci, Argante, Luca Pacioli e la matematizzazione del sapere nel Rinascimento, Bari 2003, S. 47 f.; Azzolini, »Anatomy of a Dispute«, S. 120–123.
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als »prima porta« des Intellekts der nobelste Sinn sei.150 Mit dem Sehen nehme alles Wissen seinen Anfang, »dal vedere avesse initio el saper«.151 Darüber, dass die Perspektive genauso Teil des Quadriviums sein solle wie die Musik, integriert Pacioli in einem weiteren Argumentationsschritt die Malerei mit ihren unterschiedlichen Perspektivkonstruktionen in das maßgebliche Wissensmodell. Der Mathematiker lobt die Linear- und Luftperspektive und fragt, wer wohl nicht eine anmutige und wohl proportioniert gezeichnete Figur, der allein der Atem zu fehlen scheine, als etwas vielmehr Göttliches als Menschliches bezeichnen würde: »Oime chi e quello che vedendo una ligiadra figura con suoi debiti liniamenti ben disposta, a cui solo el fiato par che manchi. non la giudachi cosa piu presto divina che humana?«152 Die Malerei sei dabei genauso in der Lage die Natur nachzuahmen, wie die Sprache sich auszudrücken wisse: »E tanto la pictura immita la natura quanto cosa dir se possa.«153 Dies veranschaulicht Pacioli mit Leonardos Abendmahl im Refektorium der Mailänder Kirche Santa Maria delle Grazie. Dabei bespricht er aber nicht etwa Perspektivkonstruktionen, sondern vielmehr die Lebendigkeitswirkung der Bildfiguren. Man könne sich die Apostel, ihre Unterhaltungen und die Wahrheit des Satzes »einer von Euch wird mich verraten« nicht lebendiger und anschaulicher vorstellen als durch jenes Bild Leonardos, konstatiert er. Aufgrund der dargestellten Handlungen, Gesten und emotionalen Regungen der Bildfiguren scheine es, als sprechen sie.154 Über diesen Gedankengang positioniert Pacioli die Malerei, ihre imitatio naturae und wirkungsästhetischen Möglichkeiten in der Wissensdebatte. In den darauffolgenden Kapiteln des Compendium bespricht Pacioli die (halb-)regelmäßigen Polyeder, im Zuge dessen er Bilder dann ganz konkret im Wechselspiel mit dem Text zur Evidentialisierung seiner Ausführungen inte griert.155 Genauer gesagt: Sechzig großformatige, linearperspektivisch konstruierte und größtenteils kolorierte und aufwendig schattierte Zeichnungen der Polyeder »facto in piano con tutta perfectione de prospectiva, commo sa el nostro Lionardo vinci« interagieren mit dem Text und werden über Nummerierungen
150 Pacioli, Divina proportione, Prima Pars, f. 1v. 151 Ebd. 152 Ebd., f. 3r. 153 Ebd. 154 Pacioli schreibt: »El che agli ochi nostri evidentemente apare nel prelibato simulacro de lardente desiderio de nostra salute nel qual non e possibile con magiore atentione vivi li apostoli immaginare al suono dela voce del infallibil verita quando disse, unus vestrum me traditurus est. Dove con acti e gesti luno alaltro e laltro a luno con viva e afflicta admiratione par che parlino si degnamente con sua ligiadra mano el nostro Lionardo lo dispose.« Ebd., ff. 3r–v. 155 Zu den (halb-)regelmäßigen Polyedern aus mathematischer Sicht siehe: Ziegler, Mathematik – Das ist doch keine Kunst!, S. 23–36.
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mit ihm koordiniert.156 Erst in diesem medialen Zusammenspiel von Text und Bild werden Paciolis geometrische Erörterungen verständlich. Mit der Bedeutsamkeit bildlicher Darstellungen für das Verständnis der geometrischen Körper konnte Pacioli sich bereits bei seiner intensiven Rezeption des Libellus de quinque corporibus regularibus (1482–1492, Vatikanstadt, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Urb. Lat. 632) seines ebenfalls aus Borgo San Sepolcro stammenden Freundes Piero della Francesca auseinandersetzen. Der toskanische Maler und Kunsttheoretiker stellte in jenem Werk die geometrischen Körper mit rotbrauner Tinte in linearperspektivischer Ansicht zwischen einzelnen Textpassagen dar und holte gewissermaßen »die platonischen Körper erstmals in die Kunstdiskussion« hinein, wie Elisabeth Tiller festhält.157 Den Text des Libellus wird Pacioli schließlich in die Druckausgabe der Divina proportione (1509) integrieren, allerdings ohne Quellenangabe und ohne die Zeichnungen. Umso mehr hebt er jedoch die Zeichnungen Leonardos für sein eigenes Mailänder Compendium lobend hervor: »[S]onno stati facti dal degnissimo pictore prospectivo architecto musico. E de tutte virtu doctato. Lionardo davinci fiorentino nella cita de Milano«.158 Nach Paciolis Angaben waren die »maravigliosi« Originalzeichnungen Leonardos, die den Abschriften des Compendiums und der Druckversion von 1509 als Vorlage dienten, noch Jahre später in seinem Besitz.159 Dass es solche Vorlagen für die Zeichnungen der beiden erhaltenen Manuskripte des Compendium gab, belegen auch Punzierungsspuren.160 Zahlreiche der Zeichnungen des Manuskripts in der Biblioteca Ambrosiana sind zugleich von sehr hoher Qualität und Unvermitteltheit, so dass von einer direkten Autorschaft Leonardos ausgegangen wird.161 156 Pacioli, Divina proportione, Prima Pars, Kapitel 70, f. 22r. 157 Tiller, »Peroché dal corpo umano«, S. 11. Zu Pieros Zeichnungen der geometrischen Körper siehe: Dalai Emiliani, Maria, »Figure rinascimentali dei poliedri platonici. Qualche problema di storia e di autografia«, in: Fra Rinascimento, manierismo e realtà. Scritti di storia dell’arte in memoria di Anna Maria Brizio, hg. v. Pietro C. Marani, Florenz 1984, S. 7–16, S. 7. 158 Pacioli, Divina proportione, Seconda Pars, Kapitel 6, f. 28v. 159 Siehe Kapitel 140 des Manuskripts De Viribus Quantitatis (Bologna, Biblioteca Universitaria, Ms. 250, f. 237r): »[C]on tutta forza feci in ditto libro de sua gloriosa mano li corpi mathematici, qual ancora apresso di noi tenemo maravigliosi a ognuno che li mirano.« Zitiert nach: Marinoni, »Luca Pacioli e Leonardo da Vinci, S. 16. Außerdem gibt Pacioli an, selbst Karton- oder Holzmodelle der geometrischen Körper angefertigt zu haben; Pacioli, Divina proportione, Prima Pars, Kapitel 70, f. 22r. 160 Siehe: Marani, Pietro C., »Leonardo’s Cartonetti for Luca Pacioli’s Platonic Bodies«, in: Illuminating Leonardo. A Festschrift for Carlo Pedretti. Celebrating His 70 Years of Scholarship (1944–2014), hg. v. Constance Moffatt und Sara Tagliagamba, Leiden / Boston 2016, S. 69–82. 161 Welche Zeichnungen des Manuskripts der Ambrosiana von einem Schüler bzw. Mitarbeiter Leonardos gefertigt wurden und welche vom Florentiner Meister selbst stammen, ist nicht dokumentiert und nicht eindeutig zu entscheiden. Im Vergleich zum Mailänder Exemplar der Divina proportione sehr ähnliche und gleichgroße Zeichnungen der geo-
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Es sind ganzseitige, mit Tempera kolorierte Federzeichnungen, in denen die geometrischen Körper in einem ästhetisch anspruchsvollen Repräsentationsschema inszeniert sind (Farbtafel 11).162 In linearperspektivischer Darstellung scheinen die farbig modellierten und schattierten Polyeder auf kunstvolle Weise wie dreidimensionale Modelle an gewundenen Kordeln im Raum zu hängen. Vermessungen legen nahe, dass sie ohne konsequente Nutzung von Zirkel und Lineal nach dreidimensionalen Modellen gezeichnet wurden, wobei sie selbst durch eine eindrucksvolle Wirkung von Plastizität bestechen.163 Die aufwendige Gestaltung demonstriert, dass den Zeichnungen keine schlichte Illustrationsfunktion der schriftlichen Ausführungen bzw. Nebenrolle zugeteilt wurde. Vielmehr ermöglichen die Zeichnungen auf betont schöne, ästhetisch ansprechende Weise eine erkenntnisstiftende Anschaulichkeit der komplexen Konstruktionsweise der Polyeder, die qua Text nicht vermittelbar ist.164 Die Kompetenz, mathematisch derart komplexe Polyeder zeichnerisch zu konstruieren, konnte Leonardo in Mailand im Austausch mit Pacioli erwerben, der ihn im Studium Euklids anleiten und ihm das im Libellus sowie De prospectiva pingendi aufbereitete Wissen Piero della Francescas vermitteln konnte.165 Bemerkenswert ist, metrischen Körper finden sich auch in Leonardos Codex Atlanticus (Mailand, Biblioteca Ambrosiana, ff. 263r–c). Eine präzise Studie der Zeichnungsgruppen im Compendium und deren Autorschaft liefert Pietro Marani, der sich mit seiner Expertise überzeugend für die Zuschreibung bestimmter einzelner Polyederzeichnungen an Leonardo ausspricht: Marani, »Leonardo’s Cartonetti«, v. a. S. 70 (dort listet Marani die Zeichnungen auf, die er insbesondere aufgrund der Schraffierungen und Schattierungen Leonardo zuschreibt. 162 Zum Repräsentationsschema der Zeichnungen vgl. auch: Tiller, »Peroché dal corpo uma no«, S. 7. 163 Der Mathematiker Günter Ziegler verweist darauf, dass die Perspektivkonstruktionen einiger Polyederzeichnungen mathematisch nicht exakt sind, bestimmte Parallelen etwa nicht parallel verlaufen und die Zeichnungen nicht mit Zirkel und Lineal exakt geome trisch konstruiert sind, sondern vermutlich nach Modellen von Hand gezeichnet wurden. Derartige Modelle erwähnt Pacioli auch, wie oben angemerkt. Ein Beispiel für Fehler im Detail ist der Rhombenkuboktaeder, dessen mathematische Fehler sich sowohl in den Zeichnungen der Handschriften als auch in den Kupferstichen der Druckausgabe wiederfinden. Ein, so Ziegler, bemerkenswerter Befund in Anbetracht der prinzipiell eindrucksvollen Darstellung jenes hochgradig komplexen geometrischen Körpers. Siehe: Ziegler, Mathematik, S. 35 f. 164 Zum Text-Bild-Verhältnis siehe weiter: Field, Janet V., »Rediscovering the Archimedean Polyhedra: Piero della Francesca, Luca Pacioli, Leonardo da Vinci, Albrecht Dürer, Daniele Barbaro, and Johannes Kepler«, in: Archive for History of Exact Sciences, 50/3–4 (1997), S. 241–289, S. 253. 165 Beispiele für Leonardos Studium der Lehren Paciolis finden sich im Ms. Madrid II (Madrid, Biblioteca Nacional de España), im Codex Forster II (London, Victoria & Albert Museum), in den Manuskripten M, I, L, K (Paris, Institut de France). Auf einem Blatt des Codex Atlanticus (Mailand, Biblioteca Ambrosiana) vermerkt Leonardo bspw.: »Impara da maestro Luca la multiplicazione delle radici«, siehe: Ciocci, Luca Pacioli, S. 116 f.; vgl.
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worauf sich Paciolis Lob der Zeichnungen Leonardos konzentriert: die Schönheit und perspektivische Konstruktion der »supraeme et legiadrissime figure«.166 Die linearperspektivisch und durch Licht- und Schattenwerte gestalteten Zeichnungen in zarten Pastelltönen können gemäß Pacioli die Schönheit der Polyeder als Bausteine der göttlichen Schöpfung evident machen und damit ein Wissen demonstrieren und vermitteln, welches sich einer begrifflichen Definition entzieht. Pacioli beschreibt dementsprechend die Gestalt der geometrischen Körper über ihre sinnlichen Qualitäten, welche das philosophische Streben nach Wissen allererst in Gang setzen. So heißt es in einer Terzine zum Auftakt des Compendium de divina proportione: Corpora ad lectorem. El dolce fructo vago e sì dilecto. Constrinse gia i Philosophi cercare. Causa de noi che pasci lintellecto.167
Der begriffssprachliche Zugriff auf die geometrischen Figuren über ästhetische Kategorien bzw. Qualitätsbeschreibungen wie ›Süße‹ bzw. ›süß‹ (»dolce«) und ›anmutig, liebreizend, verführend, neugierig machend‹ (»vago«) und die Konzeption sinnlicher Schönheit als Wissensmotor (»constrinse […] cercare«) beschäftigen auch Leonardo, der in seinen Aufzeichnungen die Terzine Paciolis in leicht variierter Form notiert (Abb. 2.23): El dolce frutto vago essì diletto Costrinse già i filosafi cercare Causa de noi per passione lo intellecto
Darunter skizziert Leonardo freihändig die fünf regelmäßigen Polyeder (Tetraeder, Hexaeder, Dodekaeder, Oktaeder, Ikosaeder) und vermerkt ihre Namen.168 Während Pacioli die divina proportione prinzipiell als rational nicht fassbar und begrifflich nicht definierbar präsentiert, auch von der »irrationalità« ihrer Proportionen spricht und darüber Diskursinterferenzen bspw. mit der negatiauch: Marinoni, »Luca Pacioli e Leonardo da Vinci«, S. 17. Zum Transfer von Pieros Konstruktionszeichnungen mittels Pacioli nach Mailand siehe: Bambach Cappel, Carmen, »On ›la Testa Proportionalmente Degradata‹ – Luca Signorelli, Leonardo, and Piero della Francesca’s De Prospectiva Pingendi«, in: Florentine Drawing at the Time of Lorenzo the Magnificent. Papers from a Colloquium Held at the Villa Spelman, Florence, 1992, hg. und eingel. v. Elizabeth Cropper, Bologna 1994, S. 17–43, hier v. a. S. 18 f., 34–37. 166 Aus dem Manuskript De Viribus Quantitatis (Bologna, Biblioteca Universitaria, Ms. 250, f. 237r.), zitiert nach: Marinoni, »Luca Pacioli e Leonardo da Vinci«, S. 16. 167 Pacioli, Divina proportione, auf der Verso-Seite des Titelblatts. Vgl: Ciocci, Luca Pacioli, S. 108. 168 Leonardo da Vinci, Ms. M, Paris, Institut de France, f. 80v; Ciocci, Luca Pacioli, S. 119. Zu vago und vaghezza (auch konkret in Leonardos Notizen) siehe ausführlich Kapitel 5.1.
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Abb. 2.23: Leonardo da Vinci, Skizzen der fünf regelmäßigen Polyeder mit Annotationen und einer Terzine nach Luca Pacioli sowie Vermessungszeichnungen, 1490er-Jahre, Feder und Tinte / Papier, Institut de France, Paris, Manuskript M (Ms 2183), f. 80v © RMNGrand Palais (Institut de France) / Michel Urtado
ven Theologie fruchtbar machen kann, lässt sich in der poetischen Reflexion der Polyeder in der Terzine zudem ein Transfer ästhetischer Kategorien aus der zeitgenössischen Liebeslyrik (dolce, vago) beobachten, die sinnliche Valenzen aufrufen, die sich begrifflicher Definition und Regelhaftigkeit entziehen.169 Und 169 Pacioli, Divina proportione, Seconda Pars, Kapitel 2, f. 25v. Zum Transfer von dolcezza aus der zeitgenössischen Liebeslyrik siehe: Baader, Hannah, »Das fünfte Element oder Malerei als achte Kunst. Das Porträt des Mathematikers Fra Luca Pacioli«, in: Der stumme Diskurs der Bilder: Reflexionsformen des Ästhetischen in der Kunst der Frühen Neuzeit, hg. v. Valeska von Rosen, Klaus Krüger und Rudolf Preimesberger, München 2003, S. 177–203, S. 195 f. Auch Jill Pederson verweist auf die besondere Aufmerksamkeit Paciolis und Leonardos für begrifflich nicht definierbare, unaussagbare Schönheit: »The concept of ineffable beauty in pictorial production also appears in the writing of Pacioli’s friend Leonardo. For his part, Leonardo believed that there was a certain indefinable
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während Bramantinos Erathon die divina proportione im Medium der Malerei sinnfällig in der Darstellung figuriert, vermögen Leonardos farbig gefasste und anmutige Zeichnungen der Polyeder als Bausteine der Schöpfung rationale Unergründlichkeit vor Augen zu stellen. Damit wird in ihnen ein Wissen anschaulich, das von Pacioli und Leonardo in Prosa und Dichtung als elusives Wissen reflektiert und geltend gemacht wird. Den bildkünstlerischen Medien und ihren konkreten materialen Gestaltungsmöglichkeiten und Gestaltgebungen werden damit bedeutende epistemische Potentiale und Funktionen zugedacht. In Kooperation mit Leonardos Zeichnungen weisen Paciolis Argumentationsund Veranschaulichungsstrategien zur Reformierung der Wissenshierarchie derweil enge Verbindungen zu Leonardos schriftlichen Notizen von scientifici duelli am Mailänder Hof auf.170 Ein maßgeblicher Anteil jener Notizen ist durch Leonardos Mailänder Mitarbeiter und Erben Francesco Melzi überliefert, der sie in der berühmten Parte Prima des Libro della Pittura kompilierte – seit Gu glielmo Manzis Edition des Codex Urbinas ist dieser Teil als Paragone bekannt (Codex Urbinas Vaticanus 1270).171 Leonardos komplexe, thematisch vielfältigen quality that elevated the visual arts above all the others.« Pederson, The Academia Leonardi Vinci, S. 255 f. 170 Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 367. 171 Die Kompilation Melzis setzt sich aus unterschiedlichen Versatzstücken zusammen, die teilweise noch in Originalmanuskripten erhalten sind, v. a. im Ms. A (Paris, Institut de France). Siehe: Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone; Azzolini, »In Praise of Art«, S. 491; Zöllner, Bewegung und Ausdruck, S. 117. Zur Paragone-Text-Edition und einem Abgleich mit den Original-Manuskripten siehe: Leonardo da Vinci, The Literary Works of Leonardo da Vinci. Compiled and edited from the original manuscripts, hg. v. Jean Paul Richter, komm. v. Carlo Pedretti, Bd. 1, Oxford 1977, S. 76–86. Für eine Übersicht der Ausgaben des Libro di Pittura und Kopien der Kompilation Melzis siehe: Chastel, André, Leonardo da Vinci. Sämtliche Gemälde und die Schriften zur Malerei, München 1990, S. 104–111; Marani, Pietro C. / Piazza, Giovanni M., »Tavola riassuntiva dei manoscritti esistenti di Leonardo«, in: Il Codice di Leonardo da Vinci nel Castello Sforzesco, hg. v. dens., Mailand 2006, S. 187. Eventuell war der Mailänder Künstler Girolamo Figino seinem Kollegen Melzi bei der Kompilation behilflich, siehe: Agosti, Barbara, Paolo Giovio. Uno storico lombardo nella cultura artistica del Cinquecento, Florenz 2008, S. 59. Bis Ende des 17. Jahrhunderts waren Leonardos Aufzeichnungen im Besitz von Francesco Melzi und gelangten dann v. a. in den Besitz von Girolamo Figino, Aurelio Luini sowie v. a. Pompeo Leoni, der vermutlich um die 46 Bände besaß. Siehe Marani, Pietro C., »Il Codice Trivulziano e gli altri manoscritti: loro storia e significato nell’opera di Leonardo«, in: Il Codice di Leonardo da Vinci nel Castello Sforzesco, hg. v. dems. und Giovanni M. Piazza, Mailand 2006, S. 13–19, S. 16 f. Zur Wanderschaft von Leonardos Manuskripten während des 17. Jahrhunderts u. a. in den Besitz von Federico Borromeo, Guido Mazenta, dessen Erben sowie den Erben Leone Leonis siehe: Bell, Janis, »Zaccolini, dal Pozzo, and Leonardo’s Writings in Rome and Milan«, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, 61/3 (2019), S. 309–333. Während Leonardos erstem lombardischen Aufenthalt (1482–1499) entstanden zahlreiche Blätter des Codex Atlanticus (Mailand, Biblioteca Ambrosiana) und Codex Arundel (London, British Library) sowie die Manuskripte A, B, C, H, I, L, M (Paris, Institut de
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Notizen, theoretischen Überlegungen, Skizzen, Beobachtungen und Studien, die auf rund 6500 Manuskriptblättern erhalten und in unterschiedlichen Zeichnungstechniken und -materialien ausgeführt sind, folgen keiner linearen, systematisch-stringenten Ordnung, sondern verdeutlichen vielmehr in ihrer Aspekthaftigkeit das Prozessuale des Arbeitens des Künstlers.172 Die Notationsweise des »combining notes, sketches, models, and records for consultation by both the master and the members of [the] studio« konnte Leonardo in Verrocchios Florentiner Werkstatt durch die dortigen libri di bottega kennenlernen.173 Der Modus des steten Um-Ordnens liefert wertvolle Einblicke in Leonardos Werkstattpraxis und Denkweise. Melzis geordnete und argumentationsorientierte Kompilation von Leonardos originär nicht-linear verfahrenden Aufzeichnungen wiederum kann derweil wichtige Einblicke in die Debattenstruktur eines rhetorisch modellierten scientifico duello liefern – eben in Referenz auf die mündlich am Sforza-Hof und in der Academia Leonardi Vinci ausgetragenen Debatten. Gemäß der Kompilation ist der Ausgangspunkt von Leonardos Überlegungen für ein Malereibuch die Frage »Se la pittura è scientia, o no«.174 Die Anbindung dieser Frage an eine scholastische Tradition und bspw. das Mailänder Werk Conciliator differentiarum philosophorum et medicorum des Mathematikers, Philosophen und Mediziners Pietro d’Abano (um 1250–1315) hat Monica Azzolini France), Teile des Codex Forster (London, Victoria & Albert Museum) sowie Aufzeichnungen zum Bronzeguss des Sforza-Monuments. Dem zweiten Mailand-Aufenthalt Leonardos (1508–1513) können die Manuskripte D, F, G und K und der Codex Leicester (Seattle, Bill & Melinda Gates Foundation) zugeordnet werden. Siehe: Marani, »Il Codice Trivulziano e gli altri manoscritti«, S. 16 f.; ebenfalls eine Übersicht der Manuskripte Leonardos liefert: Bittner, Jörg, Zu Text und Bild bei Leonardo da Vinci. Eine mediengeschichtliche Kritik des Einsatzes verbaler und visueller Darstellungsmittel in der italienischen Renaissance, Frankfurt am Main 2003, S. 341–344. Zum Begriff des Paragone: Im modernen Wissenschaftsdiskurs bezeichnet der Paragone allgemein Nobilitierungsdebatten, die disputa delle arti bzw. das scientifico duello um den epistemologischen Status der Bildkünste. Siehe: Lukehart, Peter M., »Introduction. The Accademia Seminars. The Accademia di San Luca in Rome«, in: The Accademia Seminars. The Accademia di San Luca in Rome c. 1590–1635, hg. v. dems., New Haven / London 2009, S. 1–22, S. 47, 52. Für eine umfassende Sicht auf Paragoni des ästhetischen Diskurses siehe: Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit. 172 Siehe zur Verschiedenheit der Gestaltung der einzelnen Manuskriptkonvolute und des Bild-Text-Verhältnisses: Marani, Pietro C., »Disegno e testo nei manoscritti di Leonardo«, in: Leonardiana. Studi e saggi su Leonardo, hg. v. dems., Mailand 2010, S. 225–246, S. 230; Bittner, Zu Text und Bild bei Leonardo da Vinci, S. 2 ff. Zum Umfang der erhaltenen Aufzeichnungen Leonardos siehe: Zöllner, Frank, »Die Bedeutung von Codex Huygens und Codex Urbinas für die Proportions- und Bewegungsstudien Leonardos da Vinci«, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 52 (1989), S. 334–352, S. 336. 173 Bambach, Carmen C., »›Porre le figure disgrossamente‹: The Sketches of Leonardo and the Creative Imagination«, in: Leonardo da Vinci. The Design of the World, Ausst.kat., hg. v. Pietro C. Marani und Maria Teresa Fiorio, Mailand 2015, S. 51–61, S. 52. 174 Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 176.
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Abb. 2.24: Leonardo da Vinci, Anatomische Studien des Kopfes und der zerebralen Ventrikel mit Annotationen und der Skizze einer aufgeschnittenen Zwiebel, 1490–1492 ca., rote Kreide, Feder und Tinte / Papier, Royal Collection Trust, Windsor, RCIN 912603r © Her Majesty Queen Elizabeth II 2020
offengelegt. Pietro d’Abano fragt in jenem Werk: »Utrum medicina sit Scientia, necne«.175 Neben dieser Referenz zeugt die Parte Prima zudem von der Teilhabe an der höfischen Mailänder Wettstreitkultur, wie die Struktur des Textes mit dem Wechsel von Fragen und Antworten nahelegt. Laut der Parte Prima sind für Leonardo – ähnlich wie für Pacioli – die »matematiche dimostrationi« Dreh- und Angelpunkt wahrer scientie.176 Dabei gründet 175 Azzolini, »In Praise of Art«, S. 494. 176 Leonardo notierte: »Scientia è detto quel discorso mentale il qual ha origgine da’ suoi ultimi princcipij. De’ quali, in natura, nul’altra cosa si può trovare che sia parte d’essa scientia come nella quantità continua, cioè la scientia de geometria, la quale cominciando
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Leonardo den scientia-Begriff zuvorderst in der Erfahrung der ersten Prinzipien, der Naturgesetzlichkeiten, die er konsequent mit dem Wissensfeld der Geome trie verknüpft sieht bzw. mit dem Punkt als Anfang.177 Im Abschlussplädoyer zur Frage, ob die Malerei eine scientia sei oder nicht, wird ganz klar eingefordert, die Malerei als scientia anzuerkennen und in die Wissenshierarchie der artes liberales zu integrieren. Dies sei bisher deshalb noch nicht geschehen, weil es den »scrittori« an Kompetenz mangele, die genuinen Eigenschaften der Malerei zu beschreiben: »Perché la pittura non è connumerata nelle scientie. Perché gli scrittori non hanno aauta notitia della scienzia della pittura, non hanno potuto descriverne li gradi e parti di quella.«178 Dem Fehlen einer Beschreibungs- und Reflexionskompetenz kommen die Redebeiträge, die in der Parte Prima notiert sind, schließlich entgegen. Der Argumentationsgang weist dabei große Schnittmengen mit Paciolis Ausführungen auf.179 Denn erneut führt die Begründung der Malerei als scientia über die Verbindung zu den mathematischen Disziplinen (v. a. zur Geometrie) und über die Nobilität des Sehsinns. Das Auge als Fenster zur »anima« wird von Leonardo als Hauptweg des sensus communis präsentiert.180 Über den Sehsinn werde alle Schönheit der Welt erfasst, er lenke dalla superfitie de’ corpi, si trova havere origgine nella linea, termine d’essa superfitie; e in questo non restiamo sattisfatti perché noi conosciammo la linea havere termine nel ponto e il puonto essere quello del quale nul’altra cosa può essere minore. Adonque il ponto È il primo principio della Geometria, e nessun’altra cosa può essere, nè in nattura nè in mente humana, che possa dare principio al puonto. […] E datto che tu te immaginassi un tutto essere composto de mille puonti, qui dividendo alcuna parte da essa quantità mille, si può dire molto bene che tal parte sia eguale al suo tutto. E questo si prova col zero […] e tutti li nulli dell’universo sonno eguali a un sol nulla in quanto alla loro sustantia e valitudine. Nissuna humana investigatione si pò dimandare vera scientia se essa non passa per le Matematiche dimostrationi. E se tu dirai che le scientie che principiano e finischano nella mente habbiano verita, questo non si concede, ma si niega per molte raggioni. E prima che in tali discorsi mentali non accade esperientia, sanza la quale nulla dà di sè certezza.« Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 176, 178 (für eine englische Übersetzung siehe ebd., S. 177, 179). Siehe allg. zum frühneuzeitlichen scientia-Begriff Kapitel 1.1. 177 Siehe das Zitat der vorigen Fußnote. Zur Bedeutung der Erfahrung für Leonardo siehe weiter Kapitel 2.3.2. 178 Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 254. Die Aussage scheint in der oben zitierten Bemerkung Boscanos aus dem Bericht zur Academia Leonardi Vinci in der Isola Beata widerzuhallen (siehe Anm. 136 in diesem Kapitel). 179 Zugleich unterstreicht Monica Azzolini zu Recht auch die Unterschiede zwischen Leonardos und Paciolis Beiträgen, bspw. in Bezug auf den Vergleich von Malerei und Poesie, der in der Parte Prima zentral, bei Pacioli hingegen nur knapp erwähnt ist. Azzolini argumentiert daher überzeugend für eine bewusste Aufteilung von Themen der scientifici duelli unter den beiden Gelehrten. Azzolini, »Anatomy of a Dispute«, S. 126. 180 Leonardos überlieferte Überlegungen lauten wie folgt: » L’occhio che si dice finestra de l’anima, è la principal via donde il comune senso po’ più coppiosa et magnificamente considerare le infinite opere de natura, et l’orecchio è il secondo, il quale si fa nobbile per le cose raconte le quali ha veduto l’occhio.« Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 208 f.
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alle »humane arti« und stehe den mathematischen Disziplinen vor.181 Das Verständnis vom Sehsinn als nobelstem Sinn wird auch in Leonardos anatomischen Schädelstudien um 1490 nachvollziehbar (Abb. 2.24), in denen die Erkenntniswege im Gehirn anschaulich gemacht und der »comune senso« an die sinnliche Wahrnehmung mit den Augen rückgebunden wird, wodurch der Sehsinn als der nobelste aller Sinne markiert wird.182 Die Malerei, die über den Sehsinn kommuniziert, erhält in Leonardos Argumentation so Vorrang gegenüber der Dichtung und Musik.183 Ein Gemälde, so Leonardo, werde über den Sehsinn auf einen Blick erfasst, wodurch die Malerei harmonische Proportionen sichtbar und erfahrbar machen könne. Darin ähnele sie der Musik, die durch den Zusammenklang von Tönen eine Harmonie erzeuge. Der Dichtung hingegen sei durch das Nacheinander der Worte die simultane Konfiguration harmonischer Proportion nicht möglich. Da die Harmonien der Musik nun aber über den Hörsinn wahrgenommen werden und mit der Aufführung verklingen, sei die Malerei die nobelste scientia. Sie bewahre die »armonicha proportionalità«, die aus »divine proportioni« zusammengesetzt ist, im Bild.184 Im Vergleich zu harmonischem 181 »Hor non vedi tu che l’occhio abbraccia la bellezza de tutt’il mondo? Lui è capo della astrologia, lui fa la cosmografia, lui tutte le humane arti consiglia e coreggie[.] [È] prencipe delle matematiche, le sue scientie son certissime.« Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 238. Vgl. auch: Chastel, André, Leonardo o la scienza della pittura, übers. v. Francesco Martini, im Anhang ›Lionardo da Vinci‹ von Giorgio Vasari, Mailand 2008, S. 59–72, S. 66. 182 Siehe: Marani, »Disegno e testo«, S. 232; Kemp, Martin, »›Il Concetto dell’Anima‹ in Leonardo’s Early Skull Studies«, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 34 (1971), S. 115–134, hier v. a. S. 115, 118 f. Martin Kemp hebt aufschlussreich hervor, dass sich Leonardos Ideen vom Auge als nobelstem Sinnesorgan maßgeblich aus dem Studium von Werken der herzoglichen Bibliothek der Visconti und Sforza in Pavia speisen konnten, wo der Künstler mithin Zugriff auf die Perspectiva des polnischen Mönchs und Naturphilosophen Witelo (2. Hälfte 13. Jahrhundert) hatte, worin u. a. Alhazens De Aspectibus (Anfang 11. Jahrhundert) aufbereitet und Schönheit über Licht und Schatten, Farben und optische Erscheinungen definiert wird. Siehe: Kemp, »›Il Concetto dell’Anima‹«, S. 120; Witelo, Teorema della Bellezza. Dal latino di Vitellione, hg., übers. und komm. v. Alessandro Parronchi, Arezzo 2000, S. 7 f., 13, 15, 31, 33, 37–39. Azzolini verbindet Leonardos Auffassung vom Auge als nobelstes Sinnesorgan zudem mit Schriften von Galen und Hippokrates. Azzolini, »In Praise of Art«, S. 504. Für eine Zusammenstellung wichtiger Manuskripte und gedruckter Bücher der SforzaBibliothek zur Zeit von Leonardos dortigem Aufenthalt siehe: Marani, Pietro C. / Piazza, Giovanni M., »Libri milanesi degli anni leonardeschi«, in: Il Codice di Leonardo da Vinci nel Castello Sforzesco, hg. v. dens., Mailand 2006, S. 52–73; Marani, Pietro C. / Piazza, Giovanni M., »I libri di Leonardo«, in: Il Codice di Leonardo da Vinci nel Castello Sforzesco, hg. v. dens., Mailand 2006, S. 74–99. 183 Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 216, 218. 184 Siehe folgende Passage: »Ma della pittura, perché serve a occhio senso più nobbile che l’orecchio, obbietto della poesia, ne rissulta una proportione armonicha. Cioè che sì come di molte varie voci insieme aggionte ad un medesimo tempo ne rissulta una proportione armonicha. La quale contenta tanto il senso de lo audito che li auditori restano
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Gesang etwa vermögen die »proportionali bellezze d’un angelico viso posto in pittura, della quale proportionalita ne rissulta un armonico concento« sehr viel mehr.185 Zur momentanen Erfahrbarkeit des sinnlich harmonischen Zusammenspiels von Proportionen käme nämlich zugleich der zeitliche Aspekt des Bewahrens sowie die Wahrnehmung über den nobelsten aller Sinne.186 Ähnlich argumentiert der Maler im dialogisch inszenierten Duell mit dem Musiker auch an späterer Stelle der Parte Prima: Parla il pittore col musico. Dice il musico, che la sua scientia è da essere equiparata a quella del pittore perché essa compone un corpo di molte membra del quale lo speculatore contempla tutta la sua gratia in tanti tempi armonici quanti sono li tempi nelli quali essa nasce et muore. […] Ma il pittore risponde et dice, […] [che egli] risserva in vitta quella armonia delle proportionate membra […] [e che] la pittura, satisfactrice al senso del vedere, è più nobile che’lla musica, che solo satisfa all’udito.187
Der Maler geht mit seinen Forderungen im Duell schließlich – malereitheoretisch betrachtet – noch einen Schritt weiter als Pacioli in seiner Argumentation: Entweder der Musiker entfernt die Musik aus dem Reigen der artes liberales oder aber er fügt die Malerei – und nicht etwa die Perspektive – der Gruppe hinzu: »Adonque, poi che tu ai messo la musica infra le arti liberali, o tu vi metti questa [la pittura], o tu ne levi quella [la musica].«188
con stupente admiratione quasi semi vivi, ma molto più fara le proportionali bellezze d’un angelico viso posto in pittura, della quale proportionalita ne rissulta un armonico concento, il quale serve a l’occhio in un medesimo tempo che si faccia della musicha a l’orecchio. E sse tal armonia delle bellezze sarano mostrato allo amante di quella da chi tale bellezze sonno immitate, sanza dubbio esso restara con istupenda admiratione et gaudio incomparabile e superiore a tutti gli altri sensi. […] La pittura ti rapresenta in un subbito la sua essentia nella virtu vissiva […]. [S]e tu rapressenterai a l’occhio una belleza humana composta de proportionalita de belle membbra, esse bellezze non sono sí mortali, né sì presto si struggono, come fa la musicha. […] [Il poeta] no s’avede che’lle sue parole nel far mentione delle membra di tal bellezze, il tempo le divide l’un da l’altro et infra mette la obblivione et divide le proportioni. Le quali lui sanza gran prolissita non può nominare et non potendole nominare, esso non può comporne l’armonicha proportionalita, la quale è composta de divine proportioni.« Ebd., S. 218–222. 185 Ebd. 186 Ebd. 187 Ebd., S. 242, 244. Das duello zwischen Musiker und Maler ist in den verbliebenen Originalmanuskripten Leonardos nicht mehr erhalten, sondern nur noch in Melzis Kompilation, siehe: ebd., S. 361. 188 Ebd., S. 246.
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2.3.2 Stil- und Wissensfragen – Epistemische und ästhetische Dimensionen von prospettive & proportioni in der Mailänder Malerei Ein »angelico viso posto in pittura«, das mit der Musik in Dialog tritt und einen Beitrag zum scientifico duello im Medium der Malerei zu entwerfen vermag, malte Leonardo Ende der 1480er- bzw. zu Beginn der 1490er-Jahre im Porträt eines Mannes mit Notenblatt (Farbtafel 12).189 Im Hochformat vor einfarbig dunklem Hintergrund und nah an die Bildgrenze gerückt ist die scheinbar plastisch hervortretende Büste eines jungen Mannes mit lockigem, langen, goldbraunen Haar, roter Kappe und einem Notenblatt in seiner langgliedrigen rechten Hand dargestellt. Der Porträtierte ist im Dreiviertelprofil in einer spannungsreichen Pose zwischen Ab- und Zuwenden zu den Betrachtenden zu sehen. Sein Blick ist versunken nach rechts in Richtung des einfallenden Lichts gewandt. Jener bildinterne Lichteinfall modelliert sein Gesicht mit den markanten Wangen- und Kieferknochen, schwerlidrigen und großen, mandelförmigen, braunen Augen, der geraden Nase und dem schmalen, leicht geöffneten Mund. Er setzt zugleich die goldbraunen Haarlocken schimmernd von der weichen Gesichtshaut des Mannes ab, lässt das Weiß des Hemdkragens vor dem Schwarz des Überrocks erstrahlen und hebt dann nochmal am unteren Bildrand das weiße, auseinandergefaltete Notenblatt hervor. Während einige Bereiche des Gemäldes, wie z. B. der Umhang, nicht vollständig ausgearbeitet und vermutlich unvollendet geblieben sind, ist v. a. der Kopf ausdrucksstark durch weiche Licht- und Schattensetzungen modelliert. Der Porträtierte wirkt mit seinen scheinbar leicht feuchten Augen, dem abgewandten Blick und der angedeuteten Mundöffnung in sich versunken – als hätte er gerade gesprochen bzw. gesungen oder würde dazu ansetzen. Mit der Evokation einer klanglich-akustischen Harmonie hält das Gemälde zugleich die visuelle Wohlproportioniertheit des Gesichts des jungen Mannes fest und verewigt dessen eindrucksvollen, versunkenen Blick – einen Blick, durch den die Augen, Fenster der anima und Sitz des nobelsten Sinnes, zu einer Schlüsselstelle des Bildes werden.190
189 Zum Zitat siehe oben Anm. 184. Luke Syson datiert das Gemälde auf die Jahre 1486/87 und schreibt es – wie bspw. auch Pietro Marani – eindeutig Leonardo zu (aufgrund der Lockendarstellung, der Glanzlichter, des subtil dargestellten Mundspiels, der feucht glänzenden Augen des Porträtierten und des durchdachten Lichteinfalls). Siehe: Syson, Luke, »Leonardo da Vinci, Portrait of a Young Man (the Musician)«, in: Leonardo da Vinci. Painter at the Court of Milan, Ausst.kat., hg. v. dems. und Larry Keith, London 2011, Kat.-Nr. 5, S. 94–97; Marani, Pietro C., »Il Musico di Leonardo e Federico Borromeo«, in: Leonardiana. Studi e saggi su Leonardo, hg. v. dems., Mailand 2010, S. 115–123; Brown, »Leonardo and the Idealized Portrait«. 190 Vgl. hierzu auch Syson, »Leonardo da Vinci, Portrait of a Young Man (the Musician)«, S. 94–97.
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Abb. 2.25: Antonello di Antonio (Antonello da Messina), Bildnis eines jungen Mannes, um 1475, Öl / Holz, 35,6 × 25,4 cm, National Gallery, London © Fondazione Zeri, Bologna
Ästhetisch-stilistisch betrachtet, vermag das Bild hinsichtlich der Verortung des Porträtierten vor einfarbig dunklem Grund sowie des mit vielschichtigen Lasuren, weichen Übergängen und Öl gebundenen Pigmenten arbeitenden Farbauftrags sowie der Weißakzente in Dialog mit flämischer Porträtmalerei oder auch Bildnissen des sizilianischen Künstlers Antonello da Messina (Abb. 2.25) zu treten, die am Sforza-Hof geschätzt und gesammelt wurden.191 Zugleich scheint 191 Siehe dazu weiterführend: Marani, Pietro C., »La Dama con l’ermellino e il ritratto milanese tra Quattrocento e Cinquecento«, in: Leonardiana. Studi e saggi su Leonardo da Vinci, hg. v. dems., Mailand 2010, S. 125–153, S. 125 ff.; Siehe zu Antonello da Messina und dem als Vergleich gezeigten Porträt eines jungen Mannes (1474): Hoffmann, Sabine, »Antonello da Messina. Portrait eines jungen Mannes. 1474«, in: Gesichter der Renaissance. Meisterwerke italienischer Portrait-Kunst, Ausst.kat., hg. v. Keith Christiansen
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Abb. 2.26: Piero Benci, genannt Piero del Pollaiolo, Bildnis von Galeazzo Maria Sforza, 1471, Tempera / Holz, 65 × 42 cm, Galleria degli Uffizi, Florenz © Su concessione del Ministero per i beni e le attività culturali e per il turismo, Gallerie degli Uffizi
Leonardo in der Konzeption des Bildes stark mit Darstellungsmodi gearbeitet zu haben, die ihm aus Florenz vertraut waren – z. B. der Kompositionsweise von Piero del Pollaiolos Bildnis Galeazzo Maria Sforzas, das den Mailänder Herzog vor dunklem Grund in Dreiviertelansicht zeigt, in der rechten Hand den Handschuh der Linken haltend (Abb. 2.26).192 Das Gemälde hing im 15. Jahrund Stefan Weppelmann, München 2011, S. 337–339. Stephen Campbell betont zudem ein »active and productive continuum between Sicily and ›Lombardy‹ (Milan, Genoa)«. Campbell, The Endless Periphery, S. 61. 192 Auf diesen Bezug verwies Luke Syson: Syson, »Leonardo da Vinci, Portrait of a Young Man«, S. 96.
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hundert im Medici-Palast und war Leonardo sicherlich bekannt.193 In jedem Fall präsentiert Leonardo mit seinem Porträt des Mannes mit Notenblatt eine ambitionierte Bildnismalerei, in welcher die durch weiche Licht- und Schattenmodellierungen sowie die Auflösung von Konturen geschaffenen »divine proportioni« eines »viso angelico« bewundert werden konnten bzw. stets bewundert werden können. Anders als Paciolis divina proportione beziehen sich die divine proportioni in pluralisierter Form in Leonardos Malerei und in seinen schriftlichen Notizen nicht auf die primär über lineare Relationen erstellte Proportion und gewissermaßen Geometrisierung des Bildfeldes, sondern auf Proportionen, die maßgeblich durch »lumi e ombre« konfiguriert werden. Diese optische Erforschung der Proportionen wird ebenfalls als göttlich bezeichnet.194 Auch in der Parte Prima heißt es im Gespräch zwischen Musiker und Maler, dass die Malerei als »scientia mentale« wie die Musik und die Geometrie die quantitativen Proportionen beachte, aber zusätzlich auch »le qualita delle proportioni d’ombre e lumi, e distantie nella sua prospettiva« bedenke.195 Die Irrationalität der divine proportioni ergibt sich dabei nicht durch ein geometrisches Geheimnis wie beim goldenen Schnitt, sondern durch ein nicht alleinig auf der Grundlage von Regeln erlernbares Wissen. Statt des Vermessens geht es um das Ermessen und Erfassen der, wie Martin Kemp es treffend formuliert, »elusive nature of vision«.196 Diese ›elusive nature of vision‹ liegt für Leonardo nicht zuletzt darin begründet, dass das Auge keine klaren Umrisslinien von Körpern, sondern ineinandergreifende Licht-Schatten-Valenzen erkennt. Mit weich modellierten Helldunkelschattierungen setzt Leonardo diese Beobachtung in seiner Malerei um und erzeugt besonders plastisch wirkende Formen. Die Auflösung der Kontur, wie sie im Porträt des Mannes mit Notenblatt durch die weichen Übergänge von schattigen und beleuchteten Partien anschaulich wird, bespricht er auch in einem auf einige Jahre später datierten Manuskript unter der Überschrift »Perspectiva de’ perdimenti che fan li stremi de’ corpi opachi« und merkt dabei an, dass sich 193 Siehe ebd. 194 Auch Pacioli reflektiert den besonderen epistemologischen Status und die Wirkkraft jener Proportionen der Helldunkelmodellierung und knüpft sie an ihre Irrationalität: »Ma dove intervene la irrationalita dele proportioni cioe che per alcun mō non se possono nominare per numero restano al degno arbitrio del perspectivo qual con sua gratia le ha a terminare.« Pacioli, Divina proportione, Seconda Pars, Kapitel 1, f. 25v. 195 In der Parte Prima heißt es: »Se tu dirai le scientie non meccaniche sonno le mentali, io ti dirò che la pittura è mentale, et che’lla sì come la musica et geometria considera le proportioni delle quantità continue, et l’aritmetica delle discontinue, questa considera tutte le quantità continue, e’lle qualita delle proportioni d’ombre e lumi, e distantie nella sua prospettiva.« Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 246, 361. 196 Kemp, Martin, »The Whole in the Parts and the Parts in the Whole: Leonardo and the Unity of Knowledge«, in: Leonardo da Vinci. The Design of the World, hg. v. Pietro C. Marani und Maria Teresa Fiorio, Mailand 2015, S. 353–367, S. 358.
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der Effekt der Konturauflösung je nach Distanz zum Gesehenen verstärkt: »se invisibili son li veri stremi de’ corpi oppachi in qualunque minima distanzia, maggiormente saran invisibili nelle lunghe distanzie.«197 Die prospettiva ist in Leonardos ästhetischer Theorie und Praxis im Vergleich zu Bramantinos unter Kapitel 2.2 besprochenen Bildern und seinen theoriehaltigen schriftlichen Passagen schwerpunktmäßig anders konzipiert; den unterschiedlichen perspektivischen Konstruktionsmodi stellt Leonardo letztlich »ombra e lumme« als hohe »scientia […] di gran discorso« voran.198 Das Verhältnis von Licht und Schatten, Hell und Dunkel analogisiert Leonardo auch mit dem Verhältnis von Wahrheit und Lüge: »Sanza dubbio tal proporzione è dalla verità alla bugia qual è dalla luce alle tenebre«.199 Das chiaro e scuro ist damit als Erkenntnisprinzip gedacht, das anders verfährt als linearperspektivische, mathematisch-geometrische Berechnungen.200 Im Kontext der Besprechung von Licht und Schatten sowie den optischen Effekten heller und dunkler Farben verwendet Leonardo in den Passagen aus dem Codex Urbinas oft das Wortfeld paragonare / al parangone.201 Damit beschreibt er, dass nur durch den kontrastiven Vergleich die Unterschiede der Farben und Formen erkennbar werden.202 Das paragonale Verhältnis macht sich aber nicht an scharfen Umris197 Zitat aus dem Manuskript E (Paris, Institut de France), zitiert nach Bora, Giulio, »Prospettiva lineare e prospettiva dei ›perdimenti‹: un dibattito sullo scorcio del Quattrocento«, in: Paragone, 27 (1999), S. 3–45, S. 20. 198 Die Passage lautet: »La scientia della pittura s’astende in tutti li colori delle superfitie, e figure da corpi da quelle vestiti, et a loro propinquita e remotioni con li debbiti gradi de diminutione secondo li gradi delle distantie. E questa scientia è madre della prospettiva, cioè linee vissuali. La qual prospettiva si divide in tre parti, e di queste la prima contiene solamente li lineamenti de’ corpi; la seconda della diminutione de’ colori nelle diverse distantie; la terza della perdita della congiontione de’ corpi in varie distantie. Ma la prima, che sol s’astende nelli lineamenti e termini de corpi, è deto dissegno, cioè figuratione de qualonque corpo. Da questa n’esse un’altra scientia che s’astende in ombra e lumme, o voi dire chiaro e scuro. La qual scientia è di gran discorso.« Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 184. 199 Das Zitat findet sich in Leonardos Abhandlung zum Flug der Vögel (um 1505, Turin, Biblioteca Reale, Codex Turin, f. 11r), zitiert nach: Chastel, Leonardo o la scienza della pittura, S. 41. 200 Vgl. hierzu auch ebd., S. 47–49, 52 f. Frank Zöllner weist zugleich interessanterweise darauf hin, dass Leonardo durchaus versucht habe, die Schattenwerte messbar zu machen, um ihre Wissenschaftlichkeit unter Beweis zu stellen. Durch löffelweises Abmessen der Pigmente habe er versucht, eine Regelmäßigkeit abzuleiten. Siehe: Zöllner, Bewegung und Ausdruck, S. 263 f. 201 Christine Hessler liefert eine Auflistung des Wortgebrauchs von paragone / paragonare im Libro di pittura, wodurch Leonardos Anwendungsweise deutlich wird. Siehe Hessler, Zum Paragone, Appendix, v. a. S. 645. 202 Leonardo schreibt: »Il Lume del fuoco tinge ogni cosa in giallo; ma questo non apparirà essere vero, se non v’è al parangone le cose aluminate dall’aria; e questo parangone si potrà vedere vicino al fine della giornata, o sì veramente dopo l’aurora, et ancora dove, in
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sen fest, vielmehr werden solche aufgelöst, wodurch bspw. ein Gesicht plastisch und anmutig werde.203 V. a. eine Beleuchtungssituation, in der die porträtierte Person nicht im direkten Sonnenlicht, sondern in einem abgedunkelten Zimmer steht, ist gemäß Leonardo begünstigend, da sie per se »ombre oscure sfumate« schaffe, »gran rilievo« evoziere und »grazia« verleihe.204 Jenen – in der Rezeption v. a. als sfumato prominent gewordenen – per se elusiven Modus der kontrastreichen Konturenauflösung fasst Leonardo als fundamental wissenschaftlich auf. Denn über ihn werden optische und wahrnehmungspsychologische Vorgänge erfahrbar: die stete Beweglichkeit der Formen, die stete Auflösung bzw. Konkretisierung ihrer Konturen beim Sehen.205 Dabei ist Schönheit nach Leonardos Lehre mit den Worten André Chastels gefasst »genau genommen die oberste Stufe, die [das] nicht-begriffliche Denken – eben das Denken der Malerei – erreicht, das sich aber trotzdem alles, was ein begrifflicher Gedankengang (oder die Wissenschaft) beisteuern kann, zu eigen gemacht hat.«206 Mittels weicher und zugleich im Gesamteindruck kontrastreicher Helldunkelmodellierungen in abgedunkelter Umgebung setzt Leonardo das Thema der una stanza oscura, dia sopra l’obbietto uno spiracolo d’aria […]. Ma senza tal parangone mai sarà cognosciuta la lor differenzia.« (Vatikanstadt, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Cod. Urb. Lat. 1270, f. 74r–v), zitiert nach: Hessler, Zum Paragone, S. 645. 203 Siehe: Chastel, Leonardo da Vinci, S. 261 f. 204 »E se la tua figura è in casa oscura, et tu la vedi di fora, questa tal figura ha l’ombre oscure sfumate, stando tu per la linea del lume; e questa tal figura ha grazia, e fa onore al suo imitatore per essere lei di gran rilievo e le ombre dolci e sfumose, e massime in quella parte dove manco vede la oscurità della abitazione, imperò che quivi son l’ombre quasi insensibili.« Zitiert nach: Bell, Janis, »Sfumato, Linien und Natur«, in: Leonardo da Vinci. Natur im Übergang. Beiträge zu Wissenschaft, Kunst und Technik, hg. v. Frank Fehrenbach, München 2002, S. 229–256, S. 237. 205 Siehe hierzu ausführlich: Fehrenbach, Frank, »Der oszillierende Blick. Sfumato und die Optik des späten Leonardo«, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 65/4 (2002), S. 522–544. Zu Leonardos sfumato in Auseinandersetzung mit malereitheoretischen und optischen Überlegungen zum sfumare bei Cennino Cennini und Leon Battista Alberti sowie zu Leonardos Rezeption der Lehren Alhazens siehe den aufschlussreichen Beitrag von Janis Bell: Bell, »Sfumato«. Auch in Filaretes Mailänder Architekturbuch thematisiert die Dialogfigur des Architekten im Gespräch mit dem Mailänder Prinzen ein »dolce ombreggiando«: »Ora intenderai come l’ombre e’ lumi si deono dare, per dimostrare quello che disegni, per modo che paia rilevato[.] […] così dalla parte dove non dà el lume è più scuro, e in quel luogo con la penna o col pennello che tu vogli, e tu dolce dolce lo vieni ombreggiando[.]« Averlino, Antonio (genannt il Filarete), Trattato di Architettura, hg. v. Anna Maria Finoli und Liliana Grassi, Bd. 2, Mailand 1972, S. 662; siehe auch: Bora, »Prospettiva lineare«, S. 35. Zu Leonardos sfumato siehe weiterhin einschlägig: Nagel, Alexander, »Leonardo and sfumato«, in: Anthropology and Aesthetics, 24 (1993), S. 7–20; Krüger, Klaus, Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit, München 2001, v. a. S. 123–131; Krüger, Klaus, Grazia. Religiöse Erfahrung und ästhetische Evidenz, Göttingen 2016, S. 54 f., 113 f. 206 Chastel, Leonardo da Vinci, S. 315.
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›harmonischen Proportionen‹ eines schönen, anmutigen Gesichts im Bildnis des Mannes mit Notenblatt ins Bild und korreliert diese Proportionen zugleich qua leuchtend hellem Notenblatt und dem leicht geöffneten Mund des Porträtierten mit den klanglichen Dimensionen der Musik. Durch technische Analysen des Gemäldes konnten auf dem Blatt am Beginn der Notenzeile Buchstaben identifiziert werden, die als »Cant … An« gelesen werden können. Ausbuchstabiert zu Cantum Angelicum können sie als Referenz auf Franchino Gaffurios Werk Angelicum ac divinum opus musice (in den 1490er-Jahren in Mailand verfasst, 1508 gedruckt) betrachtet werden. Liest man sie als »Cont … Ac«, können sie auf den »Cont[ratenor] Ac[utus]« verweisen – eine musikalische Proportion aus der musiktheoretischen Lehre Gaffurios.207 Der bereits im Kontext von Bramantinos Musenzyklus erwähnte Musikprofessor und Leiter des Mailänder Domchors forschte zur Zeit der Entstehung des Gemäldes zur musikalischen Harmonie, simultanen Polyphonie und Pythagoreischen Proportionslehre, er verfasste Bücher für eine interdisziplinäre Leserschaft, pflegte enge Kontakte zu Künstlern und Gelehrten und war mit Leonardo befreundet.208 Dabei inte ressierte Gaffurio bspw. auch die Analogie von Malerei und Musik über den gemeinsamen Nenner der mathematischen Proportionsverhältnisse.209 In seinem De Harmonia Musicorum Instrumentorum Opus (Mailand 1518) konstatiert er, dass nichts in einem Gemälde ohne die Proportion der Zahlen sichtbar sei, 207 Siehe zu den technischen Analysen und Interpretationsmöglichkeiten: Bizzarini, Marco, »Gli enigmi del Musico di Leonardo e dei cantori oltremontani alla corte sforzesca«, in: Cultura oltremontana in Lombardia al tempo degli Sforza (1450–1535), hg. v. Frédéric Elsig und Claudia Gaggetta, Rom 2014, S. 261–279; sowie: Gaffurius, Franchinus, De Harmonia Musicorum Instrumentorum Opus, eingeleitet und übersetzt von Clement A. Miller, Neuhausen / Stuttgart 1977, S. 11 f. 208 Bei der theatralen Inszenierung von Bernardino Bellincionis Festa del paradiso arbeiteten Gaffurio und Leonardo bspw. zusammen. Zudem besaß Gaffurio eine große Bibliothek (u. a. mit Paciolis Summa Arithmetica), die auch von Leonardo genutzt wurde. 1490 war Gaffurio, wie bereits in Kapitel 2.2 erwähnt, Mitglied des Gremiums zur Beratung über die Gestaltung des Tiburiums des Mailänder Doms (u. a. mit Leonardo und Bramantino). Vgl.: Onians, Bearers of Meaning, S. 223; Pyle, Milan and Lombardy, S. 20; Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 43 f.; Pederson, The Academia Leonardi Vinci, S. 36, 288–294. Alessandro Rovetta argumentiert überzeugend dafür, Gaffurio als Berater Cesare Cesarianos bei der volgare-Übersetzung von Vitruvs Libri di Architettura (Como 1521) zu sehen. Cesariano übernahm zudem Diagramme aus Gaffurios Theoria musicae (Mailand 1492). Siehe: Rovetta, Alessandro, »Note introduttive all’edizione moderna del primo libro del Vitruvio di Cesare Cesariano«, in: Cesare Cesariano e il classicismo di primo Cinquecento, Mailand 1996, S. 247–308, hier S. 260 f., 292 ff. 209 Zu den quattro- und cinquecentesken Interferenzen von Musik, Malerei, Architektur, Mathematik und kaufmännischem Rechnungswesen mittels geometrisch-mathemati scher Proportionen zum Zwecke der Verhältnisberechnungen siehe: Baxandall, Die Wirklichkeit der Bilder, S. 121–128.
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man sowohl die Komposition des Bildes, als auch die Mischverhältnisse der Farben durch Zahlenverhältnisse sehe, und dass durch die gemäß der Naturnachahmung erstellte Proportion Schönheit erzeugt werde.210 Mit seinem Profil eines interdisziplinär interessierten und gut vernetzten Gelehrten sowie Freund Leonardos war Gaffurio einer der Musiker und Musiktheoretiker, mit denen sich der Florentiner Künstler im vertrauten Mailänder Gelehrtenzirkel duellieren konnte – gleichsam der oben zitierten, dialogisch angelegten Passage der Parte Prima. Einen Dialog zwischen Malerei und Musik evoziert auch Leonardos Bildnis des Mannes mit Notenblatt, wobei das cartiglio auf Theorien Gaffurios verweist. Offen bleibt, wen der Porträtierte darstellt.211 Es könnte bspw. der zu jenem Zeitpunkt rechtmäßige Mailänder Herzog Gian Galeazzo Sforza sein, dessen Vater von Piero del Pollaiolo porträtiert worden war.212 Auch ein Selbstporträt Leonardos ist nicht auszuschließen.213 Plausibel erscheint insbesondere der damals etwa zwanzigjährige Begleiter Leonardos auf der Reise nach Mailand, Atalante Migliorotti. Sein Alter, sein vertrautes Verhältnis zu Leonardo und eine im Mailänder Werkstattinventar Leonardos dokumentierte Skizze von Atalantes Kopf sprechen für Migliorotti; zudem war das unvollendet gebliebene Bild vermutlich nicht als offizieller Auftrag entstanden.214 Doch auch ein Porträt Gaffurios ist möglich. Jener war zwar zur Zeit der Entstehung des Gemäldes sehr viel älter als der Porträtierte, könnte aber im Bild über die divine proportioni auf immer jung gehalten worden sein.215 210 Gaffurio schreibt: »Namque dum picturam animaduertis, nihil absque numerorum proportionibus in ea factum comperies, sed & corporum mensuras, colorumque mixtiones per numeros & symetrias, atque ita picturae ornamenta conspicies esse disposita: rursus per numeros ipsam artem primam imitari naturam. Qualis namque proportio in naturalibus corporibus fecerit pulchritudinem talis & in figurarum mensuris & colorum comparationibus est subsecuta, ob quam causam coloribus forma atque figura.« Gaffurio, Franchino, De Harmonia Musicorum Instrumentorum Opus, Gottardo Ponte, Mailand 1518, 4. Buch, Kapitel 16 (Quod Numeri consoni & aliis artibus multum conferunt), f. LXXXXVI v. Für eine englische Übersetzung siehe: Gaffurius, De Harmonia Musicorum Instrumentorum Opus, hg. v. Clement Miller, S. 204. 211 Marco Bizzarini gibt einen Überblick zur Debatte über die Identität des Dargestellten – von Gaffurio über Atalante Migliorotti, zu den Komponisten Josquin Desprez und Simon de Quercu. Sie alle waren aktiv in den Mailänder Hofkontext der Zeit involviert. Bizzarini, »Gli enigmi del Musico di Leonardo«. 212 Siehe: Syson, »Leonardo da Vinci, Portrait of a Young Man«, S. 96 f. 213 Siehe: Marani, »Il Musico«, S. 121. 214 In einer Art Inventarliste von Leonardos Mailänder Werkstatt (um 1485–1487) ist »una testa ritratta d’Attalante che alzava il volto« vermerkt (Mailand, Biblioteca Ambrosiana, Codex Atlanticus, f. 888r, ex 324r). Attalante war zur Zeit der Entstehung des Gemäldes 20 Jahre alt. Siehe: Syson, »The Rewards of Service«, S. 23 f.; Syson, »Leonardo da Vinci, Portrait of a Young Man«, S. 96 f. 215 Siehe die nachfolgende Anmerkung mit der dokumentierten Reaktion Advogarius’ auf sein Bildnis.
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Als Impuls innerhalb der bildkünstlerischen Praxis scheint das Bildnis des Mannes mit Notenblatt dann von Malern aus Leonardos engem Umfeld aufgenommen und zum Modell eines in den 1490er-Jahren emergierenden Bildtypus Mailänder Porträtmalerei stilisiert worden zu sein – ein Bildnisstil, den David Brown begründeterweise als »idealized portraits« bezeichnet und in Anbetracht derer sich die Porträtierten mitunter wunderten, im eigenen Bildnis so jung auszusehen.216 Zu dieser Gruppe von Bildnissen gehören Werke von u. a. Giovanni Antonio Boltraffio, Ambrogio de Predis und Marco d’Oggiono, die die Porträtierten als junge, schöne, oft androgyn anmutende Gestalten mit schulterlangem, lockigen Haar und schwerlidrigen Augen im Close-up vor einfarbig dunklem Grund mit »smooth and glossy surfaces« darstellten und die den Porträtierten einen im Vergleich zu Leonardos Gemälde und dessen Bildfigur doch merklich anderen, kühleren Teint und Ausdruck verleihen – passend zur Idealisierung der Dargestellten (Farbtafel 13).217 Luke Syson argumentiert überzeugend dafür, dass der Stil dieser idealized portraits nicht zuletzt auch im Interesse Ludovico Sforzas entstand und zwar als Versuch, einen neuen lombardischen Stil zu begründen, einen »new Sforza house style«.218 Mit diesem Stil wurde zugleich eine produktionsästhetische Tradition lombardischer Kunstpraxis weitergeführt: das Arbeiten in Teams bzw. das gemeinsame Arbeiten an und mit einem identitätsstiftenden Stil als »common stylistic language«.219 Als eben ein solcher Stil 216 Zum Genre der idealized portraits in Leonardos Umkreis siehe generell: Brown, »Leonardo and the Idealized Portrait«. Dass es in jenen Porträts von Mailänder Malern aus Leonardos direktem Umfeld ebenso um eine Idealisierung jugendlicher Schönheit der Porträtierten geht, indiziert auch die Randnotiz auf der ganzseitigen Federzeichnung eines jungen Mannes, der auffallende Ähnlichkeit zu Leonardos Mann mit Notenblatt hat. Die Zeichnung gehört zu einem Mailänder Manuskript von 1499 von Ponticus Virunius und zeigt den Ferrareser Naturwissenschaftlicher Petrus Bonus Advogarius, der sich, so die Randbemerkung, wundert, dass er auf dem Bild so jung aussieht: »Summe talis? Tamquam iuvenis?«. Zitiert nach: ebd., S. 111, siehe auch S. 113 f. Zum Manuskript siehe weiter: Kraus, Hans Peter (Hg.), Monumenta Codicum Manu Scriptorum. An Exhibition Catalogue of Manuscripts of the 6th to the 17th century, Ausst.kat., New York 1974, Katalog-Nr. 43, S. 108 f., f. 61v. 217 Zum Zitat: Syson, »Leonardo and Leonardism«, S. 116.; zu den Charakteristika der idealized portraits: Brown, »Leonardo and the Idealized Portrait«. Zu Leonardos Mailänder Werkstatt und den Malern seines Umfelds siehe: Mazzotta, Antonio, Leonardeschi. Leonardo e gli artisti lombardi, Florenz / Mailand 2014; Geddo, Cristina, »Leonardeschi tra Lombardia ed Europa: i ›Giampietrino‹ della Mitteleuropa«, in: Lombardia ed Europa. Incroci di storia e cultura, hg. v. Danilo Zardin, Mailand 2014, S. 69–108; Rinaldi, »The Achademia Leonardi Vinci«. 218 Syson, »Leonardo and Leonardism«, S. 110. 219 Ebd., S. 107, siehe auch S. 110. Zu weiteren Beispielen und Aspekten kollaborativen Arbeitens als durchaus charakteristischem Modus bildkünstlerischer Praxis im lombardischen Diskurs siehe Kapitel 3.2; sowie Welch, Art and Authority, S. 244 ff., 252; Shell, Janice, Pittori in bottega: Milano nel Rinascimento, Turin 1995; Syson, »Leonardo and Leonardism«, v. a. S. 107, 110 f. (Syson stellt die kollaborative Praxis im lombardischen
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scheint Ende des Quattrocento das ›Leonardeske‹ als richtungsweisend ausgewählt worden zu sein. So berichtet eine zeitgenössische Quelle, dass sich ein typischer Mailänder palazzo zu jener Zeit dadurch auszeichnete, dass dort ein Gemälde Leonardos hing – womit sicherlich nur ein Gemälde im leonardesken Stil und nicht ein vollkommen eigenhändiges Werk des Florentiners gemeint sein kann, schuf Leonardo doch von diesen bekanntermaßen nur sehr wenige.220 Ein an Leonardos Malerei und einem Bildnis wie jenem des Mannes mit Notenblatt orientierter – oder besser gesagt ein Leonardos Malerei stilisierender – Stil der Porträtmalerei in dessen direktem Umfeld widerspricht jedoch den malerei theoretischen und produktionsästhetischen Lehren des toskanischen Künstlers. Michael Kwakkelstein hat jüngst anhand von Zeichnungen und Gemälden jener Diskurs zudem der stärker hierarchisch organisierten Werkstattpraxis in Florenz abgrenzend gegenüber). Evelyn Welch führt das kollaborative Arbeiten auf ökonomische wie auch produktionstechnische und stilistische Gründe zurück. Denn der Sforza-Hof und die nachfolgenden französischen Machthaber sowie die großen, mehr oder weniger konstant einflussreichen Mailänder Familien beförderten demnach als Auftraggeber ein System des »competitive pricing«, welches durch eine schwache Zunftstruktur gestützt wurde. Die größtenteils kleinen Mailänder Künstlerwerkstätten begegneten diesem Vorgehen (aber auch der Herausforderung von Großprojekten) damit, dass sie projektbezogen gezielt mit anderen Werkstätten und Kollegen kollaborierten, sich die Arbeit teilten und ihre Verhandlungsposition gemeinsam stärkten. Unabdingbar war dafür ein »shared sense of commercial and aesthetic values«. Welch, Art and Authority, S. 252 (für das Zitat), siehe zum Thema zudem S. 244 ff. Wie Luke Sysons und indirekt auch Evelyn Welchs Studien nahelegen, wurde ein »new Sforza house style« vermutlich einerseits in Anlehnung an stilbildende, kollaborative Arbeitsweisen entworfen und andererseits als Gegenmodell zu einer konservativeren lombardischen Traditionsanbindung, wie sie der rechtmäßige Mailänder Herzog Gian Galeazzo Sforza, Erbe des ermordeten Galeazzo Maria und junger Neffe Ludovicos, gemeinsam mit seiner Frau Isabella von Aragon am Hof in Pavia förderten. Jener rivalisierte wohl mit dem Hof Ludovicos in Mailand und in Vigevano. Dabei setzten Galeazzo und Isabella um 1490 in ihrem ›lombardischen Programm‹ bspw. die Werke Bergognones und seiner Equipe in der Ausstattung der Certosa di Pavia zentral. Ludovico wiederum, der die Regentschaft des Herzogtums an sich riss und dies über seine Tugendhaftigkeit und Gelehrsamkeit zu rechtfertigen suchte, zielte mit seiner Kunst- und Kulturpolitik letztlich auch darauf ab, sich abzuheben und zu legitimieren. Ein Brief seines Mailänder Botschafters in Florenz belegt bspw. den Auftrag, distinkte Stile berühmter toskanischer Künstler (Sandro Botticelli, Filippino Lippi, Perugino, Domenico Ghirlandaio) zu sichten und Ludovico davon zu berichten, der gerade geeignete Künstler für Aufträge in der Certosa di Pavia suchte – und dies dann vor dem Hintergrund eines Gegenentwurfs zu Bergognone und Co. Gerade die Orientierung an der Florentiner Kulturszene scheint für Ludovico reizvoll gewesen zu sein, der generell enge kulturpolitische Verbindungen zu Lorenzo de’ Medici pflegte. Siehe: Welch, Art and Authority, S. 244–252.; Syson, »The Rewards of Service«, S. 26; zum Botschafterbrief: Baxandall, Die Wirklichkeit der Bilder, S. 36. 220 Syson, »Leonardo and Leonardism«, S. 111.
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Künstler im Mailänder Umkreis Leonardos gezeigt, dass sich die Maler sehr eng an bestimmten Aspekten und Motiven von Leonardos Werken orientierten und dabei zum einen einschlägige Figurentypen und Posen herauspräparierten sowie zum anderen die sfumato-Technik appropriierten.221 Es wurde demnach nicht nach dem von Leonardo als fundamental befundenen Prinzip künstlerischen Schaffens vorgegangen: der eigenständigen, intellektuellen Reflexion, dem experimentell fundierten Studium, der Beobachtung der Natur und ihrer poietischen Prinzipien sowie dem zeichnenden Elaborieren von ingegno und fantasia.222 In den idealized portraits kommt vielmehr die Elaborierung eines erfolgreichen Bildnisstils zum Tragen und zur Anschauung – ein Stil, den die größtenteils bereits zu Beginn von Leonardos Mailand-Aufenthalt etablierten lombardischen Maler jenseits eines Lehrer-Schüler-Verhältnisses zu perfektionieren suchten. Auf diese imitatio-Praxis mag letztlich auch Leonardos Kritik an Mailänder Künstlern und deren mangelndem Engagement bzw. Ambition in seinen Notizen aus jenen Jahren abzielen.223 Während Leonardo also Malerei und Zeichnung als Medien der Erkenntnis erfasste und in interdisziplinären Debatten vorstellte, prägten Maler seines direkten Umfelds wie Boltraffio, d’Oggiono oder der Meister der Pala Sforzesca in ihrer Porträtmalerei einen erfolgreichen Stil als Gruppe. Das sfumato war aber auch für Leonardo selbst vermutlich nicht ausschließlich ein wissenschaftlicher Modus der imitatio optischer Naturgesetze, sondern ebenso Stilmerkmal. Auf eine solche Funktion des sfumato weist Michael Cole mit Blick auf die Konkurrenz von Leonardo und Michelangelo hin, die er als eine ›agonistic history‹ der Gegenspieler sfumato und circumscriptio konturiert.224 Eine ähnlich gelagerte agonistic history des sfumato als konkurrierendem Stil zu linear verfahrenden, konturbasierten Darstellungsmodi lässt sich schließlich auch in der Mailänder Debatte um die prospettive und divine proportioni ausmachen, bspw. zwischen Leonardo und Bramantino. Um 1490 notiert Leonardo die Frage, welcher Modus der Proportionierung eines Gesichts die größere Herausforderung darstelle – der auf Streckeneinteilungen und Profillinien ausgerichtete oder jener der Modellierung über Licht- und Schattenwerte: »qual è più fatica, 221 Siehe: Kwakkelstein, »The Limited Impact«, S. 78 f., 93 ff. 222 Siehe zu Leonardos Lehrplan weiter unten in diesem Kapitel Anm. 248. Diese für Leonardo fundamentalen Prinzipien künstlerischer Praxis und Theorie schließen für ihn jedoch in seiner Malpraxis das Arbeiten mit Modellen und Mustern ebenfalls nicht gänzlich aus. 223 Siehe: Kwakkelstein, »The Limited Impact«, S. 78 f., 93 ff. 224 Siehe: Cole, Michael W., Leonardo, Michelangelo, and the Art of the Figure, New Haven / London 2014, v. a. S. 57 ff. Zum chiaroscuro als Stilprinzip siehe auch: Summers, David, »Style and Meaning in Renaissance Art«, in: The Art Bulletin, 59/3 (1977), S. 336–361, S. 360.
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o i proffili o l’ombra o lumi?«.225 Gerade in dieser Frage hallt ein bildkünstlerischer Disput wider. Jener Disput betrifft eine andere Konstellation als im Falle des epistemischen Agons höfischer scientifici duelli, der Paciolis Schriften wie auch Leonardos Notizen in Melzis Kompilation zugrunde liegt und durch den die Fragen zu Perspektive und Proportion im interdisziplinären Kontext auf deren Bedeutung als scientia-Faktoren der Malerei zugespitzt sind.226 In der bildkünstlerischen Praxis ergaben sich nun zeitgleich auch andere Fragen und Herausforderungen mit den prospettive und proportioni. Ab der Jahrhundertwende nimmt zwar das Interesse am Chiaroscuro im ästhetischen Diskurs mit Blick auf den gesamtitalienischen Raum stetig zu und löst mitunter auch das Interesse an exakter mathematisch-geometrischer Vermessung ab bzw. relativiert es, wie Miklós Boskovits in einer Studie zum Bedeutungswandel der Perspektive mit Fokus auf Mittelitalien nachvollzieht.227 Im vorliegenden Zusammenhang wird nun aber besonders das simultane Zusam225 Manuskript A (Paris, Institut de France, f. 105v), online einsehbar unter: https://www. leonardodigitale.com/sfoglia/manoscritto-a-dell-institut-de-france/0105-v/?term=Zm F0aWNh&exactTerm=0 (zuletzt eingesehen am 15.07.2020). Siehe zu dieser Passage auch: Marani, »Leonardo, l’antico«, S. 19. 226 Siehe auch Äußerungen Filaretes zum Verhältnis von disegno und Licht-Schattenwerten in Kapitel 3.1, Anm. 9. 227 Miklós Boskovits konstatiert, dass »the painters’ perspective thus gradually became separated from mathamatics [sic!]«. Boskovits, Miklós, »›Quello ch’e dipintori oggi dicono prospettiva‹. Contributions to Fifteenth-century Italian Art Theory (Part II)«, in: Acta Historiae Artium. Academiae Scientiarum Hungaricae, 9 (1963), S. 139–162, S. 152. Linearperspektivische Konstruktionen und Verkürzungen waren ein äußerst relevantes Thema für die italienische Kunst des 15. Jahrhundert. Dies belegen neben der bereits erwähnten Abhandlung De prospectiva pingendi von Piero della Francesca bekanntermaßen auch die Werke der Künstler und Kunsttheoretiker Filippo Brunelleschi und Leon Battista Alberti, das Londoner und Pariser Zeichnungsbuch Jacopo Bellinis sowie Francesco Squarciones Lehrplan zur Künstlerausbildung in Padua. In Squarciones Vertrag mit einem Schüler vom 30.10.1467 heißt es etwa: »insegnare intendere una testa d’omo in schorzo per figura de isometria, zoè d’un quadro perfecto con el soto quadro in scorzo e insegnare le raxon de un corpo nudo […].« Zitiert nach: Bambach, »On ›la Testa Proportionalmente Degradata‹«, S. 40. Zu den Jacopo Bellini und seiner Werkstatt zugeschriebenen Zeichnungsbüchern siehe: Reufer, Claudia, Artikulation und Generierung bildlichen Wissens. Die Zeichnungsbücher aus der Werkstatt Jacopo Bellinis, Paderborn (in Vorbereitung). Die Zeichnungsbücher werden in Claudia Reufers Studie v. a. auch als Medien des Transfers ästhetisch konfigurierten Wissens über die Perspektive eingehend analysiert. Siehe auch den bereits publizierten Beitrag: Reufer, Claudia, »Eine aus Linien aufgebaute Bildwelt: Die Zeichnungsbücher aus der Werkstatt Jacopo Bellinis«, in: Wissen in Bewegung. Institution – Iteration – Transfer, hg. v. Eva Cancik-Kirschbaum und Anita Traninger, Wiesbaden 2015, S. 393–414. Die theoretisch-systematische Auseinandersetzung mit der Linearperspektive in Bellinis Umfeld und dessen interdisziplinäre Vernetzung bezeugt auch Giovanni Fontanas Tractatus de trigono balistario (Udine 1440, Oxford, Bodleian Library, Ms. Canonicus
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mentreffen unterschiedlicher Perspektivkonzepte in der Lombardei fokussiert und nach deren jeweiliger Funktionalisierung in epistemischen wie ästhetischen Debatten gefragt. Dort war bspw. die über Luca Pacioli und Donato Bramante nach Mailand vermittelte Forschung zur Perspektive von Piero della Francesca nicht nur für Leonardos Zeichnungen zum Compendium de divina proportione wichtig, sondern auch für Künstler wie Bramantino, den ›kleinen Bramante‹.228 In De prospectiva pingendi hatte Piero die linearperspektivische Konstruktionsweise als scientia formuliert, worin ihm nicht nur Pacioli, sondern auch der oben bereits mit Bramantino identifizierte Autor der Antiquarie prospetiche Romane folgten.229 Bramantino setzte seine Expertise des linearperspektivischen Konstruierens nicht zuletzt auch als Entwurfszeichner für Intarsien ein, die als prädestiniertes Bildmedium geometrischer Ornamentik und linearperspektivischer Raumillusionen galten.230 V. a. lombardische und Veroneser Meister von Misc. 47), in dem er den Jacopo Bellini gewidmeten Traktat Artis pictoriae canones ad Jacobum Bellinum dokumentiert. Siehe: Bora, »Prospettiva lineare«, S. 4 f. Zur Linearperspektive im 15. Jahrhundert siehe weiterhin einschlägig: Panofsky, Erwin, »Die Perspektive als ›symbolische Form‹«, in: ders., Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, hg. v. Hariolf Oberer und Egon Verheyen, Berlin 1980, S. 99–167; siehe auch: Kemp, The Science of Art; Bätschmann, Oskar, »Regeln und Erfindung: Perspektive, Proportion und Inventio bei Leon Battista Alberti«, in: La prospettiva. Fondamenti teorici ed esperienze figurative dall’antichità al mondo moderno, hg. v. Rocco Sinisgalli, Rom 1995, S. 94–102. 228 Vgl. zu diesen Aspekten auch: Bambach, »On ›la Testa Proportionalmente Degradata‹«, S. 18 f., 34–37. Zu Bramante und der Perspektivforschung in Mailand siehe weiterführend: Dalai Emiliani, Marisa (Hg.), La prospettiva rinascimentale. Codificazioni e trasgressioni, Florenz 1980; Di Teodoro, Francesco Paolo (Hg.), Donato Bramante. Ricerche, proposte, riletture, Urbino 2001. 229 Bei Piero heißt es: »Et perchè la pictura non è se non dimostrationi de superficie et de corpi degradati è accresciuti nel termine, posti secondo che le cose vere vedute da l’occhio socto diversi angoli s’apresentano nel dicto termine […]. [D]ico essere necessaria la prospectiva, la quale discerne tucte le quantità proportionalmente commo vera scientia, dimostrando il degradare et acrescere de onni quantità per la forza de linee.« Zitiert nach: Boskovits, »›Quello ch’e dipintori oggi dicono prospettiva‹«, S. 157 f. Anm. 40. 230 Überliefert ist etwa die Beteiligung Bramantinos an Entwürfen für Intarsien des Chorgestühls von San Stefano in Bergamo, die von Fra Damiano Zambelli ausgeführt wurden. Marcantonio Michiel berichtet 1525: »[I]n la capella maggiore, li banchi son de man de fra Damian Bergamasco converso in San Domenego che fu discepolo de fra […] Schiavon in Venezia, li disegni de le dette tarsie furono de man de Trozo de Monza e de Bernardo da Trevi, del Bramantino e altri; e sono istorie del testamento vecchio e prospettive.« Zitiert nach: Polli, Vittorio, Le tarsie di San Bartolomeo in Bergamo del Fra Damiano Zambelli. Faber Lignarius 1480–1549, Rossano 1995, S. 7, siehe auch S. 5–9, 66. Zur Intarsie, ihrer Bedeutung und den Sujets siehe: Roesler-Friedenthal, Antoinette, »›Opus coelo non penicello excussi‹. Das Selbstbildnis des Antonio Barili von 1502«, in: Im Agon der Künste. Paragonales Denken, ästhetische Praxis und die Diversität der Sinne, hg. v. Hannah B aader, Ulrike Müller-Hofstede, Kristine Patz und Nicola Suthor, München 2007, S. 115–142, S. 139 f.; Ciocci, Luca Pacioli, S. 149–152; Kemp, The Science of Art, S. 44.
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Intarsienarbeiten bzw. Entwürfen für Intarsien werden in den Dokumenten explizit als »maestri di prospettiva« bzw. »magister tersiarum et perspectiva« bezeichnet.231 Gerade in Intarsienarbeiten wurden die geometrischen Körper aus dem Compendium de divina proportione intensiv rezipiert und zu »symbolischen Platzhaltern der neuen, mathematisch-platonisch agierenden Wissenschaftlichkeit«.232 Bramantino stellte sein tiefgreifendes Interesse an linearperspektivischer Konstruktion, der divina proportione und der mathematisch fundierten und gleichermaßen geheimnisvollen scientia aber, wie gezeigt, gerade auch in seiner Malerei aus. Dies wird bspw. durch die Perspektivkonstruktionen seiner klar strukturierten Architektursettings und seiner Proportionierung des Bildfeldes gemäß dem goldenen Schnitt evident (Kapitel 2.2). Der pointierte Einsatz dieser scientia schließt aber auch aus mathematischer Sicht unlogisch erscheinende Aspekte wie die Größenverhältnisse der Bildfiguren zum Bildhintergrund nicht aus. Vom Prinzip her jedoch ist der Bildaufbau stets betont geometrisch über Linien sowie perspektivisches Fluchten organisiert, wie etwa in der Londoner Anbetung des Kindes mit den auf den Stufen präsentierten Gefäßen (Farbtafel 5).233 Die scientia linearperspektivischer Konstruktionen und kunstvoller Verkürzungen wurde dann im Laufe des 16. Jahrhunderts zum Charakteristikum lombardischer Künstler stilisiert – insbesondere vom Mailänder Lomazzo, der v. a. Bramantino als prominenten Vertreter der Mailänder Perspektivmaler präsentiert.234 Auch der aus Crema stammende Carlo Urbino maß den lombardischen Künstlern im Codex Huygens (ca. 1560–1570) eine besondere Expertise auf dem Feld der Perspektive(n) zu. In dem in Mailand entstandenen, aus Zeichnungen und kurzen Textpassagen zusammengesetzten Lehrbuch zur 231 Siehe: Sgarbi, Vittorio, La Certosa di Pavia: Le Tarsie Lingnee, Pavia 1990, S. 9, 14, 111; Schottmüller, Frida, »Das Chorgestühl des Pantaleone de Marchis im Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin«, in: Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen, 36 (1915), S. 175–188, S. 178–181; Camerota, Filippo, »Bramante ›prospettivo‹«, in: Donato Bramante. Ricerche, proposte, riletture, hg. v. Francesco Paolo di Teodoro, Urbino 2001, S. 19–46, S. 21 f. 232 Tiller, »Peroché dal corpo umano«, S. 7. 233 Bramantinos Bilder wie auch die oben besprochenen und über Lomazzo vermittelten Passagen eines Perspektivtraktats zeigen, dass Suardi durch Zirkel, Berechnung und mechanische Verfahren erzielte Vermessungen des Bildfeldes für grundlegend erachtete und die Fehler einer Vielzahl von Malern seines Umfeldes anmahnt, die seiner Meinung nach jenseits der mathematisch-geometrischen Berechnung agierten. Siehe Kapitel 2.2, Anm. 81; Lomazzo, »Trattato«, S. 241. 234 Janis Bell verweist zudem auf Lomazzos Kritik an bzw. Ablehnung von Leonardos Schärfenperspektive: Bell, »Sfumato«, S. 256. Zudem unterstreicht Barbara Tramelli, dass Lomazzos kunsttheoretisches Interesse kaum auf die perspettiva aerea Leonardos gerichtet war, sondern vielmehr auf linearperspektivische Konstruktionen und perspektivische Verkürzungen der maestri milanesi. Tramelli, Barbara, Giovanni Paolo Lomazzo’s Trattato dell’Arte della Pittura: Color, Perspective and Anatomy, Boston 2017, S. 141, sowie generell ebd. Kapitel 5, S. 128–173.
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Proportion und perspektivischen Darstellung der menschlichen Figur und des Pferdes, das Urbino in engem Dialog mit Zeichnungen Leonardos erarbeitete, wird z. B. im dritten Buch über die perspektivischen »modi del transferire« und den »iscurcio« angemerkt, dass v. a. die »artefici nostri« sich durch das Wissen um und das Beherrschen von eben jenen Verfahren auszeichnen.235 Im Secondo Cinquecento versuchten manche lombardischen Künstler sich demgemäß qua Traditionsanschluss ans Primo Cinquecento durch kunstvolle Darstellungen von scorci gegenüber Konkurrenten aus anderen Regionen abzugrenzen, wie Giulio Bora rekonstruiert; sie fokussierten dabei u. a. Werke Bramantinos.236 Bspw. 235 Carlo Urbino schreibt: »Ma il terzo modo, che [è] tanto et tanto cercato et disiato et aspettato dagli artefici nostri, lo puotiamo dimandar disegno vivo, puoi per questa regola si tramuta et si traporta in qual si voglia locho alto, basso, a destra, a sinistra con la varietà de’ corpi secondo l’ochio et la cosa et distanzia; si vedono la varietà de’ corpi in iscurcio sotto alla verità del vedere la reta sua collocazione, per altro nome chiamata Prospettiva.« Carlo Urbino, Codex Huygens (New York, Pierpont Morgan Library, Codex M. A. 1139, f. 31), zitiert nach: Panofsky, Erwin, The Codex Huygens and Leonardo da Vici’s Art Theory. The Pierpont Morgan Library Codex M. A. 1139, London 1940, S. 35. Siehe zum Codex weiterhin: Zöllner, »Die Bedeutung von Codex Huygens«; Salvi, Paolo, »The Midpoint of the Human Body in Leonardo’s Drawings and in the Codex Huygens«, in: Illuminating Leonardo. A Festschrift for Carlo Pedretti. Celebrating His 70 Years of Scholarship (1944–2014), hg. v. Constance Moffatt und Sara Tagliagamba, Leiden / Boston 2016, S. 259–284; Leonardo da Vinci, The Literary Works of Leonardo da Vinci. Compiled and Edited from the Original Manuscripts, hg. v. Jean Paul Richter, komm. v. Carlo Pedretti, Bd. 1, Oxford 1977, S. 48–75; Röhrl, Boris, Zeichnungen von Leonardo da Vinci als Buchillustrationen 1509 bis 1600, Stuttgart 2015, S. 7. Der gesamte Codex Huygens ist online einsehbar über die Sammlungsseite der Pierpont Morgan Library: https://www.themorgan.org/collection/Codex-Huygens (zuletzt eingesehen am 22.07.2020). 236 Siehe: Bora, »Prospettiva lineare«; vgl. auch: Berra, Giacomo, »La storia dei canoni proporzionali del corpo umano e gli sviluppi in area lombarda alla fine del Cinquecento«, in: Raccolta Vinciana, 25 (1993), S. 159–310, S. 221 f. Pointierte scorci in Bramantinos Malerei wurden frühneuzeitlich v. a. hinsichtlich einer Pietà-Darstellung Bramantinos (ehemals San Sepolcro, Mailand; heute Pinacoteca Ambrosiana, Mailand) besprochen und finden sich des Weiteren im Altarbild Madonna mit Kind und den Heiligen Ambrosius und Michael (Abb. 2.08). Im Altarbild der thronenden Madonna mit Heiligen sind es die am Boden zu Füßen des Thrones liegenden und besiegten Personifikationen des Negativ-Besetzten, der Häresie und des Bösen, in Gestalt eines nackten Mannes und eines menschengroßen grünen Frosches. Die Darstellung dezidiert negativ besetzter Personifikationen in starker perspektivischer Verkürzung zu Füßen dezidiert positiv besetzter Figuren findet sich interessanterweise auch in einem monumentalen trecentesken Wandbild der Chiesa degli Eremitani in Ferrara, wo der modenesische Maler Serafino de’ Serafini in einer Darstellung der Allegorie der scientia und sapientia zu Füßen der personifizierten Tugenden Personifikationen der Laster darstellte. Die in starker perspektivischer Verkürzung gezeigten Körper der Laster bestechen durch die an ihnen evident werdende künstlerische Originalität bzw. Experimentierfreude. Iris Helffenstein, die das Wandbild jüngst in einer konzisen Studie auf Prozesse von Wissenswandel hin analysierte, konstatiert prägnant, dass Serafino »mit den ge-
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argumentierte der Mailänder Architekt und Kunsttheoretiker Martino Bassi im Sinne einer gewissermaßen lokalen Stilidentität der maestri di prospettiva für die strikte Wahrung der Regeln der Mathematik, die konsequente Darstellung von scorci und die Anwendung des sottoinsù bei Werken erhöhter Anbringung, was von Konkurrenten als unschöne Irritationen des Betrachterblicks kritisiert wurde.237 Um 1500 nun mag ebenfalls eine Debatte um prospettive akut gewesen sein. Dabei lagen Fokus und Erkenntnisinteresse Bramantinos im Vergleich etwa zu jenen Leonardos oder auch der Maler des new Sforza house style auf anderen Modi der prospettive und proportioni. Zugespitzt gesagt: Exponierte Linearperspektive und Geometrisierung wurden Helldunkelmodellierungen als scientia-Instrumente wie auch als Stilprinzip gegenübergestellt. Dieser ästhetisch-epistemische Agon entfaltete sich jenseits des höfischen, interdisziplinären suchten Torsionen und spektakulären Verkürzungen […] die unterschiedlichen Modi des Gestürztseins regelrecht durchdekliniert«. Siehe: Helffenstein, Iris, Wissenstransfer in Bildprogrammen des Trecento. Allegorie, Imitation und Medialität, Paderborn 2021, S. 217; siehe zudem ebd. die Abb. 79 und 80 sowie Tafel 23 für Serafinos Wandgemälde. Zurück zu den scorci im Cinquecento: Giovan Paolo Lomazzo versucht in seinem Trattato die unterschiedlichen Arten von scorci bzw. viste mentite zu systematisieren, wobei er immer wieder anmerkt, dass sie sprachlich nicht vermittelbar seien und er daher nur Beispiele aufzeigen könne (erneut ein Marker der Reflexion elusiven Wissens im ästhetischen Diskurs der Zeit): »Ma perché intorno a ciò sarebbe troppo che dire e pur non sarebbe mai troppo bene inteso, bastarà apportar alcuni essempij di questa vista mentita, per maggior chiarezza.« Mehrere Werke Bramantinos dienen Lomazzo dabei als Exempla: »[P]er questa veduta tutte le figure o corpi che sono sopra l’occhio si mostrano per le parti da basso, o più, o meno, secondo che sono in alto sopra la parete all’orizzonte. […] Veggasi anco, di mano di Bramantino, in Milano la facciata de’ Latuadi […] et un’altra del medesimo in Porta Orientale et in Santa Maria di Bari, sopra l’ante dell’organo […].« Lomazzo, »Trattato«, S. 235, 237; generell zu den scorci: ebd., S. 235–238. 237 Dokumentiert ist z. B. ein Disput von 1569/1570 um die perspektivische Konstruktion eines Verkündigungsreliefs für das Tympanonfeld einer heute zugemauerten Tür am Mailänder Dom. Hinter den lombardischen Architekten Pellegrino Tibaldi und Martino Bassi bildeten sich gegensätzliche Meinungsgruppen. Bassi sprach sich im Sinne einer lokalen Identität der maestri di prospettiva für eine perspektivische Verkürzung aus, die gemäß der hohen Anbringung des Bildes im mathematisch korrekten Verhältnis zum niedrigen Betrachterstandpunkt konzipiert ist, also für eine Ansicht sottinsù mit starken scorci. Er tauschte sich mit verschiedenen Experten aus; involviert waren dabei u. a. Giacomo Barozzi da Vignola, Andrea Palladio sowie Giovan Battista Bertani. Tibaldi und seine Unterstützer lehnten eine auf mathematische Korrektheit fokussierte Perspektivkonstruktion als zu forciert und unelegant ab. In seinen als Briefwechsel inszenierten Dispareri in Materia d’Architettura e Prospettiva con Pareri di Eccellenti e Famosi Architetti (1572) nimmt Martino Bassi auf diesen Disput nochmals Bezug. Siehe: Bora, »La prospettiva della figura umana«, S. 295 f., 308, 311, 316; sowie: Tramelli, Giovanni Paolo Lomazzo’s Trattato dell’Arte della Pittura, S. 128 ff.; Klein, Robert, L’esthétique de la technè. L’art selon Aristote et les théories des arts visuels au XVIe siècle, hg., transkribiert und vorgestellt v. Jérémie Koering, Paris / Saint-Just-La-Pendue 2017, S. 182.
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Gelehrtengesprächs, diesseits bildkünstlerisch-ästhetischer Stil- und Wissensfragen. Schließlich war auch der lombardische und im speziellen Mailänder Kunstmarkt des ausgehenden 15. und angehenden 16. Jahrhunderts ein hochgradig kompetitives Feld.238 Ein nachgewiesener Konkurrent Bramantinos in der Künstlervereinigung San Luca war bspw. Bernardo Zenale. Jener stellte die thronende Madonna mit Kind nicht wie Bramantino in kantigen, gradlinigen, nüchternen Architekturkulissen dar, sondern in einer Grotte als »construction of space through sculptural masses, [….] [which] disregards the geometric cage of Albertian perspective«, wie es Stephen Campbell ausdrückt (Farbtafel 14).239 Ein derartiges Setting hatte auch Leonardo in seinem Altarbild der sog. Felsgrotten-Madonna (1. Version um 1483–1486, Paris, Musée du Louvre; 2. Version um 1495–1508, London, National Gallery) gewählt, welches er in Kooperation mit Ambrogio und Evangelista de Predis gemalt und maßgeblich über die prospettiva aerea und das chiaro e scuro räumlich gestaltet hat.240 Ein weiteres Beispiel ist die Pala Lodi von Leonardos Schüler Giovanni Antonio Boltraffio (Madonna und Kind mit Heiligen, um 1508, Kunstmuseum Budapest).241 Mit seinen linearperspektivischen und geometrisch fundierten Darstellungen setzt Bramantino in seiner Malerei somit quasi einen »contrapposto alle ›pale senza prospettiva‹ di ambito leonardesco«, wie Edoardo Villata anmerkt.242 Dass Leonardo nun jenen
238 Zum kompetitiven Mailänder Kunstmarkt um die Jahrhundertwende siehe: Robertson, »Bramantino and the ›Historia‹«, S. 31; Welch, Art and Authority, S. 241. 239 Campbell, The Endless Periphery, S. 32. Campbell verweist des Weiteren konzise darauf, »[t]his imaginary, nontopographical landscape is especially typical of the Paduan followers of Squarcione and Mantegna, and characteristic of the work of Marco Zoppo in Pesaro and Bologna, of Cosmè Tura and Francesco del Cossa in Ferrara, and of Bernardino Zenale in Milan.« Ebd. Zu Zenales Madonna in der Grotte mit Kind und Heiligen (Farbtafel 14) siehe: Buganza, Stefania / Cairati, Carlo, »Bernardo Zenale, Madonna con il Bambino in torno tra i santi Giuseppe, Ambrogio e Gerolamo«, in: Bramantino. L’arte nuova del Rinascimento lombardo, Ausst.kat., hg. v. Mauro Natale, Mailand 2014, Katalog-Nr. 41, S. 250–253. Zur Konkurrenz von Bramantino und Zenale siehe auch: Rossetti, Edoardo, »Con la prospettiva di Bramantino. La società milanese e Bartolomeo Suardi (1480–1530)«, in: Bramantino. L’arte nuova del Rinascimento lombardo, Ausst.kat., hg. v. Mauro Natale, Mailand 2014, S. 43–79, S. 62; Bora, »Prospettiva lineare«, S. 31; Robertson, »Bramantino and the ›Historia‹«, S. 31 (Robertson verweist dort zudem auf die Konkurrenz zwischen Bramantino und Bernardino Luini). 240 Syson, »Leonardo and Leonardism«, S. 111 f. 241 Siehe zu diesem Bild weiter: Kwakkelstein, »The Limited Impact«. 242 Villata, Edoardo, »Gaudenzio di fronte a Leonardo. Inclinazioni e resistenze verso il Cenacolo tra Piemonte e Lombardia«, in: Il Genio e le Passioni. Leonardo e il Cenacolo. Precedenti, innovazioni, riflessi di un capolavoro, hg. v. Pietro C. Marani, Vorwort von Ernst H. Gombrich, Mailand 2001, S. 155–163, S. 157.
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Perspektivmodus in seinen eigenen zentralperspektivisch angelegten Kompositionen pointiert problematisiert, zeigt sein Abendmahl: Dort wird Leon Battista Albertis Forderung nach einem idealen Betrachterstandpunkt, auf den die Linien der Sehpyramide im Bild fluchten, zugunsten der Beweglichkeit der Betrachtenden vor dem Bild im Raum des Refektoriums gerade nicht eingelöst.243 Zudem widerspricht die räumlich stark verdichtete Darstellung der zwölf Apostelfiguren einer mathematischen Logik, ermöglicht dadurch aber die emotionale Verdichtung ihrer Gesten und Mimik.244 Leonardo vermied in seinen Mailänder Werken, mit Giulio Boras Worten gesprochen, »le forzature illusionistiche dei milanesi« und stellte diesen die »formulazione condotta sulla prospettiva ›de’ perdimenti‹ e sul naturalismo atmosferico«, die »nuovi valori spaziali basati sul chiaroscuro« entgegen.245 Diese Schwerpunkte korrelieren epistemologisch betrachtet mit Leonardos besonderer Wertschätzung der esperienza, als »madre d’ogni certezza«.246 Die Erfahrung und das an sie gebundene Wissen erfordern und ermöglichen die Evaluierung, Adaption und Anpassung theoretisch-begrifflichen Wissens und seiner Regeln in der Praxis, wodurch einmal mehr der besondere Status der Malerei als scientia manifest wird.
243 Siehe: Bora, »Dalla regola alla natura«, S. 31; Bora, »Prospettiva lineare«, S. 29 f. Martin Kemp formuliert zu Leonardos Abendmahl treffend: »Leonardo has used perspective for pictorial suggestion rather than absolute definition. […] [H]e did not so much add science to art, or even art to science, as show how the ›science of art‹ possessed a creative unity of its own special kind in relation to both form and content.« Kemp, Martin, Leonardo da Vinci. The Marvellous Works of Nature and Man, Oxford 2006, S. 49, 52. Boskovits merkt zudem an: »[W]ith Leonardo the laws of perspective came to be far rather optical than geometrical in character.« Boskovits, »›Quello ch’e dipintori oggi dicono prospettiva‹«, S. 149. 244 Siehe zu den »visual paradoxes« in Leonardos Abendmahl und der perspektivischen Konstruktion: Kemp, Leonardo da Vinci, S. 196 (Zitat) und S. 194–198. Siehe zu Leonardos Mailänder Abendmahl und der Darstellung der moti eingehender Kapitel 3.2. 245 Bora, »Prospettiva lineare«, S. 29 f. 246 In der Parte Prima heißt es: »Dicono quella cognition essere mecchanicha la quale è partorita dall’esperientia, e quella essere scientifica che nasce et finisse nella mente, a quella essere semimecchanicha che nasse dalla scientia et finisse nelle operationi manuale. Ma a me pare che quelle scientie sieno vane et piene d’errori le quali non sonno nate dall’esperientia, madre d’ogni certezza, et che non terminano in nota esperientia, cioè che’lla loro origgine, o mezzo o fine, non passa per nessun’ de’ cinque sensi. […] [L’esperientia] sempre sopra li primi veri e noti principij procede successivamente e con vere sequentie infino al fine, come si dinota nelle prime matematiche.« Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 250 f. Zum hohen Stellenwert der Erfahrung in Leonardos Denken siehe u. a. auch: Panofsky, Erwin, Dürers Kunsttheorie vornehmlich in ihrem Verhältnis zur Kunsttheorie der Italiener, Berlin 1915, S. 196; vgl. auch Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 64.
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Wie bereits erwähnt, sind die »matematiche dimostrationi« für Leonardo fundamentales Prinzip jeglicher »vera scientia«, wobei nach Leonardo die »esperientia« zu den »discorsi mentali« hinzukommen muss, »sanza la quale nulla dà di sè certezza«.247 Die »pratica« wiederum müsse auf der »buona teoria« aufbauen, »della quale la prospettiva è guida e porta e senza questa nulla si fa bene«.248 Mit seiner erkenntnistheoretischen Wertschätzung der esperienza konnte Leonardo sich auf die prominente Position des Philologen Giorgio Valla beziehen, dessen De expetendis et fugiendis rebus (2. Hälfte 15. Jahrhundert) in Mailand kursierte und dessen Name in Leonardos Bücherliste vermerkt ist.249 Im genannten Werk unterstreicht Valla, dass sich die Grundprinzipien der scientiae nicht allein durch rein mentale, intellektuelle Überlegungen, sondern gerade auch über die sinnliche Wahrnehmung und durch Experimente und Erfahrungen ableiten lassen.250 Er konstatiert zudem – ganz im Sinne Leonardos –, dass das Werk des Künstlers nicht rein handwerkliche, sondern auch geistige Tätigkeit sei und
247 Siehe Anm. 176 in diesem Kapitel. 248 Leonardo notiert: »Quelli che si innamorano della pratica senza scientia sono come nocchieri che entrano in naviglio senza timone o bussola, che mai hanno certezza dove si vadano. Sempre la pratica deve essere edificata sopra la buona teoria, della quale la prospettiva è guida e porta e senza questa nulla si fa bene.« Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 178. Leonardos Lehrplan sah nach dem Perspektiv- und Proportionsstudium vor, dass die Künstler zum Beobachten und Skizzieren von Szenen übergingen, wodurch sie Erfahrungswissen erlangten, welches die freie Adaption theoretischen Wissens ermöglichte. Siehe dazu folgende Passage aus dem Pariser Manuskript A: »[Q]ua[n]do. tu araj inparato. bene. dj prospettjva. e araj a me[n]te tutte le me[n]b[r]a / [crossed out: ecque] e corpi delle. chose. sia vago isspesse volte nel to a[n]darti o ssollazo / vedere e cho[n]siderare i siti. e liatti delli omjnj inel parlare inel co[n]te[n]dere / o ridere o [crossed out:cho] a zuffare insieme che attj fieno in loro. che attj faccino i circu[n]/stantj. … e quellj notare. co[n] breuj se / gnj [hier befindet sich die kleine Skizze einer sitzenden Figur auf der Manuskriptseite] inquesta forma su vno tuo piciolo lin[r]etto il quale tu debi se[n]pre por / tare cho[n]techo essia dj carte ti[n]te accio no[n] labi a caciellare [sic: canciellare].« (1490–92; Paris, Institut de France, Manuskript A, f. 27v); sowie: »Del comporre delle storie in p.[rima] bozza: Lo studio de componitori delle storie debbe essere de pore / le figure disgrossatamente cioie bozzate e prima saper / le ben fare per tutti li uersi e piegamenti e distendime[n]/ti delle lor membra […]« (1490–92; Paris, Institut de France, Manuskript A, f. 8v). Beide Passagen zitiert nach: Bambach, »›Porre le figure disgrossamente‹«, S. 57 f. Zu Leonardos Werkstattpraxis siehe: Rinaldi, »The Achademia Leonardi Vinci«. 249 Auf die Verbindungen zwischen Leonardo und Valla weist Monica Azzolini hin: Az zolini, »In Praise of Art«, S. 501 ff. Zu Leonardos Bücherbeständen siehe: Reti, Ladislao, »The two Unpublished Manuscripts of Leonardo da Vinci in the Biblioteca Nacional of Madrid – II«, in: The Burlington Magazine, 110/779 (1968), S. 81–86, S. 86. 250 Im Buch 37 des De expetendis et fugiendis rebus schreibt Valla: »Fiunt autem hae immediateae propositiones tum ab intellectu, tum ab adiuvantibus sensibilibus, ex quibus experimento, ex quo experientia immutabilisque cognitio.« Zitiert nach: Azzolini, »In Praise of Art«, S. 501 mit Anm. 59.
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hier gerade die mathematischen Disziplinen grundlegend seien.251 Auch Pacioli reflektiert in De divina proportione das epistemische Potential der Erfahrung und hebt die Relevanz der »experientia materiale« hervor, »la maestra di tutte le cose, sancta experientia«, welche alles »in lor materiale chiaro el rende«.252 Dabei verbindet sich mit der Erfahrung eine Wissensform, die begrifflich schwer fasslich und nicht (vollständig) über Definitionen oder Regeln vermittelbar ist, sondern an das Subjekt der Erfahrung gebunden bleibt.253 Christina Schaefer hat stichhaltig die Wertschätzung von Erfahrungswissen in der Renaissance nachvollzogen und mit dem aufkommenden Interesse am praktischen Expertentum als Korrelat zum »theoretischen Buchwissen« korreliert.254 Eine Beobachtung, die nicht zuletzt einschlägig durch das Libro del Cortegiano untermauert wird, welches Baldassare Castiglione Anfang des 16. Jahrhunderts nach einem mehrjährigen Aufenthalt am Mailänder Sforza-Hof mit zahlreichen Rekursen auf Leonardos und Paciolis Argumente des epistemischen Agons ihres Gelehrtenzirkels verfasste.255 Die Analysen der Antiquarie prospetiche Romane, des Musen-Zimmers in Voghera sowie der interdisziplinären Debatten- und Wettstreitkultur im höfischen Kontext, der Aufzeichnungen Paciolis und Leonardos zum epistemischen Agon und der schriftlich aufbereiteten scientifici duelli, des Porträts eines Mannes mit Notenblatt und der idealized portraits sowie der bildkünstlerisch konfigurierten Debatten um prospettive und proportioni verdeutlichen in ihrer konstellativen Zusammenschau und medialen wie materialen Vielfalt, dass die Erörterungen des epistemologischen Status und der epistemischen Potentiale und Dimensionen der Malerei im ästhetischen Diskurs der Lombardei an der 251 In Buch 1 heißt es »At artifex ratiocinatur cum quodpiam sibi vult, fingit, formatque introrsum et perinde effigiat sibi, quae facienda sunt omnia«. Zitiert nach: Azzolini, »In Praise of Art«, S. 503 in Anm. 65. 252 Zitiert nach: Marinoni, »Luca Pacioli e Leonardo da Vinci«, S. 18. 253 Zur Erfahrung als eine sich der Propositionalität entziehender, nicht objektivierbarer Wissensform siehe: Schildknecht, Christiane, »Metaphorische Erkenntnis – Grenze des Propositionalen?«, in: Metapher, Kognition und Künstliche Intelligenz, hg. v. Hans Julius Schneider, München 1996, S. 33–52, v. a. S. 42 ff. Zur Diskursivierbarkeit von Erfahrungswissen mit einem konzisen Überblick der Forschungsdiskussion zum epistemologischen Status von Erfahrung siehe auch: Schaefer, Christina, »Esperienza. Zur Diskursivierung von Erfahrungswissen in Leon Battista Albertis Libri della famiglia«, Working Paper des SFB 980 Episteme in Bewegung, No. 15/2019, Freie Universität Berlin 2019, Stable URL online: https://refubium. fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/26563/Working-Paper-Nr_-15_Schaefer.pdf? sequence=1&isAllowed=y (zuletzt eingesehen am 22.07.2020), hier v. a. S. 3–6. 254 Siehe: Schaefer, »Esperienza«, v. a. S. 7–13. 255 Baldassare Castiglione war von 1490 bis 1499 am Mailänder Hof. Zu seinen Rekursen auf Paciolis und Leonardos Beiträge zu den scientifici duelli siehe Kapitel 3.1.
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Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert äußerst virulent und bedeutsam waren. Die Fallbeispiele zeigen, dass in unterschiedlichen bildkünstlerischen Medien und Textsorten, die miteinander mal im Dialog, mal in Diskrepanz stehen, den Fragen nachgegangen wird, inwiefern die Malerei als scientia aufzufassen sei und welche epistemischen Potentiale sie innehabe. Dabei werden traditionelle Wissensmodelle und ihre Hierarchien umgeordnet und in oft antagonistischer Manier erörtert, mit welchen scientiae / scientie die Malerei interagiert. Stets wird auf die Interaktion der Malerei mit den mathematischen Disziplinen, v. a. der Geometrie, den prospettive und proportioni rekurriert, wobei sich die konkrete Interpretation und Ausgestaltung dieses Zusammenhangs samt der Fragen nach Mess- und Lehrbarkeit bzw. Regelhaftigkeit als äußerst vielschichtig, vielfältig und in angehender Diskussion erweist. In den unterschiedlich konfigurierten epistemischen Aushandlungsprozessen und historischen Medienreflexionen wird stets Wissen relevant, das sich begrifflich nicht vollständig einholen, erklären und definieren lässt – von der divina proportione, über die irrationalità delle proportioni zu den proportioni divine. In der bildkünstlerischen Praxis wird dabei eine Pluralität von prospettive und divine proportioni ausgetestet, nicht allein um zu begründen, welche Perspektivkonstruktionen und Proportionsverhältnisse nun die vera scientia seien, sondern um einen Agon der Ästhetik zu gestalten: Denn unterschiedliche Konstruktionsprinzipien markieren unterschiedliche Stile, die im Mailänder Diskurs miteinander konkurrieren. Anhand der Debatte um den Status der Malerei als scientia sind so zwischen Begriff und Anschauung beispielhaft unterschiedliche Funktions- und Bedingungszusammenhänge der medial und material differenten Diskursteilhaben deutlich geworden. Dabei erschließt sich mit der Frage nach der Malerei als scientia eruiert über Perspektiv- und Proportionslehren aber nur eine Facette des epistemischen Agons im frühneuzeitlichen lombardischen Diskurs. Ein weiterer, äußerst relevanter Themenbereich eines solchen Agons ist gewiss der Paragone zwischen den Medien der Bildkünste selbst. Dieser ist – erneut in pluralisierter Form – Thema des nachfolgenden Kapitels.
3. Mitstreit und Agon von Malerei und Skulptur – Diskrepante Paragoni bildkünstlerischer Praxis und textverfasster Theorie
Ein paragonales Relationieren von Malerei und Skulptur lässt sich werkimmanent spätestens seit Giottos Paduaner Fresken der Tugenden und Laster (1305, Farbtafel 15) beobachten.1 Schriftlich-theoretische Äußerungen zum frühneu zeitlichen Paragone als ›Denkfigur für das Verhältnis von Malerei und Bildhauerei‹ finden sich dann vermehrt seit dem 15. Jahrhundert.2 Einschlägig sind dabei die Beiträge von Leonardo da Vinci, der in den 1490er-Jahren am Mailänder Hof Ludovico Sforzas die mithin ausführlichsten Aufzeichnungen zur paragonalen Frage nach der Vorrangigkeit von Malerei vs. Skulptur verfasste. Mit jener auf ein Konkurrenzverhältnis ausgerichteten Perspektive wurden Fragen nach den epistemischen und ästhetischen Potentialen der beiden artes sowie den Kompetenzerfordernissen und gesellschaftlichen Anerkennungen der ausführenden Künstler verbunden. Angeregt wurden die über Leonardos Notizen und deren Kompilation nachvollziehbaren Paragone-Debatten im Mailänder Hofkontext von der im vorigen Unterkapitel beschriebenen Wettstreitkultur. 1 Siehe zu Giottos Fresken der Tugenden und Laster in der Sockelzone der Cappella degli Scrovegni Kapitel 3.3. In der vorliegenden Arbeit wird der Terminus Skulptur bzw. skulpturales Arbeiten als neutraler Oberbegriff für die unterschiedlichen Modi des kreativen Gestaltens mit verschiedenen Steinen, Hölzern, Ton, Metall, Wachs usw. verwendet und dann jeweils im konkreten Einzelfall weiter spezifiziert. Wenngleich die Unterscheidung von Plastik und Skulptur traditionsreich ist, so wird sie in frühneuzeitlichen Texten, aber auch in der aktuellen Forschung – und insbesondere beim Thema paragonaler Fragen –, nicht konsequent angewandt und bietet ebenfalls keine ausreichende Differenzierung für die Vielfalt der Materialität und Medialität skulpturalen Arbeitens. 2 Siehe zum Zitat: Wenderholm, Iris, Bild und Berührung. Skulptur und Malerei auf dem Altar der italienischen Frührenaissance, Berlin 2006, S. 50. Die Sekundärliteratur zum Paragone von Malerei und Skulptur ist sehr umfassend; siehe für einen Überblick: Pfisterer, Ulrich, »Paragone«, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. v. Gert Ueding, Bd. 6, Tübingen 2003, Spalten 528–546. Siehe für den vorliegenden historischen Zusammenhang einschlägig: Farago, Claire J., Leonardo da Vinci’s Paragone. A Critical Interpretation with a New Edition of the Text in the Codex Urbinas, Leiden / New York / Kopenhagen / Köln 1992, S. 11, 13; siehe auch: Hessler, Christiane J., Zum Paragone: Malerei, Skulptur und Dichtung in der Rangstreitkultur des Quattrocento, Berlin 2014, hier v. a. S. 53 ff.
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Derartige Debatten waren im ästhetischen und intellektuellen Diskurs der Zeit hoch aktuell. Doch wie stellt sich der Paragone ganz konkret betrachtet in unterschiedlichen Kontexten und Medien dar? Inwiefern ändern sich thematische Schwerpunktsetzungen je nach Zusammenhang und Aushandlungsort? Und werden in unterschiedlich artikulierten Paragoni letztlich auch ganz unterschiedliche medien- und materialgebundene epistemische wie wirkungsästhetische Potentiale und Herausforderungen von Malerei und Skulptur thematisiert? Anliegen in diesem Kapitel ist es, den Paragone im ästhetischen Diskurs der Lombardei des ausgehenden Quattrocento und des Cinquecento in seiner Vielfältigkeit und in seinen diskrepanten Modi zu erfassen bzw. seine historische Pluralität nachzuvollziehen. Dazu werden schriftliche und werkimmanent konfigurierte Paragoni in ihren je spezifischen Ausdrucksformen sowie Funktions- und Bedingungszusammenhängen untersucht – im Kontext interdisziplinärer Gelehrtenzirkel, in höfischer Bildnismalerei, im Mitstreit von Werken in Terrakotta und roter Kreide, in Medienkombinationen in Franziskanerkirchen sowie mit Blick auf figure serpeggianti. Deutlich wird, dass die unterschiedlichen schriftlichen und bildkünstlerischen Werke sehr verschiedene Anliegen, Fragen und Themen verfolgen. Um der Diversität bzw. Pluralität des Relationierens von Malerei und Skulptur gerecht zu werden, wird die Analysekategorie des Paragone nicht allein zur Erfassung von polemischer Rivalität zwischen Malern und Bildhauern produktiv gemacht, sondern gerade auch zur Erörterung von Austauschprozessen zwischen den Medien und Materialien, von Wechselwirkungen, Aneignungsprozessen sowie Koalitionen. Der Paragone ist somit als Agon, aber auch als produktiver Mitstreit virulent.3 Gemein ist allen Paragoni der reflektierte bzw. reflektierende Vergleich der Medien und Materialien sowie das Sichtbarmachen bzw. -werden historischen Medienbewusstseins.4 3 Zum Paragone als Mitstreit, wie bereits in Kapitel 1.3 einleitend erwähnt, siehe grundlegend: Gastel, Joris van / Hadjinicolaou, Yannis / Rath, Markus, »Paragone als Mitstreit«, in: Paragone als Mitstreit, hg. v. dens., Berlin 2014, S. 15–32, hier v. a. S. 16–23. Joris van Gastel, Yannis Hadjinicolaou und Markus Rath haben die mitstreitende Perspektive auf den frühneuzeitlichen Paragone 2017 unter dem Titel »Synagonismus« zum Thema eines DFG -Netzwerkes gemacht: »Der Synagonismus impliziert, dass die Zuordnung von Gattungen auf einzelne Sinne (Visus – Bild, Tactus – Skulptur) aufgebrochen werden sollte. Indem die Künste der Frühen Neuzeit sich, keineswegs spätere akademische Regelwerke antizipierend, immer wieder frei mit Materialien, Objekten und Phänomenen der Natur auseinandersetzen, indem dabei Malerei bildhauerische Elemente aufnimmt und Skulptur malerisch wird, werden Fragen nach Multimedialität und Intersensorialität von Bildern sowie nach dem von [sic!] Verhältnis Körper und Bild virulent.« Zitiert nach: https://gepris. dfg.de/gepris/projekt/375240478?context=projekt&task=showDetail&id=375240478 und https://www.kunstgeschichte.hu-berlin.de/forschung/laufende-forschungsprojekte/ synagonismus-in-den-bildenden-kuensten/ (zuletzt eingesehen am 15.04.2020). 4 Siehe zum Aspekt des historischen Medienbewusstseins, das sich qua Paragone greifen lässt: Dümpelmann, Britta, Veit Stoß und das Krakauer Marienretabel. Mediale Zugänge, mediale Perspektiven, Zürich 2012, S. 13 f.
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3.1 Textbeiträge zum Verhältnis von Malerei und Skulptur im lombardischen Diskurs In seinem dialogisch angelegten libro architettonico verschriftlichte der Floren tiner Antonio Averlino, genannt Filarete, Mitte der 1460er-Jahre am Mailänder Hof Argumente einer wohl v. a. mündlich bereits etablierten Debatte um den Paragone bildkünstlerischer Medien.5 Filaretes libro, das in mehreren Abschriften in der herzoglichen Bibliothek aufbewahrt wurde, kursierte im Secondo Quattrocento unter Mailänder Hofleuten und konnte in jenem Kontext breit rezipiert werden.6 Im Incipit des 23. Buches belehrt die Dialogfigur des Architekten seinen Gesprächspartner, den Fürstensohn, über das Zeichnen von Häusern, Figuren und Tieren. Im Zuge dessen erläutert er die Relevanz von Helldunkelmodellierungen mittels derer sich der Eindruck von Plastizität erzeugen lasse: »Ora intenderai come l’ombre e’ lumi si deono dare, per dimo strare quello che disegni, per modo che paia rilevato[.]«.7 Über diese Themen kommt der Architekt auf Unterschiede zwischen der Zeichenpraxis von pittori und scultori und ihren jeweiligen Kompetenzen zu sprechen.8 Gerade die Maler müssen, so der Architekt im Dialog, neben der »forma del disegno« – worunter v. a. Maß und Proportion fallen – Licht- und Schattenwerte verstehen sowie unterscheiden können, um »perfezzione« zu demonstrieren.9 Anders als die scultori müssen gute Maler ein fundiertes Verständnis von Weiß und Schwarz haben, sie in andere Farben zu mischen wissen und »chiaro e oscuro« erzeugen
5 Siehe zu Filaretes Mailänder libro architettonico einführend Kapitel 1.3. Für die Annahme von einer bereits mündlich etablierten Diskussionskultur zum Paragone-Thema siehe: Wenderholm, Bild und Berührung, S. 52. Ein noch sehr viel früheres schriftlich fixiertes Beispiel der Aufmerksamkeit für den Wettbewerb der Bildkünste bespricht Jeanette Kohl mit Petrarcas Canzoniere (78,4), »in which the quality of Simone Martini’s painting of Laura is praised as superior to any efforts of antique sculptural production.« Kohl, Jeanette, »Verrocchio, Leonardo, and the Intelligence of Sculpture«, in: Leonardo in Dialogue. The Artist Amid His Contemporaries, hg. v. Francesca Borgo, Rodolfo Maffeis und Alessandro Nova, Venedig 2019, S. 47–72, S. 60. 6 Siehe: Schofield, Richard, »Avoiding Rome: An Introduction to Lombard Sculptors and the Antique«, in: Arte Lombarda. Rivista di Storia dell’Arte, 1 (1992), S. 29–44, S. 31. 7 Antonio Averlino detto il Filarete, Trattato di Architettura, hg. v. Anna Maria Finoli und Liliana Grassi, Bd. 2, Mailand 1972, S. 662; siehe auch: Bora, Giulio, »Prospettiva lineare e prospettiva dei ›perdimenti‹: un dibattito sullo scorcio del Quattrocento«, in: Paragone, 27 (1999), S. 3–45, S. 35. 8 Zu den scultori werden explizit jene gerechnet, die in Silber arbeiten, sowie jene, die in Stein und Marmor werken, aber auch jene, die in Holz arbeiten oder in welcher »arte« auch immer. Antonio Averlino detto il Filarete, Trattato di Architettura, Buch 23, S. 662 f. 9 Ebd., S. 662.
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können.10 Und obwohl der Fürstensohn dem Architekt mitteilt, dass das »colorire« für ihn nicht von Belang sei und sie zum nächsten Thema übergehen können, vertieft der Architekt diesen Aspekt der Farbgebung. Er berichtet seinem herzoglichen Schüler, dass in antiken Zeiten die Farbigkeit der Malerei höchste Wertschätzung erfuhr, und bekräftigt seine Aussagen durch Referenzen auf antike Anekdoten.11 Er konstatiert schließlich, dass das »sapere mettere e’ colori« bzw. das »sapere ben colorire« eine schöne und würdige Angelegenheit und die Malerei eine dem »gentile uomo« angemessene Kunst sei.12 Denn das »sapere ben colorire« erzeuge eine Art eindrückliche Wirkkraft (forza) und schwer fassliche, anmutig-liebreizende Schönheit (vaghezza).13 Mit einem guten Farbauftrag könne man abwesende Personen anwesend und quasi lebendig erscheinen lassen.14 Das Urteil des Architekten im paragonal angelegten Vergleich der disegno-Kompetenzen von pittori und scultori und die Aufmerksamkeit sowie Wertschätzung für Farbgebung überraschen den Fürstensohn. Doch er gibt sich zugleich überzeugt: »Ben, mi piace, e parmi che tu dica il vero. Io non troppo considerava, a me pareva che ’l disegno e lo scolpire, in marmo o in bronzo o in altra cosa, fusse molto più degno che dipingere«.15 Und er erläutert, dass er das skulpturale Arbeiten in Marmor, Bronze usw. bisher deshalb für sehr viel würdevoller gehalten habe, weil er davon ausgegangen sei, dass gerade die Bildhauer mit dem Geist (»mente«) arbeiten. Denn beim Behauen von Stein – anders als beim Malen – könne man Fehler nicht rückgängig machen. Der Architekt pflichtet ihm diesbezüglich bei, gibt der Malerei jedoch weiterhin den Vorrang, da sie mit ihren Farben die Natur täuschend echt und nicht nur annähernd ähnlich nachzuahmen vermöge – eine wundervolle Kompetenz, die die Skulptur nicht besitze.16 Die im Dialog vorgeführten Argumente, dass das Behauen von Stein aufgrund der Irreversibilität von Fehlern intellektuell anspruchsvoller sei und andererseits der Farbauftrag der Malerei die Wirkung von Plastizität, Lebendigkeit und Naturnähe vergleichsweise sehr viel überzeugender evozieren könne, wurden in der Folge in der Paragone-Debatte topisch und auch in den
10 Ebd., S. 663. Zu Filaretes Referenzen auf Leon Battista Albertis Della pittura siehe den Kommentar von Liliana Grassi ebd. 11 Ebd. Zum rhetorischen Verfahren von Anekdotenreferenzen im frühneuzeitlichen Kunstdiskurs siehe: Becker-Sawatzky, Mira, »Anekdoten im frühneuzeitlichen Kunstdiskurs – Kontexte und Funktionen am Beispiel akademischer Zirkel in Rom und Paris«, in: Wissen en miniature. Theorie und Epistemologie der Anekdote, hg. v. Matthias Grandl und Melanie Möller, Wiesbaden 2021, S. 227–279. 12 Antonio Averlino detto il Filarete, Trattato di Architettura, Buch 23, S. 663. 13 Ebd. Zu frühneuzeitlichen vaghezza-Konzeptionen siehe ausführlich Kapitel 5. 14 Ebd. 15 Ebd., S. 664. 16 Ebd., S. 664 f.
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Gesprächsberichten bzw. -anleitungen in Leonardos Mailänder Paragone-Notizen verhandelt. Die umfangreichen Notizen von Leonardo da Vinci, die er im Mailand der 1490er-Jahre – laut Giovan Paolo Lomazzo auf Bitten des Herzogs Ludovico Sforza zur Beantwortung der Frage »se è piú nobile la pittura, o la scoltura« – verfasste, prägten den frühneuzeitlichen Nobilitätswettstreit der Künste in besonderem Maße.17 Sie sind einschlägig durch die posthume Kompilation in der Parte Prima des Codex Urbinus latinus 1270 (Vatikanstadt, Biblioteca Apostolica Vaticana) überliefert.18 Anknüpfend an Argumente, die bereits in Filaretes Dialog angeführt werden, wird die Malerei in der Parte Prima der Skulptur unbestritten übergeordnet. Denn die Illusionsleistung bzw. Täuschungskraft der Malerei seien höher und sie könne auf der zweidimensionalen Fläche bspw. durch unterschiedliche Perspektivkonstruktionen sowie Farb- und Helldunkelmodellierungen »per forza de scientia« die Natur in ihrer Vielfalt (oft überraschend) überzeugend imitieren.19 Dementsprechend erfordere die Malerei vom Maler eine größere intellektuelle Leistung als die Skulptur vom Bildhauer. Argumentatorisch geschickt, präsentiert sich Leonardo in den Textpassagen der Parte Prima nicht nur als Maler, sondern auch als Bildhauer. In einer der Passagen, deren Authentizität durch die Dopplung im Manuskript A (Paris, Institut de France) nachgewiesen ist, betont er, gleichermaßen in Malerei und in Skulptur Werke zu erschaffen und daher fachkundig beurteilen zu können, welche der beiden Bildkünste mehr Verstand und Begabung (ingegnio) erfordere, schwieriger und von größerer Perfektion sei.20 Seiner Beurteilung (sententia) nach ist 17 Lomazzo, Giovan Paolo, »Trattato dell’arte della pittura«, in: ders., Scritti sulle arti, hg. v. Roberto Paolo Ciardi, 2 Bde., Bd. 2, Florenz 1974, S. 9–589, S. 138. 18 Zur posthumen Kompilation und einem Abgleich der Texte mit erhaltenen Originalmanuskripten Leonardos siehe Kapitel 2.3.1, Anmerkung 170. 19 »Et solo basta a tale artista [lo scultore] le semplici missure de’ membri e la natura delle movimenti e possati, e così in sé finisse dimostrando al occhio quel che quello è, et non dà di se alcuna admirazione al suo contemplante, come fa la pittura, che in una piana superfitie per forza de scientia mostra le grandissime compagne con li lontani orizzonti.« Zitiert nach der Edition von Claire Farago, die ebenfalls eine englische Übersetzung mitliefert: Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 256, für die englische Übersetzung siehe S. 257. Vgl. zudem folgende Passage: »Il pittore ha dieci varij discorsi con li quali esso conduce al fine le sue opere, cioè luce, tenebre, colore, corpo, figura, sito, remotione, propinquita, moto e quiete. Il scultore sola ha da considerare corpo, figura, sito, moto e quiete. Nelle tenebre o luce non s’inpaccia perché la natura per sé li genera nelle sue sculture; del colore nulla; di remotione o propinquita, se ne inpaccia mezzanamente, cioè non adopra se no la prospettiva lineale, ma no quella de’ colori, che si variano in varie distantie dall’occhio di colore et di notitia de’ loro termini e figure. Adonque, ha meno discorso la scultura, e per conseguenza è da minore fatica d’ingengo che la pittura.« Ebd., S. 260, englische Übersetzung S. 261. 20 »Adoperandomi io non meno in scultura che in pittura, et essercitando l’una e l’altra in un medesimo grado, mi pare con picola imputatione poterne dare sententia quale sia di magiore ingegnio et dificultà e perfettione, l’una che l’altra.« Ebd., S. 264, 266.
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die Malerei unmissverständlich die noblere Kunst, wobei er Helldunkelmodellierungen, Perspektivkonstruktionen sowie die Evokation von Plastizität auf der Fläche als die einschlägigsten scientie des Malers nennt und sie als Kompetenzen und Wissensbereiche präsentiert, die für den Bildhauer irrelevant seien, da die Natur sie für ihn erbringe.21 Der Bildhauer, so heißt es weiter, werde jenen Argumenten vermutlich widersprechen und behaupten, dass erst durch seine Gestaltung des Materials, die jeweiligen Licht-Schatten-Verhältnisse entstehen. Man antworte ihm dann, so die Empfehlung, »che non lui ma la natura fa l’ombra et non l’arte«.22 Mit ihrem naturgegebenen chiaro e scuro und scorto sei die Skulptur aber immerhin wichtiges Studienmodell für den Maler.23 Ebenfalls ausgeschlossen vom Gestaltungsspielraum des scultore und den wirkungsästhetischen Potentialen der Skulptur wird die Farbgebung bzw. applizierte Buntfarbigkeit.24 Anders als der pittore könne sich der Bildhauer nicht mit der natürlichen Viel-
21 »La prima maraviglia che apparisse nella pittura è il parer spiccato dal muro, od altro piano, et inganare li sottili giudicij con quella cosa che non è divisa dalla superfitie della pariete. Qui in questo caso lo scultore fa l’opere sue, che tanto paiono quanto elle sonno. E qui è la causa ch’el pittore bisogna che faccia l’officio della nottitia nelle ombre che si incompagne de lumi. Allo scultore non bisogna tale scientia perché la natura aiutta le sue opere com’essa fa anchora tutte l’altre cose corporee, dalle quali tolto la luce sonno d’un medesimo colore, et rendutole la luce, sonno di varij colori cioè chiaro et scuro. La seconda cosa ch’el pittore con gran discorso bisogna che con sotile investigatione pongha le vere qualità e quantità dell’ombre e lumi. Qui la natura per sè le mette nelle opere dello scultore. La prospettiva investigatione è inventione sottilissima delli studij matematici, la quale per forza di linee fa parere remoto, quello ch’è vicino, et grande quello ch’è picola. Qui la scultura è aiuttata dalla natura in questo caso, et fa senza inventione del scultore.« Ebd., S. 280, 282, englische Übersetzung S. 281, 283. 22 Ebd., S. 276. 23 »Ma il dipintore ha di bisogno d’intendere sempre la scultura, cioè il naturale, che ha il rilevo che per sé genera chiaro e scuro et scorto.« Ebd., S. 270. Auch Leon Battista Alberti empfahl dem Maler in seinem berühmten Della Pittura Skulpturen als ›geduldige‹ Modelle zum Studium des rilievo; er empfahl ihm aber zugleich auch das Gestalten von rilievo im Medium der Skulptur selbst (worauf in Kapitel 3.2 detailliert eingegangen wird): »E se pure ti piace ritrarre opere d’altrui, perché elle più teco hanno pazienza che le cose vive, più mi piace a ritrarre una mediocre scultura che una ottima dipintura, però che dalle cose dipinte nulla più acquisti che solo sapere asimigliarteli, ma dalle cose scolpite impari asimigliarti, e impari conoscere e ritrarre i lumi. E molto giova a gustare i lumi socchiudere l’occhio e strignere il vedere coi peli delle palpebre, acciò che ivi i lumi si veggano abacinati e quasi come in intersegazione dipinti. E forse più sarà utile essercitarsi al rilievo che al disegno. E s’io non erro, la scultura più sta certa che la pittura; e raro sarà chi possa bene dipingere quella cosa della quale elli non conosca ogni suo rilievo; e più facile si truova il rilievo scolpendo che dipignendo.« Alberti, Leon Battista, Della Pittura. Über die Malkunst, hg., eingel., übers. und komment. v. Oskar Bätschmann und Sandra Gianfreda, Darmstadt 20023, Absatz 58, S. 160; in der deutschen Übersetzung ebd., S. 161. Zum rilievo-Begriff siehe weiter 3.2, Anm. 123 und 201–203. 24 Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 274, englische Übersetzung S. 275.
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falt der Farbwelt ausdrücken.25 Der Kunst der Skulptur fehle es schlicht an der Schönheit der Farben und auch an den Möglichkeiten farbperspektivischer Darstellungen.26 Die Farbigkeit von Steinen oder polychrom gefasste Skulpturen spielen in diesem Duell damit überhaupt keine Rolle. Die gerade skizzierten Argumente für die Vorrangigkeit der Malerei werden innerhalb der Textkompilation schließlich stetig variiert und wiederholt. Die iterative Struktur kann darauf hindeuten, dass unterschiedliche Notizen Leonardos nachträglich zusammengefügt und geordnet wurden. In jedem Fall lesen sich die dialogartigen Passagen mit ihrem Repertoire wiederkehrender Argumente wie ein Gesprächsbericht oder vielmehr eine Anleitung für Maler zum Streitgespräch mit Bildhauern. Immer wieder heißt es bspw. »Dice lo scultore […]. A costui si risponde che […]«;27 oder »qui risponde lo scultore et dice: […]. Al quale si risponde che […]«.28 Anders als bei Filarete wird in der Parte Prima gleich zum Auftakt des Vergleichs der Künste die Frage nach deren epistemischem Status expliziert und mit Blick auf die scultura gefragt, »se’lla è scientia, o no«.29 Während die Frage in einem der vorangegangenen Kapitel der Kompilation auch für die Malerei gestellt und nachdrücklich mit ja beantwortet wurde (Kapitel 2.3.1), wird sie im Fall der Skulptur mit nein entschieden. Die Skulptur wird als »arte meccanichissima« abgewertet, die vom Künstler große physische Anstrengungen, jedoch keine Perspektivkünste erfordere; der Werkprozess sei zudem von Lärm und Schmutz geprägt.30 Während der Maler fein gekleidet in einem mit Musik und Lesungen erfüllten Atelier arbeite, sei der Bildhauer stets staubig vom Behauen seiner Skulpturen.31 Diese Darstellung der unterschiedlichen Arbeitsweisen ist hochgradig stilisiert. Weder wird eine wirklichkeitsnahe Werkstattpraxis des Malens reflektiert, noch werden andere Arten der Malerei jenseits des Tafelbildes – bspw. die Freskomalerei – in der Atelieridee mitgedacht. Auch bzgl. der Skulptur wird nur selektiv das Arbeiten mit Stein, nicht jedoch bspw. mit Holz in die Argumentation einbezogen.32 Jenseits solch zugespitzter Argumentationen werden in manchen Passagen der Kompilation mithin andere Werkstoffe und Gattungen der beiden Künste angesprochen – jedoch nur sehr punktuell und immer auf das Argumentationsziel der Vorrangigkeit der Malerei ausgerichtet. Ein Beispiel ist die Widerlegung 25 »Lo scultore non si pò diversificare nelle varie nature de’ colori delle cose, la pittura non manca in parte alcuna.« Ebd., S. 266, englische Übersetzung S. 267. 26 »Manca la scultura della bellezza de’ colori, mancha della prospettiva de’ colori, mancha della prospettiva et confussione de’ termini delle cose remote dall’occhio[.]« Ebd., S. 274. 27 Ebd., S. 260. 28 Ebd., S. 276. 29 Ebd., S. 256. 30 Ebd. 31 Ebd. 32 Ebd., S. 284.
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des Arguments, dass der scultore mental sehr gefordert sei und beim Behauen von Stein keine Fehler machen dürfe, da diese irreversibel seien. Dazu heißt es zum einen, dass ein guter Bildhauer immer nur so viel Steinmasse abtrage, wie unbedingt nötig sei, und daher Fehler gut vermeiden könne.33 Zum anderen könne der scultore, der mit Terrakotta oder Wachs arbeite, nach Belieben Werkstoff hinzufügen und wegnehmen, bevor er die Figur dann bspw. in Bronze gießen könne. Angemerkt wird in diesem Zusammenhang, dass der Bronzeguss die beständigste Form der Skulptur sei und Marmor im Laufe der Zeit zerstört bzw. beschädigt werde. Dieses Manko werde auch der Malerei nachgesagt, hänge aber einzig von der natürlichen Beschaffenheit der Materialien ab und nicht von der Leistung des Künstlers. Malerei in Kupfer oder Glas sei schließlich genauso langlebig wie ein Bronzeguss.34 Die rhetorisch geleiteten Fokussierungen auf die Medialität und Materialität von scultura und pittura weisen bereits daraufhin, dass ein derart stilisiertes Duell der Diversität bzw. Vielfalt der beiden Künste keineswegs gerecht werden kann und womöglich auch im Funktionskontext der Parte Prima nicht muss bzw. soll. Dass aber auch die Grenzen zwischen Malerei und Skulptur nicht immer einfach zu ziehen sind und die Medienfrage komplexer zu sein vermag, als es die Statements des Rededuells zunächst vermuten lassen, implizieren u. a. die Ausführungen zum Relief, insbesondere zum basso rilievo.35 Jene Kunst sei eine Mischung aus Malerei und Skulptur, wobei das dissegno und die Perspektivkonstruktion zur Malerei gehören und die Licht- und Schattenwerte zur Skulptur.36 33 »Noi sapiamo bene che quello che sara pratico non fara simili errori, anzi con buone regoli andrà levando tanto poco per volta che conducera bene la sua opera. Anchora lo scultore, se fa di terra o ciera, può levare e porre, et quando è terminata con facilita si gitta di bronzo. Et questa è l’ultima operazzione et la più permanente ch’abbi la scultura, inperochè quella che solo di marmo è sottoposta alla ruina, che non è il bronzo. Adonque, quella pittura fatta in rame, che si può com’è ditto della pittura, levare et porre à par al bronzo, che quando faccevi quella di cera prima, si poteva anchora lei levare et porre. Se questa scoltura di bronzo, quella [pittura] di rame e di vetro è etternissima.« Ebd., S. 282, 284, englische Übersetzung S. 283, 285. Zum Argument der Irreversibilität von Fehlern in der Bildhauerei siehe auch ebd., S. 266. 34 Zum Thema der Langlebigkeit und den natürlichen Prädispositionen der Materialien siehe ebd., S. 268; oder: »Dice lo scultore, la sua arte essere più degna che’lla pittura, con ciò sia che quella è più aeterna per temer meno l’umido, e’l foco, e’l caldo, e’l fredo che la pittura. A costui si risponde che questa tal cosa non fa più dignità nello scultore perché tal permanenza nasse dalla materia et no dall’artefice. La qual dignità po’ ancora essere nella pittura, dipingendo con colori di vetri sopra i metalli et terra cotta[.]« Ebd., S. 260, 262. 35 Ebd., S. 262, 264. 36 »Dice lo scultore ch’el basso rilevo è di spetie di pittura. Questo in parte si accetterebbe, in quanto al dissegno, perché partecipa de prospettiva, ma in quanto all’ombre e lumi è falso in scultura e in pittura perché l’ombre che in esso basso rilevo sonno della natura del tutto rilevo, come sonno l’ombre delli scorti che non ha la oscurità della pittura o scultura
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Letztlich wird in der Gesamtschau der Paragone-Passagen der Parte Prima einerseits deutlich, dass eine Reflexion über die Künste und ihre Medialität und Materialität im ästhetischen Diskurs des Mailänder Hofkontexts von hohem Interesse war. Andererseits verflachen die Argumente und Schwerpunktsetzungen in ihrer rhetorischen Ausrichtung auf die Nobilität der (Tafel-)Malerei bzw. des Hofmalers und des Marmorbildhauers bestimmte Medien- und Materialitätsfragen und es wird eine gewisse Polemik gegenüber der Skulptur bzw. den scultori deutlich.37 Die Polemik gegenüber den scultori lässt sich durch Leonardos problematisches und letztlich erfolgloses Projekt des Reiterstandbildes von Francesco Sforza begründen.38 Doch die offensichtliche Rivalität knüpft zugleich auch an die Debatten- und Wettstreitkultur am Mailänder Hof an und so lassen sich die dialogisch aufbereiteten Gesprächsberichte bzw. -anleitungen schlüssig mit den mündlichen Debatten höfischer Gelehrtenzirkeln wie der Academia Leonardi Vinci korrelieren (Kapitel 2.3.1). Sie dienten auf diese Weise der intellektuell anspruchsvollen Unterhaltung, dem kultivierten epistemologischen Rangstreit und ganz konkret der Nobilitierung des sozialen Status von Malern. Dabei ist das Argumentationsmodell nicht darauf ausgerichtet, die mediale und materiale Vielfalt der Künste, Übergängigkeiten oder Medienkombinationen zu reflektieren und differenzieren. Stattdessen werden eindeutige Meinungen und Urteile präsentiert, mit denen ein Maler seine Kunst im Nobilitätswettbewerb rhetorisch versiert als vorrangige positionieren kann. Mit dieser Agenda kann sich schließlich zugleich der auffällige Fokus auf Tafelmalerei und Skulpturen in Stein, insbesondere Marmor, und die gleichzeitige Marginalisierung bzw. mitunter komplette Ausblendung von Holz, Terrakotta, Wachs, polychromer Fassung von Skulptur oder Freskomalerei erklären lassen.39 tonda. Ma quest’arte è una mistione di pittura et scultura.« Ebd., S. 274, englische Übersetzung S. 275. 37 Zu den literarischen Topoi, die die Rhetorik der Parte Prima kennzeichnen, siehe Claire Faragos Kommentar in: Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone., S. 383 f., 388. Zur Polemik des Paragone in der Parte Prima siehe: Kemp, Martin, »What is Good about Sculpture? Leonardo’s Paragone Revisited«, in: Leonardo da Vinci and the Art of Sculpture, hg. v. Gary M. Radke, Atlanta 2009, S. 63–82, S. 80; Nova, Alessandro, »Paragone-Debatte und gemalte Theorie in der Zeit Cellinis«, in: Benvenuto Cellini. Kunst und Kunsttheorie im 16. Jahrhundert, hg. v. dems. und Anna Schreurs, Köln 2003, S. 183–202, S. 186–189. 38 Siehe zu jener These: Fiorio, Maria Teresa, »Correspondences between Painting and Sculpture in the Work and Mind of Leonardo«, in: Leonardo da Vinci 1452–1519. The Design of the World, hg. v. Pietro C. Marani und ders., Mailand 2015, S. 107–116, S. 116. Zum Projekt des Reiterstandbildes von Francesco Sforza siehe unter Kapitel 3.2, Anm. 125. 39 Eine breit angelegte Betrachtung unterschiedlicher Materialien in den Bildkünsten findet sich in Pomponio Gauricos Dialog De sculptura ad divum Herculem Ferrariae principem, Florenz 1504 (siehe auch Kapitel 3.2). Für eine kritische Ausgabe des lateinischen Textes und eine italienische Übersetzung siehe: Gaurico, Pomponio, De Sculptura, hg. v. Paolo Cutolo, Neapel 1999. Gaurico präsentiert die skulpturalen Künste prinzipiell als die ein-
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Auch terminologische Differenzierungen etwa von scultura und plastica bleiben in der Parte Prima aus.40 Die Einengung der Perspektive auf Marmorskulpturen und Tafelmalerei ergibt sich zudem aus dem sozioökonomischen bzw. soziokulturellen Kontext des Duells. Marmor war Ende des 15. Jahrhunderts in der Lombardei präferiertes Material gelehrter Antikenrezeption und kostspieliger, prestigeträchtiger Aufträge der Mailänder Aristokratie.41 Die scultori, die in Marmor arbeiteten, waren – wie bspw. die Goldschmiede – sehr hoch angesehene Künstler am Sforza-Hof und die direkten Konkurrenten eines jeden ambitionierten pittore.42 Eben solche Konstellationen sind auch prägend für die Paragone-Passagen und ihre Rhetorik.43 Einer der renommiertesten Bildhauer am Sforza-Hof war Gian Cristoforo Romano, der von 1491 bis 1497 in Mailand war. Leonardo und er waren miteinander bekannt und sehr wahrscheinlich auch in Konkurrenz um Ansehen und Aufträge am Hof.44 Es ist daher durchaus reiz-
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zigen, die Seele und Körper der Dargestellten unsterblich scheinen lassen können. Siehe: Blumenröder, Sabine, Andrea Mantegna – die Grisaillen. Malerei, Geschichte und antike Kunst im Paragone des Quattrocento, Berlin 2008, S. 230. In Kapitel 3.2 wird gezeigt werden, dass sich in anderen Notizen Leonardos jenseits der posthumen Kompilation der Parte Prima durchaus eine erhöhte Aufmerksamkeit sowie Wertschätzung für unterschiedliche Techniken und Materialien von scultura und plastica finden lassen. Zum überwiegenden Verzicht auf terminologische Differenzierungen von scultura und plastica in der schriftlichen Paragone-Debatte der frühen Neuzeit siehe: Nova, »ParagoneDebatte«, S. 188. Zur Präferenz von Marmor in den Aufträgen der Aristokratie siehe: Damiani Cabrini, Laura, »L’incanto delle ›pietre vive‹: il monumento longhignana e l’uso del marmo a Milano in età sforzesca«, in: Scultura lombarda del Rinascimento. I monumenti Borromeo, hg. v. Mauro Natale, Turin 1997, S. 259–276, S. 272; Albertario, Marco, »Marmo, legno e terracotta. Appunti sulla committenza milanese tra settimo e ottavo decennio del Quat trocento«, in: Opere insigni, e per la divotione e per il lavoro. Tre sculture lignee del Maestro di Trognano al Castello Sforzesco, hg. v. Marco Bascapè und Francesca Tasso, Mailand 2005, S. 27–35, S. 30. Zu Leonardos Legitimierungsbedürfnissen als Maler am Hof siehe: Zöllner, Frank, Bewegung und Ausdruck bei Leonardo da Vinci, Leipzig 2010, S. 112 f. Zum höheren Ansehen von Bildhauern und Goldschmieden gegenüber Malern und Leonardos Konkurrenzdruck siehe: Welch, Evelyn S., Art and Authority in Renaissance Milan, New Haven / London 1995, S. 242. Zum Agon der Künste als Motor sozialer Anerkennung der Künstler an frühneuzeitlichen Höfen siehe: Patz, Kristine, »Einleitung – Im Agon der Künste«, in: Im Agon der Künste. Paragonales Denken, ästhetische Praxis und die Diversität der Sinne, hg. v. Hannah Baader, Ulrike Müller-Hofstede, Kristine Patz und Nicola Suthor, München 2007, S. 9–18, S. 10 f. Carlo Vecce und Evelyn Welch weisen auf die Bekanntschaft und das Konkurrenzverhältnis zwischen Gian Cristoforo Romano und Leonardo in den 1490er-Jahren am Sforza-Hof hin. Siehe: Welch, Art and Authority, S. 242; Vecce, Carlo, »›The Sculptor Says‹. Leonardo and Gian Cristoforo Romano«, in: Illuminating Leonardo. A Festschrift for Carlo Pedretti Celebrating His 70 Years of Scholarship (1944–2014), hg. v. Constance Moffatt und Sara Tagliagamba, Leiden / Boston 2016, S. 223–238.
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voll, den »scultore che dice« aus der Parte Prima mit Romano ineins zu bringen bzw. sich ihn als ideale Besetzung jener Rolle im Künstlerduell vorzustellen.45 Gian Cristoforo Romano ist wenige Jahre später schließlich auch namensgebend für die Dialogfigur in Baldassare Castigliones Libro del Cortegiano, die im Rangstreit der Künste für die Skulptur argumentiert. Das Argumentationsrepertoire der Paragone-Debatte in Castigliones Hofmannsbuch rekurriert dabei auf die in der Parte Prima überlieferten Argumente, indem die Dialogfiguren im Verlauf ihres Gesprächs am Urbiner Hof zahlreiche Aspekte aus Leonardos Notizen iterieren.46 Castiglione konnte mit dem Argumentationsmuster während seines Aufenthaltes am Mailänder Hof in den 1490er-Jahren vertraut werden – möglicherweise sogar im persönlichen Gespräch mit Leonardo und / oder Gian Cristoforo Romano.47 Castiglione verfasste den Dialog nach seinem Mailandaufenthalt zwischen 1508 und 1518 und datierte die fiktional in Urbino verorteten Gespräche auf das Jahr 1507. 1528 wurde das Hofmannsbuch dann erstmals in Venedig gedruckt. Nicht nur bzgl. seiner inhaltlichen Referenzen in den Paragone-Passagen ist es eng mit dem lombardischen Diskurs verwoben. Auch der aus Mantua stammende Autor wollte sich explizit als Lombarde verstanden wissen und in seiner Sprache schreiben.48 Im Widmungsschreiben an Don Michel da Silva betont Castiglione bspw. seine bewusste Entscheidung dafür, dass er sich jenseits der dominanten Fokussierung auf das Toskanische als Lombarde zu erkennen geben wolle.49
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In Leonardos Manuskripten erscheint der Name Romanos auf einem Blatt mit Skizzen und Notizen zu Baldassare Taccones Komödie Danae (1496). Er wird dort als einer der Schauspieler genannt. Zudem deutet ein Quellenvergleich darauf hin, dass Leonardo Romanos Aufzeichnungen zu Vitruvs Säulenlehre rezipierte. Siehe: Vecce, »›The Sculptor Says‹«, S. 228 f. Zur Identifikation des »scultore che dice« mit Gian Cristoforo Romano siehe: Vecce, »›The Sculptor Says‹«. Zur Iteration von Leonardos Argumenten des Codex Urbinas in Castigliones Cortegiano siehe: Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 388. Zum Konzept der Iteration im Sinne von Wiederholung, die stetige Veränderung und subkutanen Wissenswandel generiert, siehe: Cancik-Kirschbaum, Eva / Traninger, Anita, »Institution – Iteration – Transfer: Zur Einführung«, in: Wissen in Bewegung. Institution – Iteration – Transfer, hg. v. dens., Wiesbaden 2015, S. 1–13. Castiglione war in den 1490er-Jahren in Mailand Schüler von Demetrio Calcondila und Giorgio Merula und zeitgleich mit Leonardo am Sforza-Hof. Siehe: Vecce, »›The Sculptor Says‹«, S. 237 f. Castiglione, Baldassare, Il Libro del Cortegiano, eingel. v. Amedeo Quondam, komm. v. Nicola Longo, Mailand 2007 (13. Auflage), S. 8 ff. Es sei sein Anliegen, so Castiglione, »di farmi più tosto conoscere per lombardo parlando lombardo, che per non toscano parlando troppo toscano […]. [E] dico aver scritto nella mia [lingua], e come io parlo, ed a coloro che parlano come parl’io.« Ebd., S. 10.
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Er demonstriert im Widmungsschreiben ebenfalls bereits sein Interesse an Paragoni, indem er in einen subtilen, mehrdeutigen Wettstreit mit Malern und Darstellungsmitteln der Malerei tritt.50 Sein Buch, so schreibt er, sei wie ein Por trätgemälde des Urbiner Hofes – nicht von der Hand Raffaels oder Michelangelos, aber von der eines »pittore ignobile«, der nur die gröbsten Linien zu ziehen wisse, ohne die Wahrheit mit »vaghi colori« zu schmücken oder mittels der Perspektivkunst etwas erscheinen zu lassen, das es nicht gebe.51 In den Kapiteln 49 bis 53 ist dann die paragonale Frage der Nobilität von Malerei vs. Skulptur explizit und ausführlich Thema. Die Argumente für die Malerei trägt die Figur des Conte Ludovico da Canossa vor, die zuvor fiktionsintern als der Gesprächspartner charakterisiert wurde, der stets die Gegenposition zur allgemeinen Meinung vertrete und dadurch das »gioco« der Dialogrunde bereichere.52 Damit ist Ludovicos Auffassung von der Vorrangigkeit der Malerei als prinzipiell umstritten markiert. Zunächst stellt der Conte den disegno als gemeinsame Grundlage von Malerei und Skulptur vor und spricht der Malerei die vergleichsweise größere Kunstfertigkeit zu.53 Dem widerspricht der Bildhauer Gian Cristoforo, da sich seiner Meinung nach die statuaria durch mehr »fatica«, »arte« und »dignità« auszeichne.54 Bezüglich der Würde (dignità) stimmt ihm der Conte insofern zu, dass die Skulptur aufgrund ihrer Beständigkeit sehr gut dem Andenken des / der Dargestellten dienen könne; Malerei aber sei, solange sie unversehrt bliebe, sehr viel schöner und anmutiger (»assai più vaga«).55 Der Austausch von Argumenten und die Meinungsbildung sind in Castigliones Dialog generell mehr in Bewegung als in der Gesprächsanleitung der Parte Prima. Besonders strittig aber wird die Frage diskutiert, welche Kunst die Natur besser und kunstvoller nach50 Ebd., S. 6. 51 [M]andovi questo libro come un ritratto di pittura della corte d’Urbino, non di mano di Rafaello o Michel Angelo, ma di pittor ignobile e che solamente sappia tirare le linee principali, senza adornar la verità de vaghi colori o far parer per arte di prospettiva quello che non è.« Ebd., S. 6. 52 »Allor la signora Emilia, ridendo, disse al conte Ludovico da Canossa: ›[…] [N]on già perché ci paia che voi siate così bon cortegiano, che sappiate quel che si gli convenga, ma perché, dicendo ogni cosa al contrario, come speramo che farete, il gioco sarà più bello, ché ognun averà che rispondervi [.]« Ebd., S. 36 f. 53 »E benché diversa sia la pittura dalla statuaria, pur l’una e l’altra da un medesimo fonte, che è il bon disegno, nasce. Però, come le statue sono divine, così ancor creder si po che le pitture fossero; e tanto più, quanto che di maggior artificio capaci sono.« Ebd., S. 104. 54 Ebd., S. 104 f. Im Manuskript Vaticanus lat. 8204 (f. 79r, 1514–15) ist die Figur des Bildhauers namenlos; im Manuskript Vaticanus lat. 8205 (f. 63v, 1515) hingegen trägt sie den Namen Gian Cristoforo Romano. Siehe: Vecce, »›The Sculptor Says‹«, S. 237 f. 55 Castiglione, Il Libro del Cortegiano, S. 104. Romano wirft ihm daraufhin vor, allein aufgrund seiner Bewunderung Raffaels so zu urteilen; dabei ginge es bei ihrem Thema doch um die Verdienste der Künste und nicht die Verdienste eines einzelnen Künstlers. Ebd., S. 104 f.
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ahmen könne. Das Urteil des Conte, dass die Malerei die Natur überzeugender nachahme als die Skulptur, kann Romano nicht nachvollziehen, da Marmoroder etwa auch Bronzeskulpturen vollplastische und genau wie in der Natur geformte und vermessene Körper seien.56 In der Malerei hingegen sehe man nichts als eine Oberfläche und Farben, die die Augen täuschen. Romano stellt damit die konkret greifbare und multisensorisch erfahrbare Körperlichkeit der Skulptur entschieden vor die Illusionskraft der Malerei.57 Der Conte erwidert darauf, dass der Maler zwar keine »figura tonda« schaffe, sehr wohl aber »musculi e membri tondeggiati«.58 Zudem könne die Malerei »i lumi e l’ombre« der Natur imitieren.59 Letztlich bleibt die Nobilitätsfrage beim Thema des rilievo als Modellierung bzw. Evokation von Höhen und Tiefen und der damit verbundenen Plastizität(sanmutung) und naturnahen Darstellung menschlicher Körper offener Diskussionspunkt.60 Ohne Widerrede hingegen rechnet der Conte dem Maler im Gegensatz zum »marmorario« die Fähigkeit zu, Dunkelheit, transparentes Wasser, helles Haar, einen Meeressturm, Stadtbrand und Sonnenaufgang sowie Landschaften oder auch den »splendor di que’ raggi amorosi« in den Augen der Bildfiguren darstellen zu können.61 Die Malerei bzw. der Maler seien dementsprechend in der Antike hoch angesehen gewesen und es schicke sich auch für den idealen Hofmann, Kenntnisse (»notizia«) über die Malerei zu haben.62 Nach diesen Ausführungen des Conte wird das Gesprächsthema gewechselt. Der Paragone im Libro del Cortegiano zwischen dem Fachmann Romano und dem schlagfertigen Conte geht damit nicht eindeutig zugunsten der Malerei aus wie in der Parte Prima, deren Argumentationsrepertoire in Castigliones Dialog in der Wiederholung verändert, neu geordnet und mitunter umgewertet wird.63 Die Verdrängung der Vielfalt an Techniken und Materialien der beiden Künste, die sich bereits in der Kompilation von Leonardos Notizen beobachten lässt, wird im Hofmannsbuch noch verstärkt. Malerei bleibt undifferenziert, Holz, Terrakotta 56 »[A] me par bene, che l’una e l’altra sia una artificiosa imitazion di natura, ma non so già come possiate dir che più non sia imitato il vero, e quello proprio che fa la natura, in una figura di marmo o di bronzo, nella qual sono le membra tutte tonde, formate e misurate come la natura le fa, che in una tavola, nella qual non si vede altro che la superficie e que’ colori che ingannano gli occhi; né mi direte già, che più propinquo al vero non sia l’essere che ’l parere.« Ebd., S. 104 f. 57 Ebd., S. 105. 58 Ebd., S. 106. 59 Ebd. 60 Zur Kategorie des rilievo siehe weiterführend Kapitel 3.2, Anm. 124, 201–203. 61 Castiglione, Il Libro del Cortegiano, S. 106. 62 Ebd., S. 108. 63 Während im Gespräch zwischen Conte und Romano ruhmreiche Malerei mit dem Werk Raffaels und ruhmreiche Skulptur mit dem Werk Michelangelos ineins gebracht werden, bleibt Leonardo in den Paragone-Passagen von Castigliones Dialog unerwähnt.
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oder Wachs finden anders als Marmor und Bronze keine Beachtung als Werkstoffe der Skulptur. Die Fokussierung auf Marmor wird am Ende der Diskussion aber terminologisch pointiert markiert, wenn nur noch von marmoraria die Rede ist. Insgesamt werden die Aktualität und das Interesse an rhetorisch aufbereiteten Paragone-Debatten in der höfischen Gesprächskultur Oberitaliens weiter bekräftigt. Mitte des 16. Jahrhunderts werden schriftliche Beiträge zur Paragone-Thematik zunächst schwerpunktmäßig im florentinisch-römischen und venezianischen Diskurs publiziert. Weitreichende Prominenz erlangte Benedetto Varchis öffentliche Befragung angesehener Künstler zur Vorrangigkeit von Malerei vs. Skulptur. 1550 wurde Varchis Lezzione della maggioranza delle arti in Florenz veröffentlicht. Das Buch umfasst neben Widmung und Proöm drei disputà (Della maggioranza e nobiltà dell’arti; Qual sia più nobile, o la scultura o la pittura; In che siano simili et in che differenti i poeti et i pittori) sowie die Antwortbriefe von Michelangelo, Pontormo, Bronzino, Giorgio Vasari, Benvenuto Cellini, Battista del Tasso, Francesco da Sangallo und Tribolo.64 Die Beiträge führen – verknappt gesprochen – die Kodifizierung der Paragone-Argumente in einem institutionell sich weiter öffnenden interdisziplinären Gelehrtenkontext fort, wobei sich die Auffassung vom disegno als gemeinsamem Grundprinzip von Malerei und Skulptur allgemein verfestigt.65 Für die Vorrangigkeit der Skulptur werden – Tendenzen kursorisch nennend – die Einheit von Materie und Form sowie die körperliche Präsenz als Gegenargumente zur täuschenden Illusionskraft der Malerei in Anschlag gebracht, während die Befürworter der Malerei eben gerade die Illusionskraft positiv bewerten und der Malerei zudem einen höheren Abstraktionsgrad als entscheidende Kompetenz und Qualität zuschreiben.66 Anders als in der posthumen Kompilation der Notizen Leonardos und dem Dialog Ca stigliones wird im florentinisch-römischen Diskussionsfeld jener Zeit aber z. B. der Frage nach der Farbigkeit von Skulptur zunehmend Aufmerksamkeit verliehen. Polychrome Fassung und Materialsichtigkeit werden thematisiert, wobei mitunter ein Ringen mit bzw. ein Problematisieren von klaren Grenzziehungen zwischen den Künsten akut wird. Vincenzo Borghini knüpft in seiner Selva di notizie (1564) die genuine Wirkungsästhetik der Skulptur und die Kompetenz 64 Siehe die von Paola Barocchi edierte Ausgabe: Varchi, Benedetto, »Lezzione della maggioranza delle arti«, in: ders. / Borghini, Vincenzo, Pittura e Scultura nel Cinquecento, hg. v. Paola Barocchi, Livorno 1998, S. 7–84. 65 Vgl.: Hendler, Sefy, »Benedetto Varchi – Due Lezzioni (Zwei Vorlesungen)«, in: Maniera, Ausst.kat., hg. v. Bastian Eclercy, Frankfurt 2016, Katalog-Nr. 76, S. 184 f. 66 Vgl.: Gastel / Hadjinicolaou / Rath, »Paragone als Mitstreit«, S. 19 f.; Gentilini, Giancarlo, »Scultura dipinta o pittura a rilievo? Riflessioni sulla policromia nel Quattrocento fiorentino«, in: Techne. La science au service de l’histoire de l’art et des civilisations, hg. v. Marie Lavandier, 36 (2012), S. 8–17, S. 10.
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des guten Bildhauers unabdingbar an die Materialsichtigkeit der Werke und an den Verzicht auf Farbgebung. Farbig gefasste Porträtplastik in Wachs oder Gips sei zwar Usus, so Borghini, aber die »forza« und »virtù« des Bildhauers liegen ihm zufolge in der Gestaltgebung; nur ein »goffo« verwende Farben entgegen der »natura di quell’arte«; wer Farbe benutze, könne sich den Marmor auch gleich sparen.67 Während Borghini Marmorskulptur fokussiert und präferiert, entscheiden bspw. im venezianischen Diskurs Paolo Pino und Lodovico Dolce die Nobilitätsfrage eindeutig zugunsten der Malerei und ihres colorito. Mit der Gründung der Florentiner Accademia del Disegno 1563 wird die Brisanz des Paragone als Theoriefrage durch die institutionelle Gleichstellung der Künste dann merklich entschärft bzw. rhetorisch anders verhandelt, wie sich an Lomazzos Konzeption einer Metakunst zeigt.68 In Auseinandersetzung mit den hier nur kurz umrissenen prominenten Positionen finden sich textverfasste Theoriebeiträge zur Paragone-Frage im lombardischen Diskurs dann v. a. im Secondo Cinquecento und insbesondere im umfangreichen Schriftenwerk Giovan Paolo Lomazzos wieder. Der Mailänder Kunsttheoretiker war bis zu seiner Erblindung 1571 auch als erfolgreicher Maler tätig und schuf zahlreiche Kunstwerke im Auftrag der Mailänder Aristokratie (v. a. der Familien Borromeo, Archinto und Trivulzio) sowie im Auftrag von König Philipp II. und Francesco Ferdinando d’Avalos.69 Die Paragone-Thematik ist in diversen seiner Texte ab den 1560er-Jahren bis 1590 präsent, u. a. in dem um 1563 verfassten und frühneuzeitlich unediert gebliebenen Libro dei Sogni.
67 »E perch’i’ ho detto ch’e i colori non sono (de)gli scultori, no vo’ dire che non le possin colorire le loro figure, se le vogliano, come fanno i ceraiuoli o quei che fanno ritratti di gesso; ma e’ potranno risparmiare il marmo, se l’hanno a coprire; e, per lasciar le burle, la forza dello scultore e la virtù consiste ne’ dintorni dati dallo scarpello, e se qualche goffo ne l’arte usa i colori, esce della natura di quell’arte et i lor medesimi se ne ridono[.]« Borghini, Vincenzo, »Selva di notizie«, in: Varchi, Benedetto / ders., Pittura e Scultura nel Cinquecento, hg. v. Paola Barocchi, Livorno 1998, S. 85–142, hier S. 115. Zu paragonalen Debatten im Umfeld Borghinis siehe bspw. auch: Frangenberg, Thomas, »The Art of Talking about Sculpture: Vasari, Borghini and Bocchi«, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 58 (1995), S. 115–131. 68 Siehe zur Entschärfung des Paragone durch die Akademiegründung: Pfisterer, »Paragone«. Siehe zu Lomazzos Konzeption einer Metakunst weiter unten in diesem Unterkapitel die Ausführungen zu dessen Traktat. 69 Viele der Kunstwerke Lomazzos sind nicht mehr erhalten. Zu Lomazzos bildkünstlerischem Schaffen siehe Kapitel 4.2, 4.3 und 5.2 der vorliegenden Arbeit, sowie: Pavesi, Mauro, »Qualche riflessione sull’attività pittorica di Giovan Paolo Lomazzo«, in: Studi in onore di Maria Grazia Albertini Ottolenghi, hg. v. Marco Rossi, Alessandro Rovetta und Francesco Tedeschi, Mailand 2013, S. 155–161; ausführlicher noch verhandelt der Autor das Thema in seiner Doktorarbeit: Pavesi, Mauro, Giovan Paolo Lomazzo pittore milanese (1538–1592), Doktorarbeit 2006–2007, Università Cattolica del Sacro Cuore, Mailand.
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Im fünften ragionamento des Traumbuches führen die beiden historisch identifizierbaren Dialogfiguren Leonardo und Phidias – in der Fiktion über die Zeitgrenzen hinweg – ein Gespräch über die Malerei, ihr Ansehen und ihre Potentiale sowie berühmte antike wie moderne Künstler.70 Leonardo und Phidias werden beide als sowohl Maler wie auch Bildhauer vorgestellt. Während ihrer Unterhaltung berichtet Leonardo, dass ein ehrwürdiger italienischer Prinz die Frage klären wollte, ob pittura oder scultura von »magiore eccellenzia« sei.71 Daher ließ er einen Maler und einen Bildhauer miteinander in Wettbewerb treten und beauftragte sie, jeweils ein Kunstwerk zu schaffen und in einem Saal seines Palastes vorzustellen. Während die »statova mirabile« des Bildhauers für die »bei muscoli e dolcezze, con dissegno« gerühmt worden sei, habe der Maler durch eine »ad improviso« an eine Wand gemalte Tür den Bildhauer derart täuschen können, dass er den Wettbewerb klar für sich entschied.72 Im Anschluss an diese in höfischer Szenerie verortete Anekdote lobt die Dialogfigur Leonardo die Malerei für ihre – im Vergleich zur scultura – sehr viel umfassenderen Fähigkeiten, perspektivische Konstruktionen zu entwerfen sowie die Vielfalt der Natur mit Gewitter und Nebel oder bspw. menschliche Gemütsbewegungen nachahmen zu können. Ohne Widerrede bestätigt Phidias die proklamierte Vorrangstellung der Malerei: »Oh! Circa al contrasto di pittura e scultura non ci è dubbio alcuno che la pittura, secondo il vero, tiene lo prencipato«.73 Im darauffolgenden sechsten ragionamento unterhalten Leonardo und Phidias sich dann über die Skulptur.74 Ein rivalisierender Paragone der Bildkünste ist kein Thema mehr. Stattdessen wird das skulpturale Arbeiten in seiner medialen und materialen Vielfalt besprochen, terminologisch differenziert und gerade auch Skulptur jenseits von Marmor zur Sprache gebracht. Phidias referiert u. a. auf Plinius’ Naturalis historia und die dort dokumentierte besondere Wertschätzung Praxiteles’ für die plastica als »madre dilla scultura«.75 Gott habe die Kunst der plastica (auch »fictoria« genannt) bei der Formung des Menschen aus einem Gemisch feuchter Erden erfunden, während die scoltura Erfindung
70 Lomazzo, Giovan Paolo, »Libro dei sogni«, in: ders., Scritti sulle arti, Bd. 1, hg. v. Roberto Paolo Ciardi, Florenz 1973, S. 1–240, S. 85–117. 71 Ebd., S. 94. 72 Ebd. 73 Ebd. 74 Ebd., S. 118–167 (Sesto ragionamento – Dilla Scultura). 75 Ebd., S. 119. In Plinius’ enzyklopädischer Naturgeschichte (77 n. Chr.) heißt es, dass Praxiteles die plastica als mater der Ziselierkunst (caelatura), Bildgießerei (statuaria) und Bildhauerei (scolptura) bezeichnete. Plinius, Caius Secundus d. Ä., Naturkunde. Naturalis Historiae, Buch 35/liber XXXV (Farben – Malerei – Plastik), Lateinisch – deutsch, hg. und übersetzt v. Roderich König mit Gerhard Winkler, Darmstadt 19972, Buch 35.156, S. 118 f.
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eines Menschen sei.76 Im folgenden Verlauf des Gesprächs betont Leonardo dann wiederholt sein vielfältiges Können als Bildhauer und hebt seine in Ton modellierten Figuren und deren moti hervor. Er beschreibt, dass viele der von ihm gestalteten Köpfe von Putti, jungen Personen, Frauen und insbesondere der Mutter Gottes nicht »scolpite«, sondern engelsgleich seien.77 Im Gesicht Mariens etwa könne man ihre »divinità di l’aria«, ihre jugendliche Schönheit, Standhaftigkeit und Verständigkeit erkennen, was äußerst schwierig darzustellen sei.78 Derartige Erörterungen und Wertschätzungen von Terrakottawerken und die Einordnung der plastica als Grundlage allen skulpturalen Arbeitens finden sich wohl bemerkt in den oben erörterten Paragone-Duellen – insbesondere höfischer Kontexte – entschieden nicht. Anders perspektiviert verhandelt Lomazzo den Vergleich der beiden Künste dann in seinem umfangreichen Trattato dell’Arte della Pittura, Scoltura e Architettura, das nach jahrzehntelanger Zusammenstellung 1584 erstmals im Druck erschien.79 Im Traktat konzipiert Lomazzo die Malerei unangefochten als eine Metakunst.80 Die skulpturalen Bildkünste werden nur an vereinzelten Stellen besprochen. Der Paragone ist dementsprechend selten explizit Thema. Eines der wenigen Beispiele findet sich gleich zum Auftakt des mehrbändigen Werkes. Im Proöm betont der Mailänder Kunsttheoretiker die Notwendigkeit, die »differrenza o conformità che è fra la pittura e scoltura« zu verstehen.81 Oft schon hätten sich scultori mit Lob geschmückt, dass der Malerei zustehe. Und stets schon habe es zwischen scultori und pittori einen Wettbewerb gegeben, den viele
76 Lomazzo, »Libro dei sogni«, S. 119. Vgl. zu diesem Aspekt auch: Göttler, Christine, »The Temptation of the Senses at the Sacro Monte di Varallo«, in: Religion and the Senses in Early Modern Europe, hg. v. Wietse de Bioer und dies., Leiden / Boston 2013, S. 393–451, S. 425. 77 »Et oltre di ciò in molte teste, che non scolpite sono, ma angeliche di arie, di puttini, di giovani e di donne e massime di una Nostra Donna, nella quale si comprendono la divinità di l’aria e la bellezza giovenile, di gran fermezza e considerazione di mente, che ciò è cosa oltramodo difficile a fare[.]« Lomazzo, »Libro dei sogni«, S. 153. 78 Ebd. 79 Zur Textgenese des Trattato siehe: Ackerman, Gerald M., The Structure of Lomazzo’s Treatise on Painting, Dissertation, Ann Arbor 1964; Ackerman, Gerald M., »Lomazzo’s Treatise on Painting«, in: Art Bulletin, 49 (1967), S. 317–326. 80 Zu Lomazzos Konzeption der Malerei als Metakunst im Trattato und in dem damit eng verbundenen Buch Idea del Tempio della Pittura (1590) siehe Kapitel 5.3; sowie grundlegend: Williams, Robert, Art, Theory, and Culture in Sixteenth-Century Italy. From Techne to Metatechne, Cambridge 1997, S. 123–135. 81 Lomazzo, »Trattato«, S. 16. Siehe auch die von Paola Barocchi kommentierte Ausgabe der Paragone-Passagen aus Lomazzos Trattato: Lomazzo, Giovan Paolo, »Trattato dell’arte della pittura, scoltura et architettura, Milano 1584«, in: Scritti d’Arte del Cinquecento, Bd. 1, hg. v. Paola Barocchi, Mailand / Neapel 1971, S. 691–697, hier und im Folgenden insbesondere S. 691 ff.
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sehr unterschiedlich entschieden haben.82 Er selbst habe immer für die Maler gestimmt und hoffe, dass sein discorso »per la novità, come per le ragioni« Zustim mung erhalte.83 Zunächst geht Lomazzo davon aus, dass pittura und scoltura einer »medesima arte« angehören.84 Beide verfolgen das Anliegen, »sostanze individue« darzustellen, indem sie deren »quantità geometrica« ergründen.85 Dabei haben beide den Anspruch, Schönheit (bellezza), Angemessenheit (decoro), Bewegung (moto) und Umrisse (contorni) abzubilden (rappresentare); ihr Ziel sei es, die Dinge möglichst naturnah (al naturale) darzustellen (ritrarre).86 Anschließend veranschaulicht Lomazzo den Vergleich der Bildkünste anhand eines im höfischen Kontext verorteten Fallbeispiels. Man nehme an, ein König beauftrage gleichzeitig einen Maler und einen Bildhauer mit seinem Porträt. Dann arbeiten beide Künstler im Intellekt (»intelletto«) zunächst mit derselben Idee und Gestalt des Königs (»la medesima idea e forma«), um jenen mit größtmöglicher Ähnlichkeit zu porträtieren.87 Auf Grundlage derselben geometrischen Größenverhältnisse und Formen erstellen beide Künstler demnach einen concetto im Geist (»mente«), den sie anschließend im »disegno espressivo de la idea« ausdrücken.88 Jener disegno könne sich in Detailfragen unterscheiden, nicht aber im Prinzip. Im nächsten Schritt malt der eine und der andere »scolpisce«.89 Dieser Unterschied sei jedoch allein materiell: »una differenza materiale che non fa specie diversa d’arte né di scienza.«90 Lomazzo spaltet damit die Bildkünste mit ihrer je spezifischen Medialität von der konkreten Materialität und proklamiert, dass es keine »differenza specifica« sei, ob man ein Porträt in Stein, Holz oder Metall, auf Leinwand, mit dem Pinsel oder dem Meißel gestalte – all diese Unterschiede seien rein materiell.91 Es sei abwegig, wenn ein Künstler, der in Marmor arbeite, zu einem, der in Holz arbeite, sage, dass er kein scoltore sei. Genauso abwegig sei es, wenn der scoltore zum pittore sage, dass er nicht in seiner Kunst (arte sua) arbeite.92 Lomazzo suggeriert letztlich einen weit verbreiteten Vorrangsanspruch von Marmorbildhauerei, dem er dann jegliche theoretische Fundierung abspricht und den er gewissermaßen als überheblich markiert. Die 82 Lomazzo, »Trattato«, S. 17. 83 Ebd. Bzgl. der unmarkierten Referenzen von Lomazzos Text auf Benedetto Varchis Paragone-Beiträge siehe Paola Barrochis Kommentar in: Lomazzo, »Trattato dell’arte della pittura, scoltura et architettura, Milano 1584«, S. 692–697. 84 Lomazzo, »Trattato«, S. 17. 85 Ebd. 86 Ebd. 87 Ebd. 88 Ebd., S. 18. 89 Ebd. 90 Ebd. 91 Ebd. 92 Ebd.
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essentielle Gemeinsamkeit der Künste, so Lomazzo, werde auch nicht dadurch beeinträchtigt, dass der Maler den König in nur einer Ansicht (veduta) zeige, während der Bildhauer ihn vollplastisch (»di rilievo intiero«) darstelle.93 Dies liege nicht an der Malerei selbst, sondern an der materia – in diesem Fall also dem flächigen Malgrund – und deren »imperfezione«.94 Lomazzo bekräftigt, dass »la plastica, scultura e la pittura una istessa arte« seien.95 Mit der anschließenden widersprüchlichen bzw. stark einschränkenden Anmerkung, dass Maler aber das schwierigste und perfekteste jener Kunst (»il piú difficile e perfetto di quest’arte«) meistern – wie im Traktat zudem durch die Konzeption der Malerei als Metakunst ersichtlich wird.96 Wiederholt hält der Mailänder Kunsttheore tiker fest, dass es keine noblere Kunst gebe als die Malerei.97 Die Reduzierung der Unterschiede der Bildkünste auf Effekte von verschiedenen Materialien, die vollkommen abtrennbar sind vom konkreten Kunstwerk und seiner epistemischen Potentialität und Wirkungsästhetik, negiert die gerade über die Materialität maßgeblich mitgestaltete Medienspezifik der Werke der unterschiedlichen Spielarten von Malerei und Skulptur und leistet so der Konzeption von pittura als Metakunst Vorschub. Der Paragone als Rangstreit wird in diesem System auf paradoxe Weise nivelliert und zugleich zugunsten der Malerei entschieden. Dementsprechend betitelt Lomazzo in der 1587 veröffentlichten Gedichtsammlung Rime ad imitazione dei Grotteschi ein Gedicht zum Vergleich von Malerei und Skulptur auch nicht mit »Paragon« entsprechend der vorausgegangenen Gedichte zum Paragon del scrivere co’l dipingere und Paragon de la Pittura con la Poesia, sondern mit Convenienza de la pittura e de la scoltura.98 Im Gedicht heißt es, dass nur Stümper die Unterschiede der beiden Künste fokussierten und die Gemeinsamkeiten vernachlässigten; trotzdem vermerkt der Autor einmal mehr, dass er die Malerei höher schätze.99 Lomazzo fokussiert und bevorzugt die Malerei in all seinen Texten. Doch die Aufmerksamkeit für das Zusammenspiel von Medialität und Materialität, für die Diversität und Übergängigkeiten der beiden Künste mit ihren verschiedenen 93 Ebd. 94 Ebd. 95 Ebd., S. 19. Zu Lomazzos Ausführungen und Wertschätzungen der plastica siehe weiter unten in diesem Unterkapitel. 96 Ebd., S. 18. 97 Ebd., S. 19. 98 Lomazzo, Giovan Paolo, Rime ad imitazione de i Grotteschi usati da’ pittori, hg. v. Alessandra Ruffino, Rom 2006, Nr. 82, S. 137 f. und Nr. 86, S. 141. 99 In den Rime heißt es: » […] M’apparve, disprezzando que’ gagiani, / Che poser ne i lor scritti Italiani / Le differenze d’essa [Pittura] e di Scoltura; // Senza avedersi come son tra loro / Una medema cosa: fuor che l’una / Opra nel pian qual più lodo et onoro, / Ma ad uno istesso fin tende ciascuna; / Là onde del costor giudizio soro / Ridomi, che vi ponga rissa alcuna«. Lomazzo, Rime, Nr. 86, S. 141.
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Gestaltungsweisen variiert stark. Wenn thematisch der zugespitzte, rivalisierende Paragone berührt wird, wie er sich in interdisziplinären Gelehrtendebatten – v. a. im höfischen Kontext – herauskristallisiert und etabliert hatte, dann nimmt Lomazzo Verflachungen in der Betrachtung der ineinandergreifenden Medien- und Materialspezifik von Kunstwerken vor und betont das Argument ›derselben Kunst‹ sowie die Metastellung der pittura. An weniger exponierten Stellen des Traktats hingegen finden sich derweil detaillierte und differenzierte Überlegungen zum Verhältnis der unterschiedlichen Arten von Malerei, Zeichnung und Skulptur. Dies ist bspw. in Unterkapitel 14 im moti-Buch des Traktats der Fall.100 Dort gibt Lomazzo an, aus einem Buch Leonardos zu zitieren, das er vor einigen Jahren gelesen habe und das jener auf Bitten Ludovico Sforzas auf die Frage hin verfasst habe, ob die Malerei oder die Skulptur nobler seien – der Kontext also, in dem die Passagen der Parte Prima entstanden.101 Leonardo – »tanto uomo, filosofo, architetto, pittore e scultore« – wird von Lomazzo als Experte für die Frage nach der »eccellenza di queste due arti« ausgewiesen, dessen Urteil für alle maßgeblich sein müsse.102 Das Zitat aus Leonardos Buch ist umfangreich; zentral ist die Auffassung, dass sich die »imaginazioni della mente« nicht ausdrücken lassen, wenn es ihnen gegenüber Widerständigkeiten gibt.103 Eben das könne man in der scoltura beobachten, wo Marmor, Eisen oder andere schwer zu bearbeitende Materialien den Werkprozess stören bzw. behindern. Derartige Widerständigkeiten des Materials irritieren und unterbrechen das »studio« und seien ihm, sprich dem von Lomazzo zitierten Leonardo, ein Feind. Die Malerei hingegen sei – wie es nun mal Eigenschaft der »arti e scienze liberali« sei – eine 100 Der vollständige Titel des Unterkapitels XIV lautet: »De i moti della prudenza, astuzia, malizia, accorgimento, gherminella, furto, onestà, modestia, quiete et essercizio«. Lomazzo, »Trattato«, S. 136–140. 101 »Nel qual modo va discorrendo et argomentando Leonardo Vinci in un suo libro, letto da me questi anni passati, ch’egli scrisse di mano stanca a prieghi di Lodovocio Sforza, duca di Milano, in determinazione di questa questione, se è piú nobile la pittura o la scoltura; dicendo che: ›quanto piú un’arte porta seco fatica di corpo e sudore, tanto piú è vile e men pregiata. Però che tal arte non è manco sogetta alle materie grosse che alle sottili, cioè alle imaginazioni della mente, le quali non possono in maniera alcuna essere espresse dove vi è interrompimento di cosa a loro contraria. Il che si vede chiaramente essere nella scoltura, dove v’interviene marmo, ferro et altre simili materie di fatica di corpo e strepito, tutte cose nemiche de lo studio, il quale non può mai tanto mettervisi et applicarvisi, che tuttavia però per questa cagione grandemente non s’interrompa, e l’opera non riesca in gran parte men bella e perfetta di quello che l’artefice, avanti che dasse di piglio allo scalpello, s’aveva nella sua idea concetto et imaginato.« Lomazzo, »Trattato dell’arte della pittura, scoltura et archittetura«, S. 138 f. Vgl. auch die Edition von Paola Barocchi: Lomazzo, »Trattato […] Milano 1584«, S. 694–697. 102 Lomazzo, »Trattato«, S. 140. 103 Ebd., S. 139 (siehe Anm. 101 für das ausführliche Zitat).
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Kunst frei von Anstrengung und Lärm und sperrigen Materialien.104 Der Maler könne sich an einen ruhigen, einsamen Ort zurückziehen und ganz konzen triert und schweigend »con lo stile sottilissimo, overo con la penna« ausdrücken (esprimere), was er im Geist (mente) konzipiert habe, ohne dass der »difetto della materia« ihn behindere.105 Verglichen mit der scoltura sei aber auch die plastica mit sehr viel weniger Mühe und Lärm verbunden und stehe der Imagination umso näher. Daher sei sie Schwester der Malerei und Mutter der scoltura, der sie mit ihren »modelli di terra« »essempio e guida« sei.106 Die scoltura – für die als Beispiel Stein und im Speziellen Marmor explizit als Materialien genannt werden – sei letztlich nichts anderes als die mühevolle Nachahmung der plastica.107 Laut der zitierten Passage hebt Leonardo zudem hervor, selbst große Freude an der plastica zu haben und mehrere Pferde (teils vollständig, teils nur deren Beine oder Köpfe), Madonnenbüsten, Figuren des Christuskindes (vollständig und teilweise) sowie Köpfe von alten Personen gestaltet zu haben – ähnlich der oben besprochenen Passagen aus dem Libro dei sogni.108 Die Art und Weise, wie Leonardo gemäß diesem Zitat aus Lomazzos Trattato die Werke vorgestellt, charakterisiert jene als Studienobjekte und verdeutlicht ihren modellhaften Charakter: Von einem Motiv gibt es immer mehrere Versionen bzw. Varianten und oft werden die Figuren nur teilweise erfasst bzw. fragmentarisch dargestellt.109 In der zitierten Passage heißt es weiter, dass die plastica sich im Vergleich zur 104 Ebd. 105 Ebd. 106 Ebd. 107 Ebd. 108 »[Della plastica] io [Leonardo] sempre molto mi sono dilettato e mi diletto, sí come fanno fede diversi miei cavalli intieri e gambe e teste et ancora teste umane di Nostre Donne e Cristi fanciulli intieri et in pezzi, e teste di vecchi in buon numero, posso dire che in lei è una grandissima facilità appetto all’arte del dipingere o ben disegnare. Perché in lei si farà, per essempio, una palla ritonda et in disegno si circuirà col sesto e dopoi sopra quello istesso piano e quella istessa palla s’andarà ombrandola et allumandola con i suoi riflessi et ombre sopra il piano, facendola parere tonda, sí come quella della plastica. E quivi si potrà conoscere quanto sia la differenza del far di rilevo e del rappresentar in piano; perché in fatti, se si vuole sottoporre alla prospettiva e rappresentar per ordine le perdite e gli acquisti, gli sfondamenti et eminenze di membri, è cosa certissima che è bisogno di tanta pazienza et intelligenza, che quasi impossibile è a farlo, non che difficile. E si lasciarebbe senza dubbio la cosa, se dall’altra parte la fatica non fosse mitigata e ricompensata dal gran diletto che si prende di vedere sopra le carte o tavole, spiccar le cose come se naturalmente fossero. Però questo solo essercizio stimo io, al debbol mio giudicio, essere il piú eccellente e divino che sia al mondo poi che l’artifice viene quasi a dimostrarsi quasi un altro Dio.« Ebd., S. 139 f. 109 Insofern es hier also um das Modellieren zu Studienzwecken geht, erklärt sich die marginalisierte Platzierung des pointierten Vergleichs von plastica, disegno und pittura im Unterkapitel zum essercizio zumindest ansatzweise. Zum Titel des Unterkapitels siehe oben Anmerkung 100.
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Malerei und Zeichnung durch eine »grandissima facilità« auszeichne.110 In der plastica könne man z. B. ganz einfach eine runde Kugel formen. Um eine solche Kugel in der Zeichnung darstellen zu können, konstruiere man einen Kreis mit dem Zirkel und modelliere diesen dann durch Helldunkelschattierungen. Letztlich könne die »in piano« gezeichnete Kugel zwar genauso rund erscheinen wie die Kugel »di rilievo« und auch die Darstellung in unterschiedlichen Perspektiven und mit wechselnden Lichtverhältnissen und Verkürzungen sei möglich. Es erfordere jedoch viel Geduld und Verstand (»intelligenza«) und sei äußerst schwierig. Belohnt werde man allerdings durch die große Freude, die man erfahre, wenn die auf Papier gezeichneten Dinge quasi wie in der Natur plastisch hervorzutreten scheinen. Das »rappresentar di piano« sei daher das »essercizio […] più eccellente« und in eben jener Kunst könne der Künstler sich als ein »altro Dio« erweisen.111 Damit wird zum einen die Nobilität von Zeichnung und Malerei bzw. dem zeichnenden und malenden Künstler untermauert. Zum anderen wird die plastica v. a. als jene Kunst geschätzt und indirekt empfohlen, die flexibel ist, die mit dem sich stetig wandelnden Ideengang mitgehen kann und mit der man mühelos Studienmodelle gestalten kann, anhand derer sich unterschiedliche Positionierungen und Lichtverhältnisse austesten und beobachten lassen. Bezeichnender Weise finden sich solche Passage zur plastica im Zusammenhang und Vergleich mit Zeichnung und Malerei nicht in der Kompilation der Parte Prima wieder. Dort wird der Paragone offensichtlich für den höfischen interdisziplinären Gelehrtenkontext rhetorisch stilisiert und auf die Rivalität von Tafelmalerei und Marmorskulptur bzw. Maler und Marmorbildhauer zugespitzt. Wertschätzende theoretische Überlegungen zur plastica und dem Miteinander bzw. Austausch unterschiedlicher Medien und Materialien während des kreativen Prozesses finden im Zusammenhang des durch die höfische Debattenkultur geprägten Paragone keine Beachtung. Auch Lomazzo verortet die Passagen mit dem paragonalen Vergleich von scoltura, plastica, disegno und pittura in einem Abschnitt seines Traktats, der praktisches Fachwissen für Maler im moti-Buch aufbereitet und explizit nicht etwa zur Einleitung gehört, die auch für einen breiteren, interdisziplinären, theoretisch interessierten Rezipientenkreis verfasst ist. Sehr viel prominenter platziert und ausführlicher verhandelt dann ein mit Lomazzo bekannter und erfolgreicher Cremoneser Maler das Thema des plastischen Modellierens als Teil des Malprozesses. Die Rede ist von Bernardino 110 Siehe die zitierte Passage in Anm. 108. 111 Siehe Anm. 94. in diesem Kapitel. Zu frühneuzeitlichen Konzeptualisierungen der plastica und der historischen Semantik von Ton bzw. Terrakotta siehe Kapitel 3.2.
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Campi und seinem um 1557 verfassten Text Parer sopra la pittura, der zusammen mit zwei Holzschnitten männlicher Proportionsstudien 1584 in Cremona erschien: im Anhang von Alessandro Lamos Discorso intorno alla scoltura, et pittura, doue ragiona della vita, & opere in molti luoghi, & à diuersi prencipi, et personaggi fatte dall’eccell. et nobile m. Bernardino Campo pittore cremonese.112 Bernardino Campi bespricht in seinem Parer das Modellieren in Wachs und mit Gips und Ton als integralen Bestandteil der Werkstattpraxis des Malers. Er erörtert das Thema sehr ausführlich und jenseits eines wertenden Vergleichs, paragonaler Argumentationsmuster und rhetorischer Stilisierungen.113 Campi gibt an, seinen Text über die Malerei auf eindringliche Bitten einiger seiner Malerfreunde hin verfasst zu haben und nennt v. a. Antonio da Udine, Vincenzio da Caravaggio sowie Brandimante dalla Torre.114 Diese Bitte um schriftliche Äuße112 Campi, Bernardino, »Parer Sopra la Pittura«, in: Lamo, Alessandro, Discorso intorno alla scoltura, et pittura, doue ragiona della vita, & opere in molti luoghi, & à diuersi prencipi, et personaggi fatte dall’eccell. et nobile m. Bernardino Campo pittore cremonese, Cremona, Cristoforo Draconi, 1584, o. S. (am Ende des Buches). Angemerkt sei, dass nicht alle der erhaltenen Exemplare der frühneuzeitlichen Edition vollständig sind und Campis Parer beinhalten. Im 18. Jahrhundert erschien Campis Text in einer zweiten Auflage: Campi, Bernardino, »Parere sopra la pittura«, in: Zaist, Giambattista, Notizie istoriche de’ pittori, scultori ed architetti cremonesi, Bd. 2, Cremona 1774, S. 103–106. Für eine kritische Ausgabe von Campis Text siehe: Campi, Bernardino, »Parer Sopra la Pittura«, in: Scritti d’Arte del Cinquecento, Bd. 1, hg. v. Paola Barocchi, Mailand / Neapel 1971, S. 931–935; sowie einen kommentierten Abdruck der editio princeps in: Ragazzi, Alexandre, »Un episodio nella storia dei modelli plastici ausiliari – il Parere sopra la pittura di Bernardino Campi«, in: Revista de História da Arte e Arqueologia. Journal of Art History and Archaeology, 8 (2007), S. 123–133, S. 127–131. Zum Holzschnitt mit der Proportionsstudie siehe: Berra, Giacomo, »La storia dei canoni proporzionali del corpo umano e gli sviluppi in area lombarda alla fine del Cinquecento«, in: Raccolta Vinciana, 25 (1993), S. 159–310, siehe hier S. 215–219 und 239–244. Zur Datierung von Bernardinos Text auf das Jahr 1557 siehe: Ragazzi, Alexandre, »Giorgio Vasari e i modelli plastici ausiliari: sforzo dissimulato, apparente facilità«, in: Figura. Studi sull’immagine nella tradizione classica, I/1 (2013), S. 1–11, S. 5. Zu Bernardino Campi und der Kombination seines Textes mit Lamos Discorso sowie einer ausführlichen Analyse von Lamos Buch siehe Kapitel 5.2. 113 Alexandre Ragazzi betont, dass Campi das Thema zu jener Zeit als einziger derart ausführlich behandelt, während sich bei Paolo Pino, Giorgio Vasari, Cristoforo Sorte und Lomazzo lediglich Anspielungen darauf finden lassen. Nur Giovanni Battista Armenini bespricht die plastischen Modelle als Teil der Malpraxis in seinem De’ veri precetti della pittura (Faenza 1586) ebenfalls detaillierter. Armenini und Bernardino Campi waren gute Bekannte und Armenini lebte Ende der 1550er- oder Anfang der 1560er-Jahre einige Monate in Bernardinos Haus in Mailand. Siehe: Ragazzi, »Un episodio nella storia dei modelli plastici«, S. 124 f. Zur vereinzelten Auseinandersetzung einschlägiger Theoriewerke des Cinquecento mit plastischen Modellen als Teil der Malpraxis siehe: Ragazzi, »Giorgio Vasari e i modelli plastici«. 114 Campi, »Parer Sopra la Pittura«, o. S.; in der Edition von Paola Barocchi S. 931 (vgl. oben Anm. 112).
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rung bzw. Beschreibung des Werkprozesses der Malerei und die Ausführlichkeit der Besprechung des plastischen Arbeitens als Teil der Malpraxis signalisieren die Aktualität und Relevanz des Themas von plastica und pittura in Malerkreisen und deuten zugleich auf eine seitens der praktizierenden Maler empfundene Vernachlässigung, wenn nicht gar Lücke in den Theorie- und Lehrwerken zur Malerei bis dato hin. In seinem Parer erläutert Bernardino zunächst knapp den groben Ablauf der Malerlehre. Zu Beginn werden ausgewählte Zeichnungen kopiert, danach werde nach dem rilievo gezeichnet und schließlich das »ritrare dal naturale« geübt, um im nächsten Schritt zur Komposition der istoria überzugehen.115 Dazu skizziere man die Bildidee (»invenzione«) und forme ein etwa fingergroßes stehendes Wachsfigürchen (»figura di rilievo di cera«), mit gestreckten Armen und Beinen, so dass man leicht eine Gipsform erstellen könne, um diese in Wachs zu vervielfältigen entsprechend der Anzahl der Figuren in der istoria.116 Während sie noch weich seien, so Campi, solle man die Figuren so biegen und positionieren, dass es ihren Haltungen und Handlungen in der istoria entspreche. Anschließend solle man gemäß der invenzione und des disegno die unterschiedlichen Wachsfiguren mit einem heißen Eisen auf einem gerasterten Brett befestigen. Campi erläutert daraufhin schrittweise die Konstruktion eines Vermessungsapparats, der aus einer Art quadratischem Webrahmen (»telaro«) besteht, der mithilfe eines Zirkels und Schnüren nach dem Kopfmaß der Wachsfigur zu einem regelmäßigen Gitter (»graticola«) gestaltet wird. Dieses Gitter werde auf den Zeichnungs- bzw. Malgrund übertragen. Anschließend werde mit den auf dem Brett befindlichen Figuren und den Gittern und Rasterflächen sowie mithilfe von Schnüren ein dreidimensionaler Vermessungsraum erstellt, der für die Konstruktion des Bildes modellhaft wird und sich an unterschiedliche Perspektiven und Lichtverhältnisse anpassen lässt.117 Für das Studium der Gewänder sollen die Maler im nächsten Schritt eine eineinhalb handgroße Wachsfigur formen und diese je 115 Ebd. und in der Edition von Paola Barocchi S. 931 f. (vgl. oben Anm. 112). Zum Vergleich heißt es bspw. ähnlich in einer von Leonardos Aufzeichnungen: »Ritrai prima disegni di buono maestro fatto su l’arte e sul naturale e non di pratica, poi di rilievo in compagnia del disegnio tratto da esso rilievo, poi di uomo naturale, il quale debbi mettere in uso.« Zitiert nach Richter, Jean Paul (Hg.), The Literary Works of Leonardo da Vinci. Compiled and Edited from the Original Manuscripts, 2 Bde., Bd. 1, London / New York 1939, S. 303. 116 Campi, »Parer Sopra la Pittura«, o. S.; in der Edition von Paola Barocchi S. 932 (vgl. oben Anm. 112). Vgl. z. B. auch die Notiz von Leonardo da Vinci auf einer seiner Zeichnungsblätter: »fanne un picholo dj cera lungho un djto« (Windsor, Royal Collection, RL 12328r), siehe Kapitel 3.2 Anm. 146. 117 Campi, »Parer Sopra la Pittura«, o. S.; in der Edition von Paola Barocchi S. 932 (vgl. oben Anm. 112).
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nach Sujet in dünne oder grobe, seidige oder andere in Wasser getauchte Stoffe kleiden. Für Aktstudien sei es notwendig »dal naturale« zu zeichnen. Zudem seien antike Reliefs wichtige Lehrmeister, aber auch die Skulpturen moderner Meister, denn sie würden auf Dinge aufmerksam machen, die man sonst oft übersehe. Viele Maler, so konstatiert Campi schließlich, wären mit dem Arbeiten mit plastischen Figuren nicht vertraut, obwohl es so hilfreich sei. Er fügt daher noch eine Anleitung bei, wie man neben Wachs und Gips auch mit Ton bzw. Terrakotta arbeiten könne und liefert unterschiedliche Anleitungen zur Zubereitung von Materialmischungen, zum Brennen der Figuren und zum manuellen Nachbearbeiten mithilfe von warmem Wasser.118 Der Fokus von Campis Malerei-Abhandlung liegt deutlich auf dem Arbeiten mit plastischen Figuren aus Wachs, Gips und Ton und auf der Verbreitung eben dieser Arbeitsweise sowie der Interaktion von zwei- und dreidimensionalem künstlerischen Gestalten. Diesen medial und material vielfältigen Werkprozess bezeichnet der Cremoneser Maler abschließend als disegno: »Io ho parlato sopra il disegno«.119 Zeichnen, skizzieren, entwerfen, Wachsmodelle biegen und positionieren fallen hier terminologisch ineins bzw. gehören gemeinsam zum disegno.120 Zeichnen und plastisches Modellieren interagieren im produktiven Miteinander und bilden in Campis Malpraxis die Grundlage bzw. ein wertvolles Element der Malerei(praxis). Der Überblick schriftlicher Beiträge zur Relationierung von Malerei und Skulptur verdeutlicht, dass es verschiedenartige Modi des medienbewussten Vergleichs in textverfasster Theorie gibt. Je nach Funktions- und Theoriezusammenhang der Textpassagen und ihrer konkreten Verortung in der betreffenden Schrift werden die Künste auf sehr verschiedene Weise thematisiert, differenziert, in Relation gebracht und bewertet. An einem Ende der Variationsspanne finden sich paragonale Beiträge im Kontext höfisch-intellektueller Debatten- und Wettstreitkultur, die die Rivalität von Tafelmalerei und Marmorskulptur forcieren. Am anderen Ende werden Einblicke in eine Cremoneser Malerwerkstatt gegeben, in der plastisches Modellieren sowie Steinskulpturen als Studienobjekte immanent wichtiger Bestandteil eines medial vielfältigen und interdependenten Mal- bzw. Entwurfsprozesses sind. Wie nun aber wird die Thematik des Paragone in der bildkünstlerischen Praxis und den Kunstwerken selbst relevant? Dieser Fragestellung wird im nun fol118 Ebd. und in der Edition von Paola Barocchi S. 934 f. (vgl. oben Anm. 112). 119 Ebd. 120 Auch Filarete gebraucht die Begriffe disegno und modello für plastische und gezeichnete Modelle unterschiedslos, konkretisiert aber bisweilen die Zeichnung als disegno in liniamento / lineato und das plastische Modell als disegno rilevato. Siehe: Tigler, Peter, Die Architekturtheorie des Filarete, Berlin 1963, S. 147, 149.
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genden Unterkapitel anhand von Fallstudien nachgegangen, über die sich dann das Verhältnis von schriftlich verfassten und bildkünstlerisch konfigurierten Paragoni im lombardischen Diskurs nachvollziehen lässt. Es wird ersichtlich, ob bzw. wann und wo sich das Verhältnis von textverfasster Theorie und bildkünstlerischer Praxis bei der Thematik des Paragone als eine stimmige Entsprechung, als ein streitlustiger Austausch oder als entkoppelte Eigendynamik erweist.
3.2 Medien- & materialgebundene Dialoge zwischen Werken Leonardos und lombardischer Skulptur – Ein ungeschriebener Mitstreit zum rilievo & den moti dell’anima Das Unterkapitel untersucht Dialoge zwischen Zeichnungen und Gemälden von Leonardo da Vinci und Werken lombardischer Skulptur, die zugleich Licht auf die Frage nach dem Verhältnis von textverfasster Theorie und bildkünstlerischer Praxis hinsichtlich der Paragone-Debatte werfen.121 Paragoni werden dabei v. a. im Sinne von produktivem, inspirierendem, aufeinander verweisendem, wechselwirksamem Mitstreit beobachtet.122 Einschlägiges Thema der werkimmanenten, paragonalen Dialoge, so werden die Fallstudien verdeutlichen, ist die Erzeugung von rilievo, die dadurch bedingte Evokation von Plastizität und 121 Dieses Unterkapitel basiert auf einem im Rahmen der Konferenz Leonardo e gli altri / Leonardo in Dialogue im September 2015 am Kunsthistorischen Institut in Florenz-Max Planck Institut gehaltenen Vortrag und auf dem daraus entstandenen Aufsatz: BeckerSawatzky, Mira, »Leonardo’s Figures, the Materiality of Lombard Sculpture and the Aesthetics of the ›Moti‹«, in: Leonardo in Dialogue. The Artist Amid His Contemporaries, hg. v. Francesca Borgo, Rodolfo Maffeis und Alessandro Nova, Venedig 2019, S. 119–146. Auch an dieser Stelle möchte ich noch einmal Prof. Dr. Alessandro Nova ganz herzlich für die Einladung zur Teilhabe an der Tagung danken. Die Diskussionen, Themen und Perspektiven der Tagung waren für die Bearbeitung meines Dissertationsprojekts sehr motivierend und anregend. Ich danke ebenso erneut herzlich Dr. Francesca Borgo, Dr. Britta Dümpelmann, Prof. Dr. Pietro C. Marani, Prof. Dr. Alessandro Nova und Prof. Dr. Maddalena Spagnolo für wertvolles Feedback zu meinem Beitrag. Thema der erwähnten Tagung und des zitierten Sammelbandes sind Dialoge Leonardos mit seinen Zeitgenossen und Fallstudien, die Leonardos Schaffen in der reziproken Verwobenheit ihres diskursiven Kontexts und nicht als isolierte, einseitig einflussreiche Meisterleistungen in den Blick nehmen – eine Perspektive, die bspw. auch Gary M. Radke in seinen Studien einnimmt, der treffend formuliert: »Leonardo worked in a world that was intensely collaborative, where innovation often grew out of tradition, where ideas easily migrated from artist to artist and medium to medium, and where artistic exploration often involved technological and scientific studies as well as purely aesthetic ones.« Radke, Gary M., »Leonardo: The Mind of the Sculptor. Introduction«, in: Leonardo da Vinci and the Art of Sculpture, hg. v. dems., Atlanta 2009, S. 11–14, S. 12. 122 Zum ›Mitstreit‹ siehe Kapitel 1.3 sowie 3.1, Anm. 3. Zur Verwendung des Terminus Skulptur als Oberbegriff siehe 3.1, Anm. 1.
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Lebendigkeit sowie die prägnante Darstellung unterschiedlicher moti dell’ani ma – Aspekte, die maßgeblich an die jeweilige Materialität und Medialität der Kunstwerke gekoppelt sind.123 1482 schreibt Leonardo an den Mailänder Herzog Ludovico Sforza: »Item, conducerò in sculptura di marmore, di bronzo et di terra, similiter in pictura, ciò che si possa fare ad paragone de omni altro, et sia chi vole. »124 Er präsentiert sich damit als ambitionierter, ehrgeiziger und versierter Künstler, der sowohl in Marmor als auch mit Bronze und Terrakotta arbeitet, aber ebenso als Maler tätig ist und a paragone mit jedem anderen mithalten könne. Die Weiterführung des herzoglichen Projekts eines bronzenen Reiterstandbildes von Francesco Sforza war dann einer seiner ersten offiziellen Aufträge in Mailand. Das aufwendige, kostspielige und langwierige Projekt gelangte jedoch bekanntermaßen nicht zur Vollendung.125 Neben den durch Giovan Paolo Lomazzo überlieferten Berichten Leonardos, zahlreiche Werke in der plastica geschaffen zu haben, dokumentieren weitere frühneuzeitliche Quellen Leonardos Arbeiten als scultore – darunter sind Paolo Giovio und Pomponio Gaurico.126 Auch wenn heute keine noch 123 Der Begriff des rilievo wird in Texten zur Kunst spätestens seit dem Trecento, bspw. bei Cennino Cennini, eingesetzt. Das durch Helldunkelmodellierungen gestaltete rilievo einer Figur bzw. einer Darstellung galt auch im Trecento als Marker künstlerischen Könnens und besondere Qualität, mittels derer zweidimensionale Kunstwerke Plastizität und Lebendigkeit evozieren und die Betrachtenden involvieren. Für eine prägnante Darlegung des trecentesken rilievo-Begriffs samt seinen produktions- wie rezeptionsästhetischen Dimensionen siehe Iris Helffensteins Analyse von Guarientos Fresken (1360er-Jahre) in der Paduaner Eremitanikirche: Helffenstein, Iris, Wissenstransfer in Bildprogrammen des Trecento. Allegorie, Imitation und Medialität, Paderborn 2021, Kapitel II .4.2 (Illusion und Rilievo) sowie Kapitel II .4.3 (Rilievo und Medialität). Zum frühneuzeitlichen rilievo-Begriff bei Leonardo siehe weiter unten, Anm. 201–203. 124 Zitiert aus: Leonardo da Vinci, Il Codice Atlantico di Leonardo da Vinci nella Biblioteca Ambrosiana di Milano, hg. v. Augusto Marinoni, Bd. 12, Florenz 1980, f. 1082r. 125 Leonardo verwirklichte nur das Tonmodell des Reiterstandbildes, das bei der Besetzung des Herzogtums Mailand von den französischen Truppen zerstört wurde. Für das Tonmodell hatte der Künstler genaues Maß unterschiedlicher Pferde genommen, u. a. aus dem Stall von Galeazzo San Severino, dem Condottiere des Mailänder Heeres und engen Vertrauten Ludovico Sforzas. Leonardo notierte bspw. in einer Silberstiftzeichnung auf blau grundiertem Grund (Windsor, Royal Collection, RL 12319), dass die Studien ein Pferd Messer Galeazzos zeigten. Vgl. auch: Welch, Art and Authority, S. 256. Zum Projekt des Reiterstandbildes siehe: Kemp, Martin, »What is Good about Sculpture? Leonardo’s Paragone Revisited«, in: Leonardo da Vinci and the Art of Sculpture, hg. v. Gary M. Radke, Atlanta 2009, S. 63–82, S. 70, 80; Zöllner, Frank, Leonardo da Vinci 1452– 1519. Sämtliche Gemälde und Zeichnungen, Köln 2003, S. 230; sowie detaillierter und mit Blick auf Leonardos Studien von Techniken des Bronzegusses und Wachsabdrucks: Bernardoni, Andrea, »Leonardo and His Equestrian Monuments: Issues of Casting and Technique«, in: Leonardo da Vinci (1452–1519). The Design of the World, Ausst.kat., hg. v. Pietro C. Marani und Maria Teresa Fiorio, Mailand 2015, S. 143–153. 126 Zu Lomazzos Zitationen von Leonardo, in denen der Florentiner Künstler seine Arbeiten in Ton vorstellt, siehe 3.1, Anm. 101 und 108. Lomazzo lobt zudem eine Terrakottabüste
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erhaltene Skulptur eindeutig Leonardo zugeschrieben werden kann, lässt sich in seiner bildkünstlerischen Praxis in jedem Fall eine intensive und vielfältige Auseinandersetzung mit skulpturalem Arbeiten nachvollziehen.127 Die folgenden Fallstudien werden dies anhand von Dialogen zwischen Zeichnungen und Gemälden Leonardos sowie lombardischer Skulptur verdeutlichen.128 Christi von der Hand Leonardos und hebt deren Ausdrucksstärke und die dargestellten Gemütsbewegungen hervor. Manche Forscher identifizieren dieses Werk mit einer Terrakottabüste aus der Sammlung Gallandt in Frankreich, siehe: Pedretti, Carlo (Hg.), Leonardo e la pulzella di Camaiore. Inediti vinciani e capolavori della scultura lucchese del primo Rinascimento, Florenz 1998, S. 15; Kemp, Martin, »›Christo fanciullo‹«, in: Achademia Leonardi Vinci. Journal of Leonardo Studies & Bibliography of Vinciana, hg. v. Carlo Pedretti, 4 (1991), S. 171–176. Zur erwähnten Textstelle in Lomazzos Traktat siehe: Lomazzo, »Trattato«, S. 113. Paolo Giovio gibt Hinweis darauf, dass Leonardo die plastica der Malerei als Studienmodell für die Darstellung von rilievo auf der Fläche voranstellte: »Plasticem ante alia penicillo praeponebat, velut archetypum ad planas imagines exprimendas«. Giovio, Paolo, »Leonardi Vincii Vita«, in: Scritti d’Arte del Cinquecento, hg. v. Paola Barocchi, Bd. 1, Mailand 1971, S. 7–9, S. 7. In Barocchis italienischer Übersetzung lautet die Passage: »Anteponeva al pennello la plastica, come modello delle immagini da rappresentare in rilievo sul piano.« Ebd. Pomponio Gaurico erwähnt Leonardo als Schüler Verrocchios, der besonders für zwei Mailänder Werke bekannt sei: sein unvollendet gebliebenes »equo« (das Reiterstandbild) und das Gemälde des Abendmahls. Siehe: Gaurico, Pomponio, De Sculptura, hg. v. Paolo Cutolo, Neapel 1999, S. 254 (lateinischer Originaltext), S. 255 (italienische Übersetzung). 127 Für mögliche Zuschreibungen skulpturaler Werke an Leonardo siehe: Radke, Gary M., »Leonardo, Student of Sculpture«, in: Leonardo da Vinci and the Art of Sculpture, hg. v. dems., Atlanta 2009, S. 15–62, insbes. S. 38, 49; Kwakkelstein, Michael W., »The Use of Sculptural Models by Italian Renaissance Painters: Leonardo da Vinci’s Madonna of the Rocks Reconsidered in the Light of His Working Procedures«, in: Gazette des Beaux-Arts. La Cronique des Arts, 133 (1999), S. 181–198; Villata, Edoardo, »Leonardo plasticatore tra Firenze e Milano: proposte di metodo e di attribuzione«, in: Terrecotte nel Ducato di Milano. Artisti e cantieri del primo Rinascimento, hg. v. Maria Grazia Albertini Ottolenghi und Laura Basso, Pavia 2013, S. 271–287, hier v. a. S. 273 f., 279, 284. 128 Zum Verhältnis von Leonardos Malerei und Zeichnung zu skulpturalen Werken wurden bereits einige Studien vorgelegt. Ein Forschungsdesiderat war aber bisher noch eine Analyse des Verhältnisses von Leonardos Kunst und lombardischer Skulptur, das hier und im erwähnten Aufsatz anhand exemplarischer Konstellationen beleuchtet wird: BeckerSawatzky, »Leonardo’s Figures«. Davon abgesehen finden sich nur sehr vereinzelte Beobachtungen zu Leonardos Kunst und lombardischer Skulptur, die v. a. auf eine einseitige Einflussnahme abheben. Siehe z. B.: Fiorio, Maria Teresa, »Alla ›scuola del mondo‹: gli scultori milanesi di fronte al Cenacolo«, in: Il Genio e le Passioni. Leonardo e il Cenacolo. Precedenti, innovazioni, riflessi di un capolavoro, hg. v. Pietro C. Marani, Mailand 2001, S. 235–242; Fiorio, Maria Teresa, »Un rilievo riferibile a Bambaia e qualche osservazione sull’incidenza della pittura leonardesca sulla scultura lombarda«, in: Raccolta Vinciana, 13 (1989), S. 57–72, v. a. S. 58–66. Siehe zum Verhältnis von Leonardos Malerei und Zeichnung zur Skulptur mit starkem Fokus auf den Florentinischen Kontext: Fiorio, Maria Teresa, »Correspondences between Painting and Sculpture in the Work and Mind of Leonardo«, in: Leonardo da Vinci (1452–1519). The Design of the World, hg. v. Pietro
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Bereits zu Beginn seiner Karriere war Leonardo in einem Umfeld tätig, das vom Austausch und Wechselspiel zwischen den Künsten Malerei, Zeichnung und Skulptur mit ihren unterschiedlichen Materialien geprägt war, nämlich in der Florentiner Werkstatt des Goldschmieds, Bildhauers, Malers und Musikers Andrea del Verrocchio.129 Dort wurden Künstler in sehr verschiedenen Techniken und im Umgang mit sehr unterschiedlichen Materialien ausgebildet – dazu gehörten neben Zeichnung, Malerei und Marmorbildhauerei bspw. auch das Anfertigen von Gipsabdrucken oder das Arbeiten mit Wachs und Metallen.130 Dementsprechend bot sich dort die Möglichkeit, die Interaktionspotentiale der unterschiedlichen Medien, Materialien und Künste zu explorieren. Leonardo war also in einem Umfeld tätig, in dem er angesichts der variantenreichen Werkstattpraxis bestens für mediale und materiale Eigenheiten, Differenzen, Gemeinsamkeiten wie auch fließende Übergänge und Dialogmöglichkeiten im Arbeitsprozess sensibilisiert werden konnte. Frauenporträts in Malerei und Marmor In mehreren frühen Zeichnungen sowie den Frauenporträts manifestiert sich Leonardos Studium skulpturaler Modelle.131 Im Folgenden soll es um die Auseinandersetzung mit Stein und Skulptur gehen, die sich bspw. auch im frühen C. Marani und ders., Ausst.kat., Mailand 2015, S. 107–116; Kwakkelstein, Michael W., »Did Leonardo Always Practice What He Preached? Discrepancies between Leonardo’s Didactic Views on Painting and His Artistic Practice«, in: Letteratura & Arte. Rivista annuale, 9 (2011), S. 107–136; Radke, »Leonardo, Student of Sculpture«; Kwakkelstein, »The Use of Sculptural Models«. 129 Zu Verrocchios Werkstatt als Ausbildungsort Leonardos und als Ort des Austauschs unterschiedlicher Bildkünst(l)e(r) siehe: Kohl, »Verrocchio, Leonardo«. 130 Siehe: ebd., S. 49–52. Für das zeichnerische Studium von Gewändern wurden bspw. Skulpturen mit feuchten Leinenstoffen bekleidet, die dann auf Leinen abgezeichnet wurden, um die stoffliche, strukturelle Haptik der dreidimensionalen Modelle zu imitieren. Siehe: Viatte, Françoise (Hg.), Leonardo da Vinci. Die Gewandstudien, Léonard de Vinci – Les études de draperies, München 1990; Radke, »Leonardo, Student of Sculpture«, S. 17; Bambach, Carmen C., »Leonardo, Left-handed Draftsman and Writer«, in: Leonardo da Vinci, Master Draftsman, Ausst.kat., hg. v. ders., New Haven / London 2003, S. 31–58, S. 37; Rath, Markus, »Die Haptik der Bilder. Rilievo als Verkörperungsstrategie der Malerei«, in: Das haptische Bild. Körperhafte Bilderfahrung in der Neuzeit, hg. v. dems., Jörg Trempler und Iris Wenderholm, Berlin 2012, S. 3–29, S. 4, 15. 131 Zu Leonardos Studium skulpturaler Modelle in seinen frühen Werken siehe: Kohl, »Verrocchio, Leonardo«. Jeanette Kohl spricht pointiert von Leonardos »thinking in sculptural terms, even as a painter« (ebd., S. 54) und konstatiert: »[T]he years spent in Andrea’s workshop exposed the young Leonardo to his master’s rather unique emphasis on the immanence of sculpture, its mimetic potential of evoking truth and presence, its interactive potential to produce visual evidence through an interplay of touch and vision – what I will refer to here as the ›intelligence‹ of sculpture.« Ebd., S. 49. Siehe zu Leonardos Studien skulpturaler Modelle des Weiteren: Kwakkelstein, »The Use of
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Porträtgemälde der Ginevra de’ Benci (um 1475, Farbtafel 16 und 17) zeigt. Das Porträt der jungen, ernsten Frau von marmorähnlichem weißen Inkarnat vermag sowohl produktions- wie rezeptionsästhetisch in einen mitstreitenden Dialog mit Verrocchios vermutlich beinahe zeitgleich entstandener, nicht farbig gefasster, weißer Marmorbüste einer ähnlich jungen Frau mit Blumenbouquet (um 1475, Farbtafel 18) zu treten.132 Beide Bildnisse der Frauen mit zeitgenössischer Frisur und makelloser Schönheit inszenieren auf ihre Art und Weise ein ästhetisches Spiel mit blassweißer Haut und weißem Marmor, transparenter, schleierartiger Bluse sowie Glanzlichtern bzw. Oberflächenglanz.133 Der Beschnitt des unteren Randes von Leonardos Bildtafel lässt zudem vermuten, dass auch Leonardo die Dame – ähnlich der Marmorbüste Verrocchios – im Halbfigurenbild mit ihren Händen darstellte und damit ebenso eine gewisse Ähnlichkeit auf kompositorischer Ebene den Vergleich der beiden Werke weiterführte bzw. anregte.134 Leonardo spielt aber nicht allein auf der Vorderseite der Bildtafel mit Assoziationen zum Marmorstein – er imitiert außerdem auf der Rückseite der Holztafel rot gesprenkelten Porphyr als Hintergrund eines monochromen Emblems aus Lorbeer-, Ginster- und Palmzweigen sowie einer Schriftrolle mit dem lateinischen Motto Virtutem Forma Decorat (Farbtafel 17). Die Imitation des wertvollen, sehr harten und daher dauerhaften Porphyrs und die Referenz auf den würdevollen, traditionsreichen weißen Marmor verewigen die Porträtierte im gemalten Bild. Zudem wird Porphyr Künstlern im 15. Jahrhundert auch als perfekte Unterlage für das Zermahlen von Farbpigmenten empfohlen.135 In Leonardos Gemälde wird diese Funktionalisierung des Steins geistreich invertiert: Dort sind es die Farbpigmente, die den Stein erschaffen, der als Fundament
Sculptural Models«; Weil-Garris Brandt, Kathrin, »Leonardo e la scultura«, in: Lettura Vinciana, 38 (1999), S. 15–18. Zu Korrespondenzen zwischen Leonardos Zeichnungen und Malerei mit Florentinischen Skulpturen des 15. Jahrhunderts hat zudem Maria Teresa Fiorio eine Studie vorgelegt, in der sie den »constant exchange between painting and sculpture« in Verrocchios Werkstatt hervorhebt und Leonardos zeichnerische Praxis des steten (Über-)Formens der Figuren mit dem Vorgehen des plastischen Modellierens von Ton vergleicht. Fiorio, »Correspondences«, S. 111. 132 Vgl. zum marmorähnlichen Gesicht der Porträtierten: Weil-Garris Brandt, »Leonardo e la scultura«, S. 15 ff.; Fiorio, »Correspondences«, S. 114. Zu den vielfältigen paragonalen Aspekten des Gemäldes der Ginevra de’ Benci in produktionsästhetischem Dialog mit Verrocchios Skulptur siehe: Kohl, »Verrocchio, Leonardo«; sowie sehr ausführlich und neben der Skulptur auch andere Künste, wie die Dichtung, als Austauschpartner mit in den Blick nehmend: Hessler, Zum Paragone, S. 477–626. 133 Vgl. zum Spiel mit Schleier und Haut: Kohl, »Verrocchio, Leonardo«, S. 61 f., 72. 134 Eine Zeichnung Leonardos von überkreuzten Händen mit Blumen (Windsor, Royal Collection, RL 12558) stützt die Vermutung. Siehe: Kohl, »Verrocchio, Leonardo«, S. 62. 135 Die Porphyrtafel zum Zerreiben von Pigmenten empfiehlt bspw. Felice Feliciano in seinen Praecepta Colorum (1460). Siehe Hessler, Zum Paragone, S. 599–602.
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einerseits des emblematischen wie andererseits des figürlichen Porträts Ginevras bzw. ihrer quasi belebten Marmorbüste inszeniert wird. Auf derartige mitstreitende Interferenzen verweist – quasi als poetischer Fingerzeig – auch der Mailänder Perspektivmaler, der im Widmungsgedicht der Antiquarie prospetiche Romane Mitte der 1490er-Jahre Leonardo als siegreichen Vinci rühmt und dessen Handhabung der Zeichen- und Malmittel mit dem Schaffensprozess und Meißel des Bildhauers vergleicht: Victoria vince e vinci tu victore, vinci colle parole, un proprio Cato, e col disegno di sculpir sì grato che honor ti porti col ferro pictore Tal che dell’arte tua ogni auctore resta dal Vostro stil vinto e privato.136
In einem der Porträts, die Leonardo dann während seines ersten Mailand-Aufenthalt malte, setzt er den Dialog mit Marmorkunstwerken fort: Das Dreiviertelporträt der Dame mit dem Hermelin (um 1490, Farbtafel 19) zeigt eine junge Frau mit weißblasser Haut vor dunklem, nahezu schwarzem Grund mit einem weißen Hermelin auf ihrem Arm, den sie mit ihrer rechten Hand berührt.137 Die leicht diagonale Positionierung der Porträtierten im Bildraum, die angedeutete kontrapostische Drehbewegung ihres Oberkörpers und Kopfes sowie die Helldunkelkontraste verleihen ihrem Bildnis eine starke plastische Wirkung und
136 Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane composte per prospectivo melanese depictore, hg. v. Giovanni Agosti und Dante Isella, Parma 2004, Widmungs- Sonett Nr. 2. Siehe für eine ausführliche Analyse des Bramantino zugeschriebenen Buches: Kapitel 2.1. 137 Siehe zur Datierung, Ikonographie und stilistischen Einordung des Gemäldes und der Identifizierung der Dargestellten mit Ludovico Sforzas Geliebten Cecilia Gallerani: Syson, Luke, »Leonardo da Vinci. The Lady with the Ermine«, in: Leonardo da Vinci. Painter at the Court of Milan, Ausst.kat., hg. v. dems. und Larry Keith Syson, London 2011, Katalog-Nr. 10, S. 111–113; Weppelmann, Stefan, »Zum Schulterblick des Hermelins – Ähnlichkeit im Portrait der italienischen Frührenaissance«, in: Gesichter der Renaissance. Meisterwerke italienischer Porträtkunst, Ausst.kat., hg. v. dems. und Keith Christiansen, München 2011, S. 72–75; Ballarin, Alessandro, »Nota sul ritratto di Cecilia Gallerani [1996–2000]«, in: Leonardo a Milano. Problemi di Leonardismo Milanese tra Quattrocento e Cinquecento. Giovanni Antonio Boltraffio prima della Pala Casio, Bd. 1, Verona 2010, S. 233–257; Marani, Pietro C., »La Dama con l’ermellino e il ritratto milanese tra Quattrocento e Cinquecento«, in: Leonardiana. Studi e saggi su Leonardo da Vinci, hg. v. dems., Mailand 2010, S. 125–153. Zur Referenz auf Werke von Antonello da Messina und flämischen Meistern durch die Wahl des einfarbig dunklen Grundes, die starken Helldunkelkontraste sowie das Close-up-Format siehe die Ausführungen zum Porträt des Mannes mit Notenblatt in Kapitel 2.3.2 (Farbtafel 12).
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damit körperliche Präsenz. Die antithetische Rotation von Kopf zu Schultern sowie der elegante Linienverlauf der gedrehten Silhouette und Handhaltung der Frau wiederholen sich in der Körperhaltung des Wiesels. Das Tier kann als Verweis auf den Mailänder Herzog Ludovico il Moro aufgefasst werden, der 1486 in den ritterlichen Hermelinorden aufgenommen worden war, vom Hofdichter Bernardino Bellincioni als »italico morel bianco ermellino« bezeichnet wurde und dessen langjährige Geliebte Cecilia Gallerani hieß, deren Nachnamen wiederum dem griechischen Namen der Mardertiere, γαλέη, ähnelt.138 Cecilia wird auch als die Porträtierte vermutet, die im übertragenen Sinn ihren Geliebten im Arm hält.139 Sie blickt an dem oder der Betrachtenden vor dem Bild vorbei, während sie sich zugleich ihm bzw. ihr aus dem dunklen Hintergrund entgegen zu drehen scheint, rilievo annimmt und nahezu lebendig anmutet. Im Anschluss an den Dialog zwischen Leonardos Porträt der Ginevra de’ Benci und Verrocchios Marmorbüste einer jungen Frau und im Anschluss an deren gemeinsames ästhetisches Spiel von ebenmäßig schimmernder, weißlicher Haut, transparentem Textil, weißem Marmor und pointiert ins Bild gesetzten eleganten Handgesten – die vermutlich auch in Leonardos nachträglich beschnittenem Bildnis dargestellt waren – setzt der toskanische Künstler den Austausch im Mailänder Bild der Dame mit dem Hermelin fort. Diesmal wird der paragonale Dialog um die prononcierte Evokation von körperlicher Präsenz durch rilievo vertieft. Nicht nur ein Mitstreit mit Verrocchios Marmorbüste der jungen Frau erweist sich dabei als produktiv. Auch der vergleichende Blick auf skulpturale Werke in Leonardos Mailänder Umfeld eröffnet ertragreiche Perspektiven auf bildkünstlerische Paragoni. Ein besonders interessantes Werk, das im Zusammenhang mit dem Bildnis der Dame mit Hermelin in der bisherigen Forschung unbeachtet blieb, ist ein Marmorrelief der Madonna mit Kind (Farbtafel 20) aus den späten 1470er-Jahren. Vermutlich als kleiner Altar oder aber als Teil eines Monuments konzipiert, wird das Relief am schlüssigsten dem Mailänder Bildhauer Giovanni Antonio Piatti zugeschrieben – eventuell in Zusammen-
138 Die chiastische Bezeichnung Ludovicos als »italico morel bianco ermellino« findet sich im Sonett 128 »Della prudenzia del signor Ludovico« in Bernardino Bellincionis Rime (erstmals posthum 1493 erschienen): Bellincioni, Bernardino, Le Rime di Bernardino Bellincioni riscontrate sui manoscritti, hg. v. Pietro Fanfani, Bologna 1876, Sonett 128, S. 178; vgl. auch: Pedretti, Carlo, »A. D. 1493«, in: Achademia Leonardi Vinci. Journal of Leonardo Studies and Bibliography of Vinciana, 6 (1993), S. 131–141, S. 131 f. Zu Ludovicos Zugehörigkeit zum Hermelinorden siehe: Pedretti, Carlo, »La ›Dama dell’Ermellino‹ come allegoria politica«, in: Studi politici in onore di Luigi Firpo, hg. v. Silvia Rota Ghibaudi und Franco Barcia, Bd. 1, Mailand 1990, S. 161–181. 139 Evelyn Welch schließt nicht aus, dass Cecilia Gallerani, die über ein beträchtliches Einkommen verfügte, das Bildnis selbst in Auftrag gegeben und bezahlt haben könnte. Siehe: Welch, Art and Authority, S. 256.
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arbeit mit Giovanni Antonio Amadeo.140 Von welcher Funktion des Werkes man auch ausgehen mag – das Relief scheint in jedem Fall im ästhetischen Diskurs der Lombardei jener Zeit präsent bzw. bekannt gewesen zu sein, wie bspw. die Referenzen auf Piattis Madonna in Bramantinos Madonna lactans (ca. 1485, Museum of Fine Arts, Boston) ebenfalls nahelegen.141 Piattis Mutterkindgruppe ist so aus dem Stein gehauen, dass sie in starker Plastizität aus der Grundfläche des Reliefs hervorragt. Besonders der leicht nach links vorn geneigte Kopf Mariens, ihre linke Hand und ihr rechter Ellenbogen, aber auch der linke Arm und Hinterkopf des Kindes sind stark plastisch ausgearbeitet und ragen in den Betrachterraum hinein. Die Falten der Gewänder, die Haare sowie die Grundfläche des Reliefs sind ebenfalls detailreich und haptisch differenziert strukturiert. Spuren von Vergoldungen im Bereich der Haare und Kleidung der beiden Figuren zeugen zudem von einer ursprünglich nicht rein farblosen Fassung der Reliefskulptur.142 Gesicht, Hals, linke Brust und Hände Mariens sowie Gesicht, Arme und Beine des Kindes wurden hingegen materialsichtig belassen, wodurch der weiße und an gerade jenen Stellen glatt polierte Marmor weiche, blassweiße Haut evoziert. Unterschiedliche Stofflichkeiten werden demnach über den Wechsel von farblicher Fassung und Materialsichtigkeit sowie über verschiedene Oberflächenbehandlungen differenziert. Haare, Textilien und Hintergrund sind deutlich von den Partien ebenmäßiger Haut abgesetzt. Die unterschiedlichen plastisch modellierten Höhen und Tiefen der Steinplatte machen derweil die vielfältigen, suggestiven Potentiale der Reliefkunst produktiv und anschaulich. Die Evokation von sowohl Raumtiefe, als auch Plastizität, von körperlicher Präsenz und Bewegung aus der Fläche heraus sind ebenfalls ein äußerst relevantes Thema im Gemälde der Dame mit dem Hermelin und dort qua genuin malerischer Mittel gestaltet – etwa durch die kontrastreiche Lichtregie und Farbgebung der Figuren, weiche Konturauflösungen, die Modellierung unterschiedlicher Stofflichkeiten wie Haut, Fell und edlen Textilen sowie die oben beschriebene angeschrägte Positionierung der Porträtierten und des Wiesels im
140 Zu Giovanni Antonio Piatti und seinem Marmorrelief als Teil eines Monuments siehe: Tanzi, Marco, »Giovanni Antonio Piatti e la messa in opera del monumento per Giovanni Borromeo«, in: Scultura lombarda del Rinascimento. I monumenti Borromeo, hg. v. Mauro Natale, Turin 1997, S. 251–258, v. a. S. 254; zur Debatte um die Zuschreibung und die Situierung des Reliefs im Kontext der Teamarbeit von Piatti und Amadeo an der Certosa di Pavia und der Funktion des Reliefs als Hausaltar siehe: Zani, Vito, »Società Amadeo-Piatti, Madonna con il Bambino o Madonna allattante il Bambino, 1474–1478 circa«, in: Bramantino. L’arte nuova del Rinascimento lombardo, Ausst.kat., hg. v. Mauro Natale, Mailand 2014, Katalog-Nr. 3, S. 90. Zum Team der Künstler, die an der Certosa di Pavia tätig waren siehe unten Anm. 153. 141 Zu Bramantinos Referenz auf das Marmorrelief siehe: Zani, »Società Amadeo-Piatti«. 142 Siehe ebd.
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Bildraum. Zusätzlich zu einem Mitstreit um die medialen und materialen Möglichkeiten und Eigenschaften der Gestaltung von rilievo in der Malerei respektive im Marmorrelief fällt das gemeinsame Interesse der Künstler am Motiv der feingliedrigen Hände und dem quasi mühelosen Halten des geliebten Kindes im Falle des Reliefs bzw. des geliebten bianco ermellino im Falle des Gemäldes auf. In Piattis Skulptur hält die Madonna mit ihren langen, dünnen Fingern in kunstvoll eleganter Pose das Kind nahezu schwerelos auf Daumen und Fingerspitzen. Die artifizielle Pose und die dadurch entstehende pointierte, zarte, aber offenbar kraftvolle Berührung finden sich auch in Leonardos Gemälde. Dort sind sie vom sakralen Sujet ins Porträt einer Hofdame transferiert, die ein zahmes oder doch noch wildes Tier – es bleibt ambig – in ihrem Arm hält, das ihren Geliebten zu symbolisieren vermag. Die Geste wird Teil der Konfiguration eleganter weiblicher Schönheit und eines ästhetisch-intellektuellen Spiels mit dem Oszillieren von profanen und sakralen Konnotationen bzw. Bildtraditionen. Ähnliche Beobachtungen zum Motiv der langgliedrigen Hände in eleganter, sanfter und zugleich kraftvoller Haltung lassen sich in Giovanni Antonio Amadeos Marmorskulptur der Madonna mit Kind (Abb. 3.01) am Grabmalmonument von Medea Colleoni machen, das zwischen 1470 und 1475 entstand und ursprünglich im Santuario Santa Maria della Basella in Urgnano bei Bergamo aufgestellt war.143 In Amadeos Mutterkindgruppe berühren und halten die Hände Mariens das scheinbar energiegeladen nach vorne schreitende Kind nur punktuell und dabei – wie bereits in den Werken Piattis und Leonardos beobachtet – mühelos und effektvoll zugleich. Mit Blick auf Leonardos Porträt erscheint insbesondere die spannungsreiche Kombination der Agilität des Kindes auf dem Schoss der Mutter mit der Position ihrer feingliedrigen Hände inspirierend gewesen sein zu können, denn eine vergleichbar lebhafte Spannung findet sich bei der Dame mit dem Hermelin. Anders gelagert als der soeben beschriebene ästhetische Mitstreit mit Piattis und Amadeos Madonnenskulpturen ist ein stärker agonaler Paragone zu denken, der sich zwischen Leonardos Gemälde und Gian Cristoforo Romanos Marmorbüste der Beatrice d’Este (Abb. 3.02) entspannt haben könnte. Beide Künstler waren zwischen 1491 und 1497 in Mailand tätig. Wie im vorausgegangenen Unterkapitel ausgeführt, lässt sich Romano als Konkurrent Leonardos am Sforza-Hof sehr schlüssig mit dem »scultore che dice« aus den Paragone-Passagen 143 Zum Grabmal siehe: Zambrano, Patrizia, »›Al museo delle tombe‹. Tipologie funerarie in Lombardia nel primo Rinascimento«, in: Scultura lombarda del Rinascimento. I monumenti Borromeo, hg. v. Mauro Natale, Turin 1997, S. 19–45, S. 31. 1842 wurde das Grabmal in die Cappella Colleoni in Bergamo gebracht. Zum soziopolitischen Verhältnis von Mailand, Bergamo und Umgebung Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts siehe bündig: Campbell, Stephen J., The Endless Periphery. Toward a Geopolitics of Art in Lorenzo Lotto’s Italy, Chicago / London 2019, S. 37 f.
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Abb. 3.01: Giovanni Antonio Amadeo, Madonna mit Kind, Detail Grabmal der Medea Colleoni, 1470–1480 ca., Marmor, ehemals in Santa Maria di Barsella nahe Urgnano, heute Cappella Colleoni, Bergamo © Bologna, Fototeca Zeri
des Codex Urbinas ineins bringen.144 Weder für Leonardos Bildnis noch für Romanos Büste sind Dokumente erhalten, die eine exakte Datierung erlauben. Während Leonardos Gemälde zumeist um 1489/1490 datiert wird, lässt sich die Entstehung von Romanos Skulptur nur in den Zeitraum zwischen 1490 und 1497 eingrenzen. Im Jahr 1491 heirateten Beatrice d’Este und Ludovico Sforza. Je nach Entstehungsjahr also konnte sich ein beinahe zeitgleicher Agon oder eine paragonale Bezugnahme von Romanos Büste der Ehefrau des Herzogs auf Leonardos Porträt von dessen früherer Geliebten entspannen. Neben die Konkurrenz der Künstler und Künste konnte in diesem Fall auch die Konkurrenz der Porträtierten treten. Die beiden Werke sind in ihrer konkreten Gestaltung, Motivik und Konzeption dabei dezidiert verschieden. Denn während sich Ähnlichkeiten lediglich bei den modischen Frisuren und der Mimik finden, unterscheiden sich Bildausschnitt, Rahmung, Rezeptionsästhetik sowie Bildtypus deutlich voneinander. Auf der einen Seite des höfisch kodierten Paragone von Tafelmalerei 144 Siehe Kapitel 3.1, Anm. 45.
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Mitstreit und Agon von Malerei und Skulptur
Abb. 3.02: Gian Cristoforo Romano, Porträtbüste der Beatrice d’Este, um 1490, 59,5 × 30 × 24,3 cm, Marmor, Louvre, Paris © Bologna, Fototeca Zeri
und Marmorskulptur ist Cecilia im intimen Close-up-Format und als Halbfigur dargestellt. Ihr Bildnis mit dem Hermelin spielt mit semantischer Ambiguität, agilen Bewegungsmotiven und der Spannung von Nähe und Distanz, wodurch ein involviertes, fantasieanregendes Bild-Betrachter-Verhältnis gefördert wird. Auf der anderen Seite steht das Bildnis der Beatrice d’Este im repräsentativen Format einer Büste aus weißem Marmor, dem Material der gelehrten Antikenrezeption und Herrscherbildnisse. Sie ist ohne Arme nur bis zu den Schultern sowie mit einer Art ornamental verzierten Scherpe dargestellt und auf einem elegant geschwungenen Sockel mit Inschrift postiert – enthoben und entrückt. Nach diesen werkimmanenten Paragoni zu Themen weiblicher Schönheit, ehr- und erinnerungswürdigen, anmutig in sich ruhenden Porträts, die sich
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zwischen Leonardos Frauenporträts und Marmorskulpturen der Madonna mit Kind bzw. einer Herzogin entfalten konnten bzw. können, werden die folgenden Fallbeispiele einen ungeschriebenen Mitstreit zwischen Zeichnung, Malerei und Terrakottawerken nachvollziehbar werden lassen. Terrakotta, Kreide und Expressivität Die zu Beginn von Kapitel 3 besprochenen schriftlichen Ausführungen und Notizen Leonardos, in denen er das Arbeiten in Ton bzw. Terrakotta wertschätzt und eigenhändig modellierte plastische Figurenstudien beschreibt, geben bereits wertvolle Hinweise auf das nachhaltige Interesse des Künstlers an Terrakottawerken.145 Auf einem Zeichnungsblatt mit zahlreichen Pferde- und Figurenstudien (Windsor, Royal Collection, RL 12328r) notierte Leonardo außerdem, dass er ein kleines vollplastisches Wachsmodell anfertigen wolle: »fanne un picholo dj cera lungho un djto«.146 Und der Vermerk »cavata de relevo« auf einer roten Kreidezeichnung eines männlichen Kopfes im Profil mit markant herausgearbeiteten anatomischen Details (Abb. 3.03) aus Leonardos direktem künstlerischen Umfeld unterstreicht einmal mehr die gängige Praxis des zeichnerischen Studierens von Tonmodellen.147 Doch auch das produktionsästhetische Detail, dass Leonardo im frühen Mailänder Gemälde der Felsgrottenmadonna (ca. 1483–86, Paris, Musée du Louvre) stellenweise ähnlich des plasticatore direkt mit den Fingern zu arbeiten schien, deutet auf ein vielfältiges Erproben von Interaktionen zwei- und dreidimensionalen Modellierens von rilievo hin.148 145 Siehe Kapitel 3.1, Anm. 101 und 108 für Leonardos Wertschätzung der plastica und Anmerkungen zu eigenen Werken in Ton bzw. Terrakotta; siehe oben Anm. 125 für das Projekt des Reiterstandbildes und das dafür angefertigte Tonmodell. 146 Siehe: Kwakkelstein, »The Use of Sculptural Models«, S. 185 f. Die Praxis, als Maler im Werkprozess fingergroße Wachsmodelle anzufertigen, beschreibt Bernardino Campi einige Jahrzehnte später ausführlich in seinem Parer sopra la pittura, wie in Kapitel 3.1 dargelegt. Auf f. 43r des Manuskript A (ca. 1490–1492, Paris, Institut de France) sowie auf f. 189v des Codex Atlanticus (ca. 1498, Mailand, Biblioteca Ambrosiana) setzt sich Leonardo zudem mit der Vermessung des menschlichen Körpers und der Übertragung der Maße von Tonmodellen auf Marmorskulpturen auseinander – ein weiterer Hinweis auf sein Arbeiten mit Tonmodellen, aber auch die Auseinandersetzung mit Leon Battista Albertis De statua (ca. 1464). Siehe hierzu: Marani, Pietro C., »Leonardo, the Vitruvian Man, and the De sstatua Treatise«, in: Leonardo da Vinci and the Art of Sculpture, hg. v. Gary M. Radke, Atlanta 2009, S. 83–94, S. 84 f.; Pedretti, Carlo, »A Poem to Sculpture«, in: Achademia Leonardi Vinci, 2 (1989), S. 11–39, S. 37 ff. 147 Siehe: Kwakkelstein, »The Use of Sculptural Models«, S. 181 ff. 148 Siehe: Pedretti, Leonardo e la pulzella, S. 37–39. Leonardos Auseinandersetzung mit Skulptur zeigt sich in der Felsgrottenmadonna außerdem in der Figur des Jesuskindes, dessen Haltung auf das Studium der antiken Marmorskulptur eines kleinen Jungen mit Gans (römische Kopie einer hellenistischen
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Abb. 3.03: Francesco Melzi (?), männliche Profilbüste mit Annotationen, rote Kreide, Biblioteca Ambrosiana, Mailand © Veneranda Biblioteca Ambrosiana
Wie intensiv und vielseitig die Auseinandersetzung mit Terrakottawerken in Leonardos künstlerischer Praxis war, zeigt sich anhand werkimmanenter Dialoge, in die zum einen Entwurfszeichnungen sowie Malerei des großformatigen Abendmahl-Bildes im Refektorium der Mailänder Kirche Santa Maria delle Grazie involviert sind und zum anderen Terrakotta-Köpfe bzw. -Büsten in Tondi sowie lebensgroße, vollplastische Beweinungen in Terrakotta. Das Bindeglied der medial- und materialgebundenen, mitstreitenden Dialoge ist erneut die GeStatue, Vatikanstadt, Galleria dei Candelabri, Vatikanische Museen) aus der Sammlung von Lorenzo il Magnifico verweist. Siehe: Syson, Luke, »The Rewards of Service. Leonardo da Vinci and the Duke of Milan«, in: Leonardo da Vinci. Painter at the Court of Milan, Ausst.kat., hg. v. dems. und Larry Keith, London 2011, S. 12–53, S. 27.
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staltung von Plastizität, aber diesmal gekoppelt an eine äußerst kommunikative Lebendigkeit und expressive Ausdrucksstärke. Als Leonardo 1482/83 nach Mailand kam, prägten mehrere prestigeträchtige – teils kurz zuvor vollendete, teils noch in Arbeit befindliche – Großprojekte die lombardische Kunstszene und deren Produktion skulpturaler Werke. Der Banco Mediceo sowie der Ospedale Maggiore in Mailand, die Certosa in Pavia, aber v. a. auch das neu begonnene Projekt der Mailänder Kirche Santa Maria presso San Satiro erwiesen sich als Knotenpunkte künstlerischen Austauschs. Prominente Bildhauerwerkstätte wie jene Giovanni Antonio Amadeos sowie der Mantegazza-, Solari- und Cazzaniga-Familien kollaborierten miteinander und mit renommierten artists in residence wie Filarete und Donato Bramante. Charakteristisch für die Bildprogramme der sowohl profanen als auch sakralen Großprojekte war das nahezu omnipräsente Motiv von (überwiegend männlichen) Köpfen bzw. Büsten in Medaillons an den Innen- und Außenwänden der Bauten (Farbtafeln 21–26, Abb. 3.04–3.12).149 Sie wurden variationsreich im Profil, frontal, in Dreiviertel- und Rückenansicht, als Flachrelief und nahezu vollplastisch, in Marmor und in Terrakotta, polychrom und materialsichtig dargestellt. Die Motivik bzw. das Darstellungsthema kam in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im lombardischen Diskurs stark in Mode – zunächst v. a. in den skulpturalen, gegen Ende des 16. Jahrhunderts zunehmend auch in den malerischen Ausstattungen von Innenräumen und Außenwänden.150 Anstoß gab die kreative Auseinandersetzung mit der römisch-antiken Darstellungstradition herrschaftlicher und mitunter mythologischer Rundporträts, imagines clipeatae, die in Friesen sowie auf Münzen und Medaillen zu finden waren und die über Münzsammlungen, Manuskripte und Zeichnungen antiker Bauten und Sarkophage rezipiert wurden.151 149 Einen Überblick zu den Bildprogrammen der Großbaustellen in Mailand und Pavia liefert: Fiorio, Maria Teresa, »La scultura rinascimentale nei cantieri di Milano e di Pavia: modelli, temi e confronti«, in: Scultura in Lombardia. Arti plastiche a Brescia e nel Bresciano dal XV al XX secolo, hg. v. Valerio Terraroli, Mailand 2011, S. 101–137, hier v. a. S. 112. Die Prominenz des Motivs der rundgerahmten Köpfe bzw. Büsten zeigt sich bspw. auch in einer Zeichnung Bramantes vom Innenraum eines Tempels, die durch den Kupferstich (Abb. 3.28) von Bernardo Prevedari 1481 in Mailand bekannt wurde, sowie in einem Marmorrelief der Geißelung Christi von Antonio Mantegazza (Abb. 3.27). Siehe zu dem als Prevedari-Stich bekannten Werk die aufschlussreiche Bildanalyse Patricia Emisons: Emison, Patricia, »Whittling down the Istoria«, in: Subject as Aporia in Early Modern Art, hg. v. Alexander Nagel und Lorenzo Pericolo, Farnham 2010, S. 71–85. Siehe zum Marmorrelief weiter unten Kapitel 3.4. 150 Zu Beispielen des Motivs in der Malerei siehe unten Anm. 152 sowie Kapitel 4.1. 151 Siehe: Schofield, »Avoiding Rome«, S. 30; Bandera Bistoletti, Sandrina, Agostino de’ Fondulis e la riscoperta della terracotta nel Rinascimento Lombardo, Crema 1997, S. 44 f.; Dell’Acqua, Gian Alberto, »Le teste all’antica del Banco Mediceo a Milano«, in: Paragone, 34 (1983), S. 48–55.
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Mitstreit und Agon von Malerei und Skulptur
Abb. 3.04: Teams lombardischer Bildhauer (u. a. Giovanni Antonio Amadeo, Cristoforo und Antonio Mantegazza, Antonio della Porta), Hauptfassade der Certosa di Pavia, 1473–1490er-Jahre, Marmor, Karthause, Pavia – Foto: privat
Ein prägnantes Beispiel für die vielfältigen Adaptionsweisen, Darstellungsmodi und Explorationen der Motivik bietet die Ausstattung der Certosa di Pavia. Im Ausstattungskomplex der Karthause finden sich imagines clipeatae sowohl
Das Interesse an den imagines clipeatae antiker Caesaren-Porträts wurde auch durch ein Epigramm Francesco Filelfos gefördert, der Mitte des 15. Jahrhunderts den Mailänder Herzog Francesco Sforza als ›novello Cesare‹ und als Modell von antiker Tugendhaftigkeit feierte. Für eine materialreiche, vergleichende Studie zur Rezeption antiker Porträts in der quattrocentesken Skulptur unterschiedlicher Regionen Italiens siehe: Bacci, Francesca Maria, »Ritratti di Imperatori nella scultura italiana del Quattrocento«, in: Ritratti di Imperatori e profili all’antica. Scultura del Quattrocento nel Museo Stefano Bardini, Ausst.kat., hg. v. Antonella Nesi, Florenz 2012, S. 21–98.
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Abb. 3.05: Lombardische Bildhauer, Imagines clipeatae, Detail der Sockelzone der Hauptfassade der Certosa di Pavia, Flachreliefs, Marmor, Karthause, Pavia – Foto: privat
Abb. 3.06: Team lombardischer und eines venezianischen Bildhauers (Cristoforo Mantegazza, Giovanni Antonio Amadeo, Rinaldo de’ Stauris, Antonio Rizzo), Detailausschnitt der rundgerahmten Figurenbüsten (Propheten und Aposteln), Anfang 1490er-Jahre, Terrakotta, Chorrundgang, Certosa di Pavia – Foto: privat
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Abb. 3.07: Team lombardischer und eines venezianischen Bildhauers (Cristoforo Mantegazza, Giovanni Antonio Amadeo, Rinaldo de’ Stauris, Antonio Rizzo), Detailausschnitt der rundgerahmten Figurenbüsten (Propheten und Aposteln), Anfang 1490er-Jahre, Terrakotta, Chorrundgang, Certosa di Pavia – Foto: privat
Abb. 3.08: Lombardischer Meister (Ambrogio Bergognone?), figürliche und ornamentale Wandmalerei mit fingierten Puttifriesen, Grotesken und männlichen Büsten in Oculi, um 1490/1495, Freskomalerei, Querschiff, Innenraum, Kirche der Certosa di Pavia © Leonardo Bellotti, Paesaggioitaliano.eu
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an den Außenwänden in Marmor und Terrakotta als auch im Innenbereich als Wandmalerei (Farbtafel 21, Abb. 3.04–3.08).152 An der Fassade des Hauptportals, die ab 1473 zunächst vom Bildhauer-Team Giovanni Antonio Amadeo, Cristoforo Mantegazza und Antonio Mantegazza und ab 1492 von Amadeo, Antonio Mantegazza sowie Antonio della Porta (genannt Tamagnino) und wohl auch in Zusammenarbeit mit Benedetto Briosco und Cristoforo Solari gestaltet wurde, finden sich u. a. zahlreiche rundgerahmte Porträts vornehmlich antiker Persönlichkeiten in der horizontalen Sockelzone.153 Sie sind als Flachreliefs in weißen Marmor gemeißelt und mit Inschriften versehen, während die vertikalen Pilaster von weiteren imagines clipeatae mit teils buntfarbigem Steingrund sowie vereinzelt von Heiligenbüsten mit stärkerer Tiefendimension geschmückt sind (Abb. 3.04, 3.05). 1480 beobachtet der Florentiner Giovanni Ridolfi zum Beginn der Arbeiten an der Fassade der Karthause bereits einige der »teste antiche di marmo tracte di medagle[.]«154 Aus dem beständigen, weißen, wertvollen Marmor gearbeitet, sind die Köpfe bzw. Gesichter der Figuren v. a. in der Sockelzone zumeist im Profil und in statischen, mimikarmen Ansichten dargestellt. Dadurch werden idealisierte, repräsentative Porträts konfiguriert. Dass gerade 152 Da es in diesem Kapitel nur insofern um die Motivik der Büsten in Tondi geht, als sie für den paragonalen Dialog mit Werken Leonardos relevant sind, werden die gemalten Büsten im Innenraum der Kirche (Abb. 3.08) an dieser Stelle nicht weiter besprochen, finden in Kapitel 4.1 nochmals kurz Erwähnung. 153 Zur kollaborativen Arbeitspraxis in der Lombardei, für die in diesem Unterkapitel noch weitere Beispiele folgen, vgl. auch Kapitel 2.3.2; sowie hier ebenso: Welch, Art and Authority, S. 252. Zu den Datierungen der imagines clipeatae an der Fassade der Karthause, den verantwortlichen Künstlergruppen und Zuschreibungen siehe: Morscheck, Charles R., »The Certosa Medallions in Perspective«, in: Arte Lombarda, Nuova serie, 123 (1998), S. 5–10. Morscheck geht davon aus, dass alle oben genannten Künstler jeweils an unterschiedlichen Medaillons gearbeitet haben. Er liefert ausführliche stilistische Analysen und Zuschreibungsversuche. Zudem betont er die künstlerische Qualität und Kreativität bei der Gestaltung der Medaillons und im Umgang mit antiken Referenzwerken: »[T]he medallions of the façade of the Certosa di Pavia, far from being mere, partially-successful attempts by anonymous craftsmen to imitate ancient coins, are masterpieces by several of the greatest sculptors of the Italian Renaissance. Imitation of ancient coins was not so much the end of these sculptors as it was the means and the point of departure for their creative invention.« Ebd., S. 10. 154 Siehe zu Ridolfis Beschreibung und dem Zitat samt seinem Kontext: Schofield, Richard, »Giovanni Ridolfi’s Description of the Façade of the Certosa di Pavia in 1480«, in: La scultura decorativa del Primo Rinascimento, hg. v. Istituto di Storia dell’Arte dell’Università di Pavia, Rom 1983, S. 95–102; siehe auch: Shell, Janice, »Amadeo, Mantegazza, and the Façade of the Certosa di Pavia«, in: Giovanni Antonio Amadeo. Scultura e architettura del suo tempo, hg. v. ders. und Liana Castelfranchi, Mailand 1993, S. 189–212, S. 196; Schofield, »Avoiding Rome«. Zur Certosa di Pavia siehe: Morscheck, Charles R., Relief Sculpture for the Facade of the Certosa di Pavia (1473–1499), New York 1978, S. 131 f.; Fiorio, »La scultura rinascimentale«, S. 105.
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weißer Marmor als nobles Bildmaterial angesehen wurde, das sich für erinnerungswürdige, schöne, feierlich ernste Sujets und insbesondere für Porträts, Statuen und Grabmäler würdevoller Personen eignete, macht bspw. Filarete in seinem Mailänder libro architettonico explizit: E perché il marmo è una pietra che, benché non sia fine, nientedimeno ell’è più gentile e più nobile […]. [I marmi bianchi] sono quando tu volessi fare una cosa solenne e molto bella, cioè a dire qualche simulacro, cioè statua, di qualche persona degna, o sepoltura di santo o d’altra cosa che avesse a rappresentare memorabile effetto.155
Die Erläuterungen des vermutlichen Lehrmeisters von Giovanni Antonio Amadeo dokumentieren die Aufmerksamkeit für die Interaktion und Interdependenz von Materialität, Ikonographie, Semantik und Ästhetik im lombardischen Diskurs der Zeit bzw. die historische Konzeption materialästhetischer und -semantischer Aspekte.156 Und während für die Hauptfassade in Pavia und die dort ausgestellte Gelehrsamkeit und Repräsentativität das Motiv der Rundporträts in vorwiegend flachen Marmorreliefs ausgestaltet ist, finden sich in den Innenhöfen der Karthause und den Chorgängen andere Spielarten im Umgang mit den imagines clipeatae. Rundgerahmte Köpfe und Büsten von Propheten und Aposteln sind dort in rotbraunem Ton modelliert und ragen stark plastisch aus der Fläche in den Raum hinein (Farbtafel 21, Abb. 3.06, 3.07).157 Die Büsten von Männern unterschiedlichen Alters sind in variationsreichen Positionen dargestellt und können beim Wandeln im Garten und Chorgang aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden. Haare und Gesichtsfalten sind detailliert modelliert und größtenteils sind nicht nur die Gesichter dargestellt, sondern auch die gestikulierenden Hände und Arme. Einige halten Schriftrollen, andere Bücher, manche zählen an ihren Fingern Argumente bzw. Gebote auf, andere weisen gen Himmel, einige scheinen in sich gekehrt, andere qua Körperhaltung und Blick mit einer benachbarten Figur in Austausch zu treten. Die im Vergleich zum weißschimmernden, polierten Marmor mattsanfte Oberflächenästhetik der Terrakotta mit ihrem warmen Farbton verleiht den kommunikativen Fi155 Zitiert nach: Tigler, Die Architekturtheorie des Filarete, S. 131. Filarete bespricht in jenem Zusammenhang unterschiedliche Arten, Farbigkeit, Maserungen und Herkunftsorte von Marmor und lobt dabei die Marmorsorten, die um Mailand und Bergamo abgebaut werden für die dortigen Bauten und Skulpturprojekte. 156 Zu Amadeo als Schüler Filaretes siehe: Damiani Cabrini, »L’incanto delle ›pietre vive‹«, S. 261 f. 157 Geformt wurden die Terrakotta-Büsten erneut von einem Team mehrerer Künstler. John Pope-Hennessy erwähnt bspw. Cristoforo Mantegazza, Amadeo und den Veroneser Antonio Rizzo. Siehe: Pope-Hennessy, John, Italian Renaissance Sculpture. An Introduction to Italian Sculpture, Oxford 1986, S. 77.
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guren eine starke Lebendigkeitswirkung. In ihrer Materialität, Plastizität und Expressivität erzeugen die materialsichtigen rotbraunen Terrakottabüsten eine dezidiert andere Wirkungsästhetik als die repräsentativen, betont ernsthaft ruhigen, still gestellten Rundporträts der Marmorreliefs. Die Terrakottafiguren sind nicht vornehmlich als Erinnerungsbilder von Würdenträgern konzipiert, sondern auf Kommunikation im devotionalen Funktionskontext des Chorrundgangs ausgerichtet. Die antike Tradition wird allenfalls noch durch das Medaillenformat aufgerufen, die Motivik stark variiert und mit anderen Figurentypen weiterentwickelt.158 In der Zusammenschau der Köpfe bzw. Büsten in Tondi an den unterschiedlichen Außenwänden der Certosa wird deutlich, dass das beliebte Motiv je nach Materialien und Reliefarten gewandelt wird und unterschiedliche Gemütsregungen und Ausdrucksformen exploriert und differenziert werden.159 Auch am Banco Mediceo hatten Amadeo und Kollegen rundgerahmte männliche Büsten in der vergleichsweise preiswerten Terrakotta modelliert (Farbtafeln 22 und 23, Abb. 3.09, 3.10). Die mimisch ausdrucksstarken Köpfe ragen beinahe vollplastisch aus gewellten und konkav gerundeten Muschelschalen hervor, die den Reliefgrund bilden und das Spiel mit Licht und Schatten durch die unterschiedlichen Höhen und Tiefen verstärken. Spuren blauer Pigmente und Vergoldungen weisen darauf hin, dass die Büsten ursprünglich polychrom 158 Der kreative Umgang mit der antiken Tradition der Kaiserbüsten zeigt sich einige Jahre zuvor bereits an der Fassade des nach Entwürfen Filaretes erbauten Mailänder Ospedale Maggiore. Mit langgestreckten Hälsen, ausdrucksstarker Mimik und nahezu vollplastisch ragen die männlichen Büsten dort aus der Wand heraus und umfassen auch Charaktere jenseits idealisierter Herrscherporträts, z. B. einen Mann mit einem Kropf am Hals. Siehe: Schofield, »Avoiding Rome«. 159 Der Aspekt des Ineinander von Materialästhetik und -semantik und der Konfiguration bestimmter moti wird noch eingehender besprochen. An dieser Stelle sei jedoch noch auf eine sehr anschauliche, direkte Vergleichsmöglichkeit der unterschiedlichen Wirkungsästhetik von moti-Darstellungen in Marmor und Terrakotta hingewiesen: Das Bildnis von Filippo Strozzi, das Benedetto da Maiano 1475 zunächst in Ton und dann in Marmor erarbeitete. Das Modell des einflussreichen Florentiners in gebranntem Ton (Berlin, Bode-Museum) weist gegenüber der Marmorbüste (Paris, Musée du Louvre) subtile Unterschiede auf. Der Kopf der Terrakottabüste ist leicht zur Seite geneigt und erscheint nachdenklich und in sich gekehrt. Im Marmorbildnis ist er leicht angehoben, streng frontal und damit einem offiziellen, repräsentativen Porträt angemessen. Zudem zeigt die Marmorbüste einen leicht vergrößerten Ausschnitt des Oberkörpers, um so auch Details wie das fein gearbeitete, wertvolle Brokatmuster an den Ärmeln abzubilden. Beide Büsten waren im Besitz der Familie Strozzi, was das frühneuzeitliche Interesse am Vergleich der Materialien und der damit in Zusammenhang stehenden moti-Darstellungen demonstriert. Siehe zu den beiden Porträtbüsten: Krahn, Volker, »Bozzetti und PseudoBozzetti aus Terrakotta in der Berliner Skulpturensammlung«, in: Techne. La science au service de l’histoire de l’art et des civilisations, hg. v. Marie Lavandier, 36 (2012), S. 34–41, S. 35 f.
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Abb. 3.09: Lombardische Bildhauer (u. a. Giovanni Antonio Ama deo), Rundgerahmte männliche Figurenbüste, 1486–1489 ca., Terrakotta, Ø jeweils 69 cm, ehemals an der Fassade des Banco Mediceo in Mailand, Museo d’Arte Antica del Castello Sforzesco, Mailand, inv. 1535 © Comune di Milano, tutti i diritti riservati
Abb. 3.10: Lombardische Bildhauer (u. a. Giovanni Antonio Amadeo), Rundgerahmte männliche Figurenbüste, 1486–1489 ca., Terrakotta, Ø jeweils 69 cm, ehemals an der Fassade des Banco Mediceo in Mailand, Museo d’Arte Antica del Castello Sforzesco, Mailand, inv. 1538 © Comune di Milano, tutti i diritti riservati
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Abb. 3.11: Agostino de’ Fondulis, unter Leitung bzw. in Kooperation mit Donato Bramante, Ausstattung des oktagonalen Baptisteriums mit Friesen mit testoni und Putti in antikisierendem Dekorationssystem, 1483, Terrakotta, Stuck, Santa Maria presso San Satiro, Mailand – Foto: privat
Abb. 3.12: Agostino de’ Fondulis, Rundgerahmte männliche Büste und Puttifries, 1483, Terrakotta, Baptisterium, Santa Maria presso San Satiro, Mailand – Foto: privat
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gefasst waren.160 Dadurch wurde eine wieder andere Spielart im Umgang mit dem Motiv erkundet und durch die Polychromie vermutlich eine stärker wirklichkeitsbezogene Darstellung der Köpfe erstrebt. Im Innenraum des Baptisteriums der Mailänder Kirche Santa Maria presso San Satiro wird das Motiv der männlichen Büsten in Tondi 1483 dann erneut in Terrakotta modelliert, diesmal wiederum dezidiert materialsichtig (Farbtafeln 24–26, Abb. 3.11, 3.12). Für die Betrachtung mitstreitender Dialoge Leonardos mit lombardischer Skulptur in Terrakotta erweisen sich die Terrakottaskulpturen in San Satiro als besonders relevant. Die Umgestaltung und Erweiterung der Kirche war zu der Zeit von Leonardos Ankunft in Mailand eines der renommiertesten Projekte in der Region, quasi ein Hof prominenter und ambitionierter Künstler. Unter ihnen waren Donato Bramante, Giovanni Antonio Amadeo und Agostino de’ Fondulis, die zugleich alle auch mit Leonardo bekannt waren.161 Bramante war künstlerischer Leiter des Projekts und schuf den berühmten illusionistischen Chorraum im Hauptschiff, während er für das achteckige Baptisterium ein äußerst innovatives Dekorationssystem aus Terrakotta, Stuck und Stein entwarf. Der Raum wird durch eine rhythmische, kontrastreiche und reduzierte Variation von Materialien, Farben, rilievi und Motiven gestaltet. Weißlichen Marmor imitierende Bauplastik mit grotesker Ornamentik und antik anmutenden Dekorationselementen rahmt materialsichtige rotbraune Terrakotta-Elemente. In der unbemalten Terrakotta sind neben
160 Siehe: Basso, Laura / Barbieri, Alessandro / Bosio, Paola / A nzani, Marilena / Rabbolini, Alfiero, »Lavori in corso al Museo d’Arte Antica di Milano. Le terrecotte rinascimentali: studi, scoperte e restauri«, in: Techne. La science au service de l’histoire de l’art et des civilisations, hg. v. Marie Lavandier, 36 (2012), S. 92–101. 161 Agostino de’ Fondulis war im April 1483 einer der Zeugen bei der Vertragsunterzeichnung für das Gemälde der Felsgrottenmadonna. Siehe: Bandera Bistoletti, Sandrina, »La Pietà di Agostino de’ Fonduli in S. Satiro nell’occasione del suo restauro«, in: Arte Lombarda, nuova serie, 86/87 (1988), S. 71–82, S. 71. Siehe zur Bekanntschaft zwischen Agostino und Leonardo auch: Bandera Bistoletti, Sandrina, Agostino de’ Fondulis e la riscoperta della terracotta nel Rinascimento Lombardo, Crema 1997, S. 44 ff.; Corradi Galgano, Cecilia, »La formazione artistica di Agostino De Fondulis«, in: Insula Fulcheria. Rassegna di studi, documentazione e testimonianze storiche del Cremasco, 26 (1996), S. 55–80, S. 57; Ferrari, Simone / Cottino, Alberto, Forestieri a Milano. Riflessioni su Bramante e Leonardo alla corte di Ludovico il Moro, Busto Arsizio 2013, S. 36. Zur Bekanntschaft von Leonardo und Amadeo siehe: Marani, Pietro C., »L’Amadeo e Francesco di Giorgio Martini«, in: Giovanni Antonio Amadeo. Scultura e architettura del suo tempo, hg. v. Janice Shell und Liana Castelfranchi, Mailand 1993, S. 353–376, S. 355. Zur Bekanntschaft und Freundschaft von Leonardo und Bramante vgl. auch Kapitel 2.3.1. Zu einer möglichen Teilhabe Leonardos am Entwurfsprozess der Architektur von San Satiro mit Referenz auf zeichnerische Skizzen im Codex Atlanticus (f. 104r) siehe: Carpiceci, Alberto, »Il progetto di Leonardo per San Satiro a Milano«, in: Raccolta Vinciana, Heft 21, Mailand, 1982, S. 121–157, S. 148 f.
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horizontal verlaufenden Schmuckbändern v. a. die acht Friese mit Putti und den hier fokussierten, proportional übergroßen, acht männlichen Büsten gestaltet.162 Die warme, erdige Farbigkeit kontrastiert dabei mit dem Weiß der Girlande und der bauplastischen Ornamentik und exponiert die Figuren. Wie aus dem Vertrag vom April 1483 hervorgeht, war Agostino de’ Fondulis beauftragt worden, die Terrakottafriese von insgesamt knapp 110 Metern Länge (»215 braccia«) mit großformatigen Köpfen (»testonis«) und Putti (»pueri«) nach Entwürfen bzw. unter der Gesamtleitung Bramantes (»secundum apparere magistri Donati dicti Barbanti de Urbino«) zu gestalten.163 Agostino kam aus einer aus dem lombardischen Crema stammenden, renommierten Bildhauer-Familie, war in der nach Padua umgesiedelten Familienwerkstatt ausgebildet worden und vermutlich Anfang 1483 für die Arbeit am San Satiro-Projekt zusammen mit seinem Vater Giovanni nach Mailand umgesiedelt.164 Giovanni de’ Fondulis wiederum war ein etablierter und im Antikenstudium versierter Künstler, der u. a. engen Kontakt zu Donatello hatte, als Kunstagent für den Hof der Gonzaga in Mantua tätig war und als durchaus prägend für Andrea Mantegnas bildkünstlerische Ausbildung angesehen wird.165 Der demnach sicherlich sehr gut ausgebildete Agostino modellierte schließlich an jeder der acht Wände des Baptisteriums von San Satiro einen weit von der Wand in den Raum hineinragenden testone im warmen rotbraunen Ton der Terrakotta. Die teilweise nahezu a tutto tondo modellierten Büsten der Männer werden jeweils durch einen weiß getünchten Kranz gerahmt und formal wie auch farblich hervorgehoben. Links und rechts stehen, singen und musizieren 162 Zur Dekorationsstruktur siehe auch: Corradi Galgano, »La formazione artistica di Agostino«, S. 63–66. Richard Schofield betont bzgl. der Putti in den Terrakottafriesen Referenzen auf bzw. die Adaption von Elementen eines römisch-antiken Marmor-Sarkophages (2. Jahrhundert n. Chr., frühneuzeitlich in Santa Maria Maggiore, Rom; heute im British Museum, London, Inv.nr. 1805,0703.130) sowie des Puttifrieses in San Vitale in Ravenna. Siehe: Schofield, »Avoiding Rome«, S. 36. 163 Zitiert nach: Biscaro, Gerolamo, »Le imbreviature del notaio Boniforte Gira e la chiesa di S. Maria di S. Satiro«, in: Archivio Storico Lombardo, 14 (1910), S. 105–144, S. 133; siehe zum Vertrag auch: Bandera, Sandrina / Passoni, Maria Cristina / Ceriana, Matteo, »Il cantiere ›moderno‹ di Santa Maria presso San Satiro«, in: Bramante a Milano. Le arti in Lombardia 1477–1499, hg. v. Matteo Ceriana, Emanuela Daffra, Mauro Natale und Cristina Quattrini, Mailand 2015, S. 33–53, S. 33. 164 Siehe: Bandera / Passoni / Ceriani, »Il cantiere ›moderno‹«, S. 36, 47; Corradi Galgano, »La formazione artistica di Agostino«. 165 Siehe zu Giovannis Tätigkeits- und Wirkungsfeld: Gentilini, Giancarlo, »La terracotta: volti e passioni«, in: La scultura al tempo di Andrea Mantegna, Ausst.kat., hg. v. Vittorio Sgarbi, Mailand 2006, S. 47–51, S. 47. Bramante hat die Paduaner Fondulis-Werkstatt vermutlich auf seiner Reise von Urbino über Padua nach Mailand kennengelernt, wodurch die Vergabe des San Satiro-Auftrags an Agostino zustande gekommen sein mag. Siehe: Bandera / Passoni / Ceriani, »La formazione artistica di Agostino«, S. 45 f.
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jeweils mehrere Putti a mezzo rilievo. Die unterschiedlichen Schrittstellungen, Gesten und Drehungen der Putti demonstrieren die Kompetenz der Reliefkunst, Plastizität und eine hochgradig bewegte, vielfigurige Szenerie darstellen zu können. Dazwischen sind mit den testoni augenfällig die Potentiale des beinahe vollplastischen Modellierens ausgestellt. Jede einzelne der acht Figuren reckt den Hals und streckt ihr Kinn vor, wobei die Schlüsselbeinknochen, Sehnen und Kieferknochen deutlich zu erkennen sind. Jeder Kopf ist individuell gestaltet, jung, alt, mit kurzem Haar, mit langem Haar, mit markanten Wangenpartien und weichen, runden Gesichtszügen. Alle acht – von Federico Borromeo 1611 als Apostel, Evangelisten und Propheten bezeichnete – Figuren sind ausdrucksstark durch die körperliche Präsenz der stark plastisch gearbeiteten Formen.166 Die Drehbewegungen und Neigungen ihrer Köpfe sind abwechslungsreich. Zugleich haben alle ihren Blick gen Decke bzw. Himmel gerichtet, dem Lichteinfall aus den oberen Rundfenstern entgegen. Eben jener Lichteinfall verstärkt die plastische Modellierung der Köpfe und schafft starke Helldunkelkontraste auf den Gesichtern. Als »perfettamente rilevate e tonde« im von oben einfallenden Licht lobt auch einige Jahrzehnte später Giovan Paolo Lomazzo die testoni im Baptisterium.167 Dass Agostinos und Bramantes ambitioniertes Bildprogramm der Terrakottafriese mit ihren unterschiedlichen rilievi und Farbigkeiten von einem intensiven Interesse an paragonalen Dialogen der Bildkünste geprägt ist, kann nicht zuletzt ein vergleichender Blick auf Andrea Mantegnas Deckenmalerei in der Camera Picta (Farbtafel 27) im Castello di San Giorgio in Mantua verdeutlichen. Mantegna schuf dort en grisaille acht Caesaren-Porträts auf goldfarbenem Grund. Die acht Kaiserporträts mit Inschriften werden von einem runden ornamentalen Schmuckband sowie Blattkranz gerahmt, der jeweils von einem Putto gestemmt wird. Während der goldfarbene Hintergrund der Kaiserköpfe den Anschein eines Mosaiks gibt, spielt die Grisaillemalerei mit der Ästhetik weißen Marmors. Mit der Evokation von bzw. Referenz auf die beiden wertvollen Werkstoffe entwirft Mantegna für die Imperatoren-Genealogie eine von den buntfarbigen istorie an den Wänden differente Zeit- und Darstellungsebene.168 In den Mailänder Terrakottafriesen finden sich mit den antik anmutenden ornamentalen Elementen, den männlichen Büsten in Tondi, den weißen Blattkränzen 166 Zu Borromeos Bezeichnung der testoni siehe: Corradi Galgano, »La formazione artistica di Agostino«, S. 63, 65. 167 Lomazzo, Giovan Paolo, »Idea del Tempio della Pittura«, in: ders., Scritti sulle arti, hg. v. Roberto Paolo Ciardi, Bd. 1, Florenz 1973, S. 241–373, S. 325. Lomazzo schrieb die Werke allerdings irrtümlicherweise Bramantino und Caradosso Foppa zu. Vgl. auch: Bandera / Passoni / Ceriana, »Il cantiere ›moderno‹«, S. 48. 168 Sabine Blumenröder hat die Darstellungsstrategie unterschiedlicher Zeitebenen überzeugend herausgearbeitet. Siehe: Blumenröder, Andrea Mantegna, S. 124, 128 f.
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und dem Motiv der Putti verwandte Kompositionsmuster. Agostino veränderte jedoch mit der rotbraunen Terrakotta und dem weiß getünchten Stuck das ästhetisch-semantische Spiel mit Materialität bzw. der Evokation bestimmter Materialien im sakralen Raum. Während die weiße Bauplastik ebenfalls Assoziationen mit Marmor weckt, sind die acht testoni und Putti materialsichtig in rotbrauner Terrakotta gestaltet. Anders als die repräsentativen antiken Kaiserporträts en grisaille muten die Figuren in San Satiro ausdrucksstark, kommunikativ und lebendig an, ragen in den Raum hinein und kontrastieren in ihrer Materialität mit den dekorativen Elementen in steinähnlichem Weiß. Nach seinem Engagement in San Satiro explorierte Agostino de’ Fondulis weitere Darstellungsmodi rundgerahmter testoni in Innen- wie auch Außenräumen als monochrom-materialsichtige Terrakottafiguren (Fassade, Palazzo Fodri, Cremona), aber auch als polychrom gefasste Terrakottabüsten (Innenraum, Santa Maria Incoronata, Lodi).169 Ähnlich der testoni in San Satiro fokussierte der Künstler bei der Gestaltung der nicht farbig gefassten Terrakottafiguren offensichtlich eine plastisch und kontrastreich modellierte Anatomie und Mimik, die zusammen mit der rotbraunen Farbigkeit des Materials den Eindruck von Lebendigkeit und Expressivität erwecken. Die Ästhetik der detailreichen, polychromen testoni erscheint hingegen weniger auf eine lebendig-kommunikative als vielmehr auf eine ›realistische‹ Wirkung hin ausgerichtet.170 Die unterschiedlichen Darstellungen rundgerahmter Köpfe und Büsten in der frühneuzeitlichen Lombardei veranschaulichen Explorationen von Materialien, deren Wirkungsästhetik und die damit verbundene bildkünstlerische Debatte um die Gestaltung bzw. Evokation von Plastizität, das Spiel mit Licht und Schatten, perspektivische Verkürzungen und den Ausdruck der Figuren. Mit der je verschiedenen materialen und medialen Verfasstheit der Werke eruieren die Künstler unterschiedliche Effekte und konfigurieren bspw. erinnerungswürdige, repräsentative Porträts einerseits und andererseits Figuren, die durch Lebendigkeit, Expressivität und Kommunikativität geprägt sind. Für Letztere sind die materialsichtigen Terrakottabüsten in Pavia sowie insbesondere die testoni in San Satiro ein einschlägiges Beispiel. Sie sind rezeptionsästhetisch auf das Involviertwerden der Betrachtenden ausgerichtet – ein Aspekt, der auch ein anderes 169 Siehe zu den Werken Agostinos weiterführend: Corradi Galgano, Cecilia, »Agostino de Fondulis: dalla collaborazione con il Battaggio alla fase cremasca«, in: Insula Fulcheria. Rassegna di studi, documentazione e testimonianze storiche del Cremasco, 27 (1997), S. 51–86, S. 52. 170 Zur Differenzierung einer ›realistischen‹ und ›naturalistischen‹ Wirkungsästhetik vgl. Giorgio Bonsantis Beobachtungen zu den Beweinungsgruppen in Terrakotta von Guido Mazzoni: Bonsanti, Giorgio, »Figure di terra. Fra passione e immaginazione«, in: Emozioni in terracotta. Guido Mazzoni, Antonio Begarelli, Sculture del rinascimento emiliano, hg. v. dems. und Francesca Piccinini, Modena 2009, S. 27–54, S. 30.
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Werk Agostinos in San Satiro ausmacht: die vollplastische Beweinungsgruppe in der Sakristei der Kirche. Das Sujet der skulpturalen Beweinungsgruppen spielt dabei ebenfalls eine prägende Rolle in den bildkünstlerischen Auseinandersetzungen mit den Themen rilievo und moti. Agostino war 1483 neben der Gestaltung der Terrakottafriese auch mit der Fertigstellung der Beweinungsgruppe für die antike Sakristei beauftragt worden.171 Die Gruppe besteht aus dreizehn lebensgroßen, vollplastisch modellierten Terrakottafiguren, die jeweils in einem Stück gestaltet und gebrannt wurden.172 Sie sind in einer Nische auf einer leicht schrägen Bühne über dem Altar installiert (Farbtafel 28, Abb. 3.13). Durch die Aufstellungshöhe und Schräge neigt sich die Gruppe leicht den Betrachtenden – in diesem Fall zuvorderst den Gläubigen – vor dem Altar zu, deren Blick aus perspektivischer Untersicht quasi in die Szenerie hineingezogen wird, während es scheint, als würde der Leib Christi sogleich auf den Altar gelegt werden. Körperhaltung, Gestik und Mimik der Figuren sind variationsreich, manche der Trauernden weinen und flehen mit geöffnetem Mund, andere wirken in sich gekehrt. Jede Figur ist anders gekleidet, Haare und Zähne sind detailliert ausgearbeitet, Tränen sind zu sehen. Dabei kombiniert Agostino lebensweltliche Beobachtungen und ikonographisch etablierte Pathosformeln, bspw. in der Figur des klagenden Johannes, die auf Mantegnas Beweinung verweist.173 Laute und leise Klagen, Ohnmacht, Fürbitte und starres Entsetzen mischen sich und führen den Kirchgängerinnen und Kirchgängern unterschiedliche Reaktionen auf die biblische Geschichte vor.174 171 Vermutlich stellte Agostino die Beweinungsgruppe fertig, noch bevor er mit der Arbeit an den Terrakottafriesen begann. Siehe: Bandera Bistoletti, »La Pietà di Agostino«, S. 71; Bandera / Passoni / Ceriana, »Il cantiere ›moderno‹«, S. 35 f. 172 Corradi Galgano, »La formazione artistica di Agostino«, S. 57 f. 173 Zu Mantegnas Beweinung siehe z. B.: Belting, Hans, Giovanni Bellini. Pietà, Ikone und Bilderzählung in der venezianischen Malerei, Frankfurt / Main 1985, S. 31–40; Blumenröder, Andrea Mantegna, S. 237. 174 Eine Vorstellung von der hochgradig affektiven Wirkung der Gruppe kann auch der Blick auf einen 1484 in Mailand verfassten Text geben, der die eindringlichen moti der Figuren einer Beweinungsgruppe wie der Agostinos beschreibt als seien sie lebendig: »[C]on quanti singulti, con quanto crepacuore suspirava la madre stringendo e baxando e considerando il suo Figliuolo. Pénsali, anima devota, perché narrare e scrivere non se pono. Stava anchora el diletto discipulo et amarissime lachrime fondeva temendo la nova e ricomandata madre insieme con el maestro. Anchora la cara discipula magdalena con amare lachrime stava prostrata a quilli perforati piedi et cridando diceva: ›Heu dolce el mio maestro […] ormai è tempo departirse‹.« Zitiert nach: Bandera Bistoletti, Sandrina, »La terracotta milanese prima e dopo Agostino de’ Fondulis«, in: Terrecotte nel ducato di Milano. Artisti e cantieri del primo rinascimento, hg. v. Maria Grazia Albertini Ottolenghi und Laura Basso, Mailand 2013, S. 29–42, S. 36 f. Die frühneuzeitliche Vorstellung, dass man Gemütsbewegungen über Körperbewegungen darstellen kann und diese die Betrachtenden ansprechen, involvieren und affizieren, stand in der Tradition von Horaz’ Diktum »weine mit den Weinenden«, das spätestens
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Abb. 3.13: Agostino de’ Fondulis, Beweinung, 1483, Terrakotta, nachträglich 1491 polychrom gefasst von Antonio de Raimondi, Sakristei, Santa Maria presso San Satiro, Mailand – Foto: privat
Mit der theatral inszenierten Kombination aus imitatio naturae und Pathosformeln stand Agostinos Mailänder Compianto aus Terrakotta zusammen mit zwei in Holz geschnitzten Compianti des Maestro di Santa Maria Maggiore (vermutlich Domenico Merzagora) am Beginn einer schnellen Verbreitung lebensgroßer, vollplastischer Beweinungsgruppen affektiver Wirkungsästhetik in der Lombardei und dem Piemont.175 Die Werke entstanden im Kontext franziskaseit Leon Battista Albertis Schriften im kunsttheoretischen Diskurs etabliert war. Alberti schreibt in seinem Traktat Della Pittura: »Interviene da natura, quale nulla più che lei si truova rapace di cose a sé simile, che piagniamo con chi piange, e ridiamo con chi ride, e doglianci con chi si duole. Ma questi movimenti d’animo si conoscono dai movimenti del corpo.« Alberti, Della Pittura, S. 130; in der deutschen Übersetzung: »Aus der Natur, die wie nichts anderes begierig ist als nach ihr ähnlichen Dingen, kommt es, dass wir weinen mit den Weinenden, lachen mit den Lachenden und leiden mit dem Leidenden. Diese seelischen Bewegungen aber erkennt man an den Bewegungen des Körpers.« Ebd., S. 131. Zur Rezeption dieser Vorstellung siehe: Zöllner, Bewegung und Ausdruck, S. 25. 175 Zu den beiden Compianti des Maestro di Santa Maria Maggiore (eines befindet sich heute im Museo Civico di Torino, das andere in der Kirche Madonna del Sasso in Orselina, Lugano) siehe: Casciaro, Raffaele, La scultura lignea lombarda del Rinascimento, Mailand 2000, S. 96.
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nischer Frömmigkeit und Bildtheorie, die von den Kunstwerken forderten, dass sie die Gläubigen emotional involvierten, sie in klar verständlicher Bildsprache zur Devotion anleiteten und Identifikationsmöglichkeiten anboten.176 Um eine möglichst ›realistische‹ und affektive Wirkung zu erzeugen, waren die Werke größtenteils polychrom gefasst.177 In San Satiro jedoch war dies bezeichnenderweise nicht der Fall. Wie ein Dokument belegt, wurde Agostinos 1483 gestaltete und über dem Altar aufgestellte Beweinungsgruppe erst knapp 10 Jahre später, im Jahr 1491, von Antonio de Raimondi farbig gefasst.178 Zu Recht merkt Maria Grazia Vaccari an, dass die nachträgliche Farbgebung nicht schlüssig mit der prononcierten Anatomie, der Expressivität und dem Figurenstil Agostinos in einandergreift.179 Bevor die farbige Fassung unterschiedliche Haut- und Haarfarben der Figuren sowie Kleidungsstoffe variationsreich differenzierte und dabei aber das rilievo der Figuren überspielte, war Agostinos Figurengruppe über Jahre hinweg eine materialsichtige Terrakottaplastik, deren Ästhetik sich von der polychromen Fassung deutlich unterschied. Durch das Ausstellen ihrer Materialität konnte sie einen spezifischen wirkungsästhetischen Effekt erzeugen; eine Vorstellung davon können die testoni und andere, heute als materialsichtig erhaltene Werke Agostinos geben, wie der Kopf des Heiligen Sebastian (Farbtafel 29) oder das Compianto aus der Kirche Santa Maddalena e Santo Spirito in Crema (Farbtafel 30).180 Mit den sichtbaren Spuren künstlerischer Modellierung, einer Agostino schuf in der Folge zahlreiche weitere Compianti aus Terrakotta, z. B. für die Kirche Santa Maria Maddalena in Crema. Siehe weiterführend: Corradi Galgano, »Agostino de Fondulis«, S. 69. Zur Verdrängung der Holzskulptur durch Terrakottawerke in der Lombardei Ende des 15. Jahrhunderts siehe: Albertario, »Marmo, legno e terracotta«, S. 31. Die Prototypen der Compianti hatten in den 1460er- und 1470er-Jahren Guido Mazzoni (u. a. aus polychrom gefasster Terrakotta in Santa Maria degli Angeli in Bosseto sowie in San Giovanni Battista in Modena) und Niccolò dell’Arca (aus Terrakotta in Santa Maria della Vita in Bologna) entworfen. Siehe dazu: Vaccari, Maria Grazia, »›Colorite de boni colori e tornate secundo il naturale‹: La terracotta policroma: simulare, imitare la natura«, in: Techne. La science au service de l’histoire de l’art et des civilisations, hg. v. Marie Lavandier, 36 (2012), S. 18–25, S. 24 f. 176 Siehe zu diesen Aspekten ausführlich Kapitel 3.3; vgl. auch: Casciaro, La scultura lignea lombarda del Rinascimento, S. 100; Corradi Galgano, »La formazione artistica di Ago stino«, S. 58. 177 Siehe ebd.; vgl. zur ›realistischen‹, mitunter hyperrealistischen Wirkung von Beweinungsgruppen: Bonsanti, »Figure di terra«, S. 30. 178 Siehe: Corradi Galgano, »La formazione artistica di Agostino«, S. 62 f. 179 Vaccari schreibt: »Questa dinamica ha prodotto, a mio avviso, un certo squilibrio nel risultato finale dove ad un modellato segnato da una forte espressività anatomica e da una stilizzazione formale si sovrappone una ricchezza di colori e di effetti naturalistici non del tutto adeguata al carattere delle sculture.« Vaccari, »›Colorite de boni colori e tornate secundo il naturale‹«, S. 25. 180 Die Figur des Heiligen Sebastians aus den 1480er-Jahren (Berlin, Bode-Museum) war ursprünglich eine Halbfigur mit hinter dem Rücken verschränkten Armen. Sie war
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mattsanften Oberflächenstruktur, der Aufmerksamkeitslenkung auf den rilievo der Formgebung und mit dem warmen Farbton der rotbraunen Terrakotta samt deren Ästhetik und Semantik wird anstelle eines gesteigerten Realismus polychromer Compianti der Eindruck von sowohl Lebendigkeit als auch zugleich Kunstfertigkeit konfiguriert. Frank Fehrenbach beobachtet in materialsichtigen und monochrom gefassten Skulpturen daher auch überzeugend die »exploration of artistic enlivening as an oscillation between ›dead‹ material and the fiction of an animated body, or of the emergence of the signs of life in art«.181 Die Rezeption materialsichtiger Compianti wird geprägt durch ein spannungsreiches, involvierendes sowie bewegendes Spiel zwischen ästhetischer Distanz des offensichtlich künstlerisch Gemachten und der quasi durchbluteten Farbigkeit sowie körperlichen Präsenz der Figuren.182 Diese Aspekte lassen sich sehr gut anhand der historischen Kodierung des Materials Terrakotta bzw. Ton nachvollziehen.183 Denn Materialikonographie und -ästhetik sowie Produktions- und Rezeptionsästhetik von Werken in Terrakotta bzw. Ton waren im frühneuzeitlich ästhetischen Diskurs auf eine bestimmte Weise kodiert.184 Geschätzt wurde das erdige, rötliche Material ganz konkret für seinen Bezug zur Natur, für seine weiche Haptik und für das Potenzwischenzeitlich polychrom gefasst. Sowohl in dieser Figur als auch in der Mailänder Beweinungsgruppe werden Bezugnahmen Agostinos auf die Kunst seines Vaters Giovanni beobachtet, die es jedoch eingehender zu studieren gilt. Ich danke Marco Scansani für seine Einschätzungen zur Berliner Terrakottafigur. Vgl. zudem: Galli, Aldo, »Giovanni de Fonduli (Crema 1420/30 – Padova ante 1497), San Giovanni Battista, Terrakotta, circa 1470/80, Torino, collezione privata«, in: Rinascimento e passione per l’antico. Andrea Riccio e il suo tempo, Ausst.kat., hg. v. Andrea Bacchi und Luciana Giacomelli, Trient 2008, Katalog-Nr. 9, S. 252–255, S. 254 f. 181 Fehrenbach, Frank, »Coming Alive: Some Remarks on the Rise of ›Monochrome‹ Sculpture in the Renaissance«, in: Source: Notes in the History of Art, 30/3 (2011), S. 47–55, S. 54. 182 Zur Spannung von ästhetischer Distanz und körperlicher Präsenz monochromer Skulpturen siehe: Fehrenbach »Coming Alive«; Fehrenbach, Frank, »Calor nativus – color vitale. Prolegomena zu einer Ästhetik des ›Lebendigen Bildes‹ in der frühen Neuzeit«, in: Visuelle Topoi. Erfindung und tradiertes Wissen in den Künsten der italienischen Renaissance, hg. v. Ulrich Pfisterer und Max Seidel, München / Berlin 2003, S. 151–170, S. 152–157; Bonsanti, »Figure di terra«, S. 30. 183 Zur semantischen und ästhetischen Kodierung der Materialität von Kunstwerken bzw. bestimmter bildkünstlerischer Materialien und ihrer Hierarchisierungen in historischer Perspektive siehe: Clerbois, Sébastien / Droth, Martina, »Introduction«, in: Revival & Invention. Sculpture through its Material Histories, hg. v. dens., Oxford / Bern / Berlin 2011, S. XIX–XXIII . 184 Einen konzisen Überblick über die semantischen und ästhetischen Kodierungen von Terrakotta und Ton während der frühen Neuzeit gibt Iris Wenderholm. Siehe: Wenderholm, Iris, »The Gaze, Touch, Motion: Aspects of Hapticity in Italian Early Modern Art«, in: Das haptische Bild. Körperhafte Bilderfahrung in der Neuzeit, hg. v. Markus Rath, Jörg Trempler, ders., Berlin 2012, S. 51–68, S. 56–58.
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tial, Lebendigkeit zu implizieren. Aus der Erde gewonnen galt es als intrinsisch mit der Natur verbunden. Aufgrund der rötlichen Farbigkeit und auch mattsanften Oberflächenqualität wurde Terrakotta mit durchbluteter Haut assoziiert. Vor allem aber bot das Material den Künstlern dank seiner Textur die Möglichkeit, direkt mit den Händen ganz flexibel zu arbeiten, der Imagination zu folgen und ausdrucksstarke, physiognomische Prägnanz zu formen.185 Neben diesen produktions-, rezeptions- sowie wirkungsästhetischen Aspekten wurde Ton – wie in Kapitel 3.1 dargelegt – als das Material besprochen, mit dem Gott die Menschen erschaffen hatte.186 Die Vorstellung des deus artifex ließ sich assoziativ auf den in Ton arbeitenden Bildkünstler übertragen, während mit der über Plinius’ Naturgeschichte transferierten Butades-Anekdote die plastica als Mutter aller skulpturalen Künste und Erfinderin der Portätkunst präsentiert werden konnte.187 In eben diesem Kontext konnte Agostinos materialsichtige Beweinung aus Terrakotta Lebendigkeit, Naturnähe und die Konnotation mit göttlich fundierter Kreativität evozieren. Dabei war sie explizit nicht polychrom und detailreich auf eine maximale Wirklichkeitsnähe hin gestaltet, wie die Prototypen der Compianti von Mazzoni und Dell’Arca. Der Originalitätsanspruch der Terrakottawerke in San Satiro findet sich demnach nicht nur in den testoni, sondern auch in der monochromen Beweinung wieder. Warum die Figurengruppe 1491 dann bemalt wurde, ist nicht belegt. Möglicherweise war ihre auf Materialsichtigkeit, künstlerische Ausdrucksstärke und Lebendigkeit fokussierte Gestaltung in dieser Form im sakralen Raum nicht erwünscht und stattdessen eine realistische, von der Aufmerksamkeit und Reflexion auf das Künstlerisch-Gemachte wegführende Polychromie gefordert.188 Kirchliche Auftraggeber scheinen in mehreren Fällen eine elaborierte Buntfarbigkeit als wesentliches Element der hochgradig affektwirksamen Compianti angesehen zu haben. Darauf verweist bspw. der Vermerk in einem 1553 in Modena geschlossenen Vertrag, der vorschreibt, dass die Figuren »colorite de boni colori et ornate secundo il naturale«
Siehe zur Materialgeschichte von Terrakotta zudem: Gentilini, Giancarlo, »La tradizione del legno e la rinascita della terracotta: un confronto sotto la pelle della scultura dipinta«, in: ›Fece di scoltura di legname e colorì‹. Scultura del Quattrocento in legno dipinto a Firenze, Ausst.kat., hg. v. Alfredo Bellandi, Florenz 2016, S. 63–79, S. 68, 71, 74. 185 Siehe die unter Kapitel 3.1 (Anm. 101, 108) besprochenen Passagen aus Lomazzos Traktat mit dem ausführlichen Zitat nach Leonardo. 186 In Jesaja 64.7, zitiert nach der Bibel-Übersetzung Martin Luthers, heißt es bspw.: »Aber nun, HERR , du bist doch unser Vater! Wir sind Ton, du bist unser Töpfer, und wir alle sind deiner Hände Werk.« Zu Ton als Werkstoff der göttlichen Schöpfung siehe z. B. auch: Gaurico, De Sculptura, S. 247; oder Lomazzo, »Trattato«, S. 136. Vgl. Kapitel 3.1. 187 Plinius, Naturkunde. Naturalis Historiae, Buch 35.151, S. 115. 188 Zu einem Vergleich vom Kunstwert materialsichtiger Skulpturen und dem Kultwert polychromer sakraler Kunstwerke siehe: Wenderholm, Bild und Berührung, S. 49.
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sein müssen.189 Dass die künstlerische Konzeption eines Werkes einerseits und andererseits die Forderungen der Auftraggeber, frühneuzeitlichen Kuratoren sowie Rezipientinnen und Rezipienten der Werke gerade beim Thema der farbigen Fassung von Skulpturen merklich auseinandergehen konnten, belegen mehrere erhaltene Verträge, in denen nachträgliche polychrome Fassungen von Holz- und Terrakottawerken vereinbart wurden.190 Dieser Umstand ist Hinweis darauf, dass Ende des 15. Jahrhunderts und in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts die Materialsichtigkeit bei bestimmten Materialien im sakralen Raum nicht als angemessen galt, bzw. materialsichtige Kunstwerke als unvollendet angesehen wurden.191 Gegenteiliges lässt sich mit Blick auf das Material Marmor beobachten; spätestens seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert wurde in Oberitalien bei Marmorwerken die Materialsichtigkeit tendenziell bevorzugt.192 Während die Materialsichtigkeit und Polychromie skulpturaler Werke im textverfassten Theoriediskurs und v. a. im Kontext der Paragone-Debatten, wie zu Anfang des Kapitels dargelegt, ausgeblendet wurden und in ihren je spezifischen Wirkweisen unreflektiert blieben, waren sie in der bildkünstlerischen Praxis insbesondere mit Blick auf bestimmte Sujets (z. B. Beweinungsgruppen) ein sehr wichtiges Thema.193 In theoretischen Texten findet sich zumindest bis 189 Zitiert nach: Vaccari, »›Colorite de boni colori e tornate secundo il naturale‹«, S. 19. Zur Bedeutung der Polychromie für Compianti siehe des Weiteren: Weil-Garris, Kathleen, »›Were This Clay but Marble‹, a Reassessment of Emilian Terra Cotta Group Sculpture«, in: Le Arti a Bologna e in Emilia dal XVI al XVII secolo, hg. v. Andrea Emiliani, Bologna 1982, S. 61–79, S. 63. 190 Für Beispiele nachträglicher farbiger Fassungen siehe: Oellermann, Eike, »Polychrome or Not? That is the Question«, in: Tilman Riemenschneider, c. 1460–1531, hg. v. Julien Chapuis, New Haven / London 2004, S. 113–123; Krohm, Hartmut, »Due sculpture di Veit Stoss. L’arte dell’intaglio nel suo massimo componimento intorno al 1500«, in: ›Fece di scoltura di legname e colorì‹. Scultura del Quattrocento in legno dipinto a Firenze, hg. v. Alfredo Bellandi, Florenz 2016, S. 139–159, S. 152. 191 Ein Beispiel dafür ist das Holz-Kruzifix von Benedetto da Maiano (vor 1497), das erst 1510 nach Ankauf durch das Dom-Kapitel in Florenz von Lorenzo di Credi farbig gefasst wurde. Dabei verband sich die Farbigkeit der Skulptur mit liturgischen Aspekten und kam Erwartungen an eine affektive Wirkungsästhetik entgegen. Siehe: Verdon, Timothy, »Il pathos del legno e del colore. Il Crocifisso di Benedetto da Maiano nel duomo di Firenze«, in: ›Fece di scoltura di legname e colorì‹. Scultura del Quattrocento in legno dipinto a Firenze, hg. v. Alfredo Bellandi, Florenz 2016, S. 125–137, S. 128, 136. 192 1491 bspw. wollte Paolo di Aquate in Bergamo eine Marmorstatue des Täufers von Pietro Lombardo in der Cappella Colleoni farbig fassen. Doch da gerade weißer Marmor als schön angesehen wurde, verwehrten sich die Kuratoren der Kunstwerke in der Kapelle diesem Vorschlag: Es wäre eine Schande (»grave obrobrium«) und würde die Skulptur entstellen (»grave deformitatem«). Zitiert nach: Albertario, »Marmo, legno e terracotta«, S. 31 f. 193 Als einen der prägenden Vorreiter jener, die polychrome Skulptur aus ihren theoretischen Reflexionen ausschlossen, identifiziert Marco Collareta Leon Battista Alberti. Siehe: Collareta, Marco, »Materia, forma, colore. La scultura lignea tra teoria e pratica artistica«, in: ›Fece di scoltura di legname e colorì‹. Scultura del Quattrocento in legno dipinto a Firenze, hg. v. Alfredo Bellandi, Florenz 2016, S. 15–23, S. 18.
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zur Mitte des Cinquecento keinerlei Wertschätzungen der Materialsichtigkeit von Holz und Terrakotta im Unterschied zu jener von weißem Marmor.194 Und wie oben beobachtet, wurde in Passagen, in denen die Farbgebung skulpturaler Werke Erwähnung findet, diese vom skulpturalen Werken abgelöst und als Malerei betrachtet. Ein Blick auf Textquellen jenseits ausgewiesener ParagoneDebatten legt nahe, dass die farbige Fassung von Skulpturen generell eine umstrittene Frage war und Zuständigkeits- und Kompetenzbereiche der Künstler kontrovers diskutiert wurden. In einem Paduaner Gerichtsakt vom 14. November 1470 wird z. B. eine Auseinandersetzung zwischen Giovanni de’ Fondulis aus Crema, Agostinos Vater, und Pietro Calzetta dokumentiert, wonach Giovanni vorgeworfen wurde, dass er »non pictor« sei, sondern ein »bonus scultor«, der mitunter auf seine Terrakottafiguren auch Farbe auftrage, aber die Wandmalereien der Kapelle nicht zu beurteilen vermöge.195 Denn es sei ein großer Unterschied, ob man Farbe auf Wänden oder Tafeln auftrage wie Maler, oder eben auf Terrakottaköpfe. In Texten aus soziokulturellen Zusammenhängen wie jenen interdisziplinärer höfischer Debatten oder Gerichtsstreitigkeiten bot sich offenbar durch die Fokussierung auf die Aufteilung der Künstler in klar getrennte Gruppen kein Spielraum für eine Reflexion der medialen Interaktion von farbiger Fassung und Skulptur oder der Materialsichtigkeit skulpturaler Werke. Materialästhetik und -semantik nicht farbig gefasster Terrakottawerke wurden aber sehr wohl in bildkünstlerisch ausgetragenen mitstreitenden Paragoni reflektiert und als Anregung wertgeschätzt, wie Leonardos Arbeiten im Kontext des Abendmahl-Projekts gewissermaßen zeigen.
194 Eine vergleichsweise seltene, prominent formulierte Wertschätzung monochromer Holzskulptur findet sich Mitte des Cinquecento in der zweiten Ausgabe von Vasaris Vite (1568). Dort preist Vasari die 1,80 m hohe materialsichtige Holzskulptur des Heiligen Rochus (1523) von Veit Stoss in der Florentiner Basilika Santissima Annunziata als »un miracolo di legno«. Vasari, Giorgio, Le vite de’ piu eccellenti pittori, scultori, et architettori, Giunti, Florenz 1568, Della Scultura, Kapitel 14, S. 42. Siehe für eine präzise Analyse sowie Kontextualisierung der monochromen Skulptur und ihrer Rezeption: Dümpelmann, Veit Stoß, S. 196–199; siehe weiterhin: Collareta, »Materia«, S. 22; sowie: Krohm, »Due sculture di Veit Stoss«, S. 139 f. 195 »[…]Johannes de Crema non est pictor sed bene scit sculpire figuras de tera et est satis bonus magister in illo esercicio sed ipse Johannes nesciret extimare judicio ipsius testis colores et alia necessaria pro usu pictoris sed solumodo facit figuras ut predixit et aliquibus figuris quas ipse facit interdum ponit colores. Item dixit quod dictus m. r. Johannes nesciret extimare colores que apponuntur super muris per pictores qui ponunt colores et longa est differentia in ponendo colores super muris et super tabulis et arbitratu ipsius testis dictus Johannes nesciret extimare laboreria facta in capella […] in muris[.]« Archivio di Stato di Padova, Archivio Giudiziari Civili, Ufficio del sigillo, atti giudiziati, T340 (n. 510), fasc 12c. 24r, 24v. Ich danke Marco Scansani ganz herzlich für den Hinweis auf dieses Dokument und noch dazu die großzügige Bereitstellung seiner Transkription.
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Leonardo kannte sicherlich nicht nur die variationsreichen imagines clipeatae der Certosa di Pavia oder des Banco Mediceo. Wie oben erwähnt, musste er insbesondere mit den ausdrucksstarken testoni und der Beweinung in San Satiro wohl vertraut gewesen sein – und dies nicht nur aufgrund der Prominenz des Gesamtprojekts, seiner Bekanntschaft mit Agostino und Freundschaft mit Bramante sowie Wertschätzung für die Kunst des Arbeitens mit Ton bzw. Terrakotta. Leonardo und Agostino – aber bspw. auch die Künstler der Büsten in den Chorgängen der Karthause – teilen zudem ein tiefgreifendes Interesse an der Evokation von Lebendigkeit und Kommunikativität, an der Modellierung von rilievo, an der Konfiguration expressiver Gesichts- und Gemütsausdrücke und dabei auch an der Materialität, Semantik und Ästhetik bestimmter Werkstoffe. Während seines ersten Mailand-Aufenthaltes (1482/83–1500) weisen Leonardos Zeichnungen für den hier betrachteten Zusammenhang mitstreitender Dialoge mit Terrakottawerken zwei relevante Besonderheiten auf: die Themenwahl und – damit intrinsisch verbunden – die gewählten Zeichenmittel. Bezüglich der Themenwahl fällt auf, dass der Künstler in äußerst vielfältiger Weise und sehr eindringlich menschliche Gesichter, deren Proportionen, Mimik und Physiognomien sowie die Darstellung der sogenannten moti dell’anima bzw. moti mentali studierte und explorierte.196 Die Spannweite reicht dabei vom idealisierten jugendlichen Gesichtstypus zu grotesken Kopfstudien, wobei insbesondere letztere in Leonardos Mailänder Umfeld intensiv kopiert, adaptiert und variiert wurden.197 Im Zusammenhang mit diesem thematischen Fokus beim Zeichnen begann Leonardo, dessen kreatives Schaffen sich stets im komplexen Wechselspiel von Wort und Bild vollzog, zugleich die Arbeit an einer theoretischen Abhandlung zu den moti mentali / moti dell’anima.198 Er betont in seinen
196 Siehe zu thematischen Schwerpunkten in Leonardos Mailänder Zeichnungspraxis: Bambach, Carmen C., »Introduction to Leonardo and His Drawings«, in: Leonardo da Vinci, Master Draftsman, Ausst.kat., hg. v. ders., New Haven / London 2003, S. 3–30, hier v. a. S. 14–17; Marani, Pietro C., »Leonardo’s Drawings in Milan and Their Influence on the Graphic Work of Milanese Artists«, in: Leonardo da Vinci, Master Draftsman, Ausst.kat., hg. v. Carmen C. Bambach, New Haven / London 2003, S. 155–190. 197 Zu den Zeichnungen grotesker Köpfe und der intensiven Rezeption jener Zeichnungen in Leonardos lombardischem Umfeld siehe Kapitel 4.1; sowie: Becker, Mira, »Grottesco & suavitas. Zur Kopplung von ästhetischem Programm und institutioneller Form in zwei Mailänder Kunstakademien der Frühen Neuzeit«, in: Wissen in Bewegung. Institution – Iteration – Transfer, hg. v. Eva Cancik-Kirschbaum und Anita Traninger, Wiesbaden 2015, S. 415–440. 198 Siehe zu Leonardos moti-Theorie und -Praxis u. a.: Zöllner, Bewegung und Ausdruck, S. 92 f.; Kwakkelstein, Michael W., Leonardo da Vinci as a Physiognomist. Theory and Drawing Practice, Leiden 1994, mit einer Liste einschlägiger Textstellen zum Thema der moti mentali sowohl aus dem Codex Urbinas als auch aus diversen Originalmanuskripten Leonardos im Appendix B.
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Notizen, dass die Darstellung bzw. Implikation von Gemütsbewegungen mittels der Körperbewegungen und Haltungen der Figuren wohl wichtigste und schwierigste Aufgabe der Malerei sei, und fokussiert dieses Thema auch in zahlreichen Zeichnungen und Gemälden, vor allem eben im Kontext des Abendmahl.199 Als unabdingbare ästhetische Qualität zum Konfigurieren der moti und der Evokation von Lebendigkeit in der Figurendarstellung erweist sich das rilievo.200 Rilievo ist nach Leonardo »l’anima della pittura« und lässt das Gemalte aus der Wand bzw. Fläche scheinbar hervortreten.201 In ihrer grundlegenden Studie zu Leonardos Konzeption von rilievo, weist Luba Freedman auf die weitreichende Relevanz dieses Begriffes bzw. dieser ästhetischen Qualität hin, »rilievo encompasses all those qualities, which enable the artist to compete successfully with Luca Pacioli dokumentiert in seinem Buch De Divina Proportione im Eröffnungsschreiben an Ludovico Sforza vom 9. Februar 1498, dass Leonardo sein »degno libro di pictura e movimenti humani« bereits fertiggestellt habe. Siehe: Pacioli, Luca, Divina Proportione, Paganius Paganinus, Venedig 1509, Prima Pars, f. 1. 199 Im Trattato della Pittura des Codex Urbinas finden sich bspw. die folgenden beiden Statements Leonardos: »La più importante cosa che ne’ discorsi della pittura trovar si possa, sono li movimenti appropriati agli accidenti mentali di ciascun’ animale, come desiderio, sprezzamento, ira, pietà, e simili.« Leonardo da Vinci, Trattato della Pittura di Lionardo da Vinci tratto da un Codice della Biblioteca Vaticana, hg. v. Guglielmo Manzi, Rom 1817, S. 84; sowie: »Il buon pittore ha da dipingere due cose principali, cioè l’uomo, e il concetto della mente sua. Il primo è facile, il secondo difficile, perchè si ha a figurare con gesti, e movimenti delle membra, e questo è da essere imparato dalli muti, che meglio gli fanno, che alcun’altra sorta d’uomini.« Ebd., S. 110. Siehe zu den Textstellen auch: Zöllner, Bewegung und Ausdruck, S. 92 f. 200 Vgl. die Besprechung des Porträts eines Mannes mit Notenblatt in Kapitel 2.3.2 sowie die nachfolgende Analyse der Zeichnungen und des Gemäldes vom Abendmahl. 201 Leonardo notierte für sein Malereibuch gemäß den Aufzeichnungen im Codex Urbinas u. a. folgende Überlegungen zum rilievo: »Qual è di più importanza, o che la figura abbondi in bellezza di colori, o in dimostrazione di gran rilievo. Solo la pittura si rende alli contemplatori di quella per fare parere rilevato, e spiccato dalli muri quel ch’è nulla, e li colori sol fanno onore alli maestri, che gli fanno, perché in loro non si causa altra maraviglia, che bellezza, la quale bellezza non è virtù del pittore, ma di quello, che gli ha generati, e può una cosa esser vestita di brutti colori e dar di se maraviglia alli suoi contemplanti pel parere di rilievo. / Qual é più difficile, o le ombre, e lumi, o pure il disegno buono. Dico essere più difficile quella cosa, ch’è costretta a un termine, che quella ch’è libera. Le ombre hanno i loro termini a certi gradi, e chi n’è ignorante le sue cose fieno senza rilievo, il quale rilievo è l’importanza e l’anima della pittura.« Leonardo da Vinci, Trattato della Pittura di Lionardo da Vinci, S. 85. Zu diesen Textstellen vgl. bspw. ebenfalls: Leonardo da Vinci, Trattato della pittura, eingel. und komm. v. Enrico Camesasca, Vicenza 2000, S. 83 (Zitat) sowie S. 45, 87 f. Kunsttheoretische Erörterungen zum rilievo sind seit dem Trecento belegt (siehe oben Anm. 123). Leonardos Überlegungen knüpfen u. a. direkt an Leon Battista Alberti an, der in Della Pittura notierte: »Io, coi dotti e non dotti, loderò quelli visi quali come scolpiti parranno uscire fuori della tavola, e biasimerò quelli visi in quali vegga arte niuna altra che solo forse nel disegno.«, Alberti, Della Pittura, S. 142.
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Nature«.202 Der Aspekt des Wetteiferns mit der Natur lässt sich zudem um das Wetteifern mit anderen Künsten, allen voran der Skulptur, ergänzen. Denn der rilievo-Begriff fungiert in seiner frühneuzeitlichen Anwendung, wie Freedman selbst schreibt, als »bridge-word«, wann immer Theoretiker die »similarities as well as dissimilarities« von Malerei und Skulptur beleuchten.203 Verknüpft mit der Fokussierung auf Darstellungen der moti und der Evokation von Lebendigkeit lässt sich in Leonardos Mailänder Schaffensphase ein Wechsel bzw. verstärktes Explorieren von Zeichenmitteln und -techniken beobachten. Während der Künstler in der frühen Florentiner Schaffensphase hauptsächlich mit Silberstift, Feder und Tinte auf blau oder ähnlich grundiertem Papier zeichnete, arbeitete er in Mailand häufig mit roter Kreide und explorierte dieses graphische Gestaltungsmittel v. a. in den Kopf- und Handstudien für das Abendmahl (Farbtafeln 31–33).204 Dabei war er einer der ersten Künstler in
202 Freedman, Luba, »Rilievo as an Artistic Term in Renaissance Art Theory«, in: Rinascimento. Rivista dell’Istituto Nazionale di Studi sul Rinascimento, 29 (1989), S. 217–247, S. 230. Siehe zum frühneuzeitlichen rilievo auch: Rath, »Die Haptik der Bilder«. 203 Siehe: Freedman, »Rilievo«, S. 221. 204 In ihrer grundlegenden Forschung zu Zeichnungen in roter Kreide weist Maddalena Spagnolo bereits auf die intensive Auseinandersetzung Leonardos mit roter Kreide als Zeichenmittel im Kontext der Abendmahl-Studien hin: »Il graduale – e mai definitivo – passaggio dalla punta metallica alla sanguigna coincide con gli studi preparatori per il Cenacolo di Santa Maria delle Grazie. È solo a partire da questa data, 1495 circa, che la matita rossa, precedentemente già conosciuta dall’artista, diviene un oggetto di ricerca e di sperimentalismo da indagare nelle nuove opportunità che può offrire al disegno: ora impiegata su carta bianca, ora su carta tinta di rosa, ora bagnata per renderne il tratto più luminoso, quasi acquerellato, ora, infine, soffregata per sfumare i contorni.« Spagnolo, Maddalena, »La matita rossa come luce e colore: verifiche sugli studi di teste di Leonardo e dei leonardeschi«, in: Polittico: studi della Scuola di specializzazione e del dottorato di ricerca in storia dell’arte dell’Università di Pisa, 1 (2000), S. 65–82, S. 65. Auch Giovan Paolo Lomazzo bespricht den Gebrauch von roter Kreide in Leonardos Werk insbesondere im Kontext der Studien zum Abendmahl. Siehe: Lomazzo, »Trattato«, S. 169. Leonardos neuartigen intensiven Gebrauch von roter Kreide in der ersten Mailänder Schaffensphase betonen auch: Bambach, Carmen C., »Leonardo’s Notes on Pastel Drawing«, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, 52/2–3 (2008), S. 176–204, S. 177, 193; Ballarin, Alessandro, Leonardo a Milano. Problemi di leonardismo milanese tra Quattrocento e Cinquecento. Giovanni Antonio Boltraffio prima della Pala Casio, Bd. 2, Verona 2010, S. 746; Cohn, Marjorie B., »Red Chalk: Historical and Technical Perspectives. Part 1: Aspects of Historical Usage«, in: Drawings Defined. With a Preface and Commentary by Konrad Oberhuber, hg. v. Walter Strauss und Tracie Felker, New York 1987, S. 165–170. Zu Leonardos Umgang mit Pastellkreiden siehe generell: Nova, Alessandro, »Pietre naturali, gessi colorati, pastelli e il problema del ritratto«, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, 52/2–3 (2008), S. 159–175, S. 159.
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seinem Umfeld, der differenziert und umfangreich mit diesem weichen Zeichenmittel arbeitete und experimentierte. Die aus tonhaltiger Erde gewonnene natürliche rote Kreide, die zum Zeichnen in schmale Stifte zurechtgeschnitten wird, kann vielfältig auf den Bildträger aufgetragen werden: angespitzt oder stumpf, gerieben oder gedrückt, trocken oder feucht.205 Dadurch lassen sich vielfältige Farbnuancen und Schattierungsweisen erzeugen. Die rote Kreide ermöglicht es auch, mit den Fingern schnell und flexibel in die Formfindung einzugreifen, durch Verwischen der Kreidepartikel Farbflächen zu erzeugen und weiche Übergänge von hellen zu dunklen Partien zu gestalten.206 Diese verbindende, vereinheitlichende Qualität von Kreide, das Auflösen der Linien in eine »cosa unita« hob einige Jahrzehnte später bspw. der Sieneser Arzt, Kunsttheoretiker und -sammler Giulio Mancini (1559–1620) in Abgrenzung zu den Möglichkeiten von Federzeichnungen lobend hervor.207 Nachdem nun Leonardo angespitzte rote Kreide vereinzelt zwischen 1493 und 1496 für Studien nach der Natur im Manuskript H sowie Codex Forster II und III eingesetzt hatte, begann er um 1495 die rote Kreide vielfältiger und gerade auch als weiches Zeichenmittel für die Darstellungen von Köpfen, Händen sowie Büsten zu nutzen und seine ersten Ideen für die Bildfindung des Cenacolo zu entwerfen.208 Ein Beispiel ist die Studie für die Figur des Heiligen Jakobus (Farbtafel 31) – ein Blatt, auf dem zugleich der Gebrauch unterschiedlicher Zeichenmittel beobachtbar ist. Die rote Kreidezeichnung der männlichen Büste kontrastiert in ihrer Linienführung und Schraffur, Dynamik, warmtönigen Farbigkeit und Evokation von Plastizität mit der zu einem anderen Zeitpunkt entstandenen und in Feder mit Tinte gezeichneten perspektivischen Skizze einer Festungsanlage in der linken unteren Ecke des Blattes.209 In der Büste des Mannes in roter Kreide werden unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten des Zeichenmittels nachvollziehbar, verschiedene In205 Siehe zu den Materialeigenschaften roter Kreide und den entsprechenden Zeichentechniken: Mayer, Debora / Vandiver, Pamela B., »Red Chalk: Historical and Technical Perspectives. Part 2: A Technical Study«, in: Drawings Defined. With a Preface and Commentary by Konrad Oberhuber, hg. v. Walter Strauss und Tracie Felker, New York 1987, S. 171–180, S. 171–174. 206 Siehe: Marani, »Leonardo’s Drawings in Milan«, S. 171. 207 Giulio Mancini schreibt: »El lapis e nel carbone vi è una cosa particolare et è che, tirate le linee, con lo strofinare con panno o altro vengono ad unirsi in tal modo che non appaiono più linee, ma ogni cosa unita, il che nelle linee della penna non può avvenire [.]« Mancini, Giulio, Considerazioni sulla pittura, hg. v. Adriana Marucchi und Luigi Salerno, Bd. 1, Rom 1956, S. 307. 208 Siehe zu Leonardos frühesten Einsätzen der roten Kreide als Zeichenmittel: Marani, »Leonardo’s Drawings in Milan«, S. 174. 209 Siehe zur zeitversetzten Entstehung der beiden Zeichnungen auf dem Blatt: Clayton, Martin, »Anatomy and the Soul«, in: Leonardo da Vinci 1452–1519. The Design of the World, Ausst.kat., hg. v. Pietro C. Marani und Maria Teresa Fiorio, Mailand 2015, S. 213–221, S. 218.
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tensitäten der Deckkraft und Farbigkeit, verschiedene Arten der Linienführung und des Verwischens. Vereinzelte, mit wenig Nachdruck geführte und somit hellrot erscheinende Linien kennzeichnen das halblange wellige Haar sowie die Schultern der Figur und deuten ihre Büste sowie die linke Hand an. Am Hals und v. a. im Gesicht ist das Liniennetz hingegen engmaschiger. Mit Nachdruck gezogene, kondensierte, tiefrote Linien gestalten das Profil, die Augen, die Brauen sowie den Mund und die Nasenflügel. Insbesondere zum halbgeöffneten Mund, den zusammengezogenen Augenbrauen sowie verschatteten Augen hin verdichten sich die kräftigen Linien mit parallelen Schraffuren, die im Wechsel mit weich verwischten Helldunkelmodellierungen dem Gesicht rilievo verleihen. Ästhetisch und semantisch verdichten und verstärken sich die Linien also dort, wo sie die moti dell’anima konkretisieren, dort, wo sich die Ausdruckskraft der Figur bündelt. Mit dem zur Brust geneigten Kinn, dem geöffneten Mund, den gespannten Nasenflügeln, den zusammengezogenen Augenbrauen und dem eindringlichen Blick aus tiefliegenden Augen scheint die Figur aus Entsetzen zurückzuweichen. Es ist eine eindrucksvolle Zeichnung, von der Martin Clayton nachvollziehbarer Weise wertschätzend sagt: »No drawing more effectively links the movements of the mind to the movements of the body«.210 Dabei sind es insbesondere die Variation und Prägnanz der Liniendichte sowie die in unterschiedlichen Rottönen changierende Farbigkeit, die in der Gestalt des entsetzten Mannes einen äußerst lebendigen, dynamischen Eindruck erzeugen. Die Assoziation der Materialität von Zeichnungen in roter Kreide mit Lebendigkeit und durchbluteter Haut verdeutlicht auch die frühneuzeitlichen Terminologie, die für das vielseitige Zeichenmittel eingesetzt wurde: Denn die rote Kreide wurde auch »lapis amatita« genannt, nach dem griechisch stämmigen Wort Hämatit, roter Blutstein, und mit Verweis auf ihre Zusammensetzung aus Hämatit, roten Eisenoxiden und verschiedenen Tonarten.211 Die rote Kreide wurde auch in Leonardos Mailänder Umfeld zunehmend ein beliebtes Zeichenmittel; Künstler setzten sie um die Jahrhundertwende vermehrt für Kopfstudien ein und erprobten die Gestaltungsmöglichkeiten dieses Zeichenmittels bei der Konfiguration ausdrucksstarker, lebensnaher Gesichter, so etwa Agostino da Lodi in der Büste eines jungen Mannes mit lockigem Haar (Venedig, Gallerie dell’Accademia, inv. 262).212 Auch Giovanni Antonio Boltraffio nutzte zuneh210 Ebd. 211 Siehe zum Zitat: Ballarin, Leonardo a Milano, Bd. 2, S. 746. Siehe zur Zusammensetzung von roter Kreide: Mayer / Vandiver, »Red Chalk: Historical and Technical Perspectives«, S. 171. 212 Siehe zu Agostino da Lodi und seinem Erproben der roten Kreide für Zeichnungen von Gesichtern nach dem Leben: Kwakkelstein, Michael W., »The Limited Impact of Leonardo da Vinci’s Ideas on Painting in Sforza Milan«, in: Artibus et Historiae. An Art Anthology, 77/39 (2018), S. 77–98, S. 93.
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mend statt des Silberstifts die rote Kreide für eine »more compelling verisimilitude in portraiture«.213 Während der Arbeit an den Figuren des Abendmahls explorierten Leonardo und seine Mitarbeiter bzw. Kollegen zudem eine weitere Spielart des Zeichnens mit roter Kreide. In einer Gruppe von Kopfstudien – vermutlich für die Figuren von Bartholomäus, Judas und Simon – kombinierten sie die rote Kreide mit rötlich präpariertem Zeichnungsfond (Farbtafeln 32, 33).214 Im Wechselspiel von zarten, hellen und kondensierten, kraftvollen Linien, von Schraffur und Verwischen der Farbpartikel sind die Büsten der Männer mit ihren anatomischen Details, den Muskeln, Sehnen und Knochen in subtiler Helldunkelschattierung aus dem rötlichen Grund herausgearbeitet und bleiben dabei zugleich Teil dessen. Die Verbindung von roter Kreidezeichnung und rötlichem Grund erzeugt eine nuancenreiche Monochromie, die den Büsten einen besonders eindrücklichen rilievo-Effekt verleiht.215 Die rote Kreide auf dem roten Grund eignet sich besonders für die Gestaltung von Gesichtern und ausdrucksstarken Gemütsbewegungen aufgrund der Assoziation mit Lebendigkeit. Das Schichten von Rosa- und Rottönen bezeichnete etwa auch Cennino Cennino um 1400 in
Siehe generell zu roten Kreidezeichnungen in Leonardos Mailänder Umfeld: Bambach, »Leonardo’s Notes on Pastel Drawing«; Bora, Giulio, »I leonardeschi e il ruolo del disegno«, in: Disegni e dipinti leonardeschi dalle collezioni milanesi, hg. v. dems., Luisa Cogliati Arano, Maria T. Fiorio und Pietro C. Marani, Mailand 1987, S. 11–19. Vgl. zur roten Kreide als Zeichenmittel, das sich für Leonardo im Kontext des Abendmahls für ausdrucksstarke, lebhafte und plastisch wirkende Figurendarstellungen und Studien der moti eignete auch ebd., S. 17; Marani, »Leonardo’s Drawings in Milan«, S. 155–157; Spagnolo, »La matita rossa«, S. 66. 213 Kwakkelstein, »The Limited Impact«, S. 89. 214 Die Zeichnungen aus der Gruppe der Rot-auf-Rot-Kopfstudien (Windsor, Royal Collection, RL 12547, RL 12548 sowie 12550) werden auf die Mitte der 1490er-Jahre datiert. Das Zeichnungsblatt RL 12550 – eine Studie für den Apostel Simon – wird in der Forschung weitestgehend einem Schüler, Mitarbeiter bzw. Kollegen Leonardos zugeschrieben. Siehe zu den drei Zeichnungen und der Zuschreibungsfrage: Marani, Pietro C., »Head of a Man in Profile Facing Right, c. 1495, RL 12548«, in: Leonardo da Vinci 1452–1519. The Design of the World, Ausst.kat., hg. v. dems. und Maria Teresa Fiorio, Mailand 2015, KatalogNr. V.14, S. 555; Ballarin, Alessandro, »Nota sugli studi di teste e di mani per il Cenacolo [1996–2000]«, in: Leonardo a Milano. Problemi di Leonardismo Milanese tra Quattrocento e Cinquecento. Giovanni Antonio Boltraffio prima della Pala Casio, Bd. 1, Verona 2010, S. 258–262; Clayton, Martin, Leonardo da Vinci. The Divine and the Grotesque, London 2002, S. 137–141, Nr. 53–55; Pedretti, Carlo (Hg.), Leonardo. Studi per il cenacolo dalla Biblioteca Reale nel Castello di Windsor, Mailand 1983, S. 51, 94. Zur Datierung siehe: Marani, Pietro C., »Leonardo’s Drawings in Milan«, S. 162, 174. 215 Siehe generell zu farbigen Zeichnungsfonds in der italienischen frühen Neuzeit den anregenden Beitrag von Jana Graul: Graul, Jana, »›Il principio e la porta del colorire‹. Zur Rolle farbiger Fonds in der Florentiner Zeichnung des 14. und 15. Jahrhunderts«, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, 52/2–3 (2008), S. 7–22.
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seinem Libro dell’Arte (Kapitel 67, 148) als incarnari, sprich als Modellierung lebendig wirkender Darstellung von Haut.216 Betrachten wir Leonardos Zeichnung des sich umwendenden älteren Mannes genauer (Farbtafel 33, RL 12547). In prononcierter Drehbewegung wendet er den Kopf über die linke Schulter. Kräftig gezogene Linien konturieren sein markantes Profil mit vorstehendem Kinn, krummem Nasenrücken und ausgeprägten Kieferknochen. Die Augenbrauen sind weit hochgezogen, der Mund fest verschlossen, die Mundwinkel zeigen nach unten. Haltung und Mimik implizieren, dass der Mann sich überrascht und verdutzt zu jemandem bzw. etwas hinter ihm umwendet. Die Haut an seinem Hals wirkt eingefallen und an der Stirn sowie um die Augen und Mundwinkel sind tiefe Falten sichtbar, die die Spuren seines Alters markieren. Der Brustbereich, das Hemd und die Haare am Hinterkopf sind durch feine, helle Linien minimal angedeutet. Vergleichbar mit der Zeichnung des Jakobus (Farbtafel 31) sind genau die Bereiche des Kopfes mit kräftigen Linien, Schraffuren und Wischtechnik herausgearbeitet, in denen sich Bewegungsmomente bündeln – sowohl bzgl. der Drehung des Halses und Kopfes, als auch bzgl. der Gemütsbewegungen und Mimik. Dadurch, dass die Farbe des Zeichnungsfonds demselben rötlichen Farbton zugehört wie die Linien und Schattierungen der Zeichnung, entsteht der Eindruck, dass die Figur aus dem Zeichengrund herausmodelliert ist. Die in diesem Sinne skulpturale Gestaltung verleiht der Figur ein hohes Maß an Plastizität und Ausdrucksstärke.217
216 Siehe: Kruse, Christiane, »Fleisch werden – Fleisch malen: Malerei als ›incarnazione‹. Mediale Verfahren des Bildwerdens im Libro dell’Arte von Cennino Cennini«, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 63/3 (2000), S. 305–325, S. 314–325. Zur Korrelation von roter Farbe und durchblutetem Inkarnat siehe weiterhin: Fehrenbach, »Calor nativus«. 217 Vergleicht man Leonardos rote Kreidezeichnungen auf rot grundiertem Papier bspw. mit einer Federzeichnung des Jesuskindes auf blau eingefärbtem Papier mit Weißhöhungen (um 1490, Paris, Frits Lugt Collection, Inv. 2886) aus Leonardos direkten Umfeld, vermutlich von Giovanni Antonio Boltraffio, so werden einmal mehr die unterschiedlichen wirkungsästhetischen und haptischen Qualitäten deutlich, die die verschiedenen Zeichenmittel mit ihrer jeweiligen Materialität den Arbeiten verleihen. In Boltraffios Zeichnung erhält die Figur vor dem hellen Blau eine gewisse Schwerelosigkeit und die strahlende Haut des Kindes scheint nahezu transluzid, während die gezwirbelten Locken mit ihren zahlreichen Weißhöhungen elaborierten Marmorskulpturen nicht unähnlich sind. Zur Kombination von göttlichem Sujet und Blaufärbung des Fonds merkte Michelangelo um 1544 an, dass man über Göttliches auf blauem Grund schreibe: »Delle cose divine se ne parla [i]n campo azzurro« (Madrigal auf blauem Papier, Se dal cor lieto divien bello il volto, Florenz, Archivio Buonarroti, XIII, 46). Siehe zu Michelangelos Bemerkung: Brahms, Iris, »Schnelligkeit als visuelle und taktile Erfahrung. Zum chiaroscuro in der venezianischen Zeichenpraxis«, in: Technische Innovationen und künstlerisches Wissen in der Frühen Neuzeit, hg. v. Magdalena Bushart und Henrike Haug, Köln 2015, S. 205–229, S. 210, 214.
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Auf eine derartige Funktion bzw. einen derartigen ästhetischen Effekt farbiger Zeichnungsfonds hebt Leonardo auch in einer Notiz ab, in der er darauf verweist, dass Maler zur Erzeugung von rilievo den Zeichengrund in einem dunklen Mittelwert (»di mezzana oscurità«) einfärben sollen, auf den sie dann dunklere Schatten und Lichthöhen setzen.218 Eine weitere aufschlussreiche Textpassage, in welcher Gebrauch, Auswahlkriterien und Funktion von roter Kreide und farbigen Zeichnungsfonds pointiert in textverfasster Theorie reflektiert wird, findet sich in Lomazzos Trattato. Lomazzo weist darauf hin, dass man eine Idee sehr viel leichter (»facilmente«) auf ein Papier (»materia«) zeichnen könne, das nicht – wie etwa ein ganz weißes Blatt – extrem sei (»estrema«).219 Zudem solle man mit einem Zeicheninstrument arbeiten, das nicht so spitz sei wie eine Feder. Vielmehr solle man mit roter Kreide auf farbig grundiertem Papier zeichnen. Denn dann sei der Unterschied zwischen der Farbe der Zeichnung und des Papiers gering und es könne sich ungehindert das zeigen, was man ausgedacht habe (»ciò che s’è concetto nella mente«), ohne dass zwei widerstreitende konträre Farben Verwirrung stiften.220 Lomazzos produktions- wie rezeptionsästhetische Reflexion farbiger Zeichnungsfonds und roter Kreidezeichnungen ähneln den Argumenten, die er zusammen mit dem Zitat aus ›Leonardos Buch‹ zur Wert-
Zur Zeichnung Boltraffios siehe Antonio Mazzottas Katalogeintrag: Mazzotta, Antonio, »Giovanni Antonio Boltraffio. Study for the Head of the Christ Child, about 1490–1«, in: Leonardo da Vinci. Painter at the Court of Milan, Ausst.kat., hg. v. Luke Syson, London 2011, Katalog-Nr. 61, S. 232–233. 218 »I pittori, per ritrarre le cose di rilievo debbono tingere le superfizie delle carte di mezzana oscurità e poi dare l’ombre più oscure, e ultimo i lumi principali in piccolo loco[.]« Leonardo, Libro di Pittura. Codice Urbinate lat. 1270 nella Biblioteca Apostolica Vaticana, hg. v. Carlo Pedretti und Carlo Vecce, Bd. 2, Florenz 1995, Kapitel 219, S. 234. In der englischsprachigen Übersetzung von Amos Philip McMahon heißt es: »to draw objects in relief, painters should stain the surface of the paper with a tint that is medium dark and then put on the darkest shadows, and finally the principal lights in little spots, which are those first lost to the eye at a short distance.« Leonardo da Vinci, Treatise on Painting. Codex Urbinus Latinus 1270, übers. v. Amos Philip McMahon, Bd. 2, Princeton 1956, Nr. 144, S. 73. 219 Lomazzo schreibt: »[F]ormato che si ha una cosa nell’idea, la qual si vuol poi disegnare, piú facilmente si disegnerà sopra materia che non sia estrema, come sarebbe a dir sopra carta bianchissima, e con instromento che non sia estremamente acuto, come sarebbe penna tinta nel inchiostro, ma […] con pietra tedesca e rossa, e sopra la carta tinta; sí che sendovi poca differenza tra ’l colore del disegno e la carta, senza confusione per l’oggetto s’accenni chetamente tutto ciò che s’è concetto nella mente […] per non generar confusione nella mente in vedere due colori estremi che insieme contendono.« Lomazzo, »Trattato«, S. 417. Genau solche Reflexionen nun sind aber eben nicht systematisch im Traktat geordnet, sondern verstreut jenseits polemischer Paragoni. Auch an solchen Konstellationen werden die unterschiedlichen Interessen und Stilisierungen verschiedener schriftlich fixierter Paragoni deutlich (siehe hierzu Kapitel 3.1). 220 Siehe das Zitat in der vorherigen Anm.
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schätzung des plastischen Modellierens in Ton anbringt.221 Gleichermaßen wird betont, dass der mit den jeweiligen Materialien verbundene Werkprozess (weicher Ton und Hände bzw. Kreide und farbiger Fond) der Imagination und den geistigen Ideen besonders nah stehe, bzw. deren Umsetzung optimal begünstige. Terrakottawerke und rote Kreidezeichnungen – gerade auch jene auf Rot gefärbtem Papier – sind damit enggeführt. Diese Engführung wird nun v. a. in den Kunstwerken selbst vollzogen. Iris Brahms und Jana Graul weisen in anderen Zusammenhängen als den hier vorliegenden Werkkontexten darauf hin, dass Rot-auf-Rot-Zeichnungen in ihrer Materialität und lebendig wirkenden Ästhetik Terrakottareliefs ähneln.222 In der vorliegenden Fallstudie mit der Analyse von Leonardos Apostelstudien und ihrer Teilhabe am ästhetischen Diskurs der Lombardei wird nun ganz konkret beobachtet, dass die Figuren der Rot-auf-RotZeichnungen geradezu aus dem Zeichnungsgrund herausmodelliert scheinen und bspw. die rote Kreidezeichnung des Jakobus Qualitäten und ästhetische Schwerpunktsetzungen mit Terrakottabüsten teilt.223 Führen wir die Analysen der materialsichtigen Terrakottabüsten mit der Untersuchung der Figurenstudien in roter Kreide – sowohl auf weißlichem, als auch auf rotgrundiertem Papier – zusammen, werden ihre einschlägigen gemeinsamen ästhetischen Fokussierungen, Interessen und Austauschpotentiale evident: die Elaborierung von rilievo, das Modellieren ausgeprägter Anatomien, die Konfiguration ausdrucksstarker moti sowie die Evokation von Lebendigkeit und Kommunikativität. Zugleich werden Ähnlichkeiten bzw. Überschneidungen in der Produktionsästhetik sowie in der historisch geprägten Materialästhetik und -semantik von materialsichtiger Terrakotta und roter Kreide deutlich: Beide sind weiche Werkstoffe, die sich (auch) mit den Händen modellieren bzw. verwischen lassen, die das direkte, schnelle, flexible Eingreifen in die Gestaltgebung ermöglichen und herausfordern. Beide sind aus der Erde gewonnen, tonhaltig, rötlich und wurden mit durchbluteter Haut bzw. Lebendigkeit und Natürlichkeit assoziiert. Somit ergeben sich vielschichtige mitstreitende Dialoge zwischen den Figurenstudien in roter Kreide – sowohl bspw. jenen Apostel büsten auf weißlichem Papier als auch und im Besonderen jenen auf rötlich grundiertem Papier – und den Explorationen des omnipräsenten Motivs skulp221 Siehe Kapitel 3.1, Anm. 101 und 108. 222 Brahms, »Schnelligkeit«, S. 212; Graul, »›Il principio e la porta del colorire‹«, S. 18. 223 Bzgl. der weiteren Verbreitung der Kombination von roter Kreide und rot grundiertem Papier in frühneuzeitlichen Zeichnungen des ästhetischen Diskurses der Lombardei weist Pietro C. Marani daraufhin, dass die Künstler aus Leonardos Umfeld v. a. nach dem zweiten Aufenthalt des toskanischen Künstlers in Mailand häufig in roter Kreide auf rotem Grund zeichneten. Siehe: Marani, »Leonardo’s Drawings in Milan and Their Influence on the Graphic Work«, S. 175; siehe zum Thema außerdem: Bambach, »Introduction to Leonardo«, S. 24–27.
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turierter testoni – v. a. den ambitionierten materialsichtigen Terrakottabüsten in San Satiro von Agostino de’ Fondulis, aber auch bspw. die materialsichtigen Büsten in Tondi im Chorgang der Karthause von Pavia. Jene Werke boten sich insbesondere aufgrund ihrer Mehransichtigkeit, prononcierten Plastizität, markanten anatomischen Ausgestaltung, hohen Lebendigkeitswirkung und vielfältigen Expressivität als komplexe Dialogpartner für Leonardos Kreidestudien an.224 Aber auch die damals noch materialsichtige Beweinungsgruppe Agostinos in San Satiro führte anregende moti-Konfigurationen und ein Netzwerk an Kommunikation unter den Figuren vor Augen, eine Reaktionskette, die bspw. für Leonardos Bildfindung der Abendmahlszene ebenfalls anregend sein konnte. In medien- und materialgebundenen Dialogen konnten sich die Künstler mit ihren Werken – produktions- wie rezeptionsästhetisch – über die gemeinsamen Interessensschwerpunkte, Fragen und Herausforderungen sowie über ästhetische Qualitäten austauschen, gegenseitig inspirieren und anspornen. Mit Blick auf das 1498 vollendete großformatige Wandgemälde des Abendmahls (Farbtafel 34), im Kontext dessen Leonardo die besprochenen Figurenstudien in roter Kreide zeichnete, deuten gerade die kompositionellen Aspekte auf den bereits im Entwurfsprozess entfalteten Mitstreit mit den testoni aus Terrakotta und den vollplastischen Compianti hin. Eine rötliche Entwurfsskizze bildet die Grundlage des Wandbildes; über diese malte Leonardo mit einer ungewöhnlichen ölgebundenen Ei-Tempera-Mischung, die es ihm erlaubte, langsam zu arbeiten und weiche Übergänge von lichten und schattigen Partien mit hoher plastischer Wirkung zu kreieren.225 Zu sehen sind die Apostel, die jeweils sehr unterschiedlich auf Jesus Aussage reagieren, dass einer unter ihnen ihn, 224 Während einige Forscher vor dem Hintergrund von Leonardos Studien numismatischer Porträts in den Notizbüchern durchaus ein Interesse des Künstlers an der lombardischen Mode der imagines clipeatae in den Figurenstudien des Abendmahl beobachten, hat bisher nur Giulio Bora explizit auf Agostinos Arbeiten in San Satiro als relevante Referenzwerke für Leonardos Projekt hingewiesen, »i quali con il loro caricato naturalismo espressivo dovettero impressionare lo stesso Leonardo oltre che Bramante«. Bora, »I leonardeschi«, S. 13. Zu Leonardos numismatischem Interesse siehe: Marani, Pietro C., »›L’imitazione delle cose antiche è più laldabile che quella delle moderne‹: Leonardo da Vinci and Antiquity«, in: Leonardo da Vinci 1452–1519. The Design of the World, Ausst.kat., hg. v. dems. und Maria T. Fiorio, Mailand 2015, S. 131–140, S. 131 f.; Radke, »Leonardo, Student of Sculpture«, S. 22. Giancarlo Gentilini weist knapp daraufhin, dass die zahlreichen teste clipeate der lombardischen palazzi mit ihren oft expressiven Gesichtszüge »in sintonia con la fisiognomica leonardesca« stehen. Gentilini, Giancarlo, »La terracotta: volti e passioni«, in: La scultura al tempo di Andrea Mantegna, Ausst.kat., hg. v. Vittorio Sgarbi, Mailand 2006, S. 47–51, S. 50. 225 Siehe: Marani, Pietro C., Il Cenacolo svelato. The Last Supper unveiled. La Cène dévoilée, Mailand 2011, S. 13; Zöllner, Leonardo da Vinci 1452–1519, S. 229 ff.
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den Herrn, verraten wird (Joh. 13:21). Der lange Tisch mit weißem Tischtuch im Vordergrund und die einfarbig dunklen, rechteckigen Felder im Hintergrund rahmen die Bildfiguren und exponieren ihre Büsten. Die Apostel sind in Alter, Aussehen und Ausdruck unterschiedlich und ein besonderer Fokus ihrer Darstellungen liegt auf Gestik und Mimik sowie den Bewegungen der Oberkörper und Köpfe, die mal im Profil, mal im Dreiviertelprofil, mal frontal zu sehen sind. Neben Studien nach der Natur konnten räumlich inszenierte Gruppen von Terrakottabüsten wie in Pavia und San Satiro für Leonardos kompositionelle Gestaltung des Kommunikationsnetzwerks anregend sein. Die Vielfalt an Gesten und Mimik, die körperliche Präsenz und Lebendigkeitswirkung der Figuren sowie die Aktualisierung eines spezifischen Moments einer biblischen Geschichte, auf den die Bildfiguren variationsreich reagieren, wurden derweil gerade auch in den Compianti intensiv verhandelt.226 Das Hin- und Herwenden der Apostel, ihr Vor- und Zurückdrehen und Gestikulieren im gemalten Bildraum des Abendmahl sind pointierte Beiträge zur Debatte um möglichst lebendig bzw. affektiv wirkende Darstellungen einer biblischen Szene – eine Debatte, die stark geprägt wurde von den zunehmend populär und prominent werdenden lebensgroßen und vollplastischen Beweinungsgruppen und in der Agostinos materialsichtiges Compianto einen ganz besonders eindrucksvollen Beitrag in Mailand geliefert hatte. Während sich Aushandlungsprozesse um die Ästhetik der moti in jener Konstellation von monumentalem Wandbild, Beweinungen und testoni verdichten konnten, werden selbstverständlich in keiner Weise die medialen Differenzen und genuinen Potentiale der malerischen 226 Auch Simone Ferrari und Alberto Cottino deuten auf eine Auseinandersetzung bzw. Bezugnahme Leonardos auf oberitalienische Beweinungsgruppen in Terrakotta hin und machen diese insbesondere an der rhythmischen Variation der Gesten fest. Sie konzentrieren sich jedoch auf die Werke Guido Mazzonis und vernachlässigen Agostinos Mailänder Beweinung, die aufgrund ihrer Materialsichtigkeit und ihrer Verortung im ambitionierten Bildprogramm von San Satiro sowie aufgrund der Bekanntschaft der Künstler untereinander sehr viel einschlägiger als Dialogpartner Leonardos zu denken ist. Siehe: Ferrari / Cottino, Forestieri a Milano. Riflessioni su Bramante e Leonardo alla corte di Ludovico il Moro, S. 36, 50–55, 142–146. Giancarlo Gentilini weist ebenfalls daraufhin, dass »plasticatori padani« wie Guido Mazzoni und Niccolò dell’Arca in der zweiten Hälfte des Quattrocento für die ausdrucksstarke Darstellung von Gemütsbewegungen entscheidende Impulse setzten. Gentilini, »La terracotta: volti e passioni«, S. 50. Sandrina Bandera, deren Studien zur Kunst Agostinos und lombardischer Terrakottaskulpturen grundlegend sind, gibt sehr zurückhaltend einen Hinweis auf eine lose Verbindung zwischen Agostinos Beweinung und Leonardos Werk, wenn sie zum Compianto von San Satiro anmerkt: »fissa un termine particolarmente anticipato per la diffusione in Lombardia delle rappresentazioni dei volti caricati e degli aspetti incisivi delle espressioni a immagine del carattere. Sarebbe stato poi Leonardo, all’epoca degli studi per la Cena, che avrebbe teorizzato questa correlazione tra stato d’animo e fisionomia fino ad arrivare al genere delle ›caricature‹«. Bandera Bistoletti, Agostino de’ Fondulis e la riscoperta della terracotta, S. 60 f.
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und skulpturalen Werke gemindert, sondern spielen eine entscheidende Rolle. Nur andeutungsweise: Die Terrakottawerke haben am Raum der Betrachtenden teil und entfalten ihre Wirkung im Falle der Beweinungsgruppen als lebensgroße und vollplastische Figuren auf Augenhöhe oder aber Altarhöhe in quasi greifbarer Nähe der Betrachtenden, involvieren sie affektiv in das Geschehen. Das monumentale und weit oben an der Wand verortete Abendmahl-Gemälde, dessen idealer Betrachterstandpunkt gemäß der perspektivischen Konstruktion auf einer Höhe von über vier Metern liegt, zieht den Betrachterblick hingegen in einen hochgradig illusionistischen Raum jenseits des Erfahrungsraumes der Betrachtenden und stellt in diesem Raum nicht nur die Aktualität der Verratsankündigung dar, sondern auch ein zeitlich mehrschichtiges Verweissystem.227 Durch Verweisvektoren wie jenen des nach oben zeigenden Zeigefingers von Thomas, der vor Judas’ Verrat warnt und zugleich auf seinen eigenen späteren Zweifel verweist, wird ein über den Moment hinausweisendes Referenzsystem geschaffen, wodurch sich die Ansprache der Betrachtenden von jener der Beweinungen deutlich unterscheidet. Die medien- und materialgebundenen Aushandlungs- und Austauschprozesse zwischen Skulptur, Zeichnung und Malerei, ihre Explorationen von Materialien und wirkungsästhetischen Effekten sowie die werkimmanent artikulierten Debatten über die Gestaltung von rilievo, die Konfiguration ausdrucksstarker moti sowie die Evokation von Lebendigkeit werden durch Leonardos Abendmahl weiter gefördert. So findet sich ab 1532 in Santa Maria dei Miracoli in Saronno ein vollplastisch skulpturiertes Abendmahl (Farbtafel 35) mit deutlich markierten Referenzen auf Leonardos Gemälde und in Auseinandersetzung mit vollplastischen Figurengruppen wie der Beweinung Agostinos. Die Figurengruppe in Saronno besteht aus dreizehn Holzskulpturen von Andrea da Milano, die – anders als in San Satiro – noch vor ihrer Installation in der Franziskanerkirche farbig gefasst wurden, wodurch die Aufmerksamkeit möglichst gar nicht auf den Kunstwert, sondern ausschließlich auf die Identifikation der Betrachtenden mit den Figuren, ihr affektives Involviertwerden und die Andacht der biblischen Szene gerichtet wird.228 Andreas Figurengruppe aus polychromem Holz führt uns nun zum nachfolgenden Unterkapitel, in dem miteinander interagierende Werke der Malerei und Skulptur als reflektiert eingesetzte Medienkombina227 Siehe zum idealen Betrachterstandpunkt: Pedretti, Leonardo. Studi per il cenacolo, S. 44. Siehe zu den Verweisvektoren in Leonardos Abendmahl: Walliser-Wurster, Michaela, Fingerzeige. Studien zu Bedeutung und Funktion einer Geste in der bildenden Kunst der italienischen Renaissance, Frankfurt am Main / Bern / Brüssel 2001, S. 199 f. 228 Siehe zu Andreas Abendmahl: Fiorio, »La scultura rinascimentale«, S. 128. Siehe zur polychromen Fassung: Pedretti, Carlo, »Leonardo, la scultura e il ›Cenacolo‹ di Saronno«, in: Alla Mensa del Signore. Capolavori dell’arte europea da Raffaello a Tiepolo, hg. v. Giovanni Morello, Turin / London 2011, S. 46–51, S. 49.
Interaktion der Medien in sakralen Räumen
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tionen im sakralen Raum untersucht werden.229 Die Analyse der Medienkombinationen in Santa Maria dei Miracoli sowie in den Kapellen des Sacro Monte in Varallo werden zusammen mit den entsprechenden historischen Beschreibungskategorien, rezeptionsästhetischen Anforderungen und Bewertungen in frühneuzeitlichen Texten weitere wichtige Perspektiven auf frühneuzeitliche Paragoni im ästhetischen Diskurs der Lombardei eröffnen.
3.3 Interaktion der Medien in sakralen Räumen 3.3.1 Santa Maria dei Miracoli in Saronno und die Werke von Bernardino Luini, Gaudenzio Ferrari, Giulio Oggioni, Andrea da Milano und Alberto da Lodi Die von 1498 bis ins zweite Jahrzehnt des Cinquecento hinein errichtete Kirche Santa Maria dei Miracoli in Saronno (auch Santuario della Beata Vergine dei Miracoli genannt) ist Aufbewahrungsort einer wundertätigen trecentesken Terrakottafigur der Heiligen Jungfrau und ein bedeutender frühneuzeitlicher Wallfahrtsort des Erzbistums Mailand.230 Unterschiedliche Künstler(gruppen) gestalteten dort während der ersten Hälfte des Cinquecento ein multimediales Ausstattungsprogramm, in dem Werke der Malerei und der Skulptur vielfältig aufeinander Bezug nehmen bzw. produktions- wie rezeptionsästhetisch in einem intrikaten Wechselspiel stehen. Zwischen 1530 und 1532 fertigte der Bildhauer Andrea da Milano für zwei Kapellen des Santuario Gruppen aus vollplastischen, lebensgroßen Holzfiguren: zum einen eine Grablegung und zum anderen das am Ende des vorigen Unter
229 In der vorliegenden Arbeit wird v. a. die Beschreibungskategorie der Medienkombination verwendet, über die unterschiedliche Niveaus und Intensitäten medialer Interaktionen erörtert werden. Da die Werke oft von unterschiedlichen Künstlern und zeitversetzt geschaffen wurden, erscheint diese Kategorie geeignet, um zwar ein Gesamtkonzept bzw. einen reflektierten Rezeptionszusammenhang, nicht aber unbedingt ein Gesamtwerk zu betrachten. Je nach Zusammenhang wird dann wiederum auch die Analysekategorie der Intermedialität produktiv gemacht. Zur Intermedialität siehe einschlägig: Rajewsky, Irina O., Intermedialität, Stuttgart 2002; für eine bündige Definition, ebd. S. 15: Rajewsky setzt die Intermedialität da an, wo zwei oder mehrere als distinkt wahrgenommene Medien material präsent sind und durch ihre genuine Medienspezifik das Gesamtwerk konfigurieren. Siehe hierzu auch die einleitenden Kapitel zur Intermedialität in: Dümpelmann, Veit Stoß. 230 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde die Kirche dann aufgrund der steigenden Pilgerzahlen vergrößert und umgebaut. Siehe zum Santuario allgemein einführend: Gatti Perer, Maria Luisa (Hg.), Il Santuario della Beata Vergine dei Miracoli a Saronno, Saronno 1996.
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kapitels erwähnte Abendmahl (Farbtafel 35).231 Die 13-figurige Abendmahlgruppe wurde noch vor ihrer Aufstellung 1532 von Alberto da Lodi polychrom gefasst. Die Bemalung ist aufwendig und durch den Farbauftrag werden feine Hautfalten, Haare und teilweise vergoldete Gewandmuster differenziert, deren Ornamentik stellenweise mit den Knotenmustern von Leonardos Sala delle Asse (Farbtafeln 9 und 10, Abb. 2.18) sowie den Kupferstichen der Ac(h)ademia Leonardi Vinci (Abb. 2.20) verwandt scheint.232 Nach der farbigen Fassung wurde das Figurenensemble 1533 unter Aufsicht des Bildhauers in einer erhöhten Nische der Kapelle oberhalb eines Altartisches installiert.233 Wie Leonardo in seinem Mailänder Wandbild (Farbtafel 34) fokussiert Andrea in seiner Figurengruppe den Moment der Verratsankündigung und stellt die unterschiedlichen Reaktionen der Apostel über variationsreiche Körperhaltungen, Mimik und Gestik dar. Manche haben ihre Augen und den Mund vor Entsetzen weit geöffnet, andere wirken mit halb geschlossenen Augen und geneigtem Kopf in sich gekehrt und traurig. Manche sitzen, andere sind halb vom Stuhl erhoben und wieder andere stehen. Mit ihren Oberkörpern und Blicken wenden sich die Apostel in verschiedene Richtungen und begegnen sich im Gegenüber der u-förmigen Tischordnung. Aufgrund der erhöhten Positionierung und Anordnung der Gruppe um die Tische herum wird der Betrachterblick aus der perspektivischen Untersicht mitten in die lebhafte Diskussion gelenkt. Je nach Betrachterstandpunkt ergeben sich unterschiedliche Sichtweisen auf das Kommunikationsgeschehen und es überlagern sich Figuren und verketten sich Gesten auf den Blickachsen. Mehrere der Haltungen und Gesten der Apostel ähneln Figuren aus Leonardos Abendmahl, bspw. Thomas’ Zeigegestus oder die Haltung des Apostels, der zu seinem linken Sitznachbarn blickt, sich ihm zuneigt und dabei mit seinen ausgestreckten Armen und nach oben zeigenden Handflächen nach rechts zu Jesus 231 Siehe: http://www.lombardiabeniculturali.it/opere-arte/schede/w9010-00003/ (zuletzt eingesehen am 15.04.2020); Fiorio, »La scultura rinascimentale«, S. 128; Rossi, Marco, »Fra decorazione e teatralità«, in: Il Santuario della Beata Vergine dei Miracoli a Saronno, hg. v. Maria Luisa Gatti Perer, Saronno 1996, S. 195–234, S. 202 f. 232 Siehe zur Datierung und zu Details der polychromen Fassung: Pedretti, Carlo, »Leonardo, la scultura e il ›Cenacolo‹ di Saronno«, in: Alla Mensa del Signore. Capolavori dell’arte europea da Raffaello a Tiepolo, hg. v. Giovanni Morello, Turin / London 2011, S. 46–51, S. 49–51. Siehe für den Verweis auf eine Verwandtschaft zwischen den Gewandmustern der Holzfiguren und Leonardos Knotenmustern: Marani, Pietro C., »Pittura e decorazione dalle origini del santuario fino al 1534. Giorgio Da Saronno, Alberto da Lodi, Bernardino Luini e Cesare Magni«, in: Il Santuario della Beata Vergine dei Miracoli a Saronno, hg. v. Maria Luisa Gatti Perer, Saronno 1996, S. 137–184, S. 177. Zur Sala delle Asse und den Kupferstichen der Achademia Leonardo Vinci siehe Kapitel 2.3.1. 233 Andrea lieferte zudem noch ein Lamm, Brote und Vasen mit. Die exakte Positionierung der lebensgroßen Holzfiguren nach der Aufstellung unter Leitung Andreas ist nicht dokumentiert. Siehe: http://www.lombardiabeniculturali.it/opere-arte/schede/w9010-0 0003/.
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deutet. Während einige Haltungen, Gesichtsausdrücke und Gesten sowie Details der Bemalung auf Leonardos monumentales Bild referieren mögen, bleibt offen, inwiefern Andrea auch kompositionelle Strukturen adaptierte (z. B. die heutige Anordnung der Figuren in dynamischen Dreiergruppen), denn die ursprüngliche Positionierung der Figuren vor dem Umbau der Kapelle Ende des 16. Jahrhunderts ist nicht dokumentiert. Dennoch ist eine enge Auseinandersetzung des lombardischen Bildhauers mit dem prominenten und vielfach kopierten und variierten Gemälde Leonardos nachvollziehbar. Andreas Teilhabe an der ästhetischen Debatte um die moti und Modi der Betrachteransprache manifestiert sich dabei einerseits als Dialog zwischen Leonardos Freskomalerei und den polychromen Holzfiguren des Abendmahls in Saronno, andererseits aber auch als Austausch mit der intensiven detailreichen Buntfarbigkeit, Lebensgröße und dem gesteigerten Realismus der Figuren polychromer Beweinungsgruppen.234 Doch innerhalb des Ausstattungsprogramms der Kirche in Saronno finden sich noch zahlreiche weitere, vielfältige, gegenseitige Bezugnahmen von Skulptur und Malerei. Kurz vor Andreas Arbeit an den Holzskulpturen freskierte in der zweiten Hälfte der 1520er-Jahre einer der damals gefragtesten Maler Mailands, Bernardino Luini, die Seitenwände der Hauptkapelle (Abb. 3.14, 3.15).235 Auf einer Seite ist im zentralen Bildfeld die Anbetung der Könige dargestellt, auf der anderen die Darbringung im Tempel. Eingefasst werden die buntfarbigen istorie von einem Rahmenprogramm aus Architektur, ornamentaler Bauplastik, gemalten Sibyllen sowie Tugendpersonifikationen. Die in leuchtende Farben gekleideten Sibyllen lehnen in eleganten, kontrapostischen Drehungen und mit flatternden Spruchbändern in den oberen Zwickeln des Rahmenwerks. Die monochrom anmutenden Tugendpersonifikationen finden sich unterhalb der istorie in einer architektonisch leicht nach vorn versetzten Sockelzone. Durch die Gliederung der unterschiedlichen Bildfelder sowie durch die verschiedenen Figurentypen, die Verortungen in jeweils andersgearteten Illusionsräumen und durch den Wechsel von Poly- und Monochromie werden differente Bildwelten und Wirklichkeitsbezüge markiert. Die Sibyllen antiker Zeiten werden als Weissagende der christlichen istorie durch ihre Farbgebung, Positionierung, Lebendigkeitsanmutung und Spruchbänder eng mit den biblischen Szenen ver234 Die Fresken hinter den Holzfiguren in Saronno wurden erst Ende des Cinquecento von Camillo Procaccino gemalt. Die Seitenwände suggerieren den Blick auf hügelige Landschaft. Mittig ist das emsige Treiben von Küchenhelfern vor monumentalen Architekturelementen zu sehen. Siehe: Pedretti, »Leonardo, la scultura«, S. 49. In Lomazzos Libro dei sogni werden – nebenbei bemerkt – derartige Hintergrundszenerien, aber auch ordentlich frisierte Haare und Bärte sowie feine, farbintensive Gewänder, wie sie auch die polychromen Holzskulpturen Andreas und Albertos auszeichnen, von der Dialogfigur Leonardo als für Abendmahldarstellungen völlig unangemessen kritisiert. Lomazzo, »Libro dei sogni«, S. 101 f. 235 Vgl. allgemein zu Luinis Bildprogramm in Saronno: Marani, »Pittura e decorazione«.
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Abb. 3.14: Bernardino Luini, Anbetung der Könige, 2. Hälfte der 1520er-Jahre, Fresko, Santa Maria dei Miracoli, Saronno – Foto: privat
Abb. 3.15: Bernardino Luini, Darbringung im Tempel, 2. Hälfte der 1520er-Jahre, Fresko, Santa Maria dei Miracoli, Saronno – Foto: privat
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Abb. 3.16: Bernardino Luini, Tugendpersonifikation der Stärke, Detail, 2. Hälfte der 1520er-Jahre, Fresko, Sockelzone, Santa Maria dei Miracoli, Saronno – Foto: privat
bunden.236 Die Tugendfiguren hingegen sind durch ihre Farbreduktion, aber auch durch ihre Verortung in der architektonisch nach vorn versetzten Sockelzone von den buntfarbigen Figuren und deren ontologischem Status abgesetzt, bilden eine Art überzeitliches Fundament zu den istorie.237 Die Tugendpersonifikationen sind insofern monochrom, als sie nicht buntfarbig, sondern durch eine tonale Farbreduktion und subtile Helldunkelschattie236 Zu den Sibyllenfiguren Luinis in der Rezeption Federico Borromeos in der Schrift Musaeum (Mailand 1625) siehe unten Kapitel 6.1. 237 Zur zeitlichen Distanz und Kommentarfunktion von Werken en grisaille in Kombination mit buntfarbigen istorie siehe am Beispiel von Werken Andrea Mantegnas: Blumenröder, Andrea Mantegna, S. 159, 219.
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rung gestaltet sind (Farbtafel 36, Abb. 3.16).238 Modelliert in Schwarz, Weiß und Grautönen und versehen mit Glanzlichtern personifizieren die Frauenfiguren mit ihren unterschiedlichen Attributen an der Hand Kardinalstugenden und theologische Tugenden wie Gerechtigkeit, Glaube, Stärke und Mäßigung.239 Jede Tugend ist gerahmt von einem fingierten bauplastischen Zierband und steht vor einem räumlich undefinierten gräulichen Hintergrund auf einer runden, Schatten werfenden Scheibe. Ihre Gewänder umspielen unterschiedliche Kontrapost- und Schrittstellungen. Die plastische Wirkung von Körperlichkeit ist überzeugend durch Schattierungen, helle Flächen und dunklere Konturierungen vor dem mittelgrauen Grund herausgearbeitet. Zugleich ist die Verortung der Figuren im Bildraum unklar. Als Personifikationen abstrakter Konzepte begründen sie so zum einen das zeitlose Fundament des Bildprogramms und wecken zum anderen qua ihrer Faktur Assoziationen mit anderen bildkünstlerischen Medien und Materialien. Zuvorderst wird mit den Tugendpersonifikationen ein Darstellungsmodus aufgerufen, der seit Giottos Tugenden und Lastern (Farbtafel 15) insbesondere in Oberitalien etabliert war und in dem Personifikationen abstrakter Konzepte en grisaille in sakralen Bildprogrammen in Szene gesetzt, werkimmanent mitstreitende Dialoge zwischen Malerei und Skulptur inszeniert und die Imitation bzw. Evokation verschiedener Gesteinsarten in der Malerei elaboriert wurde.240 Dass monochrome Malerei bzw. Grisaille damit spielt, Werkstoffe der Skulptur zu fingieren, dokumentieren auch Beschreibungen frühneuzeitlicher Betrachter. 1456 schrieb bspw. Bartolomeo Fazio in seinem De viris illustribus, dass die Grisaillen Gentile da Fabrianos »non picti sed de marmore ficti« seien.241 Giottos prototypische spannungsreiche Darstellung der Tugenden und Laster fingiert nun nicht nur materialsichtige Steinskulpturen, sondern lässt sie zugleich lebendig erscheinen und setzt mit den »beseelte[n] Steinskulpturen« und Details wie leicht geröteten Wangen oder etwa schwebenden Haltungen Paradoxa ins Bild, denen derart nur die Malerei Gestalt geben kann.242 Auf diese Weise fordern die Figuren den paragonalen Vergleich 238 Siehe zu diesem Monochromie-Begriff: ebd., S. 9. 239 Zur Identifizierung der Tugenden als Kardinaltugenden und theologische Tugenden siehe: Marani, »Pittura e decorazione«, S. 161. 240 Mit der Fertigstellung von Giottos Grisaillen finden sich v. a. in Oberitalien zunehmend Grisaille-Elemente innerhalb buntfarbiger Wandmalereien. Sabine Blumenröder liefert in ihrer Arbeit zu Mantegnas Grisaillen eine chronologisch geordnete Übersichtstabelle mit Angabe der Sujets (Tugenden und Laster, Propheten, Putti, artes liberales, Planetenkinder, Caesaren-Büsten, römische Geschichte) und Orte (v. a. Padua). Siehe: Blumenröder, Andrea Mantegna, S. 143–145, 158 f. 241 Zitiert nach: Wenderholm, Bild und Berührung, S. 148. 242 Siehe zu Giottos Fresken und dem Zitat: Krüger, Klaus, »Figuren der Evidenz. Bild, Medium und allegorische Kodierung im Trecento«, in: Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Peter Strohschneider, Berlin / Boston
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von Wandmalerei und Steinskulptur heraus, markieren dabei aber »in der gesteigerten Imitationsleistung zugleich ihre Gemachtheit«, wie Iris Helffenstein treffend formuliert.243 Giottos Paduaner Fresken waren Bernardino Luini sehr wahrscheinlich bekannt; zudem war die Gestaltung von Fassaden durch monochrome Malerei im Mailänder Raum jener Zeit sehr beliebt.244 Luinis Figuren in Saronno nun erwecken in ihrer rilievo erzeugenden Helldunkelmodellierung aus der Ferne betrachtet ebenfalls den Anschein materialsichtiger Steinskulpturen.245 Je mehr sich die Betrachtenden den Tugenden jedoch nähern, desto mehr wird die Fiktion der Steinskulptur durch die Faktur der Fresken aufgelöst und ein komplexes Spiel mit Mediengrenzen in Gang gesetzt und desto mehr fallen motivische Details ins Auge, die einer Marmorskulptur entgegenstehen. Die Tugend der Stärke (Farbtafel 36, Abb. 3.16) bspw. wird von einer Frauengestalt personifiziert, die in einer beinahe tänzerischen Schrittstellung dargestellt ist und dabei eine im Wanken begriffene Säule buchstäblich leichtfüßig festhält. Ihr langes, lockiges Haar und Gewand scheinen im Wind zu flattern. Weißhöhen evozieren die Reflexion von Licht auf der glatten runden Säule, auf dem scheinbar seidigen Gewand sowie auf den glänzenden Haaren. Die Tonalität und Plastizität der Figur und der Säule rufen die Materialität hellen Steins auf, aber eine täuschende Materialimitation wird nicht nur von motivischen Details wie flatternden feinen Haarsträhnen konterkariert, sondern auch von der Faktur des Bildes insbesondere im Gesicht sowie im räumlich undefinierten Hintergrund. Jene Partien ähneln – je näher man herantritt – eher einer Kreidezeichnung, deren Linienführung, Helldunkelmodellierung und Pigmentauftrag mal pastos, mal verwischt, mal fein modelliert und mal dynamisch schraffiert, mal trocken und mal angefeuchtet aufgetragen erscheinen. Der in der künstlerischen Praxis verankerte Topos der Marmorfiktion in der Figuration von Personifikationen abstrakter Konzepte wird damit 2009, S. 904–929, S. 912; Steiner, Reinhard, »Paradoxien der Nachahmung bei Giotto. Die Grisaillen der Arena-Kapelle zu Padua«, in: Die Trauben des Zeuxis. Formen künstlerischer Wirklichkeitsnachahmung, hg. v. dems., Hans Körner, Constanze Peres und Ludwig Tavernier, Hildesheim / Zürich / New York 1990, S. 61–86; Helffenstein, Wissenstransfer, S. 126 f., 137 ff., 152. 243 Helffenstein, Wissenstransfer, S. 152. Iris Helffenstein beobachtet das Wechselspiel von Imitation und deren Brechung in fingierten Relieffiguren zweier trecentesker Paduaner Freskenzyklen, jenem von Giotto in der Arenakapelle sowie jenem von Guariento in der Eremitanikirche. Siehe ebd., Kapitel II .4.1 und II .4.3. 244 Jene Werke sind jedoch heute nahezu alle zerstört. Siehe: Agosti, Giovanni, Bambaia e il classicismo lombardo, Turin 1990, S. 47–52, S. 54, 60 f. 245 Zum frühneuzeitlichen rilievo-Begriff siehe Kapitel 3.2. Vgl. mit Blick auf die gräulich monochromen Figuren Luinis insbesondere auch Leon Battista Albertis Bemerkung zur Helldunkelmodellierung mit Schwarz und Weiß als Mittel der Evozierung von rilievo: »Peròche il lume e l’ombra fanno parere le cose rilevate, così il bianco e ’l nero fa le cose dipinte parere rilevate«. Alberti, Della Pittura, S. 141 f.
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kreativ variiert. In der Fernsicht wird die Ästhetik einer Steinskulptur evoziert, in der Nahsicht die variationsreiche Faktur einer Kreidezeichnung nachgeahmt. Dergestalt werden in der Malerei Bezüge zu Skulptur und Zeichnung produktiv gemacht, unterschiedliche Materialien aufgerufen und verschiedene Wirklichkeitsbezüge inszeniert. Die Illusionskraft der Malerei ermöglicht dabei je nach Betrachterstandpunkt unterschiedliche Medien- und Materialreferenzen, involviert die frühneuzeitlichen Betrachtenden in ein medienreflexives Wechselspiel und spielt zugleich mit deren Erwartungen: Denn während Stein fingierende, monochrome Reliefs in der Wandmalerei vielerorts betrachtet werden konnten, erwies sich die Ambiguisierung der Materialfiktion als ein origineller und unerwarteter Kunstgriff. Luini präsentiert in seiner Kapellenausmalung aber auch noch andere Darstellungsmodi materialsichtiger Steinskulptur. In der buntfarbigen istoria der Darbringung im Tempel (Abb. 3.15) findet sich im Tempel ein Tondo mit einer Prophetenfigur und einem Putto in Form eines gemalten Marmorreliefs, das als Teil der gemalten Architektur sehr viel stärker auf eine nicht ambivalente Wirkung ausgerichtet ist als im Fall der Tugenden. Die Oberfläche des Reliefs erscheint sehr viel ebenmäßiger, glatter und weniger skizzenhaft; auch die weißlich beige Tonalität unterschiedet sich von den Schwarz-Grauwerten der Tugendfiguren. In der Gegenüberstellung wird abermals deutlich, dass das in der Sockelzone beobachtete Spiel wechselnder Evokationen von Medien und ihren materialen Ausprägungen die Mehr- bzw. Uneindeutigkeit der Imitation und des paragonalen Relationierens von Malerei und Skulptur produktiv macht. Eine konkret realisierte Kombination und Interaktion von Malerei und Skulptur findet sich schließlich in der zwölfeckigen Kuppel der Kirche (Farbtafeln 37 und 38, Abb. 3.17). Die Kuppelgestaltung mit dem Thema der Himmelfahrt Mariae wurde 1534 in Auftrag gegeben und erfolgte unter der Leitung von Gaudenzio Ferrari, der nach dem Tod von Bramantino 1530 und von Bernardino Luini 1532 der gefragteste Maler der Region zwischen Mailand und dem Piemont war.246 Das Ausstattungsprogramm basiert auf einem sinnfälligen Interagieren 246 Zu Gaudenzios Arbeit in Saronno siehe: Rossi, Marco, »Fra decorazione e teatralità«, S. 205. Zu Gaudenzios Kunst und seinem künstlerischen Werdegang allgemein und bündig siehe: Stoppa, Jacopo, »Gaudenzio Ferrai in quattromila battute«, in: Il Rinascimento di Gaudenzio Ferrari, Ausst.kat., hg. v. Giovanni Agosti und dems., Rom 2018, S. 65–66; zu Gaudenzios Werken siehe den mit etlichen sehr guten Abbildungen versehenen Ausstellungskatalog: Agosti, Giovanni / Stoppa, Jacopo (Hgg.), Il Rinascimento di Gaudenzio Ferrari, Ausst.kat., Rom 2018; zu Gaudenzios Standing in Oberitalien, seinem Stil und imitatio-Konzept siehe: Campbell, Stephen J., »Gaudenzio Ferrari: Sounding the Limits of Painting in Milan after Leonardo«, in: Courts and Courtly Cultures in Early Modern Italy and Europe. Models and Languages, hg. v. Simone Albonico und Serena Romano, Rom 2016, S. 321–341, v. a. S. 329–333; Campbell, The Endless Periphery, S. 103–106, 172 ff.; sowie: Villata, Edoardo, »Gaudenzio di fronte a Leonardo. Inclina-
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Abb. 3.17: Gaudenzio Ferrari (Freskomalerei und Leitung der Kuppelausstattung), Andrea da Milano und Giulio Oggioni (Holzskulpturen) sowie Alberto da Lodi (Fassmaler), Mariae Himmelfahrt und Gottvater umgeben von etwa 200 musizierenden Engeln und im Tambur Sibyllen und Propheten, 1534 (Beginn der Arbeiten), polychrom gefasste Holzskulpturen und Freskomalerei, Kuppel, Santa Maria dei Miracoli, Saronno – Foto: privat
von Freskomalerei und Holzskulptur. Gaudenzio malte etwa 200 dicht gedrängte musizierende Engel ins Gewölbe, wodurch jenes zur himmlischen Sphäre konfiguriert wird. Die Körper der Engel haben einerseits eine plastische Wirkung, andererseits erscheinen sie durch die räumliche Verdichtung und Verunklärung zioni e resistenze verso il Cenacolo tra Piemonte e Lombardia«, in: Il Genio e le Passioni. Leonardo e il Cenacolo. Precedenti, innovazioni, riflessi di un capolavoro, hg. v. Pietro C. Marani, Mailand 2001, S. 155–163.
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des Beisammenseins der Engelschar nahezu durchlässig und schwerelos. Die himmlischen Wesen sind allesamt kindlich-jugendlichen Alters, haben goldenes lockiges Haar und tragen bunte Kleider und Übergewänder, deren Stoffe in leuchtend-schillernden Buntfarben sich bauschen und falten und damit schwebende, tanzende Bewegungen der Engel implizieren. Es herrscht eine gewissermaßen harmonische Unordnung im Miteinander der konzertierenden Figuren, die sich über- und nebeneinander hin und her wenden, fern jeder musikalischen Aufführungspraxis. Sie spielen eine Vielzahl von Instrumenten, schlagen Notenbücher auf und rollen Schriftbänder. Ihre Münder sind zumeist geschlossen und sie scheinen ihre Instrumente mit größter Leichtigkeit, ohne anstrengendes Pusten zu spielen. Die Instrumente selbst sind teils Fantasiegebilde und können dergestalt auf überirdische Töne und Musik verweisen, welche von den Engeln gespielt und auf Erden nicht unmittelbar hörbar sind.247 Als chromatische Harmonie werden sie allerdings in der konzertierenden Engelschar sichtbar, während zur Zeit der Messe ihr akustisches Echo mit der liturgischen Musik im Chorraum unter der Kuppel erklingen kann.248 Adressat und Anlass des himmlischen wie irdischen Konzerts sind Gottvater und die Himmelfahrt Mariens, die in Gestalt skulpturaler, in ihrer Körperlichkeit haptisch erfahrbarer Figuren mitten aus bzw. direkt unter der schwerelos-luftigen und scheinbar zahllosen Engelschar hervorragen. Die nahezu vollplastische Holzbüste Gottvaters ist in der Kuppelmitte platziert und von einem vergoldeten Strahlenkranz umgeben. Giulio Oggioni schnitzte die Skulptur und der Fassmaler Alberto da Lodi, der auch die bereits besprochenen Figuren des Abendmahls in einer der Kapellen der Kirche farbig fasste, bemalte sie.249 Eine gemalte, leuchtend rote und gelbe Farbsphäre und ein ebenfalls gemalter Reigen nackter Putti auf einer Wolkenbank rahmen das Relief und die Büste Gottvaters 247 Siehe zur himmlischen Musik der Engel: Hammerstein, Reinhold, Die Musik der Engel. Untersuchungen zur Musikanschauung des Mittelalters, Bern / München 1962, S. 239 ff. Lomazzo, der Gaudenzio in seinen Schriften generell als einen besonders in der Darstellung religiöser Sujets hervorragenden Künstler präsentiert, lobt konkret auch die Kuppelausmalung in Saronno und weist auf die Vielfalt und Ungewöhnlichkeit der Instrumente hin. Er beschreibt die Kuppel als »ripiena tutta di troni d’angeli, con moti et abiti di tutte le maniere che si possono imaginare e co’ più strani istromenti di musica in mano del mondo«. Lomazzo, »Trattato«, S. 101. Die bunt schimmernde und strahlende Farbgebung der Engelschar vergleicht er mit einem Regenbogen. Ebd., S. 175. Siehe zur Stellung Gaudenzios in Lomazzos Kunsttheorie Kapitel 5.2. 248 Siehe zur Korrelation des gemalten Engelskonzerts mit der liturgischen Praxis der frühneuzeitlichen Gemeinde: Rossi, »Fra decorazione e teatralità«, S. 210; Hammerstein, Die Musik der Engel, S. 203 f. Insbesondere liturgischer Gesang und das Spiel von Flöten anstelle von Orgelmusik waren in Franziskanerkirchen wie jener in Saronno zu jener Zeit von hoher Bedeutung. Siehe: Rossi, »Fra decorazione e teatralità«, S. 226 f. 249 Siehe: Campbell, »Gaudenzio Ferrari«, S. 327.
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und umringen die höchste Stufe der himmlischen Sphäre. Skulpturale und malerische Gestaltung gehen fließend ineinander über. Von der Buntfarbigkeit der Gewänder der musizierenden Engel über das gleißende Gelb und leuchtende Rot zu den goldenen, skulpturierten und Schatten werfenden Strahlen materialisiert sich Schritt für Schritt das Engelslob zur Figur Gottvaters hin, der seine geöffneten Arme gen Kirchenraum und v. a. zu Maria hin ausstreckt. Die Figur Mariens von dem Künstlerteam Andrea da Milano und Alberto da Lodi ist ebenfalls in Holz geschnitzt, vollplastisch, lebensgroß und farbig gefasst. Sie ist auf einem Vorsprung am Rand der Kuppel direkt unter der Engelschar platziert. Ihr Blick ist gen Himmel gerichtet, ihre Hände sind leicht erhoben. Auf ihrem Weg in den Himmel wird sie von einem skulpturalen vergoldeten Strahlenkranz umgeben und von halbnackten Putti mit vergoldeten Flügeln geleitet. Die Ebene, von der aus sie auffährt, ist eine Art Zwischenebene – zwischen der irdischen Welt unten im Kirchenraum und der himmlischen Sphäre der Kuppel. Auf eben jener Zwischenebene stehen in den Nischen des Tamburs zwanzig weitere lebensgroße, buntfarbig gefasste, vollplastische Holzskulpturen, die 1539 von Giulio Oggioni geschnitzt, dann von Andrea da Lodi bemalt und 1544 installiert wurden.250 Es sind Sibyllen- und Prophetenfiguren, die in ihren Schritt- und Drehbewegungen und mit ihren ausladenden Gesten förmlich aus den Nischen herauszutreten scheinen. Ihre Arme ragen in den Chorraum hinein und führen den Blick der Gläubigen und Betrachtenden zur Himmelskuppel. Anders als die namen-, schwere- und zeitlosen Engel sind die Sibyllen und Propheten Gestalten konkreter körperlicher Präsenz und Individuen, die miteinander im Raum und über räumliche Distanz hinweg interagieren und kommunizieren. Dergestalt konfigurieren Malerei und Skulptur in der Kuppel qua Medienkombination unterschiedliche Grade körperlicher Präsenz, Greifbarkeit, Individualität und auch inhaltlicher Prominenz. In der Zusammenschau der analysierten Beispiele wird ein disparates Spektrum paragonalen Relationierens von Malerei und Skulptur in der Pilgerkirche in Saronno nachvollziehbar und führt die Virulenz sowie Vielfalt der Paragone-Thematik in der künstlerischen Praxis im sakralen Raum vor Augen. Die beobachteten Modi von Bezugnahmen, Dialogen, mehrdeutigen Material- und Medienevokationen sowie konkret materialisierten Kombinationen von Freskomalerei und polychromer Holzskulptur zeugen von einer intensiven medienreflexiven Auseinandersetzung. Zugleich wird im Abgleich mit textverfasster Theorie deutlich, dass derartige Varianten frühneuzeitlicher Paragoni in der bildkünstlerischen Praxis verhandelt wurden und keine vergleichbare Entsprechung im schriftlichen Diskurs finden – ähnlich der Ausblendung bzw. Mar250 Siehe: www.santuariodisaronno.it/Restauri_11.html (zuletzt eingesehen am 15.04.2020); Rossi, »Fra decorazione e teatralità«, S. 227.
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ginalisierung von polychromer Skulptur sowie monochromer Malerei, wie in Kapitel 3.1 bereits erörtert. Das wirkmächtige Zusammenspiel von Freskomalerei und Skulptur in Holz sowie in Terrakotta ist derweil auch in anderen bedeutenden bildkünstlerischen Aufträgen lombardischer Franziskanerobservanten von großer Bedeutung. Dem wird im Folgenden anhand der intermedialen Werke Gaudenzio Ferraris am Sacro Monte di Varallo nachgegangen. Die Untersuchung der frühneuzeitlichen Rezeption der Werke anhand von Pilgerreiseführern, Reiseberichten sowie kurzen Textpassagen kunsttheoretischer Texte wird dabei wertvolle Einblicke in schriftlich fixierte Auseinandersetzungen mit Medienkombinationen jenseits etablierter Paragone-Diskussionen geben.
3.3.2 Gaudenzio Ferraris Werke für den Sacro Monte di Varallo Der Sacro Monte in Varallo wurde als eine detaillierte Nachbildung der Heiligen Stätten des Lebens- und Leidensweges Christi geschaffen, die den Gläubigen die Möglichkeit bot, in ein zweites Jerusalem und Umgebung zu pilgern – ohne den enormen Reise- und Finanzaufwand, den der weite Weg ansonsten mit sich brachte.251 Varallo liegt im heutigen Piemont, gehörte zu Beginn des Cinquecento aber politisch und kulturell zum Einflussgebiet der Lombardei, des Herzogtums Mailand und des Erzbistums Mailand.252 Eine Reise von Mailand nach Varallo nahm ein bis zwei Tage in Anspruch.253 Der Mailänder Franziskanermönch Bernardino Caimo hatte Jerusalem und die Terra Sancta während mehrerer Aufenthalte studiert und schließlich die Planung der Nachbildung der Heiligen Stätten in Varallo geleitet.254 Zwischen den 1490er- und 1520er-Jahren entstanden so mehrere Andachtsstationen und Kapellen, die der Vergegen251 Eine Bibliographie zum Thema der im Anschluss an die Gründung des Sacro Monte di Varallo zahlreich entstandenen Sacri Monti bietet: Quietzsch, Harald, Passion in der Landschaft. Deutschsprachige Bibliographie. Bibliographie der Sacri Monti, Kalvarienberge und Andachtsstätten, hg. v. Johannes Andresen, Amilcare Barbero und Guido Gentile, Ponzano Monferrato 2007. 252 Siehe: De Filippis, Elena, »La crocifissione secondo Gaudenzio. Nuove proposte sulla ›Crocifissione‹ del Sacro Monte di Varallo«, in: Prospettiva. Rivista di storia dell’arte antica e moderna, 129 (2008), S. 41–56, S. 41 f. 253 Siehe: Zuccari, Federico, Il passaggio per Italia, hg. v. Alessandra Ruffino, Lavis 2007, S. 14; sowie: Nova, Alessandro, »›Popular‹ Art in Renaissance Italy: Early Response to the Holy Mountain at Varallo«, in: Reframing the Renaissance. Visual Culture in Europe and Latin America 1450–1650, hg. v. Claire Farago, New Haven / London 1995, S. 112–126, S. 126. 254 Die Inschrift am Eingangstor von 1491 lautet: »Frater Bernardinus Caymus de Mediolano … Sacra huius Montis excogitavit loca ut hix Hierusalem, videat qui peragrare nequit.« Zitiert nach: Nova, »›Popular‹ Art in Renaissance Italy«, S. 319.
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wärtigung von Christi Leben, Passion, Tod und Auferstehung dienen. Nach dem Trienter Konzil von 1563 folgten weitere An- bzw. Umbauten.255 Die hier fokussierte frühcinquecenteske Ausstattung der Kapellen wurde geprägt von den bildtheoretischen und rezeptionsästhetischen Anforderungen der Franziskanerobservanten, die von Kunstwerken im sakralen Raum erwarteten, dass sie erstens die Gläubigen belehrten, sie zweitens emotional zur Frömmigkeit und Involvierung in das Dargestellte bewegten und dass sie drittens der Erinnerung an die dargestellten Geschichten und Glaubensbotschaften dienten.256 Dabei war die Ansprache sehr unterschiedlicher sozialer Gruppen und Bildungsniveaus eine grundlegende Anforderung an die Bilder des Wallfahrtortes in Varallo. Denn die Pilgerschaft setzte sich nachweislich aus einer sozial disparaten Gemeinschaft mit sehr verschiedenen Erfahrungs- und Bildungshorizonten zusammen. Zum einen war die Verbindung der Franziskaner zur Mailänder Aristokratie und Herzogsfamilie sehr eng; Ludovico Sforza war ein bedeutender Unterstützer des Sacro Monte und sein Sohn Francesco II. pilgerte 1530 nach Varallo.257 Zum anderen war der Heilige Berg gerade auch für finanzschwache Pilger erbaut worden.258
255 Die Hintergründe der Umbaumaßnahmen werden im Folgenden näher besprochen werden. Siehe generell zu den Reformen der Gestaltung des Sacro Monte im Kontext der Katholischen Reform: Göttler, »The Temptation of the Senses«, S. 402–405, sowie detailliert S. 426–451. 256 Die bildtheoretischen Kernpunkte der Franziskaner (und auch der Dominikaner, allerdings in einer inhaltlich bedeutsam veränderten Hierarchisierung mit der Erinnerungsfunktion an zweiter und der emotionalen Ansprache an dritter Stelle) benennt bspw. der Mailänder Prediger und Franziskanerobservant Michele Carcano 1492. Bilder, so erläuterte er, seien wichtig »in Anbetracht der Unwissenheit einfacher Menschen […]. Denn es ist eine Sache, ein Gemälde anzubeten, und eine ganz andere, von einer gemalten Erzählung zu lernen, was man anzubeten hat. Was ein Buch ist für jene, die lesen können, ist ein Bild für die Unwissenden, die es betrachten. […] Zweitens wurden Bilder eingeführt in Anbetracht der Trägheit unserer Herzen; so daß Menschen, die nicht zur Frömmigkeit erweckt werden, wenn sie die Geschichten der Heiligen hören, zumindest bewegt werden, wenn sie diese in Bildern sehen, als wären sie wirklich gegenwärtig. Drittens wurden sie eingeführt in Anbetracht der Unverläßlichkeit unseres Gedächtnisses […], weil viele Menschen nicht im Gedächtnis behalten können, was sie hören, wohl aber sich erinnern, wenn sie Bilder sehen.« Zitiert nach: Baxandall, Michael, Die Wirklichkeit der Bilder. Malerei und Erfahrung im Italien des 15. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1977/1987, S. 56. Für weitere Informationen zu Michele Carcano eine detaillierte und kontextualisierende Analyse seiner Predigt und der Bildertheorie der Franziskaner siehe: Nova, Alessandro, »Konservative Theorie und innovative Praxis: Die Franziskaner-Observanten und die Kunst«, in: Mittelalter und Moderne. Entdeckung und Rekonstruktion der mittelalterlichen Welt, hg. v. Peter Segl, Sigmaringen 1997, S. 197–206, hier v. a. ab S. 202. 257 Siehe: Nova, »›Popular‹ Art«, S. 113 f.; Campbell, The Endless Periphery, S. 172. 258 Siehe: Nova, »›Popular‹ Art«, S. 113 f.
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Wichtige Informationsquellen zur frühen Gestaltung einzelner Kapellen des Heiligen Berges ganz zu Beginn des 16. Jahrhunderts sind ein auf das Jahr 1507 datierter Brief des Gelehrten Girolamo Morone an den Dichter Lancino Curzio in Mailand sowie insbesondere ein poetischer Pilgerreiseführer von 1514. Die beiden Texte geben Aufschluss über Medienkombinationen der anfänglichen Gestaltung der Kapellen, bevor unter der Leitung Gaudenzio Ferraris in den späten 1510er- bis zum Ende der 1520er-Jahre Um- und v. a. Neubauten der Andachtsstationen stattfanden. Girolamo Morone berichtet in seinem Brief von »picturis et figuris« und dokumentiert, dass bereits in der Anfangsphase der Arbeiten am Sacro Monte Malerei und Skulptur miteinander kombiniert wurden, was offensichtlich für die nachfolgenden Werke prägend war.259 Der kleinformatige Pilgerreiseführer von 1514 bietet dann eine erste ausführlichere Beschreibung der frühen Kapellenausstattungen. Er trägt den Titel Questi sono li misteri che sono sopra el monte de Varalle. Tractato de li capituli de passione fundati sopra el monte de Varale nouamente composti und wurde vermutlich vom Franziskaner Francesco da Marignano verfasst.260 Das Büchlein ist eine relevante Quelle für die historische Beschreibungssprache und Aufmerksamkeit für Malerei, Skulptur und deren Kombination sowie Interaktion in den Kapellen. Der Text besteht aus 47 Oktaven und einem abschließenden Sonett.261 Der Fokus der poetischen Beschreibung liegt auf der affektiven Wirkungsästhetik der dargestellten Szenen. Die Gläubigen werden dadurch nachdrücklich dazu aufgefordert, aktiv an den vor Augen geführten Geschichten Christi teilzuhaben und je nach Szene mit zu leiden, zu weinen oder sich zu freuen.262 U. a. wird dabei das noch heute erhaltene Abendmahl kurz beschrieben, das vermutlich die als Maler und Bildhauer tätigen De Donati-Brüder zwischen 1492 und 1500 gestalteten.263 Die Darstellung besteht aus polychrom gefassten, lebensgroßen Holzfiguren, deren Gelenke beweglich sind, um ihre Gesten und Haltungen am Tisch variieren zu können; die Gewänder sind derweil aus echtem, in Gips getauchtem Leinen.264 Im Pilgerreiseführer nun wird insbesondere die gelungene und bewundernswerte farbige Fassung der Figuren hervorgehoben: »Tuti in rileuo ben depincti forno«, »Ornato e pincto facto per mirare / Che di vagheza ognun ma259 Siehe: Brizio, Anna Maria, »Configurazione del Sacro Monte di Varallo nel 1514«, in: Questi sono li Misteri che sono sopra el Monte de Varalle (in una »Guida« poetica del 1514), hg. v. Stefania Stefani Perrone, Borgosesio 1987, S. 45–52, S. 50 f. 260 Zur Autorschaft siehe: Nova, »›Popular‹ Art«, S. 115 f. 261 Siehe zur poetischen Struktur des Büchleins: Brizio, »Configurazione del Sacro Monte«, S. 48 f. 262 Siehe: Nova, »›Popular‹ Art«, S. 115 ff. 263 Giovanni Pietro und Giovanni Ambrogio De Donati schufen um 1493 u. a. auch noch eine Beweinungsgruppe für den Sacro Monte. Siehe: Campbell, The Endless Periphery, S. 106. 264 Siehe: ebd., S. 118 f., 125.
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rauigliato«.265 Nach dem Lob polychromer Skulptur wird die Kombination von skulpturierten und gemalten Figuren (»di rileuo e pincto«) thematisiert, die die Darstellung von Christus im Grabe prägte.266 Die intermediale Szene wird dafür gelobt, dass sie jeden zu Tränen rühre (»Qua per mirar ognun a pianto vinto«).267 Eine weitere, außergewöhnliche Gestaltungsweise wird in den heute nicht mehr erhaltenen Kapellen der Erscheinung Christi vor seinen Jüngern, der Auferstehung Christi sowie des Todes Mariens beobachtet: Die Kapellen seien Rundbauten und die Wände rundum bemalt (»formata in tondo / Depinta«, »tonda e depinta«, »El tondo di questa alta capeleta / Depinta in gran beleza contemplando«); überall um sich herum sehe man Bilder (»Chi mira in questo luoco bene a tondo«) – und in der Kapelle zum Tode Mariens stehe man zudem noch unter einem Himmel voller Seraphine.268 Es handelte sich dementsprechend bei der Gestaltung der Kapellen um 360-Grad-Panoramen mit teils gemalter Himmelssphäre an der Decke. Insbesondere die Ausgestaltung der Kapelle des Todes Mariens wird für die Schönheit und die Kontemplation fördernde bzw. fordernde Wirkungsästhetik gelobt: »Non e che satiato qua vedendo / El tondo di questa alta capeleta / Depinta in gran beleza contemplando / Chosa che grande a tuti si dileta / Con novi cori dangeli cantando«.269 Die Kombination und Interaktion von Malerei und Skulptur sowie das Rundum-Panorama mit zahlreichen Engeln in der Deckenbemalung kennzeichnen einige Jahre später auch die Werke Gaudenzio Ferraris für den Heiligen Berg und dokumentieren die intensive Auseinandersetzung des Künstlers mit den Arbeiten der lombardischen Meister der ersten Ausstattungsphase. Gaudenzios erste Arbeit in Varallo war das 1513 entstandene freskierte Tramezzo (Abb. 3.18) der Franziskanerkirche Santa Maria delle Grazie.270 In jener Kirche am Fuße des Heiligen Berges bereiteten sich die Pilgerinnen und Pilger auf die Stationen des Sacro Monte vor. Die großformatige Chorschranke ist nach dem Kompositionsmodell von Fastentüchern gegliedert und zeigt – als neuartige »observantische Kunsttypologie« 21 Szenen aus dem Leben und der Passion Christi, die die Gläubigen als »repertoire of mental images« mit auf ihren Pilgerweg nehmen 265 Francesco da Marignano(?), »Questi sono li misteri che sono sopra el monte de Varalle«, in: Questi sono li Misteri che sono sopra el Monte de Varalle (in una »Guida« poetica del 1514), hg. v. Stefania Stefani Perrone, Borgosesio 1987, S. 21–43, capituli VI, VII, S. 26. In der von Stefania Stefani Perrone herausgegebenen Edition des Textes ist zudem ein Faksimile-Druck des kleinen Büchleins (13,5 × 9,5 cm) von 1514 mit dem Gedichttext und Holzschnitten mit Szenen aus dem Leben und Tod Christi enthalten. 266 Ebd., capitulo XIX , S. 31. 267 Ebd. 268 Ebd., capituli XXVII, XXVIII, XL , S. 34, 39 f. 269 Ebd., S. 39 f. 270 Gaudenzio freskierte in der Kirche zudem die Scarognino-Kapelle. Siehe zu jenen Fresken: Campbell, The Endless Periphery, S. 106.
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Abb. 3.18a: Gaudenzio Ferrari, Tramezzo mit Szenen aus dem Leben und Leidensweg Christi, 1513, bemalte Chorschranke, Santa Maria delle Grazie, Varallo © DeAgostini Picture Library / Scala, Florence
Abb. 3.18b: Gaudenzio Ferrari, Christus vor Pilatus, Detail, Tramezzo mit Szenen aus dem Leben und Leidensweg Christi, 1513, bemalte Chorschranke, Santa Maria delle Grazie, Varallo © Bologna, Fototeca Zeri
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konnten.271 In diesem Werk sind weder Intermedialität noch ein pointiertes paragonales Bezugnehmen von Malerei und Skulptur prägende Themen.272 Es findet sich allerdings in einem der Bildfelder des Tramezzos ein interessantes Detail, mittels dessen Malerei auf Skulptur referiert, die Gelehrsamkeit und Aktualität von Gaudenzios Kunst markiert und durchaus auch ein paragonales Moment zu inszenieren vermag. In der Szene Christus vor Pilates (Abb. 3.52) werden qua Malerei in den Lünetten der Palastarchitektur die vollplastischen Marmorstatuen eines Satyrs, des Apolls von Belvedere und der Laokoon-Gruppe in Form von Marmorreliefs aufgerufen.273 Die 1506 in Rom ausgegrabene Skulptur des Laokoon bspw. konnte Gaudenzio bei seinem Romaufenthalt 1508 gesehen und studiert haben.274 Seine Laokoon-Darstellung ist in jedem Fall frühneuzeitlich bemerkenswerterweise eine der ersten.275 Sie ist aber gemeinsam mit den anderen beiden Skulptur-Referenzen zugleich eine sehr freie Adaption der antiken Statue: Die vollplastische, komplexe und kompakte Figurengruppe ist in Gaudenzios Fresko ein in Untersicht gezeigtes Marmorrelief, in dem die Figuren weiter auseinander gerückt mit einer größeren Anzahl von Schlangen 271 Zum ersten Zitat siehe: Nova, »Konservative Theorie«, S. 198; zum zweiten Zitat siehe: Campbell, The Endless Periphery, S. 155. Zum Genre der Tramezzi siehe grundlegend: Nova, Alessandro, »I Tramezzi in Lombardia fra XV e XVI secolo: scene della passione e devozione francescana«, in: Il Francescanesimo in Lombardia: storia e arte, hg. v. Arnalda Dallaj, Mailand 1983, S. 197–215. Die Vorbereitung auf die Pilgerschaft in der Kirche am Fuße des Heiligen Berges von Varallo beschreibt auch der poetische Pilgerreiseführer von 1514: »Prima che ascendi lo sacrato monte / Acanto un monaster heui fundato / Per observanza productiuo fonte / Di San Francisco in cel glorificato / Chiunque ascendi qua sua membra prompte / Essendo dogni error purificato /«. Francesco da Marignano(?), »Questi sono li misteri«, capitulo I, S. 24. 272 Es erfolgen jedoch bspw. Referenzen auf druckgraphische Werke u. a. von Albrecht Dürer und Andrea Mantegna. Siehe dazu: Giani, Federico Maria, »Gaudenzio Ferrari: Isaia, Storie della vita e della passione di Cristo, San Francesco, San Bernardino«, in: Il Rinascimento di Gaudenzio Ferrari, Ausst.kat., hg. v. Giovanni Agosti und Jacopo Stoppa, Mailand 2018, Katalog-Nr. 22, S. 172–199, S. 187. Stephen Campbell beobachtet zudem ausgewählte und dabei diverse transregionale Bezugnahmen von Gaudenzios monumentalem Fresko auf die maniere Peruginos, Bramantes, Mantegnas, Zenales, Foppas und Dürers. Siehe: Campbell, The Endless Periphery, S. 155. 273 Siehe: Giani, »Gaudenzio Ferrari: Isaia, Storie della vita«, S. 190. 274 Siehe: Chiesa, Gemma Sena, »Il Laocoonte dei Musei Vaticani«, in: Laocoonte in Lombardia. 500 anni dopo la sua scoperta, hg. v. ders. und Elisabetta Gagetti, Mailand 2007, S. 11–12; Villata, »Gaudenzio di fronte a Leonardo«, S. 156. Andere Forscher gehen davon aus, dass sich Gaudenzio lediglich auf mündliche Berichte der Laokoon-Skulptur stützte. Siehe: Giani, »Gaudenzio Ferrari: Isaia, Storie della vita«, S. 190. 275 Siehe: Cozzi, Federica, »Gaudenzio Ferrari e la lezione di Laocoonte«, in: Laocoonte in Lombardia. 500 anni dopo la sua scoperta, hg. v. Gemma Sena Chiesa und Elisabetta Gagetti, Mailand 2007, S. 41–45, S. 41.
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ringen. Integriert in die Szene Christus vor Pilatus kann die pathosgeladene Figurengruppe als figuraler Verweis auf die Passion Christi fungieren.276 Auf der künstlerischen Ebene demonstrieren die drei Referenzen auf Marmorstatuen Gaudenzios Wissen sowie Interesse an antiker Skulptur und zugleich die malerische Aneignung der antiken Werke. Antikenreferenz und Marmorskulptur spielen kurze Zeit später in seinem Ausstattungsprogramm für die Kapellen des Sacro Monte jedoch keine Rolle. Dort explorierte der Künstler vielmehr die intermedialen Potentiale der Kombination von Freskomalerei und polychrom gefasster Terrakottaplastik. Gaudenzio gestaltete mehrere Kapellen des Sacro Monte, darunter die Anbetung der Hirten und v. a. zwischen 1517 und 1520 die Kreuzigung (Farbtafeln 39–41, Abb. 3.19–3.21).277 Letztere wurde in produktions- wie rezeptionsästhetischer Hinsicht zum Hauptwerk: Auf sie bezogen sich die nachfolgenden Künstlergenerationen am Sacro Monte und auf sie konzentrierten sich ganz besonders die zeitgenössischen bzw. generell frühneuzeitlichen Beschreibungen des Heiligen Berges von Varallo.278 Die Cappella del Monte Calvario ist ein an allen Seiten sowie an der Decke freskierter Raum, der neben gemalten Figuren mit lebensgroßen, polychrom gefassten, meist vollplastischen Holzskulpturen und Terrakottaplastiken bevölkert ist. In der ursprünglichen Raumgestaltung befand sich auf der einen Seite der Kapelle der Eingang und auf der anderen der Ausgang, so dass die Pilgernden den gesamten Raum nah an den Figuren vorbei durchquerten bzw. von allen Seiten von den Figuren der Szene umgeben
276 Siehe ebd., S. 42 f. 277 Zur Datierung, den Signaturen Gaudenzios und den frühesten zeitgenössischen graffiti (Namens- und Datumseinritzungen von Pilgern auf den Terrakottafiguren), die auf den 20. August und 6. Oktober 1521 datiert sind, siehe: Allegri, Agostino, »Gaudenzio Ferrari: Crocifissione«, in: Il Rinascimento di Gaudenzio Ferrari, Ausst.kat., hg. v. Giovanni Agosti und Jacopo Stoppa, Mailand 2018, Katalog-Nr. 46, S. 291–315, S. 291, 298. 278 Zur (häufig auch in Verträgen mit nachfolgenden Künstlern von den Verantwortlichen des Sacro Monte festgeschriebenen) Modellhaftigkeit von Gaudenzios Cappella del Calvario siehe: Göttler, »The Temptation of the Senses«, S. 404 f.; sowie: Filippis, Elena De, »›Cieli, angeli, figure humane al naturale più che sia possibile ad imitatione della Cappella del Monte Calvario‹: La fortuna della Cappella della Crocifissione al Sacro Monte«, in: Gaudenzio Ferrari. La Crocifissione del Sacro Monte di Varallo, hg. v. ders., Turin 2006, S. 75–89. Auf die frühneuzeitlichen Beschreibungen von Gaudenzios Kreuzigung durch Francesco Sesalli, Galeazzo Alessi, Giovan Paolo Lomazzo und Federico Zuccaro wird im Verlauf dieses Kapitels näher eingegangen. Gaudenzios Malerei und Skulptur in der Kreuzigungskapelle ersetzten ein älteres Ausstattungsprogramm, wie sich aus dem Pilgerreiseführer von 1514 entnehmen lässt. Warum jenes abgebaut und durch ein neues ersetzt wurde, ist nicht bekannt. Siehe für die Beschreibung der ursprünglichen Kapellenausstattung: Francesco da Marignano(?), »Questi sono li misteri«, capituli XV, XVI, S. 29 f.
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Abb. 3.19: Gaudenzio Ferrari (Skulptur und Fassmalerei sowie Freskomalerei), Kreuzigungskapelle, 1517–1520, polychrom gefasste Holzskulptur (Christus am Kreuz), polychrom gefasste Terrakottafiguren, Freskomalerei an Wänden und Decke, Sacro Monte, Varallo © Harald Röhl
waren.279 Die »theatralische Erfahrung« der Pilgerreisenden wurde dabei von Erklärungen der Franziskanerobservanten zu den dargestellten Szenen des Evangeliums gerahmt.280 An der vom Eingang aus gesehen linken Seitenwand ist die Kernszene inszeniert: Dort stehen drei Kreuze von über drei Metern Höhe auf einem leicht erhöhten Steinplateau in Referenz auf den Kalvarienberg. An den beiden äußeren Kreuzen winden sich die beiden als Schächer bezeichneten Männer im Schmerz. In der Mitte hängt der in sich ruhende, blutende Christus am Kreuz. Die gekreuzigten Figuren sind aufgrund des vergleichsweise leichten Gewichts aus Holz geschnitzt und farbig gefasst.281 Die zahlreichen übrigen lebensgroßen Figuren zu Füßen der Kreuze sind in Terrakotta geformt und 279 Nach dem Konzil von Trient kam es im Zuge von reformbedingten Forderungen an die Kunst zu einschneidenden Veränderungen der ursprünglichen Betrachtungsweise und Erfahrbarkeit der Kreuzigungsszene – Aspekte, die weiter unten genauer erläutert werden. 280 Siehe: Nova, »Konservative Theorie«, S. 200. 281 Zu den hölzernen Kruzifixen siehe: De Filippis, Elena (Hg.), Gaudenzio Ferrari. La Crocifissione del Sacro Monte di Varallo, Turin 2006, S. 16.
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ebenfalls aufwendig bemalt. Die Kapellenwände und im fließenden Übergang die Deckengewölbe sind vollständig mit Landschaftsausblicken, teils architektonischen Details und vor allem mit etlichen weiteren Figuren und schwebenden Engeln und Wolken freskiert. Direkt neben dem Eingang steht die Terrakottafigur eines älteren Mannes in braunem Rock, der die hereinkommenden Pilgerinnen und Pilger mit weit aufgerissenen Augen und verzerrtem Gesicht anblickt und auf die Kreuzigung weist.282 Unter den Kreuzen sind mehrere Soldaten zu Pferd wie auch zu Fuß, sitzend, gebückt wie auch stehend oder Würfel spielend in polychromer Terrakotta aufgestellt. Ihre Rüstungen, Schilde und Lanzen sind detailliert gestaltet. Ein weißes Pferd unter dem Kreuz Christi tritt förmlich aus dem an die Wand gemalten Getümmel weiterer Reiter heraus und verzahnt Malerei und vollplastische Skulptur miteinander (Farbtafeln 39 und 40, Abb. 3.19). Neben den Soldaten unter den Kreuzen stehen v. a. in Richtung Ausgang der Kapelle etliche weitere Figuren dicht an dicht gedrängt – junge und alte Menschen, Frauen, Männer und Kinder, Pferde und Hunde sowie u. a. der in der biblischen Geschichte erwähnte Mann mit dem Essigschwamm. An der dem Eingang gegenüberliegenden Wand konnten die Gläubigen sogleich Jesus’ Jünger Johannes ausmachen, der mit gefalteten Händen seine Arme nach unten ausstreckt und mit seinem trauernden Blick die Aufmerksamkeit (zurück) auf Jesus lenkt. Neben Johannes stehen die Mutter Christi und ihre Begleiterinnen. Maria ist mit ausgebreiteten Händen und blassem Gesicht fassungslos in sich gesunken und wird von ihrer Schwester Maria Kleophas und von Maria Magdalena gestützt (Farbtafel 40). Hinter den vollplastischen Figuren treten bzw. blicken weitere nicht vollplastische Terrakottafiguren als Relief aus der Wand hervor. Dahinter sind gemalte Figuren zu sehen. Durch die Staffelung von rilievi wird wirkungsvoll der Eindruck eines dichten Gedränges evoziert. Die Wirklichkeitsnähe der Terrakottafiguren wird dabei nicht allein durch ihre Größe, Plastizität und Farbigkeit erzeugt, sondern zusätzlich durch echte Haare, Glasaugen und jeweils individuelle Gesichtsausdrücke, aufwendige Kleidung und Frisuren.283 Insgesamt zeigt sich den Betrachtenden eine Vielzahl an Gesten, Körperhaltungen und Blickrichtungen. Dadurch werden sie dazu aufgefordert, sich stets zu wenden, umherzulaufen, den Blick in alle Richtungen schweifen zu lassen und auch nach oben zum gemalten Himmel zu blicken. Dort herrscht Aufruhr. Große Engelsgestalten in voluminösen, buntfarbigen, sich in wirbelndem Flug aufbauschenden Gewändern schweben zwischen weißen Wolken und Himmelsblau (Farbtafeln 39 und 40, Abb. 3.19).284 Die sich windenden Körper 282 Siehe zu dieser Figur und ihrer Funktion weiter: Göttler, »The Temptation of the Senses«, S. 407, 410 f. 283 Siehe: ebd., S. 407. 284 Edoardo Villata betont zu Recht, dass Gaudenzios wirbelnde Engel, die das gesamte Deckengewölbe einnehmen und gewissermaßen auflösen, noch vor den berühmten Kup-
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der Engel und ihre flatternden Gewänder sind in kunstvoller perspektivischer Verkürzung dargestellt. Manche verdecken vor Trauer ihr Gesicht mit den Händen oder halten ihre Hände gefaltet, andere haben ihre Arme weit ausgebreitet, als eilten sie zur Hilfe. Die intensive, lichterfüllte Farbigkeit des strahlend blauen Himmels, der weißen Wolken und der buntfarbigen Gewänder verweist oberhalb der tragischen Szenerie und trotz der zeitgleichen Aufruhr der Engel auf das Himmlisch-Paradiesische. Im starken Kontrast dazu steht die dämonische Figur im Feuerball, die in der Nähe des ›bösen Schächers‹ dargestellt ist.285 Während die Akteure, Teilnehmenden und Leidtragenden der biblischen Kreuzigungsgeschichte am Boden in Gestalt vollplastischer Skulpturen dargestellt sind, werden die Engel in der für die irdische Welt unsichtbaren himmlischen Sphäre qua Malerei sichtbar. Anders als die Menschen unter dem Kreuz sind die überirdischen Engel keine konkret körperlichen Wesen. Wie in der über ein Jahrzehnt später gestalteten Kuppel von Saronno (Farbtafel 37, Abb. 3.19) verdeutlicht Gaudenzio in Varallo im intermedialen Zusammenspiel von Freskomalerei und Skulptur unterschiedliche Wirklichkeitsbezüge und Modi der Zeitlichkeit. Wie aber steht es um die gemalten Figurendarstellungen an den Seitenwänden (Farbtafel 41, Abb. 3.20 und 3.21)? Rundherum sind in der Kreuzigungskapelle menschliche Figuren und Landschaftspanoramen sowie städtische Details dargestellt. Hinter der Kreuzigung selbst sind v. a. Reiter mit Standarten zu sehen, an den umliegenden Wänden in landschaftlicher Szenerie etliche Männer, Frauen und Kinder zu Fuß, sitzend, auf der Rast und unterwegs. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass auch diese Figuren und Landschaften schwerpunktmäßig einer anderen zeitlichen Ebene und Verortung zugehören und dass der Malerei erneut ein von den Skulpturen differenter Darstellungsbereich zugeordnet ist. Hinter der Kreuzigung suggeriert die Malerei die unzählbare Masse an Umstehenden, die sich in die Tiefe der Landschaft ausbreiten, und macht Landschaft und Fernsicht erfahrbar. An den übrigen Wänden sind saftig grüne Hügellandschaften, Bergketten und vereinzelte architektonische Details sowie zahlreiche Figurengruppen zu sehen. Dabei verweist Agostino Allegri darauf, dass die Landschaft Ähnlichkeit mit der Valsesia-Region habe und das kleine Städtchen mit Fluss und Stadtmauer auf Varallo verweisen könne.286 Zudem unterscheiden sich Kleidungs- und Frisurenstil der gemalten und skulpturierten Figuren. Während die skulpturierten Personen in antik anmutende pelfresken der Himmelfahrt Mariens (1526–1530) von Antonio Allegri, genannt Correggio, im Dom von Parma und noch vor Giulio Romanos Sala dei Giganti (1532–1535) im Palazzo Te in Mantua entstanden und gerade auch in Anbetracht dessen kunsthistorisch bedeutsam sind. Villata, »Gaudenzio di fronte a Leonardo«, S. 155. 285 Zur Figur des Dämons und ihrer Rolle im Fresko Gaudenzios siehe: Göttler, »The Temptation of the Senses«, S. 411. 286 Allegri, »Gaudenzio Ferrari: Crocifissione«, S. 306.
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Abb. 3.20: Gaudenzio Ferrari, Ostwand der Kreuzigungskapelle, 1517–1520, Freskomalerei, Sacro Monte, Varallo © Archivio fotografico Ente di gestione dei Sacri Monti, Foto Riccardo, Marco e Paolo Gonella
Abb. 3.21: Gaudenzio Ferrari, Südwand der Kreuzigungskapelle, 1517–1520, Freskomalerei, Sacro Monte, Varallo © Archivio fotografico Ente di gestione dei Sacri Monti, Foto Riccardo, Marco e Paolo Gonella
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Roben und Rüstungen gekleidet sind und die biblische Geschichte verkörpern, tragen die gemalten Figuren cinquecentesk modische Kleider und Frisuren und bieten sich als Identifikationsfiguren für die frühneuzeitlichen Betrachtenden an.287 Direkt links neben dem Eingang sind bspw. zwei Männer mit Pilgerhüten und Jakobsmuschel dargestellt. Mitunter wird in der Forschung angenommen, dass unter den gemalten Figuren auch Porträts Gaudenzio Ferraris, Karls V. und / oder der Scarognino-Familie, die Stifter der Pilgerkirche waren, auszumachen sind.288 In jedem Fall ist die gemalte Welt an den Seitenwänden eine, die der Erfahrungswelt der frühneuzeitlichen Pilgerschaft nahesteht, während die skulpturierten Figuren als biblisch-historisch markiert sind. Mit den unterschiedlichen Kleidern und Frisuren der medial und material differenten Figuren und mit deren unterschiedlicher Körperlichkeit sowie Farbigkeit ergeben sich verschiedene Figurenwelten, die sich in der Intermedialität der Künste begegnen und interagieren – wie die Pilgerschaft des Sacro Monte, die in die biblischen Historien einzutauchen und Zeitgrenzen zu überwinden beabsichtigt. Es werden aber auch über die Momenthaftigkeit des Geschehens hinausweisende Bezüge mittels der gemalten Figuren anschaulich: etwa in der oberhalb der Eingangstür dargestellten Gruppe von zwei sitzenden Frauen mit zwei kleinen Jungen (Farbtafel 41). Die Kinder sind nur mit einer Art grünem Überwurf bekleidet; eines spielt im Schoss der Mutter, die melancholisch zu Christus hinüberblickt, mit einem Hund; der andere Knabe mit lockigem Haar steht vor seiner Mutter auf der Wiese und hält einen Stab in der Hand, der an einen Kreuzstab erinnert. Mit jenem Attribut und dem explizit nicht zeitgenössischen Gewand sowie in der Konstellation zweier Mütter und ihrer beiden Söhne mag durchaus eine Assoziation zu Johannes dem Täufer mit Anna, Maria und dem Jesuskind ins Bild gesetzt sein, die wiederum Pfade der frommen Andacht und Reflexion eröffnen mag. Schlussfolgernd lässt sich festhalten, dass Gaudenzio die unterschiedlichen Medien und Materialien reflektiert eingesetzt und genutzt hat, um Historie und Gegenwart, biblische Geschichte und frühneuzeitliche Erfahrungswelt, Momenthaftigkeit sowie Verweisstrukturen, Nah- und Fernsicht sowie konkrete körperliche Präsenz mit affektgeladenen Gesten und imaginierte himmlische Sphären zu konturieren und zugleich zusammenzubringen. Der hohe Grad der Ausdifferenziertheit und Verzahnung von Skulptur und Freskomalerei in Gaudenzios Kapellen am Sacro Monte di Varallo, die hier beispielhaft anhand der frühneuzeitlich besonders intensiv beachteten Kreuzigung 287 Siehe: ebd., S. 298, 306; sowie: Campbell, The Endless Periphery, S. 166. Eine Ausnahme ist die aus der biblischen Historie stammende Figur des Judas. Er ist nicht als Skulptur, sondern gemalt am Baum hängend dargestellt. Siehe: Allegri, »Gaudenzio Ferrari: Crocifissione«, S. 298. 288 Siehe: Allegri, »Gaudenzio Ferrari: Crocifissione«, S. 314.
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gezeigt worden ist, wird auch im Vergleich mit einem anderen frühen Heiligen Berg deutlich: In San Vivaldo in der Toskana kombinierten um 1500/1510 u. a. Agnolo Polo, Benedetto da Maiano und Antonio del Ceraiolo Holzkruzifixe, reliefartige Terrakottafiguren und Freskomalerei, um Leben und Passion Christi den Pilgernden möglichst affektwirksam vor Augen zu stellen.289 Leiter des Projekts war Fra Tommaso da Firenze, der gemeinsam mit Fra Bernardino Caimo, dem Mailänder Leiter des Projekts in Varallo, in Jerusalem gewesen war.290 Während ikonographische Details in der Kreuzigungsdarstellung in San Vivaldo, wie die Platzierung der Marien-Gruppe abseits vom Kreuz oder die Gestaltung der Zuschauermenge hinter den Kruzifixen Ähnlichkeiten zu Gaudenzios Kapelle aufweisen, ist die Darstellung in ihrer strukturellen Machart sehr viel stärker an die Fläche gebunden, weniger raumgreifend und mehr auf ein – auch farblich – unauffälliges Verschmelzen von Fresko und Relief aus. Gaudenzios Medienkombination in Varallo hingegen ist eine pointierte »form of mixed mimesis«, wie Stephen Campbell es fasst.291 »Gaudenzio«, so Campbell, »did not see painting as subsuming the function of sculpture – as in the so-called paragone debate – but held the two media as sustaining complementary effects, and that their intermediality could be productive of meaning.«292 Campbell benennt hier sehr wichtige Aspekte von Gaudenzios Einsatz von Malerei und Skulptur. Die angesprochene Relation zur Paragone-Debatte lässt sich im Kontext der vorliegenden Fallstudien derweil differenzierter betrachten. Fasst man den frühneuzeitlichen Paragone in seiner historischen Vielfältigkeit eben gerade auch als Mitstreit und bezieht man in die Analysen nicht allein Aushandlungen textverfasster Theorie sondern gleichermaßen auch der bildkünstlerischen Praxis ein, lässt sich die produktive, dialektische Intermedialität der Kreuzigungskapelle als Beitrag bzw. Kommentar zum paragonalen Relationieren von Malerei und Skulptur verstehen und als Teil der Explorationen medial- und materialgebundener Wechselspiele. Eine der ersten frühneuzeitlichen Beschreibungen von der von Gaudenzio Ferrari gestalteten Kreuzigungskapelle findet sich schließlich in einem von Francesco Sesalli herausgegebenen Buch von 1566. Jenes Buch ist quasi der Nachfolger des poetischen Pilgerreiseführers von 1514 und trägt den Titel: Descrittione del Sacro Monte di Varallo di Valsesia Sopra il quale è il Sepolcro di Christo, con
289 Siehe: Gentilini, »Scultura dipinta o pittura a rilievo?«, S. 12. Für Abbildungen der Kreuzigungskapelle in San Vivaldo siehe: http://www.sanvival dointoscana.com/it/le-cappelle/la-crocifissione.html (zuletzt eingesehen am 15.04.2020). 290 Siehe: http://www.sanvivaldointoscana.com/it/le-cappelle.html (zuletzt eingesehen am 15.04.2020). 291 Campbell spricht von mixed mimesis: Campbell, »Gaudenzio Ferrari«, S. 326. 292 Campbell, The Endless Periphery, S. 161 f.
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molti altri luoghi a imitatione di quelli di Terra Santa, con infinite statue e pitture bellissime Alla qual sono agionte molte belle orationi, da esser dette nel visitar le Chiese di questo Santo logo.293 Ähnlich wie im Falle des Büchleins von 1514 besteht der als didaktischer Reisebegleiter für Pilgernde konzipierte Text von 1566 aus 48 Oktaven. Die poetische Verfasstheit unterstützt erneut die eingängige Memorierbarkeit der Informationen und affektgeladenen Beschreibungen. Und erneut liegt die Aufmerksamkeit auf der Wirkungsästhetik der bildkünstlerischen Darstellungen sowie auf der intermedialen Kombination von Malerei und Bildhauerei. Es wird dabei kein rivalisierender Wettstreit zwischen den Künsten thematisiert, sondern deren Interaktion und gemeinsamer Wettstreit mit der Natur, dem Leben – »a imitatione del vero«;294 zur Kreuzigungskapelle heißt es bspw: »E il tutto esser non pinto, né in scultura / Ma dell’istesso parte di Natura«.295 Dies wird auch bereits im Vorwort deutlich: »[L]a maggior parte [delle opere]
293 Siehe: Durio, Alberto, »Francesco Sesalli e la prima ›Descrittione‹ del Sacro Monte di Varallo«, in: Bollettino Storico per la Provincia di Novara, 21/2 (1927), S. 167–178. Auf S. 379–396 ebd. findet sich der Wiederabdruck von Sesallis Text in den 1566er- und 1570er-Editionen für den direkten Vergleich. Ich danke Georgios Binos und Henrike Eibelshäuser für ihre spontane Hilfe bei der Beschaffung des Textes. Sesalli, Francesco, »Breve descrittione del Sacro Monte di Varallo di Valsesia, Milano 1566«, in: Bollettino Storico per la Provincia di Novara, 21/2 (1927), S. 379–396. Die Ausgabe von 1570 enthält im Vergleich zur editio princeps zusätzlich Gebete für die einzelnen Kapellen, während die Ausgaben ab 1578 noch um eine Zusammenfassung geplanter Umbaumaßnahmen erweitert wurden. Bis 1600 erschien Francesco Sesallis Buch in etwa 15 Auflagen. Siehe: Göttler, »The Temptation of the Senses«, S. 426. 294 Siehe: Sesalli, »Breve descrittione del Sacro Monte«, S. 382. Bezüglich der frühneuzeitlichen Beschreibungssprache des lebensnahen Eindrucks der Werke sei auf die Themensetzung eines Aufsatzes verwiesen, dessen Erscheinen sich jedoch mit dem Abschluss der Drucklegung des vorliegenden Kapitels überschnitt und der daher nicht berücksichtigt werden konnte, auf den aber als aktuelle Literatur zum Thema verwiesen wird: Benzan, Carla, »Coming to Life at the Sacro Monte of Varallo: the Sacred Image ›al vivo‹ in Post-Tridentine Italy«, in: Ad vivum? Visual Materials and the Vocabulary of Life-Likeness in Europe before 1800, hg. v. Thomas Balfe, Joanna Woodall und Claus Zittel, Leiden / Boston 2019, S. 224–246. 295 »Né può con occhio asciutto alma fedele / Qui [nel Calvario] la gran turba sculta riguar dare / De manigoldi, e di gente crudele / Tutti in gesti di Christo distracciare, / Uno Porgeli aceto, e amare fele, / L’altro schernirlo con le voglie amare, / Questo mirarlo con acerbo aspetto / Quel col pungente ferro aprirgli il petto. // Il Centurione con la squadra armata / Par che di custodirlo habbi gran cura, / E che in giocar la veste a quel spogliata / Provino i rei soldati lor ventura, / E che di donne, e di turba adunata / Di veder Christo gran schiera procura. / Fra la qual di bell’Arte a maraviglia / V’è una cingana fatta, e sua famiglia // Gli angeli star nel ciel tutti dolenti / Paiono per pietà del suo Signore, / E turbati mostrarsi gli elementi / Privi del sole e d’ogni suo splendore / E farsi terremoti, e nascer venti / Par che si veda, d’Estremo dolore: / E il tutto esser non pinto, né in scultura / Ma dell’istesso parte di Natura. // […].« Sesalli, »Breve descrittione del Sacro Monte«, S. 390 f.
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furono fatte da un M. Gaudentio di quella patria, homo veramente molto eccel lente, così nel dipingere come nella scultura, sono tanto naturali come se la Natura istessa e non l’arte l’hauesse formate.«296 Im lyrischen Haupttext werden dann in der Beschreibung der Kreuzigungskapelle insbesondere die skulpturierten Figuren in ihrer Gestik und Mimik sowie in ihren Handlungen und Gemütsregungen erfasst, aber auch die gemalten Engel besprochen.297 Dabei wird v. a. die affektive, überwältigende naturnahe Wirkung hervorgehoben. Auch den moti der Engel, ihrer Trauer und perturbatio wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Ihre innere Unruhe und ihr Pathos werden mit der Bewegtheit der bauschigen Gewänder und den damit implizierten Winden als sichtbares, sinnliches Zeichen ihrer inneren Unruhe korreliert.298 Andere wichtige Gestaltungsmerkmale wie jene der vollplastischen Skulpturen, dass sie bspw. lebensgroß, mit echten Haaren und Textilien gestaltet sind, werden nicht erörtert. Die veristische Wirkung wird attestiert, ohne sie zu erklären. Denn die Beschreibung ist gerade nicht auf eine analytische Beobachtung und Reflexion bildkünstlerischer Macharten ausgerichtet, sondern als Anleitung für die Pilgernden konzipiert, die Szenen affektiv auf sich wirken zu lassen. Im Vergleich zum Pilgerreiseführer von 1514 fällt auf, dass der Rundumblick von der Mitte bzw. dem Innenraum der Kreuzigungskapelle in Sesallis Buch keine Erwähnung findet. Diese Perspektive und Erfahrung wurde ab Mitte der 1560er-Jahre auch gezielt eingeschränkt. Nachdem die Weiterentwicklung des Wallfahrtsort nach dem Umzug von Gaudenzios Werkstatt nach Vercelli 1528 zum Erliegen gekommen war, beauftragte der Mailänder Giacomo d’Adda, Hauptmann der Kavallerie unter Francesco II. Sforza, 1565 den Architekten Galeazzo Alessi mit der Umgestaltung des Sacro Monte im Sinne der Tridentiner Konzilsbeschlüsse, die wiederum Francesco Sesalli 1564 in seiner Druckerei in Novara herausgegeben hatte.299 Im Libro dei Misteri (1565–69, Varallo, Archivio d’Adda, Biblioteca Civica) dokumentiert, erläutert und veranschaulicht Alessi die geplanten Umbaumaßnahmen.300 Die Änderungspläne umfassen neben der
296 Siehe: ebd., S. 382. 297 Siehe die oben zitierte Textpassage in Anm. 294. 298 Siehe: ebd. 299 Der Architekt Galeazzo Alessi war mit Francesca Scarognino verheiratet und somit an die Stifterfamilie des Heiligen Berges gebunden. Eben dieser Francesca widmete Francesco Sesalli 1566 dann auch seinen Pilgerreiseführer, nachdem er kurz zuvor die Canones et decreta sacrosancti oecumenici et generalis Concilii Tridentini (Novara, apud Franciscum Sesallum: 1564) publiziert hatte. Siehe zu diesen Aspekten: Göttler, »The Temptation of the Senses«, S. 404, 426 f., 430. 300 Alessis Manuskript ist samt den zahlreichen Zeichnungen in einer von Anna Maria Brizio und Stefania Stefani Perrone herausgegebenen Edition abgedruckt: Alessi, Galeazzo, »Libro dei Misteri«, in: Libro dei Misteri: Progetto di pianificazione urbanistica, architet-
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Neugestaltung der verzweigten Wege zu geraden, geordnet von Kapelle zu Kapelle leitenden Straßen die Einführung von Absperrungen – Alessi nennt sie »vitriate« (Glasscheiben, Gucklöcher und / oder Schutzgitter) –, die die Gläubigen auf Distanz zu den Figuren der biblischen Szenen halten.301 Während Alessi in seinem Buch zu mehreren Kapellen Kritikpunkte äußert und bei der von Gaudenzio gestalteten Geburtskapelle bspw. anmerkt, dass ihm die Figuren nicht sonderlich gefallen (»non mi aggradiscono però molto le figure ch’ivi sono«), lobt er die Ausstattung der Cappella del Monte Calvario ausnahmslos, beschreibt die zu Mitleid anregenden Leidensausdrücke der Terrakottafiguren wie auch der Engel und hält fest, dass man nichts ändern müsse, außer die »vitriata« anzubringen: »[I]n vero questo è un misterio fatto molto bene, et con giuditio; et percio non mi pare aggiungervi cosa alcuna, salvo riformare la vitriata ch’è avanti et cuopre detto misterio[.]«302 Die Pilgernden konnten sich in Varallo demnach nicht mehr als aktiv Teilnehmende des Geschehens unter die Skulpturen mischen, sondern wurden vielmehr dazu verleitet, in sich gekehrt die Szenerien auf sich wirken zu lassen und über sie nachzudenken.303 Durch die Distanz und die Gucklöcher konnten Blick tonica e figurativa del Sacro Monte di Varallo in Valsesia (1565–1569), hg. v. Anna Maria Brizio und Stefania Stefani Perrone, Bd. 1, Bologna 1974, nach S. 93, ff. 1r–10v (Text), ff. 11r–117r (Zeichnungen mit schriftlichen Kommentierungen). Die Publikation ist online einsehbar: https://www.sacromontedivarallo.org/wp/misteri/mobile/#p=1 (zuletzt eingesehen am 16.11.2020). Siehe zu Alessis Buch auch: Göttler, »The Temptation of the Senses«, S. 426 ff.; Nova, »Konservative Theorie«, S. 200 f. 301 Siehe: Göttler, »The Temptation of the Senses«, S. 428; siehe zu den Umbaumaßnahmen und ihren Funktionen generell sehr ausführlich ebd., S. 402 f. und S. 426–451. Vgl. auch: Nova, »Konservative Theorie«, S. 201; Nova, »›Popular‹ Art«, S. 121; De Vecchi, Pierluigi, »Annotazioni sul calvario del Sacro Monte di Varallo«, in: Fra Rinascimento, manierismo e realtà. Scritti di storia dell’arte in memoria di Anna Maria Brizio, hg. v. Pietro C. Marani, Florenz 1984, S. 109–118, S. 112 f. Neben den genannten Änderungen plante Alessi außerdem zwei neue Kapellen (Sündenfall, Jüngstes Gericht) sowie am Fuße des Berges eine Grotte mit Höllen- und Fegefeuer, die allerdings nicht realisiert wurde. Für einen Lageplan und eine Aufsicht auf den Heiligen Berg mit seinen Pilgerstationen siehe Alessis Zeichnung im Libro dei Misteri: https://www.sacromontedivarallo.org/wp/ misteri/mobile/index.html#p=136; https://www.sacromontedivarallo.org/wp/misteri/ mobile/index.html#p=114 (zuletzt eingesehen am 10.04.2020). 302 Zum ersten Zitat siehe: Alessi, »Libro dei Misteri«, f. 4r, abrufbar unter: https://www. sacromontedivarallo.org/wp/misteri/mobile/index.html#p=123 (zuletzt eingesehen am 10.04.2020). Alessi merkt an, dass er sich wünsche, dass die Figur Mariens »una inefabile allegrezza« zeige und so kniend das Kind anbete, Josef unterdessen demütiger wirke. Siehe ebd., f. 4v. Zum zweiten Zitat siehe: f. 6v., abrufbar unter: https://www.sacromontedivarallo.org/ wp/misteri/mobile/index.html#p=128 (zuletzt eingesehen am 10.04.2020). 303 Siehe: Nova, »Konservative Theorie«, S. 201.
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und Aufmerksamkeit der Gläubigen dabei gezielter gelenkt werden.304 Unter den Gucklöchern und Fenstern wurden zudem Kniebänke platziert, mit denen die Pilgernden dazu angehalten wurden, eine betende, andächtige Haltung einzunehmen.305 Die Wirkungs- und Rezeptionsästhetik von Gaudenzios Werken in den Kapellen des Heiligen Berges wurden damit durch die eingezogene Distanz einschneidend verändert. Ziel solcher Veränderungen waren »control over and canalization of the religious gaze and imagination, and over the powers of inner experience activated thereby«, wie Klaus Krüger es allgemein mit Blick auf Wandlungsprozesse zu Zeiten der Katholischen Reform auf den Punkt bringt.306 Zu den einschlägigen Forderungen von Bildtheorien im Zusammenhang mit der Katholischen Reform zählten eine – in der ästhetischen Struktur wie im semantischen Gehalt der Werke – eindeutige Bildsprache, aber insbesondere auch eine deutliche Fokussierung auf die Darstellung der biblischen Geschichten und ihrer Botschaften; Ablenkung bzw. der freie Lauf der Imagination waren nicht erwünscht.307 Jene Aspekte waren bspw. zentrale Anliegen des Mailänder Erzbischofs Carlo Borromeo, der den Heiligen Berg mehrfach besuchte und der sich bis in die 1580er-Jahre mit Umbaumaßnahmen der Pilgerstätte auseinander304 Siehe auch ebd. 305 Siehe Alessis Zeichnung im Libro dei Misteri: https://www.sacromontedivarallo.org/wp/ misteri/mobile/index.html#p=231 (zuletzt eingesehen am 10.04.2020). 306 Krüger, Klaus, »Authenticity and Fiction: On the Pictorial Construction of Inner Presence in Early Modern Italy«, in: Image and Imagination of the Religious Self in Late Medieval and Early Modern Europe, hg. v. Reindert Falkenburg, Walter S. Melion und Todd M. Richardson, Turnhout 2007, S. 37–69, S. 48 f. Krüger bespricht in seinem Beitrag unterschiedliche Effekte kirchenpolitischer Ansprüche an Kunst im Kontext der Katholischen Reform und betrachtet dabei bspw. sehr eindringlich das Bildprogramm der Mailänder Kirche San Celso und reformbedingte bildkünstlerisch-stilistische Veränderungen während der 2. Hälfte des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts. 307 Der Bologneser Kardinal Gabriele Paleotti schreibt in seinem Discorso intorno alle imagini sacre e profane (1582) bspw.: »[O]ccorre [nella pittura] sempre parlare in modo aperto e chiaro. […] [A]ccade spesso di vedere in molti luoghi, […] [che le opere] invece di illuminare l’intelletto e suscitare al contempo la devozione e stimolare il cuore, non fanno altro che confondere la mente, tanto da distrarla in mille direzioni diverse, da occuparla tutta quanta nel ragionamento continuo sull’interpretazione di una determinata figura, e tutto questo a danno della devozione.« Paleotti, Gabriele, »Discorso intorno alle imagini sacre e profane. Diviso in cinque libri, dove si scuoprono varii abusi loro e si dichiara il vero modo che cristianamente si doveria osservare nel porle nelle chiese, nelle case et in ogni altro luogo«, in: Trattati d’arte del Cinquecento fra manierismo e controriforma, hg. v. Paola Barocchi, Bd. 2, Bari 1961, S. 117–509, S. 214. Siehe zur Kunsttheorie der Katholischen Reform und insbesondere zu Paleottis Schrift: Steinemann, Holger, Eine Bildtheorie zwischen Repräsentation und Wirkung. Kardinal Gabriele Paleottis ›Discorso intorno alle imagini sacre e profane‹ (1582), Hildesheim / Zürich / New York 2006. Siehe zur Katholischen Bildertheologie jener Zeit zudem einschlägig: Hecht, Christian, Katholische Bildertheologie im Zeitalter von Gegenreformation und Barock. Studien zu Traktaten von Johannes Molanus, Gabriele Paleotti und anderen Autoren, Berlin 1997.
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setzte. Davon zeugt u. a. ein im Zusammenhang mit einem Aufenthalt auf dem Sacro Monte in Varallo verfasster Brief Borromeos an den Bologneser Bischof und katholischen Bildtheoretiker Gabriele Paleotti vom 20. Oktober 1584, in dem Borromeo davon berichtet, dass in einigen Kapellen die Darstellungen der biblischen Szenen zu verwirrend seien und deshalb verändert werden müssten (»parendomi molto confuse i Misteri«).308 In seiner Schrift über die Ausstattung von Kirchen forderte Borromeo, in sakralen Kunstwerken jegliche Ablenkungen und Neugierde weckenden Elemente zu vermeiden und die Imagination zu kontrollieren.309 »[T]aming the power of the imagination, so that it would ›not wander about‹ but instead attach itself to the Passion of Christ« war – mit Christine Göttlers Worten gesprochen – ein Kernanliegen der Reformbemühungen Borromeos in Bezug auf die Kapellen des Heiligen Berges.310 Varallo sollte Ort des Rückzugs und der Kontemplation sein und dem stand wohl die stark immersive Qualität der intermedialen Darstellungen in den Kapellen entgegen, wenn sie aus nächster Nähe und in freier Bewegung exploriert wurden.311 Nachdem die poetischen Pilgerreiseführer und der Libro dei Misteri Aufschluss über das generelle Interesse an der bzw. über die Sensibilität für die Medienkombination von Malerei und Skulptur liefern, geben die ersten explizit kunsttheoretischen Auseinandersetzungen mit dem Sacro Monte in Lomazzos Schriften und in einem Reisebericht Federico Zuccaros einen anders perspektivierten Einblick in frühneuzeitliche Wahrnehmungskompetenzen und in kunsttheoretische Bewertungen der Intermedialität. In Zuccaros Reisebericht, den er nach einem Besuch des Sacro Monte di Varallo 1604 verfasste, ist bspw. eine reflektierte Unterscheidung und differenzierte ästhetische Beurteilung von den beiden Darstellungsbereichen der Malerei und der Skulptur in der von Gaudenzio Ferrari gestalteten Kreuzigungskapelle angelegt. Die »pitture tutte a fresco nel muro« werden von Zuccaro als »graziose e belle« gelobt und als Hintergrundgestaltung der »istoria« in den Blick genommen, als Landschaftsausblick und Fernsicht: »accompagnano l’istoria di lontananze e paesi«.312 Die gemalten Figurengruppen bleiben unterdes in seiner Beschreibung außen vor – und konnten vermutlich je nach Besucherandrang durch die Absperrungen 308 Siehe: Göttler, »The Temptation of the Senses«, S. 437. Carlo Borromeo förderte zudem den Bau weiterer Sacri Monti nach dem Modell von Varallo. Siehe: Nova, »›Popular‹ Art«, S. 113 f. 309 Siehe: Göttler, »The Temptation of the Senses«, S. 430 (mit Bezug auf Borromeos Schrift Instructiones fabricae et supellectilis ecclesiasticae, 1577). 310 Ebd. 311 Ebd., S. 403. Christine Göttler konstatiert zusammenfassend zur frühneuzeitlichen Entwicklungsgeschichte der Pilgerstätte in Varallo: »From its Franciscan beginnings, Varallo had served as a ›laboratory‹ to explore the impact of lifelike imagery on the beholder’s body, mind, and the senses.« Ebd., S. 402. 312 Zuccari, Il passaggio per Italia, S. 16, 18.
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nicht mehr derart umfassend und im Detail studiert werden wie noch vor den Umbaumaßnahmen. Die »figure e misterii di rilievo di terra cotta colorite« stellt der Künstler und Kunsttheoretiker hingegen v. a. in ihrer veristischen und lebhaften Wirkung vor: »rappresentate al vivo«, »che vivo e vere paiono«.313 Zuccaro beschreibt Handlungen und Gesten der Würfelspieler, aber v. a. auch die Figurengruppe um Maria, ihre Verzweiflung und Schmerzen, die nie ein anderer Bildhauer überzeugender dargestellt habe: »non so qual scultore de’ megliori meglio l’avesse fatto, e meglio espresso il dolore e l’afflizzione della Madre, la compassione e lamento delle Marie che sostentano la Vergine«.314 Während die Fresken also als der Landschaftsdarstellung gewidmetes Medium mit ästhetischen Kategorien der Schönheit und Grazie präsentiert werden, werden die Skulpturen in ihrer Qualität und Funktion besprochen, individuelle Charaktere, deren Gesten und affektive Gemütsbewegungen lebhaft zu verkörpern. Lomazzos Besprechung der mixed media Werke Gaudenzios hingegen thematisiert zwar die unterschiedlichen Materialien, Medien und Macharten, konturiert aber keine jeweils spezifischen Darstellungspotentiale: »[S]i veggono cavalli mirabili et angeli stupendi; non solamente dipinti, ma anco di plastica, cioè di terra, fatti di sua mano di tutto rilievo eccellentemente, a figura per figura«.315 Letztlich subsummiert Lomazzo Gaudenzios Kapellenausstattungen in Varallo unter der Kategorie der pittura. Denn wer die Arbeiten in Varallo noch nicht gesehen hat, so Lomazzo, könne nicht behaupten, zu wissen, was Malerei sei und worin ihre wahre Exzellenz bestehe: »Onde chi non ha veduto quel sepolcro, non può dir di sapere che cosa sia pittura e qual sia la vera eccellenza di lei.«316 Diese Einordnung erweist sich hier und auch an anderen Stellen seiner Schriften als struktureller Schachzug im Sinne seiner absoluten Vorrangstellung der Malerei, wie in Kapitel 3.1 besprochen. Der vergleichende Blick auf Gaudenzios Werke in Varallo (v. a. die Cappella del Monte Calvario) und auf deren Rezeption im Pilgergedicht Sesallis, dem Libro dei Misteri Alessis, Zuccaros Reisebericht und Lomazzos Kunsttheorie verdeutlicht Interessen- und Schwerpunktverlagerungen in der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Malerei und Skulptur. Nachdem Gaudenzio im Tramezzo mit der malerischen Aneignung antiker Skulpturen künstlerische Gelehrsamkeit markierte und Stilfragen aushandelte, kombinierte er in den Kapellenausstattungen voll- und teilplastische, polychrome Terrakottafiguren mit monumentaler Wand- und Deckenmalerei, um in einem intrikaten und pro313 Ebd., S. 18. 314 Ebd., S. 16, 18. Vgl. auch: Nova, »›Popular‹ Art«, S. 126; Göttler, »The Temptation of the Senses«, S. 393, 397. 315 Lomazzo, »Trattato«, S. 101. 316 Lomazzo, »Idea«, S. 289.
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duktiven intermedialen Zusammenspiel der Künste unterschiedliche Modi der Zeitlichkeit zu elaborieren, Identifikationsmöglichkeiten zu bieten, Historizität und Gegenwart bzw. Aktualisierung von Geschichte zu korrelieren und mittels des Dialogs von Malerei und Skulptur in Austausch zu bringen. Die Lektüre des Pilgerbuches von 1514 zeigt, dass Gaudenzio mit der Medienkombination und dem 360-Grad Panorama der Kreuzigungskapelle an die für ihre affektive und alle Betrachtenden involvierende Wirkungsästhetik gelobte Gestaltungsweise der Anfangsphase des Heiligen Berges anschließen konnte und mittels ihrer weitreichenden emotionalen Betrachteransprache den bildkünstlerischen Anforderungen der Franziskanerobservanten entsprach. Ab Mitte der 1560er-Jahre werden dann durch Galeazzo Alessis Libro dei Misteri Reformpläne und Umbaumaßnahmen an der Pilgerstätte im Rahmen der Katholischen Reform und der Tridentinischen Konzilsbeschlüsse nachvollziehbar. Gaudenzios Kreuzigungskapelle wurde weiterhin als mustergültig betrachtet und für Mimik, Gestik und Affekte der skulpturierten Figuren und gemalten Engel gelobt, doch die immersive Qualität des Rundum-Effekts wurde reguliert und reduziert. Mittels der vitriate wurde die Rezeption von Gaudenzios intermedialem Werk verändert, um Distanz zu schaffen, den Blick der Gläubigen zu lenken und stärker zu einer kontemplativen, auf die biblische Kerngeschichte konzentrierten, andächtigen Rezeption anzuhalten – ohne Ablenkungen und freien Lauf der Imagination, die durch die ursprüngliche Konzeption angeregt wurden, zu der eben auch die Nähe der Gläubigen sowohl zu den skulpturierten als auch gerade zu den gemalten frühneuzeitlich anmutenden Identifikationsfiguren zählte. Dies ist bereits 1566 in Sesallis Pilgerbuch zwischen den Zeilen zu lesen, wenn dieser eben nicht mehr die Rundum-Malerei hervorhebt, sondern sich auf Affektdarstellungen der Terrakottafiguren fokussiert. Die Medienkombination ist zwar bei Sesalli allgemein ein Thema, sie wird jedoch nicht mit Blick auf bildkünstlerische Strategien, unterschiedliche Darstellungsbereiche und die Machart der gemalten und skulpturierten Figuren verhandelt, sondern als ein gemeinsamer Wettstreit von Malerei und Skulptur mit der Natur. Diesen Wettstreit bewertet Sesalli als gelungen, denn er lobt Gaudenzios Figuren wiederholt als »tanto naturali«. Die Reformen am Sacro Monte beschäftigten weiterhin den Erzbischof Carlo Borromeo, dessen Kommentare in Briefen und Theorieschriften nachvollziehen lassen, dass die zahlreichen intermedialen Kapellen in Varallo in mehreren Fällen seiner Ansicht nach für zu viel Ablenkung sorgten. Die Bemerkungen der Künstler und Kunsttheoretiker Federico Zuccaro und Giovan Paolo Lomazzo zu Gaudenzios Kapellen bieten schließlich erneut differente Perspektiven auf die Medienkombinationen in Varallo: Während Zuccaro in seinem Reisebericht eine klare Trennung der Darstellungsbereiche von Malerei – schöne Fernsicht und Landschaft ohne Aufmerksamkeit für die Figuren – und von Skulptur – veristische, Pathos geladene Figuren der biblischen Geschichte – vollzieht, prä-
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sentiert Lomazzo ohne Erörterung der Komplexität und Ausdifferenziertheit von Gaudenzios Relationieren von Malerei und Skulptur die Cappella del Monte Calvario als Meisterwerk der Metakunst pittura (3.1). Nach den analysierten Beiträgen zu einer pluralen frühneuzeitlichen Paragone-Debatte in Gestalt differenzierter, interagierender Medienkombinationen von Malerei und Skulptur im Kontext sakraler Kunstprojekte mit besonderer Aufmerksamkeit für affektive Konfigurationen von moti dell’anima wird der Analysefokus im nächsten Schritt auf einschlägige physische Bewegungsmotive verlagert, genauer auf Kontrapost und figure serpentinate. Oder mit Lomazzo gesprochen: »Essendosi trattato in gran parte de i moti che si possano causare in un corpo dai varij affetti dell’animo, è ragione che si parli ancora de’ moti proprij di esso corpo[.]«317
3.4 Theorie & Ästhetik von figure serpentinate 3.4.1 Giovan Paolo Lomazzos Begriffskonzept der figura serpentinata Zum Abschluss der Betrachtungen von Agon und Mitstreit zwischen Malerei und Skulptur in Text und Bild werden in diesem Unterkapitel ausgehend von und in Auseinandersetzung mit Giovan Paolo Lomazzos Begriffskonzept der figura serpentinata physische Bewegungsmotive als Thema paragonaler Dialoge fokussiert. Lomazzo ist – soweit bekannt – der erste und bis zu William Hogarth der einzige, der das Begriffskonzept der figura serpentinata schriftlich fixiert und nutzt.318 Er bespricht es in seinem Trattato zum Auftakt des ersten
317 Lomazzo, »Trattato«, S. 255. 318 Zur Rezeption von Lomazzos figura serpentinata in William Hogarths Analysis of Beauty – Written with a view of fixing the fluctuating IDEAS of TASTE (London 1753) siehe: Davis, Charles, »Michelangelo: figura serpentinata, ›bellezza del corpo‹, ›potentissima virtù imaginativa‹«, in: Beständig im Wandel. Innovation – Verwandlung – Konkretisierungen. Festschrift für Karl Möseneder zum 60. Geburtstag, hg. v. Christian Hecht, Berlin 2009, S. 145–163, S. 146. Nach Hogarths Rezeption von Lomazzos Begriffskonzept wurde die figura serpentinata vor allem in Bezug auf Skulptur relevant gemacht und bspw. zum Paradigma manieristischer Skulptur erhoben – mit Michelangelos Sieger (1530) als Paradebeispiel. Siehe die Überblicksdarlegung in: Summers, David, »Maniera and Movement: The Figura Serpentinata (1972)«, in: Readings in Italian Mannerism, hg. v. Liana De Girolami Cheney, New York 20042, S. 273–314, hier v. a. S. 276. Zur Elaborierung der figura serpentinata in manieristischen Marmorskulpturen Mittelitaliens siehe: Schröder, Gerald, »Versteinernder Blick und entflammte Begierde. Giambolognas ›Raub der Sabinerin‹ im Spannungsfeld poetisch reflektierter Wirkungsästhetik und narrativer Semantik«, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, 31 (2004), S. 175–204, insbesondere S. 190 f.
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Abb. 3.22: Leonardo da Vinci, Proportionsstudie eines Mannes in Kombination mit Text (Vitruvianischer Mann), um 1490, Bleigriffel, Feder und Tusche / Papier, 343 × 246 cm, Gallerie dell’Accademia, Venedig, inv. 228 © G. A.VE Archivio fotografico – Su concessione del Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo – Gallerie dell’Accademia di Venezia
Buches zur Proportionslehre.319 Seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert wurden im lombardischen Diskurs unterschiedliche Proportions- und Vermessungslehren des menschlichen Körpers gegeneinander abgewogen, variiert und in Verbindung mit Studien zu Bewegungsabläufen in Bild und Text diskutiert.320 319 Lomazzo, »Trattato«, S. 29 f. Zu Lomazzos Trattato im Allgemeinen siehe oben Kapitel 3.1. 320 Für einen profunden Überblick der Vielzahl an Proportionslehren im ästhetischen Diskurs der Lombardei während des 16. Jahrhunderts siehe: Berra, Giacomo, »La storia dei canoni proporzionali del corpo umano e gli sviluppi in area lombarda alla fine del Cinquecento«, in: Raccolta Vinciana, 25 (1993), S. 159–310.
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Dieser komplexe Aushandlungsprozess und die kanonische Pluralität von Vermessungslehren wird u. a. in Leonardos Bild und Text kombinierender Zeichnung des Vitruvianisch(-Albertinischen) Mannes (ca. 1490, Abb. 3.22) oder auch in Carlo Urbinos ebenfalls Bild und Text kombinierendem Codex Huygens (1569) deutlich.321 Lomazzo stellt in seinem Trattato schließlich die im Verlauf des lombardischen Cinquecento verhandelten Proportionslehren konglomerathaft zusammen.322 Er transferiert dabei die verschiedenen geometrischen und arithmetischen Vermessungslehren in eine metaphysisch, kosmologisch fundierte Proportionslehre, die zur Gesamtanlage seiner Kunsttheorie passt, in Mikro-Makrokosmos-Analogien gründet und die Proportionen menschlicher Typen mit Temperamenten und Planeten korreliert.323 Er beginnt die Besprechung des Themas jedoch weder mit Regeln und Konzepten der Geometrie, Arithmetik oder Kosmologie. StattZur Pluralisierung von Kanon siehe: Metzger, Rainer, »Über das Kanonische«, in: Über das Kanonische. Kunstforum International, hg. v. dems., 162 (2002), S. 38–53; LeischKiesl, Monika, »Kanon«, in: Über das Kanonische. Kunstforum International, hg. v. Rainer Metzger, 162 (2002), S. 64–81. 321 Siehe bspw. Carlo Urbinos Zeichnung auf f. 7 des Codex Huygens, online einsehbar unter: https://www.themorgan.org/collections/works/codex/huygens/page/7 (zuletzt eingesehen am 15.04.2020). Zum Codex Huygens siehe außerdem Kapitel 2.3.2, Anm. 235; sowie: Panofsky, Erwin, The Codex Huygens and Leonardo da Vinci’s Art Theory. The Pierpont Morgan Library Codex M. A. 1139, London 1940; Zöllner, Frank, »Die Bedeutung von Codex Huygens und Codex Urbinas für die Proportions- und Bewegungsstudien Leonardos da Vinci«, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 52 (1989), S. 334–352; Berra, »La storia dei canoni proporzionali«, S. 160, 215–219. Zu Leonardos Uomo Vitruviano und der Integration unterschiedlicher Proportionslehren (v. a. Vitruvs und Albertis) siehe: Salvi, Paola, »L’Uomo vitruviano di Leonardo e il De Statua di Leon Battista Alberti: la misura dell’armonia«, in: Approfondimenti sull’Uomo vitruviano di Leonardo da Vinci, hg. v. ders., S. 21–56, hier S. 29 f., 37–39, 53–55; Marani, Pietro C., »Leonardo, l’Uomo vitruviano e il trattato De sstatua«, in: Leonardiana. Studi e saggi su Leonardo, hg. v. dems., Mailand 2010, S. 191–204, S. 191; Zöllner, Frank, »Anthropomorphism: From Vitruvius to Neufert, from Human Measurement to the Module of Facism«, in: Images of the Body in Architecture: Anthropology and Built Space, hg. v. Kirsten Wagner und Jasper Cepl, Tübingen / Berlin 2014, S. 47–75, S. 47–50. Zu Leonardos Proportions- und Bewegungsstudien allg. siehe: Zöllner, Bewegung und Ausdruck. 322 Vgl. auch: Maurer, Emil, Manierismus. Figura serpentinata und andere Figurenideale. Studien – Essays – Berichte, Zürich 2001, S. 35. 323 Siehe: Ring, Christian, »Dürers Proportionslehre und ihre Rezeption im ›Trattato dell’arte della pittura‹ des Giovanni Paolo Lomazzo (1584)«, in: Dürer-Forschungen Band 2. Buchmalerei der Dürerzeit, Dürer und die Mathematik, Neues aus der Dürerforschung, hg. v. Ulrich Großmann, Nürnberg 2009, S. 157–172, S. 157, 167. Ring bespricht detailliert den Transfer von Albrecht Dürers anthropometrischer Proportionslehre in Lomazzos kosmologische Kunsttheorie. Zu Lomazzos kosmologischer Kunsttheorie siehe weiter unten in dieser Arbeit Kapitel 5.3.
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dessen erläutert er – quasi als Vorwort zu seinen dann nachfolgenden Ausführungen – eine in der bildkünstlerisch-ästhetischen Praxis verankerte Bewegungsfigur, die sich einer strikten Regelhaftigkeit und Messbarkeit entzieht und die er mit der neuartigen Begrifflichkeit der figura serpentinata fasst. Er schreibt, dass für das Thema der Proportionen eine Regel (»precetto«) Michelangelos von großer Bedeutung sei, die er nun unkommentiert wiedergebe und deren Interpretation und Verständnis (»intelligenza«) er dem klugen Leser überlasse.324 Man berichte sich, dass Michelangelo einst seinem Malerschüler Marco da Siena den Hinweis gegeben habe, immer eine pyramidenförmige und geschlängelte Figur (»figura piramidale, serpentinata«) zu machen und jene zu verdoppeln oder auch zu verdreifachen. In jener Regel, so Lomazzo, liege wohl das ganze Geheimnis der Malerei (»tutto il secreto de la pittura«). Denn die größte »grazia e leggiadria«, die eine Figur haben könne, bestehe darin, dass sie den Anschein mache, sich zu bewegen. Das nennen die Maler »furia de la figura«.325 Um jene Bewegung darzustellen, gebe es keine geeignetere Form (»forma«) als jene der Flamme eines Feuers, das gemäß Aristoteles und allen anderen Philosophen, das aktivste Element sei und dessen Flamme die beweglichste sei, weil sie eine spitze Kegelform und Spitze habe, mit der sie die Luft zu durchbrechen und in die Sphäre aufzusteigen scheine. Wenn eine Figur solch eine Form habe, werde sie wunderschön (»bellissima«) sein. Lomazzo erläutert anschließend zwei Arten eine derartige Figur zu kom ponieren. Man könne entweder ein nach oben hin spitz zulaufendes Dreieck gestalten, z. B. durch breit aufgestellte Beine oder Gewandfalten als Basis und durch eine nach vorn sowie eine nach hinten verkürzt gezeigte Schulter als Pyramiden spitze.326 Oder man forme umgedreht ein nach unten spitz zulaufendes Dreieck und platziere bspw. die Beine der Figur hintereinander und die Schultern breit 324 Siehe hier und für die nachfolgende Paraphrase die umfangreiche Textstelle aus Lomazzos Trattato: »E perché in questo loco cade molto a proposito un precetto di Michel Angelo, non lascierò di riferirlo semplicemente, lasciando poi l’interpretazione et intelligenza di esso al prudente lettore. Dicesi adunque che Michel Angelo diede una volta questo avvertimento a Marco da Siena, pittore suo discepolo, che dovesse sempre fare la figura piramidale, serpentinata e moltiplicata per uno, doi e tre. Et in questo precetto parmi che consista tutto il secreto de la pittura, imperoché la maggior grazia e leggiadria che possa avere una figura è che mostri di moversi, il che chiamano i pittori furia de la figura. E per rappresentare questo moto non vi è forma piú accommodata che quella de la fiamma del foco la quale, secondo che dicono Aristotele e tutti i filosofi, è elemento piú attivo di tutti e la forma de la sua fiamma è piú atta al moto di tutte, perché ha il cono e la punta acuta con la quale par che voglia romper l’aria et ascendere a la sua sfera, sí che quando la figura averà questa forma sarà bellissima.« Lomazzo, »Trattato«, S. 29. 325 Zur Relation von furia und furor in Lomazzos Theorie siehe: Magnago Lampugnani, Anna, Furor. Vorstellungen künstlerischer Eingebung in der Frühen Neuzeit, München 2020, S. 287–294. 326 Ebd.
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nebeneinander in frontaler Ansicht.327 Der pyramidale Aufbau sei dann in sich als forma serpentinata zu gestalten.328 Jene figura stelle die Windung (»tortuosità«) einer lebendigen Schlange dar, wenn sie krieche; dies sei auch die Form der wogenden (»ondeggiante«) Flamme. Die Figur müsse also die Form des Buchstabens S haben – »retta« oder »rovescia«.329 Diese Figur könne man dann laut Michelangelo weiter multiplizieren.330 Und darin bestehe die ganze Ratio (»ragione«) der Proportion, um die es im vorliegenden Buch nun ausführlich gehe.331 Mit diesem Einstieg bringt Lomazzo zum einen laut eigenen Angaben ein geheimnisvolles Insiderwissen aus der Künstlerwerkstatt zu Papier; zum anderen relativiert er alle nachfolgenden Erörterungen anderer, konkreter Vermessungslehren, denn die ultima ratio verortet er in der figura serpentinata-Regel. Diese aber, so merkt Lomazzo ausdrücklich an, ist vom kompetenten Leser (bzw. Künstler) eigenständig zu interpretieren. Damit macht er deutlich, dass es sich nicht um ein einfach zu kopierendes oder berechenbares Prinzip handelt; es ist vielmehr ein in der ästhetischen Praxis zu entschlüsselndes Geheimnis. Zudem ist dieses precetto, dem Lomazzo absolute Geltung zuspricht, weder die Lehre eines Mathematikers noch einer antiken Philosophenautorität, sondern das Gestaltungsprinzip eines der prominentesten frühneuzeitlichen Künstler Italiens: Michelangelo Buonarroti. Er soll es seinem Schüler, dem Maler Marco Pino aus Siena, weitergegeben haben. Folglich handelt es sich bei dieser ultima ratio der Proportionslehren um ein Künstlerwissen, das aus der Werkstattpraxis heraus tradiert wurde. Dabei ist das Kernanliegen des precetto die Evokation von Bewegung, Agilität und Lebendigkeit. Begrifflich gefasst wird das bildkünstlerische Gestaltungsprinzip pyramidaler Struktur mit den Metaphern der schlängelnden Schlange sowie des Feuers und der züngelnden Flamme, letztere in Referenz auf 327 Ebd., S. 29 f. 328 Bei Lomazzo heißt es wörtlich: »[H]a il pittore d’accompagnare questa forma piramidale [che Michel Angelo chiama la forma serpentinata] con la forma serpentinata che rappresenta la tortuosità d’una serpe viva quando camina, che è la propria forma de la fiamma del foco che ondeggia. Il che vuol dire che la figura ha di rappresentare la forma de la lettera S retta o la forma rovescia, come è questa Ƨ, perché allora averà la sua bellezza. […] Diceva piú oltre Michel Angelo che la figura ha da essere moltiplicata per uno, doi e tre. Et in questo consiste tutta la ragione de la proporzione di che trattaremo diffusamente in questo libro.« Ebd., S. 30. 329 Siehe ebd. Zum S in »forma rovescia« vgl. auch: Davis, »Michelangelo: figura serpentinata«, S. 145 f. 330 Zur Äußerung »moltiplicata per uno, doi o tre« erläutert Karen Edwards überzeugend, dass die Angaben sich schlicht auf die Anzahl der Figuren im Bild beziehen, die in der pyramidalen und schlangenartigen Komposition integriert sind: Edwards, Karen, »Ahead of the Curve: Michelangelo and the Invention of the ›Figura Serpentinata‹«, in: A Festschrift in Honor of Professor Edward J. Olszewski, hg. v. Jennifer H. Finkel, Michael D. Morford, Dena M. Woodall, New York / Washington / Bern 2013, S. 49–59, S. 51. 331 Siehe Anm. 328.
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die antike Elementenlehre. In Lomazzos Temperamentenlehre im moti-Buch des Traktats wird das Feuer mit seiner Flamme hingegen als zerstörerisches, cholerisches, gewaltiges Element vorgestellt. Zwar eignet ihm die Bewegung des »torcendosi« und »crescere e pogiare all’insú«, aber als Kennzeichen der »moti della còlera ne i corpi«.332 Die figura serpentinata wird demgegenüber und damit unabhängig der Temperamentenlehre mit Derivaten der Kategorie grazia beschrieben, fern jeden cholerischen Charakters. Feuer und Flamme der figura serpentinata sind vielmehr in Auseinandersetzung mit ästhetischer Theorie konzipiert. Denn sowohl die Wellenbewegung (ondeggiare) der Flamme als auch das Schlängeln (torcendosi) von Schlangen werden bereits vor Lomazzos Schrift in einschlägigen kunsttheoretischen Texten als Metaphern bzw. Formideen für Bewegungsmotive eingesetzt. Leon Battista Alberti vergleicht bspw. in Della pittura (1435) die siebenteilige Bewegung von Haaren und Gewändern, die der Darstellung der moti dienen, mit der Bewegung von Flammen und Schlangen.333 Auch Leonardo nutzt die bildhafte Sprache des serpeggiare, also des Schlängelns, um eine bewegte Ausgeglichenheit bzw. ausgeglichene Bewegung in jeder Figur zu erreichen und zu evozieren und dabei jeglichen Anschein des Hölzernen zu vermeiden.334 Sowohl bei Alberti, als auch Leonardo und ebenso Lomazzo geht es dabei nicht um Zahlenverhältnisse und 332 Lomazzo, »Trattato«, S. 104. 333 »Dilettano nei capelli, nei crini, ne’ rami, frondi e veste vedere qualche movimento. Quanto certo a me piace ne’ capelli vedere quale io dissi sette movimenti: volgansi in uno giro quasi volendo anodarsi, e ondeggino in aria simile alle fiamme; parte quasi come serpe si tessano fra gli altri, parte crescendo in qua e parte in là; così i rami ora in alto si torcano, ora in giù, ora in fuori, ora in dentro, parte si contorcano come funi.« Alberti, Della Pittura, S. 138. In der deutschen Übersetzung: »Es bereitet Vergnügen, in Haaren, Mähnen, Zweigen, Laubwerk und Kleidern irgendwelche Bewegung zu sehen. Mir gefällt es gewiss besonders, in den Haaren die von mir erwähnten sieben Bewegungen zu sehen: sie sollen sich mit einer Drehung wenden, als wollten sie einander umschlingen, und ähnlich den Flammen in der Luft wehen; teils sollen sie sich verknoten wie Schlangen, teils nach hierhin und dorthin aufstreben; ebenso sollen sich Strähnen da nach oben, hier nach unten, da nach außen, hier nach innen winden, teilweise sollen sie sich verwickeln wie Seile.« Ebd., S. 139. 334 Leonardo notierte: »Del serpeggiare e bilico delle figure e altri animali. Qualunque figura tu fai, o animale gentile, ricordati di fugire il legnioso, cioè ch’elle vadino contrapesando ossia bilanciando in modo non paia uno pezzo di legno; Quelli che vuoi figurare forti, non li fare così, salvo il girare della testa.« Leonardo da Vinci, The Notebooks of Leonardo da Vinci. Compiled and Edited From the Original Manuscripts by Jean Paul Richter, hg. v. Jean Paul Richter, Bd. 1, New York 1970, Nr. 591, S. 295; in der ebd. zu findenden englischen Übersetzung: »Of Undulating Movements and Equipoise in Figures and Other Animals. When representing a human figure or some graceful animal, be careful to avoid a wooden stiffness; that is to say make them move with equipoise and balance so as not to look like a piece of wood; but those you want to represent as strong you must not make so, excepting in the turn of the head.« Vgl. zu dieser Textstelle auch: Summers, »Maniera and Movement«, S. 59.
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Vermessungen, sondern um eine Art und Weise der Bewegungsimplikation durch Linienführung und ein austariertes Formgefüge, kurz: um die Abweichung von der geraden Linie und der klaren Regel. Quintilian empfiehlt im 1. Jahrhundert ein ähnliches, bildkünstlerisches Strukturprinzip für die Rhetorik einer Rede, die sich an der Schmiegsamkeit (flexus) der Linie eines gemalten oder skulpturierten Körpers orientieren solle, um Abwechslung und Bewegung zu erwirken.335 Lomazzo bespricht die figura serpentinata schließlich nicht nur im Buch zur Proportionslehre, sondern auch in jenem über die Praxis, Della prattica. Dort wird die figura serpentinata an den Kontrapost gekoppelt bzw. als dessen notwendige Ergänzung präsentiert. Lomazzo beschreibt zunächst minutiös diverse Körperhaltungen und stellt immer wieder die Notwendigkeit von Kontrapostpositionen zur Erzeugung von Balance heraus.336 Am Ende der ausführlichen Beschreibungen fordert er, eine Figur letztlich immer so darzustellen, dass ihr Körper etwas vom »serpentinato« habe.337 Auch die Künstler der Antike und ebenso die besten »moderni«, so Lomazzo, handhaben es so, dass sämtliche Haltungen auf gegensätzlichen Richtungen basieren, bspw. der rechte Arm nach vorn strebe und der linke zurück. Denn ein Körper lasse sich nur dann »grazioso« gestalten, wenn er die – wie Michelangelo es genannt habe – »forma serpentinata« aufweise: »[Un corpo] non riuscirà mai grazioso se non averà questa forma serpentinata, come soleva chiamarla Michel Angelo«.338 Jene forma serpentinata, so bringt es Lomazzo an späterer Stelle seiner Schrift noch einmal bündig auf den Punkt, werde durch die »circonferenza e tortuosità della fiamma del fuoco« dargestellt.339 Mit der figura serpentinata wird der Kontrapost letztlich intensiviert, komplexifiziert und als gegensätzliche Bewegung aller symmetrischen Teile des Körpers auf eine Mehrdimensionalität hin ausgeweitet.340 Dabei wird sie zum grundlegenden Gestaltungsprinzip menschlicher Figuren und zur Ermöglichung von grazia erhoben.341 335 »[E]s bewährt sich aber oft, von den überkommenen festen Ordnungen etwas abzuändern, und bisweilen ist es auch schicklich so, wie wir es bei Statuen und Bildern sehen, dass auf ihnen Haltung, Miene und Stellung abwechseln. Denn der geradestehende Körper zeigt wohl am wenigsten Anmut […]. Die Schmiegsamkeit [flexus] der Linien, die ein solcher Körper zeigt, und – ich möchte sagen – ihre Bewegung [motus] ergibt den Eindruck von Handlung [actus] und Gefühlsbewegung.« Quintilian, Institutio oratoria – Ausbildung des Redners, Buch 2, 13, 8–10. 336 Lomazzo, »Trattato«, S. 255 f. 337 Ebd., S. 258. 338 Ebd. 339 Ebd., S. 418 f. 340 David Summers betont, dass Lomazzos Ausführungen »the most complete definition of a figural contrapposto« sind. Summers, »Maniera and Movement«, S. 278. 341 Zur grazia siehe weiter Kapitel 5.1.
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Dass die Konfiguration einer jeden figura serpentinata vom Können des Künstlers abhängt und ein Wissen jenseits eines begrifflich ausbuchstabier baren Regelwerks ist, verdeutlichen die Metaphernsprache wie auch der Verweis auf die Notwendigkeit, das precetto eigenständig interpretieren und verstehen zu müssen. Dass die Fähigkeit zur Gestaltung von figure serpentinate an ein naturgegebenes Talent des Künstlers gekoppelt ist, expliziert Lomazzo schließlich in seiner Schrift Idea del tempio della pittura (1590), die quasi die Essenz der Lehren des umfangreichen Trattato destilliert.342 Dort liest man, dass allein aus der figura serpentinata »grazia« entstehe und jene nicht nur durch »forza di studio e d’arte« erlangt werde, sondern ein »dono di natura« sei.343 Ein solches Regeln und Messbarkeit relativierendes und übersteigendes Naturtalent besaß Lomazzos Ansicht nach Michelangelo. Der »grandissimo scultore, pittore et architetto« habe, so heißt es im Trattato, stets gesagt, dass die Fähigkeiten und Kenntnisse der Geometrie, Arithmetik oder Perspektive nichts wert seien ohne das Auge und dessen Übung zu wissen, wie man sieht und wie man jenes dann mit der Hand zu Papier bringen kann.344 Lomazzo präsentiert Michelangelo damit als Künstler, der das Augenmaß und die künstlerische Lizenz priorisierte. Wie und ob überhaupt ein precetto zur figura serpentinata von Michelangelo über Marco Pino weitergegeben wurde und so zu Lomazzo gelangte, ist unklar, v. a. da das Begriffskonzept ansonsten nicht in Michelangelos Umfeld dokumentiert ist. Lomazzo war zwar vor der Publikation seines Trattato im Jahr 1559 und vermutlich auch 1564/1565 nach Rom gereist, doch Marco Pino konnte er in jenen Jahren dort nicht antreffen, um von ihm im Gespräch etwas über das precetto hätte erfahren zu können; theoretisch aber könnten Aussagen Michelangelos und / oder Marco Pinos zum Konzept der figura serpentinata im lombardischen Diskurs über Leone Leoni oder Pellegrino Tibaldi zu Lomazzo gelangt sein.345 Ebenfalls denkbar ist, dass ein solches precetto Michelangelos im Zusammenhang mit Berichten von Michelangelos Statements zu Augenmaß und künstlerischer Lizenz über den Mailänder Martino Bassi an Lomazzo herangetragen wurde. In einem Briefwechsel mit Bassi berichtet Giorgio Vasari 342 Zur Idea del tempio della pittura siehe ausführlich Kapitel 5.3. 343 Im Kapitel XII Delle sette parti, o generi, del moto heißt es: »[S]ono stati simili e concordi tutti in esprimere il moto in forma piramidale di foco, e fuggire gli angoli acuti e le linee rette, come principalmente si vede che ha osservato sempre il primo di tutti Michel Angelo, che già mai non gli ha usati. E da qui nasce tutta la grazia che si vede con tanto diletto dell’occhio nelle figure loro. La quale non s’acquista però con forza di studio e d’arte solamente, ma si ha principalmente per dono di natura.« Lomazzo, »Idea«, S. 283. 344 »Soleva Michel Angelo, quel grandissimo scultore, pittore et architetto, dire che non valevano ne gli uomini tutte le ragioni né di geometria, né d’aritmetica, né essempi di prospettiva, senza l’occhio, cioè senza l’essercitazione dell’occhio in saper veder e far fare alla mano.« Lomazzo, »Trattato«, S. 230. 345 Siehe: Maurer, Manierismus, S. 26.
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1570, dass Michelangelo zu sagen pflegte, dass man den Kompass in den Augen und nicht den Händen haben solle, sprich die Urteilskraft (giudizio), und dass er immer mehr auf die Erlangung von grazia aus war, als hinter dem Maß (misura) her zu sein.346 Auffällig ist in jedem Fall, dass Lomazzo bei der Besprechung der figura serpentinata keine konkreten Bildbeispiele nennt. Emil Maurer merkt in Ergänzung hierzu zu Recht an: »Eine visuelle oder gar stilistische Fasslichkeit lässt sich genauerweise aus dem Diktum […] nicht gewinnen.«347 Lomazzo fokussiert hingegen die Diskursivierung eines ästhetischen Prinzips, das allen Bewegungen zugrunde liegen solle. Diese Fokussierung lässt sich durch Lomazzos Erblindung 1571 erklären, aber insbesondere auch dadurch, dass das Begriffskonzept als ein explizit abstraktes produktiv ist, welches sich nicht an Details festmachen lässt und welches eine Wissensform betrifft, die nicht auf genaue Regeln deduzierbar ist, begrifflich und rational schwierig zu fassen ist und im Trattato, dem Lehrwerk, elusives Wissen und künstlerische Lizenz markiert.348 Die figura serpentinata kann aber zugleich als eine Reaktion Lomazzos auf Kunstkritik im Kontext der Katholischen Reform an Michelangelos Malerei verstanden werden. In Giovanni Andrea Gilio da Fabrianos Dialog De gli errori, e de gli abusi de’ Pittori circa l’historie (Camerino 1564) wird Michelangelos Jüngstes Gericht bspw. scharf für die figure sforzate der Engel kritisiert.349 Das Verdrehen (torcere) der Figuren und ihrer Gliedmaßen, so dass man sie sforzate nenne, sei oft überflüssig und hinderlich für die Darstellung der historia. Michelangelos Engel erinnern laut Gilio mit ihren sforzi eher an Spielmänner oder Jongleure als an Engel.350 Während der Venezianer Paolo Pino in seinem Dialogo 346 »Diceva il gran Michelangelo che bisognava avere le seste negli occhi e non in mano, cioè il giudizio, e per questa cagione egli usava talvolta le figure sue di dodici e di tredici teste, secondo che le faceva raccolte o a sedere, o ritte, secondo l’attitudine; e così usava […] di andar più sempre a dietro alla grazia che alla misura.« Zitiert nach: Squizzato, Alessandra, »Michelangelo negli scritti d’arte di Giovan Paolo Lomazzo«, in: Tracce di letteratura artistica in Lombardia, hg. v. Alessandro Rovetta, Bari 2004, S. 61–96, S. 79 f. 347 Maurer, Manierismus, S. 21. 348 Lomazzos in den 1580er-Jahren fertiggestellte theoretische Schriften setzen sich – aufgrund seiner Erblindung um 1571 – allesamt aus zuvor entstandenen Aufzeichnungen, Erinnerungen und verbalsprachlichen Berichten sowie über andere vermittelten Beschreibungen von Kunstwerken zusammen. 349 Zur figura sforzata siehe den erhellenden Aufsatz von Michael Cole: Cole, Michael W., »The Figura Sforzata: Modelling, Power and the Mannerist Body«, in: Art History, 24 (2001), S. 520–551, zu Gilios Kritik an Michelangelo siehe v. a. ebd. S. 522 f.; sowie: Cole, Michael W., Leonardo, Michelangelo, and the Art of the Figure, New Haven / London 2014, S. 1ff, 140–144. 350 »E piu marauigliato mi sono, che questa bella, & eccellente arte non habbia ne libro, ne regola, che dia à pittori il modo e l’ordine di quanto in ogni maniera di figure à fare habbino, perche dunque à la scapestrata la maggior parte se ne vanno, ne l’historie infiniti errori commettono; come chiaramente in tutta Italia, e piu in Roma veder si puo.
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di Pittura Ende der 1540er-Jahre noch fordert, in jedem Bild »una figura tutta sforciata, misteriosa e difficile« einzubauen, um so künstlerische Meisterschaft unter Beweis zu stellen, kritisiert Gilio 1564 Michelangelos figure sforzate als irreführende Dekorumsverstöße in der biblischen istoria.351 In diesem Kontext betrachtet, lassen sich Lomazzos Ausführungen zugleich als pointiertes begriffliches Manöver seiner ästhetischen Theorie auffassen. Denn Lomazzo mag ganz bewusst eine neue begriffliche Kodierung für Michelangelos verdrehte Bewegungsmotive gewählt haben, um die negativ besetzten figure sforzate mit Michelangelos precetto der figura serpentinata zu überschreiben. Die figura serpentinata ist dabei durchweg positiv besetzt und wird zum Grundpfeiler der Erzeugung von grazia stilisiert. Damit ergibt sich ein gerade auch Kunsttheorie intern determinierter Transferprozess von figure scorciate, sforzate und serpentinate mit Blick auf Michelangelos Malerei und ihre Vorbildhaftigkeit. Anstatt solche Dynamiken in den Blick zu nehmen, wurde in der bisherigen Forschung zur figura serpentinata zuvorderst intensiv nach einem diese quasi erfindenden Kunstwerk gesucht. Diese Suche formiert sich bisweilen zu einem veritablen Wettstreit zwischen Malerei und Skulptur, wenn in der Diskussion der Forschungsmeinungen die initiale Gestaltung der sich schlängelnden figura mal einem Werk der Malerei, mal einer Zeichnung oder mal einer Skulptur Michelangelos sowie mitunter auch Leonardos Leda-Figuren (Abb. 3.23, 3.24, 3.31) zugedacht wird. Emil Maurer bspw. sieht die figura serpentinata allein in Michelangelos Skulpturen (v. a. dem Sieger) verwirklicht, nicht aber in dessen malerischem Werk; in der Malerei wird hingegen das Werk Parmigianinos als besonders einschlägiges Beispiel für Konfigurationen der figura serpentinata genannt.352 Karen Edwards wiederum argumentiert dafür, gerade nicht vorrangig Michelangelos Skulpturen als Initiatoren des Gestaltungsprinzips anzusehen, Onde mi pare c’hoggi i moderni pittori, quando à fare hanno qualche opera, il primo loro intento è di torcere à le loro figure il capo, le braccia, ò le gambe. acciò si dica che sono sforzate, e quei sforzi a le volte sono tali, che meglio sarebbe che non fussero, & al soggetto de l’historia che far pensano poco, o nulla attendono.« Giovanni Andrea Gilio da Fabriano, De gli errori de Pittori circa l’historie. Con molte annotationi fatte sopra il Giuditio di Michelangelo, & altre figure, in: ders., Due Dialoghi, Antonio Gioioso, Camerino 1564, S. 69–122, S. 69 (Widmungsschreiben an Kardinal Farnese). Im Dialog kommentiert dann die Dialogfigur Messer Francesco weiterhin: »[I]o non lodo gli sforzi che fanno gli Angeli nel giuditio di Michelagnolo, dico di quelli che sostengono la croce, la colonna, e gli altri sacrati misteri; i quali piu tosto rappresentano mattacini, ò giocolieri, che Angeli, conciosia che l’Angelo sosterebbe senza fatica tutto’l globo de la terra, non che una Croce, ò una colonna, ò simile.« Ebd., S. 89 f. 351 Pino, Paolo, »Dialogo di pittura di Messer Paolo Pino nuovamente dato in luce. In Vinegia, per Pavolo Gherardo MDXLVIII«, in: Trattati d’arte del Cinquecento, hg. v. Paola Barocchi, Bd. 1, Bari 1960, S. 93–139, S. 115. Siehe zu dieser Passage auch: Summers, »Maniera and Movement«, S. 285. 352 Siehe: Maurer, Manierismus, S. 22 ff., 62.
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Abb. 3.23: Michelangelo Buonarroti, Studie eines sitzenden und sich drehenden nackten Mannes, um 1503–1505, Zeichnung, Feder und braune Tinte, graue und braune Tusche mit Weißhöhen über Bleigriffel und Silberstift / Papier, 419 × 286 mm, British Museum, London, inv. 1887,0502.116 © The Trustees of the British Museum
sondern verstärkt die zweidimensionalen Werke des Florentiners, bspw. eine Zeichnung (Abb. 3.23), die um 1503–1505 im Kontext des Gemäldes der Schlacht von Cascina entstand.353 Auch Charles Davis konzentriert sich auf Michelangelos Zeichnungen und bestimmt die s-förmigen Figurenpaare in den Entwürfen der Medici-Kapelle (Abb. 3.24) zu Erfindungsorten der Flammenfigur.354 David Summers hingegen weitet den Blick auf einen kreativen Prozess mehrerer Be353 Siehe: Edwards, »Ahead of the Curve«, S. 49–52. 354 Siehe: Davis, »Michelangelo: figura serpentinata«, S. 146 f.
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Abb. 3.24: Michelangelo Buonarroti, Entwurf für das MediciGrabmal in der neuen Sakristei, 1520–21, Zeichnung, schwarze Kreide, 262 × 187 mm, British Museum, London, inv. 1859,0514.822, recto © The Trustees of the British Museum
teiligter und nimmt an: »[T]he figura serpentinata was born in Florence and matured and flourished in Rome, principally in the art of Raphael and Michelangelo. By 1525 it had spread[.]«355 Peter Meller unterdessen betrachtet Leonardos Zeichnungen der stehenden Leda als »prima soluzione di una figura serpentinata«.356 Jegliches Ineinssetzen von Lomazzos Begriffskonzept und einem bestimmten Kunstwerk ist jedoch eine nachträgliche Applikation eines begrifflich 355 Siehe: Summers, »Maniera and Movement«, S. 298. 356 Siehe: Meller, Peter, »Quello che Leonardo non ha scritto sulla figura umana: dall’Uomo di Vitruvio alla Leda«, in: Arte lombarda, 67 (1983), S. 117–133, S. 128.
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elusiven Gestaltungsprinzips auf ein vereinzeltes Kunstwerk. In Anbetracht der Forschungsdebatte fragt Michael Cole daher ganz zu Recht kritisch: »Can we really, then, locate the beginning of this thing [figura serpentinata] that had no name?«357 Cole legt als Antwort auf die Frage nah, dass die bereits seit mindestens acht Jahrzehnten in Kunstwerken virulente figura serpentinata gerade zum Zeitpunkt von Lomazzos Theorie mit Nachdruck gesucht bzw. erwartet wurde und wir generell bei Analysen der rinascimentalen art of the figure nicht nach Start-, sondern Konfliktmomenten suchen müssen: »[W]e should watch not for starting points but for the moments that define conflicts.«358 Auch in der vorliegenden Fallstudie wird genau solch ein Konflikt deutlich: die Kritik an den figure sforzate Michelangelos einerseits und Lomazzos hohe Wertschätzung der Malerei des Florentiners andererseits – ein Konflikt, der auch auf konträre Bewertungen andere Künstler, deren Stile sowie verdrehte Bewegungsmotive übertragbar ist. Nach einem einzelnen Ursprungswerk der figura serpentinata zu suchen, erweist sich in jedem Fall nicht als produktiv. Das nachfolgende Unterkapitel wird vielmehr thematisieren, dass das Gestaltungsprinzip sich schlängelnder, spiralförmiger Twists und kontrapostischer Drehungen um die eigene Achse während des Cinquecento hoch aktuell war und es sich um einen komplexen und subtilen, sowie durchaus auch mitstreitenden Wandlungsprozess handelt, im Zuge dessen figure serpentinate konfiguriert wurden.359
3.4.2 Kontraposte ›serpeggianti‹ in den Bildkünsten In der ehemaligen Schatzkammer des Mailänder Castello Sforzesco malte sehr wahrscheinlich Bramantino um 1490 ein großformatiges Fresko (Abb. 3.25) als illusionistischen Überbau einer realen Tür, die in den dahinter liegenden kleinen Raum mit den wertvollsten herzoglichen Schätzen führte.360 Das Wandbild 357 Siehe: Cole, Leonardo, Michelangelo, Preface, S. XI. 358 Ebd. 359 Vgl. zur Aktualität des Bewegungsmotivs im 16. Jahrhundert: Summers, »Maniera and Movement«, S. 293 f. 360 Zur Datierung, Zuschreibung und Ikonographie des Freskos siehe: Agosti, Giovanni / Stoppa, Jacopo, »Bartolomeo Suardi, detto il Bramantino. Argo«, in: Bramantino a Milano, Ausst.kat., hg. v. dens. und Marco Tanzi, Mailand 2012, Katalog-Nr. 3, S. 110–121, v. a. 121; Bora, Giulio, »Prospettiva lineare e prospettiva ›dei perdimenti‹: un dibattito sullo scorcio del Quattrocento«, in: Paragone, 27 (1999), S. 3–45, S. 28. Die Schatzkammer war der am besten bewachte Teil der Hofanlage und gemäß der Beschreibung eines Gastes Ende des 15. Jahrhunderts befanden sich dort Silber, hunderttausende Golddukaten, Juwelen, Edelsteine, Preziosen, Kreuze und Heiligenfiguren. Da die Decke des Raumes bei späteren Umbauarbeiten gesenkt worden war, wurde der Kopf der Bildfigur des Freskos beschädigt. Siehe: Welch, Art and Authority, S. 227 f.
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Abb. 3.25: Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Argo, 1490, Fresko, Castello Sforzesco, Pinacoteca del Castello Sforzesco, Mailand © Comune di Milano, tutti i diritti riservati
stellt eine Fantasiearchitektur aus fingierten buntfarbigen und weißen Steinen wie auch Metallmedaillons dar. Auf ornamental wie figürlich geschmückten, perspektivisch wiedergegebenen Sockelvorsprüngen ist auf etwa vier Metern Höhe eine schmale Loggia in starker perspektivischer Verkürzung zu sehen. In der gerahmten Öffnung steht ein schlanker, halbnackter, muskulöser Mann mit fellbesetztem Umhang, der mit Argo als Schatzmeister identifiziert werden kann. Eine ausgeprägte Kontraposthaltung kennzeichnet seine elegant anmutende Körperhaltung. Sein rechter Fuß ist nach vorn gestellt, der linke überkreuz dahinter, das rechte Bein ist durchgedrückt, das linke leicht angewinkelt; die rechte Hüfte ist stark zur rechten Seite gekippt, die rechte Schulter zieht mit dem Arm nach schräg unten. Diesen Bewegungsrichtungen sind der Oberkörper und
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Abb. 3.26: Lombardischer Künstler (Bramantino?), Diana-Tempel in Rom, Zeichnung, aus dem Codex Rovine di Roma, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, Codex Rovine di Roma, fol. 80v © Veneranda Biblioteca Ambrosiana
der linke Arm diametral entgegengesetzt – nach links und schräg oben vorn. Dabei bilden die Silhouette wie auch mehrdimensional wirkende Schlangenlinie der Körperhaltung eine langgezogene S-Form. Der Vergleich mit der Zeichnung des Diana-Tempels aus dem Codex Rovine di Roma (Abb. 3.26), der ebenfalls Bramantino zugeschrieben wird, deutet daraufhin, dass das Mailänder Wandbild mit dem architektonischen Aufbau und einer Figur im Kontrapoststand in der Loggia auf die antike römische Stätte referiert.361 Vor diesem Hintergrund 361 Zum Codex Rovine di Roma siehe: Kapitel 2.1, Anm. 26; sowie: Mongeri, Giuseppe, Le rovine di Roma al principio del secolo XVI. Studi del Bramantino (Bartolomeo Suardi). Da un manoscritto dell’Ambrosiana di 80 tavole, Mailand 1875; Fumarco, Cristina, »Un
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werden im monumentalen Wandbild in einem spielerischen Paragone Architek tur, Bauplastik, Skulptur und verschiedene Steinarten aufgerufen, vor allem aber der Kontrapost antiker Skulptur gesteigert und komplexifiziert. Die sich schlängelnde, agile, lebendig anmutende Figur des Argos wird zudem kunstvoll im sottinsù gezeigt, wodurch die Rotation des Körpers optisch noch einmal verstärkt wird. Freilich nicht allein antike Skulptur konnte einen Mitstreit in der Elaborierung von Kontraposthaltungen herausfordern. Das Thema war gerade auch in frühneuzeitlicher lombardischer Marmorskulptur äußerst virulent, wie bspw. ein Marmorrelief der Geißelung Christi (Abb. 3.27) zeigt. Das um 1481 vermutlich von Antonio Mantegazza gefertigte Werk entstammt der Predella eines Polyptychons der Certosa di Pavia und war ursprünglich teilweise farbig gefasst, wie Spuren von blauem Pigment im Hintergrund nahelegen.362 Die zentrale Szene mit den Peinigern, Christus an der Geißelsäule und Zuschauern im Hintergrund wird von hintereinander gestaffelten und in die Tiefe fluchtenden Säulen sowie einem ornamental verzierten Rundbogen mit einer rundgerahmten Büste in Rückenansicht gerahmt. Mit dem in perspektivischer Verkürzung dargestellten Tempelraum und der Büste im Tondo des Rundbogenfeldes referiert der lombardische Bildhauer auf den berühmten Mailänder Prevedari-Stich (1481, Abb. 3.28) nach einer Zeichnung Donato Bramantes.363 Das Relief ist dabei nicht nur hinsichtlich der perspektivischen Tiefendimension und architektonischen Bildsprache, sondern auch der unterschiedlichen rilievi anspruchsvoll gestaltet. Während die Figuren im Hintergrund im rilievo schiacciato dargestellt sind, sind Christus und die Peiniger bis auf ihre Füße quasi vollplastisch aus der Steinplatte herausgearbeitet. Zwischen den ausladenden, vehementen Schlagbewegungen der Geißelnden scheint Christus in der Mitte mit geschlossenen Augen und in grazilem Stand in sich zu ruhen und die Pein zu erdulden. Sein Körper ist in einem forcierten, anatomisch nahezu unmöglichen Kontrapost positioniert. Der Kopf ist nach rechts unten geneigt, die Arme sind hinter dem Rücken gefesselt, der Bauch ist nach vorn und links gedrückt, die Hüfte kippt in demonstrativem Gegensatz nach rechts hinten; das rechte Bein ist durchgestreckt, das linke angewinkelt. Die stark geschlängelte Windung von Christi Lombardo tra i sepolcri della campagna romana: nuove proposte per il codice delle ›Rovine di Roma‹«, in: Tracce di letteratura artistica in Lombardia, hg. v. Alessandro Rovetta, Bari 2004, S. 3–60. 362 Für die Zuschreibung an Mantegazza und die Datierung des Werkes siehe: Albertini Ottolenghi, Maria Grazia, »Scultore Lombardo. La Flagellazione«, in: Il Museo della Certosa di Pavia. Catalogo Generale, Samml.kat., hg. v. Barbara Fabjan und Pietro C. Marani, Florenz 1992, Katalog-Nr. 63, S. 80 f.; Bandera / Passoni / Ceriana, »Il cantiere ›moderno‹«, S. 39. 363 Vgl. auch: Bandera / Passoni / Ceriana, »Il cantiere ›moderno‹«, S. 39.
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Abb. 3.27: Antonio Mantegazza (zugeschrieben), Geißelung Christi, um 1481, ehemals Teil der Predella eines Polyptychons, Marmorrelief mit Spuren farblicher Fassung, Certosa di Pavia – Foto: privat
Figur widerstrebt den Fesseln und wirkt zugleich hochgradig agil und befreiend. Die komplexe und pointierte, schlängelnde Kontraposthaltung, mit der sich nicht zuletzt auch der Maler des Argos auseinandergesetzt haben mag, steht damit sowohl ästhetisch, als auch semantisch im Zentrum des Bildwerks. Mit jenem Bewegungsmotiv, aber auch der räumlichen Tiefenwirkung, differenzierten Reliefgestaltung sowie Referenz auf den Prevedari-Stich verdeutlicht der Bildhauer sein Können und Wissen um aktuelle Themen des ästhetischen Diskurses der Lombardei im ausgehenden Quattrocento. Die Aktualität der Elaborierung und Flexibilisierung kontrapostischer Haltungen wird auch mit Blick auf andere regionale Diskursfelder und stete transregionale Austauschprozesse deutlich. Etwa zeitgleich mit Mantegazzas Mar-
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Abb. 3.28: Bernardo Prevedari nach einer Zeichnung Donato Bramantes, Innenansicht einer Kirchen- oder Tempelruine – sogenannter Prevedari-Stich, 1481, Druckgraphik, 708 × 512 mm, British Museum, London, inv. V, 1.69 © The Trustees of the British Museum
morrelief zeichnete bspw. Leonardo um 1481 in Florenz mit Feder und brauner Tinte einen Heiligen Sebastian, der an einen Baumstamm gefesselt ist und sich windet (Abb. 3.29).364 Auch in diesem Bild wird der im frühen Quattrocento 364 Zu Leonardos Zeichnung siehe allg.: Bambach, Carmen C., »Leonardo da Vinci. Saint Sebastian Standing in Three-Quarter View Tied to a Tree (r) Diagrams of Perspective (v)«, in: Leonardo da Vinci. Master Draftsman, Ausst.kat., hg. v. ders., New Haven / London 2003, Katalog-Nr. 35, S. 342–344; Klemm, David, »Hl. Sebastian (1478–1483), Feder in Braun über Bleigriffel / Drei geometrische Diagramme, Feder in Braun«, in: Italienische Zeichnungen 1450–1800. Katalog des Kupferstichkabinetts der Hamburger Kunsthalle, Samml.kat., hg. v. dems., Köln / Weimar / Wien 2009, Katalog-Nr. 287, S. 212 f.; Natali, An-
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Abb. 3.29: Leonardo da Vinci, Heiliger Sebastian, um 1481, Zeichnung, Feder in brauner Tinte über Kohle / Papier, 173 × 63 mm, Hamburger Kunsthalle, Hamburg, inv. 21489 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang
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traditionell einfach gekippte Kontrapoststand variiert und auf spezifische Weise dynamisiert. Anders als Mantegazza erzeugt Leonardo jedoch in der Haltung der Figur eine spiralförmige Drehung um die eigene Achse.365 Das linke Bein der leicht seitlich zur Bildparallelen positionierten Figur ist angewinkelt und vor das rechte durchgedrückte Bein geschoben; der Unterkörper ist nach links gedreht, der Oberkörper nach rechts und die Arme sind hinter dem Rücken verschränkt. Der Kopf des Sebastian ist bemerkenswerter Weise in zwei alternativen Varianten skizziert, einmal mit Blick nach rechts über die Schulter, ein andermal nach links oben.366 Vereinzelte konturierende Linien ohne Schattierungen sind im Wechsel von konkaven und konvexen Schwüngen zueinander komponiert und konfigurieren in diesem Gegeneinanderlaufen oder besser gesagt serpeggiare – wie es Leonardo nannte – eine spannungsreiche Bewegungsimplikation.367 Ähnlich wie bei der Geißelung fordert und fördert das Sujet des am Baum gefesselten Heiligen Sebastian die Windung und Kontorsion als ästhetische Struktur und Thematik der Figur. In Leonardos Zeichnung nun wird das SichWinden noch dadurch verstärkt, dass sich der Heilige um die eigene Achse schlängelt und Mehrdimensionalität evoziert wird. Bei seinem Umzug von Florenz nach Mailand
tonio, »Le pose di Leda«, in: Leonardo e il mito di Leda. Modelli, memorie e metamorfosi di un’invenzione, hg. v. Gigetta Dalli Regoli, Romano Nanni und dems., Mailand 2001, S. 46–64, S. 55. 365 Zum Vergleich des quattrocentesken Kontrapost und seiner Dynamisierung ab Ende des 15. Jahrhunderts siehe: Summers, »Maniera and Movement«, S. 279; Summers, David, »Contrapposto: Style and Meaning in Renaissance Art«, in: The Art Bulletin, 59/3 (1977), S. 336–361. 366 Vgl. auch: Summers, »Maniera and Movement«, S. 288. 367 Zu Leonardos serpeggiare siehe 3.4.1, Anm. 334.
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Abb. 3.30: Leonardo da Vinci, Studie eines Pferdes und einer knienden Frauenfigur (Leda), 1503/1504 ca., Zeichnung, schwarze Kreide, Feder und braune Tinte / Papier, 28,7 × 40,5 cm, Royal Collection Trust, Windsor, RCIN 912337r © Her Majesty Queen Elizabeth II 2020
nahm Leonardo seine Zeichnungen des Heiligen Sebastian mit, wie ein Werkstattinventar und Gemälde aus seinem Mailänder Umfeld dokumentieren.368 In der lombardischen Metropole arbeitet der toskanische Meister weiter am Darstellungsprinzip des serpeggiare und an antithetischen Rotationsmotiven. Davon zeugen insbesondere seine Variationen der Figur der Leda (Abb. 3.30, 3.31, 3.35), die in der Forschung – wie oben kritisch besprochen – teilweise als Erfindungswerke der figura serpentinata gehandelt werden. Die Leda-Figuren haben aber – wie gezeigt wird – vielmehr Teil an einem dialogischen und mitunter mitstreitenden Wandlungsprozess kontrapostischer Bewegungsmotive. In jenen Wandlungs- und Aushandlungsprozess sind u. a. Werke der Marmorskulptur, Zeichnung und Malerei antiker und frühneuzeitlicher Kunst involviert. Leonardos Zeichnungen kniender sowie stehender Leda-Figuren entstanden vermutlich als Entwürfe für ein (oder mehrere) nicht mehr erhaltene(s) Gemälde. Kontext und etwaige Auftraggeberschaft des Leda-Projekts sind unbe-
368 Im Codex Atlanticus ist eine Inventarliste enthalten, in der acht San Sebastiano aufgelistet sind. Siehe: Bambach, »Leonardo da Vinci. Saint Sebastian«, S. 342–344.
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kannt.369 Datiert werden die unterschiedlichen Zeichnungen annäherungsweise und basierend auf stilistischen Beobachtungen in den Zeitraum 1503 bis 1508.370 In dem an den Anfang dieses Zeitraums datierten Blatt der Royal Library Windsor (Abb. 3.30) skizzierte Leonardo neben der Studie zu einem Pferd für die Schlacht von Anghiari in drei hochkant gerahmten Versionen auf dem Papier verteilt eine kniende und sich drehende nackte Frau mit einem bzw. mehreren Kind(ern).371 Die untere rechte Figur scheint die erste Skizze zu sein, da die in schwarzer Kreide gezogenen Linien auf Konturlinien reduziert sind, die einer ersten Formfindung dienen und dabei auf die antithetische, spiralförmige Drehung von Ober- und Unterkörper sowie Beinen und Armen konzentriert sind. Das rechte Knie ist am Boden, das linke Bein ist angewinkelt aufgestellt und gemeinsam mit Hüfte und Becken nach rechts gekippt. Der Oberkörper ist im Gegenzug nach links gedreht und der rechte Arm reicht vor dem Körper ausgestreckt ebenfalls nach links, wo er gemeinsam mit dem linken Arm nach einem kleinen Kind greift. Die Kopfhaltung der Frau ist – wie im Fall des Heiligen Sebastian (Abb. 3.29) – erneut besonderes Erprobungsfeld und Ausdrucksstudie, die in zwei Varianten skizziert wurde, einmal nach rechts und einmal nach links unten geneigt. Die beiden anderen Skizzen der Leda auf dem Blatt kombinieren schwarze Kreide und Feder mit Tinte, verdichten die Darstellung und konkretisieren die Frauengestalt mit dem Kind bzw. den Kindern. Zentrale Konstante ist die inventio der hochgradig agilen, spiralförmigen Pose Ledas. Leonardos Leda-Figuren sind dabei um 1503 bspw. nicht nur geprägt von der Konkurrenz des Künstlers mit Michelangelo während der Arbeit der beiden Meister an ihren Schlachten-Bildern von Anghiari (Leonardo) und Cascina (Michelangelo).372 Wie die ersten beiden Fallbeispiele dieses Unterkapitels (Abb. 3.25, 3.27) bereits 369 Siehe: Fiorio, Maria Teresa, »Il nudo femminile, ovvero la ›Leda‹«, in: Leonardo. Dagli studi di proporzioni al Trattato della Pittura, hg. v. Pietro C. Marani und ders., Mailand 2007, S. 41–45, S. 41. 370 Zur Datierung der Zeichnungen: Fiorio, »Il nudo femminile, ovvero la ›Leda‹«; Bambach, Carmen C., »Leonardo da Vinci. Kneeling Leda and the Swan«, in: Leonardo da Vinci. Master Draftsman, Ausst.kat., hg. v. ders., New Haven / London 2003, Katalog-Nr. 99, S. 531–536, S. 532–535; Marani, Pietro C., »Leonardo, l’antico, il rilievo e le proporzioni dell’uomo e del cavallo«, in: Leonardo. Dagli studi di proporzioni al Trattato della pittura, hg. v. dems. und Maria Teresa Fiorio, Mailand 2007, S.17–28, S. 22; Allison, Ann H., »Antique Sources of Leonardo’s Leda«, in: The Art Bulletin, 56/3 (1954), S. 375–384, S. 376–379. 371 Siehe zu dieser Zeichnung auch: Testaferrata, Elena, »La Leda di Leonardo: compendio di un’invenzione«, in: Leonardo e il mito di Leda. Modelli, memorie e metamorfosi di un’invenzione, hg. v. Gigetta Dalli Regoli, Romano Nanni und Antonio Natali, Mailand 2001, S. 65–71, S. 65–68. 372 Siehe für eine eindringliche Analyse der Figuren-Konzepte Michelangelos und Leonardos in ihrer parallelen, konkurrierenden Arbeit an den Schlachtenbildern: Cole, Leonardo, Michelangelo.
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Abb. 3.31: Leonardo da Vinci, Leda mit dem Schwan, um 1505, Zeichnung, Feder, braune Tinte, braune Tusche, schwarze Kreide / Papier, Devonshire Collections, Chatsworth © The Devonshire Collections, Chatsworth. Reproduced by permission of Chatsworth Settlement Trustees
andeuten, konnte Leonardo prinzipiell auch in der bildkünstlerischen Praxis der Lombardei sowie in dortigen Sammlungen antiker Marmorskulpturen ›Gesprächspartner‹ in der ästhetischen Debatte um das schlängelnde Bewegungsmotiv finden, wie noch näher besprochen wird. Nach den Skizzen auf dem Windsor-Blatt elaborierte und multiplizierte Leonardo jedenfalls die chiastische Pose Ledas in den darauffolgenden Jahren in zwei weiteren Zeichnungen der Sammlung Chatsworth (Abb. 3.31) und des Rotterdamer Museum Boijmans van Boiningen. Die Federzeichnungen zeigen Leda in einer sehr ähnlichen, knienden und verdrehten Körperhaltung, wobei die Zeichnung in Chatsworth die nach rechts gewandte Kopfhaltung der Studien im
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Windsor-Blatt weiterführt und die Zeichnung der Rotterdamer Sammlung wiederum die nach links unten geneigte. Das Gesicht Ledas ist in allen drei Zeichnungen hinter Tintenflecken, dichten Schraffuren bzw. Schattenfeldern schwarzer Kreide unkenntlich. Im deutlichen Unterschied aber zum Windsor-Blatt führt die kniende Leda der beiden späteren Zeichnungen ihren rechten Arm nicht nach links über den Körper, sondern streckt ihn nach rechts aus, während sie mit dem linken einen Schwan umarmt (Chatsworth) bzw. berührt (Museum Boijmans van Beuningen). Gemäß der mythologischen Erzählung schmiegt sich Jupiter in Gestalt eines Schwans eng an die Königin Spartas, verführt sie, und bekommt mit ihr die – in Leonardos Bild am unteren Bildrand zwischen Gräsern und Schilf aus Eiern schlüpfenden – Zwillingspaare. Insbesondere in der Chatsworth-Zeichnung (Abb. 3.31) findet die chiastische geschmeidige Drehung der Leda ein kunstvolles Pendant im sich prononciert schlängelnden Schwanenhals sowie Verstärkung in den sich aus den Eierschalen windenden Babys. Somit wird das Wechselspiel von Biegen und Drehen und gegensätzlichen Bewegungsvektoren der Figuration Ledas multipliziert und zudem dadurch potenziert, dass die Figurenkörper allesamt durch die parallele Schraffur rund gebogener Linien modelliert werden.373 Frank Fehrenbach bringt den Lebendigkeit und kraftvolle Bewegung konfigurierenden »oppositional screw connecting around a central axis« nun überzeugend mit Leonardos Erforschung der Dynamik von Wasser, Wirbeln und Strudeln in Verbindung.374 Leonardo beobachtete eine quasi kontrapostische Struktur dynamischer Bewegungen in der Natur, wie jenen wirbelnden Wassers, und notiert bspw.: »si voltano in contrari moti […] [e] di contrari moti si congiungano« (Paris, Institut de France, Ms. F, 1505, fol. 14v).375 Auch den Künstlern riet er, auf fließende chiastische Haltungen der Figuren zu achten, den Arm etwa nicht in dieselbe Richtung wie das Bein zu wenden, den Kopf nicht in dieselbe Richtung wie die Brust etc.376 Für Leonardos Auseinandersetzung mit und Iteration von antithetischen Bewegungsmustern (insbesondere im Zusammenhang mit den Leda-Figuren)
373 Vgl. auch: Maurer, Manierismus, S. 59 f. 374 Fehrenbach, Frank, »Leonardo and Water. The Challenge of Representation«, in: Leonardo da Vinci. The Design of the World, Ausst.kat., hg. v. Pietro C. Marani und Maria Teresa Fiorio, Mailand 2015, S. 369–375, S. 374. 375 Siehe ebd. Vgl. auch: Summers, »Maniera and Movement«, S. 283 ff. 376 Leonardo schreibt: »Non usare mai fare la testa rivolta dov’è il petto, né ’l braccio andare come la gamba: e se la testa si volta alla spalla destra, fa le sue parti più basse dal lato sinistro che dal destro; e se fai il petto in fori, fa che, voltandosi la testa sul lato sinistro, che lle parti del lato destro sieno più alte che lle sinistre.« Leonardo da Vinci, Libro di Pittura, hg. v. Carlo Pedretti, Bd. 1, Florenz 1995, Kapitel 88, S. 187. Siehe zu dieser Passage im Zusammenhang mit Leonardos Leda-Figuren und einer figura serpentinata auch: Fiorio, »Il nudo femminile«, S. 43.
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war aber neben Naturstudien gerade auch der Blick auf antike Kunst von hoher Relevanz, deren »imitazione« er um 1490 im Vergleich zur Nachahmung der »[cose] moderne« prinzipiell als »più laldabile« beschrieb (Mailand, Biblioteca Ambrosiana, Codex Atlanticus, f. 399r).377 Eine antike Marmorstatue der Leda mit dem Schwan befand sich wohl auch in der Mailänder Sammlung Ludovico Sforzas. Während einer Rom-Reise im Auftrag des Herzogs zum Ankauf von antiken Kunstwerken hatte der Goldschmied Cristoforo Caradosso, wie Leonardo Mitglied der Academia Leonardi Vinci, eine solche vom Kardinal von Parma geschenkt bekommen.378 Caradosso schrieb Ludovico noch aus Rom, dass »el Reverendissimo Monsignor de Monreale me a donato una Leda di marmo, bona, anchora li mancha qualche membro«.379 Der Verbleib jener Skulptur ist jedoch leider nicht bekannt, nachdem die herzogliche Sammlung im Zuge der französischen Besetzung Mailands 1499 zerschlagen wurde. Inspiration und Einladung zum Mitstreit konnte aber auch eine andere antike Marmorstatue liefern, die in Leonardos Mailänder Umfeld Ende des 15. Jahrhunderts und zu Beginn des 16. Jahrhunderts intensiv rezipiert wurde. Es ist die auf einer Schildkröte kniende Aphrodite / Venus (Abb. 3.32) – die, wie Maria Chiara Monaco erläutert, um 1500 durchaus auch als Leda interpretiert wurde, da Aphrodite mitunter auch mit einem Schwan dargestellt wurde.380 Die materialsichtige Skulptur der nackten Knienden ist lebensgroß und der weiße, glattpolierte Marmor imitiert ebene, weiche Haut. Die Frau kniet mit ihrem rechten Bein auf einer Schildkröte, ihr linkes Bein ist angewinkelt aufgestellt und sie dreht sich mit ihrem Oberkörper aus der knienden Position heraus nach rechts. Oberhalb des Brustbereichs ist die Skulptur mittlerweile komplett erneuert, weswegen Arm- und Kopfhaltung hier nun nicht besprochen werden. Im 16. Jahrhundert wurde die Statue in der Sammlung Massimo und dann in der Sammlung des Kardinals Azzolini in Rom aufbewahrt.381
377 Siehe zu dieser Passage und ihrem Kontext auch: Marani, »›L’imitazione delle cose antiche è più laldabile che quella delle moderne‹«, S. 134 und Anm. 17 auf S. 140; Marani, »Leonardo, l’antico, il rilievo«, S. 19. 378 Siehe: Agosti, Bambaia, S. 66; Natali, »Le pose di Leda«, S. 47. Zur Ac(h)ademia Leonardi Vinci siehe Kapitel 2.3.1. 379 Zitiert nach: Monaco, Maria Chiara, »›…una Leda di marmo, bona, anchora li mancha qualche membro…‹. Considerazioni sulle Lede antiche dei tempi di Leonardo«, in: Leonardo e il mito di Leda. Modelli, memorie e metamorfosi di un’invenzione, hg. v. Gigetta Dalli Regoli, Romano Nanni und Antonio Natali, Mailand 2001, S. 72–80, S. 72. 380 Siehe: Monaco, »›…una Leda di marmo, bona, anchora li mancha qualche membro…‹«, S. 76 f.; siehe zu antiken Venus-Skulpturen als Modellen für Leonardos Leda-Figuren auch: Marani, »Leonardo, l’antico, il rilievo«, S. 22; Marani, »›L’imitazione delle cose antiche è più laldabile che quella delle moderne‹«, S. 138. 381 Siehe: Allison, »Antique Sources of Leonardo’s Leda«, S. 379.
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Abb. 3.32: Römisch antiker Bildhauer, Aphrodite / Venus auf einer Schildkröte kniend, 2. Jahrhundert n. Chr. (Kopie einer hellenistischen Skulptur des 1. Jahrhunderts v. Chr., Marmor, 128 cm hoch, Museo Nacional del Prado, Madrid ©Museo Nacional del Prado
Bereits Ende der 1490er-Jahre befand sich zudem eine vom Bildhauer il Antico erstellte Replik dieser Statue zusammen mit einer anderen Marmorstatue der Leda in der Sammlung von Isabella d’Este, die Leonardo Ende 1499 bei seinem Besuch in Mantua studiert haben mag.382 Auch in den Leonardo gewidmeten Antiquarie prospetiche Romane des Mailänder Perspektivmalers wird die römische Marmorvenus mit der Schildkröte erwähnt und für ihre perfekte Körper382 Siehe: Monaco, »›…una Leda di marmo, bona, anchora li mancha qualche membro…‹«, S. 73 f.
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Abb. 3.33: Giovanni Pietro Rizzoli, genannt Giampietrino, oder Andrea Solario, Zeichnung der Marmorstatue der auf einer Schildkröte knienden Aphrodite, Tuschezeichnung auf gefärbtem Papier, 19 × 11,5 cm, Gallerie dell’Accademia, Venedig, inv. 1136 © G. A.VE Archivio fotografico – Su concessione del Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo – Gallerie dell’Accademia di Venezia
haltung gelobt (»con bono aspecto e perfecto attitudo«).383 Die kontrapostische Drehbewegung in kniender Position wird zudem in der Figur des Frontispizes des Antikenbuches programmatisch ins Bild gesetzt (Abb. 2.01). Neben dem berühmten Torso Belvedere konnte dementsprechend ebenso die kniende Venus 383 Zu den Antiquarie prospetiche Romane siehe Kapitel 2.1, zum Zitat: Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane composte per prospectivo melanese depictore, hg. v. Giovanni Agosti und Dante Isella, Parma 2004, S. 12.
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mit ihrem prononcierten Twist prägend für die frühneuzeitlichen Konfigurationen geschwungener Drehungen sein.384 Dass die Figur der nackten knienden Göttin unter Mailänder Künstlern sehr bekannt war, demonstrieren weiterhin ein dem Bildhauer Agostino Busti, genannt il Bambaia, zugeschriebenes Blatt (Bayonne, Musée Bonnat, Inv. 1224r) sowie eine Giovan Pietro Rizzoli, genannt Giampietrino, oder auch Andrea Solario zugeschriebene Zeichnung (Abb. 3.33). Die Aquarell und Kohle kombinierende Zeichnung mit pointierten Glanzlichtern aus Leonardos direktem Umfeld führt in ihrer bedachten und für eine Skizze detailliert ausgeführten Schattierung sowie rilievo erzeugenden Modellierung das bewundernde Interesse an der Marmorskulptur wie auch das intensive Studium der gegensätzlichen Torsion von Unterleib und Oberkörper in kniender Schrittstellung vor Augen und transferiert die für ihre Schönheit gerühmte antike Frauenfigur in kunstvoller Drehung anspruchsvoll in die zweidimensionale Zeichnung.385 Auch Leonardos Leda scheint im Dialog mit jener und / oder anderen ähnlich konzipierten Marmorskulpturen schöner Göttinnen entworfen worden zu sein, wobei das Bewegungsmotiv der chiastischen, Lebendigkeit und Agilität evozierenden Drehung Zentrum der Aufmerksamkeit ist. Die über den mehrfachen schlängelnden Twist konfigurierte Darstellung von Leda mit dem Schwan und ihren Kindern vermag so letztlich die Geburt der Schönheit selbst ins Bild zu setzen, ist doch eines der Kinder Helena.386 Der Transfer des mehrdimensionalen Rotationsmotivs von der Skulptur in die Zeichnung erweist sich zugleich als prädestinierter Ort eines Mitstreits von Skulptur und Zeichnung, insbesondere wenn in Leonardos Chatsworth-Blatt der Mehrdimensionalität der Skulptur mit der Vervielfältigung der schlängelnden Torsionen begegnet wird. Giampietrinos um 1510/1520 entstandenes Gemälde der knienden Leda mit ihren vier Kindern (Farbtafel 42) belegt schließlich, dass das mythologische Sujet und das Bewegungsmotiv der knienden, anmutig gewundenen nackten Frau ebenso in der Malerei elaboriert wurden. In Giampietrinos Bild sind Leda und ihre Kinder vor einer weitläufigen Landschaft ohne Schwan dargestellt. Die kniende und gedrehte Haltung der Frau steht Leonardos zeichnerischen Entwürfen sehr nah. Doch der rechte Arm Ledas im Gemälde umschließt eines der Kinder, während der linke Arm ausgestreckt und geöffnet nach unten zeigt, wodurch sich ein wieder andersgeartetes antithetisches Austarieren ergibt. Zudem sind die drei aus Eierschalen geschlüpften Kinder auf dem erdigen, teils steinigen und mit detaillierten Pflanzenstudien gestalteten Boden im Vergleich zu den Zeichnungen sehr viel genauer ausgearbeitet und nachdrücklich mit in den 384 Zum Torso Belvedere und seiner Prominenz im Quattro- und Cinquecento siehe: Summers, »Contrapposto«, S. 337 ff. Zum Torso Belvedere und den Antiquarie prospetiche Romane siehe Kapitel 2.1 Anm. 19. 385 Siehe zur Zeichnung auch: Allison, »Antique Sources of Leonardo’s Leda«, S. 376–379. 386 Siehe: Meller, »Quello che Leonardo non ha scritto«, S. 132.
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Vordergrund gerückt. Gerade das sitzende und das liegende Kind vervielfachen und variieren dabei in ihren Haltungen auf prononcierte Weise das Bewegungsmotiv der chiastischen Rotation der Figur Ledas. Insgesamt betrachtet, ist das Gemälde bis ins kleinste Detail in die Tiefe der v. a. farbperspektivisch erarbeiteten Raumillusion hinein gestaltet und äußerst aspektreich.387 Um beispielhaft nur zwei jener Aspekte anzusprechen, sei einerseits auf die Art und Weise hingewiesen, wie Leda eines ihrer Kinder auf dem Arm hält, es sich wiederum an ihr festhält und die Betrachtenden direkt anblickt. In Nahsicht vermag diese Komposition semantisch-ästhetische Oszillationen mit Madonnendarstellungen in Gang zu bringen, während andererseits bspw. die samtmatt schimmernde Haut der fünf nackten Figuren mit der Referenz auf die Materialästhetik von Marmorskulpturen zu spielen scheint. Doch auch in diesem durchgearbeiteten Tafelbild erweisen sich die schlängelnden, chiastischen Drehungen der Figurenkörper, deren Werdegang von vielfältigen, intermedialen Austauschprozessen geprägt ist und kontinuierliche Bewegung und Wandel sowie Lebendigkeit und Dynamik implizieren, als ästhetischer Themenschwerpunkt und besonderes Augenmerk der Komposition. Neben der knienden Leda explorierten die Maler in Leonardos Mailänder Umfeld während der ersten Jahrzehnte des Cinquecento das serpeggiare der schönen nackten Leda zudem anhand einer stehenden Figur. Mehrere erhaltene Gemälde – u. a. im Art Museum Philadelphia, in der römischen Galleria Borghese sowie in den Uffizien in Florenz (Abb. 3.34) – verdeutlichen die Prominenz des Themas und weisen auf ein vermutlich von Leonardo entworfenes gemeinsames Modell hin, mit dem sich die lombardischen Maler auseinandersetzten bzw. das sie variationsreich und produktiv wetteifernd ins Medium der Malerei transferierten.388 Ein Entwurfskarton Leonardos mit der Leda mit dem Schwan ist laut Inventar der Besitztümer Leone Leonis noch im Jahr 1609 in Mailand erhalten, 387 Siehe allg. zum Gemälde Giampietrinos: Dalli Regoli, Gigetta, »Mito e scienza nella ›Leda‹ di Leonardo«, in: Lettura Vinciana, Vinci 1991, S. 12f; Bambach, » Leonardo da Vinci. Kneeling Leda«, S. 535; Lehmann, Jürgen M., Italienische, französische und spanische Meister in der Kasseler Gemäldegalerie Staatliche Kunstsammlung Kassel, Samml. kat., Kassel 19912, S. 14 f.; Dalli Regoli, Gigetta, »Sezione III – Leda stante«, in: Leonardo e il mito di Leda. Modelli, memorie e metamorfosi di un’invenzione, hg. v. ders., Romano Nanni und Antonio Natali, Mailand 2001, S. 130. 388 In seiner Studie zu Leonardos Werkstattpraxis stellt Furio Rinaldi die sehr reizvolle und gut nachvollziehbare These auf, dass Leonardo sich in seinen Mailänder Jahren größtenteils auf den zeichnerischen und mitunter großformatigen Entwurf von Bildsujets und Figuren konzentrierte, während Schüler, Mitarbeiter bzw. Kollegen dazu Gemälde in unterschiedlichen Variationen gestalteten. Siehe: Rinaldi, Furio, »The ›Achademia Leonardi Vinci‹. Leonardo’s Pupils, Followers and the Legacy of the Master’s Works«, in: Leonardo da Vinci. The Design of the World, Ausst.kat., hg. v. Pietro C. Marani und Maria Teresa Fiorio, Mailand 2015, S. 439–449, S. 439 f., 443. Zur Arbeitspraxis in Leonardos Mailänder Umfeld siehe Kapitel 2.3, insbesondere Anm. 217, 248.
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wobei unklar ist, ob es sich um die kniende oder stehende Leda-Figur handelt.389 Und auch nach Leonardos Tod ist im Inventar von Salaìs Besitztümern ein Gemälde des toskanischen Meisters mit der Leda aufgelistet; zudem berichtet Cassiano del Pozzo von einem solchen Bild, während Lomazzo die den Schwan umarmende Leda in seinen Rime ad imitazione dei Grotteschi als anmutig-liebreizend preist.390 Zusätzlich zu Leonardos bereits besprochenen Zeichnungen der knienden Leda sind Skizzen einer stehenden, nackten Frauenfigur im geschwungenen Kontrapost erhalten, die sehr wahrscheinlich ebenfalls Entwürfe einer Leda sind.391 Beispiele sind die Zeichnung der Turiner Biblioteca Reale (um 1505, Inv. 15577), in der die Frau mit ihrem eleganten, schlängelnden Twist nackten muskulösen Männern mit kraftvollen Bewegungen gegenübergestellt ist, sowie ein Blatt aus dem Mailänder Codex Atlanticus (Abb. 3.35), auf dem die figura serpeggiante inmitten geometrischer Studien festgehalten ist.392 Ihr rechtes Bein ist im Stand durchgedrückt, ihr linkes angewinkelt, die Hüfte nach links unten gekippt, der Oberkörper hingegen zur rechten Seite gebeugt, die linke Schulter zieht nach hinten, die rechte entgegensetzt nach vorn; der Kopf ist nach links geneigt und der rechte Arm ist schräg über den Körper nach links geführt. Das Prinzip der miteinander im fließenden Übergang verbundenen Gegensätze und des mehrdimensionalen Kontrapost liegt damit auch dieser Figur zugrunde und ist dergestalt zentral für die Mailänder Gemälde der stehenden Leda mit dem Schwan, wie im Falle des Francesco Melzi zugeschriebenen Bildes (Abb. 3.34). Das um 1515 entstandene Ölgemälde zeigt Leda mit dem Schwan und ihren vier Kindern vor einem Gewässer, einer Felsformation und einer hügeligen Landschaft. Die Begegnungen der sechs Figuren sind durchweg vom steten Wechsel-
Siehe für einen Überblick der Variationen der Leda mit dem Schwan: Lange Malmanger, Anna, »The Legacy of Leonardo da Vinci’s Leda in Cinquecento Art«, in: Ashes to Ashes. Art in Rome between Humanism and Maniera, hg. v. Roy Eriksen und Victor Plahte Tschudi, Rom 2006, S. 103–124, S. 109. Für Abbildungen der Gemälde in Philadelphia und Rom siehe die Museumswebsites: https://www.philamuseum.org/collections/ permanent/102166.html und https://galleriaborghese.beniculturali.it/en/opere/leda-3/ (zuletzt eingesehen am 20.07.2020). 389 Zum Karton im Besitz Leone Leonis siehe: Rinaldi, »The ›Achademia Leonardi Vinci‹«, S. 443. 390 Zu Lomazzos Lob von Leonardos Leda siehe: Pedretti, Carlo, »A Sonnet by Giovan Paolo Lomazzo on the ›Leda‹ of Leonardo«, in: Leonardo’s Projects (c. 1500–1519). Leonardo da Vinci. Selected Scholarship, hg. v. Claire Farago, New York / London 1999, S. 128–132, S. 129 (auch für das Zitat). Siehe zu Cassiano del Pozzo: Bambach, »Leonardo da Vinci. Kneeling Leda«, S. 532–535. 391 Für eine detaillierte Übersicht von Leonardos Entwürfen einer stehenden Leda siehe: Dalli Regoli, »Sezione III – Leda stante«, S. 130. 392 Siehe: Lange Malmanger, »The Legacy of Leonardo da Vinci’s Leda«, S. 106.
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Abb. 3.34: Francesco Melzi (zugeschrieben), Leda mit dem Schwan – sogenannte Leda Spiridon, um 1515, Gemälde, 130 × 77,5 cm, Gallerie degli Uffizi, Florenz © Su concessione del Ministero per i beni e le attività culturali e per il turismo, Gallerie degli Uffizi
spiel ihres gegenseitigen Ab- und Zuwendens, direkten Berührens und zaghaften Annäherns geprägt. Der spiralförmige Twist von Ledas Körper wird spielerisch in den Zwillingspaaren abgewandelt, während die S-Form des serpeggiare im Hals des Schwans auf forcierte Weise zur Schau gestellt wird. Das Strukturprinzip des serpeggiare durchdringt aber auch kleinere Details des Bildes, wie die aus der Frisur Ledas herausgeglittenen und mit Glanzlichtern akzentuierten Korkenzieherlocken.393 393 Die aufwendig geflochtene Frisur mit herabfallenden gelockten Haarsträhnen scheint auch Teil von Leonardos Bildfindung der Leda gewesen zu sein, wie mehrere Studien in
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Abb. 3.35: Leonardo da Vinci, geometrische Studien und Textpassagen und inmitten die Skizze einer stehenden Frauenfigur (Leda), Zeichnung, Feder und Tinte / Papier, Codex Atlanticus, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, Codex Atlanticus f. 423r © Veneranda Biblioteca Ambrosiana
Die sich schlängelnde, mehrdimensionale und in ihrer kontrapostischen Struktur dynamische Drehung der ›leonardesken‹ Leda mit dem Schwan wird zu Beginn des Cinquecento nicht nur in Zeichnung und Malerei erörtert und erprobt, sondern auch in Werken der Skulptur. Zu nennen ist hier eine Leda mit dem Schwan (Abb. 3.36), die aus weißem, transluzidem Alabaster herausgearbeitet ist und zur Mantuaner Sammlung von Isabella d’Este gehörte.394 Der Figurentypus, die elegant gedrehte Haltung und die aufwendige Frisur ähneln den Leda-Figuren Leonardos und seines Mailänder Umfeldes. Im medial mitstreitenden Dialog um das kontrapostische serpeggiare wird in der Statue nun aber scheinbar insbesondere die Mehransichtigkeit für die Evokation semantischer Mehrdeutigkeit produktiv gemacht. Denn von unterschiedlichen BlickZeichnungen in Windsor (RL 12515, 12516, 12517, 12518) nahelegen. Siehe u. a.: https:// www.rct.uk/collection/912516/the-head-of-leda (zuletzt eingesehen am 20.07.2020); sowie: Testaferrata, »La Leda di Leonardo«, S. 69 f. 394 Siehe allgemein zu dieser Skulptur: Monaco, »›…un Leda di marmo, bona, anchora li mancha qualche membro…‹«, S. 73 f.
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Abb. 3.36: Italienischer Bildhauer, Leda mit dem Schwan, 1. Drittel 16. Jahrhundert, Alabaster, 43 cm hoch, Kunstkam mer, Kunsthistorisches Museum, Wien, inv. KK_4382 © KHM- Museumsverband
winkeln aus betrachtet, wirft Leda dem Schwan unterschiedliche Blicke zu, zeigt sich von links aus betrachtet eher zutraulich interessiert, von rechts aus gesehen eher scheu zurückweichend bis abweisend. Und auch die sich schlängelnden Konturen der beiden Figuren verändern ihr Verhältnis stetig beim Umwandern der Skulptur. Wie die eingangs in diesem Unterkapitel genannten Fallbeispiele aufzeigen, wird die Flexibilisierung und Vertiefung des klassischen Kontraposts durch den sich schlängelnden Twist im lombardischen Diskurs freilich nicht allein am Sujet der Leda erörtert. Giampietrino transferiert um 1530 die Pose der stehenden Leda-inventio bspw. auch in seine Darstellung der Venus mit Cupido (Mailand,
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Abb. 3.37: Gian Cristoforo Romano in Zusammenarbeit mit Benedetto Briosco, Grabmonument von Gian Galeazzo Visconti, 1. Hälfte der 1490er-Jahre, Marmor, Certosa di Pavia – Foto: privat
Privatsammlung).395 Ein ›contrapposto serpeggiante‹, ähnlich dem der stehenden Leda-Figuren, findet sich aber auch schon Jahre zuvor in einer marmornen Heiligenfigur (Abb. 3.37) auf dem Grabmal von Gian Galeazzo Visconti in der Certosa di Pavia, das Gian Cristoforo Romano in Zusammenarbeit mit Benedetto Briosco während der ersten Hälfte der 1490er-Jahre gestaltete. Die Figur mit gegensätzlichem Twist befindet sich oben rechts auf der Ecke des Monu395 Siehe: Becker-Sawatzky, Mira, »The Mediality of the Nymph in the Cultural Context of Pirro Visconti’s Villa at Lainate«, in: Nymphs in Early Modern Culture, hg. v. Anita Traninger und Karl Enenkel, Brill 2018, S. 305–336, S. 318 ff., Abb. 10.10.
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ments. Ein faltenreiches Gewand umspielt die Kontrapoststellung der Beine und die Figur scheint einerseits im Begriff zu sein, vorwärtszuschreiten und andererseits sich leicht zurückzudrehen, wobei sie die neben ihr stehende Säule umfasst, die in ihrer Geradlinigkeit der mehrdimensionalen, spiralförmigen Drehung des Mannes gegenübersteht. Ähnliches lässt sich an einer zwischen 1517 und 1522 entstandenen skulpturierten Personifikation der Stärke (Abb. 3.38) beobachten, die Bambaia bzw. ein Bildhauer seines Teams als Element eines monumentalen Grabmals in Marmor meißelte – vermutlich handelt es sich um das Grabmonument für Gaston de Foix, den Neffen des französischen Königs Louis XII. und damaligen Gouverneur Mailands.396 Auch in dieser Marmorfigur findet sich das spannungsreiche Gefüge von schlängelnder, verdrehter, dynamischer Pose und statischer, geradliniger Säule. Außerdem greifen das wellige Haar der Frau und die wellenförmigen, parallelen Falten des klassisch anmutenden Gewands das serpeggiare der Körperhaltung auf, variieren und vertiefen es. Die spiralförmige Rotation wird aber im Vergleich zu den zuvor besprochenen Figuren auch insofern noch verstärkt, als das linke Bein der Personifikation nicht nur nach vorn angewinkelt ist, sondern über Kreuz zum Standbein geführt und der linke Fuß rechts neben dem rechten aufgestellt ist. Dadurch wird die in unterschiedliche Richtungen agierende Bewegungsdynamik zugleich noch nachdrücklicher innerhalb der Figur und um ihre Achse herum konzentriert gehalten. Dies wird weiterhin vom Schleier unterstrichen, der um die Säule herumgeführt ist und die Drehungen und Wendungen der Figur nahtlos miteinander verbunden hält. An derartigen Details und subtilen bis pointierten Variationen werden gleichermaßen Virulenz und Prominenz des serpeggiante Kontrapost und der Leda-Figuren aus dem Umfeld Leonardos evident wie auch die Produktivität des Mitstreits zwischen Malerei, Zeichnung und Skulptur bei jener Thematik.397 396 Zur Marmorstatue der Stärke siehe: Fiorio, Maria Teresa, Bambaia. Catalogo completo delle opere, Florenz 1990, S. 30–32, 48, 50; Agosti, Bambaia, S. 146, 161; Pope-Hennessy, Italian Renaissance Sculpture, S. 80 f.; sowie den Eintrag auf dem Webportal des Victoria & Albert Museum: http://collections.vam.ac.uk/item/O17207/fortitude-statuettebambaia/ (zuletzt eingesehen am 20.07.2020). Zu Bambaia, seinen Arbeiten u. a. am Mailänder Dom und an mehreren bedeutenden Grabmalprojekten, seiner Bekanntschaft mit Leonardo sowie Reise nach Rom um 1513 siehe: Fiorio, Bambaia; Fiorio, »Alla ›scuola del mondo‹«, S. 240. 397 Ein weiteres Beispiel in dieser Hinsicht ist die Marmorskulptur der Heiligen Helena (Anfang 16. Jahrhundert, Museo del Duomo, Mailand) von Cristoforo Solari, genannt il Gobbo, den John Pope-Hennessy auch als »sculptural Boltraffio« bezeichnet. Siehe: Pope-Hennessy, Italian Renaissance Sculpture, S. 80. Solaris Skulptur der Heiligen Helena findet bspw. auch in Lomazzos Rime ad imitazione dei Grotteschi Erwähnung: »A i scoltori e statuari. // Su l’alta guglia ch’in Milano posa / Sopra del Duomo, giusto in quella parte / Ove san Pietro è al basso, e santa Elena, / Scolpiti in marmo da Cristofor Gobbo, // […]«. Lomazzo, Giovan Paolo, Rime ad imitazione de i Grotteschi usati da’ pittori, hg. v. Alessandra Ruffino, Rom 2006, Nr. 100, S. 150.
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Abb. 3.38: Agostino Busti, genannt il Bambaia, Personifikation der Stärke, 1517–1522, Marmor, 71,6 × 30,2 × 21 cm, Victoria & Albert Museum, London © Victoria and Albert Museum, London
Blickt man nun auf das direkte kulturelle Umfeld von Lomazzos theoretischen Reflexionen und seiner Konzeptualisierung der figura serpentinata in der zweiten Hälfte des Cinquecento wird deutlich, dass das Explorieren und Elaborieren von serpeggianti Kontraposten weiterhin auch ein Thema der bildkünstlerischen Praxis war und insbesondere als eine Art ästhetischer Code zur Konfigurierung sinnlicher weiblicher Schönheit produktiv gemacht wurde. Dies wird anhand dreier materialsichtiger Marmorskulpturen von Nymphen (Abb. 3.39) deutlich, die in den verwinkelten Grotten des weitläufigen Gartens von Pirro
Zu Solaris angesehenem Status als Bildhauer im Herzogtum Mailand siehe: Agosti, Bambaia, S. 112 f.; Damiani Cabrini, »L’incanto delle ›pietre vive‹«, S. 269 f.
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Viscontis Villa in Lainate bei Mailand aufgestellt sind.398 Francesco Brambilla entwarf die Figuren und Antonio Prestinari sowie Giulio Cesare Procaccini skulpturierten sie um 1589. Die vollplastischen Marmorfiguren sind vereinzelt in Nischen der labyrinthartigen Grotten positioniert und können von den Betrachtenden beim Durchwandern der Höhlenanlage von allen Seiten gesehen werden.399 Die nackten Frauenfiguren stehen an kleinen Wasserläufen und haben Tücher in den Händen, mit denen sie sich vom Bad zu trocknen scheinen. Insbesondere die Gestalt einer der Nymphen (Abb. 3.39) ist durch die geschlängelte, antithetische Drehung von Ober- zu Unterkörper, von Beinen zu Armen zu Kopf gekennzeichnet. Die Rotationen und Neigungen ihres Körpers betonen ihre weiblichen Rundungen und Silhouette. Zugleich bewirken sie, dass die Nymphe sich den Betrachtenden je nach Standpunkt mal zu- und mal scheu abzuwenden scheint. Derweil benetzen installierte Wasserspiele und mitunter einfallender Regen die Oberfläche der drei Skulpturen, die durch die Materialbeschaffenheit und -ästhetik des Marmors im Halbdunkel der schummrigen Grotte wie nasse,
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Abb. 3.39: Antonio Prestinari und Giulio Cesare Procaccini nach Entwürfen von Francesco Brambilla, Nymphe, Marmor, Grottenanlage der Villa von Pirro Visconti Borromeo, Lainate – Foto: privat
398 Zu den Grottenanlagen auf Pirro Viscontis Anwesen in Lainate und einer scherzhaften Invertierung der grazia der Marmornymphen in Gedichten der Accademia della Val di Blenio siehe Kapitel 4.3.2. Für eine ausführliche Analyse der Figur der Nymphe(n) in Malerei, Skulptur und Dichtung im Kontext von Pirro Viscontis Villa und Verweise auf weitere Forschungsliteratur siehe: Becker-Sawatzky, »The Mediality of the Nymph«. Erwähnt sei jedoch auch bereits an dieser Stelle die einschlägige und grundlegende monographische Studie Alessandro Morandottis zur villa di Lainate e le arti: Morandotti, Alessandro, Milano profana nell’età dei Borromeo, Mailand 2005. 399 Siehe: Becker-Sawatzky, »The Mediality of the Nymph«, S. 313–316, Abb. 10.5–10.9.
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schimmernde Haut erscheint. Derart kontrastieren die halbgöttlichen Frauen durch ihre schimmernde Marmorhaut und ihre eleganten, chiastischen Körperwendungen mit den tropfsteinartigen Formationen der porösen rauen Steine der als kunstvolle Nachahmung der Poiesis der Natur begriffenen Grotten.400 Lomazzo, der mit Pirro Visconti befreundet und gemeinsam mit ihm Mitglied der transdisziplinären Accademia della Val di Blenio war, hatte sehr wahrscheinlich einen bedeutenden Part in der konzeptionellen Planung des künstlerischen Ausstattungsprogramms der Villa und Grottenanlage mit den anmutigen Nymphen.401 In Lainate fallen damit bildkünstlerische und begrifflich-theoretische Konfigurierung einer figura serpentinata in eins. Zugleich ruft die Nymphe serpeggiante (Abb. 3.39) in ihrer Haltung und Gestalt ästhetische wie auch semantische Assoziationen zu den oben bereits besprochenen mythologischen Leda- und Venus-Figuren auf und spielt mit Mehrdeutigkeiten bzw. fließenden Übergängen zwischen den schönen Frauengestalten.402 Die Fallbeispiele machen in der Zusammenschau deutlich, dass vom ausgehenden 15. Jahrhundert und im Verlauf des 16. Jahrhunderts subkutane Wandlungs- und Aushandlungsprozesse kontrapostischer Bewegungsfiguren stattfinden, die durch mitstreitende Dialoge zwischen Skulptur, Malerei und Zeichnung bewegt werden und zu einer Dynamisierung und Vervielfältigung chiastischer Bewegungsmotive führen. Ein einzelnes Kunstwerk als inventio der 400 Zur frühneuzeitlichen Konzeption der Grotten siehe: Kapitel 4.3.2. 401 Siehe Kapitel 4.3.2 und: Becker-Sawatzky, »The Mediality of the Nymph«, S. 318; Morandotti, Milano profana nell’età dei Borromeo, S. 21. 402 Zur Elusivität der Nymphen siehe: Becker-Sawatzky, »The Mediality of the Nymph«. In Lainate war neben einer Venus-Statue im Foyer der Grottenanlage (siehe ebd., Abb. 10.2, S. 311) zudem in den zu den Höhlen führenden Galeriegängen ein Abguss der Venus Kallipygos aus der Sammlung Pirro Viscontis zu sehen, auf die die drei Marmornymphen in Lainate auf unterschiedliche Weise Bezug nehmen in ihren Haltungen. Zu Pirros Sammlung frühneuzeitlicher Gemälde, Abgüsse antiker Skulpturen und etlicher weiterer Werke, die seine Sammlung zu einer Art Wunderkammer machen, siehe: Morandotti, Milano profana, v. a. S. 13 f., 21, 230–243. Für einen Vergleich der Nymphenskulptur in Lainate mit der einige Jahre später entstandenen Marmornymphe von Giovanni Bologna, genannt Giambologna, die Teil eines Brunnens in der Boboli-Grotte in Florenz ist, und die den schlängelnden Twist durch verlängerte Gliedmaßen variiert und wiederum ein besonderes weibliches Schönheitsideal konfiguriert, siehe: Becker-Sawatzky, »The Mediality of the Nymph«, S. 319 ff., Abb. 10.11. Zu Explorationen der figura serpentinata in Marmorskulpturen des Manierismus siehe: Schröder, »Versteinerter Blick und entflammte Begierde«, v. a. S. 190 f. Zu verlängerten Gliedmaßen und manieristischen Schönheitsidealen in cinquecentesken Figurenauffassungen siehe generell einschlägig: Cropper, Elizabeth, »On Beautiful Women, Parmigianino, Petrarchismo, and the Vernacular Style«, in: The Art Bulletin, 58/3 (1976), S. 374–394. Zu Giambolognas Skulpturen und dem Spiel mit Formidealen, das konkrete Sujets in den Hintergrund drängt, siehe: Cole, Michael W., »The Sculpture with No Name«, in: Oxford Art Journal, 31/3 (2008), S. 337–360.
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figura serpentinata auszumachen, die Lomazzo schließlich im Secondo Cinquecento theoretisch bespricht bzw. allererst begrifflich konzeptualisiert, erscheint vor diesem Hintergrund nicht gewinnbringend und möglich. Das Konzept markiert vielmehr Konflikte von Kunsturteilen einerseits sowie andererseits ein Wissen, das qua Metaphern aufgerufen, aber nicht expliziert werden kann. Es geht um ein Wissen der Proportionierung und Verlebendigung von Figuren jenseits berechenbarer Verhältnisbestimmungen und Zahlenkombinationen, um einen Modus schöner bzw. kraftvoller Gestaltgebung – ein Wissen, das in der bildkünstlerischen Praxis, dem Talent der Künstler sowie der Interpretationsfähigkeit der Produzierenden und Rezipierenden verortet wird. Die von Lomazzo dazu eingesetzten Metaphern der Flamme und des Sich-Schlängelns schließen an theoretische Überlegungen und Beschreibungssprachen von Leon Battista Alberti und Leonardo an. Lomazzo fügt allerdings den Begriff der figura hinzu, der in epistemologischer Perspektive pointiert auf die Wissensform zugeschnitten ist, die im fokussierten Bewegungsmotiv anschaulich wird: ein in Bewegung befindliches figural gebundenes Wissen. Das Analyseinstrument figuralen bzw. figural gebundenen Wissens wird im nun folgenden Kapitel weiter fruchtbar gemacht und am Beispiel des grottesco zur Erfassung von Wissensformen erprobt, die sich durch das Ausloten von Grenzen in frühneuzeitlicher Nachahmungsästhetik auszeichnen.
4. Groteske Ästhetik in Bild und Text – Figurale Wissensformierungen
Zum Einstieg – groteske Köpfe und Grotesken in Rivolta d’Adda In der Kirche Santa Maria dell’Immacolata im zwischen Mailand, Crema und Treviglio gelegenen Ort Rivolta d’Adda freskierten die beiden lombardischen Künstler Martino Piazza da Lodi und Giovan Pietro Carioni 1506 das Deckengewölbe des Oratoriums mit einem elaborierten und originellen Bildprogramm aus 104 variationsreichen männlichen und weiblichen Büsten in Tondi und einem die Medaillons rahmenden und verbindenden Raster aus Schmuckbändern, fingierter Bauplastik und grotesker Ornamentik (Farbtafeln 43–45, Abb. 4.01–4.04).1 Ein geometrisches Schmuckband auf goldgelbem Grund mit rundgefassten graumonochromen Profilköpfen in den Ecken bildet den äußeren Rahmen der Deckenmalerei. Innerhalb dieses Rahmens kassettiert fingierte 1 Durch den Fund eines Dokuments vom 26. Oktober 1506, das die Bezahlung der beiden Künstler Martino Piazza da Lodi und Giovan Pietro Carioni für die Ausmalung der Kirche belegt, konnten die Zuschreibungs- und Datierungsfragen geklärt werden. Siehe zu diesem Dokument: Marubbi, Mario, »I pittori di Santa Maria Immacolata a Rivolta«, in: La chiesa dell’Immacolata: Tracce di Leonardo a Rivolta d’Adda, hg. v. Mauro C. Bonazzoli, Mailand 2007, S. 211–223; Marubbi, Mario, »Prima dei Piazza. Revisioni sulla pittura lodigiana di fine Quattrocento«, in: Arte lombarda, 130/3 (2000), S. 36–76, S. 67. Zur vorausgegangenen Forschungsdebatte siehe z. B.: Sicoli, Sandra, »Un problema di filologia: gli affreschi della chiesa dell’Immacolata Concezione a Rivolta d’Adda«, in: I Piazza da Lodi: una tradizione di pittori nel Cinquecento, Ausst.kat., hg. v. Gianni Carlo Sciolla, Mailand 1989, S. 153–159. Die Fresken in Rivolta d’Adda haben außerhalb eines kleinen Kreises von Expertinnen und Experten der italienischsprachigen Forschung zur Kunst der Lombardei bisher keine Beachtung gefunden. Einen fundierten Überblick über Geschichte, Architektur und Ausstattung der Kirche liefern die bei Giulio Bora und Rossana Sacchi verfasste Magisterarbeit von Mauro Carlo Bonazzoli sowie ein von demselben Autor herausgegebenes Buch mit Beiträgen von Giulio Bora und Mario Marubbi: Bonazzoli, Mauro Carlo (Hg.), La chiesa dell’Immacolata: Tracce di Leonardo a Rivolta d’Adda, Mailand 2007; Bonazzoli, Mauro Carlo, La chiesa dell’Immacolata Concezione a Rivolta d’Adda, Tesi di laurea, Università degli Studi di Milano, anno accademico 2000/2001. Ich danke Mauro Bonazzoli sehr herzlich für die Zusendung seiner Magisterarbeit und die Bereitstellung wertvoller Detailaufnahmen der Deckenfresken.
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Groteske Ästhetik in Bild und Text
Abb. 4.01: Martino Piazza da Lodi und Giovan Pietro Carioni, Figurenbüsten gerahmt von Schmuckbändern und ornamental-fantastischen Grotesken, Detail, 1506, Fresko, Kuppel, Santa Maria dell’Immacolata, Rivolta d’Adda – Foto: privat
weißgraue Bauplastik mit schlaufenförmigen Schmuckbändern das Gewölbe und rahmt ihrerseits die Figurenbüsten in den Oculi sowie achteckige Kartuschen mit zwei verschiedenen graumonochromen Grotesken-Motiven auf rotem Grund. In dem an den Altarraum angrenzenden Gewölbebogen handelt es sich bei dem Grotesken-Motiv um einen fantasievollen Pokal oder Kandelaber mit geschwungenem bzw. gerolltem, filigranem Blattwerk (Farbtafel 44, Abb. 4.02, 4.04). In der hinteren Bogenhälfte wiederum wird das Motiv eines Pokals mit Griffen aus Delphinen und Blattwerk und einem geflügelten, weiblichen Mischwesen, einer sogenannten Harpyie, iteriert (Farbtafel 45, Abb. 4.03).2 Die Vorlage bzw. Schablone der beiden Grotesken-Motive wurde in jedem einzelnen Bildfeld
Pfarrer Dennis Feudatari der Kirchengemeinde von Rivolta d’Adda danke ich ganz herzlich für die Möglichkeit, die Fresken in der zum Zeitpunkt meines Besuches eigentlich geschlossenen Kirche in aller Ruhe besichtigt haben zu dürfen. 2 Zur Iteration als Analysekategorie, die Wandel und Wiederholung in ihrer intrinsischen Verschränkung beleuchtet und wissensgeschichtlich Prozesse des Transfers fokussiert, siehe: Cancik-Kirschbaum, Eva / Traninger, Anita, »Institution – Iteration – Transfer: Zur Einführung«, in: Wissen in Bewegung. Institution – Iteration – Transfer, hg. v. dens., Wiesbaden 2015, S. 1–13.
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Abb. 4.02: Martino Piazza da Lodi und Giovan Pietro Carioni, Figurenbüsten gerahmt von Schmuckbändern und ornamental-fantastischen Grotesken, Detail, 1506, Fresko, Kuppel, Santa Maria dell’Immacolata, Rivolta d’Adda – Foto: privat
aufs Neue fein binnenmodelliert, aufwendig schattiert und mit Glanzlichtern versehen, so dass ein plastischer Eindruck entsteht.3 Je nach Wölbung der Decke wechselt die Ausrichtung der Grotesken sowie der Figurenbüsten und ist symmetrisch entlang der Scheitellinie angeordnet. Die Büsten der männlichen und weiblichen Figuren vor einfarbig dunklem, ursprünglich blauem Grund sind dabei jedoch zudem in variierenden Winkeln in den Oculi postiert, drehen und wenden sich in unterschiedliche Richtungen, sind mal im Profil, mal in Dreiviertelansicht und ein andermal frontal gezeigt. Dadurch wird die Symmetrie der Darstellungsstruktur spielerisch gebrochen. Manche scheinen in Kontakt miteinander zu treten, andere wirken in sich gekehrt. Manche sind alt, andere jung. Einige haben langes, andere kurzes oder auch schütteres Haar und sind teils bärtig. In unterschiedlich farbige Gewänder gekleidet, tragen einige Männer einen Turban, andere einen Helm, einen Hut oder auch einen Lorbeerkranz auf ihrem Kopf, während die Frauenfiguren alle einen Turban oder Schleier tragen. 3 Dadurch ergeben sich in der Wiederholung zugleich kleine Unregelmäßigkeiten, bspw. leichte Verschiebungen im Bildfeld der Kartusche, Unterschiede im Blattwerk des Kandelabers oder in der Platzierung des Delphinauges sowie im Gesicht der Harpyie.
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Groteske Ästhetik in Bild und Text
Abb. 4.03: Martino Piazza da Lodi oder Giovan Pietro Carioni, Weibliche Figurenbüste gerahmt von Schmuckbändern und Grotesken, Detail, 1506, Fresko, Kuppel, Santa Maria dell’Immacolata, Rivolta d’Adda © Mauro C. Bonazzoli
Gesteigert wird der Abwechslungsreichtum der Gestaltung schließlich noch durch die beachtliche Variationsbreite der Physiognomien und Mimik der Figurenbüsten, die von einem tiefen künstlerischen Interesse an der Erforschung unterschiedlichster Proportionen, Gesichtsausdrücke, physiognomischer und anatomischer Besonderheiten zeugt. Insbesondere die Exploration verschiedener Nasen-, Kinn-, Wangen- und Halsformen fällt ins Auge. Abgesehen von sehr vereinzelten, wohlgeformten und makellosen Gesichtern – bspw. jenem einer jungen Frau mit leicht geröteten Wangen (Abb. 4.03) –, sind vornehmlich Figuren mit wulstigen, dicken Hälsen, tiefliegenden Augen, Tränensäcken, langgezogenen und teils nach oben zeigende Kinnformen, krummen und mitunter
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Abb. 4.04: Martino Piazza da Lodi, Männliche Figurenbüste gerahmt von Schmuckbändern und Grotesken, Detail, 1506, Fresko, Kuppel, Santa Maria dell’Immacolata, Rivolta d’Adda – Foto: privat
buckligen Nasen, eingefallenen Kieferpartien sowie tiefen und langen Falten zu sehen (Farbtafeln 44 und 45, Abb. 4.04). Zahlreiche Köpfe erscheinen dabei geradezu deform, ja grotesk.4 Derweil ist die malerische Gestaltung der Köpfe größtenteils äußerst differenziert: über ausgefeilte Helldunkelmodellierungen und Farbnuancierungen werden Falten, Unebenheiten der Haut und anatomische Details gekonnt herausgearbeitet, während buntfarbige Schattierungen bzw. das Changieren von zwei verschiedenen Farbtönen an Kleidern und Kopfbedeckungen kunstvolle Akzente setzen.5 Das Bildprogramm erweist sich mit 4 Siehe z. B. auch: Bora, Giulio, »L’eredità leonardesca a Milano tra resistenze e nuove sollecitazioni«, in: Arcimboldo. Artista milanese tra Leonardo e Caravaggio, Ausst.kat., Mailand 2011, S. 21–49, S. 23; Bambach, Carmen C., »Leonardo da Vinci. Laughing Man with Bushy Hair in Bust-Length Profile«, in: Leonardo da Vinci. Master Draftsman, hg. v. ders., New York / New Haven 2003, Katalog-Nr. 69, S. 451–454, S. 453. 5 Insbesondere im Gewölbebogen mit den Kandelaber-Grotesken ist die künstlerische Qualität der Figurendarstellungen durchweg hoch und äußerst vielseitig; die Fresken werden daher von Mauro Bonazzoli überzeugend alleinig Martino Piazza da Lodi zugeschrieben. Das hintere Bogenfeld hingegen weist stellenweise Figuren auf, die weniger pointiert modelliert wurden und in ihrem Ausdruck repetitiv sind. Jene Tondi wurden vermutlich von Giovan Pietro Caironi gestaltet. Siehe: Bonazzoli, La chiesa dell’Immacolata.
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seiner Konfigurierung von grotesken Köpfen und Grotesken, von Ornamentik und Figürlichkeit als ambitioniert und originell und führt unterschiedliche Facetten einer grotesken Ästhetik des lombardischen Cinquecento zusammen, um die es im vorliegenden Kapitel geht. Der Maler Martino Piazza da Lodi, dem der Großteil der aufwendig orchestrierten Deckenfresken zugeschrieben werden kann, war mit den Mailänder und oberitalienischen Kunstszenen und deren seinerzeit aktuellen bildkünstlerischen Debatten offenbar gut vertraut. Die rundgerahmten Büsten in R ivolta d’Adda zeugen von einer Auseinandersetzung des Künstlers mit den in Kapitel 3.2 besprochenen Terrakottabüsten in der Certosa di Pavia und der Mailänder Kirche San Satiro. Mit deren kreativen Aneignungen antik fundierter imagines clipeatae, Ausdrucksstudien und Darstellungen verschiedener anatomischer und proportionaler Besonderheiten sowie Bewegungsimplikationen konnte Martino in Austausch treten (Farbtafeln 21–26, Abb. 3.06–3.12). Giulio Bora verweist zudem auf Referenzen Martinos auf die kassettierten und bemalten Holzdecken der venezianischen Kirchen Santa Maria degli Angeli und Santa Maria della Visitazione, wo im einen Fall Nicolò Rondinelli und im anderen Fall ein Team lombardischer Meister in den 1490er-Jahren in den rechteckigen Feldern der Kassettendecken halbfigurige Heilige und Propheten mit Schriftrollen und ähnlichen Attributen malten.6 Im Vergleich zu den Fresken in Rivolta d’Adda sind die Figuren der beiden venezianischen Decken aber nicht nur großformatiger und weniger in der Zahl; sie werden v. a. von Inschriften begleitet und haben Attribute bei sich, wodurch ihre Ikonographie eindeutig als sakral ausgewiesen ist. Die Büsten Martinos hingegen sind nicht eindeutig identifizierbar, äußerst zahlreich und mit einem nachdrücklichen Fokus auf eine Vielfalt an Gesichtsausdrücken, Proportionsverhältnissen und Physiognomien gestaltet. Dabei stehen mehrere der grotesk anmutenden Figuren den grotesken Köpfen und Büsten nahe, die Leonardo und Künstler aus dessen Mailänder Umfeld seit 6 Kenntnisse der Venezianischen Deckenprogramme könnte ein Künstler wie Giovanni Agostino da Lodi an Martino Piazza da Lodi vermittelt haben. Agostino war in den 1490erJahren bis 1506 in Venedig tätig, dort 1500 wohl mit Leonardo in Kontakt gekommen und kann nach der Rückkehr beider Künstler nach Mailand zum engeren künstlerischen Umfeld des toskanischen Meisters gezählt werden. Peter Humfrey bezeichnet Giovanni Agostino da Lodi auch als »link between Venetian and Milanese painting in the years around 1500«, während Mario Marubbi darauf hinweist, dass Martino wiederum nicht allein mit Leonardos Arbeiten, sondern auch mit jenen von Giovanni Agostino da Lodi vertraut war. Siehe: Humfrey, Peter, »Giovanni Agostino da Lodi«, in: Leonardo & Venice, hg. v. Simonetta Rasponi, Mailand 1992, S. 358–359, S. 358; Marubbi, »Prima dei Piazza«, S. 67. Zu Giovanni Agostinos Tätigkeit in Venedig und Hinweisen auf seinen dortigen Kontakt mit Leonardo siehe: Bora, Giulio, »The Leonardesque Painters in Venice: toward the ›Maniera Moderna‹«, in: Leonardo & Venice, hg. v. Simonetta Rasponi, Mailand 1992, S. 358.
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den 1490er-Jahren mannigfach zeichneten.7 Diese zeichnerischen Explorationen deformer Gesichter werden in Kapitel 4.1 eingehend analysiert; sie erweisen sich als ein im ästhetischen Diskurs des gesamten Cinquecento äußerst virulentes Thema. Martino greift diese Thematik auf, überführt sie in die sakrale Deckenmalerei, führt quasi einen Katalog an Möglichkeiten vor Augen und kombiniert die oftmals deformen Figuren mit fantastischen Grotesken. Diese großformatige Kombination von Groteskem und Groteske im Kirchenraum ist äußerst originell.8 Doch wie verhält sich dieses Bildprogramm zu der restlichen Ausmalung des Oratoriums? Am unteren Rand des qua Malerei kassettierten Tonnengewölbes sind Szenen aus dem Leben Mariens dargestellt, die ebenfalls mit dem geometrischen Schmuckband auf goldgelbem Grund sowie den graumonochromen Medaillons männlicher Profilköpfe in den Ecken gerahmt werden und somit formal mit den Figurenbüsten und Grotesken der Decke verbunden sind. An den Seitenwänden finden sich im an den Altarraum angrenzenden Teil des Oratoriums Kapellennischen mit Fresken von Sibyllen- und Prophetenfiguren in den Zwickeln. Im hinteren Teil des Oratoriums werden hingegen qua Malerei buntfarbige, unterschiedlich gemaserte Steinplatten fingiert – als wären die Wände der kleinen Kirche mit wertvollen Steinen verkleidet. Ikonographie, Funktion und Bedeutung der Deckenmalerei im Gesamtprogramm der Kirche lassen sich nicht eindeutig bestimmen. Mario Marubbi interpretiert die Figuren an der Decke aufgrund der Turbane als Sibyllen und Propheten, die als Figuren einer vorchristlichen Zeit auf die neutestamentlichen Geschichten vorausweisen.9 Doch diese Kopfbedeckungsart betrifft nur einige wenige der 104 Figuren, während andere einen Lorbeerkranz oder einen Pelzmantel und einen Helm tragen und andere mit ihren grotesken Profilen, einem wulstigen Hals, einer Glatze und einem breitkrempigen Hut bspw. nicht mit Prophetenbildern vereinbar sind. Auch unterscheiden sich die Sibyllen- und Prophetendarstellungen an den Seitenwänden deutlich von den Figuren der Deckengewölbe: Sie sind – ohne Turbane – durch ihre Schriftbänder eindeutig als Weissagende identifizierbar. 7 Siehe u. a.: Bora, Giulio, »I disegni dei leonardeschi e il collezionismo milanese: consistenza, fortuna, dispersione«, in: I leonardeschi a Milano: fortuna e collezionismo, hg. v. Mari Teresa Fiorio und Pietro C. Marani, Mailand 1991, S. 206–217, S. 206; Bora, Giulio, »La decorazione leonardesca della chiesa dell’Immacolata Concezione di Rivolta d’Adda, 1506: un caso unico«, in: La chiesa dell’Immacolata: tracce di Leonardo a Rivolta d’Adda, hg. v. Mauro Carlo Bonazzoli, Mailand 2007, S. 8–9, S. 9; Bora, »L’eredità leonardesca«, S. 23; Marubbi, »I pittori di Santa Maria Immacolata«; Bambach, »Leonardo da Vinci. Laughing Man«, S. 453. 8 Giulio Bora spricht dementsprechend auch von einer »soluzione decorativa del tutto singolare se si considera la destinazione religiosa dell’ambiente«. Bora, »I disegni dei leo nardeschi«, S. 206. 9 Marubbi, »Prima dei Piazza«, S. 63.
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Zudem sind die Sibyllen als durchweg junge, schöne Frauen in eleganten Gewändern dargestellt und nicht – wie an der Decke – teils als alte, faltige Frauen. Giulio Bora fasst das Bildprogramm der Decke daher als – ikonographisch betrachtet – rein dekorativ und »decisamente profana« und verankert eben gerade in der Abkehr jeglicher sakraler Funktionalisierung der figurativen Darstellung im sakralen Raum die Originalität des Bildprogramms.10 Mauro Bonazzoli hingegen merkt an, dass es sich womöglich um eine Arbeit handelt, die den Interessen eines gelehrten Auftraggebers an einem ›humanistischen‹ Thema von Aktualität begegnet – führt diese interessante Option allerdings nicht weiter aus.11 De facto, so zeigt die Analyse hier, wird in dem monumentalen Deckenfresko gerade ein Oszillieren zwischen sakralen und profanen Bedeutungsdimensionen produktiv gemacht und dabei verschiedene aktuelle bildkünstlerische Debatten und Themenfelder zusammengeführt. In der Mischung ganz unterschiedlicher Figurentypen werden ästhetisch wie epistemisch relevante Ausdrucks-, Proportionsund Anatomiestudien jenseits von Idealisierungen und Schönheitsnormen vor Augen geführt und durch antik fundierte Grotesken-Ornamentik gerahmt.12 Zugespitzt gesagt: Groteske Köpfe und Grotesken machen in diesem monumentalen Deckenfresko schlaglichtartig die Verflechtung von Motiven, Strukturprinzipien und Themen anschaulich, die Teil einer, wie hier formuliert wird, grotesken Ästhetik in der frühneuzeitlichen Lombardei sind. Diese groteske Ästhetik mit ihren unterschiedlichen und dabei miteinander vernetzten Facetten des Fantastischen, Deformen, Kapriziösen, Bizarren und Lachhaften ist Thema des vorliegenden Kapitels und wird durch die nachfolgenden Fallstudien als eben solche konturiert.13 Für ihre Erörterung und Konturierung werden unter10 Die Fresken, so schreibt Giulio Bora, »abbandonano ogni richiamo a immagini sacre e adottando una scelta decorativa e figurativa avulsa da qualsiasi riscontro tematico e iconografico«. Bora, »La decorazione leonardesca«, S. 8. 11 Siehe: Bonazzoli, La chiesa dell’Immacolata. 12 Zur Originalität von Martinos Platzierung der Grotesken im Vergleich zu anderen Grotesken-Dekorationen in sakralen Räumen zu Beginn des 16. Jahrhundert in der Lombardei siehe weiter Kapitel 4.1. 13 Marijke Hellemans konstatiert in einem kürzlich erschienenen Ausstellungskatalog zum Grotesken, dass der Begriff ursprünglich die ornamentale Dekorationsmalerei der klassischen Antike bezeichnete und sich dann im Laufe der Zeit zu dem heute aktuellen substantiellen Sammelbegriff weitete, der es vermag, die Facetten des Bizarren, Lächerlichen, Kapriziösen, Karikaturhaften, Deformen, Fantastischen und Exzessiven in der Kunst zu fassen. Hellemans schreibt: »If the term ›grotesque‹ originally referred to ornamental forms from classical antiquity that were rediscovered during the Renaissance, the term has evolved into a collective name that lends substance to a wide range of meanings. Terrifying, frightening, bizarre, ridiculous, outlandish, excessive, foolish, capricious, inventive, fantastic, caricatural, laughable, monstruous, unnatural, ludicrous, strange, misshapen, wondrous, strange, crazy. These are just some synonyms, each of which adds a different nuance to what the word ›grotesque‹ evokes today.« Hellemans, Marijke, »The
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schiedliche Beiträge aus der sowohl bild- wie dichtkünstlerischen Praxis und textverfassten Theorie sowie das Programm und Profil einer interdisziplinären Institution besprochen. Von Zeichnungen, Gemälden und poetischen Konfigurationen grotesker Köpfe, über Grottenanlagen mit ornamentalen Grotesken sowie komisch-bizarren Gruppenszenen zum kapriziösen Programm einer quasi geheimen Akademie als Gegenmodell offizieller und repräsentativer, normierender Institutionen werden transdisziplinäre Motive und Themen, Strukturprinzipien, Erkenntnisinteressen und intermediale Verflechtungen grotesker Ästhetik aufgezeigt und erörtert. Auf diese Weise werden die Virulenz grotesker Ästhetik und der mit ihr verbundene hohe Geltungsanspruch während des gesamten Cinquecento nachvollziehbar werden. Groteske Ästhetik: Begriffliche und konzeptionelle Anmerkungen Begriffsgeschichtlich fußt das Groteske in antiken Grotesken, die mit der Wiederentdeckung der römischen domus aurea Bekanntheit und Beliebtheit erlangten.14 1480 wurde der Palast Neros, der unter Trajan zugeschüttet worden und versunken war, freigelegt. Die Räume erschienen wie Höhlen (grotte), weshalb die antiken Wandmalereien als grottesche bezeichnet wurden.15 Eine a-mime tische und fantastische Mischung aus architektonischen Elementen, Masken, hybriden Gestalten, Fabelwesen, Girlanden und Blattwerk in eleganten symmetrischen Konstellationen beeindruckte über die Grenzen Italiens hinaus Künstler und Publikum. Unter den Namen, die in die Wände der domus aurea eingeritzt wurden, finden sich die von Domenico Ghirlandaio, Nicoletto da Modena,
attraction of the grotesque, or the beauty of the ugly«, in: Grotesken. Een fascinerende Fantasiewereld – Grotesques. Fantasy Portrayed, Ausst.kat., hg. v. Marijke Hellemans, Antwerpen 2019, S. 14–17, S. 14. Im vorliegenden Kapitel wird gezeigt werden, wie facettenreich und auch begrifflich ineinander verwoben groteske Ästhetik im 16. Jahrhundert in der Lombardei ist. Siehe zur historischen wie motivischen Komplexität des Grotesken auch: Fuß, Peter, Das Groteske. Ein Medium des kulturellen Wandels, Köln / Weimar / Wien 2001, hier v. a. S. 30–34; Scholl, Dorothea, Von den »Grottesken« zum Grotesken. Die Konstituierung einer Poetik des Grotesken in der italienischen Renaissance, Münster 2004. 14 Siehe hierzu und im Folgenden: Scholl, Von den »Grottesken« zum Grotesken, S. 15, 69 f. 15 Karel van Mander bspw. erläutert die Begriffsbildung in seinem Malereibuch (Het Schilder-boeck, 1604, f. 132v) wie folgt: »Grotissen: also geheeten, om dat dese wijse van schilderen meest oft eerst is ghevonden geweest te Room onder d’Aerde, in holen, die d’Italianen Grotti heeten.« In der englischen Übersetzung: »Grotesques: so-called because this manner of painting was first found in Rome, under the earth, in caves, which the Italians call Grotti.« zitiert nach: D’haene, Virginie, »The rediscovery of the antique grotesque in the 16th century«, in: Grotesken. Een fascinerende Fantasiewereld – Grotesques. Fantasy Portrayed, Ausst.kat., hg. v. Marijke Hellemans, Antwerpen 2019, S. 44–47, S. 44.
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Maarten van Heemskerck, Johannes Stradanus, Hubert Goltzius, Bartholomeus Spranger und Karel van Mander.16 Das Dekorationsprinzip der Grotesken wurde schnell adaptiert und zur Spielwiese künstlerischer inventio; bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts zierten grottesche (Abb. 4.05) zahlreiche sakrale wie profane Bauten – eine Mode, die auch in den päpstlichen Loggien Einzug hielt.17 Im Zuge der Katholischen Reform kam ab Mitte des 16. Jahrhundert jedoch eine äußerst kritische Debatte in Gang, im Zuge derer auch gefordert wurde, die Grotesken aus den sakralen Räumen zu verbannen.18 Eine der frühesten schriftlichen Fixierungen – wenn nicht die früheste erhaltene – des Begriffs grottesche findet sich bezeichnenderweise in dem unter Kapitel 2.1 ausführlich analysierten Buch des Mailänder Perspektivmalers (Braman tino), den Antiquarie prospetiche Romane.19 In dem in Dialekt und Reimen verfassten Text stellt der Prospectivo melanese depictore dem Widmungsempfänger Leonardo zunächst voller Bewunderung die fantastischen Motive der römischen Höhlen vor. Gut gemalt, »di tal bontà«, sehe man Medusen, Harpyien, Priapus-Figuren, Monster, Dryaden, Nymphen und Theaterbühnen, Löwen, Tiger, Satyrn, Bären, Dromedare, Kamele, schöne Elefanten mit noblen Reisenden, Blattwerk sowie Verzierungen mit vortrefflichen Vögeln, deren Anblick zum Schwitzen bringe und für deren Zeichnungen ihm, dem Mailänder Maler, nie genug Tinte übrig bleibe.20 An späterer Stelle des Gedichts wird erneut die Fas16 Siehe: D’haene, »The rediscovery of the antique grotesque«, S. 44. 17 Um 1519 malte bspw. Giovanni da Udine unter Leitung Raffaels die Vatikanischen Loggien mit ornamentalen Grotesken aus. 18 Siehe hierzu weiter Kapitel 4.4.1. 19 Prospectivo Melanese depictore, Antiquarie prospetiche Romane composte per prospectivo melanese depictore, hg. v. Giovanni Agosti und Dante Isella, Parma 2004, S. 18 f., 28. Eine weitere frühe Belegstelle des Begriffs findet sich in einem Vertrag für die Ausstattung eines Raumes im Dom von Siena, der 1502 mit Pinturicchio geschlossen wurde und in dem von fantasie die Rede ist, die man nun grottesche nenne (»che hoggi chiamano grottesche«). Siehe: Summers, David, Michelangelo and the Language of Art, Princeton 1981, S. 103; D’haene, »The rediscovery of the antique grotesque«, S. 44. In der Forschung wird noch heute, wie im Falle des Beitrags von Virginie D’haene, zumeist diese Belegstelle von 1502 als früheste schriftliche Notiz des Begriffs benannt, während die Antiquarie prospetiche Romane unbeachtet bleiben. 20 »Distante a ’llui [un altro edificio], un col è pien d’icome / di tal bontà qual, Lionardo nostro, / chiunche ’l vede fa sudar le chiome: / Meduse et arpeie, priap’ e mostro, / driade e semidriade e teatri, / che sol de lor copiar son senz’inchiostro, / Leonze, capreon, tigri e satri / et ors’ e dromedari con camelli, / belli elephanti con nobil meatri, / Fogliam’ e fresi con perfect’ ocelli. / Disotto terra son caverne e grotte, / tombe, sepulcri pitaphi et avelli.« Prospectivo melanese depictore, Antiquarie Prospetiche Romane, S. 18 f. Isellas dialektfreie Prosatranskription lautet: »Distante da qui, c’è un colle pineo di figure dipinte, tanto buono, o Leonardo nostro, che fa sudare i capelli a chiunque lo vede: meduse e arpie, priapi e mostri, driadi e amadriadi e ornamenti scenografici, che solo a copiarli resto senza inchiostro, leonze e caproni, tigri e satiri e orsi, dromedari con cammelli, begli
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Abb. 4.05: Bernardino di Betto di Biagio, genannt Pinturicchio, Grotesken als Rahmenwerk von Apostel- und Prophetendarstellungen, Detail, 1492–1494, Fresko, Appartamento Borgia, Palazzi Vaticani, Vatikanstadt © Bologna, Fototeca Zeri
zination zahlreicher Künstler für die Grotten thematisiert und deren Darstellungswelt mit dem Begriff grottesche gefasst: Zu jeder Jahreszeit seien die Grotten voll mit Malern und Meister Pinzino leite sie auf ihrem Weg an; vorbei an Kröten und Eulen, ausgestattet mit Proviant aus Früchten und Wein – um »più bizarri« zu sein – kriechen sie auf dem Bauch bis zu den Grotesken, »alle grottesche«.21 elefanti insieme a nobili viaggiatori, fogliami e fregi con splendidi uccelli. Sotto terra ci sono caverne e grotte, tombe, sepolcri, epitaffi e avelli.« Ebd. Eine englischsprachige lyrische Übersetzung des Gedichts liefert: Fienga, Doris Diana, The Antiquarie Prospetiche Romane Composte per Prospectivo Melanese Depictore. A Document for the Study of the Relationship Between Bramante and Leonardo da Vinci, Los Angeles 1971. 21 »Hor son spelonch’ e ruinate grotte / di stucco, di riliev’ o altri colori / di man di Cinabuba, Apell’ e Giotte. / D’ogni stagion son piene di pintori, / […] Andian per terra con nostre ventresche, / con pane, con presutto, poma e vino, / per esser più bizarri alle grottesche. / È ’l nostro guidarel mastro Pinzino / che ben ci fa abottare el viso e l’ochi, / parendo in ver ciascun spaza camino; / Et facci traveder botte, ranochi, / civette e barbaianni e nottoline, / rompendoci la schiena co’ ginochi.« Prospectivo melanese depictore, Antiquarie Prospetiche Romane, S. 28 f. Isellas dialektfreie Prosaübersetzung lautet: »Ora ci sono spelonche e grotte in rovina con stucchi, rilievi o pitture, di mano di Cimabue, Apelle, Giotto. In ogni stagione sono piene di pittori […]. Strisciamo sotto terra, sul ven-
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Das Interesse der Künstler Ende des Quattrocento an einem fantastischen Motivrepertoire und strukturellen Charakteristika des A-Mimetischen und Hybriden wurde freilich nicht schlagartig und alleinig von dem Wiederauffinden der antiken Grotesken geweckt; es wurde vielmehr durch die römisch-antiken Grotten bestärkt und nobilitiert und zugleich weiterhin etwa durch Figurenensembles und Funktionsmodi der Drolerien in mittelalterlichen Handschriften und Chorgestühlen gespeist.22 Mit ihren Fabelwesen wie Drachen und Monstern oder auch seltsamen Vogelwesen, Rittern und Liebespaaren an den Rändern von Kunstwerken, dienten Drolerien gerade auch als Elemente, die zum Staunen anregen, Bewunderung für die künstlerische Leistung hervorrufen und als intellektuell-ästhetischer Bildwitz eingesetzt werden konnten.23 Sowohl mit Blick auf die grottesche als auch die Drolerien lässt sich – ohne ihre Differenzen in den jeweiligen Funktions- und Bedingungszusammenhängen, historischen Verwurzelungen und Konkretisierungen verwischen zu wollen – beobachten, dass sie sich jenseits linearer Narrative entfalten, Heterogenes vermischen und im konkreten wie im übertragenen Sinn das Zentrum des dominanten Diskurses rahmen. In einer erhellenden Studie weist der Germanist Peter Fuß das Groteske mit seinen vielfältigen Facetten als Medium historischen und kulturellen Wandels aus, wobei er es als »Teil jener Ordnung« auffasst, »deren (immanente) Dekomposition es betreibt«.24 Das Groteske spiele mit »dichotomischen Rastern« von gut – böse, wahr – falsch, schön – hässlich usf., an denen »symbolische Ordnungsstrukturen« in einer Gesellschaft bzw. einem Diskurs oftmals ausgerichtet sind, und ersetze diese durch Mehrdeutigkeit bzw. Unbestimmtheit, verzerre und vermische, schaffe kreativen Freiraum und impliziere bzw. initiiere auf diese Weise Wandel.25 Eben diese Merkmale werden sich auch als zentral in der Analyse grotesker Ästhetik in der Lombardei des 16. Jahrhundert erweisen. Die Zusammengehörigkeit der unterschiedlichen Facetten und Phänomenbereiche, tre, con pane, prosciutto, frutta e vino, per esser più stravaganti, fino alle grottesche. La nostra minuscola guida È mastro Pinzino, che ci fa abbottare il viso e gli occhi, venendo ciascuno a sembrare uno spazzacamino. E ci fa intravedere rospi, ranocchi, civette, barbagianni e nottole, mentre ci rompiamo la schiena e le ginocchia.« Ebd. 22 Zur Interaktion von Grotesken und Drolerien siehe: Kanz, Roland, »Lachhafte Bilder. Sedimente des Komischen in der Kunst der frühen Neuzeit«, in: Das Komische in der Kunst, hg. v. dems., Köln / Weimar / Wien 2007, S. 26–57, S. 34 f. 23 Siehe: Grebe, Anja, »An den Rändern der Kunst. Drolerien in spätmittelalterlichen Stundenbüchern«, in: Komik und Sakralität, hg. v. ders. und Nikolaus Staubach, Frankfurt am Main 2009, S. 164–178. Zur Komik der Drolerien im sakralen Raum siehe auch: Gvozdeva, Katja / Röcke, Werner, »Performative Kommunikationsfelder von Sakralität und Gelächter«, in: Risus sacer – sacrum risibile. Interaktionsfelder von Sakralität und Gelächter im kulturellen und historischen Wandel, hg. v. dens., Bern 2009, S. 9–22, S. 10 f. 24 Siehe: Fuß, Das Groteske, S. 14 (für das Zitat), sowie hier v. a. auch S. 12 f., 108 f. 25 Fuß, Das Groteske, S. 13 und Anm. 6 (für die Zitate) sowie S. 12–18.
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die dabei in den Blick genommen werden, wird durch gemeinsame Motive sowie Strukturmerkmale des Abweichens und Biegens von Normen – etwa in der kritischen Auseinandersetzung mit Konzepten des Schönen bzw. der Inversion figurativer Schönheit –, durch Erosionen oben genannter Dichotomien und Divergenzen zur Mimesis-Maxime bzw. konventionellen imitatio-Lehren sowie durch die Einforderung bzw. Inanspruchnahme künstlerischer Lizenzen, aber ebenso durch ein gemeinsames historisches Beschreibungsvokabular bedingt.26 Abweichungen von Normen werden hier im Sinne eines In-Bewegung-Bringens von Normen in den Blick genommen, als Variationen, Inversionen, Destabilisierungen bzw. kritisches Hinterfragen – etwa der Binarität von schön und hässlich.27 Mitunter werden in bestimmten Funktions- und Bedingungszusammenhängen allerdings auch Aspekte grotesker Ästhetik ihrerseits zum Modell werden und bedeutende, mithin beinahe normierende Maßstäbe setzen. Um die Struktur der zu beobachtenden Wissensformierungen und Aushandlungsprozesse zu fassen, wird der analytische Blick auf die unterschiedlichen Fallbeispiele grotesker Ästhetik in diesem Kapitel durch das Konzept figuralen 26 Zur Korrelation von Norm und Abweichung in Bild- und Dichtkünsten Norditaliens während des Cinquecento vgl. auch Alessandro Novas anregenden Beitrag zu Teofilo Folengos komisch-burlesker Dichtung und der Kunst Romaninos. Nova nimmt dort anhand der Reibung ›antiklassischer‹ und ›klassischer‹ Formsprachen künstlerische Pluralität in den Blick. Als antiklassisch gilt dabei, was den Regeln des klassischen Kanons der Hochrenaissance widerspricht, die innerhalb der Questione della lingua federführend von Pietro Bembo eingefordert wurden. In der vorliegenden Studie grotesker Ästhetik in Reibung mit Normen wird allerdings von oppositionellen Begriffspaaren wie antiklassisch und klassisch als zwei gleichbleibenden Polen abgesehen und groteske Ästhetik als ein Explorationsfeld konturiert und mit dem Analyseinstrument figuraler Wissensformierungen wissensgeschichtlich beleuchtet. Siehe zu Novas Beitrag: Nova, Alessandro, »Folengo und Romanino. Die Questione della lingua und ihre exzentrischen Positionen (1994)«, in: ders., Bild / Sprachen. Kunst und visuelle Kultur in der italienischen Renaissance, hg. von Matteo Burioni, Katja Burzer, Sabine Feser, Hana Gründler und Victoria Lorini, Berlin 2014, S. 45–82. Siehe als bündige Skizze der umfangreichen Forschungsliteratur zur Questione della lingua: Regn, Gerhard, »Manierismus: Kritik eines Stilbegriffs«, in: Manierismus. Interdisziplinäre Studien zu einem ästhetischen Stiltyp zwischen formalem Experiment und historischer Signifikanz, hg. v. Bernhard Huss und Christian Wehr., Heidelberg 2014, S. 19–44, S. 30. Vgl. auch Stephen Campbells Reflexionen auf die Questione della lingua innerhalb seiner kunsthistorischen Betrachtung von bildkünstlerischer, stilistischer Pluralität und Prozessen der Kanonformierung entlang der in der historischen Selbstbeschreibung wie auch in der kunsthistorischen Erforschung des 16. Jahrhundert dominanten ›Achse‹ Florenz – Rom – Venedig: Campbell, Stephen J., The Endless Periphery. Toward a Geopolitics of Art in Lorenzo Lotto’s Italy, Chicago / London 2019, S. 22 ff. 27 Zur Definition von Norm siehe: Grassi, Luigi / Pepe, Mario, Dizionario dei termini artistici, Mailand 1994, S. 584. Dort wird die (kunsttheoretische) Norm bündig als »principio operativo«, v. a. aber als Urteilsregel, »regola di giudizio«, und »modello« gefasst – »originalmente modello e misura dell’angolo retto«.
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Wissens geschärft.28 In kritisch reflektierter Auseinandersetzung mit dem prominenten Beitrag zur figura von dem Romanisten Erich Auerbach finden sich seit Mitte der 2000er-Jahre mehrere einschlägige Studien aus unterschiedlichen geistes- und geschichtswissenschaftlichen Zusammenhängen, die das Analysepotential von Konzepten wie Figur, Figuration und Figuralität ausloten und in Anschlag bringen.29 Für den vorliegenden Zusammenhang sind insbesondere jene Ansätze und Perspektiven inspirierend, die die ästhetischen Dimensionen des figura-Spektrums erörtern, dabei die Bildhaftigkeit und Prozessualität, die konfigurativen Qualitäten und die Wandelbarkeit gestalthafter Zeichen fokussieren sowie die »Produktivität des Wechselspiels von Figuration und Defiguration« eruieren.30 Die strukturelle Prozessualität des Ab- und Umwendens, des De- und Refigurierens sowie der Analogiebildungen prägen schließlich auch das 28 Mit diesem Analysekonzept wird dezidiert an die Begrifflichkeit und Forschungsperspektive einer Jahrestagung des SFB 980 Episteme in Bewegung im Juli 2015 im Berliner Bode-Museum angeschlossen, die unter der Leitung von Anne Eusterschulte und Klaus Krüger konzipiert wurde: »Figurales Wissen. Medialität, Ästhetik und Materialität von Wissen in der Vormoderne«. Der Titel der Tagung markiert die besondere Relevanz der Denkfigur »figuralen Wissens« für die wissensgeschichtliche Untersuchung vormoderner Gegenstände bzw. Phänomenbereiche, da mit ihr die Aufmerksamkeit auf die spezifische mediale und materiale Gefasstheit von Wissen gerichtet wird. Zu dieser Tagung ist eine Publikation in Arbeit: Eusterschulte, Anne / Helffenstein, Iris / K rüger, Klaus / Reufer, Claudia (Hgg.), Figurales Wissen. Medialität, Ästhetik und Materialität von Wissen in der Vormoderne, erscheint vorauss. 2021 im Verlag Harrassowitz, Wiesbaden. Mein Vortrag in einer der Workshopsessions der Tagung am 03. Juli 2015 ist in das vorliegende Kapitel integriert und trug den Titel: »Belle bruttezze & pitture ridicole. Vom Figurieren des Grotesken und Komischen im kunsttheoretischen Diskurs der Lombardei im Cinquecento«. Zudem liegt bereits ein Bericht zur Tagung vor, den ich gemeinsam mit Sarah Fallert und Claudia Reufer erstellt habe und der online einsehbar ist unter: http://www.sfb-episteme. de/Listen_Read_Watch/berichte/jahrestagung-2015/index.html (zuletzt eingesehen am 30.11.2020). 29 Zur Begriffsgeschichte der figura mit Fokus auf die hellenistisch-römische Rhetorik sowie Figuralität des Alten Testaments und ihre realprophetische Dimension siehe: Auerbach, Erich, »Figura«, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Romanischen Philologie, hg. v. Matthias Bormuth und Martin Vialon, Bern 1967, S. 53–92. Für eine konzise und pointierte Skizze der kritischen Rezeption von Erich Auerbachs figura-Aufsatz und der interdisziplinären Auseinandersetzungen mit Konzepten von Figur, Figuration und Figuralität siehe: Kiening, Christian, »Einleitung«, in: Figura. Dynamiken der Zeiten und Zeichen im Mittelalter, hg. v. dems. und Katharina Mertens Fleury, Würzburg 2013, S. 7–20. 30 Zum Zitat siehe: Krüger, Klaus, »Figuren der Evidenz. Bild, Medium und allegorische Kodierung im Trecento«, in: Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Peter Strohschneider, Berlin / Boston 2009, S. 904–929, S. 908 (zum Zitat), aber auch S. 906; siehe ebenfalls: Brandstetter, Gabriele / Peters, Sibylle, »Einleitung«, in: De Figura. Rhetorik – Bewegung – Gestalt, hg. v. dens., München 2002, S. 7–31, S. 9 f.; Boehm, Gottfried, »Die ikonische Figuration«, in: Figur und Figuration. Studien zu Wahrnehmung und Wissen, hg. v. dems., Gabriele Brandstetter und Achatz von Müller, München 2007, S. 33–54, S. 34 f., 38; Kiening, »Einleitung«, S. 15.
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Relationieren von Normen und Abweichungen im Phänomenbereich grotesker Ästhetik, wie sich zeigen wird. Anregend für die nachfolgenden Analysen bild- und dichtkünstlerischer Werke grotesker Ästhetik ist in dieser Hinsicht auch Georges Didi-Hubermans Beobachtung zu dem der Figur eignenden Modus der »Defiguratio«, der »Unähnlichkeit«, dessen »außerordentliche Wirksamkeit« eben gerade »weniger in der Repräsentation« bestehe, »als in der Störung der repräsentationalen Ordnung, auf die sie [die Defiguratio] sich doch anfangs sogar eingelassen hatte«.31 Hinsichtlich der Fragen nach epistemischen Qualitäten und Potentialen der in diesem Kapitel betrachteten figuralen Wissensformierungen ist allerdings auch Didi-Hubermans Anmerkung von Interesse, dass gerade frühneuzeitlich mit Beginn der Renaissance und maßgeblich mit den Schriften Leon Battista Albertis die ›figurale‹ Virtualität – sprich die Potenz latenten Sinns bzw. epistemischer Unbestimmtheit in der Figur – durch die Verengung der figura weg vom Figuralen hin zum figurativen, mimetischen, abbildenden, eindeutigen, transparenten Sinn verdeckt worden sei.32 In diesem Zuge sei eine figural – auch im Sinne von typologisch – produktive figura, wie sie bspw. im Catholicon (1286) des Genuesen Giovanni Balbi erläutert wurde, allmählich verschüttet worden: in Balbis Wörterbuch, das im 15. Jahrhundert eines der ersten gedruckten Bücher war und bis ins 16. Jahrhundert weite Verbreitung fand, werden figurare und defigurare miteinander verschränkt präsentiert und der »Akt der Darstellung« darin gesehen, »›den Sinn [dessen, was bezeichnet werden soll] in eine andere Figur zu übertragen‹ (in aliam figuram mutare)«, um so den »Wesenskern über Umwege« zu erfassen bzw. sich ihm anzunähern.33 Die Fallbeispiele frühneuzeitlicher grotesker Ästhetik in der Lombardei werden nun allerdings zeigen, dass das Figurale als Prinzip und Prozess des De- und Refigurierens bzw. verweisreichen Konfigurierens auch im 16. Jahrhundert weiterhin seine Wirkungsbereiche hatte und kunsttheoretische Texte im Zusammenhang mit Themen der grotesken Ästhetik damit umzugehen suchten. Mit der Untersuchung der im Folgenden betrachteten Kunstwerke bzw. Phänomene grotesker Ästhetik, ihrer Grundprinzipien, epistemischen Dimensionen und ihres epistemologischen Status als figurale Wissensformierungen verbin31 Didi-Huberman, Georges, »Von den Mächten der Figur. Exegese und Visualität in der christlichen Kunst (1990)«, in: Bildtheorien aus Frankreich. Eine Anthologie, hg. v. Emmanuel Alloa, München 2011, S. 273–304, S. 293. 32 Siehe: ebd., S. 286; vgl. auch: Cole, Michael W., Leonardo, Michelangelo, and the Art of the Figure, New Haven / London 2014, S. X f. 33 Siehe: Didi-Huberman, »Von den Mächten der Figur«, S. 287. Zur Rezeption und Drucklegung des Catholicon siehe auch: Nova, Alessandro, »Konservative Theorie und innovative Praxis: Die Franziskaner-Observanten und die Kunst«, in: Mittelalter und Moderne. Entdeckung und Rekonstruktion der mittelalterlichen Welt, hg. v. Peter Segl, Sigmaringen 1997, S. 197–206, S. 203 f.
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den sich zwei miteinander verbundene Aufmerksamkeitsschwerpunkte: Zum einen wird ein Fokus auf die Gestalthaftigkeit von Wissen gelegt, sprich auf die materiale und mediale Verfasstheit von epistemischen Konfigurationen und Aushandlungsprozessen von Geltungsansprüchen.34 Zum anderen werden immanente figurale Verweisstrukturen und Wandlungsprozesse im Spannungsverhältnis von Normen und Abweichungen, das Wechselspiel von Figurieren, De- und Refigurieren bzw. Transfigurieren in den Blick genommen und Wissen als Relationsgefüge untersucht. Den Auftakt der Fallstudien bilden dabei seit den 1490er-Jahren in bemerkenswert mannigfacher Zahl entstandene Zeichnungen, Gemälde, Fresken und druckgraphische Werke grotesk-deformer Figurenbüsten bzw. Köpfe. Mittels einer temporeichen, suggestiven Reihung und Kombination von Beispielen werden unterschiedliche Spielarten und Funktionsweisen grotesker Köpfe aufgefächert. Verschiedene Iterationsdynamiken und ein hohes Maß an Kreativität und Forscherdrang sowie vielseitige Erkenntnisinteressen treten zutage, die sich in den Konfigurierungen grotesker Köpfe manifestieren. Dadurch wird die Virulenz, figurale Virtualität und epistemische wie auch ästhetische Produktivität des Darstellungskomplexes deutlich.
4.1 Visi mostruosi – Groteske Köpfe in Zeichnung, Druckgraphik und Malerei Auf einem kleinen Papierschnipsel ist die Zeichnung eines Lachenden Mannes mit buschigem Haar erhalten, die Leonardo da Vinci mit Feder und brauner Tinte erstellte (Farbtafel 46).35 Die Büste des Mannes ist leicht schräg in den Bildraum fluchtend dargestellt, während sein Kopf nach links ins Profil gewandt ist – ein Profil, das durch eine große, weit vorragende, krumme Nase und ein auffällig langgezogenes Kinn besticht. Der Mann hat seinen Mund weit geöffnet und die Mundwinkel und Lippen zu einem großen Lachen nach hinten gezogen, wodurch seine spitzen Zähne sichtbar werden. Lange, dicke, tintenreiche Linien evozieren tiefe Falten um den Mundwinkel, an der Oberlippe und um das zusammengekniffene rechte Auge und es entsteht der Eindruck, dass der Mann augenscheinlich lauthals lacht. Das Lachen verzerrt sein Gesicht stark. Dabei setzen sich die Profillinie und zackige Zahnreihe sowie die zusammengeknif-
34 Vgl. zu diesen Aspekten auch den Audio-Mitschnitt von Anne Eusterschultes Einführungsvortrag in die unter Anm. 28 erwähnte Tagung des SFB 980, abrufbar unter: http:// www.sf b-episteme.de/Listen_Read_Watch/Audiomitschnitte/JT2015/eusterschulte_ introduction/index.html (zuletzt abgerufen am 30.11.2020). 35 Die Zeichnung lässt sich laut Carmen Bambach auf die späten 1490er-Jahre oder um 1508 datieren. Siehe: Bambach, »Leonardo da Vinci. Laughing Man«, S. 451 f.
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fene Augenpartie markant von den unbearbeiteten Bereichen des weißbeigen Zeichengrundes ab. Kurze, halbrunde, weniger tintenreiche Linien gestalten derweil einen voluminösen, krausen Haarschopf. Schnell ausgeführte, parallel gesetzte Tintenstriche über Gesicht, Haare und Schulterbereich hinweg und bis in den räumlich undefinierten Bildgrund hineinragend durchbrechen die Formgrenzen und verstärken den lebhaften, expressiven Gesichtsausdruck, der sich an der klar konturierten Profillinie mit der Grimasse des Lachens kondensiert. Mittels unterschiedlicher Arten der Linienführung und Tintendichte kommt so eine Figur zur Darstellung, die dem Affekt des Lachens offenbar unkontrolliert freien Lauf lässt. Der Grund des ungezähmten Lachens ist jedoch nicht sichtbar und bleibt der Imagination der Betrachtenden überlassen.36 Das physiognomisch wie mimisch deforme, verzerrte und in diesem Sinne groteske Porträt des mit weit aufgerissenem Mund lachenden Mannes konterkariert im für repräsentative Porträts etablierten Format des halbfigurigen Profilbildes rinascimentale Schönheitsideale des ausgewogenen, oftmals gemäß des goldenen Schnitts proportionierten Profils (Abb. 2.16).37 Dabei zeugen Faktur und Gestaltgebung des Bildes vom kreativen und wissbegierigen Explorieren der menschlichen Figur, der Erkundung des Sichtbarwerdens bzw. der visuellen Spuren starker Emotionen und dem Austesten der – beweglichen – Grenzen von Naturnachahmung und fantastischer Figuration. Das kreative, spannungsreiche und vielfältige Defigurieren idealschöner Profillinien und wohlgeordneter Gesichtsproportionen bzw. das Konfigurieren dezidiert unschöner, deformer, eigensinniger, alternder und / oder emotional stark bewegter Figuren wird auch auf einem Zeichnungsblatt aus Leonardos Mailänder Umfeld pointiert vor Augen geführt (Abb. 4.06). Im engen Austausch mit Darstellungen des toskanischen Meisters sind auf diesem Blatt drei schön geformte, faltenlose, junge Figuren im Profil zu sehen, wie sie etwa auch in Luca Paciolis De divina proportione vorgeführt werden (Abb. 2.16). Gegenüber bzw. hinter diesen Profilstudien sind zwei deforme, faltige, ältere Köpfe ebenfalls im Profil gezeichnet. Die zwei ausgewogenen Profilstudien am linken Bildrand sind beinahe ohne Schattierungen mit alleinigem Fokus auf das Verhältnis von Auge zu Nase zu Mund zu Kinn mit geschlossenem Mund und ausdrucksarmer Mimik dargestellt und gleichen sich sehr – abgesehen von minimalen Unterschieden in ihrer Gesamtgröße, der Dicke der Augenbrauen und der Wölbung des Adamsapfels. Das dritte schöne Profil ist auf Nase und Mundpartie reduziert 36 Wie eingangs erwähnt, ist die Zeichnung – gemeinsam mit mehreren anderen kleinformatigen Zeichnungen menschlicher Büsten von der Hand Leonardos – nur noch als Schnipsel eines größeren Zeichenblattes erhalten und dementsprechend aus der ursprünglichen Bildkomposition herausgeschnitten, deren Rekonstruktionsmöglichkeiten weiter unten noch thematisiert werden. 37 Zum goldenen Schnitt siehe Kapitel 2.2 und 2.3.1.
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Abb. 4.06: nach Leonardo da Vinci, Studien wohlgeformter und deformer Profile, Zeichnung, Feder und braune Tinte / Papier, 166 × 198 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, F 263 inf., f. 98 © Veneranda Biblioteca Ambrosiana
und mit Binnenschattierungen versehen. Zwischen den drei platziert sticht das kleinformatige, fein durchgearbeitete Profil einer älteren Person hervor, deren tiefliegendes, verschattetes Auge, krumme, spitze Nase, herabhängende, faltige Wange, lippenloser Mund, flaches Kinn und speckiger Hals mit den schönen jungen Figuren kontrastiert. Am rechten Bildrand ist schließlich eine weitere detaillierte und durch Schattierungen plastisch ausgearbeitete Figur zu sehen, die sich von den schönen linearen Profilen abhebt. Es ist die vergleichsweise großformatige Büste eines kahlköpfigen, rundlichen, älteren Mannes, der mit offenem Mund lacht, so dass seine Zunge sichtbar wird. Seine Nase ist bucklig, sein Kinn weit vorstehend, sein Hals kurz und speckig. Der maßvollen Schönheit der repräsentativen Profillinien stehen somit lachende, faltige, unförmige und zugleich zeichnerisch sehr viel aufwendiger modellierte Profile älterer Männer gegenüber. Leonardo notierte in Mailand im Einklang mit einer solchen Zeichnung, dass das Schöne und Hässliche miteinander gepaart mächtiger und wirksamer durch das jeweils andere erscheinen: »Le bellezze con le brutezze
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paino piu potenti l’una per l’altra.«38 Dies kann sich offenbar einerseits auf die Kombination schöner und unschöner Figuren auf einem Zeichnungsgrund beziehen und andererseits auf die kunstvolle, schöne Gestaltung grotesker Figuren. Ab den 1490er-Jahren zeichneten Leonardo und die Künstler seines engeren wie auch weiteren Mailänder Umfeldes zahlreiche kleinformatige, äußerlich dezidiert nicht wohlproportioniert schöne, eigenartige und einprägsame Köpfe bzw. Büsten.39 In einer der im Codex Urbinas Latinus 1270 enthaltenen Passagen seines geplanten Malereilehrbuchs erläutert Leonardo die Art und Weise, wie Künstler sich die Gestalt eines Gesichts in Erinnerung halten sollen.40 Man solle viele verschiedene Köpfe, Augen, Nasen, Münder, Kinnformen, Hälse und Schultern studieren und sich einprägen. So könne man bspw. ein Repertoire an Nasenformen erstellen – gerade, krumme, nach oben oder nach unten weisende, spitze, runde, Adlernasen, breitflüglige, knubbelige usf. Man solle die verschiedenen Gesichtspartien in ihrer mannigfaltigen Erscheinung nach der Natur zeichnen (»ritrare di naturale«) und verinnerlichen (»metterle a mente«).41 Falls man dann in bestimmten Situationen nur wenig Zeit für das Zeichnen eines Gesichts nach dem Leben habe, solle man ein kleines Büchlein mit unterschiedlichen Nasen- oder bspw. auch Mundformen mit sich führen, in dem man auf die Schnelle die für das betreffende Gesicht passenden Merkmale markieren könne, so dass man das Gesicht anschließend zuhause in Ruhe zeichnen könne. Bemerkenswerterweise schließt Leonardo diese Passage mit dem Verweis, dass er zum Vorgehen beim Zeichnen von visi mostruosi, ›monströsen‹ Gesichtern, nichts weiter erklären werde, denn die prägen sich ganz ohne Mühe sofort und nachdrücklich im Gedächtnis ein: »De’ visi mostruosi non parlo perchè sanza fatica si tengono a mente.«42 Vom Studium und Konfigurieren solch einpräg38 Lionardo da Vinci, Das Buch von der Malerei, nach dem Codex Vaticanus Urbinas 1270, hg. v. Heinrich Ludwig, Bd. 1, Wien 1882, Nr. 139, S. 182. 39 Siehe zu Leonardos Zeichnungen grotesker Köpfe generell: Gombrich, Ernst H., »The Grotesque Heads«, in: ders., The Heritage of Apelles. Studies in the art of the Renaissance, Oxford 1976, S. 57–75; Kwakkelstein, Michael W., »Leonardo da Vinci’s Grotesque Heads and the Breaking of the Physiognomic Mould«, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 54 (1991), S. 127–136; Clayton, Martin, Leonardo da Vinci. The Divine and the Grotesque, London 2002. 40 Die Passage unter dem Titel Del modo del tenere in mente la forma d’un volto findet sich im Codex Urbinas Latinus 1270, fols. 108v–109r, zitiert nach: Bambach, »Leonardo da Vinci. Laughing Man«, S. 454; siehe auch: Richter, Jean Paul (Hg.), The Notebooks of Leonardo da Vinci. Compiled and edited from the original manuscripts, Bd. 1, New York 1970, S. 288, Nr. 572; Richter, The Notebooks of Leonardo da Vinci, S. 288, Nr. 572; Lionardo da Vinci, Das Buch von der Malerei, Nr. 290, S. 312. 41 Ebd. 42 Ebd. Carmen Bambach weist zu Recht daraufhin, dass die visi mostruosi nicht mit Karikaturen ineins gesetzt werden können: »Leonardo’s term for these types of grotesquely deformed faces was visi mostruosi (the relatively modern term ›caricature‹ is therefore not
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samer visi mostruosi zeugen neben den bereits besprochenen Zeichnungen auch die folgenden Fallbeispiele. In der Zeichnung einer Alten Frau mit Haube und Rose im Dekolleté (Abb. 4.07) stellt Leonardo eine Frau im Profil dar, deren Hinterkopf unverhältnismäßig in die Länge gezogen ist.43 Verstärkt wird diese entstellte Form durch die Kopfbedeckung, eine Art Haube mit einem Ornament am vorderen und einem Schleier am hinteren Rand. Doch auch das Gesicht der Frau ist auffällig gestaltet. Mit großem Abstand zur Nase ist der Mund quasi lippenlos eingefallen, die Mundwinkel hängen schlaff herab und das weit nach hinten versetzte Kinn ist vergleichsweise winzig. Die Wangen sind faltig, das Ohr ist abgeknickt, die Nase hat einen kantigen Höcker und das Stirnbein ist nach vorn gewölbt. Ebenso unförmig sind der bucklige Nacken, die hängende Schulter und das faltige Dekolleté. Zugleich ist die Frau in ein tief ausgeschnittenes enges Mieder gekleidet und zwischen ihren Brüsten steckt eine Blume. Die Kompositionsform und Kleidung, die für Porträts junger, eleganter Frauen üblich war, reiben sich hier mit Alter, Anatomie, Physiognomie und Mimik der Dargestellten, invertieren Darstellungsgewohnheiten und kommentieren diese komisch-humorvoll mit einer Blume im faltigen Ausschnitt der grotesken Dame. Erneut werden Abweichungen von Konventionen erprobt, die nicht nur einen komischen, sondern auch einen kritischen Impetus ins Bild zu setzen vermögen. Während das Gelächter und die Aufmachung der grotesken Figuren der soeben besprochenen Zeichnungen gemäß der frühneuzeitlichen rezeptionsästhetischen Vorstellungen ›des Lachens mit den Lachenden und Weinens mit den Weinenden‹ für Erheiterung sorgen konnten und können, ist nicht jedem der grotesk deformen Köpfe per se eine komische Dimension inhärent.44 Ein entirely apt).« Bambach, »Leonardo da Vinci. Laughing Man«, S. 451. Siehe zu Karikaturen sehr ausführlich: Berra, Giacomo, »Il ritratto ›caricato‹ in forma ›strana, e ridicolosa, e con tanta felicità di somiglianza‹. La nascita della caricatura e i suoi sviluppi in Italia fino al Settecento«, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, 53/1 (2009), S. 73–144. 43 Vgl. zu dieser Zeichnung: Bambach, Carmen C., »Leonardo da Vinci. Old Woman with Horned Head Dress, Wearing a Carnation, in Bust-Length Profile«, in: Leonardo da Vinci. Master Draftsman, hg. v. ders., New York / New Haven 2003, Katalog-Nr. 72, S. 457–458. 44 Das ›Lachen mit den Lachenden‹, sprich die Affizierung der Betrachtenden durch die affezioni der Bildfiguren, wurde im kunsttheoretischen Diskurs prominent von Leon Battista Alberti in seinem Buch De Pictura / Della Pittura (1435/36) und im Rekurs auf antik-römische Rhetoriklehren wie die Ciceros und Quintilians erläutert. Alberti schrieb: »Poi moverà l’istoria quando gli uomini ivi dipinti molto porgeranno suo proprio movimento d’animo. Interviene da natura, quale nulla più che lei si truova capace di cose a sé simile, che piagniamo con chi piange, e ridiamo con chi ride, e doglianci con chi si duole.« Alberti, Leon Battista, Della Pittura. Über die Malkunst, hg., eingel., übers. und komment. v. Oskar Bätschmann und Sandra Gianfreda, Darmstadt 20023, S. 130 f. Kondensiert findet sich diese Ansicht schließlich auch in Lomazzos Trattato dell’arte della pittura: »[U]na pittura rappresentata […] con moti al naturale ritratti farà senza dubbio ridere con
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Abb. 4.07: Leonardo da Vinci, Groteske alte Frau mit Haube und Rose im Dekolleté, 1489/1490, Feder und braune Tinte / Papier, 6,4 × 5,2 cm, The Woodner Collections, Leihgabe an die National Gallery of Art, Washington, inv. 74585 © private collection
Beispiel hierfür sind die miteinander verwandten roten Kreidezeichnungen einer Alten Person aus den Sammlungen der Hamburger Kunsthalle und Biblioteca Ambrosiana (Farbtafeln 47 und 48).45 Leonardo und etwas später vermutlich chi ride[.]« Lomazzo, Giovan Paolo, »Trattato dell’arte della pittura, scoltura ed architettura (1584)«, in: ders., Scritti sulle arti, hg. v. Roberto Paolo Ciardi, Bd. 2, Florenz 1974, S. 9–631, S. 95. Siehe weiterführend zu dieser kunsttheoretischen Debatte Kapitel 4.4.1. Vgl. zur nicht komischen Dimension mancher der Zeichnungen grotesker Köpfe von der Hand Leonardos auch: Kanz, »Lachhafte Bilder«, S. 51. 45 Für eine sehr ausführliche Analyse dieser Zeichnung und die medizinisch-anatomischen wie auch künstlerisch-ästhetischen Wissensbestände, die in ihr sichtbar werden, siehe: Cazzola-Senkpiel, Fabiana, »Formen Pathognomischen Experimentierens in Leonardo da
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Francesco Melzi zeichneten auf diesen beiden Blättern jeweils einen alten Menschen, der Kopf und Blick nach oben gerichtet hat, dessen beinahe zahnloser und lippenloser Mund leicht geöffnet ist und dessen langes, dickes Kinn weit nach vorne ragt. Die Wangen sind stark eingefallen, der Hals ist wulstig, Sehnen und Muskeln sind deutlich sichtbar und ein scheinbar von hinten kommender Windhauch hat das dünne Haar über die Stirn gekämmt. Die in Kapitel 3.2 ausführlich besprochenen materialästhetischen Charakteristika der roten Kreide sind auch in diesen beiden Zeichnungen pointiert zur plastischen und eindringlichen Modellierung der Unebenheiten des Gesichts, der Knochen, Muskeln, Sehnen und Falten, kurz der Physiognomie und Mimik sowie Konfiguration eines Gemütszustands eingesetzt. Leonardo drückte in seiner Zeichnung (Farbtafel 47) die Kreide gerade auch dort besonders nachdrücklich auf, wo Nase und Oberlippe auf ungewöhnliche Art und Weise konturlos ineinander übergehen und die Nasen-Mund-Kinnpartie groteske Gestalt annimmt. Diese Figur jenseits idealschöner Profilierung ist weder in einem Lachanfall noch in lächerlicher Lustlosigkeit dargestellt, sondern erscheint ergriffen, bewegt und insbesondere in Leonardos Zeichnung durch und durch lebendig – nicht zuletzt aufgrund der Kodifizierung roter Kreide und der schnell ausgeführten, diagonal von links oben nach rechts unten verlaufenden parallelen Schraffur über den Kopf hinweg, wodurch die Bewegtheit der Figur mit ihrem nach oben gerichteten verwunderten oder auch flehenden Blick intensiviert wird. Die fein säuberliche Schattierung in der Zeichnung der Ambrosiana (Farbtafel 48) hinterlässt hingegen einen sehr viel statischeren Eindruck. In beiden Fällen jedoch konfiguriert die Deformierung kein komisch-ridikülisierendes Porträt, sondern eine ergriffene und ergreifende alte und gezeichnete Person. Die bisherigen Beispiele zeigen bereits vielfältige wirkungsästhetische Effekte der visi mostruosi auf, die Leonardo auch schriftlich reflektierte. Wenn der Maler Schönheiten zum Verlieben sehen wolle, so notiert Leonardo, sei er Herr darüber, sie zu erzeugen; und wenn er Monströses sehen wolle, das Schrecken hervorrufe oder narrenhaft albern oder lächerlich oder wahrlich mitleidserregend sei, so sei er Herr und Gott darüber, solches zu erschaffen.46 Das Monströse Vincis Zeichnungen. Medialität, Materialität und Ästhetik eines Wissens um das Affektive«, in: Ars – Visus – Affectus. Visuelle Kulturen des Affektiven in der Frühen Neuzeit, hg. v. Anna Pawlak, Lars Zieke, Isabella Augart, Berlin / Boston 2016, S. 203–214, S. 203–207. Für einen Überblick der Forschungsliteratur zu dieser Zeichnung siehe David Klemms Eintrag im Online-Werkkatalog der Hamburger Kunsthalle: http://www.hamburgerkunsthalle.de/sammlung-online/leonardo-da-vinci/kopf-eines-alten-mannes-odereiner-alten-frau-im-profil (zuletzt eingesehen am 15.1.2017). 46 »Se’l pittore vol vedere bellezze che lo innamorino, lui è signore di generarle, et se vol vedere cose mostruose che spaventino o che sieno bufonesche, e risibili o veramente compassionevole, lui ne signore et Dio.« Zitiert nach: Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 194 (mit englischer Übersetzung, ebd., S. 195).
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kann gemäß Leonardos Notiz und Zeichnungen somit sowohl erschrecken und überraschen, als auch komisch sein und zum Lachen bringen, und ebenfalls Mitleid erregen. Etymologisch bedeutet das mostruoso dabei nicht nur etwas Ungeheuerliches, sondern ist verwandt mit der Vorstellung vom Wunderzeichen (lat. monstrum = Wunderzeichen, Wunder, Ungeheuer), von etwas, das Neugier weckt und Wissensdrang auslöst.47 Stefano Benassi vollzieht in seiner Studie zum »brutto« und den Grenzen des »sapere umanistico« auch die epistemischen Potentiale des Hässlichen als Unterkategorie des Monströsen nach und erläutert dabei, dass das »brutto, visto sub speciem della mostruosità« frühneuzeitlich als eine besondere und wichtige Dimension des Erkenntnisprozesses aufgefasst wurde.48 Diese epistemische Valenz und Funktion kennzeichnet auch die Zeichnungen der visi mostruosi, mit denen Künstler experimentieren, Schönheits- und Verhaltensnormen sowie Darstellungsdispositive de- und refigurieren konnten, unterschiedliche Modi des Abweichens – gerade auch des verisimile (sprich der »Regelhaftigkeit des in der Natur Möglichen«) – erproben und immer wieder neue eindrucksvolle, semantisch wie wirkungsästhetisch vielseitige Figuren erschaffen konnten.49 Prozesse, wie das Sichtbarwerden extremer emotionaler Zustände, unkontrollierten Lachens sowie des Alterns und der physiognomischen wie anatomischen Verformungen werden thematisiert, künstlerisch hochwertig zur Darstellung gebracht, oft überzeichnet und zur Diskussion gestellt.50 Zugleich konnten die kleinformatigen und – wie sich anhand der folgenden Beispiele noch zeigen wird – vielfach iterierten Zeichnungen Leonardos von grotesken Köpfen Teil didaktischer Übungen zur Erkundung 47 Vgl. hierzu: Benassi, Stefano, »Il brutto e l’ignoto: confini del sapere umanistico«, in: Disarmonia bruttezza e bizzarria nel rinascimento, hg. v. Luisa Secchi Tarugi, Florenz 1998, S. 347–366, S. 358; Lazzarini, Elena, »Wonderful Creatures: Early Modern Perceptions of Deformed Bodies«, in: Oxford Art Journal, 34/3 (2011), S. 415–431. Aus dem frühneuzeitlichen Quellenmaterial sei auf eine lezzione Benedetto Varchis verwiesen, die dieser 1548 an der Accademia Fiorentia hielt und die erstmals 1560 unter dem Titel Della generazione de’ mostri publiziert wurde. Der Florentiner Literat erörtert den Begriff der mostri u. a. über den Wortstamm mostrare (zeigen), weshalb unter Monstern letztlich all jene Dinge und Wesen zu fassen seien, die etwas Ungewöhnliches quasi zukunftsweisend aufzeigen. Siehe: Varchi, Benedetto, »Della generazione de’ mostri (1548)«, in: Opere di Benedetto Varchi ora per la prima volta raccolte, Trieste 1858, S. 662. Varchis lezzione über Monster sowie der frühneuzeitliche Begriff des Monsters werden noch einmal unter Kapitel 4.3.3 thematisiert. 48 Benassi, »Il brutto e l’ignoto«, S. 358. 49 Zum Zitat siehe: Thimann, Michael, Lügenhafte Bilder. Ovids favole und das Historienbild in der italienischen Renaissance, Göttingen 2002, S. 45. 50 Zu unterschiedlichen Funktionen der Zeichnungen als belustigende und / oder ernsthafte physiognomische Studien sowie als Oppositionsentwürfe zu Studien idealer Proportionen siehe auch: Fusenig, Thomas, Liebe, Laster und Gelächter. Komödienhafte Bilder in der italienischen Malerei im ersten Drittel des 16. Jahrhundert, Bonn 1997, S. 38–41.
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Abb. 4.08: Francesco Melzi nach Zeichnungen Leonardos, Fünf groteske Figurenbüsten, Federzeichnung, 18 × 12 cm, 1510erJahre – Mitte 16. Jahrhundert ca., Gallerie dell’Accademia, Venedig, inv. 229 © G. A.VE Archivio fotografico – Su concessione del Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo – Gallerie dell’Accademia di Venezia
menschlicher Physiognomien und Proportionen sein.51 Bewusst offen bleibt derweil, wo genau die Grenzen zwischen Naturbeobachtung, Imagination des Künstlers und variierender Iteration anderer bildkünstlerischer Modelle ver51 Siehe zur didaktischen Funktion der Zeichnungen: Bambach, »Leonardo da Vinci. Laughing Man«, S. 451, 453 f. Auch Luke Syson betont, dass die Studien grotesker Köpfe aufs Engste mit Leonardos Erforschungen der menschlichen Anatomie und idealen Proportionen verbunden sind. Siehe: Syson, Luke, »The Rewards of Service. Leonardo da Vinci and the Duke of Milan«, in: Leonardo da Vinci. Painter at the Court of Milan, Ausst.kat., hg. v. dems. und Larry Keith, London 2011, S. 12–53, S. 25.
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Abb. 4.09: Francesco Melzi nach Zeichnungen Leonardos, Sieben groteske Figurenbüsten, Federzeichnung, 18 × 12 cm, 1510erJahre – Mitte 16. Jahrhundert ca., Gallerie dell’Accademia, Venedig, inv. 227b © G. A.VE Archivio fotografico – Su concessione del Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo – Gallerie dell’Accademia di Venezia
laufen.52 Gerade das Spiel mit Grenzgängen hat dabei seinen eigenen sowohl ästhetischen als auch epistemischen Reiz, wenn die figuralen Formationen neue, bewegte Gestalten hervorbringen, etablierte Proportionsmodelle als Gegenpart 52 Leonardo vermerkt auch, dass der Maler alles, was es im Universum »per essentia, pressentia, o imaginatione« gebe, zunächst »nella mente e poi nelle mani« habe. Zitiert nach: Farago, Leonardo da Vinci’s Paragone, S. 196. Vgl. zu den Grenzen von Naturbeobachtung und Imagination: Kanz, »Lachhafte Bilder«, S. 38. Zur Iteration in der frühneuzeitlichen Mailänder Praxis des Zeichnens grotesker Köpfe im Zusammenhang mit dem Programm der Accademia della Val di Blenio als kreativer,
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aufrufen, semantische Mehrdeutigkeit ins Bild setzen und das Monströse als Wissensmotor produktiv machen. Wie die kleinformatigen Papierschnipsel von Leonardos grotesken Köpfen – etwa der Lachende Mann (Farbtafel 46) – ursprünglich komponiert gewesen sein könnten, lassen zahlreiche Zeichnungen von Künstlern aus dessen Umfeld erahnen, die die visi mostruosi der leonardesken Modelle als Paare oder Kleingruppen zu Papier brachten.53 Beispielhaft werden dazu zwei Federzeichnungen Francesco Melzis (Abb. 4.08, 4.09) betrachtet, auf denen einmal in einer Fünfer-, ein andermal in einer Siebener-Konstellation groteske Köpfe miteinander in Bezug gesetzt werden und komisch-humorvolle Kommunikationssituationen entstehen lassen.54 In der Fünfergruppe (Abb. 4.08) ist in der oberen Reihe in einer Art spiegelndem Formspiel die Büste einer Frau mit Schleier und steil nach oben ragender knubbeliger Nase der Büste eines glatzköpfigen Mannes mit steil nach unten zeigender, spitzer Nase gegenübergestellt. Darunter begegnen sich ein älterer Mann in Mönchskutte mit grimmig irritiertem Blick und eine bucklige Frau mit extrem hoher Stirn, breitem, kinnlosen schnabelartigem Mund, überdimensioniertem Hinterkopf und dem bereits bekannten tiefgeschnittenen Mieder mit der um Verehrer werbenden Blume im Dekolleté. Ohne Pendant bleibt der fünfte Kopf eines dicken, kurzhalsigen Mannes, dessen nahezu handtellergroßes Kinn als anatomisches Kuriosum weit nach vorn und oben über die Nasenspitze ragt. In dieser Zusammenstellung werden auf einen Blick unterschiedliche Depoietischer Modus der Wiederholung siehe: Becker, Mira, »Grottesco & suavitas. Zur Kopplung von ästhetischem Programm und institutioneller Form in zwei Mailänder Kunstakademien der Frühen Neuzeit«, in: Iteration und Wissenswandel, hg. v. Eva Cancik-Kirschbaum und Anita Traninger, Wiesbaden 2015, S. 415–440, hier v. a. S. 417 f., 426–429. 53 Zur ursprünglichen Anordnung von Leonardos visi mostruosi siehe auch: Bambach, »Leonardo da Vinci. Laughing Man«, S. 451 f. Einige der Zeichnungen grotesker Köpfe sind aber auch an den Rändern schriftlicher Notizen verortet (gewesen) und konnten dort als ›probationes pennae‹ nicht nur die neu zugespitzte Feder geschmeidig machen, sondern zugleich als Konfigurationen komischerheiternder Gestalten zum Lachen bringen und für Abwechslung und Erholung sorgen. Siehe: Fusenig, Liebe, Laster und Gelächter, S. 38 mit Anm. 135. Zum Erholungswert des Lachens in der frühneuzeitlichen Konzeption des Komischen siehe Kapitel 4.4.1. 54 Francesco Melzi war ab 1508 in Leonardos Mailänder Werkstatt tätig und prägte die Weitergabe von Leonardos Erbe an die Mailänder Künstler des Secondo Cinquecento, worauf weiter unten eingegangen wird. Siehe zunächst zu den beiden Zeichnungen (Abb. 4.08, 4.09) und der Zuschreibung an Melzi: Bambach, »Leonardo da Vinci. Laughing Man«, S. 453; Porzio, Francesco, »L’Arcimboldo: Le Stagioni ›milanesi‹ e l’origine dell’invenzione«, in: Arcimboldo. Artista milanese tra Leonardo e Caravaggio, Ausst.kat., hg. v. Sylvia Ferino-Pagden, Mailand 2011, S. 221–253, S. 245; Dreiling, Semjon Aron, Die klassischen Götter auf Abwegen. Launige Götterbilder in den italienischen und nordalpinen Bildkünsten der Frühen Neuzeit, Berlin / Boston 2016, S. 210, 214 f.
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formierungen und seltsame Begegnungen aufgefächert. In dem anderen Blatt, das Melzi nach Originalen Leonardos anfertigte, findet sich schließlich u. a. der Lachende Mann (Abb. 4.09) wieder und hat diesmal ein Gegenüber, das er mit seinem lauthalsen Lachen zu einem Schmunzeln mit fest verschlossenem Mund bewegt.55 Darunter stehen sich eine Zähne zeigende Frau mit quasi hutartig spitz nach oben gewachsenem Hinterkopf und eine Gruppe von drei unförmigen Männerbüsten im Schulterschluss gegenüber. In ihrem Dreiergespann mit Lorbeerkranz und Linnenmütze könnte man durchaus an eine groteske Version der drei corone der italienischen Dichtung denken. Darunter lächelt ein Mann mit langer nach unten weisender Nase, und weit vorgezogenem Kinn sowie langem Bart. Vergleicht man exemplarisch den lachenden Mann mit buschigem Haar oben links mit Leonardos originaler Bildfindung (Farbtafel 46) wird deutlich, wie fein säuberlich und geradezu minutiös Leonardos Figur nachgezeichnet wurde: Die Linien sind sehr kontrolliert und bedacht in feinen Strichen gezogen, mit weniger Tinte in der Feder und eng gesetzten parallelen Schraffuren, die die Formen begrenzen und nicht überschreiten und deren Dynamik dadurch äußerst reduziert wird. Derart verändert sich die Faktur der grotesken Köpfe im Transferprozess zu einer stärker statischen, weniger ingeniös erscheinenden Figur. Die Beobachtung bzw. Imagination des Kurios-Monströsen und das figurale Formexperiment Leonardos werden in Zeichnungen wie jenen Melzis zum geordneten Modell und Studienobjekt sowie zu Arrangements unterschiedlicher Figurenkonstellationen. In der zu Beginn dieses Kapitels eingehend besprochenen Deckenausmalung der Kirche Santa Maria dell’Immacolata in Rivolta d’Adda knüpfte auch Martino Piazza da Lodi Anfang des 16. Jahrhundert an die sich in Leonardos Mailänder Umfeld stetig intensivierende Darstellungspraxis des figuralen Experimentierens mit Physiognomien und Proportionsverhältnissen an. Bemerkenswerterweise transferiert er das deformierende Flexibilisieren von Profillinien und Gesichtspartien bspw. von Kinn, Mund, Nase und Hals dabei in die monumentale 55 Zu den Kopien des Lachenden Mannes mit buschigem Haar einerseits in Zeichnungen Francesco Melzis aus der Pembroke-Sammlung und andererseits in Zeichnungen aus der Sammlung Spencer (ebenfalls von einem lombardischen Künstler vom Ende des 16. Jahrhundert) siehe: Bambach, »Leonardo da Vinci. Laughing Man«, S. 453. Zu den sogenannten Spencer-Grotesken, die für eine Ausgabe von Texten Rabelais’ im Jahr 1669 genutzt wurden (New York, Public Library) siehe ebd. sowie: Trutty-Coohill, Patricia, »The Spencer collection of Grotesques and caricatures after Leonardo«, in: Arte Lombarda, 105–107 (1993), S. 48–54. Für eine vergleichende Gegenüberstellung und Veranschaulichung von Motivtransfers der Zeichnungen Leonardos über Francesco Melzi, die Spencer-Grotesken hin zu Lomazzo siehe: Paliaga, Franco, »Quattro persone che ridono con un gatto«, in: Achademia Leonardi Vinci. Journal of Leonardo Studies & Bibliography of Vinciana, hg. v. Carlo Pedretti, 8 (1995), S. 143–157, S. 151 ff.
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Freskomalerei und in den sakralen Raum. Es geht also diesmal weder um Skizzen am Rande von Notizen, fein ausgeführte Zeichnungen, Studien- oder Modellblätter, sondern um das leitende Darstellungsthema der Deckenmalerei eines öffentlichen Raums, eines Kirchenraums. Dieser befindet sich jedoch gerade nicht im politischen und kulturellen Zentrum Mailands, sondern im ruralen Umland der frühneuzeitlichen Metropole – gewissermaßen im Randbereich des dominanten Diskurses und seiner repräsentativen Räume. Neben den grotesken Köpfen des leonardesken Umfelds zeugen die Büsten an der Decke zugleich von Auseinandersetzungen mit ausdrucksstarken Terrakottabüsten, wie sie seit den 1480er-Jahren etwa in San Satiro zu finden waren. Martino führt letztlich eine beachtliche Vielzahl von Kopf- und Gesichtsformen sowie Mimik und Bewegungsimplikationen vor Augen und positioniert einige wenige wohlgeformte Figuren unter zahlreiche weniger schön gestaltete und mehrere deutlich deforme Büsten (Farbtafeln 44 und 45, Abb. 4.02, 4.04) – jenseits binärer Schönheitsmodelle und Negativbewertungen des Unschönen. Ganz im Sinne eines facettenreichen Begriffs des Grotesken verschränkte er die unterschiedlichen, bisweilen grotesken Köpfe seines semantisch unbestimmten Bildprogramms zudem mit ornamentalen Grotesken fantastischer Motivik und Struktur und konfigurierte so ein groteskes Bildprogramm von hoher Aktualität und zugleich Originalität im bildkünstlerischen Diskurs seiner Zeit. Ornamentale Grotesken finden sich zwar zunehmend in Bildprogrammen lombardischer Kirchen zu Beginn des Cinquecento – jedoch nicht als Strukturprinzip einer Deckenbemalung mit grotesken und ikonographisch ambiguen Figuren, sondern als antik fundierte, kunstvolle und modisch-gelehrte Rahmungen biblischer Geschichten, sprich rein als Marginalie, oder aber als Teil ausschließlich ornamental-dekorativer Bildprogramme.56 56 Ein Beispiel hierfür ist Gaudenzio Ferraris Ausmalung der Cappella Scarognino (heute Santa Margherita) im Jahr 1507 in der Kirche Santa Maria delle Grazie am Fuße des Pilgerberges von Varallo (Kapitel 3.3.2). Dort rahmen aufwendige Grotesken mit Kandelabern, Blattwerk, Fabelwesen, nackten Figurinen, Drachen und Zwitterwesen biblische Geschichten und zieren das dekorativ-ornamentale Programm der Deckenmalerei. Dass sie aber wichtiger Bestandteil eines künstlerisch ambitionierten Programms sind, zeigt neben ihrer Machart die Platzierung der Künstlersignatur innerhalb der grotesken Ornamentik. Auch das unter Kapitel 3.3.2 besprochene Tramezzo rahmt der Künstler mit Grotesken sowie mit einem bisher in der Forschung ungelösten Bilder-Rätsel. Gaudenzio war kurz zuvor aus Rom in die Lombardei zurückgekehrt und demonstrierte mit den Grotesken sogleich sein Wissen über die durch Pinturicchio, Luca Signorelli oder auch Perugino vorangebrachte neue Mode der grottesche. Siehe zu Gaudenzios Fresken in der Kapelle und den Grotesken: Angeleri, Paula, »Gaudenzio Ferrari, Annuncio a Giuseppe (?), Presentazione al Tempio (parete sinistra); Disputa di Gesù al Tempio (parete destra); sei profeti (sottarco); Annunciazione, Natività, Adorazione dei Magi e Fuga in Egitto (volta), 1507, murale, Varallo, Santa Maria delle Grazie, cappella Scarognino, ora di Santa Margherita«, in: Il Rinascimento di Gaudenzio Ferrari, Ausst.kat., hg. v. Giovanni Agosti
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Bereits Verweise darauf, dass die Konfigurationen grotesker, ausdrucksstarker Büsten in kreativer Auseinandersetzung bspw. mit Drolerien oder aber auch expressiven Terrakottabüsten stehen, deuten an, dass es sich bei den Bildfindungen nicht um kontextfreie Erfindungen handelt. Vielmehr sind ihnen komplexe und vielschichtige kreative Wandlungsprozesse von Interessen, Problemstellungen, Beobachtungen und Figurenexperimenten eingeschrieben. Giancarlo Gentilini macht z. B. auf weitere Dialogpartner und Transferstrukturen aufmerksam, die die lombardische Darstellungspraxis grotesker Köpfe mit Aspekten bildkünstlerischer Praxis in Florenz und Modena verknüpft.57 Gentilini geht dabei konkret davon aus, dass renommierte Mailänder Künstlerzirkel in Hinblick auf die Gestaltung komisch-grotesker Figuren Anregung finden konnten in kuriosen, komisch-lustigen Terrakottafiguren aus Donatellos Florentiner Werkstatt sowie in Terrakottafiguren Guido Mazzonis aus Modena, deren Physiognomie und Mimik hochgradig expressiv und mitunter stark verzerrt wirkt und eben insbesondere auch lachende Gesichter umfasst.58 Hinweise auf solch transregionale bildkünstlerische Austauschprozesse zu derartigen Motiven und Themen gibt bspw. ein Sendschreiben des Sekretärs Marsilio Andreasi an seinen Mantuaner Dienstherrn, den Herzog Ludovico Gonzaga, vom 26. August 1458, in dem berichtet wird, dass der Kunstbeauftragte Giovanni de’ Fondulis, genannt Giovanni da Milano, in Mantua eingetroffen sei und aus Florenz unterschiedliche Raritäten für die marchesa zum Kauf mitgebracht habe; u. a. seien vier Terrakottaköpfe von zwei alten und zwei dicken Männern dabei, die zusammen lachen und die jede und jeden Betrachtenden ebenso unweigerlich zum Lachen bringen und ein wahrer Trost seien: »quatro visi de terra cotta de due vecchie e dui grassi che ridono insieme, che pur è una consolatione da vedere e chi li vede bisogna, che voglia o non, comincia a ridere.«59 Giovanni de’ Fondulis, ein Vertrauter Donatellos und Mittler von dessen Kunstwerken, war zu Beginn der 1480erJahre, wie in Kapitel 3.2 dargelegt, mit seinem Sohn Agostino de’ Fondulis nach Mailand zurückgekommen, wo letzterer unter der Leitung Donato Bramantes die Terrakottafiguren in San Satiro gestaltete und Teil eines ambitionierten Künstlernetzwerks war, zu dem bspw. auch Leonardo zählte. Gentilini geht nun im Zusammenhang mit dem erwähnten Sendschreiben davon aus, dass es sich und Jacopo Stoppa, Mailand 2018, Katalog-Nr. 7, S. 109–120, v. a. S. 117 ff., sowie zum Bilder-Rätsel des Tramezzos: Giani, Federico Maria, »Gaudenzio Ferrari, Isaia, Storie della vita e della passione di Cristo, San Francesco, San Bernardino, 1513, Pittura Murale, tramezzo, Santa Maria delle Grazie, Varallo«, in: Il Rinascimento di Gaudenzio Ferrari, Ausst.kat., hg. v. Giovanni Agosti und Jacopo Stoppa, Mailand 2018, S. 172–199, hier S. 196 und Abb. S. 198 f. 57 Gentilini, Giancarlo, »La terracotta: volti e passioni«, in: La scultura al tempo di Andrea Mantegna, Ausst.kat., hg. v. Vittorio Sgarbi, Mailand 2006, S. 47–51, hier v. a. S. 47, 50. 58 Ebd. 59 Zitiert nach ebd., S. 47.
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Abb. 4.10: Florentiner Künstler, Groteskes Paar in ornamental verziertem Rahmen mit musizierenden Putti und der Inschrift ›Dammi conforto‹, Tondo, um 1465–1480, Kupferstich / Papier, British Museum, London, inv. 1852,0424.2 © The Trustees of the British Museum
bei den lachenden Terrakottafiguren sehr wahrscheinlich um Arbeiten aus der Werkstatt Donatellos handelte, die schließlich über die de’ Fondulis-Connection auch in Mailand Leonardo und dessen Umfeld beeindrucken und das Interesse an Darstellungen expressiver, komisch-lachender, unförmiger Figuren speisen konnten.60 Ein weiteres Beispiel aus der Florentiner Kunstpraxis, das für Leonardo und dessen Mailänder Kreis mit Blick auf Konfigurationen des Komisch-Deformen anregend gewesen sein mag, ist ein um 1465 bis 1480 entstandener und Baccio Baldini zugeschriebener Kupferstich eines sich gegenüberstehenden groteskkomischen Paares (Abb. 4.10), der konkrete Ähnlichkeiten mit grotesken Figu-
60 Gentilini, »La terracotta«, S. 47.
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ren Leonardos aufweist – v. a. hinsichtlich der Blume im Dekolleté der Frau und ihres buckligen Nackens, aber auch hinsichtlich des entstellten Profils des Mannes mit weit nach unten gekrümmter Nase, vorstehendem Kinn und breitem Grinsen.61 Die Darstellung des amüsanten Paares auf dem Kupferstich invertiert dabei auf komische Weise damals gängige Paarporträts im Profil und lässt einmal mehr die Modi der Abweichung von Darstellungskonventionen sowie die erheiternde Irritation von Wahrnehmungsgewohnheiten nachvollziehen, die die Konfigurierungen grotesker Köpfe auch im lombardischen Diskurs oftmals in Szene setzen. Zudem wird das Florentiner Paar durch ein mit musizierenden Putti und verschlungenem Akantusblattwerk verziertes rundes Dekorationsband gerahmt – eine interessante, wenngleich rein assoziativ gezogene Parallele zur Verschränkung von Grotesken und Groteskem in Rivolta d’Adda. In jedem Fall wurde das Interesse am Komischen und Grotesken in der lombardischen Kunstpraxis am Ende des Quattro- und zu Beginn des Cinquecento freilich aus unterschiedlichen Austausch- und Transferprozessen – darunter bspw. mit der Florentiner Kunstpraxis der zweiten Hälfte des 15. Jahrhundert – gespeist.62 Dass nun innerhalb der lombardischen Kunstpraxis die Darstellungen grotesker Köpfe im frühen Cinquecento bei Weitem nicht auf Iterationen von Zeichnungen Leonardos (wie im Falle der Blätter Melzis) zu begrenzen sind, verdeutlichen nicht nur die Fresken in Rivolta d’Adda, sondern bspw. auch Zeichnungen von Girolamo Della Porta – einem zeitgenössisch für sein ingegno sehr geschätzten lombardischen Bildhauer und Architekten, der seit 1490 auf der Baustelle des Mailänder Doms tätig war und dort u. a. mit Cristoforo Solari zusammenarbeitete.63 Della Portas kleinformatige Zeichnungen grotesker Köpfe der 1510er- und 1520er-Jahre erweisen sich oftmals als eigenständige Explorationen und Konfigurationen deformer Personen bzw. Charaktere (Abb. 4.11, 4.12), die sich auf originelle und kreative Weise von direkten Nachahmungen der Bildfindungen Leonardos emanzipieren.64 Die Federzeichnungen der im Profil dargestellten Halbfigurenbilder sind keine schnellen Skizzen, sondern ausgearbeitete Por-
61 Zur Datierung und Zuschreibung des Kupferstichs siehe die Sammlungspräsentation des British Museum unter: https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_1852-0424-2 (zuletzt eingesehen am 10.07.2020). Siehe zudem zur Motivik: Zucker, Mark, The Illustrated Bartsch, Commentary, Bd. 24, Teil 1, New York 1993, Nr. 23, S. 142. 62 Die Kombination von fantastisch-monströser Groteske und grotesken Köpfen in Referenz auf Zeichnungen Leonardos findet sich in den 1540er-Jahren zudem in der Villa Medici im lombardischen Frascarolo, jedoch begrenzt auf kleinere Bildfelder der Wandbemalungen und nicht in einem monumentalen Format wie in Rivolta d’Adda. 63 Siehe: Bora, »L’eredità leonardesca«, S. 24 f. 64 In der Sammlung der Mailänder Biblioteca Ambrosiana sind zehn kleinformatige Zeichnungen erhalten, die teils auf Vorder- und Rückseite eines Blattes gezeichnet sind. Siehe zu diesen Zeichnungen Girolamo della Portas: ebd.
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Abb. 4.11: Girolamo della Porta, Grotesker Mann mit Hut, mit der Inschrift Signor Constantino Valperga und der Signatur des Künstlers, 1510er-/1520er-Jahre, Zeichnung, Feder und braune Tinte / Papier, 133 × 80 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, inv. F 274 inf., f. 37 © Veneranda Biblioteca Ambrosiana
träts. Sicher gezogene Konturlinien, dynamische parallele Schraffuren sowie gekonnt platzierte Lavierungen und Partien unbearbeiteten Zeichengrundes als Glanzlichter erzeugen differenzierte Helldunkelkontraste, eine stark plastische Wirkung und einen lebhaften Ausdruck. Zudem sind die Porträts mit Beinamen bzw. Inschriften versehen. Betrachten wir bspw. die Zeichnung eines Mannes mit buschigen Augenbrauen (Abb. 4.11), dessen Kinn übermäßig lang nach vorn ragt, dessen Nase wie eine Pfeilspitze geformt ist, dessen großes Ohr absteht, dessen Haut insbesondere an Wange und Hals uneben und faltig ist und der einen sehr großen hohen Hut und eine Jacke mit Stehkragen trägt. Der Künstler
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Abb. 4.12: Girolamo della Porta, Alte Frau – La Cipolla, 1510er-/1520er-Jahre, Zeichnung, Feder und braune Tinte / Papier, 130 × 74 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, inv. 274 inf., f. 52 © Veneranda Biblioteca Ambrosiana
signierte die Zeichnung hinter dem Rücken des Mannes mit »Ieronimo la Porta« und notierte oben rechts den Namen des Mitglieds einer recht prominenten Mailänder Familie: »S.[ign]or Constantino Va[l]perga«.65 Der physiognomisch und anatomisch groteske Kopf im repräsentativen Halbfigurenformat in Profilansicht wird durch die Annotationen zu einer besonderen Art von Porträt, gewissermaßen ein ritratto carico – wie einige Jahrzehnte später in Annibale Carraccis Bologneser Umfeld Porträts genannt werden würden, die bestimmte individuelle Gesichtszüge und Charakteristika einer Person auf groteske Weise 65 Siehe: ebd., S. 25.
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überspitzen.66 Zudem markieren Signatur und Inschrift Della Portas die mit Deformierungen spielende, elaboriert gefertigte Zeichnung des komisch-grotesk aussehenden Mannes als eigenständiges Kunstwerk und verdeutlichen einmal mehr, dass das Explorieren grotesker Figuren sich nicht auf Skizzen reduzieren lässt, sondern immer wieder auch mit dezidiertem Geltungsanspruch versehen wird. Eine weitere Federzeichnung Girolamo Della Portas variiert ebenfalls den Porträtmodus und die Semantisierung grotesker Köpfe. Es handelt sich um das Bildnis einer alten Frau, erneut ein Halbfigurenbild im Profil (Abb. 4.12). Ihre Nase ist unverhältnismäßig lang und wölbt sich über den starken Unterbiss ihrer großen Mund-Kiefer-Kinnpartie. Ihre Mundwinkel sind weit nach unten gezogen und ihre Augen blicken schwerlidrig geradeaus. Konturlinien und parallele sowie über Kreuz verlaufende Schraffuren gestalten und akzentuieren ihr entstelltes Profil, die Falten im Gesicht und am Hals, ihre Frisur, aus der vereinzelte Haarsträhnen herausgerutscht sind, sowie ihr eng geschnürtes, tief ausgeschnittenes Mieder und Dekolleté. Am oberen Bildrand des Papierschnipsels wird die Frau als »La Cipolla« bezeichnet und so zu einer der angestammten Figuren frühneuzeitlicher italienischer Komödienensembles.67 Die in der Komödie übliche Übertreibung zum Hässlichen, die zum Lachen bringt, wird in der Zeichnung nun mit einem trübseligen Gesichtsausdruck vertieft.68 Della Portas kleinformatige, kommentierte und anspruchsvoll ausgearbeitete Zeichnungen grotesker Köpfe changieren demnach zwischen Konfigurationen komödienhafter Typen, Empathie erzeugender Ausdrucksstudien sowie ridikülisierender Porträts. Dabei kommen mit dem deutlichen Komödienbezug und den Aspekten von ritratti carichi avant la lettre weitere Funktionsweisen sowie wirkungsästhetische und epistemische Valenzen zu den bisher aufgefächerten Spielarten grotesker Köpfe hinzu. Ab Mitte des 16. Jahrhundert waren es dann v. a. die Mitglieder der interdisziplinären und sich als eingeschworener, nahezu geheimer Gelehrtenbund verstehenden Accademia della Val di Blenio, die – nach eigenen Angaben – unter dem Schutz und Einfluss Bacchus’ die Erkundungen grotesker Figurationen weiterführten. Zu ihnen gehörten u. a. der Mailänder Kupferstecher und Maler Giovanni Ambrogio Brambilla sowie Giovan Paolo Lomazzo und Aurelio Luini, der Sohn des berühmten Bernardino Luini. Die Akademiemitglieder hatten über die Luini-Werkstatt und die Bekanntschaft mit Francesco Melzi direkten Zugang zu Leonardos gezeichnetem und geschriebenem Erbe und, zeitgenössischen Be66 Zu den ritratti carichi Annibale Carraccis siehe: Kanz, »Lachhafte Bilder«, S. 51 f.; sowie: Berra, »Il ritratto ›caricato‹«. 67 Siehe: Bora, »L’eredità leonardesca«, S. 25. 68 Zur cinquecentesken Komödientheorie siehe unten Kapitel 4.4.1.
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richten zufolge, besaß Aurelio selbst nicht nur den sog. Burlington House-Karton (Abb. 6.05), sondern zudem ein »libricciuolo« mit 50 Zeichnungen Leonardos von hässlichen und lachenden Alten und Landleuten in roter Kreide.69 Während, wie um die Jahrhundertwende, die Erörterungen des rechten Maßes unterschiedlicher Figurentypen sowie angemessener und harmonische Schönheit erzeugender Proportionen der menschlichen Figur auch Mitte des Cinquecento weiterhin einschlägiges Thema des ästhetischen Diskurses und tonangebend im Ausbildungsprogramm sich etablierender, öffentlicher Ausbildungsstätten der Kunst waren, fokussierten sich die Mitglieder der Accademia della Val di Blenio auf Auseinandersetzungen mit und Spielarten von Normabweichungen.70 Diese nach einem ländlichen Tal im Tessin benannte Akademie, die im nachfolgenden Unterkapitel eingehend thematisiert wird, setzte sich zu Zeiten einer in Mailand schwachen lokalen Künstleridentität sowie rigiden Kulturpolitik im Kontext der Katholischen Reform mit Facetten grotesker Ästhetik auseinander.71 Durch die geographische Nähe zu den Zentren der protestantischen Reformation war die Diözese Mailand mit ihren alpinen Regionen für die katholische Reformpolitik von hoher Relevanz. Zudem wurde das ehemalige Herzogtum Mailand politisch von Spanien aus und durch König Philipp II. regiert. Künstler und Kulturschaffende begegneten in dieser Konstellation immer wieder den Grenzen strenger Zensur.72 Der Mailänder Erzbischof Carlo Borromeo kritisierte bspw. nach schweren Pestepidemien 1577/1578 und im Zuge seiner Reformkampagne jegliche lasziven, komödienartigen und karnevalesken Darstellungen und Festivitäten und forderte auf, sie im öffentlichen Raum zu verbieten – so etwa auch das jährlich im August stattfindende Fest mosgètt.73 Es wurde von den facchini 69 Zur erfolgreichen Luini-Werkstatt siehe: Rinaldi, Furio, »Bernardino Luini ›Mediolanensis‹, Aurelio Luini e Giovanni Paolo Lomazzo: disegni firmati tra autografia e documento«, in: Horti Hesperidum. Studi di storia del collezionismo e della storiografia artistica (Studi sul disegno italiano tra connoisseurship e collezionismo), hg. v. Francesco Grisolia, 4/2 (2014), S. 9–57, S. 17–26. Zum libricciuolo siehe die Erwähnung in: Lomazzo, »Trattato«, S. 315; sowie: Bora, »I disegni dei leonardeschi«, S. 206. 70 Zur Erörterung des rechten Maßes und harmonischer Schönheit sowie unterschiedlicher Proportionslehren Ende des Quattro- und zu Beginn des Cinquecento siehe Kapitel 2.2 und 2.3.1; siehe zur Diskussion unterschiedlicher Proportionslehren auch: Berra, Giacomo, »La storia dei canoni proporzionali del corpo umano e gli sviluppi in area lombarda alla fine del Cinquecento«, in: Raccolta Vinciana, 25 (1993), S. 159–310. 71 Siehe Kapitel 4.2 sowie: Becker, »Grottesco & suavitas«. 72 Siehe: Chittolini, Giorgio, »La città di Milano dalla caduta degli Sforza al dominio spagnolo«, in: Pittura a Milano. Rinascimento e Manierismo, hg. v. Mina Gregori, Mailand 1998, S. XVI . 73 Siehe: Bernardi, Claudio / Cascetta, Annamaria, »Dai ›profani tripudi‹ alla ›Religiosa Magnificenza‹. La ricostruzione del Sistema cerimoniale nella Milano borromaica«, in: Carlo Borromeo e l’opera della ›grande riforma‹. Cultura, religione e arti del governo nella Milano del pieno Cinquecento, hg. v. Franco Buzzi und D anilo Zardin, Mailand 1997, S. 227–240,
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organisiert – armen Landleuten, die in der Großstadt Mailand als Tagelöhner arbeiteten und die, wie noch gezeigt wird, wichtiger Bezugspunkt für die Selbstbeschreibung der Mitglieder der Blenio-Tal-Akademie waren. Im Zuge jenes Festes führten die facchini ein riesiges Holzpferd, cavalazz, geschmückt und gefüllt mit Würsten aller Art quer durch die Stadt zum Domplatz, wo es in einer karnevalesken Orgie von der Menge geplündert wurde.74 Derartige Veranstaltungen – »giuochi, spettacoli, maschere e brutture del carnevale« – stufte Carlo Borromeo als nicht tragbar ein und fordert Ende der 1570er-Jahre vehement, die »maschere« zu verbannen, mit denen Menschen nicht nur üben, wie man sich verwandle, sondern wie man in gewisser Weise jene »figura« auslösche, die einem von Gott gegeben sei; dabei gehen, so Borromeo, einige in diesem hässlichen Wahnsinn so weit, dass sie die antiken Metamorphosen mit ihren Verwandlungen in Tiere darstellen.75 Es gelte diese Verwandlungen, Maskeraden, Komödien, favole und profanen Spektakel ins Exil zu schicken, mit denen die Bevölkerung in jenen Zeiten die heiligen Feste entweiht habe.76 Die Kritik und Zensur musste auch die bildkünstlerische, poetische und performativ-theatrale Praxis der Mitglieder der Accademia della Val di Blenio treffen. In ihrem akademischen Kreis entstanden mehrere Zeichnungen grotesker Köpfe, aber auch von entstellenden Maskeraden (Farbtafel 49, Abb. 4.13 und 4.14). Von der Hand eines Mailänder Künstlers aus dem Kreis der Akademie ist z. B. die rote Kreidezeichnung eines stark deformierten Mannes im Profil (Farbtafel 49) erhalten – eine Zeichnung, die sich in kreativer Abwandlung auf Bildfindungen Leonardos bzw. deren Kopien bezieht.77 Der Hinterkopf des Mannes
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hier v. a. S. 234; Isella, Dante, »Introduzione. Per una lettura dei ›Rabisch‹«, in: Lomazzo, Giovan Paolo / I Facchini della Val di Blenio, Rabisch (1589), hg. v. dems., Turin 1993, S. IX–LXII, S. X f. Siehe: Bora, Giulio, »Milano nell’età di Lomazzo e San Carlo: riaffermazione e difficoltà di sopravvivenza di una cultura«, in: Rabisch. Il grottesco nell’arte del Cinquecento. L’Accademia della Val di Blenio, Lomazzo e l’ambiente milanese, Ausst.kat., hg. v. dems., Manuela Kahn-Rossi und Francesco Porzio, Mailand 1998, S. 37–56, S. 52. Carlo Borromeo schrieb über die »giuochi, spettacoli, maschere e brutture del carnevale«: »Siano ormai perpetuamente bandite le maschere, con le quali pare che gli huomini studino non solo di trasformarsi, ma di scancellare in un certo modo quella figura, che Dio ha data loro; anzi alcuni vanno tanto innanzi in questa brutta pazzia, che rappresentano quelle metamorfosi antiche con trasformarsi in bestie… Vadano ormai perpetuamente in esilio insieme con le maschere, e le commedie, e le favole del Mondo, e li spettacoli profani, coi quali ha questo popolo in questo tempo particolarmente così profanati i santi giorni delle feste.« Zitiert nach: Bora, »Milano nell’età di Lomazzo«, S. 52 (aus dem De Liber memorialis editus a S. Carolo An. 1579, in: S. Caroli Borromaei…Opusculum de Choreis et Spectaculis in festis diebus non exhibendis. Accedit collecti selectarum sententiarum ejusdem adversus choreas, et spectacula…, Roma 1753, S. 83–89). Bora, »Milano nell’età di Lomazzo«, S. 52. Siehe zur Referenz auf Leonardo: Bora, »I disegni dei leonardeschi«, S. 206. Vgl. auch die Darstellung einer grotesken Frauenbüste mit sehr ähnlich deformiertem Hinterkopf
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ist extrem in die Länge gezogen; nur am oberen Teil seines Schopfes ist der Haarwuchs dichter. Seine Nasenspitze ist mit der wulstigen Oberlippe verwachsen, auf der lange Bart- bzw. geradezu Schnurrhaare wachsen. Mit den Schnurrhaaren und den Verwachsungen der Nasen- und Mundpartie scheint sich das menschliche Profil beinahe in ein Katzentier zu verwandeln. Der Hals ist derweil durch zwei große, monströse Geschwülste entstellt, die wunderliche Dinge, Pestbeulen oder auch ein motivischer Rekurs auf andere deforme Gestalten komischgrotesker Bilder sein können.78 Ähnlich der Zeichnungen Della Portas wird auch hier mit einer kommentierenden Inschrift gearbeitet, die den Dargestellten als »Sor Caputagn Nasotra« ausgibt und damit auf die Accademia della Val di Blenio verweist, innerhalb derer die Mitglieder in einem eigensinnigen Dialektgemisch sprachen und schrieben und sich verschlüsselte Beinamen bzw. Spitznamen und Decknamen gaben. Im Fall der hier besprochenen Zeichnung handelt es sich um den akademischen Decknamen des Mitglieds Francesco Giussano, wie sich aus einem Gedicht im Akademiebuch Rabisch ableiten lässt.79 Die Zeichnung erweist sich somit als Teil der akademischen Praxis, innerhalb derer eines der Mitglieder als groteske Gestalt dargestellt oder vielmehr in die Rolle einer ground Nasen-Oberlippen-Verwuchs in der linken unteren Ecke eines Zeichnungsblattes der Sammlung des Londoner British Museum mit sieben grotesken Köpfen, die die Bildfindung Leonardos (Chatsworth, no. 825 B) wiederholt: https://www.britishmuseum.org/ collection/object/P_1886-0609-40 (zuletzt eingesehen am 10.07.2020). 78 Rekurriert werden könnte z. B. auf eine karnevaleske Bildfindung, die sowohl über einen flandrischen Kupferstich des Monogrammisten SE (um 1475–1490, Florenz, Gallerie degli Uffizi) aus dem Kunstbesitz der Medici als auch über eine Radierung Daniel Hopfers (1525–1530, Kunsthalle zu Kiel) überliefert ist und in der eine alte, deforme Frau mit zwei Geschwülsten im Hals und einem Stock voller Würste in der Hand von einem Reigen werbender hässlicher und plumper Männer mit Narrenschellen umtanzt wird. Dass nicht nur Details der Deformierung von Körpern wie die Geschwülste, sondern generell auch die Einbettung grotesker Gestalten in komische und karnevaleske Szenerien – wie in der Radierung Hopfers und dem flandrischen Kupferstich – für die Blenio-Tal-Akademiker von großem Interesse waren, wird unter Kapitel 4.3 detailliert besprochen. Siehe zu den beiden erwähnten Druckgraphiken: Münch, Birgit Ulrike, »Genremalerei im Theoriediskurs und die ›Schwingungsweiten‹ der Gattung mit Blick auf die ›Melkmeid‹ des Lucas van Leyden«, in: Peiraikos’ Erben. Die Genese der Genremalerei bis 1550, hg. v. ders. und Jürgen Müller, Wiesbaden 2015, S. 51–80, S. 56 ff.; zu Hopfers Radierung siehe zudem den online einsehbaren Eintrag des Kieler Kunstmuseums samt Abbildung des Werkes: http://www.museen-sh.de/Objekt/DE -MUS -076017/lido/A.B.+221 (zuletzt eingesehen am 20.07.2020). 79 Das Akademiebuch wird in Kapitel 4.2 und 4.3 besprochen. Das Gedicht, das den Beinamen mit Giussano zusammenbringt, trägt den Titel Ar Signò Francesc Giussagn dicch or Tappascrimaglio chiamad or compà Traver Caputagn dra Val. Siehe: Lomazzo, Giovan Paolo / I Facchini della Val di Blenio, Rabisch (1589), hg. und übersetzt v. Dante Isella, Turin 1993, Gedicht-Nr. 3, S. 87. Siehe zur Identifikation des Caputagn mit Giussano auch: Berra, »Il ritratto ›caricato‹«, S. 77. Zu Giussano siehe zudem: Isella, »Gli accademici«, S. 349.
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tesken Gestalt mit prominentem leonardesken Vorfahren schlüpft und viso mostruoso sowie ritratto caricato miteinander verschränkt. Die vermutlich Ende der 1560er-Jahre entstandene Federzeichnung eines Mannes mit einer Maske auf dem Kopf (Abb. 4.13) zeigt schließlich die Facette des Unschönen und Deformierten in Korrelation mit maskierter Entstellung. Es ist die einzige erhaltene signierte Zeichnung Lomazzos: In der Borte des Umhangs des verkleideten Mannes vermerkte der Künstler seinen Namen und seine Herkunft »Giovam / paulo / Lomazzo / Milanese«. Mauro Pavesi betrachtet die Zeichnung als geplanten Bestandteil des zu Lebzeiten nicht zur Veröffentlichung gelangten fantastischen Libro dei sogni, Furio Rinaldi sieht die sorgfältige und präzise Zeichnung hingegen überzeugender als Vorlage für einen eigenständigen Kupferstich als Teil der Akademiepraxis, den Brambilla hätte ausführen sollen.80 In jedem Fall ist der Kernbereich der Zeichnung – der Kopf des Mannes mit der Maske eines kapriziösen Tierkopfs – detailliert ausgearbeitet und fein säuberlich schraffiert. Das unansehnliche Profil des Mannes mit einer behaarten Warze auf der Spitze seines Kinns wird gekrönt von der fantasievollen Maske in Gestalt des Kopfes eines nicht eindeutig identifizierbaren, wilden und furchteinflößenden Tieres, das sein Maul weit aufgerissen hat, seine Zähne zeigt und zu brüllen scheint. Dabei erscheinen die gewellten kurzen Haare des Mannes innerhalb des Tierrachens quasi als Flammen. Das Halbfigurenbild wechselt derweil auf faszinierende Weise zwischen Maskerade und Demaskierung: Denn die Maske könnte zum einen als Kopfbedeckung gedacht sein, so wie man sie auf dem Hinterkopf des Mannes sieht. Sie könnte aber ebenso eigentlich für das Tragen vor dem Gesicht vorgesehen sein, wobei die Augenhöhlen der Maske zum einen das Durchblicken und das geöffnete Maul zum anderen das Atmen und Sprechen ermöglichten. Die Maske könnte also richtig sitzen oder gerade vom Gesicht weggeschoben worden sein. Zugleich ist ein Vexierspiel inszeniert zwischen unschönem Profil des Mannes und dem einschüchternden Profil des wilden Tieres. Metamorphosen und Transformationen, die die figura des Mannes de- und refigurieren, sind Thema des Bildes – genau so, wie es Borromeo kritisierte. Ein weiteres Beispiel der besonderen akademischen Zeichnungspraxis der Blenio-Tal-Mitglieder liefert eine Federzeichnung Aurelio Luinis (Abb. 4.14), der einer jener Mailänder Künstler und Akademiemitglieder war, die phasenweise mit einem zensurbedingten Berufsverbot umgehen mussten.81 Luini entwirft in dem hier betrachteten Blatt auf sehr eigentümliche künstlerische Art und Weise 80 Vgl.: Pavesi, Mauro, Giovan Paolo Lomazzo Pittore Milanese 1538–1592, Doktorarbeit an der Università Cattolica del Sacro Cuore Milano, 2006/2007, S. 314; Rinaldi, »Bernardino Luini ›Mediolanensis‹«, S. 27. 81 Im Falle Aurelio Luinis wurde im Jahr 1581 für einige Zeit ein Berufsverbot ausgesprochen. Siehe: Bora, Giulio, »Da Leonardo all’Accademia della Val di Bregno: Giovan Paolo
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Abb. 4.13: Giovan Paolo Lomazzo, Mann mit Maske auf dem Kopf, Ende 1550er-/1560er-Jahre, Zeichnung, Feder und braune Tinte sowie schwarze Kreide / Papier, 361 × 262 mm, British Museum, London, inv. 1860.0616.60 © The Trustees of the British Museum
einen grotesken Kopf. Mit kunstvoll geschwungenen Linien, die sich biegen und winden und teilweise in Schnörkeln enden, zeichnet er ein Gesicht in frontaler Ansicht. Der Mund ist enorm groß, die Lippen sind wulstig, die Nase ist schief und krumm, die Augen hängen schräg. Die Linienpfade scheinen erst beim Anschauen eine Figur zu komponieren und lösen sich auch gleich wieder in ornamentalen Zügen auf. Die Figuration oszilliert zwischen einer den ornamental-dekorativen Grotesken verwandten Linienführung und der Konkretisierung Lomazzo, Aurelio Luini e i disegni degli Accademici«, in: Raccolta Vinciana, 23 (1989), S. 73–101, S. 82 ff.
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Abb. 4.14: Aurelio Luini, Männliche Büste – Or compà digliagor, 1570er-Jahre, Federzeichnung, 12,3 × 8,6 cm, Musée du Louvre, Paris, inv. 2652 recto © RMN-Grand Palais (musée du Louvre) / Thierry Le Mage
einer grotesk-deformen Gestalt, die im ästhetisch reizvollen Wechselspiel und steten Wandel verbleiben. Während die zuvor besprochenen grotesken Köpfe vor allem über markant deformierte Münder, Kinnladen, Kieferknochen und Nasen in Profilansicht charakterisiert wurden, liegt in der Zeichnung Aurelio Luinis eine besondere Aufmerksamkeit auf den Augen, die nach unten gezogen sind, während die Mundwinkel nach oben ziehen. Es ist ein tragikomisches Gesicht, das die Betrachtenden direkt anblickt. Auf dem Kopf trägt die Figur zudem einen Hut, auf dessen Krempe »Or compà digliagor« steht. Compà steht dabei für »compare«, also einen Kollegen der Akademie, und »digliagora« vermutlich für »diavolo«, den Teufel, der hier kunstvoll und kapriziös ins Bild gesetzt wird
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und im nächsten Augenblick im Liniengewirr untertaucht.82 In der Zusammenschau der drei bisher untersuchten Zeichnungen aus dem Akademieumfeld wird deutlich, dass motivisch wie auch strukturell sehr vielfältig mit Deformierungen und figuralen Wandlungsprozessen experimentiert wurde. Ein kleinformatiges Ölgemälde aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert, das mitunter Lomazzo zugeschrieben wird, in jedem Fall aber dem Mailänder Umfeld der Accademia della Val di Blenio zuzurechnen ist, verdeutlicht außerdem, dass die Motivik und Thematik des Deformierens und figuralen Experimentierens mit Physiognomien sowie das Abweichen von normierenden Darstellungstraditionen und Proportionssystemen auch ins Format des Porträtgemäldes transferiert wurde.83 Vor einfarbig dunklem Grund ist eine Frau in tief ausgeschnittenem Kleid und mit einem in die Länge gezogenen Hinterkopf sowie schnabelartigem Mund dargestellt. Von rechts einfallendes Licht setzt ihr Profil und die direkt an die Bildgrenze gerückten, hochgeschnürten Brüste in Szene. Ihr Hals und die rosig gepuderte Wange sind faltig und statt eines Kinns wölben sich Haut- und Speckringe übereinander. Der Mund ragt wie ein Schnabel oder Froschmaul ohne Zähne weit nach vorn. Die Nase ist knubbelig, die Stirn hoch, das Haar ordentlich frisiert. Aus ihrem tiefliegenden rechten Auge schielt sie zu den Betrachtenden. Trotz ihres ins dezidiert Unschöne entstellten Gesichts verwehren das bildinterne, warm wirkende Licht und der ängstlich schielende Blick der Porträtierten eine rein ridikülisierende und abwertende Betrachtung. Die Figur wirkt komisch, verletzlich und ernst zugleich. Dabei bezeugt das Profilbildnis erneut die kreative Auseinandersetzung mit Leonardos Bildfindungen, wie sie auch in den erwähnten zeichnerischen Kompilationen Melzis (Abb. 4.08, 4.09) iteriert wurden. Diesmal findet sich die Iteration der leonardesken Modelle und das figurale Erörtern von Deformierungen aber nicht als Skizze unter mehreren auf einem Blatt, ist nicht mit Feder und Tinte oder Kreide gezeichnet, sondern in Öl im Format eines Galeriebildes gemalt. Durch 82 Zur Übersetzung von digliagora siehe: Bora, »I disegni dei leonardeschi«, S. 206. 83 Für eine Abbildung des in einer Pariser Privatsammlung befindlichen Gemäldes (26 × 18cm groß) sowie die Zuschreibung an Lomazzo und die Referenz des Gemäldes auf eine Zeichnung Leonardos aus der Sammlung des Herzogs von Devonshire in Chatsworth (822A) siehe: Porzio, Francesco, »Giovan Paolo Lomazzo, Testa grottesca«, in: Rabisch. Il grottesco nell’arte del Cinquecento. L’Accademia della Val di Blenio, Lomazzo e l’ambiente milanese, Ausst.kat., hg. v. Giulio Bora, Manuela Kahn-Rossi und dems., Mailand 1998, Katalog-Nr. 30, S. 181, Abb. auf S. 167. Mauro Pavesi spricht sich aufgrund der Art und Weise des Farbauftrags gegen eine Zuschreibung an Lomazzo aus, verortet das Gemälde aber ebenfalls innerhalb der Kunstpraxis der Accademia della Val di Blenio: Pavesi, Giovan Paolo Lomazzo, S. 296. Zur ›Hässlichkeit‹ in der Porträtmalerei des 15. und 16. Jahrhunderts siehe Regionen übergreifend: Huguenin, Angela Fabienne, Hässlichkeit im Portrait. Eine Paradoxie der Renaissancemalerei, Hamburg 2012.
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Abb. 4.15: Quentin Massys, Groteske alte Frau, um 1525/1530, Öl / Eichenholz, 64,1 × 45,5 cm, National Gallery, London, inv. 3572 © 2020. Copyright The National Gallery, London / Scala, Florence
den Transfer in eine veränderte mediale und materiale Gefasstheit konnte die Figur der grotesken Frauenbüste mit tiefem Dekolleté auf ein Neues überraschen, andere Rahmenbedingungen und Darstellungsdispositive herausfordern bzw. unterminieren, zum Lachen oder auch Nachdenken anregen und das Sujet im kleinformatigen, privaten Sammlerbild auf gewisse Weise salonfähig machen. Um – nach knappen Verweisen auf bspw. florentinische Kupferstiche und Terrakottabüsten sowie nordalpine Druckgraphiken – erneut zumindest punktuell und schlaglichtartig zu thematisieren, dass Transferprozesse leonardesker Bildfindungen grotesker Figuren in ihrer mitunter Modellhaftigkeit als Figuren des Abweichens von Schönheitsvorstellungen und Formidealen sowie kreativen und fantasievollen Flexibilisierens der Mimesis-Maxime multidirektional und
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Abb. 4.16: Francesco Melzi nach Leonardo da Vinci, Groteske Frau mit Blume im Dekolleté gegenüber einem grotesken alten Mann im Halbfigurenausschnitt, Zeichnung, Feder und braune Tinte / Papier, 4,5 × 9,9 cm, National Gallery of Art, Washington, 1980.63.1 © open access image download – National Gallery of Art Washington
vielfältig verknüpft verliefen, sei hier noch auf Quentin Massys Gemälde einer grotesken alten Frau (Abb. 4.15) mit Referenz auf eine Figur aus dem LeonardoRepertoire (Abb. 4.07, 4.09, 4.16) hingewiesen. Der flämische Maler präsentiert die Groteske Alte um 1513 im repräsentativen Format des Halbfigurenbildes – und anders als im Fall der Profildarstellungen der leonardesken Modelle – im Dreiviertelporträt hinter einer Art hölzernen Fensterrahmung und steinernen Brüstung.84 Mittels einer differenzierten Buntfarbigkeit und großen Detailgenauigkeit sind unterschiedliche Stofflichkeiten ausgearbeitet und demonstrieren das künstlerische Können des Malers: die Steinbrüstung ist bunt gemasert, die Blume in der Hand der Frau ist als Rosenknospe erkennbar, die Haube auf ihrem Kopf ist aufwendig bestickt, das goldgelbe Medaillon ist kunstvoll verziert und der gewellte weiße Schleier schimmert seidig. Im Dreiviertelprofil des Gemäldes erhält insbesondere die Haube mehr Raum, mehr Aufmerksamkeit, mehr Präzision: Es scheint sich um einen Doppelhennin mit langem Schleier zu handeln, wie er am burgundischen Hof des 15. Jahrhundert zur Mode avancierte und wie er auch das Haupt der alten, entstellten Frau mit Geschwülsten im Hals schmückt, die in der bereits erwähnten Radierung Daniel Hopfers (um 1525–1530) sowie dem ebenfalls erwähnten Kupferstich des flandrischen Meister SE (um 1475–1490) inmitten von närrisch tanzenden Männern steht – als Verspottung ritterlich-höfischer Werbetänze.85 Zudem spielt Massys in seinem grotesken Gemälde qua der aufwendigen und aufreizenden Kleidung der 84 Vgl. zu diesem Bild: Kanz, »Lachhafte Bilder«, S. 39 f. 85 Siehe oben Anm. 78.
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Abb. 4.17: Philippe de Soye nach Leonardo da Vinci, Büste eines alten Mannes und dreier alter Frauen, Druckgraphik, Plantin Moretus Museum, Antwerpen, inv. PK.OP.14794 © Museum Plantin-Moretus (Printroom collection), Antwerp – UNESCO, World Heritage
Frau, der filigranen Haltung ihrer Hände, des zur Seite gerichteten nachdenklichen Blicks, des goldenen Schmucks sowie der edlen Rahmung mit frühneuzeitlichen Standards von gesellschaftlich repräsentativen und zumeist idealisierenden Porträts schöner junger Frauen. In Kombination mit dem betagten Alter und der Unförmigkeit von Massys Figur werden die konventionellen Muster neu aufgeladen und Wahrnehmungsgewohnheiten irritiert. Die Konfiguration wirkt seltsam, unpassend und lächerlich und konterkariert rezeptionsästhetische Erwartungen an das Porträt einer Frau im Rahmen. Mitte des 16. Jahrhunderts ist das Interesse an Iterationen dieser groteskdeformen Frauen-Figur nicht nur in Mailand, sondern auch in Antwerpen
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weiter ungebrochen, wie eine Kupferstichserie von Paarungen grotesker Köpfe (Abb. 4.17) von der Hand Hans Liefrincks zeigt, die auf die Mailänder Bildfindungen Leonardos referiert. Die alte groteske Frau ist dort eine unter mehreren visi mostruosi.86 Die Auseinandersetzung mit den deformen Figuren wird hier zusätzlich durch eine Bildunterschrift begleitet: »Sordida. deformis sic est coniuncta marito. / Fæmina, quo quærat quisque sibi similem.«87 Das elegische Distichon hebt das Entstelltsein der Figuren hervor und kommentiert auf poetisch-komische Weise die äußerlich unschönen Frauenfiguren in ihren feinen Roben als passende Pendants ihrer Männer. In jedem Fall also lässt sich das Spiel mit grotesk-deformen Figuren als ein transregionales, europaweites verstehen, wobei Mailänder Bildfindungen und figurale Gestaltexplorationen einen besonderen Knotenpunkt bilden. Richten wir den Blick wieder auf die Spielarten des Konfigurierens grotesker Köpfe im Kontext der Accademia della Val di Blenio ab Mitte des Cinquecento, so führt eine Druckgraphik des Akademiegründers Giovanni Ambrogio Brambilla mit Acht grotesken Porträts der Götter des Olymps (Abb. 4.18) eine weitere Variante vor.88 Die Graphik ist unterteilt in neun gleichgroße Bildfelder. In jedem der Kompartimente wird ein stark deformierter und hässlicher Kopf präsentiert und durch eine Bildunterschrift identifiziert sowie knapp charakte86 Siehe zu den Drucken aus der Antwerpener Druckerei von Christopher Plantin: Luyckx, Jeroen, »Leonardo da Vinci (after), Philippe de Soye (printmaker), Hans Liefrinck I (publisher). Busts of an Old Man and Three Old Women, c. 1550–1570«, in: Grotesken. Een fascinerende Fantasiewereld – Grotesques. Fantasy Portrayed, Ausst.kat., hg. v. Marijke Hellemans, Antwerpen 2019, S. 20–21; Hellemans, Marijke, »The attraction of the grotesque, or the beauty of the ugly«, in: Grotesken. Een fascinerende Fantasiewereld – Grotesques. Fantasy Portrayed, Ausst.kat., hg. v. ders., Antwerpen 2019, S. 14–17, S. 15. Siehe zu Christopher Plantins bedeutendem und vielseitigen Buchhandel: Imhof, Dirk, »The dissemination of grotesque prints through the Plantin Press«, in: Grotesken. Een fascinerende Fantasiewereld – Grotesques. Fantasy Portrayed, Ausst.kat., hg. v. Marijke Hellemans, Antwerpen 2019, S. 92–95. 87 Das Distichon lässt sich folgendermaßen übersetzen: »Schäbig und entstellt, so ist mit ihrem Mann verbunden / die Frau, wie sich wohl auch ein Jeder sein Ebenbild sucht.« Ich danke Matthias Grandl ganz herzlich für seine Übersetzung und den Hinweis auf die Machart des Verses als elegisches Distichon. 88 Giovanni Ambrogio Brambilla emigrierte 1575 nach Rom und publizierte dort v. a. Werke, die er bereits im Mailänder Akademienkontext geschaffen bzw. geplant hatte, darunter den Kupferstich mit den grotesken Götterporträts, der aufs Engste mit den Themen der Accademia della Val di Blenio verknüpft ist. Siehe: Bora, »Milano nell’età di Lomazzo«, S. 52; Paliaga, Franco, »Giovanni Ambrogio Brambilla. Otto teste grottesche delle divinità dell’Olimp (1580–1590 ca.)«, in: Rabisch. Il grottescho nell’arte del Cinquecento. L’Accademia della Val di Blenio, Lomazzo e l’ambiente milanese, Ausst.kat., hg. v. Giulio Bora, Manuela Kahn-Rossi und Francesco Porzio, Mailand 1998, Katalog-Nr. 36, S. 172, 182. Für eine ausführliche Analyse des Blattes im Kontext weiterer komischer und grotesker Götterdarstellungen in der frühen Neuzeit siehe: Dreiling, Die klassischen Götter, S. 158, 188–194, 215 f.
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Abb. 4.18: Giovanni Ambrogio Brambilla, Acht groteske Porträts der Götter des Olymps, 1580er-Jahre, Kupferstich, 26,2 × 19,3 cm, Gabinetto dei Disegni e delle Stampe degli Uffizi, Florenz, inv. 10554 © Su concessione del Ministero per i beni e le attività culturali e per il turismo, Gallerie degli Uffizi
risiert. Im letzten Bildfeld findet sich das Monogramm des Künstlers AMBR und eine längere Textpassage, in der das Figurenensemble noch einmal eingehender kommentiert wird. Von oben links nach unten rechts betrachtet, sind in den Bildfeldern gemäß der Inschriften »Il belliss. Narciso / La divina Venere / Il bello Adonis / Il biondo Apollo / La potente Iunone / Il Fulminante Giove / La castissima Diana / Il vago Ganimede« zu sehen. Die Adjektive wie wunderschön, blond und keusch stehen den konkreten Gestalten der Götter diametral entgegen. Jedes einzelne Götterporträt ist das Gegenteil eines repräsentativen Bildes von einer schönen, ehrwürdigen olympischen Gottheit. Verzerrende Mimik, unebene, wulstige Haut, deformierte Anatomie sowie lachhafte Frisuren und Klei-
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der konfigurieren die Götter als gealterte Witzfiguren. Keine der Figuren entspricht ihrer Beschreibung. Hier sind also nicht nur die Physiognomien an und für sich grotesk, sondern zudem ihr konträres Verhältnis zu den Inschriften, die die Deformierungen und unerfüllten Erwartungshaltungen noch eklatanter ausstellen oder aber die gewohnten Beschreibungen der Figuren als Lügen enthüllen sollen. Denn im letzten Bildfeld ist zu lesen, dass die Gelehrten zwar viel von den wunderbaren Dingen und Verwandlungen der antiken Götter und anderer Unsterblicher gelesen und gehört haben, es jedem »spirito gentile« aber große Zufriedenheit und Freude bereiten werde, endlich die »vera, et natural effigie« der hier porträtierten Götter zu sehen.89 Offen bleibt, inwiefern der formulierte Wahrheitsanspruch schlicht die Forcierung komischer Invertierungen stützt und bspw. die vom Erzbischof Carlo Borromeo oben erwähnte Kritik an den antiken Göttergeschichten und ihren Metamorphosen ins Lächerliche zieht oder aber selbst eine ernsthafte Kritik an den antiken Göttermythen als Zänkereien und Dramen jenseits tugendhafter Handlungen formuliert – womöglich sind auch beide Bedeutungsdimensionen bewusst in steter Oszillation belassen.90 In jedem Fall ist Brambillas groteske und kapriziöse Figuration der antiken Götter eng verbunden mit Dichtungen anderer Mitglieder der Accademia della Val di Blenio, die nun im folgenden Unterkapitel eingehender betrachtet werden. Generell wird mit den folgenden Unterkapiteln weiter deutlich werden, dass die grotesken Köpfe im Secondo Cinquecento Teil eines umfassenden, interdisziplinären Programms grotesker Ästhetik wurden. Zuvor lässt sich abschließend zu diesem Unterkapitel konstatieren, dass in den besprochenen Fallbeispielen De- und Refigurierungsstrategien in unterschiedlichen Kontexten, Rahmungen, Bildformaten sowie materialen Ausgestaltungen und Funktionsweisen iteriert werden. Immer wieder werden Kinn-, Mund- und Nasenpartien entstellt und verzerrt, immer wieder werden Unebenheiten und Geschwülste unter der Haut herausgearbeitet und immer wieder wandeln sich dabei auch modellhaft gewordene Figuren ästhetisch und semantisch in der Wiederholung.91 Das kreative Experimentieren mit Deformierungen und Trans89 Wörtlich heißt es: »Perche à gli Studiosi ingegni il leger, et udire / le cose maravegliose che gl’antichi dei et altri / immortali feccero al mondo, et certamente che / chi considera à i lor mirabili fatti muttando / homini in pietre, pietre in homini, donne in / animali, in arbori, in aque, in ucelli et altre / cose stupende, ogni spirito gentile havera / grandissima satisfatione, et diletto veder’ / qua la vera, et natural effigie de alchiaro / di questi, questi qua dico, quali / veramente dal suo proprio / viso son’ ritratti. / AMBR .« 90 Zu unterschiedlichen Interpretationen und Stellungnahmen zu den klassischen Göttermythen von der komödienhaften Darstellung bis zur ›rationalisierten Mythendeutung‹ während der frühen Neuzeit siehe: Dreiling, Die klassischen Götter, S. 188 ff. 91 Die Prozesse und Strategien von Wiederholung und Wandel lassen sich deshalb gut mit dem Begriff Iteration fassen, da sie so klar vom frühneuzeitlichen, durch die Rhetorik konditionierten Wertesystem der imitatio-Ästhetik getrennt untersucht werden können.
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formierungen von Gesichtern und Köpfen reibt sich an der Forderung nach einer imitatio naturae und an den Regeln des aptum (der Angemessenheit). Dadurch wird die poietische Dimension und Produktivität von Normabweichungen und künstlerischer Imagination sowie kreativer Freiheit und Fantasie ausgestellt.92 Während aber Leonardo Malern seine lachhafte (»degna di riso«) und neuartige (»nova«) Strategie empfiehlt, fleckige Mauern und gemusterte Steine als Anregungen der Imagination zu betrachten und darin bspw. »strane arie di volti e abiti« zu entdecken, waren es letztlich vor allem seine eigenen Zeichnungen von visi mostruosi, die in der bildkünstlerischen Praxis der Lombardei des Cinquecento zum modellartigen Ausgangspunkt bzw. zur Initialzündung von Werken wurden, mit denen künstlerische Imagination thematisiert und ausgebildet und Figurationsexperimente gestaltet wurden.93 Die in diesem Unterkapitel analysierten Fallbeispiele demonstrieren ein tiefgreifendes Interesse an Grenzgängen und Abweichungen sowohl von der Naturnachahmung als auch von Schönheitsidealen, an dem Ausspielen künstlerischer Imaginations- und Transformationskraft und am Produktiv-Machen des Oszillierens verschiedener ästhetischer Gestaltformierungen und semantischer Aufladungen. Degenerative Prozesse des Alterns, Deformierungen des Gesichts durch extreme emotionale Zustände und physiognomische Studien von monströs Erscheinendem, aber auch Identitätswechsel und Theaterrollen werden thematisiert, sichtbar gemacht und erkundet. Dichotomien von Gut und Böse gekoppelt an Schön und HässZur Produktivität der Analyse-Kategorie der Iteration (gerade auch in Konturierung zum imitatio-Begriff) bei der Untersuchung der Accademia della Val di Blenio siehe: Becker, »Grottesco & suavitas«. 92 Zur poietischen Dimension siehe allg.: Rosen, Valeska von, »Einleitung. Poiesis. Zum heuristischen Nutzen eines Begriffs für die Künste der Frühen Neuzeit«, in: Poiesis. Praktiken der Kreativität in den Künsten der Frühen Neuzeit, hg. v. ders., David Nelting und Jörn Steigerwald, Berlin / Zürich 2013, S. 9–42, hier v. a. S. 18. Zum Begriff der fantasia, der im Mailänder Kunstdiskurs seit Filarete verhandelt wurde, siehe: Kemp, Martin, »From ›Mimesis‹ to ›Fantasia‹: The Quattrocento Vocabulary of Creation, Inspiration and Genius in the Visual Arts«, in: Viator, 8 (1977), S. 347–404, hier v. a. S. 366–384, 395 f. Martin Kemp legt dar, wie sich Leonardos theoretische Überlegungen zur fantasia in Auseinandersetzung mit dem lombardischen Diskurs in der Nachfolge Filaretes formierten. 93 Leonardos produktionsästhetischer Hinweis findet sich sowohl im Pariser Manuskript A (1490–92, fol. 22v) als auch leicht verändert im Codex Urbinas (fol. 35v). Die Passage aus dem Pariser Originalmanuskript lautet: »metterre i[n]fra questi p[re]ciettj 1a nova i[n] ue[n]tione dj spechulatione. la quale. be[n]che paia. pichola. e quasi degnja. di riso no[n] djmeno e dj gra[n]de vtilita. a destrare lo [n]giegnjo a varie inve[n]tionj ecquesto. e. se ttu / riguarderaj in alcunj mvri inbrattati dj uarie machie o pietre dj uari misctj / se arai a i[n] uentionare. qualche sito. potraj. li. uedere simjlitudijne dj djuersi / paesi […] [e] strane arie dj uolti. e abitj. e infinjte cose. le quali tu potrai ri / dure in j[n]tegra. e bona forma ». Zitiert nach: Bambach, Carmen C., »›Porre le figure disgrossamente‹: The Sketches of Leonardo and the Creative Imagination«, in: Leonardo da Vinci. The Design of the World, Ausst.kat., hg. v. Pietro C. Marani und Maria Teresa Fiorio, Mailand 2015, S. 51–61, S. 59 f.
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lich werden hinterfragt. Traurige, lachhafte, bedrückende und erschreckende Valenzen werden gekoppelt – nicht zuletzt, wenn bspw. vor dem Hintergrund verheerender Pestepidemien entstellende Geschwülste weniger Kuriositäten als vielmehr Spuren schwerer Erkrankungen sein konnten. In den unterschiedlichen gemalten und gezeichneten grotesken Gestalten wird letztlich ein durch verschiedene, oft komplexe Erkenntnisinteressen gespeistes Wissen figural ausgehandelt und formiert – ein Wissen, das sich durch Relationsbeziehungen auszeichnet, etwa durch das Verweisen der deformierten Profillinie auf eine idealschöne oder durch das Spiel mit De- und Refigurierungen, durch Irritationen von Wahrnehmungsgewohnheiten und Bewertungsmaßstäben sowie die Virulenz sowohl semantischer, aber ebenso – wie im Falle der Zeichnung Aurelio Luinis (Abb. 4.14) – ästhetischer Unbestimmtheit. Es sind Wissensfiguren in Bewegung, die zahlreiche Referenzwerke und -systeme aufrufen und mit künstlerisch hohen Anspruch thematisieren. Der Geltungsanspruch der figuralen Wissensformierungen grotesker Köpfe und Büsten manifestiert sich dabei in der innerhalb der bildkünstlerischen Praxis in Mailand und Umgebung intensiven und fortwährenden Iteration der grotesk-deformen Figurationen, deren medialer und materialer Vielfalt, institutionellen Verankerung und zumeist künstlerisch anspruchsvoller bzw. hochwertiger Ausführung.
4.2 Die Accademia della Val di Blenio: Programm und Profil Als accademia bezeichneten sich im 15. und 16. Jahrhundert sowohl informelle Gruppen, die als Gelehrtenzirkel zum Zwecke des Wissensaustauschs und der Gemeinschaftsbildung zusammenkamen, wie auch öffentlich repräsentative Einrichtungen mit Statuten, Impresen, Publikationen, Vorlesungen bzw. Vorführungen und Lehrplänen.94 Einendes Fundament dieser frühneuzeitlichen accademie war eine intellektuelle Debattenkultur, das Stiften einer Gruppenidentität, das Netzwerken sowie insbesondere die Auseinandersetzung mit den epistemischen Potentialen und Rangstellungen der durch die Mitglieder jeweils vertretenen scientiae und artes.95 Während für das 16. Jahrhundert bereits zahl94 Vgl.: Chambers, David S., »The Early ›Academies‹ in Italy«, in: Italian Academies of the Sixteenth Century, hg. v. dems. und François Quiviger, London 1995, S. 1–14. Zu frühneuzeitlichen Akademien und deren Orientierung insbesondere an Ciceros Akademiekonzept siehe: Dempsey, Charles, »Disegno and Logos, Paragone and Academy«, in: The Accademia Seminars. The Accademia di San Luca in Rome, c. 1590–1635, hg. v. Peter M. Lukehart, New Haven / London 2009, S. 43–54, hier v. a. S. 47, 52. 95 Siehe hierzu auch: Becker, »Grottesco & suavitas«; Becker-Sawatzky, Mira, »Anekdoten im frühneuzeitlichen Kunstdiskurs. Kontexte und Funktionen am Beispiel akademischer Zirkel in Rom und Paris«, in: Wissen en miniature. Theorie und Epistemologie der Anekdote, hg. v. Matthias Grandl und Melanie Möller, Wiesbaden 2021, S. 227–279, v. a. S. 229 f.
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reiche literarische Akademien dokumentiert sind, begannen sich reine Kunstakademien erst ab Mitte des Cinquecento zu etablieren.96 Im lombardischen Diskurs findet sich eine interdisziplinäre, informelle accademia mit einschlägiger Beteiligung von Bildkünstlern erstmals nachweislich in den 1490er-Jahren mit der in Kapitel 2.3.1 besprochenen Academia Leonardi Vinci. Zu dem Gelehrtenkreis am Mailänder Hof Ludovico Sforzas zählten neben Leonardo bspw. auch der Maler, Architekt und Dichter Donato Bramante sowie der Goldschmied Cristoforo Foppa, genannt Caradosso.97 Im Secondo Cinquecento wurde diese achademia, wie sich zeigen wird, relevanter Bezugspunkt der ersten mit Statuten und Publikationen agierenden Akademie der Lombardei, zu deren Gründern und Mitgliedern maßgeblich auch zahlreiche Bildkünstler zählten: der Accademia della Val di Blenio. Sie wurde um 1560 wohl federführend von dem Mailänder Kupferstecher und Kartographen Giovanni Ambrogio Brambilla gegründet – dem Künstler der grotesken Porträts der antiken Götter des Olymps (Abb. 4.18).98 Neben Brambilla zählten zu den Mitglie96 Zu frühneuzeitlichen Kunstakademien im Allgemeinen siehe: Children of Mercury: the education of artists in the sixteenth and seventeenth centuries, Ausst.kat., hg. v. der David Winton Bell Gallery der Brown University, Providence, Rhode Island 1984; Pevsner, Nikolaus, Die Geschichte der Kunstakademien, München 1986; Goldstein, Carl, Teaching Art. Academies and Schools from Vasari to Albers, Cambridge 1996; Marx, Barbara, »Der akademische Diskurs und die Strategien akademischer Institutionalisierung. Facetten einer Problemstellung«, in: Akademie und / oder Autonomie. Akademische Diskurse vom 16. Jahrhundert bis 18. Jahrhundert, hg. von ders. und Christoph Oliver Mayer, Frankfurt am Main 2009, S. VII–XVII, hier S. XIII . Ebenfalls auch für einen überregionalen Blick auf frühneuzeitliche Kunstakademien in Italien wertvoll ist Karen-edis Barzmans Studie zur Florentiner Accademia del Disegno: Barzman, Karen-edis, The Florentine Academy and the Early Modern State. The Discipline of Disegno, Cambridge 2000. Zu literarischen Akademien in der Lombardei des 16. Jahrhunderts siehe: Albonico, Simone, »Profilo delle Accademie letterarie milanesi nel 500«, in: Rabisch. Il grottesco nell’arte del Cinquecento. L’Accademia della Val di Blenio, Lomazzo e l’ambiente milanese, Ausst.kat., hg. v. dems., Manuela Kahn-Rossi und Francesco Porzio, Mailand 1998, S. 101–110. Zu frühneuzeitlichen Akademien im Cinque- und Seicento siehe: Chiummo, Carla / Geremicca, Antonio / Tosini, Patrizia (Hgg.), Intrecci virtuosi. Letterati, artisti e accademie tra Cinque e Seicento, Rom 2017. Zur vielfältigen frühneuzeitlichen Akademienlandschaft siehe weiter gefasst und europaweit betrachtet: Dixhoorn, Arjan van / Speakman Sutch, Susie, »Introduction«, in: The Reach of the Republic of Letters. Literary and Learned Societies in Late Medieval and Early Modern Europe, Leiden 2008, S. 1–16. 97 Siehe Kapitel 2.3.1 und Pederson, Jill, »Henrico Boscano’s Isola beata. New Evidence for the Academia Leonardi Vinci in Renaissance Milan«, in: Renaissance Studies, 22/4 (2008), S. 450–475; Borsieri, Girolamo, Il Supplimento Della Nobiltà di Milano, Mailand 1619, S. 57 f. 98 Grundlegend für die Erforschung der Accademia della Val di Blenio sind folgende zwei Publikationen: Bora, Giulio / Kahn-Rossi, Manuela / Porzio, Francesco (Hgg.), Rabisch. Il grottesco nell’arte del Cinquecento. L’Accademia della Val di Blenio, Lomazzo e l’ambiente milanese, Ausst.kat., Mailand 1998; Lomazzo / I Facchini, Rabisch (1589).
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dern der Akademie u. a. der Maler, Kunsttheoretiker und Dichter G iovan Paolo Lomazzo sowie die Maler Aurelio Luini, Ottavio Semino und Paolo Camillo Landriani, der Bildhauer Annibale Fontana, der Textilkünstler und Sticker Scipione Delfinone, der Musiker Giuseppe Caimo, der Astrologe Gerolamo Vicenza, der Schauspieler Simone da Bologna, der Ingenieur Giacomo Soldati, die Dichter Bernardo Rainoldi, Bernardino Baldini und Lorenzo Toscano sowie der Kunstsammler Pirro Visconti Borromeo und der Kameengraveur Francesco Tortorino.99 Die bereits in den vorigen Kapiteln mehrfach erwähnten kollaborativen Arbeitsstrukturen sowie das durch die Mailänder Hofkultur geprägte hohe Ansehen von Kunsthandwerkern, das keineswegs geringer als jenes der Maler oder Bildhauer war, bilden das soziokulturelle Fundament dieser vielfältig interdisziplinären und wenig hierarchisch organisierten Akademie.100 Die Gruppe benannte ihre Akademie nach dem ländlichen Blenio-Tal im Tessin, das damals der Diözese Mailand zugehörig war. Laut der Statuten trafen sie sich in dieser Region sowie in Mailänder Kneipen und unterhielten sich dabei ausschließlich in einem äußerst schwer verständlichen Dialektgemisch, in das unterschiedliche Dialekte aus Mailand, Bergamo, Bologna und Genua einflossen und das Ähnlichkeiten mit dem Dialekt der Landleute des Blenio-Tals hatte.101 Versammlungsort und -sprache markieren bereits explizit eine Gegenbewegung zum dominanten, normierenden kulturpolitischen Diskurs bzw. eine Verortung der Akademie außerhalb des repräsentativen Zentrums mit seinen Regeln und Konventionen. Einen Hinweis auf die Reibung der akademischen Praxis mit offiziellen Maßgaben gibt bereits das Publikationsdatum der ersten Buch-Veröffentlichung der Akademie, die bezeichnenderweise erst 1589 erfolgte und 99 Siehe: Bora, Giulio, »Da Leonardo all’Accademia della Val di Bregno: Giovan Paolo Lomazzo, Aurelio Luini e i disegni degli Accademici«, in: Raccolta Vinciana, 23 (1989), S. 73–101, S. 82ff; Isella, Dante, »Gli accademici della Valle di Blenio. Schede«, in: Lomazzo, Giovan Paolo / I Facchini della Val di Blenio, Rabisch (1589), hg. und übers. v. dems., Turin 1993, S. 327–371; Isella, »Introduzione«, hier v. a. S. XXXV; Paiva de Toledo, Gabriela, »The Academy of the Blenio Valley. Self-fashioning Identity in the Milanese Cinquecento«, in: Figura: Studies on the Classical Tradition, 6/1 (2018), S. 195–209, S. 197. 100 Vgl. zu den kollaborativen Arbeitsstrukturen und dem Ansehen gerade auch der Goldschmiede und Kunsthandwerker Kapitel 2.3 und 3.2; sowie: Welch, Evelyn, »Patron, Ar tists, and Audiences in Renaissance Milan (1300–1600)«, in: The Court Cities of Northern Italy: Milan, Parma, Piacenza, Mantua, Ferrara, Bologna, Urbino, Pesaro, and Rimini, hg. v. Charles M. Rosenberg, Cambridge 2010, S. 21–70, hier v. a. S. 24. Jüngst hat auch Ga briela Paiva de Toledo treffend betont: »The Blenio Valley Academy, by bringing together all sort of artists, mirrored the structure of workmanship organization in Milan in the mid-sixteenth century where there was no hierarchical division between arts and crafts.« Paiva de Toledo, »The Academy of the Blenio Valley«, S. 207. 101 Siehe zur Sprache der Akademiemitglieder generell: Isella, »Introduzione«; Isella, Dante, »Per una lettura dei Rabisch«, in: Rabisch. Il grottesco nell’arte del Cinquecento. L’Accademia della Val di Blenio, Lomazzo e l’ambiente milanese, Ausst.kat., hg. v. dems., Manuela Kahn-Rossi und Francesco Porzio, Mailand 1998, S. 111–119.
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Abb. 4.19: Frontispiz, Giovan Paolo Lomazzo und die Facchini della Val di Blenio, Rabisch (Mailand 1589), Druckgraphik – Foto: privat
damit nach dem Tod des Mailänder Erzbischofs Carlo Borromeo und zu einer Zeit weniger rigider Zensur seitens der kirchlichen und politischen Instanzen der lombardischen Metropolregion. Im Anschluss an die Analyse der Figurationen grotesker Köpfe im vorigen Unterkapitel werden im Folgenden die Untersuchungen der Statuten der Akademie und einiger Gedichte aus dem 1589 in Mailand erschienenen Buch Rabisch (~›Arabeschi‹) sowie des Selbstporträts von Lomazzo als Präsident der Akademie (Farbtafel 50) das ästhetische Programm und institutionelle Profil der Accademia della Val di Blenio weiter konturieren, veranschaulichen und nachvollziehbar werden lassen. Auf dem Frontispiz der Rabisch (Abb. 4.19) ist einerseits der in Dialekt verfasste Buchtitel zu lesen und andererseits die Figur eines nackten Mannes mit
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einer Bildunterschrift zu sehen. Rabisch dra Academiglia dor compa Zavargna, nabad dra Vall d’Bregn lautet der Obertitel, der sich mit ›Arabesken der Akade mie des Kollegen Zavargna, Herr des Blenio-Tales‹ übersetzen lässt.102 Unter dem Titel ist in frontaler Ansicht ein nackter, zur Seite schielender und breitbeinig auf einer Grasfläche stehender Mann dargestellt, unter seinem Bild ist die folgende Aufforderung an die Leserschaft vermerkt: »Guarda chi or vis er me furò ch’in dupra« – frei übersetzt: »Zunächst, schau dir hier mein Gesicht an, im Werk drin sodann meinen furor«.103 Schlägt man das Buch auf, ist zuerst die Widmung an den aus einer prominenten Mailänder Adelsfamilie stammenden Kunstsammler Pirro Visconti Borromeo zu lesen, der in der Akademie nur Conte genannt werde.104 In sehr derber Wortwahl wird in diesem Widmungsschreiben die Sprache der Akademiepraxis thematisiert und als Gegenentwurf zu der dreckigen Sprache (»lengua sporca«) der Ignoranten (»degl’ignorant«) präsentiert.105 Jegliche »virtù« der Akademie, so heißt es, sei in der Sprache des Blenio-Tals verfasst, eine Sprache, die süßer sei als die Scheiße der Bienen (»pù dolza ca ra merda d’avigl«) – zwar nicht direkt süß im Mund oder auf der Zunge, aber sehr süß und kraftvoll im Körper, so dass das Herz vor Süße (»dolzezza«) scheinbar schmelze.106 Die nachfolgenden Seiten seien in eben dieser Sprache randvoll mit facchinesken Bizarrien (»Tutt pien de fachinesca bizariglia«).107 Damit wird sogleich auf die Selbstbeschreibung der Akademiemitglieder als facchini verwiesen – in Referenz auf die in Mailand als Tagelöhner arbeitenden und 102 Das ans Mailändische zavajà angelehnte Wort zavargna ist der Akademiename Lomazzos und bedeutet veralbern, verspotten, scherzen und spaßen. Siehe: Isella, »Introduzione«, S. XVI; Isella, »Per una lettura dei Rabisch«, S. 113. Zu den Akademienamen der Mitglieder siehe weiter unten in diesem Unterkapitel. Zur Bedeutung von Rabisch als Arabesken und zur Konnotation der Arabesken mit dem Fantastischen und Kuriosen siehe: Isella, Dante, »Presentazione«, in: Lomazzo, Giovan Paolo / I Facchini della Val di Blenio, Rabisch, hg. v. dems., Turin 1993, S. VII–VIII, S. VIII; sowie: Isella, »Introduzione«, S. XXIX . 103 Die Figur des Holzschnitts weist eine markante Ähnlichkeit zu der roten Kreidezeichnung eines nackten, breitbeinig stehenden Mannes mit lockigem Haar auf (Windsor, Royal Library, RL 12595), die einem Mailänder Künstler des Secondo Cinquecento – mitunter auch Lomazzo selbst – zugeschrieben wird und die wiederum in der Haltung des Mannes auf Zeichnungen Leonardos zu rekurrieren scheint (u. a. Windsor, Royal Library, RL 12593r, RL 12721). Siehe: Berra, Giacomo, »Anonimo Milanese, Studio di figura nuda«, in: Rabisch. Il grottesco nell’arte del Cinquecento. L’Accademia della Val di Blenio, Lomazzo e l’ambiente milanese, Ausst.kat., hg. v. dems., Manuela Kahn-Rossi und Francesco Porzio, Mailand 1998, Katalog-Nr. 29, S. 180f, Abb. S. 166. 104 Lomazzo / I Facchini della Val di Blenio, Rabisch, S. 4. Dante Isella liefert in seiner kritischen Edition des Textes eine Prosa-Übersetzung ins dialektfreie Italienisch jeweils auf derselben Seite. 105 Ebd., S. 5. 106 Ebd., S. 4 f. 107 Ebd., S. 5.
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Gepäck und Wein schleppenden, Holz hackenden, Schornsteine reinigenden und ähnliche Arbeiten verrichtenden Landleute aus dem Blenio-Tal, die oben bereits im Zusammenhang mit dem unter Carlo Borromeo verbotenen Fest mosgètt erwähnt wurden.108 Entsprechend ihrer Bezeichnung als facchini nannten die Akademiemitglieder ihre dialektische Sprache facchinesco. Das facchinesco ist, wie oben skizziert, ein Gemisch aus Dialekten und steht insbesondere der Dialektsprache der Bevölkerung des Blenio-Tals nahe, die außerhalb der Region äußerst schwer verständlich war bzw. ist und die eklatant vom toskanischen Italienisch abweicht, das im Zuge der Questione della lingua von Seiten Pietro Bembos und seiner Anhängerschaft als sprachliche Norm eingefordert wurde.109 Mit der Selbstbeschreibung und Ernennung als facchini konnten die Akademiemitglieder sich aber nicht allein – wie in der bisherigen Forschung fokussiert – auf die Arbeiter aus dem Blenio-Tal beziehen. Relevant und aufschlussreich erscheint ebenso ein Blick auf die Anwendung des Wortes im kunsttheoretischen Diskurs. Leon Battista Alberti warnte bspw. in seinem prominenten Buch Della Pittura (1435) davor, die Figur des Ganymed mit den Gliedmaßen eines »facchino« darzustellen; auch in den Vite Giorgio Vasaris werden die facchini als Modelle für Bildfiguren diskutiert; und in Lodovico Dolces Dialogo della Pittura intitolato l’Aretino (1557) referiert die Dialogfigur Aretino einen »bello ingegno«, der trefflich erkannt habe, dass Michelangelo »facchini« und Raffael »gentiluomini« malte.110 Auf in diese Richtung zielende, abwertende und kritisierende Äußerungen gegenüber der Figurenmalerei Michelangelos bezieht sich schließlich Lomazzo in seinem ab den 1560er-Jahren entstandenen Libro dei Sogni, wenn er davon berichtet, dass manche sagen, Michelangelo habe im Jüngsten Gericht ein Narrenhaus (»gabbia«) oder einen Haufen (»ciurma«) »fachini« (Gepäckträger) oder Komödianten (»istrioni«) an die Wand gemalt; das Fresko sei aber im Gegenteil der wahre Glanz (»vero splendore«) ganz Italiens.111 Als facchini bezeichnet man also im 16. Jahrhundert im Großraum Mailand die in Dialekt sprechenden Tagelöhner aus dem Blenio-Tal; gleichzeitig wird die Be108 Siehe Kapitel 4.1. 109 Zur Questione della lingua siehe auch die Einleitung von Kapitel 4, Anm. 26. 110 Zum Zitat Albertis siehe: Alberti, Della Pittura, S. 126. Zu Vasaris Begriffsverwendung von »facchino« u. a. im Kontext der Besprechung von Francesco Bonsignores Bild des Heiligen Sebastian und dessen Entstehungsgeschichte sowie generell zu den facchini als Modelltypen für ein Studium nach dem Leben siehe: Kim, David Young, »The Horror of Mimesis«, in: Oxford Art Journal, 34/3 (2011), S. 335–353, S. 346 f., 349. Zum Zitat Dolces siehe: Dolce, Ludovico, »Dialogo della Pittura intitolato l’Aretino«, in: Trattati d’arte del Cinquecento fra manierismo e controriforma, hg. v. Paola Barocchi, Bd. 1, Bari 1960, S. 141–206, S. 194. 111 Lomazzo, Giovan Paolo, »Il Libro dei Sogni«, in: ders., Scritti sulle arti, hg. v. Roberto Paolo Ciardi, Bd. 1, Florenz 1973, S. 1–240, S. 101 f.
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zeichnung aber auch in renommierten kunsttheoretischen Texten eingesetzt, wenn bestimmte Modelltypen beim Studium nach dem Leben – zumeist kritisch oder gar diffamierend – als Figuren besprochen werden, die sich gerade nicht als Modell für schöne, heilige Gestalten eignen, da ihre Körper von Arbeiten gezeichnet seien, die als gesellschaftlich nieder gelten, und von Haltungen und Verhaltensweisen geprägt sind, die nicht vom Reglement sozialer Distinktion bestimmt sind.112 In einem der Gedichte der Rabisch heißt es dementsprechend, dass die facchini und die Hofleute nie gut harmonieren: »Che i fachign e i cortesagn / Magl’ insiema no stagn begn«.113 Die oft prominenten und erfolgreichen Künstler und Gelehrten der Akademie verhüllen bzw. maskieren sich demnach als uneitle, unprätentiöse, arme, fleißige Arbeiter, die in derber, vulgärer und humorvoller Sprache kommunizieren. Des Weiteren markieren die Akademiemitglieder in den einzelnen Gedichten der Rabisch, aber v. a. auch im statutenartigen, theoretischen Vorwort, der Introduçigliogn, immer wieder anhand unterschiedlicher Facetten der Selbstbeschreibung ihre Abkehr von normierenden, schönen, idealisierenden Form sprachen bzw. Stilen und betonen zugleich ihr ernsthaftes Erkenntnisinteresse, ihre aufrichtige Suche nach Wahrheit und Wissen.114 Damit geht es ihnen letztlich um Erkenntnis qua grotesker Ästhetik. Als leitende Tugenden der Akademie werden das Erkennen des Guten (»questa preçigliosa virtù dor gnòss or begn«) angeführt sowie die scienza (»sigliençiglia«), mit denen man all jenen die Augen öffne und all jene aus dem Schlamm ziehe, die nicht so viel grazia (»graçiglia«) haben und blind seien für so viel Licht.115 Zentral ist auch die virtù der Humilitas (»umiltà«).116 Der frühneuzeitliche Begriff der Humilitas, der im modernen Verständnis Demut bzw. Ärmlichkeit und Bescheidenheit bezeichnet, meint im 16. Jahrhundert »auch das Geringe, Niedrige und Kleingewachsene in sozialer und ästhetischer Sicht«, und bezieht sich dabei auf die Leiblichkeit des Menschen, der ebenfalls humil sei – aus Erde (humus) geformt –, und impliziert 112 Elena Lazzarini erläutert die mit der Bezeichnung facchini einhergehenden Implikationen der Kritik an Michelangelos Figuren des Jüngsten Gerichts aufschlussreich wie folgt: »The monstrousness of Michelangelo’s creations is articulated in contemporary literature which defines them as the bodies of facchini (porters), giocolieri (jugglers), and saltimbanchi (acrobats) – in other words, bodies deemed to be at the edges of social control, bodies which subvert the rules of civil living and thus monstruous bodies that can only perform degraded acts. These terms of abuse towards social bodies of labour appear repeatedly in sixteenth-century treatises to establish the vulgar and indecorous physicality of the nudes in the Last Judgement.« Lazzarini, »Wonderful Creatures«, S. 421. 113 Lomazzo / I Facchini della Val di Blenio, Rabisch, Gedicht-Nr. 41, S. 179. 114 Zur Introduçigliogn siehe ebd., S. 49–77. Teile des Vorworts werden im Verlauf des Textes auch explizit als Statuten (»straducc«) bezeichnet, ebd., S. 54, 67 f. 115 Ebd., S. 53. 116 Ebd., S. 55.
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schließlich ein Bemühen um Allgemeinverständlichkeit.117 Im Zeichen der umiltà sollen die Akademiemitglieder gemäß der Statuten der Welt die Größe ihres Ingeniums (»ra grandezza dor sò insciegn«) demonstrieren – zur Verwunderung all jener, die denken, sie seien zu nichts anderem fähig als Trinkgelagen und alberner Lärmerei.118 Als Schutz- bzw. Schirmherrn ihrer akademischen Praxis bestimmen die Blenio-Akademiker derweil Bacchus – den antik-mythologischen Gott des Weines, des Rausches und der rituellen Ekstase –, der im »fà grotisch« unübertrefflich sei.119 Als Meister des Grotesken wird Bacchus zum Garanten künstlerischer Freiheit und Imagination. Sein Wein gilt als Inspirationsquelle kreativen Schaffens, als flüssige Inspiration der Virtuosität und in diesem Sinne nährendes Element des furor; bacchische Trinkgelage werden in der Konsequenz zu Stätten der Inspiration und Wissensproduktion.120 Der in den Rabisch zentrale und bedeutsame furor ist dabei als eine Mischung aus göttlicher Inspiration und naturgegebenem Talent zu fassen – eine Mischung, die virtuose Kreativität freisetzt und als grundlegendes Merkmal eines jeden Akademiemitglieds ausgestaltet
117 Zum Zitat siehe: Müller, Jürgen / Münch, Birgit Ulrike, »Zur Einführung: Bauern, Bäder und Bordelle?, oder: Was soll uns die frühe Genremalerei sagen?«, in: Peiraikos’ Erben. Die Genese der Genremalerei bis 1550, hg. v. dens., Wiesbaden 2015, S. 3–14, S. 7 mit Anm. 16. 118 Lomazzo / I Facchini della Val di Blenio, Rabisch, S. 55. 119 Ebd., S. 10; zu Bacchus als Schutzheiliger, Inspiration und Vorbild der Mitglieder siehe bspw. auch: ebd., S. 15 f., S. 57 ff. (Pròlogh in onò de Bacch), 65 f., 119, 175–181; vgl. auch Isella, »Introduzione«, S. XIX ff. 120 Dass bacchische Trinkgelage als Stätte der Inspiration und der Wissensproduktion zu verstehen sind, expliziert Lomazzo auch in seiner Schrift über die Musen: »Et fù una legge appò gli antichi ne conviti, che nel bere si cominciasse nelle gratie, & si terminasse nelle Muse, […] per infiammarci alli studij, & alla sapientia; […] intendiamo le forze delle Muse, del Nettare della divina cognitione esser ebbre […]. [I]l furor poetico ci insegnò Platone perciò provenirci, & inalzar la mente sopra la natura humana, e quasi che transferirci in Dio.« Lomazzo, Giovan Paolo, Della Forma delle Muse, Cavata da gli Antichi Autori Greci, et Latini, opera utilissima à Pittori, & Scultor, Mailand 1591, o. S. Vgl. zu Bacchus als Schirmherr der Akademie auch: Isella, »Introduzione«, S. XX f. Zur imbibitio von Bacchus’ Wein als Aufsaugen von ingegno und capriccio, Witz und künstlerischer Freiheit während der frühen Neuzeit siehe den facettenreichen und anregenden Aufsatz von Christine Göttler zu Rubens’ Gemälde eines Silens: Göttler, Christine, »›Bootsicheyt‹: Malerei, Mythologie und Alchemie im Antwerpen des frühen 17. Jahrhunderts: Zu Rubens’ Silen in der Gemäldegalerie der Akademie der Bildenden Künste in Wien«, in: Erosionen der Rhetorik? Strategien der Ambiguität in den Künsten der Frühen Neuzeit, hg. v. Valeska von Rosen, Wiesbaden 2012, S. 259–302; für eine knappe Zusammenfassung des Beitrags siehe: Becker, Mira, Rezension von: Valeska von Rosen (Hg.), Erosionen der Rhetorik? Strategien der Ambiguität in den Künsten der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 2012, VII + 356 S., in: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur, 2 (2014), Stuttgart 2014, S. 213–222.
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wird.121 Ein Beispiel etwa liefert die Beschreibung der Zeichnungen Aurelio Luinis in einem Gedicht »in rengua toscana« im Akademiebuch, in dem die seltene Anatomie und der tiefgründige Stil (»Con rara anotomia, con stil profondo« ) der Arbeiten Luinis betont wird, die mit großem furor (»con sì gran furore«) gemacht seien.122 Tiefsinn, seltene Anatomie und furor: Damit werden Eigenschaften hervorgehoben und gepriesen, die sich durch ein Wissen des Künstlers auszeichnen, das nicht lehrbar und nicht regelfähig ist, das vielmehr an die Künstlerpersönlichkeit Luini gebunden ist und als ein solches teilhat an der gelehrten Praxis der Akademie. Seltene – sprich ungewöhnliche – Anatomie, ein vom Grotesken-Meister Bacchus inspirierter furor und semantische Mehrdimensionalität passen als Selbstverständnis und Stilrichtung ebenso zu der im vorigen Unterkapitel analysierten Zeichnung des Compar digliagor (Abb. 4.14) von Aurelio Luini. Kreativität und Talent im Verbund mit Gelehrsamkeit zählen gemäß der Rabisch und ihres theoretischen Vorworts auch zu den Grundvoraussetzungen einer Mitgliedschaft in der Accademia della Val di Blenio. Wer das Tal betreten wolle, so heißt es, müsse alles, was er könne, mit dem Stift in der Hand zeigen; denn aufgenommen werde nur, wer in einer Sache – vor allem in den artes liberales – virtuos (»virtuglios«) sei.123 Dabei könne jeder in der Sprache schreiben, die ihm gefalle, während jedoch bei den Akademietreffen, wie bereits erwähnt, 121 Zum frühneuzeitlichen Konzept des furor und seiner Bedeutung in der Tradition des quattrocentesken Florentiner Gelehrtenkreises um Ficino siehe: Grassi / Pepe, Dizionario, S. 341. Siehe zum furor auch: Link, Jochen, Die Theorie des dichterischen furore in der italienischen Renaissance, München 1971. Zudem hat Anna Magnago L ampugnani jüngst eine wichtige und aufschlussreiche Studie zum furor vorgelegt, in der sie Wandlungsprozesse von Konzepten künstlerischer Eingebung in frühneuzeitlichen Dichtungs- und Kunsttheorien erörtert und in diesem Kontext auch Lomazzos Kunst und Kunsttheorie auf Konzeptionen des furor hin befragt, der gemäß dem Denken des Mailänder Künstlers und Kunsttheoretikers v. a. in grotteschi manifest wird. Magnago Lampugnani, Anna, Furor. Vorstellungen künstlerischer Eingebung in der Frühen Neuzeit, München 2020, zum furor-Begriff Lomazzos v. a. S. 192–200, 280–302. 122 Lomazzo / I Facchini, Rabisch, Gedicht-Nr. 35, S. 152. 123 »Ch’o ’s mostra tutt col ch’o ’s sa fà con ra penna in magn / da col ch’o vul intrà in dra vall. / Ch’o no s’ascieta onzugn s’or no n’è virtuglios in qualcò/sa, e principalment in degl’ art liberal.« Ebd., S. 67. Während Barbara Tramelli in einem Beitrag zur Accademia della Val di Blenio die zitierte Vorgabe, dass jedes Akademiemitglied sein Können mit einem Stift beweisen müsse, rein als Forderung nach »writing skills« auffasst und die Akademie als eine literarische Gruppe in den Blick nimmt, wird der Gelehrtenzirkel in der vorliegenden Arbeit dezidiert als eine interdisziplinäre Akademie aufgefasst, in deren Praxis gerade auch das Zeichnen eine bedeutende Rolle innehatte – wie die unter Kapitel 4.1 betrachteten Zeichnungen und Druckgraphiken grotesker Köpfe verdeutlichen (Farbtafel 49, Abb. 4.13, 4.14, 4.18). Penna, wie es in der oben zitierten Passage der Statuten heißt, wird demnach nicht allein als Schreibgerät, sondern gerade auch als Instrument des Zeichnens aufgefasst.
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alle facchinesco sprechen müssen.124 Als Rahmenbedingungen bzw. Rituale der akademischen Praxis werden schließlich neben dem Trinken von gutem Wein bspw. das Tragen von großen Hausschuhen aus russischem Rindsleder angeführt.125 Entsprechend der Erläuterungen im Vorwort zeichnen sich die nachfolgenden, zumeist lyrischen Texte der Rabisch durch eine hohe Diversität bzw. Pluralität an Sprachen und Dialekten wie auch Versformen aus und derb-vulgäre Ausdrücke finden gleichermaßen Eingang in die offizielle Publikation der Akademie wie Subversionen von Schönheitstopoi.126 Als gemaltes Pendant zu den Statuten, die Programm und Profil der Akademie konturieren, wird nun das Selbstporträt des Malers Giovan Paolo Lomazzo als Präsident der Akademie (Farbtafel 50) untersucht. Es erweist sich als eine Art Programm- und Profilbild, das wichtige Gesichtspunkte des Selbstverständnisses der Akademie vor Augen führt. Giovan Paolo Lomazzo wurde 1568 zum Präsidenten der Accademia della Val di Blenio auf Lebenszeit gewählt. Kurz darauf stellt er sich im Halbfigurenbild und Dreiviertelprofil hinter einer steinernen Brüstung und vor dunklem, bräunlich-monochromem Grund als Maler und Vorsitzender der Akademie dar. Sein Akademiename »Zarvagna« (der, der scherzt, verspottet und albern ist), seine Amtsbezeichnung »Nabas Vallis Bregni« (Vorsitzender bzw. Herr des Blenio-Tals) sowie sein Beruf, »Pictor«, sind in den fingierten Stein am unteren Bildrand eingemeißelt. Der Blick des Porträtierten ist über die linke Schulter direkt zum Betrachtenden gerichtet, während sein Gesicht, die goldgelbe Medaille auf seinem Hut, sein linkes Ohr, sein Hals, die Schulter und die rechte Hand von dem von oben rechts einfallenden Licht hell erleuchtet werden. In seiner Rechten hält der Mann eine auf einen Rahmen gespannte Leinwand und einen Zirkel. Über seiner Schulter liegt ein stofflich fein ausgearbeitetes braun-rötliches Fell. An seine Schulter gelehnt ragt ein Stab mit Speerspitze diagonal ins Bild, um den sich eine Pflanze mit kleinen schwarzroten Beerenfrüchten rankt. Auf dem Kopf trägt der Mann einen schwarzbraunen Hut mit großer Krempe und obenauf Wein- und Lorbeerblättern. Den Hut ziert ein goldglänzendes Medaillon mit einer von Blättern umrankten Kanne.
Vgl.: Tramelli, Barbara, »Artists and Knowledge in Sixteenth Century Milan. The Case of Lomazzo’s Accademia de la Val di Blenio«, in: Fragmenta. Journal of the Royal Netherlandish Institute in Rome, 5 (2011), S. 121–137, hier S. 132. Zur Verwendung von penna als Instrument des Dichters und ebenso des Künstlers siehe: Reufer, Claudia, »Eine aus Linien aufgebaute Bildwelt. Die Zeichnungsbücher aus der Werkstatt Jacopo Bellinis«, in: Wissen in Bewegung. Institution – Iteration – Transfer, hg. v. Eva Cancik-Kirschbaum und Anita Traninger, Wiesbaden 2015, S. 393–413. 124 Lomazzo / I Facchini della Val di Blenio, Rabisch, S. 69. 125 Ebd., S. 75. 126 Diese Aspekte werden in Unterkapitel 4.3 exemplarisch anhand von Gedichten einzelner Akademiemitglieder anschaulich gemacht, die dann wiederum in ihrer intrikaten Relation zu Werken der bildkünstlerischen Praxis anderer Akademiemitglieder erörtert werden.
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Die Haltung und der Blick des Porträtierten, der Hut und das Fell sowie die erdige Farbskala und die weiche Lichtschattenmodellierung scheinen in Aus einandersetzung mit einer Bildfindung Sebastiano del Piombos konzipiert worden zu sein, die einen jungen, nachdenklich wirkenden Mann mit Hut, Fellumhang und Flöte darstellt und über mehrere Kopien im venezianisch-mailändischen Austausch Verbreitung fand (Farbtafel 51).127 Die der Bildfindung inhärente »filosofia ›pastorale‹« lässt sich dabei durchaus stimmig mit dem Profil der bacchischen und ländlichen Accademia della Val di Blenio korrelieren.128 Zudem weist eine rote Kreidezeichnung Lomazzos auf ein Studium der inventio Sebastianos hin (Farbtafel 52), die der Mailänder anschließend auf kreative Weise im Gemälde des Selbstporträts adaptiert zu haben scheint.129 Im gemalten Porträt spielt er mit dem arkadischen Sujet und variiert es. Lomazzo ersetzt die Flöte durch die Malwerkzeuge und integriert bacchische Motive wie die Weinund Lorbeerblätter aber auch die Kanne auf dem Medaillon, die mit einem in den Rabisch beschriebenen Behältnis zum Einflößen des Weins identifiziert werden kann.130 Zudem verleiht er seiner eigenen Darstellung eine deutlich andere, grobförmigere Physiognomie im Vergleich zu der des jungen Hirten. Die volle, wohl vom Wein Bacchus’ rot gefärbte Unterlippe, die große knubbelige Nase, die Augenfalten und der dichte Bart unterscheiden sich stark von der feingliedrigen Physiognomie des Hirten.131 127 Mitunter wird auch von einem nicht erhaltenen Modell Leonardos ausgegangen, auf das sich dann u. a. Lomazzo, Sebastiano del Piombo und Giorgione (Mann mit Flöte, Rom, Galleria Borghese) bezogen. Zu der Debatte um die venezianisch-mailändische Bildfindung siehe: Pavesi, Giovan Paolo Lomazzo, S. 182 f. 128 Siehe: Rinaldi, »Bernardino Luini ›Mediolanensis‹«, S. 26 f., Anm. 44. Das Pastorale lässt sich hinsichtlich der Wertschätzung des Derben, Groben, Rauen mit dem Profil der Akademie des ländlichen Blenio-Tals verbinden. Im Vorwort seines frühneuzeitlich vielfach aufgelegten Schäferromans Dell’Arcadia (ca. 1504), der in einer bergigen Landschaft verortetet ist, weist Jacopo Sanazzaro bezüglich der zentralen Themen seines Buches darauf hin, dass die Geschichte zeige, wieviel mehr Freude dem Menschen mitunter eine derbe, raue, grobe, natürlich gemachte Sache im Vergleich zu einer fein säuberlichen, kunstvoll fabrizierten bereiten könne: »Mostra quanto più diletto alcune volte arrechi all’uomo una cosa rozza, naturalmente fatta, che una pulita, e fabbricata con artifizio«. Sanazzaro, Jacopo, »Dell’Arcadia«, in: Le tre arcadie ovvero accademie pastorali di messer Jacopo Sanazzaro, del canonico Benedetto Menzini, e del signor Abate Michel Giuseppe Morei, presso Francesco Santini, Venedig 1784, S. 7–166, S. 7. 129 Die Zeichnung (Mailand, Biblioteca Ambrosiana, inv. F 271 inf. N. 47), deren Autorschaft einige Jahre strittig war, ist auf der Rückseite (die lange Zeit nicht sichtbar war, da ein Sammler sie auf ein anderes Papier geklebt hatte) signiert mit »gian Paolo Lomazzo«. Siehe zur Signatur der Zeichnung sowie generell der Praxis des Signierens von Zeichnungen im Umfeld und der Nachfolge Bernardino Luinis und seiner Werkstatt: Rinaldi, »Bernardino Luini ›Mediolanensis‹«, S. 26. 130 Zur Kanne siehe weiter unten in diesem Unterkapitel. 131 Zu den von Rotwein verfärbten Lippen siehe: Magnago Lampugnani, Furor, S. 198.
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Auf einem weiteren Zeichnungsblatt (Abb. 4.20) stellte Lomazzo in schwarzer Kreide gewissermaßen eine groteske Version seines Selbstporträts bzw. eine Defiguration dessen dar: Der Mann in der Kreidezeichnung, der die Betrachtenden über seine linke Schulter gewandt direkt anblickt, hat ähnlich markante, fleischige Lippen. Seine Nase ist jedoch runder und dicker, das Gesicht bartlos und sein Ohr auffällig groß. Bis auf einen schlichten Hut sind keine weiteren Attribute dargestellt. Am unteren Bildrand ist, wie in den in Kapitel 4.1 besprochenen Zeichnungen der Akademiemitglieder, eine Inschrift im facchinesco-Dialekt zu lesen, gemäß derer der Mann ein Henker ist.132 Vermittels der Ähnlichkeiten mit dem Selbstporträt als Akademiepräsident und Maler einerseits und qua der expliziteren Deformierungen bestimmter Gesichtspartien sowie der Absenz weiterer Attribute oder Motive andererseits entspannt sich zwischen der HenkerZeichnung und dem Selbstporträt als Akademiepräsident ein spannungsreiches Relationsgefüge, in dem die Figuren in unterschiedlichen Gradierungen des Abweichens von wohlproportionierter und idealisierender körperlicher Schönheit unterschiedliche Charaktere konfigurieren und in dem zugleich mit einem figuralen Oszillieren bzw. der Wandlungsfähigkeit von Figuren gespielt wird.133 132 Die Inschrift der Zeichnung lautet: »[S]or boglia [vedì] igno / che porta ol capelasc inscima al co’ […]« Giulio Bora überträgt sie wie folgt ins dialektfreie Italienisch: »Il boia qui ignò vedete che porta in cima al capo il gran cappello«. Siehe zur Zeichnung und dem direkten Vergleich mit dem gemalten Selbstporträt Lomazzos als Akademiepräsident: Bora, »Da Leonardo all’Accademia della Val di Bregno«, S. 82 ff. Furio Rinaldi hingegen vermutet, dass die Figur auf dem Blatt als Studie für einen Henker in einer biblischen Szene (bspw. der Darstellung des Kreuztragenden Christus) entstand. Siehe: Rinaldi, »Bernardino Luini ›Mediolanensis‹«, S. 26. 133 Auch in einer Darstellung der Anbetung der Hirten in der Kirche Santa Maria della Purificazione im lombardischen Caronno Pertusella wird Lomazzos Interesse an Typen jenseits normierter Schönheit und ausgewogener Proportionen deutlich (Abb. 4.31). Einer der Hirten mit rotglühenden Wangen hat ehrfürchtig die Hände erhoben und Mund und Augen weit geöffnet. Seine Haare sind strubbelig, seine Lippen fleischig, die Ohren sehr groß. Bestimmte physiognomische Details ähneln dem Henkertypus, aber auch dem Akademie-Porträt und führen die fein nuancierte semantische wie auch ästhetische Wandlungsfähigkeit von Figurentypen vor Augen. Vgl. zu den Fresken in Caronno Pertusella und zur Hirtenfigur im Besonderen: Marelli, Isabella, »La decorazione pittorica: da Bernardino Campi e Giovan Paolo Lomazzo fino agli interventi del Settecento«, in: Chiesa della Purificazione Caronno Pertusella, hg. v. Pierangelo Colombo, Paola Monti und Pierangela Zaffaroni, Florenz 2011, S. 65–86, S. 69 f., 74 ff.; Pavesi, Mauro, »Qualche riflessione sull’attività pittorica di Giovan Paolo Lomazzo«, in: Studi in onore di Maria Grazia Albertini Ottolenghi, hg. v. Marco Rossi, Alessandro Rovetta, Francesco Tedeschi, Mailand 2013, S. 155–161, S. 158. Zu den Bezügen Lomazzos auf nicht allein Leonardos groteske Köpfe, sondern auch auf mittelalterliche Bildfindungen verzerrter Gesichter, z. B. der Hirten in den Fresken von Giacomo Jacquerio in Sant’Antonio im piemontesischen Ranverso siehe: Migliaccio, Luciano, »Leonardo ›auctor‹ del genere comico«, in: Achademia Leonardi Vinci. Journal of Leonardo Studies & Bibliography of Vinciana, hg. v. Carlo Pedretti, 8 (1995), S. 158–161, S. 159 f.
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Abb. 4.20: Giovan Paolo Lomazzo, Kopf eines Henkers – groteskes Selbstporträt mit Inschrift: Or boglia [vedì] igno / che porta ol capelasc inscima al c[ap]o, Zeichnung, schwarze Kreide mit Feder und brauner Tinte / Papier, 119 × 92 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, F 274 inf. n. 20 © Veneranda Biblioteca Ambrosiana
Neben derartigen interpikturalen Bezügen, die ein Interesse an Prozessen des Neukonfigurierens und Umsemantisierens verdeutlichen, lassen sich mittels der Lektüre der Rabisch und insbesondere der darin enthaltenen Statuten zudem die Attribute des Akademiepräsidenten im Gemälde als dessen offizielle Amtstracht identifizieren. So wird bspw. das über die Schulter geworfene Fell als Teil der Amtstracht und Zeichen der umiltà angeführt.134 Außerdem verweist die Kanne, 134 Lomazzo / I Facchini, Rabisch, S. 60. Das Fell wird hier als Ziegenfell spezifiziert. Zur Ziege als traditionellem Opfertier für Bacchus siehe: Paiva de Toledo, »The Academy of the Blenio Valley«, S. 199.
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Abb. 4.21: Giovan Paolo Lomazzo, Anbetung der Hirten, Mitte 1560er-Jahre, Fresko, Chiesa della Purificazione, Caronno Pertusella – Foto: privat
die das Medaillon am Hut des Porträtierten ziert, auf den sich nie leerenden, mit Weinblättern bewachsenen Behälter galigliogn, aus dem die Akademiemitglieder während ihrer Treffen – so ein Gedicht der Programmschrift – Bacchus’ Wein trinken und sich dadurch die göttliche Inspiration für ihre Virtuosität einverleiben.135 Auch der im Gemälde prominent platzierte Stab mit Pfeilspitze wird in den Rabisch als Attribut Bacchus’ aufgezählt. In der bisherigen Forschung unbeachtet bzw. fehlinterpretiert ist jedoch die Pflanze, die sich um den Stab rankt. Die teils herz- bis tropfenförmigen Blätter und die schwarzroten kleinen Beerenfrüchte wurden undifferenziert als Wein- und Efeublätter bezeichnet.136 Weinlaub und Lorbeer finden sich jedoch nur auf dem Hut, während die Pflanze um den Stab mit ihren Beerenfrüchten und Blättern auf den Maulbeerbaum verweist, der mitunter als hängender Baum lange dünne Äste hat, die sich winden 135 Zum Medaillon siehe: Lomazzo / I Facchini, Rabisch, S. 64 ff.; zum Gedicht über den Weinbehälter siehe: ebd., Teil II, Gedicht Nr. 41, S. 173–181. 136 Siehe für die Bezeichnung der Pflanze als Efeu bspw.: Porzio, Francesco, »Giovan Paolo Lomazzo, Autoritratto come abate dell’Accademia della Val di Blenio e come pittore«, in: Rabisch. Il grottesco nell’arte del Cinquecento. L’Accademia della Val di Blenio, Lomazzo e l’ambiente milanese, Ausst.kat., hg. v. dems., Manuela Kahn-Rossi und Francesco Porzio, Mailand 1998, Katalog-Nr. 27, S. 179–180, S. 179; sowie als Wein und Efeu: Pavesi, Giovan Paolo Lomazzo Pittore Milanese, S. 180 f. Für meine Deutung der Pflanze als Maulbeerbaum siehe bereits: Becker, »Grottesco & suavitas«, S. 422 f.
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Abb. 4.22: Giovan Francesco Bicesi, genannt Il Fornarino, sich windende Äste von Maulbeerbäumen, um 1585, Fresko, Treppenhaus, Palazzo del Giardino, Sabbioneta – Foto: privat
lassen. Mit dem Maulbeerbaum wird eine spezifisch mailändische Motivik bzw. Symbolik in das programmatische Selbstporträt integriert. Wie in Kapitel 2.3.1 ausführlich dargelegt, wurde mit dem Bild des Maulbeerbaums (moro) als weisester Baum auf die Regentschaft von Herzog Ludovico Sforza, genannt il Moro, angespielt und diese wiederum mit der erfolgreichen Seidenproduktion sowie einer besonderen Blüte der Mailänder (Hof-)Kultur verknüpft, innerhalb derer sich die interdisziplinäre Academia Leonardi Vinci unter dem von Leonardo freskierten Blätterdach aus Maulbeerbäumen in der camera dei moroni traf, die auch als Sala delle Asse bekannt ist (Farbtafeln 9 und 10, Abb. 2.18).137 Dass die Motivik des Maulbeerbaums und Leonardos Fresken im Castello Sforzesco auch während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im lombardischen Diskurs sehr präsent waren und rezipiert wurden, verdeutlichen u. a. die dem Maler Giovanni Francesco Bicesi, genannt Il Fornarino, zugeschriebenen Wand- und Deckenmalereien (um 1585, Abb. 4.22) in einem Treppenhaus des Palazzo del Giardino in Sabbioneta, wo sich Zweige mit herzförmigen Blättern und dunklen Beerenfrüchten in Achterschlaufen zu einer kunstvoll ornamen137 Siehe zu diesen Aspekten und Verweisen auf Forschungsliteratur Kapitel 2.3.1.
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Abb. 4.23: Umkreis Leonardos, Profilbüste einer jungen Frau mit Efeu kranz im Haar, Tondo, 1490–1510, Kupferstich / Papier, 136 × 130 mm, British Museum, London, inv. 1850,1109.92 © The Trutees of the British Museum
talen Struktur bzw. Pergola winden.138 Und Lomazzo selbst bewundert das Flechtwerk der Bäume im Mailänder Castello in seinem Trattato als »bella invenzione« Leonardos, die den Anschein gebe, als bilden all die Äste »diversi gruppi bizarri«.139 Über das Motiv der gewundenen Maulbeerbaumzweige, die Lomazzo mit dem der grotesken Ästhetik eignenden Beschreibungsvokabular des Bizarren erfasst, rekurriert der Mailänder Maler in seinem Selbstporträt als Akademievorsitzender auf Leonardos camera dei moroni, die Academia Leonardi Vinci sowie die Gelehrsamkeit und Kunstförderung am Mailänder Sforza-Hof um 1500. Lomazzo setzt in seinem Akademiebild damit die Gruppe des Blenio-Tals in Bezug zur prominent besetzten Künstler- und Gelehrtengruppe der 1490er-Jahre und markiert die Anbindung an eine in seinen Augen sehr fruchtbare Zeit der Kreativität und disziplinenübergreifenden Gelehrsamkeit – wie nicht zuletzt seine intensive bildkünstlerische und kunsttheoretische Auseinandersetzung mit Leonardos Werken weiterhin belegt.140 Außerdem lässt sich bereits in einem frühen 138 Siehe zum Palazzo del Giardino in Sabbioneta auch weiter unten Kapitel 4.3.2, Anm. 169. 139 Lomazzo, »Trattato«, S. 374. 140 Siehe zu diesem Argument ausführlicher: Becker, »Grottesco & suavitas«.
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Abb. 4.24: Giovan Paolo Lomazzo, Selbstporträt, ca. 1560, Öl / Papier auf Eichenholz, Tondo, Ø 39 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien, inv. 342 © KHM-Museumsverband
Selbstporträt Lomazzos (Abb. 4.24) eine Bezugnahme auf die Academia L eonardi Vinci vermuten. Der junge Mailänder Maler stellt sich in diesem Bildnis im Tondo-Format, halbfigurig und im Profil mit ernstem Blick und mit einem weißen, über die rechte Schulter gebundenen Tuch bekleidet dar. Die antik anmutende Gewandung, seine Haltung sowie das Format des Bildes weisen eine markante Nähe zum Kupferstich der Profilbüste einer jungen Frau auf, die mit einer einseitig über die Schulter gebundenen Tunika und einem Efeukranz im lockigen Haar dargestellt ist und durch die Inschrift Acha Le Vi begleitet wird, welche wiederum auf den Mailänder Gelehrtenzirkel um Leonardo verweist (Abb. 4.23).141 Lomazzos Porträt als Akademiepräsident und Maler erweist sich in der Zusammenschau der herausgearbeiteten Aspekte als ein programmatisches, symbolisch aufgeladenes und ästhetisch traditionsreich verankertes Bild, das künstlerische Kreativität und Inspiration wie auch ästhetische Bildung zum Thema macht. Er mag damit durchaus den jungen, aufstrebenden lombardischen Maler 141 Erwähnt sei hier auch die Bronzemedaille mit Lomazzos Porträt, die Annibale Fontana gestaltete (London, British Museum, Inv.-Nr. G3, IP.551). Auch in dieser Profilbüste ist Lomazzo mit einem über der linken Schulter geknoteten antik anmutenden Tuch bekleidet.
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Michelangelo Merisi da Caravaggio beeindruckt haben, der sich Anfang der 1590er-Jahre in der Rolle eines kränklichen Bacchus porträtierte (Rom, Galleria Borghese, Bacchino malato) und der mit der kreativen Adaption von Schulterblick, Gesichtsausdruck sowie Bacchus-Attributen sowie einer Doppelrolle als Bacchus und Maler ein facettenreiches und komplexes Selbstbildnis schuf, das mit dem Rausch des Weines, der mehrdeutigen Inszenierung als Künstler und derben Zügen im Detail spielt.142
4.3 Bizarrie in Dichtung und Bildkünsten 4.3.1 Groteske Dichtungen der Akademiemitglieder I – Grazia, Grotten und grotteschi 1587 veröffentlichte Lomazzo seinen umfangreichen Gedichtband Rime ad imitazione de i Grotteschi usati da’ pittori, den er Carlo Emanuele di Savoia widmete und in den er seine Autobiographie integrierte.143 Bereits im Obertitel 142 Siehe zu möglichen Verbindungen von Caravaggios Gemälde mit Lomazzos Selbstpor trät als Präsident der bacchischen Akademie sowie zu den Irritationsmomenten der caravaggesken Bildfindung (bspw. der Diskrepanz zwischen »Wesen der Figur und Rolle des Bacchus«) und Details wie den dreckigen Fingernägeln: Rosen, Valeska von, Caravaggio und die Grenzen des Darstellbaren. Ambiguität, Ironie und Performativität in der Malerei um 1600, Berlin 2009, S. 37 und 38 (für das Zitat). Caravaggio, der selbst auch – inoffiziell – Spottverse verfasste, war möglicherweise ebenso wie Lomazzo Mitglied einer komisch-grotesken Akademie und es ist nicht auszuschließen, dass er mit den Pfirsichen im Bildvordergrund auf den derb-vulgären Ausdruck »dare le pesche« anspielt, der Analverkehr bezeichnete. Siehe ebd., S. 37, Anm. 39. Zugleich erscheint es hier plausibel und produktiv, dass Caravaggio mit den Pfirsichen auf eines der ersten eigenständigen Stillleben der europäischen Malerei rekurriert, das mehrere Pfirsiche auf einem Teller zeigt (Farbtafel 53). Es wurde vermutlich zwischen 1591 und 1594 in Mailand vom Mailänder Giovan Ambrogio Figino gemalt und erlangte nicht zuletzt über mehrere Gedichte Prominenz. Siehe zu dem Stillleben Figinos und den Gedichten Kapitel 4.3.3, v. a. Anm. 237–241; siehe zu Figinos bedeutender Stellung im ästhetischen Diskurs der Lombardei am Ende des 16. Jahrhunderts zudem Kapitel 4.4.2. Vgl. zu einem möglichen Austausch Caravaggios mit Figinos Malerei: Veca, Alberto, »Giovanni Ambrogio Figino. Piatto metallico con pesche«, in: Il Cinquecento lombardo. Da Leonardo a Caravaggio, Ausst.kat., hg. v. Flavio Caroli, Mailand 2000, KatalogNr. VIII .34, S. 450. Lomazzos Selbstporträt als Akademiepräsident könnte der junge Caravaggio bspw. über seinen Mailänder Lehrmeister Simone Peterzano gekannt haben. Siehe: Pavesi, Giovan Paolo Lomazzo, S. 179. 143 Eine kritische Edition mit einer konzisen Einleitung und ausführlichen Kommentierung des oft schwer verständlichen Textkonvoluts liefert Alessandra Ruffino: Lomazzo, Giovan Paolo, Rime ad imitazione de i grotteschi usati da’ pittori con la vita del auttore descritta da lui stesso in rime sciolte, hg. v. Alessandra Ruffino, Rom 2006.
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des Buches appliziert Lomazzo programmatisch den zuvor nur für Gestaltungsweisen und Phänomene der Bildwelt angewandten Begriff der grotteschi auf Werke der Dichtkunst und verweist somit auf ein intensives Wechselverhältnis von Malerei und Dichtung.144 Im Untertitel kündigt er zum einen seine Autobiographie in rime sciolte an und zum anderen vari e diversi concetti von Philosophen, Historikern, Dichtern und anderen Autoren, die auf gelehrte Weise und dabei ohne eine feste Ordnung oder Gesetzmäßigkeit zusammengestellt seien und die die Diversität der Studien, Neigungen, Sitten bzw. Kostüme und capricci von Menschen jeglichen Standes und Berufs aufzeigen.145 Betitelt sei das Werk Grotteschi demnach nicht nur, weil es aufgrund der Vielfalt der invenzioni erfreue, sondern weil es durch die Moral, die es berge, nützlich sei. Mit diesem Gesamttitel markiert Lomazzo bereits einen hohen Geltungsanspruch für die Ästhetik und epistemischen Potentiale der Grotesken mit ihrer regellosen Ordnung und Universalität der Themen. Zum Auftakt des Buches rühmt Lomazzo »[q]uesti Grotteschi«, sprich sein Werk, als eine Trophäe (»trofeo«) aus Fantasmen (»fantasme«), »istorie« sowie freien Träumen (»sogni sgombri«) und voller Launen (»pien d’umori«).146 Zudem spielt er bereits auf die bevorstehende Veröffentlichung der Rabisch der BlenioTal-Akademie an.147 Wie auch in den Statuten der Rabisch will Lomazzo seine Dichtung der Grotteschi nicht als simple Späße zum Zeitvertreib verstanden wissen, sondern als Texte mit einem hohen epistemischen Anspruch und gesellschaftskritischen Impetus, als »lezzion utili e vere« für die Guten (»buoni«) und als Drohungen an die frevelhaften Scharen der in Laster verstrickten Bösewichte (»minacciose a l’empie schiere / De i malvagi, ne i vizì involti e meschi«).148 Man 144 Siehe zur neuartigen Anwendung des Grotesken-Begriffs auf Werke der Dichtkunst: Scholl, Von den »Grottesken« zum Grotesken, S. 7, 457. 145 Der Gesamttitel des Buches lautet: Rime ad imitazione de i Grotteschi usati da’ pittori. Con la vita del auttore descritta da lui stesso in rime sciolte. Et poi studiosamente senza alcun certo ordine e legge accoppiato insieme vari e diversi concetti tolti da Filosofi, Storici, Poeti e da altri scrittori dove si viene a dimostrare la diversità de gli studi, inclinazioni, costumi e capricci de gli uomini di qualunque stato e professione; E però intitolate Grotteschi, non solo dilettevoli per la varietà de le invenzioni, ma utili per la moralità che vi si contiene. 146 Lomazzo, Rime, S. 11. 147 Ebd., S. 13. Auch in seiner Autobiographie am Ende des Buches erwähnt Lomazzo die »Academia Di Bregno«, seine dortige Präsidentschaft und die vermutlich baldige Veröffentlichung ihrer »stran caprizzi« in »lingua rozza«. Ebd., S. 629. Zu den Rabisch siehe Unterkapitel 4.2. 148 »Son molte parti in questi miei Grotteschi, / Che son come lezzion utili e vere / A’ buoni, e minacciose a l’empie schiere / De i malvagi, ne i vizì involti e meschi. // Qui la Religion fo che s’inveschi, / Per farvela più degna poi vedere; / Qui son istorie, poesie e chimere, / Gli studenti bizarri, i grilli freschi; // Son le scienze et arti in gran discorso, / Secondo ch’ad ogn’un piace d’oprare, / Poste con gran capriccio, arte et amore. //[…]« Lomazzo, Rime, S. 21.
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finde in seinem Buch, so Lomazzo, »istorie, poesie e chimere«, »studenti bizarri«, »grilli freschi« sowie »scienze et arti in gran discorso«, die allesamt »con gran capriccio, arte et amore« präsentiert werden.149 Er formuliert damit im Anschluss an den Titel und gleich zu Beginn des Buches ein anspruchsvolles Programm. Deutlich wird, dass sein Werk in einen konfliktreichen Kontext eingebettet ist, der auch direkt adressiert wird. Ein beachtlicher Rechtfertigungsdrang bzw. eine Erklärungsnotwendigkeit für Machart und Inhalt des Buches werden deutlich, um sich sogleich des Vorwurfs der belanglosen Alberei und derber, bedeutungsloser Scherze zu verwehren. Groteske Ästhetik wird auf diese Weise von Beginn an als ein spezifischer und bedeutender – zugleich heftig umstrittener – Zugriffsmodus auf moralisch-ethisches wie auch künstlerisches Wissen sowie auf Erkenntnisräume der Imagination und Fantasie konzipiert bzw. proklamiert. Die unterschiedlichen Texteinheiten der Rime werden schließlich von rätselhafter Semantik, nicht linearen Erzählstrukturen sowie künstlerischem Erfindungsgeist geprägt, wobei Lomazzo Begriffe und Konzepte frühneuzeitlicher grotesker Ästhetik wie capriccio, bizarro, grottesco und mostruoso zentral setzt.150 Zudem hebt er sowohl im Hauptteil der Rime als auch in der am Ende des Buches abgedruckten Autobiographie seine bis zur Erblindung 1571 geschaffenen bildkünstlerischen Werke hervor, in denen er bizarrie und grotteschi zur Darstellung brachte.151 In den Rabisch – der 1589 unter der Ägide Lomazzos veröffentlichten Sammlung von Texten unterschiedlicher Mitglieder der Accademia della Val di Blenio – wird das Spiel mit grotesker Sprache und Machart sowie groteskem Motivrepertoire fortgeführt und weiter variiert. Zentral sind v. a. das De- und Refigurieren des menschlichen Körpers und Gesichts, komisch-fantastische Beschreibungen von Traumsequenzen, die sich mit Alltagsszenen vermischen und in denen bekannte Charaktere der zeitgenössischen commedia dell’arte auftreten, sowie Subversionen von Schönheitstopoi.152 So spielt bspw. Bernardo Rainoldi in einem 149 Ebd. 150 Vgl. auch: Porzio, Francesco, »Lomazzo e il realismo grottesco: un capitolo del pri mitivismo nel Cinquecento«, in: Rabisch. Il grottesco nell’arte del Cinquecento. L’Accademia della Val di Blenio, Lomazzo e l’ambiente milanese, Ausst.kat., hg. v. dems., Manuela Kahn-Rossi und Francesco Porzio, Mailand 1998, S. 23–36. 151 Lomazzo schreibt u. a.: »Però in que’ tempi feci diverse opre: / Sì come quadri, bizarrie, istorie, / Fregi, grotteschi e partimenti varì, / Con cartozzi, trofei, paesi e frutti / Quai variando in le tre sorti pinsi.«. Lomazzo, Rime ad imitazione de i Grotteschi, S. 629. 152 Siehe ausführlich zu Dichtungstraditionen einer »Lombardia stravagante« und ihrem »sperimentalismo dialettale«, die von Werken Lancino Curzios über die Antiquarie prospetiche Romane des Prospectivo melanese depictore (Kapitel 2.1) hin zu Texten der Mitglieder der Accademia della Val di Blenio nachvollziehbar sind: Isella, Dante, Lombardia stravagante. Testi e studi dal Quattrocento al Seicento tra lettere e arti, Turin 2005. Die Dichtung der Mitglieder der Blenio-Tal-Akademie konnte zudem anknüpfen an die makkaronische Dichtung des Mantuaners Teofilo Folengo, die mit Abweichungen von
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dem Widmungsempfänger der Rabisch und Protektor der Akademie, Pirro Visconti, zugedachten Gedicht im facchinesco-Dialekt mit der Kategorie der grazia und subvertiert sie bis hin zur Sinnentleerung.153 Das Gedicht, das eine komische Szenerie entwirft, ist insgesamt gekennzeichnet durch vulgäre Ausdrücke, karnevaleske Inversionen und Ridikülisierungen ästhetischer und ethischer Normen. Eine paraphrasierende Kurzfassung liest sich wie folgt: Pirro Visconti eilte drei Frauen zur Hilfe, die ungeschickt in das Mailänder Flüsschen Martesana gefallen waren. Die drei Leckerbissen (»boccogn«) waren appetitlicher als Forellen und Störe, sie waren Halbgöttinnen, die vom Himmel in den Fluss gefallen, wohl aber aus Fleisch und Knochen gemacht waren – mit Kopf, Hintern (»cù«), Beinen und Füßen – »Com’ ha ’gl nost donn«.154 Sie wären umgekommen, hätte nicht einer der reichsten und mutigsten Fischerleute sie gerettet, ohne Scheu sich seinen eigenen Hintern nass zu machen. Unter den umstehenden Zuschauern des Vorfalls nannte einer die drei Frauen Nymphen; andere nannten sie Venus, Pallas und Juno, weil sie mit ihnen Ähnlichkeit hatten; wieder eine andere Person war sich sicher, dass es sich um die drei Grazien handelte, die bei Jupiter in Ungnade (»desgraçigl«) gefallen seien, weil der sich geärgert habe, dass die drei ihm nichts von ihrer grazia (»graçigl«) abgegeben hatten.155 Der großartige Pirro aber zog sie aus dieser desgraçiglia heraus und errang so selbst einen Teil ihrer graçiglia. All dies, so der lyrische Berichterstatvereinheitlichenden Sprachnormen und Schönheitsidealen, mit dialektischer Pluralität und mit komisch-grotesken Motiven sowie Darstellungsstrukturen operiert. Folengo, der in einer ungeregelten Mischung von volgare, klassischem Latein und mittelalter lichem Latein schrieb, veröffentlichte seine Schriftensammlung Macaronea 1517. Im Jahr 1525 wurde er angeklagt, ketzerische Gedanken zu verfolgen und trat aus seiner Glaubensgemeinschaft der Benediktinermönche aus. Siehe: Bachtin, Michail, Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur, München 1969, S. 9 ff.; Porzio, »Lomazzo e il realismo grottesco«; Nova, »Folengo und Romanino«; Steinhardt-Hirsch, Claudia, Correggios La Notte. Ein Meisterwerk der italienischen Renaissance, München 2008, S. 165 f. 153 Der Titel des Gedichts von Rainoldi, der den Akademienamen Compà Slurigliagn trug, lautet: »Canzogn in ròd dor illust. Sig. Cont Pirr Moscont par r’agliutt ch’or dè a cogl’ dònn ch’eran cascò in dor fòss, dor compà Slurigliagn dra Vall de Bregn«, siehe: Lomazzo / I Facchini della Val di Blenio, Rabisch, Gedicht-Nr. 52, S. 238–242. 154 Ebd., S. 238 f. 155 Ebd., S. 240 ff. Die entsprechenden Verse überträgt Dante Isella folgendermaßen in dialektfreie Prosa: »C’era peró uno che le chiamava Ninfe tutte e tre, e un altro Venere e Pallade e Giunone, perché assomigliavano a loro e reggevano il paragone; […] Ma sì, disse poi un altro, sono certo le tre Grazie che sono scese quaggiù per essere tutte in disgrazia di Giove, padrone delle grazie, che ha inflitto loro questa disgrazia per non esser riuscito a ottenere la grazia di un pochino della loro grazia; ma il grande Pirro le ha tratte fuori da questa disgrazia per acquistare per sé la loro grazia. Poiché non se ne poteva più dal ridere per queste baie, dico poi: Sono tutte ciarle; per dirla come sta veramente, esse sono tre femmine belle e splendenti come stelle, e il Conte è andato così semplicemente ad aiutarle come se gli fossero sorelle o altre parenti.« Ebd., S. 238–242.
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ter – erschöpft vom Gelächter – sei nur Geschwätz gewesen. In Wirklichkeit seien es drei schöne, wie Sterne funkelnde Frauen gewesen, denen der Conte so selbstverständlich half, als seien sie seine Schwestern oder andere Verwandte. Zentral ist in der poetischen Schilderung das Ringen um die Identität der Frauen. Sind sie drei Nymphen oder sind es Venus, Pallas und Juno oder sind es die drei Grazien? All diese Figuren gelten in der antiken Mythologie und deren frühneuzeitlicher Rezeption als Göttinnen bzw. Halbgöttinnen, als explizit schöne, anmutige Frauen, mitunter gar als Verkörperungen idealer weiblicher Schönheit bzw. Anmut, und als Figuren der Weisheit und Klugheit.156 Doch ihre jeweilige individuelle Prägnanz und Wirkkraft werden im Gedicht durch das Verwirrspiel um die Identität der ins Wasser gefallenen Frauen konterkariert, deren Unbeholfenheit zugleich die verwechselbaren bzw. austauschbaren mythologischen Figuren veralbert. Besonderer Fokus liegt dabei auf den drei Grazien als Personifizierungen des frühneuzeitlich einschlägigen Konzepts der grazia als Inbegriff umfassender körperlicher-geistiger-seelischer Schönheit, Anmut und Gnade.157 Der Identifikation der drei ins Flüsschen gefallenen Frauen mit den drei Grazien wird schließlich die meiste Aufmerksamkeit gewidmet, wenn über ihr Schicksal und Verhältnis zu Jupiter berichtet und ein Wortspiel mit grazia und disgrazia – oder vielmehr graçigl und desraçigl – entfaltet wird: Magldè, on alt’ diss pù, gl’hign i trè Graçigl Ch’hin droccà sciò par ess tucc in desgraçigl De Gliòv, patrogn di graçigl, Ch’o gh’ha dacc sta desgraçiglia Par no possè avè graçiglia, D’on pochign dra soa graçiglia, Ma ’l gran Pirr gl’ ha tracc fò da sta desgraçiglia Par acquistà par lù ra sova graçiglia.158
Die Kategorie der grazia wird zum einen sprachlich durch den Dialekt entstellt und zum anderen durch die schiere Häufung banalisiert. Inhaltlich macht sich an ihr zudem der Spott an der antiken Götterwelt mit ihren Befindlichkeiten fest, konkret Jupiters Neid. Diese Verspottung und die Schwächung der Bedeutungsstärke von grazia bzw. graçigl wird zudem über das Reimschema forciert, 156 Zu ikonographischen Überblendungen der Figuren der Venus, Grazien und Schicksalsgöttinnen im kunsttheoretischen Diskurs des Akademienzirkels, v. a. in Lomazzos Trattato dell’arte della pittura, scoltura e architettura (1584) siehe: Becker-Sawatzky, Mira, »The Mediality of the Nymph in the Cultural Context of Pirro Visconti’s Villa at Lainate«, in: The Figure of the Nymph in Early Modern Culture, hg. v. Karl Enenkel und Anita Traninger, Leiden / Boston 2018, S. 305–336, S. 329 ff. 157 Zum Konzept der grazia siehe weiter Kapitel 5.1. 158 Lomazzo / I Facchini della Val di Blenio, Rabisch, S. 241 f.
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das in einem Spiel von De- und Refigurieren grazia und disgrazia bzw. graçigl und desgraçigl austauschbar oder ebenso aufs engste miteinander verbunden erscheinen lässt. Die gerade auch im ästhetischen Diskurs und der Beschreibung von Kunstwerken (vornehmlich bestimmter Künstler wie bspw. Raffael) einschlägige und geltungsstarke grazia wird mit den ins Wasser gefallenen Grazien unterminiert, ad absurdum geführt und bringt zum Lachen: »non se ne poteva più del ridere«, heißt es am Ende des Gedichts.159 Gerettet worden seien die unbeholfenen, ambiguen Grazien schließlich von Pirro Visconti. Doch die nächste Invertierung folgt sogleich, denn die ganze Geschichte sei ja nur Geschwätz, wie der lyrische Erzähler angibt. Es habe sich bei dem Vorfall schlicht um drei schöne Frauen gehandelt. Diese drei schönen, in ein Flüsschen gefallenen Frauen aus Rainoldis Gedicht können nun wiederum als eine gewitzte Referenz auf bzw. grotesk-poetische Verlebendigung von drei Marmorstatuen verstanden werden, die seit dem Publikationsjahr der Rabisch als badende und sich abtrocknende Nymphen (Abb. 3.39, Farbtafel 54, Abb. 4.25) in den kunstvollen Grotten von Pirro Viscontis Villa im nördlich von Mailand gelegenen Ort Lainate betrachtet werden können.160 Die ab 1585 unter dem Mailänder Architekten Martino Bassi geplanten und von einer illustren Künstlergruppe aufwendig gestalteten Grottenanlagen im Garten der Landvilla des wohlhabenden Nobelmanns Pirro Visconti Borromeo waren just im Jahr 1589 fertiggestellt und dem Publikum geöffnet worden.161 Ausgefeilte Brunnen- und Grottenanlagen als Teil von Villen auf dem Land avancierten im Cinquecento zu einer Mode, die Bartolomeo Taegio in seinem 159 Ebd. 160 Zu den Figurationen der Nymphen in der Villa und den Grotten Pirro Viscontis in Lainate siehe ausführlich und mit mehr Bildmaterial: Becker-Sawatzky, »The Mediality of the Nymph«. Auf eine Verbindung des Gedichts von Bernardo Rainoldi mit den Skulpturen in Lainate wies zuvor auch Alessandro Morandotti hin: Morandotti, Alessandro, Milano profana nell’età dei Borromeo, Mailand 2005, S. 54. Die drei Marmorskulpturen in den Grotten in Lainate wurden bereits in Kapitel 3.4.2 thematisiert und im Zusammenhang mit Lomazzos Begriffskonzept der figura serpentinata erörtert. Siehe dort Anm. 398 und 399. Wie dort bereits erwähnt, hatte vermutlich der Bildhauer Francesco Brambilla il Giovane die Figuren entworfen, die dann von Antonio Prestinari und Giulio Cesare Procaccini skulpturiert wurden und spätestens 1589 zur Eröffnung der Anlage fertiggestellt worden waren. Siehe für die Zuschreibungen und Datierung: Morandotti, Milano profana, S. 28, 39, 55. 161 Grundlegend für Untersuchungen der bisher in der Forschung wenig beachteten Villa und Grotten in Lainate sind die bereits erwähnten Beiträge von Alessandro Morandotti: Morandotti, Milano profana; Morandotti, Alessandro, »Nuove Tracce per il tardo rinascimento italiano: il ninfeo-musei della Villa Borromeo, Visconti Borromeo, Litta, Toselli di Lainate«, in: Annali della Scuola Normale Superiore di Pisa. Classe di Lettere e Filosofia, 3/15.1 (1985), S. 129–185.
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Abb. 4.25: Nymphe (von Giulio Cesare Procaccini nach Entwürfen Francesco Brambillas) und Satyr (lombardischer Künstler) mit Flöte in Grotten, Marmorskulpturen in Tropfstein-, Muschel- und Tuffstein-Grottenanlage, 1589 fertiggestellt, Villa von Pirro Visconti Borromeo, Lainate © Comune di Lainate, Foto Gualberto Zunino
Dialog La Villa (Mailand 1559) dokumentiert, bespricht und bestärkt.162 In den mit technisch raffinierten Wasserläufen und Wasserspielen ausgestatteten Grotten in Lainate stehen drei vollplastische nackte, badende Frauenfiguren in 162 Siehe: Taegio, Bartolomeo, La Villa. Dialogo di M. Bartolomeo Taegio, All’Invitissimo, & gloriosissimo Imperatore Ferdinando Primo, Mailand 1559. Vgl. auch folgende Beiträge der Sekundärliteratur zur Mode der ville di delizie in der frühneuzeitlichen Lombardei: Azzi Visentini, Margherita, »Giardini di delizia nel Milanese dai Visconti alla restaurazione«, in: Ville di delizia della provincia di Milano, hg. v. Roberto Cassanelli, Mailand 2003, S. 53–62; Battaglia Ricci, Lucia, »Gardens in Italian Literature during the thirteenth and fourteenth centuries«, in: The Italian Garden. Art, Design, and Culture,
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Abb. 4.26: Lombardischer Künstler nach Entwürfen von Francesco Brambilla, Venus und Cupid umgeben von Grotten und Grotesken, fertiggestellt 1589, Skulpturen, Steinformationen und Mosaik, Foyer der Grottenanlage, Villa von Pirro Visconti Borromeo, Lainate – Foto: privat
weißem Marmor, auf die sich Rainoldi in seinem Gedicht beziehen mag. Gewundene und verwinkelte Wege führen die Besucherinnen und Besucher um die Nischen herum, in denen die Nymphen baden. Kleine und große Gucklöcher in hg. v. John Dixon Hunt, Cambridge 1996, S. 6–33; Cassanelli, Roberto, »Ville di delizia. Storia, gusto, cultura dei ›palagi camparecci‹ nel territorio di Milano tra tardo medioevo ed età dei lumi«, in: Ville di delizia della provincia di Milano, hg. v. dems., Mailand 2003, S. 29–52; Lauterbach, Iris, »The Gardens of the Milanese ›Villeggiatura‹ in the midsixteenth century«, in: The Italian Garden. Art, Design, and Culture, hg. v. John Dixon Hunt, Cambridge 1996, S. 127–159. Für eine bündige Skizze der frühneuzeitlichen Grotten- und Villenkonzeption, wie sie Pirros Anwesen prägen, siehe: Becker-Sawatzky, »The Mediality of the Nymph«, v. a. S. 305–310.
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den Höhlenwänden ermöglichen den Blick aus unterschiedlichen Perspektiven auf die vom Wasser benetzten Badenden. Die Wahrnehmung der Nymphen als schöne, anmutige und sicherlich auch erotische Frauen wurde maßgeblich durch die Inszenierung in den Grotten gelenkt sowie durch formästhetische Ähnlichkeiten der Frauenfiguren mit einer Statue der Venus (Abb. 4.26) im Foyer der Grottenanlage sowie mit einem im zu den Grotten führenden Galeriegang ausgestellten Abguss der antiken Venus Kallipygos.163 Mit eben solchen ambiguisierenden Überlagerungen der schönen Frauenfiguren spielt Rainoldi in seinem Gedicht auf grotesk-komische Weise und veralbert die graziösen Marmornymphen, lässt sie qua grotesker Reime ungeschickt ins Wasser fallen, von Pirro retten und identifiziert sie letztlich als gänzlich irdische Frauen. Ein solches Gedicht konnte die Rezeption der Grottenanlage mit den schönen Nymphen um neue, unterhaltsame Perspektiven erweitern und zugleich Wahrnehmungsund Interpretationsgewohnheiten von berühmten Figuren sowie den Gebrauch gängiger Kategorien zur ästhetischen Beurteilung irritieren und zu Reflexionen anregen. Somit vermag das Gedicht Gesprächsstoff auf unterschiedlichen Ebenen zu liefern und die Kategorie der grazia sowie Figurationen mythologischer Schönheiten auf derb-komische wie auch intellektuell anspruchsvolle und ernsthafte Weise zu kommentieren. Neben Pirro Viscontis Mitgliedschaft in der Blenio-Tal-Akademie, seiner Ernennung zu deren Schutzherrn, der Widmung der Rabisch und mehrerer ihrer Gedichte an ihn sowie der imaginierten, komisch-grotesken Verlebendigung der in seinen Grotten badenden Marmorfiguren lassen sich weitere Vernetz ungen zwischen dem Anwesen in Lainate und der bild- wie dichtkünstlerischen Praxis der Akademie nachvollziehen, durch die ein gemeinsames, tiefgreifendes Interesse an grotesker Ästhetik und an mit ihr virulent werdenden figuralen Wissensformierungen sichtbar wird. Wie im Kontext der Besprechung von figure serpeggianti oben angesprochen, war der Akademiepräsident Lomazzo – gemeinsam mit anderen Mitgliedern der bacchischen Vereinigung – an der Projektierung und Gestaltung des Ausstattungsprogramms in Lainate beteiligt.164 An sie lässt sich maßgeblich das intensive Interesse an Motiven und Darstellungsstrukturen grotesker Ästhetik rückbinden, die die Bildprogramme von Villa und Garten prägen. Buntfarbige, elegant symmetrisch angeordnete, fantas tische Grotesken – gemalt von der Hand Camillo und / oder Carlo Antonio Procaccinis – schmücken bspw. die repräsentativen Empfangsräume der Villa. Und 163 Siehe zur Venus Kallipygos in Pirros Sammlung: Morandotti, Milano profana, S. 14. Siehe zu den miteinander verwandten Figurationen der Nymphen sowie Venus-, Grazienund Leda-Darstellungen: Becker-Sawatzky, »The Mediality of the Nymph«, S. 318–326; zu den Ähnlichkeiten mit leonardesken Leda-Figuren siehe auch Kapitel 3.4.2, Anm. 398 und 399. 164 Siehe Kapitel 3.4.2, Anm. 398 und 399.
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Abb. 4.27: Camillo und / oder Carlo Antonio Procaccini. Ornamentale Grotesken mit einer Vignette der Galatea, 1590–1595 ca., Fresko, Empfangraum, Villa von Pirro Visconti Borromeo, Lainate – Foto: privat
sie tun dies nicht als Rahmenwerk, sondern als dominierendes Gestaltungsprinzip, innerhalb dessen kleinformatige Medaillons mit mythologischen Figuren, wie etwa der Galatea, integriert sind (Abb. 4.27).165 Durch die Fenster zum Garten hindurch sind, bildlich gesprochen, die ety mologischen Wurzeln der grottesche zu sehen: die grotte im Garten des Anwesens.166 Dort finden sich weitere motivische Variationen ornamental-fantastischer Grotesken im Galeriegang der Anlage (Farbtafel 55, Abb. 4.28), der 165 Siehe dazu ausführlicher: Becker-Sawatzky, »The Mediality of the Nymph«, S. 331 ff. 166 Siehe zur etymologischen Verbindung von Grotten und Grotesken die Einleitung in Kapitel 4.
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Abb. 4.28: Camillo Procaccini, Mosaike aus bunt bemalten Steinen und Muscheln, 1589 fertiggestellt, Galeriegang zur Grottenanlage, Villa von Pirro Visconti Borromeo, Lainate – Foto: privat
das imposante achteckige Foyer (Abb. 4.26) mit den tropfsteinartigen Höhlen (Farbtafel 54, Abb. 4.25) verbindet. Die Grotesken an der gewölbten Decke des Galeriegangs sind jedoch nicht freskiert, sondern aufwendig und unkonventionell durch buntgefasste Steine und Muscheln wie ein unebenes, bewegtes Mosaik konfiguriert (Farbtafel 55, Abb. 4.28). Drachen, Monster, Zentauren, Satyrn und ähnliche Wesen sind zwischen geschwungenem Blattwerk und Ornamentik zu entdecken. An den Wänden und am Boden des Galeriegangs wird aus schwarzen und weißen Kieselsteinen die von Camillo Procaccini gestaltete bunte Groteskenwelt mit ihren Fabelwesen von ornamentalen Dekorationsbändern und kunstvollen symmetrisch angeordneten Mustern aus vegetabilen Formen – Arabesken bzw. Rabisch – umgeben, die von Weitem wiederum stellenweise
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antropomorphe, grimassenartige Gestalten in der Betrachtung entstehen lassen (Abb. 4.28).167 In der Galerie waren derweil zu Zeiten Pirros Werke aus dessen Kunst- und Naturaliensammlung ausgestellt – ähnlich einer Art Wunderkammer.168 Am Ende des Galeriegangs gelangt man schließlich in die eigentlichen, höhlenartigen, schattigen, verwinkelten Grotten, die von zahlreichen Wasserläufen durchzogen werden und in deren rauen, steinigen Wänden und Decken Löcher sind, durch die Licht und Wasser von außen eindringen (Farbtafel 54). Die in den Wänden und im Boden installierten Wasserspiele können die Besucherinnen und Besucher jederzeit und nahezu von allen Seiten überraschen und mit Wasser benetzen – so wie die Marmornymphen und die übrigen Steinskulpturen in den Nischen der Höhlen: einen Flöte spielenden Satyr sowie zwei Putti, die mit Meeresmonstern ringen (Abb. 4.25). Ähnlich strukturiert wie in Lainate, findet sich in dem Anfang der 1580erJahre gestalteten Palazzo del Giardino in dem als Idealstadt konzipierten lombardischen Sabbioneta die Kombination aus Grotten und Grotesken, repräsentativen Räumen und Gartenanlage. In Teilen der Palasträume sind buntfarbige, fantastisch-bizarre Grotesken mit mythologischen und allegorischen Figuren wie den Grazien (Abb. 4.29) an den Wänden freskiert, während im Garten raue, verwinkelte, scheinbar wild formierte Grotten erkundet werden konnten.169 167 Alessandro Morandotti weist daraufhin, dass die verwendeten Steine und Muscheln sowohl aus lombardischen Flussgewässern als auch von der Ligurischen Küste stammen. Er bespricht die Muster und Motive der Grotesken in Zusammenhang mit Musterbüchern von Grotesken und Arabesken aus frühneuzeitlichen Sammlungs- und Wunderkammerkontexten (bspw. der Kunstkammer in Wien). Siehe zu diesen Aspekten, aber auch zur Verwandtschaft der Motivik der Grotesken in den Lainate-Grotten mit kunsthandwerklichen Werken sowie zur Gestaltung durch Camillo Procaccino: Morandotti, Milano profana, S. 44, S. 132–141, Abb. 61–94. 168 Siehe zur Sammlung Pirros ausführlich: Morandotti, Milano profana, S. 230–243. 169 Einzelne Aspekte der Ausstattung des Palazzo del Giardino in der ›Idealstadt‹ Sabbioneta wurden bereits unter Kapitel 4.2, Anm. 138 erwähnt. Bernardino Campi und Giovan Francesco Bicesi, genannt il Fornarino, zählen zu den führenden Künstlern der Fresko malerei im Palazzo del Giardino. Zur bildkünstlerischen Ausstattung des Palazzo del Giardino im Allgemeinen siehe: Sartori, Giovanni, »Il Cantiere del Palazzo Giardino. Considerazioni intorno alla cultura artistica Sabbionetana negli anni ottanta del Cinquecento,« in: Dei ed eroi nel Palazzo Giardino a Sabbioneta. Miti e allegorie per un principe umanista, hg. v. Leandro Ventura, Rom 2008, S. 67–83. Zum Gabinetto delle Grazie siehe: Capodieci, Luisa, »Il Gabinetto delle Grazie, caleidoscopio della natura«, in: Dei ed eroi nel Palazzo Giardino a Sabbioneta. Miti e allegorie per un principe umanista, hg. v. Leandro Ventura, Rom 2008, S. 215–220. Zur ›Idealstadt‹ Sabbioneta siehe: Pieper, Jan, »Sabbioneta. Die Maßfigur einer Idealstadt aus dem Geiste des Manierismus«, in: Manierismus. Interdisziplinäre Studien zu einem ästhetischen Stiltyp zwischen formalem Experiment und historischer Signifikanz, hg. v. Bernhard Huss und Christian Wehr, Heidelberg 2014, S. 233–243, S. 234–241; Wulz, Hildegard, Die ›Galleria degli Antichi‹ des Vespasiano Gonzaga in Sabbioneta, hg. v. Hans Schüller, Petersberg 2006.
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Abb. 4.29: Giovan Francesco Bicesi, genannt il Fornarino, oder Bernardino Campi (?), Grazien in Grotesken, 1580er-Jahre, Fresko, Camerino delle Grazie, Sabbioneta – Foto: privat
Sowohl in Sabbioneta als auch in Lainate bieten die Grottenanlagen im Garten jenen Raum, in dem am »Rand höfischer Repräsentation« lizensierte Freiräume entstehen und in dem ungeregelte, scheinbar unkontrolliert, natürlich gewachsene Formationen aus Gesteinen und Muscheln jenseits einer geradlinigen Ästhetik Natur und Kunst auf besondere Weise korrelieren.170 Die Gestaltung
Wichtige und Ambitionen steigernde Bezugspunkte für die Grottenanlagen in Lainate könnten außerdem die Grotten des Palazzo del Te in Mantua gewesen sein sowie die Grotten der Boboli-Gärten in Florenz, die ab Mitte des 16. Jahrhunderts u. a. von Giorgio Vasari und Bartolomeo Ammannati gestaltet wurden. 170 Siehe zum Zitat und der frühneuzeitlichen Produktions- und Rezeptionsästhetik von Grottenanlagen in den Gärten repräsentativer Villen auf dem Land den erhellenden Aufsatz Gerald Schröders zu den Boboli-Grotten des Palazzo Pitti in Florenz: Schröder, Gerald, »Metamorphosen der Skulptur: Michelangelos Sklaven und Buontalentis Grotte«, in: Erosionen der Rhetorik? Strategien der Ambiguität in den Künsten der Frühen Neuzeit,
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von Grotten aus Tuffstein, Muscheln, Kieselsteinen, Stalagmiten und Stalaktiten – wie in Lainate bspw. – galt frühneuzeitlich als kunstvoll-ingeniöse Imitation der generativen, kreativen Kraft der Natur.171 In einem 1559 veröffentlichten Brief liefert der toskanische Dichter und Dichtungstheoretiker Claudio Tolomei wertvolle Einblicke in die Wahrnehmung von Grotten im Secondo Cinquecento. Tolomei berichtet von dem neu wiedergefundenen »ingegnoso artifizio« des Brunnen- und Wasseranlagenbaus und nennt Orte in Rom, wo die Kunst (»arte«) so mit der Natur (»natura«) vermischt sei, dass man nicht unterscheiden könne, wer was gemacht habe; im einen Moment habe man den Eindruck, es sei ein »natural artifizio«, im nächsten Moment denke man, es sei ein Werk der »artifiziosa natura«.172 Besondere Schönheit verleihen derartigen Brunnenanlagen laut Tolomei v. a. die Tuff- bzw. Schwammsteine aus Tivoli, die durch Wasser geformt wurden und nun mit »varietà e vaghezza« wieder dem Wasserlauf dienen.173 Die schöpferische Kraft der Natur wurde demnach im Kontext von Brunnen- und Grottenanlagen als Kunst bewundert und die Kunst als Natur.174 Dement sprechend ließen sich die tropfsteinartigen Grotten in Lainate im Wechselspiel mit den schönen Marmorskulpturen, der Kunst- und Kuriosensammlung sowie den fantastischen Motiven und Strukturen der ungewöhnlichen Grotesken-Mosaike als Figurationen kunstvoller Natur und naturgleicher Kunst, fantasievoller und gelehrter Kreativität zugleich auffassen. Die Ende des 16. Jahrhunderts verbreitete Bewunderung für das Wechselspiel einer artificiosa natura und eines natural artificio begründet schließlich die hohe Anziehungskraft, die die Grottenanlage in Lainate um 1600 genoss. Bereits kurz nach der Eröffnung war der Garten von Pirros Villa nicht nur innerhalb der Lombardei ein beliebtes Ausflugsziel; zu den begeisterten Besuchern zählten ab den 1590er-Jahren prominente Persönlichkeiten der Kulturszene wie Federico Zuccaro, Tomaso Tomai, Vincenzo Scamozzi und Simon Vouet.175
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hg. v. Valeska von Rosen, Wiesbaden 2012, S. 115–137, v. a. S. 117 für das Zitat. Für eine kurze Zusammenfassung des Beitrags siehe: Becker, Rezension zu: Valeska von Rosen (Hg.), Erosionen der Rhetorik?. Siehe zur Konzeption der Grotten als Orte der schöpferischen Kraft: Schröder, »Metamorphosen der Skulptur«; Rinaldi, Alessandro, »Grotte domestiche nell’architettura fiorentina del ’600. Dinastia e natura nella Grotta di Palazzo Giugni«, in: L’Arte delle Grotte: per la conoscenza e la conservazione delle grotte artificiali, hg. v. Cristina Acidini Luchinat, Genua 1987, S. 31–38. Tolomei, Claudio, De Le Lettere di M. Claudio Tolomei. Libri sette. Con nuova aggiunta ristampate, & con somma diligenza ricorrette, Venedig 1559, Buch 2, S. 41v (Brief an M. Giovambattista Grimaldi). Ebd., S. 42r. Zum frühneuzeitlichen Poiesis-Konzept und seiner Relevanz siehe: Rosen, »Einleitung. Poiesis«. Federico Zuccaro schrieb über Pirros Garten bspw.: »[P]assammo verso Milano à uedere altri luoghi all’intorno, come il Giardino del Signor Conte Pirro ad Ignà, ornato di fon-
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Nach diesem – durch Rainoldis Gedicht über die drei in den Fluss gefallenen Frauen angeleiteten – Exkurs zu den Grotten und Grotesken in Lainate wird mit einem wieder anderen komisch-spöttischen Gedicht Rainoldis aus den Rabisch der Analysefokus im nachfolgenden Unterkapitel auf eine weitere Spielart des Entstellens etablierter weiblicher Schönheitsideale gerichtet und zugleich auf ein zusätzliches Themen- und Dialogfeld hingeführt, das im Kontext einer frühneuzeitlichen grotesken Ästhetik des lombardischen Diskurses und im Speziellen im Kontext der Accademia della Val di Blenio in Dichtung und Bildkünsten bedeutsam wurde: Gemeint sind lachhaft-groteske Gruppenszenen.
4.3.2 Groteske Dichtungen der Akademiemitglieder II – Komisch-lachhafte Szenen und Gruppenbilder Im 55. Poem der Rabisch dichtet Bernardo Rainoldi im facchinesco von einem Bauern aus Bergamo, der seiner Geliebten in Arkadien einen Melkeimer schenkt.176 Die Frau wird mit verschiedenen ridikülisierenden Verniedlichungsformen des Wortes ninfa, Nymphe, mal als »ninfettola«, mal als »ninfinola« und ein andermal als »ninfina« bezeichnet. Ihre Gestalt wird auf grotesk-karnevaleske Weise konfiguriert, wobei petrarkistische Topoi weiblicher Schönheit invertiert und defiguriert werden.177 Ungläubig fragt der Bauer, ob ihre blonden, krausen Zöpfe denn wirklich mit feinsten Goldfäden vergleichbar seien: »Vedendot quelle trezze bionde e crespole, / Che paren propri fili d’or finissimo?«.178 Außerdem ist ihre Nase aus einer großen Gurke zusammengesetzt (»E’l nas è da tane tanto ben fatte con artifìcio, che Roma et Fiorenza al sicuro non ne hauranno di più belle, nè più riccamente ornate con statue di marmo, assai buone di Scultori moderni, non potendone hauer degli antichi.« Zuccaro, Federico, Il passaggio per l’Italia con la dimora di Parma del sig. Cavaliere Federico Zuccaro (Bologna 1608), hg. und eingel. v. Vicenzo Lanciarini, Rom 1803, S. 35. Siehe zu Tomaso Tomais Besuch: Tomai, Tomaso, Idea del giardino del mondo, Mailand 1589, Widmung an Pirro I Visconti Borromeo, o. S. Tomais Idea erschien erstmals 1582 in Bologna. Siehe zudem: Borgogni, Gherardo, La fonte del diporto, Bergamo 1598, Widmung an Pirro I Visconti Borromeo, o. S. Für weitere Quellen historischer Beschreibungen der Grotten siehe: Morandotti, »Nuove Tracce«, S. 140, 162 f.; Morandotti, Milano profana, S. 35 f., 39. 176 Lomazzo / I Facchini della Val di Blenio, Rabisch, Gedicht-Nr. 55, S. 253–261. 177 Gleich zu Beginn des Gedichts heißt es auch, dass das lyrische Ich die von ihm verehrte Frau das erste Mal im Schatten eines »Lauro« (Lorbeerbaums) – in Referenz auf Petrarcas Laura – gesehen hatte. Ebd. Zum »tema antipetrarchesco« des Gedichts siehe auch den Kommentar Dante Isellas: ebd., S. 254. Zu petrarkistischen Schönheitstopoi siehe auch Kapitel 4.3.3 der vorliegenden Arbeit. 178 Lomazzo / I Facchini della Val di Blenio, Rabisch, Gedicht-Nr. 55, S. 253–261, S. 254 f.
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composta on gran cocumero«), die Zähne erscheinen wie eine zahllose Aneinanderreihung von Perlen (»I dent on fil de perle senza numero«) und die Schultern sind zwei Marmorstücke (»Un pezz de marmo l’un e l’altro umero«).179 Auf subversive Weise wird mit Schönheitstopoi der cinquecentesk weitverbreiteten petrarkistischen Dichtung gespielt, in der im Anschluss an Petrarcas Figur der Laura bspw. kleine Zähne weiß wie Perlen und goldenes feines Haar wie auch elfenbeinartige Haut als Schönheitsmerkmale galten.180 In einem karnevalesken Substitutionsverfahren, das v. a. in Unterkapitel 4.3.3 noch eingehend besprochen wird, setzt sich die Büste des bäuerlichen Nymphleins in den Augen des lyrischen Betrachters ganz konkret aus einer Gurke, Marmorblöcken und einem Überfluss an Perlen zusammen, wodurch in der Imagination der Leserschaft eine bizarre Figur evoziert wird. Diese groteske ninfinola nun bekommt vom Bauern aus Bergamo einen kunstvoll gestalteten Melkeimer geschenkt. In diesen ist eine quasi göttliche (»divina«) Zeichnung des »gran Lomaz« eingraviert.181 Dargestellt ist die chaotische Szenerie einer großen Schlemmerei (»mangiament«) während eines Hochzeitsbanketts im Freien.182 Die poetische Ekphrasis dieses fiktiven Bildes wird zum bestimmenden Thema des Gedichts. Geschildert wird eine vollkommen in Unordnung geratene Hochzeitsfeier auf einer Wiese, in deren Mitte ein Maulbeerbaum (»un gran moron«) steht, dessen verschlungenes Astwerk als Wechselspiel von Natur und Kunst bewundert wird: »Ch’a i par accomodat propri da l’art, / E pur no ghà abiù part, ma la natura / L’ha conzò con misura tanto iusta«.183 Sowohl das Kunst-Natur-Vexierspiel als auch der Maulbeerbaum wurden in den vorangegangenen Kapiteln bereits als einschlägige und wirk179 Ebd. 180 Auch mit dem arkadischen Setting und der Nymphe wird auf einschlägige Elemente petrarkistischer Liebesdichtung rekurriert. Zudem wird im ridikülisierenden Poem der Rabisch die Grundstruktur, die in Petrarcas Liebesdichtung die Schmerzliebe zur wunderschönen Laura prägt, invertiert: In Rainoldis Gedicht ist die Beziehung zur geliebten Frau glücklich, doch das Nymphlein wird als grotesk entstellte Figur präsentiert. An dieser Stelle sei noch einmal angemerkt, dass sich Programm und Dichtung der Accademia della Val di Blenio generell gegen Normierungskräfte richten, bspw. gegen die Lehren Pietro Bembos – einem der Hauptvertreter petrarkistischer Dichtung zu Beginn des 16. Jahrhunderts – und seiner Nachfolger, die eine aus dem Toskanischen entwickelte Einheitssprache zum Modell erhoben und jeglicher Pluralität sowohl in der Sprache als auch in der Modellwahl der imitatio eine Absage erteilten – wohlgemerkt anders als Petrarca selbst, der mit dem senecanischen Bienengleichnis veranschaulichte, dass er die imitatio mehrere modellhaft wirkender Autoren für geeignet hielt. Zum Petrarkismus im 16. Jahrhundert siehe: Regn, Gerhard, »Petrarkismus«, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. v. Gert Ueding, Bd. 6, Tübingen 2003, S. 911–920, hier v. a. S. 911–913. Zur Questione della lingua im Kontext grotesker Ästhetik der Lombardei des 16. Jahrhunderts siehe auch die Einleitung von Kapitel 4, Anm. 26 sowie Kapitel 4.2, Anm. 109. 181 Lomazzo / I Facchini della Val di Blenio, Rabisch, Gedicht-Nr. 55, S. 255, 261. 182 Ebd., S. 255. 183 Ebd., S. 255 f.
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mächtige Motive bzw. Vorstellungsbilder erörtert und einmal mehr wird hier deutlich, wie anspielungsreich die Arabesken der Blenio-Tal-Akademie sind.184 Unter dem Schatten des Maulbeerbaums wird in Rainoldis Gedicht nun mit Rekurs auf Leonardos camera dei moroni und Gaspare Viscontis Gedichtzeilen zu Ludovico Sforzas kulturfördernder Herrschaft kein konventioneller Gelehrtenzirkel vereint, sondern eine ungezügelt schlemmende und alberne Gruppe von Charakteren.185 In unvermittelter, scheinbar ungeregelter Aneinanderreihung wird die chaotische Szenerie um den Baum herum anschaulich gemacht, wobei eine Reihe von Figurentypen der commedia dell’arte aufgerufen werden, u. a. Zan Tasca, Zan Trippone und Burattino.186 Der Braut wird von einer Katze eine Frikadelle von der Gabel geklaut, Zan Trippone trägt eine antike Robe, Mascella will eine Gans fangen und bekommt dabei Minestrone über den Rücken geschüttet und ein Buckliger diskutiert mit dem Kasper, weil der ihm das Gesicht mit Ricotta beschmiert.187 Überall sind Torten, Würste und Getränke, es wird gierig gegessen, gelacht, musiziert, getorkelt, geschubst und gestolpert. Das chaotische Bankett wird mit vulgären Ausdrücken, fern einer linearen Erzählstruktur und in einem schwer verständlichen Dialekt vorgestellt. Die Beschreibung endet schließlich abrupt damit, dass das lyrische Ich anmerkt, es wäre noch bis zum nächsten Tag mit dem Bericht beschäftigt, wolle es alles erfassen; sein Hals sei schon ganz trocken und die Leserschaft solle die Szenerie bzw. das Bild auf dem Melkeimer nun selbstständig weiter anzuschauen.188 Man werde am Ende der Betrachtung ausrufen, wie schön das Bild doch sei und es sei weder von Apelles, noch von Tizians Hand, sondern vom großen Lomazzo, der aus Vergnügen und zum Amüsement diese »fantasia« im Blenio-Tal gezeichnet habe.189 Damit, so lässt sich ergänzen, wird wieder auf die Accademia della Val di Blenio verwiesen, deren Mitglieder um den Maulbeerbaum herum trinken, schlemmen und feiern, aber letztlich ein wunderschönes, wertvolles Bild konfigurieren.
184 Zur chiastisch verschränkten Bewunderung einer artificiosa natura und eines natural artificio siehe auch das vorherige Unterkapitel 4.3.1, v. a. Anm. 172. Zu dem im lombardischen Diskurs prominenten und bedeutsamen Motiv des Maulbeerbaums siehe die Ausführungen zu Lomazzos Selbstporträt als Präsident der Accademia della Val di Blenio (Kapitel 4.2, v. a. Anm. 136 und 137) sowie die ausführliche Besprechung des Motivs und seiner Symbolik im Kontext von Leonardos Sala delle Asse in Ludovico Sforzas Castello Sforzesco und der Academia Leonardi Vinci (Kapitel 2.3.1). 185 Zur lyrischen Formulierung »sotto all’ombra del moro« siehe Kapitel 2.3.1, Anm. 118 und 119. 186 Siehe Isellas Kommentar in: Lomazzo / I Facchini della Val di Blenio, Rabisch, S. 255 ff. 187 Auf das Motiv des Ricottas und weitere Elemente der Szene wird weiter unten näher eingegangen. 188 Lomazzo / I Facchini della Val di Blenio, Rabisch, Gedicht-Nr. 55, S. 260. 189 Ebd., S. 260 f.
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Qua Gedicht wird jedenfalls eine exzellent gezeichnete fantasia Lomazzos imaginiert und in einen bäuerlichen Alltagsgegenstand, einen Melkeimer, eingeritzt, der dann der grotesk-deformen und antipetrarkesk konfigurierten ninfinola geschenkt wird.190 Die Motive des Melkens und der Milchmagd waren derweil einschlägig in genreartiger niederländischer Malerei des 16. Jahrhunderts und oftmals erotisch aufgeladen bzw. mehrdeutig angelegt wie bspw. in dem von der Forschung mitunter als ›erstes Genrebild‹ der niederländischen Kunst deklarierten Kupferstich einer Milchmagd (1510) von Lucas van Leyden.191 Neben subkutanen erotischen Anspielungen und der Defigurierung petrarkesker weiblicher Schönheit ruft Rainoldi in der vielfigurigen Szene auf dem Melkeimer der ninfinola zudem einschlägige Typen der zeitgenössischen commedia dell’arte auf. Die Welt der commedia dell’arte war dem Dichter wohl vertraut. 1574 verkleidete er sich nachweislich selbst bei einem Maskenball als Zanni.192 Zudem war einer seiner Akademiegefährten der Schauspieler Simone da Bologna, genannt Compà Svagnin sowie Pancia di pecora, der als Mitglied der Kompanie der Gelosi in einer der ersten Komödiantengruppen Italiens mitspielte.193 Zusammen genommen markieren die aus der commedia dell’arte bekannten Figurentypen, das chaotische Durcheinander der kuriosen Szene, die dialektischen Verbiegungen von Worten, die scheinbar unangemessene Verschränkung von kunstvoller Zeichnung und Melkeimer sowie die grotesken, karnevalesken Entstellungen schöner Figuren wie jener der Nymphe dezidierte Abweichungen vom Konventionellen und Regelhaften, vom Normierenden und Idealisierten. Dadurch werden vielfältige Überraschungsmomente und schließlich Komik generiert. Hinsichtlich dieser komischen Motive und Darstellungsstrukturen steht das Gedicht Rainoldis ge190 Kunstvolle, mit komisch-grotesken Szenerien gestaltete Gebrauchsgegenstände waren im 16. Jahrhundert durchaus beliebt – jedoch handelte es sich eben gerade nicht um Alltagsgegenstände des bäuerlichen Milieus, sondern um höfische Prunk- und Sammlerobjekte. Ein Beispiel ist ein Ende des 15. Jahrhunderts in Flandern – vermutlich für den burgundischen Hof – entstandener Emaillebecher, auf dem Affen dargestellt sind, die zwischen ornamental rankendem Blattwerk zu einem Kaufmann auf- und niederschwingen und ihn ausrauben – in Referenz auf einen beliebten niederländischen Schwank. Der sogenannte Affenpokal (New York, Metropolitan Museum, Cloisters Collection) war ab ca. 1464 Teil der Sammlung von Piero de’ Medici und zeugt von einem intensiven Austausch zwischen Flandern und Florenz zu jener Zeit. Siehe für eine Kurzbeschreibung und Abbildung des Bechers: https://www.metmuseum.org/de/art/collection/search/470308 (zuletzt eingesehen am 15.07.2020). Vgl. außerdem: Münch, »Genremalerei im Theoriediskurs«, S. 57. 191 Siehe: Münch, »Genremalerei im Theoriediskurs«, S. 59 ff., 65 f. 192 Siehe: Bora, »Milano nell’età di Lomazzo«, S. 48. 193 Siehe: Paliaga, »Quattro persone«, S. 155. Zur Theaterkultur im Mailand des 16. Jahrhunderts siehe zudem: Morandotti, Milano profana, u. a. S. 52, 55.
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meinsam mit weiteren ähnlich gestalteten Poemen der Rabisch im Dialog mit Werken der Bildkunst aus dem direkten und indirekten Akademiekontext und dabei v. a. mit narrativ angelegten komisch-lachhaften Gruppenbilder und mit Darstellungen von Frauen- sowie Männerbüsten, in denen die menschlichen Figuren teilweise oder auch gänzlich aus körperfremden Elementen wie Früchten und Gemüse oder auch Tieren zusammengesetzt sind – ähnlich des Nymphleins. Zunächst werden die komischen Gruppenbilder besprochen, anschließend in Unterkapitel 4.3.3 die kompositen Köpfe. Um 1580 malte der Cremoneser Maler Vincenzo Campi eine dichtgedrängte Gruppe von drei Männern und einer Frau im Halbfigurenbild vor einfarbig schwärzlichem Grund, die allesamt aus dem Bild heraus zu den Betrachtenden blicken, mit offenem Mund lachen und dabei teils mit vollen Löffeln Ricotta essen (Farbtafel 56). Der Ricottakäse, der auch in der grotesken poetischen Ekphrasis des chaotischen Hochzeitsfestes ein prominentes Motiv ist, wird im Gemälde Campis nah an der vorderen Bildgrenze in strahlendem Weiß pointiert in Szene gesetzt. Vorne links im Bild löffelt ein Mann mit schief sitzender, verkrumpelter roter Kappe den weißen Käse mit einem großen Holzlöffel, während sein bereits randvoller Mund schmunzelnd halb offensteht. Hinter ihm schiebt sich derweil ein anderer mit nach hinten geneigtem Kopf einen riesigen Kanten Ricotta in Richtung seines weit geöffneten Mundes. Auf der rechten Bildhälfte steckt ein alter, faltiger Mann mit Knollennase, Ziegenbart, schütterem Haar und fauligen Zähnen hinter einem breiten Lachen seinen Löffel gerade in den großen Käse hinein. Schräg vor ihm sitzt eine korpulente junge Frau, ihre Linke berührt leicht den Teller mit dem Käse, ihre Rechte hält einen noch sauberen Löffel in Richtung des Alten. Die Frau trägt eine große Perlenkette und ein tief dekolletiertes Kleid mit Rüschen, das ihr von der großen, unförmigen Schulter gerutscht ist. Mit feurig roten Wangen und zur Seite gelehntem Kopf lacht sie die Betrachtenden vor dem Bild an. Die groteske Gestaltgebung der Figuren und ihr offenes Lachen können ansteckend wirken und ihre verschmitzten Blicke und ihr albern-frohes Gelächter neugierig machen nach dem Grund des Gelächters beim gierigen Essen.194 Der weiße Ricottakäse rückt dabei immer wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Um ihn sind die teils unförmigen, teils Grimassen schneidenden, teils lasziven und generell albern gestimmten und quasi ertappt scheinenden Figuren gruppiert, mit seinem Verzehr sind sie beschäftigt und mit ihm scheint das Lachen verbunden. In den seit dem 15. Jahr194 Zur ansteckenden Wirkung von Lachen und der Evokation von Neugier als Wissensmotor in komischen Darstellungen siehe die Ausführungen zur cinquecentesken Komödientheorie und der Theoriebildung zu pitture ridicole in Kapitel 4.4.1 sowie die Anmerkungen zu Leonardos Zeichnungen lachender grotesk-deformer Figuren in Kapitel 4.1.
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hundert v. a. im nordalpinen Raum Verbreitung findenden Genrebildern avant la lettre sind die Darstellungen von alltäglichen, existentiellen Tätigkeiten wie dem Essen (oder auch Arbeiten und Verdauen) zentrale Motive und stellen »die Leiblichkeit des Menschen« aus.195 Das gierige Verschlingen der Frischkäsetorte durch die Männer, das offene Lachen aller vier Figuren sowie das freizügige Kleid der Frau in Campis Bild machen die auf einen ersten Blick womöglich alltäglich scheinende, heitere Tischrunde dabei zu einem eindeutig zweideutigen Bild, nicht zuletzt, weil der Verzehr von Ricottakäse in burlesken Gedichten des 16. Jahrhunderts ein gängiger Deckname für Geschlechtsverkehr war.196 Vor diesem Hintergrund erhält auch die Ricotta-Szene in der Beschreibung der burlesken Festgesellschaft in Rainoldis Gedicht eine mehrdeutige und derb-vulgäre Semantik. Das Poem aus den Rabisch teilt jedoch nicht allein das Motivdetail des Ricottas mit dem Gemälde Campis, sondern insgesamt das Interesse an der künstlerisch anspruchsvollen und zugleich in Unordnung geratenen Darstellung einer freizügigen bzw. ungezügelten, komisch-grotesken ›Genre‹-Szene mit dezidiert ambiguen Bedeutungen und explizit nicht idealisierten, nicht makellos schönen Figuren. Mit den genannten Gemeinsamkeiten des gut gemachten Komisch-Lachhaften und Verzerrten gestalten die Gedichte Rainoldis und das Gemälde Campis aktuelle Themen grotesker Ästhetik aus. Die Gemeinsamkeiten konnten dabei durch den direkten Austausch zwischen Mitgliedern der Blenio-Tal-Akademie und Vincenzo Campi fundiert werden, denn der Cremoneser Maler betrieb in den 1580er-Jahren nicht nur in Cremona, sondern ebenso in Mailand eine erfolgreiche Werkstatt und stand mit einigen der prominenten Akademiemitglieder in Kontakt.197 Dass Campis amüsantes und künstlerisch anspruchsvolles Gemälde ebenso intellektuelle und ernsthafte Bedeutungsebenen zu veranschaulichen vermag und diese mit Witz verschränkt – wie bereits in Rainoldis komisch-grotesker Dichtung und deren Kritik an Sprachnormierungen und petrarkistischen Dich195 Müller / Münch, »Zur Einführung: Bauern«, S. 7. Der Begriff der Genremalerei wird gattungstheoretisch konkret erst im französischen 18. Jahrhundert ausgestaltet. Hier wird also von einer Genremalerei avant la lettre gesprochen. Die »Kunstform« der Genredarstellungen wird in der bildkünstlerischen Praxis ab dem 15. und 16. Jahrhundert einschlägig – mit Zentren in Nürnberg und Antwerpen und einer ersten wirkmächtigen Hochphase im niederländischen Gouden Eeuw. Ebd., S. 3 f., 11. Zur Theoriebildung genreartiger Malerei siehe im Folgenden auch Kapitel 4.4.1. Für eine Quellensammlung von Texten Aristoteles’, Plinius’, Horaz’, Leonardos, Giorgio Vasaris sowie Gabriele Paleottis und Giovan Paolo Lomazzos, die teilhaben an einer Theoriebildung zur Genremalerei, siehe: Gaehtgens, Barbara, (Hg.), Genremalerei. Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren, Berlin 2002. 196 Siehe: Fusenig, Liebe, Laster und Gelächter, S. 192. 197 Siehe: Paliaga, »Quattro persone«, S. 157.
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tungstheoremen beobachtet –, zeigt sich auf pointierte Weise gerade am Ricotta. Denn die durch die Löffel geformten Aushöhlungen im semantisch mehrdeutigen Käse evozieren eine anthropomorphe Figur – gewissermaßen Löcher im Käse als Variation der von Leonardo da Vinci thematisierten macchie auf Wänden und Steinen, deren Betrachtung Imaginationsprozesse in Gang bringen und die Fantasie anregen soll und im Zuge derer sich u. a. Gesichter erkennen lassen.198 In Campis weißlichem Ricotta jedenfalls meint man in den verschatteten Kuhlen Mund- und Augenhöhlen eines Totenschädels erkennen zu können, der im späten Cinquecento als ein an die Vergänglichkeit von allem Irdischen erinnerndes vanitas-Motiv galt. Zudem sitzt auf der hell beleuchteten Vorderseite des Käses bzw. des Schädels eine Fliege, die wiederum ein schillernd mehrdeutiges Motiv ist. Einerseits kann die kurzlebige Fliege ebenfalls die vanitas-Thematik aufrufen bzw. verstärken.199 Andererseits thematisiert die scheinbar auf dem gemalten Bild klebende, täuschend echt wirkende Fliege die Bildgrenze und galt im frühneuzeitlichen ästhetischen Diskurs als Markierung künstlerischer Meister schaft – u. a. in Referenz auf die um 1464 von Filarete und 1568 von Giorgio Vasari erzählte Anekdote über Giotto, der mit seinem begnadeten Talent eine Fliege auf ein Bild gemalt habe, die sein durch die meisterliche Naturnachahmung getäuschter Lehrmeister Cimabue kurz darauf wegzuscheuchen versuchte.200 Eine die Flüchtigkeit der Zeit implizierende, augentäuschend echt gemalte Fliege wird von Anna Degler in ihrer Studie zum Parergon in der quattrocentesken Malerei zudem überzeugend als »Protagonistin« eines »Initiationsnarrativs« erörtert, »das von der Wirkmacht des Nebensächlichen handelt«.201 In Campis Gemälde sitzt die Fliege nun auf einem Käse, der irgendwie Grund zum Lachen ist für die Bildfiguren und der nicht nur eine derb-vulgäre Ausdrucksweise zu 198 Wie bereits in Kapitel 4.1 angesprochen, empfahl Leonardo in seinen Notizen für ein Lehrbuch der Malerei seine, wie er beschreibt, neuartige, des Lachens würdige Idee, dass man zur Förderung der Imagination Flecken auf Wänden und Maserungen von Steinen betrachten solle; man könne in ihnen dann alle möglichen Figurationen erkennen. Siehe oben Anm. 93. 199 Das Motiv der Fliege wird in bildkünstlerischen Werken mitunter auch im Zusammenhang mit dem negativ besetzten Begriff des Beelzebub im Buch der Könige (Ba’al Zəbûb, ›Herr der Fliegen‹, 2. Buch, Könige 1: 2–3) und mit Konnotationen mit dem Dämonischen im Markusevangelium (3, 22–23) betrachtet. 200 Siehe: Averlino, Antonio (genannt il Filarete), Trattato di Architettura, hg. v. Anna Maria Finoli und Liliana Grassi, Bd. 2, Mailand 1972, Buch 23, S. 665. Siehe generell zum Motiv der Fliege in der Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts: Degler, Anna, Parergon. Attribut, Material und Fragment in der Bildästhetik des Quattrocento, Fink 2015, S. 71 ff.; Schlie, Heike, »Eine Fliege verirrt sich zu Pfingsten«, Beitrag auf dem Blog der Österreichischen Nationalbibliothek in der Rubrik Bild des Monats, am 3. Juni 2019, abrufbar unter: https://www.imareal.sbg.ac.at/eine-fliege-verirrt-sich-zu-pfingsten/ (zuletzt eingesehen am 10.07.2020). 201 Degler, Parergon, S. 71.
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verbildlichen vermag, sondern zugleich einen Totenschädel andeutet, in einem Gemälde, das eben gerade keine historisch oder religiös bedeutsame istoria oder das repräsentative Porträt bedeutender Persönlichkeiten darstellt, sondern eine nebensächliche Situation im Gruppenbildnis in Öl in Szene setzt. Es ist eine Art Genrebild für Sammler – zum Amüsement und derben Scherzen, zum Spitz findig-Sein, aber zugleich auch zum Rätseln und Nachdenken. Nicht zuletzt weisen die Mimik und Physiognomie des alten Mannes mit Ziegenbart im Gruppenbild der Ricotta-Esser eine große Ähnlichkeit zu einem Selbstporträt Vincenzo Campis (Paris, Privatsammlung, mit der Inschrift Vinzentius Campus cremoneti effigies) auf.202 Das ins Gruppenbild integrierte Selbstporträt des Künstlers wird mitunter wiederum als moderner Demokrit interpretiert, der über die vanitas des menschlichen Tuns lacht, oder auch als Anspielung auf die Figur des Pantalone aus der commedia dell’arte – eines alten, verliebten und oftmals betrogenen und ›gehörnten‹ Mannes mit spitzem Bart.203 In jedem Fall sind in Campis Gemälde der vier lachenden Personen mit Ricotta zahlreiche Aspekte miteinander verschränkt, die die Neugier der Betrachtenden immer wieder aufs Neue entfachen und für immer neue Überraschungen und gute Gründe zum Lachen sorgen können. Das zeitgenössisch intensive Interesse an Campis Gemälde und den einschlägigen Erfolg der Bildfindung verdeutlichen nicht zuletzt mehrere Kopien des Bildes, die im Umfeld des Cremoneser Künstlers entstanden.204 Dabei hatte Vincenzo Campi selbst in seiner komisch-grotesken, albernen und zugleich tiefsinnigen Komposition mit einer Serie von Gemälden und Zeichnungen in Austausch treten können, die in den 1560er-Jahren von Lomazzo und anderen Künstlern des engen Umfelds der Accademia della Val di Blenio gemalt bzw. gezeichnet worden waren (Farbtafeln 57 und 58).205 In diesen Bil202 Siehe die Besprechung des Gemäldes der Ricotta-Esser auf der Website des Musée des Beaux-Arts de Lyon: Focus Œuvre, Musée des Beaux-Arts de Lyon, Departement des Peintures mit einer Abbildung des angesprochenen Selbstporträts des Malers: https://www. mba-lyon.fr/sites/mba/files/content/medias/documents/2019-12/fiche_focus_campi_ bd.pdf (zuletzt eingesehen am 10.07.2020). 203 Siehe: ebd. 204 Siehe zum Erfolg des Gemäldes: Tanzi, Marco, I Campi, Mailand 2004, Abb. 43 mit Kommentar. 205 Das hier gezeigte Ölgemälde aus der Genueser Sammlung sowie die in schwarzer und roter Kreide ausgeführte Zeichnung der venezianischen Sammlung werden von Franco Paliaga Lomazzo zugeschrieben. Mauro Pavesi rechnet das Gemälde aufgrund der seiner Meinung nach eher mittelmäßigen Ausführung einem unbekannten Mailänder Künstler aus dem Umfeld Girolamo Figinos zu. Eine weitere Variante der Bildfindung findet sich im Museo Civico von Novara sowie in einer Privatsammlung. Siehe zu den unterschied lichen Versionen der Vier lachenden Personen mit Katze, den intrikaten Transferprozessen sowie Zuschreibungs- und Datierungsfragen: Paliaga, »Quattro persone«; sowie – mit aufschlussreichem Abbildungsteil: Meijer, Bert, »Esempi del comico figurativo nel rinascimento lombardo«, in: Arte Lombarda, 16 (1971), S. 259–266, hier v. a. S. 263. Vgl. auch: Pavesi, Giovan Paolo Lomazzo, S. 299.
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dern wird ebenfalls eine jeweils aus drei Männern und einer Frau zusammengesetzte und dicht gedrängte, bewegte Gruppe im Halbfigurenbild vor neutralem Hintergrund dargestellt. Alle Vier sind in elegante, farbintensive Kleider mit detailreichen Applikationen gekleidet. Die Männer scharen sich um die Frau herum. Ihre feinen Roben gehobenen gesellschaftlichen Standes kontrastieren mit ihren Haltungen und ihrer Mimik, die Verhaltensnormen konterkarieren. Sie lachen mit offenem Mund, zeigen ihre Zähne und blicken teils schielend zu den Betrachtenden oder aus dem Augenwinkel seitlich aus dem Bild heraus. Der hintere Mann legt außerdem seinen Kopf beim Lachen so weit in den Nacken, dass man quasi direkt in seine großen Nasenlöcher schaut. Statt des Ricottas liegt in diesem komischen Gruppenbild eine Katze auf dem Arm der Frau. Außerdem sind die verschiedenen Varianten einer gemeinsamen Bildfindung so komponiert, dass stets die Hände der Bildfiguren verborgen sind – mit Ausnahme des Mannes am vorderen linken Bildrand: Seine Hand lugt aus dem Umhang hervor und ihr Gestus wird von Bild zu Bild gewandelt. In der Zeichnung und einem der Gemälde berühren sich Daumen, Ringfinger und kleiner Finger, während Zeige- und Mittelfinger vage in Richtung der Frau schräg hinter ihm deuten (Farbtafel 57). Im Genueser Gemälde hält der Mann mit Zeige- und Ringfinger seinen Umhang verschlossen, während sein Daumen in Richtung der Frau ausgerichtet ist (Farbtafel 58). In wieder einer anderen Variante zeigt der Mann entschlossen und unmissverständlich mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Katze.206 Die Katze wiederum zeigt sich je nach Bild mal neugierig, mal sprunghaft, mal angriffslustig oder aber auch fluchtbereit. Während Katzen in sakralen Sujets zumeist den Teufel symbolisieren und daher bildintern verscheucht werden, verbildlichen sie in schwerpunktmäßig profanen Sujets oftmals scheinbar schnurrend und mit wedelndem Schwanz laszive Verführung. In der lombardischen Bilderserie der vier lachenden Personen mit Katze sieht man jedoch weder den Schwanz der Katze, noch schmiegt sich das Tier an die Frau an oder schnurrt vermeintlich.207 In der Zeichnung blickt sie scheinbar neugierig nach links – wohin genau bleibt offen. Im Gemälde der Genueser Sammlung legt sie indes ihre Ohren leicht an und spreizt ihre Krallen, bereit zum Angriff oder der Flucht. In wieder einer anderen Variation blickt sie direkt zu dem alten Mann mit Turban und groteskem Profil links neben der Frau und zeigt sich sprungbereit. Die unterschiedlichen Konstellationen der Bildfiguren suggerieren alle, dass die Frau mit der Katze etwas mit dem breiten Grinsen bzw. ausgelassenen Lachen des Bildpersonals zu tun hat. Der genaue Grund für die vergnügte Albernheit bleibt jedoch stets uneindeutig. Jedes der Bilder spielt mit dem Impliziten, mit 206 Siehe die Abbildung in: Meijer, »Esempi del comico figurativo«. 207 Zur Symbolik der Katze in der frühen Neuzeit: Kanz, »Lachhafte Bilder«, S. 32; Fusenig, Liebe, Laster und Gelächter, S. 122 mit Anm. 478; Paliaga, »Quattro persone«, S. 150 mit Anm. 29.
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Andeutungen von Anzüglichkeiten und komisch-erotischen Zweideutigkeiten, mit dem steten Wechsel von Zeigen und Verbergen. Darin liegt der Witz begründet und dadurch bleibt er bewahrt. Dabei verdeutlicht der Vergleich der unterschiedlichen Versionen der Bildfindung, dass die Geste des Mannes am linken Bildrand und die Haltung der Katze den Dreh- und Angelpunkt der Neukonfigurationen bilden und dort die Frage erörtert wird, wie Komik und Witz pointiert ins Bild gesetzt bzw. evoziert werden und wie kleine Veränderungen in der Wiederholung immer wieder neuartig nuancierte Überraschungsmomente konfigurieren können, die die Neugier der Betrachtenden wachhalten. Zentrale Konstante ist hingegen die – in anderen Bildformen der Tafelmalerei unangemessene bzw. bildunwürdige – Darstellung von offenem und unkontrolliertem Lachen, hinter dem sich die Zähne zeigen.208 Vergleicht man die soeben besprochenen Bilder der vier lachenden Personen plus Katze mit der frühneuzeitlich hochgeschätzten, mehrfach kopierten und als Sammlerstück zirkulierenden Zeichnung eines lächelnden Mädchens und eines zurückschreckenden, weinenden Jungen (Abb. 4.30) von der Hand der Cremoneser Künstlerin Sofonisba Anguissola, werden die differenten Modi des Lachens und des Komischen deutlich, die in den Bildern jeweils zum Tragen kommen.209 Die Mitte des 16. Jahrhunderts entstandene Zeichnung Anguissolas macht evident, warum der kleine Junge sein Gesicht verzieht, vermeintlich aufheult, seine rechte Hand erschrocken hebt und zurückzuweichen scheint: Ein Schalentier aus dem Körbchen in der Linken des Mädchens beißt bzw. kneift ihn in seine linke Hand. Das Mädchen beobachtet die Reaktion des Jungen, hat ihren rechten Arm um ihn gelegt und lächelt mit neugierig interessiertem Blick, als habe sie ihn zuvor vor eben einem solchen Biss gewarnt. In einem Brief vom Januar 1562 berichtet Tommaso Cavalieri dem Florentiner Herzog Cosimo I de’ Medici, in dessen Besitz Sofonisbas Zeichnung des lachenden Mädchens und weinenden 208 Siehe im Allgemeinen zum Motiv des Lachens in der bildenden Kunst und zum Lachen als Regelverstoß: Rehm, Ulrich, »Zur Geschichtlichkeit des Lachens im Bild«, in: Überraschendes Lachen, gefordertes Weinen: Gefühle und Prozesse; Kulturen und Epochen im Vergleich, hg. v. August Nitschke, Justin Stagl und Dieter Bauer, Wien 2009, S. 641–676. 209 Sowohl die Sammlungsgeschichte der gerahmten Zeichnung als auch die zahlreichen frühneuzeitlichen Imitationen des Werkes (siehe u. a. das seicenteske Ölgemälde in Dijon, Musée Magnin, inv. 1938 E 337) demonstrieren die Wertschätzung für und das Interesse an Anguissolas Bild. Nachdem Anguissolas Zeichnung direkt nach der Entstehung in den Besitz Michelangelos gelangt war, gehörte sie ab 1562 zum Besitz von Cosimo de’ Medici, anschließend zur Sammlung von Fulvio Orsini und dann zum Besitz von Odoardo Farnese. Vgl.: Bora, Giulio, »Toward a new naturalism: Sixteenth-Century painting in Cremona and Milan«, in: Painters of Reality. The Legacy of Leonardo and Caravaggio in Lombardy, hg. v. Andrea Bayer, New York 2004, S. 147–155, S. 150 ff. Siehe zur Zeichnung generell auch: Bayer, Andrea, »Defining Naturalism in Lombard Painting«, in: Painters of Reality. The Legacy of Leonardo and Caravaggio in Lombardy, hg. v. ders., New York 2004, S. 3–21, S. 8–10, 18.
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Abb. 4.30: Sofonisba Anguissola, Mädchen mit Korb und Junge, der von einer Krabbe gebissen wird, um 1554, Kohle und Bleistift / Papier, 33,3 × 38,5 cm, Gabinetto Disegni e Stampe, Museo e Real Bosco di Capodimonte, Neapel, GDS 1039 © Su concessione del Ministero per i Beni e le Attività Culturali e per il Turismo – Museo e Real Bosco di Capodimonte
Jungens zu jener Zeit gelangte, dass das Bild als Antwort auf einen herausfordernden Kommentar Michelangelos entstanden sei; Michelangelo habe zu Sofonisbas Zeichnung eines lachenden Mädchens gesagt, er würde gern noch einen weinenden Jungen sehen, denn das Weinen sei viel schwieriger darzustellen als das Lachen.210 Diese Herausforderung nahm die junge, aufstrebende Künst210 Tommaso Cavalieri schrieb in dem auf den 20. Januar 1562 datierten Brief an Cosimo I de’ Medici: »[H]avendo il divino Michelangiolo veduto un diseggno di sua [Sofonisba Anguissola] mano di una giovane che rideva disse che harrebbe (per avrebbe) voluto vedere un putto che piangesse come cosa molto più difficile et essendole scritto lei li mandò questo quale è un ritratto di un suo fratello fatto piangere studiosamente[.]« De’ Cavalieri, Tommaso, »Lettera di Roma il dì di 20 di gennaro MDLXII allo Ill. ed Ecc. sig. Duca di Fiorenza e di Siena Mio Signore Cosimo I. de’ Medici«, in: Nuova Raccolta di Lettere sulla Pittura, Scultura ed Architettura scritte dai più celebri personaggi dei secoli XV. a XIX ., hg. v. Michelangelo Gualandi, Bd. 3, Bologna 1856, Nr. 307, S. 22–24, S. 23 f.
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lerin offenbar an. Ihre Zeichnung des von der Krabbe gebissenen Jungen führt die Affekte des Lachens und Weinens in ihrer Gegensätzlichkeit und zugleich in ihrer bildlich schwierig zu differenzierenden Übergängigkeit überzeugend vor Augen und macht die Verkettung von Aktion und Reaktion sowie Ursache und Wirkung evident.211 In den Halbfigurenbildern der lachenden Personen mit Katze aus dem Kontext der Accademia della Val di Blenio geht es im Vergleich zwar auch um die anspruchsvolle Darstellung von Gemütsregungen, aber nicht um ein Schmunzeln bzw. Lächeln, sondern um Gelächter, dessen Beweggrund – anders als beim Krabbenbiss – eben gerade nicht explizit gemacht wird; vielmehr wird mit anzüglichen Mehrdeutigkeiten gespielt. Inszeniert sind freilich sowohl Sofonisbas Zeichnung als auch die Bilder der lachenden Personen mit Katze. Doch die vergleichenden Bildbetrachtungen zeigen, dass das Interesse an Naturbeobachtung und -nachahmung jeweils anders gelagert ist. In den komisch-grotesken Szenerien der Gruppenbilder mit Katze werden Zähne gezeigt, Anzüglichkeiten suggeriert und das Angemessene ausgereizt bzw. dessen Grenzen unterlaufen. Interessante Vernetzungen ergeben sich diesbezüglich u. a. mit Gemälden aus dem venezianischen Diskurszusammenhang, wo bspw. Bartolomeo Veneto zu Beginn des Cinquecento zwei lachende Männer dicht gedrängt mit zwei lachenden Frauen in ihrer Mitte in pompöser höfischer Kleidung im Halbfigurenbild darstellte.212 Neben kompositionellen und motivischen Gemeinsamkeiten ähnelt v. a. auch der Flöte spielende Mann links im Bild mit seinem aus dem Augenwinkel schielenden Blick, seinem Hut und Gewand dem Mann am linken Bildrand im Gemälde der Genueser Sammlung (Farbtafel 58). Ähnlich wie im Fall des Selbstporträts Lomazzos (Farbtafel 50) und 211 Generell galten Lachen und Weinen als schwierig darzustellende Gesichtsausdrücke bzw. Äußerungen eines Gemütszustandes. Leon Battista Alberti führt in Della Pittura bspw. aus, dass es äußerst schwierig sei, ein lachendes Gesicht zu malen, dass nicht auch zugleich wie ein weinendes aussehe: »E chi mai credesse, se non provando, tanto essere difficile, volendo dipingere uno viso che rida, schifare di non lo fare piuttosto piangioso che lieto?« Alberti, Della Pittura, S. 132. Siehe zu Albertis Referenzen auf Cicero und Quintilian: Kanz, »Lachhafte Bilder«, S. 35. 212 Diesen Bildvergleich regte bereits Franco Paliaga an: Paliaga, »Quattro persone«, S. 149. Zu komödienhaften Bildern in der venezianischen Malerei im zweiten und dritten Jahrzehnt des 16. Jahrhundert siehe das gleichnamige Kapitel in: Fusenig, Liebe, Laster und Gelächter, S. 74–118. Bert Meijer bespricht die lombardischen Genrebilder zudem im Zusammenhang mit niederländischen Küchen- und Marktszenen von Pieter Aertsen oder auch Joachim Beuckelaer. Auf derartige Dialogkonstellationen wird weiter unten in Kapitel 4.3.3 noch einmal zumindest knapp eingegangen. Vgl. an dieser Stelle zunächst: Meijer, Bert W., »›L’arte non deve schernire‹: sul comico e sul grottesco al Nord«, in: Rabisch. Il grottesco nell’arte del Cinquecento. L’Aacademia della Val di Blenio, Lomazzo e l’ambiente milanese, Ausst.kat., hg. v. Giulio Bora, Manuela Kahn-Rossi, Francesco Porzio, Mailand 1998, S. 69–76.
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dessen kreativer Adaption von Sebastiano del Piombos Bildfindung des Hirten mit Flöte (Farbtafel 51) lassen sich Bezugnahmen zu venezianischer Malerei der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts nachvollziehen, mit denen Abweichungen von gesellschaftlichen und insbesondere höfischen Verhaltensnormen, von Darstellungskonventionen und idealisierenden Schönheitstopoi elaboriert und zu einer Komik grotesker Ästhetik ausgestaltet werden. Komische ›Genre‹-Szenen werden im Verlauf des Cinquecento zunehmend wichtiger Bestandteil des ästhetischen Diskurses in der Lombardei, insbesondere in den Kunstzentren Mailand und Cremona, aber bspw. auch in Bologna im Kreis der Carracci und Bartolomeo Passerrotis.213 In Bologna wurde im Secondo Cinquecento schließlich auch die Theoriebildung zu komisch-grotesken Gruppenbildern vom Theologen, Bischof und Bildtheoretiker Gabriele Paleotti neu angestoßen. Seine kunsttheoretische Thematisierung und Erörterung von pitture ridicole sind zusammen mit Giovan Paolo Lomazzos theoretischen Reflexionen und Kompositionsanleitungen zu bizarrie da ridere die maßgeblichen Beiträge textverfasster Theorie zu komisch-lachhafter Malerei im Secondo Cinquecento. Sie werden in Kapitel 4.4 im Rahmen der Untersuchung unterschiedlicher Theoretisierungsversuche grotesker Ästhetik und ihrer verschiedenen Facetten besprochen. Eine dieser Facetten gilt es jedoch zuvor noch, wie bereits angekündigt, allererst in ihren bild- und dichtkünstlerischen Gestaltungen zu beleuchten: Die Rede ist vom De- und Refigurieren menschlich anmutender Gestalten mittels körperfremder Elemente, die Körperteile substituieren.
4.3.3 Komposite Köpfe in Giuseppe Arcimboldos Malerei und Gregorio Comaninis Dichtung In dem bereits besprochenen Gedicht Bernardo Rainoldis aus den Rabisch (1589), in dem ein Bergamasker Bauer seinem geliebten Nymphlein mit der Gurkennase, den Marmorschultern und den Perlenzähnen einen kunstvoll verzierten bzw. bebilderten Melkeimer schenkt, blitzt das Prinzip des karnevalesken Substituierens von Körperteilen durch körperfremde Elemente in der Dichtung der Accademia della Val di Blenio bereits auf.214 Strukturgebend und zentrales 213 Für einen Überblick derartiger genreartiger und komisch-lachhafter Bildfindungen in der frühneuzeitlichen Romania siehe: Raupp, Hans-Joachim, »›Pitture Ridicole‹ – ›Kleine Sachen‹. Zur Genremalerei in den romanischen Ländern«, in: Zwei Gesichter der Eremitage. Von Caravaggio bis Poussin, Bd. 2, Bonn 1997, S. 58–69. Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit pitture ridicole siehe: Porzio, Francesco, Pitture ridicole. Scene di genere e tradizione popolare, Mailand 2008. Zur Theoriebildung der pitture ridicole siehe: Kapitel 4.4.1. 214 Siehe Kapitel 4.3.2.
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Abb. 4.31: Giovanni Ambrogio Brambilla (zugeschrieben), Figuren aus Früchten, Gemüse und Ähren – Frühling und Sommer, Druckgraphik, 17,3 × 23,1 cm, Nationalmuseum, Stockholm, inv. 400/1904 © Photo Hans Thorwid / Nationalmuseum Stockholm
Thema ist ein qua Substitution verfahrendes Gestaltungsprinzip dann u. a. auch in zwei vermutlich von dem Akademiegründer Giovanni Ambrogio Brambilla zwischen den späten 1560er- und den 1580er-Jahren geschaffenen Radierungen (Abb. 4.31, 4.32).215 Die beiden zusammengehörigen Druckgraphiken führen ein intensives Interesse an und Auseinandersetzen mit Substitutionsverfahren beim grotesk-komischen Gestalten von Figuren vor Augen und entwerfen Konfigurationen des Frühlings, Sommers, Herbsts und Winters. Die im Profil dargestellten und sich paarweise gegenüberstehenden Büsten sind aus vegetabilen Elementen artifiziell zusammengesetzt – der Frühling aus Blumen und Gräsern, der Sommer aus Ähren, Früchten sowie Schilfrohr, der Herbst aus diversen Gemüse- und Obstsorten sowie einem Holzfass und der Winter aus kahlem Ast- und Wurzelwerk sowie einer Art Jutekleid. Das kuriose Zusammenspiel von Gemüse, Obst und Pflanzen, im Zuge dessen sich menschlich anmutende Gestalten ergeben, wird zugleich durch grotesk-deforme Profillinien und Details akzentuiert – z. B. durch das übertrieben lange und spitze Kinn des Sommers oder die auffällig 215 Siehe zur Zuschreibung und Datierung: Porzio, »Arcimboldo: Le stagioni ›milanesi‹«, S. 230.
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Abb. 4.32: Giovanni Ambrogio Brambilla, Figuren aus Früchten, Blättern und Ästen – Herbst und Winter, Druckgraphik, 17,2 × 23,5 cm, Nationalmuseum, Stockholm, inv. 401/1904 © Photo Hans Thorwid / Nationalmuseum Stockholm
lange, dicke Nase des Winters mit Furunkel. Dabei rekurriert der Künstler der Radierungen mit seinen Figuren auf eine Serie von Gemälden des Mailänder Malers Giuseppe Arcimboldo, der um 1560/1561 in seiner Heimatstadt die vier Jahreszeiten als menschlich anmutende Büsten aus Früchten, Gemüse und Pflanzen konfigurierte.216 Arcimboldo, der kurz darauf als Hofmaler in Wien – wohin er die vier Bilder mitnahm – erfolgreich war, machte das De- und Refigurieren des menschlichen Gesichts bzw. Kopfes durch das Konfigurieren körperfremder Elemente zum Thema und Prinzip zahlreicher seiner Gemälde und erstellte dabei ausschließlich in der Bildwelt sinnfällige Analogien von menschlichen Körperteilen mit Gemüsesorten, Früchten, Pflanzen und Tieren (Farbtafel 59– 61, Abb. 4.33).217 Francesco Porzio beschreibt Arcimboldos Jahreszeitenfiguren treffend – in Anbindung an Michail Bachtins Forschungen zu karnevalesken Körpern in der Populärkultur, die sich durch ihre Durchlässigkeit, Beweglichkeit 216 Arcimboldo malte mehrere Versionen der Jahreszeiten. Francesco Porzio legt schlüssig dar, dass sich die Radierungen auf frühe Versionen der Bildfindungen beziehen. Ebd. 217 Arcimboldo, so Porzio, sandte die Gemälde vermutlich entweder als Geschenk an den Wiener Hof oder brachte sie 1562 persönlich dorthin. Maximilian II . schenkte sie dann wohl an Albert V. von Bayern. Siehe: ebd.
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und groteske Metamorphosen auszeichnen – als radikale Versionen der Öffnung und Vermischung des menschlichen Körpers mit dem Kosmos im Wechsel und Wandel der Jahreszeiten.218 Arcimboldo war bereits zu Lebzeiten berühmt für seine Gemälde kompositer Köpfe, die er in verschiedenen thematischen Serien und Varianten ab 1562 auch für Kaiser Maximilian II. am Wiener Hof und anschließend für Kaiser Rudolph II. am Prager Hof malte, bis er Ende der 1580erJahre endgültig nach Mailand zurückkehrte. Die einzelnen Elemente, aus denen Arcimboldo die kompositen Köpfe gestaltet, – sprich Blumen, Früchte, Pflanzen, Tiere, Gemüse unterschiedlichster Arten – erweisen sich als äußerst detaillierte Naturstudien bzw. naturkundliche Studien. Sie demonstrieren die Kunstfertigkeit des Malers, die Vielfalt und Fülle der Natur auf täuschend echte Weise imitieren zu können. Diese Naturimitationen konfigurieren zugleich auf höchst artifizielle Weise eine neue Figur, die nur in der Bildwelt möglich ist. Betrachten wir bspw. das Gemälde einer menschlich anmutenden Gestalt im Profil und Halbfigurenbild vor einfarbig schwärzlichem Grund mit einer Jacke aus goldglänzenden Getreideähren und einer Artischocke, die im Dekolleté steckt (Farbtafel 59). Das Gesicht ist aus Früchten und Gemüse zusammengesetzt, ein Pfirsich wird zur geröteten Wange, eine Birne zum Kinn, Kirschen zu Lippen, Erbsen zu Zähnen, eine Gurke zur Nase usf. Blätter, Pflaumen, Trauben, Beeren, Auberginen, Kirschen und Ähren sind zu einer Art Haarkranz verflochten. Obst, Gemüse und Ähren des Sommers konfigurieren die Personifikation ihrer Jahreszeit; ihre jeweils konkrete Gestalt und Farbigkeit werden in der Komposition des Bildes so eingesetzt, dass sie Teile eines Gesichts werden und Analogien und Bedeutungen entstehen, die allein der Bildwelt eignen.219 Die figurale Wandelbarkeit der Einzelelemente und des kompositen Ganzen wird kunstvoll vor Augen geführt. Je nach Fokussierung ändert sich die figura – mal betrachtet man die naturnahe Darstellung einer einzelnen Frucht, mal ein kleines Stillleben von drei verschiedenen Früchten und Gemüse, ein andermal erkennt man die Wange und den Kiefer einer menschlich anmutenden Figur oder den lachenden Sommer. Es ist eine komische Figur, die hochgradig ästhetisiert ist und künstlerische Meisterschaft ebenso demonstriert wie ein fundiertes naturkundliches Wissen – nebenbei bemerkt auch über zu jener Zeit in Italien sehr seltene Gemüsesorten wie Mais und Aubergine.220 Das 218 Siehe: ebd., S. 233. Vgl. auch: Bachtin, Michail, L’opera di Rabelais e la cultura popolare: riso, carnevale e festa nella tradizione medievale e rinascimentale, Turin 1979, S. 33. 219 Vgl. zum Konstruktionsprinzip der Köpfe und den Analogiebildungen: Oy-Marra, Elisabeth, »Mimesis und ›phantasia‹: Arcimboldo und die Beurteilung der Imaginatio in der italienischen Kunstliteratur des 16. Jahrhunderts«, in: Signatur und Phantastik in den schönen Künsten und in den Kulturwissenschaften der frühen Neuzeit, hg. v. Martin Zenck, Tim Becker und Raphael Woebs, München 2008, S. 99–122, v. a. S. 113 f. 220 Zu den dargestellten, teils seltenen Gemüse- und Obstsorten siehe: Sylvia Ferino-Pagden, »›…e massime con le invenzioni e capricci, ne’ quali egli è unico al mondo‹. Il rebus
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hier beschriebene bizarre, kapriziöse Porträt des Sommers malte Arcimboldo 1563 am Wiener Hof für Maximilian II. als Teil einer weiteren Jahreszeitenserie. Es steht im Dialog mit den bereits besprochenen visi mostruosi, bizarrie und fantasie grotesker Ästhetik und teilt mit diesen das Explorieren und Ausstellen von künstlerischen Grenzgängen zwischen Beobachtung, Gelehrsamkeit, Imagination, Fantasie und Kreativität sowie das Interesse am figuralen Spiel mit der menschlichen Figur samt der an sie geknüpften Darstellungskonventionen bzw. Schönheitsvorstellungen. Der mit diesen Explorationen und Interessen verbundene Erkenntnisdrang bzw. die damit erfolgende Erkundung von Sinnstiftungspotentialen in den Gemälden kompositer Köpfe wird insbesondere durch die Umsemantisierungen evident, die durch die neuartigen Konfigurationen der dargestellten Dinge und Figuren sowohl im produktions- wie rezeptionsästhetischen Prozess in Gang gebracht werden. Dass die allegorisch aufgeladenen Figurationen zugleich auch Arcimboldos gesellschaftliches Prestige als Hofmaler bedingen, lässt die Signatur des Künstlers GIUSEPPE ARCIMBOLDO vermuten, die in den Goldährenkragen der Sommerfigur eingeflochten scheint – womöglich in Anlehnung an den antiken Maler Zeuxis, der laut einer von Plinius erzählten Anekdote als erfolgreicher Künstler nur noch Kleider trug, in die sein Name in goldenen Buchstaben eingewoben war, und der so seinen Reichtum in Olympia zur Schau stellte.221 In einer wieder anderen grotesk-kapriziösen Figur Arcimboldos, die kompositorisch sehr ähnlich konzipiert ist und die erneut im Profil und Büstenformat vor dunklem Grund dargestellt ist, wird die Form- und Farbvielfalt der Wasserwelt vor Augen geführt und spielerisch-kunstvoll für die Konfiguration einer menschlich anmutenden Büste produktiv gemacht (Farbtafel 60). Das Bild gehört zu einer ebenso wie die Jahreszeiten mehrfach variierten und kopierten Serie: den Elementen.222 Vorwiegend blaugraue, weißgraue und braunrötliche Arcimboldo«, in: Arcimboldo. Artista milanese tra Leonardo e Caravaggio, Ausst.kat., hg. v. ders., Mailand 2011, S. 153–220, S. 161; siehe ausführlich zu den dargestellten Sorten in diesem wie auch in den anderen Gemälden kompositer Köpfe Arcimboldos mit Verweisen auf naturkundlich-botanische sowie -medizinische Quellen und mit einer aufschlussreichen Erörterung zeitgenössischer Sammlungspraxis in Wunderkammern: Olmi, Giuseppe / Tongiorgi Tomasi, Lucia, »Raffigurazione della natura e collezionismo enciclopedico nel secondo Cinquecento tra Milano e l’Europa«, in: Arcimboldo. Artista milanese tra Leonardo e Caravaggio, Ausst.kat., hg. v. Sylvia Ferino-Pagden, Mailand 2011, S. 113–151, siehe zum Sommer v. a. S. 135. 221 Plinius (C. Plinius Secundus d. Ä.), Naturkunde – Naturalis Historiae, Lateinischdeutsch, Buch XXXV, hg. und übers. v. Roderich König mit Gerhard Winkler, Darmstadt 19972, S. 54–57. 222 Zu den unterschiedlichen Versionen der Jahreszeiten und Elemente Arcimboldos sowie zu den erhaltenen Kopien siehe generell: Ferino-Pagden, »›…e massime con le invenzioni e capricci‹«. Zur Konzeption der Serien als Figuren der Jahreszeiten bzw. Elemente siehe weiter unten in diesem Kapitel.
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Wesen der Meeres- und Flusswelt gestalten in fantasiereicher Konstellation die Personifikation des Wassers. Zu entdecken sind in der geordneten Unordnung des Bildes diverse Fische, Wale, Muscheln, Krebse, Robben, Schildkröten, Korallen, Schlangen, Seeigel, Kröten, Seepferdchen und Perlen.223 Sie sind allesamt äußerst detailreich und präzise dargestellt und zugleich vollkommen losgelöst von ihren natürlichen Proportionsverhältnissen zu einem plastischen Gefüge über- und nebeneinander angeordnet und miteinander verwoben, so dass sie die Gestalt einer menschlichen Figur evozieren. Wie auch im Sommer sind die natürlichen Proportionen der einzelnen Elemente – hier der Wasserwelten – außer Kraft gesetzt, nicht mehr gültig und nun Teil eines neuen Relationsgefüges in einer neuartigen figura.224 Harmonie und Ordnung entstehen dabei durch eine ›bestimmte gesetzmäßige Übereinstimmung aller Teile‹, die Leon Battista Alberti zur Erlangung von concinnitas voraussetzt bzw. fordert.225 Laut Alberti ist die Schönheit (»pulchritudo«) eine gewisse (»certa«) gesetzmäßige Übereinstimmung (»concinnitas«), sprich Proportionierung und Ausgewogenheit sämtlicher Teile eines Ganzen, um was für eine Sache es sich auch immer handle (»cuius sint«); in diesem harmonischen Zusammenwirken aller Teile sei nichts hinzuzufügen und nichts wegzunehmen, ohne dass die Sache sich verschlechtere.226 Arcimboldos Adaption dieser concinnitas-Regel, in der alle Teile integraler Bestandteil eines nur als solches funktionierenden Ganzen sind, erweist sich letztlich als gewitzte Unterminierung des Konzepts, da seine Figurationen von den Regeln der natürlichen Proportionen abweichen und als schöne Kunstfiguren die »offene Systemstelle« von Albertis cuius sint ausnutzen, wie Roland Kanz aufmerksam beobachtet.227 In Arcimboldos auf kapriziöse Weise wohl geordneten Gemälden wandeln sich mit wechselnder Fokussierung des Betrachterblicks die Gestalten im figuralen Spiel – im Fall der Konfiguration aus Wasserwesen sieht man mal einen Wels mit geöffnetem Maul, der auf einen Rochen schielt. 223 Paolo Tongiorgi identifiziert nahezu jedes einzelne der dargestellten Wesen der Wasserwelt im Anhang des Beitrags von Giuseppe Olmi und Lucia Tongiorgi Tomasi: Olmi / Tongiorgi Tomasi, »Raffigurazione della natura«, S. 150. 224 Zur Erstellung neuartiger Relationsgefüge in Arcimboldos Malerei kompositer Köpfe siehe auch: Kanz, Ronald, »Groteske Phantastik und künstlerischer Eigensinn im Manierismus«, in: Signatur und Phantastik in den schönen Künsten und in den Kulturwissenschaften der frühen Neuzeit, hg. v. Martin Zenck, Tim Becker und Raphael Woebs, München 2008, S. 149–168, S. 153–156. 225 Siehe ebd. Leon Battista Alberti formuliert das Konzept der concinnitas folgendermaßen: »[…] ut sit pulchritudo quidem certa cum ratione concinnitas universarum partium in eo, cuius sint, ita ut addi aut diminui aut immutari possit nihil, quin improbabilius reddatur.« Alberti, Leon Battista, L’architettura – De re aedificatoria, Italienisch – Latein, hg. v. Giovanni Orlandi und Paolo Portoghesi, Mailand 1966, Buch VI, Kapitel 2 und Buch IX , Kapitel 5, S. 447–449. 226 Alberti, L’architettura, S. 447–449. 227 Kanz, »Groteske Phantastik«, S. 157; sowie: Alberti, L’architettura, S. 447–449.
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Ein andermal wird der Wels zum Unterkiefer und Mund einer grotesken Figur. Und wieder einen Moment später lässt sich die Figuration des Elements Wasser entdecken oder aber auch ein scherzhaft-deformes Bildnis einer Dame mit Perlenkette, Perlenohrring, Seeigelkrönchen und Federschmuck, bevor sich die Figur wieder in einzelne treffliche Naturstudien auflöst. In wieder einer anderen um 1589 entstandenen Bildfindung eines kompositen Kopfes stellt Arcimboldo zahlreiche unterschiedliche, buntfarbige Blumen, Blüten und Blätter so in der Bildwelt zusammen, dass eine Frauenbüste entsteht.228 Diesmal sind die einzelnen Elemente der Büste zuvorderst gemäß Farbtönen gruppiert. Weißliche Blüten konfigurieren Hals und Gesicht, wobei hellrosa bis rötlich changierende Rosenblüten Wangen, Stirn und Lippen Gestalt geben und grüne längliche Knospen zu Augenbrauen sowie bläulich-schwarze Knospen zu Pupillen werden. Ein Band aus weiß-gelben Blumen formt eine Art Mantelkragen, grüne Blätter einen Umhang, ein Kranz aus buntfarbigen Blüten ist je nach Perspektive die Haarpracht einer Frau aus Blumen: Flora, in voller Blüte. Die in mehreren Versionen dokumentierte Bildfindung der Flora entwarf Arcimboldo in Mailand im selben Jahr der Veröffentlichung der Rabisch, deren Gedichte petrarkistische Modelle weiblicher Schönheit ridikülisieren. Arcimboldos Konfiguration von Blumen zur Flora kann derweil ebenfalls als ein mit Witz konzipierter, wie Evi Zemanek formuliert, »pikturaler Kommentar zur komparativ-kompositiven Portraiture« des Petrarkismus verstanden werden, in dem weibliche Schönheit maßgeblich mittels der Verwendung buchstäblich blumiger Metaphern bzw. Analogien konzipiert wird.229 Flora wird in petrarkistischen Gedichten – etwa in Sonetten von Joachim Du Bellay oder Pierre de Ronsard – mit einem Mund aus Nelken oder einer Stirn aus Rosen vorgestellt.230 Derartige Analogien nimmt Arcimboldo beim Wort und macht sie in seiner Malerei konkret, in der die Gestalt der schönen Frau qua Blumen allererst materialisiert wird. Anders als aber in ridikülisierenden, antipetrarkistischen Gedichten wie jenem Rainoldis über 228 Für eine qualitativ hochwertige Abbildung des Gemäldes der Flora, dessen Aufbewahrungsort als unbekannt gilt, siehe: Berra, Giacomo, »L’Arcimboldo ›c’huom forma d’ogni cosa‹: capricci pittorici, elogi letterari e scherzi poetici nella Milano di fine Cinquecento«, in: Arcimboldo. Artista milanese tra Leonardo e Caravaggio, Ausst.kat., hg. v. Sylvia Ferino-Pagden, Mailand 2011, S. 283–313, S. 289; für zwei weitere, nicht verortbare Varianten der Bildfindung der Flora siehe ebd., S. 297 f. 229 Siehe: Zemanek, Evi, Das Gesicht im Gedicht: Studien zum poetischen Porträt, Wien 2010, S. 142. 230 Siehe: ebd. Zu petrarkistischen Topoi weiblicher Schönheit in cinquecentesker Dichtung (bspw. in Federigo Luiginos Libro della bella donna (Venedig 1554) siehe: Schneider, Ulrike, »›Disegnare con parole‹. Strategies of Dialogical Portraits of Ideal Female Beauty in the Italian Reniassance«, in: Inventing Faces. Rhetorics of Portraiture between Renaissance and Modernism. For the Gemäldegalerie Staatliche Museen zu Berlin and the Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, hg. v. Mona Körte, Ruben Rebmann, Judith Elisabeth Weiss und Stefan Weppelmann, Berlin / München 2013, S. 84–98, v. a. S. 91.
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das Gurkennasen-Nymphlein ist Arcimboldos Flora eine aus schönen, buntfarbig leuchtenden Blüten kreierte und in der Formwelt des Bildes wohl proportionierte Frau. Das karnevalesk-groteske, figurale Kompositionsprinzip generiert in diesem Fall – mit Augenzwinkern – eine neuartige, originelle Schönheit. Aus den betrachteten Bildbeispielen lässt sich das Grundschema der kompositen Köpfe des Mailänder Malers extrahieren: Es basiert auf dem Konfigurieren von Elementen, die in der Natur einer Gruppe angehören – bspw. Blumen, Früchte oder Wasserlebewesen. In der kunstvollen Komposition dieser Elemente wird eine neuartige, menschlich anmutende Figur erkennbar. Isoliert betrachtet, sind die Einzelteile der Gesamtkomposition detaillierte und hochgradig mimetische Naturstudien. Ihre natürlichen Proportionsverhältnisse sind jedoch in der Bildwelt entkoppelt und zu einem neuen Relationsgefüge zusammengefügt. Roland Kanz spricht daher pointiert von einer »extremen Naturnachahmung« und einer »extreme[n] Künstlichkeit«, deren Kombination sich »im Begriff des Capriccio« verdichte.231 Die Wahrnehmung dieser früheuzeitlich kapriziösen Bilder ist daher in stetem Wandel begriffen: Je nach Fokussierung des Betrachterblicks separieren sich die Elemente in einzelne Naturstudien oder konfigurieren im Zusammenspiel eine Büste im Halbfigurenprofil, nehmen im konkreten Zusammenhang der Bildwelt neuartige Funktionen und Bedeutungen an und kommentieren mitunter poetische Gestaltungsweisen. Dann ist eine Gurke tatsächlich eine Nase, eine Muschel ein Ohr oder eine Rose eine Wange, eine Schlange ein Hals und Erbsen sind Zähne. Der Künstler schafft aus den Dingen und Tieren der Natur mit ihren Formen, Farben und Oberflächenstrukturen in der Virtualität des Figuralen Neues.232 Sein Werk regt die Wahrnehmung und Imagination der Betrachtenden an, die mal Naturstudien bewundern, mal einen kompositen Kopf, mal ein harmonisches Ganzes, mal ein chaotisches Durcheinander. Dabei wird die »Seh-Erkenntnis« des Bildes für die Betrachtenden zur »Erfahrung eigener Kombinationsfähigkeit«, zum »inventive[n] Akt«, wie Ronald Kanz es erneut treffend formuliert.233 Das Spannungsmoment von Na231 Kanz, »Groteske Phantastik«, S. 153. Zur zeitgenössischen Verwendung des Begriffs capriccio zur Beschreibung bzw. Bezeichnung der Werke Arcimboldos bspw. in Gregorio Comaninis kunsttheoretischem Dialog Il Figino siehe Kapitel 4.4.2. 232 Zur Virtualität des Figuralen siehe die Einleitung in Kapitel 4, Anm. 32. Nevet Dolev zieht Verbindungen von der Darstellungsstruktur der Gemälde Arcimboldos zu Leonardos bereits mehrfach erwähnter Empfehlung an Maler, ihre Imagination durch fleckige Wände und gemaserte Steine anzuregen. Arcimboldo spitze dieses Imaginationsspiel quasi zu, so Dolev, nutze die Materialität der einzelnen Elemente und kreiere eigene Metaphern und Metamorphosen in seinen Bildwelten. Siehe: Dolev, Nevet, »Leonardo’s Amorphus Imagery and the Arcimboldo Outcome«, in: Achademia Leonardi Vinci. Journal of Leonardo Studies & Bibliography of Vinciana, hg. v. Carlo Pedretti, 8 (1995), S. 129–142. 233 Kanz, »Groteske Phantastik«, S. 155.
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turstudien und artifizieller Komposition weckt dabei die Neugier und setzt die Betrachtenden vor dem Gemälde in Bewegung. Arcimboldo malte jedoch auch Gemälde, die dazu anregen, selbst bewegt, genauer gesagt gedreht und auf den Kopf gestellt zu werden. Ein Beispiel ist das Bild einer Schale, die prall gefüllt ist mit verschiedenem, ineinander und überein ander drapiertem Gemüse und Nüssen (Abb. 4.33). Dreht man dieses kunstvoll arrangierte Stillleben um, wird die Schale in der Bildwahrnehmung zu einem Hut, die Nüsse zu schielenden Augen, der Rettich zu einer dicken langen Nase, die Pilze zu wulstigen Lippen, die Gemüsezwiebel zur geröteten Wange mit Furunkel usf. Das figurale Wechselspiel von Verbergen und Enthüllen, von steten Umkodierungen und Rückverweisen wird in diesen Stillleben-Porträts somit noch um die Dimension der variablen Ausrichtung des Gemäldes erweitert und vereint zugleich Stillleben-Malerei mit grotesker Porträtmalerei. Als Stillleben stehen die Kippbilder im produktiven Austausch mit der sich in der Lombardei im Secondo Cinquecento etablierenden Kunstform autonomer Stillleben.234 Ein einschlägiges Beispiel in diesem Zusammenhang ist das Ölgemälde eines Tellers mit Pfirsichen und Weinblättern, das der Mailänder Maler Giovan Ambrogio Figino um 1591 in der lombardischen Metropole malte (Farbtafel 53).235 Zu Figinos Gemälde wurden im lombardischen Diskurs jener Zeit zahlreiche Gedichte verfasst, u. a. von dessen Freund, dem Dichter, Geistlichen und Kunsttheoretiker Gregorio Comanini. Das Poem Sopra la pittura d’alcuni Persichi naturalissimi, das 1594 in dem von Gherardo Borgogni herausgegebenen Buch Le Muse Toscane veröffentlicht wurde, ist eines von vielen, die die Illusionskraft von Figinos Bild und dessen multisensorische Ansprache der Betrachtenden zelebrieren.236 Laut der Verse Comaninis werden sowohl der
234 Siehe hierzu weiter: Berra, Giacomo, »Frutti e fiori dell’Arcimboldo ›cavati dal naturale‹. L’influsso sulla nascente natura morta lombarda e sul giovane Caravaggio«, in: Arcimboldo. Artista milanese tra Leonardo e Caravaggio, Ausst.kat., hg. v. Sylvia FerinoPagden, Mailand 2011, S. 315–347; DaCosta Kaufmann, Thomas, »The Artificial and the Natural: Arcimboldo and the origins of still life«, in: The Artificial and the Natural. An evolving polarity, hg. v. Bernadette Bensaude-Vincent and William R. Newman, Boston 2007, S. 149–184. 235 Giacomo Berra betont, dass es sich bei Figinos Bild um eines der europaweit ersten Stillleben-Gemälde handelt. Siehe: Berra, Giacomo, »Giovan Ambrogio Figino. Piatto metallico con pesche e foglie di vite (1591–1594 ca.), in: Il silenzio delle cose. Vanitas, allegorie e nature morte dalle collezioni italiane, Ausst.kat., hg. v. Davide Dotti, Turin 2015, S. 154–156, S. 154. Siehe zu bildkünstlerischen Dialogen mit Figinos Pfirsich-Teller (Farbtafel 53) auch Kapitel 4.2, Anm. 142. 236 Siehe: Borgogni, Gherardo (Hg.), Le Muse Toscane di diversi nobilissimi ingegni dal Sig. Gherardo Borgogni di nuovo posto in luce. Al molto Mag. & Generoso Signore il Sig. Gio. Ambrogio Figino, Mailand / Bergamo 1594.
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Abb. 4.33: Giuseppe Arcimboldo, Stillleben mit einer Schale voller Gemüse und Nüsse / Kopf, zusammengesetzt aus Gemüse, Nüssen und einer Schale als Hut – Ortolano, 1587–1593, Öl / Leinwand, 35,8 × 24,2 cm, Museo Civico Ala Ponzone, Cremona © Bologna, Fototeca Zeri
Seh- als auch der Geruchs-, Tast- und Geschmackssinn von den täuschend echt erscheinenden, gelblichen, süßen, weichen, duftenden Pfirsichen der Malerei Figinos angeregt. Comaninis Dichtung fügt der Bildwahrnehmung dann gewissermaßen die auditive Dimension hinzu.237 Zwei weitere Gedichte über das Stillleben mit Pfirsichen finden sich in einer nur als Manuskript in der Londoner British Library erhaltenen Textsammlung mit dem Titel Poesie in lode di Giov.
237 Siehe hierzu auch: Berra, »Giovan Ambrogio Figino. Piatto metallico con pesche«, S. 155.
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Ambr. Figino.238 Eines der beiden Poeme, Piatto con pesche, die die Überbietung der Natur durch die Kunst feiern, ist zudem auf der Rückseite der Holztafel des Gemäldes notiert.239 Das andere der beiden Gedichte des Londoner Manuskripts stammt von einem »Nobile Bergamasco«, ist in Dialekt verfasst und lässt einen »facchino della Val di Blenio« davon berichten, dass seine schwangere Frau, sobald sie die auf Holz gemalten Pfirsiche gesehen habe, sie sofort habe essen wollen und er ihr erst ›eintrichtern‹ musste, dass sie nur gemalt seien.240 Die Texte der Londoner Sammlung, die vornehmlich Figinos, aber mitunter auch Giuseppe Arcimboldos Werke rühmen, sind von prominenten Persönlichkeiten der Mailänder Kulturszene verfasst, unter ihnen Gregorio Comanini, Gherardo Borgogni, Giuliano Gosselini, Bernardino Baldini und Torquato Tasso sowie teilweise auch von Figino und Arcimboldo selbst. Ein enges Netzwerk Mailänder Maler und Dichter deutet sich hier an – ein Netzwerk, das im Folgenden eingehender dargelegt wird und das, wie nicht zuletzt das Facchino-Gedicht zeigt, eng mit dem Kreis der Accademia della Val di Blenio verbunden war und sich intensiv mit Themen, Motiven und Darstellungsstrukturen grotesker Ästhetik auseinandersetzte. Die angedeuteten Mailänder Maler-Dichter-Dialoge trugen auch dazu bei, dass Arcimboldos kapriziös komposite Köpfe nicht allein als anspruchsvolle Naturstudien und groteske Figurenbüsten sowie Personifikationen von Jahres zeiten und Elementen betrachtet wurden, sondern gleichermaßen als Herrschaftsallegorien rezipiert werden konnten, wobei unterschiedliche Stilhöhen von grotesker Gestalt bis hin zur traditionell gelehrten Allegorie miteinander verschränkt werden.241 Arcimboldo hatte die mehrteiligen Serien der Jahreszeiten, die er in Mailand um 1560 initiiert hatte, und die der Elemente maßgeblich zwischen 1562 und 1566 am Wiener Hof des Habsburger Kaisers Maximilian II. (weiter)entwickelt, bevor er 1566 für etwa eineinhalb Jahre nach Mailand zurückkehrte, wo er mit dem Mailänder Latinist Giovanni Battista Fonteo kollaborierte und in der Interaktion von Malerei und Dichtung die Konzeption der
238 Poesie in lode di Giov. Ambr. Figino. Collection of sonnets and other verses, chiefly in praise of Giovanni Ambrogio Figino, painter of Milan, and his works; 1589–1608, but chiefly undated. Italian, with a few in Latin and one (f. 60) in Greek. Mostly on separate leaves, King’s MS 323, British Library, London. Die beiden Gedichte zu Figinos Pfirsichen finden sich ebd. auf ff. 54r, 70v. 239 Siehe für eine Wiedergabe der Verse auch: Veca, »Giovanni Ambrogio Figino. Piatto metallico con pesche«. 240 Siehe: Poesie in lode di Giov. Ambr. Figino, f. 70v. Vgl. auch: Berra, »Giovan Ambrogio Figino. Piatto metallico con pesche«, S. 155 f. 241 Zu Arcimboldos Jahreszeiten-Serie in ihren unterschiedlichen Varianten siehe: Porzio, »Arcimboldo: Le stagioni ›milanesi‹«; Ferino-Pagden, »›…e massime con le invenzioni e capricci«.
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Gemäldeserien weiterführte.242 In diesem Zusammenhang verfasste Fonteo auf Latein das 1568 in Wien fertiggestellte Carmen cum Distichis et Divinatio, cui titulus Clementia est, das die grotesk zusammengefügten Köpfe Arcimboldos als Personifikationen der Jahreszeiten und Elemente sowie zudem als politische Allegorien der Herrschaft Maximilian II. präsentiert und kommentiert.243 Dabei sind es die ästhetische und semantische Unbestimmtheit, die figurale Beweglichkeit der kompositen Köpfe, die solche poetischen Kommentierungen und Interpretationen ermöglichen bzw. herausfordern. Anhand der Gedichte wird aber ebenso deutlich, dass im gesellschaftlich elitären Kreis der Rezipientinnen und Rezipienten der Bildserien schriftlich fixierte Erläuterungen und Interpretationsanleitungen zu den Gemälden von Interesse waren. Fonteos poetisches Verfahren der semantischen Aufladung bzw. Konkretisierung der grotesken Figuren Arcimboldos blieb kein Einzelfall. Um die Praxis des Dichtens über Arcimboldos Malerei nachvollziehbar zu machen, werden im Folgenden noch einmal dessen Gemälde der Frau aus Blumen, Flora, sowie zusätzlich das Bild eines Mannes aus Früchten, Blüten, Kürbissen und Ähren (Farbtafel 61), Vertumnus – des antiken Jahreszeitengottes –, im Dialog mit Gedichten von Mailänder Literaten besprochen. Arcimboldo hatte sowohl die Blumen-Frau als auch den Blumen-FrüchteMann in seiner Mailänder Werkstatt um 1589/1590 für Kaiser Rudolph II. in Prag gemalt. Bevor die Werke an den Prager Hof versandt wurden, waren sie in Arcimboldos Atelier ausgestellt worden.244 Beim Versand wurde dem Gemälde 242 Siehe: Ferino-Pagden, »›…e massime con le invenzioni e capricci‹«, S. 186. 243 Fonteo, Giovanni Battista, Ad Sacrum Caesarem Invictissimi et celementissimi Imperatoris Maximilliani secundi semper Augusti et Maiestatem, Baptistae Fonteij Primionis, In quatuor temporum, et quatuor elementorum ad humanam effigiem a Josepho Arcimboldo caesareo pictore expressorum Caesari ipsi dictatam Picturam Carmen cum Distichis, et Divinatio, cui titulus Clementia est. Viennae Austriae tertio calendas Januaris Anno Domini 1568 (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Handschriftensammlung Codex 10152). Siehe zu Fonteos Gedichten zu Arcimboldos Malerei ausführlich: DaCosta Kaufmann, Thomas, »Arcimboldo’s Imperial Allegories. G. B. Fonteo and the Interpretation of Arcimboldo’s Painting«, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 39/4 (1976), S. 275–296; sowie abbreviativer: DaCosta Kaufmann, Thomas, Arcimboldo. Visual Jokes, Natural History, and Still-Life Painting, Chicago / London 2009, S. 80–82; Ferino-Pagden, »›…e massime con le invenzioni e capricci‹«, S. 186, 216. Die Gemälde der in Wien entstandenen Varianten der beiden Serien befinden sich heute in der Bayerischen Staatsgemäldesammlung in München, im Louvre in Paris und im Kunsthistorischen Museum in Wien. 244 Siehe: Berra, »L’Arcimboldo ›c’huom forma d’ogni cosa‹«, S. 283; siehe für zeitgenössische Berichte über die Ausstellung des Vertumnus-Bildes in Arcimboldos Haus, in dem angeblich auch Gregorio Comanini und Giovanni Filippo Gherardini wohnten: Comanini, Gregorio, Il Figino overo del fine della pittura. Dialogo del Rever. Padre D. Gregorio Comanini Canonico Regolare Lateranese. Ove quistionandosi, se’l fine della pittura sia l’utile, overo il diletto, si tratta dell’uso di quella nel Christianesimo. Et si mostra, qual sia imitator
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der männlichen Profilbüste ein Gedichtband beigefügt, den Giovanni Filippo Gherardini zusammengestellt, mit einem Vorwort eingeleitet und im Januar 1591 in Mailand herausgegeben hatte. Der Titel des Buches lautet: All’invitissimo Cesare Rodolfo Secondo. Componimenti sopra li due quadri Flora, et Vertunno, fatti à Sua Sac. Ces. Maestà da Giuseppe Arcimboldo Milanese. Die Sammlung umfasst Texte von u. a. Gregorio Comanini, Gherardo Borgogni und Bernardino Baldini, teils auf Latein, teils in Italienisch.245 In seinem an Rudolph II. gerichteten Vorwort erläutert Gherardini, dass das Gemälde der Flora einen Partner brauchte und Arcimboldo daher Vertumnus geschaffen habe. Verschiedene »begli ingegni« und »primi professori dell’arte« Mailands haben dann die »figura« des Vertumnus im Hause Arcimboldos gesehen und sie hochgeschätzt und gelobt, schreibt Gherardini.246 Der Mailänder Literat dokumentiert und betont bereits im Vorwort den engen Austausch zwischen Arcimboldo, seiner Malerei und diversen Intellektuellen, darunter renommierten Kunstkennern. Er macht den Kaiser als Adressaten des Gedichtbandes zudem bereits auf ein Poem im Besonderen aufmerksam. Es ist ein Gedicht von Gregorio Comanini, in dem die figura des Vertumnus viele seltene, gelehrte und unterhaltsame Dinge (»cose rare, dotte, e dilettevoli«) in einem noblen, erlesenen Stil und in lieblich schöner wie auch neuartiger Metrik (»in stile molto nobile, e pregiato, et in metro non men vago, che nuovo«) räsoniere.247 Comaninis Gedicht wird damit als wichtiger Begleiter des Gemäldes und relevante Rezeptionsergänzung hervorgehoben und eröffnet anschließend an das Vorwort dann auch die Textsammlung. Es ist ein langes, sich über mehrere Seiten erstreckendes, komplexes Poem enigmatischer Sprechweise mit zahlreichen Wechseln von Sprechmodi und Redefiguren.248 Poetisch elaboriert werden die Kompositionsweise und die Analopiù perfetto, & che più diletti, il Pittore, overo il Poeta, Mantua 1591, S. 31 (in der editio princeps fälschlicherweise mit der Seitenzahl 25 versehen); Gherardini, Giovanni Filippo (Hg.), All’invitissimo Cesare Rodolfo Secondo. Componimenti sopra li due quadri Flora, et Vertunno, fatti à Sua Sac. Ces. Maestà da Giuseppe Arcimboldo Milanese, Mailand 1591, Vorwort. 245 Gherardini, All’invitissimo Cesare Rodolfo Secondo. Giacomo Berra stellt als erster die Relevanz des Gedichtbandes für die Forschung heraus. Siehe: Berra, Giacomo, »Allegoria e mitologia nella pittura dell’Arcimboldi: la ›Flora‹ e il ›Vertunno‹ nei versi di un libretto sconosciuto di rime«, in: Acme. Annali della Facolta di Lettere e Filosofia dell’Università degli Studi di Milano, 41/2 (1988), S. 11–39. Berra analysiert und zitiert die in der Mailänder Biblioteca Ambrosiana erhaltene Ausgabe, die ohne Seitenangabe und Nummerierung in vier mit A bis D gekennzeichneten Heften gebunden ist. 246 Ebd. 247 Siehe: Berra, »Allegoria e mitologia nella pittura dell’Arcimboldi«, S. 17 f. Im Original der Ambrosiana befindet sich die entsprechende Textstelle in Heft A, f. 2r–v. 248 Das Vertumnus-Gedicht findet sich in dem Mailänder Exemplar von Gherardinis Sammlung in Heft B, f. 1–3v, siehe: Berra, »Allegoria e mitologia«, S. 22.
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giebildungen des Gemäldes nachvollzogen und erörtert. Dabei imitiert das Gedicht das Darstellungsprinzip des Bildes auf poetische Weise und etabliert eine zusätzliche Bedeutungsebene, die einzig qua Dichtung evident wird. Grundsätzliches Thema des Poems ist die Identität der in Arcimboldos Gemälde dargestellten Figur. Zu Beginn des Gedichts wird ein Zwiegespräch des lyrischen Ichs mit seinem mit »tu« angesprochenen Spiegelbild inszeniert: Qual tu sii, che me guardi Strana, e difforme imago, E’l riso hai su le labbra, Che lampeggia per gli occhi, tutto’l volto imprime Di novella allegrezza, Al veder novo monstro, Che Vertunno chiamaro Ne’lor carmi gli antichi Dotti figli d’Apollo; Se ›n mirar non t’ammiri Del brutto, ond’io son bello; Ben non sai, qual bruttezza Avanzi ogni bellezza. Vario son da me stesso, E pur sì vario un solo Sono, e di varie cose Co’l mio vario sembiante Le sembianze ritraggo.249
249 In der vorliegenden Arbeit wird Comaninis Gedicht nach dem Abdruck im kunsttheoretischen Dialog Il Figino zitiert, der in Kapitel 4.4.2 eingehend besprochen wird. Comanini, Il Figino, S. 32 f. Eine kunstlose Prosaübersetzung dieser ersten Zeilen des Gedichts, allein um das Leseverständnis zu erleichtern, kann lauten: »Wer Du auch seist, der mich ansieht, seltsames und deformes Bild, hast ein Lächeln auf den Lippen, das durch die Augen scheint, das ganze Gesicht durch eine neuartige Freude prägt, weil du ein neuartiges Monster siehst, das die gelehrten antiken Söhne Apolls in ihren Gesängen Vertumnus nannten. Wenn Du bei Deinem Anblick nicht das Hässliche bewunderst, von woher ich schön bin, dann weißt Du wohl nicht, welch Hässlichkeit jedwede Schönheit übertrifft. Verschieden bin ich von mir selbst, und doch verschiedenartig ein einziger, und in meinem Aussehen ähnle ich verschiedenen Dingen.« Für eine ausführliche Analyse des Gedichts siehe: Becker-Sawatzky, Mira, »Malerei vor Augen stellen & in Worte fassen – Strategien der Veranschaulichung & Modi des Wissens in Gregorio Comaninis kunsttheoretischem Dialog Il Figino (1591)«, in: Medien- und gattungsspezifische Modi der Diskursivierung elusiven Wissens in Dichtungen der Frühen Neuzeit, hg. v. Ulrike Schneider, Wiesbaden (in Vorbereitung zum Druck).
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Bereits diese ersten Verse untermauern die Einbettung der Figuration in die groteske Ästhetik des frühneuzeitlichen lombardischen Diskurses, deren begriffliche und konzeptuelle Marker zahlreich angewandt werden – von der strana e difforme imago über das riso und novo monstro zum Relationieren von schön und hässlich, der Überbietung des Schönen durch das Hässliche sowie der Variabilität der Figur bzw. figuralen Beweglichkeit. Dem lyrischen Ich ist der eigene Anblick befremdlich. Es thematisiert, wie schön und hässlich sich im neuartigen Monster überlagern, und es reflektiert die Vielfältigkeit und Diversität seiner Gestalt. Es sei ein einzelner und zugleich viele verschiedene andere Figuren. Die Kunst des Porträts wird im weiteren Verlauf des Gedichts als eine geheimnisvolle »arte nova« vorgestellt. Das Geheimnis dieser neuen Kunst zu lüften, wird in der Folge Aufgabe des Gedichts. Vermittels eines im deskriptiven Sprechmodus wiedergegebenen Rückblicks auf die künstlerische Entstehung der Figur wird zunächst der ursprüngliche Zustand der Erde beschrieben, die ohne jegliche Ordnung ungeformt, hässlich und chaotisch gewesen sei, bis Jupiter ihre Elemente ordnete. Analog dazu sei auch Vertumnus aus einer Masse ungeordneter Elemente wie ein lebhaftes und stolzes Tier hervorgegangen.250 Arcimboldos Konfiguration der einzelnen Bildelemente wird damit einem göttlich-schöpferischen Akt gleichgesetzt, während zugleich auf die Gemäldeserie der Elemente angespielt wird.251 Im nachfolgenden Abschnitt tritt das lyrische Ich erneut in eine Art Gespräch mit seinem Gegenüber und fordert es immer wieder aufs Neue dazu auf, bestimmte Aspekte genau anzusehen, zu schauen (»mira«).252 Die Imagination der Hörenden bzw. Lesenden des Gedichts wird so stets von Neuem angeregt und herausgefordert. Rhythmisch und repetitiv wird zum Sehen aufgefordert, dann ein Element des kompositen Kopfes benannt und schließlich dessen Platz in der Komposition beschrieben. So heißt es bspw.: »Mira ciò, che le tempie / Mi cinge, orna, e colora: / Tante spiche pungenti« sowie »Mira il pomo, e la pesca, / Che tondi, e roßi, e vivi / Fan l’una guancia, e l’altra«.253 Die über das lyrische Ich vermittelte Bildanalyse ist dabei selektiv, nur bestimmte Teile werden besprochen, zu anderen wird explizit geschwiegen: »Mira al fin questo cinto/ (Ch’io vuò tacer de l’altre / Membra robuste, e belle[)]«.254 Es geht demnach nicht um eine vollständige und detailgenaue Beschreibung des Bildes, sondern um das Erfassen und Anschaulichmachen des figuralen Darstellungsprinzips. In einem weiteren Schritt werden die Bausteine des Kopfes dann mit Jahreszeiten und symbolischen sowie astrologischen Aspekten und Sinnschichten verbunden, die allesamt Vertumnus eignen. Der Jahreszeitengott ist dabei per se – 250 Comanini, Il Figino, S. 35. 251 Ebd. 252 Ebd., S. 36–40. 253 Ebd., S. 36 ff. 254 Ebd., S. 40.
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wie u. a. auch Properz, Ovid und Vincenzo Cartari ihn präsentieren – in ständiger Metamorphose begriffen.255 Auf diese Weise erkennt das lyrische Ich im Gedicht immer mehr Seiten seiner vielschichtigen Identität – er sei quasi ein antiker Silen, den der große Platon schätzte, außen scheinbar ein Monster, innen versteckt eine königliche Imago. Die Figur des Monsters und seine Hässlichkeit werden explizit mit dem sokratischen Silen aus Platons Symposium (215a–b) verbunden.256 Außerdem hatten monströse Figuren im lombardischen Diskurs spätestens seit Leonardo einen festen und bedeutenden Platz innerhalb einer Ästhetik des Grotesken und Deformen inne, wobei die visi mostruosi, wie bereits erläutert, als äußerst wirkmächtige Figuren galten, die sich sofort ins Gedächtnis einprägen.257 In diesem Kontext galt das Monströse als Kreativitätsmarker. Elena Lazzarini konstatiert in ihrer Studie zur frühneuzeitlichen Wahrnehmung deformer Körper pointiert: »Beyond all rules of decorum, the monstrosity becomes an expression of the creative genius of the artist«.258 Lazzarini nimmt in diesem Zusammenhang insbesondere eine lezzione Benedetto Varchis in den Blick, die dieser 1548 an der Accademia Fiorentina hielt und 1560 erstmals unter dem Titel Della generazione de’ mostri publizierte. Der Florentiner Literat erörtert den Begriff der Monster, mostri, u. a. über den Wortstamm mostrare (zeigen), weshalb unter Monstern letztlich all jene Dinge und Wesen zu fassen seien, die etwas Ungewöhnliches quasi zukunftsweisend aufzeigen.259 Die mostri del corpo unterscheidet er in perfekte (perfetti) und unperfekte (imperfetti). Erstere lassen in ihrer Gestalt eine intrinsische Harmonie erkennen, eine Perfektion in sich, während letztere derart deform oder konfus (talmente deformi, o confusi) seien, dass man sie zu gar nichts zuordnen könne und überhaupt nicht erkenne, was sie seien.260 Elena Lazzarini führt Varchis Unterscheidungen konzise dahingehend eng, dass die unperfekten Monster nicht nur die Ordnung und Normen der Natur verletzen, sondern auch gesellschaftliches und künstlerisches De korum.261 Derartige gesellschaftliche und künstlerische Norm- bzw. Dekorumsverletzungen finden in Arcimboldos Werken nicht statt bzw. werden sie durch die Gedichte negiert. Nach Varchis Konzept wären die kompositen Köpfe des Mailänders damit mostri perfetti. Zurück zu Comaninis Gedicht über Arcimboldos Vertumnus: die figura der Früchte und des Gemüses, des Silens und Monsters sowie des Jahreszeitengottes 255 Siehe: Berra, »Allegoria e mitologia«, S. 22–30. 256 Siehe: Berra, »L’Arcimboldo ›c’huom forma d’ogni cosa‹», S. 304 f. 257 Siehe Kapitel 4.1, v. a. Anm. 42. 258 Lazzarini, Elena, »Wonderful Creatures: Early Modern Perceptions of Deformed Bodies«, in: Oxford Art Journal, 34/3 (2011), S. 415–431, S. 423. 259 Varchi, »Della generazione de’ mostri (1548)«, S. 662. 260 Ebd., S. 664. 261 Siehe: Lazzarini, »Wonderful Creatures«, S. 423.
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fragt das Gegenüber während der Identitäts- und Erkenntnissuche schließlich: »Sag mir nun, ob Du sehen willst, was ich alles verberge, denn jetzt gleich lüfte ich den Schleier (»Dimmi hor tù, se t’aggrada / Di veder quant’io celo / C’hor hor ne tolgo il velo«).262 Mit dem Bild des Schleiers (velo) richtet Comanini die Aufmerksamkeit nicht allein auf eine weitere, noch verborgene Figur, sondern auch auf die Materialität des Textes. Denn »[d]as topische Bild eines allegorischen Schleiers« galt quasi als »Ort eines ästhetischen Spannungsverhältnisses zwischen Offenbarung und Verschleierung des Sinns«.263 Direkt im Anschluss an die Strophe, in der das lyrische Ich ankündigt, den Schleier zu lüften, signalisieren schließlich auch ein veränderter typographischer Satz sowie eine veränderte Strophenlänge mit neuem Versmaß einen deutlichen Einschnitt bzw. Wechsel.264 Eine andere Ebene ist erreicht. Der Schleier wird gelüftet: Dimmi hor tù, se t’aggrada Di veder quant’io celo C’hor hor ne tolgo il velo. Sacro, invitto, felice, eccelso, augusto, E pio RIDOLFO, honor de l’Austria, e gloria Del German bellicoso, à cui devoto S’inchina il Mondo, […].265
Es kommt der heilige, unbesiegbare, erhabene, fromme Rudolph zum Vorschein. Ihm ähnle das lyrische Ich, ihn figuriere es, ihn bezeichne es: »Te rassembr’io, te figur’io, te segno«.266 Während das lyrische Ich sich zuvor bereits als schönes Monster königlicher Gestalt, als sokratischer Silen und als der Jahreszeitengott Vertumnus erkannte, enthüllt er nun eine weitere Identität. Das Lüften des Schleiers schafft keine Eindeutigkeit, sondern produziert eine weitere Ebene der Mehrdeutigkeit: das Porträt des Kaisers Rudolph II. fügt sich in die figurale Schichtung der bereits genannten Gestalten. Auf dieser letztgenannten semantischen und allegorischen Ebene kreiert das Gedicht einen eigenen Beitrag, fügt dem Gemälde eine Bedeutungsebene hinzu, leitet die Betrachtenden an, eine weitere Gestalt in dem grotesk-kapriziösen Bild zu erkennen. Diese lyrische Sinnstiftung wird als ein Gespräch inszeniert und zielt damit auf die Einbe262 Comanini, Il Figino, S. 41. 263 Oster, Patricia, »Allegorisches Substrat und ästhetischer Überschuss. ›Visibile parlare‹ bei Dante und Giotto (und bei Proust)«, in: Die Oberfläche der Zeichen. Zur Hermeneutik visueller Strukturen in der Frühen Neuzeit, hg. v. Ulrike Tarnow, Paderborn 2014, S. 35–51, S. 35–37 264 Zur typographischen Gestaltungsweise der Gedichteinschübe in Comaninis kunsttheoretischem Dialog und generell der Funktion der textinternen Vorträge von Gedichten zur Veranschaulichung bestimmter Wissensmodi siehe Kapitel 4.4.2. 265 Comanini, Il Figino, S. 41. 266 Ebd.
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ziehung der Rezipientinnen und Rezipienten ab. Sie haben gewissermaßen Teil an der Bedeutungsgenese und werden angeregt, selbst weitere Assoziationen zu erstellen. Mit der poetischen Fortschreibung der ästhetischen wie auch semantischen Unbestimmtheit von Arcimboldos Gemälde wird in Comaninis Gedicht die »Trübung der mimetischen Durchsichtigkeit« und die figurale Struktur des Bildes reflektiert.267 Gemeinsam mit dem Gedicht wird Arcimboldos Gemälde von Gemüse, Früchten und Pflanzen zu einem grotesken, monströsen Kopf, der den Gott der Jahreszeiten veranschaulicht und zugleich Kaiser Rudolph II. por trätiert. Die allegorische Aufladung der Figur hebelt die Problematik eines De korumsverstoßes aus und konzipiert das Grotesk-Deforme als verhüllte Schönheit des Geistes, so dass Schönheit und Monstrosität sich gegenseitig bedingen. Auch Comaninis Gedicht zu Arcimboldos Flora, das sowohl in Gherardinis Gedicht-Sammlung für Rudolph II. (1591) als auch in Comaninis kunsttheoretischen Dialog Il Figino (1591) und zudem in Giovan Paolo Lomazzos traktathafte Schrift Idea del tempio della pittura (1590) integriert ist, thematisiert die ästhetische und semantische Unbestimmtheit des Bildes, indem das lyrische Ich sich auf Identitätssuche begibt: Son io Flora, o pur fiori? Se fior, come di Flora Hò col sembiante il riso? e s’io son Flora, Come Flora è sol fiori? Ah non fiori son io, non io son Flora. Anzi son Flora, e fiori. Fior mille, una sol Flora; Vivi fior, viva Flora, Però, che i fior fan Flora, e Flora i fiori. Sai come? i fiori in Flora Cangiò saggio Pittore; e Flora in fiori.268
267 Zur Trübung der mimetischen Durchsichtigkeit in der Malerei siehe: Marin, Louis, »Die klassische Darstellung«, in: Was heißt ›Darstellen‹?, hg. v. Christiaan L. Hart Nibbrig, Frankfurt am Main 1994, S. 375–397, S. 385, 388 f., 391. 268 Zitiert nach: Comanini, Il Figino, S. 32. In Gherardinis Textsammlung All’invitissimo Cesare Rodolfo Secondo findet sich das Gedicht mit minimalen Unterschieden im Exemplar der Ambrosiana in Heft C, f. 3v, siehe: Berra, »Allegoria e mitologia«, S. 18. Zu Lomazzos Einschub des Gedichts in seinen Theorietext der Idea del tempio della pittura siehe Kapitel 4.4.1. Frei und in Prosa übersetzt, fragt das lyrische Ich in Comaninis Gedicht Arcimboldos Gemälde der Flora: »Bin ich Flora oder Blumen und wenn ich Blumen bin, wie kann ich lächeln wie Flora und wenn ich Flora bin, wie kann Flora nur aus Blumen sein? Besser noch, ich bin Flora und Blumen, tausende Blumen und eine einzige Flora, lebendige Blumen, lebendige Flora, so dass die Blumen Flora kreieren und Flora die Blumen. Und weißt Du wie? Der weise Maler veränderte die Blumen zu Flora und Flora zu Blumen.«
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In einem Spiel mit der Alliteration und den Versendstellungen von ›Flora‹ und ›fiori‹ sowie der scheinbaren Austauschbarkeit der beiden Begriffe in der Anein anderreihung von Fragen und Infragestellungen evoziert das Gedicht einen stetigen Wandel mit Erkennungs-, Verfremdungs- und Wiedererkennungseffekten. Analog zur unauflöslichen Ambiguität von Arcimboldos Gemälde als kunstvoll arrangiertem Blumen-Stillleben und kapriziöser Konfiguration einer Frauenfigur ist das lyrische Ich des Madrigals in einer steten Metamorphose begriffen, in einer Art Vexierspiel: Es erkennt sich als eine Frau und zugleich als eine Fülle an Blumen, eine menschliche Figur im Singular großgeschrieben, Flora, und eine Vielzahl an Pflanzen, fiori, kleingeschrieben. Flora und fiori bilden sich in der Wahrnehmung der Rezipierenden gegenseitig und heben sich zugleich wieder ineinander auf. Das ›Ich‹ ist im Begriff der Selbsterkenntnis und Identitätsfindung zugleich immer wieder mit Entfremdung konfrontiert.269 Aufgrund der Tautologien und Wiederholungen im Gedicht sowie des Echoeffekts des Fragens spricht Giancarlo Maiorino treffend von einer »[i]nterrogation [which] activated a state of pounding elusiveness« und von einer »epistemological incongruity«, die auf der grotesken Kombination von Stillleben und Porträt basiert.270 Auf eben dieses unnatürliche, fantastisch-bizarre Zusammengesetztsein der Figur sowie das stete De- und Refigurieren ist denn auch die Valenz des Grotesken im Gemälde der Flora beschränkt. Anders als etwa Bernardo Rainoldis Vexierspiel im Gedicht über den Bergamasker Bauern und sein Nymphlein mit den Kategorien des gracigl und desgracigl, die wie Flora und fiori bedeutsame Versenden bilden, werden in Comaninis Gedicht keine Gegensätze vereint bzw. aneinander gerieben oder Kategorien der Schönheit im Dialekt verkehrt. Weibliche Schönheit wird in dem für die Sammlung des Kaisers bestimmten Gemälde und in dem begleitenden Gedicht vielmehr neuartig gestaltet, aber nicht unterminiert. Sowohl Comaninis Gedicht zum Vertumnus als auch jenes zur Flora zeugen vom zeitgenössischen Interesse und der Herausforderung, ein spezifisches, neuartiges und wirkmächtiges Darstellungsprinzip der Malerei zu veranschaulichen und figurale Wissensformierungen im medialen Transfer zu iterieren, reflektieren und kommentieren.271 Comanini sowie Giovanni Filippo Gherardini und weitere Literaten des Mailänder Netzwerks waren – mit Giacomo 269 Carlo Ossola beschreibt diese unabschließbare Erkenntnissuche wie folgt: Das ›Ich‹ »non sa più identificarsi né nell’›uno‹ [di Flora], né nell’›molteplice‹ [dei fiori]«; der »processo di conoscenza« wird damit zu einem »prodotto di alienazione«. Ossola, Carlo, Autunno del Rinascimento. ›Idea del Tempio‹ dell’arte nell’ultimo Cinquecento, Florenz 20142, S. 132. 270 Maiorino, Giancarlo, The Portrait of Eccentricity. Arcimboldo and the Mannerist Gro tesque, University Park 1991, S. 73, 75, sowie generell zu diesem Argument S. 69–82. 271 Diese Aspekte werden in Kapitel 4.4.2 vertieft.
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Berras Worten gesprochen – »affascinati dalla novità dei ›capricci‹ del pittore [Arcimboldo] [e] sembrano voler riprodurre ed emulare, attraverso le parole ed i versi, l’aspetto bizzarro e giocoso dei due dipinti«.272 Mit ihrer poetischen Praxis knüpfen sie sowohl an den bereits in den 1560er-Jahren geführten Dialog zwischen Arcimboldo und dem Latinisten Fonteo wie auch an den Austausch zwischen Dichtern und Bildkünstlern im Kreis der Accademia della Val di Blenio an. Die erwähnten Gedichtsammlungen von Mailänder Literaten wie Fonteo, Gherardini, Borgogni oder auch das Manuskript der British Library, die allesamt aktuelle Malerei thematisieren, fokussieren v. a. die Werke Arcimboldos sowie Giovan Ambrogio Figinos, wie bereits im Zusammenhang mit dessen Stillleben mit Pfirsichen (Farbtafel 53) erwähnt.273 Das poetische Schreiben über diese beiden prominenten Künstler und ihre Werke Ende des Cinquecento erweist sich als etablierte Praxis eines renommierten Mailänder Gelehrtenzirkels.274 Fundament dieser Praxis war der enge Austausch der Bildkünstler und Literaten durch Werkstattbesichtigungen, Publikationsprojekte und interdisziplinäre Akademien 272 Berra, »Allegoria e mitologia«, S. 18. Vgl. generell zur Praxis, bildkünstlerischen Werken Gedichte zur Seite zu stellen, um Darstellungsstrukturen zu erfassen: Kirchner, Thomas, »Die Lesbarkeit der Bilder. Paul Fréart de Chantelou und das Schreiben über Kunstwerke im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts«, in: Bernini in Paris. Das Tagebuch des Paul Fréart de Chantelou über den Aufenthalt Gianlorenzo Berninis am Hof Ludwigs XIV., hg. v. Pablo Schneider und Philipp Zitzelsberger, Berlin 2006, S. 376–396, S. 382. 273 Siehe: Fonteo, Ad Sacrum Caesarem; Borgogni, Le Muse Toscane; Gherardini, All’invitissimo Cesare Rodolfo Secondo; Poesie in lode di Giov. Ambr. Figino (London, British Library, King’s MS 323). 274 Blickt man auf andere regionale Diskursfelder im frühneuzeitlichen Italien, finden sich im Laufe des Cinquecento mehrere Gelehrten- und Künstlerzirkel, innerhalb derer Gedichtsammlungen zu Kunstwerken verfasst wurden und kursierten. In Venedig stilisierte sich bspw. Pietro Aretino zum führenden Kunst-Schriftsteller; er besprach in zahlreichen Sonetten, die er in seiner Briefsammlung veröffentlichte, v. a. Tizians Malerei und strebte danach sich »als kommentierender Dichter eine unverzichtbare Vermittlungskompetenz zu sichern«. Zitat: Tönnesmann, Andreas, »Einleitung«, in: Künstler und Literat. Schrift- und Buchkultur in der europäischen Renaissance, hg. v. Bodo Guth müller, Berndt Hamm und dems., Wiesbaden 2006, S. 7–12, S. 8. In Florenz wiederum war es z. B. eine von Michelangelo Sermartelli edierte Anthologie von Gedichten, die Giambolognas in ihrem Sujet ambig verbleibende Marmorgruppe des Raubs der Sabinerinnen kommentierte. Zu den Autoren der Gedichte zählen Bernardo Vecchietti, Vincenzo Alamanni, Lorenzo Giacomini Tebalducci und Francesco Martelli. Siehe: Alcune Composizioni di Diversi Autori in Lode del Ritratto della Sabina. Scolpito in Marmo dall’Eccellentißimo M. Giovanni Bologna, posto nella piazza del Serenißimo Gran Duca di Toscana, hg. v. Michelangelo Sermartelli, Florenz 1583; siehe dazu auch: Cole, Michael, »Giambologna and the Sculpture with No Name«, in: Oxford Art Journal, 31/3 (2008), S. 337–360, S. 344 f., 353. Siehe zur Funktion des Dichtens über Kunstwerke im Secondo Cinquecento auch: Löhr, Wolf-Dietrich, »Ekphrasis«, in: Metzler Lexikon der Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, hg. v. Ulrich Pfisterer, Stuttgart / Weimar 2003, S. 76–80, S. 78 f.
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sowie ihr gemeinsames Interesse an Strukturen, Motiven und Themen grotesker Ästhetik.275 In seinem kunsttheoretischen Dialog Il Figino, der 1591 in Mantua veröffentlicht wurde, setzt Gregorio Comanini diese Austauschprozesse und die Praxis des mitstreitenden Dichtens über Gemälde im spätcinquecentesken Mailand in Szene und verfasst einen für den frühneuzeitlichen ästhetischen Diskurs und die Frage nach Verhandlungen grotesker Ästhetik sehr bedeutsamen Theorietext. Dieses Buch und generell Theorieorte und Diskursivierungen grotesker Ästhetik innerhalb des ästhetischen Diskurses der Lombardei des 16. Jahrhunderts werden nun im nachfolgenden Unterkapitel untersucht. Dabei wird das Verhältnis von grotesker Ästhetik zu Regelwerken, imitatio-Lehren, Schönheitsidealen und Normierungstendenzen erörtert und danach gefragt, ob und wie die unterschiedlichen Facetten grotesker Ästhetik von visi mostruosi, über Grotesken und komisch-karnevaleske Gruppenbilder bis hin zu kompositen Köpfen jeweils konkret in den textverfassten Theoriediskurs integriert wurden, inwiefern Dekorumsverstöße benannt, kritisiert oder gar legitimiert wurden und welche epistemischen Dimensionen und welcher epistemologische Status grotesker Ästhetik zugeschrieben wurde. Dazu wird chronologisch mit Lomazzos Schriften begonnen und anschließend Comaninis Il Figino analysiert.
4.4 Theorieorte und epistemologischer Status grotesker Ästhetik in kunsttheoretischen Schriften Lomazzos und Comaninis 4.4.1 Giovan Paolo Lomazzos Theorie der Grotesken, bizarrie und belle bruttezze Bizarrie da ridere & belle bruttezze Im Vorwort seines Anfang der 1560er-Jahre verfassten und frühneuzeitlich unediert gebliebenen Libro dei sogni (Buch der Träume) erläutert Lomazzo, dass er verschiedene »caprizzi« niedergeschrieben habe, an die er sich in Gestalt von Träumen (»in forma de sogni«) erinnere, die er in einem Zustand großer Fantasie (»in gran fantesia«) hatte.276 Capriccio und fantasia prägen anschließend das gesamte Libro – sowohl konzeptuell als auch hinsichtlich der Themen und Wortwahl. Die Schrift umfasst mehrere ragionamenti in Dialogform, die von kurzen narrativen Passagen gerahmt und wie Traumsequenzen inszeniert wer275 Vgl. dazu auch: Berra, »L’Arcimboldo ›c’huom forma d’ogni cosa‹«, S. 283. 276 Lomazzo, »Il Libro dei Sogni«, S. 3. Siehe zu Lomazzos Libro dei sogni auch Kapitel 3.1, Anm. 70–78.
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den. Jeweils unterschiedliche bereits verstorbene historisch identifizierbare Persönlichkeiten (darunter Leonardo da Vinci, Ludovico Ariosto, Phidias und Pythagoras) kommen an einem fiktiven Ort zusammen und tauschen sich in oftmals derber Umgangssprache über ernsthafte und u. a. auch kunsttheoretische Themen aus. Einige von ihnen besprechen und bewerten Gemälde, in denen groteske Figuren dargestellt sind, und verwenden dabei eine für eine frühneuzeitliche groteske Ästhetik charakteristische Beschreibungssprache. Im fünften ragionamento hebt die Dialogfigur Leonardo bspw. die Kunst von Piero di Cosimo als »fantastico et artificioso« hervor und bespricht exemplarisch für dessen »bizzari animali« die Darstellung eines Drachen, dessen »deformità« so absonderlich, bizarr und fantastisch (»tanto stravagante bizzaro e fantastico«) sei, dass er unmöglich eine Gestalt der Natur sein könne.277 Suggeriert wird, dass der Künstler aufgrund seiner Imaginationskraft und Kreativität mit einer bizarren und fantastisch-deformen Figur die Natur übertrifft. In einer weiteren Passage lobt Lomazzos erträumter Leonardo ein Gemälde des trecentesken Malers Spinello Aretino, in dem exzellente schöne Hässlichkeiten (»eccellenti belle bruttezze«) und eine »figura di Luciffero« zu sehen seien; jene Teufelsf igur sei dann dem Maler im Traum erschienen, habe ihn in Todesangst versetzt und wütend von ihm wissen wollen, wo er sie derart hässlich und entstellt (»sí brutta e contraffatta«) gesehen habe.278 Lomazzo greift hier eine Anekdote auf, die auch Giorgio Vasari in seinen Vite erzählt.279 Lomazzo würzt die Geschichte mit seiner pointierten Formulierung der »belle bruttezze«, die vom besonderen Interesse an der paradoxalen Kombination von Schönheit und Hässlichkeit bzw. an deren spannungsgeladener Engführung zeugen und seine Wertschätzung des schön gemalten Hässlichen markieren. Das ›schöne Hässliche‹ war Mitte des Cinquecento v. a. auch in der Komödientheorie des poetologischen Diskurses ein virulentes Thema bzw. Konzept.280 In Referenz auf antike Rhe277 Lomazzo, »Il Libro dei Sogni«, S. 110. 278 Ebd., S. 98. 279 Zum Vergleich von Lomazzos Textpassage mit Giorgio Vasaris Wiedergabe der Anekdote siehe Roberto Paolo Ciardis Kommentar ebd. 280 Zur Aristoteles-Rezeption in der cinquecentesken Komödientheorie hinsichtlich dieses Aspekts siehe: Kablitz, Andreas, »Lachen und Komik als Gegenstand frühneuzeitlicher Theoriebildung«, in: Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens. Vergleichende Studien zum Funktionswandel des Lachens vom Mittelalter zur Gegenwart, hg. v. Lothar Fietz, Joerg O. Fichte, Hans-Werner Ludwig, Tübingen 1996, S. 123–153. Bei Aristoteles heißt es: »Die Komödie ist, wie wir sagen, die Nachahmung von schlechteren Menschen, aber nicht im Hinblick auf jede Art von Schlechtigkeit, sondern nur insoweit, als das Lächerliche am Häßlichen teilhat. Das Lächerliche ist nämlich ein mit Häßlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht, wie ja auch die lächerliche Maske häßlich und verzerrt ist, jedoch ohne den Ausdruck von Schmerz.« Aristoteles, Περὶ ποιητικῆς – Die Poetik, Griechisch – Deutsch, übersetzt und hg. v. Manfred Fuhrmann, Stuttgart 2008, S. 17. Keinen Schmerz und kein Verderben zu ver-
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torik- und Dichtungslehren wurde das gut gemachte Deforme in jenem Zusammenhang als Movens des Lachens, als integraler Bestandteil des ridiculum und als Kernelement des Komischen bzw. einer Komödie herausgearbeitet. In intensiver Auseinandersetzung mit Aristoteles’ Poetik und dessen Beobachtung rezeptionsästhetischer Freude am Betrachten möglichst naturgetreuer Darstellungen von in der Natur vollkommen unansehnlichen Gestalten betont bspw. Antonio Minturno in L’Arte Poetica (1564), dass etwas Hässliches gerade dann Bewunderung hervorrufe, erfreue und zum Lachen bringe, wenn es auf nicht hässliche Weise dargestellt werde – eine »bruttezza non bruttamente«.281 Auch in Vincenzo Maggis De ridiculis (1550) wird das Hässliche, weil es quasi eine unerwartete Wahrnehmungserfahrung evoziert bzw. ein Überraschungsmoment konfiguriert, als Grund zum Lachen konzipiert und als etwas aufgefasst, das Bewunderung (admiratio) hervorruft und dadurch zu Erkenntnis führen kann.282 Aristoteles weist in seiner Poetik darauf hin, dass sich Menschen über den Anblick von Bildern gerade deshalb freuen, »weil sie beim Betrachten etwas lernen und zu erschließen suchen, was ein jedes sei«; wenn man jedoch das Dargestellte noch nie in der Natur gesehen habe, bereite »das Werk nicht als Nachahmung Vergnügen, sondern wegen der Ausführung oder der Farbe oder einer anderen derartigen Eigenschaft.«283 Aristoteles’ Aufmerksamkeit und Wertschätzung für die Machart eines Bildes von etwas gewissermaßen Fantastischem und somit für die Kreativität und das gestalterische Können des Künstlers boten einer Theoriediskussion um Werke grotesker Ästhetik bedeutende intellektuelle Anknüpfungspunkte bzw. geltungsstarke Belegstellen für deren Theoriehaltigkeit und epistemische Relevanz. Lomazzo konnte mit seinem Konzept der belle bruttezze auf eben solche Aspekte der Aristoteles-Rezeption und zeitgenössischen Komödientheorie Bezug nehmen bzw. an sie anschließen und in seinen fantastischen sogni diverse belle bruttezze durch historische Autoritäten loben lassen, während er als Bildkünstler bis zu seiner Erblindung 1571 selbst groteske ursachen ist dabei »das genaue Gegenstück zur Definition des tragischen Pathos«, wie Fuhrmann es in seinem Textkommentar auf den Punkt bringt. Siehe ebd., S. 108. Zur Komödientheorie des Cinquecento siehe allg.: Herrick, Marvin T., Comic Theory in the Sixteenth Century, Urbana 1950. 281 »Il luogo adunque de’ motti da tutti è posto in quella bruttezza, che genera meraviglia ò per se stessa, ò perche meravigliosamente si nota: ò per l’una, e l’altra cagione. Conciosia, che di quelle cose solamente, overo il più ci ridiamo, che dinotano, e dissegnano alcuna bruttezza non bruttamente.« Minturno, Antonio, L’Arte Poetica, Giovanni Andrea Valvassori, o. O., 1564, S. 132. Minturno richtet das Widmungsschreiben seiner Poetik an die Academia Laria der lombardischen Stadt Como. Vgl. zu Minturno und der Komödientheorie des 16. Jahrhunderts auch: Kablitz, »Lachen und Komik«. Zu Aristoteles’ Beobachtungen siehe: Aristoteles, Περὶ ποιητικῆς – Die Poetik, S. 10 f. 282 Siehe: Herrick, Comic Theory, S. 41, 44 f. 283 Aristoteles, Περὶ ποιητικῆς – Die Poetik, S. 11,13.
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und lachhafte Figuren und Grotesken zeichnete und malte.284 In seinen 1587 publizierten und zuvor jahrelang erarbeiteten Rime ad imitazione de i Grotteschi überträgt Lomazzo unterdes das Konzept der bildkünstlerisch fundierten Grotesken auf die Dichtung, während er in den Rabisch als Akademievorsitzender Profil, Praxis und Programm der Accademia della Val di Blenio präsentiert.285 Inwiefern – und konkret auf welche Art und Weise – erörtert dieser Mailänder Künstler und Gelehrte nun aber unterschiedliche Facetten grotesker Ästhetik in seinem langjährigen theoretischen Großprojekt, dem Trattato dell’arte della pittura? Anders als seine zuvor genannten Schriften ist der 1584 veröffentlichte Trattato dezidiert als umfangreiches Lehrbuch und Regelwerk der Malerei (und im weiteren Sinne der Bildkünste insgesamt) konzipiert. Textgattung, gehobener Sprachstil und Funktion des auf Systematisierung und belehrende Vermittlung von Wissen ausgerichteten Traktats unterscheiden sich deutlich von den Sogni, Rime und Rabisch, als deren leitende Prinzipien capricci, fantasie und grotteschi sowie furor und umiltà inszeniert sind. Zum Auftakt des Traktats formuliert Lomazzo das Anliegen, Theorie und Praxis der Malerei zu besprechen und ein Regelwerk dieser arte mit einer Sammlung von Regeln der Besonnenheit und Urteilskraft für Maler vorzulegen (»un compendio di regole de l’arte insieme con una raccolta di precetti de la prudenza e giudicio che ha di avere l’artefice nel dipingere«).286 Die Analyse von Lomazzos Konzeptualisierung der figura serpentinata verdeutlichte bereits, dass auch das Trattato künstlerische Lizenzen, Leerstellen von Regelfähigkeit sowie Aspekte des Nicht-Lehrbaren integriert. Im Falle grotesker Ästhetik kommt jedoch noch die Valenz des Deformen, Entstellten und explizit Unschönen hinzu – also weiter reichende Dekorumsbrüche und Normabweichungen. Untersucht man nun, ob und wie Lomazzo derartige Themen ins Traktat einbindet, fällt auf, dass er sie zum einen im zweiten Buch des Traktats, das den moti gewidmet ist, anschneidet und zum anderen bezeichnenderweise vor allem im sechsten Buch verhandelt, also im Buch über die Praxis (della pratica della pittura). Dabei handelt es sich um den Teil des Traktats, der auf eine praxisorientierte Anwendbarkeit ausgerichtet ist, in dem anstelle von kunstphilosophisch-abstrakten Problemstellungen konkrete, handfeste Themen bzw. Vorgehensweisen der bildkünstlerischen Praxis und Bildkomposition fokussiert werden. Betrachten wir gemäß der Traktatsanordnung zunächst das Kapitel Della forza et efficacia de i moti aus dem moti-Buch, in dessen Zusammenhang Lomazzo von Leonardos Interesse an der Darstellung lachender Menschen – insbesondere aus dem bäuerlichen Milieu – berichtet und eine Anekdote erzählt, 284 Vgl. Kapitel 4.1 und 4.2. 285 Vgl. Kapitel 4.2 und 4.3. 286 Lomazzo, »Trattato«, S. 23.
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die seine nachfolgenden theoretischen Ausführungen zu genreartigen, lustigen Bildern bzw. komisch-lachhaften Figuren anschaulich und pointiert vorbereitet. Laut der Anekdote plante Leonardo ein Gemälde von lachenden Bauern (welches er letztlich allerdings nur als Zeichnung verwirklicht habe) und lud dafür einige Personen zu sich zum Essen, die sich als Modelle für das Bild eigneten.287 Er erzählte, so Lomazzo, seinen Gästen die verrücktesten und lächerlichsten Dinge, so dass sie sich schief und krumm lachen mussten (»ridere alla smascellata« ~ Kiefer verrenkend lachen) und studierte dabei ganz aufmerksam ihre Mimik und Gestik. Nachdem sie gegangen waren, habe Leonardo die lachenden Menschen auf vollkommene Art und Weise (»perfettamente«) gezeichnet, so dass die gezeichneten Figuren ihre Betrachter nicht weniger zum Lachen bewegen, als dies die lustigen »novelle« taten. Leonardos aufmerksames Naturstudium, die Wahl der Bauern als bildwürdiges Sujet und die Erläuterung, dass die Zeichnungen der lachenden Figuren nicht minder starke Affekte evozieren als die erzählten novelle, die die porträtierten Personen zum Lachen gebracht hatten, lassen sich als die relevanten und theoriehaltigen Aspekte der Anekdote festhalten.288 Die Ansicht, dass in einem Bild das dargestellte Lachen dann gelungen sei, wenn es die Betrachtenden ebenso zum Lachen bringe, fußt auf Lomazzos einige Sätze zuvor erläuterten, traditionsreichen Annahme, dass ein Gemälde »con moti al naturale ritratti« die Betrachtenden lachen lasse mit denen, die lachen (»ridere con chi ride«), zum Denken anrege mit denen, die denken (»pensare con chi pensa«), traurig stimme für die, die weinen (»rammaricarsi con chi piange«), und Freude wecke, mit denen, die froh seien (»rallegrarsi e gioire con chi si allegra«).289 287 Vgl. zur Paraphrase der Anekdote das Zitat aus Lomazzos Trattato: »Raccontasi da uomini di quel tempo, suoi domestici, che volendo egli [Leonardo] una volta fare un quadro di alcuni contadini che avessero a ridere (tutto che non lo facesse poi, ma solamente lo disegnasse) scelse certi uomini, quali giudicò a suo proposito, et avendosigli fatti familiari col mezzo d’alcuni suoi amici, gli fece un convito; et egli, sedendogli appresso, si pose a raccontare le piú pazze e ridicole cose del mondo, in modo che e’ gli fece, quantunque non sapessero di che, ridere alla smascellata. D’onde egli, osservando diligentissimamente, tutti i loro gesti con que’ detti ridicoli che facevano impresse ne la mente e poi, doppo che furono partiti, si ritirò in camera e ivi perfettamente gli disegnò in tal modo che non movevano meno essi a riso i riguardanti che sí avessero mosso loro le novelle di Leonardo nel convito.« Ebd., S. 96 f. 288 Von Pieter Brueghel d. Ä, dem flämischen Maler, der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts europaweit für seine genreartigen Gemälde von Bauernfesten berühmt wurde, wird bspw. Karel van Mander in seinem Het Schilder-Boeck (1604) berichtet, dass er Bauernhochzeiten besuchte, um ein genaues Naturstudium seiner Bilder naer het leven vorzunehmen. Siehe hierzu: Müller / Münch, »Zur Einführung: Bauern, Bäder und Bordelle?«, S. 7 ff. 289 Lomazzo, »Trattato«, Buch 2, Kapitel 1, S. 95. Bezüglich der affektiven Wirkung der Darstellung von Affekten konnte Lomazzo auf Leon Battista Alberti sowie Leonardo da Vinci rekurrieren sowie freilich ebenso auf das von ihm auch zitierte Horaz’sche Diktum »si vis me flere dolendum est primum ibsi tibi, tunc tua me infortunia ledent« – im
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Die Darstellung eines lauthalsen Lachens nun, welches das Gesicht entstellt (ridere alla smascellata), wird in der Anekdote in einem sehr konkreten Kontext als bildwürdig und angemessen vorgeführt: im genreartigen Bild von Bauern. Auch in seiner 1590 publizierten Schrift Idea del tempio della pittura, die quasi eine Kondensierung des umfangreichen Trattato bietet, hebt Lomazzo Leonardos exzellente und ingeniöse Zeichnungen monströser Gesichter und lachender und weinender Personen hervor und lobt die Konfigurationen des toskanischen Meisters von »figure brutte e monstruose, con bellissimo e diverso garbo«, von denen u. a. der Mailänder Maler Aurelio Luini – Lomazzos Akademiekollege – einige rote Kreidezeichnungen in seiner Sammlung habe.290 Unter diesen erwähnt Lomazzo insbesondere auch die komischen Darstellungen von Figuren, die äußerst lebhaft lachen – ein lebhaftes Lachen, wie es die Natur kaum selbst hervorbringen könne (»ne sono alcune che ridono tanto alla gagliarda per forza d’un arte grandissima che appena lo può far l’istessa natura«).291 Erneut findet sich mit der Beschreibung der figure brutte e monstruose con bellissimo e diverso garbo die Markierung des Spannungsverhältnisses zwischen monströsen Gestalten und deren schöner, anmutiger Konfiguration, wobei Lomazzo bezeichnenderweise anstatt des bedeutungs- und implikatonsreichen, philosophisch, theologisch wie auch ästhetisch fundierten Begriffs der grazia den Begriff garbo wählt und damit eine rein im Ästhetischen verankerte Schönheit der Zeichnung einer hässlich-deformen Gestalt zu fokussieren scheint. Die oftmals lauthals lachenden figure brutte e monstruose entgrenzen zugleich das Regelsystem der traktathaften Schrift: Lomazzo konstatiert mit Blick auf die monströsen Figuren schlicht, dass es unmöglich sei, mit Regeln zu systematisieren, was nicht einmal in der Natur Regeln habe; daher könne er nur Beispiele geben, wie die von Leonardo in Mailand gezeichneten visi monstruosi.292 Einschlägige kunsttheoretische Beiträge zu lachhaft-komischen Bildern, mit denen Lomazzo sich bei diesen und seinen weiteren, nachfolgend noch zu besprechenden Überlegungen auseinandersetzen konnte, lieferten neben den bereits angeführten Passagen aus Leonardos Notizen v. a. die Naturkunde des römisch-antiken Gelehrten Plinius d. Ä. sowie im Secondo Cinquecento der Bologneser Erzbischof und Theologe Gabriele Paleotti.293 Plinius hatte im 35. Buch
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16. Jahrhundert quasi ein Topos zur Erläuterung der wirkungsästhetischen Funktionsweise von Bildern. Lomazzo, Giovan Paolo, »Idea del Tempio della Pittura«, in: ders., Scritti sulle arti, hg. v. Roberto Paolo Ciardi, Bd. 1, Florenz 1973, S. 241–373, S. 290. Ebd. Siehe zu dieser Passage auch: Meijer, »Esempi del comico figurativo«, S. 266. Lomazzo, Giovan Paolo, Idea del Tempio della Pittura, Mailand 1590, S. 54 f.; Lomazzo, »Trattato«, S. 553. Zur kunsttheoretischen Auseinandersetzung mit komischen Bildthemen und -gattungen in der italienischen, v. a. oberitalienischen frühen Neuzeit siehe generell bspw.: Fusenig, Liebe, Laster und Gelächter; Dreiling, Die klassischen Götter.
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seiner Naturgeschichte komische Bilder bspw. von Peiraikos, dem Schmutzmaler, und Antiphilos, dem Maler einer lächerlich-grotesken Figur namens Gryllos, erwähnt und sie für ihr Vermögen gelobt, Staunen hervorrufen zu können. Insbesondere Antiphilos’ kleinformatige grilloi sorgten laut Plinius mit ihren entstellten und unschön proportionierten Figuren für Gelächter.294 Im Kontext der Katholischen Reform hingegen integrierte Gabriele Paleotti einige einschlägige Überlegungen und Bemerkungen zu lachhaften Gemälden in seinen 1582 publizierten Discorso intorno alle imagini sacre et profane. Im Nachgang des Trienter Konzils und des dort verabschiedeten Bilderdekrets stellt Paleotti in diesem Discorso eine Theorie der Malerei auf, die sakrale und profane Malerei mit jeweils unterschiedlichen wirkungsästhetischen Funktionen strikt voneinander zu trennen sucht.295 Dabei widmet er Kapitel 31 den sogenannten pitture ridicole, den lachhaften Gemälden. Er nenne diese Gemälde so, da sie alle, die sie betrachten, zum Lachen bringen, was durch unterschiedliche, teils lasterhafte Gründe motiviert sein könne, schreibt Paleotti.296 Es sei daher notwendig diese Art der pitture sorgfältig zu bedenken.297 Paleottis Ausführungen machen gleich zu Beginn des Kapitels deutlich, dass das Thema lachhaft-komischer Bilder eine hohe Aktualität besaß und – gerade aus Sicht eines katholischen Bildtheoretikers – eine eingehende Prüfung und eventuelle Reglementierung 294 Plinius, Naturkunde, S. 90 f. Siehe auch: Gaehtgens, Barbara, »Einleitung«, in: Genremalerei. Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren, hg. v. ders., Berlin 2002, S. 13–22; Müller / Münch, »Zur Einführung: Bauern, Bäder und Bordelle?«, S. 4 f. 295 Siehe zu Paleottis Traktat allg.: Steinemann, Holger, Eine Bildtheorie zwischen Repräsentation und Wirkung. Kardinal Gabriele Paleottis ›Discorso intorno alle imagini sacre e profane‹ (1582), Hildesheim 2006; Hecht, Christian, Katholische Bildertheologie der frühen Neuzeit. Studien zu Traktaten von Johannes Molanus, Gabriele Paleotti und anderen Autoren, Berlin 2012. Siehe zur stetigen Durchdringung bzw. Osmose des Profanen und Sakralen in der Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts: Müller / Münch, »Zur Einführung: Bauern, Bäder und Bordelle?«, S. 6. 296 »Sono altre pitture che chiamiamo ridicole, perché muovono il riso a chi le riguarda; il che potendo nascere da varie cause, e per lo più viziose, è necessario andarvi molto considerato. Non parliamo ora di quelle che, per rozzezza del disegno o lineamenti storti, o altra inezzia del pittore, eccitano il riso a chi ha qualche giudicio; imperoché questo non è veramente riso, ma deriso, essendo che il riso, onde deriva ›ridicolo‹, nasce da una diformità sì, ma fatta non diformemente, dicendo Cicerone.« Paleotti, Gabriele, »Discorso intorno alle imagini sacre e profane. Diviso in cinque libri, dove si scuoprono varii abusi loro e si dichiara il vero modo che cristianamente si doverìa osservare nel porle nelle chiese, case et in ogni altro luogo (Bologna 1582)«, in: Trattati d’arte del Cinquecento, hg. v. Paola Barocchi, Bd. 2, Bari 1961, S. 117–517, S. 390. Siehe zu Kapitel 31 aus Paleottis Discorso und seiner Theorie der pitture ridicole auch: Gaehtgens, Genremalerei, S. 110–120; Kanz, »Lachhafte Bilder«, S. 49; Dreiling, Die klassischen Götter, S. 12 ff. 297 Siehe die zitierte Passage aus Paleottis Discorso in der vorigen Anmerkung.
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erforderte. Grundsätzlich erläutert Paleotti, dass es ihm bei den pitture ridicole nicht um jene Bilder gehe, die aufgrund der Grobheit ihrer Zeichnung oder aufgrund ihrer krummen Linien oder anderer Unzulänglichkeiten eines Künstlers all die zum Lachen bringen, die kunstverständig seien. In dem Fall müsse man von »deriso«, einem Verlachen, sprechen und nicht von »riso«, Lachen bzw. Lächeln. »[R]idicolo« leite sich aber von »riso« ab, das zwar von einer »diformità« hervorgerufen werde, jedoch von einer Deformität, die, wie auch Cicero sagte, »non diformemente« gestaltet sei.298 Während also bspw. Minturno im Kontext zeitgenössischer Komödientheorie von der bruttezza non bruttamente und Lomazzo von den belle bruttezze sprechen, umgeht Paleotti zwar das Begriffsfeld des brutto, zielt aber mit der diformità non diformemente auf die gleiche Korrelation von wohlgestaltetem Entstelltem ab und schließt entstellte Proportionen des menschlichen Gesichts bzw. Körpers sowie die Subversion von Schönheit bzw. Schönheitstopoi in sein Konzept der pitture ridicole ein – Aspekte also, die, wie gezeigt, zeitgleich in der bildkünstlerischen und poetischen Praxis sowie in der poetologischen Debatte zentrale Elemente der Konfigurierung des Komischen sind. Das Komische stellt Paleotti jedoch generell als umstrittenen Phänomen bereich vor. Während er Scherze und Späße jeglicher Art in der sakralen Malerei als vollkommen unangebracht ablehnt, schreibt er dem Komischen in der profanen Malerei unter gewissen Umständen einen Erholungswert zu. Damit etwas zum Lachen bewegen könne, müsse es etwas Neues, eine »novità«, zeigen. Dadurch überrasche es und rufe Bewunderung hervor. Bereits Aristoteles habe erläutert, dass »cose meravigliose« Freude bereiteten, woraus zu schlussfolgern sei, dass eine solche »novità« Fröhlichkeit auslösen könne.299 Der Fröhlichkeit bzw. dem fröhlichen Lachen spricht Paleotti nun die bei Weitem nicht unbedeutende Rolle zu, der Erholung und seelischen Erbauung zu dienen und vor Melancholie schützen zu können.300 Paleottis pitture ridicole können durch ihre Wirkungsästhetik nun genau diesen Affekt auslösen und somit maßgeblich der Erholung dienen, denn sie seien eben nicht allein ›anmutig-liebreizend‹ (»vagamente«) gestaltet, sondern haben noch das gewisse Etwas (»questo di più«), das das Herz schlagartig höherschlagen lasse und das »ridicolo« genannt werde.301 Das 298 Ebd. 299 »[E]ssendo necessario, per causare il ridicolo, che quel che si dice o fa abbia seco una certa novità, la quale, cogliendo l’uomo all’improviso, gli eccita admirazione; et essendo che le cose meravigliose secondo Aristotele porgono diletto: di qui è che tal novità lo fa prorompere in certa allegrezza.« Paleotti, »Discorso«, S. 391. 300 Siehe: ebd., S. 394 f. 301 »E perché tra i varii modi, onde suole uscire tale ricreazione, uno principalmente si causa dalle pitture non solo vagamente fatte, ma con questo di più, che eccitino il cuore in un sùbito a fare festa, che diciamo ridicolo[.]« Ebd., S. 395.
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»questo di più« erläutert Paleotti interessanter Weise nicht weiter und eröffnet damit einen markanten Frei- bzw. Interpretationsspielraum für seine Leserschaft und eine kreative Leerstelle für das Nicht-Regelfähige und Nicht-Ausbuchstabierbare der grotesken Ästhetik komischer Bilder. Paleottis Auffassung, dass sich Lachen als ein Effekt des Überraschtwerdens einstelle und letztlich ein Ausdruck der Bewunderung von etwas Neuem bzw. des Staunens über etwas Neues sei, zeugt von seiner Rezeption der Poetik des Aristoteles und deckt sich mit zentralen Punkten einschlägiger zeitgenössischer Theorien zum riso und ridicolo, wie sie etwa in Vincenzo Maggis De ridiculis (1550) oder in Ludovico Castelvetros Kommentar zu Aristoteles’ Poetik (1567) zu finden sind.302 Castelvetro ergänzt in diesem Zusammenhang ein weiteres wichtiges Movens des Lachens: die Mehrdeutigkeit.303 Gerade bei erotisch-lasziv aufgeladenen Motiven und Anspielungen sei die verhüllende Mehrdeutigkeit unabdingbar. Denn wenn sie direkt und eindeutig vor Augen geführt werden (»proposte aperte avante agli occhi della fronte o della mente«), führen sie, so Castelvetro, gerade auch in Anwesenheit anderer zu Verwirrung, Scham und erröteten Wangen und nicht zum Lachen.304 Eine derart fundamentale Ambiguität, wie sie Castelvetro fordert, wurde auch in den unter Kapitel 4.3 besprochenen Beispielen komisch-grotesker Gruppenbilder beobachtet. Ebenso Paleotti führt die semantische Mehrdeutigkeit dann in seinem Discorso als ein wichtiges Strukturmerkmal der pitture ridicole an. Er richtet seine Aufmerksamkeit dabei freilich nicht auf laszive Anspielungen, sondern auf die Mehrdeutigkeit als Garant für rezeptionsästhetische Effekte des Überraschtwerdens: Denn die Mehrdeutigkeit ermögliche es allererst, dass Betrachtende immer wieder von demselben Bild überrascht werden können und neugierig bleiben und somit auch immer wieder lachen und sich erholen können.305 An die Konfiguration der pitture ridicole wird somit ein hoher Anspruch herangetragen, denn sie müssen kunstvoll eine novità erzeugen, die von Tag zu Tag neu entdeckt werden kann, erheitert und zum Lachen bringt – durch ihr gewisses Etwas. Doch der Bologneser Erzbischof steckt diesen anspruchsvollen, komischen, kreativen und mehrdeutigen Bildern profaner Malerei zugleich einen Rahmen
Zur ambiguen und vielfältigen Semantik und damit schwierigen Übersetzbarkeit von »vago / vagamente« siehe Kapitel 5.1. 302 Siehe: Herrick, Comic Theory, S. 41–51; Fusenig, Liebe, Laster und Gelächter, S. 189 ff.; Dreiling, Die klassischen Götter, S. 9. 303 Siehe: Fusenig, Liebe, Laster und Gelächter, S. 191. 304 Siehe: ebd. 305 Paleotti schreibt: »[P]otendo il ridicolo nascere da più cause, potrà una pittura con tal maniera et artificio esser fatta, che per varii accidenti estrinseci potrà eccitare nuove cagioni di riso alla giornata; sì come scrive Cicerone della imagine di quello scudo di Mario, che, se bene era stata veduta già longo tempo, nientedimeno con un motto all’improviso fece ridere ogni uomo.« Paleotti, »Discorso«, S. 391 f.
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zur Kontrolle: Er fordert zum einen das rechte Maß im Umgang mit den pitture ridicole. Wie eine Prise Salz sollen sie sein und dürfen nicht einer maßlosen und ständigen Ablenkung dienen.306 Zum anderen missbilligt er ausdrücklich all jene lachhaft-komischen Bilder, die nicht aufrichtig, sondern lasziv und obszön seien und Völlerei oder Trunkenheit zeigen.307 Er äußert sich des Weiteren zu den Orten und Personenkreisen, für die die pitture ridicole nicht geeignet seien. Sie dürfen bspw. nicht in öffentlichen Gebäuden, Empfangssälen, Gerichtssälen, Beratungszimmern, Bibliotheken oder sakralen Räumen gezeigt werden.308 Zudem seien sie für Geistliche, insbesondere für Priester und Ordensmitglieder, völlig unangemessen, da diese Personenkreise derartiger weltlicher Ablenkungen versagen sollen; auch Inhaber öffentlicher Ämter werden zum Kreis derer gerechnet, die solche »aiuti vulgari« nicht nötig haben sollten.309 Abgesehen von diesen Rahmenbedingungen der Rezeption und den eher vagen motivischen Einschränkungen bzw. Vorgaben an Bildsujets der pitture ridicole nennt Paleotti jedoch keinerlei Details, konkrete Motive, beispielhafte Werke oder Künstler. Vielmehr schließt er seine Ausführungen mit der Bemerkung ab, dass man den pitture ridicole letztlich keine genauen Regeln und Gesetzmäßigkeiten vorschreiben könne, da jeder Mensch je nach seiner Natur, seinen Bräuchen und seiner Bildung von etwas anderem zum Lachen gebracht werde: »Ultimamente diciamo che alle pitture ridicole non si può prescrivere certa legge, perché, secondo le nature o costumi o ammaestramenti delle persone, variamente si moverà il riso[.]«310 Die Unmöglichkeit, geregelt werden zu können, und das »questo di più« werden so zu fundamentalen Eigenschaften der pitture ridicole. Dadurch, dass Paleotti die pitture ridicole ausschließlich auf einer abstrakten Ebene über v. a. positiv besetzte Konzepte wie novità, admiratio, riso und ricreazione erörtert und keinerlei konkrete Bildbeispiele oder Sujets bespricht, weicht er geschickt der Beobachtung und Benennung expliziter Dekorumsverstöße und radikaler Normabweichungen aus, die das Komische in der bildkünstlerischen Praxis prägen.311 Er fokussiert hingegen das Grundprinzip komischer Bilder: das Überraschen durch Neues, das letztlich zugleich ein De- und Refigurieren 306 Ebd. 307 Ebd., S. 396. Die Ausführungen Paleottis lesen sich als beinahe passgenaue Kontrastfolie einer Bemerkung Lomazzos in seinen Rime ad imitazione de i Grotteschi: »Perché qui [nelle Rime] non vedrete opre golose, / Né men le bizarrie senza sale, / Ma sol ritratti pinti al naturale, / Come il capriccio nel pennel si pose.« Lomazzo, Rime, S. 22. 308 Siehe: Paleotti, »Discorso«, S. 396. 309 Ebd., S. 396 f. 310 Ebd., S. 397. Dass der Effekt des Lachens von der Natur der jeweiligen Person und den konkreten Umständen abhänge, betont bspw. auch Quintilian im 6. Buch seiner Institutiones oratoriae. Siehe hierzu: Santarcangeli, Paolo, Homo ridens. Estetica, filologia, psicologia, storia del comico, Florenz 1989, S. 30 f. 311 Vgl. zu dieser Grundkonstante des Komischen: Kablitz, »Lachen und Komik«.
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von Bekanntem bzw. Genormtem ist und das dadurch zum Lachen und Staunen bringt. Neben Paleottis begrifflicher Erfassung und Erörterung der pitture ridicole im Rahmen seiner katholischen Bildtheorie zählt Lomazzos kunsttheoretische Auseinandersetzung mit komisch-grotesker Malerei im Trattato zu den ausführlichsten im Cinquecento. Anders als Paleotti verfasste Lomazzo seine Ausführungen als Bild- und Dichtkünstler sowie als Mitglied einer das Groteske feiernden Akademie. Neben den anekdotischen Passagen zur Darstellung lachender Bauern im zweiten Buch werden v. a. im 33. Kapitel des sechsten Buches komisch-lachhafte Bilder unter der Überschrift Composizione delle allegrezze e risi ausführlich verhandelt.312 Anders als Paleotti fokussiert Lomazzo die Komposition derartiger Bilder, das »ben comporre una istoria di cose allegre e di riso«.313 Das Wichtigste sei, so Lomazzo, dass man den Grund der Freude, des Lachens und Gegackers sehe – in einer »istoria d’amore« bspw. das Scherzen, Necken und Liebkosen und in einer »istoria ridicolosa« wiederum gewisse Dinge, die allseits zum Lachen bringen.314 Die Bildfiguren müssen des Weiteren in unterschiedlichen Körperhaltungen und Blickrichtungen dargestellt werden und lachen. Einige sollen sich mit unbekümmerten Gesichtern schief und krumm lachen, so dass man ihre Zähne sieht, sich ihre Nasenlöcher weiten, die Augen verdeckt werden, ihre Gesichter erröten und sie womöglich auch die Hände zusammenschlagen.315 Lomazzo beschreibt zur Veranschaulichung eine »bella e degna« »bizarria da ridere« Michelinos (eines frühquattrocentesken lombardischen Malers namens Michelino Molinari da Besozzo) und gibt an, dass dessen inventio immer noch vielfach kopiert werde.316 Michelino habe in diesem Bild vier Landleute (»villani«) gemalt, zwei Männer und zwei Frauen. Alle vier lachen und jeder noch so melancholische und traurige Mensch müsse beim Anblick dieses Bildes ebenfalls lachen.317 Der alte kahlköpfige Mann im Bild berühre »lascivamente« eine Frau mit einer Katze auf dem Arm, wobei sich alle über die Berührung zu amüsieren scheinen. Die Katze wedele derweil mit ihrem Schwanz und kralle ihre rechte Pfote in die Hose des Alten, der lauthals lache. Die ältere villana im Hintergrund führe unterdessen grinsend ihre linke Hand in die Kleider des anderen Mannes, der deswegen in ein »grandissimo riso« ausbreche und seinen Mund so weit öffne, dass man seine Zähne zählen könne.318 »[G]ran dissima grazia« werde den villani schließlich durch gewisse Kappen bzw. Hauben 312 Lomazzo, »Trattato«, S. 314. 313 Ebd. 314 Ebd. 315 Ebd., S. 314. 316 Ebd., S. 315. 317 Ebd. 318 Ebd.
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»all’antica« und ihre ländlich-bäuerliche Kleidung verliehen.319 Lomazzo betont, dass er Michelinos invenzione deshalb so ausführlich beschrieben habe, damit man den Grund des Lachens, die Verkettung von Aktionen und Reaktionen und das Sich-Steigern des Lachens der Bildfiguren nachvollziehen könne.320 Denn darin liege die Kraft (»forza«) der Malerei, wie Leonardo sagte.321 Leonardo, so Lomazzo, habe selbst große Freude am Zeichnen von entstellten Alten und deformen Landleuten gehabt, wie etliche seiner Zeichnungen und darunter etwa 50 in einem kleinen Büchlein aus Aurelio Luinis Besitz belegen.322 Lomazzo greift damit das im zweiten Buch bereits besprochene Thema der Darstellungen lachender Bauern auf und dokumentiert zudem, dass die Mitglieder der Accademia della Val di Blenio durch Aurelio Luini Zugriff auf eben solche Zeichnungen hatten. Lomazzos Besprechung des komischen Bildes Michelinos in seinem Traktat lässt sich durchaus als einer der frühesten Versuche im italienischen Diskurs bezeichnen, eine Theorie des Komischen in der Malerei zu formulieren und dabei dieses »genere figurativo specifico« – das offensichtlich eine gewisse Verbreitung in Sammlerkreisen hatte – als theoriewürdig auszuzeichnen.323 Inwiefern Michelinos Gemälde zu Lomazzos Zeit (noch) existierte ist unklar. Dass es jedoch Variationen und kreative Abwandlungen der beschriebenen Bildfindung gab, wird mit Blick auf die in Kapitel 4.3 besprochenen Darstellungen der Vier lachenden Personen mit Katze (Farbtafeln 57 und 58) deutlich. Diese und andere komisch-lachhafte Bilder aus dem direkten Umfeld Lomazzos und der Accademia della Val di Blenio werden jedoch bemerkenswerterweise in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Stattdessen wird eine inventio aus dem 15. Jahrhundert als Autorität dieser Kunstform vorgestellt, die in der bildkünstlerischen Praxis Lomazzos und seiner Kollegen Mitte des 16. Jahrhunderts adaptiert wurde. Die Anzahl der Personen in Michelinos Bild, die Motivik des Lachens und auch die Katze werden in den Werken aus dem Umkreis der Blenio-Tal-Akademie übernommen. Jedoch sind die Bildfiguren keine villani und villane in Bauerntracht, sondern aufwendig und höfisch anmutend gekleidete Personen. Außerdem werden keinerlei explizit laszive Berührungen und Gesten 319 Ebd. 320 »Ho voluto spiegar a dilungo questa invenzione, acciò che di qui s’impari con quali maniere tutti quelli che ridono abbiano da pigliar in certo modo moto l’uno dall’altro; e così accrescendosi il riso dell’uno all’altro, ridurlo al colmo, e far che sin a morti, se fosse possibile, ridano, che quivi consiste la forza della pittura, come diceva Leonardo: il quale perciò molto si dilettò di disegnare vecchi e villani e villane diformi che ridessero, i quali si veggono ancora in diversi luoghi, tra quali forsi da cinquanta, designati di sua mano, ne tiene Aurelio Lovino uno libricciuolo.« Ebd. 321 Ebd. 322 Ebd. 323 Siehe zu dieser Einschätzung auch: Migliaccio, »Leonardo ›auctor‹ del genere comico«, S. 158.
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dargestellt. Der Grund des Lachens der Bildfiguren ist also eben gerade nicht klar und deutlich zu sehen, wie Lomazzo es im Traktat fordert. Vielmehr werden Andeutungen und Anspielungen, quasi visuelle Untertöne und Mehrdeutigkeiten konfiguriert, die das Gelächter im und vor dem Bild immer wieder aufs Neue evozieren können – so wie es Paleotti für die pitture ridicole einfordert. Und während Lomazzo die offenkundige Laszivität, die er an anderen Stellen seines Traktats kritisiert, in Michelinos ›schönem und würdigem‹ Bild der lachenden Landleute mit Katze detailliert bespricht und positiv bewertet, wird sie in den cinquecentesken Bildern der lachenden Hofleute mit Katze lediglich angedeutet. Dadurch ergeben sich für jene Leserinnen und Leser des Traktats, die die im Umfeld der Akademie entstandenen und kursierenden Bilder kannten, gewitzte Verweisstrukturen, Vergleichsmöglichkeiten und Kommentaroptionen. Für die übrige Leserschaft ergibt sich eine Schieflage bzw. Wissenslücke bei der Erfassung dieses Bildgenres: Sie werden ausschließlich über explizite, eindeutige und offenkundig laszive Gemälde von lachenden Landleuten informiert und nicht über aktuelle und pointiert abgewandelte Variationen des Themas in der damaligen Bildpraxis, in der bizarrie da ridere eben nicht allein Bauerngruppen darstellen. Diskrepanzen zwischen Theorie und Praxis komischer Bilder ergeben sich auch in anderen Passagen des sechsten Trattato-Buches – dort nämlich, wo es um die Orte geht, an denen lachhaft-komische Kunstwerke ausgestellt werden sollen. Unter dem Punkt, welche Bilder für Schulen und Gymnasien, und welche für Gaststätten und ähnliche Orte geeignet seien (Quali pitture convengano alle scuole e gimnasi, e quali convengano ad osterie e luoghi simili), betont Lomazzo, dass in Schulen u. a. Bilder von Philosophen und Schriftgelehrten angemessen seien; für Gaststätten, in denen man nur über Essen und Trinken rede und Scherze mache, seien andere Sujets und Bildarten angebracht.324 Oft werden dort bspw. – wie es gewisse Deutsche und Flamen (»certi todeschi e fiamenghi«) machen – Betrunkene und Kuppler, Spiele, Klauerei, Scherze und Verrücktheiten dargestellt.325 In »luoghi mercuriali« seien derweil weiterhin, so Lomazzo, Bilder wie jene der vier Elemente geeignet, die ähnlich der Werke Giuseppe Arcimboldos für Kaiser Maximilian aus »figure naturali« des jeweiligen Elements zusammengesetzt seien (Farbtafel 60).326 Lomazzo beschreibt dazu in Kürze Arcimboldos Konfigurationen des Feuers, der Erde, der Luft und des Wassers, dessen Einzelteile derart gut zusammengefügt seien, dass es scheine, das Wasser sei »posta in figura«.327 Die Zuordnung arcimboldesker Bilder zu ›merkurialen‹ Räumlichkeiten und zu Gaststätten steht dabei durchaus im Spannungsver324 325 326 327
Lomazzo, »Trattato«, S. 303. Ebd., 304. Ebd., S. 304. Ebd., S. 303 f.
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hältnis zu den kaiserlichen Sammlungen, zu denen die kompositen Köpfe des Mailänder Malers gehörten, und grenzt die Angemessenheit der Bilder in der Theorie stärker ein, als dies in der zeitgenössischen Sammlungspraxis der Fall war. Trotz der beobachteten Diskrepanzen von Theorie und Praxis im Bereich des Komisch-Grotesken sind die Wechselwirkungen der beiden ohnehin stets miteinander verwobenen Diskursfigurationen nicht zu vernachlässigen. Denn in jedem Fall erhält das Komisch-Groteske in Lomazzos Trattato und Idea einen Theorieort, wird positiv besetzt und mittels eines zeitgenössischen Beschreibungsvokabulars erörtert. Dabei werden Bewertungskriterien dokumentiert bzw. etabliert, die sowohl die Rezeption als auch die nachfolgende Produktion komisch-grotesker Malerei prägen konnten. Ebenfalls geeignet für »osterie e luoghi simili«, so Lomazzo im sechsten Buch des Trattato weiter, seien Konfigurationen ähnlich jener der Elemente, z. B. komposite Köpfe der Landwirtschaft oder der Küche, des Karnevals, der Fastenzeit, aber auch der »scienze et arti« sowie Wendebilder (Abb. 4.33), fantastisch-furchterregende Höllendarstellungen und »molte altre simili bizarrie«.328 Man könne neben diesen »invenzioni« aber auch mit nicht weniger »grazia« Blattwerk, »grottesche e simili bizarrie« malen.329 In dieser Aneinanderreihung von bizarrie kommen schließlich unterschiedliche Facetten grotesker Ästhetik zusammen, wodurch ihre konzeptuelle Verbundenheit im ästhetischen Diskurs der Lombardei des 16. Jahrhunderts einmal mehr sinnfällig wird: Sowohl komisch-groteske Gruppenszenen, komposite Köpfe, Kippbilder, fantastisch-schaurige Szenerien wie auch grottesche sind bizarrie, die in Lomazzos Theorie für Räume des Halböffentlichen bestimmt sind – für Räume, denen keine repräsentativen Funktionen zukommen, die keinen strengen Dekorumsansprüchen genügen müssen und die damit letztlich innerhalb der frühneuzeitlichen Nachahmungsästhetik eine größere Freiheit für das Abweichen von der Natur und dem Schönen zugesprochen bekommen können. Damit wird letztlich kategorischen Ablehnungen und kritischen Beurteilungen lachhaft-komischer Malerei der Nährboden entzogen, wie sie bspw. Walter Rivius 1548 in seiner Vitruv-Edition formuliert. Im Vitruvius Teutsch fordert Rivius, dass keinerlei Bauernkirmes-Darstellungen in einem Kirchenraum zu sehen sein dürften und fällt zugleich ein generell äußerst negatives Urteil über genreartige Malerei.330 Er tut dies mithilfe von Vitruvs 328 Ebd., S. 304 f. Unter den Künstlern, die Lomazzo neben Arcimboldo namentlich erwähnt, sind Carlo da Crema, Rogier van der Weyden, Federico Zuccaro, Joos van Cleve und Hieronymus Bosch. 329 Ebd., S. 305. 330 Rivius, Walter, Vitruvius Teutsch. Nemlichen des aller namhafftigisten und hocherfarensten / Römischen Architect / und Kunstreichen Werck oder Bawmeisters / Marci Vitruvij Pollionis / Zehen Bücher von der Architectur und künstlichem Bawen […], Nürnberg 1548, S. 232.
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Kritik an den Grotesken, womit er – nebenbei bemerkt – eine weitere Belegstelle für die Verzahnung der unterschiedlichen Facetten einer frühneuzeitlichen grotesken Ästhetik liefert, wie sie in der vorliegenden Arbeit erörtert und konturiert wird. Die Normverletzungen einer Groteskenmalerei, die Tiere, Menschen und Pflanzen ineinander übergehen und zu einer Figur werden lässt, parallelisiert der deutsche Gelehrte, der die »Kunst a priori dem Schönen verpflichtet« sieht, mit Darstellungen trunkener oder auch sich übergebender Bauern und attestiert sowohl der Groteskenmalerei als auch der Genremalerei – die er zuvorderst als Bauerngenre kennt – nicht tragbare Dekorumsverstöße.331 Nicht nur Rivius’ Kritikkonzept, auch Lomazzos Zusammenstellung der für osterie und für ähnliche Orte angemessenen Kunstwerke korrelieren das Grotesk-Komisch-Bizarre mit den Grotesken, um deren theoretische Besprechung und Beurteilung im Traktat des Mailänders es nun nachfolgend gehen wird. Die Grotesken-Theorie in Lomazzos Trattato und ihr Kontext Die bereits in den Antiquarie prospetiche Romane prominent gesetzten grotteschi bzw. grottesche avancierten im Cinquecento italienweit zu einer Mode, die insbesondere während der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht nur in profanen, sondern ebenso in sakralen Räumen Einzug hielt.332 Um die Mitte des Jahrhunderts entfaltete sich jedoch ein veritabler Grotesken-Streit, in dem (neben Positionen, wie jenen des oben erwähnten Walter Rivius’) u. a. Francisco de Holanda, Sebastiano Serlio, Pirro Ligorio, Anton Francesco Doni, Daniele Barbaro, Giorgio Vasari, Gabriele Paleotti und Giovan Paolo Lomazzo wichtige Beiträge formulierten.333 Bereits eine stark abbreviative Skizze einzelner Argumente dieser Debatte macht deutlich, wie umstritten die Groteske(n) und wie divers der Blick auf sie war. Der Archäologe und Architekt Pirro Ligorio bspw. schreibt den 331 Siehe: Müller / Münch, »Zur Einführung: Bauern, Bäder und Bordelle?«, zum Zitat S. 9, sowie allg. zu diesen Aspekten S. 7 ff. 332 Siehe die Einleitung in Kapitel 4. Zur frühneuzeitlichen Groteske und Groteskenmalerei im Allgemeinen siehe: Weisstein, Ulrich, »Groteske«, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. v. Gert Ueding, Bd. 3, Tübingen 1996, Sp. 1196–1205; Grassi / Pepe, Dizionario, S. 376 f.; Scholl, Von den ›Grottesken‹ zum Grotesken; Ossola, Autunno del Rinascimento, S. 170–197; Schröder, Gerhart, »›Una pittura licenziosa e ridicola.‹ Zur Groteskenmalerei des Cinquecento«, in: Der stumme Diskurs der Bilder. Reflexionsformen des Ästhetischen in der Kunst der Frühen Neuzeit, hg. v. Valeska von Rosen, Klaus Krüger und Rudolf Preimesberger, München / Berlin 2003, S. 205–220. 333 Siehe: Chastel, André, Die Groteske. Streifzug durch eine zügellose Malerei, Berlin 1997, S. 15 f.; sowie Paola Barocchis Einführung in ihre Quellenkompilation zum Thema der Grottesche mit Textauszügen von Sebastiano Serlio, Vitruv, Daniele Barbaro, Gabriele Paleotti, Pirro Ligorio, Giovan Paolo Lomazzo und Giovan Battista Armenini in: Barocchi, Paola (Hg.), Scritti d’arte del Cinquecento, Bd. 3, Mailand / Neapel 1977, S. 2619 ff.
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Grotesken als Verbildlichungen von Mysterien eine allegorische Bedeutung zu und hebt den von ihnen evozierten rezeptionsästhetischen Effekt des Staunens hervor.334 Der portugiesische Maler, Antiquar und Kunsttheoretiker Francisco de Holanda betont in seinen Schriften v. a. die Freiheit der Groteskenmalerei, Dinge darstellen zu können, die in der Natur nicht existieren und mittels derer man auf eine höhere Wahrheit verweisen könne.335 Giorgio Vasari präsentiert die grottesche hingegen als zügellos und lachhaft (»licenziose e ridicole molto«).336 Grotesken-Künstler haben ihm zufolge lange ohne jegliche Regel etwa einem Pferd Beine aus Blättern gemacht oder an dünnen Fäden viel zu schwere Gewichte aufgehängt; dabei sei derjenige, der sich die absurdesten Grotesken ausdachte, am meisten geschätzt worden.337 Mittlerweile sei die Groteskenmalerei aber etwas reguliert worden, so Vasari. Die Aspekte des Regellosen, der Fantastik, des Unmöglichen bzw. der Abkehr vom verisimile begründeten schließlich auch die Positionen vehementer Kritiker der Grotesken, insbesondere derer, die Kunst im Sinne der Katholischen Reform zu theoretisieren suchten wie der Bologneser Theologe und Kunsttheoretiker Gabriele Paleotti.338 Paleottis Begriff der grottesche umfasst explizit nicht ornamentales Blattwerk und marine Monster, sondern nur jene Grotesken, die in der Natur völlig undenkbare und unmögliche Figuren zeigen, die »capricci puri« und »fantasmi vani« der Maler seien.339 Der Bologneser Erzbischof kritisiert derartige Grotesken dafür, jegliche Regel des verisimile zu unterlaufen, bezeichnet sie als Lügen und Verwirrungen, erklärt, dass man sie in profanen Räumen womöglich tolerieren könne, aber keinesfalls in sakralen Räumen.340 Vehement fordert er daher die Verbannung der Grotesken aus Kirchenräumen.341 Im Kontext derartiger Kritik und Forderungen bzw. konkreter Zensur, die gerade auch in der Diözese Mailand unter Erzbischof Carlo Borromeo ab Mitte des Cinquecento immer strikter wurde, präsentiert Lomazzo die Grotesken als 334 Vgl. hierzu: Summers, David, Michelangelo and the Language of Art, Princeton 1981, S. 495 ff.; Scholl, Von den ›Grottesken‹ zum Grotesken, S. 195. 335 Siehe: Scholl, Von den ›Grottesken‹ zum Grotesken, S. 80. 336 Vasari, Giorgio, Le vite de’ più eccellenti pittori scultori e architettori, Florenz 1568, Introduzione alle tre arti del disegno. Pittura, Kapitel 27 (Come si lavorino le grottesche su lo stucco). 337 Ebd. Vgl. zu Vasaris Grotesken-Kritik: Scholl, Von den ›Grottesken‹ zum Grotesken, S. 219 f. 338 Siehe: Barocchi (Hg.), Scritti d’arte del Cinquecento, Bd. 3, Kapitel XV »Le Grottesche« mit Auszügen aus Gabriele Paleottis Theorie. Siehe auch: Steinemann, Eine Bildtheorie, S. 55 ff.; Scholl, Von den ›Grottesken‹ zum Grotesken, S. 159. Zum verisimile siehe oben in diesem Kapitel Anm. 49. 339 Paleotti, »Discorso«, S. 425. 340 Ebd., S. 442, 445. 341 Ebd., S. 445–452. Vgl. auch: Scholl, Von den ›Grottesken‹ zum Grotesken, S. 60, 364.
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bedeutungsschwere, tiefgründige Konfigurationen, die Dinge und Konzepte in anderer Gestalt ausdrücken: »per significare alcun concetto o pensiero sotto altre figure«.342 Dabei degradiert er vehemente Kritiker der Grotesken zu den Ahnungslosen (»stitichi«).343 Ebenso wie die lachhaft-komischen Bilder bezeichnet Lomazzo die Grotesken als bizarrie erörtert sie im sechsten Buch des Traktats (Della prattica della pittura) im Kapitel Composizione de le grottesche.344 Er betont, ausschließlich die äußerst wichtige Frage der Kompositionsweise der Grotesken zu thematisieren, nicht aber deren Ontologie, denn was genau die grottesche seien, wisse nicht einmal die Wahrheit selbst.345 Während die Grotesken nach Ansicht des Mailänders also außerhalb des Urteilsbereichs der Wahrheit liegen und in ihrem Wesen nicht zu definieren sind, fordert er aber sehr wohl ein, dass sie auf der »autorità dell’arte« begründet sein müssen, um zu erfreuen und ästhetischen Gefallen bringen zu können.346 In jedem Fall, so konstatiert er, erfordern die grottesche – mehr als jede andere inventio – »un certo furore et una natural bizarria«.347 Der künstlerische furor und die Autorität der Kunst müssen dabei gemeinsam agieren: »l’una e l’altra hanno da concorrere insieme giuntamente, furia naturale ed arte«.348 Lomazzos Reflexionen von den und Vorgaben für die Grotesken-Kompositionen basieren somit auf einem frei zu interpretierenden Spannungsverhältnis. Wichtig ist laut Lomazzo allerdings, dass die Grotesken nichts völlig Abwegiges und Unplausibles konfigurieren; so sollten z. B. jeder Zweig und Ast irgendeine Art von Wurzelwerk haben und Kinder nicht mit Schlangen scherzen oder lachend durchs Feuer springen.349 Diese Ergänzungen und Einschränkungen, die letztlich Kritikpunkten bei Vasari und Paleotti begegnen, irritieren jedoch in der Zusammenschau von Lomazzos Ausführungen zur Grotesken als Konfigurationen von Kreativität und Fantasie sowie als De- und Refigurierungen, altre figure, ebenso wie vor dem Hintergrund seiner Forderung an die Grotesken eine favola und nicht eine istoria darzustellen.350 Eine solche Mahnung zur minimalen Wahrung des verisimile konnte aber eben im skizzierten kulturpolitischen Kontext auch eine Entschärfung zeitgenössischer Kritik ermöglichen. Fern einer konzisen Theorie begriff342 Lomazzo, »Trattato«, S. 369; siehe zu diesem Aspekt auch ebd., S. 367. Zu Lomazzos Theorie der Grotesken siehe ebenso: Martinelli, Cecilia, »La teoria delle grottesche nel Trattato di Giovan Paolo Lomazzo«, in: Eidos, 6/10 (1992), S. 40–46. 343 Lomazzo, »Trattato«, S. 368. 344 Ebd., S. 367–370. 345 Lomazzo schreibt: »[N]on starò ad investigar piú sottilmente ciò che siano grottesche, perché non lo sa manco l’istessa verità [.]« Ebd., S. 369. 346 Ebd., S. 369. 347 Ebd. 348 Ebd. 349 Ebd., S. 370. 350 Ebd.
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licher Trennschärfe sind Lomazzos Ausführungen zu den Grotesken jedenfalls ein entschieden positives Statement zu der umstrittenen Darstellungsform und unterstreichen ihr figurales Potential, dem Lomazzo eine bedeutende, opake epistemische Dimension zuschreibt. Poetische Reflexionen auf groteske Ästhetik in der Idea del tempio della pittura Nachdem aufgezeigt wurde, dass Lomazzo unterschiedliche Facetten grotesker Ästhetik in eng gefassten Bereichen seines Trattato mal über Anekdoten und mal über eine erklärende, deduktive Argumentationsweise und mitunter in interessanter Diskrepanz zur bildkünstlerischen Praxis seines direkten Umfeldes verhandelt, mit dem Begriffsfeld des schönen Hässlichen, Monströsen, Bizarren und Fantastischen begreift und positiv beurteilt, gilt es abschließend den Blick auf einen besonderen literarischen Modus zu richten, mittels dessen Lomazzo bestimmte Strukturprinzipien sowie wirkungsästhetische Effekte grotesker Ästhetik im traktathaften Text der Idea del tempio della pittura zu fassen sucht. Es geht dabei um den Einschub von Gedichten und die Verschränkung von Theorie und zeitgenössischer Dichtungspraxis, die im anschließenden Unterkapitel noch eingehender am Beispiel des kunsttheoretischen Dialogs Gregorio Comaninis besprochen wird. Quasi als Coda zur theoretischen Abhandlung unterschiedlicher Aspekte der Malerei und unterschiedlicher Künstlerpersönlichkeiten gibt Lomazzo am Ende seiner Idea del tempio della pittura einen Einblick in zeitgenössisches Mäzenatentum und bespricht besonders lobenswerte Kunstwerke zeitgenössischer Malerei.351 Eine Sonderstellung erhalten die inventioni und capricci Giuseppe Arcimboldos. Lomazzo beschreibt in diesem Zusammenhang das unter Kapitel 4.3.3 analysierte Gemälde der Flora als eine gänzlich aus Blumen konfigurierte weibliche Büste der Nymphe (»una bellissima femina dal petto in sù composta tutta di fiori, sotto il nome della Ninfa Flora«).352 Dabei hebt Lomazzo insbesondere den oben dargelegten Kippeffekt hervor, der sich durch den Wechsel von nahem und fernem Betrachterstandpunkt einstellt: Von Weitem stelle die Figur nichts anderes als eine wunderschöne Frau dar, von Nahem zeigen sich hingegen neben der weiblichen Gestalt zudem Blumen und Blätter, zusammengesetzt und vereint.353 Um diesen Kippeffekt im Medium des Textes anschaulich zu machen bzw. vorzuführen, macht Lomazzo Evidenzeffekte der Dichtung pro351 Zur Struktur der Idea siehe ausführlich Kapitel 5.3. 352 Lomazzo, Idea, S. 156; vgl. zum Gemälde der Flora auch Kapitel 4.3. 353 Wörtlich heißt es in der Idea: »Questa da longi non rappresenta altro, che una belissima femina, & d’appresso quantonque pur resti l’apparenza di femina, mostra se non fiori, & frondi, composti insieme, & uniti.« Lomazzo, Idea, S. 156.
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duktiv und unterbricht die traktathafte Prosa durch den Einschub von Gregorio Comaninis bereits besprochenem Gedicht zu Arcimboldos Flora:354 Son’io Flora ò pur Fiori? Se Fior, come di Flora Hò co’l sembiante il riso? e s’io son Flora, Come Flora, e sol Fiori? Ah non Fiori son’io; non son’io Flora. Anzi son Flora, e Fiori. Fior mille, & una Flora Vivi Fior, viva Flora, Perch’i Fior fan Flora, e Flora i Fiori. Sai come? I Fiori in Flora Cangiò saggio Pittore Flora in Fiori.355
Das Gedicht transferiert – wie erwähnt – das figurale Wechselspiel zwischen der Konkretisierung der Frauengestalt und jener der zahlreichen Blumen ins Textmedium und spiegelt den durch den Perspektivwechsel »da longi« und »d’appresso« getriggerten Kippeffekt in den Versendstellungen. Durch die lyrische Unterbrechung der Prosa lenkt Lomazzo die Aufmerksamkeit auf die Machart und ästhetische Funktionsweise des Gemäldes, dessen wirkungsästhetischer Clou im medialen Transfer imitiert wird. Mit der Zitation des Gedichts in seiner bereits 1590 publizierten Idea markiert Lomazzo außerdem seine Teilhabe an dem im ausgehenden Cinquecento in Mailand virulenten Dialog zwischen Malern und Dichtern im Künstler- und Gelehrtenzirkel um Comanini und Arcimboldo. Comanini selbst integriert dieses und weitere Gedichte ein Jahr später ebenfalls in seine kunsttheoretische Abhandlung, den 1591 veröffentlichten Dialog Il Figino. Die Analyse dieses Buches im nachfolgenden Unterkapitel wird verdeutlichen, dass Comanini derartige Gedichteinschübe sowohl als Evidenzeffekte als auch zur Integration, Reflexion und Kommentierung bestimmter Aspekte und Wissensmodi grotesker Ästhetik innerhalb frühneuzeitlicher Kunsttheorie und imitatio-Lehren fruchtbar macht. 354 Zum Begriff des Evidenzeffekts siehe: Krüger, Klaus, »Evidenzeffekte. Bildhafte Offenbarung in der Frühen Neuzeit«, in: EVIDENTIA . Reichweiten visueller Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit, hg. v. Gabriele Wimböck, Karin Leonhard und Markus Friedrich, S. 391–424. 355 Lomazzo, Idea, S. 156; siehe zu Comaninis Gedicht Kapitel 4.3.2, v. a. Anm. 268–270; zum Vorgehen des Gedichteinschubs in Theorietexten siehe Kapitel 4.4.2. Der Abdruck von Comaninis Gedicht in Lomazzos Idea weist einige kleinere, v. a. typographische Unterschiede auf, die von einer – im Vergleich zum Abdruck in Comaninis Il Figino – weniger differenzierten Materialisierung des Gedichts zeugen, v. a. da der Identitätswechsel von Flora zu fiori in Lomazzos Edition nicht von einem Wechsel der Groß- und Kleinschreibung begleitet wird. Allerdings enthält Lomazzos Abdruck eine zusätzliche Zeile: Vers 8, »Vivi Fior, viva Flora«.
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4.4.2 Comanini und die Diskursivierung der imitazione fantastica Der Gelehrte, Dichter, Kunsttheoretiker und Ordensbruder Gregorio Comanini verfasste seinen 1591 in Mantua veröffentlichten Dialog Il Figino ovvero del fine della pittura als ausgewiesener Kenner der lombardischen Kunstszenen.356 Er war u. a. mit Giovan Paolo Lomazzo, Giuseppe Arcimboldo, Giovanni Ambrogio Figino sowie Torquato Tasso befreundet und hatte Kontakte zum Mantuaner Hof der Gonzaga. In seiner kunsttheoretischen Schrift lässt Comanini drei Dialogfiguren miteinander ins Gespräch kommen, die jeweils nach prominenten und untereinander bekannten Persönlichkeiten der empirischen Welt des Autors und der zeitgenössischen Leserschaft benannt sind: Dies sind der Maler Giovanni Ambrogio Figino, der Dichter Stefano Guazzo und der Geistliche Ascanio Martinengo. Der titelgebende und im 16. Jahrhundert berühmte Mailänder Maler Figino war für seine sakralen Kunstwerke u. a. im Mailänder Dom sowie für seine bei Sammlern begehrte Porträtmalerei bekannt; Guazzo hatte u. a. den bereits im ausgehenden Cinquecento mehrfach aufgelegten Dialog La Civil Conversazione (1574) verfasst; Martinengo war wie Comanini Ordensbruder der Lateranischen Chorherren und vergab als Mäzen wichtige kirchliche Aufträge an Künstler. Die Zusammensetzung des Dialogpersonals trägt letztlich einem das künstlerischkulturelle Mailänder Secondo Cinquecento prägenden Spannungsverhältnis Rechnung, das sich durch die unterschiedlichen Interessen einerseits der Katholischen Reform und ihrer Bildtheorie bzw. Bilderdekrete sowie andererseits durch die intensiven bild- und dichtkünstlerischen Auseinandersetzungen mit ästhetischen Konzepten der maraviglia und fantasia, des stupor, capriccio und grottesco ergab.357 Mittels der Figurenkonstellation sowie der Eigenschaften der 356 Zu Comaninis kunsttheoretischem Dialog liegen zwei kritische Textausgaben vor: Comanini, Gregorio, »Il Figino, Overo del Fine della Pittura«, in: Trattati d’arte del Cinquecento. Fra manierismo e controriforma. C. Borromeo, Ammannati, Bocchi, R. Alberti, Comanini, hg. v. Paola Barocchi, Bd. 3, Bari 1962, S. 237–379; Comanini, Gregorio, The Figino, or on the Purpose of Painting. Art Theory in the late Renaissance, hg. u. übers. v. Ann Doyle-Anderson und Giancarlo Maiorino, Toronto 2001. In der vorliegenden Arbeit wird, wenn nicht anders vermerkt, nach der editio princeps zitiert, da ein besonderes Augenmerk auf Layout bzw. Materialität des Textes gemäß seiner frühneuzeitlichen Erstausgabe gelegt wird. Siehe: Comanini, Il Figino. Für eine Einführung in die Themen und historische Verortung des Dialogs und seines Autors siehe: Pupillo Ferrari-Bravo, Anna, ›Il Figino‹ del Comanini. Teoria della pittura di fine Cinquecento, Rom 1975. Für eine sehr ausführliche Analyse der Struktur des Dialogs, der verschiedenen in die Unterhaltung integrierten Gedichte sowie der Reflexion unterschiedlicher Wissensmodi und ästhetischer Konzepte mittels verschiedener Veranschaulichungs- und Diskursivierungsstrategien siehe: Becker-Sawatzky, »Malerei vor Augen stellen & in Worte fassen«. 357 Zum virulenten Spannungsverhältnis von katholischer Reformpolitik und Bildertheologie sowie zu den ästhetischen Idealen einer grotesken Ästhetik siehe auch: Berra, »Allegoria e mitologia«, S. 11–18; Becker, »Grottesco & suavitas«.
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Dialoggattung werden im Figino unterschiedliche Meinungen, Perspektiven und Interessen des ästhetischen Diskurses der Lombardei des Cinquecento erörtert. Im vorliegenden Unterkapitel wird analysiert werden, inwiefern und auf welche Art und Weise Facetten grotesker Ästhetik und deren epistemische Potentiale in dieser Gesprächsrunde verhandelt und in eine frühneuzeitliche imitatio-Lehre integriert werden. Dabei werden unterschiedliche, dem Dialog zur Verfügung stehende Veranschaulichungs- und Diskursivierungsstrategien nachvollzogen, die Comaninis Erörterung des Grotesken ermöglichen und prägen. Bernd Häsner hat in seinen grundlegenden Studien zum frühneuzeitlichen Dialog überzeugend herausgearbeitet, dass der Dialog als »fiktionales Genus […] in den nicht-fiktionalen Diskurszusammenhang eintritt« und es ermöglicht, in der schriftlich mediatisierten Fiktion von Mündlichkeit auf argumentative Weise Wissensfragen und Wissensgenese, Meinungsbildung und Meinungsverschiedenheiten in ihrer Pluralität und Relativität vorzuführen und zu thematisieren.358 Der Dialog eignet sich in dieser Hinsicht als Genus der Theoriebildung,
Häufig werden die genannten ästhetischen Konzepte des Wunderbaren, des Staunens und des Kapriziösen in Forschungsbeiträgen mit dem durchaus umstrittenen, da teils zu wenig differenzierenden bzw. zu stark verallgemeinernden oder auch anachronistisch angewandten Begriff des Manierismus gefasst. Für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Manierismus-Begriff und einen Forschungsüberblick der Debatte sowie eine Skizzierung der sich gegenüberstehenden Konzepte eines historischen und eines typologischen Manierismus-Begriffs siehe: Huss, Bernhard / Wehr, Christian, »Zur Einführung: Die Problemstellung ›Manierismus‹«, in: Manierismus. Interdisziplinäre Studien zu einem ästhetischen Stiltyp zwischen formalem Experiment und historischer Signifikanz, hg. v. dens., Heidelberg 2014, S. 11–18; Regn, Gerhard, »Manierismus: Kritik eines Stilbegriffs«, in: Manierismus. Interdisziplinäre Studien zu einem ästhetischen Stiltyp zwischen formalem Experiment und historischer Signifikanz, hg. v. dens., Heidelberg 2014, S. 19–44. Für eine kritische, kunstwissenschaftliche Sicht auf den Manierismus-Begriff und seine problematische Engführung mit dem maniera-Begriff des 16. Jahrhunderts siehe: Auren hammer, Hans, »Manier, Manierismus, maniera. Zur Geschichte eines kontroversen Begriffs«, in: Maniera. Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici, hg. v. Bastian Eclercy, München / London / New York 2016, S. 15–23; Sohm, Philip, Style in the Art Theory of Early Modern Italy, New York 2001, S. 88. Einschlägig bei der Auseinandersetzung mit ›Manierismus‹ im 16. Jahrhundert ist weiterhin: Shearman, John, Manierismus. Das Künstliche in der Kunst, Frankfurt am Main 1988. 358 Siehe: Häsner, Bernd, »Der Dialog: Strukturelemente einer Gattung zwischen Fiktion und Theoriebildung«, in: Poetik des Dialogs: aktuelle Theorie und rinascimentales Selbstverständnis, hg. v. Klaus W. Hempfer, Stuttgart 2004, S. 13–65, zum Zitat S. 18; siehe auch: Hempfer, Klaus W., »Die Poetik des Dialogs im Cinquecento und die neuere Dialogtheorie: Zum historischen Fundament aktueller Theorie«, in: Poetik des Dialogs: aktuelle Theorie und rinascimentales Selbstverständnis, hg. von dems., Stuttgart 2004, S. 67–96. Zum Dialog als Gattung des kunsttheoretischen Diskurses und seinen spezifischen genrebedingten Potentialen der Wissensverhandlung im Gespräch über Malerei siehe: Rosen, Valeska von, »Multiperspektivität und Pluralität der Meinungen im Dialog. Zu einer vernachlässigten kunsttheoretischen Gattung«, in: Der stumme Diskurs der Bilder: Reflexionsformen des Ästhetischen in der Kunst der Frühen Neuzeit, hg. v. Klaus Krüger,
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in dem ein pluralisierter und relativierter Wahrheitsbegriff zum Tragen kommt. Von besonderer Relevanz ist dabei die Veranschaulichung der Erkenntnisprozesse. Mit den Worten von Comaninis Freund Torquato Tasso gesprochen, versteht sich der Dialogautor des späten Cinquecento »mezzo fra ’l poeta e ’l dialettico«, der in seiner Abhandlung darauf abzielt, Evidenz (»chiarezza, ch’evidenza è chiamata dai Latini«) zu erzeugen und die Dinge in ihrer Prozessualität der Leserschaft nachvollziehbar zu machen und anschaulich vor Augen zu führen (»dovendo lo scrittore del dialogo assomigliare i poeti nell’espressione e nel por le cose innanzi agli occhi«).359 Die Möglichkeiten der Dialoggattung produktiv machend stellt Comanini im Figino mittels der Dialogfiguren und ihrer unterRudolf Preimesberger und ders., München 2003, S. 317–336; Grave, Johannes, »Das Bild im Gespräch. Zu Situationen des Sprechens über Bilder in kunsttheoretischen Dialogen des Cinquecento und bei Nicolaus Cusanus«, in: Divulgierung vs. Nobilitierung? Strategien der Aufbereitung von Wissen in Dialogen, Lehrgedichten und narrativer Prosa des 16.–18. Jahrhunderts, hg. v. Rotraud von Kulessa und Tobias Leuker, Tübingen 2011, S. 17–33; Becker-Sawatzky, »Malerei vor Augen stellen & in Worte fassen«; Dadaş, Şirin, »Das Kunstschöne im Zwiegespräch. Formen der Verhandlung ästhetischen Wissens in Lodovico Dolces Dialogo della pittura«, in: Medien- und gattungsspezifische Modi der Diskursivierung elusiven Wissens in Dichtungen der Frühen Neuzeit, hg. v. Ulrike Schneider, Wiesbaden (in Vorbereitung zum Druck). 359 Tasso, Torquato, »Dell’Arte del Dialogo. Discorso al molto reverendo Don Angelo Grillo«, in: ders., Opere Complete di Torquato Tasso in verso ed in prosa, hg. v. Giuseppe Picotti, Bd. 2, Venedig 1835, S. 667–670, S. 670. Vgl. zu diesen Aspekten der poetologischen Überlegungen Tassos auch: Hempfer, Klaus W., »Die Poetik des Dialogs«, S. 69, 71 f., 82. Evidenz, evidentia, enargeia ist historisch betrachtet ein rhetorisch-poetologisches sowie kunsttheoretisches Konzept und zugleich ein im heutigen geistes- und geschichtswissenschaftlichen Diskurs verortetes Analyseinstrument, mit dem Anschaulichkeit, Verlebendigung und ästhetische Strategien des Vor-Augen-Stellens untersucht und begrifflich gefasst werden. Mit dem Analyseinstrument der Evidenz lässt sich die Kompetenz einer Darstellung erörtern, die Imagination der Rezipierenden zu aktivieren, Absentes präsent zu machen sowie die eigenen medialen Eigenschaften herauszustellen, zu zeigen und zu reflektieren. Dabei hat jedes Medium einen ihm eignenden »genuinen Typ semantischer Evidenz, der sich nicht verlustfrei in andere mediale Formen der Evidenz übertragen lässt«. Zum Zitat siehe: Jäger, Ludwig, »Die Evidenz des Bildes. Einige Anmerkungen zu den semiologischen und epistemologischen Voraussetzungen der Bildsemantik«, in: Machtwechsel der Bilder. Bild und Bildverstehen im Wandel, hg. v. Enno Rudolph und Thomas Steinfeld, Zürich 2012, S. 95–125, S. 108. Zu den unterschiedlichen Aspekten von Evidenz vgl.: Kemmann, Ansgar, »Evidentia, Evidenz«, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. v. Gert Ueding, Bd. 3, Tübingen 1996, S. 33–47; Plett, Heinrich F., Enargeia in Classical Antiquity and the Early Modern Age: The Aesthetics of Evidence, Leiden / Boston 2012; Rosen, Valeska von, »Die Enargeia des Gemäldes. Zu einem vergessenen Inhalt des ›Ut-pictura-poesis‹ und seiner Relevanz für das cinquecenteske Bildkonzept«, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, 27 (2000), S. 171–208. Zudem sei auf die vielfältigen Arbeiten der von 2012 bis 2020 an der Freien Universität Berlin angesiedelten Kollegforschergruppe BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik hingewiesen, die von Klaus Krüger und Peter Geimer geleitet wurde. Siehe: http://bildevidenz.de/forschung (zuletzt eingesehen am 15.07.2020).
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schiedlichen Meinungen und Perspektiven sowie mittels bestimmter Veranschaulichungsstrategien verschiedene imitatio-Arten und ästhetische Konzepte vor, die im 16. Jahrhundert konkurrierend bzw. im Konflikt miteinander gedacht wurden. Als besonders relevant erweisen sich die Einschübe von Gedichten zur Besprechung von Gemälden grotesker Ästhetik im ersten Teil des Dialogs. Auf die prominente strukturelle Stellung und Funktion der Gedichte deutet bereits der Umstand hin, dass auf zwanzig der ersten vierzig Seiten vollständige und teils umfangreiche Gedichte abgedruckt sind. Der Dialog beginnt damit, dass sich Guazzo und Martinengo zufällig im Mailänder Haus des Malers Figino treffen, den sie aufgrund des Ruhmes seiner Kunstwerke unbedingt kennenlernen möchten. Figino liegt krank im Bett und ist zu jenem Zeitpunkt gerade dabei ein Gedicht seines Freundes Comanini über die Schönheit seiner Malerei und seine begnadete Künstlerpersönlichkeit zu lesen, das schließlich fiktionsintern laut vorgetragen wird.360 Aus einigen der Verse dieses Gedichts extrapoliert Guazzo dann das Titelthema des Dialogs, sprich die Frage nach dem eigentlichen Ziel und der Bestimmung der Malerei, dem fine della pittura.361 Im Unterschied zum Gedicht, in dem das Nützliche und Förderliche, das utile & giovevole, als Ziel der Malerei suggeriert werden, erklärt Guazzo den diletto, sprich das Gefallen, Vergnügen und den Genuss, zum fine della pittura. Der Dichter adaptiert zur Erläuterung seiner Position Platons Einteilung der Künste im 10. Buch der Politeia und bespricht Malerei und Dichtkunst als arti imitanti, die zwei Modi der Nachahmung zur Auswahl haben: die imitazione icastica und die imitazione fantastica.362 Im Verlauf der Unterhaltung verknüpft Guazzo die ikastische Nachahmungsweise mit dem utile & giovevole und die fantastische mit dem diletto. Die Diskussion der beiden Nachahmungsweisen wird zentrales Thema des ersten Dialogteils – ein Thema, das zugleich im zeitgenössischen poetologischen Diskurs bspw. in den 360 In der kurzen narrativen Einführung des ansonsten in reiner Wechselrede der Figuren sich konstituierenden Dialogs wird berichtet, dass sowohl Guazzo als auch Martinengo unabhängig voneinander mit dem Begehren nach Mailand reisten, die Kunst des vielfach gerühmten Figino zu sehen. Siehe: Comanini, Il Figino, S. 2. 361 Ebd., S. 12 f. Siehe zur ausführlichen Analyse des Gedichts und der Deduktion der Dialogthematik: Becker-Sawatzky, »Malerei vor Augen stellen & in Worte fassen«. 362 Zu Comaninis Platon-Rezeption siehe: Panofsky, Erwin, »Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie«, in: Ernst Cassirer. Eidos und Eidolon / Erwin Panofsky. Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie, hg. v. John Michael Krois, Hamburg 2008, S. 51–301, S. 213, 216; Scholl, Von den ›Grottesken‹ zum Grotesken, S. 163. Erwin Panofsky merkt an, dass Comanini die Unterscheidung von ikastischer und phantastischer Nachahmung »nicht der eigentlich platonischen Auffassung gemäß als de[n] Gegensatz zwischen objektiv entsprechender und scheinhafter Nachahmung« auffasst, sondern die ikastische Nachahmung als gemäß »der moderneren, schon in der Spätantike begegnenden Bedeutung des Ausdrucks phantasia ent sprechend« versteht. Panofsky, »Idea«, S. 216.
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Schriften Jacopo Mazzonis und Torquato Tassos hohe Aktualität besitzt.363 Auf Nachfrage des Malers beschreibt Guazzo im Dialog die imitazione icastica als die Nachahmung, die bereits existierende Dinge der Natur nachahme. Die imitazione fantastica hingegen stelle Dinge dar, die in der empirischen Welt nicht existieren, sondern der Gedankenwelt ihres Schöpfers entspringen und dessen originäre Erfindung seien (»invention sua«).364 Figino führt daraufhin Arcimboldos Gemälde der kompositen Köpfe von Flora und Vertumnus an und fragt Guazzo, ob sie dem Konzept der imitazione fantastica entsprechen (Abb. 4.52).365 Nach Figinos kurzer Beschreibung der aus Blumen konfigurierten Frau und des aus Früchten, Blumen und Gemüse zusammengesetzten Mannes bezeichnet Guazzo die Werke lobend als einfallsreiche capricci, da wohl noch kein anderer vor Arcimboldo etwas Derartiges erdacht habe.366 Während das Gemälde der Flora bereits beim Kaiser (Rudolph II. in Prag) sei, könne man das Bild des Vertumnus noch im Hause des Künstlers (in Mailand) bewundern, erläutert Figino. Er rät den beiden Gesprächspartnern, sich hierzu an Arcimboldos engen Freund Comanini zu wenden, der im selben Haus wohne und die Bildbetrachtung als »conducitore« anleiten könne.367 In gewisser Weise wird Comanini in der Folge schließlich sowohl für die Dialogfiguren als auch für die Leserschaft zum conducitore der Imagination der Bilder bzw. der imaginierten Bildbetrachtung. Denn sein Madrigal zur Flora und sein Gedicht zum Vertumnus werden fiktionsintern laut vorgetragen, um, so Guazzo, »qualche gusto« der Werke zu vermitteln, Arcimboldos Kunst erfahrbar zu machen und einige ihrer Geheimnisse zu lüften.368 Im Layout der editio 363 Comanini bezieht sich in seinen Texten auf Jacopo Mazzonis positive Bewertung der fantastischen Nachahmung in der Difesa della Comedia di Dante (1587). Torquato Tasso wendet sich demgegenüber in seinen Discorsi del Poema Eroico (1594) gegen die imitazione fantastica und widerspricht seinen Freunden Mazzoni und Comanini, die sich seiner Meinung nach zwar beide durch große Gelehrsamkeit und Eloquenz auszeichnen, aber in diesem Punkt falsch liegen. Siehe hierzu: Pupillo Ferrari-Bravo, ›Il Figino‹ del Comanini, S. 107; Olejniczak Lobsien, Verena / Lobsien, Eckhard, Die unsichtbare Imagination. Literarisches Denken im 16. Jahrhundert, München 2003, S. 19. 364 Diese Definition wird mehrfach variiert, wenn es etwa heißt, die von der imitazione fantastica nachgeahmten Dinge »hanno solamente l’essere nell’intelletto dell’imitante«, oder das Nachgeahmte sei dergestalt, »che non habbia l’essere fuori del proprio intelletto«, bzw. »che non haveva l’essere in alcun altro intelletto«. Comanini, Il Figino, S. 28, 30, 60 f. 365 Comanini, Il Figino, S. 30. Vgl. zur Beschreibung und Analyse dieser beiden Gemälde und der Gedichte Comaninis über sie Kapitel 4.3.3. 366 Comanini, Il Figino, S. 30 f. 367 Vgl. ebd., S. 31. Die Seite ist in der editio princeps fehlerhaft als 25 angegeben. 368 Guazzo im Dialog: »Ma se fra tanto volete qualche gusto di questi due quadri […] potrete leggere un madrigale composto dal Comanino sopra la Flora, & un’altra nuova sorte di poema pur del medesimo, nel quale egli fà, che Vertunno descrivendo la pittura di se stesso, discopre l’arte di questo valente Pittore, & manifesta alcuni secreti di molta importanza.« Ebd.
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Abb. 4.34: Gregorio Comanini, Il Figino overo il fine della pittura (Mantua 1591), S. 32 f. – Foto: privat
princeps sind die beiden Poeme vom Prosatext abgehoben, eingeschoben sowie kursiv gedruckt, wodurch der Wechsel der Sprachstile und Darstellungsmodi deutlich auch für die den Text lesenden Rezipientinnen und Rezipienten markiert wird (Abb. 4.34). Zuerst wird das Gedicht der Flora rezitiert. Wie erwähnt, war dieses Gedicht Comaninis vor der Veröffentlichung des Dialogs bereits in Filippo Gherardinis Gedichtsammlung für Rudolph II. sowie in Lomazzos Idea abgedruckt. Die Integration von bereits zirkulierenden und publizierten Gedichten in den Dialog ist neben dem Dialogpersonal und Setting ein weiteres Element der engen Verknüpfung der fiktionalen Welt des Dialogs mit der empirischen Welt des Autors – den Mailänder Dichter-, Maler- und Gelehrtenzirkeln sowie insgesamt dem ästhetischen Diskurs der Lombardei Ende des 16. Jahrhunderts. Ähnlich wie in Lomazzos Idea dient das Gedicht in Comaninis Figino der Veranschaulichung und Reflexion von Arcimboldos ungewöhnlicher, origineller Malerei.369 Anders als in Lomazzos Schrift jedoch wird das Gedicht im Dialog 369 Da das Gedicht bereits in Kapitel 4.3.3 eingerückt zitiert und analysiert wurde, wird es an dieser Stelle nur uneingerückt in der Fußnote wiedergegeben: »Son io Flora, o pur fiori?/ Se fior, come di Flora / Hò col sembiante il riso? E s’io son Flora,/Come Flora è sol fiori?/Ah non fiori son io, non io son Flora. / Anzi son Flora, e fiori. / Fior mille, una sol Flora;/Però,
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fiktionsintern laut vorgetragen und kommentiert: Durch die Verse Comaninis, so die Reaktion der Dialogfiguren, lasse sich die »[m]aravigliosa vaghezza« und große Kunstfertigkeit von Arcimboldos Gemälde erkennen.370 Auch das anschließend vorgetragene und von den drei Dialogfiguren gemeinsam rezipierte Gedicht zum Gemälde des Vertumnus, das ebenfalls in anderen Kontexten publiziert worden war, sorgt bei Figino, Guazzo und Martinengo für Begeisterung, Bewunderung und Neugier an der Malerei Arcimboldos.371 Wie in Kapitel 4.3.3 erörtert, thematisiert, reflektiert und imitiert Comaninis Gedicht die Machart des Gemäldes, das Konfigurieren einer Figur aus dem Chaos vieler Einzelteile, das Kompositionsschema des kompositen Kopfes samt neuartiger Analogiebildungen, die Schönheit des Deform-Monströsen, die Wirkungsästhetik der bella bruttezza des viso mostruoso sowie die Identitätssuche der Figur in ihrer Figuralität und unauflösbaren Mehrdeutigkeit.372 Das Gedicht verdichtet diese semantische Uneindeutigkeit dabei noch, indem es dem Gemälde die Bedeutungsdimension als Porträt Rudolphs II. einschreibt. Zusammenfassend gesagt, werden mittels der Dichtung innerhalb des Theorietexts produktions- und rezeptionsästhetische Aspekte der Malerei Arcimboldos poetisch vor Augen geführt und Strukturen dieser grotesken Konfigurierung anschaulich gemacht und v. a. auch anerkannt: Fiktionsintern sind sowohl der Maler und Dichter als auch der Geistliche beeindruckt und bewundern das Gemälde in seiner poetisch vermittelten Gestalt. Aufgrund des Gedichts wollen nun auch Guazzo und Martinengo das Gemälde sehen, sind neugierig und wissbegierig.
che i fior fan Flora, e Flora i fiori. / Sai come? i fiori in Flora / Cangiò saggio Pittore, e Flora in fiori.« Ebd. S. 32. 370 Comanini, Il Figino, S. 43. 371 Für das Gedicht siehe: Comanini, Il Figino, S. 32–43. Zur Analyse des Gedichts siehe Kapitel 4.3.3. 372 Die Imitation der Struktur von Arcimboldos Gemälden thematisiert und vollführt Comanini auch in seinem theologischen Werk De gli Affetti della Mistica Teologia. Dort schreibt Comanini über sich als Autor: »Hà egli [Comanini] veduto una imagine della favolosa Dea Flora dipinta dall’ingegnosißimo, & gentilißimo Signor Giuseppe Arcimboldi […] formata in guisa, che tutta è fiori. Per cioche d’alquanti, che hanno colore di carne, hà formato il petto, & la gola: la fronte hà composto di varie rose d’althea: le guancie di rose vermiglie […]. Ora tutto ciò, che da questo non mai àbastanza lodato Pittore co’l pennello è stato in simil pittura operato, hà l’Auttore fatto altresì con la penna in questa compositione sua [.]« Comanini, Gregorio, De gli Affetti della Mistica Theologia. Tratti dalla Cantica di Salomone, et sparsi di varie guise di Poesie. Ne’ quali favellandosi continuamente con Dio, & spiegandosi i desiderij d un’anima innamorata della divina bellezza, s’eccita maravigliosamente lo spirito alla divotione. Composti, et nuovamente mandati in luce dal R. P. D. Gregorio Comanini Mantovano Canonico Regolare Lateranense, all’Ill. et Ecc. Sign. Don Ferrando Gonzaga, Principe di Molfetta, Duca d’Ariano, & c., Venedig 1590, S. 2 f.
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Die Begrifflichkeiten, die sowohl in der poetischen Erfassung als auch in der nachfolgenden prosaischen Erörterung des Gemäldes dominieren, sind einschlägige Kategorien des konzeptuellen Repertoires frühneuzeitlicher Ästhetik des Grotesken: So werden inventio, capriccio, fantasia, maraviglia, bella bruttezza, ingegno und stupor in Anschlag gebracht und quasi als rezeptionsästhetische Kernkonzepte von den lyrischen Versen in die Unterhaltung der Dialogfiguren und damit in die theoretische Abhandlung überführt.373 In steter Wiederholung werden im Gedicht wie auch im Gespräch das Neuartige, Kapriziöse und Bizarre der Bilder hervorgehoben, die Bewunderung und Staunen evozieren.374 In Referenz auf Jacopo Mazzonis poetologisches Konzept des credibile meraviglioso konstatiert die Dialogfigur des Malers bspw., dass im Vergleich zum Glaub würdigen (»credibile«), das »credibile meraviglioso« sehr viel mehr »diletto« und »piacere« für den Sehsinn (»vista«) erzeuge.375 Generell wird in der bildkünstlerischen Praxis im Verlauf des 16. Jahrhunderts, wie Michael Thimann es formuliert, »[d]em reglementierenden Anspruch der veritas […] die konkurrierende Forderung nach admiratio und maraviglia durch die künstlerische Hervorbringung außergewöhnlicher Fiktionen gegenübergestellt«.376 In Auseinandersetzung mit Aristoteles wird in diesem ästhetischen Kontext der stupor ästhetischer Erfahrung gemeinsam mit der Neugier, einer Facette der frühneuzeitlichen curiositas, als Antrieb zum Erkenntnisgewinn bzw. als Inbegriff des Wissensdrangs aufgefasst und die fantasia, deren Schöpfungen staunende Bewunderung hervorrufen, als Erkenntnisleistung konzipiert.377 In Comaninis Dialog sind 373 Vgl. zu den frühneuzeitlichen Konzeptualisierungen von maraviglia und diletto grundlegend den Sammelband: Göttler, Christine / Müller-Hofstede, Ulrike (Hgg.), Diletto e maraviglia. Ausdruck und Wirkung in der Kunst von der Renaissance bis zum Barock, Emsdetten 1998. 374 Siehe hierzu ausführlicher: Becker-Sawatzky, »Malerei vor Augen stellen & in Worte fassen«. 375 »I Poeti per dare maggior diletto a’ lettori, pigliar per soggetto de’loro poemi, il credibile sì, ma’l credibile maraviglioso: altramente poco diletto potrebbon porgere; vogliono ancor essi fingere un attione, che tenga del maraviglioso; estimando, che così la lor pittura più debba piacere, & più dilettar la vista.« Comanini, Il Figino, S. 218. Bei Mazzoni heißt es: »[B]isogna che il credibile della poetica sia congiunto colla maraviglia, la qual congiunzione non è necessarai nel credibile della retorica.« Mazzoni, Jacopo, Della Difesa della Comedia di Dante. Distinta in Sette Libri. Nella quale si risponde alle oppositioni fatte al Discorso di M. Jacopo Mazzoni, e si tratta pienamente dell’arte Poetica, e di molt’altre cose pertenenti alla Philosophia, & alle belle lettere, Cesena 1587, hier S. 409. 376 Thimann, Lügenhafte Bilder, S. 45. 377 Zu den antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Konzeptionen von Neugier und Staunen siehe überblicksartig: Logemann, Cornelia, »Neugierde und Staunen«, in: Metzler Lexikon der Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, hg. von Ulrich Pfisterer, Stuttgart / Weimar 2003, S. 248–252. Zur Neugierde als Facette des frühneuzeitlichen curiositas-Begriffs und der »spezifischen Kombination von Staunen und Neugier« siehe mit weiteren wertvollen Verweisen:
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das Staunen und die Neugier sowie das ästhetisch konfigurierte Wunderbare – anders als in anderen Texten, insbesondere aus dem direkten Kontext der Katholischen Reform – positiv besetzt und Teil eines Erkenntnisaktes; sie sind es allerdings nur im Kontext der Besprechung der imitazione fantastica, die den ersten Teil des Dialogs bestimmt.378 In diesem ersten, der imitazione fantastica und dem diletto gewidmeten Teil der Unterhaltung eröffnen die Gedichte in ihrer medialen und materialen Alterität zum theoretisch-argumentativ verfahrenden Prosatext die Möglichkeit, die in Aussagesätzen nicht adäquat zu fassende, neuartige, figurale Struktur der kapriziösen Gemälde Arcimboldos vorzustellen und lyrisch zu imitieren, die Imagination wie auch Begeisterung der Zuhörer- wie Leserschaft zu wecken, zugleich den fantastischen imitatio-Modus der Werke rein positiv zu verhandeln und in die nachfolgende Debatte zu integrieren. Mit dem Einfügen der Gedichtrezitationen in die theoretische Abhandlung werden Transferprozesse zwischen Wissensformen der Dichtung und des deduktiv verfahrenden theoretischen Krüger, Klaus, »Einleitung«, in: Curiositas. Welterfahrung und ästhetische Neugierde in Mittelalter und früher Neuzeit, hg. v. dems., Göttingen 2002, S. 7–18, S. 18. Krüger formuliert konzise und kondensiert zum curiositas-Begriff im frühneuzeitlichen Europa: »Der Begriff der curiositas umfaßt ein ebenso facettenreiches wie heterogenes Spektrum von menschlichen Wissensansprüchen, Erkenntnisinteressen und Erfahrungsbedürfnissen. Angefangen von der schieren Neugierde im umgangssprachlichen Sinn, also dem unstillbaren und nicht selten indiskreten Reiz, sich für alles Fremde, Unbekannte und Geheime und nicht zuletzt für das zu interessieren, was andere betrifft, reicht es bis hin zum elementaren menschlichen Verlangen, die verborgene Gesetzlichkeit der Welt aufzudecken, von der Lust am Ausgefallenen und Wundersamen und der sinnlichen Verlockbarkeit durch Kuriositäten bis hin zum pragmatisch geleiteten Forscherdrang und sachbestimmten Wissensstreben […] bis hin zur kritischen erkenntnisbewußten Wissenschaft (scientia) und näherhin zum Verlangen nach vernunftbegründeter Aufklärung.« Ebd., S. 7. Zur fantasia im ästhetischen Diskurs des 15. und 16. Jahrhunderts siehe: Kemp, Martin, »From ›Mimesis‹ to ›Fantasia‹: The Quattrocento Vocabulary of Creation, Inspiration and Genius in the Visual Arts«, in: Viator, 8 (1977), S. 347–405, hier v. a. S. 366–384, 395 f., wo Kemp bezüglich der komplexen Entwicklung der Idee der fantasia des Künstlers auf die Modellhaftigkeit von Filaretes in Mailand verfasstes libro architettonico (Kapitel 1.2) sowie auf Leonardos Textkonvolut verweist. Für die frühneuzeitliche fantasia-Konzeption mit besonderem Fokus auf Arcimboldos Kunst und Kontext siehe: Oy-Marra, »Mimesis und ›phantasia‹«. 378 Siehe zu Negativbewertungen der ästhetisch getriggerten Neugier und des Staunens im Kontext der Katholischen Reform: Logemann, »Neugierde und Staunen«, S. 251 f.; sowie zur Negativbewertung der Neugier bspw. in den Schriften Augustinus’: Krüger, »Einleitung«, S. 14. Siehe auch Cesare Ripas Kritik an der Curiosità in seiner erstmals 1593 in Rom veröffentlichten Iconologia. Neugier wird dort als »Laster figuriert« und als »›entfesseltes Begehren derer, die mehr zu wissen suchen, als sie dürfen (desiderio sfrenato di coloro, che cercano di sapere più di quello, che devono)‹« beschrieben. Zitiert nach: Krüger, »Einleitung«, S. 12.
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Textes in Gang gebracht.379 Comaninis Dichtung wird in seinem Dialog letztlich zum Medium der figuralen Wissensformierungen in Arcimboldos Kunst. Zugleich verweist Comanini mit den Gedichteinschüben auf die zeitgenössische Mailänder Praxis der gelehrten Bildbetrachtung und -kommentierung sowie Dichtung zur Malerei.380 Indem er in seinem fiktional in Mailand verorteten Dialog mit den drei Dialogfiguren, die nach mit ihm bekannten Persönlichkeiten benannt sind, mehrere seiner eigenen und bereits publizierten Gedichte integriert, referiert er ganz konkret auf den interdisziplinären Zirkel, in dem auch er Mitglied war.381 Freilich nicht zufällig wählte Comanini den Maler Figino als Dialogteilnehmer und den Maler Arcimboldo als Schöpfer der im Dialog am intensivsten besprochenen Gemälde, waren diese beiden doch eben auch diejenigen Künstler, deren Werke und Persönlichkeiten in mehreren Gedichtsammlungen jener community zelebriert wurden.382 Comanini dokumentiert und inszeniert im Dialog die »aesthetic practice« dieser Gruppe und stellt aktuelle Themen des ästhetischen Diskurses vor, zu denen insbesondere auch eine Theoriebildung zur grotesken Ästhetik zählt.383 Über die Gedichtvorträge und die bewundernden Reaktionen der fiktionsinternen Zuhörer wird das Thema der imitazione fantastica in die frühneuzeitliche Nachahmungsästhetik einbe-
379 Vgl. allg. zu Transferprozessen von Wissensformen durch den Wechsel von Dichtung und Prosa: Kellner, Beate / Müller, Jan-Dirk / Strohschneider, Peter, »Erzählen und Episteme. Einleitung«, in: Erzählen und Episteme. Literatur im 16. Jahrhundert, hg. v. dens., Berlin / New York 2011, S. 1–19, S. 2–6. 380 Die ekphrastischen Gedichte zu Flora und Vertumnus, die ihre Mediengrenzen zu überschreiten suchen, bieten dabei auch einen wertvollen Einblick in die historische Wahrnehmung der Werke. In ihrer Studie zu Funktion und Bedeutung der Ekphrasis konstatieren Liz James und Ruth Webb pointiert: »What we can reconstruct from ekphraseis is not the appearance of works of art per se but rather how they were perceived within a particular society and what that society thought about its art and, more generally, about the functions and purposes of art.« James, Liz / Webb, Ruth, »›To understand ultimate things and enter secret places‹: Ekphrasis and art in Byzantium«, in: Art History, 14/1 (1991), S. 1–14, S. 14. 381 Häsner, »Der Dialog«, S. 50. 382 Siehe Kapitel 4.3.3. 383 Zum Begriff der aesthetic practice, den Clark Hulse v. a. für all jene Texte des kunsttheoretischen Diskurses in Anschlag bringt, die eine besonders starke Kompetenz in Bildbeschreibungen aufweisen, siehe: Hulse, Clark, The Rule of Art. Literature and Painting in the Renaissance, Chicago / London 1990, v. a. S. 15–18, 163. Vgl. auch Thomas Frangenbergs Beobachtung zu Raffaello Borghinis Dialog Il Riposo (1584): »Borghini considers talking about art to be an art form in its own right«. Frangenberg, Thomas, »The Art of Talking about Sculpture: Vasari, Borghini and Bocchi«, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 58 (1995), S. 115–131, S. 118. Der Gesamttitel von Borghinis Werk lautet: Il Riposo di Raffaello Borghini in cui della Pittura, e della Scultura si favela, de’ più illustri Pittori, e Scultori, e delle piu famose opere loro si fa mentione; e le cose principali appartenenti a dette arti s’insegnano, Florenz 1584.
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zogen, als ›Schwester‹ der imitazione icastica mit etablierten Wissensbeständen konsolidiert und mit Geltungsanspruch versehen.384 Denn auch die Dialogfigur des Geistlichen Martinengo reagiert anerkennend auf Arcimboldos Werke bzw. ihre lyrischen Konterparts. Dies hindert ihn jedoch im zweiten Teil der Unterhaltung nicht daran, seine Meinung zum vorrangigen Ziel der Kunst und seine Bevorzugung der imitazione icastica als Gegenposition zu der von Guazzo angeleiteten Bewunderung für die imitazione fantastica vorzustellen und zu wahren. Zu Guazzo gewandt erläutert Martinengo, dass er nach den Ausführungen zur imitazione fantastica »a capriccio« des Dichters nun an der Reihe sei, die Nachahmungsfrage auf seine Weise zu erörtern und zu einer gegenteiligen Antwort auf die Frage nach dem fine della pittura zu gelangen: »Ma bene stà, che voi habbiate considerata la natura dell’imitatione à vostro capriccio. Lasciate, che ancor io ne faccia consideratione à mio modo; & vedrete, che ne trarrò una conclusione, affatto alla vostra opposta, & contraria«.385 Im zweiten Teil des Dialogs ist Martinengo schließlich der dominante Sprecher und wendet die Aufmerksamkeit vom bewundernswert Unbestimmten einer fantastisch-grotesken Ästhetik der Malerei ab und richtet sie auf das ethisch-moralische Wissen, das Malerei im Stande ist zu vermitteln. Er betont, dass der diletto maßgeblich an den Wissensdrang der Menschen gebunden sei, wahre Freude bringen ihm zufolge sapere und scienza: »gli huomini si dilettano di sapere, & la scienza diletta: dunque il fine della scienza è ’l diletto.«386 Dieser Wissensdrang könne von Kunstwerken gestillt werden, die als imitazione icastica gemäß der katholischen Bilderlehre etwas zur Belehrung der Menschen darstellen: »Et perche l’imagini, essendo elleno imitationi, rallegrano, perciò sono mezi, & istromenti, che conducono all’intelligenza di quella cosa, che noi bramiam di sapere.«387 Der Weg zum Wissen führt gemäß Martinengo über die Evidenz des Bildes, seine Farb- und Imaginationskraft – wodurch sich letztlich diletto und utile als fine der Malerei einstellen: »così & i dotti, & gli idioti traggono utilità da quello, che loro dinanzi à gli occhi vien posto, per mezo 384 Nachdem Comaninis Gedichte fiktionsintern rezitiert wurden und bevor der zweite Teil des Dialogs mit einem Wechsel der Perspektive weg vom Lob der imitazione fantastica hin zum Lob der imitazione icastica beginnt und auch die Darstellungsmodi sowie die Verteilung der Sprecherrollen sich ändern, erläutert der Maler Figino noch einmal Arcimboldos Werke auf seine Art und Weise. Er stellt dabei v. a. Arcimboldos bewunderungswürdiges Naturstudium bei der Darstellung der Einzelteile der kompositen Köpfe heraus und schildert detailliert das Kompositionsverfahren und die Formanalogien der Einzelteile in ihren neuen Rollen als Partien eines menschlichen Gesichts. Siehe zu diesen Passagen ausführlich: Becker-Sawatzky, »Malerei vor Augen stellen & in Worte fassen«. 385 Comanini, Il Figino, S. 98. 386 Ebd., S. 90 f. 387 Ebd., S. 95 f.
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dell’imaginaria operation de’ colori«.388 Im Zusammenhang mit dem Perspektivwechsel und der Fokussierung der imitazione icastica im zweiten Teil des Dialogs ändern sich auch Sprachstil und Darstellungsmodus des Textes, der nun ohne Gedichtrezitationen in einer rein deduktiv verfahrenden Prosa gestaltet ist. Dabei werden die Wirkmacht und das epistemische Potential von Malerei nicht qua kunstvoller und Bewunderung auslösender Gedichte veranschaulicht, sondern mittels Aussagesätzen thematisiert und proklamiert sowie mittels einer Fülle von Belegbeispielen und dem Aufrufen von Autoritäten und etablierten Meinungen und Wissensbeständen dokumentiert.389 Mitunter werden dazu von Martinengo auch einzelne Verse aus Gedichten von angesehenen Gelehrten, Literaten und Theologen wie Francesco Petrarca, Dante Alighieri, Torquato Tasso, Jacopo Sannazaro, Horaz und Augustinus anzitiert. Sie sind aber nicht typographisch eingerückt und sie sind auch keine in sich geschlossenen Ekphrasen, die vorgetragen werden, sondern gelehrte Partikel, die der Argumentation Geltung verleihen. Der Bewunderung von monströsen Figuren und belle bruttezze im ersten Teil der Unterhaltung stellt Martinengo im zweiten Teil so bspw. eine kritische Haltung gegenüber und verweist u. a. auf Bernhard von Clairevaux’ Ablehnung von skulpturalen Darstellungen monströs-grotesker, lachhafter Figuren in Kirchenräumen des 12. Jahrhunderts und deren »deformis formositas ac formosa deformitas«.390 Im Zusammenhang des Fokus’ auf die Bestimmung der Malerei als imitazione icastica, die eben gerade auch über den christlichen Glauben belehren soll, wird das schöne Hässliche also abgelehnt. Generell sind Martinengos Ausführungen darauf konzentriert, v. a. christliche, ethisch-moralische Themen der Kunst sowie Fragen zu Allegorien und Dekorumsverstößen in sakraler Malerei zu adressieren und seine Meinung insbesondere für den Maler Figino didaktisch aufzubereiten.
388 Ebd., S. 129. 389 So rezitiert Martinengo z. B. eine Ekphrasis von Asterio, dem Bischof von Amaseia, die dieser zu einem Gemälde der Heiligen Eufemia formuliert habe, und belegt damit durch eine historische Autorität die affekthaltige Darstellung des Bildes vor seinen Gesprächspartnern: »Erano le goccie del sangue, che giù scorrevano, dipinte in maniera, che altri havrebbe giurato, che vive distillassero dalle labbra. […] Fin quì haveva il pittore adoperata la mano sopra la tavola: & fin quì formò le parole il Vescovo nella narratione di questa pittura: non rimanendo però di mischiare molte lagrime co’ suoi detti.« Ebd., S. 133. 390 Bernhard von Clairvaux fragte kritisch: »Quid facit illa ridicula monstruositas, mira quaedam deformis formositas ac formosa deformitas?« (»Was sollen jene grotesken Fabelwesen, jene außergewöhnlichen, unförmigen Schönheiten und jene schönen Unförmigkeiten?«). Zitiert nach: Hold, Eric, »›In spiritu et corpore‹. Affekt und Imagination romanischer Skulpturenräume«, in: Orte der Imagination – Räume des Affekts. Die mediale Formierung des Sakralen, hg. v. Elke Koch und Heike Schlie, Paderborn 2016, S. 215–250, S. 215. Siehe zu Bernhards Kritik auch: Benassi, »Il brutto e l’ignoto«, S. 358 ff.
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Doch auch in diesem Part des Dialogs werden Kategorien des Ingeniösen thematisiert. Diesmal ist es Figino, der das – in Comaninis Dialog begrifflich allererst entworfene – Konzept der sprezzatura artificiosa ins Spiel bringt und erläutert. Er beschreibt damit ein poetisches (aber auch aufs Bildkünstlerische übertragbares) Verfahren, das als gewitzte Brechung von Ausgewogenheit und Wohlproportioniertheit verstanden werden kann, als Einschub eines Störfaktors, der Monotonie auflöst und überrascht.391 Carlo Ossola hat darauf hingewiesen, dass eine solche sprezzatura artificiosa auch performativ vorgeführt wird, nämlich in Martinengos Beschreibung einer Landschaft als »vestita di tanta varietà d’herbe, alte, basse, aspre, molli, acute, ritonde, pungenti, feconde, sterili, dolci, amare, odorifere, sorgenti, serpeggianti«.392 Die Struktur der kontrapostischen Paarungen wird in der Aufzählung von vereinzelten, nicht korrespondierenden Begriffen unterbrochen. In der Reihe alte / basse, aspre / molli, acuti / ritonde ist pungenti bspw. die »parola dissimetrica«, die die Symmetrien unterbricht.393 Geprägt und prominent gemacht wurde die Kategorie der sprezzatura zu Beginn
391 Figino führt das Konzept wie folgt ein: »[I]l Poeta nella tessitura de’ suoi versi tempera l’asprezza di due parole col frametterne una dolce; così ’l Pittore fra due colori, che sieno estremi, sparge un colore mezano tra l’uno, & l’altro [.] [Il Poeta] fugge di rispondere à contraposto con contraposto: ma con una sprezzatura artificiosa aggiunge qualche parola nel rispondere alle prima dette, la quale non habbia di sopra alcuna corrispondenza.« Comanini, Il Figino, S. 232 f. 392 Ebd. S. 195. Siehe auch: Ossola, Autunno del Rinascimento, S. 138 f. 393 Ossola, Autunno del Rinascimento, S. 138 f. An einer vermittelten Reibung von Harmonie und Disharmonie in Metrik und Proportion war in Mailand zu Beginn des 16. Jahrhunderts auch bspw. der mit Leonardo da Vinci und Luca Pacioli in engem Austausch stehende Musiktheoretiker Franchino G affurio interessiert (siehe Kapitel 2.2 und 2.3). In seiner Schrift De Harmonia Musicorum Instrumentorum konstatiert er: »In consonant proportions there is friendship, in dissonant proportions the opposite occurs. Frequently some median proportion adjusts their unsuitability, as a dissonant interval which becomes consonant when placed in the middle.« Franchinus Gaffurius, De Harmonia Musicorum Instrumentorum Opus, eingel. und übers. v. Clement A. Miller, Neuhausen-Stuttgart 1977, Kapitel 16, S. 205. Dass Comaninis Konzeption der sprezzatura artificiosa durchaus in Auseinandersetzung mit musiktheoretischen Überlegungen zu Proportion und Metrik entstand, legt auch der Umstand nahe, dass am Ende des Figino die Dialogfigur des Malers über Arcimboldos Experiment des Entwurfs eines Farbenklaviers berichtet. Durch kalkuliertes Mischen von Schwarz und Weiß gemäß der Pythagoreischen Intervallskala habe Arcimboldo die Harmonie der Farben sichtbar gemacht. Arcimboldos Erfindungsgeist und technische Expertise werden dabei weiter untermauert und mit Wissen über mathematische Proportionen von musikalischen Intervallen fundiert. Siehe: Comanini, Il Figino, S. 244 ff. Vgl. hierzu auch: Caswell, Austin B., »The Pythagoreanism of Arcimboldo«, in: The Journal of Aesthetics and Art Criticism, 39/2 (1980), S. 155–161; Privitera, Massimo, »Pittori e musici nell’Italia del Cinque e Seicento«, in: Philomusica on-line, 13/1 (2014), S. 90–111, v. a. S. 97 ff.
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des 16. Jahrhunderts von Baldassare Castiglione in seinem Libro del Cortegiano. In dem fiktional am Urbiner Hof verorteten Dialog, in dem sich die Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer über den perfekten Hofmann unterhalten, wird die sprezzatura als Fähigkeit konzipiert, die eigene Kunstfertigkeit verbergen zu können und Kunst als Natur und als mühelos erscheinen lassen zu können; als solche wird sie zur unabdingbaren Eigenschaft eines idealen Hofmanns.394 Comanini transferiert die einschlägige Kategorie nun in seinen kunsttheoretischen Dialog. Er schreibt dem Konzept Castigliones dabei eine paradoxale Struktur ein, indem er die Natürlichkeit simulierende Kategorie der sprezzatura mit dem Adjektiv artificiosa kombiniert und demonstriert, dass »the obviously artful and the capricious have become part of a changing social and artistic aesthetic«, wie Ann Doyle-Anderson schreibt.395 Und während Leonardo in seinen theoretischen Reflexionen zur künstlerischen Poiesis die Maler Anfang des 16. Jahrhunderts anregt, die Vielfalt der »artificiosa natura« zu beobachten und aus ihr zu schöpfen, geht mit der sprezzatura artificiosa aus Comaninis Kunsttheorie am Ende des Cinquecento die Aufforderung einher, das scheinbar kunstlose Natürliche kunstvoll zu präsentieren.396 Das unauflöslich gedachte intrikate Wechselspiel von Kunst und Natur gerät damit insofern aus dem Gleichgewicht, als das artificioso neue Dominanz erlangt. Die neu ausgerichtete Verschränkung von Natürlichkeit und Künstlichkeit wird bereits im ersten Teil des Dialogs bei der Besprechung der capricci Arcimboldos thematisiert. Arcimboldos Werke wurden als überzeugende Naturstudien von bspw. Früchten oder Tieren und zugleich als kunstvolle Konfigurationen neuartiger, kapriziöser Gestalten besprochen und von den Dialogteilnehmern u. a. durch Ausrufe wie »[q]uanto naturale, & artificioso« gelobt.397 Ähnlich wie Vincenzo Danti in Il primo libro del trattato delle perfette proporzioni di tutte le cose che imitare e ritrarre si possono con l’arte del disegno (Florenz 1567) die proporzione 394 »[E], per dir forse una nova parola, usar in ogni cosa una certa sprezzatura, che nasconda l’arte e dimostri ciò che si fa e dice venir fatto senza fatica e quasi senza pensarvi. Da questo credo io che derivi assai la grazia.« Baldassar Castiglione, Il libro del Cortegiano, eingel. von Amedeo Quondam, komm. v. Nicola Longo, Mailand 2000, Kap. 26, S. 59 f. Vgl. auch Hempfer, Klaus W., »Rhetorik als Gesellschaftstheorie: Castigliones Il libro del Cortegiano«, in: Literarhistorische Begegnungen. Festschrift zum 60. Geburtstag von Bernhard König, hg. v. Andreas Kablitz und Ulrich Schulz-Buschhaus, Tübingen 1993, S. 103–122. 395 Doyle-Anderson, Ann, »Introduction«, in: Gregorio Comanini, The Figino, or on the Purpose of Painting. Art Theory in the late Renaissance, hg. und übers. v. ders. und Giancarlo Maiorino, Toronto 2001, S. IX–XVIII, S. XVI . 396 Siehe: Leonardo da Vinci, Codex Arundel (London, British Library, Arundel 263, f. 155r). Online einsehbar unter: http://www.leonardodigitale.com (zuletzt eingesehen am 10.12.2015). 397 Der bewundernde Ausruf kam von Martinengo. Siehe: Comanini, Il Figino, S. 25.
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artifiziosa konzipiert, die varietà ermögliche und eine seltene Schönheit (»rara bellezza«) in ungleichen Dingen (»cose ineguali«) hervorbringe, wandelt Comanini die etablierte Kategorie der sprezzatura im Zuge seiner Erörterung und Nobilitierung der imitazione fantastica, des maraviglioso und des capriccio.398 Dabei interessieren Comanini nicht mehr die mit der Kategorie der sprezzatura traditionell verbundenen Fragen nach einer durch grazia bestimmten Schönheit, sondern das Wunderbare und Fantastisch-Ingeniöse.399 Mit Blick auf beide Teile des Dialogs lässt sich konstatieren, dass Comaninis Dialog in seiner textuellen Verfasstheit und mit seinen unterschiedlichen Darstellungsmodi sowie mit der Pluralität von Perspektiven und Meinungen unterschiedliche Modi des Sprechens und Schreibens über Malerei und die epistemischen Dimensionen bild- und dichtkünstlerischer Konfigurierungen im ästhetischen Diskurs der Lombardei des ausgehenden Cinquecento vorstellt und zur Diskussion stellt. Dementsprechend endet der Dialog damit, dass Dichter, Maler und Theologe sich gegenseitig dafür danken, wieviel sie voneinander gelernt haben, und verabreden, sich vor der Abreise Guazzos und Martinengos aus Mailand unbedingt wiederzusehen und weiter auszutauschen. Die Analyse macht deutlich, dass Comaninis kunsttheoretischer Dialog eine wertvolle Ressource in der Erörterung des ästhetischen Diskurses der Lombardei des Secondo Cinquecento und der darin virulenten Thematik grotesker Ästhetik darstellt. Er gewährt inszenierte Einblicke in zeitgenössische, interdisziplinäre Debatten, Wahrnehmungsweisen und Wissensfragen und verhandelt qua unterschiedlicher Modi der Veranschaulichung und Gelehrsamkeit konträre bild- und dichtkünstlerische Nachahmungskonzepte und deren jeweilige epistemische Qualitäten, wobei ein besonderer Fokus auf Facetten, Strukturen und Potentialen grotesker Ästhetik liegt, auf capricci, maraviglie, monstri und belle bruttezze
398 Vgl. Ossola, Autunno del Rinascimento, S. 126 f. 399 Comaninis sprezzatura kann dabei eine wichtige Position im langfristigen Wandlungsprozess der sprezzatura und des nascondere l’arte zum mostrare l’arte und hin zur Fokussierung auf die bravura einnehmen, die die Künstlichkeit und den Regelbruch ostentativ nach außen kehrt und positiv bewertet. Nicola Suthor hat in ihrer eindringlichen Arbeit zur bravura gerade auch die Transferprozesse zwischen sprezzatura und bravura analysiert, Comaninis sprezzatura artificiosa allerdings nicht einbezogen. Comaninis Kombination von sprezzatura und artificio scheint jedoch ein spannungsreiches Moment markieren zu können im komplexen Prozess des Bedeutungs- und Funktionswandels der sprezzatura von Mühelosigkeit und gekonnter Natürlichkeit hin zu einem Fokus auf das Vorzeigen und Ausstellen der Kunst im ästhetischen Diskurs des Seicento. Vgl.: Suthor, Nicola, Bravura. Virtuosität und Mutwilligkeit in der Malerei der Frühen Neuzeit, München 2010, v. a. S. 9, 88–96. Zum Bedeutungswandel bzw. der semantischen Unbestimmtheit prominent gesetzter und mit Geltungsanspruch versehener ästhetischer Kategorien im kunsttheoretischen Diskurs siehe das nachfolgende Kapitel 5.1 mit einer Analyse der vaghezza.
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von imitazioni fantastiche. Nicht zuletzt spielt offenbar auch Comaninis heutzutage sehr viel prominenterer Freund Torquato Tasso mit seinem um 1592/1593 verfassten und 1660 erstmals posthum veröffentlichten, knappen Dialog Il Ficino ovvero dell’arte auf den kurz zuvor erschienenen Il Figino ovvero del fine della pittura an.400 In Tassos Ficino unterhalten sich zwei nach den beiden quattrocentesken Florentiner Neuplatonikern Cristoforo Landino und Marsilio Ficino benannte Figuren über die Definition von Kunst – mit Fokus auf der Dichtkunst – und erörtern das Verhältnis von Kunst und Natur, das auch in Comaninis Buch relevant gemacht und, wie beschrieben, neu austariert wird.401 Landino fragt im Ficino zu Beginn, was Kunst sei und welchem Zwecke sie diene und Ficino antwortet zuletzt, dass die Kunst der göttlichen Philosophie diene und dass ihr Ziel Wissen und Weisheit sei, letztlich ein Wissen über Gott, mit dem unauflöslich auch das Gefallen verbunden sei: »[E]’l suo fine, s’io non sono errato, non è il diletto, ma il sapere, o la Sapienza, o Dio stesso, che è la vera Sapienza, quantunque con questo fine inseparabilmente sia congiunto il piacere.«402 Sichtweise und Argumente von Comaninis Dialogfigur Martinengo werden in der neuen Gesprächsrunde aufgegriffen, wobei die Antwort, dass der sapere über das Göttliche und nicht der diletto das fine der Kunst sei und dieses Wissen zugleich unauflöslich mit piacere verbunden sei, in Tassos Dialog als unangefochtene Erkenntnis präsentiert wird.
400 Zur Datierung und für einen knappen Verweis darauf, dass Tasso durch seinen Freund Comanini und dessen kunsttheoretischen Dialog inspiriert wurde, seinen Dialog Il Ficino zu verfassen, siehe: Patterson, Annabel M., »Tasso and Neoplatonism: The Growth of His Epic Theory«, in: Studies in the Renaissance, 18 (1971), S. 105–133, S. 114, Anm. 18. Zu überschneidenden Interessen und Fragestellungen Tassos mit spätcinquecentesker Kunsttheorie, v. a. Lomazzos und Federico Zuccaros, siehe: Williams, Robert, Art, Theory, and Culture in Sixteenth-Century Italy. From Techne to Metatechne, New York 1997/2010, S. 150 f. 401 Tasso, Torquato, »Il Ficino ovvero dell’arte. Dialogo«, in: Delle opere di Torquato Tasso: con le controversie sopra la Gerusalemme liberata, e con le annotazioni intere di vari autori, notabilmente in questa impressione accresciute, Steffano Monti, Venedig 1735–1742, Bd. 7, S. 3–15. Siehe zu Tassos Dialog weiterführend: Peterson, Thomas, »I Dialoghi di Torquato Tasso come momento conclusivo della paideia cinquecentesca«, in: Il sapere delle parole. Studi sul dialogo latino e italiano del Rinascimento, hg. v. Walter Geerts, Annick Paternoster und Franco Pignatti, Rom 2001, S. 175–190, S. 186; Cropper, Elizabeth, »L’Idea di Bellori«, in: L’Idea del Bello. Viaggio per Roma nel Seicento con Giovan Pietro Bellori, Ausst. kat., hg. v. Evelina Borea und Carlo Gasparri, Bd. 1, Rom 2000, S. 81–86, S. 82; Münchberg, Katharina, »Immanenz. Torquato Tassos Entdeckung eines ästhetischen Grundbegriffs«, in: Mimesis – Repräsentation – Imagination. Literaturtheoretische Positionen von Aristoteles bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, hg. v. Jörg Schönert und Ulrike Zeuch, Berlin 2004, S. 151–166, hier v. a. S. 158 f. 402 Tasso, »Il Ficino ovvero dell’arte«, S. 15.
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Nach der Zusammenschau von Theorie und Praxis grotesker Ästhetik, der Analyse ihres Facettenreichtums sowie ihrer beachtlichen Virulenz und wissensgeschichtlichen Relevanz im ästhetischen Diskurs des lombardischen Cinque cento geht es im nachfolgenden Kapitel um den Bereich der Theoriebildung, mit dem Groteskes in produktiver Reibung steht, nämlich um das begrifflich nicht gänzlich fassbare Schöne in den bzw. der Bildkünste / n, das mit seinem Surplus normierende Maßstäbe setzt. Dieser Thematik wird sich über Stilfragen und -konzeptionen angenähert, über die Analyse einer ästhetischen Kategorie und ihrer kontextabhängigen semantischen Kodierungen sowie über Diskursivierungsstrategien von vaghezza und maniere.
5. Vaghezza & maniere – Eine ästhetische Kategorie elusiven Wissens und Konzeptionen künstlerischer Stile in Mailand und Cremona während des Secondo Cinquecento
In diesem Kapitel werden Konzeptionen, Funktionsweisen und Bestimmungsversuche von vaghezza und bildkünstlerischen maniere in Giovan Paolo Lomaz zos Trattato dell’arte della pittura (1584) und Idea del tempio della pittura (1590) sowie in Alessandro Lamos Discorso intorno alla scoltura et pittura (1584) untersucht. Damit werden in Verschränkung miteinander Themen und Fragen bezüglich des Schönen und des qua Malerei sinnlich Manifest- bzw. Anschaulich- und Erfahrbar-Werdens von Schönheit sowie Vorstellungen von künstlerischen Begabungen, Imaginationskraft, Urteilsfähigkeit, Gelehrsamkeit und Kunstfertigkeit der Kunstschaffenden zur Sprache kommen. Es wird um Korrelierungen von Stil- und Wissensfragen gehen und letztlich ebenso um die Verwobenheit von Begriffsdebatten und Stilkonzeptionen bzw. die Bedingtheit von begriffssprachlichen Stilentwürfen, die aufgrund ihrer medialen und materialen Differenz sowie aufgrund verschiedenartiger Bedingungszusammenhänge unweigerlich in einem spannungsreichen Verhältnis zur bildkünstlerischen Praxis und deren gestalterischen Konkretionen stehen. Vaghezza gehört einem Kreis von Kategorien und Konzepten frühneuzeit licher Theoriebildung an, denen seit einigen Jahren in der Forschung ein wachsendes Interesse als eben solchen Kategorien und Konzepten zukommt, mit denen »im Modus der begriffsbestimmten, theoretischen Diskursivität ein ästhetisches Phänomen zu profilieren [gesucht wird], dessen Bestimmung essentiell in seiner irreduziblen Unausschöpflichkeit und unsagbaren Nichtbegrifflichkeit bestand«, wie Klaus Krüger es mit Blick auf die »Denkfigur der grazia« formuliert.1 Insbesondere zur grazia, aber auch zum non so che liegen in diesem Interessenszusammenhang mittlerweile sehr anregende und fundierte Studien vor, in denen Systemstellen, Beurteilungen und Geltungsansprüche gewisser Konzepte bzw. Vorstellungen von Unbestimmtheit thematisiert und se1 Krüger, Klaus, Grazia. Religiöse Erfahrung und ästhetische Evidenz, Göttingen 2016, S. 62.
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mantische Wandlungsprozesse sowie Diskursinterferenzen nachvollzogen werden.2 Ulrike Schneider zeigt bspw., wie im Kontext ästhetischer Theoriebildung die frühneuzeitliche grazia als »irreduzibles, rational-diskursiv uneinholbares surplus« zum ›Würzen‹ und Perfektionieren von Schönheit in Erscheinung tritt.3 Zugleich war diese Kategorie von einer starken semantischen Variabilität je nach 2 Zum non so che und seinen europäischen Verwandten siehe: Köhler, Erich, Je ne sais quoi. Ein Kapitel aus der Begriffsgeschichte des Unbegreiflichen«, in: Romanistisches Jahrbuch, 6 (1953/1954), S. 21–59; Natali, Giulio, »Storia del ›non so che‹«, in: ders., Fronde sparse. Saggi e discorsi (1947–1959), Padua 1960, S. 39–49; Cropper, Elizabeth, »The Place of Beauty in the High Renaissance and its Displacement in the History of Art«, in: Place and Displacement in the Renaissance, hg. v. Alvin Vos, Binghamton / New York 1995, S. 159–205; Sohm, Philip, »Gendered Style in Italian Art Criticism from Michelangelo to Malvasia«, in: Renaissance Quarterly, 48/4 (1995), S. 759–808; Scholar, Richard, The Je-Ne-Sais-Quoi in Early Modern Europe. Encounters with a Certain Something, Oxford 2005; Schneider, Ulrike, »(Nicht)Wissen? Relevanz und Modalitäten elusiven Wissens in Ästhetik und Verhaltenslehre der Frühen Neuzeit«, in: Dynamiken der Negation – (Nicht)Wissen und negativer Transfer in vormodernen Kulturen, hg. v. Şirin Dadaş und Christian Vogel, Wiesbaden 2021, S. 43–72, hier v. a. S. 56–60. Zur grazia siehe: Monk, Samuel Holt, »A grace beyond the reach of art«, in: Journal of the History of Ideas, 5 (1944), S. 131–150; Emison, Patricia, »Grazia«, in: Renaissance Studies, 5 (1991), S. 427–460; Jacobs, Frederika H., »Aretino and Michelangelo, Dolce and Titian: ›Femmina, Masculo, Grazia‹«, in: The Art Bulletin, 82/1 (2000), S. 51–67; Müller-Hofstede, Ulrike, »›Grazia‹«, in: Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen – Methoden – Begriffe, hg. v. Ulrich Pfisterer, Stuttgart 2003, S. 132–136; Mac Carthy, Ita, »Grace«, in: Renaissance Keywords, hg. v. ders., London 2013, S. 63–78; Krüger, Grazia; Eusterschulte, Anne / Schneider, Ulrike (Hgg.), Gratia. Mediale und diskursive Konzeptualisierungen in Mittelalter und Früher Neuzeit, Wiesbaden 2018. Für den Versuch einer Zusammenführung von Begriffs- und Bildanalyse am Beispiel der grazia, venustà und Kunst Raffaels siehe: Arasse, Daniel, »Raphaël sans venustà«, in ders., Désir sacré et profane. Le corps dans la peinture de la Renaissance italienne, hg. v. Maurice Brock, Paris 2015, S. 119–138. Zur Problematik einer werkkonkreten Deutung mithilfe von historischen Denkfiguren wie jenen der grazia bzw. zur Beschreibungskompetenz der ästhetischen Kategorie grazia in kunsthistorischen Werkanalysen sei jedoch sogleich auch eine Anmerkung Klaus Krügers zitiert: »Dass grazia in der Kunsttheorie der Frühen Neuzeit zu einer fundamentalen Leitkategorie der ästhetischen Bedeutungs- und Wertzumessung wird, dabei jedoch gerade nicht die Erwartung einer empirisch, nämlich in den Kunstwerken selbst authentifizierbaren und analytisch benenn- und beschreibbaren Gestalterscheinung oder Darstellungsform erfüllt, dass sie also für das Verständnis und die Interpretation einzelner, faktischer Gemälde und für ihre werkspezifische Erschließung methodisch nicht eigentlich in Anschlag zu bringen ist, stellt auch für die Frage nach dem kunsthistorischen Umgang mit ihr, also nach ihrer plausiblen Anwendbarkeit bei der konkreten Erklärung und Deutung von Bildern eine hermeneutisch nicht unerhebliche Herausforderung dar. Denn im Kern wird dabei eine weitaus grundsätzlichere Frage virulent, nämlich diejenige nach dem Verhältnis, das zwischen theoretischem Diskurs und ästhetischer Konkretion besteht[.]«. Krüger, Grazia, S. 123 f. 3 Schneider, Ulrike, »Vom Wissen um gratia. Strategien der Diskursivierung elusiven Wissens in der Frühen Neuzeit«, in: Gratia. Mediale und diskursive Konzeptualisierungen ästhetischer Erfahrung in der Vormoderne, hg. v. Anne Eusterschulte und ders., Wiesbaden 2018, S. 89–105, S. 101.
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Kontext bzw. gar einem Deutungsgerangel geprägt. In seiner cinquecentesken Schrift zur beltà und grazia weist etwa der Florentiner Gelehrte Benedetto Varchi explizit daraufhin, dass er nicht einfach allgemein von grazia rede, sondern ›von einer gewissen grazia‹ (»›una certa grazia‹«), da mit grazia generell sehr unterschiedliche Qualitäten bezeichnet werden können.4 Ita Mac Carthy konstatiert dementsprechend: »The artists’ competition for grace did not involve, therefore, conforming to some universal understanding of what it might mean. It involved, rather, exemplifying competing interpretations of the word«.5 Die Kombination von hoher Bedeutungsvarianz und zugleich einer starken Präsenz und Relevanz spielt auch für die vaghezza als ästhetische Kategorie eine große Rolle, wie die nachfolgende Analyse zeigen wird. Es wird dabei zudem deutlich werden, dass im Falle der vaghezza nicht allein semantische Varianz und einschlägige Relevanz, sondern gerade auch Ambiguität von Bedeutung sind und dabei sowohl positive, als auch negative Beurteilungen in Anschlag gebracht werden. Will man das Wortfeld der vaghezza mit den Verben vagare, vagheggiare und dem Adjektiv vago / a erläutern und übersetzen, so reichen die Möglichkeiten vom Umherschweifen übers Unstete, Ungewisse, Vage und Unscharfe hin zur Anmut und zum Liebreiz, zur Sehnsucht bzw. sich Sehnen oder Verlangen sowie Verliebtsein, von eng geknüpften Assoziationen mit sinnlich wahrnehmbarer Schönheit oder auch grazia sowie leggiadria über weitreichende Korrelationen mit Freude und Lust sowie dem versunkenen Blick eines Liebenden hin zur »unentschlossene[n] Bewegung einer Person, die ohne Ziel umherwandert und sich von ihren Impulsen leiten lässt«.6 Zu fragen ist, inwiefern und mit welcher Motivation vaghezza in den jeweiligen Kontexten, in denen sie eingesetzt 4 Varchi schreibt: »E se alcuno mi dimandasse perch’io nella diffinizione della bellezza non ho detto ›grazia‹ (semplicemente, ma ›una certa grazia‹), risponderei: ›Per dichiarar meglio di qual grazia intendea‹, cioè di quella che diletta e muove ad amar, consciossia che noi chiamiamo grazia molte altre qualità che dilettano, ma non già muovono ad amare, come quando dichiamo ›il tale ha grazia nel leggere, e l tale nello scriver‹«. Varchi, Benedetto, »Libro della beltà e grazia«, in: Scritti d’arte del Cinquecento, hg. v. Paola Barocchi, Bd. 2, S. 1671–1681, S. 1680 f. 5 Mac Carthy, »Grace«, S. 64. Die dezidierte Kontextabhängigkeit und komplexe Bedeutungsvarianz nicht nur der grazia, sondern auch anderer einschlägiger ästhetischer Kategorien jenseits einer Normierung thematisieren bspw. auch Elisabeth Oy-Marra, Marieke von Bernstorff und Henry Keazor in dem von ihnen edierten Sammelband zu Schlüsselbegriffen in Giovan Pietro Belloris Viten und Texten zur Kunst des Seicento. Oy-Marra, Elisabeth / von Bernstorff, Marieke / Keazor, Henry, »Einleitung. Begrifflichkeit, Konzepte, Definitionen: Schreiben über Kunst und ihre Medien in Giovan Pietro Belloris Viten und der Kunstliteratur der Frühen Neuzeit«, in: Begrifflichkeit, Konzepte, Definitionen: Schreiben über Kunst und ihre Medien in Giovan Pietro Belloris Viten und der Kunstliteratur der Frühen Neuzeit, hg. v. dens., Wiesbaden 2014, S. 1–16, hier v. a. S. 2–5, 16. 6 Zum Zitat siehe: Steinhardt-Hirsch, Claudia, Correggios La Notte. Ein Meisterwerk der italienischen Renaissance, München 2008, S. 114; vgl. generell zu den Bedeutungsdimen-
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wird, konkretisiert bzw. wie sie semantisch aufgeladen und konnotiert wird. In den bisherigen Forschungsbeiträgen zur vaghezza im ästhetischen Diskurs des Cinquecento wurden weitestgehend rein positive Bedeutungsdimensionen und Beurteilungen dieser ästhetischen Kategorie fokussiert, Assoziationen mit grazia und leggiadria hervorgehoben und vaghezza im Kontext stilisierter Rivalität von colorito und disegno zur Sprache gebracht.7 Generell jedoch liegen zur vaghezza als ästhetische Kategorie vergleichsweise wenige intensive Studien vor; grundlegend ist dabei weiterhin Angela Castellanos kleine Begriffsgeschichte von 1963, in der historische Wandlungsprozesse und semantische Verschiebungen in Dichtung und Kunsttheorie skizziert werden.8 Castellano zufolge sind für die Kodierungen bzw. Konnotationen des Wortfeldes vago / vaghezza in frühneuzeitlicher ästhetischer Theoriebildung v. a. der Einsatz in Liebesdichtung und Texten zur weiblichen Schönheit (v. a. Agnolo Firenzuolas Dialogo delle bellezze delle donne, 1541) prägend. In diesen Zusammenhängen wird vaghezza insbesondere zur Beschreibung von Sehnsucht, Verliebtsein, Süße und Verlangen sowie für Beschreibungen eines einnehmenden, faszinierenden Verhaltens von Frauen und weiblicher Schönheit produktiv gemacht, zugleich aber ebenso zur Beschreibung von Farben und deren semantischen Aufladungen, Wirkungsästhetik, Wandelbarkeit bzw. schwerer präziser Bestimmbarkeit eingesetzt.9 Während die Kategorie im Trecento und zu Beginn des Quattrocento nicht selten negativ sionen des Wortfeldes Wörterbucheinträge wie den folgenden: Zingarelli, Nicola (Hg.), Lo Zingarelli. Vocabulario della lingua italiana, Bologna 2004, S. 1976. 7 Siehe z. B.: Sohm, Philip, Style in the Art Theory of Early Modern Italy, New York 2001, S. 244; Pederson, Jill, The Academia Leonardi Vinci. Visualizing Dialectic in Renaissance Milan (1480–1499), Baltimore 2007, S. 253; Steinhardt-Hirsch, Correggios La Notte, S. 97 ff., 114 ff.; Krüger, Grazia, S. 64–67. 8 Siehe: Castellano, Angela, »Storia di una parola letteraria: it. Vago«, in: Archivio Glottologico Italiano, 48 (1963), S. 126–169. Für eine philosophische Erörterung der vaghezza siehe: Paganini, Elisa, La vaghezza, Rom 2008; Paganini sieht die vaghezza als philosophisches Problem im Sinne einer Absenz von klaren Grenzen, die überall in der Alltagssprache gegenwärtig sei. Siehe ebd., S. 15. Siehe für eine begriffsgeschichtlich-philosophische Betrachtung zudem: Müller, Ernst / Schmieder, Falko, Begriffsgeschichte und historische Semantik. Ein kritisches Kompendium, Frankfurt am Main 2016, S. 609–614. Für eine sprachwissenschaftliche Auseinander setzung mit dem Konzept der vaghezza siehe den Band: Albano Leoni, Federico / Gambarara, Daniele / Gensini, Stefano / Lo Piparo, Franco / Simone, Raffaele (Hgg.), Ai limiti del linguaggio. Vaghezza, significato e storia, Rom 1998. 9 Siehe: Castellano, »Storia di una parola«, v. a. S. 140 ff., 151 f. Vgl. auch: Grassi / Pepe, Dizio nario dei termini artistici, S. 1031; Sohm, »Gendered Style«, S. 761, 768; Feser, Sabine / Lorini, Victoria, »Glossar«, in: Die Anfänge der Maniera Moderna. Giorgio Vasaris Viten Proemio, Leonardo, Giorgione, Correggio, übers. und bearbeitet v. dens., unter wissenschaftlicher Leitung von Alessandro Nova, hg. v. Kunstgeschichtlichen Institut der J ohann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Hildesheim / Zürich / New York 2001, S. 145–244, S. 238 f.; Steinhardt-Hirsch, Correggios La Notte, S. 97 ff.; Krüger, Grazia, S. 63–67.
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konnotiert war und mittels der vaghezza Frauen in Differenz zum männlichen Geschlecht als unbeständig, wankelmütig und irrational diskreditiert wurden, beobachten die bisherigen Forschungsbeiträge hinsichtlich des Gebrauchs der Kategorie im ausgehenden Quattrocento und im Verlauf des Cinquecento in den umrissenen Einsatzbereichen v. a. positive Bedeutungsgehalte und fassen dabei die Prägung der vaghezza als anziehende, begehrenswerte weibliche Schönheit in Firenzuolas Dialog als maßgeblichen Impuls der positiven Neubewertungen auf.10 In ihren einschlägigen Forschungen zu Schönheitskonzepten jener Zeit legen insbesondere Philip Sohm und Elizabeth Cropper dar, dass Konzeptionen weiblicher Schönheit mit der vaghezza – wie jene im Dialogo delle bellezze delle donne – in der ästhetischen Theoriebildung des 16. Jahrhunderts schließlich vermehrt mit der Schönheit der Malerei korreliert wurden.11 Eine systematische Zusammenschau, in der Anwendungsfälle der vaghezza jeweils im konkreten Zusammenhang der unterschiedlichen Beiträge textverfasster Theorie zu den Bildkünsten eingehender untersucht und auf Funktionalisierungen in je spezifischen Kontexten hin befragt werden, steht jedoch aus. Auch im Rahmen des vorliegenden Kapitels kann derartiges nur ansatzweise und exemplarisch anhand der vergleichenden Analysen von Lomazzos Trattato und Idea sowie Lamos Discorso geleistet werden. Doch bereits diese ausschnitthafte Aufarbeitung von konkreten Texten und ihren Kontexten wird verdeutlichen, dass vaghezza, vagare bzw. vago / a auch im Cinquecento nicht nur als »l’epiteto più atto a definire le qualità estetiche dell’arte della pittura« zu fassen sind.12 Die Fallstudien werden vielmehr zeigen, dass die Kategorie bzw. das Wortfeld im lombardischen Diskurszusammenhang durchaus umstritten und schillernd zur Sprache gebracht und zur Debatte gestellt wird. Zugleich erweist sich vaghezza mehrfach als mit bestimmten Strategien der Stil- und Theoriebildung verschränkt und in jenen Fällen anders kodiert als in den beobachteten vereinzelten Versuchen einer gegenstandsfokussierten, konkreten Bildbeschreibung. Mit den Analysen wird es mithin freilich auch darum gehen, welche Qualitäten bzw. Eigenschaften und ästhetischen Praktiken mit der Kategorie der vaghezza gefasst und welche epistemischen Dimensionen mit ihr verknüpft werden und welcher Geltungsanspruch der vaghezza dabei zugeschrieben wird. Begegnet wird im Zuge dessen den Fragen, ob, inwiefern bzw. in welchen Fällen man bei der v aghezza in historischer Perspektive von einem, wie Gottfried Boehm es formuliert, »›defizitäre[n]‹ Konzept« sprechen kann bzw. sollte oder aber von einem Konzept 10 Vgl. z. B. Steinhardt-Hirsch, Correggios La Notte, S. 114 f. Zu Firenzuolas Begriffsprägung siehe auch: Sohm, »Gendered Style«. Vgl. generell zur Beobachtung vornehmlich positiver Valenzen der Kategorie zudem: Castellano, »Storia di una parola«. 11 Siehe: Sohm, Style, S. 244; Feser / Lorini, »Glossar«, S. 238 f.; Cropper, »The Place of Beauty«. 12 Zum Zitat siehe: Castellano, »Storia di una parola«, S. 161.
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des Überschusses, dessen epistemische Dimension des Schwer-Greifbaren und Unbestimmten epistemologisch mit dem Konzept elusiven Wissens adäquater erörtert und gefasst wird.13 Und auch wenn es womöglich, wie Boehm bei seiner Erwähnung frühneuzeitlicher ästhetischer Konzepte des Unbestimmten wie vaghezza oder dem ›Je ne sais quoi‹ feststellt, »keine Möglichkeit [gibt], den Grad des Unbestimmten zu mindern oder gar durch Bestimmung angemessen zu ersetzen«, gilt es dennoch Versuche des Einkreisens und Abfederns bzw. des kritischen Reflektierens und Eruierens sowie Validierens von Unbestimmtheit im Falle einer im historischen Diskurszusammenhang derart wirkmächtigen, einschlägigen und geltungsstarken Kategorie wissensgeschichtlich zu begreifen.14 Mit dem zweiten Teil des titelgebenden Wortpaares für dieses fünfte Kapitel, den maniere, sind schließlich Stilfragen – bzw. in einem vielfältigen Sinne von Stil gefasste Fragen – markiert, die im Zuge der Fallstudien auf unterschied lichen Ebenen und in unterschiedlichen Konzeptionsweisen erörtert werden.15 Während im Quattrocento Vorstellungen von Personalstilen ausgestaltet wurden, Filarete sich bildkünstlerische Stile bspw. ähnlich einer je eigenen Handschrift vorstellte und ein Agent des Mailänder Herzogs für die Wahl geeigneter Maler zur Ausstattung der Certosa di Pavia um 1490 in einem Brief aus Florenz Unterscheidungsmerkmale der Malerei von Sandro Botticelli, Filippino Lippi, Ghirlandaio und Perugino begrifflich zu konturieren suchte, waren es im Verlauf des Cinquecento zunehmend insbesondere auch Vorstellungen bzw. Konzeptionen von Regionalstilen, die die Debatten prägten.16 Maniera avanciert im 13 Zum Konzept elusiven Wissens siehe Kapitel 1.1. 14 Boehm, Gottfried, Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens, Berlin 2008, S. 199 f. 15 Stil wird sich im Zuge der Fallstudien als ein dynamisches Konzept erweisen, das auf unterschiedliche Weise funktionalisiert wird. Zur Orientierung lässt sich einleitend auf annäherungsweise Formulierungen wie die Stephen Campbells hinweisen, der Stil u. a. als »studied distinctness of rendering form« beschreibt. Campbell, The Endless Periphery, S. 50. Zugleich ist bspw. auf Philip Sohms differenzierte Problematisierung jeglicher feststellender Definition des Stilbegriffs im frühneuzeitlichen kunsttheoretischen Diskurs zu verweisen. Um einen Einblick in Sohms anregende Auseinandersetzung mit Stil zu geben, sei folgende Passage zitiert: »Instead of trying to capture an ur-style or defining a conceptual hierarchy for style, I have asked how its antinomous divisions and frag menting undercurrents can help to illuminate the problem of style. Style is commensurate and ineffable; it is individual and categorical; it is beauty and distortion; it is individual and collective; it surpasses nature and hence is superior to it but also deviates from nature and hence is inferior: by twisting nature, it creates a new nature.« Sohm, Style, S. 85. Zu bildkünstlerischem Stil siehe zudem den einschlägigen Forschungsbeitrag von: Pfisterer, Ulrich, Donatello und die Entdeckung der Stile 1430–1445, München 2002. 16 Zur Vorstellung von Personalstilen im Quattrocento siehe: Pfisterer, Donatello, hier v. a. S. 63–67. Zu Filarete und der Verlagerung der Debatte über Personalstile zu Debatten über Regionalstile siehe: Campbell, The Endless Periphery, S. 37, 145. Zum Brief des Agenten des Mailänder Herzogs siehe: Baxandall, Michael, Die Wirklichkeit der Bilder. Malerei und Erfahrung im Italien des 15. Jahrhunderts, Zürich 1988, S. 36 f. Campbell betont zudem,
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ästhetischen Diskurs so zu einem vielfältigen Begriffskonzept, das bspw. insbesondere in Giorgio Vasaris Vite produktiv gemacht wird und je nach Kontext zur Bezeichnung von Personalstilen und individuellen Arbeitsweisen, aber auch zur Konzeption und Benennung regionaler sowie epochaler Stile eingesetzt wird.17 Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist Thomas Ketelsens Interpretation von maniera bei Vasari »als das zu beurteilende Herstellungswissen« im künstlerischen Schaffensprozess.18 Dabei präsentiert sich Vasari als eben jener, der ein fundiertes Wissen der maniere hat und somit die Kompetenz, Malerei zu beurteilen. Maniera ist für den toskanischen Künstler und Kunsttheoretiker letztlich, wie Philip Sohm schlüssig darlegt, ein »epistemological tool«, mit dem er seine Kunstgeschichte konstruiert und ordnet.19 Als ein solches epistemologisch relevantes Begriffs- bzw. Konstruktionswerkzeug wird maniera in den nach folgenden Fallbeispielen relevant werden, deren Akteure sich im Besonderen auch mit Vasari auseinanderzusetzen hatten.
dass die Terminologie des Mailänder Botschafters »(with one exception, a few remarks on Angelico, Masaccio, and Castagno by Cristoforo Landino from the 1480s) […] unparalleled in Florentine records« sei. Campbell, The Endless Periphery, S. 16. 17 Siehe: Sohm, Style, S. 86 f. Maniera wird in Vasaris Viten 1304 mal verwandt. Siehe: Aurenhammer, Hans, »Manier, Manierismus, maniera. Zur Geschichte eines kontroversen Begriffs«, in: Maniera. Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici, hg. v. Bastian Eclercy, München / London / New York 2016, S. 15–23, S. 20. Zum Begriff der maniera in Differenz zur Epochenbezeichnung Manierismus bzw. zur Problematik einer Engführung des Manierismus-Begriffs mit dem maniera-Begriff des 16. Jahrhunderts siehe: Aurenhammer, »Manier, Manierismus, maniera«; sowie: Sohm, Style, S. 88. Generell zur Debatte um den Manierismus-Begriff siehe den interdiszipli nären Band von Bernhard Huss und Christian Wehr, in dem auch Aurenhammers Beitrag erschien und in dem u. a. ein konziser Forschungsüberblick sowie eine Skizzierung der sich gegenüberstehenden Konzepte eines historischen und eines typologischen Manieris mus-Begriffs vorzufinden sind: Huss, Bernhard / Wehr, Christian, »Zur Einführung: Die Problemstellung ›Manierismus‹«, in: Manierismus. Interdisziplinäre Studien zu einem ästhetischen Stiltyp zwischen formalem Experiment und historischer Signifikanz, hg. v. dens., Heidelberg 2014, S. 11–18; Regn, Gerhard, »Manierismus: Kritik eines Stilbegriffs«, in: Manierismus. Interdisziplinäre Studien zu einem ästhetischen Stiltyp zwischen formalem Experiment und historischer Signifikanz, hg. v. Bernhard Huss und Christian Wehr, Heidelberg 2014, S. 19–44. 18 Ketelsen, Thomas, »Die Künstler-Viten Giorgio Vasaris als Wissensform und als Wissenschaftssteuerung«, in: Die Vita als Vermittlerin von Wissenschaft und Werk. Form- und Funktionsanalytische Untersuchungen zu frühneuzeitlichen Biographien von Gelehrten, Wissenschaftlern, Schriftstellern und Künstler, hg. v. Karl Enenkel und Claus Zittel, Berlin 2013, S. 331–343, S. 341. 19 Sohm, Style, S. 86.
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5.1 Vaghezza ordinata in Lomazzos Trattato dell’arte della pittura (1584) Um Giovan Paolo Lomazzos und Alessandro Lamos Gebrauchsweisen des Wortfeldes bzw. der Kategorie vaghezza nicht isoliert, sondern im weiter gesteckten Kontext anderer einschlägiger Beiträge des ästhetischen Diskurses zu erfassen, wird mit einer kleinen Zusammenschau des Auftretens von vaghezza, vaga / o und vagare im Zusammenhang mit Malereibetrachtungen während des Quattro- und Cinquecento begonnen. Diese Skizze wird bereits gemeinsam mit den einleitenden Bemerkungen zum Forschungsstand zur vaghezza schlaglichtartig eine Vielfalt von Anwendungsweisen beleuchten. Schlaglichter auf vaghezza und vago in textverfasster Theorie ›vor‹ Lomazzo und Lamo In Leon Battista Albertis Della pittura (1435/36) bezeichnet vaghezza bspw. bei der Beschreibung der bildkünstlerischen Darstellung einer stehenden Figur eine gänzlich positiv besetzte sinnliche Qualität der bellezza, die zum rechten Maß der Figur und dem Naturstudium hinzutreten solle und mittels derer die emulatio der Natur möglich werde.20 Gemäß Alberti ist es daher förderlich, stetig »molta vaghezza« zu üben und zu erlernen – mit Studium und Fleiß (»con istudio e con industria«).21 An einen konkreten Gestaltungsbereich der Malerei gekoppelt kommt die vaghezza wiederum in einer Passage von Filaretes libro architettonico zum Tragen. Dort heißt es, sie werde im wirkmächtigen und gekonnten Umgang mit Farben, dem Wissen der Farbgebung, erfahrbar: »è tanto la forza e la vaghezza che dà all’occhio questo sapere mettere e’ colori«.22 Die Verbindung von vaghezza und Farbgebung findet sich ebenfalls in einem Vers von Giovanni Santis Cronaca des Urbiner Herzogs Federigo di Montefeltro; dort ist bei der Beschreibung der Malpraxis Santis lobend vom »vago colorire« in Kombination mit »diligentia« die Rede: »Poi diligentia e vago colorire / Cum 20 Alberti schreibt: »E di tutte le parti li piacerà non solo renderne similitudine, ma più aggiungervi bellezza, però che nella pittura la vaghezza non meno è grata che richiesta. A Demetrio, antiquo pittore, mancò ad acquistare l’ultima lode che fu curioso di fare cose assimigliate al naturale molto più che vaghe. Per questo gioverà pigliare da tutti i belli corpi ciascuna lodata parte. E sempre ad imparare molta vaghezza si contenda con istudio e con industria.« Alberti Leon Battista, Della Pittura. Über die Malkunst, hg., eingel., übers. und komment. v. Oskar Bätschmann und Sandra Gianfreda, Darmstadt 20023, S. 156; für die deutsche Übersetzung siehe ebd., S. 157. 21 Siehe die in der vorigen Anmerkung zitierte Passage. 22 Antonio Averlino genannt il Filarete, Trattato di Architettura, hg. v. Anna Maria Finoli und Liliana Grassi, Bd. 2, Mailand 1972, S. 650–665, Incipit des 23. Buches, S. 663.
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tucti i termini suoi e varij distanzi / Moventia de disegnio e fa stupire.«23 Des Weiteren beschreibt Leonardo mit dem Adjektiv vago Farben bzw. eine Art der Farbgebung. Im Kontext des agonalen Paragone zwischen Malerei und Skulptur schreibt er z. B., dass der Maler anders als der Bildhauer nicht im Marmorstaub sitzend arbeite, sondern gut gekleidet in seinem mit Musik erfüllten Atelier den Pinsel leichthändig mit »vaghi colori« führe.24 Die »vari e vaghi colori« sind es dann auch, die laut Leonardo die Glasmalerei gegenüber der Bronzeskulptur auszeichnen.25 Außerdem charakterisiert Leonardo mit vago eine bestimmte, für den pittore empfehlenswerte Verhaltensweise und Arbeitshaltung. In einer Passage im Manuskript A (und beinah gleichlautend im Libro di pittura des Codex Urbinas) bespricht er, wie man Figuren in istorie gut zu komponieren lernt; in diesem Zusammenhang fordert er den Maler auf, bei Unterhaltungen »vago« zu sein, und aufmerksam Haltungen und Verhalten der Gesprächspartner zu studieren.26 An anderer Stelle desselben Manuskripts rät Leonardo dem pittore zudem, »vago« und geduldig beim Anhören anderer Meinungen zu sein und Kritik an der eigenen Kunst ernsthaft abzuwägen.27 Zudem ermuntert er den Maler, beim Zeichnen bzw. Malen nach der Natur »vago« zu sein und Übung
23 Santi, Giovanni, Federigo di Montefeltro Duca di Urbino Cronaca. Nach dem Cod. Vat. Ottob. 1305, hg. v. Heinrich Holtzing, Stuttgart 1893, libro XXII, Cap. XCVI, Vers 86, S. 188. Siehe zu Santis Cronaca und diesen Versen auch: Boskovits, Miklos,»Quello ch’e dipintori oggi dicono prospettiva‹. Contributions to Fifteenth-century Italian Art Theory (Part II)«, in: Acta Historiae Artium. Academiae Scientiarum Hungaricae, 9 (1963), S. 139–162, S. 140, Fußnote 15, S. 156. 24 Leonardo, Libro di pittura, Abschrift und Kompilation von Francesco Melzis, Vatikanstadt, Biblioteca Apostolica Vaticana, Codex Urbinas Latinus 1270, f. 20v, online einsehbar über: www.leonardodigitale.com (zuletzt eingesehen am 20.07.2020). Siehe zu dieser Passage auch Kapitel 2.3 mit Verweis auf Claire Faragos Textedition von Melzis Kompilation des Malereibuchs von Leonardo. Um Leonardos Einsatz von vaghezza, vago und vagare zu untersuchen, erwies sich die digitalisierte Sammlung von Leonardos Aufzeichnungen mit diversen Suchfunktionen als äußerst hilfreich: https://www.leonardodigitale.com/ricerca-nel-testo/ (zuletzt eingesehen am 20.07.2020). 25 Leonardo, Manuskript A, Paris, Institut de France, f. 104v, einsehbar online über: www. leonardodigitale.com (zuletzt eingesehen am 20.07.2020); sowie im Libro di pittura, f. 28r, siehe ebd. 26 Wörtlich heißt es in Leonardos auffordernder Notiz an den Maler: »sia vago ispesse volte nel tuo andarti a sollazzo, vedere e considerare i siti e li atti delli omini nel parlare«. Leonardo, Manuskript A, f. 107v; siehe auch: Leonardo, Libro di pittura, f. 58v; beide Passagen einsehbar unter: www.leonardodigitale.com (zuletzt eingesehen am 20.07.2020). 27 Leonardo empfiehlt dem Maler: »che sia vago con pazienza uldire li altrui opinioni, e considera bene e pensa bene se ’l biasimatore ha cagione o no di biasimarti.« Leonardo, Manuskript A, f. 106r, online einsehbar: www.leonardodigitale.com (zuletzt eingesehen am 20.07.2020). In ähnlichem Wortlaut findet sich die Aussage auch im Libro di pittura, f. 38r, ebd.
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(»studio«) nicht zu scheuen.28 Mit Blick auf diese womöglich zunächst divers scheinenden Anwendungsfälle bei Leonardo lässt sich vago jedoch durchaus näher fassen als Verweis auf eine offene Geisteshaltung, auf Neugier und Wissbegier. Die hier mit dem Wortfeld verknüpfte Idee ermöglicht Entdeckungen und Kreativität, bspw. auch dann, wenn Leonardo davon erzählt, dass er die »artifiziosa natura« bei einem Spaziergang zu den dunklen, schattigen Höhlen von Mongibello erforscht und begierig danach ist, die Vielfalt der unterschiedlichen und seltsamen Formen der kunstvollen Natur zu sehen: »E tirato dalla mia bramosa voglia, vago di vedere la gran copia delle varie e strane forme fatte dalla artifiziosa natura, ragiratomi alquanto infra gli onbrosi scogli, pervenni all’entrata d’una gran caverna[.]«29 Und auch Luca Pacioli verknüpft vago im Wortgebrauch mit Wissbegier, wenn er in dem bereits in Kapitel 2.3 besprochenen Terzett zu den fünf regelmäßigen Polyedern mit vago die anziehende, bewunderungswürdige und Wissbegier weckende Wirkungsästhetik der geometrischen Figuren und ihrer geheimen Schönheit aufruft: »El dolce fructo, vago e sì dilecto, / costrinse gia i Philosophi cercare. / Causa de noi che pasci lintellecto.«30 Vor dem Hintergrund dieser Beispiele wird deutlich, dass sich im ästhetischen Diskurs des Quattrocento mit vaghezza / vago / vagare ein breites semantisches Assoziationsfeld aufspannt, das in den genannten Fällen sowohl die erlernbare Überbietung des Naturschönen durch das Kunstschöne umfasst, als auch eine besonders lobenswerte Farbgebung, die wirkmächtige Anziehungskraft ästhetisch schön gestalteter Formen bzw. Figuren sowie einen kreativitätsfördernden Wissensdrang. Im Cinquecento und v. a. im Kontext des »verstärkt polarisierten Diskurs[es] zwischen disegno und colorito«, der oftmals als Streitpunkt zwischen dem venezianischen und florentinisch-römischen Kunstdiskurs stilisiert wurde, werden vaghezza und vago zunehmend und schwerpunktmäßig mit dem Bereich der Farbgebung in der Malerei verschränkt.31 In Paolo Pinos Dialogo di pittura (Venedig 1548) erläutert bspw. die venezianische Dialogfigur Fabio dem Florentiner Gesprächspartner Lauro, dass ihm generell ein »pittor vago« außerordentlich gefalle, da die »vaghezza« die Würze der Werke venezianischer Meister sei.32 28 Leonardo notierte den Rat an den Maler: »sia vago di ritrarre ogni tua cosa naturale, e non disprezzare lo studio.« Leonardo, Manuskript G, Paris, Institut de France, f. 33r, einsehbar unter: www.leonardodigitale.com (zuletzt eingesehen am 20.07.2020). 29 Leonardo, Codex Arundel, London, British Library, Arundel 263, f. 155r, online abrufbar unter: www.leonardodigitale.com (zuletzt eingesehen am 20.07.2020). 30 Siehe Kapitel 2.3, Anm. 167. Paciolis Terzett wird, wie erwähnt, schließlich von Leonardo wieder aufgegriffen im Mansukript M, Paris, Institut de France, f. 80v, einsehbar unter: www.leonardodigitale.com (zuletzt eingesehen am 20.07.2020). 31 Zum Zitat siehe: Krüger, Das Bild als Schleier des Unsichtbaren, S. 228. 32 Wörtlich sagt Fabio: »Mi piace sommamente, e dicovi che la vaghezza è il condimento dell’opere nostre. Non però intendo la vaghezza l’azzurro oltramarino da sessanta scudi
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Mit »vaghezza« meine er dabei nicht etwa teure Farbpigmente; und ein Maler sei auch nicht als »vago« zu rühmen, wenn er einfach allen Figuren rote Wangen oder blonde Haare male. Die wahre »vaghezza« sei vielmehr nichts anderes als »venustà« oder »grazia«, die aus einer Verbindung bzw. rechten Proportion der Dinge zueinander entstehe.33 Vago und vaghezza markieren in Fabios Rede demnach eine ausgewogene, wohl proportionierte und stimmige Schönheit, gerade auch der Farbgebung, die dem pittore vago und seiner Kunstfertigkeit eignet. Vaghezza wird letztlich, wie Susanna Falabella es ausdrückt, ein Hauptkriterium für Harmonie, das jedoch einzig vom Ermessen des Künstlers abhängt und jenseits objektiver Bewertung ist.34 Nicht zuletzt in Reaktion auf Konzeptualisierungen der vaghezza als Würze venezianischer Malerei diskreditiert wenig später Giorgio Vasari den Fokus auf die »vaghezza de’ colori« in seinen Vite als ein Vertuschen von Schwächen bzw. als Unwissen und mangelndes Können im disegno.35 Er kritisiert u. a. Giorgio da Castelfranco, genannt Giorgione, im Kontext der Vita Tizians dafür, dass er ohne Vorzeichnungen malte und mit der Fokussierung auf die vaghezza de’ colori Unwissenheit im disegno einherging.36 Die vaghezza de’ colori wird damit gewissermaßen erneut als regionales Stilmerkmal profiliert und in Vasaris Vite v. a., wie Claudia Steinhardt-Hirsch darlegt, »zur Charakterisierung der Malerei der oberitalienischen Schulen« eingesetzt.37 Vasaris kritische Einschätzung der vaghezza de’ colori ist zugleich aber nicht mit einer generellen Ablehnung ästhetischer Qualitäten gleichzusetzen, die mit der vaghezza markiert werden. Grundsätzlich schreibt der Künstler und Kunsthistoriker aus Arezzo der maniera moderna bekanntermaßen innerhalb eines Regel- bzw. Ordnungsprinzips auch einen für das Schöne unabdingbaren Freiraum zu – »una licenzia, che, non essendo di regola, fusse ordinata l’onzia o la bella laca, perch’i colori sono anco belli nelle scatole da se stessi, né è lodabil il pittor come vago per far a tutte le figure le guancie rosate, È capegli biondi, l’aria serena, la terra tutta vestita d’un bel verde, ma la vera vaghezza non è altro, che venustà, o grazia, la qual si genera da una conzione, over giusta proporzione delle cose, tal che, come le pitture hanno del proprio, hanno anche del vago, e onorano il maestro. […] [V]orrei, che voi prestaste credito a’ colori, e non che quelli aiutassero voi.« Pino, Paolo, Dialogo di pittura, hg. v. Susanna Falabella, Rom 2000, S. 112. 33 Siehe ebd. 34 Falabella spricht vom »criterio superiore di armonia dipendente però unicamente dall’arbitrio dell’artefice.« Falabella, Susanna, »Introduzione«, in: Pino, Paolo, Dialogo di pittura, hg. v. ders., Rom 2000, S. 9–82, S. 50. 35 Vasari spricht vom »nascondere sotto la vaghezza de’ colori lo stennto del non sapere disegnare«. Zitiert nach: Sohm, »Gendered Style«, S. 768. 36 Siehe: Suthor, Nicola, »Chroma: Zur Interdependenz von Musik- und Malereitheorie im Cinquecento«, in: Musica e Arti figurative. Rinascimento e Novecento, hg. v. Mario Ruffini und Gerhard Wolf, Venedig 2008, S. 114–125, S. 120. 37 Steinhardt-Hirsch, Correggios La Notte, S. 115. Zu diesem Befund kommen z. B. auch Sabine Feser und Victoria Lorini: Feser / Lorini, »Glossar«, S. 238 f.
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nella regola e potesse stare senza fare confusione o guastare l’ordine«.38 Vor diesem Hintergrund kann vaghezza einen positiv konnotierten Raum des Unbestimmten markieren, sofern sie mit anderen Qualitäten geordnet kombiniert und dadurch reguliert wird. Dies zeigt sich etwa, wenn Vasari Leonardo für die unübertreffliche »prontezza, vivacità, bontade, vaghezza e grazia« seiner Malerei lobt.39 Ein anderes Beispiel für eine positive Bewertung der vaghezza bei Vasari findet sich im Zuge der Auseinandersetzung mit Antonio da Correggio, der laut Vasari als erster in der Lombardei in der maniera moderna arbeitete.40 Niemand sei besser mit Farben umgegangen als Correggio, keiner habe mit mehr »vaghezza« und »rilievo« gemalt, so groß sei die Weichheit des Fleisches [der Bildfiguren] und die »grazia«, mit der jener seine Werke vollbracht habe.41 Es scheint Vasari demzufolge nicht um eine absolute Negativbewertung der vaghezza und der vaghezza de’ colori zu gehen, sondern um begrifflich stilisierte Prioritäten und Schwerpunktsetzungen sowie Grenzziehungen im Kontext regionaler Stilkonkurrenzen. Auf ähnliche Weise fungiert die vaghezza de’ colori negativ konnotiert als Stilmerkmal in der Lettura terza sopra lo Inferno di Dante (Florenz 1556) des Florentiner Philologen Giovanni Battista Gelli. Dieser grenzt in einem Vortrag Dantes Dichtung entschieden von Texten solcher Literaten ab, die mit ihren Werken eher erfreuen (dilettare) als nützen (giovare) wollen und deren Schreiben weniger durch concetto geleitet sei als vielmehr durch leggiadria, 38 Vasari, Giorgio, »Proemio della terza parte delle vite (1550)«, in: Die Anfänge der Maniera Moderna. Giorgio Vasaris Viten. Proemio, Leonardo, Giorgione, Correggio, übers. und bearbeitet v. Sabine Feser und Victoria Lorini, unter wissenschaftlicher Leitung von Alessandro Nova, hg. v. Kunstgeschichtlichen Institut der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Hildesheim / Zürich / New York 2001, S. 21–29, S. 22. Zu Vasaris Schönheitskonzept ›der‹ maniera moderna siehe: Sohm, Style, S. 108 ff.; Cropper, »The Place of Beauty«, S. 169 ff.; Krüger, Grazia, S. 75 ff. 39 Vasari, Giorgio, »Vita di Leonardo da Vinci pittore e scultore fiorentino (1550)«, in: Die Anfänge der Maniera Moderna. Giorgio Vasaris Viten. Proemio, Leonardo, Giorgione, Correggio, übers. und bearbeitet v. Sabine Feser und Victoria Lorini, unter wissenschaftlicher Leitung von Alessandro Nova, hg. v. Kunstgeschichtlichen Institut der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Hildesheim / Zürich / New York 2001, S. 45–63, S. 48. 40 »Et egli fu il primo che in Lombardia cominciasse cose della maniera moderna […]. Tengasi pur per certo che nessuno meglio di lui toccò colori, né con maggior vaghezza o con più rilievo alcun artefice dipinse meglio di lui, tanta era la morbidezza delle carni, ch’egli faceva e la grazia con che e’ finiva i soi lavori.« Vasari, Giorgio, »Vita di Antonio da Correggio pittore (1550)«, in: Die Anfänge der Maniera Moderna. Giorgio Vasaris Viten. Proemio, Leonardo, Giorgione, Correggio, übers. und bearbeitet v. Sabine Feser und Victoria Lorini, unter wissenschaftlicher Leitung von Alessandro Nova, hg. v. Kunstgeschichtlichen Institut der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Hildesheim / Zürich / New York 2001, S. 128–132, S. 129. Vgl. zu Vasaris Einordnung der Malerei Correggios und dieser Passage auch: Steinhardt-Hirsch, Correggios La Notte, S. 116. 41 Ebd.
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Eleganz und süße Liebesgedanken.42 Dieser Unterschied zwischen Dante und den Literaten mit Fokus auf diletto vergleicht Gelli schließlich mit der Differenz zwischen der Malerei Michelangelos – Gellis Dante der Bildkünste – und der Malerei Flämischer Künstler, deren Werke eben v. a. wegen der vaghezza de’ colori und der Landschaften Gefallen finden.43 Damit werden diletto, vaghezza de’ colori, leggiadria, eleganzia und pensieri dolci d’amore enggeführt und dem concetto und giovare deutlich abgewertet gegenübergestellt. Inwiefern vaghezza als Qualität malerischer Farbgebung sowohl positive als auch negative Effekte mit sich führen kann, diskutieren derweil die beiden Dialogfiguren Aretino und Fabrini in Lodovico Dolces Dialogo della pittura intitolato l’Aretino (Venedig 1557). Fabrini merkt dort bspw. an, dass er eine »certa convenevole sprezzatura« in der Malerei für erstrebenswert halte, um sowohl ein Zuviel an »vaghezza di colorito« als auch ein Zuviel an »politezza di figure« zu vermeiden – beide Bereiche sollen sich die Balance halten.44 Damit steht erneut das Verhältnis von disegno und vaghezza – und gewissermaßen das Ausmaß einer Vorstellung von durchdachter Bestimmtheit und von verführerischer, faszinierender, kreativer Unbestimmtheit – zur Debatte. Aretino beschränkt sich in seiner Replik auf Fabrini darauf, zu betonen, dass es v. a. wichtig sei, zu viel »diligenza« zu vermeiden – eine Präferenz für mehr Raum für vaghezza mag hier mitschwingen.45 Die Ansicht, dass ein guter Maler nicht nur »vagamente« Farben auftragen solle, sondern der Farbgebung eine »salda ragione« zugrunde legen müsse, findet sich in der venezianischen Debatte jedoch bspw. auch in der musiktheoretischen Schrift Le istitutioni harmoniche (Venedig, überarbeitete Neuauflage 1573) des Kapellmeisters von San Marco, Gioseffo Zarlino, der im Kontext seiner Harmonielehre Musiker und Maler miteinander vergleicht.46 Dabei ist ähnlich der Debatte um die Balance von vaghezza und disegno das »Scharnier, das Malerei- und Musiktheorie verbindet, […] der Diskurs über den Konflikt zwischen sensus und ratio, der sich am diletto entzündet«, wie Nicola 42 Siehe: Gelli, Giovanni Battista, Lettura terza sopra lo Inferno di Dante, Florenz 1556, S. 43. 43 Ebd. 44 Dolce, Lodovico, Dialogo della Pittura intitolato l’Aretino, Venedig 1557, f. 40v. Vgl. zu dieser Passage auch: Rhein, Gudrun, Der Dialog über die Malerei: Lodovico Dolces Traktat und die Kunsttheorie des 16. Jahrhunderts. Mit einer kommentierten Neuübersetzung, Köln / Weimar / Wien 2008, S. 135. In seinem Dialogo nel quale si ragiona delle qualità, diuersità, e proprietà de i colori (1565) beschäftigt sich Lodovico Dolce im Kapitel Del significato de’ colori zudem eindringlich mit der unbestimmten Semantik einzelner Farbwerte, etwa der Farbe Grün, die Hoffnung, Freude, aber auch Trauer bedeuten könne. Bereits um 1400 wurden insbesondere die semantischen bzw. symbolischen Implikationen von Grün mit vago korreliert – z. B. in der Dichtung Franco Sacchettis. Siehe: Krüger, Grazia, S. 63 f. 45 Dolce, Dialogo della Pittura, f. 40v. 46 Suthor, »Chroma«, S. 117 f.
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Suthor erläutert.47 Vehemente Kritik an einer über die Farbgebung hinaus weiter gefassten vaghezza de l’arte und einem für unangemessen befundenen Gefallen an einer sinnlich anziehenden Wirkungsästhetik wird hingegen in Theoriebeiträgen formuliert, die in direktem Zusammenhang mit der Katholischen Reform und Bildtheorie verfasst wurden. In Giovanni Andrea Gilios Dialogo nel quale si ragiona degli errori e degli abusi de’ pittori circa l’istorie (Camerino 1564) bspw. verurteilen die Gesprächsteilnehmer die Darstellung von Heiligen als nackte Figuren; derartige Bilder zeigen Gilios Meinung nach, dass ein Maler weniger Interesse und Gefallen an Aufrichtigkeit und Angemessenheit habe und stattdessen v. a. Gefallen an der vaghezza de l’arte.48 Eine wieder anders konturierte und stärker auch produktionsästhetisch fundierte Anwendungsweise der Kategorie der vaghezza findet sich in den Osservazioni nella pittura di M. Christoforo Sorte al Magnifico et Eccellente Dottore et Cavaliere il Signor Bartolomeo Vitali (Venedig 1580).49 Der Veroneser Kartograph Cristoforo Sorte beschreibt in diesem Text ausführlich konkrete Details des künstlerischen Werkprozesses bei der Anfertigung von Landkarten und erläutert den Umgang mit unterschiedlichen Farbpigmenten, Lasuren und Techniken der Aquarellmalerei.50 Er betont mehrfach, dass man diese Aspekte und Praktiken nicht lehren, sondern nur auf sie aufmerksam machen könne – sie seien allein durch lange Praxis und Erfahrung richtig zu erlernen.51 Damit reflektiert Sorte letztlich die epistemischen Grenzen seiner Osservazioni. In diesem Kontext wird vaghezza bzw. vago als Qualitätsmerkmal eingesetzt und für eine positiv wertetende Beschreibung glänzender, schimmernder und changierender Farbkompositionen und sinnlich-farbliche Vagheit versuchsweise ge-
47 Ebd., S. 114. 48 Wörtlich heißt es: »Tenga per fermo il pittore che far si diletta le figure de’ santi nude, che sempre gli leverà gran parte de la riverenza che se li deve. Però compiacciasi piú tosto de l’onestà e del convenevol decoro, che de la vaghezza de l’arte, la quale a pochi diletterà.« Gilio, Giovanni Andrea, »Dialogo nel quale si ragiona degli errori e degli abusi de’ pittori circa l’istorie (1564)«, in: Trattati d’arte del Cinquecento, hg. v. Paola Barocchi, Bd. 2, Bari 1961, S. 1–115, S. 80. 49 Zu Cristoforo Sorte und seinem Text siehe: Schulz, Jürgen, »Cristoforo Sorte and the Ducal Palace of Venice«, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, 10/3 (1962), S. 193–208; Barasch, Moshe, »Cristoforo Sorte as a critic of art«, in: Arte Lombarda, 10 (1965), S. 253–259; Gombrich, Ernst, »Renaissance artistic theory and the development of landscape painting«, in: Gazette des Beaux-Arts, 41 (1953), S. 335–360. 50 Sorte, Cristoforo, »Osservazioni nella pittura di M. Christoforo Sorte al Magnifico et Eccellente Dottore et Cavaliere il Signor Bartolomeo Vitali (Venedig 1580)«, in: Trattati d’arte del Cinquecento, hg. v. Paola Barocchi, Bd. 1, Bari 1960, S. 271–301. 51 Sorte merkt bspw. an: »[V]eramente queste cose non si ponno […] perfettamente insegnare, ma appena accennare; se non che dalla lunga prattica et isperienza con assiduita s’imparano.« Ebd., S. 289.
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wissermaßen dingfest gemacht. Der Veroneser Kartograph legt dar, wie er bspw. mit Bleiweiß, Mennigrot, Gelb und bläulichen Pigmenten aus Deutschland und Lyon sowie mit verschiedenen Lacken und Violetttönen hellrötliche Wolken im Licht der Morgenröte gestaltete und dass ihm dies ~ auf sehr schöne, liebreizende und vage Weise ~ sehr gelungen sei: »è riuscito vaghissimo«.52 Dass mit diesem vaghissimo, das eine mit den Farben hervorgebrachte und in der Farbgebung verortete, ästhetisch erfahrbare Schönheit fasst, zuallererst ein Naturschönes aufgerufen wird, das ins Kunstschöne transferiert bzw. vom Kunstschönen imitiert wird, verdeutlicht Sortes prosaische Darstellung der Jahreszeiten und ihrer Farben. So zeige der Herbst mit seinen roten und gelben Blättern eine andere »vaghezza e varietà di colori« als der Sommer, während es dem Winter an »tutte le vaghezze così de’ colori come dell’aere« mangele.53 Eine einseitige Fokussierung auf die Wirkungsästhetik der schönen »vaghezza de’ colori« ist Sortes Meinung nach in der Produktion und Rezeption (kartographischer) Malerei aber nicht erstrebenswert und Zeichen von Unkenntnis.54 Denn es seien all jene »ignoranti«, die sich nur an der dichten Fülle (»pienezza«) und »vaghezza« der Farben erfreuen, denen es ausreiche, dass das Bild schön sei, ohne dass sie sich eingehend mit dem Dargestellten beschäftigten.55 Wichtig ist es laut Sorte, nicht einfach der »volgar gente« mit einnehmend schönen Farben gefallen zu wollen, sondern insbesondere auch jene wenigen zufrieden stellen zu wollen, die kompetente Betrachtende seien (»di cognizione«) und die Wahrheit (»verità«) begreifen.56 Lomazzos Auseinandersetzungen mit vaghezza Im Anschluss an und im Austausch mit den soeben skizzierten Erörterungen, Funktionalisierungen und Bewertungen von vaghezza in diversen Passagen unterschiedlicher Beiträge textverfasster Theorie unternimmt schließlich Lomazzo in seinem Trattato dell’arte della pittura (Mailand 1584) den Versuch, die Kategorie innerhalb seines Lehrwerks einzuordnen und stichhaltig zu
52 Wörtlich heißt es: »[Q]uella dolce e rosseggiante chiarezza [dei nuvoletti] ho io con biaca, minio e gialdolino fatta, et a’ nuvoletti agiunto azzurrino tedesco, overo smaltino da Lione, et anco altre sorte di smalti, e con lacca di grana il violato colore imitato, il quale è riuscito vaghissimo.« Ebd., S. 286. 53 Ebd., S. 288 f. 54 Sorte schreibt: »[Sono] ignoranti che s’appagano solamente della pienezza e della vaghezza de’ colori, senza passar più là di quello che sia quella imagine, e basta che paia loro bella. Ma a me parrebbe che converrebbono più tosto sodisfare a coloro che sono di cognizione et intendono la verità, che a questi altri, e seguir più tosto la poca che la volgar gente.« Ebd., S. 295 f. 55 Ebd. 56 Siehe das Zitat in Anm. 54.
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definieren.57 Lomazzo bespricht vaghezza als ästhetische Kategorie in seinem Trattato zum einen im zweiten Buch zu den Bewegungen und zum anderen im dritten Buch zu den Farben. Beginnen wir der Reihe nach mit dem moti-Buch, in dem verschiedene Gemüts- und Körperbewegungen in Gruppen unterteilt und jeweils in Unterkapiteln näher erörtert werden. Prinzipiell sind die moti für Lomazzo in neuplatonischer Denkweise aneinander gekoppelte Seelen- und Körperbewegungen, wobei die Seele quasi als Motor gewisser Körperbewegungen, sprich als Animation verstanden wird; die moti gelten Lomazzo letztlich als »lo spirito e la vita dell’arte«.58 In Kapitel neun z. B. bespricht Lomazzo »i moti della melancolia, timidità, malignità, avarizia, tardità, invidia, rozzezza et ansietà« und bedient sich v. a. der Veranschaulichungsstrategie von Gedichtzitaten, meist aus Ludovico Ariosts Orlando furioso, um die entsprechenden moti mittels bekannter Verse und der mit diesen Versen verknüpften Geschichten anschaulich zu machen.59 Anders jedoch verfährt Lomazzo in Kapitel dreizehn »De i moti della vaghezza, grazia, venustà, leggiadria, gentilezza, cortesia, lusinghe, blandizie, adulazione, amorevolezza, abbracciamento, bascio, lascivia, disonestà, festa, pompa, canto, ballo, gioco, allegrezza, tranquilità, diletto, solazzo e dolcezza«. Vaghezza, grazia, venustà und leggiadria veranschaulicht der Mailänder in diesem Kontext auffälligerweise nun aber nicht qua Gedichtversen; er erörtert sie vielmehr im Definitionsmodus.60 Dadurch wird deutlich, dass es bei diesen vier um andersgeartete moti geht, um Konzepte, denen ein kategorialer Status zugeschrieben wird.61 In diesem Zusammenhang wird vaghezza – als moto – an erster Stelle und wie folgt tentativ erfasst: 57 Vorausgeschickt sei der Analyse noch einmal die Hintergrundinformation, dass Lomazzo zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Buches seit Jahren blind war und damit bspw. seine Stellungnahmen zu zeitgenössischer Kunst letztlich Positionen seiner Freunde und Kollegen vermitteln, bzw. Referenzen auf vor 1572 entstandene Kunstwerke auf seiner eigenen Betrachtung und Erfahrung und langjährigen Erinnerungen beruhen können. Lomazzos Rede von vaghezza im Zusammenhang mit Kunsturteilen über zeitgenössische Werke gibt somit auch Einblick in Aspekte der Kunstkritik seines Mailänder Netzwerks, das in Kapitel 4.2 und 4.3 näher erörtert und konturiert wurde. 58 Lomazzo, Giovan Paolo, »Trattato dell’arte della pittura«, in: ders., Scritti sulle arti, hg. v. Roberto Paolo Ciardi, Bd. 2, Florenz 1974, S. 9–589, S. 97. Zu Lomazzos moti-Theorie siehe oben Kapitel 3.3.1 und 3.4.1; vgl. an dieser Stelle zudem: Cole, Michael, »Discernment and Animation, Leonardo to Lomazzo«, in: Image and Imagination of the Religious Self in Late Medieval and Early Modern Europe, hg. v. Reindert Falkenburg, Walter S. Melion, Todd M. Richardson, Turnhout 2007, S. 133–161; Squizzato, Alessandra, »Michelangelo negli scritti d’arte di Giovan Paolo Lomazzo«, in: Tracce di letteratura artistica in Lombardia, hg. v. Alessandro Rovetta, Bari 2004, S. 61–96, S. 70 f. 59 Lomazzo, »Trattato«, S. 113–116. 60 Ebd., S. 129–135. 61 Nicht hinterfragt werden können hier die Mischung von positiv und negativ konnotierten moti in besagtem Unterkapitel des Trattato sowie die Interferenzen von ästhetischen und moralisch-ethischen Konzepten, von grazia, disonestà, pompa usf. Die nach der leggia-
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La vaghezza, ch’altro non è che un desiderio et una brama di cosa che diletta, fa gl’atti ammirativi, stupidi e contemplanti le cose che si veggono, come d’un vano che stia pavoneggiando se stesso con mille balzi, inchini, movimenti e grilli; o d’un altro che vagheggi la sua innamorata, stando in mille modi et atti a rimirare e contemplare tutte le sue parti, sin che i vicini accorgendosene se ne ridano; o generalmente di qualonque altra persona che, secondo il gusto che prende d’alcuna cosa che fa, dimena la testa, come suol un pittore quando considera e vagheggia una sua pittura.62
Mit der Formulierung oder besser gesagt Formel »altro non è che« beginnt Lomazzo seine Begriffsbestimmung und greift damit auf eine für begrifflich schwer fassliche Konzepte frühneuzeitlich nahezu topische Vorgehensweise zurück: die näherungsweise Bestimmung ex negativo: »altro non è che«, die bspw. auch Paolo Pino in der oben zitierten Passage zur »vera vaghezza« in Anschlag bringt.63 Mit diesem gewissermaßen Marker von Elusivität startet Lomazzo seine Auseinandersetzung mit vaghezza und thematisiert sie in Bezug auf Verhaltensweisen und Gemütslagen als eine innere Sehnsucht und ein Verlangen sowie ein Verliebtsein, das bis hin zur Lächerlichkeit bzw. Selbstverliebtheit reichen kann. Vaghezza wird über das vagheggiare erörtert, das als eine Redria genannten Begriffe werden bemerkenswerterweise viel ausführlicher und anhand von Beispielen und Verszitaten besprochen und damit gesondert von vaghezza, grazia, venustà und leggiadria. 62 Lomazzo, »Trattato«, S. 129. Übersetzen lässt sich die Passage etwa folgendermaßen: »Die vaghezza, die nichts anderes ist als ein Verlangen und eine Sehnsucht nach etwas, das Vergnügen bereitet, führt zu einem bewundernden, albernen und die Dinge, die man sieht, eingehend betrachtenden Verhalten – wie das Verhalten von jemand eitlem, der sich aufplustert wie ein Pfau, mit tausend Sprüngen, Verneigungen, Bewegungen und Scherzen; oder von jemandem, der seine Geliebte anhimmelt, auf tausend Arten und Weisen alles an ihr bewundert und betrachtet, bis es alle in seiner Nähe merken und sich lustig machen; oder generell wie von jeder anderen Person, die, je nachdem woran sie Freude hat, den Kopf hin und her neigt, wie ein Maler, wenn er über eines seiner Gemälde nachdenkt und es anhimmelt.« 63 Siehe zur entsprechenden Passage aus Pinos Dialogo Anm. 32 des vorliegenden Kapitels (und: Pino, Dialogo, S. 112). Vgl. des Weiteren Agnolo Firenzuolas Definitionsversuch der leggiadria: »La leggiadria non è altro […] che una osservanza d’una tacita legge, data e promulgata dalla natura e voi donne, nel muovere, portare e adoperare così tutta la persona insieme, come le membra particolari, con grazia, con modestia, con gentilezza, con misura, con garbo, in guisa che nessun movimento, nessuna azione sia senza regola, senza modo, senza misura, o senza disegno[.]« Firenzuola, Agnolo, »Dialogo delle bellezze delle donne«, in: ders.: Opere, hg. v. Delmo Maestri, Turin 1977, S. 713–789, S. 753. Siehe für eine konzise Analyse der gesamten Passage im Kontext spezifischer, maßgeblich über Modi der Negation gestalteter Diskursivierungs- sowie Veranschaulichungsstrategien eines elusiven Wissens um weibliche Schönheit in Firenzuolas Dialogo: Schneider, »(Nicht) Wissen?«, hier v. a. S. 45 f. Zum Modus der Bestimmung ex negativo – insbesondere um sich Kategorien elusiven Wissens anzunähern – siehe außerdem: Eusterschulte / Schneider, »Gratia«, S. 4 f.
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aktion auf etwas Wirkmächtiges aufgefasst wird und nicht etwa die sinnliche Qualität eines Phänomens betrifft. Auf Farbigkeit und Farbgebung in der Natur bzw. in der Malerei wird hier also gar nicht eingegangen. Vaghezza wird als Sehnsuchtskategorie präsentiert, die durchaus mit Eitelkeit korreliert und mit riskanter Verführung assoziiert wird. Im Unterschied zu diesem Verständnis von vaghezza ist die direkt im Anschluss besprochene grazia eine rein positiv bewertete Kategorie.64 Bedingt durch die Ordnungsstruktur des Traktats und die Besprechung der vaghezza als moto wird die Kategorie in Lomazzos Lehrwerk nicht an einer Stelle gebündelt mit all ihren verschiedenen Kontextualisierungen, Konnotationen und semantischen Valenzen eruiert. Stattdessen wird der Versuch unternommen, sie kontextbezogen zu konkretisieren. Dabei wird ihre Bedeutung auf spezifische Anwendungsbereiche hin eingegrenzt und die mit ihr aufgerufene Konnotationen aus anderen Kontexten ausgeblendet. Anders dann als im Buch der moti wird vaghezza im Buch über die Farben besprochen. Dort wird sie als ein bestimmter Modus der Farbgestaltung thematisiert und erneut kritisch beäugt. Als eine schillernde Facette des sinnlich Schönen wird sie an dem Punkt als problematisch ausgewiesen, von dem aus sie zum Selbstzweck der Darstellung geriert. Lomazzo legt dies im Zusammenhang des Malens mit solchen Farben dar, die mit Öl angemischt sind, transparent scheinen und daher z. B. für die Darstellung von Edelsteinen und feinen Gewändern besonders geeignet seien, weil sie ihnen Glanz und Lebendigkeit (»il lustro e la vivacità«) verleihen können.65 Eine solche Farbgebung werde jedoch problematisch, wenn sie – wie in der zeitgenössischen Malerei – ubiquitär angewandt werde, wenn sich also fern jeglicher Regeln der Kunst (»precetti de l’arte«) nur der »vaghezza« gewidmet werde und nicht nur bestimmte Gewänder bzw. Textilien wie Seide mit diesen transparenten, glänzenden Farbnuancierungen gestaltet werden, sondern gänzlich undifferenziert alle möglichen Stoffe.66 Eine derartige vaghezza sei aktuell jedoch so angesehen und beliebt, dass kein noch so gutes Bild mehr ohne sie gefalle, moniert Lomazzo. Vaghezza als glänzend-schimmernde, transparente und lebendig wirkende Farbgestaltung wird an dieser Stelle des Traktats somit als Modeerscheinung kritisiert, die bei übermäßigem Einsatz an Prägnanz und Sinnhaftigkeit verliert. Ganz anders beurteilt 64 Lomazzo, »Trattato«, S. 129. 65 Ebd., S. 173. 66 Lomazzo schreibt: »La quale usanza è passata tanto inanzi, che senza risguardo alcuno de i precetti de l’arte, attendendo solamente alla vaghezza, si usa non solamente ne i drappi nominati di sopra, ma ancora ne i panni di falde contrarie che non richiedono quella trasparenza o vivacità di seta. E non si può oggimai rappresentar panno alcuno di pura meschia, simile alla lana, o tela, che non si voglia avelare di colori trasparenti per dargli il lucido. Onde si può dire che l’arte della pittura, quanto al colorare, sia corotta, massime perché questa vaghezza nelle figure è stimata tanto che non si può vedere pittura, per buona che sia, che senza quella piaccia.« Ebd., S. 173 f.
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Lomazzo eine solche vaghezza in der Farbgebung mit Blick auf die italienische und flämische Malerei der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in der mit der »vaghezza de i colori« vorbildhaft umgegangen worden sei. Als »padri della vaghezza de i colori«, die die »vaghezze di trasparenze« ganz gezielt und pointiert einsetzten, nennt er u. a. Leonardo da Vinci, Vincenzo Foppa, Bernardo Zenale, Raffael, Tizian, Gaudenzio Ferrari sowie flämischen Maler wie Pieter Brueghel, Frans Floris und Maarten van Heemskerck.67 Lomazzo fordert die zeitgenössischen Maler schließlich dazu auf, zur Naturbeobachtung (»pigliar essempio dal naturale«) zurückzukehren und nicht eine affektierte vaghezza (»affettata vaghezza«) überall im Bild einzusetzen, sondern der vaghezza angemessene Orte zuzuweisen, sie ggf. auch zu vernachlässigen und v. a. nicht den disegno mit ihr durcheinanderzubringen.68 Ohne ein Eingrenzen der vaghezza im jeweiligen Bild sieht Lomazzo die Gefahr sowohl einer Korruption der Kunst als auch gravierender Dekorumsverstöße. So betont Lomazzo, dass vaghezza oftmals für die Darstellung nicht nur der Gewänder von Heiligen, sondern sogar der von Christus und Maria eingesetzt werde, was er für völlig unangemessen und historisch inkorrekt hält, da die beiden so in lasziv anmutenden Gewändern mit Glanzlichtern gekleidet erscheinen.69 Mit dieser Diskussion um vaghezza übt Lomazzo Kritik an zeitgenössischer Kunst, in der seiner Meinung nach oftmals unabhängig von Motiv und Sujet im Übermaß mit Glanzlichtern und transparent schimmernden Farben gespielt und dadurch der disegno gefährdet werde. Daher unternimmt er den Versuch, der vaghezza angemessene Orte, genauer gesagt bestimmte Stoffe als Sujet im Bild zuzuschreiben. Zudem fordert er, vaghezza de’ colori mit disegno, Naturbeobachtung und Dekorum in Einklang zu bringen. Eine positiv besetzte Konzeption von vaghezza ist hier demnach an eine nicht näher bestimmte bzw. bestimmbare Harmonie zwischen vaghezza de’ colori 67 Ebd., S. 174. Es wird in der Forschung begründeterweise vermutet, dass Lomazzo – wie er auch selbst berichtet – nach seinem Ausbildungsstart in der Werkstatt von Giovan Battista Della Cerva einen Auslandsaufenthalt nördlich der Alpen absolvierte und in Flandern u. a. die Kunst von Frans Floris und Marten van Heemskerck kennenlernen konnte. Siehe: Pavesi, Mauro, Giovan Paolo Lomazzo Pittore Milanese 1538–1592, Doktorarbeit an der Università Cattolica del Sacro Cuore Milano, 2006/2007, S. 31 f. 68 Die hier und im Folgenden paraphrasierte Passage lautet wörtlich: »Ma lasciando questo, doverebbesi pur pigliar essempio dal naturale e vedere se in quello sono queste varietà e superstizioni d’affettata vaghezza la quale si vede in molte opere eccellenti di coloro che l’hanno con ogni studio seguita, talvolta anco tralasciata per non confondere con quella il disegno, come si vede chiaro nel colorire de i sopradetti pittori, veri padri della pittura, che sono stati nemicissimi di questa corrottella dell’arte: veramente corrottella, percioché, oltre che non si mostra la forza dell’arte, si commette anco grandissimo errore in usarla, molte volte anco contro ogni decoro: poiché non solamente ne’ santi, ma nell’istesso Cristo e Regina de’ cieli è stata usata, rappresentando in loro lumi e lascivie d’abiti e vesti che da loro non furono usate mai.« Lomazzo, »Trattato«, S. 174. 69 Ebd.
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und disegno gekoppelt sowie an eine nicht weiter ausgeführte Balance zwischen einerseits dem Ausstellen künstlerischen Könnens und sinnlicher Wirkmacht und andererseits Naturbeobachtung und Angemessenheit. Das »confondere« von Farben »a piacere« des Malers ist seiner Lehre nach schließlich nur an einem der Natur der Dinge angemessenen Ort produktiv und erstrebenswert und hier nennt Lomazzo zuvorderst bestimmte, edle Textilien. Beispielhaft sei hier neben der Malerei von Leonardo, Raffael, Cesare da Sesto, Andrea del Sarto, Antonio da Correggio, Tizian und Gaudenzio Ferrari insbesondere die Kunst von Boccaccino, der wahrhaftig ein »grandissimo coloritore« und zugleich »acuto nel disegno« gewesen sei; dies zeigen seine v. a. in Cremona zu sehenden Werke und seine Darstellungen von Samt, Brokat und Damast, in denen diverse Farben »a loro piacere« miteinander vermischt seien.70 Auf der Suche nach einer Regelung für eine sinnlich einnehmende, faszinierende, schöne, mit Glanz und Schimmer verbundene Vagheit in der Farbgestaltung verortet Lomazzo vaghezza mit ihrer Unbestimmtheit im Rahmen seiner Nachahmungsästhetik an dieser Stelle des Traktats in einem Motiv, das bestimmte menschliche Figuren im Bild umhüllen darf: in wertvollen Textilien. Im darauffolgenden Unterkapitel »Dell’ordine che si tiene in fare i cangianti« erläutert der Mailänder Kunsttheoretiker dann, welche Kunstgriffe zur größten vaghezza und leggiadria der Malerei führen.71 Zentral wird hier das Komponieren changierender Farbnuancen, mittels dessen farbige Schattierungen, sogenannte cangianti, modelliert werden; diese finden sich bspw., so Lomazzo, in den leuchtenden Kleidern von Nymphen oder Engeln und bereiten größte Freude und Gefallen. Gerade das »far i cangianti« in einem Seidenstoff, der in den hellen Partien eine Farbe und in den verschatteten eine andere Farbe hat, hebt Lomazzo lobend hervor, denn mit dieser Diversität erlange man »la somma et ultima vaghezza e leggiadria« in der Malerei.72 Doch auch für diese Gestaltungsweise fordert Lomazzo eine gewisse Ordnung (»un certo ordine«) ein.73 Um diese Ordnung näher zu beschreiben, fächert er auf, welche Farb töne miteinander kombiniert werden sollen und welche hingegen nicht miteinander harmonieren. Halte man sich nicht an diese Regeln, schaffe man nur »miscugli e confusioni di colori«.74 Denn wichtig sei, dass die verschiedenen Farben nicht miteinander konkurrieren: Grün und Rot hält er z. B. nicht geeignet 70 Ebd. 71 Ebd., S. 175. 72 Lomazzo schreibt: »Ora questo è il maggior diletto e piacere che con colori si possa porgere a i risguardanti e chiamasi via del far i cangianti, cioè un panno di seta solo che ne i lumi abbia un colore di una spezie e nell’ombra uno d’un’altra; con la qual diversità si viene a dar la somma et ultima vaghezza e leggiadria alla pittura.« Ebd., S. 175. 73 Ebd., S. 175. 74 Ebd., S. 176.
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für ein gemeinsames changierendes Farbspiel. Vielmehr sollen die Farben der cangianti miteinander verwandt sein (»che hanno familiarità e convenienza«).75 Lomazzo liefert dazu eine umfangreiche Auflistung von Farbwerten, die in Abstufungen miteinander zu kombinieren sind, und teilt diese in ein regelrechtes Stufensystem ein, wobei er – ohne eine mathematische Formel zu explizieren – beeindruckende Zahlen nennt: die Gruppe der ersten Stufe umfasse ca. 3584 Farbkombinationen, die zweite dann aber z. B. nur noch etwa 1792.76 Nach diesen – ohne weitere Informationen nicht nachvollziehbaren und überprüfbaren – Angaben verändert Lomazzo den Modus der Abhandlung, Vermittlung sowie Veranschaulichung und wendet sich Vorbildern der bildkünstlerischen Praxis zu. Zu loben sei u. a. der »saggio e giudicioso pittore« Raffael, der etwa ein dunkles Rosarot mit Tintenschwarz umschatte (»ombrando il rosato oscuro col morello«).77 Das ultimative Vorbild für großartige cangianti sieht Lomazzo derweil in Gaudenzio Ferrari, dessen Scharfsinn bzw. Feinheit des Geistes und Begabung es Lomazzos Meinung nach ermöglichten, dass er die convenienza der Farben zu ergründen verstand.78 Erstmalig im Kontext seiner Besprechung der vaghezza verweist Lomazzo auf konkrete Kunstwerke und im Besonderen auf Gaudenzios Darstellung der Engel in der Kuppel von Santa Maria dei Miracoli in Saronno (siehe Kapitel 3.3, Farbtafeln 37 und 38).79 Es sei in Anbetracht von und im Vergleich zu Gaudenzios Malerei, so Lomazzo, weder möglich »cangianti piú vaghi, piú naturali« zu erzeugen, noch die cangianti besser mit der »arte del disegno« zu begleiten.80 Nach der Berechenbarkeit suggerierenden Auflistung von Farbkombinationen präsentiert Lomazzo hier schließlich konkrete, öffentlich zugängliche Kunstwerke sowie die Malpraxis bestimmter Maler als letztgültige Lehrinstanz. Außer Gaudenzios Malerei sei zudem die Malerei von Cesare da Sesto, Tizian, Parmigianino u. a. m. modellhaft für das »far i cangianti«. Folge man nicht dem Vorbild dieser Künstler, so Lomazzo abschließend, werden die Gewänder der Bildfiguren letztlich nicht anders als bunt gefleckte Steine aussehen – nur dafür gemacht, um die Augen zu erfreuen.81 Das ansonsten eher eine 75 Ebd., S. 176. 76 Ebd. S. 175. 77 Ebd., S. 176. 78 Ebd. 79 Wörtlich heißt es: »Or chi desidera con questi avisi dati di farsi esperto nella cognizione de i cangianti, vegga tutte le opere del principal fra tutti i pittori in questa parte, Gaudenzio, come gli angeli dipinta sotto la turvina, o tiburio, di Santa Maria di Serono e quivi in Milano in Santa Maria delle Grazie, nella capella di Santa Corona[.]« Ebd., S. 176. 80 Ebd., S. 176. 81 Lomazzo mahnt, »che altro non sembreranno i panni loro che pietre machiate di diversi colori, fatti per dilettar gl’occhi.« Ebd., S. 176. Bunt gefleckte Steine erinnern sogleich an Leonardos Empfehlung für Maler, fleckige Steinwände zu betrachten und dabei der Fantasie zum Erkennen von Gestalten freien Lauf zu lassen. Siehe oben bereits Kapitel 4 Anm. 93 und 198.
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Nebenrolle besetzende Motiv der panni, das als der Darstellungsbereich angesehen werden kann, der im Idealfall die wohlproportionierten Bildfiguren und ihre Bewegungsimpulse faltig und kunstvoll umspielt, wird hier nun bemerkenswerterweise zu einem zentralen Kreativitätsfeld. Auf diesem wird ein für gute Malerei äußerst relevantes Wissen um Farbgebung anschaulich, ein Wissen, das mit der vaghezza eine bestimmte Unbestimmtheit zum Thema macht. Vaghezza bezeichnet in diesem Zusammenhang also durchdachte Farbverläufe, ein kalkuliertes aber zugleich auch rational nicht allumfassend einholbares harmonisches Changieren chromatischer Werte. Die umherwandernde, anziehende, verführende und stets auch riskant schöne vaghezza wird eingekreist in den abgestuften colori cangianti der panni. Das Kombinieren von Farben thematisiert Lomazzo freilich noch einmal ausführlich im Praxis-Buch des Traktats und versucht Anleitungen zu formulieren, um eine bewundernswerte, lebendig wirkende, wandlungsfähige Farbschönheit insbesondere in istorie zu kreieren, in denen viele buntgekleidete Bildfiguren auftreten.82 Gerade dort sieht Lomazzo es als besonders wichtig an »una certa armonia soave a gl’occhi« zu schaffen – ohne Dissonanzen, die bspw. dann entstehen, wenn ein lebhaftes, liebliches Grün mit einem flammenden, wilden Rot kombiniert werde.83 Ungewünschte Dissonanzen werden laut Lomazzo auch dann erzeugt, wenn Weiß und Schwarz unvermittelt nebeneinander auftauchen. Eben gerade aus der Vermeidung von Extremen bzw. Gegensätzen resultiere, so Lomazzo, »quella vaghezza che si ricerca nelle pitture.«84 Jeder Farbton habe gewissermaßen seinen Verwandtschaftskreis, den Lomazzo anhand unterschiedlicher Beispiele aufzeigt, um nachvollziehbar zu machen, wie sich »vaghezza ordinata, e senza confusione de gl’occhi« erzeugen lasse.85 Er erläutert durch welche Mittelwerte sich sehr unterschiedliche Farbwerte mit einander verbinden lassen und so als gemäßigte vaghezza (»temperata vaghezza«) wirksam werden können.86 Er zählt verschiedene Farbtöne auf, die miteinander umherschweifen (»vagheggiano«).87 Erneut hebt er Raffael als den Maler hervor, 82 Für eine Auflistung passender Farbkombinationen siehe ebd., S. 266 f. 83 Er mahnt an, darauf zu achten, dass »non vi si scorga alcuna dissonanza, la quale risultarebbe (per essempio) se si vedesse un verde vivo tanto soave a canto ad un rosso infiammato tutto acuto e fiero.« Lomazzo, »Trattato«, S. 265 f. 84 Ebd., S. 266. 85 »Sí che renderanno vaghezza ordinata, e senza confusione de gl’occhi, fra di loro, i colori purpurei, pavonazzi, cilestri, turchini, verdi et azurri, sí come propinqui per la composizione del rosso e del nero. Per la composizione del rosso e bianco sono di temperata vaghezza fra di loro i gialli, incarnati, rosati, dorati, ranzati, flaminei, pallidi, verdi, sbiavi e turchini chiari. Col rosso infiammato solamente vagheggiano, per la parte verso il nero, i colori purpurei, pavonazzi, taneti e cilestri; e per la parte verso il bianco, i gialli, incarnati, rosati, dorati, flaminei e ranzati […].« Ebd., S. 266. 86 Ebd. 87 Ebd.
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der derartige »convenienti vaghezze« stets beachtet habe und in dessen Bildern niemals »troppo vaghezza« den Blick und die Urteilsfähigkeit der Betrachtenden verwirren.88 Erneut wird zudem der »gioviale filosofo e pittore Gaudenzio« lobend erwähnt sowie Parmigianino.89 Die Spezifizierung der vaghezza als vaghezza ordinata, vaghezza temperata oder auch convenienti vaghezze bezeugt einmal mehr Lomazzos intensive Bemühungen, die der vaghezza inhärente Unbestimmtheit zu ordnen und zu kontrollieren. Dadurch wird versuchsweise ein Bewertungsmaßstab bzw. -rahmen geschaffen und vaghezza als eine regulierbare und v. a. aber auch notwendigerweise zu regulierende, wirkungsästhetische Qualität präsentiert. Um vaghezza gelungen ins Bild setzen zu können, gilt es gemäß Lomazzo angeleitet durch die Orientierungshilfen der textverfassten Theorie modellhafte Kunstwerke zu studieren und Wissen über Anschauung zu erlangen. Auf diese Weise wird die elusive epistemische Dimension der vaghezza reflektierbar, beurteilbar und beansprucht Geltung. Denn schlussendlich wird mit Blick auf Lomazzos Auseinandersetzungen mit der vaghezza deutlich, dass die Kategorie eine wichtige Systemstelle in der Nachahmungsästhetik seines Lehrwerks besetzt: An der richtigen Stelle zur Erscheinung gebracht, macht sie ein besonderes Wissen im Umgang mit Farben sichtbar, zu dem ein Verständnis und Gespür einerseits für chromatische Harmonien und andererseits für die Angemessenheit und das Ausmaß dieses Modus des sinnlich Schönen gehört – ein Wissen, das sich eruieren, erfahren, betrachten, beurteilen und v. a. bildkünstlerisch artikulieren, nicht aber in Propositionen erläutern oder präzise messen lässt. Auch das den disegno und giudicio gefährdende Zuviel der vaghezza lässt sich nicht näher fassen, sondern nur als Risiko ansprechen. Ein Risiko birgt eine Kategorie elusiven Wissens für ein theoretisch-systematisches Lehrwerk quasi naturgemäß; mit ihren materialimmanenten, sinnlichen Valenzen des Schönen läuft die vaghezza aber in Lomazzos Konzeption (wie auch in anderen zuvor skizzierten cinquecentesken Positionen) eben gerade auch Gefahr, bei falschem Umgang den über disegno und giudicio rational kodierten Zugang zum Schönen auf prekäre Weise zu verschatten. Auch in der Idea del tempio della pittura (1590) wird die vaghezza zwischen positiv besetzter lizensierter Unbestimmtheit und negativ bewertetem Übermaß bzw. Fehlbesetzung besprochen. Erneut erhält die Kategorie genau dann Relevanz und Prägnanz, wenn sie in Bezug auf die sinnlich erfahrbare und materialisierte Schönheit bildkünstlerischer Farbgebung zur Sprache kommt; 88 »Queste convenienti vaghezze osservò sempre Raffaello fra gl’altri; per il che giamai non volse, o almeno di rado, porre un particolar colore de’ sopradetti a canto a un altro, onde ne potesse nascere troppo vaghezza a gl’occhi e levar alcuna parte del giudicio al riguardante. E questo ancora usò il gioviale filosofo e pittore Gaudenzio, nelle cui opere si scorge tutta questa arte. L’usò altresì il Parmigiano e molti altri[.]« Ebd., S. 267. 89 Ebd.
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und erneut ist sie riskant. So kritisiert Lomazzo Künstler, die sich allein auf eine wirkmächtige, schöne und gefällige Farbgebung (»vaghezza esteriore di colori«) konzentrieren und dadurch des vernunftmäßigen Urteils (»giuditio proportionato con ragione«) entbehren.90 Lomazzo fordert also auch in dieser Schrift die – wie auch immer geartete – angemessene Verschränkung von vaghezza de’ colori mit giudicio und disegno ein. Daher sehe er sich gezwungen, scharfe Kritik an der Mode der zeitgenössischen italienischen sowie nordalpinen Malerei zu üben, die ausschließlich die Farbgebung und deren vaghezza fokussieren und dabei den disegno vernachlässigen.91 Ein unkontrolliertes »non so che di vaghezza« fasst Lomazzo nicht als faszinierendes Qualitätsmerkmal, sondern als Gefahr, die wahren Kunstkennern und Künstlern kein Gefallen bereite.92 Lomazzos intensive Auseinandersetzungen mit der vaghezza in seinen Theorietexten verdeutlichen die Virulenz produktions- wie auch rezeptionsästhetischer Fragen nach Konzeptionen und Evidenzeffekten des sinnlich Schönen, v. a. am Beispiel des Darstellungsbereichs der Farbgebung. Die Aktualität sowie Verbreitung von Fragen um das Schöne in Natur und Kunst zeigt sich im ausgehenden 16. Jahrhundert bspw. auch in einem im lombardischen Casalmaggiore veröffentlichten Trattato in Compendio della Bellezza, secondo l’opinione di diversi Filosofi des Cremonesers Giovanni Maria Paroli, in dem die problematische Suche nach Definitionen und Verortungen bzw. ästhetischen Konkretisierungen von Schönheit in Anbetracht der Pluralität und Diversität sehr geltungsmächtiger Positionen offenkundig wird.93 Paroli stellt in diesem Buch 90 Lomazzo, Giovan Paolo, Idea del tempio della pittura, Paolo Gottardo Ponto, Mailand 1590, S. 69. Diesen Aspekt wiederholt Lomazzo auf S. 75. 91 »E quivi sono forzato ancora detestare quella corrottissima ragion di colorare secondo i colori ch’è tanto andata avanti ch’omai tutta l’Italia, & le Germanie ne sono impiastrate, si che per parlare alla schieta à questi tempi i pittori più sono solleciti de i colori che del disegno della vaghezza che della forza dell’arte, del guadagno che della laude[.]« Ebd., S. 101. 92 »Mà se si rivolgiamo alle compositioni di questi ripieni di furore, ancora che nella prima vista porgano non sò che di vaghezza, per la virtù del colore, & anco per il chiaro, & iscuro, che haverà ben inteso, non essendo per il resto introdotte con consideratione opportuna, come prima vi affissiamo adosso gli occhi della ragione, subito giudichiamo che sono scatenate, & prive affatto di tutto quello che si li doverà di ragione, siche le sprezziamo come quelle che non sono Imagini di verità rappresentate con le sue debite aderenze come cose fatte per furia, & à caso, dove piùtosto si vede usurpatione che osservation d’arte[.]« Ebd., S. 113. 93 Paroli, Giovanni Maria, »Trattato in Compendio della Bellezza, secondo l’opinione di diversi Filosofi«, in: ders., Della Liberalità; e della Belleza. Di Gio. Maria Parolo Cittadino Cremonese. In Casalmaggiore, col consenso dei Superiori, Casalmaggiore o. J., S. 2–76. (Ohne Erscheinungsdatum; die Bibliothek in Cremona gibt Ende der 1580er/90er-Jahre an). Der Cremoneser Giovanni Maria Paroli widmete dieses Buch Vincenzo Gonzaga, dem Herzog von Mantua, und in einer zweiten Auflage dem Herzog von Parma und Piacenza, Rainuccio Farnese.
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in thematisch gegliederten Kapiteln unterschiedliche Meinungen und Aspekte bzgl. der bellezza zusammen. Zentral ist stets die Frage, ob denn Schönheit in der Natur und in den irdischen Dingen wiederzufinden sei; und gerade dort ist auch die vaghezza wieder von Belang. Der Sophist Protagoras, heißt es etwa, sei der Meinung gewesen, dass die bellezza niemals einfach in den Dingen der Natur zu finden sei. Denn auch wenn man gewiss manch Schönes (»beltà alcuna«) dort wiederfinde, sei es jene »vaghezza«, die durch das Auge diebisch ins Herz der Verliebten dringe und den Wunsch entfache, sich mit der geliebten Sache zu verbinden.94 Auch an anderer Stelle verweist das Wortfeld von vaghezza auf eine gänzlich diesseitige, sinnliche, verführerische Schönheit – und zwar im Kontext eines Platon zugeordneten Bestimmungsversuchs von gratia. Die »gratia«, so liest man, begnüge sich nicht damit, einen Ort auszuwählen, sie schweife (»vaga«) vielmehr von unterschiedlichen Plätzen zu tausenden Orten, erfreue und reiße die Seele der Liebenden mit einem süßen Lächeln, Glanz in den Auge oder auch der »vaghezza« goldener Haare mit sich.95 Während bei Paroli vaghezza im Kontext der Darlegung ganz unterschiedlicher Schönheitskonzepte zur Sprache kommt, wird im nun folgenden Kapitel ein sehr strategischer und spezifischer Einsatz der ästhetischen Kategorie zur Konzeption eines sowohl regionalen wie auch individuellen künstlerischen Stils anhand der Analyse des Discorso des Cremoneser Alessandro Lamo herausgearbeitet.
94 »[L]a bellezza semplicemente nelle cose naturali ritrovare non si potrà giamai, e se pure beltà alcuna vi si ritroverà, ella sarà quella vaghezza, che per l’occhio furtivamente entrando nel cuore dell’amante l’accade di desiderio di congiungersi con la cosa amata.« Ebd., S. 2. 95 »Il divino Platone afferma, che la bellezza si ritrova corporea, e incorporea, dicendo, che essa in tutto è una gratia, ò almeno in buona parte, la quale dolcemente piaccia a gli amanti. […] [Dice che] la gratia non habbia parte in un bel corpo, la quale sia certa à lei: ma che stiasi da se sola. Inoltre vuole, che la gratia gratiosamente rida ad alcune giovani Donne ne gli occhi, ad alcune nella voce, ad altre nella soavità della favela, à chi nelle mani, à chi nell’andar soave, e à chi ne costume, soggiungendo, non si contenta di scegliere un luogo: ma vaga di diverse sedi da mille luoghi diletta, e rapisce gli animi de gli amanti […] [quando] da due vivi rubinetti, che bellissima rendono una bocca, quando dal folgorar d’un dolce riso, quando dal lampeggiar di due occhi, anzi da due vivi Soli, quando dal candor d’intatte, & animate nevi, e quando dalla Vaghezza di dorati capegli in una amorosa rete, anzi in un vago Paradiso, tirato dolcemente egli [l’amante] si scorge [.]« Ebd., S. 21.
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5.2 Alessandro Lamos Discorso (1584) – Vaghezza, die Konzeption regionalen Stils und verschwiegene Konkurrenzen Alessandro Lamos Discorso intorno alla scoltura, et pittura, dove ragiona della vita, et opere in molti luoghi, et à diversi prencipi et personaggi fatte dall’Eccell. et Nobile M. Bernardino Campo, pittore cremonese erschien im Dezember 1584 in Cremona und ist Vespasiano Gonzaga Colonna, dem Herzog Sabbionetas gewidmet.96 Der Discorso des Cremoneser Literaten Lamo besteht – neben Paratexten wie der Widmung – aus einem umfangreichen, theoretisch ausgerichteten Proöm und der Biographie des zur Zeit der Publikation des Buches noch lebenden Cremoneser Künstlers Bernardino Campi. Er stellt damit ein Gattungsformat dar, das im 16. Jahrhundert selten und erst im 17. Jahrhundert im Kontext regionaler Geschichtsschreibungen sehr viel weiter verbreitet sein würde.97 Wie bereits in Kapitel 3.1 thematisiert, erschien im Anhang zu Lamos Vita Bernar dinos der Parer sopra la pittura aus der Feder Campis, der hinsichtlich seiner Themensetzung und Besprechung der Werkstattpraxis des Malers für seine Zeit ebenfalls ungewöhnlich ist.98 In der bisherigen Forschung wurde das gesamte Buch wenig beachtet und wenn, dann wurde Lamos Text vornehmlich als eine wichtige zeitgenössische Quelle für Zuschreibungs- und Datierungsfragen hinsichtlich des Œuvres Campis in den Blick genommen.99 In der vorliegenden 96 Discorso di Alessandro Lamo intorno alla Scoltura, et Pittura, dove ragiona della Vita, & Opere in molti luoghi, & à diversi Prencipi, & Personaggi fatte dall’Eccell. Nobile M. Bernardino Campo Pittore Cremonese. All’Illustriss. Et Eccellentiss. Sig. il Sig. Vespasiano Gonzaga Colonna Duca di Sabioneta, e Traieto, Marchese d’Hostiano, Conte di Fondi, e Rodigo & c., Christoforo Draconi, Cremona 1584. 97 Vgl. zum Genre des Buches und seiner Bedeutung Julius von Schlossers – von einer starken Wertung der Malerei Campis flankierte – Einordnung von Lamos Schrift: »Aber nicht sowohl in diesen sehr eingehenden und vertrauenswürdigen Nachrichten eines Zeitgenossen über einen ihm befreundeten und noch lebenden Künstler liegt ihre eigentliche Bedeutung, sondern darin, daß sie das erste Zeugnis jener im folgenden Jahrhundert mit steigender Fülle einsetzenden regionalen Geschichtsschreibung ist, die ebensowohl an Vasari anknüpfend wie, besonders in Oberitalien, in bewußter Opposition gegen ihn, die Verdienste der einheimischen Künstler oft in einer weit ihre wirkliche Bedeutung übersteigenden Weise, in echtem alten Munizipalgeist, zu verherrlichen trachtet.« Schlosser, Julius von, Die Kunstliteratur. Ein Handbuch zur Quellenkunde der neueren Kunstgeschichte, Wien 1985 (1924), S. 323 f. 98 Zum Parer sopra la pittura siehe auch Kapitel 3.1. 99 Nach der editio princeps wurde der Discorso erstmals 1774 neu aufgelegt und erschien in einem Sammelwerk mit den Notizie istoriche de’ pittori, scultori, ed architetti cremonesi von Giovanni Battista Zaist. Eine kritische Ausgabe des Buches gemäß der editio princeps steht allerdings aus und sollte möglichst einen präzisen Vergleich von der cinquecentesken Edition mit der in der Forschung oftmals verwendeten settecentesken Ausgabe
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Fallstudie wird das Buch nun auf seine Teilhabe am ästhetischen Diskurs des Cinquecento hin untersucht und mittels der Analyse von vaghezza & maniere v. a. auf konzeptuelle Aspekte hin erörtert. Im Widmungsschreiben wird zunächst erläutert, dass Alessandro Lamo noch vor Fertigstellung der Publikation Anfang der 1580er-Jahre nach Spanien gezogen war und daher den Text nicht selbst dem Verleger übergeben konnte. Stattdessen hatte er den Cremoneser Künstler Giovanni Battista Trotto, genannt il Malosso, gebeten, das Werk druckfertig zu machen, weshalb schließlich die Widmung an Vespasiano Gonzaga von Trotto verfasst wurde. Il Malosso selbst wird im Discorso als Schüler Bernardinos vorgestellt und für seine »leggiadria, e bella sua maniera« sowie seinen »maturissimo giudicio« gelobt.100 Bereits die Genese und Zusammensetzung des Buches, sprich die Drucklegung durch Trotto und die bereits von Lamo geplante Integration von Campis Parer, weisen auf die gute Vernetzung des Literaten in der Cremoneser Kunstszene hin.101 Die Cremoneser Kultur- und Kunstszene war derweil gekennzeichnet durch das ausgeprägte Verständnis einer eigenen kulturellen Identität – ein Selbstverständnis, das sich in Lamos Discorso sowie insbesondere auch in Antonio Campis berühmtem Buch Cremona fedelissima Città zeigt, welches von der Geschichte und Kultur Cremonas berichtet, u. a. durch ein Lobgedicht Lamos eröffnet wird und in der zweiten Ausgabe von 1585 mit zahlreichen hochwertigen Kupferstichen von Agostino Carracci ausgestattet ist.102 Zudem wurden die lokalen Bildkünstler Cremonas – anders als bspw. die in Mailand ansässigen – durch ein protektionistisches Zunftsystem bei der Vergabe regionaler Aufträge bevorzugt und somit in ihrer Stellung gestärkt und abgesichert. Zugleich erfreuten sich etliche renommierte Cremoneser Künstler über die Stadtgrenzen hinaus großer Beliebtheit v. a. bei Mitgliedern der spanisch-habsburgischen Regie
beinhalten. Identisch sind die beiden Ausgaben jedenfalls nicht, wie Stichproben belegen. In der Erstausgabe heißt es bspw. auf S. 89 »smisurata«, während in der Ausgabe von 1774 »proporzionata« zu lesen ist. Außerdem fehlen in der späteren Ausgabe einige der Sonette im Anhang an Campis Parer und die Abbildung von Bernardinos Proportionsstudie am Ende seiner Schrift ist spiegelverkehrt gedruckt. 100 Siehe: Lamo, Discorso, S. 105 f. 101 Zum Abdruck von Campis Parer merkt Lamo im Discorso an: »[Bernardino] compose un discorso di pittura, il quale, perche ho giudicato molto giovevole, & necessario a chi si diletta di ben operare, ho pensato bene à porlo qui in fine di questo mio ragionamento.« Ebd., S. 56. 102 Cremona war von 1499 bis 1509 von Venedig aus regiert worden, gehörte danach bis zum Jahr 1525 zum Herzogtum Mailand und fiel anschließend – wie die gesamte Lombardei – unter die spanische Krone. Siehe: Marini, Maurizio, »›Cremona fedelissima‹ tra Milano, Venezia e Ferrara: dai fratelli Campi al Caravaggio«, in: Il Cinquecento lombardo. Da Leonardo a Caravaggio, hg. v. Flavio Caroli, Mailand 2000, S. 539–563, S. 541. Siehe zu Antonio Campis Buch: Campi, Antonio, Cremona Fedelissima Citta, et Nobilissima Colonia de Romani reppresentata in Disegno col suo Contado, et illustrata d’una breve Historia delle Cose piu Notabili appartenenti ad Essa, et de i Ritratti Naturali de Duchi et Duchesse di Milano, e Compendio delle lor Vite, Cremona 1585.
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rungselite der Lombardei, bei der Mailänder Aristokratie sowie beim Mailänder Erzbischof Carlo Borromeo.103 Zu den bekannten Cremoneser Malern jener Zeit zählen neben dem bis 1546 aktiven Camillo Boccaccino und dem bis 1576 tätigen Bernardino Gatti v. a. die Protagonisten des Secondo Cinquecento: die drei Brüder Giulio, Antonio und Vincenzo Campi sowie Bernardino Campi, der mit den ersten dreien nicht verwandt, lediglich bei Giulio Campi in Cremona ausgebildet worden war.104 Der in Lamos Discorso im Zentrum stehende Bernardino Campi wurde 1522 in Reggio Emilia geboren, verstand sich aber als Cremoneser und signierte seine Werke mit dem Zusatz »cremonensis«.105 Bernardino erhielt zahlreiche Aufträge prominenter Persönlichkeiten und war – wie die Brüder Campi – v. a. in Cremona und Mailand tätig, wo er Werkstätten leitete.106 Zu seinen Schülerinnen und Schülern zählen neben dem erwähnten Malosso die renommierte Cremoneser Malerin Sofonisba Anguissola und deren Schwester Elena.107 Bernardino selbst war sowohl als Maler mythologischer und sakraler Sujets, als auch und v. a. als Porträtmaler sehr gefragt und galt als famigliare der d’Avalos, Ippolita Gonzagas, Vespasiano Gonzagas sowie Ferrante Gonzagas.108 1559 porträtierte er bspw. Vespasiano Gonzaga als Artillerieoffizier (Farbtafel 62) und stellte den Herzog von Sabbioneta, wie Marco Tanzi hervorhebt, in Referenz 103 Siehe: Marini, »›Cremona fedelissima‹«, S. 541. Zum Verhältnis italienischer Künstler und spanischer Auftraggeber während der spanisch-habsburgischen Regentschaft über große Teile Italiens siehe allg.: Baker-Bates, Piers, »›Graecia Capta Ferum Victorem Coepit‹: Spanish Patrons and Italian Artists«, in: The Spanish Presence in Sixteenth-Century Italy: Images of Iberia, hg. v. Piers Baker-Bates und Miles Pattenden, Farnham 2015, S. 127–151. 104 Siehe weiterführend: Gregori, Mina (Hg.), I Campi, cultura artistica cremonese del Cinquecento, Mailand 1985; De Klerck, Bram, The Brothers Campi: Images and Devotion. Religious Painting in Sixteenth-century Lombardy, Amsterdam 1999; Tanzi, Marco, I Campi, Mailand 2004; Fino, Clotilde, »L’attività di Bernardino Campi nel Lodigiano«, in: Quaderni dell’archivio storico di Lodi, 16 (2007), S. 3–28; Aiello, Patrizio, »Alessandro Lami, oltre Bernardino Campi«, in: Un seminario sul manierismo in Lombardia, hg. v. Giovanni Agosti und Jacopo Stoppa, Mailand 2017, S. 217–238, hier v. a. S. 225. 105 Siehe: Aiello, »Alessandro Lami«, S. 233. 106 Bernardino führte zudem Aufträge in Sabbioneta, Mantua, Caronno Pertusella sowie in der Certosa di Pavia aus und war am Ende seiner Karriere im Dienste von Ferrante II . Gonzaga v. a. in Guastallo tätig. 107 Siehe: Jacobs, Frederika H., »Woman’s Capacity to Create: The Unusual Case of Sofonisba Anguissola«, in: Renaissance Quarterly, 47/1 (1994), S. 74–101, S. 75, 78; Marini, »›Cremona fedelissima‹«, S. 542 ff.; Tanzi, I Campi, S. 17 ff.; Fino, »L’attività di Bernardino«, S. 6, 14; Sartori, Giovanni, »Il Cantiere del Palazzo Giardino. Considerazioni intorno alla cultura artistica Sabbionetana negli anni ottanta del Cinquecento«, in: Dei ed eroi nel Palazzo Giardino a Sabbioneta. Miti e allegorie per un principe umanista, hg. v. Leandro Ventura, Rom 2008, S. 67–83, S. 72 f. 108 Siehe: Tanzi, I Campi, S. 17 ff.; Soldini, Nicola, ›Nec spe nec metu‹. La Gonzaga: architettura e corte nella Milano di Carlo V, Florenz 2007, S. 192; Ruggeri, Elia, »I D’Avalos e la pittura: i ritratti di Bernardino Campi«, in: Storia Locale. Insula Fulcheria, 39 (2009), S. 8–17, S. 8.
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auf Bildnisse Philipp II. von der Hand des gerade auch in Cremona angesehenen flämischen Meisters Anthonis Mor dar.109 Alessandro Lamo wiederum war ein angesehener Cremoneser Literat, der vor dem Discorso 1572 ein Werk namens Sogno non meno piacevole che morale publiziert hatte.110 Bereits dieser Text enthält Referenzen auf fünfzehn Cremoneser Künstlerinnen und Künstler in Form von elogischen Versen über u. a. Sofonisba und Europa Anguissola, Andrea Guazzalotti, Camillo Boccaccino, die drei Campi-Brüder, Giovanni Maria Zuppelli, Francesco Somenzi, Gervasio Gatti genannt il Sojaro sowie Bernardino Campi. Anders als im Discorso finden sich im Sogno ausschließlich konventionelle, topische Lobverse und paragonale Vergleiche der Cremoneser Kunstschaffenden mit antiken Malerinnen und Malern.111 Im Discorso dann geht es hingegen, wie im Folgenden nachvollzogen wird, um aktuelle Kunstdebatten, Wissensfragen, Auseinandersetzungen mit cinquecentesken Kunstgeschichten und konkrete Biographien sowie Kunstwerke. Gegliedert ist der Discorso wie folgt: Auf die von Giovanni Battista Trotto verfasste Widmung an Vespasiano Gonzaga schließt Lamos Text an, der mit einem sehr umfangreichen theoretischen und allgemein ausgerichteten Vorwort von knapp 30 Seiten beginnt. Danach eröffnet die Druckgraphik einer Porträtmedaille Bernardino Campis (Abb. 5.01) den Haupttext, in dem letztlich entgegen des Buchtitels ausschließlich Malerei besprochen wird. In den Prosatext sind zahlreiche Gedichte und Briefe eingefügt, die unterschiedliche Modi der Evi dentialisierung darstellen. Zum Abschluss des Buches findet sich der Abdruck des Parer Bernardino Campis, der, wie in Kapitel 3.1 gezeigt, wertvolle Einblicke in die konkrete Werkstattpraxis des Cremoneser Malers vermittelt. Betrachten wir zunächst das Proöm, in dem Lamo zum Auftakt die Relevanz, den epistemologischen Status sowie die epistemischen Funktionen von Malerei und Skulptur thematisiert. Beide Bildkünste werden als zwei der nobelsten und wichtigsten »buone scienze, & arti« präsentiert und als »vaghe professioni« bezeichnet.112 Mit ihren Werken bringen sie laut Lamo Ruhm, dienen der Belehrung und dem Erinnerungsvermögen, erfreuen und bewegen Menschen emotional und stellen »imagini, forme, simulachri, & historie« vielfältig und mit »vaghezza, efficacia, e spirito« anschaulich vor Augen (»rappresentano innanzi gli occhi«).113 Grundlegend für diese Kompetenzen sei, dass die Bildwerke lebendig erscheinen, als eine 109 Marco Tanzi verweist in diesem Zusammenhang auf zwei Gemälde von Anthonis Mor, eines in der Sammlung von El Escorial (Madrid) und ein weiteres im J. Paul Getty Museum (Los Angeles). Siehe: Tanzi, Marco, »Bernardino Campi. Ritratto di Vespasiano Gonzaga«, in: Costruire, abitare, pensare. Sabbioneta e Charleville. Città ideali dei Gonzaga, Ausst.kat., hg. v. Paolo Bertelli, Mantua 2017, Katalog-Nr. 8, S. 283–284. 110 Siehe zu Lamos Sogno weiter: Aiello, »Alessandro Lami«. 111 Siehe: ebd. 112 Lamo, Discorso, S. 4, 15. 113 Ebd., S. 6; siehe zudem: S. 4 f., 7.
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Abb. 5.01: Porträtmedaille Bernardino Campis, Druckgraphik, aus: Lamo, Alessandro, Discorso di Alessandro Lamo intorno alla Scoltura, et Pittura, dove ragiona della Vita, & Opere in molti luoghi, & à diversi Prencipi, & Personaggi fatte dall’Eccell. Nobile M. Bernardino Campo Pittore Cremonese, Cristoforo Draconi, Cremona 1584 – Foto: privat
quasi lebendige, zweite Natur (»una quasi viva, e seconda natura«).114 Als beispielhaft wird in diesem Zusammenhang die Porträtmalerei Bernardino Campis und Antonio Campis hervorgehoben. Zuvorderst sind Malerei und Skulptur aber für Lamo prinzipiell als Spiegel göttlicher Schönheit zu verstehen und können zugleich auch die Hässlichkeit der Hölle zeigen, insbesondere aber das für das menschliche Verhalten und Handeln vorbildhafte Leben Christi.115 Im Kontext dieser Vorstellung bringt Lamo vaghezza ins Spiel und zwar in Fülle bzw. gar im 114 Ebd., S. 15. 115 »[L]a Pittura, e la Scoltura sono quasi un lucidissimo specchio, & apparente spettacolo, che rappresentandoci la bellezza, e la gloria de’ Cieli; la bruttezza, e l’horrore dell’Inferno;
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Übermaß und als Wissen generierende Qualität all der Dinge, die die Bildkünste auf göttliche Weise zur Darstellung bringen können und die die Betrachtenden fortreißen, in Bann ziehen, heraustreten lassen aus sich selbst und vom Irdischen und Vergänglichen weg hin zur Liebe für das Himmlische und Unsterbliche führen: »[R]apiti in somma dalla soverchia vaghezza delle cose, che queste arti divinamente ci rappresentano, usciamo fuori di noi stessi, e sprezzando queste terrene, e manchevoli cose ci inamoriamo delle celesti, & immortali.«116 Die soverchia vaghezza der Darstellungsgegenstände löst also in Lamos von neuplatonischen Vorstellungen geprägten Idee den raptus hin zum Göttlichen aus. Im Gegensatz zu Lomazzos Forderung nach einer vaghezza ordinata (Kapitel 5.1) fasst Lamo die ungezügelte Wirkmacht der vaghezza als Erkenntnismotor, als Anstoß des Überwältigtwerdens im positivsten Sinn. Eine stete Steigerung bzw. Intensivierung von vaghezza in der Malerei führt im Rahmen von Lamos teleologisch ausgerichteter Geschichte antiker Malerei und antiker Malerinnen und Maler mit ihren maniere schließlich auch zur steten Perfektionierung der Kunst.117 Nach diesen Erläuterungen zu epistemischen Potentialen und epistemologischer Relevanz der Bildkünste, die maßgeblich an eine maßlose und mitreißende vaghezza gekoppelt werden, platziert Lamo schließlich das zweite große Thema seines programmatischen Vorworts und damit auch der nachfolgenden Künstlervita: die Kritik an Giorgio Vasari und seine eigene Aufgabe als Autor des Discorso. Der Cremoneser Literat wirft Vasari vor, die Cremoneser Künstler in den Vite nicht hinreichend beachtet zu haben, weswegen er sich nun veranlasst sehe, seiner Heimatstadt und ihren Künstlerinnen und Künstlern sowie deren Werken die verdiente Ehre zu erweisen und eine Korrektur von Vasaris Geschichten vorzunehmen (»corretrice delle sue historie [è] il debito mio«).118 Höhnisch fragt er Vasari, an wen er sich gewandt habe, um Informationen über die Cremoneser Künstler zu erhalten, und präsentiert seinen Discorso letztlich explizit als Korrektur der Kunstgeschichte des toskanischen Gelehrten.119 Konkret wirft Lamo Vasari vor, bspw. Werke Antonio Campis fälschlicherweise Giulio zugeschrieben und andere wichtige Künstler derweil völlig in seiner Geschichtsschreibung la alta Beatitudine de Celesti; le profonde pene de’ dannati; […] e finalmente di CHRISTO principalissimo specchio, & essempio d’ogni nostra operatione [.]« Ebd., S. 18. 116 Ebd., S. 18. 117 Lamo schreibt: »[Gli antichi] cominciarono dar alla Pittura più bella forma, e maniera dopo, che Polignoto, & Aglofante, Aristide, Nicomacho, & Eufranore, Canaco, e Calamide le accrebbero vaghezza, dopo, ch’ella di perfettione a perfettione maggiore tra passando, fu da Apelle in molti volumi perfettamente insegnata[.]« Ebd., S. 15. 118 »Iscusarami dico s’io scriverò qui cosa, che ’n qualche parte paia contraria à quello che ci ha lasciato scritto il Vasari, e corretrice delle sue historie il debito mio, l’honore, e la riputatione della patria mia. Deh dimmi da cui ti sei ricorso ò Vasari per haver vera, e certa informazione de gli Artefici Cremonesi?« Ebd., S. 25 f. 119 Ebd.
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ausgelassen zu haben – darunter eben gerade Bernardino Campi. Die Künstler wiederum, die Vasari einbezogen und erwähnt habe (unter jenen sind Bonifacio Bembo, Altobello Melone, Camillo Boccaccino, Bernardino Gatti sowie die drei Campi-Brüder), habe er lediglich kursorisch am Rande abgehandelt, wobei dann Schweigen doch noch besser gewesen wäre, kommentiert Lamo.120 Giorgio Vasari hatte seine durch einen umfassenden theoretischen Prätext eröffneten und in eine teleologische Geschichtsschreibung eingebundenen Künstlerviten bekanntermaßen erstmals 1550 und anschließend in einer überarbeiteten und erweiterten Fassung 1568 publiziert.121 Ein zentrales Anliegen seiner Vitenschreibung sah der Künstler und Autor Vasari eigenen Angaben zufolge darin, dass man durch die Vite lernen könne, wo sich bestimmte Kunstwerke befinden, aber gerade auch, wie man Perfektion und Imperfektion der Werke erkenne und wie man verschiedene maniere voneinander unterscheide.122 Dabei sei es seine Aufgabe, »i modi, le arie, le maniere, i tratti e le fantasie« der Maler und Bildhauer zu eruieren und die Ursachen (»cause«) und Wurzeln (»radici«) sowohl der unterschiedlichen maniere, als auch der Verbesserung und der Verschlechterung der Künste zu verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Personen zu untersuchen und für all jene nachvollziehbar zu machen, die dies nicht von sich aus bereits zu tun wissen.123 Thomas Ketelsen liest Vasaris Kunst120 Lamo schreibt: »Meglio è il tacer che ragionarne poco.« Ebd., S. 27. 121 Stephen Campbell hält zu Vasaris Vitenschreibung fest: »What is perhaps most distinctive about Vasari, in fact, is that history is constituted as the privileged form of theoretical reflection upon art. […] For me, the most striking thing about the Vasarian moment is that (like Alberti before him) it displaces a question that clearly preoccupied reflections on ›art‹ written by artists before Vasari – Cennini, Filarete, Leonardo, Hollanda – the question of what was art for and of what art could or should do.« Campbell, Stephen J., »Vasari’s Renaissance and its Renaissance Alternatives«, in: Renaissance Theory, hg. v. James Elkins und Robert Williams, New York 2008, S. 47–67, S. 50 und 55. Für einen Überblick zu Vasaris Schreiben über die Bildkünste und seiner Karriere als Autor und Künstler siehe aus der sehr umfangreichen Forschung bspw.: Rubin, Patricia Lee, Giorgio Vasari: Art and History, New Haven / London 1995; Vasari, Die Anfänge der Maniera Moderna; Vasari, Giorgio, Kunstgeschichte und Kunsttheorie. Eine Einführung in die Lebensbeschreibungen berühmter Künstler anhand der Proemien, neu übersetzt v. Victoria Lorini, hg., eingel. und kommentiert v. Matteo Burioni und Sabine Feser, Berlin 20042; Blum, Gerd, Giorgio Vasari. Der Erfinder der Renaissance. Eine Biographie, München 2011. 122 Vasari schreibt in der Ausgabe von 1568: »[N]elle Vite di essi artefici impareranno dove siano l’opere loro et a conoscere agevolmente la perfezzione o imperfezzione di quelle e discernere tra maniera e maniera[.]« Vasari, Giorgio, Le Vite de’ più eccellenti pittori scultori e architettori nelle redazioni del 1500 e del 1568, hg. v. Paola Barocchi und Rosanna Bettarini, Bd. 1 (testo), Florenz 1966, S. 29. 123 Wörtlich heißt es im Proöm von 1568: »[I]nvestigando, quanto più diligentemente ho saputo, di far conoscere a quegli che questo per se stessi non sanno fare, le cause e le radici delle maniere e del miglioramento e peggioramento delle arti accaduto in diversi tempi et in diverse persone.« Vasari, Giorgio, Le Vite de’ più eccellenti pittori scultori e architettori
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geschichtsschreibung auch als »reglementiert[e] Form der Wissensvermittlung und Wissenssteuerung«, die die Lesenden bei der Lektüre stark leitet.124 Innerhalb dieses Vermittlungsprogramms nun ist die Kategorie der maniera zentral. Sie erweist sich in ihrer Anwendung und Semantik allerdings – wie in der Einleitung des vorliegenden Kapitels erwähnt – bemerkenswerterweise als sehr vielseitig und bezeichnet je nach Kontext unterschiedliche Personalstile und individuelle Arbeitsweisen, aber auch regionale oder epochale Stile.125 Maniera ist dabei ein entscheidendes »epistemological tool«, mit dem Vasari seine Geschichte konstruiert und ordnet – eine Geschichte, die maßgeblich durch den florentinisch-römischen ästhetischen Diskurs geprägt ist bzw. diesen als Maßstab setzt.126 Für seinen nachdrücklichen und nachhaltig wirksamen Fokus auf das Kunstschaffen der tosko-romanischen Region kritisierte ihn nicht erst Alessandro Lamo in und mit dem Cremoneser Discorso, sondern direkt nach Erscheinen der ersten Ausgabe Vasaris Freund und Berater im Biographienprojekt, der Gelehrte Vincenzo Borghini, der den Autor der Künstlerviten anhielt, in der zweiten Ausgabe seinen Blick auf Genua, Venedig, Neapel und Mailand zu weiten.127 Borghinis Kritik und weitere Reisen Vasaris trugen wohl dazu bei, dass in der 1568er-Ausgabe ausführlichere und mitunter lobende Passagen u. a. eben auch zu Mailänder und Cremoneser Künstlern hinzukamen. Eigene Viten wurden diesen Künstlern jedoch nicht zugestanden – außer im Falle der Vita di Lorenzetto scultore et architetto fiorentino e di Boccaccino pittore cremonese (Vater Camillo Boccaccinos).128 Neben Borghini hatte sicherlich noch ein weiterer Freund und Berater Vasaris bedeutenden Anteil daran, dass mehr Informationen über lombardische nelle redazioni del 1500 e del 1568, hg. v. Paola Barocchi und Rosanna Bettarini, Bd. 3 (testo), Florenz 1971, S. 4. 124 Siehe: Ketelsen, Thomas, »Die Künstler-Viten Giorgio Vasaris als Wissensform und als Wissenschaftssteuerung«, in: Die Vita als Vermittlerin von Wissenschaft und Werk. Form- und Funktionsanalytische Untersuchungen zu frühneuzeitlichen Biographien von Gelehrten, Wissenschaftlern, Schriftstellern und Künstler, hg. v. Karl Enenkel und Claus Zittel, Berlin 2013, S. 331–343, S. 336. 125 Siehe hierzu Kapitel 5.1, Anm. 17. 126 Zum Zitat siehe: Sohm, Style, S. 86 (siehe auch Kapitel 5.1, Anm. 19). 127 Zu Borghinis Kritik in Vorbereitung der zweiten Edition der Vite siehe: Burioni, Matteo, »Biographie als Theorie. Der Wagemut des Architekten bei Vasari, Bellori und Félibien«, in: Architekt und / versus Baumeister. Die Frage nach dem Metier, hg. v. der Bibliothek Stiftung Werner Oechslin Einsiedeln, Zürich 2009, S. 30–39, S. 31 f.; Campbell, The Endless Periphery, S. 7. Zu Vasaris regionalem Fokus siehe u. a.: Wyss, Beat, »Kontinent Vasari. Die Institution Kunst und der Geist des Regionalismus«, in: Kunstforum International. Titelserie: Über das Kanonische, hg. v. Rainer Metzger, 162 (2002), S. 82–95. 128 Siehe zu diesen Aspekten: Gnaccolini, Laura P., »La letteratura artistica«, in: Pittura a Milano. Rinascimento e Manierismo, hg. v. Mina Gregori, Mailand 1998, S. 285–296, S. 287 f.
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Künstler Eingang in die Viten fanden, aber womöglich auch, dass das Projekt der Künstlerviten überhaupt konkretisiert und in die Tat umgesetzt wurde: Die Rede ist von dem aus dem lombardischen Como stammenden Historiker und Mediziner Paolo Giovio.129 Vasari selbst berichtet, dass sich die zündende Idee für seine Künstlerviten bei einem Gespräch während eines Abendessens in illustrer Runde im Hause des Kardinals Alessandro Farnese in Rom formierte.130 Konkret habe ihn Paolo Giovio angesprochen, als Künstler doch die Aufgabe zu übernehmen, endlich eine Geschichte der modernen Kunst und ihrer Künstler zu schreiben – ähnlich Plinius’ Schrift über die antike Kunst und ihre Kunstschaffenden; Giovio selbst habe erklärt, derartiges nicht leisten zu können, da er die maniere und Besonderheiten auf diesem Gebiet nicht kenne.131 Anders als Vasari war Giovio selbst kein Künstler, wohl aber ein bekannter Kunstkenner, der in seinem Haus am Comer See eine angesehene Sammlung von Porträts illustrer Persönlichkeiten begründet hatte, das sogenannte Museo Giovio.132 Zu dieser Sammlung hatte er 1545 die Elogia veris clarorum imaginibus apposita quae in Musaeo Ioviano Comi spectantur (Venedig 1546) verfasst, deren Struktur, wie Barbara Agosti anmerkt, Vorbild für Vasari sein konnte.133 Barbara Agosti belegt in diesem Zusammenhang u. a. anhand von Briefen stichhaltig, dass Giovio ein enger Berater Vasaris beim Viten-Projekt war, dass er die Erstausgabe als »revisore« kommentiert und dass er u. a. den Titel Le vite de gli eccellenti artefici vorgeschlagen hatte.134 Sie weist zudem daraufhin, dass die in die erste Ausgabe offenbar nachträglich eingestreuten Informationen zu vereinzelten lombardischen Künstlern ebenfalls vermutlich über Giovio vermittelt wurden.135 Insbesondere in der Vita von Lorenzetto und Boccaccino sowie in der Vita di Benvenuto Garofalo e di Girolamo da Carpi pittori ferraresi e d’altri lombardi finden sich wichtige Passagen zu Cremoneser und Mailänder Künstlern. 129 Zu Paolo Giovio siehe: Agosti, Barbara, Paolo Giovio. Uno storico lombardo nella cultura artistica del Cinquecento, Florenz 2008. 130 Siehe zum (vermutlich inszenierten) Bericht über das Abendessen in Referenz auf »die antike Tradition des Symposiums«: Blum, Giorgio Vasari, S. 151. 131 Wörtlich berichtet Vasari von Giovios Rede wie folgt: »Giorgio mio, voglio che prendiate voi questa fatica di distendere il tutto in quel modo che ottimamente veggio saprete fare, perciò che a me non dà il cuore, non conoscendo le maniere, né sapendo molti particolari che potrete sapere voi: sanzaché quando pure io facessi, farei il più [sic!] un trattatetto simile a quello di Plinio.« Vasari, Giorgio, Le Vite de’ più eccellenti pittori scultori e architettori nelle redazioni del 1550 e 1568, hg. v. Paola Barocchi und Rosanna Bettarini, Bd. 6 (testo), Florenz 1987, S. 389. 132 Siehe hierzu: Morandotti, Alessandro, »Milano nell’età di Carlo V e di Filippo II: la diffusione del ritratto di corte e l’affermazione di Giovanni Ambrogio Figino«, in: Il ritratto in Lombardia da Moroni a Ceruti, hg. v. Francesco Frangi und Alessandro Morandotti, Mailand 2002, S. 62–67, S. 66; sowie: Agosti, Paolo Giovio. 133 Siehe: Agosti, Paolo Giovio, S. 39. 134 Siehe: ebd., S. 40 f. 135 Siehe: ebd., S. 67.
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Der lombardische Historiker hatte zudem selbst um das Jahr 1525 drei Kurzbiographien auf Latein über die Künstler Leonardo da Vinci, Michelangelo Buonarroti und Raffaello Sanzio verfasst, die allerdings während des 16. Jahrhundert unveröffentlicht blieben.136 Giovios Künstlerviten sind kurz. Sie präsentieren keinen chronologisch geordneten Werkkatalog, wohl aber ein je unterschiedlich konzipiertes Lob zur Exzellenz des jeweiligen Künstlers und seiner Werke.137 In der Vita Leonardos konzentriert sich Giovio bspw. auf dessen Schaffenszeit am Sforza-Hof in Mailand und bedauert, dass keiner von Leonardos Schülern zu Ruhm gelangt sei – was nebenbei bemerkt eine für die Rezeption der leonardeschi durchaus folgenreiche Bemerkung sein sollte.138 Auch eine Beschreibung und ein Kunsturteil in der Vita Raffaels werden in der Rezeption der Malerei des Urbiner Künstlers immer wiederkehren. Giovio schreibt nämlich, dass es in Raffaels Werken nie an »venustas« (~ liebreizender Schönheit) mangele, die als »gratia« gedeutet werde.139 Diese mit der Kategorie der grazia enggeführte, besondere Schönheit, wird ein Schwerpunkt in der Beschreibungssprache der Raffael-Rezeption – insbesondere auch in Vasaris Viten.140 Zum Genre der Künstlerbiographie im 16. Jahrhundert lässt sich generell festhalten, dass es bis zur Mitte des Cinquecento in – frühneuzeitlich zumeist unediert gebliebenen – eher vereinzelten Fällen von Lorenzo Ghiberti, Antonio Tuccio Manetti, Bartholomeus Facius, Michele Savonarola und eben Paolo Giovio erprobt worden war.141 Um die Jahrhundertmitte bekam die Textgattung der biographischen Geschichtsschreibung in Florenz verstärkt Aufmerksamkeit: Zum einen begann ein anonymer Autor (der sogenannte Anonimo Magliabecchiano) eine Florentiner Kunstgeschichte zu verfassen, die nach Erscheinen von Vasaris Viten jedoch unvollendet und unpubliziert blieb. Zum anderen hatte Lilio Giraldi 1545 eine Cosimo de’ Medici gewidmete, umfassende Literaturgeschichte herausgegeben, die Ansporn sein mochte, ähnliches für die Bildkünste zu entwerfen.142 Als systematisches Kompendium von Künstlerbiographien »mit einem überindividuellen Theorierahmen« und mit der Konzeption unterschiedlicher maniere als ordnendem Prinzip von Geschichte und Kunstbetrachtung 136 137 138 139
Siehe: ebd., zur Datierung S. 51. und generell zu Giovio als »scrittore d’arte« S. 34–96. Siehe: ebd., S. 48 f. Siehe: ebd., S. 52 f. Giovio schreibt: »Caeterum in toto picturae genere numquam eius operi venustas defuit, quam gratiam interpretantur.« Giovio, Paolo, »Raphaelis Urbinatis vita«, in: Scritti d’Arte del Cinquecento, hg. v. Paola Barocchi, Bd. 1, Mailand / Neapel 1971, S. 13–18, S. 15. Siehe auch: Agosti, Paolo Giovio, S. 68–76. 140 Barbara Agosti hebt hervor, dass Giovio der erste sei »ad individuare nella pittura del Sanzio quella speciale bellezza, quella ›venustas (…) quam gratiam interpretantur‹ che diventerà la chiave di lettura usata da Vasari[.]« Agosti, Paolo Giovio, S. 71. 141 Siehe: Blum, Giorgio Vasari, S. 155; Wyss, »Kontinent Vasari«, S. 87 f. 142 Siehe: Blum, Giorgio Vasari, S. 152 f.
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werden Vasaris Vite in diesem Kontext ein origineller, einschlägiger und intensiv rezipierter Beitrag textverfasster Theorie im ästhetischen Diskurs.143 Sofortige Reaktion auf Vasaris Viten zeigt Ascanio Condivi mit seiner Michelangelo-Vita (1553) – der ersten gedruckten Einzelvita eines Künstlers; im Vergleich zu Vasaris Vita Michelangelos fokussiert bzw. entwirft Condivi eine dezidiert andere maniera Buonarrotis.144 Als eine weitere Reaktion auf Vasaris Schriftwerk kann Alessandro Lamos Discorso angesehen werden. Ungeachtet der direkten Kritik an Vasari weist Lamos Discorso als Vita Bernardino Campis mit allgemeinem Theorierahmen enge Parallelen zum Aufbau von Vasaris Geschichtswerk auf; er kann seinen Discorso mittels dieser Vergleichbarkeit aber letztlich noch einmal mehr als Konkurrenzgeschichte zu den Viten des Florentiners und deren regionalem Fokus positionieren. Auch bei Lamo folgt dem ausführlichen theoretischen Vorwort eine Porträtmedaille des entsprechenden Künstlers und danach die Künstlerbiographie, in der das Schaffen des Künstlers in einer bestimmten Tradition verortet und die künstlerische Ausbildung besprochen werden, in der aber insbesondere auch stilistische Merkmale und maniere konzipiert und einzelne Kunstwerke beschrieben werden sowie von der gesellschaftlichen Anerkennung des Künstlers berichtet wird.145 Parallelen zu Vasaris Viten finden sich ebenso hinsichtlich des Wechsels literarischer und rhetorischer Darstellungsweisen – von anekdotenhaftem Erzählen, über Bildbeschreibungen und belehrende Argumentationsgänge zum Zitieren von Briefen und Gedichten als Belege und Dokumentationen bzw. Veranschaulichungen bestimmter Aspekte. Sehr deutlich wird Lamos intensive Auseinandersetzung mit Vasaris Kunstgeschichte aber ebenso mit Blick auf gewisse Muster des Bewertens von Kunstwerken mittels ästhetischer Kategorien des Schönen und mit Blick auf sein Interesse an der Stilisierung einer regionalen maniera. Diese Agenda verfolgt Lamo anhand der Biographie Bernardino Campis, den er als den »campo« (~ das Feld, den Malgrund) auswählt, auf dem er die Ehre aller exzellenten Cremoneser Kunstschaffenden aufarbeiten will – »di dire d’ Bernardino Campo, campo veramente spatioso à me da reintegrare l’honore de gli eccellenti Artefici Cremonesi«.146
143 Zum Zitat siehe: Krüger, Grazia, S. 75. 144 Für einen erhellenden Vergleich von Vasaris und Condivis Viten Michelangelos und eine Analyse des divergenten Einsatzes der Kategorie der gratia siehe: Mac Carthy, »Grace«, hier v. a. S. 72. Zu Condivis Michelangelo-Biographie als erste gedruckte Einzelvita eines Künstlers siehe: Blum, Giorgio Vasari, S. 155. 145 Vgl.: Feser, Sabine / Lorini, Victoria, »Einführung«, in: Die Anfänge der Maniera Moderna. Giorgio Vasaris Viten Proemio, Leonardo, Giorgione, Correggio, übers. und bearbeitet v. dens., unter wissenschaftlicher Leitung von Alessandro Nova, hg. v. Kunstgeschichtlichen Institut der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Hildesheim / Zürich / New York 2001, S. 9–20, v. a. S. 18 f. 146 Lamo, Discorso, S. 27.
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Nach der Porträtmedaille Campis, in der der Maler in der spanischen Mode der Lombardei Mitte des 16. Jahrhunderts gekleidet ist (Abb. 5.01), skizziert Lamo zunächst das künstlerische Umfeld Bernardinos während der Ausbildungsjahre, wobei die Cremoneser Malerei Camillo Boccaccinos, Bernardo Gattis und Giulio Campis hervorgehoben werden.147 Bernardino sei zum Zeitpunkt des wahren Erblühens der Cremoneser Malerei herangewachsen, genauer gesagt »nel maggior colmo di perfettione che mai ci fosse da Cimabue« – daher gebe es keinen Grund Cadoro um Tizian, Urbino um Raffael oder Florenz um Michelangelo zu beneiden.148 Lamo untermauert gleich zu Beginn des Haupttexts den Anspruch, die Cremoneser Malerei im Wettbewerb mit anderen regionalen ästhetischen Diskursfeldern prominent zu platzieren. Bemerkungen Vasaris über Camillo Boccaccino kritisiert er und fragt den Kunsthistoriker aus Arezzo, den er als Feind lombardischer Maler (»nemico de’ Pittori Lombardi«) bezeichnet, streitlustig, dass ihm wohl die Werke Camillos klein und bedeutend erscheinen.149 Dabei sei Boccaccinos Gemälde des Heiligen Johannes in der Cremoneser Kirche San Sigismondo doch wohl schöner und wirke lebendiger als die von Vasari gelobte Darstellung des Jonah von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle.150 Der begnadetste und beste Cremoneser Maler ist für Lamo aber letztlich Bernardino Campi; er kann in Lamos Augen definitiv der italienweiten Konkurrenz standhalten. Dies demonstriert der Autor des Discorso mittels der Berichte von Künstlerwettbewerben zwischen Bernardino und Künstlern aus Florenz, Venedig und Mailand. Ippolita Gonzaga bspw. habe Bernardino und einen gewissen »Christoforo pittore di Firenze creato di Bronzino« Kopien der Porträts in Paolo Giovios Museo in Como anfertigen lassen und dann die Werke der beiden Künstler »al paragone« gestellt.151 Zusammen mit den urteilsfähigsten Hofleuten habe Ippolita schließlich Bernardinos Malerei als besser befunden, »più vago, più simile, e di più movente, e gratiosa maniera«.152 Die Signora habe Bernardino daraufhin zum famigliare ernannt. Weiter berichtet Lamo, dass Bernardino einen Auftrag der Fabbrica del Duomo di Milano für die Bemalung der Orgelflügel abgelehnt habe, um stattdessen in Mantua für den Marchese das 147 Siehe ebd., S. 28 f. 148 Ebd., S. 32. 149 Zum ersten Zitat des Satzes siehe: ebd., S. 39. Die Frage an Vasari lautet wörtlich wie folgt: »Ah Vasari picciole, e di puoca importanza ti sembrarono l’opere di Camillo?« siehe: ebd., S. 33. 150 Siehe: ebd., S. 33. 151 Siehe: ebd., S. 53. Bei dem Florentiner Künstler handelt es sich um Cristofano dell’Altissima, der 1552 von Cosimo de’ Medici nach Como gesandt worden war, um die Porträts in Paolo Giovios Museo zu kopieren. Cristofanos Gemälde befinden sich heute in den Uffizien in Florenz. Siehe zu dieser Passage und dem Hintergrund auch: Soldini, ›Nec spe nec metu‹, S. 193; Morandotti, »Milano nell’età di Carlo V e di Filippo II«, S. 62, 66. 152 Lamo, Discorso, S. 53.
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in der von Tizian gemalten Porträtserie von zwölf Imperatoren noch fehlende Bildnis des Kaisers Domitian anzufertigen.153 Bernardino habe in jenem Bild die »bella, e robusta maniera« Tizians derart imitiert, dass der Mantuaner Herzog gemeinsam mit den Kunstverständigsten seiner Entourage (»i più intenti dell’arte«) nicht unterscheiden konnte, welche Bilder von Tizian und welches von Campi gemalt worden waren.154 Erneut sei Bernardino zum famigliare ernannt worden, wie Lamo mit der Abschrift eines lateinischsprachigen Dokuments belegt, das am 1. Dezember 1562 unterzeichnet wurde mit »Il Marchese di Pescara / Franciscus Locadellus«.155 In dieser anekdotisch anmutenden Passage inszeniert Lamo letztlich das Wetteifern Campis mit der Malerei gerade jenes nicht lombardischen Künstlers, der in Mailand Anfang der 1540er-Jahre mit seinem berühmten Altarbild der Dornenkrönung für die Kirche Santa Maria delle Grazie für Aufsehen sorgte und der zu jener Zeit zum »official artist of the Habsburg household and the imperial regime« aufstieg.156 Anders als diese explizit gemachten Rangstreitigkeiten mit Künstlern aus Florenz und Venedig ist die Konkurrenz zwischen Cremona und Mailand bzw. Cremoneser und Mailänder Künstlern im Discorso eher nur subtil nachvollziehbar. Schließlich geht es Lamo nicht zuletzt darum, Bernardino als einen der prominentesten Künstler der lombardischen Malerei zu präsentieren. Wohl im Sinne dieser Nobilitierung Campis werden generell erfolgreiche und renommierte Mailänder Künstler sowie auch Kunstschriftsteller bzw. -theoretiker gänzlich verschwiegen, während Bernardinos künstlerisches Schaffen in Mailand eindringlich besprochen wird und seine Mailänder Auftraggeber vielfach namentlich genannt werden. Zusätzlich berichtet Lamo, dass Bernardino von Mitgliedern der gesellschaftlichen Elite Mailands ermuntert worden sei, nach Mailand zu ziehen, da man sich dort nach »buone, e vaghe Pitture« sehnte.157 Weder bereits verstorbene berühmte Mailänder Maler wie Bramantino, noch angesehene lebende Künstler wie Giovan Paolo Lomazzo, Giuseppe Arcimboldo, Girolamo Figino oder Aurelio Luini werden im Discorso mit ihren Werken berücksichtigt. Einzig der Maler und Leonardo-Erbe Francesco Melzi wird am Rande in einem zitierten Brief aus Mailand im Mai 1550 von Bernardo Spina an Campi als Kontaktperson für den Cremoneser Maler in Mailand erwähnt.158 Auf das Ausblenden der Mailänder Künstler und auf die Konkurrenz zwischen Cremoneser und Mailänder Künstlern wird daher noch weiter einzugehen sein, 153 Siehe ebd., S. 77. Zum Auftrag der Orgelflügel im Mailänder Dom siehe weiter unten in diesem Unterkapitel. 154 Ebd. 155 Ebd., S. 77 f. 156 Zitiert nach: Campbell, The Endless Periphery, S. 174. 157 Ebd., S. 35. 158 Ebd., S. 46.
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sobald die unterschiedlichen Aspekte von Lamos Präsentation der Malerei Bernardinos bzw. der Cremoneser ›Schule‹ erörtert sind. Generell schildert Lamo im Discorso detailliert die künstlerische Karriere Bernardinos und hebt dessen hohe Produktivität, Erfolg sowie Ansehen bei der gesellschaftlichen Elite Cremonas, Mailands, Mantuas und Sabbionetas hervor. In weitestgehend chronologischer Ordnung beschreibt er zahlreiche – und wie er betont, die bedeutendsten – Kunstwerke Campis, benennt deren Sujet, Material, Entstehungsort sowie Auftraggeber bzw. Auftraggeberin und setzt sie in Bezug zur Cremoneser Malerei des Cinquecento.159 Immer wieder fügt der Autor in seine Abhandlung Gedichte sowie Briefe ein. Die Briefe dienen zuvorderst der historischen Authentifizierung und Dokumentation von Bernardinos Ehrungen. Die Gedichte wiederum erweitern auf literarisch-poetische Weise Lamos Lob auf Bernardinos Malerei, bekräftigen es und exponieren einzelne Kunstwerke und deren Wirkungsästhetik. Zitiert wird z. B. ein Gedicht des Florentiner Bildhauers Cesare da Bagno über Bernardinos Porträt des Marchese di Pescara, in dem neben einem topischen Vergleich Bernardinos mit antiken Künstlern wie Apelles v. a. die Verschränkung von Künstlerhand und Intellekt in Campis Kunst sowie die Lebendigkeitswirkung des gewissermaßen von seiner schönsten Seite porträtierten Marchese betont werden.160 In den anderen zitierten Gedichten sowie prinzipiell im Discorso erweisen sind Schönheit und Lebendigkeit als rekurrente Qualitätsmerkmale der Werke Bernardinos und seiner Cremoneser Kollegen und Kolleginnen, darunter v. a. Sofonisba Anguissola.161 Von besonderer Prägnanz erscheint dabei in Lamos Beschreibungssprache, Kunsturteil sowie Stilkonzeption die ästhetische Kategorie der vaghezza, die – wie oben erörtert – auch im Proöm eine prominente Funktionsstelle besetzt. Betrachtet man die zahlreichen Anwendungsfälle der Kategorie im Hauptteil des Discorso in der Zusammenschau, fällt auf, dass Lamo vaghezza stets in einer spezifischen Kombination zur Sprache bringt, die zum Markenzeichen der Malerei Bernardinos und der Cremoneser Schule insgesamt ausgestaltet wird. 159 Zu seiner Werkauswahl merkt Lamo an: »[L]a mia intentione è solamente di descrivere l’opere di maggior importanza, e valore […] e per non deviare dalla pura verità dell’historia, sarà meglio, che anco tralasciandone alcune d’importanza, di quelle solamente favello, delle quali m’è stata resa certa, e fedele testimonianza.« Ebd., S. 87. 160 »Sopra il Ritratto dell’Illustrissimo Marchese di Pescara. Di Cesare da Bagno / Campi: ben la fedel tua mano arriva / Felice, à quanto sà l’alto intelletto, / Ch’hor de la chiara Idea Real concetto / Mostri ’n si bella imago, che par viva, / Ove si vede, che dal ciel deriva / L’altier sembiante; in un begnino aspetto; / Pien di doppio valor le membra, e’l petto, / et in lui sol, giunger le Gratie à riva, / Fù dunque tua degna aventura il pregio, / Haver del gran Guerrier d’Avalo, & saggio, / Qual d’Alessandro il fortunato Apelle, / Et non puoi di più forte, hoggi, & d’egregio, / Che di lui figurar parti più belle, / S’al centro, à noi, e al ciel luce il suo raggio.« Ebd., S. 65. 161 Siehe zu Sofonisba Anguissola: Jacobs, »Woman’s Capacity to Create«.
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So heißt es bspw. über Campis Porträt von Nicolo Secco (einem Ranghohen der Mailänder Justiz), dass das in Bernardinos Bildfindung zum Tragen kommende vollkommene Urteilsvermögen (»perfetto giudicio«) zusammen mit der »vagha maniera« der Farbgebung sowie der Exzellenz des disegno dem schöngeistigen Auftraggeber überaus gefielen, ihn vollkommen zufrieden stellten und Bernardino gleich den nächsten Auftrag in einer Kapelle in Caravaggio verschafften.162 Die Verschränkung von vaghezza, giudicio und disegno findet sich bemerkenswerterweise in weiteren Bildbesprechungen wieder, etwa in der Beschreibung einer mythologischen Darstellung Campis, die die beste Malerei sei, die es in Mailand gebe.163 In diesem Werk sehe man, so Lamo, in der Lebhaftigkeit der Haltungen, im Ausdruck der Gesichter, in den Gewändern sowie insgesamt in der Gesamtkomposition eine süße Erhabenheit (»dolce maestà«), eine bewundernswerte vaghezza und generell eine außerordentliche Sorgfalt des disegno.164 Lamo bewertet das Bild abschließend dann als ein Werk »di tanto giudicio, & accompagnata con tanto dissegno, & con tanta vaghezza di colorito«.165 Ebenso aufgrund der Verschränkung von disegno und vaghezza, aber diesmal in Korrelation mit »arte« lobt Lamo Campis Altarbild der Heiligen Caecilia an der Orgel mit der Heiligen Katharina (1562) für die Cremoneser Kirche San Sigismondo: ein Bild »di così bella, e viva maniera, che non manco il disegno, la vaghezza, e l’arte«.166 Mit Blick auf Bernardinos Fresken im Tambur derselben Kirche stellt Lamo des Weiteren heraus, dass Bernardino die vaghezza der Farbgebung und den guten disegno als zwei »perfettioni« ebenbürtig ins Bild zu setzen wisse.167 Bernardinos Kunst zeichnet sich gemäß Lamos Beschreibungen letztlich stets durch ein perfekt ausbalanciertes Verhältnis von giudicio, vaghezza di colorito und gutem disegno aus – damit stehen inventione und colorito sowie giudicio und eine »leggiadra mano« in Campis Kunst nicht in einem Konkurrenzverhältnis, sondern in perfekter Harmonie: »[N]e mai il suo giudicioso pensiero è stato ingannato dalla sua leggiadra mano, anzi i pennelli l’hanno sempre servito di 162 »Il perfetto giudicio di Bernardino nell’inventioni, et la vagha maniera nel colore aggiunta, con l’eccellenza del disegno diede tal gusto, e tal compita sodisfattione al bello animo del Sig. Nicolo Secco, ch’egli d’honorati doni, et della sua protettione degnandolo lo destinò à Caravaggio per depingere nella Capella del Corpo di Christo.« Lamo, Discorso, S. 45 f. 163 Ebd., S. 48. 164 »[S]i vede nella vivacità de gl’atti, nell’aria delle teste, ne i panni, & in tutto il componimento dell’opera una dolce maestà, una vaghezza mirabile, & in somma una estrema diligenza di disegno.« Ebd., S. 48. 165 Ebd. 166 Ebd., S. 79. 167 Lamo schreibt über die Fresken: »Al basso ci sono in diverse attitudini una infinità di figure del testamento vecchio, e nuovo, tanto vaghe di colorito, e di disegno buone, che non si fa quasi discernere, qual di queste due perfettioni sia piu lodevole, e piu famigliare al nostro Campi.« Ebd., S. 89 f.
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maniera, che non minor vaghezza rende nelle opere sue il colorito all’inventione, che l’inventione istesso ornamento all’opera.«168 Damit weist Lamo Bernardino und letztlich weiter gefasst der Cremoneser Malerei den Platz in der goldenen Mitte eines stilisierten Streits um colorito und disegno zu, in dem schwerpunktmäßig die venezianische und florentinisch-römische Malerei in zahlreichen Texten des ästhetischen Diskurses des Cinquecento gegeneinander ausgespielt werden. Mittels der Iteration der Korrelierung von giudicio, disegno und vaghezza, also gewissermaßen der Urteilskraft des Malers, der intellektuellen Konzeption seines Werkes und der wirkmächtigen, sinnlich schönen Farbkonfigurierung seiner Bilder wird Bernardinos maniera quasi zur Perfektion. Mit der Konzeption dieses Kategorienmix erweist sich Lamo freilich weniger als scharfsinniger und sprachlich innovativer, feinsinnig beschreibender Beobachter konkreter Gemälde und deren Faktur, sondern zuvorderst als Stratege in maniera-Debatten, der die Cremoneser Malerei innerhalb des ästhetischen Diskurses des Cinquecento zu nobilitieren und auf Augenhöhe mit anderen Konzeptionen regionaler Malereischulen ins Gespräch zu bringen sucht. Dass es Lamo zugleich nicht an einer gewissen Bildbetrachtungs- und Bildbeschreibungskompetenz mangelt, wird bspw. in der Besprechung von Bernardinos Altarbild der Anbetung der Hirten (1574) für die Cremoneser Kirche San Domenico deutlich (Abb. 5.02).169 Bezeichnenderweise spielt in dieser Bildbeschreibung das taktische Ausbalancieren der Begriffskonzepte vaghezza, disegno und giudicio gerade keine Rolle. Stattdessen beschreibt Lamo den disegno des Bildes als »ingegnoso, e vago« und konzentriert sich auf Aspekte wie den Umgang mit »prospettive«.170 Er hebt hervor, dass der Maler so gelehrt und geistreich die 168 Ebd., S. 91. 169 Auf dem Kunstmarkt waren in den letzten Jahren mehrere Bernardino Campi zugeschriebene Bildfindungen im Umlauf, die prinzipiell zur Beschreibung Lamos passen. Abb. 5.02 zeigt ein Gemälde aus diesem Kreis verwandter Anbetungen der Hirten. 170 »In s. Domenico di Cremona all’altare de i Sig. Picenardi è una bellissima ancona di mano di Bernardino, nella quale è dipinta la Natività del nostro Signore, & i pastori, che l’adorano, ornata di bellissimo paese, e di disegno ingegnoso, e vago, oltra che in questa sola tavola mostra Bernardino d’esser tanto compitamente dotto, & intelligente delle sottili osservationi, e regole della prospettiva, quanto della pittura; percioche ha talmente accompagnate le figure, & i colori coi lumi, che, dove è dipinto il presepio, pare, che sia giorno, e, dove sono i pastori, di lontano, sembra oscura notte; egli è il vero, che lo splendore, co’l quale apparisce l’Angelo è tanto ben inteso, che vagamente irraggia le tenebre della notte, con tal proportione, che le cose, che sono più discoste da questo lume, manco chiare vi si scorgono. L’istesso effetto fa la chiara luce, che d’ogn’ intorno lampeggia, della risplendente faccia del bambino, e da questi lumi acquistano le figure tutte tanto rilievo, e tanta moventia, che sembrano vive. In somma di questa tavola non si puotrebbe dir tanto bene, che fosse bastevole ad arrivare con le lodi al colmo delle sue perfettioni; percioche in lei risplendono tutte l’eccellenze, e le belezze del disegno, e dell’arte, di maniera, che puo essere essempio à chiunque desideri di bene operare.« Ebd., S. 95 f.
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Abb. 5.02: Umkreis Bernardino Campis, Anbetung der Hirten, 1570er-Jahre, Öl / Leinwand, 220 × 145 cm, Privatsammlung © Bologna, Fototeca Zeri
Regeln der Perspektive und Malerei beobachtete und beachtete und die Figuren und Farben derart mit Lichthöhen gestaltete, dass es beim Stall scheine, Tag zu sein, während es in der Ferne bei den Hirten noch dunkle Nacht zu sein scheine.171 Der Glanz wiederum, mit dem der Engel den Hirten erscheint, sei so gut erfasst, dass er »vagamente« die nächtliche Finsternis durchdringe und beleuchte, mit solcher »proportione«, dass die von dieser Lichtquelle des Glanzes weiter entfernten Dinge weniger hell seien.172 Denselben Effekt habe das helle Licht des leuchtenden Gesichts des Kindes. Von dieser Lichtquelle, erläutert Lamo, 171 Ebd. 172 Siehe oben das Zitat in Anm. 169.
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nehmen alle Figuren Plastizität und Bewegtheit an, so dass sie lebendig scheinen. Letztlich reiche kein Lob aus, um diese »perfettioni« angemessen zu ehren, denn in diesem Bild, so Lamo, erglänzen »tutte l’eccellenze, e le bellezze del disegno, e dell’arte«.173 So könne es allen, die gut arbeiten wollen, als Beispiel dienen. Campis Anbetung der Hirten wird so zum Modell erhoben, während die Inszenierung von Lichtquellen und Lichtdiffusion als entscheidende Charakteristika präsentiert werden. Das »vagamente« ist hier nicht strategisch als eine nahezu abstrakte Kategorie eingesetzt, sondern dient der Erfassung der Art und Weise sowie Qualität der bewundernswerten Veranschaulichung einer Streuung göttlichen Lichts. Lamos Interesse gilt hier dezidiert dem Licht- und Schattenverhältnis einer nächtlichen Szenerie, über das Nähe und Ferne sowie v. a. das göttliche Ereignis der Geburt des Kindes und dessen Verkündigung durch den Engel veranschaulicht werden. Bernardinos Darstellung einer besonderen Beleuchtungssituation bzw. gebündelter Lichtquellen in nächtlichen Szenerien war in der Cremoneser bzw. lombardischen und norditalienischen Malerei des Secondo Cinquecento kein Einzelfall. Auch Antonio Campi beschäftigte sich eingehend in seiner Malerei mit der malerischen Darstellung von Nachtszenen, wie seine Altargemälde der Gefangennahme des Johannes (1571, Mailand, San Paolo Converso) und der Heiligen Katharina im Gefängnis beim Besuch der Kaiserin Faustina (1584, Mailand, Chiesa di S. Angelo, Abb. 5.03) verdeutlichen.174 Neben Lamos Gestaltungsmodi und seiner begrifflichen Konzeption der maniera Bernardinos resp. der Cremoneser Malerei als ausgeglichene Balance von vaghezza dei colori und disegno buono con giudicio sowie zugleich den Ausnahmen im Einsatz von vaghezza im Falle vereinzelter konkreter Bildbetrachtungen fällt schließlich noch ein weiterer Aspekt auf, der Lamo nachhaltig zu interessieren scheint und der in gewisser Hinsicht bzw. auf einer abstrakteren Ebene mit der Wertschätzung der vaghezza als Unbestimmtheit im Sinne einer wirkmächtigen, gar überwältigenden, sinnlichen, umherschweifenden und nicht fixierbaren Schönheit der Farbgebung korreliert werden kann: Die Rede ist von Lamos Lob und Interesse an semantischer Unbestimmtheit bzw. Mehrdeu 173 Ebd. 174 Wichtig waren für die Cremoneser Maler hinsichtlich der Darstellungen von Nacht szenen neben der Helldunkelmodellierung in der Malerei Leonardos und seines Mailänder Umkreises sicherlich insbesondere auch die Werke des aus Brescia stammenden Malers Giovanni Girolamo Savoldo, bspw. dessen Nachtbild von Matthäus mit dem Engel aus den 1530er-Jahren, das in der Mailänder Zecca zu sehen war. Heute befindet sich das Gemälde im New Yorker Metropolitan Museum. Siehe hierzu: Campbell, The Endless Periphery, S. 230 Besonderen Eindruck scheinen die bildkünstlerischen Erkundungen kontrastreicher Licht-Schatten-Darstellungen in der lombardischen Malerei bekanntermaßen auch auf den jungen Michelangelo Merisi aus Caravaggio gemacht zu haben, bevor dieser nach Rom ging und mit einem extremen chiaroscuro Bilder weitreichender Berühmtheit schuf.
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Abb. 5.03: Antonio Campi, Die Heilige Katharina von Alexandrien wird im Gefängnis von der Kaiserin Faustina besucht, 1584, Öl, Tempera / Leinwand, 400 × 500 cm, San Angelo, Mailand © Bologna, Fototeca Zeri
tigkeit, die er geradezu als besondere, wenn nicht gar genuine Fähigkeit von Malerei auffasst. Dies wird deutlich, wenn er über Bernardinos Gemälde der Kreuzigung spricht und u. a. die Darstellung der zwiespältigen Gemütslage des Soldaten Longinus hervorhebt, der von der schmerzlichen Grausamkeit des Wunders verstört und zugleich über die Barmherzigkeit des Kreuzes verwundert scheine – »insiememente di contrario parere«.175 Eine vergleichbare Komplexität der Affektdarstellung – erneut im Zusammenhang mit einer inneren Konversion – bewundert Lamo bei der Figur des Heiligen Thomas in Bernardinos Altarbild der Erscheinung Christi vor den Aposteln. Thomas, der seine Hand in die offene Wunde des Herrn legt, zeige Schmerz und Reue über seine Zweifel 175 Lamo beschreibt die Figur des Longinus wie folgt: »[P]are che rimanghi dal miracolo smarrito della sua crudeltà dolente, della pietà del Crocifisso meravigliato, & insiememente di contrario parere.« Lamo, Discorso, S. 30.
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und zugleich Freude darüber, seinen Meister auferstanden zu sehen.176 Diese beiden Empfindungen habe Campi so dargestellt, dass man nicht unterscheiden könne, ob die Freude oder der Schmerz des Apostels größer sei. Die Gleichzeitigkeit konträrer Emotionen, die in der Malerei zur Anschauung gebracht werden können, thematisiert Lamo zudem bei der Besprechung des Gemäldes von Christus im Tempel. In den Gesichtern der Schriftgelehrten sei Bewunderung und zugleich Neid auf die göttliche Weisheit des Kindes zu sehen (»maraviglia, & invidia insieme per l’inudita divina sapienza del Fanciullo«).177 Anhand dieser Beispiele wird Lamos Rezeptionshaltung gegenüber Werken nachvollziehbar, die semantische Unschärfen bzw. Mehrdeutigkeiten ins Bild setzen; damit wird eine Wertschätzung von Ambiguität in der Malerei des Cinquecento deutlich und bei Lamo zudem gepaart mit einer Wertschätzung von vaghezza der Farbgebung in Balance mit Urteilskraft und Zeichnung.178 In der Zusammenschau der beobachteten Schwerpunktsetzungen Lamos bei der Reflexion bzw. Konzeption von Bernardinos Malerei und anderer Cremo neser Kunstschaffender zeigt sich, dass der Cremoneser Literat eine durch bestimmte Kategorien und Begriffe geprägte Beschreibungssprache nutzt, Bewertungsmaßstäbe liefert und Rezeptionsweisen vorführt, mittels derer er die Malerei Bernardinos und einer Cremoneser Schule zum Modell macht, nobilitiert und ihnen im überregionalen Vergleich Geltung verschafft. Subkutan wird im Discorso außerdem eine Konkurrenz zwischen Cremoneser und Mailänder Kunstschaffenden nachvollziehbar. Es wurde bereits erwähnt, dass der Cremoneser Autor renommierte Mailänder Künstler in seiner Schrift ausblendet. Doch auch weitere Details in Lamos Discorso sowie die vergleichende Analyse von Lomazzos Idea del tempio della pittura im nachfolgenden Unterkapitel geben interessante Hinweise auf konkurrierende Konstellationen – die offenbar eher nicht Geschichte schreiben sollten. Dabei sind eben gerade Alessandro Lamo, Bernardino Campi und Giovan Paolo Lomazzo unter den prominenten Akteuren eines Agons zwischen Mailand und Cremona. Dass gerade Mailänder und Cremoneser Künstler und Kunstschriftsteller bzw. Kunsttheoretiker inner176 »[V]’è San Thomaso, che ponendo la mano nel costato aperto del Signore, mostra dolore, e pentimento della sua incredulità, & insiememente allegrezza di veder risuscitato il suo maestro, e questi due effetti in detta figura tanto sono d’eccellente perfettione, che non si può discernere, se sia maggiore l’allegrezza, ò il dolore di quel beato Apostolo.« Ebd., S. 85. 177 Ebd., S. 93. 178 Zur Thematik der Ambiguität in frühneuzeitlicher Kunst und Kunsttheorie siehe: Rosen, Valeska von, Caravaggio und die Grenzen des Darstellbaren. Ambiguität und Ironie in der Malerei um 1600, Berlin 2009; Rosen, Valeska von (Hg.), Erosionen der Rhetorik? Strategien der Ambiguität in den Künsten der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 2012; vgl. auch meine Rezension dieses Sammelbandes in: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur, 2 (2014), S. 213–222.
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halb des ästhetischen Diskurses der Lombardei des Cinquecento miteinander wetteiferten, bezeugen Konkurrenzen um Auftragsvergaben, Zunftstreitigkeiten sowie unterschiedliche Stilkonzeptionen, die sich besonders pointiert an dem seit 1550 sehr erfolgreich in Mailand tätigen Bernardino Campi, an Lamos Discorso sowie an dem Verhältnis von Campi und Lamo zu Lomazzo nachvollziehen lassen. Zunächst belegt das Dokument einer Initiative des Sindicatus pictorum Mediolani aus dem Jahr 1548, dass die Mailänder Künstlerzunft Scuola di San Luca im Zuge der politischen Unruhen und Machtwechsel der vorausgegangenen Jahrzehnte – insbesondere seit dem Tod Francesco II Sforzas 1535 und dem habsburgischen Regiment – ihre Privilegien verloren hatte, um Aufträge in der Stadt vorrangig an lokale Künstlerinnen und Künstler zu vergeben; diese Fördermöglichkeiten versuchte die Zunft Ende der 1540er-Jahre zurück zu erstreiten.179 Im Gegensatz zu Mailand besaß etwa die Cremoneser Zunft eine solche Schutzfunktion bzw. Subventionsmöglichkeit für lokale Kunstschaffende. Derartige Umstände im Zunftwesen ermöglichten bzw. begünstigten, dass Mailand zu einer für auswärtige Künstlerinnen und Künstler beliebten Kunstmetropole wurde, deren Anziehungskraft zudem maßgeblich durch die Kulturpolitik des habsburgischen Hofes und v. a. Ferrante Gonzagas gesteigert wurde, der wiederum insbesondere Kunstschaffende aus Cremona und Crema mit renommierten Aufträgen betraute.180 Die lokalen Mailänder Künstler betrachteten diese Entwicklung mit Unmut, nachdem bereits in den 1540er-Jahren vornehmlich prominente auswärtige Künstler wie Giulio Romano und Tizian lokale Mailänder Künstler in den Schatten gestellt hatten und Tizian z. B. für sein Altarbild in Santa Maria delle Grazie mit 200 Dukaten entlohnt wurde, womit er einen viermal höheren Lohn erhalten hatte als bspw. Gaudenzio Ferrari – einer der führenden lombardischen Maler jener Zeit.181 Mit Blick auf die sich zwischen Cremoneser und Mailänder Künstlerinnen und Künstlern v. a. ab den 1560er-Jahren verschärfende polemische Konkurrenz hebt Giulio Bora 179 Siehe: Miller, Robert S., »Arcimboldo e il contesto milanese: la scuola di San Luca nel 1548–1549 e gli esordi del pittore fino al 1562«, in: Arcimboldo. Artista milanese tra Leonardo e Caravaggio, Ausst.kat., hg. v. Sylvia Ferino-Pagden, Mailand 2011, S. 85–99, hier v. a. S. 85; Campbell, The Endless Periphery, S. 173. 180 Vgl. zu diesen Aspekten: Bora, Giulio, »Fra tradizione, maniera e classicismo riformato (1535–1595)«, in: Pittura a Milano. Rinascimento e Manierismo, hg. v. Mina Gregori, Mailand 1998, S. 57 f.; Bora, Giulio, »Milano nell’età di Lomazzo e San Carlo: riaffermazione e difficoltà di sopravvivenza di una cultura«, in: Rabisch. Il grottesco nell’arte del Cinquecento. L’Accademia della Val di Blenio, Lomazzo e l’ambiente milanese, Ausst. kat., hg. v. dems., Manuela Kahn-Rossi und Francesco Porzio, Mailand 1998, S. 37–56, hier S. 37–42; Miller, »Arcimboldo e il contesto milanese«, S. 86; Campbell, The Endless Periphery, S. 173. 181 Siehe zu Tizians und Giulio Romanos Präsenz in Mailand: Campbell, The Endless Periphery, S. 173.
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hervor, dass gerade Bernardino Campi mit seiner Mailänder Werkstatt und seinen Unterstützern vor Ort eine »nuova linea internazionale […] delle corti« zu etablieren trachtete, die in »chiara antitesi« zur bildkünstlerischen Praxis der Mailänder Künstler in der Nachfolge Leonardos und Gaudenzios gedacht war.182 Im Kontext derartiger Konkurrenzen der bildkünstlerischen Praxis gilt es nun auch die Debatten um maniere in den Beiträgen textverfasster Theorie zu erörtern bzw. noch einmal neu perspektiviert zu beleuchten: Denn im Zusammenhang mit solchen Aspekten der bildkünstlerischen Praxis erweisen sich die maniere-Debatten auch noch einmal anders konturiert als sinnfällig. So ist es auch vielsagend, wenn Lamo im Discorso Mailänder Künstler und Kunsttheoretiker außenvorlässt. Außerdem sind gewisse verzerrende Darstellungen von Details aus Campis Karriere beredte Spuren des regionalen Wettbewerbs. Wie bereits erwähnt, merkt Lamo nahezu beiläufig an, dass Bernardino den Auftrag für die Orgelflügel im Mailänder Dom abgelehnt habe, um in Mantua Tizians ruhmreiche Porträtserie von Imperatoren zu komplettieren. Dass Campi diesen prestigeträchtigen Mailänder Auftrag jedoch nicht einfach aufgrund anderer Angebote abgelehnt hatte, legt Archivmaterial mit Protokollen und Briefen im Zusammenhang mit der Auftragsvergabe in Mailand nahe. Demnach war dieser Auftrag für den Dom hart umkämpft und ging nach etlichem Hin und Her schlussendlich an den Mailänder Maler und Architekten Giuseppe Meda.183 Der Entscheidungsprozess war langwierig und umstritten, v. a. weil den beiden angesehenen Mailänder Künstlern Francesco Melzi und Girolamo Figino, die als Kunstberater der Veneranda Fabbrica del Duomo die Vergabe zu entscheiden hatten, vorgeworfen wurde, voreingenommen zu sein und nicht allein auf Grundlage des künstlerischen Könnens zu entscheiden, sondern unrechtmäßig Bernardino Campi zu bevorzugen bzw. von ihm beeinflusst zu werden. Sowohl 182 Bora, »Fra tradizione, maniera e classicismo riformato«, S. 52, siehe zudem S. 57. Zur Konkurrenz von Mailänder und Cremoneser Künstlern und der Mailänder »rinascita dell’interesse per la tradizione locale, identificata in buona parte con il lascito di Leonardo« siehe zudem: Porzio, Francesco, »Lomazzo e il realismo grottesco: un capitolo del primitivismo nel Cinquecento«, in: Rabisch: Il grottesco nell’arte del Cinquecento: L’Accademia della Val di Blenio, Lomazzo e l’ambiente milanese, Ausst.kat., hg. v. Giulio Bora, Manuela Kahn-Rossi und Francesco Porzio, S. 23–36, S. 24. Stephen Campbell spricht in diesem Zusammenhang auch treffend von einer »jostling artistic culture of Milan where local artists confronted by foreigners competed to formulate ways of ›being Lombard‹ according to a widening range of canonical options.« Campbell, The Endless Periphery, S. 179. 183 Siehe zum intensiven Wettbewerb um die Orgelflügel: Bora, »Milano nell’età di Lomazzo«, S. 41 ff.; Marelli, Isabella, »La decorazione pittorica: da Bernardino Campi e Giovan Paolo Lomazzo fino agli interventi del Settecento«, in: Chiesa della Purificazione Caronno Pertusella, hg. v. Pierangelo Colombo, Paola Monti und Pierangela Zaffaroni, Florenz 2011, S. 65–86, S. 67 f.; sowie den Kommentar von Roberto Ciardi in: Lomazzo, »Libro dei sogni«, S. 91, Anm. 52.
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in einem Brief des Erzbischofs Carlo Borromeo von 1562, als auch in einem sehr viel polemischeren Brief Giuseppe Medas vom 16. Oktober 1564 an die Fabbrica del Duomo und ihr Entscheidungsgremium werden derartige Vorwürfe erhoben.184 Meda berichtet in seinem Protestbrief u. a. davon, dass Bernardino erneut nicht einsehe, dass er künstlerisch der Unterlegene sei; dies sei bereits beim Wettbewerb um die Gestaltung des neuen Gonfalone von Sant’Ambrogio, dem Stadtbanner von Mailand, so gewesen.185 Damit spielt Meda auf einen Auftrag an, dessen Vergabe ebenfalls durch ein Konkurrenzgerangel zwischen Mailänder und Cremoneser Künstlern gekennzeichnet war und der im Jahr 1565 letztlich ebenso an Meda selbst erging. Sowohl das Stadtbanner als auch die Orgelflügel waren Aufträge, um die sich Cremoneser und Mailänder stritten. Gleich wie der Auftrag des Stadtbanners wurde der der Orgelflügel, wie erwähnt, im Jahr 1566 an Meda gegeben, die Gemälde allerdings erst 1580 – nach kleineren Korrekturen seitens des Dom-Architekten Pellegrino Tibaldi – fertiggestellt.186 Dass Bernardino Campi Lob und Ehre unverhältnismäßig vorauseilten, war nicht nur die Meinung Giuseppe Medas. Auch Giovan Paolo Lomazzo thematisiert in seinem vermutlich in den 1560er-Jahren verfassten Libro dei sogni das Gerangel um die Bemalung der Orgelflügel und lässt dabei die Dialogfigur Leonardo da Vinci dem Gesprächspartner Phidias erläutern, dass einem »certo Bernerdino cremonese«, der auf den Orgelflügeln malen solle, »le ciance e laude« nachgerufen werden, ohne dass dessen Werke den Lobeshymnen gerecht werden.187 Zudem wolle der Cremoneser Maler auf infame Weise den »divino et immortale Tiziano« herausfordern, heißt es weiter.188 Diese Bemerkung scheint sich wiederum auf Campis Mantuaner Auftrag für das Bildnis Domitians als Vervollständigung der Imperatorenserie Tizians zu beziehen – ein Auftrag, den auch Lamo im Discorso erwähnt. Doch Lomazzos abschätzige Bemerkung liest 184 Bora, »Milano nell’età di Lomazzo«, S. 41 ff.; Pavesi, Giovan Paolo Lomazzo, S. 47 f. 185 Für Medas Brief siehe: L’Archivio di Stato di Milano (ASMi), Notarile 14706, Giovan Francesco Pinotini, 10 febbraio – 23 dicembre 1580. Pavesi zitiert einige einschlägige Passagen des Dokuments in: Pavesi, Giovan Paolo Lomazzo, S. 47 f.; siehe zudem: Bora, »Milano nell’età di Lomazzo«, S. 41 ff. 186 Siehe zur Auftragsvergabe für das Banner: Colombo Fantini, Mariaebe, »Il gonfalone di Milano«, in: Rassegna di studi e notizie, 14 (1988), S. 147–248; Pavesi, Giovan Paolo Lomazzo, S. 48. In seinem Statement zur Entscheidung der Auftragsvergabe der Orgelflügelbilder an Giuseppe Meda erläutert Francesco Melzi im Dezember 1565, dass Meda ihn im Gespräch mit seinen Plänen und seinen Interessen überzeugt habe und auch seine anderen Werke zeigen, dass er all jene »mezzi« nutze, die ein Kunstwerk »laudabile« machen und mit denen man die Dinge »dal naturale« sehen und wiedererkennen könne – so wie in den Werken der berühmten Maler der Vergangenheit; laut Giulio Bora waren mit jenen wohl insbesondere prominente lombardische Maler der Jahrhundertwende und v. a. auch Leonardo gemeint. Siehe: Bora, »Milano nell’età di Lomazzo«, S. 43. 187 Lomazzo, »Libro dei sogni«, S. 91. 188 Ebd.
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sich konträr zu Lamos Kunsturteil, im Zuge dessen Bernardino dezidiert auf Augenhöhe mit Tizian präsentiert wird. Lomazzo selbst hatte, so scheint es, in den 1550er-Jahren noch ein unbelastetes Verhältnis zu Bernardino; beide Künstler waren z. B. noch 1560 gleichzeitig in der Kirche Santa Maria della Purificazione im lombardischen Caronno Pertusella tätig und kannten sich persönlich.189 Im Verlauf der 1560er-Jahre aber ist eine zunehmend starke Rivalität zwischen den beiden zu beobachten. Beide waren insbesondere auch als Porträtisten der gesellschaftlichen Oberschicht gefragt und konkurrierten so um Aufträge und Ansehen. Mitunter porträtierten sie dieselben Personen. Doch Bernardino war vermutlich der erfolgreichere der beiden Künstler und insgesamt in den 1560erJahren einer der bestimmenden Maler der Mailänder Kunstszene, an dem sich – wie die Auftragsvergaben der Orgelflügel und des Gonfalone zeigen – die lokalen Mailänder Künstler rieben.190 Lomazzo äußerst sich schließlich auch an weiteren Stellen seiner Schriften kritisch über Bernardino und implizit auch über Alessandro Lamo. In einem Sonett der Rime ad imitazione de i Grotteschi kritisiert Lomazzo Bernardino bspw. als »censor de i pittor« und wünscht dem Cremoneser einen Pferdetritt in den Hintern: »un cavallo ch’al cul ti si stampi«.191 Auch in der Idea verweist Lomazzo despektierlich auf Bernardino, wenn er vom »ignorante seguace di Camillo Boccaccino« spricht; an anderer Stelle des Buches erwähnt er allerdings, dass Bernardino ein »gran celebratore« des auch von ihm selbst hochgelobten Camillo Boccaccino gewesen sei.192 Doch Lomazzo geht auch mit Alessandro Lamos vehementer Kritik an Vasari ins Gericht. Wie oben erwähnt, hatte Lamo Vasari scharf dafür kritisiert, die lombardische und gerade auch Cremoneser Malerei nicht hinreichend beachtet und wertschätzt und den ruhmreichen Camillo Boccaccino nur am Rande erwähnt zu haben. Lomazzo nun lobt Vasari trotz der regional eingrenzenden Schwerpunktsetzungen für 189 Auftraggeber für die Werke in Caronno Pertusella, wo Campi das Altarbild schuf und Lomazzo den Altarraum freskierte (Abb. 4.21), war Cesare Homatii aus dem Umfeld von Francesco d’Avalos. 190 Zu Bernardinos Stellung in Mailand siehe: Pavesi, Mauro, »Qualche riflessione sull’attività pittorica di Giovan Paolo Lomazzo«, in: Studi in onore di Maria Grazia Albertini Ottolenghi, hg. v. Marco Rossi, Alessandro Rovetta und Francesco Tedeschi, Mailand 2013, S. 155–161, S. 159; Morandotti, »Milano nell’età di Carlo V e di Filippo II«, S. 66. 191 Lomazzo, Giovan Paolo, Rime ad imitazione de i Grotteschi usati da’ pittori con la vita del auttore descritta da lui stesso in rime sciolte, hg. v. Alessandra Ruffino, Rom 2006, S. 150, Gedicht-Nr. 99 (Statue maravigliose antiche). Wörtlich lauten die entsprechenden Verse: »Bacco legato poi vidi, ch’al Campi / Dicea: ›Tu, ch’l censor de i pittor pari, / Merti un cavallo ch’al cul ti si stampi‹«. Andererseits weist Lomazzo etwa in einer Passage des Trattato auf ein »copioso e diligente trattato« Bernardinos zu den Farben hin, das jedoch nicht erhalten ist. Lomazzo, »Trattato«, S. 170. 192 Lomazzo, »Idea del tempio della pittura«, in: ders., Scritti sulle arti, hg. v. Roberto Paolo Ciardi, Bd. 1, Florenz 1973, S. 241–373, S. 331, 365.
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seine Kunstgeschichtsschreibung und bezeichnet dessen Kritiker als »ignoranti« und »invidiosi«.193 Dass der Mailänder hier durchaus konkrete Kritiker im Sinn hat und geradezu adressiert, klärt sich mit seiner Anmerkung, Vasari sei auch kein Neider, nur weil er Camillo Boccaccino nicht ausführlich gelobt habe, wie etwa Bernardino Campi dies in einer Vita des Cremoneser Malers getan habe; man könne als Autor nie alle zufriedenstellen.194 Neben dem Verweis auf Bernardino Campi als Autor einer nicht überlieferten Vita Camillo Boccaccinos spielt Lomazzo hier deutlich auf Lamo und dessen Kritik an Vasari im Discorso an. Lomazzo distanziert sich aber nicht nur durch derartige Anmerkungen von Lamos Discorso. Viel gewichtiger noch ist, dass Lomazzo einige Jahre später mit seiner Idea del tempio della pittura eine sowohl im Vergleich zu Vasaris Vite, als auch im Vergleich zu Lamos Discorso dezidiert andersartig modellierte Theorie der Malerei entwirft und seinen Blick auf bildkünstlerische maniere auf eine originelle Art und Weise anders perspektiviert. Lomazzos Gestaltung eines literarischen Tempelrundgangs und seine Konzeption künstlerischer Personalstile jenseits regionaler Konkurrenzen wird im nun folgenden Unterkapitel dargelegt und erörtert.
5.3 Wenn das Schöne in den Sternen steht – Lomazzos kosmologisch-metaphysische Kunsttheorie in der Idea del tempio della pittura (1590) und die Pluralität der Stile Im Unterschied zu Alessandro Lamos Discorso ist Giovan Paolo Lomazzos Idea del tempio della pittura bereits Gegenstand einer Reihe fundierter kunsthistorischer Studien gewesen, auf welche die nun folgende Analyse aufbauen kann.195 193 »De i piú moderni e degni di maggior lode, i quali hanno scritto di quest’arte, […] è stato Giorgio Vasari […]. E se ben non può negarsi che in ciò [nelle Vite] egli non si dimostrasse alquanto partigiano, nondimeno non si deve defraudar della meritata gloria, che di lui garriscano alcuni, o ignoranti, o invidiosi, poi che se non con lunghe vigilie e fatiche, né senza grande ingegno e giudizio si è potuto ordire cosí bella e diligente istoria.« Lomazzo, »Idea«, S. 261. 194 »Né perché egli [Vasari] non abbia lodato con sí piena mano Camillo Boccaccino, come ha fatto Bernardino Campi nella vita ch’egli ha di lui scritta, ha meritato da esser tassato da maligno e da invidioso. Ma non è possibile che chi scrive sodisfaccia universalmente a tutti, e rare volte avviene che da tutti riporti ugualmente l’aspettato premio delle sue fatiche.« Lomazzo, »Idea«, S. 261. Roberto Paolo Ciardi merkt in seiner Edition von Lomazzos Schrift an, dass die Boccaccino-Biographie unbekannt ist, vermutlich auch nie verfasst wurde. Siehe ebd., S. 261, Anm. 38 und 39. 195 Wichtige Forschungsbeiträge zu Lomazzos Idea del tempio della pittura sind neben der grundlegenden kritischen Edition von Lomazzos Schriften, die Roberto Paolo Ciardi angefertigt hat: Klein, Robert, »Les sept gouverneurs de l’art selon Lomazzo«, in: ders., La forme et l’intelligible. Écrits sur la Renaissance et l’art moderne, hg. v. André Chastel, Paris
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Das 1590 erschienene, gut 170 Seiten umfassende Buch wird vom Autor bereits im Widmungsschreiben an Philipp II., König von Spanien und Herzog von Mailand, als Kompendium sowie »spirito, e luce« des 1584 veröffentlichten, äußerst umfangreichen Traktats vorgestellt.196 Lomazzo hebt in der Widmung des Weiteren hervor, dass es ihm in seiner Idea um das Erfassen und Ergründen (»contemplare, & investigare«) der Geheimnisse der Malerei gehe und darum, auf strukturierte Weise die von ihm ausgemachten sieben substantiellen Elemente der Malerei zu erörtern.197 Diese sind Proportion, Bewegung, Farbe, Licht, Perspektive, Komposition und Form – proportione, moto, colore, lume, prospettiva, composizione & forma. Der eindringlichen Auseinandersetzung mit den sieben Malerei-Elementen schickt Lomazzo zunächst noch den Kerngedanken seiner Theorie voraus, dass die Malerei ein Erkenntnismedium sei. Sie bringe die wahre Erkenntnis von der Schönheit der geschaffenen Dinge und könne dabei in der Nachahmung die Natur übertreffen.198 Gott selbst, der mit der Malerei das Universum und die Erde geschmückt und geordnet habe, wählte die Malerei als erhabenstes Ausdrucksmittel (»altissimo mezzo«) aus, um dem Menschen 1970, S. 174–192; Lomazzo, Giovan Paolo, Idea del tempio della pittura, hg., kommentiert und ins Französische übers. v. Robert Klein, 2 Bde., Florenz 1974; Cassimatis, Marilena Z., Zur Kunsttheorie des Malers Giovanni-Paolo Lomazzo (1538–1600), Frankfurt am Main / Bern / New York 1985; Kemp, Martin, »Equal Excellences. Lomazzo and the Explanation of Individual Style in the Visual Arts«, in: Renaissance Studies, 1 (1987), S. 1–26; Irle, Klaus, Der Ruhm der Bienen. Das Nachahmungsprinzip der italienischen Malerei von Raffael bis Rubens, Münster 1997, v. a. S. 47–50, 64–70, 89 f., 202; Steiner, Reinhard, »Idea del tempio della pittura. Giovanni Paolo Lomazzo und die Entstehung des kunstliterarischen Genres der Kanonschrift«, in: Kunstforum International. Titelserie: Über das Kanonische, hg. v. Rainer Metzger, 162 (2002), S. 96–101; Manegold, Cornelia, Wahrnehmung – Bild – Gedächtnis. Studien zur Rezeption der aristotelischen Gedächtnistheorie in den kunsttheoretischen Schriften des Giovanni Paolo Lomazzo, Hildesheim / Zürich / New York 2004; Maspoli Genetelli, Silvia, Il filosofo e le grottesche. La pluralità dell’esperienza estetica in Montaigne, Lomazzo e Bruno, Rom / Padua 2006; Oy-Marra, Elisabeth, »Form, Darstellung und Raum des künstlerischen Wissens am Beispiel von Lomazzos Idea del Tempio della Pittura (1590)«, in: Wissensformen, hg. v. Werner Oechslin, Zürich 2008, S. 146–154; Panofsky, Erwin, »Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie«, in: Ernst Cassirer. Eidos und Eidolon. Das Problem des Schönen und der Kunst in Platons Dialogen / Erwin Panofsky. Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie, hg. und mit einem Nachwort v. John Michael Krois, Hamburg 2008, S. 51–301, v. a. S. 268–283; Chai, Jean Julia, »Introduction«, in: Lomazzo, Giovan Paolo, Idea of the Temple of Painting, hg. und übers. v. ders., Pennsylvania State University 2013, S. 1–41; Ossola, Carlo, Autunno del Rinascimento. ›Idea del Tempio‹ dell’arte nell’ultimo Cinquecento, Florenz 20142. 196 Lomazzo, Idea, Widmungsschreiben, o. S. 197 Ebd. 198 »[L]a vera cognition della bellezza delle cose create ci apporta [la pittura]. Et in oltre pensando al giovamento che potea seguire, co’l dimostrare altrui la via spedita, & piana d’imitare, & come emular la natura, in che consiste tutta l’arte della pittura.« Lomazzo, Idea, Widmungsschreiben, o. S.
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seinen Ruhm und seine Allmacht zu demonstrieren und ihn teilhaben zu lassen (»farlo partecipe«) an allem Schönen und Guten, das er geschaffen habe.199 Von der Malerei könne der Mensch daher lernen, was die Schönheit von allen Dingen sei.200 Epistemologisch weitreichend präsentiert Lomazzo die pittura letztlich als die scienza, aus der alle Ursachen und Wurzeln des Verstehens und Handelns (»tutte le cause,& radici del intendere, & del operare«) hervorgehen.201 Ein wahrer Maler ist für den Mailänder Künstler, Dichter und Kunsttheoretiker zudem in jedem Fall sowohl in Theologie, Mathematik, Astrologie und Geometrie, als auch in Anatomie, Architektur, Musik, Dichtung sowie Geschichte bewandert und schlicht »tutto Filosofo«.202 Auf diesem Verständnis von Malerei als Erkenntnismedium und den Kunstschaffenden als gelehrten Forschern basiert schließlich Lomazzos Idee des Malereitempels. Der Buchtitel Idea del tempio della pittura weist bereits darauf hin, in welcher Form Lomazzo die Malerei mit ihren sieben substantiellen Teilen zu betrachten und verhandeln sucht: nämlich als Tempel. Er forme in seinem Traktat, so erläutert Lomazzo gleich zu Beginn des ersten Kapitels, einen Tempel, in dem alle Bestandteile der Malerei gesondert und geordnet zu sehen seien.203 Die Architektur beschreibt er als Rundbau mit sieben Säulen. Vergleichbar der sieben Planeten, die von Gottes Licht beschienen gleichsam sieben Säulen die Welt halten und regieren, werde sein Tempel der Malerei von sieben Regenten gehalten, die jenen wie Säulen tragen.204 Von der Laterne der Kuppel des Rundbaus aus werden die sieben Regenten alle gleichermaßen durch das von oben einstrahlende göttliche 199 »[P]oiche la pittura è quella, con cui il grande Iddio abbelli, & ornò non solo l’universo, mà anco il picciolo mondo, che creò à sembianza sua, colorando i cieli, le stelle, il Sole, la circonferenza della terra, l’acque, e tutti gli estremi de gli elementi, co’ vaghi, & leggiadri colori elementari: E consequentemente la pittura è stato uno mezzo altissimo che Iddio hà scielto fra tutti gli altri, per dimostrar all’huomo la gloria, & onnipotenza sua, & farlo partecipe di tutto il più bello, & buono ch’egli già mai creasse.« Lomazzo, Idea, S. 1. 200 »[D]a lei si impara quale sia la bellezza di tutte le cose« Ebd., S. 30. 201 »Co’l mezzo adunque di questa scienza, di cui io hò trattato, & sono per trattare, onde tutte le cause, & radici del intendere, & del operare scaturiscono, con sottili investigationi cavate dalla natura istessa delle cose, si verrà in chiara cognitione, e con vive ragioni s’intenderà in qual maniera tutte le cose debbano essere fatte, & per tutti i modi intense.« Ebd., S. 3. 202 Ebd., S. 37 (für das Zitat) sowie generell für die »scienze necessarie al Pittore« Kapitel acht der Idea, S. 32–39. 203 »Io hò deliberato di […] andar formando di lei [la nobilissima arte della pittura], come un tempio: in cui tutte le parti d’essa si vederanno distintamente, e con ordine disposte.« Ebd., S. 1. 204 »In quella guisa che questo mondo è retto, e governato da sette Pianeti, come da sette colonne, le quali pigliando ciascuna la sua luce dalla prima luce, che è Iddio, la vanno poi qua giù appartatamente infondendo, à beneficio di tutte le create cose, sarà parimenti questo mio tempio di pittura sostenuto, e retto da sette governatori, come da sette colonne[.]« Ebd., S. 39 f.
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Licht beleuchtet.205 Der Boden des Tempels bestehe derweil aus dem Ermessen bzw. der Urteilsfähigkeit, der »discretione«, die als Fähigkeit begriffen wird, die unterschiedlichen Elemente der Malerei ineins zu bringen.206 Damit betrifft die discrezione letztlich auch die Relationierung von Theorie und Praxis.207 Denn während Lomazzo die Elemente proportione, moto, colorire, lume und prospettiva der »Teorica« zuordnet, rechnet er compositione und forma der »prattica« zu.208 Die genannten Theorie-Elemente sind in Lomazzos Tempel schließlich übereinander gelagerte Schichten, aus denen die Wände zwischen den Säulen bzw. Regentenfiguren bestehen, wobei die Elemente jeweils durch die einzelnen Governatori gemäß deren genii verschiedenartig ausgestaltet werden. Die beiden Bestandteile der Praxis bilden wiederum die Kuppel des Rundbaus. Die Auseinandersetzung mit der spannungsreichen Relation und dem Zusammenspiel der einzelnen Malereibereiche von Theorie und Praxis und deren verschiedenartigen Ausgestaltungen je nach Künstlerindividuum ist in gewisser Weise bereits im Idea-Begriff des Buchtitels angelegt. Denn letztlich wird mit einem frühneuzeitlichen Idea-Begriff, wie Klaus Krüger es fasst, die angestammte Frage nach der künstlerischen Schönheitsverwirklichung und des Näheren danach, ob sich die ästhetische Konsistenz der Bildgestalt aus der Naturnachahmung, der Naturüberbietung oder einer gänzlichen Naturunabhängigkeit begründet, wesentlich auf die Frage nach ihrer genuinen Hervorbringungsweise, also nach dem künstlerischen Schaffensmodus bezogen und dabei auf das Differenz verhältnis zwischen intellektueller Konzeption und konkreter, faktischer Umsetzung, zwischen geistiger Ideation und werkhafter Materialisierung ausgerichtet.209
Zum anderen bezieht sich Lomazzo mit dem Titel seiner Schrift und einer imaginären Architektur als Wissensmodell explizit auf Giulio Camillos 1550 posthum veröffentlichtes Buch Idea del teatro.210 In dieser mnemotechnischen Abhandlung, deren Niederschrift in Mailand Anfang der 1540er-Jahre maßgeblich durch den spanischen Gouverneur der lombardischen Metropole, Alfonso d’Avalos, gefördert wurde, wird ein Amphitheater des Wissens der Welt mit sieben Korridoren beschrieben, zwischen die einzelne Wissensbereiche eingeordnet und von der Bühne aus gut auffindbar und memorierbar gemacht sind.211 205 Ebd, S. 40. 206 Ebd., S. 42. 207 Siehe zu diesem Aspekt auch: Williams, Robert, Art, Theory, and Culture in SixteenthCentury Italy. From Techne to Metatechne, New York 1997/2010, S. 129. 208 Lomazzo, Idea, S. 42. Siehe auch ebd., S. 4. 209 Krüger, Grazia, S. 21 f. 210 Lomazzo, Idea, S. 40. 211 Siehe: Yates, Francis A., The Art of Memory, Chicago 1974; Oy-Marra, »Form, Darstellung und Raum des künstlerischen Wissens«, S. 149ff; sowie Stefan Laubes Repertoriums artikel zu dem in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel aufbewahrten Exemplar
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In Anlehnung an Camillos Idee eines solchen Wissenstheaters konstruiert Lomazzo einen imaginären Rundtempel, der jedoch anders als das Amphitheater bspw. keine aufsteigenden und hierarchisierenden Ränge hat und per se kein Theater, sondern eben gerade ein Tempel ist. Lomazzos Text vollzieht nach einleitenden Kapiteln konventioneller Art über antike Künstler und Kunstschriftsteller sowie das Ansehen der Malerei zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Gesellschaften ab Kapitel neun mehrere Tempelrundgänge.212 Kapitelweise wird der Bau mit Blick auf die unterschiedlichen Bestandteile umkreist, wobei die einzelnen Themenbereiche mehrmals aufs Neue besprochen werden. Wiederholung, Variation und Verdichtung von Aspekten, Begriffen, Ideen und v. a. Analogien prägen den Rundgang, lassen bestimmte Merkmale in der Erinnerung verfestigen, ohne jedoch stillgestellte Definitionen zu präsentieren – vielmehr wird Wissen in Bewegung gehalten. Die Analogiebildung ist dabei ein zentrales Instrument von Lomazzos Denken, mittels dessen er gewissermaßen einen eigenen Kosmos kreiert. Im ersten Schritt der konkreten Beschreibung bzw. Betrachtung und Begehung des Tempels stellt Lomazzo die sieben Maler-Regenten vor: Michelangelo Buonarroti, Gaudenzio Ferrari, Polidoro da Caravaggio, Leonardo da Vinci, Raffaello Sanzio, Andrea Mantegna und Tiziano Vecellio – Künstler aus unterschiedlichen Teilen Italiens also, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Idea bereits alle seit einigen Jahrzehnten verstorben waren. An ihrem Beispiel werden die sieben Bestandteile der Malerei in mehreren Tempelumrundungen von einem Kapitel zum nächsten besprochen, wobei erläutert wird, inwiefern welcher Regent in welchem Bereich besonders hervorsticht. Denn für Lomazzos Tempelidee gilt, dass die Maler jeweils unterschiedliche »Genij« haben und daher auch verschiedene »eccellenze«.213 Die sieben Regenten werden in den Besprechungen der Malerei elemente immer in derselben Reihenfolge genannt und in dieser Ordnung wird Umgang, Können und maniera eines jeden Regenten hinsichtlich Proportion, Bewegungen, Farbe, Licht, Perspektive, Komposition bzw. Form dargelegt. Im Zuge des wiederholten Umrundens des Tempels erstellt Lomazzo zunehmend komplexe Analogien. Die sieben Regenten werden dabei schrittweise den sieben Planeten des ptolemäischen Planetensystems mit ihren jeweiligen Eigenschaften und Stärken zugeordnet, aber auch sieben Metallen und deren Eigentümlichvon Giulio Camillos Idea del teatro in: Roßbach, Nikola / Stäcker, Thomas (Hgg.), Welt und Wissen auf der Bühne. Die Theatrum-Literatur der Frühen Neuzeit. Repertorium, Wolfenbüttel 2011, online abrufbar unter: http://www.theatra.de/repertorium/ed000188. pdf (zuletzt abgerufen am 12.07.2020). 212 Der konkrete Tempelrundgang beginnt auf S. 39 mit dem Kapitel Fabrica del tempio della Pittura, & de’ suoi Governatori. Siehe: Lomazzo, Idea, ab S. 39. 213 In einer Randanmerkung heißt es bspw. zusammenfassend: »Genij diversi dei pittori, & secondo quelli diverse in loro l’eccellenze«. Lomazzo, Idea, S. 7.
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keiten; zudem wird jeder der Künstler mit einem Tier und einem oder mehreren Philosophen und deren Charakteristika analog gesetzt. Die Analogien dienen letztlich dazu, die verschiedenen maniere der Künstler und ihrer Malerei zu begründen und die diese maniere jeweils prägenden Begabungen, Temperamente, Charaktere bzw. Eigenschaften der Künstler kosmologisch-metaphysisch herzuleiten, wodurch eine Diversität künstlerischen Schaffens im Medium des Textes bzw. im Zuge der Imagination des Malerei-Tempels auf gelehrte Weise und ohne Hierarchisierungen anschaulich und geltend gemacht wird. Zur Wahl der Tieranalogien erläutert Lomazzo etwa, dass er, um die Diversität der »forma« noch klarer zeigen zu können, ein Tier passend zur »maniera della forma« eines jeden der sieben »Governatori« ausgewählt habe; und da man die Natur des jeweiligen Tieres kenne, wisse man sofort (»subito«), wie die Form des Regenten sei, zu dem es gehöre.214 In einer Zusammenschau betrachtet, analogisiert Lomazzo Michelangelo mit dem Planeten Saturn, dem Metall Blei, dem Drachen sowie Dante und Sokrates. Den Drachen wählt er, weil dieser der »natura terribile, tardo, & prudente« Michelangelos und der Form von dessen Kunst entspreche, die von den tiefsten Geheimnissen der Anatomie abgeleitet und voller Würde sei.215 Das Blei stehe für die »salda, & stabile contemplatione« des Florentiner »pittore, scultore, statuaro, architetto, & poeta, imitatore di Dante« – daher sei Michelangelos Säulenfigur (»statua«) im Tempel aus Blei gegossen.216 Da Michelangelo und sein Kunstschaffen generell unter dem Einfluss des Planeten Saturn betrachtet werden, erscheint es Lomazzo des Weiteren sinnfällig, dass Buonarroti seinen anatomisch differenzierten Figuren die Proportionen Saturns gegeben habe: melancholisch, mit kleinen Köpfen und Füßen, langgliedrigen Händen und ausgeprägten Muskeln.217 Und weil der Künstler in seinem Wesen und Verhalten selbst auch als melancholisch, würdevoll, eifrig im Studium und kontemplativ zu beschreiben sei, bezeichnet Lomazzo Michelangelo zudem als den Sokrates unter den Malern.218 Gaudenzio Ferrari und sein künstlerisches Schaffen stehen für Lomazzo unterdes in Verbindung mit dem Planeten Jupiter – was sich u. a. an der »gratia e dignità« sowie den »muscoli delicati« der Bildfiguren Gaudenzios zeige.219 Die Säulenfigur des aus Valdugia stammenden »pittore, plasticatore, architetto, 214 Im Kapitel 17 Delle sette parti, ò generi della forma heißt es wörtlich: »La cui diversità m’è parso di poter più chiaramente dimostrare, dando in ciascun dei Governatori un animale di natura conforme a la maniera della forma ch’egli hà seguitato, accioche sapendosi la natura dell’animale, si sappia di subito quale sia la forma del Governatore, à cui è dato.« Lomazzo, Idea, S. 57. 215 Ebd. 216 Ebd., S. 42. 217 Ebd., S. 44. 218 Ebd., S. 57 f. 219 Ebd., S. 44 f.
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Ottico, Filosofo naturale, & poeta, sonator di lira, & di liuto« ist in Lomazzos Vorstellung aus Zinn, das für die Erhabenheit stehe, die Gaudenzio auf wundersame Weise in der Darstellung von göttlichen Dingen und Glaubensmysterien zum Ausdruck bringe.220 Dem Maler wird weiterhin der Adler zugeordnet, der höher fliege, als alle anderen Vögel, und eine besonders scharfe Sicht habe – ähnlich Gaudenzios Blick, mit dem jener wie kein anderer die »aria« seiner Figuren durchdrungen habe.221 Von seinem Verhalten her sei Gaudenzio bescheiden und angenehm gewesen und insofern mit Platon vergleichbar.222 Das Eisen der Statue des dritten Regenten repräsentiert die »grandissima furia, & fierezza« von Polidoro da Caravaggio und dessen Bildfiguren.223 Dem lombardischen Maler und den Proportionen seiner Bildfiguren wird daher auch der Planet Mars zugeordnet, »grande, terribile, & fiera«.224 Lomazzo ordnet Polidoro, dem Meister der Malerei antiker Figuren und Geschichten, außerdem das Pferd zu, »animal fiero, e terribile«; und weil auch Polidoros Gesichtsausdruck oftmals stolz und furchteinflößend gewesen sei, könne er mit Alchides verglichen werden.225 Die Statue Leonardos wiederum sei aus Gold, um den Glanz und die Harmonie »de i lumi« der Kunst des toskanischen »pittore, statuaro, & plasticatore« zu zeigen, der generell in allen »arti liberali« sehr erfahren gewesen sei, auch die Lyra besser als alle Musiker seiner Zeit gespielt habe und ein »gentilissimo Poeta« gewesen sei, der zudem zahlreiche Bücher über Mathematik und Malerei hinterlassen habe.226 Lomazzo setzt Leonardo dann analog zur Sonne, deren Proportionen sich in der Kunst des toskanischen Meisters zeigen bspw. in den Zeichnungen all der verschiedenen Bewegungen eines menschlichen Körpers, in den Anatomie- und Pferdestudien, den perspektivischen Verkürzungen, der Sorgfalt und plastischen Wirkung; kein anderer könne ihm gleichen – er sei daher Apoll ähnlich, dem Gott und Regenten der scienze.227 Als Tier wird Leonardo der Löwe zur Seite gestellt, da dieser das nobelste aller Tiere sei und damit der Form von Leonardos Kunst angemessen scheint; wie der Löwe, so sei auch Leonardo mit seiner Kunst gefürchtet, die keiner nachzuahmen vermöge.228 Mit seinen langen Haaren, langem Bart und langen Wimpern sieht Lomazzo in Leonardo des Weiteren quasi die Verkörperung der »vera nobiltà del studio« ähnlich des 220 Wörtlich heißt es: »La statua del secondo governatore, e fatta di stagno con cui viene à significar in Gaudenzio Ferrari la maestà, la quale egli mirabilmente espresse nelle cose divine, & ne’ misteri della fede nostra.« Lomazzo, Idea, S. 42. 221 Ebd., S. 58. 222 Ebd. 223 Ebd., S. 42. 224 Ebd., S. 45. 225 Ebd., S. 58. 226 Ebd., S. 42. 227 Ebd., S. 45. 228 Ebd., S. 58.
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Druiden Hermes oder auch Prometheus.229 Die Säulengestalt Raffaels sei derweil aus rotgoldenem Kupfer, wodurch »la gentilezza, la venustà, la gratia, & l’amabilità« des Urbiner »pittore, & architetto grandissimo« akzentuiert werde.230 Der Maler aus Urbino korrespondiere zudem mit dem Planeten der schönen Venus, deren Proportionen er mit Verstand und Angemessenheit gefolgt sei.231 Raffael wird außerdem der Mensch als »animal rationale« zugeordnet, eben auch weil die Form seiner Kunst sich dadurch auszeichne, dass sie »ragionevolissimo« und sehr bedacht sei.232 In seinem Verhalten habe Raffael ebenfalls »humanità, & piacevolezza« gezeigt und u. a. Liebesgedichte verfasst.233 Im Gesicht und mit seiner Ausstrahlung voller »vaghezza, & serenità« sowie seinen offenen, schulterlangen Haaren habe er dem weisen Salomo geähnelt.234 Andrea Mantegnas Statue imaginiert Lomazzo derweil aus Quecksilber, das für die scharfsinnige Klugheit des Mantuaner Malers stehe.235 Aufgrund dieser Klugheit ordnet Lomazzo dem Maler schließlich auch die Schlange zu.236 Und da Mantegna in seiner maniera »leggiadro, svelto, & recondito« gewesen sei, ordnet der Mailänder ihm den Planeten Merkur mit der »proportione sottile« zu.237 Aufgrund des Scharfsinns und des in seinen Werken erkenntlichen Wissensdursts nach dem Wahren sei Mantegna mit Alhazen oder auch Archimedes aus Syrakus vergleichbar.238 Tizians Säule ist in Lomazzos Tempel schließlich aus Silber, das für die einzigartige Besonnenheit des Malers aus Cadoro stehe.239 Tizian wird weiterhin in Analogie zum Mond betrachtet, denn es sei u. a. die sich stets wandelnde Proportion des Mondes, die zu den sich entsprechend der »vari soggetti na turali« verändernden Proportionen in der Malerei des Künstlers aus dem Veneto passe.240 Da Tizian stetig arbeitete, setzt Lomazzo ihn mit dem Ochsen gleich; Tizians kreative Umtriebigkeit und die Form seiner Kunst hebt Lomazzo letztlich auch als die »vera prattica e ragion d’operare« hervor.241 Da Tizian zudem gewissermaßen der Lieblingskünstler von Karl V. gewesen sei, sei er mit Aristoteles vergleichbar, der Alexander dem Großen »carissimo« war.242 229 Ebd. 230 Ebd., S. 43. 231 Ebd., S. 45. 232 Ebd., S. 58. 233 Ebd., S. 58 f. 234 Ebd., S. 59. 235 Ebd., S. 43. 236 Ebd., S. 59. 237 Ebd., S. 45. Jean Julia Chai übersetzt »leggiadro, svelto, & recondito« mit »graceful, elegant, and profound«. Siehe: Lomazzo, Idea of the Temple of Painting, S. 80. 238 Ebd., Idea, S. 59. 239 Ebd., S. 43. 240 Ebd., S. 45. 241 Ebd., S. 59. 242 Ebd.
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Mit dem die Idea durchdringenden Ordnungsprinzip der Siebenzahl, den unterschiedlichen Modi des Analogisierens und dem komplexen System von Korrespondenzen, das hier nur skizzenhaft nachvollzogen wurde, tritt Lomazzo in Austausch mit unterschiedlichen Symbolsprachen und Diskursen bzw. Lehren und Wissensdisziplinen. Bereits in seinem Trattato und in den Rime ad imitazione de i Grotteschi war die Siebenzahl ein leitendes Prinzip für den Mailänder: beide Werke sind in sieben Bücher unterteilt und rekurrieren damit u. a. auf das Modell der sieben freien Künste. In der Idea wird die Sieben schließlich zum Konstruktionsmaßstab, wenn sieben Malerei-Elemente und sieben Regenten u. a. mit den sieben Planeten korreliert werden. Dabei bringt Lomazzo bzgl. der Siebenzahl bspw. auch die sieben Weltwunder und die sieben Säulen des Hauses der Weisheit (Sprüche Salomos, 9,1) zur Sprache.243 Die Siebenzahl sowie die Planetengötter sind auch in einer Lomazzo zugeschriebenen Zeichnung vermutlich aus den 1560er-Jahren präsent (Farbtafel 63).244 Dargestellt ist auf dem Blatt ein imposanter architektonischer Bau, der gewissermaßen die künstlerische Ausbildung zu versinnbildlichen scheint. Sieben Stufen führen zu einem Thron und zu dahinterliegenden Künstlerwerkstätten und Studienräumen. James Lynch hat die symbolisch-allegorisch aufgeladene Zeichnung eingehend untersucht, die Zeichnung insgesamt als Allegorie der Malerei interpretiert und dabei etliche Figuren der Szenerie überzeugend ausgedeutet.245 So sieht er den Jungen mit der Krücke auf der untersten Stufe als Malerlehrling – ganz zu Beginn seiner Ausbildung und Karriere. Die mittig auf der untersten Stufe sitzende nackte Frau erscheint als Venus, die einen geflügelten Putto auf ihrem Schoss hält. Dieser könnte sehr wohl die künstlerische Idee personifizieren, die dem Schoss der Schönheit entspringt und das Vergängliche in Gestalt des Skeletts als memento mori hinter sich lässt. Gesäumt wird der Aufstieg des Künstlers weiterhin von Figuren, die sich mit Bacchus, Merkur und Bellona, der Göttin des Krieges, identifizieren lassen. Auf dem Thron sitzt laut Lynch schließlich Saturn, über dem Fama aus den Wolken Ruhm posaunt. Hinter dem Thron ist die künstlerische Praxis dargestellt. Eine Frau steht mehreren Künstlern im studio Modell, 243 Siehe ebd., S. 23 f. sowie: Oy-Marra, »Form, Darstellung und Raum«, S. 146 f. 244 Mitunter wurde die Zeichnung auch Federico Zuccaro zugeschrieben, doch die Zuschreibungen an Lomazzo überwiegen und überzeugen – nicht zuletzt aufgrund von Ähnlichkeiten zwischen der Perspektivkonstruktion der Architektur der Wiener Zeichnung mit Lomazzos Fresko des Heiligen Petrus mit dem Sturz des Simon in der Mailänder Cappella Foppa sowie angesichts des in der auf den Stufen sitzenden Venus nachvollziehbaren Studiums von Leonardos Leda-Figuren, die Lomazzo als Freund des Leonardo-Erben Francesco Melzi in dessen Konvolut von Zeichnungen studiert haben konnte. Siehe hierzu: Pavesi, Giovan Paolo Lomazzo, S. 60, 318. Zu Leonardos Leda- Figuren siehe Kapitel 3.4. 245 Siehe hier und für die folgende Interpretation der Bildfiguren nach Lynch: Lynch, James B., »Lomazzo’s Allegory of Painting«, in: Gazette des Beaux-Arts, 110 (1968), S. 325–330.
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an Leinwänden und Tischen wird gemalt, gezeichnet, vermessen und diskutiert. Auf den Regalen und an den Wänden reihen sich Studienobjekte und Gerätschaften. Ganz im Hintergrund öffnet sich der Blick schließlich auf städtische Architektur. Lynch vermutet, dass es sich bei der Darstellung um den Entwurf des Frontispizes von Lomazzos Trattato handelt, der aufgrund der Erblindung des Künstlers nicht finalisiert bzw. umgesetzt wurde.246 In jedem Fall lassen sich gerade auch mit Blick auf die Idea del tempio della pittura Verk nüpfungen zwischen der Zeichnung und dem Denkmodell der schriftlich entfalteten Theorie erkennen – v. a. in der Korrelierung von Kosmologie, Kunsttheorie sowie Kunstschaffen. Dass Lomazzo seine schriftlich diskursivierte Vorstellung des Malereitempels ursprünglich ebenfalls in Kombination mit gezeichneten Figuren geplant hatte, merkt der Autor zu Beginn seiner Idea an, wenn er bedauert, dass er das Vorhaben von Bildern im Buch aufgrund seiner Erblindung nicht umsetzen konnte.247 Derweil verdeutlichen Zeichnungen und Graphiken zu Lomazzos Idea in Forschungsbeiträgen, dass der imaginäre Tempel bildliche Darstellungen anregt, wenn nicht gar einfordert (Abb. 5.04).248 Bezüglich anderer Diskurse, Wissensbereiche und Lehren, mit denen Lomazzo in seiner kosmologisch-metaphysischen Theorie und seinem System der corrispondenze in Austausch tritt, sind u. a. Beiträge okkulter Philosophie wie die Schriften von Agrippa von Nettesheim zu nennen sowie alchemistische Texte, die zur Zeit Lomazzos Hermes Trismegistos (einem wohl fiktiven Autor) zugeschrieben wurden, der als Begründer der Alchemie galt.249 Hermes Trismegistos, so Lomazzo, habe dargelegt, dass die Planeten ihre charakteristischen Eigenschaften nach unten auf die Erde hin abgeben.250 In den alchemistisch-hermetischen Texten werden zudem bspw. Planeten und Metalle einander zugeordnet, vielfältig Mikro- und Makrokosmos miteinander verbunden und somit kosmische Sinnzusammenhänge erstellt, die für Lomazzos Vorstellung des MalereiTempels inspirierend sein konnten.251 Die Idee, die Künstler nicht nur mit Pla246 Siehe: ebd., S. 325. 247 Lomazzo, Idea, S. 3. 248 Siehe z. B. Cassimatis, Zur Kunsttheorie des Malers Giovanni-Paolo Lomazzo, S. 75. 249 Zu Lomazzos Rezeption von Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim und dessen De occulta philosophia (1510) siehe u. a.: Williams, Art, Theory, and Culture, S. 126; Chai, »Introduction«, S. 29–34. 250 Lomazzo, Idea, S. 117. Zu Lomazzos Rezeption von Hermes Trismegistos siehe: Chai, »Intro duction«, S. 29–34. Zu frühneuzeitlichen Vorstellungen der Wirksamkeit kosmischer Kräfte gerade auch in der Kunst, im Kunstschaffen und in Kunstwerken selbst sei an dieser Stelle zudem auf die Studie von Mary Quinlan-Mc Grath verwiesen: QuinlanMc Grath, Mary, Influences. Art, Optics, and Astrology in the Italian Renaissance, Chicago 2013. 251 Siehe: Priesner, Claus, »Über die Wirklichkeit des Okkulten. Naturmagie und Alchemie in der Frühen Neuzeit«, in: Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch, Berlin 2011, S. 305–346.
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Abb. 5.04: Marilena Cassimatis’ Graphik zu Lomazzos Idea del tempio della pittura (1590) aus: Cassimatis, Marilena Z., Zur Kunsttheorie des Malers Giovanni-Paolo Lomazzo (1538–1600), Frankfurt am Main / Bern / New York 1985, S. 75 – Foto: privat
neten, sondern auch mit Tieren zu korrespondieren, kommentiert Lomazzo derweil mit einem Verweis auf die Babylonier, die den Planeten Tiere attribuierten, um ihre Eigenschaften und Stärken besser anschaulich zu machen.252 Eine besondere Bedeutung haben in Lomazzos Denken dabei in jedem Fall auch neuplatonische Vorstellungen und v. a. jene Marsilio Ficinos. In Ficinos 1469 auf Latein verfasstem Commentarium in Convivium Platonis / De amore, das der Autor 1474 eigenhändig ins volgare übersetzte und als einzigen seiner Platon-Kommentare in Form eines separaten Buches gestaltete, welches dann 1544 erstmals auf 252 Lomazzo, Idea, S. 45.
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Italienisch im Druck erschien, konnte Lomazzo u. a. von der Vorstellung lesen, dass Gottes Geist und seine vornehmlich sieben Gaben jeweils durch bestimmte Gestirnsgötter und deren Planeten mit ihren jeweiligen Qualitäten an die Menschen weitergegeben werden, so dass verschiedenen Menschen verschiedene Begabungen zuteilwerden.253 Dabei verbindet Ficino in seinem De amore die Lehre der sieben Gaben des Heiligen Geistes »mit seiner kosmisch-influentiellen, neuplatonischen Theologie«.254 Und während es bei Ficino die »Philosophen, Poeten, Priester, Weissager und Propheten« sind, die, wie Anne Eusterschulte erläutert, »von einer Affektion der Vernunft, einer göttlichen Erleuchtung ergriffen, in besonderer Weise befähigt sind, des göttlichen Lichtes teilhaftig« zu werden und dieses »in kunstvollen sprachlichen Formen […] manifest werden zu lassen«, sind es bei Lomazzo die Maler.255 Mit seinen durch unterschiedliche Transferprozesse von Wissen erstellten Analogien und seinem Assoziationsnetzwerk arbeitet Lomazzo in der Idea mit einer Medialisierung und Materialisierung von Wissen, die nicht durch scharf abgegrenzte Begriffe und logische Argumentationen oder Beweise geprägt sind, sondern von Ähnlichkeiten, einer explizit bildhaften Sprache, Veranschaulichungen und Vergleichen; diese Art der Verhandlung verdeutlicht zugleich, dass Lomazzo Wissen verhandelt, das als ein elusives fassbar gemacht und reflektiert wird – ein Wissen, das sich nicht über Propositionen fassen lässt, das nicht in Begriffen einholbar ist, dem sich aber in der Prozessualität der Tempelrundgänge über Analogien, Ähnlichkeiten und Vergleiche angenähert wird.256 Über seine 253 Siehe zu Ficinos De amore: Schneider, Steffen, Kosmos, Seele, Text. Formen der Partizipation und ihre literarische Vermittlung: Marsilio Ficino, Pierre de Ronsard, Giordano Bruno, Heidelberg 2012, S. 99–145, hier besonders S. 99 f.; Pyle, Cynthia M., Milan and Lombardy in the Renaissance: Essays in Cultural History, Rom 1997, S. 86 f.; Eusterschulte, Anne, »›Pulchritudinem esse gratiam quamdam vivacem et spiritalem.‹ Theologischphilosophische Voraussetzungen der gratia-Konzeption bei Marsilio Ficino«, in: Gratia. Mediale und diskursive Konzeptualisierungen ästhetischer Erfahrung in der Vormoderne, hg. v. ders. und Ulrike Schneider, Wiesbaden 2018, S. 107–132; generell zu Ficino siehe grundlegend: Beierwaltes, Werner, Marsilio Ficinos Theorie des Schönen im Kontext des Platonismus, Heidelberg 1980. 254 Eusterschulte, »›Pulchritudinem esse gratiam‹«, S. 129. 255 Zum Zitat: ebd., S. 130. Dass Ficinos De amore gerade auch für Lomazzos Schönheitsauffassung sowie gewisse Aspekte der Darstellungsweise der Idea von Relevanz ist, wird im weiteren Verlauf der Textanalyse dargelegt. 256 Vgl. zur Untersuchung von logischem und analogischem Denken aus philosophietheoretischer Perspektive: Schildknecht, Christiane, »Literatur und Philosophie: Perspektiven einer Überschneidung«, in: Wahrheit, Wissen und Erkenntnis in der Literatur, Berlin 2014, S. 41–56, S. 44; vgl. auch Christiane Schildknechts Auseinandersetzung mit Wissen in Metaphern: Schildknecht, Christiane, »Metaphorische Erkenntnis – Grenze des Propositionalen?«, in: Metapher, Kognition und Künstliche Intelligenz, hg.v. Hans Julius Schneider, München 1996, S. 33–52, hier v. a. S. 37 f.; zu Wissensformen, die durch Aufzei-
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gewissermaßen ›Ästhetik des Zeigens‹ demonstriert Lomazzo Zusammenhänge, die in der Natur unsichtbar sind und erst durch seine Kunsttheorie und deren spezifische textuelle Verfasstheit anschaulich werden.257 Dieses Wissen, das mit dem künstlerischen Schaffensprozess und der scienza der Malerei verbunden wird, verankert Lomazzo in einem über diverse gelehrte Diskurstransfers fundierten kosmologisch-metaphysischen Wissensmodell. Dabei geht es Lomazzo mit der Idea del tempio della pittura und ihrer spezifischen Textstruktur, Darstellungsweise sowie den Diskurstransfers wohl gerade auch darum, dem von ihm für die Malerei und den bildkünstlerischen Schaffensprozess in Anschlag gebrachten Wissen in gelehrter Weise und mittels vielfältiger Diskursinterferenzen Geltung zu verschaffen. Lomazzo präsentiert sich dabei sogleich auch selbst als Gelehrter, der fähig ist, fundiert über die Malerei als scienza zu schreiben, die ›Geheimnisse‹ dieser scienza zu ergründen und das Wissen, um das es in diesem Bereich des ästhetischen Diskurses – dem Malerei-Tempel – geht, im Wissensmodell und Denken seiner Zeit zu nobilitieren.258 Mit seiner Vorstellung des Malerei-Tempels und seinem »system of cor respondences« entwirft Lomazzo zugleich eine Theorie, mit der künstlerische Pluralität bzw. Diversität begründet und wertschätzt wird. Er liefert in dieser Theorie keine konkreten Werkbeschreibungen und -analysen, sondern erstellt tiefgreifende und vielschichtige Begründungszusammenhänge für die verschiedenen Personalstile exzellenter Maler und beschreibt dabei – ohne regionale Hierarchien – Grundzüge, Eigenschaften und Merkmale verschiedener Künstler sowie deren Kunst, wobei er für seine assoziativen Beschreibungen und Charakterisierungen eben oftmals gerade auch bereits wohl etablierte ästhetische Kategorien und Konzepte des zeitgenössischen Redens und Schreibens über Kunst nutzt bzw. sinnfällig macht (z. B. im Falle der venustà und grazia von Raffael und dessen Malerei). Bemerkenswert ist weiterhin, dass die sieben Regenten des Malerei-Tempels weder vollkommen sind, noch einen exklusiven Reigen bilden. In einem der Kapitel zur Farbe erläutert Lomazzo bspw., dass in Michel angelos Malerei die Farbgebung der »furia, & profondità del disegno« diene und Michelangelo im Zuge dessen bestimmte Qualitäten von Farben auch vernachlässigte – womit der Mailänder Kunsttheoretiker letztlich Bewertungs- und Beschreibungsmodi innerhalb des ästhetischen Diskurses weiterträgt, aber nicht vor der Folie regionaler Geschichtsschreibungen oder Künstlerwettbewerbe, gen und nicht durch Beweisen gefasst werden, vgl. hier zudem: Gabriel, Gottfried, »Kennen und Erkennen«, in: Was sich nicht sagen lässt. Das Nicht-Begriffliche in Wissenschaft, Kunst und Religion, hg. v. Joachim Bromand und Guido Kreis, Berlin 2010, S. 43–55. 257 Zum Zitat: Oy-Marra, »Form, Darstellung und Raum«, S. 149. 258 Vgl. hier auch Elisabeth Oy-Marras Rede davon, dass Lomazzo dem »Künstlerwissen einen angemessenen Platz im Wissensgebäude seiner Zeit« zuzuschreiben sucht. Ebd., S. 146.
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sondern eines kosmologisch begründeten Kanon der Pluralität von maniere.259 Gaudenzio wird in demselben Kapitel derweil insbesondere für seinen Umgang mit changierenden Farbtönen in der Darstellung unterschiedlicher edler Gewandstoffe gelobt.260 Polidoro, der in Lomazzos Augen Meister aller antiken Sujets sowie »felicissimo inventore di groteschi« ist, habe unterdes mehr als alle anderen und pionierhaft das »colorire chiaro, & scuro« praktiziert und verstanden und dabei bspw. Marmor, Bronze, Gold, Steine u. ä. imitiert.261 Leonardo wiederum habe v. a. in Öl gemalt – eine »maniera di colorire«, die von »Gio. Da Bruggia«, sprich Jan van Eyck, erfunden worden sei.262 Lomazzo bedauert sehr, dass sich Leonardos Technik der Pigmentbindung und Grundierung für die Wandmalerei mit den Jahren als unbeständig erwiesen hat und die großartigen Wandgemälde Leonardos nicht mehr gut erhalten sind. Eindringlich lobt er die Helldunkelmodellierungen bzw. Licht-Schatten-Modellierungen in der Malerei des toskanischen Künstlers, das Übereinanderlegen von Farbschichten – »con veli sopra veli«.263 Raffaels Umgang mit Farben beschreibt Lomazzo danach als stets dem disegno dienlich und den Figuren »total belezza, & rilievo« verleihend und greift in diesem Zusammenhang erneut die in der Raffael-Rezeption etablierten Kategorien der »nobiltà, venustà, & gratia« auf.264 Andrea Mantegnas Farbgebung zeichne sich unterdes durch unübertroffene Sorgfalt (»diligenza«) und Scharfsinnigkeit des begabten Geistes (»acutezza d’ingegno«) aus.265 Doch wie die Sonne zwischen vielen kleinen Sternen erstrahle in diesem Bereich der Malerei, der Farbe, Tizian als der unangefochtene Meister, der gerade auch Landschaften und Naturphänomene mit »vaghissima maniera« farblich gestaltet habe und der in der Darstellung von Inkarnat – insbesondere üppiger und zarter Bereiche – große »venustà, & gratia« erzeugt habe mit seinen »mischie, & tinte«, die wahr und lebendig wirken.266 Dem Maler aus dem Veneto gibt Lomazzo damit 259 »Primieramente il Buonarroto nel suo colorire ha servito alla furia, & profondità del disegno, lasciando in parte la qualità dei colori, e reggendosi solamente dietro al grillo, & alla bizaria.« Lomazzo, Idea, S. 47. 260 Gaudenzio, so schreibt Lomazzo, sei generell ein »ornatissimo coloritore« gewesen, aber er sei insbesondere »maraviglioso nel esprimere tutte le sorti di panni con gratia cosi velluto, di ormesino, & di altri drappi di seta, come di tela, & di lana con tanto disegno, & furia, che niun altro è per poter mai agguagiarlo.« Ebd., S. 48. 261 Ebd., S. 48. 262 Ebd., S. 49. 263 Ebd., S. 50. 264 Ebd. 265 Ebd. Chai übersetzt »acutezza d’ingegno« mit »acute inventive genius«. Siehe: Lomazzo, Idea of the Temple, S. 85. 266 »Mà frà tutti risplende come sole frà picciole stelle Titiano, non solo frà gli Italiani, mà frà tutti i pittori del mondo[.] […] Et spetialmente esso Titiano ha colorito con vaghissima maniera i monti, i piani, gli arbori, i boschi, le ombre, le luci, & le inondationi del mare e de i fiumi, i terremoti, i sassi, gli animali, & tutto il resto che appartiene à i Paesi. Et nelle
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in der Rubrik colore den eindeutigen Vorrang – und dies nicht nur im Vergleich mit den »Italiani«, sondern international.267 Wie im Falle der Unangefochtenheit Michelangelos im Bereich der proportione mit Fokus auf dem disegno steht auch diese Schwerpunktsetzung im Bereich Farbgebung im Einklang mit gängigen Kunsturteilen und im Falle Tizians mit der (Selbst-)Beschreibung venezianischer Künstler im venezianischen Kunstgespräch. Während in Lomazzos Tempel Tizian in der Farbgebung und Michelangelo in der proportione brilliert, ist es in den übrigen Bereichen der Malerei jeweils ein anderer aus dem Siebener-Reigen. Jeder Regent ist in einem der Teile der Malerei exzellent – keiner von ihnen in allen. Und so gibt es in Lomazzos Theorie bzw. Kosmos auch kein ideales, perfektes Gemälde. Ein solches lässt sich nur intellektuell anlegen und dann imaginieren – aber auch nicht als das absolute perfekte Bild, sondern sujetabhängig. Denn Lomazzos Meinung nach, müsse man für ein Gemälde Adams und für ein Gemälde Evas jeweils unterschiedliche Maler ans Werk gehen lassen: Adam müsse von Michelangelo gezeichnet und von Tizian koloriert werden, wobei Proportion und Stimmigkeit von Raffael abzuleiten sind.268 Die Figur Evas müsse hingegen von Raffael gezeichnet und von Antonio da Correggio koloriert werden. Diese beiden Gemälde wären die besten Gemälde, die es je auf Erden gegeben habe, so Lomazzo.269 Er variiert gewitzt die bspw. ausführlich bei Cicero erzählte antike Künstleranekdote über Zeuxis, der für sein Gemälde der idealschönen Helena die fünf schönsten Jungfrauen von Kroton auswählte und dann wiederum jeweils deren beste Qualitäten zu einem perfekten Ganzen zusammenfügte, da er überzeugt gewesen sei, dass »die Natur kein Einzelwesen so geschaffen habe, dass es in all seinen Teilen vollkommen sei«.270 Lomazzo, gemäß dessen Theorie kein Künstler in allen Becarni hà havuto tanta venustà, & gratia con quelle sue mischie, & tinte, che paiono vere e vive, & principalmente le grassezze, & le tenerezze che naturalmente in lui si vedono.« Ebd., S. 50. 267 Ebd. 268 »Ma dirò bene che à mio parere chi volesse formare due quadri di somma profetione [sic!] come sarebbe d’uno Adamo e d’un Eva, che sono corpi nobilissimi al mondo; bisognarebbe che l’Adamo si dasse à Michel Angelo da disegnare, à Titiano da colorare, togliendo la proportione, & convenienza da Rafaello, & l’Eva si disegnasse da Rafaello, & si colorisse da Antonio da Coreggio: che questi due sarebbero i miglior quadri che fossero mai fatti al mondo.« Ebd., S. 60. 269 Ebd. 270 Die Anekdote über die bildkünstlerische, selektiv verfahrende Nachahmung und Überbietung der Natur war v. a. aus Ciceros De inventione bekannt. »Die Bewohner von Kroton, dem heutigen Crotone in Süditalien, beschlossen den Tempel der Iuno Lacinia mit Gemälden von besonderem Wert auszustatten. Für viel Geld beauftragten sie den angesehensten Maler Zeuxis aus Herakleia. Dieser wollte ein Bild von Helena, Inbegriff weiblicher Schönheit malen. Dafür sollten die Krotoniaten ihm die schönsten Jungfrauen zeigen, aus denen er die fünf hübschesten auswählte. Er glaubte nämlich, nicht alles, was
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reichen der Malerei gleichermaßen exzellent ist, schreibt sich in der Idea nun in die Rolle desjenigen, der vier bereits verstorbene Künstler – drei aus dem Reigen der sieben Regenten seines Tempels und einen weiteren Maler – auswählt, mit deren größten Begabungen und Qualitäten er dann zwei Gemälde für die Imagination der Leserschaft entwirft, die auf Erden die besten Bilder ergeben, die je zu sehen gewesen seien. Ein derart vollkommenes Gemälde ist demnach realiter nicht möglich. Die Passage signalisiert des Weiteren, dass die sieben Regenten kein exklusiver Kreis sind. Beim Gemälde der Eva ist es nicht etwa der in den Farben allen voranstehende Tizian, sondern Antonio da Correggio, der die Farbgebung übernehmen solle. Kurz vor dieser Passage noch merkt Lomazzo interessanterweise an, dass ihn einige Maler kritisierten, weil er Tizian und nicht Antonio da Correggio als Regent in seinem Tempel ausgewählt habe.271 Mit der Einbeziehung von Correggio beim Gemälde Evas scheint Lomazzo durchaus auf derartige Kritik einzugehen, er betont aber auch, dass bei der Auswahl der Regenten des Tempels die »forza del sapere« eines Künstlers Grundvoraussetzung war.272 Und diese Wissensstärke, die gerade auch in der jeweils gelehrten und begabten Vielseitigkeit der Governatori begründet sein muss, schreibt Lomazzo Correggio offenbar nicht im selben Maße zu wie Tizian. Generell aber stellt Lomazzo im Verlauf des Textes den sieben Governatori immer wieder auch weitere lobenswerte Künstler in bestimmten Bereichen zur Seite. In einem Kapitel zur Art und Weise des »colorare i corpi« wird neben Tizian z. B. erneut Correggio, aber ebenso Giorgione für seine Fähigkeit gelobt, die Farben der Natur voller Lebendigkeit zur Darstellung zu bringen; als »Pittori perfetti nel colorare« werden außerdem Parmigianino, Rosso Fiorentino (Giovan Battista di Jacopo), Perino del Vaga, Andrea del Sarto, Cesare da Sesto, Boccaccino sowie Giulio Romano genannt.273 Die sieben Regenten des Malerei-Tempels sind in Lomazzos Konzeption daher v. a. als exzellente Repräsentanten unterschiedlicher begnadeter Künstlerpersönlichkeiten und Temperamente sowie Ausdrucksweisen zu verstehen, an denen sich Diversität und kosmologisch-metaphysische Zusammenhänge modellhaft aufzeigen lassen und mit denen prominente Debatten im äser zur Darstellung der Schönheit brauchte, an nur einem Körper antreffen zu können, weil die Natur kein Einzelwesen so geschaffen habe, dass es in all seinen Teilen vollkommen sei.« Siehe: Cicero, Marcus Tullius, De inventione / Ü ber die Auffindung des Stoffes, Lateinisch / Deutsch, hg. und übers. v. Theodor Nüßlein, Darmstadt 1998, S. 164. 271 »Non lascierò qui di dire che alcuni pittori mi hanno notato come che in loco di Titiano io dovessi porre Antonio da Corregio. Mà non intendono costoro quanta sia la forza del sapere, essendosi tutti dati solamente al fare, il quale però non può essere lodevole, ne buono se primamente non s’intende la forza del sapere.« Lomazzo, Idea, S. 59. Es wird in der Forschung mitunter vermutet, dass sich hinter den Kritikern die CampiBrüder verbergen. Siehe: Campbell, The Endless Periphery, S. 236. 272 Siehe die zitierte Passage in der vorigen Fußnote. 273 Lomazzo, Idea, S. 100 f.
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thetischen Diskurs – nicht zuletzt um absolute Vorrangstellungen – aufgegriffen und mittels eines transregionalen Reigens kritisch kommentiert werden.274 Lomazzo präsentiert auch nicht eine Gruppe hervorragender Künstler stillgestellt als unanfechtbaren Kanon und als vollkommen, sondern erörtert unterschiedliche genii der Künstler, mit denen unterschiedliche »eccellenze« und »inclinationi« einhergehen und letztlich unterschiedliche maniere. Ein jeder Künstler müsse daher seine Persönlichkeit und seine Begabung kennen, um »facilmente« zum Höhepunkt seiner Exzellenz (»colmo dell’eccellenza«) zu gelangen.275 Neben der im ästhetischen Diskurs des Cinquecento wohl etablierten Vorstellung unterschiedlicher maniere als Personalstile findet sich die Vorstellung, dass unterschiedliche Stile kosmologisch begründet sind und es eine je individuelle »naturale Idea« gibt, die gewissermaßen als himmlische Unterweisung (»celeste ammaestramento«) den Künstler leitet, bspw. ansatzweise auch in den unter Kapitel 5.1 erwähnten Osservazioni (1580) von Cristoforo Sorte.276 Der Kartograph geht davon aus, dass die Bilder bzw. Figuren eines Künstlers unter dem Einfluss der Gestirne und mit dessen jeweiliger Begabungen gestaltet werden und letztlich etwas von der »Idea« des jeweiligen Künstlers beibehalten, weswegen man die Kunstwerke auch als Kinder ihres Künstlers bezeichnen könne.277 Im Kontext derartiger Vorstellungen konstruiert Lomazzo in seiner Idea schließlich ein ganzes Netz an Analogien und zeichnet komplexe Begründungszusammenhänge ganz konkret an berühmten Künstlerpersönlichkeiten nach. Damit unternimmt er den Versuch, auf gelehrte Weise und unter Einbeziehung unterschiedlicher Wissensdiskurse ästhetische Pluralität gewissermaßen als Naturgesetz geltend zu machen. Er präsentiert einen transregionalen und beweglichen Kanon, in den er eben gerade auch lombardische Maler in einem gleichrangigen Reigen von Künstlerpersönlichkeiten aus ganz Italien integriert und mitunter auf einige berühmte Künstler nordalpiner Regionen hinweist.278 274 Vgl. zu den Kriterien von Lomazzos Auswahl der sieben Regenten außerdem: Squizzato, Alessandra, »Michelangelo negli scritti d’arte di Giovan Paolo Lomazzo«, in: Tracce di letteratura artistica in Lombardi, hg. v. Alessandro Rovetta, Bari 20072, S. 61–96, S. 83. 275 Siehe Lomazzo, Idea, S. 7. 276 »E questa naturale Idea o vogliamo dire più tosto celeste ammaestramento, in noi da superiori corpi a questo proposito infuso, non solamente ci aiuta ad operare, ma nelle maggiori e più perfette eccellenze con imperio signioreggia; onde quella istessa libertà hanno i pittori, che si suole concedere per ordinario ai poeti, e come questi nelle invenzioni e nello stile differenti l’uno da l’altro si conoscano, così a quelli parimente aviene. E di qui è che le imagini o figure che fanno si dicono essere loro figliuoli, perciochè ritengono ordinariamente della loro Idea[.]« Sorte, »Osservazioni«, S. 299. 277 Siehe den letzten Satz im Zitat der vorigen Fußnote. 278 Stephen Campbell spricht davon, dass Lomazzo mit seiner Idea zu denen gehört, »who sought to displace Rome’s centrality, and indeed Vasari’s axis, with a transregionalist ideal.« Campbell, The Endless Periphery, S. 236.
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Maßgeblich ist aber nicht eine regional geprägte und geformte Künstlerpersönlichkeit, sondern dass Künstlerinnen und Künstler ihren eigenen genio erkennen und berücksichtigen. Diese Erkenntnis ist Voraussetzung aller »facilità« und »gratia« im Kunstschaffen.279 Um das »genio proprio« erkennen zu können, bedarf es in Lomazzos Denken jedoch bereits einer Naturbegabung und eines göttlich inspirierten Begnadetseins, einer »certa gratia«, um wiederum »gratia« ins Werk zu setzen.280 Jegliche Mühe, jeglicher Scharfsinn und jegliche Studien – seien sie in Theologie, Astrologie, Geometrie, Perspektive, Musik, Arithmetik, Architektur, Geschichte, Poesie, Anatomie, der Affektlehre oder Philosophie – richten laut Lomazzo nichts aus beim Bemühen, ein exzellenter Künstler zu werden, wenn die Person nicht als Maler geboren wurde und nicht von der Wiege und den Windeln an »l’inventione, & la gratia dell’arte« mit sich bringe.281 Dieses Naturtalent muss gemäß Lomazzo schließlich mit einem scharfen Urteilsvermögen kombiniert werden, weswegen der Boden des Malerei-Tempels aus der discretione besteht, die, wie bereits erwähnt, als »la vera, & ragionevol via di operare« die unterschiedlichen Elemente der Malerei ineins zu bringen versteht.282 Diese beiden Gaben sind fundamental, damit ein Künstler seinen genio und seine eigene maniera erkennen kann.283 Lomazzo setzt sich in seiner Theorie konsequenterweise nicht nur mit der Diversität der Begabungen, Temperamente und Interessensschwerpunkte sowie maniere der Künstler auseinander, sondern ebenso damit, dass das Schönheitsempfinden der Betrachtenden verschieden ist. Dem einen gefalle diese und jene Person, anderen wiederum gefallen andere Personen, so konstatiert er.284 Der 279 Lomazzo, Idea, S. 8. 280 »[S]enza una certa gratia, non havendo tutta quella dispositione dalla natura, che si ricercarebbe, senza la quale, come già dissi, non si può dar gratia alcuna alle opere.« Ebd., S .9. Sowie folgend Passage: »Mà appresso à tutte queste cose, che sin’hora hò detto esser necessarie, bisogna ultimamente aggiungere una parte più necessaria di tutte le altre cioè che l’huomo sia nato Pittore, si come diciamo anco del Poeta, che in questo principalmente convengono insieme la Pittura, & la poesia.« Ebd., S. 38. 281 Ebd., S. 38 f. 282 Ebd., S. 12; siehe auch S. 13 f. und S. 41. Insbesondere Michael Cole unterstreicht die Bedeutung des Konzepts der discretione für Lomazzos Schrift und skizziert einen möglichen Transfer des Konzepts aus jesuitischen Texten wie jenen von Ignatius von Loyola, in denen mit diesem Begriff die Fähigkeit des inneren Auges (vista de la imaginación) gemeint ist, die Gutes und Böses voneinander unterscheiden lasse. Siehe: Cole, Michael, »Discernment and Animation, Leonardo to Lomazzo«, in: Image and Imagination of the Religious Self in Late Medieval and Early Modern Europe, hg. v. Reindert Falkenburg, Walter S. Melion, Todd M. Richardson, Turnhout 2007, S. 133–161, S. 144–149; Siehe zu diesem Aspekt auch: Göttler, »The Temptation of the Senses«, S. 424. Siehe zur discretione in Lomazzos Idea auch: Chai, »Introduction«, S. 4. 283 Siehe auch: Cole, »Discernment and Animation«, S. 144. 284 Dieser und die folgenden Sätze paraphrasieren das folgende Zitat: »Donde procede che aduno il qual vederà quattro ò sei huomini ò donne, più uno ò una li piacerà, che un altro,
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eine bewundere diese Kunst, der andere jene Kunst. Auch wenn bspw. eine Frau »veramente bella« sei, so werden unterschiedliche Männer diese Schönheit an unterschiedlichen Aspekten festmachen – je nach »giudicio« bzw. »gusto della bellezza«, merkt der Mailänder an. Daher sei es wichtig, dass ein »artefice« sich an der »ragione« orientiere und ein Werk schaffe, das »universale, & perfetto« sei; schließlich sei »la vera bellezza« nur diejenige, die man mit der »ragione« schmecke und genieße und nicht mit den Augen.285 Das sinnlich Schöne sowie der subjektive Geschmack bzw. das subjektive Schönheitsempfinden einerseits und die Erkenntnis wahrer Schönheit andererseits sind demnach zu differenzieren. Im Einklang mit der Beobachtung der produktions- wie rezeptionsästhetisch bedingten Variabilität des sinnlich Schönen und der Verortung der Erkenntnis wahrer Schönheit im Intellekt präsentiert Lomazzo im Kapitel 26 – mitten in der Idea und dem Tempelrundgang – eine ausführliche Auseinandersetzung mit Schönheit und einen Bestimmungsversuch in neuplatonischer Denkweise. Im Vergleich zu den vorigen Kapiteln, in denen der Rundtempel mit den sieben Malerei-Elementen und den sieben Regenten samt ihrer genii und maniere immer wieder umlaufen wird, ist das besagte Kapitel 26 Del modo di conoscere, & costituire le proportioni secondo la bellezza auffällig anders gestaltet. Inmitten der sich wiederholenden, variierenden und verdichtenden Analogiebildungen platziert, unterbricht das verhältnismäßig lange Kapitel die imaginären Tempelrundgänge durch seine deduktive Argumentationsweise. Da Lomazzo »bellezza« in diesem Abschnitt mit vielfältigen Referenzen und teils wörtlichen Übernahmen sowie mit explizitem Verweis auf Marsilio Ficinos De amore erörtert, werden im Folgenden mehrere Textpassagen ausführlich zitiert.286 Bei Lomazzo heißt es im 26. Kapitel der Idea also zur Schönheit und zur Schönheit des Körpers wie folgt: E prima habbiamo da sapere che la bellezza non è altro che una certa gratia vivace, & spiritale, la qual per il raggio divino prima s’infonde negl’Angeli in cui si vedono ò un’altra, & ad un’altro sarà in odio, ciò che a lui piacerà. E particolarmente questo si comprende nell’arti che un aborre un’arte, & l’altro l’aggradisce, e quindi avviene che tutte le nature, occupano tutte le arti. Ma ciò in niuna cosa si vede più espresso che nel giudicio, ò sia gusto della bellezza, che se ben una donna sarà veramente bella, nondimeno veduta da diversi huomini à tutti non parerà tale per una medesima via, Imperoche [sic!] a chi ella piacerà per gli occhi ad altri per il naso, a chi per la bocca, a chi per la fronte, per li capelli per la gola per lo petto per le mani, & a chi per una cosa, & a chi per un’altra.« Lomazzo, Idea, S. 87. 285 »Onde possiamo considerare, che l’artefice hà d’haver riguardo più alla ragione, che al particolar piacere d’alcuno perche l’opera dee essere universale, & perfetta, & altrimenti facendo si lavora al buio. […] Imperoche la vera bellezza è solamente quella che dalla ragione si gusta, & non da queste due finestre corporali.« Ebd., S. 88 f. 286 Für einen Vergleich von Textpassagen aus Lomazzos Idea und Ficinos De amore vgl. auch: Panofsky, »Idea«, S. 268–283.
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le figure di qualunque sfera che si chiamano in loro essemplari, & Idee; poi passa negli animi, ove le figure si chiamano ragioni, & notitie, e finalmente nella materia ove si dicono imagini, & forme, & quivi per il mezzo della ragione, & del vedere, diletta à tutti, mà più, e meno, secondo le ragioni che si diranno più basso. Questa bellezza risplende in un medesimo volto d’Iddio in tre specchi posti per ordine, nell’Angelo, nell’animo, & nel corpo, nel primo come più propinquo in modo chiarissimo, nel secondo come remoto men chiaro nel terzo come remotissimo molto oscuro. Mà l’Angelo, perche non è dal corpo impedito in se stesso si riflette e vede la sua bellezza in se medesimo scolpita. E l’animo creato con questa conditione che sia circondato dal corpo terreno, al ministerio coporale [sic!] declina. Dalla quale inclinatione gravato, mette in oblio questa bellezza che hà in se nascosta, & tutto da poi ch’è involto nel corpo terreno s’impiega all’uso d’esso corpo, accommodandovi il senso, & alle volte la ragione ancora. E di qui è ch’egli non risguarda questa bellezza che in lui di continuo risplende in fino che il corpo non è già cresciuto, & la ragione svegliata, con la quale considera quella che à gli occhi de la machina del mondo riluce, & in essa sogiorna. Finalmente la bellezza del corpo non è altro, che un certo atto, vivacità, & gratia che in lui risplende per lo influsso della sua Idea, il quale non discende nella materia se ella non è attissimamente preparata. Et tal preparatione del corpo vivente, in tre cose si compisce che sono ordine, modo, & spetie. L’ordine significa le differenze delle parti: il modo la quantità, & la specie i lineamenti, & i colori.287
287 Lomazzo, Idea, S. 83 f. In der englischen Übersetzung von Jean Julia Chai lautet die Passage wie folgt: »First we must understand that beauty is nothing but a certain lively, spiritual grace, which, through the divine ray, first infuses angels, where may be seen the figures of each sphere, called in them exemplars and Ideas. Then it passes into souls, where the figures are called reasons and notions, and finally into matter, where they are called images and forms. Here, by means of understanding and sight, beauty pleases everyone, sometimes more, sometimes less, for reasons that will be explained below. This beauty shines from the same face of God into three mirrors, arranged in this order: in the angel, the soul, and the body. It shines most brightly in the first, being the closest; less brightly in the second, being more remote; and very dimly in the third, the farthest away. Indeed, not encumbered by a body, the angel reflects itself and sees God’s beauty sculpted in its very self. The soul, created on the condition of being encased in an earthly body, administers to its corporeal function. Burdened by this predisposition, it forgets the beauty hidden within itself and, enveloped in an earthly body, submits everything to the body’s use, accommodating the senses and sometimes even reason. So the soul ignores this beauty shining inside continuously – as long as the body has not matured nor reason awakened – that would enable it to contemplate the beauty which, to our eyes, illuminates the machine of the world and there abides. Finally, corporeal beauty is nothing other than a certain action, a vivacity and grace that shines in the body from the influence of its Idea, descending only into extremely well-prepared matter. And such preparation of the living body consists of three things: order, measure, and aspect. Order signifies the differences among the parts; measure, the quantity; and aspect, the lines and colors.« Lomazzo, Idea of the Temple of Painting, S. 113 f.
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Im dritten Kapitel der fünften Rede von Ficinos De amore fasst die Figur Carlo Marsuppinis, der die Rolle des Agathon aus Platons Symposium übernimmt, Schönheit wie folgt: Che la bellezza è lo splendore del volto di Dio. Capi. IIII. La Divina Poténza supereminente állo Univérso, ágli Angeli, & agli Animi da léi creáti, Clementemente infónde, si cóme a suói figliuóli, quél súo rággio: nelquále è virtú fecónda, a qualúnque cósa creáre. Quésto rággio divíno in quésti, cóme piu propínqui a Dío, dipínge lo órdine di tútto il Móndo, molto piu espreßaménte che nélla Matéria mondána: Per laqualcósa quésta Pittúra del Móndo, la quále nói veggiámo tútta, négli Angeli, & négli ánimi, è più espreßa: che inánzi a gli ócchi. In quélli è la figúra di qualúnque sféra, del Sóle, Lúna, & Stélle, délli Eleménti, Piétre, Arbori, & Animali. Quéste Pittúre si chiámano nélli Angeli, esemplári e Idée: nélli ánimi ragióni & notízie: Nélla Matéria del Móndo, imágini e fórme. Quéste Pittúre son chiáre ne’l Móndo: piu chiáre néll’Animo e chiaríßime sóno nell’Angelo. Adúnque ún’ medesimo vólto di Dío rilúce in tre spécchi pósti per órdine, néll’Angelo, néll’Animo, & nel córpo mondáno: Nel prímo, cóme piu propínquo, in módo chiaríßimo: nel secóndo cóme piu remóto men’chiáro: nel térzo cóme remotíßimo, mólto oscúro. Dipói la Sánta Ménte déllo Angelo, perché non è da ministério di córpo impedita, in se medésima si riflétte: dóve véde quél’ volto di Dío nel súo séno scolpíto: Et veggéndolo si maravíglia: & maravigliándosi, con gránde avidità a quello sémpre si unisce. Et nói chiamiámo Belléza, quélla grázia del vólto divíno: Et lo Amóre chiamiámo la vidità déllo Angelo: per laquále si invíschia in tútto al vólto di víno: Iddío voléßi amíci miei, che questo ancóra avveníße a nói. Ma l’ánimo nóstro creáto con quésta condizióne, che si circúnda da córpo terréno, a’l ministério corporále declína: dálla quále inclinazióne gravíto, métte in oblio il tesóro, che nel súo pétto è nascoso [sic!]. Dipói che nel córpo terréno È invólto, lúngo témpo áll’úso del Córpo sérve, & a quésta ópera sémpre accómoda il sénso: & accómodavi ancóra la ragióne piu spéßo che è’non débbe. Diquí avviéne che l’ànimo non riguárda la Lúce del vólto divíno che in lúi sempre splénde. Prima che il Córpo sía adúlto, & la ragíone sía desta: con laquále consideri il vólto di Dío che manifestaménte álli ócchi nélla mácchina del Móndo rilúce.288 288 Ficino, Marsilio, Sopra lo amore o ver’ convito di Platone, Neri Dorteláta, Florenz 1544, S. 96 ff. (Carlo Marsupini sopra la Orazione di Agatone). »4. Kapitel Die Schönheit ist der Lichtglanz des Angesichts Gottes. Die alles überragende göttliche Macht gießt dem Weltall, den Engeln und den von ihr geschaffenen Seelen, gleichsam als ihren Kindern, huldvoll diesen ihren Lichtstrahl ein, welchem die Kraft innewohnt, alles hervorzubringen. Dieser göttliche Lichtstrahl stellt in jenen, weil sie Gott näher sind, die Ordnung und das Gefüge des ganzen Weltalls viel deutlicher dar, als in der Weltmaterie. Daher ist auch die Darstellung des Weltalls, welche wir vollständig in den Engeln und den Seelen erkennen, bedeutend ausdrucksvoller. In ihnen befindet sich das Bild einer jeden Sphäre, der Sonne, des Mondes, der Gestirne, der Elemente, der Steine, Bäume und Lebewesen. Diese Bilder [picture] heißen in den Engeln Urbilder oder Ideen, in den Seelen Verstandesbegriffe und Vorstellungen, in der Materie Abbilder und Formen. Diese Darstellungen treten deutlich in der Welt zutage, deutlicher in der Seele,
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Die Schönheit des Körpers wiederum begreift Marsuppini im sechsten Kapitel seiner Rede folgendermaßen: Finalmente che cósa è la Belléza del córpo? Certaménte è un cérto átto, Vivacità, e Grázia, che risplénde nel córpo per lo inflúßo délla sua Idéa. Questo splendóre non descénde nella Matéria, s’élla non è príma attißimaménte preparáta. Et la preparazióne del córpo vivénte in tre cóse s’adémpie, órdine, módo & spézie: L’órdine signífica le distánze délle párti: il módo signífica la quantitá: la spézie signífica lineaménti & colóri [.] […] [C]onchiudiámo brevemente per le sopradétte cóse, la Belléza éßere úna cérta grázia, viváce & spiritále: Laquále per il rággio divíno príma si infónde négli Angeli, pói nélle Aníme dégli uómini, dópo quésti nélle figúre, & vóci corporáli. & quésta grázia per mézo délla ragíone & del vedére & déllo udire muóve & dilétta lo ánimo nóstro: & nel dilettáre rapísce & nel rapíre d’ardénte amóre infiámma.289 am deutlichsten aber im Engel. Ein und dasselbe Angesicht Gottes strahlt also aus drei der Reihe nach aufgestellten Spiegeln zurück, aus dem Engel, der Weltseele und dem Weltkörper, und zwar aus dem ersten als dem nächsten am deutlichsten, aus dem zweiten entfernteren weniger deutlich und aus dem dritten als dem entferntesten recht verworren. Der heilige Engelsgeist spiegelt sich, von keinem körperlichen Dienste behindert, in sich selbst wieder und schaut, in seinem Inneren ausgeprägt [insculptum], das Angesicht Gottes, schaut es mit Staunen und vereint sich ihm mit großer Inbrunst auf ewig. Diesen Liebreiz [gratiam] des göttlichen Angesichts nennen wir Schönheit [pulchritudinem], und Liebe die Inbrunst des Engels, welche ganz am Angesicht Gottes haftet. Wollte Gott, liebe Freunde, daß auch uns so geschähe! Doch unsere Seele neigt sich, da sie nun einmal vom irdischen Leibe umgeben ist, dem Dienste des Körpers zu. Beschwert von dieser Neigung, vergißt sie des Schatzes, welchen sie in ihrem Busen birgt. In den Erdenleib verstrickt, bringt sie lange Zeit in der Knechtschaft des Körpers zu; auf diese Verrichtung wendet sie den Sinn, ja sogar den Verstand über Gebühr. Daher kommt es, daß die Seele zu dem Lichte des göttlichen Angesichts, welches unaufhörlich in ihr strahlt, nicht eher aufschaut, als bis der Körper ausgewachsen ist und der Verstand erwacht, mit welchem sie Gottes Angesicht zu betrachten vermag, wie es sichtbar im Triebwerk der Welt sich spiegelt.« Ficino, Marsilio, Über die Liebe oder Platons Gastmahl, Lateinisch – Deutsch, übersetzt von Karl Paul Hasse, hg. und eingel. v. Paul Richard Blum, Hamburg 1984, S. 143, 145. 289 Ficino, Sopra lo amore, S. 104 f., 108. »6. Kapitel Wie vielerlei zur Schönheit eines Dinges erforderlich ist; die Schönheit ist eine unkörperliche Gabe. Worin besteht nun, mit einem Wort, die Schönheit des Körpers? In einer bestimmten Aktualität, Lebhaftigkeit und Anmut, welche im Körper unter dem Einflusse seiner Idee erstrahlt. Dieser Lichtglanz steigt nicht zu der Materie hinab, bevor sie nicht in angemessener Weise zugerichtet ist. Diese Zubereitung vollzieht sich durch drei Faktoren: die Anordnung, das Maß und die Gestaltung. Die Anordnung bestimmt die Abstände der Teile, das Maß die Größe, die Gestaltung die Umrisse und die Farben. […][So] wollen wir in Kürze aus dem eben Gesagten den Schluß ziehen: die Schönheit ist ein bestimmter lebensvoller und unkörperlicher Liebreiz, welcher durch den göttlichen Lichtstrahl zuerst dem Engel, dann den Seelen der Menschen und endlich den körperlichen Gestalten und den Tönen eingegossen wird. Dieser Liebreiz erregt durch Vermittelung des Verstandes, des Gesichtes und des Gehörs unsere Seele, reißt sie in der Entzückung fort und begeistert sie im Hinreißen zu glühender Liebe.« Ficino, Über die Liebe, S. 155, 159, 161.
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Mit teils wörtlichen Übernahmen greift Lomazzo also die in Ficinos De amore entfaltete Idee zum Schönen neu auf und stellt sie als göttlichen Glanz und Lichtstrahl vor, der sich über die Engel und den menschlichen Intellekt bis zur materiellen Ausformung spiegelt, dabei aber zunehmend an Strahlkraft verliert und im Physischen und Sichtbaren letztlich in verdunkelter bzw. verschatteter Weise manifest wird. Damit diese Manifestation des Schönen im menschlichen Körper Gestalt annehmen könne, müsse dieser durch angemessene Proportionen, Form- und Farbgebung optimal vorbereitet sein.290 Lomazzos bereits oben im Kontext der Analogiebildungen angesprochene Ficino-Rezeption ist derweil sowohl Teil der weitreichenden Auseinander setzungen mit dem toskanischen Gelehrten innerhalb des cinquecentesken ästhetischen Diskurses in Italien als auch einer langjährigen und tiefgreifenden Auseinandersetzung mit Ficino und seiner Schrift De amore in der Gelehrtenkultur des frühneuzeitlichen Mailands. Denn gerade auch im Kontext des Mailänder Sforza-Hofes wurde Ficinos De amore eingehend rezipiert: bereits um 1476 übersetzte Gaspare Visconti den Text passagenweise aus dem Lateinischen ins Italienische, was ein fragmentum in einem zibaldone der Mailänder Biblioteca Trivulziana (Ms. Triv. 1093, f. 131r) belegt.291 Bemerkenswerterweise wird in diesen Passagen u. a. Hermes Trismegistos prominent erwähnt, der gerade auch für Lomazzos Idea von besonderem Interesse ist.292 In Texten des ästhetischen Diskurses finden sich eingehende Auseinandersetzungen mit Ficinos neuplatonischen Theorien während des 16. Jahrhunderts bspw. in der mehrteiligen Schrift Da Pintura Antigua des portugiesischen Antiquars, Künstlers, Historikers und Kunsttheoretikers Francisco de Holanda, der vom Ende der 1530erund bis zur Mitte der 1540er-Jahre mehrere Jahre in Rom – u. a. im Umkreis von Vittoria Colonna und Michelangelo – verbracht hatte.293 Holandas Theoriewerk prägen die Vorstellungen vom göttlichen Ursprung der Kunst und dem furor divinus, der den Künstler inspiriert; besonderes Interesse zeigt er dabei auch
290 Zur Interpretation von Marsuppinis Darlegung in Ficinos De amore siehe weiter: Schneider, Kosmos, Seele, Text, hier im Besonderen S. 135–139. 291 Siehe: Pyle, Milan and Lombardy, S. 24., 83 ff. 292 Siehe: ebd. 293 Siehe u. a.: Deswarte-Rosa, Sylvie, »Vittoria Colonna und Michelangelo in San Silvestro al Quirinale in den Gesprächen des Francisco de Holanda«, in: Vittoria Colonna. Dichterin und Muse Michelangelos, Ausst.kat., hg. v. Sylvia Ferino-Pagden, Mailand 1997, S. 349–373. Holandas Da Pintura Antigua, zu dem auch die Texte Diálogos em Roma und Do Tirar polo Natural gehören, kann als erstes ausschließlich der Malerei gewidmetes Theoriewerk der iberischen Halbinsel gelten. Siehe hierzu: Albert, Corinna, Sehen im Dialog. Bedeutungsdimensionen intermedialer Phänomene in den spanischen Renaissancedialogen zur Kunst und Malerei, Stuttgart 2017, S. 132.
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für die Hermes Trismegistos zugeschriebenen Lehren.294 Die Schrift des Portugiesen blieb zwar im 16. Jahrhundert unveröffentlicht, kursierte aber in Manuskriptform sowohl auf Portugiesisch als auch in spanischen Übersetzungen und mag im spanisch regierten Mailand in kunstinteressierten Kreisen durchaus und zumindest passagenweise bekannt gewesen sein, so dass auch Lomazzo wenigstens mit bestimmten Aspekten wie den neuplatonischen Impulsen für die Kunsttheorie vertraut gewesen sein mag.295 Eine Zeichnung, die zu einem Manuskript der 1563 vom portugiesischen Maler Manuel Denis angefertigten spanischsprachigen Übersetzung von Holandas kunsttheoretischen Texten gehört, legt zudem gewisse Austauschprozesse nahe.296 Auf der besagten Zeichnung ist auf einem Plateau mit etwa 16 Stufen in einer angedeuteten Landschaft mit Palmen ein Rundtempel mit Kuppel dargestellt. Weit über 10 Säulen tragen den Bau, unter dessen Rundbögen sich – schemenhaft zu erkennen – zahlreiche Figuren tummeln. Zwei Vögel mit großen Schwingen kreisen um den Tempel und in einem Kasten auf den Stufen vor dem Rundbau ist die Inschrift »domus picturae« zu lesen. Ein runder Tempel als Haus der Malerei im Zusammenhang mit einer neuplatonisch fundierten Vorstellung von künstlerischer Begabung mag durchaus anregend für Lomazzos Entwurf der Idea gewesen sein.297 Die weitreichende Virulenz neuplatonischer Schönheitskonzepte im lombardischen Secondo Cinquecento zeigt sich zudem mit Blick auf das bereits in Kapitel 5.1 erwähnte und Ende der 1580er-Jahre erschienene Trattato in Compendio della bellezza des Cremoneser Giovanni Maria Paroli. Das Buch bietet einen Überblick philosophischer Diskussionsbeiträge zur Frage nach der Schönheit, wobei auch neuplatonische Theorien prominent vertreten sind. Im 12. Kapitel wird bspw. die Auffassung des Iamblichos von Chalkis wiedergegeben, der gesagt habe, dass die Schönheit ein Akt des Guten sei (»un atto di bene«), ein glänzender Strahl (»lucido raggio«), der seinen Glanz in den Geist der Engel umgieße, 294 Siehe: Deswarte-Rosa, Sylvie, »Prisca pictura e antiqua novitas. Francisco de Holanda e a taxonomia das figuras antigas«, in: ARS (São Paulo), 4/7 (2006), online abrufbar: http:// dx.doi.org/10.1590/S1678-53202006000100002 (zuletzt eingesehen am 10.07.2020). 295 Zur Verbreitung der Schrift siehe: Rebello Nascimento, Cristiane Maria, »Arte e Engenho no tratado Da Pintura Antiga de Francisco de Holanda Art and Ingenio in Francisco de Holanda’s Treatise On Ancient Painting«, in: Revista de Historia da Arte e Archeologia (RHAA), 19 (2013), S. 55–64, S. 57. 296 Zur Zeichnung der Domus Picturae auf f. 2v des Manuskripts der von Manuel Denis angefertigten kastilischen Übersetzung von Holandas Da Pintura Antigua aus dem Archivio de la Real Academia de Bellas Artes de San Fernando in Madrid siehe: Deswarte-Rosa, Sylvie, »Idea et le Temple de la Peinture. II. De Francisco de Holanda à Federico Zuccaro«, in: Revue de l’art, 94 (1991), S. 45–65, Abb. 1, S. 45. Siehe außerdem: Rebello Nascimento, »Arte e Engenho«; Deswarte-Rosa, »Prisca pictura e antiqua novitas«. 297 Für Verknüpfungen zwischen den Vorstellungen Holandas mit nachfolgenden Idea-Konzepten und Malerei-Tempeln bis hin zu Federico Zuccaros kunsttheoretischen Schriften siehe weiter: Deswarte-Rosa, »Idea et le Temple«, S. 45–65.
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dann in die Natur und schließlich in die »materia« der Körper – als eine Durchdringung durch Licht.298 Vergleichbar der Wirkkraft der Sonne zeigen sich – so Parolis Darlegung von Iamblichos’ Vorstellung – der Geist, die Seele, die Natur und die Materie durch einen einzigen Strahl Gottes »illustrate« und die Erkenntnis (das »discernere«) des »raggio di DIO« lasse letztlich das »invisibile« einsehen.299 Ausgehend von Iamblichos, so Paroli, sagten dann einige Philosophen, dass die »vera bellezza« nichts anderes sei, als ein Strahl des göttlichen Gesichts, der in den von ihm geschaffenen Dingen widerscheine, zuvor durch die Engel vermittelt wurde und unzählige »essempi, & Idee« male.300 In den vergänglichen Körpern zeichne er Dinge und Formen. Und man sage, er dringe schließlich auch auf dunkle Weise bis in die vergänglichen Dinge und sei mit minderer Dunkelheit in der Natur, mit gewisser Klarheit des Himmlischen glänzend in den Seelen und ganz klar und glänzend in den »intelligenze«.301 Lomazzo wiederum scheint sich nicht allein inhaltlich mit neuplatonischen Schönheitsvorstellungen auseinandergesetzt zu haben, sondern interessanterweise auch mit Ficinos Modus der diskursiven Erörterung im De amore – mit dessen Darstellung von Wissen. Steffen Schneider erläutert stichhaltig, dass sich für Ficino mit dessen tiefgreifendem Interesse für metaphysische und theologische Konzepte Wissen darin begründete, »die Teilhabe der Phänomene an ihren transzendenten Gründen einzusehen«.302 In seiner aufschlussreichen Studie zur textuellen Verfasstheit und darstellungsspezifischen Vermittlung von Wissen um Schönheit in Ficinos De amore hebt Schneider des Weiteren hervor, dass Ficino den Text Platons nicht im traditionellen Sinne kommentiert, sondern als »eigenständige Weiterbildung« imitiert.303 Denn Ficinos in Careggi verortete Gespräche zeitgenössischer Florentiner Bürger, die gewissermaßen Rollen der Figuren aus Platons Symposium übernehmen, zeichnet in der Zusammenschau eine nicht lineare Argumentationsweise sowie der Verzicht auf eine Sokrates ähnliche Autoritätsfigur aus; außerdem werden immer wieder Überlegungen und Begriffen wiederholt, zugleich aber die Unterhaltungen durch thematische Sprünge und Argumentationslücken geprägt. Auf diese Weise wird im Modus eines steten Umkreisens letztlich eine Vielfalt an Schönheitsdefinitionen erfahrbar gemacht und die Prozessualität von Wissensgenese sowie die Beweglichkeit von Wissen vorgeführt, so Schneiders Analysebeobachtung.304 Der Aspekt der Teilhabe der Lesenden und der Dialogfiguren an der dynamischen Konzeption 298 Siehe: Paroli, »Trattato«, Kapitel 12 Della bellezza delle cose belle secondo Giamblico, S. 15. 299 Ebd., S. 16. 300 Ebd. 301 Ebd. 302 Siehe: Schneider, Kosmos, Seele, Text, S. 18. 303 Ebd., S. 100. 304 Siehe: ebd., S. 37 f., 102 f., 122 f., 140–145.
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von Schönheit ist dabei zentral, denn diese Partizipation führt zur Erkenntnis, dass das Schöne letztlich nicht klar definierbar sei.305 Die Art der Begriffserörterung und Textstruktur des De amore und die Strategien im Umgang mit der Unbestimmtheit des Schönen finden sich schließlich in bestimmten Aspekten der textuellen Verfasstheit von Lomazzos Idea wieder. Insbesondere das stete Veränderung generierende Wiederholen bzw. Iterieren, das Umkreisen der Themen und das Anreichern von Analogien sowie das Variieren eines Kanons zu dem fokussierten Wissensbereich prägen beide Texte. Mit dem Transfer einer solchen neuplatonischen Schönheitsdebatte in seine kosmologisch-metaphysische Kunsttheorie macht Lomazzo Wissen um die Malerei und die bildkünstlerische Praxis in der Pluralität künstlerischer genii und maniere fassbar und stellt die Malerei als Erkenntnismedium des Schönen vor, wobei die intellektuelle Betrachtung und Reflexion von Malerei gerade auch zur Erkenntnis ›wahrer Schönheit‹ führt. Denn zum einen macht die Malerei, wie bereits oben aus der Idea zitiert, den Betrachter zum »partecipe«, also zum Teilhabenden am Schönen.306 Außerdem lässt sich beobachten, dass bei Ficino die »transformierende Kraft des göttlichen Einwirkens in den liebenden Intellekt« beim Spiegeln des Schönen metaphorisch als Malakt beschrieben wird (wie z. B. in den zitierten Passagen aus Marsuppinis Rede), während Lomazzo mit seiner Theorie den Malakt selbst bzw. die Malerei als Zugang zum Schönen ansieht – unter dem Vorbehalt allerdings, dass die vera bellezza nicht an eine sinnliche, sondern eine geistige Erfahrung gebunden ist.307 Doch eben die gilt es ja zu ermöglichen und vorzubereiten. Und die beste Spur dorthin mag wohl – so legt es die Lektüre der Idea nahe – über die Reflexion unterschiedlicher Niederschlagsformen des Schönen im Sinnlichen führen, über die Reflexion unterschiedlichen exzellenten Kunstschaffens und dessen Begründungszusammenhänge. Denn mit dem dadurch angereicherten Wissen ist es Lomazzo schließlich auch möglich, zwei perfekte Gemälde zu imaginieren. Den Abschluss seiner philosophischen Schönheitsreflexionen und der komplexen Analogiebildungen zu den künstlerischen maniere gestaltet Lomazzo überraschenderweise mit einem Kapitel, das gänzlich auf die aktuelle Kunstszene bezogen ist. Della definizione della pittura lautet der Titel, unter dem zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler mit ihren Werken gelobt werden, konkrete Gemälde – v. a. von Giuseppe Arcimboldo – beschrieben und bewundert werden und zeitgenössische Kunstsammler wie Philipp II. für ihre musei und ihre Kunstförderung geehrt werden.308 Neben Arcimboldo hebt Lomazzo 305 Siehe: ebd. 306 Lomazzo, Idea, S. 1. Siehe auch oben Anm. 199. 307 Zum Zitat und Ficinos Text siehe: Schneider, Kosmos, Seele, Text, S. 125. 308 Lomazzo, Idea, S. 152–157. Siehe ausführlich zu Arcimboldos Malerei und Lomazzos Beschreibungen von Gemälden Arcimboldos Kapitel 4.3 der vorliegenden Arbeit.
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v. a. Tintoretto, Paris Bordone, Lavinia Fontana, Aurelio Luini und Catarina Cantona als lobenswerte und ruhmreiche Künstlerinnen und Künstler hervor. Ihre Werke eingehender zu beschreiben, würde zu weit führen, so Lomazzo; diese Aufgabe überlasse er Torquato Tasso und anderen, die derzeit zur Malerei dichteten.309 Nur die capricci Arcimboldos bespricht Lomazzo näher. Aufgrund der originellen Analogiekonfigurierungen in Gemälden kompositer Köpfe mag ihn Arcimboldos Malerei besonders interessiert haben. Mit dem im Abschlusskapitel der Idea vollzogenen Stilwechsel von kosmologisch-metaphysischer Theorieschrift hin zu Beschreibungen und Lob der aktuellen Kunstszene wird letztlich die Vielseitigkeit von Lomazzos Auseinandersetzung mit Kunst in diesem Text deutlich und insbesondere die Herausforderung, Problematik bzw. Reibung der Konstellation konkreter Kunstwerke, ästhetischer Pluralität, abstrakter Schönheitsphilosophie, künstlerischer Lizenz und Regelhaftigkeit der Kunst – eine Konstellation, die Lomazzo in einer mit der bildkünstlerischen Praxis verknüpfbaren Theorie zu erfassen sucht. In jedem Fall entwirft Lomazzo – gerade auch im Vergleich mit Lamos Discorso und Vasaris Viten – in der Idea eine Kunstbetrachtung und Kunsttheorie, mit der Künstlerpersönlichkeiten und künstlerische Stile auf eine andere Art und Weise besprochen, begründet und in ihrer Verschiedenheit positiv bewertet werden können. Jenseits von Hierarchien präsentiert er einen dynamischen Reigen von Künstlerpersönlichkeiten unterschiedlicher individueller Begabungen und formuliert ein Plädoyer für die Notwendigkeit der Selbstreflexion aller Kunstschaffenden, um Exzellenz in der Malerei erreichen zu können. Dem Mailänder geht es eben dabei, wie gezeigt wurde, nicht um regionale Schulen und nicht um einen isolierten Meister der Malerei. Er eruiert über kosmologisch-metaphysische Vorstellungen epistemische Potentiale und Funktionen von Malerei und die Verschiedenartigkeit von Gestaltgebungen bzw. maniere. Die Idea erweist sich letztlich als ein wissensgeschichtlich wertvolles Experiment, Wissen des Malerei-Tempels im transdisziplinären Austausch mit unterschiedlichen Lehren zu erörtern und der Malerei – mit ihren begnadeten Künstlerinnen und Künstlern – als unabdingbare scienza im Zugriff auf die Welt und auf die Spuren der Schönheit der göttlichen Schöpfung Geltung zu verschaffen.
309 Siehe: Lomazzo, Idea, S. 158–167. Vgl. zum Dichten zur Malerei in der Mailänder Kulturszene ebenfalls Kapitel 4.3.
6. Ausblick & Rückblick
6.1 Federico Borromeos Ambrosiana – Accademia & Musaeum Zum Abschluss dieser Arbeit und als Ausblick auf Konstellationen des ästhetischen Diskurses der Lombardei im angehenden Seicento wird im Folgenden die Gründungsphase einer Kunstakademie in enger Verzahnung mit der Kunstsammlung eines der ersten öffentlichen Kunstmuseen in Europa beleuchtet. Dieses Museum wie auch die Akademie waren zu Beginn des 17. Jahrhunderts integrale Bestandteile der frühneuzeitlich innovativen diözesanen Mailänder Bildungseinrichtung Ambrosiana. Verschränkt mit diesen beiden institutionellen Einrichtungen ästhetischer Bildung werden zudem die Texte zur Kunst des Gründers der Ambrosiana, sprich des Mailänder Erzbischofs Federico Borromeo, analysiert. Erörtert werden dessen Ideen für und Forderungen an die Künstlerausbildung bzw. Lehre der Malerei und Bildkünste – zwischen Kanonbildung und Bildbetrachtung – und ein spezifischer, devotional begründeter Schönheitsbegriff, der wiederum Borromeos Auseinandersetzung mit Wissensfragen zur Malerei bzw. den Bildkünsten prägt. Kurz nachdem Giovan Paolo Lomazzos Idea del tempio della pittura (Mailand 1590) sowie die Rabisch (Mailand 1589) der Accademia della Val di Blenio veröffentlicht wurden und der noble Schirmherr der Blenio-Tal-Akademie Pirro Visconti Borromeo Garten und Grottenanlage seines Landsitzes in Lainate dem Publikum geöffnet hatte, zog 1591 der jüngere Cousin des 1584 verstorbenen Mailänder Erzbischofs Carlo Borromeo, Federico Borromeo, von Rom zurück in seine Heimatstadt Mailand, wo er 1595 als Nachfolger Carlos zum Erzbischof der Diözese ernannt wurde. Federico Borromeo war äußerst kunstinteressiert und ein versierter Kunstsammler. Das Sammeln von Kunst hatte er in Rom begonnen, wo er während seines mehrjährigen Aufenthalts u. a. Freundschaft mit Kardinal Francesco Maria Del Monte, dem Kunsttheoretiker und Künstler Federico Zuccaro sowie den Malern Paul Bril und Jan Brueghel d. Ä. geschlossen hatte und Protektor der sich etablierenden römischen Accademia di San Luca war.1 1 Die Gründungsphase der Accademia di San Luca erstreckte sich von 1577 bis zum Jahr 1593. Siehe hierzu: Lukehart, Peter M. (Hg.), The Accademia Seminars: The Accademia di
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Da Borromeo bei seinem Weggang aus Rom bereits plante, selbst eine Kunstakademie in Mailand zu gründen, widmeten ihm der Maler, Kunsttheoretiker und Akademiesekretär Romano Alberti und der damalige Akademiepräsident Federico Zuccaro eine Kompilation der Statuten und Protokolle der Sitzungen und ausgewählter akademischer Vorträge während der 1590er-Jahre, die unter dem Titel Origine e progresso dell’Accademia del Disegno 1604 in Pavia veröffentlicht wurde.2 Und während Federico Borromeo zu Beginn seiner Zeit als Erzbischof in Mailand noch im direkten Austausch stand mit prominenten Persönlichkeiten der ›profanen‹ Mailänder Kunstwelt, wie etwa Pirro Visconti, und bspw. einige der Künstler mit Aufträgen betraute, die im von grotesker Ästhetik geprägten Lainate-Projekt involviert waren, scheint sich seine Haltung parallel bzw. im Zuge der Konkretisierung der Pläne für seine Kunstakademie zu Beginn der 1610er-Jahre zu verändern.3 Dies zeigt sich etwa in seiner Kritik San Luca in Rome (c. 1590–1635), New Haven 2009; Becker-Sawatzky, Mira, »Anekdoten im frühneuzeitlichen Kunstdiskurs. Kontexte und Funktionen am Beispiel akademischer Zirkel in Rom und Paris«, in: Wissen en miniature. Theorie und Epistemologie der Anekdote, hg. v. Matthias Grandl und Melanie Möller, Wiesbaden 2021, S. 227–279, hier v. a. S. 231–239. Allgemein zu frühneuzeitlichen Kunstakademien während der frühen Herausbildungsphase siehe Kapitel 4.2, v. a. Anm. 94–96. Siehe zu Borromeos Zeit in Rom und seinen Kontakten zur Kunstszene sowie grundlegend zu Borromeo als Kunstsammler, Kunsttheoretiker und Akademiegründer die Arbeiten von Arlin Quint und Pamela M. Jones: Quint, Arlin, Cardinal Federico Borromeo as a Patron and a Critic of the Arts and his MUSAEUM of 1625, New York / London 1986; Jones, Pamela M., Federico Borromeo and the Ambrosiana. Art Patronage and Reform in Seventeenth-Century Milan, New York 1993. Ich danke Prof. Dr. Giulio Bora ganz herzlich für anregende, informative und gleichermaßen schöne Gespräche über die Ambrosiana, ihre Kunstakademie und weitreichender den lombardischen Diskurszusammenhang. 2 Siehe: Alberti, Romano / Zuccaro, Federico, »Origine e progresso dell’Accademia del Disegno di Roma (Pavia 1604)«, in: Zuccaro, Federico, Scritti d’arte di Federico Zuccaro, hg. v. Detlef Heikamp, Florenz 1961, S. 1–91. Siehe zu Federico Zuccaros Austausch mit Federico Borromeo über die Gründung von Kunstakademien: Zuccaro, Federico, »Lettera a prencipi et signori amatori del dissegno. Pittura, scultura, et architettura […] (Mantova 1605)«, in: ders., Scritti d’arte di Federico Zuccaro, hg. v. Detlef Heikamp, Florenz 1961, S. 103–117, S. 116 f. 3 Siehe zu Borromeos Vergabe von Aufträgen an Künstler, die im Lainate-Projekt prominent involviert waren: Zanuso, Susanna, »Marco Antonio Prestinari. Scultore di Federico Borromeo«, in: Nuovi studi. Rivista di arte antica e moderna, 5/3 (1998), S. 85–109, hier v. a. S. 91–96; siehe zudem die einschlägige Arbeit Alessandro Morandottis zur »Milano profana«, in der dargelegt wird, dass Borromeo bspw. noch bei der Eröffnung der Biblioteca Ambrosiana für die Öffentlichkeit im Jahr 1609 Pirro als »elegantis iudicii vir« rühmt, bevor er zur ›weltlichen Kunstszene‹ auf Distanz geht: Morandotti, Alessandro, Milano profana nell’età dei Borromeo, Mailand 2005, S. 72. Für einen Vergleich der ästhetischen Programme und institutionellen Profile der Accademia della Val di Blenio und der Accademia Ambrosiana siehe: Becker, Mira, »Grottesco & suavitas. Zur Kopplung von ästhetischem Programm und institutioneller Form in zwei
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an der ›Mode‹, Villen auf dem Land mit Grottenanlagen auszustatten und sie anstatt in ihrem ›eigentlichen‹ Sinne als Rückzugsort zur Kontemplation über Gott und die Schönheit der Natur als Orte der Unterhaltung zu nutzen – eine Kritik, die Borromeo schließlich auch im Trattato del disprezzo delle delitie, overo della Villa Gregoriana (Mailand 1624) publik macht.4 Insgesamt wird der Erzbischof seine Kulturpolitik zunehmend an posttridentinischen Interessen bzw. Aufgaben ausrichten; maßgeblicher Teil davon ist die innovative Bildungsinstitution Ambrosiana. 1607 bereits hatte Borromeo die noch heute bestehende Biblioteca Ambrosiana mit angeschlossenem Forscherkolleg und Druckerei gegründet und nach dem Stadtheiligen Mailands, dem Heiligen Ambrosius, benannt.5 Ende der 1610er-Jahre integrierte Borromeo dann die Bildkünste bzw. die Ausbildung von Künstlern sowie ästhetische Bildung Kunstbetrachtender in dieses institutionelle Gefüge. Er schenkte 1618 nahezu seine gesamte Kunstsammlung mit etlichen Zeichnungen, Skulpturen und Abgüssen sowie mit über 170 Gemälden urkundlich der Ambrosiana – darunter Werke Tizians, Bernardino Luinis, Caravaggios, Raffaels, Paul Brils und Jan Brueghels d. Ä. Diese Schenkung bildet den Grundstein eines der ersten öffentlichen Kunstmuseen, der Pinacoteca Ambrosiana. Mit der Sammlungsschenkung und Museumsgründung verschränkt nimmt schließlich um 1617 auch eine Kunstakademie ihre Arbeit auf, die am 25. Juni 1620 ein offizielles Regelwerk erhält.6 Mailänder Kunstakademien der Frühen Neuzeit«, in: Wissen in Bewegung. Institution – Iteration – Transfer, hg. v. Eva Cancik-Kirschbaum und Anita Traninger, Wiesbaden 2015, S. 415–440. 4 Siehe: Morandotti, Milano profana, S. 72. Der Traktat erschien zudem 1623 auf Latein. 5 Zur Chronologie und Gründungsgeschichte der Ambrosiana siehe: Nicodemi, Giorgio, »L’Accademia di pittura, scultura e architettura fondata dal card. Federigo Borromeo all’Ambrosiana«, in: Studi in onore di Carlo Castiglioni Prefetto dell’Ambrosiana, Mailand 1957, S. 651–696, hier v. a. S. 653–896; Quint, Cardinal Federico Borromeo; Jones, Federico Borromeo; Bora, Giulio, »L’Accademia Ambrosiana«, in: Storia dell’Ambrosiana. Il Seicento, Mailand 1992, S. 335–373. Ich danke Giulio Bora zudem für die Einsicht in das Manuskript seines Vortrags L’Accademia Ambrosiana e il ruolo del suo fondatore bei der Konferenz Concetto, invenzione, giudizio. Il disegno padre delle arti nostre im November 2013 in Florenz. 6 Siehe das folgende Manuskript: Accademia del Disegno nella Biblioteca Ambrosiana, Mailand, Biblioteca Ambrosiana, P. 239 sup. Darin enthalten sind auf Latein und auf Italienisch der Gründungsakt vom 25. Juni 1620 (mit Verweis darauf, dass die Akademie seit 1617 in Betrieb ist) sowie die Statuten bzw. die Regeln der Akademie mit einem Prolog Borromeos und auf ff. 17–23 Protokolle von Sitzungen bzw. Lehreinheiten in den Jahren 1621 bis 1623 sowie auf ff. 28–38 die Protokolle einer erneuerten Akademie von den Jahren 1669 bis 1690. Die hier betrachtete erste Phase der Akademie ist noch über das Jahr 1623 nachweisbar, insofern sich Federico Borromeo z. B. auch in seinen Schriften von 1624 und 1625 auf eben jene bezieht. Sehr wahrscheinlich wurde die Aktivität der Akademie spätestens mit der Pestepidemie 1629/30 aber lahmgelegt. Erst ab 1669 ist ein Lehrbetrieb in reformierter Form wieder nachweisbar und erscheint auf der Grundlage der erhaltenen Dokumente umtriebiger als jener der ersten Jahrzehnte. Anders als Bibliothek, Forscherkolleg und
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In den Statuten seiner Accademia della Pittura, e della Scultura, e dell’Architettura lässt der Erzbischof festhalten, warum er die Akademie gründete. Als grundlegendes Movens für die Gründung der Akademie nennt Borromeo seine Beobachtung, dass in der zeitgenössischen Kunst nicht hinreichend zwischen sakraler und profaner Kunst unterschieden werde und stets die »finezza dell’arte« im Fokus stehe, überall athletische Figuren sowie laszive Nacktheit zu sehen seien und die Nachahmung der Antike im Zentrum stehe.7 Er führt diese ihm zufolge dem Bildungsauftrag bzw. der epistemischen Funktion sakraler Kunst widerlaufenden Aspekte und Defizite v. a. auf ein mangelndes Wissen der Künstler in christlicher Lehre und auf unzulängliche Devotion zurück und setzt mit seinem Lehrprogramm genau an dieser Lücke an. Mit der Akademie will er jungen Künstlern erklärtermaßen helfen, sehr viel bessere und angemessenere christliche Kunst zu schaffen, als dies in der aktuellen Malerei, Skulptur und Architektur der Fall sei. Die Dokumente der Gründungsphase informieren uns dann des Weiteren über Details der Unterrichtspraxis der Akademie. Demnach setzte sich das Curriculum der Künstler folgendermaßen zusammen: Es gab Vorlesungen und Zeichenunterricht zum Studium des menschlichen Körpers, wozu auch eine accademia del nudo zählte, sowie Unterrichtseinheiten zum Mischen und Auftragen von Farben, zur Komposition von Historien und zum Kopieren von Werken großer Meister.8 Im Jahr 1622 sind in den Protokollen bspw. als Aufgaben für die Schüler das Abzeichnen von Annibale Fontanas Engelsstatue aus der Sammlung der Ambrosiana sowie der Madonnenstatue aus San Celso vermerkt, aber auch das Entwerfen einer eigenen inventio der AnbeKunstmuseum, die noch heute intakt sind, war die Kunstakademie nur im Seicento in Betrieb. Für eine edierte Version des lateinischen Regelwerks samt englischsprachiger Übersetzung siehe: Borromeo, Federico, Sacred Painting / Museum, hg. und übersetzt v. Kenneth S. Rothwell Jr., eingeleitet und kommentiert v. Pamela M. Jones., Cambridge (Massachusetts)/London 2010, S. 207–215. Zu den großen Pestepidemien von 1576/77 und 1629/30 in der Lombardei und in Mailand im Besonderen siehe z. B.: Ferro, Filippo Maria, »La peste nella cultura lombarda«, in: Il Seicento lombardo, Ausst.kat., Bd. 1, Mailand 1973, S. 83–134. 7 Wörtlich heißt es, um zumindest einen kleinen Ausschnitt wiederzugeben: »Non per alcuna humana cagione io mi son disposto di ordinare la presente Accademia della Pittura, e della Scultura, e dell’Architettura: ma acciocchè con l’aiuto di essa gli Artefici facciano quelle cose, che al culto divino s’appartengono, assai meglio di quello, che essi fanno al presente. Con ciossiccosa che si vede, che molti Pittori, e Scultori ed Architetti, per non havere convenevoli ammaestramenti intorno alle cose sacre, e perché non hanno quella divozione, che haver dovrebbono, e non riguardano al fine, a cui spezialmente ordinati sono i religiosi luoghi, e le sacre immagini, assai volte quasi niuna differenza fanno dal rappresentare i divini misteri, e le historie profane, e dall’edificare Le Chiese, e le secolari habitationi: ne hanno molto riguardo a quello, che i tempi, et i luoghi, e le persone richiedono, ma solo alla finezza dell’arte, et all’imitatione degli Antichi profani.« Accademia del Disegno (P. 239 sup., ff. 9r–v). 8 Siehe: ebd., ff. 11v–13v.
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tung der Könige sowie des Sündenfalls von Adam und Eva, das Abzeichnen des Kopfes einer nachgebildeten Laokoon-Skulptur, die anatomische Studie eines Armes und eines Beines sowie das Zeichnen bekannter Fassaden und Portale in Mailand.9 Die wenigen aus der akademischen Praxis erhaltenen Schülerzeichnungen (Abb. 6.01, 6.02) veranschaulichen das Studium wohlgeformter Körper, die anatomisch durchdrungen werden, sowie das mimetische Nachbilden von Modellen in kontrollierter, sorgfältiger Linienführung und Schraffur – es sind gewissermaßen Pendants zu den Zeichnungen grotesk-deformer Köpfe von der Hand der Mitglieder der Blenio-Tal-Akademie.10 Die Protokolle der Akademie geben außerdem Aufschluss darüber, dass die Arbeiten der Schüler stetig in Wettbewerb miteinander gestellt und die besten prämiert wurden, z. B. mit einem Exemplar von Federico Zuccaros L’Idea de’ pittori, scultori et architetti (Turin 1607), einem Libro delle Antichità di Brescia oder einem Zirkel.11 Für die Vorträge bzw. Vorlesungen wird in den Regularien derweil gefordert, dass sie keine abstrakten theoretischen Überlegungen zu sein haben, sondern vielmehr gegenstandsbezogen und mit einfachen Worten die Hauptbereiche der drei Künste hinsichtlich ihrer Regeln für die Schüler erlernbar sowie hinsichtlich ihrer Geheimnisse anschaulich machen sollen. Wörtlich heißt es: In certi tempi determinati sopra le parti principali delle arti, e sopra le materie assegnate vicendevolmente si ragionerà da’ maestri: ne’ quali trattati e discorsi non è dovere che si attenda alla vanità delle parole, ma che si studi nella materia e ne’ soggetti, quegli in modo rappresentando agli scolari che con semplici parole imparino i precetti e veggano i segreti di queste tre sì degne Professioni.12
Diese Forderung nach Anschaulichkeit der Geheimnisse, Lernbarkeit der Regeln und Zugänglichkeit der Lehre und zugleich die Ablehnung abstrakter philosophischer Erörterungen im Zusammenhang akademischer Lehre steht in auf9 Siehe: ebd., ff. 21r–22v. Zu Annibale Fontanas Bildhauerei im Kontext der Katholischen Reform und insbesondere seiner Marmorstatue der Madonna Assunta (1586) in Santa Maria presso San Celso (Mailand) sowie zum Gemälde eben dieser Statue Fontanas mit den anbetenden Heiligen Franziskus und Carlo Borromeo (1610, Turin, Galleria Sabauda) von Giovanni Battista Crespi (Professor für Malerei an der Akademie) siehe: Krüger, Klaus, »Authenticity and Fiction. On the Pictorial Construction of Inner Presence in Early Modern Italy«, in: Image and Imagination of the Religious Self in Late Medieval and Early Modern Europe, hg. v. Reindert Falkenburg, Walter S. Melion und Todd M. Richardson, Turnhout 2007, S. 37–69. 10 Siehe weiterführend zu einem solchen Vergleich: Becker, »Grottesco & suavitas«. 11 Siehe: Accademia del Disegno (P. 239 sup.), ff. 21v–22v. 12 Ebd., f. 11v. Zugleich wird verboten, den Überlegungen und Argumentationen der Vortragenden direkt zu widersprechen; man solle sich bei Zweifeln aber im Nachhinein melden und angemessen darüber reden. Ebd., ff. 12r–v.
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Abb. 6.01: Ercole Procaccini d. J., Sitzender männlicher Akt und Kopfstudie, Zeichnung, rote Kreide / weißes Papier, 460 × 320 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, F 255 inf. n. 1997 © Veneranda Biblioteca Ambrosiana
fälligem Kontrast zu den im erwähnten Origine e Progresso dell’Accademia del Disegno einsehbaren Lehr- und Themenprogramm der discorsi der römischen Accademia di San Luca.13 Das Regelwerk der Mailänder Akademie macht im Zuge dieses Vergleichs zudem deutlich, dass Borromeo seine Kunstakademie allein für die Schüler bzw. die (Grund-)Ausbildung von Künstlern konzipiert und nicht für interdisziplinäre Gelehrtendebatten öffnen will, wie dies in Rom 13 Siehe zur Konzeption der römischen Akademie und den frühen Publikationen sowie Vortragsformaten und -inhalten bündig und mit weiteren Literaturhinweisen: BeckerSawatzky, »Anekdoten«, S. 231–239.
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Abb. 6.02: Lombardischer Künstler (einem Schüler der Accademia Ambrosiana zugeschr.), Studie der Figur des Laokoon, vermutl. 1622, Zeichnung, schwarze und weiße Kreide / blau grundiertes Papier, 105 × 125 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, F246 inf. n.43 © Veneranda Biblioteca Ambrosiana / Mondadori Portfolio
der Fall war.14 Für einen weiter in die Öffentlichkeit dringenden Austausch über die Bildkünste und deren Nobilität diente ihm in Mailand wohl vielmehr das Kunstmuseum, dessen Funktionen als Lehrsammlung im Folgenden noch näher beleuchtet werden. Die Kunstakademie jedenfalls scheint eine Ausbildungsstätte in kleinem Rahmen gewesen zu sein – fern von scientifici duelli. In den Anfangsjahren waren vierzehn Studenten eingeschrieben, unter ihnen Ercole Procaccini und Daniele Crespi (ein ferner Verwandter Giovanni Battista Crespis).15 Die Lehre übernahmen drei Professoren – für Malerei war dies der renommierte Giovanni Battista Crespi, genannt il Cerano, für Bildhauerei Giovanni Andrea Biffi und für Architektur Fabio Mangone.16 In den Protokollen ist allerdings 14 Siehe: ebd. 15 Siehe: ebd., ff. 18r–v. 16 Il Cerano war bspw. einer der Künstler, die von der Veneranda Fabbrica del Duomo di Milano beauftragt wurden, Gemälde für die zwei Serien der Quadroni di San Carlo zu
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vermerkt, dass die Professoren oftmals nicht zum Unterricht erschienen. Die Gründe bleiben unklar, doch ein möglicher Beweggrund mochte sein, dass die drei Künstler nicht den gewünschten Gestaltungsfreiraum bzw. die Anerkennung als Autoritäten bekamen oder sich nicht in voller Verantwortung sahen. Denn den Professoren wurde – außer während der praktischen Zeichenübungen – stets der Bibliothekar der Ambrosiana als Kontrollinstanz und Berater zur Seite gestellt. Zudem sollten weitere kirchliche Vertreter regelmäßig während der Akademiezeiten anwesend sein, um in Glaubensfragen zu belehren. Andersherum sollten vermutlich auch diese klerikalen Berater gut instruiert werden in Sachen Kunst, denn Federico Borromeo verfasste just in jenen frühen Jahren der Akademie zwei theoriehaltige Texte zur Malerei bzw. zur Kunstsammlung der Ambrosiana, die 1624 und 1625 auf Latein und in kleinen Auflagen in Mailand erschienen. Die Rede ist von dem zweiteiligen Traktat De pictura sacra (1624) und dem ›Begleitbuch‹ zur Kunstsammlung mit dem Titel Musaeum (1625).17 In De pictura sacra legt Borromeo in Anknüpfung an das Bilderdekret des Konzils von Trient (1563) Regeln für Darstellungen biblischer istorie bzw. Figuren dar, thematisiert konkrete Bildsujets und deren angemessene Ikonographie, bespricht generelle Unterschiede profaner und sakraler Kunst, verhandelt Themenbereiche wie decorum und nuditas, Komposition und Affektdarstellungen und formuliert moralische Ansprüche an Künstler und deren Frömmigkeit. Ähnlich wie in den Akademiestatuten kritisiert er zeitgenössische Künstler, die seiner Ansicht nach die Regeln des disegno und das Proportionsstudium des menschlichen Körpers, insbesondere des Kopfes, missachten und oftmals den Bildfiguren eine abwegig ›athletische‹ Gestalt geben, an unpassenden Stellen ›Hässlichkeit‹ oder ›laszive Nacktheit‹ darstellen oder die Gesichter von Jesus und Heiligen mit einer grauenerregenden, entfesselten Mimik zeigen.18 Die skizzierten Themen und Aspekte werden in De pictura sacra überwiegend auf einer verallgemeinernden Ebene verhandelt und nur stellenweise anhand konkreter Werksbesprechungen (bspw. von Leonardos Mailänder Abendmahl) erörtert – teils gespickt von detailliertem und unterhaltsamem Insiderwissen (wie im Falle des Berichts über die Übermalung eines bestimmten Details in Tizians Anbetung der Könige).19
Ehren und in Erinnerung an Carlo Borromeo zu schaffen (die erste Serie wurde 1602/03 und die zweite 1610 in Auftrag gegeben; Giovanni Battista Crespi war an beiden beteiligt). 17 Siehe bspw. die latein- und englischsprachige kritische Edition beider Schriften: Borromeo, Sacred Painting / Museum. 18 Siehe: Borromeo, Federico, »De pictura sacra – Sacred Painting«, in: ders., Sacred Paint ing / Museum, hg. und übersetzt v. Kenneth S. Rothwell, eingeleitet und kommentiert v. Pamela M. Jones, Cambridge (Massachusetts)/London 2010, S. 2–143, hier v. a. S. 51 ff. 19 Zu der Übermalung in Tizians Anbetung der Könige siehe auch weiter unten.
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Im Musaeum hingegen gestaltet Borromeo seine Auseinandersetzung mit den Bildkünsten anders. Und da gerade dieser zwischen 1618 und 1625 entstandene Text über die öffentlich zugängliche Kunstsammlung der Ambrosiana in seiner Machart und seinen Schwerpunktsetzungen originell ist und für die Konzeption der akademischen Lehre sowie für Einblicke in Bildbetrachtungsweisen, Kunsturteile und Schönheitsvorstellungen Borromeos und seines Umfeldes jener Zeit aufschlussreich erscheint, wird er hier zum Abschluss der Fallstudien der vorliegenden Arbeit mit Blick auf einzelne Aspekte näher vorgestellt. Borromeo ließ das Büchlein 1625 in der Druckerei der Ambrosiana setzen und, wie erwähnt, in einer kleinen Auflage herstellen.20 Sprachwahl, Auflagengröße und Publikationskontext legen nahe, dass er das Büchlein v. a. für seine lateinsprachigen geistlichen Freunde sowie Kollegen bzw. Mitarbeiter hat drucken lassen und unter jenen gerade für die, die an der Akademie tätig waren und mit den Kunstschülern in Austausch standen. Vor nicht allzu langer Zeit, so die ersten Zeilen des Buches, habe er (sprich Federico Borromeo) die Gemälde, Statuen und Abgüsse betrachtet – die er kurz zuvor in einem just dafür vorgesehenen Bauteil der Biblioteca Ambrosiana hatte aufstellen lassen –, als zwei »familiaribus nostris studiosi homines« zu ihm herantraten und ihm vorschlugen, dass es doch eine schöne und elegante (»pulchrum elegansque«) Sache wäre, wenn er die gesamte Kunstsammlung aufschreiben und diese Beschreibung publizieren würde.21 Er habe sofort gewusst, worauf sie hinauswollten, so Borromeo weiter, und er sei auch noch Tage später von der Idee überaus begeistert gewesen, die ihn im Übrigen an antike Schriftsteller und v. a. Plinius denken ließ, der durch Beschreibungen von besonders guten Werken der Malerei, Skulptur und Architektur vortreffliche Kunst bewahrt habe; wie dies im übrigen – gemäß Borromeo – nur Schriften mit ihrer unangefochtenen Beständigkeit vermögen.22 Wie er seine Beschreibung von Kunstwerken der Sammlung der Ambrosiana nun gestaltet und sein Musaeum strukturiert, erläutert Borromeo im nächsten Schritt. Er folge schlicht und ergreifend der Ordnung der Kunstausstellung, wobei diese Ordnung wiederum vornehmlich durch die Räumlichkeiten vorgegeben worden sei. Er werde jedoch nicht alle Werke zur Sprache bringen, sondern nur die hervorragenden (»prae 20 Zu Druck und Auflagengröße siehe: Cigada, Piero, »All’interno del Musaeum. Nota al testo«, in: Borromeo, Federico, Musaeum, hg. und kommentiert v. Gianfranco Ravasi mit einer kommentierten Übersetzung ins Italienische v. dems., Mailand 1997, S. XXV–LIV, S. XLIII . Das Frontispiz des Buches ist wie folgt betitelt: FEDERICI CARDINALIS BORROMAEI ARCHIEPISC MEDIOLANI MUSAEUM . MEDIOLANI Anno salutis M .DC .XXV. 21 Borromeo, Federico, »Musaeum – Museum«, in: ders., Sacred Painting / Museum, hg. und übersetzt v. Kenneth S. Rothwell, eingeleitet und kommentiert v. Pamela M. Jones, Cambridge (Massachusetts)/London 2010, S. 144–205, S. 144. 22 Ebd., S. 144, 146.
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cipua«).23 In einem kurzweiligen Wechsel von Bildbeschreibungen, Kommentierungen und Beurteilungen sowie kleinen Geschichtsexkursen und Anekdoten vollzieht Borromeo anschließend seinen literarischen Ausstellungsrundgang. Das erste Bild der Ausstellung und zugleich auch das erste Bild des literarischen Rundgangs ist das großformatige Gemälde der Anbetung der Könige (ca. 1557–1560, Farbtafel 64) von Tiziano Vecellio. Dieses Gemälde Tizians, das Federico aus dem Nachlass seines Cousins Carlo Borromeo angekauft hatte, wird, wie erwähnt, bereits in dem ein Jahr zuvor erschienen De pictura sacra lobend hervorgehoben – »ornandae Academiae et Scholae«.24 Neben Anmerkungen zur Provenienz des Bildes berichtet Federico Borromeo im Traktat über die sakrale Malerei v. a. davon, dass ein grausiger, engstirniger Mann des erzbischöflichen Haushaltes von Carlo Borromeo ein wunderbares Detail, nämlich einen kleinen liegenden Hund – »tanto artificio et venustate, quanta coloribus et penicillo assequi quisquam posset« – habe übermalen lassen.25 Dieses Detail ist, nebenbei bemerkt, durch die Restaurierung des Gemäldes in den 1990er-Jahren wieder zum Vorschein gebracht worden, wodurch ersichtlich wurde, dass es sich nicht etwa um einen liegenden, sondern einen gegen den Stall pinkelnden Hund handelt; unklar bleibt derweil, inwiefern Federico Borromeo von diesem Detail im Detail wusste – in jedem Fall signalisiert sein Kommentar die Ablehnung rigider Zensur.26 Im Musaeum nun spart Borromeo derartige Erzählungen aus, macht einleitend knappe Angaben zur Provenienz und zum Format des Bildes, betont aber v. a. gleich zu Beginn, dass es sich bei diesem Gemälde mit seiner Darstellung von unterschiedlichen Gesichtsausdrücken und Tieren sowie von Landschaft und Architektur, kurzum aufgrund der Vielzahl und Vielfalt des Dargestellten um ein äußerst wertvolles Werk für das Studium der Malerei handle: »Pictorum studiis admodum utile opus«.27 Wie aus dem ›Füllhorn der Amalthea‹ können Maler aus diesem Bild die Prinzipien (leges) der Malerei aufsaugen (haurire) und entnehmen (petere).28 Anschließend lenkt Borromeo bei der schriftlich inszenierten Betrachtung des Gemäldes die Aufmerksamkeit auf bestimmte – vor dem Bild im Museum – sinnlich wahrnehmbare Aspekte des Gemäldes und seiner Faktur. Er schreibt: In terrarium tractu Titianus eximia, qua pollebat arte est usus, Artificemque talem, qualis vere fuit, vel inde agnoscas. Nam qua finium et Caeli extrema ultimaque montium et camporum ora confunduntur, atque miscentur, dedita opera oblitam 23 Ebd., S. 148. 24 Borromeo hebt das Gemälde bereits in De pictura sacra lobend hervor – »ornandae Academiae et Scholae«. Siehe Borromeo, »De pictura sacra – Sacred Painting«, S. 32. 25 Siehe: ebd., S. 30, 32. 26 Siehe Pamela Jones’ Anmerkung zum Text in: ebd., Anm. 30, S. 233. 27 Borromeo, »Musaeum – Museum«, S. 148. 28 Ebd.
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tantum nullo super inducto colore telam reliquit, ut illa inchoati operis lacuna oculorum allucinatonem repraesentaret, cum nimis longinqua intuentes oculi falluntur atque aberrant. Ita Artifex ille confusionem rerum expressit non arte, qua pictores nostri circa eam laboriose et anxie utuntur, sed res ipsas confundendo ac miscendo campum nempe et linitionem et linteum et rudes quosdam colores, ut ea omnia magnae artis loco essent ; insigne sane documentum, excellentiam in omni genere nec ostentari si desit, nec tegi posse si adsit. Haec porro numerosa Tabula discentibus multarum Tabularum esse instar potest, unde proficiant.29
Borromeo fokussiert also den Bereich des Gemäldes, in dem Landschaft und Himmel ineinander übergehen und er tut dies aus zwei Perspektiven: der produktions- und der rezeptionsästhetischen. Zum einen thematisiert er die künstlerische Exzellenz Tizians, seine Art und Weise des Farbauftrags und seinen Umgang mit den Materialien und der Materialität des Gemäldes, das produktive Ineinander von Leinwand, Grundierung, Malgrund und Farbpigmenten. Zum anderen und als Effekt dessen schildert Borromeo seine eigenen Wahrnehmungsempfindungen bei der Betrachtung des Bildes: den Eindruck einer optischen Illusion, das Abschweifen des Blicks beim unfokussierten Sehen. Borromeo unterbricht die konkrete Bildbeschreibung nach dieser Passage mit einem kurzen Exkurs, im Zuge dessen er auf Federico Zuccaro rekurriert, der von Künstlern die Kompetenz einforderte, nicht nur Figuren malen zu können, sondern alles, was sich zur Darstellung bringen lasse.30 Dies wiederum – so ließe sich explizieren – demonstriert Tizians Gemälde par excellence. Borromeo stimmt Zuccaro des Weiteren zu, dass ein Künstler nicht in allen Bereichen Exzellenz erreichen könne und Künstler sich gegenseitig für die jeweils herausragenden Fähigkeiten des anderen wertschätzen sollen. Tizian, so Borromeo, sei eben der Meister der Farben und weniger des disegno; er sei vortrefflich in der Naturimitation (imitatio naturae) – wie sich in dem schönen weißen Pferd der 29 Ebd., S. 150. In der englischen Übersetzung von Kenneth Rothwell liest sich die Passage wie folgt: »Titian employed his distinctive artistic technique in painting landscapes and it is here that you can see how good an artist he really was for example, where the horizon of the land and edge of the sky, or mountain peaks and the edge of the fields blend together in a blur [confunduntur, atque miscentur], he deliberately left nothing but varnish on the canvas and did not paint in any color. The result is the creation of an optical illusion [allucinationem oculorum], as when the eyes, staring at something too far away, are deceived and wander off. Thus Titian created an impressionistic effect, not in the laborious and uneasy way artists do today, but by mixing together and combining the painter’s raw materials themselves, including the pictorial field [campum], the varnish [linitionem], the canvas [linteum], and certain natural colors [rudes quosdam colores]. All these things, in their proper role, belong to great artistic skill. This is outstanding proof that, in any genre, excellence cannot be displayed if it is absent, nor can it be hidden if it is present. Once again: the abundance of figures in this one painting can do the work of many paintings as a starting point for students.« Ebd., S. 151 30 Ebd., S. 150, 152.
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Anbetung zeige, das eine Fliege auf seinem Bein verscheuche; die Darstellung von Maria und dem Kind seien hingegen nicht perfekt.31 Vielmehr habe der Maler sich auf die Gestaltung der verschatteten Menschenmenge konzentriert und zeige hier sein ganz besonderes Naturtalent, nämlich das »exprimere motus«.32 Denn inmitten dieser Menge, so schildert Borromeo, habe Tizian einen äthiopischen Jungen mit schwarzer Haut dargestellt, dessen negritia von der umfangenden Dunkelheit (obscuritas) der Menge teils absorbiert werde, so dass seine Gestalt den Augen entfliehe, während er in anderen Momenten wieder im dämmrigen, flackernden Licht in Erscheinung trete.33 Seit ihren dürftigen Anfängen sei die Malerei nun offenbar so weit gekommen, dass sogar Dinge gemalt werden, die man eigentlich nicht malen könne, und zwar Veränderung und die Bewegungen einer kommenden und wieder gehenden Person. Borromeo stellt mit seiner fokussierten Beschreibung von Tizians Gemälde nicht nur einfach Aspekte heraus, die es von den Akademieschülern einerseits nachzuahmen und andererseits zu vermeiden gilt. Er macht vielmehr eine intensive Auseinandersetzung mit der konkreten Materialität und Medialität des Bildes nachvollziehbar und liefert Input sowohl für die Studierenden der Akademie und deren bildkünstlerische Praxis als auch für andere Museumsgäste, die er auf Besonderheiten des Gemäldes und auf produktive Erfahrungsweisen des Bildes aufmerksam macht. Borromeos Bildbetrachtung lässt sich dabei mit grundsätzlicheren Aspekten seiner Rezeptionshaltung und seines Kunstverständnisses engführen. Denn für den Erzbischof und Kunstliebhaber hatten Kunstwerke das Potential, innere Einkehr, Meditation bzw. imaginäres Eintauchen in die und Reflektieren von der Schönheit der göttlichen Schöpfung zu initiieren und gewissermaßen ästhetische und epistemische Dimensionen aufs engste miteinander zu verschränken. In seinem unveröffentlichten autobiographischen Werk Pro suis studiis (verfasst 1627/1628) erläutert Borromeo, dass er z. B. Landschaftsgemälde und Stillleben als Medien der Reflexion und Erkenntnis der Schönheit 31 Ebd., S. 152. 32 Ebd. 33 »In ea turba puer aethiops cernitur atricolor, cuius negritiem obscuritas circumfusa absorbet, ita ut figura ea modo fugiat oculos, modo se offerat rursus per dubiae lucis intervalla. Namque a paucis initiis egressa ars, in tantum progressa est, ut depingantur etiam ea, quae pingi non possunt, mutatio nempe et motus venientis, discedentisque.« Ebd., S. 154. In der englischen Übersetzung: »The artist appears to have devoted all of his attention to the lowly crowd of camp-followers and attendants who were following the retinue of the Magi. An Ethiopian boy with black skin is visible in that crowd, though the surrounding darkness so swallows up his blackness that he sometimes disappears from view. While at other times he reappears in the intermittent, wavering light. To be sure, the techniques of painting may have originated from paltry beginnings, but they have advanced to the point that even things that should be incapable of being painted, such as change and the motions of someone coming and going, are painted anyway.« Ebd., S. 155.
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der von Gott geschaffenen Natur ansehe.34 Er berichtet, dass er beim Anblick von Landschaftsgemälden im Geiste wandere, dass die Bilder ihm einen Blick in die Ferne ermöglichen, obschon er in einem kleinen Zimmer stehe.35 Mit seinen Überlegungen zur meditativen Funktion von Landschaftsmalerei war Borromeo nicht allein. Auch den Sieneser Arzt, Kunstsammler und Kunstschriftsteller Giulio Mancini beschäftigte das Thema in seinen Considerazioni sulla Pittura, die er zwischen 1619 und 1621 verfasste und die in Manuskriptform im Zirkel der römischen Accademia di San Luca breit rezipiert wurden – zu deren Mitgliedern Mancini selbst zählte.36 Insbesondere der Landschaftsmalerei misst Mancini in seinem umfangreichen Text das Potential zu, maßgeblich zu körperlicher und seelischer Entspannung und Erholung beitragen zu können.37 Denn während der Vordergrund eines gut komponierten Landschaftsgemäldes durch Nahsicht und Details dal vero bei den Betrachtenden Neugier wecken, Aufmerksamkeit schärfen und Fantasie sowie Intellekt anregen könne und der Mittelgrund mit der Darstellung größerer Elemente und getrübten Farben der Luftperspektive Ferne suggerieren und ein entspanntes Umherschweifen des Blicks ermöglichen könne, vermöge der Hintergrund eines gut komponierten Landschaftsbildes Augen und Geist Erholung und innere Einkehr zu ermöglichen, ja einen Meditations- und Rekreationsraum zu eröffnen.38 Für Borromeo nun war eine solche Dimension eine dezidiert spirituell-religiöse, devotionale und in Tizians Anbetungsbild mag er genau dort, wo die Leinwand des Bildes durchscheint und ein unfokussiertes Sehen beginnt, den Anfang einer meditativen Schau verortet haben. Seit seiner Zeit in Rom sammelte Borromeo außerdem nicht nur sakrale Kunst mit Landschaftsdarstellungen, sondern ebenso dezidierte Landschaftssowie Stilllebenmalerei – wobei diese Bezeichnungen keinen Ausschluss sakraler Bedeutungsdimensionen implizieren sollten. Dass Borromeo gerade an Landschafts- und Stilllebenmalerei nicht nur besonderes ästhetisches, sondern v. a. auch ein religiös-devotional begründetes Gefallen hatte, betont Pamela Jones
34 Siehe: Borromeo, Federico, Pro suis studiis, Mailand, Biblioteca Ambrosiana, Ms G310 inf., no.8, 1628. Auf diese Passagen und ihre Bedeutung für Erörterungen von Borromeos Kunstverständnis macht Pamela Jones in einem erhellenden Aufsatz aufmerksam: Jones, Pamela M., »Federico Borromeo as a Patron of Landscapes and Still Lifes: Christian Optimism in Italy ca. 1600«, in: The Art Bulletin, 70/2 (1988), S. 261–272. 35 Siehe: Jones, »Federico Borromeo«, S. 268 (Pro suis studiis, f. 252r–253r). 36 Siehe: Gage, Frances, »Exercise for Mind and Body: Giulio Mancini, Collecting, and the Beholding of Landscape Painting in the 17th Century«, in: Renaissance Quarterly, 61/4 (2008), S. 1167–1207; Becker-Sawatzky, »Anekdoten«, S. 239 f., 244 ff. 37 Mancini, Giulio, Considerazioni sulla pittura, hg. v. Adriana Marucchi, Bd. 1, Rom 1956, S. 114 f.; vgl. auch: Gage, »Exercise«, S. 1170–1173. 38 Mancini, Considerazioni, S. 114 f.
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Abb. 6.03: Michelangelo Merisi da Caravaggio, Früchtekorb, 1597–1600 ca., Öl / Leinwand, 54,5 × 67,5 cm, Pinacoteca Ambrosiana, Mailand © Bologna, Fototeca Zeri
bereits einschlägig.39 Als Repräsentanten dieser Bildgenres erwähnt, beschreibt bzw. bespricht Borromeo im Musaeum z. B. eine Darstellung des Meeres von der Hand des flämischen Malers Paul Bril und hebt hervor, dass das Gemälde eine derart beruhigende, friedvolle Sicht auf das Meer eröffne, dass man meine, tatsächlich dort zu sein, am Strand, mit Blick auf die See.40 Eines der ganz zu Beginn seiner Sammlertätigkeit erworbenen und vermutlich auch in Auftrag gegebenen Kunstwerke ist derweil ein Stillleben, genauer gesagt das Gemälde eines Früchtekorb (ca. 1597–1600, Abb. 6.03) des lombardischen Malers Caravaggio.41 Borromeo bringt auch dieses Bild im Musaeum zur Sprache, da es »gloria« verdiene.42 Überraschenderweise spricht Borromeo neben Früchten unpräzise auch von Blumen (»flores«), die aus dem geflochtenen Korb ragen. Zu sehen sind auf dem noch heute in der Ambrosiana prominent platzierten Gemälde jedoch ausschließlich Zweige und Blätter der Obsthölzer, die teils welk sind. Inwiefern in 39 Siehe: Jones, »Federico Borromeo«. 40 Borromeo schreibt: »Mare cernitur ibi tam molli et placido longoque prospectu, ut quisquis intendat illuc oculos, acie simul et gressu maritima illa spacia pererrare se se putet«. Borromeo, »Musaeum – Museum«., S. 178. 41 Ebd., S. 192; siehe zudem Jones’ Anmerkung zum Text, ebd., Anm. 88, S. 272. 42 Ebd., S. 192.
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einer solchen Diskrepanz von Gemälde und Bildbeschreibung direkte Anschauung, Erinnerung, literarische Adaption oder auch das Spiel mit der Beobachtung der Rezipienten seines Musaeum und Museums ineinandergreifen, kann an dieser Stelle nicht erörtert werden. Borromeos Begeisterung für das Gemälde ist hingegen eindeutig: Eigentlich wollte er einen zweiten Früchtekorb ankaufen, aber kein anderes Bild kam an die Schönheit (pulchritudo) und Exzellenz ( excellentia) von Caravaggios Werk heran, weswegen es solitär präsentiert werde.43 Unter den anderen Stillleben, die Borromeo beschreibt, sind u. a. Gemälde von Jan Brueghel d. Ä., insbesondere eine in Öl auf Kupfer gemalte Vase mit über hundert verschiedenen Blumen, um die Insekten schwirren und um die herum Muscheln, eine Edelsteinbrosche, zwei Münzen und ein Maulbeerbaumzweig drapiert sind (1606, Farbtafel 65). Borromeo berichtet anekdotisch unterhaltsam und zugleich seine Wertschätzung ausstellend, dass Brueghel den Preis für dieses Werk gewitzt im Bild selbst veranschaulicht habe, indem er eine mit Edelsteinen besetzte Brosche im Vordergrund direkt neben der mit einer überbordenden Fülle verschiedener Blumen bestückten Vase platzierte; genau den Preis habe er schließlich auch für das Gemälde gezahlt.44 In seinem Museumsbuch hebt Borromeo zudem einige Details des Bildes hervor, wie die Schmetterlinge und Muscheln, lässt jedoch andere wie Libelle, Fliege, Raupe, Grashüpfer oder auch den Maulbeerbaumzweig außen vor.45 Borromeos Interesse an dem Gemälde wird zusätzlich noch durch Briefe des Künstlers an den Kunstsammler näher greifbar. Denn 1606 schrieb Jan Brueghel, nachdem er einige Jahre in Rom sowie auch in Mailand Teil von Federico Borromeos »official entourage« gewesen war, dem Mailänder Erzbischof aus Flandern und berichtet von seiner Arbeit an dem Gemälde des Blumenstilllebens.46 Er schildert, dass er etliche wunderschöne und darunter auch seltene Blumen aus dem Garten des Erzherzogpaares Albert und Isabella in Brüssel »dal naturale« gemalt habe und die Farben der gemalten Blumen wie die der Blumen in der Natur seien, so dass Borromeo im Winter die Schönheit der Natur genießen könne, die nun dauerhaft im Bild festgehalten sei.47 Die Möglichkeit, die Schönheit der Natur zu jeder Zeit mittels des Gemäldes bewundern zu können, war für Borromeo von besonderer Bedeutung, 43 Ebd. 44 Ebd., S. 182. 45 Zu Bedeutungsdimensionen des Maulbeerbaums siehe ausführlich Kapitel 2.3 im Kontext der Besprechung der scientifici duelli und Leonardos Gestaltung der Sala delle Asse bzw. camera dei moroni (Farbtafeln 9 und 10, Abb. 2.18) sowie Kapitel 4.2 im Zusammenhang mit der Analyse von Lomazzos Selbstporträt als Maler und Akademiepräsident (Farbtafel 50). 46 Siehe: Jones, »Federico Borromeo«, S. 263 (für das Zitat), zum Brief S. 268 f. 47 Siehe: ebd.; sowie: Rossi, Marco / Rovetta, Alessandro, »Jan Brueghel. Vase of Flowers with Jewels, Coins and Shells. Inv. 66«, in: The Pinacoteca Ambrosiana, Samml.kat., hg. v. dens., eingel. v. Gianfranco Ravasi, Mailand 1997, S. 136 (für das Zitat). Gemeinsam mit
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denn sein Glauben war geprägt durch den sogenannten christlichen Optimismus – eine Richtung des katholischen Glaubens, die im posttridentinischen Rom und Mailand u. a. durch Roberto Bellarmino, Filippo Neri und eben Federico Borromeo prominent vertreten war.48 Bedeutsam für diese Glaubenshaltung ist u. a. die Konzeption der Natur als Manifestation der Güte Gottes und zugleich die Kontemplation der Weisheit und Allmacht Gottes durch die Betrachtung der Natur und ihrer Schönheit.49 Die als zweite Natur anmutende Malerei schöner, friedvoller, weiter Landschaften und bspw. schöner, prächtiger Blumenstillleben galt Borromeo in diesem Kontext als Medium der Meditation und Wertschätzung der Schönheit der gottgeschaffenen Natur. Und zugleich sind die von Borromeo bewunderten Gemälde – wie jenes von Caravaggio oder jenes von Brueghel – in ihrem kompositionellen Aufbau und ihrer perspektivischen Ansicht höchst artifizielle Werke und außerordentlich kunstvoll schöne Inszenierungen von Natur. Im Falle der Blumenvase etwa ermöglicht die Malerei zudem die Zusammenführung von Blumen aus unterschiedlichen Teilen der Welt, deren Bewunderung durch das Gemälde allererst und auf Dauer möglich ist, während zugleich umherflatternde Tiere Lebendigkeit evozieren und Details wie Juwelen und Münzen das Arrangement symbolisch gelehrsam aufladen.50 Im Musaeum jedoch expliziert Borromeo diese devotionalen Aspekte der Bildbetrachtung nicht weiter. Sie sind vielmehr in seiner Beschreibung einer bestimmten Art sakraler Malerei und einer bestimmten ästhetischen Konfiguration von Schönheit präsent – wie in der Besprechung von Tizians Anbetung der Könige oder aber auch in der Betrachtung und Bewertung der Malerei Bernardino Luinis. Die Malerei des Mailänder Malers Bernardino Luini erhält eine besondere Stellung und Aufmerksamkeit im Musaeum. Borromeo hatte zahlreiche Werke dieses Künstlers der Ambrosiana vermacht, darunter Die Heilige Familie (Abb. 6.04) sowie Darstellungen des Christusknaben mit Lamm (Abb. 6.06), der Heiligen Magdalena und des Segnenden Christus. Viele der Gemälde Luinis bespricht Borromeo schließlich auch vergleichsweise eindringlich in seinem literarischen Ausstellungsrundgang. Bei der Lektüre der Bildbeschreibungen Ambrosius Boschaert gilt Brueghel auch als Begründer des Genres der Blumenstillleben. Siehe: ebd. 48 Der christliche Optimismus wird auch als »second wave of Counter-Reformational thought« bezeichnet, »a less rigid strain of Roman Catholicism, based on love and appeal to the emotions«. Er basiert auf der Ansicht, »Christian joy consisted in contemplating the wisdom and power of God through his created world«. Siehe: Jones, »Federico Borromeo«, S. 270. 49 Diese Aspekte führt Borromeo besonders in folgenden Schriften aus: I tre libri delle laudi divine (posthum 1632), I tre libri delle piaceri della mente cristiana (1625), Pro suis studiis. Siehe: Jones, »Federico Borromeo«, S. 270. 50 Zum eindringlichen Interesse an der Relationierung von Kunst und Natur im ästhetischen Diskurs siehe Kapitel 4.3 und 4.4.
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Abb. 6.04: Bernardino Luini, Heilige Familie mit der Heiligen Anna und dem Heiligen Johannes, 1520–1530 ca., Tempera, Öl / Holz, 118 × 92 cm, Pinacoteca Ambrosiana, Mailand © Bologna, Fototeca Zeri
fällt auf, dass er v. a. Luinis Konfigurationen einer besonderen Art von Schönheit hervorhebt und den Künstler dabei als besonderen Hüter des decorum präsentiert: »attentior ad decori custodiam Luinus«.51 Luini habe nämlich gewusst, stets Schönheit getrennt von Laszivität zu gestalten, wodurch die Schönheit der Bildfiguren gemäß Borromeo jeweils auf die überirdische Schönheit Gottes zu referieren vermag.52 Als eines der wichtigsten Werke der Sammlung bespricht Borromeo Die Heilige Familie (Abb. 6.04). Der Erzbischof rühmt das Gemälde 51 Borromeo, »Musaeum – Museum«, S. 164. Borromeo stellt Luini im Zuge dessen u. a. Agostino Carracci und Correggio abgrenzend gegenüber. 52 Siehe auch weiter unten Anm. 66.
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Abb. 6.05: Leonardo da Vinci, Heilige Familie mit der Heiligen Anna und dem Heiligen Johannes – der sogenannte Burlington House Karton, um 1499/1500, Kohle mit weißer Kreide / Papier auf Leinwand, 141,5 × 104,5 cm, National Gallery, London, inv. NG6337 © Scala Archives
als eine Koproduktion zweier Meister, die sich ihrer individuellen künstlerischen Grenzen bewusst gewesen seien und in Anbetracht der unermesslichen Schönheit der göttlichen Schöpfung ihre Kompetenzen bündelten, um ein gleichsam perfektes Gemälde zu schaffen.53 Leonardo da Vinci habe den disegno des Bildes entworfen (der heutzutage in London unter dem Namen Burlington House Cartoon (Abb. 6.05) zu sehen ist) und Luini habe den seinerseits schönstmöglichen Beitrag geleistet, indem er dem Bild suavitas hinzufügte, die v. a. in den sanften und frommen Gesten sowie Gesichtern der Bildfiguren anschaulich sei: »Leo53 Borromeo, »Musaeum – Museum«, S. 174 f.
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Abb. 6.06: Bernardino Luini, Jesuskind mit Lamm, um 1525, Tempera, Öl / Holz, 28 × 25 cm, Pinacoteca Ambrosiana, Mailand © Bologna, Fototeca Zeri
nardus is fuit, qui, cum exquisitissime delineasset opus, Luinus deinde contulit ei, quod pulcherrimum praestantissimumque dare poterat, suavitatem nempe quandam et teneros piosque motus ac vultus.«54 Der höchste Glanz (»lumen«) des Bildes sei dabei das Jesuskind.55 Gerade auch Künstler lobten laut Borromeo an diesem Bild die Darstellung des Gesichts des Kindes, aber insbesondere die Berührbarkeit (»tractabilitas«) und Weichheit (»teneritudo«) des Bauches des kleinen Menschen.56 Die Schönheit (»pulchritudo«) der Gottesmutter sei ebenso 54 Ebd., S. 174. 55 Ebd., S. 176. 56 Ebd., S. 176.
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bewundernswert, habe der Maler doch vollbracht, Maria und v. a. ihr Gesicht verehrungswürdig (venerabilis), aber frei von jeglicher Laszivität (lascivia) zu gestalten – zwei Dinge, die beinah von Natur aus aneinandergekoppelt seien.57 Der kleine Johannes blicke derweil mit einer wunderbaren (admirabilis) suavitas auf Jesus den Erlöser: »Ioannes admirabili suavitate Salvatorem adspectat«.58 Die Kategorie der suavitas, die sich generell mit Süße, Lieblichkeit und Liebenswürdigkeit übersetzen lässt, setzt Borromeo sehr pointiert in dieser und weiteren Beschreibungen von Gemälden Luinis ein und kombiniert sie mit assoziierten Qualitäten der Weichheit und Sanftmut.59 In Verschränkung mit Borromeos christlichem Optimismus und dem damit verbundenen Konzept einer schönen, gütigen Natur als Spiegel der göttlichen Güte und Schönheit sowie einer Fokussierung auf Jesus als zugänglichen, erbarmungsvollen Erlöser wird die Malerei Luinis mit ihrer suavitas und laszivitätsfreien Schönheit letztlich zum Vorbild für Andachtsbilder modelliert.60 Denn Borromeo reflektiert mit der suavitas und ihrem Assoziationsfeld eine spezifische Wirkungsästhetik von Sanftmut, liebevollen Blicken und weichen Texturen, die mit seiner eigenen spezifischen Vorstellung sanfter göttlicher Schönheit harmoniert. Suavitas als harmoniestiftende Qualität ist begriffsgeschichtlich betrachtet bspw. auch in der römisch-antiken Rhetoriklehre Ciceros relevant, wo sie mit iucunditas und dulce korreliert wird und als Faktor einer wohlgefügten, harmonischen Ordnung, Symmetrie und Gleichmäßigkeit vorgestellt wird.61 Im 16. und 17. Jahrhundert ist sie gerade auch im Kontext einer christlich-religiösen Rhetorik präsent.62 Im ästhetischen Diskurs findet sie sich v. a. in musiktheoretischen Kommentaren und ist in Kombination mit dolcezza und grazia ein einschlägiger Qualitätsmarker.63 Zur Beschreibung und Bewertung von Malerei macht sie bspw. Isabella d’Estes Sekretär Benedetto Capilupo in einem Brief an Leonardo aus dem Jahr 1504 produktiv, um über ein von der Marchesa erwünschtes Gemälde des Christuskindes anzumerken, dass das Kind mit eben jener – sagen wir – Süße und 57 Ebd. 58 Ebd. 59 Siehe hierzu ausführlicher: Becker, »Grottesco & suavitas«, v. a. S. 435 ff. 60 Zur Modellierung der Vorbildhaftigkeit von Luinis Malerei und deren Schönheitskonzept vgl. auch: Jones, Pamela M., »Defining the Canonical Status of Milanese Renaissance Art. Bernardino Luini’s Paintings for the Ambrosian Accademia del Disegno«, in: Arte Lombarda, 100 (1992), S. 89–94. 61 Siehe hierzu: Chalkomatas, Dionysios, Ciceros Dichtungstheorie. Ein Beitrag zur Geschichte der antiken Literaturästhetik, Berlin 2007, S. 168 ff. 62 Siehe hierzu weiter: Höpfl, Harro, »›Suaviter in Modo, Fortiter in Re‹. Appearance, Reality and the Early Jesuits«, in: The Aesthetics of Organization, hg. v. Stephen Linstead und Heather Höpfl, London 2000, S. 197–211. 63 Siehe hierzu weiter: Fenlon, Ian / Carter, Tim, Con che soavità. Studies in Italian Opera, Song, and Dance, 1580–1740, Oxford 1995.
Federico Borromeos Ambrosiana
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Liebenswürdigkeit des Ausdrucks bzw. der Ausstrahlung gemalt sein solle, die Leonardos Kunst eigne und sie in ihrer Exzellenz auszeichne: »facto cum quella dolcezza et suavità de aiere che aveti per arte peculiare in excellentia«.64 In Federico Borromeos ästhetischem Programm nun verweist suavitas gewissermaßen auf ein ästhetisches, Kontemplation initiierendes Einnehmen der Betrachtenden durch sanftmütige, allein auf das Göttliche hinweisende Schönheit. Luinis ›Darstellungswissen‹ um den Unterschied von göttlicher und menschlicher Schönheit ist schließlich auch gerade deshalb so zentral für Borromeos Musaeum, da der Akademiegründer unter den zeitgenössischen Künstlern ein eklatantes Unwissen auf eben diesem Feld konstatiert – gewissermaßen eine Wissenslücke, die durch Lehrsammlung und Kunstakademie der Ambrosiana verringert werden soll.65 Borromeo weist auf dieses Unwissen der zeitgenössischen Künstler bzw. das Wissen Luinis mehrmals hin und ganz explizit bspw. im Zuge der Besprechung von Sibyllen-Darstellungen. Dabei sind Luinis Sibyllen (besser gesagt deren im Auftrag von Borromeo angefertigte Kopien) zur Zeit von Borromeos Musaeum in der Ambrosiana gemeinsam in einem Raum mit Kopien nach Raffaels Sibyllen-Figuren in Santa Maria della Pace ausgestellt. Zu Raffaels Sibyllen erklärt Borromeo zunächst, dass er ihre Kopien in Auftrag gegeben habe, da die Fresken schon stark beschädigt und dieses Meisterwerk unbedingt zu bewahren gewesen sei.66 In der weiteren Besprechung der Figurendarstellungen stellt Borromeo einen besonderen wirkungsästhetischen Effekt als eigentlichen Kunstgriff bzw. Meisterschaft Raffaels heraus: Borromeo scheint es nämlich, dass in Raffaels Sibyllen mit ihren weiblichen Körpern ein männlicher spiritus zum Ausdruck komme, obgleich ihr weibliches Geschlecht nicht nur in ihrer Haltung, sondern auch in ihren Körperumrissen deutlich werde. Raffaels
64 Zitiert nach: Occhipinti, Carmelo, Leonardo da Vinci e la corte di Francia. Fama, ecfrasi, stile, Rom 2011, S. 41 (Anm. 48) (Teil eines Kapitels zu iucunditas, dolcezza, soavità und mollezza). 65 Borromeo, »Musaeum – Museum«, S. 164. 66 Neben dem Sammeln von Kunstwerken bzw. als Teil dessen war es dem Mailänder Erzbischof ein wichtiges Anliegen, bedeutende Kunstwerke, die vom Zerfall bedroht waren, durch Kopien zu erhalten – v. a. als nützliche »exempla« für die Lehre von Künstlern. Er kritisiert die in seinen Augen arroganten Snobs, die jede – egal wie gut gemachte – Kopie als minderwertige Kunst abtun. Und er beschäftigte talentierte Kopisten, die durch Italien reisten und bspw. beschädigte Fresken abmalten. In Mailand z. B. war einer der wichtigsten Kopie-Aufträge der Erhalt von Leonardos Abendmahl. Siehe: Borromeo, »Musaeum – Museum«, S. 160. Unter den Kunstwerken, die Borromeo 1618 der Ambrosiana schenkte, waren bereits dreizehn Kopien von Leonardo und Bernardino Luini sowie mehrere Leonardo zugeschriebene libri di disegni. Siehe: Bora, Giulio, »I disegni dei leonardeschi e il collezionismo milanese: consistenza, fortuna, dispersione«, in: I leonardeschi a Milano: fortuna e collezionismo, hg. v. Mari Teresa Fiorio und Pietro C. Marani, Mailand 1991, S. 206–217, S. 206 ff.
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Ausblick & Rückblick
Sibyllen-Figuren stehen, so Borromeo, an der Grenze ihres Geschlechts und neigen von den Grenzen ihrer Natur weg hin zum Beginn einer robusteren Natur: Summum Raphaelis artificium in eo Sibyllarum opere fuit, effecisse, ut feminarum corpora masculi spiritus quiddam haberent, interimque sexus imaginem non solum habitu sed lineamentis etiam praeferrent. Plane dicas esse illas in sexus confinio et ab naturae suae extremis ad initia naturae robustioris vergere atque inclinare.67
Bernardino Luinis Sibyllen wiederum, die im Mailänder Ausstellungsraum direkt neben den Kopien von Raffaels Figuren zu sehen sind, stehen laut Borromeo zwar im Schatten der Sibyllen des Urbiner Malers, prinzipiell aber seien auch sie vortreffliche Werke. Ihre Besonderheit ist in Borromeos Augen, dass sie von eleganter Schönheit sind, ohne lasziv zu erscheinen; dies gelinge zeitgenössischen Künstlern aktuell nie, da sie nicht zwischen menschlicher Schönheit und göttlicher Schönheit zu unterscheiden wissen: Iuxta has duae aliae sunt Sibyllae, quibus nequaquam prosperime accidit, ut ea regione collocarentur. Minuit enim, obteritque gloriam comparatio. Sunt Luini Senioris: egregium sane opus, si seorsim starent. Nunc oppositae prioribus illis obscurantur. Optimum earum pulcherrimumque fortasse illud est, quod elegantia formae lasciviam excludit, ignota nostris fortasse Pictoribus arte, quia Divinae humanaeque pulchritudinis discrimen ignorant.68
Während Borromeo also im Zuge der Auseinandersetzung mit Raffaels Sibyllen Fragen nach Männlichkeit und Weiblichkeit zur Sprache bringt und die Figuren gerade dafür bewundert, dass sie die Sibyllen an den Grenzen von weiblichem und männlichem Geschlecht zur Anschauung bringen, ist es mit Blick auf Lui67 Borromeo, »Musaeum – Museum«, S. 162, 164. »The pinnacle of Raphael’s artistic skill can be seen in his Sibyls; one achievement is that the women have bodies endowed with a kind of masculine energy, although their manner and features confirm their femininity. You could easily say that they stand on the gender boundary line, and that they incline away from the limits of their own nature as women and lean toward the beginnings of a more robust character.« Ebd., S. 163, 165. 68 Ebd., S. 162, 164. »Next to these are two other Sibyls who have had the misfortune of being placed in this company; in fact comparison only serves to minimize and diminish what glory they have. They are by Luini the Elder and would be exceptional works if they were exhibited elsewhere, but as it is they have been placed opposite the Sibyls by Raphael just discussed and are overshadowed by them. The best and loveliest attribute of Luini’s Sibyls is probably the fact that their beauty has such an elegant quality to it that it precludes lasciviousness. This was accomplished with an artistic skill that is perhaps unknown to today’s painters, who are incapable of distinguishing human from divine beauty.« Ebd., S. 163, 165. Vgl. auch die italienischsprachige Übersetzung in: Borromeo, Federico, »Musaeum – Museo«, in: ders., Musaeum, komm. v. Gianfrancesco Ravasi, übers. und mit Anm. v. Piero Cigada, Mailand 1997, S. 1–63, S. 23.
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nis Sibyllen erneut die elegante, aber nicht laszive, sondern göttliche Schönheit, die die Frauenfiguren auszeichnet.69 Einmal mehr zeigt Luini in diesen Werken Borromeos Meinung nach, dass er menschliche und göttliche Schönheit zu differenzieren weiß. Doch auch wenn die göttliche Schönheit von Luinis Sibyllen ruhmreich ist, macht Borromeo in dieser Passage ebenfalls deutlich, dass sie im Ausstellungsraum der Ambrosiana unbestritten im Schatten (der Kopien) von Raffaels Sibyllen stehen. Was das über Borromeos generelle Sicht auf die Figur der Sibylle bzw. Figurationen der Sibyllen aussagt und wie sich seine Beobachtungen im Konkreten zu den bildkünstlerischen Darstellungen verhalten, ist an anderer Stelle zu erörtern.70 Eine göttliche, sanftmütige, elegante Schönheit ist aber, so zeigen es die Bildbetrachtungen von Luinis und Raffaels Figuren im Vergleich, für den Erzbischof und Kunstkenner wohl nicht das zentrale Moment für eine faszinierende bzw. anregende Figuration der Sibyllen; vielmehr scheint eine Darstellung, die das Wesen, die Natur und die Wandelbarkeit der Sibyllen befragt, den Erzbischof nachhaltiger zu beschäftigen und zu beeindrucken. Doch von diesem Schattenwurf auf Bildfindungen Luinis abgesehen, waren die Werke des Mailänder Malers des Primo Cinquecento generell von besonderer Bedeutung für Museum und Musaeum. Zum einen aufgrund der von Borromeo hervorgehobenen spezifischen Schönheitskonzeption, die in Luinis Malerei zur Anschauung kommt und die für die Akademieschüler lehrreich und die Museumsgäste devotional anregend sein konnte bzw. sollte. Zum anderen – und davon freilich nicht loszulösen – aufgrund der Rolle von Luini und seiner Kunst für die lombardische, genauer gesagt Mailänder Malerei. Pamela Jones hat dargelegt, dass Borromeos Musaeum in Verschränkung mit der teaching collection der Ambrosiana einen Kanon der besten Werke der Sammlung sowie unterschiedlicher regionaler Schulen und Stile generiert, wobei diese regionalen Malereischulen jeweils unterschiedliches Gewicht haben bzw. unterschiedlich stark vertreten sind.71 Mit der Einteilung in Schulen mag Borromeo darauf 69 Auch bei diesen Gemälden in der Sammlung der Ambrosiana handelt es sich um Kopien nach Bernardino Luinis Sibyllen-Darstellungen in Santa Maria dei Miracoli in Saronno (Kapitel 3.3.1, Abb. 3.14 und 3.15). 70 Verwiesen sei an dieser Stelle auf das im Sommer 2020 am SFB 980 unter der Leitung von Anne Eusterschulte und Ulrike Schneider gestartete Forschungsprojekt Sibyllen & Propheten. Figural gebundene Wissenskonstellationen in der Vormoderne u. a. mit einem von mir bearbeiteten kunsthistorisch ausgerichteten Unterprojekt zu Ästhetiken sibyllinischer Weissagungen als Studien zu Materialität und Medialität seherischen Wissens in den Bildkünsten. Siehe: https://www.sfb-episteme.de/teilprojekte/zeigen/B08/index.html (zuletzt eingesehen am 10.09.2020). 71 Siehe: Jones, »Defining the Canonical Status«. Prinzipiell liegt ein starker Schwerpunkt von Borromeos Sammlungspraxis auf dem frühen Cinquecento und auf sakralen Sujets wie dem gnädigen Erlöser, der Heiligen Familie, Anbetungs- und Meditationsszenen. Siehe: ebd.
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Ausblick & Rückblick
abzielen, Orientierung für die Akademieschüler, aber auch die Ausstellungsbesucherinnen und -besucher sowie ggf. auch andere Sammler liefern zu können – ähnlich wie Giovanni Battista Agucchi, Giulio Mancini and Giovanni Luigi Valesio, die sich im frühen Seicento mit der Einteilung regionaler Malereischulen auseinandersetzen, Stilbeschreibungen erproben und Kompetenzen im Beurteilen und Sammeln von Kunst zu vermitteln suchen.72 In Mailand konnten Museum und Musaeum schließlich in Kombination miteinander zudem auch Geschmack und visuelles Gedächtnis der Akademieschüler, der Lehrer und der Besuchenden prägen.73 Dabei repräsentiert bspw. Tizian die venezianische Schule und seine Anbetung der Könige (Farbtafel 64) gewissermaßen deren Krönung, während Raffaels Karton der sogenannten Schule von Athen eines der bedeutendsten Werke der florentinisch-römischen Schule ist.74 Bei Weitem am stärksten vertreten ist derweil die oberitalienische Malerei und innerhalb derer macht wiederum die Mailänder Malerei den größten Teil der Sammlung aus.75 Die Mailänder Malereischule wird letztlich sowohl durch ihre starke Präsenz, als auch die Bildbesprechungen nobilitiert. Aus ihr geht schließlich auch das perfekte Gemälde hervor, geschaffen in Kooperation von Leonardo – den Borromeo als Vater der lombardischen Schule stilisiert – und Bernardino Luini. Und während Lomazzo in der Idea zwei perfekte Gemälde als Koproduktionen bereits verstorbener Künstler imaginiert, präsentiert Borromeo mit der Heiligen 72 Zum Schule-Begriff im ästhetischen Diskurs des Cinque- und Seicento und einer der frühesten Verwendungen des scola-Begriffs im Sinne einer »local collectivity of artists« in einem Brief des Neapolitanischen Schriftstellers Pietro Summonte an den Venezianer Marcantonio Michiel siehe: Campbell, Stephen J., The Endless Periphery. Toward a Geopolitics of Art in Lorenzo Lotto’s Italy, Chicago / London 2019, S. 18, 44 f. Siehe zu Valesio, einem Mitglied der Bologneser Accademia degli Incamminati der Carracci, und seiner kurzen Streitschrift: Valesio, Giovanni Luigi, Parere dell’Instabile Academico Incaminato intorno ad una Postilla del Conte Andrea dell’Arca contra una particella, che tratta della Pittura nelle ragioni del conte Ludovico Tesauro In difesa d’un Sonetto del Cavalier Marino (Bologna 1614), hg. und eingel. v. Ulrich Pfisterer, Heidelberg 2007. Zu Mancinis Begriff der scole siehe: Mancini, Considerazioni sulla pittura, S. 108 f.; sowie: Gage, Frances, »Giulio Mancini and Artist-Amateur Relations in Seventeenth-Century Roman Academies«, in: The Accademia Seminars: The Accademia Di San Luca in Rome (c. 1590–1635), hg. v. Peter M. Lukehart, New Haven 2009, S. 247–287. 73 Zu diesen Funktionen von Kunstsammlungen im Allgemeinen siehe: Warwick, Genevieve, »Collecting as Canon Formation. Art History and the Collection of Drawings in Early Modern Italy«, in: Memory and Oblivion, hg. v. Reinik Wessel und Jeroen Stumpel, Dordrecht 1999, S. 191–204. 74 Siehe zum Ankauf und der Provenienzgeschichte des Bildes: Morandotti, Milano profana, S. 74. 75 Jones liefert eine sehr nützliche detaillierte Übersicht der Sammlung der Ambrosiana während der ersten Jahrzehnte des Seicento und listet im Zuge dessen und im Abgleich mit Borromeos Musaeum die einzelnen Kunstwerke nach regionalen Schulen geordnet auf, wodurch die relativen Anteile der einzelnen Schulen an der gesamten Sammlung deutlich werden. Siehe: Jones, »Defining the Canonical Status«.
Federico Borromeos Ambrosiana
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Familie ein real existierendes Gemälde als das perfekte Bild, das in der öffentlich zugänglichen Ambrosiana bewundert werden kann und zudem ein Werk der Mailänder Schule ist. Borromeo gestaltet mit seiner Sammlungspraxis, textverfassten Theorie und seinem Lehrprogramm der Akademie der Ambrosiana prinzipiell ein weiteres Modell der Pluralität künstlerischer Ausdrucksformen, wenngleich mit anderen Parametern als Lomazzo, doch zugleich wird auch sein besonderer Gefallen an Gemälden des ästhetischen Diskurses der Lombardei des Primo Cinquecento und v. a. Luinis nachvollziehbar. Borromeo initiiert eine innovative und originelle Bildungseinrichtung, in der die öffentliche Kunstsammlung integraler Bestandteil ist und für deren Rezeption er mit seinem Musaeum ein Modell liefert, das wiederum genau jene modellhaften Kunstwerke exponiert und konturiert, die den Akademieschülern beim Studium vor den Originalen besonders wertvolle Vorbilder sein sollen, bei deren Betrachtung er zugleich aber auch nicht nur Vortreffliches, sondern durchaus auch Schwächen bzw. Mängel benennt. Denn kein Künstler könne Exzellenz in allen Bereichen erreichen. Inwiefern Borromeos ästhetisches Programm in der akademischen Praxis umgesetzt wurde bzw. werden konnte und sein auf Latein verfasster Text im Dialog von Geistlichen und Bildkünstlern produktiv gemacht wurde, bleibt allerdings offen. Einer der prominentesten Akademiker jener Gründungsphase der Ambrosiana war Daniele Crespi, der zu Beginn der 1620er-Jahre in der Akademie eingeschrieben ist. In der Forschung werden seine Werke mitunter als Ergebnisse der Lehre und institutionalisierten Ansprüche Federico Borromeos gewertet und als klassische, moderate Bildfindungen mit einer hinsichtlich des devotionalen Sujets klaren Bildsprache betrachtet, jenseits von ›Theatralität‹ und in Abgrenzung zu den von Borromeo kritisierten, die finezza dell’arte fokussierenden Werken.76 Crespis Gemälde von der Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (1. Hälfte der 1620er-Jahre, Farbtafel 66) mag mit der Darstellung ›lieblicher‹ Blicke, sanfter Gesichtszüge und eleganter Gesten sowie insgesamt einer eleganten, aber vermutlich nicht als lasziv wahrgenommenen Schönheit der Figur Mariens durchaus den Anforderungen der Akademie bzw. Borromeos an sakrale Malerei entsprochen haben. Vermutlich kurz zuvor – um 1620 – malte Daniele Crespi aber noch – oder ebenso – ein Concertino grottesco (Farbtafel 67), das im close-up-Format und in pastoser Malweise drei Männer mit Flöte zeigt, die auffällige Hüte tragen und deren faltige Gesichter von Grimassen verzerrt sind, die dickwulstige Lippen, große Nasenlöcher und Geschwülste am Hals haben und an die Explorationen grotesk-deformer Figuren in der bildkünstlerischen Praxis der Lombardei des Cinquecento und nicht zuletzt auch der Accademia della Val di Blenio erinnern, deren Rabisch, nebenbei bemerkt, 1627 beim Verleger Bidelli 76 Siehe: Frangi, Francesco, Daniele Crespi. La giovinezza ritrovata, Mailand 2012, S. 19 ff.
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Ausblick & Rückblick
neu aufgelegt wurden.77 Mit dem Blick auf die beiden Gemälde Crespis wird wiederum eine der bildkünstlerischen Praxis und ihren unterschiedlichen Spielräumen inhärente und medial wie material eigengesetzliche Pluralität evident, die forcierten Engführungen von theoretischem Bildungsprogramm und bildkünstlerischer Praxis widerstrebt.78
6.2 Zentrale Beobachtungen und Analyseergebnisse in der Zusammenfassung & ein Ausblick auf Impulse Fern einer festgezurrten Ergebnissicherung werden nun in Ergänzung der je individuellen und je spezifisch kenntnisreichen Leseerfahrungen und Interessensschwerpunkte der Leserinnen und Leser ausschnittartige Rückblicke auf zentrale Themen, Beobachtungen und Erkenntnisse der hier präsentierten Fallstudien gegeben und einige Impulse für Ausblicke formuliert. Mit dem einleitenden Blick in Filaretes libro architettonico sind Aspekte des ästhetischen Diskurses Mitte des Quattrocento einsichtig geworden, die sich im Zuge langfristiger Wandlungsprozesse für die Fallbeispiele des Hauptteils der vorliegenden Untersuchung von hoher Relevanz erwiesen. Filarete entwirft mit seinem volkssprachlichen Dialog in Verzahnung mit Zeichnungen und der Praxis des Zeichnens ein im Vergleich zu antiken und quattrocentesken Architekturschriften alternatives Modell theoriehaltigen Schreibens über Architektur. Sein libro zeugt dabei zum einen vom Austausch mit unterschiedlichen Gelehrten und Expertisen im Mailänder Hofkontext, zum anderen vom Versuch und Bestreben, die wissensgeschichtlich relevanten Forderungen nach der Anerkennung der Architektur und des disegno als scienze sowie des Architekten als angesehenem Gesprächspartner und Lehrmeister junger fürstlicher Generationen für eine breite, interdisziplinäre und höfische Leserschaft anregend aufzubereiten. Deutlich und nachvollziehbar geworden, sind die Aktualität von scientia-Debatten am quattrocentesken Mailänder Sforza-Hof und zugleich konkrete Argumentationen für ein Verständnis des disegno als scienza sowie Reflexionen der Grenzen sprachlicher Vermittlung eines Wissens um Architektur bzw. eines Wissens des Architekten und der Erkenntnispotentiale wissensfundierten Zeichnens. 77 Siehe zu diesem Gemälde und der seicentesken Neuauflage der Rabisch auch: Morandotti, Milano profana, S. 137 f., Abb.-Nr. 104, S. 193. Zum Entstehungs- und Bedingungszusammenhang der Rabisch Ende des Cinquecento siehe ausführlich Kapitel 4.2 und 4.3 der vorliegenden Arbeit. 78 Oder wie Alessandro Morandotti es formuliert: »[I]l Concertino [di Daniele Crespi] ci fa capire che anche tra le nuove generazioni degli artisti lombardi, coinvolti in prima linea nella riforma delle arti promossa dal cardinale Federico, era rimasta la voglia di svergognare le iconografie più colte[.]« Morandotti, Milano profana, S. 138.
Zentrale Beobachtungen und Analyseergebnisse in der Zusammenfassung
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Mittels der Analyse der Antiquarie prospetiche Romane, des Freskenzyklus’ der Musen als scientiae in Voghera, der scientifici duelli im Kontext der Academia Leonardi Vinci sowie der bildkünstlerisch artikulierten Verhandlungen von prospettive und proportioni als ästhetische Agone und Stilfragen wurden dann vielfältige Austauschprozesse sowie Diskrepanzen in der Korrelierung von textverfasster Theorie und bildkünstlerischer Praxis erkennbar. Die Konstellation der Fallbeispiele verdeutlichte zum einen das im ästhetischen Diskurs der Lombardei um 1500 weitreichende Diffundieren von Fragen zu epistemischen Potentialen sowie zum epistemologischen Status der Bildkünste, insbesondere der Malerei. Zum anderen veranschaulichte sie unterschiedlich motivierte Ausgestaltungen des für die Nobilitierung der Malerei als scientia maßgeblichen Zusammenhangs von Malerei und Geometrie. Auf verschiedene Arten und Weisen werden um 1500 Proportions- und Perspektivlehren erkundet, diskutiert und in Anspruch genommen. Damit naturgemäß verknüpft sind Fragen nach Mess- und Lehrbarkeit bzw. Regelhaftigkeit und im betrachteten Zusammenhang v. a. auch Reflexionen unterschiedlicher Wissensmodi und insbesondere elusiven Wissens, dem ein dezidierter Geltungsanspruch zugedacht wird. Im Zuge der Werkanalysen wurde außerdem die wissensgeschichtliche wie auch kunsthistorische Relevanz sowohl von Bramantinos Musen-Bildprogramm als auch vom römischen Antiken-Buch herausgearbeitet und eine spezifische Interessenskonstellation und gewissermaßen Forschungsperspektive dieses zeitgenössisch renommierten Mailänder Perspektivmalers greifbar, die sich aus Antikenstudium und anatomisch durchdrungenen Bewegungsstudien ebenso zusammensetzt wie aus kosmologisch fundierter und interdisziplinär informierter scientiae-Debatte, aus geometrisch-mathematischen Kompetenzen und aus einem in der Malerei auf besondere Weise wirksam und anschaulich werdenden ›geheimen‹ Wissen göttlicher Proportion. Die Bedeutsamkeit der divina proportione und ihre Konzeption als ein elusives Wissen, das im erkenntnisstiftenden Medium von Malerei bzw. Zeichnung anschaulich und wirkungsästhetisch produktiv gemacht werden kann, zeigt sich auch und insbesondere in Luca Paciolis Mailänder Compendium de divina proportione. Dessen Kontext, sprich die scientifici duelli in der camera de’ moroni sind derweil geprägt von nachdrücklichen und vielfältig argumentierten Forderungen und Anstößen von Umordnungen der Hierarchie der scientiae und von der epistemologischen Nobilitierung der Malerei im institutionellen Rahmen höfischer Gelehrtenzirkel. Mit Blick auf bestimmte Konstellationen bildkünstlerischer Praxis erweist sich dann die Thematik göttlicher Proportion gerade auch in pluralisierter Gestalt von divine proportione als aktuell und relevant und ist Teil epistemisch wie ästhetisch aufgeladener (Stil-)Fragen sowie konkurrierender und identitätsstiftender Konzeptionen divergierender Darstellungsmodi. Im Zuge dieser bildkünstlerisch artikulierten Stil- und Wissensfragen kommen schließlich u. a. sowohl Schärfen als
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Ausblick & Rückblick
auch Unschärfen der Wahrnehmung zur Anschauung und zur Sprache; ebenso werden die epistemische Funktion sowie Rolle von Erfahrung und Messbarkeit zur Diskussion gestellt. Die Fallstudien des dritten Kapitels machten Virulenz und Varianz von Agon wie auch Mitstreit zwischen Malerei und Skulptur in Text und Bild offenkundig und erörterten frühneuzeitliche Reflexionen der Medialität und Materialität unterschiedlicher Spielarten dieser beiden Bildkünste. Es zeigte sich, dass mit dem medien- und materialreflexiven Relationieren und Mitstreiten bzw. Aneinander-Messen der Künste im Nobilitätsgerangel epistemologische Konflikte und Wissensfragen aber bspw. auch Explorationen bestimmter wirkungsästhetischer Potentiale und Funktionen der Bildwerke (wie die Gestaltung von rilievo, die Evokation von Lebendigkeit und die affektive Involvierung der Betrachtenden) aufs Engste verschränkt wurden. Zugleich machten die Fallstudien Diskrepanzen in den Themen- und Schwerpunktsetzungen von Paragoni in schriftlichen Theoriebeiträgen und in bildkünstlerischen / m Werken nachvollziehbar. Schriftlich verfasste und v. a. im Rahmen höfischer Wettstreitkultur kodierte und durch Rivalitäten unter Künstlern am Hof bedingte Paragoni fokussieren v. a. materialsichtige Marmorskulptur und Tafelmalerei und marginalisieren oder negieren gar Themenbereiche, Praktiken und Materialien wie Polychromie, Terrakotta, Holz und rote Kreide, die sich als zentral für werkimmanente mitstreitende und letztlich ungeschriebene Paragoni der bildkünstlerischen Praxis erweisen. Die schriftlichen Paragone-Beiträge können somit zwar durchaus sprachliche Beschreibungskompetenzen ausbilden und fördern. Sie können aber zugleich Medienreflexionen und Urteilsmaßstäbe verzerren und Wertschätzungen sowie Aufmerksamkeiten für bestimmte Spielarten von Malerei und Skulptur lenken – und dies durchaus nachhaltig wirksam. Produktivität und Reiz werkimmanenten und mitstreitenden Relationierens von skulpturalem, zeichnerischem und malerischem Arbeiten in der bildkünstlerischen Praxis werden hingegen z. B. anhand der medien- und materialgebundenen Dialoge roter Kreidezeichnungen Leonardos und materialsichtiger Terrakottafiguren u. a. von Agostino de’ Fondulis anschaulich. Qua der Erkundungen produktions- sowie rezeptionsästhetischer Verwandtschaften von Werkstoffen und von künstlerisch-ästhetischen Praktiken entfalten sich in dieser Konstellation Dialoge über effektvolle Gestaltungen von rilievo und affektwirksame Evokationen von Lebendigkeit. In Verbindung damit lassen sich interessante Debatten um imitatio-Konzepte erkennen, die sich um die Frage Materialsichtigkeit vs. farbige Fassung von Skulptur entzünden und im Zuge derer es zu Reibungen bildkünstlerischer Praxis mit Anforderungen und Funktionalisierungen devotionaler Rezeptionskontexte kommt. Konflikte zwischen den originären und originellen künstle rischen Gestaltungen intermedialer Werke und den sich verändernden devotionalen Rezeptionsanforderungen bzw. den sich wandelnden Urteilsmaßstäben
Zentrale Beobachtungen und Analyseergebnisse in der Zusammenfassung
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und Funktionsbedingungen wurden auch im Zuge der Analyse der Produktion, Rezeption und Veränderung intermedialer Zusammenspiele von Wandmalerei und polychrom gefasster Skulptur in den Kapellen des Sacro Monte di Varallo beleuchtet. Weitere Modi des In-Bezug-Setzens von Malerei und Skulptur und der Erörterung unterschiedlicher epistemischer Potentiale und Dimensionen werden derweil in der bildkünstlerischen Ausstattung von Santa Maria dei Miracoli in Saronno anschaulich und zeugen vom weitreichenden Interesse vielfältigen Relationierens der beiden Bildkünste. Zu betrachten ist bspw. ein Spiel mit unterschiedlichen Medien- und Materialreferenzen in Freskomalerei – ein ästhetisches Spiel, das die Uneindeutigkeit von Wahrnehmung thematisiert. In der Kuppel hingegen konfigurieren sich qua eines durchdachten Zusammenspiels von Malerei und Skulptur verschiedene Grade und Formen körperlicher Präsenz und Wirklichkeitsbezogenheit. Eine wieder anders gestaltete Variation mitstreitender Austauschprozesse zwischen Malerei und Skulptur wurde mit Blick auf Explorationen dynamisierter Kontraposthaltungen bzw. mehrdimensionaler, antithetischer, spiralförmiger Körperrotationen in Zeichnungen, Gemälden und Skulpturen u. a. von Bramantino, Antonio Mantegazza, Leonardo, Giampietrino und Bambaia nachvollziehbar. Enggeführt mit diesen bildkünstlerischen Explorationen wurde eine kritische Re-Lektüre und Analyse von Lomazzos Begriffskonzeption der figura serpentinata. Lomazzos figura serpentinata ist dabei zum einen in langfristigen Wandlungsprozessen verortet und im Zusammenhang mit aktuellen Themenstellungen und Herausforderungen bildkünstlerischer Praxis erfasst worden. Zum anderen hat es sich als produktiv erwiesen, die Begriffskonzeption des Mailänder Künstlers und Kunsttheoretikers im Zusammenhang mit einer Konfliktkonstellation bzw. kritischen Kunsturteilen im cinquecentesken ästhetischen Diskurs zu erörtern und sie als Beitrag zur Diskussion um bestimmte Figurendarstellungen Michelangelos zu lesen. Außerdem verdeutlicht Lomazzos Verhandlung von Proportionslehren, die von seinem figura serpentinata-Begriff eröffnet wird, erneut eine intensive Auseinandersetzung mit epistemischen Dimensionen bildkünstlerischer / n Werke / ns, wobei auch dezidiert die Geltungsmacht eines elusiven Wissens innerhalb frühneuzeitlicher Nachahmungsästhetik zur Sprache gebracht wird. Denn der Mailänder Künstler und Kunsttheoretiker konzipiert die figura serpentinata explizit als eine Wissensfigur der bildkünstlerisch ästhetischen Praxis, die sich strikter Regelhaftigkeit und Messbarkeit entzieht, deren Gestaltung Augenmaß erfordert, die nicht einfach kopierbar und präzise lehrbar ist, sondern vielmehr ein in der produktions- und rezeptionsästhetischen Praxis zu entschlüsselndes Geheimnis darstellt, das der anmutigen Verlebendigung von Bildfiguren eigne. Es geht damit um ein Wissen, das sich der genauen Definition entzieht, das unauflöslich an den kreativen Akt und an künstlerisches Talent gebunden ist – gewissermaßen also, um ein in Bewegung befindliches figurales Wissen.
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Ausblick & Rückblick
Das Denkmodell figuraler Wissensformierungen wurde schließlich im vierten Kapitel für die Erörterung und Konturierung grotesker Ästhetik produktiv gemacht. Es ermöglicht, spezifische epistemische Dimensionen und die in den Fallbeispielen anschaulich werdenden Aushandlungsprozesse von Wissen zu erfassen. Denn besondere Aufmerksamkeit wird so z. B. auf das Wechselspiel von Figuration und Defiguration gerichtet bzw. auf ein figurales De- und Refigurieren, aber auch auf Störungen repräsentationaler Ordnungen und Thematisierungen epistemischer Unbestimmtheit. Auf diese Weise lässt sich der Phänomenbereich grotesker Ästhetik als ein Explorationsfeld der bildkünstlerischen Praxis ergründen, in dem das Austesten von Grenzen, das Divergieren von der Mimesis-Maxime, das Ausloten von Naturnachahmung und Imagination sowie karnevaleske Konfigurierungen und Ridikülisierungen, Irritationen von Wahrnehmungs- und Interpretationsgewohnheiten, das Abweichen von normierenden Harmonie- und Schönheitsvorstellungen sowie ein Widerlaufen von Regeln, Konventionen und Dekorumsansprüchen, zugleich aber auch ein dezidiertes Ausstellen der Gestaltgebung mit einer tiefgreifenden Erkenntnis- bzw. Wahrheitssuche verknüpft ist, mit umtriebigen Wissensfragen, Subversionen bzw. Entgrenzungen von Wissen, mit der Vorstellung von Neugier und Staunen als Wissensmotor und mit einem starken, mithin institutionell gerahmten Geltungsanspruch. Der hohe epistemische und ästhetische, aber auch moralischethische Anspruch, der sich vielfach mit bild- wie auch dichtkünstlerischen Werken grotesker Ästhetik des lombardischen Diskurses verbindet, zeigt sich pointiert in Zeichnungen, Gemälden, Gedichten und Statuten der sich außerhalb des repräsentativen Zentrums verortenden Accademia della Val di Blenio, die sich als eine bacchisch inspirierte Gemeinschaft dialektal kommunizierender und vielseitig talentierter, aufrichtiger, wissensdurstiger und weiser facchini versteht. Die Zusammengehörigkeit des Facettenreichtums grotesker Ästhetik wiederum, in dem sich – wie in der Kirchenkuppel in Rivolta d’Adda – Grotesken und Groteskes miteinander verschränken, ist sowohl anhand verwandter, figuraler Strukturprinzipien, gemeinsamer Themen und Motive sowie anhand gemeinsamer Wissensfragen und -impulse veranschaulicht worden, aber nicht zuletzt ebenso anhand des gemeinsamen historischen Beschreibungsvokabulars, zu dem v. a. die bizarrie bzw. das bizarro, aber z. B. auch das capriccio und mo struoso gehören. Groteske Ästhetik erweist sich letztlich für den gesamten Untersuchungszeitraum von großer, gerade auch wissensgeschichtlicher Relevanz. Die zahlreichen und vielfältigen Fallbeispiele zeigen, dass groteske Ästhetik in ihrer weitreichenden Virulenz und Varianz sowie in ihrem gestalterischen Ausmaß geradezu als ein eigentümliches Charakteristikum des ästhetischen Diskurses der Lombardei des Cinquecento gelten kann. Konkrete Beispiele sind etwa die vielfältigen und künstlerisch stets anspruchsvollen Gestaltexplorationen grotesker Köpfe zwischen Komik, Kuriosität, kritischem Impetus und
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Kreativitätsexperiment sowie zwischen Naturstudium und Imaginationsfigur, Porträt und Maske. In verschiedenen Bildformaten, Medien, Materialisierungen und Funktionskontexten eruieren Künstler dabei menschliche Physiognomien, Anatomien und Gesichtsproportionen in je unterschiedlich akzentuierter, aber stets dezidierter Abweichung von Wahrnehmungsgewohnheiten, Darstellungskonventionen und Schönheitsnormen und stellen durch das Defigurieren bspw. idealisierter und repräsentativer Profillinien und Kopfstudien unterschiedliche Modi der Deformierung vor Augen und zur Diskussion. Die teils institutionell gerahmten Darstellungen der für ihre Einprägsamkeit und eindrucksvolle Wirkungsästhetik bewunderten visi mostruosi bezeugen kreativen Forscherdrang; sie zeugen aber mithin auch von modellbildenden Iterationen. In jedem Fall aber stellen sie Erörterungen des gut gemachten Deformen mit verschiedenen epistemischen Potentialen dar. Und während sich in diversen nord- und südalpinen Regionen ein in transregionalen Austauschprozessen intensivierendes Interesse an Darstellungen grotesker Köpfe beobachten lässt, erweist sich der ästhetische Diskurs der Lombardei als ein außerordentlich anregender und verdichteter Knotenpunkt grotesker Gestaltexplorationen. Diese Verdichtung wird gerade auch dann deutlich, wenn man Interaktionen und Wechselwirkungen zwischen Bildkünsten und Dichtungen betrachtet oder ein intermediales Projekt wie den Landsitz mit Grottenanlage von Pirro Visconti Borromeo fokussiert. Beobachtbar sind in derartigen Konstellationen bspw. subversive und Sinn entgrenzende Spiele mit der geltungsstarken Kategorie der grazia bzw. den Grazien, aber auch das karnevaleske Substituieren von Körperteilen durch körperfremde Objekte zu kompositen Gestalten eines neuen Relationsgefüges, das ein unauflösbares Wechselspiel von Kunst und Natur bzw. von kapriziöser Figur, kunstvollem Arrangement und täuschend echtem Naturstudium inszeniert. Außerdem erweisen sich komisch-laszive, mit Schönheitsnormen brechende und mittels Uneindeutigkeiten Überraschung und Lachen evozierende Gruppenszenen von besonderem Interesse für die bild- und dichtkünstlerische Praxis. Thematisierungen, Verhandlungen und Bewertungen von Facetten grotesker Ästhetik in textverfasster Theorie und v. a. in Schriften Lomazzos und Gregorio Comaninis machen derweil deutlich, dass es unterschiedliche Versuche und Ansätze gibt, groteske Ästhetik in Nachahmungsästhetik und systematische Lehrwerke an ›geeigneten‹ Orten, in ›angemessenem‹ Rahmen und auf sinnfällige Weise zu integrieren, zu diskutieren und zu beurteilen. Lomazzos Verwendung des Begriffs der bizarrie bezeugt dabei einmal mehr die Verwobenheit der mitunter divers scheinenden Facetten grotesker Ästhetik, während seine theoretische Auseinandersetzung mit komischer Malerei interessante Fragen nach – gerade auch wissensgeschichtlich relevanten – Funktionen des Lachens erörtert und die Virulenz des Komischen im Theoriebeitrag verdeutlicht. Erkennbar geworden sind Divergenzen zwischen einer theoretischen Verhandlung komischer Malerei
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Ausblick & Rückblick
und komischen Bildwerken, die letztlich Reibungen der verschiedenen Aushandlungszusammenhänge in Text und Bild bezeugen. Grenzen und Unschärfen von Theoretisierungsversuchen der bizarrie sind schließlich insbesondere auch mit Blick auf Lomazzos Theorie der Grotesken zutage getreten. Deutlich werden aber in Lomazzos Grotesken-Erörterung zugleich ebenso wieder ein tiefgreifendes Interesse an sowie Geltungsansprüche für das, was die Grotesken sotto altre figure erkennen lassen. Insgesamt erweisen sich die untersuchten systematisierenden Texte quasi naturgemäß in Reibung mit dem Phänomen bereich grotesker Ästhetik und lassen hinsichtlich bestimmter Aspekte Diskrepanzen zu den künstlerischen Gestaltungen und Praktiken erkennen. Doch ebenso wird in den Theoriebeiträgen ein originelles Erproben von Diskursivierungs- und Veranschaulichungsmodi anschaulich. Comanini macht in Il Figino bspw. gattungsspezifische Möglichkeiten des Dialogs auf besondere Weise für die Reflexion, Kommentierung und Bewertung von Facetten grotesker Ästhetik produktiv – genauer gesagt von capricci Arcimboldos als Paradebeispiele der imitazione fantastica und als Pendant bzw. Gegenspielerin der imitazione ica stica. Insbesondere das fiktionsintern inszenierte Vortragen von Gedichten Comaninis zu Arcimboldos ›kapriziösen Erfindungen‹ schafft bedeutsamen kreativen Freiraum für die positive Verhandlung von Facetten grotesker Ästhetik im gelehrten Dialog und erkenntnisstiftende Evidenzeffekte für gewisse epistemische Dimensionen, Potentiale und Impulse. Comaninis Gedichte zu Gemälden Arcimboldos finden sich bezeichnenderweise sowohl in mehreren Gedichtbänden zu Mailänder Malerei jener Zeit als auch und v. a. in Lomazzos Idea del tempio della pittura, innerhalb derer sie der anschaulichen Vermittlung der originellen figuralen Struktur der Bilder dienen. Mit der Erörterung der Bestimmungsversuche, Konzeptionen und Funktionen von vaghezza und von bildkünstlerischen maniere in Schriften Lomazzos und Alessandro Lamos ging es anschließend im fünften Kapitel zum einen um Systemstellen, Beurteilungen und Geltungsmacht einer Kategorie ästhetischer Unbestimmtheit und zum anderen um die Verwobenheit von Begriffsdebatten und Stilkonzeptionen bzw. die begriffssprachliche Bedingtheit von Stilentwürfen sowie die Korrelierung von Stil- und Wissensfragen bzw. Stil- und Wissensgeschichten. Die Untersuchung unterschiedlicher Anwendungsfälle von vaghezza in Theoriebeiträgen des ästhetischen Diskurses des Quattro- und Cinquecento verdeutlichte zunächst die semantische Spannweite von vaghezza vom unsteten, impulsgeleiteten Umherwandern und neugierigen Wissensdrang über Liebreiz, Anmut, Verliebtsein und Verlangen hin zu einer anziehenden, begehrenswerten und mithin riskant verführerischen, schwer fasslichen Schönheit sowie zu einem wirkmächtigen, gekonnten Umgang mit Farben in der Malerei. In Lomazzos Trattato lassen sich konkrete Versuche des Einkreisens, Abfederns, kritischen Reflektierens, Eruierens und Validierens von ästhetischer Unbestimmtheit und
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zugleich kontextabhängig unterschiedliche Arten von vaghezza nachvollziehen. Zwischen riskanter Verführung und glänzend schimmernden, changierenden Farbkompositionen zur Gestaltung wertvoller Stoffe von Umhängen bestimmter Bildfiguren diskutiert Lomazzo vaghezza mit ihren positiven aber auch negativen Potentialen. Er fordert ihren stets bewussten, kontrollierten und begrenzten Einsatz als vaghezza ordinata bzw. temperata im Bild ein. Seine Begriffsdebatte suggeriert mitunter eine Regelhaftigkeit und Messbarkeit von vaghezza. Doch in letzter Instanz verweist Lomazzo fern von begrifflichen Definitionen ausschließlich auf die Betrachtung von Kunstwerken vorbildhafter Künstler und auf deren erstrebenswertes Wissen um die Wirkkraft, Herstellung aber auch Grenzen von vaghezza. Dieses Wissen bringt er als ausschlaggebend für gute Malerei in Anschlag, als ein sapere, der dafür sorgt, dass nicht etwa ein non so che di vaghezza Dekorum und disegno der Kunstwerke korrumpiert und damit die intelligible Einsicht in wahre Schönheit gefährdet. Auch in den Schönheitserörterungen des Cremoneser Compendio della Bellezza wird deutlich, dass vaghezza durchaus riskant für die Erkenntnis wahrer Schönheit sein könne. Lamo hingegen spricht in seinem theoretischen Vorwort des Discorso rühmend von einer in der Phänomenalität der Natur (die von der Kunst nachgeahmt werden kann) zu entdeckenden soverchia vaghezza, die seinem Verständnis nach gewissermaßen als raptusErfahrung sogar Zugang zu höherem Wissen ermöglicht. In der eigentlichen Vita Bernardino Campis konzipiert Lamo vaghezza dann als Qualitäts- und Stilmerkmal des Cremoneser Künstlers und weiter gefasst der Cremoneser Malerei und zwar in perfekter Balance mit disegno und giudicio, wodurch er sich im Kontext regionaler Stilkonkurrenzen zwischen disegno und colorito als geschickter Stratege präsentiert. Als Marker eines elusiven Wissens um immanent sinnliche Qualitäten des bildkünstlerischen Schaffens und als abstrakter Begriff, der nicht mit der Anschauung konkreter Bildwerke engzuführen ist, prägt vaghezza in Lamos Beitrag also eine maniera-Konzeption, die wiederum im Rahmen einer qua regionaler Stile ordnenden Kunstgeschichtsschreibung und in Konkurrenz v. a. zu Vasaris Vite entworfen wurde, aber auch – unkommentiert – in Konkurrenz zu lokalen Mailänder Künstlern und Kunsttheoretikern. Die im Discorso verdeckt gehaltene innerlombardische Konkurrenz wird anhand von verzerrenden Darstellungen in Lamos Text, aber auch anhand von Reforminitiativen der Mailänder Künstlerzunft sowie anhand von Streitigkeiten bei Auftragsvergaben und von persönlichen Rivalitäten offenkundig. Die Konkurrenz zeigt sich aber auch in literarischen Gegenentwürfen zu Lamos Discorso. Denn mit seiner Idea del tempio della pittura liefert Lomazzo ein alternatives Modell bzw. Kontrastprogramm zur Konzeption regionaler künstlerischer Stile, wie sie sich etwa bei Lamo findet. Lomazzo fokussiert und erörtert in seinem Buch individuelle genii und geht von einer naturgemäßen Pluralität und Diversität künstlerischer Praxis aus. Er präsentiert dazu einen dynamischen Reigen von Künstlerpersönlichkei-
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ten unterschiedlicher individueller Begabungen und formuliert ein Plädoyer für die Notwendigkeit der Selbstreflexion eines jeden Kunstschaffenden, um Exzellenz in der Malerei erreichen zu können. Und er eruiert epistemische Potentiale und Funktionen von Malerei, die Verschiedenartigkeit von Gestaltgebungen und die durch Kunst ermöglichte Teilhabe am Schönen der göttlichen Schöpfung nicht über ein Geschichtsmodell regionaler, hierarchisch zueinander positionierbarer Stile, sondern über kosmologisch-metaphysische Vorstellungen, über Analogiebildungen und Metaphern, fern von stillgestellten Definitionen und im Austausch mit bspw. Diskursivierungsstrategien von Marsilio Ficinos De amore. Seine Idea ist letztlich ein wissensgeschichtlich wertvolles Experiment, Wissen des Malerei-Tempels im transdisziplinären Austausch mit unterschiedlichen Lehren zu erörtern und der Malerei mit ihren begnadeten Künstlerinnen und Künstlern Geltung zu verschaffen und zwar als unabdingbare scienza im Zugriff auf die Welt und auf die Spuren der Schönheit göttlicher Schöpfung. Bildkünstlerische Werke als Medien der Vergegenwärtigung, Reflexion und Meditation über die Schönheit der göttlichen Schöpfung zu begreifen, ist schließlich auch prägend für das Kunstverständnis Federico Borromeos. Um einen Ausblick ins Seicento anzudeuten, wurden schließlich dessen Texte zur Kunst im Zusammenhang mit der Gründung eines öffentlichen Kunstmuseums und einer damit verbundenen Kunstakademie als Teil der diözesanen Mailänder Bildungseinrichtung Ambrosiana erörtert. Im Kontext posttridentinischer Reform macht es sich Borromeo als Mailänder Erzbischof zur Aufgabe, angehende Künstler besser auszubilden und diese Ausbildung in der Lehre des christlichen Glaubens zu fundieren, um v. a. die zeitgenössische sakrale Malerei von seiner Meinung nach schwerwiegenden Defiziten zu befreien. Der Blick in die Gründungsakten der Akademie, in Borromeos Texte zur Kunst und v. a. in seine Schrift Musaeum in Verschränkung mit seiner Sammlungspraxis bot Einblick in seicenteske Bildbetrachtungen und Bildbesprechungen, in Stilfragen, Kunsturteile sowie in eine spezifische Schönheitsvorstellung. Als Maßstab seines Programms ästhetischer Bildung erweist sich ein gegenstandsbezogener Zugriff auf Kunst und Kunstlehre. Denn Borromeo fordert neben einer klaren und einfachen Sprache in der Lehre v. a. das Studium vor Originalen bzw. die durch seine Schriften und das Lehrpersonal begleitete Anschauung vorbildhafter Kunstwerke im Museum. In diesem Museum bzw. Musaeum wird mit Repräsentanten unterschiedlicher regionaler Schulen ein pluraler, diverser und beweglicher Kanon wertvoller Lehrwerke und Studienobjekte vorgestellt, anhand derer die Schüler die in begrifflichen Regelwerken nicht fassbaren Geheimnisse der Malerei vor Augen geführt bekommen sollen. Zusammenfassend formuliert, hat die vorliegende Arbeit themengeleitet und werkanalytisch einschlägige Beiträge textverfasster Theorie zu den Bildkünsten vom ausgehenden Quattro- bis ins beginnende Seicento in der Lombardei erfasst
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und miteinander korreliert. Die schriftlichen Beiträge des ästhetischen Diskurses weisen in der Zusammenschau eine eindrückliche Vielfalt an Textgenres und Darstellungsweisen auf. Vom didaktischen und dialektalen Gedicht, kontrasystematischen Aufzeichnungskonvoluten, Biographien sowie traktathaften und systematisierenden Lehrwerken bis zu Werkstattberichten, gelehrten Dialogen sowie einem schriftlich artikulierten Ausstellungsrundgang auf Latein offenbart das Textkorpus eine Pluralität, die von immer wieder neu angestoßenen Erkundungen geeigneter Modi für die Auseinandersetzung mit dem Bildkünstlerischen und seinen epistemischen Dimensionen zeugt. Zugleich wird die Offenheit des Diskurses anschaulich, in dem kein vereinheitlichendes Modell des Schreibens maßgeblich ist und in dem sich keine Monopolansprüche behaupten. Auch mit Blick auf Erörterungen von bildkünstlerischen Vorbildern, modellhaften Werken und Stilentwürfen bildkünstlerischen Schaffens ist der lombardische Diskurszusammenhang von Pluralität und Diversität geprägt. Durch die jeweils unterschiedlich perspektivierte Relationierung der diversen Beiträge textverfasster Theorie zur ihrerseits vielfältigen bildkünstlerischen Praxis wird der ästhetische Diskurs der Lombardei in seiner medialen und materialen Vielfalt und in seiner mitunter disparaten Gestaltung nachvollziehbar und Reibungen, Dialoge sowie Diskrepanzen zwischen textverfasster Theorie und bildkünstlerischer Praxis erkennbar. Während Ende des 15. Jahrhunderts bzw. um 1500 epistemische und ästhetische Agone als scientifici duelli im Hofkontext und als Diskussionen unterschiedlicher Proportions- und Perspektivlehren in Künstlerkreisen einschlägig sind, erweisen sich während des gesamten Untersuchungszeitraums historische Medienreflexionen als Wissensfragen und werden in Gestalt divergierender Paragoni mal als Agon und mal als Mitstreit in Text und Bild anschaulich. Eigenwillige epistemische Impulse und Entgrenzungen finden sich schließlich im facettenreichen und geltungsstarken Phänomenbereich grotesker Ästhetik, der sich als ein Charakteristikum des lombardischen Diskurses begreifen lässt. Derweil werden divergierende und konkurrierende Konzeptionen künstlerischer Stile und Ordnungsmodelle künstlerischen Werkens in Mailand und Cremona entworfen, aber auch verschiedene Akademie-Konzepte zwischen bacchischer Inspiration und diözesaner Bildungseinrichtung erprobt, wobei originelle Ideen für die Kunstlehre bzw. ästhetische Bildung nachvollziehbar werden. In der Zusammenschau der Fallstudien treten Knotenpunkte bzw. Kernprojekte kollaborativen bildkünstlerischen Arbeitens zutage sowie interdisziplinäre Gelehrtennetzwerke und Interaktionen bspw. von Bildkünstlern mit Literaten und dabei je unterschiedlich konturiert Dialoge, Austauschund Transferprozesse zwischen unterschiedlichen Medien und Materialien und unterschiedlichen Teilhabenden des ästhetischen Diskurses sowie weiter gefasst frühneuzeitlicher Gesellschaft und Wissensgeschichten. Insgesamt zeigen die Fallbeispiele zwischen scientia & vaghezza, dass in verschiedenen Kontexten
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und qua verschiedener Denkmodelle und medialer Ausdrucksweisen Fragen nach dem epistemologischen Status und den epistemischen Potentialen und Dimensionen der Bildkünste und v. a. der Malerei immer wieder von Aktualität sind, umtriebig eruiert, kreativ anschaulich gemacht, reflektiert und diskutiert werden. Und erneut ist Pluralität von Bedeutung, nämlich mit Blick auf nicht zu vereinheitlichende Wissensgeschichten frühneuzeitlicher Ästhetik und auf Wissen im Plural bzw. auf Geltungsansprüche für unterschiedliche Wissensmodi und gerade auch für an ästhetische Erkenntnis und Erfahrung gebundenes Wissen, das in unterschiedlichen Fällen mal als ein elusives Wissen oder auch als figurale Wissensformierungen greifbar und reflektierbar gemacht werden kann. Diese hier noch einmal skizzenhaft zusammengetragenen Pluralitäten des ästhetischen Diskurses der Lombardei, die v. a. durch die Relationierung von textverfasster Theorie und bildkünstlerischer Praxis und durch Erörterungen unterschiedlicher Wissensmodi greifbar geworden sind, können Anregung bieten, Wissensgeschichten stärker hinsichtlich ihrer medial wie material vielfältigen Aushandlungsprozesse zu erforschen. Für kunsthistorische Untersuchungen von Konstellationen im Cinquecento bzw. weiter gefasst frühneuzeitlicher Ästhetik mag dazu bspw. eine Abkehr von der Suche nach ›starting points‹ hin zur Fokussierung und Erforschung von Konfliktmomenten zählen, ebenso wie eine Emanzipation vom oftmals noch virulenten Maßstab einer alleingültigen maniera moderna oder eine Revision von wertenden und hierarchisierenden regionalen Schwerpunktsetzungen und von zu starken Konzentrationen auf vereinzelte ›master minds‹.79 Außerdem demonstrieren die Fallstudien des lombardischen Diskurses die geistes- und geschichtswissenschaftliche sowie v. a. wissensgeschichtliche Relevanz ästhetischer Diskurse in interdisziplinären Debatten und in der Betrachtung historischer Semantiken. Werksensible kunsthistorische Forschungen können somit für Erörterungen frühneuzeitlicher Ästhetik, aber gerade auch weiter gefasst inter- bzw. transdisziplinär diskutierter Wissensfragen und ihrer Medialitäten sehr gewinnbringend sein. Denn die Fallbeispiele machen deutlich, dass bildkünstlerische Praxis und textverfasste Theorie ›histories of knowledges‹ mitgestalten.80 Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Wissensmodi und gerade jenen an ästhetische Erfahrung 79 Vgl. hier Stephen Campbells Plädoyer dafür, sich in der Kunstgeschichtsforschung von »central terms in Vasari’s analytical armory« wie v. a. jenem des »achievement of the (only) maniera moderna« zu emanzipieren, sowie Michael Coles Ermunterung der Renaissanceforschung, vielmehr nach »moments of conflicts« zu suchen, anstatt »starting points« zu eruieren, zu proklamieren bzw. zu konstruieren. Siehe: Campbell, The Endless Periphery, S. 5; Cole, Michael W., Leonardo, Michelangelo, and the Art of the Figure, New Haven / London 2014, S. XI. 80 Zum Fokus auf plurale ›histories of knowledges‹ siehe: Burke, Peter, What is the History of Knowledge?, Cambridge 2016.
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und Erkenntnis gebundenen hat sich schließlich für diesen Forschungsbeitrag als stetes work in progress erwiesen. Um Wissen in seiner Vielfalt und Beweglichkeit jeweils aspekthaft reflektieren und beschreiben zu können, muss wohl auch die Sprache in Bewegung bleiben. Hier nun sind begriffliche Konzepte und Denkfiguren wie elusives Wissen, figurale Wissensformierungen aber auch groteske Ästhetik produktiv gemacht worden, um den Blick für verschiedene Fragen- und Problemkonstellationen zu schärfen. Die Arbeit und Erprobung von analytisch wertvollen Denkmodellen und Begrifflichkeiten ist letztlich sowohl auf der Metaebene wie im erforschten Gegenstandsbereich, dem lombardischen Cinquecento, unabgeschlossen. Dass scientia-Begriffe und Wissenshierarchien in stetem Wandel sind und dabei Medium und Material von Wissensaushandlungen entscheidende Bedeutung haben und für je spezifische Zusammenhänge immer wieder aufs Neue zu erkunden sind, zeigen auch heutige Wissenschaftslandschaften mit ihren Disziplinenhierarchien sowie digitale Umstrukturierungen von Kommunikation und Wissen. Dass Forderungen nach epistemologischer Anerkennung bestimmter scientiae & artes sowie Reflexionen auf unterschiedliche Relationierungen von Theorie und Praxis immer wieder und unter je spezifischen Vorzeichen Aktualität besitzen, macht etwa auch ein Plädoyer anschaulich, das Ayla Ayyıldız Potur und Kutlu Sevinç Kayıhan von der Gebze Technical University 2011 formulierten. Die beiden fordern, die »design disciplines« als ein »independent field of knowledge« anzuerkennen, »having its own way of thinking, background and form of acquisition beyond being a sub category of natural sciences and human sciences«.81 Sie ermutigen dazu, die Verzahnung sowie Interdependenz von professioneller Praxis und akademischer Lehre gewissermaßen unter der Schirmherrschaft von Kreativität neu zu denken.82 Man mag hier an Mailänder scientifici duelli denken, aber auch an die Produktivität der Erörterung eines ästhetischen Diskurses als stetes Relationieren von bildkünstlerischer Praxis, die zugleich ästhetische Theoriebildung ins Bild zu setzen vermag, sowie von textverfasster Theorie, die sich in ästhetische Praxis einschreibt. Der ästhetische Diskurs der Lombardei des Cinquecento jedenfalls ist reich an inspirierenden Wissensgeschichten, von denen einige hier beleuchtet worden sind.
81 Ayyıldız Potur, Ayla / Sevinç Kayıhan, Kutlu, »Theoria, Praxis, Poiesis: A Continuum Scheme«, in: Archnet-IJAR International Journal of Architectural Research, 5/2 (2011), S. 119–126, S. 120. 82 Ebd., S. 124.
7. Anhang
7.1 Literaturverzeichnis Frühneuzeitliche Quellentexte und Textausgaben 1494 Pacioli, Luca, Summa de Arithmetica, Geometria, Proportioni et Proportionalità, Paganino Paganini, Venedig. 1490er-Jahre (1. Hälfte) Visconti, Gaspare, »Pasithea«, in: Rime, Mailand, Biblioteca Trivulziana, Codex Triv. 1093, ff.75v–100r. o. J. (um 1496/97) Savonarola, Girolamo, Esposizione sopra l’orazione della Vergine, Florenz. 1496 Gaffurio, Franchino, Practica musice, Mailand. 1498 Pio, Giovanni Battista, Enarrationes allegoricae fabularum fulgentii placiadis, Bartolomeo Calco, Mailand. 1503 Corio, Bernardino, Patria Historia, Alessandro Minuziano, Mailand. 1504 Gaurico, Pomponio, Dialogus De sculptura ad divum Herculem Ferrariae principem, Florenz. 1509 Pacioli, Luca, Divina proportione, Pagano Paganini, Venedig. 1518 Gaffurio, Franchino, De Harmonia Musicorum Instrumentorum Opus, Gottardo da Ponte, Mailand 1518. 1521 Cesariano, Cesare, Di Lucio Vitruvio Pollione de architectura libri decem, Gottardo da Ponte, Como. 1544 Ficino, Marsilio, Sopra lo amore o ver’ convito di Platone, Neri Dorteláta, Florenz. 1548 Rivius, Walter, Vitruvius Teutsch. Nemlichen des aller namhafftigisten und hocherfarensten / Römischen Architect / und Kunstreichen Werck oder Bawmeisters / Marci Vitruvij Pollionis / Zehen Bücher von der Architectur und künstlichem Bawen […], Johan Petreius, Nürnberg. 1550 Vasari, Giorgio, Le vite de’ piu eccellenti pittori, scultori, et architettori, Torrentini, Florenz. 1556 Gelli, Giovanni Battista, Lettura terza sopra lo Inferno di Dante, Florenz. 1559 Taegio, Bartolomeo, La Villa. Dialogo di M. Bartolomeo Taegio, All’Invitissimo, & gloriosissimo Imperatore Ferdinando Primo, Francesco Moscheni, Mailand. 1559 Tolomei, Claudio, De Le Lettere di M. Claudio Tolomei. Libri sette. Con nuova aggiunta ristampate, & con somma diligenza ricorrette, Domenico e Cornelio de’ Nicolini, Venedig. 1564 Minturno, Antonio, L’Arte Poetica, Giovanni Andrea Valvassori, o. O. 1568 Fonteo, Giovanni Battista, Ad Sacrum Caesarem Invictissimi et celementissimi Imperatoris Maximilliani secundi semper Augusti et Maiestatem, BaptistaeFonteij Primionis, In quatuor temporum, et quatuor elementorum ad humanam effigiem a Josepho Arcimboldo caesareo pictore expressorum Caesari ipsi dictatam Picturam Carmen cum Distichis, et Divinatio, cui titulus Clementia est. Viennae Austriae tertio calendas Januaris Anno Domini 1568 – Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Handschriftensammlung Codex 10152
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Anhang
1568 Vasari, Giorgio, Le vite de’ piu eccellenti pittori, scultori, et architettori, Giunti, Florenz. 1582 Tomai, Tomaso, Idea del giardino del mondo, Giovanni Rossi, Bologna. 1583 Sermartelli, Michelangelo (Hg.), Alcune Composizioni di Diversi Autori in Lode del Ritratto della Sabina. Scolpito in Marmo dall’Eccellentißimo M. Giovanni Bologna, posto nella piazza del Serenißimo Gran Duca di Toscana, Florenz. 1584 Lamo, Alessandro, Discorso di Alessandro Lamo intorno alla Scoltura, et Pittura, dove ragiona della Vita, & Opere in molti luoghi, & à diversi Prencipi, & Personaggi fatte dall’Eccell. Nobile M. Bernardino Campo Pittore Cremonese. All’Illustriss. Et Eccellentiss. Sig. il Sig. Vespasiano Gonzaga Colonna Duca di Sabioneta, e Traieto, Marchese d’Hostiano, Conte di Fondi, e Rodigo & c., Cristoforo Draconi, Cremona. 1584 Campi, Bernardino, »Parer Sopra la Pittura«, in: Lamo, Alessandro, Discorso intorno alla scoltura, et pittura, doue ragiona della vita, & opere in molti luoghi, & à diuersi prencipi, et personaggi fatte dall’eccell. et nobile m. Bernardino Campo pittore cremonese, Cremona, Cristoforo Draconi, o. S. 1585 Campi, Antonio, Cremona Fedelissima Citta, et Nobilissima Colonia de Romani reppresentata in Disegno col suo Contado, et illustrata d’una breve Historia delle Cose piu Notabili appartenenti ad Essa, et de i Ritratti Naturali de Duchi et Duchesse di Milano, e Compendio delle lor Vite, Tromba & Bartoli, Cremona. 1587 Mazzoni, Jacopo, Della Difesa della Comedia di Dante. Distinta in Sette Libri. Nella quale si risponde alle oppositioni fatte al Discorso di M. Jacopo Mazzoni, e si tratta pienamente dell’arte Poetica, e di molt’altre cose pertenenti alla Philosophia, & alle belle lettere, Bartolomeo Raverij, Cesena. o. J. (Ende der 1580er-Jahre) Paroli, Giovanni Maria, »Trattato in Compendio della Bellezza, secondo l’opinione di diversi Filosofi«, in: ders., Della Liberalità; e della Belleza. Di Gio. Maria Parolo Cittadino Cremonese. In Casalmaggiore, col consenso dei Superiori, Casalmaggiore, Cremona, S. 2–76. 1589–1608 Poesie in lode di Giov. Ambr. Figino. Collection of sonnets and other verses, chiefly in praise of Giovanni Ambrogio Figino, painter of Milan, and his works, King’s MS 323, British Library, London. 1590 Comanini, Gregorio, De gli Affetti della Mistica Theologia. Tratti dalla Cantica di Salomone, et sparsi di varie guise di Poesie. Ne’ quali favellandosi continuamente con Dio, & spiegandosi i desiderij d un’anima innamorata della divina bellezza, s’eccita maravigliosamente lo spirito alla divotione. Composti, et nuovamente mandati in luce dal R. P. D. Gregorio Comanini Mantovano Canonico Regolare Lateranense, all’Ill. et Ecc. Sign. Don Ferrando Gonzaga, Principe di Molfetta, Duca d’Ariano, & c., Giovanni Battista Somascho, Venedig. 1590 Lomazzo, Giovan Paolo, Idea del tempio della pittura, Paolo Gottardo Pontio, Mailand. 1591 Comanini, Gregorio, Il Figino overo del fine della pittura. Dialogo del Rever. Padre D. Gregorio Comanini Canonico Regolare Lateranese. Ove quistionandosi, se’l fine della pittura sia l’utile, overo il diletto, si tratta dell’uso di quella nel Christianesimo. Et si mostra, qual sia imitator più perfetto, & che più diletti, il Pittore, overo il Poeta, Francesco Osanna, Mantua. 1591 Gherardini, Giovanni Filippo (Hg.), All’invitissimo Cesare Rodolfo Secondo. Componimenti sopra li due quadri Flora, et Vertunno, fatti à Sua Sac. Ces. Maestà da Giuseppe Arcimboldo Milanese, Mailand. 1591 Lomazzo, Giovan Paolo, Della Forma delle Muse, Cavata da gli Antichi Autori Greci, et Latini, opera utilissima à Pittori, & Scultor, Paolo Gottardo Pontio, Mailand. 1594 Borgogni, Gherardo (Hg.), Le Muse Toscane di diversi nobilissimi ingegni dal Sig. Gherardo Borgogni di nuovo posto in luce. Al molto Mag. & Generoso Signore il Sig. Gio. Ambrogio Figino, Comin Ventura, Bergamo. 1595 Morigia, Paolo, La nobiltà di Milano, Mailand. 1598 Borgogni, Gherardo, La fonte del diporto, Comin Ventura, Bergamo.
Literaturverzeichnis
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Anhang
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7.2 Abbildungsverzeichnis Farbtafeln Farbtafel 1 Farbtafel 2
Farbtafel 3 Farbtafel 4 Farbtafel 5 Farbtafel 6 Farbtafel 7 Farbtafel 8 Farbtafel 9 Farbtafel 10 Farbtafel 11 Farbtafel 12 Farbtafel 13
Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Muse Erathon, 1501–1503, Fresko, Detail des Musenzyklus, studiolo, Castello di Voghera – Foto: privat Angelo Maccagnino (?), Erato, Mitte 15. Jahrhundert, Tempera / Holz, 123,5 × 72,1 cm, Teil eines Musenzyklus, ehemals im studiolo von Leonello d’Este im Palazzo Belfiore, Gallerie Estensi, Pinacoteca Nazionale, Ferrara © Su concessione del Ministero per i Beni e le Attività Culturali e per il Turismo – Archivio Fotografico delle Gallerie Estensi – Foto FrameLab Lazzaro Bastiani (?), Muse Erato, Teil des Musenzyklus’ der sogenannten Tarocchi di Mantegna, 1460–1465 ca., Kupferstich mit Blattgold, Biblioteca Ambrosiana, Mailand ©Veneranda Biblioteca Ambrosiana Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Muse Erathon, Detail des Musenzyklus, 1501–1503, Fresko, studiolo, Castello di Voghera (mit Vermessungslinien von Mira Becker-Sawatzky) – Foto: privat Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Anbetung der Könige, um 1495/ 1500, Öl / Holz, 56,8 × 55 cm, National Gallery, London © The National Gallery, London / Scala, Florence Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Anbetung der Könige, um 1495/ 1500, Öl / Holz, 56,8 × 55 cm, National Gallery, London (mit Vermessungs linien von Mira Becker-Sawatzky) Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Madonna mit Kind und Engeln (Madonna Soli Deo), um 1512, Fresko übertragen auf Leinwand, 240 × 135 cm, Pinacoteca di Brera, Mailand © Pinacoteca di Brera, Milano Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Madonna Soli Deo, um 1512, Fresko übertragen auf Leinwand, 240 × 135 cm, Pinacoteca di Brera (mit Vermessungslinien von Mira Becker-Sawatzky) Leonardo da Vinci, Sala delle Asse, Detail der Nordost-Wand, 1498, Fresko, Castello Sforzesco, Mailand © Comune di Milano, tutti i diritti riservati Leonardo da Vinci, Sala delle Asse, 1498, Fresko, Kuppeldecke, Castello Sforzesco, Mailand © Comune di Milano, tutti i diritti riservati Leonardo da Vinci, Polyeder, mit Tempera kolorierte Federzeichnung, aus Luca Paciolis Compendium de divina proportione, 1496–1498 ca., Biblioteca Ambrosiana, Mailand ©Veneranda Biblioteca Ambrosiana Leonardo da Vinci, Porträt eines Mannes mit Notenblatt, 1485–Anfang der 1490er-Jahre, Tempera und Öl / Holz, 44,7 × 32 cm, Pinacoteca Ambrosiana, Mailand ©Veneranda Biblioteca Ambrosiana Mailänder Maler (Marco d’Oggiono zugeschrieben), zwanzigjähriger Mann – sogenanntes Archinto-Porträt, 1494, Öl / Holz, 53,3 × 38,1 cm, National Gallery, London © The National Gallery, London / Scala, Florence
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Bernardo Zenale, Madonna mit Kind und Heiligen in einer Grotte, um 1510, Öl und Tempera / Holz, 177,8 × 123,2 cm, Denver Art Museum, Gift of the Samuel H. Kress Foundation, 1961.173 © Photography courtesy Denver Art Museum Giotto di Bondone, Personifikationen der Tugenden der Justitia und Temperantia und gemalte Steinplatten, Detail aus dem Tugenden- und Lasterzyklus, 1305, Fresko, Sockelzone, Cappella degli Scrovegni, Padua © Photo Scala, Florence Leonardo da Vinci, Porträt der Ginevra de’ Benci, um 1475, Öl / Holz, 38,1 × 37 cm, Ailsa Mellon Bruce Fund, National Gallery of Art, Washington © open access image, National Gallery of Art, Washington Leonardo da Vinci, Lorbeer-, Palm- und Ginsterzweige mit Schriftrolle auf gemalter Porphyrplatte, Rückseite des Porträts der Ginevra de’ Benci, um 1475, Tempera / Holz, 38,1 × 37 cm, Ailsa Mellon Bruce Fund, National Gallery of Art, Washington © open access image, National Gallery of Art, Washington Andrea del Verrocchio, Büste einer Frau mit Blumenbouquet, um 1475, Marmor, 60 cm hoch, Museo Nazionale del Bargello, Florenz © Su concessione del Ministero per i beni e le attività culturali e per il turismo – Museo Nazionale del Bargello Leonardo da Vinci, Dame mit dem Hermelin, um 1490, Öl / Walnussholz, 53,5 × 39,3 cm, Czartoryski Museum, Krakau © Library Stock National Museum in Krakow Giovanni Antonio Piatti, Madonna mit Kind, 1474–1478 ca., Marmorrelief mit Spuren farbiger Fassung, 44 × 45,5 × 16 cm, Museo d’Arte Antica del Castello Sforzesco, Mailand, inv. 1142 © Comune di Milano, tutti i diritti riservati Team lombardischer und eines venezianischen Bildhauers (Cristoforo Mantegazza, Giovanni Antonio Amadeo, Rinaldo de’ Stauris, Antonio Rizzo (?)), Rundgerahmte Figurenbüste (Prophet), Anfang 1490er-Jahre, Terrakotta, Chorrundgang, Certosa di Pavia – Foto: privat Lombardische Bildhauer (u. a. Giovanni Antonio Amadeo), Rundgerahmte männliche Figurenbüsten, 1486–1489 ca., Terrakotta, Ø jeweils 69 cm, ehemals an der Fassade des Banco Mediceo in Mailand, Museo d’Arte Antica del Castello Sforzesco, Mailand, inv. 1539 © Comune di Milano, tutti i diritti riservati Lombardische Bildhauer (u. a. Giovanni Antonio Amadeo), Rundgerahmte männliche Figurenbüste, 1486–1489 ca., Terrakotta, Ø je 69 cm, ehemals an der Fassade des Banco Mediceo in Mailand, Museo d’Arte Antica del Castello Sforzesco, Mailand, inv. 1537 © Comune di Milano, tutti i diritti riservati Agostino de’ Fondulis, unter Leitung bzw. in Kooperation mit Donato Bramante, Ausstattung des oktagonalen Baptisteriums mit Friesen mit testoni und Putti in antikisierendem Dekorationssystem, 1483, Terrakotta, Stuck, Santa Maria presso San Satiro, Mailand – Foto: privat Agostino de’ Fondulis, Rundgerahmte männliche Büsten und Puttifriese, 1483, Terrakotta, Baptisterium, Santa Maria presso San Satiro, Mailand – Foto: privat Agostino de’ Fondulis, Rundgerahmte männliche Büsten und Puttifriese, 1483, Terrakotta, Baptisterium, Santa Maria presso San Satiro, Mailand – Foto: privat Andrea Mantegna, Büste eines römischen Kaisers in Lorbeerkranz auf goldenem Mosaik, Detail Bildprogramm der Deckenmalerei der Camera Picta,
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Anhang 1465–1474, Grisaillemalerei und buntfarbige Freskomalerei, Castello di San Giorgio, Mantua © Photo Scala, Florence Agostino de’ Fondulis, Beweinung, 1483, Terrakotta, nachträglich 1491 polychrom gefasst von Antonio de Raimondi, Sakristei, Santa Maria presso San Satiro, Mailand – Foto: privat Agostino de’ Fondulis, Kopf des Heiligen Sebastian, ehemals eine Halbfigurenbüste, 1480er-Jahre, Terrakotta, Bode-Museum, Staatliche Museen zu Berlin – Foto: privat Agostino de’ Fondulis, Beweinung, um 1520/21, Terrakotta, ehemals Santa Maddalena e Santo Spirito in Crema, heute Palazzo Pignano, Diözese Crema © Beni storici e artistici della diocesi di Crema Leonardo da Vinci, Studie einer männlichen Büste für die Figur des Jakobus d. Ä. im Mailänder Abendmahl, um 1495, und eine architektonische Skizze, Zeichnung, rote Kreide, Feder und Tinte / Papier, 25,2 × 17,2 cm, Royal Collection Trust, Windsor, RCIN 912552 © Her Majesty Queen Elizabeth II 2020 Leonardo da Vinci, Studie einer männlichen Büste für die Figur des Bartholomäus im Mailänder Abendmahl, um 1495, rote Kreide auf rötlich gefärbtem Papier, 19,3 × 14,8 cm, Royal Collection Trust, Windsor, RCIN 912548 © Her Majesty Queen Elizabeth II 2020 Leonardo da Vinci, Studie einer männlichen Büste für die Figur des Judas im Mailänder Abendmahl, um 1495, 18 × 15 cm, Royal Collection Trust, Windsor, RCIN 912547 © Her Majesty Queen Elizabeth II 2020 Leonardo da Vinci, Abendmahl, 1494–1498, Wandmalerei (ölgebundene Ei-Tempera-Mischung), Refektorium, Santa Maria delle Grazie, Mailand © Photo Scala, Florence Andrea da Milano, Abendmahl, 1532, Holzskulpturen, polychrom gefasst von Alberto da Lodi, Santa Maria dei Miracoli, Saronno – Foto: privat Bernardino Luini, Tugendpersonifikation der Stärke, 2. Hälfte 1520er-Jahre, Fresko, Sockelzone, Santa Maria dei Miracoli, Saronno – Foto: privat Gaudenzio Ferrari (Freskomalerei und Leitung der Kuppelausstattung), Andrea da Milano und Giulio Oggioni (Holzskulpturen) sowie Alberto da Lodi (Fassmaler), Mariae Himmelfahrt und Gottvater umgeben von etwa 200 musizierenden Engeln und im Tambur Sibyllen und Propheten, 1534 (Beginn der Arbeiten), polychrom gefasste Holzskulpturen und Freskomalerei, Kuppel, Santa Maria dei Miracoli, Saronno – Foto: privat Gaudenzio Ferrari (Freskomalerei und Leitung der Kuppelausstattung), Andrea da Milano und Giulio Oggioni (Holzskulpturen) sowie Alberto da Lodi (Fassmaler), Mariae Himmelfahrt und Gottvater umgeben von etwa 200 musizierenden Engeln und im Tambur Sibyllen und Propheten, Detailausschnitt der Kuppelausstattung, 1534 (Beginn der Arbeiten), polychrom gefasste Holzskulpturen und Freskomalerei, Santa Maria dei Miracoli, Saronno – Foto: privat Gaudenzio Ferrari (Skulptur und Fassmalerei sowie Freskomalerei), Kreuzigungskapelle, 1517–1520, polychrom gefasste Holzskulptur (Christus am Kreuz), polychrom gefasste Terrakottafiguren, Freskomalerei an Wänden und Decke, Sacro Monte, Varallo © Harald Röhl Gaudenzio Ferrari (Skulptur und Fassmalerei sowie Freskomalerei), Kreuzigungskapelle, 1517–1520, polychrom gefasste Holzskulptur (Christus am Kreuz), polychrom gefasste Terrakottafiguren, Freskomalerei an Wänden und Decke, Sacro Monte, Varallo © Archivio fotografico Ente di gestione dei Sacri Monti, Foto Mariano Dallago
Abbildungsverzeichnis Farbtafel 41 Farbtafel 42 Farbtafel 43 Farbtafel 44 Farbtafel 45 Farbtafel 46
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Gaudenzio Ferrari, Kreuzigungskapelle, Nordwand, 1517–1520, Fresko, Sacro Monte, Varallo© Archivio fotografico Ente di gestione dei Sacri Monti, Foto Riccardo, Marco e Paolo Gonella Giovanni Pietro Rizzoli, genannt Giampietrino, Leda mit ihren Kindern, um 1510/1520, Öl / Holz, Gemäldegalerie Alte Meister, Kassel © Museumslandschaft Hessen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister, Foto: Ute Brunzel Martino Piazza da Lodi und Giovan Pietro Carioni, bildkünstlerische Ausstattung des Innenraums der Kirche Santa Maria dell’Immacolata, 1506, Rivolta d’Adda © Mauro Bonazzoli Martino Piazza da Lodi und Giovan Pietro Carioni, Figurenbüsten in Tondi mit ornamental-fantastischen Grotesken, 1506, Fresko, Santa Maria dell’Immacolata, Rivolta d’Adda – Foto: privat Martino Piazza da Lodi, Männliche Figurenbüste gerahmt von Schmuckband und Grotesken, 1506, Fresko, Santa Maria dell’Immacolata, Rivolta d’Adda © Mauro Bonazzoli Leonardo da Vinci, Lachender Mann mit buschigem Haar, späte 1490erJahre, Zeichnung, Feder und braune Tinte / Papier, 6,6 × 5,4 cm, The J. Paul Getty Museum, Los Angeles, inv. 84.GA.647 © Digital image courtesy of the Getty’s Open Content Program Leonardo da Vinci, Kopf einer alten Person im Profil, um 1495–1505, Zeichnung, rote Kreide / Papier, 99 × 82 mm, die Konturen von Hals, Gesicht und Haaransatz wurden zur Übertragung mit der Nadel gestochen, Hamburger Kunsthalle, inv. 21489 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang Bernardino Luini (?), nach Leonardo da Vinci, Alte Person im Profil, Zeichnung, rote Kreide / Papier, 84 × 70 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, inv. F 263 inf. f. 19 © Veneranda Biblioteca Ambrosiana Giovan Paolo Lomazzo, Sor caputagn nasotra, Zeichnung, rote Kreide / Papier, 123 × 88 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, inv. F 274 f. 23r © Veneranda Biblioteca Ambrosiana Giovan Paolo Lomazzo, Selbstporträt als Maler und Präsident der Accademia della Val di Blenio, um 1568, Öl / Leinwand, 56 × 44 cm, Pinacoteca di Brera, Mailand © Pinacoteca di Brera, Milano nach Sebastiano del Piombo, Mann mit Fellumhang, Hut und Flöte, Öl / Leinwand, Mount Edgecumbe House, Plymouth – No artistic © vested in this image – image supplied by The Box, Plymouth Giovan Paolo Lomazzo, Mann mit Flöte und Hut, 1560er-Jahre, Zeichnung, rote Kreide / Papier, 175 × 130 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, inv. F 271 inf. n. 47 © Veneranda Biblioteca Ambrosiana Giovan Ambrogio Figino, Stillleben mit einem Teller Pfirsiche und Weinblättern, 1591–1594 ca., Öl / Holz, 21 × 29 cm, Privatsammlung Monaco © Privatsammlung Monaco Grottenanlage mit badender Marmor-Nymphe von Antonio Prestinari oder Giulio Cesare Procaccini nach Entwürfen von Francesco Brambilla, 1589 fertiggestellt, Villa von Pirro Visconti Borromeo, Lainate – © Foto Piero Paravidino Fotoclub Fotoinfuga Camillo Procaccini, Fantasiewesen und Grotesken, Detail, 1589 fertiggestellt, Mosaik aus verschiedenen bunt bemalten Kieselsteinen und Muscheln, Decke, Galeriegang zur Grottenanlage, Villa von Pirro Visconti Borromeo, Lainate – Foto: privat Vincenzo Campi, Drei Männer und eine Frau beim Ricotta-Essen, um 1580,
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Anhang Öl / Leinwand, Musée des Beaux-Arts de Lyon © Lyon MBA – photo Alain Basset Giovan Paolo Lomazzo, Vier lachende Personen im Halbfigurenbild mit Katze, Mitte 16. Jahrhundert, Zeichnung, schwarze und rote Kreide, Kohle, Weißhöhungen / Papier, 28 × 43 cm, Gallerie dell’Accademia, Venedig, inv. 1205 © G. A.VE Archivio fotografico – Su concessione del Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo – Gallerie dell’Accademia di Venezia Lombardischer Maler, Vier lachende Personen im Halbfigurenbild mit Katze, Mitte 16. Jahrhundert, Gemälde, Museo dell’Accademia Ligustica, Genua © Genova, Museo dell’Accademia Ligustica di Belle Arti Giuseppe Arcimboldo, Figur aus Früchten, Gemüse und Ähren – der Sommer, 1563, Öl / Lindenholz, 67 × 50,8 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien © KHM-Museumsverband Giuseppe Arcimboldo, Figur aus Fischen und anderen Wassertieren – das Wasser, 1562–1566, Öl / Erlenholz, 66,5 × 50,5 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien © KHM-Museumsverband Giuseppe Arcimboldo, Figur aus Blumen, Gemüse, Früchten und Ähren – Vertumnus, 1589/1590, Öl / Holz, 68 × 56 cm, Skokloster Slott, Skokloster © photo: Erik Lernestål, Skokloster Castle (Public Domain) Bernardino Campi, Bildnis des Vespasiano Gonzaga, 1559, Öl / Holz, 117 × 91,5 cm, Musei Civici, Como © Pinacoteca Civica, Como Giovan Paolo Lomazzo, Allegorie der Malerei, 1564–70, Zeichnung, Kreide, Feder, laviert / Papier, 33,1 × 21,4 cm, Albertina, Wien, inv. 2769 © Albertina, Wien Tiziano Vecellio, Anbetung der Könige, 1557–1560 ca., Öl / Leinwand, 223 × 120 cm, Pinacoteca Ambrosiana, Mailand © Veneranda Biblioteca Ambrosiana Jan Brueghel d. Ä., Vase mit Blumen, Schmetterlingen, Libelle, Maulbeerbaumzweig mit Früchten, Münzen, Muscheln und einer Edelsteinbrosche, 1606, Öl / Kupfer, 65 × 45 cm, Pinacoteca Ambrosiana, Mailand © Veneranda Biblioteca Ambrosiana Daniele Crespi, Die Botschaft der Engel an Josef / Ruhe auf der Flucht nach Ägypten, 1. Hälfte 1620er-Jahre, Öl / Holz, 58,5 × 43,3 cm, Princeton University Art Museum, Princeton © Princeton University Art Museum Daniele Crespi, Groteskes Konzert, um 1620, Öl / Leinwand, 40 × 56 cm, Privatsammlung © Galerie Canesso, Paris
Abbildungen (im Fließtext, schwarz-weiß, kapitelweise nummeriert) Abb. 2.01 Abb. 2.02 Abb. 2.03
Abb. 2.04
Prospectivo Melanese depictore, Frontispiz der Antiquarie prospetiche Romane, Holzschnitt, um 1496, Biblioteca Casanatense, Rom © Roma, Biblioteca Casanatense, MiBACT Prospectivo Melanese depictore, Frontispiz der Antiquarie prospetiche Romane, Holzschnitt, um 1496 (mit Vermessungslinien von Mira Becker-Sawatzky) Lombardischer Künstler, Septizodium, aus dem Codex Monumenta antiqua romana, Zeichnung und Text mit Feder und Tusche / Papier, Universitätsbibliothek, Salzburg, Ital. M III 40, f. 21r © Universitätsbibliothek Salzburg, Handschriftensammlung, M III 40, 21r Macrino d’Alba, Thronende Madonna mit Kind und den Heiligen Hugo von Langres und Hugo von Canterbury, Auferstehung Christi, die Evan-
Abbildungsverzeichnis
Abb. 2.05 Abb. 2.06 Abb. 2.07 Abb. 2.08
Abb. 2.09 Abb. 2.10 Abb. 2.11 Abb. 2.12 Abb. 2.13 Abb. 2.14
Abb. 2.15 Abb. 2.16 Abb. 2.17
Abb. 2.18 Abb. 2.19
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gelisten Matthäus und Lukas, Markus und Johannes, 1496, Polyptychon, Tempera / Holz, 285 × 170 cm, Kapelle des Heiligen Hugo, Certosa di Pavia © Bologna, Fototeca Zeri Leonardo da Vinci, Der heilige Hieronymus in der Wüste, um 1490, Öl, Tempera / Walnussholz, 103 × 75 cm, Palazzi Vaticani, Pinacoteca Vaticana, Vatikanstadt © Bologna, Fototeca Zeri Apollonios, männlicher Torso – sogenannter Torso Belvedere, Fragment, 1. Jahrhundert v. Chr., Marmor, 159 cm hoch, Museo Pio Clementino, Vatikanstadt © Photo Scala, Florence Antonio Pollaiolo, Prospectiva, Detail, Grabmal von Papst Sixtus IV., Bronze, Museo di San Pietro, Sankt Peter, Rom © Bologna, Fototeca Zeri Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Thronende Madonna mit Kind und den Heiligen Ambrosius und Michael – sogenannter Trittico di San Michele / Madonna delle torri, 1515–1520 ca., Altarbild, Tempera und Öl / Holz, 122 × 157 cm, Pinacoteca Ambrosiana, Mailand © Bologna, Fototeca Zeri Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Die Musen Urania und Erathon, Detail, Musenzyklus, 1501–1503, Fresko, studiolo, Castello di Voghera – Foto: privat Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Musen, Detail, Musenzyklus, Fresko, studiolo, Castello di Voghera – Foto: privat Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, und Werkstatt, Landschaft mit Bäumen, Fresko, Durchgangszimmer zum studiolo, Castello di Voghera – Foto: privat Anonym, Die Muse Clio, 130–150 v. Chr. Marmor, 152 × 74 cm, ehemals vom Odeon-Theater der Villa Hadrian, Museo del Prado, Madrid © Museo Nacional del Prado Donato Bramante, Chilon von Sparta, aus dem Zyklus der Sieben Weisen der griechischen Antike, 1477, Fresko, 355,5 × 260,5 cm, Accademia Carrara, Bergamo, inv. 06ACDP00131 © Fondazione Accademia Carrara, Bergamo Giovanni Santi, Die Muse Erato, aus dem Musenzyklus des Tempietto delle Muse des Palazzo Ducale Federico Montefeltros, 1480–1490, Öl / Holz, 82 × 39 cm, Galleria Corsini, Florenz © Galleria Corsini, Firenze, photo Claudio Giusti Frontispiz von Franchino Gaffurios Practica musice (Mailand 1496), Druckgraphik – Foto: privat Abbildung eines menschlichen Profils mit den Vermessungslinien des goldenen Schnitts aus: Pacioli, Luca, Divina proportione (Venedig 1509), Tafel 1 – Foto: privat Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Thronende Madonna mit Kind und den Heiligen Ambrosius und Michael – sogenannter Trittico di San Michele / Madonna delle torri, 1515–1520 ca., Altarbild, Tempera und Öl / Holz, 122 × 157 cm, Pinacoteca Ambrosiana, Mailand (mit Vermessungslinien von Mira Becker-Sawatzky) Leonardo da Vinci, Sala delle Asse, Detail der Nordwest-Wand, 1498, Wandmalerei, Museo d’Arte Antica del Castello Sforzesco, Mailand © Comune di Milano, tutti i diritti riservati Schule von Mailand (Meister der Romanzenhandschrift / Maestro di Paolo e Daria), Eröffnungsseite des dritten Kapitels eines Manuskripts von Gaspare Ambrogio Viscontis Di Paolo e Daria amanti, Ende 15. Jahrhundert, Buchmalerei und Text, Deckfarben auf Pergament, 27 × 17,8 cm, Staatliche Museen
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Anhang zu Berlin, Kupferstichkabinett, Berlin, inv. 78 C 27, f. 29r © bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Jörg P. Anders nach Leonardo da Vinci, Schlaufen- und Knotenformation mit der Inschrift ACADEMIA LEONARDI VINCI – Sechster Knoten, um 1490/1500, Kupferstich, 24,77 × 24,45 cm, Rosenwald Collection, National Gallery of Art, Washington, 1961.17.57.a-e © open access image download National Gallery of Art Washington Leonardo da Vinci, Zeichnungen u. a. von einer Kirche und einem Kirchengrundriss mit Text, um 1490, Feder und Tinte / Papier, Institut de France, Paris, Manuskript B (Ms 2173), f. 95r © RMN-Grand Palais (Institut de France) / René-Gabriel Ojéda Donato Bramante (Donato di Pascuccio), Heraklit und Demokrit, ca. 1486, Fresko auf Leinwand übertragen, 102 × 127 cm, ehemals aus einem Zimmer des Mailänder Palazzo von Gaspare Visconti (später Casa Panigarola), Pinacoteca di Brera © Pinacoteca di Brera, Milano Leonardo da Vinci, Skizzen der fünf regelmäßigen Polyeder mit Annotationen und einer Terzine nach Luca Pacioli sowie Vermessungszeichnungen, 1490er-Jahre, Feder und Tinte / Papier, Institut de France, Paris, Manuskript M (Ms 2183), f. 80v © RMN-Grand Palais (Institut de France) / Michel Urtado Leonardo da Vinci, Anatomische Studien des Kopfes und der zerebralen Ventrikel mit Annotationen und der Skizze einer aufgeschnittenen Zwiebel, 1490–1492 ca., rote Kreide, Feder und Tinte / Papier, Royal Collection Trust, Windsor, RCIN 912603r © Her Majesty Queen Elizabeth II 2020 Antonello di Antonio (Antonello da Messina), Bildnis eines jungen Mannes, um 1475, Öl / Holz, 35,6 × 25,4 cm, National Gallery, London © Fondazione Zeri, Bologna Piero Benci, genannt Piero del Pollaiolo, Bildnis von Galeazzo Maria Sforza, 1471, Tempera / Holz, 65 × 42 cm, Galleria degli Uffizi, Florenz © Su concessione del Ministero per i beni e le attività culturali e per il turismo, Gallerie degli Uffizi Giovanni Antonio Amadeo, Madonna mit Kind, Detail Grabmal der Medea Colleoni, 1470–1480 ca., Marmor, ehemals in Santa Maria di Barsella nahe Urgnano, heute Cappella Colleoni, Bergamo © Bologna, Fototeca Zeri Gian Cristoforo Romano, Porträtbüste der Beatrice d’Este, um 1490, 59,5 × 30 × 24,3 cm, Marmor, Louvre, Paris © Bologna, Fototeca Zeri Francesco Melzi (?), männliche Profilbüste mit Annotationen, rote Kreide, Biblioteca Ambrosiana, Mailand © Veneranda Biblioteca Ambrosiana Teams lombardischer Bildhauer (u. a. Giovanni Antonio Amadeo, Cristoforo und Antonio Mantegazza, Antonio della Porta), Hauptfassade der Certosa di Pavia, 1473–1490er-Jahre, Marmor, Karthause, Pavia – Foto: privat Lombardische Bildhauer, Imagines clipeatae, Detail der Sockelzone der Hauptfassade der Certosa di Pavia, Flachreliefs, Marmor, Karthause, Pavia – Foto: privat Team lombardischer und eines venezianischen Bildhauers (Cristoforo Mantegazza, Giovanni Antonio Amadeo, Rinaldo de’ Stauris, Antonio Rizzo), Detailausschnitt der rundgerahmten Figurenbüsten (Propheten und Aposteln), Anfang 1490er-Jahre, Terrakotta, Chorrundgang, Certosa di Pavia – Foto: privat Team lombardischer und eines venezianischen Bildhauers (Cristoforo Mantegazza, Giovanni Antonio Amadeo, Rinaldo de’ Stauris, Antonio Rizzo), De-
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tailausschnitt der rundgerahmten Figurenbüsten (Propheten und Aposteln), Anfang 1490er-Jahre, Terrakotta, Chorrundgang, Certosa di Pavia – Foto: privat Lombardischer Meister (Ambrogio Bergognone?), figürliche und ornamentale Wandmalerei mit fingierten Puttifriesen, Grotesken und männlichen Büsten in Oculi, um 1490/1495, Freskomalerei, Querschiff, Innenraum, Kirche der Certosa di Pavia © Leonardo Bellotti, Paesaggioitaliano.eu Lombardische Bildhauer (u. a. Giovanni Antonio Amadeo), Rundgerahmte männliche Figurenbüsten, 1486–1489 ca., Terrakotta, Ø jeweils 69 cm, ehemals an der Fassade des Banco Mediceo in Mailand, Museo d’Arte Antica del Castello Sforzesco, Mailand, inv. 1535 © Comune di Milano, tutti i diritti riservati Lombardische Bildhauer (u. a. Giovanni Antonio Amadeo), Rundgerahmte männliche Figurenbüsten, 1486–1489 ca., Terrakotta, Ø jeweils 69 cm, ehemals an der Fassade des Banco Mediceo in Mailand, Museo d’Arte Antica del Castello Sforzesco, Mailand, inv. 1538 © Comune di Milano, tutti i diritti riservati Agostino de’ Fondulis, unter Leitung bzw. in Kooperation mit Donato Bramante, Ausstattung des oktagonalen Baptisteriums mit Friesen mit testoni und Putti in antikisierendem Dekorationssystem, 1483, Terrakotta, Stuck, Santa Maria presso San Satiro, Mailand – Foto: privat Agostino de’ Fondulis, Rundgerahmte männliche Büsten und Puttifriese, 1483, Terrakotta, Baptisterium, Santa Maria presso San Satiro, Mailand – Foto: privat Agostino de’ Fondulis, Beweinung, 1483, Terrakotta, nachträglich 1491 polychrom gefasst von Antonio de Raimondi, Sakristei, Santa Maria presso San Satiro, Mailand – Foto: privat Bernardino Luini, Anbetung der Könige, 2. Hälfte der 1520er-Jahre, Fresko, Santa Maria dei Miracoli, Saronno – Foto: privat Bernardino Luini, Darbringung im Tempel, 2. Hälfte der 1520er-Jahre, Fresko, Santa Maria dei Miracoli, Saronno – Foto: privat Bernardino Luini, Tugendpersonifikation der Stärke, Detail, 2. Hälfte der 1520er-Jahre, Fresko, Sockelzone, Santa Maria dei Miracoli, Saronno – Foto: privat Gaudenzio Ferrari (Freskomalerei und Leitung der Kuppelausstattung), Andrea da Milano und Giulio Oggioni (Holzskulpturen) sowie Alberto da Lodi (Fassmaler), Mariae Himmelfahrt und Gottvater umgeben von etwa 200 musizierenden Engeln und im Tambur Sibyllen und Propheten, 1534 (Beginn der Arbeiten), polychrom gefasste Holzskulpturen und Freskomalerei, Kuppel, Santa Maria dei Miracoli, Saronno – Foto: privat Gaudenzio Ferrari, Tramezzo mit Szenen aus dem Leben und Leidensweg Christi, 1513, bemalte Chorschranke, Santa Maria delle Grazie, Varallo © DeAgostini Picture Library / Scala, Florence Gaudenzio Ferrari, Christus vor Pilatus, Detail, Tramezzo mit Szenen aus dem Leben und Leidensweg Christi, 1513, bemalte Chorschranke, Santa Maria delle Grazie, Varallo © Bologna, Fototeca Zeri Gaudenzio Ferrari (Skulptur und Fassmalerei sowie Freskomalerei), Kreuzigungskapelle, 1517–1520, polychrom gefasste Holzskulptur (Christus am Kreuz), polychrom gefasste Terrakottafiguren, Freskomalerei an Wänden und Decke, Sacro Monte, Varallo © Harald Röhl Gaudenzio Ferrari, Ostwand der Kreuzigungskapelle, 1517–1520, Fresko-
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Anhang malerei, Sacro Monte, Varallo © Archivio fotografico Ente di gestione dei Sacri Monti, Foto Riccardo, Marco e Paolo Gonella Gaudenzio Ferrari, Südwand der Kreuzigungskapelle, 1517–1520, Freskomalerei, Sacro Monte, Varallo © Archivio fotografico Ente di gestione dei Sacri Monti, Foto Riccardo, Marco e Paolo Gonella Leonardo da Vinci, Proportionsstudie eines Mannes in Kombination mit Text (Vitruvianischer Mann), um 1490, Bleigriffel, Feder und Tusche / Papier, 343 × 246 cm, Gallerie dell’Accademia, Venedig, inv. 228 © G. A.VE Archivio fotografico – Su concessione del Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo – Gallerie dell’Accademia di Venezia Michelangelo Buonarroti, Studie eines sitzenden und sich drehenden nackten Mannes, um 1503–1505, Zeichnung, Feder und braune Tinte, graue und braune Tusche mit Weißhöhen über Bleigriffel und Silberstift / Papier, 419 × 286 mm, British Museum, London, inv. 1887,0502.116 © The Trustees of the British Museum Michelangelo Buonarroti, Entwurf für das Medici-Grabmal in der neuen Sakristei, 1520–21, Zeichnung, schwarze Kreide, 262 × 187 mm, British Museum, London, inv. 1859,0514.822, recto © The Trustees of the British Museum Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Argo, 1490, Fresko, Castello Sforzesco, Pinacoteca del Castello Sforzesco, Mailand © Comune di Milano, tutti i diritti riservati Lombardischer Künstler (Bramantino?), Diana-Tempel in Rom, Zeichnung, aus dem Codex Rovine di Roma, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, Codex Rovine di Roma, fol. 80v © Veneranda Biblioteca Ambrosiana Antonio Mantegazza (zugeschrieben), Geißelung Christi, um 1481, ehemals Teil der Predella eines Polyptychons, Marmorrelief mit Spuren farblicher Fassung, Certosa di Pavia – Foto: privat Bernardo Prevedari nach einer Zeichnung Donato Bramantes, Innenansicht einer Kirchen- oder Tempelruine – sogenannter Prevedari-Stich, 1481, Druckgraphik, 708 × 512 mm, British Museum, London, inv. V, 1.69 © The Trustees of the British Museum Leonardo da Vinci, Heiliger Sebastian, um 1481, Zeichnung, Feder in brauner Tinte über Kohle / Papier, 173 × 63 mm, Hamburger Kunsthalle, Hamburg, inv. 21489 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang Leonardo da Vinci, Studie eines Pferdes und einer knienden Frauenfigur (Leda), 1503/1504 ca., Zeichnung, schwarze Kreide, Feder und braune Tinte / Papier, 28,7 × 40,5 cm, Royal Collection Trust, Windsor, RCIN 912337r © Her Majesty Queen Elizabeth II 2020 Leonardo da Vinci, Leda mit dem Schwan, um 1505, Zeichnung, Feder, braune Tinte, braune Tusche, schwarze Kreide / Papier, Devonshire Collec tions, Chatsworth © The Devonshire Collections, Chatsworth. Reproduced by permission of Chatsworth Settlement Trustees Römisch antiker Bildhauer, Aphrodite / Venus auf einer Schildkröte kniend, 2. Jahrhundert n. Chr. (Kopie einer hellenistischen Skulptur des 1. Jahrhunderts v. Chr., Marmor, 128 cm hoch, Museo Nacional del Prado, Madrid ©Museo Nacional del Prado Giovanni Pietro Rizzoli, genannt Giampietrino, oder Andrea Solario, Zeichnung der Marmorstatue der auf einer Schildkröte knienden Aphrodite, Tuschezeichnung auf gefärbtem Papier, 19 × 11,5 cm, Gallerie dell’Accademia, Venedig, inv. 1136 © G. A.VE Archivio fotografico – Su concessione
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del Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo – Gallerie dell’Accademia di Venezia Francesco Melzi (zugeschrieben), Leda mit dem Schwan – sogenannte Leda Spiridon, um 1515, Gemälde, 130 × 77,5 cm, Gallerie degli Uffizi, Florenz © Su concessione del Ministero per i beni e le attività culturali e per il turismo, Gallerie degli Uffizi Leonardo da Vinci, geometrische Studien und Textpassagen und inmitten die Skizze einer stehenden Frauenfigur (Leda), Zeichnung, Feder und Tinte / Papier, Codex Atlanticus, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, Codex Atlanticus f. 423r © Veneranda Biblioteca Ambrosiana Italienischer Bildhauer, Leda mit dem Schwan, 1. Drittel 16. Jahrhundert, Alabaster, 43 cm hoch, Kunstkammer, Kunsthistorisches Museum, Wien, inv. KK_4382 © KHM-Museumsverband Gian Cristoforo Romano in Zusammenarbeit mit Benedetto Briosco, Grabmonument von Gian Galeazzo Visconti, 1. Hälfte der 1490er-Jahre, Marmor, Certosa di Pavia – Foto: privat Agostino Busti, genannt il Bambaia, Personifikation der Stärke, 1517–1522, Marmor, 71,6 × 30,2 × 21 cm, Victoria & Albert Museum, London © Victoria and Albert Museum, London Antonio Prestinari und Giulio Cesare Procaccini nach Entwürfen von Francesco Brambilla, Nymphe, Marmor, Grottenanalage der Villa von Pirro Visconti Borromeo, Lainate – Foto: privat Martino Piazza da Lodi und Giovan Pietro Carioni, Figurenbüsten gerahmt von Schmuckbändern und ornamental-fantastischen Grotesken, Detail, 1506, Fresko, Kuppel, Santa Maria dell’Immacolata, Rivolta d’Adda – Foto: privat Martino Piazza da Lodi und Giovan Pietro Carioni, Figurenbüsten gerahmt von Schmuckbändern und ornamental-fantastischen Grotesken, Detail, 1506, Fresko, Kuppel, Santa Maria dell’Immacolata, Rivolta d’Adda – Foto: privat Martino Piazza da Lodi oder Giovan Pietro Carioni, Weibliche Figurenbüste gerahmt von Schmuckbändern und Grotesken, Detail, 1506, Fresko, Kuppel, Santa Maria dell’Immacolata, Rivolta d’Adda © Mauro C. Bonazzoli Martino Piazza da Lodi, Männliche Figurenbüste gerahmt von Schmuckbändern und Grotesken, Detail, 1506, Fresko, Kuppel, Santa Maria dell’Immacolata, Rivolta d’Adda – Foto: privat Bernardino di Betto di Biagio, genannt Pinturicchio, Grotesken als Rahmenwerk von Apostel- und Prophetendarstellungen, Detail, 1492–1494, Fresko, Appartamento Borgia, Palazzi Vaticani, Vatikanstadt © Bologna, Fototeca Zeri nach Leonardo da Vinci, Studien wohlgeformter und deformer Profile, Zeichnung, Feder und braune Tinte / Papier, 166 × 198 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, F 263 inf., f. 98 © Veneranda Biblioteca Ambrosiana Leonardo da Vinci, Groteske alte Frau mit Haube und Rose im Dekolleté, 1489/1490, Feder und braune Tinte / Papier, 6,4 × 5,2 cm, The Woodner Collections, Leihgabe an die National Gallery of Art, Washington, inv. 74585 © private collection Francesco Melzi nach Zeichnungen Leonardos, Fünf groteske Figurenbüsten, Federzeichnung, 18 × 12 cm, 1510er-Jahre – Mitte 16. Jahrhundert ca., Gallerie dell’Accademia, Venedig, inv. 229 © G. A.VE Archivio fotografico – Su concessione del Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo – Gallerie dell’Accademia di Venezia
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Anhang Francesco Melzi nach Zeichnungen Leonardos, Sieben groteske Figurenbüsten, Federzeichnung, 18 × 12 cm, 1510er-Jahre – Mitte 16. Jahrhundert ca., Gallerie dell’Accademia, Venedig, inv. 227b © G. A.VE Archivio fotografico – Su concessione del Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo – Gallerie dell’Accademia di Venezia Florentiner Künstler, Groteskes Paar in ornamental verziertem Rahmen mit musizierenden Putti und der Inschrift ›Dammi conforto‹, Tondo, um 1465–1480, Kupferstich / Papier, British Museum, London, inv. 1852,0424.2 © The Trustees of the British Museum Girolamo della Porta, Grotesker Mann mit Hut, mit der Inschrift Signor Constantino Valperga und der Signatur des Künstlers, 1510er-/1520er-Jahre, Zeichnung, Feder und braune Tinte / Papier, 133 × 80 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, inv. F 274 inf., f. 37 © Veneranda Biblioteca Ambrosiana Girolamo della Porta, Alte Frau – La Cipolla, 1510er-/1520er-Jahre, Zeichnung, Feder und braune Tinte / Papier, 130 × 74 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, inv. 274 inf., f. 52 © Veneranda Biblioteca Ambrosiana Giovan Paolo Lomazzo, Mann mit Maske auf dem Kopf, Ende 1550er-/1560erJahre, Zeichnung, Feder und braune Tinte sowie schwarze Kreide / Papier, 361 × 262 mm, British Museum, London, inv. 1860.0616.60 © The Trustees of the British Museum Aurelio Luini, Männliche Büste – Or compà digliagor, 1570er-Jahre, Federzeichnung, 12,3 × 8,6 cm, Musée du Louvre, Paris, inv. 2652 recto © RMNGrand Palais (musée du Louvre)/Thierry Le Mage Quentin Massys, Groteske alte Frau, um 1525/1530, Öl / Eichenholz, 64,1 × 45,5 cm, National Gallery, London, inv. 3572 © 2020. The National Gallery, London / Scala, Florence Francesco Melzi nach Leonardo da Vinci, Groteske Frau mit Blume im Dekolleté gegenüber einem grotesken alten Mann im Halbfigurenausschnitt, Zeichnung, Feder und braune Tinte / Papier, 4,5 × 9,9 cm, National Gallery of Art, Washington, 1980.63.1 © open access image download – National Gallery of Art Washington Philippe de Soye nach Leonardo da Vinci, Büste eines alten Mannes und dreier alter Frauen, Druckgraphik, Plantin Moretus Museum, Antwerpen, inv. PK.OP.14794 © Museum Plantin-Moretus (Printroom collection), Antwerp – UNESCO, World Heritage Giovanni Ambrogio Brambilla, Acht groteske Porträts der Götter des Olymps, 1580er-Jahre, Kupferstich, 26,2 × 19,3 cm, Gabinetto dei Disegni e delle Stampe degli Uffizi, Florenz, inv. 10554 © Su concessione del Ministero per i beni e le attività culturali e per il turismo, Gallerie degli Uffizi Frontispiz, Giovan Paolo Lomazzo und die Facchini della Val di Blenio, Rabisch (Mailand 1589), Druckgraphik – Foto: privat Giovan Paolo Lomazzo, Kopf eines Henkers – groteskes Selbstporträt mit Inschrift: Or boglia [vedì] igno / che porta ol capelasc inscima al c[ap]o, Zeichnung, schwarze Kreide mit Feder und brauner Tinte / Papier, 119 × 92 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, F 274 inf. n. 20 © Veneranda Biblioteca Ambrosiana Giovan Paolo Lomazzo, Anbetung der Hirten, Mitte 1560er-Jahre, Fresko, Chiesa della Purificazione, Caronno Pertusella – Foto: privat Giovan Francesco Bicesi, genannt Il Fornarino, sich windende Äste von Maulbeerbäumen, um 1585, Fresko, Treppenhaus, Palazzo del Giardino, Sabbioneta – Foto: privat
Abbildungsverzeichnis Abb. 4.23 Abb. 4.24 Abb. 4.25
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Abb. 4.27 Abb. 4.28 Abb. 4.29 Abb. 4.30
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Umkreis Leonardos, Profilbüste einer jungen Frau mit Efeukranz im Haar, Tondo, 1490–1510, Kupferstich / Papier, 136 × 130 mm, British Museum, London, inv. 1850,1109.92 © The Trutees of the British Museum Giovan Paolo Lomazzo, Selbstporträt, ca. 1560, Öl / Papier auf Eichenholz, Tondo, Ø 39 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien, inv. 342 © KHM-Museumsverband Nymphe (von Giulio Cesare Procaccini nach Entwürfen Francesco Brambillas) und Satyr (lombardischer Künstler) mit Flöte in Grotten, Marmorskulpturen in Tropfstein-, Muschel- und Tuffstein-Grottenanlage, 1589 fertiggestellt, Villa von Pirro Visconti Borromeo, Lainate © Comune di Lainate, Foto Gualberto Zunino Lombardischer Künstler nach Entwürfen von Francesco Brambilla, Venus und Cupid umgeben von Grotten und Grotesken, fertiggestellt 1589, Skulpturen, Steinformationen und Mosaik, Foyer der Grottenanlage, Villa von Pirro Visconti Borromeo, Lainate – Foto: privat Camillo und / oder Carlo Antonio Procaccini. Ornamentale Grotesken mit einer Vignette der Galatea, 1590–1595 ca., Fresko, Empfangraum, Villa von Pirro Visconti Borromeo, Lainate – Foto: privat Camillo Procaccini, Mosaike aus bunt bemalten Steinen und Muscheln, 1589 fertiggestellt, Galeriegang zur Grottenanlage, Villa von Pirro Visconti Borromeo, Lainate – Foto: privat Giovan Francesco Bicesi, genannt il Fornarino, oder Bernardino Campi (?), Grazien in Grotesken, 1580er-Jahre, Fresko, Camerino delle Grazie, Sabbioneta – Foto: privat Sofonisba Anguissola, Mädchen mit Korb und Junge, der von einer Krabbe gebissen wird, um 1554, Kohle und Bleistift / Papier, 33,3 × 38,5 cm, Gabinetto Disegni e Stampe, Museo e Real Bosco di Capodimonte, Neapel, GDS 1039 © Su concessione del Ministero per i Beni e le Attività Culturali e per il Turismo – Museo e Real Bosco di Capodimonte Giovanni Ambrogio Brambilla (zugeschrieben), Figuren aus Früchten, Gemüse und Ähren – Frühling und Sommer, Druckgraphik, 17,3 × 23,1 cm, Nationalmuseum, Stockholm, inv. 400/1904 © Photo Hans Thorwid / Nationalmuseum Stockholm Giovanni Ambrogio Brambilla, Figuren aus Früchten, Blättern und Ästen – Herbst und Winter, Druckgraphik, 17,2 × 23,5 cm, Nationalmuseum, Stockholm, inv. 401/1904 © Photo Hans Thorwid / Nationalmuseum Stockholm Giuseppe Arcimboldo, Stillleben mit einer Schale voller Gemüse und Nüsse / Kopf, zusammengesetzt aus Gemüse, Nüssen und einer Schale als Hut – Ortolano, 1587–1593, Öl / Leinwand, 35,8 × 24,2 cm, Museo Civico Ala Ponzone, Cremona © Bologna, Fototeca Zeri Gregorio Comanini, Il Figino overo il fine della pittura (Mantua 1591), S. 32 f. – Foto: privat Porträtmedaille Bernardino Campis, Druckgraphik, aus: Lamo, Alessandro, Discorso di Alessandro Lamo intorno alla Scoltura, et Pittura, dove ragiona della Vita, & Opere in molti luoghi, & à diversi Prencipi, & Personaggi fatte dall’Eccell. Nobile M. Bernardino Campo Pittore Cremonese, Cristoforo Draconi, Cremona 1584 – Foto: privat Umkreis Bernardino Campis, Anbetung der Hirten, 1570er-Jahre, Öl / Leinwand, 220 × 145 cm, Privatsammlung © Bologna, Fototeca Zeri
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Anhang Antonio Campi, Die Heilige Katharina von Alexandrien wird im Gefäng nis von der Kaiserin Faustina besucht, 1584, Öl, Tempera / Leinwand, 400 × 500 cm, San Angelo, Mailand © Bologna, Fototeca Zeri Marilena Cassimatis’ Graphik zu Lomazzos Idea del tempio della pittura (1590) aus: Cassimatis, Marilena Z., Zur Kunsttheorie des Malers GiovanniPaolo Lomazzo (1538–1600), Frankfurt am Main / Bern / New York 1985, S. 75 – Foto: privat Ercole Procaccini d. J., Sitzender männlicher Akt und Kopfstudie, Zeichnung, rote Kreide / weißes Papier, 460 × 320 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, F 255 inf. n. 1997 © Veneranda Biblioteca Ambrosiana Lombardischer Künstler (einem Schüler der Accademia Ambrosiana zugeschr.), Studie der Figur des Laokoon, vermutl. 1622, Zeichnung, schwarze und weiße Kreide / blau grundiertes Papier, 105 × 125 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, F246 inf. n.43 © Veneranda Biblioteca Ambrosiana / Mondadori Portfolio Michelangelo Merisi da Caravaggio, Früchtekorb, 1597–1600 ca., Öl / Leinwand, 54,5 × 67,5 cm, Pinacoteca Ambrosiana, Mailand © Bologna, Fototeca Zeri Bernardino Luini, Heilige Familie mit der Heiligen Anna und dem Heiligen Johannes, 1520–1530 ca., Tempera, Öl / Holz, 118 × 92 cm, Pinacoteca Ambrosiana, Mailand © Bologna, Fototeca Zeri Leonardo da Vinci, Heilige Familie mit der Heiligen Anna und dem Heiligen Johannes – der sogenannte Burlington House Karton, um 1499/1500, Kohle mit weißer Kreide / Papier auf Leinwand, 141,5 × 104,5 cm, National Gallery, London, inv. NG6337 © Scala Archives Bernardino Luini, Jesuskind mit Lamm, um 1525, Tempera, Öl / Holz, 28 × 25 cm, Pinacoteca Ambrosiana, Mailand © Bologna, Fototeca Zeri
7.3 Farbtafeln
Farbtafel 1: Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Muse Erathon, 1501–1503, Fresko, Detail des Musenzyklus, studiolo, Castello di Voghera – Foto: privat
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Anhang
Farbtafel 2: Angelo Maccagnino (?), Erato, Mitte 15. Jahrhundert, Tempera / Holz, 123,5 × 72,1 cm, Teil eines Musenzyklus, ehemals im studiolo von Leonello d’Este im Palazzo Belfiore, Gallerie Estensi, Pinacoteca Nazionale, Ferrara © Su concessione del Ministero per i Beni e le Attività Culturali e per il Turismo – Archivio Fotografico delle Gallerie Estensi – Foto FrameLab
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Farbtafeln
Farbtafel 3: Lazzaro Bastiani (?), Muse Erato, Teil des Musenzyklus’ der sogenannten Tarocchi di Mantegna, 1460–1465 ca., Kupferstich mit Blattgold, Biblioteca Ambrosiana, Mailand ©Veneranda Biblioteca Ambrosiana
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Anhang
Farbtafel 4: Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Muse Erathon, Detail des Musenzyklus, 1501–1503, Fresko, studiolo, Castello di Voghera (mit Vermessungslinien von Mira Becker-Sawatzky) – Foto: privat
Farbtafeln
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Farbtafel 5: Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Anbetung der Könige, um 1495/1500, Öl / Holz, 56,8 × 55 cm, National Gallery, London © The National Gallery, London / Scala, Florence
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Anhang
Farbtafel 6: Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Anbetung der Könige, um 1495/1500, Öl / Holz, 56,8 × 55 cm, National Gallery, London (mit Vermessungslinien von Mira BeckerSawatzky)
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Farbtafeln
Farbtafel 7: Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Madonna mit Kind und Engeln (Madonna Soli Deo), um 1512, Fresko übertragen auf Leinwand, 240 × 135 cm, Pinacoteca di Brera, Mailand © Pinacoteca di Brera, Milano
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Anhang
Farbtafel 8: Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, Madonna Soli Deo, um 1512, Fresko übertragen auf Leinwand, 240 × 135 cm, Pinacoteca di Brera (mit Vermessungslinien von Mira Becker-Sawatzky)
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Farbtafeln
Farbtafel 9: Leonardo da Vinci, Sala delle Asse, Detail der Nordost-Wand, 1498, Fresko, Castello Sforzesco, Mailand © Comune di Milano, tutti i diritti riservati
602
Anhang
Farbtafel 10: Leonardo da Vinci, Sala delle Asse, 1498, Fresko, Kuppeldecke, Castello Sfor zesco, Mailand © Comune di Milano, tutti i diritti riservati
Farbtafeln
Farbtafel 11: Leonardo da Vinci, Polyeder, mit Tempera kolorierte Federzeichnung, aus Luca Paciolis Compendium de divina proportione, 1496–1498 ca., Biblioteca Ambrosiana, Mailand ©Veneranda Biblioteca Ambrosiana
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Anhang
Farbtafel 12: Leonardo da Vinci, Porträt eines Mannes mit Notenblatt, 1485–Anfang der 1490er-Jahre, Tempera und Öl / Holz, 44,7 × 32 cm, Pinacoteca Ambrosiana, Mailand ©Veneranda Biblioteca Ambrosiana
Farbtafeln
Farbtafel 13: Mailänder Maler (Marco d’Oggiono zugeschrieben), zwanzigjähriger Mann – sogenanntes Archinto-Porträt, 1494, Öl / Holz, 53,3 × 38,1 cm, National Gallery, London © The National Gallery, London / Scala, Florence
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Anhang
Farbtafel 14: Bernardo Zenale, Madonna mit Kind und Heiligen in einer Grotte, um 1510, Öl und Tempera / Holz, 177,8 × 123,2 cm, Denver Art Museum, Gift of the Samuel H. Kress Foundation, 1961.173 © Photography courtesy Denver Art Museum
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Farbtafel 15: Giotto di Bondone, Personifikationen der Tugenden der Justitia und Temperantia und gemalte Steinplatten, Detail aus dem Tugenden- und Lasterzyklus, 1305, Fresko, Sockelzone, Cappella degli Scrovegni, Padua © Photo Scala, Florence
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Anhang
Farbtafel 16: Leonardo da Vinci, Porträt der Ginevra de’ Benci, um 1475, Öl / Holz, 38,1 × 37 cm, Ailsa Mellon Bruce Fund, National Gallery of Art, Washington © open access image, National Gallery of Art, Washington
Farbtafeln
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Farbtafel 17: Leonardo da Vinci, Lorbeer-, Palm- und Ginsterzweige mit Schriftrolle auf gemalter Porphyrplatte, Rückseite des Porträts der Ginevra de’ Benci, um 1475, Tempera / Holz, 38,1 × 37 cm, Ailsa Mellon Bruce Fund, National Gallery of Art, Washington © open access image, National Gallery of Art, Washington
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Anhang
Farbtafel 18: Andrea del Verrocchio, Büste einer Frau mit Blumenbouquet, um 1475, Marmor, 60 cm hoch, Museo Nazionale del Bargello, Florenz © Su conces sione del Ministero per i beni e le attività culturali e per il turismo – Museo Nazionale del Bargello
Farbtafeln
Farbtafel 19: Leonardo da Vinci, Dame mit dem Hermelin, um 1490, Öl / Walnussholz, 53,5 × 39,3 cm, Czartoryski Museum, Krakau © Library Stock National Museum in Krakow
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Farbtafel 20: Giovanni Antonio Piatti, Madonna mit Kind, 1474–1478 ca., Marmorrelief mit Spuren farbiger Fassung, 44 × 45,5 × 16 cm, Museo d’Arte Antica del Castello Sforzesco, Mailand, inv. 1142 © Comune di Milano, tutti i diritti riservati
Farbtafeln
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Farbtafel 21: Team lombardischer und eines venezianischen Bildhauers (Cristoforo Man tegazza, Giovanni Antonio Amadeo, Rinaldo de’ Stauris, Antonio Rizzo (?)), Rundgerahmte Figurenbüste (Prophet), Anfang 1490er-Jahre, Terrakotta, Chorrundgang, Certosa di Pavia – Foto: privat
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Farbtafel 22: Lombardische Bildhauer (u. a. Giovanni Antonio Amadeo), Rundgerahmte männliche Figurenbüste, 1486–1489 ca., Terrakotta, Ø jeweils 69 cm, ehemals an der Fassade des Banco Mediceo in Mailand, Museo d’Arte Antica del Castello Sforzesco, Mailand, inv. 1539 © Comune di Milano, tutti i diritti riservati
Farbtafeln
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Farbtafel 23: Lombardische Bildhauer (u. a. Giovanni Antonio Amadeo), Rundgerahmte männliche Figurenbüste, 1486–1489 ca., Terrakotta, Ø je 69 cm, ehemals an der Fassade des Banco Mediceo in Mailand, Museo d’Arte Antica del Castello Sforzesco, Mailand, inv. 1537 © Comune di Milano, tutti i diritti riservati
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Farbtafel 24: Agostino de’ Fondulis, unter Leitung bzw. in Kooperation mit Donato Bramante, Ausstattung des oktagonalen Baptisteriums mit Friesen mit testoni und Putti in antikisierendem Dekorationssystem, 1483, Terrakotta, Stuck, Santa Maria presso San Satiro, Mailand – Foto: privat
Farbtafeln
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Farbtafel 25: Agostino de’ Fondulis, Rundgerahmte männliche Büsten und Puttifriese, 1483, Terrakotta, Baptisterium, Santa Maria presso San Satiro, Mailand – Foto: privat
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Farbtafel 26: Agostino de’ Fondulis, Rundgerahmte männliche Büsten und Puttifriese, 1483, Terrakotta, Baptisterium, Santa Maria presso San Satiro, Mailand – Foto: privat
Farbtafeln
Farbtafel 27: Andrea Mantegna, Büste eines römischen Kaisers in Lorbeerkranz auf goldenem Mosaik, Detail Bildprogramm der Deckenmalerei der Camera Picta, 1465–1474, Grisaillemalerei und buntfarbige Freskomalerei, Castello di San Giorgio, Mantua © Photo Scala, Florence
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Farbtafel 28: Agostino de’ Fondulis, Beweinung, 1483, Terrakotta, nachträglich 1491 polychrom gefasst von Antonio de Raimondi, Sakristei, Santa Maria presso San Satiro, Mailand – Foto: privat
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Farbtafel 29: Agostino de’ Fondulis, Kopf des Heiligen Sebastian, ehemals eine Halbfigurenbüste, 1480er-Jahre, Terrakotta, Bode-Museum, Staatliche Museen zu Berlin – Foto: privat
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Farbtafel 30: Agostino de’ Fondulis, Beweinung (Detail), um 1520/21, Terrakotta, ehemals Santa Maddalena e Santo Spirito in Crema, heute Palazzo Pignano, Diözese Crema © Beni storici e artistici della diocesi di Crema
Farbtafeln
Farbtafel 31: Leonardo da Vinci, Studie einer männlichen Büste für die Figur des Jakobus d. Ä. im Mailänder Abendmahl, um 1495, und eine architektonische Skizze, Zeichnung, rote Kreide, Feder und Tinte / Papier, 25,2 × 17,2 cm, Royal Collection Trust, Windsor, RCIN 912552 © Her Majesty Queen Elizabeth II 2020
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Farbtafel 32: Leonardo da Vinci, Studie einer männlichen Büste für die Figur des Bartholomäus im Mailänder Abendmahl, um 1495, rote Kreide auf rötlich gefärbtem Papier, 19,3 × 14,8 cm, Royal Collection Trust, Windsor, RCIN 912548 © Her Majesty Queen Elizabeth II 2020
Farbtafeln
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Farbtafel 33: Leonardo da Vinci, Studie einer männlichen Büste für die Figur des Judas im Mailänder Abendmahl, um 1495, 18 × 15 cm, Royal Collection Trust, Windsor, RCIN 912547 © Her Majesty Queen Elizabeth II 2020
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Anhang
Farbtafel 34: Leonardo da Vinci, Abendmahl, 1494–1498, Wandmalerei (ölgebundene Ei-Tempera-Mischung), Refektorium, Santa Maria delle Grazie, Mailand © Photo Scala, Florence
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Farbtafel 35: Andrea da Milano, Abendmahl, 1532, Holzskulpturen, polychrom gefasst von Alberto da Lodi, Santa Maria dei Miracoli, Saronno – Foto: privat
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Anhang
Farbtafel 36: Bernardino Luini, Tugendpersonifikation der Stärke, 2. Hälfte 1520erJahre, Fresko, Sockelzone, Santa Maria dei Miracoli, Saronno – Foto: privat
Farbtafeln
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Farbtafel 37: Gaudenzio Ferrari (Freskomalerei und Leitung der Kuppelausstattung), Andrea da Milano und Giulio Oggioni (Holzskulpturen) sowie Alberto da Lodi (Fassmaler), Mariae Himmelfahrt und Gottvater umgeben von etwa 200 musizierenden Engeln und im Tambur Sibyllen und Propheten, 1534 (Beginn der Arbeiten), polychrom gefasste Holzskulpturen und Freskomalerei, Kuppel, Santa Maria dei Miracoli, Saronno – Foto: privat
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Anhang
Farbtafel 38: Gaudenzio Ferrari (Freskomalerei und Leitung der Kuppelausstattung), Andrea da Milano und Giulio Oggioni (Holzskulpturen) sowie Alberto da Lodi (Fassmaler), Mariae Himmelfahrt und Gottvater umgeben von etwa 200 musizierenden Engeln und im Tambur Sibyllen und Propheten, Detailausschnitt der Kuppelausstattung, 1534 (Beginn der Arbeiten), polychrom gefasste Holzskulpturen und Freskomalerei, Santa Maria dei Miracoli, Saronno – Foto: privat
Farbtafeln
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Farbtafel 39: Gaudenzio Ferrari (Skulptur und Fassmalerei sowie Freskomalerei), Kreuzigungskapelle, 1517–1520, polychrom gefasste Holzskulptur (Christus am Kreuz), polychrom gefasste Terrakottafiguren, Freskomalerei an Wänden und Decke, Sacro Monte, Varallo © Harald Röhl
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Anhang
Farbtafel 40: Gaudenzio Ferrari (Skulptur und Fassmalerei sowie Freskomalerei), Kreuzigungskapelle, 1517–1520, polychrom gefasste Holzskulptur (Christus am Kreuz), polychrom gefasste Terrakottafiguren, Freskomalerei an Wänden und Decke, Sacro Monte, Varallo © Archivio fotografico Ente di gestione dei Sacri Monti, Foto Mariano Dallago
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Farbtafel 41: Gaudenzio Ferrari, Kreuzigungskapelle, Nordwand, 1517–1520, Fresko, Sacro Monte, Varallo© Archivio fotografico Ente di gestione dei Sacri Monti, Foto Riccardo, Marco e Paolo Gonella
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Farbtafel 42: Giovanni Pietro Rizzoli, genannt Giampietrino, Leda mit ihren Kindern, um 1510/1520, Öl / Holz, Gemäldegalerie Alte Meister, Kassel © Museumslandschaft Hessen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister, Foto: Ute Brunzel
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Farbtafel 43: Martino Piazza da Lodi und Giovan Pietro Carioni, bildkünstlerische Ausstattung des Innenraums der Kirche Santa Maria dell’Immacolata, 1506, Rivolta d’Adda © Mauro Bonazzoli
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Farbtafel 44: Martino Piazza da Lodi und Giovan Pietro Carioni, Figurenbüsten in Tondi mit ornamental-fantastischen Grotesken, 1506, Fresko, Santa Maria dell’Immacolata, Rivolta d’Adda – Foto: privat
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Farbtafel 45: Martino Piazza da Lodi, Männliche Figurenbüste gerahmt von Schmuckband und Grotesken, 1506, Fresko, Santa Maria dell’Immacolata, Rivolta d’Adda © Mauro Bonazzoli
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Farbtafel 46: Leonardo da Vinci, Lachender Mann mit buschigem Haar, späte 1490er-Jahre, Zeichnung, Feder und braune Tinte / Papier, 6,6 × 5,4 cm, The J. Paul Getty Museum, Los Angeles, inv. 84.GA.647 © Digital image courtesy of the Getty’s Open Content Program
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Farbtafel 47: Leonardo da Vinci, Kopf einer alten Person im Profil, um 1495–1505, Zeichnung, rote Kreide / Papier, 99 × 82 mm, die Konturen von Hals, Gesicht und Haaransatz wurden zur Übertragung mit der Nadel gestochen, Hamburger Kunsthalle, inv. 21489 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang
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Farbtafel 48: Bernardino Luini (?), nach Leonardo da Vinci, Alte Person im Profil, Zeichnung, rote Kreide / Papier, 84 × 70 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, inv. F 263 inf. f. 19 © Veneranda Biblioteca Ambrosiana
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Farbtafeln
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Farbtafel 49: Giovan Paolo Lomazzo, Sor caputagn nasotra, Zeichnung, rote Kreide / Papier, 123 × 88 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, inv. F 274 f. 23r © Veneranda Biblioteca Ambrosiana
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Farbtafel 50: Giovan Paolo Lomazzo, Selbstporträt als Maler und Präsident der Accademia della Val di Blenio, um 1568, Öl / Leinwand, 56 × 44 cm, Pinacoteca di Brera, Mailand © Pinacoteca di Brera, Milano
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Farbtafel 51: nach Sebastiano del Piombo, Mann mit Fellumhang, Hut und Flöte, Öl / Leinwand, Mount Edgecumbe House, Plymouth – No artistic © vested in this image – image supplied by The Box, Plymouth
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Farbtafel 52: Giovan Paolo Lomazzo, Mann mit Flöte und Hut, 1560er-Jahre, Zeichnung, rote Kreide / Papier, 175 × 130 mm, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, inv. F 271 inf. n. 47 © Veneranda Biblioteca Ambrosiana
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Farbtafel 53: Giovan Ambrogio Figino, Stillleben mit einem Teller Pfirsiche und Weinblättern, 1591–1594 ca., Öl / Holz, 21 × 29 cm, Privatsammlung Monaco © Privatsammlung Monaco
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Farbtafel 54: Grottenanlage mit badender Marmor-Nymphe von Antonio Prestinari oder Giulio Cesare Procaccini nach Entwürfen von Francesco Brambilla, 1589 fertiggestellt, Villa von Pirro Visconti Borromeo, Lainate – © Foto Piero Paravidino Fotoclub Fotoinfuga
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Farbtafel 55: Camillo Procaccini, Fantasiewesen und Grotesken, Detail, 1589 fertiggestellt, Mosaik aus verschiedenen bunt bemalten Kieselsteinen und Muscheln, Decke, Galeriegang zur Grottenanlage, Villa von Pirro Visconti Borromeo, Lainate – Foto: privat
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Farbtafel 56: Vincenzo Campi, Drei Männer und eine Frau beim Ricotta-Essen, um 1580, Öl / Leinwand, Musée des Beaux-Arts de Lyon © Lyon MBA – photo Alain Basset
Farbtafeln
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Farbtafel 57: Giovan Paolo Lomazzo, Vier lachende Personen im Halbfigurenbild mit Katze, Mitte 16. Jahrhundert, Zeichnung, schwarze und rote Kreide, Kohle, Weißhöhungen / Papier, 28 × 43 cm, Gallerie dell’Accademia, Venedig, inv. 1205 © G. A.VE Archivio fotografico – Su concessione del Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo – Gallerie dell’Accademia di Venezia
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Anhang
Farbtafel 58: Lombardischer Maler, Vier lachende Personen im Halbfigurenbild mit Katze, Mitte 16. Jahrhundert, Gemälde, Museo dell’Accademia Ligustica, Genua © Genova, Museo dell’Accademia Ligustica di Belle Arti
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Farbtafel 59: Giuseppe Arcimboldo, Figur aus Früchten, Gemüse und Ähren – der Sommer, 1563, Öl / Lindenholz, 67 × 50,8 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien © KHM-Museumsverband
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Farbtafel 60: Giuseppe Arcimboldo, Figur aus Fischen und anderen Wassertieren – das Wasser, 1562–1566, Öl / Erlenholz, 66,5 × 50,5 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien © KHM-Museumsverband
Farbtafeln
Farbtafel 61: Giuseppe Arcimboldo, Figur aus Blumen, Gemüse, Früchten und Ähren – Vertumnus, 1589/1590, Öl / Holz, 68 × 56 cm, Skokloster Slott, Skokloster © photo: Erik Lernestål, Skokloster Castle (Public Domain)
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Farbtafel 62: Bernardino Campi, Bildnis des Vespasiano Gonzaga, 1559, Öl / Holz, 117 × 91,5 cm, Musei Civici, Como © Pinacoteca Civica, Como
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Farbtafeln
Farbtafel 63: Giovan Paolo Lomazzo, Allegorie der Malerei, 1564– 70, Zeichnung, Kreide, Feder, laviert / Papier, 33,1 × 21,4 cm, Albertina, Wien, inv. 2769 © Albertina, Wien
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Anhang
Farbtafel 64: Tiziano Vecellio, Anbetung der Könige, 1557–1560 ca., Öl / Leinwand, 223 × 120 cm, Pinacoteca Ambrosiana, Mailand © Veneranda Biblioteca Ambrosiana
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Farbtafeln
Farbtafel 65: Jan Brueghel d. Ä., Vase mit Blumen, Schmetterlingen, Libelle, Maulbeerbaumzweig mit Früchten, Münzen, Muscheln und einer Edelsteinbrosche, 1606, Öl / Kupfer, 65 × 45 cm, Pinacoteca Ambrosiana, Mailand © Veneranda Biblioteca Ambrosiana
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Anhang
Farbtafel 66: Daniele Crespi, Die Botschaft der Engel an Josef / Ruhe auf der Flucht nach Ägypten, 1. Hälfte 1620er-Jahre, Öl / Holz, 58,5 × 43,3 cm, Princeton University Art Museum, Princeton © Princeton University Art Museum
Farbtafeln
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Farbtafel 67: Daniele Crespi, Groteskes Konzert, um 1620, Öl / Leinwand, 40 × 56 cm, Privatsammlung © Galerie Canesso, Paris
7.4 Personenregister A Abano, Pietro d’ 112 f. Accolti, Bernardo 102 Adda, Giacomo d’ 234 Advogarius, Petrus Bonus 124 f. Aertsen, Pieter 369 Agostino da Lodi (Giovanni Agostino da Lodi) 201, 284 Agrippa von Nettesheim 485 Agucchi, Giovanni Battista 526 Alamanni, Vincenzo 389 Albert V. von Bayern 372 Albert VII . Erzherzog 517 Alberti, Leon Battista 29, 32, 43, 66, 91, 122, 128 f., 133 f., 136, 142, 144, 175, 191, 195, 198, 215, 242, 245, 277, 293, 298, 332, 369, 375, 394, 434, 458 Alberti, Romano 504 Alberto da Lodi 37, 209 f., 217–219, 627, 629 f. Alchides 482 Alessi, Galeazzo 226, 234–236, 238 f. Alexander der Große 483 Alhazen (Abu Ali al-Hasan ibn al-Haitham) 115, 122, 483 Alighieri → Dante Alighieri Altissima, Cristofano dell’ 463 Amadeo, Giovanni Antonio 171–173, 177–184, 186, 613–615 Ambrosius 64 f., 89, 131, 505 Ammannati, Bartolomeo 356 Andrea da Milano 37, 208 f., 217, 219, 627, 629 f. Andrea del Sarto 446, 491 Andreasi, Marsilio 307 Anguissola, Elena 454 Anguissola, Europa 455 Anguissola, Sofonisba 367 f., 454 f., 465 Antiphilos 396 Antonello da Messina (Antonello di Antonio) 118, 169 Antonio da Udine 161 Apelles 360, 465 Apollonios 56 f. Aquate, Paolo di 195 Aragon → Isabella von Aragon
Arca, Niccolò dell’ 192, 194, 207 Archillini (Antonio Pelotti) 102 Archimedes 483 Archinto, Ambrosio 102, 153, 605 Arcimboldo, Giuseppe 41 f., 370–390, 402 f., 407–409, 413–415, 417–419, 421 f., 464, 472, 501 f., 534, 651–653 Aretino, Bernardo 102 Aretino, Pietro 389 Aretino, Spinello 391 Ariosto, Ludovico 391, 442 Armenini, Giovanni Battista 161, 404 Aristoteles 243, 363, 391 f., 397 f., 416, 483 Augustinus 417, 420 Ausonius, Decimus Maximus 78 Avalos, Alfonso d’ 479 Avalos, Francesco Ferdinando d’ 153, 475 Averlino, Antonio → Filarete Azzolini, Decio 263 B Balbi, Giovanni 293 Balbo, Cornelio 102 Baldini, Baccio 308 Baldini, Bernardino 41, 329, 380, 382 Bambaia (Agostino Busti) 38, 266, 273 f., 531 Barbaro, Daniele 404 Bassi, Martino 132, 247, 349 Bellarmino, Roberto 518 Bellincioni, Bernardino 93–95, 101 f., 104, 123, 170 Bellini, Jacopo 128 f. Bellori, Giovan Pietro 429 Bembo, Bonifacio 458 Bembo, Pietro 291, 332, 359 Benci, Ginevra de’ 168–170, 608 f. Benedetto da Maiano 183, 195, 232 Bergognone, Ambrogio 126, 180 Bernardo da Trevi 129 Bernhard von Clairevaux 420 Bertani, Giovanni Battista 132 Besicken, Johann 61 Beuckelaer, Joachim 369 Bicesi, Giovanni Francesco → Fornarino Biffi, Giovanni Andrea 509
662 Birago, Giovan Pietro 95 Boccaccino, Camillo 446, 454 f., 458 f., 463, 475 f., 491 Boethius 105 Boltraffio, Giovanni Antonio 101, 125, 127, 133, 201, 203 f., 273 Bonfini d’Ascoli, Antonio 28 Bonsignore, Francesco 332 Bordone, Paris 502 Borghini, Raffaello 418 Borghini, Vincenzo 152 f., 459 Borgogni, Gherardo 358, 378, 380, 382, 389 Borromeo, Carlo 236 f., 239, 313 f., 316, 325, 330, 332, 405, 454, 474 Borromeo, Federico 44 f., 111, 188, 213, 503–527, 536 Borromeo, Giovanni 171 Borsieri, Girolamo 101, 328 Boscano, Henrico 101 f., 114 Bosch, Hieronymus 403 Boschaert, Ambrosius 518 Botticelli, Sandro 126, 432 Bramante, Donato 34, 60, 62, 64, 69–71, 77, 84, 92–94, 96, 99–104, 129, 177, 185–188, 197, 206, 225, 255, 257, 307, 328, 616 Bramantino (Bartolomeo Suardi) 34 f., 38, 61–83, 87–91, 101, 121, 123, 127, 129–133, 169, 171, 188, 216, 252–254, 288, 464, 529, 531, 593, 596–600 Brambilla, Francesco 275, 349–351, 646 Brambilla, Giovanni Ambrogio 39, 312, 316, 323–325, 328, 371 f. Brandimante dalla Torre 161 Bregno, Andrea 57 Bril, Paul 503, 505, 516 Briosco, Benedetto 181, 272 Bronzino (Agnolo di Cosimo di Mariano) 152, 463 Brueghel d. Ä., Jan 503, 505, 517 f., 657 Brueghel d. Ä., Pieter 394, 445 Brunelleschi, Filippo 128 Buonarroti, Michelangelo → Michelangelo Burchiello (Domenico di Giovanni) 51 Busti, Agostino → Bambaia C Caimo, Bernardino 220, 232 Caimo, Giuseppe 329 Calcondila, Demetrio 149 Calzetta, Pietro 196 Camillo, Giulio 479 f.
Anhang Campano, Giovanni 86 Campi, Antonio 453–458, 469 f., 491 Campi, Bernardino 37, 44, 161–163, 175, 355 f., 452–458, 462–469, 471–476, 535, 654 Campi, Giulio 454 f., 457 f., 463, 491 Campi, Vincenzo 40, 362–365, 454 f., 458, 491, 648 Cantona, Catarina 502 Capella, Martianus 58, 77 Capilupo, Benedetto 522 Caradosso (Cristoforo Foppa) 95, 102, 188, 263, 328 Caravaggio (Michelangelo Merisi da Caravaggio) 344, 469, 505, 516–518 Carcano, Michele 221 Carlo da Crema 403 Carracci (Familie) 370, 526 Carracci, Agostino 453, 519 Carracci, Annibale 311 f. Carioni, Giovan Pietro 279–282, 635 f. Cartari, Vincenzo 385 Castagno, Andrea del 433 Castelvetro, Ludovico 398 Castiglione, Baldassare 37, 136, 149–152, 422 Cavalieri, Tommaso 367 f. Cazzaniga (Künstlerfamilie) 177 Cellini, Benvenuto 152 Cennini, Cennino 122, 165, 458 Ceraiolo, Antonio del 232 Cerano (Giovanni Battista Crespi) 507, 509 f. Cesare da Bagno 465 Cesare da Sesto 446 f., 491 Cesariano, Cesare 28, 51, 96, 103, 123 Cicero, Marcus Tullius 298, 327, 369, 396–398, 390 f., 522 Cieco da Parma, Giovanni 102 Cimabue 289, 364, 463 Cleve, Joos van 403 Colleoni, Medea 172 f. Colonna, Aegidius 58 Colonna, Vittoria 498 Comanini, Gregorio 41 f., 370, 377–390, 407–424, 533 f. Condivi, Ascanio 462 Corio, Bernardino 92 Correggio, Antonio da (Antonio Allegri) 229, 438, 446, 490 f., 519 Correggio, Niccolò 98
Personenregister Corvinus, Matthias 28, 77 Cossa, Francesco del 133 Credi, Lorenzo di 195 Crespi, Daniele 509, 527 f., 658 f. Crespi, Giovanni Battista → Cerano Curzio, Lancino 222, 346 Cusano, Nicola 93 Cusanus (Nikolaus von Kues) 21, 87, 411 D Dante Alighieri 58, 94, 420, 438 f., 481 Danti, Vincenzo 422 De Donati, Giovanni Ambrogio 222 De Donati, Giovanni Pietro 222 Del Monte, Francesco Maria 503 Della Cerva, Giovanni Battista 445 Della Porta, Girolamo 39, 309–312, 315 Delfinone, Scipione 329 Demokrit 102 f., 365 Desprez, Josquin 124 Dolce, Lodovico 43, 153, 332, 411, 439 Domitian 464, 474 Donatello 187, 307 f. Doni, Anton Francesco 404 Du Bellay, Joachim 376 Dürer, Albrecht 63, 82, 225, 242 E Este, Beatrice d’ 93, 172–174 Este, Borso d’ 74 Este, Isabella d’ 75, 98, 264, 270, 522 Este, Leonello d’ 72, 594 Euklid 60, 84–86, 108 Eyck, Jan van 489 F Farnese, Alessandro 249, 460 Farnese, Odoardo 367 Farnese, Rainuccio 450 Fazio, Bartolomeo (Bartolomeus Facius) 214 Feliciano, Felice 168 Ferrari, Gaudenzio 37, 209, 216–218, 220–227, 230–232, 237, 306, 445–447, 472, 480–482, 629–633 Ficino, Marsilio 44, 102 f., 335, 424, 486 f., 494, 496–498, 500 f., 536 Figino, Giovan Ambrogio 41 f., 344, 377–381, 387, 389 f., 408–420, 424, 534, 645 Figino, Girolamo 111, 365, 464, 473
663 Filarete (Antonio Averlino) 27–33, 37, 43, 101, 122, 128, 141–143, 145, 163, 177, 182 f., 326, 364, 417, 432, 434, 458, 528 Filelfo, Francesco 32, 178 Filormo Fregoso, Antonio 102 Firenzuola, Agnolo 430 f., 443 Floris, Frans 445 Folengo, Teofilo 291, 346 f. Fondulis, Agostino de’ 37, 185–197, 206– 208, 307, 530, 616–618, 620–622 Fondulis, Giovanni de’ 187, 196, 307 f. Fontana, Annibale 329, 343, 506 f. Fontana, Giovanni 128 Fontana, Lavinia 502 Fonteo, Giovanni Battista 380 f., 389 Foppa, Cristoforo → Caradosso Foppa, Vincenzo 225, 445 Fornarino (Giovanni Francesco Bicesi) 341, 355 f. Fra Angelico 433 Fra Damiano Zambelli 126 Fra Domenico Ponzone 93 Fra Tommaso da Firenze 232 Francesco da Marignano 222 f., 225 f. Francesco da Sangallo 152 Freitag, Andreas 61 Fulgentius, Fabius 18, 78–80 G Gaffurio, Franchino 34, 76 f., 84, 92, 123 f. Gallerani, Cecilia 169 f. Galli, Francesco → Napoletano Gaston de Foix 273 Gatti, Bernardino 454, 458, 463 Gatti, Gervasio → Sojaro Gaurico, Pomponio 147, 165 f., 194 Gelli, Giovanni Battista 43, 438 f. Gentile da Fabriano 214 Gherardini, Filippo 41, 381 f., 387–389, 414 Ghiberti, Lorenzo 66, 461 Ghirlandaio, Domenico 126, 287, 432 Giambologna 240, 276, 389 Giampietrino (Giovan Pietro Rizzoli) 38, 265–267, 271, 531, 634 Gilio, Giovanni Andrea 43, 248 f., 440 Giorgione (Giorgio da Castelfranco) 337, 437, 491 Giotto di Bondone 139, 214 f., 289, 364, 386, 607 Giovanni da Udine 288 Giovio, Paolo 165 f., 460 f., 463
664 Giraldi, Lilio Gregorio 76, 79, 461 Giudeo, Giovanni Maria 102 Giuliano da Sangallo 55 Giussano, Francesco 315 Gonzaga (Herzogsfamilie) 187, 409 Gonzaga, Ferrante 454, 472 Gonzaga, Ippolita 454, 463 Gonzaga, Ludovico 307 Gonzaga, Vincenzo 450 Gonzaga Colonna, Vespasiano 452–455, 654 Gosselini, Giuliano 41, 380 Gryllos 396 Guariento di Arpo 165, 215 Guarino da Verona 72 f. Guazzalotti, Andrea 455 Guazzo, Stefano 42, 409, 412 f., 415, 419, 423 Gundissalinus 58 H Heemskerck, Marten van 55, 288, 445 Heraklit 102–104 Herrad von Landsberg 77, 79 Hermes Trismegistos 483, 485, 498 f. Hesiod 71, 73 Hogarth, William 240 Holanda, Francisco de 404 f., 498 f. Homatii, Cesare 475 Hopfer, Daniel 315, 321 Horaz 190, 363, 394, 420 I Iamblichos von Chalkis 499 f. Ibn al-Haitam → Alhazen Ignatius von Loyola 493 Isabella Clara Eugenia, Erzherzogin 517 Isabella von Aragon 126 Isidor von Sevilla 105 J Jacquerio, Giacomo 388 Johannes da Liege 102 K Karl V. 483 Kilwardby 58 L Lamo, Alessandro 43 f., 161, 427, 431, 434, 451–476, 502, 534 f.
Anhang Landino, Cristoforo 424, 433 Landriani, Paolo Camillo 329 Lazzarelli, Ludovico 73 f., 77 Leonardo da Vinci 14, 16, 33–35, 37– 39, 43, 48, 51 f., 56 f., 60–62, 67, 69, 77, 82, 84, 86, 88, 92–136, 139–155, 158 f., 162, 164–177, 181, 186, 194, 196–211, 216 f., 241 f., 245, 249, 251, 257–270, 273, 277, 284, 288, 294–309, 313–316, 319–323, 326–328, 331, 337 f., 341–343, 352, 360, 362–364, 377, 385, 391, 393–395, 401, 417, 421 f., 435–438, 445–447, 458, 461, 464, 469, 473 f., 480, 482, 484, 489, 510, 517, 520, 522 f., 526, 529–531, 601–604, 608 f., 611, 623–626, 638–640 Leoni, Leone 111, 247, 267 f. Leoni, Pompeo 111 Liefrinck, Hans 323 Ligorio, Pirro 404 Lippi, Filippino 126, 432 Locadellus, Franciscus 464 Lomazzo, Giovan Paolo 16, 37–44, 63, 81 f., 130, 132, 143, 153–161, 165 f., 188, 194, 199, 204, 211, 218, 226, 237–252, 268, 273–277, 298 f., 305, 312 f., 316 f., 319, 329–349, 352, 360–363, 365, 369 f., 387, 390–409, 414, 424, 427, 431, 434– 450, 457, 464, 471 f., 474–495, 498–503, 517, 526 f., 531, 533–535, 641 f., 644, 649, 655 Lombardo, Pietro 195 Louis du Luxembourg, Graf Ligny 34, 67 Louis XII . König von Frankreich 273 Ludwig II . von Luxemburg → Louis du Luxembourg Luigino, Federigo 376 Luini, Aurelio 39, 111, 312 f., 316–318, 327, 329, 335, 395, 401, 464, 502 Luini, Bernardino 37, 133, 209–216, 312 f., 337, 505, 518–527, 628, 640 M Macrino d’Alba 54 f. Maggi, Vincenzo 392, 398 Maiano, Benedetto da 183, 195, 232 Malosso (Giovanni Battista Trotto) 453 f. Mancini, Giulio 200, 515, 526 Mander, Karel van 287 f., 394 Manetti, Antonio Tuccio 461 Mangone, Fabio 509
Personenregister Mantegazza, Antonio 38, 177 f., 181, 255 f., 258, 531 Mantegazza, Cristoforo 177–182, 613 Mantegna, Andrea 73, 75, 81, 85, 90, 133, 187 f., 190, 213 f., 225, 480, 483, 489, 595, 619 Marco da Siena (Marco Pino da Siena) 243 f., 247 Martinengo, Ascanio 42, 409, 412, 415, 419–424 Martini, Francesco di Giorgio 77 Martini, Simone 141 Masaccio 433 Maximilian II . 372–374, 380 f., 402 Mazenta, Guido 101, 111 Mazzoni, Guido 189, 192, 207, 307 Mazzoni, Jacopo 194, 413, 416 Meda, Giuseppe 473 f. Medici (Familie) 102, 120, 250 f., 315 Medici, Cosimo de’ 367 f., 461, 463 Medici, Lorenzo de’ 126 Medici, Piero de’ 28, 361 Melone, Altobello 458 Melozzo da Forlì 85 Melzi, Francesco 37, 39, 111 f., 116, 128, 176, 268 f., 300, 302–305, 309, 312, 319, 321, 435, 464, 473 f., 484 Merisi da Caravaggio, Michelangelo → Caravaggio Merula, Giorgio 149 Merzagora, Domenico (Maestro di Santa Maria Maggiore) 191 Michelangelo Buonarroti 127, 150–152, 203, 240, 243 f., 246–252, 260, 332 f., 356, 367 f., 439, 461–463, 480 f., 488, 490, 498, 531 Michelino Molinari da Besozzo 400–402 Michiel, Marcantonio 129, 526 Migliorotti, Atalante 124 Mignot, Jean 27 Minturno, Antonio 392, 397 Monogrammist SE 315 Montefeltro, Federico 74 f., 434 f. Montefeltro, Guidobaldo da 74, 84 Mor, Anthonis 455 Morone, Girolamo 222 N Napoletano (Francesco Galli) 98 Neri, Filippo 518 Nero 287 Nicoletto da Modena 287
665 O Oggioni, Giulio 37, 209, 217–219, 629 f. Oggiono, Marco d’ 125, 605 Ovid (Publius Ovidius Naso) 80, 95, 385 P Pacioli, Luca 34 f., 67, 77, 84–88, 92–95, 101, 105–116, 120, 123, 128 f., 136, 198, 295, 421, 436, 529, 603 Paleotti, Gabriele 42, 236 f., 363, 370, 395–406 Palladio, Andrea 132 Pampurino, Alessandro 74 Papst Julius II . 63 Papst Sixtus IV. 58–60, 78 Parmigianino (Girolamo Francesco Maria Mazzola) 249, 276, 447, 449, 491 Paroli, Giovanni Maria 43, 450 f., 499 f. Passerroti, Bartolomeo 370 Peckham, John 60 Peiraikos 396 Pelotti, Antonio → Archillini Perugino 126, 225, 306, 432 Peterzano, Simone 344 Petrarca, Francesco 94, 104, 141, 276, 358–361, 363, 376, 420 Phidias 154, 391, 474 Philipp II . 153, 313, 455, 477, 501 Philostratos (Philostrat d. Ä., Flavius) 79 f. Piatti, Giovanni Antonio 37, 170–172, 612 Piazza da Lodi, Martino 39, 279–286, 305 f., 635–637 Piero della Francesca 85, 107–109 Piero di Cosimo 391 Pietro da Olli 102 Pino, Marco → Marco da Siena Pino, Paolo 436 f., 443 Pinturicchio (Bernardino di Betto di Biagio) 288 f., 306 Pio, Giovanni Battista 18, 78 Pirovano, Gabriele 93 Plantin, Cristopher 323 Platon 29, 32 f., 44, 73, 76 f., 84–86, 105, 107, 130, 334, 385, 412, 424, 442, 451, 457, 482, 486 f., 494, 496–501 Plinius (Caius Plinius Secundus d. Ä.) 32, 94, 154, 194, 363, 374, 395 f., 460, 511 Polidoro da Caravaggio 480, 482, 489 Pollaiolo, Antonio 58–60, 66 Pollaiolo, Piero del (Piero Benci) 119, 124
666 Polo, Agnolo 232 Pontormo, Jacopo da 152 Porcellio de’ Pandoni, Giannantonio 32 Porta, Antonio della → Tamagnino Pozzo, Cassiano del 268 Praxiteles 72, 154 Predis, Ambrogio de 61, 125, 133 Predis, Evangelista de 133 Prestinari, Antonio 275, 349, 646 Prevedari, Bernardo 177, 255–257 Procaccini, Camillo 352–354, 647 Procaccini, Carlo Antonio 352 f. Procaccini, Ercole d. J. 508 f. Procaccini, Giulio Cesare 275, 349 f., 646 Prometheus 483 Properz 385 Protagoras 451 Ptolemäus 480 Pythagoras 123, 391, 421 Q Quercu, Simon de 124 Quintilian 246, 298, 369, 399 R Rabelais, François 305 Raffaello Sanzio 150 f., 288, 332, 349, 428, 445–449, 461, 463, 480, 483, 488–490, 505, 523–526 Raimondi, Antonio de’ 191 f., 620 Rainoldi, Bernardino 40, 329, 346 f., 349, 351 f., 358–363, 370, 376, 388 Ridolfi, Giovanni 181 Rinaldo de’ Stauris 179 f., 613 Ripa, Cesare 18, 417 Rivius, Walter 403 f. Rizzo, Antonio 179 f., 182, 613 Rizzoli, Giovan Pietro → Giampietrino Romanino, Girolamo 291 Romano, Gian Cristoforo 148–151, 172–174, 272 Romano, Giulio 229, 472, 491 Rondinelli, Nicolò 284 Ronsard, Pierre de 376 Rosso Fiorentino (Giovanni Battista di Jacopo) 491 Rudolph II . 373, 381 f., 386 f., 413–415 S Sacco, Cesare 102 Sacchetti, Franco 439
Anhang Salaì (Gian Giacomo Caprotti da Oreno) 268 Salomo 483 f. Salutati, Coluccio 78 Sangallo → Giuliano da Sangallo → Francesco da Sangallo Sannazaro, Jacopo 420 Sanseverino, Gian Galeazzo 67, 84, 93 Santi, Giovanni 74 f., 434 f. Sanzio, Raffaello → Raffaello Savoia, Carlo Emmanuele di 344 Savoldo, Giovanni Girolamo 469 Scamozzi, Vincenzo 357 Savonarola, Girolamo 90 Savonarola, Michele 461 Scarognino (Familie) 223, 231, 306 Scarognino, Francesca 234 Schedel, Hartmann 47, 61 Schiavone, Andrea 129 Secco, Nicolo 466 Semino, Ottavio 329 Seneca 359 Serlio, Sebastiano 404 Sermartelli, Michelangelo 389 Sesalli, Francesco 226, 232–234, 238 f. Sforza (Hof/ Herzogsfamilie) 14, 27 f., 31 f., 61 f., 66, 72, 77, 84, 92–94, 98, 101, 112, 115, 118, 126, 136, 148 f., 172, 342, 361, 498, 528 Sforza, Francesco 27–31, 51, 105, 112, 147, 165, 178 Sforza, Francesco II . 14, 63, 234, 472 Sforza, Galeazzo Maria 54, 119 Sforza, Gian Galeazzo 95, 124, 126 Sforza, Ludovico 34, 67, 77 f., 84, 92–96, 125, 139, 143, 158, 165, 169, 173, 198, 221, 263, 328, 341, 360 Signorelli, Luca 109, 306 Simone da Bologna 329, 361 Simonetta, Bartolomeo 102 Simonetta, Giovanni 95 Sojaro (Gervasio Gatti) 455 Sokrates 385 f., 481, 500 Solari, Cristoforo 181, 273 f., 309 Solario, Andrea 265 f. Soldati, Giacomo 329 Somenzi, Francesco 455 Sorte, Cristoforo 43, 161, 440 f., 492 Soye, Phillippe de 322 f. Spina, Bernardo 464 Spranger, Bartholomeus 288
667
Personenregister Squarcione, Francesco 128, 133 Stauris, Rinaldo de’ → Rinaldo Stoss, Veit 196 Stradanus, Johannes 288 Strozzi, Filippo 183 Suardi → Bramantino (Bartolomeo Suardi) Summonte, Pietro 526 T Taccone, Baldassare 51, 149 Taegio, Bartolomeo 349 f. Tagliente, Antonio 98 Tamagnino (Antonio della Porta) 178, 181, 665 Tasso, Battista del 152 Tasso, Torquato 41, 380, 409, 411, 413, 420, 424 Tebalducci, Lorenzo Giacomo 389 Tibaldi, Pellegrino 132, 247, 474 Tintoretto, Jacopo 502 Tizian (Tiziano Vecellio) 360, 389, 437, 445–447, 463 f., 472–475, 480, 483, 489–491, 505, 510, 512–515, 518, 526, 656 Tolomei, Claudio 357 Tomai, Tomaso 357 f. Tortorino, Francesco 329 Toscano, Lorenzo 329 Trajan 287 Trotto, Giovanni Battista → Malosso Trozo de Monza 129 Tribolo, Nicolò 152 Tura, Cosmè 133 U Urbino, Carlo 130 f., 242 V Vaga, Perino del 491 Valla, Giorgio 135 Valesio, Giovanni Luigi 526
Valperga, Constantino 310 Varchi, Benedetto 152 f., 156, 301, 385, 429 Varesi da Rosate, Ambrogio 93 Vasari, Giorgio 15, 28, 43 f., 63, 152, 161, 196, 247, 332, 356, 363 f., 391, 404–406, 433, 437 f., 452, 457–463, 475 f., 492, 502, 535, 538 Vecellio, Tiziano → Tizian Vecchietti, Bernardo 389 Veneto, Bartolomeo 369 Vergil (Virgilio) 52–55, 78 Verrocchio, Andrea del 112, 166–168, 170, 610 Vicenza, Gerolamo 329 Vignola, Giacomo Barozzi da 132 Vincenzo da Caravaggio 161 Vinci → Leonardo da Vinci Virunius, Ponticus 125 Visconti, Gaspare 34, 69, 93–98, 101–104, 360, 498 Visconti, Gian Galeazzo 272 Visconti Borromeo, Pirro 40, 274–276, 329, 331, 347–358, 503 f., 533, 646 f. Vitruv 28 f., 32, 50 f., 58, 83, 96, 101, 103, 123, 149, 241 f., 403 f. Vouet, Simon 357 W Werbecke, Gaspare 102 Weyden, Rogier van der 403 Witelo 115 Z Zaist, Giambattista 161, 452 Zarlino, Gioseffo 439 Zenale, Bernardo 61, 133, 225, 445, 606 Zeuxis 374, 490 Zoppo, Marco 133 Zuccaro, Federico 226, 237–239, 357 f., 403, 424, 484, 499, 503 f., 507, 513 Zuppelli, Giovanni Maria 455