Science MashUp. Zukunft der Games.: Leipziger Beiträge zur Computerspielekultur [1. Aufl.] 9783658316259, 9783658316266

Gaming in Deutschland und speziell in Sachsen – quo vadis? Playful Work, Game Thinking, Gamification – nur Buzzwords? Wa

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German Pages XIV, 216 [215] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIV
Front Matter ....Pages 1-1
Mit dem Science MashUp zurück zu den Wurzeln -- in die Zukunft (Gabriele Hooffacker)....Pages 3-11
Transfer der 14. Langen Nacht der Computerspiele in die virtuelle Welt (Vanessa Funke, Lisa Herrmann)....Pages 13-28
Computer- und Spiele-Veranstaltungen gestern und heute (René Meyer)....Pages 29-49
Interview mit Jana Reinhardt und Friedrich Hanisch (René Meyer)....Pages 51-54
Front Matter ....Pages 55-55
Transmediales Storytelling in der Gaming-Branche (Phillip Jacob)....Pages 57-68
Interview mit Konrad Kunze (Gabriele Hooffacker)....Pages 69-74
Interview mit Christin Marczinzik und Thi Binh Minh Nguyen (Benjamin Bigl)....Pages 75-78
Front Matter ....Pages 79-79
Going full-talkie. Der Wettlauf zur Sprachausgabe bei Computerspielen (Klaus Rettinghaus)....Pages 81-87
Gamemusik und Geräusche – eine populäre Allianz für Game Audio Design der Zukunft (Björn Redecker, Sonja Ganguin)....Pages 89-100
Entwicklungen der Komposition für Videospiele (Maria Schween)....Pages 101-109
Interview mit Valentin Spiegel (Gabriele Hooffacker)....Pages 111-113
Front Matter ....Pages 115-115
Playful Work, Game Thinking, Gamification – nur Buzzwords? (Michael Baur, Stella Schüler)....Pages 117-137
Games als Lernort – Offene digitale Quellen als Chance (Winfried Bergmeyer)....Pages 139-155
Interview mit Thomas Horky (Benjamin Bigl)....Pages 157-159
Front Matter ....Pages 161-161
Gaming quo vadis? (Benjamin Bigl)....Pages 163-183
Zukunft im Spiel. Utopische Spielwelten bei Star Trek (Sebastian Stoppe)....Pages 185-202
Interview mit Felix Falk (Benjamin Bigl)....Pages 203-206
Back Matter ....Pages 207-216
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Science MashUp. Zukunft der Games.: Leipziger Beiträge zur Computerspielekultur [1. Aufl.]
 9783658316259, 9783658316266

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Gabriele Hooffacker  Benjamin Bigl   Hrsg.

Science MashUp. Zukunft der Games. Leipziger Beiträge zur Computerspielekultur

Science MashUp. Zukunft der Games.

Gabriele Hooffacker · Benjamin Bigl (Hrsg.)

Science MashUp. Zukunft der Games. Leipziger Beiträge zur Computerspielekultur

Hrsg. Gabriele Hooffacker Fakultät Informatik und Medien HTWK Leipzig, Leipzig, Sachsen Deutschland

Benjamin Bigl Medienpädagogisches Zentrum+ Eigenbetrieb Bildungsstätten Torgau, Sachsen, Deutschland

ISBN 978-3-658-31625-9 ISBN 978-3-658-31626-6  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Barbara Emig-Roller Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Zur Einführung – oder warum es noch einen weiteren Sammelband über Computerspiele braucht.

Mit „Zukunft der Games“ liegt der erste Tagungsband des Symposiums „Science MashUp“ 2020 an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig vor. Was ist denn ein Mashup? Und was hat das mit Computerspielen zu tun? mag der eine oder die andere von Ihnen sich fragen. Der Begriff „Mashup“ hat sich in den vergangenen Jahren eingebürgert für eine Vielzahl auditiver, visueller und audiovisueller vermischter Neuarrangements von digitalen Medien. Ein Mashup bringt somit Heterogenes zusammen, verwischt Grenzen und produziert gleichzeitig neue (Mundhenke et al. 2015). Funktional betrachtet, ahmen alle neuen (digitalen) zunächst die ehemals alten (analogen) Medien nach. Entweder werden die bisherigen Darstellungs- und Wahrnehmungsformen einzeln angeboten – nur eben anders – oder diese werden neu kombiniert und arrangiert (vgl. Rusch et al. 2007). Dies trifft auch auf Computerspiele zu, die heute mit VR/ AR-Technologien auch gleichzeitig mehrere Sinnesorgane ansprechen können (vgl. Bigl 2016), sich mehrerer Symbolsysteme bedienen, international rezipiert und verstanden werden und deshalb einen kommunikativ-informationellen sowie spielerischen Mehrwert vermitteln. Computerspiele sind ein popkulturelles Mashup-Phänomen, zitieren Filme und andere Games, werden zu Social-MediaMemes (vgl. von Gehlen 2011), erweitern das klassische Spielen (Huizinga 1939) und beziehen alte Spielprinzipien mit ein, – in der Kombination lassen Computerspiele, als Mashup betrachtet, somit neue Qualitäten des Spielens entstehen. Wohin sich diese dynamische Entwicklung hinbewegen wird, ist nur schwer abzusehen. Elemente des Spielens haben bereits jetzt Einzug gehalten in ganz unterschiedliche Anwendungen und Situationen des Alltags. Grund genug für die Organisatoren des Symposiums „Science MashUp“ 2020, sich daher der Zukunft des Spielens zuzuwenden.

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Zur Einführung – oder warum es noch einen weiteren Sammelband …

Auch hinsichtlich der Akteure des Games-Bereichs treffen die Kennzeichen eines Mashups zu. Weder gibt es eine einheitliche Ausbildung zum Game-Entwickler, noch gibt es klar abgrenzbare Genres, Produkte oder Dienstleitungen. In der Nutzung wie im beruflich-praktischen Tätigkeitsfeld, aber erst recht in der kreativen und künstlerischen Gestaltung, kommen interdisziplinär Menschen zusammen, um auf angenehme Art und Weise Neues zu erschaffen und um anderen Freude zu bereiten. Auch wissenschaftlich entzieht sich das Themenfeld der Game Studies (im Überblick Beil et al. 2018) und der Gegenstand Computerspiele einer klassischen fachlichen Zuordnung. Entsprechend dieser Interdisziplinarität wollen die Herausgeber mit diesem Band daher dezidiert einen weiten Kreis aus Wissenschaft, Praxis und Wirtschaft ansprechen. Die Herausgeber hoffen auch, mit diesem Tagungsband zum „Science MashUp“ 2020 den Beginn einer Reihe legen zu können. Symposium und Reihe könnten zukünftig thematisch fokussiert sein, dazu beitragen, bundesweite und regionale Aktivitäten sichtbar machen, ein Podium von und für Wissenschaft, Anwendung und Wirtschaft sein und für die Vernetzung von regionalen und bundesweiten Akteuren beitragen. Das Konzept dieses Tagungsbands ist daher als Auftakt bewusst breit angelegt. Er verbindet sozial- und kulturwissenschaftliche Beiträge mit Praxisbeiträgen aus Wirtschaft und Wissenschaft und bringt damit Akteure aus Kunst, Hochschulen und Unternehmen mit Gamern und Game-Interessierten zusammen, er bietet auch ein Podium für den (wissenschaftlichen) Nachwuchs. Er versteht sich bewusst nicht als ein „state of the art“ der Forschung, sondern als „starting point“ für künftige Entwicklungen in den Games-Studies, der Games-Branche und verwandten Bereichen. Tagungsformat und Publikation entwickeln das eingeführte mitteldeutsche Format der „Langen Nacht der Computerspiele“ weiter, wie Gabriele Hooffacker in ihrem einleitenden Beitrag „Back to the roots“ feststellt. Der Corona-Pandemie geschuldet fand das Science MashUp gemeinsam mit der 14. Langen Nacht der Computerspiele komplett digital mit Diskussionen im Chat statt – zu den Herausforderungen siehe den Beitrag von Vanessa Funke und Lisa Herrmann „Transfer der 14. Langen Nacht der Computerspiele in die virtuelle Welt“. René Meyer wirft einen Blick zurück auf die Geschichte der Games- und Spiele-Events, angefangen bei Spiele-Veranstaltungen in der DDR. Im Interview mit René Meyer beschreiben Jana Reinhardt und Friedrich Hanisch die Herausforderungen, jährlich ein Event wie den „Global Game Jam“ zu organisieren. Damit schließt der Abschnitt „Computerspiel-Events gestern und heute“. Unter der Überschrift „Interaktion und Storytelling“ zeigt Phillip Jacob auf, wie transmediales Storytelling als Teil eines Gaming-Franchises funktionieren

Zur Einführung – oder warum es noch einen weiteren Sammelband …

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kann. Den Bogen zur Praxis schlägt Konrad Kunze im Interview mit Gabriele Hooffacker, in dem er technische Möglichkeiten zur Interaktionen mit der virtuellen Welt beschreibt. Die Spieleentwicklerinnen Christin Marczinzik und Thi Binh Minh Nguyen von A.Muse erzählen ihren Weg zur Spiele-Entwicklung und sprachen mit uns über die Bedeutung von Rollenbildern für das Storytelling. Im Abschnitt „Sprache und Sound“ führt Klaus Rettinghaus in die Anfänge der Sprache in Computerspielen ein („Als die Spiele sprechen lernten“). Sonja Ganguin und Björn Redecker analysieren an einem Spiel beispielhaft „Gamemusik und Geräusche – Eine populäre Allianz für Game Audio-Design der Zukunft“. Die Komponistin Maria Schween stellt dar, welche Herausforderungen an Videospiele an die Komposition stellen. Valentin Spiegel beschreibt im Interview, wie Adaptive Audio mit Hilfe von Audio-Middleware konkret funktioniert. Der Abschnitt „Trends“ wird von Michael Baur und Stella Schüler eingeleitet. Unter der Überschrift „Playful Work, Game Thinking, Gamification – nur Buzzwords?“ zeigen sie die Chancen auf, die in der Adaption von Spielmechaniken für Organisationen und ihre Mitarbeiter*innen liegen. Winfried Bergmeyer vertieft das Thema in seinem Beitrag „Games als Lernort – Offene digitale Quellen als Chance“. Im Interview mit Sascha Kummer und Benjamin Bigl ordnet Thomas Horky den großen Bereich des E-Sports ein. Mit „Zukunft des Gaming“ ist speziell der abschließende Teil überschrieben. Benjamin Bigl stellt die Ergebnisse einer Studie zur Games-Branche in Sachsen vor und benennt die Herausforderungen, die sich für die Zukunft daraus ergeben („Gaming in Sachsen – Quo vadis?“). Das Thema „Zukunft im Spiel“ untersucht Sebastian Stoppe. Felix Falk vom Bundesverband GAME gibt im Interview Auskunft zur Zukunft des Gaming Standorts Deutschlands. Unser Dank geht an alle Autorinnen und Autoren, an die Studierenden des Masterstudiengangs Medienmanagement an der HTWK Leipzig, die das Science MashUp konzipiert und umgesetzt haben, sowie an die Studentinnen Vanessa Frömmig und Christine Tscherny für ihre Unterstützung beim Fertigstellen des Manuskripts. Leipzig im Juli 2020

Benjamin Bigl [email protected] Gabriele Hooffacker [email protected]

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Zur Einführung – oder warum es noch einen weiteren Sammelband …

Literatur Beil, B.; Hensel, Th.; Rauscher, A. (2018). Game Studies. Wiesbaden: Springer VS. Bigl, B. (2016). Virtuelle Computerspielwelten. Rezeption und Transfer in dynamischtransaktionaler Perspektive. Köln: Herbert von Halem Verlag. Gehlen, D. von (2011). Mashup. Lob der Kopie. Berlin: Suhrkamp Huizinga, J. (1939). Homo ludens. Versuch einer Bestimmung des Spielelementes der Kultur. Amsterdam: Pantheon Akademische Verlags-Anstalt. Mundhenke, F.; Arenas, F.R.; Wilke, Th. (2015). Mashups. Neue Praktiken und Ästhetiken in populären Medienkulturen. Wiesbaden. Springer VS. Rusch, G., Schanze, H. & Schwering, G. (2007). Theorien der Neuen Medien. Kino, Radio, Fernsehen, Computer. Paderborn: Fink.

Inhaltsverzeichnis

Computerspiel-Events gestern und heute Mit dem Science MashUp zurück zu den Wurzeln -- in die Zukunft. . . . 3 Gabriele Hooffacker 1 Neues Format: Science MashUp. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2 Aus einer Vortragsreihe entstanden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 3 Games und Games Studies verbinden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3.1 E-Sport. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 3.2 3D- und VR-Technologien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3.3 Mobile-Gaming. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3.4 Gamification & App-Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 4 Warum eine Publikation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Transfer der 14. Langen Nacht der Computerspiele in die virtuelle Welt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Vanessa Funke und Lisa Herrmann 1 Bereiche und Arbeitsteams. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2 Aufbau und Funktion der Kanäle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 3 Reichweite in Social Media und der Website. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 4 Positive Aspekte der gesamten Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 5 Analyse der verschiedenen Problemstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 6 Optimierungsvorschläge für die LNC 2021. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 7 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Abbildungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

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Computer- und Spiele-Veranstaltungen gestern und heute . . . . . . . . . . . . 29 René Meyer 1 Frühe Messen und Clubs rund um Heimcomputer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2 Die ersten Turniere. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3 Messe Leipzig. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 4 Das große Computertreffen in Böhlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 5 Von der CeBIT Home zur Games Convention. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 6 E-Sport-Festival DreamHack Leipzig. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Interview mit Jana Reinhardt und Friedrich Hanisch. . . . . . . . . . . . . . . . 51 René Meyer 1 2 3 4 5 6

Worum geht es beim Global Game Jam?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Wie läuft das Wochenende ab?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Wer nimmt an so einer Veranstaltung teil?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Wie viele nehmen am Global Game Jam teil?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Was für Spiele entstehen an einem Wochenende? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Welche Erfahrungen nehmen die Beteiligten eines Game Jams mit nach Hause? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 7 Kann man einen Game Jam auch als Schnupper-Wochenende verstehen, ob die Spielebranche einem liegt?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 8 Gibt es noch andere Jams?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Interaktion und Storytelling Transmediales Storytelling in der Gaming-Branche. . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Phillip Jacob

1 Überblick – Was ist Transmedia Storytelling. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1.1 Die Komponenten des transmedialen Erzählens. . . . . . . . . . . . . . . . 58 1.2 Bestandteile eines Transmedia Storytelling Systems. . . . . . . . . . . . . 61 2 Games innerhalb eines transmedialen Storytelling-Systems . . . . . . . . . . . 63 2.1 Transmediales Erzählen am Beispiel „The Witcher“. . . . . . . . . . . . . 64 2.2 Chancen für Videospiele innerhalb eines transmedialen Storytelling-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

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Interview mit Konrad Kunze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Gabriele Hooffacker 1 Beim Science-MashUp haben Sie vorstellt, wie man in virtuellen Welten interagieren kann. Welches sind aktuell die wichtigsten Möglichkeiten?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2 Worin liegt die Herausforderung bei den Eingabegeräten (Controllern) für Entwickler?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3 Welche Konzepte dafür halten Sie derzeit für am erfolgversprechendsten?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 4 Wie könnte eine mögliche Standardisierung in diesem Bereich aussehen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 5 Sie haben bei IT Sonix gerade die Leipziger Spieleentwicklungen pixelBOT EXTREME! von PlayHeart Games und Potion Party von RP Games auf die PlayStation®4 von Sony gebracht. Was versprechen sich die Spieleentwickler davon?. . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Interview mit Christin Marczinzik und Thi Binh Minh Nguyen. . . . . . . . 75 Benjamin Bigl 1 Wie wird man Spiele-Entwicklerin?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2 Wie entsteht ein Spiel, was ist in der Entwicklung wichtig? . . . . . . . . . . . 76 3 Wo gibt es auf der technischen oder künstlerischen Ebene Einschränkungen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4 Wie wichtig sind Rollenbilder in der Spielgeschichte? . . . . . . . . . . . . . . . 77 5 Wie seht Ihr die Zukunft des Gamings?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Sprache und Sound Going full-talkie. Der Wettlauf zur Sprachausgabe bei Computerspielen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Klaus Rettinghaus Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Gamemusik und Geräusche – eine populäre Allianz für Game Audio Design der Zukunft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Björn Redecker und Sonja Ganguin 1 Gamemusik und musique concrète. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2 Beispiel: Inside (Playdead 2016) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3 Fazit: Die auditive Ebene von Inside als musique concrète. . . . . . . . . . . . 98 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

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Entwicklungen der Komposition für Videospiele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Maria Schween 1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2 Musik für Videospiel vs. Filmmusik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3 Kompositionstechniken im Videospiel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3.1 Mood-Technik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3.2 Leitmotivtechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3.3 Underscoring. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3.4 Dynamische Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Interview mit Valentin Spiegel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Gabriele Hooffacker Trends Playful Work, Game Thinking, Gamification – nur Buzzwords?. . . . . . . . 117 Michael Baur und Stella Schüler 1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2 Motivation und Flow. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2.1 Von Motivation 1.0 bis 3.0 und Flow: Definitionen und Wirkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2.2 Voraussetzungen und Bedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2.3 Chancen und Nutzen von Games oder Game methodischen Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2.4 Gameful Leadership: Hypothese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3 Game Thinking. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3.1 Definition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3.2 Kontextualisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4 Abgrenzung Gamification. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4.1 Definition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4.2 Anwendungsbeispiel: das gamifizierte SAP Community Network (SCN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 5 Playful Work. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5.1 Definition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5.2 Anwendungsbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 6 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

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Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Games als Lernort – Offene digitale Quellen als Chance. . . . . . . . . . . . . . 139 Winfried Bergmeyer 1 Games. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1.1 Die Assassin’s Creed Discovery Serie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1.2 Attentat 1942. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1.3 Microsoft Flugsimulator 2020. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2 Neue Möglichkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2.1 Öffentliche Kulturportale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2.2 Die Zukunft digitaler Informationsverarbeitung. . . . . . . . . . . . . . . . 150 2.3 Die Idee des Semantic Web. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2.4 Linked Open Data . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2.5 Ein Knotenpunkt: Wikidata. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3 Schlussfolgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Interview mit Thomas Horky. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Benjamin Bigl Zukunft des Gaming Gaming quo vadis?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Benjamin Bigl 1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2 Status quo der Games-Branche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 3 Die Games-Branche in Sachsen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3.1 Begriffsdefinitionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3.2 Kennzahlen sächsischer Games-Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 3.3 Bedeutung der Region. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4 Fazit & Handlungsempfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Zukunft im Spiel. Utopische Spielwelten bei Star Trek. . . . . . . . . . . . . . . . 185 Sebastian Stoppe 1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2 Utopie und Computerspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3 Birth of the Federation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

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4 Star Trek: Voyager – Elite Force. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 5 Stage 9. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 6 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Interview mit Felix Falk. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Benjamin Bigl Autorinnen und Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Science MashUp 2020 – Überblick Online-Vorträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

Computerspiel-Events gestern und heute

Mit dem Science MashUp zurück zu den Wurzeln -- in die Zukunft Gabriele Hooffacker

Zusammenfassung

Mit der Langen Nacht der Computerspiele gibt es an der HTWK Leipzig seit 2007 jährlich ein Groß-Event mit zuletzt mehr als dreitausend Gästen, das Gaming-Szene, Games-Branche und Games Studies zusammenbringt. Im Jahr 2020 musste kurzfristig auf ein virtuelles Eventformat umgestellt werden. Ebenfalls 2020 ist mit dem Science MashUp ein innovatives und kurzweiliges digitales Tagungsformat hinzugekommen. Es hat zum Ziel, zum einen wissenschaftliche Ergebnisse aus den Games Studies, zum anderen Praxis-Beispiele vorzustellen und im Nachgang als Tagungsband zu publizieren. Der Beitrag stellt die Entwicklung des Events seit 2007 als eine zukunftsweisende Rückbesinnung auf die Idee der ersten Langen Nacht der Computerspiele dar. Schlüsselwörter

Gamer-szene · Games Studies · Game Event · Games-branche · Leipzig · Sachsen · Mitteldeutschland

Warum scheut an einer staatlichen Hochschule eine Handvoll Akteure weder Mühe noch Zeitaufwand und stellt regelmäßig einmal im Jahr ein Event wie die „Lange Nacht der Computerspiele“ (LNC) auf die Beine? Mit mehr als hundert

G. Hooffacker (*)  HTWK Leipzig, Leipzig, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6_1

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Vortragenden, Ausstellerinnen und Ausstellern und Tausenden von Gästen? Und das schon seit 2007, damals zugegebenermaßen in kleinerem Rahmen? Und wieso reicht das den Akteuren noch nicht, sondern warum gibt es jetzt auch noch eine Publikation wie die vorliegende?

1 Neues Format: Science MashUp Mit dem „Science MashUp“ parallel zur Langen Nacht der Computerspiele ist ein neues Format für die Games Studies entstanden. Geplant war es seit 2019 mit dem Ziel, ein innovatives, dem Thema Gaming angemessenes Vortrags- und Publikationsformat zu schaffen, das begleitend zum größten Gaming-Event Mitteldeutschlands Wissenschaft und Praktiker zusammenbringt und dabei einen Impuls für die Games-Forschung gibt. Dass es 2020 schließlich als digitales Format umgesetzt werden konnte und mit dieser Publikation ein Querschnitt der Vorträge vorliegt, ist einem vernetzten Team aus Masterstudierenden, Bachelorstudierenden, Lehrenden und zahlreichen Helferinnen und Helfern zu verdanken. Die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig) hatte für 2020 wie jedes Jahr seit 2007 die Lange Nacht der Computerspiele als großes Präsenz-Event geplant. Im Zeitfenster ab 16 Uhr sollte das Symposium „Science MashUp – Zukunft der Games“ an der HTWK stattfinden. Seit 2007 vereint die Lange Nacht der Computerspiele Games-Entwickler, Aussteller*innen und Spielefans jeden Alters. Ursprünglich aus einer Vorlesungsreihe entstanden, zählt sie mit mehreren tausend Besucherinnen und Besuchern alljährlich zu den festen Größen der Gaming-Veranstaltungen in Sachsen. Der Eintritt zum gesamten Event ist seit jeher frei. Am selben Tag lädt die HTWK Leipzig zuvor traditionell zum Hochschul-Informationstag ein, beim dem Studieninteressierte die HTWK Leipzig kennenlernen können. Mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie ab dem 20. März 2020 schien das Schicksal dieser Events besiegelt – sie wurden zusammen mit allen anderen Hochschulveranstaltungen erst einmal abgesagt. Doch damit gaben sich die Organisationsteams der LNC sowie des Science MashUps nicht zufrieden. Bereits in der Woche darauf begannen sie darüber nachzudenken, wie sich die Events digital umsetzen lassen könnten. Dazu blieben ihnen dann sieben Wochen Zeit, bis am 9. Mai Symposium und LNC zum ersten Mal als rein digitale Events starten konnten. An diesem Sonnabend konnten Gaming-Fans ab 14 Uhr an den vielfältigen Angeboten auf der Website www.computerspielenacht.de und in den sozialen Medien von zu Hause aus teilnehmen. Eine Premiere erlebte am selben Tag

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ab 16 Uhr das erste „Science MashUp“-Symposium. Zu den Themen zählten Gaming in Sachsen –quo vadis? Was ist transmediales Storytelling? Wie entsteht Musik für Computerspiele? Das Science MashUp „Zukunft der Games“ verband Kurzvorträge mit dem sogenannten „Pecha Kucha“-Vortragsstil: 20 Bilder werden je 20 s gezeigt und eine Person referiert dazu. Im Livestream gaben Dr. Benjamin Bigl (Sächsische Landesmedienanstalt), Prof. Sonja Ganguin (Universität Leipzig), Prof. Gabriele Hooffacker (HTWK Leipzig) und zahlreiche weitere Referentinnen und Referenten aus der Region Antworten zu Fragen rund um die Zukunft der Games. Von 14 Uhr bis weit nach 22 Uhr konnten Gaming-Fans und Interessierte über verschiedene Plattformen wie Twitch, YouTube und Instagram von zu Hause aus in die vielfältigen Angebote der virtuellen Veranstaltung eintauchen. Auf 30 Kanälen des Onlinedienstes „Discord“ trafen sich Gaming-Begeisterte im Chat. Wer im Discord-Kanal „!beer“ tippte, sah sich einer fröhlichen Biertrinkrunde gegenüber und hörte Charlie Mops' Beer Song aus „The Bard's Tale“. Erstmals war in diesem Jahr der Branchenverband Games & XR Mitteldeutschland als Kooperationspartner mit dabei. Einen festen Bestandteil bildeten auch in diesem Jahr die Indie-Spiele, bei denen unabhängige Entwickler ihre Computerspiele vorstellen. In einem neunstündigen Livestream auf Twitch präsentierten unter anderem Felicitas Brämer, Tiny Crocodile Studios und Infections Games ihre Spiele, wie etwa Project Spectre, LightTaker und Ciconia. Die Zuschauerinnen und Zuschauer konnten mit ihnen via Discord mit jeder Menge Fragen rund um die Spiele und deren Entstehung ins Gespräch kommen. Virtual-Reality-Projekte aus dem laufenden Studienjahr stellte der Studiengang Medieninformatik vor. Bei den Videos konnten die Besucherinnen und Besucher XR-Projekte anschauen und in Realitäten eintauchen, die sonst unvorstellbar sind. So lernten Spielerinnen und Spieler bei „aVataR“, die vier Elemente zu bändigen und einzusetzen, und spielten in „VRCKELTURM“ das bekannte Geschicklichkeitsspiel Jenga, ohne den Turm nach jedem Zusammensturz wieder aufbauen zu müssen. Wer beim Spielen lieber näher an der Realität bleibt, konnte bei verschiedenen Brettspielen und Pen & Paper um den Sieg kämpfen und am Ende zum Champion gekrönt werden. Neben den Einblicken in eine virtuelle Kunstgalerie auf der Webseite ließen vier Game-Design-Künstlerinnen und -künstler die Gäste auf ihren Twitch- oder Instagram-Kanälen live an der Entstehung eines Kunstwerks teilhaben und beantworteten nebenbei allerlei Fragen. Im Mittelpunkt standen auch in diesem Jahr wieder die Retro Games. Neben Infos und Links zu bekannten Spieleklassikern gab es in diesem Jahr einen

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Livestream von Radio PARALAX rund um die Thematik Retro Games, neue Spiele für alte Konsolen und die Geschichte der LNC. Und obwohl die 14. Lange Nacht auf der eigenen Couch stattfand, gab es auch dieses Jahr einen AFK-Room zum Entspannen. Per Video-Rezepten konnte man sich Cocktails mixen und das Making of von Soundtracks miterleben. Damit die Bewegung zwischendurch nicht zu kurz kam, präsentierte das Hochschulsportteam verschiedene Fitnessvideos zum Mitmachen und die Techniker-Krankenkasse gab Tipps für Ausgleichssport. „Hätte nicht gedacht, dass sich die Lange Nacht der Computerspiele so gut ins Digitale retten lässt“, hieß es auf der Plattform „Jodel“. „Für die kurze Zeit habt ihr wirklich was Tolles auf die Beine gestellt. Nur eine kleine Kritik habe ich: Virtuelles Bier und virtuelle Würstchen, die schmecken nach gar nix“, fand „Medienspuernase“ im Chat. Wie die digitale Lange Nacht der Computerspiele 2020 geplant, koordiniert und umgesetzt wurde, beschreiben die Masterstudentinnen Vanessa Funke und Lisa Hermann in ihrem Beitrag in der vorliegenden Publikation.

2 Aus einer Vortragsreihe entstanden Die Lange Nacht der Computerspiele geht auf die HTWK-Professoren Klaus Bastian und Hans-Ulrich Niemitz und den Computerjournalisten und Sammler René Meyer zurück (Hooffacker 2018). Es begann mit einer Ringvorlesung und einem Spieleevent in zwei Seminarräumen (Meyer 2014). Jedes Jahr wurde sie ein wenig größer, zog vom Zuse-Bau in den Lipsius-Bau um und band weitere Hochschul-Projekte wie die Leo-Bots und das Nao-Fußballteam der HTWK ein. „Es begann“, erinnert sich Klaus Bastian, „mit dem Hilferuf der Leipziger Messe auf der Games-Convention.“ Das Amt für Wirtschaftsförderung der Stadt Leipzig stand vor dem Problem, dass die Games-Verleger den Umzug in eine westdeutsche Metropole planten. Ein Games-Cluster sollte dem Leuchtturm Spielemesse eine breite Games-Basis aus Entwicklern und Forschern an die Seite stellen. Professor Wolfgang Wittig widmete die Leipziger Informatik-Tage (LIT) um von E-Commerce, E-Payment und E-Learning hin zum Gaming. Das Programm LIT-2006 war bereits davon geprägt. Die Games-Master-Class wurde von Professor Jantke vorgeschlagen und veranstaltet. Matthias Horx beschrieb in der PM ‘Second Life’ und WOW als synthetische Kulturen, die für die Soziologie hoch interessant seien. „Wissenschaftlich ging es in dieser Zeit um E-Commerce und Handelsmodelle, die Frage, ob es elektronisches Geld gibt und wie Gesellschaften durch

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Kredit, Zins und Geld sowohl in der Antike wie in der Moderne zu Wohlstand und Wohlfahrt gekommen waren“, erläutert Klaus Bastian. „Wir waren Pilotanwender im Me-Doc-Projekt, dem ersten deutschen Vorhaben zu digitalen Bibliotheken und hatten Teilprojekte im Bereich ‚E-Verlage‘, wo es um digitale Dokumente und ihren Online-Erwerb ging – die Vorläufer von i-tunes und co.“ Klaus Bastian schlug Hans-Ulrich Niemitz vor, digitale Spiele als Konstruktionsmedium für Kredit, Zins und Geld und für die Entwicklung von Rechtssystemen zu nutzen. Das war im Sommer 2006 und gleichzeitig die Geburtsstunde der ersten Ringvorlesung im Sommersemester 2007 zu diesem Thema. „Die abendliche Zusammenkunft im Bayerischen Bahnhof war dann der Frage gewidmet, wie man unsere theoretische Ringvorlesung für das Sommersemester 2007 ‚Computerspiele und E-Welt‘ praktisch illustrieren könnte. Und da waren Hans-Ulrich Niemitz und René Meyer schnell bei der Sache und einigten sich auf eine ‚Lange Nacht der Computerspiele‘.“ Andreas Kusow, heute wissenschaftlicher Mitarbeiter, hatte bereits 2007 einige der Vorträge auf der Plattform Second Life gestreamt. Weitere Ringvorlesungen und Spielenächte folgten. Erst als andere Themen wie die Energiewende in den Vordergrund traten, trennten sich die Wege der Ringvorlesung vom denen des Spiele-Events. Zu diesem Zeitpunkt war die Lange Nacht der Computerspiele bereits eine Institution, die auch ohne Studiumgenerale-Veranstaltung weiterlebte und wuchs. 2017 hat Klaus Bastian das Team der Computerspielenacht um weitere Mitstreiter aus der ehemaligen Fakultät Informatik, Mathematik, Naturwissenschaften (IMN) sowie aus der ehemaligen Fakultät Medien (heute: Fakultät Informatik und Medien) der HTWK Leipzig erweitert. Seitdem liegt die Koordination bei Gabriele Hooffacker. Ziel ist, der gesamten Bandbreite der Spielekultur, der Games-Branche und der Games Studies ein Forum zu bieten, das nicht nur die Region Mitteldeutschland stärkt, sondern darüber hinaus Impulse gibt.

3 Games und Games Studies verbinden Die Lange Nacht der Computerspiele und das Science MashUp werden beide auf ihre Weise der zunehmenden Bedeutung der Games Branche und der Games Studies gerecht: Die Rolle der Games-Branche als Innovations- und Technologietreiber kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Sie wirkt in viele weitere Bereiche und Branchen hinein und zeitigt technologische wie inhaltliche, gestalterische, narrative und edukative Effekte. Anwendungsbereiche der in der

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Games-Branche verwendeten und entwickelten Technologien sind die Medizintechnik, die Automobilindustrie und zunehmend KI-basierte Algorithmen für eine Vielzahl an Branchen. Spielmechaniken und interaktive Erzähltechniken lassen komplexe und schwer vermittelbare Inhalte erlebbar werden. GamificationElemente spielen darüber hinaus in Marketing und PR sowie im Bereich der (strategischen) Unternehmenskommunikation (Zerfaß und Pleil 2012) eine zunehmende Rolle. Die Konzeption zwei- und dreidimensionaler virtueller Umgebungen findet Anwendung im Bereich der Simulation (Mechaniken, Physik, Wirtschaftskreisläufe etc.), künstlicher Intelligenz und Visual Effects. Aus der Games-Industrie stammen Schnittstellentechnologien wie etwa Game-Engines, Motion-Capturing oder Augmented und Virtual Reality, die in Branchen wie Automobil, Tourismus oder Raumfahrt eingesetzt werden können (Bigl 2016). In Deutschland wurden 2018 rund 4,4 Mrd. EUR mit Computer- und Videospielen sowie Games-Hardware erwirtschaftet. Das ist ein Plus von 9 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (Jahresreport der deutschen Games-Branche 2019, S. 4). Nur 4,3 % der Umsatzerlöse entfallen auf Spieleentwicklungen aus Deutschland (Jahresreport der deutschen Games-Branche 2019, S. 26), obwohl über 34 Mio. Menschen Games spielen und Deutschland damit zum Top Konsumentenland gehört. Die zentralen Erlöse der damit verbundenen Wertschöpfungskette finden bislang außerhalb Deutschlands und weitgehend außerhalb Mitteldeutschlands statt. Zu den wichtigsten Branchentrends, die im Rahmen der Langen Nacht der Computerspiele abgebildet werden, zählen:

3.1 E-Sport Aus den Computerspielen heraus entstand das kulturelle Phänomen des E-Sports. Die Europäische Union erkannte sie 2007 als offizielles Kulturgut an. Deutschland nahm sie wenige Monate später in den Deutschen Kulturrat auf. „Obwohl es analog zum Begriff „Sport“ verschiedene Definitionen von „E-Sport“ gibt, werden darunter meist Video- bzw. Computerspiele verstanden, die im Wettkampfmodus gegeneinander ausgetragen werden“ (Streppelhoff 2018, S. 5). Die Games-Wirtschaft weist in ihrem Portal www.gameswirtschaft.de Sport als eigene Kategorie aus. Umgekehrt haben im Fußball mehrere Bundesligisten bereits eigene E-Sport-Teams aufgebaut. Die Sport-Portale haben unter „esport. kicker.de“ oder www.sport1.de/esports gesonderte Bereiche für die Berichterstattung eingerichtet (Streppelhoff 2018, S. 8).

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Der Einfluss von Social Media ist auch hier hoch. Er hat den Trend begründet, „sich Spiele eher ‚anzusehen‘ als selber zu konsumieren (Let’s-Play-Phänomen)“ (Castendyk und Müller-Lietzkow 2017, S. 212). Auf der Langen Nacht der Computerspiele ist beispielsweise der Leipzig E -Sports e. V. präsent.

3.2 3D- und VR-Technologien Die Eingabegeräte unterliegen einem rasanten Wandel. Die Möglichkeiten über Sensoren neue Interaktionsformen in den Games zu bieten, weisen auf eine Veränderung weg vom stationären Spielen hin zu aktiver Nutzung hin. „Der Körper über Zusatzhardware in Kombination mit 3D-Brillen und nicht mehr nur die Auge-Hand-Kombination ist der Controller, und die räumliche 360-Grad-Darstellung erlaubt eine ‚Integration‘ in die Spielhandlung als visuell erfahrbarer Charakter“ (Castendyk und Müller-Lietzkow 2017, S. 208). An der HTWK entwickeln Studierende der Medieninformatik einschlägige Konzepte und stellen sie im Rahmen der Langen Nacht der Computerspiele vor.

3.3 Mobile-Gaming Der Trend zum Mobile-Gaming hält unverändert an. Mit dazu bei tragen Entwicklungen wie Wearables, sensorbasierte Endgeräte und weitere Smart Devices. Big-Data-Anwendungen erlauben weitere Nutzungsszenarien. Hier „bestehen gute Chancen gerade für junge und kleine Unternehmen, da die benötigten Ressourcen für die Entwicklung immer noch deutlich geringer sind, als z. B. bei der Entwicklung von Großkonsolenspielen“ (Castendyk und Müller-Lietzkow 2017, S. 208). Allerdings erkennen die Autoren der Games-Studie von 2017 auch eine „Verschärfung der Marktsituation“ (Castendyk und Müller-Lietzkow 2017, S. 209). Auf der Langen Nacht der Computerspiele zeigen sächsische Spieleentwickler ihre Kreationen.

3.4 Gamification & App-Entwicklung Das Schlagwort „Gamification“ zeigt auf, wie Innovationen aus der GamesBranche nach außenwirken und auch in Kommunikationsprozesse von Unternehmen (u. a. Apps, Unternehmenswebsites) Einzug finden. Dabei werden Elemente digitaler Spiele und Spielprinzipien wie Quiz-Elemente, gegenseitiges

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Bewerten und kollaboratives Arbeiten in einen wirtschaftlichen oder edukativen Kontext übertragen. Dies gilt auch für den Bereich der Serious-Games. Sie werden einerseits im Journalismus als sogenannte Newsgames eingesetzt (Wolf und Godulla 2018) oder direkt zu Zwecken der Aus- und Weiterbildung konzipiert. „Während der Gamification-Ansatz enger auf einen bestimmten Prozess bezogen ist, der in ein „Spiel“ bzw. eine Simulation verwandelt oder mit einem Spiel aufgelockert wird, machen Serious-Games beliebige Themen spielerisch erleb- und erlernbar“ (Castendyk et al. 2019, S. 65). Insbesondere im Raum Leipzig konzentrieren sich kleine Entwicklerstudios. Die „Indie-Entwickler“ sind regelmäßig bei der Langen Nacht der Computerspiele präsent. Innovationen zu diesen und weiteren Entwicklungen will das Science MashUp jährlich vorstellen und begleiten.

4 Warum eine Publikation? Fand die Dokumentation der Computerspielenacht bislang eher online, per Text, Audio oder Video statt, soll insbesondere dem Science MashUp Nachhaltigkeit verliehen werden. Zusätzlich zur Dokumentation der Screencasts und Videos auf dem Youtube-Kanal des Science MashUp1 gibt es deshalb 2020 erstmals einen Tagungsband. Er hat zum Ziel, zum einen wissenschaftliche Ergebnisse aus den Games Studies, zum anderen Praxis-Beispiele vorzustellen. Dazu können künftig auch Kooperationen zum Forschungs-Praxis-Transfer zwischen Unternehmen und Hochschulen in den Bereichen der Technologieentwicklung, der Entwicklung von Geschäftsmodellen, der Erforschung der (sozialen) Wirkung von Produkten der Games-Branche etc. zählen. Zudem gibt er allen, die beim Science MashUp selbst nicht dabei sein konnten, die Möglichkeit, die Beiträge nachzulesen. Das Science MashUp 2020 brachte Wissenschaft und Gaming-Szene online zusammen; die Inhalte der Referate spiegeln diese Bandbreite wider. Insbesondere die Beiträge aus der Praxis der Spieleentwicklung und des Gamedesigns werden in Form von Interviews dokumentiert. Alle Vorträge sind im vorliegenden Band dokumentiert. Zusätzlich ergänzt ein Beitrag von Michael Baur und Stella Schüler, die am Science MashUp nicht teilnehmen konnten, das Themenspektrum. René Meyer zeigt die Geschichte der Game-Events auf. Inter-

1Science

MashUp, https://www.youtube.com/channel/UCasJDucHcEbovwMf95k50jg, abgerufen 25. Juli 2020.

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views mit Jana Reinhardt und Friedrich Hanisch (Ratking), Christin Marczinski und Thi Binh Minh Nguyen (A.Muse), Thomas Horky (Macromedia Hochschule Hamburg) und Felix Falk vom Verband der deutschen Games-Branche (GAME) runden die einzelnen Kapitel ab. Science MashUp und Lange Nacht der Computerspiele soll es weiterhin jährlich geben. Für beide Events ist in Zukunft einen Mix aus klassischen und virtuellen Formaten denkbar. Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Juli 2020) noch nicht absehbar ist, ob ein Groß-Event mit mehr als tausend Gästen im Mai 2021 wieder durchführbar ist, spricht einiges dafür, zumindest Teilbereiche wie das Science MashUp weiterhin digital durchzuführen. Dies würde Referentinnen und Referenten aus dem gesamten deutschsprachigen Raum ermöglichen, mit Beiträgen vertreten zu sein, und zum andern ein Publikum über die Region hinaus ansprechen. Freilich fehlte dann der direkte Austausch und Diskurs. Die Publikation eines Tagungsbandes kann jedoch für einen weiteren Rezipientenkreis sorgen und auf diese Weise zum wissenschaftlichen Diskurs beitragen. Dank für Ergänzungen zu diesem Beitrag geht an Klaus Bastian und Anna Kühne.

Literatur Bigl, B. (2016). Virtuelle Computerspielwelten. Köln: Herbert von Halem. Castendyk, O., & Müller-Lietzkow, J. (2017). Studie zur Computer- und Videospielindustrie. Paderborn: Hamburg Media School. Castendyk, O., Müller, J., Poser, C., & Witte, C. (2019). Die Games-Industrie in Bayern. München: VBW Bayern. Hooffacker, G. (2018). Faszination Gaming. (HTWK Leipzig) PODIUM, S. 36. (2019). Jahresreport der deutschen Games-Branche. Berlin: Game. Verband der deutschen Gamesbranche. Meyer, R. (2014). Acht Jahre Lange Nacht der Computerspiele in Leipzig – Wie aus einer Studentenparty die größte Retro-Veranstaltung Deutschlands wurde. Abgerufen am 17. 06 2020 www.schreibfabrik.de: http://www.schreibfabrik.de/txt/Amiga_Future_-_ AF109d_10-11.pdf. Streppelhoff, R. (2018). E-Sport und Serious Games: Videospiele im Sportkontext. Bonn: Bundesinstitut für Sportwissenschaft. Wolf, C., & Godulla, A. (2018). Newsgames im Journalismus. Haben sie Potenzial? Was sagen die Nutzer? Journalistik , 1 (2), S. 3–21, http://journalistik.online/wp-content/ uploads/2018/06/wolf-newsgames_Journalistik_2-2018_de.pdf, abgerufen am 1. Oktober 2020.

Transfer der 14. Langen Nacht der Computerspiele in die virtuelle Welt Vanessa Funke und Lisa Herrmann

Zusammenfassung

Innerhalb von sieben Wochen musste das jährlich stattfindende Groß-Event „Lange Nacht der Computerspiele“ als virtuelles Event neu konzipiert werden. Dieser Beitrag analysiert die Prozesse der Planung, Umsetzung und Auswertung der digitalen langen Nacht der Computerspiele 2020. Die einzelnen Bereiche mit ihren jeweiligen Arbeitsteams und der Aufbau der verschiedenen Plattformen, auf denen die Veranstaltung realisiert wurde, werden dargestellt und die Ergebnisse ausgewertet. Weiterhin werden die positiven Aspekte der Durchführung sowie die Problematiken, die in der Vorbereitungsphase und während des Events aufgetreten sind, erläutert. Eine Auswertung der relevanten Kennzahlen in Bezug auf die allgemeinen Reichweiten bei den Social-MediaPlattformen und der Website sowie einige Vorschläge für Optimierungsideen für die Lange Nacht der Computerspiele 2021 schließen den Beitrag ab. Schlüsselwörter

Digitales Event · Virtuelles Event · Transfer eines Groß-Events in die Online-Welt · Planung · Durchführung · Nachbereitung ·  Computerspiele · Games · Eventmanagement

V. Funke (*) · L. Herrmann  HTWK Leipzig, Leipzig, Deutschland E-Mail: [email protected] L. Herrmann E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6_2

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V. Funke und L. Herrmann

Mitte März 2020 erfuhren die Organisator*innen der Langen Nacht der Computerspiele (LNC), dass das große Live-Event wegen der Corona-Pandemie abgesagt wurde, und entschlossen sich zum Transfer des Events in die virtuelle Welt. Die Neugestaltung der jährlich analog stattfindenden LNC erstmals in den digitalen Bereich stellte das Organisationsteam um zahlreiche Studierende der HTWK Leipzig, um Prof. Dr. phil. Gabriele Hooffacker, verantwortlich für Organisation sowie Presse und Öffentlichkeitsarbeit sowie Marcus Klöppel M. A., zuständig für inhaltliche Gestaltung und Umsetzung, vor allerhand Herausforderungen. (LNC Ansprechpartner 2020) Trotz der Widrigkeiten der globalen Pandemie konnte die LNC jedoch erfolgreich als virtuelle Veranstaltung am 9. Mai 2020 durchgeführt werden. In den folgenden Abschnitten wird erläutert, wie Planung und Organisation für die einzelnen Bereiche der LNC umgesetzt wurden. Kennzahlen, welche den Erfolg der digitalen Durchführung veranschaulichen, werden untersucht. Die entstandenen Probleme in der Planung und Umsetzung werden aufgezeigt und mit Optimierungsvorschlägen versehen.

1 Bereiche und Arbeitsteams Inhaltliche Koordination und Umsetzung der Langen Nacht der Computerspiele lagen auch 2020 wieder bei Marcus Klöppel, Absolvent der HTWK Leipzig. Er kommunizierte mit den Stakeholdern, vermittelte zwischen den Interessen dieser und der Veranstaltung und unterstützte alle Teams bei der Suche nach Ausstellenden bzw. Stream-teilnehmenden Personen. Die Zuarbeit von Content für die Website und den Discord-Server an die verschiedenen Bereiche und Arbeitsteams gehörte zu einer seiner zentralen Aufgaben. Während der 14. digitalen langen Nacht der Computerspiele hat er unter anderem den Discord-Channel betreut, mit externen Berichtenden und Kontaktpersonen kommuniziert – kurz, er war zentraler Ansprechpartner für die internen verantwortlichen Personen der einzelnen Bereiche. Weitere zentrale Aufgaben übernahm der Webmaster der HTWK Leipzig Jochen Förster, selbst ein begeisterter Retro-Gamer, unterstützt von Susann Großmann vom Veranstaltungsbüro der Fakultät Informatik und Medien. Die Masterstudentin Sophia Litzke betreute zum einen das Symposium, zum anderen die Künstler*innen, die ihre Werke zeigten. Leonard Strahl, Student der Medientechnik, kümmerte sich ebenfalls um die Discord-Kanäle; Masterstudentin Lena Ulrich leitete das Projektteam für das Symposium. Mit Dr. Bernhard Bigl konnte ein ausgewiesener Kommunikationswissenschaftler und Games-Experte für die

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inhaltliche Koordination des Symposiums und dieses Tagungsbandes gewonnen werden. Die Gesamtkoordination aller Aktivitäten lag wieder bei Prof. Dr. Gabriele Hooffacker von der HTWK Leipzig.

2 Aufbau und Funktion der Kanäle Website Die zentrale Website unter www.computerspielenacht.de ist die wichtigste Plattform, da sie die Besucher*innen über alle Inhalte und Veranstaltungen der Langen Nacht der Computerspiele informiert. Dazu gehören sehr viele unterschiedliche Bereiche von Retro-Gaming über Indie-Entwickler*innen bis zum ScienceMashUp, in die man eintauchen kann und konnte. In der Promotion-Phase gab es eine Startseite, die einen Überblick über den Ablauf der Veranstaltung gab. Zur Langen Nacht der Computerspiele am 9. Mai 2020 wurde diese ab 14:00 Uhr von einer bis dahin noch nicht veröffentlichten neuen Website mit den einzelnen Bereichen als Unterseiten ersetzt. Dort wurden je nach geplantem Termin wie etwa einer Live-Session verschiedene bereits platzierte Verlinkungen auf andere Plattformen freigeschalten. Dazu gehörte beispielsweise die Seite der IndieSpieleentwickler*innen im Live-Stream. Bei der Langen Nacht der Computerspiele können verschiedene Entwickler*innen ihre neuesten Kreationen einem breiten Publikum zeigen. Dabei wird auf der Website auf den Twitch-Kanal verlinkt, bei dem interessierte Zuschauende bei dem Programm live dabei sein konnten. In der Art Design Galerie konnten innerhalb eines virtuellen Galerierundgangs verschiedene Art-Designer*innen ihre Werke vorstellen und man bei Interesse direkt durch platzierte Links zu deren Shop oder ihrer Dienstleistung gelangen. Außerdem fanden Live-Sessions statt, bei denen die Künstler*innen neue Bilder entstehen ließen. In einem anderen Bereich, der Virtual Reality, konnte in spannende und unbekannte Spielwelten eingetaucht werden. In dem Genre Retro Games wurde ein Blick in die Vergangenheit und somit in die Geschichte der Computerspiele und -konsolen geworfen und dabei bei dem einen oder anderen Besuchenden Erinnerungen geweckt. Außerdem gab es hier auch die Möglichkeit durch die Verlinkung auf Browser-Game-Seiten viele spannende Retro Games online zu spielen. Auf der Seite der analogen Spiele konnte man mit Bekannten gemeinsam alte Brettspiele über die Board Game Arena spielen (Abb. 1). Auch der Spielraum LE e. V. war hier ein wichtiger Partner, der unter anderem Pen & Paper Rollenspiele angeboten hat. Bei der digitalen Version der 14. Langen Nacht der Computerspiele gab es wie schon die letzten Jahre einen AFK-Room, bei dem zwischen den Live-Streams und dem

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Gaming entspannt werden konnte – es gab Videos mit Cocktail-Rezepten und Entspannungsübungen „away from keyboard“. Weiterhin wurden im Ausstellerverzeichnis 2020 alle Ausstellenden mit einem kurzen Steckbrief zum Nachlesen und Kontaktieren aufgeführt. Discord Einer der essenziellen Kanäle war die kostenlos nutzbare Online-Plattform Discord für Sprach- und Textchat. (Discord 2020) Vor allem im Gaming-Bereich oft genutzt, durfte er bei der 14. Langen Nacht der Computerspiele nicht fehlen. Die Plattform, die aus einem Messenger-Dienst entstanden ist, bietet auf einem eigenen „Server“ die Möglichkeit, weitere „Kanäle“ einzurichten, die als eigene Diskussionsräume fungieren. Neben dem einfachen Textchat sind Sprach- und Videochats sowie das Teilen des eigenen Bildschirms möglich. Strukturiert wurde dieser Server in die verschiedenen Kanäle, die als Bereiche ebenfalls auf der Website eingesetzt wurden: Eintritt/Startseite, Analoge Spiele, Indie-Entwickler, Retro-Spiele und E-Sport (Abb. 2). Die verschiedenen Channels wiesen daraufhin die dazugehörigen Text- und Sprachkanäle auf. In ihnen war es den Besuchenden möglich, mit anderen und den Ausstellenden in Kontakt zu treten und zu chatten. Bei Eintritt in den Discord-Server der LNC wurde die besuchende Person durch ein Bot in den Direktnachrichten begrüßt. Ein kurzer Hinweis zu den Aktivitäten in Discord sowie die Möglichkeit, mithilfe eines Befehls ein Tutorial zu starten oder Hilfe zu bekommen, standen zur Verfügung (Abb. 3). Die Mitglieder des Organisationsteams sorgten dabei fortwährend für die Einhaltung der Nettiquette und wirkten dabei auch in der Rolle der Moderation. Twitch Als beliebte Plattform für Live-Streaming gilt bei Gamern Twitch. Die Brandbreite reicht von Unterhaltungssendungen und Talkshows bis hin zum Streaming von Gaming-Sessions. (Twitch 2020). Dem Nutzenden wird es einfach gemacht: Er gelangt entweder direkt über den Link zum Live-Stream, verwendet die Suchleiste mit passenden Schlagwörtern, welche ihn zum gesuchten Stream bringen oder er stöbert in den verschiedenen Kategorien (Abb. 4 (Startseite des Account)). Zur Begrüßung im Stream der LNC (und bei noch nicht laufender Sendung) wurde ein Thumbnail mit dem Programm der LNC in Twitch angezeigt (Abb. 5 (Thumbnails)). Das Ansehen eines Streams ist grundsätzlich ohne Registrierung möglich, die Interaktion mit dem Streamenden oder anderen Zuschauenden in der Live-Konversation benötigt jedoch eine Anmeldung.

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Die Live-Sendung kann nach Beendigung (je nach Wunsch des Streamenden) gespeichert und den Zuschauenden für ein späteres oder erneutes Ansehen auf diese Weise zur Verfügung gestellt werden. Während der digitalen LNC wurden auf dieser Plattform die Projekte der Indie-Entwickler*innen durch diese vorgestellt und vorgespielt. Im Stream-Chat konnten die Nutzenden mit den Indie-Entwickler*innen in Kontakt treten und Fragen stellen. Die vorgestellten Computerspiele selber ausprobieren war den Nutzenden über Discord möglich. Youtube Youtube ist ein Videoportal, welches seit 2005 existiert. (vgl. Richter 2016) Mittlerweile ist es den Nutzenden möglich, sowohl Videos hochzuladen als auch live zu streamen. Diese Möglichkeit wurde bei der 14. LNC genutzt, um das Symposium Science MashUp zu übertragen (Abb. 6). In der Vorbereitung wurde hierfür ein Programm aufgestellt, welches wissenschaftliche Beiträge aus den verschiedenen Bereichen der Gaming-Studies enthält. (Youtube 2020) Youtube funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip wie Twitch: Ein Link oder die Nutzung der Suchleiste bringt den Nutzenden zu seinem gewünschten Video. Das Kommentieren und die Interaktion mit anderen steht ihm nur zur Verfügung, wenn er angemeldet ist. In der Vorbereitung wurde auf diesem Kanal ein Teaser-Video hochgeladen. Am Tag des Events startete der Stream des Science-MashUp ab 16 Uhr. Dieser wurde anschließend gespeichert sowie die Beiträge der Referierenden einzeln in einer Playlist den Nutzer nachhaltig angeboten.

3 Reichweite in Social Media und der Website Abrufzahlen der Social-Media-Kanäle Die durchschnittliche Reichweite der geposteten Storys auf Instagram umfasste bei 162 Abonnenten im Zeitraum vom 20. April 2020 bis zum 9. Mai 2020 ca. 60 – 80 Personen. Diesbezüglich erfolgten bei Storys in Verbindung mit einigen Quizzes im Mittel ca. 25 Interaktionen. Knapp ein Drittel der Storys entfiel auf die Quizzes, mehr als ein Drittel (36 %) auf Themen des Programmplans, ein gutes Drittel auf Ankündigungen von Highlights. Die geposteten InstagramBeiträge konnten durchschnittlich 25 Likes bei den User*innen erzielen. Die Facebook-Reichweite für den gleichen Zeitraum lag im Durchschnitt bei ungefähr 600 Personen, wobei die Anzahl der Likes pro Beitrag durchschnittlich

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bei 14 Likes lag. Innerhalb dieser Zeitspanne wurde somit jeden Tag mindestens eine Story oder ein Beitrag gepostet ‒ am Tag der Veranstaltung natürlich mehrere. Einzelne Eventvorstellungen, die zur Langen Nacht der Computerspiele stattfinden, wie z. B. der AFK-Room, die einzelnen Künstler*innen oder der Science MashUp, sowie spannende Quizzes wie zum Thema Nostalgik gehörten zu den Inhalten der Posts (Abb. 7 und 8). Insgesamt hat die Facebook-Seite dieses eingeführten Events 1298 Abonnenten. Mithilfe der Social-Media-Kampagne wurden im Zeitraum vom 20. April bis zum 9. Mai 2020 für Facebook 19, für Instagram 57 neue Abonnenten gewonnen. Abrufzahlen der Website Die Abrufzahlen der Website lassen sich vielseitig analysieren. Als Plattform dafür wurde matamo verwendet. Die zu untersuchenden Zahlen sind dabei die folgenden, jeweils mit einer kurzen Erläuterung: Kennzahlen der Besuche (visits) Besucherzahlen

Wenn ein Besucher zum ersten Mal die Website besucht oder seit dem letzten Seitenaufruf mehr als 30 s vergangen sind, wird dies als neuer Besuch gezählt

Eindeutige Besucher

Die Anzahl der eindeutigen Besucher auf einer Website. Jeder Benutzer wird nur einmal gezählt, auch wenn er die Website mehrmals täglich besucht hat

Durchschnittliche Besuchszeit

Die Durchschnittslänge eines Besuchs

Abgesprungene Besucher

Der Anteil der Besuche, bei denen nur eine Seite aufgerufen wurde. Dies bedeutet, dass der Besucher die Website auf der Eingangsseite sofort wieder verlassen hat

Aktionen pro Besuch

Die durchschnittliche Anzahl von Aktionen (Seitenansichten, Downloads, ausgehende Verweise und interne Suchen), die während des Besuchs durchgeführt wurden

Kennzahlen der Seitenaufrufe (page impressions) Seitenansichten

Die Anzahl der Seitenaufrufe

Einmalige Seitenansichten

Die Anzahl der Besuche, welche diese Seite aufgerufen haben. Sollte die Seite mehrmals bei einem Besuch aufgerufen worden sein, so wird dies nur einmal gezählt

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Die Kennzahlen für die erstmals ausschließlich digital ablaufende Lange Nacht der Computerspiele werden im Folgenden aufgezeigt und mit der analog stattgefundenen 13. LNC verglichen, um ein Abbildung des messbaren Erfolgs zu geben. Kennzahlen

2020

2019

Besucherzahlen

661

1.144

Eindeutige Besucher

499

901

Durchschnittliche Besuchszeit

5 min 38 s

2 min 0 s

Abgesprungene Besucher

33 %

49 %

Aktionen pro Besuch

3,8

2,4

Seitenansichten

1.872

2.599

Einmalige Seitenansichten

1.409

2.095

Die Statistik zeigt, dass am 9. Mai 2020 zur 14. Langen Nacht der Computerspiele 661 Besucher*innen und 1872 Seitenansichten gezählt wurden. Diese beziehen sich dabei auf die Startseite https://computerspielenacht.htwk-leipzig. de/computerspielenacht-start/. Die am 11. Mai 2019 analog veranstaltete 13. Lange Nacht der Computerspiele konnte dabei eine Besucherzahl von 1144 Besuchenden sowie 2599 Seitenaufrufe auf der Website erzielen. Daraus ergibt sich, dass die digitale LNC 727 weniger Seitenansichten sowie 483 weniger Besucher*innen als die 13. LNC zu verzeichnen hat. In Hinblick auf die Abrufzahlen ist die digitale Umsetzung negativ zu bewerten, weil weniger Publikum auf die Website gelangt ist. Als ein möglicher Grund hierfür könnte die kurze Zeitspanne für eine entsprechende Marketing-Kampagne angesehen werden. Wahrscheinlicher ist jedoch die Annahme, dass zahlreiche Gäste der unterschiedlichen Plattformen gar nicht über die Website gingen, sondern durch die umfangreichen Hinweise auf den SocialMedia-Plattformen Facebook und Instagram direkt zu Discord, Twitch oder Youtube wechselten und somit die Website umgingen. Die weiteren Kennzahlen weisen jedoch positive Tendenzen auf. So konnte festgestellt werden, dass die durchschnittliche Besuchszeit pro Besucher*in rund das Doppelte als bei der 13. LNC betragen hat. Statt lediglich 2 min im Jahr 2019 blieben die Besucher*innen im Jahr 2020 5 min und 38 s auf der Website. Dies bedeutet eine Steigerung von 181,67 %, welche mit spannenden Themen und dem weitreichenden Umfang der Website begründet werden kann. Weiterhin konnte aufgezeigt werden, dass die Absprungrate bei der 14. LNC signifikant geringer war als bei der 13. LNC. Das stellt dar, dass dieses Jahr 16 % weniger Besucher*innen die Website direkt nach dem Aufruf wieder verlassen haben.

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Als letzte Kennzahl stehen die durchschnittlichen Aktionen pro Besucher*in auf der Website, welche bei der diesjährigen Langen Nacht der Computerspiele ebenfalls als Erfolg zu werten sind. 2019 lagen diese im Durchschnitt bei 2,4 Aktionen pro Besuch. Die digitale LNC verzeichnete bei dieser Kennzahl ebenfalls einen Anstieg von 58,33 %. Dies spricht dafür, dass die enthaltenen Links für die Besucher*innen interessant waren und für eine Aktion seitens derer gesorgt haben. Die Kennzahlen für den eigenen Bereich Symposium entstammen der Abschlusspräsentation des Master-Studiengangs Veranstaltungsmanagement. Erhobene Daten

Bedeutung

Wert

Gesamtaufrufe am 9. Mai, Stand 13. Juni 2020

Absolute Klickzahlen (Aufrufe auf den Stream)

247 (283)

Durchschnitt gleichzeitig Zuschauende (Maximum)

Anzahl verschiedener Zuschauenden, welche gleichzeitig eingeschaltet haben

ca. 40 (59)

Chatbeteiligung (Maximum)

Anzahl der Chatnachrichten während des Streams

172 Nachrichten (7 Nachrichten pro Min)

Durchschnittliche Wiedergabedauer am 9. Mai

Dauer, wie lang Zuschauende den Stream verfolgt haben* *ohne Abzug des Vor- sowie Abspanns

13,6 % (22:29 Min)

Die Gesamtaufrufe mit 247 Besuchenden erreichen nicht die 661 Besuchenden der Website. Trotzdem zeigt diese Kennzahl, dass der Science Mashup gut besucht worden ist, auch wenn man nicht voraussetzen kann, dass die Besuchenden des Symposiums von der Website der LNC dorthin gelangt sind. Die durchschnittliche Wiedergabedauer von 22:29 min und einer durchschnittlichen Beitragslänge von 10 min und 7 s bedeutet, dass die Besuchenden im Durchschnitt zwei Beträge verfolgt haben. Neben den Kennzahlen der Website und des Symposiums gibt es weitere informative Kennzahlen der Website, welche kurz betrachtet werden sollen. Besucher aus verschiedenen Ländern Land

Eindeutige Besucher

Deutschland

446

Vereinigte Staaten

44

Vereinigtes Königreich

5

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Land

Eindeutige Besucher

Unbekannt

2

Schweden

1

Spanien

1

Zu erwarten war, dass die Besucher*innen hauptsächlich aus Deutschland die Website besuchen. Jedoch wurden auch Besucher*innen bzw. Aufrufe durch Suchmaschinen aus anderen Ländern wie z. B. den Vereinigten Staaten oder dem Vereinigten Königreich gezählt. Für den Erfolg der digitalen LNC sind diese nicht von erheblicher Bedeutung, jedoch durchaus für die Organisatoren und Ausstellenden interessant. Einstiegsseite Seite

Eingänge

Absprünge

Absprungrate

Startseite

474

139

29 %

Programmplan

118

49

42 %

Symposium

23

6

26 %

Die Einstiegsseite, also die erste Seite, die während eines Besuches aufgerufen wird, waren wie zu erwarten die Startseite, nachfolgend der Programmplan sowie die Webseite des Symposiums Science MashUp. Dabei sagen diese Zahlen aus, dass über 300 Besucher*innen, welche über die Startseite zur LNC gelangt sind, weiterhin auf der Website verweilt sind oder sich die weiteren Unterseiten angeschaut haben. Der Programmplan funktionierte als Einstiegsseite am schlechtesten, weil die Absprungrate deutlich höher ist als bei der Startseite oder der Seite des Symposiums. Über die Ursachen kann nur spekuliert werden: Stellten die Besucher*innen nach mehrfachem Besuch fest, dass sie jetzt bereits alle Programmpunkte gesehen hatten? Oder war der Programmplan zu wenig aussagekräftig gestaltet?

4 Positive Aspekte der gesamten Umsetzung Die innerhalb kürzester Zeit durchgeführte und ins Digitale übertragene 14. Lange Nacht der Computerspiele der HTWK Leipzig erforderte von allen Teammitgliedern eine schnelle und zuverlässige Umsetzung einer neu etablierten dezentralen Struktur zur Organisation aller einzelnen Themenbereiche.

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Beispielsweise konnte das Social Media Team durch seine schnelle und präzise Kommunikation und Lösung von Problemen mit zahlreichen kreativen Ideen und fairen Aufgabenverteilungen reibungslos und unmittelbar neue Promotionskonzepte für die Veranstaltung umsetzen. Außerdem nahmen die Studierenden des Teams an einem Modul zur Online-Öffentlichkeitsarbeit von Gabriele Hooffacker teil, wodurch sie bei der Ausführung von Aufgaben wie z. B. die Verfassung von Pressemitteilungen und Nachberichten Hilfe und Unterstützung erhielten. Insgesamt traten am Tag der Durchführung der Veranstaltung keine größeren Probleme auf, wobei dieser Erfolg vor allem auf die hervorragend funktionierende Kommunikation zwischen allen Teammitgliedern und Mitwirkenden sowie die aufwendige aber zielgerichtete Umorganisierung zurückzuführen ist. Im Social Media Bereich erfolgte die Veröffentlichung der unterschiedlichen Posts zu Inhalten und Abläufen der Veranstaltung pünktlich, da diese effizient vorbereitet worden sind. Weiterhin wurden von den Gästen nicht allzu viele Fragen über Unklarheiten gestellt und es waren glücklicherweise keine „Trolle“, welche die Plattformen missbrauchen oder unnützen Content beisteuern, anwesend.

5 Analyse der verschiedenen Problemstellungen Vorbereitungsphase Als ein großes Problem erwies sich der zu geringe Werbedruck, um auf die Veranstaltung in ihrer neuen Form aufmerksam zu machen. Die Plakate für das reale Event, das dann abgesagt werden musste, waren bereits gedruckt; für das virtuelle Event standen keine zur Verfügung. Grund dafür war das kleine Zeitfenster zwischen Planung und Durchführung sowie die stark begrenzten finanziellen Mittel. Außerdem ist besonders in Bezug auf die Bekanntgabe erledigter Aufgaben, die Übernahme noch offener Punkte und die Abstimmung zeitlicher Kapazitäten von den Studierenden die interne Kommunikation noch ausbaufähig. Da viele Studierende erst neu durch verschiedene Module und den Semesterwechsel im April in das Team gekommen waren, mussten sie kurzfristig neue Aufgaben erledigen, ohne dabei ein generelles Hintergrundwissen zu besitzen. Diese Problematik entstand, da eine wenig strukturierte Informationssammlung aller Dokumentationen, Konzepte und anderer Materialien vorliegt. Dabei lag unter anderem der Fokus auf dem Team, das die Website der Veranstaltung angelegt und systematisch eingerichtet hat. Weil die Site als die wichtigste Plattform für die allgemeine Informationsvermittlung, Steuerung und Weiterleitung

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auf alle anderen Kanäle wie z. B. Discord, Twitch, Youtube und Instagram fungiert, war hier eine mit sehr viel Zeit- und Arbeitsaufwand verbundene Organisation und Einrichtung erforderlich. Wegen der plötzlichen Umstellung gab es zunächst kein Konzept und nur sehr unvollständigen Content. Das Team hat trotz dieser Widrigkeiten innerhalb sehr kurzer Zeit eine Website geschaffen, die einwandfrei funktioniert und das digitale Event komplett abgebildet hat. Durchführung Glücklicherweise konnten während der Durchführung keine nennenswerten Probleme verzeichnet werden.

6 Optimierungsvorschläge für die LNC 2021 Hinter der Langen Nacht der Computerspiele steht ein starkes Netzwerk regionaler Agierender. Jedoch sind die Kontaktdaten nicht ausreichend gepflegt und sollten daher gegengeprüft, besser strukturiert und falls nötig korrigiert werden. Weiterhin wurde vor allem durch die Umstellung ins Digitale deutlich, dass die Dokumentations- und Kommunikationsprozesse dringend anzupassen sind. Gerade weil die Veranstaltung üblicherweise in einem großen Umfang mit hohem Aufwand und zahlreichen unterschiedlichen Mitwirkenden stattfindet, ist die ständige Optimierung der Organisation und Durchführung ein wichtiges Ziel. Dabei spielt vor allem ein übersichtliches, stets auf den aktuellsten Stand gepflegtes und für alle zugängliches Konzept eine zentrale Rolle. Da die Lange Nacht der Computerspiele immer im Mai stattfindet und das neue Semester Anfang April beginnt, gibt es hier immer die Schwierigkeit, dass sich neu dazu gestoßene Teammitglieder relativ schnell in die Veranstaltung und das Konzept hineindenken müssen. Meist ist zu diesem Zeitpunkt jedoch schon fertig geplant. Eventuell würde sich hier anbieten, dass die neuen Studierenden bereits im Februar oder März in das Projekt integriert werden, damit sie nicht erst in den letzten Zügen der Planung beitreten, sondern das Team bereits vorab unterstützen können. Eine Idee für die fernere Zukunft ist eine interaktive Lösung, also eine VR Lobby, die sowohl per Bildschirm als auch 3D Brille besucht werden kann. Dort könnte dann ein moderiertes Programm ablaufen, welches auf Social Media, die Webseiten und Spiele verweist. „Das wäre das nächst höhere Level – quasi nicht real, aber virtuell real“. (Dipl.-Ing. (FH) Jochen Förster).

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7 Fazit Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nicht absehbar, ob die nächste Lange Nacht der Computerspiele 2021 wieder wie gewohnt “analog” stattfindet, ob wie in diesem Jahr alle Besuchende die Veranstaltung online besuchen müssen oder ob es eventuell eine Mischung von beidem wird. Der Organisatoren favorisieren derzeit eine Hybridform. Dies zum einen, weil sich insbesondere beim Science MashUp das virtuelle Format bewährt und für mehr Akteure wie Gäste gesorgt hat, zum anderen, um für alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Insgesamt wurde das Organisationsteam durch die Neugestaltung vor Herausforderungen gestellt, welche sie mit Erfolg bewältigt haben. Die erworbenen Kenntnisse können dabei für weitere digitale Veranstaltungen von Vorteil sein.

Abbildungsverzeichnis Discord [Discord-Kanäle des LNC-Servers] (2020): aufgenommen am 14. Juni 2020 um 15:53 Uhr. Discord [Begrüßungs-Bot] (2020): aufgenommen am 14. Juni 2020 um 13:54 Uhr.

Abb. 1   Ausschnitt der Website zum Thema Analoge Spiele

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Abb. 2   Die verschiedenen Kanäle auf dem LNC-Server in Discord

Abb. 3   Die Begrüßungs-Nachricht durch den Bot

Abb. 4   Startseite des Account Lange der Nacht der Computerspiele auf Twitch

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Abb. 5   Thumbnail des Programms auf Twitch

Abb. 6   Startseite des Youtube-Accounts Science MashUp

LNC [Facebook-Seite] (2020): https://www.facebook.com/spielenacht/?ref= page_internal, abgerufen am 16. Juni 2020 um 10:33 Uhr. LNC [Instagram-Seite] (2020): https://www.instagram.com/langenachtdercomput erspiele/, abgerufen am 15.06.2020 um 15:07 Uhr. LNC [Webseite] (2020): https://computerspielenacht.htwk-leipzig.de/computers pielenacht-2020/analoge-spiele/, abgerufen am 15.06.2020 um 15:33 Uhr.

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Abb. 7   Instagram Post vom 09. Mai 2020

Abb. 8   Facebook Post vom 11. Mai 2020

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Twitch [Thumbnail] (2020): https://www.twitch.tv/computerspielenacht, aufgenommen am 14. Juni 2020 um 14:24 Uhr. Twitch [Startseite LNC] (2020): https://www.twitch.tv/computerspielenacht, aufgenommen am 14. Juni um 14:29 Uhr. Youtube [Science MashUp] (2020): https://www.youtube.com/channel/ UCasJDucHcEbovwMf95k50jg, aufgenommen am 12. Juni 2020 um 19:33 Uhr.

Literatur Bischoff, Heidrun: E-Mails vom 06. Juni 2020, 09. Juni 2020, 10. Juni 2020 und 11. Juni 2020 Discord (2020): https://discord.com/company, abgerufen am 7. Juni 2020 um 13:48 Uhr Förster, Jochen: E-Mail vom 05. Juni 2020 Klöppel, Markus: E-Mail vom 31. Mai 2020 LNC [Ansprechpartner] (2020): https://computerspielenacht.htwk-leipzig.de/pressemedien/ansprechpartner/, abgerufen am 14. Juni 2020 um 13:29 Uhr Richter, C. (2016, 18. Mai): Artikel zu Youtube https://www.giga.de/unternehmen/youtube/ specials/wann-wurde-youtube-gegruendet-und-wer-sind-die-gruender/, abgerufen am 12. Juni 2020 um 12:09 Uhr Twitch (2020): https://www.twitch.tv/p/de-de/about/, abgerufen am 14. Juni 2020 um 13:59 Uhr Youtube (2020): https://www.youtube.com/watch?v=cWNVrXSOOfg, abgerufen am 12. Juni 2020 um 12:41 Uhr

Computer- und Spiele-Veranstaltungen gestern und heute René Meyer

Zusammenfassung

Mit ihrer 14. Auflage ist die Lange Nacht der Computerspiele der HTWK Leipzig 2020 bereits ein alter Hase. Gerade in Deutschland findet sich kaum eine langlebigere Spiele-Veranstaltung. Dieser Beitrag gibt einen Abriss über die Anfänge von Clubs, Computer- und Spiele-Messen, über die ersten Turniere, und wie daraus Messen und Festivals von heute entstehen. Dabei liegt der Fokus auf Leipzig: die Frühjahrs- und Herbstmessen als Schaufenster in den Westen, das große Computertreffen der Hobbyisten zu DDR-Zeiten in Böhlen, wie aus der gescheiterten CeBIT Home die Games Convention in Leipzig geboren wird und das E-Sport Festival DreamHack in Leipzig. Schlüsselwörter

DreamHack · Games Convention · CeBIT Home · Gamescom ·  Leipziger Messe · Global Game Jam

R. Meyer (*)  Haus der Computerspiele, Leipzig, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6_3

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1 Frühe Messen und Clubs rund um Heimcomputer Computer werden seit jeher auf Industriemessen gezeigt. In Westdeutschland etwa in Hannover. Der C64-Liebhaber „Retrofan“ aus Ostwestfalen erinnert sich: „Meine erste Messe, auf der ich mir Computer angesehen habe, war Mitte der achtziger Jahre die Hannover Messe. Aus der Sonderschau CeBIT entstand 1986 die separate Messe gleichen Namens – auf der ich fast jedes Jahr war, bis zu ihrem unrühmlichen Ende 2018, zweimal sogar als Aussteller. Dazu kamen Drupa (Druck/ DTP), Hobbytronic, Funkausstellung Berlin und (als ich vom C64 auf Atari ST umgestiegen bin) diverse Atari-Messen. Das Schöne bei den Atari-Messen und auch dem Atari-Messestand auf der CeBIT war, dass dort sehr viele (deutsche) Entwickler vor Ort waren, mit denen man direkt Software-Probleme besprechen konnte. Auf der CeBIT fand ich besonders die Stände von Commodore, Atari, Apple, Microsoft und SGI interessant. Aber auch die anderen Stände (mit Ausnahme der Banken-Hallen) habe ich mir angeschaut, weil es immer interessante Kleinigkeiten zu entdecken gab.“

Das Gegenstück in der DDR ist die Leipziger Frühjahrs- und Herbstmesse. Die Rechenanlage Robotron 300 wird 1966 erstmals auf der Interorgtechnika in Moskau gezeigt. In den USA findet seit 1943 die Western Electric Show and Convention statt, bei der später „Electric“ in „Electronic“ umbenannt wird. Für die Halbleiterindustrie hat diese „WESCON“ eine große Bedeutung. MOS stellt 1975 dort etwa den berühmten 6502-Prozessor vor, der unter anderem im Apple II und im Atari 800 zum Einsatz kommt und später als Variante 6510 auch im Commodore 64. 1975 erscheinen die ersten bezahlbaren Heimcomputer wie der Altair 8800 und der IMSAI 8080. In der Grundausstattung kann man nicht viel damit anstellen; die Geräte bestehen aus LEDs als Anzeige und aus Kickschaltern für mühsame Programmierung im Maschinencode. Sie werden häufig als Bausatz verkauft und müssen erst zusammengesetzt werden. Doch beide Computer sind kompatibel zueinander und erweiterbar. Das ist die Geburtsstunde des ersten Standards für Personal Computer, für den zahlreiche, oftmals frisch gegründete Unternehmen Zubehör anbieten. Die ersten Computergeschäfte entstehen. Ebenfalls 1975 wird Microsoft gegründet. Das erste Produkt ist die Umsetzung der Programmiersprache BASIC für den Altair. Sie macht nicht nur den störrischen Bastelcomputer für Einsteiger zugänglich. BASIC wird die übergreifende Sprache für alle Heimcomputer, mit der auch viele, viele Spiele entstehen. Ab 1977 gibt es betriebsbereite Heimcomputer mit Gehäuse und Tastatur zu kaufen. Zunächst den Apple II, den TRS-80 von Radio Shack und den Commodore PET, der einen Bildschirm und ein Kassettenlaufwerk gleich eingebaut hat.

Computer- und Spiele-Veranstaltungen gestern und heute

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Parallel dazu werden Bausätze angeboten, bei denen Zeitschriften eine wichtige Rolle für die Verbreitung spielen. In Westdeutschland beliebt ist etwa der Junior-Computer der Zeitschrift Elektor. In der DDR setzen sich vor allem der Z 1013 von Robotron Riesa, der Amateurcomputer AC 1 vom Funkamateur und der TINY der Jugend + Technik durch. Ab Mitte der siebziger Jahre entstehen weltweit Vereine von ComputerEnthusiasten. Als erster und letztendlich berühmtester gilt der Homebrew Computer Club. Er wird 1975 gegründet und vernetzt viele Pioniere der ComputerIndustrie, etwa Steve Jobs und Steve Wozniak, die Gründern von Apple. Aus seinem Umfeld entsteht 1977 die West Coast Computer Faire, für die Zeitschrift Popular Electronics das „Woodstock der PC-Bewegung“: Eine Messehalle mit 165 Ausstellern und fast 13.000 Besuchern. Zu sehen sind unter anderem der PET von Commodore und der Apple II. Für Apple, die sich einen besonders schicken Stand gönnen, ist es der erste Auftritt auf einer Messe. Charmant nachgestellt sind die Veranstaltung und ihre Akteure im halbdokumentarischen Fernsehfilm „Die Silicon Valley Story“ von 1999. Die 16. (und letzte) West Coast Computer Faire findet 1991 statt. Einen längeren Atem hat die Comdex, die 1979 in ähnlicher Größe, aber zunächst als Messe für Fachbesucher startet. Sie findet 2003 das letzte Mal statt. Heutige große Messen in den USA sind die CES in Las Vegas und die Spielemesse E3 in Los Angeles. In Japan führend ist die Tokyo Game Show; in Südamerika die Brasil Game Show; in Russland die IgroMir und in China die ChinaJoy. Der älteste Computer-Club in Westdeutschland ist die AUGE – Apple User Group Europe. Sie entsteht bereits 1979 und deckt heute sämtliche Computersysteme ab. 1981 wird der CCC – Chaos Computer Club gegründet (der seinen großen Jahreskongress heute in Leipzig ausrichtet). Ebenfalls noch heute existiert der 1985 gegründete ABBUC – Atari Bit Byter User Club, der bereits vor der Wiedervereinigung Kontakt zu Gleichgesinnten in der DDR sucht. Dort, in Ostdeutschland, entstehen in den achtziger Jahren ebenfalls zahllose Clubs (in der DDR mit K geschrieben: Klubs) und Vereine. Sie bieten häufig wöchentliche Treffen zum Erfahrungsaustausch, gemeinsamen Programmieren und dienen vor allem als Software-Börse, also dem Austausch von Programmen. Allerdings staatlich reglementiert: In der DDR sind unabhängige Vereine nicht möglich; es gibt nicht einmal eine Rechtsgrundlage. Erst Anfang 1990 erlaubt ein Gesetz das Bilden von Vereinigungen. In den Zeiten davor sind meistens Massenorganisationen Träger von Vereinen. Bei Computerklubs ist das oft die GST – Gesellschaft für Sport und Technik. Hier entsteht mit „Computersport“ sogar eine eigene Sektion. Auch Hochschulen bilden häufig Computerklubs unter dem Banner der GST. So gründet Ilmenau

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1987 eine Computersport-Abteilung und schlägt drei Schwerpunkte vor: „Eigenbau und Weiterentwicklung eines leistungsfähigen, persönlichen Computers; Vertrautmachen mit Software-Werkzeugen (vom Anfängerkurs bis zu Spezialproblemen) und aktive Softwareentwicklung; Anwendungsprobleme von Mikrocomputern (Computernetzwerke, Steuerungsaufgaben, 16-bit-Technik …)“. Zugleich gibt es an der Hochschule einen Zirkel der FDJ rund um den Rechnerbausatz Z1013; genau wie an der TU Dresden. Auch der Kulturbund ist Träger zahlreicher Computerklubs, etwa in Karl-Marx-Stadt, dem heutigem Chemnitz. Zudem bilden sich an vielen Einrichtungen Zirkel; häufig in den weit verbreiteten Stationen Junger Naturforscher und Techniker, wie in Erfurt und Eisenach, oder Informatik-AGs an den Erweiterten Oberschulen (wie man Gymnasien in der DDR nennt). Am 1986 eingeweihten Kultur- und Sportzentrum Suhl entsteht ein Klub für den Z 1013. Selbst die NVA – Nationale Volksarmee ist Träger verschiedener Clubs, etwa im beschaulichen Tautenhain. Ein bekanntes Computerkabinett beherbergt der 1979 eröffnete Pionierpalast Berlin (das heutige FEZ). Mitte der achtziger Jahre sind dort zwei Dutzend Kleincomputer aufgebaut. Sie werden für Arbeitsgemeinschaften, Kursen und Einzelveranstaltungen genutzt. Für Spiele; aber auch für Nützliches. So analysiert die AG Anorganische Chemie Langzeitexperimente für das Wohnungsbaukombinat am Computer, während eine andere Gruppe Sonnenbeobachtungen mit selbstentwickelten Programmen auswertet. Der vielleicht bekannteste Computerklub der DDR öffnet am 22. Januar 1986 im Haus der jungen Talente in Berlin. Der größte Jugendtreff Berlins bietet mehr als fünfzig Arbeitsgemeinschaften und zieht jedes Jahr mehrere hunderttausend Besucher an. Direktor Frank Künzel zum Neuen Deutschland: „Dem Wunsch junger Leute folgend, eröffnen wir den Computerklub, dessen Mitglieder sich dann jeden Mittwoch treffen. Zunächst wird die Programmiersprache BASIC vorgestellt, später geht es um die Programmierung von Musik. Wissenschaftler der Humboldt-Universität werden die einzelnen Veranstaltungen betreuen, zu denen jeder kommen kann.“

Am ersten Tag kommen 400 Besucher in den Raum, der eigentlich nur Platz für 40 Personen bietet. Schnell entwickelt sich der Klub zum Renner. Was nicht in der Zeitung steht: Der Klub ist nicht mit den typischen Kleincomputern aus der DDR ausgerüstet. Klubleiter Stefan Paubel entscheidet sich dafür, auf Geräte aus dem Westen zu setzen – und demonstriert auch bei den Veranstaltungen den Stand der Technik. Das kommt an. Bereits im Oktober darf Paubel auf einer

Computer- und Spiele-Veranstaltungen gestern und heute

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Abb. 1   Computerklub im Haus der jungen Talente der DDR – Foto: Clubleiter Stefan Paubel (Mitte)

Aktivtagung von Jugendklubs darüber sprechen, wie Schüler, Lehrlinge und Facharbeiter sein Kabinett nutzen würden, um ihre Kenntnisse zu festigen und zu erweitern (Abb. 1).

2 Die ersten Turniere 1972 findet an der Stanford-Universität in Palo Alto das erste für die Nachwelt dokumentierte Turnier mit einem Computerspiel statt: die Intergalactic Spacewar Olympics. Ein paar Dutzend Studenten messen sich an „Spacewar“. Das Spiel ist schon zehn Jahre alt. Zunächst als Schlacht für zwei Personen gedacht, die mit je einem simplen Raumschiff gegeneinander antreten, wird das Programm alsbald erweitert und verbreitet sich schnell. Der Ausrichter Stewart Brand ist Redakteur des Magazins Rolling Stone. Er organisiert Freibier und den Preis: ein Abo der Zeitschrift. Das gewinnt Bruce Baumgart, der damit als E-Sport-Pionier in die Geschichte eingeht. 1980 richtet Atari in den USA das erste große und landesweite Turnier aus, die National Space Invaders Championship. Insgesamt 10.000  Teilnehmer nehmen an fünf Regionalausscheiden in San Francisco, Los Angeles, Chicago, Dallas und New York teil. Anders als bei „Spacewars“, das für zwei und mehr

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Spieler ausgelegt ist, die sich gegenseitig bekämpfen, sitzt bei „Space Invaders“ jeder vor seiner eigenen Konsole. Es eignet sich dennoch gut für einen Wettbewerb, denn es markiert den Spielerfolg mit einem Punktestand. Gespielt wird also solange, bis alle Leben verbraucht sind, die erreichten Punkte werden notiert. Alle fünf Regionalsieger gewinnen die Teilnahme am Finale in New York am 10. November 1972. Dort sitzen sie nebeneinander vor fünf Atari-Konsolen und fünf Fernsehern. Der Sieger: die gerade 17 Jahre alt gewordene Rebecca Heineman. Sie gewinnt den Ausscheid in Los Angeles und damit einen Flug zum Finale in New York. Der Gewinn: ein Spielautomat. Heineman bleibt den Spielen treu; wird direkt nach dem Wettkampf von Journalisten angesprochen, arbeitet am Buch „How to Master Home Video Games“ mit, bekommt, noch nicht volljährig, einen Job in einem Entwicklerstudio. Später gründet sie das legendäre Studio Interplay mit (Abb. 2). Ab dem kommenden Jahr veranstaltet Atari weltweite Turniere; jedes Jahr in einem anderen Spiel. Die Qualifikationen für die Finalspiele finden in vielen Ländern statt, so auch in Westdeutschland. Zunächst 1981 in „Asteroids“. 1982 in „Pac-Man“. In der Junioren-Altersgruppe bis 25 Jahre gewinnt Klaus Wolf (der heute den Online-Shop Wolfsoft betreibt); bei den „Senioren“ gewinnt Johann

Abb. 2   Regional-Ausscheid des ersten landesweiten Atari-Wettbewerbs 1980. - Foto: unbekannt

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Beiderbeck. Beide reisen zur Weltmeisterschaft nach Paris, wo Beiderbeck gewinnt und erster und einziger deutscher Pac-Man-Weltmeister wird. Wolf erreicht dort zwar nur den vierten Platz, kann aber ein Jahr später erneut bei der deutschen Atari-Meisterschaft gewinnen, die 1983 im Spiel „Centipede“ ausgetragen wird. Seinen Doppelerfolg versucht er 1984 in einem Interview zu erklären: „Weil ich meine Gegner überschätzte und dadurch sehr viel geübt habe. Bei der Centipede-Meisterschaft hatte ich schon so viel Erfahrung durch die Computerspiele, denn bei der Pac-Man-Meisterschaft hatte ich einen Atari 800 Computer gewonnen. Durch die Routine am Joystick hatte ich keine Probleme zu gewinnen.“ 1990 werden die Nintendo World Championships veranstaltet. In dreißig amerikanischen Städten können sich die Teilnehmer in drei Gruppen qualifizieren: bis 11, 12–17, ab 18 Jahren. Zum Einsatz kommt ein spezielles (und heute sehr begehrtes) Spielmodul für das NES mit Kurzversionen von „Super Mario“, „Rad Racer“ und „Tetris“. Die Gewinner dürfen zum Finale in die Universal Studios in Hollywood. Appetit macht der Spielfilm „Joy Stick Heroes“ alias „The Wizard“, der zeitgleich anläuft und große Ähnlichkeiten mit dem realen Wettbewerb hat. In den neunziger Jahren werden Wettkämpfe am PC populär, vor allem zunächst mit Ego-Shootern wie „Quake“. Bekannt wird Dennis „Thresh“ Fong, als er 1997 in einem amerikanischen „Quake“-Turnier gewinnt. Er setzt sich gegen 2000 Mitstreiter in Online-Matches durch und wird einer von 16 Finalisten. Sein Siegpreis: ein Ferrari von John Carmack, einem der Gründer des Spieleentwicklers id Software. Heute werden großen Turnieren Preisgelder von teilweise mehreren Millionen Euro ausgezahlt (Abb. 3).

3 Messe Leipzig Für gewöhnlich tut die DDR alles, um Ostdeutsche und Westdeutsche voneinander fernzuhalten. Doch zweimal im Jahr ist alles anders: zur Leipziger Frühjahrs- und Herbstmesse. Die Universalmessen haben keinen thematischen Schwerpunkt und decken Waren aller Art ab. Sie gelten als wichtiger Handelsplatz zwischen Ost und West. Traditionell gibt es einen Rundgang der Staatsführung und Gespräche mit Ausstellern aus dem Ausland. Im Frühjahr 1980 nehmen 9000 Aussteller aus 66 Ländern teil; Schauplatz ist die Technische Messe am Völkerschlachtdenkmal (die 1996 durch das Neue Messegelände vor den Toren der Stadt ersetzt wird).

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Abb. 3   Finalspiele des ersten Atari-Wettbewerbs. Links: Sieger Rebecca Heineman. Foto: Creative Computing

Selbst das normale Publikum kann die Stände von internationalen ComputerHerstellern besuchen und sich Prospekte mitnehmen. Raimo Bunsen, damals Schüler: „Diese Veranstaltungen waren ebenso für uns Schüler reizvoll, um westliche Werbeartikel abzustauben. Dort konnte ich ab 1984 herum regelmäßig einen Blick auf Computer werfen. Die flimmernden Bildschirme übten eine magische Anziehungskraft auf mich aus.“ Auch die Buchmesse in der Leipziger Innenstadt ist eine Gelegenheit, in Westbüchern zu blättern – und mit Glück das eine oder andere zugesteckt zu bekommen. Leipziger haben es doppelt gut: Die Stadt soll sich den vielen westlichen Besuchern und Journalisten vorbildlich zeigen; und das heißt auch gefüllte Geschäfte. Und es gibt bei weitem zu wenig Hotelzimmer, sodass viele Gäste in privaten Quartieren unterkommen – und Westdeutsche bezahlen in Westmark. Zwei, drei Tage vor der Frühjahrsmesse finden die Leipziger Seminare statt, eine hochkarätige Zusammenkunft aus Kombinatsdirektoren und Parteifunktionären. Sie dienen dem Erfahrungsaustausch, der Messeplanung und vor allem der Formulierung von Produktionsverpflichtungen, die bei den kleineren Herbstseminaren kontrolliert werden.

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Neben den großen internationalen Handelsschauen findet in Leipzig die Zentrale Messe der Meister von Morgen (MMM) statt. Die MMM ähnelt der westdeutschen Initiative „Jugend forscht“. Mehr als zwei Millionen Teilnehmer stellen Exponate in Schul- und Betriebsmeisterschaften vor und qualifizieren sich in ihren Kreisen und später in einem der 15 Bezirke (in die sich die DDR statt der westlichen Bundesländer gliedert). 1979 kommen allein zur MMM in Berlin 60.000 Besucher. Der jährliche Höhepunkt ist die zentrale Messe in Leipzig. 12 Tage, 6 Hallen, 2 Mark für die Dauerkarte. Nur jeder tausendsten Idee gelingt es, daran teilzunehmen; 1989 sind es 2600 Exponate. Es gibt thematische Führungen, einen Computer-Katalog, um nach bestimmten Leistungen zu suchen, und eine Nachnutzungsbörse: Für den Veranstalter, die Jugendorganisation FDJ, ist es wichtig, dass die Erfindungen auch eingesetzt werden. Im eigenen Betrieb und noch besser auch in anderen Betrieben. Daneben gibt es Vorträge und Gesprächsrunden. 1986 wird ein Computerzentrum mit 18 Geräten eingerichtet, um sich mit der Bedienung vertraut zu machen, um BASIC zu lernen und um zu spielen. 1986 sind erstmals Neuerer aus anderen Ländern unter den Ausstellern. Da Lösungen rund um Computer häufig von Jugendkollektiven stammen, sind sie regelmäßig auf der MMM zu finden. So wird etwa der KC 87 zunächst auf der Bezirksmesse in Dresden und später auf der Zentralen MMM in Leipzig vorgestellt; Karsten Schiwon von Mikroelektronik Mühlhausen wird in der Jugend + Technik zum KC 85/3 interviewt: „Auf der Zentralen MMM konnte man die Produkte unserer Arbeit sehen. Diesmal zwar nicht als eigenständiges Exponat, sondern als sichtbares oder unsichtbares Element so mancher Rationalisierungslösung. Unsere Kleincomputer haben in nicht wenigen Fällen überhaupt erst das Niveau der gezeigten Leistung und den jetzigen Zeitpunkt ihrer Erarbeitung ermöglicht.“

Daneben zeigt die MMM Bastellösungen rund um Mikrochips, etwa ein Reglersystem für Dampfheizungsanlagen auf der Basis des U 880, und Software für den betrieblichen Einsatz. Raimo Bunsen, der am DDR-Kleincomputer KC 85 zahlreiche Spiele entwickelt, nutzt die Messe auch zum Verteilen seiner Spiele: „Die große Tauschbörse war die Leipziger Frühjahrs- und Herbstmesse. Da der KC-Computer in den Betrieben sehr verbreitet war, fand man ihn fast auf jedem zweiten ostdeutschen Messestand. Ich ging zu den Ausstellern an den Stand und erzählte, dass ich ein neues Spiel programmiert hatte. Das wurde mit größter Euphorie aufgenommen und eine Version des Spiels sogleich installiert. In den nächsten

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Abb. 4   Leipziger Herbstmesse 1985: Übungsplatz Elektronische Rechentechnik. Foto: Leipziger Messe

Tagen konnte ich beobachten, wie sich das Spiel explosionsartig auf der Messe verbreitete. Es wurde öffentlich an den Ständen gespielt. Das war natürlich eine Genugtuung. Innerhalb kurzer Zeit hatte ich mir einen Namen gemacht und war bei den Ausstellern bekannt. Auf ähnliche Weise funktionierte praktisch der gesamte Spielemarkt in der DDR.“ (Abb. 4 und 5)

4 Das große Computertreffen in Böhlen Irene und Hartmut Flemming organisieren die größten Computertreffen der DDR. Sie leitet den Kulturpalast Böhlen bei Leipzig. Er ist der Atari-Fan – und erinnert sich: Dank Intershop und lieben Verwandten hatte der Atari auch bei uns Einzug gehalten. Eine immer größer werdende Fangemeinde wuchs heran. Man kannte sich, und kleine Gruppen trafen sich im privaten Bereich zum Fachsimpeln und natürlich zum Tauschen von Programmen. Auch mein Sohn, damals 12 Jahre alt, und ich gehörten dazu. In dieser Runde wurde die Idee geboren, alle Interessenten zu einem größeren Treffen zusammenzuführen. Die Räumlichkeiten

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Abb. 5   Leipziger Frühjahrsmesse 1986: Personal Computer PC 1715 – Foto: Leipziger Messe

standen schnell fest: In Böhlen gab es einen großen Kulturpalast, und meine Frau war dort die Chefin. So ganz wohl war es ihr nicht bei dem Gedanken, eine öffentliche Veranstaltung nur mit Technik aus dem Westen durchzuführen. Aber nach einer Vorstellung des Konzeptes bei der übergeordneten Leitung gab es grünes Licht. Am Sonntag, dem 26. April 1987, sollte das erste Computertreffen stattfinden. Ein Saal wurde hergerichtet und verkabelt. Die Berufsschule Böhlen stellte die Monitore ihres Computerkabinetts zur Verfügung für die Teilnehmer, die ihre eigenen nicht mitbringen konnten. Die Resonanz übertraf alle Erwartungen: Etwa 300 technisch interessierte junge Leute und „alte Hasen“ kamen mit ihrer eigenen Hard- und Software aus allen Richtungen des Landes – aus Frankfurt (Oder), Suhl, Halle, Leipzig, Berlin, Magdeburg, Rügen, um nur einige zu nennen. Die Begeisterung der Teilnehmer war riesig. Man fachsimpelte, tauschte Programme, stellte eigene Software

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und sogar selbst gebaute Computer vor. In einem Raum lief alle zwei Stunden ein BASIC-Kurs für Anfänger. Für die gastronomische Betreuung der Besucher war auch gesorgt. Und es gab eine Menge Vorschläge und Wünsche an den Veranstalter für weitere Treffen. Das nächste Treffen fand bereits ein halbes Jahr später statt, im Oktober 1987. Rund 600 Teilnehmer nahmen das gesamte Haus mit allen Räumen in Beschlag. In Böhlen erregten wir eine Menge Aufmerksamkeit, da trotz eines großen Parkplatzes vor dem Kulturpalast alles bis weit in die Nebenstraßen hinein zugeparkt wurde und man sich wunderte, was denn da bloß los sei? Zahlreiche Autos, den Kennzeichen nach aus der ganzen Republik, im Städtchen? Ist da irgendein Staatsbesuch oder ähnliches? Sicher haben wir auch die Stasi auf den Plan gerufen, aber sie hat sich nicht bemerkbar gemacht. Auch meine Frau hatte sich beruhigt. Sie wurde sogar nach Berlin gerufen, um bei einem Gewerkschaftskongress über die Veranstaltung als positives Beispiel zu berichten, wie man Jugendliche für moderne Technik interessieren kann. Die Treffen waren nun zu einer festen Größe im Veranstaltungsplan des Kulturpalastes geworden. Wir führten sie fortan zweimal im Jahr durch, jeweils im Frühjahr und im Herbst. Der Erfolg hatte sich bis zu den Besitzern von Commodore, Amiga, ZX Spektrum und KC 85 herumgesprochen, und sie wollten nun ebenfalls am Treffen teilnehmen. Jeder Computertyp bekam seinen eigenen Raum; Atari war immer am meisten vertreten und residierte im großen Saal. Den ganzen Tag war das Haus voller Pieps-, Zwitscher-, Spiel- und Ladegeräusche – Musik in den Ohren der User. Später wurde das Treffen auf zwei Tage ausgebaut. Meine Frau bemühte sich im Arbeiterwohnheim um Unterkünfte. Bereits für die erste Veranstaltung hatten wir uns persönlich bekannte Computerfreunde per Briefpost informiert. Vor Ort konnten alle Besucher ihre Adresse hinterlassen, um erneut eingeladen zu werden und sich gegebenenfalls mit Angabe ihres Computertyps anzumelden. Auch durch Mundpropaganda wuchs die Zahl der Teilnehmer. Am Ende hatten wir 800 Mitwirkende plus 500 Besucher ohne Hardware. Die Teilnahme war kostenlos. So mancher, der nur mal schauen wollte, was denn da so abgeht, entdeckte sein Interesse für den Computer. Viel Anklang fanden wir auch, dass der kommerzielle Vertrieb von Soft- und Hardware bei diesen Veranstaltungen nicht erwünscht war. Alles ging auf Tauschbasis, und man verschenkte auch mal etwas. Wir wollten Geschäftemachern keine Plattform bieten. Einige, die mit dieser Absicht gekommen waren, zogen mit langen Gesichtern wieder ab. Im Frühjahr 1990, zum 7. Computertreffen, war Atari selbst vertreten, mit einem Stand und zwei Vertriebsleitern. Diese waren zwar begeistert von dem

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Enthusiasmus der User und dass in der DDR solche Treffen stattfanden, warnten aber gleichzeitig vor eventuellen Gesetzesverletzungen nach bundesdeutschem Recht. Im Oktober 1990 fand unser 8. und letztes Treffen in Böhlen statt. Die Wiedervereinigung war vollzogen, und es galten nun die Gesetze der Bundesrepublik. Trotz großem Bedauerns konnten wir die Treffen im Hinblick auf das Raubkopieren in der bisherigen Form nicht weiterführen. Hinzu kam, dass wir uns, wie viele der Teilnehmer auch, beruflich neu orientieren mussten und erst mal andere Sorgen hatten, als dem Hobby zu frönen.

5 Von der CeBIT Home zur Games Convention In den frühen neunziger Jahren entwickelt sich eine Messe in Köln rund um den Heimcomputer Amiga zu einer sehenswerten Spiele-Schau mit zahllosen Ausstellern. Nur für wenige Jahre, bis der Stern verglüht. Es folgt eine jahrelange Odyssee der Spiele-Branche nach einer repräsentativen Veranstaltung, die vor allem die Aufmerksamkeit der Medien anzieht. Messe-Gesellschaften winken jedoch ab. Sie sehen in einer eigenständigen Leistungsschau nur mit Computerspielen keine Perspektive. So sind Spiele zunächst nur Beiwerk bewährter Veranstaltungen. Sony stellt die PlayStation 1995 erstmals auf der IFA vor. Auf der Frankfurter Buchmesse ist die Multimedia-Halle ein beliebter Treffpunkt der Branche. Auch auf der Nürnberger Spielwarenmesse zeigen Hersteller wie Nintendo Neues. Und es gibt die CeBIT. Nachdem sie 1995 einen Rekord von 755.000 Besuchern erreicht, wird der Spagat immer schwieriger, Fachbesucher und privates Publikum gleichermaßen zu begeistern. So beschließt man eine kleine Schwester für den Endverbraucher. Die CeBIT Home soll sich mit der IFA abwechseln, die bis 2005 nur alle zwei Jahre stattfindet, und auch inhaltlich in deren Revier wildern. Unterhaltungselektronik, Multimedia und Vernetzung sind die Schlüsselwörter. Die Premiere 1996 erreicht 210.000 Besucher. Kein schlechter Start; doch viele Aussteller können es sich nicht leisten, bei der großen und der kleinen CeBIT ausstellen. Und für die Besucher gibt es auf der „richtigen“ CeBIT mehr und aufregendere Dinge zu sehen. So ist die zweite CeBIT Home 1998 eine Nummer kleiner. Weniger Fäche, weniger Aussteller, weniger Besucher. Zu diesem Zeitpunkt hat Hannover bereits eine riskante Entscheidung bekanntgegeben. Weil im Jahr 2000 wegen der Expo das Messegelände belegt ist, soll die CeBIT Home an einem anderen Ort ausgetragen werden. Mehrere Städte reichen Bewerbungen ein. Leipzig gewinnt den Zuschlag. Die Deutsche

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Messe AG will die CeBIT Home weiterhin selbst ausrichten und sich nur in die Leipziger Messehallen einmieten, wie es bei Gastveranstaltungen üblich ist. Bereits kurze Zeit später schaut sich Hermann Achilles die Messe Leipzig an. Er leitet mit Ronald Schäfer den jungen Verband der deutschen Spiele-Hersteller VUD. Josef Rahmen wiederum, der Chef der Leipziger Messe, besucht die CeBIT Home 1998. Ihn faszinieren ihn die Spiele. Sie sind in der Halle 3 unter dem Schlagwort „Digital Entertainment“ versammelt. Zu sehen gibt es unter anderem „Die Siedler 3“ und „Age of Empires 2“. Als Einstimmung treffen sich die VUD-Mitglieder zu ihrer Jahresversammlung 1999 in Leipzig. Doch aus der CeBIT Home in Leipzig wird nichts. Nachdem auch Sony der Veranstaltung den Rücken kehrt und damit der geplanten ersten Vorstellung der PlayStation 2 in Deutschland, zieht die Messe die Notbremse. Nur wenige Tage nach der Absage schlägt Josef Rahmen dem VUD eine eigenständige Spielemesse vor. Erst 1996 hat Leipzig ein nagelneues Gelände eröffnet, die Neue Messe, schmuck und modern, mit der größten Glashalle Europas. Das will mit modernen Inhalten gefüllt werden. Und: Die Leipziger haben Lust auf eine Spiele-Messe. Eine der ersten Neugründungen nach der Wende, noch auf dem alten Gelände beim Völkerschlachtdenkmal, ist 1992 die Computer-Messe BIK. Ende der neunziger Jahre findet eine Tagung von Internet-Cafés statt, erst regional, dann international. Und für die aufstrebende Spiele-Branche wäre die CeBIT Home ohnehin nur eine Notlösung. Sie möchte kein Anhängsel der Computer-Industrie sein, sondern – mit einem Umsatz von einer Milliarde Euro in Deutschland – eine eigene Messe haben (Abb 6 und 7). Im Herbst 2000 sind sich der Verband und Leipzig einig, erinnert sich Klaus Ernst, damals wie heute Bereichsleiter. Die geplante Messe wird öffentlich angekündigt. Game On soll sie zunächst heißen. Der Sommer 2001 scheint zu früh, und man will nicht zeitgleich mit der IFA beginnen. So soll die neue Spielemesse erst 2002 starten. Die Zeit nutzt man für Vorbereitungen. Zum ersten Mal stellt die Leipziger Messe auf der E3 in Los Angeles aus und wirbt um Aussteller. Mitte 2001 formt sich ein Beirat, und gemeinsam entscheidet man sich für den Namen Games Convention. Chefin der GC wird Angela Schierholz, die im März 2001 von der Messe Hannover wechselt (und heute Angela Marten heißt). Das Problem, dem Publikum laute und bunte Stände mit Spielstationen anzubieten und den Fachbesuchern ruhige Plätze für Gespräche, löst man mit einer Zweiteilung des Geländes in einen Besucher- und einen Business-Bereich. Kurz vor dem Start der Games Convention 2002 gibt es zwei Rückschläge. Im April eignet sich der schreckliche Amoklauf von Erfurt: Ein ehemaliger Schüler, 19 Jahre, dringt schwerbewaffnet in ein Gymnasium und erschießt i­nnerhalb

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Abb. 6   Messe Hannover, Schausplatz der CeBIT für mehr als 30 Jahre – Foto: Meyer

weniger Minuten 16 Menschen. Als man herausfindet, dass er Ego-Shooter wie „Return to Castle Wolfenstein“ spielt, erreicht die Killerspiel-Debatte ihren Höhepunkt. Das überschattet vor allem gegenüber der Politik die Bemühungen ausgerechnet für eine Computerspiel-Messe. Und um ein Haar geht die erste Games Convention buchstäblich unter, wegen der Jahrhundertflut im August 2002, die Sachsen besonders trifft. Am Ende wird alles gut. Nach der Premiere mit 80.000 Besuchern wächst die GC von Jahr zu Jahr. Sie gilt bald als die erfolgreichste Neugründung einer Messe seit Jahrzehnten. Das Ende der ECTS in London 2004 hilft der Messe, sich international zu etablieren (Abb. 8 und 9). Für Hermann Achilles ist es die Games Convention, die der deutschen Spielebranche zum ersten Mal ein Gesicht gibt. Susanne Tenzler-Heusler, die als Pressesprecherin die Kommunikation der GC aufbaut, sieht es als den Verdienst von Leipzig, Spiele aus der „Schmuddelecke“ herauszuholen und die Wahrnehmung der Branche zum Positiven zu verändern. Ein Grund dafür sei, Themen wie Jugendschutz und Medienkompetenz unter Hinzunahme von Partnern wie

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Abb. 7   Die letzte CeBIT 2018 mit Festival-Charakter – Foto: Meyer

der Universität Leipzig von vornherein einzubinden. Neben dem Familienbereich GC Family zeugen Elemente eine Entwicklerkonferenz und Musik (wie das traditionelle Symphoniekonzert zur Eröffnung im ehrwürdigen Gewandhaus), daß Spiele nicht nur Spielen sind. Die aufwendigen und geschmackvollen Standbauten und Bühnenprogramme der Aussteller tun ihr übriges, Spiele als ebenso achtbar wie etwa Filme anzusehen. Das weckt Begehrlichkeiten. Andere Städte bemühen sich um die erfolgreiche Spielemesse. Und innerhalb des VUD gibt es Auseinandersetzungen um die Ausrichtung des Verbands. Sie führen 2005 zur Auflösung und zur Neugründung mit dem Namen BIU. In Berlin, nahe der großen Politik. Neue Köpfe haben das Sagen, und auch innerhalb der Branche entsteht die Überlegung, an einem anderen Standort noch mehr Aufmerksamkeit zu erhalten und sich besser gegen eine mögliche Neuauflage der ECTS London zu wappnen. Zumal Leipzig an seine Grenzen stößt. Alle Hallen sind gefüllt, es gibt zu wenig Hotelzimmer, und es gibt kaum internationale Flugverbindungen. Gebiete wie NRW haben ein größeres Einzugsgebiet und mehr regionale Spiele-Studios.

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Abb. 8   Die erste Games Convention 2002 in Leipzig – Foto: Leipziger Messe

Abb. 9   Die erste Games Convention 2002 in Leipzig – Foto: Leipziger Messe

2009 passiert es tatsächlich: die Messe zieht nach Köln. Als Gamescom, da die Rechte für den Namen Games Convention in Leipzig liegen. Auch wenn die Messe streng genommen nur dahin zurückgeht, wo sie ursprünglich herkommt,

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ist das Verlieren der größten Spielemesse der Welt für die stolze Messestadt ein herber Schlag. Letztendlich gibt der Erfolg dem Umzug recht: Die Gamescom ist mittlerweile doppelt so groß und zieht doppelt so viele Besucher an wie die Games Convention in ihrem letzten Jahr. Nach der letzten Games Convention 2008 mag Leipzig nicht aufgeben. Ein Jahr später findet, fast zeitgleich mit der ersten Gamescom in Köln, die Games Convention Online statt. Sie startet klein und wird schon im zweiten Jahr zu einer Fachbesucher-Messe reduziert. Eine dritte Ausgabe gibt nicht. Mittlerweile hat Leipzig wieder Spiele im Programm: die DreamHack.

6 E-Sport-Festival DreamHack Leipzig Seit 1994 findet in Schweden das E-Sport-Festival DreamHack statt; seit 2016 gibt es in Leipzig eine deutsche Ausgabe. Mit der ungewöhnlichen Mischung aus LAN-Party, Messe und Turnieren auf großer Bühne ist das Festival Stück für Stück gewachsen, auf mittlerweile 23.000 Besucher. Die Nische hat Leipzig ein wenig mit dem Verlust der Games Convention vor einem Jahrzehnt versöhnt. Herzstück ist die 56 h dauernde LAN-Party. Eigentlich gilt die Ära der großen LAN-Partys als schon lange vorbei; übrig geblieben sind kleine regionale Treffen. Dennoch ist die DreamHack bereits im ersten Jahr 2016 mit 1000 gebuchten Plätzen ein Überraschungserfolg. Mittlerweile finden sich mehr als 2000 Teilnehmer ein. Sie zahlen für einen 85 cm breiten Tisch 109 €. Häufig sieht man zwei Bildschirme. Den einen zum Spielen, den anderen zum Chatten. Besonders bequem (und schnell ausgebucht) sind die 329 € teuren Luxusplätze, bei denen bereits ein Komplett-PC stand. Dass Clans beieinander sitzen wollen, wird berücksichtigt – sie wählen für ihre ganze Gruppe Plätze aus. Vielleicht liegt es an der gut funktionierenden Technik – mit Strom und Internet für viele Geräte hat ja eine Messe tagtäglich zu tun. Vielleicht war es an der Zeit, die Faszination eines LAN-Wochenendes wieder aufleben zu lassen. Für viele Teilnehmer ist die DreamHack so etwas Ähnliches wie ein jährlicher CampingAusflug, bei dem man Zeit mit Freunden verbringt und Bekannte wiedertrifft. Von Jahr zu Jahr hat die Messe das Konzept verfeinert. Sie hat die LAN vom MesseTrubel getrennt und sich um ein attraktives Turnier-Angebot bemüht. Für die Verkabelung greift die Messe auf die Hilfe von rund 50 Umschülern und Lehrlingen des Berufsförderungswerks Leipzig zurück. Es galt, 2000 Kabel an 50 Switches zu schließen. In Spitzenzeiten tanzten 20 GBit pro Sekunde durch die Leitungen; insgesamt werden 1770 Terabyte Daten geladen. Da die Spieler Kopfhörer benutzen, herrscht in der abgedunkelten Halle eine fast andächtige Atmosphäre.

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Zweiter Bereich der DreamHack ist die Expo. Sie ist nicht mit einer normalen Spielemesse vergleichen. Statt Spiele-Unternehmen stellen Hardware-Aussteller wie Samsung und LG aus. Die demonstrieren ihre Monitore, Tastaturen und Mäuse freilich auch mit Spielen, aber eben nicht an Neuheiten. In den ersten drei Jahren ist die DreamHack erst ab 16 Jahren zugänglich. Mittlerweile gibt es einen Bereich, der schon ab 12 Jahren besucht werden kann. Eine willkommene Abwechslung ist der Indie-Bereich, der von der (unter anderem von der Gamescom her bekannten) Indie Arena zusammengestellt wird. Der neue gegründete Verein Games & XR Mitteldeutschland rührt ebenfalls die Werbetrommel und schnürt seinen Mitgliedern ein attraktives Angebot. Die Stadt Leipzig unterstützt das Vorhaben; und so geschieht es, dass 2020 viele Entwickler-Studios aus den drei Bundesländern Sachsen, Thüringen und SachsenAnhalt und vor allem aus Leipzig ausstellten. Ein Teil der Expo ist die Deutsche Casemod-Meisterschaft. Sie wird erstmals 2002 ausgetragen, ist später Teil der Gamescom und zieht 2019 auf die DreamHack. Besucher können originell gestaltete PC-Gehäuse bestaunen, die Live-Challenge verfolgen – und auch selbst Hand anlegen. Abgerundet wird der Expo-Bereich durch mehrere Streamer-Plätze, an denen Besucher die Live-Übertragungen von Spiel-Sessions verfolgen und mit Streamern in Kontakt treten, und durch einen Cosplay-Bereich. Der jährliche Cosplay-Wettbewerb auf großer Bühne gilt für viele Besucher als Pflichttermin. Der dritte Baustein der Veranstaltung sind die Turniere. 2020 kann man eine Ausgabe der mit einer Million US-Dollar an Preisgeldern dotierten DreamLeague gewinnen, bei der Fünferteams im Action-Strategiespiel „DOTA 2“ gegeneinander antreten. Dafür wird ein spektakuläres Bühnen-Setup mit großen Bildschirmen und Licht-Ensembles arrangiert. Kaum weniger anziehend sind die Austragungen der DreamHack Open mit dem Ego-Shooter „Counter-Strike – Global Offensive“ mit 100.000 Dollar an Preisgeldern. DreamHack-Mitorganisator XMG richtet für die deutschsprachigen Meisterschaften von „Rainbow Six Siege“ einen eigenen (da nur Erwachsenen zugänglichen) Bereich ein. Daneben werden jede Menge kleinerer Austragungen angeboten, an denen häufig Besucher teilnehmen können. Neben zahlreichen Mini-Turnieren und Wettbewerben ist die DreamHack 2020 Gastgeber der E-Sport-Liga für den „Landwirtschafts-Simulator“ und den Amateur-Pokal des eSport-Bund Deutschland. Sie ist außerdem einer der Turnierplätze für den Super Smash Bros. Ultimate European Circuit an der Nintendo Switch. Organisiert wird es von der Leipziger Community eJousting. Entstanden ist das Projekt auf der Langen Nacht der Computerspiele. Nils Zenker: „Vor sechs Jahren waren eJousting zwei Leute mit Spaß an Videospielen. 2020 durften wir ein riesiges Event mit über 20 Helfern organisieren. Mit der Unterstützung von Nintendo, LG und des

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Veranstalters bauten wir 40 Konsolen auf 300 Quadratmetern auf. Dort kämpften 115 Spieler aus ganz Europa um 1500 € Preisgeld. Dazu einen professionellen Stream. Der Lohn: Drei Tage lang ein voller Stand.“ (Abb. 10 und 11)

Abb. 10   LAN-Party auf der DreamHack Leipzig 2020 – Foto: Meyer

Abb. 11   LAN-Party auf der DreamHack Leipzig 2020 – Foto: Meyer

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Literatur Barton, M. (Reprint 2017). Honoring the Code – Conversations with Great GameDesigners. London: Taylor & Francis. eSport – Alles, was Sie wissen müssen. Ein Sonderheft von SportBild &ComputerBild 2018. Freiberger, P., Swaine, M. (1984). Fire in the Valley – The Making of thePersonal Computer. New York: McGraw-Hill. Levy, S. (1984). Hackers - Heroes of the Computer Revolution. New York:Penguin Books. Die Messe – Nachrichten und Reportagen. Magazin zur CeBIT Home 1998, ConnexMultimedia. Munnecke, T. (1977). First West Coast Computer Faire. Popular ElectronicsSeptember, 9.

Interview mit Jana Reinhardt und Friedrich Hanisch René Meyer

Zusammenfassung

Beim Global Game Jam werden innerhalb von 48 h Spiele entwickelt. Das globale Event wird weltweit jedes Jahr im Januar organisiert, meist an Hochschulen. Der Leipziger Global Game Jam findet seit 2009 regelmäßig an der HTWK Leipzig (damals Fakultät Informatik, Mathematik, Naturwissenschaften, seit 2019 Fakultät Informatik und Medien) statt. Ein Gespräch mit den langjährigen Organisatoren Jana Reinhardt und Friedrich Hanisch. Schlüsselwörter

Global Game Jam · Spieleentwicklung · Hackaton

1 Worum geht es beim Global Game Jam? Programmiererinnen, Musiker, Grafiker und Autorinnen finden sich an einem Ort zusammen, um innerhalb von 48 h Spiele zu entwickeln. Neben digitalen können auch analoge Spiele eingereicht werden, etwa Brettspiele. Selbst HardwareExperimente sind gern gesehen. Die meisten Beiträge sind aber Computerspiele.

R. Meyer (*)  Haus der Computerspiele, Leipzig, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6_4

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Ausrichtungsorte sind oftmals Hochschulen, in denen während des Jams idealerweise auch übernachtet werden darf.

2 Wie läuft das Wochenende ab? Wir starten am Freitagnachmittag mit Informationen zum Ablauf und zu den Besonderheiten der Örtlichkeit. Zudem geben wir Ratschläge, wie sich ein Spiel in nur 48 h entwickeln lässt, was man beachten und was vermeiden sollte. Außerdem darf sich jede Teilnehmerin, jeder Teilnehmer kurz vorstellen – das hilft bei der Teambildung. Der offizielle Teil der Veranstaltung beginnt mit dem Abspielen des KeynoteVideos, hauptsächlich bestehend aus motivierenden Worten von "Stars" der Spieleszene. Diese Begrüßung schließt mit der Bekanntgabe des Themas, dem sich weltweit alle Spiele dieses Jahr widmen sollten. Das ist üblicherweise ein Wort oder ein Satz, aber es handelt sich auch schon mal um ein Bild oder ein Geräusch. So wurde beispielsweise einmal als Vorgabe der Klang eines schlagenden Herzens abgespielt. Das Bilden von Entwickler-Teams soll durch gemeinsames Brainstorming erleich­ tert werden. Noch am Abend des Freitags stellt jede Gruppe ihre Spielidee vor. Am Samstag stehen ein bis zwei Stunden Besuchszeit auf dem Terminplan, zu denen Presse und Interessierte eingeladen sind. Später am Abend gibt es eine weitere Zwischenpräsentation des aktuellen Stands jedes Projekts, verbunden mit frisch bestellten Pizzen. Sonntagabend werden die fertigen Projekte auf die Website des Global Game Jams hochgeladen (was durch Serverüberlastung oft nicht einfach ist) und abschließend vor allen Anwesenden präsentiert. Von Ort zu Ort gibt es traditionell Unterschiede im Ablauf. Beispielsweise werden manchmal die eingereichten Spiele bewertet und Preise verlost. Viele Organisatoren richten inzwischen auch Livestreams ein. Und bei größeren Veranstaltungsorten muss man oft Eintritt bezahlen. Letzteres vermeiden wir.

3 Wer nimmt an so einer Veranstaltung teil? Bei uns sind hauptsächlich Studierende. Doch durch den stets etwas ungünstig gewählten Termin Ende Januar, kurz vor den Prüfungen und Abschlusspräsentationen, können meist nur wenige Interessierte die Zeit aufbringen. Die zweitgrößte Gruppe sind Selbstständige aus den Bereichen Softwareentwicklung und Kreatives.

Interview mit Jana Reinhardt und Friedrich Hanisch

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4 Wie viele nehmen am Global Game Jam teil? Wir rechnen je nach Stadt meistens mit 15 bis 35 Anmeldungen, woraus dann fünf bis 25 Spiele entstehen. Diese Zahlen halten sich bei uns ziemlich konstant – natürlich hätten wir gerne mehr. Insgesamt wächst der Global Game Jam stetig, mit jeder Veranstaltung. Waren es 2015 noch knapp 30.000 Interessierte an 500 Orten (aufgeteilt auf 80 Länder), sind es 2020 schon beinahe 50.000 Jammer und Jammerinnen in 120 Ländern gewesen, mit über 900 angemeldeten Ausrichtungsorten. Begonnen hat der Jam übrigens 2009, da waren es 23 Länder und 1.650 Anmeldungen.

5 Was für Spiele entstehen an einem Wochenende? Es hängt natürlich von den Fähigkeiten und auch ein bisschen vom Durchhaltevermögen der einzelnen Kreativen ab, wie das Projekt am Sonntagabend zur Endpräsentation aussieht. Aber auch das Zusammenspiel innerhalb der Gruppe ist ein entscheidender Faktor. Es passiert häufig genug, dass das Spiel nicht fertig wird; aber das ist eigentlich auch unwichtig – Hauptsache, man hat Spaß dabei gehabt. Üblicherweise gibt es eine recht große Bandbreite von kleinen Puzzle-Spielen bis hin zum Versuch, epische Adventures mit ausgefeilter Story abzuliefern. Wir sind jedes Jahr aufs Neue gespannt, was sich unsere Gruppen so ausdenken; es gibt immer wieder Überraschungen wie beispielsweise Brettspiel-Prototypen oder eine ganze Gameshow. In letzter Zeit mehren sich auch Beiträge, die auf VR und AR zugeschnitten sind, auch dank 3D-Game-Engines (z. B. Unreal oder Unity), die einen leichten Einstieg ermöglichen und auch von Profis verwendet werden. Wir persönlich pendeln von Jahr zu Jahr zwischen Experimenten und traditionellen Spielprinzipien; je nachdem, was uns gerade interessiert. Alle Spiele lassen sich übrigens von der Website des Global Game Jam herunterladen.

6 Welche Erfahrungen nehmen die Beteiligten eines Game Jams mit nach Hause? Wir hoffen, dass alle nach der Hauptpräsentation positiv gestimmt nach Hause gehen. Selbstverständlich ist das Erstellen eines Spiels innerhalb von nur 48 h sehr stressig. Vor allem, wenn es zwischendurch Schwierigkeiten gibt. Da man diese Erfahrungen aber mit allen teilt, und sich auch immer Lösungen für die Probleme finden lassen, ist das Finale umso befriedigender.

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R. Meyer

Durch das Zusammenarbeiten mit Leuten, die man vorher gar nicht kannte, knüpft man Kontakte und schult seine Teamfähigkeit. Zwischendurch gibt es das gemütliche gemeinsame Pizza-Essen, anregende Gespräche mit Gleichgesinnten und Sessions, in denen man die Spiele der anderen testet. Unserer Meinung nach ist nichts schöner, als gemeinsam kreativ sein zu können. Gerade die kleinen, raffinierten Ideen sind es, die am meisten bezaubern. In einem Game Jam muss man seine Idee und das daraus resultierende Spiel auf den Punkt bringen, um zu bestehen.

7 Kann man einen Game Jam auch als SchnupperWochenende verstehen, ob die Spielebranche einem liegt? Durch die Konzentration von Kreativen und kreativem Wirken gibt es beim Global Game Jam definitiv Berührungspunkte zur professionellen Spielebranche, was natürlich von Ort zu Ort mal mehr und mal weniger ausgeprägt ist. Allerdings ist so ein Jam immer ein verzerrter, weil sehr extremer Einblick in die Entwicklung und gibt, wenn überhaupt, eher die Prototypen-Phase eines Projekts wieder. Die eigentliche Entwicklung eines Spiels läuft natürlich geordneter und (hoffentlich) stressfreier ab. Man könnte also sagen: Wer einen lokalen Game Jam durchsteht und am Ende ein Projekt erfolgreich präsentiert, könnte auch für die normale Spielebranche gewappnet sein. Ein richtiges Praktikum wird ein Game Jam jedoch nicht ersetzen können.

8 Gibt es noch andere Jams? Es gibt es noch unzählige weitere, teilweise auf einen Ort begrenzt, teilweise online für die weltweite Teilnahme. Ein bekanntes Beispiel ist der Ludum Dare, der zwei Mal im Jahr stattfindet. Dank Plattformen wie itch.io ist es heute leicht, einen Jam zu starten und dazu aufzurufen, zu einem ausgewählten Thema ein Spiel zu erschaffen. Der Zuspruch schwankt dabei natürlich stark; allerdings können die veränderten Bedingungen interessant und herausfordernd sein – so gibt es Jams, die über eine Woche oder länger gehen, aber auch solche, bei denen man ein Spiel innerhalb einer Stunde entwickeln muss.

Interaktion und Storytelling

Transmediales Storytelling in der Gaming-Branche Phillip Jacob

Zusammenfassung

In diesem Kapitel werden die theoretischen Grundlagen eines modernen transmedialen Storytelling Systems in Form einer kurzen Übersicht abgebildet und erläutert. Darauf aufbauend wird anhand eines prominenten Beispiels aus der Gaming-Branche die Theorie in die Praxis überführt. Abschließend wird diskutiert, welche Chancen sich für Computerspiele ergeben, die Teil einer transmedialen Erzählung sind. Schlüsselwörter

Transmedia Storytelling · Storytelling · Gaming · Media Strategy · The Witcher

In den letzten Jahren hat sich der Begriff Transmedia Storytelling zu einem geläufigen Buzzword in der Medienbranche entwickelt. Sowohl im Online- und Influencer Marketing, im Journalismus als auch in der strategischen Inhaltsplanung der Verlags-, Film-, Hörspiel- und Gaming-Industrie hat sich transmediales Erzählen als ein modernes Phänomen der Medienkonvergenz etabliert. Tatsächlich ist der Prozess des transmedialen Erzählens schon sehr lange in der Geschichte der Menschheit etabliert (Ryan 2013, S. 88). Doch mit dem

P. Jacob (*)  HTWK Leipzig, Leipzig, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6_5

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Aufkommen neuer und moderner Medientypen, neukonfigurierter Mediensysteme und dem sich wandelnden Konsumverhalten der Medienrezipienten erlangte transmediales Erzählen eine größere Bedeutung in der heutigen Zeit (The Official Weblog of Henry Jenkins 2009). In diesem Beitrag wird zuerst ein kurzer Überblick darüber geboten, wie transmediales Erzählen definiert werden kann, welche Komponente diesen Prozess begleiten und welche typischen Bestandteile in einem transmediales Storytelling-System zu finden sind. Anschließend wird die Bedeutung des transmedialen Erzählens für die Gaming-Branche anhand praktischer Beispiele und empirischer Befunde beschrieben und diskutiert.

1 Überblick – Was ist Transmedia Storytelling Der Begriff Transmedia Storytelling wurde von Prof. Henry Jenkins geprägt, welcher transmediales Erzählen als einen Prozess, in dem zusammengehörige und ganzheitliche Elemente einer fiktiven Erzählung systematisch voneinander getrennt werden und über verschiedene Mediengattungen und Ausgabekanäle hinweg veröffentlicht werden, definiert. Dabei wird das Ziel verfolgt, eine in sich geschlossene und doch voneinander abgestimmte entertainment experience dem Konsumenten*innen zu bieten. Bestenfalls liefert jeder Teil der fiktiven Erzählung ihren eigenen einzigartigen Beitrag, um die gesamte Erzählung zu entfalten (The Official Weblog of Henry Jenkins 2007). In einfacheren Worten kann man von einer Erzählung sprechen, welche über verschiedene Ausgabemedien hinweg weitererzählt wird und/oder tiefgehender ausgeführt wird (Abb. 1).

1.1 Die Komponenten des transmedialen Erzählens Der Prozess des transmedialen Erzählens basiert auf verschiedenen Komponenten. Die erste Komponente ist die sogenannte Storyworld. Die Storyworld ist eine mentale Repräsentation der gesamten Welt, in der die Erzählung spielt. Ihr können statische und dynamische Komponenten zugeordnet werden, welche die geografische Umgebung, die Bewohner, sozialen Systeme und Kulturen der Storyworld beschreiben (Ryan 2013). Zum Bespiel beziehen sich die Erzählungen von J.K. Rowlings Harry Potter Romanreihe und die Filmreihe „Phantastische Tierwesen“ (Warner Bros. 2016, 2018) beide auf dieselbe

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Abb. 1   Transmedia Storytelling – Symbolbild, Eigene Abbildung

Storyworld. Somit sind diese Erzählungen miteinander verbunden und enthalten auch zahlreiche Verweise aufeinander. Die zweite Komponente ist das Konzept der Transmedialität. Dieses Konzept beschreibt ein medienunspezifisches wanderndes Phänomen, wo Inhalte derselben Art in verschiedene Medienausgabekanäle erscheinen, umgewandelt werden oder umgesetzt werden (Meyer et al. 2006). Eine weitere Komponente ist die sogenannte Transfiktionalität. Ein Begriff der von Prof. Richard Saint-Gelais definiert wurde. Transfiktionalität beschreibt den Umstand das in verschiedenen Dokumenten, die zum selben Medientyp gehören, diverse Elemente einer gesamtheitlichen fiktionalen Erzählung zu finden sind (Saint-Gelais 2005, S. 612 ff.). Transmediales Erzählen kann als eine Sonderform der Transfiktionalität gesehen werden, weil die verschiedenen Dokumente, welche sich auf einzelne Teile einer fiktiven Erzählung beziehen, lediglich nicht demselben Medientyp angehören (Ryan 2016, S. 1 ff.). In einfachen Worten kann Transfiktionalität als die Verbindungen diverser Medien/Dokumente, welche Teile

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derselben fiktionalen Erzählung beinhalten, beschrieben werden. An dieser Stelle sollte angemerkt werden, dass transmediales Erzählen sich nicht zwingend auf fiktionalen Inhalten beziehen muss. Auch das transmediale Erzählen von nichtfiktionalen Inhalten ist möglich (The Official Weblog of Henry Jenkins 2009). Die Verbindung der verschiedenen Dokumente, welche sich auf dieselben fiktionalen Inhalte beziehen kann durch vier folgende Operationen beschrieben werden: • erweitern • modifizieren • transpositionieren • zitieren Bei der Modifikation wird die Handlung einer Erzählung essenziell geändert. Ein Beispiel für eine Modifikation ist das Abwandeln des Endes einer Handlung oder indem man die Beziehung zwischen zwei fiktiven Charakteren umschreibt (Doležel 1998, S. 206 ff.). Bei der Transposition wird die räumliche und zeitliche Umgebung der Handlung verändert. Würde die Handlung von Der Herr der Ringe in einer hoch technologisierten futuristischen Umgebung stattfinden, anstatt in der originalen Mittelalter-Fantasy Umgebung (Tolkien 1954), wäre das ein Beispiel für eine Transposition (Doležel 1998). Eine Zitation im Sinne der Transfiktionalität beschreibt einen Vorgang, indem ein prägendes Element aus einer gewissen Storyworld in eine komplett andere Storyworld überführt wird. Ein Beispiel hierfür wären Lichtschwerter aus dem Star Wars Franchise in der Handlung von J.K. Rowlings Harry Potter. Diese Operation könnte für humoristische und satirische Inhalte genutzt werden (Ryan 2013). Die letzte und wohl relevanteste transfiktionale Operation ist die Erweiterung. Bei einer Erweiterung wird die Storyworld durch neue Handlungsstränge und zusätzlichen Informationen erweitert (Doležel 1998). In der Praxis werden solche Erweiterungen, zum Beispiel, durch Sequels (Fortsetzungen), Prequels (Vorläufer) und Spin-Offs (Abspalter) realisiert. All diese Operationen adressieren eine Storyworld, die entweder zitiert, erweitert, modifiziert oder transpositioniert wird. Das Verhältnis dieser Operationen zur adressierten Storyworld kann wie folgt dargestellt werden (Abb. 2): • Überlappend zur Storyworld für Modifikationen und Transpositionen • Sich in die Storyworld einfügend für Erweiterungen durch den originalen Autor • Inklusive der Storyworld für Erweiterungen durch andere Autoren (Ryan 2013).

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Abb. 2   Transfiktionale Operationen im Verhältnis zu adressierten Storyworld, Eigene Abbildung

1.2 Bestandteile eines Transmedia Storytelling Systems Im Folgenden wird kurz beschrieben wie man die, im vorigen Unterkapitel beschrieben, Erweiterungen einer Storyworld systematisieren kann und welche Dokumente ein System für das transmediale Erzählen bilden können. Die Erweiterung einer Storyworld kann durch verschiedene Arten von Erzählungen beziehungsweise inhaltlichen Strategien erweitert werden. Dabei sollte man die Einordnung einer Erzählung in den zeitlichen Ablauf der Storyworld beachten und die Gewichtung der Erzählungen untereinander. Eine Erzählung, die dem Konsumenten*innen die meisten wesentlichen Informationen über die Storyworld zukommen lässt, nennt man Mothership (Ryan 2016). Zum Beispiel fungiert die Harry Potter Romanreihe von J.K. Rowling als Mothership im Harry Potter „Universum“, da diese Erzählung den Konsumenten*innen die meisten Informationen über die Storyworld liefert. Begleitbücher, wie zum Beispiel „Die Märchen von Beedle dem Barden“ gehören auch zum Harry Potter Universum, bauen aber auf all die Informationen auf, welche der Leser aus der Romanreihe bereits entnehmen konnte. Dennoch gilt laut Jenkins, dass so ein Teil einer transmedialen Erzählung auch ohne die Hintergrundinformationen aus dem Mothership ein eigenständiges Unterhaltungserlebnis aus sich selbst heraus bieten kann (Jenkins 2009). In diesen Beitrag werden die verschiedenen Arten von Erweiterungen einer transmedialen Erzählung durch die Definitionen des Kommunikationswissenschaftlers Carlos Alberto Scolari abgebildet. Die erste Strategie ist die Erweiterung durch interstitielle (Mikro-) Erzählungen. Diese Erzählungen bilden entweder eine Serie von Erzählungen,

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indem sie die erste Haupterzählung durch vor- oder nachgelagerte Staffeln erweitern, oder sie befüllen die zeitlichen Lücken zwischen den Staffeln (Scolari 2009, S. 598). In der Praxis kann man hier von Prequels oder Sequels sprechen. Die zweite Strategie sind Parallel-Erzählungen, welche neben der Haupthandlung die Schicksale von Nebencharakteren näher erläutern oder den Plot aus der Sicht des Antagonisten schildern können (Scolari 2009). In der Praxis könnte man hier von Spin-Offs sprechen. Die dritte Strategie sind sogenannte periphere oder auch SatellitenErzählungen. Solche Erzählungen haben einen direkten Bezug zur Storyworld, aber nicht notwendigerweise zur vordergründigen Handlung. Sie können tiefere Hintergrundinformationen über die Storyworld liefern, in Form von Folklore oder Wörterbücher zu fiktiven Sprachen (Scolari 2009). Wie auch in der zweiten Strategie, könnte man hier von Spin-Offs sprechen (Abb. 3). Die vierte Strategie bezieht sich auf Inhalte, welche von den Konsumenten*innen beziehungsweise der Fan-Kultur selbst stammen. Solche Inhalte können oft in Form von sogenannten Fanfictions, Wikis oder Blogs auftreten. Es wird zwischen einigen Wissenschaftlern diskutiert, ob Inhalte, welche vom Konsumenten*innen stammen überhaupt als Teil einer transmedialen Erzählung angesehen werden sollten, weil solche Inhalte oftmals außerhalb der Kontrolle von Urheber und Lizenzträger liegen (Ryan 2013). Des Weiteren sind die Inhalte von Konsumenten*innen nicht zwingendermaßen reine Erweiterungen. Sie könnten auch Modifikationen oder Transpositionierungen sein. Die Betrachtung der Inhalte innerhalb eines transmedialen StorytellingSystems führte die Wissenschaftlerin Marie-Laure Ryan dazu, drei wesentliche Arten von Dokumenten innerhalb eines solchen Systems zu formulieren (Abb. 4):

Abb. 3   Erweiterung der Storyworld, Eigene Abbildung

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Abb. 4   Dokumente innerhalb eines transmedialen Storytelling-Systems, Eigene Abbildung

• Kanonische Dokumente, die den Kern des Systems, der Handlung und der Storyworld bilden, • Weitere Dokumente, die Adaptionen, Prequels, Sequels und Spin-Offs enthalten und unter der Lizenz des Urhebers durch externe Firmen realisiert werden und • Apokryphe Dokumente, welche von den Konsumenten*innen und der FanCommunity stammen (Ryan 2013).

2 Games innerhalb eines transmedialen Storytelling-Systems Im zweiten Kapitel dieses Beitrags werden zuerst die aus Kap. 1 zusammengetragenen Informationen an einem praktischen und aktuellen Beispiel aus der Gaming-Branche verdeutlicht. Anschließend werden anhand einer Umfrage der Konsum und die Chancen für Computerspiele innerhalb eines transmedialen Storytelling-Systems diskutiert.

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2.1 Transmediales Erzählen am Beispiel „The Witcher“ Die Erzählungen um den Hexer Geralt von Riva ist ein aktuelles Paradebeispiel für transmediales Erzählen. Anhand der Storyworld von The Witcher sollen die Erkenntnisse aus dem ersten Kapitel verdeutlicht und durch Beispiele belegt werden. Dennoch wird nachfolgend nur eine Auswahl der wesentlichsten Medienprodukte präsentiert, welche Erzählungen um den Hexer Geralt in sich tragen. Eine Präsentation aller Medienprodukte mit Bezug auf diese Storyworld würde den Rahmen des Beitrags sprengen. Aus demselben Grund wird auch darauf verzichtet die statischen und dynamischen Komponenten der Storyworld von The Witcher zu näher beschreiben. Für den weiteren Verlauf des Beitrages kann man es als gegeben ansehen, dass die Erzählungen eine Storyworld bilden beziehungsweise sich darauf beziehen. Der Urheber dieser Storyworld ist der polnische Autor Andrzej Sapkowski, der 1990 die ersten Geschichten des Hexers Geralt in Form eines Buches publizierte (The Witcher Wiki 2020). Den ersten Kurzgeschichtsbänden folgte eine fünfteilige Romanreihe beginnend 1994 bis 1999. Nach der Romanreihe wurde die Geschichte um den Hexer Geralt durch die Videospielreihe des polnischen Entwicklers CD Project RED von 2007 bis 2015 fortgesetzt. Anschließend wurde die Storyworld durch eine, von CD Project lizensierte, Comicbuchreihe (2015 – heute), durch ein weiteres Computerspiel namens Thronebreaker: The Witcher Tales (CD Proejct 2018) und durch den sechsten Teil der Romanreihe erweitert (The Witcher Wiki 2020). Im Dezember des Jahres 2019 erschien mit der Netflix-Serie „The Witcher“ eine Adaption der Romanreihe. Zum aktuellen Zeitpunkt könnten sowohl die Romanreihe als auch die Computerspielreihe als Mothership des transmediales Storytelling-Systems fungieren, da beide Erzählkomplexe genug Informationen über die entsprechende Storyworld liefern. Es könnte auch darüber diskutiert werden, dass die Netflix-Serie als Adaption der Romanreihe, auch als Mothership funktionieren könnte. Doch zum aktuellen Zeitpunkt hat die Serie nur eine Staffel, welche nur einen kleinen Teil der Romanerzählung abdeckt. Somit sind die Roman- und Computerspielreihe zum aktuellen Zeitpunkt die geeignetere Wahl für das Mothership. Je nach Einstieg in die Storyworld, kann die Romanreihe als Prequel der Computerspielerzählung angesehen werden oder die Computerspielreihe als Sequel der Romane. Wenn man jedoch vom reellen Zeitverlauf ausgeht, ist die Computerspielreihe das Sequel der Romanreihe. Beide Reihen zeigen beispielhaft wie aus nur einer Erzählung desselben Mediums eine transmediale Serie entsteht. In der Abb. 2.1 sehen sie die Einteilung einer Auswahl von Medienprodukten mit Bezug zu der The WitcherStoryworld, entlang des zeitlichen Ablaufs der Storyworld (Abb. 5).

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Abb. 5   Einordnung der Mediendokumente entlang der Storyworld-Zeitachse von The Witcher, Eigene Abbildung

Ein Beispiel für eine interstitielle Mikroerzählung ist der sechse Roman der Romanreihe (2013 in Polen und 2015 in Deutschland), welcher reell erst nach den ersten beiden Computerspielen erschien (2007–2011) und in zeitlichen Einordnung der Storyworld die Zeit zwischen den fünften Roman und dem ersten Computerspiel ausfüllt. Thronebreaker:  The Witcher Tales erzählt ausführlich die Geschichte eines Nebencharakters und somit ist dieses Computerspiel beispielhaft für eine ParallelErzählung im zeitlichen Ablauf der Romanerzählungen (CD Project 2018). Ein Beispiel für eine periphere Erzählung ist das gedruckte VideogameKompendium „Die Welt von The Witcher“, dass dem Leser tiefere Einblicke und Informationen über die Kulturen und Lebewesen der Storyworld liefert (Batylda 2015). In Zuordnung zu den Dokumenten kann die Romanreihe und jede Kurzgeschichtsband des Autors Andrzej Sapkowski als kanonische Dokumente angesehen werden. Jede Erzählung, die durch CD Project und Andrzej Sapkowski lizensiert wurde, kann als weiteres Dokument im Lizenzrahmen gewertet werden und zusätzliche Erzählungen und Adaptionen durch die Fan-Community als apokryphe Dokumente, wie zum Bespiel die Wiki-Webseite, aus der auch für diesen Beitrag gelegentlich zitiert wurde.

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2.2 Chancen für Videospiele innerhalb eines transmedialen Storytelling-Systems Im letzten Kapitel des Beitrags soll diskutiert werden, ob und wie Inhalte transmedial konsumiert werden. Dafür wurde im Rahmen meiner Masterarbeit eine Umfrage mit 671 Teilnehmern durchgeführt. Bei dieser Umfrage sollte herausgefunden werden, welche Medientypen für den weiteren Konsum der Storyworld genutzt wurden und aus welchem Grund primär weitere Inhalte mit Bezug zu dieser Storyworld konsumiert wurden. Die Voraussetzung für die Teilnahme an dieser Umfrage war, dass jeder Teilnehmer*innen eines der drei gegeben Beispiele (The Witcher, Game of Thrones oder Der Herr der Ringe) bereits mindestens einmal konsumiert hat (Jacob 2020, S. 46 ff.). Für den Medientyp Computerspiele wurden folgende Erkenntnisse gewonnen: • 191 von 671 (28,46 %) Teilnehmer*innen haben Computerspiele für den weiteren Konsum genutzt. • Als Gründe für den weiteren Konsum haben von diesen 191 Personen: • 54,45 % angegeben, dass sie mehr über die Storyworld des Beispiels erfahren wollten (im Sinne des transmedialen Erzählens und Konsums). • 35,60 % angeben, dass sie die schon bekannte Erzählung durch ein anderes Medium neu erleben wollten (im Sinne einer Adaption, aber nicht des transmedialen Weitererzählens). • 9,95 % andere Gründe hatten, die nicht von den beiden oberen Optionen abgedeckt wurden (Jacob 2020). Von den 671 Personen haben 315 angeben, dass sie keine Computerspiele für den weiteren Konsum der von ihnen gewählten Storyworld nutzen. Die restlichen Personen sind mit Computerspielen in das von Ihnen ausgewählte Beispiel direkt eingestiegen. Als Begründung des Nicht-Konsums der Videospiele haben von diesen 315 Personen: • • • •

41,27 % angegeben, dass sie generell keine Computerspiele spielen wollen. 28,25 % angegeben, dass sie bisher noch nicht dazu kamen, aber es noch vorhätten. 22,22 % angegeben, dass Interesse an der Storyworld verloren zu haben. 5,08 % angegeben, dass sie andere Gründe gehabt haben, die hier nicht gelistet sind. • 3,18 % angegeben, dass sie generell nicht in der Lage sind (entweder durch körperliche Beeinträchtigung oder fehlender Hardware) Computerspiele zu konsumieren (Jacob 2020).

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Aus den Ergebnissen der Umfrage geht hervor, dass 53,06 % der befragten Personen Computerspiele für transmedialen Konsum einer Storyworld nutzen, sowohl für den Einstieg als auch für den weiteren Konsum. Selbst von den restlichen 315 Personen, die keine Computerspiele für den weiteren Konsum genutzt haben, gaben mehr als 28 % an, dass Sie das noch tun wöllten. So kann man resultierend sagen, dass Computerspiel-Branche mehr als die Hälfte der potenziellen Kunden*innen erreichen kann, die sich an eine gewisse transmediale Erzählung binden und diese konsumieren. Doch diese Werte sind nur eine Momentaufnahme und keine dauerhaft verlässliche Quelle. In einem transmedialen Storytelling-System kann man einen Synergieeffekt beobachten, der ständig und über längere Zeitperioden hinweg auftritt, wenn sich die Storyworld und somit das System um ein neues Medienprodukt vergrößert. Dieser Effekt kann beispielhaft an der Veröffentlichung der Netflix-Serie von The Witcher beobachtet werden. Die Veröffentlichung der ersten Staffel im Dezember 2019 bewirkte einen Anstieg von plus 107,89 % an gleichzeitigen Spieler*innen von Witcher 3 – Wild Hunt auf der Gaming-Plattform Steam im selben Monat. Im Januar erreichte das Spiel seinen bisherigen Höchstwert von 103.329 gleichzeitig Spielenden (Steam 2020). Des Weiteren stieg die Nachfrage nach den Büchern so weit an, dass der britische Verlag Orbit Books eine Neuauflage von 500.000 Exemplaren drucken ließ (PCGH 2020). Aufgrund solcher Beobachtungen kann man einen Synergieeffekt vermuten, der bewirkt, dass neue Medienprodukte in einem transmedialen Storytelling System neue Konsumenten*innen*innen generieren und auch bereits gewonnene Kunden*innen und Fans dazu ermutigen sich allen Medienprodukten innerhalb des Systems zuzuwenden. Folgt man dieser Annahme, kann man davon ausgehen, dass Computerspiele innerhalb eines solchen Systems langfristig davon profitieren können, solang man den qualitativen und inhaltlichen Anspruch der Konsumenten*innen*innen entspricht. Des Weiteren empfiehlt es sich auch die Storyworld durch den partizipatorischen Charakter vieler Computerspiele weiter auszubauen und somit Konsument*innen besser zu binden.

Literatur Batylda, M. (2015). Die Welt von The Witcher Videogame-Kompendium. Modena: Panini. Doležel, L. (1998). Heterocosmica. Fiction and Possible Worlds. Baltimore: John Hopkins University Press.

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Jacob, P. (2020). Master Thesis. Transmedia Storytelling Systems in Publishing with Focus on Fantasy Franchises. Leipzig: Bibliothek HTWK. Meyer, U., Simanowski, R. & Zeller, C. (2006): Transmedialität. Zur Ästhetik paraliterarischer Verfahren. Göttingen: Wallstein. Ryan, M. (2013). Medien. Erzählen. Gesellschaft. Transmediales Erzählen im Zeitalter der Medienkonvergenz. De Gruyter: Berlin. Ryan, M. (2016). Artnodes no.18. Transmedia narratology and transmedia storytelling. (Barcelona: Universitat Oberta de Catalunya. Saint-Gelais, R. (2005). Routledge Encyclopedia of Narrative Theory. Transfictionality. London: Routledge. Scolari, C.A. (2009). Transmedia Storytelling: Implicit Consumers, Narrative Worlds, and Branding in Contemporary Media Production, In: International Journal of Communication 3. Barcelona: University of Catalunya. Tolkien, J.R.R. (1954). The Lord oft he Rings: The Fellowship of the Ring. London: George Allen & Unwin.

Internet PCGH (2020): The Witcher: Bücher werden nach Serienerfolg neu aufgelegt. https:// www.pcgameshardware.de/The-Witcher-Serie-267922/News/Witcher-Buecher-nachSerienerfolg-neu-aufgelegt-1341442/ [21.06.2020] Steam (2020): STEAMCHARTS - The Witcher 3: Wild Hunt. https://steamcharts.com/ app/292030 [21.06.2020] The Official Weblog of Henry Jenkins (2007): Transmedia Storytelling 101. https:// henryjenkins.org/blog/2007/03/transmedia_storytelling_101.html [21.06.2020] The Official Weblog of Henry Jenkins (2009): The Aesthetics of Transmedia: In Response to David Bordwell (Part One). https://henryjenkins.org/blog/2009/09/the_aesthetics_ of_transmedia_i.html [21.06.2020] The Offical Witcher Wiki (2020): CD Projekt's The Witcher franchise. https://witcher. fandom.com/wiki/CD_Projekt%27s_The_Witcher_franchise [21.06.2020]

Filme Yates, D. (2016): Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind. Burbank: Warner Bros. Entertainment. Yates, D. (2018): Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen. Burbank: Warner Bros. Entertainment.

Interview mit Konrad Kunze Gabriele Hooffacker

Zusammenfassung

In VR-Games stellen die Eingabemöglichkeiten für die Spieler eine besondere Herausforderung dar. Für Entwickler kommt es darauf an, die vielfältigen Funktionen der Controller möglichst gut auszunutzen, ohne dabei das komplette Spiel für jede Hardware neu schreiben zu müssen. Jeder Controller hat seine Besonderheiten, die interessante Aktionsmöglichkeiten bieten. Bisher gibt es aber noch keine Standards, auf die Entwickler sich verlassen können. In Zukunft könnten VR-Headsets getrennt vom Controller ausgeliefert werden. Separate VR Controller werden dann ein Zubehör sein – meint Konrad Kunze, Lead Game Designer bei IT Sonix. Er leitete die Entwicklung von „FusionPlay Heroes“, dem ersten mobilen NFC Kartenspiel. Schlüsselwörter

VR-games · Eingabegeräte · VR-controller · Hand-tracking · Simulationen · Roomscale-VR · Playstation

G. Hooffacker (*)  HTWK Leipzig, Leipzig, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6_6

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G. Hooffacker

1 Beim Science-MashUp haben Sie vorstellt, wie man in virtuellen Welten interagieren kann. Welches sind aktuell die wichtigsten Möglichkeiten? Derzeit kann man drei verschiedene Trends bzgl. der Eingabemöglichkeiten beobachten. Der erste Trend: traditionelle Controller. Während Gamepads für das Interagieren mit virtuellen Welten eher ungeeignet sind, steigern Joysticks und Lenkräder hier die Immersion. Insbesondere bei Simulationen wie Autorennen oder Flugsimulationen ist ein Joystick oder ein Lenkrad Controller das passendste Eingabemedium. Ein Vorteil ist dabei, dass diese Geräte nicht speziell für Virtual Reality entwickelt werden müssen, sondern dass sie bereits seit vielen Jahren für traditionelle PC-Simulationen produziert werden. Der zweite Trend sind getrackte Controller. Das sind Eingabegeräte, die man in jeweils einer Hand hält. Die Geräte haben meist mehrere Knöpfe und Joysticks. Zusätzlich beinhalten die Controller Sensoren, die es ermöglichen, die Lage des Controllers zu bestimmen. Man kann sich das grob wie die Fernbedienungen der Nintendo Wii vorstellen. Im Unterschied zu den Controllern der Wii sind VRController allerdings mit Tracking-Technologie ausgestattet. Diese ermöglicht es, die Position der Geräte im freien Raum zu ermitteln. Üblicherweise erfolgt dies durch optische Systeme wie Kameras oder Sensoren in Kombination mit InfrarotLEDs oder schwachen Lasern. Die Controller ermöglichen es dem Spieler, seine eigenen Hände in der virtuellen Welt erahnen zu lassen. Sie sind vor allem dann eine hervorragende Lösung, wenn der Spieler Gegenstände in der Hand hält. In der echten Welt hält er ja ebenfalls einen Gegenstand – den Controller – in seiner Hand. Als dritte Technologie ist gerade Hand-Tracking auf dem Vormarsch. Hierbei hält der Spieler kein Eingabegerät in der Hand. Stattdessen werden seine eigenen Hände zum Eingabegerät. Über mehrere Kameras und eine künstliche Intelligenz werden die Hände erfasst und interpretiert. Der Spieler sieht dann in der virtuellen Welt seine eigenen Hände und kann mit diesen auf natürliche Weise interagieren. Dies senkt die Einstiegshürden für virtuelle Welten stark. Allerdings hat Hand-Tracking auch Nachteile. Die Erkennung der Hände ist immer noch ziemlich ungenau, insbesondere bei bestimmten Gesten. Führt der Spieler beispielsweise beide Hände zusammen, so kann das Kamerasystem die Hände nicht mehr korrekt erkennen. Des Weiteren gibt es bei dieser Art der Interaktion mit virtuellen Elementen keinerlei haptisches Feedback. Da der Spieler kein Gerät in der Hand hält und keine Knöpfe drückt, interagiert er an sich nur mit der Luft.

Interview mit Konrad Kunze

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Auch die Interpretation von Gesten ist mit Hand-Tracking aufwendiger. Während bei einem Controller ein bestimmter Knopf für die Aktion „Hebe den Gegenstand auf“ gedrückt wird, muss beim Hand-Tracking die Lage der Finger zueinander interpretiert werden. Neben diesen typischen VR-Interaktionsmedien gibt es auch diverse Nischenlösungen. Aktuell hat sich allerdings noch keine von diesen Technologien in der VR Branche durchgesetzt. So gibt es immer wieder Versuche mit Datenhandschuhen. Die Idee ist hier, die Hände des Nutzers in die virtuelle Welt zu bringen und gleichzeitig taktiles Feedback an die Finger zurückgeben zu können. Bisher haben sich diese Produkte aber noch nicht über das Forschungsstadium hinausbewegt. Mehrere Kickstarterprojekte gab es bereits zu VR-Laufställen, sogenannten VR-Treadmills. Hier wird der Spieler in ein Gestell geschnallt, das über einer speziellen Lauffläche hängt. Der Spieler hat dazu spezielle, sehr rutschige Schuhe an, mit denen er über die Lauffläche läuft. Da sich das Laufen aber eher wie ein Rutschen anfühlt, ist der Effekt auf die Immersion nur gering. Auch wenn es mehrere kommerzielle Ansätze zu derartigen Geräten gab, ist der Erfolg bisher ausgeblieben. Das bekannteste Projekt dazu ist die Virtuix Omni VR. Immer wieder gibt es auch sehr spezifische Eingabelösungen, die nur für eine ganz bestimmte Anwendungsart optimiert ist. Ein prominentes Beispiel ist der Ikaros, ein Gestell, das dem Spieler das Gefühl gibt zu fliegen.

2 Worin liegt die Herausforderung bei den Eingabegeräten (Controllern) für Entwickler? Die Herausforderung für die Entwickler liegt hauptsächlich darin, die vielfältigen Funktionen der Controller möglichst gut auszunutzen, ohne dabei das komplette Spiel für jede Hardware neu schreiben zu müssen. Jeder Controller hat seine eigenen Besonderheiten, die interessante Aktionsmöglichkeiten bieten. So haben die Vive Wands Controller ein Touchpad mit integriertem haptischem Feedback. Die Oculus Touch Controller haben dies nicht, aber dafür einen Joystick eingebaut. Die Valve Index Controller gehen noch einen Schritt weiter. Die Controller sind an der Hand des Spielers befestigt und müssen so nicht dauerhaft gehalten werden. Man kann sie loslassen ohne dass sie herunterfallen. Dabei messen diese Controller sogar den Druck, mit dem der Nutzer den Controller festhält, und die Fingerposition, wenn der Controller losgelassen wird. Beim Hand-Tracking der Oculus Quest gibt es gar keine Knöpfe, Joysticks und Touchpads, die genutzt werden können. Dafür hat man im Gegenzug eine echte Erkennung der Hände und jedes einzelnen Fingers. All diese Funktionen bieten interessante Möglichkeiten,

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die Immersion in die virtuelle Welt zu erhöhen. Das verstärkt beim Spieler das Gefühl, tatsächlich mit dieser Welt zu interagieren. Gleichzeitig gibt es aber noch keine Standards, auf die Entwickler sich verlassen können.

3 Welche Konzepte dafür halten Sie derzeit für am erfolgversprechendsten? Hier gibt es keinen klaren Gewinner. Es gibt aktuell keine eindeutig überlegene Lösung. Bedingt durch viele Faktoren werden sich für verschiedene Anwendungsfälle verschiedene Konzepte durchsetzen. Im Simulationsbereich werden weiterhin traditionelle Joysticks und Lenkräder dominieren. Ein Flugzeug steuert sich halt am besten mit einem Joystick und ein Auto mit einem Lenkrad. Vermutlich wird hier in absehbarer Zukunft Hand-Tracking als optionale Zusatzkomponente ins Spiel kommen. So kann ich, wenn ich den Joystick loslasse, mit meiner eigenen Hand dann virtuelle Knöpfe im virtuellen Cockpit an- und abschalten. Bei diesen Sekundärfunktionen ist ein haptisches Feedback nicht so wichtig wie bei den Primärfunktionen (Steuern des Flugzeugs). Im Gegenzug verhindert man mit virtuellen Schaltern, dass die limitierte Anzahl an (realen) Knöpfen am Joystick oder Lenkrad doppelt oder dreifach belegt werden muss. Im Bereich des Roomscale-VR, also VR-Systemen, bei denen ich mich frei in einem kleinen Bereich bewegen kann, wird es sowohl Hand-Tracking als auch getrackte Controller geben. Wahrscheinlich ist hier, dass in Zukunft VR-Headsets ohne Controller ausgeliefert werden. Damit können sie zu einem günstigeren Preis angeboten werden und eine breitere Zielgruppe erschließen. Die StandardSteuerung erfolgt dann über Hand-Tracking. Die dafür nötigen Kameras sind in modernen VR Systemen sowieso bereits vorhanden, da sie für die Positionsermittlung des Spielers benötigt werden. Separate VR Controller werden dann ein Zubehör sein, so wie aktuell Joysticks oder die PlayStation®-Move Controller Zubehör für Spielkonsolen sind. Viele Spiele werden damit etwas besser zu steuern sein, aber sie werden nur selten noch zwingend erforderlich sein.

4 Wie könnte eine mögliche Standardisierung in diesem Bereich aussehen? Man benötigt hier eine Abstraktion von Interaktionsebene und Hardware-Layer. Auf der Interaktionsebene definiert man bestimmte Standardaktionen wie z. B. einen Gegenstand greifen, loslassen, einen Schalter betätigen und Ähnliches. Auf

Interview mit Konrad Kunze

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der Hardwareschicht implementiert man nun diese Standardaktionen für jedes einzelne Eingabegerät. Der Vorteil ist hierbei, dass ich jede Aktion nur genau einmal für jede Hardware implementieren muss. Damit lässt sich eine wiederverwendbare Bibliothek erstellen, die für viele Projekte genutzt werden kann. Lassen Sie mich das an einem Beispiel erklären: Nehmen wir das Greifen von Gegenständen als Interaktionsmöglichkeit. Wir definieren in unserer Abstraktionsebene, dass es eine Aktion „Greifen“ gibt und diese einen Parameter „Greifstärke“ hat. Dieser bestimmt, wie stark ich zugreife. Nun implementiere ich die Funktion für die gängigsten Hardware Lösungen. Für die Oculus-Touch-Controller nehme ich z. B. das Drücken des (analogen) Seitenknopfes (dieser heißt sogar „Grab Button“) als Auslöser für die Aktion „Greifen“. Je nachdem wie weit man den Knopf eindrückt, umso stärker soll die Greifkraft sein. Für Hand-Tracking-Systeme nehme ich wiederum die Position der Finger. Sobald diese eine Greifgeste darstellen, wird die Aktion Greifen ausgelöst. Wie weit die eigenen Finger zusammengehen, bestimmt dabei, wie hoch die Greifstärke ist. Im Spiel kann ich nun an jeder Stelle, an der ein Gegenstand aufgehoben werden soll, die Aktion „Greifen“ dafür benutzen. Der Spieleentwickler muss sich dabei dann keine Gedanken darüber machen, welche Hardware der Spieler hat und wie genau diese die Greifstärke ermittelt.

5 Sie haben bei IT Sonix gerade die Leipziger Spieleentwicklungen pixelBOT EXTREME! von PlayHeart Games und Potion Party von RP Games auf die PlayStation®4 von Sony gebracht. Was versprechen sich die Spieleentwickler davon? Das ist eigentlich eher eine Frage an die Spieleentwickler als an uns. Der Grundgedanke dahinter ist, dass wir die Erfahrung, die Kontakte und die Vorteile, die sich durch eine gewisse Firmengröße ergeben nutzen, um den Spielen damit eine Chance zu geben, die sie allein vermutlich nicht hätten. Beide Spiele sind eher kleine Projekte von kleinen Entwicklerstudios, bei denen eine einzelne Person federführend ist. Wir unterstützen sie nun in vielerlei Hinsicht: Zu einen geben wir Feedback im Entwicklungsprozess, um die Spiele auf Hochglanz zu polieren und das bestmögliche Gameplay herauszuholen. Wir haben dabei eine offene und tolle Zusammenarbeit mit den Entwicklern. Wir bringen unser Know-How im Game Design ein, aber die Entwickler entscheiden am Ende, wie das Spiel werden soll. Außerdem konvertieren wir die Spiele so, dass sie auch auf Sonys PlayStation®4 laufen und sich wie ein Konsolenspiel anfühlen und steuern lassen.

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G. Hooffacker

Da wir das bereits mehrfach getan haben, ist nicht nur sämtliche Hard- und Software dafür vor Ort, sondern auch unser Erfahrungsschatz beträchtlich gewachsen. Wir wissen, was die typischen Stolpersteine sind und worauf man achten muss. Ein Spiel für die PlayStation® umzusetzen ist deutlich aufwendiger als ein einfaches PC-Spiel auf Steam zu bringen. Insbesondere die Qualitätsmaßstäbe und die Prozesse sind hier ein integraler Bestandteil der Entwicklung. Neben der eigentlichen Portierung kümmern wir uns auch um das Publishing, also Vertrieb, PR und Marketing. Auch wenn wir kein Marketingbüro sind und auch (noch) kein Global Player, so haben wir doch bereits eine Menge Erfahrungen gesammelt und nutzen diese um die Spiele zu pushen. Die Bandbreite reicht von umfangreichen Presseverteilern über eine mächtige Sammlung an PR- und Marketing-Tools bis zu Kontakten zu internationalen Youtubern. Aus all diesen Dingen ergibt sich dann die Grundidee des Ganzen: Die Entwickler machen jeweils ein tolles Spiel, können ihre Kreativität ausleben und sich dabei voll auf das Gameplay konzentrieren. Wir sorgen dann dafür, dass diese tollen Games auf der PlayStation funktionieren, erscheinen und auch bekannt werden.

Interview mit Christin Marczinzik und Thi Binh Minh Nguyen Benjamin Bigl

Zusammenfassung

Thi Binh Minh Nguyen und Christin Marczinzik sind Gründerinnen von A.MUSE, einem Kreativstudio für außergewöhnliche Multimedia- Erlebnisse zwischen Kunst, Design und Technologie. Zusammen kreieren sie spielerische, informative und inspirierende Erfahrungen, die Menschen verbinden und glücklich machen. Die Gründerinnen von A.MUSE sprechen im Interview mit Benjamin Bigl und Sascha 2 Kummer darüber, wie man SpieleEntwickler*in wird, beschreiben, wie ein Spiel entsteht und zeigen die Einschränkungen auf, denen Game-Entwickler*innen unterliegen. Sie berichten, wie wichtig die Reflexion von Rollenbildern in Computerspielen ist, und geben einen Ausblick auf die Zukunft des Gamings. Schlüsselwörter

Computerspiele · E-sport · Sportart · Anerkennung

B. Bigl (*)  Medienpädagogisches Zentrum + , Torgau, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6_7

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B. Bigl

1 Wie wird man Spiele-Entwicklerin? [Christin] Bei mir ist das ein bisschen unkonventionell gewesen. Ich habe erst eine Grafikdesign-Ausbildung gemacht, dann Industriedesign studiert. Mit der Gestaltung war mir schnell klar, in welche Richtung es gehen soll. Im Industriedesignstudium interessierte ich mich stark für Interaktionsdesign und setzte dort meinen Fokus. Letztendlich bin ich im Master-Studiengang Multimedia|VR-Design gelandet, weil es einfach faszinierend ist, wie man mit Interaktivität Menschen motivieren und ihnen Emotionen entlocken kann, die man vorher so nicht rausgekriegt hat. [Thi Binh Minh] Bei mir war es eine natürliche Evolution aus dem Studiengang Multimedia|Virtual Reality Design. Dort beschäftigt man sich mit interaktiven Medien aller Art und da fing ich an, die ersten Spiele zu entwickeln und mit physischen Interfaces zu vereinigen. Zum Beispiel so, dass man um das Spiel zu steuern, auf zusammengeschweißten Autoreifen laufen muss. Da habe ich gemerkt, wow, Spiele haben so eine Macht und erzeugen Begeisterung. Es macht Spaß, sie zu entwickeln und anderen macht es Spaß, sie zu spielen. Das hat mich so angetrieben, dass ich ein Semester Game Design in Zürich an der ZHdK studiert habe und zwischen dem Bachelor- und Masterstudium im independent Game Studio „The good Evil“ in Köln gearbeitet habe.

2 Wie entsteht ein Spiel, was ist in der Entwicklung wichtig? [Thi Binh Minh] Ganz am Anfang ist es wichtig darüber nachzudenken, wohin man will. Man geht von einer Idee aus beim Spiele entwickeln: Was ist meine Vision? Was möchte ich sagen? Welche Spiele-Mechaniken möchte ich einbauen? Wen möchte ich erreichen? Oder will ich einfach ein Spiel machen, das Spaß macht oder Wissen vermittelt? Von diesem Kern geht man aus und fragt dann, was für Tools benötigt werden. Will ich ein textbasiertes Game? Will ich Eingaben in 3D? Dann brauche ich vielleicht Skills in Modeling und in SpieleEngines. Oder reicht es aus, einfache Programmierplattformen wie Scratch zu nutzen, bei denen nicht so viel Code geschrieben werden muss. So nähert man sich Schritt für Schritt an. [Christin] Wichtige Fragen betreffen auch die Hardware. Heute können wir mit Virtual Reality oder Augmented Reality Spiele gestalten. Das erfordert natürlich ganz andere Geräte, die man den Leuten mit an die Hand gibt. Oder wird das Spiel eine App für Mobilgeräte? Das sind am Anfang ganz wichtige Entscheidungen, die bestimmen, wie denn überhaupt mit dem Spiel interagiert werden kann.

Interview mit Christin Marczinzik und Thi Binh Minh Nguyen

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3 Wo gibt es auf der technischen oder künstlerischen Ebene Einschränkungen? [Christin] Auf der künstlerischen Seite gibt es die Vision, wie alles am Ende aussehen soll. Wir bedienen uns dafür auch gerne analogen Techniken wie Aquarell oder Ölfarben. Die Frage ist: Wie bekommen wir diesen Look in ein digitales Spiel übertragen? Du musst für alles Mittel und Wege finden, dich rantasten und schauen, wie man den gewünschten Stil erreicht, dass es sich genauso anfühlt und so aussieht. [Thi Binh Minh] Irgendwann muss man sich auch mit dem Coden auseinandersetzen. Will ich einen bestimmten Look haben, erreiche ich ihn durch bestimmte Shader (Darstellungseffekte). Will ich Shader haben, muss ich ShaderProgrammierung lernen und so weiter. Bei einer künstlerischen Herangehensweise geht es auch darum, welche Geschichte ich erzählen möchte? Dafür muss ich mich auch mit Dramaturgie auseinandersetzen. Es ist sehr interdisziplinär, was man für die Game-Entwicklung braucht. Wenn man eine coole Vision hat und diese auch visualisieren kann, kann man damit zu den Publishern gehen oder Förderanträge stellen. Oder man entwickelt einfach nebenbei als Hobby Spiele, die man selbst veröffentlicht und hofft, dass die Spiele ankommen und man irgendwann damit seine Miete zahlen kann. Viele finden Spiele toll, aber einen Mehrwert darin zu sehen, tatsächlich Geld in die Hand zu nehmen und zu sagen „Hey, wir sind ein Museum und wir machen jetzt ein Spiel dafür“, das sehen viele nicht. Entscheidungsträger müssen leider noch vom Mehrwert von Spielen überzeugt werden.

4 Wie wichtig sind Rollenbilder in der Spielgeschichte? [Christin] Rollenbilder sind total wichtig. Da geht es nicht nur um diejenigen von Frau oder Mann, sondern auch um Diversität und kulturelle Vielfalt. In der Story muss man natürlich aufpassen, dass man nicht in Klischees abdriftet. Oder man macht es ganz bewusst, um zu überspitzen. Das ist dann ein Kunstgriff. Wir arbeiten auch gerade an einem Projekt, in dem es darum geht, verschiedene Kulturen zu zeigen, zu verbinden und diese Vielfalt Kindern näherzubringen. Das ist etwas, was Spiele gut vermitteln können. [Thi Binh Minh] Spiele sind so einfach zugänglich und deswegen ist es besonders wichtig, Diversität in Spiele zu integrieren. Ich will jetzt nicht nur der

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Superheld sein, der weiß ist oder die Frau in Nöten, die gerettet wird. Frauen sind auch nicht immer in kurzen Röcken mit großen Brüsten unterwegs. Man muss auch solche Beispiele bringen, von deren Vielfalt Kinder inspiriert werden. Dabei ist es schade, dass vor allem in der Schule Spiele bei uns viel seltener verwendet werden als etwa in China. Dort verwendet man schon VR-Brillen in den Klassen und hier hat man noch nicht einmal vernünftiges Internet in den Schulen. Wenn wir nicht abgehängt werden wollen, muss man auch in diesem Bereich damit anfangen, den richtigen und vorteilhaften Umgang mit Medien zu lehren. Es gibt kindgerechte Inhalte und mit denen müssen sich Lehrer, Erzieher und Eltern zukünftig mehr beschäftigen.

5 Wie seht Ihr die Zukunft des Gamings? [Christin] Gaming ist jetzt schon wichtig und wird auch immer wichtiger. Es hält auch Einzug in andere Disziplinen. Man kann Spielmechaniken in Therapien nutzen oder in Simulationen. Beispielsweise kann ein Chirurg schon vorher virtuell lernen, wie eine Herz-OP ausführt wird. Wenn ich das mit spielerischen Elementen anreichere, erzeuge ich einen größeren Lernerfolg. Hinter diesen neuen Technologien stecken ganz neue Möglichkeiten. [Thi Binh Minh] Wir denken, dass Spiele das Leitmedium des 21. Jahrhunderts sind. Das hat den Grund, dass Spiele einfach aus intrinsischer Motivation gespielt werden. Leute haben Spaß daran und können dabei gewisse Inhalte lernen, einfach wie von Geisterhand. Und warum nutzt man nicht diese Macht, vermittelt Wissen unterhaltsam oder versucht Dinge produktiver zu machen und dabei Spaß zu haben und glücklicher zu sein? Wir versuchen, das als unsere Philosophie zu verbreiten.

Sprache und Sound

Going full-talkie. Der Wettlauf zur Sprachausgabe bei Computerspielen Klaus Rettinghaus

Zusammenfassung

Die Geschichte der Sprachausgabe in Computerspielen beginnt 1980 sehr zaghaft und es sollte schließlich über zehn Jahre dauern, bis die ersten Spiele mit vollständiger Sprachausgabe auf den Markt kamen. Doch welches Spiel war wirklich das erste? Heute wird vielen Titeln dieses Prädikat erteilt – und dies nicht ganz zu unrecht … Schlüsselwörter

Sprache in Games · Sprachsynthese · Homecomputer · Adventures

Heutzutage wird ein Großteil der Computerspiele so aufwendig produziert wie Filme, eine Sprachausgabe gehört dabei buchstäblich zum guten Ton. In der Ära der Homecomputer sah das noch gänzlich anders aus. Das Zeitalter der Sprache begann im Jahre 1980, als man anfing in einigen Arcade-Spielen mit einer ein-

K. Rettinghaus (*)  Enote GmbH, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6_8

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fachen Sprachausgabe zu experimentierten.1 Aufgrund der zu jener Zeit stark begrenzten technischen Möglichkeiten, vor allem wegen des extrem teuren Speicherplatzes, war man gezwungen, statt der einfachen Wiedergabe von zuvor aufgezeichneter Sprache, Sprachsynthese einzusetzen.2

Forrest S. Mozer – Pionier der Sprachsynthese

Der 1929 geborene Physiker begann in den 1970er Jahren aus reiner Neugier mit digitalisierter Sprache zu experimentieren. Er hielt mehrere Technologie-Patente in diesem Bereich (u. a. Mozer compression) und war 1984 Mitbegründer der Firma Electronic Speech Systems. Besonders in der Retroszene ist er bis heute bekannt für die frühe Sprachausgabe in vielen Spielen, wie z. B. Berzerk, Impossible Mission und Ghostbusters. (Marksman 2017).3

Die Weiterentwicklung sowohl der digitalen Tontechnik als auch jener der Computer- und vor allem Speichertechnik ließen gegen Ende des Jahrzehnts eine Sprachausgabe als immersive Technik bei Computerspielen immer interessanter erscheinen. Wie auch 60 Jahre zuvor beim Film, beginnend mit The Jazz Singer von 1927, erfolgte die Einführung von Sprachausgabe bei Spielen schließlich schrittweise (vgl. Eyman 1997). Ein Meilenstein dabei war sicherlich das 1989 für den Commodore Amiga veröffentlichte Spiel It Came from the Desert; die 40-sekündige, filmartige Eröffnungssequenz war mit einem etwa dreizehn Sekunden langen Voiceover

1Als

erste Spiele mit Sprachausgabe gelten Stratovox und Berzerk (Collins 2012, S. 131 f.). Berzerk wirkte hier schon ungemein elaboriert mit seinem Wortschatz von etwa 30 Wörtern, die innerhalb des Spiels randomisiert zu Sätzen zusammengesetzt und in verschiedenen Tonhöhen abgespielt wurden. (Berzerk 2020). 2Die

Grenzen zwischen Sprachsynthese und -wiedergabe sind mitunter fließend. Die frühe Synthesetechnik basierte auf Signalmodellierung zuvor aufgezeichneter Sprache. 3Im Internet finden sich verschiedene Interviews mit Mozer, z. B. Forrest S Mozer interview for Scene World Magazine, 2016 (https://youtu.be/8HHzJ2DXcA4) und ANTIC Interview 101 – Forrest Mozer, Pioneer in Digitized Speech, 2015 (https://ataripodcast.libsyn. com/antic-interview-101-forrest-mozer-pioneer-in-digitized-speech).

Going full-talkie. Der Wettlauf zur Sprachausgabe …

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versehen. (It Came from the Desert 1989) Zu jener Zeit waren die 16-Bit-Heimcomputer wie der Commodore Amiga oder der Atari ST vor allem im Bereich Grafik und Sound dem Personal Computer technologisch noch weit überlegen. Folgerichtig war der PC im Bereich der Spieleentwicklung zunächst nur zweite Wahl, wegen seiner stetig wachsenden Bedeutung aber wurden viele Spiele auch auf diese Plattform portiert. Bei der Verbreitung der Massenspeicher hinkten die Heimcomputer jedoch hinterher; Festplatten kamen nur zögerlich und zu hohen Kosten auf den Markt, optische Speichermedien kamen im Prinzip nie zum Einsatz4. Die CDROM wurde bereits 1985 erstmals vorgestellt und glänzte damals mit einem gigantischen Speichervolumen von 650 MB5, doch es dauerte noch bis Ende der 1980er Jahre, bis sie mit dem verabschiedeten Standard ISO 9660 auch massentauglich wurde (Feldman 1997, S. 41 f.). Während in Spielekonsolen und Heimcomputern von Beginn an ein designierter Soundchip die Tonerzeugung übernahm, verfügte der 1981 vorgestellten IBM PC lediglich über einen im Gehäuse verbauten kleinen Lautsprecher (PC Speaker), der lediglich für kurze Pieptöne vorgesehen war. Über die Jahre wurden vereinzelt Soundkarten als Erweiterung vorgestellt, doch erst die 1986 entwickelte AdLib Card konnte ein breiteres Publikum erreichen (Collins 2008, S. 48 f.). Das erste Spiel, das diese Karte (und etliche weitere) unterstützte, war King’s Quest IV: The Perils of Rosella. Allerdings brachte erst der 1989 vorgestellte Sound Blaster der Firma Creative Technology aus Singapur neben der Kompatibilität zur AdLib-Karte auch die Möglichkeit, digitalisierte Soundeffekte und Sprache wiederzugeben. Zu Beginn der 1990er Jahre waren also im Prinzip die technischen Grundlagen gelegt, um Computerspiele mit einer vollständigen Sprachausgabe auszustatten. Zunächst wurden Spiele aber üblicherweise weiterhin auf Disketten publiziert. Das erste Spiel, das ausschließlich auf CD-ROM erschien, war Sherlock Holmes: Consulting Detective. Ein wesentlicher Bestandteil hierbei waren vorproduzierte Filme, die im Spielverlauf wiedergegeben wurden; außerhalb dieser Filme gab es

4Interaktive

Videodisk-Spiele wie Dragon's Lair waren zeitweilig durchaus populär, erreichten aber nie wirklich den Massenmarkt. Man könnte aber sagen, dass diese, aus vorproduzierten Clips bestehenden, interaktiven Filme die ersten Spiele mit vollständiger Sprachausgabe waren. 5MB nach damaligen Sprachgebrauch, also eigentlich 650 Mebibyte, was knapp 682 MB entspricht.

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keine Sprachausgabe. Ebenfalls 1991 erschien Wing Commander II: Vengeance of the Kilrathi, welches zunächst auf Disketten veröffentlicht wurde, und für das es als Neuerung ein separat erhältliches sogenanntes Speech Accessory Pack gab. Dieses brachte allerdings keine vollständige Sprachausgabe für das ganze Spiel, sondern lediglich für einige Szenen und Zwischensequenzen. Dennoch wurde in der Zeitschrift Computer Gaming World später gemutmaßt, dass dieses Spiel dafür sorgte, dass sich der Sound Blaster als de-facto-Standard bei Soundkarten durchsetzte.6 Der Zug war ins Rollen gekommen und noch im selben Jahr verkündete die Firma Sierra, die mit ihren Adventure-Spielen sehr erfolgreich war, ihr im Jahr zuvor erschienenes Spiel King’s Quest V: Absence Makes the Heart Go Yonder! auf CD-ROM neu zu veröffentlichen, diesmal mit vollständiger Sprachausgabe (Trivette 1991a). Bereits erschienen war gerade Sierras erster Versuch mit den neuen Medien: eine aufbereitete Version des Lernspiels Mixed-Up Mother Goose. Don Trivette stellte mit Begeisterung fest: „The talkies have arrived!“ (Trivette 1991b). Allerdings waren die Stimmen von Sierra-Mitarbeitern eingesprochen worden (King’s Quest V 1990). Die daraus resultierende, teils lausige Qualität wird bis heute stark kritisiert (Morganti 2007). In der Folge wurden – nicht zuletzt auch wegen des finanziellen Erfolgs des Spiels – professionelle Schauspieler engagiert.7 Sierras ewiger Erzrivale Lucasfilm Games, das sich gerade erst in LucasArts umbenannt hatte, konnte dem natürlich nicht nachstehen und brachte 1992 eine erweiterte Fassung des Spiels Loom mit Sprachausgabe auf CD-ROM heraus. Die Dialoge wurden dafür teilweise stark überarbeitet, damit alle auf die CD passten. (Mamen und Jond 2006) Das Spiel King’s Quest VI: Heir Today, Gone Tomorrow erschien im Herbst des Jahres zunächst auf Disketten, noch ohne vollständige Sprachausgabe. Bei dieser hatte man sich diesmal wesentlich mehr Mühe (und ein größeres Budget) gegeben. Das Spiel erschien erst im folgenden Jahr als „full-talkie“ auf CD-ROM. Space Quest IV wurde zum Jahreswechsel 1993 als CD-ROM-Version ebenfalls erneut veröffentlicht; auch hier mit Sprachausgabe, für die es viele positive Reaktionen gab, besonders für die Stimme des Erzählers, die von Gary Owens übernommen worden war (Ardai 1993a, S. 36).

6„Probably

the game responsible for putting the Sound Blaster on the map as the de facto standard for sound cards“ (Brooks 1994, S. 58). 7Vgl. auch https://www.imdb.com/title/tt0212279/trivia.

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Auch die Konkurrenz setzte sich mittlerweile intensiv mit dem Thema Sprachausgabe auseinander. LucasArts' Indiana Jones and the Fate of Atlantis wurde in der Zweitveröffentlichung 1993 „the company's first real talkie“ (o. A. 2008, S. 48). Die Kritik äußerte sich höchst lobend; Charles Ardai schrieb, dass es nach diesem Spiel schwer falle, Text wieder vom Computermonitor ablesen zu müssen (Ardai 1993b). Das folgende Spiel, dass sich bereits in Produktion befand, war Day of the Tentacle. Hier war ursprünglich gar keine Sprachausgabe geplant (o. A. 2016), aber wohl wegen des Konkurrenzdrucks wurde zuletzt doch noch eine solche ergänzt. So war Day of the Tentacle, das am 25. Juni 1993 erschienen war, letztlich das erste Spiel, das bereits bei der Erstveröffentlichung eine vollständige Sprachausgabe mitbrachte. Die parallel veröffentlichte Floppy-DiskVersion wurde komprimiert verteilt auf sechs Disketten ausgeliefert; entpackt benötigten die Dateien 14 MB Speicherplatz. Natürlich war in dieser Fassung die Sprachausgabe auf den Beginn des Spiels beschränkt; die Sounddatei8 alleine umfasst hier etwa 3,8 MB, also 27 % der gesamten Daten. (Abb. 1) Dennoch war die Soundqualität bei all diesen Spielen – gleichwohl sie auf CD erschienen – noch weit entfernt von der berühmten CD-Qualität (16 Bit, 44,1 kHz, Stereo). Das lag einerseits, wie bereits erwähnt, an dem zum Teil umfangreichen Textmaterial, das eingesprochen werden musste, andererseits aber auch an den technischen Gegebenheiten der verfügbaren Soundkarten. Erst die Sound-Blaster-Karten der dritten Generation, die ab 1992 auf den Markt kamen, waren in Lage auch CD-Qualität zu reproduzieren, und es dauerte eine Weile, bis diese eine ausreichende Marktdurchdringung erreicht hatten. Tonaufzeichnungen wurden deshalb in der Regel in 8-Bit Mono bei einer Abtastrate von höchstens 11.025 kHz wiedergegeben.9 So haben wir 1992 zwar eigentlich schon die 8-Bit-Ära hinter uns gelassen, in der Sprachausgabe sollte sie aber noch einige Zeit weiterleben …

8LucasArts

speicherte bei seinen Spielen alle Sprachaufnahmen und digitalen Soundeffekte in einer einzelnen Datei mit der Bezeichnung MONSTER.SOU. 9Bei der Arbeit an einer technisch verbesserten Version von Day of the Tentacle, die 2016 als Day of the Tentacle Remastered publiziert wurde, mussten aufgrund der schlechten Qualität die Originalaufnahmen von DAT-Kassetten wiederhergestellt werden (o. A. 2016).

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Abb. 1   Day of the Tentacle (LucasArts 1993) in der Disketten- und CD-ROM-Ausgabe (Foto: Klaus Rettinghaus, private Sammlung)

Literatur Ardai, Ch. (1993a). In Space, Now Everyone Can Hear You Scream. Sierra's CD-ROM Edition of Space Quest IV. Computer Gaming World, 105 (1993), S. 34–36. Ardai, Ch. (1993b). 20,000 Leagues Under the CD: Indiana Jones and the Fate of Atlantis. Computer Gaming World, 110 (1993), S. 86. Brooks, M. E. (1994). Never Trust A Gazfluvian Flingschnogger! Computer Gaming World, 118 (1994), S. 42–58. Collins, K. (2012). One-Bit Wonders: Video Game Sound Before the Crash. In M. J. P. Wolf (Hrsg.), Before the Crash: Early Video Game History (S. 119-137). Detroit: Wayne State University Press. Collins, K. (2008). Game Sound. An Introduction to the History, Theory, and Practice of Video Game Music and Sound Design. Cambridge, MIT Press. Eyman, S. (1997). The Speed of Sound: Hollywood and the Talkie Revolution 1926–1930. Baltimore: Johns Hopkins University Press.

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The Marksman (22.2.2017). Speech synthesis and the C64. https://wait6502.blogspot. com/2017/02/speech-synthesis-and-64.html (10.7.2020). Feldman, T. (1997). An Introduction to Digital Media. London: Routledge. Mamen, E.-A. V.; Jong, Ph. (15. September 2006). Interview: Brian Moriarty. Adventure Classic Gaming. https://www.adventureclassicgaming.com/index.php/site/interviews/212/ (10.7.2020). Morganti, E. (25. Mai 2007). Review: King’s Quest V: Absence Makes the Heart Go Yonder. https://adventuregamers.com/articles/view/18040 (10.7.2020). Trivette, D. (1991a). One step closer to PC cinema: Adventure Games That Talk to You. PC Magazine, 10, 8 (1991), S. 478. Trivette, D. (1991b). CD-ROM-Based Mother Goose Offers Characters That Actually Speak. PC Magazine, 10, 14 (1991), S. 547f. Berzerk (9. Juni 2020). Wikipedia. https://en.wikipedia.org/wiki/Berzerk_(video_game) (10.7.2020). It Came from the Desert (1989). Amiga intro. https://youtu.be/qTL-D3AX6H4 (11.7.2020). King's Quest V (1990). Absence Makes the Heart Go Yonder. https://www.imdb.com/title/ tt0212279/trivia (11.7.2020). o. A. (2011). Retro Diary. Retro Gamer, 91 (2011), S. 15 o. A. (2008). The Making of Indiana Jones and the Fate of Atlantis. Retro Gamer, 51 (2008), S. 44–49. o. A. (2016). The Making of Day of the Tentacle Remastered. https://youtu.be/ LjF4eMrYfG0 (11.7.2020)

Gamemusik und Geräusche – eine populäre Allianz für Game Audio Design der Zukunft Björn Redecker und Sonja Ganguin

Zusammenfassung

Gamemusik unterhält unter anderem eine wichtige Verbindung zu Phänomenen am Rande des Musikalischen. Geräusche und andere amorphe Schallvorgänge können sich mit der Musik in Spielen verbinden und gemeinsam ganz neue Ästhetiken ausformen. In unserem Beitrag analysieren wir eine Passage aus Inside (Playdead, 2016), in der es zu einer solchen Verbindung kommt und beleuchten sie im Zusammenhang mit dem Begriff der musique concrète. Dabei zeigen wir auf, was die Musik von Inside einzigartig, innovativ und wegweisend für die Zukunft macht. Schlüsselwörter

Gamemusik · Musikästhetik · Spielanalyse · Musique concrète · Klangforschung

„Ton- und Akkordfolgen gefallen mir vielleicht für einen Augenblick, doch um mich zu bezaubern und zu rühren, müssen diese Folgen mir etwas bieten, das

B. Redecker (*)  Universität Bielefeld, Bielefeld, Deutschland E-Mail: [email protected] S. Ganguin  Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6_9

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weder Ton noch Akkord ist und das, ob ich will oder nicht, mein Gemüt bewegt“ (Rousseau 1781, n. Keil 2007, S. 127). Das Zitat aus Jean-Jacques Rousseaus 1781 post mortem veröffentlichten Essai sur l’origine des langues beschreibt eine Überlegung, die für unseren Beitrag von großer Bedeutung ist: Musik versteht sich als synergetisches Geflecht, das mehr ist als die Summe seiner konstitutiven Elemente und Bestandteile. Ein Fan von Gamemusik wäre Rousseau aber vermutlich nicht gewesen. Unter Musik, die ihm etwas bieten konnte und die sein Gemüt bewegte, verstand er vornehmlich von Melodie getragene, kunstvoll auskomponierte Musik. Darüber hinaus kann er als strenger Verfechter der Vokalmusik angesehen werden. Die von Harmoniestrukturen bestimmte mehrstimmige Musik sah er als unterentwickelte und minderwertige Kunstform an, die er als Entartung bezeichnete. Dem Wandel hin zu einer harmonischen Auffassungslogik und dem streckenweisen Verlust der Bedeutsamkeit von Vokalmusik – zu seiner Lebenszeit einer der großen Paradigmenwechsel innerhalb der Musikpraxis – stand er äußerst kritisch gegenüber (vgl. ebd.). Der experimentelle Einsatz von Instrumenten aller Art in einem digitalen Grenzgängermedium wie dem Computerspiel, das dabei eine ganz eigene auditive Ästhetik ausbildet, hätte also vermutlich keine Begeisterungsstürme in Rousseau hervorgerufen. Trotzdem ist sein Ausspruch oder vielmehr die sich dahinter andeutende Auffassungslogik von Musik für Gamemusik interessant, denn auch sie ist oftmals weder Ton noch Akkord und auch sie soll unser Gemüt bewegen, ob wir es wollen oder nicht. Wie dies genau geschehen kann, welche Techniken es gibt und welche Anwendungsmöglichkeiten sich im Verlauf der vergleichsweise jungen Medienhistorie des Computerspiels entwickelt haben, soll an dieser Stelle nicht weiter thematisiert werden. Dafür sei auf den Beitrag von Maria Schween in diesem Band verwiesen.

1 Gamemusik und musique concrète Die Frage danach, was genau als konstitutives Element von Musik gelten könne und dürfe und was nicht, hat im Lauf der Musikgeschichte bis heute immer wieder zu Disputen geführt. Begriff man Musik im antiken Griechenland noch als ‚klingende Mathematik‘, während der Notre-Dame-Epoche im Mittelalter hauptsächlich als „füglich zum Singen bestimmt[e]“ (de Grocheio, um 1300, n. Keil 2007, S. 48) Kunst, so erkannten Musiktheoretiker wie Johann Mattheson im 18. Jahrhundert die Bedeutung eines in der Musik mitschwingenden Elements: Klang.1 Nach Hans-Joachim Maempel haftet er „der musikalischen Struktur wie 1Siehe

hierzu Mattheson (1739), n. Keil (2007), S. 101–115.

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eine Oberfläche oder eine Farbe an, ist ihr inhärent“ (Maempel 2008, S. 237). Klang und der ihm verwandte Begriff der Klangfarbe lassen sich als konstitutives Element nicht nur der Musik, sondern ganz allgemeinen Schallvorgängen wie dem Geräusch zuordnen. Letzteres definiert das Riemann-Musiklexikon (RM) als „eine Gehörwahrnehmung, die – im Gegensatz zum Ton – eher amorphen Charakter besitzt“ (o. V. 1967, S. 326). Trotzdem ist es möglich, Geräusche als Bestandteil musikalischer Arbeit zu begreifen, da bereits „[i]n dem von Musikinstrumenten abgestrahlten Schall“ ein Geräuschanteil enthalten ist und gerade „der Schall der Schlaginstrumente mit unbestimmter Tonhöhe vorwiegend geräuschhaft gehört“ (ebd.) wird. Nähert man sich der Frage nach dem, was unter Musik zu verstehen ist, aus der Perspektive der Klangtheorie, so öffnet dies die Möglichkeit, sowohl das konkret Geräuschhafte der Musik als auch das Verbindungspotenzial zwischen Geräuschen als konkretem Schallereignis und Musik als abstrakter Kunstform anzuerkennen. Die Überlegung einer Überführung des Geräusches als konkretes Schallereignis in Musik als abstrakte Kunstform geht zurück auf den Begriff der musique concrète. Als ihr Gründungsvater gilt der französische Komponist Pierre Schaeffer (vgl. Chion 2015, S. 23), der in ihr vor allen Dingen ein Genre sieht, das aus jenem Widerspruch zwischen konkretem und abstraktem, Geräuschen und Musik, lebt. Für Chion steht dahinter „die Einsicht, dass alle Dimensionen des Klanglichen einander beiwohnen können, dass sie ineinander übergehen, einander zustreben können anstatt in ihrer Differenz zu verharren“ (ebd.). Die wesentliche kompositorische Arbeit mit und an musique concrète besteht aus dem Zusammenfügen bekannter musikalischer Formen und klassischer Elemente mit auf Tonträgern aufgezeichneten Geräuschen. Aus diesem Ansatz entwickelten sich weitere Ideen und Konzepte, die mit Begriffen wie écoute réduite, live electronic oder à dispositif in Verbindung gebracht werden. Hinter ihnen allen steht aber letztlich der musikästhetische und -theoretische Gedanke, dass sich Konkretes und Abstraktes miteinander vermischen und gemeinsam eine neue Form bilden können. Dabei soll allem Klanglichen die gleiche Existenzberechtigung zugesprochen werden. Und genau dies geschieht in unserem Analysebeispiel.

2 Beispiel: Inside (Playdead 2016) Bei unserem Beispiel handelt es sich um den Indie-Titel Inside (Playdead 2016). Die Haupt- und Spielfigur ist ein kleiner Junge, den es gilt, durch eine bedrohliche, größtenteils farblose, an eine dystopisch-faschistoide Zukunftsvision erinnernde Spielwelt zu steuern. Durch Rätsel- und Geschicklichkeits-

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passagen muss der kleine Junge der Verfolgung durch eine nicht weiter definierte gegnerische Gruppierung entkommen, die eine totalitäre Kontrolle über die dystopische Spielwelt zu haben scheint. Er gelangt dabei im Lauf der Handlung an sehr unterschiedliche, meist verlassene Orte. Ähnlich wie die Spielwelt, ist auch die auditive Ebene des Spiels minimalistisch gehalten. Gamemusik kommt nur sehr spärlich zum Einsatz und Inside lebt vor allen Dingen von seiner Stille, die die teils verlassene, verfallene und von einem vermeintlich feindlichen, faschistoiden Regime kontrollierte Spielwelt damit perfekt illustriert. Durch sie wirken selbst die kleinsten auditiven Regungen sehr intensiv. Von dieser Dynamik profitiert die Atmosphäre des Spiels sehr stark. Der für das Spiel verantwortliche Audio-Designer und Komponist Martin Stig Andersen hat bereits in seiner musikalischen Ausbildung Erfahrungen mit dem Zusammenspiel von Geräuschen und musikalischem Material gemacht und ist nach eigener Aussage an Klangexperimenten als Teil seines Arbeitsprozesses interessiert: „I went to London to study electroacoustic composition, which is really about taking everyday sounds, like the sounds of traffic, and then taking that back to the studio and extracting musical material from it. This approach led me into working with sound design as well“ (Andersen 2016, o. S.).2 Das vorliegende Beispiel ist in drei verschiedene Clips unterteilt, die sich als chronologisch verstehen und Ausschnitte aus einer zusammenhängenden Spielpassage zeigen. Über die gesamte Dauer der Spielpassage verbindet sich ein diegetisches Geräusch, d. h. ein innerhalb der Spielwelt existierendes Geräusch, mit extradiegetischem musikalischem Material in Form von Synthesizer-Flächen. Dabei kommt es zu einer gleichzeitig transdiegetischen und synergetischen Einheit von Geräusch und Musik, durch die ein musikalisches Gesamtwerk entsteht. Im ersten Clip ist zunächst nur das diegetische Geräusch zu hören. Dabei handelt es sich um eine Art ‚dumpfen Knall‘, der sich im Zusammenhang mit einem Lichtblitz am entfernten Horizont ereignet. Dazu sei gesagt, dass die Quelle des Geräusches im gesamten Spielabschnitt nie gezeigt wird. Es lässt sich daher nur spekulieren, worum es sich bei ihr handelt. Da die gesamte Spielpassage sowie weite Teile der Spielwelt aus industriellen Orten, Laboratorien und Testgeländen besteht, liegt die Vermutung nahe, dass es sich um eine Maschine, ein fehlgeschlagenes Experiment oder eine industrielle Apparatur handeln könnte, die für Licht- und Schallemission verantwortlich ist. Da sich Licht schneller als Schall fortbewegt, besteht das gesamte Geräusch als Schallvorgang zunächst aus

2www.gamasutra.com/view/news/282595/Audio_Design_Deep_Dive_Using_a_human_

skull_to_create_the_sounds_of_Inside.php

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Abb. 1   Inside – Brücke. (Quelle: Eigener Screenshot)

einem zeitgleich mit dem Lichtblitz ertönenden, dumpfem Klang, und einem sich anschließend aufschwingenden Rauschen,3 welches die Ankunft einer Schallwelle ankündigt. Diese wird visualisiert, sobald sie am Standort der Spielfigur angelangt ist. Die namenlose Spielfigur – der kleine Junge – befindet sich zu Anfang der Passage auf einer zu überquerenden Brücke (Abb. 1). Sobald die erste Schallwelle vom Horizont zum Standort des Jungen gelangt, wird deutlich, dass ihre Intensität lebensgefährlich ist. Dies kommuniziert das Spiel durch eine zerberstende Kiste, die auf die Brücke geschoben und von der Schallwelle sofort zerstört wird (vgl. 00:01M–00:03M). In der Folge gilt es, die Spielfigur vor dieser Schallwelle zu schützen, indem sie sich hinter jedweden Deckungsgelegenheiten wie Felsen, teils beweglichen Metallplatten, Scharnieren und anderen mechanischen und technischen Gerätschaften versteckt. Die visualisierte Schallwelle ist jedoch immer nur für den Moment ihres Eintreffens am Standort der Spielfigur gefährlich. Zwischen den Treffern ist es die ­Aufgabe

3Das

sich ‚aufschwingende Rauschen‘ wirkt als sich ankündigende Schallwelle insofern authentisch, als dieses, von Christian Doppler erstmalig für Farbverschiebungen von Gestirnen beschriebene und später von Christopherus Buys-Ballot auf die Akustik angewendete Phänomen, bei der ein näherkommendes Schallereignis in seiner Frequenz ansteigt, aus der realen Welt bekannt und vertraut ist (vgl. Schröder 1990, S. 101 ff.).

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der Spieler*innen, von Deckung zu Deckung zu laufen und somit im Level voranzuschreiten. Indem sie den Zeitablauf des Blitzes am Horizont, der sich ankündigenden Schallwelle und ihrem Eintreffen studieren, können Spieler*innen ihr Vorgehen planen, um sicher durch die Passage zu gelangen. Das Geräusch als intradiegetischer Schallvorgang ist somit spielmechanisch eingebunden. Es liefert wertvolle Informationen, die zum erfolgreichen Durchqueren des Spielabschnitts beitragen. Die Einbindung von Geräuschen als Spielmechanik, egal ob intra- oder extradiegetisch, hat durchaus Tradition in der Welt des Game Designs. Dies gilt insbesondere für die bekannten und beliebten Rhythm Games, die das dynamische Wechselspiel zwischen Geräusch, damit verbundener Information und Kommunikation mit Spieler*innen und deren Performativität als Resultat der auditiv zur Verfügung gestellten Information ins Zentrum stellen. Inside macht sich dieses bekannte und teils auch beliebte Designelement zunutze. Die wichtigste Erkenntnis bezüglich des ominösen und gefährlichen Geräuschs, das irgendwo im Hintergrund auf dem dystopischen Testgelände entsteht, ist: Es findet in regelmäßigen Abständen statt. Das ist einleuchtend, insofern es, wie gerade konstatiert, spielmechanisch eingebunden ist. Es liefert Spieler*innen wichtige Informationen darüber, wann die Spielfigur fortbewegt, und wann sie versteckt werden muss. Diese Regelmäßigkeit ist aus ästhetischer und musiktheoretischer Perspektive jedoch von großer Bedeutung: Sie sorgt, auch aufgrund der Mehrteiligkeit des Geräusches aus stumpfem Knall oder Schlag und sich aufschwingendem Rauschen (Doppler-Effekt), für eine Rhythmik. Vergleicht man es mit einem weit verbreitenden Rhythmusinstrument wie dem Schlagzeug, so erinnert der Geräuschvorgang an einen Bassdrum-Schlag, der von einem anschwellenden Crescendo auf einer geöffneten Hi-Hat oder den Crash-Becken gefolgt wird. Als solches ist es nicht mehr vollkommen arbiträr, auch wenn es im Sinne der RM-Definition vielleicht amorph sein mag (wobei auch dies aufgrund der sich aufschwingenden Bewegung des Rauschens streitbar ist), und damit potenziell musikalisch. Das soll noch nicht bedeuten, dass es auch tatsächlich musikalisch ist. Das Geräusch ist, nur aufgrund seiner Regelmäßigkeit, noch nicht als Gamemusik zu begreifen – jedoch ist die Tür in Richtung Musikalität aufgrund des rhythmischen Charakters an dieser Stelle aufgestoßen. Es fehlt nun noch an einem weiteren Element, um vollständig zum Musikalischen fortzuschreiten. Dies soll im Folgenden aufgezeigt werden: Nach dem erfolgreichen Überqueren der Brücke muss die Spielfigur ein Metallgerüst überwinden, in das eine Art bewegliches Scharnier befestigt ist (Abb. 2), das Schutz gegen die Schallwelle bieten kann. Der Schlüssel zum erfolgreichen durchqueren dieses Abschnitts liegt in einer optimalen Abpassung der Aktivierung des Scharniers (00:05M–00:08M) und der anschließenden

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Abb. 2   Inside – Metallgerüst. (Quelle: Eigener Screenshot)

Bewegung der Spielfigur, die sich im Idealfall beim Eintreffen der tödlichen Schallwelle genau hinter dem sich mittlerweile ebenfalls bewegenden Scharnier befindet und so geschützt ist. Gelingt dies und trifft die Schallwelle zuerst auf das Scharnier mit der Spielfigur dahinter, so wird ein musikalischer Cue ausgelöst und es erscheint ein Pedalton (00:12M), der fortan bestehen bleibt. Auch wenn es sich eindeutig um einen synthetisch erzeugten Ton, einen Synthesizerton, handelt, ist seine Klangcharakteristik grundsätzlich schwer zu beschreiben. Dies hängt damit zusammen, dass die Klangerzeugung des Tons recht ungewöhnlich gewesen ist: Andersen nutzte einen menschlichen Schädel als Resonator, in den er Synthesizertöne speiste und der diesen damit ihren ungewöhnliche Klangcharakter verlieh. Andersen erläutert dazu: „In the end, the sounds I played through the skull were actually synthesized sounds […]. But at the same time I didnʼt really want to hear synth music in the game […]. But when I played them through a skull, the sounds acquired another quality“ (Andersen 2016, o. S.).4 Auf diese Weise entstand die einzigartige Klangcharakteristik der Synthesizer in Inside. Sobald der musikalische Cue aktiviert wird und das diegetische

4www.gamasutra.com/view/news/282595/Audio_Design_Deep_Dive_Using_a_human_

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Geräusch und der extradiegetische Synthesizer aufeinandertreffen, entsteht ein synergetischer Effekt: Durch die gleichmäßige, rhythmische Natur des Geräuschs und die dadurch gegebene potenzielle Musikalität verbindet es sich ganz natürlich mit dem Schädelsynthesizerklang. Gemeinsam schaffen das Geräusch, dessen Klang sich mittlerweile verändert und seit der Auslösung des musikalischen Cues eine synthetische Klangcharakteristik angenommen hat, und der dazu passende polyphone Synthesizerklang, der seine Frequenzbänder unterschiedlich stark betont, damit eine harmonische Figur andeutet und gleichzeitig geräuschhaft amorph klingt, ein ganz neues musikalischeres Klangbild. Dieses Klangbild ist durch das Zusammenwirken beider Elemente mehr als nur die Summe seiner Teile. Ab dem ersten Eintreffen der Schallwelle auf das sich bewegende Scharnier mit der in Deckung befindlichen Spielfigur dahinter, dem musikalischen Cue, scheinen Geräusch und Synthesizer ‚aufeinander zuzugehen‘ und eine Brücke zu bilden. Während das Geräusch beginnt, sein Klangbild weg vom vermeintlich organischen Knall und Rauschen hin zu einem rhythmisch gleichbleibenden, elektronisch gefilterten Sound zu bewegen und so künstlicher, organischer zu wirken, verfügt der Synthesizer – auch der Tatsache geschuldet, dass sein Klangbild mithilfe eines menschlichen Schädels entstanden ist – über eine organische und geräuschhafte Qualität. Geräusch und Instrument gehen aufeinander zu. Das Geräusch liefert dabei als Rhythmussektion eine Art ‚Beat‘, die vom Synthesizer aufgrund seiner Möglichkeit zur Modulation der Tonhöhe als

Abb. 3   Inside – Gebäude. (Quelle: Eigener Screenshot)

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Harmoniesektion zu einem Gesamtwerk komplettiert wird. Eine Melodiestimme gibt es nicht, das musikalische Werk besteht fortan aus dieser brückenhaften Kombination aus diegetischem Geräusch und extradiegetischem Synthesizerklang. Mit dieser Verbindung hat die auditive Ebene – analog zur im Hintergrund entstehenden und dann am Standort der Spielfigur eintreffenden Schallwelle – eine Bewegung vom Geräuschhaften und Arbiträren hin zum Musikalischen und Künstlerischen vollzogen, die es nun endgültig abzuschließen gilt, wie Clip 3 zeigen soll. In diesem Clip ist die Verbindung aus Geräuschbeat und Schädelsynthesizer zunächst noch gegeben und die Spielfigur muss einen weiteren Timing-basierten Abschnitt durchschreiten. Eine anschließende Rutschpartie auf einigen Rohren schließt die Passage ab (00:00M–00:20M). Nach Durchlaufen des Abschnitts kann der Junge das Außengelände verlassen und ein Gebäude betreten (Abb. 3). Das Betreten des Gebäudes löst, ähnlich wie in Clip 2, 00:12M, einen Cue aus, und die auditive Ebene verändert sich abermals. Das Geräusch, oder aus mittlerweile musikalischer Sicht gesprochen, der Beat, verschwindet langsam und der Synthesizer, das Harmonieinstrument, tritt sukzessive in den Vordergrund (ab ca. 00:26M). Dieser Vorgang ist diegetisch nachvollziehbar, denn mit einem Eintreten in das Gebäude lässt die Spielfigur das vermeintliche Testgelände und somit auch das dort verortete Geräusch hinter sich. Mit dem Betreten des Gebäudes bringt sich der kleine Junge in Sicherheit, die tödliche Schallwelle kann ihm hier nichts anhaben, das mit ihr verbundene Geräusch ist in der Nähe der Eingangstür nur noch als dumpfes Grollen wahrnehmbar (vgl. 00:26M–00:31M). Ab 00:31M dominiert der Synthesizer immer deutlicher die auditive Ebene als extradiegetische Gamemusik. Beat und Schallwelle sind nunmehr nur noch sehr leise im Hintergrund wahrnehmbar. Dafür formt der Synthesizer nun eine – kaum eindeutig wahrnehmbare – harmonische Figur aus, bei der der ursprüngliche Pedalton immer noch bestehen bleibt, verschiedene Stimmen unterschiedlich hoher Frequenzen um ihn herum sich jedoch verändern. Das musikalische Material wirkt durch diese Verschiebung wesentlich ruhiger und weniger treibend. Die Klangtexturen des Synthesizers haben nun mehr auditiven Raum, sich zu entfalten. Sie wirken wie ein ruhiges Atmen, das das Erreichen des sicheren Gebäudes und den Erfolg des Durchschreitens der vorherigen Passage mit ihren Geschicklichkeits- und Timing-basierten spielerischen Herausforderungen beruhigend und rückversichernd kommentiert, bevor auch der Synthesizer letztlich verschwindet (00:51M). Der Einsatz von Musik, insbesondere sich bewegenden Formen und Tönen, so wie der Synthesizer sie um den Pedalton herum ausformt, ist im gesamten Spiel selten. Ihr Einsatz an dieser Stelle wirkt daher umso intensiver.

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3 Fazit: Die auditive Ebene von Inside als musique concrète Wie schon im vorigen Kapitel erwähnt, ist das Einbinden von Sound und Musik in einen spielmechanischen Kontext eine seit langer Zeit etablierte Konvention und Design-Strategie.5 Inside schafft in diesem Zusammenhang also kein vollkommen neuartiges Erlebnis. Auch die Einbindung von Geräuschen und Schallvorgängen am Rande des Musikalischen in die Gesamtheit von Gamemusik hat Inside sicherlich nicht erfunden. Vereinzelte Beispiele für geräuschhafte Gamemusik, die als musique concrète gelesen werden kann (nicht muss), zeigen auf, dass es sich auch hierbei um keine zwingend neue Innovation handelt. So spricht Zach Whalen in seiner Analyse der Gamemusik von Silent Hill (Konami 1999) beispielsweise einem Radio, das hauptsächlich atmosphärische Störungen und Störrauschen überträgt, musikalische Qualitäten zu: „[W]hile the static itself is definitely atonal, it does demonstrate musical properties such as pitch modulation, rhythm and repetition“ (Whalen 2007, S. 76).6 Die spezifische Anwendungsform, die die hier vorgestellte Spielpassage von Inside und ihre auditive Ebene aufweist, ist jedoch durchaus einzigartig, innovativ und wegweisend für die Zukunft, denn die Beziehung zwischen auditivem und visuellem Material findet in diesem Beispiel auf mehreren Ebenen statt: Zum einen gibt es den direkten, spielmechanisch eingebundenen Querbezug zwischen Geräusch und visualisierter Schallwelle. Das Erkennen dieses direkten Bild-TonBezuges ist entscheidend für ein erfolgreiches Durchschreiten des Abschnitts im Spiel. Zum anderen gibt es noch einen epischen Bild-Ton-Bezug, der das visuelle und das auditive Geschehen kommentiert: Das Bildmaterial zeigt die Entstehung eines Geräuschs durch den Blitz am Horizont, aus dem sich eine Schallwelle entwickelt, die von diesem Horizont aus in den Bildvordergrund wandert und schließlich am Standort der Spielfigur angelangt. Analog dazu beginnt die Passage mit einem zunächst rein intradiegetischen Geräusch (vgl. Clip 1). Dieses wird durch eine Synergie aus Geräusch, das klanglich modifiziert und dem kompositorischen Prinzip der Modulation fixierter Klänge aus der musique

5Vgl. hierzu u. a. Collins 2008; Jünger 2010; Kirke 2018; Stingel-Voigt 2014; Summers 2018. 6Die Aussage sollte Tim Summers dazu verleiten, Whalens Beschreibung als Lesart im Sinne der musique concrète zu bezeichnen (vgl. Summers 2018, S. 128), auch wenn Whalen selbst diesen Terminus bei seiner Analyse nicht verwendet (vgl. Whalen 2007).

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concrète folgt, und Synthesizer als extradiegetischem Element ersetzt (vgl. Clip 2). Schließlich endet die Klangfolge auf der extradiegetischen Ebene Ende mit dem dominierenden Synthesizer (vgl. Clip 3). Auf auditiver Ebene vollzieht sich ein Wandel von klanglich-intradiegetisch über klanglich-transdiegetisch zu klanglich-extradiegetisch, während auf der visuellen Ebene entsprechend eine Schallwelle in regelmäßigen Abständen hin zur Ereignisebene der Spielfigur wandert. Der auditive Wandel, der visuell durch die Schallwelle repräsentiert wird, findet analog zur Durchwanderung verschiedener diegetischer Stadien, darüber hinaus auch als Durchwanderung vom konkreten Geräusch (vgl. Clip 1) in künstlerischmusikalisches Material (vgl. Clip 2 u. 3), vom Alltäglichen und Arbiträren ins Musikalische statt und kann somit als musique concrète gelesen werden. Diese Kombination aus diegetischem wie kompositorischem Wandel auf auditiver und visueller Ebene, mit der Spieler*innen so unmissverständlich auf die Lesart als musique concrète hingewiesen werden, macht die Gamemusik von Inside so einzigartig, innovativ, intelligent und wegweisend.

Literatur Andersen, M. S. (2016). Audio Design Deep Dive: Using a human skull to create the sounds of Inside. https://www.gamasutra.com/view/news/282595/Audio_Design_Deep_ Dive_Using_a_human_skull_to_create_the_sounds_of_Inside.php (11.7.2020). Chion, M. (2015). Die musique concrète ist nicht konkretistisch. In C. Hongler, C. Haffter & S. Moosmüller (Hg.), Geräusch - das Andere der Musik: Untersuchungen an den Grenzen des Musikalischen (S. 21–32). Bielefeld: transcript. Collins, K. (2008). Game Sound: An Introduction to the History, Theory and Practice of Video Game Music and Sound Design. Boston: The MIT Press. de Grocheio, J. (2007). De musica. In W. Keil (Hg.) Basistexte Musikästhetik und Musiktheorie (S. 43–51). Paderborn: Fink. Zuerst: Die Quellenhandschriften zum Musiktraktat des Johannes de Grocheio, Lateinisch-Deutsch, übersetzt, kommentiert und hrsg. von Ernst Rohloff (1967). Wiesbaden: Deutscher Verlag für Musik. Jünger, E. (2010). Spielemusik und Musikspiele: Zur ludologischen Funktion von Musik in Video- und Computerspielen. Arbeitstitel - Forum für Leipziger Promovierende, 2(1), (S. 1–10). Magdeburg: Meine Verlag. Keil, W. (Hg.) (2007). Basistexte Musikästhetik und Musiktheorie. Paderborn: Fink. Kirke, A. (2018). When the Soundtrack Is the Game: From Audio-Games to Gaming the Music. In D. Williams & N. Lee (Hg.), International Series on Computer Entertainment and Media Technology. Emotion in video game soundtracking (S. 65–83). Berlin: Springer. Konami (1999). Silent Hill. Tokio.

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Maempel, H.-J. (2008). Medien und Klangästhetik. In H. Bruhn, R. Kopiez & A. C. Lehmann (Hg.), Musikpsychologie: Das neue Handbuch (S. 231–252). Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag. Mattheson, J. (2007). Der Vollkommene Capellmeister. In W. Keil (Hg.), Basistexte Musikästhetik und Musiktheorie (S. 100–119). Paderborn: Fink. Zuerst: Johann Mattheson, Der Vollkommene Capellmeister (1739). Hamburg: Herold. o. V. (1967). Geräusch. In H. H. Eggebrecht (Hg.), Riemann Musiklexikon: Sachteil (S. 326). Mainz: Schott. Playdead (2016). Inside. Milan. Rousseau, J.-J. (2007). Essai sur l'origine des langues. In W. Keil (Hg.), Basistexte Musikästhetik und Musiktheorie (S. 120–135). Paderborn: Fink. Zuerst: Jean-Jacques Rousseau, Sozialphilosophische und Politische Schriften, aus dem Französischen übersetzt, kommentiert und hrsg. von Eckhart Koch et al. (1781), München: Winkler. Schröder, E. (1990). Mathematik im Reich der Töne (4. Aufl.) Mathematische Schülerbücherei, 106. Leipzig: Teubner. Stingel-Voigt, Y. (2014). Soundtracks virtueller Welten: Musik in Videospielen. Glückstadt: Verlag Werner Hülsbusch. Summers, T. (2018). Understanding Video Game Music (2. Aufl.). Cambridge: Cambridge University Press. Whalen, Z. (2007). Case Study: Film Music vs. Videogame Music: The Case of Silent Hill. In J. Sexton (Hg.), Music and the Moving Image. Music, Sound and Multimedia: From the Live to the Virtual (S. 68–81). Edinburgh: Edinburgh University Press.

Entwicklungen der Komposition für Videospiele Maria Schween

Zusammenfassung

Mit dem Format Elektronisches Spiel ist es möglich, den Zuhörer aktiv am Prozess der Komposition und Interpretation von Musik teilhaben zu lassen. Adaptive Musik und adaptives Sounddesign sind mittlerweile ein Standard in der Spieleindustrie. Welche Besonderheiten kennzeichnet die Komposition für Videospiele? Welche Methoden zur Klanggestaltung gibt es? Welchen Einfluss kann der Spieler nehmen? Wo liegen Grenzen der adaptiven Musik? Der Beitrag vergleicht die Komposition von klassischer Filmmusik und Spielemusik und gibt anhand von zahlreichen Beispielen eine Einführung in das Genre und die unterschiedlichen Kompositionstechniken. Ein Schwerpunkt liegt auf der dynamischen Spielemusik. Schlüsselwörter

Spielemusik · Kompositionstechniken · Dynamische Musik · Adaptive Musik · Variabilität · Adaptivität

M. Schween (*)  Leipzig, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6_10

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1 Einleitung Während in den 1980ern für die Komposition für Videospiele noch Programmierkenntnisse erforderlich waren oder der Komponist sich auf den Programmierer verlassen musste, so macht es die derzeitige Audio Middleware (wie z. B. wWise, FMod, usw.) möglich, auch ohne große Kenntnisse in Programmiersprachen Musik für Videospiele zu schreiben und zu implementieren. 2017 waren es nur mehr 15 % der Komponisten, welche scripten oder coden konnten, gegenüber von 47 %, die ihre Musik mithilfe von Audio Middleware implementierten (Schmidt 2017). Im Optimalfall ist es möglich, über die Middleware die Wirkung des Sounds und der Musik sofort zu überprüfen und anzupassen.

2 Musik für Videospiel vs. Filmmusik Bevor man über das Komponieren für Videospiele sprechen kann, muss man zunächst klären, welche Merkmale und Funktionen es aufweist und inwiefern es sich von anderen Medienformaten wie der Filmmusik unterscheidet. Grundsätzlich wird das Tonmaterial der beiden Genres in Musik, Soundeffekte und Sprache unterteilt und dementsprechend auch von verschiedenen Instanzen geliefert. Gemeinsam ist beiden, dass die Musik eine Stimmung oder Emotion schafft, ein Gefühl von Zeit und Raum vermittelt, eine Rolle charakterisiert oder ein kommendes Ereignis ankündigt. Die Komposition ist durch Modularität und Sequenzhaftigkeit gekennzeichnet. Der größte Unterschied zu anderen Medienformaten besteht darin, dass die Musik für Videospiele nicht linear ist, mit Ausnahme der Musik für Full Motion Videos, welche nicht zum Gameplay gehören und vom Spieler als Filmsequenzen oder Cutscenes angesehen werden. Ansonsten wirkt sich die Handlung des Spielers im Spiel direkt auf die Musik aus. Das heißt, dass Musik für viele verschiedene potenzielle Handlungen geschrieben werden muss. Hierbei übernimmt sie oftmals zusammen mit dem Game-Sound folgende Aufgaben: • Schaffung von Stimmungen und Emotionen • Struktur und Kontinuität in Zeit und Raum • zusätzliche Bedeutungsebene • Assoziationen • zusätzliche Informationen • Lenkung der Aufmerksamkeit

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• Motivation • Ästhetik

3 Kompositionstechniken im Videospiel Welche Techniken der Komposition gibt es bisher im Videospiel? Im Folgenden ein Überblick über die am meisten verbreiteten Kompositionstechniken.

3.1 Mood-Technik Sehr verbreitet ist die Mood-Technik. Dabei handelt es sich um eine Art Hintergrundmusik, die nicht unbedingt an die Handlung gebunden ist und die allgemeine Stimmung unterstützt. Sie findet sich in der Musikgeschichte seit dem Barock sowie in der klassischen Filmmusik. Diese Technik findet auch als Game-Musik häufig Verwendung, wie man bei „Silent Hill“ (1999), einem Survival Horror von Konami, hören kann. Die Musik komponierte Akira Yamaoka.

3.2 Leitmotivtechnik Die Leitmotivtechnik ist an Charaktere oder sich wiederholende Handlungen gebunden und funktioniert wie das Leitmotiv in Musikdramen. Als Fundgrube sei hier „Legend of Zelda“ (1986) genannt, das bisher erfolgreichste Action Adventure. Kōji Kondō komponierte mit wenigen Ausnahmen die Musik für alle Teile des von Nintendo entwickelten Spiels. Man kann hier sehr deutlich die Entwicklung des Hauptthemas innerhalb der Serie hören.

3.3 Underscoring Bei Film- und Skriptsequenzen oder One-Shot-Ereignissen kommt häufig Underscoring zum Einsatz. Diese Technik bezeichnet eine direkte musikalische Beziehung zum Bild. Die Musik ist zum Bild synchron und paraphrasierend.

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Als Beispiel sei hier eine Zwischensequenz des Adventures „Journey“ (2012) von Thatgamecompany, Santa Monica Studio, genannt. Der Komponist Austin Wintory hat paraphrasierende Mittel sehr sparsam eingesetzt. Musikkomposition und Sounddesign gehen hier Hand in Hand. In dem Ego Shooter „Half Life“ (1998) vom Spieleentwickler Valve Corporation wird durchgehend auf Zwischensequenzen verzichtet und die gesamte Geschichte in Skriptsequenzen erzählt. Kelly Bailey komponierte den Soundtrack für das Spiel. Die Eingangssequenz verdeutlicht wohl am besten die musikalische Vertonung einer Skriptsequenz, da die restlichen Sequenzen weitestgehend auf Musik verzichten.

3.4 Dynamische Musik Ein besonderes Augenmerk soll im Folgenden auf die Komposition dynamischer Musik gelegt werden. Der Eindruck der Dynamik wird zum einen durch Variabilität und zum anderen durch Adaptivität erzeugt. Variabilität Variabilität ist der Aleatorik ähnlich. Sie wählt zufällig aus verschiedenen musikalischen Segmenten aus und setzt diese zur Komposition zusammen. Als Beispiel aus der klassischen Musik seien hier Pierre Boulez mit seiner Klaviersonate No. 3 (1957), Earle Brown: Available Forms II (1965) und Karlheinz Stockhausen: Klavierstück XI (1956) genannt. Stockhausens Klavierstück XI ist sein erstes aleatorisches Werk und besteht aus 19 einzelnen musikalischen Segmenten, die auf einem großen Notenblatt verteilt sind. Nach jedem Segment stehen Spielanweisungen für Geschwindigkeit, Grundlautstärke und Anschlagsform des nächsten zu spielenden Segments. Der Spieler legt die Reihenfolge der Segmente fest, in dem er „absichtslos weiter zu irgendeiner der anderen Gruppen“ schaut. Das Stück ist zu Ende, sobald ein Segment zum dritten Mal erreicht wird (Stockhausen 2002). Als Beispiel aus dem Videospiel-Bereich sei hier das NieR Sequel „NieR: Automata“ (2017), ein Action RPG von PlatinumGames, genannt. Die Komponisten sind Keiichi Okabe, Keigo Hoashi, Kuniyuki Takahashi und Kakeru Ishihama. Sie bedienen sich hier der vertikalen dynamischen Komposition, um das Spiel auch bei mehrfachem Spielen interessant zu halten.

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Vertikal bedeutet hier, dass die Musik in verschiedene Segmente und Layer mit zahlreichen Variationen zerteilt ist, die per Zufall oder eventabhängig getriggert und abgespielt werden. In NieR: Automata ist die Musik durchgängig eventabhängig, und einzelne Stücke haben teilweise bis zu 14 verschiedene Variationen. Diese werden entweder abhängig von Single Events wie Zeit und Ort getriggert oder von Meta Events wie Fortschritt der Handlung oder der Gesundheit des Spielers. Deutlich wird dies zum Beispiel bei den City Ruins siehe Abb. 1. Betritt man diese zum ersten Mal, so beginnt eine kurze Cutscene; dann hört man eine entspannte Ambient-Musik mit ein paar Synth- und Klavierklängen. (Segment A) Hält man sich mehrere Minuten in dem Bereich auf, ohne eine Kampfsituation herauszufordern, so verändert sich die Musik, und ein weiterer Pianolayer und Gitarrenlayer kommen hinzu. (Segment B). Nachdem man im Resistance Camp war und die City Ruins erneut betritt, hört man wieder eine Variation von (Segment A). Man hat nun eine Quest begonnen und soll Parts einsammeln. Kommt man in die Nähe der Parts und somit auch in die Nähe von Gegnern, dann verändert sich die Musik wieder. Die Ambient Synths werden durch Drums und Strings getauscht. (Segment C) Ist die Kampfsituation vorbei, wechselt die Musik wieder zu Segment B oder A, je nachdem,

Abb. 1   Vertikaler Score der City Ruins

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was man vor dem Kampf hörte. Wenn man nach einigen erfolgreichen Quests wieder zu den City Ruins zurückkehrt, dann ist ein weiterer Layer zu hören – die Vocals (Segment D). Hat man etwa die Hälfte des Spiels gespielt und kehrt in die City Ruins zurück, dann hört man Segment A mit Glockenspiel und Dulcimer. Diese Technik setzt sich durch das gesamte Spiel fort. Eine vergleichbare Technik kennt man auch aus der Stummfilmära, wo Filmmusiker auf sogenannte Kinotheken zurück griffen und Passagen aus Opern, Programmmusik und Ähnlichem situativ zusammensetzten (Marks, Miller 1997). Adaptivität Des Weiteren wäre der Begriff der Adaptivität zu erläutern. Hierzu eine Definition von Andrew Clark: • „adaptive music incorporates a system for generating significantly different performance versions of the piece • the generation system is driven by pre-specified input parameters • the actual performance-specific events are expected to have a significant degree of indeterminacy • traditional musical coherency and organization is a priority“ (Clark 2007) Am Beispiel von John Cages Stück „4′33“ lassen sich die vier Punkte beispielhaft aufzeigen: 1. Als System zur Generierung unterschiedlicher Versionen dient hier die Spielanweisung, dass Spieldauer und Besetzung frei wählbar sind sowie die akustische Verschiedenheit der Aufführungsorte. Der Titel kann also variieren. 2. Als Eingangs Events kann man die Aktion des Interpreten sehen und die Örtlichkeit 3. Der Interpret kann jedes Mal erneut entscheiden, zu welchem Zeitpunkt und wie lange er eine Aktion ausführt. 4. Musikalisch schlüssig ist das Resultat in dem Sinne, dass Cage hier ein Nachdenken über Musik und Stille anregen wollte. Egal wo und wie das Stück aufgeführt wird, es gibt immer Stille und die Geräusche der Umgebung, welche die Form der Komposition bilden (Cage 1993). Komponist Adam Sporka meint in einem seiner Vorträge, dass dynamische Musik die musikalische Form stört (Sporka 2015). Guy Whitmore, Komponist für adaptive Musik, hält entgegen:

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„Form, in a non-linear piece of music, abides by the same basic principles as linear music. Dynamics, harmony, orchestration, and the arc of the form are critical elements for any composition. Linear music, however, follows a singular path created by the composer, while non-linear or adaptive music chooses one of many potential paths. This does not mean that adaptive music is formless. Its form lies within the boundaries set for the music“ (Whitmore 2003). Der Sounddesigner Tim van Geelen unterscheidet fünf Möglichkeiten, adaptiven Sound oder Musik zu generieren. Branching, Layering, Parallel Composing, Transitions und Generative Musik (Van Geelen 2008, S. 93–102). Beim Branching geht es darum, verschiedene Layer innerhalb der Instrumente zu kreieren, um diese untereinander austauschen zu können. Diese Layer unterscheiden sich häufig auch im Mood und werden genutzt, um ohne Transitionen in eine andere Stimmung zu wechseln. Großer Nachteil hierbei ist, dass sehr viel Material komponiert werden muss und dieses auch immer untereinander zueinander passen muss. Die Tracks laufen parallel und benötigen dadurch mehr Rechenleistung als andere Methoden. Das Layering funktioniert im Grunde wie das Branching und wurde schon beim Punkt Variabilität angesprochen. Im Gegensatz zum Branching verbraucht es nicht so viel Rechenleistung, da die einzelnen Layer über Cues getriggert werden und nicht ständig mitlaufen. Ein gutes Beispiel ist die schon besprochene Zone der „City Ruins“ aus dem Spiel NieR:Automata. Das Parallel Composing beschreibt eine Technik, bei der mehrere Stücke parallel komponiert werden. Das heißt, sie ähneln sich in mehreren Parametern und können somit untereinander wechseln. Sie unterscheiden sich im Mood und können so auf die Handlung im Spiel reagieren. Der Nachteil ist hier eine große Menge an zu komponierendem Material und das parallele Laufen der Tracks. Transitions sind einem guten Gürtel vergleichbar. Sie schaffen es, dass das rote T-Shirt eben doch zur roten Hose passt. Es sind kleine Zwischenstücke, die den Übergang in einen neuen musikalischen Track verschleiern. Sie benötigen allerdings etwas Zeitaufwand. Die Rechenleistung wird dabei auf jeden Fall geschont. Der Begriff Generative Musik wurde von Brian Eno Ende des 20. Jahrhunderts geprägt. Zu diesem Zeitpunkt wurde Generative Musik bereits lange produziert. Das Feld ist groß und lässt sich wohl am Einfachsten damit beschreiben, dass das musikalische Material von einem System produziert wird und sich ständig ändert. Beispiele hierfür wären „January“ (2009) von Komponist und Entwickler Disasterpeace (alias Richard Vreeland) oder auch „Sim Cell“ (2013) vom Entwickler Strange Loop Games mit Musik von L.J.Paul und natürlich den Simulator „Spore“ (2008) von Maxis, mit der Musik von Brian Eno.

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Ein großer Vorteil hierbei ist, dass Unmengen an musikalischem Material ohne weiteres Bemühen des Komponisten produziert werden können. Die Maschine tritt hier nahezu als Komponist und Interpret auf. Dabei ist es gar nicht so einfach, komplexe musikalische Strukturen zu schaffen, gleichzeitig aber individuelle, vom Spieler abhängige Stücke. Die Verwendung der verschiedenen Techniken ist abhängig vom Spiel und oftmals eine Mischung aus mehreren. Ein weiterer bedeutsamer Punkt bei der Entwicklung von Komposition im Videospiel ist der Raum. „Bei der Projektion eines akustischen Raumes in den Realraum des Zuhörers und auch bei der elektroakustischen Konstruktion eines Raumes gibt es ein grundsätzliches Problem: Die Raumwahrnehmung geschieht nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit den Augen und dem Tastsinn. Jede elektroakustische Übertragung eines anderen Raumes in den Realraum bleibt daher eine akustische Photographie. Der Rezipient hört zwar den anderen Raum, die Raumempfindung bleibt jedoch überwiegend bei der des Realraumes ( Supper 1997, S. 125).“

Die von Supper beschriebene Raumempfindung ist in VR jedoch höchst immersiv, da die Sicht auf den Realraum vollkommen versperrt wird und ein geschlossenes Kopfhörersystem den Außenschall weitestgehend ausblendet. Dies hat auch Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Sound und Musik.

4 Fazit Im Großen und Ganzen ist die Autorin überzeugt davon, dass der Videospielbereich, vor allem aber der VR-Bereich, eine Weiterentwicklung der Komposition bewirken kann. Zudem gehen hier Musikkomposition und Sounddesign wie in keinem anderen Medium Hand in Hand. Da die Immersion bei VR so groß ist, gelingt es hier mithilfe der optischen Ebene Räume zu gestalten, welche sich mit einem realen Raum oder virtuell erzeugtem Raum eines Lautsprecherorchesters nicht so leicht umsetzen lassen. Vorteilhaft ist auch, dass jeder Spieler die Musik unabhängig von seiner Position im Raum hört. Ein gemeinsames Hörerlebnis ist aufgrund der technischen Grenzen noch kaum realisierbar. Das Mixed-Reality-Verfahren, welches den passiven Zuschauer am Geschehen teilhaben lässt, verschafft nur mäßig Abhilfe. Der Unterschied der Klangwahrnehmung in VR und vor dem Bildschirm ist enorm.

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Der VR-Bereich und die damit verbundene Technik sind noch jung. Daher haben die Werkzeuge zur Spazialisierung noch Entwicklungsbedarf. Da das Klangmaterial, die Parameter und der Rahmen, in welchem sich der Spieler bewegt, ausgewählt werden, haben sich Aufgabe und Rolle des Komponisten nicht verändert, wohl aber seine Instrumente und Techniken.

Literatur Cage, J. (1993). 4’33: for any instrument or combination of instruments, New York: Peters, Henmar Clark, A. (2007). Defining Adaptive Music, https://www.gamasutra.com/view/feature/1567/ defining_adaptive_music.php (10.7.2020). Marks, M. Miller (1997). Music and the Silent Film. Context & Case Studies 1895–1924, New York: Oxford University Press. Schmidt, B. (2017). https://www.gamesoundcon.com/single-post/2017/10/02/GameSound Con-Game-Audio-Industry-Survey-2017 (10.7.2020). Sporka, A. (2015). Adaptive Music in Games. https://www.slideshare.net/adam_sporka/adaptive-music-in-games (10.7.2020). Stockhausen, K. (2002). Nr.7 Klavierstück XI, London : Universal Ed. Supper, M. (1997). Elektroakustische Musik und Computermusik, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 125 Van Geelen, T. (2008). Realizing groundbreaking adaptive music. In: Karen Collins (Hrsg.): From Pac-Man to Pop Music. Interactive Audio in Games and New Media. Ashgate, Hampshire: Routledge, S. 93–102. Whitmore, G. (2003). Puzzle Scoring: An Adaptive Music Case Study for Russian Squares, https://www.iasig.org/index.php/resources/resources-menu/19-aan-russian-squares (10.7.2020).

Interview mit Valentin Spiegel Gabriele Hooffacker

Zusammenfassung

Musik für Games zu schaffen, stellt sowohl eine musikalische als auch eine programmiertechnische Herausforderung dar. Audio Middleware stellt das Bindeglied zwischen Audio Designer und Game Engine dar. Wir sprachen darüber mit Valentin Spiegel, Sound Designer und Komponist. Valentin Spiegel kam über das Musikpädagogikstudium zur Tontechnik, die ihn wiederum zuerst zum Film und später zur Games-Branche brachte. Dabei spezialisierte er sich auf Sound Design und Komposition und arbeitet seitdem als freiberuflicher Audio Designer in Leipzig für Film, Fernsehen und Games. Schlüsselwörter

Game Musik · Adaptive Audio · Audio Middleware 1. Worin liegt die besondere Herausforderung, Musik für ein Game zu schaffen, gegenüber beispielsweise Filmmusik? Der wohl grundlegendste Unterschied besteht darin, dass sich die Musik bei Games an das Spielgeschehen anpassen können muss. Games sind im Gegensatz zu Filmen nicht linear, sondern verändern sich stetig in Abhängigkeit vom Verhalten des jeweiligen Spielers, und die Musik muss darauf reagieren können, was auch als „Adaptive Audio“ bezeichnet wird. Für mich als Komponist bedeutet

G. Hooffacker (*)  HTWK Leipzig, Leipzig, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6_11

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das, verschiedene Stücke mit unterschiedlichen Stimmungen und Intensitäten zu schreiben, die dann je nach Situation im Spiel abgespielt werden können. 2. Wie sieht der Workflow zwischen Audio Designer und Programmierer aus? Nachdem die Soundeffekte und Musiken vom Audio Designer erstellt worden sind, geht es an die technische Seite – die Implementierung in das Spiel selbst. Klassischerweise gehört das zum Aufgabengebiet des Programmierers. Games werden jedoch auditiv immer komplexer, sodass eine banale Verknüpfung aus „Aktion - > Audiowiedergabe“ nicht mehr ausreicht und der Programmierer somit schnell an seine tontechnischen Grenzen stößt. Hier kann der Einsatz von Audio Middlewares Abhilfe schaffen. 3. Was leistet dabei die Audio Middleware? Eine Audio Middleware ist eine eigenständige Audio Engine mit einer grafischen Benutzeroberfläche, sodass diese auch von Nicht-Programmierern bedient werden kann. Sie stellt das Bindeglied zwischen Audio Designer und Game Engine dar. Mit ihrer Hilfe können Soundeffekte und Musiken genauso angelegt und eingestellt werden, wie sie später auch im Spiel zu hören sein sollen samt aller Effekte, Überblendungen, Lautstärkeveränderungen etc. Dadurch kann sichergestellt werden, dass im Spiel später auch alles genauso klingt wie vom Audio Designer angedacht. Darüber hinaus bietet die Audio Middleware viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten als die bereits inden Game Engines integrierten Audio Engines. 4. In Ihrem Vortrag haben Sie ein eindrucksvolles Beispiel gezeigt: Hinter der scheinbar einfachen Aufgabe, dass im Game ein Motor hochgefahren wird, liegen mehrere unterschiedliche Sound Dateien. Warum ist das so komplex? Games werden immer realistischer, das gilt auch für den Ton. Damit dem Spieler die virtuelle Welt glaubhaft erscheint, muss sie nicht nur in sich stimmig sein, sondern auch reale Vorbilder authentisch nachbilden können, ansonsten fällt die Immersion in sich zusammen. Geräusche sind generell sehr komplexe Klänge, und wenn diese sich zusätzlich noch adaptiv verhalten sollen, wie dies beim Motor beispielsweise der Fall ist, wird auch die Gestaltung im Spiel deutlich aufwendiger. Da reicht eine einzelne Sounddatei nicht mehr aus, sondern es werden, ähnlich wie bei der Musik, für die verschiedenen Situationen verschiedene Variationen von ein und demselben Sound benötigt.

Interview mit Valentin Spiegel

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5. Wo sehen Sie die Zukunft der Musikentwicklung für Games? Mittelfristig wird die Musik durch den vermehrten Einsatz von Audio Middlewares noch interaktiver, dynamischer und sich besser an das aktuelle Spielgeschehen anpassen können. Bisher gehen vor allem große Firmen diesen Schritt, aber ich denke, das wird sich mehr und mehr auch bei kleineren Produktionen durchsetzen. Langfristig wird sicherlich auch hier die Künstliche Intelligenz Einzug halten: Musik, die sofort auf die jeweilige Situation reagieren kann und in Echtzeit vom Computer selbst erzeugt wird. Es gibt bereits erste Gehversuche in diesem Bereich, aber die Technologie steckt noch sehr in den Kinderschuhen.

Trends

Playful Work, Game Thinking, Gamification – nur Buzzwords? Michael Baur und Stella Schüler

Zusammenfassung

Die Digitalisierung verlangt Unternehmen neue Handlungsstrategien mit Hinblick auf die Personal- und Organisationsentwicklung ab. Hinzu kommt ein zu beobachtender Wertewandel der nachfolgenden Generationen. Kein anderes Medium außer Game vermag es vergleichbar, Kollaborationen, Co-Kreationen und ein lebenslanges Lernen zu fördern, um damit gleichzeitig die Flexibilität und Agilität zu erhöhen. Die Mechaniken von Spielen, die intrinsische Motivation fördern, können in jeglichen Kontext transferiert werden. Stella Schüler und Michael Baur setzen auf den Motivationskreislauf nach David Ghozland auf. Sie zeigen nach einer vorangegangenen thematischen Abgrenzung der Begrifflichkeiten „Game Thinking“, „Gamification“ und „Playful Work“ anhand von Anwendungsbeispielen, wie intrinsische Motivation entsteht, wie eine entsprechende Kontextualisierung erfolgen und wie sie in Organisationen umgesetzt werden kann. Schlüsselwörter

Digitalisierung · Motivation · Innovationen · Co-kreationen · Gamification ·  Playful Work · Game Thinking M. Baur (*)  Hochschule Macromedia, Leipzig, Deutschland E-Mail: [email protected] S. Schüler  Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6_12

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1 Einleitung Die stetig wachsenden globalen Herausforderungen, der zunehmende Anspruch an Flexibilität, Agilität, der zeitgleiche Ruf nach geeigneten Fachkräften, Mitarbeitermotivation sowie Mitarbeiterbindung und nicht zuletzt das große Thema der Digitalisierung verlangen Unternehmen neue Handlungsstrategien mit Hinblick auf die Personal- und Organisationsentwicklung ab, sofern diese auch in Zukunft auf dem internationalen Markt wettbewerbsfähig sein wollen (Anderie 2018, S. 1 ff.). Hinzu kommt ein zu beobachtender Wertewandel der nachfolgenden Generationen, den Digital Natives, der sich deutlich in einer Verschiebung des Statusbewusstseins zeigt. Extrinsische Anreizsysteme verlieren an Gewicht und stehen hinter dem Wunsch nach persönlicher Entfaltung und Selbstverwirklichung, Sabbaticals oder danach, eine sogenannte Me-Time kultivieren zu dürfe, zurück (Buhr und Feltes 2018, S. 55 ff.). Dabei zeigt sich innerhalb der nachfolgenden Generationen ein zunehmendes Bedürfnis in Unternehmen arbeiten zu wollen, in denen neben der angebotenen Dienstleistung oder dem Produkt ein klarer „Purpose“ ersichtlich ist. Die Frage nach dem „Warum“ etwas angeboten und welcher gesellschaftlicher, ökologischer, oder sozialer Mehrwert dadurch erzeugt wird, spielt eine bedeutende Rolle und entscheidet bei der Jobauswahl (McGonigal 2012, S. 129 ff.). Um für diese Herausforderungen konstruktive Lösungen zu finden, braucht es in Organisationen Veränderungsbereitschaft und einen Veränderungswillen, starke Kollaborationen und ein neues „Wir-Gefühl“. Kreativität und intellektuelle Leistungen werden zur neuen Produktivität und entscheiden über die Innovationskraft und damit Zukunftsfähigkeit von Unternehmen (Buhr und Feltes 2018, S. 233 ff.). An dieser Stelle setzt der vorliegende Beitrag an. Kein anderes Medium außer Game kann nach Ansicht der Autor:innen auch nur ansatzweise vergleichbar Kollaborationen, Co-Kreationen und ein lebenslanges Lernen fördern, um damit gleichzeitig die Flexibilität und Agilität zu erhöhen. Unternehmen profitieren durch die Implementierung von Games oder Game-methodischen Strategien von der Chance, die intern vorhandenen Ressourcen voll umfassend auszuschöpfen, wodurch sich die Effektivität, Produktivität und die Wirtschaftlichkeit steigern. Um das Potenzial von Games zu verdeutlichen, sei hier auf das Spiel „World of Warcraft“ (Blizzard Entertainment 2004) verwiesen, in das Spieler aus aller Welt seit der Veröffentlichung im Jahr 2004 insgesamt 50 Mrd. Stunden investiert haben, um eine gemeinsame Mission zu erfüllen (Statista Research Department 2019). Die dahinter liegenden Mechaniken von Spielen können in jeglichen Kontext transferiert werden. Im Folgenden zeigen die Autor:innen Stella Schüler und

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Michael Baur nach einer vorangegangenen thematischen Abgrenzung der Begrifflichkeiten „Game Thinking“, „Gamification“ und „Playful Work“ anhand praxisnaher Anwendungsbeispiele auf, wie eine entsprechende Kontextualisierung erfolgen und umgesetzt werden kann.

2 Motivation und Flow 2.1 Von Motivation 1.0 bis 3.0 und Flow: Definitionen und Wirkungen Erfolgreiche Games wie das bereits erwähnte Spiel „World of Warcraft“ (Blizzard Entertainment 2004) nutzen Kernmechaniken und Elemente, die dazu beitragen, die intrinsische Motivation zu fördern, um eine hohe und langanhaltende Spielerbindung zu erzielen. Bei der intrinsischen Motivation, auch als Motivation 3.0 bekannt, handelt es sich um eine Motivation, die aus einem inneren Antrieb heraus entsteht. Dabei stellt die ausgeführte Tätigkeit bereits die Belohnung als solche dar. So entwickeln Menschen das Bedürfnis, die eigene Leistung in dieser Tätigkeit stetig verbessern zu wollen, um sich durch Weiterentwicklung und Wachstum selbstwirksam erleben zu können (Pink 2017, S. 105 ff.). Diese Erfahrung geht mit einem Gefühl der Selbstkontrolle einher sowie der Erfahrung, den gestellten Herausforderungen gewachsen zu sein und sich stetig verbessern zu können. Das wiederum regt den inneren Perfektionsdrang an und kann bereits durch kleine Erfolgserlebnisse zu Flow-Zustände führen (ebd., S. 105 ff.). Flow beschreibt einen mentalen Bewusstseinszustand, in dem der/die Erlebende voll und ganz in der Tätigkeit aufgeht. Einzigartig dabei ist, dass der menschliche Körper im Flow einen Hormoncocktail aus Noradrenalin, Dopamin, Endorphin, Anandamid und Serotonin produziert, wodurch ein rauschähnlicher Zustand entsteht. Dieser Hormoncocktail hat Auswirkungen auf das neurologische System und wirkt besonders auf das Aufmerksamkeits-, Belohnungs-, Motivations-, Gefühls- und Erinnerungszentrum (Kotler 2015, S. 65 ff.). Des Weiteren geht Flow mit einem veränderten Zeitgefühl, einer Ausblendung der Außenwelt und einer länger andauernden Konzentrationsspanne einher. Gleichzeitig erhöhen sich die Frustrationsgrenze sowie die Fehler- und Scheitertoleranz. Die Willensstärke erreicht ein Höchstlevel; die Risikobereitschaft und die Fähigkeit komplexe Entscheidungen zu treffen, nehmen zu (Csikszentmihalyi 2018, S. 86 ff.). Außerdem wird die Kreativität befeuert, weil das Gehirn fach- und sachfremde sowie alte und neue Informationen wesentlich schneller miteinander

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vernetzt – eine Grundvoraussetzung für Innovationen. Eine Harvard-Studie zeigt auf, dass die Kreativität im Flow sogar 400–700 % höher ist und dieser Zustand nach dem eigentlichen Erleben noch 1 bis 2 Tage fortbestehen kann (Kotler o. J.). Flow ist nicht von Dauer und stellt sich vielmehr episodenhaft ein. Der Zustand geht jedoch Hand in Hand mit dem inneren Perfektionsdrang, wodurch ein Loop entsteht. Die kontinuierliche Weiterentwicklung führt zu einem erneuten Flow-Zustand. Der Wunsch nach einem Flow-Erleben führt zu Engagement und Leidenschaft und dem Bedürfnis nach stetiger Weiterentwicklung. Im Gegensatz zur intrinsischen Motivation 3.0 stehen die Motivationen 1.0 und 2.0. Bei der Motivation 1.0 steht das schlichte Überleben im Vordergrund: Nahrung, Sicherheit, Fortpflanzung. Sie findet sich bis zu Beginn des Industriezeitalters. Durch einen allgemein höheren Lebensstandard, der eine Grundsicherheit weitgehend gewährleistete sowie komplexer werdende Arbeitsabläufe, wurde eine neue Form der Motivation notwendig: die Motivation 2.0. Hierbei handelt es sich um ein extrinsisches Belohnungssystem, das von Belohnung und Bestrafung durch Dritte abhängig ist. Die dahinter liegende Strategie verfolgt das Ziel, gewünschtes Verhalten durch Belohnung zu verstärken, unerwünschtes Verhalten durch Bestrafung zu unterbinden. Dabei steht die Annahme im Hintergrund, Menschen hätten keine Lust zu arbeiten und würden sich vor Verantwortung drücken, sofern sie nicht durch „Zuckerbrot und Peitsche“ angetrieben, kontrolliert und überwacht würden (Pink 2017, S. 27 ff.). Diese Strategie der Wenn-Dann-Belohnung löscht die intrinsische Motivation für viele Tätigkeiten jedoch aus, die besonders im Zeitalter der Digitalisierung dringend benötigt wird, da sich die Tätigkeiten in zwei Kategorien teilen: die algorithmische und die heuristische. Bei algorithmischen Prozessen handelt es sich um bereits bekannte, standardisierte Arbeitsabläufe, die keine neuen Lösungswege benötigen. Hierzu zählen z. B. alle Formen von Routinearbeiten. Diese sind leicht automatisierbar und können mit extrinsischen Belohnungssystemen honoriert werden. Die heuristischen Aufgabenbereiche hingegen verlangen neues, frisches Denken und Kreativität, um neue Lösungen für Herausforderungen zu finden, denen bisher noch keine Erfahrungswerte oder ein systematisiertes Verfahren zugrunde liegen. Kreativität entsteht jedoch aus einer intrinsischen Motivation heraus, weshalb sich extrinsische Anreizsysteme nicht eignen, um den Schöpfergeist zu beflügeln. Vielmehr wirken sie sich sogar negativ auf kreative Prozesse aus, da der Fokus von der eigentlichen Tätigkeit zugunsten der in Aussicht gestellten Belohnung abgezogen wird (ebd., S41 f.).

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2.2 Voraussetzungen und Bedingungen Die intrinsische Motivation wird angeregt, wenn die Sinnhaftigkeit einer Tätigkeit ersichtlich ist und in Übereinstimmung mit den individuellen Werten sowie Stärken und Fähigkeiten liegt. Weitere, entscheidenden Faktoren für die intrinsische Motivation und Flow sind 1. klar formulierte und verbindliche Ziele. Diese sind notwendig, um 2. den Fortschritt erleben zu können, sodass die Entwicklung reflektiert, mit verfolgt und gefeiert werden kann. Deshalb ist 3. ein regelmäßiges Feedback, das die Leistung widerspiegelt, ebenfalls entscheidend. Weiterhin muss 4. die Schwierigkeit der Tätigkeit kontinuierlich zunehmen, um ein stetiges Wachstum zu ermöglichen. Dabei müssen die Anpassungen der Schwierigkeitsgrade so gestaltet sein, dass 5. ein bestimmtes Maß an Anstrengung erforderlich ist, ohne dabei eine Überforderung darzustellen. Durch die Überzeugung, durch mehr Übung weiterzukommen, kombiniert mit sichtbaren Erfolgserlebnissen und wertschätzendem Feedback, stellt sich das Gefühl 6. der Selbstwirksamkeit ein (Csikszentmihalyi 2018, S. 120 ff.). Diese regt wiederum den Aufbau eines sogenannten Growth-Mindsets an, dem das Fixed Mindset entgegensteht. Menschen mit einem Fixed Mindset, einem statischen Selbstbild, suchen nach Anerkennung und Bestätigung von außen. Sie gehen davon aus, dass Talente, Begabungen und Intelligenz angeboren und genetisch vorbestimmt sind. Kontinuierliches Lernen und Üben können nach dieser Überzeugung daher keine positiven Veränderungen mit sich bringen. Aus diesem Grund sind Menschen mit einem Fixed Mindset weniger gut zu motivieren als Menschen mit einem Growth-Mindset (Dweck 2006). Menschen dieses Mindsets, einem flexiblen Selbstbild, sind wachstumsorientiert und gehen davon aus, dass Talente, Begabungen und Intelligenz wachsen können, wenn man sich einer Sache lange genug mit Hingabe, Willensstärke und Ausdauer widmet. Aufgrund dessen sind sie intrinsisch motivierter und gewillt, lebenslang zu lernen – eine Fähigkeit, die im Zeitalter der Digitalisierung mit der einhergehenden, exponentiellen Veränderungsgeschwindigkeit unabdingbar ist (ebd.).

2.3 Chancen und Nutzen von Games oder Game methodischen Strategien Die beschriebenen Voraussetzungen und Bedingungen sind entscheidende Erfolgsfaktoren innerhalb gut konzipierter Games oder Game-methodischer

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Strategien. Dabei reagiert das Spielsystem dynamisch auf die Bedürfnisse des Spielers und passt die Herausforderungen kontinuierlich an, um eine hohe und langanhaltende Spielerbindung zu gewährleisten. Die Kernmechaniken und Elemente sowie die entscheidenden Erfolgsfaktoren von Games lassen sich auf jedes andere System übertragen. Die Abbildung zeigt den Motivationskreislauf von David Ghozland (2007), der unter anderem am eingangs erwähnten Game „World of Warcraft“ (Blizzard Entertainment 2004) Anwendung fand (Abb. 1). Die Player Stats stellen die aktuellen Eigenschaften, Fähigkeiten, Erfahrungswerte etc. des Avatars dar. Diese verändern sich im Laufe des Spiels. Die Weiterentwicklung der Spielcharaktere, z. B. Erweiterung der Fähigkeiten, ergibt sich aus einem erfolgreichen Spielfortschritt und nimmt eine zentrale Rolle ein. Sie dient dem Spieler als Feedbackinstrument und zeigt die Erfolge des Handelns sichtbar auf. Hierdurch stellt sich das Gefühl der Selbstwirksamkeit und -kontrolle ein. Nebenbei wird der Aufbau eines Growth-Mindsets gefördert, da der Spieler erleben kann, dass seine Bemühungen, in der Tätigkeit immer besser zu werden, positive Auswirkungen hat (Mastery).

Abb. 1   Motivationskreislauf nach David Ghozland 2007

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Die Needs kennzeichnen die Bedürfnisse der Spieler. Diese müssen befriedigt werden, damit sich der Motivationskreislauf erfolgreich schließen kann. Innerhalb eines Games sind typische Needs, die Spielcharaktere weiterzuentwickeln, um die finale Quest (lat. quaestio „Frage“, „Forschung“) erfüllen zu können. Um dieses Ziel zu erreichen, erlebt der Spieler etwa durch sogenannte Subquests Herausforderungen, an denen er schrittweise wachsen und seine bereits erworbenen Fähigkeiten überprüfen kann. Dabei nehmen die Schwierigkeitsgrade bei erfolgreichem Spielfortschritt kontinuierlich zu, um den Spieler immer wieder erneut zu fordern, ohne ihn zu überfordern. Als Belohnung (Rewards) für die Bemühungen erhält der Spieler Erfahrungspunkte oder andere Benefits, die ihn unterstützen, die Subquests zu meistern, um sich auf die finale Quest vorzubereiten. Für einen erfolgreichen Motivationskreislauf ist weiterhin entscheidend, dass die Rewards in einem angemessenen Verhältnis zur jeweiligen Challenge stehen. Die Schwierigkeitsgrade der Herausforderungen müssen sich kontinuierlich steigern. Entsprechend dazu müssen die Rewards nach oben angepasst werden. Ist auch nur eine der genannten Voraussetzungen nicht gegeben, stellt sich kein Motivationskreislauf ein, der zu intrinsischer Motivation führt sowie Flow und den Aufbau eines Growth-Mindsets begünstigt.

2.4 Gameful Leadership: Hypothese Im vorliegenden Beitrag wird davon ausgegangen, dass der dargestellte Motivationskreislauf auf Leadership-Themen, Unternehmensprozesse und Organisationskulturen übertragen werden kann. Bisher (06/2020) findet durch die Implementierung von Games oder Gamemethodischen Strategien, wie z. B. bei einer Gamification, meist nur eine Übertragung von Kernmechaniken und Spielelementen in einen Nicht-Game-Kontext statt (Abb. 2). Die Player Stats würden bei einer Übertragung des Motivationskreislaufes für den Mitarbeiter stehen, der seine Fähigkeiten kontinuierlich weiterentwickeln darf, um sich selbstwirksam und als Teil einer „großen Mission“ erleben zu dürfen. Die Needs stellen die Bedürfnisse nach Selbstbestimmung, Anerkennung, Wertschätzung, Selbstwirksamkeit etc. dar. Rewards könnten in diesem Kontext erweiterte Gestaltungs- und Entfaltungsmöglichkeiten sein, etwa einen bestimmten

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Abb. 2   Motivationskreislauf für Gameful Leadership nach Michael Baur und Stella Schüler

Teil der Arbeitszeit verwenden zu dürfen, um einer Wunschtätigkeit nachzugehen. Modelle dieser Art finden sich bereits bei Google oder 3M, wodurch Innovationen wie googlemail oder die Haftnotiz hervorgegangen sind (Google cloud G suite 2020), (3M 2020). Die Challenge wäre eine Win–Win-Situation. Die Mitarbeiter wären intrinsisch motivierter, könnten ihr Potenzial entfalten, Talente zu Stärken machen und würden dabei gleichzeitig die Unternehmensziele voranbringen.

3 Game Thinking 3.1 Definition Game Thinking umfasst das gesamte Spektrum spielerischer Lösungen und bezeichnet die Verwendung von Games oder Game-methodischen Strategien mit dem Ziel, immersive Erlebnisse zu schaffen (lat. immersio „Eintauchen“, „Einbetten“). Dadurch erhöht sich einerseits die Bindung zum und die Beteiligung am Prozess/dem Team/ der Sache/der Vision. Andererseits wird die intrinsische Motivation in höchstem Maße angeregt, da gut konzipierte Games oder Game-Strategien alle hierfür notwendigen Bedingungen gekonnt einsetzen (Marczewski 2018, S. 13 f.).

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Übersicht

Zu Game Thinking zählen • alle Arten von analogen und digitalen Games • Serious Games Diese fallen ebenfalls unter digitale Spiele. Da sie sich aufgrund ihrer speziellen Zielausrichtung erneut in verschiedene Unterkategorien einteilen lassen (Digital Game Based Learning, Edutainment, Embodied Learning etc.), scheint eine gesonderte Anführung sinnvoll. • Spielzeuge • das nicht-zielgerichtete, freie Spiel von Kindern • Game Inspired bzw. Playful Design Dabei kann es sich beispielsweise um eine digitale App handeln, durch die Endnutzer:Innen spielerisch hindurch durchgeführt werden. • Gamestorming Dabei handelt es sich um eine Methoden-Toolbox, die zum Beispiel in der Design- und Innovationsbranche eingesetzt wird, um eine spielerische und freie Herangehens- und Denkweise zu fördern. Gamestorming kann jedoch ebenso für Teambuildingmaßnahmen, z. B. als Icebreaker im Rahmen von Kennenlernrunden oder Workshops zum Einsatz kommen oder um Co-Kreationen zu begünstigen. • Gamification • Playful Work

3.2 Kontextualisierung Wie im Abschn. 2.1 dargelegt gewinnen heuristische Aufgabenbereiche, die ein neues und frisches Denken verlangen, zunehmend an Bedeutung, da die Digitalisierung u. a. von einer exponentiellen Veränderungsgeschwindigkeit gekennzeichnet ist. Der ständige Wandel erfordert kreative Lösungswege, um auf zukünftige Herausforderungen innovative Antworten finden zu können (Buhr und Feltes 2018, S. 7 ff.). Laut Business Dictionary (2020) werden Innovationen als „der Prozess, durch welchen eine Idee oder eine Erfindung in ein Produkt (oder Service) übersetzt wird, für das die Leute zu zahlen bereit sind“, definiert. Auf der Basis dieser Definition kann davon ausgegangen werden, dass Unternehmen daran interessiert sein müssten, Innovationen hervorbringen zu wollen, um zukunfts- und

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wettbewerbsfähig zu bleiben. Innovationen kennzeichnen weiterhin, dass es sich dabei um disruptive Veränderungen handelt; d. h. sie lösen den bisherigen Status Quo ab (Buhr und Feltes 2018, S. 134 ff.). Innovationen setzen jedoch Kreativität voraus, durch die fach- und sachfremde sowie alte und neue Informationen miteinander vernetzt werden (Kotler 2015, S. 144 ff.). Um Kreativität zu begünstigen, bedarf es Rahmenbedingungen, die eine entspannte Grundhaltung gewährleisten und Stresszustände vermeiden. Unter Stress werden die Hormone Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet. Gleichzeitig wird das Angstzentrum im Gehirn, das sogenannte Reptiliengehirn, aktiviert. In diesem Zustand schaltet der Organismus auf Angriff, Flucht oder Erstarren; der Fokus liegt dabei auf dem reinen Überleben. Dafür werden Gehirnareale, die u. a. für Empathie, konstruktive Kommunikationsfähigkeit, Feinmotorik und Kreativität zuständig sind, blockiert, um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können (Paufler 2019, S. 38 ff.). Stressauslöser können eine ständige Erreichbarkeit durch die unterschiedlichen Informationskanäle, ein zu hoher Workload, destruktive Kommunikation, mangelnde Wertschätzung, fehlende klare Zielvorgaben sowie ein zu hohes Maß an Komplexität sein (Paufler 2019, S. 39). Hier setzt Game Thinking an. Im weiteren Sinne können Games oder die Implementierung von Game-methodischen Strategien als Kommunikationstools verstanden werden. Durch diese ist es möglich, komplexen Sachverhalten ihre Komplexität zu nehmen, um sie auf spielerische, einfachere Weise zu vermitteln und erlebbar zu machen. Weiterhin stellt eine Auseinandersetzung mit einem Game oder einer Gamemethodischen Strategie bereits einen Lernprozess als solchen dar, weil Regeln, systemrelevante Informationen und Abhängigkeiten verstanden und/oder erforscht werden müssen, um erfolgreiche Lösungen generieren zu können. Außerdem kann sich, sofern konzeptionell schlüssig durchdacht, ein Motivationskreislauf wie in Kap. 2 einstellen, wodurch die intrinsische Motivation angeregt, die Fehler- und Scheitertoleranz erhöht sowie der Aufbau eines GrowthMindsets gefördert wird. Aufgrund dessen birgt Game Thinking große Chancen, um Innovations-, Transformations- und Changeprozesse voran zu bringen.

4 Abgrenzung Gamification 4.1 Definition Gamification bezeichnet die ganzheitliche und nachhaltige Implementierung von Game-Strategien oder Game-ähnlichen Elementen in ein System oder einen

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Prozess, der keinen Gamebezug oder Gamekontext aufweist. Dafür bedient sich Gamification bei gängigen Gamemechaniken und Dynamiken. Oft kommen dabei Elemente wie z. B. Timer, Highscore-Listen, Badgets etc. zum Einsatz. Gamification selbst stellt kein Spiel dar. Bei einer Gamification handelt es sich um einen Transfer von Game-Metaphern in einen nicht-Game-Kontext im Allgemeinen. Gamification zielt darauf ab, die Partizipation und die intrinsische Motivation der am Prozess Beteiligten zu erhöhen (Marczewski 2018, S. 17). Innerhalb praktischer Umsetzungen in Organisationen lassen sich eine Vielzahl an Gamification-Anwendungen finden, die durch Implementierung kompetitiver Gamemechaniken und Elementen ein wettbewerbsorientiertes und konkurrierendes Verhalten fördern. Eine differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen Spielertypen fehlt hingegen meist. Diese ist jedoch von essentieller Bedeutung, um Kreativität, Kollaborationen und Co-Kreationen zielführend anzuregen. Basierend auf den einschlägigen Studien von Richard Bartle (1996), der sich erstmals wissenschaftlich im Kontext von MUDs (Multi User Dungeons) mit der Thematik auseinandersetzte, lassen sich die Spielertypen in vier Kategorien unterteilen. Ihnen liegen unterschiedliche Spielbedürfnisse zugrunde, die durch entsprechende Spielerlebnisse befriedigt werden müssen, um eine erfolgreiche Spielerbindung zu gewährleisten. Die Hauptmotivation des Spielertyps 1. Killer liegt darin, über Andere zu siegen und sie zu dominieren. Dieser Spielertyp benötigt zur Befriedigung seiner Bedürfnisse konkurrierende Gamemechaniken und Elemente, die die Überlegenheit gegenüber anderen Mitspielern klar abzeichnet (Bartle, 1996). Spielertyp 2. Achiever benötigt kompetitive Gamemechaniken und Elemente. Im Unterschied zum Spielertyp Killer liegt die Hauptmotivation jedoch weniger darin begründet, Andere zu dominieren als vielmehr, die eigene Leistung innerhalb einer bestimmten Tätigkeit stetig zu verbessern, um Meisterschaft (Mastery) zu erlangen (Bartle, 1996). Eine Spielwelt oder ein System zu erkunden, stellt die Hauptmotivation des Spielertypes 3. Explorer dar. Dieser benötigt dementsprechend Gamemechaniken und Elemente, die seinem Forscher- und Entdeckertrieb gerecht werden und gebührend befriedigt werden können (ebd.). Das Hauptaugenmerk des Spielertyps 4. Socializer liegt auf der Kommunikation und Interaktion mit anderen Mitspielern. Dafür werden Gamemechaniken und Elemente benötigt, die einen umfassenden Austausch und eine Community-Bildung zulassen, z. B. durch Online-Foren, Koop-Modi o. ä. (ebd.). Spieler lassen sich in der Regel nicht auf einen Spielertypen reduzieren, sondern weisen in unterschiedlicher Ausprägung Merkmale der anderen auf. Zudem ist die Spielmotivation mitunter tagesformabhängig. Mittlerweile gibt es

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zahlreiche weitere Theorien zu Spielertypen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch keiner weiteren Betrachtung unterzogen werden sollen. Das Spiel „World of Warcraft“ (Blizzard Entertainment 2004) bedient die Bedürfnisse aller Spielertypen und gewährleistet somit, dass sich jeder Spieler mit seinen individuellen Fähigkeiten und Stärken individuell einbringen kann. Das wiederum ermöglicht den Spielern, sich selbstwirksam als Teil eines großen Ganzen erleben zu können, was eine unabdingbare Voraussetzung erfolgreicher Spiele darstellt. Abschließend soll noch auf den Begriff „Pointifizierung“ verwiesen werden. Hierbei handelt es sich um ein Punktesystem, das darauf abzielt, erwünschtes Verhalten durch extrinsische Anreize zu verstärken. In Abgrenzung zu Gamification liegt einer Pointifizierung jedoch nur eine einzelne Gamemechanik, nämlich ein Punktesystem, zugrunde. Pointifizierung bedient sich keinen weiteren, in gegenseitigen Abhängigkeiten stehenden Gamemechaniken oder Elementen. Deshalb kann sich auch niemals ein Motivationskreislauf mit einer einhergehenden intrinsischen Motivation einstellen. Beispiele für Pointifizierungen finden sich zahlreich in Form von Bonussystemen, etwa um Kaufanreize zu schaffen.

4.2 Anwendungsbeispiel: das gamifizierte SAP Community Network (SCN) Das SCN ist ein englischsprachiges Portal des global agierenden SAP-Netzwerkes, zu dem sowohl Mitarbeiter als auch Kunden zählen. Die Plattform versorgt die Community mit Tutorials, Informationen, Fragen und Antworten (Q & A) sowie und Neuerungen über SAP-Produkte und Technologien. Gleichzeitig verfügt sie über einen Mitgliederbereich ähnlich gängiger sozialer Netzwerke. Nach Einrichtung eines Accounts besteht die Möglichkeit, alle Mitglieder dieses immensen Netzwerkes detaillierter kennenzulernen, je nachdem, was jedes Mitglied öffentlich freigeschaltet hat. Dabei können Netzwerkverbindungen, Blogeinträge, erreichte Missionsziele und Badges, sowie berufliche Bezüge zu SAP eingesehen werden. Weiterhin ist es möglich, einzelnen Mitglieder-Profilen zu folgen, um an den jeweiligen Aktivitäten zu partizipieren und von der Fachexpertise zu profitieren (Webcampus 2017). Das Portal dient vor allem dem Wissensaustausch und -transfer sowie der Community-Bildung innerhalb des Netzwerkes. Gleichzeitig kann es jedoch auch als Karriereplaner verwendet, da durch die individuelle Sichtbarkeit der Aktivitäten der Mitglieder, Weiterentwicklungen und Spezialisierungen leicht nachvollzogen werden können (SAP Network Community 2020.

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2003 wurde die Plattform als SAP Developer Network etabliert; 2004 ein erstes Punktesystem integriert, das die Mitglieder für die Beantwortung von Fragen und ihre jeweiligen Aktivitäten innerhalb der Wissensvermittlung belohnt (Webcampus 2017). 2007/2008 erfolgte eine grundlegende Gamifizierung des Systems. Das Punktesystem wurde durch ein Level- und Badgesystem erweitert. Das SAP-Mentor-Programm sowie ein Feedbacksystem, in dem sich die Mitglieder gegenseitig bewerten können, wurden integriert. Die Mitglieder mit dem höchsten Ranking werden jährlich ausgezeichnet und können am sogenannten „Top Contributors Annual Contest“ teilnehmen (ebd.). Durch die Gamifizierung werden die Aktivitäten der Mitarbeiter im Bereich Wissensvermittlung sowie Q & A deutlich erhöht. Vor allem die Interaktion zwischen den Mitgliedern hat zugenommen. So gibt es nun auch verstärkt Feedback für Blogeinträge. Außerdem werden neu entstandene Fragen zeitnah beantwortet, was sich wiederum als eine nicht unerhebliche Unterstützung für den Kundenservice herausgestellt hat. Die Gamifizierung erhielt zahlreiche, positive Rückmeldung. Das System hat sich gut etabliert und zeichnet sich durch wertvollen Content und umfangreiche Tutorials aus. Die Vernetzung scheint exzellent zu funktionieren. Des Weiteren sorgt ein Questsystem dafür, dass Mitglieder kontinuierlich vor neue Herausforderungen gestellt werden und so die Möglichkeit haben, ihre Fähigkeiten stetig weiterzuentwickeln (SAP Network Community 2020). SAP hat mit SCN einen Rahmen für eine transparente Wissenspolitik und damit entscheidende Voraussetzungen geschaffen, um das Potenzial der Mitarbeiter zu fördern, Teamzusammenhalt zu stärken und sich zeitgleich für Kundenperspektiven zu öffnen. Die Langzeitmotivation der SCN-Mitglieder ergibt sich aus dem in Abschn. 2.1 beschriebenen inneren Perfektionsdrang und wird durch stetig wechselnde, neue Missionen, ausgefallenere Badges sowie einem ausgefeilten Levelsystem begleitet (SAP Network Community 2020).

Weitere Anwendungsbeispiele im Überblick

• Aircraft Marshalling von Designing Digitally, Inc. Ein Kinect Serious Game für die Mitarbeiterschulung von Fluglotsen. https://www.youtube.com/watch?v=Ef_vAih13pU • Audi: Virtuelles Mitarbeiter Training Digitale Weiterbildung für den Vertrieb. https://www.audi.com/de/ career/working-world/gamification-audi-virtual-training.html

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• Bayer AG: Das Online Planspiel: „International Management Simulation“ Hier durchläuft der Spieler Management-Prozesse im Zeitraffer und eignet sich auf spielerische Art und Weise neue betriebswirtschaftliche Kenntnisse an. https://tm-online.de/individualloesungen/lernprogramme/ bayer-international-management-simulation/ • Bunchball Nitro for Salesforce Gamification Eine gamifizierte Online-Verkaufsplattform, um das Kaufverhalten von Kunden zu steigern. https://www.youtube.com/watch?v=LprAZKSnm4Q • Chipotle’s The Scarecrow Im Abenteuerspiel Scarecrow kann sich der User spielerisch mit der Tierhaltung und den Produktionsbedingungen auseinandersetzen. https://www.youtube.com/watch?v=UQXPVZLBKLg • Dominos Pizza Rekrutierungsspiel Pizzabäcker-Simulation, die zur Rekrutierung von neuem Personal dient. https://www.youtube.com/watch?v=QzWEeOoFMfU • GCHQ: Der Britische Nachrichten und Sicherheitsdienst sucht Nachwuchskräfte • Rekrutierungstool der Britischen Regierungsbehörde. https://www. canyoucrackit.co.uk/ • Hyundai – The Walking Dead Chop Shop Eine App zur Konfiguration von Automobilen gesponsert von Hyundai. https://www.youtube.com/watch?v=fohfYH7z-QQ • IBM: Echtzeit Prozessoptimierungssimulation IBM Smart Play Framework. Ein Serious Game, in dem Studierende lernen, wirtschaftlich zu handeln. https://www.youtube.com/watch?v= C1YaQRVLaIA • Microsoft: Gamifizierung der Lokalisation von Windows 7 Microsoft Windows Language Quality Game von Ross Smith Hier werden Mitarbeiter von Microsoft motiviert, Windows 7 Anwendungen in ihrer Muttersprachen auf Fehler zu überprüfen. https:// www.youtube.com/watch?v=b7tFYnQoCN8 • Microsoft: Ribbon Hero und Ribbon Hero 2 Eine Anwendung, um Nutzer spielerisch mit Microsoft Office vertraut zu machen. https://www.youtube.com/watch?v=eEuC6IGZMtY

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• Porsche – Boneo Das Loyalitätsprogramm nutzt zahlreiche Gamification-Mechaniken, um Kunden langfristig an das Unternehmen zu binden. https://www. youtube.com/watch?v=Waypwyf4rJs • Siemens: Produktionssimulation im Stil von Zynga Bei Siemens Plantville lernt der Spieler, ein Unternehmen wirtschaftlich zu managen. https://www.youtube.com/watch?v=6oIp9w1r6X0 • SAP Roadwarrior Ein Simulationsspiel, bei dem das Verkaufsteam von SAP virtuelle Kunden gewinnen soll. https://www.webcampus.de/blog/96/gamification-case-sapsroadwarrior

5 Playful Work 5.1 Definition Im Gegensatz zur deutschen Sprache, in der lediglich ein Wort für „Spiel“ vorhanden ist, unterscheidet die englische zwischen „Play“ und „Game“. Unter „Play“ wird das freie, ergebnisoffene Spiel verstanden. Dieses hat kein vordefiniertes Spielziel mit klaren Win-Conditions und einem Feedback-System, durchaus jedoch Regeln, die durch die Spieler selbst bei Spielantritt gemeinsam definiert werden. Werden die Regeln innerhalb eines Spielprozesses verändert, ergibt sich dadurch ein neues Spiel. Zahlreiche Beispiele für „Play“ lassen sich in freien Imaginations(Rollen-)Spielen von Kindern beobachten (Mahlodji 2019). Der Begriff „Game“ hingegen bezeichnet ein strukturiertes, in sich geschlossenes System, in dem Spielziele und Win-Conditions, Game-Elemente und deren gegenseitigen Abhängigkeiten in einem Regelwerk für die zukünftigen Spieler vorab definiert wurden. Weiterhin weisen „Games“ klare Feedbacksysteme auf, die eindeutig über Spielfortschritte, Erfolge und Misserfolge informieren (Marczewski 2018, S. 31 ff.). Gemein haben sowohl „Play“ als auch „Game“, dass die Annahme der Regeln freiwillig erfolgt, was eine Grundvoraussetzung darstellt, um überhaupt spielen zu können. Auch kann beiden Begriffen die Definition des bedeutenden Kulturhistorikers Johan Huizinga (1966) zugrunde gelegt werden, der in seinem Hauptwerk „Homo Ludens“ (= Der spielende Mensch) aus dem Jahr 1938 der Frage

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nachging, was ein Spiel kennzeichnet. Seine Forschungsergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: „Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewußtsein des Andersseins als das gewöhnliche Leben“ (Huizinga 1966, S. 22). Ein Spiel stellt immer eine freiwillige Handlung dar. Erzwungene Spiele wie die antiken Gladiatorenspiele sind nach Huizinga (1966) keine Spiele. Vielmehr handelt es sich um Nachahmungen von Spielen. Übertragen auf Unternehmensprozesse kann daher gesagt werden, dass ein Spiel, zur dessen Teilnahme die Mitarbeiter verpflichtet werden, nicht als Spiel nach Huizinga bezeichnet werden kann. Zu betonen ist weiterhin, dass Spiele keinen Druck und Zwang vertragen und Spieler erst dann ihr volles Potenzial ausschöpfen können, wenn sich bei Ausübung der Tätigkeit eine intrinsische Belohnung mit einem einhergehenden inneren Perfektionsdrang einstellen. Vor dem Hintergrund der Unterscheidung von „Play“ und „Game“ birgt „Playful Work“ eine Chance, um auf die Herausforderungen der Digitalisierung flexibel und agil zu reagieren. Unter „Playful Work“ kann eine spielerische, bewertungsfreie und ergebnisoffene Herangehensweise innerhalb eines Arbeitsprozesses oder Unternehmenskontextes verstanden werden, wobei Mitarbeiter ihren Interessen und Stärken entsprechend selbst gewählte Ziele forschend und experimentell verfolgen können (Mahlodji 2019).1 Die Offenheit, die durch Playful Work entsteht, ermöglicht kreative Höchstleistungen und ist daher ein fruchtbarer Nährboden für Innovationen.

5.2 Anwendungsbeispiel Google Google verfügt als größtes und erfolgreichstes Technologie-Unternehmen über 251 Produkte und Dienstleistungen, die global von mehr als einer Milliarde Menschen genutzt werden (Boskov 2020).

1Einen

äußerst inspirierenden Beitrag, um das Thema weiter zu vertiefen, leistet Tim Brown (2008), Geschäftsführer und Präsident von IDEO, in seinem zukunftsweisenden TED Talk „Tales of creativity and play“ https://www.youtube.com/watch?v=RjwUnaA0VY.

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Einen zentralen Grund für den Erfolg stellt die innovative Herangehensweise bei der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen dar, die auf Googles ehemaligen Geschäftsführer Eric Schmitt (2001−2011) zurückzuführen ist. Dieser griff das aus der Lerntheorie stammende Modell 70:20:10 auf und übertrug es auf Prozesse des Innovationsmanagements (Hakubyan 2019). Dabei sind 70 % der Arbeitszeit für die jeweiligen Kerntätigkeiten der Mitarbeiter reserviert. 20 % sind Projekten im Rahmen des Kerngeschäftes vorbehalten, die auch als „Innovation time off“ bezeichnet werden. Die verbleibenden 10 % stehen den Mitarbeitern für selbstgewählte Projekte zur freien Verfügung und sind unabhängig vom eigentlichen Kerngeschäft (Google cloud G suite 2020). Dieses Innovationsmodell trug maßgeblich zur Entwicklung disruptiver Technologien, wie z. B. Gmail, Google News, Google Talk oder Adsense, bei (Zichermann und Lindner 2013, S. 100). Die wertschätzende Haltung gegenüber den Mitarbeitern zeigt sich auch in der Gestaltung der Außen- und Innenarchitektur von Googleplex, dem Hauptquartier in Silicon Valley, das hier exemplarisch betrachtet werden soll. So gibt es auf dem Firmengelände Beachvolleyballfelder, mehrere Kaffeebars, ein Fitnesscenter, eine Kindertagesstätte, einen Masseur, eine Sporthalle und mehrere Schwimmbäder. Im Innenbereich finden sich zahlreiche Spielzonen, sogenannte Recreation-Zonen, die zum freien Experimentieren, Forschen, aber auch Entspannen einladen. Weiterhin sind Tischtennisplatten, Kicker- und Billardtische, Indoor-Rutschen, Arcade- und Flipperautomaten vorhanden (t3n 2011). Die umfangreichen „feel good“-Anreize regen dazu an, festgefahrene Denkstrukturen zu durchbrechen, begünstigen einen positiven Teamzusammenhalt und eine Atmosphäre der Offenheit und des Vertrauens, was eine Grundvoraussetzung darstellt, um den Status Quo zu überdenken und mutig infrage zu stellen (Bock 2016, S. 27 ff.).

6 Ausblick Schätzungen zufolge beläuft sich das globale Marktvolumen für Gamifizierungen auf 11,94 Mrd. US Dollar bei steigender Tendenz. Beobachtungen zeigen einen kontinuierlichen Zuwachs der aktiven Spielergemeinschaft (Gough 2018). Bereits 2019 gaben 79 % der Teilnehmenden einer Mitarbeiterumfrage an, eine Motivationssteigerung durch die Gamifizierung ihrer Tätigkeiten zu erleben und sahen einen Qualitätsanstieg ihrer Arbeit; 89 % eine höhere Produktivität (Apostolopoulos 2019). (Lyncova 2020). Insbesondere die nachfolgenden Generationen, die Digital Natives, wachsen mit gamifizierten Anwenderlösungen auf. 2025 wird die Arbeitswelt zu 75 % aus

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Millennials bestehen. Daher kann prognostisch davon ausgegangen werden, dass intrinsisch motivierende Nutzererfahrungen (User Experience/UX) den neuen Status Quo darstellen werden. Darüber hinaus können gamifizierte Lösungen Kundenaktivitäten um bis zu 40 % erhöhen (Angelovska 2019). Nach Überzeugung der Autor:innen zeichnet sich ab, dass Unternehmen ihre Dienstleistungen und Produkte dem veränderten Nutzerverhalten anpassen müssen, um wettbewerbs- und zukunftsfähig sein zu können. Freilich stellen die Implementierungen von Games oder Game-methodischen Strategien keine „Allheilmittel“ dar, um flexibel und agil auf die neuen Herausforderungen reagieren zu können. Ebenso entscheidend ist, durch konstruktive Kommunikation, Wertschätzung und einem achtsamen Umgang im Miteinander Räume des Vertrauens zu öffnen, in denen Fehler erlaubt sind und „Scheitern“ als eine Abweichung vom ursprünglich erwarteten Ergebnis verstanden wird. „We are shifting to a world where the innately human characteristics of collaboration, coaching, entrepreneurialism and fluid temporary teams are fast replacing hierarchy, bureaucracy, functional silos and traditional notions of the job“ (Sloman und Thomas 2015, S. 7).

Glossar Account  Virtuelle Abbildung eines Menschen/Mitarbeiter Avatar  Vom Spieler gesteuerte Figur im Computerspiel Badge  Abzeichen als Auszeichnung für eine gelungene Mission, oder der Aneignung einer besonderen Fähigkeit in einem Computerspiel Challenge  Hearausforderung, Schwierigkeitsgrade im Computerspielorderung, Schwierigkeitsgrade im Computerspiel Game  Ein Game bezeichnet ein strukturiertes, in sich geschlossenes System, in dem Spielziele und Win-Conditions, Game-Elemente und deren gegenseitigen Abhängigkeiten in einem Regelwerk für die zukünftigen Spieler vorab definiert wurden Gilde  Gemeinschaft von Spielerfiguren mit unterschiedlichen Berufen und Fähigkeiten bei Computerrollenspielen Level  Ein Computerspiel ist in der Regel in mehrere Level aufgeteilt. Teilweise verkörpern diese Level unterschiedliche Themen in der Spielwelt

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Mastery  Meistern. Beschreibt die Entwicklung des Spielers/Mitarbeiters vom Beginner zum Profi Anwender MMORPG  Massives Mehrspieler Online Computerrollenspiel MUD  Multi User Dungeon, Vorgänger der MMORPG Raid  Mission in der mehrere Spieler gleichzeitig versuchen einen Endboss zu eliminieren Reward  Belohnung im Computerspiel, meistens in Form von Erfahrungspunkten, Gold oder Ausrüstungsgegenstände Play  Play ist das freie, ergebnisoffene Spiel ohne ein vordefiniertes Spielziel Q & A  Fragen & Antworten Quest  Im Kontext von Computerspielen ist es als Auftrag/Aufgabe zu verstehen, den es zu erfüllen gilt Skill  Fähigkeiten der Spielerfigur Skilltree  Fähigkeitenbaum eines Avatars Subquest  Teilauftrag, den es innerhalb einer übergeordneten Quest zu erledigen gilt

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Game Verzeichnis World of Warcraft. Blizzard Entertainment, Vivendi (2004).

Games als Lernort – Offene digitale Quellen als Chance Winfried Bergmeyer

Zusammenfassung

Computerspiele sind zu einem Leitmedium unserer durch Digitalisierung geprägten Zeit geworden. Sie werden durch die technische Fortentwicklung ebenso bestimmt wie durch die Diversifizierung des Contents. Nutzer von Erlebnis- und Lernspielen fordern – nicht nur bei Serious Games – historische Authentizität und wissenschaftliche Zuverlässigkeit bei historischen Themen ein. An einer Reihe von Spielen werden beispielhaft Optionen und Entwicklungsmöglichkeiten dieser Spielarten vorgestellt, die reale Daten mit persönlichem Entdecken kombinieren und dabei die Grenzen von Spielen, Lernen und Erforschen verschwimmen lassen. Eine besondere Rolle spielt dabei die Nutzung offener Datenressourcen, denen ein hoher Grad an Nachprüfbarkeit und Authentizität zugrunde liegt. Es wird die Frage erörtert, aus welchen Gründen und in welcher Form die kulturbewahrenden Institutionen auf diese Entwicklungen reagieren sollten und welche herausragende Bedeutung Linked Open Data dabei zukommen. Schlüsselwörter

Videospiel · Computerspiel · Lernspiel · Kulturgeschichte · Serious Games · Linked Open Data · Offene Daten · Quellenkunde · Museumsobjekte

W. Bergmeyer (*)  HTWK, Leipzig, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6_13

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1 Games Wenn in der Vergangenheit vom Computerspiel oder Videospiel die Rede war, meinte man zumeist die Palette an digitalen Anwendungen, die unserer Unterhaltung dienen sollten1. In den letzten Jahren haben sich nicht nur die vielfältigen Genres miteinander vermischt, eine Abgrenzung zwischen ihnen ist – und war – oft nur schwer möglich. Neue Genres wie Cyberpunk, Battle Royal und andere sind über die Jahre hinzugekommen. Diese Situation belegt einen permanenten Wandel des Mediums und seiner Spielinhalte, ebenso wie die Ausweitung und Differenzierung von Zielgruppen und Einsatzgebieten. Ein Blick auf aktuelle Statistiken zeigt eine vielgestaltige Situation bezüglich Alter, Geschlecht, Beliebtheit von Genres und der technischen Plattformen2. Das digitale Spiel hat alle Altersstufen, Bildungsschichten und sozialen Gruppen erreicht und wird zurecht als eines der Leitmedien unserer Zeit verstanden (Müller-Lietzkow 2008). Konsequenterweise ist der Wert digitaler Spiele in den letzten Jahren für pädagogischen Zwecke, medizinischen Anwendungen, Aus- und Fortbildungsszenarien erkannt und genutzt worden. Grundlegend für alle Anwendungsbereiche ist die Motivationsqualität, die dem Spielen eigen ist, und im Zusammenhang bei lernorientierten Anwendungen positive Auswirkungen besitzen kann. Diese Motivation kann durch vielfältige Mechanismen ausgelöst werden, beispielsweise Neugier („wie geht die Geschichte weiter“), Ehrgeiz („kann ich die Aufgabe lösen/bewältigen?“) oder Elemente des Wettkampfes bei kollaborativen Spielen. Das digitale Spiel als Lernort etabliert sich zusehend jenseits des reinen Amüsements. Museen3, Gedenkstätten4, Schulen und Ausbildungsstätten sowie andere Bereiche nutzen das Medium zu ihren Zwecken. Zugegebenermaßen stehen wir hier noch am Anfang einer Entwicklung, die ebenso wie das Wesen des digitalen Spielens noch viele Einsatzmöglichkeiten für zukünftige Entwicklungen offenlässt. Anhand einiger Beispiele soll im Folgenden der Aspekt der Nutzung digitaler Spiele für die Bildungsarbeit aufgezeigt werden.

1Zur

Problematik der Genre und Genregrenzen in Computerspielen: Richter (2010), Arsenault (2009) und Clearwater (2011). 2Siehe dazu die aktuellen Statistiken des Game – Verband der deutschen Games-Branche e. V. 3Einen

Einblick in die aktuelle Situation gibt beispielsweise das Projekt museum 4.0, https://www.museum4punkt0.de/ [20.06.2020]. 4Computerspiel „Mauerspechte“: 30 Jahre Einheit in Deutschland auf spielerische Weise entdecken, https://www.berliner-mauer-gedenkstaette.de/de/veranstaltungen-1286,963,5. html [19.07.2020].

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1.1 Die Assassin’s Creed Discovery Serie Assassin’s Creed ist eine Computerspielserie des französischen Publishers Ubisoft. Der erste Titel erschienen 2007, die letzte Version Assassin’s Creed Odyssey ist von 2018. Inhalt ist die Geschichte des Kampfes der Assassinen gegen den Templerorden. Die zeitlichen und räumlichen Manifestationen des Spiels reichen vom alten Ägypten (Assassin’s Creed Origins) bis zur russischen Oktoberrevolution (Assassin’s Creed Chronicles Russia). Bemerkenswert ist neben der spieltechnischen Qualität der Wert, der auf die seriöse Rekonstruktion der historischen Orte gelegt wird. Diese bildet für eine große Zahl der Spielenden einen besonderen Reiz und ist eine der herausragenden Qualitäten der Serie. Hierzu werden im Vorfeld umfangreiche Recherchen in Zusammenarbeit mit Historikern und Archäologen vorgenommen. So sind in aufwendig erstellten, digitalen Rekonstruktionen die Stadt Paris zur Zeit der Französischen Revolution, Boston zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges, das Florenz der Renaissance ebenso wie das alte Ägypten als Spielwelt am Computer erlebbar. Der Wunsch der Nutzer*innen nach historisch exakt dargestellten Örtlichkeiten anstelle von Fantasieszenarien war bei der Entwicklung der Serie dem Publisher Ubisoft bewusst. Konsequenterweise entschloss sich das Unternehmen 2018 die vorhandenen Spielwelten als „virtuelles Museum“ zugänglich zu machen. Das erste Ergebnis dieses Experiments war Assassin’s Creed Origins Discovery Tour (Abb. 1). Der Unterschied zum eigentlichen Spiel ist, dass es kein Spiel im herkömmlichen Sinne mehr ist, da alle Spielelemente (Quests, Rätsel und Story) weggefallen sind. Man kann sich zwanglos in der Welt des alten Ägypten bewegen. Hinzugekommen sind thematische Führungen, die mit zusätzlichen Informationen versehen sind. Ubisoft zu diesem Produkt: „Wir wollten die Entdeckungstour jedem zugänglich machen“, sagt Maxime Durand, Historiker der Assassin's Creed-Reihe. „Das bezieht sich nicht nur auf den Inhalt, sondern auch das Spieldesign. Die Startpunkte aller Touren sind in der 3D-Welt physisch erreichbar. Allerdings kann man die Touren auch über die 3D-Karte auswählen, mit dem Adler ins Auge fassen und per Schnellreise erreichen oder das Inhaltsmenü durchsuchen und von dort aus sämtliche Touren direkt beginnen.“5

5https://assassinscreed.ubisoft.com/game/de-de/news-updates/332957/discovery-tour-byassassin-s-creed-ancient-egypt [20.06.2020].

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Abb. 1   Assassin's Creed Discovery Tour, https://static.ubi.com/0071/Assassins_Creed_ Origins/000031846_engb_DiscoveryTour001.png

Ubisoft ließ von der Universität in Montreal eine Studie durchführen, um die Effektivität des Mediums als Lernsoftware im Schulunterricht zu belegen6. In Zusammenarbeit mit Museen lokalisierte Ubisoft das Produkt auch für den Einsatz in musealen Ausstellungsräumen. Diese Lokalisierung erfolgt u. a. durch Bezugnahme auf konkrete Sammlungsobjekte (Abb. 2). In der zweiten Version der Discovery Tour, diesmal lokalisiert im antiken Griechenland, wurde die Struktur an einigen Stellen überarbeitet. Es finden sich nun bei den Touren spezielle Führer als Ansprechpartner. Zusätzlich ist ein Quiz integriert, dessen Lösung neue Bewegungsmöglichkeiten freischaltet. Eine Neuerung gegenüber dem eigentlichen Spiel ist zudem die Einbindung von realen Museumsobjekten als weitergehende Informationsquellen und historische Belege, allerdings erfolgt ihre Nutzung in einer eng begrenzten Auswahl. Auf Anfrage einzelner Museen erfolgte wiederum die Einbindung weiterer

6In

dem Presseheft findet sich ein Aufsatz von Marc-André Ethier zur dieser Studie.

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Abb. 2    Assassin's Creed Origins Discovery Tour, https://store.ubi.com/dw/image/v2/ ABBS_PRD/on/demandware.static/-/Sites-masterCatalog/default/dw5e06f242/images/larg e/5a7d728d0c8ee45b54018f23-8.jpg?sw=783&sh=440&sm=fit

musealer Sammlungsobjekte. Die Integration musste allerdings über direkte Manipulation des Anwendungscodes erfolgen.

1.2 Attentat 1942 Die Wertschätzung der Glaubwürdigkeit des (historischen) Spiels und seiner Quellen durch die Konsumenten nimmt stetig zu. Die Hinzuziehung von Experten aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen ist eine Möglichkeit, dieses Ziel zu verfolgen, eine andere das Zitieren von historischen Quellen als Dokumente, Fotografien oder Artefakte. In dem 2017 veröffentlichten Spiel Attentat 1942 ist das Attentat auf den Reichsprotektor Reinhard Heydrich Thema der Handlung. Der Spieler wird durch ein Gespräch mit der Großmutter der Protagonisten auf das historische Ereignis aufmerksam, da die Großeltern aktiv in das Geschehen eingebunden waren und als Zeitzeugen fungieren. Dem Spieler stellt sich nun die Aufgabe, dieses Ereignis durch Interviews und Dokumente nachzuvollziehen (Abb. 3).

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Abb. 3   Attentat 1942, Interview mit der Großmutter, Screenshot

Im Laufe des Spiels erhält man durch weitere Interviews mit Zeitzeugen und durch Objekte verschiedenster Art weitere Informationen. Diese Objekte sind zum Teil für das Spiel erstellte, fiktive, aber auch historische Objekte, die allerdings ohne Quellenangaben bereitgestellt werden und damit teilweise willkürlich erscheinen. So sind die Fotografien aus einem KZ ohne Orts- und Zeitangaben, ihre Herkunft nicht belegt (Abb. 4).

Abb. 4   Attentat 1942, Objekte aus dem Besitz des Großvaters, Screenshot

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Abb. 5   MS Flightsimulator 2020, Screenshot aus dem Preview der Gamestar https://www. youtube.com/watch?v=LXqriJJOBLI&t=112s

Dies ist bedauerlich, da gerade zur Geschichte des dritten Reiches, der Judenverfolgung, der Straf-, Arbeits- und Konzentrationslager zahlreiche digitale Quellen aus Archiven und Sammlungen im Internet zur Verfügung stehen.7

1.3 Microsoft Flugsimulator 2020 Mit der neuesten Version des Flugsimulators beschreitet Microsoft neue Wege im Bereich der Nutzung und Verarbeitung von frei zugänglichen Daten. Bislang war die virtuelle Welt des Simulator integraler Bestandteil des Programmcodes. Add-Ons ermöglichten die Erweiterung des Grundsystems durch zusätzliche detaillierte Regionen der Welt. In der neuen Version, die dieses Jahr erscheinen soll, wählte man einen alternativen Ansatz (Abb. 5). Das Revolutionäre besteht in der Art und Weise, wie die Umwelt, also die Landschaft, die architektonischen Details, das Wetter und der Flug- und Schiffsverkehr, entsteht. Im Gegensatz zum bisherigen Verfahren, in dem die Umgebung

7Siehe

dazu den Überblick auf der Website der European Holocaust Research Infrastructure: https://portal.ehri-project.eu/ [20.06.2020].

146

W. Bergmeyer

fester Bestandteil des Programmes war, erfolgt nun eine Berechnung auf Basis der Nutzung von Schnittstellen zu unterschiedlichen Onlinequellen. Primär werden die Informationen direkt von Bing Maps8 und der Microsoft Azure Cloud9 abgerufen und zum Landschaftsmodell gerendert. Das hat zwei wichtige Änderungen zum bisherigen Vorgehen zur Folge. Erstens steht die komplette Welt, soweit sie Eingang in die verwendeten Datenquellen gefunden hat, zur Verfügung. Man kann einen beliebigen Punkt auf der Erde anwählen und man erhält eine detaillierte virtuelle Umgebung, die auf realen Daten basiert. Natürlich müssen an mehreren Stellen Objekte interpoliert werden, z. B. die Details von Wald-, Wiesen- und Grasflächen in der Nahansicht. Damit werden die bisherigen Add-Ons aber überflüssig. Zweitens sind diese Quellen in ständiger Erweiterung und Verbesserung. Dies führt somit auch zu einer stetigen Optimierung der virtuellen Welt des Simulators. Aber die Entwickler sind hier noch einen Schritt weiter gegangen. Aktuelle Wetterdaten werden von Bing abgerufen und auf Wunsch eingerechnet. Zudem ist geplant, die Daten von Flightradar10 und Schiffsradar11 zu integrieren, um den aktuellen Flug- und Schiffsverkehr einzubinden. Erste Tests sprechen von erstaunlich detaillierten Geländemodellen und Wiedergabe der Bebauung, allerdings zeigten sich hier auch die vermeintlichen Nachteile dieses Ansatzes. Fehlerhafte oder fehlende Daten in den Quellsystemen ergeben unvollständige oder unzutreffende visuelle Umsetzungen in der Simulation. Offenbar wollen die Programmierer aber hier nicht per Hand nachbessern, sondern setzen auf die fortschreitende Verbesserung der Quellenlage über die Zeit (Abb. 6). Mit diesem Programm reizt Microsoft das momentan Machbare aus und setzt neue Maßstäbe. Die Verwendung von Internet-Quellen in einem Simulator/Spiel in diesem Umfang ist neu und zeigt den Weg auf, den eine machine-to-machine basierte Informationsaufbereitung bieten kann. Aus einem geschlossenen System wird eine Informationsverarbeitungsmaschine, die uns mehr bietet als die einzelnen Informationselemente allein.

8https://www.bing.com/maps

[20.06.2020]. [20.06.2020]. 10https://www.flightradar24.com/ [20.06.2020]. 11https://schiffsradar24.de/ [20.06.2020]. 9https://azure.microsoft.com/de-de/

Games als Lernort – Offene digitale Quellen als Chance

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Abb. 6   MS Flightsimulator 2020, Screenshot aus dem Preview der Gamestar https://www. youtube.com/watch?v=LXqriJJOBLI&t=112s

2 Neue Möglichkeiten Die Discovery-Touren von Ubisoft sind Antworten auf den Wunsch nach wissenschaftlich belegten virtuellen Welten, die man sich durch eigene Entdeckungsreisen erschließen kann. Historische Objekte aus Museumssammlungen dienen hier als Belege. In Attentat 1942 werden historische Objekte zu Hinweisen der Rekonstruktion historischer Ereignisse verwendet, wenn auch leider nicht deutlich abgegrenzt zu fiktiven Dokumenten. Im MS Flightsimulator 2020 können wir demnächst erleben, wie durch Nutzung offener Datenquellen ein virtuelles Abbild unserer Erde erzeugt wird, dessen Realismus nicht zuletzt durch stetig wachsende Quantität und Qualität dieser Daten bestimmt wird. Was kann diese Entwicklung für die Bedeutung offener Datenquellen und genauer für die Arbeit der Gedächtnisinstitutionen bedeuten? Erstens ist zu konstatieren, dass der Bedarf an digitalen, durch Applikationen zu verarbeitenden offenen Daten zunimmt. Zweitens, dass hier eine Chance, ja sogar eine Verpflichtung für Institutionen aus dem Kulturbereich im weitesten Sinne vorhanden ist, ihre Informationen über Services und Schnittstellen zur Verfügung zu stellen.

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Wie haben diese Institutionen bislang auf dieses gesteigerte Bedürfnis nach Informationsbereitstellung reagiert?

2.1 Öffentliche Kulturportale Als 2005 in einem gemeinsamem Brief mehrerer europäischer Staatsführer der Aufbau eines digitalen europäischen Kulturportals gefordert wurde, stand dahinter die Befürchtung, unser kulturelles Erbe liefe Gefahr durch amerikanische Datensammlungssysteme, allem voran der Suchmaschine Google, der eigenen Verantwortung und Kontrolle entzogen zu werden (siehe dazu Lehmann 2006). Der mit diesem Projekt einhergehende Wunsch, die europäische Kultur in digitaler Form allen zur Verfügung zu stellen, stellte sowohl die Betreiber des Portals wie auch an die Datenlieferanten in Bibliotheken, Archiven und Museen vor eine Reihe neuer Anforderungen. Das daraus entstandene europäische Kulturportal Europeana enthält mittlerweile über 59 Mio. Datensätze aus allen Mitgliedsstaaten. Zur Verbesserung der nationalen Datenbereitstellung wurde 2014 die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) veröffentlicht12, die eigenständig arbeitet, aber auch für weiteren Datenzufluss zur Europeana sorgt. Sie umfasst mittlerweile ca. 32 Mio. Einträge (Abb. 7). Der Zugriff auf diese Informationen aus Bibliotheken, Archiven und Museen kann über zwei Wege erfolgen. Sowohl Europeana wie auch die Deutsche Digitale Bibliothek ermöglichen einfache und komplexe Abfragen durch die Nutzer über die Website. Für die Nutzung aus Applikationen heraus bieten beide aber auch APIs (Application Programming Interface) an, die den automatisierten Datenaustausch unterstützen. So wie der MS Flight Simulator 2020 seine Informationen aus Bing Maps und anderen Quellen bezieht, wäre es also auch jetzt bereits möglich, die Inhalte von Europeana und DDB in den Anwendungen zu nutzen. Das bedeutet, dass bereits zu diesem Zeitpunkt vielfältige Informationen zur Kultur auf Objektebene zur Verfügung stehen. Beide Portale bieten diese Daten unter der CCO-Lizenz an, d. h. es stehen keine rechtlichen Schranken der Nutzung im Wege und daher ist auch eine kommerzielle Nutzung nicht ausgeschlossen. Erst vor kurzem präsentierte das Landesamt für Archäologie Sachsen seine neue Website archaeo 3D13, auf der Sammlungsobjekte als 3D-Scans

12www.ddb.de

[20.06.2020]. [19.06.2020].

13www.archaeo-3D.de

Games als Lernort – Offene digitale Quellen als Chance

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Abb. 7   Suchergebnisse „Akropolis“ und „Athen“ in der Deutschen Digitalen Bibliothek und Europeana

Abb. 7   (Fortsetzung)

zu betrachten sind und zugehörige Informationen eingestellt sind. Zwar gibt es (momentan) noch keine Möglichkeit, diese Daten in anderen Umgebungen zu nutzen, dennoch ist hier ein zusätzliches, spannendes Angebot im Entstehen.

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Abb. 8   Die Website archaeo 3D des Landesamtes für Archäologie Sachsen

Wären solchen Objekte nicht sinnvoll in Spielumgebungen oder EdutainmentAnwendungen einzubinden (Abb. 8)?

2.2 Die Zukunft digitaler Informationsverarbeitung Das Schlagwort Digitalisierung wird allenthalben als Synonym für einen tiefgreifenden Veränderungsprozess in der Arbeitswelt, der Gesellschaft und Kultur verstanden. Der entscheidende Moment hierbei ist aber keineswegs die Umwandlung analoger Informationen in digitale Datenreihen, sondern diese bilden erst die Basis für die eigentliche Neuerung: die automatisierte, durch Algorithmen gesteuerte Informationsaufbereitung in komplexen Datennetzen und neuen Formen der Datenvisualisierungen. Europeana und Deutsche Digitale Bibliothek zeigen, dass bereits Anstrengungen unternommen werden, unsere nationalen und europäischen Kultur(en) für einen möglichst breiten Nutzerkreis einfach und umfassend bereitzustellen. Dies ist eine gewaltige Aufgabe. Für die Institutionen bedeutet dies, neue Arbeitsfelder zu etablieren. Das diese Aufgabe nicht trivial ist, liegt auf der Hand. Die Institutionen benötigen über bisherige Ausstattung hinaus personelle und technische Unterstützung. Andererseits stellt sie die digitale Informationswissenschaft vor große Herausforderungen. Wie müssen die Daten aufbereitet werden,

Games als Lernort – Offene digitale Quellen als Chance

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um dieses Ziel zu erreichen? Wie ist zu gewährleisten, dass diese zu erwartenden, riesigen Datenmengen adäquat zu nutzen sind? Und nicht zuletzt: Wie können wir sicherstellen, dass die verfügbaren Datenmassen vertrauenswürdig sind?

2.3 Die Idee des Semantic Web Für die Umsetzung dieser Vision entwickelte Tim Berners-Lee und andere ein ambitioniertes Konzept: das Semantic Web (Berners-Lee und Fischetti 2011). Es basiert auf einer Reihe von Werkzeugen, die es ermöglichen sollen, die immer größer werdenden Datenmengen domainübergreifend in Beziehung zu setzen, um relevante und zutreffende Recherchen und Aussagen zu erzielen14. Damit werden Datenverarbeitungssysteme in die Lage versetzt, auf Grundlage der machineto-machine Kommunikation eigenständig bestehende Informationen inhaltlich durch andere digitale Quellen anzureichern. Daten aus unterschiedlichen Quellen können sich zu neuen Aussagen zu Personen, Objekten und Ereignissen verbinden. Ohne an dieser Stelle auf alle technischen Bestandteil dieses Konzeptes einzugehen, soll ein Aspekt näher betrachtet werden.

2.4 Linked Open Data Linked Open Data (LOD) sind miteinander in Beziehung stehende Daten, die unter einer offenen Lizenz stehen und auch für kommerzielle Zwecke genutzt werden können. Es ist ein internationales, multilinguales Netzwerk aus Informationen zu den verschiedensten Informationsbereichen. Anbieter von Informationssystemen haben in den letzten zehn Jahren zunehmend erkannt, dass ihre Informationen nur dann umfassend genutzt werden können, wenn sie kostenfrei und über einen Schnittstellenservice angeboten werden15. Darüber hinaus müssen sie in Beziehung zu anderen digitalen Quellen gesetzt werden, um ein zuverlässiges Informationsnetzwerk zu bilden.

14Zu

den Standards des Semantic Web zählen URI, RDF, OWL, TIF und SPARQL. Im LOD-Netzwerk werden die Daten unter Berücksichtigung dieser Standards angeboten. 15Siehe beispielsweise das Vorgehen der vom Getty Research Institute eingebundenen Thesauri. Nähere Informationen dazu unter: https://www.getty.edu/research/tools/ vocabularies/lod/ [19.06.2020].

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Abb. 9   Rechercheergebnis in Wikidata nach „Parthenon“

2.5 Ein Knotenpunkt: Wikidata Wikidata wurde 2012 von Wikimedia Deutschland ins Leben gerufen und ist eine Wissensdatenbank sowie ein Datenknotenpunkt für offene Daten. Zunächst bildeten die Inhalte von Wikipedia den Schwerpunkt der Daten, jedoch wurden in den letzten Jahren zunehmend zusätzliche Datenquellen durch Datenimporte aber vor allem durch eine intensive Zuarbeit der Tausenden von freiwilligen Mitarbeitern integriert. Wikidata ist weniger für den menschlichen Benutzer als vielmehr für Datenverarbeitungssysteme konzipiert. Von den massiv ansteigenden Informationseinheiten sind nicht zuletzt eindeutige Identifier von Bedeutung, die eine Verknüpfung zu externen, frei zugänglichen Quellen bieten. Am Beispiel der Suche nach „Parthenon“ soll dies veranschaulichen. Unter den externen Quellen findet sich beispielsweise die „Arachne building ID“ (Abb. 9). Diese führt uns zur Arachne Datenbank16, der Objektdatenbank und dem kulturellen Archiv des Archäologischen Instituts der Universität zu Köln und 16https://arachne.uni-koeln.de/drupal/

[20.06.2020].

Games als Lernort – Offene digitale Quellen als Chance

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Abb. 10   Weiterleitung auf die Website von Arachne

des Deutschen Archäologischen Instituts. Hier finden wir weitere Informationen in Text und Bild zum Objekt, die frei genutzt werden können. Auch mittels der anderen Identifier aus Wikidata stehen zusätzliche Informationen zur Verarbeitung bereit. Es erschließt sich also ein ganzes Informationsuniversum mit einer stetig steigenden Anzahl frei verfügbarer Quellen, die in einer Form vorliegen, die eine maschinenbasierte Weiterverarbeitung ermöglichen (Abb. 10).

3 Schlussfolgerungen Die Welt, in der wir leben, arbeiten, lernen und handeln, ist in einem Wandel begriffen, der auch für die Aufgaben von Museen und anderen Institutionen nicht ohne Konsequenzen bleiben kann. Neben den unbestreitbaren Qualitäten und Notwendigkeiten realer Ausstellungen wird die digitale Repräsentation der Sammlung zu einem zusätzlichen Aufgabenfeld, dessen Bedeutung weiter

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steigen wird. Angesichts der Flut von Daten, auch aus dem Kulturbereich, sind die Museen als öffentliche und/oder gemeinnützige Institutionen aufgefordert, ihrer gesellschaftlichen Aufgabe auch im digitalen „Raum“ nachzukommen. Die Motivation kann dabei nicht allein der Wunsch nach neuen Museumbesuchern sein, sondern als vertrauenswürdige Institutionen erkannt zu werden, die vertrauenswürdige Informationsquellen einbringen. Dazu gehört selbstverständlich auch immer die kritische Überprüfung der Aktivitäten unter ethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Aspekten. Die Bereitstellung musealer Objekte und ihrer Dokumentation bietet den Museen die Möglichkeit, ihre wissenschaftlich fundierten Informationen zu historischen Objekten, ihre Vertrauenswürdigkeit als Institutionen und ihre virtuellen Repräsentationen (Bild, 3D-Objekt) der Sammlungsobjekte für diverse Zwecke zur Verfügung zu stellen. Dazu kann auch ein Computerspiel zählen, wenn wissenschaftliche Zuverlässigkeit und historische Authentizität gefordert sind. Dieser „digitale“ Wandel birgt wie alle Neuerungen Chancen und Gefahren. Dass die Auseinandersetzung mit dieser Veränderung und die dadurch gewonnene Handlungsverpflichtungen eine Ausweitung des Aufgabenspektrums bedeuten, ist nicht zu leugnen. Die Institutionen müssen deshalb personell, technisch und finanziell in die Lage versetzt werden, diesen Anforderungen genügen zu können. Aber auch die Entwickler von Computerspielen, nicht zuletzt von Serious Games, sollten die Chancen der Integration offener Datenquellen aus dem Kulturbereich erkennen und als Bestandteil von Anwendungen aktiv nutzen.

Literatur Arsenault, D. (2009): Video Game Genre, Evolution, and Innovation. In: Eludamos. Journal for Computer Game Culture 2009 (Vol. 3). Online verfügbar unter https://www. eludamos.org/index.php/eludamos/article/view/vol3no2-3 [19.06.2020]. Berners-Lee, T., & Fischetti, M. (2011). Weaving the web: The original design and ultimative destiny of the World Wide Web by its inventor. New York, NY: HarperBusiness. Clearwater, D. A. (2011): What Defines Video Game Genre? Thinking about Genre Study after the Great Divide. In: Loading - The Journal of the Canadian Game Studies Association, 2011 (Vol. 5), S. 29–49 Gehlen, D. von (2013): Eine neue Version ist verfügbar - Update. Wie die Digitalisierung Kunst und Kultur verändert. 1. Aufl. Berlin: Metrolit-Verl. Online verfügbar unter https://www.enviv.de/impressum/ [19.06.2020]. Lehmann, K.-D. (2006): Die unendliche Bibliothek – ein Zuruf. S. 103–116 in Jeanneney, Jean-Noël: Googles Herausforderung. Für eine europäische Bibliothek. Wagenbach, Berlin 2006.

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Müller-Lietzkow, J. (2008): Zwischen Rentabilität und Kulturmedium – Digitale Spiele Weit mehr als eine rational-ökonomische Rentabilitätsrechnung, in: Zimmermann, Olaf und Geißler, Theo (Hrsg.): Streitfall Computerspiele: Computerspiele zwischen kultureller Bildung, Kunstfreiheit und Jugendschutz, Berlin 2008, S. 112-114. Richter, A. (2010): Klassifikationen von Computerspielen. Zugl.: Jena, Univ., Magisterarbeit, 2009. Potsdam: Univ.-Verl. (DIGAREC series, 05).

Interview mit Thomas Horky Benjamin Bigl

Zusammenfassung

Thomas Horky ist seit 2009 Professor für Sportjournalismus an der Macromedia Hochschule Hamburg. Die Schwerpunkte Horkys wissenschaftlicher Arbeit liegen auf dem Sportjournalismus, dem Verhältnis zwischen Sportjournalismus und Unterhaltung sowie dem Thema Mediensport und Inszenierung. Wir sprachen mit ihm über den Trend E-Sport auf dem Weg zur Anerkennung als Sportart. Schlüsselwörter

Computerspiele · E-Sport · Sportart · Anerkennung

1. E-Sport liegt derzeit voll im Trend. Was ist E-Sport überhaupt? E-Sport ist erst einmal ein Kunstwort und die Abkürzung für „elektronischen Sport“. Das sagt im Grunde auch schon alles. Es handelt sich dabei um Sportwettkämpfe, die über den Computer gespielt werden. Das können kompetitive, also wettkampforientierte Computerspiele aller Art sein wie Sportsimulationen der Fifa-Reihe, wo Fußball auf dem Computer gespielt wird. Es können auch sogenannte Killerspiele sein, aber auch Strategie- oder Taktikspiele.

B. Bigl (*)  Medienpädagogisches Zentrum +, Torgau, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6_14

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B. Bigl

2. Ist E-Sport gleichzusetzen mit echtem Sport? Erst einmal steckt natürlich das Wort Sport im E-Sport drin, deswegen würde man sehr schnell antworten „ja klar!“. Aber wie gesagt, das ist ein Kunstwort und im Moment gibt es unterschiedliche Positionen, ob das ein Sport ist oder nicht. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat E-Sport bisher nicht als Sportart aufgenommen, was nicht heißt, dass es kein Sport ist. Auch das IOC hält sich bedeckt. Allerdings hat das IOC unlängst bekanntgegeben, dass es eine der zukünftigen Demonstrationssportarten im olympischen Programm sein könnte. Ich bin da sehr vorsichtig, aber ich glaube, dass die Frage eigentlich unerheblich ist, denn E-Sport wird als Sport betrieben. Es gibt sehr viele Parameter, die den klassischen Sport ausmachen wie Wettkampf, körperliche Anstrengung, Training und Ähnliches. Deswegen ist es aus meiner Sicht sowieso eine persönliche Definition, was für jemanden Sport ist. Wenn es ein wettkampforientiertes Computerspiel ist, dann kann man das gerne als Sport bezeichnen. 3. Woran liegt die Popularität dieser Freizeitgestaltung? Wir leben in einer digitalen Welt. Immer mehr Menschen sind online und vor allen Dingen ist die jüngere Generation online. Und in dieser Generation ist das Spielen am Computer eines der Haupttätigkeiten in der Freizeit. Das heißt aber auch, dass das eine nachwachsende Spiele-Generation ist. Das hat schon früh begonnen in den 1980ern und ist jetzt zu einem ganz großen Massenphänomen geworden. In Deutschland ist das Interesse an E-Sport in Teilen so groß wie an Fußball und dementsprechend ist das ein Phänomen der Digitalisierung von unserer Lebenswelt. Dazu kommt, dass der Sport ja per se online digital ist, daher nicht an Räume und Zeit gebunden ist und weltweit verfolgt werden kann. Man ist auch nicht mehr so sehr an Wettkampfstätten gebunden, das macht ihn sehr einfach in der Distribution und auch in der Rezeption für die Zuschauer. 4. Warum stemmen sich die Verbände Ihre Meinung nach gegen diesen Trend und diese Auffassung? Das ist eine schwer zu beantwortende Frage, denn es hat etwas damit zu tun, wer das eigentlich herstellt und wer sozusagen – ganz verkürzt – das Urheberrecht an diesem Sport hat. Beim Sport hat es normalerweise der Mensch, der eine Tätigkeit ausübt. Hier ist aber auch ein Spiele-Betreiber mit im Rennen, der eine Lizenz dafür vergibt. Das ist daher eine Grundproblematik, welche die Definition des Sports schwierig macht. Die Anerkennung als Sportart beim DOSB hätte dann auch Konsequenzen vor allen Dingen finanzieller Art, da geht es um Fördermittel und Ähnliches. Dementsprechend kann ich den DOSB auch verstehen, wenn er sehr kritisch mit dem

Interview mit Thomas Horky

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Thema umgeht. Das Procedere der Aufnahme von Sportarten beim DOSB ist ja durchaus klar geregelt, hat aber einige Tücken. Es muss Nachwuchsarbeit nachgewiesen werden, es muss eine Antidoping-Regelung und auch Bekämpfung nachgewiesen werden und so weiter. Das wird sicherlich noch einige Zeit dauern. Ob das überhaupt kommt, vermag ich nicht zu beurteilen. Bisher hat sich der DOSB klar dagegen positioniert. Aber noch mal: letztendlich ist es auch egal, ob es ein Sport ist oder nicht. Es ist ein Phänomen, was sehr groß ist, was sportlich betrieben wird und sich zukünftig weiter entwickeln wird. Daher ist es für mich als Sportkommunikationswissenschaftler auch sehr interessant. 5. Wie sieht die Zukunft des E-Sports aus? Für mich als Sportkommunikationswissenschaftler ist es hochgradig interessant, wie Massenmedien zukünftig mit dem Thema E-Sport umgehen müssen und werden und vielleicht auch sollten. Die Berührungsängste der klassischen Medien sind derzeit noch relativ groß. Das Phänomen betrifft ja auch das Live-Streaming von Privatpersonen und dort wird es einen erheblichen Wandel in der nahen Zukunft geben. Sind Live-Streaming-Angebote rundfunklizenzpflichtig, wie ist das mit Jugendschutz, denn viele Spiele sind durchaus gewalthaltig und dürften entsprechend des Jugendmedienschutzes im Rundfunk gar nicht zu bestimmten Zeiten gesendet werden. Das zweite Phänomen, was ich beim E-Sport interessant finde, ist die Internationalisierung. Wir kommen auf einmal in Kontakt mit den Südkoreanern und anderen E-Sportlern aus der ganzen Welt. In vielen Ländern ist das Spiel dann extrem groß, sehr viel größer als bei uns in Deutschland. Was auch sehr spannend ist, dass wir es mit sehr unterschiedlichen, ich nenne es jetzt mal Disziplinen zu tun haben. Angefangen von den genannten Killerspielen, Strategie-, Taktik- bis hin zu Sportsimulationen. Dort wird es spannend zu sehen, wie sich das ausdifferenziert. Man sieht das jetzt schon in Deutschland, wenn mittlerweile von einigen Fußball-Bundesliga-Vereinen auch E-Sport-Teams organisiert werden. Das hat Auswirkungen auf die Vermarktungs-Ebenen der Vereine und der Verbände. Viele dieser Entwicklungen werden Wirkungen auch auf andere Sportarten haben und bei der Forschung zum E-Sport sind sie wie unter einem Brennglas zu beobachten.

Zukunft des Gaming

Gaming quo vadis? Zukünftige Potenziale von Computerspielen sowie von virtuellen und interaktiven Medientechnologien (V/XR) am Beispiel Sachsen Benjamin Bigl Zusammenfassung

Die Popularität von Computerspielen und interaktiven Unterhaltungsmedien ist weltweit ungebrochen. Mehr als 34 Mio. Deutsche spielen regelmäßig Games, mit über sechs Milliarden Euro Umsatz pro Jahr ist die Branche mittlerweile ein bedeutender Wirtschaftszweig. Viele Standortfaktoren spielen bei Gründung, Wachstum und Ansiedlung von Unternehmen eine entscheidende Rolle, branchenspezifische Gründe und Markteintrittsbarrieren der Branche können als ursächlich dafür betrachtet werden, dass zum wirtschaftlichen Erfolg der Branche in Deutschland ansässige Unternehmen jedoch nur einen geringen Beitrag leisten. Der Beitrag stellt am Beispiel des Freistaates Sachsen eine empirische Untersuchung vor, welche der Frage nachgeht, wie die Games- und V/XR-Branche insgesamt aufgestellt ist und welche zukünftigen Maßnahmen notwendig sind, um Ansiedlung und Verbleib von innovativen (Einzel-) Unternehmen und Startups zukünftig zielgerichtet fördern zu können. Schlüsselwörter

Computerspiel · Standortanalyse · Sachsen · Interaktion · VR · Apits

B. Bigl (*)  Medienpädagogisches Zentrum+, Torgau, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6_15

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1 Einleitung Rund um den Globus entwickeln sich Games-Märkte mit einer unvergleichlichen Dynamik. Kaum ein anderes Unterhaltungsmedium ist so kontinuierlich und so stark gewachsen – sowohl im Hinblick auf die Nutzerzahlen als auch auf den wirtschaftlichen Umsatz. Der Bundesverband GAME weist für 2019 bereits einen Umsatz von 6,2 Mrd. EUR aus (GAME 2020a). Allerdings entfallen nur 4,3 % der Umsatzerlöse auf deutsche Spieleentwicklungen (GAME 2019, S. 26), obwohl über 34 Mio. Menschen in Deutschland regelmäßig im Schnitt sieben Stunden pro Woche (Limelight 2020) Games spielen. Deutschland gehört damit zum Top Konsumentenland weltweit, die zentralen Erlöse der Wertschöpfungskette finden jedoch außerhalb Deutschlands statt. Unter einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive liegen die Herausforderungen dieser Entwicklungen im Bereich des Medienwandels und der Mediatisierung der Gesellschaft (Krotz 2001). Für die Kommunikationswissenschaft als einer Querschnittsdisziplin gilt es dabei, das wissenschaftliche Werkzeug der Analyse (vgl. Neuberger 2014) – zu dem hier ausdrücklich auch die Theorieentwicklung zu zählen ist – den sich überschneidenden klassischen Wissenschaftsgrenzen anzupassen. Als Massenkommunikationsmedium (Bigl 2016, S. 56) finden Computer- und Videospiele konsequenterweise zunehmend Beachtung innerhalb des Faches. Als typisch für den Gegenstand wird Interaktivität angesehen (im Überblick Quiring und Schweiger 2006). Im sozialwissenschaftlichen Sinn bedeutet Interaktion immer die Kommunikation von Menschen mit Menschen, dafür bedarf es „einer bestimmten zeitlichen Folge sowie einer sachlichen und sozialen Bezugnahme.“ (Neuberger 2014, S. 46). Damit ist Computerspielen als Tätigkeit nur eine Variation des klassischen Spielens in Gemeinschaft (Huizinga 1939). Neuere Entwicklungen wie 3D- bzw. Virtual-Reality-Brillen erweitern jedoch den klassischen Spielkreis (vgl. Fritz 2004) räumlich, zeitlich sowie soziokulturell und reichen mit ihrer Technologie in andere Märkte und Branchen hinein. Virtual Reality ist in dieser Hinsicht „[…] ein Computersystem, das aus geeigneter Hardware und Software besteht, um die Vorstellung einer virtuellen Realität zu realisieren. Den mit dem VR-System dargestellten Inhalt bezeichnen wir als Virtuelle Welt.“ (Dörner et al. 2013, S. 7) Im Mittelpunkt aller interaktiven (Unterhaltungs-) Medientechnologien steht jedoch das kognitive Erleben von virtuellen Abenteuern im Mittelpunkt, die im Grenzbereich zur Kunst angesiedelt sind und uns das erleben lässt, was im Alltag nicht möglich ist. Virtualität ist dann „[…] ein spezifisches subjektives Erleben einer virtuellen (Computerspiel-) Welt, eingebettet in eine technologiebasierte, interaktive Plattform. Die Integration und Nutzung verschiedener Ein- und Ausgabetechniken sowie das Ansprechen verschiedener

Gaming quo vadis?

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Sinnesmodalitäten ermöglichen dem Spieler eine kognitive Erfahrung, die einer physikalisch existierenden Wirklichkeit nachempfunden ist, dieser jedoch nicht entspricht oder diese um weitere Dimensionen erweitert.“ (Bigl 2016, S. 125). Aufgrund beider skizzierten Eigenschaften von Games – der Fähigkeit eine virtuelle Realität zu erschaffen, die aufgrund ihres Interaktivitätspotenzials Spieler tiefer in sie eintauchen und Abenteuer erleben lässt, als das mit den traditionellen analogen Medien (bspw. Bücher) möglich wäre – dominierte in der öffentlichen Wahrnehmung lange eine nicht enden wollende Debatte um mögliche negative Auswirkungen von Computerspielen auf Heranwachsende (vgl. Fischer et al. 1996). Im Zusammenhang mit Amokläufen an Schulen Ende der 1990er Jahre erreichte diese Debatte regelmäßig Peaks in der medialen Aufmerksamkeit (vgl. Verhovnik 2015). Auch wenn der umfangreiche Forschungsstand diesbezüglich wenig eindeutig ist (vgl. Elson und Ferguson 2014), ist diese Debatte auch heute noch sichtbar in einer verzerrten und von Stereotypen geprägten Medienberichterstattung über Computerspiele und -spieler (Bigl 2020), welche die Vielfalt der Spiele sowie die Vielfalt der Kreativbranche (vgl. Statista 2018, 2020; USK 2020) insgesamt nicht wiedergibt. Erst Anfang der 2000er Jahre – und möglicherweise parallel zur wachsenden Popularität von und mit der Medienaufmerksamkeit gegenüber den großen Branchenmessen (vgl. den Beitrag von Meyer in diesem Band) – gerieten erfolgreiche Unternehmen der Branche in Deutschland in den Fokus positiver medialer Aufmerksamkeit. Zu den wirtschaftlichen Erfolgen dieser Jahre zählten vor allem Spiele aus den Bereichen Wirtschafts- und Sportsimulation aber auch ActionSpiele, wie der im März 2004 veröffentlichte Ego-Shooter „Far Cry“ (Ubisoft 2004) des in Coburg 1997 gegründeten Studios Crytek. Die eigens für das Spiel entwickelte „CryEngine“ galt zum Zeitpunkt der Veröffentlichung als die weltweit technologisch führende Engine zur realistischen Darstellung von Außenwelten. Eine Weiterentwicklung des Studios, Crysis 2 (Electronic Arts 2011), erhielt am 26. April 2012 den Deutschen Computerspielpreis als bestes deutsches Spiel. Die Fachjury hob damals hervor, dass mit dem Spiel erstmalig Entwickler aus Deutschland technologisch, qualitativ und ökonomisch weltweit Publikum und Fachwelt überzeugt und begeistert hätten – das umstrittene Genre der Ego-Shooter bekam damit auch das Prädikat „kulturell wertvoll“ (Lischka und Reißmann 2012). Das Beispiel kann auch heute noch durchaus als herausragend bezeichnet werden. Einerseits gab es seitdem wenige global sichtbare Unternehmen der Branche, die ihren Hauptsitz in Deutschland haben. Andererseits wirft es die Frage auf, welche Standortfaktoren für Gründungen, der Ansiedlung von Unternehmen sowie für das Wachstum der Games-Branche insgesamt wichtig sind (vgl. Castendyk und Müller-Lietzkow 2017).

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Um herauszufinden, ob und inwieweit zukünftig auch Sachsen ein geeigneter Standort für die Branche sein kann, um an dieser rasanten Entwicklung teilhaben zu können, wurde eine erste Standortanalyse für das Bundesland vorgelegt1. Der Beitrag führt zunächst allgemein in den Games-Markt und dessen zentrale Entwicklungen ein. Weiterhin wird der Ist-Stand in Sachsen anhand einiger wichtiger Standortfaktoren sowie Entwicklungen beschrieben und anhand einer empirischen Untersuchung unter sächsischen Games-Akteuren überprüft. Das Fazit des Beitrages legt abschließend fünf Handlungsempfehlungen für eine Weiterentwicklung des Standortes dar.

2 Status quo der Games-Branche Der Games-Branche Deutschlands fehlten bis 2017 insgesamt valide unabhängige Kennzahlen zur Marktstruktur, zur Innovationskraft und zu anderen betriebswirtschaftlichen Indikatoren (vgl. Castendyk und Müller-Lietzkow 2017). Studien zur Nutzung und Verbreitung sowie dem wirtschaftlichen Ertrag beruhen meist auf Erhebungen der großen Branchenverbände GAME (2019), Bitkom (2019), der Interactive Software Federation of Europe (ISFE 2019), der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK 2020) und anderen. Selten wurde im akademischen oder im wissenschaftsnahen Bereich valide oder gar repräsentative Kennzahlen zu Nutzung und Verbreitung erhoben (vgl. MPFS 2018; Quandt et al. 2009; Quandt et al. 2010 & 2013). Im Jahr 2018 nahm die Games-Branche weltweit fast 135 Mrd. Dollar ein – mehr als dreimal so viel, wie im selben Zeitraum an allen Kinokassen der Welt bezahlt wurde (IWD 2019). Die Steigerungsraten des Umsatzes lagen in den vergangenen Jahren bei etwa neun bis zehn Prozent pro Jahr (GAME 2019). Das Zögern von Politik, Öffentlichkeit und auch von Investoren, stärker in diesen Wachstumsmarkt einzutreten, hat in ökonomischer Perspektive vielfältige Ursachen. Ein wichtiger Aspekt ist es, dass die Wertschöpfungskette der Games-Branche sich durch einige Besonderheiten auszeichnet. Neben hohen sogenannten first-copy-costs (d. h. Spielentwicklung, Lizenzgebühren, Verwaltung und Marketing) fallen lediglich die so genannten variablen Kosten der Produktion und Distribution vergleichsweise gering aus (Wirtz 2006, S. 34). Abzüglich der first-copy-costs (38 %), der Handelsspanne (34 %) sowie den Kosten für

1Der

Beitrag basiert auf einem Fachgutachten für die Wirtschaftsförderung der Stadt Leipzig von Gabriele Hooffacker und Benjamin Bigl, vorgelegt am 26.5.2020.

Gaming quo vadis?

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Produktion und Distribution (12 %) verbleiben durchschnittlich nur etwa 16 % der Verkaufserlöse als Gewinn (ebd., S. 535). Markteintrittsbarrieren führten in den vergangenen Jahren dazu, dass Spiele bevorzugt für erfolgreiche Plattformen und von wenigen großen Playern entwickelt wurden (ebd., S. 514) und damit insgesamt eine Orientierung auf den internationalen Markt vorherrschend ist. Das Geschäftsmodell von Nintendo (Abb.  1) verdeutlicht die unternehmerischen Verflechtungen und Beziehungen in der Wertschöpfungskette (Entwicklung, Produktion, Sofware-/Lizenzenmanagement sowie Distribution/ Handel) zu Zulieferern und zu anderen Branchen. Die Rolle der Games-Branche insgesamt als Innovations- und Technologietreiber kann vor diesem Hintergrund jedoch kaum zu hoch eingeschätzt werden. Als Querschnittsbranche kann sie sowohl technologische als auch inhaltliche, gestalterische, narrative und edukative Effekte bei anderen Branchen und Unternehmen erzielen. Wichtige Anwendungsbereiche und Berührungspunkte bspw. für die Konzeption zwei- und dreidimensionaler virtueller und interaktiver Umgebungen

Abb. 1   Geschäftsmodell von Nintendo (Wirtz 2006, S. 537)

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sind die Medizintechnik, die Automobilindustrie, zunehmend KI-basierte2 Unternehmungen und Services aber auch mediale Unterhaltungsformate und -anwendungen wie Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) (vgl. Bigl 2016, S. 141 ff.). Im Bereich der Wirtschaftswissenschaften stehen besonders Aspekte innovativer Telearbeitsformen im Mittelpunkt des Einsatzes VR-Technologien (vgl. Engelien und Bender 1998), in der Medizin finden sich schon seit längerem Anwendungsbereiche in der Ausbildung von Personal (vgl. McCloy und Stone 2001), in der Entwicklung von Prothesen und neuer Eingabeinterfaces (vgl. O’Connor et al. 2000), in der Rehabilitation (vgl. Lutze 2004) sowie auch in der Schmerztherapie (vgl. Mahrer und Gold 2009) um nur einige zu nennen. Unter dem weitfassenden Begriff „APITs – Applied Interactive Technologies“ beschäftigt sich die Forschung schließlich mit der Nutzung von Potenzialen aus Games-Technologien auch für die industrielle Revolution 4.0 (BIU 2015). Das Akronym V/XR soll all diese Erscheinungsformen von Computerspielen, interaktiven und virtuellen Medientechnologien wie VR, AR. Mixed Reality aber auch deren Zusammenspiel mit Elementen der Gamification als Arbeits-, Produktionsund kreatives Darstellungsmittel zusammenfassen. Etwa 616 Unternehmen mit rund 14.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickeln und vertreiben derzeit in Deutschland Games, etwa die Hälfte der Unternehmen davon konzentriert sich ausschließlich auf die Entwicklung, weniger als ein Drittel (27 %) der in der Branche Tätigen, sind Frauen (Game 2020c). Viele Standortfaktoren spielen bei Gründung, Wachstum und Ansiedlung von Unternehmen eine entscheidende Rolle (Castendyk und Müller-Lietzkow 2017, S. 181 ff.) Dazu gehören unter anderem 1. Lebensqualität und Freizeitmöglichkeiten 2. Finanzielle Landesförderung 3. Technische Infrastruktur 4. Verfügbarkeit qualifizierten Personals. Weiterhin müssen aber auch die so genannten weichen Standortfaktoren (bspw. die Zufriedenheit mit dem regionalen Lebensumfeld) mit in die Bewertung des (zukünftigen) Standortes einbezogen werden. Die Gründerszene in Deutschland ist jedoch immer noch sehr gering ausgeprägt, im ersten Halbjahr 2019 waren lediglich 1,6 % aller Unternehmensgründungen (1033 Unternehmen) in

2KI = künstliche

Intelligenz.

Gaming quo vadis?

169

Deutschland Startups, vor allem in Berlin, Bayern, Nordrhein-Westfalen, BadenWürttemberg und Hessen. Das Bundesland Sachsen rangiert mit Platz 9 dabei im unteren Mittelfeld (Neuhaus 2019). Die regionale Entwicklung in den Bundesländern sehr unterschiedlich, meist in Abhängigkeit entsprechender Fördermodelle. In den 1980-er Jahren dominierte Nordrhein-Westfalen. Erst in den vergangenen 15 Jahren verzeichnete Bayern aufgrund entsprechender Förderung einen Zuwachs an kleinen und mittleren Studios (Castendyk et al. 2019). Heute befinden sich weitere Zentren der GamesBranche in Nordrhein-Westfalen im Raum Köln und Düsseldorf, in Frankfurt, im Großraum Berlin in München und in Stuttgart (GAME 2020b). Für Sachsen zeigt die Gamesmap 33 Unternehmen mit Schwerpunkten auf niedrigem Niveau in den Regionen Leipzig, Mittweida und Görlitz auf. Darunter befinden sich neben Unternehmen oder Selbstständigen aber auch Bildungseinrichtungen oder das Haus der Computerspiele, welches sich als Wandermuseum der Sammlung von Computer- und Videospielen widmet. Für gezielte Analysen enthält die Datenbank somit bei weitem nicht alle Unternehmen, die sich zwischen IT- und Kreativbranchen bewegen. Weiterhin werden Freiberufler nicht abgebildet. Die Ausgangslage in Sachsen scheint jedoch günstig. Rund 1.450 Unternehmen sind bereits heute im Bereich der Software-Entwicklung tätig, auch Forschungseinrichtungen arbeiten an globalen Zukunftsthemen (bspw. Industrie 4.0, Smart Factories) sowie im Themenfeld Mobilität der Zukunft (WFS 2020). Auch im Ausbildungsbereich können Punkte genannt werden, welche eine wirtschaftliche Entwicklung der Branche günstig erscheinen lassen. Insgesamt lassen sich an den staatlichen (Fach-) Hochschulen des Freistaates sowie an privaten Hochschulen (bspw. Macromedia Hochschule) und Ausbildungseinrichtungen (SAE Institute, Akademie Deutsche Pop) 18 Studiengänge im engeren Sinne – wie Medieninformatik oder Games Design – identifizieren, dazu kommen 16 weitere Studiengänge in eher allgemeiner ausgerichteten Fächern wie Informatik oder Medienforschung. Mit dem Verband Games & XR Mitteldeutschland, der Mitteldeutschen Medienförderung (MDM) der Industrie- und Handelskammer (IHK), den Regionalbüros des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft sowie des VDE – Verband der Elektrotechnik und verschiedenen Games bezogenen Vereinen (bspw. Leipzig eSports, Kreatives Sachsen e. V.) gibt es auch erste festere (Verbands-) Strukturen, welche sich um die Vernetzung der Akteure untereinander sowie mit der Politik bemühen. Insgesamt betrachtet gibt es nach dem Wegfall der Branchenmesse „Games Convention“ Anfang der 2000er Jahre (vgl. den Beitrag von Meyer in diesem Band) auch punktuelle Bemühungen, die Games-Branche öffentlich sichtbarer zu machen. Neben kleineren regelmäßigen

170

B. Bigl

Events mit begrenzter Reichweite (bspw. das „beta“ Festival in Mittweida) gehört dazu die jährliche Messe „DreamHack“, als einem Ableger des weltweit größten digitalen Festivals (u. a. mit professionellen eSports-Turnieren), sowie die „Lange Nacht der Computerspiele“ (LNC), welche seit 2007 an der HTWK Leipzig mehr als tausend Gamer nach Leipzig lockt. Weiterhin sind u. a. Anlaufstellen zur Förderung von StartUps sowie das Projekt „Gaming House Leipzig“ als ein Accelerator für die Games-Wirtschaft sowie weitere Initiativen zur Bündelung und Sichtbarmachung der wirtschaftlichen Aktivitäten der Branche in Planung.

3 Die Games-Branche in Sachsen Zur Erhebung erster unternehmerischer Kennzahlen für Sachsen sowie von Indikatoren von möglichen zukünftigen Förderbedarfen wurde mit Unterstützung des Verbandes Games & XR Mitteldeutschland ein Onlinefragebogen unter den in Sachsen aktiven Unternehmen und Selbstständigen konzipiert und durchgeführt (7.4.2020 bis 24.4.2020). Wesentliche Ziele der Studie waren herauszufinden • wie die Games- und V/XR-Branche insgesamt aufgestellt ist, • welche Akteure es in diesen Bereichen in Sachsen gibt, • wie diese in der sächsischen Unternehmerschaft und Kreativwirtschaft vernetzt sind und • welche zukünftigen Maßnahmen notwendig sind, um innovative (Einzel-) Unternehmen und Startups zielgerichtet fördern zu können. Fragestellungen, Dramaturgie und Gestaltung des Fragebogens orientierten sich an den üblichen Regeln der sozialwissenschaftlichen Fragebogengestaltung (Jackob et al. 2009; Möhring und Schlütz 2010). Die Umsetzung erfolgte mit SoSci Survey. Der Fragebogen wurde an N = 44 Unternehmen, die über die Gamesmap identifiziert wurden, sowie über Verteiler im Schneeballsystem versendet. N =  106 Personen beantworteten mindestens eine Frage, N = 56 beantworteten den Fragebogen vollständig.

3.1 Begriffsdefinitionen Zum Erreichen eines einheitlichen Begriffsverständnisses wurden der Befragung folgende begriffliche Definitionen vorangestellt, welche die Eingangs skizzierten

Gaming quo vadis?

171

Kerncharakteristika von Games und virtuellen interaktiven Medientechnologien (V/XR) aufgreifen: „Für die nachfolgenden Fragen verstehen wir unter dem Begriff „Games“ alle digitalen Computer- und Videospiele, welche als Software für unterschiedliche Hardwareplattformen (z.B. PCs, Spielkonsolen, Handhelds) oder für Internetseiten entwickelt, programmiert, hergestellt und/oder vertrieben werden.“ „Unter dem Begriff „V/XR“ fassen wir alle Tätigkeiten, Produkte und Dienstleistungen zusammen, die durch den Einsatz von Virtual Reality, Augmented Reality, Mixed und Extended Reality, als Stilmittel der Gamification sowie als Arbeitsmittel und Produktionsfaktor auch in anderen Wirtschaftsbranchen, wie dem Automobil-, dem Gesundheits- und dem IT-Sektor, der Forschung sowie in der künstlerischen Praxis Anwendung finden. Darunter fallen auch dokumentarische, künstlerische oder fiktionale VR/AR-Experiences.“

Diese begriffliche Engfassung erschien notwendig, da sich – wie bereits deutlich wurde – das Feld in seinen Rändern in anderen Branchen, Berufe, Berufsfelder und -gruppen ausdifferenziert.

3.2 Kennzahlen sächsischer Games-Unternehmen Rund 42 % der Befragten füllten die Befragten als hauptberuflicher Unternehmer aus, rund 28 % waren Angestellte, sieben waren zum Zeitpunkt der Erhebung als nebenberuflicher Unternehmer tätig. Hinsichtlich der Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben wir es in Sachsen mit smallest and medium-sized enterprises (SME/SMEs)3 zu tun, wobei nur ein einziges der an der Befragung teilgenommenen Unternehmen mit einer Mitarbeiterzahl von etwa 200 als SME klassifiziert werden kann. Alle anderen Unternehmer (N = 18), gaben an, zwischen zwei und zehn Mitarbeiter zu haben. Die sächsische Gaming-Landschaft besteht somit ausschließlich aus Klein- und Kleinstunternehmen. Hinsichtlich des Geschlechts der Befragten, liegt eine erhebliche Unausgewogenheit vor, die sächsische Games-Landschaft wird demnach mit 82 % von Männern dominiert, 16 % der Befragten waren weiblich, rund 2 % gaben divers an. Der oder die in der Branche Tätige ist etwa 34 Jahre alt (SD = 7,8  Jahre), je nach Unternehmensgröße schwankt der Anteil von Frauen zwischen 20 und 50 %.

3vgl. Empfehlung der EU-Kommission vom 6. Mai 2003 zur Definition der Kleinstunternehmen (Aktenzeichen K 2003 1422).

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B. Bigl

Tab. 1   Berufliche Lebensphase (in Prozent) Geschlecht

„Ich befinde mich in der Gründungsphase für eine Selbstständigkeit.“

„Ja, ich bin erwerbstätig.“

Weiblich

25

75

Männlich

4,9

95,1

Gesamt

8,2

91,8

Die Games-Branche besteht weiterhin aus überdurchschnittlich Gebildeten, rund 75 % verfügen mindestens über einen Hochschulabschluss, 6 % sind promoviert. Frauen unterscheiden sich dabei hinsichtlich ihres Bildungshintergrundes signifikant von den männlichen Befragten, 25 % gaben lediglich das Abitur als ihren höchsten Abschluss an. Bei den Männern sind dies nur rund 8 %. Weiterhin finden sich lediglich unter den Männern die Promovierten. Auch in Bezug auf den derzeitigen beruflichen Lebensabschnitt der ergeben sich zwischen den Geschlechtern statistisch signifikante Unterschiede (Tab. 1). Hinsichtlich des Einkommens der Befragten erscheint es bedenklich, dass rund 20 % der Befragten nur über ein Einkommen verfügen, dass unter dem Existenzminimum liegt. In Bezug auf das durchschnittliche Einkommen in Sachsen (2019: 3193 € brutto) bedeutet das, dass nur etwa 5 % der in der GamesBranche Aktiven gleich viel oder mehr als der Durchschnitt verdienen (Landesamt für Statistik 2019). Keine Frau gab zudem an, mehr als 2500 € zu verdienen. Auch in der Tätigkeit in den Berufsfeldern der Branche (Abb. 2) ergeben sich deutliche Unterschiede. So sind in der Entwicklung und/oder der Programmierung sowie dem Vertrieb von Virtual-Reality-Anwendungen keine Frauen zu finden, auch nicht als Dienstleister (wie z. B. für eine Tätigkeit in PR-Büros oder bei Event-Veranstaltern), in der technologischen Zuarbeit (z. B. Sound-Design oder Grafik-Design) oder als Plattformbetreiberin. Weitere relevante berufsfeldbezogene Tätigkeiten sind: • • • •

Dienstleister für Visuelle Effekte für Film und Fernsehen Forschung und Entwicklung an Bildungseinrichtungen Softwareentwicklung GIS Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung mit Bezug zu Games

Immerhin zwei Drittel der befragten Frauen gaben an, hauptsächlich künstlerischkreativ tätig zu sein, bei den Männern dominiert eine überwiegend kommerzielle Tätigkeit (vgl. Tab. 2).

Gaming quo vadis?

173

Abb. 2   Berufsfelder der Gaming-Branche (N = 60, absolute Nennungen)

Tab. 2   Tätigkeitsschwerpunkt (N = 89, in Prozent) Geschlecht

KünstlerischKommerzielle kreative Tätigkeit Tätigkeit

Tätigkeit im oder für den Bildungsbereich

Andere Tätigkeit

Weiblich

66,7

16,7

0,0

16,7

Männlich

17,9

61,5

17,9

2,6

Gesamt

24,4

55,6

15,6

4,4

Gefragt nach der hauptsächlichen Zielregion für die Produkte und Dienstleistungen der Befragten nannten rund 10 % den Freistaat Sachsen, 16,1 % die Region Mitteldeutschland, 29,0 % Deutschland sowie 45,2 % weltweit als ihre Zielregion der wirtschaftlichen Tätigkeit. Fast die Hälfte der Befragten (48,2 %) gaben an, im B2B-Bereich ohne einen Kontakt zum Endkunden tätig zu sein – diese Unternehmen operieren demnach abseits der Wahrnehmung des privaten Konsumenten. Die Studie zeigte auch, trotz der wenigen Befragten, dass die Games-Branche in Sachsen in vielfältiger Weise Wechselbeziehungen zu anderen Branchen und Felder unterhält. Die unternehmerischen Beziehungen zu den Sektoren Medien (58 %), Bildung (49 %), Virtual Reality (40 %), Marketing, Werbung und Design (38 %) sowie Softwareentwicklung und IT (33 %) sind dabei überraschenderweise am geringsten ausgeprägt. Unternehmerische Berührungspunkte finden demnach überwiegend in fachfremden Bereichen statt vor allem mit der

174

B. Bigl

Tab. 3   Wichtigkeit Förderbedarfe (N = 48, Mehrfachnennungen in Prozent) Bedarfe

in Prozent

1. Nachwuchs- und Jugendarbeit

86,8

2. Durchführung von Veranstaltungen

81,1

3. Weiterbildung

75,5

4. Öffentlichkeitsarbeit

75,5

5. Aufbau und Pflege einer eigenen Community

66,0

6. Unternehmensgründung und Gründungsberatung

62,3

7. Netzwerkarbeit

60,4

8. Vermarktung der eigenen Produkte oder Leistungen

43,4

9. Förderberatung

32,1

Versicherungswirtschaft (96,4 %), Telekommunikation (94,5 %), Banken und FinTec (92,7 %), Themenparks (92,7 %) sowie dem Handel (90,9 %). Eine Förderung bzw. ein gefördertes Einkommen erhalten derzeit etwa ein Fünftel (22 %) der Befragten Unternehmen in Sachsen. Zu möglichen Förderprogrammen fühlen sich 42,2 % der Befragten umfassend informiert (stimme voll und ganz zu sowie stimme zu), 28,9 % stimmen dem nicht oder überhaupt nicht zu (MW = 2,8)4. Zukünftige Förderbedarfe wurden zunächst entsprechend der Zustimmung zu Themen mit Mehrfachnennungen5 abgefragt (Tab. 3). Das Ranking spiegelt dann auch die eher geringere Wichtigkeit von Maßnahmen zur Förderberatung wider. Die Bewertung der Nützlichkeit möglicher konkreter Maßnahmen erfolgte fünfstufig6. Zur Identifizierung von Übereinstimmungen wurden die Werte für Zustimmung (hilfreich und sehr hilfreich) sowie Ablehnung (nichthilfreich, weniger hilfreich und unentschieden) von konkreten Maßnahmen zusammengefasst (Tab. 4).

4„Wie

gut fühlen Sie sich momentan über Fördermöglichkeiten informiert?“ („Ich fühle mich umfassend informiert.“ mit einer Likertskala zwischen 1 = „stimme voll und ganz zu“ bis 5 = „stimme überhaupt nicht zu“). 5„Nun geht es um mögliche konkrete Bedürfnisse. Bitte sagen Sie uns daher, zu welchem der folgenden Themen Sie eine Unterstützung besonders wichtig finden.“ (einfache Zustimmung oder Ablehnung). 6„Wie hilfreich schätzen Sie die folgenden Formate und Maßnahmen für sich und ihre Tätigkeit ein? Bitte stufen Sie Ihre Einschätzung ab“. (Abstufung auf einer Likert-Skala zwischen 1 = „nicht hilfreich“ und 5 = „hilfreich“).

Gaming quo vadis?

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Tab. 4   Bewertung möglicher Maßnahmen (N = 57, in Prozent) Maßnahmen

Sehr hilfreich Weniger hilfreich

1. Schaffung eines Knotenpunkts für Auftragsanfragen 73,5

26,5

2. Förderung der Teilnahme an Branchenveranstaltungen

28,0

72,0

3. Einrichtung spezieller Studiengänge

70,8

29,2

4. Vernetzung mit politischen Entscheidern

69,4

30,6

5. Online-Datenbank für Akteure der Branche

67,3

32,7

6. Eine jährliche Branchenmesse oder Leistungsschau

64,6

35,4

7. Regelmäßige Stammtische

62,0

38,0

8. Weiterbildungsangebote

55,1

44,9

9. Unterstützung der Nachwuchs- und Jugendarbeit

51,2

48,8

10. Veranstaltungen wie Game-Jams/Hackathons

51,0

49,0

11. Initiierung von Inkubatoren oder Spinlabs

45,5

54,5

12. Einrichten regionaler Informationsbüros

36,7

63,3

3.3 Bedeutung der Region Wie schon in den theoretischen Herleitungen angedeutet, kann eine regionale Verankerung sowie die Identifikation mit der Region ein wichtiger Standortfaktor sein, wenn es um Fragen des Zu- oder Fortzugs in eine Region geht. Eine Tätigkeit in der Region Mitteldeutschland ist demnach für mehr als die Hälfte der Befragten (58 %) besonders wichtig, 42 % fühlen sich dem Bundesland persönlich verbunden7. Allerdings findet es die Hälfte der Befragten (50 %) schwer, in der Region ihr Einkommen sicher zu stellen. Nur rund ein Viertel (23 %) sieht in der Region vielfältige Möglichkeiten der wirtschaftlichen Weiterentwicklung und nur 25 % attestieren dem Freistaat, dass er für Unternehmen der Branche eine attraktive Region ist (Tab. 5). Auch wenn mehr als die Hälfte optimistisch in die Zukunft blickt, dass die Branche in Sachsen in fünf Jahren als Innovationstreiber deutlich sichtbarer und größer sein wird, gibt es für die Hälfte der Befragten (43 %) nur wenige Anreize in Mitteldeutschland zu bleiben.

7„Wenn

Sie jetzt einmal an die Region denken, inwieweit stimmen Sie den folgenden Aussagen zu? Bitte stufen Sie Ihre Antworten ab.“ (Likert-Skala fünfstufig zwischen 1 = „stimme nicht zu“ bis 5 = „stimme voll und ganz zu.“).

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B. Bigl

Tab. 5   Einstellungen zur Region (N = 51, in Prozent) Aussagen zur Region

Zustimmung Ablehnung Sowohl als auch

1. Eine Tätigkeit in der Region ist mir sehr wichtig. 58,8

15,7

25,5

52,3 2. Die Games und VXR Branche als Innovationstreiber wird in der Region in fünf Jahren deutlich sichtbarer und größer sein.

15,9

31,8

3. Alles in allem gibt es für mich hier genügend Anreize, weiterhin in der Region zu bleiben.

21,6

35,3

43,1

4. Ich fühle mich meinem Bundesland verbunden.

42

36

22

5. Es ist einfach, in der Region sein Einkommen sicher zu stellen.

32,6

50

17,4

6. Die Region bietet mir vielfältige Möglichkeiten, mich wirtschaftlich weiterzuentwickeln.

25

54,2

20,8

7. Mein Bundesland ist für Unternehmen der Games und VXR Branche attraktiv.

22,9

52,1

25

Relevante Standortfaktoren wurden getrennt nach deren Bewertung8 sowie hinsichtlich der individuellen Relevanz (Ranking)9 erhoben. Die Faktoren Lebensqualität und Freizeitmöglichkeiten (MW = 4,6), Vereinbarkeit von Familie und Beruf (MW = 4,1), Möglichkeiten der kreativen Entfaltung (MW = 4,0), Mietpreise, Personal- und Lebenshaltungskosten (MW = 4,0) sowie die Vernetzungsmöglichkeiten (MW = 3,4) wurden insgesamt am besten bewertet. Am schlechtesten schnitten die technische Infrastruktur (MW = 3,3), die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal (MW = 3,0), die Informations- und Förderangebote von Stadt und Land (MW = 2,9) sowie die finanzielle Förderung von Stadt und Land (MW = 2,8) ab. Gefragt nach der persönlichen Bedeutung dieser Standortfaktoren deuten sich Gründe an, warum die in der Branche Tätigen hier arbeiten und Leben – hier profitiert das Bundesland Sachsen nach wie vor von den günstigen Lebenshaltungskosten (Tab. 6).

8„Nachfolgend

möchten wir von Ihnen erfahren, wie Sie Ihren Hauptstandort heute bewerten. Bitte stufen Sie ihre Antwort ab.“ (Likertskala fünfstufig zwischen 1 = „sehr schlecht“ bis 5 = „sehr gut“). 9„Welche Bedeutung haben für Sie persönlich diese Standortfaktoren? Bitte versuchen Sie die Faktoren entsprechend ihre Wichtigkeit anzuordnen. Ziehen Sie dazu die Felder auf die Nummern, dabei ist die “1” das Feld mit der größten Wichtigkeit.“ (Reihenfolge 1–9).

Gaming quo vadis?

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Tab. 6   Persönliche Bedeutung der Standortfaktoren (N = 62, Rangplätze) Standortfaktoren

Rangplatz

1. Mietpreise, Personal- und Lebenshaltungskosten

1

2. Lebensqualität, Freizeitmöglichkeiten

2

3. Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal

3

4. Technische Infrastruktur

4

5. Vernetzungsmöglichkeiten

4

6. Möglichkeiten der kreativen Entfaltung

4

7. Finanzielle Förderung von Stadt und Land

5

8. Vereinbarkeit von Familie und Beruf

5

9. Informations- und Förderangebote von Stadt und Land

6

4 Fazit & Handlungsempfehlungen Die hier skizzierten Befunde der Kurz-Studie deuten einen akuten Handlungsbedarf an, möchte man langfristig und nachhaltig vom wachsenden GamesMarkt profitieren, Abwanderungen in andere Bundesländer entgegen wirken und Ansiedelungen von innovativen Unternehmen und Dienstleitern fördern. Von den 614 bundesweit tätigen Unternehmen der Branche (Game 2020b) haben nur rund 50 Unternehmen ihren Sitz in Sachsen. Der enorme bundesweite Umsatz in Höhe von 6,2 Mrd. EUR (Game 2020a) zeigt jedoch das Potenzial der Branche auch für Sachsen auf, noch tragen die überwiegenden Kleinst- und Kleinunternehmen jedoch nur unwesentlich dazu bei. Die Einbindung der Produkte und Dienstleitungen der Games-Branche in Sachsen in andere Bereiche wie Telekommunikation, Banken und FinTec oder im Bereich der Medizin zeigen, dass wir es mit einem hochdynamischen Wirtschaftszweig mit vertikalen und horizontalen Synergieeffekten mit und zu anderen Branchen zu tun haben, deren Potenziale noch weitgehend ungenutzt sind. Mögliche Anknüpfungspunkte für eine strategische Weiterentwicklung des Marktes sind in Sachsen bereits vorhanden. Seit dem Wegfall der Branchen- und Publikumsmesse „Games Convention“ im Jahr 2008 verharren diese jedoch auf einem relativ niedrigen Niveau und sind von Einzelakteuren und Einzelmaßnahmen geprägt. Zukünftige Potenziale deuten sich auch in den Bewertungen der regionalen Standortfaktoren durch die hier bereits Tätigen an, welche aber auch die Gefahr der Abwanderung des hochqualifizierten sächsischen Unternehmertums erkennen

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Abb. 3   Charakteristika der sächsischen Games-Branche

lassen: nur ein Viertel der Befragten attestieren dem Freistaat, dass er für Unternehmen der Branche eine attraktive Region ist, die Hälfte der Befragten haben Schwierigkeiten, in der Region ihr Einkommen zu sichern (vgl. Abb. 3). Eine Handlungsnotwendigkeit ergibt sich somit auch aus arbeitsmarktpolitischer Perspektive, möchte man das hochqualifizierte Personal in Sachsen halten. Bundesweit ist für mehr als die Hälfte der Deutschen die Games-Branche prinzipiell ein attraktiver Arbeitgeber ist – bei den Schulabgängern ist die Branche sogar für zwei Drittel als Arbeitgeber äußerst attraktiv (GAME 2018). Auf Basis der Kernergebnisse werden im Folgenden daher Maßnahmen vorgeschlagen, um die Games-Branche in Sachsen zu stärken und auszubauen. 1. (Wieder-) Belebung einer sächsischen und mitteldeutschen Branchenund Fördermesse Das Aus der bundesweit etablierten Branchenmesse „Games Convention“ 2008 war ein herber Rückschlag für die Games-Branche in Sachsen, die deutlich kleineren Events wie die „Lange Nacht der Computerspiele“ (LNC) an der HTWK Leipzig, das „beta“ Festival in Mittweida oder die „Dreamhack“ in Leipzig können dies nicht ausreichend kompensieren. Entsprechend den Bedarfen nach Vernetzung und Sichtbarmachung sollte daher versucht werden, die genannten kleineren Branchenevents zu professionalisieren und möglicherweise durch Kooperationen und Zusammenschlüsse sichtbarer zu machen.

Gaming quo vadis?

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2. Förderung von Frauen der sächsischen Game-Branche Die Entwicklerszene in Sachsen ist überwiegend männlich dominiert, hochqualifizierte Frauen scheinen weiterhin einen anderen Förderbedarf zu haben, Karriereabbrüche und Ausstiege aus der Branche erscheinen wahrscheinlich. Hier könnte eine gezielte Förderung im Rahmen bereits existierender Programme und Events wie bspw. dem „Girls’ Day“ ansetzen, um junge Frauen für diesen innovativen MINT-Bereich zu gewinnen. Besonders die Themen Gründung, Selbstständigkeit, Coaching könnten im Weiterbildungsbereich erste Anknüpfungspunkte sein. 3. Anreize für Gründer, Selbstständige & Absolventen Um in der Region zu bleiben oder sich in der Region anzusiedeln, sind gezielte Anreize und Instrumente notwendig, auch um das unterdurchschnittliche Einkommen langfristig zu heben. Anreize könnten ein Gründungsbonus, ein Zuzugsbonus, sowie die Übernahme von Studien- und Verwaltungsgebühren für das Studium von bestimmten relevanten Studiengängen sein. Gezielte Weiterbildungsmaßnahmen zu den von der Branche gewünschten Themen (bspw. Steuern und Finanzen, Veranstaltungsorganisation) sollten der Vielfalt der Branche gerecht werden und sich daher schwerpunktmäßig auf die Implementierung von individuellen Einzel-Coachings von Gründern und Unternehmen richten. 4. Einbeziehung von Ausbildungseinrichtungen und Hochschulen Gezielte Forschungskooperationen als Forschungs-Praxis-Transfer zwischen Unternehmen und Hochschulen könnten für die Themenfelder wie bspw. der Technologieentwicklung, der Entwicklung von Geschäftsmodellen und der Erforschung der (sozialen) Wirkung von Produkten oder Dienstleitungen der Games-Branche angeregt werden. Aufgrund der aufgezeigten Unternehmensgrößen und -strukturen ist jedoch davon auszugehen, dass die in anderen Branchen oder Bundesländern übliche und wichtige klassische Drittmittelforschung im Games-Bereich in Sachsen nicht stattfindet. Thematische Landesprogramme (bspw. Schwerpunktprogramme im Rahmen der Landesgraduiertenförderung) könnten die Forschungstätigkeit stimulieren, ferner kann der Aufbau von spezifischen Studiengängen erwogen werden. 5. Intensivierte Öffentlichkeitsarbeit & Etablierung einer Koordinierungsstelle Es bedarf einer gezielten, gebündelten Öffentlichkeitsarbeit, um Sachsen als attraktiven Standorte für die Branche sowie für Investoren bekannter zu machen. Bausteine könnten eine zentrale Online-Datenbank für Unternehmen und Selbstständige zur Vernetzung und zur Darstellung der eigenen

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B. Bigl

Dienstleistungen oder Produkte, regelmäßige Branchenmeetings sowie eine Image-Kampagne sein. Zur Koordinierung der Aktivitäten sowie der weiteren Maßnahmen (Netzwerkarbeit, Ermittlung Förderbedarfe, Veranstaltungsplanung, Auftragsvermittlung etc.) bietet sich die Implementierung und Etablierung einer Koordinierungsstelle an. Abschließend und übergeordnet erscheint es vor dem Hintergrund der Befunde ratsam, die Einbettung der vorgeschlagenen Aktivitäten in einen auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit angelegten Maßnahmenplan einzubetten. Weiterhin erscheinen Follow-Up-Studien aus wenigstens zwei Gründen notwendig. Einerseits würde dies bestimmte methodische Limitationen der Studienanlage aufgreifen. Dies betrifft das Sampling der vorliegenden explorativen Studie, welches aufgrund des verwendeten Schneeballprinzips gewisse Unsicherheiten in Bezug auf die Aussagekraft der Daten enthält. Weiterhin führt die Selbstselektion der Teilnehmer bei einigen Fragestellungen zu Ergebnissen, die in der Zusammenschau der Befunde kritisch hinterfragt werden müssen (bspw. hinsichtlich des Anteils von Frauen in bestimmten Berufsfeldern der Branche). Qualitative Studien mit bspw. Gründerinnen können hier Ansatzpunkte sein. Andererseits machen die vorgeschlagenen Maßnahmen und Aktivitäten ein regelmäßiges Monitoring des Erfolgs der vorgeschlagenen Maßnahmen sowie ein Benchmarking zu spezifischen Themen mit Innovationspotenzial für die Games-Branche in Sachsen notwendig. Zu diesen Themenfeldern gehören explizit die im Rahmen der Studie nicht näher beleuchteten Potenzialen des E-Sports (vgl. Breuer und Görlich 2018; Streppelhoff 2018) sowie von Influencern zum Themenfeld Games: Social-MediaInfluencer produzieren, aggregieren und verbreiten eigen- und fremdproduzierten informativen, unterhaltenden und Werbe-Content auf eigenen und fremden SocialMedia-Präsenzen (vgl. Enke und Borchers 2019) und tragen durch ihre Selbstständigkeit in erheblichem Maße zunehmend ebenfalls zur Wertschöpfungskette der Branche bei. In der Szene bundesweit bekannte Stars wie Gronkh & Sarazar erreichen mit ihren Let’s-Play-Videos ein Millionenpublikum auf Youtube und anderen Streaming-Plattformen wie Twitch.tv und firmieren oft als eigenes Unternehmen. Nicht nur für den sächsischen und mitteldeutschen Raum fehlt zu diesen wirtschaftlichen Aktivitäten generell eine notwendige Datenbasis. Abschließend und ausblickend bleibt festzuhalten, dass sich die (spielerischen) Anwendungen von virtuellen und interaktiven Medien- und Kommunikationstechnologien weltweit mit rasanter Geschwindigkeit weiter- und branchenübergreifend fortentwickeln werden – möchte Deutschland sowie das im Rahmen des Beitrages diskutierte Beispiel Sachsen in diesem Feld nicht abgehängt sein, gilt es jetzt, entsprechende Korrekturen vorzunehmen.

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B. Bigl

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Zukunft im Spiel. Utopische Spielwelten bei Star Trek Sebastian Stoppe

Zusammenfassung

Bei Star Trek mag man zunächst an die Fernsehserien und Kinofilme denken, jedoch nehmen auch Computerspiele einen nicht unerheblichen Raum in diesem Medienfranchise ein. Der Beitrag möchte anhand von drei Fallbeispielen kurz aufzeigen, wie sich das Serienuniversum von Star Trek mit seiner utopischen Idee im Medium Computerspiel fortsetzt und ob und inwiefern ein utopischer Text wie Star Trek in diesem Medium durch den Rezipienten nicht nur passiv-schauend, sondern auch aktiv-handelnd erfahrbar werden kann. Während das Spiel Birth of the Federation ein Globalstrategiespiel in den Stilen von Civilization oder Master of Orion ist, findet sich der Spieler bei Star Trek: Voyager – Elite Force oder dem Fangame Stage 9 in einer First-Person-Shooter-Perspektive wieder. Schlüsselwörter

Utopie · Star Trek · Holodeck · Computerspiel · Immersion

S. Stoppe (*)  Universitätsbibliothek Leipzig, Leipzig, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6_16

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1 Einleitung Star Trek ist seit über fünfzig Jahren ein fester Bestandteil der Populärkultur in den USA und wenig später auch weltweit. Trotz einer großen medialen Präsenz – seit 1966 gab es immerhin neun Fernsehserien und 13 Kinofilme – hat sich Star Trek im Videospielbereich bis heute nicht entscheidend durchsetzen können. Dies scheint einigermaßen überraschend, denn die Liste an Computerspielen seit den 1970er-Jahren ist über 300 Titel lang (Trekcore 2020). Lux und Brown argumentieren, dass Star Trek-Spiele deshalb vergleichsweise wenig erfolgreich sind, weil sie die Erwartungen der Fans bis heute nicht erfüllt haben: „At its core, Star Trek is a celebration of discovery and cooperation. Any game that misses this point may be exciting and challenging and rewarding enough to please gamers, but would alienate fans of Star Trek who are looking for an experience that lives up to their long association with the franchise“ (2020, S. 127). Ich möchte diese Sichtweise um einen Aspekt ergänzen. Star Trek kann man nicht nur als ScienceFiction-Franchise betrachten, sondern in seiner Gesamtheit als einen utopischen Text, der seinen Rezipienten1 den Weg in eine bessere zukünftige Gesellschaft aufzeigt (Stoppe 2014). Für eine utopische Erzählung bietet sich das serielle Format des Fernsehens sehr gut an, besteht hier doch die Möglichkeit, über einen vergleichsweise langen Zeitraum hinweg ein utopisch gefärbtes Serienuniversum zu schaffen.2 Schon im Vergleich der Fernsehserien mit den Kinofilmen zeigt, dass im Kino eine derartig breite Erzählung kaum möglich ist. Hier mussten die Autoren und Produzenten immer auch den Kompromiss eingehen, sowohl Star Trek-Fans als auch Nicht-Fans gleichermaßen einen Zugang zu den erzählten Filmen zu ermöglichen. Somit waren die Kinofilme in ihrer Referenz auf das Serienuniversum immer begrenzter als die Fernsehserien. Doch insbesondere Videospiele müssten sich für Star Trek-Fans par excellence eignen, besteht hier doch die Möglichkeit, gerade aufgrund der ­ Interaktivität quasi einen „eigenen“ Platz im Serienuniversum einzunehmen. Kann man sich also eine Utopie im Sinne von Star Trek auch erspielen? Dieser Frage soll im Folgenden anhand von drei ausgewählten Beispielen nachgegangen werden. 1Um

eine flüssige Lesbarkeit dieses Textes zu ermöglichen, verzichtet der Autor auf die Nennung aller möglichen Genera. Selbstverständlich sind hier immer Rezipient*innen, Autor*innen oder Spieler*innen gemeint. 2Auch wenn Star Trek: The Original Series mit drei Staffeln nur eine vergleichsweise kurze Zeit auf dem Bildschirm präsent war, so änderte sich dies spätestens mit The Next Generation, Deep Space Nine und Voyager, die jeweils sieben Staffeln umfassten und so einen Erzählbogen schufen, der nahezu 25 Jahre dauerhafte Fernsehpräsenz von Star Trek ergab.

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Als Beispiele dienen drei unterschiedliche Typen von Videospielen: Birth of the Federation (1999, Microprose/Hasbro Interactive), Star Trek: Voyager – Elite Force (2000, Raven Software/Activision) sowie das nur zwischenzeitlich veröffentlichte Fanprojekt Stage 9 (2016, N.N.).

2 Utopie und Computerspiel Der Begriff der Utopie geht zurück auf Thomas Morus’ Staatsroman Utopia, in dem der Autor ein idealtypisches Staats- und Gesellschaftsbild entwirft. Der Begriff ist ein Kunstwort, aus den griechischen Wörtern „ou“ und „topos“ gebildet, und kann auch mit „Nichtort“ oder „Nirgendwo“ übersetzt werden. Saage führt aus, „daß politische Utopien Fiktionen innerweltlicher Gesellschaften sind, die sich entweder zu einem Wunsch- oder einem Furchtbild verdichten. Ihre Zielprojektion zeichnet sich durch eine präzise Kritik bestehender Institutionen und sozio-politischer Verhältnisse aus, der sie eine durchdachte und rational nachvollziehbare Alternative gegenüberstellt“ (1991, S. 2–3). Utopien sind also nichts anderes als ideal erdachte politische Gesellschaften. Vor dem Hintergrund einer real existierenden Gesellschaft möchte die Utopie eine bessere Alternative dieses Gesellschaftsmodells präsentieren. Dies tut sie – zumindest in den meisten Fällen – auf eine narrative Weise, darauf deutet allein schon der Terminus „Staatsroman“ hin. Eine utopische Gesellschaft ist ein nach außen hin geschlossenes System. Nur in diesem Fall eines Abgeschottenseins können die ideale neue Ordnung und das darauf basierende System von ineinandergreifenden Kräften bestehen bleiben. Die Utopie ist zugleich aber auch ein in sich geschlossenes System. Von Grund auf neu geplant, muss und kann die Utopie nur dann funktionieren, wenn ihre Bestandteile und Mechanismen widerstandslos ineinandergreifen. Utopie meint also nicht nur die Konstruktion von gesellschaftlichen oder politischen Institutionen, sondern auch die präzise Einbettung von Individuen in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext. Nun zeigen sich interessante Parallelen zu einem Computerspiel. Auch dieses stellt ein sowohl nach außen als auch nach innen in sich geschlossenes System dar. Es ist gegenüber der realen Welt dadurch abgegrenzt, dass es nur durch definierte Schnittstellen durch den Spieler-Rezipienten gewissermaßen betreten werden kann. Gleichzeitig bildet es eine in sich schlüssige Spielwelt, eine eigene Narration, die durch das Spiel selbst erzeugt wird (Hennig 2017, S. 109). Auf narrativer Ebene betrachtet „eröffnet [das Spiel] also einen fiktionalen Handlungsraum, welcher die Verbindung eigentlich disparater Komponenten möglich macht“ (Hennig 2017, S. 107), nämlich die Verbindung von verschiedenen Medien und

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Stilelementen, aber auch von ludischen Elementen. Hier tritt eine Eigenschaft von Computerspielen hinzu, die sie gegenüber anderen Medien erweitert, nämlich „dass Computerspiele […] einen Simulationscharakter aufweisen, der sich deutlich von narrativen Darstellungsmodi in noninteraktiven Medien unterscheidet“ (Thon 2015, S. 108). Spiele erzählen also nicht nur eine Geschichte, sie bieten zusätzlich eine Simulation. Die Narration konstruiert nicht nur eine (Spiel-)Welt, sondern es werden zugleich Regeln aufgestellt, innerhalb derer der Spieler als Akteur sich ludisch bewegen darf und kann. Diesem kommt – im Gegensatz zum bloßen Zuschauer – eine zweifache Funktion zu. Er nimmt nicht nur eine Wahrnehmungsposition, sondern zugleich eine Handlungsposition ein (Hennig 2017, S. 119). Nun zeichnen sich Utopien besonders dadurch aus, dass sie eben eine Vielzahl von Regeln postulieren, deren Erfüllung zur Durchsetzung der idealen Ordnung notwendig ist. So bietet sich also die Möglichkeit, im Computerspiel eine utopische Welt nicht nur darzustellen, sondern eine Narration zugleich präzise zu verorten und mit Vorstellungen und Zielen von Figuren zu verknüpfen (Thon 2015, S. 113). Es ergibt sich damit also die Möglichkeit, eine Utopie tatsächlich zu erspielen, indem eine narrativ eingebettete Erzählwelt durch interaktive und nonlineare Ereignisdarstellungen ludisch umgesetzt wird. Wenn Star Trek also in seinem Leitmedium – dem Fernsehen – dem Zuschauer eine utopische Welt präsentiert, so kann dieser jene Welt nur passiv wahrnehmen und nur auf einer Meta-Ebene aktiv interpretieren. In einem Computerspielmedium jedoch wäre er nicht nur in einer Wahrnehmungs-, sondern zugleich in einer Handlungsposition. Hennig spricht in diesem Zusammenhang von einer „spielinduzierte[n] Selbstwirksamkeit [als] ein wichtiges mediales Alleinstellungsmerkmal“ (2017, S. 122). Der Spieler-Rezipient wird also in die Lage versetzt, in einer in sich geschlossenen Spielwelt in einem Maße selbst aktiv zu werden, dass „die vermittelten Sinneseindrücke durch kognitive Überlagerung als dominant gegenüber den realen Sinneseindrücken“ (Pietschmann 2009, S. 76) wahrgenommen werden: Der Spieler erfährt eine Immersion in die Welt des Spieles. Bezogen auf Star Trek hieße das, dass der Spieler damit Teil der Star TrekUtopie werden kann statt bisher bloßer Zuschauer zu sein. In den folgenden drei Beispielen möchte ich kursorisch zeigen, in welchem Maße dies möglich sein kann.

3 Birth of the Federation Birth of the Federation ist ein Globalstrategiespiel und wurde 1999 von MicroProse entwickelt. Es ist wie andere Spiele in diesem Genre rundenbasiert und sowohl im Einzel- wie auch in einem Mehrspielermodus spielbar. Das Spiel

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Abb. 1   Auswahl des Imperiums zu Beginn des Spiels

weist große Ähnlichkeiten zu Genreklassikern wie Civilization und insbesondere Master of Orion auf. Zeitlich ist es in der The Next Generation-Ära von Star Trek angesiedelt, d. h. im Spiel sind nur Elemente vorhanden, die auch in der The Next Generation-Serie bzw. den Filmen zu sehen waren. Dies bedeutet, dass z. B. keine Raumschiffe oder Völker aus den anderen Serien hier vorkommen. Zu Beginn des Spiels wählt der Spieler ein so genanntes Imperium aus, das er entwickeln möchte. Hier hat er die Auswahl zwischen der Föderation, den Klingonen, Romulanern, Ferengi oder den Cardassianern (Abb. 1). Ziel des Spiels ist es, entweder sein Imperium als das dominanteste der Galaxie zu entwickeln oder aber zwei andere Imperien durch Kampf zu zerstören.3 Einzel- und Mehrspielermodus unterscheiden sich lediglich dadurch, dass im Einzelspielermodus die anderen Imperien durch den Computer gesteuert werden. Die Wahl des Imperiums

3Die

zu zerstörenden Feinde sind pro Imperium bereits im Voraus festgelegt.

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setzt bereits einen Schwerpunkt des späteren Spielverlaufs. So ist die Föderation etwa besser für Forschung und Diplomatie geeignet, die Klingonen hingegen haben effizientere Waffensysteme und die Ferengi verstehen sich besser im Handel. Hauptansicht des Spiels ist eine zweidimensional dargestellte Karte der Galaxis, auf der sich die jeweiligen Sternensysteme sowie die derzeitigen Grenzen, Schiffe und Sternenbasen abbilden. Die Karte enthält zu Beginn noch unkartografierte Bereiche. Ausgehend von seinem Startsonnensystem erforscht der Spieler mittels seiner Schiffsflotte die Galaxis (Abb. 2). Hier stößt er dann auch entweder auf die anderen Imperien oder auf kleinere Rassen (wie etwa die Bajoraner, die Trill oder die Vulkanier), die ein Imperium durch bestimmte Fähigkeiten ergänzen können. Über weitere Bildschirme kann der Spieler seine Technologieentwicklung, den Aufbau von Kolonien (Lebensmittelreserven, Industrie, Energieversorgung, Gebäude), seinen Geheimdienst und seine diplomatischen Kanäle steuern (Abb. 3 und 4).

Abb. 2   Hauptspielansicht in Birth of the Federation

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Abb. 3   Übersicht über den Entwicklungsstand

Trifft der Spieler mit seinen Schiffen auf die anderer Rassen und sind sie nicht mit ihm diplomatisch verbunden, kann er versuchen, sich entweder zurückzuziehen oder das andere Schiff zu begrüßen. Er kann jedoch auch einen Angriff wählen oder selbst angegriffen werden. In diesem Fall wechselt das Spiel in einen dreidimensional dargestellten Kampfmodus und der Spieler muss die feindlichen Schiffe eliminieren. Als Option ist es möglich, diese Auseinandersetzungen zufallsbasiert durch den Computer entscheiden zu lassen. Mit fortschreitender Rundenzahl bringt der Spieler ein immer größer werdendes Gebiet der Galaxis unter seine Kontrolle. Während die Imperien selbst sich nicht zusammenschließen können (eine Allianz zweier Imperien ist die integrativste Form der Zusammenarbeit), sind mit den kleineren Rassen sowohl losere Verbindungen als auch die stärkste Form – die Mitgliedschaft im jeweiligen Imperium – möglich. Grundsätzlich können sich die Beziehungen jedoch zwischen allen Faktionen bis hin zum Kriegszustand auch wieder verschlechtern.

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Abb. 4   Kolonieentwicklung in Birth of the Federation durch den Bau von Gebäuden

Birth of the Federation zeichnet sich dadurch aus, dass die wesentlichen Elemente der Star Trek-Utopie vom Spieler nachvollzogen werden können. Es liegt in seiner Hand, Technologien zu entwickeln, Schiffe zu bauen, Sternensysteme zu entdecken, Kolonien zu bauen und diplomatische Konflikte zwischen einzelnen Völkern auszuhandeln. Damit bewegt sich das Spiel sehr stark im Kontext des Serienuniversums. Der Spieler kann aber auch die in der Serie gezeigte Realität abwandeln, etwa in dem er ein anderes Imperium wählt (z. B. die Klingonen) und die Föderation in ihrer Dominanz schwächt. Damit ermöglicht Birth of the Federation ähnlich wie Civilization die Entstehung von vielen verschiedenen Welten (Planells de la Maza 2013, S. 61) innerhalb des Star Trek-Universums. Gleichwohl ist anzumerken, dass die Spielstruktur wenig Originalität aufweist. Das Spiel ist im Wesentlichen ein Klon von Master of Orion und bedient sich lediglich im Design und in der Basisnarration Star Trek-typischer Elemente. Die abstrakte Spieloberfläche erschwert außerdem eine starke Immersion des Spielers in das Spiel. Im Prinzip hat er zwar weitreichende Möglichkeiten, die Spielwelt zu manipulieren und neue Situationen

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herbeizuführen, dies geschieht jedoch stets auf einer eher technischen Ebene. Die Interaktion mit anderen Charakteren ist begrenzt, die meisten Spielfiguren sind eher generische Avatare ohne eine eigene Charakterisierung.

4 Star Trek: Voyager – Elite Force Elite Force wurde 2000 von Raven Software entwickelt und durch Activision veröffentlicht und ist eine Variation eines First-Person-Shooter. Der Spieler ist Anführer einer Spezialeinheit auf der USS Voyager, das sogenannte Hazard Team. Aufgabe dieser Einheit ist es, die Voyager bei feindlichen Begegnungen mit unbekannten Rassen besonders zu schützen. Der Spieler übernimmt die Rolle von Ensign Alex Munro, wahlweise kann diese Rolle männlich oder weiblich ausgestaltet sein. Außer Munro sind sechs weitere Charaktere Mitglied des Hazard Teams. Zeitlich findet das Spiel parallel zu den Ereignissen in der Serie statt, wenngleich das Hazard Team nie in der Serie vorkommt. Umgekehrt sind alle Hauptfiguren der Serie im Spiel vertreten4, und der Spieler interagiert im Laufe des Spiels mit allen diesen Charakteren. Die Storyline wird dem Spieler sukzessive dargestellt. Zu Beginn ist er mit den Mitgliedern seines Teams auf einem Borg-Kubus und muss dort diese befreien (Abb. 5 und 6). Diese Mission scheitert jedoch. Dieses Scheitern ist fester Bestandteil der Storyline und kann vom Spieler nicht abgewendet werden, denn es stellt sich heraus, dass dieses Level eine Trainingssimulation auf dem Holodeck war, die im Anschluss in einer Cutscene durch Tuvok, dem Sicherheitsoffizier der Voyager, ausgewertet wird. Dadurch entsteht eine interessante Doppelung: Der Spielercharakter findet sich selbst in einem „Spiel im Spiel“ wieder, nämlich dem Holodeck. Das Holodeck simuliert „eine dreidimensionale realitätsentsprechende Umgebung, in die sich der Benutzer vollständig integrieren und mit ihr interagieren kann“ (Stoppe 2014, S. 117).5 Durch die vollständige Immersion in die Holodecksimulation ist dem Spieler dies bis zur Auflösung der Situation nicht bewusst. Erst mit dem Scheitern des Levels kehrt er zurück in die Spielrealität auf der Voyager,

4Diese

werden auch durch die Originalschauspieler gesprochen. Holodeck ist seit The Next Generation ein häufig dargestelltes Setting im Star TrekUniversum, das einerseits für Trainingszwecke, andererseits aber eben auch zur Freizeitgestaltung (also auch „zum Spielen“) benutzt wird (Stoppe 2014, S. 118).

5Das

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Abb. 5   Das erste Level von Elite Force

die natürlich für den Spieler selbst eine Simulation bleibt. Elite Force spielt also mit dem Element des Holodecks und macht deutlich, dass die Holosimulation für den Charakter im Spiel dieselbe Situation darstellt wie für den Spieler vor dem Bildschirm – wenngleich einschränkend hinzugefügt werden muss, dass das Holodeck einen größeren Realitätseindruck reproduzieren kann (Stoppe 2016, S. 5). Das Spiel teilt sich in insgesamt acht einzelne Missionslevel mit mehreren Unterleveln auf und findet hauptsächlich auf dem Voyager-Schiff und einigen außerirdischen Schiffen statt. Dabei muss der Spieler ähnlich wie in Half-Life einzelne Missionsziele erfüllen (Abb. 7) und interagiert dabei laufend mit seinem Team, aber auch mit den aus der Serie bekannten Senioroffizieren (Abb. 8 zeigt eine Szene mit Chefingenieurin B’Elanna Torres). Mittels eines 2001 veröffentlichen Add-On ist es zudem möglich, abseits der eigentlichen Spielhandlung sich virtuell auf der Voyager zu bewegen. Der Spieler kann somit nicht nur alle Bereiche, die auch in der Serie vorkommen, selbst erkunden und mit den Hauptdarstellern kommunikativ in Beziehung treten, sondern auch noch Bereiche entdecken, die im Fernsehen nie gezeigt worden sind

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Abb. 6   Information über Missionsziele

(Stoppe 2014, S. 129–130). Hierdurch wird die Wechselbeziehung zwischen der im Fernsehen rezipierbaren Serienerzählung und der Spielehandlung zusätzlich vertieft. Der Wechsel zwischen den Decks findet sowohl in dieser Erweiterung als auch im eigentlichen Spiel über die Turbolifte statt (Abb. 9).6 Elite Force folgt den Genrekonventionen eines First-Person-Shooter und durch die präzise Nachbildung der Voyager und die Einbeziehung der Seriencharaktere stellt sich für den Spieler ein hoher Immersionsgrad her. Dieser bewegt sich in einer authentischen Star Trek-Umgebung und interagiert mit ihm vertrauten Figuren.7 Ziel der Entwickler war es, „to feel like you were in a Trek episode – an exceptionally long one“ (Pelletier 2015, S. 151).

6Innerhalb

dieser Wechsel lädt der Computer das jeweils nächste Level nach. Spielentwickler legten großen Wert auf die detailgetreue Nachbildung der Voyager und fertigten dazu bei einem Setbesuch u. a. Hunderte von Fotos der Fernsehkulissen an (Pelletier 2015, S. 150).

7Die

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Abb. 7   Echtzeit-Interaktion mit zu erreichenden Zwischenzielen

Abb. 8   Echtzeit-Interaktion auf der Voyager

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Abb. 9   Ladebildschirm des nächsten Levels im Turbolift

5 Stage 9 Stage 9 nimmt in der hier vorgestellten Reihe eine Sonderstellung ein. Es handelt sich nicht um ein eigentliches Spiel mit einer entwickelten Narration und wurde auch nicht von einem Spieleentwickler in Lizenz hergestellt, sondern ist ein vollständiges Fanprojekt. Es tritt damit zu den zahlreichen Fanfictions, die das Star Trek-Franchise hervorgebracht hat. Stage 9 war bis 2018 in einer Betaversion frei zum Download im Internet verfügbar und musste aufgrund eines Unterlassungsbegehrens seitens der Rechteinhaber von Star Trek eingestellt werden. Gleichwohl Stage 9 eine übergeordnete Narration fehlt und es keine Spielziele im eigentlichen Sinn gibt, weist es trotzdem zahlreiche ludische Elemente auf. Es schließt insofern an Elite Force an, als dass hier der Spieler in die Lage versetzt wird, sich virtuell auf einem Raumschiff, in diesem Fall der Enterprise-D (also im The Next Generation-Universum), zu bewegen. Stage 9 basiert auf der Unreal Engine und kann sowohl am Bildschirm als auch mittels eines VR-Brille gespielt werden.

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Abb. 10   Auswahl des Zielorts im Turbolift

Das Spiel beginnt stets damit, dass der Spieler auf die Enterprise-D gebeamt wird und sich zunächst im Transporterraum wiederfindet – mit Chief Miles O’Brien, dem Transporterchef in The Next Generation, an den Kontrollen. Dabei befindet er sich auch wie bei Elite Force in einer First-Person-Perspektive.8 Ab hier gibt es keine festgelegten Missionsziele, der Spieler kann sich frei auf der Enterprise-D bewegen. Auf verschiedene Decks gelangt er – ganz ähnlich wie bei Elite Force – mittels des Turbolifts, in dem er verschiedene Ziele anwählen kann (Abb. 10), u. a. die aus der Serie bekannten Orte wie die Brücke, die Krankenstation, das Zehn Vorne (eine Bar) oder auch den Maschinenraum (Abb. 11 und 12). Dem Spieler stehen aber auch hier Orte zur Entdeckung frei, die nie in der Serie gezeigt wurden, z. B. die Zugänge zu den Rettungskapseln auf Deck 2 oder die Hauptshuttlerampe.9 Bemerkenswert ist, dass die Entwickler sich hier zwar einige künstlerische Freiheiten nahmen, aber im Großen und Ganzen an

8Diese

kann wahlweise auch in eine Third-Person-Perspektive umgeschaltet werden, man befindet sich dann in einem Blickwinkel schräg hinter seiner Figur. 9Die Enterprise-D hat 42 Decks (Stoppe 2014, S. 133), von denen in Stage 9 allerdings in der veröffentlichten Version nur ein Teil erkundet werden kann. Es war allerdings das erklärte Ziel der Entwickler, tatsächlich alle Räume und Decks begehbar zu machen.

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Abb. 11   Das Zehn Vorne auf der Enterprise-D

Abb. 12   Der Maschinenraum der Enterprise-D

die Ideen der ursprünglichen Serienautoren halten. Die Shuttlerampe etwa entspricht weitgehend den (fiktiven) Blaupausenzeichnungen des Schiffes (Sternbach 1997). Die Enterprise ist dabei nicht leer, zahlreiche Non-Player-Characters begegnen dem Spieler auf den Gängen und in den Räumen, wenngleich eine Kommunikation mit diesen Figuren weitgehend unterbleibt.

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Abb. 13   Korridor auf der Enterprise-D in Stage 9

Stage 9 beschränkt sich aber nicht darauf, dass der Spieler lediglich das Schiff erkunden kann. Begrenzte Interaktionen sind möglich, so etwa kann der Spieler verschiedene Gegenstände, die er unterwegs findet, aufnehmen und benutzen. Er kann mit einem Phaser auf dem Phaserübungsstand Zielübungen durchführen, er kann diesen aber auch benutzen, um Crewmitglieder zu betäuben (wobei sich hier durchaus die Frage nach dem Sinn stellen mag). Der Spieler kann auf der Brücke die Steuerung der Enterprise übernehmen (das Spiel wechselt dann in eine Außenperspektive der Enterprise) oder ein Shuttle aus dem Hangar steuern. Gerade durch die Möglichkeit, das Spiel durch eine VR-Brille zu betrachten, erzeugt es beim Spieler einen großen Immersionsgrad und der Realitätseindruck beim Begehen des Schiffes ist in der Tat erstaunlich hoch (Abb. 13). Damit verhält sich Stage 9 ähnlich zum Spieler wie das Holodeck: „In a way, the holodeck creates a world within the world that is to some degree complete and consistent […] and […] we are present in a most physical way“ (Stoppe 2016, S. 6). Welche Möglichkeiten diese noch in einem frühen Stadium eingestellte Entwicklung gehabt hätte, zeigt das „Nachfolgeprojekt“ dieser Entwicklercommunity: Nach dem erfolgreichen Unterlassungsbegehren haben sich die Entwickler einer inoffiziellen Nachfolgeserie von Star Trek zugewandt und mit „The Orville Inter-

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active Fan Experience“ ein ebenfalls auf der Unreal Engine basierendes Spiel geschaffen, dass sich direkt an die Ergebnisse von Stage 9 anschließt.10

6 Fazit Die drei ausgewählten Beispiele zeigen, dass Star Trek mit seinem ausgedehnten Serienuniversum durchaus das Potenzial hat, dem Rezipienten seine utopische Welt nicht nur in einer narrativen Form wie Fernsehen oder Film zu präsentieren, sondern es durch ludische Elemente gleichsam selbst begeh- und erfahrbar zu machen. Hierin dürfte die große Stärke von Star Trek liegen. Auf der anderen Seite wird aber auch deutlich, dass dieses Serienuniversum das spielerische Potenzial zugleich begrenzt. Star Trek-Spiele zeigen wenig Originalität in Bezug auf Genre und Spielweise, hier ahmen sie meist bereits etablierte Spiele in Design und Narration nach und formen diesen gleichsam über die eigentliche Struktur die bekannten Serienelemente über. Dies zeigt sich genreübergreifend: Birth of the Federation ist im Prinzip Master of Orion mit Star Trek-spezifischen Elemente wie Elite Force ein Half Life-Derivat auf der Voyager darstellt. Gleichwohl liegt hier ein gewisser Vorteil: Dem Spieler ist die Spielweise meist bereits vertraut, sodass er sich in seiner Spielerfahrung stärker auf den utopischen Überbau des Star Trek-Universums konzentrieren kann. Insofern zeigt sich, dass das Spiel ein nicht zu unterschätzendes Element im transmedialen Franchise von Star Trek darstellt, welches dieses sinnvoll erweitern kann.

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10Bezeichnenderweise ist The Orville ja selbst zugleich eine Hommage und Parodie auf Star Trek und insbesondere Star Trek: The Next Generation.

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Interview mit Felix Falk Benjamin Bigl

Zusammenfassung

„Felix Falk ist seit dem 1. Februar 2018 Geschäftsführer des game – Verband der deutschen Games-Branche. Benjamin Bigl und Sascha Kummer sprachen mit ihm über die Bedeutung von Games als Technologietreiber in Deutschland, über E-Sport, Medienkompetenz beim Gaming, und welche zukünftigen Trends und Herausforderungen sich daraus ergeben.“ Schlüsselwörter

Standort Deutschland · Technologietreiber · Innovation · E-sport ·  Medienkompetenz · Game 1. Welche wirtschaftliche Bedeutung hat Gaming in Deutschland? Computer- und Videospiele haben schon lange eine große wirtschaftliche Bedeutung – sowohl weltweit als auch in Deutschland. Allein hierzulande reden wir von inzwischen 6,2 Mrd. EUR Umsatz, die mit Spiele-Hard- und -Software gemacht werden – das ist mehr als mit Kino und Musik zusammen. Der GamesMarkt ist ein sehr dynamischer Markt, der Jahr für Jahr wächst und auch ganz

B. Bigl (*)  Medienpädagogisches Zentrum + , Torgau, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6_17

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neue Ideen, Innovationen und Geschäftsmodelle hervorbringt, die wiederum später auch von anderen Branchen übernommen werden. Vor allem bei den Technologien gibt es viele spannende Entwicklungen, angefangen von Virtual Reality bis hin zu Gamification. Diese werden inzwischen überall eingesetzt und stammen aus der Games-Branche. Hieran zeigt sich das große technologische Potenzial unserer Branche auch für andere Wirtschaftszweige. 2. Was ist unter Gamification zu verstehen? Gamification bedeutet, Menschen mit spielerischen Mitteln und Ansätzen aus dem Game-Design zu motivieren. So haben beispielsweise viele Fitness-Apps längst Elemente von Gamification integriert, um Nutzerinnen und Nutzer zu animieren, mehr Sport zu treiben. Wenn ich im Auto benzinsparend fahren möchte, dann wird mir beispielsweise im Display anhand von verschiedenen Farben und Animationen gezeigt, wann mir das besonders gut gelingt. Auch solche Ansätze helfen, Menschen zu einem umweltfreundlicheren Fahrstil zu motivieren. Gamification kann in sehr vielen Bereichen eingesetzt werden, von diesen Alltagsbeispielen bis hin zu Bildung und im medizinischen Sektor. 3. Welche Rolle spielen Games als Technologieträger? Die Games-Branche ist besonders innovativ und offen gegenüber neuen Technologien. Häufig ist es sogar so, dass neue Technologien durch die Games-Branche erst einem größeren Publikum bekannt werden. „Pokémon GO“, um hier nur ein Beispiel zu nennen, hat Millionen Menschen Augmented Reality gezeigt. Diese Experimentierfreude der Games-Entwickler ist aber auch deswegen immer wieder so erfolgreich, weil auch die Spielerinnen und Spieler selbst besonders offen gegenüber Neuheiten sind. Auch dadurch ist die Games-Branche immer wieder einer der Technologietreiber, wovon wiederum andere Industriebereiche profitieren, denen die Technologien von Games – nehmen wir beispielsweise Virtual Reality oder den Bereich der Simulationen – dabei helfen, noch schneller, noch moderner und noch dynamischer zu werden. 4. Außerhalb der Technologie ist E-Sport derzeit auch ein wachsender Trend hin zum realen Sport. Wie sehen Sie das? E-Sport wird zukünftig immer wichtiger werden. Da spielen nicht nur Millionen von Spielerinnen und Spieler, sondern es gucken noch viel mehr Menschen zu. E-Sport ist eine sehr große Bewegung, die ganze Stadien füllt und deren Tickets schneller ausverkauft sind als für große Rockkonzerte. Es ist aber auch eine Bewegung

Interview mit Felix Falk

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des Sozialen und der Digitalkultur, die der Games-Kultur zwar entstammt, aber auch eigenständig ist. Im Moment steht in Deutschland besonders häufig die Diskussion um die Anerkennung als Sportart im Mittelpunkt, die allerdings den Blick auf Esport verknappt. So gibt es zwischen E-Sport und klassischem Sport viele Parallelen, aber auch einige Unterschiede, durch die man voneinander lernen kann. Wenn diese beiden Welten zukünftig clever zusammenarbeiten, können sie beide eine ganze Menge erreichen. Wir als Verband werden uns sehr für den Dialog einsetzen und gemeinsam schauen, wie man in einer digitalisierten Medienrealität es schafft, den klassischen Sport und den E-Sport zusammenzubringen. Dabei geht es auch viel um die Jugend- und Nachwuchsarbeit. 5. Stichwort Jugend: was kann oder sollte man für den kritischen und kompetenten Umgang mit Games tun? Ich glaube, es ist noch immer nicht allen bewusst, welche Reichweite Games auch fernab der Jugendzimmer längst haben. Die am stärksten wachsende Gruppe der Gamerinnen und Gamer sind derzeit die über 50-Jährigen, Frauen wie Männer. Fast die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland spielt regelmäßig. Das bringt natürlich auch Herausforderungen mit sich. Gerade für Kinder und Jugendliche brauchen wir ein gesundes Aufwachsen mit Computerspielen und mit digitalen Medien, da spielt Medienkompetenz eine ganz wichtige Rolle. Und diese sollte viel stärker auch in den Schulen thematisiert werden, auch wenn gleichzeitig gilt, dass das gemeinsame Spielen von Eltern mit ihren Kindern am meisten bringt und auch noch Spaß macht! 6. Was sollte in diesem Bereich in Zukunft noch besser werden? Wir als Branche setzen uns zusammen mit der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) sehr stark im Bereich Jugendmedienschutz ein. Viele kennen die Alterskennzeichen der USK. Sie sind nicht nur ein ganz wichtiges Mittel, wenn es darum geht, Eltern und Kindern eine zuverlässige Orientierung zu geben. Über die Alterskennzeichen können Eltern auch mit ihren Kindern ins Gespräch darüber kommen, was sie gerade spielen, was sie an dem Titel fasziniert und was ihnen Spaß macht. Ich glaube, dass es auch sehr wichtig ist, dass wir als Erwachsene lernen müssen, wie wir mit digitalen Medientechnologien umgehen, gerade wenn man bedenkt, wie viel Zeit wir selbst mit dem Smartphone verbringen. Da ist es auch wichtig, ein gutes Stück weit Vorbild zu sein und den richtigen Umgang mit seinen Kindern offen zu thematisieren. Auch wie die Kommunikation im Internet verläuft, wie man sich im Internet verhält, welche

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Daten man preisgibt, gehören hierzu. Das sind alles Themen, bei denen wir als Gesellschaft zukünftig noch besser werden müssen. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen muss es das Ziel sein, sie zu mehr Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit in der Mediennutzung zu erziehen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns in Deutschland stellen müssen und wo wir alle noch besser werden können.

Autorinnen und Autoren

Michael Baur Prof. Michael Baur ist Studiengangsleiter für Game Design and Development am Campus Leipzig der Hochschule Macromedia. Er erhielt 2001 sein Diplom in Medieninformatik an der Fachhochschule Furtwangen im Schwarzwald. Nach seinem Abschluss arbeitete er 16 Jahre lang in der Deutschen Computerspielbranche und entwickelte als Senior/Lead Game/Level Designer unter anderem bei Electronic Arts, Phenomic und Ubisoft, Blue Byte Mainz. Dabei entstanden Spiele wie beispielsweise die SpellForce Serie, BattleForge, Lord of Ultima, Sacred III, Heroes of Might & Magic Online und Die Siedler Online. Seit 2019 ist er für die Hochschule Macromedia Campus Leipzig als Professor tätig und ist maßgeblich an der Entwicklung des neuen Studiengangs „Game Design and Development“ beteiligt. Darüber hinaus gehört er zum Gründungsvorstand des Verbands Games & XR Mitteldeutschland e. V. und ist Jurymitglied beim DOK Neuland Award in Leipzig. Winfried Bergmeyer Dr. Winfried Bergmeyer studierte Kunstgeschichte, Europäische Ethnologie und Vor- und Frühgeschichte an den Universitäten Marburg und Zürich. Er war unter anderem am Sächsischen Amt für Denkmalpflege, am Institut für Museumsforschung (SMB – Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin) und am Computerspielemuseum Berlin tätig. Aktuell ist er als Lehrbeauftragter mit den Schwerpunkten digitale Museumsdokumentation, Informationsbereitstellung und Langzeitarchivierung an der Fakultät Informatik und Medien an der HTWK Leipzig tätig.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6

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Autorinnen und Autoren

Benjamin Bigl Benjamin Bigl, Dr. phil., leitet seit 2018 in Torgau das Pilotprojekt „Medienpädagogisches Zentrum+“ (MPZ+) zur Stärkung und Förderung außerschulischer Medienbildung und -kompetenz. Er studierte Kommunikationswissenschaften, Journalismus und Geschichte und wurde 2014 an der Universität Leipzig mit einer empirischen Studie über die Nutzung und die Wirkung von virtuellen Videospielen promoviert. Zwischen 2015 und 2018 war er Programmdirektor des Double-Degree-Masterprogramms Global Mass Communication/Journalism an der Universität Leipzig in Kooperation mit der Ohio University (USA). Er forscht und lehrt über die Nutzung und Wirkung digitaler Medien und Computerspiele, zu Themen und Herausforderungen der Medienwirkungs- und Journalismusforschung, der digitalen Medienbildung sowie der Umweltkommunikation. Publikationen u. a.: 100 Jahre Kommunikationswissenschaft in Deutschland (mit M. Beiler; Konstanz: UVK, 2017), Virtuelle Computerspielwelten (Köln: Herbert von Halem Verlag, 2016), Playing with Virtuality, Theories and Methods of Computer Game Studies (mit S. Stoppe; Frankfurt: Peter Lang, 2013). Felix Falk Felix Falk ist seit dem 1. Februar 2018 Geschäftsführer des game – Verband der deutschen Games-Branche. Zuvor war er in derselben Funktion bereits für den BIU – Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware tätig und setzte hierbei den Zusammenschluss mit dem ehemals bestehenden GAME –Bundesverband der deutschen Games-Branche mit um. Von 2009 bis 2016 war Felix Falk Geschäftsführer der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK). Als stellvertretender Vorsitzender der International Age Rating Coalition (IARC) entwickelte er in dieser Zeit unter anderem den globalen Kennzeichnungsstandard für ­Online-Spiele und Apps mit. Im Nebenberuf ist er als Saxophonist aktiv. Vanessa Funke Vanessa Funke studierte erfolgreich im Bachelor Buch- und Medienproduktion an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, bevor sie im Sommersemester 2020 den Masterstudiengang Medienmanagement anschloss. Die Beteiligung im Organisationsteam der Langen Nacht der Computerspiele beruft sich auf ihr gewähltes Masterprojekt, welches sich über zwei Semester erstreckt. Als Kontrast zu ihrer Leidenschaft der Typographie und Buchkunst steht die Lange Nacht der Computerspiele, welche dem analogen gegensätzlich gegenübersteht. Ihre Begeisterung für Organisation kann in diesem Projekt jedoch umfassend eingebracht werden.

Autorinnen und Autoren

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Sonja Ganguin Prof. Dr. Sonja Ganguin ist Professorin für Medienkompetenz- und Aneignungsforschung am Institut der Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie Direktorin des Zentrums für Medien und Kommunikation (ZMK) an der Universität Leipzig. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählt erstens die Untersuchung von Medienkompetenz, insbesondere die Fähigkeit zur Medienkritik. Zweitens hat sich Frau Ganguin jahrelang mit der Bedeutung von Computerspielen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene auseinandergesetzt. Drittens beschäftigt sie sich mit der Analyse sozialer Wandlungsprozesse in digitalen (Lern-)welten. Lisa Herrmann Lisa Herrmann, Bachelor of Engineering, Jahrgang 1997, hat ein an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig abgeschlossenes Studium im Studiengang Buch- und Medienproduktion. Seit 2020 studiert sie ebenfalls an der HTWK Leipzig den Masterstudiengang Medienmanagement. Im Rahmen ihres Masterprojektes agierte sie im Organisationsteam der Langen Nacht der Computerspiele 2020. Dabei gehörte neben der Mitwirkung an der Entwicklung und der Gestaltung der Website unter anderem die Dokumentation, die Schwachstellenanalyse und die Optimierung der Veranstaltung zu ihren Aufträgen. Gabriele Hooffacker Gabriele Hooffacker, Prof. Dr. phil., Jahrgang 1959, lehrt an der HTWK in Leipzig im Lehrbereich „Medienadäquate Inhalteaufbereitung“. Gabriele Hooffacker gibt die von Walther von La Roche (1936–2010) gegründete Lehrbuch-Reihe Journalistische Praxis bei Springer VS sowie mit einem Herausgeberteam um Horst Pöttker die Fachzeitschrift Journalistik heraus. Sie ist Jurymitglied beim Alternativen Medienpreis und organisiert seit 2017 die Lange Nacht der Computerspiele. Thomas Horky Thomas Horky ist seit 2009 Professor für Sportjournalismus an der Macromedia Hochschule Hamburg. Die Schwerpunkte Horkys wissenschaftlicher Arbeit liegen auf dem Sportjournalismus, dem Verhältnis zwischen Sportjournalismus und Unterhaltung sowie dem Thema Mediensport und Inszenierung. Er ist Mitglied im Editorial-Board von mehreren internationalen Zeitschriften sowie Mitherausgeber der Buchreihe „Sportkommunikation“.

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Autorinnen und Autoren

Phillip Jacob Phillip Jacob, Master of Engineering, Jahrgang 1994, ist Absolvent der HTWK in Leipzig und steht noch am Anfang seiner wissenschaftlichen Karriere. Bis März 2020 studierte er in Leipzig im Master „Medien Management“ und im Bachelor „Buch- und Medienproduktion“. Neben seinem Studium und arbeitete er als Projektmanager, Grafikdesigner und Redakteur für verschiedene nationale und internationale Verlagsdienstleister und Medienagenturen. Aktuell bereitet sich Phillip Jacob auf seine Promotion im Themenbereich transmediales Storytelling vor. Konrad Kunze Konrad Kunze, geboren 1981, arbeitet seit 2012 als Lead Game Designer für die Marke FusionPlay bei der Firma IT Sonix. Er leitete die Entwicklung von „FusionPlay Heroes“, dem ersten mobilen NFC Kartenspiel. Er ist der Erfinder des zugrundeliegenden Patents, bei dem Spielkarten mittels eingebauter Funkchips mit einer Smartphone App kommunizieren, um damit hybride Spielkonzepte zu ermöglichen. Zuletzt agierte er als Game Designer des Virtual Reality Katzensimulators „Konrad’s Kittens“ für PlayStation VR, Oculus Rift und Steam. Aktuell kümmert er sich primär um die Weiterentwicklung des VR und Spielebereichs der Firma und die Zusammenarbeit mit Partnern. Vor seiner Karriere als Game Designer war er als Produktmanager in einem internationalen Konzern tätig und betreute dort eine Sprachanalyse-Software. Ursprünglich hat er Telekommunikationsinformatik an der Telekom Fachhochschule in Leipzig studiert. Christin Marczinzik und Thi Binh Minh Nguyen Thi Binh Minh Nguyen und Christin Marczinzik sind Gründerinnen von A.MUSE, einem Kreativstudio für außergewöhnliche Multimedia-Erlebnisse zwischen Kunst, Design und Technologie. Zusammen kreieren sie spielerische, informative und inspirierende Erfahrungen, die Menschen verbinden und glücklich machen. Internationale Bekanntheit erlangte das Team mit seiner Installation Swing VR. Zuletzt wurde A.MUSE von der Bundesregierung mit dem Titel „Kultur- & Kreativpiloten“ ausgezeichnet. René Meyer René Meyer, Jahrgang 1970, entwickelte bereits als Schüler in den achtziger Jahren Spiele. Seit Anfang der neunziger Jahre arbeitet er als Journalist und Autor. Seit 1998 betreut er die aus der gleichnamigen Buchserie entstandene Website MogelPower.de, eine der meistbesuchten Adressen für Spieler. Meyer ist einer der Gründer der Langen Nacht der Computerspiele und organisiert den

Autorinnen und Autoren

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Retro-Bereich auf der Gamescom. Sein Wandermuseum „Haus der Computerspiele“ ist häufig zu Gast auf Messen, Festivals, in Hochschulen und Museen. Meyer ist Jury-Mitglied des Gamescom Awards. Björn Redecker Björn Redecker ist freier Promovend an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld. Er hat zuvor Populäre Musik und Medien (B.A.) in Paderborn und Detmold und Interdisziplinäre Medienwissenschaft (M.A.) in Bielefeld studiert. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehört die interdisziplinäre und reflektierende Forschung innerhalb der Game Studies und die Lösungsfindung für konkurrierende Perspektiven und Theorien der Computerspielforschung. In seinem Dissertationsprojekt beschäftigt er sich mit der bedeutsamen Rolle von Musik im Medium Computerspiel und konzipiert diese als Projektionsfläche, um verschiedene Themenfelder und Perspektiven zusammenzudenken. Jana Reinhardt und Friedrich Hanisch Jana Reinhardt und Friedrich Hanisch haben beide Multimedia-Design in Halle an der Saale studiert und im Anschluss das Spielestudio Rat King Entertainment gegründet. Seitdem entwickeln sie hauptsächlich kleinere bis mittlere Titel für Smartphones und Desktopcomputer, sowohl für Auftraggeber als auch eigene Produktionen, und nehmen mehrmals jährlich an Game Jams teil. www.ratking.de Klaus Rettinghaus Dr. Klaus Rettinghaus ist in Berlin aufgewachsen und hat dort zunächst das Diplom-Studium der Physik absolviert, dem sich ein Studium der Musikwissenschaften und der Theologie anschloss. Er betreibt historische Forschung und entwickelt Tools für die Digital Humanities. Unter anderem ist er Mitglied im Technical Team der Music Encoding Initiative und der TEI Special Interest Group on Correspondence. Seit einigen Jahren ist er überdies auf dem noch recht jungen Feld der Ludomusicology aktiv. Er hält einen Lehrauftrag für Musikwissenschaften an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig. Stella Schüler Stella Schüler ist selbstständige Coach und Consultant für künstlerische Workflows, Design- und Innovationsprozesse. Ihre Schwerpunkte sind Game Thinking, Storytelling, Motivation und Flow. Bis 2018 hatte Stella Schüler eine Professur für Gamedesign an der Vitruvius-Hochschule in Leipzig inne. Im Rahmen dessen unterrichtete sie Grundlagen der Spielentwicklung, Charakter- und Weltendesign, Storytelling sowie Serious Gaming. Stella Schüler hat eine abgeschlossene

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Autorinnen und Autoren

­ usbildung als Mediendesignerin, einen Dipl.-Ing. (FH) in Architektur, einen A Master of Arts in Bühnenbild und Szenischer Raum, mehrere Weiterbildungen im Bereich der prozessorientierten Kommunikationssteuerung sowie eine zertifizierte Fortbildung als Entspannungstherapeutin mit der Zusatzqualifikation für Kinder und Jugendliche. In allen Bereichen kann sie einschlägige Berufserfahrungen und Projektumsetzungen nachweisen. Außerdem liegen ihr die Themen Mindfulness, Kreativität und Potenzialentfaltung besonders am Herzen. Maria Schween Maria Schween, Jahrgang 1981, ist freiberufliche Medienkünstlerin mit Schwerpunkt Sounddesign und Komposition für Film und Games. Sie hat Medienkunst mit dem Schwerpunkt Elektroakustische Komposition am SEAM in Weimar und Tontechnik in Leipzig studiert. Sie hat unter anderem die Musik zu Filmen wie „Totentanz“ von Urban Gad und „Lady Europa“ von Toni Aurelio Agliata komponiert. Zu Ihren wichtigsten Kompositionen für Videospiele zählt „Bauhaus_Oasis“, welches 2019 in einigen deutschen Museen zu erleben war. Neben ihrer Tätigkeit als Komponistin und Sounddesignerin hält sie Fachvorträge und ist Mitglied im Verband Games und XR Mitteldeutschland. Valentin Spiegel Valentin Spiegel kam über das Musikpädagogikstudium zur Tontechnik, die ihn wiederum zuerst zum Film und später zur Games-Branche brachte. Dabei spezialisierte er sich auf Sound Design und Komposition und arbeitet seitdem als freiberuflicher Audio Designer in Leipzig für Film, Fernsehen und Games. Neben Tätigkeiten für das öffentlich-rechtliche Fernsehen (SOKO Leipzig/WAPO Bodensee) und Kino (Schneeflöckchen/Ronny & Klaid) ist er auch als Dozent am SAE Institute und Mitorganisator des „GameDev Meetup“ Leipzig in der lokalen Games Szene aktiv. https://www.valentinspiegel.de Sebastian Stoppe Dr. Sebastian Stoppe ist Medienwissenschaftler und Projektkoordinator und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universitätsbibliothek Leipzig. Er studierte Kommunikations- und Medienwissenschaft, Politikwissenschaft und Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Leipzig und wurde an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg über die Fernsehserie „Star Trek“ ­ als politische Utopie promoviert. Seine Forschungsinteressen liegen in der Filmund Fernsehwissenschaft mit einem besonderen Schwerpunkt auf Filmmusik und Science Fiction. Publikationen u. a.: Hercule Poirot trifft Miss Marple, Agatha

Autorinnen und Autoren

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Christie intermedial (mit J. Kretzschmar und S. Vollberg; Darmstadt: Büchner, 2016); Unterwegs zu neuen Welten, Star Trek als politische Utopie (Darmstadt: Büchner, 2014); Film in Concert, Film Scores and their Relation to Classical Concert Music (Glückstadt: Hülsbusch, 2014); Playing with Virtuality, Theories and Methods of Computer Game Studies (mit B. Bigl; Frankfurt: Peter Lang, 2013).

Science MashUp 2020 – Überblick ­Online-Vorträge

Alle Vorträge zum Science MashUp 2020 stehen auf dem YouTube-Kanal des Science MashUp online bereit. Vortrag

Referent

Link

Science MashUp goes virtual. (Pecha Kucha)

B.Eng. Michael Faber

https://www.youtube.com/ watch?v=6Q3G2r6dRIY

Prof. Dr. Gabriele Symposium zur Computerspielenacht: Back Hooffacker to the roots. (Pecha Kucha)

https://www.youtube.com/ watch?v=a78lD9SgLsQ

Gaming in Sachsen – Quo Vadis? Games spielen, studieren, entwickeln. (Pecha Kucha)

https://www.youtube.com/ watch?v=HMo0RUaz0ZE

Dr. Benjamin Bigl

Transmediales Storytelling. M.Eng. Phillip Jacob (Pecha Kucha)

https://www.youtube.com/ watch?v=3WsySF08gHs

Valentin Spiegel Adaptive Audio – Dynamischer Ton mit Hilfe von Audio Middleware. (Kurzvortrag)

https://www.youtube.com/ watch?v=TaPjlEMYueo

Interaktionen mit der virtuellen Welt. (Kurzvortrag)

Konrad Kunze

https://www.youtube.com/ watch?v=19vihQKhc64

Entwicklung der Komposition für Videospiele (Kurzvortrag)

Maria Schween

https://www.youtube.com/ watch?v=IyG1TQtfCEI

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Hooffacker und B. Bigl (Hrsg.), Science MashUp. Zukunft der Games., https://doi.org/10.1007/978-3-658-31626-6

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216 Vortrag

Science MashUp 2020 – Überblick O ­ nline-Vorträge Referent

Link

Prof. Dr. Sonja Ganguin https://www.youtube.com/ Gamemusik und watch?v=_K_6EWaI6x4 Geräusche – Eine populäre und M.A. Björn Redecker Allianz für Game AudioDesign der Zukunft. (Kurzvortrag) Games und offene Daten. (Kurzvortrag)

Dr. Winfried Bergmeyer https://www.youtube.com/ watch?v=YQ6cfHOvyN8

Als die Spiele sprechen lernten (Kurzvortrag)

Dr. Klaus Rettinghaus

https://www.youtube.com/ watch?v=ekC7Vk-8q4g

Ich erspiele mir eine Utopie. (Vortrag)

Dr. Sebastian Stoppe

https://www.youtube.com/ watch?v=WmOU8Hv7kXc

Closing Science MashUp. (Pecha Kucha)

B.Eng. Michael Faber

https://www.youtube.com/ watch?v=04Ya-I_uNq8