Schweres Schweben: Qualitäten der gravitas in Pina Bauschs Orpheus und Eurydike 9783839446652

In »heavy floating«, the author develops a figure of thought that traces and re-contextualizes floating people in Europe

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German Pages 344 Year 2019

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
BLICK ZURÜCK
1. Pina Bauschs aplomb. Ballett im Tanztheater
2. Schweben im schweren Stil. gravitas als Denk- und Tanzfigur
BLICK ZURÜCK NACH VORN
3. Topografien des Schwebens. Schwerkraft-Räume seit der Moderne
4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch
Fazit und Ausblick
Dank
Quellen- und Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
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Schweres Schweben: Qualitäten der gravitas in Pina Bauschs Orpheus und Eurydike
 9783839446652

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Mariama Diagne Schweres Schweben

TanzScripte  | Band 53

Editorial Tanzwissenschaft ist ein junges akademisches Fach, das sich interdisziplinär im Feld von Sozial- und Kulturwissenschaft, Medien- und Kunstwissenschaften positioniert. Die Reihe TanzScripte verfolgt das Ziel, die Entfaltung dieser neuen Disziplin zu begleiten und zu dokumentieren: Sie will ein Forum bereitstellen für Schriften zum Tanz – ob Bühnentanz, klassisches Ballett, populäre oder ethnische Tänze – und damit einen Diskussionsraum öffnen für Beiträge zur theoretischen und methodischen Fundierung der Tanz- und Bewegungsforschung. Mit der Reihe TanzScripte wird der gesellschaftlichen Bedeutung des Tanzes als einer performativen Kunst und Kulturpraxis Rechnung getragen. Sie will Tanz ins Verhältnis zu Medien wie Film und elektronische Medien und zu Körperpraktiken wie dem Sport stellen, die im 20. Jahrhundert in starkem Maße die Wahrnehmung von Bewegung und Dynamik geprägt haben. Tanz wird als eine Bewegungskultur vorgestellt, in der sich Praktiken der Formung des Körpers, seiner Inszenierung und seiner Repräsentation in besonderer Weise zeigen. Die Reihe TanzScripte will diese Besonderheit des Tanzes dokumentieren: mit Beiträgen zur historischen Erforschung und zur theoretischen Reflexion der sozialen, der ästhetischen und der medialen Dimension des Tanzes. Zugleich wird der Horizont für Publikationen geöffnet, die sich mit dem Tanz als einem Feld gesellschaftlicher und künstlerischer Transformationen befassen. Die Reihe wird herausgegeben von Gabriele Brandstetter und Gabriele Klein.

Mariama Diagne (Dr. phil.) ist Tanzwissenschaftlerin und ausgebildete Bühnentänzerin. Seit 2012 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Tanzwissenschaft am Institut für Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin. In ihrer Forschung widmet sie sich den Re-Lektüren der Tanzgeschichtsschreibung mit Fokus auf Diversität und Ethnizität, sowie den daraus entstehenden ästhetischen und ethischen Zusammenhängen in Tanz und Theater der Gegenwart.

Mariama Diagne

Schweres Schweben Qualitäten der gravitas in Pina Bauschs Orpheus und Eurydike

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG Wort Das vorliegende Buch wurde als Dissertation im Fach Tanzwissenschaft am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin eingereicht.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Malou Airaudo als Eurydike, Dominique Mercy als Orpheus, Viertes Bild »Sterben« aus Orpheus und Eurydike von Pina Bausch. Fotografie: Ulli Weiss 1991 © Pina Bausch Foundation Korrektorat: Sonja Wilhelm, Berlin Satz: Justine Buri, Bielefeld Druck: Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg Print-ISBN 978-3-8376-4665-8 PDF-ISBN 978-3-8394-4665-2 https://doi.org/10.14361/9783839446652 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt Einleitung................................................................................................. 9

BLICK ZURÜCK 1. Pina Bauschs aplomb. Ballett im Tanztheater..................................................................... 41 Tanzopern lesen. Tanztheater verstehen.............................................................. 51 Tanztheater von 1984 bis 1987 – NYC, BRD und DDR............................................. 62 Spuren des Akademischen................................................................................... 73 Pina Bauschs aplomb in den USA..........................................................................77

2. Schweben im schweren Stil. gravitas als Denk- und Tanzfigur.................................................... 85 Begriffsbestimmung und Kontext der gravitas.................................................... 85 gravitas in der Rhetorik. Denken der Schwere im Schweben....................... 86 gravitas in der Musik. Schweben zwischen Tradition & Reform................... 96 Choré-grafien des Schwebens im Klassischen Akademischen Tanz.................. 105 pas grave. Grundschritt und Grundhaltung einer Tanzgrammatik...............110 antigrav. Instrumente der Haltung bei Lessing, Noverre und Kleist............. 117 Choreo-grafien des Schwebens im Klassischen Akademischen Tanz................133 Arabeske Schatten. Attitude allongée im Reich der Phantasie.................... 134 Nachtschatten. Greifbare Leere und das Gewicht der Seele...................... 148

BLICK ZURÜCK NACH VORN 3. Topografien des Schwebens. Schwerkraft-Räume seit der Moderne.......................................... 173 Kinesphären & Gravitationsfelder. Im arc en cercle zwischen Tanz & Physik.... 189 Schatten & Formen. Denkfiguren bei Rudolf von Laban und Paul Klee........191 Schwerefelder. gravitas in der Physik Albert Einsteins.............................. 200 Ciné-Ballet. Schweben im Medienwechsel von Tanz & Film............................... 206 Attitude allongée im Weltraum bei Maya Deren & Antony Tudor.................. 212 Schwebende Trauer. Antikriegsballette von Kurt Jooss und Antony Tudor........ 219

4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch................... 231 »Trauer«............................................................................................................. 234 Eurydikes Ruhen......................................................................................... 235 Orpheus’ Klagetanz......................................................................................244 »Gewalt«............................................................................................................ 248 Eurydikes Schweben.................................................................................... 251 Orpheus’ Taumeln....................................................................................... 254 »Frieden«........................................................................................................... 256 Eurydikes Schatten.....................................................................................257 Orpheus’ Suchen......................................................................................... 258 »Sterben«........................................................................................................... 260 Letzter Tanz. Eurydikes arc en cercle........................................................ 262 Letzter Gang. Orpheus’ pas grave............................................................... 265 Topografien der Liebe. Bauschs orpheisch-eurydikische Schatten.................... 271

Fazit und Ausblick........................................................................................283 Dank......................................................................................................293

Quellen- und Literaturverzeichnis....................................................... 297 Aufführungsbesuche...........................................................................................297 Audiovisuelle Medien.......................................................................................... 298 Primärliteratur................................................................................................... 300 Sekundärliteratur............................................................................................... 305 Onlinepublikationen............................................................................................ 335

Abbildungsverzeichnis.........................................................................337

Einleitung In der Schwebebahn Die Schwebebahn in Wuppertal schwebt mit ihren schweren Gondeln aus Stahl seit 1889 mühelos über dem Flussbett der Wupper. Der hängende Zug prägt nicht nur das Bild einer ehemaligen Industriestadt, in der Fahrgäste zwischen Baumkronen entlang von Hausfassaden, wie dem Büro und der Probebühne des Tanztheaters Wuppertal, effektiv fortbewegt werden. Die Schwebebahn ist für mich zudem ein Sinnbild für Experimente und Forschungen zu Phänomenen des Schwerelosen. Schwebende Gegenstände haben Philosophie, Kunst, Wissenschaft und Technik von der Antike bis ins 21. Jahrhundert gedanklich wie physisch in Bewegung versetzt. Zugleich steht die Schwebebahn für ein Paradox: Die tonnenschweren Waggons hängen an einem Steg und fahren in der Luft, ohne dass laufende Räder den Boden berühren. Reisende können so trotz der eigenen Körperschwere für den Moment der Fahrt den Erdboden verlassen und ›schweben‹. Anders als Flugzeuge, die mit Kerosin befeuertem Antrieb und sehr hoher Geschwindigkeit durch die Luft ziehen, hängt die Schwebebahn und lässt sich beim langsamen Mäandern durch den Stadtraum wie ein Zirkusgefährt beobachten. Die Faszination für das Schweben der schweren Last sorgte 1950 für ein Experiment des Wuppertaler Zoos. Als Werbeattraktion für die Bürger der Stadt verfrachtete man den Tierpark-Elefanten Tuffy in einen der Waggons. Nach wenigen Minuten Fahrt wurde das tonnenschwere Tier in der laut ratternden Stahlgondel zappelig, verlor das Gleichgewicht, durchbrach ein Fenster und fiel knappe fünf Meter hinab in die Wupper. Die Presse habe im Moment des Sturzes erschrocken auf die Szene gestarrt, so dass keine Fotoaufnahme des fallenden Tieres zustande kam. Tuffy landete erfreulicherweise unverletzt im Flussbett und wurde nach diesem bühnenreifen Sturz aus der inszenierten Schwerelosigkeit zum Wahrzeichen der Stadt ernannt.1 C’est pas grave – Nicht so tragisch. 1  S childerungen von diesem Ereignis griff auch der Journalist und Autor Jan Mohnhaupt in seiner literarischen Darstellung der Geschichte der zwei Berliner Zoos auf: »Der Elefant in der Schwebebahn«, in: Mohnhaupt, Jan: Der Zoo der Anderen: Als die Stasi ihr Herz für Brillenbären entdeckte & Helmut Schmidt mit Pandas nachrüstete, München: Carl Hanser 2017, S. 83-88.

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Schweres Schweben

Schweben. Gegenstand und Thema Im Schweben von Körpern wirken Kräfteverhältnisse, die von schwer bis leicht hin zum Schwerelosen reichen. Die Studie »Schweres Schweben. Qualitäten der gravitas in Pina Bauschs Orpheus und Eurydike (1975)«2 widmet sich den Darstellungen von Schwebenden und rückt dazu Körper ins Zentrum, die sich in euklidischen wie imaginären Räumen befinden und den Eindruck der Schwere im Schwerelosen oder des Schwerelosen im Schweren vermitteln. Imaginäre Räume und assoziative Sphären wie die Unterwelt werden dazu als Orte betrachtet, die sich jenseits euklidischer Maße durch eine je spezifische, sinnlich erfahrbare wie imaginierbare Räumlichkeit auszeichnen und phänomenologisch als Topografien bestimmt werden.3 So ließe sich etwa der Raum unter der Schwebebahn, in dem der Elefant Tuffy landete, als eine Sphäre ›unter der Welt‹ beschreiben. Zwischen Schwebebahn und Flussbett bewegt man sich nicht unter freiem Himmel, sondern unter schwer schwebenden Stahlgondeln. Diese Räumlichkeit unter der Bahn wäre topografisch mit der Unterwelt assoziierbar. Es ist jener mythische Ort, an dem der Unterweltsgott Pluto die verstorbene Eurydike festhält; es ist jener Raum, in den der Sänger Orpheus hinabsteigt, um seine verstorbene Frau zu finden; es ist jene Schwelle zwischen Leben und Tod, an der Orpheus’ Eurydike auf tragische Weise erneut stirbt. Die hier zunächst assoziativ und metaphorisch eröffnete Relation zwischen der Schwebebahn in Wuppertal und dem Orpheus-Mythos führe ich in dieser Studie anhand Bauschs Tanzoper Orpheus und Eurydike (1975), ihrer choreografischen Gestaltung von Christoph Willibald Glucks (1714-1787) Barockoper Orpheé et Eurydice (1774) für das Tanztheater Wuppertal, in folgenden formal-ästhetischen Sinnzusammenhang: Unabhängig von einer spezifisch räumlichen Zuordnung betonen Bewegungsqualitäten des ›Schwebens‹ aktive wie auch passive Haltungen des Körpers. Das Spannungsverhältnis zwischen schwer, leicht und schwerelos 2 Orpheus und Eurydike: (M): Christoph Willibald Gluck, (L): Ranieri Calzabigi, (Ch): Pina Bausch, Szenografie (Sz): Rolf Borzik, Musikalische Leitung, (ML): Janos Kulka, Ensemble (E): Tanztheater Wuppertal, Sopranistinnen, Chor und Orchester der Wuppertaler Bühnen, (UA): 23.05.1975, Opernhaus Wuppertal. Eine Darstellung der genaueren Arbeitsweise Bauschs und damit einhergehenden Umgestaltung von Libretto und Komposition der musikalischen Vorlage unternimmt das Kapitel »Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch« (4). 3  I n Verwendung des Raumbegriffes und der Spezifizierung durch den Begriff der Räumlichkeit stütze ich mich an dieser Stelle und im Folgenden auf die in der Medien- und Kulturwissenschaft entworfenen Raumtheorien, wie sie etwa Stephan Günzel zur Phänomenologie des Räumlichen vorstellt. Siehe: Günzel, Stephan: »Einleitung« in das Kapitel »Phänomenologie der Räumlichkeit«, in: Ders./Dünne, Jörg (Hg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaf ten, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2006, S. 105-127. Hier: S. 105. Siehe auch: Günzel, Stephan: »Raum – Topographie – Topologie«, in: Ders. (Hg.): Topologie. Zur Raumbeschreibung in den Kultur- und Medienwissenschaf ten, Bielefeld: transcript 2007, S. 13-29.

Einleitung

durchzieht die choreografischen Darstellungen der europäisch geprägten Tanzund Kulturgeschichte. Gewicht und Grazie von sich bewegenden Körpern bedingen einander seit Beginn der Akademisierung von tänzerischer Artikulation in Bühnenräumen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Der Tanzmeister und Choreograf Carlo Blasis (1797-1878) beschrieb dieses Verhältnis anhand der Grundsätze seines Vorreiters, des Tanzbuchautors und Choreografen Jean Georges Noverre (1727-1810), wie folgt: »The opposition of one part of a moving solid to another part is a law of equilibrium by which the gravitating powers are divided. This is precisely what Noverre wishes to demonstrate in his example of the gait of a man.«4 Equilibrium bedeutet Emporstreben und gilt bisher als Schlüsselbegriff für die europäische Akademisierung tänzerischer Bewegung.5 Diese Studie entfaltet, wie genau diese Bewegungsdynamik im Vokabular der ersten überlieferten Tanztechniken tänzerisch umgesetzt wurde; etwa, wenn Tanzende mit ihrem gesamten Leib versuchen, durch schwebend wirkende Schritte mit Anmut und Grazie die Schwerkraft zu überwinden. Das Schweben der Körper erfordert einen Disziplinen übergreifenden Blick: Heinrich von Kleist stellte 1810 in seinem Text Über das Marionettentheater die Fähigkeit des tanzenden Menschen zur reinen Grazie in Frage. Begnadet zu wirklicher Anmut im Schweben seien nur die Gliederpuppen, da ihnen die elegante Erscheinung ihrer Bewegungen schlicht nicht bewusst sei.6 Bewegungen des Körpers, die ein Equilibrium fordern und das Gehen des Tänzers (»gait of a man«7) in besonderer Weise leicht wirken lassen, gelten als elegant. Die für den Tanz zentrale Verbindung des Equilibriums mit Schwere-Kräften (»gravitating powers«8) lässt sich diskursiv anhand eines aus der Rhetorik der griechischen Antike stammenden Begriffs entfalten: der gravitas (Schwere).9 Im Lateinischen geht gravitas auf gravis, gr. bareîa (βαρεῖα) zurück. Bareîa bedeutet im Altgriechischen zu-

4  B  lasis, Carlo: The Code of Terpsichore. The Art of Dancing: comprising its Theory and Practice, and A History of its Rise and Progress from the earliest Times, London: o. V. 1830, S. 68. Das Traktat wurde 1828 zunächst auf Italienisch, 1830 dann in englischer Übersetzung veröffentlicht. 5  I n welcher Form Tanzbuchautoren wie Noverre und Blasis über den Begriff des Equilibriums die ästhetischen Grundprinzipien Grazie und Eleganz in ihren Traktaten darstellen, wird im Kapitel »Choré-grafien des Schwebens im Akademischen Tanz« (2) vorgestellt. 6  K  leist, Heinrich von: Über das Marionettentheater. Aufsätze und Anekdoten, mit Zeichnungen von Oskar Schlemmer und einem Nachwort von Josef Kunz, Leipzig: Insel 1980. 7  Blasis, The Code of Terpsichore, ebd. 8  Ebd. 9  E inen Exkurs in die Begriffsgeschichte der gravitas, der an die hier gestellten Themen zur Darstellung von Qualitäten des Schweren und Leichten anknüpft, unternimmt das Kapitel »Schweben im schweren Stil. gravitas als Denk- und Tanzfigur« (2).

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Schweres Schweben

nächst Schwere, Gewicht oder Last.10 Gravis folgt den Bedeutungen von grandis (groß, erhaben), gravidus (schwanger, trächtig, beladen) und ponderosus (schwer, (ge)wichtig), die zunächst als Gegensatz zu levis (leicht) gedacht sind.11 Im übertragenen Sinn bedeutet gravitas Gewicht und Ernst, sowie Würde und Erhabenheit. Mit letzteren wird auch der Begriff der Grazie (lat. gratia, gleichbedeutend mit Gnade) verbunden. In der Physik ist der Begriff der Gravitation (Schwerkraft) unmittelbar aus dem Lateinischen (gravitas) abgeleitet. Seit der griechischen Antike steht die gravitas konstitutiv und stilbildend für Formen des freien, leichten Denkens und Artikulierens von Ideen in Philosophie, Rhetorik und Bühnenkunst – und somit auch für eine geistige Haltung, mit der die Gestaltung imaginärer Räume wie der Unterwelt möglich ist. Die gravitas ist – so eines meiner zentralen Anliegen – konstitutiver Teil der Grammatik des europäischen Akademischen Tanzes. Mit ihr verbindet die Tanzkunst vor allem die Dreiteilung von tanztechnischen Stilen und deren sukzessive Anbindung an Charaktere und Typen eines Narrativs. Die Dreistillehre der antiken Rhetorik besteht aus dem stilus humilis (niedrig), dem stilus mediocris (mittel) und der höchsten Stufe der Redekunst, dem stilus gravis. Ein ›Arbeiten an der gravitas‹ über die Bewegung von Körpern zeigt, wie stark das abendländische Denken sowie die diesem entsprungene Ästhetik bis heute auf dem Prinzip der gravitas beruhen: es ist der ›aufrechte Gang‹, die ›Erhebung‹, die den Menschen erst vom Tier unterscheidet, und Siegmund Freud zufolge in eben diesem Punkt die Grundvoraussetzung für die menschliche Moral bildet.12 10  Z  ur Begriffsbestimmung mit Verweis auf entsprechende Stellen in den Schriften, etwa von Ovid oder Cicero, vgl.: Klotz, Reinhold: Handwörterbuch der Lateinischen Sprache, Band 1, A–H, 7. Abdruck, Graz: Akademische Druck- und Verlagsgesellschaft 1963, Sp. 1657-1659; zu Bedeutungsebenen im übertragenen Sinn vgl.: Stowasser, Josef M./u.a. (Hg.): Stowasser: lateinisch-deutsches Schulwörterbuch, Wien: Hölder-Pichler-Tempsky 1994, S. 228f. 11  K  lotz, Handwörterbuch der Lateinischen Sprache, Sp. 1657. Der Stowasser listet für das Adverb gravis (schwer) folgende Bedeutungsvarianten auf: »I. abs. 1. gewichtig; metaph. 2. wichtig, hoch, bedeutend; 3. a. dumpf, tief; b. ernst, würdig, würdevoll, erhaben. II. pass. 1. beladen, beschwert; 2. schwanger, trächtig; metaph. 3. beschwert, gedrückt; occ. a. betrunken. b. (vom Alter) gebeugt. c. schwer krank. II. akt. 1. drückend, lästig; metaph. 2. schwer (zu ertragen), schlimm, traurig, hart; 3. widrig, abstoßend. 4. graviter ferre sich ärgern.«, Stowasser, Stowasser, S. 228. Das Substantiv gravitas (Schwere) eröffnet folgendes Bedeutungsspektrum: »I.1. Gewicht [...] Unannehmlichkeit.«, ebd., S. 229. 12  D  er ›aufrechte Gang‹ ist bei Freud an die Verdrängung und die Entwicklung von Moral und Ekel gebunden. Siehe hierzu vor allem: Menninghaus, Winfried: Ekel, Theorie und Geschichte einer starken Empfindung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999, insb. S. 278-288. Besonders deutlich schildert Freud diese Verknüpfung in dem von der Freud-Forschung aufgegriffenen Brief an Wilhelm Fließ: Freud, Siegmund: Briefe an Wilhelm Fließ 1887-1904, hg. v. Jeffrey Moussaieff Masson, Frankfurt a.M.: Fischer 1985. Vgl. zudem die Lektüre Freuds durch Jacques Derrida: »Der Übergang zum aufrechten Gang richtet den Menschen auf oder erhebt ihn, der so die Nase

Einleitung

Es ist das Halten der Wirbelsäule in der Vertikalen, das im Besonderen zur ästhetischen Grundvoraussetzung wurde. Der aufrechte Gang ist unmittelbar mit der Vertikalität einer Kultur und ihrer Schönheits- und Qualitätsmerkmale verknüpft. Allein ein flüchtiger Blick in Kulturen jenseits europäischer Denkhaltungen würde verdeutlichen, inwieweit die gravitas vor allem im Modus des Repräsentativen ein europäisches Konzept ist und bei Übertragungen eingeschränkt und jeweils neu reflektiert werden muss. Demnach markiere ich diese Einschränkung und fokussiere in dieser Studie historiografisch explizit den europäischen Bühnentanz – und für diesen gilt: Wer sich im 18. Jahrhundert im höchsten Stil des Tanzes bewegen wollte, musste ›den‹ Grundschritt der Tanzkunst beherrschen, den pas grave. Dieser ›schwere‹ Schritt verlangt ein kurzes Innehalten und Heben des gesamten Körpers und markiert dabei entgegen seiner Bezeichnung einen Schritt in der Luft. Leichtigkeit vermittelnde Schritte wie der pas grave sind im Akademischen Tanz also sprachlich unmittelbar mit dem Gegenbild, der Schwere verbunden. Etwa so, wie sich die französische Redewendung c’est pas grave im Deutschen mit ›etwas nicht so tragisch nehmen‹ oder schlicht ›das macht nichts‹ übersetzen lässt.13 Die Schwere im Schweben ist immer mit jenen Orten verbunden, an denen sie wirkt. Die Schwere eines Ortes findet beispielsweise im englischen Wort graveyard ihren Ausdruck: der Friedhof, an dem Verstorbene in ihren Gräbern (graves) ruhen. Die Dynamik des Luftschritts pas grave und das Grab als Platz und Ort schwerer, weil regloser Körper sind wiederum konstitutiv für die Entwicklung der narrativen Räume und Körper (Geister) sowie der tanztechnischen Grammatik des Klassischen Akademischen Tanzes im 19.  Jahrhundert. Beide (graveyard und pas grave) finden im Reich der Schatten, jener Sphäre, in der sich imaginär das geisterhafte Leben ›nach‹ dem Tod abspielt, ihre Umwertung: Schwebende schwerelose Wesen wie Elfen oder Elementargeister, die als rastlose Untote weiterleben, bewegen sich im Schattenreich mit leichten Schritten, die den pas grave implizieren, zwischen Gräbern. Sie transformieren mit ihren Körperbewegungen diesen überirdischen ›Unterweltsort‹ in einen ›Lebensraum‹.14 In diesem relatiovon den sexuellen, analen oder genitalen Zonen entfernt. Diese Entfernung adelt die Höhe und hinterläßt Spuren, indem sie die Handlung aufschiebt. Verzögerung (délai), dif férance, adelnde Erhebung, Abwendung des Geruchssinns vom sexuellen Gestank, Verdrängung, das ist der Ursprung der Moral.«, Derrida, Jacques: Préjugés. Vor dem Gesetz [1985], hg. v. Peter Engelmann, Wien: Passagen Verlag 1992, S. 50. 13  D  ie Verflechtung von Rhetorik und Tanzkunst, sowie die Auswirkungen der unterschiedlichen Interpretationen durch Tanzschaffende wird in historiografischer Aufarbeitung und entlang kulturwissenschaftlicher Perspektivierungen in dem Kapitel »Choré-grafien des Schwebens im Akademischen Tanz (Barockzeit)« (2) vorgestellt. 14  D  er Abschnitt »Choreo-grafien des Schwebens im Klassischen Akademischen Tanz« erörtert im Anschluss an die Darstellungen der gravitas in Rhetorik und Barockzeit relevante Perspektivwechsel wie die Darstellung von Unsichtbarem in transzendentalen Räumen und Zuständen.

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nalen Gefüge aus leichten Schritten an dunklen (schweren) Orten muss ein die Phänomene Raum und Körper verbindendes Element hervorgehoben werden: der Schatten. Der farblich dunkle Lichtwurf wird zwar mit Schwere assoziiert, ist physikalisch jedoch schwerelos. In den Narrativen der europäischen Romantik sind es die Schatten, die in Sphären des Jenseits wirken und raumkonstitutiv sind. Inwieweit diese Verknüpfung über die Erzählungen der Romantik hinaus bereits in der Antike existiert, ist Gegenstand meiner Erörterungen der Schattenreiche im Tanz. Vor diesem tanzhistorischen wie kulturhistorischen Hintergrund entfalte ich mit der Studie folgende Annahme: Je nach Relation und Verhältnis von Schwerem und Leichtem als bewegungsdynamischer und physikalischer Größe lässt sich für jede Körperbewegung ›in Schwerkraft‹ von Feinstufen des Schwebens – respektive von Qualitäten der gravitas – sprechen. Figuren wie der Schatten versinnbildlichen diese Qualitäten. Sie korrespondieren meines Erachtens mit einer ›inneren Haltung‹ (Gestimmtheit) der Figuren im Narrativ, die in spezifischer Wechselwirkung mit der ›äußeren Haltung‹ der Körper der Darstellenden steht. Eines der prägnantesten Beispiele für diese Wechselwirkung ist die Figur der Eurydike: Die Schattenfrau aus dem Orpheus-Mythos. Auch Pina Bausch (1940-2009), Tänzerin, Choreografin und Leiterin des Wuppertaler Tanztheaters, widmete sich choreografisch dem Reich der Schatten und somit dem Darstellen eines übersinnlichen Raumes. Wie lässt Bausch – so eine meiner Grundfragen – Eurydike in Erscheinung treten, und in welcher Weise zeigt sich über das Phänomen der Schatten der tanzhistorische (pas grave) wie kulturgeschichtliche (gravitas) Bezug zum Schweben? Die hier unternommene methodisch tanzwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Frage folgt implizit einem »Aufeinanderlagern oder Kartographieren von Denkfiguren«15. Dieses als crossmapping bezeichnete Verfahren der Anglistin Elisabeth Bronfen (mit Rückbezug auf den Literaturtheoretiker Stephen Greenblatt) ermöglicht eine historiografische Überlagerung und Gegenüberstellung ästhetischer Werke und Phänomene. Im Kartografieren lassen sich »Bildformeln ästhetischer wie theoretischer Couleur«16 trotz ihrer zunächst deutlichen Ferne neu zueinander in Beziehung setzen und somit in andere Kontexte überführen. Auf diese Weise 15  B  ronfen, Elisabeth: Liebestod und Femme fatale. Der Austausch sozialer Energien zwischen Oper, Literatur und Film, Frankfurt a.M: Suhrkamp 2004, S. 11. 16  B  ronfen, Elisabeth: Crossmappings: Essays zur visuellen Kultur, Zürich: Scheidegger & Spiess 2011, S. 8. Das hier angewandte Verfahren des crossmappings unterscheidet sich sehr deutlich von dem Verfahren einer Mapping Theory, wie es die Theaterwissenschaftlerin Julia Stenzel in ihrer Studie Der Körper als Kartograph? Umrisse einer historischen Mapping Theory, München: epodium 2010 anwendet. Mit Rückgriff auf die Conceptual Metaphor Theory (CMT) sowie die (gemeinsamen) Schriften des Linguisten George Laokoff und des Philosophen Mark Johnson widmet Stenzel sich vor allem der Frage nach dem »Körper als Generierungsinstanz von Weltwissen«, Stenzel, Der Körper als Kartograph?, S. 11.

Einleitung

lässt sich das spezifische Zusammenwirken von Darstellungen und Vorstellungen von Schwebezuständen im Tanz, im Theater, in der Physik, der Literatur und der bildenden Kunst in neue historische wie ästhetische Zusammenhänge stellen. Durch das Kartografieren von Denkfiguren wie der gravitas, von Tanzfiguren wie dem pas grave und von Bildformeln wie dem Schatten kann dann, so das in dieser Studie angewandte Verfahren, eine spezifische Relationalität der Haltung bestimmt werden: die Haltung schwebender Körper in ihrer Relation zu den sie umgebenden Räumen, den inneren Zuständen, die diese Körper durch ihre Haltungen vermitteln, sowie den Denkbewegungen, denen diese schwebenden Körper entspringen und jenen, die sie wiederum anstoßen.17 In disziplinübergreifenden Diskursen zur ›Haltung‹ wird ausgehend von Abhandlungen seit Aristoteles und im Besonderen durch die Philosophie der Auf klärung die Verknüpfung von Denkmustern und Handlungen des Subjekts ref lektiert. Die Philosophin Frauke A. Kurbacher begreift Haltung als »Relationsphänomen«18 und unternimmt davon ausgehend in Forschungsverbänden Untersuchungen zur Bestimmung verschiedener Interpretationen die der «phänomenale Radius von ›Haltung‹«19 auslöst. Zu diesem Radius zählen unter anderem Metaphern, die auch im hier eröffneten Kontext der Orpheus-Lektüren relevant werden: Bezeichnungen wie Haltungslosigkeit, Haltungsverlust, die Fähigkeit des »Haltung-zeigens«20 und das »Ringen um Haltung«21 betreffen insbesondere Geisteshaltungen, die der Beschreibung von Körperhaltungen und ihrer Relation zu Räumen entspringen. Der Körper ist in den europäischen und westlichen Theorien zur Haltung zunächst Ausgangsort spezifischer Positionen. Im 18. Jahrhundert setzt die Theoretisierung und Akademisierung des europäischen Bühnentanzes ein. In der Allge17  M  it den die Studie begleitenden Beispielen aus Korrelation von Denk- und Körperbewegungen, in denen das Denken sichtbar körperlich ist, greife ich auf das den Körper und die Denkbewegung miteinander verschmelzende Verständnis des Philosophen Gilles Deleuze (1925-1995) zurück: »Der Körper ist nicht länger ein Hindernis, das das Denken von sich selbst trennt und das es zu überschreiten hat, um zum Denken zu gelangen. Stattdessen versenkt es sich in ihn, ja, es muß sich sogar in ihn versenken, um das Ungedachte, das heißt das Leben zu erreichen. Zwar denkt der Körper nicht, doch unnachgiebig und unbeugsam zwingt er zum Denken und zwingt das zu denken, was sich dem Denken entzieht – das Leben […].« Deleuze, Gilles: Das Zeit-Bild, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991, S. 255. 18  K  urbacher, Frauke A./Wüschner, Philipp (Hg.): Was ist Haltung? Begrif fsbestimmung, Positionen, Anschlüsse, Königshausen & Neumann: Würzburg 2016, S. 5. Kurbacher widmet sich dem »Philosophem ›Haltung‹« (Ebd.) und stellt ihre Untersuchungen insbesondere in jüngsten Publikationen vor. Siehe insb. Kurbacher, Frauke A.: Zwischen Personen. Eine Philosophie der Haltung, Königshausen & Neumann: Würzburg 2016. 19  Ebd., S. 11. 20  Ebd. 21  Ebd.

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meinen Theorie der Schönen Künste [1771-1774]22, für die der Philosoph Johann Georg Sulzer (1720-1779) die Phänomene der Kunst enzyklopädisch zusammentrug, ist der Eintrag ›Haltung‹23 mit einem Spektrum an Synonymen versehen. Neben den »Stellungen und Gebehrden« sind für Sulzer auch »Posen, Positur, Gesten, Aktion, Handlung« mit Haltung verbunden. Zudem – so hält es der Germanist Hans-Joachim Dethlefs fest – spielen auch »Körperhaltungen […] in bildender Kunst, Theater, Tanz, Rhetorik eine fundamentale Rolle«. Dethlefs merkt jedoch an – und dies ist für diese Studie entscheidend – dass Sulzer in seinem »klassizistisch geprägten Kunstverständniss[]«24 zwar die »Diversität von Haltungen, Einstellungen, Auftritten akzentuiert«.25 Allerdings vernachlässige er das »Gebiet der Proportionsund Bewegungsstudien, in dem Körperhaltungen insbesondere im Hinblick auf die zeichnerischen Probleme der Verkürzung und Überschneidung traditionell eine Rolle spielen«.26 Sulzers Bestimmung des Begriffs ›Haltung‹ basiert demnach auf der Auseinandersetzung mit Körpern, die im Bild ›festgehalten‹ sind und Diskursen der bildenen Kunst folgen. Dethlefs zeichnet Sulzers Quellen vor allem anhand der Schrift De Pictura des Males Leon Battista Alberti (1404-1472) nach.27 Dieses Gebiet der Bewegungsstudien bildet das Interessensfeld der (damals noch ausschließlich männlichen) Tanzbuchautoren und (weiblichen wie männlichen) Tanzschaffenden und Tanzforschenden seit dem 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. In Traktaten und Forschungstexten sind Fragen zur Haltung vor allem mit der Gestaltung von Raumwegen (Choregrafien) und Affekten (movere) verbunden. Theater- und tanzwissenschaftliche Auseinandersetzungen mit bildlichen wie performativen Körperposen in Relation zu (europäischen) theoretischen Konzepten von Geisteshaltungen, versammelt beispielsweise der Band Hold it! Zur Pose zwischen Bild und Performance.28 Mit der Vorstellung des Schweren Schwebens als einer Begriff lichkeit für Bewegungsqualitäten (die im Rahmen der choreografischen Erzählung vom ›Ringen um Haltung in der Unterwelt‹ auffallen), sollen in dieser Studie Techniken des Haltens aus tanzwissenschaftlicher Perspektive mit Rückgriff auf ein breites tanzhistorisches Fundament beleuchtet und in neue 22  S ulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der schönen Künste [1771-74], Neudruck der 1792-99 Edition, Hildesheim: Georg Olms 1994. 23  Sulzer, »Haltung (des Körpers)«, in: Ders., Allgemeine Theorie der schönen Künste [1771-74], S. 460. 24  D  ethlefs, Hans-Joachim: »Das ›spatiierende‹ Auge – Körperliche und mediale Räumlichkeit in Johann Georg Sulzers Konzeptionen der Haltung«, in: Kurbacher/Wüschner, Was ist Haltung?, S. 247-271. Hier: S. 248. 25  Dethlefs, »Das ›spatiierende‹ Auge«, S. 247. 26  Ebd. 27  A  lberti, Leon Battista: De Pictura. Opere Volgari, hg. v. Cecil Grayson, 3 Bde., Bari: Laterza 19601973.  randl-Risi, Bettina/Brandstetter, Gabriele/Diekmann, Stefanie: Hold it! Zur Pose zwischen Bild 28  B und Performance, Berlin: Theater der Zeit 2012.

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Kontexte überführt werden. Leitend ist in diesem Vorhaben folgende Frage: In welcher Relation stehen Leichtigkeit und Schwere in Körperbewegungen, die in Räumen wie der Unterwelt ausgeführt werden, die Figuren wie den Schatten auszeichnen oder die dem Habitus (Haltung) von Verstorbenen und Trauernden wie Eurydike und Orpheus entspringen?

Pina Bauschs Orpheus. Ausgangsmaterial 1975 inszenierte Bausch die Tanzoper Orpheus und Eurydike zur musikalischen Komposition von Gluck. Den Mythos um Orpheus und seine Schattenfrau Eurydike interpretierte sie mit ihrem Ensemble aus Tänzerinnen und Tänzern, sowie drei Sopranistinnen und einem Chor. Bauschs Arbeiten nehmen in der Tanzgeschichte des Schwebens meines Erachtens eine Sonderstellung ein. Das lässt sich in anschaulicher Weise anhand ihres Frühwerks und der Gestaltung von unwirklichen Orten wie der Unterwelt verdeutlichen. In ihrer Darstellung des Hades wird nicht die Illusion der Gewichtslosigkeit, sondern umgekehrt das Gewicht in der Schwerelosigkeit artikuliert: Bauschs Interpretation der mythologischen Erzählungen um das Liebespaar Eurydike und Orpheus weist eine spezifische Form der Reglosigkeit von Körpern in Bewegung auf und nimmt eine besondere Rolle im Kontext der ›Qualitäten der gravitas‹ ein. Ausgangspunkt meiner Annahme ist die erste Bewegung, mit der die Tanzoper beginnt: Abb. 1: Orpheus und Eurydike, Erstes Bild »Trauer«, Filmstill (2008)

Der hier angeführte Filmstill29 zeigt die Bühne unmittelbar nach dem Öffnen des Vorhangs zum ersten Bild »Trauer« (Abb. 1). Im Zentrum der Szene steht eine 29  A  ls Bildmaterial verwende ich an dieser Stelle einen Filmstill einer medientechnisch hochwertigen Fernsehaufzeichnung, die im Rahmen der Rekonstruktion der Tanzoper mit dem Ballett-

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Hebefigur. Ein Tänzer und eine Tänzerin sind bis auf die ausgesparten Hände, Füße und Gesichter, in Schwarz gekleidet. Der Tänzer hebt die Tänzerin empor. In der Hebe befindet sich der in einer Wellenlinie liegende Körper horizontal auf derselben Ebene wie die sitzende Figur in weißem Gewand, die einen Strauß roter Rosen auf dem Schoß hält. Der Hebung entspringt eine spezifische Dynamik: Die Tänzerin schwebt steif in der Luft, als befände sie sich trotz der Bewegung suggerierenden Wellenlinie in einer Art Körperstarre. Die sitzende Frau in weißem Gewand, die durch eine Hochstuhlkonstruktion vom Bühnenboden emporgehoben ist, wirkt wie eine Statue, die unbeweglich hinab in die Raummitte blickt. Beobachtungen wie diese entstammen der Sichtung eines Videos. Die für einen Moment bildgewordene Bewegung lässt sich aufgrund der Stillstellung auch anhand eines Filmstills besprechen. Dieser sei daher lediglich als Brücke zwischen Gesehenem, Erinnertem und dessen Versprachlichung angewandt: Zwei spezifische Körperhaltungen laden in diesem skizzierten Moment ein, innezuhalten. Zum ersten handelt es sich bei der (lebendigen) Tänzerin im Hochsitz nicht um eine Puppe, die ›täuschend menschlich‹ wirkt. Vielmehr muss sie ihren Körper stillhalten, um die Reglosigkeit in der Vertikalen zu vermitteln. Zum zweiten liegt die in Schwarz gekleidete Tänzerin mit fallendem Kopf und scheinbar spannungslosen Armen und Beinen in der Luft. Der kinetische Nachvollzug ihrer Haltung deutet auf eine Anspannung der Gliedmaßen hin, ohne die sich die Tänzerin nicht derart stillgestellt und waagerecht halten könnte. Ihre Position ähnelt den Körperhaltungen der Gruppe von Tänzerinnen, die auf dem Bühnenboden neben ihr platziert sind. Sie liegen mit dem Rücken zum Boden gerichtet und heben Brustkorb und Körperglieder in die Höhe. Den Boden berühren sie nur mit ihrem unteren Rücken. Sind Becken und Hüfte als tiefster Punkt angesetzt, ist das Zentrum der Schwerkraft, von dem aus die Armbewegungen vollzogen werden, in den Boden verlagert. Die Tänzerin in der Hebeposition scheint von dieser Erdanziehung und der Verbundenheit mit dem Boden als Gravitationszentrum befreit zu sein. Dem Boden enthoben schwebt sie –  allerdings mit Gewicht. In Verbindung mit der sitzenden ›Statue‹ (Eurydike) sowie den auf dem Boden liegenden Tänzerinnen, die mit ihren Gliedern nach oben streben, vermittelt sich ensemble der Pariser Oper im Februar 2008 von arte aufgezeichnet und 2009 als DVD veröffentlicht wurde. Die Präzision der Tänzerinnen und Tänzer der Pariser Oper entspricht in Technik und Ästhetik der aufbereiteten Aufzeichnung. Die ›Rauheit‹ (Roland Barthes) und ›Signatur‹ (Jacques Derrida) des Ensembles sind dieser Aufzeichnung nicht zu entnehmen. Für die Analyse der Bewegungen nutze ich daher die Aufzeichnungen des Tanztheaters Wuppertal aus den Spielzeiten 1974/1975 und 1992/1993, die den tänzerischen Gestus des Wuppertaler Ensembles tragen. Diese Aufzeichnungen wurden nicht bearbeitet, sondern werden als Arbeitsmaterial zu Dokumentationszwecken im Archiv der Pina Bausch Foundation aufbewahrt. Die Abbildung eines Filmstills dieser Aufzeichnungen aus Wuppertal ist aus rechtlichen Gründen nicht möglich.

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in der Hebe stattdessen der Eindruck einer Umkehrung der Relation von dynamischen Qualitäten und Raumrichtungen: ›leicht‹ ist in diesem choreografischen Gefüge nicht mehr ausschließlich mit ›oben‹, und ›schwer‹ nicht mehr nur mit der Richtung ›unten‹ assoziierbar. Diese Umkehrung der Bedeutungsebenen ließe sich als Umwertung der Qualitäten beschreiben.30 Umgewertet weist das Schwere im Leichten eine Ähnlichkeit zu Denkbildern31 des inneren, geistigen Rückzugs auf, wie sie in der Meditation und Momenten des Kontemplativen eingesetzt sind. Die Neigung des Kopfes symbolisiert die Schwerkraft des Geistes: »Sich erniedrigen heißt, hinsichtlich der geistigen Schwerkraft steigen. Die Schwerkraft des Geistes läßt uns nach oben fallen.«32 Diese poetische Umwertung der Philosophin Simone Weil (1909-1943) aus ihrem Text Schwerkraf t und Gnade (1947, posthum), sowie Bauschs choreografische Umwertung in Orpheus und Eurydike erinnern dabei an Gesetze der Statik, denen zufolge eine schwere Traglast (in ihrer Passivität) in der Bewegung ihr Eigengewicht verliert und schwebt. In den Darstellenden Künsten wird aus dem Mythos um Orpheus eine Figur. Orpheus der Sänger gilt als männliche Personifikation der lyrischen Künstlerfigur überhaupt. Theodor W. Adornos viel zitiertem Aphorismus zufolge setzt mit dem orphischen Ursprung die Gesangsstimme auf der Bühne ein: »Alle Oper ist ›Orpheus‹«33; und in Rainer Maria Rilkes Gedichtzyklus Sonette an Orpheus heißt es: »Ein für alle Male ists Orpheus, wenn es singt. Er kommt und geht.«34 Mit

30  D  er Begriff der Umwertung geht auf Friedrich Nietzsche zurück, gilt aber in der Kunst und der Philosophie als Praxis. Jacques Derrida sieht beispielsweise in La dissemination den negativ konnotierten Begriff des (parasitären) Aufpfropfens (frz. gref fer) aus der Biologie etymologisch mit dem französischen Wort für den Graphen (graphion) verbunden, und somit mit der Schrift verwandt, so der Kulturwissenschaftler Uwe Wirth. Derrida greife den Begriff des Aufpropfens sodann als Verfahren auf und werte ihn, in eine »Metapher für die allgemeine Zitathaftigkeit der Sprache« um. Siehe: Wirth, Uwe: »Zitieren Pfropfen Exzerpieren«, in: Roussel, Martin (Hg.): Kreativität des Findens. Figurationen des Zitats, München: Fink 2012, S. 79-98. Hier: S. 85; sowie Wirth, Uwe: »Kultur als Pfropfung. Pfropfung als Kulturmodell. Prolegomena zu einer Allgemeinen Greffologie (2.0)«, in: Ders. (Hg.): Impfen, Pfropfen, Transplantieren, Berlin: Kadmos 2011, S. 9-27. Hier: S. 10. 31  D  ie Verwendung des Ausdrucks Denkbilder geschieht hier in Anlehnung an Walter Benjamins literarisch geprägten Begriff der »Denkbilder«. Siehe: Benjamin, Walter: Denkbilder [1977], in: Ders.: Gesammelte Schrif ten, Bd. II.2., hg.  v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991, S. 305-438. 32  Weil, Simone: Schwerkraf t und Gnade [La pesanteur et la grâce, 1947], München: Kösel 1952, S. 67. 33  A  dorno, Theodor W.: Bürgerliche Oper, in: Gesammelte Schrif ten, Bd.  16, Frankfurt a.M: Suhrkamp 1978, S. 24-39. Hier: S. 30. 34  R  ilke, Rainer Maria: Sonette an Orpheus, Fünftes Sonett, in: Ders.: Sämtliche Werke, Bd. 1, hg. v. Ernst Zinn, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1955, S. 733.

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Giacomo Peris (favola drammatica per musica) L’Euridice (1600)35 veränderte sich im 17. Jahrhundert »die Vorstellung von ›dem schönsten Gesang‹«36, der die Gattung Oper im Kanon der Bühnendarstellungen des Vokalen an erste Stelle setzte. Mit der Aufführung von Claudio Monteverdis (dramma per musica) Orfeo (1607) wird historiografisch schließlich die Geburtsstunde der Oper als eigenständiges Bühnengenre festgelegt. Die ›Orpheus‹-Geschichte gilt zwar als »Archetyp der Oper«37, Dokumente der szenischen Darbietungen der frühen musikalischen Interpretationen sind jedoch nicht vorhanden. An sie schließt vielmehr eine anhaltend variantenreiche Rezeptionsgeschichte, die sich bis heute in Re-Lektüren und Neuinterpretationen aus Tanz, Musik, Literatur, Film und Performance fortschreibt.38 Was die Tanzkunst von der Oper in Bezug auf das ›Orpheus‹-Thema unterscheidet, sind die Mittel der Artikulation für den tragischen Schlüsselmoment des Mythos: Orpheus wendet sich während einer der grundlegendsten Bewegungen der Bewegungskunst Tanz: im Gehen.39 Er hält im Schrittesetzen inne und dreht sich zurück. Erst in dieser Bewegung, die im Tanz ihre Entsprechung findet, entzündet sich die Tragik des Mythos.40 Gestalt findet die Tragik nur durch das hinzugedichtete weibliche Gegenüber, Eurydike. Mit ihr tritt erstmals auch die Notwendigkeit einer Körperbewegung in den Mythos, die das Schicksal des Liebespaares und den (szenisch weder in Oper noch Tanz umgesetzten) Fortlauf der mythischen Erzählung bestimmt: Nach dem Akt der Wendung steht fest, dass Orpheus vergeblich in den Hades hinabgestiegen ist. Schlussendlich wird er dem Mythos zufolge in Fetzen gerissen und verliert seine Stimme.41 35 L’Euridice wird »in der Operngeschichtsschreibung insofern als erste Oper apostrophiert, als sie eine durchgängig gestaltete Komposition darstelle, in welcher der Text, die Musik und das Schauspiel in einem wechselseitigen Verhältnis stehen.« Friederike Wißmann: »Orpheus und Eurydike auf der Opernbühne«, in: Avanessian, Armen/Brandstetter, Gabriele/Hofmann, Franck (Hg.): Die Erfahrung des Orpheus, München: Fink 2010, S. 83-95. Hier: S. 83. 36  Wißmann: »Orpheus und Eurydike auf der Opernbühne«, ebd. 37  M  undt-Espín, Christine: Blick auf Orpheus: 2500 Jahre europäischer Rezeptionsgeschichte eines antiken Mythos, Tübingen: Francke 2003, S. 9. 38  S iehe hierzu: Schilling-Wang, Britta/Wolff, Christian Hellmuth: »Orpheus, III.« [1997], Artikel in: Musik in Geschichte und Gegenwart, hg.  v. Laurenz Lütteken, Kassel/Stuttgart/New York: 2016. Letzter Zugriff: 10.10.2017 online: https://www-1mgg-2online-1com-1875008798.erf.sbb. spk-berlin.de/article?id=mgg15859&v=1.0&rs=id-cedea01c-0304-c60b-efb5-0548a80060f2. 39  D  ie Wendung des Orpheus interpretiert Gabriele Brandstetter in ihrer Lektüre von Bauschs Orpheus-Inszenierung als »Allegorie der Choreographie«. Brandstetter, Gabriele: »Poetik der (Ent-) Wendung. ›Orpheus und Eurydike‹ als Choreographie«, in: Avanessian/Dies./Hofmann, Die Erfahrung des Orpheus, S. 187-197. Hier: S. 197. 40  Z  u Darstellungen des Tragischen in Theater und Tanz vgl. insb.: Haitzinger, Nicole: Resonanzen des Tragischen. Zwischen Ereignis und Af fekt, Wien: Turia + Kant 2015. 41  D  er Tod des Orpheus’ wird vornehmlich in der Literatur und im Film dargestellt. Die Oper bietet bisher keine Entwürfe dieser Übergangsphase des thrakischen Sängers. Bei Ovid schwimmt

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Ausgangspunkt für mein Erzählen dieser Geschichte ist die Figur der Eurydike. Der Name dieses mythischen Schattens ist erst »in hellenistisch-römischer Zeit«42 in die Erzählungen des ›Orpheus und Eurydike‹-Mythos eingegangen.43 Erstmals erwähnt wird sie in der Erzählung des antiken griechischen Philosophen Platon (428/427-348/347 v. Chr.) Das Gastmahl 44 (um 400 v. Chr.) – allerdings nicht als menschliche Geliebte, die von Orpheus in der Unterwelt gesucht wird. Bei Platon ist sie nur eine Vision, die Orpheus in der Unterwelt von den Göttern als »Erscheinung«45 und nicht als ersehnter Mensch gezeigt wurde. Der römische Dichter Publius Vergilius Maro (Vergil, 70. v. Chr.-19. v. Chr.) gibt der Figur Eurydike im vierten Buch seines Lehrgedichts Georgica (39-37 v. Chr.) schließlich einen organischen Körper und setzt sie zu Orpheus ins Verhältnis. Eurydikes Existenz als Mensch manifestiert sich vor allem in den Metamorphosen (1-8  n.  Chr.)46 des Römers Ovid (43  v.  Chr.-17  n.  Chr.), der den Mythos in »ostentativem, intertextuellem Rekurs auf Vergil«47 gestaltete. In der Auseinandersetzung mit dem ›Orpheus‹-Thema nimmt das Phänomen der Schatten eine zentrale Position ein: Eurydike ist als Schatten so leicht wie Luft – und dennoch ist ihr Dasein von Gewicht. Zugleich ist Eurydikes Körper als Mensch und Frau im Mythos abwesend. *

Orpheus’ verstummtes und abgetrenntes Haupt entlang der Lethe, um später Eurydike, dem stummen Schatten, Gesellschaft zu leisten. 42  Kern, Otto: Orpheus. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung, Berlin: Weidmann 1920, S. 25. 43  E urydike ist »in der orphischen Literatur, soweit wir sie heute kennen, [nicht] vorgekommen.«, ebd. Als Orphiker hatte sich ca. 600 v. Chr. eine religiös-philosophische Gemeinschaft von Dichtern bezeichnet, benannt nach ihrem Gründer Orpheus. 44  P  laton: Das Gastmahl, in: Ders.: Werke in acht Bänden. Griechisch und deutsch, Bd. 3, bearb. v. Dietrich Kurz, übers. v. Friedrich Schleiermacher, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1990, S. 233-237. Hier zitiert aus: Storch, Wolfgang (Hg.): Mythos Orpheus. Texte von Vergil bis Ingeborg Bachmann, Stuttgart: Reclam 2010, S. 239-240. Hier: S. 239. 45  E urydike wurde Orpheus von den Göttern lediglich als Trugbild gezeigt, »weil er ihnen weichlich zu sein schien wie ein Spielmann und nicht das Herz zu haben, der Liebe wegen zu sterben wie Alkestis, sondern sich lieber ausgedacht hatte, lebend in die Unterwelt einzugehen.« Platon, Das Gastmahl, in: Storch, Mythos Orpheus, ebd. 46  D  ieser Studie liegt die in deutsche Hexameter übertragene und mit einem Text herausgegebene Ausgabe Erich Röschs zugrunde: Ovidius Naso, Publius: Metamorphosen, in dt. Hexameter übertr., hg. v. Erich Rösch, München: Heimeran 1952. 47  Z  ur Genese der Darstellungen und Umschreibungen des Mythos siehe vor allem den umfassenden Lexikonartikel von Bernhard Huss: »Orpheus«, in: Moog-Grünewald, Maria (Hg.): Mythenrezeption. Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart/Weimar: Metzler 2008, S. 522-538. Hier: S. 522.

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Mythen sind wie Gedanken, die als bewegte Geschichten existieren und sich im »Modus der Variation«48 je nach Erzählung verändern. Erst in ihrer Darstellung durch Text, Bild oder physischen Ausdruck lässt sich von ihnen und über sie sprechen. Das Wesen eines jeden Mythos entsteht erst dann, wenn ihm Gestalt verliehen wird. Mythen ließen sich daher als Phänomene des Nachlebens begreifen, die nur in der Gegenwart existieren.49 In ihren Darstellungen scheint jedoch eine imaginäre wie auch unbekannte Form der Vergangenheit mittransportiert zu werden. In diesem Sinne könnten Mythen wie die ›Orpheus‹-Erzählung als »Organisationsmodelle«50 verstanden werden. Mit dem Aufgreifen und Darstellen von Mythen ließe sich, so die Literaturwissenschaftlerin Christine Lubkoll, eine »Um-Schreibung von Leerstellen«51 vornehmen, die »Unbegreif liches und Unlösbares in eine erträgliche Form zu gießen«52 vermag. Anders als in einer Korrektur und Kritik der Mythen, wie sie etwa Bertolt Brecht vornimmt,53 versteht Lubkoll mit der Um-Schreibung keine Veränderung, sondern die schreibende Annäherung. Jede Form der Darstellung des ›Orpheus‹-Mythos ist demnach eine Interpretation, der ein Um- und Wei48   Vöhler, Martin/Seidensticker, Bernd/Emmerich, Wolfgang: »Zum Begriff der Mythenkorrektur«, in: Vöhler, Martin/Seidensticker, Bernd/Emmerich, Wolfgang (Hg.): Mythenkorrekturen. Zu einer paradoxalen Form der Mythenrezeption, Berlin/New York: De Gruyter 2005, S. 1-18. Hier: S. 2. 49  Z  ur Verwendung des Begriffs des Nachlebens, wie ihn Walter Benjamin geprägt hatte, vgl. insbes. Georges Didi-Hubermanns Studie Das Nachleben der Bilder, in der er sich Aby Warburgs Fragment gebliebenem Mnemosyne-Atlas und dessen Darstellungen von Pathosformeln widmet. In dem Vortrag »Dürer und die Italienische Antike« stellte Warburg erstmals sein kunstwissenschaftliches Verfahren der Pathosformeln vor. Ausgangspunkt der Argumentation in Warburgs Manuskript waren wiederum zwei Darstellungen des Tod des Orpheus aus dem 15. Jahrhundert (von Albrecht Dürer aus dem Jahr 1494 und ein Kupferstich des Ferrareser Meisters aus dem Jahr 1465. Didi-Huberman, Georges: Das Nachleben der Bilder. Kunstgeschichte und Phantomzeit nach Aby Warburg, Berlin: Suhrkamp 2010. Die Methodologie der Pathosformel wiederum wurde mit Gabriele Brandstetter zum Instrumentarium der Tanzwissenschaft weiterentwickelt. Siehe Brandstetter, Gabriele: Tanzlektüren. Körperbilder und Raumfiguren der Avantgarde [1995], Freiburg i.Br.: Rombach 2013. Eine Übertragung der Warburg’schen und Benjamin’schen Denkfigur des Nachlebens auf die Moderne übernahm der Literaturwissenschaftler Gerhard Richter mit: af terness. figures of following in modern thought and aesthetics, New York: Columbia University Press 2011. 50  L ubkoll, Christine: Mythos Musik. Poetische Entwürfe des Musikalischen in der Literatur um 1800, Freiburg i.Br.: Rombach 1995, S. 12. 51  Ebd. 52  L ubkoll stützt sich in ihrem Verständnis der Mythen-Umschreibung auf Hans Blumenbergs Verfahren der »Arbeit am Mythos«. Blumenberg zufolge bestehe erst durch Mythen die Möglichkeit, »das Unheimliche vertraut und ansprechbar zu machen«. Siehe: Blumenberg, Hans: Arbeit am Mythos, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1979, S. 29. Hier zitiert aus Lubkoll, Mythos Musik, ebd. 53  V  öhler, Seidensticker und Emmerich stützen sich mit dem für die Literaturwissenschaft von ihnen neu eingeführten Begriff der Mythenkorrektur auf Bertolt Brechts Berichtigungen alter Mythen. Siehe: Vöhler/Seidensticker/Emmerich, Mythenkorrekturen, S. 1.

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terschreiben vorhandener Erscheinungen vorausgegangen ist.54 Herausforderung einer jeden Darbietung eines mythischen Motivs ist die Vermittlung eines Lebensraumes, der sich dem menschlichen Erleben entzieht und daher aus dieser Perspektive nicht ref lektiert werden kann. Ein solcher Raum ist das ›Reich der Schatten‹, das als Wesensraum ›nach‹ dem Leben ›unter‹ der Erde bezeichnet wird. »Der Erdboden als das konstitutive ›Unten‹ der phänomenalen Erlebensstruktur von Raum ist das Zentrum, welches jeder Leib virtuell mit sich trägt.«55 – so der Kulturwissenschaftler Stephan Günzel im Rückgriff auf die Phänomenologie Edmund Husserls. Hat das Reich der Schatten einen Erdboden? Die mythische Erzählung um Eurydike und Orpheus kreist nicht nur in eben diesem Raum, sondern lebt von dem utopischen Spannungsverhältnis zweier Figuren und ihrer Körperbewegungen: Orpheus steigt als Lebender hinab in die Unterwelt, um seine als Schatten lebende Eurydike erneut in das Diesseits zurückzubringen. Die Unterwelt ist im ›Orpheus‹-Mythos ein Ort ›unter der Welt‹, in dem folgende Körper permanent ›in der Schwebe‹ weilen: die Schatten. Im Mythos um Orpheus bezeichnen Schatten nicht nur eine liminale Sphäre – den Höllenvorhof –, sondern zugleich auch einen weiblichen Körper: die Figur der Eurydike. Bauschs Erzählweise der mythischen Geschichte weist eine besondere Form des Umgangs mit der Gestaltung von Gewichtsübertragungen von Tanzenden auf der Bühne auf. Sie verlieh dem Gang in die Unterwelt, den Orpheus unternimmt, sowie der Verkörperung der Schattenfrau Eurydike eine Bewegungsqualität, für die ich mit dieser Studie die Begriff lichkeit Schweres Schweben entwerfe. Mit der Alliteration, die philologisch die Schwere im Schweben lokalisiert, versucht das Schwere Schweben als Begrifflichkeit die Gleichzeitigkeit des Schwerelosen im Schweren und des Schweren im Schwerelosen mitzudenken: Denkbewegungen des Schwebens lassen sich so begriff lich mit Körperbewegungen des Schwebens verknüpfen. Vor diesem Hintergrund wird der rhetorische Charakter der hier vorgestellten Denkfigur fruchtbar: Die Alliteration Schweres Schweben ist zugleich ein Oxymoron, das die Klassifizierungen von schwer (=niedrig) und leicht (=erhaben) ›In-Schwebe‹ hält. *

54  I n Huss’ Auflistung der relevanten Orpheus-Inszenierungen in Musik und Tanz für das 20. Jahrhundert fehlt Pina Bauschs Tanzoper. Erwähnt sind dagegen die Fassungen von Ernst Krenek mit einem Text von Oskar Kokoschka (1926), die den doppelten Tod Eurydikes als ein zeitgenössisches Eifersuchtsdrama aufgreifen, in dem auch Orpheus ein zweites Mal sterben muss; oder Hans Werner Henzes Tanzstück Orpheus (1979), das (auf Basis von Igor Strawinskys Orpheus-Ballett von 1947) trotz zeitgenössischer Tragik mit einem Libretto von Edward Bond ein lieto fine beibehält. Vgl. Huss, »Orpheus«, S. 536. Zur ausführlichen Darstellung der antiken Mythenrezeption des ›Orpheus‹-Mythos siehe: Mundt-Espín, Blick auf Orpheus. 55  Günzel, »Einleitung«, S. 111.

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Sinnbild dieser Unentscheidbarkeit von schwer und leicht ist der Schatten. Er vermittelt die Schwere der Dunkelheit und zugleich die Schwerelosigkeit des Luftigen. Auch für den Schatten gilt jene Eingrenzung, wie sie für die gravitas unternommen werden muss: Schatten im europäischen Bühnentanz müssen mit den Vorzeichen der Interpretation von Schatten als ›Schwere‹ und als ein vom (positiv konnotierten) Licht abzugrenzendes Phänomenen besprochen werden. Allein für das japanische Nô-Theater gilt in Bezug auf die Schatten und das Diesseits genau das Gegenteilige: Es gibt kein Diesseits, das in einer Dichotomie zum Jenseits gedacht wird. In dieser Auffassung ist auch der Schatten nicht Vertreter einer vom Diesseits wie positiv konnotierten Tageslicht abweichenden Dunkelheit. Haben Schatten in der Unterwelt einen Körper? In der Betrachtung von gegebenen Darstellungen der mythischen Erzählung scheint diese Frage zunächst wenig relevant: Wer das Liebespaar um Eurydike und Orpheus zeigen möchte, braucht mindestens zwei Körper. Dies demonstrieren zahlreiche Abbildungen aus der Bildenden Kunst oder Inszenierungen der Oper, die Stimmen aus musikalischen Texten performativ mit Lebenden umsetzt.56 Die Literatur und die (ins-

56  E ine Auflistung der wichtigsten Orpheus-Inszenierungen im Bereich Tanz und Performance würde ein Kategorisieren und Werten der Fassungen benötigen. In diesem Sinne seien an dieser Stelle (in chronologischer Reihung) jene Inszenierungen (und Filme) erwähnt, die ich im Verlauf der Forschungsstudie entweder live, als Aufzeichnung oder in Form von fotografischen Dokumentationen (Programmheften) rezipieren konnte: Orpheus und Eurydike, (C): Mary Wigman, (M): Christoph Willibald Gluck, Leipzig 1947; Orphée, Film und Buch, (R): Jean Cocteau, (M): Georges Auric, 1949/1950; Orfeu Negro, Film, nach dem Drama Orfeu da Conceição von Vinícius de Moraes, (R): Marcel Camus, Brasilien, Frankreich, Italien, 1959; Orpheus, (C): Ruth Berghaus, (M): Hans Werner Henze, Staatsoper Wien 1986; Orpheus-Stationen, Theatrales Ballett in drei Akten, (C und R): Tom Schilling, (M): Frank Michael Bayer, Franz Schreker, Igor Strawinsky, Ballett der Deutschen Oper, Berlin 1988; Denn ein für alle Mal ist’s Orpheus wenn es singt, Tanztheater, (C): Reinhild Hoffmann, Bochum 1994; L’Orfeo, Theaterprojekt nach Monteverdi, (C): Trisha Brown, Brüssel 1998; Begehren, Musiktheater in zehn Szenen für Sopran, Sprecher, Chor, Tänzer und Instrumente, (M und R): Beat Furrer, (C): Reinhild Hoffmann, konzertant: Graz 5.10.2001, szenische UA: Graz 9.1.2003; camera orfeo, auto-choreografische und mediale Komposition, (R): Penelope Wehrli, Radialsystem V Berlin, 2008; Schatten (Eurydike sagt), Bühnenmonolog von Elfride Jelinek, Burgtheater Wien, 2013; Orfeo, Choreografische Oper, (C): Sasha Waltz, (M): Claudio Monteverdi, Tanz, Gesang und Musik: Sasha Waltz & Guests, Freiburger BarockConsort, Vocalconsort Berlin, Staatsoper Unter den Linden im Schillertheater, Berlin 2015; Orfeo. Eine Sterbeübung, Performative Installation zur Musik von Claudio Monteverdi, (R): Susanne Kennedy, Suzan Boogaerdt, Bianca van der Schoot, Solistenensemble Kaleidoskop, Zeche Zollverein, Essen, Martin Gropius Bau Berlin, 2015; What about Orfeo? Tanzperformance, (C und Tanz): Cocoon Dance, Ballhaus Ost Berlin, 2015; Orfeo ed Euridice, Oper von Christoph Willibald Gluck, Wiener Fassung 1762, (R): Jürgen Flimm, (M. Leitung): Domingo Hindoyan, (Sz): Frank O. Gehry, Staatsoper Unter den Linden im Schillertheater, 2016; Operation Orpheus, Tanzperformance, (C und Tanz): Jule Flierl, Uferstudios Berlin, 2016; Schatten (Eurydike sagt), Schauspiel/intermediale Performance nach Elfriede Jelinek, (R): Katie Mitchell, Schaubühne Berlin 2016.

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trumentale) Musik lassen den Körper der Eurydike im Schrift- und Zeichenkörper verschwinden. Die bildende Kunst stellt den Körper der Eurydike aus und verliert, wenn nicht auf das Spiel mit Lichtwürfen konzentriert, in ihren Darstellungen den Schatten. Der Film kann mit seinen medientechnischen Mitteln Schatten erzeugen und als Körper re-produzieren. Aus Perspektive dieser Künste und ihrer Disziplinen stellt sich demnach nicht die Frage, welche Körperlichkeit und Bewegungsqualität von der Figur der Eurydike grundsätzlich ausgehen muss, um einen Schatten darzustellen. Als Verstorbene bleibt sie schlicht abwesend und verschwindet metaphorisch ›im Schatten des Orpheus’ und seiner schicksalshaften Wendung. * Für eine tanzwissenschaftliche Untersuchung gehe ich daher von folgendem Ansatz aus: Nur im Moment der körperlichen Darstellung, in dem Tanzende oder sich singend Bewegende die Figur der Eurydike durch ihre leibliche Präsenz verkörpern, wird deutlich, dass das Paradox des Sichtbar-Machens eines körperlosen Wesens durch lebende Körper trotz (medien-)technisch theatraler Mittel des 21. Jahrhunderts bestehen bleibt. Mit der Bühnenkunst Tanz, in der das Gewicht der Körper jede (schwebende, springende oder stürzende) Bewegung gestaltet, muss die Frage nach der Körperbewegung in herausfordernder Weise präzisiert und zugleich erweitert werden: Wie ›schwer‹ geht Eurydikes Schatten auf der Bühne, wenn sie doch ihren Körper im Reich der Schatten aufgeben musste? Wie ›leicht‹ geht ein Orpheus als Lebender auf der Bühne hinab in die Unterwelt, um im Reich der Schatten einen Schatten zu finden? Die Figur der Eurydike wirft im Eröffnungsmoment von Bauschs Choreografie einen schwebenden Blick über die sich unter ihr ereignenden Bewegungen der Trauernden.57 Wie relevant ist dieser Blick? Für das Vorhaben, mit dem Begriff des Schweren Schwebens die Relation von ›schwer‹ und ›leicht‹ als Gegensatzpaar entlang der Tanzgeschichte temporär aufzuheben und anschließend auf die Analyse der Tanzoper Orpheus und Eurydike von Bausch zu übertragen, geben die narrativen Vorlagen des Mythos’ eine Orientierung. Daher sei die Geschichte hier noch einmal spezifischer erzählt: Mit dem ›Orpheus‹-Mythos entfaltet sich die szenisch, literarisch wie bildnerisch variantenreiche und widersprüchliche europäische Darstellungsgeschichte einer der tragischsten Figuren der antiken griechischen Mythologie: Orpheus, der Eurydike zweimal verliert – einmal als Lebende und einmal als lebender Schatten. Dem Ursprungs-Mythos58 zufolge steigt der thrakische Sänger Orpheus lebendig, 57  Bausch platzierte die Chorsängerinnen und -sänger für ihre Tanzoper im Orchestergraben. 58  V  om Ursprungs-Mythos lässt sich nur bedingt reden: »Vergeblich sucht man aus den Kultstätten des Orpheus und der Musen Aufklärung über Werden und Gang der Orpheusgestalt. […]

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mit seinem »Seelenschatten«59 hinab in die Unterwelt und besänftigt die dort tosenden Furien, um seine in einen Schatten verwandelte Eurydike in das Leben zurückzuholen. Der Aufstieg in die irdische Welt scheitert an Orpheus’ Missachtung eines ihm auferlegten Gebots: Er darf Eurydike keinen Blick schenken, sich nicht zu ihr umdrehen. Ohne Rück-Sicht muss er sicherstellen, dass seine Geliebte ihm blind vertraut und folgt. Der Ausgang dieser Geschichte ist je nach Epoche und Erzählform verschieden, aber im Kern stets bestürzend. Orpheus wendet sich und verliert im Augenblick des Anblicks seine verstorbene Geliebte endgültig. Im Zentrum des Mythos’ steht das sich im »Augen-Blick«60 der Wendung entzündende »Spiel der Blicke«61 zweier Liebender und der menschlichen Erfahrung von Sterblichkeit.

Von Barock bis Bausch. Kontext und Forschungsstand Pina Bausch ist für ein Tanztheater bekannt, in dem in Probenprozessen anhand von Themen und Erlebnissen aus dem Lebensalltag der Ensemblemitglieder Situationen stilisiert wurden.62 Bauschs Bewegungssprache umgibt dabei eine Art mythischer Schleier. Sie hat im Gegensatz zu anderen Tänzerchoreografinnen und -choreografen keine Schule oder tanztechnische Stilbildung etabliert, in der ein spezifischer Bewegungsduktus in einen Tanzstil, eine spezifische Art des körperlichen Ausdrucks, eine Tanztechnik mit kodifizierten Schritten und Bewegungen übersetzt worden ist – wie bei zahlreichen Tanzschaffenden des Ausdruckstanzes (Rosalia Chladek, Mary Wigman), des Modernen Tanzes (Martha Graham, Merce Cunningham) oder des zeitgenössischen, neoklassischen Balletts (George Balanchine, William Forsythe). Trotzdem entwickelte sie mit ihren schwingenden Armen und Körperkreisen eine Ästhetik des Schwebenden und Fluiden, die schwermütig wirkt und Wiedererkennungscharakter besitzt.63 Über Nirgends haftet diese Sagenfigur fest; nirgends scheint sie zu Hause zu sein. Wir werden auch vergeblich ›die Verlassenen‹ in ihrer ersten Heimat lokalisieren können.« Kern, Orpheus, S. 17. 59  Bohrer, Karl Heinz: Ist Kunst Illusion?, München: Hanser 2015, S. 52. 60  N  eumann, Gerhard: »Wesen und Liebe. Der auratische Augenblick im Werk Goethes«, in: Thomsen, Christian (Hg.): Augenblick und Zeitpunkt: Studien zur Zeitstruktur und Zeitmetaphorik in Kunst und Wissenschaf ten, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1984, S.  282-305. Hier: S. 283. 61  Ebd., S. 282. 62  B  eschreibungen von Aufführungen oder Aufzeichnungen des Tanztheaters Wuppertal adressieren im Besonderen die theatralen Ereignisse. Bühnengestaltung (Eisberge oder Torfböden), Gegenstände (Tische, Stühle, ausgestopfte Tiere) und Handlungen, die aus Situationen des Alltäglichen (Geschlechterkampf) oder anderer (stilisierter) Tanzformen (Walzer, Tango) stammen, rücken aufgrund ihrer optischen Präsenz in den Fokus der Betrachtenden. 63  Z  udem – und dafür sind vor allem auch die zahlreichen Publikationen zu Stück- und Aufführungsbeschreibungen, aber auch Dokumentarfilme und Probenaufnahmen verantwortlich –

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vier Jahrzehnte prägte Bausch maßgeblich das Verständnis der (westdeutschen) Gattung ›Tanztheater‹: Eine Bühnenform, deren Vertreterinnen und Vertreter (Reinhild Hoffmann, Susanne Linke, Gerhard Bohner, Johann Kresnik) sich von der Ästhetik und den Verfahren der als höchsten Tanzkunst bezeichneten Bühnensparte Ballett abwenden wollten. Dass das Ballett trotzdem auch Kern der Arbeiten Bauschs war, hob schon 1981 der Tanzkritiker Rolf Michaelis in seinem Artikel »Ich tanze, weil ich traurig bin: Ballett (& Anti-Ballett) in Wuppertal: Pina Bauschs neues Stück Bandoneon« hervor: »Nur wer liebt, kann so hassen. Nur wer Ballett als Ausdrucksmöglichkeit, als Lebensform braucht, kann die Mechanik aller Tanzbewegungen, die Qual ewiger Exercicen, den Schrecken hinter dem schönen Schein so bloßstellen wie die 1940 in Solingen geborene Tänzerin, Choreographin, Ballettmeisterin der Wuppertaler Bühnen, Pina Bausch.« 64 Tänzerinnen und Tänzer durften im Tanztheater auf der Bühne sprechen und singen, obwohl ihnen jede Form der professionellen Ausbildung der Stimme fehlte. Zudem ist das Tanztheater von einer Betonung der Sichtbarkeit von Körpergewicht und Körperlichkeit geprägt, die sich seit der Moderne mit dem Ausdruckstanz und dem Modernen Tanz entwickelt hatte: Die Erdanziehungskraft wird nicht mehr durch Tanztechniken des Balletts überwunden, sondern betont und als ›natürliche‹ Kraft und Teil des irdisch Menschlichen anerkannt. Eindeutige Definitionen der Bezeichnung ›Tanztheater‹ erweisen sich als problematisch, da weder ästhetische Kategorien noch tanztechnische Termini greifen, um die unterschiedlichen Arbeiten und Arbeitsweisen (allein im deutschsprachigen Raum) als einen Typus zu charakterisieren. Zudem ist es für das Tanztheater Wuppertal kaum möglich, Bausch ›den‹ einen Stil zuzuschreiben, mit dem ihre Arbeiten der Ernsten, Hohen Kunst oder der Trivialen, Niederen Kunst zugeordnet werden könnten.65

existiert ein spezifisches Bild der Choreografin und ihres familiären Verhältnisses zur Kompanie sowie der Art und Weise ihres Arbeitens (Fragen stellen, mit Objekten arbeiten). 64  M  ichaelis, Rolf: »Ich tanze, weil ich traurig bin: Ballett (& Anti-Ballett) in Wuppertal: Pina Bauschs neues Stück Bandoneon«, in der Tageszeitung Die Zeit, Nr. 3, 9. Januar 1981. Letzter online Zugriff, 20.12.2018: www.zeit.de/1981/03/ich-tanze-weil-ich-traurig-bin. 65  B  is heute wird die (ernste) Oper durch das Zelebrieren der höchsten Form der Gesangskunst vom Musical oder der Operette als niedrigen Kategorien unterschieden. Dennoch fällt auf, dass ausgewählte Stücke des Tanztheaters Wuppertal seit 2004 in das Repertoire von klassischen Ballettkompanien an renommierten Opernhäusern übergegangen sind: Orpheus und Eurydike gehört seit 2005 zum Repertoire des Balletts der Pariser Oper; das Tanztheaterstück Für die Kinder von gestern, heute und morgen (2001) wurde 2016 mit dem Ensemble des Bayerischen

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Eine Ausnahme bilden die Tanzopern. Als Tanzoper werden im Tanztheater von Bausch explizit zwei Arbeiten bezeichnet, die auf Basis der musikalischen Opernvorlage von Gluck Elemente der Oper durch tanztheatrale Elemente vermitteln und zugleich einen neuen »Stücktypus«66 einführen: Iphigenie auf Tauris (1974) und Orpheus und Eurydike (1975). Die choreografische Arbeit an Opernvorlagen wurde von Bausch nicht neu entwickelt. Choreografierte Opernvorlagen und -narrative (vor allem mythische) durchziehen die gesamte Tanzgeschichte bis ins 21. Jahrhundert. Bauschs Arbeit mit der Oper zeichnet sich durch eine besondere Herangehensweise aus: Die Oper und die ihr eigenen Elemente sind bei Bausch ›Material‹, das sich gemeinsam mit den Mitteln des Tanzes und des Theaters zu einer neuen Darstellungsform verbunden hat. Theater- und tanzwissenschaftliche Untersuchungen widmen sich in Monografien, Aufsätzen und Sammelbänden mit Inszenierungs- und Aufführungsanalysen dem Tanztheater Bauschs und heben vor allem die Nähe zum Alltäglichen hervor.67 Die TanzwissenschaftStaatsballetts München einstudiert; Le Sacre du Printemps (1975) ist seit 2017 im Repertoire des English National Ballet. 66  S ervos, Norbert/Weigelt, Gert: Pina Bausch – Tanztheater, 3., erw. Aufl., München: Kieser 2012, S. 21.  u den jüngsten tanzwissenschaftlichen Publikationen aus dem deutschsprachigen Raum 67  Z zählen u.a. (chronologisch): Huschka, Sabine: »Pina Bausch, Mary Wigman, and the Aesthetic of ›Being Moved‹«, in: Ruprecht, Lucia/Manning, Susan Allene (Hg.): New German Dance Studies, Urbana/Chicago/Springfield: University of Illinois Press 2012, S. 182-199; Climenhaga, Royd (Hg.): The Pina Bausch Sourcebook. The Making of Tanztheater, London: Routledge 2013; Brinkmann, Stephan: Bewegung erinnern. Gedächtnisformen im Tanz, Bielefeld: transcript 2013; Denana, Malda: Ästhetik des Tanzes. Zur Anthropologie des tanzenden Körpers, Bielefeld: transcript 2014; Thurner, Christina: »›Wirklich eines meiner Lieblingsstücke‹. Fokus auf Pina Bauschs Kontakthof mit Senioren und mit Teenagern«, in: Diekmann, Stefanie (Hg.): Die andere Szene. Theaterarbeit und Theaterproben im Dokumentarfilm, Berlin: Theater der Zeit 2014, S. 100-113; Klein, Gabriele: »Praktiken des Übersetzens im Werk von Pina Bausch und dem Tanztheater Wuppertal«, in: Wagenbach, Marc/Pina Bausch Foundation (Hg.): Tanz Erben. Pina lädt ein, Bielefeld: transcript 2014, S. 25-38; Brandstetter, Gabriele/Klein, Gabriele (Hg.): Methoden der Tanzwissenschaf t. Modellanalysen zu Pina Bauschs »Le Sacre du Printemps/Das Frühlingsopfer« [2007], 2. Aufl., Bielefeld: transcript 2015; darin die in der Neuauflage zusätzlich enthaltenen Beiträge der Herausgeberinnen: Brandstetter, Gabriele: »Pina Bauschs Das Frühlingsopfer. Signatur – Übertragung – Kontext«, in: Brandstetter/Klein, Methoden der Tanzwissenschaf t, S.  95-124; Klein, Gabriele: »Die Logik der Praxis. Methodologische Aspekte einer praxeologischen Produktionsanalyse am Beispiel  Das Frühlingsopfer  von Pina Bausch«, in: Brandstetter/Klein, Methoden der Tanzwissenschaf t, S. 123-142. Des Weiteren wurde folgende Forschung publiziert: Kelter, Katharina: »Getanzte Erinnerung. Zur Produktivität der Erinnerung bei Pina Bausch«, in: Dies./Skrandies, Timo (Hg.): Bewegungs-Material. Produktion und Materialität in Tanz und Performance, Bielefeld: transcript 2016, S.  169-190; Matzke, Annemarie: »Material erproben. Dokumentationen der Probenarbeit des Tanztheaters Wuppertal«, in: Kelter/Skrandies: Bewegungs-Material, S.  191-208. Zur Forschung im französischsprachigen Raum siehe insbes. die Arbeiten der Germanistin Susanne Böhmisch: »La bascule de l’amour – lire Pina Bausch avec Ingeborg Bach-

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lerin Gabriele Klein widmete sich gemeinsam mit Mitarbeitenden in ihrem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekt »Gesten des Tanzes – Tanz als Geste. Kulturelle und ästhetische Übersetzungen am Beispiel des Tanztheater Wuppertal« (2013-2016) dezidiert den Koproduktionen im späteren Werk Pina Bauschs.68 Eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Pina Bauschs Kontakthof (1978) sowie den Adaptionen Kontakthof mit Damen und Herren ab 65 (2007) und Kontakthof mit Teenagern ab 14 (2008) bildet der Band Balance, Rhythmus, Resonanz ab, der aus der Zusammenarbeit zwischen der Tanzwissenschaft und der International Psychoanalytic University (IPU) entstand.69 mann«, in: Camarade, Helène/Paoli, Marie-Lise (Hg.): Marges et territoires chorégraphiques de Pina Bausch, Paris: L’Arche 2013, S.  91-117; Böhmisch, Susanne: »De l’extrême à l’agonal dans l’univers chorégraphique de Pina Bausch«, in: Recherches féministes, Femmes extrêmes. Paroxysmes et expériences-limite du féminin, hg. v. Sylvie Bérard u. Andréa Zanin, Bd. 27, Nr. 1, 2014, S. 145-160; Böhmisch, Susanne: »Déhierarchiser pour mieux dialoguer: danse et musique dans le Tanztheater Pina Bausch«, in: Allemagne d’Aujourd’hui, La danse contemporaine dans l’espace germanique, hg. v. Guillaume Robin u. Jean-Louis Georget, Nr. 220, April 2017, S. 72-83. Kürzlich erschienen sind zudem folgende Publikationen: Climenhaga, Royd: »Imagistic Structure in the Work of Pina Bausch«, in: Van den Dries, Luk/De Laet, Timmy (Hg.): The Great European Stage Directors, Vol. 8: Pina Bausch, Romeo Castellucci, Jan Fabre, London: Bloomsbury 2018, S.  75118. Diagne, Mariama: »Directing Bodies in Dance. A Visit to Pina Bausch. Now and Then«, in: Van den Dries/De Laet, The Great European Stage Directors, S. 34-74; Thurner, Christina: »How to Re-View Things with Words? Dance Criticism as Translation – Pina Bausch«, in: Dance Research Journal, Bd. 50, Nr. 2, August 2018, Cambridge University Press, S. 4-14; Egert, Gerko: »Alltägliche Abstraktionen. Immediation und die Kräfte der Choreographie«, in: Linsenmeier, Maximilian/ Seibel, Sven (Hg.): Gruppieren, Interferieren, Zirkulieren. Zur Ökologie künstlerischer Praktiken in Medienkulturen der Gegenwart, Bielefeld: transcript 2019. 68  I m Zentrum des Projekts stand die Auseinandersetzung mit dem Potential der Übersetzung von Gesten in Bauschs späteren Stücken und eine damit verbundene Weiterentwicklung der Praxeologie als tanzwissenschaftlicher Methodologie. Siehe hierzu u.a.: Klein, Gabriele: »Tanz weitergeben. Tradierung und Übersetzung der Choreografien von Pina Bausch«, in: Klein, Gabriele/Göbel, Hanna Katharina (Hg.): Performance und Praxis. Praxeologische Erkundungen in Tanz, Theater, Sport und Alltag, Bielefeld: transcript 2017, S. 63-87; genannt sei zudem die aus dem Projekt hervorgegangene Publikation: Klein, Gabriele: Pina Bausch und das Tanztheater. Die Kunst des Übersetzens, Bielefeld, transcript, im Erscheinen. 69  S iehe hierzu: Brandstetter, Gabriele/Buchholz, Michael B./Hamburger, Andreas/Wulf, Christoph (Hg.): Balance, Rhythmus, Resonanz, Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, Bd. 27, H. 1, Berlin: De Gruyter 2018. Das Stück Kontakthof besprechen insbes. diese Texte: Brandstetter, Gabriele: »Dynamik einer Tanzperformance: Pina Bauschs Kontakthof«, S. 297-301; Dies.: »›Kontakthof‹ – Rhythmus und Bewegungsinteraktion bei Pina Bausch«, S. 309-326; Heller, Veronika: »Vom Geschlechterkampf des 17. Kapitels in Pina Bauschs Kontakthof oder: Wie sich der Tango tanzen lässt, ohne einen Tango zu tanzen Am Beispiel von ›Kontakthof mit Damen und Herren ab 65‹«, S. 327-337; Stankovic, Biljana/Bleimling, Jasmin/Hamburger, Andreas: »How to Do (Awkward) Things with Just a Few Words. Moments of Meeting in Pina Bauschs ›Kontakthof. Damen und Herren über 65‹«, S. 368-385; Wulf, Christoph: »Sich verfehlende Gesten. Pina Bauschs ›Kontakthof‹«, S. 302-308. Zum anderen widmete sich die Tanzwissen-

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Eine erste umfassende, noch nicht publizierte Habilitationsschrift mit Bezug zu Pina Bauschs Arbeiten zwischen 1978 und 1982 verfasste die in Frankreich lebende und lehrende Germanistin Susanne Böhmisch. Gewinnbringende Erkenntnisse für die Tanzforschung stammen auch aus der Medienwissenschaft, wie etwa in einem den audiovisuellen Raum analysierenden Text von Petra Maria Meyer zu »Pina Bauschs Choreografie Blaubart – Beim Anhören einer Tonband-Aufnahme von Béla Bartóks Oper ›Herzog Blaubarts Burg‹«.70 Die Autorin Karen Mozingo betrachtet dezidiert die Einbettung von Bauschs Blaubart-Stück in die Literaturgeschichte. Die choreografische Umsetzung und die damit verbundenen Darstellungen von Geschlechterrollen kategorisiert Mozingo als typisches künstlerisches Verfahren in der deutschen Nachkriegszeit.71 Den ersten Rückblick auf Bauschs Archivmaterialien unternahmen der Theaterwissenschaftler Marc Wagenbach und Salomon Bausch, Sohn der Choreografin und Leiter der Pina Bausch Foundation. In dem Werkstattbericht Tanz Erben stellten sie die dreijährige Projektarbeit zur Aufarbeitung der Archivmaterialien um das Tanztheater Wuppertal vor. Ausgewählte Autorinnen und Autoren wie die Archivleiterin der Brooklyn Academy of Music (BAM) in New York, Sharon Lehner, berichteten aus ihrer Arbeitspraxis.72 Forschungstexte in Bezug auf die Tanzopern kommen oftmals zu ähnlich schlüssigen Ergebnissen: Die für das Tanztheater wesentlichen Merkmale wie die Auseinandersetzung mit einem Lebensalltag, der in der Lebensrealität eines Jeden wiederzufinden ist, treten erst in Stücken hervor, die nach den Tanzopern entstanden sind. Gegenüber Bauschs Le Sacre du Printemps (1975) zur musikalischen Vorlage von Igor Strawinsky, und dem Stück Blaubart – Beim Anhören einer Tonbandaufnahme von Béla Bartóks ›Herzog Blaubarts Burg‹ (1977) zur stark bearbeiteten Partitur von Béla Bartók, oder dem Stück Café Müller (1978), das Fragmente

schaftlerin Christina Thurner in ihrem Text »How to Re-View Things with Words?« explizit dem Stück Kontakthof.  eyer, Petra Maria: »Pina Bauschs Choreografie Blaubart – Beim Anhören einer Tonband-Auf70  M nahme von Béla Bartóks Oper ›Herzog Blaubarts Burg‹«, in: Autsch, Sabine (Hg.): Räume in der Kunst. Künstlerische, kunst- und medienwissenschaf tliche Entwürfe, Bielefeld: transcript 2010, S. 29-52. 71  S iehe: Mozingo, Karen: »The Haunting of Bluebeard: While Listening to a Recording of Béla Bartók’s Opera ›Duke Bluebeard’s Castle‹«, in: Dance Research Journal, Bd. 37, Nr.1 (Sommer, 2005), S. 94-106. Dabei greift Mozingo unter anderem auf den Text der Autorin Meg Mumfort zurück: Mumford, Meg: »Pina Bausch Choreographs Blaubart: A Transgressive or Regressive Act?«, in: German Life and Letters, Bd. 57, Nr. 1 (Januar 2004), S. 44-57. 72  S iehe hierzu die Abschlusspublikation von  Pina lädt ein. Ein Archiv als Zukunf tswerkstatt, einem Projekt der Pina Bausch Foundation mit Beiträgen von Salomon Bausch, Stephan Brinkmann, Royd Climenhaga, Katharina Kelter, Gabriele Klein, Sharon Lehner, Bernhard Thull und Marc Wagenbach: Wagenbach/Pina Bausch Foundation, Tanz Erben.

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aus Henry Purcells Oper Dido and Aeneas (1689) enthält, scheinen die Tanzopern nicht prägnant genug von der Norm des Klassischen abzuweichen.73 Wendet man den Blick zurück und betrachtet die Tanzopern mit dem Wissen um die Gestaltung der frühen Arbeiten vor der Tanzoper, dann entfaltet sich hinsichtlich des Einbeziehens von Stücken wie Adagio. Fünf Lieder von Gustav Mahler (1974) ein differenzierteres Bild des sogenannten Frühwerks Bauschs. Zahlreiche Archivbesuche verbunden mit Sichtungen audiovisueller und fotografischer Dokumente ermöglichten mir die für diese Studie wichtigen Einblicke in diese frühe Schaffensperiode. Die Tanzopern stehen zu Unrecht im Schatten der späteren Arbeiten und ihrer formal expliziteren Radikalität. Sie verdienen, für sich, im Lichte des Frühwerkes und unter Einbezug der wenigen, verstreut publizierten Betrachtungen74 neu bewertet zu werden. Neben intensiven Auseinandersetzungen mit dem Œuvre von Bausch75 fehlt es bislang an geeigneten Begriff lichkeiten, mit denen sich die Besonderheit von 73  D  ie von dem Tänzer, Choreografen und Autoren Norbert Servos in mehrfacher Auflage erschienene Darstellung der Stücke von Bausch setzt in den Stückbeschreibungen erst mit dem Sacre ein. Betrachtungen, wie sie in anschaulicher Weise der Kunsthistoriker Michael Diers im Band Methoden der Tanzwissenschaf t anhand des Sacre unternommen hat, gewinnen innerhalb ihrer Disziplin an Aufmerksamkeit. Problematisch an dieser unbedingt positiv und produktiv zu bewertenden Perspektivierung sind zum einen die Methoden der Annäherung und Einstufung von Bewegung (als Bild) und zum anderen die ausbleibende Auseinandersetzung mit der in der Theater- und Tanzwissenschaft geleisteten Forschung: Seinen Aufsatz »Dis/tanzraum. Ein kunsthistorischer Versuch über die politische Ikonografie von Pina Bauschs Le Sacre du Printemps«, in: Brandstetter/Klein, Methoden der Tanzwissenschaf t, S. 251-274, bettet Diers knapp zehn Jahre später in seine Monographie Vor aller Augen ein, ohne das vorherige Erscheinen und den Kontext seiner ersten Publikation zu nennen. Auf die Forschung, die im Band Methoden der Tanzwissenschaf t transparent gemacht wurde, geht Diers in seiner wiederholten, für die Verknüpfung mit den Themen der Kunstgeschichte sehr aufschlussreichen Re-Lektüre bedauerlicherweise weder inhaltlich, noch in bibliografischen Referenzen ein. Siehe: Diers, Michael: Vor aller Augen. Studien zu Kunst, Bild und Politik, Freiburg i.Br.: Rombach 2016. Hier insbes.: S. 245-265. 74  I nsbesondere beziehe ich mich hier auf folgende Publikationen: Brandstetter, »Poetik der (Ent-) Wendung. ›Orpheus und Eurydike‹ als Choreographie«; Meisner, Nadine: »Iphigenia, Orpheus, and Eurydice in the Human Narrative of Pina Bausch«, in: Macintosh, Fiona (Hg.): The ancient dancer in the modern world: Responses to Greek and Roman dance, Oxford: Oxford University Press 2012, S. 277-294; Haitzinger, Resonanzen des Tragischen; Levin, David: »Choreografieoper? Bewegung und Bedeutung in Glucks Orpheus und Eurydike von Pina Bausch«, in: Gess, Nicola/ Hartmann, Tina (Hg.): Barocktheater als Spektakel: Maschine, Blick und Bewegung auf der Opernbühne des Ancien Régime, München/Paderborn: Fink 2015, S. 223-237. 75  Z  u diesen zählen auch Texte, die sich mit späteren Arbeiten Bauschs befassen und in diesen theatrale Elemente wie die Montage und die Wiederholung entlang des Theaters oder des Ausdruckstanzes beleuchten. Siehe hierzu u.a.: Bentvoglio, Leonetta: Pina Bausch oder die Kunst, über Nelken zu tanzen, Frankfurt a.M: Suhrkamp 2007; Fernandes, Ciane: Pina Bausch and the Wuppertal Dance Theater. The Aesthetics of Repetition and Transformation, Frankfurt a.M./u.a.: Pe-

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Bauschs Ästhetik in Bezug auf Bewegungsqualitäten wie dem Schweben in dieser frühen Phase erfassen lassen. Die vorliegende Studie versucht daher, für die Betrachtung der frühen Arbeiten von Bausch mit dem Schweren Schweben eine Verbindung zur Struktur und zur Technik des Akademischen Tanzes sowie des Klassischen Akademischen Tanzes, dem »Tanz des schönen Scheins«76, aufrecht zu erhalten. Zugleich wird verdeutlicht, inwiefern genau Bausch mit ihrer Bewegungsqualität des Schwebens im Kontext der Künste neu zu platzieren wäre. Diesbezüglich unternimmt die Studie Schweres Schweben vielfältige Streifzüge durch die Nachbarkünste und die Physik. Fokus dieser ›Reisen‹ und ›Stationen‹ ist jeweils die ›Bewegung im Schwebenden als Denkbewegung und Körperbewegung‹. Diese Perspektivierung adressiert nicht die Posen, das Bildhafte oder die Tanzikonografie, die mit der bildlichen Rezeption Bauschs bedient wird, sondern die Denkbewegungen, die hinter den (temporären) Bildern liegen und über das Tanztheater als Kunstform hinausreichen.

Schweben sehen, spüren und schreiben. Struktur und Methodologie »Irren Sie umher wie ein Gedanke, lassen Sie Ihren Blick in alle Richtungen schweifen, improvisieren Sie. Die Improvisation setzt den Gesichtssinn in Erstaunen. […] Verlassen Sie den Gleichgewichtszustand, die sichere Spur des Pfades, streifen Sie über die Wiesen, von denen die Vögel auffliegen.« 77 Michel Serres, Die fünf Sinne Den eigenen »Gleichgewichtszustand«78 während der Beobachtungsperspektive zu verlassen bedeutet, sich ›In-Schwebe‹ zu begeben und auf das Unberechenbare des vorliegenden Gegenstands und Materials einzulassen. Die hier unternommene tanzwissenschaftliche Herangehensweise rückt Körperbewegungen in den Blick, die die »sichere Spur«79 verlassen haben und in spezifischer Weise die Bedingungen der Schwerkraft erkunden. Das Sehen dieser Körperbewegungen und ter Lang 2005; Mulrooney, Deirdre: Orientalism, Orientation, and the Nomadic Work of Pina Bausch, Frankfurt a.M: Peter Lang 2002. 76  Servos, Pina Bausch, S. 35. 77  S erres, Michel: Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2014, S. 229. Vgl. auch: Bexte, Peter: Wo immer vom Sehen die Rede ist … da ist ein Blinder nicht fern. An den Rändern der Wahrnehmung, München: Fink 2013. 78  Serres, Die fünf Sinne, ebd. 79  Ebd.

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der daraus entstammenden Bewegungsqualitäten wird in dieser Studie nicht nur als Betrachten von Aufführungen und Aufzeichnungen, sondern auch als Kommunikation der sich bewegenden (menschlichen wie auch nicht-menschlichen) Körper untereinander verstanden. Die ersten drei Kapitel – »Pina Bauschs aplomb. Ballett im Tanztheater« (1), »Schweben im schweren Stil. gravitas als Denk- und Tanzfigur« (2) und »Topografien des Schwebens. Schwerkraft-Räume seit der Moderne« (3) – unternehmen anhand ausgewählter Bild- und Videomaterialien einen Blick Zurück auf choreografische Arbeiten, die in einer Geschichte des Schwebens an Relevanz gewinnen. Über ihre Auseinandersetzung mit der Schwere und dem Schweben sollen die frühen tänzerischen wie choreografischen Arbeiten von Bausch in einen erweiterten Kontext gestellt werden. Im Zentrum des letzten Kapitels, »Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch« (4), unternimmt die Studie in einer Materialanalyse einen Blick Zurück Nach Vorn. Die Verknüpfung von Oral-History Materialien (Schilderungen interviewter Tanzender zum eigenen Körperwissen in Bezug auf die Orpheus-Arbeit), Aufführungsbesuchen sowie Probenbesuchen und Sichtungen von Archivmaterialien zur Tanzoper, steht vor der Herausforderung, die Collagen dieser verschiedenen Medien zu entschlüsseln. Beispielsweise arbeitete Bausch sowohl mit den beiden Tanzenden Malou Airaudo und Dominique Mercy als auch mit den Tanzenden Josephine Ann Endicott und Ed Kortlandt parallel und separat an den Solorollen für Eurydike und Orpheus. Dementsprechend entschied sie sich für zwei Premieren. Rolf Borzik filmte die ersten Aufführungen mit beiden Premieren-Besetzungen. Die einzige im Archiv vorhandene Aufzeichnung dieser frühen Aufführungen liegt nur als Collage vor: Im ersten und letzten Bild tanzen Airaudo und Mercy, im zweiten und dritten Bild sind es Endicott und Kortlandt. Die Aufzeichnung ist von der Pina Bausch Foundation im Archiv als »1970er«-Fassung katalogisiert und hält mit der Gleichzeitigkeit beider Besetzungen eine Aufführung fest, die so nicht stattgefunden hat. Anders als die Aufzeichnung der Pariser Oper, mit deren Ensemble Bausch die Orpheus-Tanzoper im Jahr 2008 (als erste Arbeit) rekonstruierte, sind die Materialien der Wuppertaler Fassungen nicht zu öffentlichen Verkaufszwecken, sondern zur internen Dokumentation entstanden. Die Videoqualität der »1970er«-Fassung trägt zudem die Spuren der Zeit. Die Körper der Tanzenden verlieren auf dem Videobild ihre Plastizität. In Bewegung führt die Unschärfe ihrer Konturen dazu, dass graue Schleier entstehen, die geisterhaft wirken. Tanzende, wie die schwarz gekleideten Trauernden im ersten Bild, werden wiederum von dem Dunkel der Bühne verschluckt, so dass im Videobild lediglich ihre frei gebliebenen Handgelenke, Füße und Köpfe erkennbar sind. In späteren (Farb-)Aufzeichnungen aus dem Jahr 1993 mit dem Wuppertaler Ensemble oder 2008 mit dem Pariser Ensemble, sind die Körper und Konturen wesentlich schärfer und genauer erkennbar. Dennoch beziehe ich vor allem die schwarz-

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weiß gefilmte Collagen-Fassung der 1970er Jahre in meine Analyse ein. Denn in ihr zeigt sich über das Material der Faktor des Zeitlichen und Rhythmischen der Bewegungen. In der Analyse der Tanzoper sind daher alle wahrgenommenen Materialien aus Sichtungen und Aufführungsbesuchen einbezogen.80 In Verweisen auf die einzelnen Quellen werden diese Stützen der Erinnerung jeweils transparent gemacht. * Bauschs Tanzopern wie auch das Tanztheater finden in einer Theatersituation statt, die zur Zeit der Barockoper81 entworfen wurde und seitdem auch das Klassische und Moderne Ballett zeigt: Orpheus und Eurydike wird auf einer Bühne mit einer sogenannten vierten Wand 82 für ein Publikum präsentiert, das nicht interagiert, sondern im verdunkelten Zuschauerraum auf die Bühne blickt. Diese Form des Theaters ist eine Institution, in der den Blickkonstellationen eine dominante Position beigemessen wird.83 Bauschs Tanzoper ist nicht nur theater- und tanzhistoriografisch, sondern auch analytisch in das damit verbundene Referenzsystem Theater integriert. Für die Verfahren der Tanzwissenschaft und der Theaterwissenschaft ist insbesondere die Konstellation der Blicke relevant, die dem 80  D  ie der Analyse vorliegenden Aufzeichnungen sind, wenn spezifisch besprochen, mit dem jeweiligen Jahr versehen (1975, 1991, 1993 oder 2008); so auch die Probenbesuche in Paris am 4. Mai 2014, die besuchte Premierenaufführung in Paris am 5. Mai 2014, Interviews und Sichtungen von Videomaterial, die gemeinsam mit Malou Airaudo und Dominique Mercy im Mai 2014 stattfanden, sowie Einzelinterviews mit Tänzerinnen und Tänzern (Ed Kortlandt, Bernd Uwe Marszan, Malou Airaudo). Eine detaillierte Aufschlüsselung der Sichtungsmaterialien und Aufführungsbesuche ist im Anhang unter den Primärquellen im Quellen- und Literaturverzeichnis gelistet. 81  Z  ur Barockoper von Gluck und der Bedeutung der gravitas für diesen Typus zur Zeit der Opernund Tanzreformen siehe das Kapitel »gravitas in der Musik. Schweben zwischen Tradition und Reform«. (2) 82  I m Vokabular der Theater- und Tanzwissenschaft wird immer dann von einer vierten Wand gesprochen, wenn der Abschnitt zwischen Bühnenbereich und Zuschauerraum theaterarchitektonisch wie durch eine transparente Leinwand, auf die die Zuschauenden blicken, voneinander getrennt scheint. Prominentes Beispiel ist dazu die bis heute dominierende Guckkastenbühne, in der der Bühnenraum wie ein Schaukasten mit drei verschlossenen und einer offenen Wand gestaltet ist. Erst in Performances oder Theaterarbeiten, in denen dieses Blickverhältnis thematisiert oder durch partizipatorische Elemente durchbrochen oder sogar aufgehoben wird, verschwindet diese imaginäre vierte Wand. Vgl. hierzu auch: Czirak, Adam: Partizipation der Blicke. Szenerien des Sehens und Gesehenwerdens in Theater und Performance, Bielefeld: transcript 2013. 83  D  er Musikwissenschaftler Michael P. Steinberg beleuchtet in Anlehnung an das Dispositiv Oper die Umkehrung dieser Sicht-Achsen. Steinberg, Michael P.: »Blinde Oper oder Orpheus kehrt zurück«, in: Früchtl, Josef/Zimmermann, Jörg (Hg.): Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines künstlerischen, kulturellen und gesellschaftlichen Phänomens, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001, S. 222-239.

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Theaterwissenschaftler Adam Czirak zufolge das Sehen (von Gezeigtem wie sich Zeigendem) als einen »der grundlegendsten Organisationsvorgänge der Welt«84 wiederholen. Vor diesem Hintergrund begegnet die Studie den Choreografien, Topografien und Trauerbildern des Schwebens mit einem ›doppelten Sehen‹: Sie unternimmt einerseits einen distanzierten Blick auf die Szene, die sich auf der Bühne, im Video oder in der Fotografie zeigt,85 und andererseits ein kinästhetisches Nachempfinden von Körperbewegungen, die Veränderungen des Gewichtstransfers vermitteln und damit Blickkonstellationen generieren. Für das Sehen, Spüren und (Be-)Schreiben von Schwebezuständen greife ich auf Herangehensweisen zurück, die unmittelbar aus der theoretischen Beschäftigung mit der in den einzelnen Kapiteln porträtierten Tanzschaffenden, sowie aus meiner eigenen Ausbildung in verschiedenen Tanztechniken stammen. Für ein tanzwissenschaftliches Sehen, das die kinästhetische Erfahrung86 in die Wahrnehmung kinetischer Phänomene einbezieht, wirkt im Hintergrund meiner Analysen das Verfahren der Inventarisierung von Bewegung (IVB). Dieses Instrumentarium der Bewegungsbestimmung wurde von der Tanzwissenschaftlerin Claudia Jeschke und dem Tänzer Cary Rick aus Notationssystemen wie der heute von Choreologen viel verwendeten Kinematographie Laban/Labanotation entwickelt.87 Es baut auf den kinesphärischen Raum- und Zeitprinzipien Rudolf von Labans (1879-1958) auf. Das Verfahren stützt sich insbesondere auf Labans Erkenntnis, das Verhältnis von Körpern zum Boden und der darin involvierten Antriebskräfte in die Betrachtung von Bewegung mit einf ließen zu lassen – die sogenannte Ef fort-Shape Lehre.88 IVB übernimmt Labans strukturorientierte Einteilung des Körpers und die Zuordnung der Glieder in Bewegung.89 Für die Frage 84  C zirak, Partizipation der Blicke, S. 18. 85  Z  ur Sicht auf das Theater und des Involviertseins des schreibenden Körpers der Zusehenden zugunsten einer Phänomenologie der Wahrnehmung von Tanz – anstelle einer Semiotik, die tänzerische Gesten zu entschlüsseln versucht, siehe: Wortelkamp, Isa: Sehen mit dem Stif t in der Hand, Freiburg i.Br.: Rombach 2006, S. 210ff. 86  A  usgehend von Rudolf von Labans Denkmodell der Kinesphäre, und dem sixth sense entwickelte die Tanzforschung die Begrifflichkeit des ›kinästhetischen Nachvollzugs‹. Siehe: Brandstetter, Gabriele: »›Listening‹. Kinaesthetic Awareness und Energie in zeitgenössischen Bewegungspraktiken«, in: Gronau, Barbara: Szenarien der Energie. Zur Ästhetik und Wissenschaf t des Immateriellen, Bielefeld: transcript 2013, S. 183-198. Hier: S. 188. 87  J eschke, Claudia: Tanz als Bewegungstext. Analysen zum Verhältnis von Tanztheater und Gesellschaftstanz (1910-1965), unter Mitwirkung von Cary Rick, Tübingen: Max Niemeyer 1999. 88  F ür einen Überblick der Entwicklung von Labans Skalenschrift und ihre Aufteilung in vier Skalen mit je zwei Polen vgl. ebd., S. 26-35. 89  I VB unterscheidet dabei zwischen Kopf, Gliedmaßen und Gelenken – und versteht zusätzlich auch den Rumpf als separat beschreibbaren Teil des Bewegungsapparats. Im Sinne der Labanotation gilt zum Beispiel der Rumpf als Zentrum für Körperschwere und Leichtigkeit, und ist primär als Indikator für die Relation von Körper und Boden (Erdanziehung) bedeutend. Als Kör-

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nach Bauschs choreografischem Umgang mit Schwerkraft – dem Schweren Schweben – scheint es notwendig, jene Bereiche des Körpers so isoliert wie möglich betrachten zu können, die die Relation des Gesamtkörpers zwischen Auftrieb und Erdanziehung markieren. Diese erweiterte Zuschreibung einer ›Körperteil-Funktion‹ erlaubt ein differenzierteres Betrachten der Bewegungen, die Formen des Schwebens evozieren. Die Bewegungsabläufe werden bei IVB in vier motorischen Aktivitäten wahrgenommen: ›Mobilisieren‹, ›Koordinieren‹, ›Belasten‹, ›Regulieren‹.90 In den Beschreibungen der Bewegungen diente IVB der Sensibilisierung meiner Wahrnehmung.91 * Orpheus’ Blick ist nicht nur ein mythisches Thema, sondern, sobald er in Bewegung gerät, auch ein dynamischer Vektor. Das Blicken ist mit dem Ausdruck von Macht und Ohnmacht verbunden: Ein Blick zurück bedeutet Eurydikes Tod – der Blick nach vorn ist von der Ungewissheit begleitet, dass Eurydike nicht folgt. Der Kulturwissenschaftler Thomas Macho rückte den Tod ins Zentrum zahlreicher Forschungsarbeiten und hielt fest: »Der Tod ist die Grenze des Sinns und der Bedeutung; er ist eine Metapher, und er wird mit Metaphern aufgefüllt.«92 Den Tod als Metapher, die sich einer »Logifizierung«93 entzieht, zu deuten, erinperteil verstanden, kann der Rumpf jedoch auch auf seine motorische Aktivität hin untersucht werden. Vgl. das »Begleitheft«, in: Jeschke, Tanz als Bewegungstext, S. 3. 90  M  it dem Fokus auf die Aktivität ›Mobilisieren‹ (bestimmte Körperpartien sind motorisch aktiv) ist eine Konzentration auf die Lokalisierung von Bewegung am Körper möglich – inwiefern sich also welches Körperteil wo bewegt. Die Aktivität ›Koordinieren‹ (Körperteile verändern ihre Positionen, indem sie ihre Haltung und/oder den Ort wechseln) verschärft den Blick auf Bewegungen der Gelenke/Gliedmaßen und ihre Relation zum Körper. Die Aktivität ›Belasten‹ (bestimmte Körperpartien tragen die Last der Körperschwere) lenkt den Blick auf die Form von motorischem Einsatz und die Ausrichtung/Verteilung von Körperschwere im Raum, wie etwa das Springen am Platz, durch den Raum oder den Standbeinwechsel. Eine Konzentration auf die Aktivität ›Regulieren‹ (Variabilität in der Aufwendung und Verteilung von Energie) ermöglicht, die Phrasierung und Modulation von Energie- und Zeitaufwand einer Bewegung zu fokussieren, die bei der beobachteten Bewegung eingesetzt werden. Dabei kann auch das Maß der angewandten (sichtbaren oder im kinästhetischen Nachvollzug wahrgenommenen) Muskelkraft berücksichtigt werden. Vgl. ebd., S.47-50. 91  A  n ausgewählten Stellen, die ein konkretes Anwenden der Kategorien erfordern, arbeitet die Studie explizit mit den motorischen Aktivitäten. Für die Beschreibungen der Bewegungen bleiben die Kategorien von IVB zu Gunsten eines Leseflusses und der in der Analyse entwickelten Sprachlichkeit im Hintergrund, und sind demnach im Schriftbild nicht mehr sichtbar. 92  M  acho, Thomas: Todesmetaphern. Zur Logik der Grenzerfahrung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1987, S. 196. 93  Ebd.

Einleitung

nert an Emmanuel Lévinas’ philosophisch gedachten Todesbegriff, der für meine Auseinandersetzung mit der Darstellung des Undarstellbaren auf der Bühne eine Orientierung gibt: »Das Objekt, dem ich begegne, wird begriffen, und, kurz, durch mich konstruiert, während der Tod ein Ereignis ankündigt, dessen das Subjekt nicht Herr ist, ein Ereignis, in Bezug auf welches das Subjekt nicht mehr Subjekt ist.«94 Ein choreografierter Blick des Orpheus’, wie ihn Bausch mit je zwei Körpern (Sopranistinnen und Tanzende) für Eurydike und Orpheus entwickelte, schließt die Darstellung des Undarstellbaren mit ein – und verdeutlicht zugleich grundlegende Aspekte des Theaters: Ein Blick ist als körperlicher Akt immer mit Bewegungen des Wendens, Drehens und Umkehrens verbunden. In dieser Wendung begegnet Orpheus dem Körper der Eurydike und scheint sich mit ihr im Verlieren beider Leben zu einem »orpheisch-eurydikischen«95 Schatten zu verbinden. Der Schatten ist spätestens in diesem Moment nicht mehr nur Bild oder Abbild, sondern eine Denkfigur, die mit der Verkörperung des Verschwindens, des »state of disappeareance«96, das Wesen des Performativen bestimmt – und dieser Schatten schwebt schwer. Von dieser ephemeren Blickkonstellation ausgehend widmet sich die Studie im Anschluss einer Lesart der Liebesbeziehung zwischen Eurydike und Orpheus, wie sie von Pina Bausch entworfen, und im Programmzettel der Uraufführung festgehalten wurde.97 Inwiefern lassen sich vor dem Hintergrund einer Umwertung der Kräfteverhältnisse von weiblich/leicht/schwach und männlich/schwer/stark die ›weiblich-männlichen‹ Schatten der Liebenden als verkörperte Topografie der Liebe deuten, sobald sie/er metaphorisch durch die ›Vierte Wand‹ in den Zuschauerraum hinausschweben?

94  L évinas, Emmanuel: Die Zeit und der Andere [Le Temps et l’Autre, 1979], übers. v. Ludwig Wenzler, Hamburg: Meiner 1984, S. 43. Lévinas grenzt sich mit diesem Verständnis einer sprachlichen Annäherung an den Begriff des Todes insbesondere von Martin Heideggers Auffassung vom Tod als »Möglichkeit der schlechthinnigen Daseinsunmöglichkeit« ab. Heidegger, Martin: Sein und Zeit, Tübingen: Max Niemeyer 1963, S. 250. 95  T heweleit, Klaus: Buch der Könige. Orpheus und Eurydike, Frankfurt a.M/Basel: Stroemfeld/Roter Stern 1988, S. 767. 96  G  ilpin, Heidi: »Lifelessness in movement, or how do the dead move? Tracing displacement and disappearance for movement performance«, in: Foster, Susan Leigh (Hg.): Corporealities. Dancing Knowledge. Culture and Power, New York: Routledge 1996, S. 106-128. Hier: S. 106. 97  P  ina Bauschs Aussagen zum Mythos wurden in einem Interview mit dem Dramaturgen Edmund Gleede festgehalten und im Programmzettel der Uraufführung der Tanzoper Orpheus und Eurydike abgedruckt. Ein erneuter Abdruck des Interviews wurde von der Pina Bausch Foundation veröffentlicht: Bausch, Pina: »5 Fragen an Pina Bausch zu ihrer Inszenierung von Glucks Orpheus und Eurydike«, ein Gespräch mit Edmund Gleede, Theaterzettel 4 der Wuppertaler Bühnen, Orpheus und Eurydike. Tanzoper in vier Bildern von Christoph Willibald Gluck, Spielzeit 1975/76. Wieder abgedruckt in: Koldehoff, Stefan/Pina Bausch Foundation (Hg.): O-Ton Pina Bausch. Interviews und Reden, Wädenswil: Nimbus 2016, S. 29-33.

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BLICK ZURÜCK

1. Pina Bauschs aplomb. Ballett im Tanztheater »Der Mensch allein widerstrebt der Richtung der Gravitation: er möchte beständig nach o b e n — fallen.« 1 Friedrich Nietzsche Die Fotografie (Abb. 2) zeigt Pina Bausch und ihr Ensemble während der Proben zur Wiederaufnahme des Stücks Nelken (1982). Abb. 2: Proben in der Lichtburg

1  N  ietzsche, Friedrich: Kritische Studienausgabe (KSA), hg.  v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, Bd. 10: Nachgelassene Fragmente 1882-1884, Sommer—Herbst 1882, 3[1], 343, Berlin: De Gruyter 1999, S. 95.

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Der Fotograf Wilfried Krüger veröf fentlichte mit dem 2017 erschienenen Fotoband Proben in der Lichtburg Bilder, die bis dahin lediglich in seinem Archiv lagerten.2 Die schwarze Kleidung, die Bausch trägt, ähnelt im weiten, geradlinigen Schnitt der Hosenbeine und Ärmel dem Modestil des japanischen Designers Yamamoto, mit dem die Choreografin in anderem Kontext für ein Fotoshooting zusammenarbeitete. Trotz der in dunklen Stof ftunneln verborgenen Körperglieder und -gelenke ist deutlich erkennbar, dass die Spannung von Bauschs Körper im Sprung einer akademisierten Linienführung der Gliedmaßen entspricht: Ihre Beine sind in der Luft eng gegeneinander gehalten, die rechte Ferse kreuzt das linke Fußgelenk und der Spann ist derart gebeugt, dass trotz des festen, geschlossenen Halbschuhs, den sie trägt, beide Fußspitzen zum Boden reichen. Das Kinn hält Bausch leicht schräg nach oben, ohne dass ihr Hinterkopf in den Nacken kippt. Die Platzierung der Hände, die der Rundung der Ellenbogen folgen, lässt die Arme zwischen der im Akademischen Vokabular bezeichneten ersten Position, in der die Hände vor dem Bauch platziert sind, und der fünften Position, der couronne (französisch für Krone), in der die Arme knapp über dem Kopf gleichsam einer Krone gehalten werden, schweben. Diese Sprungbewegung wird im Vokabular des akademischen Tanzes sauté genannt. Im sauté stoßen sich Tanzende vertikal mit den Füßen vom Boden ab, so dass der Körper für einen Moment in der Luft schwebt. Das aufrechte, kontrollierte Halten des Körpers in der Vertikalen entspricht dem aplomb, einer Positionierung, die das souveräne Auffangen von Körperbewegung vermittelt, also das Beherrschen der Balance.3 Etymologisch geht der aplomb im Klassischen Akademischen Tanz auf das französische à plomb4, im Lot, zurück und bedeutet senkrechte Stellung, Gleichgewicht. »Die Bedeutungsverallgemeinerung geht vor allem von der Sprache des 2  P  ina Bausch und Ensemble, Lichtburg 1996 © Wilfried Krüger, aus: Krüger, Wilfried/Pina Bausch Foundation (Hg.): Proben in der Lichtburg/Rehersal in the Lichtburg, Wädenswil: Nimbus 2017, o.S. Anlass der Probenbegleitung war ein Zeitungsartikel, der durch das Bildmaterial von Krüger ergänzt werden sollte. Bausch hatte für diesen Artikel eine Auswahl an Fotografien Krügers zur Veröffentlichung freigegeben. Für die Publikation Proben in der Lichtburg hat Krüger über die Auswahl Bauschs hinaus weitere Bilder ausgesucht. Welche Fotografien Bauschs Auswahl angehörten und welche durch Krüger ergänzt wurden, ist im Bildband nicht angegeben. Siehe hierzu: Krüger, Proben in der Lichtburg, Klappentext, o.S. 3  E ine anschauliche Darstellung der Fachbegriffe und der mit diesen verbundenen Bewegungen des Klassischen Akademischen Tanzes gibt die Tänzerin und Autorin Gretchen Ward Warren in ihrem Buch Classical Ballet Technique, Foreword by Robert Joffrey, Photographs by Susan Cook, Gainesville: University Press Of Florida 1989. Der Begriff aplomb wird hier wie folgt beschrieben: »The poise and assurance exemplified by a dancer in complete control of his or her movements.« Warren, Classical Ballet Technique, S. 375. 4  H  ierbei handelt es sich um eine »substantiviert[e] Zusammenrückung von frz. à plomb ›senkrecht, im Lot‹; frz. plomb ›Blei‹ aus l. plumbum n.« Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24., durchges.u. erw. Aufl., De Gruyter: Berlin/New York 2002, S. 53.

1. Pina Bauschs aplomb. Ballett im Tanztheater

Balletts aus, in der mit dem Wort das Abfangen von Bewegungen bezeichnet wird.«5 Bauschs aplomb im Sprung ähnelt der Haltung schwebender Ballerinen, wie sie auf zahlreichen Lithografien und Fotografien in Balletten des 19. Jahrhunderts abgebildet sind. Der Fotografie Krügers fehlt allerdings der Porträt-Charakter. Sie zeigt Bauschs Rücken, nicht ihr Antlitz. Die Positionierung der Choreografin lässt sich nur als Momentaufnahme einer nicht mehr nachvollziehbaren Bewegungsfolge beschreiben. Während Bausch sinngemäß mit dem philosophischen Denken Friedrich Nietzsches (1844-1900) »nach ob e n«6 fällt und schwebt, liegt unter ihren Füßen eine dunkle Schattenstelle. In Form und Umfang markiert der Schatten, der durch die Glätte des Bodens zugleich Spiegelbild ist, die Sprunghöhe der Tänzerin. Bausch richtet ihren Blick auf das ihr gegenübersitzende Ensemble, das wie ein Publikum von einer Tribüne aus ihrem Sprung zusieht. Der aplomb als Haltung scheint von Bausch auf die Gruppe der Tanzenden übertragen zu sein. Die Tänzerinnen und Tänzer halten ihre Beine in der ersten Reihe im Schneidersitz auf dem Boden verschränkt, sie sitzen in der zweiten Reihe auf Stühlen und bilden in der dritten Reihe im Stehen die letzte Tribünenebene. Die Arme halten sie gemeinsam in jener Rundung, die der couronne-Armhaltung entspricht. Die Anordnung des Ensembles ähnelt wiederum Treppen- und Stufenformationen, die aus Revuen oder Darstellungen in tableaux vivants bekannt sind. Bausch ist als Choreografin des Tanztheaters keineswegs durch ihr virtuoses Schweben im aplomb berühmt geworden. Stattdessen wird ihre Arbeit mit dem Tanztheater Wuppertal auf dramaturgischer und choreografischer Ebene als Bruch mit der Ästhetik des Balletts gedeutet. Überreste des Klassischen Balletts werden zumeist als Bauschs Frühwerk kategorisiert, dem aufgrund der eher konventionellen Dramaturgie aus Opernkompositionen und durchchoreografiertem Schrittmaterial keine Sprengkraft zugeschrieben werden muss, wie den Erfolgsinszenierungen Le Sacre du Printemps (1975) oder Café Müller (1978). Statt schwebender Körperhaltungen galt als Stilmittel stattdessen ein Zulassen der Erdanziehungskraft, das mit Gestimmtheiten und Körperbewegungen verbunden ist, die in Alltagspraktiken7 oder naturverbundenen Aktionen stattfinden, und nicht in 5  Ebd. 6  Nietzsche, Kritische Studienausgabe, S. 95. 7  D  ie Stilisierung des Alltäglichen, wie sie in Bauschs Tanztheater stattgefunden hat, ließe sich an dieser Stelle als ein Beobachten von Alltagspraktiken verstehen, wie sie Michel de Certeau formuliert hat. Alltagspraktiken versteht De Certeau als »Handlungsweisen, Prozeduren«, die sich in ihrer »Funktionsweise« beschreiben lassen. Als Beispiele dieser Alltagspraktiken führt De Certeau Diskurse an, die unter anderem von Michel Foucault, Pierre Bourdieu, Marcel Détienne und Immanuel Kant bestimmt wurden und in spezifischer Weise Künste des Handelns wie das Denken, Reden und Geschichtenerzählen theoretisieren. Siehe: De Certeau, Michel: »Die Alltagspraktiken«, in: Ders.: Kunst des Handelns, Berlin: Merve 1988, S. 101-103. Hier: S. 101.

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romantischen Traumräumen. Merkmale wie das Betonen der Körperschwere rücken das Tanztheater zunächst in die Nähe des Ausdruckstanzes, zumal dorthin auch Traditionslinien führen, die Bauschs Ausbildung bestimmten. * Bauschs aplomb lädt aufgrund der Platzierung einer akademisierten Haltung im nichtakademisch gestalteten Tanztheater zu einem doppelten Blick ein. Zum einen hält das Lichtbild eine alltägliche Situation der Probe fest, die im Moment des gegenseitigen Anblickens zu einer theatralen Situation stilisiert wird: Die eigentlich Tanzenden werden zum Publikumschor und sehen der Choreografin im tänzerischen Sprung zu. In der Bildanordnung wirkt sie wie eine Dirigentin, die im Erheben ihres gesamten Körpers für einen Bewegungschor den höchsten Ton einer Phrase anstimmt. Der Aspekt des Chorischen trifft mit Bauschs musikalischem Verständnis für das Operngenre zusammen, das sie als Tänzerin unter anderem im Hören von Opern während ihres Engagements im Opernballett der Metropolitan Opera in New York City entwickelte. Metaphorisch ließe sich das Bild vom leicht schwingenden Dirigierstab aus dem Orchestergraben in den aufrechten Körper der Choreografin übertragen: Wie das musikalische Pendel eines Metronoms fällt die Lotgerade, die im Tanzdiskurs als ›Perpendikularlinie‹ bezeichnet wird, entlang des Rückens der Tänzerin Choreografin hinab und verleiht ihr eine Körperhaltung, an der sich das Ensemble orientieren kann. Zum anderen entsteht aus der Perspektive des Fotografen eine weitere Lesart der Bildbetrachtung. Krüger verfolgte die Probe mit seiner Kamera als teilnehmender Beobachter und hielt nicht nur den Moment des Sprungs fest, sondern einen Ort, der für die Transgression der Medien steht, die sich im Tanztheater vollzieht: Neben dem Schweben der Choreografin lichtete er vor allem die Lichtburg, den Probenraum ab, in dem das Tanztheater Wuppertal seit 1977 (mit dem Stück Renate wandert aus) Bewegungen und Situationen für die Aufführungen im Opernhaus oder Schauspielhaus entwarf. In der Lichtburg stilisierte Bausch anhand der mit ihr verbundenen Fragetechnik persönliche Geschichten der Tanzenden.8 Die aus Gesten und 8  B  ausch nutzte Fragen nach Alltagserinnerungen oder Gedanken und Imaginationen der Darstellenden. Dem Archiv der Pina Bausch Stiftung zufolge sei diese Praxis umfassend in der Zusammenarbeit mit Schauspielerinnen und Schauspielern angewandt worden: ›Bewegungen im Schlaf‹, ›Selbstbeherrschung‹ oder ›wunschvolles Denken‹ waren Stichworte, mit denen sie für ihre Macbeth-Interpretation im Stück Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloß, die anderen folgen (1976) experimentierte. Bausch wurde 1976 eingeladen, für das Schauspielensemble des Stadttheaters Bochum - zur Zeit der Intendanz von Peter Zadek (1928–2009) – im Kontext der Festivitäten der Deutschen Shakespeare Gesellschaft ihre Interpretation von Macbeth (1607) zu inszenieren. Anstelle einer Adaption des Bühnenstücks setzte sich Bausch gemeinsam mit den Darstellenden mit Shakespeares Text und einem Text Heiner Müllers auseinander. Der Mac-

1. Pina Bauschs aplomb. Ballett im Tanztheater

improvisierten Aktionen übertragenen Stimmungen und Gefühle gestaltete die Choreografin zu collagenhaften Bildern für die Bühne.9 Für diese Technik wird Bausch im Diskurs der Tanzwissenschaft und -kritik als Urheberin genannt.10 Historiografische Rückblicke auf Bauschs Ausbildungszeit erlauben die Vermutung, dass sie mit dem Fragen nach inneren Gestimmtheiten mitunter durch die Choreografin Anna Sokolow vertraut gemacht wurde, die zur Zeit Bauschs an der Juilliard School unterrichtete. Mittels Aufgaben und Fragen, die intime Bekenntnisse wie den Bericht über eine Vergewaltigung hervorlocken sollten, ließ Sokolow von ihren Tanzenden Handlungen und Aktionen generieren, die ihrem beth-Stoff wurde dekonstruiert und in seine Einzelteile zerlegt; Figuren wie Macbeth und Lady Macbeth vervielfacht. Statt äußerer Schauplätze bestimmte die Gefühlswelt der Charaktere das Bühnenbild: Ein öffentliches Wohnzimmer mit einer Dusche, eine große Straßenpfütze und eine Jukebox wurden neben alten, mitunter zerschlissenen Möbeln der 1950er Jahre zum Interieur der Erzählung einer Mordserie. Als Titel wählte Bausch nicht die Vorlage, sondern eine Textphrase aus Shakespeares Libretto: »Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloß, die anderen folgen.« Dieser Titel verweist bereits auf eine Collage, in der Text und Aktion nur mehr fragmentiert erscheinen und nicht mehr in einem übergeordneten Referenzsystem aufgehen. Die Informationen zum Stück ließen sich im Rahmen der Ausstellung Pina Bausch und das Tanztheater anhand ausgestellter Regie-Bücher, Probennotizen und Bühnenskizzen nachvollziehen. Zum closereading des Macbeth-Stücks von Bausch siehe: Diagne, »Directing Bodies in Dance«, insb. S. 42-45. 9  B  ausch beschrieb ihre Fragetechnik sehr präzise in einem Gespräch mit dem Talkshow-Moderator Roger Willemsen im April 1998. Nach einer Frage wie »Was macht ihr, wenn ihr zärtlich seid?« liefe der Prozess wie folgt ab: »Und dann überlegt jeder eine Geste, also: Was macht der denn und an sich, also Zärtlichkeit, und dann sag ich einfach: Okay, sechs verschiedene Gesten, die mit Zärtlichkeit zu tun haben, zum Beispiel. Und das überlegt jeder für sich und zeigt das dann. […] Und diese Fragen sind nicht irgendwelche Fragen, sondern ich versuche ja, etwas einzugrenzen, was ich eigentlich weiß, was aber keine Form hat und auch kein Wort.« Bausch, Pina: »Wenn ich mir ganz genau zuhöre, macht sich das Stück selber [1998]«, Interview mit Roger Willemsen (Willemsens’ Woche), transkribiert in: Koldehoff, Stefan/Pina Bausch Foundation (Hg.): O-Ton Pina Bausch. Interviews und Reden, Wädenswil: nimbusbooks 2016, S. 185-195. Hier: S. 188. 10  V  gl. auch: Matzke, Annemarie: »Material erproben. Dokumentationen der Probenarbeit des Tanztheaters Wuppertal«, in: Kelter, Katharina/Skandries, Timo: Bewegungs-Material. Produktion und Materialität in Tanz und Performance, Bielefeld: transcript 2016, S.  191-208. Die Theaterwissenschaftlerin und Performance-Künstlerin Matzke untersucht die Prozesse des Entwickelns und Probens, wie sie sich in der Probenaufzeichnung von Walzer (1982) in dem Dokumentarfilm Was machen Pina Bausch und ihre Tänzer in Wuppertal? (Regie: Klaus Wildenhahn, Inter Nationes, 60 Minuten, 1983) nachverfolgen lassen. Der Theaterwissenschaftlicher Gerko Egert widmet sich in seinem Text »Alltägliche Abtraktionen« wiederum dezidiert den Fragen Bauschs, wie sie im Film Klaus Wildenhahns gesehen und gehört werden können, sowie nachlesbar sind in Raimund Hoghes Probennotizen »Walzer. Fragen, Themen, Stichpunkte aus den Proben«, in: Hoghe, Raimund (Hg.): Pina Bausch. Theatergeschichten von Raimund Hoghe, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1986, S.  84-89. Siehe: Egert, Gerko: »Alltägliche Abstraktionen. Immediation und die Kräfte der Choreographie«, in: Linsenmeier, Maximilian/Seibel, Sven (Hg.): Gruppieren, Interferieren, Zirkulieren. Zur Ökologie künstlerischer Praktiken in Medienkulturen der Gegenwart, Bielefeld: transcript 2019 , S. 123-142.

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Lebensalltag entsprachen.11 Später implementierte sie die beobachteten Probenergebnisse in Bühnenstücke wie Rooms (1955). Es kann davon ausgegangen werden, dass Sokolow den Studierenden, zu denen auch Bausch zählte, ihre künstlerische Sprache und Verfahren des Arbeitens vermittelte. Zu den Mitgliedern von Sokolows Ensemble, mit dem sie unter anderem Rooms entwickelte, zählte auch Paul Sanasardo. Mit ihm führte Bausch, gemeinsam mit Donya Feuer, während ihrer Zeit in New York das Stück In View of God (1959) auf.12 Diese historiografische Linie um Bauschs Einf lüsse aus den USA wurde noch nicht geschrieben – verspricht aber Erkenntnisse, die das deutsche Tanztheater einer neuen Perspektivierung unterziehen können. Methodisches Interesse generiert an dieser Stelle demnach weniger die Fragetechnik als Verfahren, sondern die Einbettung dieser Technik an einen Ort, der zum einen von einem Theateralltag abgeschnitten ist und zum anderen nur durch das Durchqueren eines sehr spezifischen Alltags erreicht werden kann: Die Lichtburg. Sie liegt im sozial schwächeren Stadtteil Wuppertal-Barmen, über einer Filiale des Schnellimbiss-Lokals McDonalds und gegenüber dessen Konkurrenten Burger King. In einer Seitenstraße, die entlang der Schwebebahntrasse verläuft und auf Höhe der Station ›Alter Markt‹ liegt, befindet sich neben Sexshops und Stellplätzen für Mülltonnen auch der Eingang zu den Büro- und Archivräumen des Tanztheaters. Aus historiografischer Perspektive tritt mit der Lichtburg als Raum für das Entwerfen choreografischer Arbeiten noch ein weiteres Paradox auf: Der Probenraum ist ein ehemaliges Filmtheater. In den 1950er Jahren, während der »Nachkriegsgesellschaft der Adenauer-Ära«13, wurden Filmbilder aus jenen Fantasiewelten auf die Kinoleinwand projiziert, die je nach Genre ein Zurückträumen an die »gute alte (Kaiser-)Zeit vor dem Ersten Weltkrieg«14 unterstützten. Kinosäle sind dunkel, ohne Fenster und von der Außenwelt abgeschottet. Für das 11  Ü  ber die Schwierigkeiten, auf Fragen zu antworten, die schmerzhafte Erfahrungen oder fragile Erinnerungen adressierten, berichteten ehemalige Company-Mitglieder in Dokumentationen zu Anna Sokolow. Eine dieser Dokumentationen ist, ohne nähere Angaben, im Archiv der Pina Bausch Foundation enthalten. Zu Anna Sokolow vgl. vor allem: Warren, Larry: Anna Sokolow. The Rebellious Spirit, Princeton: Dance Horizons Book Company 1991. 12  I n dem Stück In View of God, das von Paul Sansardo und Donya Feuer choreografiert und 1959 in der Kaufman Concert Hall in New York uraufgeführt wurde, tanzte Bausch (in der Rolle als Death’s wife) neben Sansardo (Death’s Lover) und Feuer (Death). Diese Angaben stammen aus den Programmheften, die in Schaukästen der Ausstellung Pina Bausch und das Tanztheater auslagen. 13  S chlicher, Susanne: TanzTheater. Traditionen und Freiheiten. Pina Bausch, Gerhard Bohner, Reinhild Hof fmann, Hans Kresnik, Susanne Linke, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1987, S. 18. 14  E s sind eben diese Bilder, gegen die sich die Kulturschaffenden in der ehemaligen BRD, zu denen vor allem Choreografen wie Kresnik gehörten, künstlerisch Stellung nahmen. Siehe Schlicher, ebd.

1. Pina Bauschs aplomb. Ballett im Tanztheater

Tanztheater Wuppertal wurde diese Dunkelkammer der Filmaufführungen zu einem Experimentierraum, in dem sich das Ensemble stundenlang auf hielt. Salomon Bausch beschreibt die Lichtburg als »magischen Ort«15: »Man weiß eigentlich gar nicht, in welchem Jahrzehnt man eigentlich ist, man weiß auch nicht ob, gerade morgens ist oder abends, tags oder nachts, man weiß nicht ob, Frühling ist oder Winter ist, all das bekommt man da nicht mit.«16 Der Tänzer Lutz Förster17 betont die Widrigkeit der räumlichen Gegebenheiten: »Diese Lichtburg ist etwas, das Pina sehr gut gefallen hat, weil es von der Außenwelt absolut abgeschnitten ist. Es ist allerdings ein Raum mit einer schlechten Belüftung, mit einem unangenehmen Licht – es ist schon anstrengend, hier zu arbeiten.«18 Das Ensemble entwickelte also imaginäre Realitäten von Alltagswelten, während es von den Alltagsgeräuschen und -bildern, die außerhalb der Lichtburg real waren, abgeschnitten war (etwa den damals tagesaktuellen Schlagzeilen zu den Morden der terroristischen Organisation RAF im Rahmen des Deutschen Herbstes). Tanztheater und Filmtheater sind in der Lichtburg nicht nur räumlich miteinander verbunden. Ein wichtiges Instrument und Korrektiv im Probenprozess wurde die Videoaufnahme.19 Grund war nicht nur die mit dem Medium verbundene Wiederholbarkeit von f lüchtigen Bewegungen, sondern auch die erweiterte künstlerische Perspektive, die mit dem Medium Film in den choreografischen Prozess eingebunden werden konnte. Rolf Borzik war als Bauschs Lebenspartner und künstlerischer Begleiter Szenograf und Kostümbildner des 15  G  emeinsam mit der Bundeskunsthalle Bonn zeigte die Pina Bausch Foundation die Ausstellung Pina Bausch und das Tanztheater, kuratiert von der Bundeskunsthalle Bonn (Rein Wolfs) und der Pina Bausch Foundation (Salomon Bausch, gemeinsam mit Miriam Leysner), vom 4. März – 24. Juli 2016 in der Bundeskunsthalle in Bonn, und vom 16. September 2016 – 19. Januar 2017 im Martin Gropius Bau in Berlin. Aussagen zur Atmosphäre der Lichtburg ließen sich unter anderem in Video-Interviews mit Lutz Förster und Salomon Bausch nachhören, die im Foyer der Bundeskunsthalle Bonn während der Ausstellung positioniert waren. Für die Ausstellung wurde die Lichtburg rekonstruiert. Siehe hierzu den zur Ausstellung entstandenen Film Pina Bausch und das Tanztheater – Behind the art, der online veröffentlicht ist: https://vimeo.com/158600548. Letzter Zugriff: 05.01.2019; Salomon Bausch, ebd., Minute 00:04:00. 16  Ebd., ab Minute 00:03:47. 17  L utz Förster ist seit 1975 als Gast und seit 1978 als Ensemblemitglied dem Tanztheater Wuppertal verbunden. Seit dem Tod Bauschs war er bis 2016 in der Nachfolge der Choreografin als künstlerischer Leiter der Kompanie tätig. 18  Lutz Förster, ebd., Minute 00:04:40. 19  D  ie Tanzopern wurden noch in den Probenräumen des Opernhauses und Schauspielhauses entworfen. Der Bewegungsblick der Kamera, den Borzik vor allem mit der Orpheus-Arbeit professionalisierte, verweist auf Vorläufer dieses Medienwechsels. Mit Borziks szenografischer Arbeit war stets auch die audiovisuelle Ebene einbezogen. Relevanz erhält dieser Aspekt insbesondere mit den Rekonstruktionen der Orpheus-Tanzoper und der Erstellung einer Kauf-DVD, mit der Orpheus als erste Arbeit medientechnisch vervielfältigt wurde.

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Tanztheaters Wuppertal. Gleichzeitig hielt er von Beginn an alle Proben und Aufführungen fotografisch und videografisch fest. Seine Auswahl an Kameraperspektiven, Bewegungsmomenten und Fokussierungen auf die Szene bestimmten die Dokumentationen des Tanztheaters Wuppertal bis zu seinem Tod im Jahr 1980. In späteren Arbeiten fixierte das Videobild Bewegungsentwürfe und wurde elementares künstlerisches Element der Tanztheater-Stücke. Diese Verschränkung der Bewegungsmedien zeigt sich erstmals in dem Stück Kontakthof (1978). Zum Ende des zweiten Teils von Kontakthof fährt eine große Leinwand aus dem Bühnenhimmel. Auf ihr erscheint die Projektion einer Tierfilmdokumentation, in der ein Kommentator aus dem Off das Paarungsverhalten seltener Entenarten erläutert. In Bauschs eigenem experimentellen Film Die Klage der Kaiserin (1988) kehrte die Choreografin das Verhältnis von Kamera und Choreografie sogar um. Die in dieser Arbeit entstandenen Filmbilder entwickelte sie mittels choreografischer Verfahren und der Collage von Filmtakes.20 * Der Bausch-Kosmos, der mit der Lichtburg in Verbindung steht und den Mythos um das Tanztheater aufrecht erhält, wurde 2016 erstmals in einen Erfahrungsraum für ein Publikum transformiert: Im Rahmen der Ausstellung Pina Bausch und das Tanztheater wurden Materialien aus dem physischen Archiv des Tanztheaters sowie Bauschs eigener Sammlung einer Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.21 20  A  uch für Die Klage der Kaiserin entwickelte Bausch eine assoziative Struktur von Aktionen, die sich nicht in einen Handlungsrahmen zurückführen ließen. Deutlich wird dies an einem Kommentar der Choreografin zur Figur einer ›Häsin‹, einer Tänzerin, die in einem Bunny-Kostüm (das an den Playboy-Hasen erinnert) durch den Wald läuft. Die Journalistin Eva M. J. Schmid befragte Bausch 1990 in einem Interview nach dieser Figur der ›Häsin‹. Bausch antwortete lachend: »Nein, das ist kein Hase, das ist jemand, der mit dem Theater zu tun hat und plötzlich kostümiert und maskiert auf den Acker läuft. Dieser Mensch ist in Not. Er ist irgendwo, wo er nicht hingehört. ›Hase‹, das würde in eine Story gehören, und eine Story gibt es nicht.« Bausch, Pina: »Ich wollte Bilder, die ich sah, die ich fühlte, die ich fühlen wollte«, Informationsblatt zum Film Die Klage der Kaiserin, zur Uraufführung am 17. Februar 1990 bei den 40. Internationalen Filmfestspielen Berlin. Gesprächspartnerin Eva M. J. Schmid, in: Koldehoff/Pina Bausch Foundation, O-Ton Pina Bausch, S. 142-149. Hier: S. 147. 21  D  as Konzept zur Ausstellung Pina Bausch und das Tanztheater präsentierte Bauschs Leben und Werk in sechs Stationen mit Materialien zu den wichtigsten Aspekten ihres choreografischen Schaffens. Die heute viel zitierte Rede, die Bausch während ihrer Auszeichnung für den Kyotopreis hielt: »Was mich bewegt«/»Etwas, das keiner Frage bedarf«, diente als Struktur der kuratorischen Anordnung der gesamten Bilderschau. Der Inhalt der Rede besteht aus der Collage einzelner Gespräche und Interviews, welche Dramaturgen und Autoren zusammentrugen, die mit Bausch zusammengearbeitet hatten. Dieses Verfahren entspricht zugleich dem collageartigen choreografischen Verfahren der Künstlerin. Die Rede ist in zwei Versionen veröffentlicht

1. Pina Bauschs aplomb. Ballett im Tanztheater

Die Lichtburg wurde zu diesem Zweck bis in das kleinste Detail nachgebaut und inmitten der Ausstellungsf läche der Bundeskunsthalle in Bonn und später des Lichthofs im Martin Gropius Bau in Berlin aufgestellt. Dieser Nachbau lässt sich als Hilfsmittel deuten, mit dem ein nicht ausstellbares Leben und Arbeiten der Tänzerin und Choreografin in ein Anschauungsobjekt verwandelt werden sollte. Das Verfahren des bühnentechnischen Nachbauens scheint der choreografischen Praxis Bauschs auffallend verwandt zu sein. Gerade für die Tanzoper Orpheus und Eurydike wurde 2004 zugunsten einer Wiederaufnahme und Rekonstruktion mit dem Ensemble der Pariser Oper das komplette Bühnenbild in einem Nachbau in Paris aufgestellt und als solcher zehn Jahre später auch in einer (nicht öffentlich zugänglichen) Bühnenbilddokumentation schrittweise festgehalten.22

worden: Neben der Fassung »Was mich bewegt« gibt es zugleich die Fassung »Etwas finden, das keiner Frage bedarf«, die Bausch am 12. November 2007 im Rahmen des Kyoto Prize Workshops in Arts and Philosophy in der Inamori Foundation gehalten hatte. Auch wenn Elemente dieser beiden Fassungen voneinander variieren, für die Ausstellung sind beide Reden als ein gemeinsamer Roter Faden verwendet worden. Beide Fassungen sind in der die Ausstellung begleitenden Publikation O-Ton Pina Bausch abgedruckt. In der ersten Sektion der Ausstellung, »Tänzerin«, wurden die Anfänge Bauschs professioneller Ausbildung und Karriere vorgestellt. Die Sektion »Methodologie« präsentierte Materialien zum Entstehungsprozess der ersten Produktion, in der sich Bausch gemeinsam mit Schauspielern Shakespears’ Macbeth näherte. Anhand von Fotografien, Regieanweisungen, Bühnenbilddokumentationen, zahlreichen Notizen und dem kompletten Regiebuch (ein Ordner mit 1200 Seiten) wurde der Mythos um jenes Stück gelüftet, mit dem Bauschs Technik des Fragens eine klare Form erhielt. In dem Ausstellungsbereich »Bühne« wurden (zuweilen bereits sehr bekannte) Fotografien präsentiert, in denen Borziks und Pabsts Bühnenbilder in den Vordergrund gerückt wurden. Vor beleuchteten Bilderrahmen sollten Aufnahmen des Erdbodens aus Le Sacre du printemps oder das Nilpferd im Wasserbecken im Stück Arien die Gestaltungsform der Szenografen dokumentieren. Der Bereich »Ko-Produktionen« nahm die Reisetätigkeit des Ensembles in den Fokus. Schnappschüsse von Bausch sollten dabei den Eindruck des Persönlichen dieser Arbeitsreisen vermitteln. Die letzten beiden Bereiche, »Das Ensemble« und »Die Stücke«, widmeten sich mit einer Fotowand aus Portraitbildern aller Ensemblemitglieder seit 1973 und einer von dem Videoarchivar Ismaël Dia entwickelten Videowand mit Filmbeispielen, die das choreografische Werk der Künstlerin in einer Art Loop präsentierte, den Tanzschaffenden ›hinter‹ Bausch. Der Aufbau der Ausstellung ähnelte der in Wuppertal unternommene Ausstellung Rolf Borzik und das Tanztheater, die in den Jahren 2000, 2006, 2010 und 2014 Fotografien und Skizzen des ehemaligen Lebenspartners, Bühnen- und Kostümbildners der Choreografin zeigte. Zur Ausstellung Rolf Borzik und das Tanztheater ist unter der Bildredaktion von Ulli Weiss und der Textredaktion von Norbert Servos mit der Tanztheater Wuppertal Pina Bausch GmbH 2014 ein gleichnamiger Bildband entstanden. 22  I m Jahr 2014 fertigte Gerburg Stoffel, Assistentin des Bühnenbildners Peter Pabst, für das Archiv der Pina Bausch Foundation eine Bühnenbilddokumentation für die Rekonstruktion der Tanzoper an der Pariser Oper im Mai 2014 an. Erkenntnisse aus dem Sichten dieser Dokumentation fließen in meine Analyse ein. In dieser Dokumentation sind nur die Modellbauten des Bühnen-

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Die rekonstruierte Lichtburg diente im Ausstellungskontext neben der dekorativen Hängung von kopierten Fotoabzügen, die mit stecknadeldünnen Metallstiften an die Wände gepinnt wurden, nicht nur der Anschauung.23 Im Lichthof des Martin Gropius Baus, einem von Oberlicht durchf luteten Innenhof, schluckte der schwarze Kasten der nachgebauten Lichtburg aufgrund seiner meterhohen Wände das einströmende Oberlicht. Anders als auf Fotografien, die Personen in Aktionen und Proben innerhalb der Lichtburg festhielten, erinnerten die Wände und dort drapierten Kostüme des nachgebauten Bausch’en Kosmos an ein ›Mausoleum der Dinge‹. Kuratorisches Konzept dieser Lichtburg war neben Lecture Performances und Vorträgen ein Workshop-Programm, in dem Ausschnitte aus bekannten Stücken des Tanztheaters, angeleitet von (ehemaligen) Ensemblemitgliedern, nachgetanzt werden konnten. Insbesondere durch das Nachgehen der Marsch-ähnlichen Schritte und Gesten, die im Stück Nelken (1982) als sogenannte »Nelkenreihe« choreografiert sind, sollten die Ausstellungsbesuchenden dem Tanztheater Wuppertal näherkommen. * Mit dem Abbau der Ausstellung verschwanden die kopierten Exponate. Ohne sie lösten sich Anordnung und Kontexte jener Facette des Tanztheaters, die nachträglich kaum fassbar ist: Bauschs tänzerische Ausbildung und Lauf bahn in den USA. Ausgehend von der Konstellation der Blicke, in der Bausch auf der Fotografie im aplomb vor ihrem gekrönten Ensemble in der Lichtburg schwebt, widme ich mich nun den zentralen Aspekten, die meine Untersuchung der Schwere im Schweben im Tanztheater begleiten: Mit dem Schweben im aplomb lässt sich eine Facette des Akademischen im Tanztheater zum Vorschein bringen, die bisher im Schatten der Archiv-Räume und Aufzeichnungs-Medien verborgen blieb. Seit Beginn der Arbeiten des Tanztheaters Wuppertal etablierte sich ein Diskurs, der gerade das Fehlen des Klassischen hervorhob und dieses Aussparen des Balletts entwebildes abgelichtet. Beleuchtung und Darstellende sind auf diesen Fotografien nicht zu sehen. Ein Abbilden der Fotografien in dieser Studie ist aus rechtlichen Gründen leider nicht möglich. 23  D  ass auf das Ausstellen originaler Fotografien verzichtet wurde, scheint nicht nur mit der archivarischen Sorge um die Dokumente zusammenzuhängen, sondern auch mit einem gänzlich anderen Verständnis von Ausstellung. Das Kuratorenteam präsentierte vor allem eine Bilderschau, die Indexe dessen zeigen sollte, was im (digitalen) Archiv schlummert, aber nicht in seiner Materialität (Fotopapier, Originalgröße der Abzüge) erfasst werden durfte. Zu den wenigen Originalen, die ausgestellt wurden, zählten Probentagebücher, die aufgeschlagen hinter verschlossenen Glasvitrinen lagen. Ein Blättern in diesen Dokumenten war nicht möglich. Mit Ausstellungskonzepten wie diesem bleibt unklar, inwieweit trotz der Begehbarkeit der ›falschen Lichtburg‹ in dieser Weise nicht auch die tänzerische Qualität des Tanztheaters lediglich in Form eines dekorativen Nachbildes ausgestellt wurde.

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der als Makel oder als kritische Position interpretierte. Diese Ambivalenz geht auf eine begriff liche Unschärfe zurück, die möglicherweise für die Trennung in ein ›klassisches Frühwerk‹ und ein ›progressives Hauptwerk‹ verantwortlich ist. Auf Krügers Fotografie sehen wir Bausch im Sprung. Die Anspannung ihres gesamten Körpers erfordert den aplomb. Diesen aplomb übernehmen die ihr gegenübersitzenden Tanzenden stehend und sitzend akademisch korrekt in einer klassischen Armhaltung. Was heißt vor diesem Hintergrund der Begriff Tanztheater? Die Grundlagen des Akademischen nehmen in Bezug auf Rhythmus, Dynamik und Haltung der Körperbewegungen eine strukturierende Funktion im Tanztheater ein. Deutliches Exempel ist das tägliche Training in Techniken des Klassischen Akademischen Tanzes, das nicht nur Bausch forderte, sondern auch die Choreografin Reinhild Hoffmann (*1943) für das Aufwärmen und Einstimmen vor den Proben wünschte. Differenzierungen zwischen Ballett als Bühnenästhetik und Sprache und den akademischen Körperhaltungen im Tanztheater sind bisher jedoch unklar. Daher widmet sich der hier unternommene Blick zurück im nächsten Schritt Positionen und Kontroversen im Diskurs um das Tanztheater und seine Haltung zum Klassischen. Abschließend stellt das Kapitel Stile des Klassischen vor, in denen Bausch in Essen und in New York unterrichtet wurde, da sie jene durch entsprechende Lehrer der (US-Amerikanischen) Tradition für das tägliche klassische Training ihrer Kompanie fortsetzen ließ.

Tanzopern lesen. Tanztheater verstehen »Alle kommen zum Tanz, um zu lesen, ohne dass gesprochen wird, um ohne Sprache zu verstehen. Alle sind sie heute so müde, so übersättigt, so überhäuft mit Diskurs, mit Sprache, mit Schrift.«24 Michel Serres, Das Ballett von Alba Ein großer Mann, stark geschminkt mit roten Lippen und hellem Haar, schreitet in einem langen, weiten schwarzen Mantel langsam, in festen Schritten diagonal über die schwach beleuchtete Bühne. Sein Weg beginnt an der vorderen Bühnenrampe und endet in der Bühnenmitte. Während er wie eine Statue reglos stehen bleibt, tanzt vor ihm ein Paar in Alltagskleidung. Die Schritte der Tänzerin und des Tänzers ähneln einem lockeren Gesellschaftstanz, der sich allerdings aufgrund 24  S erres, Michel: Das Ballett von Alba [1982], in: Rainer, Yvonne/Berio, Luciano/Kishik, David/Nancy, Jean-Luc/Serres, Michel/Thom, René: Allesdurchdringung. Texte, Essays, Gespräche über den Tanz, Berlin: Merve 2008, S. 91-126. Hier: S. 114.

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der vielen Unterbrechungen und improvisiert wirkenden Figuren nur schwer entziffern lässt. Währenddessen tritt der geschminkte Mann fast unbemerkt aus seinem schwarzen Mantel und stürmt, lediglich mit einem Badeanzug und Absatzschuhen bekleidet, diagonal zurück zur Bühnenrampe. Der steife Stoff des Mantels bleibt wie ein fester Panzer senkrecht stehen. Mit expressiven, raumgreifenden Gesten führt der Mann im Badetrikot eine Folge an Bewegungen aus, die mit dem malerischen, sprechenden Gestus der Ausdruckstänzer der Avantgarde assoziiert werden könnten. Vor ihm kniet eine Frau in weißem Gewand. Die hier geschilderte Szene stammt nicht aus einem Tanztheater Stück, sondern aus Bauschs erster Tanzoper Iphigenie auf Tauris (1974).25 Der große Mann stellt die Figur Thoas dar, die in der mythischen Erzählung als kriegerische Gegenfigur zu den auf der Insel Tauris gefangenen, miteinander verwandten und befreundeten Hauptfiguren Iphigenie, Orest und Pylades steht. Bauschs Tanzoper war eine Auftragsarbeit für das Wuppertaler Opernhaus, mit der sie choreografisch die gleichnamige Barockoper von Christoph Willibald Gluck inszenierte. Die Oper enthält ein stringentes Narrativ, dem Bauschs Choreografie und das gemeinsam mit Jürgen Dreier gestaltete Bühnenbild und die Kostüme folgen. Mit dem Sichten von Archivmaterial eröffnet sich ein differenzierter Blick auf diese Arbeit. Die Tanzoper in vier Aufzügen beginnt im ersten Teil mit einer reglos auf dem Bauch liegenden Iphigenie, die wenig später von einem Corps von Priesterinnen umgeben ist und mit pathetischen Gesten und schmerzverzerrt wirkender Mimik ihr Unwohlsein in der Gefangenschaft des Thoas beklagt. Bewegungen wie ein Kopf kreisen, den Oberkörper Einknicken und nach vorn Werfen, sowie die kantigen, im épaulement des Klassischen Akademischen Tanzes stehenden Armund Beinverschränkungen erinnern an die Choreografie der Soldaten aus dem Ballett Der Grüne Tisch (1932) von Kurt Jooss (1901-1979) – welches im dritten Kapitel noch gesondert besprochen wird. Sukzessive platzieren die Priesterinnen in Iphigenie ihre Füße vor weißen Leinentüchern, die den gestauchten Bühnenraum in separate Räume teilen. Zwischen diesen Tuchwänden, inmitten einer Badewanne steht die Figur Orest. Im weiteren Verlauf der Tanzoper finden Prozessionen und Reihenformationen mit Holzstühlen, Blumenzeremonien, Schattenfiguren und -spielen statt, bis die Tanzoper in einem tableaux vivant aus Gräbern endet, das durch die reglos auf dem Boden liegenden Tanzenden entsteht. Das Hauptgrab dieses Friedhofs stellt die Badewanne aus dem ersten Aufzug dar. In ihr wird Orest schließlich von den Priesterinnen zeremoniell beerdigt. Begleitet werden 25  D  ie Beschreibungen basieren auf Sichtungen folgender Archivmaterialien: Iphigenie auf Tauris, Aufzeichnung aus der Spielzeit 1974/75, Kamera: Rolf Borzik; (Iphigenie) Monika Sagon, (Orest) Dominique Mercy, (Pylades) Ed Kortlandt, (Thoas) Carlos Orta. Iphigenie auf Tauris, Aufzeichnung aus der Spielzeit 1998/99, vom 10.10.1998, Kamera: nicht benannt, (Iphigenie) Ruth Amarante, (Orest) Dominique Mercy, (Pylades) Bernd Uwe Marszan, (Thoas) Lutz Förster.

1. Pina Bauschs aplomb. Ballett im Tanztheater

Choreografie und Szenografie von Sängerinnen und Sängern, die sich (für das Publikum unsichtbar) in Orchestergraben und Kulissen befinden und dem Szenischen ihre Stimmen verleihen. Als Tanzoper vermittelt Iphigenie auf Tauris einen Klangraum, in dem die Charaktere der mythischen Erzählung stimmlich hörbar und tänzerisch sichtbar in Erscheinung treten. Die eingangs skizzierte Szene des staksenden Thoas zeigt, dass die Gestaltung der Figuren durch Bewegung, Kostüm und Anordnung spezifische Elemente der Unterbrechung enthält. Diese Diskontinuität trägt zu einem Nicht-Verstehen bei und verleiht Figuren wie Thoas über das Erzählerische der Alltagskleidung einen komplexeren Charakter. Tanzopern sind ein eigenständiges Genre, das sich in unterschiedlicher Weise den theatralen Mitteln des Tanzes, des Schauspiels wie auch der Oper bedient. Die Gewichtung der einzelnen theatralen Mittel rückt die Tanzoper in die unmittelbare Nähe der Verfahren des Tanztheaters. Iphigenie auf Tauris unterscheidet sich auf Ebene der Inszenierung stellenweise nur minimal von typischen Tanztheaterstücken, in denen Figuren im crossdressing auftreten.26 Bauschs Tanzoper Orpheus und Eurydike hingegen – das wird die Studie im closereading des vierten Kapitels zeigen – verlässt die Ebene des Spielerischen mit theatralen Zeichen durch Requisiten und verschachtelte Narrationen. Beide Tanzopern gelten im Diskurs der Theater- und Tanzforschung dennoch nicht primär als Tanztheater. Denn sie erzählen von präexistenten Geschichten und folgen vorgegebenen Handlungen. In der Verbindung von Tanz als »stummer Kunst«27 und Oper als Repräsentationsgenre der höchsten Form des menschlichen Gesangs ist der Tanzoper das Stilmittel der Kontrastdramaturgie inhärent.28 Dem Tanztheater von Bausch wird hingegen nachgesagt, das Gegenteil zu tun: Es erzählt, ohne feste Handlung, »ohne dass gesprochen wird, um ohne Sprache zu verstehen.«29 Ein Verstehen von tänzerischen Aussagen ohne das gesprochene Wort war bereits Anliegen 26  P  rominent sind Momente, in denen der Tänzer Dominique Mercy zum Beispiel in einem Tutu auftritt (Bandoneon, 1986) oder in einem Abendkleid das Publikum begrüßt (Danzón, 1995). 27  D  ie Tanzwissenschaftlerin Sabine Huschka spricht von der Stummheit als Wesenszug und ästhetisches Merkmal der Tanzkunst: »Daher ist die Tanzkunst – ist sie ästhetisch wirksam – notwendig stumm. Der Stummheit obliegt die ästhetische Kraft des Tanzes, sichtbare und letztlich bildliche Vorstellungen von der Empfindungsgestalt des Körpers geben zu können, also seine Seele vorzustellen.« Huschka, Sabine: »Szenisches Wissen im ballet en action. Der choreographierte Körper als Ensemble«, in: Dies. (Hg.): Wissenskultur Tanz. Historische und zeitgenössische Vermittlungsakte zwischen Praktiken und Diskursen, Bielefeld: transcript 2009, S.  35-54. Hier: S. 44. 28  B  emerkenswert ist, dass gerade Vertreterinnen des Tanztheaters wie Sasha Waltz in zahlreichen Arbeiten (etwa choreografierte Opern wie Dido & Aeneas [2005], Matsukaze [2011], Orfeo [2014]) auf die Verbindung von Tanz und Oper zurückgreifen. 29  Serres, ebd.

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der Tanzreformen im 18. Jahrhundert.30 Was aber wird im Diskurs der Tanz- und Theaterwissenschaft sowie des Journalismus unter Tanztheater verstanden? Der Begriff Tanztheater gilt zunächst als Pendant zum Sprechtheater, das auf der Bühne durch tänzerische Gebärden inhaltliche Themen erzählerisch zu vermitteln vermochte. »Die Aktion beym Tanze ist die Kunst, durch den wahren Ausdruck unsrer Bewegungen, unsrer Gestus und der Physiognomie, dem Zuschauer unsre Empfindungen und Leidenschaften mitzutheilen. Die Aktion ist also nichts anderes als die Pantomime.«31 – schrieb der Tanzbuchautor und Choreograf Jean Georges Noverre (1727-1810) in seinen 1760 in Paris publizierten Lettres sur la Danse et sur les ballets, die erstmals 1769 von Gotthold Ephraim Lessing und Johann Joachim Christoph Bode als Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette ins Deutsche übersetzt wurden. Neben den tanzpraktischen Arbeiten des Choreografen Gasparo Angiolini (1731-1803) für die Opern Glucks legte Noverre den Grundstein für das Verständnis von Tanz als Sprache, die ebenso wirksam (movere) und ernsthaft (hoher Stil) sein könne, wie die textbasierte Sprache im Schauspiel. Choreografierte Bewegungen auf der Bühne sollten dabei allerdings nicht bloße Sprachgesten visualisieren, sondern eine eigene Sprachlichkeit bzw. »choreographische Gestalt«32 besitzen. Tanz konnte also spätestens seit 1769 auf den Bühnen eines in der Auf klärung denkenden Europas nicht mehr zum Beiwerk in Opern herabgestuft werden, sondern galt als generatives Element zur Darstellung von Inhalten und Affekten. Nur: Kann Tanztheater von Zuschauenden tatsächlich gelesen werden, ohne dass sie eine gesehene Sprache ›verstehen‹, oder geht es nicht vielmehr um ein ›Entdecken‹ von Symbolen einer künstlerischen Sprache? Zwischen welchen Formen des Erzählens müsste im Diskurs um das Tanztheater differenziert werden – und welche Annahmen zum Wesen des Tanztheaters müssten aus heutiger Perspektive revidiert werden? Mit Bauschs Sprache ist zudem eine spezifische Bühnenästhetik gemeint, mit der bestimmte Choreografinnen und Choreografen von Leben und Aktionen im Alltag erzählen.33 Wie ›spricht‹ Bausch?

30  Siehe Huschka, »Szenisches Wissen«, insb.: S. 40ff. 31  A  n dieser und den folgenden Stellen zitiere ich aus: Noverre, Jean Georges: Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette [1760], übers. v. Gotthold Ephraim Lessing u. Johann Joachim Christoph Bode, Hamburg u. Bremen 1769, Faksimile hg. v. Kurt Petermann, München: Heimeran 1977, S. 197. 32  Huschka, ebd. 33  E ine Vertiefung des Diskurses um die Genese der tänzerischen Sprache sei an dieser Stelle um 200 Jahre übersprungen; sie findet im anschließenden Kapitel (2) statt.

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1969 erhielt Bausch für ihr Stück Im Wind der Zeit den ersten Preis beim zweiten Internationalen Choreografischen Wettbewerb in Köln. An der Choreografie hatte sie zuvor unter dem Titel I Wandered Lonely as a Cloud (1968) gearbeitet – dies verdeutlichen Fotografien und Textkommentare aus der Ausstellung Pina Bausch und das Tanztheater. Im selben Jahr übernahm sie von Jooss die künstlerische Leitung des Folkwang Tanzstudios und wurde zeitgleich Dozentin an der Folkwang Hochschule in Essen.34 Wenig später folgten weitere Stücke, die nicht mehr erzählten, sondern abstrakt blieben. Hierzu gehören Nachnull (1970), ein Stück, in dem ein Mädchen auf einem Totenbett liegt, Aktionen für Tänzer (1971), ein Abend, in dem sich die Aktionen der Tanzenden um ein Metallbett kreisen, oder Wiegenlied (1972), eine Choreografie, die das Einschlafen thematisiert. Ihren Start in Wuppertal im Herbst 1974 gestaltete Bausch noch nicht mit einem abendfüllenden Stück, sondern mit Arbeiten von drei verschiedenen Tanzschaffenden: Dem Stück Rodeo (1942), einer Choreografie mit Stepptanzeinlagen in Cowboykostümen von Agnes de Mille, folgte Fritz (1974), Bauschs eigenes Stück, das die Geschichte um das Märchen von Einem der Auszog um das Fürchten zu lernen (1819) der Gebrüder Grimm intensivierte. Als Abschluss wählte die Choreografin Jooss’ Grüner Tisch. Trotz des mühsamen Anfangs avancierte die Künstlerin aus Solingen vom enfant terrible zur international anerkannten Star-Choreografin, der 1997 der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland (mit der Stufe Großes Verdienstkreuz mit Stern) verliehen wurde. Bis heute wird sie als Pionierin des deutschen Tanztheaters gefeiert. Ihren Stücken sagten wohlgesonnene wie skeptische Kritikerinnen und Kritiker nach, dass man sie nicht verstehen könne und dies auch nicht müsse, da es sich um ein Theater der Erfahrung von Alltäglichem handele.35 Tanztheater, wie das von Bausch und ihren Kolleginnen und Kollegen, bedeutete nicht nur ein Zeigen von Tanz im Theaterraum, sondern das gleichwertige Bewegen von Körpern wie Gegenständen in theatralen Kontexten zu gestalten – mit den Mitteln der Choreografie und der Szenografie. Um Motive und Stimmungen auf der Bühne mitzuteilen, bediente sich das Tanztheater der 1970er Jahre den (zu dieser Zeit vorhandenen) »Darstellungstechnologien und einer visuell und medial geprägten Alltagswahrnehmung.«36 Ein solches Wahrnehmen von Alltag ist im Diskurs der Theaterwissenschaft als Wesensmerkmal des Postdramatischen bestimmt. Vor dem Hintergrund 34  Z  ur detaillierten Aufarbeitung dieser Zeit der Umbrüche siehe: Schlicher, Susanne: »Ausgangspunkt Köln: Aufbruch der jungen Choreographen in den sechziger Jahren«, in: Dies.: TanzTheater, S.  37-51. Als zuletzt publizierten Überblick zu den künstlerischen Stationen Bauschs siehe: »Chronik«, in: Koldehoff/Pina Bausch Foundation, O-Ton Pina Bausch, S. 334-347. 35  S ervos, Norbert/Weigelt, Gert: Pina Bausch – Tanztheater, 3., erw. Aufl., München: Kieser 2012, S. 22. 36  L ehmann, Hans-Thies: Theater und Mythos. Die Konstitution des Subjekts im Diskurs der antiken Tragödie, Stuttgart: Metzler 1991, S. 3.

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der Abschottung des Alltags zur Generierung von Alltäglichem in der Lichtburg in Wuppertal müsste Alltagswahrnehmung unter dem Vorzeichen der Stilisierung von Alltag gelesen werden, mit der umgekehrt Alltag in eine Collage aus Schein-Realitäten transformiert wird. In diesem Punkt bietet sich eine Verknüpfung mit den Ausführungen des marxistischen Soziologen und Philosophen Henri Lefebvre (1901–1991) an, dessen Schriften, trotz neuerer Forschung zum Thema Alltag und kritischer Lektüren in der Vergangenheit, von Forschenden aktuell wieder aufgegriffen werden.37 Seine »Philosophie der Praxis«38 und die spezifischen Beschreibungen von Körpern in Bewegung, die (gesellschaftliche, soziale) Räume39 generieren, sind insbesondere für die Auseinandersetzung mit stilisierten, theatralen Darstellungen von Alltag aufschlussreich. Lefebvre zufolge ist dargestellter Alltag bereits Szene und somit immer auch als Collage zu denken.40 Das Alltägliche wiederum sei »ein Ensemble offenbar bescheidener Tätigkeiten, als Ensemble von Produkten und Werken, die sich von den Lebewesen (aus der Physis, in der Natur entstehende Pf lanzen, Tiere) sehr wohl unterscheiden […].«41 Zugunsten einer Aufwertung der nicht-philosophischen Gegenstände, die für sinngenerierende Praktiken der Philosophie essentiell seien, koppelt Lefebvre das Wesen des Alltäglichen – Repetition, arbeitsgebundene Gesten, Aktionen oder mechanische Abläufe – an Körperbewegungen, 37  V  gl. hierzu insbesondere die Forschungen der Komparatistin und Gender-Forscherin Jenny Bauer. Sie unternimmt zudem eine kritische Rezeptionsanalyse und erläutert, warum Lefebvre im deutschsprachigen Raum wie auch international kaum mehr bis gar nicht rezipiert wird. Siehe: Bauer, Jenny: »Differentielles Denken, heterogene Räume und Konzepte von Alltäglichkeit. Anknüpfungen an Henri Lefebvres Raumtheorie aus feministischer Perspektive«, in: Lehmann, Sonja/Müller-Wienbergen, Karina/Thiel, Julia Elena (Hg.): Neue Muster, alte Maschen? Interdisziplinäre Perspektiven auf die Verschränkungen von Geschlecht und Raum, transcript: Bielefeld 2015, S. 23-41; siehe zudem: Schmid, Christian: Stadt, Raum und Gesellschaf t: Henri Lefebvre und die Theorie der Produktion des Raumes [2005], Stuttgart: Steiner 2010; sowie: Bauer, Jenny/Fischer, Robert (Hg.): Perspectives on Henri Lefebvre. Theory, Practices and (Re)Readings, Berlin: De Gruyter 2019. Zur Auseinandersetzung mit metaphorischen Beschreibungen von alltäglichen Handlungen auf der Bühne, insb. am Beispiel von Pina Bauschs Café Müller, siehe: Stenzel, Julia: »Gefallene links liegen lassen? Zur Rolle von Alltagsmetaphern in Interpretationen von Tanz und Tanztheater«, in: Kulturpoetik, Bd. 6, Heft 2, S. 254-272. 38  D  ie sogenannte Praxis-Philosophie bestimmte u.a. ältere, an Marx anschließende Forschungen zu Lefebvre, wie etwa: Fahrenbach, Helmut: »Henri Lefebvres Metaphilosophie der Praxis«, in: Grauer, Michael/Schmidt-Kowarzik, Wolfdietrich (Hg.): Grundlinien und Perspektiven einer Philosophie der Praxis, Kassel: Kasseler Philosophische Schriften 1982, S. 80-108. 39  E twa folgenden Aufsatz und ›Alterswerk‹ (Bauer, »Differentielles Denken«, S. 31): Lefebvre, Henri: »La production de l’espace«, in: L’Homme et la société, Nr. 31-32, Sociologie de la connaissance marxisme et anthropologie, Paris: Persée 1974, S. 15-32. 40  Lefebvre, Henri: Das Alltagsleben in der Modernen Welt [1968], Frankfurt a.M.: Fischer 1972, S. 9. 41  Ebd., S. 25f.

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die Menschen in einer bestimmten Gestimmtheit ausführen.42 Dies unternimmt er (wie in seinem gesamten Œuvre) mit Rückgriff auf Karl Marx (1818–1883) und dessen Verständnis des Begriffs Produktion. Für Marx sei Produktion, so Lefebvres Lektüre, nicht »in den hohen Sphären der Gesellschaft«43, sondern im täglichen Leben verortet. Mit der Bestimmung einer Relation von Produktion und Gesellschaft setzte schon der Philosoph Walter Benjamin (1892–1940) an, wenn er den Autor eines Werkes, wie etwa den Dramatiker Bertolt Brecht (1898–1956), als Produzenten begreift, dessen Arbeit jeweils in spezifischer Relation »zu den Produktionsverhältnissen der Epoche«44 steht. In seinem Aufsatz Der Autor als Produzent (1934) erachtet Benjamin die Frage nach der »Funktion, die das Werk innerhalb der schriftstellerischen Produktionsverhältnisse einer Zeit hat«45, als primär, fokussiert aber im Besonderen die »schriftstellerische Technik der Werke.«46 Diese Funktion des Werkes korrespondiert mit dem Verständnis von einer ›Haltung zu etwas‹. Für Benjamin fällt die geistige Haltung mit der körperlichen zusammen: »Die beste Tendenz ist falsch, wenn sie die Haltung nicht vormacht, in der man ihr nachzukommen hat. Und diese Haltung kann der Schriftsteller nur da vormachen, wo er überhaupt etwas macht: nämlich schreibend.«47 Dieser Gedanke aus Der Autor als Produzent muss meines Erachtens gerade in einer tanzund theaterwissenschaftlichen Perspektivierung eng mit der Haltung von Körpern zusammengedacht werden. Die Erörterung des Alltäglich-Technischen im Künstlerischen greift Benjamin in seiner Brecht-Studie Was ist das epische Theater? explizit mit Blick auf die Darstellenden Künste auf.48 So könne mit dem epischen Theater nicht mehr von Handlungen gesprochen werden, die aus einem fernen Alltag in eine Bühnenrealität implementiert sind. Das Theater benötige die Montage, denn »das Montierte unterbricht ja den Zusammenhang, in welchen es montiert ist. […] Die Unterbrechung der Handlung, derentwegen Brecht sein Theater als das epische bezeichnet hat, wirkt ständig einer Illusion im Publikum entgegen.«49 Vielmehr erkennt er im Brecht’schen Theater das Darstellen von Zuständen, die 42  Ebd., S. 31f. 43  M  arx, Karl: Introduction à la critique de la view quotidienne [1946], Bd. I, Paris: L’Arche 1959; zitiert in Lefebvre, Das Alltagsleben in der Modernen Welt, S. 49. 44  B  enjamin, Walter: Der Autor als Produzent. Ansprache im Institut zum Studium des Fascismus in Paris am 27. April 1934 [1977], in: Ders.: Gesammelte Schrif ten, Bd. II/2., hg. v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991, S. 685-701. Hier: S. 686. 45  Ebd., S. 686. 46  Ebd. 47  Ebd., S. 696. 48  B  enjamin, Walter: Was ist das epische Theater? Eine Studie zu Brecht [1977], in: Ders.: Gesammelte Schrif ten, Bd. II/2., hg. v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991, S. 519-537. 49  Benjamin, Der Autor als Produzent, S. 697f.

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gleichsam einer Versuchsanordnung aus einem produktiven Entdecken anstelle eines Abbildens entspringen. Diese »Entdeckung der Zustände […] vollzieht sich mittels der Unterbrechung.«50 Als Beispiel gibt er die Konf liktsituation in einer Familienszene: Figuren wie Vater und Mutter sind im Begriff, eine Aktion der Verwüstung zu vollziehen (etwa durch das Schleudern von Kissen), werden aber von einer familienfremden Person angehalten.51 Eine solche Szene wie jene, ließe sich in ähnlicher Dramaturgie in der eingangs beschriebenen Szene von Thoas und dem Tanzpaar in Iphigenie auf Tauris wiederfinden. Wenn auch das Element der Unterbrechung dramaturgisch nicht innerhalb der Szene liegt, werden Auswirkungen der Montage in der Tanzoper dennoch im Wahrnehmen parallel stattfindender Aktionen deutlich. Für eine ref lektierte Auseinandersetzung mit den Alltags-Collagen des Tanztheaters, die meines Erachtens bei Bausch vor allem durch Situationen erzeugende Körperhaltungen gestaltet sind, scheint der Begriff des Alltäglichen im Zusammenhang mit der Produktion von Alltagshandlungen und der in ihnen entstehenden dramatisch-tragischen Facette des Menschlichen Lebens entscheidend. Einen für diese Fragen aufschlussreichen kritischen Fokus finden wir bei Lefebvre, gerade weil sein Herausarbeiten des Performativen einen differenzierteren Zugang zum Alltagsbegriff ermöglicht. Er blickt auf das »Leben der Arbeiterklasse, das Leben der Frauen«52, die mit »unangenehmen Aufgaben«53 und »Erniedrigungen«54 für eine bestimmte Gestimmtheit stehen. Mit dieser Gestimmtheit gewinne das Wesen des Alltäglichen in philosophischer Hinsicht an Relevanz. Resultat ist die »latente Tragik des Alltäglichen. Die Frauen: ihre Bedeutung (niedergeschlagen, ›Objekte‹ der Geschichte und des gesellschaftlichen Lebens und dennoch wesentliche ›Subjekte‹, Grundmauern, Fundamente).«55 Zur Verdeutlichung der Facetten des Alltäglichen bezieht sich Lefebvre in seiner Kritik des Alltagslebens (1947/58) direkt auf das epische Theater von Brecht. Damit differenziert er die Stilisierung vermeintlich natürlicher Gesten anhand von Arbeitshandlungen: »Der Kellner im Café spielt nicht Kellner. Er ist es. Und er ist es nicht. Er verkauft seine Zeit (Arbeits- und Lebenszeit) nicht gegen eine Rolle als Kellner in einem Café. Wenn er vor den Gästen den Ober spielt (den Virtuosen, der überladene Platten

50  Benjamin, Was ist das epische Theater?, S. 522. 51  Ebd. 52  Lefebvre, Das Alltagsleben in der Modernen Welt, S. 55. 53  Ebd. 54  Ebd. 55  Ebd.

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jongliert), dann ist er gerade nicht mehr der Kellner, er tritt aus seiner Rolle heraus, indem er sie spielt.« 56 Gerade in der Nüchternheit der Geste des Servierens, die weder einer Rolle entlehnt noch natürlich ist, sondern aus der Untrennbarkeit von der Person des Kellners und seiner Tätigkeit resultiert, könnte das von Lefebvre angedeutete Moment des Tragischen liegen. Es tritt genau dann in Erscheinung, wenn die Geste des Servierens in ihrer Nüchternheit auf die Bühne gesetzt wird. Dieser Zugriff scheint mir fruchtbar für ein Annähern an den Gestus des Alltäglichen im Tanztheater. Dem Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann zufolge entspricht der Gestus des Alltäglichen im Tanztheater dem Attribut des Postdramatischen. Diese Zuschreibung lässt sich zunächst nachvollziehen: postdramatisch bedeutet gerade für das Tanztheater, nicht mehr der Ordnung des Dramas zu folgen, wie es noch für Brecht galt, sondern jene theatralen Mittel ins Zentrum zu rücken, die den Text (des Dramas) dekonstruieren.57 Für ein begriff liches Arbeiten am Tanztheater reicht das Attribut des Postdramatischen nicht aus. Ergänzend sollte vielmehr der Begriff des Nachbrechtschen Theaters angewandt werden, wie ihn der Theatertheoretiker Andrzej Wirth (dessen Mitarbeiter Lehmann war) für das Theater nach der Moderne vorschlägt. Denn im Theater Brechts sei Wirth zufolge das Postdramatische bereits enthalten.58 Darauf auf bauend stehe die Dekonstruktion jeglicher Dramatisierung, die des Textes sowie die der stummen Alltagsaktion, im Vordergrund. Wirth führte den Begriff des Nachbrechtschen unter anderem 1980 in seinem Text »Vom Dialog zum Diskurs. Versuch einer Synthese der nachbrechtschen Theaterkonzepte« ein.59 Auf diesen diskursiven Ansatz (der leider nicht im selben Maße ausgebaut wurde, wie der später etablierte des Postdramatischen Theaters von Lehmann) geht schließlich die Tanzforscherin Susanne Schlicher ein. 1987 übertrug sie die Formulierung Nachbrechtsches Theater erstmals auf das Tanztheater. Damit ergänzte sie Wirths Liste an zeitgenössischen Theaterkonzepten von »Heiner Müller und Peter Handke in der Literatur, Robert Wilson und Richard Foreman im darstellerischen Bereich und Dario Fo im politischen Theater«60 um das »westdeutsche Tanztheater der siebziger und achtziger Jahre […] als weiterer Vertreter dieser beschriebenen 56  L efebvre, Henri: Kritik des Alltagslebens. Grundrisse einer Soziologie der Alltäglichkeit [1947/1958], Frankfurt a.M.: Fischer 1987, S. 26. 57  Lehmann, Hans-Thies: Postdramatisches Theater, Frankfurt a.M.: Verlag der Autoren 1999. 58  V  gl. Wirth, Andrzej: Flucht nach vorn. Gesprochene Autobiografie und Materialien, hg. v. Thomas Irmer, Leipzig: Spector Books 2013. Insb.: S. 261f. 59  W  irth, Andrzej: »Vom Dialog zum Diskurs. Versuch einer Synthese der nachbrechtschen Theaterkonzepte«, in: Theater heute, Berlin: Theater heute Januar 1980, S. 16-19. 60  Schlicher, TanzTheater, S. 194.

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›Brecht-Rezeption‹ ohne Brecht«61. Evident wird diese diskursive Erweiterung für Schlicher im Einsatz der Sprache im Tanztheater: »In Pina Bauschs Stücken sieht und hört man ›Soliloge‹ – virtuose Sprechszenen aus Alltagssprachfetzen, technischem Jargon und Gebrauchsformeln montiert, die an die Stelle der sonst üblichen solistischen Tanzpräsentationen treten und oft die zentralen Motive der Tanztheaterstücke in einer Kombination von sprachlicher und gestischer Vermittlung formulieren.« 62 Dass die Gewichtung von Tanzpräsentationen abhängig von dem Moment der Überraschung des Unerwarteten (Sprache im Tanz) ist, wird von Schlicher nicht weiter beschrieben. In den Stücken bis zum Jahr 1987 fällt auf, dass weder die Szenen der Sprachmomente noch Szenen der explizit tänzerischen Momente überwiegen. Die Tanzoper ist auch ohne »Alltagssprachfetzen«63 Teil des Tanztheaters. Da die ihr zugrundeliegende Dichtung nicht dekonstruiert, sondern beibehalten wurde, trifft auf diese Form der theatralen Darstellung begriff lich die Zuschreibung des Nachbrechtschen zu. Auch wenn das Tanztheater später dafür gelobt wurde, den Alltag der Zuschauenden ungeschminkt auf die Bühne zu holen, statt durch Bilder des Romantischen zu verklären, ließen Vertreterinnen und Vertreter dieser Gattung ihr Publikum in den siebziger Jahren in Ratlosigkeit versinken: »Das gestörte Verhältnis des einzelnen zur Gruppe, die Unmöglichkeit der Partnerschaftlichkeit, die im Geschlechterkampf entfremdete Beziehung von Mann und Frau werden im Bereich der Affekte ausgelotet.«64 Das Darstellen dieser Affekte blieb im Gestus eines Zeigens, der die Deutung der Motive, Geschichten und Gefühle den Zuschauenden und ihrer Imaginationskraft überließ. Der Versuch, die dargebotenen Szenen des Alltäglichen mit eigenen Erfahrungen des Alltags zu übersetzen müsste – mit Rückgriff auf Lefebvre – an einer Stilisierung der eigenen Imagination scheitern: In Bauschs im Oktober 1989 uraufgeführten Stück Palermo Palermo fällt zu Beginn eine riesige Mauer aus Steinen auf den Bühnenboden und zerbricht in ihre Einzelteile. Zu dieser Zeit trugen Mauern eine besondere Symbolkraft. Im politisch und sozial geteilten Deutschland wurde die Mauer nicht nur kurz vor der Wende zur blutigen Kampfzone. In Sizilien, dem Land, das Bausch mit dem Ensemble zur choreografischen Recherche für das Stück Palermo Palermo besuchte, galt die Mauer als Symbol für die unüberwindbare Grenze zu Europa, und die Brutalität der italienischen Mafia. Auf Fragen 61  Ebd. 62  Ebd., S. 195. 63  Ebd. 64  M  üller, Hedwig/Servos, Norbert: Wuppertaler Tanztheater. Von Frühlingsopfer bis Kontakthof, Köln: Ballett-Bühnen-Verlag Rolf Garske 1979, o. S.

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zur Symbolkraft der Mauer antwortete Bausch in einem Gespräch mit dem Journalisten und Italienkorrespondenten Veit Mölter kurz nach der Premiere: »Das kann jeder nur für sich beantworten, und ich finde es nicht richtig, mit zwei oder drei Sätzen die Mauer zu erläutern. Das Stück läßt sich nicht in Einzelteile zerlegen – sogar jeder Zuschauer, also auch ich, gehört dazu. Die Mauer ist für jeden an jedem Tag etwas anderes.«65 Bühnenobjekte waren in diesem Sinn nicht als Steuerungselemente der Deutung angelegt. Bauschs Dekonstruktion des Symbolhaften verweist eher auf einen Gestus der Choreografin, der mit Rückgriff auf Lefebvres Theorie im Rahmen der Institution Stadttheater durch die Korrelation von Alltäglichem und die gedankliche Abstraktion von Stimmungen als Entleeren von Theaterzeichen beschrieben werden könnte. Als dramaturgische und szenografische Hauptcharakteristika eines Bausch’en Tanztheaters zählen Ausdrücke wie Geschlechterkampf, Kontrastdramaturgie; außerdem Zuschreibungen wie die Abkehr von Stil-Schulen des Klassischen und Modernen Tanzes oder die »Ausweitung des Tanzverständnisses, das den Begriff Choreographie von der engen Definition einer zusammenhängenden Bewegungsfolge löste.«66 Wie im filmischen Gegenschuss prallten die in der Lichtburg entworfenen (Alp-)Traumgebilde auf der Opern- und Schauspielbühne mit den Alltags-Bildern der Lebensrealitäten zusammen.67 Auf diese Weise konnten Rezipierende in einer vermeintlich unmittelbaren Übertragung menschlicher (Seelen-)Zustände jenen Effekt spüren, den Serres in seinem Text Ballett von Alba beschreibt, »Alle kommen zum Tanz, um zu lesen […].«68 Tanzen Sehen bedeutet, hörend lesen zu dürfen, ohne die dargebotene Bewegungssprache in ihrer Syntax verstehen oder kontextualisieren zu müssen. Dem würde zunächst das Credo der vermeintlichen Universalität der tänzerischen Sprache entsprechen. Sie ist  ein Attribut, mit dem auch das Tanztheater Wuppertal bis heute als Exportschlager Deutschlands vom nahen Süden (etwa Italien) bis zum fernen Osten (etwa Japan) Erfolge feiern kann.69 Lässt sich Tanz, wie ihn das Tanztheater präsentiert, tatsächlich universell, welt(raum)weit, verstehen – weil er keine reglementierte Sprache (mehr) besitzt? Oder ist die choreografische Sprache in Bauschs Tanztheater nicht gerade in der Gleichzeitigkeit von Gefühl und Grammatik durch

65  B  ausch, Pina: »Alle meine Informationen entstammen dem Gefühl«, Gespräch mit dem Italienkorrespondenten Veit Mölter, ursprünglich veröffentlicht in der Westfälischen Rundschau am 4. Januar 1990, in: Koldehoff/Pina Bausch Foundation, O-Ton Pina Bausch, S. 128-131. Hier: S. 130. 66  Servos, Pina Bausch, S. 22. 67  Vgl. auch: Schlicher, TanzTheater, S. 108. 68  Serres, Das Ballett von Alba, S. 114. 69  S iehe etwa: Seidl, Anna: »Ein ›deutscher Welterfolg‹. Pina Bausch und das Tanztheater Wuppertal. Schritte zum Welterfolg«, in: Schirmer, Lothar (Hg.): Aspekte des deutschen Theaters im 20. Jahrhundert, Berlin: Gesellschaft für Theatergeschichte 2015, S. 79-100.

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ein Gespür für Technik derart unsichtbar kodifiziert, dass sie in jeder Bewegung ›mitspricht‹ – und daher überhaupt erst ein kinästhetisches (alle Sinne einschließendes) Entdecken von Zuständen ermöglicht? Auf den Aspekt des Alltäglichen reduzierte Deutungen des Begriffs Tanztheater und somit auch der Bezeichnung Tanzoper bergen die Gefahr des Übersehens der tänzerischen Stilistik, die zwischen Tanz und Theater sowie Tanz und Oper schwebt. Somit ist auch die Tanzoper – wenn sie als Genre definiert werden soll – meines Erachtens insbesondere davon abhängig, inwieweit das Tänzerische im Theater ein Echo des Alltäglichen der jeweiligen Zuschauenden hervorruft. Eine Rezeptionsgeschichte des Tanztheaters Wuppertal von den Anfängen bis heute lässt sich an dieser Stelle nicht darstellen.70 Um die Problematik der Gattungsbeschreibung dennoch an Beispielen zu verdeutlichen, unternehme ich einen konzentrierten Blick auf Fragmente jener Rezeptionen, die exemplarisch für das diffuse Bild dieser Gattung stehen: Porträts des Tanztheaters entstehen über das häufig verwendete Format des Bildbands und bestimmen deutlich die Thematisierung dieser Bühnenform.71 Der Bilderreigen der Abendkleider und bizarren Bühnenwelten lenkt dabei von einem differenzierten Besprechen des Tanztheaters als Modus des Choreografischen ab, in dem auch die Tanzoper als Genre verhandelt werden kann. Ein Zeitraum dieser Beschreibungen lässt sich anhand der Dichte ihrer Publikationen auf die Jahre 1984-1987 eingrenzen. In dieser Zeit präsentierte sich Bausch auf Tourneen erstmals einem internationalen Publikum.

Tanztheater von 1984 bis 1987 – NYC, BRD und DDR 1984, 1985 und 1987 reiste das Tanztheater Wuppertal in zwei Städte, die in ihrer politisch ideologischen Führung, wirtschaftlichen Lage und ästhetischen Lebensweise in den 1980er Jahren nicht unterschiedlicher hätten sein können: New York und Ost-Berlin. Im Juni 1984 gastierte das Ensemble in New York und zeigte 70  E ine umfassende Studie, die sich dem Korpus an Kritiken zum Tanztheater Wuppertal widmet und die Rezeptionsformen seit 1974 aufgreift, fehlt bisher. Ansätze zur Gegenüberstellung von frühen Kritiken und den ihnen inhärenten Kontroversen um die Kategorisierung der Ästhetik des Tanztheaters unternahm die Tanzwissenschaftlerin und Journalistin Christina Thurner: »How to re-see Things with Words. Dance Criticism as Translation«, Vortrag am 28. Januar 2017 auf der Konferenz Dance Future II. Fokus PINA BAUSCH, die im Rahmen des Forschungsprojekts »Gesten des Tanzes – Tanz als Geste« von Gabriele Klein auf Kampnagel Internationale Kulturfabrik GmbH vom 26.–29. Januar 2017 in Hamburg veranstaltet wurde. Vgl. auch: Thurner: »How to Re-View Things with Words? Dance Criticism as Translation – Pina Bausch«. 71  B  eispielhaft sind die Bildbände und Kalender von Ursula Kaufmann, Guy Delahaey oder Marion Cito, die sich den farben- und formprächtigen Bühnenbildern und Kostümen widmen.

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an der Brooklyn Academy of Music (BAM) Stücke, von denen einige heute als Klassiker gelten: Le Sacre du printemps (1975), Blaubart – Beim Anhören einer Tonbandaufnahme von Béla Bartóks »Herzog Blaubarts Burg« (1977), Café Müller (1978) und 1980 – Ein Stück von Pina Bausch (1980).72 Im Jahr 1985 wiederholte die Kompanie ihren Besuch am BAM und präsentierte während des dortigen Next Wave Festivals73 den Brecht/Weill Abend Die Sieben Todsünden/Fürchtet Euch nicht (1976), sowie die Stücke Kontakthof (1978) und Arien (1979). Zwei Jahre später folgte ein Gastspiel in Städte der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, in denen das Ensemble ein ähnliches Programm präsentierte. In der Zeitspanne von 1984-1987 sind Ref lexionen und Kritiken entstanden, mit denen die Ambivalenz aus produktivem wie destruktivem Nicht-Verstehen von Tanztheater entfaltet werden kann.74

New York City In ihrem Artikel »Bad Smells« kommentierte die Journalistin Arlene Croce in der Zeitung The New Yorker die Stücke des Gastspiels von 1984: »Pina Bausch plays right into feminist paranoia; it’s her most consistent theme. The rhythm of a Pina Bausch piece is obsessively regular. Bursts of violence are followed by long stillness. […] Café Müller […] seems to be a canteen of a mental hospital.«75 Mit dem Begriff der »humiliation« (Demütigung) generalisiert Croce schließlich ihr Wahrnehmen einer dominierenden Brutalität im Tanztheater: »Bausch doesn’t build psychodramas in which people come to understand something about themselves and their pain. She keeps referring us to the act of brutalization or humiliation – to the pornography of pain.«76 An der Zuschreibung einer 72  D  as Gastspiel ging vom 12. bis 24. Juni 1984. Detaillierte Angaben und Fotografien der Aufführungen sind im digitalen Archiv des BAM recherchierbar: http://levyarchive.bam.org/Detail/ occurrences/1034. Letzter Zugriff: 17.09.2017. 73  D  as progressive The Next Wave Festival des BAM findet als showcase für zeitgenössische Performances seit 1983 jeden Herbst statt. 1984 zeigte Robert Wilson seine experimentelle Oper Einstein on the Beach mit Choreografien von Lucinda Childs. 1985 gastierten Pina Bausch, Reinhild Hoffmann und Susanne Linke als Vertreterinnen des deutschen Tanztheaters im BAM. Siehe hierzu das Archiv des BAM: http://levyarchive.bam.org/ProgramHistory/Index/season_id/12. Letzter Zugriff: 17.09.2017; sowie Susan Allene Mannings Reflektion eines in diesem Rahmen gestalteten Symposiums zum Deutschen und Amerikanischen Tanz im Goethe Haus New York mit der Journalistin der New York Times, Anna Kisselgoff, in: Manning, Susan Allene: »An American perspective on Tanztheater«, ursprünglich publiziert in TDR, Spring 1986, hier zitiert in: Climenhaga, Royd: The Pina Bausch Sourcebook, S. 31-44. 74  G  erade diese Ambivalenz markiert meines Erachtens die Sprachlosigkeit gegenüber Stücken wie den Tanzopern, die aufgrund ihrer narrativen Vorlage ›gelesen‹ werden könnten. 75  C  roce, Arlene: »Bad Smells«, in: Dies.: Writing in the dark, dancing in The New Yorker, datiert im New Yorker vom 16. Juli 1984, Gainesville: University Press of Florida 2005, S. 496-501. Hier: S. 496. 76  Ebd., S. 497.

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»pornography of pain« rieben sich schließlich Publikationen, die Bauschs Ästhetik des Alltäglichen durch Bilder des Real-Menschlichen in produktiver Weise zu fassen suchten und dazu in den Kontext des deutschen Ausdruckstanzes rückten.77 Werden Phrasen wie »pornography of pain« nicht differenziert besprochen und kontextualisiert, geben Autorinnen und Autoren den darin enthaltenen destruktiven Bedeutungsebenen in zitierter Form sogar Gewicht. Croces Unmut über die Hässlichkeit des Schrecklichen im Real-Menschlichen entlarvt ihre sprachliche Verbeugung vor der Hohen Kunst des Klassischen Akademischen Tanzes, des Balletts.78 Diese innere Haltung, die der Verbeugung vorausgeht, blieb bisher unhinterfragt. Die Verbeugung vor der Klassik gilt auch für Befürwortende des Tanztheaters. Hässlichkeit und Stillosigkeit machten sich für Croce mitunter durch Bauschs Wahl der weiblichen Tänzerinnen kenntlich. Croce bezeichnete einige als »little fat girls in the company«79 und kritisierte, dass diese »look worse on stage than any misogynist ever has.«80 Die Tanzhistorikerin Susan Allene Manning merkt in ihrer Skizze der amerikanischen Perspektivierung des Tanztheaters an, dass Tanzkritikerinnen und Tanzkritiker in New York der Ästhetik des deutschen Tanztheaters, das Manning als ›Dance Theatre‹ übersetzt, mit zweierlei Maß begegneten: »The same critics who praised American postmodern choreographers for challenging received definitions of ›dance‹ criticized Pina Bausch, Reinhild Hoffmann, and Mechthild Grossmann because their works were not ›dance‹. And even though critics conceded that the works of Susanne Linke exhibit dance interest, they still criticized her solos’ overt content.« 81 Vor diesem Hintergrund sowie anderen Ref lexionen zum Tanztheater resümiert der Tanzhistoriker Royd Climenhaga, dass die Einschätzung dessen, was eine Nicht-Verständlichkeit und vermeintliche Un-Produktivität des Tanztheaters im

77  S iehe hierzu insb.: Anderson, Zoe: »Pornography of Pain. Dancer Pina Bausch’s turbulent career« [2008], in: Climenhaga, The Pina Bausch Sourcebook, S. 233-235. 78  I n dieser Form ist auch ihre uneingeschränkte Bewunderung für das Dance Theatre of Harlem zu lesen, das sich als Ensemble den klassischen Tanztechniken verpflichtet und somit – trotz der politischen Aussage, dass Tanzende jeder Hautfarbe die Grammatik des Balletts erlernen und beherrschen können – keinen Stilbruch provoziert. Siehe hierzu den direkt an den Artikel »Bad Smells« anschließenden Text: »Giselle, ou La Fille des Bayous«, in: Croce, Writing in the dark, S. 502-506. 79  Croce, »Bad Smells«, S. 499. 80  Ebd., S. 501. 81  Manning, »An American perspective on Tanztheater«, S. 31.

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Etablieren eines Stils betreffe, in den USA gespalten sei.82 Grund hierfür mag die Form der Kritik am Tanz in den USA sein, wie Manning erläutert: »American critics responded by orienting their writing more toward description and less toward interpretation.«83 Der Grundton der Rezensionen in den USA, jenseits von Croces chauvinistischer Polemik, die auch in Deutschland stattgefunden hatte, ist wesentlich differenzierter.84 Die Journalistin Deborah Jowitt bespricht dasselbe Gastspiel, lässt in ihre Beschreibungen jedoch eine ref lexive Ebene einf ließen, die Croces Schock zu erklären vermag: »We learn quite soon that Bausch is preoccupied with gender. The men may manipulate the women, the women the men, but never are they neutral about their male or female roles. It’s hard to tell what Bausch believes; all you see is that she is savage on the subject.«85 Auf hänger beider Kritiken ist der ›Kampf der Geschlechter‹, also eine Szene des Alltäglichen, die die Kritikerinnen auf der Bühne entdecken. Wie genau diese Geschlechterrollen dargestellt werden, welche Unterbrechungen in der Skizzierung der Rollenbilder auftauchen, findet keinen Raum in den Texten von Croce und Jowitt. Manning zeichnet die Merkmale des Tanztheaters in Deutschland entlang jener Entwicklungen nach, mit denen sich die Tanzschaffenden in den 1960er Jahren von dem Formalismus des ›German ballet‹ und des ›American dance‹ abgrenzen wollten. In einer vermeintlichen Rückkehr zum Ausdruckstanz sieht sie an dieser Stelle die ästhetische Kehrtwende im Tanztheater.86 Dass Mannings Gedanke einer Rückkehr zum Ausdruckstanz möglicherweise mit einer anderen Lesart der gestischen Mittel zusammenhängt, verdeutlicht ein Blick auf die unterschiedlichen Strukturen, in denen Tanz in Deutschland gestaltet wurde.

82  D  ieses Resümee zog Climenhaga in seinem Vortrag »Bausch in America: An Uneasy Fit« am 27.01.2017 auf der Konferenz Dance Future II. Fokus PINA BAUSCH. Dass diese Einschätzung nur bedingt zutreffe, kommentierten die auf der Konferenz anwesenden US-Amerikanischen Tanzforscherinnen Susan Leigh Foster und Susan Allene Manning. 83  Manning, »An American perspective on Tanztheater«, S. 33. 84  D  ie Spaltung von Meinungen spiegelt sich in Kritiken wider. Nicht nur für das Tanztheater, sondern für den Tanz im Allgemeinen zeichnete sich in den vergangenen Jahrzehnten ein Meinungsbild ab, das entweder die ›konservative Poesie‹ schätzte und für das Ballett war, oder ›experimentale Arbeit‹ unterstützte und somit gegen die Hohe Kunst des Balletts war; davon ausgehend leitete sich die Kritik am Tanz stets anhand des jeweils Dominanten ab. Vgl. hierzu u.a.: Peters, Joeren: »Brainstorming… Über die vergessene Debatte zur Tanzkritik in Berlin«, ursprünglich publiziert in Tanz made in Berlin, 1. Dezember 2004, Sarma: http://sarma.be/ docs/951. Letzter Zugriff: 14.09.2017. 85  J owitt, Deborah: »Please do it again, do it again, again, again«, ursprünglich erschienen in The Village Voice, 03.07.1984, hier zitiert aus: Climenhaga, The Pina Bausch Sourcebook, S.  137-141. Hier: S. 140. 86  Manning, »An American perspective on Tanztheater«, S. 33.

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Bundesrepublik Deutschland Der Begriff Tanztheater stand in West-Deutschland zunächst für das Verweben von institutionellen Strukturen mit künstlerischen Mitteln der (institutionell) freien Tanzszene. Deutlich wird dieses Charakteristikum unter anderem anhand der Unterschiedlichkeiten zwischen den choreografischen Arbeiten Jooss’ und denen Mary Wigmans. Als »Theater-Mann«87 habe Jooss das gesamte Spektrum des Theaterbetriebs nutzen müssen und sich nicht wie Wigman (und andere Tänzerchoreografinnen und Tänzerchoreografen) auf einen engen Radius der Darstellungsrahmung reduzieren können; so Hans Züllig (1914-1992), der von 1932 bis 1947 Tänzer der Ballets Jooss und von 1969 bis 1983 Leiter der Folkwang-Tanzabteilung war. In diesem Sinne sei Jooss’ Arbeit nicht vergleichbar mit dem, »was man im Ausland Central European Dance nannte.«88 Zwar habe er mit einer spezifischen Handschrift choreografiert, den Rahmen eines vorgegebenen Repertoires habe Jooss jedoch eingehalten. Das Ballett Coppelia (1870) sei von ihm nicht wiederaufgenommen, sondern mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln weiterentwickelt worden. So erinnert Züllig: »Er machte nicht den letzten Akt, diese Variationen. Erstens kannte er die nicht, und dann waren diese Nummern am Schluß für einen modern denkenden Choreographen auch uninteressant. Seine Technik mußte so schon etwas mehr Fußarbeit, Tanz beinhalten. Er konnte nicht einfach das Gewicht mal nach rechts verlagern und dann nach links.« 89 Die Montage am vorgegebenen Material, wie sie für die Besprechung von Bauschs Tanzoper Orpheus und Eurydike noch relevant wird (beispielsweise der Verzicht auf die Tanznummern der Vorlage), hat Jooss bereits praktiziert. Mit dem szenischen Verfahren ist in Zülligs Aussage zudem das tanztechnische Setzen von Schritten verbunden. Mit Jooss muss die Bezeichnung Tanztheater demnach in erster Linie mit einer jeweils neuen künstlerischen Auseinandersetzung mit der Institution Theater verbunden werden. Tanztheater ist kein Stil, sondern ein Modus des Choreografischen im Rahmen des Dispositivs Theater, in dem vielmehr Stilisierungen des Alltäglichen und des traditionell Akademischen die Choreografie und die Szenografie bestimmen. Erstmals Gerhard Bohner verwendete die Bezeichnung Tanztheater für ein Tanzensemble: 1972 zeigte der ehemalige klassische Tänzer der Deutschen Oper Berlin mit seinem Tanztheater Darmstadt keine Ballette mehr. Durch seine tänzerische Sprache und die musikalischen Analysen vermittelte er stattdessen 87  Hans Züllig im Gespräch mit Susanne Schlicher am 14.07.1986, in: Schlicher, TanzTheater, S. 98. 88  Ebd. 89  Ebd., S. 98f.

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neue Gestaltungsspielräume des Theaters. Dass diese Form des Tanztheaters in der Institution Theater verankert sein sollte, setzte der damalige Intendant verschiedener Theaterhäuser, Arno Wüstenhöfer (1920-2003) fest. 1973 verpf lichtete er Bausch als künstlerische Leiterin für Wuppertal und gewann 1978 Bohner und Hoffmann für das Theater in Bremen. Die Ästhetik des Alltäglichen, die den Arbeiten dieser Tanzschaffenden inhärent ist, geht Schlicher zufolge auf eine »Absage an Literatur, Sprache und körperlosen Darstellungsstil«90 zurück, die das »Theater der BRD seit Mitte der sechziger Jahre zu einer neuen Ästhetik, die Phantasie, Körperlichkeit, Sinnlichkeit und Bilderdenken«91, führte. Dieser Beschreibung entspricht im Besonderen das Tanztheater Hoffmanns. Anders als Bausch startete sie ihren choreografischen Prozess zumeist mit einer theoretischen Auseinandersetzung mit ästhetischen wie politischen Themen und Texten, um sich diesen mittels der Bewegungssprache Tanz theatral zu stellen. Zudem arbeitete Hoffmann in ref lexiver Form entlang musikalischer Kompositionsstrukturen, die ihr Tanztheater stärker in die Nähe des Musiktheaters rückten.92 Ein Beispiel für die intertextuelle und intermediale Recherche Hoffmanns ist ihre Arbeit Callas, die sie 1983 gemeinsam mit ihrem Ensemble am Theater am Goetheplatz in Bremen entwickelte und 2012 als Gastchoreografin in Bremen rekonstruierte.93 In acht Szenen erzählt Callas anhand des Lebenswegs der Sopranistin Maria Callas (1923-1977) in stilisierter Form die Stationen einer Künstlerin, die an der Spannung zwischen Kunstfigur und Mensch zerbrach. Callas ist durch Arien verschiedener Opern strukturiert und choreografisch durchkomponiert. Die Inhalte der einzelnen Bilder und Szenen sind nicht mit der Biografie Callas’ verknüpft. Dennoch ist dem Stück eine spezifische Haltung zu entnehmen, in der der disziplinierte Alltag einer Berufskünstlerin in jeder Szene präsent ist. Der Journalist Rolf Michaelis beschrieb diese Haltung anlässlich der Premiere 1983 wie folgt: 90  Ebd., S. 17. 91  Ebd. 92  D  ie Tanz- und Musikwissenschaftlerin Stephanie Schroedter legt beispielsweise Ansätze zu einer musiktheatralen Lesart des Tanztheaters von Hoffmann vor, indem sie am Beispiel der choreografischen Opern-Regiearbeit Begehren, die Hoffmann als Auftragschoreografie zur Uraufführung der Komposition von Beat Furrer entwickelte, von einem ›Musiktheater in Bewegung‹ spricht und dieses mit den Begriffspaaren Musik-Tanztheater und Tanz-Musiktheater zu fassen sucht. Siehe: Schroedter, Stephanie: »Neue Klangräume für neue Bewegungsformen und Bewegungsformate«, in: Hiekel, Jörn Peter (Hg.): Neue Musik in Bewegung. Musik- und Tanztheater heute, Mainz: Schott Music GmbH & Co. KG 2011, S. 134-158. Insb.: S. 140-144. 93  E ine erste Rekonstruktion unternahm Hoffmann bereits 2006 mit einer italienischen Ballettkompanie. Vgl. hierzu insb. die im Rahmen der Rekonstruktion entstandenen Besprechungen und Kontextualisierungen in: Brandstetter, Gabriele/Hoffmann, Reinhild/Stöckemann, Patricia (Hg.): CALLAS: Ein Tanzstück von Reinhild Hof fmann 1983/2012, Bielefeld: transcript 2014.

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»Wie der Querbalken eines Kreuzes wird der Peitschenstiel den Frauen, unter den Armen durch, auf den Rücken geschnallt; wie ein Bogen läßt sich das Stielholz spannen, wobei das Peitschenleder gleichzeitig zur Sehne und zum tödlichen Pfeil wird: Immer neue Möglichkeiten der Qual erfinden Reinhild Hoffmann und die neun Frauen, neun Männer ihres Bremer Tanztheaters mit diesem früher vertrauten Instrument der Pferdepädagogik […].«94 Die Bewegungen und Schritte der Tanzenden sind in jeder Phase an Requisiten und deren Symbolcharakter geknüpft. Im Gegensatz zu Bausch widmete sich Hoffmann dezidiert der Lesbarkeit der mitspielenden Bühnenmittel. Aus amerikanischer Perspektive, in der Manning diese Arbeit Hoffmanns dem Tanztheater Bauschs gegenüberstellt, sei Callas repräsentativ für Hoffmanns Interesse an der Form, die das Tanztheater mit den theatralen Mitteln neu gestalten könne, und weniger an den Inhalten, die bei Bausch über den starken Bezug zu emotional aufgeladenen Themen vermittelt würden.95 Dass Hoffmann in Callas neben offensichtlichen Symbolen für Dressurakte auch unsichtbare Botschaften zu Motiven wie dem ›Orpheus‹-Mythos anlegte, lässt sich erst nach einer Lektüre der Struktur, der Szenen und ihrer Verbindung zu den vom Band gespielten Arien nachvollziehen. Etwa das von Callas in deutscher Sprache gesungene Lamento des Orpheus, »Ach, ich habe sie verloren«, aus Glucks Orphée. Hoffmann lässt die Arie in der sechsten Szene »Tisch« erklingen: Während eine Tänzerin, die in Kostüm und Frisur Maria Callas nachempfunden ist, über ein unter ihren Füßen von Tanzenden gespanntes Tischtuch steigt, überquere sie, so Hoffmann, symbolisch den mythischen Fluss Styx. Dabei begebe sich die Callas-Figur auf den Weg in die Unterwelt, in das Reich der Schatten.96 Hoffmanns ästhetischer Zugriff basiert auf einer Analyse textlicher und narrativer Elemente, die sie mittels Aktionen von Körpern und Objekten in Bewegung für die Bühne auf bereitet. Ihren jeweils kontextuellen Zugriff lässt Hoffmann innerhalb der Stücke oder in sehr ausführlich gestalteten Programmheften zur Verständlichkeit ihrer Lesart der Themen und Texte transparent werden. Bausch hingegen nutzte für die ersten Aufführungen der Tanzoper Orpheus und Eurydike lediglich einen den Mythos vorstellenden

94  M  ichaelis, Rolf: »Dressurakte«, Besprechung des Tanztheater-Stücks Callas in Die Zeit, Nr. 39, 23.09.1983. Letzter Zugriff online: 20.12.2018: www.zeit.de/1983/39/dressurakte. 95  Manning, »An American perspective on Tanztheater«, S. 40. 96  D  iese szenische Erläuterung gab Hoffmann während eines Gesprächs mit der Autorin am 12. Juli 2017 in der Wohnung der Choreografin in Berlin. Zum Nachvollzug der einzelnen Szenen und den diesen zugeordneten Arien vgl. insb. das Programmheft zur Bremer Inszenierung: Theater der Freien und Hansestadt Bremen GmbH (Hg.): Callas. Ein Tanzabend von Reinhild Hof fmann, Programmheft zur Premiere am 18. September 1983 im Concordia Theater.

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Text.97 In Programmheften späterer Stücke verzichtete Bausch gelegentlich nicht nur auf sprachliche Hinweise, sondern auch auf Bildmaterial aus den Stücken.98 Die Rekonstruierbarkeit der eigenen Motivation lag im Gegensatz zu Hoffmann nicht im Zentrum von Bauschs Arbeiten. Neben den vielfältigen Zugängen an Bühnendarstellungen verdeutlicht die Intendantenpolitik Wüstenhöfers, dass es nicht möglich ist, die ›eine‹ Geschichte des Tanztheaters zu schreiben. Ein Bestimmen dieser Gattung lässt sich nicht entlang einer chronologischen Folge der Aufführungen von Tanztheater-Stücken unternehmen. Will man Bauschs Tanztheater über den Bezug zum Tanztheater von Jooss in den Kontext des amerikanischen Dance Theater rücken, ist eine Spezifizierung des Begriffs Tanztheater99 in Relation zum Dance Theater notwendig. Tanztheater ließe sich mit Manning und anderen für den englischsprachigen sowie nordeuropäischen Raum zunächst mit Dance Theater übersetzen. Dance Theater ›erzählt‹ jedoch anders. Kompanien wie das Alvin Ailey American Dance Theater (New York) oder das Netherlands Dance Theater (Den Haag) entwickelten ausgehend von ihren Gründern und leitenden Choreografen (Alvin Ailey in New York, Hans van Manen, Glen Tetley oder Jiří Kylián in Den Haag) Bewegungssprachen, die sich nicht nur von den Techniken des Modernen Tanzes oder des Klassischen Akademischen Tanzes lösten, sondern mit diesen etwas Neues ›erzählen‹ wollten.100 In diesem Sinne unterscheidet sich das Dance Theatre mit seinen ko97  D  er Studie liegen neben dem Programmheft der Premiere vom 23.05.1975 auch die Theaterzettel des Premierenabends vor, sowie die Programmhefte der Wiederaufnahme in Wuppertal (1991), der Gastspiele in Paris (1993) und Genua (1994) und der Rekonstruktionen/Wiederaufnahmen mit dem Ensemble der Pariser Oper (2005, 2008, 2014). 98  S o die 2016 verstorbene Fotografin Ulli Weiss in einem Gespräch mit der Autorin im Wuppertaler Opernhaus am 23. Mai 2014. 99  Ü  ber die hier unternommene Annäherung hinaus siehe u.a. die Definitionsansätze in Lexika: Servos, Norbert: »V. Tanztheater. 1. Definition und theoretische Grundlagen«, Sp.  355-359, in: Finscher, Ludwig (Hg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, Sachteil, Bd. 9, 2., neubearb. Ausg., Kassel/Stuttgart: Bärenreiter/Metzler, 1998; Stöckemann, Patricia: »Tanztheater«, in: Theaterlexikon I. Begrif fe und Epochen, Bühnen und Ensemble, vollst. überarb. Neuausg., hg. v. Manfred Brauneck u. Gérald Schneilin, Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 2007, Sp. 992-1005. 100  D  er Aspekt des Sprachlichen enthielt vor allem in frühen Stücken wie Revelations (1960), mit dem Ailey Realitäten von Sklaverei und wiedergewonnener Freiheit aus afro-amerikanischer Perspektive vermittelte, den Gestus des Anschaulichen. Das NDT entwickelte individuelle Bewegungssprachen, die jenseits realpolitischer Kontexte und mit einem Fokus auf die Abstraktion zwischen Ballett und Modern Dance pendelten. In Abgrenzung zum Dance Theater integrierten klassische Kompanien in den USA, wie das American Ballet Theater oder das New York City Ballet, den Begriff des Balletts per Definition und signalisierten damit die in den Stücken und Inhalten dominierende Bewegungssprache und Ästhetik der (europäischen) Klassik. Dieses Verfahren ist nicht stringent. Das Dance Theatre of Harlem ist eine klassische Ballettkompanie, die trotzdem auf den Begriff ›Ballet‹ im Namen verzichtet. Das Judson Dance Theatre

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härenten Erzählungen durch Bewegungsbilder auch auf dramaturgischer Ebene vom Tanztheater und dessen assoziativer Dramaturgie. Dem gegenüber steht der Modern Dance, der die formalen Strukturen des Tanztechnischen nicht von den sozialen Motiven und Inhalten loslösen wollte.101 Grund für die vielfältigen Gattungsbestimmungen des Dance Theater mag einerseits das im Englischen weiter gefasste Verständnis von dance, andererseits die kaum vorhandene staatliche Institutionalisierung und Subventionierung von Tanz außerhalb Deutschlands sein. Anders als in Deutschland werden die Darstellenden Künste beispielsweise im englischsprachigen Raum nicht in ein Spartensystem gefasst, das die Gattungen Oper und Ballett neben dem Sprechtheater (Schauspiel) gruppiert und finanziert. Vor diesem Hintergrund sind auch die Ref lexionen Croces zu lesen, in denen Tanztheater nicht differenziert genug vom amerikanischen Dance Theater betrachtet wird. Eine Differenzierung ist auch innerhalb Deutschlands notwendig: Die Thematik des Tanztheaters Wuppertal entsprang dezidiert aus den Erfahrungen der Nachkriegsgeneration der ehemaligen BRD, und ist somit getrennt zu betrachten von dem Kunstbetrieb der ehemaligen DDR:

Deutsche Demokratische Republik Drei Jahre nach den Reisen nach New York zeigte die Kompanie 1987 ihr erstes Gastspiel in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Als Tanztheater wurde dort während des Kalten Krieges das Zeigen realistischer Themen durch Tanz im Theaterraum bezeichnet. Mittels der kodifizierten gestischen Sprache und tanztechnischen Grammatik des Balletts wurden sozialistische Themen der Bürger im Rahmen von geschlossenen, meist märchenhaften Handlungen auf der Bühne zum Ausdruck gebracht. Eine Spartentrennung wurde auch in der DDR praktiziert. Der in Ost-Berlin wirkende Intendant und Regisseur Walter Felsenstein (1901-1975) unterschied zwischen den Sparten Musiktheater (Oper mit gesungenem Text), Tanztheater (Ballett), Figurentheater (Puppenspiel) und Sprechtheater (Schauspiel). Unter der Leitung Felsensteins vermittelte der von 1965 bis 1993 an der Komischen Oper Berlin wirkende Choreograf Tom Schilling (*1928) in seinen Stücken nicht nur Themen seiner Mitmenschen. Auf stilisierte Weise und mit Rückgriff auf die Balletttechnik (Spitzenschuhe) nutzte er die poetische Sprache dezidiert zur Generierung von Bewegung. Jeder Bewegungsphrase, so die ehemalige Solistin der Komischen Oper Berlin, Angela Reinhardt, legte Schilling eine gedichtete Textpassage zugrunde. Die Tanzenden sollten die Textzeilen im Entwickeln und Einstudieren der Bewegungen in Gedanken mit-

unterschied sich hingegen von allen anderen Gruppen, sowohl auf institutioneller und struktureller Ebene wie auf inhaltlicher und ästhetischer Ebene. 101  Vgl. Manning, »An American perspective on Tanztheater«, S. 32.

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sprechen.102 Tanztheater hieß demnach in der ehemaligen DDR, Bewegung an schriftliches Textmaterial zu binden. Die Gestaltung der Bewegungen war an ein Regelwerk gebunden, das zwar nicht mehr die Themen der Romantik vertrat, aber trotzdem eine spezifische Form des Ausdrucks von Inhalten forderte. Ähnlich wie im Dance Theater folgte Schilling mit seinem Tanztheater einer kohärenten Handlung und entwickelte (unter anderem mit dem Ballettlibrettisten Bernd Köllinger) Geschichten wie die Wahlverwandschaf ten (1983), Romeo und Julia (1983) oder Hof fmanns Erzählungen (1986).103 Ein Jahr vor der Wende inszenierte Schilling mit Orpheus-Stationen. Das unendliche Spiel oder die vergebliche Rückkehr – Choreographische Essays über einen Mythos104 (1988) erstmals ein Stück aus der griechischen Mythologie. Die ästhetische Gestaltung der Geschichten und die Charakterisierung der einzelnen Figuren unterlagen jedoch den Regeln der politischen Zensur, die in der ehemaligen DDR auch den Tanz bestimmte. Eine Regime-Kritik, wie sie das Tanztheater der ehemaligen BRD insbesondere mit Kresnik in freier Dramaturgie und Ästhetik auf der Bühne präsentieren konnte, war in der DDR nicht möglich. In diesem Umfeld geschult reagierten Zuschauende auf das Gastspiel des Tanztheaters Wuppertal in Ost-Berlin bemerkenswerterweise konträr zu den Kritiken aus den USA. Nach Aufführungen von 1980 – Ein Stück von Pina Bausch in Ost-Berlin, sowie Café Müller und Le Sacre du Printemps in Dresden, Cottbus und Gera lud die Akademie der Künste der DDR Bausch zu einem Publikumsgespräch nach Ost-Berlin ein, das die Choreografin Ruth Berghaus moderierte.105 Die Aufzeichnungen des Gesprächs offenbaren, dass das in den Stücken zum Ausdruck kommende Motiv ›Angst‹ das Publikum zum Nachdenken anregte. Anmerkun102  A  n dieser Stelle greife ich auf einen Vortrag mit tanzpraktischer Lecture zurück, den Angela Reinhardt gemeinsam mit der ehemaligen Tänzerin und Probenleiterin Barbara Voß-Kindt im Rahmen der Vortragsreihe Ballett-Universität am 10. November 2016 in den Räumen des Staatsballetts Berlin hielt. 103  V  gl. für die Arbeiten bis 1983: Köllinger, Bernd: Tanztheater. Tom Schilling und die zeitgenössische Choreographie, Berlin (DDR): Henschel 1983. 104 Orpheus-Stationen. Das unendliche Spiel oder die vergebliche Rückkehr – Choreographische Essays über einen Mythos, Ballett in drei Akten zu Kompositionen von Frank Michael Beyer (1. Akt »Traum der Sehnsucht«), Franz Schreker (2.  Akt »Garten der Freuden«) und Igor Strawinsky (3. Akt »Hölle der Erkenntnis«). Libretto: Hermann Neef, Regie und Choreografie: Tom Schilling, Künstlerische Mitarbeit: Yoko Ichino, David Nixon, Ronald Darden. 105  D  as Gespräch ist in vollständiger Fassung mit dem Titel »Wenn wir anfangen, gibt es gar nichts außer uns« als Werkstattgespräch in der Akademie der Künste der DDR, Berlin (Ost), vom 29.05.1987, in: Koldehoff/Pina Bausch Foundation, O-Ton Pina Bausch, S. 90-127, abgedruckt. Der Wortlaut der Aussagen von Ruth Berghaus musste aufgrund der nicht klärbaren Rechtslage und Freigabe ihrer Aussagen von der Redaktion der Pina Bausch Foundation paraphrasiert werden. Grund für diese Zensur mag der Eindruck einer im Vergleich zu Bausch sehr rigiden Arbeitsweise von Berghaus sein, den die Fragen der Zuschauenden und die zurückhaltenden Kommentare von Berghaus vermitteln.

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gen Bauschs zu ihrer Arbeitsweise, in der den Gefühlen der Ensemblemitglieder im Kreationsprozess Raum und Zeit gegeben wurde, entlockten den Tanz- und Schauspielschaffenden im Publikum offene Bekenntnisse: »Für mich war das Schöne an dem Abend, dass eben nicht nur das Böse und die Angst gezeigt wurde, sondern auch die Möglichkeit, sie wegzukriegen, indem man sich in den Arm nimmt oder indem man zärtlich ist miteinander, und … und das ist, glaub‹ ich, so werden sie wohl arbeiten ›ne? Die Leute, einfach … Bei uns gibt es da einen ganz furchtbaren Begriff dafür, der heißt Aufbrechen. Dieses Aufbrechen. Also in der Schauspielschule heißt es immer, wir müssen dich aufbrechen, damit du dich öffnest, ja.« 106 Die Zuschauenden schienen insbesondere das offene Lektüre-Angebot der Choreografin anzunehmen: »Ich glaube, dass da die Zuschauerreaktionen auch gar nicht einheitlich sein können, weil jeder irgendwie mit anderen Erfahrungen arbeitet, lebt, das Stück anguckt […].«107, kommentierte eine weitere Zuschauerin. Die unterschiedlichen Perspektivierungen auf die Arbeiten von Bausch zeigen, dass die Begriffsbestimmung Tanztheater maßgeblich von der Seherfahrung, Alltagswahrnehmung und somit Lesart der Rezipierenden abhängig ist. Über die Struktur der Arbeiten geben sie jedoch keinen Aufschluss. 1984 diskutierte Manning die 1979 in Deutschland entstandene und 1984 ins Englische übersetzte Text-Werkschau Pina Bausch Wuppertal Dance Theater. Mit Rückgriff auf Texte von Benjamin, Brecht und Ernst Mach entwarfen die Tanzhistorikerin Hedwig Müller und der Tänzer, Choreograf und Autor Norbert Servos erstmals einen Überblick zu den Stücken des Tanztheaters Wuppertal. Ihre Chronik setzt mit Le Sacre du printemps (1975) ein und endet mit Kontakthof (1978).108 Im Fokus der Beschreibungen der Arbeiten steht die Abkehr von traditionellen Ästhetiken und Verfahren der Tanz- und Ballettgeschichte. Neben einer Wertschätzung der Publikation und des Bildmaterials übte Manning auch Kritik. Für sie blieb unklar, woran sich zeige, dass das Klassische überwunden, das Tanztheater dem Ausdruckstanz verbunden und im Tanztheater eine eigene Sprache entwickelt worden sei.109 Das Desiderat, das Manning anmerkt, verweist auf die 106  Eine Zuschauerin im Werkstattgespräch, in: Bausch, »Wenn wir anfangen«, S. 97. 107  Eine weitere Zuschauerin im Werkstattgespräch, ebd., S. 99f. 108  M  üller, Hedwig/Servos, Norbert/Weigelt, Gert (Hg.): Pina Bausch – Wuppertaler Tanztheater. Von Frühlingsopfer bis Kontakthof, Köln: Ballett-Bühnen 1979. 109  V  gl. zwei Buchbesprechungen von Susan Allene Manning: »Review of Pina Bausch Wuppertal Dance Theater, or the Art of Training a Goldfish by Norbert Servos, Gert Weigelt; und Jooss by Anna Markard, Herman Markard«, in: Dance Research Journal 17/18 (1985), S. 93-94. Hier insb.: S. 94.

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Strukturen des Akademischen, die im Tanztheater trotz ästhetischer Abkehr vom Klassischen als Spuren enthalten sind.

Spuren des Akademischen Mannings Fragen sind im Diskurs der Tanzforschung meines Erachtens bis heute kaum geklärt, da die Aufmerksamkeit für die Körper im Tanztheater mit Ausnahmen eher gesellschaftlich sozial motiviert scheint und weniger ein »physiologisches Interesse am Körper«110 artikuliert. Der Bezug zur Tradition über die Folkwangschule und Bauschs Mentor Kurt Jooss ist vielfach beschrieben worden und lässt sich heute in anschaulicher Weise durch Tänzerinnen und Tänzer, Pädagoginnen und Pädagogen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlter nachvollziehen. Gerade das Stück Le Sacre du printemps erlaubte Forschenden aus Theorie und Praxis eine interdisziplinäre und vielfältige Auseinandersetzung mit der choreografischen Sprache Bauschs.111 Die in das Tanztheater von Jooss implementierte Struktur des Klassischen Akademischen Bühnentanzes ließe sich noch stärker einbeziehen: Schlicher zitierte im Rahmen ihrer Vorstellung von Jooss und den Traditionen, auf die das Tanztheater der nächsten Generation (also Bausch) reagierte, eine für die Frage nach den Spuren des Akademischen relevante Aussage Jooss’: »Das Ziel ist immer wieder das Tanztheater, Tanztheater verstanden als Form und Technik der dramatischen Choreographie in Hinsicht seines Librettos, der Musik und in erster Linie seiner Darsteller; allmähliche Einbeziehung des traditionellen klassischen Tanzes in die neue Disziplin.« 112 An dieser Stelle wird der notwendige Unterschied zwischen Tanztheater als Disziplin und Tanztheater als Genre deutlich. Tanztheater ist für Jooss eine eigene Disziplin, in die das Akademische sukzessive aktiv, also bewusst, implementiert 110  D  iese Unterscheidung zwischen physiologischem Interesse und gesellschaftlichem, Ordnungen betrachtendem Interesse unternimmt etwa der Arzt, Literaturwissenschaftler und Medizinhistoriker Jean Isaac Starobinski (1929-2019) in seiner Ausführung zu den verschiedenen Darstellungsweisen und Theoretisierungen von ›Körpergefühl‹. Starobinski, Jean: Kleine Geschichte des Körpergefühls, Frankfurt a.M.: Fischer 1991, S. 21. 111  S iehe hierzu in erster Linie: Brinkmann, Stephan: Bewegung erinnern. Gedächtnisformen im Tanz, Bielefeld: transcript 2013; Brandstetter, Gabriele/Klein, Gabriele (Hg.): Methoden der Tanzwissenschaf t. Modellanalysen zu Pina Bauschs »Le Sacre du Printemps/Das Frühlingsopfer«, 2., überarb. u. erw. Neuaufl., Bielefeld: transcript 2015. 112  K  urt Jooss zitiert in: Markard, Anna/Markard, Hermann: Jooss. Dokumentation von Anna und Hermann Markard, Köln: Ballett-Bühnen-Verlag Rolf Garske 1985, S. 38.

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wird. Diskurse um das Tanztheater waren gerade in den 1980er Jahren abhängig von dem im Repertoire Gezeigten und den Kontexten, in denen es entstanden war. Eine Differenzierung zwischen der Disziplin des Tänzerischen und dem Genre Tanztheater, wie Jooss es andachte, wurde dabei nicht unternommen. Als Qualitäten des Tanztheaters wurden vielmehr die Individualität der Tänzerkörper und deren Darstellungsweisen hervorgehoben. Damit ließ sich »eine neue – über die Ablehnung des Spitzenschuhs und der akademischen Regeln hinausführende – Auseinandersetzung mit dem als verlogen erkannten Schönheitsideal und dem Scheincharakter der Formentradition des neunzehnten Jahrhunderts im klassisch-akademischen Tanz«113 feststellen. In dieser Hinsicht wurde das Klassische im Tanztheater auf die Tanzausbildung oder Praxis im Klassischen Akademischen Tanz, wie bei Bohner oder Kresnik, oder auf das gesellschaftskritische Spiel mit Motiven des (Körper reglementierenden) Balletts zurückgeführt; etwa wenn Tanzende in Ballettkleidung oder Spitzenschuhen auftraten. Körper und Körperpraktiken der historisch betrachtet höchsten Stilart des Bühnentanzes ließen sich somit zurecht als »Gegenstand der Analyse und Kritik«114 interpretieren. Dennoch offenbart das Sichten neu zugänglicher Dokumente eine erweiterte Perspektive. Der Moment des Akademischen schiebt sich meines Erachtens über ein Destabilisieren der Form ein – und nicht über ein Auf heben von Zugeständnissen an das Akademische. Beispielhaft ist eine Szene aus Bauschs Stück Viktor (1986): Das Bühnenbild legt den Blick in eine riesige Grabgrube offen.115 Meterhohe Erdwände rahmen die relativ kleine Bühnenf läche, so dass in diesem Raum jeder Bewegung etwas Künstliches anhaftet – symbolisiert das Grab doch den absoluten Stillstand von Bewegung. Eine Tänzerin tritt in schnellen Schritten auf die Bühne. Sie hält ein Paar Spitzenschuhe in der Hand. Nachdem sie auf einem Stuhl auf der Bühnenmitte Platz genommen hat, beginnt sie mit kraftvollen Gesten und Wut vermittelnder Mimik, rohe Fleischstücke in die Spitzenschuhe zu schieben. Diese Praxis ist dem Trainingsalltag entlehnt und dient jenseits der Bühne der schnelleren Heilung von wundgeschürften Zehen. Sobald die Tänzerin mit den Füßen in die Schuhe steigt und mechanisch die Schleifenbänder um ihre Fußgelenke bindet, verwandelt sich die ›Metzgerin‹ in eine ›Elfe‹. In kleinen Schrittintervallen auf Spitze (bourrées) trippelt sie derart schwerelos durch den Raum, als wären ihre Zehenspitzen nun von Luftkissen statt rohen Fleischbrocken umhüllt. Für die 113  Schlicher, TanzTheater, S. 24. 114  B  randstetter, Gabriele: »Elevation und Transparenz. Der Augenblick im Ballett und im modernen Bühnentanz«, in: Thomsen, Christian (Hg.): Augenblick und Zeitpunkt: Studien zur Zeitstruktur und Zeitmetaphorik in Kunst und Wissenschaf ten, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1984, S. 475-493. Hier: S. 490. 115  I n meinen Beschreibungen beziehe ich mich auf Besuche der Aufführungen aus dem Jahr 2014, 2016 und 2017, sowie die Sichtung von Archivmaterialien.

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Rolle besetzte Bausch 1986 die Tänzerin Silvia Kesselheim. Sie war bis 1971 erste Solistin im Ballettensemble der Deutschen Oper Berlin, bevor sie als enfant terrible mit skandalösem Abtritt gemeinsam mit Bohner dem Ballett als Ausdrucksform den Rücken kehrte und zunächst an Bohners Tanztheater Darmstadt, dann 1983 an das Tanztheater Wuppertal ging.116 In bisher allen zugänglichen Aufzeichnungen und von mir besuchten Wiederaufnahmen wurde diese Rolle von einer Tänzerin getanzt, die offensichtlich in Techniken des Spitzentanzes ausgebildet war. Der Einschub des Klassischen ist in dieser Sequenz nicht nur als kritischer Kommentar zu betrachten, der den Kontrast des Balletts zum Tanztheater und die Abkehr vom Spitzenschuh demonstrieren will. Darüber hinaus scheint es sich um eine Montage117 der Stile und Disziplinen zu handeln, die gerade vom Akademischen ausgeht: Tanzende, die in Bauschs Stücken ›Klassisches Ballett‹ zeigen, sind nicht als Gäste aus einer anderen Kompanie eingeladen, sondern feste Ensemblemitglieder, die sichtbar klassisch akademisch ausgebildet sind. Für die Frage nach der Relation von Klassischem und Nicht-Klassischem scheint mir eben dieser Punkt relevant zu sein: Das Klassische Ballett ist kein Versatzstück, mit dem Stücke wie Viktor illustriert werden. Hinter dem Sichtbarmachen der Bewegungsqualitäten des Akademischen im Rahmen von Atmosphären des bedrückend Schweren (Grabgrube) und Entsinnlichten (rohe Fleischbrocken), steht, so meine Vermutung, das Interesse an einer nuancierten Darstellung von Qualitäten des Schweren im Schwebenden, mittels eines nüchternen Zeigens von Gesten des Alltäglichen. In diesem Sinne stellt sich weniger die Frage nach den Stereotypen des Klassischen im Tanztheater von Bausch. Relevant ist vielmehr, welche Qualitäten des Klassischen mit Elementen der vielschichtigen und mitunter widersprüchlichen Stilgeschichte des sogenannten Klassischen Balletts Resonanz in Bezug zum Alltäglichen finden. Dazu ist eine genaue Perspektivierung der Bewegungen im Tanztheater notwendig, die sich mit einem closereading jenen Qualitäten widmet, die das Schwermütige in dargestellten Situationen hervorheben. Bisher ließen sich Betrachtungen des Tanztheaters lediglich über die Gestaltung der theatralen Szene unternehmen. Widmet man sich Bausch nicht ausschließlich als Wuppertaler Choreografin in der Institution Stadttheater, dann fällt auf, dass sie als Tänzerin, Archivarin und Regisseurin ihrer Kompanie dem Klassischen Akademischen Tanz verbundener scheint, als bisher in biografischen Überblicken deutlich wurde. 116  V  gl. hierzu die Pressemitteilung: »Silvia hat’s satt. Der Liebling des Berliner Ballett-Publikums kehrt der Deutschen Oper mit Groll den Rücken«, Berliner Zeitung, Berlin 1971. 117  V  gl. hierzu im Allgemeinen und auf das Spätwerk bezogen u.a.: Schneider, Katja: »Was die Choreographin bewegt. Montage und Repetition bei Pina Bausch«, in: Mauser, Siegfried (Hg.): Handbuch der musikalischen Gattungen, Laaber: Laaber 2009, S. 291-295.

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Bauschs aplomb ist kein Zufall, sondern ein Strukturelement in der Gestaltung und Stilisierung von Alltäglichem und Akademischem im Tanztheater. Einf lüsse stammten insbesondere von Kunstschaffenden in Bauschs direktem Umfeld. Einer ihrer wichtigsten Wegbegleiter und Tanzpartner war der Tänzer, Choreograf und international wirkende Pädagoge Jean Cébron (1927-2019). »Er ist einer derjenigen, von denen ich am meisten über Bewegung gelernt habe. Mir bewusst zu werden über jede winzige Kleinigkeit einer Bewegung und was und wie alles gleichzeitig im Körper passiert, und und und … Man muss so viel denken«118. Cébrons Ausbildungsstil zeichnete sich insbesondere durch den Rückgriff auf den Klassischen Stil des italienischen Choreografen, Pädagogen, Tanzmeister und Tänzer der Ballets Russes, Enrico Cecchetti (1850-1928), aus, der er im Besonderen auch in den USA verbreitet war (Antony Tudor, 1908-1987) ). Als Bausch von Jooss die Leitung der Tanzabteilung an der Folkwang Hochschule Essen übernahm, stützte sie sich in »künstlerischen Dingen [auf] Jean Cébron«119. Inwiefern dieser Stil bei Bausch bereits sehr früh Resonanz fand, werde ich an späterer Stelle ausführlicher aufgreifen. Der Bezug zur Klassik in Verbindung mit spezifischen Narrativen lässt sich gerade – und das scheint vor den hier skizzierten Ref lexionen paradox – in der Ästhetik und (mitunter pathetischen) Emotionalität des American Ballets finden. Diese Verknüpfung von Stil und Narration wird im Besonderen anhand des Umgangs mit der Schwerkraft deutlich. Folgt man den Nuancen des Gewicht-Gebens innerhalb der dominierenden Modi des Gewicht-Nehmens zugunsten eines Schwebens, lässt sich erkennen, welche spezifische Form des Klassischen mit Bausch in Verbindung steht. Anhand von Dokumenten, die aufgrund der eingeschränkten Zugänge zu Archivmaterial bisher nicht im Kanon der Tanzforschung zum Tanztheater aufgegriffen werden konnten, geht dieses Kapitel daher abschließend der Frage nach, welchen bisher weniger beleuchteten Pfaden des Akademischen Bausch als Tänzerin in den USA folgte, und welche Spuren dieser ›Wind von West‹120 im deutschen Tanztheater hinterließ.

118  B  ausch, Pina: »Etwas finden, was keiner Frage bedarf«, Rede beim »2007 Kyoto Prize Workshop in Arts and Philosophy« am 12. November 2007 in Kyoto, in: Koldehoff/Pina Bausch Foundation, O-Ton Pina Bausch, S. 317-332. Hier: S. 321. 119  P  ina Bausch im Gespräch mit Jochen Schmidt, am 23. Dezember 1983, abgedruckt in: Servos, Norbert: Pina Bausch – Wuppertaler Tanztheater oder Die Kunst, einen Goldfisch zu dressieren, Seelze-Velber: Kallmeyer 1996, S. 302-303; sowie in: Bausch, Pina: »Ich bin immer noch neugierig«, in: Koldehoff/Pina Bausch Foundation, O-Ton Pina Bausch, S. 85-89. Hier: S. 89. 120  M  it ›Wind von West‹ spiele ich auf den Titel des 1975 entstandenen Stückes Wind von West an, das Bausch im Rahmen ihres Dreiteilers Frühlingsopfer gemeinsam mit dem Stück Zweiter Frühling und Le Sacre du Printemps uraufgeführt hatte.

1. Pina Bauschs aplomb. Ballett im Tanztheater

Pina Bauschs aplomb in den USA Bausch war in erster Linie Tänzerin – auch nachdem sie die Leitung des Tanztheaters Wuppertal angetreten hatte. Rollen wie die Iphigenie in ihrer ersten Tanzoper oder das Opfer in ihrem Sacre habe die Choreografin zunächst für ihren eigenen Körper entwickelt; mit dem Anspruch, sie auch selbst zu tanzen.121 Zur Zeit ihrer Ausbildung wurden an der Folkwang Schule in Essen Tanztechniken unterrichtet, mit denen die Entwicklung einer individuellen, aber dennoch wiederholbaren Bewegungssprache ermöglicht werden sollte. Ziel der Arbeit Jooss’ war die Gestaltung einer neuen Form: das Zeitgenössische Handlungsballett. Als markantestes und bedeutendstes Stück gilt seine Choreografie Der Grüne Tisch (1933). Diese als zeitlos bezeichnete Arbeit ref lektiert die erlittenen Verluste und erschlichenen Gewinne, die Menschen während eines Krieges erleben.122 In diesem künstlerischen Umfeld wurde Bausch in verschiedenen Tanzstilen (Ballett, Moderner Tanz, aber auch amerikanischer Modern Dance) unterrichtet. Eine im Rahmen der Ausstellung Pina Bausch und das Tanztheater in Bonn und Berlin ausgestellte Fotografie zeigte Bausch als Schülerin von Trude Pohl in einer Unterrichtsklasse in Modernem Tanz im Jahr 1956.123 Bausch hält in dieser Aufnahme das rechte Bein im Stand, während das linke Bein waagerecht hinter ihrem Rücken eine gebeugte Linie erzeugt, die der Figuration einer Attitüde entspricht: Der Oberkörper der Tänzerin ist weit zurückgebeugt, während ihre Arme der Kurve des Torsos folgen.124 Der Fotografie entnehme ich einerseits Bauschs Flexibilität der Wirbelsäule. Andererseits erinnert mich die fotografisch festgehaltene Bewegung an choreo121  » Später, in Wuppertal, dachte ich natürlich, dass ich in Sacre das Opfer, in Iphigenie die Iphigenie zum Beispiel selber tanzen würde. Diese Rollen waren alle mit meinem Körper geschrieben. Aber die Verantwortung als Choreograf hat immer wieder den Drang zu tanzen aufgeschoben.« Bausch, »Etwas finden, das keiner Frage bedarf«, S. 324. Wie tief Bausch die Bewegungen der um ihr Leben ringenden Auserwählten aus dem Sacre in ihrem Körper gespeichert zu haben schien, verdeutlicht eine im Jahr 1989 aufgezeichnete Probe mit der Tänzerin Kyomi Ichida als Ersatzbesetzung für die Tänzerin Beatrice Libonati in der Rolle der Auserwählten im Sacre. Siehe hierzu: Bausch, Pina/Ichida, Kyomi: »Dialoge während einer Probe von Le Sacre du printemps [1989]«, in: Bausch, Pina: Probe Sacre, DVD und booklet, Paris: L´Arche 2013. Vgl. hierzu auch: Brandstetter, Gabriele: »Pina Bauschs Das Frühlingsopfer. Signatur – Übertragung – Kontext«, in: Brandstetter/Klein, Methoden der Tanzwissenschaf t, S.  95-124; sowie: Diagne, »Directing Bodies in Dance«. 122  E ine detailliertere Betrachtung dieses Stücks und Jooss’ Arbeit im Allgemeinen unternimmt das Kapitel »Topografien des Schwebens« (3). 123  S iehe »Trude Pohl«, in: Koldehoff/Pina Bausch Foundation: »Glossar«, in: Dies., O-Ton Pina Bausch, S. 348-369. Hier: S. 364. 124  D  ie hier besprochene Fotografie kann aus urheberrechtlichen Gründen leider nicht abgebildet werden.

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grafische Elemente, die in Bauschs späteren Stücken enthalten sind. Es sind Bewegungsphrasen des Orpheus in Orpheus und Eurydike oder des Opfers in Le Sacre du Printemps, die wie Bewegungen ›hinter dem Bild‹ sichtbar werden.125 Andere Fotografien zeigen die Tänzerin als junge Studentin in New York, etwa in der Arbeit an einer Vorstudie zu ihrem Solo Seven Deadly Sins.126 Als Tänzerin wirkte sie auch in Choreografien wie Passacaglia and Fugue in C Minor mit, einem Stück der amerikanischen Tänzerin und Choreografin Doris Humphrey (1895-1985) zur Musik von Johann Sebastian Bachs (1685–1750) gleichnamiger Komposition. Bauschs Mitwirken in Aufführungen während ihres Stipendiums an der Juilliard School in New York verdeutlicht, dass ihre tänzerische Arbeit stark in musikalische Kontexte eingebunden war. Bei dem Festival The World of Dance and Fashion, das am 2. April 1960 im International House in New York präsentiert wurde, zeigte Bausch im Rahmen der Sektion Dance ihr Solo Girl in the Big City, das sie 1958 in Essen zu Kompositionen von George Gershwin erarbeitet hatte. Zu weiteren Aufführungen zählten zudem das moderne Tanzstück Four Seasons der amerikanischen Choreografin und Tänzerin La Meri (1898-1988) auf Basis von Antonio Vivaldis gleichnamiger Barockkomposition (1725). Im selben Jahr tanzte Bausch in Tudors Ballett Jardin aux lilas (1936), einer Choreografie zu Ernest Chaussons Poème, Op. 25 (1896) für Violine und Orchester. Bausch war nicht nur von verschiedenen Formen der Bewegungssprachen umgeben, sondern ebenso von diversen Facetten musikalischer Gattungen, von Kammermusikkompositionen der Barockzeit bis zu großen Orchestermusiken und Opernkompositionen der Romantik. Letztere begegneten der Tänzerin während ihres Mitwirkens im Ensemble des Metropolitan Opera Ballets. Zu den Tanzsequenzen in Opern zählten mitunter Choreografien von Tudor für die Opern Tannhäuser (Wagner) und Alkestis (Gluck), oder von der klassischen Tänzerin und Choreografin Alexandra Danilova für die Opern Carmen (Bizet) und Turandot (Puccini). Es sei, so Bausch, ihre Zeit an der MET gewesen, in der sie lernte, zwischen verschiedenen Stimmfächern zu unterscheiden und sich innerhalb musikalischer Strukturen zu bewegen.127 Sowohl in der Sammlung der Pina Bausch Foundation als auch in der Bibliothek der Juilliard School ist ein Film archiviert, der für die Aufarbeitung der klassischen Einf lüsse in Bauschs Arbeiten besondere Relevanz hat: 1960 stellte Tudor in seinem Dokumentarfilm A Choreographer Comments in zehn einzelnen 125  I nsbesondere in Le Sacre du Printemps habe Bausch choreografisches Wissen eingearbeitet, das sie während ihrer Ausbildung an der Folkwang Schule erworben hatte. Vgl. hierzu auch: Brinkmann, Bewegung erinnern, S. 21. 126  I nwiefern Elemente aus diesem Solo in Bauschs späteren Brecht/Weill Abend Die Sieben Todsünden aus dem Jahr 1977 eingeflossen sind, ließe sich nur über Recherchen im Nachlass der Choreografin erörtern. Forschungen zu einer Verbindung dieser beiden Arbeiten sind bisher nicht unternommen worden. 127  Bausch, »Etwas finden, was keiner Frage bedarf«, S. 6.

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Sektionen (»Comment I–X«) seine tanzästhetische Sprache und (humorvoll) kritische Haltung gegenüber den ästhetisierten Tanzfiguren des Klassischen Akademischen Tanzes vor.128 In Bibliotheken und Mediatheken war bis jetzt lediglich der erste Teil der 1960 gezeigten zehn Sektionen zugänglich. Im »Comment I: Arabesque« widmete sich Tudor der Zusammenstellung von 587 Arabesken und ihren Übergängen innerhalb von Bewegungsphrasen.129 Abb. 3: Pina Bausch und Koert Stuyf (1960)

128  D  ie erste Aufführung von A Choreographer Comments fand am 8. April 1960 in New York statt. Eine zweite Inszenierung erfolgte mit dem professionellen Ensemble des Syracuse Ballet Theatre am 20. Februar 1976 in Syracuse, der weitere Aufführungen folgten. Aufzeichnungen dieser Aufführungen waren im Zeitraum der Recherche und des Verfassens dieser Arbeit nicht zugänglich. Zu den Angaben zur Erstbesetzung der Choreografie siehe: http://antonytudor. org/ballets/choreographer-comments.html. Letzter Zugriff: 11.09.2017. Zur gesamten Struktur des Balletts und somit zur Anzahl der Arabesken und anderer humorvoll pedantisch gezählter pas, siehe: Chazin-Bennahum, Judith: The ballets of Antony Tudor: studies in psyche and satire, New York: Oxford University Press 1994, S. 188ff. 129  D  er Film A Choreographer Comments ist zwar in der New York Public Library for the Performing Arts am Kennedy Center in New York City einsehbar – allerdings nur unter vorheriger Bestellung bei der Juilliard School.

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Diese Gruppenchoreografie für neun Schülerinnen und Schüler zu Franz Schuberts Opus D 803, dem Oktett in F-Dur (Kammermusik für Streicher und Bläser) ist eigens um eine Haupttänzerin choreografiert worden – Pina Bausch. Das sich in abstrakten Wechseln aus arabesken Posen und Schritten zusammensetzende kleine Ballett fokussiert den Auftritt einer Tänzerin (Bausch), ihr Verhältnis zu den Gruppentänzerinnen, die sie in Posen und kreisförmig angeordneten Formationen aus Arabesken umspielen, sowie die sinnliche Verbindung zwischen Bausch als Haupttänzerin und dem Tänzer Koert Stuyf. Nach einigen Hebe-Sequenzen beendet der pas de deux den »Comment I: Arabesque« mit einer Pose, in der die Tanzenden mit verschränkten Beinen und mit geneigten Köpfen zu einer Figur ›verschmelzen und versteinern‹. Ihre Körperhaltung ähnelt dabei deutlich den Darstellungen Verliebter aus Romantischen Balletten oder der Bildenden Kunst.130 Zwei Jahre zuvor nahm Bausch an den Europäisch-Amerikanischen Sommerkursen bei Tudor und Alfredo Corvino (1916-2005) in Essen teil, bevor sie auf Einladung Tudors 1959 mit einem Stipendium nach New York zog. Bauschs Körperhaltung ist in der hier abgebildeten Fotografie aus dem Archiv der Juilliard School (Abb. 3) ein sehr akademischer Gestus zu entnehmen: Die ›leichte‹ Frau wird von dem ›starken‹ Mann getragen. Sowohl Tudor als auch Corvino seien in ihrer Arbeit für eine spezifische Art des Umgangs mit der Schwerkraft bekannt gewesen. In den Unterrichtsstunden hätten sie nicht nur den Einsatz von Kraft entsprechend der Geschlechter getrennt, sondern auch ästhetische Unterschiede hervorgehoben.131 Damit verwiesen sie auf ein männliche und weibliche Kraft trennendes und somit klassische Rollenbilder verstärkendes Konzept von Geschlechterbil130  L eider beschränken sich die zugänglichen archivierten filmischen Aufnahmen dieses Schulballetts auf den ersten »Comment I: Arabesque«. Aufschlussreich für weitere Verknüpfungen zwischen Tudors Bewegungssprache und Bauschs späterer choreografischer Sprache in Bezug auf die Schwerkraft wären insbesondere der »Comment III: Pas de Bourree« gewesen, der den Gewichtstransfer von einem Fuß zum anderen thematisierte; sowie der »Comment VI: Bourree Courue«, der aus kleinen Renn-Schritten bestand. Vgl. hierzu vor allem Chazin-Bennahum, The ballets of Antony Tudor, S. 188. Aufzeichnungen dieser Aufführungen waren im Zeitraum der Recherche dieser Arbeit nicht zugänglich. 131 Der Tänzer Bruce Marks kommentiert die Arbeit Tudors wie folgt: »For instance, for a man to lift his leg higher than hip level in extension just wasn’t done. A man’s leg was to be kept at a forty-five degree angle. And men were not to stretch. There was always a mystique about losing your jump if you stretched too much. Tudor didn’t like the modern dance bow because it looked like you were stretching – you know, when you drop your whole upper body with your hands touching the floor. He said, ›Why that bow? How does that relate to the audience?‹« Mitte der 1950er Jahre habe sich jedoch, so Marks, die männliche Tanztechnik immer stärker der weiblichen Technik angenähert: »To turn with your foot at knee level was like donning women’s clothes. I sound like ancient history, but that’s what Tudor and Craske and Corvino were teaching. A lot of that is getting lost. People are dancing more and more technically.« Zitiert in:

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dern, das in Jooss’ Stücken in dieser Form nicht zum Ausdruck gebracht wurde. Man denke an die Szene der Schwarzen Herren in Der Grüne Tisch, die von Männern wie Frauen interpretiert wird.132 Inwiefern dieses Bild der einseitigen Geschlechterzuschreibung für Tudor noch gilt, wenn jenseits des Abstrakt-Technischen auch die Ebene der Narration, etwa das Tragische in Dark Elegies (1937), die choreografische Sprache ergänzen, wird ein späterer Blick auf seine Arbeiten und die darin enthaltenen Nuancen des Schweren im Leichten zeigen.133 Corvino arbeitete eng mit Tudor zusammen, schlug aber einen pädagogischen Weg ein. Bausch sollte Jahre später auf Corvinos Ballettpädagogik zurückgreifen, indem sie ihn nach seiner Pensionierung an der Juilliard School auf Rat ihres Ensembletänzers Ed Kortlandt nach Wuppertal holte, um ihre Kompanie in Corvinos morgendlichem Training unterrichten zu lassen.134 Bereits anhand der abgebildeten Pose aus dem Pas de deux lässt sich erkennen, dass auch Tudor in spezifischer Weise die Schwerkraft und das Geben und Nehmen von Gewicht zwischen männlichem Tänzer und weiblicher Tänzerin artikulierte. Bausch hängt in der Luft auf den Schultern des sie stützenden Stuyf. Sein Oberkörper scheint der Schwere des in den Nacken geworfenen Kopfes zu folgen und ist daher zurückgebogen. Bauschs Torso befindet sich in einer Kipphaltung, in einer Schrägen. Der geneigte Kopf und der Blick auf das empor gerichtete Gesicht des Partners verschieben die stabilisierende Achse zwischen Tragendem und Getragener. Die Arme Bauschs wirken fast dekorativ, ohne Spannung. Des Weiteren fällt auf, dass Bauschs Beine in einer kleinen Arabeske gehalten sind, eine Arabeske die nach unten zu sinken droht. Dennoch entspringt der Pose eine Dynamik, die eine Stärke im Schweben suggeriert. Bausch wirkt schwerelos, da ihre Gliedmaßen auf keine weitere Fortbewegung verweisen. Bewegungsanalytisch – mit Rückgriff auf das Vokabular der Inventarisierung von Bewegung (IVB) – verweist diese Pose auf ein spezifisches Zusammenspiel analytischer Grundkategorien:135 Mit dem Fokus auf die Aktivität ›Mobilisieren‹ (bestimmte Körperpartien sind motorisch aktiv) ist eine Konzentration auf die Lokalisierung von Bewegung im Körper – inwiefern sich also welches Körperteil wo bewegt möglich. Die Aktivität ›Koordinieren‹ (Körperteile verändern ihre PosiHanna, Judith Lynne: Dance, Sex, and Gender. Signs of identity, dominance, defiance, and desire, Chicago/London: University of Chicago Press 1988, S. 170. 132  V  gl. hierzu: Diagne, Mariama: »Atem Holen. Szenen vom ›Ende des Lebens‹ im Tanztheater«, in: Buchner, Moritz/Götz, Anna-Maria (Hg.): transmortale. Sterben, Tod und Trauer in der neueren Forschung, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2016, S. 196-219. Hier: S. 209-212. 133  Siehe hierzu das Kapitel »Ciné-Ballet. Schweben im Medienwechsel von Tanz & Film« (3). 134  E d Kortlandt, ehemaliger Tänzer im Tanztheater Wuppertal und aktueller Trainingsleiter, erläuterte die Tätigkeit Corvinos in einem Interview, das ich im Rahmen meiner Recherchen in der Pina Bausch Foundation führte. Die Aufzeichnung befindet sich im Archiv der Stiftung. 135  Siehe Jeschke, »Begleitheft«, S. 47ff.

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tionen, indem sie ihre Haltung und/oder den Ort wechseln) verschärft den Blick auf Bewegungen der Gelenke/Gliedmaßen und ihre Relation zum Körper. Die Aktivität ›Belasten‹ (bestimmte Körperpartien tragen die Last der Körperschwere) lenkt den Blick auf die Form von motorischem Einsatz und die Ausrichtung/ Verteilung von Körperschwere im Raum, wie etwa das Springen am Platz, durch den Raum oder den Standbeinwechsel. Mit der Konzentration auf die Aktivität ›Regulieren‹ (Variabilität in der Aufwendung und Verteilung von Energie) kann die Phrasierung und Modulation von Energie- und Zeitaufwand einer Bewegung fokussieren, die bei der beobachteten Bewegung eingesetzt werden. Dabei kann auch das Maß der angewandten (sichtbaren oder im kinästhetischen Nachvollzug wahrgenommenen) Muskelkraft berücksichtigt werden. Bausch scheint schwerelos, weil die Grundkategorien zur Bewegungsführung, ›Mobilisieren‹, ›Koordinieren‹ und ›Regulieren‹ nicht raumgreifend und vom Körperzentrum wegführend wirken, sondern gebündelt in den Boden gerichtet sind. Der Fokus in Bauschs Körperhaltung liegt in der Kategorie ›Belasten‹. Ihr Gewicht ist derart in den Hüftbereich konzentriert, dass die übrigen Körperteile leicht werden. Dieser Transfer von Gewicht ist an den Körper des Tänzers Stuyf gebunden. Die Stütze, die er bietet, verbindet sich mit dem Gewicht der gehobenen Tänzerin, in dem auch in seiner Körperhaltung die Kategorien ›Mobilisieren‹, ›Koordinieren‹ und ›Regulieren‹ gebündelt sind. Allerdings nicht nach unten in Richtung Boden, sondern nach oben zum Körper von Bausch. Stuyfs Beine entsprechen in ihrer Streckung (in Richtung oben) der Verbindung der Kategorien ›Delegation‹ (Bewegung, wie auch Innehalten) und zugleich jener des ›Belastens‹: Die ›Artikulation‹ der Arme des Tänzers zeigt sich im Strecken und Tragen (von Bauschs Gewicht). Um dieser Haltung eine Dauer von mehreren Momenten zu verleihen (welche allein für das Foto notwendig sind), ist in der stillness dieser (bildhaften) Nichtbewegung ein permanentes ›Koordinieren‹ und ›Regulieren‹ der Antriebskräfte notwendig. Um die stillness in der Verknüpfung motorischer Aktivitäten zu garantieren, bilden beide Tanzende mit ihren Torsi ein verstärktes Gravitationszentrum, das die Lotgerade in Schräglage ausbalanciert. Das Gewicht in dieser Hebe schwebt, in dem das Schwerkraftzentrum verstärkt wird. In der Narration, die Tudor dem »Comment I: Arabesque« zuschrieb, vermitteln beide Tanzenden das Motiv der Vereinigung der Liebenden, die die Flüchtigkeit der Liebe demonstrieren. Bewegungsanalytisch hat Tudor hat mit seinen zehn »Comments« in abstrahierender Weise verdeutlicht, inwiefern er seine choreografische Sprache in der Geschichte des Klassischen Akademischen Tanzes verankert sieht. Bauschs künstlerische Pfade verbinden die verschiedenen tanztechnischen und -ästhetischen Auffassungen von einem Gewicht-Geben und einem Gewicht-Nehmen in besonderer Weise. Sie scheint der Relation von schwer und leicht eine neue Facette zu verleihen:

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Der in der Fotografie von Krüger festgehaltene Sprung in der Probe zu Nelken verweist auf folgende zweifache Gewichtung: Die Choreografin springt und hält in der Luft für einen Moment inne (›Delegation‹), während ihr Ensemble unbewegt vor ihr verweilt. Sie verleiht ihrem Körper im Sprung eine temporäre Gewichtslosigkeit. Mit dieser Leichtigkeit scheint sie ihrem Gegenüber eine Orientierung hinsichtlich der Körperdynamik geben zu wollen, die den Stehenden und Sitzenden über die emporgehobenen Arme den Eindruck des Leichten vermittelt. Die Denkbewegung des Vermittelns der Beherrschung einer Körperhaltung (aplomp) im Sitzen/Stehen fällt mit der Körperbewegung des Springens in diesem fotografisch festgehaltenen Moment zusammen. Leichtes und Schweres stehen in dieser Fotografie kontrapunktisch zueinander. Dieses Leicht-Sein (Springen) im Schwer-Sein (Sitzen/Stehen) ist Teil einer Diskursgeschichte, in der seit der griechischen Antike die kontrapunktische Haltung in Körperbewegungen und Denkbewegungen gleichermaßen konstitutiv war für das jeweilige Grundverständnis von leicht und schwer – im Alltag, in der Kunst und in der Wissenschaft. Welche Stationen dieser Geschichte trugen maßgeblich zu einer Verschränkung von Leichtigkeit und Grazie bei? Wenn dem Diktum des Schwerelosen eine Ästhetik der Schwere entgegengesetzt wird, welche Rolle spielt dann der Aspekt des Melancholischen, Schwermütigen, wie es Bausch zugesprochen wird? Anhand der Vorstellung der »Choreografien des Schwebens« (2) und der »Topografien des Schwebens« (3) werde ich im Folgenden Konzepte der gravitas und ihrer Relevanz für den Tanz vorstellen: die Lehre vom Schweren im Leichten und Leichten im Schweren, die seit der antiken griechischen Rhetorik bis heute die Philosophie, die Physik und die Künste bestimmt.

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2. Schweben im schweren Stil. gravitas als Denk- und Tanzfigur Begriffsbestimmung und Kontext der gravitas Sören Kierkegaard beschrieb Mitte des 19. Jahrhunderts in Die Krise und eine Krise im Leben einer Schauspielerin die bürgerliche (Theater-)Praxis, mit der die Illusion von Leichtigkeit und Grazie in Körper-Haltungen einer Verschleierung von Anstrengung und Anspannung entgegenwirken sollten: »Jede Spannung vermag, (dies ist die eigentümliche Dialektik des Dialektischen) auf zweifache Weise zu wirken; sie kann die Anstrengung offenbar machen, aber sie kann auch das Gegenteil tun, sie kann die Anstrengung verhüllen, und sie nicht bloß verhüllen, sondern sie fort und fort umsetzen, verwandeln, verklären in Leichtigkeit. Die Leichtigkeit hat also ihren unsichtbaren Grund in der Anstrengung der Spannung, diese letztere aber wird nicht gesehen, sie wird nicht einmal geahnt, allein die Leichtigkeit macht sich offenbar. Ein Gewicht kann etwas niederdrücken, es kann aber auch umgekehrt verhüllen, daß es drückt, und die Schwere ausdrücken in ihrem Gegenteil, darin, daß sie etwas in die Höhe hebt. In der Umgangssprache spricht man davon, daß man sich leicht macht, indem man Lasten abwirft, und diese Betrachtungsweise liegt allen trivialen Lebensanschauungen zugrunde. Im höheren, im poetischen und philosophischen Sinne gilt das Gegenteil: man wird leicht mit Hilfe der – Schwere, man schwingt sich frei in die Höhe mit Hilfe eines – Drucks. So schweben die Himmelskörper mit Hilfe einer großen Schwere; der Vogel fliegt mit Hilfe einer großen Schwere; des Glaubens geschieht mit Hilfe einer ungeheuren Schwere; der Hoffnung höchster Flug geschieht gerade mit Hilfe der Trübsal und des Drucks der Widerwärtigkeiten. Die Illusion der Bühne aber und das Gewicht der Blicke aller ist eine ungeheure Schwere, die auf einem Menschen sich legt; wo aber der glückliche Rapport ist, da verwandelt das Gewicht der Last fort und fort sich in Leichtigkeit.« 1 1  K  ierkegaard, Sören: Die Krise und eine Krise im Leben einer Schauspielerin, in: Kleine Schrif ten 1848/49, Abt. 21/23, Sören Kierkegaard. Gesammelte Werke, hg. v. Emanuel Hirsch und Hayo Ger-

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Mittels einer Metaphorik der Leichtigkeit und den daraus gewonnenen Nuancen der Schwere demonstriert Kierkegaard in seinem Text den »heilsökonomischen Zusammenhang zwischen Grazie, Gravitation und Leichtigkeit.«2 In diesen Zusammenhang ist auch das Paradox der Schwere in der Schwerelosigkeit eingebettet, das Kierkegaard anführt: Himmelskörper schweben nur mit Hilfe einer großen Schwere. Diese Differenzierung bestimmt die hier unternommene Analyse von Schwebenden in ihrer Relation zu Körper- und Raumkonzepten. Für die begriff liche Präzisierung eines ›In-Schwebe-Seins‹, eines Schwebens, das schwer sein muss, entwerfe ich im Folgenden ein crossmapping (Bronfen) ausgewählter poetologischer, ästhetischer, tanztheoretischer und physikalischer Bestimmungen von Konzepten des Schwebens. Diese Konzepte lassen sich über den Begriff der gravitas in einen Sinnzusammenhang bringen. Denn die gravitas ist konstitutiv für ein Nachdenken über die Leichtigkeit in der Schwere, wie es seit der Rhetorik und der Physik der griechischen Antike bis zu Darstellungskonzepten der europäischen Opernbühnen im frühen 19. Jahrhundert unternommen wird.

gravitas in der Rhetorik. Denken der Schwere im Schweben In seiner Physikvorlesung verdeutlicht der griechische Gelehrte Aristoteles (384322 v.Chr.) anhand der natürlichen Schwere und Leichtigkeit die Bestimmung von Qualitäten, die Gegensätzliches voneinander unterscheiden und in Relation setzen: »Und weil das Leichte sich in natürlicher Bewegung nach oben, das Schwere sich in natürlicher Bewegung nach unten bewegt, ist die einen Gegenstand auf der Seite des Weltzentrums einschließende Grenze und das Weltzentrum selbst jeweils das Unten, die ihn auf der Seite der Weltgrenze einschließende Grenze und die Weltgrenze selbst hingegen jeweils das Oben.«3 Beiden Qualitäten, leicht und schwer, spricht Aristoteles über die Erfahrung von Objekten in Bewegung eine natürliche Disposition zum Raum zu. Die Natürlichkeit ist dabei an die »Schwerebewegung«4 gebunden: des, übers. v. Emanuel Hirsch (Mitarbeit: Rose Hirsch), München: Eugen Diederichs 1996, S. 3-28. Hier: S. 13f. 2  W  ild, Christopher: »Grazie und Gravitation. Vom Zug des Sündenfalls im Theater des 18. Jahrhunderts«, in: Brandstetter, Gabriele (Hg.): Leichtigkeit = Lightness, in: Figurationen: Gender, Literatur, Kultur, Jg. 4, Heft 1, Köln: Böhlau 2003, S. 27-44. Hier: S. 42. 3  A  ristoteles: Physik Vorlesungen, übersetzt von Hans Wagner, in: Ernst Grumach (Hg.): Aristoteles. Werke. In Deutscher Übersetzung, Bd. 11 Physikvorlesung, Berlin: Akademie-Verlag 1967, S. 93. 4  Z  immermann, Albert: »Einleitung«, in: Ders.: (Hg.): Ein Kommentar zur Physik des Aristoteles aus der Pariser Artistenfakultät um 1273, Berlin: De Gruyter 1968, S. XI-L. Hier: S. XLVIII.

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»Die durch Wurf verursachte Aufwärtsbewegung eines schweren Körpers ist erzwungen und nicht natürlich; denn sie widerstrebt ja dem Wesen des schweren Körpers, der als solcher nicht die Potenz zu einer nach oben gerichteten Bewegung besitzt. Diese Bewegung ist nur dann natürlich, wenn aus dem schweren Körper dabei zugleich ein leichter wird, dessen Natur es ja ist, oben zu sein. Das Leichtsein ist nämlich der Möglichkeit nach im schweren Körper enthalten, und die Umwandlung des Schweren in ein Leichtes durch die von einer äußeren Ursache (dem generans levis) sukzessiv bewirkten Akzidentien des Leichten ist daher natürlich.« 5 Der Mensch ist in dieses Verständnis von Schwere und Leichtigkeit in Relation zur Räumlichkeit per definitionem eingebunden. Die Natürlichkeit eines Körpers wäre demnach also abhängig von der Natürlichkeit seiner (vertikalen) Gewichtsdisposition. In der griechischen Antike wird der Mensch als anthropos (ἄνθρωπος), als Entgegengewendeter, als aufrechtstehendes Wesen bezeichnet, das sich mit jedem Schritt ›gegen‹ (ant) die Erdanziehungskraft ›wendet‹ (thropos). Aristoteles’ physikalische Bestimmung der Natürlichkeit des Leichten in Verbindung mit dem Verständnis des Menschen als aufrecht der Schwerkraft Widerstehendem, begleitet die Philosophie (sowie die Anthroposophie) bis heute in Theorie und Praxis. In seiner Bestimmung des »inneren Sinnes«6, der Aisthesis, führt der Ideenhistoriker und Literaturwissenschaftler Daniel Heller-Roazen Denkfiguren an, die in der Philosophie eine Distanzierung, einen »Schritt zurück«7 vom Gegenstand ermöglichten, indem sie »in die Luft«8 genommen wurden. So habe der per-

5  A  ristoteles, übersetzt von Albert Zimmermann im Kommentar zum achten Buch der Physikvorlesungen: »Motus gravis sursum ab impellente violentus est. Nam sicut contra naturam gravis est, ut manens grave sit sursum, ita est contra naturam eius, ut moveatur sursum absque eo quod leve fiat. Non quodcumque ergo principium passivum sufficit ad hoc, quod motus sit naturalis ab extrinseco activo, utpote si huiusmodi potentia sit ad actum, qui est contra naturam mobilis. Sed non est contra naturam gravis quod moveatur sursum ita, quod cum hoc accipiat formam levis, prout grave a generante ipsum leve movetur sursum. Grave enim per naturam suam est in potentia ad hoc, quod sit leve non manens grave, et sic non per suam naturam est in potentia ad locum levis.«, in: Zimmermann, »Text«, in: Ders., Ein Kommentar zur Physik des Aristoteles, S. 1-101. Hier: S. 94. 6  H  eller-Roazen, Daniel: Der innere Sinn: Archäologie eines Gefühls, Frankfurt a.M.: Fischer 2012. Zur Aisthesis und ihrer Bedeutung für die Ästhetik der Künste vgl. vor allem: Rancière, Jacques: Aisthesis. Scenes from the Aesthetic Regime of Art, London/New York: Verso 2013. 7  H  eller-Roazen, Der innere Sinn, S. 277: »In ihrer langen und bedeutenden Tradition hat die Philosophie zahlreiche Mittel entwickelt, sich Gegenständen zu nähern, indem sie einen Schritt zurücktrat.« 8  Ebd., S. 278.

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sische Philosoph Avicenna9 (980-1037), dessen Schriften an die Ideenlehre Platons und die damit verbundene Vorstellung einer Unsterblichkeit der Seele anknüpfen, folgendes Experiment zur Anschauung der Seelenlehre durchgeführt: »Er hob einen lebenden Menschen in die Luft«,10 um seinen Gedanken eine Schwere zu geben, sie greif bar zu machen. Diesem Experiment, das Heller-Roazen als »wissenschaftliches Unternehmen«11 beschreibt, sei eine für das Abendland zentrale Denkfigur der Philosophie entsprungen: »›der f liegende Mensch‹, wie sie gewöhnlich genannt wurde, oder ›der Mann im leeren Raum‹.«12 Die Leichtigkeit des menschlichen Körpers in Verbindung mit der Leichtigkeit der Gedanken und den daraus resultierenden Bestimmungen von Raum, Zeit und Bewegung bestimmt die Philosophie und die mit ihr verbundene Physik von der Antike bis zu Albert Einsteins (1879-1955) Gravitationstheorie, die ich an späterer Stelle aufgreifen werde. Deutlich wird diese Verbindung zwischen Philosophie und Konzepten des Schwebens aus der Physik durch den Bezug philosophischer Konzepte zur Schwere. Auch wenn der Begriff der gravitas in späteren Schriften zum Schweben nicht mehr erscheint, so schwingt ein ›Prinzip des Schwebens‹, das der gravitas inhärent ist, bis heute mit. Dies gilt insbesondere für die Lehre der Rhetorik. * Mit dem Begriff gravitas wird der qualitative Grad der Beredsamkeit antiker Redner bezeichnet, die fähig sind »die hohe Bedeutung, das Gewicht im Sachlichen«13 auf leicht verständliche Weise zu vermitteln. Diese Hervorhebung des 9  D  er lateinisierte Name Avicenna steht abkürzend für den vollständigen Namen Abū Alī al-Husain ibn Abd Allāh ibn Sīnā. Roazen bezieht sich im Verlauf seines Textes immer wieder auf die Philosophie Avicennas und dessen Auseinandersetzung mit der Unsterblichkeit der Seele. Vgl. ebd. 10  Ebd. 11  Ebd. 12  H  eller-Roazen verweist in Bezug auf die »Nachwirkungen des Experiments« auf den Aufsatz von Étienne Gilson: »Les sources gréco-arabes de l’augustinisme avicennisant«, in: Archive d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge, 4 (1929), S. 5-107, dort insbes. S. 38-42. Siehe: Heller-Roazen, Der innere Sinn, S. 39. 13  E ine aktuelle Darstellung der Rhetorik von der Antike bis in die Gegenwart bietet: Göttert, KarlHeinz (Hg.): Einführung in die Rhetorik: Grundbegrif fe – Geschichte – Rezeption, 4. überarb. Aufl., München: Wilhelm Fink 2009. In Bezug auf die Darstellung des stilus gravis greife ich neben der systematischen Aufarbeitung durch den Philologen Gert Ueding dennoch zusätzlich an entsprechenden Stellen auf die mitunter ältere Literatur von Heinrich Dörrie und Heinrich Lausberg zurück, da der Überblick Götterts den Begriff der gravitas in dieser Form nicht darlegt. Vgl. daher hier: Dörrie, Heinrich: Die geschichtlichen Wurzeln des Platonismus: Bausteine 1-35, Text, Übersetzung, Kommentar/aus d. Nachlass, hg. v. Annemarie Dörrie, Stuttgart, Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1987, S. 486. Inhaltlicher Platz des „Gewicht[s] im Sachlichen“ Sachlichen waren zunächst die plurimae artes, die mathematischen Themen in der Philosophie: numeri

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Erhöhten in Bezug auf das Folgenschwere geht auf ein philosophisch-rhetorisches Denken zurück, das in der Antike zur Entwicklung und Vermittlung der Dreistillehre, genera dicendi14, führte. Dabei handelt es sich um ein Rede-System, das Inhalt und Vermittlung gleichermaßen in drei Stufen einteilt, die (strenggenommen – und hieran entzündeten sich regelmäßig Umbrüche und Reformen) miteinander verbunden, aber in ihrer Spezifität nicht vermischt werden sollten. Unterschieden wurde zwischen dem »stilus tenuis oder humilis, als niedrigem Stil, dem stilus medius oder mediocris, als mittlerem Stil und dem stilus grandis oder gravis«15, als höchstem Stil. Die Anwendung sei nach dem römischen Redner, Anwalt und Philosophen Marcus Tullius Cicero (106-43 v.Chr.) wie folgt: »Das ›Niedrige [muß] schlicht, das Erhabene mit Würde, das zwischen beiden Liegende in rechter Mischung‹ vorgetragen werden. Der Redner darf das innere und das äußere aptum nicht verletzen, er muß angemessen von einer Sache für ein Publikum reden.«16 Der römische Rhetoriklehrer Marcus Fabius Quintilianus (35-96 n.Chr.) wies auf die Notwendigkeit hin, dass ›hohe‹ Redner ein Bewegen in allen drei Stilen beherrschen müssten.17 Beredten Denkern wie Platon (428/427-348/347 v.Chr.) und Aristoteles schrieb Cicero in seiner forensischen Rhetorik die Fähigkeit zur Entwicklung und Wiederholung hörenswerter Ideen zu.18 Rednern wie Platon stellet geometria et harmonia aus der ›Schule der Pythagoreer‹. Den plurimae artes sei nach Dörrie »das Merkmal der gravitas zu eigen; dank ihnen ist gravitas in die Diktion Platons eingeflossen. […] Dieser Stil [Platons] weist Elemente der gravitas auf – nur das wird von den Gegenständen aus motiviert, die da behandelt werden. Daneben steht ein Element der obscuritas, das sich mit den sokratischen Stilqualitäten lepor et subtilitas verbindet […].« Vgl. Dörrie, Die geschichtlichen Wurzeln des Platonismus, S. 486. 14  V  gl. hierzu Uedings Einordnung der Stillehre in die Systemgeschichte der Antike: »Unter dem Oberbegriff der genera faßt die Rhetorik unter dem Begriff der figura die drei Stilarten (später genera dicendi): figura gravis (hoher/erhabener Stil), figura mediocris (gemäßigter Stil), figura attenuata (schlichter Stil). Insgesamt handelt es sich um die älteste erhaltene Diskussion der Dreistillehre.« Ueding, Gert (Hg.): Rhetorik. Begrif f – Geschichte – Internationalität, Tübingen: Max Niemeyer 2005 (Neudruck des Artikels »Rhetorik« aus dem Wörterbuch historischer Grundbegriffe, mit einer Zusammenstellung verwandter Artikel), S. 97. 15  U  eding, Gert/Steinbrink, Bernd (Hg.): Grundriß der Rhetorik. Geschichte, Technik, Methode [1985], 4. Auflage, Stuttgart/Weimar: Metzler 2005, S. 37. 16  U  eding/Steinbrink, Grundriß der Rhetorik, S. 37. Cicero ist hier wie folgt zitiert: Marcus Tullius Cicero: Orator. Der Redner, lat. u. dt., hg.  v. Bernhard Kytzler, München/Zürich: Artemis 1975, XXIX, S. 100. 17  V  gl. Quintilianus, Marcus Fabius: Institutionis oratoriae. Libri XII. Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher. Lat.u.dt. Hg. u. übers. v. Helmut Rahn, 2 Bde, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1975. Hier: Buch 10, S. 66ff und S. 69-72. Aufgegriffen in: Ueding/Steinbrink, Grundriß der Rhetorik, S. 232. 18  S o legt Cicero fest: »is erit igitur elequens, ut idem illud iteremus, qui poterit parva summisse modica temperate magna graviter dicere. Der also wird beredt sein – um dasselbe noch einmal zu wiederholen –, welcher unwichtige Dinge schlicht, mäßige Dinge gemessen, große Dinge mit

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te Cicero das Attribut des gravissimus19 aus, da er aufgrund seiner Beredsamkeit nicht nur die gewünschte, sondern auch jeweils entsprechende Wirkung (movere) beim Publikum erzielten. Die genera dicendi sind über die of ficia oratoris, also die drei Arten der Ausführung der Rede (docere, delectare und movere)20, sowie die Affektstufen an das Konzept des movere geknüpft. Um die Gemüter zu »erschüttern«21, müsse sich die Rede oder die Poesie, wie etwa Vergils Aeneis, im genus grande bewegen. Nach Cicero sei im Besonderen zwischen der sanfteren und der heftigeren Affektstufe zu unterscheiden, deren Effekt zur emotionalen Rührung (movere) der Zuhörenden diente und das Erhabene22 markierte. Ein Aspekt der genera dicendi scheint besonders relevant für die Rezeption der Rhetorik in der Romantik und ihre Übertragung auf Narrative und Technik der Tanzkunst23 im 18. Jahrhundert: Um Stellung und Wirkungskraft des stilus gravis,

Würde formuliert.« Cicero, Orator, Hier in der Übersetzung von Heinrich Dörrie, Die geschichtlichen Wurzeln des Platonismus, S. 248. 19  » Nicht selten bezeichnet Cicero andere Philosophen als viri graves […] und [es] wird den Philosophen insgesamt gravitas zugeschrieben.« Manche erhalten jedoch, so Dörries Einschränkung, den »Ehrentitel gravissimus; in diesen Fällen wird keine Beziehung zur rhetorischen gravitas hergestellt. Wo aber Platon als gravissimus gerühmt wird, da geschieht es mit unüberhörbarer Betonung der gravitas auf dem Felde der Stilistik und der Rhetorik.« Von dieser Regel gibt es eine Ausnahme: in De Oratore 1,16=31.2 hebt Cicero die hohe Bedeutung, das Gewicht im Sachlichen hervor, das als gravitas bezeichnet, den plurimae artes zukommt, die Platon in der Schule der Pythagoreer lernte. Cicero, Marcus Tullius: De oratore. Über den Redner, lat. u. dt., übers. und hg. v. Harald Merklin, Stuttgart: Reclam 1976, zitiert in: Dörrie, Die geschichtlichen Wurzeln des Platonismus, S. 248. 20  » Die sanftere Affektstufe heißt ethos, und ihr Ausdruck ist das delectare (erfreuen, ergötzen), während die heftigere Affektstufe pathos heißt und ihre intendierte Wirkung das movere (bewegen, erschüttern) darstellt. Körperliche Beredsamkeit und Ornates, also die Verwendung von Tropen und Figuren, verhelfen dazu.« Ueding/Steinbrink, Grundriß der Rhetorik, S. 93. 21  » Das genus sublime (grande, robustum, vehemens, amplum, grandiloquum, validum, […] hat pathetischen (§ 70) ornatus (§ 465; § 166, I,9), da es erschüttern (movere; § 70) will. Die Verfremdungsgrade sind also stark (§ 89). Innerhalb der Poesie entspricht das genus etwa der Tragödie und wird der Aeneis Vergils zugeschrieben (§  465).« Lausberg, Heinrich: Elemente der literarischen Rhetorik [1963], 9. Aufl., München: Max Huber 1987, S. 154. 22  » In der Tradition, die den größten Einfluß ausübte, wird das Erhabene mit der höchsten der drei Stilarten, mit dem genus grande assoziiert. […] Wie Cicero ausführt, ist es die Absicht eines solchen Stils, den Zuhörer zu bewegen, indem man dessen Gefühle anspricht […].« Ueding, Gert/ Kalivoda, Gregor/Jens, Walter: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Tübingen: Max Niemeyer 1994, Sp. 1357. 23  I nsbesondere der Lexikonartikel »Choreographie« von Gabriele Brandstetter verweist auf die Verknüpfung von antiker Rhetorik und Tanzrhetorik: Brandstetter, Gabriele: »Choreographie«, in: Fischer-Lichte, Erika/Kolesch, Doris/Warstat, Matthias (Hg.): Metzler Lexikon Theatertheorie, Stuttgart: Metzler 2015, S. 54-57.

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also der achtbarsten »Höhenlagen«24 der Philosophie deutlich zu machen, sei in der Aporetischen Akademie der Antike, so der Philologe Heinrich Dörrie, ein spezifischer ›Fall‹ durchdacht worden: Die Frage nach der Sterblichkeit der Seele. Von Interesse sei nicht die Antwort, sondern die Beweisführung – die Denkbewegung gewesen.25 Wer die Frage mit Nein beantworte, so Dörrie, »reiht sich den kleinen Geistern zu, den minuti philosophi«,26 da mit dem Entscheiden für die Sterblichkeit die Endlichkeit des Denkens zusammenfalle. Wer hingegen an das Metaphysische glaube, das Denken über die Grenzen des Sterblichen derart hinausführe, dass es ein suspenso, ein den Gedanken ›In-Schwebe-Halten‹, nicht nur aushalte, sondern auch produktiv mache, und in diesem ›schwebenden Denken‹ zeitgleich Entscheidungen treffen könne, sei als vir dignius et gravis bezeichnet worden, als der höchsten Kunst des Denkens würdig.27 Aus diesem Beispiel geht hervor, dass es in der Frage nach dem Stil und den entsprechenden Höhenlagen der Philosophie in erster Linie um den Zustand des suspenso ging, indem Entscheidungen ›In-Schwebe‹ getroffen wurden. Dieses Treffen oder Fällen von (philosophischen, ästhetischen, ethischen) Entscheidungen ist Kern dessen, was jeweilige Stil-Figuren über Epochen hinweg charakterisiert, und schließlich in der Metaphysik zur Urteilskraft führt. Es ist der Fall, der entscheidet – der ›Fall‹ für oder gegen die Sterblichkeit der Seele. Die Art und Weise, wie diese Entscheidung fällt, bestimmt die Höhenlage der Philosophie – die gravitas. Bereits in der Antike war diese Unterscheidung zwischen den Kleingeistern und den vir dignius et gravis, zu denen Platon und Aristoteles gehörten, auch an den sozialen Status der Denkenden geknüpft: »Ein Aristokrat schließt sich einer noblen Philosophie an […]. Eine Gemeinsamkeit mit minuti vel plebeii philosophi entehrt selbst dann, wenn diese recht haben sollten.«28 Festzuhalten ist demnach Folgendes: Denkende, die das Schweben schwerer Gedankengänge, wie jene um die Sterblichkeit der Seele, zwischen Möglichkeit und Unmöglichkeit aushielten, sowie »glaubwürdige Unwahrheiten [den] plausiblen Wahrheiten«29 vorzögen und diese entsprechend vermitteln konnten, besaßen (als Person und Körper) in der Antike gravitas. Indem Denkende sich auf Ebene der »figura gravis

24  Dörrie, Die geschichtlichen Wurzeln des Platonismus, S. 530. 25  » Wenn der Verstorbene die Lösung der Frage erfahren hat, kann er die Lösung nicht mitteilen. Diese Beweisfigur führt also auf die zwei grundsätzlichen Aussagen, die für die Akademie seit Arkesilaos konstitutiv waren: 1) Gesicherte Erkenntnis, die zur Entscheidung für ein Ja oder ein Nein berechtigt, ist nicht zu gewinnen. 2) Sobald sie einer gewinnt, kann er sie nicht mitteilen.« Ebd. 26  Ebd. 27  Ebd., S. 531. 28  Ebd., S. 530. 29  Esposito, Elena: Die Fiktion der wahrscheinlichen Realität, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2007, S. 10.

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(hoher/erhabener Stil)«30 bewegten, verkörperten sie Erhabenheit – und zwar abhängig von ihrem sozialen Status. Die Bezeichnungen der drei Gattungen der genera dicendi variieren und stehen in wechselseitiger Verbindung mit spezifischen Verknüpfungen anderer Stilfiguren. Die drei Stile sind in der Antike vor allem gegenstandspezifisch (Idee) zu verstehen. Im Mittelalter wird die Stilhöhe an die »soziologische Kategorie des Standes«31 geknüpft. Aufschlussreich ist hier, dass vor allem die Werke des römischen Dichters Vergils für diese Umdeutung der Stile herangezogen wurden: »In den ›Bucolica‹ sieht man den niedrigen Stil verwirklicht, in den ›Georgica‹ den mittleren und in der ›Aeneis‹ den hohen. Diese Stufung wird ausgearbeitet, indem man typische Gegenstände der Umwelt jener als Stände aufgefaßten Berufe von Hirten, Bauern und Kriegern, von denen in Vergils Dichtungen die Rede ist, katalogisiert. Das Ergebnis ist ein verbindliches Muster der ›Dinge‹, welche in den jeweiligen Stilarten vorkommen sollen und untereinander nicht austauschbar sind.«32 Der ›Orpheus‹-Mythos ist bei Vergil im mittleren Stil, im stilus mediocris verortet, da es sich bei den Georgica um ein Lehrgedicht handelt.33 Es steht aufgrund seines didaktischen Gestus innerhalb der Hierarchie der Stile auf einer niederen Stufe als die im genus grande geschriebene und erhabene Wirkung erzielende »Große Heldenschau«,34 zu der die Aeneis zählt. Zu den Heldendichtungen zählten auch Ovids Metamorphosen und die darin enthaltene Darstellung des ›Orpheus‹-Mythos. Ovid sei nicht nur ein intensiver Leser der Werke Vergils gewesen.35 Indem er die Figuren aus Vergils Aeneis einer Verwandlung unterzogen habe, lebten die Motive und Verse in den Metamorphosen weiter36 und kulminierten schließlich in Eigennamen und Anthropomorphismen, die in ihrer Einzigartigkeit den Bereich des Metaphorischen verlassen hätten, so der Literaturtheoretiker und Philosoph Paul de Man (1919-1983).37 30  Ueding/Steinbrink, Grundriß der Rhetorik, S. 97. 31  Ebd. S. 93. 32  Ebd. 33  » Während der hohe Stil in der Tragödie seine Entsprechung findet, blieb der mittlere Stil ohne Bezug zu einer Gattung.« Ebd. 34  Z  u den Stimmungsbewegungen der Versrhythmen in Vergils Aeneis sowie der Darstellung des Heldenhaften bei Ovid siehe: Gassner, Jakob: Kataloge im römischen Epos: Vergil, Ovid, Lucan, München: Dissertationsschrift o.V. 1972, S. 69. 35  Z  ur Relation der Aeneis von Vergil und ihrem ›Fortleben‹ in Ovids Metamorphosen vor dem Hintergrund der Diskurse um Vergil und Ovid siehe im Besonderen: Boyd, Barbara Weiden: »›When Ovid Reads Vergil…:‹ A Response and Some Observations«, in: Vergilius, Nr. 48, Wisconsin: The Vergilian Society 2002, S. 123-130. 36  Vgl. Boyd, »›When Ovid Reads Vergil…:‹«, S. 123. 37  De Man, Paul: Allegorie des Lesens, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1988, S. 181.

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Bereits an dieser Stelle sowie am Beispiel der Stilwechsel in den Dichtungen des ›Orpheus‹-Mythos wird die Ambivalenz der Kategorisierung von Objekten und Personen in der Kunst deutlich. Orpheus avancierte in der Kunst zum höchsten Sänger und damit zum Patron der höchsten Bühnengattung, der Oper und ihrer Tragödie – trotz des Changierens zwischen mittlerer und hoher Stillage. Aufgrund der Diskrepanz zwischen der theoretischen Dreiteilung und ihrer Übertragung auf ein physisch-praktisches Halten einer Rede sowie auf eine entsprechende Höhenlage der philosophischen Ideen sorgte die strikte Einhaltung der genera dicendi und des stilus gravis bereits in der Antike für Uneinigkeiten. * Das Mittelalter hat diese Ambivalenz aufgegriffen. Das Konzept der gravitas und der damit verbundene »ciceronische stilus gravis«38 unterliegen gerade in dieser Zeit dem Auf heben der alten Stilsetzungen durch semantische Verschiebungen und Umdeutungen. Aufschlussreich für die Auseinandersetzung mit der (europäischen) Hierarchisierung der Künste scheint eine in der Renaissance unternommene systematische Zusammenstellung der Schriften einf lussreicher Theoretiker der Redekunst: Der aus Kreta stammende Humanist und Übersetzer früher Platonischer Schriften, Georgius Trapezuntius (1396-1472/73)39, führte die in Kontrast zueinander stehenden Schriften von Cicero (als Autor lateinischer Rhetorik) und des Schüler Sokrates’ Hermegones (als griechischer Autor byzantinischer Rhetoriktheorie, 450-371 v.Chr.) zusammen, indem er in einem Collageähnlichen Verfahren mit dem Stilmittel der Auslassung einander inkompatibler Inhalte arbeitete. Charakteristikum der Schrift von Trapezuntius ist, in einem Verfahren aus Collage und Auslassung die Rhetorik als Kunst zu bezeichnen, die der Philosophie in existenzieller Weise inhärent sei: »Durch die Philosophie nämlich sind ja alle freien Künste miteinander verbunden. Wenn sie der Anmut der Beredsamkeit beraubt ist, zerbricht und vernichtet sie

38  H  inz, Manfred: »Rhetorik. Systemgeschichte. Frühe Neuzeit a. Georg von Trapezunt«, in: Ueding/Steinbrink, Grundriß der Rhetorik, S. 118-131. Hier: S. 118. 39  G  eorg von Trebizond (Trapezuntius), (1396-1472/73) Autor der Rhetoricorum libri quinque (1433 oder 1434) sowie der Comporationes Philosophicum Aristotelis et Platonis, die als Auslöser für die Platon-Aristoteles-Auseinandersetzung gelten. Vgl. Kaiser, Christian: »Die Aufhebung der Diversität von Rhetorik und Philosophie in Georg von Trapezunts ›Libri Rhetoricorum‹«, in: Strack, Georg/Knödler, Julia (Hg.): Rhetorik in Mittelalter und Renaissance: Konzepte – Praxis – Diversität, München: Utz 2011, S. 291-313. Hier: S. 294.

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jede Erhabenheit (gravitas) der Rede, und der ganze Saft des Geistes nimmt einen viel zu herben Geschmack an.« 40 Noch bevor im 18. Jahrhundert anhand einer Verklärung der Antike die Fähigkeit zur Beredsamkeit über die Bildung – und nicht über die aristokratische Abstammung – garantiert werden sollte, hatte Trapezuntius für das westliche Denken eine »Alternative zum klassischen, lateinischen Rhetorikcorpus«41 entworfen. Sein Gegenvorschlag entfaltet »eine hochkomplexe Kombinatorik an Stiltugenden […] und nimmt, MD) auf moralphilosophische Absicherungen wenig Rücksicht […].«42 Mit Trapezuntius sei Rhetorik als Methodik, »als technisches Instrument politischer Durchschlagskraft […]«43 zu begreifen. Sein gravitas-Begriff wirkt insofern enthierarchisierend, als dass »die Anordnung der Ideen […] nicht hierarchisch gemeint«44 ist. Somit entstand bereits in der Renaissance eine Neu-Bestimmung der drei Stile, die auf den Redekontext und eine anwendbare Systematik, und nicht auf die Hierarchie der Ideen ausgerichtet war.45 Unabhängig von ihrer Trennschärfe scheinen die drei Stile trotzdem stets für ein und denselben Grundgedanken zu stehen, der in dieser Studie produktiv gemacht werden soll: Sie stehen für das Sichtbarmachen und Erkennen der qualitativen Vielschichtigkeit von Nuancen in der Darstellung und Vermittlung von Ideen – dem Kern des rhetorischen Begriffs gravitas. Warum hat sich die Ent-Hierarchisierung der Stile eines Trapezuntius nicht durchgesetzt? Warum blieb das Diktum der Leichtigkeit hoch emporstrebender Gegenstände synonym mit einer gesteigerten Wertigkeit? Gründe für eine Kontinuität des stilus gravis als Referenzpunkt setzt die Rhetorikforschung in dem am Hof etablierten französischen Klassizismus. In der Barockzeit seien die »Lehre 40  V  gl. ebd. Kaiser übersetzt hier folgenden lateinischen Text »Nam philosophia quidem qua omnes liberales artes continetur, si dicendi suavitate privata sit, omnem orationis gravitatem infringit atque concidit, totumque ingenii succum asperitate imbibit nimia.«, aus: Georgius Trapezuntius: Rhetoricum libri quinque [1538], hg.  v. Luc Deitz, Hildesheim/Zürich/New York: Olms 2006, S. 1f. 41  Hinz, »Rhetorik. Systemgeschichte«, S. 118. 42  Ebd. 43  Ebd. 44  Ebd. 45  A  bstand nahm der Autor hingegen von der Unterscheidung zwischen Nützlichkeit und Ehre, wie es in der Trennung von Rhetorik und Philosophie immer wieder durch die Philosophie stattgefunden habe. Sicher gab es auch vor Trapezuntius ein ähnliches Denken – vor allem bei Cicero, der ebenfalls davon ausging, dass diese »Entgegensetzung von Ehrenhaftigkeit und Nutzen, wie sie von den Philosophen propagiert wurde, von Grund auf verfehlt sei.« Cicero, De of ficiis, 2,3,9-10; 3,3,11; 3,33,119, hier in: Kaiser, »Die Aufhebung der Diversität von Rhetorik und Philosophie«, S. 302.

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und Praxis der Stilebenen […] in Bewegung, nach oben und nach unten [geraten, M.D.]. Die eigentliche humanistische Mittellage wird […] nur selten theoretisch gerechtfertigt oder praktiziert. Wir beobachten eine Zentrifugalbewegung von der mittleren Ebene weg.«46 Zentrifugal ist in dieser Hinsicht als Bewegungsrichtung und -dynamik zu verstehen und dient dem Zweck, Polaritäten zwischen oben und unten zu etablieren. Zur Abgrenzung von der Ästhetik zur Zeit des Absolutismus, die sich ausschließlich in den Gegensätzen zwischen hoch und niedrig bewegte, den Prunk favorisierte und eine Gleichzeitigkeit von Extremen generierte, widmete sich die französische Akademie erneut der Antike.47 Leitend seien die Schriften Pseudo-Longinos gewesen, der den höchsten Stil aus der Rhetorik als unzeitgemäße Ästhetik herausgelöst habe. Zugunsten einer anti-barocken Ästhetik, wie sie der Absolutismus mit dem Schönen zelebriert hatte, wurde »der erhabene Stil […] vom ciceronischen stilus gravis abgekoppelt.«48 Im Zuge dieser Abkopplung, in der Pseudo-Longinos die Wirkungskraft des Erhabenen, die »Ekstase«49 hervorhob, ereignete sich noch vor der Antikenrezeption im 18.  Jahrhundert eine Umwertung des Stils. Nicht mehr das bloß Schöne, sondern das (erlernbare) Erhabene und die damit verbundene Entlastung vom schweren Prunk galten nun als erstrebenswert. In dieser Weise wurde der Wert der Erfahrung (durch Wiederholung) und der Begabung der Redner, wie sie in der Antike bei Quintilian, Cicero und Aristoteles angelegt waren, wieder ins Zentrum gerückt. Somit blieb der höchste Stil trotz Aufgabe des Prunk-Charakters stilbildend und Ausgangspunkt eines Referenzsystems, in dem ästhetische Kategorien formuliert werden konnten. Der vormals höchste Stil der Aristokratie entwickelte sich also zum erhabenen Stil des Bürgertums – in beiden Fällen über den Rückgriff auf die Antike und die mit ihr verbundenen Körperbilder. 46  W  indfuhr, Manfred: Die barocke Bildlichkeit und ihre Kritiker. Stilhaltungen in der deutschen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts, Stuttgart: Metzler 1966, S. 128. Zitiert in: Ueding/Steinrbink, Grundriß der Rhetorik, S. 94. 47  Z  u dieser Zeit wurde die Akademie und die damit verbundenen Reformen von ihrem Präsidenten, dem Autor Nicolas Boileau (1636-1711) geleitet. 48  D  iese Zäsur, das Herauslosen des höchsten Stils und Markieren dieser Form als ›old fashioned‹, einer früheren, aber in der Gegenwart nicht mehr wirkenden Zeit angehörend, sei wiederum selbst stilbildend und formgebend – denn »[h]inter diesen von der Akademie festgelegten Stand ist die französische Klassik nicht mehr zurückgefallen.« Hinz, »Rhetorik. Systemgeschichte«, S. 129. 49  M  it Pseudo-Longinos galt, dass das »Erhabene jeweils ein bestimmter Höhepunkt und Gipfel der Rede ist und daß die größten der Dichter und Schriftsteller nur hierdurch und durch nichts anderes den Sieg und ihrem Ruhm Unsterblichkeit gewonnen haben.« Pseudo-Longinos: Vom Erhabenen, gr. u. dt. hg. u. übers. v. Reinhard Brandt, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1966, S. 1ff.

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gravitas in der Musik. Schweben zwischen Tradition & Reform Die genera dicendi und der in diesem Rede- und Denksystem verankerte stilus gravis nehmen in der Musikpraxis und Musikästhetik einen spezifischen Stellenwert ein. In der griechischen Antike ist die Musik nicht unmittelbar mit der Rhetoriklehre verknüpft, sondern mit der Affektenlehre und den von Platon entwickelten vier Kategorien Lust, Leid, Begierde und Furcht. Ausgehend von einem noch nicht auf die klangliche Artikulation beschränkten Verständnis von Musik konnte Platon diese unmittelbar mit der Bewegungskunst Tanz verbinden: »Platon stellt im attischen Bildungssystem sogar die Musik der Gymnastik gegenüber. Einerseits gab es die sportlichen Disziplinen zur Ertüchtigung des Leibes, andererseits alles, was man als Musik bezeichnete und die Einheit von Dichtung, Tanz und Tonkunst umfasste.«50 Musik und Sprache wurden in der Antike als Einheit gedacht. Diese Einheit war nicht auf das gesprochene Wort reduziert, sondern bezeichnete die Artikulation des Geistes. Eine formale Trennung dieser Einheit in »zwei Einzelphänomene«51 habe sich erst in der Neuzeit vollzogen.52 Als von der Ideensprache losgelöstes Phänomen, das eine eigene Struktur besaß, wurde der höchste Stil, der stilus gravis, nicht auf den Text der musikalischen Äußerung bezogen, sondern auf den strengen Satz der Harmonie. In dieser Weise ließen sich bis ins 18. Jahrhundert sogenannte Figurenkataloge erstellen, in denen strukturgebende musikalische Figuren zur Gestaltung der Harmonie (nicht des Textes) eingesetzt werden konnten. Notiert und ausdifferenziert wurden diese Figurenkataloge mit Rückgriff auf Quintilians Musikverständnis53 vornehmlich von dem in Rostock lehrenden Kantor Joachim Burmeister (15641629) und dem in Dresden wirkenden Kapellmeister Christoph Bernhard (1628-1692). Bernhard teilte, in Anlehnung an seinen Lehrer Heinrich Schütz (1585-1672), die Figuren in drei Grundtypen: stylus gravis (strenger Satz, Kontrapunkt, insbesondere bei Claudio Monteverdi), stylus luxurians communis (freier Satz, textausdeutend, Kirchenmusik) und stylus theatralis (Rede innerhalb der Musik). Den stylus gravis habe Bernhard als Gegenpol zum stylus theatralis bestimmt. Im »stylus gravis sei 50  P  errakis, Manos: Nietzsches Musikästhetik der Af fekte, Freiburg i.Br.: Alber 2011, S. 24. Vgl. zudem Scholz, Gottfried: »Musik«, in: Gründer, Karlfried (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, Basel/Stuttgart: Schwabe 1984, Sp. 242-257. Hier: Sp. 242. 51  Perrakis, Nietzsches Musikästhetik der Af fekte, S. 26. 52  Ebd. 53  » Quid ergo? Non et Cicero dicit esse aliquem in oratione ›cantum obscuriorem‹ et hoc quodam naturali initio venit?«, – »Was also? Sagt nicht auch Cicero, daß in der Rede (eine Art von) ›Gesang verborgen‹ ist und dies aus einem gewissen natürlichen Ursprung kommt?« Quintilianus: Institutio oratoria, Buch II, 11.3, hg. v. Michael Winterbottom, Oxford: Oxford University Press 1970, S. 65f. Zitat und Übersetzung aufgegriffen in: Kohlhaas, Emmanuela: Musik und Sprache im gregorianischen Gesang, Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft, Bd. 49, Stuttgart: Franz Steiner 2001, S. 68.

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die Musik die ›Harmonia Orationis Domina‹. Das Gegenstück dazu bildet für Bernhard der stylus theatralis, welcher wie kein anderer ›einen guten Effect in Bewegung der Gemüther […] zu veruhrsachen pfleget‹.«54 Die Figurenkataloge wurden nach Bernhard nicht mehr weiterentwickelt. Der Versuch einer systematischen Gleichgewichtung55 von Sprache und Musik wurde stattdessen durch ein Phänomen abgelöst, das im Musikdiskurs der damaligen Zeit zunächst auf Unverständnis stieß, für die Auseinandersetzung mit den Stil-Fragen jedoch zentral ist: Die Bestimmung der Tonsprache in der Instrumentalmusik. Der Komponist, Musikschriftsteller und Kapellmeister Johann Mattheson (1681-1764) führte den Begriff der Klangrede ein. Mit ihm entstand die instrumentale musikalische Botschaft, in der Musik keinen Text mehr vertont, sondern selbst Rede wird. Die »Instrumentale Musik unterscheidet sich nach Mattheson von textgebundener nicht durch ihren Zweck (›eine solche Vergnügung des Gehörs, dadurch die Leidenschafften der Seele rege werden‹), sondern einzig durch ihre Mittel, die geringer sind, so daß sie als die schwierige Kunst erscheint […].«56 In dieser Weise ließ sich der Musik ein Sinn zusprechen, der losgelöst vom geschriebenen Wort existiert und die Musik in die Nähe der Ideen rückt: »Musik weist, kurz gesagt, eine Struktur auf, die nicht zufällig, kein bloßes Naturprodukt ist, sondern einen Sinn hat, den der Hörer verstehen kann. Dieser Sinn ist aber kein Inhalt, der sich auch anders zum Ausdruck bringen ließe; […] Es ist ein ganz und gar unübersetzbarer Sinn, der sich nur im Medium der Musik, vielleicht sogar nur durch je eine bestimmte Komposition ausdrücken läßt.« 57 Arthur Schopenhauer (1788-1860) griff in philosophischem Verständnis Musik und Sprache als jeweils eigenständige Phänomene auf, indem er direkt an die griechische Antike anknüpfte und Musik als »Abbild des Willens«58 verstand – und nicht, wie die anderen Künste, als »Abbild der Ideen«59. Dem Musiktheoretiker Carl Dahlhaus (1928-1989) zufolge ließen sich Schopenhauers musikästhetische Schriften und Begriffsbestimmungen, welche Musik als Abbild des menschlichen Wil54  H  ofmann, Dietmar: Verkündigung des christlichen Glaubens durch geistliche Musik: dargestellt an der Totenliturgie, Münster: Lit 2004, S. 53. Hofmann zitiert Bernhard wiederum aus: Müller-Blattau, Joseph: Die Kompositionslehre Heinrich Schützens in der Fassung seines Schülers Christoph Bernhard, Kassel/Basel/London: Bärenreiter 1999, S. 83 u. S. 43. 55  V  gl. auch: Steinbeck, Wolfram: »Sprachvertonung bei Heinrich Schütz als analytisches Problem«, in: Breig, Werner/u.a. (Hg.): Schütz-Jahrbuch, 3.  Jahrgang, Kassel/Basel/London: Bärenreiter 1981, S. 51-53. 56  Dahlhaus, Carl: Musikästhetik, 3. Aufl., Köln: Gerig 1976, S. 40. 57  B  ecker, Alexander/Vogel, Matthias (Hg.): Musikalischer Sinn: Beiträge zu einer Philosophie der Musik, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2007, S. 9. 58  Dahlhaus, Musikästhetik, S. 66. 59  Ebd.

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lens begreifen wollten, gerade anhand der Relation der Begriffe Bewegung und Stillstand sowie Schwere und Leichtigkeit entfalten. Schopenhauer sehe demnach im ästhetischen Eindruck der Schwere einer Materie die »platonische Idee«60 verankert, wenn er äußert, dass »jede Qualität der Materie immer Erscheinung einer Idee«61 ist. Folglich zählt die Erscheinung zu den »allgemeinsten Qualitäten der Materie«62, jene der »Schwere, Kohäsion, Starrheit, Flüssigkeit, Reaktion gegen das Licht usw.«63 Dahlhaus hakt an dieser Stelle ein: »Schwere und Starrheit, in alltäglicher Auffassung Begriffe, sind bei ästhetischer Betrachtung Ideen; der Unterschied zwischen Begriffen und Ideen ist das Korrelat der Differenz zwischen einer auf Zwecke gerichteten und einer selbstvergessen kontemplativen Wahrnehmung.«64 Der hohe Stil als musikalisches Instrument ist wiederum bei Nietzsche aufgegriffen, und zwar als omnipräsente Figur. Als solche setze sie »einen Blick von oben voraus, und das heißt sowohl einen Beobachtungsstandpunkt, von wo aus er schweifen kann, als auch ein Subjekt, das fähig ist, jenen Platz einzunehmen und sich zum Ordner und Gesetzgeber zu machen.«65 * Wenn auch der Stil als Strukturelement in der Musikkomposition an Relevanz verloren hat, beeinf lusste das Umgehen mit dem Nietzschen ›Blick von oben‹, den der hohe Stil erwirkte, insbesondere jene Zeit, die von Reformen durch Opernkompositionen geprägt war. Im Beleuchten der Relationen von Tanz und Musik, deren Verwoben-Sein bereits in der griechischen Antike als vorausgesetzt schien, sei an dieser Stelle der Fokus auf Christoph Willibald Gluck gerichtet. Der Choreograf Gasparo Angiolini (1731-1803) nannte Gluck sehr treffend auch »komponierender Poet«66. Gluck gilt als Reformkomponist, der in seinen Opern die Trennung von musikalischer Aussage und sprachlichem Inhalt auf heben wollte, 60  Ebd., S. 68. 61  S chopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung [1817], Bd. I, § 43, zitiert in: Dahlhaus, Musikästhetik, S. 67f. 62  Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, ebd. 63  Ebd. 64  Dahlhaus, Musikästhetik, S. 68. 65  C  elestini, Federico: Nietzsches Musikphilosophie: zur Performativität des Denkens, Paderborn: Fink 2016, S. 289. 66  » So bildet Angiolini am Schluß seiner ›Dissertation‹ eine Reihe von vorbildlichen Poeten von Sophokles bis zu Voltaire ab, an deren Ende aber nicht etwa ein schreibender, sondern ein komponierender Poet steht: Gluck.« Lütteken, Laurenz: »Zur Interdependenz von ästhetischer Legitimation und kompositorischer Praxis im Handlungsballett«, in: Fischer-Lichte, Erika (Hg.): Theater im Kulturwandel des 18.  Jahrhunderts: Inszenierung und Wahrnehmung von Körper – Musik – Sprache, Göttingen: Wallstein 1999, S. 303-322. Hier: S. 314. Lütteken verweist hier auf:

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und in seinen Werken insbesondere die Bewegung der Darstellenden einbezog. Vor dem Hintergrund der Streitigkeiten um die zu verwendende Sprache in den Opern (Italienisch oder Französisch) und mit Blick auf eine Auf hebung der Hierarchie der musikalischen Elemente (Arie und Rezitativ) rücken im Besonderen seine Opernfassungen Orfeo ed Euridice (1762) und Orphée et Eurydice (1774) in den Fokus der Stilfragen.67 Glucks Orfeo entstand in Wien im Gestus des italienischen Stils, der eingebettet war in das »bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts für weite Teile Europas bestimmende Musiktheatersystem, in dessen Zentrum die Opera Seria bzw. die metastasianische Oper stand […].«68 Die mythische Geschichte ist in drei Akte geteilt und endet mit einem lieto fine.69 Für seinen Orfeo wählte Gluck ein Verfahren, das die Antike in die Gegenwart des 18.  Jahrhunderts katapultierte. Die mythischen Figuren Eurydike und Orpheus wurden aus der Dramaturgie des von Göttern bestimmten Schicksals gelöst und somit weltlich: Glucks Komposition und Raniero de’ Calzabigis (17141795) Libretto, das später für die Pariser Fassung von Pierre-Louis Moline (17401821) angepasst wurde, basierten zwar auf den Metamorphosen Ovids, setzten aber direkt mit dem Tod der Eurydike und der Trauer um ihren Verlust ein. Auf die Darstellung ihres Sterbens (Schlangenbiss) und die Ausgestaltung der göttlichen Figuren im Hades (Proserpina und Pluto), die sie dort festhielten, verzichtete die Barockoper. Stattdessen setzte sie lediglich einen verspielten Boten (Amor) ein, der Orpheus einen Hinweis zur Rückholung zuf lüstert. Auch zum Ende der Oper war zunächst kein lieto fine vorgesehen. Die Konventionen der Opera Seria erlaubten jedoch kein unglückliches Ende, sondern forderten eine Wiedervereinigung der Liebenden. Die Wiener Theatersituation70 war insofern entscheidend für die Gluck-Reform, als dass Gluck sich zwar im italienischen Stil der Opera Seria beAngiolini, Gasparo: Dissertation sur les Ballets Pantomomes des Anciens pour Servir de Programme au Ballet Pantomime Tragique de Semiramis, Wien: Trattner 1765, S. 374. 67  » Als Primärquelle kann nur der Pariser Partiturdruck gelten, der unter Glucks Augen entstanden ist […].«, so Ludwig Finscher im Vorwort des Partiturdrucks der Pariser Fassung: Gluck, Christoph Willibald: Orphée et Eurydice. Orpheus und Eurydike (Pariser Fassung von 1774). Tragédie opéra (Drame héroïque) in drei Akten von Pierre-Louis Moline (nach Raniero de’ Calzabigi), Partiturdruck (BA 2282), hg. v. Ludwig Finscher, Berlin/Kassel/u.a.: Bärenreiter 1967, S. XXVIII. Mein Gegenlesen der Partitur mit dem Hören der Aufzeichnung der Tanzoper bezieht sich auf die (deutlich um Ballett-Divertissements erweiterte) französische Fassung, und zwar mit Fokus auf allgemeine Streichungen oder Verdopplungen von Arien oder Rezitativen und das Verwenden oder Streichen der in der Partitur vorgesehenen Balletttanzszenen durch Pina Bausch. 68  D  ahms, Sibylle: »Vorwort«, in: Brandenburg, Daniel/Grund, Vera (Hg.): Christoph Willibald Gluck und das Musiktheater im Wandel, Gluck-Forschungsstelle Salzburg, München: epodium 2015, S. 9-10. Hier: S. 9. 69  D  er erste Akt enthält vier nummerierte Szenen, der zweite Akt ebenfalls vier Szenen und der dritte Akt enthält zwei Szenen und eine Abschlussszene. 70  Dahms, »Vorwort«, S. 10.

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wegte, aber dennoch stilfremde Elemente in seinen Orfeo implementierte. Dies lag vor allem an den Choreografien Angiolinis, der zuvor in Paris lebte und im Besonderen die Choreografien in den Opern Jean-Baptiste Lullys (1632-1687) und Jean-Philippe Rameaus (1683-1764) rezipierte.71 Eines dieser neuen Elemente war die Gestaltung der Figur der Eurydike.72 In der Inszenierungsgeschichte der mythischen Erzählung um Orpheus ist es die männliche Rolle, die den ersten und höchsten Sänger der europäischen Musikgeschichte verkörpert. Gluck besetzte diese Rolle einerseits mit einem Kastraten, da dieser: »nicht nur ein klagender Mensch, sondern auch ein Symbol des höchsten Sängertums [ist, M.D.], das sich über alles bloß Persönliche erhebt, wo es sich in gebundener Form äußert.«73 Andererseits verlieh Gluck diesem höchsten Sänger einen ebenbürtigen Gegenpart: Eurydike. Kompositorisch ist sie eine von ihm kreierte Figur, die aus einer Um-Schreibung und Weitererzählung des Mythos hervorgeht. Statt Eurydike mit einer Stimme zu gestalten, die wie ein Echo der leitenden und leidenden Stimme des Orpheus folgt, dichtete Gluck eine Figur, die sich aktiv dem Gesang des Orpheus entgegenstellt und ihn zur Wendung zwingt. Mit Gluck wurde Eurydikes Stimme zum ersten Mal in einer Opera Seria hörbar. Diese Kraft der Sprache ging auf den französischen Stil zurück. Den Reformen, die Gluck vorangetrieben hatte, gingen Bestrebungen voraus, in denen versucht wurde, »durch die Verschmelzung von italienischen und französischen Stilelementen einen neuen Musiktheater-Typus zu schaffen […].«74 1774 übertrug Gluck seinen Orfeo in das Stil-System der französischen Oper des 18. Jahrhunderts. In dieser Zeit galt Folgendes: »Oper hatte Eventcharakter, konnte sich in Werk und Aufführung von Darbietung zu Darbietung wandeln und war dadurch nie in irgendeiner Form ›vollendet‹. Im Gegenteil: Als ›work in progress‹ ließen sich Opernkompositionen problemlos an immer neue Aufführungsbedingungen anpassen und machten damit das italienische Opernmodell zu einem europäischen Exportschlager.« 75

71  Einstein, Alfred: Gluck: Sein Leben – seine Werke. Kassel/u.a: Bärenreiter 1987, S. 82. 72  D  ie Musikjournalistin Eleonore Büning beschreibt Glucks Reformopern in ihrem Feuilleton Artikel der Frankfurter Allgemeinen als ›Marmorkühl‹. Dies läge an »Statik und Pathos der frühen Gluck-Opern, an ihrer Tempo-Armut und an der Marmorkühle ihrer Figuren.« Büning, Eleonore: »Marmorkühl. Er reformierte die Oper und geriet selbst in Vergessenheit: Christoph Willibald Glucks, ›Orphée et Eurydice‹«, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 10.10.2004, Nr. 41, S. 27. Siehe auch: www.faz.net/-gqz-pklr. Letzter Zugriff: 30.03.2017. 73  Einstein, Gluck, S. 89. 74  B  randenburg, Daniel/Grund, Vera: »Einleitung«, in: Dies. (Hg.): Christoph Willibald Gluck und das Musiktheater im Wandel, ebd., S. 15-20. Hier: S. 15. 75  Ebd.

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In Abgrenzung zur Ästhetik des Absolutismus, die sich ausschließlich in den Gegensätzen zwischen hoch und niedrig bewegte, den Prunk favorisierte und eine Gleichzeitigkeit von Extremen generierte, widmete sich die französische Akademie erneut der Antike. In einer Collage der Stile arbeitete Gluck mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Zu diesen zählten nicht nur die Stile der italienischen und der französischen Operntradition, sondern auch Versatzstücke seiner früheren Werke. So setzte Gluck im Pariser Orphée für den zweiten Akt den sogenannten Furientanz ein, den er 1761 (ein Jahr vor Orfeo) für die von Angiolini choreografierte Ballettpantomime Don Juan komponierte.76 Die Collage der Stile war abhängig von der Aufführungspraxis, die in der »Hauptstadt der damaligen europäischen Kultur«77 in dieser Zeit galt. Paris befand sich aber nicht auf dem höchsten Punkt und neuesten Stand der Entwicklungen der Musikpraxis. Die Buffonisten, die mit dem Opernintermezzo La serva padrona (Die Magd als Herrin) (1733) von Giovanni Battista Pergolesi (1710-1736) der französischen Sprache die Italienische und den höfischen Szenarien ein bürgerliches Thema entgegneten, wurden zwar vertrieben, Spuren der Stil-Kritik haben sie dennoch hinterlassen. In dieser Zeit verfochten insbesondere Jean-Jacques Rousseau (1712-1787), Jean-Baptiste le Rond d’Alembert (1717-1738) oder Denis Diderot (1713-1784) die Auffassung einer Erneuerung der Erzählweise und Sprache auf der Bühne. Mit ihnen entstand zudem die Forderung nach einer »Erneuerung des Operntextes, eine Erneuerung der erstarrten dramatischen Musik, eine Erneuerung des Aufführungsstils.«78 Gluck folgte diesen Forderungen nur eingeschränkt: Anders als Rousseau, dem zufolge sich nur die italienische Sprache für den Gesang auf der Bühne eignete, sprach Gluck sich deutlich für die französische wie auch für die italienische Sprache in der Oper aus. Vor diesem Hintergrund lassen sich die Proben-Erinnerungen eines Zeitgenossen Glucks, des Malers und Hofmanns Johann Christian von Mannlich (17411822), deuten. Mannlich zufolge verlangte Gluck dem Orpheus-Interpreten und Sänger zahlreicher weiterer Gluck-Opern, Joseph Legros (auch Le Gros, 1739-1793) ein kinetisches Nachempfinden von Schmerz ab, um als Orpheus dem seelischen Schmerz nach dem Verlust der Eurydike Ausdruck zu verleihen: »Man wiederholte die erste Szene, wo sich der von Schmerz gebeugte Orpheus während des herrlichen, die Bestattung Eurydikens begleitenden Chorgesang erhebt und in den Schrei verzweiflungsvoller Klage ausbricht: ›Eurydike!‹, um schon gleich darauf seinem dumpfen Brüten wieder anheimzufallen. Gluck war mit Le 76  D  er Furientanz weise zudem Elemente einer Chaconne auf, wie sie Lully in seinen Opernballetten verwendete. Siehe: Einstein, Gluck, S. 77 77  Ebd., S. 154. 78  Ebd.

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Gros nicht zufrieden; er ließ ihn des öfteren diesen Aufschrei wiederholen, in dem immer etwas wie Gesang lag. Schließlich verlor er die Geduld und sagte ärgerlich zum ihm: ›Mein Herr, das ist unbegreiflich, Sie schreien immer, wenn sie singen sollen, und handelt es sich ein einziges Mal darum, zu schreien, dann bringen Sie es nicht zustande. Denken Sie in diesem Augenblick weder an die Musik, noch an den Chor, der singt, sondern schreien Sie ganz einfach so schmerzvoll, als ob man Ihnen ein Bein absäge, und wenn Sie das können, dann gestalten Sie diesen Schmerz innerlich, moralisch und von Herzen kommend!‹« 79 Der Blick von oben im Sinne des hohen Stils zeigt sich in Glucks Forderung einer Imagination von Schmerzempfinden als Blick von innen, wobei mit ›innen‹ der Körper und die mit ihm verbundenen Affekte gemeint sind. Eines der wichtigsten Charakteristika für das Verständnis der Stilfragen bei Gluck liegt in der Gestaltung von Räumen durch Bewegung. Anhand von Orpheé et Eurydice zeige sich, so der Musikwissenschaftler Thomas Betzwieser, dass die Komposition eine »breite Musik«80 besitzt. Auf diese Weise ermögliche sie den Rezipierenden einen Eintritt in einen Affizierungsraum, in dem es um eine Dehnung der Zeit gehe, in der die Einfachheit bewegt werde.81 So sei der »Kompositionsprozeß von einem visuell-dynamischen Moment durchdrungen [gewesen, M.D.]. Das Choreographische – im weitesten Sinne – war also ein bedeutsames Element bei der zunächst rein imaginativen Anverwandlung eines Bühnenwerks.«82 Das Choreografische zeigt sich durch den chœur dansé und dessen Integration in die Szene: »Für das genuine Zusammenwirken von Chor und Ballett hielt die französische Operntradition einen bestimmten Szenetypus innerhalb der Tragédie lyrique bereit, nämlich den sogenannten ›chœur dansé‹, der von Gluck schließ-

79  M  annlich, Johann Christian von/Stollreither, Eugen (Hg.): Rokoko und Revolution: Lebenserinnerungen des Johann Christian von Mannlich 1741-1822, 2. Aufl., Berlin: Mittler 1913, S. 272. Dieser kurze Ausschnitt ist – ohne Referenz – als Einstiegstext im Programmheft der Wiederaufnahme von Pina Bauschs Orpheus und Eurydike aus dem Jahr 1991 abgedruckt. 80  T homas Betzwieser in einer Diskussion am 19.5.2014 im Rahmen des Workshops »Pina Bauschs ›Orpheus und Eurydike‹. Transdisziplinäre Zugänge zur getanzten Oper«, initiiert von Dominika Hens, 19.–20. Mai 2014 in Basel, im Rahmen des NFS Bildkritik/eikones, Modul »Die Visualität der Barockoper«. 81  Betzwieser, ebd. 82  B  etzwieser, Thomas: »Le chœur et son double. Glucks Konzept der szenischen Chor-Bewegung und seine Umsetzung auf der aktuellen Opernbühne«, in: Gess, Nicola/Hartmann, Tina/Sollich, Robert (Hg.): Barocktheater heute. Wiederentdeckungen zwischen Wissenschaf t und Bühne, Bielefeld: transcript 2008, S. 49-61. Hier: S. 50.

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lich entscheidend weiterentwickelt wurde.«83 In dieser Hinsicht führt Betzwieser zwei Formen des Zusammenspiels von Tanz und Musik an: »Dem Chor konnte entweder ein Tanzsatz zugrunde liegen, an dem sich die gesamte Musiknummer kompositorisch ausrichtete, oder aber Tanz war in einen Chorsatz interkaliert. Entscheidend für die gesamte französische Chœur-dansé-Tradition war, daß in dem Moment, wo der Chorsatz imitative Strukturen annimmt, keinerlei tänzerische Aktion stattfindet. Die polyphone Schreibart – selbst der geringste Ansatz hierzu – vertrug sich demzufolge nicht mit einem tänzerischen Moment.« 84 In der Tragédie lyrique war jedoch vorgesehen, dass der Chor immobil blieb und die Stimmen mehrerer in einem corpus vereint blieben. Von Bedeutung sei für Gluck daher nicht die Doppelgängerfunktion85, in der die körperliche Präsenz des Chors unbewegt die Stimmen (Chorsatz) visualisiert und die Tanzenden als Doppelgänger choreografisch (Tanzsatz) agieren, sondern die Relation zwischen der »Disposition des musikalischen Satzes«86 und der »szenische[n] Bewegung.«87 Dies bedeutet, dass Tanz- und Chorsatz nicht voneinander getrennt sind. Die Klangbewegungen der Choristen liefern zeitgleich den musikalischen Grund für die Körperbewegungen der Tanzenden. Diese Relation lässt sich als Stellvertreter-Modell begreifen, das Betzwieser als »Glucksche Erfindung, obwohl aus der puren Not geboren«88, bezeichnet. Unglücklich über die ungeschulten Bewegungen der Choristen sei Gluck für die Gestaltung seiner Alceste (1767) einem Rat Noverres gefolgt: Er ließ den Chor aus den Kulissen erklingen und stattdessen die

83  E bd. Der chœur dansé (oder auch chœur de dansé) war zudem als »Nummerntyp der klassische Ort […], Gesang und Bewegung in einem musikalischen Satz zu vereinen. Dieses Zusammenspiel von Gesang und Tanz im ›chœur de dansé‹ kannte seit Lully verschiedenartige Formen.« Ebd., S. 52. 84  Ebd. 85  B  etzwieser führt die mit Arnold Jacobshagen festgehaltenen drei Funktionen des Chores an, um die für Gluck spezifische Neuerung hervorzuheben: das Doppelgänger-Modell stehe für die bewegungslose Verkörperung der Chorstimmen, während die Tanzenden in Bewegung sind. Im Stellvertreter-Modell befinden sich die Choristen außer Sichtweite und werden durch die Tanzenden auf der Bühne ersetzt. Somit wird eine absolute Gleichwertigkeit von Tanz und Gesang auf der Bühne ermöglicht. Das Ensemble-Modell lässt chorische und tänzerische Aktion miteinander vermischen. Paradigmatisches Beispiel für das Ensemble-Modell sei Glucks Iphigénie en Tauride (1779). Vgl. ebd., S. 52ff. 86  Ebd., S. 51. 87  Ebd. 88  Ebd., S. 53.

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Tanzenden sich zum Chorsatz auf der Bühne bewegen. Die Tanzenden übernahmen somit stellvertretend die Bewegungen eines unsichtbaren Chores. Mit Gluck muss demnach von einem Bewegungschor gesprochen werden, in dem der Chor nicht nur »dramaturgisch aufgewertet«89, sondern zu einer »sichtbar handelnden ›Person‹«90 transformiert wurde. Gluck hat also in den Opernbearbeitungen vor der Pariser Fassung des Orphée an Modellen des chœur dansé gearbeitet, um Gesang und Bewegung in bestimmten Teilen der Opern in Relation zueinander zu setzen.91 Dies beschränkte sich nicht nur auf den Chor, sondern auch auf die Relation von Arien und Rezitativen. Unternimmt man bereits an dieser Stelle eine Übertragung der Strukturen der Barockoper auf Bauschs Tanzoper, ließe sich Orpheus und Eurydike als eine Collage aus Doppelgänger- und Stellvertreter-Modell lesen. In dieser Collage sind zusätzlich die Arien mit eingeschlossen, da Bausch den Chor aus dem Orchestergraben erklingen ließ, die Figuren Orpheus, Eurydike und Amor auf der Bühne jedoch doppelte. Sie entsprächen demnach dem Doppelgänger-Modell. Der Chor im Orchestergraben entspräche dem Stellvertreter-Modell. Umgekehrt setzte Gluck die Stimmen der Tänzerinnen und Tänzern als Klangfarbe während des Chorgesangs ein. Mannlich erinnert sich an einen Aufruhr während der Proben zur Furienszene: »Bei den Proben zum Orpheus kam es von neuem zu lärmenden Auftritten. Gluck forderte von den Tänzern, die das ballett der Furien und Dämonen aufführten, daß sie in den Gesang des Orpheus einfache ›Nein‹ verschiedenstimmig in wilder Raserei dazwischen sprechen sollten, während sie ihn an seinem Eintritt in die Unterwelt zu hindern suchten. Sie weigerten sich jedoch, dieser unerhörten, den unumstößlichen, geheiligten Statuten der Musikakademie zuwiderlaufenden Neuerung Folge zu leisten. […] Man stritt lange hin und her. Gluck war unerbittlich. Endlich schrien die Teufel ihr ›Nein‹, während sie ihre Schlangen schüttelten und den Sohn Apolls leichtfüßig und zunftgerecht umtanzten.«92 Die Betrachtung der gravitas in der Musik und das Schweben zwischen Tradition und Reform ist bis zu diesem Moment auf eine metaphorische Auslegung des Begriffs des Schwebens reduziert. Wie genau sich die Chöre in Glucks Opern nun 89  Ebd., S. 51 90  Ebd., S. 52. 91  Z  um Vergleich der beiden Fassungen siehe v.a.: Waltershausen, Hermann Wolfgang von: »Zum Vergleich der Wiener (1762/64) und Pariser (1774) Fassung von ›Orpheus und Eurydike‹«, in: Csampai, Attila/Holland, Dietmar (Hg.): Claudio Monteverdi Orfeo, Christoph Willibald Gluck Orpheus und Eurydike. Texte, Materialien, Kommentare, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1988, S. 260-280. 92  Mannlich, Rokoko und Revolution, S. 275.

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bewegten – wie sie leichtfüßig ›Nein‹ schrien, kann nicht rekonstruiert werden. Warum die Frage nach den Stilen im Tanz jedoch insbesondere um den hohen Stil kreist, und inwiefern Glucks Bewegungschöre trotz Abkehr vom musikalischen »stylus gravis«93 eine Haltung im choreografischen stilus gravis eingenommen haben mussten, wird eine Beleuchtung der Grundbewegungen Tanzender zu dieser Zeit verdeutlichen.

Choré-grafien des Schwebens im Klassischen Akademischen Tanz Der europäischen Tanzgeschichte liegt ein Schwerkraftkonzept zugrunde, mit dem über den höchsten Stil (stilus gravis) eine Orientierung zur Gestaltung und Präsentation von tanzenden Körpern abgeleitet wurde. In am Hof praktizierten Tänzen (ballet de cour) etablierte sich aus Tanzfiguren94 eine wiederholbare Tanzgrammatik.95 Lehrbücher und Leitfäden wurden erstmals von dem Tanzmeister Pierre Beauchamps (1631-1705) entwickelt und von Raoul Auger Feuillet (1660-1710) 93  Müller-Blattau, Die Kompositionslehre Heinrich Schützens, S. 43. 94  A  ls Tanzfiguren bezeichnet man in der Barockzeit die achsen- und punktsymmetrischen Choreografien, die in den Raumwegen der Tanznotationsschriften festgehalten sind. Achsensymmetrisch bedeutete, entlang einer in der Choreografie vorbestimmten Achse (diese spiegelnd oder in paralleler Führung erwidernd) in Paaren zu tanzen. Punktsymmetrisch legt die Bewegungen entlang eines festgelegten Zentrums fest. In diesen Choreografien wurde das Tanzen in Gruppen von Tanz-Paaren organisiert. Solistinnen und Solisten, also Tänzerinnen und Tänzer ohne Tanzpartnerin oder Tanzpartner, war aufgrund ihrer geometrischen Disposition im Raum weder ein Bewegen entlang der Achsensymmetrie noch ein Bewegen in Punktsymmetrie möglich. Hauptaugenmerk lag daher auf den Bewegungen und der Sichtbarkeit dieser entlang des Körpers. Die Bezeichnung der Figur war also abhängig von der Aufteilung in Paar-Gruppen und Solo-Tänze: Für die Soli galt demnach eine individuellere Auslegung der Schritte und Bewegungen und das (meist schwierigere) Vermitteln eines individuellen Ausdrucks durch den einzelnen Körper. Für tanzende Gruppen galt, das Prinzip der Synchronizität in Verbindung zu den gegebenen Symmetrien einzuhalten. Der Terminus Figur meinte hier vor allem die (ornamentale) Gestaltung der Raumwege. Die Figuren der Einzeltänze fielen demnach mit dem Tanzkörper (Leib und Kostüm der einzelnen Person) zusammen. Mit den Figuren für die Gruppentänze entstand hingegen eine Distanz zum einzelnen Tänzerkörper. Stattdessen rückte die Raumgestaltung durch eine Vielzahl an einzelnen Körpern in den Fokus. 95  D  ie Auseinandersetzung mit dem Schweben im Tanz beginnt explizit mit den Tanznotationen, in denen Schritte zur Erhebung des Körpers festgehalten worden sind. Auf die Körperkonzepte im Tanz in der Barockzeit im Allgemeinen, noch vor Feuillet, kann hier nicht weiter eingegangen werden. Verwiesen sei daher unter anderem auf die Tanzforschung von Mark Franko: Dance as text: ideologies of the Baroque body, New York/u.a.: Cambridge University Press 1993; Ders.: »The baroque body«, in: Kant, Marion (Hg.): The Cambridge Companion to Ballet, Cambridge: Cambridge University Press 2007, S.  42-50; oder Haitzinger, Nicole: »Auge. Seele. Herz. Zur Funktion der Geste im Tanzdiskurs des 18. Jahrhunderts«, in: Huschka, Sabine: Wissenskultur Tanz.

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notiert.96 Sie legten mit der Fixierung der fünf Fußpositionen den Grundstein für ein Sprechen über Tanz mittels und innerhalb einer Grammatik aus »kleinsten semantischen Einheiten«97, die Schritte zum Tanzen aufzeichneten. Die Tanzforschung hat sich in vielfacher Weise mit den in Traktaten vermittelten Chorégrafien, ihren Autoren, den darin artikulierten Körperkonzepten und deren Auswirkungen auseinandergesetzt.98 Die Bezeichnung Barocktanz, mit der die Tanzpraktiken dieser Zeit gemeint sind, wurde aus der Epochenbezeichnung des Barock retrospektiv auf die vielfältigen ästhetischen Konzepte der Tanzkunst in dieser Zeit übertragen. Tanzforschende wie Tanzpraktizierende weisen jedoch darauf hin, dass Barocktanz als Dachbegriff nicht die ästhetische Breite der zahlreichen Traktate und Überlieferungen von Praktiken zwischen dem 17. und dem 18. Jahrhundert umfassen kann: Der Tanz- und Musikwissenschaftlerin Stephanie Schroedter99 zufolge sei in diesem Zeitraum viel eher vom siècle classique Historische und zeitgenössische Vermittlungsakte zwischen Praktiken und Diskursen, Bielefeld: transcript 2009, S. 87-103. 96  F euillet, Raoul Auger: Chorégraphie, ou l’art de décrire la danse par caractères, figures et signes démonstratifs, Paris: o.V. 1701. 97  I n Bezug auf den damit entstehenden Raum-Gedanken im Tanz vgl. auch: Zinsmeister, Anett: »Modularisierungen von Raum und Bewegung als ästhetisches Programm«, in: Brandstetter, Gabriele/Wiens, Birgit (Hg.): Theater ohne Fluchtpunkt. Das Erbe Adolphe Appias: Szenographie und Choreographie im zeitgenössischen Theater, Berlin: Alexander-Verlag 2010, S.  76-102. Hier S. 85.  ie Chorégrafie unterscheidet sich von der Choreografie (choros=Tanzplatz) insofern, als dass 98  D mit ihr nicht ein Gestalten von Räumen/Orten durch ein Entwerfen von dynamischen Tanzfiguren im Raum bezeichnet wird, sondern das ausschließlich ›schriftliche‹ Fixieren von Schrittverläufen und -positionen. Eine umfassende Darstellung und Aufbereitung der Tanzschriften liefert vor allem: Jeschke, Claudia: Tanzschrif ten. Ihre Geschichte und Methode. Die illustrierte Darstellung eines Phänomens von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bad Reichenhall: Comes 1983. Vgl. für den historischen und systematischen Überblick zu Chorégrafie und Choreografie: Brandstetter, »Choreographie«, ebd. Eine dezidiert tanzwissenschaftliche Besprechung der Notationen im Tanz liefert dieser Band: Brandstetter, Gabriele/Hofmann, Franck/Maar, Kirsten (Hg.): Notationen und choreographisches Denken, Freiburg: Rombach 2010; darin v.a. die »Einleitung«, sowie: Jeschke, Claudia: »Tanz-Notate: Bilder. Texte. Wissen«, S. 47-66; und: Foster, Susan Leigh: »Inventories and Taxonomies: Arbeau, Feuillet, and the Project of Dance Notation«, S. 237-254. 99  I n detaillierter und quellengetreuer Weise hat Schroedter die historischen wie ästhetischen Zusammenhänge der Traktate der Tanzbuchautoren sowie die mit ihnen verbundenen Personen und Institutionen zusammengetragen und ihren poetischen Charakter herausgearbeitet. Zum Verhältnis von Tanztheorie (in den Traktaten) und Tanzpraxis (am Hof, wie später in den Theatern) schreibt Schroedter: »Die im 17. Jahrhundert gepflegte Tanzkunst französischer Provenienz wird somit erstmals (nicht von Tanzpraktikern, sondern von umfassend humanistisch gebildeten Geistlichen) ›wissenschaftlich‹ reflektiert und ›theoretisiert‹ bzw. ›poetisiert‹: Man formuliert Hypothesen zu ihrem Ursprung und ihrer weiteren Entwicklung, äußert sich zu ihrer künstlerischen Bestimmung und bemüht sich um ihre Definition sowie Abgrenzung von den

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oder grand siècle gesprochen worden.100 Als Hilfsbegriff sei auch die Bezeichnung »Pre-Romantic Ballet«,101 wie sie Marian Hannah Winter verwendet, zu ungenau. Denn nicht jede Form des Tanzes Mitte des 17.  Jahrhunderts lässt sich als Vorbereitung zur Gattung des Romantischen Balletts lesen. Marie-Thérèse Mourey hingegen spricht von einem »langen 17. Jahrhundert«102, das weit bis ins 18. Jahrhundert hineinreiche, um die Entwicklungen und Dynamiken der Tänze dieser Zeit zu beschreiben und die Umbruch- bzw. Reformphasen miteinzuschließen. Auch der Begriff des Tanztheaters, mit dem im Allgemeinen die Tanzkunst auf der Bühne zur Abgrenzung von Sprechtheater (Schauspiel) und Musiktheater (Oper) bezeichnet wird, greift zu kurz. Allein die Verwechslung mit der im 20. Jahrhundert zur Abgrenzung vom Ballett entwickelten Spartenbezeichnung Tanztheater, wie es für Ästhetik und Œuvre der Arbeiten von Pina Bausch, Reinhild Hoffmann, Johann Kresnik, aber auch in der ehemaligen DDR für die Stücke von Tom Schilling verwendet wird, verweist auf die Notwendigkeit einer klaren begriff lichen Trennung. Eine Begriffsspezifizierung entlang der Akademisierung der Tanzpraxis ist für die Hinführung zur gravitas besonders fruchtbar: Kern der Tanzpraxis im ausgehenden 17. Jahrhundert (ballet de cour) – und anschließenden 18. Jahrhundert (ballet en action) ist die Akademisierung der Tanzkunst.103 Mit den ersten Lehrbüchern hielt der Tanz als Kunstform Einzug in die Akademien und wurde lehrbar. Die erste Akademie für die Künste, die von dem französischen König Louis XIV initiiert wurde, war die Académie Royale de danse. Über den Begriff der Akademisierung lässt sich diese frühe Form der Tanzkunst epochenübergreifend von dem späten Romantischen Ballett abgrenzen, das in der Tanzpraxis als Klassischer Akademischer Tanz bezeichnet wird. Ausgangspunkt der begriff lichen Erweiterung durch das Klassische sind die Kodifizierungen des Tanzmeisters und Choreografen Carlo Blasis (1797-1878). Diese anderen Künsten, die – dieses Defizites ist man sich durchaus bewusst – bereits derart grundlegenden Betrachtungen unterzogen wurden. ›Praxisrelevante‹ Anweisungen, d.h. Erörterungen unmittelbar tanztechnischer Sachverhalte, sind in diesem Zusammenhang nur von sekundärer Bedeutung.« Schroedter, Stephanie: Vom ›Af fect‹ zur ›Action‹: Quellenstudien zur Poetik der Tanzkunst vom späten ballet de cour bis zum frühen ballet en action, Würzburg: Königshausen & Neumann 2004, S. 36. 100  Schroedter, Vom ›Affect‹ zur ›Action‹, S. 2. 101  E bd., mit Verweis auf: Winter, Marian Hannah: The pre-romantic ballet, Brooklyn, New York: Dance Horizons 1974, S. 1. 102  S chroedter, Stephanie: »Vorwort«, in: Dies./Mourey, Marie-Thérèse/Bennett, Giles (Hg.): Barocktanz im Zeichen französisch-deutschen Kulturtransfers: Quellen zur Tanzkultur um 1700 = La danse baroque et les transferts culturels entre France et Allemagne, Hildesheim: Olms 2008, S. 5. 103  A  n dieser Stelle sei Adrian Navarro Both für die Gespräche und praktischen Einführungen in die Tanzpraktiken dieser Zeit gedankt. Das gemeinsame Nachspüren der Tanzfiguren in Workshops und Unterrichtsklassen ist Teil meiner praktischen Auseinandersetzung mit dem Akademischen Tanz.

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zwei tanztechnisch hergeleiteten Gruppierungen, der Akademische Tanz und der Klassische Akademische Tanz, eignen sich als Strukturhilfen aus der Tanzpraxis, um den Tanz in Diskursen zur gravitas zu verorten. Mit der Akademisierung der Schrittekunst im ballet de cour (dem Höfischen Tanz im 17. und 18. Jahrhundert) und der daran anschließenden Akademisierung des Tanzes mit Handlung im ballet en action (die Emanzipierung vom Aristokratischen Tanz und eine damit verbundene Narration/Repräsentation bürgerlicher Interessen), etablierte sich im Laufe des 17. Jahrhunderts eine neue Tanzgrammatik. Die in ihr entworfenen Figuren (als Bewegungsmuster für Bodenwege und als Charaktere) fielen inhaltlich mit den Kategorisierungen aus der Rhetorik der Antike zusammen.104 Grundlage für das Setzen von Schritten war die Einhaltung geometrischer Formen, die mit mathematischem Regelwerk das Maß an Linien, Winkeln und Kreisen widerspiegeln sollten. Uneinigkeit bestand dennoch darin, inwiefern nicht auch allegorische Elemente oder »kosmische Ordnungssysteme«105 in das Generieren von Bewegung aufgenommen werden müssten, wie

104  S iehe hierzu vor allem folgende Forschungsarbeiten (chronologisch): Hilton, Wendy: Dance and music of court and theater. The French Noble Style. 1690-1725, erschienen im Jahr 1981 und erneut abgedruckt in: Dies.: Dance and music of court and theater: selected writings of Wendy Hilton, Stuyvesant, New York: Pendragon Press 1997, S. xi–358; Franko, Dance as text: ideologies of the Baroque body; Fairfax, Edmund: The styles of eighteenth-century ballet, Lanham, MD: Scarecrow Press 2003; Schroedter, Vom ›Af fect‹ zur ›Action‹; Woitas, Monika: Im Zeichen des Tanzes. Zum ästhetischen Diskurs der darstellenden Künste zwischen 1760 und 1830, Herbholzheim: Centaurus 2004; Pappacena, Flavia: »Dance Terminology and Iconography in Early Nineteenth Century«, in: Oberzaucher-Schüller, Gunhild (Hg.): Souvenirs de Taglioni, Bd 2: Bühnentanz in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, München: Kieser 2007, S. 95-112; Franko, »The baroque body«; Schroedter/Mourey/Bennett, Barocktanz im Zeichen französisch-deutschen Kulturtransfers; Franko, Mark: »Relaying the Arts in Seventeenth-Century Italian Performance and Eighteenth-Century French Theory«, in: Huschka, Sabine (Hg.): Wissenskultur Tanz. Historische und zeitgenössische Vermittlungsakte zwischen Praktiken und Diskursen, Bielefeld: transcript 2009, S. 55-69; Thurner, Christina: Beredte Körper – bewegte Seelen. Zum Diskurs der doppelten Bewegung in Tanztexten, Bielefeld: transcript 2009; Okamoto, Kimiko: »The ›Passacaille of Armide‹ Revisited: Rhetorical Aspects of Quinault’s/Lully’s tragédie en musique«, in: Betzwieser, Thomas/Mungen, Anno/Münzmay, Andreas/Schroedter, Stephanie (Hg.): Tanz im Musiktheater. Tanz als Musiktheater: Bericht eines Internationalen Symposions über Beziehungen von Tanz und Musik im Theater, Würzburg: Königshausen & Neumann 2009, S. 149-161. Schroedter, Stephanie: »Modelle der Interaktion von Tanz und Musik im französischen Theater des 17. und 18. Jahrhunderts. Ballet de Cour, Comédie ballet, Tragédie lyrique und Opéra Ballet«, in: Schmid-Reiter, Isolde/Meyer, Dominique (Hg.): L’Europe Baroque. Oper im 17. und 18. Jahrhundert/L’Opéra aux XVIIe et XVIIIe siècles, Regensburg: ConBrio-Verlags-Gesellschaft 2010, S. 73-94. 105  S chroedter, Vom ›Af fect‹ zur ›Action‹, S. 411. Schroedter legt das Augenmerkt insbesondere auf diese Komplexität und bisweilen Widersprüchlichkeit in Äußerungen der Tanzbuchautoren.

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es der Tanzbuchautor Claude François Ménéstrier106 (1631-1705) vorschlug. Tanzbuchautoren und Tanzmeister wie Gottfried Taubert (1769-1746), Samuel Rudolph Behr107 (1670–unbekannt) sowie Pierre Rameau (1674-1748) hielten in Traktaten mit Skizzen und Anweisungen fest, wie der Körper im Modus der Repräsentation auf spezifische Weise im Raum platziert werden sollte. Taubert empfiehlt für das Ausführen der Tänze nicht nur eine gut artikulierte Form des Schrittesetzens. Im Traktat Rechtschaf fener Tanzmeister (1717) unterscheidet er zwischen drei Formen der Artikulation von Bewegung (mensura, pondus und tempo) und beschreibt das Verhältnis dieser zueinander. Relevant ist seine Bestimmung des Gewichts: »Pondus ist die Schwere und das Gewicht der Glieder, als welche dermassen in aequilibrio müssen gestellet und geführet werden, damit sie in denen Actionibus nicht hinderlich fallen und endlich dadurch die guten Stellungen verhindert werden, welches durch Faussierung der Mensuren unfehlbar geschiehet.« 108 Die Schwere, pondus, ist von Taubert mit dem Gewicht der Glieder gleichgesetzt. Und eben diese Glieder müssen sich im aequilibrio109 befinden. Als Grundhaltung fordert er ein Schweben, das den Körper leicht wirken lässt, ihn vom Boden anhebt, damit die Körperglieder während der Bewegung nicht »hinderlich fallen«110. Eine ästhetische Zensur ist bereits an dieser Stelle erkennbar: Das ›hinderliche Fallen‹ kommt einem Sturz gleich, der wiederum ›die guten Stellungen‹ verhindert. Das von Taubert angesprochene aequilibrio bezieht sich auf die Relation der Glieder zueinander und in Bezug auf die Schwerkraft. Somit wird das Gewicht in dieser Beschreibung nicht als zu überwindende Last verstanden, sondern als ein Parameter, der dem Schrittmaß (mensura) und dem Zeitmaß (tempo) einer Be106  M  énéstrier, Claude François: Des Ballets anciens et modernes selon les Règles du Théâtre, Paris: o.V. 1682.  u den Traktaten Samuel Rudolph Behrs zählen: Anleitung zu einer wohlgegründeten Tantz-Kunst, 107  Z Leipzig: o.V. 1703; Anderer Theil der Tantz-Kunst, oder ausgesiebte Grillen, Leipzig: o.V. 1703; und: L’Art de bien danser oder die Kunst wohl zu tanzen, Leipzig: o.V. 1713. 108  T aubert, Gottfried: Rechtschaf fener Tanzmeister, Leipzig: o.V. 1717, S.  967f. Schroedter zitiert diese Stelle weniger zur Verdeutlichung der Schwere, sondern um herauszustellen, inwiefern Taubert in deutlichen Beschreibungen der Tanzkunst ein Profil entwickelt hat, mit dem Tanzbräuche aus Frankreich gegenüber jenen aus Deutschland voneinander zu unterscheiden sind. Vgl. Schroedter, Vom ›Af fect‹ zur ›Action‹, S. 274. 109  D  er Begriff aequilibrio entspricht der Bezeichnung Equilibrium und beschreibt im Tanz das Wirken entgegen der Erdanziehungskraft. Das aequilibrio bestimmt tanztechnisch die Bewegung, mit der das Erscheinungsbild einer Leichtigkeit im Tanz sichtbar gemacht wird. Sich im Equilibrium befinden, heißt, den Körper so weit wie möglich aus eigener Kraft zu erheben, etwa über das Heben der Fersen. 110  Taubert, Rechtschaffener Tanzmeister, S. 967f; Schroedter, Vom ›Affect‹ zur ›Action‹, S. 274.

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wegung gleichzusetzen ist. Für die Courante, dem ältesten französischen Tanz im höchsten Stil, entfaltet Taubert eine sehr genaue Bewegungsbeschreibung ihrer f ließenden, statt springenden Qualitäten: »von dem Französischen vocabulo courant, profluens, hervorfliessend; weil ein guter Couranten=Täntzer gleichsam schwimmet, und, als ein schneller Wasser=Strom, sehr geschwind fort schiesset; und auch weil die Courante allezeit terre à terre und ohne eintzigen Sprung getantzet wird. Daher in der Französischen Sprache Eau courante, so viel als aqua profluens, fliessend Wasser, und nicht aqua saliens, springend Wasser bedeutet.« 111 Um diese spezifische Perspektivierung auf das Gehen als terre à terre Bewegung im aequilibrio als Modus des Schwebens zu garantieren, ist in der akademisierten Tanzkunst ein System der pas, der Schritte, bestimmt worden, aus dem sich die Kontinuität des hohen Stils ableiten lässt.

pas grave. Grundschritt und Grundhaltung einer Tanzgrammatik Jedem Schritt (pas), der der Erdschwere nachgibt, ist in der akademisierten Tanzgrammatik ein stilisiertes mouvement vorangestellt, das als wesenhaft für das Schrittesetzen gedeutet werden kann. Unter dem Begriff mouvement wird je nach Traktat die Bewegung des Erhebens sowie das Bewegen überhaupt verstanden.112 Das Schweben ist als Strukturprinzip in den vier Grundelementen des Akademi111  Taubert, Rechtschaf fener Tanzmeister, S. 570; Schroedter, Vom ›Af fect‹ zur ›Action‹, S. 283. 112  H  ilton bestimmt das mouvement anhand der Traktate von Rameau als Grundbewegung, die in Kombination mit einem Schritt in rhythmischer Form ihre Entsprechung erhält: »Step-units beginning with a bend and rise without a change of weight were called temps. The ›movement‹ had the same timing as the ›movement‹ combined with a single step in the demi-coupé.«, siehe Hilton, Dance and music of court and theater, S. 201. Schroedter merkt an, dass »[d]er Begriff des ›Mouvement‹ […] nicht einheitlich definiert [wird, M.D.]: Taubert versteht hierunter eine Plié-Elévé-Bewegung, wohingegen I.H.P. und Bonin den ›Mouvement‹ allgemeiner verstehen und auch auf Armbewegungen beziehen.« Schroedter, Vom ›Af fect‹ zur ›Action‹, S.  283. Navarro Both weist aus tänzerischer Perspektive auf die Bedeutung der Anzahl der ausgeführten mouvements hin: »Diese Bezeichnung dient auch zur Unterscheidung gleich benannter Schritte, indem man die Häufigkeit des Hebens und Senkens in den Namen für den auszuführenden Tanzschritt miteinbezieht. Beispiel: pas de menuet à un mouvement, pas de menuet à deux mouvements. Die Bezeichnung des mouvements wird ebenfalls beibehalten, wenn es sich bei diesem Heben und Senken des Körpers um einen Sprung handelt.« Navarro Both, Adrian: »Anmut. Schweben. Fliegen. Die Überwindung der Schwerkraft im akademischen Bühnentanz. Das weibliche Tanzsolo auf Theaterbühnen Europas im 18. & 19. Jahrhundert«, Blogbeitrag, https://seminarschwerkraft.wordpress.com/2014/04/15/anmutschwebenfliegen/. Letzter Zugriff: 10.08.2017.

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schen Tanzes angelegt: Die vier pas – »›Pas simples‹ (›Pas ordinaire‹, ›Pas grave‹, ›Pas coupé‹ und ›Demy coupé‹)«113 – bestimmen in Zusammensetzung (als pas composé) den Grundschritt der Courante. Die Courante und aus ihr weiterentwickelte Tanzfiguren wie das Menuet oder die Sarabande sind Gattungen, die zur Zeit des ballet de cour dem höchsten Stil der Dreistillehre verpf lichtet waren. Systemhistorisch zum höchsten Stil zugehörig gilt der pas grave zwar als Signum des stilus gravis, innerhalb tänzerischer Figuren bewegt er sich aber in den »(verbal-beschreibenden) Lehrbücher[n] zur Tanzpraxis und Tanznotation«114 im stilus mediocris. In der Tanzgrammatik ist der pas grave als Grundschritt der Courante angeführt und wird daher auch als pas de courante, tem(p)s de courante oder schlicht mouvement bezeichnet. Alle drei Bestimmungen bezeichnen die Bewegung des ›Erhebens‹ des Körpers und ›Verdichtens‹ der Körperspannung vor dem nächsten Schritt. Dabei verweisen sie sehr deutlich auf die hierarchische Stellung der Courante innerhalb der Tanzpraxis. Die Bezeichnung des Schweren (grave) im pas grave signalisiert (trotz der akademischen Entkoppelung des hohen Stils von der Dreistillehre im Französischen Klassizismus) die ununterbrochene Verbindung zum ciceronischen stilus gravis bzw. im Englischen zum grave style. Abb. 4: Der pas grave im Schrif tbild bei Feuillet (1701)

113  Schroedter, Vom ›Affect‹ zur ›Action‹, S. 283. 114  Ebd., S. 2.

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Die Facetten der Verknüpfungen von leicht und schwer in Relation zum Gehen entfalten sich über eben diesen Schattenschritt des Europäischen Akademischen Tanzes. Aus der analytischen Dichte der Tanztraktate lässt sich verdeutlichen, dass vor allem die Schwere des tanzenden Körpers in den Texten der Tanzbuchautoren artikuliert wird. Feuillet hält in seinem Traktat Chorégraphie, ou l’art de décrire la danse par caractères, figures et signes démonstratifs (1701) die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten fest, mit denen der pas grave – also der temps de courante [oder tems de courante] – ausgeführt werden kann. Auffallend ist die in der Notation festgehaltene Hebung im Schriftbild (Abb. 4): Entlang der lotrechten Wegstrecke, die in der Notation mittig eingezeichnet ist, schwebt eine geschwungene Linie (rechts und links), die im Schriftbild nicht unmittelbar mit der Weg-Linie verbunden ist. Sie verweist auf das in der Luft gehaltene Spielbein.

Artikulation der Schwere Wie genau wird der pas grave ausgeführt? Hinter dem komplexen, sich mitunter widersprechenden System an Termini des Akademischen Tanzes und dessen Umsetzung, verbirgt sich ein spezifisches Schwerkraftkonzept. Es zeichnet sich darin aus, dass die Auseinandersetzung mit der Schwere von Körpern über Stilepochen und eine Ästhetik und Grammatik der Tanzkunst hinaus für eine Haltung steht, in der sich die Körper der Tanzenden und die mit ihnen verbundene innere Gestimmtheit bewegen. Für die Erläuterung dieses Ansatzes ist eine dynamische Gegenbewegung notwendig, die im pas grave als Gehbewegung ohne Gang ausgeführt wird, und mit der die Schwerkraft überwunden werden kann: die Artikulation der Schwere. Der Schwebeschritt pas grave verlangt ein die Körperspannung zusammenhaltendes Erheben ›vor‹ dem ersten Fallen, also dem tatsächlichen Schritt, der eine Schwere des Körpers zulassen muss, um den Boden zu berühren. Im kinästhetischen Nachvollzug115 wird deutlich, dass für einen Moment die Ferse des Standbeins angehoben und das Spielbein in der Luft gehalten werden müssen. Auf diese Weise wird der gesamte Körper der Tanzenden aber nicht nur hoch gehoben. Gleichzeitig muss im selben Moment mit dem Körpergewicht ein Druck auf den Boden erzeugt werden. Nur mit dem Geben von Gewicht in einer Körperbewegung lässt sich auch das Überwinden der Schwerkraft, die Hauptaufgabe des pas grave, vermitteln. Im Moment des Hebens wird die Spannung der Tanzenden in der Fortbewegung verdichtet, als würde für kurze Zeit der Atem angehalten werden. Dieser Eindruck entsteht, weil in der Bewegung während der rhythmischen Struktur zweier Schläge nur eine Gewichtsübertragung stattfin115  I n meinen Beschreibungen greife ich auf Erinnerungen an eigene Bewegungserfahrungen und Beobachtungen anderer Tanzender zurück, die ich in Workshops zum Barocktanz gewinnen konnte.

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det. Musikalisch wie numerisch zählt der pas grave in den Traktaten als Schritt, obwohl er zunächst keine Veränderung in der Horizontalen erzeugt, sondern lediglich ein Erheben. Raum konstituiert der Schritt trotzdem, denn er verdichtet Zeit auf der vertikalen Ebene. Dieses Merkmal unterscheidet den pas grave von allen anderen Schritten. Im coupé findet beispielsweise ein Gewichtswechsel in zwei Gewichtsübertragungen statt. Der contretems (heute als contretemps bezeichnet) adressiert das Gegengewicht im Bewegungsf luss und ermöglicht im Maß von zwei rhythmischen Schlägen ebenfalls zwei Gewichtsübertragungen. Wörtlich übersetzt meint contretemps den ›Schlag gegen die Zeit‹. Die Grundhaltung des pas grave gilt jedoch auch dort. Mit dem pas grave als Schwebe-Schritt wurde beinahe jede Tanzfigur begonnen, die einen hohen, angesehenen Stil repräsentieren sollte. Erst nach dem Heben des Körpers folgten weitere Schritte in der Choreografie. In Traktaten wie dem Maître de Danse (1705) von I.H.P.116 bildet der pas grave den Rahmenschritt einer Bourgogne. Dieser Tanz ist aus den Tanzfiguren Menuet, Bourée und Sarabande zusammengesetzt. Der pas grave bildet dabei sowohl den Auftakt als auch in mehrfacher Wiederholung den Abschluss einer Sarabande.117 Der pas grave ist also nicht nur als Terminus in die Tanzgrammatik des 18.  Jahrhunderts eingebettet. Mit der in ihm artikulierten Hervorhebung der Schwere zugunsten einer Leichtigkeit der Folgebewegung ist er konstitutiv für die »Verkettung der Schritte.«118 Wie im Beispiel der Sarabande deutlich wird, führt der pas grave von der einen Tanzfigur in die nächste, indem das Fort-Bewegen angehalten wird. In dieser Stillstellung der Figurenentwicklung markiert der pas grave das figurative Potential der Tanzschritte. Diese Markierung, die hier im Schriftbild auch als eine rhythmische Taktung gelesen werden kann, enthält eine wiederum Rhythmus erzeugende Dynamisierung, die in der Praxis nachvollziehbar wird. Die Spannung zwischen Tanznotation (Choreografie) und Tanzpraxis wird anhand des pas grave evident. Was sich sprachlich als sichtbares, da notiertes, Glied einer Verkettung vom Blatt lesen lässt, nimmt in der Praxis eine andere Rolle ein: Unsichtbar wie ein Atem-Holen, ein Luftverschieben während der nächsten Dreh- oder Geh-Bewegung, wirkt der pas grave wie ein energetischer Impuls und eröffnet als

116  D  as 1705 in Leipzig/Glücksstadt publizierte Traktat Maître de Danse oder Tantz=Meister, welcher lehret, wie ein Täntzer, wo die Fundamenta gefasset, ohne Hülf fe sich selbsten die gebräuchlisten Frantzösischen Täntze beybringen könne, ist als Faksimile und in dreisprachiger, kommentierter Übersetzung abgedruckt in: Schroedter/Mourey/Bennett, Barocktanz, S. 94-199. 117  I.H.P., Maître de Danse, S. 40, in: Schroedter/Mourey/Bennett, Barocktanz, S. 184. 118  B  randstetter, Gabriele: »›Stück mit Flügel‹. Über Gehen schreiben«, in: Menke, Bettine/Menke, Christoph/Horn, Eva: Literatur als Philosophie – Philosophie als Literatur, München: Fink 2006, S. 319-330. Hier: S. 323.

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Figuration119 den »Möglichkeitsraum einer Figur im Kontinuum unterschiedlicher Raum-Zeit-Perspektiven.«120 Durch das Verdichten der Körperspannung erzeugt der Schritt den Eindruck eines kurzen Schwebens. Aus den Lithografien und Zeichnungen der Traktate lässt sich diese Spannung ohne das Notenbild und die sprachlichen Anweisungen kaum nachvollziehen. Eindrückliche Beispiele eines pas grave als Schritt vermitteln daher die Teilnahme an sowie die audiovisuelle Aufzeichnung von zeitgenössischen Tanzpraktiken im Stil des Barock. Eine Beschreibung Rameaus versprachlicht zudem, wie das Bewegen der Füße im pas grave in (rhythmisch-musikalisch) harmonischer Koordination mit den Kreisbewegungen der Arme gestaltet wird. Das eingeschränkte Verlagern des Gewichts zeichnet die tanztechnische Schwere in der Ausführung des Tanzes aus: »Meiner Meinung nach ist diese [Bewegung] am ermüdendsten, da sie das gesamte Körpergewicht in seinem Gleichgewicht hält; auch ist sie die wichtigste um gut zu tanzen. Durch den vergrößerten oder verringerten Kraftaufwand im Bein streckt sich das Bein mit mehr Leichtigkeit, sei es beim Tanzen oder beim Springen, da, wenn man [die Beine] beugt um zu springen, man durch die Kraft des Fußgelenks schwungvoll emporgehoben wird und beim Wiederaufkommen man [zunächst] mit den Zehenspitzen auftrifft, was auf eine gewisse Weise Leichtigkeit vermittelt.« 121

Repräsentation des Schweren Der pas grave ist mit Rameau im Wortsinn als ›schwerer Schritt‹ zu lesen, weil die Schwere des Körpers im Gleichgewicht gehalten werden muss. Navarro Both, dessen Übersetzung ich an dieser Stelle nutze, weist darauf hin, dass aus dem französischen Text im Gegensatz zur englischen Übersetzung des Traktats durch John Essex (1680-1744), eine deutlichere Analogie zwischen dem Überwinden der Schwerkraft und einem darin enthaltenen »stilisierten Kampf mit der Schwerkraft« hervorgehe.122 Dieser Kampf ließe sich als Haltung interpretieren, die auf 119  Z  um Begriff der Figuration, wie er in der Tanzwissenschaft formuliert und angewandt ist, vgl. insbesondere die Schriften von Gabriele Brandstetter, zuletzt: Boehm, Gottfried/Dies./Müller, Achatz von (Hg.): Figur und Figuration. Studien zu Wahrnehmung und Wissen, München: Fink 2007. 120  B  randstetter, Gabriele: »SchnittFiguren. Intersektionen von Bild und Tanz«, in: Boehm/Dies./ Müller, Figur und Figuration, S. 13-32. Hier: S. 13f. 121  R  ameau, Pierre: Le Mâitre à Danser, Paris: o.V. 1725, S. 68f., hier in einer Übersetzung von Navarro Both. In der Tanzforschung wird unter anderem die von John Essex verfasste englische Übersetzung verwendet: John Essex: The Dancing Master: or, The Art of Dancing explained; Wherein the Manner of Performing all Steps in Ball-Dancing is made easy by a new and familiar Method, London: o.V. 1728. 122  Vgl. Navarro Both, »Anmut. Schweben. Fliegen«.

2. Schweben im schweren Stil. gravitas als Denk- und Tanzfigur

das (fechtende) Kämpfen in der Aristokratie verweist. Wenn das schwebende Gehen im Akademischen Tanz auch als ein ›im Kampf Stehen‹ gedeutet werden kann, müsste dem Diktum der Leichtigkeit, das bisher aus dem (passiven) Schweben abgeleitet wurde, eine aktive, kraftvoll dynamische Qualität hinzugedacht werden. Schweben lässt sich an dieser Stelle als eine ästhetische Form des Kraftvollen123 bezeichnen. Diese getragene Haltung vermitteln auch die Illustrationen des Tanzbuchautors Gregorio Lambranzi. In seinem Stich zur Sarabande (Abb. 5) ist der repräsentative Gestus der dargestellten Tanzfigur erkennbar.124 Abb. 5: Darstellung einer Sarabande bei Lambranzi (1716)

123  A  n späterer Stelle wird deutlich, inwiefern eine Ästhetik der Kraft, wie Christoph Menke sie formuliert, vor allem in Bauschs Orpheus an Relevanz gewinnt. Zur philosophischen Auseinandersetzung mit der Kraft als »Anthropologie der Differenz« vgl.: Menke, Christoph: Kraf t: ein Grundbegrif f ästhetischer Anthropologie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2008, S. 10. 124  D  ass Lambranzi Abstand von dem bloß dekorativen Gestus der Tanzfiguren nahm und bereits vor Noverre den Fokus von der Tanzfigur auf die dramatische Aktion legte, verdeutlicht Schroedter anhand ihrer Zusammenstellung verschiedener Zeichnungen Lambranzis, in denen verschiedenen Charakteren Sujets wie etwa »mythologischen, phantasischen und exotischen Topoi« entsprechende Genres (Ballet Serieux) zugeordnet wurden. Schroedter, Vom ›Af fect‹ zur ›Action‹, S. 231f.

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Die Illustration verdeutlicht auch die Relation zwischen zwei tanzenden Körpern, dem Mann und dem »Frauenzimmer«.125 Die Hervorhebung des Leichten durch den pas grave und die damit verbundene Konzentration auf die Überwindung der Schwerkraft waren zugleich tanztechnisches Charakteristikum komplexer Choreografien des Schwebens. Mit Schritten in dieser Stil-Höhe wurde zugleich ein Ballet eröffnet, das als Zwischenspiel in Opern eingebunden war. Die Sequenzen wurden als Entrées graves bezeichnet. Als Inbegriff der Tanzfiguren für männliche Tänzer setzte man thematische Entrées vor allem zur Eröffnung von Ouvertüren in französischen Opern ein: So etwa in der Balletteinlage Orphée (1690)126, für die gleichnamige Oper von Louis Lully, oder der in einer Notation von Feuillet festgehaltene Entrée d’Apolon aus Jean-Baptiste Lullys Oper Le Triomphe de l’Amour (1700)127. Als »slow and majestic«128 charakterisiert, erforderten die Tänze eine Achtsamkeit für den Zweier-Takt Rhythmus des pas grave.129 Im Modus des pas grave tanzen bedeutete, dass Tanzende Zeit dehnen. Der pas grave steht demnach für eine Grundhaltung des Zeitlichen, die sich in Traktaten und Tanzstücken widerspiegelte und entlang der Körper- und Bewegungskonzepte über die Zeitlichkeit eine Ästhetik der Leichtigkeit im Getragenen zum Ausdruck brachte.

125  D  ie Ergänzung des Raumes in der Bezeichnung Frauenzimmer ließe darauf schließen, dass hier neben der Geschlechterzuordnung bereits in der Tanznotation die soziale und somit auch künstlerische Stellung markiert werden soll: Der Mann könnte hier als Stellvertreter des Solisten im Tanz der Barockzeit gelten. Die Frau stünde dann in der Pluralisierung ›Frauen‹ und der Verortung ›Zimmer‹ für eine Personengruppe, deren Wirkungskreis (auf einen Raum) eingeschränkt bleibt. In diesem Sinne steht die Frau in den Traktaten als Implementierung eines privaten Raumes in einen Öffentlichen stets für eine Gruppe und ist in ihrer physischen Präsenz entindividualisiert. Vgl. zur kritischen Lektüre der Bezeichnung Frauenzimmer auch: Morsch, Carsten: Blickwendungen. Virtuelle Räume und Wahrnehmungserfahrungen in höfischen Erzählungen um 1200, Berlin: Erich Schmidt 2011, insbes.: S. 267. 126  D  as Ballett Orphée wurde als Intermezzo in der gleichnamigen Tragödie von Louis Lully gezeigt, die mit musikalischen Beiträgen von Jean Baptiste Lully und einem Libretto von Michel Duboullay 1690 an der Académie Royale de Musique in Paris uraufgeführt wurde. Apollons Rolle in der Balletteinlage war wie folgt beschrieben: »Ouverture du Ballet: Apollon accompagné des Génies de la Poësie, de la Musique & de la Danse, vient consoler Orphée de la perce d‹ Eurydice, & cluy donne une lyre pour fléchir les Divinitez des Enfers.« Vgl. das in der Online-Datenbank hinterlegte Libretto auf: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k5660437h?rk=21459;2. Letzter Zugriff: 10.08.2017. 127  E inen Index der Tanzeinlagen in Opern von Lully liefert Hilton in: Dance and music of court and theater, Hier: S. 380-382. 128  Ebd., S. 426. 129  Ebd.

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»Soll ein Solo, als worunter die Entrées, Gigues, Sarabandes und Chaconnes zu verstehen seyn, gemacht werden; so bindet sich der Tänzer eben nicht so gar sehr an die inventirten oder ihm von dem Mâitre vorgeschriebenen Pas und Figures, sondern, wo er vermeynet, da er einen zierlichen Pas und artigen Sprung nach Proportionen der Dadantz anbringen kann, da ist es ihm erlaubert: weil allhier die Kunst vielmehr in die Actiones, als in die Figures geleget wird. Daher gehöret zu la haute Danse nicht allein ein sehr fertiger Fuß; sondern auch eine gute Caprice, damit die Invention und klugen Einfälle von den Beinen secundiret, und also alle Schritte, Actiones und Gestus in Mensura, Tempo und Pondere Regel=recht verrichtet werden können.« 130 Der pas grave ist kein (impulsiver) Sprung, sondern eine Hebung, die einen Bewegungsf luss (Taubert) und demnach genau jenes tänzerische Laufen ermöglicht, das sich vom Sprung unterscheidet: Durch die Hebung und Verdichtung der Körperspannung entsteht ein Moment des Schwebens, der sich gerade nicht durch eine virtuose Form der Fortbewegung auszeichnet, sondern durch ein unsichtbares Unterstützen der tänzerischen Figur zugunsten einer gehobenen Bewegungsqualität eines gesamten Tanzes. Mit dieser spezifischen Eigendynamik des pas grave lässt sich für den Barocktanz des 18. Jahrhunderts, wie er in den Traktaten von Taubert oder I.H.P. festgehalten ist, ein Prinzip der gravitas lokalisieren, das auch die Literatur bestimmen sollte - und ihr Verhältnis zur (Körper-)bewegung.

antigrav. Instrumente der Haltung bei Lessing, Noverre und Kleist »Die Glieder des Körpers werden zerbrochen, um der gegliederten Sprache zu entfliehen.«131 Michel Serres, Das Ballett von Alba

Lessings Tanzbär in der Wildnis Den Körper auf der Theaterbühne mittels Bewegung zum Sprechen zu bringen, erforderte eine genaue Kenntnis der Tanzgrammatik. Die Ablehnung jeder Form von Virtuosität zugunsten einer Natürlichkeit der Darstellung konnte im Schauspiel leicht umgesetzt werden. Anschaulich wird dies in der Novelle Der Tanzbär (1759) von Gottfried Ephraim Lessing (1729-1781). Im Zuge der Auf klärung bringt Lessing mit dem Bild des wilden, ungezähmten Raubtiers das Selbstverständnis des Bürgertums zum Ausdruck. In seiner Novelle muss ein aus seinem Dienst der 130  Taubert, Rechtschaffener Tanzmeister, S. 959f.; Schroedter, Vom ›Affect‹ zur ›Action‹, S. 274. 131  S erres, Michel: Das Ballett von Alba [1982], in: Rainer, Yvonne/Berio, Luciano/Kishik, David/ Nancy, Jean-Luc/Ders./Thom, René: Allesdurchdringung. Texte, Essays, Gespräche über den Tanz, Berlin: Merve 2008, S. 91-126. Hier: S. 113.

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Attraktion in die Freiheit der Wildnis entlassenes Zirkustier in Konfrontation mit einem alten, aber freien Artgenossen erkennen, dass gerade das Tanzen-Lernen und die damit übernommene Grazie der eitlen Dresseure (Menschen) Zeichen für die Unterdrückung des artgerechten und somit freien Gehens ist: »›Seht‹, schrie er, ›das ist Kunst; das lernt man in der Welt. Tut mir es nach, wenns euch gefällt, Und wenn ihr könnt!‹ ›Geh‹, brummt ein alter Bär, ›Dergleichen Kunst, sie sei so schwer, sie sei so rar sie sei! Zeigt deinen niedern Geist und deine Sklaverei.‹«132 Der Tanzbär, ein dressiertes Raubtier, das in artgerechtem Lebensraum133 seinen langen Körper schwerfällig auf vier Pfoten balanciert, besitzt aufgrund der Schwerkraft zunächst nicht die nötige gravitätische Disposition, um in der Fortbewegung eine spezifische Kunstfertigkeit zum Ausdruck zu bringen, den aufrechten Gang.134 Den Bären, der tanzen muss, aber nicht will, charakterisiert Lessing in seinen Fabeln als ›ernsthaftes‹ Tier, das den unsinnigen Wünschen der Menschen entsprechen müsse.135 Der Tanzbär ist eine Spezies, die sich in ihrer Dressur gefällt, tanzt, indem sie aufrecht geht und ihren Körper in Balance hält. Dieser Gang sorgt beim Tanzbären, dessen Schwerkraftzentrum im Rücken zwischen Hüfte und Schulterblättern liegt, für Instabilität. Das Gehen auf zwei Pfoten wäre vergleichbar mit der Dynamik eines ausgebildeten Artisten und Schaustellers, der zum rückwärts gerichteten Salto Mortale ansetzt, um den Körper aus dem Gleichgewicht zu schleudern. Liest man den aufrechten Gang des Tanzbären als verstellte, künstliche Geste, der die natürlichen Gesten der wilden Bären vorzuziehen sind, wird deutlich, inwieweit das Körperverständnis der Schauspieltheorien dieser Zeit dem der Tanzreformen gegenüberstand. Auch wenn der Fo132  L essing, Gotthold Ephraim: Der Tanzbär [1759], in: Ders.: Gedichte, Fabeln, Lustspiele, Bd. 1, hg. v. Herbert G. Göpfert, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1996, S. 197-198. 133  D  ie Figur des Bären diente auch jenseits von Jagdtrophäen oder Tanz-Nummern als Projektionsfläche menschlicher Erhabenheit über das willkürliche ›Andere‹ (unbändige Natur, oder regelloser Adel). Die Stadt Berlin leistete sich seit 1937 zur Zeit des Nationalsozialismus ein Bärengehege im Bezirk Mitte. Ohne Anbindung an ein größeres Tierarsenal wurde eine kleine Insel mit Zuschauer-Empore errichtet, auf der Bären lebten und zur Attraktion der Zuschauenden als lebendiges Wappen zur Schau gestellt wurden. Diese Berliner Bären mussten zwar nicht mehr tanzen, wie im Zirkus. Aufgrund des enorm eingeschränkten Lebensraums im Zwinger wurde ihnen aber ein über weite Strecken ausgedehntes Fortbewegen (zu dem das Jagen gehört) genommen. Der letzte Berliner Bär im Bärenzwinger ist erst im Jahr 2015 nach 34 Lebensjahren verstorben. Seit September 2017 werden Attraktionsbühne und Gehege schlussendlich als »Kulturort für ortsspezifische zeitgenössische Kunst« genutzt. Siehe: https://www. baerenzwinger.berlin/Aktuell/. Letzter Zugriff: 10.01.2019. 134  Z  ur Bedeutsamkeit der Füße im aufrechten Gang siehe: Eickhoff, Hajo: »Der aufrechte Gang. Die Bedeutung des Fußes für die Aufrichtung«, in: Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, Berlin: Akademie Verlag 2012, S. 13-23. 135  V  gl. hier etwa Lessing: Der Bär und der Elefant [1759], in: Ders.: Gedichte, Fabeln, Lustspiele, S. 291.

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kus im Schauspiel auf bürgerliches wie ländliches (Zusammen-)Leben gerichtet war, und mit Denis Diderot (1713-1784), Pierre Augustin de Beaumarchais (17321799) und Lessing die Artikulation der sprachlichen (mehrdeutigen) Geste um die körperliche (unverstellt natürliche) Geste erweitert wurde,136 gilt dennoch: Das Körperverständnis im Schauspiel ist nicht mit dem Körperverständnis im Tanz vergleichbar. Der Körper von Schauspielenden konnte auf der Bühne losgelöst von kodifizierten Bewegungen agieren, denn er blieb auch ohne sprachliche Geste in einen textlichen Kontext eingebettet, der mit dem Imaginären der Zuschauenden korrespondierte. Die dezidiert choreografische Auseinandersetzung mit den Gesten des Körpers von Tanzenden konnte hingegen nicht losgelöst von einer Akademisierung der Tanzkunst gedacht werden. Eine Ablehnung der Dressur und der Gefallen an der eigenen Kunstfertigkeit, wie Lessing sie in seiner Novelle artikulierte, war für das natürliche Gehen der Tanzenden unverzichtbar, da sie sich »der Bewegung von außen über die kodifizierte Form«137 widmeten. Zuschauende müssen die Bewegungen in ihrer Darstellung bestenfalls als movere nachvollziehen und zugleich die Stilisierung der Kunst wahrnehmen. Die Faszination für das Schweben bewegt – und zwar im Sinne des movere. Im Rahmen der Rhetoriklehre und der Antikenrezeption des 18.  Jahrhunderts bestimmt das movere die höchste Wirkungsstufe, die eine »emotionale[] Beeinf lussung der Zuhörer«138 intendieren kann, und bleibt strukturell mit der gravitas verknüpft. Als Begriff und Denkfigur ist das movere zentral für die Auseinandersetzung mit Theatralitäts- und Körperkonzepten im Tanz. Seit der Theoretisierung von Tanz durch die Tanzbuchautoren139 des 18. Jahrhunderts gilt das movere als »Schlüsselbegriff darstellungstheoretischer Ref lexionen.«140 Bewegung und 136  V  gl. hier: Fischer-Lichte, Erika: »Entwicklung einer neuen Schauspielkunst«, in: Bender, Wolfgang F. (Hg.): Schauspielkunst im 18. Jahrhundert, Stuttgart: Franz Steiner 1992, S. 51-70. Hier vor allem S. 56f. 137  J eschke, Claudia: »Noverre, Lessing, Engel. Zur Theorie der Körperbewegung in der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts«, in: Bender, Schauspielkunst im 18.  Jahrhundert, S.  85-111. Hier: S. 96. 138  Ueding/Steinbrink, Grundriß der Rhetorik, S. 97. 139  Z  u den Tanzbuchautoren, deren Traktate in der heutigen Tanzwissenschaft im Besonderen mit Bezug auf die Affektenlehre Aristoteles besprochen werden, zählen nach Thurner vor allem: Claude François Ménestrier, Michel de Pure, John Weaver, Louis de Cahusac, Gottfried Taubert und Jean-Baptiste Abbé Du Bos. In ihrer Theoretisierung, so Thurner, »berufen sich die Tanzbuchautoren auf Quellen der Antike, oft jedoch mit deutlichem Blick auf die Gegenwart und die Zukunft des Tanzes.« Thurner, Beredte Körper, S. 68. 140  I n ihnen rücke neben der »wirkungsästhetische[n] Dimension von Bewegung« in gleichem Maße eine »psychophysische Wechselwirkung, ›influxus physicus‹ – der Einfluß der bewegten Seele auf den Körper und umgekehrt, ins Zentrum des Interesses.« Brandstetter, Gabriele: »Die andere Bühne der Theatralität: movere als Figur der Darstellung in Schillers Schriften zur Ästhetik«, in: Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne, hg. v. Walter Hinderer, Alexander

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movere sind insbesondere zur Zeit Friedrich Schillers (1759-1805) über die Praxis und Theorie der Tanzmeister dieser Zeit zusammengedacht. Der Begriff des movere stehe dabei, so Brandstetter, nicht bloß als »aus der antiken Tradition, etwa der Aristotelischen Poetik, stammende[r] rhetorische[r] Begriff der affizierten Seele im Zentrum der Diskussionen.«141 Das movere sei vielmehr »eine Wirkungsästhetik, die da einsetzt, wo die Rede schweigt.«142 Für Fragen zur Darstellung von Affekten ist in Texten der Tanzforschung das movere als methodischer Begriff ins Zentrum gerückt. Die Verknüpfung mit dem höchsten Stil der gravitas ist im 18. Jahrhundert allerdings nicht aufgehoben.

Noverres Artist ohne Salto Mortale Zur selben Zeit wie Lessings Tanzbär entstanden mit Noverre und seinem Konkurrenten Angiolini die ersten Tanzreformen.143 Choreografien sollten von nun an Handlung erzählen, »über Pathosdarstellungen unmittelbar in einer plötzlichen, von Bormann, Gerhart von Graevenitz, Gerhard Neumann, Günter Oesterle u. Dagmar Ottmann, Würzburg: Königshausen & Neumann 2007, S. 287-304. 141  B  randstetter, Gabriele: »Konjunkturen von Bewegung und Tanz. Movere als Figur der Darstellung in Schillers Schriften zur Ästhetik«, in: Feger, Hans (Hg.): Friedrich Schiller. Die Realität des Idealisten, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2006, S. 151-175. Hier: S. 155. Vgl. zudem Dies.: »Schillers Spielbein: Bewegung und Tanz. Zu einer Ästhetik im Zeichen von movere«, in: Ensslin, Felix (Hg.): Spieltrieb. Was bringt die Klassik auf die Bühne? Schillers Ästhetik heute, Berlin: Theater der Zeit 2006, S. 165-181. 142  Brandstetter, »Konjunkturen von Bewegung und Tanz«, S. 155. 143  A  us dem ballet de cour entwickelte Angiolini über die enge Zusammenarbeit mit Gluck das ballet d’action. Als einführende Lexikonartikel siehe: Dahms, Sibylle: »Angiolini, (Domenico Maria) Gaspero«, in: Finscher, Ludwig (Hg.): Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil, Bd. 1, Kassel/Basel: Bärenreiter/Metzler 2005, Sp. 719-723; Dies.: »Noverre, Jean-Georges«, in: Finscher, Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil, Bd. 12, Sp. 1229-1231; Croll, Gerhard: »Gasparo Angiolini«, in: Cohen, Selma Jeanne (Hg.): International encyclopedia of dance, Vol. I, New York: Oxford University Press, S. 87-89; und Hansell Kuzmick, Kathleen: »Jean-Georges Noverre«, in: Cohen, International encyclopedia of dance, Vol. 4, S. 694-700; zu Noverres Briefen, den 1760 publizierten Lettres sur la Danse, et sur les ballets, siehe: Noverre, Jean Georges: Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, aus dem Französischen übers. v. Gotthold Ephraim Lessing und Johann Joachim Christoph Bode, Hamburg u. Bremen 1769, Faksimile hg. v. Kurt Petermann, München: Heimeran 1977; zu letzten kommentierten Neuauflagen zählen: Stabel, Ralf (Hg.): Jean Georges Noverre, Briefe über die Tanzkunst. Neu ediert und kommentiert, Leipzig: Henschel 2010; Pappacena, Flavia (Hg.): Noverre, Jean Georges: Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts, Lucca: Libr. Musicale Italiana [Repr. der in St. Petersburg, Schnoor, 1803 erschienenen Ausgabe] 2012. Zur Literatur zu Noverre siehe v.a.: Dahms, Sibylle: Jean Georges Noverre ›Ballet en action‹: Theoretische Schrif ten und Werke, Salzburg: o.V. 1988; Chazin-Bennahum, Judith: Dance in the Shadow of the Guillotine, mit einem Vorwort v. Selma Jeanne Cohen, Carbondale/Edwardsville: Southern Illinois University Press 1988; Dahms, Sybille: »Das Repertoire des ›Ballet en Action‹. Noverre – Angiolini – Lauchery«, in: Festschrif t Gerhard Croll zum 65. Geburtstag, hg. v. Wolfgang Gratzer, Laaber: Laaber 1992, S. 125-142; Jeschke, »Noverre,

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artifiziell hergestellten Zeitlichkeit erlebbar werden«144 und nicht bloß Aktionen in der Oper illustrieren. Noverres reformerische Tätigkeit liegt insbesondere in der Publikation seiner emanzipatorischen Gedanken in seinen 1760 erschienenen Lettres sur la Danse, et sur les ballets. Auch bei Noverre hieß Tanzen lernen trotz Reformen – und im Gegensatz zu Lessing – sich dem (kritischen) Urteil eines Tanzmeisters zu fügen, den Körper entsprechend der etablierten Regeln des Schritte-Setzens auszubilden und sich somit in der Senkrechten zu halten. Auf das Mechanische in der Tanzkunst verzichtete Noverre keineswegs: »Die Schritte, das Geschmeidige und Glänzende ihrer Verbindung, das Senkrechte, die Festigkeit, die Geschwindigkeit, die Leichtigkeit, die Genauigkeit, das gegenseitige Spiel der Arme und Füße: das ist es, was ich das Mechanische des Tanzes nenne. Wenn aber alle diese Dinge ohne Geist wirksam sind, […] so gefällt mir zwar als denn die Fertigkeit. Ich bewundere den gelenken Mann […] nur innere Regungen kann er bey mir nicht hervorbringen; er kann mich nicht rühren […].« 145 Die Frage nach der ›richtigen‹ Haltung im Gehen, wie sie für die Tanzkunst dieser Zeit existenziell war, stellte sich für die Schauspielkunst nicht. Somit ist auch das ›Herstellen‹ eines Schwebens im Gehen nur für die Tanzkunst relevant. Grund hierfür ist, dass im Tanz der gesamte Körper Austragungsort der körperlichen Geste ist. Im Schauspiel wird der Körper immer auch von dem gedachten Wort, dem Textkörper begleitet. Was zugunsten des Schauspiels in erster Linie auf einem Textverständnis beruht und durch den Stimm-Körper der Schauspielenden umgesetzt wird, ist für die (männlichen) Tanzreformer dieser Zeit auf den Körper konzentriert. In diesem Sinne markiert Jeschke letztlich auch ein Element des Scheiterns in Noverres Reform. Ihm sei es (zu seiner Zeit) nicht gelungen, die Unterscheidung zwischen »reinen Tanzbewegungen und den Ausdrucksbewegungen«,146 wie sie in der Tanztheorie des 18.  Jahrhunderts mit dem Tanzbuchautoren John Weaver (1673-1760) und letztlich in der Schauspieltheorie mit Lessing unternommen wurde, klar zu formulieren. Grund hierfür sei, so Jeschke, dass Noverre ein Bewusstsein über die »(innere) Beziehung von Vorgestelltem zu Dargestelltem«147 gefehlt habe, wie sie in der Ausdrucksbewegung, also Lessing, Engel«; Dahms, Sibylle: Der konservative Revolutionär: Jean Georges Novrre und die Ballettreform des 18. Jahrhunderts, München: epodium 2010; Chazin-Bennahum, Judith: »JeanGeorges Noverre: dance and reform«, in: Kant, Marion (Hg.): The Cambridge Companion to Ballet, Cambridge: Cambridge University Press 2007, S. 87-97. 144  Haitzinger, Resonanzen des Tragischen, S. 143. 145  Noverre, Briefe, S. 249f.; zitiert in Jeschke, »Noverre, Lessing, Engel«, S. 87ff. 146  Ebd., S. 96. 147  Ebd.

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dem Ausdruck innerer Bewegtheiten angelegt ist. Insofern ist bei Noverre auch jenes Phänomen außer acht gelassen, das später für das Darstellen von ›inneren Welten‹ und ›Seelenräumen‹ durch Körperbewegungen konstitutiv wurde: Das Schweben von Körpern, die die Grazie scheinbar nicht lernen müssen, sondern schlicht verkörpern, weil sie (über Kostüm und Narrativ) geisterhaft wirken. Mit dem Aufgreifen des Akademischen Tanzes im Bürgertum entwickelte sich zudem eine Form der Emanzipation von den Themen der Aristokratie: »There was a diminishing presence of the aristocracy (mythic or real) with its silk, brocades, and lace. Upper classes and their divine rights began to disappear«,148 wie die Tanzhistorikerin Judith Chazin-Bennahum mit ihrem Fokus auf politische Kontexte des Akademischen Tanzes festhält. Tanzkunst sollte demnach so gestaltet sein, dass Ernsthaftigkeit und Seriosität, Emotionen und Affekte, der Inhalt des gesprochenen und gesungenen Worts in Maßen (im Sinne eines stilus mediocris) durch Körperbewegung und Gesten ausgedrückt werden. Themen wurden dabei aus dem Theater, der Oper und der Literatur entnommen und – in humorvollem Umgang mit Motiven des ›realen‹ Lebens – einem bürgerlichen Publikum präsentiert.149 Die Virtuosität durfte den Ausdruck von Affekten nicht überspielen. Angiolinis Choreografie zur Orpheus-Oper von Gluck ist nicht überliefert. Den Ergebnissen der Gluck-Forschung lässt sich jedoch entnehmen, dass gerade der Tanz eine signifikante Rolle in Glucks reformerischem Denken und Komponieren eingenommen hat. Dies bestätigt unter anderem die Wiederholung des Furientanzes aus der (von Angiolini choreografierten und von Gluck komponierten) Tanzpantomime Don Juan (1761) im zweiten Akt der Orpheus-Oper.150 Noverres Abkehr vom »Ancien Régime«151 und der Antikisierung152, wie sie die Auslegung der Dreistillehre in der Barockzeit bestimmte, fand auf theoretisch ref lexiver Ebene statt. Dies betraf vor allem den stilus gravis, der als leitendes Konzept im Barock zur ästhetischen Überstilisierung geführt hatte. Um das Ballett von der schillernden Operneinlage hin zu einem eigenständigen dramatischen Genre zu etablieren, ohne das Maß an regulierten Gebärden des Ausdrucks zu überschreiten, über148  Chazin-Bennahum, Dance in the Shadow of the Guillotine, S. 165. 149  Ebd., S. 163. 150  S iehe hierzu: Dahms, Sibylle: »Sprungkraft und Vibration in der Luft. Christoph Willibald Glucks und Gasparo Angiolinis Don-Juan-Ballett«, in: Revolutionen der Oper? – 300 Jahre Christoph Willibald Gluck, hg. v. Österreichische Musikzeitschrift 2014/2, Wien: Böhlau 2014, S. 1624. 151  Pappacena, Il trattato di danza di Carlo Blasis, S. 257. 152  D  en Begriff der Antikisierung verwendet im Besonderen der Kunsthistoriker Aby Warburg für die Nachahmung der Antike im 18. Jahrhundert. Vgl. auch Pestalozzi, Karl: »›Wollt ihr schon auf Erden Göttern gleichen‹? Schillers Das Reich der Schatten und Lavaters Aussichten in die Ewigkeit«, in: Friedrich, Hans-Edwin: Literatur und Theologie im 18. Jahrhundert: Konfrontationen – Kontroversen – Konkurrenzen, Berlin/New York: De Gruyter 2011, S. 310-322. Hier: S. 311.

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arbeitete Noverre die Dreistillehre hin zu drei Rollenfächern: Unterschieden wird zwischen dem genre serieux, dem genre demi-caractère und dem genre comique ou grotesque 153, wobei er die ersten beiden auch den »ernsthafte[n] und heroische[n] Tanz«154 und »Demi-Character[] oder […] Pastoralgattung«155 bezeichnet. Diesen konnte der Körper von nun an zugeordnet werden konnte. Dabei griff Noverre auf eine Umwertung der Stile zurück, die bereits Weaver zu Beginn des 18. Jahrhunderts unternommen hatte.156 Zur Gestaltung von Handlung auf der Bühne teilte Weaver die Stile in eine technische Kategorie, »den ernsten Tanz (›serious dance‹)«157, und in eine Kategorie die den Ausdruck fokussiert, die ›expressions‹ – die wiederum in die Genres ›grotesque‹ und ›scenical‹ unterteilt ist.158 Noverres Traktate standen im Kontext der Theater- und Tanzreform, wie sie später mit Schiller zu neuen Formen der Bewegung von darstellenden (Tanz-)Körpern führte. Insbesondere mit Schiller – der die Rhetorik nur streifte,159 nicht aber in ihrer Systematik übernahm – ist die Umwertung des »Erhabenen«160 von einer ›äußeren wie inneren Haltung‹ hin zur Formalisierung einer »ästhetischen Erzie-

153  Siehe insbesondere Fairfax, The styles of eighteenth-century ballet, S. 84f. 154  Noverre, Briefe, S. 175. 155  Ebd. 156  S iehe Weaver, John: An Essay towards an History of Dancing, London: J. Roberts Oxford Arms 1712; sowie Ders.: The History of Mimes and Pantomimes, London: J. Roberts Oxford Arms 1728. 157  Jeschke, »Noverre, Lessing, Engel«, S. 86. 158  E bd. Jeschke verweist zudem auf Richard Ralph: The Life and Work of John Weaver, New York: Dance Horizons 1985. 159  Vgl. Göttert, Einführung in die Rhetorik, S. 181. 160  S chiller, Friedrich: Über das Erhabene [1793], in: Ders.: Sämtliche Werke, Bd. 5, hg.  v. Gerhard Fricke u. Wolfgang Düsing, 8. Aufl., München: Carl Hanser 1989, S. 792-808. Das Erhabene als rhetorischer Begriff, ist mit einer besonderen Spezifizierung verbunden: »Das Erhabene als rhetorisch-ästhetische Kategorie erscheint in zwei Spielarten: als Bezeichnung für den großen Stil (genus grande) und als Bezeichnung für die besondere Wirkung von Größe überhaupt. Ursprünglich war das Erhabene – auch die Erhabenheit – einfach nur etwas, das sich abhebt, also eine Anhöhe etwa, dann auch die Höhe selbst (sublimitas). Von daher wurde der Begriff auf andere Bereiche, etwa die Religion, und dann auch auf die anthropologische sowie die rhetorisch-ästhetische Sphäre übertragen. Die Vorstellung des Abgehobenen, über das Gewohnte, Alltägliche Hinausgehende bleibt in allen Formen des Erhabenen enthalten.« Ueding, Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Sp. 1357. Schillers Entfaltung einer Theorie des Erhabenen gründet auf seiner in diesem Text besonders transparenten Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution, die, so Ueding, bei Schiller nicht zur expliziten Offenlegung seiner Haltung zu den Auswirkungen (Königsmord) der Revolution führen, »sondern zu ihrer Projektion in den ästhetischen Bereich.« Ueding, Gert: Auf klärung über Rhetorik. Versuche über Beredsamkeit, ihre Theorie und praktische Bewährung, Tübingen: Max Niemeyer 1992, S. 175.

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hung«161 nachvollziehbar. Aufschlussreich ist dabei Schillers Gegenüberstellung eines »unbehülf liche[n]«162 und eines »affektierte[n]«163 (bei Schiller männlichen) Tänzers im Tanzen eines Menuetts. Zugunsten der »wahren Anmut«164 müsse der Tänzer jede Form der Schwerfälligkeit meiden. Die Leichtigkeit von Körpern und Ideen ist bei Schiller mit Grazie und Freiheit verbunden: »Es lässt sich ebensowenig sagen, daß der Geist die Schönheit erzeuge […], daß er Freiheit hervorbringe; denn Freiheit kann man einem zwar lassen, aber nicht geben.«165 Grazie und Freiheit sind davon ausgehend, trotz Schillers »ästhetische[r] Rechtfertigung des Nicht-Schönen, […] entgegen der klassizistischen Kunstdoktrin«166, nicht von einer Regulierung physischer (natürlicher) Leichtigkeit zu trennen: »Schon das allgemeine Gefühl der Menschen macht die Leichtigkeit zum Hauptcharakter der Grazie und was angestrengt wird, kann niemals Leichtigkeit zeigen.«167 In dieser Hinsicht ist auch Schillers Tanzbild zu verstehen: »Ich weiß für das Ideal des schönen Umgangs kein passenderes Bild als einen gut getanzten und aus vielen verwickelten Touren komponierten englischen Tanz. Ein Zuschauer aus der Galerie sieht unzählige Bewegungen, die sich aufs bunteste durchkreuzen und ihre Richtung lebhaft und mutwillig verändern und doch niemals zusammenstoßen.« 168

161  S iehe hierzu insbesondere Paul de Mans Gegenüberstellung Schillers ästhetischer Bildungsideale und Kleists Reaktion auf diese in Bezug auf die Erlernbarkeit der Anmut und Grazie in: De Man, Paul: »Ästhetische Formalisierung: Kleists Über das Marionettentheater«, in: Ders.: Allegorie des Lesens, S. 204-233. Hier: S. 214. 162  S chiller, Friedrich: Über Anmut und Würde [1793], in: Ders. Sämtliche Werke, Bd. 5, S.  433-488. Hier: S. 487. 163  Schiller, Über Anmut und Würde, ebd. 164  » Die wahre Anmut schont bloß die Werkzeuge der willkürlichen Bewegung und will der Freiheit der Natur nicht unnötigerweise zu nahe treten; die falsche Anmut hat gar nicht das Herz, die Werkzeuge des Willens gehörig zu gebrauchen und um ja nicht ins Harte und Schwerfällige zu fallen, opfert sie lieber etwas von dem Zweck der Bewegung auf oder sucht ihn durch Umschweife zu erreichen.« Ebd., S. 486f. 165  Ebd., S. 460. 166  V  gl. Ueding, Aufklärung über Rhetorik, Fußnote 118, S. 177; sowie Ueding, Gert: Schillers Rhetorik. Idealistische Wirkungsästhetik und rhetorische Tradition, Tübingen: Max Niemeyer 1971, S. 89ff. 167  Schiller, Über Anmut und Würde, S. 461. 168  U  nd weiter: »Alles ist so geordnet, daß der eine schon Platz gemacht hat, wenn der andere kommt, alles fügt sich so geschickt und doch wieder kunstlos ineinander, daß jeder nur seinem eigenen Kopf zu folgen scheint und doch nie dem andern in den Weg tritt.« Schiller, Friedrich: Kallias oder Über die Schönheit, Briefe an Gottfried Körner [1793], in: Mayer, Hans (Hg.): Schillers Werke. Vier Bände, Bd. 4, Frankfurt a.M.: Insel 1966, S. 108. Dieses Zitat ist De Mans Text »Ästhetische Formalisierung«, S. 205, entnommen.

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In Noverres neuer Aufteilung der Stile ist das ›Wesen‹ des stilus gravis nicht verloren gegangen. Die Schauspielreformen Lessings oder Schillers bewegen sich im mittleren Stil, der dem spielerischen Verzieren ein geregeltes Maß entgegensetzt. Noverres Reform schließt sich auf dramatischer Ebene diesem Gestus an, auf tanztechnischer und körperlich ästhetischer Ebene bewegt sich seine Reform allerdings weiterhin in der Tradition des stilus gravis. Evident ist dies auf tanztheatraler Ebene. Durch den Einsatz der Draperie für die Kostüme seiner tragischen Ballette169 verpf lichtete sich Noverre wiederum, wie die Tanzwissenschaftlerin Nicole Haitzinger hervorhebt, »einer barocken Ästhetik und tanztheatralen Opulenz.«170 Entsprechend ambivalent sei daher das Verhältnis zum reformerischen Ausdruck natürlicher Gebärden. Nicht nur die Gestaltung der Körper und der Bühne bleibt im »Rahmen einer barocken Erscheinungsform.«171 Der enge Bezug zum hohen Stil zeigt sich mit Blick auf die gravitas in der Tanztechnik, die Noverre mit Rückgriff auf Weaver in neuen Kategorien dachte. Noverre übernahm ohne Einschränkung Weavers Zuordnung des ernsten Tanzes in die Kategorie des Mechanischen. Diese Kategorie enthält die Grundprinzipien des Schritte-Setzens als ›Gehen mit Grazie‹. Der pas grave, das Anheben vor dem Gehen, ist konstitutiv für das Gehen auf der Bühne – sowohl bei Weaver, als auch bei Noverre. Diese Höhe durch Hebung des Körpers, die eng an eine ästhetische und inhaltliche Stilhöhe geknüpft war, wäre nur dann veränderbar gewesen, wenn der Lotgeraden, die dem Körper die sichtbar dominante Vertikalität verleiht, eine Alternative entgegengesetzt worden wäre. Eine solche Umkehrung der Höhe hat bei Noverre noch nicht stattgefunden. Die mit dem stilus gravis verbundene Ästhetik ist meines Erachtens erst dann veränderbar, wenn durch den Körper eine Umkehrung stattfindet. Denn schon bei Quintilian scheint die antike griechische Rhetorik im Körper des anthropos, des aufrecht gehenden Menschen, angelegt: »Besonders ist daran zu erinnern, daß nur ein Redner von höchster Kraft und Begabung sich daran wagen darf, zu Tränen zu rühren; […] Denn sowohl die Miene wie auch die Stimme und die ganze

169  Z  u ausgewählten Werken Noverres vgl. Dahms, Sybille: »Jean-Georges Noverre«, in: Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, Bd. 4, hg.  v. Carl Dahlhaus und dem Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth unter Leitung von Sieghart Döhring, München/Zürich: Piper 1987, S. 476-484. 170  Haitzinger, Resonanzen des Tragischen, S. 154. 171  E bd., S. 155. Noverres Gestaltung der Kostüme im Stil des Klassischen führt Haitzinger auf die Vorbilder seiner Zeit zurück: »Anton Raphael Mengs, Johann Joachim Winckelmann, Denis Diderot und Giovanni Battista Piranesi sind in dieser Perspektivierung Leitfiguren des Klassischen in Kunsttheorie und -praxis, bei denen der Faltenwurf, die Draperie à la grecque als große elegante Formel des Griechischen in Erscheinung tritt.« Ebd.

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Erscheinung des aufgerufenen Angeklagten fordern meist gar die Menschen zum Spott heraus, wenn sie sie nicht haben rühren können.«172 Noverres Entwerfen tanzreformerischer, vom bloßen Schein Abstand nehmender Inhalte scheint mit den Grundprinzipien der technischen Körperbewegung, wie sie über den pas grave im Akademischen Tanz festgeschrieben sind, regelrecht zu kollidieren. Das zeigt auch seine Forderung nach der absoluten Kontrolle des mimischen Ausdrucks: Noch vor der Beinarbeit führt Noverre das Gesicht der Tanzenden als ersten Ort und Medium zum Verschwinden der körperlichen Anstrengung an: »Von dort sollte zuerst jegliche Anstrengung verschwinden, damit ein gesamthafter Eindruck von Leichtigkeit entstehe.«173 Das Gesicht im Ballett ist wie im Modernen Tanz oder Ausdruckstanz Ort des körperlichen Ausdrucks. Als Topografie des Lebendigen bestimmt es mit seinen Zügen Form und Status des Lebendigen.174 Balletttänzerinnen und -tänzer vermitteln (wie Noverre und auch Generationen von Tanzschaffenden und Tanzrezipierenden nach ihm verlangen) über das Gesicht ein »Nicht-atmen-Müssen«175. Dass das sichtbare Atmen keine ästhetische Qualität besitzen könne, postulierte auch Schiller: »Es gibt eine Anmut der Stimme, aber keine Anmut des Atemholens.«176 Die ›hohe Kunst‹ des Balletts fordert von lebenden Tanzenden mit der Leichtigkeit ihrer gesamten Körperbewegungen den Auftritt des Atemstillstands. Dabei wird die ›Bühne‹ als Fläche auf das menschliche Gesicht übertragen. Dem Kunsthistoriker Hans Belting zufolge gilt, dass das Gesicht »niemals zur Ruhe kommt und deshalb nicht auf den Begriff zu bringen«177 ist. Im Ballett verschwindet das Gesicht mit jenem Moment, in dem die Anstrengung des Atems unterdrückt werden muss. Das Gesicht wird dabei – lächelnd Anmut vortäuschend – zur Maske, zur »geschlossene[n] Form«; da nur »die Maske auf Dauer repräsentieren kann, was ein Gesicht ist«178. Hinter Noverres Forderung, das Gesicht des Tänzers müsse körperliche Anstrengung vertuschen, verbirgt sich ein Paradox, in dem auch die Tanzschaffenden nach dem 18. Jahrhundert gefangen scheinen. Die Ambivalenz liegt zwischen der Bewunderung des virtuosen Tanzschritts, des »›danse méchanize‹ oder 172  Q  uintilian, Institutionis oratoriae, S. 44ff. Zitiert in: Ueding/Steinbrink, Grundriß der Rhetorik, S. 237. 173  T hurner, Christina: »Wie eine Taubenfeder in der Luft. Leichtigkeit als utopische Kategorie im Ballett«, in: Brandstetter, Leichtigkeit, S. 107-116. Hier: S. 108. 174  I m Ausdruckstanz kann es zum Display für das Atem-Verlieren und Verschwinden des Beseelten werden. Deutlich wird dies etwa bei der Tänzerchoreografin Valeska Gert und ihrem Tanzsolo Tod, uraufgeführt 1922 in Berlin (Schwechtensaal), in dem sie die letzten Minuten einer Sterbenden mit ihrem Gesicht ›verkörpert‹. Vgl. Diagne, »Atem Holen«, S. 204ff. 175  Ebd., S. 202. 176  Schiller, Über Anmut und Würde, S. 436. 177  Belting, Hans: Faces. Eine Geschichte des Gesichts, München: C. H. Beck 2013, S. 120. 178  Ebd.

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›danza materiale‹«179, und der Ablehnung dieser. Denn die Virtuosität muss sich – um als Technik zu überzeugen – von den Gesten der Empfindung, die im ballet en action »dramatische Gesetzesmäßigkeiten«180 fordern, lösen. Im hohen Stil zu tanzen, im stilus gravis, und gleichzeitig den ›danse méchanize‹ zu ignorieren, erfordert also eine ganz spezifische Form des Schritte-Setzens. Der Fokus schien somit auf das Verteilen von Gewicht im Gehen gerichtet. Deutlich wird dies am Gegenstand von Noverres Kritik, die er mit der abwertenden Beschreibung der »Seiltänzermanieren«181 für die tänzerische Leistung seines Zeitgenossen Auguste Vestris äußert, da Vestris’ Virtuosität gerade in der deutlich sichtbaren Vermittlung einer Mühelosigkeit lag. In seinen Briefen forderte Noverre eine »ungezwungene Leichtigkeit«182: »Jeder Tänzer, der durch Anstrengung seine Züge verändert, und dessen Gesicht in beständiger Convulsion ist, ist ein Tänzer ohne Seele, der nur auf seine Beine denkt, der das A. B. C. seiner Kunst nicht weiß […] Ein solcher Mensch hat gerade so viel Geduld, als zu einem Salto Mortale gehört […]: kurz, ein solcher Mensch ist ein Stümper, dessen Execution allezeit schwerfällig und unangenehm bleibt. Geben Sie mir nicht Beyfall, […] daß uns nichts angenehmer ist, als ungezwungene Leichtigkeit?« 183 Deutlich wird bei Noverres Kritik an der halsbrecherischen Luftrolle im Salto Mortale, dass zum einen die Parameter für das virtuose ›Beherrschen‹ des Körpers im Tanz unscharf werden. Zum anderen scheint nicht geklärt zu sein, inwiefern der virtuose Sprung eines Vestris nicht ebenfalls als Ausdruck einer inneren Bewegung (Genuss) verstanden werden konnte. War die ›ungezwungene Leichtigkeit‹ des ausgebildeten Tänzers, wie sie Noverre zudem forderte und dabei einer exerzierten Kunstfertigkeit184 als Ideal entgegensetzte, ein erstrebenswertes Ziel als Mittel zum Zweck? Oder war sie ein gegebener Zustand, der sich ästhetischen 179  W  oitas, Monika: »›… und Vestris muß verstummen‹: Anmerkungen zum Verhältnis von Tanztheater und Schauspiel im ausgehenden 18. Jahrhundert«, in: Fischer-Lichte, Erika (Hg.): Theater im Kulturwandel des 18. Jahrhunderts: Inszenierung und Wahrnehmung von Körper – Musik – Sprache, Göttingen: Wallstein 1999, S. 323-338. Hier: S. 324. 180  Ebd. 181  » Man registrierte staunend die Leistung, konnte diese aber nicht in ein auf Identifikation zielendes Theaterkonzept einordnen, das seit den ›Lettres‹ Noverres (1760) und Angiolinis Tanzpantomime ›Don Juan‹ (1761) auch für das Ballett gelten sollte.«, ebd. 182  Noverre, Briefe, S. 166. 183  E bd., S.  166f. Auslassungen übernommen aus: Thurner, »Wie eine Taubenfeder in der Luft«, S. 108. 184  S iehe Brandstetter, Gabriele: »Mignons Eiertanz«, in: Dies./Brandl-Risi, Bettina/Eikels, Kai van (Hg.): Szenen des Virtuosen, Bielefeld: transcript 2017, S. 129-160. Hier: S. 144f.

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Kategorien entzog? Noverre und seine Zeitgenossen fürchteten, der Tanz würde mit den Sprungspielen »in ein primitives Vorstadium sinnloser Körperaktionen«185 zurückfallen und »als eine der Malerei, Literatur und Musik ebenbürtige Kunstform«186 abgewertet. Der Ausdruck des Natürlichen durch den Körper ist bei Noverre also nach wie vor an den hohen Stil geknüpft. Dies führte auf der einen Seite dazu, dass sich die Sujets der Tänze im Bürgerlichen bewegten. Auf der anderen Seite musste die Darstellung des Natürlichen durch Kostüme und Körper dem ästhetischen Empfinden höherer Schichten der Gesellschaft, also (im Geschmacksurteil) Gebildeten und Kunstschaffenden mit angeborenem Genie, entsprechen: »Wozu kann man ohne Genie, ohne Einbildungskraft, ohne Geschmack fähig sein? Wie will man […] sich über die Grenzen der Mittelmäßigkeit hinaussetzen, wenn man nicht den Keim seiner Kunst mit auf die Welt gebracht?«187 Zugleich ist es aber das ›mittlere‹ Maß, das – aus der Furcht vor gesteigerten Aktionen wie jenen Vestris’ – zum Ziel erklärt wurde. Mit den Reformen im Tanz wurde also eine tänzerische Form gesucht, durch die in erster Linie eine Semantisierung ›natürlicher‹ Bewegungen auf der Bühne umgesetzt werden konnte. Resultat sollte die Dramatisierung jeder Bewegung zugunsten einer Vermittlung seelischer Bewegtheiten – das movere sein. Eingebettet in diese Reformen und die ambivalente Haltung von Tanzreformern wie Noverre, blieb das movere in folgendes Paradox eingebettet: Damit das Publikum mit den Balletten »zu Tränen gerührt«188 werden konnte, verzichteten Gluck und Angiolini in ihrer Ballettpantomime Semiramis (1748) »konsequent auf jegliche dekorative Tanzeinlage«.189

Kleists Fechtbär an der Tanzstange 1810 artikulierte Heinrich von Kleist in seinem Essay Über das Marionettentheater sein Verständnis von Anmut und Grazie, das sich als Gegenentwurf zu den Dogmen der Auf klärung und den bildungsorientierten Ideologien Schillers lesen lässt. Über das Denkbild einer an Seilen schwebenden Marionette widmete er sich den Schwebenden und ihrer Repräsentation von (menschliches Vermögen übersteigender) Anmut und Grazie (lat. gratia, gleichbedeutend mit Gnade). Damit führte er zwei Auslegungen des theologischen Motivs der Gnade ein.190 Mit dem Schweben als physischem Zustand säkularer (weltlicher) Handlung ist im christlichen 185  Woitas, »› und Vestris muß verstummen‹«, S. 324. 186  Ebd. 187  Noverre, Briefe, S. 49f. 188  Angiolini im Vorwort zu Don Juan, zitiert in: Woitas, »›… und Vestris muß verstummen‹«, S. 328. 189  Ebd. 190  V  gl. hierzu v.a.: Luckner, Andreas: »Rhythmus und Schwere. Existenz- und musikphilosophische Überlegungen zu Kleists Über das Marionettentheater«, in: Nerurkar, Michael (Hg.):

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Verständnis durch die Auffahrtssymbolik zugleich eine sakrale Auslegung verbunden. Im Sündenfall – dem menschlichen Irrglauben allwissend zu sein wie Gott – hat der Mensch seine Unkenntnis um die eigene Sterblichkeit verloren und dafür das Wissen um das Eintreten seines eigenen Todes auferlegt bekommen. In Erzählungen des Sündenfall-Mythos des 18. Jahrhunderts unterliegt der Mensch – der anthropos, der nicht nur aufrecht steht, sondern sich dem Fortlauf der Geschichte entgegen (anti) gewendet (thropos) zu haben scheint – seit der Erbsünde daher dem Versuch, nach dem Tod mittels göttlicher Gnade zurück in den Himmel aufzusteigen.191 Es sei das Theater, das in der Wiederholung der Erbsünde im Sinne der gezielten Vortäuschung von Charakteren durch sein »Trauer=spiel«192 gefangen scheint. Damit liefert es der Auffahrtssymbolik per se den Ort des Stürzens und Schwebens. Auf diese Weise ist die Bewegungsqualität des ›Fallens‹ eine doppelte: Die der »Vertikalen von Sturz/Erhebung und der Horizontalen von Entortung und Dispersion.«193 Wer schwebt wie ein Gliedermann und an Fäden hängend von einem Puppenspieler gehalten und in Bewegung versetzt wird, vermittelt Anmut in ›Reinform‹ – wie Kleist es von dem Tänzer einer Städtischen Oper, Herrn C, im Dialog beschreiben lässt: Grazie sei nach dem Vergessen (»Ref lexion die dunkler und schwächer wird«)194 des (Körper-)Bewusstseins und der Eitelkeit in »demjenigen menschlichen Körperbau am reinsten […,] der entweder gar keins oder ein unendliches Bewußtsein hat, d.h. in dem Gliedermann, oder in dem Gott.«195 Bei Kleist ›entsteht‹ die Seele der Marionette, die mit ihren hängenden, zerteilten Gliedern in einem, wie De Man beschreibt, »Verstümmlungs- und Totentanz«196 von einem Maschinist bewegt wird, »aus der Substitution der Bewegung der Marionetten durch das Bewußtsein des Puppenspielers – eine Substitution mehr in der Reihe der Transformationen, die das System in Gang halten.«197 Folgt man De Mans Lesart der Bewegungen, dann entspricht das Schweben bei Kleist insofern der Grazie, da die Marionette Kleists »Über das Marionettentheater«: Welt- und Selbstbezüge: Zur Philosophie der drei Stadien, Bielefeld: transcript 2013, S. 207-224. Insb. S. 208. 191  V  gl. zur morphologischen Modifikation des Wortes ›Fall‹ und der Untersuchung der damit verbundenen Sündenfall-Mythen: Mülder-Bach, Inka/Ott, Michael (Hg.): Was der Fall ist: Casus und Lapsus, Paderborn: Wilhelm Fink 2014. 192  » Das ›Trauer=Spiel‹, das ›auf dem grossen Schau=Platz des Paradieß=Gartens‹ zur Aufführung kam, bildet gewissermaßen die Urszene des Theaters als opus personarum. Im Spiel mit seiner Identität führte der Teufel eine Differenz zwischen seiner Erscheinung und seinem Wesen ein.« Wild, »Grazie und Gravitation«, S. 27. 193  Mülder-Bach/Ott, Was der Fall ist, S. 11. 194  Kleist, Über das Marionettentheater, S. 16. 195  Ebd. 196  De Man, »Ästhetische Formalisierung«, S. 230. 197  Ebd.

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als Schwebende kein Bewusstsein über die aus ihren Bewegungen entspringende Grazie besitzt. Das Substitut, das sie zum Schweben braucht, ist kein Mangel, sondern eine Leerstelle, die Kleist mit einem Denkangebot zu schließen versucht: Das fehlende Bewusstsein über die Anmut des Körpers im Bewegen stellt sich her, indem die Gliederpuppe keine eigene Kontrolle über ihr Gewicht besitzt. Der Maschinist lenkt das Schweben der Marionette wie ein Tanzmeister. »Am Vergleich der Materialität der Puppen und jener des menschlichen Körpers«, so die Theaterwissenschaftlerin Monika Meister, »schiebt Kleist das Bild des Tanzes ein.«198 Das Schweben bei Kleist stehe für einen Wesenszustand, in dem es nicht darum geht, einem »von außen kommenden Anstoß«199 oder »den Prinzipien des Verstandes (logozentristischer Ordnung)«200 zu folgen, wie es der »Kontext der Grammatik des klassischen Balletts«201 fordert. Marionetten schweben, »wie Nijinski, als gäbe es so etwas wie die Schwerkraft für sie nicht.«202 Dennoch räumt der Theaterhistoriker Christian von Herrmann in Bezug auf die Macht- und Kraftverteilung zwischen Marionette und Maschinist ein, dass der Maschinist »keinen anderen Punkt in seiner Gewalt [hat, M.D.] als den ›Schwerpunkt‹ in dem Inneren der Figur«203. Dies bedeutet, dass der Maschinist die Glieder der Marionette ebensowienig kontrollieren kann, wie die Puppe selbst. Der Schwerpunkt ist der einzige Punkt, in dem »das gesamte Gewicht des Körpers vereinigt gedacht werden kann.«204 Mit dieser Lesart verweist Herrmann darauf hin, dass nicht die körperliche Mechanik in Kleists Interesse lag, sondern die »Anschaulichkeit«205 dieser. Der Maschinist lenkt über den Schwerpunkt der Marionette, obwohl dieser nicht direkt greif bar ist (weder physisch, noch über Aufzeichnungsmedien). Über das Beschreiben der Bewegungen der Körperglieder wird die ›Gewalt‹ des Maschinisten deutlich. Auf diese Weise hafte der Steuerung der Marionette bei Kleist etwas Geheimnisvolles an.206 Als Kontrast zum Denkbild der schwebenden Marionette führt Kleist im dritten Teil seiner Novelle einen Bären an. Statt sich wie Lessings Tanz-Bär im Tanz 198  M  eister, Monika: »Heinrich von Kleists Entwurf einer antimimetischen Poetologie«, in: Brandstetter, Gabriele/Finter, Helga/Weßendorf, Markus (Hg.): Grenzgänge: das Theater und die anderen Künste, Tübingen: Gunter Narr 1998, S. 219-229. Hier: S. 226. 199  Ebd. 200  Ebd. 201  Ebd. 202  De Man, »Ästhetische Formalisierung«, S. 229. 203  H  errmann, Christian von: »Kleists Kinematographie. Zum Verhältnis von Mobilmachung, Bewegungsstudien und Theater«, in: Brandstetter, Gabriele/Finter, Helga/Weßendorf, Markus (Hg.): Grenzgänge: Das Theater und die anderen Künste, Tübingen: Narr 1998, S. 209-218. Hier: S. 213. 204  Ebd. 205  Ebd. 206  Ebd., S. 215.

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der Dompteure zu gefallen, ist es bei Kleist der Tänzer Herr C, der sich im Kampf mit einem dressierten Fecht-Bären gefällt. Nachdem Herr C (aufgrund seiner tänzerischen Fertigkeiten) den Fechtkampf gegen zwei Söhne eines Edelmanns gewonnen hat, wird er zum Kampf mit einem Bären eingeladen: »Der Bär stand, als ich erstaunt vor ihn trat, auf den Hinterfüßen, mit dem Rücken an einem Pfahl gelehnt, an welchem er angeschlossen war, die rechte Tatze schlagfertig erhoben, und sah mir ins Auge: das war seine Fechterpositur.« (Kleist, S. 15). Den Kampf gegen den aufrecht stehenden Bären verliert der Tänzer und muss die Fechtkunst des ›Meisters‹ anerkennen: »Nicht bloß, daß der Bär, wie der erste Fechter der Welt, alle meine Stöße parierte; auf Finten (was ihm kein Fechter der Welt nachmacht) ging er gar nicht einmal ein: Aug in Auge, als ob er meine Seele darin lesen könnte, stand er, die Tatze schlagfertig erhoben, und wenn meine Stöße nicht ernsthaft gemeint waren, so rührte er sich nicht.«207 Der Bär lehnt an einem Pfahl. Einerseits entzieht der Pfahl dem Tier die Bewegungsfreiheit. Führt man die Vertikalität des Holzpf locks mit einer akademisierten Haltung aus dem Ballett zusammen, dann schiebt sich andererseits an dieser Stelle das Bild des Akademischen Tanzes ein und wird zur Kippfigur eines Requisits der Tanz-Erziehung: Der Pfahl dient dem Bären, dessen Grazie in der Tatze liegt, als unterstützende Ballettstange (im Tanzjargon schlicht auch ›Holz‹ genannt). Diese wird im Ballett horizontal auf Höhe der Hüfte aufgestellt und dient zur Einübung und Kontrolle der akademisierten geraden Haltung. Die Tanzstange ist ein Substitut, mit dem der Körper bestmöglich auf den Tanz (und Kampf) gegen die Schwerkraft vorbereitet wird. Im Schweben gibt die Marionette nicht den »physiologischen Bedingungen der Gravitation, sondern jenen des Gemüts und Gefühls«208 nach. Die hier unternommene Verkettung der Geschichten um den Gliedermann und den fechtenden Bären soll auf die Notwendigkeit einer Technik verweisen, die zur aufrechten Haltung der Figuren eingesetzt werden muss. Für die Bewegungen der Marionette zieht ein Maschinist im Hintergrund Fäden die an einem horizontal schwebenden Kreuz aus Stäben befestigt sind. Der Bär übertrifft den Tänzer im Fechten nicht nur aufgrund

207  Kleist, Über das Marionettentheater, S. 15. 208  M  eister, »Heinrich von Kleists Entwurf einer antimimetischen Poetologie«, S. 226. Die schwebende Marionette steht, so Christian Paul Berger, bei Kleist für »eine Einheit, der zum einen eine literarische Gattung (d.h. der Aufsatz bzw. das journalistische Genre) und zum anderen aber ein naturphilosophisches Bewegungsbild, die ›Grazie‹, entspricht.« Berger, Christian Paul: Bewegungsbilder: Kleists Marionettentheater zwischen Poesie und Physik, Paderborn: Schöningh 2000, S. XIV.

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seiner grazilen Tatze. Weil sich Marionette und Bär nicht nur ihrer ›Technik‹ nicht bewusst sind, sondern im unterbewussten Beherrschen von einem »Rhythmus der (fremden) Bewegung [erfahren], dass das Schwere als Schweres leicht werden kann,«209 bleibt ihnen der Tänzer unterlegen. Der Musikwissenschaftler Andreas Luckner verdeutlicht die Anmut bei Kleist über den Rhythmus der tänzerischen Bewegung, die sich in der »Erschütterung«210 der Glieder ergebe und über die dem Rhythmischen inhärente Lebendigkeit das Tänzerische in der Bewegung vermittle. Im Zuge dessen liest er die Haltung des fechtenden Bären auch als »traumwandlerische Sicherheit.«211 Luckners Bewegungsbegriff ist von einem musikalischen Verständnis von Rhythmus und Tanz geprägt. Aus tanzwissenschaftlicher Perspektive liegt im Tänzerischen, wie Kleist es in ambivalenter Weise zur Nicht-Herstellung von Anmut skizziert, auch ein Gestus des Pädagogischen. Denn mit dem Artikulieren der technischen Mittel (Fäden, Holzpfahl), die zur Grazie eingesetzt werden, entsteht ein »ästhetische[r] Effekt«212 der Formalisierung, der dem der »ästhetischen Erziehung«213 ähnelt, zieht man noch einmal De Mans Lektüre von Kleists Text heran. Unklar bleibt, inwiefern die mit der Erziehung zu produzierende Anmut überhaupt unterrichtet werden kann: »Gibt es so etwas wie einen anmutigen Lehrer oder, genauer, ist ein Lehrer, dem es gelingt, anmutig zu sein, noch ein Lehrer?«214 – überlegt De Man. Mit dieser Frage deckt er systematisch die Widersprüchlichkeit des Marionettentheaters (seine Ferne wie Nähe zu Schillers Begriff der Erhabenheit) auf. Kleists Text sei somit von einer Kontrastdramaturgie bestimmt, einer »unbequeme[n] Mischung aus Behauptung und Verneinung, von Anmut und Gewalt, von Mystifikation und Klarheit, von Bauernfängerei und Ernsthaftigkeit.«215 Für die Beschreibung des Schweren Schwebens kann die in dieser Kontrastdramaturgie liegende Dynamik von einander in Bewegung haltenden Gegensatzpaaren (wie schwer und leicht) fruchtbar sein. Kleists »Bewegungsbild«216 von Figuren, die jenseits der Bühne schweben, unterscheidet sich von dem Tanz-Bild Schillers217 insbesondere dadurch, dass Schiller den Tanz stets im höfischen Büh209  Luckner, »Rhythmus und Schwere«, S. 208. 210  Ebd., S. 211. 211  Ebd., S. 221. 212  De Man, »Ästhetische Formalisierung«, S. 214. 213  Ebd. 214  Ebd. 215  Ebd. 216  Berger, Bewegungsbilder, S. XIV. 217  D  eutlich wird dieses Tanz-Bild etwa anhand Schillers Fragment Der Geisterseher, »dessen Schauplatz weitgehend als höfisch charakterisiert werden kann.« Siehe: Ueding, Auf klärung über Rhetorik, S. 165. Den »pantomimischen Tanz junger Knaben und Mädchen« (Ueding, ebd.) beschreibt Schiller in seiner Erzählung Der Geisterseher wie folgt: »Leichtigkeit und Grazie beseelten jede Bewegung.« Schiller, Friedrich: Der Geisterseher, in: Ders.: Sämtliche Werke, Bd. 5,

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nenkontext denkt. Weder Kleist noch Schiller können in ihren Ansätzen auf die Bewegungssprachen von Tanzschaffenden übertragen werden. Auch lässt sich aus heutiger Perspektive nicht mehr von einer universellen »Grammatik des klassischen Balletts« sprechen, wie Kleist sie mit dem Tänzer der Pariser Oper versinnbildlicht hat. Die Grammatik der Gesten und Schritte des Klassischen Akademischen Tanzes hat zu Gunsten einer »Darstellung von Leidenschaften und Gefühlen«218 einen Wandel erfahren. Dieser stellt die oppositionäre Betrachtung des ›erzählenden‹ Tänzers gegenüber der in Anmut schwebenden Marionette in Frage. Zudem relativiert sich die Positionierung der Profession des Tänzers: Hebt man, wie De Man anmerkt, im französischen Ausdruck antigrav das grave hervor, »dann bedeutet es die Auf hebung des Ernstes, die mit dem ›Gesetz der Schwere‹ einhergeht und in dem die Schwere alle Implikationen der Schwermut enthält.«219 In der Relation des schwebenden Körpers zu den ihn im Schweben (oder Fechten) tragenden ›Objekten‹ liegt eine Denkstütze, die ich für die folgenden Betrachtungen des Schwebens im Bühnentanz mitführen werde: Ob sichtbar als Holzpfahl und Fäden oder verborgen im Bewegungsapparat – es ist eine gedachte Positur, eine überlegte innere wie äußere Haltung, die der Körperfigur Grazie verleiht. Lessings Tanzbär, Kleists Marionette sowie der fechtende Bär verdeutlichen, dass die Auseinandersetzung mit den Darstellungsmitteln des menschlichen Körpers über Figuren des Nicht-Menschlichen stattgefunden hat. Der auf dem Papier konstruierte Körper der Schwebenden ist dabei ins Zentrum gerückt. Die Körperschwere einer Holzpuppe, einer an Fäden baumelnden Marionette und eines auf zwei Pfoten gehenden Bärentiers unterscheidet sich fundamental von der Schwere des tanzenden Menschen. Gerade im Hervorheben einer Haltung des ›Anderen‹, die sich entweder durch ein Ringen um Gleichgewicht oder ein Aussetzen von Körpergewicht auszeichnet, lassen sich Parameter des Schwebens erkennen, die für den Bühnentanz und die Grammatik des Tanzes konstitutiv sind.

Choreo-grafien des Schwebens im Klassischen Akademischen Tanz Wird der ›Pfahl der Meister‹ auf die Schlüsselposen des Romantischen Balletts, wie die Arabeske oder die Attitüde, rückübertragen, kann Folgendes hergeleitet werden: Es sind Nuancen der Schwere, die in europäisch geprägten Kontexten sinnbildlich für Grazie und Anmut stehen. Dies gilt nicht nur für den Akademischen Tanz, sondern auch für den von Narrativen lebenden Klassischen Akadeebd. S. 55. Ueding betont gerade hier die für Schiller charakteristische »Koppelung von ›Leichtigkeit‹ und ›Grazie‹.« Siehe: Ueding, ebd. 218  De Man, »Ästhetische Formalisierung«, S. 228. 219  Ebd., S. 229.

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mischen Tanz in der Romantik; und es gilt auch dann noch, wenn Körperachsen und Balance vermittelnde Linien geknickt, gebeugt oder dekonstruiert werden, um andere Formen des Virtuosen zu ermöglichen: etwa im Neoklassischen Ballett des Choreografen und ehemaligen Tänzers der Ballets Russes, George Balanchines (1904-1983), oder in Arbeiten von zeitgenössischen Choreografen wie William Forsythe (*1949). Damit wird auch deutlich, welche Aufgabe dieser Haltung im Tanz zukommt: Das Er-Halten und Bewahren von sichtbaren wie nicht sichtbaren Regelwerken und Arbeitsweisen. Warum aber nimmt gerade die Arabeske eine besondere Stellung in der Frage um die Nuancen der Schwere ein?

Arabeske Schatten. Attitude allongée im Reich der Phantasie Als Arabeske ist ursprünglich ein lineares Ornament bezeichnet worden, mit dem sich seit seinem Aufkommen in der islamischen Kunst Stilwechsel in den europäischen Künsten beobachten lassen.220 Friedrich Schlegel (1772-1829) zufolge ist die Arabeske die »älteste Form und ursprüngliche Form menschlicher Fantasie.«221 De Man entlockt ihr mit Rückbezug auf Schlegel einen mathematischen Bezug und setzt sie mit der Ziffer ›Null‹ gleich.222 Die Arabeske als Grundfigur des Grotesken, die für ein Bewegen im niedrigen Stil stand, hat im Zuge der Umdeutung im 18. Jahrhundert einen Wandel erfahren. Sie entwickelte sich »von einer bislang randständigen Form der Wand- sowie Bühnen- und Gartendekoration zu einem alle Künste betreffenden, ästhetischen Grundbegriff«.223 Groteske Figuren wurden in der Tanzgrammatik des 18. Jahrhunderts wie in folgendem Beispiel dargestellt (Abb. 6):

220  V  gl. zur Arabeske als Ornament und rhetorische Stilfigur: Riegl, Alois: Stilfragen: Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik, Berlin: G. Siemens 1893; Busch, Werner: Die notwendige Arabeske: Wirklichkeitsaneignung und Stilisierung in der deutschen Kunst des 19.  Jahrhunderts, Berlin: Mann 1985; Oesterle, Günter: »Arabeske«, in: Barck, Karlheinz/u.a. (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 1, Stuttgart: Metzler 2000, S. 272-286; Gebhard, Walter: »Arabeskes Denken über die Arabeske. Beobachtungen zu Friedrich Schlegels hieroglyphischem Umgang mit einer Leerformel«, in: Oberzaucher-Schüller, Souvenirs de Taglioni, S. 27-48; Busch, Werner (Hg.): Verwandlung der Welt – die romantische Arabeske, Petersberg: Michael Imhof 2013. 221  S chlegel, Friedrich: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd.  2, hg.  v. Ernst Behler, Darmstadt/u.a.: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1969, S. 319. 222  F ür den Gedanken sei an dieser Stelle Adam Czirak gedankt, der mit Hinweisen und Literatur den Anstoß gab zur Auseinandersetzung mit der Arabeske und ihrem Bezug zur Mathematik (und somit auch theoretischen Physik). Vgl. bspw.: De Man, Paul: Pascals Allegorie der Überzeugung [1981], in: Haverkamp, Anselm (Hg.): Die paradoxe Metapher, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1998, S. 76-106; De Man, Paul: Aesthetic ideology, hg. v. Andrzej Warminski, Minneapolis: University of Minnesota Press 1997. 223  Oesterle, »Arabeske«, S. 273.

2. Schweben im schweren Stil. gravitas als Denk- und Tanzfigur

Abb. 6: Beinspiel des Scaramuzza bei Lambranzi (1716)

Das bewegliche Spielbein wird waagerecht nach hinten ausgestreckt und gehalten. Das stillgestellte Standbein steht senkrecht wie der Pfahl des Fecht-Bären auf dem Boden. Die Linien der Arme und Beine entsprechen den Regeln des Equilibriums, wie es die Tanzschritte in aufrechter Haltung ermöglichen. Statt mit dem Eindruck von Grazie, ist mit dem Scaramuzza eine Theater-Figur des Komischen und Grotesken verbunden. Galt die Höhe der Beine im 18. Jahrhundert noch als anstößig, wurde sie mit der Weiterentwicklung der tanztechnischen Fertigkeiten zum erstrebenswerten Ziel. Im Zuge der Akademisierung des Tanzes näherte sich die Gestaltung der Arabeske daher erneut an Vorbilder der griechischen Antike an. Die Arme entsprachen nun der Waagerechten des Spielbeins und reichten je nach Spezifik und Art der Pose seitlich oder gemeinsam nach vorne vom Körperzentrum weg. Standund Spielbein waren nicht mehr ›grotesk krumm‹, sondern ›grazil gestreckt‹. In der Tanzgrammatik des 19. Jahrhunderts224 entstand mit den Kodifizierungen der 224  Z  ur Stilisierung der Arabeske als Grundfigur im Klassischen Akademischen Tanz vgl. vor allem: Falcone, Francesca/Minafra, Irene/Shapiro, Brett: »The Arabesque: A Compositional Design«, in: Dance Chronicle 19, Nr. 3 (1996), S. 231-253; Jeschke, Claudia/Wortelkamp, Isa/Vettermann, Gabi: »Arabesken. Modelle ›fremder‹ Körperlichkeit in Tanztheorie und -inszenierung«, in: Jeschke, Claudia/Zedelmaier, Helmut/u.a.: Andere Körper – Fremde Bewegungen. Theatrale und öf fentliche Inszenierungen im 19. Jahrhundert, Münster: Lit 2005, S. 169-210; Brandstetter, Gabriele: »The Code of Terpsichore. Carlo Blasis’ Tanztheorie zwischen Arabeske und Mechanik«,

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tänzerischen Schritte aus dem Ornament eine Pose: eine »Attitude allongée«225. Sie erzeugt eine auf ein Körperzentrum hin verdichtete Spannung, die zeitgleich auf einen vom Körperzentrum ›f liehenden‹ Bewegungsf luss ausgerichtet ist. In der Arabeske, oder der Attitude allongée, wird die im Tanzdiskurs erstrebte Grazie zum Ausdruck gebracht.

Statik und Kinetik. Techniken des Equilibriums Den Grundstein zur Arabeske als graziler Tanzpose im 19.  Jahrhundert legte der neapolitanische Tänzer, Choreograf und Tanztheoretiker Carlo Blasis (17971878).226 Als Schüler von Jean Dauberval (1742-1806), einem Tänzer in Noverres Balletten, steht Blasis in Noverres Traditionslinie. Mit der Analyse der Linienführungen des Klassischen Akademischen Tanzes entwickelte Blasis Parameter einer Gebärdensprache, die sich – anlehnend an Noverre – insbesondere dem Verhältnis des Ausdrucks von inneren Bewegungen oder Gestimmtheiten mit der Körper-Linienführung äußerer Bewegungen widmet. Im Vordergrund stand jetzt das »Vermögen der schönen Seele als Ausdruck der Freiheit des Subjekts«,227 wie es »in der Tanzästhetik als einer Ausdruckstheorie bei Gaspare Angiolini und Jean Georges Noverre«228 angelegt war. In seinen wichtigsten Traktaten, dem Traité Élémentaire, Théorique et Pratique de l’Art de la Danse (1820)229 und The Code of Terpsichore. The Art of Dancing: comprising its Theory and Practice, and A History of its Rise and Progress from the earliest Times (1830), definierte Blasis anhand von in: Dies./Neumann, Gerhard  (Hg): Romantische Wissenspoetik. Die Künste und die Wissenschaf ten um 1800, Würzburg: Königshausen & Neumann 2004, S. 50-72; Pappacena, Il trattato di danza di Carlo Blasis; Wittrock, Eike: »Phantastische Linien. Die Arabeske im Ballett des 19. Jahrhunderts«, in: Busch, Werner (Hg.): Verwandlung der Welt – die romantische Arabeske, Petersberg: Michael Imhof 2013, S. 365-369; Ders.: Arabesken – Das Ornamentale des Balletts im frühen 19. Jahrhundert, Bielefeld: transcript 2017. 225  B  randstetter, Gabriele: »Tanz der Elementargeister. Der Mythos des romantischen Balletts«, in: Oberzaucher-Schüller, Souvenirs de Taglioni, S. 195-212. Hier: S. 108. 226  I m Klassischen Akademischen Tanz wird mit Carlo Blasis zwischen mindestens vier, und seit dem Blasis-Schüler, Enrico Cecchetti sogar zwischen sechs verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten der Arm- und Beinstellungen in einer Arabeske unterschieden. Vgl. hierzu vor allem: Pappacena, Il trattato di danza di Carlo Blasis, ebd.; sowie Cecchetti, Grazioso/Dies. (Hg.): Complete manual of classical dance Enrico Cecchetti method, Vol. 1 und Vol. 2, Mit Zeichnungen von Grazioso Cecchetti, Rom: Gremese 1997/1998. Blasis gilt in der Tanzforschung als »Schöpfer einer neuen Darstellungstheorie des bewegten Körpers – auf der Basis einer experimentellen, einer praktischen Wissenschaft« und Erfinder des »Ballett[s] als Wissenspoetik«, siehe Brandstetter, »The Code of Terpsichore«, S. 59. 227  Ebd. 228  Ebd. 229  B  lasis, Carlo: Traité Élementaire, Théorique et Pratique de l’Art de la Danse, Mailand: Beati et Tenenti 1820.

2. Schweben im schweren Stil. gravitas als Denk- und Tanzfigur

Bewegungsfiguren wie der Arabeske die notwendigen Körperspannungen und -ausrichtungen zur ›idealen‹ Ausführung von Tanzfiguren. Blasis’ Gedanken zur Grundhaltung des Körpers entstanden in einem »klassizistischen Denkrahmen«230, da sie auf die Darstellungen von mythischen Figuren der griechischen Antike zurückgehen, wie sie in der Bildenden Kunst respektive durch den Maler und Bildhauer Antonio Canova (1757-1822) interpretiert wurden.231 Zuvorderst verbinden Blasis’ Bewegungsskizzen aber Grundsätze der Statik und der Kinetik. Anhand dieser Verbindung lässt sich zudem herleiten, in welcher Weise die Haltung des pas grave im Klassischen Akademischen Tanz fortgeführt ist. Abb. 7: Arabeske aus Blasis’ The Code of Terpsichore (1830)

Die vier skizzierten Figuren auf der Tafel Nr. 10 (Abb. 7) deuten jeweils mit dem nach hinten gehobenen eine angehaltene Bewegung an, einen Schritt in der Luft. Seine Leser weist Blasis zur korrekten Ausführung im Tanzen wie folgt an: »Let your body be, in general, erect and perpendicular on your legs, except in certain attitudes, and especially in arabesques, when it must lean forwards or back230  Wittrock, Arabesken, S. 109. 231  Z  um Bezug zwischen Bildendender Kunst und Akademischem, wie Klassisch Akademischem Tanz siehe: Pappacena, »Dance Terminology and Iconography in Early Nineteenth Century«.

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wards according to the position you adopt. Keep it always equally posed upon your thighs. Throw your breast out and hold your waist in as much as you can. In your performance preserve continually a slight bend, and much firmness about your loins. Let your shoulders be low, your head high, and your contenance animated and expressive.«232 In diesen Beschreibungen drückt sich auch die körperliche Umsetzung von Grazie aus, die Blasis anhand des aplomb (des Schwebemomentums) und der aimable (der Beseeltheit)233 bestimmt. Folgt man den Richtungsanweisungen für die Körperglieder und der Spannung, die in einer Haltung wie der Arabeske erforderlich ist, wird das Konzept der Gegenläufigkeit deutlich, das auch der pas grave und der contretemps verlangen. Ein nach vorne gerichteter Brustkorb erzeugt eine Kraftbewegung, die aber zeitgleich von der Taille ›gebremst‹ werden muss. Die Schultern müssen niedrig gehalten sein, obwohl aplomb und Perpendikularlinie ein Streben in die Höhe forcieren. Für das Halten einer Arabeske ist die Haltung im pas grave, die für einen Moment zusammengeführte Körperspannung vor einem Schritt, konstitutiv. Der Tanz- und Theaterwissenschaftler Eike Wittrock bezeichnet Blasis’ Schriften zurecht als »Arabeske Theorie«.234 Die Arabeske lässt sich mit Blasis’ Körperverständnis meines Erachtens insbesondere als Fortsetzung des pas grave denken. Von dieser Lesart aus kann sie »als eine in sich bewegte Haltung«235 beschrieben werden, »in welcher das Spielbein angehoben und der Körper zum Ausbalancieren dieser Aktion vorwärts oder rückwärts geneigt wird. Diese ›Haltung‹ stünde dann im Unterschied zu dem ansonsten üblichen perpendikularen, an der Senkrechte orientierten Standard des Balletts.«236 Die Arabeske geht über diese Haltung hinaus und wird in ihrer Erscheinung als Raumfigur und Ornament zugleich als Übergangsfigur definiert. Die Arabeske ist wie auch der pas grave eine Figuration, die durch die »Entgrenzung der Stasis und Sichtbarmachung von Raumlinien«237 erzeugt wird. Bei beiden Haltungen ist das Halten im Stehen zugleich mit der antizipierenden Fortbewegung des Gehens verbunden. Dieses antizipierte Gehen, das ich als ›arabeskes Gehen‹ oder als ›Gehen im pas grave‹ bezeichne, ist – und dies ist Anliegen meiner Gedanken zur gravitas – an den hohen Stil geknüpft, wie er mit dem pas grave ›gesetzt‹ wurde. Demnach 232  Blasis, The Code of Terpsichore, insbesondere bei Blasis im Kapitel III, »Study of the Body«, S. 65. 233  B  esonders im Traité Élementaire formuliert Blasis anhand Begrifflichkeiten aus dem höchsten Stil die Grundaspekte der Grazie im Tanz. Vgl. hierzu: Blasis, Traité Élementaire, S. 11; sowie: Pappacena, Il trattato di danza di Carlo Blasis, S. 280. 234  Wittrock, Arabesken, ebd. 235  Jeschke/Wortelkamp/Vettermann, »Arabesken«, S. 176. 236  Ebd. 237 Ebd.

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scheint auch die Arabeske – im Tanz – repräsentativ für den hohen Stil. Gehen ist eine Frage der Gewichtsverlagerung, in der das Körpergewicht von einem Bein zum anderen übertragen und somit temporär deplatziert wird. Im Gehen ist der Körper stets ›im‹ Gewicht. Wie genau fordert die Pose der Arabeske dieses ›im Gewicht‹ sein heraus? Für das Schweben ist bedeutsam, welche Formen der Relationalität zwischen Körperschwere, Körper(-Segmentierungen) und Körperbewegungen Blasis’ Schriften zugrunde liegen: »[…] and when he [Noverre, M.D.] further says that opposition takes place each time that the man or dancer puts one leg forward, he means to point out that if such foot so placed before be right, the left arm must naturally be carried forward at the same instant, whilst the opposite limbs remain behind;«238 Mit Rekurs auf Noverre verdeutlicht Blasis den einzelnen Schritt als Grundbewegung. Um eine Form der Natürlichkeit der Bewegungen zu erzeugen, ist eine Gleichzeitigkeit oppositionell stattfindender Bewegungen erforderlich. Diese Gleichzeitigkeit erfolgt über das Bewegen der Gelenke: Das Schrittesetzen ist ein Bewegen, das den gesamten Körper mitdenkt: also das Beugen der Ellenbogen, Handgelenke und Kniegelenke zugleich, wie Blasis in einer Bewegungsanweisung zum Port de bras239 formuliert: »[…] the wrists and elbows must be bent, forming a circle, observing that both arms form at the same time a motion exactly similar; and then return to their first attitude.«240 Anhand der Armbewegungen sei Blasis zufolge nicht nur eine Form von Natürlichkeit ablesbar. Das korrekte Führen der Arme »in strict harmony with his legs«241 sei darüber hinaus Indikator für das Beherrschen des tänzerischen Vokabulars nach ›Genuss einer guten Ausbildung‹.242 Für die Frage nach dem ›Schweben im Gehen‹ in der Arabeske ist Blasis’ Anmerkung zur Schwerkraft essentiell: »Of the Centre of Gravity in a Dancer. The weight of a man standing upon one leg is divided in an equal manner on the point that sustains the whole, and as he moves, the central line of gravity passes exactly through the middle of the leg that rests wholly on the ground.«243 Blasis’ Code ist von einem relationalen Gefüge aus Körpern in Bewegungen bestimmt, das inner-mechanischen (Grund-)Gesetzen folgt. So sind es »die Beziehungen von Richtungen und Kräften im Körper – die Wirkung jener Kräfte also, die in 238 Blasis, The Code of Terpsichore, S. 68. 239 Port de bras bezeichnet entsprechend der wörtlichen Übersetzung (das Tragen der Arme) sowohl eine kodifizierte Haltung als auch die Führung (Bewegung) der Arme. 240 Blasis, The Code of Terpsichore, S. 69. 241 Ebd., S. 70. 242  A  ls Korrekturhinweis merkt Blasis an: »A dancer that holds and moves his arms in a graceful manner, and according to the true rules of art, shows that he has studied at a good school, and his performance is invariably correct.« Ebd., S. 69. 243 Ebd., S. 73.

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den Bereich der Statik gehören.«244 Die Statik thematisiert das Abwägen von Gleichgewicht und Ungleichgewicht, anhand der »Bedingungen der an einem ruhenden Körper angreifenden Kräfte.«245 Wie in Blasis’ Formulierungen zur natürlichen und daher idealen Armbewegung deutlich wird, geht es auch in diesem Verhandeln und Abwägen von Körpergewicht um die Perfektion einer »Aussteuerung des Gleichgewichts.«246 Elemente der Orientierung, respektive das Lot, stammen dabei aus dem Vokabular der Geometrie.247 Blasis’ Theorien lassen sich im Bereich tanztheoretischer Experimente, die in dem pas grave ihren Ursprung haben, verorten. In der Notwendigkeit der Perpendikularlinie und der Verschränkung von Physis und Poesie lässt sich seine Idee einer ›natürlichen‹ Grazie mit Kleists Marionette verbinden, die an unsichtbaren Fäden hängt und von einem Maschinisten, einem Tanzmeister geführt wird. Daraus ergibt sich ein Modell, das »zwischen menschlicher Körperdarstellung und Mechanik der Marionetten-Bewegung«248 steht. Woran lässt sich konkret zeigen, wie Blasis’ Schrift zu einem »Zeichensystem der Bewegung und zugleich Figuration der ›Muse des Tanzes‹: der Mechanik als Matrix der Grazie«249 wurde? Ein vermittelndes Element der Arabesken liegt in ihrer Eigenschaft der rhythmischen Verschränkung, also der Fähigkeit, »zwischen mimetischen und narrativen und a-mimetischen, strukturellen Rhythmen«250 zu schwingen und »unmittelbare, spontane oder zufällige Aktionen beziehungsweise Figurationen«251 darzustellen. Blasis’ Gedanken zur Arabeske müssen Jeschke zufolge gemeinsam mit dem Einbezug von Requisiten gelesen werden, um die »Arabeske als ästhetisches Konzept und tanztechnisches Prinzip«252 zu identifizieren. Requisiten wie »Schleier und Girlanden«253 ergänzen nicht nur die Zeichnungen der Bewegungen im Trak244 Brandstetter, »The Code of Terpsichore«, S. 61. 245  Ebd. 246  I m (West-Deutschen) Tanztheater wie auch im Zeitgenössischen Tanz wird es nicht mehr um eine Aussteuerung des Gleichgewichts gehen, sondern um ein das Gleichgewicht ins Wanken Bringen, indem der Körper aus dem Lot gebracht, zum Fallen, Stürzen und zur permanenten Destabilisation gezwungen wird. 247 Vgl. Brandstetter, »The Code of Terpsichore«, S. 93. Blasis schreibt: »Endeavour to hold your body in perfect equilibrium« und »never let depart it from the perpendicular line«. Blasis, The Code of Terpsichore, S. 72. 248  Brandstetter, »The Code of Terpsichore«, ebd. 249  » Daß diese Arabeske im Ballett zugleich eine Figur der Weiblichkeit darstellt, so, wie umgekehrt Kleists Figur der Grazie die des männlichen Helden repräsentiert, steht wiederum auf einer anderen Seite des Blattes.« Ebd. S. 70. 250  Jeschke/Wortelkamp/Vettermann, »Arabesken«, S. 172. 251  Ebd. 252  Ebd. S. 174. 253  » Die schwingende Linie aber verlangte nicht nur taugliche Requisiten, sondern auch eine Anpassung der Körperhaltungen und Bewegungsformen […]. Vor allem die ›schwingenden‹

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tat, sondern sind letztlich wie ein Warburg’sches bewegtes Beiwerk nicht von den Körpern zu trennen. Blasis denkt Arabesken – ähnlich wie Noverre die Grazie über die grenzenlose Draperie – in Verbindung von Körpern und Körperkleid als »natural and proper to the art of dancing«254, wenn er sie als Figuren der Unendlichkeit skizziert und als »ad infinitum«255 bezeichnet. Nur aus einem Zusammenspiel von Körpern in Bewegung und der Materialität der den Körper umgebenden Objekte liegt – so wird anhand der Schleier deutlich – das lebendige und vor allem als natürlich zu bezeichnende Wesen der tänzerischen Bewegung. In Blasis’ Theorien ist eine »performative Eigenart der Arabeske«256 wesentlich. Ihr Merkmal ist der »Umgang mit der Körperschwere«257. Genau dieser Fokus sei, so spekuliert Jeschke, zugunsten einer Institutionalisierung und Bewahrung der (französischen) Tanzkunst um die Mitte des Jahrhunderts verschoben worden.258

Flugmaschinen und Spitzenschuhe: Medien-Werkzeuge der Ballerinen Diese zur Mitte des 19. Jahrhunderts vollzogene Verlagerung der »Ideale des Perpendikularen und des aplomb«,259 dem beschriebenen »Gradmesser für die senkbeziehungsweise lotrechte Haltung des Körpers und seiner Bewegung«260, prägt bis heute die Lesart der Bewegungen im Kanon des Klassischen Akademischen Tanzes. Mit Blasis ändert sich zudem die Präferenz der Körper, mit denen Grazie und Anmut zum Ausdruck gebracht werden können: Der weibliche Körper, wie er in den Romantischen Ballettpantomimen ins Zentrum gerückt wurde, ist mit dem Klassischen Akademischen Tanz zur Projektionsf läche des Prinzips des Schwebens erkoren worden. Maschinist, Pfahl und Fäden tanzen dabei unsichtbar mit. Schleier und Girlanden erscheinen deshalb in Zusammenhang mit eben dieser dynamischen, also nicht-geometrischen, nicht-symmetrischen Körperhaltung auf einem Bein.« Ebd. 254 Blasis, The Code of Terpsichore, S. 75f. 255  Ebd. 256  Jeschke/Wortelkamp/Vettermann, »Arabesken«, S. 174. 257  Ebd. 258  J eschke zieht insofern Bilanz, als dass sie den Entwicklungen von einer Körper-Zergliederung in Oberkörperhaltung und Beinarbeit eine Bewegung von der Abstraktion hin zur Narration zuschreibt: »Die narrative Dimension, so abstrakt sie sich im Fremden als Arabeske als Ganzkörperhaltung auch immer präsentierte, verlagert sich in den Oberkörper und verliert die abstrakte Qualität, die sie als Sichtbarmachung von Bewegungslinien auszeichnete, zugunsten signalhafter, deutbarer Ausdruckswerte im Körper selbst.« Ebd. 259  W  ortelkamp, Isa: »Von der Wanderung der Geraden zur Schrägen. Ein Vergleich des Traité Élementaire, Théorique et Praqutique de l’Art de la Danse (1820) mit dem L’Uomo fisico, intellettuale e modale (1857) von Carlo Blasis«, in: Jeschke/Zedelmeier/u.a.: Andere Körper – Fremde Bewegungen, S. 183-196. Hier: S.  181. 260  Ebd., S. 184.

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Abb. 8: Giselle als schwebende Wili (1898)

Seit Beginn des europäischen Musiktheaters sind mit Rückgriff auf Theaterpraktiken der griechischen Antike vor allem Flugmaschinen261 eingesetzt worden, mit denen in Opern oder Schauspielen der Auftritt schwebender Figuren ermöglicht wurde: Über einen Seilzug, der hinter der Bühne mit einem Krahn befestigt war, konnten Darstellende mythischer, göttlicher Figuren, die etwa eine dea ex machina oder einen deus ex machina verkörperten, im schwebenden Auftreten die szenische Handlung unterbrechen und den weiteren Verlauf durch einen verbalen Kommentar beeinf lussen.262 Die Mechanik der Flugmaschinen übernahmen auch 261  Z  ur Auseinandersetzung mit den bühnentechnischen Mitteln, auch in dieser Zeit vgl.: Hopkins, Albert: Magic: Stage Illusions, Special Ef fects and Trick Photography [1898], New York: Dover Publication 1976; Ault, Cecil T.: Design, operation and organization of stage machinery at the Paris opera: 1770-1873, Dissertation (microfilm), Ann Arbor: University of Michigan Press 1983; Reilly, Kara: Automata and mimesis on the stage of theatre history, Basingstoke/Hampshire/u.a.: Palgrave Macmillan 2011; Roßbach, Nikola: Poiesis der Maschine. Barocke Konfigurationen von Technik, Literatur und Theater, Berlin: Akademie-Verlag 2013. 262  D  er Begriff dea ex machina bzw. deus ex machina steht in Verbindung mit einer Technik der Illusionserzeugung und medialen Vermittlung rhetorischer und philosophischer Inhalte im Theater der Antike. Ein Gebrauch dieser Technik wird insbesondere dem Dramatiker Euripides zugeschrieben. Eingebettet in komplexe architektonische Designs, die unter anderem von dem italienischen Architekten Nicola Sabbatini (1574-1654) entworfen wurden, schwebten und flogen bis ins 19. Jahrhundert spezifische Charaktere der Opernsujets als göttliche oder halbgöttliche Wesen über die Theaterbühnen. Der Bühneningenieur Giacomo Torelli (1604-1678) baute in Paris Theatermaschinen, die aus einem »System von Seiltrommeln und Gegengewichten« bestanden und somit die Bilderwechsel und Verwandlungen erleichterten. Vgl. hierzu:

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Choreografen für Ballettpantomimen in der Spätromantik. Für das Verständnis der Figuren hatte dies folgende Konsequenz: Die Lithografie (Abb. 8) ist mit »The Floating Willis (Ballet)«263, ›die schwebenden Wilis‹, betitelt und zeigt einen Moment aus der Ballettpantomime Giselle, ou les Wilis (1841)264. In der Erzählung stirbt das Bauernmädchen Giselle nach dem Liebesverrat durch einen Adligen an gebrochenem Herzen. Als Verstorbene wird sie dabei in einen Elementargeist verwandelt, so dass sie nach dem Tod weiterlebt und nunmehr um ihre unglückliche Liebe trauert. Als Schwebende wird Giselle, wie die Abbildung der Rückansicht der Bühne zeigt, über einen Kran in den Bühnenraum gehoben. Im Narrativ ist Giselle verstorben und schwebt im sogenannten Wili-Wald – dem Ort der toten Bräute, die nachts aus ihren Gräbern auferstehen – von unten nach oben. Die Lithografie vermittelt eine Perspektive der Produktion, der Kulisse. Aufgrund der Statik, der Gesetze der Schwerkraft, schwebt die auf dem Kran stehende Tänzerin ›nach unten‹. Vor dem Hintergrund dieser Theatermaschinerie ließe sich hier bereits von einem Schweben mit Schwere sprechen, das dem aristotelischen Gesetz der nach oben strebenden, leichten Körper szenisch widerspricht: Der Körper der Wili-Giselle demonstriert die Leichtigkeit eines Luftgeistes, schwebt aber nach unten. Betrachtet man die Lithografie als Dokument einer Szene aus dem Theateralltag, dann lässt sich von ihr auch die Blickachse des Publikums ableiten. Die schwer Schwebende muss ein Sehen gefordert haben, in dem die Betrachtenden die technische Schwere, etwa die laute Akustik des maschinellen Schwebens, ausblendeten. Die Tänzerin auf dem Kran hängt in der Luft und schwebt, weil der Körper den Eindruck einer Neigung zum Boden demonstriert. Der drohende Sturz aus dieser Neigung darf ignoriert werden, denn die Tänzerin verkörpert als Künstlerin eine schwebende Geistererscheinung. Die Faszination für die Zuschauenden liegt in dem Beobachten eines Phänomens, das ihnen als sitzende Menschen nicht möglich ist: Wer schwebt und die Gesetze der Schwerkraft überwindet, kann sich in Sphären des Unerreichbaren, des Überirdischen bewegen. Dieses (vornehmlich männliche) romantische Gess, Nicola/Hartmann, Tina: »Barocktheater als Spektakel. Eine Einführung«, in: Dies/Hens, Dominika (Hg.): Barocktheater als Spektakel. Maschine, Blick und Bewegung auf der Opernbühne des Ancien Régime, München: Fink 2015, S. 9-39. Hier: S. 15. Siehe zudem: Haß, Ulrike: »Vom Wahnsinn des Sehens in geschlossenen Räumen. Raumdebatten und Szenografie im 17. Jahrhundert«, in: Gess/Hartmann/Hens, Barocktheater als Spektakel, S. 139-161. 263  » The Floating Willis (Ballet)«, in: Albert Hopkins: Magic: Stage Illusions, Special Ef fects and Trick Photography [1898], New York: Dover Publication 1976, S. 322. 264 Giselle, ou les Wilis: Musik (M): Adolphe Adam, Libretto (L): Théophile Gautier/Jules H. Vernoy de Saint-Georges, nach Heinrich Heine, Choreografie (C): Jean Coralli/Jules Perrot, Uraufführung (UA): 28. Juni 1841, Ópera (Salle de la rue Le Peletier), Paris. Zur Giselle siehe u.a. die eben erschienene Publikation: Sasportes, José/Veroli, Patrizia/Alvarez, Elvira: Giovanni Coralli: l’autore di Giselle, Rom: Aracne 2018.

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Traumbild verkörperte insbesondere die Frau. Die Verknüpfung von »Weiblichkeit und Tod […] als Abwesenheit«265 muss als »Grund und Fluchtpunkt unseres kulturellen Repräsentationssystems«266 verstanden werden, so Elisabeth Bronfen. Beschreibungen des Kunsthistorikers und Schriftstellers Carl Einstein (1885-1940) zeigen, dass die Faszination für das Beobachten von Gewichtslosigkeit über das 19.  Jahrhundert hinaus in ein Nachempfinden von Schwerelosigkeit mündete. »Eine musikalisch geregelte Raserei rhythmisiert diese Gestalten, die kaum noch fataler Schwerkraft unterworfen sind; dem ruhenden Zuschauer wird das atmende Gefühl geheimnisvoller Leichtigkeit vermittelt und in entzücktem Betrachten dieser rhythmischen Levitation fühlt er sich selber fast gewichtslos.«267 Die spezifische Qualität des Schwebens von Körpern im Theater greift über die Unzulänglichkeit der Sturz-Flugmaschine hinaus: Das Schweben ist kein technischer Nebeneffekt, sondern Hauptmotiv, Medium und Mechanik zugleich. Seit den 1830er Jahren schweben Balletttänzerinnen als verkörperte Geister- und Schattenwesen über die Tanzbühnen und bewegen sich dabei zwischen irdischen und überirdischen Sphären. Ihr Werkzeug sind Spitzenschuhe, mit denen sie den Kontakt zum Boden so gering wie möglich und so groß wie nötig halten. Die Erfindung dieses Medien-Werkszeugs geht wiederum auf eine Frau zurück. Marie Taglioni, jene Ballerina, mit der Choreografen im 19. Jahrhundert zahlreiche Ballette kreierten, erfand die Verstärkung der Spitze ihrer Tanzschuhe und präsentierte in Giacomo Meyerbeers Grand Opéra Robert le Diable (1831)268 die damit verbundene Technik.269 Die Kunst des Schwebens auf der Bühne verfeinert sich demnach mit der Weiterentwicklung der Bewegungstechniken und markiert über das Zeigen von Schweben auf der Bühne einen deutlichen Medien-Wandel. Die von männlichen Ingenieuren entwickelten Maschinen der f liegenden Geister und die Bewegungsgrammatik von Feuillet bis Blasis wurden sukzessiv durch eine Tanztechnik ersetzt, die nicht nur denselben Effekt zum Ziel hatte, sondern darüber hinaus die ›korrekte‹ Richtung der aus dem Boden nach oben schwebenden Figuren ermöglichte. Der Illusion der Schwerelosigkeit liegt mit dem Spitzentanz eine Bewegungstechnik zugrunde, die »die Flugbewegung des Tänzers, das heißt vielmehr der Tänzerin, die Flucht vom Boden der Realität, mit der die Ballerina nur noch mit dem extremsten Punkt ihrer Fußspitzen in Berührung 265  B  ronfen, Elisabeth: Nur über ihre Leiche. Tod, Weiblichkeit und Ästhetik, München: Kunstmann 1994, S. 623. 266  Ebd. 267  E instein, Carl: »Leon Bakst«, in: Ders.: Werke. Berliner Ausgabe, Bd. 1, 1907-1918, hg. v. Hermann Haarmann u. Klaus Siebenhaar, Berlin: FAB 1994, S. 471-500. Hier: S. 486f. 268 Robert le Diable, (UA): Paris, 21. November 1831, (M): Giacomo Meyerbeer, (L): Eugène Scribe/ Germain Delavigne, (Ch): Philippo Taglioni. 269  Siehe hierzu das Kapitel »Sinnliche Schatten. Oder: Lebenslust im Pas de l’ombre« (2).

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bleibt«270, präsentiert und zelebriert. Es ist jedoch nicht allein das Fliegen, das Schwerelosigkeit vermittelt, sondern in erster Linie das Schweben. Ein Detail der Lithografie gibt einen Hinweis zur Auseinandersetzung mit der Schlüsselfigur des Klassischen Akademischen Tanzes – und lässt das Kleist’sche ›Bild des Tanzes‹ wie einen Schatten auftreten: die Arabeske in Seilen am Holzpfahl. Entlang des Holzstegs, der der Wili-Figur als ›Plattform zum Schweben‹ dient, ist ein Seil gespannt. Die Tänzerin lehnt mit ihrem rückwärts ausgestreckten Bein auf der Schnur. Dieses geschnürte Seil erlaubt ihr eine ähnliche Stabilität, wie die waagerecht montierten Holzstangen in den Ballettsälen. Die gestützte Haltung lässt sich zum einen wie ein Zaubertrick lesen, in dem die unsichtbare Schnur zum Effekt eines schwerelosen Körpers beiträgt. Zum anderen verdeutlicht das Seil als ›Halterung‹ für das gehobene Bein jene Arabeske, die ein Jahrzehnt zuvor entdeckt wurde. In der Ballettpantomime Giselle entwickelt sich die Arabeske erstmals in der Darstellung durch eine weibliche Tänzerin zum Symbol des Unendlichen. Die Eröffnung des zweiten Aktes des Balletts findet durch den Auftritt der Myrtha, der Königin der Wilis, statt. Auf Ebene der Handlung ist sie eine Nebenfigur, die der Trauer und Sehnsucht empfindenden Giselle als kühler, rationaler Gegenpart vorangestellt ist. Weder bildliche Darstellungen noch tanzhistorische Ref lexionen widmen sich dieser Schattenfrau in demselben Maße wie der Titelfigur der Ballettpantomime. Aus den zahlreichen Rekonstruktionen dieses Balletts sticht in Klarheit vor allem die Inszenierung der Pariser Oper mit der Étoile Marie-Agnès Gillot (in der Rolle der Myrtha), die auch die Eurydike in der Pariser Version von Bauschs Orpheus tanzte, hervor.271

270  D  ahms, Sybille: »Gedanken zur Ästhetik des Romantischen Balletts«, in: Oberzaucher-Schüller, Gunhild/Moeller, Hans (Hg.): Meyerbeer und der Tanz, Paderborn: University Press 1998, S. 3649. Hier: S. 43. 271 Giselle, ou les Wilis [1841], (Ch) nach: Jean Coralli/Jules Perrot, Marius Petipa, (M): Adolphe Adam. Besetzung: Laetitia Pujol (Giselle), Nicholas Le Riche (Albrecht), Marie-Agnès Gillot (Myrtha), Wilfried Romoli (Hilarion), in einer Inszenierung von Patrice Bart und Eugene Polyakov. Live Aufzeichnung im Palais Garnier, Dezember 2006.

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Abb. 9: Marie-Agnès Gillot als Myrtha in einer ersten Arabeske (2006)

Im Schattenreich, das die Figur Myrtha beherrscht, tritt Gillot mit einem Tanz auf, der alle nach Blasis kodifizierten Varianten der Arabeske demonstriert. Im ersten Teil des ungefähr fünf Minuten andauernden Solos repräsentieren ihre Bewegungen mit geometrischer Präzision die Linienführungen aus Blasis’ Traktaten. Etwa in der hier im Filmstill festgehaltenen ersten Arabeske (Abb. 9): Die Schultern und die Hüfte sind in offener Form zum Publikum gerichtet. Die Pose weicht von der aufrechten Haltung, die Blasis’ Skizzen vermitteln, ab. Der Torso der Myrtha-Tänzerin kippt nach vorne, in ähnlicher Neigung, wie der Körper der Giselle auf dem Kran in der Lithografie. Im zweiten Teil des Solos wird musikalisch ein Motiv wiederholt, das bereits im ersten Akt des Balletts als Leitmotiv der Giselle erklingt. Die Myrtha-Darstellerin wiederholt das Ausführen der Arabesken – allerdings nicht als Linien, bei denen der aufrecht strebende Körper dem Publikum zugewandt ist, sondern mittels gebogener Linien, die den Betrachtenden den Rücken zuwenden und den Torso der Tänzerin mit der Pose verdrehen (Abb. 10). Die als vierte Arabeske bezeichnete Pose erfordert eine komplette Wendung des Oberkörpers. In dieser Rotationsbewegung wird der Rücken freigelegt, so dass das ›Kreuz‹ aus Armen und Beinen im Gegensatz zur ersten Arabeske zwar parallel, aber nicht für den Zuschauenden freiliegend ausgerichtet ist. Auch mit dieser Variante der Arabeske wird der für dieses Bühnengenre typische »›Riss‹ in der Wirklichkeit, der Einbruch des Irrealen, der das Phantastische auszeichnet«272, gestaltet.

272  Wittrock, »Phantastische Linien«, S. 367.

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Abb. 10: Marie-Agnès Gillot als Myrtha, in einer vierten Arabeske (2006)

Die Spezifität der Dramaturgie in Romantischen Ballettpantomimen liegt in der Kontrastierung, die das Libretto durch die Dualität der Orte und Figuren wie Giselle (und auch Myrtha, die einmal irdisch war) zum Ausdruck bringt: In der irdischen Welt finden weltliche, alltägliche Handlungen (wie die ›einfachen‹ Tanzszenen des Bauernmädchens Giselle) statt; in der überirdischen Sphäre tauchen übersinnliche Figuren (mit schwierigen, virtuosen Schritten) auf, die mit ihrer Erscheinung die irdische Welt als zeitlich ›vergangen‹ markieren. Mit diesem Dualismus und dem Präsentieren einer weißen (neu zu beschreibenden) Sphäre werden Romantische Ballette beziehungsweise die ballets fantastiques273 auch als ballets blancs bezeichnet. In dem »eigentümlich entrückten Raum, der zugleich keusch und erotisch, kühl und rauschhaft erhitzt erscheint«,274 werden die weißen Tutus zum Merkmal des ballet blanc. Dass sich hier ein europäischer Ideal-Körper mit hellem Hautton in weißen Kleidern etablierte und bis heute als menschliches Ideal hartnäckig fortsetzt, zeigt allein die Definition ballet blanc. Warum war ein heller Körper notwendig, um im Nachtraum einen dunklen Schatten darzustellen?275 273  E ike Wittrock weist in seinen Publikationen darauf hin, dass der Begriff Romantisches Ballett erst sehr viel später zur Bezeichnung dieser Stücke herangezogen wurde: »[…] in Tanztraktaten, Kritiken oder Libretti dieser Zeit taucht der Begriff ›romantisch‹ jedoch nur selten auf. Die meisten Werke tragen im Untertitel die Genrebezeichnung ›ballet fantastique‹.« Ebd. 274  Brandstetter, »Tanz der Elementargeister«, S. 207. 275  D  ie Schwierigkeiten, mit denen dunkelhäutige Tanzende seit dem 20. Jahrhundert in der Interpretation von Stücken der Romantik konfrontiert sind, leitetn sich daraus ab – und sind meines Erachtens bis heute nicht gelöst. Dies zeigt auch die choreografisch gelungene, aber mit Blick

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Von Interesse sind in dieser Untersuchung daher die ›dunklen‹ Figuren, die ›hinter‹ dem Narrativ und den leuchtenden Körpern der Wili-Interpretinnen schweben. Weiße Körper, die dunkle Lichtwürfe darstellen, tragen ein besonderes generisches Potential im Vermeiden von Polaritäten. Daher ist es notwendig, die Schatten in ihrer Darstellung ›als Raum und als Körper‹ zu betrachten.

Nachtschatten. Greifbare Leere und das Gewicht der Seele Schatten – skia (σκιά)276 – sind der griechischen Etymologie entsprechend dunkle Lichtwürfe. Sie markieren jene Stellen, auf die kein direktes Licht fällt. Schatten entstehen aus der Korrelation von Lichtquelle (Sonne, Mond, Kunstlicht) und Objekt, und verweisen auf zeitliche, räumliche und figürliche Parameter von Bewegungen. Sie gehen von menschlichen wie dinglichen Körpern aus, die von einer Lichtbewegung erfasst sind oder sich auf eine Lichtquelle zu oder in dieser bewegen. Schatten und die mit ihnen verbundenen Lichtquellen erzeugen jenseits der zweidimensionalen Leinwände nicht nur Sinneseindrücke, sondern auch körperlich sinnliches Empfinden: Wärme oder Kälte, aber auch Formen von empathischen Gefühlen wie Angst, Unbehagen, Vorfreude und Vitalität, Lebendigkeit und Neugier. Schatten sind spürbar, für die Betrachtenden wie die Schattenwerfenden selbst, was ihnen »transversale, volatile«277 Züge verleiht: Schatten sind Phänomene, die optisch je nach Szenerie, kulturellem, epochalem Verständnis und medientechnischen Gegebenheiten für den Moment ihrer Erscheinung Empfinden auslösen können; und zwar indem sie sich bewegen. Als Repräsentanten der Abwesenheit markieren Schatten die Anwesenheit eines Körpers, dessen Gewicht sie tragen; mit der Abwesenheit dieses Körpers, die durch den Schatten bildlich »verewigt, eine Dauer festhält«278, können sie zugleich als bildgewordenes Begehren verstanden werden. Metaphorisch ist der Schatten eine nicht fassbare Figur, der es zu folgen gilt, wenn der sie werfende Körper nicht mehr sichtbar (anwesend, lebendig) ist.

auf seine Definition mitunter problematische Umwertung eines ballet blancs, respektive der Creole Giselle (1984), die von der New Yorker Tanzkompanie Dance Theatre of Harlem in einer Choreografie von Frederic Franklin (1914-2013) interpretiert wurde. Ein Aufgreifen dieser Problematik ist notwendig und erfordert eine neue, eigenständige Studie. 276  S iehe den Artikel »Skia« in: Frisk, Hjalmar: Griechisches etymologisches Wörterbuch, 4. Aufl., Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2006, S. 730f. 277  V  gl.: Heibach, Christiane: »Einleitung«, in: Dies. (Hg.): Atmosphären. Dimensionen eines dif fusen Phänomens, München: Fink 2012, S. 9-23. Hier: S. 12. 278  S toichita, Victor: Eine kurze Geschichte des Schattens, München: Wilhelm Fink 1999, S. 16. Zum Schatten vgl. auch: Casati, Roberto: Die Entdeckung des Schattens. Die faszinierende Karriere einer rätselhaf ten Erscheinung, Berliner Taschenbuchverlag: Berlin 2003.

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Schatten führten insbesondere in der abendländischen Philosophie zu Denkentwürfen und Theoremen in Bezug auf das Setzen von Ursprünglichem.279 Gerade die Malerei griff den Aspekt des Ursprünglichen auf und entlockte den Schatten ihren Rätselcharakter. Der Maler Giorgio de Chirico (1888-1978) etwa wandte sich von der Perspektivlehre ab und etablierte in seinen Bildern das Nebeneinander »unterschiedlicher Perspektiven und die im Bild auftretenden ›entkörperten Schatten‹ sowie […] ›architektonische[n] Schatten‹«280. Grund war ein (an Nietzsche und Schopenhauer orientierter) Rätselcharakter des Sichtbaren: »Im Schatten eines Mannes, der in der Sonne geht, sind mehr Rätsel als in allen Religionen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.«281 Dass anhand des Schattens ablesbar sein kann, wie Gesellschaften mit Paradoxien des spürbar Unsichtbaren (der Seelen-Räume) umgehen, zeigen Praktiken, die sehr spezifische Vorstellungsbilder des Schattens entworfen haben: Im abendländischen Kulturkreis löst der Schatten metaphorisch zum Beispiel entweder Unbehagen aus – wie Helmut Lethen mit dem Satz »Schatten fressen die Figuren, die sie werfen«282 andeutet. Der Schatten kann auch temporären Schutz vor (aggressivem) Licht gewähren. Zugleich ermöglicht die »mnemotechnische Stütze«283, die der Schatten bietet, kulturhistorisch erstmals das Sichtbarmachen von Abwesendem. Allerdings erfolgte diese »Geburt der künstlerischen Darstellung im Okzident per ›Negativ‹.«284

279  Z  um zentralen Gegenstand wurden Schatten in Platons Höhlengleichnis, in der Theologie und dem dort essentiellen Schattenreich, in der Kunstgeschichte, die sich der Skiagraphie widmet und die Schlagschatten oder Grisaille betrachtet, in der Literatur als sprachlich entworfene Verkörperungen wie Hugo von Hofmannsthals Frau ohne Schatten (1919), die er als Textvorlage für die gleichnamige Opernkomposition von Richard Strauss schrieb, in Raumschilderungen wie Schillers Reich der Schatten (1795), sowie in der Gestalttheorie und Psychoanalyse, wie C. G. Jungs Idee eines Archetypischen Schattens. 280  W  immer, Karin: »Friedrich Nietzsche und Giorgio de Chirico. Das Raumverständnis de Chiricos in den Jahren 1909-1915«, in: Reschke, Renate (Hg.): »Einige werden posthum geboren«: Friedrich Nietzsches Wirkungen, Berlin: De Gruyter 2012, S. 263-279. Hier: S. 271. 281  D  e Chirico, Giorgio: Wir Metaphysiker. Gesammelte Schrif ten, hg. v. Wieland Schmied, Frankfurt a.M./u.a.: Propyläen 1973, S. 18. 282  V  gl. Lethen, Helmut: »Schatten fressen die Figuren, die sie werfen«, in: Ders.: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994, S. 133-145. 283  Stoichita, Eine kurze Geschichte des Schattens, S. 15. 284  E bd., S. 7. In der japanischen Kultur ist der Schatten (影) hingegen sehr viel präsenter im alltäglichen Leben und dort ein Element, das nicht in Opposition zur Lichtquelle steht, sondern konstitutiv ist für das Leben in und mit Wohn- und Seelenräumen. Anhand des Schattens unternimmt etwa der Lyriker Tanizaki Jun’ichirōs in seiner Novelle Lob des Schattens aus dem Jahr 1933 den Versuch, wesentliche Unterschiede zwischen der westlichen und der japanischen Kultur aufzuzeigen. In afrikanischen Praktiken ist der Schatten fest in zwischenmenschliche Beziehungssysteme eingebunden; etwa als verletzbarer erweiterter Körperumraum eines

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Mit dem griechischen Wort skia (σκιά) wird nicht nur der Lichtwurf als mediale Erscheinung bezeichnet, sondern ein ganz konkreter Ort. Skia bedeutet gleichzeitig Schatten-Stelle, Unterwelt. Das Reich der Schatten ist also ein Ort, an dem eine einzelne dunkle Schattenstelle so weit ausgedehnt ist, dass aus der Form, die der Schatten als Lichtwurf enthält, ein Ort ohne Umriss, ohne Grenzen wird. Von diesem Ort konnten bisher – wie in der antiken Rhetorik mit der Frage nach der Sterblichkeit der Seele bereits erkannt wurde – keine Lebenden berichten. Beschreibungen oder Darstellungen des Schattenreiches müssen daher stets dem Imaginären entspringen. Mit diesem Imaginären ist auch die reale Furcht vor dem menschlichen Körper und seiner Vergänglichkeit verbunden, die sich in der sakralen Vorstellung des Körpers als Kerker der Seele ausdrückte. Die Darstellung und Auseinandersetzung mit dem dunklen Jenseits fand auch im Säkularen Ausdruck. So galten die Künste als Spiegel der Auseinandersetzung mit dem fesselnden Körper und der zu befreienden Seele. Mit der Säkularisierung religiöser Motive gewann Mitte des 18. Jahrhunderts jener Aspekt des Erhabenen und der Anmut an Wert, der mit den Mitteln der Dichtkunst verbunden war.285 Diese Form der Ästhetisierung hatte auch Auswirkungen auf das Schweben auf der Bühne, das später mit Figuren wie der Giselle in den Raum des Übersinnlichen überführt wurde. In seinem Text Das Reich der Schatten (1795), dem neunten Stück der Zeitschrift Die Horen, entwirft Schiller aus dem sakral bestimmten Todesraum einen Sehnsuchtsort. Die Umdeutung entwickelt er anhand der Demontage der Sündenfallgeschichte um Adam und Eva, sowie der Übertragung dieser Figuren auf Charaktere der griechischen Mythologie (Proserpina und Heraklit): Nachdem das schwere irdische Leben überwunden sei, könne der Mensch – nach freiem Willen – schwerelos in das Schattenreich hinaufsteigen: »Wandelt oben in des Lichtes Fluren, Göttlich unter Göttern, die Gestalt/Wollt ihr hoch auf ihren Flügeln schweben/Werft die Angst des Irdischen von euch/Fliehet aus dem engen dumpfen Leben/In der Schönheit Schattenreich!«286 Im Gedicht sei, so der Literaturwissenschaftler Karl Pestalozzi, »in antikem Gewande eine Anthropologie entwickelt […,] die Elemente der traditionell christ-

Lebewesens oder als bildgewordenes Nachleben von Verstorbenen. Vgl. Jun’ichirō, Tanizaki: Lob des Schattens. Entwurf einer japanischen Ästhetik [1933], München: Manesse 2010. 285  D  ie »in Pietismus und Empfindsamkeit verfeinerte Gefühlskultur [findet] mit dem Erhabenen ein Feld sprachlicher Ausdrucksmittel, die zur Ästhetisierung und zugleich zur Säkularisierung religiöser Gehalte führt.« Siehe: Ueding, Historisches Wörterbuch, Sp. 1371. 286  S chiller, Friedrich: Das Reich der Schatten, in: Die Horen, Bd. 3, 9. Stück, 1795, in: Petersen, Julius/Beissner, Friedrich (Hg.): Schiller Nationalausgabe [NA], Bd. 1, Weimar: o.V. 1943; bzw.: Schiller, Friedrich: Sämtliche Werke, 5 Bde, 4. Aufl., hg. v. Gerhard Fricke u. Herbert G. Göpfert, München: Hanser 1967, 4. Strophe, S. 247-251.

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lichen aufgreift und umdeutet.«287 Eine solche Umdeutung erfolgt meines Erachtens durch eine Umkehrung der Qualitäten des Schwebens und der Orte, an denen dieses Schweben zu lokalisieren ist. Das Schweben ließe sich mit Schiller als ›aktive‹ Bewegung denken, und weniger als göttliche Gnade, mit der die Seelen nach »Christi Erlösungstat«288 in den Himmel hinaufsteigen können. Der als passiv bezeichneten ›Erlösung‹ ist die »Ausbildung einer im Menschen angelegten Göttlichkeit«289 entgegengestellt. Die Fähigkeit, sich zwischen ›oben‹ und ›unten‹ (vertikal) und zwischen Endlichem und Unendlichem (vertikal wie zeitlich-horizontal) in Gegensätzen zu bewegen, ist mit Schiller in der Hochromantik literarisch entworfen worden. Eben diese Vorstellung eines Schattenreichs ist konstitutiv für die Räume, die in der Spätromantik zum ästhetischen Grundprinzip des nun literarisierten Balletts entwickelt wurden. Das Vorstellungsbild des Körpers als Kerker der Seele wurde dabei insofern aufrechterhalten, als dass es von religiösen Gehalten ausgehend in die Moralvorstellungen des (säkularisierten) Bürgertums überging. Aufgabe und Zweck des Theaters (als Bühnenort) war im 19.  Jahrhundert nicht mehr die Erziehung des Menschen zu Tugenden wie Anmut und Maß, sondern die Illusion von Schwerelosigkeit in überirdischen Räumen glaubhaft werden zu lassen – und dem Publikum darin ein Genießen dieser Illusion zu ermöglichen. Zugleich eröffnete das Theater auf diese Weise ein Paradox: Der Körper der Darstellenden wurde zum Über-Körper, der zugunsten der Figur (Geisterwesen) übersehen werden konnte. In dieser Hinsicht gilt, dass Schwerelosigkeit auf der Bühne nicht mehr losgelöst von der medialen Vermittlung gedacht werden kann. Ein Richtungswechsel in Bezug auf die Korporalität von Nicht-Sichtbarem wie der Seele ließe sich, so der Kunsthistoriker Victor Stoichita in seiner Kurzen Geschichte des Schattens, anhand Dantes Göttlicher Komödie ablesen: »Fast alle Figuren der Göttlichen Komödie stehen dem Autor vor Augen, obwohl sie im Prinzip unsichtbar bleiben müßten, denn sie haben keinen Körper. Es sind sichtbare Seelen, Gespenster, Schatten, wie der Verfasser sie sehr oft nennt. Sie haben den Anschein eines Körpers, sind Körper, aber subtile, diaphane.«290 Für das Romantische Ballett stehen Schatten und Schweben als Figuren und Figurationen des Diaphanen analog zueinander. Ein Grund für das Faszinierende des Schattenreichs mag das performative Potential dieses »Reich[es] der Phanta287  P  estalozzi, Karl: »›Wollt ihr schon auf Erden Göttern gleichen‹? Schillers Das Reich der Schatten und Lavaters Aussichten in die Ewigkeit«, in: Friedrich, Hans Edwin: Literatur und Theologie im 18. Jahrhundert: Konfrontationen – Kontroversen – Konkurrenzen, Berlin/New York: De Gruyter, S. 310-322. Hier: S. 311. 288  Ebd. 289  Ebd., S. 314. 290  Stoichita, Eine kurze Geschichte des Schattens, S. 44.

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sie« sein.291 Die Schatten in der Unterwelt sind zwar ›entkörperte Schatten‹, jedoch keine ›architektonischen Schatten‹, wie sie in der Malerei bezeichnet werden. Sie müssen von etwas oder jemandem geworfen werden. Bei Schiller ist dieser Körper im Schattenreich noch nicht bestimmt. Die Masse der Schattenkörper ist in seinem Gedicht noch konstitutiv für das Reich der Schatten. In Narrativen des 19. Jahrhunderts wird der Schatten dann paradoxerweise über die Darstellung der Figuren verkörpert. Für eben diese Narrative ist die Qualität des Lichts ausschlaggebend: Entsteht ein Schatten im Sonnenlicht, markiert der Lichtwurf einen bestimmten Augenblick, mit dem die Sonne das Vergehen von Lebenszeit markiert. Entsteht ein Schatten im Nachtlicht, tritt dieser Lichtwurf aus der natürlichen Ordnung des Zeitverlaufs, wie er mit dem Wandern der Sonne wahrgenommen werden kann, heraus. Im Nachtschatten des ›stehenden‹ Mondes wirkt der Zeitf luss förmlich angehalten. Die Verknüpfung der Schatten mit dem Nachtlicht entspricht dabei der Idee der Romantik, die »die Nacht als jenen Ort gelobt [hat, M.D.], wo sich alle Differenzierungen auslösen, wo das principium individuationis aufgehoben ist, und man sich im Schoß der Unendlichkeit, der ästhetischen Idee der Romantik schlechthin wiederfindet.«292

Sinnliche Schatten. Lebenslust im Pas de l’ombre Die erste Darstellung eines Schattenreichs, in dem durch Tanzende kollektiv ein Leben nach dem Tod auf der Bühne gezeigt werden sollte, war die Grand Opéra Robert le Diable und das von Filippo Taglioni choreografierte Nonnenballett.293 Die tänzerische Operneinlage im dritten Akt beinhaltet folgendes Szenario: Auf dem Klosterfriedhof der Äbtissin Helena, in der Originalbe-

291  E dward Gordon Craig lokalisiert die Elemente einer Lebendigkeit der Kunst in dem Schattenreich: »Und wenn dieses Bild die schöne zarte Form des Lebendigen haben soll, dann müssen seine Farben in dem unbekannten Reich der Phantasie gesucht werden, und was ist dies anderes, als was man das Reich des Todes nenne!« Siehe: Craig, Edward Gordon: »Der Schauspieler und die Übermarionette, Florenz, März 1907«, in: Kleist, Heinrich von/Ders./Földényi, F. László: Marionetten und Übermarionetten, Berlin: Matthes & Seitz 2012, S. 43-110. Hier: S. 78. 292  Perrakis, Manos: Nietzsches Musikästhetik der Af fekte, Freiburg i.Br.: Alber 2011, S. 109. 293  D  as Nonnenballett wurde in der Tanzforschung im Besonderen durch diese Publikationen aufbereitet: Everist, Mark: »The Name of the Rose: Meyerbeer’s opéra comique, Robert le Diable«, in: Revue de Musicologie, 80/2, Paris: Société française de musicologie 1994, S. 211-250; Hutchinson Guest, Ann/Jürgensen, Knud Arne: Robert le diable. The Ballet of the Nuns, Amsterdam: Routledge 1997; Oberzaucher-Schüller, Gunhild: Meyerbeer – Wagner. Eine Begegnung, hg. v. Marion Linhardt u. Thomas Steiert, Wien: Bröhlau 1998; Stenning Edgecombe, Rodney: Meyerbeer and Ballet music of the Nineteenth Century. Some Issues of Inf luence in Reference to ›Robert le Diable‹, London: Routledge 1998; Jürgensen, Knud Arne: »Meyerbeer und seine tanzenden Nonnen«, in: Staatsoper Unter den Linden (Hg.): Robert le Diable. Giacomo Meyerbeer. Programmheft, Berlin: Insel 2000, S. 94-104.

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setzung dargestellt durch die auf Spitzenschuhen tanzende Marie Taglioni, 294 erscheinen Tänzerinnen 295 in weißen Gewändern. Sie verkörpern Nonnen, die in einem »Schwebe-Tanz der Untoten«296 aus ihren Gräbern auferstehen, um Robert (die Titelfigur der Oper) auf Befehl des Teufels (Roberts Vater), zum Raub eines magischen Zweigs vom Grabmal der heiligen Rosalie zu verführen.297 Mit dem Erscheinen der Nonnen und der Äbtissin als Nachtschatten298 ist eine technische Neuentwicklung verknüpft: Im Licht, das durch Gaslampen auf die Bühne geworfen wurde, leuchteten die weißen Gewänder und erzeugten somit den Eindruck von körperlosen Wesen. Das Verschwinden der Körper in den strahlenden Stoffen dieser Szene ist eindrücklich im Ölgemälde The Ballet from

294  D  er Tanzforscher George Dorris merkt in Bezug auf die Aufführungspraxis an, dass Taglioni die Rolle allerdings nur für sechs Vorstellungen in Paris getanzt haben soll. 1835 habe Fanny Elssler die Partie übernommen, ein Jahr später dann die Tänzerin Louise Fritzjames, die 232 Vorstellungen getanzt habe. Entscheidend für die Tanzgeschichtsschreibung ist folgende Bemerkung von Dorris: »Thus it was Fritzjames whom August Bournonville saw when visiting Paris in 1841 and made the notes in a répétiteur score that form the basis of Knud Arne Jürgensen’s reconstruction which he has now mounted several times on various companies and which provides fascinating insights into the long vanished world of nineteenth-century ballet.« Dorris, George: »Two Balletic Sensations. Excelsior and the Ballet of the Nuns«, in: Dance Chronicle 23 (2000/1. Januar 1), Nr. 3, London: Roudledge 2000, S. 329-337. Hier: S. 335. Anhand der Aufführungspraxis eröffnet sich demnach eine ›andere‹ Perspektive auf personelle Rückbezüge. Auch wenn Taglioni über das Schweben in Spitzenschuhen als Erste den Eindruck der schwerelosen Tänzerin in der Rolle der Hélèna hinterlassen hatte, ist die Transkription und Überlieferung der Schritte und Ästhetik nicht mit ihrem Körper, sondern lediglich mit ihrem Namen und Mythos verknüpft. Umgekehrt verhält es sich dagegen für die unbekannte Tänzerin Louise Fritzjames. 295  D  ie Illusion des Schwebenden mittels des Spitzentanzes wurde im Nonnenballett von Marie Taglioni umgesetzt, nicht jedoch von dem Corps de ballet. Siehe Oberzaucher-Schüller, Gunhild: »La Sylphide, oder: verschleierte Phantasmagorien«, in: Dahms, Sibylle (Hg.), Meyerbeers Bühne im Gefüge der Künste, München/Paderborn: G. Ricordi & Co. Bühnen- und Musikverlag 2002, S.  283-304, v.a. S.  291. Dorris hält für das Nonnenballett jedoch fest, dass gerade das Corps de ballet durch seinen Tanz auf Spitze überzeugte: »Given the condescending remarks often made about ballet technique of the secondary dancers at the Opéra during this period, I am surprised at the extensive use of pointe by the corps and I look for a more formal analysis of style and technique than is here made possible.« Die Quellen dieser Annahme sind in Dorris’ Publikation nicht angegeben. Siehe: Dorris, »Two Balletic Sensations«, S. 335. 296  D  iagne, Mariama: »Boten zwischen Bühnen- und Lebenswelt. Ein Streifzug durch die Tanzgeschichte mit Blick auf die Darstellung von Untoten«, in: Behrens, Claudia/Burkhard, Helga/u.a. (Hg.): Tanzerfahrung und Welterkenntnis, Leipzig: Henschel 2012, S. 82-94. 297  Siehe Hutchinson Guest/Jürgensen, Robert le diable, S. 29f. 298  » ›The appearance of the nuns, dressed in white muslin, rising from their tombs‹, Lifar says, ›and of Marie Taglioni gliding sur les pointes – the shadow of a dream – made a considerable impression on the public.‹« Storey, Alan: Arabesques, London: Newman Wolsey Ltd. 1948, S. 148.

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»Robert le Diable«299 (1871) des französischen Malers Edgar Degas (1834-1917) festgehalten.300 Abb. 11: Das Nonnenballett als Ölgemälde von Edgar Degas (1871)

Die Körper der Tänzerinnen wirken in den leuchtenden Gewändern wie weiße Schatten (Abb. 11). Aufgrund der Schwäche des streuenden Gaslichts, waren zu dieser Zeit noch keine Schattenwürfe auf der Bühne möglich.301 Trotzdem erzeugte dieses Theaterlicht einen »körperlosen und unheimlichen Effekt«302. Aus dem Nonnenballett entwickelte sich ein Jahr später mit dem Libretto des Literaten und Ballettkritikers303 Théophile Gautier und in Anlehnung an Heines Er299 The Ballet from »Robert le Diable«, Edgar Degas, Öl auf Leinen, 66 x 54.3 cm, 1871, datiert 1872, H. O. Havemeyer Collection, Bequest of Mrs. H. O. Havemeyer, 1929. 300  Z  ur Zeit des Entstehens von Degas’ Bild lag die Uraufführung von Meyerbeers Oper bereits 40 Jahre zurück. In die zeitliche Distanz zwischen der getanzten Szene und ihrer bildlichen Fixierung schiebt sich die Entwicklung der Tanzgeschichte: Das Romantische Ballett mit seinen Narrativen und strukturellen Rahmungen (zwei Akte mit irdischer und überirdischer Welt) ist von den grand ballets, den längeren Stücken in vier Akten, wie La Bayadere (1877) oder Schwanensee (1877/1895), überholt worden. Die Form des Romantischen ist hier nicht mehr konstitutiv für das Narrativ, sondern zum symbolischen Stilmittel verarbeitet und somit weiterentwickelt worden. 301  Wittrock, Arabesken, S. 281. 302  Ebd. 303  G  autier ist im Besonderen bekannt für seine literarischen Entwürfe von Figuren, die dem Weltlichen entfliehen möchten. Storey hebt in seinen Ausführungen zur Arabeske im Roman-

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zählungen der Elementargeister 304 das erste eigenständige, von der Oper losgelöste Handlungsballett: La Sylphide (1832).305 Geister und andere untote Sujets des 19. Jahrhunderts erhielten durch den Wegfall der Flugmaschine und die Betonung des autonomen Schwebens durch den Spitzentanz der Ballerinen eine morbide Ästhetik des Lebendigen.306 Tänzerinnen auf Spitzenschuhen bestimmen noch heute die Ästhetik, mit der Darstellungen im Stil des Klassischen Akademischen Tanzes verbunden werden: Wer schwebt ist schwerelos, verkörpert Balance307 und repräsentiert das Ideal von Anmut und Grazie. Bis zu diesem Moment in der Tanzgeschichte ist mit dem Schweben der Figuren die Illusion des Geisterhaften lebender Körper verbunden. Schweben auf der Bühne ist immer mit einem Schweben-Sehen und das Gesehene als Schwebendes empfinden Wollen verbunden. Um den menschlichen Körper als verschwunden auszugeben, nutzte man nicht nur Lichtmaschinen und die mit ihtischen Ballett hervor, dass die Qualität der Beschreibungen dessen, was zu Gautiers Zeit auf der Bühne an Bewegungen tatsächlich wahrgenommen werden konnte, vor allem Stendhal zugesprochen werden müsse: »His criticisms, his adulations even, are far more terse, more clearly defined, than Gautier’s; when we read Stendhal we know what was danced and, more importantly, why.«, Storey, Arabesques, S. 65. 304  H  eine, Heinrich: Elementargeister [1834], in: Zeitler, Julius (Hg.): Heines Sämtliche Werke, Bd. 6, Leipzig: Tempel 1969, S. 1-74. 305 L a Sylphide: (UA): Paris, 12. März 1832, (C): Filippo Taglioni, (M): Jean Schneitzhoeffer, (L): Thépophile Gautier. Das Ende des Lebens der Sylphide setzt ein, sobald ein Mensch sie für sich halten und besitzen will: Das Geisterwesen verliert die Schwebe-Flügelchen, das sinnbildliche Zeichen der Flugkraft. Für die Bühne sind diese Flügel als Kostümerweiterung am Rücken der Tänzerin befestigt. 306  Z  um Verhältnis des Lebendigen zum Tod, siehe insbesondere: Macho, Thomas: Todesmetaphern. Zur Logik der Grenzerfahrung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1987; Blumenstein, Ellen/Ensslin, Felix (Hg.): between two deaths, Karlsruhe: Hatje Cantz 2007; Gehring, Petra/Rölli, Marc/Saborowski, Maxine (Hg.): Ambivalenzen des Todes. Wirklichkeit des Sterbens und Todestheorien heute, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007. Zum Topos des Lebendigen im Unsterblichen im 19. Jahrhundert vgl. u.a.: Borrmann, Norbert: Vampirismus, oder die Suche nach Unsterblichkeit, München: Eugen Diederichs 1998; Avanessian, Armen/Menninghaus, Winfried/Völker, Jan (Hg.): Vita aesthetica: Szenarien ästhetischer Lebendigkeit, Zürich/Berlin: Diaphanes 2009. 307  Z  ur ästhetischen Funktionalität der Balance seit Beginn der Akademisierung im Tanz vgl. auch: Jeschke, Claudia: »Anmerkungen zum performativen Wissen von Tanztechnik und Tanzschriften im 19. Jahrhundert«, in: Öhlingschläger, Claudia (Hg.): Körper-Gedächtnis-Schrif t. Der Körper als Medium kultureller Erinnerung, München: Erich Schmidt 1997, S. 178-195. Hier: S. 185: »Die Balance wird nicht nur durch die Ausdrehung der Beine gewährleistet, sondern ist im Stillstand vor allem von der Armhaltung, in den enchainements von der korrekten oppositionellen Bewegung von Armen und Beinen abhängig. […]. Die Oppositionen sind ›natürlich‹ und begründen die Plastizität des Körpers; sie wird in der Bewegungsproduktion als Wirkung angestrebt.«

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nen verbundene Ref lektion durch weiße Gewänder oder Tüllröcke, sondern den Körper selbst.308 Erst durch die Erfindung des Kalklichts, das genügend Leuchtkraft besitzt, waren Lichteffekte wie das Schattenwerfen möglich.309 Abb. 12: Fanny Cerrito in Ondine, ou La Naïade (1843)

Für die Frage nach der Schwere der Schatten, die als Lichtwürfe kein eigenes Gewicht haben, ist ein kleiner Solotanz im Repertoire der Romantischen Ballette aufschlussreich: der Pas de l’ombre. Hierbei handelt es sich um einen Schattentanz aus dem Handlungsballett Ondine, ou la Naïade310, das 1843, ein Jahr nach Giselle,

308  A  us dem breiten Literaturkorpus zum Romantischen Ballett und seinen fliegenden Figuren seien neben einschlägigen Lexikonartikeln (u.a. International Encyclopedia of Dance 1998) und Aufsätzen in Zeitschriften (Ballett-International/Ballett-Tanz/Tanz, Dance Research Journal, Theatre Drama Research), folgende, für die Studie relevante Publikationen genannt: Garafola, Lynn (Hg.): Rethinking the Sylph: new perspectives on the Romantic ballet, Hanover: Wesleyan University Press 1997; Brandstetter, Gabriele (Hg.): Leichtigkeit=Lightness, Köln: Böhlau 2003; Thurner, Christina »Wie eine Taubenfeder in der Luft. Leichtigkeit als utopische Kategorie im Ballett«, in: Brandstetter, Leichtigkeit=Lightness, S. 107-116; Brandstetter, »Tanz der Elementargeister«; Schneider, Katja: »Elementarwesen«, in: Oberzaucher-Schüller, Gunhild (Hg.): Souvenirs de Taglioni. Band 2: Bühnentanz in der ersten Hälf te des 19. Jahrhunderts, München: Kieser 2007, S. 213-223; Brandstetter, Gabriele: »›Geisterreich‹. Räume des romantischen Balletts«, in: Mülder-Bach, Inka/Neumann, Gerhard (Hg.): Räume der Romantik, Würzburg: Königshausen & Neumann 2007, S. 217-238. 309  Vgl. Wittrock, Arabesken, S. 281. 310 Ondine, ou la Naïade, (UA): 22. Juni 1843 im Her Majesty’s Theatre in London, (C): Jules Perrot, (M): Cesare Pugni, (Bühne): William Grieve. Besetzung: Fanny Cerrito (Ondine), Jules Perrot

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von Jules Perrot zur Musik von Cesare Pugni für die Tänzerin Fanny Cerrito (18171907) als Titelfigur choreografiert wurde. Die Choreografie der Ballettfassung ist nicht überliefert.311 Anhand einer Lithografie312 aus dem Jahr 1843 (Abb. 12) und einer Aufzeichnung der Rekonstruktion für eine verwandte Fassung in Sankt Petersburg lassen sich Abläufe nachempfinden, die Bewegungen im Schattentanz zeigen.313 Das Ballett basiert mit starken dramaturgischen Veränderungen unter anderem auf der Novelle Undine (1811),314 verfasst von dem deutschen Dichter Friedrich de la Motte-Fouqué.315 Zentrales Motiv ist die Liebe des Wassergeists Ondine zu einem Menschen. Lebendigkeit ist ein Seins-Zustand, der die Fähigkeit zu sterben miteinschließt. Perrot dichtete die höfischen Figuren aus De la Motte-Fouqués Novelle in gewöhnliche Alltagsmenschen um. Ondine verliebt sich in den Fischermann Matteo und schiebt sich wie ein Schatten in dessen Liebesverbindung zum Waisenkind Giannina ein. Nachdem eine Gruppe von Wassergeistern die Verlobte aus einem Boot in den See (tödlich) hinab gezogen hat, nimmt Ondine ihre Gestalt an. Im Moment höchster Freude über ihre Verwandlung (Matteo). Einen Kommentar zu Jules Perrot und seiner Choreografie liefert v.a.: Guest, Ivor: Jules Perrot: master of the romantic ballet, London: Dance Books 1984. 311  M  anuela Jahrmärker weist in ihrer musikhistorischen Analyse des Balletts darauf hin, dass ein Arbeiten mit Libretto und Komposition nur anhand späterer Wiederaufnahmen möglich ist. Die Veränderungen im Narrativ skizziert sie wie folgt: »Von den ursprünglichen sechs Bildern sind nur mehr drei erhalten, die das Auftauchen der Naïade, deren neckisches Spiel mit Matteo und Giannina und natürlich den Pas de l’ombre in den Mittelpunkt rücken. Die Mutter von Matteo ist durch dessen Vater ersetzt; dabei erhielt dieser den Namen Matteo, während Giannina hier Juanita und ihr Geliebter Beppo hießen.« Jahrmärker, Manuela: »Musikchoreographische Strukturen in den Ballett-Partituren des 19. Jahrhunderts am Beispiel von Manon Lescaut (1830) und Ondine (1843)«, in: Betzwieser/Mungen/Münzmay/Schroedter, Tanz im Musiktheater–Tanz als Musiktheater, S. 175. 312  L ithografie des Balletts Ondine ou La Naïade, mit der Tänzerin Fanny Cerrito als Ondine; Bühnenbild: William Grieve; Illustration der Schattenszene: Constantin Guys. 313  F ür die Beschreibungen der Bewegungen, die aus der Lithografie nicht zu entnehmen sind, verwende ich folgende Aufzeichnung: Rekonstruktion der Choreografie von Jules Perrot durch den französischen Choreografen Pierre Lacotte mit dem Mariinsky Ballett und Evgenia Obraztsova in der Titelrolle der Ondine, Sankt Petersburg 2006. 314  F ür einen Vergleich von Libretto und Novelle siehe u.a.: Au, Susan: »The Shadow of Herself. Some Sources of Jules Perrot’s Ondine«, in: Dance Chronicle, Vol. 2, No. 3 (1978), S. 159-171; sowie zur Einführung in das Ballett: Dies: »Ondine, ou La Naïade (1843)«, in: Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, hg. v. Carl Dahlhaus u. d. Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth unter Leitung von Sieghart Döhring, Bd. 5, München/Zürich: Piper 1994, S. 695-697. 315  P  errot orientierte sich zwar an der literarischen Vorlage, folgte dieser aber nicht, aufgrund von Missfallen: »The mediaeval trappings with which the original work was heavily overladen were rejected, the setting was transposed from Danube to a sunnier, Mediterranean clime and – reflecting, significantly, Jules’ vision of the hero as a common man – the knight errant hero was turned into a Sicilian fisherman.« Siehe: Guest, Jules Perrot, S. 98.

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entdeckt sie ihren eigenen Schatten und tanzt mit diesem. Symbolisiert wird hier eine Auffassung, die bereits im alten Ägypten galt: »Solange der Mensch lebt, wird er in seinem schwarzen Schatten sichtbar.«316 Umgekehrt gilt dann auch, dass nur wer lebt, auch einen Schatten werfen kann. Damit kennzeichnet auch das Ballett Ondine den »Bewegungstopos des romantischen Balletts«317: Das Sterblich-Werden der Unsterblichen. Ein Merkmal der Ballett-Pantomimen des 19.  Jahrhunderts ist das Hervorheben von alltäglichen Gesten, die in stilisierter Form zitathaft in die strenge Formensprache des Klassischen Balletts eingebettet sind.318 Auf diese Weise werden Bewegungsspielräume geöffnet, in denen eine spezifische Sinnlichkeit der Ausführenden Platz findet – und von Betrachtenden als solche erkannt werden kann. Im Pas de l’ombre sind es die Gesten des Streichens und Tastens, mit denen der Wassergeist den eigenen Schatten spürt. Über die Handbewegung des Fühlens ist die lebendige Leichtigkeit mit der ›Schwere des Sterblichen‹ verknüpft. Den dunklen Schatten in der körperlichen Annäherung zu spüren, hieße dann in Ondine, sinnlich das Leben denken. Dieser Aspekt der gravitas (das in suspenso) ermöglicht also ein spezifisch sinnliches, wie die Sinne verschiebendes Verhältnis der Schatten zu den sie werfenden Körpern. Ondine spürt den Schatten durch das Tasten und erkennt im wiederholenden Spüren ihre Lebendigkeit. Erfüllung findet sie als Sterbliche in Perrots Ballett nicht. Die Sterblichkeit ist, interpretiert man die gravitas physisch, beschwerlich. Ondine wird zunehmend schwächer und muss in ihren ursprünglichen Wesenszustand als unsterblicher Wassergeist zurückkehren, um zu ›überleben‹. Im Kontext der körperlichen Haltung im Modus des Schwebens ist an dieser Stelle die Bewegung aufschlussreich, mit der Ondine ihren Schatten spürt. Die Tänzerin beugt sich über ihren Tüllrock und blickt hinunter zum Schatten (Abb. 12). Dabei weicht sie von der kodifizierten, geraden Körperhaltung ab, die der Akademische Tanz zur Verkörperung von Anmut und Grazie fordert. Vor allem in Rekonstruktionen der Choreografie wird dieses Abweichen von der Regel als Zeichen einer Lebendigkeit und somit neugewonnenen Freiheit der Körperform deutlich. So etwa in der Choreografie von Pierre Lacotte für das Mariinsky Ballett in St. Petersburg aus dem Jahr 2006. In der Rolle der Ondine hält darin die Tänzerin Evgenia Obraztsova mehrere Male im Schrittverlauf inne und beugt sich zu ihrem (neu gewonnenen) Schatten vor. Die Lithografie kann diese Beuge in stilisierter Form nur als einmalige Bewegung festhalten und muss sich anderer Mittel bedienen, um die Berührung zu gestalten: In der Zeichnung liegt die Fußspitze des Schattens schwer auf dem Boden und ist nicht mit der leuchtend hellen Schuhspitze der Tänzerin verbunden. In die316  Stoichita, Eine kurze Geschichte des Schattens, S. 19. 317  Au, »Ondine, ou La Naïade (1843)«, S. 696. 318  V  gl. hier u.a. auch die Wahnsinnsszene aus Giselle, die den Übergang der sterblichen Figur durch das ›Sterben-Tanzen‹ in einen unsterblichen Elementargeist markiert.

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sem Zwischenraum der Füße wird deutlich, dass das Geisterhafte der Ondine erhalten bleibt, solange sie schwebt. Erst in der Berührung mit dem Schatten, der wie ein Licht-Schleier Lebendigkeit anzeigt, nähert sie sich dem Lichtwurf und gewinnt im physischen ›Schwere-Geben‹ die ersehnte Erdenschwere. Dass damit ein ›Sturz‹ aus dem Leben verbunden ist, visualisieren Distanz und Fläche des Schattenkörpers. Würde sich die Tänzerin dem Schatten zu stark nähern, verdunkelte sich ihr helles Wesen – so, als ob sich der Schatten den Körper der Ondine einverleibe. Der Pas de l’ombre markiert einen Wechsel, der im Ballett Giselle noch nicht deutlich wurde: In Ondine wird der unbestimmte Schatten auf der Bühne zu einem ›entkörperten‹ Schatten und ermöglicht zugleich die Wahrnehmung einer physischen Präsenz von Schattenkörpern. In der bildlichen Anordnung von Schatten und Tänzerin würde auch ein Echo des Platonischen Höhlengleichnisses mitschwingen: Wenn gilt, dass der Schattenwurf in den »Ursprüngen der epiphenomenalen Verdopplung, vor dem Spiegelbild, zu verorten«319 ist. * Gravitas bedeutet für Ballettpantomimen, die im Schattenreich stattfinden, den gewichtslosen Figuren über ein visuelles Medium (den Körper im Kostüm auf Spitze) Gewicht zu verleihen. Das Gewicht-Geben erfolgt über eine Technik, mit der die Illusion eines Gewicht–Nehmens perfektioniert wird. Der Schatten hält mit seiner Lichtarmut eine optische Schwere bereit und verleiht der Seele, dem Wesen der Ondine, Gewicht. Zugleich markiert der Schatten auch die Materialität des gewichtlosen Körpers. Liest man die mythische Erzählung von Ondine (1843) als Fortführung der Schattenthematik, die in Giselle (1841) abstrakt zum Ausdruck gebracht wurde, könnte das zwei Jahre später entstandene Ballett Der Schutzgeist (1845) als Steigerung dieser Faszination gedeutet werden: Die Ballettpantomime in zwei Akten wurde von dem Tänzer, Ballettmeister und Choreografen Paul Taglioni (1808-1884) zur Musik von Hermann Schmidt choreografiert und in Berlin uraufgeführt. Ähnlich der Hochzeitskatastrophe in Giselle ringen die Protagonisten in konf liktreichen Beziehungsgef lechten um die Liebe. Ort der Handlung ist ein Fürstentum in Italien im 16.  Jahrhundert. Der Ritter Loredan (in der Originalbesetzung getanzt von Taglioni) steht kurz vor der Hochzeit mit seiner Verlobten, Angela. Da er dem Großherzog Gaetano nahesteht und eigentlich dessen Wünschen folgen muss, löst Loredans Ablehnung der Hochzeit mit der Tochter des Fürsten, Eudoxia, eine tödliche Intrige aus: Die Gräfin Angela muss sterben. Der Körper der Angela ist im zweiten Akt in eine ›Erscheinung‹, einen Schutzgeist verwandelt. Die Figur ist für diesen Moment (ähnlich wie Platons Beschreibung der Eurydike im Symposium) ›nur‹ Schatten – und somit Projektion der Seele einer 319  Stoichita, Eine kurze Geschichte des Schattens, S. 23.

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Lebenden, und später des Geistes einer Ermordeten. Marie Taglioni (1804-1884), die Schwester Paul Taglionis, tritt als Angela mit ihrem Körper ›als‹ Schatten auf und vermittelt über ihre Auftritte die Lebendigkeit der abwesenden Figur, sowie den späteren Tod durch Mord. Das Schweben im Romantischen Ballett ist in szenischer Weise mit dem Schatten als Ort des Lichtlosen verbunden. Räume wie der Friedhof oder Plätze, an denen Menschen sterben, wurden als theatrale Mittel eingesetzt, um das Verschwindenlassen der Figuren ins Zentrum zu rücken. Die Pathosformeln320, die den Tanz des 18. Jahrhunderts über die Körperbilder der Antike durch erzählerische Gesten bestimmten, sind im 19. Jahrhundert über den Schatten zu Toposformeln geworden. In diesen Schattenräumen erhält die Schlüsselpose des Klassischen Akademischen Tanzes eine neue Bedeutung. Die Arabeske ›erzählt‹ keine Geschichte, aber sie bestimmt über die Figuren der Narrative die Darstellung einer inneren Sphäre (seelische Gestimmtheit) sowie über äußere Räume (Friedhof) imaginäre Sphären wie das Schattenreich. Das Beugen des Torsos, wie es vor allem im Pas de l’ombre der Ondine stattfindet, kann nicht allein als freie Interpretation des gestischen und tanztechnischen Vokabulars gelesen werden. Mit der Beuge zeigt sich vielmehr ein unsichtbarer Code der Ref lexion und Kontemplation, die den Klassischen Akademischen Tanz ebenso begleitet, wie das virtuose Präsentieren von Schrittfolgen. Ondine gibt der Schwere des Torso nach, um die Erdenschwere ihrer Menschlichkeit zu spüren.

Schwere Seelen. Wenn der aplomb fällt Die Arabeske im Klassischen Akademischen Tanz lässt sich mit Blick auf die Tanzpraxis und Forschungsliteratur nicht auf eine Pose reduzieren, mit der im ›Stillstand‹ die ideale Lotgerade des Körpers im aplomb markiert wird. Die Arabeske hebt durch Linien, die ins Unendliche reichen, einen Moment im stilisierten Gehen hervor. Das Bild der Grenzenlosigkeit dieser Figur greift nur bedingt. Die Arabeske spielt (und hier zeigt sich der ornamentale Charakter) in ihrer Dynamik immer auch mit der möglichen Abweichung von der Lotgerade, dem »Gradmesser für die senk- beziehungsweise lotrechte Haltung des Körpers und seiner Bewegung.«321 In der Abweichung liegt das expressive Potential der Arabeske und das damit verbundene Spannungsverhältnis zwischen äußerer Bewegung (Linienführung) und innerer Bewegung (emotionaler Gestimmtheit), wie es in Blasis’ Schriften fixiert ist. 1857 verfasste Blasis mit L’uomo fisico, intellettuale e morale

320  I n den 1920er Jahren stellte Warburg einen Bildatlas zusammen, der dazu verhalf, Körperposen auf Werbeplakaten mit Körperbildern der Antike in Verbindung zu setzen und für bewegungs- und körperspezifische Analysen heranzuziehen. 321  Wortelkamp, »Von der Wanderung der Geraden zur Schrägen«, S. 184.

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eine Schrift,322 in der nicht nur die äußere Bewegung des menschlichen Körpers zu Gunsten einer tänzerischen Grazie angeleitet werden sollte. Einen Vergleich dieser Schrift mit dem Traité Élémentaire, Théorique et Pratique de l’Art de la Danse (1820) unternahm die Tanzwissenschaftlerin Isa Wortelkamp. Darin bespricht sie die Körperhaltungen aus der Geraden und deren Abweichung in die Schräge. »Der veränderte Blick des Choreographen«323 schlage sich Wortelkamp zufolge im L’uomo fisico in Körperposen nieder, die in Schräglage und Kurven gerückt sind. Aus den »Strichzeichnungen [, die, M.D.] aus dem Raster der Lineatur befreit«324 sind, entspringt in der Krümmung, in der Abweichung eine Form von Ausdruck. Deutlich wird dies in Zeichnungen, in denen die Relation von Lotgerade und Schräge oder Kurve entlang der Körperglieder oder ausgehend von der Blickrichtung der Strichfigur bereits mit einem ›Gradmesser‹ eingezeichnet ist. Wortelkamps Gegenüberstellung der beiden Traktate schließt mit Hinführung auf das Potential des Gestischen. Es bringe »mit der Überschreitung der Mitte des Körpers dessen Ausdruckskraft«325 hervor – und zwar in Analogie zur Arabeske, die »in ihrer Expansion und Transformation ihr gestisches Potential entfaltet.«326 Um welche Formen von Ausdruck handelt es sich in den Zeichnungen aus Blasis’ L’uomo fisico genau? Woran zeigt sich dieses Potential des Gestischen? Das dynamische Spannungsverhältnis von leicht und schwer, wie es mit dem Begriff der gravitas präzisiert werden kann, gibt Anlass zur Re-Lektüre der Zeichnungen. Betrachtet man das Traktat mit Einbezug der Diskurse um die gravitas und mit Fokussierung auf die Gesten der Trauer, verweisen die Strichfiguren sowie die »Figuren-Schrift«327 in Verbindung mit ihren von Blasis verfassten Beschreibungen auf den Kodex einer Ausdrucksgebärde, die später auch für das Tanztheater von Bausch von großer Bedeutung zu sein scheint. Den Strichfiguren und Körperzeichnungen lässt sich ein Gestus entnehmen, der dem Habitus von Trauernden im 19. Jahrhundert entspricht: gebückter Oberkörper, nachgezogene Beine, gesenkter Kopf.328 Diese Umsetzung der Abweichung vom Lot zeigt sich vor allem in der Darstellung von Gestimmtheiten, wie dem inneren Rückzug oder der Kontemplation. 322  Blasis, Carlo: L’uomo fisico, intellettuale e morale, Mailand: o.V. 1857. 323  Wortelkamp, ebd, S. 194. 324  Ebd. 325  Ebd., S. 196. 326  Ebd. 327  M  it Brandstetter wird die Zeichnung von Figuren in Abgrenzung zu den Notationen von Schrittfolgen als ›Figuren-Schrift‹ bezeichnet. Siehe Brandstetter, »The Code of Terpsichore«, S. 53. 328  V  gl. hierzu im Besonderen die Studie zu somatischen Praktiken der Trauer im 19. Jahrhundert: Buchner, Moritz: Warum weinen? Eine Geschichte des Trauerns im liberalen Italien (1850-1915), Berlin: De Gruyter 2018.

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Abb. 13 und Abb. 14: Figur 4 und Figur 2 aus Carlo Blasis’ L’uomo fisico (1857)

Die dynamische Krümmung der Körperlinie der Strichfigur 4, »La meditazione«329 (das Nachdenken), die entgegen der Leserichtung von rechts nach links positioniert ist, entspricht dem Habitus eines inneren Rückzugs (Abb. 13). Die Arme sind vor dem Brustkorb gekreuzt, der Kopf geneigt, die Gehbewegung wirkt verlangsamt, weil der Torso leicht hinter der Lotgeraden liegt, die durch das vordere Standbein geht.330 Für ein Bestimmen der Leichtigkeit im Verhältnis zur Schwermut sind Blasis’ Beschreibungen der »Fig. 2«331 (Abb. 14) wertvoll. Der Arm ist gebeugt, der Kopf lehnt am Oberarm, die Hand hängt nach unten, der Körperschwerpunkt liegt im nach oben gehaltenen rechten Ellenbogen. Darauf deutet auch die zart eingezeichnete Mauer im Hintergrund der Frauenfigur. Anhand der Linien der Wand und ihrer Relation zum Körper der Figur, lässt sich annehmen, dass sie an dem Vorsprung der Mauer lehnt. Blasis weist der Körperhaltung folgendes Spektrum an Charakteristika zu: »Fig. 2. Abbattimento, lamento, compianto, malinconia, tristezza, preghiera, supplica, scoraggiamento, pentimento, implorare, abbandono del mondo. – Linea che allontanandosi dalla linea perpendicolare che cade al centro di gravità, si curva, ed indica l’attitudine del corpo abbattuto da un patimento. Rilasciamento di muscoli.« 332 329  Blasis, L’uomo fisico, Fig. 4, S. 211. 330  W  enn auch nicht von Blasis intendiert – die Überlagerung der Striche, die durch die Rückseiten des Papiers hindurchscheinen, verstärken den Eindruck des lebendig Dynamischen und Plastischen der Strichfiguren. 331  Blasis, L’uomo fisico, S. 218f. 332  Ebd.

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Melancholie (malinconia), Traurigkeit, (tristezza), Klage (lamento) und sogar eine ›Weltabgewandtheit‹ (abbandono del mondo) kämen für Blasis in dieser Haltung als innere Bewegungen zum Ausdruck. Eine Pose, die durch die Krümmung, die Abweichung von der Perpendikularlinie (linea perpendicolare) und vom Gravitationszentrum (cade al centro di gravità) und durch ein Entspannen der Muskeln (rilasciamento di muscoli) erzeugt wird. Diese Figuren-Schrift verweist auf eine Lesart, für die Blasis einen oxymoralen Blick fordert: In der Leichtigkeit der Bewegung (rilasciamento di muscoli) muss zeitgleich die seelische Schwere (abbattimento) der Gebärde wahrgenommen werden. Die Charakteristika erinnern einerseits an Darstellungen Trauernder auf Grabsteinen, wie sie besonders Teil der Trauerkultur des Bürgertums im 19. Jahrhundert und beginnenden 20. Jahrhundert waren.333 Abb. 15: Melencolia I, Albrecht Dürer (1514)

Andererseits erinnern sie an Albrecht Dürers 1514 entstandenen Meisterstich Melencolia I (Abb. 15). Der nachdenkliche Engel weist allerdings eine andere Haltung der Schwere auf. In der sitzenden Figur ist der Kopf auf die zur Faust geschlossenen Hand gestützt. 333  Z  u Körperpraktiken und bildlichen Darstellungen der bürgerlichen Trauerkultur dieser Zeit vgl.: Buchner, Moritz: » Die Moralisierung der Gefühle«, in: Ders., Warum weinen?, S. 180-234. Zu den Darstellungen weiblicher Trauernder durch Grabstatuen siehe: Götz, Anna-Maria: »Projektionen des Diesseits. Friedhof, Tod und Weiblichkeit in Europa um 1900«, in: Buchner/ Dies., Transmortale, S. 180-195.

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Die der Figur zu entnehmende Körperkraft scheint wiederum aus der statischen Verbindung von Ellenbogen, Knie und Bein gewonnen zu werden. Der Kunsthistoriker Rainer Hoffmann spricht mit Rückgriff auf Diskurse um Dürers Stich von »gravierenden ›Leichtigkeiten‹ in der Haltung des Kopfes«334 der Melencolia I. Das Gravitationszentrum des Körpers liegt im unteren Teil des Rumpfes, da weder Beine noch Füße zur aufrechten Haltung des Oberkörpers beitragen – sie ›ruhen‹ angewinkelt vor dem Körper. Der Blick der Figur folgt jedoch nicht der Schwere des Kopfes, sondern ist durch die hochwärts geführten Augen ›von unten‹ hinauf in den Himmel zum Fixstern gerichtet. Das Figurative der Melencolia I ließe sich in dieser Blick-Achse lokalisieren. Der nach oben f liehende Blick der Augen mag gerade deshalb ›leicht‹ – und somit vielfach lesbar – sein, da die Bewegung der Augen im Kontrast zur Haltung der Figur steht: Stasis und Physis des Körpers der Melencolia I, sowie die eingezeichnete Umgebung und Enge des Bildausschnitts weisen eine Schwere und Stabilität auf, die die »Hohe Frau der Melancholie«335 unbeweglich erscheinen lässt. Aus dieser stilisierten Immobilität – die als Nuance der gravitas bezeichnet werden kann – gewinnt die Blickachse zwischen Augen und Fixstern eine Dynamik des Volatilen. Gerade Maler und Bildhauer scheinen zur Darstellung des inneren Rückzugs die Schwere des Geistes in die stützende Hand zu verlegen. Jean Starobinski liest diese Anordnung der Körperglieder als Darstellung einer nicht lösbaren Ambivalenz, in der die »inspirierte Gewichtigkeit und das nachdenkliche Genie […] oft die Mitte zwischen diesen beiden Zuständen [halten, M.D.]: der Künstler, der diese Personen darstellt, möchte sie uns als vom Gefühl des Todes und von unsterblichen Gedanken erfüllt wissen lassen. Daher die vielfache Bedeutung, die in den bildenden Künsten die gebeugte Haltung annehmen kann, wobei der Kopf manchmal von der Hand gestützt wird.«336 Dürers Melencolia I sitzt durch die nach oben gezogenen Flügelgelenke, die wie ein zweites Paar Ellenbogen wirken, aufrecht und hält der Schwere des Geistes etwas schwer Schwebendes entgegen. In Zeichnungen, die wie Blasis’ Figuren das Performative zum Ausdruck bringen, scheint die Geste des Schweren, die Starobinski als »beschwerte Gegenwart des Körpers, die Abwesenheit des Geistes« (FN): Starobinsky, Melcancholie im Stpiegel, ebd. bezeichnet, von der Hand in den Fuß gewandert. Zur Verdeutlichung dieser Gebärde lässt sich hier ein weiteres Bei334  H  offmann, Rainer: Im Zwielicht. Zu Albrecht Dürers Meisterstich Melencolia I, Köln: Böhlau 2014, S. 166. 335  Ebd., S. 7 336  S tarobinski, Jean: Melancholie im Spiegel. Baudelaire-Lektüren, München: Carl Hanser 1992, S. 47.

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spiel aus Blasis’ Traktat L’uomo fisico anführen: Eine Stehende. Die ›Figur Nr. 7‹ ist von rechts nach links positioniert und verdeutlicht eine Druck-Gebung im Gehen (Abb. 17).337 Abb. 16: Figur 7 aus Carlo Blasis’ L’uomo fisico (1857)

Dabei hält sie die Handballen derart nach vorn, als würde sie im Ansatz zu einem Schritt ein Gewicht von sich schieben. Der Ballen der rechten Hand und die Fingerspitzen der linken Hand sind über eine fein eingezeichnete Lot-Schräge mit dem rechten Bein verbunden. Der offene Blick der ›Figur Nr. 7‹ ist über die ›Haltung‹ der Arme und Beine mit der Statik des Körpers verbunden, so dass hier körperliche Haltung und innere Haltung miteinander verschränkt wirken. Als Charakteristika fügte Blasis dieser Figur folgendes Spektrum zu: »Fig. 7. Aspettare, calmare, fermare. Corpo mosso avanti, per desiderio, per buon volere, per premura, per attaccamento. Linea obliqua, cadendo innanzi, e così descrive un triangolo, come nelle precedenti figure. Animo sensibile e delicato; movimenti corporali ondulati con soavità« 337  Blasis, L’uomo fisico, Plate III, S. 218f.

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Blasis fügte der melancholischen Haltung seiner Figuren somit eine Leichtigkeit hinzu, die der bildlichen Figuration des Melancholischen in Dürers Melencolia I fehlt: Die Figuren aus Blasis’ Traktat befinden sich innerhalb der Schreit-Bewegung. Bedeutsam ist hierzu ein Detail, das Blasis in der Beschriftung der gesamten Tafel III der plastischen Figuren eingefügt hat: L’uomo fisico, intellettuale e morale. Opera. Di Carlo Blasis. Mit dem Zusatz ›Opera‹ reduziert Blasis den Interpretationsrahmen der Figuren auf den Ort der Bühne. Blasis schien die Haltung der Figuren demnach bereits in Bewegung, in Interaktion und räumlich zu denken. Die Abweichung oder Krümmung des Körpers in der Figur 7 entspricht in der Stärke der Kurve zwar nicht den anderen Figuren, dafür weist sie eine Dynamik auf, die aufschlussreich für ein gesteigertes Energie-Level sein könnte, das den Figuren grundsätzlich inhärent zu sein scheint. Vergegenwärtigt man sich das Bild der Hebefigur aus dem ersten Akt »Trauer« aus Bauschs Orpheus und Eurydike, ließe sich bereits an dieser Stelle ein erster Vergleich der Körperdynamiken unternehmen: Die emporgehobene Tänzerin, deren gesamter Körper entspannt, aber zugleich in höchster Körperspannung in der Luft liegt, ähnelt in Dynamik und Haltung der Druck gebenden Figur 7 aus Blasis’ L’uomo fisico. Dieser Vergleich erfordert ein gedankliches Kippen der Lotgeraden – mit dem die Körperposen bei Blasis imaginär aus der Vertikalen in die Waagerechte gelegt werden. Blasis’ melancholische Arabesken sind über Umwege in das 20. Jahrhundert gelangt. Zum einen lassen sie sich in den grands ballets finden, mit denen sich Tanzschaffende Ende des 19. Jahrhunderts von der Form des Romantischen Balletts verabschiedeten. Große Werke wie Schwanensee (1877/1895) oder La Bayadère (1877) brachen mit der dramaturgisch klaren Struktur der Übergangsszenarien vom ersten in den zweiten Akt. Mit einer Erzählzeit von vier Akten nahmen sich Komponisten wie Peter I. Tschaikowsky genug Raum, um ihren Narrativen eine psychologische Tiefe zu verleihen. Zugleich feierte sich die Bühnenkunst Ballett selbst, indem sie die einst übersinnlichen Orte zu Gestaltungsräumen des Abstrakten überführte. In Schwanensee ist es nicht mehr das diffuse Licht, das neben den Tüllröcken den unheimlichen Ort der untoten Wili-Geister erscheinen lässt. In dem grand ballet tanzen mehr als 30 Schwäne in geometrisch angeordneten, choreografischen Formationen und bestechen darin viel mehr durch die Präzision des kollektiven Schritte-Setzens. Ähnliches ließe sich über La Bayadère sagen. Im dritten Akt des grands ballets treten die Schatten auf: 32 Tänzerinnen in Tellertutus gehen in unzählig aneinandergereihten Arabesken serpentinenartig eine Bühnenrampe hinunter und präsentieren ein tableau vivant. Der Effekt liegt nicht im Plastisch-Werden der Form hin zu einem Raum, sondern umgekehrt: der Raum wird plastisch. Die Arabesken-Gänge der Tänzerinnen von der oberen rechten Bühnenseite zur unteren linken Bühnenseite erzeugen den Eindruck einer Bewegung auf der Fläche – ohne dritte Dimension.

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* Ein Weiterdenken der Form fand auch auf tanztheoretischer Ebene statt. Enrico Cecchetti, der ein Schüler Filippo Taglionis (1777-1881) war, bewegte sich zwischen den Stilen der Romantik und der sich bereits ankündigenden Avantgarde. Dabei schwebt er wie eine Schattenfigur in der Tanzgeschichte. Cecchettis Interpretationen von Blasis’ Arabesken gebe ich hier aus einem bestimmten Grund Raum: Einerseits arbeitete Bausch vor ihrem Antritt als künstlerische Leiterin des Tanztheater Wuppertals sehr eng mit dem Tänzer Jean Cébron zusammen, in dessen Stücken sie tanzte.338 Seine Ausgestaltung der klassischen Grundlage im Tanz basierte auf Cecchettis Methodik. Andererseits erfolgte Bauschs Ausbildung, auf die ich an späterer Stelle noch einmal genauer eingehen werde, an der Folkwang Schule in Essen sowie in den USA während ihres Stipendiums durch Tudor. Der britische Choreograf griff in seinen Stücken und pädagogischen Ansätzen im Besonderen auf Cecchettis avantgardistische Ansätze zurück. Zur Argumentation der Krümmung des aplombs sei ein Detail aus Cecchettis Gestaltung der Arabeske hervorgehoben: In der Tanzpraxis und -ausbildung ist Cecchetti vor allem für das Einführen einer ›fünften‹ Pose der Arabeske bedeutend. Für diese Pose werden beide Arme während der Arabeske nach vorne ausgestreckt, so dass eine Art Fluchtbewegung entsteht. Die Gebärde des nach vorne Reichens ist bereits in Blasis’ Figuren-Schrift angelegt. Cecchetti erweiterte das Vokabular und Repertoire der Arabesken um diese Armhaltung. Die Tanzforscherin Flavia Pappacena hat die Notationen seines Sohnes Grazioso Cecchetti mit Kommentaren zur Ausführung und Weiterentwicklung in den Handbüchern Complete manual of classical dance: Enrico Cecchetti method (Vol. 1 & 2) publiziert.339 Neben den Darstellungen der Arabeske nach Cecchetti visualisieren gerade die Zeichnungen zu weiterführenden Bewegungen, wie dem sissonne (einem Sprung aus dem Stand, von zwei Beinen, mit Landung auf einem Bein), inwieweit die Krümmung aus Blasis’ Traktaten in die Tanztechnik übergegangen ist. Unternimmt man einen Blick in weitere Umwertungen der Arabeske bei Cecchetti, fällt eine Haltung auf, die später im Ausdruckstanz und im Tanztheater von Bausch

338  S iehe auch: »Jean Cébron«, in: Koldehoff/Pina Bausch Foundation: »Glossar«, in: Dies., O-Ton Pina Bausch, S. 348-369. Hier: S. 352. 339  C ecchetti, Grazioso/Pappacena, Flavia: Complete manual of classical dance: Enrico Cecchetti method, Vol. 1, Rom: Gremese 1997; Dies.: Complete manual of classical dance Enrico Cecchetti method, Vol. 2, Rom: Gremese 1998. Zu weiteren Auseinandersetzungen mit Cecchetti vgl. auch: Beaumont, Cyril W.: Enrico Cecchetti. A memoir, London: Beaumont 1929; Racster, Olga: The Master of the Russian ballet. The memoirs of Enrico Cecchetti. With an introduction by Anna Pavlova [1922], New York: Da Capo Press 1978; Hutchinson Guest, Ann/Bennett, Toby: The Cecchetti legacy. An analysis and description of the Cecchetti method of classical ballet, Alton Hampshire: Dance Books 2007.

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sehr häufig als Stilmittel eingesetzt wurde: Das Zurückwerfen des Kopfes in den Nacken, so dass der Hals, die wohl verletzlichste Zone des Körpers, frei liegt. Abb. 17: Figur Nr. 529, »Sissonne« nach der Methode Enrico Cecchettis

Der Schwerpunkt dieser als sissonne bezeichneten Sprungbewegung (Abb. 17) liegt in der (rechten) Hüfte. Die Schultern sind in der Zeichnung der ›Figur Nr. 529‹ zurückgehalten. Die Arme führen aus den Schultergelenken nach vorne, sind jedoch nicht weit ausgestreckt, sondern wirken leicht gehalten. Dass der Pose eine Schwere in Ausführung und Wirkung zugrunde liegt, zeigt der in den Nacken geworfene Kopf. Gibt man dem Kopf eine Blickrichtung, dann können die Augen in dieser Haltung nicht mehr zur Stabilisierung des Körpers beitragen (wie dies der Fall wäre, wenn der Blick nach vorne gerichtet ist). Im Gegensatz zur Kurve und Schrägen bei Blasis ist hier eine multiple Krümmung eingesetzt. Die Blickachse zieht den Körper nach oben, die nach vorne reichenden Arme halten gemeinsam mit dem nach hinten gestreckten Spielbein, der Beuge im Standbein und der Hebung der Ferse, den gesamten Körper ›In-Schwebe‹. Knüpft man gedanklich an die Fragen zur Dichotomie von leicht und schwer an, lässt sich auch hier eine Nuance der gravitas bestimmen: Das Schwere des Schwebens ist in dieser Haltung auf multiple Zentren verteilt, so dass von einer Vervielfältigung der Schwerpunkte zugunsten einer Auf hebung des Schwebens im aplomb gesprochen werden muss. Die gravitas des pas grave scheint in die Arabeske und in die Attitüde sowie in die Posen der meditazione übergegangen zu sein. In Verbindung mit den Motiven übersinnlicher Figuren im Schattenreich, die durch den Friedhof (grave-yard) repräsentiert sind, scheint die Arabeske ihre räumliche Entsprechung gefunden zu haben. * Schweben lässt sich im Romantischen Ballett mit einem Plastisch-Werden‹der Umrisse und Flächen gleichsetzen, welche die Strichfiguren Blasis’ und Cecchettis begleiten. Es sind die Schatten der Körper, die in den Raum verlegt wurden

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und sich (Papier- wie Raum-)Grenzen überschreitend auf die gesamte Szene ausdehnen. Das Reich der Schatten in Giselle besteht zunächst aus Projektionen, die in der Nacht als Geister erscheinen. Der Ort wird über ein Kollektiv erzeugt. Schatten sind allerdings seit der Antike nicht nur als unbestimmte Flächen zu verstehen, die den Raum der Nacht und Sphären des Geisterhaften markieren. Schatten haben Körper und verweisen auf eine Form der Individualität und Lebendigkeit: In Ondine ist es ein Licht-Körper neben dem Leib der Tänzerin. Die Körperlichkeit des Schattens wird durch die gebeugte Haltung der Tänzerin vermittelt. Im Ballett Der Schutzgeist fallen Schatten und Mensch als Körper zusammen. Die choreografierten Schritte der ›Erscheinung der Gräfin Angela‹ verschmelzen mit der Imagination eines tanzenden Schattens. Körper, Bewegung und projektiver Raum sind im Reich der Schatten in den Romantischen Balletten und ihren Narrativen nicht mehr voneinander zu trennen. Von Gewicht ist der sie begleitende Aspekt der Zeitlichkeit: Schatten sind als Stellen und Formen in der Oberwelt zeitlich begrenzt und verweisen auf das Vergehen von Zeit und in diesem Sinn auf die Vergänglichkeit von Leben. In der Unterwelt sind Schatten als Ort und Körper zeitlos und verweisen auf ein Stillstehen von Zeit und auf vergangenes Leben – denn wo keine Zeit mehr vergeht, ist auch kein (vergängliches) Leben mehr möglich. Schatten sind demnach nicht nur Körper und Ort zugleich, sondern auch Zeit. Der Ort der Schatten in der Unterwelt ist ein Ort der Ewigkeit von Nicht-Leben. Zugleich hat sich aus diesen Motiven des Schwerelosen ein abstraktes Denken über Schwerelosigkeit entwickelt, das bereits im 19. Jahrhundert erahnen lässt, dass die Qualitäten der Schwere im Tanz zukünftig eine größere Aufmerksamkeit erhalten müssen. Der Klassische Akademische Tanz hebt sich demnach insofern von dem Akademischen Tanz des 18. Jahrhunderts ab, als dass ein nicht-tänzerisches Motiv ins Zentrum gerückt wurde, in welchem die Haltung der Körper nun primär verortet wird. Die ausgedehnte Schatten-Stelle avancierte nicht nur bei Schiller zum Sehnsuchtsort. Sie ist konstitutiv für jene Räume der Romantik, in denen sich weibliche Tanzende als Elementargeister auf halten. Durch die Platzierung von Körperhaltungen wie der Arabeske im dunklen Bühnenraum behält das Romantische Ballett nicht nur den pas grave bei, sondern entwickelt aus dieser Haltung heraus spezifische Sphären des Übersinnlichen. So etwa das Reich der Schatten, das zu einer ›Ästhetik des Erscheinens‹ durch »irreale Sinnenobjekte«340 beiträgt. Die Schwere im Schweben ist in der hier unternommenen Perspektivierung also nicht nur Gestaltungsmittel narrativer Vorlagen – vielmehr ist das Schwere Schweben 340  I rreale Sinnenobjekte sind der Phänomenologie Martin Seels zufolge »Gegenstände, die nicht (wenigstens prinzipiell) in der Reichweite unserer Wahrnehmung sind. Sie können uns – wie die Dinge, soweit wir wissen, liegen – nicht als empirische Gegebenheiten präsent sein.« Seel, Martin: Ästhetik des Erscheinens, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003, S. 122.

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medial zu denken, indem es durch die spezifische dynamische Haltung der Körper raumkonstitutiv ist. Inwiefern das Reich der Schatten über die gravitas der griechischen Antike und durch die Räume der Romantik bis hin zur Moderne und ihrer Avantgarde-Bewegungen in den Künsten und in der Physik Albert Einsteins zum Motor künstlerischer Innovationen und Reformen avancierte, zeigt nun ein BLICK ZURÜCK NACH VORN, beginnend mit den ›Topografien des Schwebens‹.

BLICK ZURÜCK NACH VORN

3. Topografien des Schwebens. Schwerkraft-Räume seit der Moderne »Zwei Kräfte herrschen über das Weltall: Licht und Schwere.« 1 Simone Weil, Schwerkraft und Gnade Das Reich der Schatten avancierte in der Moderne zum Motor künstlerischer Innovationen und Reformen von »Schwerkraft-Räumen«2. Theaterhistorisch führte der Schattenwurf zur bedeutendsten Umwertung der Gestaltung von Bühnenräumen. Der Theaterreformer Adolphe Appia (1862-1928) entwickelte zu Beginn des 20.  Jahrhunderts mit Skizzen von Rhythmischen Räumen Bühnenentwürfe, die auf Kulissen und Bauten verzichteten und stattdessen neben mobilen, geometrischen Bühnenelementen wie Treppen auch Lichtmaschinen zur Konstruktion von Räumen nutzten.3 Appias Ästhetik der Lichtbewegungen geht auf theoretische Abhandlungen zurück, in denen er dem Licht einen beweglichen Aggregatzustand zuwies: Licht ist eine »lenksame, weiche Flüssigkeit«4, heißt es in seiner Schrift Die Musik und die Inszenierung5 aus dem Jahr 1899. Impetus dieser Gedanken war, dass dramatische Inhalte des Bühnengeschehens nur dann dargestellt wer1  Weil, Schwerkraft und Gnade, S. 63. 2  D  er Ausdruck ist dem Titel eines Gesprächs zwischen Daniel Dobbels, Paul Virilio und Laurence Louppe entnommen: Dobbels, Daniel/Virilio, Paul/Louppe, Laurence: »Schwerkraft-Raum«, in: Arch+. Zeitschrift für Architektur und Städtebau, Themenheft: Leicht und Schwer, Dezember (1994), Nr. 124/125, S. 46-50. 3  Z  u Appia vgl. in erster Linie die Publikationen des britischen Theaterwissenschaftlers Richard C. Beacham: Adolphe Appia. Theatre Artist, Cambridge/u.a.: Cambridge University Press 1987; Adolphe Appia. Essays. Scenarios and Designs, Ann Arbor: UMI Research Press 1989; Adolphe Appia: Texts on Theatre, London/New York: Routledge 1993; sowie Künstler und Visionär des modernen Theaters [1994], Berlin: Alexander Verlag 2006. Die Theater- und Tanzforschung widmet sich kontinuierlich und vielfach den Arbeiten Appias. Siehe hierzu vor allem Publikationen der Theaterwissenschaftlerin Birgit Wiens sowie die Zusammenstellung verschiedener Perspektivierungen in: Brandstetter/Dies., Theater ohne Fluchtpunkt.  ppia, Adolphe: Die Musik und die Inszenierung, München, o.V. 1899, S. 85. Die Schrift war zuvor in 4  A Paris unter dem Originaltitel La mise en scène du drame wagnérien (1895) erschienen. 5  V  gl.: Appia, Adolphe: Staging Wagnerian drama [Adolphe Appia: La mise en scène du drame wagnérien], hg. v. Peter Loeffler, Basel/Berlin/u.a.: Birkhaeuser 1988.

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den können, wenn der architektonische Raum aus einem Oszillieren von Licht und Schatten entsteht. Vor Appia waren raumgestaltende Schatten lediglich mit dunklen Farben auf dem Bühnenprospekt abgebildet. Appias Reformen implizierten auch die Aufhebung der Trennung von Zuschauerraum und Bühnenraum durch das in der Guckkastenbühne als Grenze eingebaute Proszenium. Auf einer gemeinsamen Ebene positioniert, richtete sich der Blick der Zuschauenden nicht mehr zentralperspektivisch auf vorgebaute Kulissen, die Platzhalter und Symbole für Phantasieräume darstellten. Realisieren konnte Appia diese Entwürfe 1912 zur Eröffnung der Hellerauer Festspiele, die er gemeinsam mit dem österreichischen Musikpädagogen Émile Jaques-Dalcroze (1865-1950)6 veranstaltete. Jaques-Dalcroze leitete an der 1911 gegründeten Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus in der Gartenstadt Hellerau bei Dresden die Abteilung für Musikpädagogik. Höhepunkt der Schulaufführungen 1912 war die Inszenierung eines Bewegungschors (Abb. 18) zu einzelnen Szenen aus Glucks Reformoper Orphée et Eurydice.7 Appia und Jaques-Dalcroze ließen in dieser Arbeit theater- und bewegungsreformerische Ideen einfließen, die den Prinzipien der Lebensreformen dieser Zeit folgten und in der als Wohn- und Arbeitsort konzipierten Gartenstadt Hellerau umgesetzt wurden.8 In ihrer Beweglichkeit sollte die Bühne in Hellerau keine Natur- oder Phantasieräume nachahmen, sondern durch Bewegung der Objekte, der mobilen Prak-

6  V  gl. zu Jaques-Dalcroze u.a.: Storck, Karl: Émile Jaques-Dalcroze. Seine Stellung und Aufgabe in unserer Zeit, Stuttgart: Greiner & Pfeiffer 1912; vor allem aber: Gobbert, Joachim: Zur Methode Jaques-Dalcroze. Die Rhythmische Gymnastik als musikpädagogisches System. Wege und Möglichkeiten der plastischen Darstellung von Musik durch den menschlichen Körper, hg.  v. Deutsches Tanzarchiv Köln, Frankfurt a.M.: Peter Lang 1998. 7  J aques-Dalcroze, Émile: Orpheus und Eurydike, Tanzdrama, (L): Ders. nach Pierre-Louis Moline, (Sz): Adolphe Appia, (M): Christoph Willibald Gluck 1774, (UA): 28. Juni – 11. Juli 1912 Hellerau bei Dresden. Ein Jahr später wurde bei den zweiten Festspielen der gesamte Orpheus gezeigt – eine Aufführung, der unter anderem folgende Künstlerinnen und Künstler beiwohnten: »[George Bernard] Shaw und Granville Barker kamen aus England; Max Reinhardt, Ernst Stern, Alfred Roller, Rainer Maria Rilke, Franz Werfel, Stefan Zweig, Hugo von Hofmannsthal, Ernst von Schach, Max von Schillings, Leopold Jessner, Hans Poelzig, Oskar Kokoschka und Rudolf von Laban aus Deutschland und Österreich; aus Rußland [Sergej Wassiljewitsch] Rachmaninow, [Konstantin Sergejewitsch] Stanislawski, [Sergei Pawlowitsch] Diaghilew, [Waslav] Nijinski und [Anna] Pawlowa; aus Frankreich Georges Pitoëff, Paul Claudel, Darius Milhaud und Jacques Rouché; und viele mehr, einschließlich der wichtigsten europäischen Theaterkritiker.« Siehe: Beacham, Adolphe Appia, Künstler und Visonär des modernen Theaters, S. 151. 8  » Appias Ideal eines linear gegliederten, den Akteuren ein Höchstmaß an Bewegungsmöglichkeit zulassenden Bühnenraums scheint hier seine klassische Ausformung gefunden zu haben.«, Finscher, Ludwig/Schüller, Gunhild: »Orfeo ed Euridice/Orphée et Euridice. Azione teatrale per musica/Tragédie-opéra en trois actes«, in: Dahlhaus, Carl (Hg.): Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, München: Piper 1987, S. 433-438. Hier: S. 434.

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tikablen, zu denen auch Licht und Schatten zählten, jeweils neue Formen von Räumlichkeit erzeugen. Abb. 18: Bewegungschor beim Abstieg in die Unterwelt im Hellerauer Orpheus (1912)

Die Imagination der Zuschauenden konnte durch ein Reduzieren bildlicher Vorgaben angeregt werden. Appias Konzepte folgten musikalischen Prinzipen der Rhythmik und Harmonielehre, und somit einem auf anthropologischen Prinzipien beruhendem Ordnungsprinzip, das den Atemrhythmus des Menschen ins Zentrum rückte. Abb. 19: Chor der Trauernden im Hellerauer Orpheus (1912)

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Jaques-Dalcrozes ›Bewegungschor‹ entsprang seiner Arbeit an einer rhythmischen Gymnastik. Durch ein von ihm zusammengestelltes Körperalphabet wurde der singende und musizierende Körper durch spezifische Bewegungsübungen dabei unterstützt, die musikalische Praxis der hohen Musik zu beherrschen.9 Appias übergeordnetes Ziel, »die Lichtgestaltung vollkommen den ›Gesetzmäßigkeiten‹ der Musik anzupassen«10, veränderte sich in der Zusammenarbeit mit Jaques-Dalcroze und dessen Gymnastik insofern, als dass nun die rhythmische Bewegung im Zentrum Appias Raumgestaltungen stand, um die Musik sichtbar werden zu lassen.11 Mit Appia und Jaques-Dalcroze ließe sich neben dem Beginn der modernen europäischen Szenografie auch der Beginn einer installativen Ästhetik der Schatten markieren, mit der Bewegungsräumen eine neue Bedeutung verliehen wurde. Entlang der rhythmischen Räume und Bewegungsreformen12 rückten Tanzschaffende dieser Zeit auf vertikaler Ebene vor allem das Plastische der Bewegung ins Zentrum. Diese Plastizität vermittelt im Besonderen eine Probenaufnahme des Bewegungschors der Trauernden aus dem Hellerauer Orpheus (Abb. 19). * In ähnlicher Weise erachtete auch Paul Klee, bildender Künstler und Verfasser kunsttheoretischer Schriften wie Pädagogisches Skizzenbuch (1925), die Relation von Räumlichkeit und Bewegung.13 Klee arbeitete künstlerisch zwar auf der zweidimensionalen Fläche. Seine Gedanken über Bewegung entsprangen jedoch der Entstehung und Veränderung von Orten in Relation zur Fläche. Ebenfalls am ›Orpheus‹-Mythos-Mythos arbeitend, war Klee insbesondere von den Licht-Bildern des 9  O  hne an dieser Stelle die Verbindungen zum Tanztheater vorwegzunehmen, sei erwähnt, dass der Tänzer und Choreograf Waslav Nijinski (1889-1950) in dieser Zeit Hellerau besuchte. Den Besuch unternahm er gemeinsam mit der Tänzerin Marie Rambert (1888-1982), die in Hellerau studierte, dort 1910 für die Ballets Russes entdeckt wurde und Nijinsky 1912 in seinen Choreografien (L’Après midi d’un faune, 1912 und Le Sacre du printemps, 1913) unterstützte. 1926 gründete sie in London ihr als Rambert Ballet bekannt gewordenes Tanzensemble, in dem sie unter anderem mit Tudor und Agnes De Mille (1905-1993) arbeitete. Der Brückenschlag zum Tanztheater erfolgte über die Juilliard School in New York, an der Tudor und De Mille unterrichteten und in den Jahren 1959-1960 Bausch als Schülerin und Tänzerin maßgeblich durch ihre Choreografien, etwa Rodeo (de Mille) oder Dark Elegies (Tudor), beeinflussten. 10  V  gl. Nehring, Elisabeth: Im Spannungsfeld der Moderne. Theatertheorien zwischen Sprachkrise und ›Versinnlichung‹, Tübingen: Narr 2004, S. 27. 11  V  gl. hierzu Upton Sinclair, zitiert in: Brandstetter, Gabriele/Wiens, Birgit: »Ohne Fluchtpunkt: ›Szenische Module‹ und der Tanz der Teile«, in: Dies. (Hg.): Theater ohne Fluchtpunkt, S. 7-36. Hier: S. 27. 12  A  nzumerken sei allerdings, dass Jaques-Dalcroze den Körpern zwar eine neue ›Fläche‹ des Ausdrucks bot. Mit dem Klassischen Akademischen Tanz und dem dort dominierenden Equilibrium setzte er sich allerdings nicht auseinander. 13  Klee, Paul: Pädagogisches Skizzenbuch, München: Albert Langen 1925.

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Malers Robert Delaunay14 angezogen, »die ohne Motive aus der Natur ein ganz abstraktes Formdasein führen.«15 Mit den neuen Bühnenräumen, die äquivalent zur »Aufgabe der Zentralperspektive im Kubismus und in der abstrakten Malerei innerhalb der modernen bildenden Kunst«16 gesehen werden können, entwickelten sich der Ausdruckstanz und die Tanzmoderne. Mary Wigmans Tänze sind programmatisch für diese Zeit. Die Tänzerchoreografin absolvierte 1912 in Hellerau ihre Ausbildung als Gymnastiklehrerin, folgte den choreografischen Experimenten Rudolf von Labans am Monte Verità und wurde später zur wichtigen Vertreterin des Ausdruckstanzes. Abb. 20: Mary Wigman im Hexentanz II (1926)

14  V  gl. zur ›analytischen Beschreibung Nicht-Gegenständlicher Kunst‹ anhand von Robert Delaunay in diesem Kontext: Zimmermann, Michael F.: »Delaunays ›Formes Circulaires‹ und die Philosophie Henri Bergsons. Zur Methode der Interpretation Abstrakter Kunst«, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 48/49, Köln: Du Mont 1987, S. 335-364. 15  K  lee, Paul: Das bildnerische Denken. Schriften zur Form- und Gestaltungslehre, hg.  v. Jürg Spiller, Basel/Stuttgart: Benno Schwabe & Co. 1956, S. 11. Für die Wochenschrift Der Sturm übersetzte Klee unter dem Titel »Über das Licht« den Aufsatz von Robert Delaunays Text »La lumière«, eine kurze Zusammenfassung der Grundgedanken des Orphismus. Siehe: Delaunay, Robert: »Über das Licht«, übers. v. Paul Klee, in: Der Sturm. Wochenschrift für Kultur und die Künste, 144/145 (1913), Sp. 255-256. 16  B  randstetter, Gabriele: »Intervalle. Raum, Zeit und Körper im Tanz des 20. Jahrhunderts«, in: Bergelt, Martin/Völckers, Hortensia (Hg.): Zeit-Räume. Zeiträume – Raumzeiten – Zeitträume, München: Carl Hanser 1991, S. 226.

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In dem Solo-Stück Hexentanz I/II (1914/1926) sitzt Wigman mit Maske und verschränkten Armen auf dem Boden und lässt mit kraftvollen Stoß- und Ruckbewegungen rhythmische Impulse durch ihren Körper fahren (Abb. 20). Die ästhetische Kraft und Dynamik ihrer Bewegungen steht für den Tanz dieser Zeit. In Relation zur danse d’école ließe sich die Tanzmoderne metaphorisch mit jener Dynamik vergleichen, die der Szene aus dem Gemälde Sturz der gefallenen Engel von Pieter Bruegel d. Ä. aus dem Jahr 1562 entspringt. Abb. 21: Sturz der gefallenen Engel von Pieter Bruegel d. Ä. (1562)

Ausgerüstet mit Schwert und Lanze zum Stechen und Schlagen unternehmen die Engel Tieff lüge (Abb. 21). Sie stürzen aus dem Himmel hinab zur Erde, landen in der Unterwelt17 und müssen dort ihr Schweben in überirdischen Sphären beenden. Bruegels Engel kehren nicht zurück in den Himmel.18 Auch die Tanzkunst lässt sich seit der Moderne nicht mehr ohne ›Sturz aus den Narrativen‹ des Balletts und ohne das Fallen auf den Boden des Alltäglichen oder un-heimlich Schauri-

17  Zur Bildinterpretation vgl. Diagne, »Boten zwischen Bühnen- und Lebenswelt«, S. 83. 18  M  ichel Serres zufolge sind Bruegels Engel gestürzt, da sie »von der Schöpfung zum Kopieren, von der göttlichen Produktion zum nichtswürdigen Kommentieren und zur verzerrten Übermittlung übergingen.«, Serres, Michel: Die Legende der Engel, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1995, S. 87.

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gen denken.19 Im 20. Jahrhundert markiert die Schwerkraft im Sturz den Moment des Realen. Denn »die Bewegung des Fallens ist global, die Schwerkraft ist überall, und sie ist keine Metapher«20, so der Architekt Daniel Dobbels 1994 im Gespräch mit dem Philosophen Paul Virilio und der Tanzwissenschaftlerin Laurence Louppe zum Thema ›Schwerkraft–Raum‹. Den Eindruck eines Sturzes aus dem Schwebefeld des Balletts symbolisiert nicht nur der Hexentanz Wigmans, sondern auch das Umwerten der Drehbewegung. Aus den virtuosen, aber dennoch kontrollierten Pirouetten des Balletts begeben sich die Ausdruckstänzerinnen und -tänzer in schwindelerzeugende Rotationsbewegungen. Wigman wird zum Beispiel »im Drehen ›Teil der schwingenden Weltkörper‹, in deren Bewegung sie sich eindreht, bis sie, keinen Referenten außerhalb ihrer Selbst mehr kennend, eins wird mit dem Raum, der ihr eigener ist«21, wie der Theaterwissenschaftler Gerald Siegmund beschreibt. Aus dieser Überwindung des Schwindels sei nach Siegmund zudem die »Abwesenheit [des Körpers, M.D.] in der Selbstwahrnehmung der Tänzerin, sein symbolischer Tod im Sturz zu Boden, mit dem der Tanz für die Zuschauer endet«, markiert.22 Ebenso weitgreifend für den Sturz aus dem Ballett-Himmel ist eine in dieser Zeit auftauchende neue Schwebe-Haltung: Die weitreichende Rückbewegung des Torsos der Tanzenden wurde zum stilistischen Element zahlreicher anderer Tanzschaffender, und demnach verhältnismäßig oft von Fotografierenden wie Hugo Erfurth, Charlotte Rudolph oder Suse Byk festgehalten.23 Im arc en cercle, dem »›Bogen‹ als Ausdrucksgebärde des weit aus der Mitte zurückgelegten Oberkörpers«24, schwingen exemplarisch Reformbestrebungen mit, in denen ein Ablehnen der Ästhetik und der romantischen Narrative des Klassischen Akademischen Tanzes verbunden sind.25 Anders als die kritische Balance des Tanzbären, 19  V  gl. Brandstetter, Gabriele: »Fliegen und Stürzen. Perspektiven des modernen Bewegungstheaters«, in: Akzente – Zeitschrift für Literatur. Gewalt, Tod, Theater 40.2, München: Hanser 1993, S. 132-140. 20  Dobbels/Virilio/Louppe, »Schwerkraft-Raum«, S. 49. 21  S iegmund, Gerald: Abwesenheit. Eine performative Ästhetik des Tanzes. William Forsythe, Jérôme Bel, Xavier Le Roy, Meg Stuart, Bielefeld: transcript 2006, S. 168. 22  E bd. Siegmunds Beschreibungen ließen sich auch auf die Walzer-Drehungen Grete Wiesenthals übertragen. 23  V  gl. dazu auch: Linder, Kurt/Rudolph, Charlotte (Hg.): Die Verwandlungen der Mary Wigman. Nach Photographien von Charlotte Rudolph, Freiburg i.Br.: Urban-Verlag 1929. 24  Brandstetter, Tanz-Lektüren, S. 198. 25  A  uf die Ambivalenz, die sich herstellt, wenn Vertreterinnen und Vertreter des Ausdruckstanzes und des Freien Tanzes einerseits Orte und Ästhetik des Balletts ablehnen, andererseits aber in deutlicher Rückbesinnung auf die Grundstruktur der dort zelebrierten Tanztechnik des Balletts zurückgreifen, sobald sie nach dem Zweiten Weltkrieg an die Theaterhäuser berufen wurden, weist Brandstetter im 2013 veröffentlichten zweiten Teil ihrer Lektüren der Tanzmoderne hin: Dies., Tanz-Lektüren, S. 531.

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der sich mühsam im Stehen auf zwei Hinterbeinen halten muss, ohne zu fallen, ist die Destabilisation des Körpers im arc en cercle zur »Schlüssel-Attitüde im Körperbild des freien Tanzes und des Ausdruckstanzes«26 geworden. Denn im arc en cercle ist ein die Körperlinien des Balletts überspannendes Gegengewicht in die Pose eingebunden. Sichtbar ist das Gegengewicht etwa in der Rückbeuge aus Grete Wiesenthals Donauwalzer (1908).27 Dieser Walzer ist kein virtuoses Drehen um die eigene Achse, wie die Balltänzerinnen und -tänzer den Tanz in aristokratisch anmutenden Kleidern und die Ferse hebenden Schuhen ausführen. Wiesenthals Walzer ist ein Tanz im Freien, barfuß, bei dem die Arme weit zur Seite ausgestreckt sind (Abb. 22). Die Hände, zu Fäusten geballt, halten die Kraft der Pose, begleitet von einer offenen, nach hinten und zum Boden fallenden, unregelmäßig welligen, unbändig wirkenden Haar-Mähne, die beinahe Wiesenthals Schattenkörper berührt. Abb. 22: Der arc en cercle bei Grete Wiesenthal im Donauwalzer (1908)

Einem ähnlichen Fallen gibt sich Wigman im Allegro con brio hin, einer Sequenz aus ihrem Zyklus Slawische Tänze (1920/22). Ihre Körperhaltung weist eine Grundspannung auf, die sich durch alle Körperglieder bis in ihre in die Höhe gespannten Fingerspitzen zieht. 26  Ebd., S. 198. 27  V  gl. u.a.: Brandstetter, Gabriele (Hg.): Mundart der Wiener Moderne – Der Tanz der Grete Wiesenthal, München: Kieser 2009.

3. Topografien des Schwebens. Schwerkraft-Räume seit der Moderne

Der arc en cercle ist eine »Mänaden-Haltung«, die die »Symmetrie der Körperund Raum-Achsen, das Ausweichen […] des Beckens, die extreme bis an die Labilitätsgrenze reichende Herausforderung der Balance«28 demonstriert. Der Begriff Haltung galt zur Zeit des Ausdruckstanzes als kontrolliertes Aufrecht-Halten, wie es der Klassische Akademische Tanz erfordert. Im Sinne der Reformbestrebungen galt es, diese Haltung durch das »›geworfene‹ Loslassen von Kopf und Armen im Schwung der Rückbeugung«29 zu überwinden. Bei Wigman und Wiesenthal ist der Körper durch die entgegenwirkenden Arme im Gleichgewicht gehalten. Die Rückbeuge des Oberkörpers folgt dabei der Schwerkraft und führt die Tänzerinnen in eine ›kontrapostische‹ Haltung, in der die Schwere des Körpers zum Ausdruck einer inneren Gestimmtheit wird. Eine ähnliche Gegenläufigkeit bespricht die Theaterwissenschaftlerin Maren Butte in Bezug auf die »ästhetische Debatte über die Lebendigkeit von Gemälden«30, in denen der »Kontrapost als fundierende Ausgangshaltung«31 hervorsticht. Hierzu führt Butte als Beispiel Johann Heinrich Füsslis Gemälde Das Schweigen (1799-1801) an, das sie als »Allegorische Gestalt einer Kauernden mit gesenktem Kopf und über das Gesicht hinwegf ließenden Haaren«32 beschreibt, »einer gegenstrebigen Fügung, in der sich Lebendigkeit und Ausdruck manifestieren«.33 Bei Wigman geht dem Schweben hingegen eine innere Einstellung der ›Erfahrung‹ voraus. In kinästhetischer Weise beschreibt Wigman das Erleben der schwebenden Töne, die von Glockenklängen des Straßburger Münsters ausgingen: »Es geschah etwas, was ich körperlich bisher nur im Tanz erlebt hatte, wenn man, aufgestellt und ganz dem luftigen Raum hingegeben, das Gefühl der Schwere verliert und zu schweben beginnt.«34 Dieses Schweben der Töne und das Aufsteigen des Klangs galt ihr unter anderem als Inspiration für ihren Solo-Zyklus Schwingende Landschaf t (1929) und das darin enthaltene Solo Seraphisches Lied. Eine ähnliche, eher zurückgenommene Rückbeuge zeigt eine Aufnahme von Wigmans Solo »Klage« (Abb. 23).

28  Brandstetter, Tanz-Lektüren, S. 198 29  Ebd., S. 199. 30  B  utte, Maren: Bilder des Gefühls. Zum Melodramatischen im Wechsel der Medien, München: Eikones 2014, S. 84. 31  Ebd. 32  Ebd., S. 85 33  Ebd. 34  Wigman, Mary: Die Sprache des Tanzes, Stuttgart: Ernst Battenberg 1963, S. 65.

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Der arc en cercle versinnbildlicht über die Artikulierung der Körperschwere ein Raumverständnis, das von der Schwerkraft ausging und zum Signum des Tanzes im 20. Jahrhundert wurde. Abb. 23: Mary Wigman in »Klage« aus dem Zyklus Opfer (1931)

Die Rückbeuge als Artikulation des Kippens aus der stabilen Lotgeraden erinnert auch an Klees Interpretation der Trauerbewegung, wie sie in seinem Bild Tanz des Trauernden Kindes (1922) gezeichnet ist (Abb. 24). Die überproportionale Größe des Kopfes kippt zurück, das Haupt des Kindes sinkt nach unten, während die Arme vor dem Brustkorb weit ausgestreckt einen Zweig oder eine Feder halten. Wie im Wind weht ein eingezeichneter Rock – als würden in Klees Zeichnung die schweren Gedanken, wie sie Simone Weil mit »Schwerkraft des Geistes«35 beschrieb, aus dem schwer sinkenden Kopf in den Raum hinaufsteigen.

35  Weil, Schwerkraft und Gnade, S. 67.

3. Topografien des Schwebens. Schwerkraft-Räume seit der Moderne

Abb. 24: Der arc en cercle in Paul Klees Tanz des trauernden Kindes (1922)

* Es ist Zufall, dass der Physiker Albert Einstein (1879-1955), der Tanzschaffende Rudolf von Laban (1879-1958) und der Maler Paul Klee (1879-1940) im selben Jahr geboren wurden. Weniger zufällig ist, dass sich mit den Erkenntnissen der Bewegungsphänomene in Physik, bildender Kunst und Tanz die Gestaltung und Erfahrung von Räumen neu definierten und zu Entgrenzungen der bisher festgelegten Lebens-, Denk- und somit auch Bewegungsräume führten. Veranschaulichen lässt sich diese Entwicklung anhand der Fotomontage, mit der über ein Verfahren der Aufzeichnung und Reproduktion, die Fotografie, die Wahrnehmung von Raum neu bestimmt werden konnte. Entscheidend für die Ästhetik des Körpers zum Ende des 19. Jahrhunderts war die mediale Ref lexion der Arbeit am und mit dem Körper. In Collagen und Montagen aus fotografischem wie filmischem Material sind Bilder von Körpern in Bewegung derart miteinander verknüpft, dass ein bis dahin ›geordnetes‹ Empfinden von Zeitlichkeit und Räumlichkeit herausgefordert scheint. Dabei reagierte, so der Kulturwissenschaftler Bernd Stiegler, die Fotomontage in dieser Zeit »auf Defizite der Darstellungsmöglichkeiten der

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technischen Bilder […,] indem sie zusammensetzte, was offenkundig nicht zusammengehörte.«36 Der medientechnische Wandel zum 20. Jahrhundert lässt sich über die Fotomontage anhand der nun einsetzenden »Konstruktion einer neuen Wirklichkeit, der sie mitunter in anderer Gestalt bereits im Alltag begegnet«37, ablesen. Eindrücklich ist dieses Denken und Artikulieren in Montagen und Collagen ausgerechnet anhand der Relation von Körpern und ihren Schattenwürfen festgehalten, die wie ein Echo aus den Mythen der Griechen und den dunklen Bühnenräumen der Romantischen Räume in den Medien Film und Foto nachhallen.38 Der fotografierende Maler Edmund Kesting projizierte in die Porträts von Ausdruckstänzerinnen wie Mary Wigman oder Dore Hoyer verfremdete Schatten, die den Körper der Künstlerinnen mit sinnlich dramatischen Gebärden begleiteten oder in Bildfetzen fragmentierten.39 Die Gebärden der Schatten weichen beispielsweise durch verdoppelte Hand-Schatten von dem Gesicht der Porträtierten ab. Als ästhetische Verstärkung können diese multiplen Schatten als Experimente der Tanzfotografie40 Interpretationen zum vermeintlichen ›Innenleben‹ der Tänzerinnen auslösen. Diese ästhetische Verstärkung schwingt auch in nicht collagierten Bildern anderer Fotografinnen und Fotografen mit. In diesen scheint die Expressivität der Bewegung in das Zentrum der Bild-Bühne gestellt. Ein Beispiel dieser Zeit findet sich in einer Fotografie von der Pose der Tänzerin Liedie Blankenberg, die 1914 im Fotostudio Merkelbach entwickelt wurde (Abb. 25).

36  Stiegler, Bernd: Der montierte Mensch. Eine Figur der Moderne, München: Fink 2016, S. 226. 37  Ebd. 38  E iner der bekanntesten Schattenwürfe dieser Zeit stammt aus Friedrich Wilhelm Murnaus Schwarz-Weiß-Film Nosferatu. Eine Symphonie des Grauens, ein 1922 in Deutschland produzierter Stummfilm. Ein Vampir, dessen lichtlose Gestalt Sinnbild für das faszinierend Schaurige der Mediengeschichte ist. Nosferatus Schatten ist im Film ein Eigenleben verliehen worden, indem die Kameraperspektive den Schatten bildlich vom Körper isoliert und somit den Rahmen der Betrachtung eingrenzt. Ein Verfahren, das in der zeitgenössischen Fotografie besonders populär geworden ist. Gerade das Horrorfilmgenre, zu dem Murnaus Nosferatu zählt, forderte in der frühen Phase der Filmgeschichte durch Experimente mit Schattenwürfen die Grenzen des eigenen Mediums heraus. Der Körperschatten steht in Nosferatu auf narrativer Ebene für die Personifikation des Grauens oder des Unheimlichen, nicht aber für das Spiel mit der Schwerkraft. 39  Vgl. Werner, Klaus (Hg.): Edmund Kesting: Ein Maler fotografiert, Leipzig: Fotokinoverlag 1987. 40  Z  ur Tanzfotografie und dem mit ihr verbundenen Versuch, das Vergangene und Ephemere der Körperbewegungen nicht nur festzuhalten, sondern auch zu konstruieren, vgl.: Jahn, Tessa/ Wittrock, Eike/Wortelkamp, Isa (Hg.): Tanzfotografie. Historiografische Reflexionen der Moderne, Bielefeld: transcript 2015.

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Die Kunsthistorikerin Nicky van Benning spricht der »dynamische[n] Momentaufnahme«41 einen Ausnahmecharakter in dem Bestand des Fotostudios zu, da sie im Freien, ohne künstliche Belichtung entstanden ist.42 Abb. 25: Liedie Blankenberg im Fotostudio Merkelbach (1914/19)

Richtet man das Augenmerk auf den Schatten, der im Foto festgehalten ist, zeigt sich auch hier der Lichtwurf als Doppelgängerin. Auffallend ist, dass Fotografien die Tanzende und ihre Schatten festhalten, zitathaft Haltungen des Schwebens fixiert sind, die entweder das Schweben in Posen des Klassischen Akademischen Tanzes (Arabeske) oder die Gegenbewegung (arc en cercle) präsentieren. Ein Spiel mit den Stilen sticht vor allem in der Pose der Tänzerin Vera Skoronell (1906-1932) hervor. Skoronell war eine Schülerin Wigmans, Leiterin der ersten an staatlichen Bühnen etablierten modernen Theater-Tanzgruppen, Ballettmeisterin in Darmstadt und Leiterin der Tanzschule von Berthe Trümpy.43 In der als Schwebung (1925) bezeichneten Pose ist ihr Oberkörper weit zurückgesetzt (Abb.  26). Der Torso befindet sich jedoch nicht in einer schwungvollen Beuge, sondern in einer geführten Haltung mit geometrischen Armpositionen und gespitzten Füßen. Diese Stil-Montage drückt sich letztlich auch im Titel der Haltung aus: Aus

41  V  an Benning, Nicky: »Angehaltene Bewegung. Die Tanzfotografien des Fotostudios Merkelbach«, in: Jahn/Wittrock/Wortelkamp, Tanzfotografie, S. 96-111. Hier: S. 97f. 42  Bildzitat aus: Van Benning, »Angehaltene Bewegung«, S. 102. 43  A  ndresen, Geertje, »Skoronel, Vera« in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 490-491. Hier: S. 490.

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der Hebung (von Schwerem) und dem Schweben (von Leichtem) steht Skoronell in einer ›Schwebung‹.44 Abb. 26: Vera Skoronells Schwebung im Fotostudio Suse Byk (1925)

Filmische Aufzeichnungen der Choreografien aus dieser Zeit existieren selten oder gar nicht. Umso deutlicher scheint der Tanz in der Moderne und mit ihm das spezifische Verhältnis der Körper zur Erdanziehungskraft, fotografisch durch den Stillstand der Körper eingefangen. Zum Körper gehört auch der Schatten, und dieser ist in der Betrachtung der Fotografien genauso relevant wie der sich in Bewegung befindende Leib. Die Auseinandersetzung mit der Schwerkraft hat nicht nur tänzerisch, choreografisch stattgefunden, sondern auch in theoretischen Artikulationen, in denen die Bereiche Physik, bildende Kunst und Tanz zusammenfinden. 1930 verfasste Rudolf Lämmel mit Der moderne Tanz einen Rückblick auf die Tanzschaffenden seiner Zeit, zu denen neben Mary Wigman, Gret Palucca (1902-1993) und Harald Kreuzberg (1902-1968) auch seine Tochter Vera Skoronell zählten.45 Lämmel war weder Tanztheoretiker noch Choreograf,

44  I nwieweit es sich um eine eigenständige Choreografie handelt, oder um eine ›Haltung‹, die dem Foto nachträglich als Titel gegeben wurde, lässt sich aus der Bildquelle nicht entnehmen. 45  Z  u Skoronells kurzem Leben und Wirken siehe in erster Linie die Publikation ihres Vaters: Lämmel, Rudolf: Der moderne Tanz. Eine allgemeinverständliche Einführung in das Gebiet der rhythmischen Gymnastik und des neuen Tanzes, Berlin: Oestergaard 1928; außerdem: Peter, Frank-Manuel: »›Andere mussten mit ollen Ballettratten anfangen.‹ Das kurze Leben der einzigartigen Vera Skoronel (1906-1932)«, in: Tanzjournal, Nr. 3, Juni 2006, S. 16-21.

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sondern Physiker.46 Im selben Jahr wie Laban, Klee und Einstein geboren, publizierte er zahlreiche populärwissenschaftliche Schriften zur Einführung in die Physik Isaac Newtons (1643-1727) und in die Relativitätstheorie Einsteins.47 Seine Beobachtungen von Tanzklassen laden zu einer Re-Lektüre seiner Schriften ein, in denen das physikalische Interesse an Raum, Körpern und Schwerkraft deutlich wird: »Wie Röntgenstrahlen und Radium oder Relativitätstheorie schien der Rhythmus über Europa zu kommen, als die Isadora Duncan durch die Tanzsäle des Kontinents eilte.«48 Lämmels Bezug zur Physik bleibt in der Beschreibung der Tänze Isadora Duncans metaphorisch. Seine Bestimmungen der Gesetzmäßigkeiten von Körperbewegungen gehen aber über das Verwenden physikalischer Metaphern hinaus: »Der Schwung der Arme und Beine ist gleich der periodischen Schwingung eines Pendels durch das Wirken der Schwerkraft bestimmt. Bei feststehenden Beinen gleicht der ganze Körper einem aufwärts gerichteten Pendel, sein Wippen und Neigen ist durch die Gravitation zum Erdball reguliert. Ein zweites inneres Gesetz ist der Rhythmus des Herzschlags, der von einer halben Sekunde bis zu zwei Sekunden je nach der Individualität schwankt, meist vier Fünftel Sekunde beträgt. Hat der Mensch also in Atem und Puls innere Gesetze zeitlicher Rhythmik, so ist das Verhältnis des Menschen zur Erde die Ursache einer zweiten gewaltigen Welle, des Pendelrhythmus.« 49 Die Beschreibungen seiner Bewegungsbeobachtungen einer Übungsklasse von Skoronell, die er im Mai 1926 besuchte, erinnern an physikalische Experimente, beruhen aber auf Formulierungen, die eher dem Vokabular Labans entsprechen: »Vorbereitung zum formalen Armrhythmus. Gegengewicht zur Verweichlichung der Arme durch ausschließliche Schwung und Schwungstoßführung. Übungsskalen, die zu schneidender Spannkraft, zur besonderen Beherrschung des Ellbogengelenks sowie überhaupt zur Detailfunktion des Armes erziehen. Der Arm wurde 46  A  llerdings verstand er sich auch als Chronograf seiner Zeit. Populärwissenschaftliche Schriften wie jene, die während des Nationalsozialismus in kritischer Weise die Rassentheorie problematisieren, lassen die Texte zu Tanz und Physik von Lämmel, der wegen seiner Nähe zur Sozialdemokratie vorzeitig in den Ruhestand versetzt wurde und zurück nach Zürich gehen musste, auch mit politischen Vorzeichen lesen. Siehe etwa: Lämmel, Rudolf/Gonzenbach, Wilhelm von: Die menschlichen Rassen: eine populärwissenschaftliche Einführung in die Grundprobleme der Rassentheorie, Zürich: Jean-Christophe 1936. 47  L ämmel, Rudolf: Isaac Newton, Zürich: Büchergilde Gutenberg 1957; Ders.: Wege zur Relativitätstheorie, Stuttgart: Kosmos, Gesellschaft für Naturfreunde 1921. 48  L ämmel, Der moderne Tanz, S. 12. 49  Ebd., S. 14.

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bis jetzt nur aus dem Körperzentrum heraus bewegt. […] Der Arm wird als selbstständiges, vom Körper unabhängiges Glied bewegt, braucht nicht dem Körperschwung zu folgen, vermag sogar in klaren Gegenrhythmen sich zu behaupten.« 50 In beiden Ausschnitten fällt auf, dass Lämmels Beschreibungen gerade dann das Vokabular aus der Physik übernehmen, wenn die Bewegungen f ließende, schwingende Qualitäten aufweisen und kein Zuordnen in wiedererkennbare Posen zulassen. Die Qualität des Neuen, das Lämmel den Tanzschaffenden seiner Zeit mit Begeisterung zuschreibt, liegt genau in dieser auffallend rhythmisch bestimmten und physikalischen Naturgesetzen folgenden Bewegungssprache.51 Dem tänzerischen Ausdruck einer inneren Bewegtheit begegnet Lämmel über ein zeitgenössisches Raumverständnis mit der Artikulation seiner Wahrnehmung von dynamischen Qualitäten der Tanzenden. Diese Wahrnehmung nimmt Abstand von metaphorischen Zuschreibungen der Körper und somit auch von dem Diktum der Leichtigkeit, das bis dahin als Ausgangspunkt für das Beschreiben und Werten von Tanzenden galt. Beschreibungen des Kunsthistorikers Carl Einstein (18851940) etwa zeigen, inwieweit das Diktum auch noch nach der Gravitationstheorie wirkte: »Eine musikalisch geregelte Raserei rhythmisiert diese Gestalten, die kaum noch fataler Schwerkraft unterworfen sind; dem ruhenden Zuschauer wird das atmende Gefühl geheimnisvoller Leichtigkeit vermittelt und in entzücktem Betrachten dieser rhythmischen Levitation fühlt er sich selber fast gewichtslos.«52 Der Tanzmoderne wird durch den Sturz und die Ablehnung des perpendikularen Pfahls und der korrigierenden Ballettstange zurecht eine Zurückweisung von Grazie und Anmut zugesprochen. Der Theaterwissenschaftler Ralph Fischer setzt in seinem Text »Dancing Gravity. Zur Kinetik des Prograven«53 zum Beispiel die »Inszenierung der Gravitation durch die Rückkehr des Körpers zum Boden«54 50  Ebd., S. 163f. 51  A  uf seine Verwandtschaft mit Vera Lämmel geht der Autor nicht ein. Vermutlich zugunsten einer versuchten Objektivität. Im Textteil zu Skoronel, deren Künstlername sich aus einer Übersetzung von ›die Schnelle‹ ableite und auf ihre Lust an der Geschwindigkeit von Bewegungen verweisen soll, zeigt sich (ungeachtet der Objektivität) Lämmels große Begeisterung für die tänzerische Erscheinung und vor allem Weiterentwicklung Skoronels. Sie habe sich aus dem Tanz der Wigman- und der Labanschule eine eigene, sogenannte tänzerisch dichterische Bewegungssprache angeeignet. Vgl. Lämmel, ebd., S. 163ff. 52  E instein, Carl: »Leon Bakst«, in: Ders.: Werke. Berliner Ausgabe. Bd. 1, [1907-1918], hg. v. Hermann Haarmann u. Klaus Siebenhaar, Berlin: Fannei & Walz 1994, S. 471-500. Hier: S. 486f. 53  F ischer, Ralph: »Dancing Gravity. Zur Kinetik des Prograven«, in: Behrens, Claudia (Hg.): Tanzerfahrung und Welterkenntnis, Leipzig: Henschel 2012, S. 58-69. Vgl. auch Fischers später entstandene Publikation Walking Artists. Über die Entdeckung des Gehens in den performativen Künsten, Bielefeld: transcript 2014, in die der Aufsatz als Kapitel eingegangen ist. 54  Fischer, »Dancing Gravity«, S. 61.

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im Ausdruckstanz als Merkmal, mit dem sich (hier allgemein) das Tanztheater »konsequent vom Konzept der Virtuosität und der Grazie abwendet, um ein korrelatives Verhältnis zwischen Körper und Um-Raum zu generieren.«55 Ist es überhaupt möglich, sich konsequent vom Konzept der Virtuosität und der Grazie abzuwenden? Oder liegt auch hier die Gefahr des Ideologischen, das einem ästhetischen Formalismus entspringen kann, wie Paul de Man bei Kleist und Schiller feststellte?56 Dem Ausdruckstanz kann zwar der Status des Experimentellen zugesprochen werden, aber dennoch ist er, wie auch der Klassische Akademische Tanz, abhängig vom Schweben. Das korrelative Verhältnis wird schließlich im Umkehrschluss auch dann generiert, wenn Virtuosität und Grazie, wie im Ballett, im Vordergrund stehen. Darauf verweist allein der Umstand, dass der Mensch ohne Hebetechniken nicht schwerelos ist. Die wiederholt festgehaltenen Posen der Tänzerinnen auf den Fotografien verweisen stattdessen auf eine andere Form der Grazie und Anmut, die nicht dem Kodex des Balletts, sondern anderen, eigenen Techniken folgt. Um die Eigenheit der Körper- und Geistes-Haltung, also der gravitas, in dem Gestenspektrum57 des Ausdruckstanzes und von dort aus für das Tanztheater von Pina Bausch nachzuvollziehen, ist die Frage nach jenen Kontexten notwendig, in denen die Beschreibungen von Lämmel entstanden sind: Auf welche Entwicklungen aus Tanztheorie und praktischer Physik stützte sich Lämmel, wenn er in seinen Beschreibungen tänzerischer Artikulation »innere Gesetze zeitlicher Rhythmik«58 als Ursache für Bewegungen wie dem Schwingen von Armen verantwortlich machte?

55  Ebd. 56  E ine an diese Frage anschließende kritische Lesart der Tanzmoderne kann an dieser Stelle nicht unternommen werden. Dennoch werde ich die Problematik der neuen Kunst-Körper im Modernen Tanz an entsprechenden Stellen immer wieder aufgreifen. In Bezug auf konkrete Aspekte des Ideologischen bei Wigman, Laban und anderen Vertreterinnen und Vertretern des modernen Tanzes, sowie der zum Teil zunächst geringen Distanz und später deutlich ablehnenden Haltung zum Kulturapparat im Nationalsozialismus vgl.: Manning, Susan: Ecstasy and the demon: feminism and nationalism in the dances of Mary Wigman, Berkeley: University of California Press 1993; Burt, Ramsay: Alien bodies: representations of modernity, ›race‹ and nation in early modern dance, London/u.a.: Routledge 1998. 57  V  gl. zur Gestensprache im Ausdruckstanz zuletzt u.a.: Ruprecht, Lucia: »Gesture, Interruption, Vibration: Rethinking Early Twentieth-Century Gestural Theory and Practice in Walter Benjamin, Rudolf von Laban, and Mary Wigman«, in: Dance Research Journal, Heft 4/Nr. 2 (2015), S. 23-42. 58  Lämmel, Der moderne Tanz, S. 14.

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Kinesphären & Gravitationsfelder. Im arc en cercle zwischen Tanz & Physik Im 20.  Jahrhundert gelten die physikalischen Grenzen des Raumes nicht mehr als statisch, sondern als in der Wahrnehmung verschiebbare Elemente. Mit dem Medientheoretiker Rudolf Arnheim können sie auch als »Newtonsche Oasen«59 beschrieben werden. Es sind Sphären, die auf den ersten Blick begrenzt sind, mittels einer erweiterten Wahrnehmung jedoch grenzenlos wirken können: Im freien Fall stürzt der Körper und kann, abhängig von Höhe, Tempo und Dauer des Fallens, für einen Augenblick in simulierter Schwerelosigkeit schweben.60 Fallschirmspringerinnen und -springer müssen zum Beispiel fallen, um zu gleiten. Erst wenn das Fallen in einen (tödlichen) Sturz umschlagen könnte, lösen die Springenden – mit Blick auf einen Höhenmesser – ihren Schirm und schweben. Dieser Moment wird auch »la chute à vue«,61 das ›sehende Fallen‹ genannt.62 Dass 59  A  rnheim, Rudolf: Kunst und Sehen. Eine Psychologie des schöpferischen Auges [1954], Berlin: De Gruyter 2000, S. 283. 60  Z  ur primär wissensgeschichtlichen Auseinandersetzung mit dem Flug als Schwellenerfahrung vgl.: Tkaczyk, Viktoria: »Kurz vor dem Abheben: zu den Flugexperimenten Robert Hookes«, in: Zeitschrift für Sprache und Literatur. Grenzen und Schwellenerfahrungen, Bd. 36/Heft 1, Paderborn: Fink 2005, S.  98-119. Hier: S.  95. Einen wissensgeschichtlich informierten Fokus auf Bewegung als mechanischer Aspekt des Fliegens in Verbindung mit dem Schweben legt die Theaterwissenschaftlerin Daniela Hahn in: »Luft-Bewegungen. Figuren des Schwebens in Wissenschaft und Kunst um 1900«, in: Brandstetter, Gabriele/Brandl-Risi, Bettina/Van Eikels, Kai (Hg.): Schwarm(E)motion. Bewegung zwischen Af fekt und Masse, Freiburg i.Br.: Rombach 2007, S. 159-187. In breiterer Ausführung vgl.: Hahn, Daniela: Epistemologien des Flüchtigen. Bewegungsexperimente in Kunst und Wissenschaft um 1900, Freiburg i.Br.: Rombach 2015. 61  L ouppes Forschungsinteresse entzündet sich genau an diesem Moment. Siehe: Dobbels/Virilio/ Dies., »Schwerkraft-Raum«, S. 47. 62  I m Parabelflug wird durch besonders steiles und schnelles Aufsteigen eines Flugzeugs oder durch starkes Abbremsen während eines steilen Tiefflugs eine doppelte Schwere aus zeitgleicher Wirkung von Gravitationskraft und Traglastkraft erzeugt. In dieser doppelten Schwere verlieren Körper, die sich im Flugzeugraum befinden, für den Moment der Steigung oder des Sturzes ihr Eigengewicht und schweben. Die Bezeichnung Parabelflug geht auf den Raumfahrtingenieur Fritz Haber und seinen Bruder Heinz Haber, Fernsehjournalist für Weltraumthemen (Was sucht der Mensch im Weltraum?, 13  Folgen, ausgestrahlt ab 1968 in der ARD), und ihre Forschungen zur Schwerelosigkeit in der zweiten Hälfte des 20.  Jahrhunderts zurück. Mit dem von Haber und Haber erfundenen Parabelflug werden in der Raumfahrtforschung der NASA Astronauten für das Bewegen und somit Arbeiten in Schwerelosigkeit im Weltall vorbereitet. Vgl. einführend hierzu auch: Haber, Fritz/Haber, Heinz: »Possible methods of producing the gravity-free state for medical research«, in: Journal of Aviation Medicine, Heft 21, (1950), S. 395-400; Dies./Buettner, Konrad J. K./Strughold, Hubertus: »Where does space begin? Functional concept of the boundaries between atmosphere and space«, in: Journal of Aviation Medicine, Heft 22 (1951), S. 342; sowie: Lessing, Hans-Erhard: Mannheimer Pioniere, Mannheim: Wellhöfer-Verlag 2007.

3. Topografien des Schwebens. Schwerkraft-Räume seit der Moderne

Luft »vor allem in der Physik des ausgehenden 19. Jahrhunderts [und] in den Experimenten der künstlerischen Avantgarde der 1920er Jahre zu einer Projektionsf läche neuartiger Konzepte der Dynamisierung von Wahrnehmung«63 wurde, gilt nicht nur für die Flugexperimente dieser Zeit. Mit dem Phänomen des Schwebens, das sich von der Bewegung des Fliegens unterscheidet, wird Raum in Physik und Kunst neu gedacht.

Schatten & Formen. Denkfiguren bei Rudolf von Laban und Paul Klee Rudolf von Labans tanztechnische Auseinandersetzung mit räumlichen und zeitlichen Faktoren, die die Tanzkunst vor seiner Zeit bestimmten sowie in anderer Weise die Tänze jenseits des Akademischen auszeichneten, gilt als wegweisend für ein Sprechen über Bewegungsräume in der historischen wie analytischen Tanzforschung.64 Seine Erkenntnisse sind bis heute in der künstlerischen Praxis Tanzschaffender sichtbar. Die durch Jooss und Sigurd Leeder65 (1902-1981) an der Folkwang-Schule in Form der Jooss-Leeder-Technik fortgeführte Traditionslinie der Avantgarde des Tanzes erlernten vor allem Vertreterinnen und Vertreter des (west-)deutschen Tanztheaters wie Bausch, Reinhild Hoffmann oder Susanne Linke. Aber auch Stile des zeitgenössischen Balletts wie Balanchines Neoklassisches Ballett oder Forsythes Improvisation Technologies implementierten Labans Grundgedanken. Durch die weiterentwickelten Studien zum ef fort (Antrieb) erweiterte Laban sein System der Bewegungsanalyse zur Optimierung von Bewegungen im Arbeitsalltag. Ef fort galt dabei als der »neue Begriff für die manifestierten und deshalb sichtbaren und systematisierbaren Körper- bzw. Bewegungsrhythmen.«66 Noch vor dem Verfassen seiner Schriften zur Choreutik und Labanotation67 verarbeitete Laban seine Gedanken zum Raum und zur Kategorisierung von Bewegung. Diese gingen über das Vokabular des Klassischen Akademischen Tanzes hinaus und zeigten sich zunächst in Raum- und Bewegungsexperimenten. Wig63  Hahn, »Luft-Bewegungen«, S. 161. 64  Z  u Laban siehe auch: McCaw, Dick (Hg.): The Laban Sourcebook, London/New York: Routledge 2011. 65  S iehe zu Leeder neben bekannter und sehr früher Literatur wie: Winearls, Jane: Modern Dance. The Jooss-Leeder-Method, London: A. & C. Black 1958; ebenso den umfassenden Artikel von Barbara Passow: »Jooss-Leeder-Technik«, in: Diehl, Ingo/Lampert, Frederike (Hg.): Tanztechniken 2010, Henschel: Leipzig 2011, S. 60-132; sowie Ann Hutchinson Guest: A selection from the Sigurd Leeder heritage, Hampshire: The Noverre Press 2017. 66  Jeschke, Tanz als Bewegungstext, S. 32f. 67  D  ie Labanotation, weiterentwickelt von Irmgard Bartenieff zu den Laban-Bewegungsstudien Laban Movement Analysis, wird heute weltweit von Choreologinnen und Choreologen sowie (Tanz- oder Sport-)Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zur Bewegungsanalyse angewandt. Sie gilt als Fundament wissenschaftlicher Beobachtung und Analyse von Bewegung.

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man, seine damalige Schülerin, erinnert sich an gemeinsame Experimente zu ersten Formen dynamischer Bewegungsimpulse: »Der erste Schwung: Vom Zentrum des Körpers aus schräg rückwärts in die Tiefe. Ganz nebenbei bemerkte Laban: Man könnte ihn auch den Wut-Schwung nennen. Das Wort hören und mich in eine geradezu großartige Wut zu versetzen, war Eines. Der Schwung knallte nur so durch den Raum.« 68 Auf diese kraftvolle, mit »fürchterliche[r] Intensität«69 ausgeführte Bewegung Wigmans habe Laban mit Empörung reagiert.70 Dessen Herangehensweise an den Tanz war im Wesentlichen eine analytische, die sich von Wigmans assoziativer Form der Bewegungsgenerierung und ihrer »leibliche[n] Verschmelzung mit dem Räumlichen«71 deutlich unterschied. Welche spezifischen Qualitäten der gravitas generierte Laban mit seinem choreografischen Denken? Inwieweit inspirierte seine (geistige wie physische) Haltung Tänzerchoreografinnen wie Wigman oder Skoronell zu Gegenbewegungen, die sich in schwungvoll ekstatischen Rückbeugen artikulierten?72 In Bezug auf die notwendige Schwere zur Artikulation und Ordnung von Leichtigkeit, die mit der Idee eines Sichtbarmachens der Schwere durch performative Schatten verbunden ist, gilt Labans analytische Entdeckung des Gewichts als ästhetischer Antriebsfaktor in der Generierung von Bewegung als wegweisend. 68  W  igman, in: Sorell, Walter: Mary Wigman. Ein Vermächtnis, Wilhelmshaven: Florian Noetzel 1986, S. 32. 69  Sorell, Mary Wigman, ebd. 70  A  n dieser Stelle greife ich auf Gedanken zurück, die ich im Rahmen meiner Auseinandersetzung mit der künstlerischen Weiterentwicklung Wigmans, von Jaques-Dalcroze über Laban, formuliert habe: Diagne, Mariama: »Kosmische und imaginäre Räume bei Rudolf von Laban und Mary Wigman«, in: Sprengelmuseum Hannover/Eckett, Christine (Hg.): Ohne Ekstase kein Tanz. Tanzdarstellungen der Moderne. Vom Varieté zur Bauhausbühne, Hannover: Sprengelmuseum Hannover 2011, S. 48-57. 71  H  uschka, Sabine: Merce Cunningham und der Moderne Tanz. Körperkonzepte, Choreographie und Tanzästhetik, Würzburg: Königshausen & Neumann 2000, S. 98. 72  W  igman hat eine intensive musikrhythmische Ausbildung bei Jaques-Dalcroze genossen und zudem ein spezifisches Raumverständnis bei Laban erfahren. Dennoch nahm sie sowohl von den musikpädagogischen Ansätzen Jaques-Dalcrozes als auch von dem bewegungsanalytischen Herangehen Labans Abstand. In zahlreichen Solo-Arbeiten und der Eröffnung eigener Schulen wird dies deutlich. Wigman lehrte weder rhythmische Leibesübungen wie Jaques-Dalcroze, noch bot sie wie Laban Seminare in Bewegungsstudien im Sinne einer Tanzanalyse an. Als Tänzerin und Pädagogin scheint sie letztlich mit ihrer starken Bindung zum Rhythmischen – wie ihre 1925 verfasste Lernhilfe Komposition verdeutlicht – eine Sonderposition zwischen beiden Schulen und Prinzipien einzunehmen. Vgl. hierzu: Mary Wigman, Sprache des Tanzes, Stuttgart: Ernst Battenberg 1963, v.a. S. 13.

3. Topografien des Schwebens. Schwerkraft-Räume seit der Moderne

Aus den zahlreichen Publikationen, die Laban selbst verfasste,73 sowie Texten von Tanzforschenden und Tanzschaffenden, die ihn rezipierten und sein Werk weiterdachten,74 rückt vor allem die Arbeit der Tanzforscherin Laurence Louppe ins Zentrum. Louppe zufolge ist das Gewicht mit Laban nicht nur »Schauplatz einer symbolischen Konstruktion«75, sondern vor allem im Spätwerk Labans auch »Wurzel aller kulturellen Prozesse.«76 Laban formulierte in seiner künstlerischen Forschung zum Entstehen und Wirken von Bewegungen im Raum Modalitäten wie die Dynamosphäre (Körperinnenraum) und die Kinesphäre (Körperumraum).77 Mit ihnen war ein Raumverständnis verbunden, das sich auf den unmittelbaren Körperumraum während der Bewegung konzentrierte: »Wo immer der Körper auch steht oder sich bewegt, nimmt er Raum ein und ist von ihm umgeben. Wir müssen unterscheiden zwischen Raum im Allgemeinen und dem Raum in der Reichweite des Körpers. Um letzteren vom allgemeinen Raum zu unterscheiden, werden wir ihn persönlichen Raum oder ›Kinesphäre‹ nennen.«78 Zur Veranschaulichung dieser Sphäre stellte Laban Tanzende in einen imaginären Ikosaeder. Dabei handelt es sich um einen der fünf platonischen Körper, der aus zwölf Ecken und zwanzig gleichseitigen Dreiecken besteht. In Labans Verwendung des Ikosaeders als Raum-Körper sind 26 vom menschlichen Körper ausgehende Raumachsen gezogen. Den 27. Punkt bildet das Zentrum der Kinesphäre, der Mittelpunkt des menschlichen Körpers.79 Im Ikosaeder werden die Körperglieder vom Körperzentrum nach außen gestreckt. Zudem sind Eckpunkte, Diagonalen sowie vertikal und horizontal verlaufende Geraden eines Feldes abgesteckt, in dem sich ein Körper bewegen kann.

73  Z  ur theoretischen Evaluation seiner eigenen Auseinandersetzung mit Bewegungsfaktoren wie dem Gewicht vgl.: Laban, Rudolf von: Kinetografie, Labanotation: Einführung in die Grundbegrif fe der Bewegungs- und Tanzschrift [1955], hg. v. Claude Perrottet, Wilhelmshaven: Noetzel 1995; Laban, Rudolf von: Choreutik. Grundlagen der Raumharmonielehre des Tanzes [1966], Wilhelmshaven: Heinrichshofen 1991; Laban, Rudolf von: Ef fort, London: Mac Donald & Evans 1947. Darlegung der Theorie in: Ullmann, Lisa (Hg.): The Mastery of Movement, London: Mac Donald & Evans 1960. 74  B  öhme, Fritz: Rudolf von Laban und die Entstehung des modernen Tanzdramas, hg. v. Marina Dafova, Berlin: Edition Hentrich 1996. 75  Louppe, Laurence: Poetik des Zeitgenössischen Tanzes, Bielefeld: transcript 2009, S. 83. 76  Ebd. 77  » Die in der Kinesphäre verlaufenden Bewegungen der Körperglieder müssen von den Aktionen in der Dynamosphäre unterschieden werden. Obschon diese beiden nur zusammen auftreten, geschehen dynamische Aktionen wie Wringen, Drücken usw. innerhalb des Körpers.« Laban, Choreutik, S. 61. 78  Ebd., S. 21. 79  Ebd., S. 24.

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Abb. 27: Sigurd Leeder unterrichtet an der Folkwangschule eine Schräge im Raum im Ikosaeder (1930)

Auf diese Weise nimmt das »geometrische Raummodell […] den Körper als ganze Gestalt zum Mittelpunkt, präziser eigentlich die Mitte des Körpers selbst. Somit wird der Körper zum Strukturmaß aller Bewegungen, denn alle Bewegungsbahnen und Richtungsweisungen bleiben orientiert im Körperzentrum rückverwiesen.«80 Der Ikosaeder wird als Denkmodell in jeder Fortbewegung des Körpers in Zeit und Raum mitgetragen. Aus diesem Konstrukt können die den Körperbewegungen entspringenden Koordinaten sowie die den Körper direkt umgebende Kinesphäre in Bewegung gehalten und mit der im Körper liegenden Dynamosphäre zusammengedacht werden. Mit Laban ist der Faktor des Gewichts daher stets relational. Louppe resümiert: »Gewicht wird nicht nur transferiert: Ausgehend von seiner eigenen Empfindung nimmt es selbst Transfers, Konstruktionen und Symbolisierungen vor. Die anderen Faktoren dienen dazu, das Gewichtsempfinden qualitativ zu definieren und je nach den unterschiedlichen körperlichen Farbgebungen zu verteilen.«81 Die Tänzerin, die sich im Modell des Ikosaeders befindet (Abb. 27), hält alle Körperglieder, zu denen auch der Kopf und Torso gehören, (dynamisch) in Spannung und zugleich ausgestreckt vom Körperzentrum weg in Richtung Grenzraum der Kinesphäre. Paradoxerweise ähnelt die hier entstehende Körperhaltung einer klassischen Attitüde, wie sie mit Carlo Blasis definiert und später mit Enrico Cecchetti über den zurückgeworfenen Kopf interpretiert wurde. 80  Huschka, Merce Cunningham und der Moderne Tanz, S. 95. 81  Louppe, Poetik des zeitgenössischen Tanzes, S. 82.

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Die Haltung der Tänzerin ist nicht als Attitüden-Pose im akademischen Sinne zu verstehen. Die Spannung, die in dieser Haltung liegt, entfernt sich allerdings nur wenig von Blasis’ Positionen aus dem 19. Jahrhundert. In seinem Denken über Bewegung griff Laban dezidiert auf die Grundkategorien des Klassischen Akademischen Tanzes zurück. So orientierte er sich an den acht Raumrichtungen und fünf Fußpositionen, die seit Feuillet und Blasis für die stehenden Tanzenden auf der Bühne gelten. Das bedeutet aber nicht, dass er auch die Statik der Körper und die daraus resultierende Ästhetik der Motive und Körperbilder des 19.  Jahrhunderts in seine »Beziehungsgeografie«82 integrierte. Im Gegenteil: »In der Tanzkomposition müssen der Rhythmus und die verschiedengearteten Nuancen der Kraft und des Richtungsstroms viel mehr in den Vordergrund gerückt werden als in Anleitungen zum Vollziehen von choreutischen Ketten.«83 Laban fokussierte ein strukturelles, aber zugleich dynamisches Denken von Körpern in Raum und Bewegung, in welchem sich Bewegung primär durch den Gewichtstransfer auszeichnet und daher raumkonstitutiv ist.84 Die Bewegungsintensitäten innerhalb der Kinesphäre werden auf analytischem Feld daher als Eigenschaften der (im Körperumraum wie auch außerhalb dieses Umraums liegenden) Dynamosphäre beschrieben.85 In dieser Weise – das zeigt die Auseinandersetzung mit der gravitas im 18. Jahrhundert – hallt auch bei Laban jene Grundhaltung des Akademischen Tanzes zurück, wie sie mit den pas simples, respektive mit dem pas grave, zum Ausdruck gebracht wurde: die permanente Haltung in Schwebe mit Schwere. Labans Auffassung einer (physischen) Grundhaltung ließe sich daher vielleicht als dynamo-kinesphärische Form der gravitas bezeichnen. Anders als die Tanzbuchautoren des 18. und 19. Jahrhunderts widmete sich Laban in Bezug auf das Notieren von Bewegung vor allem energetischen Faktoren, für die sich auch andere Kunstschaffende im 20. Jahrhundert interessierten. Labans Denken in Bewegung war ähnlich analytisch ausgerichtet wie das bildnerische 82  Ebd., S. 83. 83  Laban, Choreutik, S. 114. 84  D  ie Auffassung, dass Bewegung Raum generiert, ist auf Labans erste, prägende Begegnungen mit dem Tanz zurückzuführen, die er zum einen durch die Volkstänze seiner Heimat in Bratislava, zum anderen auf Orientreisen erfahren hat. Dort beeindruckten ihn bereits in jungen Jahren die gottesdienstlichen Feiern der Derwische in einem von Mohammedanern bewohnten Dorf. »Als ›Tanz der Sphären um Gott‹«, so heißt es in einer Erklärung Mary Wigmans, »bezeichneten die Gründer des Ordens tanzender Derwische das Weltgeschehen. Diesen Tanz zu erleben und im eigenen Tanz wiederzugeben, wurde für Laban nicht nur eigene Aufgabe, sondern Aufgabe des Tänzers überhaupt, ethische Grundlage der Lehre vom Tanz: kosmisches Erlebnis, Religion.« Wigman, Mary: »Rudolf von Labans Lehre vom Tanz«, in: Die neue Schaubühne, Jg. 3, Heft 5/6 (1921), S. 99-106, zitiert in: Böhme, Fritz: Rudolf von Laban und die Entstehung des modernen Tanzdramas, Leipzig 1996, S. 54. 85  Laban, Choreutik, S. 37.

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Denken Klees, das an dieser Stelle für eine Begriffserörterung des bewegten Denkens fruchtbar scheint. Klee schrieb, der Maler »Ingres soll die Ruhe geordnet haben; ich möchte über das Pathos hinaus die Bewegung ordnen.«86 Abb. 28: Seiltänzer, Lithografie, Paul Klee (1923)

Klees Denken einer »Energetische[n] Dichte«87, mit der er den »Spannungsvollzug von innen oder addierend«88 in körperlich-räumlichen Spannungsgefügen von aktiven und passiven Körper- und Raumbewegungen untersuchte, drückt sich in seiner 1921 verfassten Analyse des Kräftegleichgewichts eines Seiltänzers aus. Im Kapitel »Die Gewichtsempfindung als bildnerisches Element. Das Kräftegleichgewicht. Belastung und Gegenbelastung. Quantität, Qualität und ihre Relativität«89 verdeutlicht Klee dieses Spannungsverhältnis: »Wir waren stehen geblieben beim Seiltänzer mit seiner Balancierstange als der äußersten Verwirklichung des Symbols des Kräftegleichgewichtes. Der Seiltänzer mit der Balancierstange als ›Symbol des Kräftegleichgewichtes‹. Er wägt die Schwerkraft ab (Belastung und 86  Klee, Das bildnerische Denken, o.S. 87  Ebd., S. 29. 88  Ebd. 89  Ebd., S. 197.

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Gegenbelastung). Er ist Waage.«90 Die Analysen zum Spannungsgefüge im Seiltanz griff Klee zwei Jahre später bildlich in seiner Lithografie Seiltänzer (1923) auf (Abb.  28). Die Formensprache des Malers, die dem Körper aktive Energien und dem Raum passive Energien zuspricht, adressiert die Fläche. Auf die Bewegung im Raum ist solch ein Dualismus in dieser Form nicht übertragbar. Denn Dinge oder Körper, die sich in der Dreidimensionalität befinden, sind sowohl passiv wie aktiv. Somit muss auch den Parametern Raum und Örtlichkeit eine gleichsam starke Aktivität zugesprochen werden. Da Klee die Fläche zunächst anhand von Körpern in Bewegung dachte, formulierte er drei Modi, mit denen der Antrieb in Nuancen der Aktivität beschrieben werden kann: das Aktiv, das mediale Aktiv und das Passiv.91 Den Modus des Aktivs beschreibt Klee mit dem Vorstellungsbild eines Mannes, der einen Baum fällt (aktiv). Das mediale Aktiv würde greifen, wenn ein Baum nach einer Fällung (passiv) stürzt (aktiv). Von einem Modus des Passivs spräche man mit Klee aus der Perspektive des Baumes, wenn dieser gefällt (passiv) wird. Erst nach der Fällung (aktiv) folgt der Sturz (medial aktiv).92 In diesen drei Schattierungen der Antriebsformen sind die Faktoren Raum und Zeit ausschlaggebend für die Nuance des medialen Aktivs: Der Baum stürzt erst nach der Fällung. In der Landung auf dem Boden markiert der Baum zugleich die Endlichkeit des aktiven Stürzens. Klees Modi der Aktivität sind also an die Schwerkraft gebunden – denn in Schwerelosigkeit würde der Baum nicht ewig stürzen, sondern schweben. Mit Bezug auf die Differenz von Aktivität und Passivität wäre das Fällen und Stürzen auf kinetischer Ebene nicht voneinander zu unterscheiden. Klee ref lektiert die Antriebsformen auf sprachlicher Ebene und erzeugt mittels dynamischer Denkbilder eine Beschreibungsform von Bewegungsdimensionen. In seiner Fokussierung auf Bewegung als generatives Element der natürlichen Formgewinnung schwingt in besonderer Weise Klees große Nähe zu Goethes Metamorphosenlehre mit, sowie zu den Vitalitätskonzepten, wie sie Henri Bergson vertrat. Die Versprachlichung von Dynamiken, wie Klee sie unternimmt, entspricht den energetischen Modellen Labans, in denen Kinesphäre, Dynamosphäre und Gewicht als unsichtbare Vektoren in einer linearen passiv-aktiv-Konstellation zusammen gedacht werden müssen, bevor sie im Zuge der Verschriftlichung auf die Fläche überführt werden. Formen, die Bewegungen im Raum zeichnen und über die Sphäre eines Körpers hinausreichen können, nennt Laban »Spurformen«.93 Für die Übertragung von der Dreidimensionalität in die Zweidimensionalität und die darin enthaltenen Koordinaten, die Antriebs-

90  Ebd. 91  Ebd., S. 461. 92  Klee, Pädagogisches Skizzenbuch, S. 11. 93  Laban, Choreutik, S. 14ff.; insbes. auch: »Der Körper und seine Spurformen«, S. 54-61.

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kräfte wahrnehmbar werden lassen, führt Laban darüber hinaus den Begriff der »Schattenformen«94 ein. Abb. 29: Schattenform, Rudolf von Laban (1966)

Als Vektoren lassen diese Schattenformen die dynamischen Bewegungen zwischen den als Eckpunkte dargestellten Aktionsformen in der Kinesphäre sichtbar werden (Abb. 29, ›Drücken‹, ›Stoßen‹, ›Wringen‹ und ›Schweben‹).95 Als Begrifflichkeit stellen die Schattenformen nach Laban »die Verbindung zwischen der zentralen Lebensenergie und den Aktionen im kinesphärischen Raum«96 her. Im Schriftbild zeigt sich, dass die Schattenformen nicht als durchgezogene Linien vergangener Bewegungen in den Würfel nachgezeichnet wurden. In der Notation sind sie als doppelreihige, poröse Spuren festgehalten, die sich entweder miteinander verbinden oder dort, wo keine Verknüpfung stattfindet (Abb. 29, links unten), in einer Schlinge münden und eine Form von ›Vitalität der Spur‹ vermitteln. Labans Bewegungsstudien führen nicht nur das Gewicht erstmals als vom ›Schritte-Setzen‹ losgelöste dynamische Kategorie in die Tanztheorie ein, sondern auch den Schatten. In den ballets fantastiques des 19. Jahrhunderts galt der Schatten noch als Motiv zur Visualisierung der Vitalität lebender wie untoter Wesen in übersinnlichen Räumen; in den Fotografien der Tanzmoderne entpuppte er sich als Medium zur Konstruktion neuer Körper-Bühnenräume. Anhand der ›Schattenform‹ wird deutlich, inwiefern Laban Bewegung als »lebendige Architektur – lebendig im Sinne von wechselnden Stellungen wie auch von wechselnden Zusammenhängen«97 verstand. Erst seit der Moderne lassen sich über den Schatten 94  Ebd., S. 65 95  Ebd. 96  Ebd. 97  Ebd., S. 14.

3. Topografien des Schwebens. Schwerkraft-Räume seit der Moderne

demnach auch die Begriff lichkeiten zum Spüren von Schwerkraft präzisieren. Wie ist diese Sinnlichkeit zu fassen? Aristoteles’ Schriften zufolge gibt es nur fünf Sinne.98 Die Forschungen zur Kinästhesie haben diesem Diktum den Bewegungssinn hinzugefügt.99 Mit ihm lassen sich die sichtbaren Bewegungen in der Kinesphäre und die ›empfindbaren‹ Bewegungen in der Dynamosphäre nachspüren.100 In Verbindung mit den stillgestellten Bewegungen, wie sie in den hier gezeigten Fotografien und Lithografien festgehalten sind, und den diese beschreibenden Texten entstehen Eindrücke einer kinästhetischen Imagination – ein Begriff, den die Tanzforscherin Dee Reynolds in ihrer 2007 erschienenen Studie Rhythmic Subjects anhand von Labans Effort-Lehre und dem Wechselverhältnis zwischen Energie-Fluss und Rhythmus prägte.101 Diese Praxis der doppelten kinästhetischen Perspektive ließe sich mit Rückblick auf Laban auf ein Spüren von gravitas zurückführen.102 Dieses Spüren 98  Aristoteles: De Anima/Über die Seele, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2011, S. 65. 99  U  nter Kinästhesie wird die Verknüpfung von Bewegung und Sinneswahrnehmung verstanden. Wahrnehmen wird dabei nicht auf die primären Sinne (Sehsinn und Hörsinn) und die Nebensinne (Tastsinn, Riechsinn und Geschmacksnerven) eingeschränkt. Vielmehr wird von einem eigenen Bewegungssinn ausgegangen. Wissensgeschichtlich unterscheidet man zwei Formen der Kinästhesie: Als Form der Orientierung beschreibt Kinästhesie das Sammeln von Informationen über die Organe und das Nervensystem, die für die Aufnahme von Reizen verantwortlich sind. In der Mehrfach sinnlichen Wahrnehmung korrespondieren diese Organe, allen voran der Hörsinn, mit der Schwerkraft, der Körperbewegung und der Verortung der Bewegung im Raum (sitzend, gehend, stehend, springend etc.). Über das kinästhetische Empfinden ist also eine Orientierung im euklidischen und physikalischen Raum möglich. Vgl. u.a.: Gibson, James J.: The senses considered as perceptual systems, Westport, Connecticut: Greenwood Press 1966. Seit der Entwicklung der Spiegelneuronen ist in den 1990er Jahren eine weitere Auffassung von Kinesthesie hinzugekommen: Die Kinästhesie als Simulation, und zwar nach Alain Berthoz’ Theorie der kinesthetic series. Berthoz baut auf Gibson auf, allerdings begreift er Wahrnehmung als Nachahmung von Handlung. Zudem fügt er der Betrachtendenposition die zwingend notwendige Ebene der Differenzierung zwischen kultureller Vorprägung und (mit Pierre Bourdieu gedachten) habitualisierten Mustern der Wahrnehmung hinzu. Aus dieser Differenzierung heraus ist der Begriff der kinesthetic series zu verstehen. Vgl. Berthoz, Alain: The Brain’s Sense of Movement, Cambridge, MA: Harvard University Press 2000, S. 164. 100  V  gl. Foster, Susan L.: Choreographing Empathy: Kinesthesia in Performance, New York: Routledge 2011. 101  » Kinesthetic imagination is an activity whose aim is given in movement itself, and is not fully transparent to the agent. It is both a response and an active resistance to constraining patterns of energy usage that are culturally dominant and that shape the kinesthetic experiences and habits of individual subjects. This potential to transform uses of energy in movement places dance at the forefront of culturally significant forms of artistic practice.« Reynolds, Dee: Rhythmic Subjects, Hampshire: Dance Books 2007, S. 1. 102  B  randstetter spricht für die Praktiken der Kontaktimprovisation in diesem Sinne von verkörperten Dynamiken, denen mit kinästhetischer Propriozeption und »kinästhetischer Kommunikation begegnet werden könne – durch Berührung und Körperkontakt, sowie durch

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ist nicht ohne das Wissen um die Gravitationskräfte denkbar, mit denen sich das Verständnis von Welt im 20. Jahrhundert grundlegend erweitert hat. Sowohl die Arbeiten mit Licht und Schatten bei Appia und Jaques-Dalcroze als auch das choreografisch-analytische Erarbeiten anderer Gestaltungsmöglichkeiten der Schwere bei Laban sind jedoch nicht losgelöst von den metaphorisch gedachten Gravitationssplittern zu betrachten, die die beiden Weltkriege in Kunst und Leben der Vertreterinnen und Vertreter der Moderne – und ihrer Nachwelt – hinterlassen haben. Ein Habitus der Schwere erhält vor diesem Hintergrund ein anderes Gewicht. Das Erschüttern der Welt zerstörte im Zweiten Weltkrieg nicht nur ein Gehen in Freiheit, sondern zwang den Menschen neue Gangarten und Denkwege auf – ein Gehen, das innerhalb der aus den Fugen geratenen sozialen Gefüge erst wieder erlernt werden musste. Dieses Erlernen kann allerdings nicht mehr an die Spurformen der Schritte vor dem Krieg anknüpfen – folgt man Theodor W. Adornos Äußerungen zur Unwiederbringlichkeit von Schöpferischem nach 1945 und der Verantwortlichkeit, die sich aus einer Dialektik von aktivem Einsatz und passiver Geisteshaltung ergibt.103 Ein Beschreiben der Arbeit an der Trauer, wie sie bei Bausch in der Tanzoper Orpheus und Eurydike zum Ausdruck gebracht wird, muss nicht nur diesen historischen Bogen mitdenken, in dem die Tanzkunst verankert ist, sondern auch die Versprachlichung der Verhältnisse von Aktivität und Passivität in Bewegung. Was bedeutet ein Entdecken der Gravitationsfelder im Weltenraum für das Verständnis von Schweben in Schwerkraft und anschließend für die kinästhetische Imagination? In welcher Relation zum physikalischen Verständnis von Schwere stehen Wigmans kosmisch gedachte Äußerungen zum Schweben, Skoronells choreografisch sprachlicher Hybrid ›Schwebung‹, Labans Denk- und Schriftfigur der ›Schattenform‹ und Klees »Kräftegleichgewicht«104 im Seiltänzer?

Schwerefelder. gravitas in der Physik Albert Einsteins Bis Anfang des 20.  Jahrhunderts definierten Newtons Schwerkraftexperimente die Vorstellung von Bewegungsrichtungen und physischer Verfasstheit von Körpern in Relation zur Schwerkraft und zur Einteilung von Zeit-Räumen.105 Mit Verschiebungen des Gewichts und der räumlichen Lage (Position), die Verschiebungen der dynamisch interagierenden Tänzer-Körper« erwirkt. Siehe: Brandstetter, Gabriele: »›Listening‹. Kinaesthetic Awareness und Energie in zeitgenössischen Bewegungspraktiken«, in: Gronau, Barbara: Szenarien der Energie. Zur Ästhetik und Wissenschaft des Immateriellen, Bielefeld: transcript 2013, S. 183-198. Hier: S. 188. 103  Vgl. Adorno, Theodor W.: Zur Dialektik des Engagements, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1973. 104  Klee, Das bildnerische Denken, S. 197. 105  Z  ur Physik Newtons sowie zur Gravitationstheorie und daraus resultierenden Relativitätstheorie Einsteins siehe folgende, einführende Literatur: Freundlich, Erwin: Die Grundlagen der

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Newton wird der Mythos vom fallenden Apfel erzählt, der den Kopf des Physikers beim Nachdenken über die Schwerkraft traf und zur Theorie der Schwerkraft in einem absoluten Raum führte. Newton ging davon aus, dass die Körper (Kopf und Apfel) aufeinander wirken, obwohl sie »nicht sichtbar miteinander verbunden sind«.106 Voraussetzung für das Entwickeln einer Theorie der Schwerkraft, die von der Physik im Allgemeinen akzeptiert werden konnte, war, dass die Hypothesen anhand von Experimenten aufgestellt wurden, die Kontinuität aufweisen, also eine Stetigkeit der Kraftübertragung. Wollte Einstein 200 Jahre später Newtons Annahme der Existenz eines absoluten Raumes widerlegen, in welchem Objekte unabhängig von dem sie umgebenden Raum stürzen, musste er beweisen, dass die Erdanziehungskraft nicht nur für den Sturz der Objekte oder ein in der Luft Hängenbleiben und Schweben verantwortlich ist. Schwerkraft bedeutete nach Einstein auch, dass Objekte sich auf der Horizontalen bewegen und aufgrund ihres Eigengewichts raumkonstitutiv sind. Den Vorgaben der Physik entsprechend entwickelte Einstein ein allgemeines Bewegungsprinzip, das die Körper in Relation zueinander unter dem Einf luss der Gravitation bestimmt. Bekannt für die Formel der relativen Bewegung von Körpern zueinander ist sein Gedankenspiel an Menschen im stürzenden Fahrstuhl. Diese Bewegung eines Objekts war losgelöst vom euklidischen Raum und erfüllte die grundlegenden Forderungen der Physik: Kontinuität (der beobachtbaren Kraftbewegungen) und Kausalität (lediglich beobachtbare Dinge). Befindet sich ein Objekt innerhalb eines fallenden Objekts, verliert es im Moment des Fallens sein Eigengewicht und wird schwerelos. Vergleichbar ist dieser Effekt mit dem der schwebenden Raumfahrenden im Weltall oder mit Menschen und Objekten in einem Flugzeug, das sich in einem Looping befindet und abrupt an Höhe verliert. Das Eigengewicht hebt sich im Moment der Fall-Bewegung innerhalb einer bestimmten Geschwindigkeit auf. Dieses Eigengewicht im Moment der Bewegung (im Fallen wie im Fortbewegen) nennt die Physik Totlast – ein Objekt, das im Moment der Bewegung gewichtslos wird. Bemessen ist diese Totlast nach dem Einsteinschen Gravitationstheorie. Mit einem Vorwort von Albert Einstein, Berlin: Springer 1916; Einstein, Albert: Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie (Gemeinverständlich) [1917], Braunschweig: Friedrich Vieweg & Sohn 1922; siehe zudem die kontinuierlich im Rahmen der Forschungen am Max-Planck-Institut entstehenden Publikationen des Physikers Jürgen Renn: Albert Einstein. Ingenieur des Universums. Hundert Autoren für Einstein, Weinheim: Wiley-VCH 2005; Ders. (Hg.): Wie Einstein die Relativitätstheorie entdeckte, Ulm: Universität Ulm 2005; Ders./ Gutfreund, Hanoch: Relativity. The Special & The General Theory. 100th Anniversary Edition, Princeton/Oxford: Princeton University Press 2015. Zur einführenden Einbettung der Physik in die Raumtheorien der Medien- und Kulturwissenschaften siehe: Günzel, Stephan: »Physik und Metaphysik des Raumes. Einleitung«, in: Ders./Dünne, Jörg (Hg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2006, S. 19-43. 106  Freundlich, Grundlagen, S. 6.

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Prinzip der vierten Dimension: »Die Raum-Zeit-Mannigfaltigkeit«,107 in der alle Bewegungen aller Körper, »die durch Relativbewegungen der Körper gegeneinander zustande kommen, als völlig gleichberechtigt«108 erachtet werden. Bereits hier bietet sich der Querverweis zu den Hebungen des Körpers im Barocktanz und den ›choreografierten Stürzen‹ im Modernen Tanz an. Festzuhalten sei vor allem, dass die Gravitationstheorie auf einer physischen Erfahrung basiert: »Körper befinden sich infolge dessen (der Gravitationswirkung) ständig in beschleunigter Bewegung gegeneinander.«109 Gravitationskräfte werden demnach als »bindende Kräfte«110 und »innerer Grund der Maßverhältnisse im Raum«111 bezeichnet. Daraus lassen sich relevante Beobachtungen für eine tanzwissenschaftliche Perspektive zum Schweren Schweben anschließen: »Die schwere und die träge Masse eines Körpers sind einander gleich.«112 Denn nach Einstein ist die Trägheit der Masse zugleich auch Energie.113 Die träge Masse hat je nach Energieinhalt einen anderen Wert, ohne dass sich die schwere Masse (Körpergewicht) verändert. Die Schwere eines Körpers kann also nicht mit dem (realen) Gewicht desselben gleichgesetzt werden, da mit ihr das Maß der Trägheit des Körpers verstanden werden muss. Trägheit ist nicht bewegbar wie das Körpergewicht, sondern ein Zustand, der einer Wahrnehmung entspricht und zugleich mit der Imaginationskraft verbunden ist. »Die reine Trägheitsbewegung ist also eine durch Abstraktion aus einem Gedankenexperiment gewonnene Vorstellung.«114 Seit Einstein wird in der Physik zudem nicht zwischen den Zeiten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterschieden, da der »Zeitbegriff nicht einfach als gegeben betrachtet werden kann, sondern ein recht kompliziertes Konstrukt darstellt.«115 Die physikalischen Gesetze von Raum und Zeit, in denen beide Parameter als gleichwertige Größen erachtet werden, bedingen einander zeit-gleich und können demnach nicht losgelöst von einander existieren. Raum ist Zeit, und demnach kann es keine Vergangenheit geben, die sich vom Standpunkt der Gegenwart aus isoliert betrachten ließe. 107  Ebd. 108  Ebd. S. 12. 109  Ebd. 110  Ebd. 111  Ebd., S. 15. 112  Einstein, Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie, S. 46. 113  » Die träge Masse eines Körpersystems kann geradezu als Maß für seine Energie angesehen werden.« Freundlich, Grundlagen, S. 24f. 114  E insteins Beobachtungen der Alltagswelt, die den Versuchen nach Lösungen aus der mathematischen Physik vorausgingen, beruhten auch auf seiner Lektüre der philosophischen Schriften David Humes und Ernst Machs. Siehe: Renn, Wie Einstein die Relativitätstheorie entdeckte, S. 31f. 115  Ebd.

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Für das Beobachten und begriff liche Beschreiben von vergangenen Bewegungen Tanzender, die als Schwebende bezeichnet werden, weil sie Raum erzeugen, scheint folgende Feststellung wesentlich: Der Effekt der Schwerelosigkeit wird nicht erzeugt, weil die schwebenden Körper an Schwere/Gewicht verlieren, sondern weil sich im Moment des Stützens oder Hebens/Steigens der Wert ihrer Trägheit vergrößert oder verringert. Eine Veränderung von Trägheit trotz gleichbleibendem Körpergewicht ist in der Gegenwart wahrnehmbar. Im Moment der Wahrnehmung von Trägheit findet eine Veränderung im Energielevel des wahrzunehmenden Objekts (etwa der schwebenden Tänzerin) statt. Feinste Nuancen einer qualitativen Veränderung der Trägheit in der Bewegung können vor allem lebende Wesen spüren. Dies zeigt auch Einsteins beinahe aisthetische Herangehensweise an physikalische Phänomene. Allerdings sei hier anzumerken, dass Einstein mit dem Körper in Bewegung physikalischen Phänomenen nachging. Eine Rückbindung an den menschlichen Körper und seine Bewegungen als zu untersuchende Phänomene unternahm Einstein aber nicht. Das Spüren der Bewegung, das tanzwissenschaftlich als kinästhetische Wahrnehmung für die dynamische und räumliche Veränderung von Körpern im Raum bezeichnet wird, lässt sich für das Sehen von Schweben über ein Wahrnehmen von Schwere/Trägheit spezifizieren. Gravitas bedeutet aus tanzwissenschaftlicher Perspektive mit Blick auf die Physik also auch das Spüren der Schwere von Körpern ›In-Schwebe‹. Der Ort, der durch die physikalischen Experimente Einsteins und die aus diesen resultierende Relativitätstheorie für Menschen realiter erreichbar wurde, ist der Weltraum. Wer diese Sphäre jenseits der Gravitationskraft betritt, schwebt außerhalb irdischer Konstellationen von Zeit und Raum und ist, um weiterhin zu atmen, Organe zu bewegen und Luft zu verschieben, auf einen den Körper umgebenden Schutzraum (Anzug und Helm) angewiesen. Von Raumfahrenden und ihren Bewegungen lässt sich nur über das Medium Film sprechen. Ein Beobachten ihrer Körper ist ohne Medium weder aus nächster Nähe noch aus weiter Ferne möglich. Umso stärker geht von ihnen als Schwebenden eine Faszination aus, die selbst Bereiche der Erotik erreicht, wie Jacques Lacans psychoanalytisches Fragen nach dem Phallischen in der Schwerelosigkeit zeigt.116 Grund hierfür ist in erster Linie die mit ihrer Tätigkeit verbundene Entgrenzung: das physische Verlassen der Erdatmosphäre und das Durchqueren der Grenzsphäre zwischen Gra116  V  gl. Schuster, Aaron: »The Cosmonaut of the Erotic Future«, in: cabinet magazine, Nr. 32, (2008/09), o.S., http://cabinetmagazine.org/issues/32/schuster.php. Letzter Zugriff: 03.07.2017. Schuster greift in seinem Text zum Begehren nach Bewegungen in Schwerelosigkeit direkt Lacans Fragen nach der Gravität des Phallus auf: »What happens in the state of weightlessness to the sexual drive, which usually manifests itself as going against gravity?«, hier mit folgender Quellenangabe: Lacan, Jacques: Seminar IX, L’Identification, session of 28 February 1962 (unpublished). Schuster spitzt dies in seinem Text wie folgt zu: »In other words, what happens to male erection in outer space? How can the phallus properly ›levitate‹ in a gravity-free environment?«, ebd.

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vitätsraum und Gravitationsfeld. Diese Entgrenzung übersteigt den Flug und die damit verbundene Bewegung durch die Luft. Astronautinnen und Astronauten entfernen sich aus ihrem Lebensraum, werden temporär zu celestial bodies (Himmelskörpern), erreichen einen Ort, an dem Atmen nicht möglich ist, und kehren im besten Falle unbeschwert in ihren Lebensraum zurück. Aus einer tanzwissenschaftlichen Perspektive, die die ästhetischen Kriterien für das Staunen über die Schwebenden im Blick behält, ist diese Faszination mit einem Paradox verbunden: Physikalisch sind Raumfahrende schwebend leicht, weil ihr Gewicht keine messbare Größe mehr besitzt. Sie befinden sich im »Schwerefelde«117: »Ein Stück Blei und ein Stück Holz fallen beispielsweise im Schwerefelde (im luftleeren Raume) genau gleich, wenn man sie ohne bzw. mit gleicher Anfangsgeschwindigkeit fallen läßt.«118 – so Einstein. Bewegungen in Schwerelosigkeit sind von einer spezifisch motorischen Aktivität bestimmt. Diese Aktivität hinterlässt auf der Ebene ästhetischer Kriterien, wie sie in der europäischen und demnach westlichen Kultur seit den Körper- und Bewegungsbildern der griechischen Antike entworfen wurden, einen befremdlichen Eindruck: Mit behäbigem Gang, einem Stampfen ohne Kraftaufwand, ist der Bewegungsradius der Raumfahrenden um jede grazile Form der Feinmotorik auf eine Grobmotorik reduziert, die Ähnlichkeiten mit den sperrigen Bewegungen des (der Körper-Orientierung beraubten) Tanzbären in Lessings Fabel besitzt. Bewegungsanalytisch – mit Rückgriff auf das Vokabular der Inventarisierung von Bewegung (IVB) – verweist diese Metaphorik im Ablauf von Körperbewegungen auf das spezifische Zusammenspiel der analytischen Grundkategorien ›Mobilisieren‹, ›Koordinieren‹, ›Belasten‹ und ›Regulieren‹: Auf Ebene der ›Selektion‹ (der Körper in seiner objekthaften, in Sektoren unterteilbaren Erscheinung) ermöglichen nur die Arme und Beine in ihrer Anordnung ein ›Koordinieren‹ und ›Regulieren‹ der Fortbewegungen. Eine ›Delegation‹ der Körperteile – das Bewegen, das Innehalten und die Bewegungsfolge – ist möglich. Aufgrund der Stillstellung von Rumpf, Kopf und Nacken, dem Schwerkraftzentrum, sowie der Hand- und Fußgelenke ist die Mobilität auf der Ebene der ›Artikulation‹ aber stark eingeschränkt. Gleiches gilt für das Beugen und Strecken, Kontrahieren und Expandieren (ein Verdrehen der Körperglieder) sowie für die Reichweite von Bewegung. Der größte Mobilitätsverlust durch die Aufgabe des Eigengewichts im Raum-Anzug wirkt sich auf der Ebene des ›Belastens‹ aus: Gewichtsverlagerungen, die auf der Erde im Schreiten oder Springen ein punktgenaues Übertragen von Körpergewicht ermöglichen, lassen sich im Weltraum nur zeitverzögert und ohne Präzision ausführen. Ein kleiner Schritt in dicken Spaceboots auf der Krateroberf läche des Mondes wirkt im Vergleich zu gesetzten Schritten auf der Erde zwar sehr groß, jedoch zugleich instabil, unsicher und insofern auch nicht aktiv 117  Einstein, Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie, S. 44. 118  Ebd.

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raumgreifend. Schlussendlich entspricht ein ›Regulieren‹ von Bewegung auf dem Mond mittels eines gelenkten Energieaufwands (dem Gestalten von körpereigener Kraft zur Stabilität im Raum) nicht der Bewegungsästhetik, wie sie aus der Verbindung von Zeit- und Raumkoordinaten an einem Ort greift, der von Gravitationskräften bestimmt ist. Astronautinnen und Astronauten können als celestial bodies jenseits der Himmelssphäre, der celestial sphere, ohne Raumanzug weder Gehen noch Stehen. Ihr Ringen um Schwere hat dennoch etwas Tänzerisches. Zwar müssen sie die Schwerkraft nicht mehr überwinden wie die Tanzenden auf der Erde; die Bewegungen der Raumfahrenden sind trotzdem von einer Suche nach dem Gleichgewicht gekennzeichnet: Sie müssen ihre Schritte derart gestalten, dass sie ihnen Gewicht geben, um nicht als Gewichtslose davonzuschweben. Das tapsende, antigrave Gehen im All wiederholt zugleich die Sehnsucht der Erhabenheit des Menschen über die Gravitationskraft. Es ist eine »Beherrschbarkeit der Welt«119, die mit dem alten Wunsch nach einem Eintauchen in Sphären des Überirdischen verbunden ist. Historische Momente dieser Reisen markieren im 20.  Jahrhundert Personen wie der Raumfahrer Neil Armstrong. Nach Landung auf dem Mond setzte er 1969 den Pfahl der Staatsf lagge der Vereinigten Staaten von Amerika senkrecht in die Kraterlandschaft. Mit Blick auf die Geschichte der gravitas wiederholte sich mit dieser Geste die Disziplinierung des Fremden, die Lessing und Kleist mit ihren Bären bereits figurativ kritisiert hatten. Der eigentliche Erfolg der Zeitreise in die Schwerelosigkeit lag für die Raumfahrerinnen und Raumfahrer allerdings in der sicheren Rückkehr auf die Erde, als Beweis, dass sie den ›Sturz in den Himmel‹ überlebt haben. Und so ist auch das All genau das, was der Phänomenologe Edmund Husserl (1859-1938) 1936 für die Erde definierte: der »natürliche Weltboden«120. Dieser Weltboden ist, so der Philosoph Stephan Günzel, die »Bedingung der Möglichkeit leiblicher Wahrnehmung von Raum oder des räumlichen Erlebens: Überall, wo ein Mensch ist und sich bewegt – und sei es auf einem fremden Planeten –, werde er immer die Erfahrung eines ›Bodens‹ als Basis seines Handlungsraums mitbringen.«121 Wissenschaftsmärchen greifen diese Faszination und die mit ihr verbundene Erhabenheit über die Körperbewegungen auf fremden Planeten auf. In dem populären Science-Fiction Film Gravity (2013) wird die Bio-Medizinerin Dr. Ryan Stone (Sandra Bullock) nach einem Zusammenstoß ihres Raumshuttles mit Trümmerteilen russischer Satelliten und dem Tod der übrigen Crewmitglieder ins All katapultiert. Dort dreht sie sich um die eigene Achse und befindet sich später frei schwebend alleine in ihrer Raumkapsel. Mit jedem Atemzug verringert sich ihre 119  Fischer, »Dancing Gravity«, S. 60. 120  H  usserl, Edmund: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie [1936], Husserliana 6, hg. v. Walter Biemel, Den Haag: Martinus Nijhoff 1976, S. 15f. 121  Günzel, »Einleitung«, S. 110.

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Lebenszeit, da die Menge an Sauerstoff begrenzt ist. Kurz bevor sie sich für einen Selbstmordversuch entscheidet, wird sie in einer halluzinären Begegnung mit ihrem zugunsten ihres Weiterlebens im All verstorbenen Raumfahrtpartner Matt Kowalski (Georges Clooney) ermutigt, die Kapsel zu einer anderen Raumstation zu steuern.122 Einen Schritt weiter geht der Film Interstellar (2014)123. In diesem Science-Fiction Film kreist die Geschichte um den ehemaligen NASA-Astronauten Cooper. Mitte des 21.  Jahrhunderts – nach Schließung der NASA im Zuge zahlreicher Sparmaßnahmen in der Wissenschaft – reist Cooper mittels analoger mathematischer Berechnungen durch die Zeit und hört dabei auf zu altern. Mit der Vorstellung eines vom Vergreisen verschonten Körpers übersteigt Interstellar die Grenzen des Imaginären und geht über das Narrativ früherer Science-Fiction-Serien hinaus, etwa Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschif fes Orion oder Raumschif f Enterprise aus den 1960er Jahren, in denen sich die Charaktere vornehmlich innerhalb der Weltraum-Schiffe bewegen. In Interstellar existieren Räume und Menschen der sogenannten fünften Dimension: Als permanente Zeitreisende schweben sie wie Sterne zwischen Raum und Zeit.

Ciné-Ballet. Schweben im Medienwechsel von Tanz & Film »Physikalische Filmzeit ist reversibel. Lebenszeit hingegen ist irreversibel.« 124 Poetik des Films (Maya Deren) In französischen Ballettensembles werden Tänzerinnen und Tänzer mit der höchsten Position als Étoile (Stern) bezeichnet. Einerseits ist damit das Bild von Tanzenden verbunden, die mit ihren Bewegungen und Tanzschritten zum Sternenhimmel reichen; andererseits ließen sich die höchstrangigen Tanzenden als Figuren interpretieren, die so hell leuchten wie der Fixstern, der in der Nacht (oder am Vorstellungsabend) alle anderen Sterne überstrahlt. Pariser Tänzerinnen wie Marie-Agnès Gillot, versinnbildlichen in Rollen wie jene der Giselle oder der Myrtha diese Metaphorik.

122  Z  um Schweben der Hauptfigur Dr. Ryan Stone vgl.: Juren, Anne: »Gravity«, in: Evans, Moirah/u.a. (Hg.): Movement Research Performance Journal, Nr. 51, Frühling (2018), S. 112-119. 123 Interstellar ist von dem Astrophysiker Kip Thorne in Bezug auf die Grundlagen der Einfachen und Speziellen Relativitätstheorie Einsteins wissenschaftlich begleitet worden. Thorne zählte 2017 zu jenen drei Physikern, die für den bis dato ausstehenden Beweis der Relativitätstheorie Einsteins mit dem Nobel-Preis für Physik ausgezeichnet wurden. 124  B  ühler, Brigitte/Hormel, Dieter: »Vorspann«, in: Deren, Maya: Poetik des Films. Wege im Medium bewegter Bilder [1965], hg. u. übers. v. Brigitte Bühler, Dieter Hormel, Berlin: Merve 1984, S. 7-11. Hier: S. 10.

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Folgt man diesen Gedankenspielen, könnten Tanzende auf der Bühne seit der Moderne, und dem Wissen um die Kreisbewegungen der Planeten, als korrelative Gestirne oder schwebende celestial bodies bezeichnet werden. In der Moderne sind die Gravitationslehre und Relativitätstheorie Einsteins zwar nicht bewiesen, wurden jedoch (durch Monderoberung und Atombombe gleichermaßen) zur Anwendung gebracht. Der Klassische Akademische Tanz ist nicht überwunden, aber durch andere Formen des Ausdrucks ergänzt worden. Der Tanz aus der Barockzeit ist an dieser Stelle insofern präsent, als dass Noverre seine Vorbilder für Aufstellungen von Tanzenden in den mathematischen Anodrungen der Gestirne suchte und somit eine überirdische Ordnung als Orientierung für den Bühnentanz wählte.125 Choreografische Kommentare zur Schwerkraft wie Skoronells ›Schwebung‹ wurden in der Moderne zur Fixierung von Momentaufnahmen technisch reproduziert und für die Rezeption auf Papier fixiert. Experimente wie Edmund Kestings Doppelbelichtungen in Fotografien der Ausdruckstänzerinnen kündigten einen Medienwandel an. Denn in der Epoche nach der Moderne gewinnen Aufzeichnungsmedien wie der Film vor allem in den Künsten eine erweiterte Funktion. Raum- und Zeitphänomene, die einer Lebenszeit entstammen und choreografisch mit physikalischen Filmzeiten zusammengedacht wurden, können mit Rückgriff auf Laban und Einstein als Chronosphären beschrieben werden – als Orte, in denen gültige Ordnungssysteme zur Orientierung in Zeit und Raum verworfen wären. Solche Chronosphären, in denen das Spiel mit dem Gleichgewicht Tanzschaffenden neue Formen der Artikulation von Schwere, Leichtigkeit und Zeit-Räumlichkeit entlockt, sind in der Geschichte der Choreografien des Schwebens bereits lange vor den ersten Weltraumreisen der Apollo-Raketen visualisiert worden. Denn der ›Tanz der Sterne nach der Moderne‹ hat zwar nicht den Weltraum erobert, aber dafür andere Bühnen entdeckt: die Bühnen der Stadträume und der audiovisuellen Medien. Auf diesen neuen Bühnen entwickelt die Relation von ›leicht und schwer‹ in Bezug zur Darstellung von Zeit-Räumen andere Qualitäten der gravitas – beispielhaft etwa in den USA. Zur Kontextualisierung von Feinstufen der gravitas in den Vereinigten Staaten sind zwei Strömungen bedeutsam: der amerikanische Postmodern Dance und das Moderne Ballett. Im Postmodern Dance integrierten Tanzschaffende nicht nur Qualitäten der Alltagsbewegungen in den Tanzraum. Sie verließen – ähnlich wie die Tanzmoderne – das Theater als Ort der Darstellung und zogen in die Stadträume.126 Notationen wurden in diesem Stil nicht mehr zur Vorschrift oder zum Nach125  Vgl. hierzu: Dahms, Der konservative Revolutionär, S. 57. 126  D  er Literaturkorpus zur Postmoderne greift sowohl das Entstehen der ersten Arbeiten in den 1960er Jahren als auch ihre weltweite Rezeption durch Tanzforschende in den 1980er Jahren auf. Zu wegbereitenden Schriften zählen u.a. (chronologisch): Copeland, Roger: »Postmodern Dance/ postmodern architecture/postmodernism«, in: Performing Arts Journal, Heft 7, Nr. 19 (1983), S. 27-

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zeichnen von fixierten Tanzschritten angewandt, sondern zum Anleiten (tasks) und schriftlichen Anordnen (scores) von Entwürfen möglicher Bewegungen in (mitunter unbestimmten) Räumen. In der Performancekunst wie in der Bühnentanzkunst wird mit dieser Art des Entwerfens von Schritten im Besonderen die Tänzerin und Choreografin Trisha Brown (1936-2017) verbunden: Für Arbeiten wie Man Walking Down the Side of a Building (1970) ließ sie einen Tänzer (Peter Moore) entlang einer Hausfassade mit dem Gesicht zum Boden gerichtet, an einem Seil hinabgehen. Das senkrechte Seil und der optisch waagerecht in der Luft liegende Tänzer erinnern an die Fäden der Kleist’schen Marionette; bei Brown ist der Winkel schlicht um 90 Grad in die Horizontale gewendet: Mit dem Brustkorb zum Boden hielt sich der Gehende an einem Seil, das ihn nicht im Equilibrium eines aufrecht Stehenden unterstützte, sondern vor dem tödlichen Sturz auf die Erde sicherte. Entscheidend für Browns Vorstellung von Körpern in Bewegung ist das Lösen jener Spannungshaltung, die Bewegungsführungen im Klassischen Akademischen Tanz wie auch im amerikanischen Modern Dance (etwa bei Martha Graham, 1894-1919) dominierte. Über das Aufgeben der Körperspannung sagte Brown: »The minute there is tension there is attitude, a psychological overlay that I don’t want in my work.«127 In ähnlicher Weise ließ Brown auch eine Tänzerin (Diane Madden) im Prolog ihrer Regie zur Opernarbeit L’Orfeo (1998) schweben: An Seilen festgespannt hing Madden in heller Kleidung in verdunkeltem Bühnenraum vor einer Scheibe, die ähnlich wie ein Vollmond leuchtete. Unter der Tänzerin saßen Sängerinnen, Sänger und der Dirigent.128 43, Banes, Sally: Terpsichore in Sneakers: Post-Modern Dance. Connecticut: Wesleyan University Press 1987; Banes, Sally/u.a.: »What Has Become of Postmodern Dance? Answers and Other Questions by Marcia B. Siegel, Anna Halprin, Janice Ross, Cynthia J. Novack, Deborah Hay, Sally Banes, Senta Driver, Roger Copeland, and Susan L. Foster«, in: The Drama Review, Heft 36, Nr. 1 (1992), S. 48-69; Banes, Sally/Carroll, Noël: »Cunningham, Balanchine, and Postmodern Dance«, in: Dance Chronicle, Heft 29, Nr. 1 (2006), S.  49-68. Folgende Publikationen thematisieren im Besonderen die Qualität der Schwerkraft-Spiele: Foster, Susan Leigh: »The Signifying Body: Reaction and Resistance in Postmodern Dance«, in: Theatre Journal, Heft 37, Nr. 1 (1985), S. 45-64; Burt, Ramsay: Judson dance theater: performative traces, London u.a.: Routledge 2006; Cooper Albright, Ann: »Falling on Screen«, in: International Journal of Screendance, Heft 1, Nr. 1 (2010), S. 21-26; Bench, Harmony: »Anti-Gravitational Choreographies: Strategies of Mobility in Screendance«, in: International Journal of Screendance, Heft 1, Nr. 1 (2010), S. 53-61; Cooper Albright, Ann: »The perverse satisfaction of gravity«, in: Nakajima, Nanako/Brandstetter, Gabriele: The Aging Body In Dance. A Cross-cultural perspective, Florence: Taylor & Francis 2017, S. 63-72. Zum Verhältnis von Postmoderne und Tanztheater vgl.: Brandstetter, Gabriele: »Still/Motion. Zur Postmoderne im Tanztheater«, in: Jeschke, Claudia/Bayerdörfer, Hans-Peter (Hg.): Bewegung im Blick. Beiträge zu einer theaterwissenschaftlichen Bewegungsforschung, Berlin: Vorwerk 2000, S. 122-136. 127  T risha Brown, zitiert in: Brunel, Lise: »Conversations with Trisha Brown. Limitations and exposition«, in: Brunel, Lise/Brown, Trisha/Mangolte, Babette/Delahaye, Guy (Hg.): Trisha Brown. L’atelier des Chorégraphes, Paris: Bougé 1987, S. 75. 128 L’Orfeo, Theaterprojekt nach Claudio Monteverdi, (Ch) Trisha Brown, Brüssel 1998. Die Inszenierung wurde 2007 als DVD von Harmonia Mundi (HMD 9909003.04) veröffentlicht. Siehe hier-

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Die Dynamik, die den choreografischen Entwicklungen im Postmodern Dance zugrunde liegt, entspringt mitunter der Bewegungssprache Doris Humphreys. Mit ihrer radikalen Umkehrung des Equilibriums aus dem Klassischen Akademischen Tanz entwickelte sie ein gravitas-Konzept, das die gesamte amerikanische Tanzmoderne sowie die Postmoderne, respektive die Arbeiten der Künstler-Kollaborationen des Judson Dance Theatre (1962-1964) und der daraus entsprungenen Contact Improvisation beeinflussen sollte: In der Entwicklung ihrer eigenen tanztechnischen Sprache legte Humphrey den Fokus auf die dynamischen Qualitäten des Fallens und des Rückschwungs. Über die Formulierung fall and recovery arbeitete sie mit der »Mobilisierung des körpereigenen Gewichts, das heißt, der Körper wird durch ein zeitweiliges Nachgeben des Eigengewichts in Bewegung gebracht.«129 Mit dieser Form des »déséquilibre«130 ist nicht nur eine Gestaltung der Relation von schwer und leicht grundlegend verändert. Mit dem Fallen und Stürzen entstand eine neue ästhetische Haltung zur Schwere der Körper und zur damit verbundenen Ästhetik und Poetik131 des Lebendigen im Sturz: Mit ihren Stürzen entwickelt Humphrey eine Bewegungssprache, die den Vertrag mit dem »vertikalen Tod«132 der Lotgeraden aufkündigt. Die tanztechnische Regel der Kontrolle der Schritte stellte sie damit nicht nur in Frage, sondern brachte sie für die Tanzenden wie für die Zuschauenden förmlich zu Fall.133 Somit ist im Postmodern Dance die Grazie mit dem physikalischen Fallen, mit der Dynamik des Sturzes verbunden. Künstlerinnen und Künstler dieser Richtung wie Nancy Stark Smith und Steve Paxton haben sich mit Arbeiten wie Fall Af ter Newton (1987) konkret mit den Lehren der Physik befasst.134 Mit den Entwicklungen des amerikanischen Modern Dance, die später zum Postmodern Dance führten, war auch Pina Bausch vertraut – insbesondere durch ihren Aufenthalt an der Juilliard School, an der Tanzschaffende und Lehrende wie José Limon (1908-1972) zu auch die detaillierte Beschreibung der Arbeit in: Bernardi, Guillaume: »Trisha Brown’s L’Orfeo: Postmodern Meets Baroque«, in: The Opera Quarterly, Heft 24, Nr. 3-4 (2008), S.  286-292. Insb. S. 287f.  uschka, Sabine: Moderner Tanz. Konzepte, Stile, Utopien, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2002, 129  H S. 208. 130  » À fonder son mouvement sur le déséquilibre.«, Ginot, Isabelle/Michel, Marcelle: La Danse au XXe siècle, Paris: Larousse 1998, S. 112, zitiert in: Huschka, Moderner Tanz, S. 208. 131  L ouppe schreibt hierzu treffend: »Über die Poetik des Sturzes gibt es zahlreiche Texte, angefangen mit jenen von Doris Humphrey. Sie sind Teil eines schönen Korpus, der den Sturz und seine Auswege (den Aufschwung, das Aufspringen) mit jener Poetik des Schwankens verbindet, die im Zeitgenössischen Tanz so wichtig ist.« Louppe, Poetik des Zeitgenössischen Tanzes, S. 84. 132  H  umphrey, Doris: Die Kunst, Tänze zu machen. Zur Choreographie des modernen Tanzes, Wilhelmshaven: Florian Noetzel 1985, S. 122. 133  Vgl. hier auch: Louppe, Poetik des zeitgenössischen Tanzes, ebd. 134 Fall after Newton (1987): (Ch:) Steve Paxton. Tanz: Nancy Stark Smith, Steve Paxton. Siehe hierzu u.a.: Albright, »Falling on Screen«.

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Humphreys Tradition der fall and recovery-Methode fortführten. Auch in Bauschs Bewegungssprache sind die Elemente der Destabilisierung, des »déséquilibre«135 integriert. Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, die »Fall-Geschichten«136 des Tanztheaters nur auf die Abkehr vom »vertikalen Tod«137 zurückzuführen. Bauschs Anteil zur Geschichte des Schwebens scheint komplexer, insbesondere da die Choreografin den vertikalen Tod auf eine Weise akzeptiert und artikuliert, die dem modernen Ballett wesentlich näher scheint. Denn zeitgleich zum Modern Dance entwickelte sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine spezifische Form des modernen Balletts. Mit den (Ausdrucks-) Mitteln des Modern Dance und der Ästhetik des Neoklassischen Balletts, wie es mit Balanchines Arabesken gesetzt oder in Forsythes architektonischen Tanz-Figurationen138 dekonstruiert wurde, vermittelte das Ballett in den 1930er Jahren Themen und Motive des Alltags und der Psyche. Den Körper mit Techniken des Klassischen Akademischen Tanzes im Gleichgewicht zu halten, war nicht mehr nur eine Frage der richtigen Haltung der Glieder, sondern Mittelpunkt einer Denkhaltung und zeitgemäßen Auseinandersetzung mit ästhetischen Formalisierungen im Tanz: Dem Begriff Equilibrium, als Bezeichnung für die Körpergrundhaltung im Ballett, begegnete etwa Alfredo Corvino mit der englischen Bezeichnung equipoise. Wörtlich aus den Teilbegriffen equi (gleich) und poise (Haltung/Gleichgewicht) zusammengesetzt, bedeutet equipoise zunächst, dass etwas ›im‹ Gleichgewicht gehalten wird. In der Kinetik Corvinos139 gewinnt der Begriff eine spezifische Wendung. Im Zentrum seines 135  Ginot/Michel, La Danse au XXe siècle, ebd, bzw. Huschka, Moderner Tanz, ebd. 136  B  randstetter, Gabriele: »Tanztheater als ›Chronik der Gefühle‹. Fall-Geschichten von Pina Bausch und Christoph Marthaler, in: Rosiny, Claudia/Feest, Claudia/Bischof, Margit (Hg.): e_motion, Hamburg: Lit 2006, S. 17-34. 137  Humphrey, Die Kunst, Tänze zu machen, S. 122. 138  Z  u den Arabesken als architektonischem Element bei William Forsythe vgl.: Maar, Kirsten: Entwürfe und Gefüge: die Choreographien William Forsythes in ihren architektonischen Konstellationen, Bielefeld: transcript 2019; zum Schriftbezug der Arabeske siehe: Schwan, Alexander: »Arabesque Vision. On Perceiving Dancing as Écriture Corporelle in William Forsythe’s The Vertiginous Thrill of Exactitude«, in: Zimmermann, Michael F. (Hg.): Vision in Motion: Streams of Sensation and Configurations of Time, Zürich: Diaphanes 2016, S. 317-333; sowie: Ders.: Schrift im Raum. Korrelationen von Tanzen und Schreiben bei Trisha Brown, Jan Fabre und William Forsythe, Bielefeld: transcript (im Erscheinen).  ach seinen tänzerischen Erfahrungen im Klassischen Akademischen Tanz und in den Choreo139  N grafien Kurt Jooss’ sowie der damit verbundenen Vertrautheit mit den Laban’schen Prinzipien entwickelte Corvino als Pädagoge an der Juilliard School ein Verfahren, mit dem er die Bewegungsprinzipen des Balletts analysierte und in seiner Vermittlung aktualisierte. Eine Niederschrift dieser Lehre, die ich als ›Kinetik des postmodernen Balletts’ bezeichne, ist erstmals im Rahmen der 2010 entstandenen Biografie Equipoise. The Life and Work of Alfredo Corvino festgehalten worden. Gemeinsam mit der Autorin Dawn Lille haben die Töchter Corvinos, Ernesta und Andra, die Prinzipien dieser Kinetik zusammengetragen.

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Konzepts der Körperhaltung steht die Hervorhebung der Perpendikularlinie. Sie wird entweder um eine Nebenlinie ergänzt, die in das Setzen einer Lotgeraden durch den Körper eingeschoben ist, oder durch schwebende Bezugspunkte erweitert, mit denen das Lot die Zentren der Schwerkraft verlagert. Gleichgewicht impliziert bei Corvino das Ungleichgewicht und die Balance auf der Horizontalen zugleich. Abb. 30: Lotgerade und Nebenlinie als Corvino’sche Kinetik

Corvinos Töchter, Andra Corvino und Ernesta Corvino, setzen die Arbeit mit dem spezifischen Fokus auf das Gleichgewicht heute fort. Zur Vermittlung der Corvino’schen Kinetik sind in der von ihnen inhaltlich begleiteten Biografie Equipoise. The Life and Work of Alfredo Corvino, verfasst von der Autorin und Tänzerin Dawn Lille, ausgewählte Fotografien nachträglich mit geometrischen Markierungen ergänzt. Zur Pose von Andra Corvino (Abb. 30) ist anhand der Gewichtsverlagerung im Stehen die Nebenlinie der Lotgeraden in einem Bildkommentar erklärt: »The

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horizontal arms are parallel to the ground and perpendicular to the line of gravity, even though the pelvis is shifted forward in the direction of the right leg.«140 Grund für mein Aufgreifen von Corvinos Interpretation des Klassischen Akademischen Tanzes ist seine Sonderposition in der Genese von Bauschs künstlerischer Sprache. Gemeinsam mit Tudor unterrichtete Corvino 1958 während der Europäisch-Amerikanischen Sommerkurse an der Folkwang Schule in Essen die dortigen Studierenden im Fach Ballett. Zu ihnen zählte auch Pina Bausch. Nach seiner Pensionierung an der Juilliard School leitete Corvino bis zu seinem Tod 2005 das tägliche Training des Tanztheaters Wuppertal – eine Aufgabe, die seine Töchter fortsetzen. Corvinos Bezug zu Jooss geht wiederum auf die tänzerische Arbeit im Ensemble während der Südamerika-Tournee der Kompanie Ballets Jooss zur Zeit des Zweiten Weltkriegs zurück. Da einige deutsche Ensemble-Mitglieder in den Kriegsdienst eingezogen wurden, arbeitete die Kompanie mit ortsansässigen Tänzerinnen und Tänzern. In dieser Zeit setzte Corvino sich durch zusätzliches Training im Modernen Tanz intensiv mit Jooss’ künstlerischem Ansatz auseinander. Diese historiografische Linie scheint mir für die Auseinandersetzung mit Bauschs Tanzoper und der darin liegenden Ballett-Ästhetik bedeutsam zu sein. Bauschs Bezug zum Klassischen Akademischen Tanz ist nicht nur amerikanisch geprägt, was sich aus historischen Eckdaten ablesen lässt. Die Spuren des Akademischen zeigen anhand biografischer Stationen wie jenen Corvinos, dass Bausch mit einer Ästhetik des Balletts vertraut gewesen war, die bereits Prinzipien der gravitas des Ausdruckstanzes integrierte. Verdeutlichen lässt sich diese Verbindung zu den USA durch Bauschs Mentor Tudor. Mit seinen Arbeiten wird nachvollziehbar, inwieweit auch Bauschs Arbeit am Gefühl von den Begegnungen mit Vertreterinnen und Vertretern des Balletts aus der amerikanischen Postmoderne beeinflusst zu sein scheint. Zu den »Topografien des Schwebens« der Tanzmoderne gehören demnach auch die Bewegungsformen des Klassischen Akademischen Tanzes ›nach‹ der Moderne. Diese bezeichne ich am Beispiel Tudors als Postmodernes Ballett.

Attitude allongée im Weltraum bei Maya Deren & Antony Tudor Wie viele seiner Zeitgenössinnen und Zeitgenossen hatte der seit den 1940er Jahren in New York lebende Tudor ein Interesse für Bewegungen, die einerseits über die Grenzen der Bühne hinausgingen und andererseits die Tiefen der seelischen Psyche zu erreichen versuchten. Dabei bewegte ihn, inwieweit »planetary relationships affect human experience«141 – so die Tanzhistorikerin und Tu140  L ille, Dawn (Hg.): Equipoise. The Life and Work of Alfredo Corvino, New York: Rosen Book Works 2010, S. 161. 141  C  hazin-Bennahum, Judith: The ballets of Antony Tudor: studies in psyche and satire, New York: Oxford University Press 1994, S. 185.

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dor-Biografin Judith Chazin-Bennahum. Dies zeige sich etwa in seinem Ballett The Planets (1934), in dem Tudor sich mit »mortals under the inf luence of heavenly bodies«142 befasste. Eine sehr ähnliche Faszination für entgrenzende Bewegungen, respektive die der Planeten, begleitete auch die Filmemacherin und Autorin Maya Deren (1917-1961).143 Als medienaffiner Choreograf war Tudor insbesondere mit Derens Filmen sehr vertraut. Merkmale ihrer Stummfilm-Arbeiten sind der Tanzfilm-Forscherin Claudia Rosiny zufolge »die sorgfältig komponierten Bilder, die in der häufigen Montage von Zeitlupenbildern ein neues Raum-Zeit-Kontinuum ergeben.«144 Als historische Vorläufer des Experimentalfilms gelten die frühen Filme Meshes of the Af ternoon (1943) und A Study in Choreography for Camera (1945). In ihnen erzeugte sie durch Montageverfahren Zeit und Raumsprünge.145 Für das Genre Videotanz146 ist Derens künstlerische Arbeit insofern wegbereitend, als dass das Medium Film nicht bloß der (künstlerischen) Aufzeichnung von Ereignissen dient, sondern die Aufführung ›im‹ Film unmittelbar »durch Kamera und Mensch gemeinsam«147 erfolgt. Ihr starkes Interesse an kosmischen Themen führte die Filmemacherin in den 1950er Jahren zu einer neuen Idee: Nach einem Besuch im Museum of National History in New York und der dort ausgestellten filmischen Visualisierung von Himmelskörpern versuchte Deren das Schweben der celestial bodies aufzugreifen und die von den Sternen ausgehende Grazie filmisch umzusetzen.148 Der langjährige Produktionsprozess mündete in Derens

142  Ebd. 143  T extkommentare zu ihren eigenen Filmen gibt Deren in Publikationen wie: Dies.: »Choreography for the Camera«, in: Dance Magazine, Heft 19, Nr. 10, Oktober (1945), S. 10-11, 37; Dies.: »Cine Dance«, in: Dance Perspectives, Nr. 30, (1967), S. 10-13; und: Dies.: Poetik des Films. Wege im Medium bewegter Bilder, Berlin: Merve 1984. 144  R  osiny, Claudia: Tanz Film. Intermediale Beziehungen zwischen Mediengeschichte und moderner Tanzästhetik, Bielefeld: transcript 2013, S. 222. 145  A  ls wichtige Publikationen zu Deren führt Rosiny u.a. Folgende an: Nichols, Bill: Maya Deren and the American Avant-garde, Berkeley, CA: University of California Press 2001; sowie die Dissertationsschrift von Erin Brannigan: Dancefilm: Choreography and the Moving Image, New York: Oxford University Press 2010. Das International Journal of Screendance widmete Maya Derens Arbeiten eine eigene Ausgabe. Siehe: Kappenberg, Claudia/Rosenberg, Douglas (Hg.): »After Deren«, in: The International Journal of Screendance, Nr. 3 (2013). 146  A  uch im Videotanz/Screendance ist die Auseinandersetzung mit der Schwerkraft konstitutiv für die Ästhetik von Bewegung auf dem Filmbild. Vgl. u.a.: Bench, Harmony: »Anti-Gravitational Choreographies: Strategies of Mobility in Screendance«, in: International Journal of Screendance, Nr. 1 (2010), S. 53-61 147  Rosiny, Tanz Film, S. 226. 148  I nformationen und dokumentarische Ausschnitte zur Entstehung des Films sind vor allem in der Dokumentation In The Mirror of Maya Deren (2002) von Martina Kudlacek enthalten. Kudlaceks Film basiert auf der von VeVe A. Clark, Millicent Hodson und Catrina Neiman verfass-

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letztem Film The Very Eye of Night (1959)149: Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich wie Himmelskörper auf dem Zelluloid der Filmrolle und erzeugen den Eindruck von schwebenden Sternen.150 In dieser Choreografie der Sterne zur musikalischen Komposition von Derens Partner Teiji Ito kollaborierte die Filmemacherin mit Tudor als Choreografen und dessen Studierenden der Metropolitan Opera Ballet School. Im Film tanzen die Studierenden mit ungebundenen Haaren und in körperbetonten Tanztrikots. In der Negativ-Optik des Filmbilds entsteht der Eindruck von farblosen Lichtkörpern, die in einem schwarzen, nicht definierbaren Raum schweben. Auf diese Weise entwickeln die Tänzerinnen und Tänzer in Bewegungsphrasen Konstellationen, die an Sternenbilder erinnern (Abb. 31). Abb. 31: The Very Eye of Night von Maya Deren (1959)

Tatsächlich hat Deren in The Very Eye of Night ein Narrativ des Übersinnlichen zugefügt, das in Vorspann und Abspann des Films als Form einer Rollenbesetzung gelistet wird: Die Tanzenden sollen in ihrer Erscheinung jeweils Figuren aus William Shakespeares Ein Sommernachtstraum (ca. 1595, Ariel, Oberon, Umbriel, Titania, Uranus, Urania, Noctambulo) andeuten. Ein tanzendes Paar symbolisiert in einem Pas de deux zudem das Sternbild Zwilling. Im Programmheft zum Film ten Biografie The Legend of Maya Deren, Ausgabe 1, Nr. 1/2, New York: Anthology Film Archives 1984/1988.  ie Drehzeiten des Films erstreckten sich aufgrund finanzieller Schwierigkeiten von 1952 bis 149  D 1955. Die erste Aufführung des Films fand 1955 in Port-au-Prince, Haiti statt. Am 9. Februar 1959 wurde der Film im Living Theatre in New York ein zweites Mal (ur)aufgeführt. 150  A  ls Titel schwankte Deren zunächst zwischen folgenden Beschreibungen dieser Bewegungen: Sea of Night, Nocturnal Reflections, Celestial Waters, The Eye in the Mirror, As in a Mirror Darkly, Mirror of Darkness, Sea of Heaven, Stellar Surf. Vgl. Kudlacek, Martina: In the Mirror of Maya Deren, Dokumentarfilm/DVD, Performance: Miriam Arsham, Stan Brakhage, Chao Li Chi, Rita Christiani, Maya Deren, Katherine Dunham und Alexander Hammid, Zeitgeist Video 2002.

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kündigt Deren den ›Tanz der Sterne in der vierten Dimension‹ als »celestial ballet of night« an: »[…] the dancers resembling sleep walkers become four dimensional, advancing as if planets in the night sky. … This is a metaphysical, celestial ballet of night. The blackness of night, as the opposite or apposite of day, erases the horizontal plane of the earth’s surface.« 151 Das von Deren gewollte Löschen der Horizontlinie, die den Erdboden markiert, führt zugleich zur Auf lösung der Bühnenwände, wie sie nur im Film möglich ist. Hinter der Illusion der schwebenden Tänzerinnen und Tänzer in der »blackness of night«152 steht ein komplexes Aufnahmeverfahren. Im Studio wurde mit zwei Kameras gleichzeitig gefilmt. Tudors Choreografie entstand parallel und musste mit den Bewegungen der Kameraobjektive koordiniert werden. Die Drehproben zu dieser Ciné-Choreografie, die visuell auf zweidimensionaler Ebene sichtbar wird, jedoch die vierte Dimension, die der Zeit, mit einbezieht, lockten zahlreiche Kunstschaffende wie etwa dem Komponisten und Partner des Choreografen Merce Cunningham, John Cage (1919-2009) in das Tanz-Film-Studio.153 Abb. 32: Maya Deren in Proben mit Tanzenden (ca. 1958)

Die nachträglich entstandene Dokumentation In the Mirror of Maya Deren unter der Regie von Martina Kudlacek lässt nachvollziehen, welche Mittel des Choreografischen in dieser Illusion des Schwerelosen eingesetzt wurden, um durch Bewegung und Körperlichkeit das Schweben im Nachthimmel auf Zelluloid zu begünstigen: Die Haut der Tanzstudierenden war schwarz gefärbt. Als dunkle Körper wurden sie auf weißen Flächen im Raum platziert (Abb. 32). Auf diese Wei151  Maya Deren zitiert in: Chazin-Bennahum, The ballets of Antony Tudor, S. 185. 152  Ebd. 153  Kudlacek, In the Mirror of Maya Deren.

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se ›verschluckten‹ die dunklen Körper das zum Arbeiten nötige Raumlicht.154 Umgekehrt löschte dieser Lichttrick alle euklidischen Parameter, mit denen Räumlichkeit als »horizontal plane of the earth’s surface«155 nachvollzogen werden kann. Das Leuchten der Körper im Negativbild geht auf die filmischen Mittel Derens zurück, steht aber in direktem Zusammenhang mit der Anordnung der Körperglieder. Aufgrund dieser Freiheit zur Montage lassen sich im Medium Film Raum und Zeit in Schwerelosigkeit sehr leicht abbilden. Im Kontext der gravitas wäre für diesen Film zunächst eine Choreografie naheliegend, die jene Figuren reproduziert, die in der Tanzgeschichte das Schweben versinnbildlichten. Tudors Studierenden demonstrieren allerdings keine typischen Arabesken des Klassischen Akademischen Tanzes. Das Spielbein der jeweiligen Tanzenden ist zwar auf Hüfthöhe vor dem Brustkorb gehalten (développée en avant). Blasis hatte diese Haltung des Spielbeins bereits in The Code of Terpsichore fixiert und formalisiert. Die Perspektive auf den Körper ist in den Lithografien des 19. Jahrhunderts jedoch eine andere – sie ist statisch. Der Blick der Kamera in Derens Film war hingegen in Bewegung. Somit wirken die Linien der Tanzenden (im Filmstill wie auch im Bewegtbild) trotz der akademischen Formensprache nicht unendlich in die Weite reichend, sondern gedrängt, gehalten, statisch und kantig. Auch die Positionierung der Füße in The Very Eye of Night folgt nicht der akademischen Auswärtsrotation der Fußspitzen, sondern ist parallel gehalten. Aus Perspektive der Schrägen oder der Vogelperspektive sind die Linien der Körper durch die zahlreichen Winkel von Knicken durchzogen. Diese Knicke übersteigen die Krümmungen und Kurven aus Blasis’ Traktaten. Äußerungen, die sich mit Tudors Choreografie aus The Very Eye of Night in Relation zu seiner choreografischen Sprache befassen, sind weder in tanzwissenschaftlichen Reflexionen seiner Arbeiten noch in retrospektiven Analysen von Derens Filmschaffen zu finden.156 Folgt man der Rezeption der Cineastinnen und Cineasten, sei der Film aufgrund der nicht nachvollziehbaren Sinnhaftigkeit

154  A  n dieser Stelle kann nur als Kommentar darauf hingewiesen werden, dass Körper mit dunkler Pigmentierung immer anders auf Lichteffekte reagieren. Ein dunkler Körper ›schluckt‹ das auf ihn geworfene Licht, so dass er Auswirkungen auf die filmische Arbeit habe muss. Inwieweit dies im Diskurs der Filmgeschichte mitreflektiert wird, ist als Recherche-Frage in Bezug auf Fragen zur Diversität verschiedener Hautfarben im Film lohnenswert und notwendig. 155  A  us der Programmnotiz zum Film, zitiert in: Chazin-Bennahum, The ballets of Antony Tudor, S. 185. 156  S elbst umfassende Studien widmen sich dieser Choreografie mitunter nicht einmal mit einem Eintrag in zusammengestellten Werklisten zu Tudors Schaffen. Grund hierfür mag die geringe Materiallage sein. Vgl. zu Tudor vor allem: Perlmutter, Donna: Shadowplay. The Life of Antony Tudor, New York: Viking 1991; sowie: Chazin-Bennahum, The ballets of Antony Tudor.

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der Bewegung von Körpern und Kameras die schwächste Arbeit der Experimentalfilmerin.157 Mit The Very Eye of Night wird aus Perspektive der Schwerkraft hingegen Folgendes deutlich: Das Equilibrium reicht zur Darstellung von Gewichtslosigkeit nicht mehr aus, wenn durch die tanzenden Körper das Schweben in Schwerelosigkeit, im unendlichen Weltraum vermittelt werden soll. Im Gegenteil, die Tanzenden müssen trotz ihrer stilistischen Verknüpfung zum Klassischen Akademischen Tanz ein erhöhtes Maß an Schwere verdeutlichen, um in der Schwerelosigkeit schwebend zu wirken. Wie auch die Beispiele der tapsenden Raumfahrenden verdeutlicht haben, ist für die Darstellung von Bewegungen in Schwerelosigkeit das Markieren der Schwere notwendig. Tudors Choreografie in Derens Filmbildern versinnbildlicht die für den Weltenraum erforderlichen Qualitäten der gravitas. Das Ciné-Ballet The Very Eye of Night lässt sich demnach als Umkehrung des Schattenreichs lesen. Nicht die hellen Körper mit einer Licht ref lektierenden Kleidung (und Haut) sowie weißen Tüllröcken bringen als übersinnliche Wesen das Schweben zur Perfektion. Im Ciné-Ballet der celestial bodies sind es Körper im Negativbild, die von der Dominanz und Schwere des Lichts ent-lastet sind und erst in dieser Weise Schwerelosigkeit symbolisieren. Der Rückgriff auf die Kippfiguren der celestial bodies in Tudors Choreografie dient als idealer Auftakt für eine differenziertere Verortung von Bauschs choreografischer Sprache. Vor dem Kontext der bis jetzt skizzierten Qualitäten der gravitas im Bühnentanz wird deutlich, dass Bauschs künstlerische Sprache, die als deutsches Tanztheater (nach Jooss) bezeichnet wird, in vielfacher Weise vor allem von der anglo-amerikanischen Tradition (Tudor) des Klassischen Akademischen Tanzes inspiriert ist. Bauschs Bezug zum Ballett basiert daher auch auf einem amerikanisch postmodernen Verständnis, das die Bühnenkunst Tanz mit und gegen die Gesetze der Statik interpretiert. * Tudor und Jooss sollten in Bauschs Biografie nicht nur als Wegbereiter und -begleiter genannt werden. Beiden Choreografen kann aufgrund ihrer spezifischen Arbeit mit dem Klassischen Akademischen Tanz eine Sonderposition in der Geschichte der Arabeske eingeräumt werden, die sich in Bauschs Arbeiten wiederum in spezifischer Weise fortschrieb. Der Tanzhistoriker Alan Storey widmete in seinem Buch Arabesques (1948) den Choreografen Jooss, Tudor und Robert Helpmann (1909-1986) ein eigenes Kapitel mit dem Titel »Three Men«. Sie gelten Storey 157  V  gl. u.a. das kurze Portrait zu Deren von der Filmwissenschaftlerin Wendy Haslen: »Maya Deren: The High Priestess of Experimental Cinema«, in: Senses of Cinema, Nr. 23 (2002), http:// sensesofcinema.com/2002/great-directors/deren-2/. Letzter Zugriff: 04.09.2017.

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zufolge als Exempel für die choreografische Artikulation von arabeskem Denken im 20. Jahrhundert. Jooss und Tudor bezeichnet Storey als »balletmaker«158, hebt aber Differenzen bezüglich ihrer unterschiedlichen Gestaltung des Mimischen hervor: »Neither balletmaker uses external mime, nor does he create dance figurations for the sake of visual beauty. But whereas Jooss drives home the nature of a character to his spectator by exaggeration or over-simplification, Tudor resorts to the vague, apparently motiveless gestures and movements of everyday existence.« 159 Tudors analytische Arbeit mit der Arabeske spiegelt sich in A Choreographer Comments (1960) wider. In dieser Choreografie hatte Bausch im »Comment I« und den darin enthaltenen 587 Arabesken die Hauptpartie erhalten. Gleichsam einer romantischen Myrtha aus dem Ballett Giselle repräsentierte die spätere Pionierin des Tanztheaters das Linienspiel der Arabesken.160 Storey nahm 1948 in beobachtender Weise vorweg, was Tudor später im Ciné-Ballet The Very Eye of Night und in dem Abschnitt »Arabesques« aus A Choreographer Comments zum Ausdruck brachte. Seine Zuschreibungen der spezifischen Ästhetik bei Tudor und Jooss gründen vor allem auf zwei Schlüsselwerken: Jooss’ Der Grüne Tisch (1932)161 und Tudors Dark Elegies (1937)162. Dass Jooss’ Tisch, mit dem Bausch ihre erste Spielzeit 1974 in Wuppertal startete, einen starken Einf luss auf die Arbeiten der Choreografin hatte, ist bekannt und vielfach kommentiert. Inwiefern Tudors Dark Elegies bedeutsam für das Beleuchten der choreografischen Sprache Bauschs im Allgemeinen und für ihre Choreografie der Tanzoper Orpheus und Eurydike im Speziellen gewesen sein muss, zeigen folgende Aspekte: die Thematik des Stücks (Trauer), die Dramaturgie der Handlungen (ein Sänger auf der Bühne) und die Qualität der gravitas als spezifische Relation von schwer und leicht (Gestaltung der Hebefiguren). 158  Storey, Arabesques, S. 130. 159  Ebd. 160  S iehe hierzu die Beschreibung des Archivmaterials im Kapitel »Pina Bauschs aplomb in den USA« (1). 161 Der Grüne Tisch (La table verte), (UA): 3. Juli 1932, Paris, (Ch) und (L): Kurt Jooss, (M): Fritz A. Cohen. 162 Dark Elegies, (UA): 19. Februar 1937, Duchess Theatre, Ballet Rambert, (Ch) und (L): Antony Tudor, (M): Gustav Mahler: Kindertotenlieder; Bühne und Kostüm: Nadia Benois. Besetzung der Uraufführung: I. Bild: Peggy van Praagh mit Ensemble, II. Bild: Maude Lloyd und Antony Tudor; III. Bild: Walter Gore mit Tudor, John Byron und Ensemble; IV. Bild: Agnes de Mille; V. Bild: Hugh Laing mit Ensemble. Ensemble: Daphne Gow, Ann Gee, Patricia Clogstoun, Beryl Kay, Celia Franca. Sänger: Harold Child, Bariton. Siehe hierzu insbes.: Chamberlain Duerden, Rachel S.: The Choreography of Antony Tudor: Focus on Four Ballets, Madison: Fairleigh Dickinson University Press 2004.

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Schwebende Trauer. Antikriegsballette von Kurt Jooss und Antony Tudor Trauernde Körper im Tanz zählten zum Grundgestus der Tanzfiguren der Romantik. Blasis stellte Trauernde mittels eines zarten, bogenhaften Abweichens von der Perpendikularlinie dar. Mit dem zeitgenössischen Ballett, das seit der Avantgarde mit Waslaw Nijinski eine neue Formensprache bildete, sowie dem Tanztheater, das über den Ausdruckstanz und Laban vor allem mit Jooss vorbereitet wurde, entwickelten sich neue Formen ›melancholischer Bewegungen‹. Denn im Tanz der Moderne reichte eine bloß körperliche Leichtigkeit nicht mehr aus, um das Gewichtslose zu vermitteln. Den Anlass meiner Lesart gibt der Umstand, dass sowohl Jooss als auch Tudor ihre Schlüsselwerke vor dem Hintergrund von Kriegszuständen konzipierten und ästhetisierten. Eine Re-Lektüre beider Stücke aus der hier unternommenen Perspektive zeigt, inwieweit die Krümmung des Körpers zur Vermittlung von Schwere (Trauer und Körperschwere) eingesetzt werden musste, um eine Art Gegenfigur der Arabeske zu verdeutlichen: Die Idee zu Jooss’ Antikriegsstück Der Grüne Tisch entstand in einer Polizeistation in Essen: »Ich sah diese Herren am Tisch. Ich sah diese Leute mit dem Tod, und ›ich musste der Tod‹ sein […]. Ich klingelte bei Cohen und sagte: wir müssen nach Paris, ich habe eine Idee und du musst die Musik schreiben.«163 Mit seiner Choreografie folgte Jooss einer Einladung zur Teilnahme am Grand Concours International de Choréographie in Paris164. Wie ein Prolog, eine Ouvertüre, ein Epilog oder ein filmischer Abspann, enthält der Totentanz in acht Bildern, so der Untertitel zu Der Grüne Tisch, zu Beginn und Ende eine dramaturgische Klammer: Eine Gruppe von Tanzenden stellt in schwarzen Fracks und grotesken Masken mit weißem Haar eine Versammlung alter Herren dar.165 Mit ausladenden Gesten, die 163  D  iese Selbstaussage von Jooss stammt aus einem am 16. April 1973 geführten Interview von Ruth Foster mit Kurt Jooss, das die Tanzdramaturgin Patricia Stöckemann im Rahmen ihrer Jooss-Studie transkribierte: Stöckemann, Patricia: Etwas ganz Neues muß nun entstehen. Kurt Jooss und das Tanztheater, München: Kieser 2001, S. 154. 164  M  eine Beschreibungen des Stücks entstammen einer zuvor unternommenen Auseinandersetzung mit Jooss’ Arbeit, die im Rahmen einer Einbettung der Choreografie in den Kontext der Darstellung von Tod auf der Bühne stattgefunden hat, vgl.: Diagne, »Atem Holen«, hier insbes.: S. 209-212. 165  Z  ur choreografischen Struktur im Grünen Tisch siehe v.a.: Jooss, Kurt/Huxley, Michael: »Der grüne Tisch – Ein Totentanz. Michael Huxley im Gespräch mit Kurt Jooss«, in: ballett international, Heft 8, Nr. 9 (1982), S. 4-7; sowie: Walther, Suzanne K.: The Dance of Death. Kurt Jooss and the Weimar Years, New York: Routledge 1994. Zu Jooss’ Stücken und Arbeitsweise siehe die Schriften seiner Tochter Anna Markard sowie die entsprechende tanzwissenschaftliche Forschung zu Ausdruckstanz/Tanzmoderne: Jooss, Kurt: »Exposé. Über den Aufbau einer deutschen Tanzakademie«, in: Markard, Anna/Markard, Hermann: Jooss. Dokumentation von Anna und Hermann Markard, Köln: Ballett-Bühnen-Verlag Rolf Garske 1985, S.  150-155; Markard, Anna: »Fusssprachen. Zu einem wichtigen Aspekt der Choreographie von Kurt Jooss«, in: Oberzaucher-Schüller,

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machtvolles Entscheiden demonstrieren, richten die Herren an einem langen, mit grünem Stoff überzogenen Tisch über Krieg und Frieden, über Leben und Tod. Entgegen der grob wirkenden Masken, deren verzerrte Mundwinkel und asymmetrische Augenbrauen zwischen schwülstigen Wangenknochen und vorgestülpten Stirnpartien eingeritzt sind, folgen die Körperbewegungen einer präzisen Choreografie aus eleganten Bewegungslinien, die der Grazie des Klassischen Akademischen Tanzes entsprechen. Die feinen Verschleifungen von Bewegungen werden vor allem dann artikuliert, wenn sich die ›Schwarzen Herren‹ elegant in einer Pirouette um die eigene Achse drehen und, den Körper dekorativ in Pose setzend, mit über Kreuz geschlagenen Beinen und gespitzten Füßen enden. Stephan Brinkmann, ehemaliges Ensemblemitglied des Tanztheater Wuppertals, und heutiger Professor für Tanz an der Folkwang Universität der Künste, sieht in der Relation zwischen Klassischem und Modernem Tanz die Grundaspekte der Jooss-Leeder-Methode. Eine Ausbalancierung liege »in der Betonung des körpereigenen Gewichts, in dem Wechselspiel zwischen Gleichgewicht und Dysbalance, in der Verwendung von labilen Positionen und Bewegungen, in dem Einbezug aller Dimensionen und Diagonalen, in der vielseitigen Verwendung des Rumpfes sowie der Verwendung paralleler Fußpositionen. Dieses den klassischen Tanz ergänzende Trainingskonzept beginnt bereits mit den Übungen an der Stange.« 166 Der Tanz der Schwarzen Herren am Tisch spielt im Besonderen mit dem Changieren zwischen »Gleichgewicht und Dysbalance«167; er ist allerdings weder typisch weiblich noch spezifisch männlich konnotiert. Hinter den Masken tanzen sowohl Frauen wie Männer des Ensembles. Der Hinweis auf diese Besetzung ist insofern wichtig, als dass im Kontrast zu dieser Maskeneinheit der Geschlechter am Tisch, in den Szenen auf dem Schlachtfeld die Rollen der Geschlechter durch Kostüme und tänzerische Aktionen sehr deutlich ausdifferenziert sind. Für den Vergleich einer ›choreografierten Trauer im Modus der Schwere‹ ist in diesem Totentanz das Schlachtfeld aufschlussreich. Dort bewegen sich neben der Figur des Todes und einem Kriegsprofiteur auch Flüchtende, im Krieg zu Kameraden gewordene Soldaten, eine Prostituierte sowie eine Mutter. Sie bilden gemeinsam die Gruppe Trauernder, die über das Schlachtfeld zieht. Die Szenen der Trauer enthalten starke Gesten des Pathos, Gundhild: Ausdruckstanz. Eine mitteleuropäische Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Wilhelmshaven: Noetzel 1992, S. 133-142; Diekamp, Michael: »Kurt Jooss: Seine Pädagogik und tänzerische Schulung«, in: Gesellschaft für Tanzforschung e.V. (Hg.): Tanzforschung Jahrbuch, Bd. 5, Wilhelmshaven: Noetzel 1994. S. 127-132. 166  Brinkmann, Bewegung erinnern, S. 271. 167  Ebd.

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etwa wenn die Figur der Mutter (in den 1960er Jahren von Pina Bausch getanzt) der Figur des Todes folgt und stirbt. Ihr Schreiten »entlang der Bühnenrampe besteht aus einem schleppenden, dann einem zögernd-gespannten und schließlich einem fließenden Gang.«168, so Brinkmann. In den Armen der Tod-Figur sinkt der Körper der Mutter-Figur zusammen und vermittelt den Gang in den Tod. Dem Habitus der Trauer entsprechend, wie er bereits mit Blasis’ Figurenschrift kodifiziert wurde, wirken der Kopf und die Schulterpartie in diesem Sinken schwer und vermitteln ein Entweichen von Kraft und (Lebens-)Energie. Einem derart stilisierten Sinken, das für ein individuelles Sterben der Figur der Mutter steht, folgt im Verlauf der Choreografie ein gemeinsamer Gang aller Trauernder. Die als »Schrittformen«169 bezeichneten Schrittmotive, mit denen Jooss spezifische Charaktere gestaltete, vermitteln im unisono auch einen komplementären Eindruck, den es besonders zu beachten gilt. Entgegen einer Schwere, die den Kopf oder Torso hinabzieht, schreiten die Trauernden als gemeinsamer Körper mit gehobenen Armen und Köpfen, die der Schrittrichtung in einer Sehnsuchtsgebärde vorauseilen. Dramaturgisch geht die Gruppe den letzten, schweren Abschnitt der Lebenswege jeder einzelnen Figur. Choreografisch vermitteln die Arm- und Beinhaltungen in diesem stummen Lamento das Gehen eines biblischen Weges – die Trauernden, die bereits Verstorbene sind, befinden sich auf dem Weg hinauf in ein Leben nach dem Tod. So wenig hoffnungsvoll das Thema des Antikriegsstücks auch ist – das Leben nach dem Tod scheint in der Vorstellung eines dem ewigen Leben entsprechenden Reichs der Schatten, wie Schiller es formuliert und wie es in der Romantik auf der Bühne ausgestaltet war, präsent zu sein. Bei Jooss ist dieser Weg in den Himmel nicht mit einem lieto fine verbunden. Die Wiederholung der Tisch-Szene am Ende des Stücks signalisiert eine andere Zukunft: Der Krieg wird sich wiederholen – in anderer Form, aber dennoch auf Schlachtfeldern, die Leben rauben. Bestimmt man an dieser Stelle Jooss’ Choreografie anhand der Charakterisierung der Figuren durch Schrittformen als Konzept der gravitas, lässt sich von dem Zustand eines ›In-Schwebe-Seins‹ der Körper sprechen. Dieses ›In-Schwebe‹ liegt zwischen der Beherrschung der Balance im Klassischen Akademischen Tanz und dem Herausfordern der Dysbalance im Modernen (Akademischen) Tanz. Damit werden Themen und Charaktere dargestellt, die auf inhaltlicher Ebene mit einer Form der Schwermut konfrontiert sind. Metaphorisch schweben die Entscheidungen der Schwarzen Herren am grünen Tisch mit ihrer Schwere des Tödlichen 168  E bd., S.  266. Brinkmann hebt an dieser Stelle hervor, dass diese Formen der »dramatischen Intention«, wie sie im Gang der Mutter, aber auch in Weg-Gestaltungen in anderen Balletten wie Großstadt (1932) stattfinden, grundsätzlich mit den Wegen im Raum im Zusammenhang stehen. Ebd. 169  I n Bezug auf die Schrittformen verweist Brinkmann auf Reflexionen, die vor allem Jooss’ Tochter Anna Markard in Interviews und Essays festgehalten hat. Ebd.

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wie Schatten der Vergangenheit über jenen Trauernden, die im Stück wiederum selbst wie geisterhafte Erinnerungen über dem Schlachtfeld hängen. Das Schweben bei Jooss ist mit dem Motiv der Trauer und einer aus dieser entspringenden doppelten Haltung aus psychischer wie physischer Schwere verknüpft. Knapp fünf Jahre nach Jooss’ Grünem Tisch zeigte Tudor 1937 das Ballett Dark Elegies zu Gustav Mahlers (1860-1911) Vertonung (1905) von Friedrich Rückerts (1788-1866) Gedichtzyklus Kindertotenlieder (1833/34). Dichtung, Komposition und Choreografie handeln von Eltern und ihrer Trauer um den tragischen Verlust ihrer frühzeitig verstorbenen Kinder. Die Gestimmtheit der Eltern verteilte Tudor auf zwei Szenen, »Laments of the Bereaved« (Klage der Trauernden) und »Resignation« (Abschied/Resignation). Tudors Dark Elegies lässt sich trotz dieses starken Narrativs nicht als »›story ballet‹ about premature death«170 bezeichnen, so der amerikanische Musikwissenschaftler Wayne Heisler Junior. Das Stück zeigt vielmehr, inwieweit der an der menschlichen Psyche interessierte Tudor ein choreografisches Ritual hervorbringt, ein »abstract, atmospheric ritual of commemoration, inspired by, but not limited to, the specificity of Rückert’s poems and Mahler’s music«171. Das Trauer-Ballett Dark Elegies für acht Frauen und vier Männer entstand vor dem Hintergrund von Tudors empathischer Anteilnahme an den Verlusten der Menschen durch die Verwüstung der spanischen Stadt Guernica,172 die sich während des von deutschen wie italienischen Faschisten unterstützten Bürgerkriegs (1936-1939) ereignete.173 Tudors Ballett verarbeitet Formen einer äußeren Haltung gegenüber Verwüstungen, die im Inneren, in der Seele stattfinden. Sein Schlachtfeld entspricht nicht wie bei Jooss den Gebieten der Kriegsführung. Es kommt den inneren Orten, den Seelenräumen gleich. Dieses Interesse Tudors kam später in der Teilnahme an Derens Filmprojekt The Very Eye of Night zum Ausdruck. Die Kindertotenlieder lassen sich mit Tudor als choreografische Artikulation einer inneren Haltung lesen, die Menschen aufbringen müssen, um mit dem Verlust von (geliebtem) Leben weiterzuleben. Im Zentrum dieser Haltung steht das ritualisierte In-Erinnerung-Rufen Abwesender. Beschreibungen der Bewegungen, die Tudor für dieses »ballet of mood«174 entwickelte, wurden nur punktuell in verschiedenen Rezensionen unternommen. Eine genaue Analyse des Stücks unternimmt die Tanzforscherin Rachel S. Chamberlain Duerden in The Choreography of Antony Tudor: Focus on Four Ballets. So hält Chamberlain Duerden fest, 170 Heisler Jr., Wayne: »Antony Tudor’s Dark Elegies and the Affirmation of Mahler’s Body, 19371947«, in: Dance Chronicle, Heft 36, Nr. 2 (2013), S. 172-195. Hier: S. 172. 171  Ebd. 172  Chazin-Bennahum, The ballets of Antony Tudor, S. 135. 173  E ine andere künstlerische Reaktion auf diesen Bürgerkrieg stellt das im selben Jahr entstandene monumentale schwarz-weiß Gemälde Guernica von Pablo Picasso dar. 174  Heisler, »Antony Tudor’s Dark Elegies«, S. 179.

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dass ein spezifisches Charakteristikum der Choreografie das Falten der Arme über dem Kopf sei, das sie als »›holding in‹ of self«175 bezeichnet. Im Fortführen meiner hier entwickelten Gedanken zur gravitas im Tanz anhand der Haltung, die auch als ›holding in‹ bestimmt werden kann, fallen Dynamiken und Stilisierungen von Trauergesten auf, mit denen sich Chamberlain Duerdens Beobachtung der gefalteten Arme präzisieren lassen: Im zweiten Teil der Choreografie (»Resignation«) steht ein Duett zweier Tanzender im Zentrum. In dem hier festgehaltenen Moment einer Aufzeichnung aus dem Jahr 2007 (Abb. 33) hebt ein in Hose und Hemd gekleideter Tänzer eine Tänzerin in wadenlangem Kleid empor.176 Der Tänzer steht mit geschlossenen Beinen auf dem Boden und umschließt mit beiden Händen den Brustkorb der Tänzerin. Dabei hebt er sie so weit empor, dass die Höhe ihrer Hüfte der seiner Schultern entspricht. Der Torso des Tänzers ist zurückgebogen, um das Gewicht der Tänzerin auszugleichen. Der statische Auf bau dieser Hebung erinnert an die Arabeske-Pose, in der Bausch und der Tänzer Koert Stuyf in »Comment I: Arabesques« aus A Choreographer Comments eine ähnliche Hebe ausführen.177 Abb. 33: Trauernde in Antony Tudors Dark Elegies (2007)

175  Chamberlain Duerden, The Choreography of Antony Tudor, S. 125. 176  A  ls Sichtungsmaterial greife ich auf eine filmische Inszenierung von Dark Elegies zurück, die der Filmemacher Lars Egler 1980 in Schweden produziert hat. 177  S iehe hierzu die Beschreibungen der Hebefigur aus A Choreographer Comments im Kapitel »Pina Bauschs aplomb in den USA«.

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In Tudors Dark Elegies faltet die Tänzerin beide Hände über dem Kopf. Ihre Arme sind in dieser Weise gleichsam eines Pfeils in die Höhe gehalten. Relevant für die gravitas als spezifische Haltung ist der ebenfalls zurückgeworfene Kopf der Tänzerin. Er verlängert auf der Bildebene die Lotgerade, die der stehende Tänzer durch seine Beine fortsetzt. In der Bewegung fordert die Tänzerin nicht die Schwerkraft heraus wie die Ausdruckstänzerinnen im arc en cercle, sondern sorgt durch die Schwere des Kopfes für ein Gegengewicht, das beide Tanzende vor dem Kippen bewahrt. Der jeweils einzelne Körper befindet sich im »déséquilibre«178, beide Körper sind gemeinsam in der Balance. Wie in der Arabeske aus A Choreographer Comments ist das Schwerkraftzentrum auf beide Körper verteilt. Zugleich sind die Beine der Tänzerin in einem Winkel von knapp 90 Grad gebeugt. Mit Rückblick auf die Arabesken und die in ihnen zum Ausdruck gebrachte verdichtete pas grave-Haltung entwickelte Tudor in diesem Duett ein ›In-Schwebe-Sein‹, das auf das Gewicht beider Körper angewiesen ist und aus der Spannung der Dysbalance ein ›Schweben von Schwerem‹ ermöglicht. Als Bezeichnung für diese Gegenspannung ist der Begriff der ›Schwebung‹, wie ihn Skoronell 1925 für ihr Tanzsolo formulierte, besonders treffend. Denn gerade im Vergleich zur Haltung, die das Equilibrium zum Eindruck von schwebender Leichtigkeit verlangt, entspringt der Hebung der Trauernden in Dark Elegies der Eindruck ›schwebender Schwere‹. Ähnlich wie Bauschs Schweben auf den Schultern von Stuyf lässt sich diese Hebe somit als Verdichtung der Nuancen der gravitas deuten. In der Dynamik und der Anordnung der Kräfteverhältnisse schwingt ein besonderer Aspekt mit, dem es später in Bauschs Orpheus nachzugehen gilt: Welche Form der Kraftgewalt verbirgt sich hinter einer Hebe, in der das empfindliche Gleichgewichtszentrum des Körpers (der Nacken) zurückgeworfen ist und den Menschen der Orientierung (Störung des Gleichgewichtssinns) beraubt? Storey merkt in seinem Kommentar zu Dark Elegies an, dass von den Frauen eine Form der »violence of grief«179, eine Gewalt der Trauer ausginge. Zwar geht Storey nicht näher auf diesen Aspekt ein, mit der Gewalt der Trauer scheint in diesem Zusammenhang jedoch mehr als nur eine gesteigerte Form der Trauerkraft gemeint zu sein. Zum besseren Verständnis sei angeführt, welche Bewegungen der in Dark Elegies beschriebenen Trauerpose vorausgehen und folgen: In dem Pas de deux ist eine Struktur erkennbar, die aus wiederholtem Sich-Halten der Tänzerin, aus einem statischen Heben durch den Tänzer und aus einem Sich-Fallenlassen der Tänzerin besteht. Initiiert werden die Momente des Gehalten-Seins und des Sich-Fallenlassens stets von der Tänzerin. Dass der Tänzer ihren choreografierten Wegen des Trauerns folgt, wird nicht nur anhand des Mitlaufens und Nachgehens ihrer Raumwege deutlich, sondern in jenem Moment, in dem die Tänzerin in 178  Ginot/Michel, La Danse au XXe siècle, ebd, bzw. Huschka, Moderner Tanz, ebd. 179  Storey, Arabesques, S. 130.

3. Topografien des Schwebens. Schwerkraft-Räume seit der Moderne

einer pathosvollen Geste beide Arme vor dem Gesicht verschränkt und darauf hin schlagartig auf den Boden sinkt. In der letzten Wiederholung ereignet sich Folgendes: Statt die Tänzerin durch eine erhöhte Körperspannung vor einem Sturz zu bewahren, sinkt der Tänzer neben ihr in gleicher Weise zusammen. Mit Storey wäre dies als eine von den Frauen ausgehende Trauer-Gewalt zu deuten. Die Tanzkritikerin Ann Dils wiederum liest in Dark Elegies eine klassische Konstruktion von Geschlechterrollen, mit der Tudor über das Motiv der Trauer den Frauen eine Passivität und den Männern eine Aktivität ihrer Wesenszüge des Trauerns zuschreibe.180 Richtet man den Blick aber auf die gravitas (die Schwere im Schweben) und das Werkzeug der Tänzerin, sie trägt Spitzenschuhe, ermöglicht die Choreografie eine andere Interpretation: Metaphorisch tanzt in diesem Pas de deux durch den Spitzenschuh ein Schatten der Leichtigkeit mit. In diesem Sinne ließen sich die Hebungen in Dark Elegies auch als ein Ringen um Haltung während des (destablisierenden) Leidens verstehen.181

gravitas als Haltung Das Ciné-Ballet von Deren und Tudor war aus medientechnischen Gründen auf die Dunkelheit, die Schwere des Lichts angewiesen. Die technische Umsetzung in The Very Eye of Night korrespondiert nicht nur mit den Lichtverhältnissen im Weltraum, sondern mit jenen in der Unterwelt: Auf dem nächtlichen Kriegsfeld und dem sich (nicht nur metaphorisch) anschließenden Jenseits sind es die von einer Lichtquelle (Mond) angestrahlten Körper, die das Licht in der Dunkelheit streuen und neue Körperkonstellationen (Sterne) entstehen lassen. Jooss nutzte die Dunkelheit, um den Raum des Sterbens auf dem Kriegsfeld szenografisch als spezifischen Lebensraum zu artikulieren. In dieser Weise scheint das Reich der Schatten, wie es die Romantik bestimmte, in eine Foucault’sche Heterotopie überführt: Bei Jooss’ Tisch befindet sich die Schattenwelt im Kampfplatz der Soldaten, an dem die Klagen der Trauernden und Hinterbliebenen in Form eines Gangs ins Jenseits stattfinden. Die Schwere der Schatten besetzt szenografisch als Schlachtfeld die gesamte Bühne. In Tudors Dark Elegies dient die innere Schwere der Seele im Heben schwerer Körper der Artikulation eines Schattenreiches. Innere wie äußere Schwere bedingen einander in beiden Stücken. Dennoch bleibt das Narrativ bei Jooss wie auch bei Tudor im Bereich des Irdischen: Weder in Dark Elegies noch in Der Grüne Tisch wird der Ort des Überirdischen, das Reich der Toten, explizit dargestellt. Im Tisch verkör180  » Tudor connects gender with the ways people handle grief– women get lost in grief, men cope with it – and with the leadership roles in the Dark Elegies community.« Dils, Ann: »Dark Elegies and Gender«, in: Dance Research Journal, Heft 24, Nr. 2 (1992), S. 28-30. Hier: S. 28. 181  D  ie Journalistin Alexandra Albrecht betont in ihrer Besprechung des Stücks mit dem Ballett am Rhein vielfach die Hebungen und Gegenspannungen in den Pas de deux. Das Leiden der Trauernden interpretiert sie in ihrer Kritik als ›Kämpfen‹. Vgl. Albrecht, »Gibt es was Neues?«.

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pert lediglich der Tod mit auf dem Körper aufgemalten Knochen eine Figur, die die Personifikation eines Zustands repräsentiert. In Dark Elegies sind es die abwesenden Körper der verstorbenen Kinder, die über die Trauer das Schattenreich spürbar werden lassen. Inwiefern lassen sich die innere wie äußere ›Schwere im Schweben‹ auch hier begriff lich als Schweres Schweben fassen? Bereits mit den Skizzen aus Blasis’ Traktat L’uomo fisico ist deutlich geworden, dass Gesten des inneren Rückzugs oder der Melancholie eine Kurve der Körperlinien erfordern, die den Torso krümmt und den Kopf als Spitze des Equilibriums senkt. Die Tanzmoderne überspannt den Bogen dieser Kurve und forciert den Verlust der Orientierung durch den Verlust des Gleichgewichts. Anhand der Beispiele aus dem 20. Jahrhundert wird nachvollziehbar, dass die Artikulation der inneren Haltung sowohl im Modernen Tanz als auch im Klassischen Akademischen Tanz, wie er durch Tudor und auch Jooss weiterentwickelt wurde, im Vordergrund der choreografischen Sprache steht. Das Verhältnis von leicht und schwer gewinnt in dieser Weise an neuer Qualität und führt zu einer Artikulation der Nuancen der gravitas. Die Aufgabe, die den Schatten in dieser Nietz’schen Umwertung zukommt, führte zu einer gänzlich neuen Form der Arbeit mit der Dunkelheit. Für diese Perspektive ist das Denkbild der ›Inneren Schwerkraft‹ tragend, das in ähnlichem Kontext entstanden ist, wie die frühen Arbeiten von Tudor und Jooss: Während des Zweiten Weltkriegs hielt der Schriftsteller und Pilot Antoine de Saint-Exupéry seine Erfahrungen und Beobachtungen vom Umgang mit Kriegsgefangenen in Briefen und Texten fest, die im Deutschen als Die innere Schwerkraft. Écrits de guerre. Schriften aus dem Krieg. 1933-1944182 publiziert wurden. Saint-Exupéry schrieb als Pilot, der mittels aufwendiger Flugexperimente das Überwinden der Schwerkraft perfektionierte. Die Relation von Schwerkraft und Haltung überführte er auf physikalisch informierte Weise in eine ›Poetik der Schwere‹. In seiner Grundkritik nationalistischer Dogmen und der sie wie Apparate verwaltenden Menschen entwarf Saint-Exupéry das Denkbild der ›inneren Schwerkraft‹: »Was sie auszeichnet, ist, daß nichts sie auf hält.«183 Sie sei notwendig, um auch in schwierigen Situationen menschlicher Begegnungen eine ethische Haltung zu bewahren.184 Im Übertragenen lese ich daraus ein notwendiges Gewicht-Geben, das das Aufrecht-Halten ethischer Grundwerte ermöglicht; mit dem Verlust einer solchen Haltung fällt das Begünstigen jener Handlungen zusammen, die bodenlos sind, also ethisch nicht vertretbar, da menschenverachtend. Notwendig für eine selbst im Krieg die Menschen achtende, zivilisierte äußere wie innere Haltung sei die »Ge182  S aint-Exupéry, Antoine de: Die innere Schwerkraft. Écrits de guerre. Schriften aus dem Krieg. 19331944, Frankfurt a.M: Fischer 1990. 183  De Saint-Exupéry, Die innere Schwerkraft, S. 35. 184  Ebd.

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burt jenes inneren Reichs«185. Dieses Reich ist für Saint-Exupéry Ort und Körper zugleich. Es wird verletzt, sobald sich ein Mensch das Leid eines anderen zunutze mache, statt die Würde seines Gegenübers anzuerkennen.186 Die ›innere Schwerkraft‹ ist nach Saint-Exupéry schließlich jene Kraft, die in diesem inneren Reich wirkt. Eben diese Kraft ist als Denkbild meines Erachtens auf den Tanz übertragbar. Stücke wie Der Grüne Tisch oder Dark Elegies sind in ihren Stilisierungen des Alltäglichen an Ausdruckstechniken gebunden, die in einer Zeit entstanden sind, in der die Übergänge vom Einbrechen des Kriegs hin zu den Verwüstungen (der Lebens- wie Seelenräume) f ließend waren. Eine ›innere Schwerkraft‹ als Denkbild steht daher mit dem Festhalten von Momenten der Sehnsucht (nach Seelenfrieden) als Qualität der gravitas in Verbindung. * Welcher Bezug zu dieser inneren Haltung oder ›inneren Schwerkraft‹ lässt sich in Bauschs Œuvre finden? Ihre künstlerische Sprache entstand zu einer Zeit, in der Menschen nach dem Krieg mit und auf sogenannten Trümmern der Vergangenheit weiterleben mussten. Bauschs Integrieren der choreografischen Arbeiten von Jooss’187 sowie das Arbeiten mit seinen stilistischen Mitteln ist die Anerkennung ihrer künstlerischen Wurzeln als Choreografin. Zugleich ist ein Schatten von Tudors Schritt-Kompositionen in Bauschs Arbeiten präsent: 1974 befasste sich die Choreografin mit Mahlers Kindertotenliedern. Kurz nach der Tanzoper Iphigenie auf Tauris zeigte sie am 8.  Dezember 1974 in einem dreiteiligen Abend neben ihrem Schlager-Ballett Ich bring Dich um die Ecke (1974) und dem Jooss-Ballett Großstadt (1932) ihr Stück Adagio. Fünf Lieder von Gustav Mahler (1974). Bei letzterem handelt es sich um die zehnte Sinfonie aus Mahlers Vertonung der Kindertotenlieder. Die Klagebewegungen in dieser Choreografie188 sind denen aus Tudors Stück auffallend ähnlich: Dramaturgisch platzierte Bausch (wie Tudor) einen Sänger auf der Bühne. Wie in einem szenischen ›bei Seite‹ Sprechen interpretierte der Bariton Helmut Kolvenbach die Lieder aus Mahlers Komposition. Szenografisch war der von Karl Kneidl gestaltete Bühnenraum 185  Ebd., S. 43. 186  Ebd., S. 42. 187  In den ersten zwei Spielzeiten (1973/74 und 1974/75) zeigte sie jeweils ein Ballett von Jooss. 188  P  ina Bausch: Adagio, Aufzeichnung einer Vorstellung (vermutlich der Generalprobe) im Premierenjahr 1974. In meinen Beschreibungen stütze ich mich auf Notizen meiner 2013 unternommen Sichtung einer Aufzeichnung aus dem Jahr 1974, die sich im Archiv der Pina Bausch Foundation befindet. Aufgrund der stark beeinträchtigten Videoqualität waren einige Szenen nicht mehr nachvollziehbar. Eine detaillierte Analyse, die ein präzises Beschreiben aller Vorgänge ermöglichen würde, ist weder an dieser Stelle, noch mit dem Material des Archivs, das mir zugänglich war, möglich.

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mit weißen Stoff bahnen ausgestattet, die den Eindruck hängender beweglicher Wände erzeugten. In der Choreografie für 25 Personen greifen Hebebewegungen in der Senkrechten das Hängen der Stoff bahnen auf, indem tanzende Frauen reglos steif in den Armen der Tanzpartner schweben. Ein weiterer Bezug zur Materialität der Stoff bahnen ließe sich anhand der f ließenden Qualität der Choreografie bestimmen. Die Auftritte und Abgänge der Tanzenden gehen ebenso nahtlos ineinander über wie das Fallen der Stoff bahnen: So wirkt das Überqueren der Bühne wie ein ›f liegendes Laufen‹; und das Halten zahlreicher Balancen, in denen die Tanzenden überdurchschnittlich lange auf einem Bein stehen, erscheint unendlich, Zeit dehnend. Mit diesen Transfers von Schwere (Körpergewicht) durch Schweben (Fliegen und Balancieren) wird über die Dynamik der Choreografie von den Klagen der Trauernden erzählt. Wie auch bei Tudor lässt Bauschs Stück Assoziation von Erwachsenen zu, die den Verlust ihrer Kinder beklagen. Trotz der zarten Übergänge wirkt ihre Choreografie durch die Anordnung der Körper im Raum und die Bewegungsführungen einzelner Körperglieder derart geometrisch gestaltet, als wären die Körper der Tanzenden in ein mathematisches Koordinatensystem eingebettet. Auch hier lässt sich erneut ein Bezug zu Tudor erkennen, der die f ließenden Bewegungen in Kontrast zu kantigen, stakkatoartigen Ruckbewegungen stellte und somit eine (verklärende) Kontinuität des Schwebenden unterbrach. Inwieweit hebt sich Bauschs Adagio von Tudors Dark Elegies ab? Im Gegensatz zu Tudors reiner Stilisierung von Ballett-Bewegungen integrierte sie Alltagselemente in die Choreografie. Es sind Elemente, die neben dem zarten Schweben und den kantigen Übergängen auch Bewegungsschnipsel aus einem ungeschönten Lebensalltag präsentieren. Diese Form der Montage ist auch in früheren Stücken präsent, von denen sich Elemente wie ›Fußsprachen‹ von Bausch in ›Choreografien des Schwebens‹ eingeschlichen zu haben scheinen. So tauchen in Adagio »eckige sperrige Bewegungen von einer gerade überstandenen Katastrophe«189 auf, die an das Stück Nachnull (1970) erinnern; oder an »deformierte Gestalten«190 aus Aktionen für Tänzer (1971), die um ein Mädchen kreisen, das in einem Totenhemd gekleidet auf einem Eisenbett liegt. Das Eisenbett taucht später im Bühnenbild von Bauschs Macbeth-Interpretation auf. In diesem stückeübergreifenden Montageverfahren hat Bausch eine spezifische Form der Übertragung, des Transfers von Spannungen entwickelt. Momente von Energietransfers bezeichnet die Physik als Translation, ein Bewegen von Körpern durch ein Verschieben von Energielevels oder ein Verringern wie Erhöhen der Trägheit einer Masse.191 Die 189  Servos/Weigelt, Pina Bausch – Tanztheater, S. 20. 190  Ebd., S. 21. 191  E instein zufolge gilt: »The laws of nature are left unchanged in going from one inertial frame to another, just as the translation of a figure in Euclidean space leaves its geomecrical properties

3. Topografien des Schwebens. Schwerkraft-Räume seit der Moderne

›Choreografien des Schwebens‹ zeigen, dass in Tanzforschung und Tanzpraxis mit dem Begriff des Transfers eine andere Form des Bewegens beschrieben wird: einerseits das Übersetzen von Motiven in Bewegung, andererseits das Übertragen von Traditionen in die Gegenwart. Bauschs Adagio-Abend stellt in Choreografie und Szenografie der Trauer eine unsichtbare Brücke her, die mit Blick auf die Choreografien des Schwebens und ihre Qualitäten der gravitas von ihren eigenen Arbeiten über die Stücke von Jooss und Tudor bis in das 18. Jahrhundert zurückreicht. Was bedeutet diese Brücke für ein Betrachten von Bauschs Tanzoper Orpheus und Eurydike? Die choreografische Erzählung der Klagereise des Orpheus endet bei Bausch mit dem Tod der beiden Liebenden und einem resigniert wirkenden Abtreten der Gruppe der Trauernden. Bewegungen und Szene erinnern an die Stile von Tudor und Jooss. Mit einem präzisierten Blick auf die ›Schwerekräfte‹, lassen sich die Klage-Bewegungen in Bauschs Orpheus jetzt präziser untersuchen: Wie hat Bausch Wege und Stationen im Schattenreich vom Auftakt der Trauerklagen bis zum letzten Gang der Trauernden gestaltet? Wie genau wird die als Schatten schwebende Eurydike durch eine Tänzerin verkörpert? In welcher Weise hallt die unsichtbare Dramaturgie aus Versatzstücken der ›Choreografien des Schwebens‹ seit dem Tanz aus der Barockzeit in der choreografischen Gestaltung Bauschs nach? Gibt es in der Tanzoper Hinweise auf die Artikulation einer ›Inneren Schwerkraft‹?

unchanged, thus exhibiting a symmecry of this space.« Einstein, Albert: Relativity: The Special and the General Theory [1920], übers. v. Robert W. Lawson, 100. Jubiläumsausgabe, hg. u. komm. v. Hanoch Gutfreund und Jürgen Renn, Princeton: Princeton University Press 2015, S. 185.

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4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch Orpheus und Eurydike (1975) ist nach Iphigenie auf Tauris (1974) Pina Bauschs zweite Tanzoper, die sie für das von ihr 1973 gegründete Wuppertaler Tanztheater choreografierte. Mit Christoph Willibald Glucks Orpheus ist eine komplexe Werkgenese verbunden. Von den zwei Fassungen1 – Orfeo ed Euridice (Wien, 1762) und Orphée et Eurydice (Paris, 1774, mit überarbeitetem Libretto von Pierre-Louis Moline) – arbeitete Bausch für ihre Tanzoper mit der überarbeiteten französischen Fassung. Die Wuppertaler Inszenierung weist im Umgang mit der kompositorischen Struktur ein besonderes Montageverfahren auf. Hierfür arbeitete die Choreografin gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Rolf Borzik als Szenografen und Janos Kulka als musikalischem Leiter an Wiederholungen und Auslassungen der Gluck’schen Partitur mit ihren drei Bildern. Wie eine »Enthierarchisierung«2 der vorgegebenen Struktur wurden die Kompositionsteile methodisch zugunsten einer choreografisch motivierten Dramaturgie der Erzählung um die Tragik des Liebespaares neu gestaltet. Das zweite Bild mit den Szenen der Unterwelt und dem Reich der Seligen teilte Bausch in zwei von einander getrennt zu betrachtende Bilder: »Gewalt« und »Frieden«. Somit entstanden die vier choreografischen Bilder »Trauer«, »Gewalt«, »Frieden« und »Sterben«. Neben den Eingriffen in die Librettostruktur sind auch Abweichungen von der musikalischen Nummernfolge erkennbar. Zum Ende der Oper ließ Bausch, wie auch Adolphe Appia und Émile Jaques-Dalcroze in ihrem Orpheus aus dem Jahr 1912, den Trauerchor aus dem ersten Bild ein zweites Mal erklingen. Damit strich sie das von Gluck und Raniero de’ Calzabigi konzipierte lieto fine. Eurydike stirbt in der Tanzoper ein zweites und letztes Mal, und Orpheus schlussendlich mit ihr. Zudem fehlen bei Bausch die sieben Ballettnummern aus Glucks Komposition. Mit »Gracieux«, »Gavotte«, »Air Vif«, »Menuet«, »Maestoso«, »Très Lentement« und »Chaconne« wird in der französischen Fassung von Gluck und Calzabigi die Rückholung Eurydikes gefeiert und die Oper beendet. Diese Reduktion von Kompositionsmaterial und narra-

1  Siehe hierzu das Kapitel »gravitas in der Musik. Schweben zwischen Tradition & Reform« (2). 2  Siehe hierzu das Kapitel »gravitas in der Rhetorik. Denken der Schwere im Schweben« (2).

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tiven Elementen unterzog das Orpheus-Thema und die ohnehin schon von Prunk befreite Gluck’sche Barockoper einer weiteren »Entschlackungskur«3. Im Zentrum der Inszenierungen der mythischen Geschichte steht die Wendung. Bestimmt ist diese Bewegung nicht nur von dem ›Drehen des Blicks‹, wie Ovid es beschreibt: »ermüdet, sie endlich zu sehen verlangend, blickte der Liebende um.«4 Orpheus wendet sich im Gehen. Blickachse und Fortbewegung sind hier in der Wendung miteinander verschränkt. Das miteinander Gehen ist begleitet von der choreografischen Anweisung, sich weder mit An-Blick noch durch die Wendung einander Rückversichern zu dürfen. Welche Quellen der mythischen Fabel dem Libretto Calzabigis für die Komposition Glucks genau zugrunde liegen, lässt sich nicht rekonstruieren. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich Gluck und Calzabigi sowohl mit Alessandro Striggios Libretto für den Orfeo (1607) von Claudio Monteverdi befasst haben als auch mit den Texten Vergils und Ovids. Allerdings ist in der Gluck’schen Interpretation ein dezidiert neuer Blick unternommen worden, der später auch Jacques Offenbachs Orphée aux enfers5 (1858) beeinf lussen sollte: Orpheus’ Wendung geht nicht auf ein Geräusch, einen knisternden Ast zurück, den er mit der ihm folgenden Eurydike vermutet (Vergil). Auch ist es kein Selbstgespräch, in dem er an Eurydikes Liebe zu ihm zweifelt (Monteverdi/Striggio). Bei Gluck und Calzabigi hat der Grund der Wendung eine Nietz’sche ›Umwertung‹ der Kräfte- und Machtverhältnisse zwischen Eurydike und Orpheus erfahren: Eurydike begegnet Orpheus im Hades mit Vorwürfen und Klagen, da sie es ist, die an seiner Liebe zweifelt: »Eurydike: Führst du nur zur Qual zum Leben mich zurück? Götter, gern will euer Geschenk ich verschmähen! Geh, entferne dich, Ungeheuer!«6 Diesen Klagen und Zweifeln der Eurydike hält Orpheus im Libretto der Barockoper Glucks nicht mehr stand – und wendet sich.

3  V  gl. hierzu die inzwischen nur noch als Archiv existierende ehemalige Homepage des Wuppertaler Tanztheaters, auf der u.a. Äußerungen von Rolf Borzik nachzulesen sind: www.pina-bausch. de.k1755.ims-firmen.de/tanztheater/kostueme/borzik.php?text=lang. Letzter Zugriff: 10.10.2017. 4  » hic, ne deficeret, metuens avidusque vivendi, flexit amans oculos«, Ovidius Naso, Publius: Metamorphosen, 10. Buch, in deutsche Hexameter übertr. u. hg. v. Erich Rösch, München: Heimeran 1952, S. 360. 5 Orphée aux enfers (1858/1874), Jacques Offenbach. Zur Auseinandersetzung mit der Mythopoetik, die Offenbach in seiner Interpretation der Fabel betreibt, siehe insbes.: Rotermund, Erwin: »Zeitbeschleunigung, Mythentravestie und Opernparodie in Jacques Offenbachs ›Orpheus in der Unterwelt‹ (1858)«, in: Mennemeier, Franz Norbert (Hg.): Amüsement und Schrecken: Studien zum Drama und Theater des 19. Jahrhunderts, Tübingen: Francke 2006, S. 195-206. 6  E urydike im dritten Akt der französischen Fassung. Entnommen aus dem Nachdruck des Librettos von Calzabigi und Moline, in: Orphée et Eurydice, Programmheft zur Rekonstruktion mit dem Ballett der Pariser Oper, 04.02.2008, hg. v. der Opera de Paris Garnier, Spielzeit 2007/08, S. 39-47. Hier: S. 44.

4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch

Die Spannung zwischen Orpheus und Eurydike drückt sich musikalisch in den letzten Momenten ihrer (rezitativisch wirkenden) Arien aus. Anders als im Mythos dreht sich Orpheus in der Reformoper Glucks um, weil Eurydike unerbittlich um einen Blick zurück f leht. Eurydike erhält mit diesem aktiven Wunsch auf dramaturgischer wie auch kompositorischer Ebene als Schattenfigur eine Stimme, die den Verlauf und Ausgang der Geschichte nicht nur als Phänomen (Erscheinung) maßgeblich beeinf lusst.7 Gluck entzog der Orpheus-Figur in dieser Weise als erster Komponist die alleinige Stimmgewalt. Eurydike singt und bewegt (movere) im letzten Akt nicht weniger als ihr männliches Gegenüber. Die Geschichte um Orpheus und Eurydike erzählt von ›Bewegungen mit Gewicht‹: Sie ist bestimmt vom Hinabstürzen Eurydikes in den Hades und dem Nachsteigen Orpheus vom Umherirren und Hängenbleiben untoter Schattenwesen im Limbus sowie vom fatalen Umdrehen des Orpheus’ während seines mühsamen Hinaufsteigens zur irdischen Welt. Vor allem durch Ovids Metamorphosen ist der Mythos von Gangarten und zahlreichen Variationen im Drehen, Stürzen, Taumeln oder Rennen geprägt. Ovids Gestaltung des Textes lädt ein, auf sprachlicher Ebene eine spatiale Umwertung zu unternehmen: Um die grenzenlose Verzweiflung des Orpheus zu gestalten, stellt der Text auf der vertikalen Ebene Raumrichtungen wie ›oben‹ und ›unten‹ einander unmittelbar gegenüber und hebt ihre Dichotomie auf: »Orpheus klagt erst den oberen Lüften (10.11), dann den Schatten (10.12f.); das bedeutet, daß er sich überhaupt an alles wendet, an das man sich nur wenden kann.«8 Die Klage des Orpheus’ verbindet auf mythisch-sprachlicher Ebene zwei einander entgegengesetzte Orte. Die Simultanität, die das Performative auf der Bühne erzeugt, ist bei Ovid somit bereits angelegt. Auf rhetorischer Ebene hat Ovid durch das Spiel mit Anziehungskräften der Bewegung im Mythos eine besondere Position verliehen. Der Text entwickelt aufgrund seiner Metrik und Abweichung von grammatikalischen Normen ein für diese Studie wichtiges Spannungsfeld: Die Auf hebung der Gegensätze zwischen Aktivität und Passivität. In Bezug auf diese Spannung hält der Literaturwissenschaftler Hansjörg Haege für Ovids Metamorphosen Folgendes fest: »In den meisten Fällen, in denen sich Aktiv und Passiv gegenüberstehen, ist nicht an einen Zeitunterschied gedacht, sondern werden zwei Aspekte des Sachverhalts zum Ausdruck gebracht.«9 Entlang der tänzerisch wie musikalisch wahrnehmbaren Anziehungskräfte in der Szeno-Choreografie sowie den literarischen Deutungen des Mythos widme ich mich 7  Z  ur Stimme als Phänomen in den Künsten siehe: Kolesch, Doris/Krämer, Sybille (Hg.): Stimme. Annäherung an ein Phänomen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2006. 8  H  aege, Hansjörg: Terminologie und Typologie des Verwandlungsvorgangs in den Metamorphosen Ovids, Göppingen: Verlag Alfred Kümmerle 1979, S. 174. 9  Ebd., S. 170.

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in der Analyse der Tanzoper explizit den Gegensätzen von ›schwer und leicht‹, ›sichtbar und unsichtbar‹ sowie ›passiv und aktiv‹. Die Darstellung der Gegensätze findet im Bereich des Sprachlichen statt, um der Statik von fotografischem Material entgegenzuwirken. Bewusst verzichtet die Analyse daher zunächst auf Abbildungen von Bewegungen aus der Tanzoper.

»Trauer« Vor mir liegt die Aufzeichnung einer Orpheus-Aufführung in Wuppertal aus dem Jahr 1993.10 Weiße, senkrecht hängende Laken rahmen die Seitenwände der Bühne. Im hinteren Bühnenbereich ist eine klarsichtige, rechteckige Wand platziert, in der das auf die Bühne geworfene Licht schwach ref lektiert wird. In die Bühnenmitte ragt eine Baumkrone mit dichten Verästelungen, deren Enden in einer Spitze münden, wie sie bei Zypressen wachsen (den einzigen Bäumen, die, einmal geschnitten, sterben und keine Triebe mehr bilden). Die Wurzel des Baumes auf der Bühne ist breit und rund und schließt zur rechten Kulissenseite ab.11 * Anhand zweier Momente der Reglosigkeit aus den ersten Minuten des Eröffnungsbildes der Tanzoper werde ich nun die Gegenspannung zwischen Schwere und Schweben demonstrieren. Der erste Moment betrifft die Körperhaltung, die die Tänzerin Malou Airaudo in der Rolle der Eurydike einnimmt. Der Vorhang geht auf, Airaudo sitzt als Eurydike wie eine Braut mit aufrechtem Rücken auf einem Hochsitz aus Buchenholz, der genau 280 Zentimeter12 in die Bühnenhöhe ragt. Sie hält ein Bouquet rote Rosen auf dem Schoß. Ihr vom Kopf fallender, weißer Schleier und ihr weißes Kleid verbinden sich über die Farbe und das Material mit dem Leinenstoff, der den Stuhl bedeckt. Die Stoff bahn, die von der Stuhllehne über den Sitz und die langen Holzbeine bis zum Boden reicht, führt mit einer 10 Orpheus und Eurydike, Pina Bausch, Gastspiel des Tanztheaters Wuppertal an der Pariser Oper (1993). Besetzung: (Orpheus) Dominique Mercy (T)/Annette Jahns (S); Bernd Uwe Marszan (T)/ Veronika Valdner (S); (Eurydike) Malou Airaudo (T)/Francesca Hirzel (S); Ruth Amaranthe (T)/ Jennifer Trost (S); (Amor) Barbara Kaufmann [ehemalige Hampel] (T)/Robin Fisher (S). Archivmaterial der Pina Bausch Foundation. 11  D  er Bühnenbildassistentin Gerburg Stoffel zufolge ist eigens zu jeder Wiederaufnahme in Wuppertal eine Hainbuche entwurzelt worden. Stoffel, im Gespräch mit der Autorin am 23. Mai 2014 in den Archivräumen der Pina Bausch Foundation. 12  Z  um Höhenmaß der Stühle siehe: Stoffel, Gerburg/Pina Bausch Foundation,: »Bühnenbilddokumentation zu Pina Bauschs Orpheus und Eurydike«, Archivmaterial der Pina Bausch Foundation, S. 76.

4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch

Schleppe bis in den hinteren Teil der Bühne und berührt dort einen großen gläsernen Kubus aus Plexiglas.13 Mit (aus Publikumsperspektive) geschlossenen Augen schwebt ihr Blick über der Szene. Dominique Mercy liegt als Orpheus reglos mit dem Gesicht zur Erde gerichtet auf dem Boden. Die Sopranistin Annette Jahns, die in dieser Aufzeichnung die Orpheus-Figur verkörpert, steht bis zu ihrem Einsatz am Seitenrand der Bühne. Sie wird sich erst bewegen, wenn Orpheus’ Stimme erklingt. Die Stimme der Eurydike, verkörpert durch die Sopranistin Francesca Hirzel, ist im ersten Bild »Trauer« abwesend. Demnach fehlt nicht nur der Stimmkörper der Eurydike-Sopranistin, sondern auch der stimmliche Index, der Eurydike als Opernfigur Anwesenheit verleiht. Die Raumverhältnisse, die den Ort der Trauer gestalten sollen, sind in dieser szeno-choreografischen Anordnung verkehrt. Die verstorbene Eurydike, die in der Unterwelt hängengeblieben ist, blickt von oben auf Orpheus hinab, dessen Stimme und später auch tanzender Körper lebend im Diesseits klagen. Ihr Körper gleicht dem einer Statue. Sie schwebt zwar ohne Regung im Raum, zugleich ist ihre Abwesenheit (Tod) jedoch (innerer) Impuls der Trauernden für den »notwendigen Antrieb zur Tätigkeit«14, für die Unruhe.

Eurydikes Ruhen Eurydike ist choreografisch als Verstorbene dargestellt. Zwei Lesarten bieten sich hier an: Einerseits ließe sich der Blick auf die Rosen, die Eurydike in ihren Armen hält, auch als sorgender Blick interpretieren. Rosen sind nicht nur in Form gelegte zarte Blütenblätter, sondern mit Stacheln versehene Strauchblumen. Andererseits ließe sich Eurydike auf dem Hochstuhl metaphorisch auch als Heilige oder Marienfigur lesen, die gen Himmel gefahren ist und neben ihrem Sohn Jesus Christus auf dem ›Thron der Herrlichkeit‹ sitzt. In beiden Lesarten wäre Eurydikes Körper reglos, aber lebendig. Dass Eurydike bereits als mythische (tote) Figur trotz ihrer Reglosigkeit keine Statue sein kann, ermittelte Goethe in seinem Laokoon-Aufsatz anhand der Bewegung fallender Blumen: »So würde z.B. Eurydike, die im Moment, da sie mit gesammelten Blumen fröhlich über die Wiese geht, von einer getretenen Schlange in die Ferse gebissen wird, eine sehr pathetische Statue machen, wenn nicht allein durch die herabfallenden Blumen, sondern durch die Richtung aller Glieder und das Schwanken der Falten

13  Ebd., S. 81. 14  T orra-Mattenklott, Caroline: Metaphorologie der Rührung: ästhetische Theorie und Mechanik im 18. Jahrhundert, München: Fink 2002, S. 36.

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der doppelte Zustand des fröhlichen Vorschreitens und des schmerzlichen Anhaltens ausgedrückt werden könnte.« 15 Goethe liest in der Körperlichkeit der Eurydike die Gleichzeitigkeit von Gehen und Stehen. Eine Qualität, die auch im pas grave enthalten ist. Bauschs Eurydike ist allerdings nicht pathetisch, wie Goethe es ihr als Eigenschaft durch die (wie ein bewegtes Beiwerk fallenden) Blumen zuschreibt. Die reglose Tänzerin sitzt aufrecht, während die Arme zum Halten der Blumen gespannt sind. In dieser Spannung vermittelt die Pose zugleich eine Form der inneren Entspannung: Eurydike ist kein schmerzliches Anhalten oder ein schmerzverzerrter Ausdruck zu entnehmen, wie es sich noch in der pathetischen Mimik und Gestik von Bauschs Iphigenie–Figur beobachten ließ.16 Eurydikes blind und stumm wirkender körperlicher Ausdruck wird bis zum letzten Akt der Tanzoper Bauschs anhalten. Der gesamte Verlauf der Choreografie ist so lange von dieser Blickachse bestimmt, bis Eurydike im vierten Bild »Sterben« auf Orpheus trifft. Der in der Blickachse festgehaltene Augenblick lässt sich mit den Ausführungen des Literaturwissenschaftlers Gerhard Neumann zum ›Augenblick‹ als ein dezidiert weiblicher Blick beschreiben.17 Denn Eurydike verbildlicht durch ihre Platzierung als Verstorbene (gleichsam einer Heiligen) nicht nur den ersten Moment der Tragik des Mythos (Tod durch den Schlangenbiss, kurz nach der Hochzeit). Sie nimmt vorweg, was sich in den kommenden Akten der Tanzoper als vergebliche Klagereise in die Unterwelt vollziehen wird: es ist der endgültige Tod der tiefen Liebe zu Orpheus. Eurydike scheint der Reglosigkeit einer »unbeweglichen und unbewegten Trägen«18 zu ähneln, wie sie in Botho Strauß‹ Bearbeitung des Pygmalion-Mythos, der »Geschichte einer Frau, die allmählich ihr Selbstbild der ›Größe‹ und der ›Trägheit‹ ver-körpert«19, dar15  G  oethe, Johann Wolfgang von: Über Laokoon [1798], in: Ders.: Kunsttheoretische Schriften und Übersetzungen, hg. v. Siegfried Seidel, Berliner Ausgabe, Bd. 19, Berlin/Weimar: Aufbau-Verlag 1973, S. 129-141, S. 136. 16  Siehe hierzu das Kapitel »Tanzopern lesen. Tanztheater verstehen« (1). 17  N  eumann, Gerhard: »Wesen und Liebe. Der auratische Augenblick im Werk Goethes«, in: Thomsen, Christian (Hg.): Augenblick und Zeitpunkt: Studien zur Zeitstruktur und Zeitmetaphorik in Kunst und Wissenschaften, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1984, S.  282-305. Hier: S. 288. In dieser Weise ließe sich der Augenblick, den die Eurydike-Tänzerin (Airaudo) statuenhaft wirft, mit jenem ›Blick‹ zusammendenken, der sich im Sündenfall des biblischen Mythos um Adam und Eva ereignet. 18  Strauß, Botho: Wohnen, Dämmern, Lügen, München: Carl Hanser 1994, S. 331. 19  B  ei Strauß lässt sich das motorische Potential der Erstarrung der Frau durch körperliche Schwerfälligkeit zeigen. Siehe: Brandstetter, Gabriele: »Der Tanz der Statue. Zur Repräsentation von Bewegung im Theater des 18. Jahrhunderts«, in: Mayer, Mathias/Neumann, Gerhard (Hg.): Pygmalion. Die Geschichte des Mythos in der abendländischen Kultur, Freiburg i.Br.: Rombach 1997, S. 393-422.

4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch

gestellt ist. Die versteinert wirkende Pose der Eurydike ist tanzgeschichtlich eng mit Rezeptionsweisen der griechischen Antike verbunden. Bereits bei Noverre bestimmten nicht nur Aristoteles’ Idee von Tanz als mimischer Aktion und die aus dieser hervorgegangene Römische Pantomime den Entwicklungsgedanken eines ballet d’action.20 Neben dem Aufgreifen aufgerichteter Körper aus antiken Skulpturen oder Körperdarstellungen in der Malerei galt insbesondere auch der Aspekt des Nicht-Lebendigen von Körpern (wie dem einer Statue oder einer Puppe) als Inspirationsquelle.21 Anhand von Statuen ließen sich Körper dramaturgisch und choreografisch verlebendigen. Die Germanistin Juliane Vogel deutet den Auftritt von vertikalen Körpern auf der Bühne folgendermaßen: »In-Erscheinung-Treten erfordert ein ›motus corporis‹ – ein körperliches Handeln, einen Akt des Hervortretens, Schreitens oder aber eine andere äquivalente Bewegung, mittels derer sie die Aufmerksamkeit einer Gesellschaft von Anwesenden erregt und ihren Empfang vorbereitet. […] Im Idealfall dient also der Auftritt der emphatischen Verdeutlichung eines Ankömmlings.«22 Eurydike tritt ohne motus corporis auf. Die vertikale Haltung ihres Oberkörpers verdeutlicht ein Schon-da-gewesen-Sein, eine Präsenz in verdichteter Zeit. Der Augenblick, der sich gerade ohne Auftreten ereignet, ließe sich daher als ›markanter Moment‹ begreifen, wie ihn der Theaterwissenschaftler Jens Roselt als phänomenologisches Denkmodell unter anderem anhand eines Beispiels aus dem

20  S iehe Macintosh, Fiona: »Introduction«, in: Dies. (Hg.): The Ancient Dancer in the Modern World: Responses to Greek and Roman Dance, Oxford: Oxford University Press 2012, S. 1-15. Hier: S. 1f. 21  E twa die Statue in Noverres Pygmalion (1734) oder der Komtur in Angiolinis Choreografie für Glucks Don Juan (1761). Für das 19. Jahrhundert seien hier vor allem die Handlungsballette Coppelia (1870), ein Ballett zur Komposition von Léo Delibes nach einem Libretto von Charles Nuitter und einer Choreografie von Arthur Saint-Léon, sowie Der Nussknacker (1892), ein Ballett zur Komposition von Peter I. Tschaikowski nach einem Libretto von Marius Petipa und einer Choreografie von Jules Perrot genannt. Sowohl Coppelia als auch Der Nussknacker waren an Texte E.T.A Hoffmanns angelehnt: Hoffmanns Erzählung Der Sandmann gilt als Hintergrund für Coppelia. Hoffmanns Nußknacker und Mausekönig und Alexandre Dumas Adaption fanden Einzug in Petipas Nussknacker-Fassung. Zum Pygmalion-Mythos siehe auch: Stoichita, Victor: Der Pygmalion-Effekt: Trugbilder von Ovid bis Hitchcock, München: Fink 2011. 22  V  ogel, Juliane: »Sinnliches Aufsteigen. Zur Vertikalität des Auftritts auf dem Theater« in: Matzke, Annemarie/Otto, Ulf/Roselt, Jens: Auftritte. Strategien des In-Erscheinung-Tretens in den Künsten und Medien, Bielefeld: transcript 2015, S. 105-119. Hier: S. 105. Den Terminus motus corporis entnimmt Vogel den Texten Ciceros: Cicero, Marcus Tullius: Brutus, hg. v. Bernhard Kytzler, München: Heimeran 1970, 203, S. 150; siehe auch: Quintilianus, Marcus Fabius: Institutionis oratoriae. Libri XII. Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher, Bd. 2, Buch XI, 3.1, hg. u. übers. v. Helmut Rahn, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006, S. 608. Zitiert in: Vogel, »Sinnliches Aufsteigen«, ebd.

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modernistischen Theater formuliert hat:23 Im Schlussmoment von Der Revisor (1926), ein Theaterstück, das Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold (1874-1940) nach Nikolai Gogols (1809-1852) gleichnamigem Stück (1836) für die Bühne erarbeitete, blickt das Publikum auf eine Gruppe versteinerter Figuren. Im ersten Augenblick sei dieses Ensemble als Versammlung regloser Menschen wahrzunehmen. Das Publikum sollte, so erklärt Roselt die Intention Gogols und Meyerholds, erst nach Fallen des Vorhangs erkennen, dass es auf seelenlose Wesen, auf Wachsfiguren geblickt hat. Dieser Augenblick markiert nach Roselt den Moment der Erkenntnis, in dem »sich nicht die Szene, sondern die Einstellung der Zuschauer zu dieser«24 ändere. Das Unbewegliche wird auch von Bauschs Eurydike-Rolle en détail verkörpert. Allerdings ist sie weder eine Wachsfigur ohne Seele noch eine unbewegte Träge wie bei Strauß. Eurydike schwebt in der Tanzoper über ihrem Grab. In der Szenografie befindet sich das Grab auf dem Bühnenboden, im hinteren Teil des Bühnenraums hinter einer Glaswand. Das Grab und der Körper der Verstorbenen sind demnach nicht nur räumlich voneinander getrennt. Sie sind auf zwei Orte ausgedehnt. Das zweite Grab stellt die aufrechte Positionierung der Eurydike selbst dar. Ihr Körper ließe sich in dieser szenografischen Anordnung mit der Auf bahrung von Verstorbenen vergleichen, wie sie der Kunsthistoriker Georges Didi-Huberman als Praktik im alten Ägypten beschreibt.25 In der Betonung der Vertikalität des altägyptischen Grab-Umraumes entsteht eine Grabform, mit der Bestattende den spannungslosen, passiven Körper eines verstorbenen Menschen aktiv »›auf heben‹, aufrichten, wieder in die Vertikale bringen muß, in eine Beziehung von Angesicht zu Angesicht, in die Lage einer Statue, die aufrecht stehend ewig schläft.«26 Eurydike ist in dem Bild »Trauer« nicht nur eine Verstorbene, sondern auch Symbol derselben. Ihre stillness, ihr ruhender, aufrecht sitzender, die Spannung auf dem Stuhl haltender Körper berührt und rührt, im Sinne des movere, ähnlich wie der offene Schrank-Sarg aus dem römischen Ägypten (Abb. 34) ›rühren‹ sollte.

23  Roselt, Jens: Phänomenologie des Theaters, Paderborn: Fink 2008, S. 9f. 24  Ebd., S. 15. 25  D  idi-Huberman, Georges: Was wir sehen, blickt uns an. Zur Metapsychologie des Bildes [1992], München: Fink 1999, S. 244. Zur Thematik vgl. auch: Assmann, Jan (Hg.): Der Tod als Thema der Kulturtheorie. Todesbilder und Totenriten im Alten Ägypten, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2000. 26  D  idi-Huberman, Was wir sehen, blickt uns an, S. 244. Bei der hier gezeigten Abbildung 2 handelt es sich um ein Bildzitat aus selbigem Band. Ebd., S. 243.

4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch

Abb. 34: Vertikaler Schrank-Sarg aus Abusir el-Meleq (römisches Ägypten), 1. Jh. n. Chr.

Indem Bausch der Eurydike die Schritte zum Auftritt ihrer Erscheinung nimmt, vermittelt sie über den sichtbaren Körper den Wesenszustand und Ort der Eurydike, das unsichtbare Schattendasein. Den choreografischen Auftritt durch Schritte übernehmen statt der Eurydike andere Tanzende. Der rote Vorhang öffnet sich und gibt neben der ruhenden Eurydike in den ersten Sekunden Blick auf ein Ensemble von posierenden Figuren. Die erste raumgreifende, markante Bewegung in diesem Eröffnungsbild ist eine Hebefigur. In ihr wird das Potential des Performativen, die Möglichkeit der gleichzeitigen Darstellung von Bewegung und Nicht-Bewegung sowie die Auslotung passiver Haltungen im Rahmen eines Aktivität (Unruhe) vermittelnden Narrativs zum Ausdruck gebracht: Ein männlicher Tänzer und eine weibliche Tänzerin sind bis auf die ausgesparten Hände, Füße und Gesichter in schwarz gekleidet. Dramaturgisch verkörpern beide Tanzende die Teilnehmenden der Trauergruppe. Sie sind direkt am Bühnenrand platziert, auf vertikaler Ebene parallel zum Hochsitz der Eurydike. Der Tänzer hebt die Tänzerin empor; derart hoch, dass sich ihr waagerechter Oberkörper (je nach Winkel der Beobachterperspektive) auf der gleichen Höhe befindet, wie die optisch im Gegenpol aufrecht sitzende Eurydike. Der Hebung entspringt eine sonderbare Dynamik. Die Tänzerin schwebt leicht in der Luft, als wäre sie

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in eine horizontale Körperstarre verfallen. Ihre Reglosigkeit wirkt aufgrund der waagerechten Position wesentlich träger und passiver als das ruhende Sitzen der Eurydike und verleiht der schwebenden Toten im weißen Kleid umgekehrt eine gewisse Form der Lebendigkeit. Diese für einen Moment bildhafte Elevation der Tänzerin irritiert: Sie liegt waagerecht, ihr in den Nacken weit zurück gelegter Kopf und die leicht neben dem Körper gehaltenen Arme und Beine wirken einerseits schlaff, ohne Spannung. Der mit kunsthistorischem Vokabular als Hebe beschreibbare reglose Körper der Tänzerin deutet andererseits auf eine enorme Anspannung. Denn ohne diese würde die Tänzerin nicht derart starr schweben. Ihre Position gleicht den Körperhaltungen der auf der Bühne liegenden Tänzerinnen, deren Becken räumlich den tiefsten Punkt der Körperhaltung anzeigen. In dieser Haltung sind die Becken mit dem Boden verbunden und wirken wie multiple, verlagerte Zentren der Schwerkraft, von denen aus über dem Körper schwebende Armbewegungen vollzogen werden. Die Figur in der Hebeposition scheint von dieser Erdanziehung und der Verbundenheit mit dem Boden als Gravitationszentrum befreit. Sie schwebt allerdings nicht im Sinne eines Schwebens, das vergleichbar ist mit der Illusion des Schwerelosen, der Elevation in der Tanzgeschichte. In dem Heben vermittelt sich, in Relation zu der sitzenden Eurydike und den auf dem Boden liegenden Tänzerinnen, ein Eindruck, der an Gesetze der Statik erinnert: Das Hochheben einer schweren Traglast. Ähnlich wie in Albert Einsteins Experiment zur Bestimmung der Schwerelosigkeit menschlicher Körper in einer stürzenden Fahrstuhlkabine verliert die Tänzerin im Moment des Hebens ihr Eigengewicht und schwebt. Die Virtuosität, das Vermitteln von Illusionsmomenten ist im Tanztheater von Bausch zwar nur selten ausgestellt, aber dennoch vorhanden. Wenn auch der Moment der Hebefigur der Trauernden nicht mit primär artistischem Anliegen verbunden ist, so kommt dennoch eine spezifische Qualität der Bewegungen insgesamt zum Tragen: Es ist das Vermitteln einer anderen Räumlichkeit, einer Form der Raumdichte und Atmosphäre, in der die Gesetze von Schwerkraft auszusetzen scheinen. Einsteins Gravitationslehre greift im Kosmos und auf der Erde. Gilt sie auch unterirdisch, in imaginären Räumen wie dem Reich der Schatten? Auf narrativer Ebene befindet sich die Gruppe Trauernder, im irdischen Raum, auf Erden. Eurydikes Position als Emporgehobene, als Schwebende, die ›oben‹ in der Unterwelt sitzt, verweist auf die Umkehrung der Raumverhältnisse, mit denen der mythische Ort in der Tanzoper angekündigt wird. An dieser Stelle bietet sich ein Gedankenexperiment an: Würde der architektonische Raum der Bühne um 180 Grad gedreht, hinge Eurydike kopfüber in der Unterwelt; die um sie Trauernden befänden sich dann mit dem Rücken an der Decke, und würden in einer Umkehrung der Perspektive mit ihren leichten Wellenbewegungen und ihren Gliedmaßen in den Boden hinunter hängen – und ›schwer schweben‹.

4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch

* Die Gruppe der Trauernden weist weitere Aspekte auf, die zu dem Eindruck der ›Schwere im Schweben‹ führen. Sie tragen die im europäischen Kulturraum traditionelle Trauerfarbe Schwarz. Die Gewänder der Tänzerinnen verhüllen die Körper mit ihren langen, weit fallenden Röcken und eng an der Haut liegenden Ärmeln derart stark, dass nur Hände, Füße und Köpfe der Körper frei sichtbar sind. Das Material der Gewänder ist aus Spitze. Nur in einer Nahaufnahme oder beim Besuch einer Aufführung ist dieses Detail erkennbar. In der Aufzeichnung aus dem Jahr 1975 sind die feinen Konturen der Gewänder verschwommen, umhüllen die Körper der Tänzerinnen vollends und verleihen ihnen eine insgesamt dunkle, düstere Erscheinung. Dennoch fallen die Röcke (in jeder Aufzeichnung) sehr leicht und wehen mit, wie ein Warburg’sches ›bewegtes Beiwerk‹. In diesen Kostümbewegungen ist eine Gegenspannung enthalten: Düstere, schwerfällig wirkende Kleider, die in Bewegung leicht erscheinen, lassen durch die Aussparungen an Hals und Handgelenken die Gesichter und Hände f liegend und schwerelos wirken.27 Im Kontrast zur Materialität der Kleider erscheinen die Bewegungen der Tänzerinnen zäh und langsam. In ihrer Gemeinsamkeit wirken sie wie Bewegungen eines großen, atmenden Körpers. Als Trauernde schreiten die Tänzerinnen keinen Raum ab, wie prozessierende oder schreiende Klageweiber.28 Werden Schritte gesetzt, dann nur, um sogleich wieder in einem Stillstand zu ruhen und aus diesem heraus weitere Bewegungen im Stehen oder Sitzen mit dem Oberkörper auszuführen. Auf diese Weise entsteht ein Szenario, das an Trauerformen erinnert, die als Verhaltensweisen vornehmlich Frauen zugeschrieben werden: »Die weiblichen Gestalten repräsentieren vielmehr ganz allgemein Trauer, Schmerz, Abschied oder auch Tod und sind mit den Allegorien der Tugenden oder denen des Staates verbindbar. Zwar können sie auch als Vorbilder für (trauernde) Frauen dienen, aber als Bildzeichen abstrakter Begriffe von (Staat, Sieg,) Trauer und Tod meinen sie sie nicht. […] Bilder trauernder Weiblichkeit stellen vielmehr Allegorien für Trauer dar […].«29 27  D  ieser Eindruck entsteht auch dann, wenn die Hautfarbe der Tanzenden eine wesentlich dunklere Pigmentierung enthält. 28  Z  ur sogenannten Weiblichkeit des Trauerns und den damit vermeintlich verbundenen Aspekten des Hysterischen siehe: Bronfen, Elisabeth: »Mourning becomes Hysteria. Zum Verhältnis von Trauerarbeit zur Sprache der Hysterie«, in: Ecker, Gisela (Hg.): Trauer tragen – Trauer zeigen. Inszenierungen der Geschlechter, München: Fink 1999, S. 31-55. 29  H  offmann-Curtius, Kathrin: »Sieg ohne Trauer – Trauer ohne Sieg. Totenklage auf Kriegerdenkmälern des Ersten Weltkrieges«, in: Ecker, Trauer tragen – Trauer zeigen, S. 259-286. Hier: S. 259. Hoffmann-Curtius verweist an dieser Stelle auf Wenk, Silke: Versteinerte Weiblichkeit. Allegorien in der Skulptur der Moderne, Köln/u.a.: Böhlau 1996, S. 75-127.

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Trauer ließe sich umgekehrt auch als weiblicher Klang-Raum verstehen, in dem Klageweiber durch exzessive Trauergesten und von Tränen begleitete Gesänge den Toten das letzte Geleit geben. Lässt sich auch bei Bausch von der Gestaltung eines weiblichen Klang- und Klageraumes sprechen? Abb. 35: Trauernde in Antony Tudors Dark Elegies 2007

Zunächst erinnern die statischen Hebungen an Tudors choreografische Sprache in Dark Elegies, da die Körper der Tanzenden in der Luft geometrisch gestaltet wirken (Abb. 35).30 Bauschs Hebungen weisen im Gegensatz zu Tudors Hebungen allerdings eine Körperhaltung auf, in der trotz einer fast unbeweglichen Stasis eine Form des Loslassens von Schwere deutlich wird. Dieses Loslassen findet nicht im gesamten Körper statt, sondern nur partiell in einzelnen Körpergliedern wie den Hand-, Arm- und Kniegelenken, die subtil und in Richtung Boden konzentriert geführt sind. Die Klage ist dem Bewegungsduktus nach leise und still. Trotzdem scheinen die Bewegungen der Trauernden in Bauschs Choreografie mehr Gewicht zu vermitteln: Indem sie sich als verstreute Gruppe permanent zwischen Statik und Dynamik bewegen, besetzen sie mit ihren Körpern den gesamten Bühnenraum und scheinen den Modus der Trauer für Orpheus zu vervielfachen – und somit aus dem Moment der Trauer eine Topografie des Trauerns zu erzeugen.

30  S iehe hierzu das Kapitel »Schwebende Trauer. Antikriegsballette von Kurt Jooss und Antony Tudor« (3).

4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch

Trauerprozesse werden klassischerweise in drei Phasen unterteilt: Von der »Vergegenwärtigung und dem Festhalten des geliebten Objekts bis hin zur Schaffung einer weiteren Struktur, in der der Verlust aufgehoben erscheint.«31 In dem Bild »Trauer« scheinen alle drei Phasen szenisch gleichzeitig stattzufinden: Über den Moment der Trauer durch den Bewegungschor (der Gesangschor befindet sich im Orchestergraben) wird der mythische Raum, dem das Narrativ entspringt, in die Gegenwart der Inszenierung transportiert. Die Verstorbene, um die getrauert wird, ist für das Publikum anwesend. Und zugleich ist die Verstorbene Symbol der Trauernden selbst. Eurydike steht als Figur für eine Tote, um die geweint und getrauert wird. Eurydike ist in weiß gekleidet, als Braut mit roten Rosen und geschlossenen Augen, gleichsam einer Mater dolorosa, der Mutter der Klage par excellence. Ihr Kleid wirft lange Falten, die vom Hochsitz bis hinunter zum Boden reichen. Die leicht wirkende Farbe erzeugt aufgrund der Höhe der Sitzposition und der Länge des Stoffes zugleich eine Schwere. Grund dieser Schwere könnten die Falten sein, denen die Kulturwissenschaftlerin Gisela Schade im Kontext der Trauer ein spezifisches Gewicht beimisst: »Auf einer abstrakten Ebene zeugen Falten von der Schwerkraft, der auch die Körper ausgesetzt sind, sie zeugen vom aufgehaltenen Fallen.«32 Ist das Fallen Eurydikes in den Tod nicht auch ein aufgehaltenes Fallen und somit ein angehaltener Tod? Neben der Assoziation des vertikalen Grabes lässt sich gleichzeitig die Möglichkeit einer Rückkehr deuten, die aus der Platzierung und Haltung der Eurydike hervorgeht. Allein die Position der Verstorbenen und die Gestaltung ihrer Erscheinung weisen auf mehrdeutige Möglichkeiten einer Zuschreibung, die von Betrachtenden zeitgleich entdeckt werden können. Ist es die in einen ewigen Schlaf gefallene abwesende Eurydike, um die es zu trauern gilt? Oder ist sie trotz Reglosigkeit aktiv und repräsentiert – da über allem thronend, einen ›Blick von oben‹ hinabwerfend und wachend – den ›großen Stil‹, wie er von dem Musikwissenschaftler Federico Celestini mit Rückgriff auf Nietzsches Musikphilosophie bezeichnet wird: »Der große Stil setzt also einen Blick von oben voraus, und das heißt sowohl einen Beobachtungsstandpunkt, von wo aus er schweifen kann, als auch ein Subjekt, das fähig ist, jenen Platz einzunehmen und sich zum Ordner und Gesetzgeber zu machen.«33

31  E cker, Gisela: »Trauer zeigen. Inszenierung und die Sorge um den Anderen«, in: Dies, Trauer tragen – Trauer zeigen, S. 9-25. Hier: S. 9. 32  S chade, Sigrid: »Die Topologischen Tücher von Silke Radenhausen – Anmerkungen zur Titelillustration«, in: Ecker, Trauer tragen – Trauer zeigen, S. 27-30. Hier: S. 29. 33  N  ietzsche, der sich in seinen musikphilosophischen Schriften mit dem großen musikalischen Stil befasst hat, habe diesen, so Celestini, widersprüchlicher Weise verherrlicht und zugleich kritisiert. Siehe: Celestini, Federico: Nietzsches Musikphilosophie: zur Performativität des Denkens, Paderborn: Fink 2016, S. 289.

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Orpheus’ Klagetanz Während sich die Orpheus-Sängerin in ihrem schwarzen, blickdichten, langen Gewand mal neben, mal entgegen den Schrittfolgen des Orpheus-Tänzers bewegt, ist dieser bis auf eine seinem Hautton entsprechende kurze Hose unbekleidet. Mit seinem Körper verdeutlicht der tanzende Orpheus die physische Verwundbarkeit des Leibes. Verglichen mit seiner Kostümierung wirken die Trauernden und mit ihnen Eurydike verschleiert. Während die Gruppe trauert, steht der Tänzer neben seiner Singstimme vor einer Glaswand. Die Orpheus-Sopranistin ist bereits während dieser Trauer hörbar, der Klagetanz des Tänzers setzt jedoch später ein. Diese Verschiebung von stimmlich-gestischer Artikulation und körperlich-tänzerischer Artikulation wirft Fragen auf. Schließlich wird der Stimme des Orpheus jenes movere zugeschrieben, mit dem die Gemüter der Unterwelts-Herrscher erweicht werden können. Eine solche Wirkkraft attestiert die Theaterwissenschaftlerin Doris Kolesch der Stimme auch für die Bühne im Allgemeinen: »Die implizit szenische, ja theatrale Qualität der Stimme, die immer schon Aufführung und Wahrnehmung ist, hat zur Folge, dass eine Stimme gehört und beantwortet werden will. Sie ist Anspruch, Appell und Gabe in einem.«34 Als ein solcher Appell sticht die Stimme der Orpheus-Sängerin in ihrer klanglichen Präsenz in Bauschs Orpheus-Tanzoper erst dann aus dem Chor der Trauernden hervor, als der Orpheus-Tänzer seinen ersten Schritt setzt. Klangkörper und Tanzkörper sind zeitgleich anwesend und transformieren den Bühnenraum in der Polyphonie der Körperstimmen in einen diffusen Trauerraum. Das Erhört-Werden-Wollen des Orpheus bringt Bausch über die akustische Diffusität und das zu dieser in Kontrast stehende tänzerische Solo zum Ausdruck: Nachdem der Tänzer für einen längeren Zeitraum längsgerade mit Blick zum Boden gerichtet auf der Bühne liegt, steht er auf. Die Choreografie zu den berühmten Zeilen »Eurydike ist nicht mehr, ach, und ich lebe noch«35 ist von Bewegungen geprägt, in denen – und darin bestätigt sich der Eindruck des rein Tänzerischen in Bauschs Orpheus – in virtuoser Form Elemente des Modern Dance mit jenen des Klassischen Akademischen Tanzes verschmolzen sind. Ohne an dieser Stelle eine Rekonstruktion der Schritte vorzunehmen, seien zwei Beispiele angeführt, die an Cecchettis Vokabular erinnern.36 Der Tänzer Mercy geht in einer Suchbewegung über die Bühne. Seine Arme sind wie in der fünften Arabeske nach Cecchetti nach vorne ausgestreckt (Abb. 36); seine Beine sind, sobald er stehen bleibt, gebeugt. 34  K  olesch, Doris: »Die Spur der Stimme. Überlegungen zu einer performativen Ästhetik«, in: Epping-Jäger, Cornelia/Linz, Erika (Hg.): Medien, Stimmen, Köln: DuMont 2003, S. 267-281, S. 279. 35  Orpheus im ersten Bild der Tanzoper. Calzabigi/Moline, Orphée et Eurydice, S. 40. 36  Siehe hierzu das Kapitel »Schwere Seelen. Wenn der aplomb fällt« (2).

4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch

Abb. 36: Figur 240, ›Fünf te Arabeske croisée‹ und Fig. 241, ›Renversé‹ nach Cecchetti

Der Schwierigkeitsgrad dieser Haltung liegt darin, dass Bauschs Choreografie aus dieser fünften Arabeske ein sehr langsames Sinken auf einem Bein hin zum Boden erfordert. Das Körpergewicht befindet sich während des Sinkens im Kniegelenk (Fig. 240) in der instabilen Beuge. Nachdem Mercy in dieser Position den niedrigsten Punkt, der physisch möglich ist, erreicht hat und auf einem Fußballen balanciert, springt er ohne Schwung oder andere Schrittstützen aus der Bodenposition empor und landet im Stand. Mit dieser Bewegungssequenz möchte ich eine Deutungsebene anbieten, die eine Verf lechtung der Stile vermittelt. Diese zeichnet sich durch den Umgang mit der Balance und der Schwere des Körpers aus. Es ist nicht die Pose des Balletts, die mir in dieser Orpheus-Bewegung relevant scheint. Es ist die Schwere im vermeintlich leichten Sinken, die Aufmerksamkeit generiert. Deutlich wird dies in einer weiteren Sequenz, die ebenfalls eine Nähe zum Vokabular Cecchettis aufweist: Der Orpheus-Tänzer dreht sich um die eigene Körperachse, als würde er mittels der Wendung einen Blick zurück (hinter seinen Rücken) werfen. In ihrer Form erinnert diese Haltung an das von Cecchetti benannte Renversé (Fig. 241). In dieser Bewegung aus dem Vokabular des Klassischen Akademischen Tanzes stehen Tanzende auf einem Bein, halten das Spielbein in der Luft, drehen in dieser Balance den Oberkörper gemeinsam mit den in einer Spirale gebeugten Armen um die eigene Achse und wenden sich.

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Der Tänzer Bernd Uwe Marszan erinnert sich an die Proben zu diesem Solo und die tanztechnischen Herausforderungen, die die Choreografie verlangt.37 1993 übernahm er für die Wiederaufnahme von Orpheus und Eurydike von Dominique Mercy und Ed Kortlandt, den Tänzern der Erstbesetzung, die Rolle des Orpheus. Anders als von Marszan erwartet leitete Bausch dazu an, dass Marszan die Bewegungen und das Gefühl für diese Rolle in den Proben neu finden konnte. Private Gespräche sowie ein Arbeiten an der äußeren Form und der inneren Haltung (als einem Gefühl zur Rollenfigur) prägten die gemeinsamen Proben. Die äußere Form bedeutete in dieser Wiederaufnahme auch, die bereits festgelegte Choreografie in der von Borzik vorgegebenen Szenografie zu durchleben. Zu Beginn des Solos musste Marszan mit dem Gesicht zur rechten Seitenwand gerichtet in langsamen Schritten rückwärts seinen Tanzbereich betreten. Bereits beim Proben auf der Bühne sei ihm aufgefallen, dass in diesem Moment einer der Scheinwerfer direkt auf sein Gesicht gerichtet war und somit seinen Gleichgewichtssinn störte. Die Form der Choreografie erlaubte es ihm jedoch nicht, eine andere Platzierung einzunehmen. Das heiße Licht zwang ihn vielmehr dazu, die Augen zu schließen und sich zugleich mit präzisen Schritten rückwärts über die Bühne zu tasten. Dieser Gang zurück impliziert einen Gang nach vorn: Etwa wenn der Orpheus-Tänzer in einem Schritt das vordere Bein vor dem Absetzen zum folgenden Schritt zunächst gestreckt nach hinten schleift. Dieses Gehen kehrt als Modus in der gesamten Tanzoper wie ein Echo wiederholt zurück: Der Gang des Orpheus’ in die Unterwelt ist kein Gang nach vorn, sondern ein Gang zurück, der – wie Walter Benjamins »Engel der Geschichte«38 – eine Vorausnahme des Rückwegs bedeutet, indem er zugleich den Blick nach vorn zu richten versucht. Die Haltung des trauernden, mühsam sich bewegenden Orpheus weist in diesem Gehen eine Statik auf, die an den pas grave erinnert. Im Gehen nach vorn, das mit einem Gehen zurück verbunden ist, bleibt der Körper des Orpheus-Tänzers 37  D  ie hier geschilderten Erinnerungen stammen aus einem Gespräch der Autorin mit Bernd Uwe Marszan, das am 7. Juli 2014 im Besprechungsraum der Pina Bausch Foundation, Wuppertal stattgefunden hat. Aufnahmeleitung: Titus Köhler; Kamera: Sala Saddeki; Schnitt: Ismaël Dia. Die Aufzeichnung befindet sich im Archiv der Pina Bausch Foundation. 38  B  enjamin entwickelt in seinem Text Über den Begrif f der Geschichte anhand des Anblicks von Klees Bild Angelus Novus sein vielfach zitiertes Denkbild des »Engels der Geschichte«. Die Bewegungen und die Haltung des Orpheus von Bausch erinnern in Bezug auf die Blickachsen zwischen Vergangenheit und Zukunft an Benjamins Engel: »Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. […] Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst.« Benjamin, Walter: Über den Begriff der Geschichte [1977], in: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. I.2., hg.  v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991, S. 691-704. Hier: S. 697f.

4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch

auffallend gerade, als würde er eine innere Spannung auf bauen, die im Gehen ein Schweben zwischen vor und zurück ermöglicht. Dieses Schweben auf der Horizontalen unterscheidet sich in Bezug auf das Spannungsverhältnis unmerklich vom Schweben auf der Vertikalen. Bausch scheint im Modus des Gehens der Orpheus-Figur auch eine Umwertung der gravitas zu erzeugen, in der (ganz im Sinne der Physik Einsteins) das Schweben nicht nur vertikal, sondern genauso auch horizontal stattfindet. Wie ließe sich diese Spannung, die ein Schweben in der Horizontalen erzeugt, konkreter fassen? In einem Gespräch erinnerte sich der Tänzer Kortlandt39 an Bauschs Ansätze einer Atemtechnik, die ihm in Proben aufgefallen seien. Eine Anweisung lautete, die Arme und den Oberkörper nach oben zu strecken und zeitgleich auszuatmen. Dieses Ausatmen befördert – so meine Erfahrung im kinästhetischen Nachvollzug – eine Gegenspannung, in der die Luftbewegung nach unten gedrückt wird, während die Muskelbewegung und somit auch die Bewegung der Flüssigkeiten nach oben geführt werden. Kortlandt schilderte dieses Atmen als anstrengend und herausfordernd, da es den Bewegungsf luss des gesamten Körpers während der Choreografie beeinträchtigte. Richtet man nun erneut den Blick auf Orpheus’ Klagetanz, dann fällt auf, dass die Schwere der Bewegungen, die zugleich mit einer Leichtigkeit und Schnelligkeit ausgeführt werden müssen, den Eindruck einer dynamisierten Form von Trauerhaltungen erweckt, mit denen Trauernde posenhaft dargestellt werden: Bilder wie jene von Carlo Blasis, die eine geduckte Haltung, tränenerfüllte Augen und inneren Rückzug vermitteln, oder Bilder von den Attitüden der Lady Hamilton,40 in denen sie im 18. Jahrhundert ihre Nachahmung von Trauergesten aus der Antike vermittelte, scheinen in Bauschs Orpheus in Bewegung umgesetzt zu sein. Dies zeigt sich nicht nur im Fortbewegen der Trauernden, sondern im Aufgreifen dieser inneren wie äußeren Haltung der Körperschwere, die in der Choreografie die Fortbewegung begleitet. * Dramaturgisch enthält das Bild »Trauer« mit einem Auftritt der Figur des Amor einen Moment der Rückschau, der für den rein tänzerisch abstrakten Gestus der 39  D  ie hier geschilderten Erinnerungen stammen aus einem Gespräch der Autorin mit dem Tänzer Ed Kortlandt, das am 7. Juli 2014 im Besprechungsraum der Pina Bausch Foundation, Wuppertal stattgefunden hat. Aufnahmeleitung: Titus Köhler; Kamera: Sala Saddeki; Schnitt: Ismaël Dia. Die Aufzeichnung befindet sich im Archiv der Pina Bausch Foundation. 40  E mma, Lady Hamilton war eine britische Künstlerin, die im 18. Jahrhundert durch die von ihr entwickelten Attitüden antike Statuen und Gemälde als lebende Bilder darstellte. Neben zahlreichen Publikationen zu Lady Hamilton griff 2002 die amerikanische Künstlerin Lindy Annis die ›lebenden Bilder‹ der Tänzerin auf und entwickelte aus diesen eine Performance-Collage, die in ihrer Struktur an Aby Warburgs Mnemosyne Bilderatlas erinnert.

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Choreografie ungewöhnlich ist. Amor, in der hier besprochenen Wiederaufnahme aus dem Jahr 1993 mit der Tänzerin Barbara Kaufmann (ehem. Hampel) besetzt, trägt als Bote der Hoffnung ein weißes Kleid in f ließendem Stoff. Kaufmanns Bewegungen sind von leichten Sprüngen und geschwungenen Armbewegungen gekennzeichnet. Auch diese Figur ist in der Inszenierung mit einer Sopranistin (Robin Fischer) verdoppelt. Der Auftritt der Amor-Tänzerin fällt insofern aus dem Rahmen der bisherigen Choreografie, als dass er eine Gestensprache enthält, die in dieser Weise an keiner anderen Stelle der Tanzoper stattfindet: Die Amor-Tänzerin zeichnet dem Orpheus-Tänzer mit einem Kreidestück auf dem Bühnenboden den Weg in den Hades und zeigt ihm mittels lautmalerischer Gesten das Gebot der Götter, die nicht gestattete Wendung. Orpheus geht gemeinsam mit Amor diesen als Miniatur vorgezeichneten Weg der Rückholung gleichsam einer ›Probe‹ der bevorstehenden Aufgabe ab. Amor übernimmt in dieser ›Probe‹ die Rolle der Eurydike, folgt Orpheus und hält ihm die Augen zu. Die Wendung tritt nach wenigen Momenten ein, indem Orpheus sich zu Amor umdreht. In diesem Augenblick sinkt die Amor-Tänzerin – entgegen ihrer zuvor auffallend leichten Sprungbewegungen – in den Armen des Orpheus-Tänzers langsam und schwer zu Boden. Bauschs Choreografie entzieht in diesem gestenreichen Pas de Deux der Botschaft das Element des Hoffnungsvollen, indem sie das Ende der mythischen Geschichte tänzerisch vorwegnimmt; sie implementiert das Zukünftige. Orpheus wird sich wenden und Eurydike ein zweites Mal verlieren. Damit macht bereits das erste Bild »Trauer« deutlich, dass es in den nun folgenden Akten nicht mehr um die Möglichkeit der Rückholung geht, sondern um die Gestaltung der Wege bis zur Wendung. Das Bild »Trauer« endet mit dem langsamen Rückzug der Trauernden, indem die geschlossene Gruppe hinter den Ästen der liegenden Hainbuche in dem hintersten Kulissenspalt verschwindet. Orpheus und seine Stimme folgen ihnen wenig später und der Gang in den Hades beginnt.

»Gewalt« Für das folgende Bild entwickelte Borzik ein Szenarium, in dem der »Blick auf die Intensität der Aktionen«41 im Besonderen durch die »Verknappung der Mittel, die nur zulässt, was wirklich gebraucht wird«42, gelenkt ist. Der Bühnenprospekt sowie die linke Seitenwand sind mit weißen Tuchbahnen bespannt, deren Höhe in etwa zweieinhalb Metern entsprechen.43 Sie ref lektieren jegliches Bühnenlicht 41  B  orzik, Rolf: www.pina-bausch.de.k1755.ims-firmen.de/tanztheater/kostueme/borzik.php?text =lang. Letzter Zugriff: 10.10.2017. 42  Ebd. 43  Mit der Raumrichtung ›links‹ gehe ich von der Publikumsperspektive aus.

4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch

und lassen den schwarzen Bühnenboden wie auch die finsteren Bereiche über der Tuchgrenze als Raum verschwinden. Der schwarze Deckenraum drückt optisch auf die weiße Stoffgrenze und erzeugt einen Unterraum. Durch eine waagerecht gespannte Tuchbahn ist die Bühnentiefe zusätzlich gestaucht. Der Raum ist somit geometrisch in Form eines horizontal liegenden Rechtecks angelegt und wird zu einem euklidische Grenzen überschreitenden Ort der Imagination. Diese szenografische Gestaltung des Höllenvorhofes lässt den Ort einer Passage ähneln. Als Pendant zur weißen Tuchwand auf der linken Bühnenseite befinden sich zur rechten Seite dicht hintereinander aufgebaute Reihen von Hochstühlen. Einzeln gleichen sie jenem Hochsitz, auf dem die verstorbene Eurydike im ersten Bild »Trauer« saß. Ihr Stuhl (oder Thron) liegt nun gestürzt auf dem Bühnenboden und verbindet szenografisch das Erste Bild mit dem Zweiten. Die hoch emporragenden nackten Holzbeine der Stuhlgruppe reichen bis zur oberen Bühnentuchgrenze. Damit bilden die Stühle eine Wand, die den ohnehin gestauchten Bühnenraum noch einmal zusätzlich verkürzt und einen nicht sichtbaren Bereich auf der anderen Seite vermuten lässt. Von diesem anderen Ort f lutet Scheinwerferlicht horizontal über die Bühne. Durch das Holz der Stühle wird das Licht gestreut und stößt im Halbdunkel auf die weiße, gegenüberliegende Stoffwand. Die so projizierten Schatten der Hochstühle verleihen dem weißen Tuch Struktur. Die Stuhlreihe bietet während der gesamten Szene keine signifikanten Auf- oder Abgangsmöglichkeiten. Ob sie dramaturgisch als der irdischen Welt entgegengesetzte Unterwelt bezeichnet werden kann, bleibt offen. Inmitten des dunklen Bühnenraums schwebt ein kleiner roter Apfel, der symbolisch für den Granatapfel stehen könnte. Dieser ist einerseits in der griechischen Mythologie im Kult um die Göttin Hera eine Mitgift der Bräute, aber andererseits auch jene Frucht, deren Kerne Persephone (Tochter der Demeter) in der Unterwelt aß und damit ihr Schicksal der ewigen Verdammung im Hades besiegelte.44 In diesem durch Tücher, Stühle, Schatten und einen Apfel gefassten Rahmen finden die choreografischen Bühnenabläufe von Eurydike, den Furien und Orpheus statt. Nicht nur die Bewegungen (wie später genauer analysiert werden wird), sondern auch die Kostüme kennzeichnen die Eigenschaften der jeweiligen Figuren und lassen zugleich einen Interpretationsspielraum bereit: Drei Tänzer sind an Rumpf und Lenden in dunkelbraunen, mit Nieten und Schnallen verzierten Schürzen aus Leder gekleidet. Schnitt und Material der Schürzen erinnern an Arbeitsschutzkleidung für ein schweres Handwerk. Im Gegensatz zu Orpheus, Eurydike, Amor, den Trauernden und Furien sind die drei deutlich männlichen Figuren weder in Programmheften noch in Besetzungsangaben als eigenständige Figuren bezeichnet. Mit einer (mir zugänglichen) Skizze aus dem Regiebuch einer Wiederaufnahme der Tanzoper lässt sich nachvollziehen, dass Bausch die drei 44  Vgl. Abenstein, Reiner: Griechische Mythologie, Paderborn: Ferdinand Schöningh UTB 2016, S. 37ff.

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Tänzer lediglich als »Ledermänner« bezeichnete.45 Die Männer lassen sich vor allem durch die grobe Erscheinung und die tosenden Bewegungen als Figuren des Zerberos, des dreiköpfigen Höllenhund lesen. Die Bezeichnung Zerberos taucht zwar im Gesang der Furien in Komposition und Libretto auf, wird von Bausch im Programm aber an keiner Stelle verwendet. Choreografisch und optisch dominieren sie jedoch die Szene. Inwieweit die Zuschreibung als Zerberos nur bedingt greift, und warum ein Verzicht auf eine mythische Bezeichnung nachvollziehbar ist, wird im Verlauf der Analyse das letzte Bild »Sterben« zeigen. Aus diesem Grund ziehe ich im Folgenden statt der mythischen Bezeichnung Zerberos Bauschs weltliche Beschreibung Ledermänner vor. Im größtmöglichen Kontrast zu den Ledermännern stehen die zart gekleideten Furien. Sie tragen als Frauen leichtfallende, den gesamten Körper (die Gliedmaßen sowie den Rumpf bis zu den Gelenken) umhüllende weiße Gewänder. Aus der Ferne zeigen nähere Kameraeinstellungen (wie auch das Fotomaterial der Programmhefte), die uniform wirken, dass jedes der Gewänder mit unterschiedlichen Stoffen und Schnitten, mit Variationen aus verzierender Spitze, Leinen und dünnem Chiffon individuell gestaltet ist. Ihr Erscheinungsbild gleicht dabei nicht dem eines einheitlichen Heeres, eines Corps, wie es aus den weißen Akten der Romantischen Handlungsballette oder (viel später) den tableaux vivants aus Appias und Jaques-Dalcrozes’ Orpheus (1912) bekannt ist. Bauschs Furien stellen einzelne Figuren dar, denen ein individuelles, persönliches Schicksal zugedacht werden kann. Unter den vielen weiblichen Furien befinden sich auch wenige männliche. Sie sind weder Wesen, die unmittelbar zu den Ledermännern zählen, noch gehören sie in die Welt der Lebenden. In schwarzen, locker fallenden Sakkos und Stoff hosen taumeln und stolpern die Tänzer ebenfalls durch den Zwischen-Raum. Eine genaue Analyse ihrer Bewegungen ist problematisch. Durch ihre schwarze Kleidung sind sie im Dunkel der Bühne kaum sichtbar. Ihre Bewegungen ähneln denen der Furien. Aufgrund der Kostümierung wirken die Körper der männlichen Furien-Tänzer wie Schatten der weiblichen Furien-Tänzerinnen. In einigen Bewegungsfolgen unterstützen sie die Tänzerinnen, etwa im Rennen, und verstärken damit den Eindruck der Hast und Rastlosigkeit in diesem Bild.

45  F ür die Studie lag zwar nicht das gesamte Regiebuch der Tanzoper vor, zumindest aber die Möglichkeit der Ansicht weniger Seiten. Diese enthalten Raum-Skizzen, die die Platzierung der einzelnen Tanzenden und Singenden zeigen. Angefertigt wurden die Skizzen des Regiebuchs laut Barbara Kaufmann vermutlich von der Tänzerin Bénédicte Billiet anlässlich der Arbeiten für eine der Wiederaufnahmen der Tanzoper in Wuppertal.

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Eurydikes Schweben Das zweite Bild der Tanzoper hebt sich szenografisch zwar von dem ersten Bild »Trauer« ab, die Choreografie der Gänge setzt sich jedoch wie ein unsichtbares Band fort. Saß Eurydike zuvor regungslos auf dem Hochsitz, nimmt sie im zweiten Bild durch die Dynamik ihrer Gehbewegungen eine markante Rolle ein. Auch in diesem Bild ist der Stimmkörper der Eurydike nicht präsent. Stattdessen fällt auf, dass die Tänzerin während ihrer gesamten Erscheinung im zweiten Bild kaum Bewegungen aus eigenem Antrieb ausführt, sondern stets gestützt, geführt und gehalten wird: Im hinteren, linken Teil der Bühne schiebt einer der Ledermänner die Eurydike-Tänzerin (Endicott/1975) in die Bühnenmitte. Wiederholt hebt er Eurydike waagerecht über die Bühne, setzt ihren Körper mit ihren Fußspitzen nach unten zeigend ab und zieht sie sanft über den Bühnenboden. Die Haltung Eurydikes wirkt passiv und spannungslos, da ihr Kopf und ihr Rumpf mit jeder Richtungsänderung der Schwerkraft nachgeben und somit schwer wirken. Musikalisch von sanften Harfenklängen begleitet, wird die (im Narrativ) Verstorbene diagonal von rechts oben nach links unten auf einem auf dem Boden liegenden Laken geführt. In diesem Führen sind Rumpf, Nacken und Kopf der Tänzerin aufgerichtet. Eurydike trippelt, von einem der Ledermänner-Tänzer an Rücken und Armen gestützt, in kleinen Schritten über das Laken von der Bühne – und tritt ab.46 Vergegenwärtigt man an dieser Stelle die innere Körperspannung, mit der die Choreografie im ersten Bild »Trauer« die Hebungen sowie den Stillstand der Eurydike-Tänzerin erzeugte, scheint die Spannung der Gliedmaßen im zweiten Bild der Tanzoper als Grundhaltung der Eurydike fortgesetzt zu sein. Ihre Beine sind von einem der weißen Tücher derart eng umschlungen und gebunden, dass sie nur eingeschränkt über den Boden trippeln kann. Ihre Schritte erzeugen in den kleinen Intervallen des Gehens den Eindruck eines Schwebens, wie es im Klassischen Akademischen Tanz in den bourrées ausgeführt wird. Eurydikes Körper ist während dieser Fortbewegung aufrecht und entspricht allen Kriterien des Equilibriums: Gleichsam einer Verkörperung der Lotgeraden verlaufen Wirbelsäule und Glieder entsprechend der Perpendikularlinie in einer absoluten Vertikalen. Dennoch wirkt diese Haltung der Eurydike in der Stützung des Tänzers passiv. 46  D  as Tuch ließe sich als Symbol für den Styx interpretieren, den Fluss, der in der griechischen Mythologie von der Welt der Lebenden in die Welt der Toten führt. Ähnliche Symbole setzte Reinhild Hoffmann in ihrer Arbeit Callas (1983) ein. In der sechsten Szene »Tisch« ließ Hoffmann das Lamento des Orpheus’ (»Ach, ich habe sie verloren«) aus Glucks Orphée erklingen. Während eine Tänzerin (in Kostüm und Frisur Maria Callas nachempfunden) über ein Tischtuch steigt, überquere sie, so Hoffmann in einer Erklärung, symbolisch den mythischen Fluss Styx und begebe sich auf den Weg in die Unterwelt, in das Reich der Schatten. Siehe hierzu das Kapitel »Tanztheater von 1984 bis 1987 – NYC, BRD und DDR« (1).

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Mit Rückgriff auf Paul Klees Bewegungsdenken47 ließe sich in dieser Dialektik aus aktivem Trippeln und passivem Gehalten-Werden von einer Bewegungsdynamik ausgehen, die dem Begriff des ›medialen Aktivs‹48 entspricht: Das mediale Aktiv greift, wenn ein Gegenstand nach einer passiven Bewegung aktiv wird. Klees Denkbild des gefällten Baumes (passiv), der stürzt (aktiv), ließe sich sowohl auf das Narrativ als auch auf die Bewegungen der Eurydike übertragen: Eurydike ist in den Hades gefallen und als Verstorbene passiv. Diese Passivität wird im Halten, Tragen und Führen ihres Körpers durch einen sie bewegenden Ledermänner-Tänzer verdeutlicht. Das schwere Zusammensinken ihres Körpers ist jedoch ebenso aktiv wie das Trippeln über das Tuch. Da mit dieser Bewegung nicht ausschließlich von einer Aktivität oder einer Passivität gesprochen werden kann, bietet sich Klees Begriff der medialen Aktivität an. In diesem dynamischen Spannungsgefüge nimmt die Schwerkraft eine zentrale Funktion ein. Sie sorgt durch die Schwere, das Eigengewicht des Körpers der Tänzerin, für eine Aktivität innerhalb der Passivität. Bausch choreografiert mit dieser Dialektik aus Passivität und Aktivität der Antriebskräfte eine Qualität von Bewegungen, die von einem Loslassen, einem hängen Lassen ohne Fallen bestimmt ist. Dieser Dialektik zwischen ›aktiv und passiv‹ und die damit eingeschlossene Balance zwischen ›Schwere und Leichtigkeit‹ entspricht der Begriff lichkeit des Schweren Schwebens. Eurydike schwebt über dem Boden mit einer Schwere, die ihr Eigengewicht im Schweben für Betrachtende sichtbar und auch kinästhetisch nachvollziehbar werden lässt. * Choreografisch ist die Bewegungssequenz der Eurydike-Tänzerin in ein Ritual gebettet: Mit Heben des Vorhangs zu Beginn des zweiten Bildes »Gewalt« befindet sich eine andere Furien-Tänzerin auf der vorderen, rechten Bühnenseite und beugt sich über eine mit weißem Laken bedeckte, vor ihr kniende Furien-Tänzerin. Im aufrechten Stand, mit Kopf, Torso und Hüfte zum Publikum gerichtet, neigt die Stehende sich mit weit ausgebreiteten Armen, Rumpf und gesenktem Kopf vor. Engelsf lügeln gleich gleiten die Arme hieraus seitlich über den Schopf der vor ihr Knienden – bis die Arme der Stehenden schließlich beide Häupter, das der Stehenden und das der Knienden, umrahmen. Die Stirn zur Brust gesenkt öffnet die stehende Furien-Tänzerin aus dieser Rahmung ihren Armkreis, führt die langen Armglieder einer Schwimmbewegung ähnlich gestreckt nach vorn und ›taucht‹ ihre Hände zur Körpermitte. Nachdem Rumpf, Kopf, Knie und Arme in einer zusammengesunkenen Rundung angekommen sind, legt die Tänzerin die Ellenbogen spitz und scheitelrecht neben ihren Ohren an. Aus dieser den Körper 47  Vgl. das Kapitel »Schatten & Formen als Denkfiguren bei Paul Klee und Rudolf von Laban« (3). 48  Klee, Das bildnerische Denken, S. 461; sowie: Ders., Pädagogisches Skizzenbuch, S. 11.

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in eine Vorspannung versetzenden Haltung strecken sich Arme und Hände steil nach oben. Im höchsten Punkt dieser Streckung führen die überspannten Hände eine weite Bogenbewegung über ihrem Kopf aus, in der die Handgelenke stark gef lext (angewinkelt)49 sind und den ungeschützten, verletzlichen Pulsbereich am Handballen freilegen. Wie von einem starken Erdsog gezogen reichen die Fingerspitzen (die ihre Arme verlängern) zum Boden, und der Kopf der Tänzerin richtet sich auf. Rumpf und Beine folgen den nach unten weisenden Armen und beugen sich. Dennoch trotzen sie diesem Sog: Über das Runden und Zurückziehen des gekrümmten Oberkörpers gelangt die Furien-Tänzerin zurück in ihren aufrechten Stand und schließt die Bewegungssequenz mit dem Platzieren ihrer inzwischen angewinkelten Arme vor dem Körper: Ihre Ellenbogen sind dabei zum Boden gerichtet, die Unterarme wie ein Schutzschild vor dem Brustkorb. In dieser Haltung legt die Tänzerin ihre linke Hand senkrecht vor ihre linke Gesichtshälfte und nimmt sich selbst die Sicht. Diese Bewegungsführung führt die Tänzerin mehrere Male hintereinander aus. Zeitgleich finden das Gegangen-Werden (passiv) und Trippeln (aktiv), also die medial-aktiven Bewegungen der Eurydike-Tänzerin statt. In der Gleichzeitigkeit dieser beiden Aktionen überlagern sich dynamische Spannungen: Der Rhythmus der Furien-Tänzerin verhält sich konträr zu dem Rhythmus der Gehbewegungen der Eurydike-Tänzerin. Die gedehnten, von kontinuierlicher Spannung durchzogenen Bewegungsführungen der Furien-Tänzerin vermitteln eine Zeitlichkeit, die jener des Hades entsprechen könnte. Das Dehnen und Wiederholen verweist auf eine Ewigkeit; ein Zustand, der nicht messbar ist. Die Bewegungen der Eurydike-Tänzerin sind von einem Zusammensinken, einem der Schwerkraft-Nachgeben und von kleinen Intervallen bestimmt, und vermitteln das Vergehen von Zeit. In dieser Kontrastdramaturgie der Körperhaltungen und Bewegungsrhythmen visualsiert die Choreografie zwei Zustände, die das Paradox der mythischen Erzählung (Leben im Reich des Todes) bestimmen: Eurydike befindet sich als Verstorbene im Hades. Im Gegensatz zu anderen bereits Verstorbenen (Furien) ist es ihr der mythischen Erzählung zufolge möglich, ins Leben zurückzukehren. Dargestellt wird dieses Potential des ›Lebendigen in der Sterblichkeit‹ durch die Gegenüberstellung der konträren dynamischen Kräfteverhältnisse in Bauschs Choreografie. Definiert man im tanzwissenschaftlichen Kontext das Schweben von Tanzenden mit einer spezifischen Form, den Kontakt zum Boden zu thematisieren, dann ließen sich die Bewegungen der Eurydike-Tänzerin mit einem Schweren Schweben bestimmen, das gerade dann schwebend wirkt, wenn sie sich fortbewegt. Im Gegenzug scheint die stehende Furien-Tänzerin trotz leichter, zart 49  M  it flex wird in modernen wie klassischen Tanztechniken das starke Anwinkeln der Hände oder Füße in Richtung Körper verstanden. Flex gilt als Pendant zur vom Körper weg gestreckten Fußstellung, die als pointe bezeichnet wird.

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geführter Armhaltungen nicht zu schweben. Ihr Körper wirkt derart schwer mit dem Boden verbunden, dass ein Fortbewegen im Raum (also ein Fortkommen aus dem Hades) nicht möglich ist.

Orpheus’ Taumeln Im Moment von Eurydikes Abgehen durch Trippelschritte betritt der Orpheus-Tänzer den Schreckensort, der Chor der Furien setzt stimmlich ein: »Wer ist der Sterbliche, der dieser Finsternis zu nahen sich erkühnt, der diesem Schreckensort so frevelnd trotzt? Tödlicher Schrecken und Grauen ergreife ihn, wenn ihm mit schrecklichem Drohen den Eingang der Zerberus wehrt.«50 Die Gleichzeitigkeit des Abgehens und Eintretens in die Szenografie verweist erneut auf die Verknüpfung der beiden Bilder »Trauer« und »Gewalt«. Die Figuren Eurydike und Orpheus blicken einander nicht an. Ihr gemeinsames, voneinander isoliertes Erscheinen verhindert auch in diesem zweiten Bild der Tanzoper ein klares motus corporis. Zwar tritt Orpheus auf, sein Erscheinen wird durch die Gehbewegungen im ersten Bild »Trauer« und den Abtritt der Eurydike im zweiten Bild »Gewalt« jedoch relativiert. Grundsätzlich ließe sich an dieser Stelle fragen, inwiefern eine Figur überhaupt alleine auftreten kann, wenn zeitgleich bereits andere Figuren aufgetreten sind. Bis zu diesem Moment lassen sich keine gewaltsamen Körperaktionen erkennen, die dem zweiten Bild (über die musikalische Vorlage hinaus) den Titel verleihen würden. Dieser Eindruck entsteht erst mit dem musikalischen Einsetzen des Furientanzes, den Gluck aus seiner Oper Don Juan (1761) in die Oper Orpheé et Eurydice (1774) übertrug. Bauschs Kontrastdramaturgie der Spannungen zwischen aktiv und passiv nimmt in diesem Teil der Choreografie eine seltsame Stellung ein: Der musikalischen Vorlage entsprechend findet auf narrativer Ebene ein rasender Tanz statt, in dem die Furien Orpheus’ Eintritt in die Unterwelt zu Eurydike durch Schreie und Aggressivität zu verhindern versuchen. Der Aspekt der Gewalt scheint in Bauschs Tanzoper jedoch umgewertet. Statt der tobenden Furien sind es die drei als Ledermänner gekleideten Tänzer, die die Gruppe der Furien-Tänzerinnen durch den Bühnenraum jagen. Diese Rastlosigkeit ist in zwei Phasen geteilt. Die ersten Bewegungen der Gruppe setzen kurz nach Orpheus’ Eintreten in den Bühnenraum ein. Orpheus taumelt durch die Furien und f leht so lange um die Rückholung der Eurydike, bis er die Hüterinnen besänftigt und den Hades verlässt. Sodann setzt eine Raserei ein, die in Tempo und Kraftaufwand gegenüber der ersten musikalischen Phase des Furientanzes um ein Vielfaches gesteigert ist und das decrescendo der Komposition lautmalerisch aufgreift. 50  E insatz des Chores der Furien im zweiten Bilder der Oper. Vgl. Calzabigi/Moline, Orphée et Eurydice, S. 41.

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Die Dynamik dieser Gewalt im Hades lässt sich wie folgt skizzieren: Zunächst taumeln und stolpern die Tänzerinnen und Tänzer in Sprüngen, Drehungen und in stoischem Gehen zwischen der linken Tuchwand und der rechten Stuhlreihe. Mit an den Handgelenken befestigtem Zwirn spinnen sie in der Horizontalen eine Passage aus weißen fast unsichtbaren Barrieren. Dem Orpheus-Tänzer und der Orpheus-Sopranistin versperrt das Garn den Weg. Den Furien scheint es Halt und Orientierung zu bieten, den Gang zwischen den Bühnenseiten mit verschlossenen Augen ohne Niederfallen zu durchqueren. Immer wieder greifen und taumeln die Tänzerinnen entlang der Fäden. Immer wieder stolpern ihre Füße, schleppen sich ihre scheinbar kraftlosen Körper zur Tuch- oder Holzwand, bis sie erschöpft zusammensinken. In dieser Raserei sind die Rücken mancher Furien leicht gekrümmt, ihre Köpfe zum Boden geneigt, zwischen hochgezogenen Schultern versteckt oder weit nach vorn geschoben. Nur mit Mühe halten sich die Tänzerinnen und Tänzer auf den Beinen, setzen unkontrolliert die Füße voreinander ab, heben ihre Fersen, fallen in den nächsten Schritt oder schweben zwischen Fall und Stand. Einige von ihnen tragen tatsächliche Lasten. Sie schleppen große, runde und sperrige Brotlaibe und hüten somit einen Ballast, der – für niemanden bestimmt, von niemandem entgegengenommen – ein Halten des Gleichgewichts erschwert, der sie immer wieder beinahe fallen lässt. Die passive Antriebskraft der (chorisch schreienden) Furien ließe sich in Anlehnung an Benjamins Begriff einer unmittelbaren »reinen«, »göttlichen Gewalt«51 als ›passive Gewalt‹ bezeichnen. Eine solche passive Antriebskraft hebt sich von einer mythischen Gewalt (aktiv), die als Mittel und Zweck für Veränderungen gegebener Strukturen eingesetzt wird, ab.52 Das Taumeln des Orpheus-Tänzers ist mit dem Taumeln der Furien-Tänzerinnen nicht nur verwoben, sondern wird durch dieses verstärkt. Damit verleiht die Choreografie dem szenischen Raum »Gewalt« eine Atmosphäre der Orientierungslosigkeit und Benjamin’scher Gewaltlosigkeit zugleich.53 Bühnenelemente wie die Fäden aus Garn erzeugen im Verheddern der Körperglieder der Taumelnden einen Raum der Instabilität – einen Raum des déséquilibre.54

51  B  enjamin, Walter: Zur Kritik der Gewalt [1977], in: Gesammelte Schriften, Bd. II/1, hg. v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991, S. 179-204. Hier: S. 199. 52  » Ist die mythische Gewalt rechtsetzend, so die göttliche rechtsvernichtend, setzt jene Grenzen, so vernichtet diese grenzenlos, ist die mythische verschuldend und sühnend zugleich, so die göttliche entsühnend, ist jene drohend, so diese schlagend, jene blutig, so diese auf unblutige Weise letal.« Ebd. 53  V  gl. hierzu: Figal, Günter/Folkers, Horst: Zur Theorie der Gewalt und Gewaltlosigkeit bei Walter Benjamin, Heidelberg: Esprint 1979. 54  Siehe das Kapitel »Ciné-Ballet. Schweben im Medienwechsel von Tanz & Film« (3).

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»Frieden« Das dritte Bild »Frieden« ließe sich als Ballett-Akt der Tanzoper beschreiben. Zu den musikalisch sehr harmonischen Passagen des »Reigen seliger Geister« der Gluck’schen Komposition bildet die Szenografie von Borzik mit den »Gärten der seligen Gefilde«55 ein Pendant: Der Bühnenraum ist bis auf wenige Lichtspots komplett schwarz gehalten. Graue Steinobjekte bilden in Form von Sofas oder ähnlichen Sitzgelegenheiten neben klarsichtigen Glaswänden und Bänken mit Rosenbeeten den Rahmen für dieses »Reich beglückter Schatten«56. Die Choreografie gestaltet sich wie folgt: Mit fließenden Bewegungen erscheinen Tänzerinnen in leichtfallenden Kleidern und gehen ohne Unterbrechungen durch den Bühnenraum. Begleitet werden sie von Tänzern, die in diesem Bild die gleiche Kleidung tragen wie Orpheus: dem Hautton ihrer Körper entsprechende kurze Hosen, die sich aus der Ferne (und in der Unschärfe der Aufzeichnungen) nicht von der nackten Haut unterscheiden. In den schwarz-weiß Aufzeichnungen der Aufführungen aus den 1970er Jahren verschwimmen die Kontraste zwischen den Körpern und den im Filmbild nachgezogenen Bewegungsschleiern, so dass dieser Raum an die Mondscheinlichtungen aus den ballets blancs des 19. Jahrhunderts erinnert. Die geringe Kontrastierung der frühen Aufzeichnungen scheint aufgrund der bis dato nicht vorhandenen Zugänglichkeit zum Videomaterial vermutlich weniger zum Attribut des Ballettartigen dieses Aktes beigetragen zu haben. Im Bild »Frieden« stechen Armhaltungen hervor, die Elementen des Akademischen entsprechen, etwa der Couronne, der Rundung der Arme über dem Kopf, wie sie später in Bauschs Tanztheaterstück Nelken gezeigt und von dem Fotografen Wilfried Krüger in einer Probe festgehalten wurde.57 Für eine Auseinandersetzung mit Bauschs und Borziks Darstellung des unbekannten Reichs der Schatten als Ort, und den Seligen, die sich dort aufhalten, sei das Augenmerk nun auf die Momente des Sichtbar-Werdens der Figuren in der Tanzoper gerichtet. Orpheus (Kortlandt, 1975) und Eurydike (Endicott, 1975) befinden sich (nicht zeitgleich) ebenfalls in diesem Raum. In ihrer Kleidung gleichen sie der Gruppe der Tanzenden. In welcher Weise treten beide in diesen Raum und wie lässt sich ihre Relation zu den sie umgebenden, gleich gekleideten Figuren der Seligen bestimmen?

55  A  ls »Gärten der seligen Gefilde« wird sowohl der zweite Teil im zweiten Akt der Oper bezeichnet als auch das dritte Bild »Frieden« der Tanzoper in der Kurzbeschreibung der einzelnen Akte im zweiseitigen Premierenbeiblatt. Siehe: Orpheus und Eurydike, Programmzettel zur Uraufführung, 23. Mai 1975, hg. v. Wuppertaler Bühnen, Spielzeit 1975/76, Wuppertal 1975, S. 1. 56  Drittes Bild »Frieden«, Szene 4, Text des Chors, in: Calzabigi/Moline, Orphée et Eurydice, S. 43. 57  S iehe hierzu das Kapitel »Pina Bauschs aplomb. Ballett im Tanztheater« (1) und die darin enthaltene Beschreibung der couronne.

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Eurydikes Schatten Inmitten einer Bewegungssequenz der Gruppe der Tänzerinnen beginnt Eurydike aus der Gruppe hervorzutreten und ein Solo zu tanzen, das choreografisch an die Bewegungen des Orpheus im ersten Bild »Trauer« erinnert. Ihre Bewegungen sind sehr viel weicher, fließender und entsprechen, trotz hervorgehobener Posen wie der Arabeske oder der Attitude, dem Duktus der Gruppenchoreografie. Indem sie aus der Menge der Gruppe hervortritt, gewinnt sie über die Bewegungen temporär an Gestalt. In derselben Weise verschwindet die Eurydike-Tänzerin und verliert damit ihre Identität als Sterbliche. Mit der unsichtbaren Anwesenheit vermittelt die Choreografie im dunklen Setting der Szenografie den Eindruck eines Reiches der Schatten, in welchem der Schatten der Eurydike dadurch sichtbar wird, dass er von den Bewegungen der anderen Schatten choreografisch abgesetzt ist. Ohne sichtbaren Impuls verlässt die Eurydike-Tänzerin den Bühnenraum. Auch Eurydikes Auftritt als Schatten, als Symbol für das Abwesende (Leben), ist in diesem Sinne kein motus corporis, sondern ein Er-Scheinen im Modus des Schon-Da-Gewesen-Seins. Eurydike ist als Körper bereits ›da‹, wird aber erst durch ein choreografisches Abgrenzen aus der Menge der Anderen sichtbar. Wenn auch die ästhetischen Parameter und Vorzeichen bei Bausch gänzlich andere sind, ließe sich an dieser Stelle an das Wesen des Monströsen anknüpfen, das Denis Diderot in seinem Brief über die Blinden58 als Gestalt anführt. Das Monströse stehe bei Diderot, wie Gerald Siegmund interpretiert, als »Vertreter einer zweiten Ordnung außerhalb der Zuständigkeit Gottes«59 für die Welt des Unbekannten. Diese Welt zeige sich, so Diderot, in einer »Aufeinanderfolge von Wesen, die einander ablösen, sich verdrängen und verschwinden; eine vergängliche Symmetrie; eine vorübergehende.«60 Siegmund führt das ›gottlose Monströse‹, mit der Faszination für das Geisterhafte, Gespenstische des 18. Jahrhunderts zusammen. Indem er den »materialistischen Kontext«61 des Briefes untersucht, gelangt er zur Auffassung, dass das »Zusammengesetzte, Vermischte, Unreine und das Zufällige […] hier zum Prinzip der organischen und der anorganischen Natur selbst erhoben«62 sind. Im Kontext der szenischen und choreografischen Gestaltung der Tanzoper sind das Geisterhafte und Unsichtbare direkt in der Choreografie der Gruppe zu verorten. Das Schattenhafte der Seligen, die durch die Tänzerinnen und 58  D  iderot, Denis: Brief über die Blinden zum Gebrauche der Sehenden [1749], in: Ders.: Philosophische Schriften I, hg. v. Theodor Lücke, Berlin: Aufbau-Verlag 1961, S. 51-110. 59  S iegmund, Gerald: »Verschwindende Vermittler: Diderots Monster«, in: Huschka, Sabine (Hg.): Wissenskultur Tanz. Historische und zeitgenössische Vermittlungsakte zwischen Praktiken und Diskursen, Bielefeld: transcript 2009, S. 209-224. Hier: S. 211. 60  Diderot, Brief über die Blinden, S. 81. Zitiert in: Siegmund, »Verschwindende Vermittler«, S. 212. 61  Siegmund, »Verschwindende Vermittler«, S. 211. 62  Ebd., S. 212.

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Tänzer verkörpert werden, tritt erst durch das Markieren der Relation des organisch agierenden Gruppenkörpers – in einer »vergänglichen Symmetrie«63 – zu einem einzelnen Körper in Erscheinung. Eurydike tritt als Schattenfrau aus der Menge heraus und markiert damit ihre Eigenschaft als Unsichtbare. Die optische Ähnlichkeit zwischen ihr und den Tänzerinnen der Gruppe ermöglicht sodann auch ihr subtiles Verschwinden.

Orpheus’ Suchen Im Moment des Abtritts der Eurydike-Tänzerin tritt der Orpheus-Tänzer auf. Seine Bewegungen zeichnen sich durch ein sehr langsames Gehen und in die Knie Sinken aus. Auffällig ist auch hier eine Rückwärtsbewegung, die in das Gehen der Choreografie integriert ist. Der Tänzer bewegt im Gehen ein Bein nach vorne. Bevor er sein Gewicht in einen Schritt nach vorn verlagert, zieht er dasselbe Bein über eine die Schrittrichtung rückwärts faltende Bewegung, die in der Tanzgrammatik envelope genannt wird, hinter seinen Körper zurück. Es entsteht ein Moment des Haltens. Dieser Stopp während der Rückbewegung erinnert an den pas grave und die geforderte Anspannung des gesamten Körpers vor dem nächsten Schritt: Der Orpheus-Tänzer hält im Moment des Rückziehens das Gleichgewicht und balanciert zwischen den Richtungen ›vor‹ und ›zurück‹. Die Wiederholungen dieser Rückgänge im Fortschreiten erzeugen ein Dehnen der choreografischen Zeit. In diesen Momenten bewegt sich Orpheus auf narrativer Ebene im Gang in die Unterwelt zwar nach vorn, in der Choreografie seines Gehens scheint er sich jedoch dramaturgisch in einer Art Traumraum zu befinden, in dem die Zeit angehalten ist. Dieser Stillstand des Zeitlichen über die Körperbewegung ist ein bedeutendes Merkmal der übersinnlichen Akte des Romantischen Balletts. In den ›weißen‹ Räumen der ballets blancs des 19. Jahrhunderts findet kein Voranschreiten der Handlung statt, sondern die Darstellung eines Zustands. Den Eindruck dieses Traumraumes verstärken in Bauschs Tanzoper die Tänzerinnen und Tänzer. Wie im corps de ballet des Balletts gleichen sie einander in ihrer Erscheinung als Schatten im Reich der Seligen sowie in der Kostümierung von Orpheus und Eurydike. In Paaren tanzen sie als Schattenwesen entlang geometrisch geordneter Diagonalen durch den Raum. In dieser Anordnung lassen sie sich als Stellvertreterinnen und Stellvertreter des Liebespaares deuten, die für einen Sehnsuchtsmoment stehen. Als doubles ist den Liebespaaren mittels der Choreografie jene Interaktion möglich, die Eurydike und Orpheus verwehrt bleibt: Sie können einander anblicken und sich berühren. * 63  Ebd.

4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch

Das choreografische Spiel mit der Dopplung ist auch im Bühnenbild von Borzik aufgegriffen. In der Platzierung der Glaswände entstehen aufgrund der Lichtverhältnisse leichte Spiegelungen, die zum Beispiel den Körper des Orpheus-Tänzers oder den der Eurydike-Tänzerin verdoppeln, sobald sie sich den Glasscheiben nähern. Elemente wie die fast unsichtbaren Scheiben werden in der Choreografie über die Spiegelung nur subtil aufgegriffen. Abhängig von den Sichtverhältnissen (Sitzplatz, Kameraführung) bei Zuschauen, sind diese Spiegelungen mitunter gar nicht erkennbar. Dennoch hinterlassen sie – wenn wahrgenommen – im Erinnern an eine Aufführung oder im mehrmaligen Sichten der Aufzeichnungen Spuren, die zum Nachhaken anregen: Wie genau Bausch und Borzik mit Vorlagen der Orpheus-Interpretationen gearbeitet haben, ist unklar. Dennoch: mit dem Spiegelmotiv rückt einerseits Ovids Narziss-Erzählung aus den Metamorphosen ins Bild. Andererseits kann auch Jean Cocteaus filmische Interpretation Orphée (1949/50) in die Betrachtung einbezogen werden.64 Cocteau bringt die Narziss-Figur und die Orpheus-Figur aus Ovids Dichtung unmittelbar zusammen, indem er seine Orphée-Figur immer wieder zwischen Spiegel und Schatten wandern lässt. Ein Filmstill zeigt, wie sich Orphée horchend an sein Spiegelbild wendet, als würde er sich an seinen Zwilling anlehnen (Abb. 37). Abb. 37: Orphée, Jean Cocteau (1949), Filmstill

64  Orphée, Film (1949) und Buch (1950), Jean Cocteau, zweiter Teil der Orpheus-Trilogie, (M) Georges Auric, 1950, Paris, mit Jean Marais, Maria Casares, Marie Déa, Alive-Vertrieb 2009, DVD.

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Cocteau dehnt das ›mythische Blickverbot‹ auf den Spiegel aus: Orphée darf Eurydice nicht ansehen, auch nicht im Spiegelbild. Demnach blickt Orphée gegen eine Wand, und klagt. Dasselbe Verbot gilt auch für Eurydice, so dass Cocteau über die Kameraführung eine Choreografie der Blickwechsel inszeniert, in der beide in den Spiegel sehen, ohne einander in die Augen zu blicken. Ob, und wenn ja, inwiefern, Cocteaus Orphée Einf luss auf Bauschs und Borziks Interpretation nahm, lässt sich heute anhand der mir zur Verfügung stehenden Materialien nicht rekonstruieren. Retrospektiv zeigt sich in der Verwendung der spiegelnden Glaswand als Element der zeitgleichen Dopplung und (Selbst)Ref lexion jedoch eine moderne Deutung des Orpheus-Mythos, in der die Medien der Darstellung (Bühnenbild und Choreografie) im Wechselspiel aufeinander Bezug nehmen und die Erinnerung an Cocteaus Orphée anklingt (ob beabsichtigt, oder nicht). Ein solches Oszillieren zwischen Szene und Inhalt muss bereits Gluck intendiert haben, wenn er die Akte der Oper erstmals in Bilder umbenannte und das szenische Geschehen dem musikalischen Klangraum gleichsetzte.65 Bauschs und Borziks choreografische und szenografische Deutung der Bilder weist durch das Einbetten von szenischen (Glaswand und Kostümierung) und tänzerischen Mitteln eine ähnliche Mythenverschleifung auf.

»Sterben« »Die Formen des Lebendigen kehren ins Ungeformte zurück. Selbst die Sprache vermag nicht mehr zu präzisieren, wie es um die ›Reste‹ des Lebendigen steht. Der verwesende Körper wird zu jenem Ding, das in keiner Sprache einen Namen hat.«66 René Girard, Das Heilige und die Gewalt Im letzten Bild der Tanzoper wirkt die Bühne von nahezu allen theatralen Elementen des Erzählerischen befreit. Weiße Leinentücher bilden den Bühnenprospekt und die Seitenwände, die sich entlang der gesamten Bühnenhöhe erstrecken. Möglichkeiten des Auf- und Abtretens erlauben nur die schmalen Zwischenräume an den Rändern der Seitenwände. Die Materialität der Tücher setzt Assoziationen zu zwei Orten frei, die miteinander verschränkt scheinen: ein weißer wolkenbehangener Himmel (Naturraum) einerseits und ein Kunstraum, der als farbloser white cube den Objekten ›absolute‹ Aufmerksamkeit gewährt, andererseits. Ver65  Siehe das Kapitel »gravitas in der Musik. Schweben zwischen Tradition & Reform« (2). 66  Girard, René: Das Heilige und die Gewalt, Frankfurt a.M.: Fischer 1994, S. 376.

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trocknete Blätter liegen zu einem kleinen Laubhaufen zusammengefegt in der rechten hinteren Bühnenecke. Wie Überreste der gefallenen Hainbuche aus dem ersten Bild »Trauer« ließen sie sich als »›Reste‹ des Lebendigen«67 deuten. In diesem Raum wird sich auf dramaturgischer Ebene das zentrale Element des Mythos, die Wendung ereignen. Nach dem tragischen Moment des Anblickens wird der erneute Verlust der Eurydike zum unmittelbaren Zusammenbrechen des Orpheus’ führen. In der choreografischen Gestaltung ist dieser wichtige Anblick jedoch zu einem derart kurzen Augenblick verdichtet, dass Zuschauende im Verfolgen der tänzerischen Hinführung zur Wendung, diesen Kernmoment der mythischen Erzählungen leicht übersehen können. Eurydike und Orpheus stellen zudem ein Liebespaar dar, dessen Bindung literarisch von Anziehungskräften der Zuneigung bestimmt ist. Die Dauer dieser Zuneigung ist aber zugleich davon abhängig, mit welcher ›inneren Schwerkraft‹ beide von dem Wunsch loslassen können, einander durch den Anblick Zuversicht zu geben. Welche Form nimmt die gravitas in diesem Prozess des Annäherns und einander wieder Verlierens in Bauschs Choreografie an? Wie hat Bausch die Haltung für den letzten Gang im ersten gemeinsamen Auftritt der beiden Liebenden gestaltet? * Die zwei Tanzenden (Airaudo und Mercy/1991) sowie die sie begleitenden Sopranistinnen (Annette Jahns und Francesca Hirzel) stehen als Eurydike und Orpheus zu viert aneinander gestützt inmitten der vertrockneten Blätter.68 Einerseits ist die Eurydike-Tänzerin in diesem Bild erstmals farblich gekleidet: Sie trägt ein langes rotes, bis zum Brustbereich geschlossenes Gewand, das mit langen Ärmeln eng am Körper anliegend von der Hüfte abwärts in einem weit fallenden Rock bis zum Boden reicht. Beide Sopranistinnen (Eurydike und Orpheus) tragen weiterhin schwarze Gewänder in ähnlichem Schnitt, so dass sie über die Kleidung nicht voneinander unterschieden werden können – Eurydike wie auch Orpheus sind bei Bausch stimmlich wie tänzerisch nicht als Gegensatzpaar (weiblich/männlich) gestaltet. Das Kostüm des Orpheus-Tänzers besteht wie in den Bildern zuvor aus einer kurzen Hose und lässt den spärlich gekleideten Körper des Tänzers verwundbar wirken. In dieser Kostümierung entfaltet sich eine Choreografie aus mehrmaligem Zusammensinken und Innehalten (Orpheus) sowie dynamischen, raumgreifenden Bewegungen (Eurydike). Airaudos Sprünge, in denen sie den Kopf in den Nacken wirft und die Beine einem Spagat ähnlich scherenförmig nach vorn und nach hinten streckt, erinnern an die rastlosen Laufschritte der Furien 67  Ebd. 68  An dieser Stelle greife ich auf die Aufzeichnung aus dem Jahr 1991 zurück.

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im zweiten Bild »Gewalt«. Lautmalerisch unterstützen die expressiven Gesten der Eurydike-Tänzerin die sprachlich stimmliche Präsenz der Eurydike-Sopranistin. Orpheus bewegt sich in diesen Momenten mit instabilem Gang rückwärts taumelnd auf Eurydike zu. Die Sopranistinnen befinden sich (aus Perspektive der Zuschauenden) auf der linken Seite der Bühne. Während ihrer stimmlichen Gestaltung der Begegnung des Liebespaares stehen beide mit geneigtem Kopf und dem Gesicht zur Stoff bahn gerichtet in größerem Abstand nebeneinander an der Tuchwand. Aufgrund ihrer Kostümierung und Anordnung an der Wand ließen sich die Sängerinnen als Schatten der Figuren Eurydike und Orpheus interpretieren. Diese Schatten sind jedoch nicht bildlich zu denken, sondern plastisch – mit Gewicht. Denn im Augenblick der Berührung der weißen Wand gibt der Stoff dem Druck der Köpfe und der Hände, mit denen die Sängerinnen wie ›schwere Seelen‹ an dem Tuch lehnen, nach und schlägt leichte Bewegungswellen. Die Haltung der beiden Frauen ähnelt dabei der sich an einer Wand stützenden Trauerfigur aus Blasis’ Traktat L’uomo fisico intellettuale e morale.69 Die Instabilität des gesamten Raumes kommt in der leichten Berührung der Wände zum Tragen und korrespondiert mit den taumelnden Schritten des Orpheus sowie den Wellen, die im roten Rock der springenden Eurydike entstehen. Der Zustand einer inneren wie äußeren Haltung der beiden Figuren Eurydike und Orpheus gewinnt in dem Bild »Sterben« in dieser Instabilität eine besondere Form: Statt der ›tänzerischen Wendung‹ steht meines Erachtens eben diese Haltung im Zentrum von Bauschs Choreografie. Aus diesem Grund ziehe ich für den folgenden letzten Teil der Inszenierungsanalyse eine Fotografie von Borzik aus dem Jahr der Urauf führung (1975) und eine Aufnahme der Fotografin Ulli Weiss (1943-2014) aus dem Jahr der Wiederaufnahme (1991) hinzu. Beide Darstellungen (Abb. 38 u. 39) vermitteln nicht nur die Körperhaltungen von Airaudo als Eurydike und Mercy als Orpheus. Vielmehr scheint sich mit ihnen in bildlicher Weise eine Verdichtung der in dieser Studie vorangegangenen Analysen des historiografischen Materials und der aus diesem entwickelten Kernaussagen zu vermitteln.

Letzter Tanz. Eurydikes arc en cercle Eurydike und Orpheus bewegen sich in einer Diagonalen mit zugewandtem Rücken rückwärts aufeinander zu. Im Moment der größtmöglichen Nähe, noch vor einer Berührung ihrer Körper, halten beide inne. Orpheus sinkt in sich zusammen und Eurydike bewegt ihren Torso zunächst leicht zurück. Nach einigen Wiederholungen des zueinander Gehens und vonein69  S iehe hierzu die Besprechung der Trauerfigur aus Blasis’ L’uomo fisico, intellettuale e morale Kapitel »Schwere Seelen. Wenn der aplomb fällt« (2).

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ander Lösens bleibt Eurydike erst kerzengerade stehen und bewegt sich sodann in eine weite Rückbeuge. Dieser Bewegung möchte ich besondere Aufmerksamkeit schenken: Airaudos Beine sind in einem Geh-Schritt platziert, das rechte stärker gebeugt als das linke. Während einer weit zurückgehenden Beuge des Oberkörpers fixieren die Beine das Becken der Tänzerin. Der Kopf folgt der Rückwärtsbewegung des Torsos und fällt in den Nacken der Tänzerin. Der in normaler Haltung höchste Punkt des Kopfes reicht hier umgekehrt wie eine Lotrechte zum Boden. Tanzgeschichtlich erinnert die Rückbewegung an den arc en cercle, die Signaturbewegung einiger Ausdruckstänzerinnen.70 In der Bewegung von Airaudo, wie sie in der Fotografie (Abb. 38) porträtiert ist, lässt sich weder ein Schwung antizipieren, der eine nächste, f ließende Bewegung erahnen ließe und einen Bewegungsfreiraum ankündigt, noch scheint ein deutliches Gegengewicht in die Pose eingebunden zu sein, wie etwa in der Rückbeuge in Wiesenthals Donauwalzer (1908). Bei Airaudo sind es die Arme, die in dieser Bewegung ein Spannungsverhältnis signalisieren. Damit sichert die Tänzerin ihre Balance: Statt den Körper zur Seite zu neigen, um das Gleichgewicht zu halten oder der Rückbeuge des Torsos und der Schwerkraft zu folgen, reichen beide Arme der Tänzerin wie Pfeile, die geometrisch die Lotrechte des Kopfes aufgreifen, senkrecht in die Höhe. Gleichzeitig vermittelt diese Bewegung eine Form der Leichtigkeit, die an die kerzengeraden, in die Höhe strebenden Körper des Klassischen Akademischen Tanzes erinnert: Jene befinden sich in Haltungen, in denen die Körper auf Zehenspitzen nach oben gerichtet eine größtmögliche Form eines Equilibriums, des leichten Strebens in die Höhe entgegen der Schwerkraft, demonstrieren. Grund für meinen Eindruck ist die spannungslose Haltung der Handgelenke und Finger, die die Körperbewegungen der Schattenfrau Eurydike auszeichnen. Mit dieser Haltung werden Gegenspannungen erzeugt, die auf ein spezifisches Verhältnis von ›Schwere und Schwerelosigkeit‹, von ›Passivität und Aktivität‹, von ›Ruhe und Unruhe‹ in Bewegung wie in Nicht-Bewegung von Körpern verweisen. Inwiefern lässt sich diese Haltung als künstlerisches Verfahren, das weder nur die Aktivität oder Passivität, sondern – mit Klee gedacht – eine mediale Aktivität hervorhebt, bestimmen?

70  Z  um arc en cercle siehe die Besprechungen zu Mary Wigman und Grete Wiesenthal im Kapitel »Kinesphären und Gravitationsfelder. Im arc en cercle zwischen Tanz und Physik« (3).

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Abb. 38: Malou Airaudo als Eurydike im vierten Bild »Sterben« (1975)

Die Position der Füße, das gebeugte rechte Knie, der nach hinten beugende Oberkörper, der zurückfallende Kopf und die nach oben reichenden Arme führen dazu, dass das Schwerkraftzentrum der Tänzerin in den sensibelsten Bereichen der Atemwege liegt: im freiliegenden Hals und im eingeknickten Nacken. Bemüht man sich, diese Kopf haltung kinästhetisch nachzuvollziehen, wird deutlich, dass die Sehnen und Muskeln, die mit dem Brustbein verbunden sind, stark beansprucht werden und ein automatisches Öffnen des Unterkiefers auslösen. Das betrifft auch die Position der Augenlider. Im Bewegen wird spürbar, dass auch diese weit geöffnet sind, wenn der Blick aktiv in der Lotgeraden nach oben gerichtet ist. Ein Atemholen, also das Luftverschieben durch Ausdehnen, Heben und Senken des Brustkörpers, ist in dieser Position kaum möglich – zu sehr sind die Atemwege blockiert. Die Luftröhre ist zudem durch die Rückbewegung gekrümmt und der Brustkorb, ohne Raum für weitere Elastizität, gespannt. In der Fotografie ist nicht nur erkennbar, dass der Mund der Tänzerin geschlossen ist.71 Airaudos Schulterpartie wirkt leicht ruhend neben dem Brustkorb platziert. Im Selbstversuch ist auch für diese Platzierung eine starke Gegenbewegung notwendig: Die Schultern 71  I n den Fotografien der Ausdruckstänzerinnen sind im geöffneten Mund sogar die Zähne sichtbar (etwa bei Wiesenthal). Siehe hierzu Kapitel »Kinesphären und Gravitationsfelder. Im arc en cercle zwischen Tanz und Physik« (3).

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müssen aktiv in Richtung Boden gedrückt werden, um nicht der Streckbewegung der Arme zu folgen. In dieser Körperhaltung stellt Airaudo eine Figur dar, die als Schatten in der Unterwelt lebt und ihr Leben verlieren wird. Dieser Schatten wirkt leicht und zugleich schwer und bringt die Präsenz des Lebendigen sowie dessen Abwesenheit zeitgleich in Erscheinung. Die Atemlosigkeit in diesem arc en cercle wird nach wenigen Augenblicken im Verlauf der Choreografie durch ein Zurückschnellen in die Lotgerade der Wirbelsäule beendet. Die Spannung aus der Rückbeuge der Eurydike bestimmt auch die daran anschließenden Bewegungen – ein Ringen und Flehen um Orpheus’ Wendung.

Letzter Gang. Orpheus’ pas grave Orpheus wirkt in den folgenden Sequenzen weiterhin immobil und verliert zunehmend seine Haltung. Es scheint, als würde ihm der pas grave – die notwendige Spannung für den kommenden Schritt, den letzten Gang – nicht mehr gelingen. In den letzten Momenten vor der entscheidenden Wendung schreiten Eurydike und Orpheus in kleinen Wegstrecken hintereinander und vermitteln über ihre Gestik und Mimik die Dramatik der Erzählung: das Ringen um die Haltung, um das Einhalten des Blickverbots: »Rezitativ/Orpheus: Ach, welch grausame Prüfung Eurydike: Mein teuer Orpheus, bleibst du ferne? Fleht dich vergebens deine trostlose Gattin an, erbarmungsvoll ihr beizustehen. Ihr Götter, so erbarmet ihr euch mein! Soll ich mein Leben enden ohn‹ einen Blick von meinem Orpheus?«72 Eurydike schwebt in einem dieser letzten Gänge fast schwerelos in Orpheus’ Armen und wirkt zugleich träge. Der Philosophin Martha Nussbaum zufolge bedeutet die Trägheit eines (weiblichen) Objekts in Relation zu einem tragenden (männlichen) Subjekt: »Das Objekt wird von der verdinglichenden Instanz so behandelt, als fehle es ihm an Handlungsfähigkeit und vielleicht auch an Aktivität.«73 Mit Nussbaums Kritik der Verdinglichung des Weiblichen ließe sich die in Orpheus’ Armen wie ein ›Ding‹ liegende Eurydike zunächst als handlungsunfähiges Objekt deuten. Eurydikes Haltung zeichnet sich im Gegenteil aber gerade in diesem Schweben durch eine hohe, aktive Körperspannung aus, die keine Trägheit erlaubt. Ein prägnanter Moment dieses Ringens um Haltung, dieses Kraftakts, ist in der Fotografie von Weiss festgehalten (Abb. 39). 72  C alzabigi/Moline, Orphée et Eurydice, S. 46. 73  N  ussbaum, Martha: Konstruktion der Liebe, des Begehrens und der Fürsorge. Drei philosophische Aufsätze, Stuttgart: Reclam 2002, S. 104.

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Abb. 39: Malou Airaudo als Eurydike und Dominique Mercy als Orpheus im vierten Bild »Sterben«

Die Arme der Tänzerin hängen nicht gewichtslos und passiv neben ihr, sondern sind entlang des Torsos platziert. Die Anordnung ihrer in der Luft liegenden Glieder verweist auf eine geometrische Formung durch aktives Anspannen der Armmuskeln und der Muskulatur der Handgelenke. Airaudo liegt in Mercys Armen und hält ihre eigenen Arme wie in einer umgekippten Couronne-Haltung aus dem Vokabular des Klassischen Akademischen Tanzes. Die Schwere der Haltung wird durch ihre angewinkelten Beine und vom Boden gehobenen Füße betont. In dieser schwebenden Pose wird die Eurydike-Figur zu einer für die Orpheus-Figur kaum tragbaren Bürde. Mercys Muskeln und Sehnen an Hals, Nacken, Schultern und Armen sind ebenso gespannt, wie die im Geh-Modus gehaltenen Beine. Seine Fersen sind vom Boden gelöst und verweisen in dieser Instabilität auf ein erschwertes Halten des Gewichts. Um den Eindruck der Last zu vermitteln, arbeitet die Choreografie physikalisch mit der Verringerung der Traglast. Airaudo spannt alle notwendigen Muskeln an, vom weit in den Nacken zurückgelegten Kopf bis zu den schwebenden Füßen. In dieser Spannung wird sie entgegen des bildlichen Eindrucks leicht und kann Mercy mit reduziertem Eigengewicht dabei unterstützen, das Tragen dieser ›schweren Bürde‹, nämlich Eurydike in das Leben zurückzuholen, zu vermitteln.

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Wie auch in der mythischen Erzählung und den zahlreichen Interpretationen verliert Bauschs Orpheus im Ringen um Haltung an Mut und wendet sich. Dieses Mut-Verlieren drückt sich bei Bausch in Form eines Kraft-Verlusts während des Kraft-Akts aus. Der Orpheus-Tänzer sinkt immer wieder zusammen, indem er seine Knie spannungslos nach außen kippen lässt und seinem Eigengewicht nachgibt, so dass sein gesamter Körper ruckartig in die Tiefe des pliés, der gebeugten und auswärts geöffneten Beine, stürzt. Den Moment der Wendung gestaltet Bausch wie folgt: Orpheus hält der Spannung der Wiederholungen aus Stehen, Sinken und Stürzen nicht mehr stand, wendet sich und läuft in Eurydikes Arme. Die Wendung ist also unmittelbar mit einem schnellen Gehen verknüpft. Für diesen einen Augenblick, dessen Dauer kaum bestimmbar ist, sind Eurydike und Orpheus einander zugewandt und halten sich in einer Hinwendung gegenseitig fest. Beide befinden sich nun auf der rechten Seite der Bühne in unmittelbarer Nähe der vertrockneten Blätter. Zwischenzeitlich haben sich die zwei Sängerinnen den beiden Tanzenden angenähert. Während Airaudo und Mercy als Tanzende in ihrer Umarmung stehen, sinkt Jahns, die Eurydike-Sängerin, in den Armen von Hirzel, der Orpheus-Sängerin, zusammen. Der Weg des Sterbens ist von Bausch auf vier Körper verteilt und in eine Montage der Zeitlichkeit dieses sprachlich nur schwer greif baren Prozesses eingebettet. Was nun folgt ist ein Zusammenbruch aller Haltungen: Die Eurydike-Sängerin sinkt in einer Rückbeuge und entgleitet mit ihrer Körperschwere den haltenden Armen der Orpheus-Sängerin. Im selben Moment sinkt auch die Eurydike-Tänzerin aus der Umarmung mit dem Orpheus-Tänzer. Airaudo ist dabei spannungslos. Ihre Glieder sowie auch ihr Kopf hängen, ›schwer fallend‹, in Mercys Armen, so dass der Tänzer dem Gewicht nachgeben muss und sie ihrer Fallrichtung entsprechend quer über den nun liegenden Körper der Eurydike-Sängerin platziert. In diesem Fallen ist Airaudo erstmals in der gesamten Tanzoper völlig ohne Körperspannung – und somit schwer (passiv). Im Augenblick des Fallens der Eurydike verstummt der musikalisch stimmliche Klangraum. Dies ist der Moment der Wendung. Bausch unterbricht für die Wendung nicht den Fortlauf der Bewegung, sondern – erstmals in der gesamten Inszenierung – den Fortlauf der Komposition. »Mein Orpheus! Ich sink, ich sterbe …« 74. Mit dem darauffolgenden Einsetzen des letzten Rezitativs von Orpheus und Eurydike umarmt die Orpheus-Sängerin die vor ihr liegende Eurydike-Tänzerin: Unbewegt kauert der Orpheus-Tänzer neben den zwei Körpern der Eurydike, richtet sich alsdann jedoch auf. In taumelnden Schritten visualisiert Mercy den Text des letzten 74  C alzabigi/Moline, Orphée et Eurydice, S. 46.

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von der Orpheus-Stimme gesungenen Rezitativs: »Ach, was habe ich getan?«75 Die wankenden letzten Gänge des Orpheus’ enden in der hintersten linken Ecke des Bühnenbildes. An dieser Stelle sinkt Mercy in sich zusammen und wirkt mit dem Rücken zum Zuschauerraum gerichtet – in der Totalen der Aufzeichnung – wie ein kleiner Fleck inmitten eines weiten, leeren Feldes. Verzichtete Bausch in dem Moment des Sterbens der Eurydike auf den musikalischen Klangraum, entzog sie dem nun folgenden Geschehen alle choreografischen Bewegungen. Während der Arie »Ach, ich habe sie verloren, all mein Glück ist nun dahin!«76, die die Orpheus-Sängerin neben den vor ihr liegenden Eurydike-Körpern anstimmt, findet im gesamten Raum keine tänzerische Bewegung mehr statt. In diesem Moment, dem mitunter virtuosesten Gesangspart der Tanzoper, ›verstummt‹ der Tanz und gibt Raum für die Stimme. Orpheus ist als Tanzender zu einem Seelenschatten geworden, dessen Körperregungen stillstehen. Nur die Stimme vermittelt jetzt noch den ›Rest an Lebendigem‹ der Orpheus-Figur. In dieser Anordnung der Köper, der Stimmen, der Klänge und der Bewegungen zeigt sich das markante Charakteristikum des Bausch’en Tanztheaters: Nicht das Medium Oper hält den Raum für den Tanz bereit. Die Oper ist in den Tanzraum implementiert. Erst in dieser Montage der Medien und der Entgrenzung der Stilebenen der Künste wird deutlich, inwiefern Bauschs Orpheus und Eurydike eine Tanzoper ist, die die Kernelemente des Tanztheaters strukturell in sich trägt. * Bauschs Orpheus stirbt im Stand, in seinem letzten pas grave, einen »vertikalen Tod«77. Während des Rezitativs, das auf die vergangene Arie folgt, erhebt sich der Orpheus-Tänzer aus seiner zusammengesunkenen Haltung und geht seinen letzten Gang bis zur Bühnenmitte. Den Tod des Orpheus’, der in den Libretti der Operngeschichte nicht angelegt ist, implementierte die Choreografin in subtiler Weise und erneut ohne Musik: Der Orpheus-Tänzer endet sein Gehen im Stehen und hält darin den gesamten Körper aufrecht in der Vertikalen. Die drei Ledermänner treten nun hinter ihm auf. Einer der Tänzer geht auf Mercy zu, umarmt dessen Torso, hebt ihn vom Boden und setzt dessen Füße auf ein kleines, rotes, quadratisches Tuch, das ein feines Gleiten Mercys ermöglicht. Indem der Ledermann-Tänzer seine Arme um den Orpheus-Tänzer schlingt, drückt er diesen fest an seinen eigenen Körper und hebt ihn wie in einem passiven aplomb für einen kleinen Moment nach oben. Aus den Gliedern des Mercys verschwindet in diesem Moment jede Form der Spannung: Sein Kinn sinkt schwer auf die Brust, seine Schultern folgen der 75  Ebd. 76  Ebd. 77  Humphrey, Die Kunst, Tänze zu machen, S. 122.

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Fallbewegung und seine Knie geben der Schwere des Körpers durch Einknicken nach. Die letzte Spannung entweicht und die Haltung, um die die Orpheus-Figur seit Beginn der Tanzoper mit einer sichtbar ›inneren Schwerkraft‹ gerungen hat, lässt nach und verschwindet, als gebe sich der Tänzer einer vollkommenen Erschöpfung hin. Es scheint eine Erschöpfung zu sein, die über eine Ermüdung des Körpers hinausgeht und, mit Gilles Deleuze gedeutet, kein Erholen, kein erneutes Aufstehen mehr erlaubt: »Der Ermüdete kann nichts mehr verwirklichen, der Erschöpfte hingegen kann keine Möglichkeiten mehr schaffen.«78 Das Heben vor dem Sterben lässt sich als letzter pas grave lesen, der in diesem Akt des gehaltenen Stehens den letzten Moment des lebenden Orpheus’ markiert. Nach dieser ›Hebe‹ wird Orpheus erdenschwer, grave. Die Ledermänner führen den trägen Körper in ritualähnlichen Bewegungsphrasen über den Boden. Wege und Form des Führens gleichen der Sequenz aus dem Bild »Gewalt«, in dem die Eurydike-Tänzerin erst sanft durch den Bühnenraum geschoben, dann zum Schluss über ein auf dem Boden liegendes weißes Tuch im Gehen begleitet wurde. Dieser letzte Gang ist nicht von Dauer und vermittelt auch keine Möglichkeit der Rückholung, da Orpheus von einem der Ledermänner behutsam gebeugt, gekippt und seitlich auf den Boden gelegt wird. Bausch bricht an dieser Stelle mit den bis ins 21.  Jahrhundert praktizierten Traditionen der Inszenierungsgeschichte der Opernfassungen. Ihr Orpheus stirbt – in der gleichen Weise wie Eurydike. Wie in dem Bild »Gewalt« und anhand des Ausdrucks Ledermänner für die drei männlichen Figuren deutlich wird, lässt sich in Bauschs Inszenierung die Bezeichnung ›Zerberos‹ als wütendem Hüter der Vorhölle nur schwer anwenden. Während der Wege bis zum Beisetzen des Orpheus-Tänzers schreitet einer der Ledermänner zu den noch immer im Kreuz übereinanderliegenden Körpern der Eurydike. Zur musikalischen Wiederholung der (rein instrumentalen) Eingangstakte aus dem Bild »Gewalt« wiederholt er die ritualhafte Gestenszene jener Furie, die ihre Arme in kreisförmigen Bewegungsführungen über dem Körper einer vor ihr sitzenden Furie durch die Luft gleiten ließ.79 In diesem letzten Bild ist es keine in Weiß gekleidete Tänzerin, sondern ein Tänzer mit Lederschürze – und damit nicht die mythische Figur des ›Zerberos‹. 78  D  eleuze begegnet mit seinem Essay Erschöpft dem Werk des Schriftstellers und Theaterautors Samuel Beckett. Die Stücke Becketts aufgreifend zeichnet er ihr Wesen nach, das von einem über das Ermüden hinausgehende Erschöpfen bestimmt ist. Siehe: Deleuze, Gilles: Erschöpft, in: Tophoven, Erika (Hg.): Samuel Beckett: Quadrat, Geister-Trio, … nur noch Gewölk …, Nacht und Träume. Stücke für das Fernsehen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996, S. 49-101. Hier: S. 59. Zur Verknüpfung des Darstellens von Erschöpfungszuständen im Tanztheater von Hoffmann siehe: Diagne, Mariama: »Ein unnennbares Sehnen – Zum Schweben zwischen Kunstfigur und Mensch in Reinhild Hoffmanns Tanztheaterstück Callas«, in: Brandstetter/Hoffmann/Stöckemann, CALLAS, S.  8799. 79  Siehe hierzu die Bewegungsbeschreibung in »Eurydikes Schweben« (4).

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Begleitet wird dieses Ritual von dem zwischenzeitlich aufgetretenen Ensemble der Trauernden und der musikalischen Reprise des Trauerchors aus dem ersten Bild »Trauer«. Orpheus’ Stimme ertönt und begleitet – mit dem Trauerchor – klanglich die Choreografie der in schwarzem Gewand gekleideten Tänzerinnen und Tänzer. Dabei steht sie nach wie vor hinter den beiden Eurydikes. Die Bewegungen des Trauerchors wiederholen sich nicht nur, sondern vermitteln aufgrund der dichten Anordnung der Körper zueinander sehr viel stärker den Eindruck eines gleichzeitig atmenden Trauerkörpers. An dieser Stelle lässt Bausch die choreografische Tradition des Bewegungschors anklingen. * Wie endet ›das Ende‹ der choreografischen Erzählung des Mythos? Die Orpheus-Sängerin verstummt und sinkt über der Eurydike-Tänzerin zusammen. Mit diesem Augenblick setzt ein Trauermarsch ein: In einer Reihe angeordnet gehen die Ledermänner sowie die Tänzerinnen und Tänzer der Trauergemeinschaft nacheinander entlang der hinteren Tuchwand ab. Das Schreiten der in Schwarz gekleideten Körper, die gleichmäßige Abstände zueinander halten, wirkt vor der weißen Stoffbahn wie das Visualisieren eines langsamen Abklingens von Notenköpfen einer Partitur. Das zögernde Verschwinden entlang der hinteren Bühnenwand erfolgt nicht von links nach rechts. Die Tanzenden verlassen den Raum in entgegengesetzter Richtung und verschwinden in jener Kulisse, aus der sie aufgetreten waren. Für das Publikum entsteht auf diese Weise eine Umkehrung der Lesebewegung: der ›Tanz der Trauernden‹ zieht als ›Bewegungstext‹ von rechts nach links aus dem Sichtfeld. Damit schließen die ›Trauerbilder des Schwebens‹ einerseits wie eine dramaturgische Klammer die gesamte Tanzoper. Der Gang zurück ließe sich aber auch als der ›letzte Gang‹ eines nur temporären Endes interpretieren. So, als würde die Choreografin mit einem ›Blick zurück nach vorn‹ sagen: Ab diesem Moment wird und muss eine neue, eine andere Liebesgeschichte beginnen.

4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch

Topografien der Liebe. Bauschs orpheisch-eurydikische Schatten Abb. 40: Orpheus und Eurydike, Titelbild des Programmhef ts zur Urauf führung (1975)

Die Tanzoper Orpheus und Eurydike legt die Liebesbeziehung ins Zentrum der Erzählung. Als Gestaltungsform wählte Bausch kein bildliches Darstellen der Zuneigung, sondern ein tänzerisches Vermitteln der Herzensbewegungen, die Eurydike und Orpheus durchleben. Das Titelbild80 des Programmhefts der Uraufführung aus dem Jahr 1975 lässt Bauschs Deutung der mythischen Geschichte erahnen: Es ist das Herz, das schmerzt und dessen Wunde einem Mund ähnelt, der von Beziehungen erzählt (Abb. 40). Beziehungen zwischen Menschen, Lebewesen oder Dingen sind von Anziehungskräften und Gegenspannungen bestimmt. In vielleicht intensivster Weise zwischenmenschlichen Zusammenseins äußert sich diese Gegenspannung in Form von Liebe. Die Bedingungen, Herausforderungen und Auswirkungen von 80  W  uppertaler Bühnen (Hg.): Orpheus und Eurydike. Eine Tanzoper von Pina Bausch, Programmheft zur Premiere am 23. Mai 1975, Wuppertal 1975, Frontispiz.

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Liebe zwischen Menschen stellen die Grundlage für Erzählungen von und mit Lebewesen dar. Liebe kann binden und verbinden. Liebe kann ebenso zerreißen und entzweien. Die zeitlichen und räumlichen Abstände zwischen diesen beiden Zuständen sind unbestimmt, können unberechenbar, unvorhersehbar sein. Liebesgeschichten als Geschichten von Liebe spielen mit genau diesen Spannungen: Einander annähern, einander beinahe berühren, einander spüren, sich von einander entfernen, sich nach dem einander Berühren und Spüren sehnen, das einander Entfernen ertragen, es vielleicht erzwingen, Nähe vermeiden, Distanz vergrößern – in mannigfachen Situationen und Räumen und Zeiten und Konstellationen. Das Spannungsverhältnis, das den beiden Anziehungskräften, der Schwerkraft und der Liebe, einen Anfang und ein Ende setzt, ist das Atmen – eine Bewegung, die zwischen den beiden Polen Leben und Tod so lange pendelt, bis sie endet. Mit der Liebe vermag man sich mitunter überhaupt erst lebendig und fähig zum Atmen fühlen – ohne Liebe kann das Leben arm erscheinen und das Ende einer Liebe kann dem Tod gleichen. Für manche erfordert Liebe ein Springen über den eigenen Schatten – eine utopische Bewegung, die Eurydike im Narrativ von Gluck und Bausch nicht zu gelingen vermochte. Ihr fehlte das ›blinde‹ Vertrauen, Orpheus’ Schritten zu folgen. Mit dem Leben beginnt das aktive Auseinandersetzen mit der Schwerkraft – in ersten Geh- und Stehversuchen. Im Laufe des Lebens verwandeln sich diese Versuche, werden zu virtuosem Schweben oder einem schweren, mühsamen Gang. Mit dem Sterben haben in der Regel die letzten Gehversuche stattgefunden. ›Im Sterben liegen‹ heißt auch, in Zukunft nicht mehr gehen werden, nicht mehr die lebensnotwendige Balance in der Schwerkraft suchen und finden zu können. Bauschs Gestaltung der mythischen Figuren ›Eurydike und Orpheus‹ bewegt sich über die Artikulation der ›Schwere im Schweben‹ in genau diesem Spannungsverhältnis aus virtuosem Schweben und schwerem Gang bis hin zum letzten Gehen im pas grave. Damit entfaltet Bausch als Choreografin meines Erachtens eine ›Topografie der Liebe‹. Diese scheint sie nicht nur tänzerisch, sondern auch sprachlich artikuliert zu haben: Zur Premiere der Orpheus-Tanzoper veröffentlichten die Wuppertaler Bühnen einen Theaterzettel, in dem die mythische Geschichte mit einem Text des Philologen und Religionswissenschaftlers Karl Kerényi (1897-1973) vorgestellt wurde.81 Darüber hinaus konnte das Publikum den Textausschnitt eines Gesprächs nachlesen, in dem der Dramaturg Edmund Gleede an Bausch fünf Fragen zu ihrem

81  E ntnommen war der Text aus: Kerényi, Karl: »Vorwort«, in: Schondorff, Joachim: Orpheus und Eurydike: Poliziano, Calderon, Gluck, Of fenbach, Kokoschka, Cocteau, Anouilh, München/Wien: Langen-Müller 1963.

4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch

Orpheus richtete.82 Vorweggenommen sei an dieser Stelle, dass aus heutiger Perspektive unklar ist, inwieweit Gleede den Antworten Bauschs in der Aufarbeitung des Interviews auch seine eigene Interpretation beifügte.83 Aufschlussreich für die Rollenkonstellation in Bauschs Orpheus ist ihre Zuweisung von Prinzipien für die einzelnen Figuren und die damit verbundene Umschreibung der mythischen Geschichte: »Natürlich habe ich mich bemüht, die Story zu erzählen, aber damit konnte und wollte ich mich nicht begnügen. Ich habe die Geschichte deshalb aus dem Blickwinkel des Orpheus erzählt; denn Orpheus ist eine mythische Gestalt: er steht für jeden von uns. Wir sind alle Orpheus. Außerdem habe ich nicht das äußere, sondern das innere Drama zu gestalten versucht. Daraus resultiert, daß ich unter der Unterwelt nicht die mittelalterliche Vorstellung von unterirdischer Hölle meinen konnte. Die Unterwelt, die Hölle steckt in uns drin, tief in unserem Unterbewußtsein. Das bedeutet im Prinzip, daß es gar nicht so wichtig ist, ob Eurydike gestorben ist oder nicht. Wichtig ist vielmehr, daß sie in Orpheus gestorben ist.« 84 Insbesondere die Umdeutung des Orpheus als Person, die »für jeden von uns«85 steht, regt Fragen nach dem Verständnis einer Relation von Männlichkeit und Weiblichkeit innerhalb einer Liebe an. Denn dieses Verständnis wird in allen Interpretationen des ›Orpheus‹-Mythos mittransportiert. ›Orpheus‹ als ›jeder von uns‹ adressiert eine Gemeinschaft aus weiblichen und männlichen Teilhabenden. Was Bausch zudem andeutet, ist die Verbindung der Welt des Mythos mit Auffassungen des Säkularen und Sakralen. Bausch trägt die mythische Erzählung in die Gegenwart, indem sie sakrale Rituale in der Szenografie Borziks mit säkularen Objekten und stilisierten tänzerischen Gesten miteinander verwebt. Dies zeigt 82  I m hier zitierten Interview mit Edmund Gleede betont Bausch, dass sie ihre choreografische Arbeit nicht erklären und die Entscheidungen für im Stück entstehende Bilder nicht verbalisieren wollte: »Ich bin Choreographin, und wenn ich das, was ich mit tänzerischen Mitteln auf der Bühne auszudrücken versuche, in Worte fassen könnte, dann würde ich einen Aufsatz über Orpheus und Eurydike schreiben und kein Ballett machen. Deshalb wiederhole ich hier noch einmal: Das, was ich zeigen will, kann man nicht in Worten beschreiben.« Bausch, Pina: »5 Fragen an Pina Bausch zu ihrer Inszenierung von Glucks Orpheus und Eurydike«, ein Gespräch mit Edmund Gleede, in: »Orpheus und Eurydike«. Tanzoper in 4 Bildern von Christoph Willibald Gluck, Theaterzettel 4 der Wuppertaler Bühnen, Spielzeit 1975/76. Wieder abgedruckt in: Koldehoff/ Pina Bausch Foundation, O-Ton Pina Bausch, S. 29-33. Hier: S. 31. 83  A  uf diese Unklarheit wies mich unter anderem Magdalene Zuther, die den Text für den Band O-Ton Pina Bausch als Mitarbeiterin der Pina Bausch Foundation redaktionell bearbeitete, in einem Gespräch am 21. September 2016 in Köln hin. 84  Bausch, »5 Fragen«, S. 32. 85  Ebd.

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sich beispielsweise, wenn die Orpheus-Inszenierung mit einem Beerdigungsritual endet, also einer säkularen Handlung in sakralem Kontext, durchgeführt von drei Tänzern, die in ihrer Kostümierung Schmieden ähneln und im Regiebuch der Tanzoper als Ledermänner bezeichnet sind. In der Tanzoper sind Zeiten, Welten und Symbole miteinander verf lochten. In den von Gleede bearbeiteten Ausführungen von Bausch ist diese Verschränkung von Welten auch auf sprachlicher Ebene angelegt. Dass sich in Orpheus Welten mischen, zeigt vor allem Bauschs Auffassung von dem »Prinzip ›Liebe‹«86: »Der Versuch, aus Orpheus das Prinzip ›Liebe‹ zu machen, ist ein Mittel der Abstraktion bzw. der Vereinfachung. Orpheus steht in meiner Inszenierung für alle Liebenden, die um den Verlust ihrer Ideal-Vorstellung von Liebe trauern. Die Liebe von Orpheus ist so unermesslich groß, daß sie über den Tod hinausreicht. Das ist ein Gedanke, der in anderer Form in Romeo und Julia oder wieder ganz anders in Tristan und Isolde auftaucht. Diesen absoluten Anspruch einer über Leben und Tod, Raum und Zeit hinausgreifenden, allumfassenden Liebe mit der Bereitschaft, alles dazugehörige Leid auf sich zu nehmen, verkörpert für mich Orpheus. Orpheus hat für mich etwas vom Schmerzensmann, von Christus, dessen Idee von der Liebe so groß ist, daß sie kein Mensch erfüllen kann. Und zu dieser Liebe gehört eben der Schmerz.«87 Mit dem Hinzufügen von Prinzipien schrieb die Choreografin den Mythos um. Die Figur des Götterboten Amor verknüpfte sie zum Beispiel mit dem »Prinzip ›Jugend‹«88. Das leichte, sorgenfrei anmutende Spiel der Bewegungen, mit denen die Amor-Tänzerin auftritt und Orpheus die Bedingungen der Rückholung vermittelt, verweist auf eine jugendliche, sorgenfreie und unbedarfte Haltung zur Situation. Die Leichtigkeit in der Schwere der Aufgabe liegt in den schwebenden Schritten und Sprüngen der Amor-Tänzerin und überträgt sich für den Moment der Sequenz auf den sonst von Trauerbewegungen dominierten Raum. Bauschs Fokus scheint daher auf die Lebendigkeit gerichtet. Im Zentrum steht die zu unermesslich großer Liebe fähige, männliche Orpheus-Figur, die Bausch in die Nähe des »Schmerzensmann[s]«89 rückt. Ihr Orpheus personifiziert damit genau jene menschliche, weltliche und zugleich sakrale »Gestalt, die […] vorbildliches Menschsein vor Augen führt«90 und die Verkörperung der im christlichen Abendland kultivierten »Positi-

86  Ebd., S. 33. 87  Ebd. 88  Ebd., S. 32. 89  Ebd., S. 33. 90 Böhme, Gernot: Ethik leiblicher Existenz, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2008, S. 195.

4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch

vierung des Leidens«91 darstellt. Dementsprechend ließe sich – vorerst – annehmen, dass Eurydike nicht nur für das erstrebenswerte Übernatürliche, sondern wie Orpheus für die Liebe steht. Bausch skizziert die Figur der Eurydike allerdings anders: »Dagegen will Eurydike eine Liebe ohne Leid. Sie sehnt sich nach einem Ort, wo es diese Leiden nicht gibt, wo es nur Ruhe und Frieden, die Süße des Nirwanas gibt. Im Jenseits, losgelöst von allem Körperlichen, Irdischen, Vergänglichen, losgelöst also auch von allem Leid, gibt es diesen Frieden. So erklärt sich die unterbewusste Todessehnsucht der Eurydike, die nicht wieder ins Leben, ins ›Jammertal‹ zurückkehren will, denn sonst würde sie sich auf dem Rückweg ins Diesseits nicht so misstrauisch und vorwurfsvoll verhalten, sondern ihrem Orpheus vertrauen. Deshalb steht Eurydike in meiner Inszenierung für das Prinzip ›Tod‹ – das heißt hier: ein Leben ohne Leid wie auch ohne Liebe, denn das Eine ist untrennbar mit dem Anderen verbunden.«92 Selbst wenn die Choreografin vor allem »mit tänzerischen Mitteln auf der Bühne auszudrücken«93 wusste, was der ›Orpheus-Mythos‹ für sie bedeutet, verweist dieser von ihr formulierte »verbale Annäherungsversuch«94, die »Einkreisung von Unaussprechbarem«95 auf ein Denken, mit dem Bausch »choreographische Psychogramme«96 für die Bühne entwarf. Die Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit dieser Erzählung der mythischen Liebesgeschichte unterscheidet sich auf textlicher Ebene gravierend von den Leben und Liebe ausstrahlenden Eurydikes bei Ovid oder Vergil, oder in den Opernstoffen seit Monteverdi. Auf dramatischer Ebene ist Bauschs Auffassung der Eurydike eng verwandt mit der Deutung Glucks. Mit der Deutungsskizze einer misstrauischen, mitunter von Todessehnsucht getriebenen und somit gar nicht mehr zur irdischen Liebe willigen Eurydike entwarf Bausch allerdings – wenn man ihre Ausführungen hier als ein Libretto lesen möchte – trotz Motiven des Tragischen keine Tragödie.97 Es ist, nur diese Textebene des Gesprächs mit dem Dramaturgen Gleede betrachtend, ein Dra91  Ebd., S. 191. 92  Bausch, »5 Fragen«, S. 33. 93  Ebd., S. 32. 94  Ebd. 95  Ebd. 96  Gleede, in: Bausch, »5 Fragen«, S. 32. 97  Z  ur Abgrenzung des Begriffs des Tragischen von der Tragödie im Rahmen der Tanzgeschichte und ihrer Diskurse siehe insbes.: Haitzinger, Resonanzen des Tragischen. Zum Verhältnis von Tragödie und Theater und der damit verbundenen Erfahrung des Tragischen siehe: Lehmann, Hans-Thies: Tragödie und Dramatisches Theater, Berlin: Alexander-Verlag 2013. Lehmann äußert sich in seinem Buch auch zum Tanztheater von Pina Bausch – allerdings greift er hierzu nicht auf die Tanzopern zurück, sondern auf den Aspekt des Melancholischen der Stücke der 1980er

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ma, das zu keiner Zeit Hoffnung auf ein glückliches Ende, ein lieto fine verspricht. Vielmehr ist Bauschs Orpheus ein reales Drama, in dem die Figuren in ihrer existentiellen Verfassung, der sie nicht mehr entkommen können, gezeigt werden. Die Erzählung um Eurydike und Orpheus ist bereits im ersten Moment der Tanzoper beendet – noch bevor die vier Bilder damit beginnen konnten, den Mythos in Bewegung zu setzen. Eurydike sitzt als Verstorbene im Hochsitz und ihr schwebender Blick ist nur scheinbar Teil der Szene der Trauer. Bezieht man die folgenden Auftritte und schlussendlich die Lesart der Eurydike-Figur als Verkörperung des »Prinzips ›Tod‹«98 ein, dann liegt in dem schwebenden Blick aus dem ersten Bild »Trauer« ein Entrücktsein der Verstorbenen. Hoch oben sitzend befindet sie sich als vertikal Aufgebahrte wie im altägyptischen Sarg bereits in einer anderen ›Welt‹. Würde man die Tanzoper in ihrer Erzählweise fortsetzen und dabei jene Ref lexionsebene einziehen wollen, die Bausch mit der »Todessehnsucht der Eurydike, die nicht wieder ins Leben, ins ›Jammertal‹ zurückkehren will«99 formuliert, dann ließe sich ein Szenario aufgreifen, das der italienische Schriftsteller Cesare Pavese (1808-1950) in seinem Text Der Untröstliche (1947) für die Liebe von Orpheus zu seiner Eurydike entwarf: Nach dem Verlust um Eurydike schildert Orpheus darin im Dialog mit einer Bakchantin rückblickend den gemeinsamen Weg mit Eurydike durch den »Wald der Schatten«100 und erklärt, warum er sich, trotz Verbots, zur Wendung entschloss. Grund sei für Paveses Orpheus die Erkenntnis gewesen, dass der Verlust der Geliebten durch eine Rückholung lediglich aufgehalten, nicht aber verhindert werden kann und ihr Leben ohnehin »ein anderes Mal zu Ende sein würde«101. Die Frau, die Paveses Orpheus im Hades fand, sei nicht mehr identisch mit jener gewesen, die er auf Erden geliebt habe: »Eurydike war eine Zeitspanne des Lebens. Ich suchte weit anderes dort unten als ihre Liebe. Ich suchte eine Vergangenheit, die Eurydike nicht kennt. […] Indem sie starb, wurde Eurydike etwas anderes. Jener Orpheus, der hinabstieg zum Hades, war nicht mehr Gatte noch Witwer. Mein Wehklagen von damals war wie das Klagen, das man als Knabe anstimmt und beim zurückdenken belächelt. Die Zeit

Jahre und bezeichnet Bausch (der allgemeinen Rezeption nach) als »Tragikerin des Tanzes«. Ebd., S. 407. 98  Bausch, »5 Fragen«, S. 33. 99  Ebd. 100  P  avese, Cesare: »Der Untröstliche«, in: Ders.: Gespräche mit Leuko [1947], übers. v. Catharina Gelpke, Düsseldorf: Claassen 1958, S.  97-101. Hier zitiert aus dem Wiederabdruck in: Storch, Wolfgang (Hg.): Mythos Orpheus. Texte von Vergil bis Ingeborg Bachmann, Stuttgart: Reclam 2010, S. 221-225. Hier: S. 221. 101  Pavese, in: Storch, Mythos Orpheus, S. 223.

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ist vorbei. Ich suchte, als ich wehklagte, nicht mehr sie, sondern mich selbst. Ein Schicksal, wenn du so willst. Ich hörte mir zu.« 102 Bauschs und Borziks Inszenierung hält eine ›Topografie der Liebe ‹ bereit, die in einer Choreografie der schweren Schritte sichtbar wird. Durch das Schwere Schweben der Gänge werden die Spuren des Suchens, des Schwebens und des Scheiterns im Hades als verzweigte Pfade der Liebe wahrnehmbar. Ob die Liebe der Beiden über den Tod hinaus wirkt, bleibt mit der Tanzoper offen – und somit frei für die Interpretation der Zuschauenden. Das Ende der Tanzoper vermittelt, dass es einen Kreislauf des Trauerns gibt. Damit hat Bausch einen Stil des Trauerns entworfen, wie er dem Literaturwissenschaftler Karl Heinz Bohrer zufolge für das Pathos des Tragischen im 20. Jahrhundert notwendig scheint: »Das Pathos hat in der Gebärde des Schreckens, der Angst und der Trauer ein Paradigma erreicht, das danach nur noch selten erreicht worden ist. Aber manchmal ist es erreicht worden. […] Wenn tragisches Pathos im 20. Jahrhundert wieder auftaucht, dann wird der Stil notwendigerweise anders sein müssen.«103 Mit der Tanzwissenschaftlerin Nicole Haitzinger lässt sich dies in besonderer Weise auch für den Tanz fruchtbar machen, wenn sie im Kontext zu Bohrer schreibt: »Nicht der bloße Handlungsablauf ist konstitutiv für das Tragische, sondern die Aktion, die phänomenale Intensitätserfahrungen möglich macht.«104 Bausch ließe sich demnach nicht als Tragikerin des Tanzes lesen, sondern als Choreografin, die das Tragische im Tänzerischen wahrnehmbar und erfahrbar werden lässt. In welcher Weise lässt sich die Tanzoper von Bausch und die mit ihr erzählte Liebe um die Schattenfrau Eurydike greifen? Welcher Stil des Erzählens und Skizzierens von Figuren zeigt sich in dieser choreografischen Arbeit an der Trauer? Meines Erachtens entwirft Bausch vor dem Hintergrund der mythischen Vorlage, der musikalischen Grundlage und der szenografischen wie choreografischen Mittel einen Blick auf den Mythos, mit dem nicht nur die Gegensätze zwischen ›leicht und schwer‹ oder ›aktiv und passiv‹ aufgehoben scheinen, sondern auch zwischen ›männlich und weiblich‹ – und zwar zugunsten einer Aufwertung der weiblichen Stimme, die in der Tradition der Orpheus-Inszenierungen untergeordnet scheint. Der Literaturwissenschaftler, Kulturtheoretiker und Schriftsteller Klaus Theweleit begegnet der Relation zwischen Orpheus und den weiblichen Stimmen in seinem Buch der Könige. Orpheus und Eurydike mit Zynik: »Orpheus und eine Reihe wechselnder Sängerinnen. Diese Sängerinnen sind auch Frauen, in erster Linie aber ›Kehlen‹ und als solche Angestellte des Mediums, an

102  Ebd., S. 222f. 103   Bohrer, Karl Heinz: Das Tragische. Erscheinung, Pathos, Klage, München: Hanser 2009, S.  386; Haitzinger, Resonanzen des Tragischen, S. 10. 104  Ebd. S. 9f.

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dem/in dem Orpheus arbeitet.«105 Sie seien nicht mehr als »Erweiterungen: klangliche und körperliche Erweiterungen von Instrumenten; klangliche und erotische Erweiterungen von Wörtern, die sie formulieren; Erweiterungen, ohne die nicht zum Ausdruck käme, was Monteverdi zum Ausdruck bringen möchte.«106 Normative Kräfteverhältnisse wie ›machtvoll-männlich‹ und ›widerstandslos-weiblich‹ kippen in der Inszenierung von Bausch immer dann, wenn die Zuschreibungen besonders treffend greifen würden: Nicht nur, dass Bausch die Rollen der Eurydike, des Orpheus und des Amor mit Tanzenden und Singenden verdoppelte und damit auf hob, was in der Operngeschichte und ihrer Hierarchisierung von Stimmen zugespitzt Tradition war: Sängerinnen als »Kehlen«107 und Instrumente. Bausch verlieh gerade jenen Körpern eine Sichtbarkeit, die im Mythos abwesend sind. Das Verhalten der Eurydike mag kühl und distanziert erscheinen. Diese Distanzierung und Entfernung der einst Liebenden im irdischen Raum ließe sich mit dem Denkansatz einer Verhaltenslehre der Kälte, wie ihn der Germanist und Kulturwissenschaftler Helmut Lethen anhand der Schriften Helmuth Plessners (1892-1985) entwirft verbinden. Lethen stützt sich auf Plessners Forderung von Praktiken, »mit denen sich die Menschen nahe kommen, ohne sich zu treffen, mit denen sie sich von einander entfernen, ohne sich durch Gleichgültigkeit zu verletzen.«108 Dementsprechend ist gerade die Fähigkeit zur Distanz, die mit Plessner als natürliche Künstlichkeit des Menschen bestimmt werden kann, jene Eigenschaft, mit der das Künstliche des Menschen zu einem »humanen Verhalten«109 sogar »umgewertet«110 wird. Auch Bauschs Eurydike kann als eine Figur gedeutet werden, die (wie in Bauschs eigener Lesart des ›Orpheus‹-Mythos) für ›jeden von uns‹ steht. Eurydike ließe sich demnach als Figuration der Distanz interpretieren, die über das Libretto der Opernvorlage aus dem Reich der Schatten als menschliche Figur über den Mythos hinauswirkt. Durch choreografische Mittel wie das Sinken im pas grave lässt Bausch wiederum Körper wie den der Orpheus-Figur zu Schatten werden und verschwinden. Orpheus’ Tod ist in der Tanzoper kein Tod eines Helden, der am Ende einer dramatischen Erzählung die Trauer für sich allein in Anspruch nehmen kann. Ihr Held hat, mit Franz Rosenzweig, »nur eine Sprache, die ihm voll-

105  Theweleit, Buch der Könige, S. 620. 106  Ebd., S. 620f. 107  Ebd. 108  P  lessner, Helmuth: Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus [1924], in: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 5, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1981, S. 80. Zitiert in: Lethen, Verhaltenslehren der Kälte, S. 8f. 109  Ebd., S. 9. 110  Ebd.

4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch

kommen entspricht: eben das Schweigen.«111 Der Körper des Darstellenden in der Tanzoper übernimmt in seinem Auftreten auf der Bühne die Anwesenheit der (im Text) schweigenden, weil physisch verborgenen tragischen Heldenfigur. Das Stellvertreter-Modell ›Akteur und Figur‹, wie es bei Benjamin im Ursprung des deutschen Trauerspiels greift,112 verliert in Bauschs Tanzoper durch die Dopplung der Körper und die Komplexität der Bewegungen von Stimm-Körper und Tanz-Körper an Relevanz. Eurydike erscheint als eine von vielen im »Reich der beglückten Schatten«113 und ist dadurch nur schwer identifizierbar. Orpheus’ Stimme verstummt inmitten der Trauerstimmen jenes Chores, der Eurydikes zweiten Tod beklagt. Die Stimme verschwindet in der Menge der Trauernden und wird eine von vielen. Eurydike und Orpheus verhalten sich bei Bausch also nicht als Gegensatzpaar oder Kontrastfiguren, in denen die männliche Figur in erster Linie in Relation zu einer weiblichen Figur steht. Beide Figuren vermitteln gemeinsam und gleichzeitig ihre jeweils eigene Haltung zur Anziehungskraft einer Liebe nach dem Tod. An dieser Stelle scheint insbesondere Theweleits Begriff des orpheisch-eurydikischen zu greifen, den er anhand Richard Wagners Oper Tristan und Isolde (1865) aufwirft: »Bei Wagner rauscht nicht nur Eurydike hinüber; beide tuns und bleiben drüben. So ist es nicht Orpheus, was in Wagner singt; sein Gesang ist orpheisch-eurydikisch, der Gesang (›von drüben‹) eines unmöglichen Paars. Seine grausame Seite ist der unüberhörbare gemeinsame Selbstmord seiner Ausführenden (nicht nur in Tristan-Isolde).« 114 Bausch hat mit ihrer Tanzoper eben diesen »Gesang (›von drüben‹) eines unmöglichen Paars«115 und dessen vergebliche Versuche, einander näher zu kommen, inszeniert. In der choreografischen Gestaltung rückte sie dazu die Kräfteverhältnisse von ›schwerelos‹ und ›schwer‹ ins Zentrum und entwickelte somit eine ästhetische Form des Kraftvollen.116 Orpheus und Eurydike wurden in ihrer Liebe 111  R  osenzweig, Franz: Stern der Erlösung, Frankfurt a.M.: Kauffmann Verlag 1921, S. 98. So auch zitiert von Bettine Menke in ihrer Besprechung von Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels: Menke, Bettine: Das Trauerspiel-Buch. Der Souverän – das Trauerspiel – Konstellationen – Ruinen, Bielefeld: transcript 2010, S. 40. 112  B  enjamin, Walter: Ursprung des deutschen Trauerspiels [1974], in: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. I.1., hg. v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991, S. 205-430. 113  Drittes Bild »Frieden«, Szene 4, Text des Chors. Calzabigi/Moline, Orphée et Eurydice, S. 43. 114  Theweleit, Buch der Könige, S. 767. 115  Ebd. 116  C  hristoph Menke sieht in der »Ästhetik der Kraft […] eine Anthropologie der Differenz: zwischen Kraft und Vermögen, zwischen Mensch und Subjekt.« Menke, Christoph: Kraft. Ein Grundbegriff ästhetischer Anthropologie, 2. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2017, S. 21.

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zu orpheisch-eurydikischen Schatten, die einander als lebende Menschen bedingen, um zu existieren. Um diese Figuren in ihrer Relationalität zueinander ›sinnlich zu sehen‹, scheint eine Dichotomien auf lösende, Gegensätze miteinander verschränkende orpheisch-eurydikische Lesart erforderlich. Borzik setzte Bauschs Gestaltung nicht nur ein Bühnenbild entgegen, sondern hielt zudem mittels der Fotokamera (wie auch Ulli Weiss) und der Videokamera jene Momente fest, die Zeugnis dieser Schatten geben. Die Aufzeichnung aus dem Jahr 1975 zeigt im Moment des langsamen Sterbens der einzelnen Darstellenden nicht eine einzige Totale, in der Orpheus Reaktion in Relation zum Tod der Eurydike als Szene fassbar wäre. Stattdessen filmte Borzik zunächst nur die Orpheus-Sängerin, darauf hin isoliert von allem Geschehen nur den Orpheus-Tänzer, so dass Eurydikes Sterben für die Betrachtenden der Aufzeichnung imaginär stattfinden muss. In dieser Weise scheint Borziks Aufzeichnung der Auffassung Bauschs bezüglich der Figuren zu entsprechen: »Die Unterwelt, die Hölle steckt in uns drin, tief in unserem Unterbewußtsein. Das bedeutet im Prinzip, daß es gar nicht so wichtig ist, ob Eurydike gestorben ist oder nicht. Wichtig ist vielmehr, daß sie in Orpheus gestorben ist.«117 Bausch inszenierte also nicht den Übergang vom Leben in den Tod, sondern die Haltung der Trauernden gegenüber den Verstorbenen und die Haltung der Verstorbenen gegenüber den Lebenden. Und diese Haltung ist keine der Passivität oder »Gleichgültigkeit«118, sondern eine Haltung des ›Zulassens‹. Eurydike fungiert dabei wie ein Transmitter, der das Maß der Haltung im ›Zulassen‹ sichtbar werden lässt. Als Wiederkehrende, als Untote zeigt Eurydike, dass dieses Maß ein relatives ist und ein ›Zulassen‹ von Abweichungen nicht nur zeigt, sondern zugleich fordert. Trauer scheint genau dieses ›Zulassen‹ einer Haltung zwischen Distanz und Nähe einzufordern. Zugleich benötigt Trauer eine Haltung – eine ›innere Schwerkraft‹, mit der die Übergänge zwischen den Modi des Trauerns beschritten werden können. Trauern heißt schweigen, und dennoch erfordert es ein Sprechen über das Schweigen. Selbst wenn das Sterben und der danach einsetzende Stillstand des Lebens die Haltung der Hinterbliebenen in ein kraftloses Taumeln verwandeln, scheint es notwendig zu sein, die Stille mit Stimmen zu füllen. * »Speaking is impossible, but so too would be silence or absence or a refusal to share one’s sadness.«119 – schreibt Jacques Derrida zum Abschied an Paul de Man 117  Bausch, »5 Fragen«, S. 32. 118  Plessner, Grenzen der Gemeinschaft, S. 80. 119  D  errida, Jacques: Paul de Man. In Memoriam of the Soul, in: Brault, Pascale-Anne (Hg.): The Work of Mourning. Jacques Derrida, Chicago/London: The University of Chicago Press 2001, S. 69-75. Hier: S. 70.

4. Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch

in einem seiner Trauertexte, die er nach dem Ableben von 14 Freunden und Weggefährten (und einer Weggefährtin, Sarah Kofman) verfasste.120 Die Literaturwissenschaftlerin Pascale-Anne Brault hebt in ihrer Einleitung zu den von ihr gesammelten Briefen Derridas allerdings hervor, dass diese ebenso gut vor dem Tod der Freunde hätten verfasst werden können. Die Texte würden sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie eine Distanz zum Tod und eine Nähe zum Leben der Freunde vermitteln. »Mourning begins before death, already with friendship – and, in some cases, even before ›friendship proper‹.«121 Bauschs Tanzoper erzählt von einer Liebe die im Tod nicht mehr erwidert werden kann – und zugleich vermittelt sie mit dem ›Enden der Gänge‹ das Zulassen der Zukunft einer möglichen Liebesgeschichte, die noch zu schreiben wäre.

120  V  gl. Brault, »Editor’s Introduction. To Reckon With The Dead. Jacques Derrida’s Politics Of Mourning«, in: Dies. (Hg.): The Work of Mourning, S. 1-29. Hier: S. 4. 121  Ebd., S. 12.

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Als Choreografin hinterließ Pina Bausch ein Repertoire aus rund 40 Stücken. »Pina Bauschs aplomb« (1), wie das erste Kapitel der Studie lautet, vermittelt darüber hinaus tänzerische Qualitäten und Feinstufen des Schweren im Schwerelosen – der gravitas. Ein Beobachten und Beschreiben von Bauschs Haltung, ihrer spezifischen Gestaltung des aplomb, der leichten, Spannung verdichtenden Körperpositionierung, bringt verschiedene Aspekte der Tanz-, Kunst- sowie Kulturgeschichte zum Vorschein: In Schriften von Tanztheoretikern wie Raoul Auger Feuillet, Claude François Ménéstrier, Gottfried Taubert, Pierre Rameau und später Jean-Georges Noverre, die in der Studie unter dem Titel »Choré-grafien des Schwebens im Akademischen Tanz« (2) gefasst sind, sticht in der Gestaltung der Raumwege (Choré-grafien) ein Grundschritt hervor – der pas  grave. Dieser im Wortsinn ›schwere Schritt‹ ist ein Luftschritt, bei dem im Schritte-Setzen kein Bodenkontakt mit dem Spielbein stattfindet. Der pas grave wurde mit der hier unternommenen Perspektivierung auf die Haltung von Körpern in Bühnenräumen sowie auf die Schwere im Schweben über die bloße Nennung in Tanznotationen hinaus erstmals auf seine Performativität hin beleuchtet. Denn mit dem ›schweren Schritt‹ lässt sich zeigen, wie genau die dem Schweren Schweben inhärente Körperspannung und -haltung bereits im frühen Tanzvokabular des europäischen Bühnentanzes in der Barockzeit verankert ist. Durch ein Beleuchten der Tanzkunst im 19.  Jahrhundert stellte die Studie im Teil »Choreo-grafien des Schwebens im Klassischen Akademischen Tanz« (2) heraus, inwieweit dieser pas grave konstitutiv ist für die Gestaltung von Körperbewegungen in Räumen (Choreo-grafien) und Narrativen des Bühnentanzes. Deutlich wird in diesem Punkt ein in der Studie anschließendes, Schritte und fiktive wie architektonische Räume miteinander verzahnendes Phänomen: die Schatten. Sie sorgten in Romantischen Ballettpantomimen für eine Wende im Umgang mit der Schwerkraft im Tanz. Schwerelosigkeit wird nun nicht mehr nur durch die Körperbewegung (Barockzeit) dargestellt, sondern auf narrativer Ebene durch Wesen wie Elfen und Schattenfiguren (Romantik) hervorgehoben. Mit Rückgriff auf literarische Ausgestaltungen übersinnlicher Wesen und Räume lässt sich auch die für die Ballette der Romantik zentrale Ausgestaltung eines fiktiven Raumes greifen: das ›Reich der Schatten‹ Dabei handelt es sich um jenen Ort in den Balletten des 19. Jahrhun-

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derts (vornehmlich den ballets blancs), in dem strukturell die Dualität zwischen irdischer und überirdischer Welt eingebettet ist. Schatten lassen sich – so die Erkenntnis der Studie – über ihren Bildcharakter (Ernst Gombrich, Victor Stoichita) sowie über metaphorische Zuschreibungen hinaus als Versinnbildlichung der hier entworfenen Begriff lichkeit des Schweren Schwebens lesen. Ausschlaggebend für mein aisthetisches Betrachten der Körperlichkeit der Schatten im Bühnentanz sind in dieser Hinsicht die Haltungen von Körpern, wie sie in den für den Klassischen Akademischen Tanz wegweisenden Figurenschriften von Carlo Blasis fixiert sind. Insbesondere die darin festgeschriebene melancholische Haltung von Trauernden oder Figuren, die der Welt entrückt, abgewandt zu sein scheinen (abbandono del mondo), geben Aufschluss darüber, inwieweit das Schweben als Technik und Körperhaltung mit Wesenszügen und Gefühlszuständen innerer Haltungen verbunden sein kann. Mit dem anschließenden Kapitel »Topografien des Schwebens. Schwerkraft-Räume seit der Moderne« (3) thematisiert die Studie jene künstlerischen und physikalischen Entwicklungen, die für eine spezifisch neue Auseinandersetzung mit Schatten und schwerelosen Körpern im beginnenden 20.  Jahrhundert stehen. In der Moderne werden Schatten im Bühnentanz als Bildphänomen und Körper erstmals umgewertet. So zeigt die Gegenüberstellung der Texte und künstlerischen Arbeiten unterschiedlicher Denker und Praktiker (des Tanztheoretikers, Pädagogen und Choreografen Rudolf von Laban, des Malers und Pädagogen Paul Klee, des Physikers Albert Einstein sowie des Autors populärwissenschaftlicher Texte zum Modernen Tanz und zur Physik Rudolf Lämmel) folgende Zusammenhänge: Mit Einstein und seinen Gravitationsfeldern tritt eine Wende in bis dato gültigen Theorien des Raumes ein, die weltweit Auswirkungen auf alle Konzepte zur Schwerkraft (und demnach zum Schweben) hatten: Raum und Zeit sind relativ zueinander, und in dieser Weise nimmt das Gewicht von Körpern eine raum- und zeitkonstitutive Größe im Denken und Darstellen von ›Welten‹ ein. Vor diesem Hintergrund lässt sich sodann jener Aspekt der Tanzgeschichte beleuchten, der für Bauschs Tanztheater eine große Relevanz hat: die Erdanziehungskraft, die im Ausdruckstanz, im Modernen Tanz und im Modernen Ballett tanztechnisch wie ästhetisch besonders betont wurde. Diese Richtungen können im Besonderen anhand spezifischer Körperhaltungen (arc en cercle) sowie ästhetischer Darstellungen von Trauer (Jooss’ Der Grüne Tisch, Tudors Dark Elegies) nachvollzogen werden. Die Betonung ›anderer Räume‹ zeigt sich auch in den Arbeiten der Filmemacherin Maya Deren. Sie visualisiert mit cineastischem Gespür für choreografische Prozesse, inwieweit Bewegungen in außer-irdischen Räumen Inspirationen für den Tanz liefern. Der Blick Zurück auf die »Choré-grafien des Schwebens« (2), die »Choreo-grafien des Schwebens« (2) und ihr Weiterwirken in den »Topografien des Schwebens« (3) führt abschließend zu folgender These: Im Artikulieren der Körperhal-

Fazit und Ausblick

tung schwingt meines Erachtens stets eine Sensibilisierung für innere Haltungen und Seelenzustände der dargestellten Figuren mit. Diese Sensibilisierung ist tief in der Akademisierung von tänzerischer Bewegung verankert – hiervon zeugt der pas grave. Davon ausgehend lässt sich mit dem Ausdruck einer ›inneren Schwerkraft‹ (Saint-Éxupery) von einer ethischen Auffassung von Körperhaltungen sprechen, die insbesondere das Trauern betrifft: Um dem Körper eine souveräne Haltung zu ermöglichen, mit der schwere, bedrückende Zustände wie das Trauern um persönliche, tragische Verluste bewältigt werden können, ist nicht nur ein ›inneres Gleichgewicht‹, sondern eine ›innere Schwere‹ notwendig. Ausgehend von dem crossmapping der Beispiele aus Tanz, Literatur, Film und Physik und den daraus unternommenen begriff lichen Präzisierungen widmete ich mich der zweite Teil der Studie, in einem Blick Zurück Nach Vorn, der Tanzoper Orpheus und Eurydike von Bausch. Im closereading dieser Arbeit hallen die Choreografien und Topografien des Schwebens nach und lassen im Aufspüren der Haltungen in der Schwerkraft die Qualitäten der gravitas deutlich werden. Das Kapitel »Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch« (4) zeigte, inwieweit das relationale Gefüge der Kontrastfiguren ›schwer und schwerelos‹, ›aktiv und passiv‹ sowie ›männlich und weiblich‹ temporär aufgehoben werden kann, und zwar zugunsten einer differenzierten Perspektivierung des Schwebens zwischen den Gegenspannungen. Die Trauerbilder aus Bauschs Tanzoper vermitteln nicht nur das Gehen in imaginären Räumen, wie dem Reich der Schatten, der Unterwelt, dem Jenseits. Sie zeigen außerdem, inwieweit die Choreografin in der Szenografie ihres Partners Rolf Borzik über die besondere Bewegungsqualität des Schweren im Schwebenden eine Sprache für den Prozess der Trauer um die verlorene Lebendigkeit von Liebe entwickelt. Denn zu lieben bedeutet immer auch zu trauern. Beides ist unzertrennlich miteinander verbunden. Trauer ist ebenso wenig verhandelbar wie die Liebe. Die Haltung, die Tanzende und Singende in der Choreografie von Bausch vermitteln, ist eine des Kraftfordernden (emotionalen wie physischen) Loslassens nach Momenten größter Anspannung – so, wie es etwa die dynamische Form eines medialen Aktivs (Klee) verdeutlicht. Genau in diesem Punkt unterscheidet sich Bausch im Besonderen von den eine Schwere ästhetisierenden Gesten des Ausdruckstanzes, den schwungvollen Bewegungen des Modernen Tanzes und dem Schwerelosigkeit zelebrierenden Equilibrium des Balletts. Mit der Umwertung der Gegensätze von ›leicht und schwer‹, die Bauschs Choreografie vermittelt, ergibt sich nach dem Betrachten der Tanzoper auch eine Umwertung der inhaltlichen, dramaturgischen Ebene der Liebesgeschichte um Eurydike und Orpheus. In diesem Sinne widmete sich der Blick Zurück Nach Vorn abschließend mit dem Kapitel »Topografien der Liebe. Bauschs orpheisch-eurydikische Schatten« (4) abschließend den gegensätzlichen Haltungen von Eurydike und Orpheus im Bezug zur Liebe ›nach dem Tod‹. Die Kontrastdramaturgie Bauschs artikuliert sich

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nicht im Gegensatz ›männlich – weiblich‹, sondern in der Relation ›bedingungslose Liebe erwartend‹ und ›Bedingungen der Liebe setzend‹. Diese Zuschreibung ist nur über eine Umwertung der mythischen ›Eurydike‹-Figur möglich. In Bauschs Auffassung, dass die Schattenfrau für das »Prinzip ›Tod‹«1 steht, eröffnet die Choreografie eine neue Perspektive, die sich als weiblicher Blick auf einen männlich entworfenen Mythos beschreiben lässt. Orpheus’ Bewegungen sind erst im Moment von Eurydikes zweiten Sterben leicht. So zeigt sich im Gang des Orpheus ein ›Wissen vom Sterben‹ – schließlich gleicht dieser Gang dem (schwerelosen) der Eurydike. Eurydike, der schwerelose Schatten in der Unterwelt, wird durch die szenografische Gestaltung der Unterwelt und die choreografische Gestaltung der schweren wie leichten Gänge zu einem Schatten mit Gewicht. Eurydike schwebt schwer. Schweben ist immer mit dem Tod, dem Sterben verbunden. Grund dafür ist nicht zwingend die Vorstellung von einer körperlosen, schwerelosen Seele, sondern die Unmöglichkeit für lebende Körper, schweben zu können. Selbst im Weltraum trifft dies zu – ist doch der Tod auch bei Raumfahrten stets Begleiter der Astronautinnen und Astronauten. Mit dieser ›Schärfung des Sehens‹ hin zu einem Spüren von Schwere und Schwerelosigkeit rücken insbesondere jene Fragen ins Zentrum, die bisher vornehmlich durch Arbeiten weiblicher Kunstschaffender deutlich werden: Mit welchem Verständnis von Medialität und Zeitlichkeit lässt sich mit der Figur der Eurydike eine Kraft der Schwere des Weiblichen denken? Richtet Eurydike – im Mythos eine Frau ohne Stimme und Körper, die in der Unterwelt festhängt – ihren schweifenden Blick nicht sogar in die Zukunft? * »[…] meine Zukunft tritt aus dem Schatten, und sieh an, sie ist selbst Schatten, mit andren Schatten, nichts als Schatten, kein Übergang zum Untergang […].«2 Elfriede Jelinek: Schatten (Eurydike sagt) Die österreichische Schriftstellerin und Dramatikerin Elfriede Jelinek spricht der Figur der Eurydike in ihrem Bühnenstück Schatten (Eurydike sagt) jede Form des Zukünftigen ab. Schatten (Eurydike sagt) ist als atemloser Monolog gestaltet und bringt (performativ) den Zustand zum Ausdruck, in dem sich Eurydike von der 1   Bausch, »5 Fragen«, S. 33. 2  Schatten (Eurydike sagt), Uraufführung: 17. Januar 2013, Text: Elfriede Jelinek; (R): Matthias Hartmann, Akademietheater, Wien. Der hier zitierte Text entstammt dem Programmheft der Uraufführung, o.S.

Fazit und Ausblick

Antike bis in die Gegenwart als von Orpheus zurückgelassener Schatten befindet. Als Verstorbene vermag Eurydike in der Konstellation der theatralen Blicke, tiefe Klagegesänge und Schwermut auszulösen, dennoch hat ihr eigener Schatten kaum Spuren hinterlassen. Jelineks Texte und ihr »Theater des Nachlebens«3 werden in der Forschung auch als Mythenzertrümmerungen4 gelesen. In diesen Diskurs ist das Stück Schatten (Eurydike sagt) noch nicht aufgenommen worden. Dies scheint – mit Rückblick auf die Erkenntnisse dieser Studie – in besonderer Form nur dann möglich, wenn Eurydike in ihrer Performativität betrachtet wird. Und zwar so, wie sie nicht nur von Bausch dargestellt wurde, sondern auch von anderen – vornehmlich weiblichen – Kunstschaffenden wie etwa der deutschen Regisseurin Susanne Kennedy: Für ihre Installation Orfeo. Eine Sterbeübung (2013), die sie gemeinsam mit Suzan Boogaerdt, Bianca van der Schoot und der Bühnenbildnerin Kathrin Bombe entwickelte, verlegte Kennedy den Performanceraum in den Schacht eines ungefähr 50 Meter tiefen Kohletrichters.5 Die Zuschauenden wurden in Kleingruppen von acht Personen außerhalb des Gebäudes in Kohlewaggons an den oberen Rand des Betontrichters befördert. Von dort aus galt es einer Stimme zu folgen, die durch einen Parcours hinab in den Trichter zum Schachtboden führte. Akustisch wurde der Raum von einem Kammerorchester für alte Musik, dem Solistenensemble Kaleidoskop gestaltet, das auf dem Boden des Trichters platziert war und Fragmente aus Claudio Monteverdis Orfeo spielte. In diese Atmosphäre aus orchestralen Klängen und einem von den Betonwänden zurückgeworfenen Echo mischte sich ein Gesang: das Lamento des Orpheus, in dem der begnadete Sänger nach dem Tod der Eurydike im fünften Akt der Oper Monteverdis aller Frauenliebe entsagt. Stimme und Körper des Sängers waren in dem Schacht nicht lokalisierbar, sondern blieben zunächst akustische Schatten der mythischen Figur. Das Augenmerk in Kennedys Parcours lag auf dem von einer festen Aufführungsdauer losgelösten Prozess der Gänge in die Unterwelt. Die Anzahl an Zuschauenden, die in festen Zeitfenstern als Kleingruppen in den Trichter gefahren wurden, war auf acht Personen begrenzt. Die Aufgabe der Besuchenden bestand darin, fünf Räume zu passieren, die mit Wänden im Ton gedeckter Pastellfarben und Plastikobjekte als Mobiliar an eine dreidimensionale Umsetzung von virtuellen Realitäten aus Computerspielen wie Second Life erinnerten. Jeder Raum war mit einem kurzen Durchgangsf lur verbunden, dessen Türen aus dem vorherigen in 3   Annuß, Evelyn: Elfriede Jelinek – Theater des Nachlebens, München: Fink 2005. 4   Brunner, Maria E.: Die Mythenzertrümmerung der Elfriede Jelinek, Neuried: Ars Una 1997. 5  Orfeo. Eine Sterbeübung, Performative Installation zur Musik von Claudio Monteverdi, (R): Susanne Kennedy, Suzan Boogaerdt, Bianca van der Schoot; Solistenensemble Kaleidoskop. Zeche Zollverein, Essen 2015; Martin Gropius Bau, Berlin 2015. Meine Beobachtungen beziehen sich auf die Besuche der Installation am 21. August 2015 in Essen, und am 1. Oktober 2015 in Berlin.

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den nächsten Raum von den Besuchenden erst nach einem lauten Warnton geöffnet werden durften. Ohne Hinweis auf die Dauer ihres Aufenthalts in der Installation durchliefen sie die von den Regisseurinnen angekündigte Sterbeübung: In jedem der fünf Räume saßen entweder eine oder mehrere Darstellerinnen mit beigen Gesichtsmasken aus Plastik, an denen Wasserstoff-gebleichte Perücken befestigt waren. In Form, Frisur und Kleidung (figurbetonte T-Shirts und Hosen in Weiß und Pastelltönen) erinnerten die Frauen an Barbiepuppen und Krankenhauspersonal zugleich. Als Vielzahl sollten sie die mythische Figur der ›Eurydike‹ multiplizieren. Die Mimik ihrer jeweils identischen Gesichter war starr. Statt dem Archetyp der amerikanischen Spielpuppe zu ähneln, glichen ihre Plastikmasken durch Atemschlitze an Mund und Nase vielmehr den verzogenen Fratzen aus amerikanischen Zombiefilmen oder den Masken der Schwarzen Herren aus Jooss’ Tisch. Zwei kleine Sichtlöcher für die Augen verstärkten diesen Eindruck. Dem Horrorgenre entsprechend bewegten sich die Eurydike-Darstellerinnen in manchen Räumen entweder gar nicht, weil sie hinter einer leicht geöffneten Jalousie oder einem Duschvorhang mit blindem Stoff versteckt waren; oder sie bewegten sich nur sehr langsam am Platz, während sie mit monotonen Hand- und Kopfbewegungen und repetitivem Spiel von Saiteninstrumenten versuchten, den Beginn des Lamento des Orpheus anzustimmen. Stets war ihr Bewegungsduktus im Gehen schleichend, etwa beim lautlosen Verlassen des jeweiligen Raumes. Im vorletzten (Höllen)raum entließ die Installation die Zuschauenden in ein Wartezimmer, das dem Patientenraum einer Klinik ähnelte. Aufgabe war hier, so lange zu warten, bis eine der dort anwesenden Eurydikes auf eine Teilnehmerin oder einen Teilnehmer zuging und diese wie diesen wortlos und isoliert von den Mitwartenden in einen gesonderten Bereich führte: Es war ein Raum mit weißem Boden, dessen Übergang zu den Wänden f ließend schien und Assoziationen zu einem Operationssaal auf kommen ließ. Dort stand ein Orpheus-Darsteller mit Plastikmaske und steifer Frisur, die an Ken, das männliche Gegenüber von Barbie erinnerte. Schwitzend sang er in einer Endlosschleife jenes Lamento, das schon zu Parcours-Beginn im Trichter hörbar war. Der Orpheus-Sänger bewegte sich auf die jeweils isolierte, zuschauende Person zu. Im letzten Raum wartete eine Eurydike-Darstellerin: Eine der Frauen mit Plastikgesicht und Perücke lag reglos aufgebahrt auf einem Krankenhausbett. Die Dauer des Verweilens in diesem letzten Zimmer wurde den Zuschauenden selbst überlassen. Der Raum der stillgelegten Trichteranlage der Zeche Zollverein im ehemaligen Bergbaugebiet Essens wurde in einen Erfahrungsraum transformiert, der den Aufenthalt in einem Höllenvorhof ahnbar werden ließ. ›Sterben üben‹ hieß bei Kennedy ›Warten ohne Ziel‹. Dem Schattenkörper der Eurydike gab Kennedys Installation mit den langsamen Bewegungen der multiplen Eurydikes und den mit ihnen im Parcours der Sterbeübung folgenden Zuschauerinnen und Zuschauer Gewicht. Der Kohlemischtrichter als Bühnen- und Zuschauerraum und

Fazit und Ausblick

die Dramaturgie der Bewegungen in der Installation f lossen ineinander und erzeugten gemeinsam einen Ort, der den Partizipierenden durch geteiltes Gewicht-Geben und Gewicht-Verlieren ein Assoziieren der Unterwelt erleichterte. Denn die Teilnehmenden passten ihren Bewegungsduktus dem der Eurydikes an. Zudem schienen die Zuschauenden während des Parcours selbst zu einer Art orpheisch-eurydikischen Figur zu werden: In ihrem Warten suchten sie nach möglichen Hinweisen, die zum Höhepunkt der mythischen Geschichte, zum tragischen Moment der Wendung des Orpheus’ hin zur Eurydike führen. Dieser Moment blieb bei Kennedy aus. Stattdessen wanderten die Zuschauenden orpheisch durch die Installation der Unterwelt, um Eurydike zu sehen, ohne ›die Eine‹ zu erkennen. Im Aufeinandertreffen mit Orpheus standen die Zuschauenden, jeweils allein gelassen, gleichsam eurydikisch vor dem Sänger, dessen Blick sie direkt adressiert, aber nicht mehr erreicht. Der zweite Verlust der Eurydike ereignete sich im letzten Raum, dem Sterbezimmer: Erneut einen orpheischen Blick auslösend zog die dort liegende Eurydike einerseits alle Aufmerksamkeit der Betrachtenden auf sich. Andererseits wurde mittels einer Glasscheibe, die als Fenster einen Blick in den weißen Raum des Sängers ermöglichte, die eurydikische Perspektive zwischen den orpheischen Blick auf die ›Verstorbene‹ verschoben. In diesem letzten Zimmer wurden die Zuschauenden mit einer Verschmelzung beider Perspektiven, einer orpheisch-eurydikischen konfrontiert. Erst im Verlassen der Installation löste sich der Blick auf Orpheus und Eurydike. Auch wenn diese Installation weit entfernt von den architektonischen Prinzipien der Guckkastenbühne liegt, bleiben auch hier der theatrale Pakt und die Verschmelzung von Fiktion und Realität bestehen: Im Wechsel zwischen den einzelnen Räumen huschen Eurydike-Darstellerinnen durch Seitentüren, um sich zum Schichtwechsel abzulösen. Wenn auch für die Zuschauenden als Regel gilt, die Türen erst nach einem akustischen Signal zu durchqueren, ist ein Regelbruch jederzeit möglich. Der performativen Installation Kennedys (2015) und der Tanzoper Bauschs (1975) ließe sich eine spezifische Qualität des Weiblichen zuschreiben, die nicht ›das Weibliche‹, sondern eine Form der weiblichen Realität6 entdeckt und aufdeckt. So gebe es der Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen zufolge ohnehin kein »genuin ›Weibliches‹«7, wohl aber spezifische Qualitäten des Weiblichen. Diese müssten – um nicht bloß eine »willkommene Erweiterung des ›männlichen‹ 6   Bovenschen, Silvia: Die imaginierte Weiblichkeit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1979, S. 40. Bovenschen unternimmt in ihrer Studie im ersten Teil eine »Systematisierung der die kulturellen Erscheinungsweisen des Weiblichen moderierenden Bilder und Vorstellungen – den Imagines«, und im zweiten Teil eine Überprüfung dieser »auf ihre kulturhistorischen Entstehungsbedingungen und ihre ästhetischen Ausformungen.« Ebd., S. 15. 7   Ebd., S. 258.

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Projektionsspektrums«8 zu bleiben – in ihrer Spezifität artikuliert werden. In diesem Sinne ist auch die Frage nach einer weiblichen Ästhetik9 aufzufassen, die die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Sigrid Weigel mit Rückgriff auf Bovenschen in ihre These eines »schielenden Blicks«10 als weiblicher Schreibpraxis einbindet. Ein schielender Blick ermögliche die »Doppelexistenz im ›nicht mehr‹ und ›noch nicht‹«11 als Strategie einer Wahrnehmung von Alltag und der zeitgleichen Verknüpfung dieser mit Visionen einer Zukunft. Diese Strategie legt Weigel anhand literarischer Figuren aus Texten weiblicher Autorinnen dar. Übertragen ließe sich ihr Verfahren auf die Herangehensweisen weiblicher Autorinnen in den performativen Künsten, wie Bausch. Zwar arbeitete Bausch nicht im (von einem Außen abgeschlossenen) Schriftraum, wie Literatinnen; dennoch basiert ihr Blick auf einem Rückzug. Viele Entwürfe von Bewegungen und Situationen sowie die Proben fanden in der vom Alltag abgeschnittenen Lichtburg statt. Kennedy und Bausch scheint jener Ausdruck gemeinsam, der in der Studie mit Klaus Theweleits Ausspruch des orpheisch-eurydikischen herausgearbeitet wurde: Ein Blick, der die Relationen der Zuschreibungen des Weiblichen und Männlichen verschiebt und in Schwebe hält. Damit klingt in den künstlerischen Positionen eine Form des Wirklichen nach, wie sie die Philosophin Sarah Kofman beschreibt: In der Kunst »handelt es sich um ein Verschieben des Wirklichen, das in Schwebe versetzt wird, wobei jeder unmittelbare Sinn sich verliert: Es ist da, ohne da zu sein, der Wirklichkeit beraubt, indifferent, sinnentleert. Deshalb hebt die Kunst im Betrachter jedes überkommene oder erwartbare Gefühl auf.«12 Für eine Studie, die das Schwere im Schweben und die doppelten Haltungen von tanzenden Schattenfiguren wie der Giselle und der Ondine aus dem Klassischen Ballett oder der Eurydike aus dem Tanztheater zu erfassen sucht, lässt sich in Ergänzung zu Kofmans Gedanken eines »Verschieben[s] des Wirklichen«13 der Begriff der »Realitätsverdopplung«14 anführen, wie er der Soziologin Elena Esposito zufolge im Rah-

8   Ebd. 9   Bovenschen, Silvia: »Über die Frage: Gibt es eine weibliche Ästhetik?«, in: Ästhetik und Kommunikation. Frauen/Kunst/Kulturgeschichte, Heft 25, Jg. 7 (1976), S. 60-75. 10   Weigel, Sigrid: »Der schielende Blick. Thesen zur Geschichte weiblicher Schreibpraxis«, in: Bontrup, Hiltrud/Metzler, Jan Christian (Hg.): Aus dem Verborgenen zur Avantgarde. Ausgewählte Beiträge zur feministischen Literaturwissenschaf t der 80er Jahre, Hamburg: Argument 2000, S. 35-94. 11   Ebd., S. 87. 12   Kofmann, Sarah: Melancholie der Kunst, übers. v. Birgit Wagner, Wien: Passagen 1986, S. 15. 13   Ebd. 14   Esposito, Elena: »Fiktion und Virtualität«, in: Krämer, Sybille (Hg.): Medien, Computer, Realität: Wirklichkeitsvorstellungen und neue Medien, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1998, S.  269-296. Hier: S. 16.

Fazit und Ausblick

men einer »virtuellen Wirklichkeit«15 gilt. Ausgehend von der Guckkastenbühne16 als »Innovation des Barockzeitalters«17 geht Esposito dem Verhältnis von »Täuschung und Verstellung«18, von »Schein und Realität«19 nach, und entwickelt ein Konzept der Realitätsverdopplung, das die Unwahrscheinlichkeit der Realität (und demnach auch der Wirklichkeit) produktiv denkt.20 »Vorgetäuschtes und Tatsächliches«21 werden in ihrer Gegensätzlichkeit akzeptiert, jedoch zeitgleich sichtbar gemacht: »In einer Welt, in der sich die Erscheinung von der Realität abgelöst hat, besteht der Realismus der Theatervorstellung gerade darin, diese Doppeldeutigkeit zu spiegeln, beide Aspekte darzustellen und sie für den Zuschauer sichtbar zu machen.«22 Die Illusionsstrategien der Theater im 18. Jahrhundert, die zeitgleich und im selben Bühnenraum entfaltet wurden wie die Illusionsstrategien der Choré-grafien im höfischen Tanz in der Barockzeit, hatten zur selben Zeit Einf luss auf die musikalische wie szenische Gestaltung von Christoph Willibald Glucks Orphée et Eurydice. Esposito wirft mit dem Konzept der doppelten Realität und der auf der Barockbühne zum Ausdruck gebrachten Verschränkung von Realismus und Illusion die Schatten einer zeitgenössischen Realität voraus: Es sind die Schatten der ›Virtualität‹ des Bewegens, Denkens, Lebens und Gestaltens in (gesellschaftlichen) Räumen im 21. Jahrhundert. Pina Bausch stand als Choreografin für eine spezifische Form des Zeigens von körperlicher Realität auf der Tanzbühne. Dieses Zeigen von Realitäten im Rahmen von Nicht-Realitäten wie der mythischen Erzählung um Eurydike und Or15   Ebd., S. 288. 16   Die Entwicklung der Guckkastenbühne beschreibt auf treffend poetische Weise Christian Biet: »Die räumlichen Grenzen werden immer deutlicher betont, bis man – deutlich später – von einer ›Schachtel‹ und einer ›vierten Wand‹ sprechen kann, als im 18. Jahrhundert die Bänke von der Bühne verschwunden sind, bis man in der romantischen Periode den Raum der Fiktion immer deutlicher privilegiert, bis man schließlich mithilfe der Beleuchtung den Saal nach und nach verdunkelt und allein die Bühne beleuchtet und bis speziell die Ausstattung – die Kostüme und Objekte – die Hauptaufgabe gestellt bekommt, prinzipiell auf nichts anderes zu verweisen als auf die Fiktion.« Biet, Christian: »Rechteck, Punkt, Linie, Kreis und Unendliches. Der Raum des Theaters in der Frühen Neuzeit«, in: Müller-Schöll, Nikolaus/Reither, Saskia (Hg.): Aisthesis. Zur Erfahrung von Zeit, Raum, Text und Kunst, Schliengen: Edition Argus 2005, S. 52-72. Hier: S. 70. 17   Esposito, Die Fiktion der wahrscheinlichen Realität, S. 16. 18   Ebd. 19   Ebd. 20   »Die Verwirrung über die Einsicht in die Kontingenz dieser Beziehung spiegelte sich im Barock im Stil von Architektur, Mode und Literatur: Täuschungen und Ornamente, Verkleidungen und Metamorphosen, Perspektivenwechsel und Paradoxa, Künstlichkeit und Natur – man setzt sich auf vielfältige Weise mit dem Zusammenhang zwischen diesen Ebenen auseinander.« Ebd., S. 10. 21   Ebd. 22   Ebd.

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pheus bestimmt auch die Tanzoper. In den Choreografien schwebt immer auch der Körper von Bausch als Tänzerin mit. Im Sommer 2009 ist Pina Bausch verstorben. Ihre Arbeiten könnten als Schatten einer vergangenen Schaffenszeit gelesen werden, die bis in die Gegenwart reichen. Hebt man die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Sinne der Physik Einsteins auf, dann schwebt Bauschs Schatten in jedem Aufführungsmoment ihrer Arbeiten mit. Wie lässt sich ein Tanztheater Wuppertal nach Bauschs Leben fortführen, wenn jene Figur (›die Choreografin‹) fehlt, die ihr Ensemble mit ihrem aplomb wie ein tanzender Spiegel durch die Phasen des Gewicht-Gebens und Gewicht-Nehmens navigierte? Anhand des Spiegelmotivs ließe sich letztlich auch die grundlegend kritische Frage nach dem ›Männlichen‹ der Position der Tanztheater-Choreografinnen und Choreografen sowie dem ›Weiblichen‹ der Rolle ihrer Ensembles stellen. So mag für Leitende eines Ensembles, das vor tatsächlichen oder imaginären Spiegeln steht und Bewegungen entwirft sowie prüft, jene Schneewittchen-Metapher zutreffen: »Der Spiegel, das sind die Blicke der anderen, die vorweggenommenen Blicke der anderen. Und von alters her befragt ihn die Frau mit der bangen Frage der Stiefmutter im Märchen: ›Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?‹ Und wenn auch an die Stelle der vielen Anderen der eine Andere tritt, der Mann, der Geliebte, hört die bange Frage nicht auf. Es kommen die Schreckensmomente, wo die Frau sich im Spiegel sucht und nicht findet. Das Spiegelbild ist irgendwohin verschwunden, der Blick des Mannes gibt es ihr nicht zurück.«23 Verschränkt man Bauschs Schatten mit jener Zukunft, die ihre Eurydike als »Prinzip ›Tod‹«24 gewählt hat, dann müsste für das Nachleben des Tanztheaters der Bausch in seiner Nachwelt jene Haltung gelten, die die Orpheus-Figuren von Cesare Pavese und Bausch einnehmen mussten: Das Loslassen der Verstorbenen und ihrer schweren Schatten.

23   Lenk, Elisabeth: »Die sich selbst verdoppelnde Frau«, in: Ästhetik und Kommunkation. ›Frauen/ Kunst/Kulturgeschichte‹, Heft  25, Jg.  7 (1976), S.  84-87. Hier: S.  87. Mit Auslassungen zitiert in: Bovenschen, Die imaginierte Weiblichkeit, S.  42. Sigrid Weigel betont die geringe Anzahl an Ansätzen, die »dieses Spiegelverhältnis in der weiblichen Literaturproduktion, in der Schreibpraxis von Frauen […] untersuchen – diesen ›komplizierten Prozeß von Neu- oder Zurückeroberung, Aneignung und Aufarbeitung, sowie Vergessen und Subversion.‹« Weigel, »Der schielende Blick«, S. 37. 24   Bausch, »5 Fragen«, S. 33.

Dank

Auf der Suche nach dem Schweren im Schweben bin ich von Menschen unterstützt worden, ohne die mein Denken und Schreiben kein Echo erfahren hätten. Dass sich aus Ideen ein durchführbares Dissertationsvorhaben entwickeln konnte, verdanke ich in allererster Linie meiner Erstbetreuerin Gabriele Brandstetter. Mit ihrem Vertrauensvorschuss zu Beginn der Arbeit und dem Begleiten der vielen Stationen gab sie mir den nötigen Rückenwind für eine intensive und bewegende Denkreise. Für den anhaltenden Dialog, weit über die Dissertation hinaus, bin ich ihr besonders dankbar. Nicole Haitzinger begleitete mich als Zweitgutachterin mit anspornendem, konstruktivem Feedback. Dafür und für ihre großzügige Gastlichkeit an der Paris-Lodron-Universität Salzburg und den dort ansässigen Derra de Moroda Dance Archives (in denen ich wiederum dankenswerter Weise sehr herzlich von Irene Brandenburg und Anna-Lena Mützel unterstützt wurde) danke ich ihr sehr. Großer Dank gebührt meiner Prüfungskommission: Doris Kolesch und Matthias Warstat trugen mit inspirierenden Fragen zu einem produktiven Abschluss meiner Disputation bei. Adam Czirak, der als drittes Mitglied in der Kommission wirkte, sei darüber hinaus für seine langjährige Unterstützung und Zusammenarbeit im Koordinieren und Durchführen von (gemeinsamer) Lehre und Forschungsarbeit gedankt. Gabriele Klein danke ich für die Aufnahme in die gemeinsam mit Gabriele Brandstetter herausgegebene Reihe tanzscripte sowie für die bereichernden Hinweise zu meiner Arbeit. Meiner Projektleiterin des transcript Verlags, Christine Wichmann, sowie der Setzerin, Justine Buri, danke ich für die Geduld in den letzten Zügen der Publikation. Pina Bausch bin ich leider nicht mehr begegnet. Meine Recherchen starteten wenige Jahre nach ihrem Tod. Dafür durfte ich in Wuppertal einige jener Menschen kennenlernen, die ihr sehr nahe standen und mit denen sie intensiv gearbeitet hatte. Bauschs damaligem Mitarbeiter Marc Wagenbach sei für das erste intensive Sichten an heißen Sommertagen in Wuppertal und den Austausch gedankt. Große Unterstützung erfuhr ich durch die Pina Bausch Foundation. Salomon Bausch und Nataly Walter-Bausch begegneten mir mit Interesse an meiner Arbeit sowie mit Unterstützung innerhalb der Archivprojekte der Stiftung. Clara Bauer, Angela Deussen und Vera Marz haben mich besonders während der ersten Jahre begleitet. Ismaël Dia, Leiter des Archivs, wurde zu einem wichtigen Ge-

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sprächspartner. Ihnen allen und dem Team der Foundation danke ich für die Bildrechte sowie für das vertrauensvolle Teilen von wertvollen Materialien zu Pina Bauschs Arbeit. Ohne die Tänzerinnen und Tänzer des Tanztheaters Wuppertal wäre mir ein Nachempfinden der künstlerischen Arbeit nicht möglich gewesen. Für Interviews und viele schöne Gespräche in Berlin, Paris, New York City und Wuppertal danke ich Malou Airaudo, Dominique Mercy, Bernd Uwe Marszan, Ed Kortland und Clémentine Deluy. Außerdem danke ich jenen, die Pina Bausch als junge Stipendiatin in den USA kennenlernten: der Leiterin des Archivs der Brooklyn Academy of Music, Sharon Lehner, und den Schwestern Andra und Ernesta Corvino. Sie alle teilten mit mir kostbare Erinnerungen. Eine wichtige Verbindung entstand zu Barbara Kaufmann. Ihr danke ich für wertvolle Impulse und Erzählungen, die meine Auseinandersetzung mit Bewegung bereichern. Meinen Freundinnen wie Freunden und Kolleginnen wie Kollegen möchte ich zudem von Herzen für die stetige Unterstützung während der Zeit meiner Promotion danken. Einen wichtigen Anstoß zur Dissertation gab mir Susanne Foellmer. Für den stützenden Rat in entscheidenden Momenten bin ich ihr sehr dankbar. Maren Butte und Kirsten Maar wurden zu wichtigen Kolleginnen in dem Teilprojekt »Topographien des Flüchtigen« im Sonderforschungsbereich 626 »Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste« an der Freien Universität Berlin. Viele meiner Reisen in Archive, zu Aufführungen und Ausstellungen konnte ich in diesem Rahmen realisieren. Für mein ›Dranbleiben am Material‹ war vor allem ein Zuhören, gemeinsames Tanzen, Denken und Sprechen essentiell. Aus Gabriele Brandstetters Forschungscolloquium konnte ich dank neugierigen Zuhörenden gute Hinweise tragen. Als besonderes Forum zeigte sich die Ballettuniversität in Kooperation mit dem Staatsballett Berlin. Für die zahlreichen Gelegenheiten, in diesen Kontexten Vorträge und Lectures ausprobieren zu können, bin ich sehr dankbar. Adrian Navarro Both danke ich für Traktate zum Tanz in der Barockzeit und die wichtigen Tanzstunden rund um den pas grave. Sabine Huschka, Lucia Ruprecht, Anne Schuh sowie Alexander Schwan danke ich für viele gute Gespräche beim Lunch oder auf gemeinsamen Reisen, und Isa Wortelkamp für Kommentare zur finalen Bildauswahl. Kai van Eikels sei für die intensive Lektüre in Momenten der Ratlosigkeit gedankt. Kirsten Maar bestärkte mich auch im forschenden Suchen und Finden – und darin, fertig zu werden. Ihr, Julia Bee, Moritz Buchner, Gerko Egert und Holger Hartung danke ich zudem für die ausgezeichnete Hilfe in der Vorbereitung zur Disputation. Sonja Wilhelm sei nicht nur für das Korrektorat gedankt. Sie begleitete mich lesend und kommentierend in unterschiedlichsten Phasen. Einen Ort für die letzte Schreibzeit schenkten mir die Familie Kuczewski und Brünne Avanessian-Prack. Ihnen danke ich von Herzen für die Möglichkeit eines intensiven Arbeitens in der Österreichischen Nationalbibliothek. Ein großer Dank gilt Inka M. Lehmann. Sie war von den ersten Gedankenf lügen bis zur letzten

Dank

Zeile dieser Arbeit immer für mich da. Ohne ihr unermüdliches Zuhören, präzises Lesen, Mitdenken und Mitfiebern wäre das Schwere Schweben schwer geblieben. Renate und Manfred Buchner lernte ich mitten in der Dissertationszeit kennen. Sie sorgen bis heute mit ihrer tatkräftigen Teilhabe für unbeschwerte Phasen in meinem Leben. Dafür danke ich ihnen sehr. Schweben lernen durfte ich schon früh. Die ersten Tanzstunden als Kind mündeten bald in ein wachsendes Pensum an praktischen Bewegungsstudien. Die vielen Stunden in Studios und Seminarräumen bedeuteten, in meiner Familie für lange Zeit abwesend zu sein. Mit ihrem Echo aus der Ferne begleitet sie mich mit Zuspruch und Vertrauen. Für ihr frühes Hinführen zur Kunst, zum Tanz, und ihre Teilhabe an meinem Weg bin ich meinen Eltern Monika Diagne und Atou Diagne sowie meiner Schwester Dominique Diagne ewig dankbar. In den letzten Zügen der Arbeit kündigte sich meine Tochter Selma Thiale Buchner an. Mit ihrem Start ins Leben wurde mein Loslassen vom Lebensprojekt Dissertation spielerisch beschleunigt. Im Aufgreifen und Festhalten neuer Fäden begleitet mich täglich Moritz Buchner. Dafür danke ich ihm innig. Anders als im Mythos ist er trotz manch notwendiger Schattenphase der Promotion orpheisch-eurydikisch ›neben‹ mir geblieben und hat mich mit seinem beratenden Mitdenken und liebevollen Mitfühlen gestützt. Ihm und unserer Tochter widme ich dieses Buch.

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Quellen- und Literaturverzeichnis Aufführungsbesuche Orphée et Eurydice, Opéra Dansé, (Ch): Pina Bausch, (Sz): Rolf Borzik, (M): Christoph Willibald Gluck, (L): Raniero d’Calzabigi, Probenbesuch (2+3. Mai 2014) und Premierenbesuch (3. Mai 2014) der Wiederaufnahme/Rekonstruktion an der Opéra National de Paris: Besetzung: (Orpheus) Stéphane Bullion (T) & Maria Riccarda Wesseling (S); (Eurydike) Marie-Agnès Gillot (T) & Yun Jung Choi (S); (Amor) Muriel Zusperreguy (T) & Jael Azzareti (S); Ballet de l’Opéra National de Paris, Balthasar-Neumann-Ensemble und Chor, Musikalische Leitung: Thomas Hengelbrock, Opéra Garnier Paris, 3. Mai 2014 Orfeo, Choreografische Oper, (Ch&R): Sasha Waltz, (M): Claudio Monteverdi, Tanz, Gesang und Musik: Sasha Waltz & Guests, Freiburger BarockConsort, Vocalconsort Berlin, Staatsoper Unter den Linden im Schillertheater, Berlin, 6. Juli 2015 Orfeo. Eine Sterbeübung, Performative Installation zur Musik von Claudio Monteverdi, (R): Susanne Kennedy, Suzan Boogaerdt, Bianca van der Schoot, Solistenensemble Kaleidoskop, Zeche Zollverein, Essen, 21.  August  2015; Martin Gropius Bau, Berlin, 1. Oktober 2015 What about Orfeo? Tanzperformance, (Ch und Tanz): Cocoon Dance, Ballhaus Ost, Berlin, 24. Oktober 2015 Orfeo ed Euridice, Oper von Christoph Willibald Gluck, Wiener Fassung 1762, (R): Jürgen Flimm, (M. Leitung): Domingo Hindoyan, (Sz): Frank O. Gehry, Staatsoper Unter den Linden im Schillertheater, Berlin, 22. Juni 2016 Operation Orpheus, Tanzperformance, (Ch und Tanz): Jule Flierl, Tanznacht Berlin 2016, Tanzfabrik/Uferstudios, Berlin, 28. August 2016 Schatten (Eurydike sagt), Schauspiel/intermediale Performance nach Elfriede Jelinek, (R): Katie Mitchell, Schaubühne, Berlin, 8. Oktober 2016

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Audiovisuelle Medien Adam, Adolphe: Giselle, Opéra national de Paris, 2006, Arthaus Musik. Mit: Nicolas Le Riche (Albrecht), Laetitia Pujol (Giselle), Marie-Agnès Gillot (Myrtha), Orchester, Chor: Premiers Danseurs et le Corps de Ballet de l’Opéra national de Paris, Orchestre de l’Opéra national de Paris, Paul Connelly (M. Leitung); Jean Coralli, Jules Perrot (CH) Bausch, Pina: Iphigenie auf Tauris, Aufzeichnung aus der Spielzeit 1973/74, schwarzweiß Aufnahme, Kamera: Rolf Borzik, Tanztheater Wuppertal, Wuppertaler Bühnen, Besetzung: (Iphigenie) Marion Sagon, (Orest) Dominique Mercy, (Pylades) Ed Kortland, (Thoas) Carlos Orta, Archivmaterial der Pina Bausch Foundation Bausch, Pina: Iphigenie auf Tauris, Aufzeichnung vom 10.10.1998, Farbaufnahme, Kamera nicht benannt, Tanztheater Wuppertal, Wuppertaler Bühnen, Spielzeit 1998/99, Besetzung: (Iphigenie) Ruth Amarante, (Orest) Dominique Mercy, (Pylades) Bernd Uwe Marszan, (Thoas) Lutz Förster, Archivmaterial der Pina Bausch Foundation Bausch, Pina: Orpheus und Eurydike, Aufzeichnung, vermutlich aus dem Jahr 1975, schwarz-weiß Aufnahme, Kamera: Rolf Borzik, Tanztheater Wuppertal, Wuppertaler Bühnen, Spielzeit 1974/75, (M): Christoph Willibald Gluck, (L): Ranieri Calzabigi, (Ch): Pina Bausch, (Sz): Rolf Borzik, (M. Leitung): Janos Kulka, Ensemble (E): Tanztheater Wuppertal, Sopranistinnen, Chor und Orchester der Wuppertaler Bühnen, (UA): 23.05.1975, Opernhaus Wuppertal, Besetzung: (Orpheus) Dominique Mercy/Ed Kortlandt (T) & Lois White (S), (Eurydike) Malou Airaudo/Josephine Ann Endicot (T) & Bozena Kinasz (S), (Amor) Marlies Alt (T) & Kristina Eckert (S), Archivmaterial der Pina Bausch Foundation Bausch, Pina: Orpheus und Eurydike, Aufzeichnung aus dem Jahr 1991 (Wuppertal), Farbaufnahme, Kamera unbenannt, Tanztheater Wuppertal, Wuppertaler Bühnen, Spielzeit 1991/92, Besetzung: (Orpheus) Dominique Mercy (T) & Annette Jahns (S)/Bernd Marszan (T) & Veronika Valdner (S), (Eurydike) Malou Airaudo (T) & Francesca Hirzel (S)/Ruth Amaranthe (T) & Francesca Hirzel (S), Archivmaterial der Pina Bausch Foundation Bausch, Pina: Orpheus und Eurydike, Aufzeichnung, aus dem Jahr 1993 (Paris), Farbaufnahme, Kamera unbenannt, Tanztheater Wuppertal, Opera Garnier, Spielzeit 1992/93, Besetzung: (Orpheus) Dominique Mercy (T) & Lois White (S)/ Ed Kortland (T) & Lois White (S); (Eurydike) Malou Airaudo (T) & Bozena Kinasz (S)/Josephine Ann Endicot (T) & Ingeborg Krüger (S), (Amor) Marlies Alt (T) & Kristina Eckert (S), Archivmaterial der Pina Bausch Foundation Bausch, Pina: Orphée et Eurydice, Aufzeichnung vom 19. November 2008 (Paris), Kamera: Vincent Bataillon für den Sender arte, Tanztheater Wuppertal, Opéra Garnier, Besetzung: (Orpheus) Yann Bridard (T) & Maria Riccarda Wesse-

Quellen- und Literaturverzeichnis

ling (S), (Eurydike) Marie-Agnès Gillot (T) & Julia Kleiter (S), (Amor) Miteki Kudo (T) & Sunhae Im (S), Ballet de l’Opéra National de Paris, Balthasar-Neumann-Ensemble und Chor, M. Leitung: Thomas Hengelbrock, Bel Air Classiques BAC044 (DVD). Brown, Trisha: L’Orfeo, Theaterprojekt nach Monteverdi, (Ch): Trisha Brown, Brüssel 1998. DVD-Aufzeichnung der Inszenierung von Harmonia Mundi (HMD 9909003.04), 2007 Cocteau, Jean: Orphée, Film und Buch, zweiter Teil der Orpheus-Trilogie, (R): Jean Cocteau, (M): Georges Auric, 1950, Paris, mit Jean Marais, Maria Casares, Marie Déa, Alive-Vertrieb 2009, DVD Hoffmann, Reinhild: Callas, Aufzeichnung aus dem Jahr 1983 (Bremen), (Ch): Reinhild Hoffmann, (Kamera): Heidemarie Härtel, Tanztheater Bremen, Concordia Theater, (UA) 18. September 1983, Archivmaterial Reinhild Hoffmann; zudem: Callas, Aufzeichnung aus dem Jahr 2012 (Bremen), Rekonstruktion mit dem Tanztheater Bremen, Kamera: Heidemarie Härtel, Theater am Goetheplatz, Bremen, DVD Hoffmann, Reinhild: Begehren, Musiktheater in 10 Szenen für Sopran, Sprecher, Chor, Tänzer und Instrumente, (M&R): Beat Furrer, (Ch): Reinhild Hoffmann, konzertant: Graz 5.10.2001; szenische UA: Graz 9.1.2003, Archivmaterial Reinhild Hoffmann Hoffmann, Reinhild: Denn ein für alle Mal ist’s Orpheus wenn es singt, Aufzeichnung aus dem Jahr 1994 (Bochum), (Ch): Reinhild Hoffmann, Tanztheater Bochum, Archivmaterial Reinhild Hoffmann Jooss, Kurt: Der Grüne Tisch, Aufzeichnung ca. 1964/65 (Essen), (Ch) und (L): Kurt Jooss, (M): Fritz A. Cohen, mit Pina Bausch als Mutter und Jean Cébron als Tod, Archivmaterial der Pina Bausch Foundation Kudlacek, Martina: In the Mirror of Maya Deren, Dokumentarfilm/DVD, Performance: Miriam Arsham, Stan Brakhage, Chao Li Chi, Rita Christiani, Maya Deren, Katherine Dunham und Alexander Hammid, Zeitgeist Video 2002 Pugni, Cesare, Ondine ou La Naïade; (Ch): Jules Perrot, (M): Cesare Pugni, Rekonstruktion der Choreografie durch Pierre Lacotte für das Marinsky Ballett, Besetzung: (Ondine) Evgenia Obraztsova, Sankt Petersburg 2006, Aufführungsmitschnitt Tudor, Antony: »Comment I: Arabesques«, in: A Choreographer Comments 1960 © Juilliard School, Archivmaterial der Juilliard School und der Pina Bausch Foundation Tudor, Antony, Dark Elegies (1937), Aufzeichnung mit dem Kansas City Ballet 2007 Wehrli, Penelope: camera orfeo, auto-choreografische und mediale Komposition, (R): Penelope Wehrli, Radialsystem V Berlin, 2008, Videomitschnitt, Archivmaterial Penelope Wehrli

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Primärliteratur Appia, Adolphe: Staging Wagnerian drama. [Adolphe Appia: La mise en scène du drame wagnérien], hg. v. Peter Loeff ler, Basel/Berlin/u.a.: Birkhaeuser 1988 Aristoteles: Physik Vorlesungen, übersetzt von Hans Wagner, in: Ernst Grumach (Hg.): Aristoteles. Werke. In Deutscher Übersetzung, Bd.  11 Physikvorlesung, Berlin: Akademie-Verlag 1967 Aristoteles: De Anima/Über die Seele, hg.  v. Gernot Krapinger, Stuttgart: Reclam 2011 Arnheim, Rudolf: Kunst und Sehen. Eine Psychologie des schöpferischen Auges, Berlin: De Gruyter 2000 Bausch, Pina: »Alle meine Informationen entstammen dem Gefühl«, Gespräch mit dem Italienkorrespondenten Veit Mölter, ursprünglich veröffentlicht in der Westfälischen Rundschau am 4. Januar 1990, in: Koldehoff, Stefan/Pina Bausch Foundation (Hg.): O-Ton Pina Bausch. Interviews und Reden, Wädenswil: nimbusbooks 2016, S. 128-131 —: »Etwas finden, was keiner Frage bedarf«, Rede beim »2007 Kyoto Prize Workshop in Arts and Philosophy«, am 12. November 2007 in Kyoto, in: Koldehoff, Stefan/Pina Bausch Foundation (Hg.): O-Ton Pina Bausch. Interviews und Reden, Wädenswil: nimbusbooks 2016, S. 317-332 —: »Ich wollte Bilder, die ich sah, die ich fühlte, die ich fühlen wollte«, Informationsblatt zum Film Die Klage der Kaiserin, zur Uraufführung am 17.  Februar 1990 bei den 40. Internationalen Filmfestspielen Berlin. Gesprächspartnerin Eva M. J. Schmid, in: Koldehoff, Stefan/Pina Bausch Foundation (Hg.): O-Ton Pina Bausch. Interviews und Reden, Wädenswil: nimbusbooks 2016, S. 142-149 —: »5 Fragen an Pina Bausch zu ihrer Inszenierung von Glucks Orpheus und Eurydike«, ein Gespräch mit Edmund Gleede, in: »Orpheus und Eurydike«. Tanzoper in 4 Bildern von Christoph Willibald Gluck, Theaterzettel 4 der Wuppertaler Bühnen, Spielzeit 1975/76. Wieder abgedruckt in: Koldehoff/Pina Bausch Foundation, O-Ton Pina Bausch. Interviews und Reden, Wädenswil: nimbusbooks 2016, S. 29-33 —: Orpheus und Eurydike, Programmheft und Programmzettel zur Uraufführung, 23.  Mai  1975, hg.  v. Wuppertaler Bühnen, Spielzeit 1975/76, Wuppertal 1975, Archivmaterial der Pina Bausch Foundation —: Orpheus und Eurydike, Programmheft zur Wiederaufnahme in Wuppertal, 21. Dezember 1991, hg. v. Wuppertaler Bühnen, Spielzeit 1991/92, Wuppertal 1991, Archivmaterial der Pina Bausch Foundation —: Orphée et Eurydice, Programmheft zum Gastspiel in Paris, 23.  Februar  1993, hg. v. Opera national de Paris, Spielzeit 1992/93, Paris 1993, Archivmaterial der Pina Bausch Foundation

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Lessing, Gotthold Ephraim: Der Bär und der Elefant [1759], in: Ders.: Gedichte, Fabeln, Lustspiele, Bd. 1, hg. v. Herbert G. Göpfert, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1996, S. 291 —: Der Tanzbär, in: Ders.: Gedichte, Fabeln, Lustspiele, Bd. 1, hg. v. Herbert G. Göpfert Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1996, S. 197-198 Lévinas, Emmanuel: Die Zeit und der Andere [Le Temps et l’Autre, 1979], übers. v. Ludwig Wenzler, Hamburg: Meiner 1984 Mannlich, Johann Christian von/Stollreither, Eugen (Hg.): Rokoko und Revolution: Lebenserinnerungen des Johann Christian von Mannlich 1741-1822, 2. Auf l., Berlin: Mittler 1913 Ménéstrier, Claude François: Des Ballets anciens et modernes selon les Règles du Théâtre, Paris: o.V. 1682 Nietzsche, Friedrich: Kritische Studienausgabe (KSA), hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, Bd. 10: Nachgelassene Fragmente 1882-1884, Sommer—Herbst 1882, 3[1], 343, Berlin: De Gruyter 1999 Noverre, Jean Georges: Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette [1760], übers. v. Gotthold Ephraim Lessing u. Johann Joachim Christoph Bode, Hamburg u. Bremen 1769, Faksimile hg. v. Kurt Petermann, München: Heimeran 1977 —: Lettres sur la danse, sur les ballets et les arts (1803), hg. v. Flavia Pappacena, Lucca: Libr. Musicale Italiana 2012 Ovidius Naso, Publius: Metamorphosen [1  n.  Chr.–8  n.  Chr.], in dt. Hexameter übertr. u. hg. v. Erich Rösch, München: Heimeran 1952 Pavese, Cesare: »Der Untröstliche«, in: Ders.: Gespräche mit Leuko [1947], übers. v. Catharina Gelpke, Düsseldorf: Claassen 1958, S. 97-101 Platon: Das Gastmahl, in: Ders. Werke in acht Bänden. Griechisch und deutsch, Bd. 3, bearb. v. Dietrich Kurz, übers. v. Friedrich Schleiermacher, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1990, S. 233-237 Pseudo-Longinos: Vom Erhabenen, gr. u. dt. hg. u. übers. v. Reinhard Brandt, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1966 Quintilianus, Marcus Fabius: Institutionis oratoriae. Libri XII. Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher, Bd. 2, Buch XI, 3.1, hg. u. übers. v. Helmut Rahn, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006 Rameau, Pierre: Le Mâitre à Danser, Paris: o.V. 1725 Rancière, Jacques: Aisthesis. Scenes from the Asthetic Regime of Art, London/New York: Verso 2013 Rilke, Rainer Maria: Sonette an Orpheus, Fünftes Sonett, in: Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke, Bd. 1, hg. v. Ernst Zinn, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1955 Sartre, Jean-Paul: Der Blick. Ein Kapitel aus Das Sein und das Nichts [1952], hg.  v. Walter van Rossum, Mainz: Diedrich’sche Verlagsbuchhandlung 1994 Schiller, Friedrich: Das Reich der Schatten, in: Die Horen, Bd. 3, 9. Stück, 1795, in: Petersen, Julius/Beissner, Friedrich (Hg.): Schiller Nationalausgabe [NA], Bd. 1,

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Sekundärliteratur Abenstein, Reiner: Griechische Mythologie, 4. Auf l., Paderborn: Ferdinand Schöningh UTB 2016 Abert, Anna Amalie: Geschichte der Oper, Kassel/Stuttgart: Bärenreiter und Metzler 1994 Adorno, Theodor W.: Bürgerliche Oper, in: Gesammelte Schrif ten, Bd. 16, Frankfurt a. M: Suhrkamp 1978, S. 24-39 —: Zur Dialektik des Engagements, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1973 Alba, Icaro: »Der Dramaturg des Raumes«, in: Wuppertaler Bühnen (Hg.): Rolf Borzik und das Tanztheater, Wuppertal: Wuppertaler Bühnen 2000, S. 118-123

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Zimmermann, Michael F.: »Delaunays ›Formes Circulaires‹ und die Philosophie Henri Bergsons. Zur Methode der Interpretation Abstrakter Kunst«, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 48/49, Köln: DuMont 1987, S. 335-364 Zinsmeister, Anett: »Modularisierungen von Raum und Bewegung als ästhetisches Programm«, in: Brandstetter, Gabriele/Wiens, Birgit (Hg.): Theater ohne Fluchtpunkt. Das Erbe Adolphe Appias: Szenographie und Choreographie im zeitgenössischen Theater, Berlin: Alexander-Verlag 2010, S. 76-102

Onlinepublikationen https://www-1mgg-2online-1com-1875008798.erf.sbb.spk-berlin.de/article?id=m gg15859&v=1.0&rs=id-cedea01c-0304-c60b-ef b5-0548a80060f2. Letzter Zugriff: 10.10.2017 http://antonytudor.org/ballets/choreographer-comments.html Letzter Zugriff: 11.09.2017 https://www.baerenzwinger.berlin/Aktuell/ Letzter Zugriff: 10.01.2019 http://cabinetmagazine.org/issues/32/schuster.php Letzter Zugriff: 03.07.2017 www.faz.net/-gqz-pklr., Letzter Zugriff: 30.03.2017 http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k5660437h?rk=21459;2 Letzter Zugriff: 10.08.2017 http://levyarchive.bam.org/ProgramHistory/Index/season_id/12 Letzter Zugriff: 17.09.2017 http://levyarchive.bam.org/Detail/occurrences/1034 Letzter Zugriff: 17.09.2017 www.pina-bausch.de.k1755.ims-firmen.de/tanztheater/kostueme/borzik.php? text=lang, Letzter Zugriff: 10.10.2017 www.pina-bausch.de.k1755.ims-firmen.de/stuecke/orpheus_und_eurydike.php# Letzter Zugriff: 10.10.2017 http://sarma.be/docs/951. Letzter Zugriff: 14.09.2017 https://seminarschwerkraft.wordpress.com/2014/04/15/anmutschwebenf liegen/ Letzter Zugriff: 11.09.2017 http://sensesofcinema.com/2002/great-directors/deren-2/. Letzter Zugriff: 04.09.2017 https://vimeo.com/158600548. PINA BAUSCH UND DAS TANZTHEATER – Behind the art. Letzter Zugriff: 05.01.2019

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Abbildungsverzeichnis Einleitung Abb. 1: Erstes Bild „Trauer“, aus: Orpheus und Eurydike von Pina Bausch an der Pariser Oper (2008), Filmstill

Kapitel I – Pina Bauschs aplomb. Ballett im Tanztheater Abb. 2: Pina Bausch und Ensemble Lichtburg 1996 © Wilfried Krüger, Bildzitat aus: Krüger, Wilfried/Pina Bausch Foundation (Hg.): Proben in der Lichtburg/ Rehearsal in the Lichtburg, Wädenswil: Nimbus 2017, o.S. Abb. 3: Pina Bausch und Koert Stuyf in Antony Tudors A Choreographer Comments an der Juilliard School, April 1960, © Impact Photos Inc., Eigentum der Juilliard Archives. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Archivs der Juilliard School durch Jeni Dahmus Farah und Jane Gottlieb. Mit besonderem Dank an Rachel Straus.

Kapitel II – Schweben im schweren Stil. Zur gravitas als Denk- und Tanzfigur Abb. 4: Tems de courante En avant, aus: Feuillet, Raoul Auger: Chorégraphie, ou l’art de décrire la danse par caractères, figures et signes démonstratifs, Paris 1701, S. 47 Abb. 5: Sarabande, Stichfigur aus: Lambranzi, Gregorio: Neue und curieuse theatralische Tantz-Schul, Nürnberg 1716. Bildzitat aus: Schroedter, Stephanie: Vom ›Af fect‹ zur ›Action‹: Quellenstudien zur Poetik der Tanzkunst vom späten ballet de cour bis zum frühen ballet en action, Würzburg: Königshausen & Neumann 2004, S. 231 Abb. 6: Scaramuzza (Scaramouche), Stichfigur aus: Lambranzi, Gregorio: Neue und curieuse theatralische Tantz-Schul, Nürnberg 1716. Bildzitat aus: Schroedter, Stephanie: Vom ›Af fect‹ zur ›Action‹: Quellenstudien zur Poetik der Tanzkunst vom späten ballet de cour bis zum frühen ballet en action, Würzburg: Königshausen & Neumann 2004, S. 231

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Abb. 7: Arabesken, Plate 10, aus: Blasis, Carlo: The Code of Terpsichore. The Art of Dancing: comprising its Theory and Practice, and A History of its Rise and Progress from the ear lies Times, London 1830, S. 569 Abb. 8: »The Floating Willis (Ballet)«, Bildzitat aus: Hopkins, Albert: Magic: Stage Illusions, Special Ef fects and Trick Photography [1898], New York: Dover Publication 1976, S. 322 Abb. 9: Marie-Agnès Gillot als Myrtha im 2. Akt aus Giselle. Filmstill aus: Adam, Adolphe: Giselle, Opéra national de Paris, 2006, Arthaus Musik. Mit: Nicolas Le Riche (Albrecht), Laetitia Pujol (Giselle), Marie-Agnès Gillot (Myrtha), Orchester, Chor: Premiers Danseurs, Corps de Ballet und das Orchester der l’Opéra national de Paris, Dirigent: Paul Connelly; nach einer Choreografie von Jean Coralli und Jules Perrot Abb. 10: Marie-Agnès Gillot als Myrtha im 2. Akt aus Giselle. Filmstill aus: Adam, Adolphe: Giselle, Opéra national de Paris, 2006, Arthaus Musik. Mit: Nicolas Le Riche (Albrecht), Laetitia Pujol (Giselle), Marie-Agnès Gillot (Myrtha), Orchester, Chor: Premiers Danseurs, Corps de Ballet und das Orchester der l’Opéra national de Paris, Dirigent: Paul Connelly; nach einer Choreografie von: Jean Coralli, Jules Perrot Abb. 11: The Ballet from »Robert le Diable«, Edgar Degas, Öl auf Leinen, 66 x 54.3 cm, 1871, datiert 1872, H. O. Havemeyer Collection, Eigentum von Mrs. H. O. Havemeyer, 1929 Abb. 12: Ondine ou La Naïade; Fanny Cerrito als Ondine; Bühnenbild: William Grieve; Illustration der Schattenszene: Constantin Guys Abb. 13: Fig. 4. Bildzitat aus: Blasis, Carlo: L’uomo fisico, intellettuale e morale, Mailand 1857, S. 211 Abb. 14: Fig. 2. Bildzitat aus: Blasis, Carlo:, L’uomo fisico, intellettuale e morale. Mailand 1857, Plate III, S. 233 Abb. 15: Albrecht Dürer, Melencolia I (1514), freie Bilddatei aus: Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa; webseite: http://collections.tepapa.govt.nz/Object/44026/download. Letzter Zugriff: 12.09.2017 Abb. 16: Fig. 7. Bildzitat aus: Blasis, Carlo: L’uomo fisico, intellettuale e morale. Mailand 1857, Plate III, S. 233 Abb. 17: Fig. 529, Sisonne. Bildzitat aus: Pappacena, Flavia/Cecchetti, Grazioso: manual of classical dance: Enrico Cecchetti method, Vol. 2, Rom: Gremese 1998, S. 45

Abbildungsverzeichnis

Kapitel III – Topografien des Schwebens. Schwerkraft-Räume in Tanz & Physik seit der Moderne Abb. 18: »Tafel 37. Der Abstieg in die Unterwelt, Orpheus 1912«, Bildzitat aus: Beacham, Richard C.: Künstler und Visionär des modernen Theaters [1994], Berlin: Alexander Verlag 2006, S. 141 Abb. 19: »Plate 25. Rehearsal photograph ot the chorus of mourners«, Bildzitat aus: Beacham, Richard C.: Adolphe Appia. Theatre Artist, Cambridge/u.a.: Cambridge University Press 1987, S. 72 Abb. 20: Mary Wigman in Hexentanz II (1926). Bildzitat aus: Wigman, Mary: Die Sprache des Tanzes, Stuttgart: Ernst Battenberg Verlag 1963, S. 20 Abb. 21: Sturz der gefallenen Engel (1562) von Pieter Bruegel der Ältere, Öl auf Eichenholz, Royal Museums of Fine Arts of Belgium, Brüssel. Freie Bilddatei Abb. 22: Grete Wiesenthal in Donauwalzer (1908). Bildzitat aus: Brandstetter, Gabriele: Tanz-Lektüren. Körperbilder und Raumfiguren der Avantgarde, 2. Auf l., Freiburg i.Br.: Rombach 2013, S. 203 Abb. 23: Mary Wigman in »Klage« aus dem Zyklus Opfer (1931). Bildzitat aus: Lämmel, Rudolf: Der moderne Tanz. Eine allgemeinverständliche Einführung in das Gebiet der rhythmischen Gymnastik und des neuen Tanzes, Berlin: Oestergaard 1928, o.S. Abb. 24: Tanz des trauernden Kindes (1922) von Paul Klee. Bildzitat aus: Klingsöhr-Leroy, Cathrin/Pinakothek der Moderne (Hg.): Die Pinakothek der Moderne München: Malerei, Skulptur, Fotografie, Videokunst. Museen der Welt, München: C. H. Beck, 2005, S. 55 Abb. 25: Liedie Blankenberg im Fotostudio Merkelbach, 1914 oder 1919, Glasnegativ, SAA 010164004026. Bildzitat aus: Van Benning, Nicky: »Angehaltene Bewegung. Die Tanzfotografien des Fotostudios Merkelbach«, in: Jahn, Tessa/ Wittrock, Eike/Wortelkamp, Isa: Tanzfotografie. Historiografische Ref lexionen der Moderne, Bielefeld: transcript 2015, S. 96-111. Hier: S. 102 Abb. 26: Vera Skoronell in »Schwebung« (1925) im Fotostudio Suse Byk. Bildzitat aus: Lämmel, Rudolf: Der moderne Tanz. Eine allgemeinverständliche Einführung in das Gebiet der rhythmischen Gymnastik und des neuen Tanzes, Berlin: Oestergaard 1928, o.S. Abb. 27: Sigurd Leeder unterrichtet im Ikosaeder eine Schräge im Raum an der Folkwangschule in Essen, 1930 © SAPA, Nachlass Sigurd Leeder, mit freundlicher Genehmigung des Schweizer Archivs der Darstellenden Künste Abb. 28: Seiltänzer, Lithografie von Paul Klee, 1923. Bildzitat aus: Klee, Paul: Das bildnerische Denken. Schrif ten zur Form- und Gestaltungslehre, hg. v. Spiller, Jürg, Basel/Stuttgart: Benno Schwabe & Co. Verlag 1964, S. 196

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Abb. 29: Diagramm einer Schattenform, die drei Achsen enthält. Bildzitat aus: Laban, Rudolf von: Choreutik. Grundlagen der Raumharmonielehre des Tanzes [1966], Wilhelmshaven: Heinrichshofen 1991, S. 65 Abb. 30: Andra Corvino in einer Pose aus dem Ballett The Gallery (1981) von Ernesta Corvino. Foto: Less Carr. Bildzitat aus: Lille, Dawn (Hg.): Equipoise. The Life and Work of Alfredo Corvino, New York: Rosen Book Works 2010, S. 161 Abb. 31: Filmstill aus: Maya Deren: The Very Eye of Night (1959). Musik: Teiji Ito; Choreografie: Antony Tudor; 16mm, schwarz-weiß, 15 Min. Abb. 32: Maya Deren in Proben mit Tanzenden, zu The Very Eye of Night (ca. 1958). Filmstill aus: Kudlacek, Martina: In The Mirror of Maya Deren, Dokumentarfilm/DVD, Performance: Miriam Arsham, Stan Brakhage, Chao Li Chi, Rita Christiani, Maya Deren, Katherine Dunham, and Alexander Hammid, Zeitgeist Video 2002 Abb. 33: Dark Elegies (1937) von Antony Tudor, Kansas City Ballet 2007, Filmstill

Kapitel IV – Trauerbilder des Schwebens. Orpheus und Eurydike als Tanzoper von Pina Bausch Abb. 34: Vertikaler Schrank-Sarg eines jungen Mannes. Abusir el-Meleq (römisches Ägypten), 1.  Jahrhundert n.  Chr., ca. 170 cm hoch. Teilweise zerstört. Bode-Museum, Berlin. Bildzitat aus: Didi-Huberman, Georges: Was wir sehen, blickt uns an. Zur Metapsychologie des Bildes, München: Fink 1999, S. 243 Abb. 35: Dark Elegies (1937) von Antony Tudor, Kansas City Ballet 2007, Filmstill Abb. 36: Fig. 240, Fünfte Arabeske Croisée und Fig. 241, Renversé Drehung. Bildzitat aus: Pappacena, Flavia/Cecchetti, Grazioso: Complete manual of classical dance: Enrico Cecchetti method, Vol. 1, Rom: Gremese 1997, S. 130 Abb. 37: Orphée, Jean Cocteau, zweiter Teil der Orpheus-Trilogie, (M): Georges Auric, 1950, Paris, mit Jean Marais, Maria Casares, Marie Déa, Alive-Vertrieb 2009, DVD, Filmstill Abb. 38: Malou Airaudo als Eurydike, viertes Bild »Sterben« aus Orpheus und Eurydike von Pina Bausch, Fotografie: Rolf Borzik 1975. Bildzitat aus: Theaterzeitung der Wuppertaler Bühnen, Spielzeit 1974/75, Nr. 9, Mai 1975, S. 1. Abb. 39: Malou Airaudo als Eurydike, Dominique Mercy als Orpheus, viertes Bild »Sterben« aus Orpheus und Eurydike von Pina Bausch. Fotografie: Ulli Weiss 1991 © Pina Bausch Foundation Abb. 40: Orpheus und Eurydike, Titelblatt des Programmhefts der Uraufführung. Bildzitat aus: Wuppertaler Bühnen (Hg.): Orpheus und Eurydike, eine Tanzoper von Pina Bausch. Programmheft zur Premiere am 23. Mai 1975, Wuppertal 1975, Frontispiz

Theater- und Tanzwissenschaft Gabriele Klein (Hg.)

Choreografischer Baukasten. Das Buch (2. Aufl.) Februar 2019, 280 S., kart., Klebebindung 29,99 € (DE), 978-3-8376-4677-1 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4677-5

Manfred Brauneck

Die Deutschen und ihr Theater Kleine Geschichte der »moralischen Anstalt« – oder: Ist das Theater überfordert? 2018, 182 S., kart., Klebebindung 24,99 € (DE), 978-3-8376-3854-7 E-Book: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3854-1 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3854-7

Wolfgang Schneider, Anna Eitzeroth (Hg.)

Partizipation als Programm Wege ins Theater für Kinder und Jugendliche 2017, 270 S., kart., Klebebindung 29,99 € (DE), 978-3-8376-3940-7 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3940-1

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Theater- und Tanzwissenschaft Adam Czirak, Sophie Nikoleit, Friederike Oberkrome, Verena Straub, Robert Walter-Jochum, Michael Wetzels (Hg.)

Performance zwischen den Zeiten Reenactments und Preenactments in Kunst und Wissenschaft Februar 2019, 296 S., kart., Klebebindung, 31 SW-Abbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4602-3 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4602-7

Ingrid Hentschel (Hg.)

Die Kunst der Gabe Theater zwischen Autonomie und sozialer Praxis Januar 2019, 310 S., kart., Klebebindung, 6 Farbabbildungen 29,99 € (DE), 978-3-8376-4021-2 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4021-6

Olivia Ebert, Eva Holling, Nikolaus Müller-Schöll, Philipp Schulte, Bernhard Siebert, Gerald Siegmund (Hg.)

Theater als Kritik Theorie, Geschichte und Praktiken der Ent-Unterwerfung 2018, 578 S., kart., Klebebindung, 11 SW-Abbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-4452-4 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4452-8

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