Schreiben ins Exil: Briefe der Wiener Jüdin Ella Wenger 1938-1942 [1 ed.] 9783412527143, 9783412527129


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Schreiben ins Exil: Briefe der Wiener Jüdin Ella Wenger 1938-1942 [1 ed.]
 9783412527143, 9783412527129

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Selbstzeugnisse der Neuzeit

Jörg Zedler (Hg.)

Schreiben ins Exil Briefe der Wiener Jüdin Ella Wenger 1938–1942

Selbstzeugnisse der Neuzeit Herausgegeben von Kaspar von Greyerz, Hans Medick, Iris Schröder, Kim Siebenhüner, Claudia Ulbrich und Roberto Zaugg Band 29

Selbstzeugnisse sind Aufzeichnungen, die individuelle und auf das »Selbst« bezogene Beobachtungen und Erfahrungen zusammenhängend zum Ausdruck bringen. In größerer Zahl gibt es sie seit dem 16. Jahrhundert. Besonderes Interesse in der internationalen Forschung wie beim interessierten Publikum findet die populare Autobiographik, also die Selbstzeugnisse aus Unterund Mittelschichten. Gerade sie erweisen sich als unverzichtbar für alle Versuche, soziale Praxis, Erfahrungszusammenhänge und Lebenswelten zu rekonstruieren. Selbstzeugnisse eröffnen neue Zugänge, um die historischen Akteure und Akteurinnen als empfindende und wahrnehmende, leidende und handelnde Perso­nen zu zeigen. Selbstzeugnisse der Neuzeit wollen bisher noch nicht publizierte Individual­quellen zugänglich machen, die historische Zeitgenossenschaft einprägsam reflektieren. Weiterhin wird die Reihe zu Unrecht vergessene oder vergriffene Selbstzeugnisse als kommentierte Nachdrucke verfügbar machen. Veröffentlicht werden auch exemplarische Analysen sowie beschreibende Verzeichnisse und Übersichten. Die Herausgeberinnen und Herausgeber hoffen zudem, dass mit diesem Vorhaben Schätze gehoben werden können, die bisher unbekannt sind.

Jörg Zedler (Hg.)

Schreiben ins Exil Briefe der Wiener Jüdin Ella Wenger 1938 – 1942

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2023 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande  ; Brill USA Inc., Boston MA, USA  ; Brill Asia Pte Ltd, Singapore  ; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland  ; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung  : Ella Wenger, undatierte Aufnahme; Brief Ella Wengers an ihre Tochter Elisabeth Schneider vom 29. März 1942  ; beides  : Privatbesitz Martin Schneider, Lyon Einbandgestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52714-3

Inhalt

Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Briefe 1938 –1942  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  17 Die Briefzeugnisse und ihr historischer Kontext. Erläuterungen zu den Briefen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Quellenkorpus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Briefpartner:innen und ihre Familien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Subjektiver Einzelfall oder Zeugnis einer Zeit  ? Zur ­historiographischen Verortung der Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schreiben als Überlebensstrategie  : Zur Funktion der Briefe . . . . . . . . . . 5. Die Situation der jüdischen Bevölkerung Österreichs seit dem Anschluss  : Einige Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Befreiung und Rückkehr zur Familie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Editionsgrundsätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Quellen- und Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Anhang  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Briefe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsnachweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personen- und Ortsregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dank. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Martin Schneider und seiner Familie

Vorwort

Es war noch recht früh am Vormittag, als wir Ende März 2016 in Lissabon ankamen. Die Unterkunft war noch nicht bezugsbereit, und ein herrlicher Kaffee in der Frühlingssonne lockte. Die Wahl fiel auf Raffi’s Bagel Store, den wir fortan täglich aufsuchten. Es muss der dritte Tag gewesen sein, als uns der Besitzer fragte, woher wir kämen und damit den Auftakt zu einem längeren Gespräch setzte, in dem er uns unter anderem erklärte, dass seine Großmutter – von der ein großes Bild das Innere des Cafés ziert – aus Österreich komme. Das überraschte uns freilich weniger als er annahm, denn in einer Vitrine hatten wir ein handschriftliches Heft mit Backrezepten entdeckt, in Sütterlin geschrieben und mit typisch österreichischen Begriffen wie Thea und Deka gespickt. Und weil es noch keinem der deutschsprachigen Touristen gelungen war, die altertümliche Schrift zu entziffern, vereinbarten wir, eines der Rezepte zu fotografieren, es abzuschreiben, ins Englische zu übersetzen und es ihm wieder zukommen zu lassen. Gesagt, getan. Doch die Antwort kam nicht von ihm, sondern von seinem Vater Martin Schneider, nicht aus Lissabon, sondern aus Lyon. Martin schwärmte von den österreichischen Mehlspeisen, und es entspann sich ein kleiner Mailwechsel. Bald vereinbarten wir, nicht nur weitere Familienrezepte, sondern auch Briefe zu transkribieren, die sich in seinem Besitz befinden. Bei der ebenfalls in Sütterlin gehaltenen Korrespondenz handelt sich ganz überwiegend um Schreiben, die seine Großmutter Eleonore Wenger (»Ella«) an seine Mutter Elisabeth Schneider (»Lisl«) gerichtet hatte. Es waren Briefe aus den Jahren 1938 bis 1942, seine Großmutter lebte mit ihrer jüngeren Tochter Martha noch in Wien, während die ältere Tochter Lisl mit ihrem Mann Viktor Schneider und den gemeinsamen drei Söhnen Robert (*1930), Rudolf (*1932) und besagtem Martin (*1936) kurz nach dem sogenannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 von dort geflüchtet war, zunächst in das belgische, 1940 ins südfranzösische Exil. Sie entfloh damit einer Hölle, die sich der jüdischen Bevölkerung Wiens buchstäblich von einem auf den anderen Tag aufgetan hatte. Anders als im Altreich – wo sich die Diskriminierung seit 1933 schrittweise gesteigert und für viele Betroffene die Illusion eines Zusammenlebens erhalten hatte, bis sich in »dieser Nacht des 9. November 1938 [… alles] änderte«1 – brachen sich in Wien die antisemitischen Ressentiments der Wiener Gesellschaft ein halbes Jahr früher offen Bahn – nämlich unmittelbar nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich (12. März 1938). Alter österreichischer 1 Benz, Gewalt, 7.

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und neuer nationalsozialistischer Antisemitismus verschmolzen. Dabei mussten »einheimische Antisemiten« keineswegs »von […] Propaganda zu ihren Aktivitäten ›verführt‹« oder von einem Apparat zu ihren Taten gedrängt werden, sondern schritten ganz selbständig zu Werke.2 »It is becoming clear that whereas in Germany the first Nazi victims were the left political parties – Socialists and Communists – in Vienna it is the Jews«, schrieb der in Wien lebende und alsbald von der Gestapo abgeschobene amerikanische Journalist George Eric Rowe Geyde schon am 23. März 1938 in der New York Times.3 Zahlreiche Wiener:innen nutzten die Möglichkeiten, die ihnen die neuen Machtverhältnisse boten, um ihre jüdischen Mitbürger:innen zu demütigen, zu schikanieren und/oder zu berauben  : Über Wochen hinweg wurden einst respektierte Nachbar:innen gezwungen, Parolen des – seinerseits autoritären, teils faschistische Züge aufweisenden – österreichischen ›Ständestaates‹4 von Wänden und Gehsteigen zu putzen, z. T. in ihren besten Anzügen oder bloßhändig mit ätzender Lauge  ; innerhalb von vier Wochen wurden 35.000 Wohnungen ›arisiert‹, in anderen Worten  : Die jüdischen Bewohner:innen wurden gewaltsam oder mit scheinlegalen Kündigungen aus ihren Wohnungen vertrieben, oft binnen Tagesfrist. Ebenfalls ›arisiert‹ wurden die in jüdischer Hand befindlichen Geschäfte und Betriebe  : 7000 von 33.000 bis Mitte Mai 1938 (also binnen acht Wochen  !), die weiteren bis zum Kriegsbeginn.5 Gerade für die ersten Wochen und Monate nach dem Anschluss gilt das Diktum von Hans Safrian und Hans Witek  : »Wenn österreichische Juden und Jüdinnen keine andere Wahl hatten, als den Großteil ihres materiellen Besitzes aufzugeben, mehr oder minder entschädigungslos enteignet zu werden und fast mittellos aus diesem Land zu fliehen, war das weniger den Plänen von ›Vordenkern‹ oder Befehlen aus Berlin zuzuschreiben, sondern mehr den Aktionen Zehntausender österreichischer Antisemiten, kombiniert mit dem Eifer ostmärkischer Exekutivorgane und Parteifunktionäre, Juden zu jagen und sie ihrer Habseligkeiten zu berauben«.6 2 Safrian/Witek, Und keiner war dabei, 11. Mit seinen zahlreichen, eindrücklichen Dokumenten liefert der Band ein gleichermaßen anschauliches wie bedrückendes Bild des Antisemitismus in der Wiener Bevölkerung. Vgl. im selben Sinne der o.g. Aussage auch Safrian, Eichmann-Männer, 10 bzw. 23–67. 3 Geyde, Nazi List. 4 Vgl. als ersten Überblick zum Ständestaat Schober, Der österreichische »Ständestaat«  ; Hanisch, Schatten, v. a. 310–315 samt dort genannter weiterführender Literatur zur Frage des Charakters des Staates  ; Pelinka, Gescheiterte Republik, v. a. 135–155  ; und zu zahlreichen Einzelaspekten ReiterZatloukal/Rothländer/Schölnberger, Österreich sowie Wenninger/Dreidemy, Dollfuß/ Schuschnigg-Regime. 5 Vgl. ausführlich hierzu samt Literaturnachweisen Kap. 5. 6 Safrian/Witek, Und keiner war dabei, 15 f.

Vorwort | 11

Abb. 1  : Elisabeth Schneider, undatierte ­Aufnahme.

Erst nach Wochen zogen die neuen Machthaber im Frühjahr 1938 die Kontrolle über diese Vorgänge an sich, nicht, um sie einzudämmen, sondern um die individuelle Bereicherung zu stoppen und sie im Anschluss systematisiert, staatlich gelenkt und hoheitlichen Interessen unterworfen fortzuführen. Dabei nahmen die Wiener NS Bürokraten wiederholt eine Vorreiterrolle innerhalb des Reichs ein  : Die »Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden« vom 26. April 1938, die die jüdische Bevölkerung zwang, ihre materiellen Werte staatlich registrieren zu lassen und die als Grundlage der alsbald nachfolgenden Beraubung gelten muss, wurde hier entwickelt. Der Beauftragte für den Vierjahresplan, Hermann Göring, war so begeistert von ihr, dass er sie am 26. April 1938 reichsweit einführen ließ. Auch die planmäßige ›Entjudung‹ der österreichischen Wirtschaft und Geschäftswelt wurde von Berlin so sehr goutiert, dass sie im Reich übernommen wurde. Das gleiche gilt für die Organisation der Vertreibung  : Die von Adolf Eichmann am 20. August 1938 in Wien eingerichtete Zentralstelle für jüdische Auswanderung wurde zum Vorbild entsprechender Ämter in Berlin ( Januar 1939) und Prag ( Juni 1939). Vor dem Krieg koordinierten diese Stellen die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung, später die Deportationen in die

12 |  Vorwort

Konzentrations- und Vernichtungslager. Schließlich hatte auch die mit der ›Wohnungsarisierung‹ einsetzende und am 10. Mai 1938 in gesetzliche Formen gegossene Konzentration der jüdischen Bevölkerung in immer weniger Wohnungen und ausgesuchten Bezirken in Wien ihren Ursprung. Fast erstaunt registrieren Elisabeth und Viktor Schneider unter diesen Umständen, in den Wochen des März und April 1938 ihre Wohnung behalten zu haben und körperlich nicht traktiert worden zu sein.7 Freilich  : Viktor Schneider hat wohl seine Arbeit infolge der ›Arisierung‹ seines Arbeitsgebers verloren  ; und dass »aus Nachbarn Juden« (Hazel Rosenstrauch) geworden waren, dass die Diskriminierung alltäglich wurde, war allenthalben unverkennbar. Misshandlung und Entrechtung hat die Familie Schneider auch in der eigenen Verwandtschaft ohnmächtig verfolgen müssen  : Elisabeths Onkel, Julius Zappert, wurde während der Anschlusskrawalle verhaftet und im Polizeigefängnis Rossauerlände festgehalten  ; zudem wurden ihm, dem Hofrat, Wiener Professor und Leiter des Kinderambulatoriums der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), mehrere Sparbücher gestohlen, als SA-Männer sich im Zuge der Anschlusskrawalle gewaltsam Eintritt in seine Wohnung verschafft hatten. Es sind diese Ereignisse und die sie ermöglichende Atmosphäre, die den Schlüssel für zweierlei darstellen  : zunächst für den Entschluss von Elisabeth und Viktor Schneider, mit ihren drei kleinen Kindern die Heimat zu verlassen. Es war ihre Entscheidung, und doch war sie von außen erzwungen,8 weil Hass und Gewalt die nervliche Anspannung unerträglich und ein normales Leben unmöglich machten. Nur Tage nach der Wiedereröffnung der IKG hinterlegten sie dort Anfang Mai 1938 ihr Vorhaben. Wie zehntausende andere konnten sie dies jedoch nur unter ideellen wie materiellen Opfern, die durch die Brille ihrer (Schwieger-)Mutter in den Briefen zutage treten  : Die Erwähnung von Möbeln, die nach der Flucht in Wien eingelagert werden mussten, oder das Nachschicken von Paketen und Koffern durch Ella Wenger zeugen von deren Versuch, die – nun staatlich organisierte – Beraubung so gut es ging zu unterlaufen. Es galt, mit den Familienstücken und -erinnerungen ein Stück von sich selbst zu retten, so viel die Umstände es eben zuließen. Es ist sicher kein Zufall, dass die Bewahrung von Bildern (und Negativen) immer wieder eine große Rolle in den Briefen spielt. Und der Umstand, Wert- und Einrichtungsgegenstände nur dann verkaufen zu können, »wenn wir [sie] sehr billig hergeben«, diese im Auktionshaus versetzen oder Geld verschenken zu müssen, weil es ansonsten der 25prozentigen Reichsfluchtsteuer unterworfen worden wäre,9 zeugt 7 Vgl. hierzu sowie zu den nachfolgenden biographischen Bemerkungen ausführlich Kap. 2. 8 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Kwiet, Gehen oder bleiben  ? sowie Jünger, Jahre der Ungewissheit. 9 Dok. 2  ; zu den weiteren Beispielen Kap. 2.

Vorwort | 13

Abb. 2  : Ella Wenger, undatierte Aufnahme.

von einer Situation, die der juristischen Verstöße zur Beraubung gar nicht bedurfte. All dies hinterließ bei denen, die in Wien verblieben waren, tiefe Spuren  : »die ganzen Aufregungen sind ein ausgezeichnetes Abführmittel, das wirst du von dir auch wissen.«10 Das Agieren Ella Wengers und ihre Befindlichkeit, die sie in den Briefen preisgibt, ist – und dies ist der zweite zentrale Aspekt für die Lektüre der Dokumente – nur vor dem Hintergrund der äußeren Umstände verständlich. Die Briefe offenbaren praktisch alle Facetten, die das Leben (vormals) wohlhabender jüdischer Bürger:innen in Wien unter den Bedingungen des Nationalsozialismus in den Jahren zwischen Anschluss und ›Endlösung‹ ausgemacht hatten  : Ausgrenzung und Drangsalierung, Diskriminierung und Entrechtung, den Verlust von Arbeit, Eigentum und Wohnung, das Zusammendrängen auf immer weniger Wohnraum in sogenannten ›Judenhäusern‹, die Verzweiflung, die nicht selten im Suizid endete  ; schließlich die Deportationen und die zurückgesandten Urnen mit der (vermeintlichen) Asche 10 Dok. 1.

14 |  Vorwort

Abb. 3  : Martha Wenger, undatierte Aufnahme.

der Toten  ; aber auch die Anstrengungen der Israelitischen Kultusgemeinde, Flucht zu ermöglichen und das Leben der Zurückgebliebenen zumindest zu erleichtern. Die Nachrichten Ella Wengers zeigen, wie das Leben der jüdischen Bevölkerung Wiens zunehmend abgeschnürt wurde  ; sie zeigen aber auch den Mut und die Lebensbejahung, mit der sich die Schreiberin gegen die immer hoffnungslosere Lage und die eigene Trostlosigkeit stemmt. Ihr Wirken in Wien, ihre Funktion als Drehscheibe von Auskünften, als Maklerin zwischen Emigrierten, denen, die auf dem Sprung waren und jenen, die zurückblieben, war mehr als familiäre Fürsorge – es war der Versuch, die materielle Lebensgrundlage so weit wie irgend möglich zu retten, Informationen (nicht zuletzt über Möglichkeiten der Emigration) zu vermitteln, Beziehungen zu aktivieren und soziale Kontakte zu erhalten. Es ginge fehl, darin nur die Caritas einer alten Frau zu sehen. Weil die Nationalsozialisten den Alltag politisierten, wurde das Alltägliche politisch. Familiäre Fürsorge und politisches Tun verschmolzen, mitunter bis zur Ununterscheidbarkeit. Es ist die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihrer Familie, die Ella Wenger nie aufgeben lässt. Eine – neben ihrer jüngeren Tochter Martha vielleicht die wichtigste

Vorwort | 15

Stütze – waren dabei die Briefe, die es ihr ermöglichten, zumindest in Gedanken mit ihrer Tochter, ihrem Schwiegersohn und ihren Enkeln in Verbindung zu bleiben. Sie waren das, was Victor Klemperer, der berühmte deutsche Romanist jüdischer Abstammung, in der Sprache, im Schreiben sah und seine Balancierstange nannte  : der rettende Strohhalm, um nicht, jedenfalls nicht vorzeitig, in den nationalsozialistischen Abgrund aus Demütigung, Verfolgung und Vernichtung zu stürzen. Deshalb sind die hier vorgelegten Schreiben mehr als Privatbriefe. Sie sind ein Dokument der Hoffnung und eines das zeigt, welche Macht Sprache hat. Nicht obwohl, sondern weil sie nie für die Veröffentlichung gedacht waren. Viele Vorgänge, von denen berichtet wird, sind nur angedeutet  ; sie bedürfen der Erklärung und der Kontextualisierung. Dies leistet der Kommentar zu den einschlägigen Passagen. Ansonsten sollen die Briefe zunächst für sich sprechen  ; weitere Erklärungen zur Quelle, der Familie und dem historischen Umfeld, die das Gesamtverständnis erleichtern, treten daher zurück  ; sie finden sich am Ende dieses Buches. Dass dieses nun erscheinen konnte, ist vor allem Martin Schneider zu verdanken. Seine Leidenschaft und sein Wille, das Erleben seiner Großmutter der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, haben den Weg für die Publikation geebnet, der Austausch mit ihm so manchen Sachverhalt erst geklärt  ; auch die hier abgedruckten Bilder stammen aus seinem Besitz. Ihm zu danken vermag daher nur im Ansatz auszudrücken, was er für die Entstehung des Bandes bedeutet. Ohne ihn hätte es dieses Buch nicht gegeben.

Briefe 1938 –1942

1 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 16. August 1938 2 S., e. B.

16. August 38 Liebste Lisl  ! Ich danke dir sehr für deine Briefe, ich habe beide, vom 11. und vom 13., erst gestern Montag zusammen bekommen. Sehr froh bin ich, daß Ihr eine kl. Wohnung habt, es ist doch ein Heim und gemütlicher. Auf jeden Fall könnt Ihr am 1. Sept. kündigen,1 da I. Jell. 2 gesagt hat, daß die Sachen in 14 Tagen fortkommen (das war schon vor 4 Tagen). Morgen wird vom Marktamt eine Besichtigung sein.3 Der Großvater müßte 1 Adressatin des Briefes ist die Tochter der Schreiberin, Elisabeth Viktoria (geb. Wenger, *14. April 1899, Wien  ; gest. 18. Februar 1998, Lyon). Gemeinsam mit ihrem Mann, Viktor Schneider (*17. September 1904, Wien  ; gest. 30. Dezember 1974, Sannois), und ihren Kindern Karl Robert (*29. Januar 1930, Wien  ; gest. 30. November 2021, Israel), Rudolf Emanuel (*10. Dezember 1932, Wien  ; gest. 15. Juli 2010, Versailles) und Hans Martin (*6. Dezember 1936, Wien) hatte sie seit Ende 1931 in der Jedleseer Straße 7/3 in Floridsdorf, XXI. Bezirk, gewohnt. Alle gehörten bzw. gehören dem jüdischen Bekenntnis an. Tatsächlich erfolgte, wie in diesem Brief skizziert, die Abmeldung aus Wien am 6. September 1938. Die Flucht erfolgte über Köln, wo sich die Familie indes nur kurz aufhielt, nach Brüssel, wo sie spätestens am 18. August eintraf. Vgl. Dok. 3, Anm. 2 sowie die Frage im selben Brief, ob die Kinder einen Tageshort extra für Emigranten besuchten  ; Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 2197/1904  ; ebd., Trauungsbuch, Rz. 131/1929  ; ebd., Bestand Wien, Geburtsanzeige Rz. 848/1899  ; WStLA, Meldeunterlagen Viktor Schneider. 2 Vermutlich handelt es sich um Ignaz Jellinek, der am Nordwestbahnhof, Kohlenhof, nur wenige hundert Meter von der aufzulösenden Wohnung in der Jedleseer Straße entfernt eine Kohlenhandlung betrieb. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 1, Teil 2, 44. 3 Die eigentliche Aufgabe des seit 1839 als zentraler Marktaufsichtsbehörde gegründeten Wiener Marktamtes war die Überwachung der Märkte und damit der Nahrungsmittelqualität. Tatsächlich allerdings hatte es sich frühzeitig zu einer »›Universalbehörde‹ mit Wirtschaftskompetenz« entwickelt (Keller, Marktamt, 217). Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich am 13. März 1938 wurden umgehend zahlreiche Mitarbeiter entlassen und von Parteigängern der NSDAP ersetzt, was die unmittelbare ›Arisierung‹ zahlreicher, in jüdischer Hand befindlicher, Marktstände erheblich begünstigte. Die Geschwindigkeit, mit der dies geschah, legt indes nahe, dass es vorbereitete Listen der Inhaber gegeben hatte  ; ›arisiert‹ wurden selbst solche Stände, die nicht ohne weiteres als von jüdischen oder jüdischstämmigen Personen geführt erkennbar waren. – Daneben war das Marktamt seit 1927 die ausstellende Behörde zur Bescheinigung zollfreier Ausfuhren von Gütern ins Ausland. Nachdem der Leiter der Devisenstelle der Deutschen Reichsbank in Wien, Carlheinz Raffegerst, am 19. Mai 1938 durchgesetzt

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die Papiere vom I. Jellinek holen und dem Marktamt bringen, die haben dann den Mittwoch bestimmt, wo sie hinauf kommen. Großvater ist natürlich in der Wohnung.4 Die Sachen, die noch bei mir sind, kommen heute nach Floridsdorf und die draußigen Sachen herein. Es ist also alles in Ordnung. Wir werden anfragen, ob man das restliche Silber auch mitschicken kann,5 jedenfalls nimmt der Großvater dasselbe morgen hinaus, da es vielleicht vorgezeigt werden muss. Den Gasherd wird der Großvater bisschen hatte, den Wiener Bezirksämtern zollfahnderische Aufgaben zu übertragen, bekamen die Marktamtskommissäre auch diese Aufgabe übertragen, waren also fortan für die Kontrolle des so bezeichneten Übersiedlungsguts jüdischer Emigrant:innen zuständig, die sie in schikanierender Art und Weise vornahmen. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe kündigt die Briefschreiberin hier an. Vgl. Keller, Wiener Marktamt, zur Art der Kontrolle v. a. 62 f., Anm. 194  ; Ders., Marktamt. Zum Vorbildcharakter des Wiener Marktamt-Modells für die ökonomische Ausplünderung der Juden im Reich vgl. Aly/Heim, Vordenker, 30–38. 4 Es handelt sich um den Schwiegervater der Briefadressatin, David Schneider (*13. Dezember 1872, Pressburg  ; gest. 21. September 1942  ; Datum der Deportation nach Treblinka). Er gehörte dem jüdischen Bekenntnis an und wohnte zu diesem Zeitpunkt nur einen guten Kilometer entfernt in der Schlosshofer Straße 54. Vom 6. Dezember 1941 bis zum 10. Juli 1942 war er in der Springergasse 24/5 gemeldet. Im Geburtsbuch der IKG Wien wird sein Geburtstag (beim Eintrag seiner Tochter Josefine und seines Sohnes Viktor) mit 12. Dezember 1872 angegeben, vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Geburtsbuch, Rz. 1475/1906  ; zu den Adressen vgl. Verzeichnis über das Vermögen von Juden, David Schneider, 16. Juli 1938, AdR, Vermögensverkehrsstelle 18007 bzw. WStLA, Meldeunterlagen David Schneider. 5 Die Ausfuhr eigener Güter war den Emigrierenden möglich, doch konnte nur sogenannter Altbesitz, d. h. Güter, die vor dem 1. Januar 1938 angeschafft worden waren, kostenlos ausgeführt werden, für alles andere war eine Abgabe in Höhe von 100 % des Anschaffungswerts zu entrichten. Am 8. Juli 1938 war darüber hinaus festgesetzt worden, dass Schmuck, Teppichware, Pelze und Maschinen grundsätzlich mit einer 50 %igen Abgabe belegt würden, unabhängig von ihrem Anschaffungszeitpunkt  ; der Wert wurde von einem Schätzmeister festgelegt. Zur Erfassung sämtlichen Vermögens war bereits am 26. April 1938 die Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden erlassen worden, wonach diese jegliches Vermögen anmelden mussten, das den Wert von 5000 Reichsmark überstieg. Die darauf bezogene Durchführungsverordnung vom 18. Juni hatte den – zunächst auf den 30. Juni bestimmten – Stichtag der Anmeldung bis zum 31. Juli 1938 verlängert. Die zeitliche Nähe dieser Maßnahmen und der Umstand, dass neben Bargeld, Aktien etc. auch Häuser, Kunstobjekte, Versicherungen, Versorgungsansprüche sowie Schmuck als Teil des Vermögens definiert wurden, dürfte die Unsicherheit der Schreiberin erklären, ob Silberware verschickt werden könne. Eine Ablieferungspflicht für »Gold, Platin oder Silber sowie Edelsteine und Perlen« bestand zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wurde aber am 21. Februar 1939 mit der dritten Anordnung auf Basis der o.g. Verordnung vom 26. April 1938 eingeführt (RGBl. I, 1939, 282  ; Zitat  : § 1, Absatz 1, Satz 1  ; vgl. auch Dok. 21). Diese und weitere Maßnahmen zielten kurzfristig darauf, einen Kapitalabfluss zu verhindern, mittelfristig war die Erfassung des Vermögens, wie häufig in der Geschichte, nur der Vorläufer für die Enteignung der jüdischen Bevölkerung. Wie alle anderen Jüdinnen und Juden hatte auch Ella Wenger ihr Vermögen detailliert auflisten müssen. Vgl. Verzeichnis über das Vermögen von Juden, Ella Wenger, 7. Juni 1939, AdR, Vermögensverkehrsstelle 50757  ; vgl. zudem RGB l. I, 1938, 414 f. und 640  ; Botz, Arisierungen, v. a. 37–42  ; Aly, Volksstaat, v. a. 55 f.; Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 168 f.; Bajohr, Wirtschaftliche Existenzvernichtung. Zur Ausplünderung jüdischer Emigranten vgl. Kuller, Bürokratie und Verbrechen, v. a. 185–242.

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Abb. 4  : Elisabeth Schneider mit ihren drei Söhnen, Aufnahme vor der Emigration aus Wien.

herrichten lassen und direkt in die Wohnung schicken. Das Bettgestell werde ich heute besorgen und gleich nach Floridsdorf schicken lassen. Die Skier kommen zu uns und können Euch immer einmal direkt in die Schweiz geschickt werden, wenn ihr wieder einmal Skilaufen wollt.6 Sehr unglücklich war ich, dass du die Koffer nicht mit nehmen konntest. Den einen dürftest du schon haben, den haben wir mit einem Schlüssel aufsperren können, den ledernen habe ich noch ungeöffnet stehen und warte bis morgen, ob das Pakerl kommt. Wenn das Pakerl nicht noch da ist, werde ich ihn öffnen lassen und in 2 Teilen in Kartons schicken. Die P.7 habe ich an H. Fischer geschickt, bis auf das Bild, das werde ich anders befördern. Für das Schlafzimmer sind einige Bewerber, hoffentlich kommt es zu einem Abschluss.

6 Dass das ursprüngliche Fluchtziel der Familie Schneider womöglich die Schweiz war, ist lediglich indirekt aus dieser Bemerkung zu schließen. 7 Möglicherweise sind mit »P« die oben erwähnten Papiere gemeint. Der nachfolgend genannte Herr Fischer konnte nicht identifiziert werden.

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Abb. 5  : Ella Wenger mit Franz und Friederike Wenger (hinten), deren Sohn Stefan (auf Ella Wengers Schoß) sowie Viktor Schneider mit den Söhnen Robert und Rudolf, undatierte Aufnahme.

Die Martha8 war letztlich in der Wohnung und hat erzählt, dass die F. Ditrich9 immer heult, wenn sie an dich denkt. Sie ist unglücklich, dass ihr weg seid, besonders der Robert ist ihr leid, überhaupt ist ganz Floridsdorf ausser sich vor Bewunderung über deine Leistung. Der Großvater hat natürlich überall herumerzählt. Ich wollte dich noch fragen, ob du die Birnen von den Lampen brauchen kannst, es ist 220. Ob man sie mitschicken soll  ? Die Martha hat sich mit der Schneiderin in Verbindung gesetzt. Der Mantel ist noch nicht fertig und dürfte erst mit den ganzen Sachen geschickt werden. 8 Es handelt sich um die in Wien verbliebene zweite Tochter der Briefschreiberin, d. h. die Schwester der Adressatin, Martha Karoline Wenger (*28. September 1902, Wien  ; gest. 6. Mai 1965, Sydney). Sie gehörte dem jüdischen Bekenntnis an. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Martha Wenger und Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Geburtsanzeige Rz. 2397/1902. 9 Gemeint ist die katholische Frau des Textilwirts Josef Dittrich, Maria Dittrich (geb. Skala, *14. September 1888), die mit ihrem Mann im ersten Stock der Jedleseer Straße 7 wohnte. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Josef Dittrich.

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Momentan weiss ich nichts mehr zu berichten. Von uns ist nicht viel zu sagen. Ich habe noch eine Arbeit auf von Wengers, die gerne Ende August weg wollen. Es wird wohl September werden. Sie dürften ein Monat oder weniger in Kopenhagen bleiben.10 Ich glaube Martha hat es dir schon geschrieben. Käthe11 ist gestern vom Urlaub zurückgekommen, also meine Wirtschaft geht wieder normal, allerdings die ganzen Aufregungen sind ein ausgezeichnetes Abführmittel, das wirst du von dir auch wissen. Diese Blockpost habe ich eigens für die Briefe an dich angeschafft. Das Sprechen wäre mir allerdings lieber, fällt mir auch leichter. Aber man muss sich schon darin finden. Mir ist leid, dass du jetzt, wenn Viki12 da ist, auch schreiben musst, wo ich weiss wie wenig Zeit du hast und wie müde du bist. Vielleicht kann Viki dir das Nötige an Schreiben abnehmen. Den Kindern viele Bussis, ich freu mich das Robert so brav ist und Viki schreibt. Tausend Küsse Euch von Eurer Mutter

10 Gemeint ist die Familie ihres Sohnes Franz Wenger (*20. September 1896, Wien  ; gest. 3. Januar 1971, Sydney) und dessen Frau Friederike (»Fritzi«) (geb. Trager, *3. September 1908, Wien  ; gest. 7. Juli 1990, Sydney) mit ihrem gemeinsamen Sohn Stefan (*8. Januar 1932, Wien). Alle drei gehörten dem jüdischen Bekenntnis an und emigrierten im Dezember 1938 über Southampton nach Australien, planten zu diesem Zeitpunkt aber, über Kopenhagen auszureisen, vgl. Dok. 2 und 8. Aus einem Brief Ella Wengers an Kamma Melchior vom 11. April 1939 (Privatbesitz Martin Schneider) geht zudem hervor, dass die Melchiors die Emigration der Familie von Franz Wenger finanziell unterstützten (zu der dänische Familie Kamma Melchiors vgl. Dok. 11, Anm. 7). Dänemark, das eine restriktive Asylpolitik praktizierte und erhebliche Rücksicht auf das nationalsozialistische Deutschland nahm, kam nur als Durchgangsland, nicht aber als Emigrationsziel eine wichtige Bedeutung zu  : Bis zu 30.000 Migrant:innen passierten es auf ihrem Weg in ein Drittland. Nur Wochen nach diesem Brief ordnete die dänische Regierung im Oktober 1938 an, jüdische Flüchtlinge an der Grenze grundsätzlich abzuweisen. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 2526/1896  ; ebd., Geburtsanzeige, Rz. 27/1932/2  ; ebd., Trauungsbuch, Rz. 461/1930  ; Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Franz Wenger, 11. Mai 1938, Auswanderungskartei 5316, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI)  ; zu Dänemark als Emigrationsland vgl. Lorenz, Dänemark. 11 Es handelt sich um die Haushaltshilfe Ellas, vgl. auch die Dok. 12, 13 und 18. Die Person konnte nicht identifiziert werden. 12 Gemeint ist Viktor Schneider, der Schwiegersohn der Briefschreiberin und Mann der Adressatin.

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2 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 18. August 1938 2 S., e. B.

18. August 38 Liebstes Lieschen  ! Hoffentlich bist du schon in dem Besitz des ersten Koffers, die Schlüssel sind bis jetzt nicht gekommen, doch wollen wir auf jeden Fall Samstag die Sachen abschicken. Und zwar einen Karton und die Kleider in den Koffer, den wir mit Sackleinwand vernähen wollen, damit ihm nichts geschieht. Gestern war vom Floridsdorfer Marktamt ein Herr in der Wohnung,1 wo keine besonderen Wertgegenstände da sind. Der Grossvater war in der Wohnung und hat heute berichtet, dass alles in Ordnung ist. Man kann den Gasofen, den kl. Ofen, die Gartenmöbel und die Silberkörbe u. Leuchter mit einsenden, auch wenn sie nicht mehr die besten sind. Morgen fährt der Großvater wieder nach Floridsdorf, um am Marktamt die Papiere abzuholen und sie dem Spediteur wieder zurück zu bringen. Ich werde dem Großvater alle Spesen ersetzen. Morgen kommt auch das Bettgestell von Samek.2 Es wird braun gebeizt, ist etwas breiter u. länger als das alte, genau nach den Matrazen gemacht. Kostet allerdings 25 M. mit dem hinausfahren nach Floridsdorf. Wenn der Jellinek uns verständigen wird, daß die Sachen gepackt werden,3 will der Großvater die Toni4 bestellen, da sie zureichen kann und weiß, wo alles ist. Soll man ihr außer der Fahrt etwas dafür zahlen  ? Ich will auf jeden Fall auch draußen sein. Das Schlafzimmer ist noch nicht verkauft, doch ist wieder neue Hoffnung. Das Häusel, wenn wir es sehr billig hergeben wollten, wäre es schon längst verkauft.5 1 Vgl. Dok. 1, Anm. 3. 2 Es handelt es sich entweder um die Tischlerei Jaroslav Samek in der Raffaelgasse 10 (XX. Bezirk) oder den Möbel- und Bettwarenhandel Berthold Samek in der Lerchenfelder Straße 30 (VIII. Bezirk). Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 1, Teil I, 1092 bzw. Teil 2, 83. 3 Gemeint ist offenbar ein Speditionsunternehmen, doch finden sich keine gleichnamigen Spediteure oder Transportunternehmen. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 2  ; vgl. zum Einsatz eines Speditionsunternehmens auch Dok. 3, zu Jellinek Dok. 1, Anm. 2. 4 Gemeint ist Antonia Hogen, das vormalige Dienstmädchen Elisabeth Schneiders, die am Kirchenplatz 4 in Atzgersdorf wohnte. Die im nachfolgenden Absatz angeführte Schwiegermutter konnte nicht identifiziert werden. 5 Hier ist keine Immobilie gemeint, sondern das Badezimmer, wie aus den Ausführungen in den Dok. 4–6

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Die Floridsdorfer Sparkasse hat der Großvater erledigt, jetzt ist noch die Anleihe, das werde ich schon machen. Dem Willi habe ich das Paket noch nicht gegeben, Franz6 will ihm an die Hand gehen. Wäre nicht eine Möglichkeit, das Paket hinauszunehmen  ? Frage P. Schwiegermutter. Das Bild habe ich dir noch nicht geschickt, ich weiß nicht recht wie ich es machen soll. Den Brief dürftest du schon von H. Fischer bekommen haben. Von mir ist nicht viel zu berichten. Natürlich soll ich von Allen Grüße ausrichten, auch von Frl. Moser,7 die sich plötzlich wieder an dich erinnert hat. Schrecklich leid ist mir, daß du dich so plagen mußt und ich dir gar nicht helfen kann. Ich kann mir gar nicht vorstellen wie das überhaupt zusammen geht, da doch der Kleine8 immer eine Person bräuchte. Doch ich kann mir hier nicht den Kopf aussorgen. Hauptsache ist daher, daß Ihr alle beisammen seid und die Kinder ein Heim haben. Ich habe genug noch zu tun, da jetzt Wengers mit einigen Ansprüchen gekommen sind, ich nicht nein sagen kann, obwohl ich noch nicht ganz fertig bin mit den Sachen von den Kindern und überhaupt mir die Arbeit nicht recht von der Hand geht. Aber es wird schon alles mit der Zeit fertig werden, so daß ich dann nicht wissen werde, was ich mit meiner freien Zeit anfangen soll. Wengers sollen auch eine Zeit nach Kopenhagen, wann sie fortgehen ist noch nicht bestimmt, es dürfte doch noch Mitte September werden.9 Fritzi macht den ganzen Tag nichts wie auskramen wozu du 2 Tage Zeit gehabt hast. Allerdings ist sie nicht so großzügig wie du und kann sich schwer von all den alten Sachen trennen, die sie noch von ihrer Mädchenzeit her hat. Mit der Schneiderin habe ich mich in

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hervorgeht. Es war offenkundig von Schneiders installiert worden, nun ging es darum, eine Ablöse hierfür erhalten zu können. Die Formulierung verweist auf die diesbezüglichen Schwierigkeiten und damit vice versa auf den Umstand, dass nichtjüdische Käufer die Zwangslage der Emigrierten ausnutzten. Gemeint ist Franz Wenger, der Sohn Ella Wengers und Bruder der Adressatin. Die Identität des erwähnten Willi konnte nicht geklärt werden. Vermutlich ist hier Paula Moser gemeint (*20. Mai 1885, Pötschach  ; gest. 29. November 1941, Kowno). Vom 1. Dezember 1940 an war sie für vier Monate als Lehrerin an der von der IKG betriebenen Volksund Hauptschule in der Kleinen Sperlgasse 2a für jüdische Kinder tätig. Am 31. März 1941 endete das Dienstverhältnis ohne Angabe von Gründen, am 23. November 1941 wurde Frau Moser mit dem ersten Transport vom Aspangbahnhof mit 1000 weiteren Personen nach Kaunas/Kowno deportiert. Dieser eigentlich für Riga bestimmte Zug wurde aus ungeklärten Gründen nach Kowno umgeleitet, wo die Menschen zusammen mit Opfern anderer Deportationszüge aus dem Reich am 29. November 1941 vom Einsatzkommando 3 des SD erschossen wurden. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Wien, A / VIE / IKG / I-III / PERS Kartei Moser, Paula  ; Scheffler, Massenmord in Kowno, 83–87 und 163  ; Mallmann u. a., Ereignismeldungen UdSSR, 844–847  ; Brosch, Jüdische Kinder und LehrerInnen, 88. Gemeint ist das jüngste der drei Kinder Elisabeth Schneiders, Martin (*6. Dezember 1936, Wien). Die bereits im ersten Brief thematisierte Möglichkeit zur Emigration zog sich weiter hin, noch im Dezember 1938 finden sich Unterlagen der IKG Wien zur Unterstützung der Ausreise. Bei der nachfolgend genannten »Fritzi« handelt es sich um Friederike Wenger. Zur Emigration der Familie sowie Dänemark als Transitstation vgl. Dok. 1, Anm. 10 sowie Dok. 9.

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Verbindung gesetzt, der Mantel wird mir geliefert, die 5 M. werde ich mit ihr verrechnen. Jetzt weiß ich nichts mehr zu schreiben, küsse mir Alle auch die braven Kinder. Mutter P.S. Du brauchst mir nicht ausführlich schreiben, da ich weiß, daß du gar keine Zeit dazu hast. Viki soll mir auf meine Fragen antworten.

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3 Ella Wenger an Elisabeth und Viktor Schneider Wien, 22. August 1938 4 S., e. B.

22. August 38 Liebste Lisl u. Viki  ! Besten Dank für die langen Briefe. Ihr seid sehr brav, beinahe zu brav, ich kann gar nicht verlangen, daß ihr so oft schreibt, obwohl ich sehr glücklich damit bin. Ich habe doch für jedes Wort, daß Ihr schreibt Interesse und lebe noch ein bisschen mit euch mit. Also heute ist endlich das schweizerische Paket gekommen.1 Es ist erst am 16.8. in Köln abgeschickt worden.2 Jetzt habe ich die Schlüsseln und brauche sie 1 Die Passage zeigt, dass Paketsendungen – partiell auch Briefe, vgl. Dok. 48 – zwischen Ella Wenger und der Familie ihrer Tochter nicht auf direktem Weg gewechselt, sondern über die Schweiz abgewickelt wurden. Derartige Auslandssendungen waren für Jüdinnen und Juden zu diesem Zeitpunkt auch unter den Bedingungen des NS-Regimes möglich. Die Paket- bzw. Briefumschläge sind nicht erhalten, doch ist es wahrscheinlich, dass die Korrespondenz über den in die Schweiz geflohenen Bruder Viktor Schneiders, Georg (vgl. dessen handschriftliche Anmerkungen auf den Dok. 50, 53 und 60), sowie über die in der schweizerischen Stadt Zug wohnhafte, verwandte Familie Schönberg lief (vgl. Dok. 11, Anm. 11). Mit ihrer Nichte Emma Schönberg unterhielt Ella Wenger auch direkten brieflichen Kontakt, vgl. die Dok. 41, 61 und 62. – In diesem Fall handelt es sich indes um zwei Koffer, die Elisabeth Schneider bei ihrem Grenzübertritt (s. nächste Anm.) zurücklassen musste und die entweder über das schweizerische Rote Kreuz oder das schweizerische Konsulat wieder nach Wien transferiert wurden. Vgl. o.A., Schneider’s Story, unpag.; Familienchronik der Familie Zappert, Privatbesitz Marianne Maxwell, England, 24  ; zu den verschiedenen Fragen von Postsendung von Jüdinnen und Juden ins Ausland Kaula, Postbetriebsdienst, 20 und 64–66  ; Lotz, Reichspost, 214–219 und 266–271  ; Walk, Sonderrecht, 402 (IV, 501)  ; zur Verbindung in die Schweiz auch Wyss, Schweizer Post. 2 Der Chronik der Familie Schneider zufolge reiste Elisabeth mit den Kindern auf eigene Faust zunächst nach Köln und ließ sich von dort aus von Fluchthelfern nach Belgien bringen, während Viktor seiner Arbeit wegen bereits in Belgien war. Im Historischen Archiv der Stadt Köln finden sich keinerlei Hinweise auf den Aufenthalt der Familie, doch ist die Schilderung schon insofern plausibel, als die Zahl österreichischer Juden, die im Raum Aachen illegal die Grenze passierten, im Frühjahr/Frühsommer 1938 erheblich angestiegen war. Dies ist darauf zurückzuführen, dass in Wien »die irrige Auffassung« kursierte, »daß über Aachen eine erleichterte Einwanderung nach Belgien« möglich sei. Die deutsche Polizei drohte den österreichischen Migrant:innen ohne gültige Ausreisepapiere bereits Konzentrationslagerhaft an (Brief des Vorstands des Synagogengemeinde Wien an die IKG Wien, 12. Mai 1938, abgedruckt in  : Weinzierl, Österreicher im Exil, 58 f.). Diese wurde auch umgesetzt (vgl. z. B. ebd., 16), doch sahen die deutschen Behörden die Flucht keineswegs ungern, unterstützten sie mitunter sogar, da sie dergestalt

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nicht mehr, ich werde sie wieder zurückschicken mit dem nächsten Paket, da ich den Lederkoffer aufsperren lassen musste, um endlich die Sachen abschicken zu können, und die beiden Koffer (ich habe als 2. Paket den ehemaligen Paketkoffer geschickt), sind unversperrt abgeschickt. Ihr braucht sie nicht aufsprengen lassen. Übrigens war der erste Koffer auch unversperrt, das aufbrechen war überflüssig. Den Pass habe ich schon weggeschickt,3 aber weder Heimatschein4 noch Geburtsschein von Viki war bei den Dokumenten, die ich von dir erhielt. Die beiden Papiere dürften irgendwo liegen geblieben sein. Ich habe heute Vikis Meldezettel5 aus Floridsdorf geholt und Martha wird gegen ein Entgelt von je 1 Mark die beiden Papiere besorgen. Ich habe heute ihrem Ziel näherkamen, einen möglichsten großen Teil der jüdischen Bevölkerung aus Deutschland zu vertreiben. Vgl. Langkau-Alex, Belgien, Sp. 170  ; Familienchronik der Familie Schneider, Privatbesitz Martin Schneider, unpag. 3 Im Nachfolgenden schildert die Schreiberin einen Teil der Schikanen, denen Juden und Jüdinnen ausgesetzt waren, wenn sie ausreisen wollten  : Mit dem Wegfall der österreichischen Staatsangehörigkeit und der Neuregelung des Pass- und Ausweiswesens vom 11. Mai 1937 waren alte Pässe im Deutschen Reich ungültig geworden bzw. konnten »nur unter gewissen Voraussetzungen beibehalten« werden (RGBl. 1937, Teil I, 589 f., hier 589). Mit der Verordnung vom 5. Oktober 1938 wurden schließlich die bestehenden Pässe der jüdischen Deutschen grundsätzlich ungültig. Um einen neuen Pass zu bekommen, galt es zunächst, eine Steuerunbedenklichkeitserklärung zu erlangen (vgl. Dok. 8, Anm. 3), dann konnte eine Ausreisebewilligung bei dem für Juden und Jüdinnen einzig zuständigen – und entsprechend frequentierten – Amt in der Wehrgasse 1 (V. Bezirk) beantragt werden. Nach deren Erhalt und unter Vorlage weiterer, bei der Polizei des Heimatbezirks einzuholender Dokumente, konnte beim Passamt der Pass beantragt werden. Im Anschluss musste beim Wanderungsamt (Herrengasse 23, I. Bezirk) entweder der alte Pass beglaubigt oder eine Passanweisung für einen neuen Pass ausgestellt werden. Erst unter Vorlage der Passanweisung stellte das genannte Passamt im V. Bezirk den neuen Pass mit dem Vermerk einer Auswanderungsbewilligung aus. Vgl. RGBl. 1938, Teil I, 1342  ; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 14  ; zur Willkür und den Stigmatisierungen, denen die Menschen während dieser Prozedur von NS-Schergen und/oder einem pöbelnden Mob ausgesetzt waren, Hecht/Lappin-Eppel/ Raggam-Blesch, Topographie, 175–177. 4 Der Heimatschein bildete bis 1939 den Nachweis des Heimatrechts, das erstmals im Provisorischen Gemeindegesetz vom 17. März 1849 geregelt wurde. Seit dem entsprechenden Gesetz vom 3. Dezember 1863 war jeder österreichische Staatsbürger in einer Gemeinde, die entsprechende Matrikel führte und den Heimatschein ausstellte, heimatberechtigt, was u. a. das Recht auf ungestörten Aufenthalt garantierte. Die Zweite Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit im Lande Österreich vom 30. Juni 1939 setzte das Heimatrechtsgesetz von 1863 außer Kraft, Heimatscheine gab es von da an keine mehr. Mit der XI. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 begann das Regime, den Juden die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Vgl. RGBl. 1863, 368–376, hier v. a. §§ 1–3  ; Art. II. § 3, GBl. 1939, 340  ; RGBl. I 1941, 722–724. 5 Ein Meldezettel enthielt zahlreiche Angaben zur Person, vor allem ihren vollständigen Namen, ihren Aufenthaltsort sowie ihr Geburtsdatum, gelegentlich ergänzt von Angaben über den Personenstand. Zuständig für das Meldewesen war in Österreich bis 1991 die Polizei. Verheiratete Frauen und Kinder unter 18 Jahren waren meist auf dem Meldezettel des Mannes mitgemeldet. Während der NS-Herrschaft wurden die Meldevorschriften deutlich verschärft, um eine lückenlose Erfassung der Bevölkerung zu

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aus Eurer Wohnung die verlangten Sachen geholt  : den alten Mantel (der gerichtete kommt diesen Donnerstag aus der Putzerei), das mittelblaue Kostüm, das Wagenkörberl und noch einige Sachen, die werde ich Mittwoch Euch schicken. Ferner habe ich die Polizze nach Hause genommen und die Verträge mit Jerlaine,6 alles andere ist verbrannt worden, allerdings waren auch Erinnerungen von Roberts Erstlingswerken die vernichtet wurden, aber ich habe mir gedacht, man darf sich nicht mit Sachen belasten, die nicht unbedingt notwendig sind. Wenn ein Brand in der Wohnung gewesen wäre, wäre auch alles vernichtet worden. Also einen Strich darüber. Allerdings habe ich mir noch einige kl. Mappen mit Briefen, Rechnungen und dergleichen vorbehalten sie durchzusehen. Die Steuersachen habe ich alle mitgenommen. Bis einmal bei mir Revision sein wird. Ich habe allerdings von F. Schmutzer7 das Geld für das Schlafzimmer noch nicht bekommen, aber die Sache ist ganz sicher, ich war heute in Floridsdorf die Kästen ausräumen, der Grossvater war auch draußen. Heute Vormittag war ich bei F. Jellinek (Bartsch u. Rothenauer8), um einen Termin für den Transport zu wissen. Er sagte mir, das höchstwahrscheinlich die Möbel am 28 – 29 August geholt werden und nicht länger als 8 – 10 Tage brauchen bis sie bei Euch sind. Ich habe ihn nicht gefragt worin die Möbel dirigiert werden, ob sie am Bahnhof bleiben bis sie von Euch abgeholt werden und wohin sie dann kommen, jedenfalls werde ich noch mit ihm sprechen und es Euch schreiben, aber es ist höchste Zeit, dass ihr Euch um eine Wohnung umschaut. Einstweilen hat der Hausherr9 die Wohnung noch nicht vermietet, doch könnte er von

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gewährleisten und den Zugriff auf Wehrpflichtige sowie die Ausforschung von »Nicht-Ariern« sicherzustellen. Vgl. Koch, Wohnhaft. Es handelt sich mit der Jerlaine Strick- und Jersey GmbH, Lindengasse 26 (VII . Bezirk), um jene Firma, für die Viktor Schneider tätig war. Sie war »eine der zu dieser Zeit wohl bekanntesten Fabriken in modischer Jersey-Bekleidung« (Oelbauer, Textilpionier, 399). Die bis dato in Händen jüdischer Besitzer (Walter Markus und Otto Marcus, letzterer wohnte bereits seit 1937 in London) befindliche Firma wurde mit 24. Mai 1938 von Curt Altmann, dem Eigentümer der ALDO-Strickwarenfabrik Curt Altmann aufgekauft. Bis dahin war Schneider, der Schnittzeichner auf einer Textilfachschule gelernt hatte, nach eigenen Angaben für Jerlaine »als Exportreisender in allen Westeuropäischen Ländern« tätig, Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Viktor Schneider, 11. Mai 1938, Auswanderungskartei 5027, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI)  ; vgl. auch WStLA, Handelsgericht, B78 – Handelsregister C  : C 19/72  ; ebd., A45 – C – Registerakten  : C 19/72  ; Oelbauer, Textilpionier, 399. Die Person konnte nicht identifiziert werden. Das Unternehmen konnte nicht eindeutig identifiziert werden. Möglicherweise handelt es sich um die Spedition Brasch und Rothenstein, die am Fleischmarkt 17 – und damit lediglich einen Kilometer von Ella Wenger entfernt – ihren Sitz hatte. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 2, Teil III, 338 sowie Dok. 2, Anm. 3. Das Haus in der Jedleseer Straße 7 war zunächst zu gleichen Teilen von Maria und Josef Dittrich erworben worden, die das Eigentumsrecht aber bereits 1933 ihrer Tochter Margarete und deren Mann Robert Mühlbauer übertragen hatten. Vgl. Eintragung im Grundbuchamt Floridsdorf, Einlagezahl 459.

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mir aus die Wohnung am 1. Sept. hergeben, was natürlich sehr günstig wäre, damit man den Zins nicht mehr zahlen müsste. Die F. Dietrich ist ganz unglücklich, dass Ihr nicht mehr da seid, aber sie hat doch gesagt, sie freut sich mit Euch, dass Ihr von hier fortgekommen seid. Die kl. Gertrude Mühlbauer10 lässt die Schneiderbuben grüßen. Sie hat sich schon so auf den Robert gefreut, es ist schrecklich langweilig im Garten, da sie ganz allein ist.11 Bei Mühlbauers wird die Wohnung ganz aufgerissen und hergerichtet, da sie jetzt den ganzen Stock bekommen. Ich habe mir heute den Installateur nach Floridsdorf bestellt, er hat alle Lampen (bis auf die Schlafzimmerlampen) abmontiert. Was soll mit den Birnen geschehen  ? Die Strümpfe werde ich besorgen und mit dem Paket mitschicken. Den Photoaparat habe ich noch hier. Vielleicht schicke ich ihn jetzt mit oder im großen Gepäck. Die Vorhänge habe ich mitgenommen, sie werden gewaschen (die Speisezimmervorhänge geputzt), die Kinderzimmervorhänge habe ich aber nicht waschen lassen. Was geschieht mit den großen Bettdecken vom Schlafzimmer, den alten Überwurf habe ich hinausgenommen. Nun ist mein geschäftlicher Teil des Briefes fertig und ich komm ein bischen zum persönlichen. Sehr gefreut habe ich mich, dass die Buben diesen Tageshort haben. Ist das nur für Emigrantenkinder  ? Wie stellt sich Rudi dazu, ich glaube der wird sich doch unbehaglich fühlen unter fremden Leuten mit fremder Sprache. Es ist nur gut, dass die Pollakbuben12 auch dort sind. Wie schauen denn die Buben aus  ? Nicht mehr so gut wie in Wien  ? Ich habe mir die Negative der letzten Bilder mitgenommen. Vielleicht werde ich etwas brauchen. Ich kann sie dir immer schicken. Ich lege zwei Rückportomarken13 10 Gertrude Mühlbauer (*31. Januar 1935, Wien) war die Tochter des Damenhutherstellers und Modisten Robert (*4. Mai 1900, Wien) und der Margarete Mühlbauer (geb. Dittrich, *8. Januar 1910, Wien  ; gest. 20. März 1970, Wien), die ebenfalls in der Jedleseer Straße 7 wohnten. Das römisch-katholische Paar hatte zu diesem Zeitpunkt ein weiteres Kind, den Sohn Heinz (*9. Mai 1937, Wien). Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Robert Mühlbauer  ; zum Geburtsdatum Margaretes das Taufbuch der Pfarrei Großjedlersdorf von 1910, A 01-15, fol. 3, Nr. 8. 11 In der unmittelbaren Umgebung der vormaligen Wohnung von Familie Schneider scheint von den »öffentlichen Demütigungen und [der] sadistische[n] Gewalt der kürzlich noch freundlichen Nachbarn« zu diesem Zeitpunkt keine Rede (mehr) sein zu können, die ansonsten den Alltag der jüdischen Bevölkerung in den Wochen nach dem 11./12. März 1938 geprägt hatten, Rabinovici, Instanzen, 59. Allerdings waren auch in diesem Bezirk die antisemitischen Ausschreitungen so erheblich, dass die Schreiberin um jeden Fortgezogenen bzw. Emigrierten froh war, vgl. Dok. 6, Anm. 2  ; vgl. für die Diskriminierungen auch die Beispiele in Safrian/Witek, Und keiner war dabei und Limberg/Rübsaat, Jüdischer Alltag, 97–163. 12 Gemeint sind die Kinder von Albert und Fritzi Pollack, Arthur (*27. Juli 1929, Wien, gest. 1959) und William (*27. Juni 1931, Wien  ; gest. 5. Dezember 2013, London) Pollack. Sie waren die Großneffen von Emma Schwitzer, der 1927 verstorbenen zweiten Frau David Schneiders, und hielten sich zu diesem Zeitpunkt mit ihrer Familie ebenfalls in Belgien auf. 13 Zur Möglichkeit, im nationalen wie internationalen Rahmen die Antwortgebühren vorab zu bezahlen,

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Abb. 6  : Paula Singer, Ella Wenger und Adele Wappner (v. l. n. r.), undatierte Aufnahme.

ein (Viki wird das gewiß kennen) da brauchst du keine Marke kaufen und bekommst für jeden Schein eine Marke. Heute ist Martha mit einem Rücktransport weggefahren, kommt erst Freitag früh zurück. 80 Kinder fahren in die Schweiz und brauchen für die Fahrt Begleitpersonen, da ist Martha bis Feldkirch mit und bleibt in der Gegend 2 Tage.14 Hoffentlich ist gutes Wetter, heute regnet es den ganzen Tag und ist sehr kalt, dem Empfänger also die Möglichkeit einzuräumen, kostenfrei zu antworten, vgl. Kaula, Postbetriebsdienst, 32–34. 14 Bereits unmittelbar nach dem Anschluss wurden – da die Emigration vollständiger Familien infolge der restriktiven Einwanderungspolitik zahlreicher europäischer Länder häufig nicht gelang – 15 jüdische Kinder aus Österreich nach Norwegen und 100 in die Schweiz gesandt. Anders als in Skandinavien konnten die Kinder in der Eidgenossenschaft jedoch nicht dauerhaft bleiben, sondern wurden nach einiger Zeit wieder zurückgeschickt. Da die sogenannten Kindertransporte (vgl. Dok. 23, Anm. 5) erst ab Dezember 1938 anliefen, handelte es sich bei dem hier beschriebenen Phänomen um einen zeitlich begrenzten Erholungsaufenthalt, den die Schweiz ausländischen Kindern aus humanitären Gründen ermöglichte. Für jüdische Kinder waren solche Ferienaktionen bis 1941 möglich, dann schlossen die schweizerischen Behörden sie hiervon aus. Martha Wenger begleitete einen dieser Transporte, wofür ihr von der IKG am 28. August 1938 Barauslagen in Höhe von 80 RM erstattet wurden. Vgl. Personalkarte

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doch gestern war noch brütend heiss. Ich habe noch immer zu tun, da ich noch nicht ganz fertig mit deinen Sachen bin und dazwischen für Fritzi etwas zu machen hatte und noch für Stefan15 4 weisse Hemden machen soll. Ich bin froh mit Arbeit und fürchte mich schon vor der Zeit, wo ich nichts zu machen habe. Käthe ist schon von ihrem Urlaub zurück und ist schon wieder normaler Arbeitsbetrieb. Wir hatten gleich vorigen Dienstag Waschtag, doch hat sie heute wieder gewaschen, hauptsächlich deine Sachen, erstens ist die Schmutzwäsch aus der Jedleseerstrasse erst später gekommen und die Kölnerschmutzwäsche erst heute. Ich sehe ich bin schon wieder bei der Wirtschaft angelangt und ich wollte doch persönlichere Sachen schreiben. Es ist aber eigentlich gar nicht viel zu berichten. Am Samstag war ich Nachmittag mit Wengers auf der Hohen Warte (auf unserer guten alten Hohen Warte, wo wir mit der Gigschi so oft waren).16 Der Stefan ist doch dort in einer Tagesheimstätte17 mit 100 andern Kindern und Samstag war eigens ein Theaterspiel, doch haben wir nichts davon gesehen. Aber die Kinder haben nur den Platz vor dem Haus und rückwärts auf der Wiese, der große Platz hinter dem Haus, wo wir immer gesessen sind, ist genauso voll mit Tischen, und voll mit Juden wie damals, ich war ganz erstaunt. Es war aber ganz schön dort zu sitzen ohne angeschmierte Bänke und wieder einmal ein Kaffe in einem Kaffehaus zu trinken.18 Sonst komme ich mit Martha Wenger, Archiv IKG Wien, Bestand Wien, A/VIE/IKG/I-III/PERS/Kartei, K22  ; Schmidlin, Eine andere Schweiz  ; Rosenkranz, Verfolgung, 148. 15 Gemeint ist Stefan Ulrich Wenger (*8. Januar 1932, Wien), der gemeinsame Sohn von Franz und Friederike (»Fritzi«) Wenger, also der Enkel der Schreiberin. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Geburtsanzeige, Rz. 27/1932/2. 16 Aussichtshöhe im XIX. Wiener Gemeindebezirk (Döbling). Die Hohe Warte war für die Schreiberin bequem zu erreichen, da die Straßenbahn 37 an der Schottengasse nahe ihrem Haus begann und an der Hohen Warte ihren Ziel- und Wendepunkt hatte. Auch von der vormaligen Wohnung der Familie Schneider in der Jedleseer Straße aus war die Hohe Warte rasch zu erreichen (~ 3,5 km entfernt). Um wen es sich bei »Gigschi« handelt, konnte nicht geklärt werden. 17 Um welches Heim es sich handelte, konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden. Am nächsten unter den jüdischen Kinder- und Waisenheimen lag das rund 850 m entfernte Israelitische Knaben-Waisenhaus in der Probusgasse 2. Möglich erscheint, dass im Jüdischen Blindeninstitut, das auf der Hohen Warte lag, zeitweise auch ein Tagesheim betrieben wurde, zumal die IKG dort 1939 ein jüdisches Altersheim einrichtete. Daneben gab es auf der Hohen Warte ein städtisches Waisenhaus. Vgl. Hecht/LappinEppel/Raggam-Blesch, Topographie, 113, 246 f., 272  ; Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 2, Teil IV, 1191. 18 Vermutlich ist hier das weithin bekannte Café Grandjean gemeint, das 1841 auf der Hohen Warte eröffnet worden war. Formale Einschränkungen bei der Nutzung von Kaffeehäusern gab es für Jüdinnen und Juden zu dieser Zeit noch nicht. Gerade deswegen und durch den Verweis auf die »angeschmierten Bänke«, die sich auf antisemitische Parolen beziehen dürften, zeigt die Passage den enormen Grad an Ausgrenzung und Demütigung, den die jüdische Bevölkerung bereits unmittelbar nach dem Anschluss erfahren hat. Vgl. Historisches Museum, Wiener Kaffeehaus, 76, 103.

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Wengers nicht viel zusammen, höchstens Sonntag Mittag, wenn ich sie einlade. Mitzi Kornfeld19 kommt beinahe jeden Tag herüber sie muss jeden Brief von Euch lesen, sie ist sehr häufig bei uns. Madi war letzten Donnerstag nicht da.20 Sie hatte Fußschmerzen. Hoffentlich kommt sie diese Woche, die Deckenkappen hat sie noch nicht gebracht, aber schon mitgenommen. Natürlich fragt alles nach dir so die Gerti Zappert,21 der Karl, der einen Tag in Wien war,22 die ganzen Floridsdorfer und alle meine Bekannten natürlich in erster Linie Tante Paula23, der ich auch jeden Brief mitbringen muss. Ich habe allerdings in Euren Briefen eine Andeutung über die Reise vermisst, aber ich will lieber nichts wissen davon, je mehr Sachen ich sehe, die du nicht mitnehmen konntest, je ärger stelle ich mir die Sache vor. Also wozu die nachträgliche Aufregung, das Endresultat ist befriedigend. Meine Schrift ist nach und nach unleserlich geworden, doch zeigt die Uhr schon bald Morgengrauen, also eine Entschuldigung. Liebste Lisi, sei 1000 mal geküsst, du die Kinder und Viki  !  ! Deine Mutter 19 Vermutlich gemeint  : Maria Kornfeld (*13. Februar 1860, Neustadt an der Moldau, heute  : Nové Město  ; gest. 15. Mai 1944, Datum der Deportation nach Auschwitz). Frau Kornfeld gehörte dem jüdischen Bekenntnis an und lebte zuletzt in der Sterngasse 2/22, 650 Meter von der Esslinggasse 13 entfernt. Von dort wurde sie am 13. August 1942 nach Theresienstadt und am 15. Mai 1944 nach Auschwitz deportiert. Sie überlebte den Holocaust nicht. Vgl. die Angaben für Maria Kornfeld auf doew.at. 20 »Madi« ist (wie »Made« und »Selle« auch, vgl. die Dok. 11, 12, 16, 20, 21, 31) eine Kurzform von Mademoiselle. Damit wird Georgette (vgl. Dok. 38) bezeichnet, eine französischstämmige Dame, die schon Elisabeth Schneider und später auch deren Kindern beaufsichtigte und ihnen dabei Französisch beibrachte. Näher konnte die Person nicht identifiziert werden. Vgl. o.A. Schneider’s Story, unpag. 21 Gertrud Brunner (geb. Zappert, *16. März 1902, Wien  ; gest. 20. September 1942, Wien) war die Zwillingsschwester von Karl Zappert, Tochter von Julius und Cornelia Zappert und damit die Nichte der Briefschreiberin. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 602/1902 sowie die nachfolgende Anmerkung 22. 22 Karl Zappert (*16. März 1902, Wien  ; gest. 1981, London), Zwillingsbruder von Gertrud Brunner, Sohn von Julius und Cornelia Zappert und damit Neffe der Briefschreiberin. Er gehörte dem jüdischen Bekenntnis an und war zu dieser Zeit bei der Papierfirma Ortmann in Pernitz/Niederösterreich beschäftigt, wo er mit seiner Familie auch wohnte. Am 23. September 1938 emigrierte er über Berlin und Dänemark nach England und von dort nach dem Tod seines Vaters Julius Zappert nach Brasilien. Vgl. das Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Hermann Neureiter an die Creditanstalt Wien, 5. Juli 1961, AdR, NHF.II-ZI. 18.511 sowie die beglaubigte Abschrift des Geburtszeugnisses, Beilage des Schreibens von Neureiter an den Fonds zur Abgeltung von Vermögensverlusten politisch Verfolgter, 29. März 1962, ebd., ABGF.-ZI 4.126  ; Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 601/1902. 23 Paula Singer (geb. Fischel, *1. Januar 1869, Wien  ; gest. 12. November 1940, Wien)  ; sie gehörte dem jüdischen Bekenntnis an, ihr Großvater war der ursprünglich aus Kopenhagen stammende, bedeutende Wiener Rabbiner Isaak Noah Mannheimer (1793–1865). Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Geburtsanzeige, Rz. 1399/1869 (ihr Geburtsname wird in den Meldeunterlagen der Stadt Wien fälschlich mit Fichtl geführt, vgl. WStLA, Meldeunterlagen Paula Singer).

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4 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 5. September 1938 2 S., e. B.

5. Sept. 38 Liebstes Lischen  ! Heute will ich dir nur einen kurzen Brief schicken, da es schon spät ist und ich nicht so lange schreiben will. Erstens danke ich dir resp. Viki für sein fleissiges Schreiben, ich freue mich, dass Viki dir wenigstens diese Arbeit abgenommen hat, hoffentlich ist kein anderer Grund dafür. Sonntag war ein Grosstag in deiner Floridsdorfer Wohnung. Um 8 Uhr früh kam ein Packer, der schon den Tag vorher einige Kisten gebracht hat. Toni war auch da mit einer Nichte aus Atzgersdorf1 (die Nichte mehr zu Unterhaltung und Redbegleitung), der Grossvater und ich. Der Packer brachte sich Holzwolle u. Zeitungspapier mit und packte mit Zureichen von der Toni das Porzellan u. Glas ein. Dann kamen die anderen Sachen, so dass er alles, was in der Wohnung war, einpackte. Er brachte sich Kisten mit und hat mit diesen 3 (die dritte ist die schweizerische Kiste) noch außerdem 5 Kisten gepackt. Das war alles ohne Zollkontrolle. Es werden nämlich morgen die ganzen Sachen abgeholt, kommen in ein Magazin und werden dort unter Kontrolle wieder ausgepackt. Ich glaube zwar, die Glas und Porzellan Kisten nicht. Wie weit die anderen Sachen ausgepackt werden, weiß ich nicht. Ich werde mich morgen erkundigen, ob ich dabei sein kann. Der Packer war ein sehr netter anständiger junger Mensch. Er blieb bis gegen 5 Uhr. Ich holte Essen für uns alle. Er war wohl ermüdet aber lustig. Toni war fabelhaft brav, unermüdlich fleissig und hat sich nicht zahlen lassen. Man glaubt gar nicht wie viel Arbeit das Einpacken einer ganzen Wohnung gibt. Du Ärmste  ! Du musst das alles auspacken und wir können dir nicht helfen. Die Toni und ich waren schon ganz unglücklich darüber. Ich war heute Nachmittag wieder draussen, weil noch einiges zu machen war, Grossvater natürlich auch. Bis auf das, dass er draussen das große Wort führt und ich nichts zu reden habe, ist er sehr brav und unermüdlich fleissig. Die Wohnung ist von 1. Okt. vermietet, doch wird schon früher drin gearbeitet. Ich werde jedenfalls dem Hausherrn sagen, er muss etwas ersetzen, überhaupt will ich morgen mit ihm abrechnen, da er doch für das Badezimmer mehr hergeben muss, 1 Die zuvor selbständige Gemeinde wurde im Oktober 1938 als Teil des XXV. (heute  : XXIII.) Gemeindebezirks nach Wien eingemeindet. Vgl. Czeike, Historisches Lexikon, Bd. 1, 181.

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als wir ihm für die Miete schuldig sind. Leider will der neue Mieter (aus Baiern) alle Fensterkistel weg haben, seine Braut, er heiratet jetzt, will nichts von fremden Leuten in der Wohnung.2 Der Grossvater wird sie abmontieren lassen. Also morgen um 8 Uhr werden die Möbel geholt, bis 10 Uhr sind sie schon alle draussen, hat der Packer gesagt. Übrigens habe ich heute vormittag ein Paket an dich geschickt mit den Schultaschen und andern Kleinigkeiten. In den Schultaschen sind 2 Mappen drin, die gehören den Kindern von der Tante Paula.3 Ein Buch habe ich geschickt und ein Spiel zur Freude von Jung und Alt. Ich hoffe, das Paket kommt noch vor Schulanfang zu Euch. Ich bin glücklich, dass die Kinder nicht hier in die Schule gehen müssen.4 Es ist hier sehr, sehr unerquicklich. Man fühlt sich schrecklich unbehaglich. Ich danke Gott, dass ihr nicht hier sein müsst. Heute habe ich nur geschäftlich geschrieben, nächstens wieder mehr privat obwohl gar nichts vorgeht. Alle lassen Dich und die Buben samt Viki grüssen und mit tausend Küssen Mutter Das rosa Kleid für Martin ist ein Erbstück von Garda Karplus (Lisl Schiff )5 2 Es dürfte sich aller Wahrscheinlichkeit nach um den Unterfeldwebel Alfred Tomberger (*31. März 1911, Wien  ; gest. 27. September 1941, Serbien) handeln, der seit 5. Oktober 1938 in der Jedleseer Straße 7 gemeldet war. Tomberger war gebürtiger Wiener mit deutscher Staatsangehörigkeit, hatte zuvor in der Wiener Franzensbrückenstraße 5 gewohnt, gehörte dem römisch-katholischen Bekenntnis an und war mit Anna Tomberger (geb. Hafner, *23. November 1914) verheiratet. Der ebenfalls in Frage kommende Werner Jansen war mit seiner Frau Marta erst seit 31. Juli 1939 in der Jedleseer Straße gemeldet  ; überdies stammte er aus Holstein und war zuvor in Kassel gemeldet, WStLA, Meldeunterlagen Alfred Tomberger  ; ebd., Werner Jansen. 3 Die Kinder konnten nicht identifiziert werden, da sich in den Wiener Meldeunterlagen von Paula Singer keine entsprechenden Einträge finden, vgl. WStLA, Meldeunterlagen Paula Singer. 4 Während die Diskriminierung jüdischer Schüler:innen in Deutschland bereits mit dem Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen vom 25. April 1933 begonnen hatte, mit dem die Zahl jüdisch gläubiger Schüler:innen und Studierender beschränkt wurde, folgte Analoges in Wien mit der städtischen Anordnung vom 16. Mai 1938, wonach jüdische Schüler:innen die Pflicht- wie die Fortbildungsschulen zu verlassen hätten. Daraufhin wurden 14 jüdische Volks- und Hauptschulen eingerichtet, die zusammen 148 Klassen hatten, in denen 5992 Schüler:innen unterrichtet wurden. Mit dem in der Regel verlängerten Schulweg für jüdische Schüler:innen stieg auch die Gefahr, Opfer von Anfeindungen und Schikanen zu werden. Vgl. RGBl. I, 26. April 1933, 225  ; Exenberger, »Ausschulung«, 7 sowie Dok. 7, Anm. 10. 5 Hildegard Karplus (geb. Schiff, *16. Dezember 1899, Wien) war die Tochter des Chemikers Dr. Felix und der Elisabeth Schiff (geb. Kanitz, *10. März 1874, Wien). Letztere stand in enger Verbindung zu Julius Zappert und begleitete diesen 1939 nach England. Seit Februar 1944 war sie bei ihrer Tochter Hildegard (und aller Wahrscheinlichkeit nach deren Mann, Dr. Robert Karplus, *7. Oktober 1896, Wien) in New York. Vgl. die Postkarte von Elisabeth Schiff an Elisabeth Schneider, 9. Oktober 1944,

36 |  Briefe 1938–1942

Wie viel soll ich Grossvater für den Gasofen geben  ? Großvater ist übrigens sehr vergnügt. Scheint momentan Geld zu haben, geht ins Kaffehaus (Tuschak)6 hat dort Bekannte oder nach Döbling Zögernitz.7

Privatbesitz Martin Schneider  ; Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Trauungsbuch, Rz. 672/1899  ; ebd., Geburtsanzeige, Rz. 2706/1874  ; ebd., Rz. 3100/1899  ; ebd., Bestand Matriken, Trauungsbuch, Rz. 328/1925. 6 Gemeint ist das von Viktor Tuschak in der Esslinggasse 2 betriebene Kaffeehaus. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 1, Teil I, 1352. 7 Gemeint ist das in Döbling von einem Wiener namens Zögernitz erbaute Casino im Biedermeierstil. Vgl. Czeike, Historisches Lexikon, Bd. 5, 710 f.

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5 Ella Wenger an die Familie Schneider Wien, 9. September 1938 2 S., e. B.

Die Kutuschka1 lässt alle schön grüßen, besonders die Kinder  !  !  !  !  !  !

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Meine Lieben  ! Ich habe heute eine Karte von Viki bekommen, wo er Nachricht von uns reklamiert. Ich hoffe, dass mein Brief, den ich Montag Abend geschrieben habe,2 schon gekommen ist. Die Nachrichtslosigkeit hat übrigens auf beiden Seiten beruht, da ich auch beunruhigt war, nichts von Euch zu hören. Ich glaube, wir sollten seltener schreiben, dann werden wir gegenseitig nicht so oft Briefe erwarten. Es interessiert mich brennend zu wissen, was mit Eurer Wohnung ist. Die Möbel sind pünktlich Dienstag früh weggeführt worden, das war gar keine Angelegenheit. Großvater war schon draussen ehe der Möbelwagen kam, ich etwas später. Um ½ 10 Uhr war die Wohnung leer und sauber. Der große Ofen ist noch nicht verkauft, ist auf den Boden gestellt worden, nur der Spiegel ist noch an der Wand. Wir haben schon Auftrag gegeben, dass er verkauft wird. Mit H. Dietrich3 habe ich gesprochen. Ich werde nächste Woche mit ihm abrechnen. Er übernimmt 3 Fensterkastel (Küche, Speisezimmer, Schlafzimmer). Den Preis haben wir uns noch nicht geeinigt, dann will er uns etwas von dem Septemberzins ersetzen, da der neue Mieter die Wohnung herrichten lassen will und sie früher als 1. Okt bekommt, ausserdem das Geld für das Badezimmer. Ich weiß noch nicht wie viel ich herausbekommen werde. Es war ein sehr netter Abschied von Dietrichs und der Frau Mühlbauer, sie bedauern aufrichtig, Euch nicht mehr zu haben. Fr. Ditrich, die jeden Augenblick weint, sagte, dass die ganzen 7 Jahre, wo ihr draußen gewohnt habt, nicht eine Missstimmung war, und besonders die Kinder gehen ihr sehr ab. Die Trude4 kann 1 Die Identität der Person, die möglicherweise mit der in den Briefen wiederholt erwähnten Haushaltshilfe Käthe identisch ist, konnte nicht geklärt werden. 2 Vgl. Dok. 4. 3 Es handelt sich um den Textilwirt Josef Dittrich (*19. Januar 1879, Wien  ; gest. 5. März 1960, Wien), der wie seine Frau dem römisch-katholischen Bekenntnis angehörte und bis zu seinem Tod im ersten Stock der Jedleseer Straße 7 wohnte. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Josef Dittrich  ; zu seiner Frau vgl. Dok. 1, Anm. 9. 4 Gemeint ist die dreijährige Gertrude Mühlbauer, vgl. Dok. 3, Anm. 10.

38 |  Briefe 1938–1942

es nicht begreifen, dass die Schneiderbuben nicht mehr kommen. Bei Frau Hensel war ich auch, doch war sie nicht zu Hause, ich sprach mit der Kleinen und richtete viele Grüße von dir aus.5 Für die dürfte auch kein Bestand sein in dem Haus, da es fast ganz arisiert ist.6 Auch bei Weiss7 war ich Samstag, die natürlich das grösste Interesse für Euch hat, sie lässt alle alle grüssen. Martha hat mit F. D. Heller gesprochen, sie war in der Kultusgemeinde.8 Es hat sich nichts bei ihr verändert, sie hat Eure Adresse und 5 Das Ehepaar Anton (*1. April 1885, Bergersdorf [1938  : ČSR ]) und Klara Hensl (geb. Silberbusch, 19. Oktober 1898, Novocelica [1938  : Rumänien]) wohnte seit September 1935 mit seiner Tochter Lotte (*6. April 1924, Wien) in der Jedleseer Straße 7, also in jenem Haus, das vormals auch Ella Wengers Tochter mit ihrer Familie bewohnt hatte. Klara Hensl wurde am 7. Mai 1939 »nach England« abgemeldet, das Schicksal des katholischen Ehemanns ist unklar – im Wiener Adressbuch war er nur bis 1939 verzeichnet. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Anton Hensl und Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1939, 1940 und 1941, jeweils Bd. 1, Teil I, 434 (1939), 440 (1940), 443 (1941) bzw. 406 (1942). 6 Die Schreiberin übernimmt hier die NS-spezifische Sprachbildung »Arisierung«. Die darunter subsumierten Maßnahmen konnten sich auf verschiedene Felder beziehen  : auf wirtschaftliche Enteignungen von Unternehmen oder Geschäfte, die sich in jüdischem Eigentum befanden  ; auf das Hinausdrängen von Jüdinnen und Juden aus Arbeitsverhältnissen  ; auf die Enteignung von Mobilien (von Kunst über Mobiliar bis zu Schmuck und Devisen) und geistigem Eigentum und schließlich auf diejenige von Wohnungen. In letzterem Sinn wird der Begriff im vorliegenden Zusammenhang verwendet. Vgl. im Überblick sowie zu eng damit verbundenen Maßnahmen wie sozialer Segregation, psychischem und physischem Terror, Auswanderungsdruck u. a. m. Botz, Arisierungen in Österreich, v. a. 29 f. – Bereits mit Rücktritt Kurt Schuschniggs als Kanzler am 11. März 1938 hatten in Wien unkoordinierte Aktionen der Bevölkerung gegen ihre jüdischen Mitbürger:innen begonnen, die deren Demütigung genauso zum Ziel hatten wie die Zerstörung ihrer materiellen Lebensgrundlagen. Der Wohnungsmarkt bot hierfür insofern ein bevorzugtes Ziel, als die Wohnverhältnisse in quantitativer Hinsicht seit Jahrzehnten beengt, in qualitativer, vor allem hygienischer Hinsicht deplorabel waren. Ein völlig unkontrollierter Raub an Wohnungen, die sich im Besitz von Jüdinnen oder Juden befanden, setzte dann unmittelbar mit dem staatlichen Ende Österreichs ein, tausende Familien verloren ihre Wohnungen durch »Plünderungen, Überfälle, Repressalien verschiedenster Art oder einfach dadurch, daß ein Zettel mit der Aufforderung, binnen weniger Stunden oder Tage auszuziehen, an ihre Wohnungstür geheftet wurde« (Botz, Wohnungspolitik, 57). Zwar wurden diese sogenannten ›wilden (Wohnungs-)Arisierungen‹ mit dem Frühsommer 1938 etwas eingedämmt, weil die nationalsozialistischen Machthaber die Kontrolle über die Vorgänge wiedererlangen wollten, doch blieben unkontrollierte Enteignungen ebenso an der Tagesordnung wie staatlich unterstützte. Der Wiener Vizebürgermeister Thomas Kozich ging schon Mitte April 1938 von 35.000 ›arisierten‹ Wohnungen aus, die sich in jüdischer Hand befunden hatten  ; die Forschung schätzt deren Zahl bis Ende 1939 auf 45.000 bis 48.000, vgl. ebd., 60 f. – In der Jedleseer Straße 7 sind von sieben Parteien, die 1938 gemäß Wohnungsanzeiger dort gemeldet waren, 1940 vier nicht mehr nachzuweisen und von anderen Mietern ersetzt. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 2, Teil IV, 1306 bzw. 1940, Bd. 2, Teil IV, 1253. 7 Es handelt sich vermutlich um die auch in den Dok. 7, 19, 42 und 45 genannten Hedi bzw. Emy Weiss. Die Personen konnten nicht eindeutig identifiziert werden. 8 Es handelt sich um die Hauswirtschafterin Martha Heller (*10. Oktober 1895, Wien), die bereits im Mai 1938 den Fragebogen der Fürsorge-Zentrale der IKG ausgefüllt hatte. Dort gab sie an, zusammen mit vier Geschwistern (von denen einer promovierter Arzt war, daher das »D« vor ihrem Namen, das in

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will Euch schreiben  : Martha hat gestern mit F. Jellinek gesprochen, die Möbel sind schon einwaggoniert, dürften Samstag fortkommen und in cir. 1 Woche draussen sein. Es ist der Besenkasten und das Putzkastel auch mitgekommen. Die Schlüssel von allen Türen kommen angeblich in einer Schachtel mit. Auf dem großen Besen wirst du noch etwas Wiener Schmutz finden, der wurde noch zu letzt benützt. Franz hofft nächste Woche reisefertig zu sein, das heißt die Einreise nach England Dänemark zu bekommen.9 Die Linzer10, die schon in Wien sind, werden seine Wohnung nehmen, und da er anderen Briefen zum »Dr.« wird), einer Schwägerin und je einer Nichte und einem Neffen sowie dem Bräutigam der Nichte möglichst bald nach Südamerika oder Palästina ausreisen zu wollen. Frau Heller wohnte in der Perinetgasse 3, was mit der Angabe in Dok. 11 übereinstimmt, wonach sie im XX. Bezirk wohne. Im Wiener Adressbuch ist unter dieser Adresse nur ihre Schwägerin, Helene Heller, aufgeführt  ; weitere Daten von ihr sind in den Meldeunterlagen des Wiener Stadt- und Landesarchivs nicht vorhanden. – Dass Frau Heller die Kultusgemeinde wegen ihrer Bemühungen um Auswanderung aufgesucht haben dürfte, ergibt sich aus weiteren Bemerkungen der Schreiberin in den Dok. 13 und 22. Jenseits aller religiösen Belange war die Israelitische Kultusgemeinde nämlich der entscheidende Ansprechpartner für Fragen der Emigration, und als solcher vom NS-Regime instrumentalisiert. Nach der zunächst erfolgten Schließung der IKG am 18. März 1938 wurde sie, personell verändert, am 2. Mai 1938 von Adolf Eichmann, dem Leiter der Zentralstelle für jüdische Auswanderung, wieder zugelassen, weil er sie für die planmäßige Vertreibung der jüdischen Bevölkerung benötigte. Vgl. auch Dok. 11, Anm. 4  ; zur IKG zwischen März 1938 und Kriegsbeginn Rabinovic, Instanzen, 57–193  ; zu Martha Hellers Auswanderung Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Martha Heller, 19. Mai 1938, Auswanderungskartei 2589/48, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI). Weitere Daten zu ihr sind in den Meldeunterlagen des Wiener Stadt- und Landesarchivs nicht vorhanden. 9 Franz Wenger, der Sohn der Briefschreiberin, hatte am 11. Mai 1938 ein Ersuchen an die Israelitische Kultusgemeinde um einen Auswanderungsbeitrag für sich, seine Frau Fritzi und seinen Sohn Stefan gestellt und als Ziel »Australien, engl. Kolonien resp. Dominions[,] am liebsten USA« angegeben. Letztlich emigrierte die Familie nach Australien. Von den hierfür notwendigen Gesamtkosten in Höhe von 3180  RM brachte sie 2800  RM selbst auf, je 190  RM steuerten die Hilfsaktion Gildemeester und die IKG zu, so dass die Familie am 10. Dezember 1938 mit dem Dampfer Viagara von Southampton nach Melbourne ablegen konnte. Vgl. Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Franz Wenger, 11. Mai 1938, Auswanderungskartei 5316, den darauf bezogenen Bearbeitungsbogen der IKG, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI) sowie die Dok. 8, 9 und 11. 10 Gemeint sind Bianca (geb. Trager, *9. November 1870  ; gest. 31. März 1943, Theresienstadt) und Kommerzialrat und Bankdirektor i.R. Ludwig Czerwenka (*6. Oktober 1863, Cerekwitz/Böhmen  ; gest. 18. Februar 1941). Das Ehepaar hatte in Linz zuletzt in der Bürgerstraße 46 gewohnt, war aber von hier vertrieben worden – es musste, wie Czerwenka euphemistisch schrieb, diese Wohnung auf »­ Ersuchen des Organisationsleiters des Kreises Linz der NSDAP« zum 31. August 1938 aufgeben (Ludwig Czerwenka an die Vermögensverkehrsstelle, 15. August 1938), ohne zu wissen, wohin es ziehen konnte. Von Linz aus zogen sie zunächst am 7. September ins Wiener Hotel de France, von wo aus sie eigenen Angaben zufolge mit der Wohnungssuche begannen, bis ihnen der »Verwalter Architekt Ingenieur Roth« eine Wohnung in der Widerhofergasse 8 zuwies, die sie aber »wegen ihrer schlechten Beschaffenheit« zunächst renovieren lassen mussten, dann wegen wiederholter Kündigungsdrohungen der Polizei und

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die Möbel bei der Loge11 einstellen lässt, hofft er natürlich, dass der Onkel auch den Transport zahlen wird. Wie viel unserer kostet, weiß ich noch nicht, da wird mich die F. J. verständigen, jedenfalls habe ich nach allen verschiedene Ausgaben noch etwas über. Ich bin froh, wenigstens kann ich mir die Zähne richten lassen. Liebste Lisl, ich habe schon Martins Wollhose angefangen (dunkelblau) nun möchte ich gerne das Mass für das Jumperl haben. Erstens die Halsweite, vordere Länge, Seitenlänge, hintere Länge, anderer offizieller Stellen bis 25. November 1938 nicht beziehen konnten (Ludwig Czerwenka an die Vermögensverkehrsstelle, 26. November 1938, beide  : OÖLA, Israelitische Kultusgemeinde, Sch. 1). In der Widerhofergasse 8/2 übernahmen die – im März 1938 – vom Judentum zum Katholizismus konvertierten Czerwenkas die Wohnung der Familie von Franz Wenger, die ihrerseits auf dem Sprung in die Emigration war. Wengers wurden hierbei von Ludwig Czerwenka, dem Onkel von Fritzi Wenger, mit einer Schenkung in Höhe von 7200  RM unterstützt. Der dem Ehepaar Czerwenka Anfang 1940 zugestellte »Sicherheitsbescheid« legt nahe, dass auch sie das Land alsbald verlassen wollten, wofür ihnen eine Steuerlast in Höhe von 72.700 RM auferlegt wurde (Schenkungen wurden seit 19. Dezember 1937 nicht mehr auf die Berechnung der Reichsfluchtsteuer angerechnet). Dies misslang, denn Bianca Czerwenka wurde am 27./28. August 1942 aus der Haasgasse 8 nach Theresienstadt deportiert, wohingegen das genaue Schicksal ihres im Jahr zuvor verstorbenen Mannes unklar ist. 1939 spendete er bzw. musste spenden noch 25.000  RM an den Auswanderungsfonds der Israelitischen Kultusgemeinde. – Czerwenka war vor seiner Pensionierung Direktor der Oberösterreich-Filiale der Böhmischen Unionbank, Mitglied des Zensorenkollegiums der Nationalbank und verschiedener Verwaltungsräte gewesen, u. a. der Steyr-Daimler-Puch AG , aus deren Verwaltungs- und Aufsichtsrat er aber bereits am 30. März 1938 ausgeschlossen worden war. In Linz hatte er zum Großbürgertum gehört, war u. a. Mitglied des Rotary-Clubs und spendete regelmäßig für die Armen. – Vgl. Verzeichnis über das Vermögen von Juden, Ludwig Czerwenka, 12. Juli und 3. Dezember 1938  ; Ludwig Czerwenka an die Vermögensverkehrsstelle, 3. August 1938 und 16. Mai 1939  ; Ludwig Czerwenka an die Gestapo Linz, 11. März 1939  ; Vermögensverkehrsstelle an die Gestapo Linz, 5. April 1939  ; Reichsfluchtsteuerstelle Wien an Ludwig Czerwenka, 16. Januar 1940, alle  : OÖLA, Israelitische Kultusgemeinde, Sch. 1  ; WStLA, Meldeunterlagen Ludwig Czerwenka  ; Amtliches Linzer Adressbuch 1934, 2. Haupt-Teil, 36 bzw. 1936, 5. Teil, 44  ; Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1939, Bd. 1, Teil I, 164  ; Seitz, RC Linz  ; Amtsblatt der Landeshauptstadt Linz 1929 (Nr. 5, 71 bzw. Nr. 7, 93), 1930 (Nr. 9, 124), 1931 (Nr. 9, 111)  ; Jüdischer Friedhof Linz, Grab-Nr. 17597597 sowie die Angaben zu Bianca Czerwenka auf doew.at und im Theresienstädter Gedenkbuch, 341  ; Kuller, Bürokratie und Verbrechen, 194  ; Perz, Projekt »Quarz«, 50 (hier Anm. 26), 557  ; Dok. 8. 11 Ob hier der Raum der Freimaurer oder der Loge der rein jüdischen B’nei B’rith Bruderschaft gemeint war, ist nicht eindeutig. Einerseits bestanden enge Verbindungen der Familie Zappert zur Wiener B’nai B’rith Loge (Franz’ Onkel Julius Zappert war in der 1903 gegründeten Wiener Loge »Eintracht« »Jahrzehnte lang« aktives Mitglied  ; Erinnerungen der Familie Zappert, 7, Privatbesitz Marianne Maxwell), andererseits war die B’nei B’rith von den Nationalsozialisten umgehend aufgelöst worden. Auch die Großloge von Wien wurde zum 15. April 1938 offiziell aufgelöst, dennoch wirkte sie danach weiter. Es ist wahrscheinlich, dass in dem vorliegenden Brief eine freimaurerische Loge gemeint ist, zumal zwar nicht Franz Wenger, sehr wohl aber Ludwig Czerwenka Freimaurer war. Dieser war am 11. Dezember 1921 in die Loge Schiller aufgenommen worden. Vgl. Kodek, Bausteine, 64  ; Ders., Chronik, 359–367  ; Rosenkranz, Verfolgung, 31  ; zu jüdischen Mitgliedern in Freimaurerlogen auch Patka, Humanitätsverein, v. a. 118 f. und 123, 377.

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Brustbreite, Achsellänge, unten Weite, Ärmellänge, und ob ich es nicht bis zum Hals hoch machen soll mit einem schmalen Stehkragerl, der auch auf der Achsel geschlossen wird. Bitte darüber umgehende Nachricht. Ich habe noch die blau gestreiften Hemden für die Buben zu machen (jetzt habe ich Stefan fertig gemacht), will alles zusammen Euch schicken, auch noch ein Spiel. Auch sind noch 2 Paar Strümpfe von den Kindern zurückgeblieben. Hoffentlich ist das Paket schon in Euren Händen, welches ich Montag wegschickte. Mir geht es ganz gut so lange ich noch zu tun habe. Wir haben schon recht kalt, heute ists etwas besser. Onkel Julius12 war ein paar Tage in St. Gilgen.13 Gerti hat sich schon das Grammophon geholt mit den Kinderplatten. Willy hat 12 Gemeint ist Hofrat Julius Zappert (*2. April 1867, Prag  ; gest. 13. Juni 1941, Slough/England), der Bruder der Schreiberin, der in der Skodagasse 19 in der Alservorstadt wohnte. Der Kinderarzt Prof. Dr. Zappert stand von 1903 bis 1918 dem Mariahilfer Kinderambulatorium vor, seit 1918 leitete er das neuerrichtete Kinderkrankenhaus der IKG für arme Kinder im Augarten, Rauscherstraße 16 . Seit 21. Mai 1899 war er mit Cornelia Zappert (geb. Fleischmann, *23. August 1872  ; gest. 23. März 1922, Wien) verheiratet, die 1922 an Darm- und Lungentuberkulose verstorben war. Das dem jüdischen Bekenntnis angehörende Paar hatte mit der bereits 1930 verstorbenen Johanna (*23. April 1900, verh. Jellinek) sowie den Zwillingen Karl (*16. März 1902, Wien) und Gertrud (*16. März 1902, Wien, verh. Brunner) drei Kinder. Bereits während der Anschlusskrawalle im März 1938 war Zappert von der SA verhaftet und ins Polizeigefängnis Rossauerlände gebracht worden  ; dabei entwendeten die SA-Männer wahrscheinlich auch mehrere Sparbücher des Mediziners. Zum 1. Oktober 1938 erklärten die Nationalsozialisten Julius Zappert zum »jüdischen Krankenbehandler« (zur Diskriminierung durch diesen, seit 25. Juli 1938 für jüdische Ärzte obligatorischen Begriff vgl. Klemperer, LTI, 226) und beschränkten sein Wirken auf das Kinderambulatorium. Zwischen April und Dezember 1939 emigrierte Zappert nach England, 138 Anson Road, London NW 2 (später  : 39, Langley road in Slough), wo er 1941 starb. Die Angabe bei Rosenkranz, Verfolgung, 329 (Anm. 15) und in der Dokumentation Widerstand und Verfolgung in Wien, 212, wonach Julius Zappert Selbstmord begangen habe, ist falsch. – Vgl. das Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Hermann Neureiter an den Fonds zur Abgeltung von Vermögensverlusten politisch Verfolgter, 29. März 1962, AdR, ABGF.-ZI 4.126  ; Seidler, Jüdische Kinderärzte, 406 f.; Hecht/ Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 269 f.; Taufmatrikel der Prager jüdischen Gemeinde 1863–1871, Pag. 94, Nr. 50  ; zur Adresse  : Angaben Karl Zapperts auf dem Eingangsbogen des Fonds zur Abgeltung von Vermögensverlusten politisch Verfolgter, 11. Oktober 1961, AdR, ABGF.-ZI 4.126. Zur Hochzeit von Julius und Cornelia sowie zu deren Geburt und Tod Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Geburtsanzeige Rz. 3845/1872  ; ebd., Trauungsbuch 779/1899  ; ebd., Sterbebuch, Rz. 844/1922, zudem den Personalbogen Julius Zapperts, ebd., A / VIE / IKG / I-III / PERS / 4 / 3. 13 St. Gilgen am Wolfgangsee (Salzkammergut). Laut Auskunft der Gemeinde gibt es keine Meldeunterlagen Julius Zapperts, doch war der Ort bei jüdischen Familien sehr beliebt, weshalb er im Volksmund auch den Beinamen »Judendorf« trug (Winterstein, Geschichte, 81f.). Über ihre erste, nach dem Krieg unternommene Reise nach Österreich schreibt Karl Zappert in seinen Memoiren  : »Einen Tage verbrachten wir am Wolfgangsee und in St. Wolfgang und St. Gilgen, wo wir Frau Hofrat Jaeger besuchten, die in den letzten Lebensjahren meines Vaters mit ihm sehr eng befreundet war. Er hatte in den letzten Jahren, bevor er Oesterreich verlassen musste, oft viele Monate als Gast von Frau Hofrat Jaeger in St. Gilgen verbracht, das er sehr liebte.« Familienchronik der Familie Zappert, Privatbesitz Marianne Maxwell, England, 84.

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Abb. 7  : Der langjährige Leiter des Kinderambu­ latoriums der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien und Vorsteher der IKG Jugendfürsorge, Prof. Dr. Julius Zappert, undatierte Aufnahme.

es gerichtet. Sonst sitzen noch alle in Wien und beneiden Euch. Ich habe eine neue Liebe entdeckt, nämlich das Muttertagskleid von dir, dass ich nur mehr in der Nacht anziehe. Allen, allen tausend Küsse, Mutter

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6 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 6. Oktober 1938 2 S., e. B.

Dem Martin habe ich ein Buch geschickt, hoffentlich bekommt er es. 6. Oktober 38 Liebstes Lischen  ! Nachdem ich Dir heute ein kl. Päckchen (Muster ohne Wert1) geschickt habe, will ich dir sagen, was drin ist. Also der Wollanzug von Martin, Hose und 2 Jumper, dann ein Kamm und den Putzlappen, mehr konnte ich wegen Gewicht nicht hineingeben. Jetzt habe ich noch den Schlafrock von Martin hier, den ich ein bischen verkleinert habe und gewaschen, er ist ganz gut geworden, dann sind noch Strümpf von den Kindern zurückgeblieben, auch von dir etwas. Eine Kombination, welche zerrissen war und welche ich ausgeflickt habe. Leider habe ich mich dabei geirrt und habe den Fleck verkehrt eingesetzt. Ich will die Sachen schicken, wenn ich für dich auch etwas mitschicken kann. Diese Decke für die Kiste müsstest du mir ausmessen, die Höhe und den ganzen Umfang, wenn hinten auch etwas sein soll, oder nur auf 3 Seiten. Ich hätte vielleicht grüne Seide (so wie Rudis Kostumhose) mit besatz von den alten Salonvorhängen. Was Hübsches wäre vielleicht ein weißer Vorhangstoff als Toilettisch behandelt. Also bitte äußere dich. Was meinst du denn, wenn ich dir das kl. runde Ladlgestell was du schon einmal in deinem Zimmer hattest, als Nachtkastel schicken soll. Ich habe es abgewogen. Es wiegt 12 kg. Also mit etwas dazu noch nicht zu viel. Ich könnte es ganz gut verpacken. Von meinen Sachen hab ich noch gar nichts verkauft, jetzt überlege ich nur, wem ich es schenken soll, damit es wegkommt, da ich nächste Woche gründlich habe und die Sachen mir herumstehen. Ich war heute bei H. Diettrich. Es hat mir draußen gar nicht gefallen, ich bin froh, daß die Familie im 2. Stock2 nicht mehr 1 Ein entsprechendes Päckchen musste mit einer entsprechenden Aufschrift gekennzeichnet werden, die besagte, dass es lediglich »Muster, kleine Warenmengen, Proben, […] und andere Gegenstände von geringem Wert« enthalte, keinen Wiederverkaufswert habe und daher als Warenprobe versendet werden könne. Zur Überprüfung musste die Sendung leicht zu öffnen sein. Das Gewicht eines solchen Päckchens durfte bis zwei Kilogramm betragen. Vgl. Kaula, Postbetriebsdienst, 11, 14. 2 Wahrscheinlich erscheint, dass die Schreiberin hier die Familie ihrer eigenen Tochter meint, die der Familienchronik nach im zweiten Stock wohnte (der in den Meldeunterlagen der Stadt Wien angegebene

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dort wohnt. Sie würde es sehr ungemütlich haben in diesem Bezirk. Er hat mir gezahlt, ich bin froh, daß ich wieder bischen Geld habe. Mit Abzug des Sept. Zinses 224 RM. Das ist das Badezimmer, der Ofen und die Kasteln. Schloss und Linoleum hat er nicht rechnen wollen. Jedenfalls bin ich draußen fertig. Diettrich oder vielmehr Mühlbauer haben jetzt eine herrliche Wohnung, den ganzen 1. Stock,3 die Zimmer von einem Architekten ganz eingerichtet, das Erkerzimmer getäfelt mit Balkon, Plafon-lichter, neue Möbel, Vorhänge, Lichter und das Kinderzimmer vollkommen neu eingerichtet mit Fensterkasteln ähnlich wie bei Euch nur raffinierter. Dann ein kl. Salon, wo der Balkon ist und ein modernes Schlafzimmer (von H. Grünwald, ich glaube so hieß der Herr, der dort gewohnt hat,4 übernommen). Die ganze Wohnung ist prächtig, aber es dritte Stock bezieht sich auf eine Zählung, wonach das bewohnbare Souterrain als erste Etage gezählt wird  ; ein drittes Obergeschoss hat das Haus nicht). Das andernfalls gemeinte jüdische Ehepaar Paul (*11. April 1904, Ödenburg) und Elisabeth (geb. Bartos, *3. September 1906) Galambos, das mit seiner Tochter Elisabeth Charlotte (*10. November 1934) seit 23. April 1937 im Stock darunter gemeldet war, spielt weder im Briefwechsel, noch in der Familienchronik eine Rolle. Sie werden zum 23. August 1939 von dort mit Ziel »unbekannt« Ziel abgemeldet. Neben dieser Familie zog zwischen 1938 und 1939 noch Herr Grünwald aus dem Gebäude aus, der jedoch ledig war, vgl. WStLA, Meldeunterlagen Paul Galambos  ; Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 2, Teil IV, 1306 bzw. 1939, Bd. 2, Teil IV, 1271 und Anm. 4 in diesem Brief  ; o.A., Schneider’s Story, unpag. 3 Die Formulierung verweist auf die Verwandtschaftsbeziehung, war doch die Klavierlehrerin Margarete Franziska Mühlbauer eine geborene Dittrich. Im Meldebogen der Stadt Wien sind zwar keine Kinder vermerkt, doch geht aus den Taufmatrikeln hervor, dass es sich bei Margarete Franziska um das gemeinsame Kind von Josef und Maria Dittrich handelt. 1933 hatte sie den Kaufmann Robert Mühlbauer geheiratet, der bis dato in der Mariahilfer Straße 137 gewohnt hatte und von dort nach Floridsdorf zog. Im ersten Stock des Gebäudes in der Jedleseer Straße waren die Familie Mühlbauer sowie Josef Dittrich mit seiner Frau gemeldet. Vgl. WStLA, Meldebögen Josef Dittrich und Robert Mühlbauer  ; Taufbuch der Pfarrei Großjedlersdorf von 1910, A 01-15, fol. 3, Nr. 8  ; Taufbuch der Pfarrei Maria Schutz am Semmering von 1933, 02-09, fol. 232, Nr. 78. 4 Mathias Grünwald (*16. März 1893, Wien), ledig und dem jüdischen Bekenntnis angehörig, wohnte bis Mitte 1938 in der Jedleseer Straße 7, seit 1. Juli 1938 war er in der Großen Stadtgutgasse 20/1/7 gemeldet, von wo er am 12. Juli 1939 mit Ziel London abgemeldet wurde. In der Floridsdorfer Hauptstraße 17 besaß er ein Benzingeschäft  ; in den Unterlagen der Vermögensentziehungs-Anmeldungsverordnung (WStLA, M.Abt. 119, A41) gibt es zwei Akten zu einem Matthias Grünwald als geschädigte Person in Wien XXI  : 233 und 308. Da diese Akten jedoch in denen der Vermögensentziehungs-Anmeldungsverordnung nicht nachgewiesen werden, kann nicht mit letzter Sicherheit belegt werden, dass es sich hierbei um diejenigen zu dem hier benannten Matthias Grünwald handelt. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Mathias Grünwald  ; Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 2, Teil IV, 1306 bzw. 1296 (dort als »Grünwald, L.« aufgeführt, wohingegen in den Wiener Magistratsunterlagen Mathias Grünwald das Geschäft in der Floridsdorfer Hauptstraße 17 zugeordnet wird). – Bemerkenswert ist auch das nachfolgend verwendete Verb  ; ob es eine rechtswidrige Aneignung des vormaligen Schlafzimmers von Mathias Gründwald andeutet, konnte nicht geklärt werden. Evident ist indes, dass die Schilderung der neuen Wohnung der Mühlbauer-Familie in deutlichem Kontrast zur Beraubung und Verarmung der jüdischen Bevölkerung steht.

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schaut aus wie eine Zimmerausstellung bei einem feinen Möbelgeschäft, ungemütlich und unpersönlich. Der H. Diettrich war allein zu Hause, hat mir alles mit Stolz gezeigt. Das Kinderzimmer hat die Farbe Eurer Kinderzimmer, das Vorzimmer grün, wie Euer vergangenes. Wenn ihr keinen Boden und keinen Keller habt, was macht ihr dann mit Euren Kisten. Besonders die Monatszimmerkisten  ? Wo holt ihr denn die Kohlen  ? Ich habe einstweilen Eure Kohlenkiste auf dem Gang stehen, weiss noch nicht, wohin ich sie stellen werde. Gestern war hier große Aufregung, da in vielen Bezirken Delogierungen5 vorgenommen wurden. Sie haben den l. Tag dazu benutzt.6 Uns geht es aber sehr gut. Martha lässt grüßen. Tausend Küsse Mutter. Mehr7 wie eine Rückportomarke bekommt man nicht. Für einen Brief, den man dabei vorweisen muss. Die Transaktion, die Martha letztlich gemacht hat, ist momentan eingestellt.8 In deinem Brief an Martha war kein Linolium Muster.

5 Gemeint ist die widerrechtliche Vertreibung jüdischer Mieter:innen aus ihren Wohnungen, die keineswegs nur ein Phänomen der Wochen nach dem Anschluss war. Vgl. zur ›Wohnungsarisierung‹ Dok. 5, Anm. 6. 6 Ausgehend vom Briefdatum bezöge sich die Formulierung »1. Tag« auf den 5. Oktober. Was genau damit gemeint ist, ist indes nicht eindeutig zu klären  : Zum einen war der 4./5. Oktober im Jahr 1938 Yom Kippur. Zum anderen war am 5. Oktober 1938 die »Verordnung über Reisepässe von Juden« in Kraft getreten, die deren bestehende Pässe für ungültig erklärte. Damit sollte diesen ein nicht registrierter Grenzübertritt ins Ausland unmöglich gemacht werden – nicht, um die Emigration an sich zu verhindern, sondern um zuvor die Vermögenswerte der Fliehenden zu rauben. Vgl. Dok. 1, Anm. 5 sowie Dok. 3, Anm. 3. 7 Der folgende Absatz ist seitlich im rechten Winkel über das gesamte Blatt nachgetragen. 8 Gemeint sind die Kindertransporte in die Schweiz. Vgl. Dok. 3, Anm. 14.

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7 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 14. Oktober 1938 2 S., e. B.

14. Okt. 38 Liebstes Lischen  ! Du hast in der letzten Zeit so brav geschrieben, daß ich dir u. Viki herrlich danke. Ein Brief von Euch ist immer ein Freudenfest. Ich habe heute ein Paket an Viktoria1 geschickt, worin folgende Sachen drin sind  : Eine Mohnmühle von Tante Paula alt, ein Spiel von den Kindern, welches ich noch hatte, 6 Kinderbücher, auch etwas von Hedi Weiss, 1 biblische Geschichte, die wir zu Hause hatten, ein paar Tiere für Martin in einer weissen Schachtel, drin ist auch Pyra. u. Asp.2 3 Paar alte Socken für Schwarzbart ein paar Schuhe ausgewachsen von Stefan und ein paar von der Emmi3 für Martin. 24 , 3 alte Kinderschürzen (Lisl Schiff ), 2 Kindertritte (Lisl Schiff ), 4 Kinderhosen, 4 P. Damenstrümpfe alt u. 4. P. Kinderstrümpfe (die waren noch alle zurückgeblieben von der letzten Sendung). 2 P. Wollsocken (Lisl Schiff ), Kümmel u. Paprika, 1 Hier ist eindeutig ihre Tochter Elisabeth Schneider gemeint, deren zweiter Vorname Viktoria war. Offensichtlich sollte im Fall einer Öffnung des Briefes nicht gleich offenkundig sein, dass an die Empfängerin auch ein Paket abging. 2 Gemeint sind Pyramidon und Aspirin. Pyramidon war ein fiebersenkendes Schmerzmittel, dessen Vorläufer Antipyrin einige Berühmtheit durch das dadaistische Werk »La première aventure céléste de Mr. Antipyrin« (1916) von Tristan Tzara erlangt hatte. Pyramidon war eine 1896 patentierte und 1897 auf den Markt gebrachte Fortentwicklung von Antipyrin, das kein Chinin mehr enthielt. Das von Hoechst vertriebene Medikament trug erheblich zum Erfolg von dessen Arzneimittelsparte bei. 1976 wurde es in Deutschland wegen krebserregender Nebenwirkungen verboten. Vgl. Müller-Jahncke/Friedrich/ Meyer, Arzneimittelgeschichte, 136–138  ; Schmitz/Friedrich/Müller-Jahncke, Geschichte, 476, 720, 1024. 3 Gemeint ist Emma Löbl (geb. Perlsee, *1. November 1905, Wien  ; gest. 9. Oktober 1944, Datum der Deportation nach Auschwitz). Sie wohnte zu diesem Zeitpunkt in der Sechsschimmelgasse 24/16 und hatte zwei Kinder, von denen der jüngere (Hans Wilhelm) rund ein halbes Jahr jünger als Martin Schneider war. Gemeinsam mit ihren Kindern und ihren Eltern wurde sie am 1. Oktober 1942 nach Theresienstadt und von dort – mit Ausnahme ihres im Januar 1943 verstorbenen Vaters – am 9. Oktober 1944 weiter nach Auschwitz deportiert. Vgl. Angaben für Emma Löbl auf doew.at sowie dem Theresienstädter Gedenkbuch, 407  ; Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Emma und Richard Löbl, 27. Juni 1938, Auswanderungskartei 35353a, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI)  ; WStLA, Meldeunterlagen Emma Löbl  ; zu den Kindern vgl. Dok. 45, Anm. 11.

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Bischofsbrod, Zuckerl, Schnitten, kl. Würste (eine Probe, man bekommt keine Salami), Käse, Clorodont,4 Schleich und Desitin,5 2 Schürzen gross, ein Stückchen Pelz (von der Fritzi). Wenn es nicht recht ist, werde ich etwas anderes kaufen. Eine kl. Schachtel mit Stoffwolle u. Zwirn. Den Schlafrock für Martin und 4 Damenhemden (eines ist eingesetzt und zwar verkehrt, die anderen wohl nicht, das was verlangt würde, aber vielleicht auch recht.) Ein alter Regemantel, der schon viel getragen wurde. Ich glaube, das ist alles. Nun muss ich noch dazufügen, die Kopfbedeckung ist noch nicht bestellt, kommt mit der nächsten Sendung, auch das Linoleum, welches allerdings nicht mehr zu haben ist (ich war eigens in der Brigittenau6 bei Weinberger7), also werde ich weiß nehmen (welches der Weinberger nämlich auch nicht gehabt hat). Dann den grünen Vorhang, den ich erst herrichten muss. Palmolivseife bekommt man nicht mehr. Auch mit der Wurst ist es nicht so einfach. Wenn die Hemden nicht recht sind, kann man noch andere besorgen, doch sollen diese viel besser sein als Chameuse.8 Ich weiß nur nicht, wie ich das Paket machen soll, wenn das Linoleum 70 ctm lang sein soll, also ein Paket von 70 ctm. Heute zufällig kam gerade der Großvater her, als ich das Paket machte und half mir, was mir sehr angenehm war. Ich habe ihm auf sein Verlangen etwas Geld für den Gasherd gegeben. Meinen neuen Gasherd habe ich schon gezahlt, er hat 200 RM gekostet, hoffentlich werden alle zufrieden damit sein, ich habe mir nur leider keine Rechnungsbestätigung darüber geben lassen, doch ist die Firma nach meiner Einsicht in Briefe reall. Wenn du aber glaubst, du kennst die Firma besser, ich soll mir die Zahlung bestätigen lassen, kann ich es noch immer tuen.

4 Chlorodont war eine seit 1907 hergestellte Zahnpasta. Vgl. Köpcke/Gubig, Chlorodont. 5 Beide Begriffe werden hier metonymisch verwendet. Schleich bezieht sich auf den Chirurgen Carl Ludwig Schleich (1859–1922), auf den die pasta cerata zurückgeht, eine Wachspaste zur Behandlung angegriffener Hautstellen, insbesondere der Lippen. Die Desitin AG war eine in Berlin ansässige Pharmafirma, die vor allem für ihre Wund- und Heilsalbe bekannt war. 6 Wie andere Vorstädte auch, war die Brigittenau 1850 mit Wien vereint worden (II. Bezirk). Am 24. März 1900 wurde sie zum eigenständigen Bezirk (XX. Bezirk). Er entwickelte sich in den nachfolgenden Jahren rasch zu einem industriellen Zentrum, die Bevölkerungszahl hatte schon 1910 die Marke von 100.000 überschritten. In der Zwischenkriegszeit war die Brigittenau nach der Leopoldstadt (II. Bezirk), dem Alsergrund (IX.) und der Inneren Stadt (I.) der Bezirk mit der dichtesten Besiedelung jüdischer Bevölkerung. 1923 hatten mit 17.500 rund 18 % der Jüdinnen und Juden Wiens hier ihr Zuhause, dementsprechend waren just diese Bezirke besonders von den ›wilden Arisierungen‹ der ersten Monate betroffen. Vgl. Botz, Arisierungen 33  ; Payer, Jüdisches Leben, 111  ; Czeike, Historisches Lexikon, Bd. 1, 464 f. 7 In der Brigittenau gab es zum fraglichen Zeitpunkt mit Ladislaus und Leo zwei Kaufleute des Namens Weinberger. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 1, Teil I, 1413. 8 Bei Charmeuse handelt es sich um ein textiles, meist synthetisches Produkt. Es wird beschrieben als »Kettenwirkware aus zwei Fadensystemen in gegenlegiger Tuchtrikotbindung gewirkt«, Hofer, Textilund Modelexikon, 79.

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Von uns ist zu berichten, dass Franz jetzt mit Bestimmtheit sein engl. Visum in den nächsten Tagen bekommt. Er hat von dort eine Verständigung bekommen, er dürfte nächste Woche wegfahren.9 Cherwenkas, die Linzer, ziehen in seine Wohnung, wo schon fleissig hergerichtet wird. Stefan geht seit 3 Tagen in die Schule in der Renngasse,10 hat schon 3 mal im Winkel stehen müssen und einmal hier bleiben. Heute ist er nicht in die Schule gegangen, weil er nicht wohl ist (angeblich hat er Fieber, oder hat es ihn doch nicht gefreut in der Schule). Ich gehe jetzt hin zu Wengers. Stefan schmiert fürchterlich noch auf Blättern. Noch nicht ein Heft, behauptet aber er wäre der beste. Jedenfalls kann er sich an deinen Kindern ein Beispiel nehmen. Gestern Abend war Julius bei uns, seit Karl gut aufgehoben ist,11 ist er ein anderer Mensch geworden. Ich habe vorige Woche viel Arbeit gehabt, da meine Wohnung gründlich gemacht wurde, jetzt ist sie aber blitz-blank. Liebstes Lischen bitte, wenn du irgend welche Wünsche hast, schreibe sie. Die Träger von Martins Hose sind nur zusammengenäht, da ich fürchtete, sie wären zu lang. Tausend Küsse Euch allen Mutter.

9 Tatsächlich reisten Franz Wenger und seine Familie im Dezember 1938 über England nach Australien. Vgl. Dok. 5, Anm. 9 und Dok. 8, 9 und 11. 10 Stefan Wenger besuchte demnach die Städtische Hauptschule in der Renngasse 20 im I. Wiener Bezirk. Er tat dies offenbar ungeachtet des am 9. Mai 1938 beschlossenen und am 16. Mai 1938 verkündeten Ausschlusses jüdischer Schüler von Volks-, Haupt- und Fortbildungsschulen. Unumstritten ist, dass der Schulbesuch jüdischer Schüler:innen vom nationalsozialistischen Regime rasch und zusehends erschwert wurde  ; die meisten von ihnen konnten indes das laufende Schuljahr 1937/38 noch in ihrer angestammten Klasse beenden, mussten aber mit dem darauffolgenden Schuljahr 1938/39 auf gesonderte Schulen oder in besondere I-Klassen wechseln, wobei das I für Israeliten stand. Die Schüler wurden mit diesen Maßnahmen segregiert und damit diskriminiert. Vgl. Göllner, Schule und Verbrechen, v. a. 68–79  ; zur Praxis des Schulbesuchs auch Dok. 13, Anm. 2  ; Raggam-Blesch, Alltag und Verfolgungserfahrung, 87, Anmerkung 37  ; Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 2, Teil III, 456. 11 Karl Zappert, der Sohn Julius’, hatte am 13. Juli 1938 den Auswanderungsfragebogen bei der Fürsorgezentrale der IKG ausgefüllt. Das Ziel der Emigration für sich, seine Frau Hilde (geb. Singer, *25. November 1903, Wien) und seine Tochter Marianne (*21. April 1937, Wien) sei zwar »noch unbestimmt«, heißt es da, doch wollten sie »nach Möglichkeit nach Skandinavien, England oder englische Dominions«. Er emigriert nach England und von dort nach Brasilien. Vgl. Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Karl Zappert, 13. Juli 1938, Auswanderungskartei 39540, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI)  ; Dok. 11, 18, 53  ; Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Geburtsbuch, RZ 2816/1903 und Rz. 244/1937  ; zur Heirat von Karl und Hilde ebd., Trauungsbuch Rz. 156/1931  ; zu Karl Zappert Dok. 3, Anm. 22.

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8 Martha Wenger an die Familie Schneider Wien, 22. Oktober 1938 2 S., e. B.

Soll Mutter einen Mob schicken  ?

Wien 22. X. 1938

Liebe Anverwandte  ! Also heute eine gute Nachricht. Wengers haben ihr Australisches Permit.1 Franz erhielt ein Telegramm aus London, das dorthin ein Telegramm gekommen sei, Permit per Luftpost unterwegs.2 Franz hat uns diesen Moment angerufen. Wir sind noch ganz aufgeregt. Das englische Permit ist noch nicht erledigt. Es ist durch ein Versehen nur für Franz gekommen und wurde für Fritzi und Stefan erst negiert. Ausserdem stößt die Verlängerung des Steuerunbedenklichkeitscheines3 wie alles auf Schwierigkeiten. Franz 1 Gemeint ist eine Einwanderungsgenehmigung nach Australien. Das Land hatte seit der Wirtschaftskrise Ende der 1920er eine äußerst restriktive Immigrationspolitik betrieben, die inhaltlich von der White Australia Policy bestimmt wurde, wonach keine Personen aufzunehmen waren, deren Hautfarbe oder Verhaltensweisen die Assimilation erschweren könnte – was bei jüdischen Antragsteller:innen durchweg angenommen wurde. Zwischen 1933 und 1935 wurden weniger als 100 »landing permits« ausgestellt, die überdies an hohe Vermögen gebunden waren. Erst nach dem Anschluss und dem Gewaltausbruch der Reichspogromnacht wurden mehr Hilfesuchende ins Land gelassen  : 1938 1556 und 1939 5080 Personen, meist europäische Juden. Über 2000 von ihnen stammten aus Österreich und trugen in Emigrant:innenkreisen den Namen »38ers«. Einer schwierigen Anfangsphase ungeachtet – sie waren selbst von der australischen jüdischen Gemeinde nicht willkommen geheißen worden – blieben fast alle deutschsprachigen Emigrant:innen nach dem Krieg in Australien, vorwiegend in Sydney und Melbourne, nahmen die australische Staatsbürgerschaft an und identifizierten sich in hohem Maß mit dem Land. Ein hoher Anteil machte in der Textilindustrie Karriere. Vgl. Kwiet, Australien. 2 Vgl. Dok. 5 (Anm. 9) und 7 (Anm. 9). 3 Nachdem jene, die sich zu dem Schritt ins Ausland durchgerungen hatten, die Immigrationsbewilligung in ein fremdes Land vorweisen konnten, mussten sie zahlreiche Dokumente einholen, von denen der erste »und größte Stolperstein […] die sogenannte ›Steuerunbedenklichkeitsbescheinigung‹« war (Hecht/ Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 173). Belege, wonach alle Steuern beglichen worden waren, waren beim Finanzamt, der Bezirkshauptmannschaft und im Rathaus einzuholen, manche Steuer war dabei gleich in bar zu begleichen. Zu den nachzuweisenden Zahlungen zählten auch die im vormaligen Österreich seit dem 14. April 1938 geltende Reichsfluchtsteuer (bei einem Gesamtbesitz über 50.000  RM, ein Betrag, der neben dem Geldvermögen auch die mobilen und immobilen Werte umfasste) sowie seit dem Novemberpogrom die Judenvermögensabgabe, beides in Höhe von 25 % des Gesamtvermögens  ; dieses wiederum fußte auf den Angaben im Vermögensverzeichnis (vgl. Dok. 1,

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ist nur im Zweifel, ob er vorerst nach Kopenhagen fahren soll, oder direkt nach London.4 Die Reisespesen via K. sind sehr groß, andererseits könnte er neue Beziehungen anknüpfen, resp. durch persönliche Vorsprache für mich oder Euch vielleicht manches richten.5 Euren Brief von Donnerstag haben wir erhalten und freuen uns, daß das Paket so gut angekommen ist. Mutter hat bereits eine herrliche Füllfeder für Viktor besorgt. Haben wir euch beschrieben, dass Wengers im Hotel de France6 wohnen  ? Die Linzer Verwandten übernehmen ihre Wohnung in der Widerhofergasse7 und da sie sie schon herrichten lassen wollen, zahlen sie den Aufenthalt im Hotel. Stefan wohnt bei uns. Etwas anstrengend für Mutter, trotzdem erträglich bis er für einige Stunden von den Eltern abgeholt wird. Wir haben uns ausgemalt, wie süß die Buben waren, besonders der kleine Goldene und Grobschi8 ist ganz stolz darauf, daß sie sich so gut aufgeführt haben. Mit Stefan werden seine Eltern weniger Ehre einlegen. Heute haben wir das erste Mal geheizt. Es ist unfreundliches Nebelwetter, ich bin erkältet und habe daher die Kohlenschaufel geschwungen. Käthe ist heute nicht da, da ihre Schwester Veti9 geheiratet hat, Mizi Kornfeld sehen wir selten. Die ist ein fader

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Anm. 5). Weil so mancher, der sich zur Flucht entschlossen hatte, infolge der ökonomischen Beraubung, der ›Arisierung‹ und des Arbeitsplatzverlusts ohnehin finanziell klamm war, konnte sich die Ausreise erheblich verzögern oder sogar zerschlagen. Vgl. Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 173 f.; zu Reichsfluchtsteuer und Unbedenklichkeitsbescheinigung auch Kuller, Bürokratie und Verbrechen, 185–195, 218. Vgl. Dok. 1, Anm. 10 sowie die Dok. 2 und 9. Vermutlich sind hier die Beziehungen zu Kamma und Harald Melchior in Dänemark gemeint, vgl. Dok. 11, Anm. 7. Das im I. Bezirk am Schottenring liegende, als feinbürgerlich geltende Hotel de France befand sich zum Zeitpunkt des Briefes zu 2/3 im Besitz von Gisela, Ella und Ernst Herzog, zu 1/3 in dem von Paula und Salo Dukes. Der nationalsozialistische kommissarische Verwalter – der freilich egoistische Interessen mit einer raschen ›Arisierung‹ verfolgte – behauptete, dass 1938 90 % der Gäste Juden (gewesen) seien. Tatsächlich setzte unmittelbar nach der NS-Machtübernahme im Frühjahr 1938 Druck auf die jüdischen Besitzer ein, der deren sukzessive Flucht ins Ausland bedingte. Das Hotel wurde ›arisiert‹ und ging 1939 in den Besitz eines deutschen Altnationalsozialisten über. Dieser verfügte weder über die notwendigen finanziellen Mittel noch das Know-how zum Führen eines Hotels, galt aber im nationalsozialistischen Sinn als politisch zuverlässig. Insofern stellt der Fall nachgerade einen Prototypen der ›Arisierung‹ dar. Vgl. Witek, »Arisierung«, 801f. und 804. Zur Hotelgeschichte Etzersdorfer, Arisiert, 123–148, zur ›Arisierung‹ v. a. 127–141  ; sehr knapp auch Gogala, Grand Hotels, 191–196  ; vgl. zur ›Arisierung‹ auch Anm. 14 im vorliegenden Brief. Die Familie von Franz und Fritzi Wenger hat zuletzt in der Widerhofgasse 8/4 im IX. Wiener Bezirk gewohnt. Vgl. Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Franz Wenger, 11. Mai 1938, Auswanderungskartei 5316, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI) sowie Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Trauungsbuch, Rz. 461/1930. Kosename für Ella Wenger. Die Person, offenkundig die Schwester der Haushaltshilfe von Ella Wenger, konnte nicht identifiziert werden.

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Zipf. Es ist nichts mit ihr anzufangen. Frl. Schwarz10 wohnt momentan mit ihrer Mutter bei ihrem Bruder. Die Nachbarwohnung wird ausgeschwefelt. Die Gase dringen so leicht durch die Wände und sie war besorgt um die alte Dame. Nächste Woche will sie wieder zurückziehen. Heute war der Großfata da. Hat er Euch geschrieben, daß er und sein Bruder je RM 10 Strafen zahlen mussten, weil sie auf einer Ringstraßenbank geseßen sind  ?11 Bis Ende des Jahres dürfte es in Wien kaum noch ein jüdisches Geschäft geben. Der Fleischhacker Pollatschek12 ist gesperrt, die Marta schließt mit 1. XI. Seinsfeld13 ist arisiert usw.14 Im Kaiviertel ist jedes 2. Lokal zu vermieten. Der Herr, der mit Fritz Kollmann zusammen wohnte, ist bereits in Wien. RM 1000 hat ihn die Reise über Kopenhagen gekostet. Wieso hat Fritz bereits die Aufenthaltsbewilligung und Ihr noch nicht  ?15 Die Mutter ist für Montag zu Julius eingeladen.16 Sie freut sich 10 Möglicherweise gemeint  : Rosa Rachel Schwarz, die das einzige »Frl. Schwarz« ist, das im Laufe des Briefwechsels genannt wird, vgl. Dok. 23, Anm. 4. Zu Frau Schwarz von der IKG bestanden schon über Ella Wengers Bruder, Julius Zappert, der Vorstand der IKG-Jugendfürsorge war, enge Verbindungen, vgl. Rosenkranz, Verfolgung, 316 und Schwarz, Experiences, 2. 11 Je nach lokaler Gesetzgebung war es Juden mitunter verboten, auf öffentlichen Parkbänken zu sitzen, z. B., wenn diese mit der Aufschrift »Nur für Arier« gekennzeichnet waren. Den Anfang einer solchen Maßnahme, die der öffentlichen Separierung der Juden diente, scheint Berlin im August 1937 gemacht zu haben. Das häufig als Beispiel herangezogene, aber wenig untersuchte Verbot für Juden, auf Parkbänken zu sitzen, wird hier unmittelbar greifbar. Vgl. Gruner, NS-Judenverfolgung und Kommunen, 103 f. 12 Der Fleischhauer Hermann Polatschek (*24. Februar 1867  ; gest. 21. Dezember 1943, Theresienstadt) hatte seinen Betrieb in der Zelinkagasse 11, I. Bezirk. Er wurde am 10. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und überlebt den Holocaust nicht. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 2, Teil III, 83  ; zu seinen Daten vgl. die Angaben für ihn auf doew.at und die Angaben im Theresienstädter Gedenkbuch, 247 (dort jeweils als Hermann Pollatschek). 13 Um welches Geschäft es sich bei »Seinsfeld« handelte und wer mit »Marta« gemeint ist, konnte nicht festgestellt werden. Unter dem Namen Seinfeld kommen mehrere Gewerbetreibende in Frage, ein Schneidermeister, je zwei Huthandlungen und Kaufleute und eine Holzhandlung. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 1, Teil I (1200) bzw. Teil II. (89). 14 Mit der ›Arisierung‹ von Geschäften beschreibt die Verfasserin hier eine weitere Dimension der Entrechtung und Ausbeutung der jüdischen Bevölkerung Wiens (vgl. zu weiteren Aspekten des Begriffs Dok. 5, Anm. 6). Plünderungen von Geschäften jüdischer Eigentümer hatten bereits unmittelbar mit dem Anschluss im März 1938 begonnen. Vgl. zum Modell der ›Geschäftsarisierungen‹ auch die Ausführungen unter Punkt 5 am Ende dieses Bandes. 15 Die Personen und der Hintergrund des Vorgangs konnten nicht eindeutig geklärt werden. 1938 finden sich in Wien zwei Personen, die in Frage kommen  : Friedrich Kollmann, Bankbeamter, wohnhaft am Montecuccoliplatz 8, und Fritz Kollmann, Mittelschullehrer in der Werthenburggasse 9. In beiden Fällen gibt es je einen weiteren männlicher Bewohner, im ersten Fall den Straßenbahnbediensteten und Miteigentümer Anton Traxler, im zweiten den Bauarbeiter W. Schobert. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 1, Teil I (628 und 1340) bzw. Bd. 2, Teil IV (739 und 819). 16 Gemeint ist der Bruder Ella Wengers, Julius Zappert. Die darauffolgend genannte Hedi Samel konnte nicht identifiziert werden.

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schon auf eine recht ausgiebige Jause. Der Regenmantel ist fertig, gekauft, trotzdem ist ein Stück Stoff extra dabei. Habt ihr noch Wünsche  ? Hat sich Hedi Samel mal bei Euch gemeldet  ? Ich weiß ihre Adresse nicht. Viele17 Grüße an alle 3 süßen Buben, nach denen mir schon sehr bange ist. Tante Martha Stefan geht nicht mehr in die Schule, damit er in den letzten 8 Tagen nicht noch eine Krankheit erwischt.

17 Die beiden nachfolgenden Sätze sind seitlich auf der ersten Seite des Briefes im rechten Winkel über das gesamte Blatt nachgetragen.

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9 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 29. Oktober 1938 2 S., e. B.

29. Oktober 38 Liebstes Lischen  ! Eigentlich wollte ich dir nur eine Karte schreiben, um ein Lebenszeichen von uns zu geben, doch dann fällt mir immer so viel ein, was ich dir sagen will, dass es auf der Karte keinen Platz hätte. Ich habe gestern früh ein Stückchen Wurst (45 dk.1) geschickt. Hoffentlich habt Ihr es schon gegessen. Ich war nämlich Donnerstag beim Sauer2 um für uns etwas zu kaufen, und da hat mir die Verkäuferin diese Wurst angetragen, die sie immer verschicken. Ich wollte flink sein, habe gleich beim Bloch (Papierhandlung)3 eine Hülle gekauft und bin sofort auf die Post gegangen als »Muster ohne Wert« abzuschicken, da haben sie mir auf einmal Geschichten gemacht, man kann nach Belgien4 nicht Muster ohne Wert schicken, es muss als Päckchen mit Zollerklärung.5 Infolge dessen kam die Wurst erst Freitag fort. Bitte schreibe mir, ob Ihr Zoll zahlen musstet.

1 Abkürzung für Dekagramm  ; 45 Dekagramm sind dementsprechend 450 Gramm. 2 Ob und um welchen Fleischhauer es sich handelt, konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden, da es zahlreiche Metzger dieses Namens in Wien gab. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 1, Teil I, 1096 f. 3 Es handelt sich um die Papierhandlung Gustav Bloch, Zehenthofgasse 25, XIX. Bezirk. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 1, Teil I, 95. 4 Die Familie Schneider war über Köln nach Brüssel emigriert (vgl. Dok. 3, Anm. 2), wo sie bis zum deutschen Überfall auf Belgien im Mai 1940 in der Rue Adolphe 14 wohnte. In ökonomischer und sozialer Hinsicht waren die deutschsprachigen Flüchtlinge in Belgien im Schnitt etwas besser gestellt als diejenigen in Frankreich oder den Niederlanden, wenngleich auch hier jüdische Flüchtlinge als »unerwünschte Gäste« (Langkau-Alex, Belgien, Sp. 170) galten  ; dass Elisabeth fließend Französisch sprach, erleichterte die Integration sicherlich erheblich. Zudem hatte ihr Mann Viktor in Brüssel Arbeit gefunden. Vgl. Familienchronik der Familie Schneider, Privatbesitz Martin Schneider, unpag  ; zu den Österreichern in Belgien Weinzierl, Österreicher im Exil. 5 Während bei einer mit der Aufschrift Muster ohne Wert (vgl. Dok. 6, Anm. 1) gekennzeichneten Sendung keine Zollerklärung fällig wurde, war dies hier sehr wohl der Fall. Neben etwaig höheren Gebühren erlaubte dies auch die Überwachung des Aufgegebenen, was für das Regime, zumal bei Auslandssendungen und solchen der jüdischen Bevölkerung, Bedeutung hatte. Vgl. Lotz, Reichspost, 218 sowie Kaula, Postbetriebsdienst, 64–68.

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Heute Samstag vormittag war ich in Mariahilf 6 mit Martha u. Stefan (der noch immer bei mir ist) und habe bei Gutfreund7 einen Koffer für Viki gekauft, ich werde in der nächsten Sendung wahrscheinlich den Koffer mitschicken. Ich hoffe, Viki wird zufrieden sein, er ist das beste vom besten, hat einen kl. Fehler (an der Seite bißchen abgewetzt) und kostet 30 Mark. Ich weiß nicht, ob das zu teuer ist. Ich wollte noch diesen Monat ihn kaufen, da es von November an keine jüdischen Geschäfte mehr gibt. Mein Fleischhacker Pollaschek ist geschlossen. Brammer haben übergeben müssen und mit der Zeit alle Geschäfte.8 Ich habe das Frl. Lotte (Georgs9 früheres Geschäft) angerufen wegen einem Pelzgeschäft für Martins Kragerl. Sie hat mir zwar versprochen, mir ein Kragerl zu schicken, doch scheint nichts daraus zu werden. Bitte schicke 6 Ehemalige Vorstadt, die 1850 als V. Gemeindebezirk nach Wien eingemeindet worden war (seit 1861  : VI. Bezirk). Vgl. Czeike, Historisches Lexikon, Bd. 4, 167 f. 7 Es handelt sich um das Täschnergeschäft Zum Mariahilfer Taschner, das von Paul, Fritz und Charlotte Gutfreund als Gesellschaftern in der Mariahilfer Straße 69 betrieben wurde. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 1, Teil II, 36. 8 Zur ›Arisierung‹ der Geschäfte in jüdischem Besitz vgl. Dok. 8, Anm. 14. Um welches Geschäft es sich bei dem hier erwähnten handelte, konnte nicht geklärt werden, da mehrere Geschäfte bzw. Handwerker infrage kommen. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 1, 111 bzw. Teil II, 12. 9 Georg Schneider (*8. August 1909, Wien  ; gest. 20. Juni 1963, Mexiko-Stadt), Bruder des Schwiegersohns der Briefschreiberin. Er flüchtete Anfang August 1938 aus Wien – ein Auswanderungsbogen findet sich nicht – über San Remo in die Schweiz nach Zürich, wo er während des gesamten Krieges gemeldet war, zunächst in der Nelkenstraße 15, dann in der Milchbuckstraße 70 (ab 22. Oktober 1940), der Hochfarbstraße 14 (ab 21. Juli 1941) und zuletzt in der Pfalzgasse 3 (ab 15. Oktober 1943). 1939 arbeitete er auf dem Gut Riken im Murgenthal als Landwirtschaftsarbeiter, wohl nicht zuletzt, um, wie aus mehreren Briefen an den Verband Schweizerischer Jüdischer Fürsorge hervorgeht, die in südamerikanischen Ländern gesuchte landwirtschaftliche Qualifikation nachweisen zu können, wohin er schon frühzeitig plante, weiter zu emigrieren. Seit Dezember 1940 ist er in dem Internierungslager Gordola nachweisbar, in dem die Eidgenossenschaft v. a. politisch linksstehende Personen festhielt. Als seine Aufenthaltsgenehmigung in der Schweiz zum 1. August 1946 auslief, emigrierte er am 23. August nach Mexiko, für das er im Frühjahr desselben Jahres mit Hilfe und Unterstützung eines Freundes ein Visum erlangt hatte. Da er selbst weitgehend mittellos war, wandte er sich mit einer Unterstützungsbitte für die Reisekosten an den Verband Schweizerischer Jüdischer Fürsorge (VSJF) und die Hebrew Immigration Aid Society (HIAS). Am 19. August 1946 verließ er die Schweiz mit dem Ziel Mexiko. – Georg Schneiders Beruf war Modezeichner, in der Schweiz lernte er zum Schneider um  ; sein früheres Geschäft und das hier erwähnte »Frl. Lotte« konnten nicht identifiziert werden. Vgl. StadtA Zürich, V.E.c.100. Serie 1934-1964, Nr. 391, Georg Schneider  ; ebd., Leumundszeugnis Margarethe Brand, B 967 sowie die Dokumente in Bundesarchiv Bern, E4264#1988-2#20058, u. a. das Gesuch um einen Identitätsausweis, 18. März 1946, das Telegramm der Fremdenpolizei Zürich an das Justiz- und Polizeidepartement Bern, 22. März 1946, den Briefwechsel zwischen VSJF/HIAS und der Fremdenpolizei Bern bzw. Zürich, 12. März/23. August 1946 sowie mehrere Anträge an verschiedene staatliche und nicht-staatliche Stellen um finanzielle Unterstützung in dem Akt des Bundesarchivs  ; vgl. zudem zahlreiche Dokumente zu seinen Ausreisebemühungen in Archiv für Zeitgeschichte Zürich, IB VSJF-Archiv / S 463.

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mir den Schnitt, ich werde ihm eins machen. Auch wegen deinem Hauskleid möchte ich Bescheid, damit ich die Swo10 kommen lassen kann. Auch will ich wissen, ob ich dir die grüne Decke für die Kiste machen soll  ? Bei Schwarzbarts Freund im Graben habe ich noch nichts ausgerichtet. Er ist momentan in England-Holland, kommt erst Donnerstag zurück. Franz ist noch immer in Wien, da seine Sachen noch immer nicht erledigt sein, er hofft, Ende nächster Woche fahren zu können, doch dürfte er nicht nach Kopenhagen, sondern direkt nach England wie das mit seinem Aufenthalt bei Euch ist, weiß ich nicht, angeblich steht im Visum,11 Belgien nur als Durchreise. Doch darüber wirst du noch hören, sehen wirst du ihn gewiss. Dem zur Folge ist Stefan noch bei uns, was zu unserer gewohnten Ruhe nicht viel beiträgt.*12 Stefan ist nämlich, wenn er ohne Eltern ist, ganz brav nur den Vater darf er nicht spüren, und manchmal bekommt er einen Rappel, aber er schläft und isst brav. Heute habe ich Gerti Schlesinger getroffen. Sie lässt dich schön grüßen. Ihre Absichten sind folgende  : Die Tochter soll nach England, der Mann geht nach Schangai und sie dürfte auch nach England fahren, die Liebe zu dem Mann dürfte auch nicht allzu stark sein.13 Eben war Clotilde Wenger14 bei uns. Sie ist ein armer Teufel, 10 Nach Auskunft der Nachfahren handelt es sich um eine Frau Swoboda (Swobotka), die als Näherin für die Familie tätig war. Die genaue Identität konnte nicht geklärt werden. 11 Tatsächlich waren die Bestimmungen für Auslandsreisen nach dem Anschluss verschärft worden, so dass neben den üblichen Visumsbestimmungen Ausreisevisa bei der Polizei beantragt werden mussten  ; zudem verlangten zahlreiche auswärtige Staaten (mit Ausnahme Italiens) konsularische Einreisegenehmigungen. Vgl. Heim, Verfolgung, Dok. 27, 136–138, hier 136  ; Grenville, Stimmen. 12 Der nachfolgende Satz ist mit einem weiteren Sternchen am Kopf der ersten Briefseite nachträglich eingefügt. 13 Es dürfte sich um Gertrud Schlesinger (geb. Weiss, *27. Februar 1900, Wien) handeln. Ihr Mann, den sie am 3. September 1922 geheiratet hatte, war Paul Schlesinger (*18. Januar 1900, Wien), mit ihm hatte sie die gemeinsame Tochter Evi (*31. Juli 1923). – Die von ihr genannten Ausreiseziele sind bezeichnend  : Großbritannien war das bevorzugte Zufluchtsland und nahm mit 31.050 die meisten der österreichischen Juden überhaupt auf (zu den Kindertransporten vgl. Dok. 15, Anm. 2). China, insbesondere Shanghai, für das weder Pass noch Visum benötigt wurden, rangierte mit 6220 Einwanderern nach Großbritannien, den USA (29.860) und Palästina (15.200) immerhin noch auf Platz vier der meistfrequentierten Länder. Ein Auswanderungsbogen, der auf eine Gerti/Gertrud Schlesinger lautet, findet sich im Archiv der IKG und des VWI nicht. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Geburtsanzeige, Rz. 1650/1923  ; Grenville, Stimmen  ; Schwarz/Ganglmair, Emigration, 818 und 846 f.; Kreuter, Emigration, 296  ; Eber, Jewish Refugees. 14 Clothilde Wenger (*10. Januar 1875, Wien). Sie gehörte dem jüdischen Bekenntnis an und war von 1923 bis 5. Januar 1943 in der Konradgasse 1/9 gemeldet, von wo aus sie im Januar 1943 nach Theresienstadt deportiert wurde. Clothilde Wenger war eine der 1200 Jüdinnen und Juden, die auf der Grundlage der Anfang 1945 geführten Verhandlungen zwischen dem früheren (profaschistischen) Schweizer Bundesrat Jean-Marie Musy und Heinrich Himmler in Wildbad (Schwarzwald) Theresienstadt verlassen konnte.

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lernt auf Mord englisch und redet sich ein, man braucht sie in Amerika. Sie lässt dich herzlich grüßen. Auch Freunds habe ich heute gesprochen, ich war in ihrem Geschäft und sie waren zufällig auch dort.15 Sie erkundigt sich sehr nach dir, lässt dich grüßen und beneidet dich brennend. Gestern Abend war Richard Loebl bei uns, er holte sich die Abschrift von dem Hoserl, daß ich für Martin gemacht habe für Emmi16 ab. Er will durchaus nach Australien, hat aber einstweilen gar keine Aussicht.17 Ich habe noch immer nicht vermietet, habe allerdings keine Nachfrage darauf, tue aber auch gar nichts dazu, da ich mich schwer entschließen kann aus meinem Zimmer herauszugehen und noch einen fremden Menschen in meinem Heim zu haben, aber das Geld für die Vermietung würde mir doch gut tuen.18 Gestern war Musy hatte dabei nicht zuletzt aus egoistischen Motiven gehandelt, Himmler geglaubt, damit das deutsche (und sein eigenes) Ansehen in der Weltöffentlichkeit verbessern zu können  ; zudem hatte Himmler eine Zahlung von fünf Millionen Franken von Musy verlangt. Der Schweizer »sollte dieses Geld dem Roten Kreuz übergeben und dieses dem notleidenden deutschen Volk Medikamente und Lebensmittel liefern« (Bauer, Verhandlungen, 215). Auf dieser Grundlage hätten Freilassungen weiterer 50.000 Jüdinnen und Juden folgen sollen, wurden aber von Hitler unterbunden. Clothilde Wenger verließ mit dem Transport vom 5. Februar 1945 Theresienstadt und traf am 7. Februar im Auffanglager St. Gallen ein, von wo sie später nach Les Avants gebracht wurde. Sie überlebte den Krieg. Vgl. zu den Verhandlungen Musys mit Himmler und den Transport aus Theresienstadt, Bauer, Verhandlungen, v. a. 213–215  ; zu Clothilde Wenger die Angaben im Theresienstädter Gedenkbuch, 485 und 638  ; zu ihrer Rettung mit diesem Transport die Listen der in die Schweiz gebrachten Theresienstädter Häftlinge (3.1.1.3 / 78776484 und 1.2.1.1 / 130502291) bzw. der in St. Gallen angekommenen und später auf andere Orte in der Schweiz verteilten Juden (3.1.1.3 / 78776787), alle ITS, Digital Archive, Bad Arolsen. 15 Vermutlich sind hier Rudolf und Grete Freund gemeint, die im Februar 1939 mit ihren Kindern nach Paraguay flüchteten. Die wenig später erwähnten Richard und Emma Löbl waren der Schwager bzw. die Schwester Grete Freunds. Vgl. Dok. 53, Anm. 7 sowie WStLA, Meldeunterlagen Rudolf Freund. 16 Gemeint ist Richards Frau, Emma Löbl. Vgl. Dok. 7, Anm. 3. 17 Richard Löbl (*4. Oktober 1901, Wien), Ehemann von Emma Löbl. Seine Frau hatte bereits im Juni 1938 ein Auswanderungsgesuch »In ein englisches Dominion, am liebsten nach Australien« gestellt. Während die Frau, die wie er dem jüdischen Bekenntnis angehörte, dem Holocaust zum Opfer fiel, war er seit Mai 1939 aus Wien mit dem Ziel London abgemeldet  ; sein Schicksal ist unklar, doch scheint er über Belgien nach Frankreich geflüchtet zu sein, vgl. Dok. 48, Anm. 17  ; vgl. auch WStLA, Meldeunterlagen Richard Löbl  ; IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 2371/1901  ; Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Emma und Richard Löbl, 27. Juni 1938, Auswanderungskartei 35353a, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI) sowie Dok. 45, Anm. 10. 18 Die Wohnungssituation Wiens in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts war äußerst angespannt. Für die jüdische Bevölkerung verschärfte sich die Situation 1938 noch einmal erheblich, da es unmittelbar nach dem Anschluss zu zahlreichen ungesetzlichen Akten kam, die von Kündigungen bis zu Überfällen, Plünderungen und der brachialen Aufforderung, die Wohnung umgehend zu verlassen, kam. Die Lage hatte sich zwar über den Sommer etwas beruhigt, und Zwangsvermietungen wurden noch kaum angeordnet. Doch sollte sich das nur kurz nach diesem Brief ändern  : Mit dem Novemberpogrom wurden Zwangs(unter)vermietungen von Juden an Juden dekretiert, um die Segregation der jüdischen von der nichtjüdischen Bevölkerung als Vorstufe der Deportation voranzutreiben. Zugleich riefen nun

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der Großvater wieder da. Ich stehe jetzt mit ihm sehr gut. Ich habe ihm etwas gegeben, auch den Brief von Viki  ! Bitte schreibe bald und recht viel von den Kindern. Tausend Küsse Mutter.

NS -Instanzen »ganz öffentlich zum Raub jüdischer Wohnungen« auf (Botz, Wohnungspolitik, 58).

Allerdings zeigt bereits die vorliegende, eineinhalb Wochen vor der Pogromnacht entstandene Stelle sowohl die Finanznot der Schreiberin, als auch den Wohnraumbedarf der jüdischen Bevölkerung. Vgl. Botz, Wohnungspolitik  ; Kwiet, Judenhaus  ; Ders., Without Neighbors.

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10 Ella Wenger an die Familie Schneider Wien, 5. November 1938 2 S., e. B.

5. November 38 Meine Lieben  ! Armer, armer kleiner Martin, ich bin ganz unglücklich, dass das Süße so unangenehme Sachen mitmachen muß. Hoffentlich braucht er den Gibsverband nicht allzulange behalten.1 Auch für Dich liebstes Lischen ist es eine Arbeitsbelastung, da man sich doch mehr mit ihm abgeben muß. Warum bin ich nicht bei Euch, um dir bißchen zu helfen und das Kind zu unterhalten  ? Ich bin überzeugt, daß Robert sehr besorgt um ihn ist. Wie süß von Rudi, deine Sorgen abnehmen zu wollen. Madi hat recht, wenn sie sagt, solche Buben wie deine, gibt es auf der ganzen Welt nicht. Madi war sehr glücklich über deinen Brief, sie hat ihn mitgebracht zu lesen. Sie hat mir gestanden, daß sie sehr weinen mußte, wie sie ihn gelesen hat. Madi kommt jeden Donnerstag Mittag zu uns, Martha hat dabei bischen Conversation. Übrigens ist sie gar nicht beinander, sie scheint etwas im Knie zu haben, kann sehr schlecht gehen und mit Mühe aufstehen. Sie hat sehr wenige Stunden.2 Stefan ist noch immer bei mir, da Wengers noch immer ihre Sachen nicht beinander haben, obwohl Fritzis Visum schon angekündigt und ihr Australisches schon in England liegt.3 Ich denke, sie werden Mittwoch – Donnerstag fort können. Was sie von Euren Sachen mitnehmen werden, weiß ich noch nicht, hoffentlich den Handkoffer. Die engl. Handelscorrespondenz habe ich für Viki besorgt, werde sie entweder unter Kreuzband4 schicken oder dem Franz mitgeben. Franz hat sich wegen einer Schreibmaschiene umgeschaut, eine halbwegs gute kostet um 300 M., doch kann er sie nicht mitnehmen,

1 Der nicht ganz dreijährige jüngste Sohn von Elisabeth und Viktor Schneider war aus dem Bett gefallen und hatte sich die Schulter gebrochen. 2 Dies bezieht sich offenbar auf den von ihr gegebenen Französischunterricht und damit auch auf ihr Einkommen, vgl. Dok. 4, Anm. 20. 3 Vgl. Dok. 8, Anm. 1. 4 Als Sendung unter Kreuzband bezeichnete man solche von gedruckten Mitteilungen. Die Portokosten waren gegenüber anderen Postsendungen reduziert, heute entspricht dem die Versendung von Drucksachen. Vgl. Handwörterbuch des Postwesens, 330.

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da er seine als Handgepäck mitnimmt. Vielleicht könnte F. Scherer sie mitnehmen, wenn sie wieder nach England fährt.5 Jedenfalls erwarte ich darüber Bescheid. Bei Schreiber (Schuster)6 war ich, doch hat mir derselbe sehr abgeredet für dich etwas zu nehmen, er hat gar nichts mehr von den Schuhen von damals, hat keine Idee was du brauchst und sagt, daß jede facon anderen Schnitt hat und anders passt. Ich glaube, es ist wirklich gewagt, etwas zu nehmen, viel Geld auszugeben und du kannst es nicht tragen, also überlege dir die Sache noch. Bei uns ist nichts Neues, bischen unruhig durch Stefan, dafür wird es dann umso stiller sein. Martha hat einen neuen Kurs und zwar unterrichtet ein Mädchen, die in einem Automatenbuffet war, Schüsseln u. Brötchen. Der Curs ist bei uns jeden Freitag u. Sonntag Nachmittag (6 mal). Gestern war das erste Mal, natürlich bekommen die Teilnehmer das Gemachte zu Essen mit. Gestern wurde eine herrliche Schüssel hergerichtet mit verschiedenem Salat, Eier Majonaise, Wurst u. dergleichen. Da ich zu Hause war, konnte ich es sehen. Ich glaube zwar nicht, daß Martha es je brauchen wird, aber was man kann ist gut.7 Das wäre was für dich. Meine Lieben, Euch allen tausend Küsse Mutter

5 Die Formulierung lässt vermuten, dass »F. Scherer« öfter nach England fuhr, was nahelegt, dass sie dies im personellen Umfeld der IKG und inhaltlich im Zusammenhang mit Ausreisefragen, insbesondere den Kindertransporten tat (vgl. die Dok. 15, Anm. 2 und 23, Anm. 1). Allerdings findet sich weder in der Personalkartei noch in den Personalakten der IKG ein Hinweis auf eine Frau Scherer. Auch in den Unterlagen zu den Begleitpersonen für die Kindertransporte findet sich eine Person dieses Namens nicht, so dass der hier beschriebene Sachverhalt nicht geklärt werden kann. 6 Es handelt sich um den Schuhmacher Franz Schreiber jr., der sein Geschäft unter der Adresse Tuchlauben 5 im I. Wiener Bezirk führte und damit nur wenige hundert Meter von der Schreiberin entfernt. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 1, Teil II, 87. 7 Vermutlich spielt die Schreiberin damit auf die Attraktivität haushälterischer Fähigkeiten für die Erlangung eines Permits ins Ausland, v. a. nach Großbritannien, an. Vgl. Dok. 15, Anm. 5.

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11 Martha Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 7. November 1938 2 S., e. B.

SAMA GONGA1

Wien, 7. XI. 38 Abends, während der Mondfinsternis

Liebes Lischen  ! Ich denke sehr viel an Euch, komme aber so wenig zum schreiben. Armer süßer kleiner Goldener. Was ziehst Du ihm denn an. Wie lange muß er das Kistel haben  ?2 Onkel Julius nannte diesen Unfall »Kinderkrankheit«. Walther J. hat sich beim Rollschuhlaufen die Hand gebrochen.3 Er ist mit den Eltern in New-York, schreibt begeisterte Maschin-Briefe. In der Beilage sende ich ein Leumundszeugniß der Kultusgemeinde. Für manche Zwecke genügt es (z. B. für Australien). Solltest Du es auf Englisch o. Französisch übersetzt brauchen, schicke es bitte wieder zurück. Jedenfalls schreibt an die Polizeidirektion(?) oder wo ihr seinerzeit eingereicht habt. Jetzt muß man in der Prinz-Eugenstraße4 einreichen und das ist sehr kompliziert. Was habt Ihr überhaupt 1 Dialektal für »Sind wir gegangen«. Anmerkung in der Hand Martha Wengers. 2 Gemeint ist der Gips des knapp zweijährigen Martin, der sich das Schulterblatt gebrochen hatte. Vgl. Dok. 10, Anm. 1. 3 Es handelt sich um Walter Jellinek (*8. Juni 1925), den Sohn von Alfred und Johanna, geb. Zappert. Letztere war die 1930 verstorbene Cousine der Briefschreiberin. In den USA nahm die Familie den Nachnamen Jarvis an. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Trauungsbuch, Rz. 37/1923  ; o.A., Schneider’s Story, unpag. 4 Im zuvor ›arisierten‹ Palais Rothschild wurde in der Wiener Prinz-Eugen-Straße 22 am 20. August 1938 auf Befehl von Reichskommissar Josef Bürckel die Zentralstelle für jüdische Auswanderung unter der faktischen Leitung von Adolf Eichmann eingerichtet. Ihre (anfängliche) Aufgabe war es, die mit der Emigration verbundenen administrativen Vorgänge zur Erlangung von Pässen und Ausreiseerlaubnissen zu zentralisieren und dergestalt zu beschleunigen. Lag dies noch gleichermaßen im Interesse der Kultusgemeinde – die weiterhin allein für die Beratung der Menschen zuständig war –, sollte Eichmanns Behörde darüber hinaus zugleich die staatlich organisierte Beraubung der Juden sicherstellen. Mit dem Einsetzen der Deportationen 1941 übernahm sie auch deren Organisation. Nach dem Wiener Vorbild wurde im Januar 1939 von Reinhard Heydrich eine der Gestapo nachgeordnete Reichszentrale für jüdische Auswanderung in Berlin geschaffen, im Juni 1939 entstand eine weitere in Prag, die ebenfalls zunächst die Emigration, dann die Deportation der Jüdinnen und Juden aus dem Protektorat Böhmen und Mähren koordinierte. Prag und Wien unterstanden dabei der Berliner Reichszentrale, die mit dem

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für Pläne  ? Wohin wollt Ihr einreichen. Mutter hat erklärt, mit Euch geht sie auch nach Australien, sonst nicht  ! Franz will, wenn er mal eine Beschäftigung hat, Mutter anstellen und mir einen Posten verschaffen. Frauen sind sehr gesucht. Habt Ihr gar keine Möglichkeiten, auch hinaus einzureichen  ? Was ist mit Herrn Markus in London  ?5 Samstag abend und heute je einen Brief von Euch bekommen. Mutter hat heute von Wilhelm S. eine Anweisung auf RM  120 erhalten.6 Ich habe Kamma7 angefragt, ob ich nicht beim dän. König ein Gesuch um Aufenthaltsbewilligung machen könnte. Großvater Schneider kommt öfters zu uns. Er behauptet bei der Post in Floridsdorf unsere Adresse angegeben zu haben. Die Post hat uns auf eine Anfrage geantwortet, erst von Euch Ende Oktober unsere Adresse erhalten zu haben. Die Krankenkasse für Toni hat Mutter bezahlt. Dein Hauskleid ist bereits genäht. Tante Luise8 läßt Euch schön

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Referat des inzwischen ins Berliner Reichssicherheitshauptamt gewechselten Adolf Eichmann praktisch identisch war. Die nachfolgende Formulierung der Verfasserin – »und das ist sehr kompliziert« – dürfte auf die Schikanen verweisen, die die vor dem Gebäude in langen Schlangen wartenden Jüdinnen und Juden ertragen mussten, weil sie gleichermaßen dem Antisemitismus der Wiener Bevölkerung wie der Brutalität und Willkür von SS-Leuten ausgesetzt waren. Vgl. grundlegend zur Zentralstelle Anderl/ Rupnow, Zentralstelle  ; im Überblick Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 177–180  ; auch Rabinovici, Instanzen, 112 f. Gemeint sein dürfte Otto Marcus, der vormalige Besitzer der Jerlaine Strick- und Jersey GmbH, für die Viktor Schneider tätig gewesen war. Otto Marcus lebte seit 1937 in London. Vgl. WStLA, Handelsgericht, B78 – Handelsregister C  : C 19/72  ; ebd., A45 – C – Registerakten  : C 19/72  ; Oelbauer, Textilpionier, 399. Gemeint sein dürfte Wilhelm Sobotka, der Cousin Ella Wengers (ihre Mutter war eine geborene Sobotka), mit dem und dessen Halbschwester Maria Perutz sie in engerem Kontakt stand und der ihr mindestens in einem weiteren Fall nachweislich Geld zukommen ließ, vgl. Dok. 32. Kamma Melchior (geb. Nathan, *11. Juni 1905, Kopenhagen  ; gest. 20. Juli 2004) war verheiratet mit Harald Melchior, der aus dem bedeutenden Kopenhagener Handelshaus Moses & Søn G. Melchior stammte und Kontakte bis ins dänische Königshaus hatte. Nach der deutschen Invasion Kopenhagens flohen sie im Laufe des Krieges nach Schweden (waren im Mai 1941 aber noch in Kopenhagen, vgl. Dok. 50). Die Familie Wenger kannten sie schon aus der Zeit der frühen Republik, als sie während der Inflationszeit Kinder nach Dänemark eingeladen hatte – darunter auch Martha Wenger – und dieser Kontakt erhalten blieb. Vgl. die Schilderung von Kammas und Haralds Tochter, Norden, Besøg hos Dorrit Norden, unpag., zur Familie auch Dansk Dans biografisk leksikon, Bd. XV, 465 f.; o.A., Schneider’s Story, unpag.; zur Situation dänischer Juden Bak, Nothing to Speak of, zu Dorrit Norden ebd., 162. Wahrscheinlich ist hier die seit langem bei Ella Wenger wohnende Louise Marx (*4. September 1868, Wien  ; gest. 29. September 1942, Datum der Deportation nach Treblinka) gemeint. Sie gehörte dem jüdischen Bekenntnis an, war seit 9. Oktober 1935 in der Wohnung der Briefschreiberin gemeldet (vgl. auch Dok. 55) und wurde spätestens am 31. Januar 1942 in die Lilienbrunngasse 8/9 und von dort am 3. März 1942 in die Lilienbrunngasse 8/8 zwangsumgesiedelt. Von dort aus wurde sie am 27. August 1942 nach Theresienstadt und von dort wiederum am 29. September 1942 nach Treblinka deportiert, wo sie den Tod fand. Eine tatsächliche Verwandte mit dem Vornamen Luise findet sich nur mit Luise Borchardt (*3. November 1859, Berlin)  ; sie war Ella Wengers Cousine, doch ist unklar, ob sie zu diesem

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grüßen, sie nimmt interessiert an Eurem Geschick anteil. Karl wartet auf sein Englisches Permit, hat außerdem 2 Stellen nach Indien angeboten bekommen. Gerti hat mit 1.  XI. den Kindergarten wieder eröffnet, weiß aber nicht für wie lange. Erna Schönberg hat uns einen langen Brief geschrieben. Es scheint ihnen sehr gut zu gehen. Sie wohnt Zug bei Zürich, Rosenbergweg 7.9 Grete Brandt hat auch geschrieben. Sie wohnt St. Gallen, Rorschacherstraße 273.10 Kannst Du Dich an Frau Dr. Petters erinnern. Sie hätte sollen zu Schönbergs11 nach Zug übersiedeln, hat es aber vorgezogen sich umzubringen. Selle Zeitpunkt noch lebte. Vgl. Hausliste Eßlinggasse 13, A/VIE/IKG/II/BEV/Wohn/8/2, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI)  ; WStLA, Meldeunterlagen Louise Marx  ; Angaben im Theresienstädter Gedenkbuch, 350, sowie die Angaben für Louise Marx auf doew.at. 9 Erika Schönberg (*27. Mai 1908  ; gest. 1989), die Tochter von Emma Schönberg, gehörte dem jüdischen Bekenntnis an und war mit oder zu ihren Eltern in die Schweiz übersiedelt. Seit November 1938 war sie wie diese im Rosenbergweg 7 in Zug gemeldet, mit 1. April 1939 war sie dort mit Ziel England wieder abgemeldet worden. Vgl. StadtA Zug, Einwohnerregister Erika Schönberg, E.15-2.3.42  ; Tietze-Conrat, Tagebücher, Bd. 3, 12  ; Dok. 11, Anm. 11. 10 Margarethe Brand (geb. Wappner, *10. Februar 1895, Wien  ; gest. 14. April 1990, Wien) war die Nichte von Ella Wenger. Sie exilierte nach dem Tod ihrer Mutter Adele Wappner (vgl. Dok. 14, Anm. 1) Ende 1938 nach St. Gallen und wohnte dort bei dem Schweizer Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Walther Hug, mit dem sie ein – von den Schweizer Behörden kritisch beäugtes – Verhältnis hatte und im November 1939 innerhalb St. Gallens in die Heinestraße 8 umzog. Wiederum mit ihm zog sie am 18. April 1945 nach Zürich in die Toblerstraße 104, seit 1. Mai 1953 lebte sie in einer eigenen Wohnung in der Züricher Hadlaubstraße 141. Die Beziehung zu Prof. Hug konnte nur aus den Unterlagen der Fremdenpolizei rekonstruiert werden, ansonsten findet sie keinen Niederschlag, auch in den biographischen Notizen Hugs in dessen Nachlass nicht. Sie selbst bezeichnet ihn in einem Leumundszeugnis als einen »Freund ihrer Familie«, StadtA Zürich, Leumundszeugnis Margarethe Brand, B 967. Nach dem Krieg war sie in der von Walther Hug u. a. gegründeten Lederwaren AG tätig, zuletzt als Geschäftsführerin. Von ihrem zweiten Mann Oskar Brand, den sie 1921 in Wien geheiratet hatte, war sie seit 1927 getrennt und 1928 geschieden worden. Die Einbürgerung von Margarethe Brand-Wappner fand am 21. August 1956 in Zürich statt, am 21. März 1958 verließ sie die Stadt wieder und zog zurück nach Wien. Der Einbürgerungsakt, in dem ihre Konfession mit evangelisch angegeben wird und aus dem hervorgeht, dass sie ihre österreichische Staatsbürgerschaft zunächst nicht hatte abgeben wollen, bis sie es auf Aufforderung der schweizerischen Behörden doch tat, befindet sich in Bundesarchiv Bern, E4264#2006/96#10703*  ; vgl. auch StadtA St. Gallen, Digitalisierte Einwohnerkartei 1918 ff., Marketa Brand  ; Bundesarchiv Bern, E4264#2006/96#10703*  ; Dozierendendossier von Prof. Dr. Walther Hug, UAZ, AB.1.0466  ; StadtA Zürich, Leumundszeugnis Margarethe Brand, B 967  ; Universitätsarchiv St. Gallen, HSGN 012/035 und 012/065  ; StA St. Gallen, Karteikarte der kantonalen Fremdenpolizei zu Margarethe Brand-Wappner, A 143/04.50.0043. 11 Gemeint ist das Ehepaar Hans (*11. November 1885, Wien  ; gest. 14. Juli 1953, Samedan/Graubünden) und Emanuela (»Emma«) Neola Theodora (geb. Pohl, *26. November 1883, Prag  ; gest. 17. März 1963, Zürich) Schönberg. Hans Schönberg war Prokurist und Zentraldirektor der international agierenden Textil- und Papierfirma Bunzl & Biach mit Sitz in Wien, seine Schwester Margarete hatte den Miteigentümer und ältesten Sohn der dritten Generation, den Präsidenten der Bunzl & Biach AG in Wien, Martin Bunzl, geheiratet. Schönbergs lebten bis 1938 in der Grinzinger Straße 45 in Wien, obwohl er

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ist über Deinen Brief sehr entzückt, Du hast nur einen Fehler gemacht. Handelskorrespondenz bereits heute abgesandt. Hat Viki keine Schuheinlagen mehr  ? Oskar ist in Paris. Richard hat gestern angerufen, war bei Oskar in Paris auf Besuch.12 Er ist ein falscher Hund. Schnitzer13 haben ihre Möbel bereits in Kisten nach Hamburg, bereits seit 5. Dezember 1936 als in der Schweiz niedergelassener Ausländer gemeldet war. Am 22. Februar 1947 wurden sie in der Bürger-, am 2. Mai 1948 in der Einwohnergemeinde Risch und am 20. Mai 1948 im Kanton Zug eingemeindet. Sowohl Emma wie Hans Schönberg wurden in der Schweiz als Protestanten geführt, wohingegen Erika Schönberg am jüdischen Glauben festhielt. Ob für das konvertierte – aber im NS-Verständnis weiterhin jüdische – Ehepaar Emma und Hans die Reichsfluchtsteuer von der Österreichischen Kontrollbank beglichen wurde, ist unklar  ; dies war bei den sechs Bunzl-Brüdern der Fall (6,7 Mio. RM), weil das Reich ein großes Interesse am Fortbestand der Holding und der fortgesetzten Mitarbeit der besitzenden Familie hatte, da Bunzl & Biach erhebliche Deviseneinnahmen generierte, die ›Arisierung‹ aber unmittelbar 1938 eingeleitet wurde. Die Prokura von Hans Schönberg für die Wiener Niederlassung wurde am Handelsgericht Wien unter dem 17. Februar 1939 gelöscht. Für Bunzl & Biach arbeitete von 1929 bis 1938 auch Karl Zappert, der Cousin der Briefschreiberin, der von dem als »roten Industrie-Baron« bekannten Hugo Bunzl auch eine Wohnung gestellt bekam, die sich in Pernitz, Hauptstraße 122, befand. Die erwähnte Frau Dr. Petters konnte nicht identifiziert werden. – Vgl. Familienchronik der Familie Zappert, 24, Privatbesitz Marianne Maxwell  ; hausinternes Schreiben des Hilfsfonds für politisch Verfolgte (an die Erhebungsabteilung), 17. April 1963, AdR, ABGF.-ZI 4.126  ; zur ›Teilarisierung‹ von Bunzl & Biach Spuhler u. a., »Arisierungen«, v. a. 120–126  ; Witek, »Arisierungen«, 808 f.; zu Schönberg und seiner Funktion auch Feldman, Austrian Banks, 144–149  ; Chemische Industrie, 8. April 1939, 327  ; Stenographisches Protokoll des Nationalrats, 12. Dezember 1947, 1888 f.; Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 1, Teil I, 1158  ; zur ›Arisierung‹ von Bunzl & Biach Felber u. a., Ökonomisierung, 311–335  ; zur Fabrik in Wattens o.A., 450 Jahre Papier, 95–107  ; zu den biographischen Angaben StadtA Zug, Einwohnerregister Hans Schönberg, E.15-2.3.42  ; ebd., Einwohnerkontrolle Emanuela und John Schönberg-Pohl, E.15-2  ; ebd., Einwohnerregister Erika Schönberg, E.15-2.3.42  ; StAZG, CE 23-6 302. 12 Die Brüder Oskar (*6. Juli 1898, Wien  ; gest. 1976 oder 1977) und Richard Wappner (*6. April 1891, Wien) waren Söhne des praktischen Arztes Dr. Leopold (*13. Dezember 1857, Gyöngyös) und der Adele Wappner (geb. Zappert, vgl. Dok. 14, Anm. 1), also Brüder von Margarethe Brand und damit Cousins der Schreiberin. Richard war 1941 wie 1942 zu »Kuraufenthalt[en]« in St. Gallen (StA St.Gallen, Karteikarten der kantonalen Fremdenpolizei zu Richard Wappner, A 143-01.1_09594 und A 143-01.1_09595), floh später aber wie sein Bruder Oskar nach Frankreich. Oskar überlebte dort unter nichtjüdischer Identität – wie sein Bruder war auch er bereits vor Kriegsausbruch zum Katholizismus konvertiert – den Krieg. Oskar war seit 8. Dezember 1938 aus Wien mit dem Ziel Frankreich abgemeldet, wohingegen Richard bis 21. April 1945 in Wien am Kohlmarkt 4/4 gemeldet blieb, um dann mit dem Vermerk »unbekannt« abgemeldet zu werden. Oskar Wappner wurde im Wiener Familiengrab, in dem bereits seine Eltern ruhten, auf dem Friedhof in Hietzing, Maxingstraße 15, Gruppe 17, Reihe 5, Grab Nr. 238 beigesetzt. Vgl. WS tLA , Meldeunterlagen Oskar Wappner bzw. Richard Wappner  ; Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Beerdigungsprotokoll 1938, Wappner, Adele, 4. August 1938  ; ebd., Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 1588/1898 (Oscar) bzw. Rz. 1630/1891 (Richard)  ; ebd., Bestand Matriken, Trauungsbuch, Rz. 371/1890  ; StadtA Zürich, Leumundszeugnis Margarethe Brand, B 967, in dem jedoch der Bruder Richard aktiv verschwiegen wird. 13 Die Personen konnte nicht identifiziert werden.

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wollen Ende des Monats nach Arosa. Seht ihr dieselbe Mondfinsternis  ? Großvater hat Fr. Dr. Heller gesprochen, sie wohnt jetzt im 20. Bezirk in Untermiete.14 Diskret, nicht für fremde Ohren  : Ich bin wieder mit meinem Professor in Behandlung. Da ich nicht zu arischen Krankenkassenärzten gehen wollte, gehe ich ins Rotschildspital.15 Lieber ein Spital, aber unsrige Leute. Wir freuen uns sehr mit Euren Briefen und reisen mit den Berichten über die Kinder und ihren eigenen Fabrikaten. Franz wartet nun auf die Steuerunbedenklichkeit und hofft diese Woche zu fahren. Hundert Millionen Küße Martha So wie ich mit Mutter spreche schreibe ich gleich. Es ist gleich 11h, der Mond ist fast unsichtbar rot beleuchtet

14 Martha Heller wohnte in der Perinetgasse 3, für die das Wiener Adressbuch aber nur ihre Schwägerin, Helene Heller, aufführt, bei der sie dementsprechend – offenbar nachdem die ledige Hauswirtschafterin ihre Wohnung verloren hatte – untergekommen sein dürfte  ; weitere Daten von ihr sind in den Meldeunterlagen des Wiener Stadt- und Landesarchivs nicht vorhanden. Vgl. Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Martha Heller, 19. Mai 1938, Auswanderungskartei 2589/48, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI). 15 Das am Währinger Gürtel 95–97 gelegene, 1873 als Stiftung des Anselm Salomon Freiherrn von Rothschild eröffnete Spital der Kultusgemeinde war seit Sommer 1938 das einzige Krankenhaus, in dem sich jüdische Patient:innen behandeln lassen durften, da diese nach einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 22. Juni 1938 von allen anderen Spitälern abgelehnt wurden. Da einerseits der Andrang jüdischer Patient:innen immer größer wurde, andererseits natürlich auch medizinisches Personal unter den aus dem Reich Flüchtenden war und überdies die Krankenkassen jegliche Zahlungen einstellten, wurde die Situation für jüdische Kranke zunehmend prekär. Vgl. Walk, Sonderrecht, 230 (II, 491)  ; Hecht/ Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 261–267  ; Stern, Rothschild-Spital  ; Heindl/ Koblizek, Rothschild-Spital.

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12 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 1. Dezember 1938 2 S., e. B.

1. Dezember 38 Liebes Lischen  ! Ich schreibe dir zur Abwechslung wieder einmal einen Brief, obwohl er sehr inhaltsleer sein wird. Vor allem will ich wissen, was Martin u. Rudi zum Geburtstag haben wollen,1 ich habe zwar gestern gehört, dass man Pakete von 10–15 Kilo nur mit Steuerunbedenklichkeit aufgeben kann, aber das muss noch nicht wahr sein und dann kann man ja auch einige kl. Päckchen schicken. Also bitte um Antwort  !  !  ! Vom Frafri2 habe ich einen langen sehr zufriedenen Brief, du jedenfalls auch. Ich bin glücklich, dass sie fort sind. Habe ich eine Sorge weniger. Heute war D. Barber bei uns, er ist begeistert von Schnuttelbärs Wohnung und Kinder.3 Denke dir, wir haben schon einen Mieter und zwar 2 Damen, eine Lehrerin mit ihrer Mutter. Eine Frau Prof. D. Richter, momentan unterrichtet sie an einer Judenschule4 mit D. Wiener (von der sie auch empfohlen wurde) und D. Fischer zusammen.5 Es sind 2 einfache nette Leute, die 1 Elisabeth Schneiders jüngere Kinder hatten kurz nacheinander Geburtstag, Martin am 6., Rudolf am 10. Dezember. 2 Kosename für die Familie Wenger, zusammengesetzt aus »Franz« und »Fritzi«, vgl. Dok. 1, Anm. 10. 3 Der Besucher dürfte Dr. Maximilian Barber gewesen sein, dessen privater Wohnsitz in der Weyrgasse nur rund zwei Kilometer von demjenigen Ella Wengers entfernt lag. Der Apotheker und Chemiker Barber war einer der beiden Gesellschafter der Wiener Adler-Apotheke im XV. Bezirk, deren ›Arisierung‹ bereits am 7. Mai 1938 eingeleitet und am 1. August desselben Jahres abgeschlossen worden war. Barber emigrierte daraufhin im Jahr 1939 nach Brüssel. Offenbar war er zur Vorbereitung der Emigration bereits im vorhergehenden Jahr dort, und traf bei dieser Gelegenheit auch Elisabeth Schneider, deren Kosename Schnuttelbär war. Wiederum wird somit an der vorliegenden Stelle eine Information – hier die des Besuchs von Dr. Barber – chiffriert, um sie im Fall einer Brieföffnung nicht offenkundig zu machen. Vgl. Fehringer, Arisierung, 185 f. und 240  ; Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 1, Teil I, 38. 4 Zur Einrichtung spezieller Schulen für jüdische Schüler:innen vgl. Dok. 4, Anm. 4. 5 Es handelt sich um Dr. Julia Richter (geb. Liggi [auch  : Liggy], *30. August 1885, Wien, gest. 21. August 1942, Maly Trostinec). Sie gehörte dem jüdischen Bekenntnis an, entstammte der sephardischen Gemeinde und unterrichtete zu dieser Zeit Deutsch und Geschichte an der von der IKG betriebenen Volks- und Hauptschule in der Kleinen Sperlgasse 2a. Sei galt als »sehr tüchtige Lehrerin mit hervorragender Disziplin«. Zugleich ist überliefert, dass sie seinerzeit für ihre damals 75-jährige Mutter sorgte. Sie selbst

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nicht viel zahlen können, aber auch keine grossen Ansprüche machen.6 Sie kommen erst die 2. Hälfte Dezember, was mir ganz recht ist. Sie bekommen die zwei rückwartigen Zimmer mit ihren Möbeln. Die Louiserl7 bekommt der Martha ihr Zimmerl und die Martha und ich das Schlafzimmer.8 Da aber Marthas Möbel auch irgendwo sein müssen, will ich das Speisezimmer entrümpeln. Und zwar will ich den grossen war mit dem als konfessionslos gemeldeten Otto Ernst Richter verheiratet, jedoch gerichtlich von ihm getrennt. Wann diese Trennung erfolgte und ob sie eine Folge der NS-Politik war, ist unklar. Bis 3. Januar 1939 war Julia Richter in der Eisengasse 30/24 (heute  : Wilhelm-Exner-Gasse) gemeldet, danach in der Oberen Augartenstraße 42/9, was zugleich ihre letzte Meldeadresse war. Wie lange sie und ihre Mutter bei Ella Wenger wohnten, ist unklar. Am 17. August wurde sie nach Maly Trostinec deportiert, wo sie vier Tage später ermordet wurde. Ihre Kollegin an der Schule in der Sperlgasse war Emma Fischer (*6. Juni 1889, Mödling  ; gest. 9. Oktober 1944, Datum der Deportation nach Auschwitz), die sich ebenfalls um ihre, 1938 84-jährige, Mutter kümmerte. Die ebenfalls erwähnte Frau Wiener konnte nicht identifiziert werden  ; dass es sich um die kinderlose Witwe des jüdischen Amtsvorstands Dora Wiener (*10. Januar 1869, Gran) handelt, ist aufgrund von deren Alter unwahrscheinlich, zumal für sie auch keine Tätigkeit als Lehrerin verzeichnet ist. Eine andere Person konnte jedoch im Archiv der IKG nicht identifiziert werden  ; vgl. die Personalbögen und -karteien von Julia Richter (Archiv der IKG Wien, Bestand Wien, A / VIE / IKG / I-III / PERS / 3 / 2 bzw. ebd., A/VIE/IKG/I-III/PERS/Kartei / K 15), Emma Fischer (ebd., A / VIE / IKG / I-III / PERS / 1 / 4 bzw. ebd., A/VIE/IKG/I-III/PERS/Kartei / K 4) und Dora Wiener (ebd., A / VIE / IKG / I-III / PERS / 4 / 3 bzw. ebd., A/VIE/IKG/I-III/PERS/Kartei / K 22). Vgl. zudem Brosch, Jüdische Kinder und LehrerInnen, 90 bzw. 78  ; WStLA, Meldeunterlagen Julia Richter  ; ebd., Otto Richter  ; Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch TIG Wien, Sepharden, Rz. 623/1885  ; Angaben für Julie Richter und Emma Fischer auf doew.at. 6 Wie lange Julia Richter mit ihrer Mutter bei Ella Wenger wohnten, ist unklar. In der Hausliste der Esslinggasse tauchen sie nicht auf. Vgl. Hausliste Eßlinggasse 13, A/VIE/IKG/II/BEV/Wohn/8/2, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI). 7 Gemeint ist Louise Marx. Vgl. Dok. 11, Anm. 8. 8 Ella Wenger beschreibt hier die Entstehung von Sammelwohnungen – d. h. von Wohnungen, in denen die jüdische Bevölkerung Wiens konzentriert wurde – und verweist damit zugleich auf den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der NS-Wohnungspolitik, der Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung sowie deren Verfolgung und schließlich Deportation. Nach den sogenannten ›wilden Arisierungen‹, d. h. der mit März 1938 einsetzenden massenhaften Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus ihren Wohnungen, wurden die Menschen in Sammelwohnungen zusammengepfercht. Hierfür wurde ihr Mieterschutz mit dem »Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden« vom 30. April 1939 aufgehoben (§§1, 2). Untermietverhältnisse, wie hier beschrieben, konnten von der Gemeindebehörde zwangsangeordnet werden (§4), doch durften Jüdinnen und Juden selbst diese nur mit Juden abschließen (§3). In Ella Wengers Wohnung wohnten neben ihrer Tochter Martha, Mutter und Tochter Richter und Louise Marx später auch Heinrich Freund, Ernestine Hamburger und Franziska Fränkel. Der räumliche Schwerpunkt der Konzentration lag in den Bezirken Leopoldstadt (II.) und Alsergrund (IX.), daneben auch in der Brigittenau (XX.), wodurch diese einen ghettoähnlichen Charakter bekamen. Vgl. RGBl. 1939, Teil I, 864 f.; zur NS-Wohnungspolitik Botz, Wohnungspolitik, zur systematischen Vertreibung aus den Wohnungen Exenberger/Koss/Ungar-Klein, Kündigungsgrund Nichtarier  ; konzise auch Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 395–409  ; zu Ella Wengers Untermietern Dok. 55, Anm. 5.

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unbetamten9 Diwan kassieren (wer mir den abnehmen wird, weiß ich noch nicht). Dann will ich den Spieltisch weggeben, das Radio ist auch eh schon fort10 (das hat die Selle bekommen). Das Radiotischerl ist auch nicht mehr im Speisezimmer. Die Uhr kommt neben die Kredenz, das wird halt ein Rücken geben11 und an Stelle der Uhr kommt Marthas Schreibtisch. Natürlich möchte ich auch die Palme weggeben (was ich schon immer wollte), das muss ich noch der Martha abhandeln. An der Stelle des Untrens (Speisezimmerdiwan) will ich Marthas kl. Diwan stellen, da Martha auf dem Schlafzimmerdiwan schlafen will und an Stelle des Spieltisches, den ich doch gar nicht brauche will ich ein Kastel aus Marthas Zimmer geben, oder das Kastel welches du als Kredenz hattest. Jedenfalls fange ich schon an zu kramen, habe heut die Schachteln aus dem Vorzimmerkastel sortiert, ich muss nämlich der Martha Platz machen für ihren Kram. Also ich habe noch immer reichlich zu tun was mir sehr recht ist. Ich habe von den Mietern 130 RM verlangt, es ist nicht sehr viel aber sie können nicht mehr zahlen. Dafür haben sie die 2 Zimmer mit Licht, Frühstück, Mittag und statt Jause einen Tee zum Nachtmahl, sonst kein Nachtmahl. Sie zahlen ihre Wäsche, der Katha Bedienung und dem Koska12 Aufzuggeld. Da sie nicht viel zahlen, dürfen sie auch mit dem Essen keine Ansprüche machen, was mir sehr angenehm ist. Wir werden ja sehen  ! Wenn mir auch die verschiedenen Unbequemlichkeiten nicht sehr angenehm sind, so bekomme ich doch etwas Geld, was mir natürlich sehr angenehm ist. Martha hat schrecklich viel zu tun, heute ist sie nicht einmal zum Essen nach Hause gekommen und arbeitet ununterbrochen seit ½ 8 Uhr früh.13 Hoffentlich ist das nur heute am 1. sonst ist sie aber allerdings mit Baldrian und Pyramidon14 ganz gut beinander, sie kommt jetzt sehr zur Geltung, jeder bemüht sich um sie, da jeder aus der Kg15 etwas will 9 Geschmacklos, abgeschmackt. Vgl. Althaus, Lexikon, 207. 10 Es handelt sich offenbar um eine freiwillige Abgabe des Radiogeräts, zwangsweise wurden Rundfunkgeräte erst mit dem 10. Oktober 1939 von der jüdischen Bevölkerung eingezogen. Schon zuvor, am 2. August 1939, hatte der Reichspostminister angeordnet, dass Rundfunkstörungen bei Juden nicht mehr behoben werden dürfen. Vgl. Ueberschär, Reichspost, 188  ; Lotz, Reichspost, 219. 11 Im Original  : »gegeben«. 12 Der Hilfsarbeiter J. Kostka wohnte im selben Gebäude wie die Briefschreiberin und versah dort offenbar Aufzugdienst. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1939, Bd. 2, Teil IV, 9. 13 Überstunden wurden von der IKG seit der nationalsozialistischen Machtübernahme in Österreich – anders als in den Jahren zuvor – weder notiert noch bezahlt. Da Martha Wenger bereits in den Jahren zuvor zahlreiche Überstunden hatte (1934  : 171  ; 1935  : 202,5  ; 1936  : 126, 5  ; 1937  : 130) lässt sich die Mehrbelastung anhand dieser Briefstelle erahnen. Vgl. Personalkarte Martha Wenger, Archiv IKG Wien, Bestand Wien, A/VIE/IKG/I-III/PERS/Kartei, K22. Zur Überbelegung jüdischer Kinderheime vgl. die Dok. 46 (Anm. 7) und 58 (Anm. 5). 14 Zu Pyramidon vgl. Dok. 7, Anm. 2. 15 Gemeint  : Israelitische Kultusgemeinde.

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und selbst im Haus bei uns hat sie mit dem Haag-Bubi16 anscheinend Freundschaft geschlossen. Also genug für heute, küsse mir die Buben u. du sei 10.000 mal geküsst von der Mutter

16 Gemeint ist Paul Haag (*6. März 1898), der vier Jahre älter war als Martha Wenger und ebenfalls in der Esslinggasse 13 wohnte. Schon am 17. Juni 1938 hatte der dem jüdischen Bekenntnis angehörende Textil-Kaufmann einen Auswanderungsantrag bei der IKG gestellt und als Ziel Frankreich oder die Tschechoslowakische Republik angegeben, wo sein Vetter Willy Grünhut (Paris) bzw. sein Onkel Otto Fried (Prag) wohnten. Offensichtlich gelang ihm die Flucht aus Wien, denn Geschwister oder eigene Kinder hat er auf dem Auswanderungsfragebogen nicht angegeben und der Tod seiner Eltern ist 1998 in Yad Vashem von einem in Australien lebenden Enkel testiert worden. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Jerusalem, A/W 2589/77 Familie Haag sowie den Eintrag von Adolf Haag in The Central Database of Shoah Victims’ Names.

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13 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 10. Dezember 1938 2 S., e. B.

10. Dezember 38 Liebstes Lischen  ! Heute ist Rudis Geburtstag, da will ich doch, da ich nicht zu Euch kommen kann, schreiben. Ich habe mich mit den Briefen von den Kindern außerordentlich gefreut, sie sind entzückend, ich werde sie stolz allen zeigen, gerade weil sie selbständig geschrieben wurden. Rudi schreibt, daß Martin Tinte ausgeschüttet hat, Gott lob nicht auf den Brief, denn die Briefe sind bis jetzt alle unversehrt angekommen. Martin ist doch ein reizender Bub, wenn er auch manchmal schlimm ist. Ich bin überhaupt stolz auf die 3 Buben, und kann nicht genug allen Leuten von ihnen erzählen. Daß ich auf dich, liebes Mutterle, aber besonders stolz bin, brauch ich doch nicht erst zu schreiben. Denn Du hast das doch aus den Buben gemacht, Du mit Deiner Güte und Ruhe hast das gemacht, was sie sind, und ihr werdet so Gott will, noch viel Freude mit ihnen erleben. Auch Viki kann Dich nicht genug loben, als Mutter, als Gattin und als Hausfrau, er hat mir einen reizenden Brief geschrieben. Heute habe ich sehr sehr viel von Dir und den Kindern erzählen müssen, es war nämlich Frau Dr. Heller bei mir. Ich habe mich wirklich sehr mit ihr gefreut. Ihr Mann ist leider noch immer nicht zu Hause, sie wohnt im XX Bezirk bei Bekannten anscheinend ganz angenehm,1 isst auch dort. Der Bub geht in die Schule, wenn überhaupt Schule ist, man nimmt das nicht so genau.2 Nachmittag ist er in einem sogenannten 1 Brigittenau, vgl. zum XX. Bezirk Dok. 7, Anm. 6. Wie im vorangehenden Brief (vgl. Anm. 8) wird auch in diesem Passus die Einrichtung von Sammelwohnungen thematisiert. Anders als in dem hier geschilderten Fall von Frau Heller – vorausgesetzt die Schilderung ist korrekt, denn an zahlreichen Stellen verfolgt die Verfasserin das Ziel, mit nicht (zu) negativen Schilderungen Ängste ihrer Tochter zu vermeiden – waren die Wohnverhältnisse in den Sammelwohnungen in vielfacher Hinsicht meist deplorabel, da die Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht wurden. Um wen es sich bei dem erwähnten Mann handelt, ist unklar, da Frau Heller, den Angaben ihres Auswanderungsbogens zufolge, ledig war  ; bei dem »Bub« könnte es sich um einen ihrer Neffen handeln. Vgl. Botz, Wohnungspolitik  ; Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Martha Heller, 19. Mai 1938, Auswanderungskartei 2589/48, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI). 2 Zum Schulbesuch für jüdische Kinder vgl. Dok. 7, Anm. 10. In der Brigittenau gab es 1938 neben mehreren staatlichen bzw. städtischen Schulen auch das einzige jüdische Gymnasium, das von der IKG

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Kindergarten bei Tante Mary.3 Er soll aber braver sein. Die F. Dr. Heller ist eine sehr tüchtige Frau, sie scheint geschäftlich alles geordnet haben, so daß sie genügend Geld hat, sich und das Kind zu erhalten, hat sich schon zurückgelegt für eine Ausreise mit Möbltransport. Sie hat gestern ein amerikanisches Permit bekommen und hofft mit ihrem Mann auf das hinauf bald wegfahren zu können.4 Ich wünsche es ihr von Herzen. Sie läßt dich natürlich viel, vielmals grüßen, und alle Küsse, die sie mir beim Kommen und Gehen gegeben hat, gelten dir. Gestern war ein anderer Besuch bei mir, wo wir ebensoviel, nein noch mehr von dir gesprochen haben, Frau Kalmus.5 Ich habe sie angerufen, sie soll doch zu mir kommen. Sie ist sehr desparat, da Ernst6 seit Oktober auf der Rossauerlände ist, natürlich

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getragene Chajes Realgymnasium in der Staudingergasse 6. Seit Oktober 1939 war ein über das Pflichtschulalter von 14 Jahren hinausreichender Schulunterricht für jüdische Kinder verboten. Vgl. Hecht/ Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 295 f.; Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 2, Teil III, 451, 458. Die Identität der Person und des erwähnten »sogenannten Kindergarten[s]« konnten nicht geklärt werden. Die Vereinigten Staaten von Amerika waren als klassisches Einwanderungsland als Emigrationsziel beliebt, zumal nach 1938, als die europäischen Staaten ihre Grenzen zunehmend restriktiv abschotteten. Von einer halben Million Menschen, die aus dem nationalsozialistischen Machtbereich flohen oder vertrieben wurden, nahmen die USA immerhin 130.000 auf. Dabei verfolgten auch die USA eine streng kontrollierte Einwanderungspolitik  : Schon seit 1891 waren Personen »likely to become a public charge« von der Immigration ausgeschlossen, was die Einführung einer Bürgschaft (affidavit) seitens eines USBürgers mit sich brachte. Erst nach dessen Vorlage konnte eine Einreiseerlaubnis (Permit) ausgestellt werden. Nach dem WK I wurden Quoten eingeführt, die 1929 noch verschärft wurden. Fortan durften jährlich maximal knapp 25.957 deutschsprachige Migrant:innen einreisen. Diese Obergrenze galt bis zum Kriegsende, wurde jedoch in keinem Jahr ausgeschöpft, was mehrere Gründe hatte  : der Umstand, dass die USA bis 1938 kein bevorzugtes Zielland der Immigranten waren  ; die Ausreisebeschränkungen bzw. -verbote der Nationalsozialisten seit 1939 bzw. 1941  ; die Verschärfung prozessualer Einreisebedingungen durch die USA, v. a. durch den Unterstaatssekretär im Außenministerium Breckinridge Long 1940. Vgl. Krohn, Vereinigte Staaten. Anna Kalmus (geb. Foges, *19. August 1875, Wien) war die Mutter Ernst Kalmus’. Sie gehörte dem jüdischen Bekenntnis an und emigrierte in die USA, wo sie nach dem Krieg starb. Vgl. IKG Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 1958/1908  ; Kleinlercher, Zwischen Wahrheit und Dichtung, 449. Ernst Herbert Kalmus, (*22. September 1899, Wien  ; gest. 19. Juni 1962, USA). Kalmus wird zeitweise als konfessionslos (so seit 1930 und nach dem Juli 1939), dann als jüdisch (so bis 16. Juli 1930 und zwischen 2. Juni und 12. Juli 1939) in den Wiener Meldeunterlagen geführt. Im Dezember 1937 heiratete er Helena (geb. Haber, *2. April 1894, Tarnow, Zawale, Polen)  ; mit Meldung vom 2. Juni 1939 wurde er jedoch bereits wieder als geschieden geführt. Mit 11. März 1940 meldete er sich aus Wien ab und emigrierte in die USA, wo er 1945 die ebenfalls aus Wien stammende, geschiedene Ex-Frau Heimito von Doderers, Auguste Doderer (geb. Hasterlik  ; *24. Juli 1896, Wien) kennenlernte und am 27. Januar 1949 heiratete. Vgl. Kleinlercher, Zwischen Wahrheit und Dichtung, 55, 166  ; WStLA, Meldeunterlagen Ernst Kalmus.

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sich dort krank und elend fühlt7 und sie sehr anjammert in Briefen, sie kann ihm jede Woche Wäsche zukommen lassen. Ihr Mann ist schlechter denn je, nur mit Fritz hat sie Freude, er ist in New York, hat eine kl. Stelle und verdient schon um sich zu erhalten.8 Sie denkt, wenn Ernst zu Hause ist, auch einmal nach Amerika zu fahren. Hoffentlich ohne Mann. Sie hat sich sehr wohl bei uns gefühlt, da bei mir immer noch eine Insel der Ruhe ist. Allerdings hat mir Katuschka gestern die Liebe aufgesagt. Das heißt sie hat mich um Rat gefragt, was sie tuen soll. Ihre Freundin, die Mitzi (Nettl9), hat eine sehr gute Stelle bei einem älteren Herrn mit Sohn, großen Lohn, Sommermonate auf einem Besitz in Salzburg. Da die Mitzi vor ein paar Monaten geheiratet hat, aber noch immer dort in Stellung ist, will ihr Mann in Linz, sie soll zu ihm kommen, muß im Jänner oder Februar den Platz verlassen und will haben, die Käthe soll den Platz annehmen. Ich habe ihr natürlich zugeredet. Erstens, zweitens und drittens. Erstens weiß man nie, ob es nicht doch einmal heißen wird, die Mädeln dürfen nicht bei Juden dienen,10 zweitens weiß ich doch nicht, ob ich nicht in 1 oder 2 Jahren weg fahre und drittens, zehntens und hundertsten würde ich ihr nie zureden zu bleiben. Ich werde schon jemand finden, will aber niemand ganz ins Haus.

7 Kalmus wurde am 9. Dezember 1938 wegen Verstößen gegen die Devisenverordnung von der Kripo festgenommen, am selben Tag eingeliefert und am 26. Mai 1939 an die Kripo-Leitstelle Wien überstellt. Ihm wurden Verstöße gegen die §§ 25, 26 der (allerdings erst am 12. Dezember 1938 in Kraft getretenen  !) Devisenverordnung und des § 8 der Verordnung vom 26. April 1938 (Anmeldung des Vermögens von Juden) zur Last gelegt. Unter diesen Umständen ist, zumal Ella Wenger betont, dass Ernst Kalmus sich »natürlich« krank und elend fühle, davon auszugehen, dass er gleich nach seiner Festnahme in das dem Polizeigebäude integrierte Polizeigefangenenhaus, Rossauer Lände 9, verbracht wurde. Vgl. WStLA, Landesgericht für Strafsachen, A11  : I Vr 6937/1938  ; ebd., Überstellungszettel des Landesgerichts für Strafsachen I, Gefangenenhaus Wien  ; WS tLA , Meldeunterlagen Ernst Kalmus  ; zur Rossauerlände (1903–1919  : Elisabethpromenade) Czeike, Historisches Lexikon, Bd. 4, 571, 698. 8 Anna Kalmus war mit Ludwig Kalmus (*8. April 1865, Wien) verheiratet. Sein Schicksal ist unklar. Erwähnt wird hier auch der zweite Sohn, Friedrich Kalmus (*7. Oktober 1908, Wien  ; gest. September 1971, Miami). Vgl. IKG Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 1958/1908. 9 Hier ist entweder Marie Nettel (*17. April 1904, Wien) oder Marie Therese Nettel (*19. Oktober 1904, Wien) gemeint. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 985/1904  ; ebd., Rz. 2454/1904. Im Oberösterreichischen Landesarchiv konnten keine Hinweis auf die Person aufgefunden werden. 10 Juden war es gemäß § 3 des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre untersagt, »weibliche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes unter 45 Jahren in ihrem Haushalt [zu] beschäftigen«, Walk, Sonderrecht, 127 (I, 637). Umgekehrt war der Druck auf Nichtjuden, entsprechende Stellen aufzugeben, erheblich. Vgl. als individuellen Erfahrungsbericht Aralk, In Freiheit, 295.

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Großvater war heute wieder da, er hat sich einen Anzug gekauft, ich habe ihm 38 RM dazu gegeben. Martschi arbeitet auch nur, Tag u. Nacht. Tausend Küsse euch allen miteinander. In unaussprechlicher Liebe Mutter

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14 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 16. Dezember 1938 2 S., e. B.

16. XII 38 Liebstes Lischen  ! Eben komme ich von der Post, wo ich ein Paket für Dich aufgegeben habe. Es ist noch lange nicht alles drin, was Du gerne haben wolltest, da muß ich wieder eines schicken, aber ich wollte Dir schnell expedieren, da ich bestimmt wissen wollte, daß es zur Zeit bei Euch ist. Ich schicke Dir ein Glas, hoffentlich kommt es gut an, dann ist dein geliebtes Bild drin, dann 3 mappen, einige Kinderbücher, Malbögen u. Abziehbilder, ein Kappe für Rudi, Handschuhe für Rudi, hoffentlich passen sie, für Robert und für Martin sind welche in Arbeit auch für Martin eine Kappe. Diese Kleinigkeiten werde ich extra schicken, wie sie fertig sind. Ein altes Brotkörbel (Tante Adele1) mit Deckerl, ein Omlettenpfanderl, Zuckerl, Lebkuchen, Käse (ohne), die 2. Hose (schmutzig, weil sie aufgetrennt war), dann eine Bluse (noch von Stefan) und ein Schlafrock (Tante Adele), den sie selber gearbeitet hat. Aus dem Futter kann man Martin ein Pyjama machen, aus der Seide entweder Sofapolster oder behänge (was nicht ausschließt, daß ich Dir bei der nächsten Sendung die grünen Vorhänge schicken werde.) Ich möchte auch dann den kl. Anzug für Martin mitschicken, dazu brauche ich I. die Hosenlänge an der Seite, II. die Beinlänge, die Taillenweite, bei der Bluse die Seitenlänge unter dem Arm, wo die Knöpfe angenäht sind für die Hose, die Ärmellänge und von der Achsel die Länge zu Taille auch wegen den Knöpfen. Dann habe ich für Martin ein paar Tiere geschickt, ich wollte gerne für Robert das Fußballspiel, doch habe ich einstweilen keines bekommen, vielleicht wenn ich nach Mariahilf komme,2 dann bekommt er es zum Geburtstag.

1 Adele Wappner (* geb. Zappert, 22. April 1868, Prag  ; gest. 1. August 1938, Wien), Schwester der Briefschreiberin und Mutter von Margarethe Wappner, war erst wenige Monate vor diesen Zeilen verstorben und am 4. August 1938 auf dem Friedhof in Hietzing (Maxingstraße 15, Gruppe 17, Reihe 5, Grab Nr. 238) beigesetzt worden. Vgl. StadtA Zürich, Leumundszeugnis Margarethe Brand, B 967  ; Taufma­ trikel der Prager jüdischen Gemeinde 1858–1868, Pag. 206, Nr. 53  ; Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Beerdigungsprotokoll 1938, Wappner, Adele, 4. August 1938. 2 Im VI. Wiener Bezirk Mariahilf befanden sich einige jüdisch geführte Freizeit- und Hilfseinrichtungen,

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Mit Einkaufen ist es nicht so einfach  ; die jüdischen Geschäfte sind alle gesperrt und bei sehr vielen anderen (Gerngroß, Herzmansky) dürfen Juden nichts kaufen.3 Jetzt will ich dir noch sagen, was ich Alles von Euch zum Geburtstag bekomme.4 Erstens habe ich mir eine schöne Gummiwärmflasche gekauft, die drücke ich jeden Abend an mein Herz und denke an Euch, dann habe ich mir ein paar herrliche Fußwärmer beim Martin gekauft. (Sind die Füße warm, ist das Herz auch warm). Und dann will ich mir einen kl. Petroleumofen (Flamm blanc) kaufen, für Badezimmer Erwärmung, wenn ich bade (der von der Louise spukt entsetzlich.) Also lauter Sachen für meinen eigenen Gebrauch und für meine spezielle Annehmlichkeit. Ansonsten habe ich nicht die Absicht, meinen Geburtstag zu feiern. Das schönste daran waren doch die Kinder bei mir, und das fällt weg. Ich bin aber gar nicht unglücklich darüber, im Gegenteil ich bin sehr vergnügt, da ich gestern wieder meinen Freund besucht habe,5 was mich immer aufheitert. Liebstes Lischen, Dir und den Kindern (auch Viki) tausend Küsse. Es6 liegt auch eine kl. Schachtel mit Silbergarnitur in dem Kofferl (Koffer aufheben, vielleicht einmal zurückschicken  !). Tante Paula hat es gespendet (bitte groß bedanken) ein eventuelles Geschenk fuer Frl. Salomons.7 Ich habe Tante Paula nichts vom Glas

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darunter auch eine Bekleidungsfürsorge und ein Israelitischer Frauenwohltätigkeitsverein, vgl. Gold, Geschichte, 123. Die vormals in jüdischem Besitz befindlichen Warenhäuser Gerngroß und Herzmansky – beide befanden sich in der Mariahilfer Straße – waren unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ›arisiert‹, faktisch mithin enteignet worden. Einkaufen war aber auch deshalb nicht so einfach, weil das Marktamt die Einhaltung von speziellen Einkaufszeiten für Juden kontrollierte, deren Gänge also auch hier zum Spießrutenlauf wurden. Später kamen noch die Beschränkungen beim Kauf zahlreicher Lebensmittel hinzu, vgl. Kap. 5.2, v. a. Anm. 42. Vgl. Keller, Marktamt, 225  ; Witek, »Arisierungen«, 795  ; zur Entstehungsgeschichte, Architektur und Einbettung in die Wiener Warenhausszene beider Häuser Lehne, Wiener Warenhäuser, neben zahlreichen Hinweisen in den ersten Teilen v. a. 170–183. Eleonore, genannt Ella Wenger (geb. Zappert, *19. Dezember 1869, Wien  ; gest. 10. Oktober 1957, Sannois) wurde in Wien als Tochter des Carl und der Marie (geb. Sobotka) Zappert im I. Bezirk, Kärntnerring 8, geboren. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 6737/1869. Vermutlich handelt es sich um den ehemaligen Präsidenten der Wiener Ärztekammer, Dr. Josef Thenen, den sie regelmäßig an Donnerstagen – wie es auch der hier erwähnte Tag einer war – besuchte. Vgl. Dok. 22, Anm. 1. Der folgende Absatz ist seitlich im rechten Winkel über das gesamte Blatt bzw. ab »nichts vom Glas« auf dem Kopf stehend an dessen oberem Rand nachgetragen. In den privaten Unterlagen der Familie Schneider befinden sich Dokumente, die zeigen, dass es sich um Frau Mabel Salomons handelt, eine evangelische Britin aus wohlhabenden Verhältnissen in Brüssel, die die Familie Schneider finanziell, aber auch bei der raschen Eingliederung der Kinder in örtliche Kindergarten bzw. Schulen unterstützte, da sie im Ausschuss des Kindergartens in der rue Nôtre-Dame-de-Grâces

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gesagt, sie meint, das Schachterl (das sehr hübsch ist) wird F. Salomons gut gefallen, ich glaube Du bleibst beim Glas.

Brüssels saß, vgl. Ville de Bruxelles, Bulletin Communal 1936, Bd. II, Teil 4, 2342 und 1937, Bd. II, Teil 2, 555. Schon unter den schwierigen Verhältnissen nach seiner Flucht aus dem Internierungslager hielt Viktor Schneider brieflichen Kontakt zu Frau Salomons aufrecht. Der Briefwechsel zeigt eine enorme Dankbarkeit, die er ihr gegenüber empfand und verweist auf die große Bedeutung, die sie offenkundig für das Leben der Schneiders in Belgien hatte. Vgl. zu ihr auch die Dok. 17 und 22.

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15 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 3. Januar 1939 2 S., e. B.

Ich habe das Negativ von Dir nicht gefunden, vielleicht weiß die Martha davon oder Du hast es vielleicht. 3. / I 39 Liebes Lischen  ! Dein lieber Brief ist gerade am 1. gekommen, also ein richtiger Neujahrsbrief. Er hat allerdings einigen Wirbel bei mir hervorgerufen, doch heute habe ich alles überschlafen und kann Dir ruhig antworten. Ich weiß nicht, wie weit die Sache mit der Reise der Buben nach England schon Fortschritte gemacht hat.1 Es ist jedenfalls eine ausgezeichnete Idee, die man entschieden ergreifen soll. Hier laufen sich die Leute die Füße ab, um ihre Kinder nach England zu bringen2 und Euch hat man es doch beinahe ins Haus gebracht. Wenn die Familie, wo die Buben hinkommen sollen, vielleicht so gut 1 Elisabeth und Viktor Schneider, die ihrerseits weiterreichende Emigrationspläne verfolgten (vgl. Dok. 11), ventilierten offenbar Pläne, ihre drei Söhne nach Großbritannien zu schicken, wie aus dieser Passage und dem weiteren Verlauf dieses Briefes hervorgeht. Zur Ausreise jüdischer Kinder zwischen Anschluss und Kriegsbeginn nach Großbritannien, das nach den Ereignissen vom 9./10. November 1938 erklärt hatte, Kinder aus dem Reich zumindest übergangsweise aufzunehmen vgl. Curio, Verfolgung, 64–99  ; Hofreiter, Allein, v. a. 42. 2 Nach ihrer Wiedereröffnung im Mai 1938 schuf die Israelitische Kultusgemeinde in Wien eine eigene Koordinierungsstelle für die Kinderauswanderung unter der Leitung von Rosa Rachel Schwarz – der Vorstand der IKG-Jugendfürsorge war Ella Wengers Bruder, Julius Zappert –, so dass die Kinderauswanderung nicht der allgemeinen Auswanderungs-, sondern der Fürsorgeabteilung oblag. Mit internationaler Hilfe gelang es ihr, zwischen Dezember 1938 und August 1939 3253 jüdischen Kindern in sogenannten Kindertransporten die Flucht zu ermöglichen, wobei die Auswahl der Kinder der jüdischen Gemeinde oblag. 2730 von ihnen gelangten nach Großbritannien, der Rest nach Belgien (164), Frankreich (109), in die Niederlande (103), nach Schweden (92), in die USA (50) und in die Schweiz (5). Die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung mit ihren Familien in der Fremde blieb meist unerfüllt  : Rund 90 % der Kinder sahen ihre Eltern nie wieder, weil diese in den Lagern des Nationalsozialismus ermordet wurden. Insofern waren die Kindertransporte für die Betroffenen Glück und Belastung zugleich. Erst seit etwa zwei Jahrzehnten werden das Leid und die psychische Belastung beider Seiten infolge der Trennung systematisch erforscht. Vgl. Curio, Verfolgung, 64, 72–75  ; zur Auswanderung von Kindern und Jugendlichen auch Adler-Rudel, Selbsthilfe, 95–102 sowie die Beiträge in Benz/Curio/Hammel, Kindertransporte und Hofreiter, Allein. Zur Rolle Julius Zapperts und Rosa Rachel Schwarz’ vgl. Rosenkranz, Verfolgung, 316 und Schwarz, Experiences, 2.

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fondiert ist, wäre es doch eine Zukunft, wie ein Glück der Kinder.3 Und daß unsere Buben sich überall die Herzen der Menschen erobern, ist doch natürlich. Alles wenn und aber muß bei Seite gestellt werden, mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Natürlich bin ich sehr neugierig auf Eure nächsten Berichte. Onkel Julius hat mich heute angerufen, da er von Martha4 gehört hatte, daß ich ein bischen meschugge bin, und hat die Idee für die Buben ausgezeichnet gefunden und meint, man müßte alles dran setzen, die Sache durchzuführen. Dabei ist mir folgende Idee gekommen, ob diese Familie nicht die Martha als Aufsichtsperson für die Kinder anfordern ­könnte.5 Martha behauptet zwar, sie läßt mich nicht allein hier, aber ich werde mich schon durchbringen, höchstens vermiete ich noch mehr, um ihre Beihilfe hereinzubringen. Also überlegt Euch die Sache. Jetzt komme ich zur Beantwortung der Fragen. Ich habe tatsächlich nie an eine baldige Ausreise meinerseits geglaubt, deshalb habe ich auch keinerlei Ausreiseideen besprochen. Ich bin fest entschlossen, meine letzten Jahre mit Euch zu verbringen, wo das ist, ist mir natürlich ganz gleich. Da ich mich aber ganz von Euch aushalten muß lassen, glaube ich, daß dies noch nicht so bald sein kann. Es kommt mir zwar die Idee, wenn Martha von dieser Familie angefordert wird, wenn die Großen nicht da sind, daß im Kinderzimmer für mich Platz wäre, aber ich darf die Idee nicht aufkommen lassen, da ich mich doch verpflichtet habe, am 1. Februar diesen Herrn zu mir zu nehmen, deren Familie oder besser dessen Tochter6 nach England geht und ihren Vater, mit meiner Versicherung, gut aufgehoben weiß.7 Allerdings habe ich beim 3 Zur Schwierigkeit, in sehr kurzer Zeit Elternpaare zu finden, die die Kinder aufnahmen, sowie dem daraus resultierenden Umstand, dass diese infolgedessen auch in nichtjüdische Familien kamen, vgl. Krist/ Lichtblau, NS, 254. 4 Über diesem Passus ist zwischen den Zeilen von fremder Hand ein Fragezeichen eingefügt worden. 5 In England herrschte infolge der Mobilisierung weiblicher Arbeitskräfte während des Ersten Weltkriegs bereits seit der Zwischenkriegszeit ein erheblicher Mangel – und damit Bedarf – an Dienstmädchen. Dies erleichterte es ausreisewilligen Jüdinnen erheblich, das für die Einreise notwenige »domestic permit« zu ergattern. Vgl. Bollauf, Dienstmädchen-Emigration, v. a. 48–55, 109–115, 136–172. 6 Herr Freund (vgl. die nachfolgende Anm.) hatte zwei Töchter  : Luise Sisi (verh. Mautner, *14. April 1896, Linz  ; gest. 4. März 1977, Regba, Israel) und Hedwig (verh. Eibuschutz, *30. April 1898, Linz  ; gest. 14. Dezember 1994, West-Miami). Um welche der beiden Frauen es sich handelt, konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden, doch ist es wahrscheinlich, dass es die Erstgenannte war, hatte doch deren Mann, Josef Mautner, für sich, seine Frau und ihre beiden Söhne im Mai 1938 den Fragebogen der Fürsorge-Zentrale ausgefüllt, auf dem er v. a. englischsprachige Länder als Ziel angegeben und dabei neben den Sprachkenntnissen von sich und seiner Frau auch hervorgeben hatte, dass diese »versiert in Küche, Haus und Kinderpflege« sei, was gerade in England gesucht war, vgl. Dok. 15, Anm. 5  ; Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Josef Mautner, 19. Mai 1938, Auswanderungskartei 2589/78, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI). 7 Es handelt sich um den verwitweten, dem jüdischen Bekenntnis angehörenden, Heinrich Johann Freund

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Vermieten gesagt, daß ich vielleicht in einem Jahr, vielleicht sogar in einem halben Jahr, daran denke, fortzugehen. Also, diese Idee ist vollkommen undurchführbar. Ob man Martha so leicht aus der Jüdischen Kultusgemeinde loslassen wird, ist nicht sicher, aber auf jeden Fall hat sie sich schon einen Pass besorgt. Martha sagt, daß sie hier für die Ausreise der Kinder nichts tuen kann, das muß man auf dem deutschen Consulat beschaffen. Ich werde der Martha sagen, sie soll Dir schreiben, welche Dokumente die Kinder hier brauchen. Ich sehe sie kaum, da sie noch immer so viel zu tun hat, sich zu Hause gerade nur zu den Mahlzeiten aufhält und spät abend zum Schlafen gehen. Sie ist dementsprechend nervös. Gestern war die Swo bei mir ich habe mir wieder ein Kleid (von Tante Adele) richten lassen und habe noch einige noch nicht gerichtete, ich treibe einen großen Luxus, Du wirst staunen, wenn Du meine Toiletten sehen wirst  ; hier habe ich wenig Gelegenheit sie zu tragen. Von Franz habe ich sehr interessante ausführliche Berichte, ich werde Dir, bis die ganze Reisebeschreibung beinander ist, alles schicken. Gestern war Hedl Antal ( Jellinek) 8 und die Leitersdorfer9 hier. Jellinek haben die beinahe sichere Zu­sage nach Australien, Leitersdorfer ein Permit nach Amerika aber noch keine (*30. Oktober 1863, Miskowitz  ; gest. 6. Februar 1942, Datum der Deportation nach Riga), der am 15. Februar 1939 bei Ella Wenger einzog. Mit dem Inkrafttreten der Verordnung zur Einführung des Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden in der Ostmark vom 10. Mai 1939 war es als arisch klassifizierten Eigentümern auch offiziell möglich geworden, jüdischen Mieter:innen fristlos die Wohnung zu kündigen (tatsächlich war diese Praxis schon seit März 1938 üblich). So wurden zahlreiche Jüdinnen und Juden in Häuser und Wohnungen zwangsumgesiedelt, die jüdisches Eigentum waren bzw. in denen bereits Juden als Mieter wohnten. Diese wurden auch als ›Judenhäuser‹ oder ›Judenwohnungen‹ bezeichnet. Da Heinrich Freund bereits seit 1934 in der Esslinggasse gewohnt hatte, muss es sich um eine solche Zwangszusammenlegung handeln. Am 6. Februar 1942 wurde Freund mit dem 16. Transport aus der Wohnung heraus nach Riga deportiert und dort ermordet. Vgl. Hausliste Eßlinggasse 13, A/ VIE/IKG/II/BEV/Wohn/8/2, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI)  ; WStLA, Meldeunterlagen Heinrich Freund  ; Angaben für Heinrich Freund auf doew.at  ; Ungar/Schulle, Deportationen, 381–385 und 452. 8 Gemeint ist Hedwig Jellinek (geb. Abeles, *15. Februar 1889, Wien  ; gest. 26. Mai 1942, Maly Trostinec). Der Geburtsname Hedwig Jellineks war »Abeles«  ; dieser wurde mit Bewilligung des ungarischen Innenministeriums – Hedwigs Vater stammte aus dem transleithanischen Teil der Doppelmonarchie – 1898 in Antal geändert. Am 4. Juli 1938 hatte sie den verwitweten »Privatbeamten« Otto Jellinek (*24. Mai 1882, Halenkau/später  : ČSR  ; gest. 26. Mai 1942, Maly Trostinec) geheiratet. Am 20. Mai 1942 wurden beide aus ihrer Wohnung in der Kohlmessergasse 6/12 nach Maly Trostinec deportiert und dort sechs Tage später ermordet. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch 276/1889  ; ebd., Trauungsbuch, Rz. 238/1938  ; Einträge für Hedwig bzw. Otto Jellinek auf doew.at. 9 Vermutlich sind hier Ernst (*16. Juli 1892, Wien) und Franziska (geb. Huschak, *1. Mai 1899) sowie ihre Töchter Gertrude (*7. Februar 1917, Wien) und Elisabeth (*4. November 1922, Wien) Leitersdorf gemeint. Sie gehörten dem jüdischen Bekenntnis an und waren zuletzt vom 3. Mai bis 26. Oktober 1939 in der Hermanngasse 31/18 gemeldet. Im Anschluss findet sich der zynische Vermerk »Abgemeldet  : Polen« in der Einwohnermeldekartei. Allerdings tauchen die Familienmitglieder in mehreren hier

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Einreisemöglichkeit.10 Sonst nichts Neues. Bitte, wenn Du noch welche Fragen beantwortet haben willst, schreib mir und nummeriere sie. Tausend Küsse Mutter

vorliegenden Briefen auch im Jahr 1941 auf. 1959 wurden sie amtlich für tot erklärt. WStLA, Meldeunterlagen Ernst Leitersdorf  ; vgl. auch die folgende Anmerkung. 10 Bei der der IKG hatte Ernst Leitersdorf (*16. Juli 1892, Wien) schon am 30. Juni 1938 einen Auswan­ derungsfragebogen ausgefüllt, in dem er angab, in die USA auswandern zu wollen, weil er in New York »Enkel, Bruder u. Mutter« habe. Dies ist der einzige Auswanderungsfragebogen einer Person mit Namen Leitersdorf. Tatsächlich mussten Übersee-Emigranten oft lange auf eine Gelegenheit zur Überfahrt warten, 1940 war es beispielsweise ein halbes Jahr – und zwar nachdem die Betroffenen alle für die Emigration notwendigen Dokumente eingeholt hatten. Mindestens für Ernst Leitersdorf war die Zeitspanne zu lange, er wurde im Rahmen der frühen NS-Vertreibungspläne während des Krieges am 20. Oktober 1939 nach Nisko deportiert. Sein weiteres und das Schicksal seiner Familie ist unklar. Vgl. Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Ernst Leitersdorf, 30. Juni 1938, Auswanderungskartei 35524, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI)  ; Krohn, Vereinigte Staaten, Sp. 455  ; zur Emigration in die USA Dok. 13, Anm. 4  ; vgl. auch die Dok. 48 und 50  ; zu Nisko und dem Plan, die Juden im Herbst 1939 auf sowjetisches Gebiet zu vertreiben vgl. Browning, Entfesselung, 65–74  ; Safrian, Eichmann-Männer, 68–86  ; Goshen, Nisko-Aktion  ; Moser, Nisko  ; Ders., Zarzecze bei Nisko.

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16 Martha Wenger an die Familie Schneider Wien, 14. Januar 1939 2 S., masch. B.

14.1.1939 Liebe Schneiderei  ! Heute habe ich mir eine Maschiene ausgeborgt und da besorge ich alle meine Korrespon­ denzen. Sie gehört Winters bei uns im Hause1 und da ich einiges zu Schreiben habe, habe ich sie mir ausgeborgt. Bei Gelegenheit will ich Franzens Tagebuch abschreiben, aber wann ich dazu Zeit haben werden, dass ist noch die Frage. Käthe hat einen eitrigen Finger, ist mit Narkose operiert worden und tut sich sehr leid. Seit Montag ist sie im »Krankenstand« und Mutter zappelt sich ab. Seit Donnerstag kommt aber die Vetti und kocht und wäscht Geschirr, da ist es schon besser. Wir suchen fleissig nach einem neuen Mädchen, das ist aber sehr schwer,2 annoncieren darf man nicht, aber es wird schon werden, nur halt Geduld, hat ja Zeit bis Ende des Monates. Gestern hab ich Vikis Brief bekommen, ich werde morgen in der Ikag3 mich er­kun­ digen. Habt Ihr für die Buben Pässe oder Kinderausweise machen lassen  ? Kaffee und Wollsachen sind gut angekommen. Von Kamma ist ein Paket mit Butter, Schmalz und Käse gekommen. Wir werden jetzt die Wohnung umstellen. Die Sachen haben wir schön alle gut verschenkt. Vaters Bett nimmt sich Selle.4 Euere Schisachen und Lisls Anzug, mit Ausnahme Vikis Bretteln hat Mutter verkauft. Ich habe grossen Ärger mit Karoline.5 Ich habe ihr Emmas alte Schreibmaschine geliehen, Emma fordert sie von 1 In der Esslinggasse 13 wohnten ein Pensionist S. Winter und ein Privatier J. Winter. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1939, Bd. 2, Teil IV, 9. 2 Zum Mangel an Dienstmädchen vgl. die Dok. 15 (Anm. 5) und 19, Anm. 7. 3 Israelitische Kultusgemeinde. 4 Ella und der Rechtsanwalt Dr. Hartwig Wenger (*13. Mai 1856, Misslitz) hatten am 8. Dezember 1895 in Wien geheiratet, doch war Hartwig Wenger am 14. Februar 1934 an den Folgen einer Lungenentzündung verstorben und zwei Tage später auf dem jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs beigesetzt worden (IV. Tor, Gruppe 15a, Reihe 5, Grab 16). Vgl. den Eintrag der Grabstelle unter https://www. ikg-wien.at/friedhofsdatenbank/#top (Zugriff  : 27. November 2020)  ; zum Hochzeitsdatum Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Trauungsbuch, Rz. 719/1895, zum Geburts- und Todesdatum Hartwigs ebd. sowie ebd., Sterbebuch, Rz. 400/1934 (hier ist das Geburtsdatum mit 11. Mai 1856 angegeben). 5 Die Identität der Person konnte nicht geklärt werden. Möglicherweise spricht die Schreiberin hier aber auch ironisch von sich selbst in der dritten Person, da ihr zweiter Vorname Karoline war (vgl. hierzu

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mir zurück und Karoline will sie nicht hergeben. Ich habe aber Emma versprochen, sie zu schicken. Emma will sie schätzen lassen und die Abgabe zahlen, damit sie sie ganz regulär haben kann. Sie dürfte kaum höher als 50 – 60 RM wert sein und da ist ja nicht viel zu zahlen  : Aber alles dauert. Ob Emma noch Extra Zoll zahlen muss, weiss ich natürlich nicht. Heute war ich den ganzen Tag nicht im Büro. Das erst Mal seit dem 10. November. Wir haben diese Woche eine Menge Kinder abgefertigt und jetzt eine kleine Ruhepause.6 Wengers werden ja jetzt bald in Australien landen. Laut Zeitungsbericht ist draussen eine kollossale Hitzewelle. Hoffentlich werden sie nicht zu stark darunter leiden. Klara Bornett ist in Antwerpen.7 Ihr Mut ist zu bewundern. Ich glaube aber, dass sie jetzt nachher zusammenklappt. Ich komme mit sehr wenigen Leuten zusammen. Manche sind nicht mehr hier und dann bin ich zu müde zum liebenswürdig sein. Ich werde von allen Leuten fürchterlich sekkiert, ihre Kinder für Aktionen einzuteilen und kann gar nichts dazu tun. Wir sind auf die Vorschriften des Auslandes angewiesen. Kann der junge Freud nicht von jemanden in Belgien angefordert werden  ?8 Solche Kinder müssen nämlich bevorzugt abgefertigt werden. Nach England kommen jetzt die 17 und 18 Jährigen und Belgien ohne Einladung geht nur bis 12 Jahre. Ich habe die Maschine auf dem Speisezimmer Tisch stehen und9 sehe infolgedessen sehr schlecht. Kahis10 sind glücklich in England. Sie hatten eine schrecklich schlechte Überfahrt, sogar das Kind11 war seekrank. Ich bin sehr häufig am Abend bei Haags12 bei uns im Dok. 19, Anm. 2). Hiergegen spricht prima vista, dass sie am Anfang des Briefes erwähnt, sich von Winters eine Schreibmaschine ausgeborgt zu haben und eine neue Schreibmaschine weit mehr kostete (vgl. Dok. 10)  ; andererseits könnte sie eine gebrauchte Maschine durchaus ihrer Schwester oder, später, ihrem Schwager mitgebracht haben, vgl. Dok. 19, Anm. 2. 6 Den Grund, eine Grippeerkrankung, verschweigt die Verfasserin. Vgl. Dok. 18. 7 Die einzige Meldung im örtlichen Wohnungsanzeiger unter diesem Namen war eine Clara Bornett in der Pfluggasse 8. Möglicherweise handelt es sich um die gleichnamige Wienerin, die 1927 Europameisterin im Wasserspringen vom 3-m-Brett wurde. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 1, Teil I, 107  ; Ullsteins Blatt der Hausfrau 43 (1927), H. 18, 4 (hier mit Bild). 8 Wer hier gemeint ist, konnte nicht eindeutig identifiziert werden. 9 Im Original  : und und. 10 Gemeint sind Karl und Hilde Zappert, deren Vornamen hier ein Akronym bilden. 11 Gemeint ist die Tochter von Karl und Hilde, Marianne Zappert. 12 Gemeint sind Adolf (*27. August 1863, Humpolez/Humpolec  ; gest. 6. Februar 1942, Datum der Deportation nach Riga) und Adele Haag (*24. November 1870, Hradisko  ; gest. 6. Februar 1942, Datum der Deportation nach Riga) sowie deren Sohn Paul, die in der Esslinggasse 13 wohnten. Alle drei gehörten dem jüdischen Bekenntnis an und hofften bereits im Sommer 1938, gemeinsam nach Frankreich oder in die Tschechoslowakische Republik auswandern zu können, wo es jeweils Angehörige gab. Zumindest dem Ehepaar glückte die Emigration nicht, es wurde am 6. Februar 1942 aus seiner Wohnung nach Riga deportiert, wo beide den Tod fanden  ; der Sohn überlebte den Holocaust vermutlich  ; Archiv IKG

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Hause. Von der Zeit der gesperrten Wohnungen ist im Hause ein engerer Kontakt zwischen den verschiedenen Parteien entstanden. Schilaufen gehe ich heuer nicht. Bisher hatte ich keine Zeit, jetzt taut es. Aber wenn ich auch Zeit hätte, es widersteht mir, mit Schihose und Bretteln durch die Stadt zu gehen. Draussen ist natürlich alles egal. Ausserdem, wenn mir Gott behüte irgend ein Unfall zustössen würde, ich bin nicht mehr versichert, da ich in keinem Turistenverein mehr bin, Bergung und alles selbst zu zahlen und alle Unannähmlichkeiten nicht auszudenken. Früher hat man an so etwas gar nicht gedacht. Heute habe ich Herrn Dir. Kuhner besucht.13 Er ist wieder im Rotschildspital. Er ist von seinem Unfall noch gar nicht hergestellt und leidet an den Folgen der Gehirnerschütterung. Mit 76 Jahren ist das keine Kleinigkeit. Habt Ihr mal von Schnitzers Nachricht aus Arosa bekommen  ? Bussi, Bussi, Bussi Marthe Auf der Adresse muss das Postamt dazu geschrieben werden. Wien I/814

Wien, Bestand Jerusalem, A/W 2589/77 Familie Haag  ; Angaben für Adele und Adolf Haag auf doew. at  ; Ungar/Schulle, Deportationen, 381–385 und 454 sowie zu Paul und den Angehörigen im Ausland Dok. 12, Anm. 16. 13 Die Identität dieser Person und der nachfolgend genannten Schnitzers konnte nicht geklärt werden. 14 Der Abschnitt von »Auf« bis »I/8« ist auf dem Kopf stehend am Ende der ersten Seite nachgetragen worden.

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17 Martha Wenger an Robert Schneider Wien, 26. Januar 1939 1,5 S., masch. B.

26. I.1939 Mein lieber Robert  ! Weil Du Geburtstag hast, bekommst Du einen Geburtstagsmaschinbrief, das ist etwas ganz besonderes. Ich wünsche Dir alles gute und einen recht schönen Tag. Fein, dass das gerade ein Sonntag ist, an dem Du nicht in die Schule gehen musst. Da kannst Du ganz geburtstagelich lang im Bett bleiben und die Mutter kocht, was Du Dir wünscht. Wart Ihr heute bei Frl. Salomon, hat sie gewusst, dass Du Geburtstag hast  ? Ich hoffe, Du bist kein zu strenger Lehrer und gibst für jeden Tippfehler eine schlechte Note, aber bin ich beim Schreiben halt so schlampig. Die Opi1 hat schon einen so langen Brief geschrieben und die Luisel will schon auf die Post gehen und treibt mich an. Denk Dir, morgen heiratet die Tante Gerti, die Opi wird zur Hochzeit gehen und dann bei Zapperts zu Mittag essen.2 Mich haben sie nicht eingeladen. Grossvater kommt öfters zu uns auf Besuch. Er ist jetzt wieder übersiedelt und wohnt mit dem Onkel Schime zusammen.3 Sag dem Vati, dass der Onkel Joska wieder gesund ist. Hier in Wien hat alles Grippe, dabei haben wir ganz angenehmes Wetter, es ist nicht 1 Gemeint ist Ella Wenger. 2 Gertrud Zappert und Wolfgang Brunner (*9. November 1889, Wien  ; gest. 23. Januar 1943, Datum der Deportation nach Auschwitz) haben am 27. Januar 1939 im Leopoldstädter Standesamt geheiratet  ; beide waren jüdischen Glaubens. Wolfgangs Vater Moriz war der Leiter des jüdischen Taubstummeninstituts, seine Mutter war Anna, geb. Kohn. Wolfgang Brunner wurde im Oktober 1942 nach Theresienstadt und im Januar 1943 nach Auschwitz deportiert. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Wolfgang Brunner  ; Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 602/1902 bzw. Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Geburtsanzeige, Rz. 1882/1889 sowie die Angaben im Theresienstädter Gedenkbuch, 400. 3 Die beiden hier genannten Brüder Davids konnten gar nicht ( Joska/Josef ) bzw. nicht eindeutig (Simon) identifiziert werden. Im allgemeinen Wohnungsanzeiger findet sich 1938 wie 1939 nur ein Simon Schneider, und zwar in der Landstraßer Hauptstraße 155 (seit 1940 ist er nicht mehr geführt). David Schneider wird 1938 in der Schlosshofer Straße 54 (XXI. Bezirk) geführt, von wo er Ende 1938 in die Sechsschimmelgasse 7/43 im Alsergrund zog (IX. Bezirk). Vgl. Verzeichnis über das Vermögen von Juden, David Schneider, 16. Juli 1938, AdR, Vermögensverkehrsstelle 18007  ; WStLA, Meldeunterlagen David Schneider  ; Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 1, Teil I, 1150 bzw. 1939, Bd. 1, Teil I, 1147.

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kalt und zwar nebelig, aber wenig Regen und schon lange keinen Schnee. Müsst Ihr einen Schirm aufspannen, wenn Ihr aufs Klo geht  ? Oder habt Ihr bereits ein Schinakl eingerichtet, Martin als Steuermann  ? Hast Du in der Schule turnen  ? Kannst Du Dich noch erinnern, wie wir zusammen geturnt haben und dann die Partie über die ganzen Möbel, dass war eine Hetz damals, wenn Ihr das jetzt wieder macht und dabei mit dem Hosenboden über die Möbel rutscht, erspart sich die Mutti Staub abzuwischen. Also lieber Robertli  : »Heut zu Deinen Wiegenfeste Wünsch ich Dir das allerbeste Bleibe glücklich und gesund Werde fett und kugelrund« Ein recht festes Geburtstagsbussel von Deiner Marthe

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18 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 30. Januar 1939 2 S., e. B.

30. Jänner 39 Liebstes Lischen  ! Heute wieder einmal ein Schreibebrief, da ich schon lange nicht geschrieben habe, auch will ich mich für deinen l. Brief vom 26. bedanken. Bei uns ist es noch nicht sehr herrlich. Ich habe die Grippe zwar schon vorüber, bin aber noch recht mies, Martschi ist heute das erste Mal ins Büro gegangen, Käthe noch arbeitsunfähig, erstens trägt sie die Hand noch in der Schlinge (rechte Hand), dann hat sie 2 mal hintereinander Grippe gehabt, die F. Schmitzer war 5 Tage hier, hat mir aber die Liebe aufgesagt und neues Mädchen kann ich absolut keines finden.1 Das heißt, eine habe ich schon gehabt, und war Gotts froh wie ich sie nach 2 Tagen expedieren konnte. Jetzt habe ich wieder eine in Aussicht, aber nur in ferner Aussicht. Auf jeden Fall habe ich mit dem neuen Mieter ausgemacht, daß er erst kommt, wenn ich ein Mädchen habe, außerdem kann Käthe noch nicht am 1/II den neuen Platz antreten, da sie noch nicht arbeiten kann. Aber ich bin hoffnungsfreudig, besonders da wir die Wohnung schon umgeändert haben  ; wir, Martschi und ich, haben die 2 rückwärtigen Zimmer, die sind wunderschön, ich bin ganz glücklich damit. Das erste Zimmer ist von der Martschi in folge dessen hübsch hergerichtet und nachdem ich es heize, ein gemütliches Wohnzimmer, was ich auch mit Begeisterung benutze. Mein Zimmer hat deine weißen Badistvorhänge, ist sehr jungfräulich und sehr hübsch. Auch das Kabinett von der F. Louiserl ist ganz hübsch geworden, nur ist sie unglücklich, weil sie nicht alles sieht und hört, was bei uns vorgeht. Also du siehst, ich bin nicht gar so unglücklich, außerdem war ich bei der Hochzeit von Gerti.2 Ich war mit am Standesamt und dann bei der Hochzeitstafel. Es war sehr hübsch und gemütlich, ich habe mich sehr damit gefreut. Die Hochzeitsreise hat Gerti in die Wohnung ihres Mannes gemacht, wo sie abwechselt, mal da und mal in der Skodagasse wohnen werden.3 Geschenkt habe ich natürlich gar nichts, sie hat 1 Zum Mangel an Dienstmädchen vgl. die Dok. 15 (Anm. 5) und 19, Anm. 7. Die hier erwähnte Frau Schmitzer konnte nicht identifiziert werden. 2 Vgl. Dok. 17, Anm. 2. 3 Die Wohnung von Wolfgang Brunner befand sich in der Glockengasse 25/24. Die Skodagasse 19 war der

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überhaupt nichts bekommen,4 nur von Kaldeks5 etwas hübsche Wäsche (Nachthemd, Combination etc. etc.). Eine ganz gute Idee, denn sonst kann man sich doch eh nichts mitnehmen. Allerdings wissen sie noch nicht, wohin sie sich etwas mitnehmen werden. Ich glaube, der Herr Wolfgang wird sich nicht so schnell entschließen, sich von seinem bequemen Leben zu trennen. Gerti ist sehr glücklich und Julius denkt ernstlich daran, nach England zu gehen und Gerti hier zu lassen.6 Gerti muß am 1. Februar den Kindergarten schließen.7 Von Karl kommen gute Berichte, sie sind in der Nähe von London, eine kl. Stadt mit Wiesen und Wald. Karl verdient schon etwas und sagt, er fängt dort an, wo er vor 15 Jahren angefangen hat. Seine Möbel hat er noch nicht. Hoffentlich wird es möglich sein, es ihm zu schicken. Was mit Franzens Sachen geschieht, weiß ich absolut nicht, sie haben nur Kleider und Wäsche mit, nicht ein Stückchen Bettzeug, keine Polster, Decken und Geschirr, alles ist beim Spediteur eingestellt und die Martha zahlt Lagerzinns.8 Wie lange das

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Wohnort von Gertruds Vater, dem verwitweten Julius Zappert. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Wolfgang Brunner  ; Verzeichnis über das Vermögen von Juden, Julius Zappert, 11. Juli 1938, AdR, Vermögensverkehrsstelle 10460. Von ihrem Vater, Julius Zappert, bekam Gertrud Brunner 8000 RM als Heiratsgut. Vgl. die Erklärung Julius Zapperts, 12. Juni 1939, AdR, Vermögensverkehrsstelle 10460. Die Identität der Familie konnte nicht geklärt werden. Tatsächlich verließ Julius Zappert Wien wenig später, er meldete sich zum 22. Juni 1939 aus seiner Wohnung in der Skodagasse 19 »nach dem Ausland« ab und zog nach London. Vgl. Finanzlandesdirektion an Zentralmeldeamt, 24. Februar 1961, AdR, Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Zl. 4.647. Bereits seit dem Anschluss waren zahlreiche Kindergärten der Israelitischen Kultusgemeinde geschlossen worden, teils weil diese selbst hoffte, Kinder rasch ins Ausland bringen und die Heime in dringend benötigte Altersheime umwandeln zu können, teils weil die NS-Machthaber den Verkauf entsprechender Gebäude forderten. Dies führte für die Kinder und deren Betreuer:innen nicht nur zu zahlreichen Ortswechseln, sondern auch zu einer immer größeren Konzentration an Kindern. Um welchen Kindergarten es sich konkret handelte, konnte nicht geklärt werden. Vgl. Raggam-Blesch, Deportationen. Hier spiegelt sich die Unsicherheit über die Ausfuhrbestimmungen von Sachwerten. Ende 1937 hatte die Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung angeregt, eine Abgabe zugunsten der Deutschen Golddiskontbank (Dego) auf Güter zu erheben, die Emigrant:innen aus dem Reich ausführen wollten. Das Reichsfinanzministerium ermächtigte daraufhin am 17. April 1939 die Devisenstellen, Ausfuhrgenehmigungen nur noch dann zu erteilen, wenn eine Sonderabgabe auf alle nach dem 31. Dezember 1932 erworbenen Werte entrichtet würde (Dego-Abgabe). Ziel der Maßnahme war es, die Anlage von Geldvermögen (das aufgrund der Devisenbestimmungen nicht mitgenommen werden konnte) in Sachwerte zu verhindern, um diese auszuführen. Dego-Abgaben fielen dabei nicht nur für große Werte an, sondern mussten auch bei Gegenständen geringeren Werts wie den hier genannten bezahlt werden. Auch diese Regelungen müssen somit als Teil der systematischen Beraubungspolitik begriffen werden. Vgl. Meinl/Zwilling, Legalisierter Raub, 253 f.; zu antijüdischen Diskriminierungsmaßnahmen mittels des Devisenrechts, die etwa dazu führten, dass Migranten 1939/40 nur noch maximal vier Prozent ihres Vermögens in Devisen ins Ausland transferieren konnten, Kuller, Bürokratie und Verbrechen, 201–243.

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so dauern wird, weiß ich nicht. Schicken können wir ihm doch nichts, da wir kaum Geld haben9 und verkaufen kann man doch die Sachen auch nicht. Jedenfalls habe ich Franz das nach Sidney geschrieben und erwarte eine Antwort. Sehr erfreut wird er über die Unzugänglichkeit des Onkels nicht sein, doch das ist seine Sache. Wenn er auf das Möbel verzichten würde, könnte man ihnen die Bettsachen, Geschirr etc. in Kisten schicken, aber auch das kostet Geld. Jedenfalls beginnt jetzt für Wengers der Ernst des Lebens. Daß sich Stefan am Schiff den Arm gebrochen hat, weißt Du vielleicht, er ist gefallen, 2 Tage vor der Landung, muß jetzt in Sidney in Gibs gehen und kann bei 40 Grad nicht baden. Doch hofft der Franz, daß er bis Mitte Februar zu Schulbeginn schon hergestellt sein wird. Wir haben Wengers noch nichts geschickt, da ich mich noch photografieren muß lassen. Sittezeugnis und Arztuntersuchniszeugnis haben wir schon. Jetzt werden wir die Sache beschleunigen. Ich glaube, man braucht sonst so wie so nichts, als die Application. Liebes Lischen, Du hast letzthin einige Fragen gestellt, die ich Dir beantworten soll. Was ist mit Gerharts  ?10 Die Nannerl ist in einer Hausfrauschule durch den Pastor in Schweden.11 Alle sind sehr unglücklich und Angela kommt fort zu mir, sich austoben, da man ihnen, wie sie sagt, unrecht tut, ich kann ihr nicht helfen, es ist halt nicht so 9 Da ein erheblicher Teil der diskriminierenden Maßnahmen in Deutschland bereits in Kraft war, als der Anschluss erfolgte, trafen die Bestimmungen die jüdische Bevölkerung Österreichs besonders unvermittelt. Dies galt auch für die Maßnahmen zur materiellen Ausbeutung. Überdies hatte die bereits am 26. April 1938 eingeführte Anmeldepflicht für Vermögen über 5000  RM (vgl. Dok. 1, Anm. 5) verhindert, dass in nennenswertem Umfang Bargeld und Wertgegenstände ins Ausland transferiert werden konnten. Berufsverbote, Enteignungen und die hohen, im Zusammenhang mit einer Emigration anfallenden Kosten verschärften die Situation weiter und bedingten eine erhebliche Verarmung weiter Teile der in Österreich verbliebenen jüdischen Bevölkerung. Dies wird an der vorliegenden Briefstelle besonders anschaulich. Vgl. Stiefel, Lebensversicherungen, 103–108. 10 Gemeint sind Angela (geb. Popper, *13. Juni 1886  ; gest. 23. Oktober 1941  ; Datum der Deportation nach Litzmannstadt/Łódź) und Julius (*15. November 1881  ; gest. 24. April 1942, Litzmannstadt/Łódź) Gerhart. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Julius Gerhart. Dort wird angegeben, dass sie dem jüdischen Bekenntnis angehörten und keine Kinder hätten  ; auch im Archiv der IKG sind keine Kinder verzeichnet. Die Identität des nachfolgend erwähnten Nannerls konnte daher nicht geklärt werden. Um Angela selbst handelt es sich nicht, vgl. Dok. 45. Auf doew.at lautet der Nachname Gerhard, der Geburtstag von Julius wird dort mit 16. November 1881 angegeben. 11 Vermutlich ist hier die Hilfe der Schwedischen Mission gemeint, die neben ihrer Bemühung um Auswanderung auch ein umfangreiches Sozial-, Fürsorge- und Betreuungsprogramm für die in Wien ansässigen jüdischstämmigen Protestanten verfolgte. Für Pfarrer Friedrich Forell, der seit 1933 die Missionsstelle geleitet hatte, aber nach dem Anschluss seiner jüdischen Herkunft wegen flüchten musste, übernahmen von 1939 bis Ende März 1940 Pfarrer Göte Hedenquist und anschließend Johannes Ivarsson die Leitung der Schwedischen Mission. Zum nicht identifizierten »Nanerl« vgl. Dok. 18, Anm. 10. Vgl. Hecht/ Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 348–352 sowie zur Schwedischen Mission Dok. 45, Anm. 9.

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fein, als sie sich es gedacht haben. Zu loben haben sie natürlich nichts, Julius ist ein Schlafer und Angela eine Furie. Dann weiß ich noch immer nichts von Ernst Kalmus. Jetzt will ich Dir aber mit Freuden den Kaffee bestätigen, ich habe schon 3 mal bekommen und schon beinahe 3 Mark erspart, außerdem ist er sehr gut, ich danke Dir vielmals dafür. – Eben war ich unten und wollte zum Nachtmahl zu den übergebliebenen Knödel u. Erdäpfel einen Salat kaufen, aber man bekommt keinen, man bekommt überhaupt sehr viel nicht. Aber die Kreislerin, die mir ein Mädchen empfohlen hat, sagte mir, daß sie selber bestimmt kommen wird, also ich bin in der Hoffnung.12 Heute Nachmittag war der Großvater da, er kommt sehr oft, aber heute war er sehr einsilbig und sehr lang hier, so daß ich ihn auf den Zahn gefühlt habe, ob etwas nicht stimmt mit seinem wohnen bei seinem Bruder, es ist auch der Fall, ich weiß nicht, ob die 2 sich lange ertragen werden, allerdings ist der Großvater der Schuldige. Mit der Fina13 geht es noch nicht so schnell wie Ihr glaubt. Jedenfalls hat mich Großvater um Geld 12 Die Identität der Person konnte nicht festgestellt werden. 13 Josefine »Fina« Schneider (*8. Juli 1906, Wien  ; gest. 7. April 1942, Tötungsanstalt Bernburg) war die Tochter David Schneiders und damit Schwägerin der Briefadressatin. Bereits das autoritär-faschistische System des ›Ständestaats‹ hatte gegen sie wegen des Verdachts auf kommunistische Tätigkeit ermittelt, 1936 kam es deswegen zu einem Verfahren und einer zweimonatigen Haftstrafe. Rasch nach dem Anschluss, am 11. Mai 1938, wurde sie abermals aus politischen Gründen, d. h. wegen kommunistischer Agitation, von der Kripo in Innsbruck festgenommen und bis Februar 1939 festgehalten. Zu einer in Vorbereitung befindlichen Anklageerhebung am Volksgerichtshof kam es nicht, stattdessen wurde Josefine Schneider seit 24. Februar 1939 als Jüdin im Frauen-Konzentrationslager Lichtenburg mit der Häftlingsnummer 1290/580 interniert. Von dort wurde sie am 15. Mai desselben Jahres als »politische Jüdin« (Apel, Jüdische Frauen, 370  ; zur Kategorisierung als politischer Häftling auch ebd., 44 f.) in das KZ Ravensbrück überstellt, weil die Nationalsozialisten infolge des bevorstehenden Krieges mit steigenden Häftlingszahlen rechneten und Lichtenburg als zentrales Lager für weibliche Häftlinge durch das neu errichtete KZ Ravensbrück ablösten. Wohl schon am 4. Februar 1942 wurde Josefine Schneider im Rahmen der Aktion 14f13 in der Gaskammer der Tötungsanstalt Bernburg ermordet, vgl. Helm, Ohne Haar, 161f. (anders bezüglich des Datums  : Hormayr, Josefine Schneider, 175). Als offizielles Todesdatum gaben die Nationalsozialisten den 7. April 1942 an, doch wurden in den vom Standesamt Ravensbrück II versandten Sterbeurkunden falsche Angaben zu Todeszeitpunkt und -art gemacht. Vgl. für die Festnahmen den Bericht des Sicherheitsinspektors für Salzburg sowie die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Salzburg, 17. März 1936 bzw. 30. Mai 1936, beides abgedruckt in Mitterrutzner/Ungar, Widerstand, 113 f. bzw. 215–221  ; für die Verlegung Josefine Schneiders die Zugangsliste für Ravensbrück, 1.1.35.1 / 3761117  ; zur Verlegung des KZ Lichtenburg nach Ravensbrück Geheimes Staatspolizeiamt Berlin an alle Staatspolizeileitstellen, 2. und 11. Mai 1939, 1.1.0.6 / 82327714 bzw. 1.1.0.6 / 82327710, alle ITS, Digital Archive, Bad Arolsen  ; zu Lichtenburg Fahrenberg/Hördler, Frauen-Konzentrationslager  ; Drobisch, Frauenkonzentrationslager  ; zum KZ Ravensbrück Apel, Jüdische Frauen, zu den politischen Häftlingen v. a. 55–74  ; Arndt, Frauenkonzentrationslager  ; Strebel, Ravensbrück sowie Helm, Ohne Haar  ; vgl. auch die Angaben im Gedenkbuch Ravensbrück, 548 sowie http://www.ravensbrueckerinnen.at/detail.php?var=4475 und http://www.stolpersteine-salzburg. at/de/orte_und_biographien  ?victim=Schneider,Josefine (Zugriff  : 14. Januar 2021)  ; zu Josefine Schneider

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für sie gebeten und ich habe ihm noch von Euch 10 Mark gegeben und letzthin auch 10 Mark, da sie ein Freßpackerl bekommen dürfte.14 Kann nicht F. Scherm in der Grabenangelegenheit etwas machen. Übrigens ist die Grabenangelegenheit wieder in der Lindengasse.15 Sehr gefreut habe ich mich über Eure feine Einladung. Daß Martin schon ein so fertiger Mensch ist, freut mich, jedenfalls macht er Euch Ehre, und die andern beiden natürlich. Was sagen denn die Buben dazu, daß sie nach England kommen sollen  ? Stefan hat auf der langen Reise gar nicht Englisch gelernt. Hoffentlich wird er es doch nachholen. Ich hätte so schrecklich gerne Robert zu seinem Geburtstag eine Torte geschickt, aber leider war so ein Rummel bei uns, so eine Arbeitsunmöglichkeit, daß ich es verschieben mußte. Auch wollte ich eine Frühlingstorte, aber in Wien gibt es keine Mandeln. Ich durfte diesen Mittag wieder zu Tante Paula gehen,16 nachdem ich lange Zeit nicht bei ihr war und werde ihr den Brief bringen. Mit Grete Brandt bin ich leider in regem Briefwechsel, da sie mir hundert undurchführbare Sachen aufgetragen hat, die ich ihr besorgen soll, außerdem, daß ich nicht fortgehe, sind die Sachen nicht zu bekommen, eine sehr undankbare Angelegenheit. Ich muß ihr auch jetzt noch schreiben, ehe wir zum Nachtmahl gehen, deshalb schließe ich diesen Brief mit tausend, tausend Küssen an Alle. Wenn ich nicht einen Kalender mit dem letzten Bild von den 3 Buben oberhalb meines Betts hängen hätte, wüßte ich gar nicht mehr, wie sie aussehen. Entschuldige Hormayr, Jüdin im kommunistischen Widerstand. Zum Geburtsdatum, das mitunter fälschlich mit 8. Juni 1906 angegeben wird, Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Geburtsanzeige, Rz. 1475/1906. 14 David Schneider besaß neben seiner monatlichen Rente in Höhe von 1044 RM – auf die die nationalsozialistische Regierung ja noch die 20%ige Vermögensabgabe erhob – keinerlei Vermögen. Vgl. Verzeichnis über das Vermögen von Juden, David Schneider, 16. Juli 1938, AdR, Vermögensverkehrsstelle 18007. 15 Der Hintergrund dieser Bemerkung konnte nicht geklärt werden. Allerdings scheint es plausibel, dass sie in Zusammenhang mit einer Stelle aus Dok. 9 steht, in der es heißt  : »Bei Schwarzbarts Freund im Graben habe ich noch nichts ausgerichtet. Er ist momentan in England-Holland, kommt erst Donnerstag zurück. Franz ist noch immer in Wien, da seine Sachen noch immer nicht erledigt sein, er hofft, Ende nächster Woche fahren zu können«. In der Lindengasse 26 befand sich die Jerlaine Strick- und Jerseyfabrik – Viktors langjähriger Arbeitgeber. Möglicherweise ist mit dem im Satz zuvor genannten »F. Scherm« der Schneidermeister Franz Schermann gemeint, der sein Geschäft in der Laurenzgasse 5, knapp 2,5 km von Jerlaine entfernt hatte. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1939, Bd. 2, Teil IV, 393 bzw. Bd. 1, Teil I, 1111. 16 Paula Singer wohnte in der Penzinger Straße 87/3. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Paula Singer. Bezeichnend scheint die Formulierung zu sein, wonach Ella Wenger zu Frau Singer – die immerhin sieben Kilometer entfernt wohnte – ging  ; offiziell gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine Einschränkung der öffentlichen Verkehrsmittel für Jüdinnen und Juden, diese wurde erst 1941 erlassen. Doch war die Alltagsdiskriminierung erheblich, so dass das Prädikat vermutlich durchaus wörtlich zu nehmen ist. Vgl. Walk, Sonderrecht, 125 (I, 625), 349 f. (IV, 240 und 241).

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die Schrift, aber ich hoffe, Du kannst es lesen. Vielleicht werde ich auch noch maschinschreiben lernen zum gewöhnlich schreiben bin ich zu nervös. Tausend Küsse in Liebe Mutter

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19 Martha Wenger an Viktor Schneider Wien, 12./13. Februar 1939 1 S., masch. B.

Wien, 12.II.1939 Lieber Viki  ! Also heute gebe ich Dir eine Maschinschreibstunde.1 Man nehme ein Stück Papier und stecke es zwischen Walze und Rückwand. Rechts an der Walze das Papier hineindrehen. Der vordere Griff rechts lockert beim nach vorne drücken das Papier, der hintere schiebt den Wagen im Eilschritt nach links. Beim Einziehen des Papieres die Stange mit der Einteilung nach vorne stellen. Links ist der vordere Hebel die Zeileneinteilung, der rückwertige Hebel nach vorne gedrückt, ist der Endauslöser. Das ist sehr unbequem, weil man, wenn die Zeile zu Ende ist, immer links hinauf greifen muss, aber man gewöhnt sich daran. Wenn der Deckel auf die Maschine gegeben wird, muss der Wagen auf 42 stehen, sonst spiesst sich was. Das ist alles. Eurem Wunsche gemäss haben wir der kleinen Viktoria zu ihrem Geburtstag ein Torpedo geschenkt.2 Es hat RM 17.50 gekosten. Da wir nur mehr cka RM 10.– übrig 1 Gut zwei Jahre nach dieser Bemerkung wurde Juden auch der Besitz von Schreibmaschinen verboten  : »Sämtliche in jüdischem Privatbesitz befindliche Schreibmaschinen, Rechenmaschinen, Vervielfältigungsapparate, Fahrräder, Photoapparate und Ferngläser sind zu erfassen und abzuliefern«, Verordnung vom 13. November 1941, zit. nach Walk, Sonderrecht, 355 (IV, 264). 2 Die von den Brüdern Peter und Heinrich Weil gegründete Firma Torpedo stellte seit 1896 Fahrräder, seit 1906 auch Schreibmaschinen her, vgl. Dingwerth, Geschichte, 95 f. Im Kontext des Briefes erscheint es plausibel, einem kleinen Mädchen ein Fahrrad zu schenken, es sei denn, mit Viktoria ist die Schwester der Schreiberin und Frau Viktors, Elisabeth gemeint, die mit zweitem Namen Viktoria hieß. Da Martha Wenger – ausweislich einiger im Familienbesitz befindlicher Fotografien – 1939 nachweislich in Brüssel war (vgl. auch Dok. 52, Anm. 2), könnte sie ihrer Schwester zu deren bevorstehendem 40. Geburtstag dieses Geschenk mitgebracht oder später geschickt haben, wie es wenige Tage darauf mit einer Schreibmaschine für Elisabeths Mann Viktor geschieht, für die es heißt, Martha habe sich bereits »einen Ersatz geschafft« (Dok. 20). Die Praxis, von sich selbst oder der Adressat  :in in der dritten Person zu reden, kommt auch an anderen Stellen des Briefwechsels vor (vgl. von Martha Dok. 16, Anm. 5, von Ella Dok. 48 oder 53, Anm. 8  ; dort adressiert sie ihre Tochter Elisabeth eindeutig als Viktoria), sei es als spielerisches Element, sei es, damit diese im Fall einer Brieföffnung durch die Zensur nicht identifiziert und der Sachverhalt nicht zugeordnet werden konnten. Eine solche Interpretation würde auch die Bemerkung, wonach die »drei Buben« Viktorias Spielzeug nicht berühren dürfen, erklären, da sich alle Erwähnungen von drei Buben in dem Briefwechsel auf die Kinder Elisabeths beziehen.

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Abb. 8  : Martha Wenger bei einem Auf­ enthalt in Brüssel mit ihren drei Neffen Martin, Rudolf und Robert, undatierte Aufnahme.

haben, belasten wir Euch mit 7.50 oder sowas.3 Ich habe mit Mutter noch nicht genau abgerechnet. Bis wir mal hinaus kommen werden, haben wir wenigstens im Ausland ein Guthaben von sage und schreibe 7.50.–. Euren Brief mit Flugposteinlage von Franz haben wir bekommen. Wenn Ihr wollt, könnt Ihre einmal die Woche einen Flugpostbriefbogen uns einsenden und wir schicken ihn mit unserm Brief an Franz weiter.4 3 Hier wird die zielgerichtete staatliche Ausbeutung der jüdischen Bevölkerung offenkundig, nachdem bereits zuvor zahlreiche, deren Besitz betreffende Gesetze erlassen worden waren, von der Erfassung aller Vermögen über 5000 RM (26. April 1938) über die willkürlich erhobenen Zwangsabgaben für die jüdische Bevölkerung nach dem Attentat auf den deutschen Legationssekretär Ernst vom Rath vom 7. November 1938 und die Verordnungen zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben (jeweils 12. November 1938  ; für das ehem. österreichische Gebiet trat sie am 15. November in Kraft) oder der zum Einsatz des in jüdischem Besitz befindlichen Vermögens (3. Dezember 1938) bis zur Ablieferungspflicht für Gold-, Silberwaren und andere Wertgegenstände nur wenige Tage nach diesem Brief, am 21. Februar 1939. Vgl. Dok. 1, Anm. 5  ; RGBl. 1938, Teil 1, 1579 f.; 1709–1712, GBl. für das Land Österreich, 1938, 288  ; Walk, Sonderrecht, 223, 254 f., 283 (II, 457 f.; III, 8, 13, 146, 149). 4 Der Bruder von Martha Wenger und Elisabeth Schneider, Franz Wenger, war mit Familie nach Australien emigriert. Bis einschließlich 1943 hatte die jüdische Bevölkerung die Möglichkeit zum Briefverkehr

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Ich habe bereits alle Papiere an Franz geschickt, bin neugierig, was noch werden wird. Wegen Fina werde ich mich in der Ikg erkundigen.5 Heute ist eine Marie eingetreten.6 Ich glaube jetzt wird es was richtiges sein. Dieser Tage hat Frau Dittrich Mutter angerufen, 2 mal 6 Minuten. Sie wollte gar nichts, nur über Euch wissen, Grossvater soll sie doch besuchen. Sie klagte sehr, dass man überhaupt keine Dienstmädchen bekommt.7 Schröters gehen nach London.8 Er ist als Zahnarzt zugelassen. Heute habe ich einen

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mit dem Ausland. Dieses Recht wurde ihr jedoch mit dem 12. Januar 1944 genommen. Vgl. Walk, Sonderrecht, 402 (IV, 501)  ; zur Auswanderung Franz Wengers Dok. 8, Anm. 1  ; Dok. 18. Gemeint ist Josefine Schneider, die zu diesem Zeitpunkt kurz vor der Überstellung aus Kripo-Haft in das KZ Lichtenburg stand. Plausibel erscheint, dass die Familie von der 12 Tage später erfolgenden Verlegung bereits Kenntnis hatte  ; sie setzte jedenfalls zu diesem Zeitpunkt wie auch später verschiedene Hebel in Gang, um Josefine Schneider zu helfen, u. a. auch bei der Kultusgemeinde, vgl. die Dok. 20, 22, 37, 38  ; zu Josefine Schneider vgl. Dok. 18, Anm. 13. Es handelt sich um eine neue Haushaltshilfe, die zuvor bei Ella Wengers Bruder Julius Zappert beschäftigt gewesen zu sein scheint, vgl. die Dok. 20, 21 und 30. Die Person konnte nicht identifiziert werden. Die Emigration war für jüdische Hausangestellte deshalb einfacher als für andere möglich, weil sie im Ausland, insbesondere in England, infolge des dortigen Mangels an Dienstmädchen beste Chancen auf Erlangung eines Einreisevisums hatten. Die römisch-katholische Familie Dittrich klagte offenkundig über den Mangel an Dienstmädchen, der im Deutschen Reich nicht zuletzt eine Folge der Diskriminierung und Vertreibung der jüdischen Bevölkerung war. Vgl. Dok. 15, Anm. 5 sowie Hecht/Lappin-Eppel/ Raggam-Blesch, Topographie, 172 f. Es handelt sich um Bruno (*31. Mai 1899, Ellgoth bei Bielitz) und Therese (*14. August 1899, Wien) Schrötter. Beide arbeiteten als Zahnärzte in der Doblhoffgasse 7, wo sie auch wohnten, gut eineinhalb Kilometer von der Wohnung der Schreiberin entfernt, ebenfalls im I. Bezirk. Sie sind 1938 die einzigen Zahnärzte dieses Namens, die im Handels- und Gewerbeadressbuch Wiens geführt werden. Als Auswanderungsziel gaben sie auf dem Fragebogen der Auswanderungsabteilung der IKG im Mai 1938 an, dass sie mit ihren beiden Töchtern Anna (*15. Juni 1932) und Elisabeth (*20. Januar 1937) nach »Australien oder Amerika, oder auch sonst irgendwo hin« möchten und dort bereit wären, jede Erwerbstätigkeit – auch jenseits ihres erlernten Berufs – anzunehmen. Wie in Bezug auf die jüdische Bevölkerung insgesamt, so wurden auch die als jüdisch klassifizierten Zahnärzte systematisch aus ihrem Beruf herausgedrängt, etwa, indem den meisten von ihnen schon 1933 die Kassenzulassungen entzogen und sie dergestalt wirtschaftlich ruiniert worden waren. Zwischen 1. Januar 1934 und 1. Januar 1939 ging ihre Zahl auf dem Reichsgebiet von 1064 auf 372 zurück, mit der 8. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 17. Januar 1939 wurde der überwiegenden Zahl der Verbliebenen die Approbation entzogen  ; nur einige wenige erhielten das Recht, als »Zahnbehandler« der jüdischen Bevölkerung zu fungieren. Neben den USA und Palästina war vor allem Großbritannien Hauptziel der zur Emigration Gezwungenen – in denen freilich nur eine Minderheit von Ihnen wieder in ihrem erlernten Beruf arbeiten konnte. Bruno und Therese Schrötter hingegen gelang dies, er praktizierten spätestens nach dem Krieg als Zahnarzt, eröffnete eine Praxis in der St. John’s Avenue und setzte sich zudem 1952 nachhaltig für die Gründung einer Dental School in Israel ein. Therese Schrötter arbeitete zunächst im School Dental Service und erlangte 1957 die Berechtigung, wieder zu praktizieren. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Jerusalem, A/W 2607/3, Schrötter Bruno, Therese  ; Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 2, Teil III, 425 und 435  ; RGBl. I, 1939, 13 f.; Walk, Sonderrecht, 28 (I, 130)  ; Gross/Krischel, Zahnärzte  ; Schwanke/Krischel/ Gross, Zahnärzte und Dentisten  ; Krischel/Halling, Verfolgte Zahnärztinnen und Zahnärzte,

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kleinen Ausflug auf die Sofienalpe9 gemacht. Es war zwar so grundlos, dass wir auf der Fahrstrasse gingen, sehr stürmisch aber herrlich zum Auslüften. Dann habe ich mich beim Friseur Höhensonnen bestrahlen lassen, um10 Gebirgsluft vorzutäuschen. Jellineks haben eine Absage aus Australien bekommen,11 arbeiten aber trotzdem in derselben Richtung weiter. Freunds sind bereits über Frankreich nach Paraguay abgereist.12 Hoffentlich werden sie Glück haben. Kinder sind so komisch, die kleine Viktoria lässt keinen Menschen an ihr Spielzeug heran, nicht einmal die 3 Buben dürfen es berühren. Wahrscheinlich hat sie schon schlechte Erfahrungen gemacht, wenn man etwas abbricht, ist eine Reperatur sehr unangenehm. Wie du siehst habe ich eben das Farbband umgedreht, es war schon gar so blass. Habe ich Euch schon geschrieben, dass Emy Weiss uns besucht hat  ? Sie war sehr nett und entgegenkommend. Dienstag zieht Herr Freund13 endgültig ein. Hoffentlich bleibt es bei dem häuslichen Ministerium. Heute habe ich mit gutem Erfolg Wege gemacht und die Bewilligung bekommen, Euch zollfrei ein Päkchen zu schicken, d. h. abgabenfrei. Nächste Woche wollen wir es aufgeben. Jetzt werde ich wieder ein bischen »Australien« abschreiben. v. a. 3–6  ; zu Schrötters Praxis in London vgl. The London Gazette, 19. Dezember 1947, 6023  ; Zamet, German and austrian Refugee Dentists, 198, 210, 274. 9 Die im Westen Wiens gelegene, nach der Mutter Kaiser Franz Josephs benannte Sophienalpe war ein beliebtes Ausflugsziel der Großstädter. Das Hochplateau bot zahlreiche Wandermöglichkeiten, das auf 477m gelegene Restaurant war aber auch ohne körperliche Anstrengung durch die Knöpferlbahn, eine Standseilbahn, zu erreichen. Dass Martha Wenger die Seilbahn nicht nutzte, kann Zufall sein oder auf die Ängste verweisen, denen die Wiener Jüdinnen und Juden im öffentlichen Raum mitunter ausgesetzt waren. Da Juden der Besuch von Theatern, Kinos, Konzerten usf. bereits verboten war (die abendliche Ausgangssperre von 20 Uhr im Winter und 21 Uhr im Sommer galt zu diesem Zeitpunkt noch nicht), waren solche Ausflüge eine der wenigen Unterhaltungsmöglichkeiten. Vgl. Czeike, Historisches Lexikon, Bd. 5, 251f.; Walk, Sonderrecht, 255 (III, 12), 303 (IV, 2). 10 Im Original  : um um. 11 Vgl. zur Immigrationspolitik Australiens Dok. 8, Anm. 1, zu Hedwig und Otto Jellinek Dok. 15, Anm. 8. 12 Mit »Freunds« ist die Tochter von Heinrich Freund samt Familie gemeint. Paraguay war kein vorrangiges Emigrationsziel, nahm auch nur wenige Flüchtlinge und Exilanten auf. Zwar gab es auch dort Hilfsvereine, und bei Villarrica war schon 1937 mit Hilfe des Völkerbundes eine Urwald-Kolonie entstanden  ; doch zum einen war diese vorwiegend von Saarländern besiedelt, zum anderen galten die landwirtschaftlichen Kolonialisationsversuche in dem lateinamerikanischen Land als gescheitert. 1942 bildete sich, wie in anderen südamerikanischen Ländern auch, in Paraguay eine österreichische politische Exilorganisation. Nach dem Krieg zogen die meisten Immigrant:innen in andere lateinamerikanische Staaten oder nach Palästina weiter. Die dort verbliebenen jüdischen Immigrant:innen assimilierten sich kaum an bereits bestehende Gemeinden, sondern hielten strikt an ihren europäischen Riten fest. Welche Familie Freund hier gemeint ist, konnte nicht geklärt werden. Vgl. von zur Mühlen, Lateinamerika, 298–303. 13 Heinrich Freund, vgl. Dok. 15, Anm. 7.

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13. II. 1939 Heute Vikis Brief mit Dank bekommen. Ich interessiere mich natürlich wo ich kann für Fina. Die Briefe schreibe ich ab, weil wir eine Abschrift auch an Fritzis Mutter schicken.14 Gestern waren Mutter und ich am Friedhof. Ich lasse – durch meine Beziehungen gratis – statt der Blumen am Grabhügel eine sehr schöne Platte legen. Da braucht man dann nie sich um Grabpflege kümmern, immer ordentlich. Nur für das legen muss ich 20 RM zahlen, aus. Das machen jetzt viele Leute die fortgehen, sonst kostet so eine Platte allein RM 120.-.15 Euern Brief von Franz bekommt Ihr nächstens zurück. Ich schreibe schrecklich schlampig Maschine, weil ich nicht die Geduld habe. Mit Marie scheint es sehr gut zu gehen, sie ist sauber, ordentlich, kocht sehr gut, ist sympatisch, war fast immer nur bei Juden. Für heute genug, tausend Küsse Marthe

14 Gemeint  : Sofie Josefine Trager (geb. Seßler, *15. September 1885, Wien). Sofie Trager war 1910 aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch 1411/1885  ; ebd., Trauungsbuch, Rz. 461/1930. 15 Um welche Grabangelegenheit es sich handelte, konnte nicht geklärt werden. Es dürfte sich um das Grab von Martha Wengers 1934 verstorbenem Vater Hartwig handeln  ; denkbar ist auch, den Vorgang mit Ella Wengers einige Monate zuvor verstorbener Schwester, Adele Wappner, in Verbindung zu bringen. Vgl. Dok. 14, Anm. 1 bzw. Dok. 16, Anm. 4.

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20 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 17. Februar 1939 2 S., e. B.

17. Februar 39 Liebstes Lischen Heute wieder einmal ein Schreibebrief und keine Karte. Erstens will ich mich für die verschiedenen Brief-Karten und 2 mal Kaffeesendungen bedanken. Tee brauche ich nicht, den hat der »Herr« mitgebracht. Meine Wirtschaft ist noch immer nicht auf der Höhe. Dienstag ist H. Freund eingezogen, da gab es Rummel genug, jetzt ist schon so zimlich alles in Ordnung, und ich glaube auch zu seiner vollsten Befriedigung. Aber es gibt mehr Arbeit, als ich mir vorgestellt habe. Erstens das Zusammenräumen der 5 vollbenutzten Zimmer. Meine »Marie« kommt erst um ¼ 12 Uhr in die Küche, obwohl ich viel mehr helfe als je sonst, und früher aufstehe. Früher hat Martha ihr Zimmer überhaupt nicht benutzt, ich mein Schlafzimmer im Winter auch nicht. Jetzt sind unsere 2 Zimmer ein gemütlicher herrlicher Aufenthalt (allerdings wird bei der Martha (erstes Zimmer) geheizt.) Ich sitze momentan an Marthas Schreibtisch und schreibe. Der Marie ihr Kabinett ist vollgeräumt, also nicht gut zum aufräumen und das Zimmer des Mieters ist hübsch eingerichtet, aber viel drin zu tun. Also die Arbeit ist nun vielfach vermehrt. Auch sind jeden Tag 4 Ofen zu putzen und zu heizen. Allerdings 3 davon zünde ich an, und lege ich zu. Also ich muß schauen, daß ich bei der Sache wirklich verdiene. Sonst steht das Ganze nicht dafür. H.  Freund ist ein feiner netter Herr, angeblich anspruchslos. Doch muß in der früh 8 Uhr im Speisezimmer schon warm sein, die Zeitung schon da sein, das Frühstück sehr heiß auf den Tisch kommen, um ½ 8 ein Topf mit heißem Wasser, Mittag immer Suppe, kein Schweinefleisch, kein Kochsalat, kein Spinat, nur sehr weißes fettloses Fleisch, nach dem Essen schwarzer Kaffee, am Abend außer dem Nachtmal ein Salzstangerl, Qargel1, Bier (da muß man extra hinunter gehen), 3 geschabte Äpfel und einen Eibischtee mit Honig zu Bett  : Also Ansprüche genug. Meine Marie, mit der ich ganz zufrieden wäre, hat mir gestern erklärt, sie kann sich nicht eingewöhnen und will gehen, doch hat sie sich zureden lassen, doch zu bleiben, ich weiß aber nicht, ob es einen Halt hat. Also, du siehst, mir ist vor meiner Wirtschaft reichlich mies. An 1 Bei Quargel handelt es sich um einen aus Sauermilch hergestellten Käse.

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allem ist die Käthe schuld, wenn sie nicht sich einreden hätte lassen, sie soll den Posten von der Nettl Mitzi übernehmen, hätte ich meine Wirtschaft ohne »Herrn« so weiter geführt, bis an mein seeliges Ende. Dabei ist die Käthe totunglücklich, ihr Finger ist noch immer nicht geheilt, sie mußte von ihrem Posten bei dem arischen Hofrath fortgehen, da sie nicht arbeiten konnte, ist momentan postenlos. Aber vielleicht wird sich bei mir wieder alles zum Guten wenden, und ich werde mit dem Einkommen bei der ganzen Geschichte zufrieden sein. Ich schicke Viki die Rechnung von der Schreibmaschiene, vielleicht braucht er sie. Hoffentlich brauche ich kein Zoll für das Koffertuch2 zahlen, Martha wollte es doch draußen haben, vielleicht kann man es verwenden. Die Handtücher gehören auch Martha. Ich bin schon sehr neugierig, wann die Schreibmaschine kommt und wie alles war. Ich habe sie Mittwoch früh aufgegeben. Martha hat sich schon einen Ersatz geschafft. Martha bemüht sich sehr, etwas für Fina zu erreichen. Hoffentlich gelingt es ihr. Der Grossvater, der sehr oft kommt, und heute auch hier war, läßt Viki sagen, er hat an Hr. Philipps Photos von Fina geschickt, so wie er es verlangt hat. Außerordentlich nett war das kl. Fräulein, die von euch Grüße brachte.3 Martha hat sie gar nicht gesehen, da sie ihre Skivereinsleute bei sich eingeladen hatte, und stark beschäftigt war. Sie ist so glücklich mit ihrem Zimmer, daß sie sich Leute dazu eingeladen hatte. Nächstens will sie sich die Büroleute auffordern. Anbei schicke ich Euch ein Bild von mir, das ich für Australien machen lassen mußte, es ist ganz gut. Hoffentlich kommt nächstens wieder ein etwas weniger meschuggener Brief. Bis dahin tausend Küsse an Alle Mutter Made ist sehr erfreut gewesen, daß Martin ihr Lied noch kann  !  ! Sie läßt grüßen, sie kommt noch jeden Donnerstag zu mir.

2 Bei Koffertuch handelt es sich um eine Art Leinwand, die als Kofferfutter oder Kofferbeschlag verwendet wurde. Möglicherweise wurde dieser benötigt, weil der in die Schweiz emigrierte Bruder Viktors, Georg Schneider, der Familie Geld im Futter eines Koffers nach Belgien schickte. Vgl. den Art. Koffertuch im Deutschen Wörterbuch  ; o.A., Schneider’s Story, unpag. 3 Die Identität der beiden Personen konnte nicht geklärt werden.

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21 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 28. Februar 1939 2 S., e. B., e. Bem. von Martha Wenger

28/II 39 Liebes Lischen  ! Leider kann ich noch nicht auf der Schreibmaschine schreiben, sonst wären die Briefe viel schöner, aber es wird schon werden mit der Zeit. Martha hat dieselbe wie Viki zu eigen. Sie ist sehr glücklich damit. Ich habe heute Deinen Brief vom 25. bekommen, hoffe, daß Du einstweilen auch von mir Nachricht hast. Schrecklich leid ist mir Martin, daß er so arm war, natürlich seid Ihr mir noch mehr leid mit dem Schrecken mit dem Kind. Hoffentlich erholt er sich bald. Du Arme bist noch dazu allein ohne Viki bei dem Kind, und der ganzen Wirtschaft. Momentan ist meine »Marie« noch bei mir, aber sie sagt mir jeden Augenblick, wie schrecklich es ist, wenn man nicht sein eigener Herr ist, sie trachtet darauf, so bald als möglich sich selbstständig zu machen. Um sie persönlich ist mir nicht leid, nur der Gedanke eines Wechsel ist gräuslich, aber vielleicht kommt dann die Perle. Ich schicke Dir Franzens letzten Brief, allerdings ist Fritzis Brief nicht dabei, der totunglücklich ist. Sie kommt mit der Arbeit nicht zu recht und wahrlich nicht mit der Kocherei. Martha hat ihr 3 Seiten maschingeschrieben Kochrezepte geschickt, vielleicht hilft ihr das ein bischen. Ich schreibe am Dienstag weiter, da ich Besuch bekommen habe (Fr. Czerwenka und dann die Katuschka) und aufhören mußte. Über unsern »Herrn« habe ich Dir noch gar nicht geschrieben. Er ist ein sehr feiner, ruhiger, sehr netter Mensch, und anscheinend sehr zufrieden, morgen bekommt er die Rechnung, ob er dann auch so zufrieden sein wird  ? Ich verlange zimlich viel, da sonst die ganze Mühe nicht dafür steht. Zins monatlich 50 RM, Essen (mit jeden Abend Bier, nachmittag sch. Kaffe, immer Suppe zu Mittag, eine menge Gemüse ißt er nicht, nur teure Gemüse wie Karfiol, Kohlsprossen, Schwarzwurzel etc., dann am Abend Butter, Käse und 3 Äpfel gerieben mit viel Zucker.) 100 M. monatlich, dann 10 Mark für Gas u. Licht (er schläft nämlich schlecht in der Nacht und sagt, daß er viel brennen hat. Die Wäsche extra. Ich muß nämlich die ganze Wäsche aus dem Haus geben, weil mir kein Mädel wäscht. Beheizung extra, da bin ich ein bischen gemein. Ich muß nämlich schon um 8 Uhr früh warm haben im Speisezimmer, da er um diese zeit zum Früstuk kommt. Also ich heiz schon zeitlich

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ein und dann sehr warm bis Mittag (er ist Vormittag ehe er weg geht im Speisezimmer Zeitung lesen). Vormittag wird in seinem Zimmer sehr geheizt, er ist sehr erfroren. Nun rechne ich ihm die Hälfte der Heizung an. Das halbe Speisezimmer und der Martha ihr Zimmer ist auf meine Rechnung. Den halben Februar hat seine Heizung 10 RM ausgemacht. 10 M. zahlt er dem Mädchen, da habe ich aber nichts davon, weil ich ihr 40  RM geben muß. Ich zahl davon 27, die Louisel 3, ist 30 und er 10. Dann hat er noch die Zeitung, das Telephon1 und den Aufzug. Also gar billig lebt der Mann nicht, aber er hat dafür ein angenehmes Heim. Momentan ist noch seine Tochter hier, die soll aber in 14 Tagen nach London. Ich habe gestern Käthe gesagt, sie soll bei der Kreisleitung2 anfragen, ob sie nicht wieder zu mir kommen kann, trotz alten Herrn. Sie möchte natürlich sehr gerne, da sie postenlos ist und noch immer den Finger muß lassen. Bei dem arischen Hofrat konnte sie wegen dem Finger nicht bleiben. Aber ich glaube, das wird nicht erlaubt sein.3 Bei mir ist eine neue Einführung  : Man muß nämlich allen Schmuck, Gold u. Silber abgeben.4 Schmuck habe ich so und so keinen, um die Silbersachen ist mir leid, die Silberkasette und die 2 Silberkörberl auf der Kredenz. Besteck muß man mir etwas lassen, da wir doch Mittag 5–6 Personen sind (wenn die Selle da ißt), mitnehmen kann ich mir so und so nichts. Man wird ja sehen. Freitag kommt die Swo zum Louiserl und dan will ich sie auch haben, ich habe noch von der Adele Sachen zu richten. Was brauchen die Buben, ich könnte ihnen jetzt schon etwas machen. Tausend Küsse Mutter Die5 Anfrage aus E wurde von Kg. um den 20.  II. beantwortet. Extra wird ein Brief geschrieben. Gesuch an Gestapo6 hat nur Zweck, wenn irgend eine schriftliche Antwort in Händen. 1 Die Nutzung von Telefonen war Juden zu diesem Zeitpunkt noch erlaubt. Mit 29. Juli 1940 wurde ihnen, mit Ausnahme weniger Privilegierter, das Führen jeglicher Telefongespräche dann verboten. Vgl. Ueberschär, Reichspost, 189. 2 Der Kreis war eine Gebietseinheit der Partei, deren oberster Führer der hauptamtlich tätige Kreisleiter war. Der Umfang des Kreises entsprach in der Regel der städtischen bzw. kommunalen Verwaltungseinheit. Vgl. Dörner, Art. Kreis/Kreisleiter. 3 Vgl. zur Beschäftigung nichtjüdischer Angestellter bei Jüdinnen und Juden Dok. 13, Anm. 10. 4 Die Ablieferungspflicht für »Gold, Platin oder Silber sowie Edelsteine und Perlen« war für Jüdinnen und Juden eine Woche vor diesem Brief, am 21. Februar 1939, eingeführt worden, was die Beraubungspolitik gegenüber der jüdischen Bevölkerung fortsetzte. Vgl. Dok. 1 (Anm. 5), 8 (Anm. 3), 19 (Anm. 3). 5 Der folgende Absatz ist seitlich in Martha Wengers Handschrift im rechten Winkel auf der ersten Seite des Briefes über das gesamte Blatt nachgetragen. Mit »E« ist möglicherweise England, mit »Kg.« sicherlich die Kultusgemeinde gemeint. 6 Die für die Auswanderung eigentlich zuständige Stelle war die Zentralstelle für jüdische Auswanderung (vgl. Dok. 11, Anm. 4). Erst im März 1943 wurden der Gestapoleitstelle Wien Aufgaben in so

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22 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 5. März 1939 2 S., e. B.

Sonntag 5. März 39 Liebstes Lischen  ! Eigentlich wollte ich sofort nach Erhalt deines Sonntag-Briefes antworten, weil er so lieb und gut und brav war, er hat mich sehr sehr gefreut. Aber Du machst Dir über mich viel mehr Sorgen als notwendig. Ich gehe mit Euch ans Ende der Welt, ich habe keine Angst vor einer langen Seefahrt, noch vor einem andern Klima. Hoffentlich bleibe ich noch so lange so gesund, als ich jetzt bin, denn so bald wird eine Vereinigung nicht sein. Einstweilen fühle ich mich hier ganz wohl, unser »alter herr« ist sehr nett, und wie ich glaube einträglich, die Wirtschaft geht momentan ganz gut, ich plage mich gar nicht, habe viel Zeit für mich, meine Arbeit (jetzt habe ich der Martha 2 rosa Combinationen gemacht) und mein Vergnügen. Du wirst vielleicht erstaunt sein über das Wort »Vergnügen«, aber ich könnte, wenn ich wollte, viel mehr Nachmittag fortgehen, da ich doch einige Leute besuchen kann, das genügt schon, weil man das Gefühl hat, man kann fortgehen, daß ich dann doch größtenteils zu Hause bleibe, ist meine Sache. Heute war ich bei Zapperts. Julius ist recht gut beinander, lernt Englisch und denkt bald nach England zu kommen, natürlich macht er sich große Sorgen wegen der Gerti oder vielmehr wegen dem Schwiegersohn, der ein lebensuntüchtiger Mensch ist. Ganz besonders reizend ist Lisl Schiff, mit der ich sehr gut bin. Sie ist eine gescheite, tüchtige, gute Person, die dem Julius das heim schön und gemütlich macht. Ihre Tochter Garda ist in Amerika und hofft, daß sie bald hinkommt. Aber das was mir mein Hiersein so bezeichneten »jüdischen Angelegenheiten« übertragen. Allerdings kooperierten beide insofern schon zuvor, als die Gestapo seit jeher einen erheblichen Auswanderungsdruck auf die jüdische Bevölkerung ausgeübt hatte. Andererseits gilt es zu beachten, dass Zentralstelle und Gestapo rivalisierten, indem sie jeweils um mehr Macht und um größeren Einfluss konkurrierten  ; an der Verfolgung der Jüdinnen und Juden bereicherten sich hingegen korrupte Beamte beider Behörden. Es erscheint daher zweierlei möglich  : Entweder beschreibt Martha Wenger hier den verzweifelten Versuch, sich mit der Wendung auch an die Gestapo bessere Ausreisechancen zu sichern  ; wahrscheinlicher ist, dass Martha hier ihre bereits in den Dok. 19 und 20 thematisierten Versuche, bei der IKG etwas für ihre Schwägerin Josefine Schneider zu erreichen, konkretisiert. Dies würde nahelegen, dass die Familie zunächst versuchte, sie nach England zu vermitteln, so wie es später in die Schweiz versucht wurde. Vgl. Dok. 24 sowie Anderl/Rupnow, Zentralstelle  ; Tausendfreund, Erzwungener Verrat, 248–252.

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sehr verschönert, sind die Besuche bei Dr. Thenen.7 Wir sind sehr gut miteinander, und ich freue mich jedes mal, wenn ich hingehe. Da er herzleident ist und oft recht elend, haben wir ausgemacht, daß er mich immer anruft, wenn ich hinkommen soll, das ist gewöhnlich alle 3 Wochen von 5 – ½ 7 Uhr, fast immer Donnerstag. Da ich diesen Donnerstag auch dort war, habe ich sehr an Dich gedacht, ob Ihr doch zu F. Salomons gehen konntet, ob unser Süsses schon so wohl ist. Natürlich erzähle ich allen Leuten die Aussprüche von Martin, besonders der Großvater, der heute wieder da war, interessiert sich sehr dafür. Von Georg habe ich heute einen Brief bekommen mit einer Einlage, die Martha weiter geben soll, eine Anfrage für Fina nach der Schweiz. Vielleicht kann man doch etwas richten. Der Martha habe ich Deine Bitte wegen Kinderwäsche gesagt, ob sie etwas machen kann, weiß ich nicht, ich spreche sie fast gar nicht oder vielmehr sehr wenig, sie ist noch immer stark beschäftigt. Gestern war die Swo da, aber nicht bei mir, sondern bei der Tante Louisa. Sie läßt die Süssen alle grüßen. Ich will sie auch kommen lassen, da ich noch Kleider von der Tante Adele zu richten habe. Schade, daß das kleine Fräulein (ehemalige Burokolegin von Viki) nicht wieder nach Wien kommt und uns besucht, ich könnte sie sehr gut brauchen.8 Der Großvater hat Hn. D. Heller gesprochen, die wollen nach Amerika,9 vielleicht fahren sie durch Belgien, dann werden sie Euch besuchen. Ich freue mich wieder »reiben« zu können, ich erspare sehr viel dabei, fürchte nur, Ihr macht Euch zu viel Ausgaben. Grossvater hat gemeint, er braucht das nicht  ! Ich habe noch von Euch Allen außer meinen Passbilder, soll ich sie schicken  ? Bitte mir Maße von den Kindern  !  ! In inniger Liebe Mutter 7 Dr. Josef Thenen (*21. August 1866, Galat  ; gest.15. Januar 1949, Braila). Der Internist Thenen war Hofrat und seit 1920 Präsident der Wiener Ärztekammer. Als Jude unterlag er nicht nur beruflich den diskriminierenden Gesetzen der Nationalsozialisten  ; 1939 wurde ihm seine Wohnung in der Ferstelgasse 1 gekündigt. Daraufhin meldete er sich am 14. Oktober 1939 gemeinsam mit seiner zweiten Frau nach Rumänien ab. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Josef Thenen sowie den sechsten (61–67) und achten (224–228) Restitutionsbericht der Stadt Wien. 8 Die Identität der Person konnte nicht geklärt werden, ebenso wenig die der nachfolgend erwähnten Frau Schern. 9 Es dürfte sich um Dr. Leopold Heller (*11. Dezember 1904, Wien) handeln, einen Wiener Lungenfacharzt, dessen Schwester Martha bereits mehrfach in dem Briefwechsel auftaucht (vgl. Dok. 5, 11, 13). Die ledige Martha Heller gibt auf dem von ihr eingereichten Auswanderungsbogen an, mit ihm sowie einem weiteren Bruder, zwei Schwestern, einer Schwägerin, deren beiden Kindern und dem Bräutigam der Nichte nach »Südamerika oder Palästina« emigrieren zu wollen. Für Leopold Heller gibt es keine Meldeunterlagen aus der Vorkriegszeit. Einem Nachkriegseintrag nach – er war seit Juli 1948 wieder in Wien gemeldet – war er zuvor in der Schweiz (Basel) registriert, wo er den Krieg überlebte. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Leopold Heller  ; Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Martha Heller, 19. Mai 1938, Auswanderungskartei 2589/48, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI)  ; Dok. 5, Anm. 8 und 13, Anm. 1  ; zur Emigration in die USA vgl. Dok. 13, Anm. 4.

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Frau10 Schern kommt gar nicht mehr nach Wien  ? Sie soll uns doch auch besuchen  ! Ich schicke Dir die Handschuhe von Martin, es sind einstweilen Fingerhandschuhe geworden und ein schönes Kapperl. Die nächste Mütze traue ich mich gar nicht mehr zu schicken.

10 Die beiden nachfolgenden Sätze sind auf dem Kopf stehend am oberen Rand des Briefpapiers auf der ersten (erster Satz) bzw. der zweiten Seite des Briefes nachgetragen.

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23 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 13. März 1939 1 S., masch. B. mit e. Schlusssatz

13 MÄRZ 1939 Liebe Liesi Heute schreibe ich zum ersten Mal mit der Schreibmaschiene es geht noch recht langsam aber mit der Zeit wird es schon besser gehen. Ich darf doch den Kindern nicht nachstehen. Ich habe mich mit ihren Brief sehr gefreut. Jetzt hoffe ich aber bestimmt bald die Maße von den Kindern zu bekommen da ich schon alles vorbereitet habe, es ist Dein alter Mantel, da der noch sehr gut, ist nur ein bischen licht, aber das macht nichts es ist ein ausgezeichneter Stoff und noch tadellos. Auch habe ich noch den Schnitt von Martins Pyjama, ich will nur wissen, ob ich sie größer machen soll. Einer wird herrlich schön sein, weil ich dein geschossenes lichtblaues Kleid zertrennt und gewaschen habe und daraus einen machen werde, für die andern werde ich etwas kaufen, es wird kein Vermögen kosten. Ich freue mich schon, wenn ich daran arbeiten kann, momentan habe ich Zeit genug. Die Martschi läßt Dir sagen, daß das Frl. Schwarz1 Donnerstag um 2 Uhr mit dem Luftschiff über Brüssel nach London fährt, wann es in Brüssel ist, weiss sie nicht, wenn Du oder Viki Lust hast hinzugehen, würde sie sich gewiß freuen, aber notwendig ist es nicht, sie muß geschäftlich hin, kommt gleich wieder nach Wien. Sie wird höchstens Grüße von uns bringen. Ich war gestern nach der Paula bei Zappert, die Lisel Schiff hat mich aufgefordert, ich soll bei Nachtmahlen, es war sehr gemütlich, wir verstehen uns sehr gut und sind auch gestern per Du geworden. Onkel Julius hat sich auch gefreut, daß ich da war, er denkt schon sehr ans Fortgehen und hat jetzt schon ein schweres Herz, auch macht er sich Sorgen über die Gerti und ihren Mann, die nicht so leicht fortkommen werden, da er sehr schwerfällig ist, anderseits würde er nie fortgegangen sein, wenn Gerti allein hier geblieben wäre. Liesl Schiff wird zu ihrer Tochter nach

1 Gemeint ist Rosa Rachel Schwarz, die als Leiterin der Jugendfürsorge der IKG die zentrale Figur der Kindertransporte war. Tatsächlich reiste Rosa Schwarz im März 1939 für 14 Tage nach Großbritannien, um mit nicht näher spezifizierten Londoner Stellen Fragen der Kindertransporte zu verhandeln. Vgl. Curio, Verfolgung, 72–75  ; Dies., Unsichtbare Kinder, zu Rosa Schwarz v. a. 65.

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Amerika,2 die dort schon etwas verdient. Ich war sehr froh, nach der Paula etwas Aufheiterung zu haben, sie war nämlich sehr melancholisch, da ihre Schwägerin, die Frau von ihrem Bruder Hartwig in London, nachdem sie ein paar Tage dort war, gestorben ist,3 wenn Du sehr nett sein willst, so kannst Du ihr kondulieren, aber es muss nicht sein. Daß ich ihr alle Briefe vorlese, die ich von Dir bekomme, kannst Du dir denken, natürlich nur die, wo nicht so viel steht von der Möglichkeit eines Wegfahren von mir, denn darüber darf ich gar nicht reden, aber von den Kindern will sie alles wissen, ich freue mich, wenn Du etwas über sie schreibst. Ich danke Dier vielmals für die letzte Sendung, die ist gerade zurecht gekommen, sonst hätte ich kaufen müssen. Der Großvater war heute Vormittag wieder da, er hat gar nichts wollen, ich glaube nur ein bischen wärmen, es ist nämlich wieder sehr kalt geworden, wir waren nie so gut miteinander wie jetzt, ich glaube, er lebt gar sorgenlos, höchstens wenn mit seinen Bruder einen Krach hat, aber er ist eigentlich immer vergnügt. Heute haben wier großen Feiertag,4 alle Geschäfte gesperrt, aber die Martschi hat doch Büro, und Abend oder vielmehr in der Nacht ist wieder Kindertransport, da muß sie auf der Bahn sein, sie freut sich aber sehr, wenn wieder Kinder fortkommen.5 Ich bin mit meinem alten Herrn sehr zufrieden, nur leider fährt am Samstag seine Tochter nach London, da wird er sehr unglücklich sein und wahrscheinlich viel mehr zu Hause. Ich habe zu dem Brief doppelt so lange gebraucht, als wenn ich mit der Hand 2 Bei der Tochter handelt es sich um Hildegard Karplus. Vgl. Dok. 4, Anm. 5. 3 Die Rede ist von Minnie Maria Fischel (geb. Kent, *11. September 1863, gest. 25. Februar 1939, London). Sie war die Ehefrau Hartwig Fischels (*23. April 1861, Wien  ; gest. 31. März 1940, Surbiton), des Bruders von Paula Singer, der engen Freundin Ella Wengers. 1938 floh Fischel vor den Nationalsozialisten in die Heimat seiner Frau, nach Großbritannien. Vgl. Scheidel, Art. Hartwig Fischel im Architektenlexikon Wien. 4 Der 13. März war der Jahrestag des Anschlusses von Österreich an das Deutsche Reich. 5 Martha Wenger begleitete in ihrer Funktion für die IKG zwar mehrere Kindertransporte, doch war sie in diesem Fall als Begleitperson der IKG am Bahnhof, wie aus weiteren privaten Dokumenten der Familie Schneider hervorgeht. Aus diesen wird auch ersichtlich, wie emotional und psychologisch belastend diese Aufgabe war. Ein anderer Verantwortlicher der IKG berichtet im selben Sinn über diese Arbeit  : »›Die Polizei bestand darauf, dass die Eltern ihre Kinder nicht zum Zug begleiten durften […], dass der Abschied nicht in der Öffentlichkeit bemerkbar sein durfte.‹« Den Mitarbeiter:innen der IKG oblag es, die Eltern von ihren Kindern in einem separaten Warteraum zu trennen. »›Und ich bat sie um Verständnis und um ihre Mithilfe, weil nur ihre Zurückhaltung die Weiterführung der Transporte garantieren könne. […] Später habe ich mich oft gefragt, woher ich den Mut hatte, dies den Eltern zu sagen. Ich kann nur sagen, dass wir damals nicht wussten und es auch nicht vorhersehen, nicht einmal ahnen konnten, dass es für die meisten von ihnen der Abschied für immer sein würde, dass die meisten Kinder ihre Eltern nie wieder sehen würden‹« (zit. nach Benz, Zum historischen Kontext, 15). Vgl. zu den Kindertransporten Curio, Verfolgung, v. a. 64–99  ; Benz/Curio/Hammel, Kindertransporte sowie Dok. 15, Anm. 2  ; Hofreiter, Allein.

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geschrieben hätte, aber bis auf einige Fehler geht es schon viel besser, es macht mir auch sehr viel Freude. Ich schicke die Bilder von Euch, die ich doppelt habe. Martha hat gesagt, das Luftschiff fährt Wien – Berlin – London. Tausend Küsse Mutter

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24 Josefine Schneider an David Schneider Lichtenburg, 15. März 1939 2 S., e. B., 1 Beilage (Brief an Georg Schneider)

15. III 39 Lieber Vater  ! Besten Dank für Deinen lieben Brief und M. 50. 40 M müssen für die Fahrt bleiben, was mehr ist, kann ich zubessern. Das ist eine fabelhafte Leistung, daß Georg für mich ein Visum für die Schweiz hat, ich danke Dir auch sehr, daß Du alle nötigen Schritte so gut und rasch getan hast.1 Beiliegend sende ich Dir eine Vollmacht, bitte tue auch das Nötige, daß ich einen Pass bekomme. Lasse mich in den nächsten Tagen photographieren, schicke Dir dann die Passbilder. Für uns Wiener kommt nur die Wiener Kultusgemeinde in Frage. Daß Du mir kein Paket geschickt hast,2 war sehr gut, es geht alles auch so, Bluse habe ich geerbt, alles andere ist nicht so wichtig. Hatte zum Schluß noch 10 M. in Innsbruck, die wurden mir für Verpflegskosten abgezogen. Mein Gewicht hat sich überhaupt nicht verändert. Nach besonderer Erlaubnis kann ich Georg auch direkt schreiben. Erhalten kann ich Post ohne weiters von ihm im vorgeschriebenen Ausmaß. Bitte schreibe ihm das noch. Ist Onkel Joschko wieder zu Hause  ? Wie lange war er weg  ? Ich lerne englisch, ansonsten mache ich mich auf jede Mögliche Art nützlich, um mich für meine Tätigkeit im Hause zu trainieren. Es ist für mich ein Glück, daß Du Dich um mich kümmern kannst. Herzliche Grüße an Familie Grete, Onkel Simon, Rosl,3 was macht sie  ? Grüße und Küsse an Dich Fina 1 Ihrem in der Schweiz lebenden Bruder Georg war es gelungen, mit Hilfe einer »Garantie-Verpflichtung« des Verbandes der Schweizerischen Israelitischen Armenpflege ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht für seine Schwester »zum Zwecke der Erholung« beim Kanton Schaffhausen zu erwirken. Offenkundig ließen die nationalsozialistischen Machthaber Josefine Schneider aber nicht mehr ausreisen, sondern internierten sie seit 24. Februar 1939 im Konzentrationslager Lichtenburg, aus dem auch der vorliegende Brief stammt (vgl. Dok. 18, Anm. 13). Vgl. die Erklärung der Polizei- und Sanitätsdirektion des Kantons Schaffhausen, 18. Februar 1939, Privatbesitz der Familie Schneider. 2 Der generelle Empfang von Paketen wurde den Häftlingen in Ravensbrück erst im Oktober 1942 verboten (vgl. Morrison, Ravensbrück, 155), doch findet sich auf dem Brief Josefines vom 11. Juni 1939 (Dok. 27) bereits der Stempel »Pakete sind nicht mehr gestattet«. 3 Die Identität der Person konnte nicht geklärt werden.

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Abb. 9  : Josefine Schneider, un­ datierte Aufnahme.

1 Beilage4

4 Diese Bemerkung wurde von Josefine Schneider selbst eingefügt. Auch der nachfolgende Brief an ihren Bruder liegt nicht im Original, sondern in der direkt an ihren eigentlichen Brief anschließenden Abschrift Josefine Schneiders bei.

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24 Beilage Josefine Schneider an Georg Schneider Lichtenburg, [o. Datum] 3 S., e. B. als Abschrift Beilage zur Brief 24

Lieber Schorschi. Ich werde von allen wie ein Wundertier angestaunt, daß ich ein Visum für die Schweiz habe.1 Das ist eine fabelhafte Leistung von Dir. Mit Worten kann ich Dir nicht danken. Bekam von Innsbruck eine Menge Post nachgeschickt, da ich nur einen Brief schreiben darf, bitte ich Dich, nach meinen Angaben zu antworten. Schicke mit gleicher Post eine Vollmacht für Vater für meinen Pass. Ob ich enthaftet werde, habe ich keine Ahnung, freuen traue ich mich nicht mehr. Danke für Deine Karte vom 12/II . Vicki lasse ich für seinen Brief ebenfalls danken. Er fragt an, ob ich einen gültigen Pass habe  ? Nein. Ob man für mich intervenieren kann. Das tat Vater ja bereits. Innerhalb welcher Zeit ich ausreisen kann  ? Wenn ich das wüßte, wäre mir wohler. Seine Bemühungen waren auch von Erfolg begleitet. Erna B. Phillips (ist das seine ehemalige Kollegin  ?3) schrieb 1 Die Hoffnung auf Entlassung dürfte sich aus dem Umstand genährt haben, dass es zumindest den Sonderhäftlingen möglich war, mit einer Auswanderungserlaubnis freizukommen. Das hier genannte Zielland, die Schweiz, verfolgte eine ausgesprochen restriktive Immigrationspolitik, die Flüchtlinge nicht aufnehmen wollte, sondern ihnen überwiegend nur vorübergehend Zuflucht bot und sie dann zur Weiterreise nötigte. Auch der Umgang mit politischen Flüchtlingen, als die Josefine Schneider infolge ihrer kommunistischen Vergangenheit ja gelten konnte, war streng  : Zwischen 1933 und 1939 wurden lediglich 392 Einreisanträge positiv beschieden, und auch deren Antragsteller:innen wurden rasch zur Weitermigration gedrängt. Es war überdies die Schweiz, die nach einer Einreisewelle von 3000 bis 4000 österreichischen Juden nach dem Anschluss anregte, die Pässe deutscher und österreichischer Juden mit einem »J« zu versehen  ; im Sommer 1938 verhängte sie überdies eine Einreisesperre (vgl. allerdings zu dessen Umgehung durch den St. Gallener Polizeikommandanten  : Keller, Grü­ningers Fall). Trotzdem war Jüdinnen und Juden die Möglichkeit einer legalen Einreise nun praktisch unmöglich  ; tatsächlich gelangten bis Ende 1938 aber etwa weitere 2500 österreichische Jüdinnen und Juden (bzw. Menschen, die als jüdisch galten) in die Schweiz. Umso erstaunlicher ist es, dass es ihrem Bruder Georg gelungen war, eine offizielle Einreisemöglichkeit für Josefine Schneider zu erlangen, vgl. Dok. 24. Vgl. Bergier u. a., Schweiz, Nationalsozialismus, v. a. 107–111  ; zur Zurückweisung der Flüchtlinge an der Schweizer Grenze auch 119 f.; zu österreichischen Flüchtlingen in der Schweiz Hoerschelmann, Exilland Schweiz, im Überblick zur Schweiz als Flüchtlingsziel auch Wichers, Schweiz, v. a. Sp. 376. 2 Es folgt eine weitere Ziffer, doch ist das genaue Datum infolge von Papierschäden nicht zu lesen. 3 Die Person konnte nicht identifiziert werden. Möglicherweise steht sie in Verbindung zu dem in Dok. 20 genannten Herrn Philipps.

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Abb. 10  : Aufenthaltserlaubnis der Schweizer Behörden für Josefine Schneider, 18. Februar 1939.

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Abb. 11  : Die Geschwister Josefine und Georg Schneider, um 1921.

mir, daß sie sich für mich verwendet hat, und diese Dame schrieb mir einen reizenden Brief, ich bitte Dich, für mich zu antworten. Adresse  : Mrs. E. O. Hollis, 7 Buckland Hill, Maidstone, Kent  : Besten Dank, bin deutsche Staatsbürgerin. Schilderung des in Frage kommenden Postens hat mich begeistert. Bin leider außerstande, den Zeitpunkt meiner Abreise angeben zu können. Ärztliches Zeugnis und Bilder habe ich noch nicht, kann vielleicht in 14 Tagen schon schicken. – Das ist eine Stellenvermittlung, es ist ein Posten für eine Obstfarm am Land, sie schreibt, daß diese Dame bereits um Permit angesucht hat, Gehalt Pf. 39 – vorerst. Schreibe ihr halt, was Du weißt und sei liebenswürdig. Entschuldige, daß ich nicht selbst antworten kann. Es ist furchtbar, daß ich Euch allen so zur Last fallen muß, Vater schickte mir 50 M., vielen vielen Dank. Wie geht es Dir  ? Ich bemühe mich, nicht hysterisch und nervös zu werden. Küsse Fina

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25 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 11. April 1939 1,5 S., masch. B.

11 April 1939. Liebstes Lischen  ! Heute kommt ein richtiger Geburtstagsbrief,1 aber ohne sentimental zu sein, nur mit dem bestimmten Gefühl, nächstes Jahr kann ich Dir schon ein Bussel geben, und das wird sehr fest sein, ich freu mich jetzt schon drauf, ob das in Brüssel, auf hoher See oder in dem gelobten Land auf einer Farm sein wird, ist mir ganz gleich. Jedenfalls werden wir zusammen sein  !  !  !  ! Ich will Dir ein kleines Geschenk machen, aber es kommt erst ein paar Tage später, da es momentan noch nicht fertig ist, und zwar eine gestrickte Bluse, die dir Luise macht, ich glaube Du wirst sie brauchen können und sie wird passen, die Luise hat der Martha dieselbe diesen Winter gemacht, sie ist sehr gut ausgefallen und ganz hübsch, außerdem ist von dieser Bluse so viel Wolle übergeblieben, daß noch eine für Dich herausgeht, es ist zwar nicht sehr nobel, wenn ich Dir das schreibe, aber Du machst Dir wenigstens keine Gedanken, dass ich zu viel Geld ausgegeben habe. Nächstes Jahr werde ich Dir dann schon ein Kleid oder eine Bluse oder Schürzen oder Hemden nähen, da haben wir ja schon meine Nähmaschine. Jetzt heißt es halt Geduldt haben, dann wird es erst recht schön werden. Von hier ist nicht viel zu berichten, es geht uns allen gut. Martha hat heute einen Ausflug gemacht, es ist herrliches Sommerwetter, gestern war ich bei Zapperts. Onkel Julius macht schon große Vorbereitungen zu seiner Abreise, ist sehr sentimental und aufgeregt, besonders weil er sich große Sorgen über Gerti macht, deren Mann ein lebensuntüchtiger Mensch ist. Onkel hat mir Deinen Brief zu lesen gegeben, den Du ihm zum Geburtstag geschrieben hast,2 er ist begeistert davon, wie er überhaupt von Dir das Beste und Schönste spricht, auch Gerti kann Dir nicht genug dankbar sein für Deine Briefe, die für ihre Ehe sehr von Nutzen sind. Sehr begeistert ist der Onkel anscheinend nicht von dem Schwiegersohn, doch ist er besser wie nichts. Martha hat große Rosienen im Kopf, und zwar wird sie vielleicht einen Kinderzug nach Schweden

1 Ihre Tochter Elisabeth Schneider feierte am 14. April ihren 40. Geburtstag. 2 Julius Zappert war am 2. April 72 Jahre alt geworden.

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Abb. 12  : Julius und Cornelia (»Nelly«) Zappert mit ihren Kindern Johanna, Gertrud und Karl, 1921.

begleiten3 und sich dann auf 8 Tage Urlaub nehmen und nach Kopenhagen fahren, allerdings muß sie erst die Erlaubnis von der GESTAPO haben, daß sie wieder zurück kann,4 dann würde sie jetzt nicht mit dem Kinderzug nach London fahren, wie sie erst beabsichtigt hat, Euch jetzt nicht besuchen, aber, wie sie sagt, wird dies bestimmt später einmal sein, da ja sehr viele Züge nach England gehen und sehr wenige nach 3 Vermutlich handelt es sich um den Transport vom 23. April 1939, mit dem 46 Kinder nach Schweden gebracht wurden. Insgesamt hatte sich nach dem Novemberpogrom die Aufnahmebereitschaft europäischer Staaten gegenüber den drangsalierten Menschen – vor allem gegenüber jüdischen Kindern – verbessert, so dass seit Dezember 1938 diese mit Kindertransporten in Sicherheit gebracht werden konnten. Martha Wenger bekam für Ihre Begleitung am 12. Mai von der IKG eine Sonderzulage sowie eine Spesenerstattung. Aus zwei Briefen Ella Wengers an Kamma Melchior vom 11. April bzw. 8. Juni 1939 (Privatbesitz Martin Schneider) geht zudem hervor, dass sich Martha im Anschluss an den Kindertransport tatsächlich für einige Tage bei den Melchiors in Kopenhagen aufhielt. Vgl. Personalkarte Martha Wenger, Archiv IKG Wien, Bestand Wien, A/VIE/IKG/I-III/PERS/Kartei, K22 sowie die Aufstellung von Kindertransporten in  : Widerstand und Verfolgung in Wien, 274  ; Curio, Verfolgung  ; AdlerRudel, Selbsthilfe, 118 f. 4 Eine Rückkehrerlaubnis einzuholen war notwendig, da die Nationalsozialisten im Sinne ihrer rassistischen Politik auf eine dauerhafte Vertreibung der jüdischen Bevölkerung setzten und die Rückkehr der als politische Emigranten Geltenden mit Konzentrationslagerhaft bedrohten. Vgl. Tutas, Nationalsozialismus, 115  ; Eckert, Jüdische Emigration, 211 (Dok. 458).

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Schweden,5 doch sicher ist alles noch nicht. Jedenfalls ist sie schon sehr aufgeregt, das wird sich die nächsten Tage entscheiden. Auch weiß sie nicht, ob sie überhaupt einen dänischen Pass bekommt.6 Ich habe heute in der Früh beim Einkaufen in das Briefkastel geschaut, da war nichts von Euch drin, vielleicht ist jetzt, wenn ich fortgehe, den Brief aufgeben, ein Brief da, den werde ich auf der Post bestätigen. Einstweilen viele viele Bussi von Deiner Dich heiß liebenden Mutter

5 Tatsächlich nahm Großbritannien von den 3253 Kindern, die zwischen Dezember 1938 und August 1939 in den sogenannten Kindertransporten Österreich verlassen konnten, 2730 auf, Schweden nur 92. Vgl. Curio, Verfolgung, 64  ; ältere Zahlen bei Adler-Rudel, Selbsthilfe, 118 f. und 217 f.; vgl. zu den Kindertransporten nach Großbritannien auch die Beiträge in Benz/Curio/Hammel, Kindertransporte. 6 Mit dem »dänischen Pass« ist eine Einreiseerlaubnis in das skandinavische Land gemeint. Dass die Schreiberin an der Erteilung einer solchen zweifelte, dürfte seine Ursache in der restriktiven Flüchtlingspolitik Dänemarks haben, das seit Oktober 1938 jüdische Emigrant:innen bereits an seiner Grenze abwies, und ist ein Hinweis auf die zunehmende Verzweiflung, die die Jüdinnen und Juden ob der Flüchtlingspolitik des Auslands erfasste. Allerdings gelang es Martha Wenger im Rahmen ihrer Arbeit, nach Kopenhagen zu gelangen. Vgl. Dok. 28  ; Lorenz, Dänemark, v. a. Sp. 204.

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26 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 5. Mai 1939 1,5 S., masch. B.

5. Mai 1939 Liebes Lieschen  ! Eigentlich bin ich schon beim Kartenspiel mit Louiserl eingeschlafen, es ist auch schon nach 10 Uhr, aber ich will doch noch an Euch schreiben aus folgendem Grund. Ich habe heute von der Bank einen Brief bekommen, dass mir 100  RM zugestanden werden1, aber ich muss eine steuerliche Unbedenklichkeitserklärung bei dem für den Kontoinhaber zuständig gewesenen inländischen Finanzamt beibringen. Nun weiß ich nicht, ob ich da hingehen soll, wo der Viki die Unbedenklichkeit bekommen hat. Ob das in Floridsdorf oder in dem Rathaus ist  ?2 Jedenfalls, bist Du so gut und schreibst mir, was der Viki glaubt, wo ich hingehen soll. Ob der Großvater dieselbe Zuschrift bekommen hat, weiß ich nicht. Ich wollte auch noch folgendes fragen, ich habe mich in einigen Geschäften nach Hubertusmänteln3 für die Kinder erkundigt, und habe den Bescheid, dass bei Grossbart nur ganz dunkelgraue, bei ehemals Rothberger grüne, bei Neumann hellgraue in Arbeit sind,4 die ich allerdings nicht gesehen habe, bei Grossbart kosten sie am wenigsten, bei Rothberger teuerer und beim Neumann am teuersten, allerdings sind die bei Großbart ganz dunkelgrau, aber sehr hübsch, was soll ich machen  ? Bitte um einen Bescheid. Wegen der Lederhose habe ich mich noch nicht umgeschaut, will es aber dieser Tage machen, ich weiß nur noch nicht recht, wohin ich gehen soll. Die Bücher 1 Als Teil der NS-Beraubungspolitik und um Kapitalabfluss ins Ausland zu verhindern, waren die Emigrant:innen gemäß dem Devisengesetz gezwungen worden, die vollständige Kontrolle über ihre Konten zu akzeptieren. Der Devisenstelle Wien war es möglich, Auswanderersperrkonten einzurichten, von denen finanzielle Transaktionen fortan nur mit ihrer ausdrücklichen Genehmigung durchgeführt werden durften. Ging ein Antrag an die Devisenstelle zur Auszahlung ein – was hier der Fall zugunsten von Ella Wenger gewesen zu sein scheint –, genehmigte sie dies nur, wenn eine Unbedenklichkeitserklärung des zuständigen Finanzamts beigebracht wurde. Vgl. Rathkolb, Vermögenswerte, v. a. 161 f. 2 Zur Einholung einer Steuerunbedenklichkeitserklärung vgl. Dok. 8, Anm. 3. 3 Lodenmantel mit Schnittform eines Jagdmantels. Vgl. Hofer, Textil- und Modelexikon, 224. 4 Es handelt sich um die Kleiderfabrik J. Großbard in der Gonzagagasse 11, den Kleidermacher Jacob Rothberger, Stephansplatz 9, sowie wahrscheinlich die Herren- und Knabenkleiderhandlung Neumann’s & Söhne am Rudolfsplatz 5, alle im I. Bezirk. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1938, Bd. 1, Teil II, 35, 82, 67.

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Abb. 13  : Viktor Schneider mit seinen drei Kindern Robert, Rudolf und Martin in Brüssel, zwischen 1938 und 1940.

habe ich gestern besorgt und schicken lassen. Bis ich die Hosen von den Buben fertig habe, kommt dann alles zusammen, ich habe alte Küchentücher, die ich nicht brauche, auch Staubtücher, soll ich sie mitschicken  ? Natürlich sind sie nicht so gut wie Deine, aber besser wie nichts. Heute habe ich Jausengäste gehabt, und zwar hat mich Julius gebeten, ich soll die Clementin Simon,5 die ihn besuchen wollte (alte Liebe), zu mir auffordern, da durch die Übersiedlung der Gerti in die Skodagasse bei Zapperts große Unordnung ist, natürlich war Julius auch da und auch Lisl Schiff, ich habe mich gefreut, wieder bischen Geschichten machen zu können. Übrigens habe ich für 3 Wochen einen Mittagsgast, und zwar Herr Jellinek, Hedis Mann,6 die Hedi macht vormittags einen englischen Kochkurs, kann für ihren Mann nichts kochen und hat mich gebeten, ich soll ihn verköstigen, da er aber ein Diabetiker ist, muß für ihn extra gekocht werden, ich bin gar 5 Die Person konnte nicht identifiziert werden. 6 Gemeint sind Hedwig und Otto Jellinek, vgl. Dok. 15, Anm. 8.

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nicht entzückt davon, konnte aber nicht gut nein sagen, eben wegen seiner Diabetes, er kann nicht ins Gasthaus gehen, wo ich gar nicht weiß, ob man überhaupt in ein Gasthaus gehen kann, er ist ein reizender Mensch aber Mühe und Kopfzerbrechen macht es schon auch, ich kann nicht so viel verlangen, aber das wird auch vorüber gehen. Heute mitten in meiner Gästejause kam die Tante Regiene7, sie wollte die Martha sprechen, wegen irgendwelchen Kindern, die fortkommen sollen, erstens ist doch die Martha nicht da, 2. kann die Martha gar nichts machen, da unangeforderte Kinder überhaupt nicht hinaus können und 3. 4. 5. ist die Martha kein Herrgott. Aber ich war sehr nett mit ihr, wir waren im Speiszimmer, die Andern waren in Marthas Zimmer, sie hat gesehen, dass wir noch ganz schön und gemütlich wohnen, besonders da das Zimmer voll Flieder war und das wir nicht immer unglücklich herumgehen, sie schaut schlecht aus, und ist schon sehr von ihrer Höhe herab stiegen. Da es schon recht spät geworden ist, will ich Schluß machen, viele viele Küsse an Alle Mutter

7 Die Person konnte nicht identifiziert werden. Dem Sinnzusammenhang nach – vor allem in Brief 54 – handelt es sich um die Schwester von David Schneider.

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27 Josefine Schneider an David Schneider Ravensbrück, 11. Juni 1939 2 S., e. B.

11. VI 39 Lieber Vater. Endlich ist es mir möglich, Euch wieder ausführlich zu schreiben. Durch unseren Umzug1 war alles ein wenig verschoben. Ich bestätige Deinen lieben Brief vom 4., 14., und 31./5. und 2 × 1 Briefmarke. Außerdem vielen vielen Dank für Geldsendungen vom 17. und 27.5. Über Georgs Briefe habe ich auch immer große Freude. Hast Du nach Erhalt des Permits die selben Schritte unternommen wie nach der Einreiseerlaubnis in die Schweiz  ? Bitte schreibe mir über diesen Punkt, ich weiß leider nicht, was ich noch machen soll, Du hast doch das Möglichste getan. Jetzt werde ich wieder regelmäßig schreiben können. Ich bin so froh, daß Du trotzdem regelmäßig geschrieben hast. Ich fürchte mich immer, daß mit Euch etwas nicht in Ordnung ist, wenn kein Brief kommt. Ich lasse alle recht herzlich grüßen und sei gegrüßt u. geküsst Fina

1 Josefine Schneider war am 15. Mai 1939 von den Nationalsozialisten aus dem KZ Lichtenburg in das KZ Ravensbrück verlegt worden, vgl. Dok. 18, Anm. 13. Ein analoges Schicksal erlebten Ilse Gostynski und Ida Hirschkron. Beide überlebten den Krieg und legten zwei der wenigen Zeugnisse über die Brutalität und die Demütigungen ab, denen die Jüdinnen in Ravensbrück zu dieser Zeit ausgesetzt waren, vgl. Apel, Fehlende Stimmen.

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Abb. 14  : Schreiben Josefine Schneiders an ihren Vater David aus dem Konzentrationslager Ravens­ brück, 11. Juni 1939.

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28 Ella Wenger an Rudolf Schneider Wien, 3. Dezember 1939 1,5 S., e. B. mit e. Bemerkung von Martha Wenger

3 Dezember 39 Liebster Rudi  ! Heute schreibe ich Dir einen extra Geburtstagsbrief,1 und auch mit latein Buchstaben,2 damit Du ihn lesen kannst. Also, ich gratuliere Dir zu Deinem Geburtstag und hoffe, dass ich Dir das im nächsten Jahr schon selbst sagen kann. Von Deinen Eltern höre ich, dass Du ein sehr braver Schüler bist und mit Deinem Lehrer zufrieden bist. Auch, dass Du schon gut französisch kannst, besonders die Madi freut sich darüber. Aber Du darfst das Deutsche auch nicht ganz vergessen, sonst können wir ja nicht miteinander plaudern, wenn wir wieder einmal zusammen kommen. Die Mutter und der Vatti schreiben auch, was der Martin für ein grosser fescher Bub ist, wie ich ihn zuletzt gesehen habe, war er noch ein Baby. Bitte sei so gut, sag Deinem Vater, ich habe vom Onkel Georg schon 4 Pakerl bekommen. 2 mal Butter, einmal Käse und einmal Kondensmilch. Ich habe jetzt erst erfahren, dass diese ganzen Sendungen vom Vatti sind. Ich lass mich sehr sehr bedanken. Aber ich bin doch recht böse auf ihn, er darf mir absolut nichts mehr schicken, ich habe jetzt von Allem genug. Da Martschi aus Kopenhagen auch Butter und Käse bekommen hat.3 Ich habe Dir ein paar färbige Bleistifte geschickt, hoffentlich wirst Du sie bekommen. Viele, viele Bussi Grobschi-Opi

1 Rudolf wurde am 10. Dezember sieben Jahre alt. 2 Die handschriftlichen Briefe sind ansonsten in Sütterlin, einer deutschen Kurrentschrift, verfasst. 3 Dies dürfte auf Sendungen der befreundeten Familie Melchior aus Kopenhagen zurückgehen. Vgl. Dok. 25, Anm. 3 und 6.

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Lieber Rudi-Schmudi  ! Auch ich schicke Dir viele viele feste Geburtstagsbusserl. Laß es Dir recht gut gehen. Hoffentlich kocht Dir die Mutti zum Purzeltag lauter Leibspeisen. Bußi auch an Robert und Martin Deine Tante Martha

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29 Ella Wenger an die Familie Schneider Wien, 9. Dezember 1939 2 S., e. B.

9. Dezember 39 Meine Lieben  ! Heute habe ich Euch viel zu bestätigen und viel zu danken. Vor allem die Bilder von den Kindern. Sie sind alle entzückend, jedes einzelne ist ausgezeichnet und goldig, ich freue mich sehr damit und danke Euch sehr, auch für Eure Wünsche danke ich. Gute Wünsche sind der Ausdruck von Liebe, ist an keine Zeit gebunden, daß Ihr mir das gerade zu einer Zeit sagt, die mit meiner Geburt zusammen hängt,1 ist gut und natürlich, aber ich höre es immer gerne und weiß auch, daß alles, was Ihr mir wünscht, von Herzen kommt. Und heute kamen die Gratulationen von den Kindern  ! Ich weiß zwar, daß es den Kindern kein Vergnügen macht, einen Brief, und gar einen Gratulationsbrief zu schreiben, aber während sie schrieben, haben sie an mich gedacht, und der Gedanke rührt mich schon. Gib jeden von ihnen ein Bussal von mir und sag ihnen, sie haben mir eine große Freude gemacht. Gott gebe, ich könnte ihnen in Wirklichkeit einmal wieder ein Bussal geben. Ich will aber nicht sentimental werden, daß ist gar nicht mein Fall, es kommen mir manchmal Erinnerungsmomente, die stärker sind, als die Vernunft. Aber ich bin hoffnungsvoll und habe gar nicht das Gefühl, daß ich mit 70 Jahren keine Zukunftspläne machen darf. Ich freue mich, daß die Kleinigkeiten für die Kinder gekommen sind und gerade zur rechten Zeit. Nur sehr sehr betrübt bin ich, daß die Buben krank sind. Hoffentlich bessert sich ihr Zustand bald und du arme Lisl hast nicht gar so viel Plagen mit ihnen. Mein Mädchen schickte Montag ein Hoserl für Martin als Päckchen, so wie die Bleistifte. Hoffentlich müssen Schwarzbert nicht zu viel Zoll zahlen. Ein Bluserl kommt ein anderes Mal. Gestern war der Großvater bei mir, mit dem neuen Hemd, er ist sehr glücklich darüber, dürfte Euch schon geschrieben haben. Auch die letzte Transaktion für ihn ist schon erledigt. Ich habe mir eine herrliche, sehr sehr teure Handtasche gekauft, sehr groß, schwarz mit praktischem Verschluß, sie ist viel zu schön für mich, ich weiß gar nicht, wann ich sie benützen werde. Ich bestätige auch Franzens Brief,

1 Ella Wenger sollte am 19. Dezember ihren 70. Geburtstag feiern.

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der mich kollosal interessiert hat. Ich werde an Fritzis Mutter2 schreiben, vielleicht schreibt sie mir ein paar Zeilen, die Ihr dem Franz weiter schicken könnt. Auch ich will ein paar Zeilen schreiben, damit er etwas persönliches von mir bekommt. Denkt Euch nur, Tante Paula will mich an meinem Geburtstag überraschen und per Auto zu mir kommen, natürlich darf ich nichts wissen davon. Nächstens berichte ich Euch weiter darüber. Tausend Dank und viele, viele Küsse Mutter

2 Sofie Josefine Trager, geb. Seßler. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Trauungsbuch, Rz. 461/1930.

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30 Ella Wenger an die Familie Schneider Wien, 19./20. Dezember 1939 4 S., e. B.

19. Dezember 1939 6 Uhr Abends Meine Lieben  ! Ich schreibe Euch heute an meinem Geburtstag, damit Ihr wißt, wie ich ihn verbracht habe und was er mir gebracht hat. Vor allem schreibe ich diesen Brief mit einer herrlichen Goldfüllfeder, die ich von der Martschi in einem dazu passenden Etui samt Bleistifte bekommen habe. Mein schönstes waren allerdings die Briefe, die von Euch mit den Briefen von den Kindern, der vom Onkel Julius, der mich ganz stolz gemacht hat, und sehr gefreut hat mich Franz u. Fritzis Briefe, die so zurecht gekommen sind, die habe ich schon gestern bekommen, mit der Karte vom Viki, die er am 14. geschrieben hat. Auch ein Brief von Mizka1 bekam ich, auch mit einer Geburtstagsgratulation. Geschenke habe ich bekommen, von der Paula schon am Sonntag 3 kg Zucker (aus ihrem Vorrat), Chiffon2 aus 2 Nachthemden (aus ihrem Vorrat) u. ein paar selbstgemachte Wollhandschuhe, und von der F. Illner Zuckerl. Dann bekam ich vom Luiserl ein Haarnadelpolster (von mir suggeriert), allerdings wollte ich nur mein altes Körberl frisch herrichten, so hat sie etwas selbsterfunden was in ihren Augen wunderschön ist, ich bin aber lebenslänglich damit behaftet. Es war aber gut gemeint, nur ein Veilchenbuscherl war dabei, was mich mehr gefreut hat. Von F. Hamburger3 bekam ich eine kl. Dose Öl und ein großes Gedicht, sehr 1 Es handelt sich nicht um die ebenfalls als Mizka bzw. Mitzka bezeichnete Maria Perutz (Dok. 32, Anm. 6), sondern um Maria Anna Schönberg (*1. Mai 1918  ; gest. 1988), die Tochter von Hans und Emanuela Schönberg, mit denen Ella Wenger brieflich in regelmäßigem Kontakt stand. Diese war zunächst mit ihren Eltern in die Schweiz, von dort aber, wie ihr Bruder Friedrich, zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Großbritannien emigriert. Dass diese Ella 1939 zum Geburtstag gratulierte, geht auch aus Dok. 32 hervor. Vgl. StadtA Zug, Einwohnerregister Hans Schönberg, E.15-2.3.42  ; ebd., Einwohnerkontrolle Emanuela und John Schönberg-Pohl, E.15-2  ; Tietze-Conrat, Tagebücher, Bd. 3, 12  ; Dok. 11, Anm. 11. 2 Feines Gewebe aus Natur- oder Kunstseide. Vgl. Meyer zur Capellen, Lexikon, 56. 3 Es handelt sich um Ernestine Hamburger (*24. März 1888, Istanbul  ; gest. 26. Januar 1942, Datum der Deportation nach Riga). Frau Hamburger gehörte dem jüdischen Bekenntnis an und war seit vermutlich Anfang 1939 ebenfalls in der Wohnung von Ella Wenger untergebracht. Zuvor hatte sie bis etwa Ende 1938 in der Mahlerstraße 5 gewohnt und ein – nach eigener Aussage schlecht gehendes – Schreib- und

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poetisch aber etwas unverständlich. Dann bekam ich von F. Koska einen sehr sehr lieben Brief, ein wunderschönes grünes Buket und ein selbstgemachtes Kragerl, was ich Dir schicken soll. Die Hauptsache ist allerdings das Geschenk von H. Freund, der sich besonders einstellen wollte. Und zwar kam ein großer Korb mit einigen größeren u. kl. Flaschen Schnaps, Wein und sonstwas  ; eine Dose Sardienen, etwas Südfrüchte, Kakao und einige Kleinigkeiten, was man halt bekommt ohne Bezugschein.4 Der Korb ist sehr schön und pompös, gerade das Richtige für so eine Gelegenheit, aber dabei war eine Karte von ihm, die mich noch mehr gefreut hat, wo er sich bedankt für alle Liebe u. Güte, die ich ihm entgegenbringe. Der Großvater war gestern und heute da (gestern war ich nicht zu Hause) und brachte von der Familie Schneider einen herrlichen Zyklamenstock mit vielen vielen Knospen, den ich noch lange haben werde und an Euch denken werde. Leider kam auch Clotilde mit einer Schachtel Briefpapier angerückt. Es hat nichts genützt, daß ich ihr ein falsches Datum meines Geburtstages gesagt habe. Martschi kam nur auf einen Sprung nach Hause, mit der Füllfeder u. ein Klein-Packerl Tee (eigentlich mein einziger Wunsch). Am Abend sind wir bei der Gerti zum Nachmahl, Marta kommt direkt hin und schläft heute zu Hause. Das Wertvollste von Allem ist aber Eine Handtasche, die ich mir angeschafft habe und die herrlich ist (Hoffentlich werdet Ihr sie auch noch zu Gesicht bekommen). Es war kein schöner Geburtstag, aber auch kein trauriger, da ich immer noch auf eine schöne Zukunft hoffe. Ich fühle

Übersetzerbüro betrieben. Während des Novemberpogroms haben ihr Parteimänner alle sieben Schreibmaschinen entwendet, »welche mein einziges Besitztum bildeten« (Hamburger an Reichskommissar Josef Bürckel, 12. Dezember 1938). Frau Hamburger wurde mit dem 15. Transport am 26. Januar 1942 aus der Wohnung in der Esslinggasse heraus nach Riga deportiert, wo sie den Tod fand. Vgl. Hausliste Eßlinggasse 13, A/VIE/IKG/II/BEV/Wohn/8/2, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI)  ; WStLA, Meldeunterlagen Ernestine Hamburger  ; Angaben für Ernestine Hamburger auf doew.at (dort auch der zitierte Brief, Zugriff  : 10. März 2021)  ; Ungar/Schulle, Deportationen, 381–385 und 433. 4 Aus Sorge vor einer unzureichenden Versorgungslage während des (zum damaligen Zeitpunkt erst projektierten) Krieges wurden im Reichsverteidigungsrat seit 1937 Vorbereitungen für die Rationierung zahlreicher Produkte vorangetrieben. Am 28. August 1939, vier Tage vor Kriegsbeginn, wurden die Bezugsscheine für die Öffentlichkeit überraschend eingeführt und zunächst der Bezug von Lebensmitteln, Seife, Hausbrandkohle, Stoffen und Schuhen rationiert. Von Sonderzuteilungen, die eine ausreichende Versorgungen mit Lebensnotwendigem für die Masse der Bevölkerung bis Kriegsende sicherten, waren Juden grundsätzlich ausgeschlossen. In Wien wurde im Oktober eine extra Lebensmittelkartenstelle für die als jüdisch definierte Bevölkerung in der Taborstraße 24 eingerichtet, so dass diese sich separat registrieren lassen musste – was wiederum die Datengrundlage für ihre lückenlose Erfassung und damit eine wichtige Grundlage für die ein Jahr (Februar/März 1941) später einsetzenden systematischen Deportationen bildete. Vgl. RGBl. I, 1939, 1498–1501  ; Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 457  ; zur Lebensmittelrationierung für die jüdische Bevölkerung auch Dok. 61, Anm. 7.

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mich noch jung und kann ruhig die 70. verheimlichen. Mein Wunsch ist nur, mit Euch wieder beisammen sein zu können. Tausend Küsse Mutter  ! Ich5 werde mich erkundigen, ob man Spielkarten schicken kann  ! Ich bin neugierig, ob das Hoserl dem Martin paßt. Die Feiertage6 sind mir sehr zuwider, erstens die Kocherei u. zweitens das Alleinsein  ! Fortsetzung Mittwoch Abend 10 Uhr Ich muß Euch nämlich den Abend bei Gerti berichten. Es war in jeder Beziehung wunderschön und da war erst die richtige Geburtstagsfeier. Erstens war ein wirklich herrliches Friedensessen, mit Vorspeis, Braten, Nachspeis und schwarzen Kaffee. Dann kam ein Tischerl herein mit den Geschenken. Gerti hat ein Talent etwas hübsch herzurichten, und da hat sie sich besonders Mühe genommen und was besonderes ausgedacht. Sie hat gewußt meinen Mangel an Nähseide und Zwirn, nun hat sie Mizka und Emma Schoenberg gebeten, ihr solches zu schicken und hat auf 2 viereckige Seifenstücke (die auch Mizka geschickt hat) Staberl gesteckt, darauf Spulen gesteckt und die 2 Seifenstücke mit aufgefedelter Kronenseide verbunden.

Dann waren kl. Kerzen hineingesteckt, die natürlich angezündet waren. Vor dieser Sache war eine herrliche Torte mit der Aufschrift  : »Wir gratulieren Robert Stefan Rudi Martin«. Dann war noch ein Früchtenbrot, ein kl. Packerl Tee, von der F. Marie (Bedienerin von Zapperts) in einem hübschen Glasschüsserl (von Wolfgang), eine Gansleber in Schmalz gegossen und von F. Singer (die doch bei Zapperts wohnt)7 eine kl. Salami in herrlicher Verpackung und einen Deckel aus 3 Datteln (reizend). Das Ganze war wunderschön und hat mich wirklich gefreut und gerührt. Gerti hat Onkel 5 Der nachstehende Absatz wurde nachträglich und auf dem Kopf stehend auf der ersten Briefseite hinzugefügt. 6 Da das jüdische Chanukka-Fest 1939 bereits Mitte Dezember beendet war, muss es sich um die christlichen Weihnachtsfeiertage handeln. 7 Gemeint ist Elsa Singer (geb. Goschler, *16. August 1877, Prag  ; gest. 16. Mai 1944, Datum der Deportation nach Auschwitz), die Mutter von Hilde Zappert. Frau Singer wurde am 27. August 1942 aus ihrer Unterkunft in der Glockengasse 25/24 nach Theresienstadt und von dort im Mai 1944 nach Auschwitz deportiert. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Geburtsbuch, RZ 2816/1903  ; Taufmatrikel der Prager jüdischen Gemeinde, Mädchen 1877, Lit. 13, Abth. 5, Pag. 154, Nr. 162 sowie zum Tod den Eintrag von Elsa Singer auf doew.at. und den Deportationsvermerk in der Hausliste Glockengasse 25, A/VIE/ IKG/II/BEV/Wohn/1/1, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI).

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Julius und Euch alle würdig vertreten. Julius hätte seine Freude daran gehabt. Es war ein sehr gemütlicher Abend, ich werde immer eine hübsche Erinnerung von meinen 70 haben. Es ist auch kein Wunder, wenn ich von Mizka u. Emma Gratulationsbrief bekommen habe. Jetzt muß ich allen schreiben und danken, auch von Hermine aus Gablonz habe ich heute Brief gehabt. Ich habe heute von F. März eine Antwort auf meinen Brief bekommen, mit einer Einlage an Fritzi,8 ich weiß nicht wie ich das schicken soll, das ist kein Flugpostpapier, kann also nur gewöhnlich gehen, das dauert aber sehr lange. Was soll ich da machen, ich will doch auch dem Franz persönlich antworten  ? Bitte um Antwort darüber  !  !  ! Tausend Küsse Mutter

8 Der Hintergrund des Vorgangs und die Identität der Person konnten nicht geklärt werden.

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31 Ella Wenger an die Familie Schneider Wien, 25. Dezember 1939 2 mal 0,5 S., e. B.

25. XII 39 Meine Lieben  ! Ich bitte Euch den Brief an Julius weiter zu schicken. Wenn Ihr ihn lest, wißt Ihr dann auch, wie es bei uns ist. Den Weihnachtsabend haben wir gar nicht gefeiert, ich war Nachmittag bei Paula und Martschi hat Nachtdienst gehabt. Aber es war keine sentimentale Stimmung. Ich habe wie gewöhnlich mit Louiserl Rummy gespielt und dann noch Weihnachtsverrechnung gemacht. Ich habe doch eine Menge Leute beschenkt. Vor Allem die Toni, den Koskas, der Selle habe ich nur Geld gegeben, die Krautlersleute, die Louiserl (eine Perutz Toilettseife), der Hamburger (2 Sch. Cigaretten), dem H. Freund ein hübschen Herrentaschenkalender. Der Katuschka will ich erst etwas geben. Wir haben Mittag eine herrliche Gans gehabt. Ein Geschenk von Perutz,1 an der wir noch heute essen werden. Martha dürfte heute, Montag, nicht zum Essen kommen, es ist eine große Hetzjagt für sie, aber zu Schlafen kommt sie nach Haus. Ich hätte schrecklich gerne gehabt, wenn sie ein bischen frei gehabt hätte, es ist prachtvolles Winterwetter mit Schnee und Sonne. All ihre Bekannten sind auf Bretteln fort, aber leider ist es unmöglich, weil im Heim alles krank ist. Es ist viel Keuchhusten dort. Selbst ihr Sorgenkind, der Peter,2 hat Keuchhusten, ist aber schon besser und nimmt wieder zu. Ich gehe heute wieder zu Paula, Nachmittag, sie freut sich, weil sie allein ist und ich weiß doch auch nicht, was ich anfangen soll. – – – Eben  ! Hurra  ! Hurra  ! habe ich ein Pakerl bekommen von Euch mit meinen Sehnsuchtstraum. Ich danke Euch sehr sehr dafür. Ihr seit tüchtige Leute. Der Großvater war vorgestern da mit einem Brief von Fina. Sie schreibt sehr beruhigend, sie ist körperlich auf der Höhe. Hoffentlich bleibt es dabei. Man soll ihr kein Geld schicken. Ich bestätige dankend eine Karte vom 18., die ich gestern erhielt. Ich freue mich sehr, daß Martin das Hoserl tragen kann. Jetzt mache ich ihm ein Bluserl aus alter hellblauer Seide. Nächstens schreibe ich ein Brief an Franz mit einer Einlage von Mutter März.

1 Gemeint  : Arthur und Maria Perutz, vgl. die Dok. 32 (Anm. 6) und 35, Anm. 7. 2 Die Identität der Person wie auch der am Ende dieses Abschnitts genannten »Mutter März« konnten nicht geklärt werden.

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Entsende 1000 Küsse Mutter

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32 Ella Wenger an die Familie Schneider Wien, 28. Dezember 1939 1 S., e. B.

28 Dezember 1939 Liebe Schneiderei  ! Ich danke Viki besonders für seinen netten Brief vom 22 d. und die Karte vom 21. Der lange Brief hat uns alle sehr amüsiert und wurde auch allen vorgelesen. Es ist für mich immer eine Herzensfreude, wenn er so ausführlich schreibt. Hoffentlich ist das Fest am Montag1 zu aller Zufriedenheit ausgefallen. Mein Brief an Julius ist etwas verspätet weggekommen, obwohl ich ihn schon eher geschrieben habe, ich bekam die ganzen Feiertage keine Retourmarke und ohne wollte ich ihn nicht schicken, da ich den letzten so wie so ohne geschickt habe. Hoffentlich habt ihr den Brief bekommen. An Mizka und Emma Schoenberg habe ich schon geschrieben, jetzt muß ich noch an Hermine Pohl,2 an Grete und Georg und Wilhelm Sobotka3 schreiben. Wilhelm hat allerdings nicht zum Geburtstag geschrieben, sondern er hat nur einen kl. Betrag zugewiesen. Unter anderem schrieb er die traurige Tatsache, daß das Mäderl von Hoffmans (Franzi Blumenfeld4) in Prag an Diphteritis gestorben ist. Ich glaube, Lisl hat es gekannt, es soll besonders reizend gewesen sein. Sie haben noch einen jungen Buben.

1 Möglich ist, dass die Schreiberin hier auf das Gansessen bei ihr von besagtem Montag, 25. Dezember, referenziert (vgl. Dok. 31) oder auf ein von ihrer Tochter geschildertes Fest Bezug nimmt. Dass es sich um den 25. Kislev – also den Tag, an dem nach jüdischem Kalender Chanukka beginnt – handelt, ist ausgeschlossen, da dieser 1939 bereits am 7. Dezember gewesen war. 2 Hermine Pohl (*1884  ; gest. 1974), die Schwester Emma Schönbergs, geb. Pohl, vgl. Dok. 11, Anm. 11  ; Tietze-Conrat, Tagebücher, Bd. III., 12. 3 Wilhelm Sobotka (*31. Januar 1868, Prag  ; gest. 6. September 1942, Theresienstadt). Vgl. die Taufmatrikel der Prager jüdischen Gemeinde 1863–1871, Pag. 112, Nr. 18 sowie zum Tod den Eintrag Vilém Sobotka auf www.holocaust.cz. 4 Franziska Hofmann (geb. Blumenfeld, *26. Mai 1900, Wien  ; gest. 21. Oktober 1941, Datum der Deportation nach Łódź) war die Tochter einer Tante Ella Wengers und gehörte, wie ihr Mann, dem jüdischen Bekenntnis an. Bei dem erwähnten Kind handelt es sich um die Tochter Katerina, die sie gemeinsam mit ihrem Mann Vilém (*15. Juni 1897, Prag, gest. 21. Oktober 1941, Datum der Deportation nach Łódź) hatte. Vgl. die Dokumente auf der Seite der Opferdatenbank holocaust.cz (dort unter dem Namen Františka Hofmannová bzw. Vilém Hofmann).

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Wilhelm schreibt auch nicht sehr vergnügt, er ist allein. Seine ganze Zerstreuung sind die Sonntagsbesuche bei Schicks. Ich weiß nicht, ob Du die Toni Schick5 kennst, sie ist alles eher als angenehm (Schwester von Wilhelm u. Mizka6). Ich bestätige auch Lisls Brief an Tante Paula, ich werde ihn natürlich überreichen, wahrscheinlich mit einem Kalender. Paula hat jetzt gute Zeiten. Durch die Feiertage war ich nicht nur Sonntag, sondern auch am Feiertag bei ihr, ebenso zu Neujahr. Allerdings habe ich Niemand, zu dem ich gehen könnte, und bin froh, nicht immer allein zu Hause sitzen zu müssen. Ich muß Euch nochmals tausendmal danken für die mir so hocherwünschte Sendung, des kleinen Pakerls, welches ich am Sonntag d. 24. bekam. Ich war glücklich darüber. Euch allen tausend Küsse Mutter Martschi7 hat Dienst, ist also nicht zu Hause, deshalb kann sie nicht draufschreiben. Die Marken habe ich alle aufgehoben. Soll ich Robert einen Federcasten zum Geburtstag schenken  ?  ?

5 Antonie Schick (geb. Sobotka, *11. Juni 1874, Prag  ; gest. 25. März 1943, Theresienstadt). Frau Schick war die Schwester Wilhelm Sobotkas und damit eine Cousine von Ella Wenger. Vgl. die Taufmatrikel der Prager jüdischen Gemeinde, Mädchen 1874, Lit. 13, Abth. 2, Pag. 94, Nr. 107 sowie die auf der Seite der Opferdatenbank holocaust.cz aufgeführten Dokumente (dort unter dem Namen Antonie Schicková). 6 Zu Wilhelm Sobotka vgl. Dok. 32, Anm. 3. Maria (Mitzka) Perutz (geb. Sobotka, *21. März 1875, Prag) war Wilhelms uneheliche Halbschwester und damit eine Cousine Ella Wengers. Das in den Meldeunterlagen Wiens geführte Geburtsdatum Marias (11. Juli 1883) ist falsch, vgl. WStLA, Meldeunterlagen Arthur Perutz  ; zur Marias Geburt vgl. die Taufmatrikel der Prager jüdischen Gemeinde, Mädchen 1875, Lit. 13, Abth. 3, Pag. 108, Nr. 45. 7 Der folgende Satz ist auf der Briefrückseite nachgetragen.

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33 Martha Wenger an Robert Schneider Wien, 23. Januar 1940 1,5 S., masch. B.

Wien, 23. I. 1940 Lieber Robertl  ! Also dass hätte ich mir wirklich nicht gedacht, dass Du Deinen 10. Geburtstag feiern wirst und wir können ihn nicht zusammen feiern. Ich wünsch Dir alles alles gute und hoffe, dass wenigstens ein grosser Teil Deiner Wünsche in Erfüllung gehen wird und dass die Mutti was recht feines kochen wird. Ein so schönes Gedicht wie die Gropschi1 kann ich leider nicht schicken, aber im Gedanken ein ganz festes Bussel. Bei uns ist schrecklich kaltes Wetter. Die Donau ist ganz zugefroren, Vati und Mutti werden sich noch erinnern, im Jahr bevor Du zur Welt gekommen bist, war es auch so. Zuerst sind nur sehr viele Eisschollen auf der Donau gefroren und dann ist sie irgendwo ganz zusammen gefroren und das Eis kommt nachgeschwommen und staut sich und das Wasser kann nicht abfliessen und alles friert sich immer mehr zusammen. Das heisst Eisstoss.2 Wenn das lange dauert, türmt sich das nachkommende Eis wie eine Bari­ kade mehrere Meter hoch auf, und wenn es dann zu tauen beginnt, kann eine grosse Überschwemmung sein. Wir werden ja sehen, was noch werden wird. Dabei gibt es heuer sehr viel Schnee und ich habe mich doch entschlossen und gehe wieder Schilaufen. Ich war Samstag und Sonntag. Am ersten Tag habe ich nur geschaut, ob es noch geht und war in Kaltenleutgeben und am 2. Tag war ich in Baden und am Eisernen Thor3. Es war herrliches Wetter und riesig viel Schnee. Die Kälte (16 Grade) hat man gar nicht gespürt. Auf den Strassen in der Stadt liegt riesig viel Schnee, die Schneeschaufler kommen gar nicht nach mit dem Schaufeln, die Elektrischen haben 1 Kosename Ella Wengers. 2 Der Winter 1939/40 war der erste von drei aufeinanderfolgenden äußerst kalten Wintern. Der Eisstoß, auf den die Schreiberin hier mit ihrem Verweis auf das Jahr »bevor Du zur Welt gekommen bist« Bezug nimmt, war 1929, und er war wochenlang eine Attraktion in der österreichischen Hauptstadt. Temperaturen bis zu –29°C ließen die Donau in jenem Jahr zwischen der Wachau und der ungarischen Grenze gefrieren und türmten meterhoch Eisschollen in Wien auf. Vgl. Range, Kalte Kriegswinter  ; Payer, Eiszeit. 3 Hoher Lindkogel (834m ü.NN), einer der beliebtesten Ausflugs- bzw. (bis in die 1960er Jahre) Skiberge im Wienerwald.

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riesige Verspätungen, fahren gar nicht ihre ganzen Touren, sondern kürzere Strecken. In der Nacht, wenn es finster ist, kann ja auch nicht geschaufelt werden. Die kleinen Kinder im Kinderheim sind sehr süss, nur machen sie auch sehr viel Arbeit und ich muss oft in der Nacht aufstehen, und dann bin ich immer unausgeschlafen. Aber es ist mir doch viel lieber, als in dem dummen Büro. Liebes Schnabsel, Du musst uns genau schreiben, was Du am Geburtstag gemacht hast und was Du bekommen hast. Wenn Du lieber willst, kannst Du auch auf französisch schreiben. Wir verstehen es schon, wenn wir auch nicht mehr schreiben können. Was sagst Du zu dem schönen Gedicht  ? Eigens für Dich hat die Opi gedichtet Also lieber Roberti, viele tausend Bussi Deine Martha

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34 David Schneider an Viktor Schneider Wien, 25. April 1940 e. Postkarte, abgestempelt am 25. April 1940

Absender  : David Schneider Wien 27/II Springergasse 24/5 Empfänger  : Herrn Viktor Schneider Brüssel XL 14 Rue Adolphe Wien 25/4 1940 Meine Lieben. Bis heute keinen Brief von Linz. Bin daher sehr besorgt, habe das Italienische Schriftstück1 amtlich übersetzen lassen u. Legalisieren, das Original behalten, die Abschrift bei Gildemester2 übergeben, um damit einzureichen. Hoffentlich werden wir Erfolg 1 Das »Italienische Schriftstück« könnte im Zusammenhang mit den Versuchen Frank Gildemeesters stehen, Auswanderung zu ermöglichen, indem er Mussolini für die Ansiedlung österreichischer Jüdinnen und Juden in der italienischen Kolonie Abessinien zu gewinnen suchte. Hierzu reiste er 1939 mehrfach nach Rom, scheiterte aber mit seinen Bemühungen. Überdies wurde er mit einem Einreiseverbot ins Deutsche Reich belegt, nachdem sein Unterfangen deutscherseits Misstrauen erregt und er selbst der Gräuelpropaganda beschuldigt worden war. Vgl. zur Aktion Gildemeester die nachfolgende Anmerkung  ; zu den Bemühungen Gildemeesters bei Mussolini Venus/Wenck, Entziehung, 444–455. 2 Da die nationalsozialistische Gesetzgebung rassistische Kriterien anlegte, klassifizierte sie Menschen zu »Nichtariern«, die jüdische Vorfahren hatte, aber selbst nicht mehr mosaischen Glaubens waren. Weil diese zwar von den diskriminierenden NS-Maßnahmen betroffen waren, aber nicht auf die Unterstützung der IKG hoffen konnten (die sich gar nicht für sie einsetzen durfte), entstanden mehrere konfessionell (Schwedische Mission  ; Erzbischöfliche Hilfsstelle) und überkonfessionell tätige Hilfsorganisationen. Unter letztere ist neben der Society of Friends (Quäker) auch die Aktion Gildemeester zu rechnen. 1938 von dem Niederländer Frank van Gheel-Gildemeester ins Leben gerufen, hatte sie ihren Sitz zunächst am Kohlmarkt 8, ab September 1938 in der Wollzeile 7. Unmittelbar vorher (20. August) war ihr Zuständigkeitsbereich von Reichskommissar Bürckel auf »Nichtglaubensjuden« beschränkt worden. Das Hauptziel der Aktion Gildemeester war es, Auswanderung zu ermöglichen, indem sie hierfür administrative Unterstützung anbot, die, ähnlich dem Vorgehen der IKG, das Ersuchen um Einreisemöglichkeiten in

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haben. Wie geht es Euch, meine Lieben. Hoffentlich alles Gesund. Wie habt Ihr die Ostern verbracht, bei mir nichts neues. Gesundheitlich geht es mir besser. Von Georg habe ich eine Karte erhalten. Hoffentlich wird Er sich auch dort einarbeiten.3 Werde Euch bald wieder berichten, wie ich was neues höre. Mit herzlichen Grüßen + Küssen Euer Vater Tausend Bussi an die lieben Buben

Zufluchtsländer und den Einsatz für inhaftierte Ausreisewillige einschloss. Dabei verfolgte sie ein System, das Solidarität mit Beraubung verband  : Vermögende Juden waren gezwungen, ihre Liegenschaften – ganz überwiegend weit unter Preis – treuhänderisch der Aktion zu überlassen, die sie dann gewinnbringend weiterverkaufte. Überdies mussten die wohlhabenden Antragsteller zehn Prozent ihres Vermögens an den Gildemeester-Fonds abtreten – aus dem wiederum die Ausreise mittelloser Auswanderungswilliger finanziell unterstützt wurde. Laut einem Gestapo-Bericht vom 11. Januar 1939 hatte Gildemeester bis zu diesem Zeitpunkt 11.203 Personen zur Ausreise verholfen. Verwaltet wurde der Gildemeester-Fonds von dem NSDAP- und SS-Mitglied Fritz Kraus  ; auch die Vermögenstransfers wurden überwiegend von Partei- bzw. SS-Männern durchgeführt, was das zu diesem Zeitpunkt verfolgte Ziel der Nationalsozialisten, die Auswanderung zu forcieren und die Menschen dabei zugleich möglichst umfänglich zu berauben, deutlich hervortreten lässt. Es sind nur wenige Fälle dokumentiert, bei denen Antragsteller über die Aktion Gildemeester mehr Vermögen ins Ausland retten konnten als über die Beraubungsmaßnahmen der ›Arisierung‹. Im Februar 1939 wurde der gesamte Fonds Adolf Eichmanns Zentralstelle für jüdische Auswanderung unterstellt. Weil das NS-Regime die Ausreisemöglichkeiten für Jüdinnen und Juden nach Kriegsbeginn massiv einschränkte, die Aktion sich aber nach wie vor für inhaftierte Nichtglaubensjuden engagierte, entzog der Leiter des RSHA, Reinhard Heydrich, der Aktion im Januar 1940 seine Unterstützung und wandelte sie de facto in die Auswanderungs-Hilfsorganisation für nichtmosaische Juden in der Ostmark (AHO) um. Bereits im März 1940 der Aufsicht der IKG unterstellt, wurde die Finanzgrundlage des AHO am 10. September 1942, der AHO selbst am 31. Oktober 1942 aufgelöst  ; praktisch alle Mitarbeiter:innen wurden nach Theresienstadt deportiert. Vgl. grundlegend zur Aktion Gildemeester Venus/Wenck, Entziehung  ; im Überblick Hecht/Lappin-Eppel/RaggamBlesch, Topographie, 322–334. 3 Es ist davon auszugehen, dass der Verfasser hier auf die Internierung Georgs in dem Tessiner Arbeitslager Gordola anspielt, in dem Georg Schneider nachweislich seit Dezember 1940 interniert war. Vgl. Georg Schneider an Frau Boritzer vom Verband der Schweizerischen Israelitischen Armenpflege, 9. Dezember 1940, Archiv für Zeitgeschichte Zürich IB VSJF-Archiv / S 463  ; vgl. auch Dok. 9, Anm. 9.

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35 Ella Wenger an Viktor Schneider Wien, 16. August 1940 e. Postkarte, abgestempelt am 16. August 1940

Absender  : Ella Sara1 Wenger Wien I Esslinggasse 13/13 Empfänger  : Herrn Viktor Schneider Camp des Internes civils St. Cyprien Perpignan Wien 16. August 40 Liebster Viki  ! Nachdem ich von einem Schlafkollegen von Dir Deine Adresse bekommen habe,2 will ich Dich von unserm besten Wohlergehen benachrichtigen. Von Lisl habe ich auch 1 Die Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung zum Zweck der Diskriminierung war seit jeher Ziel des Nationalsozialismus. Um ihnen den Rückzug in die Anonymität zu verbauen, zielte die deutsche Regierung darauf, sie unmittelbar und für jedermann als Juden erkennbar zu machen. Teil dieser Politik war die zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17. August 1938, in der verfügt wurde, dass die jüdische Bevölkerung nur solche Vornamen führen dürfe, die sie eindeutig als Juden erkennbar werden ließ (§ 1). War das nicht der Fall, war sie von nun an verpflichtet, zusätzlich den Vornamen Israel bzw. Sara zu führen und dies innerhalb eines Monats den Standesbeamten anzuzeigen (§ 2). Ella Wenger hat die Annahme des Zusatznamens bei der Kultusgemeinde am 3. Mai 1939 angezeigt. Vgl. RGBl. I, 1938, 1044  ; Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 6737/1869. 2 Nach der deutschen Invasion Belgiens hatte dessen Regierung begonnen, die zuvor geflüchteten Deutschen und Österreicher auszuweisen. Viktor Schneider wurde zunächst in dem belgischen Etterbeeck gefangen gesetzt, um von dort ausgewiesen und in das südlich Perpignan gelegene französische Lager St. Cyprien gebracht zu werden – die französische Regierung hatte nach dem Einmarsch Deutschlands in Belgien die als feindlich geltenden Ausländer interniert. Hierunter waren auch rund 8000 deutsche und österreichische Zivilinternierte, von denen rd. 5000 Juden waren. Im Lager St. Cyprien wurden seit Mai 1940 zwischen 4000 und 8000 Menschen – überwiegend aus rassischen oder politischen Gründen aus Deutschland und Österreich Geflohene – untergebracht. Währenddessen flüchtete Viktors Frau Elisabeth mit den Kindern auf abenteuerliche Weise aus Brüssel zu Fuß und per Bahn, bis sie ebenfalls in Südfrankreich ankam, zunächst in Goutrens, später in der kleinen südfranzösischen Gemeinde St. Affrique,

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Abb. 15  : Elisabeth und Viktor Schneider, undatierte Aufnahme.

Nachricht, muß schon damit zufrieden sein, man wird genügsam. Unser alter Herr hat von seinem Bruder auch öfters Briefe von seinem alten Wohnsitz.3 Der schreibt aber recht unglücklich, da sich alles zum Schlechteren gewendet hat. Keine Unterstützung mehr und keine Verdienstmöglichkeit. Ich bin sehr begierig, was Ihr für Zukunftspläne machen werdet. Ich habe Lisl geschrieben (weiß aber nicht, ob sie meinen Brief bekommen hat), daß ich gesund und arbeitsfähig bin und nur auf die Zeit warte, wo ich mit Euch beisammen sein kann, ganz gleich wo es ist. Ich führe meine Wirtschaft noch immer wie früher, nur daß ich mit Martha auf das Speisezimmer beschränkt bin.4 Ich wo sie weite Teile des Krieges verbrachte. Vgl. Bervoets-Tragholz, Liste, zu Viktor Schneider, 401  ; Cros, Saint-Cyprien, 97–126  ; Vormeier, Lage, 212  ; o.A., Schneider’s Story, unpag.; zum Lager und der Möglichkeit, daraus zu fliehen auch Mehring, Wir müssen weg, 85–88 und 125–128 (dies erklärt, warum Ella Wenger Viktors Adresse von einem von dessen »Schlafkollegen« erhalten hatte können). 3 Der Bruder von Heinrich Freund, Dr. Leopold Freund, war nach Brüssel geflüchtet, wo er sich auch nach der deutschen Invasion noch befand, vgl. zu ihm Dok. 39, Anm. 6. 4 Hier zeigt sich die zunehmend prekäre Wohnlage der jüdischen Bevölkerung. In Ella Wengers Wohnung waren zu diesem Zeitpunkt mindestens sechs Personen untergebracht (möglicherweise kam, zumindest

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habe eine Hausgehilfin und einige Mitbewohner. Martha ist in einem Säuglingsheim Tag und Nacht beschäftigt,5 schläft u. ißt kaum zu Hause, ist aber mit ihrem Beruf sehr zufrieden. Ich habe heute Franzens Sachen bei dem Syndikus geordnet und lasse nur die Wäsche etc. nach Hause schicken, die Möbel werden verkauft. Ich habe von Franz seit Eurer letzten Nachricht aus Brüssel nichts gehört. Georg schreibt sehr brav u. fleißig, aber besonders nett ist Emma,6 auch Mizka u. Arthur7 bemühen sich um uns. Ich hoffe, Du bekommst diese Karte und kannst mir antworten. Mit innige Grüßen Mutter

phasenweise, noch eine Haushaltshilfe hinzu  ; das zwischenzeitliche Schicksal der in Dok. 12 erwähnten Mutter und Tochter Richter ist unklar). Sicher waren dies neben ihr und ihrer Tochter Franziska Fränkel, Louise Marx, Ernestine Hamburger und Heinrich Freund. 5 Martha Wenger war seit 1930 in dem von der Israelitischen Kultusgemeinde geführten Kleinkinderheim in der Unteren Augartenstraße 35 tätig, das zugleich als Notunterkunft für Säuglinge diente. Vgl. Personalkarte Martha Wenger, Archiv IKG Wien, Bestand Wien, A/VIE/IKG/I-III/PERS/Kartei, K22  ; Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 277–281. 6 Gemeint ist vermutlich die in der Schweiz ansässige Emma Schönberg, über die nicht nur Post beider Korrespondenzpartnerinnen abgewickelt wurde und die selbst in engerem postalischem Kontakt mit ihnen stand, sondern die beiden Familienteilen auch wiederholt Pakete sandte, evtl. auch Emma Löbl, vgl. Dok. 3 (Anm. 1) und 11, Anm. 11 bzw. Dok. 7, Anm. 3. 7 Arthur Perutz (*11. August 1874, Prag  ; gest. 16. Oktober 1944, Mauthausen). Arthur und Mitzka (d. h. Maria, vgl. Dok. 32, Anm. 6) waren in Wien zuletzt, d. h. zwischen 5. und 10. Januar 1938, im Hotel Sacher gemeldet, von wo sie nach Prag flohen. Im Krieg residierten sie zuletzt im Hotel Hungaria in Budapest, wo sie nach dem Einmarsch deutscher Truppen 1944 inhaftiert, anschließend deportiert und ermordet wurden, er in Mauthausen, sie in Auschwitz. Der spätere Chemie-Nobelpreisträger Max Perutz war ein Neffe des Paars. Dessen Familie war bis 1936 in Wien, Max’ Vater Hugo besaß die Kotton- und Tücherdruckfabrik Arnold Rosenthal. Vgl. Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1935, Bd. 1, Teil II, 90  ; WStLA, Meldeunterlagen Arthur Perutz sowie die Einträge zu Arthur (Artúr) Perutz in  : Digitales Gedenkbuch für die Toten des KZ Mauthausen bzw. die Central Database sowie die Todesliste vom 16. Oktober 1944 aus Hartheim (online verfügbar unter https://collections.arolsen-archives. org/archive/1-1-26-1_8117600/?p=1)  ; Ferry, Max Perutz, 2, 89 f.; Taufmatrikel der Prager jüdischen Gemeinde Knaben Lit. 14, 2. Abteilung, Pag. 56, Nr. 152.

138 |  Briefe 1938–1942

36 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, o.D.1 2 S., e. B.

Mein liebes Kind  ! Ich bin glücklich, daß ich Dir nach langen Zeiten wieder schreiben kann. Daß Du immer, was du auch mitgemacht hast, tapfer und mutig warst, bin ich überzeugt. Es beruhigt mich, daß Du nun eine Möglichkeit hast, Dich mit Viki in Verbindung zu setzen. Daß Martin auch noch die Masern hatte, hat mich besonders gekränkt. Hoffentlich erholt er sich bald. Ich habe die feste und bestimmte Hoffnung, glückliche und frohe Tage mit Euch allen zusammen zu erleben. Du weißt, ich gehe überall hin, wenn ich nur mit Euch beisammen sein kann. Ich bin gesund und arbeitsfähig, und warte nur darauf, meine Kräfte für Euch alle verwenden zu können. Martha ist fleißig in ihrem Beruf, ist glücklich mit allen den kleinen Kindern. Von Franz habe ich nichts gehört, hoffe aber, daß Grete, wenn sie ihn trifft, mir schreiben wird, ich habe sie darum gebeten. Dem Vater geht es ganz gut, er kommt öffters zu uns. Von Georg bekomme ich häufig Nachricht, er ist sehr brav. Er hat mir stolz geschrieben, daß er an einem der nächsten Sonntage bei Emma eingeladen sein wird.2 Emma ist ein Engel, ich kann ihr nicht genug dankbar sein, für ihre liebevollen Bemühungen, trotz ihrer eigenen Sorgen und Aufregungen. Daß ich in Gedanken immer bei Dir und den Kindern bin, kannst Du Dir denken. Ich umarme Euch und schicke Euch viele viele süße Küsse. In Liebe.

1 Aufgrund der Masernerkrankung von Martin Schneider kann der Brief auf August 1940 datiert werden. 2 Gemeint ist Emma Schönberg, vgl. Dok. 11, Anm. 11.

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37 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 3. September 1940 2 S., e. B.

3. Sept. 1940 Geliebtes Kind  ! Durch Viki, von dem ich schon 2 direkte Karten bekommen habe, höre ich auch von Dir und den Kindern. Natürlich ist mir dies alles zu wenig, weil ich ja doch gar nichts über euch weiß, aber man muß genügsam sein. Ich habe dieser Tage Franzens Sachen aufgelöst,1 und außer Möbel und diversen Kleinigkeiten einen großen Teil bei mir untergebracht. Ich glaube kaum, daß ich etwas davon Franz schicken kann, aber ich denke, vielleicht richtet Ihr Euch wieder einen Hausstand ein, da würdet Ihr die Sachen gut brauchen können. Wäsche und Bettzeug habe ich in meiner Wohnung verstaut. Das Küchengeschirr ist am Boden. Bei mir schaut es aus wie am Trödelmarkt, aber das macht nichts, die Hauptsache ist, daß nicht die ganzen Sachen vom Franz verloren gehen. Martha war 14 Tage auf Urlaub mit Kostals2 im Hochgebirge, sie ist gestern schwarz gebrannt (allerdings nicht von der Sonne, sondern vom Schnee u. Wind) sehr befriedigt nach Hause gekommen. Ich habe die letzte Zeit auch Arbeit gehabt, erstens mit dem Unterbringen von Franzens Sachen und dann ist mein Mädchen schon seit 14 Tagen auf Urlaub. Ich habe zwar eine Aushilfe, die ganz gut kocht und Geschirr wäscht, auch etwas Zimmer räumt, aber die grobe Arbeit fällt mir zu. Es geht ganz gut, ich bin viel arbeitsfähiger als früher. Auch bemühe ich mich allen Dreck, den meine Perle hinterlassen hat, sauber zu machen, was mir aber nur zum Teil gelingt.

1 Zur Emigration ihres Sohnes Franz und dessen Familie vgl. Dok. 1 (Anm. 10) und 5, Anm. 9. 2 Im Testament Martha Wengers findet sich die Verfügung, dass einem Ernst Kostal, Wattmanngasse 27, Wien, 100 Pfund zu vermachen seien, Privatbesitz Martin Schneider. Im Wiener Wohnungsanzeiger ist 1939 ein Ernst Kostal in der Fröbelgasse 45 aufgeführt  ; nach 1939 wird er nicht mehr genannt  ; im Archiv der IKG finden sich in den einschlägigen Beständen keine Hinweise auf einen Ernst Kostal, sondern lediglich auf einen knapp vier Jahre älteren Ernst Kostron (*23. Juni 1898). In der Wattmanngasse 27 ist 1941 wiederum ein Rudolf Kostal gemeldet, der in Dok. 50 genannt wird. Da er 1941 noch immer als Beamter aufgeführt ist, scheint es plausibel, dass er im NS-Sinn nicht als jüdisch galt. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 1542/1898  ; Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1939, Bd. 1, Teil I, 642  ; ebd., 1941, Bd. 1, Teil I, 659.

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Heute war Grossvater da, der mir geholfen hat, den Geschirrkoffer auf den Boden zu tragen. Er hat einen recht zufriedenen Brief von Fina bekommen, die unter anderem schreibt, daß sie von der KG 15  RM bekommen hat.3 Ich brauche ihr in Folge dessen diesen Monat nichts zu schicken, was dem Großvater zu Gute gekommen ist. Er kommt aber sonst auch nicht zu kurz. Ich gebe aber gerne und stehe mit ihm sehr gut. Ich habe dieser Tage von Grete einen Brief bekomme, da ich sie gebeten habe, wenn sie Franz schreibt, ihn von mir zu grüßen. Leider hat sie ihn aber noch nicht gesehen. Oskar dürfte in Vikis Nähe sein. Ich habe Viki auch heute geschrieben. Hoffentlich kommt meine Gratulation zurecht. Ich hoffe, ihn nächstes Jahr schon einen Kugelhupf backen zu können.4 Meine größte Freude ist, wenn ich Nachricht von Euch habe, ich bin Emma5 unsagbar dankbar, daß sie sich so um Euch bemüht. Ich habe wieder alte Stoffe u. Sachen zu Hause, ob ich den Buben etwas daraus machen könnte und Euch schicken  ? Tausend innige Küsse und den Kindern Mutter

3 Josefine Schneider, die Schwester von Ella Wengers Schwiegersohn Viktor, war zu diesem Zeitpunkt im KZ Ravensbrück interniert. Vgl. Dok. 18, Anm. 13. 4 Viktor Schneider feierte am 17. September seinen 36. Geburtstag. 5 Gemeint ist die in der Schweiz lebende Emma Schönberg. Vgl. zu ihr Dok. 11, Anm. 11 und zu deren Sendungen an die Familie Schneider Dok. 41.

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38 Ella Wenger an Viktor Schneider Wien, 5. September 1940 e. Postkarte, mit einer Nachbemerkung von Madi

Absender  : Wenger Ella Wien I Esslinggasse 13/13 Empfänger  : Herrn Victor Schneider Ilot I Baraque 34 Camp St. Cyprien Pyrenees Orientales France 5. Sept. 1940 Lieber Viki  ! Der Grossvater war heute da und hat mir mit Freuden Deine Karte gezeigt. Besonders gefreut hat mich Dein Nachsatz auf der einen Seite. Hoffentlich geht er in Erfüllung. Lisi wäre glücklich. Ich kann dann leider nicht mehr direkt an Dich schreiben,1 aber das macht nichts, deshalb schreibe ich heute wieder. Die erste Nachricht, die ich von Dir bekommen habe, war von einem Bettnachbarn von Dir, der mir sehr nett aus B. geschrieben hat, wie er heißt konnte ich nicht lesen, der Bruder von unserm alten Herrn hat ihn bei Deiner Wohnung getroffen2 und mir schon Nachricht von ihm angekündigt. Leider berichtet der Bruder von altem Herrn nicht sehr gutes. Es geht ihm schlecht, er hat nichts zu leben. Ich würde nur gerne wissen, was mit den Sachen von H. Schwarzbart geschieht  ? Kann man Kleider u. Wäsche noch bekommen  ? Das andere ist doch nicht wichtig. Wenn Du an Grete schreiben würdest, könntest Du erfahren, wo Oskar ist, ich glaub in Deiner Nähe. Von Georg habe ich gestern eine Karte bekommen, er schreibt sehr 1 Der Hintergrund dieser Bemerkung ist nicht ganz klar. Viktor Schneider erkrankte in dieser Zeit an Typhus, doch wurde dieser Umstand Ella Wenger lange verheimlicht, vgl. Dok. 43. Möglicherweise hatte er sich eine Ausrede einfallen lassen, warum sie ihm (und er ihr) nicht schreiben konnte. 2 Der Bruder von Heinrich Freund – Leopold Freund – war nach Brüssel emigriert, so dass das »B.« in der Zeile darüber als Brüssel aufgelöst werden kann. Vgl. Dok. 39, Anm. 6.

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brav. Fina geht es gut, sie bekommt jetzt regelmäßig von der KG etwas.3 Wenn Du Lisl schreibst, ich schicke ihr und den Kindern viele viele Bussi, ich habe ihr gestern auch geschrieben. Herzliche Grüße Mutter Moi aussi M. Schneider j’éprouve grande joie quand Madame votre mère recoit de vos nouvelles. Saluez moi bien Lisi et les enfants qui se rappelleront de leur vieille Madi. Mes meilleurs saluts. Georgette.

3 Josefine Schneider, die Schwester ihres Schwiegersohns Viktor, war zu diesem Zeitpunkt im KZ Ravensbrück interniert. Vgl. Dok. 18, Anm. 13.

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39 Ella Wenger an o. Adressat1 Wien, o.D. [September 1940] 2 S., e. B.

Viki habe ich eine Karte geschrieben, hoffentlich kommt sie zu seinem Geburtstag zurecht, mit dem bestimmten Versprechen, ihm nächstes Jahr einen Kugelhupf backen zu können. Louiserl hat auch im Sept. Geburtstag, und da ich wußte, daß es ihr mit Frottierhandtüchern sehr knapp geht, habe ich aus den Schätzen von Franz zwei gute herausgesucht mit einem Gedicht. Heut zu deinem Wiegenfeste wünsch ich Dir das Allerbeste, da ich leider punktelos,2 schenk ich Dir was Altes blos. Du siehst, ich kann das Dichten nicht lassen. Leider konnte ich mich mit Franz in gar keiner Verbindung setzen, am 20. habe ich an ihn gedacht.3 Heute Nachmittag erwarte ich Jellinek. Er ist nämlich ein Bastler, der alles kann. Ich habe im Waschraum einen Verdunklungsvorhang gemacht, der soll sich ziehen lassen und will nicht recht, da wird er ihn mir richten. Ansonsten stricke ich momentan das 2 Paar Wollsocken für H. Freund zu seinem Geburtstag. Die Ferse ist zwar noch immer nicht tadellos, aber sonst werden sie wunderschön. Ich habe Dich beneidet, daß Du Brombeeren einkochen konntest, ich hätte auch gern welche haben wollen, aber man bekommt keine. Leider habe ich heute die Paradeis überkochen müßen, da sie angelaufen waren. Ich war vorige Woche statt 2 mal 3 mal bei der Paula, sie ist gar nicht beinander, liegt im Bett und hat mich gewünscht. F. Illner ist auch recht elend.4 Sehr erfreulich 1 Das Schreiben ist nur fragmentarisch überliefert  ; der Briefanfang und damit auch das Datum fehlen. Aus den brieflichen Schilderungen kann jedoch erschlossen werden, dass es sich um das Jahr 1940 und den Geburtstag Viktor Schneiders handelte, so dass der Brief auf September 1940 zu datieren ist. Vgl. zudem Dok. 52. 2 Nach Beginn des Krieges wurde im November 1939 die Reichskleiderkarte eingeführt, die den Erwerb von Textilien für Zivilisten mittels eines Punktesystems reglementierte. Die Karte war jeweils für ein Jahr gültig, doch waren als jüdisch definierte Menschen seit Februar 1940 von dem Bezug solcher Karten ausgeschlossen. Vgl. Dressen, Reichskleiderkarte sowie Dok. 30, Anm. 4. 3 Es handelte sich um den Geburtstag ihres Sohnes Franz. 4 Helene Illner (geb. Bauer, *9. Juli 1857, Prag  ; gest. 17. Januar 1942, Wien). Ihr Mann Sigmund (*18. September 1845, Prag), den sie 1881 in Wien geheiratet hatte, war bereits 1898 verstorben. Der Wohnort von Frau Illner, die dem jüdischen Bekenntnis angehörte, zum Zeitpunkt des Briefes konnte nicht eruiert werden  ; vom 5. April bis 11. Dezember 1941 war sie in der Aspernbrückengasse 1/12 – dem ehemaligen Piper-Heim der IKG –, danach bis zu ihrem Tod in der Goldschlagstraße 84 gemeldet, zuvor offenbar in Hietzing. Zu ihrem Auszug und der neuen Wohnung vgl. die Dok. 42 und 44 sowie WStLA,

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sind diese Besuche nicht, aber ich versäume nichts zu Haus und tu ein gutes Werk. Ich muß Gott danken, daß ich so wohl und agil bin und alles machen kann. Ich wurstel von ½ 6 Uhr bis Abend herum, dafür wenn ich Abend mit der Louiserl Karten spiele, fallen mir die Karten aus der Hand, weil ich auf einmal gemerkt habe, daß ich ein Nickerchen gemacht habe. Vielleicht liegt es aber auch an dem Spiel der Louiserl, die zur Überlegung, was sie machen soll, schrecklich lange braucht, ich habe schon vorgeschlagen, eine Eieruhr aufzustellen. Mir wäre lieber, wenn wir nicht spielen würden, aber das ist schon so eingeführt, der alte Herr schaut zu, bis er auch einschläft. Du siehst es geht bei uns am Abend nicht sehr lärmend zu, aber jedenfalls friedlich. Martschi, die ab und zu am Abend vom Dienst nach Hause kommt, trägt auch zur Heiterkeit nicht viel bei, da sie gewöhnlich von ihren vorherigen Nachtdienste todmüde ist. Ich fühle mich aber bei all dem ganz wohl. Ich habe noch keine Antwort bekommen, ob ich den Buben aus den alten Sachen, die ich habe, etwas machen könnte und Euch schicken. Die Kinder brauchen doch bald warme Sachen. Swochen läßt die Süssen grüßen, sie hat Franzens Wäschebank, die im Vorzimmer stand, gekauft, das heißt für einen Tag Arbeit erstanden. Allerdings weiß ich nicht, wann ich diesen Tag abarbeiten werde lassen, neue Sachen gibt es nicht, und an den Alten ist nichts zu richten, aber darüber werde ich mir keine grauen Haare wachsen lassen. Neulich war Tante Regiene von ½ 4 Uhr bis ½ 7 Uhr bei mir, ich habe doch gar keine Beziehungen mit ihr, aber es scheint ihr bei mir gefallen zu haben, sie wohnen in einer Pension, von der verh. Tochter und Joschka haben sie keine Nachricht.5 Unser alter Herr hat von seinem Bruder öfter Nachricht.6 Er hat noch die alte Adresse oder besser wieder, er klagt aber sehr, da sie gar keine Unterstützung bekommen. Meldeunterlagen Helene Illner und die Taufmatrikel der Prager jüdischen Gemeinde 1854–1860, Pag. 181, Nr. 199. 5 Die Identität der Personen konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden. Dem Kontext nach dürfte es sich bei Regiene um eine Schwester, bei Joschka um einen Bruder von David Schneider handeln. Die Bemerkung über die verheiratete Tochter könnte sich auf die Tochter David Schneiders aus erster Ehe, Marie Juval, beziehen  ; vgl. zu ihr Kap. 2, Anm. 48. 6 Es handelt sich um Hofrat Prof. Dr. Leopold Freund (*5. April 1868, Miskowitz  ; gest. 7. Januar 1943, Brüssel), der als (Mit-)Begründer der Radiologie in der Medizin gilt, nachdem es ihm bereits 1896 – im Jahr nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen – gelungen war, die Behaarung eines Muttermals durch Röntgenbestrahlung verschwinden zu lassen  ; 1904 habilitierte er sich für medizinische Radiologie, für seine Leistungen wurde er mehrfach, u. a. 1906, für den Nobelpreis nominiert. Zu Ella Wenger bestanden insofern weit zurückreichende Beziehungen, als Leopold Freund als radiologischer Assistent zur selben Zeit am Wiener Kinderkrankenhaus tätig war wie Julius Zappert. Im August 1939 war Freund vor den Nationalsozialisten nach Brüssel geflohen, wo es ihm materiell, wie aus nachfolgenden Briefen hervorgeht (vgl. Dok. 35, 38, 39), schlecht ging. 1943 erlag er einem Darmkrebsleiden. Vgl. Merinsky, Auswirkungen, 59–61  ; zum abweichenden Emigrationsdatum (Merinsky, die NDB u. a. nennen 1938) vgl. den Meldezettel Leopold Freunds vom 24. April 1939, WS tLA (auch online

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Heute mußt Du wohl mit mir zufrieden sein, daß ich Dir einen so langen Brief geschrieben habe. Nächstens wieder. Dir und den Kindern innige Küsse Mutter

verfügbar  : https://www.wien.gv.at/actaproweb2/benutzung/image.xhtml?id=MG1IZG/xeRH21nIN GopKeeM0+8OkdD4Jp25sfgC2ACs1)  ; Mentzel, Aus den medizinhistorischen Beständen  ; zur Situation der Österreicher in Belgien Weinzierl, Österreicher im Exil.

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40 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 24. September 1940 4 S., e. B. mit e. Randbemerkungen von Martha Wenger und Emma Schönberg

24. September 1940 Geliebtes Kind  ! Sehr sehr gefreut habe ich mich mit Deinem 1. Brief. Ich habe den Tag vorher an Emma geschrieben, daß ich so lange nichts von Euch gehört habe. Und dann kam die freudige Überraschung. Auch von Georg bekam ich dieser Tage eine Karte, die ich gleich beantwortete. Leider scheint die Post wieder zu stecken, da ich weder von Viki etwas bekommen habe, noch von dir die Karte. Ich freue mich, daß die Buben so brave Schüler sind. Kannst Du den Martin nicht irgendwo hineinstecken  ? Ich weiß jemand, der eine Art Kindergarten machen könnte. Da brauchtest Du die Gerti. Die ist noch in Wien mit ihrem Amadeus,1 leitet aber einen Kindergarten bei Gildemeester und ist sehr glücklich damit.2 Es ist zwar eine unbezahlte Stellung, aber sie hat viel Vorteile davon, und hauptsächlich eine Beschäftigung, die ihr zusagt und voll befriedigt. Sie war heute Vormittag auf einen Sprung bei mir, da sie wußte, daß ein Brief von Dir kam. Sie selbst bekommt gar keine Nachricht. Ich habe die ganzen Spielsachen vom Stefan aufgeteilt, etwas hat die Martha genommen, etwas die Gerti und ziemlich viel die Emmy für ihre Kinder,3 auch eine herrliche neue Schultasche, die Franz gekauft hat, für das Mariandel, die heuer in die Schule gekommen ist. Unsere Buben haben doch auch keine Schultaschen. Können sie die Rucksäcke benützen  ? Natürlich hat mir 1 Gemeint ist Gertruds Mann, Wolfgang Brunner, der der Familie als schwerfällig und nicht besonders engagiert galt. Vgl. z. B. die Dok. 22 und 23. 2 Da die Auswanderungsmöglichkeiten – deren Ermöglichung das Hauptziel der Aktion Gildemeester war – nach Kriegsbeginn von den Nationalsozialisten stark eingeschränkt wurden, wandte sich die Aktion Gildemeester bzw. der AHO verstärkt Fürsorgeaktivitäten zu. Bereits ab Sommer 1939 bot sie Umschulungskurse für Ausreisewillige an, richtete in dem Haus in der Wollzeile 7 eine Armenküche ein und gründete im Dezember 1940 gemeinsam mit der Erzbischöflichen Hilfsstelle eine Schule für christliche und konfessionslose nichtarische Kinder in der Grüngasse 14 und offenkundig auch einen Kindergarten. Vgl. die Erinnerungen von Emil Gottesmann (Gottesmann, Aktion Gildemeester)  ; Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 331 f.; grundlegend zur Aktion Gildemeester Venus/Wenck  ; Dok. 34, Anm. 2. 3 Gemeint ist Emma Löbl und ihre Kinder Hans Wilhelm und Marianne. Vgl. Dok. 7 (Anm. 3) und 26, Anm. 11.

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das Herz weh getan, daß ich nicht Martin die Spielsachen zukommen lassen konnte, die ganzen Tiere waren doch noch da und eine Menge kleiner Aufziehdinger (Auto, Feuerwehr, feuerspeiende Krokodiele, eine Maus, ein Frosch etc. etc.). Ich bin natürlich froh, so viel als möglich weggeben zu können, da ich noch genug Sachen unterbringen mußte. Du würdest staunen, wie mein Vorzimmer angeräumt ist mit Kästen und auf denselben Kisten und Körbe. Die Hauptsache, es ist alles, was ich behalten wollte, untergebracht, und fällt einem nicht auf den Kopf, wenn man vorübergeht. Mein Zimmer (Speisezimmer) ist noch recht gemütlich und halbwegs ordentlich. Im Kabinett ist die Louiserl mit ihren Möbel, und in meinem ehemaligen Schlafzimmer, der alte Herr, der ein feiner, lieber Hausgenosse ist und für den ich mich am meisten aussorge. In den beiden hinteren Zimmern ist F. Hamburger und eine Kollegin von der Martha, Frl. Fränkel.4 F. H. ist ein dickes Schwein, gebildet und intelligent, aber unappetitlich und unsauber. Ich habe ihr wie sie bei mir einzog, ein Verhaltungsvorschrift zur Unterschrift vorgelegt, und sehe jetzt wie recht ich getan habe, jedenfalls habe ich ihr die Möglichkeit benommen, auch unsere Zimmer zu benutzen. Fr F. ist eine ideale Mieterin, sie schläft, frühstückt, geht ins Büro und kommt Abend zum Nachtmahl (das macht sie sich allein) nach Hause. Die zwei Frauen vertragen sich ganz gut, einstweilen ist alles in Ordnung. Samstag hat Martha Geburtstag, natürlich kann ich ihr nicht viel schenken, ein paar Filzhausschuhe (eine Art Hüttenschuhe), einen hübschen gestrickten kleinen Jumper (natürlich die Madi gemacht) und eine Wachstuchschürze für das Heim zum Kinder füttern. Dann versichere ich sie nochmals meiner Liebe zu ihr und meinen einzigen Wunsch für ihr zukünftiges glückliches Leben. Liebes5 Lischen  ! Wir haben uns schrecklich mit Deinem Brief gefreut. Vielen Dank für die Geburtstagswünsche. Ich arbeite fleißig. Wenn ich frei bin, lerne ich Radfahren. Denk Dir, ich bin nur sehr feig, Mutter ist fabelhaft, sie wird immer juenger und fescher. Viele Bussi Dir und den Süßen Deine alte Martha 4 Es handelt sich um Franziska Fränkel (*12. September 1883, Wien  ; gest. 27. März 1963, Wien). Sie gehörte dem jüdischen Bekenntnis an und wurde am 2. Januar 1942 aus der Esslinggasse in die Ferdinandstraße 19/6 zwangsverlegt. Ihr Schicksal ist unklar, doch überlebte sie den Holocaust. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Franziska Fränkel  ; Hausliste Eßlinggasse 13, A/VIE/IKG/II/BEV/Wohn/8/2, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI). Vgl. zu den Aktivitäten der Zentralstelle für jüdische Auswanderung am 2. Januar 1942 in der Esslinggasse, mit denen v. a. alte und bettlägerige Personen aus ihren Wohnungen herausgeholt und in Altersheime verlegt wurden, auch Hecht/Raggam-Blesch, Weg in die Vernichtung, 47. 5 Die beiden nachfolgenden Absätze sind seitlich und am unteren Briefrand der ersten (erster Absatz  ; von der Hand Martha Wengers) bzw. am unteren Rand der zweiten Seite (von der Hand Emma Schönbergs) nachgetragen.

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Gleichzeitig mit Mutters Brief kam heute der Deine v. 25. u. ich hoffe, Du hast inzwischen den meinen v. 25. erhalten. Mutter hat Deine beiden Briefe erhalten, vielleicht ging eine Antwort verloren. Deine diversen Anliegen erfülle ich nach Möglichkeit, bzgl. des einen warte ich auf eine neue Adresse, wünsche von Herzen, dass Ihr es sehr gut treffet. Herzlichst Deine Emma

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41 Ella Wenger an Emma Schönberg  ; Weiterleitung m. Nachbemerkung von Emma Schönberg an Elisabeth Schneider Wien, 27. November 1940 1,5 S., e. B. mit angeschlossenen 0,5 S. masch. B.

27 November 1940 Liebste Emma  ! Also der Weihnachtsmann war schon bei mir, er war sehr sehr brav, ich danke Euch vielmals, daß Ihr ihn geschickt habt. Obwohl ich eine große Freude mit den Sachen habe, habe ich schon ein bedrückendes Gefühl über so viel Güte von Euch. Obzwar ich von Lisl schon sehr lange nichts gehört habe, schreibt mir Georg immer wieder, daß Lisl nur durch Euer dazutun eine Existenzmöglichkeit hat. Ich dank Euch von Herzen, was Ihr an meinen Kindern Gutes tut. Ich habe auch einige recht traurige Tage mitgemacht. Meine Freundin Paula Singer ist nach einer wochenlangen Krankheit gestorben.1 Ich habe in ihr eine gute Freundin verloren, die alles Leid und alle Freude mit mir geteilt hat. Ich habe sehr viel Zeit seit Jahren bei ihr verbracht. Man wird immer einsamer. Momentan habe ich zwar noch viel Arbeit vor, da sie keine Verwandten hat und ich vom Notar bestimmt worden bin, die Wohnung aufzulösen.2 Es wird eine recht große Arbeit sein, da sie einen gut gehaltenen gepflegten Hausstand hatte. Meine einzige Freude ist, daß ich, wenn ich die Barausgaben durch Verkauf des Möbels gedeckt habe, mit vollen Händen verschenken kann. Da finden sich Leute genug, die gerne nehmen. Wenn ich Lisl etwas davon zukommen lassen könnte, aber leider ist dies ausgeschlossen. Ich bin nur froh, daß ich noch leistungsfähig bin und alle Laufereien machen kann. Glaubst Du, daß ich wieder einmal der Lisl schreiben könnte  ? Ich habe ihr schon sehr sehr lange nicht geschrieben. Sonst ist eigentlich von uns nicht viel zu berichten. Martha ist fleißig und brav und stolz auf das gute Gedeihen ihrer Pfleglinge. 1 Paula Singer starb am 12. November 1940 und wurde zwei Tage später auf dem Wiener Zentralfriedhof (Grab 8, Reihe 10, Nr. 80) zu ihrem Jahre zuvor verstorbenen Mann Sigmund (*17. März 1856) beigesetzt. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Beerdigungsprotokoll 1940, Singer, Paula, 14. November 1940  ; ebd., Bestand Matriken, Trauungsbuch, Rz. 261/1896  ; Dok. 3, Anm. 23. 2 Der Mann von Paula Singer war 1919 verschieden, weitere Angehörige gab es nicht, so dass sich Ella Wenger bereits um die Beerdigung gekümmert und deren Kosten beglichen hatte. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Beerdigungsprotokoll 1940, Singer, Paula, 14. November 1940.

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Liebste Emma, mache mir die Freude und schreib mir wieder einmal und hoffentlich nur Gutes. In Dankbarkeit und Liebe  ! Ella Liebe3 Lisl  ! Ich bestätige mit Dank Deinen lieben Brief v. 3. und bin froh, dass das Päckli doch angekommen ist, was mir schon Dein Schwager mitgeteilt hatte. Dass Dein Mann wieder rezidiv ist, tut mir leid, aber ich glaube diese Krankheit ist vor 8 Wochen nie ausgeheilt und dann kommt noch die Recenvaleszenz.4 Ich hoffe, es geht ihm bald besser, und die Sorge um ihn wird leichter. Vor 3 Tagen erhielt ich diesen Brief Deiner lieben Mutter und sende ihn Dir einfach ein, Du wirst Dich mit ihrer Schrift freuen und mit ihrem guten tapferen Sinn. Ich habe ihr gleich geschrieben und ihr mitgeteilt, was Du Gutes über Dich und die Buben berichtest. Bei dieser Gelegenheit möchte ich Dir etwas sagen, was Du aber weder missverstehen noch übel nehmen darfst. So erfreulich es ist, dass die Kinder so intelligent und aufgeweckt sind, möchte ich Dir sehr raten, aus ihren Schulerfolgen möglichst wenig zu machen und zu bremsen wo Du kannst, ohne sie selbst es fühlen zu lassen. Ich weiss von vielen Seiten, dass es in dem Gastland so übel vermerkt wird, wenn unsere Kinder die ihren in den Schatten stellen, und je taktvoller man sich da benimmt, desto besser und kann sehr unangenehme Folgen vermeiden. Du bist so eine kluge Frau, Du wirst mich verstehen. Ich erhielt ebenfalls heute von dem Komitee, an das ich im Oktober schrieb, eine ganz veraltete Antwort über Betty Wolkenfeld. Diese ist gut angekommen, ihre jetzige Adresse ist  : 4a Palatine R. Withington, Manchester.5 Wenn weitere Nachrichten gewünscht werden, 3 Von hier an folgt der maschinenschriftliche Teil des Briefes von Emma Schönberg an Elisabeth Schneider. 4 Viktor war in dem südfranzösischen Lager St. Cyprien interniert. Dort waren seit Mai 1940 bis zu 8000 Menschen gleichzeitig unter einfachsten sanitären Bedingungen untergebracht, dementsprechend schlecht waren die hygienischen Zustände. Da überdies die Lebensmittelversorgung nicht gut war, kam es zur Ausbreitung zahlreicher Krankheiten, von denen eine auch Viktor Schneider erlitt  : Er bekam Typhus. Vgl. Vormeier, Lage, 212  ; Georg Schneider an Frau Boritzer vom Verband der Schweizerischen Israelitischen Armenpflege, 21.1.1941, Archiv für Zeitgeschichte Zürich, IB VSJF-Archiv / S 463  ; o.A., Schneider’s Story, unpag. 5 Betti Wolkenfeld (*1927, Berlin  ; gest. 2000) entstammte einer Berliner jüdischen Familie. Ihr Vater Meilech (*10. Dezember 1893, Czudec/Polen) war als gebürtiger Pole im Oktober 1938 im Rahmen der von Heinrich Himmler angeordneten »Polenaktion« – d. h. der gewaltsamen Abschiebung von mindestens 17.000 polnisch stämmigen Juden aus dem Reich nach Polen – ausgewiesen worden und verbrachte die Zeit bis Sommer 1939 zwangsweise in Zbąszyń (deutsch  : Bentschen). Währenddessen hatte Bettis

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soll man sich an  : Miss Armitt, 16 Queen Street, Manchester 2, c/o Refugee Childrens Movement Ltd. (Regional Committee No. 10) wenden. Oder soll ich schreiben  ? Einen Brief von Dir zu Mutters Geburtstag habe ich nicht erhalten, ich bemerke das nur der Ordnung wegen. Das Päckli an Dich ist vor einigen Tagen schon abgegangen, der Inhalt ist so ziemlich der gleiche wie das letzte Mal, wenn man Suppenwürfel schicken darf, kann ich es erst im Jänner tun. Alles Gute und recht herzliche Grüsse von Deiner Emma

Mutter Chaje (*8. Januar 1903, Kolbuszowa/Polen) die beiden älteren ihrer drei Kinder (Betti und Jacob, *1929, Berlin) an die niederländische Grenze gebracht und Frauen übergeben, die offenkundig einer jüdischen Hilfsorganisation angehörten, die sie in ein Heim nach Driebergen brachten. Nach Kriegsbeginn kamen die Kinder nach Belgien, wo sie in Antwerpen mit ihren nun ebenfalls geflüchteten Eltern sowie der 1936 geborenen jüngsten Tochter Miriam zusammentrafen. Als Deutschland auch Belgien überfiel, wurde Betti am 10. Mai 1940 mit einem Kindertransport nach England geschickt, wo sie vom Jewish Committee of Manchester in einem Mädchenheim in Withington, Manchester, 42 Heaton Road, untergebracht wurde. Der Rest ihrer Familie floh unterdessen weiter nach Südfrankreich – wo der Kontakt zur Familie Schneider zustande gekommen sein dürfte – und von dort im Juni 1941 nach New York, wohin Ende 1943 auch ihre Tochter kam. Vgl. Wolkenfeld Hauser, The Story  ; Maurer, Abschiebung  ; Bothe/Pickhan, Ausgewiesen  ; die online-Sammlung im Jüdischen Museum Berlin, verfügbar unter https://objekte.jmberlin.de/person/jmb-pers-518440/Betti+Wolkenfeld sowie das dazugehörige Findbuch, das die Stiftung Jüdisches Museum Berlin mir freundlicherweise zur Verfügung stellte. Frau Franziska Bogdanov gilt hierfür mein herzlicher Dank.

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42 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 6. Dezember 1940 2 S., e. B.

6. Dezember 1940 Mein geliebtes Kind  ! Sehr große Freude habe ich mit Deinem lieben Brief. Es ist gut, daß er schon so lange vor meinem Geburtstag gekommen ist, da werde ich ihn schon auswendig kennen, da ich ihn jeden Tag einige Mal lese. Besonders gefreut haben mich die Briefe von den Kindern, bei Robert ist die Erinnerung an mich gewiß noch recht deutlich, bei Rudi weiß ich nicht bestimmt, aber der Kleine kann sich unmöglich an mich erinnern, und ich kann ihm gar nichts schenken, auch Rudi kommt bald dran, hoffentlich verbringt Ihr die Tage gesund und den Kindern zu liebe fröhlich. Natürlich interessiert mich jedes Wort, was Du schreibst und lebe ich in Gedanken immer mit Euch. Ich gebe aber absolut die Hoffnung nicht auf, einmal in Wirklichkeit mit Euch beisammen zu sein. Von mir ist nicht viel zu berichten, ich bin gesund und habe den ganzen Tag zu tun. Daß die Paula am 12. November gestorben ist, wirst Du schon wissen. Sie ist ein paar Wochen gelegen, ihre Krankheit (Herz u. Nieren) war allerdings besorgniserregend, aber ich habe an ein so schnelles Ende doch nicht geglaubt. Vielleicht ist es gut so, jedenfalls hat sie den Ernst des jetzigen Leben nicht kennen gelernt, und hat sich nichts abgehen lassen müßen. Sie wird mir natürlich sehr abgehen, erstens habe ich viel Zeit bei ihr verbracht und zweitens habe ich doch alle Briefe und jedes Lebenszeichen, was von Euch gekommen ist, mit ihr besprochen. Sie hat sich mit allem gefreut und natürlich gesorgt. Einstweilen bin ich noch oft in Hietzing,1 erstens bei F. Illner (die am 15. auszieht) und dann bin ich die Einzige, die die Wohnung auflösen muß.2 Allerdings darf ich einstweilen noch nichts machen, da ich erst vom Gericht die Bewilligung haben muß, obwohl gar kein Vermögen da ist. Mir graut vor der ganzen Arbeit, erstens 1 Im Südwesten gelegener XIII. Bezirk Wiens. 2 Die genaue Adresse von Helene Illner konnte nicht festgestellt werden, doch heißt es bereits in Dok. 39, dass sie in der Nähe von Paula Singer wohne. Diese hatte zwar seit 5. Juli 1939 bis zu ihrem Tod im XIV. Bezirk gewohnt, doch war ihre Meldeadresse (Penzinger Straße 87/3) unmittelbar an der Grenze zu Hietzing gelegen. Angesichts fehlender Verwandter kümmerte sich Ella Wenger um alle organisatorischen Angelegenheiten Paula Singers nach deren Tod. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Paula Singer  ; Dok. 41, Anm. 2.

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weiß ich doch, daß alle Kasten und Ladeln voll sind mit alten Sachen (ich glaube sie hat durch 45 Jahre nichts fortgeworfen) und dann wird die Wohnung leer sein (das Mädchen geht auch am 15.d.), kalt ungemütlich. Ich nehme mir natürlich kaum etwas von ihren Sachen, da man trachtet seine eigenen Sachen abzustoßen  ; aber ich habe schon hübsch viel Wunschzettel von allen möglichen Leuten (Hedi Weiss etc.), die jeder etwas wollen. Die Möbel müssen verkauft werden, da meine Ausgaben gedeckt werden müßen. Du siehst, ich habe genug damit zu tun, aber vielleicht ist es gut so. Es war immer mein größter Wunsch, am Sonntag frei zu sein, um mit Euch beisammen sein zu können, jetzt bin ich frei  ! Übrigens darf ich mich nicht über meine guten Bekannten beklagen, sie lassen mich nicht im Stich, so hat zu Beispiel Mathilde Sommer3 mir den Vorschlag gemacht, abwechselnd jeden Sonntag zusammen zu kommen. Aber so schlecht geht es mir noch nicht, daß ich mir diese Fades (der Vater hat immer Fatilda gesagt) aufhalsen würde. Ich werde schon eine Beschäftigung finden. Martha ist ja auch sehr brav, aber sie macht fast jeden Sonntag mit Kostals einen Ausflug, wenn sie frei ist. Du siehst, unser Leben hat sich nicht viel geändert. Das Speisezimmer war (mein Schlafzimmer ist zimlich unverändert, nur habe ich Gott sei dank die großen Schüsseln auf den Wänden verkauft und die Krüge von der Kredenz, für die 2 schwarzen Weintraubenbilder, die oberhalb der einstigen Diwan hingen, habe ich leider keinen Käufer gefunden).4 Aber das Zimmer ist noch immer gemütlich und voll von Erinnerungen. Bitte schreib mir recht bald, besonders was Viki macht, ich habe ihm vor 1. Monat ein Paket geschickt  ! Euch allen innige Küsse, mir ist oft recht bang nach Euch, aber denken darf man nicht  ! Mutter

3 Mathilde Sommer (*15. Oktober 1867  ; gest. 28. Oktober 1941, Datum der Deportation nach Łódź). Sie gehörte dem jüdischen Bekenntnis an. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Mathilde Sommer, in denen als Abmeldevermerk noch immer die zeitgenössische, zynische Bemerkung »ausgereist nach Polen« zu finden ist. 4 Der Satz bleibt unvollendet.

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43 Ella Wenger an Georg Schneider Wien, 24. Dezember 1940 2 S., e. B.

24. Dezember 1940 Liebster Georg  ! Vor mir liegen Deine letzten Nachrichten, eine Karte vom 6/XII und Dein lieber guter Brief vom 10/XII mit den Geburtstagswünschen. Du darfst nicht böse sein, wenn ich Dir erst heute danke. Vor allen will ich Dir meine wirkliche Freude ausdrücken, weil Du mir so herzlich geschrieben hast, das Wort »Mutter«, was Du mir gegeben hast, hat mich gerührt und wollen wir jetzt immer dabei bleiben. Ich habe auch einen schönen Blumenstock bekommen, also die Schneiders waren würdig vertreten. Leider war ich nicht zu Hause, wie die alte Frau mir ihn persönlich gebracht hat. Sie hat aber versprochen, bald wieder zu kommen. Auch Vater war da, wir haben uns gegenseitig angratuliert.1 Über meinen Geburtstag zu schreiben, ist uninteressant, Du weißt, daß ich keine Freundin »von gefeiert werden« bin, doch verlief er ganz gut, ich habe ihn ganz angenehm verbracht. Obwohl Weihnachten bei uns keine so große Rolle spielt, habe ich doch genug damit zu tun gehabt, ich habe noch immer genug Leute, denen ich etwas schenken will, denn das ist meine größte Freude. Daß ich Golo2 bis jetzt nichts schicken konnte, liegt nicht an mir, doch hoffe ich, es wird doch noch gehen. Heute war Vater wieder da, und weiß ich jetzt auch warum Viki mir so lange nicht geschrieben hat. Vater hat mir (nachdem er vorher bei Martha war, um sie zu fragen, ob er mir die Wahrheit sagen soll) sowohl den Brief von Lisl an ihn, als auch Deine Karte zu lesen gegeben. Ich danke Dir für Deine Rücksicht mir gegenüber, aber Du weißt, mir ist die Wahrheit am liebsten. Allerdings bin ich froh, daß ich die Tatsache erst erfahren habe, wie Viki schon etwas besser war. Eine so schwere Krankheit bei solcher Entfernung und ohne regelmäßige Nachricht ist furchtbar.3 Die arme Lisl, was 1 David Schneider hatte am 13., Ella Wenger am 19. Dezember Geburtstag. Die nicht näher genannte »alte Frau«, die auf Initiative Georgs und im Namen aller Schneiders Blumen für Ella Wenger brachte, war eine Frau Bäum(e)l, die jedoch nicht näher identifiziert werden konnte. Vgl. zu ihr Dok. 44. 2 Spitzname für Georg Schneider. Vgl. zu ihm Dok. 9, Anm. 9. 3 Ihr Schwiegersohn war im Lager St. Cyprien an Typhus erkrankt. Vgl. Dok. 41, Anm. 4.

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muß sie mitgemacht haben. Du bist so gut und schreibst mir wieder, wenn Du etwas weißt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Lisl ihn besuchen kann, was macht sie mit den Kindern  ? Es hat gar keinen Sinn, wenn ich mir den Kopf aussorge, helfen kann ich ihm leider nicht, ich kann nur hoffen, wünschen und beten, daß sich Viki wieder bald erholt und ganz gesund wird. Vater hat auch einen Brief von Fina mitgebracht, allerdings hat sie die beiden Postkarten noch nicht bestätigt. Hoffentlich bekommt sie sie, ich habe auch dazu beigetragen. Sie schreibt nichts Neues, läßt Dich natürlich sehr grüßen, und freut sich, daß Lisl eine Wohnung mit eigener Wirtschaft hat. Lisl und den Kindern schicke ich viele, viele Bussi, ich denke viel an sie. Die, lieber Georg, nochmals vielen Dank und viele gute Wünsche für das künftige Jahr. In liebe Mutter

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44 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 31. Dezember 1940 3 S., e. B.

31. XII 1940 Mein geliebtes Kind  ! Das war gestern eine große Freude für mich, wie ich Deinen Brief bekommen habe, ich dank Dir tausendmal. Ich war wieder ein bisserl mit Dir beisammen und habe mich mit den Kindern im Geiste vereint gefühlt. Ich bin so stolz auf Deinen lieben Brief, daß ich ihn jedem zeigen wollte, damit alle wissen, was ich für eine brave, tüchtige, liebevolle Tochter habe. Leider die Person, die das größte Interesse dafür gehabt hat, ist nicht mehr, wenn ich von Dir und den Kindern Nachricht hatte, konnte ich nicht erwarten sie Paula zu zeigen und vorzulesen, das war für beide ein Festtag, wenn auch manchmal ein Tränlein dabei herunter gelaufen ist. Ich weiß auch, welches Opfer Du bringst, mir einen so langen Brief zu schreiben, die halbe Nacht geht doch drauf. Ich will mich bemühen, Dich mit einem recht langen Brief zu belohnen. Ich weiß nicht recht, wo ich anfangen soll, Dir von uns und mir zu erzählen, auch habe ich Dir am 6/XII geschrieben1 und jedenfalls von uns berichtet. Über meinen Geburtstag ist nicht viel zu schreiben, das Schönste waren die Briefe, der von Dir und den Kindern, ein sehr sehr lieber Brief von Emma, den ich ihr noch immer nicht beantwortet habe, was mich sehr drückt. Hoffentlich ist sie nicht böse, aber manchmal kann ich mich nicht aufraffen zu schreiben. Ein herzlicher guter Brief von Georg, der mich besonders gefreut hat, da er mit der Bitte kommt, zu mir Mutter sagen zu dürfen. Er hat eine Möglichkeit gefunden, durch eine bekannte Frau,2 mir einen Blumenstock im Namen aller Schneiders (8 Stück) zu schicken. Der Blumenstock ist wunderschön und ein ewiges Gedenken an Euch. Von Gerti habe ich eine Karte zu einem Kammermusikabend bei Gildemeester3 bekommen, ich habe Louiserl mitgenommen, damit ich nicht 1 Vgl. Dok. 42. 2 Es handelt sich um eine Frau Bäum(e)l, vermutlich Selma Bäuml, vgl. zu ihr Dok. 47, Anm. 5. In jedem Fall hielten Ella Wenger und sie seitdem den Kontakt. Vgl. Dok. 47, Anm. 5 sowie die Dok. 52 und 53. 3 Im ehemaligen Haus der Aktion Gildemeester in der Wollzeile 7 fanden immer wieder Musik- und Kabarettnachmittage statt, die somit einige der wenigen Kulturveranstaltungen darstellten, die Juden überhaupt noch zugänglich waren und die von Juden wie Nichtglaubensjüdinnen besucht wurden. Gertrud Brunner war jüdischen Glaubens, leitete aber einen Kindergarten für die Aktion Gildemeester,

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allein gehen muß, da Martha keine Zeit hatte, diese Konzerte sind von den besten Künstlern ausgeführt, die nicht die Möglichkeit haben, öffentlich aufzutreten.4 Da es keine bezahlten Kräfte sind, werden die Karten nicht gezahlt, aber man gibt dem Wohltätigkeitsverein für die Ausspeisung. Gerti hat doch dort ihren Kindergarten und ist glücklich damit. Sie haben eine schöne Weihnachtsbescherung gemacht. Wenn ich von meinem Geburtstag erzähle, muß ich doch auch von Weihnachten berichten, welches bei mir eigentlich in Geschenke geben besteht, aber ich habe auch bekommen, sehr viel und gute Lebensmittelpakete von Emma und Hans,5 die doch immer da sind, wenn sie jemand eine Freude machen können, und von Perutz viele gute Sachen. Selbst Grete6 hat etwas geschickt, was mich sehr gewundert hat. Obwohl Martha nicht zu Hause ist, bekommt sie doch auch von den guten Sachen etwas ab, sie nimmt immer, wenn sie Nachtdienst hat, etwas mit. Leider ist das Essen im Kinderheim, den Verhältnissen entsprechend, sehr sehr einfach, wohl zum satt essen, aber mit den bescheidensten Mitteln.7 Da Martha jetzt so eingeteilt hat, daß sie Sonntag größtenteils frei hat und Ausflüge macht (Skifahren), ist sie nicht einmal Sonntag zu Hause, da muß ich sie doch anderweitig entschädigen. Da der Großvater öfters kommt, fällt für ihn auch häufig etwas ab.

4

5 6 7

was erklärt, wie sie an die hier genannten Konzertkarten kam. Vgl. Dok. 40  ; zur Aktion Gildemeester Dok. 34, Anm. 2. Die nationalsozialistische Ideologie folgte einer dualistischen Weltsicht, die auch im Bereich der Kunst strikt zwischen »Harmonie« und »Wir« einerseits und »Entartung« und »Ihr« andererseits unterschied. Zwischentöne, Pluralismus und Ambivalenz waren ihr völlig fremd. Werke, die aus der Perspektive des Nationalsozialismus den kulturellen Verfall der Moderne zeigten, wurden dementsprechend als »artfremd«, »entartet« und »undeutsch« (hier zeigt sich die Nähe von ästhetischem und biologistischem Denken) diskreditiert. Deren Urheber wurden bzw. waren längst in die Emigration gedrängt, ausgegrenzt, verfemt oder hatten Auftrittsverbot  ; jüdische und als links bzw. liberal geltende Künstler aller Sparten fielen ganz grundsätzlich hierunter. Vgl. Merker, Bildenden Künste, v. a. 143–155 sowie 156–162  ; die Beiträge in Atlan/Gross/Voss, 1938, sowie diejenigen zur Kunst in Benz/Graml/Weiss  ; im Überblick zur Emigration Stephan, Emigration. Gemeint sind die in der Schweiz lebenden Emma und Hans Schönberg. Vgl. Dok. 11, Anm. 11. Gemeint ist die in der Schweiz lebende Nichte Ella Wengers Margarethe Brand. Vgl. Dok. 11, Anm. 10. Dass die Nahrungsmittelsituation in dem Kinderheim schwierig war, schildern auch mehrere Mitarbeiterinnen. Das Kochen übernahm deren Leiterin, Gisela Kornfeld, selbst. Vgl. Hecht/Lappin-Eppel/ Raggam-Blesch, Topographie, 506 f. Martha Wenger nahm seit September 1940 sämtliche Mahlzeiten an ihrer Arbeitsstätte ein, vgl. Personalkarte Martha Wenger, Archiv IKG Wien, Bestand Wien, A/VIE/IKG/I-III/PERS/Kartei, K22.

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»fortsetzung 2/I«8 Sylvester haben wir auch nicht sehr rauschend verbracht, aber ich habe F. Hamburger, unsere Mieterin, eingeladen und zwar habe ich ihr folgende schön geschriebene Einladungskarte geschickt  : Einladung zu der grossen Sylvesterfeier am 31/XII 1940, Beginn 8 Uhr, Ende nach 9 Uhr. Auftreten des berühmten »Jolly Joker« mit seinem Ensemble. Toilette nach Belieben, jedoch Dirndl u. Badesachen sind nicht gestattet. Es wird ersucht, die Einladungskarte als Legitimation mitzubringen. Das Committee F. Hamburger war sehr erfreut über die Einladung, da sie doch sonst keinen Zutritt in unsere Apartements hat. Bis auf das, daß sie ein dickes Schwein ist, ist sie amüsant und hat Sinn für Humor. Das Fest war um ½ 10 Uhr zu Ende. Dieses Neujahr war das erste mal seit undenkbaren Zeiten, daß wir nicht zu Paula sind.9 Du weißt, ich bin nicht sentimental, ich nehme die Sachen, wie ich sie eben nehmen muß. Ich habe F. Illner (die arme alte Frau hat es bei ihrer Übersiedlung sehr schlecht getroffen) aufgefordert, Nachmittag zu mir zu kommen und Gerharts (die auch bei mir waren) haben sie in ihr neues Heim in die Praterstrasse gebracht.10 Überhaupt bin ich jetzt Sonntag gewöhnlich zu Hause, da hat sich bei mir so ein altes Weiberspittal eingerichtet, die gerne Sonntag nachmittag zu mir kommen. Da ist z. B. Mathilde Sommer, dann die Ida Kohn11 (Schwester von Tante Nelly12) und noch andere. Diesen Sonntag habe ich eine alte Frau aufgefordert, die ich gar nicht kenne. Wie ich Dir geschrieben habe, hat Georg mir durch eine alte Frau den Blumenstock zu meinem Geburtstag schicken lassen. Diese Frau kam selbst damit zu mir, ich war aber nicht zu Hause, und hat mir dann geschrieben, sie möchte mich gerne besuchen oder ich soll zu ihr kommen. So habe ich sie für 8 Die Bemerkung zur Fortsetzung ist nachträglich zwischen die Zeilen gesetzt. 9 Gemeint ist Paula Singer, die am 12. November 1940 verstorben war. Vgl. die Dok. 3 (Anm. 23) und 40 (Anm. 1). 10 Hier dürfte die Unterbringung von Frau Illner in einem Heim in der Aspernbrückengasse 1 – dem ehemaligen Piper-Heim der IKG – gemeint sein, die unmittelbar in die Praterstraße einmündet. Vgl. Dok. 39, Anm. 4. 11 Ida Kohn (geb. Fleischmann, *21. März 1869, Wien  ; gest. 29. September 1942, Datum der Deportation nach Treblinka). Ihre letzte Wiener Adresse war in der Glockengasse 25/24, im August 1942 wurde sie nach Theresienstadt, im darauffolgenden Monat nach Treblinka deportiert. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Ida Kohn sowie die Angaben für Ida Kohn auf doew.at und im Theresienstädter Gedenkbuch, 348 sowie die Hausliste Glockengasse 25, A/VIE/IKG/II/BEV/Wohn/9/5 Archiv der IKG (Leihgabe im VWI). 12 Cornelia Zappert (geb. Fleischmann, *23. August 1872, Wien  ; gest. 23. März 1922, Wien). Sie war die 1922 an »Darm- und Lungentuberkulose« verstorbene Ehefrau Julius Zapperts, also die Schwägerin der Briefschreiberin. Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Sterbebuch, Rz. 844/1922.

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diesen Sonntag zu einer Tasse Tee (?) eingeladen. Jedenfalls habe ich ihr eine große Freude damit gemacht. Ob ich mich freuen werde, werde ich erst Sonntag Abend sehen. Es ist bei uns noch immer gemütlich, das Diwaneckerl beim Fenster besteht noch, und bis auf kleine Änderungen ist das Speisezimmer noch ganz ordentlich. Dass ich den Untam,13 den großen Diwan hinausgeworfen habe, habe ich Dir doch schon geschrieben. (Der prangt unten beim Kostka14). Auch die große Uhr konnte ich nicht unterbringen, die ist im Vorzimmer, an dieser Stelle ist Marthas Schreibtisch. Für mich ein herrlicher Tausch. Dann ist der schöne alte Kasten (jetzt mein Wäschekasten), meine Lagerstätte, an Stelle der Schiebtischerl kleiner Kleiderkasten, die Kredenz, und das Kastel mit dem Spiegel im Fensterpfeiler ist auch geblieben. Oberhalb des Schreibtisches ist dieses Gestell an der Wand, welches in der Ecke bei der Tür war, darauf habe ich ein paar hübsche Bilder von meinen Liebsten. Ein Bild von Julius, eines vom Vater, ein entzückendes im hübschen Rahmen von Euch allein aus Brüssel, eines von Paula und ein reizendes Bild von den 3 Enkeln von Mizka.15 Dann hängt unterhalb des Gestelles ein Abreißkalender, selbst gemacht mit dem Bild von unsern 3 Süßen auf dem Diwan aufgestützt, wo der Martin zwischen den Buben hervorguckt. Dass ich bei meinem Nachtkastel noch diverse andere Bilder von Euch habe, ist doch natürlich. Vergessen habe ich noch zu sagen, dass ich auch am Schreibtisch außer ein paar hübschen Blumentöpfen (dafür sorgt immer die Martschi) ein gutes Bild von Stefan habe, schon von draußen. Leider habe ich von Franz seit April keine Nachricht, ich darf gar nicht darüber nachdenken. Jetzt schließ ich aber meinen Brief. Ich schreibe Dir bald, denn ich habe noch viel, viel zu schreiben. Ich küsse Dich und die Kinder innig, und wünsche sensüchtlich, daß Viki sich bald erholt. Mutter Wie16 desparat ich war, wie ich von Vikis Krankheit hörte, kannst Du Dir denken. Großvater brachte nämlich erst Nachricht. Er bekam Deinen Brief, wo Du es ihm schreibst, zu gleicher Zeit eine Karte von Georg, wo er schreibt, man soll mir nichts davon sagen. Mit diesen beiden Briefen ging Grossvater zu Martha, die aber sagte, man kann es mir ruhig sagen. So erfuhr ich es, ich habe so wieso etwas geahnt, da ich so lange von Viki nichts hörte. Ich bin nur froh, daß ich erst gehört habe, wie hoffentlich das Ärgste vorüber war. Du armes, armes Kind, Du wirst schreckliche Zeit mitgemacht haben. 13 Langweilige, geschmacklose Sache. Vgl. Althaus, Lexikon, 207. 14 Der Hilfsarbeiter J. Kostka wohnte im selben Gebäude wie die Briefschreiberin. Vgl. Dok. 12, Anm. 12. 15 Gemeint ist Maria Perutz. Vgl. Dok. 32, Anm. 6. 16 Der nachfolgende Absatz ist am Ende der Seite nachträglich, gedrängt und auf dem Kopf stehend hinzugefügt.

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45 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 5. Januar 1941 4 S., e. B. mit Randbemerkungen von Martha Wenger und Georg Schneider

5. Jänner 1941 Mein geliebtes Kind  ! Heute, Sonntag Nachmittag, bin ich allein zu Hause, da ist doch das Gescheiteste, ich plaudere ein bischen mit Dir. Hoffentlich hast Du den Brief, den ich am 3. d. weggeschickt habe,1 schon bekommen. Martschi ist Skilaufen, wir haben sehr viel Schnee und immer sehr kalt,2 doch habe ich es warm in meinem Zimmer und hoffe, ich werde es immer haben können.3 Ich sitze bei dem Schreibtisch und im Fenster stehen 2 herrliche Cyklamenstöcke, einer von Martschi (wie Paula gestorben ist) und der andere ist von Euch, von allen Schneiders, durch den braven Georg. (es ist jetzt ½ 5 Uhr, ich werde mir meine Jause kochen und dann werde ich weiter schreiben.) Fortsetzung nach der Jause. Also, es war herrlich, ich habe mir einen Tee gemacht (der war zwar schon einige Male aufgegossen, aber das macht nichts) und dazu habe ich eine Buttersemmel gegessen, eine wirkliche Buttersemmel, diesen Luxus kann ich mir nur erlauben, wenn ich niemand Rechenschaft darüber geben muß, wenn ich allein jause, denn für das, was Louiserl mir zahlt, kann ich ihr keine Butter spendieren. Louiserl ist übrigens schon ein recht altes Weiberl geworden (selber sieht man sich ja nicht), hat es aber ausgezeichnet bei mir, ihre ordentliche Rast, ihr liebes Kabinetterl und den ganzen Vormittag das Speisezimmer zur Benützung. Am Abend immer die geliebte Rummipartie, bei der ich wohl schlafe, aber das macht ihr nichts, außerdem sitzt der alte Herr auch dabei und sie schäkert mit ihm. Jetzt ißt sie Sonn- und Feiertage auch Mittag bei mir da Leit.4 ihre 1 Vermutlich Dok. 44. 2 Vgl. zu dem äußerst kalten Winter 1940/41 Dok. 33, Anm. 1. 3 Vermutlich spricht aus dieser Aussage nicht nur die Angst vor Delogierungen, sondern vor den Deportationen, von deren Einsetzen Ella Wenger über ihre Tochter und deren Arbeit bei der IKG zu diesem Zeitpunkt bereits gehört haben dürfte. Vgl. zu den Deportationspläne der Nationalsozialisten und den Gerüchten, die darüber in Umlauf waren, Dok. 47, Anm. 2. 4 Vermutlich ist hier die Familie von Ernst Leitersdorf gemeint, die ausreisen wollte. Vgl. Dok. 15, Anm. 9 und 10. Die Beziehung zwischen Louise Marx und der Familie Leitersdorf, die auch später noch einmal thematisiert wird (vgl. Dok. 48), konnte nicht geklärt werden.

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Wohnung aufgegeben haben und nur ein Zimmer haben. Reich werde ich bei ihr nicht werden, aber ich mache wenigstens einem Menschen ein angenehmes Leben. Daß ich mit Paulas Angelegenheit viel Unangenehmes habe, habe ich schon einmal geschrieben. Hoffentlich bekomme ich endlich vom Gericht die Erlaubnis, die Wohnung zu räumen. Dann wird wohl die große Arbeit anfangen. Die eine Lehre habe ich aber, wenn ich einmal nicht mehr bin, ich werde nicht so viel unnütze Sachen hinterlassen. Eine neue Freundschaft ist wieder aufgeblüht, und zwar mit Hedi Weiss, die Liebe ist zwar nur von einer Seite, auch weiß ich nicht, ob es reine Liebe ist, ich glaube sie traut mir nicht bei der Verlassenschaft und will mir auf die Finger schauen, obwohl sie immer behauptet, sie wären keine Erbschleicher. Der Burli5 ist genau so ein Fettsack wie früher und unsympatisch obwohl ich bei jedem Buben auf der Gasse stehen bleib, der mich an unsere Buben erinnert. Sehr sehr gern möchte ich etwas von Viki wissen, wenn er mir nur auch wieder schreiben könnte. Ich habe ihm ein Paket geschickt, weiß natürlich nicht, was damit geschehen ist, wenn er im Spital ist, ob es überhaupt angekommen ist. Es war unter anderem eine sehr schöne gute Windjacke von Franzens Sachen, ein paar Unterhosen, eine graue Hose für Robert und diverse Bleistift, Füllfeder auch für die Buben. Natürlich kann ich auch nichts machen, wenn das Paket nicht angekommen ist. Ich habe Dir letzthin geschrieben, daß Gerti mit ihrem Kindergarten so zufrieden ist. Das ist wohl richtig, aber sie sieht elend aus, was der Grund ist, weiß ich nicht. Ich glaube, da steckt doch wieder der Amadeus dahinter, daß die Ehe nicht sehr glücklich ist, wissen wir, ich muß dahinter kommen, will einmal Fr. Singer auffordern, zu mir zu kommen, da werd ich schon hören.6 Vielleicht ist es auch die Sorge um den Vater, oder wie sie immer behauptet hat, daß sie zu wenig zu Essen hat. Du weißt, sie spart am unrichtigen Ort. Jedenfalls macht sie mir Sorge. Ich glaube, ich habe Dir schon geschrieben, daß Madi jeden Montag Nachmittag über die Jause und Donnerstag Vormittag über das Mittagessen bei uns ist. Das zwei mal der Woche hat sich eingeführt, da ich die wahnwitzige Idee hatte, bei ihr zu lernen, erstens dachte ich einstens, ich werde es brauchen können und zweitens wollte ich ihr etwas zu verdienen geben. Das Lernen habe ich aufgegeben aber das Verdienen ist geblieben. Das ist jedenfalls ein gutes Werk, außerdem freue ich mich, wenn ich ihr Deine Briefe und die von den Kindern zu lesen geben kann. Jetzt denke ich nach, von wem ich Dir noch schreiben könnte. Von Gerharts  ? Das ist nicht sehr interessant. Sie 5 Die Identität der Person konnte nicht geklärt werden. 6 Mit Amadeus ist Gertruds Mann Wolfgang Brunner gemeint, den die Familie als schwerfällig und nicht besonders engagiert schildert. Frau Singer, die Mutter von Karl Zapperts Frau Hilde, wohnte mit Gertrud und Wolfgang Brunner in der Skodagasse 8. Vgl. die Dok. 22, 23 und zu Frau Singers Aufenthaltsort Dok. 30.

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wohnen nicht mehr in ihrer alten Wohnung,7 haben ein, wie sie behaupten, schlechtes Zimmer. Sie kommen öfters zu mir, Angela immer jammernd. Julius brav und anständig, aber untüchtig und unbetamt8. Sie sind immer in der schwedischen Mission,9 bekommen auch dort das Essen. Nanerl ißt selbständig, verdient was sie braucht und will sogar außer ihrer Beschäftigung als Hausgehilfin etwas studieren, für sie war es ein Glück von den Eltern fort zu kommen. Jetzt will ich Dir noch von Emmy L.10 schreiben, obwohl ich da nicht viel weiß. Emmy hat eine Stelle, sie wohnen alle zusammen, die Kinder11 gehen zur Gerti in den 7 Von wo nach wo das Ehepaar Gerhart umziehen musste, ist nicht zweifelsfrei zu klären. Vermutlich wohnten sie zunächst in der Rotensterngasse 6/3 und mussten von dort in die Große Sperlgasse 6/3 ziehen. Erstgenannte Angabe findet sich für Angela sowie Julius Gerhard auf doew.at, zweitgenannte für die Zeit von 5. November 1940 bis zum Tag der Deportation nach Łódź (23. Oktober 1941) in den Meldeunterlagen der Stadt Wien. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Julius Gerhart. 8 Geschmacklos, abgeschmackt. Vgl. Althaus, Lexikon, 207. 9 Die Schwedische Mission war eine konfessionell ausgerichtete Hilfsorganisation für evangelische Christen jüdischer Herkunft – im rassenbiologischen Denken der Nationalsozialisten also Juden. 1920 von schwedischen Diakonissinnen als Israelmission zur Bekehrung von Jüdinnen und Juden gegründet, musste sie sich 1938 auf NS-Order in Schwedische Mission umbenennen. Anders als in den evangelischen Pfarrgemeinden, die die als nicht-arisch klassifizierten Menschen nach der NS-Machtübernahme in Österreich ausschlossen, waren sie in der Schwedischen Mission weiterhin willkommen. Ihren Sitz hatte die Mission in der Seegasse 16, geleitet wurde sie seit 1938 von den schwedischen Pfarrern Göte Hedenquist bzw. (nach dessen Ausweisung im März 1940) Johannes Ivarsson  ; ihr Hauptziel war es, evangelischen »Nichtarier:innen« die Ausreise offiziell zu ermöglichen – nach eigenen Angaben gelang dies bei über 3000 Menschen –, doch war die Mission zugleich in mehrfacher Hinsicht sozial und karitativ tätig (Wohnungsvermittlung, Mittagstisch, Umschlagplatz für Rat und Austausch, Zufluchtsstätte, Altenpflege, Kinderbetreuung u. a.). Sie kooperierte eng mit der Aktion Gildemeester/AHO. Im Juni 1941 schloss die Gestapo die Schwedische Mission in Wien. Vgl. Kovacic, Schwedische Israelmission sowie im Überblick Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 348–352 und Dok. 34, Anm. 2. 10 Gemeint ist Emma Löbl (vgl. Dok. 7, Anm. 3), eine staatlich geprüfte Koch- und Hauswirtschaftslehrerin, die zu diesem Zeitpunkt bereits im I. Bezirk (Stoß im Himmel 3/13) wohnte. Zuletzt hatte sie als Wirtschaftsleiterin an der Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe im Dr.-Krüger-Heim in der Malzgasse 7 fungiert. Dieses war im Oktober 1939 geschlossen, am 1. Februar 1940 zum Altersheim und am 28. Juni 1942 zum Sammellager umfunktioniert worden, von dem aus zahlreiche Deportationszüge abgingen. Aus Dok. 48 geht hervor, dass sie zum Zeitpunkt des Briefes dort (resp. im Altersheim in der Malzgasse 16) als »Wirtschafterin« tätig war. Vgl. Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 268–276  ; Hecht/Raggam-Blesch, Haus-Geschichte, 242–244  ; Hecht/RaggamBlesch, Weg in die Vernichtung, 28. 11 Bei den Kindern handelt es sich um den Sohn Hans Wilhelm (*6. Mai 1937, Wien  ; gest. 9. Oktober 1944, Datum der Deportation nach Auschwitz) und die Tochter Marianne (*28. Juli 1934, Wien  ; gest. 9. Oktober 1944, Datum der Deportation nach Auschwitz). Vgl. Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Emma und Richard Löbl, 27. Juni 1938, Auswanderungskartei 35353a, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI) sowie die Angaben für Marianne sowie Hans Wilhelm Löbl auf doew.at und dem Theresienstädter

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Kindergarten, eigentlich nur der Bub, die Mariandl geht schon in die Schule. Martha sieht die Perlmutter12 sehr selten. Nun berichte ich Dir noch von der Martha. Sie sieht nicht sehr gut aus, ist recht schlank geworden, ist aber sehr zufrieden und heiter. Sie scheint sehr tüchtig zu sein, ist sehr beliebt und ist mit ganzen Herzen bei ihren Beruf. Ich hoffe, sie wird mit diesen Kenntnissen noch einmal ihren Weg gehen. Von Grossvater ist nicht viel zu berichten. Er kommt öfters zu uns, schaut immer sehr nett und gepflegt aus, obwohl er nicht allzuviel hat. Doch wenn er etwas braucht, verlangt er ruhig von mir und ich denke mir, es wird Euch gewiß recht sein. Nur wenn es Anfang des Monats ist, ärgere ich mich, da wäre es noch nicht notwendig. Aus Strafe bekommt er dann kein Wurstbrod und kein Glaserl Wermuth. Aber sonst vertragen wir uns ganz gut miteinander, natürlich bekommt er Deine und den Kindern ihre Briefe zu lesen und er bringt auch seine Briefe mit, auch immer Finas Briefe. Ich bin schon neugierig bis Fina die beiden Pakete bestätigen wird, die man ihr schicken konnte.13 So  !  ! Jetzt habe ich einen schönen Nachmittag gehabt, weil ich in Gedanken bei Euch war. Schreib wieder einmal besonders was Viki macht. Euch allen tausend Küsse Mutter Bußi14 Bußi Martha. F. Loebl ist gestorben15 20/I 41 Herzliche Grüsse Georg. Vielen Dank für Victors und Deinen letzten Brief

Gedenkbuch, 407. Das Geburtsdatum von Marianne Löbl wird in den Meldeunterlagen fälschlich mit 28. Juli 1931 angegeben. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Emma Löbl  ; Dok. 40. 12 Vermutlich ist hier das Ehepaar Leib (*18. Oktober 1888, Tarnopol  ; gest. 28. November 1941, Datum der Deportation nach Minsk) und Franziska (»Fanny«) (geb. Rosenfeld, *22. Juni 1886, Tarnopol  ; gest. 28. November 1941, Datum der Deportation nach Minsk) Perlmutter gemeint, das in der Esslinggasse 15/7 wohnte. Beide gehörten dem jüdischen Bekenntnis an  ; sie wurden am 28. November 1941 nach Minsk deportiert und überlebten den Holocaust nicht. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Leib Perlmutter sowie die Einträge für Leib und Franziska Perlmutter auf doew.at (hier wird als Geburtsort der Frau Wien angegeben). 13 Josefine Schneider, die Schwester von Ella Wengers Schwiegersohn Viktor, war zu diesem Zeitpunkt im KZ Ravensbrück interniert. Vgl. Dok. 18, Anm. 13. 14 Die beiden folgenden Sätze sind nachträglich auf dem Kopf stehend und am oberen Rand der ersten Seite (erster Satz) bzw. an dessen linkem Rand (zweiter Satz) hinzugefügt. 15 Es handelt sich um die Mutter Richard Löbls, Caroline Löbl (geb. Chat, *30. September 1873, Budapest  ; gest. 13. Oktober 1940, Wien). Vgl. IKG Wien, Bestand Matriken, Trauungsbuch, Rz. 713/1893.

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46 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 16. Februar 1941 2 S., e. B.

16./II 1941 Geliebtes Kind  ! Es ist Sonntag Nachmittag, ich bin allein zu Hause, da ist es am schönsten, ich plaudere bischen mit Dir. Vor allem muß ich Dir sagen was ich für Freude über Vikis Briefe habe, ich habe schon 2 bekommen, besonders der 2te war eine angenehme Überraschung, daß er wirklich das Paket bekommen hat, daß es ihm ins Spital nachgeschickt wurde, ist doch herrlich. Er schreibt allerdings von 2 Paketen, an dem 2ten bin ich unschuldig. Es war ein schöner Zufall, daß es gerade an Roberts Geburtstag1 gekommen ist. Ich habe viel an euch und Robert gedacht an diesem Tag. In Gedanken waren wir alle beisammen. Von uns und von mir ist nicht viel zu schreiben. Es hat sich Gott lob gar nichts Neues zugetragen.2 Wir sind gesund, und ich bin froh, daß ich die Paula Angelegenheit schon soweit geordnet habe. Einstweilen hat meine Perle einen eitrigen Finger gehabt, der geschnitten werden mußte. Ausrede und vielleicht Grund, nichts machen zu können. Ich habe mich ein bischen abgewurstelt aber es ging ganz gut, beim Geschirrwaschen hat mir meine holde Mieterin F. Hamburger geholfen. Sie hat zwar gestöhnt dabei, weil sie durch ihre Körperfülle sich schwer bewegen kann, aber sie hat es gern getan, bis der Dreck in der Küche schon übergegangen ist, und ich sie hinaus-completiert3 habe. Jetzt ist die Geschichte vorüber und hoffentlich wird wieder bischen Ordnung in meiner Wirtschaft. Heute Nachmittag oder vielmehr gleich nach Tisch war ich in der Malzgasse im Altersheim,4 Fr. Lechner5 besuchen, du wirst sie nicht kennen, sie war immer bei 1 Viktors Sohn Robert wurde am 29. Januar elf Jahre alt. 2 Vgl. zu den NS-Deportationsplänen für 10.000 Wiener Juden nach Osten, von denen die Schreiberin wohl wusste (was ihre Bemerkung erklärt, dass es von ihr »Gott lob« nichts neues gebe), Dok. 47, Anm. 2. 3 Gemeint  : hinauskomplimentiert. 4 Es handelt sich um das Altersheim in der Malzgasse 16, das dort vom 20. November 1939 bis 5. Juni 1942 betrieben wurde oder dasjenige »für weibliche Pfleglinge« in der Malzgasse 7, das von Februar 1940 bis Ende Juni 1942 (und dann wieder ab Juni 1943) dort bestand. Vgl. Hecht/Raggam-Blesch, HausGeschichte, 243–248. 5 Es handelt sich um Emma Lechner, die zu diesem Zeitpunkt im Altersheim in der Malzgasse 7 oder 16 lebte und am 26. April 1941 verstarb. Drei Tage später, am 29. April wurde sie im jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs beigesetzt (Gruppe 5, Reihe 6, Grab Nr. 23). Weitere persönliche Dokumente

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Robitschek.6 Ich war zum ersten Mal in so einem Heim, aber ehe ich dort hingehen müßte, eher – – –  !7 Gestern waren es 2 Jahre, daß der alte Herr bei uns wohnt, er brachte mir ein paar herrliche rote Rosen zum Ausdruck seiner Dankbarkeit. Freitag Vormittag machte sich Martschi frei, wir waren am Friedhof, Vaters Todestag.8 Heute Vormittag war der Großvater da, ich gab ihm Vikis Brief, mit dem er große Freude hatte, da ich von Mitzka eine Wurst geschickt bekommen habe sind diese Vormittagsbesuche immer sehr nahrhaft. Von Fina hat er eine Bestätigung des Esspakets bekommen, das andere Paket scheint noch nicht gekommen zu sein. Ich habe Golo letzthin eine Karte geschrieben, hoffentlich beantwortet er sie mir bald, er ist ein so lieber guter Kerl, daß ich mich immer freue, etwas von ihm zu hören. Mein geliebtes Kind, wenn ich auch jetzt mit Dir ein bischen vereint war, ist es doch nicht ein Erfolg, im Gegenteil, da fühle ich erst recht, wie viel ich von Dir wissen will und wie unerreichbar alle Träume sind. Aber man darf nicht undankbar sein, und froh sein, daß es so ist. Vielleicht wird es doch einmal anders.

(Geburts- oder Heiratsnachweis) haben sich zu Frau Lechner im Archiv der IKG Wien nicht erhalten. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Beerdigungsprotokoll 1941, Lechner, Emma, 29. April 1941. 6 Vermutlich Emanuel und Erzsebet Robitschek, die Eltern von Franz Wengers ersten beiden, jeweils verstorbenen Frauen, den Schwestern Frieda und Edith Robitschek. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Trauungsbuch, Rz. 797/1921, Rz. 29/1924 und Rz. 461/1930. 7 Die Schreiberin deutet hier an, wie traumatisch die Verhältnisse in den völlig überfüllten Altenheimen gewesen sein müssen. Hintergrund waren die von den nationalsozialistischen Machthabern angeordneten Personalkürzungen im Pflegewesen und die damit einhergehende schlechtere Betreuung einerseits sowie die seit dem Anschluss kontinuierlich wachsende Zahl alter Menschen, für die die IKG verantwortlich war, andererseits. Für letztere gibt es mehrere Gründe  : Zum einen hatten zahlreiche jüngere Angehörige die Flucht ergriffen, während, zum anderen, die Zurückgebliebenen wegen ihres Alters oft deutlich geringere Chancen auf die Erlangung einer Einreiseerlaubnis hatten  ; drittens fehlten ihnen oft schlicht die finanziellen Möglichkeiten zur Emigration, zumal angesichts der nationalsozialistischen Beraubungspolitik, die einer Ausreise voranging (vgl. Dok. 8, Anm. 3 und 14). Schließlich entfiel nach dem Sommer 1938 die Möglichkeit, ältere jüdische Menschen in nichtjüdischen Einrichtungen zu betreuen. Ende 1938 lagen der IKG bereits 1904, im März 1939 2500 Aufnahmegesuche vor, während sie 1938 über lediglich 490 Betten verfügte. Da zahlreiche Gebäude konfisziert waren, reagierte die Kultusgemeinde mit der Umwandlung von Kinder- und Jugendheimen in Altersheime, um die Antragsteller:innen aufnehmen zu können – womit es auch bei erstgenannten zum Engpass kam (vgl. Dok. 18, Anm. 7). Kurz vor diesem Brief, im Dezember 1940, unterhielt die IKG acht Altersheime mit 1691 Menschen  ; 1942 war die Zahl auf zehn Heime und mehr als 2500 Menschen angewachsen. Hinzu kamen sogenannte Alterswohngemeinschaften mit insgesamt mehreren hundert Senior:innen, die meist nicht mehr als die letzte Station vor Deportation und Tod waren. Mit den Deportationen wurden die Altersheime sukzessive wieder geschlossen. Vgl. Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 240–260. 8 Hartwig Wenger war am 14. Februar 1934 an den Folgen einer Lungenentzündung verstorben, vgl. Dok. 16, Anm. 4.

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Ich umarme Dich im Geiste und küsse die Süßen

Deine Mutter.

Ich9 habe heute d. Karte vom 28/I erhalten, lieber Georg, und danke Dir sehr, Poldi werde ich besuchen, vom Viki habe ich 2 Briefe. Herzlichst Mutter

9 Der folgende Satz ist nachträglich auf dem Kopf stehend am oberen Rand der ersten Seite nachgetragen worden. Die nachfolgend genannte »Poldi« – offenbar eine Frau, vgl. Dok. 48, Anm. 4 – konnte nicht identifiziert werden.

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47 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 20. März 1941 2 S., e. B.

20 März 1941 Geliebtes Kind. Ich bin schon schrecklich in Eurer Schuld, daß ich so lange nicht geschrieben habe. Ich habe mich für Verschiedenes zu bedanken. Ich fange mit dem Schluß an und zwar bestätige ich Deinen 1. Brief, allerdings ohne Bild vom Robert, das hast Du anscheinend vergessen hineinzulegen. So sehr ich mich freue mit Deinen Briefen, die sind immer so lieb und gut und voll Liebe, tust Du mir schrecklich leid, daß du meinetwegen Deinen wohlverdienten Schlaf opferst. Ich kann mir denken, daß Du am Tag nicht dazu kommst, eine ruhige Minute zu haben. Jetzt kann ja Viki für Dich schreiben. Übrigens habe ich ein paar Briefe von ihm bekommen, die so wunderschön waren, daß man sich daran erquickt hat. Ich habe leider nicht genug Leute, denen ich sie zeigen und vorlesen kann, damit die Andern auch ein Vergnügen haben. Auch hat mir Viki das letzte Bild von den Kindern noch in B1 aufgenommen geschickt. Das Bild ist nicht besonders, die Kinder sind so schrecklich ernst, aber es ist doch ein Bild von ihnen. Entzückend ist Martin. Ich habe das Bild auf dem Schreibtisch stehen, schaue es immer an und bin glücklich damit. Mein innigst geliebtes Kind, ich will Dir jetzt schon zu Deinem Geburtstag gratulieren, und kann Dir nur das eine wünschen, daß Du glücklich sein sollst, wenn Du glücklich bist, ist alles gut, dann bin ich auch zufrieden. Meine Zuversicht steht noch felsenfest, wir werden noch glückliche Zeiten miteinander erleben. Ihr seit noch jung und ich fühle mich jung, da können wir schon aufeinander warten. Wo und wie, das weiß ich nicht, aber den Willen zum Durchhalten und zum Arbeiten haben wir alle, da kann es nicht fehlen. Wir machen jetzt sehr schwere Zeiten mit,2 aber meine 1 Gemeint ist entweder Belgien oder Brüssel, wohin die Familie 1938 geflohen war, vgl. Dok. 9, Anm. 4. 2 Vermutlich deutet die Schreiberin hier den Beginn der Deportationen Wiener Juden im Februar und März 1941 und die deswegen in der Folge erheblich erschwerten Auswanderungsmöglichkeiten an. Ausgangspunkt hierfür war der Beschluss des RSHA vom 8. Januar 1941, zwischen Anfang Februar und Ende April 1941 Juden aus dem Reich in das Generalgouvernement umzusiedeln, darunter auch 10.000 aus Wien zu deportierende Menschen. Die IKG hatte gerüchteweise bereits am Jahresanfang von dem Plan gehört und wurde am 1. Februar vom Leiter des Judenreferats der Wiener Gestapo entsprechend

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Ruhe und Heiterkeit habe ich nicht eingebüßt. Jeder in meiner Nähe fühlt sich wohl und beruhigt, das macht mich glücklich und gibt mir die Kraft, das Leben erträglich zu machen. Ihr schreibt in jedem Brief, ich soll die Madi grüßen von Euch, nachdem ich ihr alle Briefe vorlese, freu ich mich, ihr das auch vorzulesen, und sie ist glücklich damit, natürlich nimmt sie regen Anteil an Euch allen. Liebes Kind, Du schreibst, daß ich Opfer für Euch gebracht habe, das ist absolut nicht richtig, diese Opfer, die ich bis jetzt gebracht habe, würde ich sehr sehr gerne noch recht oft bringen. Du schreibst mir nie, was eigentlich Deine Bauchbeschwerden machen, sind sie noch immer so arg  ? Ich habe Emmy3 gute Pillen dagegen mitgegeben, wie sie damals bei mir war, sie hat sie mit sich genommen, frag einmal Oscar4 darüber, sie würden Dir sicher gut helfen. Viki kannst Du sagen, mit Frau Bäumel5 stehe ich auf Besuchsfuß (durch den Georg, der bei ihr Blumen für meinen Geburtstag bestellt hat), ich habe ihr gesagt, daß ihr Sohn mit Frau ihn besucht haben. Die junge Frau informiert, zumal das jüdische Schulgebäude in der Castellezgasse 35 als Sammellager dienen sollte. Die IKG wurde in der Folge zur Mitarbeit bei dem Prozess gezwungen. Auswanderung war damit selbst für jene, die ein Affidavit vorweisen konnten, nur noch mit Genehmigung der Gestapo-Zentralstelle möglich. Die Auswahl der zu Deportierenden oblag der Zentralstelle für jüdische Auswanderung unter SS -Obersturmführer Alois Brunner (dem Nachfolger Eichmanns), die der IKG die Möglichkeit einräumte, eigene Angestellte von den Transporten auszunehmen, sofern sie diese für das Funktionieren der Kultusgemeinde als wichtig einstufte – doch setzte die Gestapo statt der Herausreklamierten andere Personen auf die Deportationslisten und die IKG damit unter erheblichen moralischen Druck. Da Ella Wengers Tochter Martha bei der IKG arbeitete, dürfte die Briefschreiberin mit den Umsiedlungsplänen vertraut gewesen sein. Der erste Transport erfolgte am 15., der zweite am 18. Februar  ; weitere folgten jeden nachfolgenden Mittwoch. Innerhalb des ersten Monats wurden 5031 Wiener Jüdinnen und Juden in Ghettos polnischer Kleinstädte deportiert, in denen deplorable Hygiene- und Versorgungsverhältnisse herrschten. Zahlreiche Menschen starben bereits in den nachfolgenden Monaten an Krankheiten und Mangelernährung, spätestens aber im Zuge der Aktion Reinhardt, d. h. der systematischen Ermordung der Juden im Generalgouvernement seit Mitte 1942, die mit Odilo Globocnik der vormalige erste Gauleiter Wiens verantwortete. Vgl. Gruner, Zwangsarbeit, 215 f.; Pohl, Massentötungen  ; Hecht/ Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 422–432 und 457–460. 3 Gemeint ist Emma Löbl. Vgl. Dok. 7, Anm. 3. 4 Möglicherweise ist hier der Neffe Ella Wengers, Oskar Wappner, gemeint, der ebenfalls nach Frankreich geflohen war (vgl. Dok. 11, Anm. 12), so dass ein Kontakt zwischen ihm und der Briefempfängerin Elisabeth Schneider bestanden haben könnte. 5 Es könnte sich um Selma Bäuml handeln, deren Speditionsgeschäft im I. Bezirk ( Johannesgasse 22) – die Witwe hatte es seit dem Tod ihres Mannes Rudolf 1934 geführt – 1938 von den Nationalsozialisten ›arisiert‹ worden war. 1937, nur ein Jahr vor der ›Arisierung‹, hatte sie das Geschäft an ihren Sohn Erich übergeben, der überwiegend in den USA lebte – was erklären würde, warum Frau Bäuml nur vage von einer Schwangerschaft ihrer Schwiegertochter gehört hatte (vgl. Dok. 52). Gegen diese Zuschreibung spricht, dass auch Selma Bäuml 1938 in die USA emigriert sein soll. – Sicher scheint, dass besagt Person Ella Wenger im Auftrag Georg Schneiders Blumen an deren Geburtstag gebracht hat, vgl. Dok. 43, 52 und 53  ; o.A., Kunsttrans, 11–14  ; Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1941, Bd. 1, Teil I, 54.

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hat es entschieden leichter. Liebstes Kind, gib jeden von den Buben ein festes Bussel von mir und Dir einen innigen Geburtstagskuß. Mutter. Du6 hast angefragt, was mit Paulas Sachen ist. Die Wohnung habe ich, die letzten Tage Jänner der neuen Partei ganz leer übergeben, es war eine sehr große Arbeit. Jetzt habe ich schon vergessen Alles,7 selbst die Tante Paula, die noch zu rechter Zeit gestorben ist. Viki8 soll nicht böse sein, daß ich ihm nicht extra schreibe, er soll nur fleißig weiter schreiben, er macht mir große Freude damit.

6 Der folgende Absatz ist nachträglich auf dem Kopf stehend am oberen Rand der ersten Seite hinzugefügt worden. 7 Vermutlich gemeint  : Sie hat die Erinnerung an die Arbeit und das zunehmende Alleinsein verdrängt. In diesem Sinne würde hier ein »zu denken« fehlen. 8 Der folgende Satz ist nachträglich auf dem Kopf stehend am oberen Rand der zweiten Seite hinzugefügt worden.

170 |  Briefe 1938–1942

48 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 30. März 1941 2 S., e. B. mit e. Nachbemerkungen von Martha Wenger und Emma Schönberg

30./III 1941 Mein geliebtes Kind  ! Heute ist Sonntag Nachmittag, ich bin allein zu Hause, da will ich wieder ein bischen mit Euch beisammen sein. Ich war allerdings nach Tisch schon fort und zwar im Altersheim, wo die Emmi1 Wirtschafterin ist, da liegt eine Frau, Emma Lechner (Robitschek),2 die besuche ich jede Woche einmal, bin aber um 4 Uhr wieder zu Hause. Dann habe ich mir die Jause gerichtet und jetzt habe ich mich gemütlich zum schreiben gesetzt. Heute Vormittag war ich am Friedhof, aber nur beim 1. Tor, weil ich schauen wollte, ob die Steinplatte auf Paulas Grab, die ich schon bezahlt hatte, schon gemacht ist. Leider ist noch gar nichts gemacht, ich muß dem Steinmetz einen ordentlichen Brief schreiben. Martschi ist ausgeflogen, heute ist der erste warme Tag. Denke Dir, ich habe gestern einen Brief von Viki bekommen, den er am 23 Jänner geschrieben hat. Briefe, die er viel später geschrieben hat, habe ich schon längst bekommen. Seine Briefe sind immer lustig und unterhaltsam, besonders, wenn er von den Buben schreibt. Am meisten freue ich mich aber über deine Briefe, da bin ich mitten unter Euch, wenn ich sie lese. Nur tust Du mir so leid, Du Ärmste, weil Du Deine wohlverdiente Schlafenszeit dazu opfern mußt, da hat Viki mehr Zeit, soll Dich halt ein biserl entlasten. Georg ist fabelhaft brav, schreibt oft und immer so liebevoll von Euch. Ich weiß nicht, ob ich Dir geschrieben habe, daß ich durch F. Joscha Drachs Tochter3 erfahren habe, daß Wengers mit noch Jemanden eine maschinelle Gürtelfabrik haben, der noch Jemand dürfte das Geld dazu hergegeben haben, wie die Sache geht, weiß ich nicht. Wenn Du Golo schreibst, bitte sag ihm, daß leider aus der Sache mit der Poldi nichts geworden ist, wenn er von einer anderen Aussicht weiß, wäre es mir sehr recht,

1 Gemeint ist Emma Löbl. Vgl. Dok. 7, Anm. 3. 2 Zu Emma Lechner sowie der Klammerangabe »Robitschek« – die auf ein entsprechendes Näheverhältnis hinweist – vgl. Dok. 46, Anm. 5. 3 Die Person konnte nicht identifiziert werden.

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er kennt doch so viel Leute.4 Die Adresse, die er dem Vater geschrieben hat, damit war nichts. Ich habe Vater gesagt, er soll die Grete5 wieder aufsuchen. Weißt Du  ! Die Frau Grobscher6 ist so ein alter Tepp, ich glaube, sie wird den Martin nicht mehr verstehen, und er sie nicht, glaubst Du nicht auch  ? Aber sie werden sich schon vertragen, wenn sie nur einmal beisammen sein werden. Habe ich Dir geschrieben, daß der Herr Czerwenka gestorben ist  ?7 Da hat sich Franz immer auf die große Erbschaft gefreut, jetzt wäre so wie so nichts daraus geworden.8 Vorige Woche ist der Bruder und die Schwägerin von der Louiserl nach Amerika gefahren.9 Auch die Leitersdorfer hoffen in absehbarer Zeit zu Willy fahren zu können.10 Ich habe dann das Vergnügen, für die Louiserl zu sorgen, da sie ganz allein da ist. Übrigens haben sich ihre Geschwister früher auch nicht um sie gesorgt. Letzthin war die Mutter von der Dora von der Wieden11 bei mir, das heißt, sie hat sich beim Kostka nach mir erkundigt, da sie sich nicht getraut hat, herauf zu kommen, natürlich gehe ich doch nicht zu ihr, ich will ihr doch keine Unannehmlichkeiten machen, nicht einmal schreiben will ich ihr,12 da habe ich ihr ein Gedicht geschickt, ohne Unterschrift, nur jeder Vers fängt mit einem Buchstaben meines Namens an,13 wenn sie nicht sehr blöde ist, wird sie das herausfinden. Ich habe Dir noch viel solche unwichtigen Sachen zu schreiben, nächstens kommt wieder eine Fortsetzung. Ich bin schon schrecklich neugierig auf Deine Antwort auf meinen Geburtstagsbrief. Dir und den Lieben innige Küsse. 4 Die Identität der Person und der Hintergrund des Vorgangs konnten nicht geklärt werden. 5 Vermutlich ist hier Grete Freund, die Tochter von Richard und Elsa Perlsee gemeint. Vgl. Dok. 53, Anm. 7. 6 Form von Grobschi, Kosename von Ella Wenger. Wieder einmal spricht Ella Wenger hier in der 3. Ps. Sg. von sich. 7 Ludwig Czerwenka war am 18. Februar 1941 verstorben, vgl. WStLA, Meldeunterlagen Ludwig Czerwenka. 8 Franz’ Frau Friederike war die Nichte von Ludwig Czerwenka. Der – kinderlose – Bankdirektor a.D. hatte Ende 1938 sein Vermögen mit 318.626,64  RM angegeben. Vgl. Ludwig Czerwenka an Vermögensverkehrsstelle, 3. Dezember 1938, OÖLA, Israelitische Kultusgemeinde, Sch. 1. 9 Die Identität der Personen konnte nicht festgestellt werden. 10 Mit Willy ist vermutlich Willy Layton in Chicago gemeint. Vgl. Dok. 50  ; zu Leitersdorfs vgl. Dok. 15, Anm. 10. 11 Die Identität der Person konnte nicht eindeutig geklärt werden. Vermutlich handelt es sich nicht um einen Nachnamen, sondern um einen Herkunftsverweis  ; Wieden ist der IV. Wiener Bezirk. 12 Ungeachtet der zahlreichen rechtlichen Diskriminierungsmaßnahmen und der sozialen Stigmatisierung, gab es keine rechtliche Sanktionierung eines bloß mündlichen oder schriftlichen Verkehrs der als jüdisch geltenden Bevölkerung mit Nichtjuden. Der Umstand, dass beide hier genannten Personen – Ella Wenger und die offenkundig nichtjüdische Frau – den direkten Kontakt dennoch vermieden, zeigt umso klarer den Erfolg der nationalsozialistischen Ausgrenzungspolitik, passten sich doch, offenbar aus Angst, beide Seiten den Maßnahmen nicht nur an, sondern übererfüllten sie durch selbstauferlegte Isolation. 13 Verwendung eines Akrostichons als Erkennungszeichens.

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Das Bild der Buben steht vor mir, ich sprech immer mit ihnen.

Mutter

Ich14 wünsche auch nur schönes zum Geburtstag.15 Hoffentlich werden wir den nächsten zusammen verleben. Denk Dir, bei uns im Heim arbeitet jetzt das Frl. Paula Moser in der Nähstube.16 Die Welt ist doch klein. Emmi hat von Richard17 »Kriegsgefangenpost« bekommen. Sie hatte ½ Jahr keine Post. Ernst L. 18 ist mit Richard zusammen, Paul duerfte mit Schnitzers zusammen sein. Viele viele Millionen Bussis Marthe

14 Die drei folgenden Absätze sind auf dem Kopf stehend am oberen Rand der ersten Seite (erster Absatz), seitlich im rechten Winkel am linken Rand der ersten Seite (zweiter Absatz) bzw. seitlich am rechten Rand der ersten Seite (Schlussformel) von Martha Wenger nachträglich eingefügt worden. 15 Elisabeth Schneider feierte am 14. April ihren 42. Geburtstag. 16 Tatsächlich war der Vertrag von Paula Moser als Lehrerin von der IKG mit 31. März 1941 aufgelöst worden. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Wien, A / VIE / IKG / I-III / PERS Kartei Moser, Paula  ; Dok. 2, Anm. 7. 17 Gemeint sind Richard und seine Frau Emma Löbl. Die in Anführungszeichen gesetzte Kriegsgefangenenpost bezieht sich nach Auskunft von Martin Schneider auf den Umstand, dass Richard Löbl – wie Viktor Schneider auch – zunächst in Belgien, dann in Südfrankreich interniert worden war. Vgl. Dok. 7 (Anm. 3) und 9, Anm. 17. 18 Möglicherwiese ist hier Ernst Leitersdorf (vgl. Dok. 16, Anm. 10), mit »Paul« wohl Paul Haag (vgl. Dok. 12, Anm. 16) gemeint. Die nachfolgend genannten Personen konnten nicht eindeutig identifiziert werden.

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49 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 14. April 1941 2 S., e. B. mit Nachbemerkungen von Georg und Viktor Schneider

14 April 1941 Geliebtes Kind  ! Heute ist Dein Geburtstag, da denke ich so viel an Dich, daß ich Dir doch auch schreiben will. Hoffentlich hast Du meinen Brief und die Foto bekommen. Ich will nicht sentimental werden und Dir sagen, was ich alles denke, aber nächstes Jahr sage ich es Dir persönlich. Eine unaussprechliche Freude habe ich von Deinem letzten Brief gehabt, wo Du schreibst, daß Du bei Viki bist. Du hast reichlich eine Belohnung verdient für Dein unermüdliches, tapferes Durchhalten die ganze Zeit. Ich bin schon sehr neugierig zu hören, wie Du zu Hause alles vorgefunden hast. Das Bild von Robert ist süß, ich habe große Freude damit, er macht einen vernünftigen, gewissenhaften Eindruck. Der Bub wird ein rechtschaffener, braver guter Mensch werden. Von uns ist nichts Neues zu berichten. Es geht uns weiter gut. Ich weiß nicht, ob ich Dir schon geschrieben habe, daß wir nach Chicago geschrieben haben an 71 Namensbrüder (ich habe noch von Franz damals die Adressen gehabt) sie sollen uns ein Affidavit schicken.1 Ich kann noch keine Antwort haben, auch weiß ich natürlich nicht, ob überhaupt einer davon sich dazu entschließen wird. Aber was tut man nicht alles, um fort zu kommen, da wir Niemand haben, der uns anfordert. Auch an Grete Kann habe ich geschrieben.2 Übrigens ist jetzt überhaupt ganz ausgeschlossen, an eine Ausreise zu denken, da alles überfüllt ist,3 aber wir haben ja Zeit, wir können warten. Nur 1 Das Affidavit war die Bürgschaftserklärung eines US-Amerikaners für einwanderungswillige Migranten, das die Bereitschaft zu ggf. notwendigen finanziellen Unterstützungsleistungen einschloss. Für deren Gewährung waren Verwandte in den USA von erheblichem Vorteil. Dies erklärt den Versuch der Kontaktaufnahme der Briefschreiberin mit Namensbrüdern in den USA. Vgl. Embacher, Flucht, 226. 2 Vermutlich gemeint ist Margarethe Lindt (geb. Kann, *20. Januar 1885, Wien). Sie und ihr Mann Dr. Ernst Lindt (*27. Februar 1878, Wien) gehörten beide dem jüdischen Bekenntnis an und waren seit Oktober 1939 aus Wien in die USA abgemeldet. Vgl. WStLA Meldeunterlagen Ernst Lindt  ; IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch 97/1885. 3 Während sich die Nationalsozialisten vor dem Krieg mit der Verdrängung der jüdischen Bevölkerung aus dem Reich und deren ökonomischer Ausbeutung zufriedengegeben hatten, war die Auswanderung bereits mit Kriegsbeginn erheblich erschwert worden  ; mit dem Überfall auf die Sowjetunion setzte die zielgerichtete Ermordung der jüdischen Bevölkerung ein. In Wien waren die systematischen Deportationen

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etwas Sicheres wollen wir gerne in Händen haben. Du darfst Dir nicht denken, daß ich unglücklich bin, hier meine Zelte abzubrechen, ich habe doch immer und immer nur die eine Hoffnung, einmal mit meinen Lieben vereint zu sein. Nur gesund soll ich bleiben, daß ist meine einzige Sorge. Also Hoffnung und Zuversicht für die Zukunft. Bitte sage Golo, ich laß mich sehr für seinen Brief bedanken, er soll nicht böse sein, wenn ich ihm nicht extra schreibe. Er soll sich nur fleißig im Maschienschreiben üben, besonders abschreiben ist sehr wichtig.* Mein Bild ist von der allerletzten Zeit, ich werde ihm gelegentlich auch eines schicken. Meine lieben Kinder, recht viele innige Küsse  ! Mutter * Habe Lisls Zeilen fast wörtlich abgeschrieben4 dürfte der Brief gewesen sein, den Du hier in P an ihn geschrieben hast.5

im Februar 1941 aufgenommen worden (vgl. Dok. 47, Anm. 2). Deutlich ersichtlich wird die veränderte Zielsetzung der nationalsozialistischen Politik – von der Vertreibung zur Vernichtung – in dem vom Reichsführer-SS veranlassten geheimen Rundschreiben des Reichssicherheitshauptamtes an alle Dienststellen der Geheimen Staatspolizei vom 23. Oktober 1941, mit dem ein Auswanderungsverbot für alle im Machtbereich des NS-Staates verbliebenen Jüdinnen und Juden verfügt wurde  ; bereits seit 7. August 1941 hatte es ein solches für die männliche jüdische Bevölkerung zwischen 18 und 45 Jahren gegeben. Bis Oktober 1941 hatten 128.500 Jüdinnen und Juden Österreich verlassen  ; die ersten Folgen der sich ändernden NS-Politik werden in der vorliegenden Briefstelle beschrieben. Vgl. Walk, Sonderrecht, 353 (IV, 256)  ; Rosenkranz, Verfolgung, 81. 4 Handschrift von Georg Schneider. 5 Handschrift von Viktor Schneider. Die Bemerkung dürfte sich inhaltlich auf die Eingangsbemerkung des Briefes beziehen, in der es heißt, dass Ella eine »unaussprechliche Freude […] von Deinem letzten Brief« hatte. Wenn Elisabeth Schneider zu diesem Zeitpunkt ihren Mann Viktor sehen konnte, ist das »P« als Perpignan zu lesen, wo Viktor Schneider im Militärlager Camp de Rivesaltes interniert war, aus dem er mitunter zu seiner Familie durfte. Vgl. Familienchronik der Familie Schneider, Privatbesitz Martin Schneider, unpag.; o.A., Schneider’s Story, unpag.; zu dem Internierungslager Boitel, Camp de Rivesaltes.

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50 Martha Wenger an die Familie Schneider Wien, 2. Mai 1941 2 S., e. B. mit Neben- und Nachbemerkungen von Ella Wenger und Georg ­Schneider

2. V. 1941 Liebe Schneiderei  ! Also am 6. Mai hatt Ihr wieder Hochzeitstag.1 Jetzt beginnt das 13. eheliche Kriegsjahr und noch dazu zählen Kriegsjahre doppelt. Ich glaube, Lisl muß schon als Säugling Kinder bekommen haben.* In der Beilage schicke ich Euch ein Bild von mir, hoch in Amt und Würden. Ich bin zwar nicht jünger geworden, laße mir aber von der Zeit nichts antun. Von Kamma Melchior habe ich aus Kopenhagen2 Brief bekommen, sie würde gern mal von Lisl Post haben. Ihre Adresse ist Kopenhagen 2, Stockholmsg. 37. Tante Lis wird jetzt aus ihrer Wohnung in der Vesterbrogade ausziehen,3 da ihr die große Wohnung für sich allein zu ungemütlich ist. Sie will mehr außerhalb von Kopenhagen, in der Nähe ihrer Kinder wohnen. Das Export und Import-Geschäft geht durch den Krieg naturbedingt jetzt schlecht. Heute habe ich wieder ein ganz kleines Kindchen aufgenommen. Geburtsgewicht 2250g, jetzt mit 3 Wochen nur 2200g. Ich werde es aber schon heraufpäppeln. Ich freue mich schon darauf. Heuer ist ein schrecklich verregnetes Frühjahr. Im April hat es geschneit und die Blüte ist noch sehr zurück. Zu Vatas Geburtstag dürfte kaum schon Flieder blühen.4 Bei gutem Wetter gehen wir mit den Kindern in den Gartenhof,5 doch hatten wir bisher noch wenig Gelegenheit dazu. Wir haben 14 Säuglinge und Kriechlinge. Alle Anziehen und aus dem II. Stock hinuntertragen, da muß das Wetter schon dafürstehen  ! Hede Antal-Jellinek hoffen im Juni abreisen zu können. Sie machen schon alle Vorbereitungen dazu. Frl. Moser läßt Dich, Lisl, vielmals grüßen, 1 Elisabeth und Viktor Schneider haben am 6. Mai 1929 geheiratet. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Trauungsbuch, Rz. 131/1929. 2 Zu Dänemark als Flucht- und Transitland vgl. Dok. 1, Anm. 10. 3 Gemeint ist Elisabeth Nathan (geb. Meyer, *27. Mai 1863, Aarhus). Sie war die Mutter von Kamma Melchior, vgl. Dok. 11, Anm. 7. Die Vesterbrogade ist eine Straße in dem gleichnamigen Stadtviertel Kopenhagens. 4 Hartwig Wenger war am 13. Mai 1856 geboren worden. 5 Da Martha Wenger im Kinderheim in der Unteren Augartenstraße arbeitete, dürfte hier der Augarten gemeint sein.

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sie interessiert sich riesig für Euch alle. Sie ist so anständig und dabei so potschert. Mit Rudi Kostal und den andern mache ich Sonntags Ausflüge. Jetzt werden sie mit den Rädern fahren. Ich habe zwar ein Radel, doch bin ich schrecklich feige. Für heute genug. Tausend Küße Eure Martha Herzliche6 Grüsse Georg. Bin sehr müde, daher die Kürze7 * Ist mir etwas unverständlich  ! Anmerkung der Redaktion Meine Lieben  ! Ich schreibe heute nur ein bischen dazu. Nächstens wieder ein extra Brief. Eigentlich wollte ich Lisl 2 Briefe gleich beantworten, die sind so schön gewesen und haben mich tief glücklich gemacht. Ich danke Dir von Herzen dafür. Liebe und Zuversicht siegen über alles Schwere u. Traurige. Es soll nur immer so bleiben. Ich habe die Bilder von den Kindern bei mir am Schreibtisch stehen und immer wieder meinen Glauben an eine Wiedervereinigung. Mir geht es gut, ich bin glücklich, daß ich Martschi da habe, daß ich für jemanden zu sorgen habe und flicken und Strümpfe anstricken kann. Wenn ich nur schon all Eure Sachen flicken und richten koennte. Soll ich Euch die Adresse von Ernst K.8 schicken, er ist in Philadelphia  ? Willy Layton wohnt 738 Briar Place Chicago Illinois U.S.A. Tausend Küsse Mutter

6 Die vier folgenden Absätze sind a) am Ende der ersten Seite in der Handschrift von Georg Schneider (erster Absatz), b) am Ende der ersten Seite und c und d) jeweils im rechten Winkel am Rand der ersten (dritter Absatz) bzw. der zweiten Briefseite (vierter Absatz) in der Handschrift Ella Wengers nachgetragen. 7 Die Erschöpfung Georg Schneiders resultiert aus harter körperlicher Arbeit, die er im Internierungslager Gordola leisten musste, einerseits und der Ungewissheit über sein weiteres Schicksal – er wollte aus der Schweiz weiter emigrieren – andererseits. Vgl. zahlreiche Dokumente zu seiner Zeit im Internierungslager und seinen Ausreisebemühungen in Archiv für Zeitgeschichte Zürich, IB VSJF-Archiv / S 463. 8 Gemeint ist Ernst Kalmus. Vgl. zu ihm Dok. 13, Anm. 6.

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51 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 16. Juli 1941 2 S., e. B.

16 Juli 1941 Mein geliebtes Kind. Schon lange habe ich nicht geschrieben und so viel hätte ich Dir zu sagen. Vor allem danke ich Dir von Herzen für den liebevollen, herzlichen Brief, den Du mir aus Anlaß vom Tod Onkel Julius geschrieben hast.1 Der Brief hat mich wahrhaftig sehr gefreut, obwohl Du mich viel zu gut herstellst, was ich gar nicht bin. Daß mich die Todesnachricht tief erschüttert hat, kannst Du Dir denken, besonders da mir Gerti am selben Tag, ehe die Nachricht kam, einen Brief von Tante Lisl2 brachte, der entschieden hoffnungsfreudiger war. Ich habe ja von ihm durch die örtliche Trennung nichts persönliches gehabt, aber das Bewußtsein, ihn zu haben, und der Gedanke, doch wieder einmal zusammen zu kommen, war tröstend für mich. Ich habe ihn verehrt, habe seine außerordentlich guten Eigenschaften bewundert und war stolz auf ihn. Auch wußte ich, daß ich in allen Lebenslagen bei ihm Beratung und Tröstung gefunden habe. Natürlich ist Gerti am schwersten betroffen. Sie hat bei all ihrem Tun und Lassen das Gefühl gehabt, sie muß es verantworten können vor ihrem Vater. Jetzt hat sie keinen Rückhalt. Wenn nur diese unglückliche Ehe nicht gewesen wäre, würde sich das Leben für sie ganz anders gestaltet haben. Ein Glück ist der Kindergarten, den sie mit Leib und Seele betreut und dabei an alles oder wenigstens an Vieles vergißt. Sie ist viel beschäftigt, kommt aber öfters zu mir. Über deinen lieben Brief, den sie mir gezeigt hat, hat sie sich sehr gefreut. Von uns ist nicht viel Neues zu berichten. Es geht alles seinen täglichen Gang. Von nächster Woche bin ich stark beschäftigt, da meine »Perle« auf Urlaub geht und ich allein Kochen werde. Allerdings habe ich F. H. die Liebe aufgesagt, wenigstens so lange Tani3 nicht da ist. Außerdem schickt mir Martha ein junges Mädel aus ihrem Heim, 1 Ihr Bruder, Julius Zappert, war am 13. Juni 1941 in Slough/England verstorben. Vgl. Dok. 5, Anm. 12. 2 Gemeint ist Elisabeth Schiff, die Julius Zappert 1939 nach England begleitet hatte und nach dessen Tod zu einem nicht spezifizierten Zeitpunkt zu ihrer Tochter in die USA weiter emigrierte, vgl. Dok. 4, Anm. 5. 3 Die Identität der Person – offenkundig der erwähnten Haushalthilfe (»Perle«) – konnte nicht geklärt werden, ebenso wenig die des nachfolgend erwähnten »Mädel«.

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die mir beim Aufräumen helfen wird. Es wird schon gehen, machen es doch so viele Frauen, die noch älter sind wie ich. Martschi hat Anfang August Urlaub, den sie zu Hause zum Ausschlafen benützen wird. Großvater kommt sehr oft zu mir, er hat auch Briefe von Fina, nicht Neues  ! Von Viki habe ich einen Brief bekommen, mit dem ich mich sehr gefreut habe, bitte sage ihm, ich laß mich sehr bedanken. Ich schicke ihm die Adresse von einem Vetter  : Leopold Schneider4 30 West 96te street New York City, es soll ihm gut gehen. Ich bin in Gedanken viel bei Euch, bei den Kindern, an denen ich den regsten Anteil nehme und mich mit jedem Wort was Du über sie schreibst, freue. Besonders glücklich bin ich, daß Du Onkel Lustig5 etwas geschickt hast. Wir haben jetzt sehr schönes, heißes Sommerwetter, doch ist meine Wohnung ganz erträglich, so daß man nicht darunter leidet. Ich erwarte schon mit Sehnsucht die Nachricht, daß Viki Urlaub bekommt. Euch allen innig Küsse Mutter

4 Vermutlich ist hier Leopold Schneider (*31. August 1902, Wien) gemeint. Er war der Sohn von Emanuel (*1. Februar 1871  ; gest. 26. Januar 1942, Datum der Deportation nach Riga) und Hermine (geb. Gänsler) Schneider. Der gelernte Sozialversicherungsbeamte, der offenkundig unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich seine Arbeit verloren hatte – er wird 1938 als »Pensionist« geführt –, hatte bereits im Juli 1938 einen Auswanderungsbogen bei der IKG ausgefüllt, in dem er angab, dass ihm das Auswanderungsziel egal und er gewillt sei »jede Arbeitsmöglichkeit aufgreifen« zu wollen, die sich ihm biete (wohingegen seine bei ihm wohnende Schwiegermutter, Josefine Goldgraber, in ihrem am selben Tag gestellten Auswanderungsbogen angab, zu nahen Verwandten in London oder Chicago zu wollen). Offensichtlich gelang Leopold Schneider die Emigration gemeinsam mit seiner Frau Salome (*4. Februar 1901, Wien) und seinen Kindern Suse (*16. Januar 1932) und Gert (*15. Januar 1936). Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 2117/1902  ; ebd., Bestand Jerusalem, A/W 2589/90, Schneider, Leopold  ; ebd., A/W 2589/90 Goldgraber, Josefine. Zu Emanuel Schneider vgl. die Deportationsliste 1.2.1.1 / 130501295, ITS, Digital Archive, Arolsen Archives. 5 Es handelt sich um Arthur Lustig (*24. Juli 1890, Bahnhof-Oderberg, heute  : Bohumín/Tschechien). Als Oberleutnant der Reserve hatte er am 11. Juni 1918 Margarethe Ziffer (*27. Februar 1894, Wien) geheiratet. Beide überleben den Krieg im Exil. Vgl. Archiv der IKG Wien, Bestand Matriken, Trauungsbuch IKG Wien, Militärseelsorge, Rz. 209/1918  ; Brief 59  ; dass auch nach dem Krieg eine enge Bekanntschaft zwischen Arthur Lustig und dessen Frau Margarethe einerseits und Elisabeth und Viktor Schneider bestand, verdanke ich der Auskunft Martin Schneiders.

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52 Ella Wenger an Viktor Schneider Wien, 21. August 1941 2 S., e. B.

21. / VIII 1941 Liebes Kind  ! Ich schreibe Dir heute schon eine Gratulation zu Deinem Geburtstag am 17/IX, damit Du sie sicher bekommst. Es kommt mir vor, ich habe Dir erst geschrieben zu Deinem vorjährigen Geburtstag und habe Dich für das nächste Jahr mit einen Kugelhupf vertröstet.1 Es ist allerdings nichts daraus geworden, da müssen wir halt noch weiter warten, einmal wird es schon werden. Du siehst, ich bin immer noch zuversichtlich und hoffnungsfreudig. Ich habe schon lange nichts mehr von Euch gehört, weiß auch nicht, wann Du Urlaub bekommen wirst und wie es Dir eigentlich geht, ob Du noch immer im Spital bist. Lisl hat mir zwar vor einiger Zeit geschrieben, auch die Buben haben mir geschrieben, was mich natürlich riesig gefreut hat, ich habe ihr den Brief noch nicht beantwortet, sie soll nicht böse sein und doch wieder einmal schreiben, das ist immer ein Lichtpunkt in meinem Leben. Ich darf mich zwar nicht beklagen, ich bin gesund und habe genug zu tun. Martha ist fleißig, jetzt hatte sie 8 Tage Urlaub, den sie hauptsächlich zum Ausschlafen benützte. Großvater kommt regelmäßig Sonntag Vormittag zu mir, wir stehen sehr gut miteinander, besonders, weil ich ihn öfters wie bisher aushalte. Ich tue es gerne, weiß ich doch, daß es nach Euren Sinn ist. Lisl hat mir versprochen, wieder einmal ein Bild von den Kindern zu schicken, wenn sie eine Aufnahme machen kann, soll sie mir doch die Freude machen. Ich habe am Schreibtisch (der früher bei der Martschi war, jetzt wo wir zusammen wohnen, im Speisezimmer steht), das letzte Bild von den Buben aus Brüssel und das allerletzte von Robert, freu mich immer damit. Auch von Euch allen habe ich ein reizendes Bild vor mir stehen, aus B, wo Du Martin gerade etwas erzählst oder vormachst  ; ich glaube, Martschi hat die Aufnahme gemacht.2 So lebt man immer in der Erinnerung, weil 1 Vgl. Dok. 39. 2 Aus dieser Bemerkung geht hervor, dass Martha Wenger von Wien aus nach Belgien gereist ist und dort ihre Schwester, ihren Schwager und deren Kinder getroffen hat. Sie konnte das, weil sie in ihrer Funktion als Begleiterin von Kindertransporten für die IKG das Land verlassen und wieder einreisen durfte (vgl. die Dok. 23, Anm. 5 und 25, Anm. 3). Dass Martha nach Wien zurückkehrte, obwohl die Situation für dessen jüdische Bevölkerung zunehmend kritisch wurde, dürfte damit zusammenhängen,

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man von der Zukunft keine Vorstellung hat. Bitte, wenn Du Golo sprichst, sag ihm, ich laß mich für seine Karte vom 16.8. bedanken, ich schreib ihm sehr bald, aber die Geschichte mit Onkel Lustig habe ich doch nicht verstanden. Ich weiß nämlich nicht, aus welchen Besitz die Sachen kommen. F. Bäuml, die mich ab u. zu besucht, muß ich immer über ihren Sohn berichten. Sie hat von anderer Seite gehört, daß seine Frau ein Baby erwartet, ist sehr aufgeregt, ob dies wahr ist. Ich umarme Dich im Geiste und bemühe mich, gesund zu bleiben, damit ich dies in Wirklichkeit einmal machen kann. Tausend Küsse Mutter

dass sie sich ihrer Mutter gegenüber verpflichtet fühlte, der sie als IKG-Angestellte ein stückweit Schutz und Privilegien bieten konnte, nicht zuletzt, da die IKG Personen von den Deportationslisten herausreklamieren konnte. Vgl. Dok. 47, Anm. 2  ; Rabinovici, Instanzen, 86 (zum Pflichtgefühl zahlreicher Personen gegenüber der Gemeinde) oder 172 f.

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53 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 26. August 1941 2 S., e. B. mit Randbemerkung von Georg Schneider

26. / VIII 1941 Mein geliebtes Kind  ! Ich hatte so große Freude mit Deinem und Vikis Brief, daß ich ihn gleich beantworten will. Enttäuscht bin ich zwar, daß Viki noch immer im Spital ist, doch wird es für seine Krankheit besser sein, der Aufenthalt dort  ; vielleicht kommt doch noch ein Bescheid bis er seinen Urlaub antritt. Du hast so viele Fragen an mich gestellt, daß ich versuchen werde, sie zu beantworten. Du frägst, ob ich mit jemand zusammen komme. Ich mache nicht viel Besuche, aber alle Leute kommen gerne zu mir, da bei mir eine ruhige, sorgenfreie Luft weht. Mein Diwanplatzerl strömt noch immer die alte Gemütlichkeit aus, und ich selber bin zuversichtlichen Mutes. Jeder geht mit bischem leichteren Herzen von mir fort. Ich selber habe von den verschiedenen »Altersgenossen« nicht viel Anregung. Da kommt z. B. heute F. Singer (Karls Schwiegermutter1) zu mir, sie hat sich zu ihrem Vorteil sehr gebessert und ist für Gerti ausgezeichnet  ! Dann habe ich eben F. Bäumel eine Karte geschrieben, daß ich nächste Woche zu ihr komme, sie war öfters bei mir, so muß ich endlich ihren Bitten nachgeben und zu ihr gehen. Die ist aber eine schreckliche Lamentiererin. Dann kommt Fr. Czerwenka öfters zu mir, die ist allein mußte ihre Wohnung aufgeben,2 und liebt mich heiß. So könnte ich Dir noch einige Damen in demselben Alter aufzählen, die alle gerne zu mir kommen. Natürlich gibt es keine großartigen Jausen, einen Tee (nicht einmal neben einem echten gelegen), Gebäck und wenn es hoch geht Butter. Jede Woche Mittwoch kommt F. Illner zu mir, die freut sich die ganze Woche auf diesen Nachmittag. Außerdem ist jeden Montag Nachmittag und Donnerstag den ganzen Tag die Madi bei mir, die Euch alle 1000 Bussi schickt. Natürlich werden alle Briefe von Euch ihr vorgelesen. 1 Gemeint ist Karl Zappert, der Neffe der Briefschreiberin. Seine Schwiegermutter war Elsa Singer. 2 Frau Czerwenka hatte mit ihrem Mann Ludwig gemeinsam nach ihrem Umzug aus Linz zunächst in der Widerhofergasse 8, zwischen Dezember 1940 und Februar 1941 möglicherweise mit ihm in der Wienerstraße 72/119 in Purkersdorf gewohnt, musste aber offenbar nach dessen Tod am 18. Februar 1941 die gemeinsame Wohnung aufgeben. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Ludwig Czerwenka  ; Dok. 5, Anm. 10.

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Mit Perlsee3 war ich letzten Sonntag Nachmittag beisammen. Wir trafen uns in einem Konzert. (Gildemeester gibt sehr schöne Konzerte mit hervorragenden Mitwirkenden,4 Gerti Brunner wollte mir zum Muttertag etwas schenken und hat mir eine Karte zu so einem Konzert versprochen und diesen Sonntag eingelöst.) Perlsee Eltern waren auch dort, wir haben uns lange gesprochen, auch Emmi5 sprach ich vor einiger Zeit. Sie hatte Brief von R.6, noch immer von seinem alten Ort. Auch von Grete kommen ganz annehmbare Berichte, sie plagen sich entsetzlich.7 Golo wollte in seinem letzten Brief wissen, ob ich vielleicht weiß, wie die finanziellen Sachen bei der Grossmutter8 ständen. Nun kann ich Dir darüber nur Erfreuliches mitteilen. Sie hat von ihrem Bruder wie er damals fort ging, eine kleine Zubuße bekommen, davon zehrt sie, so daß sie gar keine Sorgen hat, im Gegenteil, sie möchte wieder und wieder der Viktoria etwas geben, Du brauchst Dir um sie gar keine Sorgen machen, sie ist mit ihren 71 Jahren sehr fesch, rennt jeden Tag einkaufen, macht viel Hausarbeit und sieht gut aus, und denke Dir  ! Sie nimmt seit ein paar Monaten engl. Stunden, lernt viel, macht gute Fortschritte, es macht ihr große Freude.

3 Gemeint sind Richard (*10. Juni 1866, Prag  ; 25. Januar 1943, Theresienstadt) und seine Frau Elsa (geb. Steinschneider, *9. Juli 1883, Olmütz  ; gest. 9. Oktober 1944, Datum der Deportation nach Auschwitz) Perlsee, die Eltern Emma Löbls, vgl. Dok. 45, Anm. 10. Wie diese wohnten sie zuletzt in Stoß im Himmel 3/13 im I. Wiener Bezirk. Beide gehörten dem jüdischen Bekenntnis an und wurden – in demselben Deportationszug wie Ella und Martha Wenger – am 1. Oktober 1942 nach Theresienstadt, Elsa von dort am 9. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert. Vgl. die Angaben für Richard und Elsa Perlsee auf doew.at und im Theresienstädter Gedenkbuch, 409 bzw. 419 sowie die Taufmatrikel der Prager jüdischen Gemeinde 1863–1871, Pag. 75, Nr. 72. 4 Vgl. zur Aktion Gildemeester Dok. 34, Anm. 2 und 42, Anm. 3. 5 Gemeint ist Emma Löbl, geb. Perlsee, vgl. Dok. 45, Anm. 10. 6 Gemeint ist Richard Löbl, vgl. Dok. 9, Anm. 17. 7 Grete Freund (geb. Perlsee, *13. März 1904, Wien  ; gest. 2. Juli 1979, Wien), die Tochter von Richard und Elsa und Schwester Emma (Emmy) Löbls. Sie war mit Rudolf Freund (*9. Juni 1901, Wien) verheiratet. Das dem jüdischen Bekenntnis angehörende Paar hatte zwei Kinder, Peter (*28. Juni 1927) und Johanna (*24. März 1929). Zuletzt waren sie in Wien im Februar 1939 gemeldet und emigrierte danach nach Paraguay. Rudolf Freund war seit 1922 Inhaber der Firma Brammer für Kaffeeimport gewesen, die mit 30. Oktober 1938 ›arisiert‹ worden war. Das (nachträglich geänderte) Auswanderungsziel in Südamerika dürfte mit Blick auf eine Tätigkeit im Kaffeegeschäft gewählt worden sein. Die IKG befürwortet eine Bezuschussung der Auswanderung dorthin, zumal die Vorbereitungen weit gediehen und Eigenkapital vorhanden war. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Rudolf Freund (hier wird das Geburtsdatum der Tochter mit 24. Februar 1929 angegeben)  ; Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Geburtsanzeige, Rz. 529/1904  ; Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Rudolf Freund, 9. Juni 1938, Auswanderungskartei 2590/60, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI). 8 Ella Wenger spricht hier in der 3. Ps. Sg. von sich selbst. Die nachfolgend genannte Viktoria ist hier eindeutig die Adressatin – d. h. ihre Tochter Elisabeth Schneider, deren zweiter Vorname Viktoria war.

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Nun muß ich Euch etwas ganz Neues mitteilen. Es kam ein Brief von Karl aus Rio (Brasilien), er ist mit Frau und Kind auf dem Weg nach Sao Paulo, wo er eine Anstellung hat.9 Er ist doch ein tüchtiger Mensch, schreibt entzückt von der Fahrt und von dem Aufenthalt in Rio. Näheres wissen wir noch nicht. Ich glaube, sein Pläne sind erst gereift nach Julius Tod. Was mit Tante Lisl10 geschieht, weiß ich nicht, zu ihrer Tochter kann sie jetzt nicht, mir ist sie schrecklich leid, sie hat sich wirklich aufgeopfert. Hoffentlich kommt bald ein ausführlicher Brief von Karl. Gerti ist sehr entzückt von dieser Lösung. Nun will ich Dir noch schreiben, daß ich diesen Tag Swochen erwarte. Sie soll einen Hosenrock für Martha machen, Martha braucht ihn für Ausflüge mit Kostals per Rad. Ich glaube, damit sind Deine Fragen über Martha erledigt. Jetzt will ich noch den Kindern extra danken für die Briefe, die sie mir geschrieben haben und die Grüße in Deinem letzten Brief. Martha ist auch schon ein Künstler. Leid ist mir, daß Golo Spital-bedürftig war, hoffentlich ist er schon wieder hergestellt. Er ist so ein ausgezeichneter, herzensguter Mensch, daß ich immer eine Freude über ihn habe, erst durch unsere Correspondenz sind wir so innig verbunden miteinander. Meine Liebe, Euch allen die Allerfestesten Küsse Mutter Viele11 Küsse Golo. Bin schon aus dem Spital.

9 Der gelernte Ingenieur baute in Monte Alegre, Paraná, eine Papier- und Zellulosemühle für Klabin Industries. Vgl. Familienchronik der Familie Zappert, Privatbesitz Marianne Maxwell, England. 10 Gemeint ist Elisabeth Schiff, die Julius Zappert 1939 nach England begleitet hatte und zu einem nicht spezifizierten Zeitpunkt nach dessen Tod zu ihrer Tochter in die USA weiter emigrierte, vgl. Dok. 4, Anm. 5. 11 Die beiden folgenden Sätze sind nachträglich am oberen Rand der ersten Seite hinzugefügt worden.

184 |  Briefe 1938–1942

54 Ella Wenger an die Familie Schneider Wien, 20. November 1941 2 S., e. B.

20. November 41 Meine Lieben  ! Es ist recht schlecht von mir, daß ich Euch so lange nicht geschrieben habe, besonders, da ich 3 Briefe von Euch zu beantworten habe. Vor allem danke ich Euch für die lieben ausführlichen Berichte, ich bin immer glücklich, wenn ich von Euch höre, besonders von den Kindern, da habe ich das Gefühl, ich bin mit dabei. Nur fürchte ich, daß das schöne Zusammenleben schon wieder vorbei ist. Von uns ist nicht viel Neues zu schreiben. Ich bin gesund und habe immer zu tun. Momentan richte ich für den Winter her, der leider schon mit Macht angefangen hat. Martha ist fleißig in ihrem Heim und stolz, weil sie wieder Zuwachs bekommen haben, sogar Zwillinge. Martha hegt, pflegt und beschützt mich so viel sie kann, was ich mir natürlich gerne gefallen lassen kann, so weit es in ihrer Macht steht. Wir haben eine ganz, ganz leise Möglichkeit, nach Kuba mitgenommen zu werden,1 ohne daß wir das Geringste selbst bestreiten müßten, doch ist dies momentan nicht spruchreif. Eben war Madi da, die Euch alle herzlich grüßen läßt. Ich lese ihr natürlich alle Euere Briefe vor, sie freut sich sehr damit, besonders über die speziellen Grüße. Ich weiß nicht, ob Euch Georg erzählt hat, daß die Tante Regine gestorben ist, sie hat jedenfalls keine Lebensfreude mehr gehabt. Der Großvater hat Sachen von ihr bekommen, die er der Fina aufhebt. Der Großvater will der Fina das letzte Bild von den Buben schicken, da sie gern wissen wollte, wie sie jetzt ausschauen. Letzthin war Frau Schmutzer bei mir, der habe ich auch die Bilder gezeigt. Sie hat ein bischen geweint dabei und mich gebeten, ob sie nicht auch ein Bild haben könnte. Vielleicht könnt Ihr eines schicken, sie würde sich 1 Die Karibikinseln Kuba und die Dominikanische Republik waren für die meisten Emigrierenden »nicht viel mehr als ›Wartesäle‹«, solange ihnen eine Einreise in die USA (noch) verwehrt worden war. Die Einreise auf die beiden Inseln war, wie bei zahlreichen lateinamerikanischen Ländern, an hohe Auflagen gebunden, unter denen u. a. der Nachweis von Eigenkapital war. Zudem war Korruption für die Erlangung eines Einreisevisums gang und gäbe, was die Bemerkung erklären könnte, wonach sie nicht »das Geringste selbst bestreiten müßten«. Insgesamt nahm Kuba während des WK II schätzungsweise 8000 Flüchtlinge auf, so dass sich dort Exilorganisationen – auch dezidiert österreichische – ausbildeten. Vgl. von zur Mühlen, Lateinamerika, 297 f. und 303.

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sehr damit freuen, besonders über Martin hat sie sich gewundert, wie groß der schon ist. In Gedanken bin ich bei Euch an den beiden Geburtstagen der Buben, ich schicke ihnen viele Extraküsse. Welches mein heißester Wunsch ist, wißt Ihr so, vielleicht geht er doch noch in Erfüllung. Ich habe jetzt 2 Kisten mit Sachen von Frafri2 dem Major geschickt, er soll sie ihnen, wenn die Möglichkeit sein wird, zukommen lassen. Sehr freuen würde ich mich, wenn sie etwas bekommen könnten. Sonst ist eigentlich nicht viel zu erzählen. Der alten kleinen Frau Illner geht es schlecht, sie hat außer ihren 85 Jahren einen leichten Schlaganfall bekommen, ich gehe oft zu ihr, hoffe, daß sie bald in ein Altersheim unterkommt.3 Dann besuche ich öfters die Tante von Fritzi4, der wir vielleicht einmal sehr sehr verpflichtet sein werden. Meine größte Freude ist aber, wenn ich von Euch Briefe bekomme. Seid tausendmal geküßt Mutter.

2 Kosename für die Familie Wenger, zusammengesetzt aus »Franz« und »Fritzi«, vgl. Dok. 1, Anm. 10. Wer der nachfolgend genannte »Major« war, konnte nicht geklärt werden. 3 Zu Helene Illner vgl. Dok. 39, Anm. 4, zur Situation in den Altersheimen Dok. 46, Anm. 7. 4 Gemeint ist die verwitwete Bianca Czerwenka, die als geborene Trager eine Schwester von Hugo Trager war, dem Vater Friederike Wengers. Vgl. IKG Wien, Bestand Matriken, Trauungsbuch, Rz. 461/1930  ; Dok. 5, Anm. 10.

186 |  Briefe 1938–1942

55 Ella Wenger an Georg Schneider Wien, 18. Februar 1942 2 S., e. B.

Ich habe letzthin Viktoria und Emma geschrieben.1

18. II 42

Liebster Georg  ! Besten Dank für Deinen 1. Brief vom 9. d., über den ich mich besonders gefreut habe, weil ich endlich wieder etwas von Lisl hörte. Ich glaube, ich habe ihr gar nicht auf ihre, und den Kindern ihre Geburtstagsgratulationen geantwortet, obwohl Lisls Brief so fabelhaft schön war, daß ich viel darüber weinen mußte. Ich habe schon gedacht, Lisl ist ungehalten über mich, aber das fiel gerade in die Kündigungszeit, da habe ich ein bischen den Kopf verloren. Jetzt sitzt er wieder auf dem rechten Fleck, ich fange an, mich in mein neues Heim einzugewöhnen und bin recht zufrieden. Ich habe eine Parterre Wohnung (wenn man das Wohnung nennen will), Küche und hübsches Zimmer auf die Straße, natürlich sonst keine Nebenräume, auch kein Gas oder Wasser in der Küche und elektrisches Licht.2 Ich habe Lisl kleinen eisernen Ofen als Kochgelegenheit und Lisl Kohlenkiste, die im Stiegenhaus stand. Beide Sachen kommen mir sehr gut. Ich habe natürlich das Speisezimmermöbel nicht mitnehmen können, was mir gar nicht leid ist. Aber unser Zimmer ist hübsch eingerichtet und sehr gemütlich. Der allergrößte Vorteil ist natürlich, daß ich im selben Haus bin wo Marthas Heim 1 Wer hier gemeint ist, konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden. Bei »Viktoria« handelt es sich möglicherweise um ihre Tochter Elisabeth Schneider, deren zweiter Vorname Viktoria war und den Ella Wenger wiederholt in den Schreiben nutzt, um Sachverhalte zu verklausulieren, vgl. z. B. Dok. 7 (Anm. 1), 53 (Anm. 8), möglicherweise auch 19 (Anm. 1)  ; bei »Emma« dürfte es sich um Emma Schönberg handeln, vgl. Dok. 11, Anm. 11. 2 Ella Wenger hatte ihre Wohnung am 21. Januar 1942 zwangsweise räumen und in die Untere Augartenstraße 35 ziehen müssen. Dass sie dort gemeinsam mit ihrer Tochter Martha gemeinsam ein Zimmer bewohnte, geht aus der Zusammenschau von Meldeunterlagen und Hauslisten hervor  : Die Untere Augartenstraße als Wohnort geht für Ella nur aus zweiteren, für Martha nur aus ersteren – in den Hauslisten ist es mit handschriftlichem Vermerk nachgetragen – hervor. Da die Wohnung in der Esslinggasse 13 in den Hauslisten von 1942 und 1943 nicht mehr auftaucht, ist davon auszugehen, dass sie zwangsgeräumt und an nichtjüdische Mieter übergeben worden war. Vgl. die Meldeunterlagen für Ella und Martha Wenger (WStLA) sowie die Hauslisten für den Unteren Augarten 35 und die Czerningasse 6, A/VIE/IKG/II/ BEV/Wohn/3/2 und A/VIE/IKG/II/BEV/Wohn/1/1, beide  : Archiv der IKG (Leihgabe im VWI).

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ist.3 Ich bin nicht so verlassen und Martha hat es auch besser, weil sie, wenn sie bischen frei ist, ein Hüpferl zu mir machen kann. Das Zimmer, was ich habe, hat einem Verein gehört, der hier zusammen gekommen ist, einem Invalidenverein und die Küche war eine Rumpelkammer in einem fürchterlichen Zustand. Der Verein hat einen anderen Raum bekommen im Haus, und so kam ich zu einer eigenen Wohnung. Allerdings hat Martha ihre ganze Protektion in Anspruch genommen. Überhaupt habe ich Martha alles zu verdanken. Nicht nur, daß sie mich erhält, sondern überhaupt alles.4 Unsere Hausgemeinschaft in der alten Wohnung hat sich vollkommen aufgelöst,5 nur die Louise Marx, das alte Frauerl, welche schon 6 Jahre bei mir gewohnt hat, ist übergeblieben. Die wohnt in der Nähe von mir.6 Überhaupt ist von meinen ganzen 3 Es handelt sich um das bis 1942 bestehende Kleinkinderheim in der Unteren Augartenstraße 35. Neben diesem existierten zu dieser Zeit in Wien noch drei weitere jüdische Kinder- bzw. Waisenheime  : die Jugendheimstätte bzw. das Jugendheim in der Tempelgasse 3, das Mädchenheim in der Haasgasse 10 (beide im II. Bezirk) und das Lehrlingsheim für Knaben in der Grünentorgasse 26 im IX. Bezirk. Vgl. Personalkarte Martha Wenger, Archiv IKG Wien, Bestand Wien, A/VIE/IKG/I-III/PERS/Kartei, K22  ; Raggam-Blesch, Odyssee, 272. 4 Die Mitarbeiter:innen der IKG hatten ein gewisses Einkommen und genossen Privilegien, wie etwa die Möglichkeit, sich nach 16 Uhr in der Öffentlichkeit aufzuhalten. Zudem konnten sie darauf vertrauen, dass sie samt ihren Angehörigen in der Not Unterstützung von der IKG erhielten, wie es sich hier an der Vermittlung einer eigenen Wohnung für die Briefschreiberin zeigt, nachdem sie aus ihrer bisherigen in der Esslinggasse zwangsverwiesen worden war. Vor allem aber konnte die Leitung der IKG Mitarbeiter:innen aus den Deportationszügen herausreklamieren, wofür die Zentralstelle für jüdische Auswanderung allerdings andere Personen auf die Listen setzte. Der sich auch auf Angehörige beziehende Schutz erlosch, als die Deportationen weit fortgeschritten und mithin die organisatorische Mitwirkung der IKG aus Sicht der nationalsozialistischen Machthaber nicht mehr notwendig war. Schon auf der Wannseekonferenz (20. Januar 1942) hatte der Leiter des RSHA, SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, Pläne vorgelegt, wonach nun auch jene Gruppen, die bisher Schutz genossen hatten, deportiert werden sollten, neben IKG Mitarbeiter:innen auch Weltkriegsveteranen mit Auszeichnung sowie Prominente. Diesem Plan folgend, wurden seit Juli 1942 auch die Mitarbeiter:innen der IKG Wien und ihre Angehörigen in das Ghetto Theresienstadt gebracht. Vgl. Rabinovici, Instanzen, 172 f.; Hecht/Lappin-Eppel/ Raggam-Blesch, Topographie, 433–483, zum Herausreklamieren 444  ; Rosenkranz, Verfolgung, 293, Klein, Wannsee-Konferenz. 5 Ella Wenger umschreibt hier die Deportation ihrer Mitbewohner:innen in die nationalsozialistischen Vernichtungslager. Während sie selbst und ihre Tochter Martha am 21. Januar 1942, Franziska Fränkel am 2. Januar und Louise Marx zu einem unklaren Zeitpunkt in andere Wohnungen verlegt worden waren, waren Ernestine Hamburger am 26. Januar und Heinrich Freund am 6. Februar 1942 direkt aus der Wohnung heraus nach Riga deportiert worden. Die beiden Letztgenannten teilten damit das Schicksal der meisten Bewohner dieses Hauses  : »Wie aus der Hausliste Eßlinggasse 13 hervorgeht, wurde der Großteil der jüdischen HausbewohnerInnen mit dem 14., 15. und 16. Transport im Januar und Februar nach Riga deportiert«, Hecht/Raggam-Blesch, Weg in die Vernichtung, 43 f.; vgl. zu den hier genannten Bewohnern Anm. 8 (Dok. 12), 7 (Dok. 15), 3 (Dok. 30), 4 (Dok. 40) und 2 (Dok. 55). 6 Louise Marx war in die gut einen Kilometer entfernte Lilienbrunngasse 8 zwangsumgesiedelt worden. Zu ihrem Schicksal vgl. Dok. 12, Anm. 7.

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Bekanntenkreis kaum noch wer über. Mir ist aber die Zeit nicht lange. Vormittag habe ich vollauf zu tun, da ich doch zu allem allein bin (ich darf nicht lügen, seit 2 Tagen habe ich eine Bedienerin, 3 mal die Woche auf 2 Stunden aufgenommen, die auch in der Zeit Marthas Berufkleider und Schürzen wäscht.) Finanziell habe ich keine Sorgen, da Martha verdient und mich erhält. Vater ist sehr brav, hat mir viel in meiner neuen Behausung geholfen und kommt oft zu mir. Ich freue mich zu hören, daß Du doch jeden Monat ein mal frei bist und nach Zürich fahren kannst. Das du Emma besuchst, ist sehr brav von dir, da ich überzeugt bin, daß dir der Ton, der bei ihnen herrscht, nicht sympathisch ist. Sie verstehen nicht, das Leben erfreulicher und gemütlicher zu machen, das haben sie nie verstanden, besonders der Herr im Hause. Aber mir gegenüber sind sie fabelhaft, besonders was Lisl betrifft. Also sei nur recht nett zu ihnen. Ich habe in meinem neuen Zimmer auch den Schreibtisch beim Fenster stehen, (so wie in den letzten Jahren in der alten Wohnung) da habe ich die Bilder von den Kindern, alte und neue, und bin immer in Gedanken mit ihnen. Liebster Georg, jetzt habe ich dir aber wirklich einen, wie du gewünscht hast, langen Brief geschrieben, ich hoffe, du wirst zufrieden sein. Bitte schreib recht bald und gib der Lisl und den Kindern viele viele Küsse. In Liebe Mutter

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56 Ella Wenger an Elisabeth Schneider Wien, 29. März 1942 2 S., e. B. mit e. Nachbemerkung von Martha Wenger

29. März 1942 Innigsgeliebtes Kind  ! Jetzt habe ich schöne Tage gehabt, von dir 2 Briefe, einen von Viki und den süßen vom Robert. Ich bin ganz stolz und glücklich, besonders dein 2. Brief ist so schön, daß ich ihn mir einrahmen sollte. Du tust mich wohl ein bischen überheben. Ich denke gar nicht nach, wie ich das Leben anpacke. Ich habe volle Zuversicht für die Zukunft und finde mich mit dem jetzigen Leben vollkommen ab. Ich habe es ausgezeichnet getroffen, bin sehr zufrieden. Jeder lobt mein gemütliches schönes Zimmer und kommt gerne zu mir. Ich habe nur einen Wunsch, daß ich gesund bleibe und Euch wiedersehen kann, das wünsche ich mir und dir zu deinem Geburtstag, den wir in Gedanken mit dir verleben wollen.1 Ich glaube nicht, daß ich mich in der Zeit, wo wir uns nicht gesehen haben, verändert habe, vielleicht bin ich etwas schlanker geworden, was nur ein Vorteil für meine Linie ist. Trage noch immer die Frisur, obwohl die Zöpfe schon Rattenschwänze sind (frag die Buben, ob sie sich noch erinnern, wie sie mir in Pernitz2 zugeschaut haben, wenn ich meine 4 Zöpfe geflochten habe). Jedenfalls trage ich meine 72 Jahre mit Würde und ohne viel Alterserscheinungen. Stolz bin ich auf meine Kinder, die wohl nicht durch meine Erziehung (denn ich habe sie gar nicht erzogen), sondern durch ihre eigene Kraft so hervorragende Menschen geworden sind. Dir und Viki danke ich tausend mal für die wunderbaren Briefe, worin alle Sorge und Kummer bei Seite gelegt wird und nur das Gute zum Ausdruck kommt. Es gehört viel Lebenskraft dazu, um das zusammen zu bringen. Das Resultat dieser Lebenskraft sind die prachtvollen Kinder, die Euch noch viel Glück bringen sollen. Wir haben jetzt endlich schönes Wetter, der arge Winter ist vorüber, wenn ich auch Nachmittag etwas heizen muß, so scheint doch Vormittag die Sonne herrlich in mein Zimmer. Spazieren gehe ich nie, das war nie mein Fall gewesen, nur letzthin wie zum 1 Ihre Tochter Elisabeth Schneider hatte am 14. April Geburtstag. 2 In Pernitz wohnte Ella Wengers Neffe Karl Zappert. Vgl. Dok. 11, Anm. 11.

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ersten Mal die Sonne herausgekommen ist und Martha Nachmittag dienstfrei war, hat sie mich zusammengepackt, wir sind mit der 313 nach Floridsdorf bis über die Brücke und am Damm entlang über die Nordwestbahnbrücke nach Nussdorf. Es war sehr interessant, weil das ganze Gebiet noch voll Eis war und auf den Ufern dicke Eisschollen.4 Ich brauche nicht einmal einkaufen gehen, das besorgt man mir hier im Heim. Du siehst, wie gut es mir geht. Nachtmahl brauche ich auch keines kochen. Martha bringt ihres herunter, das essen wir zusammen und nachher noch ein Butterbrot oder dergleichen. Nur Vormittag habe ich zu tun, aber ich habe mich schon gewöhnt daran und mach die Arbeit gerne. Nur mit dem Kochen ist ein Gefrett, das kleine Sgunckerl braucht eine Ewigkeit, bis man etwas zum Kochen bringt, und backen kann man auch nicht recht. Man ist halt mit dem Gas-Kochen verwöhnt. Aber gar so viel koche ich ja nicht, es geht schon, und wenn ich wirklich etwas zu backen habe (Honigkuchen für Gerti) lasse ich es mir oben backen. Ich bin natürlich im Haus hier mit allen sehr gut, besonders mit Tante Ella,5 die ja besonders nett ist. Sie interessiert sich für Euch alle so sehr, daß sie Roberts und deinen II. Brief zu lesen bekommen hat. Ich bin auch stolz auf all Eure Briefe. Jetzt schicke ich dir noch einen besondern innigen, festen Geburtstagskuß. In Liebe Mutter. Liebes Schwesterlein  ! Den Geburtstagsbrief bekommst du noch extra. Heute mit einem festen innigen Kuß Deine Martha

3 Die Tramlinie 31 fuhr von der Esslinggasse zur Haltstelle Am Spitz in Floridsdorf, u. a. über die naheliegende Haltestelle Obere Augartenstraße. Vgl. den Eintrag auf http://www.strassenbahnjournal.at (Zugriff  : 24. Februar 2021). 4 Vgl. zu dem strengen Winter 1941/42 Dok. 33, Anm. 1. 5 Gemeint ist Gisela Kornfeld (*18. Mai 1872, Brünn  ; gest. 3. Januar 1968, Wien), die bis zu dessen Auflösung das Kleinkinderheim in der Unteren Augartenstraße 35, danach, ab Ende September 1942, das Kinder- und Jugendheim in der Mohapelgasse 3 leitete. Auch sie wurde während des Holocaust deportiert, überlebte aber das Lager Auschwitz. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Gisela Kornfeld  ; Steinhardt, Franzi Löw, 61  ; Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 505, sowie Dok. 58. Zum Überleben vgl. den Eintrag für Gisela Kornfeld in der Database of Holocaust Survivor and Victim’s Names sowie Meed/Meed, Registry, Bd. 2, 25.

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57 David Schneider an  ? [vermutlich seinen Sohn Georg Schneider] Wien, 12. Mai 1942 1 S., e. B.

Wien 12. Mai 1942 Meine Lieben  ! Endlich komme ich zum schreiben. Konnte mich nicht aufraffen Dir diese traurige nachricht mitheilen.1 Habe Frau Wenger ersucht, Dir das zuschreiben. Heute habe ich Ihre Effekten bei der Polizei abgeholt. Habe sie bei Großmutter2 gelassen. Martha soll es an arme Mädel vertheilen. Leider ist ihr Fall kein einzelner. So wie sie geschrieben hat in ihrem letzten Brief vom Februar. Erna Ascher und so viele andere sind auch mit Ihr.3 Ich habe Ihre Urne verlangt und werde sie bekommen, nur kann ich selbe nicht zur Ihrer Mutter beisetzen, da beim 1 Thor keine Beisetzung mehr ist seit 1. April 42.4 Ich glaube, das ich das erst thue, wenn ich die Beisetzung zur Tante Sali veranlasse. Deine Karte bei Großmutter habe ich heute gelesen. Lotte u. Grete lassen Dich grüßen. Meine 1 Die im KZ Ravensbrück internierte Tochter David Schneiders, Fina, war Ende März/Anfang April 1942 von den Nationalsozialisten in der Tötungsanstalt Bernburg ermordet worden. Vgl. Dok. 18, Anm. 13. 2 Gemeint ist mit »Großmutter« hier wie in einigen Sätzen weiter unten jeweils Ella Wenger. 3 Erna Ascher (*17. Juni 1907  ; gest. 2. Mai 1942, Bernburg a.d. Saale), zuletzt wohnhaft am Rudolf-vonAlt-Platz in Wien. Erna Ascher wurde, wie Josefine Schneider, als politisch aktive Jüdin zunächst (seit 16. Dezember 1938) im Konzentrationslager Lichtenburg inhaftiert und von dort im Mai 1939 nach Ravensbrück überstellt (Häftlingsnummer 1175). Nur wenige Wochen nach Josefine Schneider wurde sie am 2. Mai 1942 ebenfalls in Bernburg ermordet. Vgl. Apel, Jüdische Frauen  ; Gedenkbuch Ravensbrück, v. a. 17–19 und 367 sowie die Angaben für Erna Ascher auf doew.at und ravensbrueckerinnen.at (Zugriff  : 17. Juli 2020). 4 Tatsächlich bekam David Schneider eine Urne zugeschickt, die am 25. Juni 1942 am IV. Tor des Zentralfriedhofs im Grab 40 (Gruppe 18a, Reihe 202) beigesetzt wurde. Josefines Mutter, Emma Schneider (geb. Schwitzer, *23. März 1868, Lundenburg  ; gest. 25. September 1927, Wien) war bereits 1927 im Israelitischen Spital gestorben und am 29. September 1927 am I. Tor beigesetzt worden (Gruppe 50, Reihe 37, Grab 27). David und Emma hatten am 23. August 1903 geheiratet  ; zuvor war David bereits mit Rosa Kohn verheiratet gewesen, seit 16. Oktober 1902 war er verwitwet. Emma hingegen war zuvor mit Ignaz Engländer verheiratet gewesen. Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Trauungsbuch, Rz. 346/1903  ; ebd., Geburtsanzeige, Rz. 1475/1906  ; WStLA Meldeunterlagen David Schneider  ; Einträge der Grabstellen für Emma und Josefine Schneider unter https://www.ikg-wien.at/friedhofsdatenbank/#top (Zugriff  : 27. November 2020). Von ihrem Sohn Georg Schneider wird der Geburtstag Emma Schneiders mit dem 21. März 1868 angegeben, in den Meldeunterlagen der Stadt Wien mit 19. März 1868, überdies der Ort Lundenburg mit dem nahe gelegenen größeren Nikolsburg. Die nachfolgend genannten Tante Sali, Lotte und Grete konnten nicht identifiziert werden.

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Abb. 16  : Registraturvermerk der Grabstelle von Josefine Schneider.

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Lieben, ich bin mit meinen Sorgen zu Ende. Ich ertrage das nicht mehr, bin ein Stubenhocker worden, denn ich habe meine Nerven verloren. Mich schwindelt auf den Strassen. Seit alle recht herzlich von mir gegrüßt u. geküßt Euer Vater 25/V 425 Liebe Lisl  ! Vielen Dank für den Expressbrief. Morgen soll wieder ein Geschenk an Dich abgehen von Roms. Ich bin noch 2 Wochen in Zürich. Victors Brief habe ich auch erhalten. Herzliche Grüsse Georg

5 Die eigenhändige Notiz Georgs ist dem Brief seines Vaters rückseitig hinzugefügt, offenkundig, als er diesen an seine Schwägerin weiterschickte.

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58 Ella Wenger an die Familie Schneider Wien, 18. Mai 1942 2 S., e. B. mit e. Nachbemerkungen von Martha Wenger und Georg Schneider

18. Mai 1942 Meine Lieben  ! Wie sehr ich mich mit Euren Briefen gefreut habe, kann ich gar nicht sagen. Es ist so viel Liebe und Zuversicht darinnen, die eine feste Grundlage für das zukünftige Leben bilden. Auf die Buben bin ich stolz und bin glücklich über jedes Wort, was ich von ihnen höre. Daß ich Euch so Entsetzliches über Fina schreiben mußte hat mir in jeder Beziehung weh getan.1 Aber ihr letzter Brief an Vater wo sie schreibt  : »Kitty erwartet täglich ihre Abreise. Es ist ja kein Einzelschicksal und sie ist fest.« hat wohl eine2 andere Lösung erwartet.3 Vater hat Georg seither schon geschrieben. Vater kommt sehr oft zu mir, er raunzt zwar sehr viel, hat aber persönlich keinen Grund dazu. Ich habe ihn dieser Tage auf der Gasse getroffen und habe ihn mit nach Hause genommen, um ihm Vikis Brief zu geben.

1 Der hier erwähnte Brief wurde nicht aufgefunden. Darin hatte Ella Wenger ihrer Tochter den Tod von Josefine Schneider, der Schwägerin, mitgeteilt, die Ende März/Anfang April in der Tötungsanstalt ermordet worden war, vgl. Dok. 18 (Anm. 13) und 57. Infolge der stetig steigenden Häftlingszahlen im Konzentrationslager Ravensbrück war bereits Anfang des Jahres mit der Selektion für eine Tötungsaktion begonnen worden. Ende März/Anfang April 1942 wurden – Ravensbrück selbst verfügte über keine Vorrichtung für Massenmord – ca. 1600 weibliche Häftlinge in die Tötungsanstalt Bernburg deportiert und in der dortigen Gaskammer erstickt. Etwa die Hälfte dieser Frauen waren Jüdinnen, unter ihnen Josefine Schneider. Die Asche wurde von ihrem Vater angefordert (vgl. Dok. 57), die ihm zugesandte Urne wurde auf dem jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs beigesetzt (Tor IV/18a/20/40. Vgl. IKG, Beerdigungsprotokoll 1942, Bd. 1), zum Bestattungsort auch http://www.stolpersteine-salzburg.at/de/ orte_und_biographien?victim=Schneider,Josefine. 2 Aus dem Sinnzusammenhang müsste es wohl heißen  : keine. 3 Vermutlich handelt es sich bei der erwähnten Kitty um einen Code, mit dem Josefine Schneider sich selbst bezeichnet und ihre bevorstehende Ermordung bereits andeutet. Ein solcher Code wurde häufig in Briefen aus Konzentrationslagern verwendet, da alle direkten Aussagen über die Verhältnisse im Lager zensiert und unter Strafe gestellt waren. Alternativ könnte auch die jüdische Wiener Sozialdemokratin Käthe Leichter gemeint sein, die ebenfalls in Ravensbrück interniert war und wie Josefine Schneider im Zuge der Aktion 14f13 im Frühjahr 1942 in Bernburg ermordet wurde  ; vgl. Wyss, Andeutungen, 214  ; Apel, Fehlende Stimmenden, 68 f.

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Gestern war bei uns Muttertag, der im Heim sehr hübsch gefeiert wurde. Außerdem hatte Tante Ella* 70. Geburtstag, wobei die Kinder (von 1 ½ Jahr angefangen) herzige Sachen aufführten. Natürlich bin ich überall dabei. Gerti war auch da und hat mir 6 schöne Tulpen gebracht. Jede mit einem Zetterl drauf. 4 rote waren mit den Namen der Kinder versehen und die zwei gelben eine mit Euren Namen und eine mit Frafrie bezeichnet. Eine nette Idee  ! Überhaupt  : es ist 12 Uhr Mittag, zu kochen habe ich nichts, da ich von gestern Sonntag noch etwas über habe (Martha ißt ja oben), ich sitze bei dem Schreibtisch umgeben von Blumen und die Sonne scheint schön warm herein. Ich freue mich mit all dem und weiß es genügend zu schätzen. Viki hat so richtig geschrieben  : »Es gibt Schattenseiten genug in unserm Leben, die durch die wenigen schwachen Lichtpunkte zu erhellen, ist eine Kunst, die unser Leben erträglich macht  !« Wir haben bei unserm Heim einen kleinen Garten für die Kinder, aber ich kann ihn so viel ich will benützen. Jetzt sind die Kastanienbäume noch in schöner Blüte (verspätet durch die lange kalte Zeit4) etwas Flieder ist da und viel Sonne. Martha ist leider wenig unten, da sie viel Dienst hat und wenig freie Zeit, es möchte ihr schon gut tuen, sie schaut nicht gut aus, ist recht schlank geworden, was sie nicht notwendig gehabt hat.5 Aber sie ist zufrieden, daß ich hier wohne, ich kann doch ein bischen bei ihr nachhelfen. Meine Lieben, schreibt wieder recht bald. In inniger Liebe Mutter

4 Der Winter 1941/42 war, wie die beiden vorangegangenen auch, außergewöhnlich langanhaltend, kalt und schneereich. In den Zeitungen finden sich hierüber, um die Moral der Bevölkerung nicht zu schwächen, kaum Meldungen. Vgl. Range, Kalte Kriegswinter. 5 Kinder waren von den Deportationen bis 1942 zurückgestellt worden, doch mussten bereits 1939 zahlreiche jüdische Kinder- und Jugendheime Wiens, weitere in den nachfolgenden Jahren auf Betreiben der NS-Behörden dicht gemacht werden. Auf diese Weise wurden elf der 12 von der IKG betriebenen Heime bis Oktober 1942 geschlossen  ; entsprechend muss sich die Zahl der Kinder in den verbliebenen Heimen erhöht haben. Das erste der von den Nationalsozialisten geschlossenen Kinderheimen war das Kinderambulatorium für bedürftige kranke Kinder aller Konfessionen in der Rauscherstraße 16 – das vom Bruder der Schreiberin, Julius Zappert, gegründet und bis zuletzt geleitet worden war. Von den Kleinkinderheimen bestand zum Zeitpunkt des Briefes nur noch jenes in der Unteren Augartenstraße 35, in dem Martha Wenger tätig war. Vgl. Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 268–281 und 473.

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* Tante6 Ella  ! Es ist die Heimvorsteherin,7 allgemein beliebt und geschätzt. War früher Leiterin von Sommerheimen. Ich kenne sie seit vielen Jahren, bin mit ihr sehr gut. Außerdem liebt sie die Martha. Du darfst nicht ungehalten sein, aber Eure Briefe, besonders alles über die Kinder, weiß das ganze Haus, jeder kennt Euch und nimmt herzlichen Anteil. Sie kennen auch alle Photos von den Kindern von ganz klein angefangen. Schreib mir einen Brief für Mutter. Ich weiß nicht mehr, was ich schreiben soll.

6 Die beiden folgenden Absätze sind nachträglich am Ende des Briefes (erster Absatz  ; in der Handschrift von Ella Wenger) bzw. seitlich im rechten Winkel sowie auf dem Kopf stehend der zweiten Briefseite (zweiter Absatz  ; in der Handschrift Georg Schneiders) hinzugefügt worden. Über letzteren ist der Brief offenkundig an die Familie seiner Schwägerin und seines Bruders versandt worden. Mit »Mutter« ist demnach der verzweifelte Aufruf gemeint, Ella Wenger zu schreiben. 7 Gemeint ist Gisela Kornfeld, vgl. Dok. 56, Anm. 5.

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59 Ella Wenger an die Familie Schneider Wien, 11. Juli 1942 2 S., e. B. mit e. Nachbemerkung von Georg Schneider

11. Juli 42 Meine Lieben  ! Vielen, vielen Dank für die 2 herrlichen ausführlichen Briefe, ich habe mich schrecklich gefreut damit. Viki schreibt so anschaulich, daß ich das Gefühl gehabt habe, ich bin bei Euch. Daß die Buben etwas Besonderes sind, ist außer Frage. Ich bin auch sehr stolz auf sie und habe ich Vikis Brief Jedem gezeigt, der in meine Nähe gekommen ist. Jetzt bin ich schon neugierig, wie sich Lisis Sommerprogramm1 entwickeln wird. 1 Vermutlich spielt die Schreiberin hier auf die grundlegend veränderte Situation ihrer Tochter und deren Familie im Sommer 1942 an. Diese ergab sich aus der schon länger ohne deutsches Zutun praktizierten »Judenpolitik« und der im 1942 noch einmal verschärften antijüdischen Politik der Vichy-Regierung, die ihrerseits auch eine Folge der veränderten deutschen Vernichtungspolitik war. – Nachdem die französische Résistance ihre Aktivität gegen die Besatzer 1941 verschärft hatte, reagierte der deutsche Militärbefehlshaber in Paris zunächst mit Geiselnahmen und -erschießungen, wie sie Deutschland bereits zuvor, v. a. in Jugoslawien praktiziert hatte. Wie dort führte dies jedoch nicht zu einem Abebben des Widerstands, sondern zu einer Eskalation der Situation. Die Besatzungsmacht änderte daher ihre Strategie, forderte nun für jede Aktion der Résistance die Deportation von 1000 Juden. Bereits am 27. März 1942 war der erste Deportationszug aus Frankreich in die Vernichtungslager abgegangen, bis Juli folgen vier weitere mit jeweils etwa 1000 Menschen  ; alleine in Paris wurden im Laufe des Juli 1942 20.000 Jüdinnen und Juden verhaftet, darunter auch die große Welle vom 16./17. Juli (»rafle du Vélodrome d’Hiver«, auch bekannt als »rafle du Vél’d’Hiv« oder »grande rafle«). Bis Kriegsende wurden über 75.000 Jüdinnen und Juden aus Frankreich in die Vernichtungslager in Osteuropa deportiert und ermordet, davon schätzungsweise 47.000 Ausländer, unter denen 6258 Deutsche und 1746 Österreicher waren. Die von den französischen Behörden Festgenommenen wurden der deutschen Besatzungsmacht übergeben und überwiegend deportiert  ; Gerüchte über die Razzien waren bereits vor deren Beginn in Umlauf, was es zahlreichen Menschen ermöglichte, unterzutauchen. Auch die Familie Schneider musste auf diese Situation reagieren. Während Viktor nach seinem typhusbedingten Krankenhausaufenthalt in das nördlich von Perpignan gelegene Camp Rivesaltes gebracht worden war und von dort im November unter abenteuerlichen Bedingungen vor der Deportation nach Spanien fliehen konnte, wurden die Kinder Robert, Rudi und Martin der Mutter entwendet  ; diese selbst flüchtete sich in den Wald, wo sie für mehrere Wochen lebte. Mit Hilfe der protestantischen Familie von Marcel und Fanny Bourgouin gelang es, »die Kinder freizubekommen« (Georg Schneider an Frau Boritzer vom Verband der Schweizerischen Israelitischen Armenpflege, 7. Oktober 1942, Archiv für Zeitgeschichte Zürich, IB VSJF-Archiv / S 463) und sie fortan der Familie Bourgouin anzuvertrauen, die sie vor dem weiteren Zugriff der französischen

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Hoffentlich kann sie sich doch ein paar Tage Erholung gönnen, die sie redlich verdient hat. Wieso kommt A. Lustig zu Euch  ? Ich habe ihn ganz wo anders vermutet  ! Uns geht es so weit gut, wir sind gesund und zuversichtlich. Allerdings kommt eine kleine Veränderung. Das Kleinkinderheim2 muß ausziehen, da das Haus für das Rothschildspital3 geräumt werden muß, natürlich muß ich auch heraus.4 Es ist mir Miliz oder deutscher Einheiten (deren Einmarsch in die bis dato unbesetzte, der Vichy-Regierung unterstehende Zone am 11. November 1942 erfolgt war) bewahrte. Zugleich versorgten die Bourgouins Elisabeth Schneider mit Essen und sorgten auch dann noch für ihre Sicherheit, als sie im Geheimen in ihre Unterkunft zurückgekehrt war. Die drei Söhne wurden unterdessen – vom Ortspriester getauft – in das von Eucharistinern (Societas Sanctissimi Sacramenti, SSS) geführte Internat St. Thomas im knapp 30 km entfernten Brusque gebracht, in dem sie vom Januar 1943 bis September 1944, als christliche Schüler ausgegeben, Schutz fanden. Die Bourgouins wurden 2005 mit ihren beiden Kindern als Gerechte unter den Völkern geehrt. Vgl. zu den Vorgängen sowie der Forschungsdiskussion um die deutsche und französische Verantwortung Joly, L’État contre le juifs, v. a. 73–110  ; Semelin, Überleben, hier verschiedene Aspekte des (Über-)Lebens von Jüdinnen und Juden in Frankreich, z. B. 193–203, 217–220 sowie Kap. 4  ; Vormeier, Deportierungen  ; Mayer, Vichy-Frankreich  ; Zuccotti, Surviving. Zu den Vorgängen in der Familie Schneider o.A., Schneider’s Story, unpag.; zu Frankreich als Emigrationsziel im Überblick Vormeier, Frankreich  ; Eintrag »Bourgouin« in der Datenbank The Righteous Among the Nations Database, online verfügbar unter https://righteous.yadvashem.org/?search=Bourgouins&searchType=righteous_only&language=en&itemId=5246546&ind=0 (Zugriff  : 8. März 2021). 2 Kleinkinderheim in der Unteren Augartenstraße 35, vgl. Dok. 55, Anm. 3. 3 Es handelt sich um das Spital der Israelitischen Kultusgemeinde, dessen Gebäude zwischen 1870 und 1873 am Währinger Gürtel 95–97 (XVIII . Bezirk) auf Initiative von Anselm Salomon Freiherr von Rothschild erbaut worden war. Nach der Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich wurde es zur einzig möglichen Anlaufstelle für jüdische Patienten in Wien, da deren Behandlung auf Geheiß des NS-Regimes durch nicht-jüdisches Personal in anderen Krankenhäusern nicht mehr durchgeführt wurde. Mit einem Spitalaufenthalt versuchten sich viele gesunde jüdische Bürger:innen der Deportation zu entziehen, da kranke jüdische Patient:innen zunächst vom Transport in KZs zurückgestellt worden waren. Dies versuchte die SS mittels regelmäßiger Razzien im Spital zu unterbinden. 1942 beanspruchten die staatlichen Stellen dann das Gebäude am Währinger Gürtel für sich, um darin ein SS-Lazarett einzurichten, so dass das Rothschild-Spital im November 1942 in die Malzgasse 16 (II. Bezirk) verlegt wurde, dessen Gebäude von November 1939 bis Juni 1942 von der IKG als jüdisches Altersheim genutzt worden war. Bereits zuvor, im Juni 1942, hatte die Zentralstelle für jüdische Auswanderung in der Malzgasse 16 ein Sammellager eingerichtet, die meisten Bewohner:innen des Altersheims waren daraufhin deportiert worden. Da in der Malzgasse 16 Platzbedarf für das Spital herrschte, waren Teile des Altenheims bereits in die Malzgasse 7 ausgelagert worden, das im Juni 1943 wiedereröffnet wurde und das einzige Altersheim war, das bis Kriegsende bestehen blieb. Dieser Passage nach wurden aber offenbar auch Teile des Gebäudes in der Unteren Augartenstraße vom Spital belegt. Vgl. Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 261–267 und 497–501  ; Hecht/Raggam-Blesch, Jüdisches Leben, 16 und Dies., Haus-Geschichte, 245–248  ; Heindl/Koblizek, Rothschild-Spital, v. a. 31f.; Stern, Rothschild-Spital. 4 Ella und Martha Wenger mussten Ende Juli 1942 von der Unteren Augartenstraße 35 zunächst in die Czerningasse 6/I 17 umsiedeln. Vom 6. August 1942 bis zu ihrer Deportation nach Theresienstadt am 1./2. Oktober desselben Jahren waren sowohl Ella als auch Martha dann in der Czerningasse 6/20

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recht leid, erstens habe ich sehr hübsch gewohnt und zweitens habe ich den Garten benützen können. Und hauptsächlich war es für Martha eine große Annehmlichkeit. In jeder freien Minute kam sie herunter, auch war immer etwas im Kasten, was ihr das frugale Mahl im Heim etwas versüßt hat. Ich muß mir nämlich etwas extra suchen, da in den zukünftigen Räumen des Heims kein Platz für mich ist. Ich habe schon etwas in Aussicht, in der Nähe von Martha, will heute mit ihr hingehen. Vielleicht wird es ganz gut für mich sein, vielleicht mache ich einen ganz guten Tausch, es hat wieder Vorteile, die hier nicht sind. Nur Martha kommt entschieden zu kurz. Es muß halt eine ganz andere Lebenseinteilung gemacht werden. Jedenfalls wenn ich etwas Bestimmtes weiß, schreibe ich Euch. Einstweilen habe ich noch Zeit, da ich erst in 3 Wochen ausziehen muß. Gar so unglücklich bin ich gar nicht, ich werde es mir in meinem neuen Heim auch gemütlich machen, so wie hier, wo jeder, der zu mir kommt, begeistert ist. Also bitte schreibt mir noch einstweilen an meine alte Adresse. Golo laß ich vielmals danken für seine verschiedenen Karten, die ich von ihm bekommen habe, ich habe immer große Freude damit. Viele Küsse an Alle. In Liebe Mutter Am5 Eck neben mir ist ein verwandter gleichen Namens von Tante Paula 22/VII. Heute kam Victors Brief vom 13. dM  : 1 Photo anbei. Herzlichst Georg

gemeldet. Beide wohnten zusammen, auch wenn Ella Wenger dies hier verschweigt – offenbar, um die zunehmend beengten Verhältnisse nicht zu deutlich zu machen und ihrer Familie damit zusätzliche Sorgen zu bereiten. Vgl. Hausliste Czerningasse 6, A/VIE /IKG /II /BEV /Wohn/1/1, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI)  ; WStLA, Meldeunterlagen Ella Wenger  ; ebd., Martha Wenger. 5 Die beiden folgenden Absätze sind nachträglich am unteren Ende der ersten (erster Absatz) bzw. zweiten Briefseite in Georgs Handschrift hinzugefügt worden. Der erwähnte Namensvetter von Paula Singer konnte nicht identifiziert werden.

200 |  Briefe 1938–1942

60 Ella Wenger an Emma Schönberg Wien, 15. Juli 1942 2 S., e. B.

15. Juli 1942 Liebste Emma  ! Unser Briefwechsel ist zwar nicht so rege, daß ich Dir Deinen lieben Brief vom 24. Juni schon beantworte, aber ich habe sehr große Freude damit gehabt, und das wollte ich Dir schreiben. Wenn auch verschiedene Mißhelligkeiten in der Zeit, wo wir uns nicht geschrieben haben, vorgekommen sind,1 der Grundton Deines lieben Briefes ist doch die Freude über die Verlobung Deines Sohnes. Und dazu will ich Dir von Herzen gratulieren. Das Gefühl, daß den Kindern ein Glück zugekommen ist, ist herrlich und in den jetzigen traurigen Zeiten doppelt beglückend. Wenn Friedl2 seinen Eltern nachgerät, ich weiß nicht wen ich da besonders hervorheben muß, ist ein Bürge, daß er ein guter, herzenswarmer Ehemann wird, der seine Frau auf Händen tragen wird. Also ist eigentlich seiner Braut am meisten zu gratulieren. Hoffentlich wird die Zeit kommen, wo Ihr alle vereint sein werdet.3 1 Konkret deutet Ella Wenger hier die Deportation des Schwiegervaters ihrer Tochter, David Schneider, an. Er wurde am 10./11. Juli 1942 nach Theresienstadt und von dort am 21. September nach Treblinka deportiert. Von den 1000 mit ihm nach Theresienstadt Deportierten wurden nur 27 Menschen befreit, 964 fanden den Tod  ; neben den etwa 800.000 Opfern von Treblinka ist nur eine mittlere zweistellige Zahl an Überlebenden aus diesem Vernichtungslager bekannt. Vgl. Hausliste, A/VIE /IKG /II /BEV / Wohn/10/5, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI)  ; 30. Transport vom 10. Juli 1942 nach Theresienstadt, 1.2.1.1/11203547  ; Transportliste nach Treblinka, 1.1.42.2 / 5090502, beide ITS, Digital Archive, Bad Arolsen  ; Theresienstädter Gedenkbuch, 249  ; zu Treblinka vgl. Gerlach, Mord, 127  ; Lehnstaedt, Kern, 8 f.; Willenberg, Treblinka, 9. 2 Friedrich Alan Georg Schönberg (*6. Oktober 1914, Wien), Sohn von Emma und Hans Schönberg, zu diesen vgl. Dok. 11, Anm. 11 sowie Tietze-Conrat, Tagebücher, Bd. III, 12. 3 Der Sohn Emmas, Friedrich, war zu einem nicht näher definierten Zeitpunkt aus der Schweiz nach Großbritannien emigriert. In den Wiener Meldeunterlagen wird er bereits mit seiner Abmeldung aus der Grinzinger Straße 45 vom 4. Juli 1938 als nach London abgemeldet geführt. Wieder einmal zeigt sich an dieser Passage die familiäre Zersplitterung und die damit verbundene Sehnsucht, die Flucht und Emigration für so viele jüdische Familien mit sich brachte. Häufig war die Suche nach anderen Familienmitgliedern nach dem WK II wegen fehlender Informationen über deren Aufenthaltsorte schwierig oder gar erfolglos. Vgl. WStLA, Meldeunterlagen Friedrich Schönberg  ; StadtA Zug, Einwohnerkontrolle John Schönberg sowie John Schönberg-Pohl, E.15-2  ; Grenville, Stimmen der Flucht.

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Abb. 17  : David Schneider, undatierte Auf­ nahme.

Uns hat die Zuversicht noch immer nicht verlassen. Obwohl sie jetzt wieder auf eine harte Probe gestellt wird. Wir müßen nämlich ausziehen.4 Das Klein-Kinderheim muß dem Rothschildspital Platz machen und übersiedeln, und wir auch. Allerdings kann ich nicht im selben Haus von dem Heim wohnen, da kein Platz ist, doch wollen wir ein Zimmer in der Nähe suchen, damit Martha nicht so weit hat. Mir ist sehr leid, daß ich von hier fort muß, ich hatte allerhand Vorteile und die Benutzung eines kleinen Garten, aber für Martha ist es viel schlechter. Jede freie Minute konnte sie einen Sprung zu mir machen, sich ein bischen ausruhen oder ihr etwas zu frugales Mahl ein bischen verbessern. Doch wird nur die erste Zeit schwierig sein, bis man sich wieder zurechtgefunden und eingelebt hat. Ich habe noch nichts Bestimmtes aufgenommen, doch etwas in Aussicht, wo ich zwar in Wohngemeinschaft mit anderen Leuten wohnen muß,5 was aber auch einige Vorteile hat. Jedenfalls dürfte ich erst die ersten Tage August übersiedeln. Sonst ist von uns nichts Neues zu berichten. Von Lisl bekomme ich gute Nachricht, was immer herzerquickend ist. 4 Vgl. Dok. 59, Anm. 4. 5 In der Wohnung 17 im ersten Stock der Czerningasse wurden zum Zeitpunkt ihres Einzugs neben Ella und Martha Wenger elf weitere Personen untergebracht. Obwohl es sich um keine (bekannte  ?) Alterswohngemeinschaft handelte, in der ältere, häufig gebrechliche Menschen von der IKG einquartiert wurden, entspricht die Anzahl der Bewohner diesem Typus durchaus. Vgl. Hausliste Czerningasse 6, A/ VIE/IKG/II/BEV/Wohn/1/1, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI)  ; zu Alterswohngemeinschaften vgl. Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 250–253 sowie Dok. 46, Anm. 7.

202 |  Briefe 1938–1942

Dir und den Deinen allerbeste Grüße In Liebe Ella Ich werde Dir, wenn ich es weiß, die neue Adresse schreiben.

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61 Ella Wenger an Emma Schönberg Wien, 25. September 1942 2 S., e. B.

Wenn Du Lisl siehst, bitte zeig ihr den Brief. 25. September 42 Liebste Emma  ! Du hast vielleicht Gerüchte über uns gehört,1 die aber nicht auf Richtigkeit beruhen. Bis auf Marthas übermenschliche Tätigkeit, geht es uns gut. Sie mußte die vom Heim zurückgebliebenen Mischlinge befürworten, was noch nicht geregelt ist.2 Es besteht sogar die leise Möglichkeit, daß ich ins Heim übersiedle, um Martha das Arbeitsfeld zu erleichtern, auch könnte ich selbst dort eine Beschäftigung finden. Das ist aber noch nicht sicher. Jedenfalls sind wir mit der vorläufigen Lösung sehr zufrieden. Eine andere sehr traurige Mitteilung muß ich Dir machen. Gerti Brunner (Zappert) ist freiwillig aus dem Leben gegangen.3 Die traurigen Verhältnisse, die unglückliche Ehe, und die 1 Vermutlich spielt die Verfasserin hier auf die zunehmenden Deportationen an. Zwischen 21. August und dem Datum des Briefes waren allein vier Transporte aus Wien mit insgesamt 4300 Menschen aus Wien nach Theresienstadt gegangen. Vgl. Theresienstädter Gedenkbuch, 625 f. 2 Martha Wenger war in dem von der Israelitischen Kultusgemeinde geführten Kleinkinderheim tätig, das zugleich als Notunterkunft für Säuglinge diente. Das Haus in der Unteren Augartenstraße 35 war unmittelbar vor diesem Brief im August 1942 geschlossen worden, die verbliebenen Kinder – in der Diktion der Nationalsozialisten ausschließlich Halbjuden – waren in das das vom Jugend- zum Kinderheim umgewidmete Haus in der Mohapelgasse 3 gebracht worden, der ehemaligen Israelitisch-Theologischen Lehranstalt im II . Bezirk, wohingegen die bisher dort versorgten Jugendlichen nach Maly Trostinec deportiert und dort ermordet wurden. Vgl. Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 268–281, v. a. 277–281 sowie 505–511  ; Steinhardt, Franzi Löw, 60 f. 3 Gertrud Brunner hatte sich am 20. September 1942 das Leben genommen. – Die Gesamtzahl jüdischer Suizide ist nicht zu beziffern, da in der Statistik z. T. Morde unter Selbstmord rubriziert wurden, umgekehrte viele Suizide nicht als solche erkennbar wurden. Sicher festzustellen sind zwei Aspekte  : Zum einen war die Rate an Selbstmorden in der jüdischen Bevölkerung nach dem März 1938 weit höher als zuvor  : »In the Third Reich, suicide became a routine phenomenon among German Jews« (Goeschel, Suicide, 96). Zum anderen korrelierte die Häufigkeit unmittelbar mit den Zwangs- und Verfolgungsmaßnahmen der jeweiligen politischen Situation. So sind für Wien drei große Selbstmordwellen festzustellen  : in den Wochen nach dem Anschluss – in denen sich rund drei Mal so viele Jüdinnen und Juden selbst umbrachten wie vor dem März 1938 und etwa zehn Mal so viele, wie es ihrem Bevölkerungsanteil in Wien entsprach –, nach den Novemberpogromen von 1938 und schließlich mit Beginn der Deportationen 1941. Insgesamt gehen Schätzungen von etwa 1200 Suiziden unter der jüdischen Bevölkerung Wiens seit 1938

204 |  Briefe 1938–1942

sehr starke erbliche Belastung haben ihren Lebensmut gebrochen. Man darf den Mann nicht ganz verdammen, er ist ein anständiger guter Mensch, allerdings kein Mann mit seinen, auf die Nerven gehenden Junggesellen-Angelegenheiten. Die zwei haben halt nicht zusammen gepaßt. So lange Gerti den Kindergarten geführt hat, hat das Leben für sie einen Wert gehabt, sie war mit Leib und Seele dabei. Doch stand die Auflösung desselben bevor,4 und damit war ihr Lebenswille gebrochen. Ich hatte keine Ahnung von ihrem Vorhaben. Wir werden sie wahrscheinlich Montag 28. dieses Monats zu Grabe tragen.5 Karl weiß natürlich nichts davon, und Julius hat es Gott sei Dank nicht mehr erlebt.6 Es gehören starke Nerven und große Zuversicht dazu, jetzt durchzuhalten, doch beides haben wir, Martha und ich, wir hoffen auf eine bessere Zukunft. Sehr leid ist mir, daß ich Martha, der ich alles verdanke, nicht eine ganz kleine Nascherei zu ihrem jetzt kommenden Geburtstag schenken kann,7 wenn es Dir möglich wäre, wenn Du

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aus. – Eine Korrelation zwischen dem Suizid und den äußeren Verfolgungsmaßnahmen ist auch im Fall Gertrud Brunners anzunehmen  : Für eine solche Annahme spricht, dass der AHO als Träger des von Gertrud Brunner geleiteten Kindergartens bereits die Finanzgrundlage entzogen worden (vgl. nächste Anm.), so dass dessen Schließung unmittelbar bevorstand. Damit musste auch der Schutz entfallen, den Frau Brunner infolge ihrer Tätigkeit für den Kindergarten bisher genossen hatte. Zugleich hatte sie miterlebt, wie seit Februar 1942 die Bewohner ihres Hauses sukzessive deportiert worden waren. Es ist daher davon auszugehen, dass sie mit ihrem Selbstmord einer Deportation zuvorkommen wollte. Vgl. die drei Hauslisten Glockengasse 25, A/VIE/IKG/II/BEV/Wohn/1/1, A/VIE/IKG/II/BEV/Wohn/9/5 und A/W 436/2, alle  : Archiv der IKG (Leihgabe im VWI). Vgl. zur Frage der Suizide  : Lester, Suicide, v. a. 90–92  ; Goeschel, Suicide, v. a. 96–148  ; Sonneck/Hirnsperger/Mundschütz, Suizid, v. a. 114–118  ; Botz, Nationalsozialismus, 137–145  ; Fischer, Erzwungener Freitod  ; zum Suizid Gertud Brunners Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 602/1902. Weil das NS-Regime spätestens seit der Wannseekonferenz vom Januar 1942 die systematische Ermordung der jüdischen Bevölkerung anstrebte, waren Hilfsorganisationen wie die Aktion Gildemeester/ AHO – unter deren Dach auch der von Gerti Brunner betriebene Kindergarten bestand – nicht mehr von Bedeutung. Bereits am 10. September 1942 war der AHO ihre Finanzgrundlage entzogen worden. Spätestens mit diesem Datum war ihre Auflösung absehbar  ; vollzogen wurde sie mit 31. Oktober 1942. Vgl. Venus/Wenck, Entziehung  ; im Überblick Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 322–334. Tatsächlich wurde Gertrud Brunner am Montag, 28. September 1942, auf dem Wiener Zentralfriedhof, IV. Tor, (Gruppe 15a, Reihe 9, Grab 38) beigesetzt. Vgl. den Eintrag der Grabstelle unter https://www. ikg-wien.at/friedhofsdatenbank/#top (Zugriff  : 8. März 2021). Gemeint sind ihr Neffe Karl und dessen Vater – Ella Wengers Bruder – Julius Zappert. Karl war zunächst nach England und von dort 1941 nach Brasilien emigriert  ; Julius Zappert war 1939 vor den Nationalsozialisten aus Wien nach Großbritannien geflohen und 1941 in Slough verstorben. Vgl. Dok. 3 (Anm. 22), 5 (Anm. 12), 7 (Anm. 11). Schon seit 1939 von allen Frischeprodukte wie Milch, Eier oder Fleisch betreffenden Sonderzuteilungen ausgeschlossen, erhielten Jüdinnen und Juden seit Oktober 1942 überhaupt keine Fleischzuteilungen mehr. Überdies wurden an sie keine Kleiderkarten mehr und an ihre Kinder lediglich Normalrationen

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ihr eine kl. Tafel Chokolade schicken könntest, wäre ich Dir sehr, sehr dankbar, doch muß es nicht sein. Vielleicht kann man gar nichts schicken, ich wäre Dir darum nicht böse. Hoffentlich ist bei Euch alles in Ordnung. Herzliche Grüße an all Deine Lieben. Deine Ella

an Nahrungsmitteln ausgegeben, ungeachtet des Umstands, dass für diese Alterskohorte ein erhöhter Bedarf vorgesehen war. Vgl. Buchheim, Mythos, 307.

Die Briefzeugnisse und ihr historischer Kontext. Erläuterungen zu den Briefen

Abb. 18 

1. Das Quellenkorpus

Die hier vorgelegten Briefe waren nie für die Veröffentlichung bestimmt. Es sind Schreiben, die zwischen 1938 und 1942 innerhalb einer Familie verschickt wurden – nur, dass die beiden Verfasserinnen, aus deren Feder (mit Ausnahme von fünf ) alle hier vorgelegten Briefe stammen, in dem nationalsozialistisch gewordenen Wien lebten, während die Empfänger:innen von dort im zweiten oder dritten Quartal 1938 geflüchtet waren  : über Köln noch im Sommer 1938 nach Brüssel und nach dem deutschen Überfall auf Belgien im Mai 1940 weiter nach Frankreich. Das Gros, genauer  : 50 der 62 hier abgedruckten Dokumente,1 stammt aus der Feder Eleonore (»Ella«) Wengers. 45 von ihnen richtete die 1938 68-jährige Frau an ihre Tochter Elisabeth (»Lisl«) Schneider (*1899) bzw. an diese und ihre Familie, die neben ihr selbst ihren Mann Viktor (*1904) und die drei gemeinsamen Kinder Robert (*1930), Rudolf (*1932) und Martin (*1936) umfasste. Auch die weiteren Briefe sind fast ausschließlich im unmittelbaren familiären Umfeld der Schneiders/Wengers zu verorten  : Zwei richtete Ella Wenger an den Bruder ihres Schwiegersohns Viktor (d. h. an Georg Schneider), sieben stammen aus der Hand ihrer jüngeren, mit ihr in Wien verbliebenen Tochter Martha Wenger (*1902), die diese an ihre Schwester Elisabeth (Lisl) Schneider samt Familie adressierte. Die verbleibenden fünf sind der Familie von Lisls Mann Viktor Schneider zuzurechnen  : Zwei schrieb dessen Vater David Schneider an seinen Sohn Viktor samt Familie, zwei Davids Tochter (also Viktors Schwester) Josefine Schneider an ihren Vater, einen an ihren anderen Bruder Georg. Lediglich drei Briefe entstammen nicht diesem engen Personenkreis der beiden Familien Wenger und Schneider, Ella adressierte sie an ihre in die Schweiz geflüchtete Nichte Emma Schönberg. Auch in diesen herrscht ein vertraulicher Ton vor, und die Empfängerin, die zugleich in Kontakt mit Elisabeth Schneider stand, leitete sie an diese weiter, um ihr ein Zeichen der Mutter zu übermitteln, deren Leben in Wien zunächst drangsaliert, dann beraubt und abgeschnürt, schließlich existentiell bedroht war. Insofern gehören auch diese Briefe in das Bild, das die Dokumente zu zeichnen imstande sind. Die Quelle, soviel geht schon aus diesen wenigen Bemerkungen hervor, weist einige Charakteristika auf, die hier nur genannt und weiter unten näher ausgeführt werden. 1 Zur Quellenlage vgl. Kap. 7. – Verweise innerhalb des Textkorpus erfolgen sowohl im Editionsteil wie in den – der Quelle nachgestellten – Anmerkungen stets auf der Grundlage der vom Herausgeber vorgenommenen Nummerierung mit der vorgestellten Bezeichnung »Dok.«.

210 |  Die Briefzeugnisse und ihr historischer Kontext. Erläuterungen zu den Briefen

Abb. 19  : Verteilung der Briefe nach Absender:in

Zum einen wurden die Schreiben (marginale Ausnahmen fallen hier nicht ins Gewicht) aus dem nationalsozialistischen Wien abgeschickt, gerichtet an Empfänger:innen, die es zwar aus dem NS-Machtbereich herausgeschafft haben, deren Not oft aber kaum minder groß war. Die Geflüchteten hatten Angehörige und Freunde zurückgelassen, standen finanziell zwischen Nichts und Neuanfang, suchten mitunter verzweifelt nach Weiterreisemöglichkeiten und waren ihres Lebens angesichts der Verfolgungen, die die Nationalsozialisten während des Krieges auch in den besetzten Gebieten entfesselten, selbst im Ausland nicht sicher. Diese Facette aber bleibt in den Briefen weitgehend ausgeblendet, da sie nur in einseitiger Überlieferung vorliegen. Als Ella Wenger im Oktober 1942 aus Wien in das Lager Theresienstadt deportiert wurde, musste sie die Fahrt mit einem einzigen Koffer antreten  ; die Gelegenheit, die Antworten ihrer Tochter – diesen zuvor sicherlich sorgsam gehüteten Schatz – mitzunehmen, war ihr genommen worden. Zum anderen kennen und lieben sich Senderin und Empfängerin, sie gehören derselben Familie an. Die Offenheit ihrer Kommunikation wird einzig von den Zeitumständen – dem Damoklesschwert von Überwachung und Zensur – eingeschränkt, nicht durch fehlendes Vertrauen oder die Stilisierung in Hinblick auf etwaige, fern stehende Mitleser:innen oder gar eine spätere Veröffentlichung, wie es die Briefwechsel berühmter Persönlichkeiten mitunter charakterisiert.2 Die Briefe zeigen damit auch

2 Vgl. zu verschiedenen Facetten dieses Aspekts die Beiträge in Berg/Neuhaus, Briefkultur(en). Vgl. aber auch das Tagebuch Etty Hillesums, das diese 1941/42 in Amsterdam verfasste und vor ihrer Deportation mit der Absicht zur Publikation einer Freundin übergab, Greif, Abgeschnittenes Leben, 12.

Das Quellenkorpus | 211

einen Aspekt familiärer Binnenbeziehungen unter den Bedingungen existentieller Bedrohung und Not.3 Schließlich stammen bis auf zwei Briefe alle aus der Hand von Verfasserinnen. »Angesichts der Verbrechen des Nationalsozialismus mag vielen die Frage nach der Bedeutung der Geschlechterdifferenz für das Erinnern und Gedenken unwesentlich, nebensächlich oder gar verfehlt erscheinen«, stellten Silke Wenk und Insa Eschebach 2002 fest, um fortzufahren  : »Doch bei genauerem Hinsehen wird erkennbar, das gerade diese [Fragen der Geschlechterkonstruktion, jz] – häufig und zumeist unausgesprochen – die Wahrnehmung, Beschreibung und Bewertung des historischen Genozid bestimmen.«4 Auch in den vorliegenden Briefen manifestiert sich nicht zuletzt eine weibliche Sicht auf die Situation und die Art, mit derselben umzugehen, doch wird eine solche Perspektive eher selten wahr- bzw. angemessen ernst genommen  : Die Erinnerungen von Frauen werden im kollektiven Gedächtnis ganz grundsätzlich und für die Zeit des Nationalsozialismus im Speziellen marginalisiert oder gar ausgeblendet.5 Stattdessen dominieren meist stereotype geschlechterspezifische Vorstellungen des Verhaltens und der jeweiligen Aufgaben. Frauen, älteren zumal, wird dabei ein überwiegend privates Aktionsfeld zugewiesen, näherhin dasjenige von Familie und Fürsorge, mitunter auch das der Schwäche (eine Sicht, die dann oft genug wiederum die Darstellung von und Erzählung über – nicht nur – jüdische Frauen während des Nationalsozialismus prägt, ohne dass dies eigens untersucht wäre  ; im Gegenteil hat die Geschichtswissenschaft das private, oft repetitive Tun lange Zeit als irrelevant betrachtet und damit unsichtbar gemacht).6 Der allzu unreflektierte Blick auf Geschlechterrollen bedingt mithin, dass diese sowie die damit verbundenen Hierarchien (auch unbewusst) festgeschrieben und der den Frauen zugeordnete Raum als apolitisch begriffen wird. Dabei überschreitet er die Grenzen des Privaten unter den Vorzeichen von Auswanderung und Verfolgung bei Weitem  : Die Briefe Ella Wengers zeugen davon, wie sie (und andere) unter den Prämissen zunehmender Entrechtung und Beraubung aktiv wird. Sie verschickt Koffer und Pakete, um materielle und ideelle Werte ihrer Familie zu retten, um ihre Lieben zu unterstützen und um Hab und Gut, soweit es unter den Bedingungen der Zeit eben möglich war, vor dem Zugriff der Enteigner zu retten. Ihre Schilderungen legen den Lebenskontext einer rund 70-jährigen Wienerin offen und vermitteln einen 3 Dies schließt an die Forderung von Hans Medick und David Sabean an, derartige Aspekte – gerade in sehr spezifischen sozialen Kontexten – im Blick zu behalten, vgl. Medick/Sabean, Emotionen, 40. 4 Wenk/Eschebach, Soziales Gedächtnis, 13. 5 Vgl. Ulbrich/Medick/Schaser, Selbstzeugnis, 20  ; Dublon-Knebel/Herzog, Einleitung, 19. 6 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Studie von Eschebach, Imaginierte Gemeinschaft sowie Ulbrich/Jancke/Bosch, Editorial, 5 f.

212 |  Die Briefzeugnisse und ihr historischer Kontext. Erläuterungen zu den Briefen

Eindruck jener Solidarität, die unter den zurückgebliebenen Freunden und Bekannten geübt wurde  ; und sie machen Ella Wengers Funktion als Informationsknotenpunkt und -drehscheibe zwischen den Exilierten, jenen, die auf dem Sprung waren und den in Wien Verbliebenen greifbar. Die von ihr vermittelten Informationen wahrten die Chance, das vormalige Netzwerk an Verwandten, Freunden und Bekannten, zwischen den ganz unterschiedlichen Schicksalen und den ideellen wie materiellen Unterstützer:innen aufrechterhalten oder nach dem Krieg reaktivieren zu können. Die finanziellen Sendungen Georg Schneiders aus der Schweiz an seine auf sich alleine gestellte Schwägerin und seine drei Neffen im Jahr 1941 sind eines der Beispiele hierfür,7 die intrafamiliäre Kontakterhaltung ein anderes  : Die hier geschilderten Schicksale hatten Mitglieder der Großfamilie Wenger/Zappert/Schneider nach Frankreich, England, Südamerika und Australien gezwungen. Die brieflich geschilderten Informationen waren damit nicht zuletzt die Grundlage, um der räumlichen Trennung zu trotzen und als Familie und Freunde irgendwie verbunden zu bleiben bzw. später wieder zusammenfinden zu können. Das, was mitunter als Familienfürsorge beschrieben wird, geht damit weit über deren engere Grenzen hinaus  : In den Briefen wird deutlich, wie politisch das Private ist und welche Handlungsmöglichkeiten die von den Inhabern der Macht weniger kontrollierten Räume eröffneten.8 Solche – in der Regel von Frauen besetzten – Handlungsfelder bleiben in vielen Quellen unsichtbar oder verschwinden hinter einer überwiegend männlich dominierten Erinnerung. Dabei ist mit Ruth Klüger anzunehmen, dass Frauen die Erfahrung von Alltagsdiskriminierung, Verfolgung und der Angst hiervor, ebenso wie die von Deportation und Lagerhaft emotional anders verarbeiteten, als Männer.9 Obwohl seit Barbara Distels Stoßseufzer von 1987 – wonach Frauen »als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung […] ein ziemlich vernachlässigtes Thema« seien, ihre Taten »im Schatten der Helden« stünden und »ihre Leiden […] schneller als die der Männer« vergessen würden10 – zahlreiche Forschungen das Bild weiblichen Handelns und Leidens erheblich differenziert haben,11 bedarf es gleichwohl weiterer Quellen, um 7 Vgl. Kap. 2, Anm. 47  ; vgl. auch Dok. 20, Anm. 2. 8 Vgl. Ulbrich/Jancke/Bosch, Editorial, v. a. 5 f. 9 Vgl. Klüger, Weiter leben, 73, 83, 215. Vgl. zur weiblichen Perspektive auch Mahlmann-Bauer, Shoah sowie die Beiträge in der – den Frauen gewidmeten – Ausgabe der Dachauer Hefte von 1987. 10 Vgl. Distel, Editorial, 1. 11 Der Fokus liegt dabei auf dem Holocaust und (sexualisierter) Gewalterfahrung, vgl. exemplarisch die Monographien von Krimmer, German Womes’s Life  ; Tydor Baumel, Double jeopardy  ; Schwertfeger, Women of Theresienstadt  ; Apel, Jüdische Frauen  ; Maierhof, Selbstbehauptung sowie die Sammelbände von Eschebach/Jacobeit/Wenk, Gedächtnis und Geschlecht  ; Bock, Genozid und Geschlecht  ; Dublon-Knebel, Schnittpunkt  ; Steinthaler, Frauen (zu Wien im Besonderen die Beiträge von Michaela Raggam-Blesch, Frauen jüdischer Herkunft, Maria Geber, Vorurteil und Angst

Das Quellenkorpus | 213

geschlechterspezifische Akzente zu nuancieren. Indem die hier vorliegenden Briefe Ella Wengers Perspektive wiedergeben, möchte der Band dazu beitragen, das Agieren von Frauen unter den Bedingungen des nationalsozialistischen Alltags vor dem Holocaust deutlicher herauszuarbeiten. Zugleich möchte er die Grundlage für systematische Vergleiche weiblichen und männlichen Handelns im weitesten Sinn, der jeweiligen Perzeption und Rezeption sowie der geschlechterspezifischen Erinnerung verbreitern und weitere genderspezifische, autobiographisch orientierte NS-Forschung – etwa der Frage, ob und wie Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen hierin deutlich werden, welchen Einfluss ihre Herkunft und ihre sozialen Rahmenbedingungen hierauf hatten usf. – anregen.

sowie Maria Ecker, Österreichisch-jüdische Frauen)  ; Ofer/Weitzman, Women in the Holocaust  ; Distel, Frauen im Holocaust  ; Fuchs, Women and the Holocaust oder Rittner/Roth, Different Voices neben zahlreichen weiteren einschlägigen Aufsätzen (z. B. Tarsi, Schicksal  ; Kosmala, Überlebensstrategien).

2. Die Briefpartner:innen und ihre Familien

Ella Wenger wurde am 19. Dezember 1869 in Wien geboren. Kurz zuvor waren ihre Eltern aus Prag, wo noch ihre älteren Geschwister Julius (*1867) und Adele (verh. Wappner, *1868) zur Welt gekommen waren, in die Donaumetropole übersiedelt.1 Das Elternhaus darf als gutbürgerlich gelten, Vater Carl war Prokurist bei der Firma Sobotka & Co., aus deren Eigentümerfamilie auch die Mutter Marie (geb. Sobotka) stammte. Beide Elternteile waren bereits am Beginn des 20. Jahrhunderts verstorben, der Vater im Jahr 1900, die Mutter 1912.2 Die Schwester Ella Wengers, Adele (*1868), verh. Wappner, wird in dem Briefwechsel nur am Rande erwähnt, sie war am 1. August 1938, und damit wenige Wochen vor Einsetzen der Korrespondenz, in Wien verstorben.3 Auch deren Söhne Oskar (*1898) und Richard (*1891) bleiben praktisch unerwähnt, obwohl diese – wie die Familie Elisabeth Schneiders auch – vor der nationalsozialistischen Herrschaft nach Frankreich flohen, wo Oskar unter nichtjüdischer Identität überlebte.4 Hingegen wird die Tochter Adeles, Margarethe Brand-Wappner (*1895), mehrmals erwähnt. Von ihrem zweiten Mann Oskar Brand, den sie 1921 in Wien geheiratet hatte, hatte sie sich bereits 1927 getrennt und 1928 scheiden lassen. Nach dem Tod ihrer Mutter Ende 1938 exilierte Margarethe nach St. Gallen und lebte dort bei dem Schweizer Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Walther Hug, mit dem sie ein – von den Schweizer Einwanderungsbehörden kritisch beäugtes, weil als Aufenthaltsvorwand beargwöhntes – Verhältnis unterhielt. Das Paar zog mehrmals gemeinsam um, zunächst innerhalb St. Gallens, 1945 nach Zürich  ; 1953 bezog Margarethe eine eigene Zürcher Wohnung. Nach dem Krieg war sie in der von Walther Hug u. a. gegründeten Lederwaren  AG tätig, zuletzt als Geschäftsführerin. Die Einbürgerung von Margarethe Brand-Wappner (ihre Konfession wird dabei mit

1 Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 6737/1869 bzw. ebd., Personalbogen Julius Zapperts, A / VIE / IKG / I-III / PERS / 4 / 3 und Seidler, Jüdische Kinderärzte, 406 f. 2 Vgl. die Einträge auf https://www.ikg-wien.at/friedhofsdatenbank/#top (für den Vater vgl. den Eintrag unter Karl Zappert). 3 Vgl. StadtA Zürich, Leumundszeugnis Margarethe Brand, B 967  ; Taufmatrikel der Prager jüdischen Gemeinde 1858–1868, Pag. 206, Nr. 53  ; Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Beerdigungsprotokoll 1938, Wappner, Adele, 4. August 1938. 4 Vgl. WS tLA , Meldeunterlagen Oscar Wappner bzw. Richard Wappner  ; Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 1588/1898 (Oscar) bzw. Rz. 1630/1891 (Richard).

Die Briefpartner:innen und ihre Familien | 215

evangelisch angegeben) fand am 21. August 1956 in Zürich statt. Am 21. März 1958 verließ sie die Stadt wieder und zog zurück nach Wien, wo sie 1990 starb.5 Der Bruder Ellas, Hofrat und Professor Julius Zappert (*1867), wurde 1890 als Mediziner promoviert, hatte anschließend in unterschiedlichen Krankenhäusern gearbeitet und 1895 eine Studienreise an verschiedene Häuser in Österreich, Deutschland und Dänemark absolviert. Noch im selben Jahr wurde er in der Nachfolge Sigmund Freuds zum Leiter der Nervenordination im I. Öffentlichen Kinderkrankenhaus Wiens bestellt. 1902 habilitiert, lag sein Forschungsschwerpunkt im Schnittfeld von Neurologie und Pädiatrie  ; bis heute gewürdigte Verdienste erwarb er sich auf dem Feld der Polio-Forschung. 1903 wechselte er als Vorstand an das Mariahilfer Kinderambulatorium, seit 1918 leitete er das neu errichtete Kinderambulatorium der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) im 2. Wiener Bezirk  ; zugleich war er Vorsteher der IKG Jugendfürsorge.6 Am 1. Oktober 1938 erklärten die Nationalsozialisten Julius Zappert, wie alle Ärzte und Ärztinnen, die unter die rassistischen Nürnberger Gesetze fielen, zum »jüdischen Krankenbehandler« und beschränkten sein Wirken auf das Kinderambulatorium der IKG. Zwischen April und Dezember 1939 emigrierte Zappert nach England, zunächst nach London, dann nach Slough, wo er im Juni 1941 starb.7 Wie eng Emigration und Beraubung zusammenhingen (und zwar auch ohne, dass äußere Zwangsmittel angewandt wurden), lässt sich in seinem Fall daran erkennen, dass er zunächst im Wiener Auktionshaus Dorotheum zahlreiche Einrichtungsgegenstände seiner Wohnung veräußert und seiner Schwester Ella (7200 RM) wie seiner Tochter Gertrud (8000 RM) Geld übereignet hatte – Gegenstände bzw. Vermögen, das er ohnehin nicht oder nur unter schweren finanziellen Einbußen hätte ausführen können.8 1899 hatte Julius Zappert Cornelia, geb. Fleischmann geheiratet, die jedoch bereits 1922 an Darm- und Lungentuberkulose verstorben war. Das Paar hatte drei Kinder  : Die 1930 verstorbene Tochter Johanna (*1900, verh. Jellinek) sowie die Zwillinge Karl und Gertrud (*1902).9 5 Vgl. Bundesarchiv Bern, E4264#2006/96#10703*  ; StadtA St. Gallen, Digitalisierte Einwohnerkartei 1918 ff., Marketa Brand  ; Bundesarchiv Bern, E4264#2006/96#10703*  ; Dozierendendossier von Prof. Dr. Walther Hug, UAZ, AB.1.0466  ; StadtA Zürich, Leumundszeugnis Margarethe Brand, B 967  ; Universitätsarchiv St. Gallen, HSGN 012/035 und 012/065  ; StA St. Gallen, Karteikarte der kantonalen Fremdenpolizei zu Margarethe Brand-Wappner, A 143/04.50.0043. 6 Vgl. Rosenkranz, Verfolgung, 316 und Schwarz, Experiences, 2. 7 Die Angabe bei Rosenkranz, Verfolgung, 329 (Anm. 15) und in der Dokumentation Widerstand und Verfolgung in Wien, 212, wonach Julius Zappert Selbstmord begangen habe, ist falsch. 8 Vgl. die Erklärung Julius Zapperts, 8. Juni 1939, AdR, Vermögensverkehrsstelle 10460 sowie das Schreiben seiner Schwester Ella Wenger vom 30. Mai 1939, ebd., Vermögensverkehrsstelle 50757. Zur Beraubungspolitik der Nationalsozialisten vgl. die Ausführungen in Kap. 5. 9 Vgl. die Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Hermann Neureiter an den Fonds zur Abgeltung von

216 |  Die Briefzeugnisse und ihr historischer Kontext. Erläuterungen zu den Briefen

Übersicht zu den Familien Zappert / Wenger/ Schneider

Marie, geb. Sobotka (1844–1912)

Carl Zappert (1831–1900)

Adele (1868–1938)

Prof. Dr. Julius Zappert (1867–1941)

Eleonore („Ella“) (*1869)

Dr. Leopold Wappner (1857–1926)

Cornelia, geb. Fleischmann (1872–1922)

Dr. Hartwig Wenger (1856–1934)

Richard (* 1891)

Johanna, verh. Jellinek (1900–1930)

Margarethe, gesch. Brand (* 1895)

Gertrud (1902–1942)

Oskar (* 1898)

Karl (* 1902)

Franz (*1896)

Friederike, geb. Trager (* 1908)

Stefan (* 1932)

Martha (* 1902)

Die Briefpartner:innen und ihre Familien | 217 Abb. 20  : Stammbaum der Familien Zappert, Wenger und Schneider.

David David Schneider Schneider (1872–1942) (1872–1942) 1903

1903

Emma, Emma, geb. Schwitzer, geb. Schwitzer, verw. Engländer verw. Engländer (1868–1927) (1868–1927)

ElisabethElisabeth (* 1899) (* 1899)

Robert Robert (* 1930) (* 1930)

Josefine Josefine Viktor Viktor Georg Georg („Fina“) („Fina“) (* 1904) (* 1904) (* 1909) (* 1909) (1906–1942) (1906–1942)

Rudolf Rudolf (* 1932) (* 1932)

Martin Martin (* 1936) (* 1936)

1898

1898

Rosa, Rosa, geb. Kohngeb. Kohn (1871–1902) (1871–1902)

Marie Marie (* 1901) (* 1901)

218 |  Die Briefzeugnisse und ihr historischer Kontext. Erläuterungen zu den Briefen

Besagter Karl Zappert emigrierte 1938 über Berlin und Dänemark nach England und von dort nach dem Tod seines Vaters nach Brasilien, von wo er später (der genaue Zeitpunkt ist unbekannt) wieder nach England zurückkehrte.10 Weit häufiger als er wird in dem Briefwechsel seine Zwillingsschwester Gertrud erwähnt  : Sie war nach dem Anschluss in Wien verlieben und heiratete im Januar 1939 Wolfgang Brunner. Erst nach dieser Verbindung, mit und in der Julius Zappert seine Tochter gut aufgehoben hoffte, entschloss er sich zur Emigration. Übermäßig glücklich erwies sich die Ehe seiner Tochter indes nicht. Halt gab der 37-Jährigen ihre im Herbst 1940 aufgenommene Arbeit in einem Kindergarten (ein anderer, im November 1938 von ihr wiedereröffneter Kindergarten war bereits Ende Januar des darauffolgenden Jahres neuerlich geschlossen worden), den die Hilfsaktion Gildemeester betrieb.11 1942 war dann auch dessen Auflösung absehbar. Als es im Herbst dieses Jahres soweit war, nahm sich Gertrud Brunner am 20. September 1942 das Leben. Die zentrale Figur der Korrespondenz, Ella Wenger, verbrachte ihr Leben im Herzen Wiens, genauer  : in dessen 1. Bezirk. Am Kärntnerring 1 geboren, ist ihre Familie frühzeitig in die Esslinggasse 1312 gezogen, so früh, dass schon Ellas Tochter Martha nicht mehr um das Einzugsdatum wusste.13 Bei ihrer Hochzeit mit dem 13 Jahre älteren Rechtsanwalt Dr. Hartwig Wenger im Jahr 1895 war Ella bereits in besagter Wohnung, in die dann auch ihr Mann einzog und die Familie sich vergrößerte  : 1896 kam mit Franz das erste Kind zur Welt, 1899 und 1902 folgten die Töchter Elisabeth Viktoria und Martha Ver­mögensverlusten politisch Verfolgter, 29. März 1962 und 21. März 1963, AdR, ABGF.-ZI 4.126  ; Verzeichnis über das Vermögen von Juden, Julius Zappert, 11. Juli 1938, AdR, Vermögensverkehrsstelle 10460  ; Seidler, Jüdische Kinderärzte, 406 f.; Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 269 f.; Taufmatrikel der Prager jüdischen Gemeinde 1863–1871, Pag. 94, Nr. 50  ; Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Geburtsanzeige Rz. 3845/1872  ; ebd., Trauungsbuch 779/1899  ; ebd., Sterbebuch, Rz. 844/1922.  10 Vgl. das Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Hermann Neureiter an die Creditanstalt Wien, 5. Juli 1961, AdR, NHF.II-ZI. 18.511 sowie die beglaubigte Abschrift des Geburtszeugnisses, Beilage des Schreibens von Neureiter an den Fonds zur Abgeltung von Vermögensverlusten politisch Verfolgter, 29. März 1962, ebd., ABGF.-ZI 4.126  ; Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 601/1902. 11 Zu Gildemeester vgl. grundlegend Venus/Wenck, Entziehung. 12 Es konnte nicht geklärt werden, ob Ella Wenger die Wohnung als Eigentum besaß oder ihre Familie diese schon seit Jahrzehnten mietete. Nachweisbar sind lediglich die Eigentümer des gesamten Hauses. Als solche waren mit Stand 15. Juli 1927 zu gleichen Teilen die Doktoren Hans und Karl Przibram sowie Friederike Lederer (geb. Przibram) eingetragen. 1939/40 wurde das gesamte Haus ›arisiert‹. Vgl. den Grundbuchauszug Liegenschaftsadresse Eßlinggasse 13/Ecke Gonzagagasse 18, Bezirksgericht Innere Stadt Wien, Konskriptionsnummer 249. 13 Vgl. Martha Wenger an ihre Schwester Elisabeth Schneider, 28. Februar 1957, Privatbesitz Martin Schneider.

Die Briefpartner:innen und ihre Familien | 219

Karoline.14 Ella Wenger blieb in der Esslinggasse, bis ihr die Nationalsozialisten das Recht hierauf nahmen (ihr Mann Hartwig war im Februar 1934 an einer Lungenentzündung verstorben15) und die Witwe in wechselnde (Sammel-)Unterkünfte zwangen  : Zunächst, am 21. Januar 1942, fand sie gemeinsam mit ihrer Tochter Martha Unterschlupf in einem Zimmer in der Unteren Augartenstraße 35 in der Leopoldstadt, in der sich zu diesem Zeitpunkt auch das Kleinkinderheim befand, in dem Martha Wenger tätig war. Die 27-jährige war mit Wirkung vom 1. Mai 1930 in den Dienst der IKG übernommen und »zur Dienstleistung« dem besagten Kleinkinder- und Säuglingsheim zugeteilt worden.16 In dieser Funktion begleitete sie u. a. mehrere Fahrten, die Wiener jüdische Kinder eine zeitweise Erholung in der Schweiz und später eine dauerhafte Emigration ins Ausland ermöglichten (Kindertransporte), was Martha Wenger u. a. an die Schweizer Grenze, nach Schweden, Dänemark und Belgien brachte, wo sie 1941 sogar ihre Schwester und deren Familie traf.17 Doch stets kehrte sie nach Wien zurück, wobei die Sorge um ihre Mutter nicht das geringste Motiv gewesen sein dürfte.18 Mehrmals tauchen in den Briefen Überlegungen Ella Wengers zu einer eigenen Emigration auf, von denen man annehmen darf, dass sie auch ihre Tochter Martha eingeschlossen hätten. Doch verdichteten sich derartige Pläne nie so, dass sie konkret wurden  ; die ausschlaggebenden Gründe bleiben unklar. Zunächst scheint sie sie nicht mit Nachdruck betrieben zu haben, dann verbot ihr das Pflichtgefühl gegenüber den Untermietern, an Flucht zu denken, und auch Marthas Funktion in der IKG scheint ein Hinderungsgrund gewesen zu sein  ;19 schließlich sind die finanziellen Hürden einer Auswanderung zu bedenken. Noch im Herbst 1939 fasste Ella Wenger eine Emigration eher perspektivisch (»vielleicht in einem Jahr, vielleicht sogar in einem halben Jahr«) ins Auge, nur, um sie sofort zu verwerfen  : »Also, diese Idee ist vollkommen

14 Vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 6737/1869  ; ebd., Bestand Matriken, Trauungsbuch, Rz. 719/1895  ; ebd., Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 2526/1896  ; ebd., Rz. 848/1899  ; ebd., Rz. 2397/1902  ; Meldeunterlagen für Ella und Martha Wenger (WStLA). 15 Zum Geburts- und Todesdatum Hartwigs vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Trauungsbuch, Rz. 719/1895 sowie ebd., Sterbebuch, Rz. 400/1934 (hier ist das Geburtsdatum mit 11. Mai 1856 angegeben). Er wurde am 16. Februar 1934 auf dem jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs beigesetzt (IV. Tor, Gruppe 15a, Reihe 5, Grab 16). Vgl. den Eintrag der Grabstelle unter https://www.ikg-wien. at/friedhofsdatenbank/#top (Zugriff  : 27. November 2020). 16 Vgl. Personalkarte Martha Wenger, Archiv IKG Wien, Bestand Wien, A/VIE/IKG/I-III/PERS/Kartei, K22  ; vgl. zum Heim allgemein Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 277–281. 17 Vgl. z. B. die Dok. 3, 23, 25, 52. Zu den Kindertransporten vgl. grundlegend Curio, Verfolgung, sowie die Beiträge in Benz/Curio/Hammel, Kindertransporte und Hofreiter, Allein. 18 Vgl. Dok. 52, Anm. 2 sowie Rabinovici, Instanzen, 172 f. 19 Vgl. stellvertretend Dok. 15.

220 |  Die Briefzeugnisse und ihr historischer Kontext. Erläuterungen zu den Briefen

Abb. 21  : Auszug aus der »Haus­ liste« der »Zentralstelle für jüdische Auswanderung« für die Untere Augartenstraße 35. Der Name Ella Wengers ist bereits gestrichen.

undurchführbar.«20 Ab Herbst 1941, mit dem Beginn der systematischen Ermordung, war eine Emigration von Jüdinnen und Juden dann praktisch unmöglich geworden. Ein halbes Jahr nach dem Hinauswurf aus der Esslinggasse, Ende Juli 1942, wurde auch der Wohnraum von Ella und Martha Wenger in der Unteren Augartenstraße bereits wieder anderweitig benötigt, beide mussten neuerlich weichen, zunächst in die Nummer 17 der Czerningasse 6/I (ebenfalls im 2. Bezirk), nur Tage später (6. August) in die Nummer 20 ebendort. Dies ist der letzte bekannte Wohnort von Mutter und Tochter. Von hier oder einer der Sammelstellen erfolgte am 1. Oktober 1942 mit dem Transport IV/12 die Deportation beider nach Theresienstadt.21 In diesem Ghetto ­verblieben sie, wurden also nicht, wie fast 90.000 ihrer Mithäftlinge, in eines der Ver­ nichtungslager im Osten weitertransportiert. Letztlich waren sie zwei der etwa 23.000 20 Ebd. 21 Vgl. die Hauslisten für den Unteren Augarten 35 und die Czerningasse 6, A/VIE/IKG/II/BEV/Wohn/3/2 und A/VIE /IKG /II /BEV /Wohn/1/1, beide  : Archiv der IKG (Leihgabe im VWI )  ; Theresienstädter Gedenkbuch, 419.

Die Briefpartner:innen und ihre Familien | 221

Abb. 22  : Registrierung Ella Wengers in der zentralen Transportdatei.

Menschen (von insgesamt 148.000, die zeitweise oder dauerhaft dort inhaftiert waren), die das Ghetto Theresienstadt überlebten.22 Dabei könnte ihnen wiederum die Funktion Marthas geholfen haben, die ihre bereits in Wien für die IKG ausgeübte Tätigkeit als Säuglings- bzw. Kinderschwester im Lager wiederaufnahm  : Sie kümmerte sich um mutterlos gewordene Kinder.23 Martha wie ihre Mutter Ella waren bis zuletzt in Theresienstadt gefangen und kamen erst mit der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee am 8. Mai 1945 wieder frei.24 Das dritte Kind Ella Wengers, Marthas Bruder Franz (*1896), lebte zu diesem Zeitpunkt bereits seit einigen Jahren Down Under. Frühzeitig nach den NS-Anschluss-Exzessen hatte er den Plan zur Emigration gefasst, und nur Tage nach Wiedereröffnung der IKG 22 Vgl. Benz, Theresienstadt, Kap. 8 und 14, v. a. 92, 205. 23 Vgl. Freud/Dann, Experiment in Group Upbringing, 129 (Anm. 3), 153 u.ö. Zu den Kindern in Theresienstadt vgl. Benz, Theresienstadt, Kap. 11. Für Ella Wenger ist sogar die genaue Unterbringung bekannt, nämlich Hauptstraße 12/19, L419, vgl. Verzeichnis der im Ghetto Theresienstadt inhaftierten Personen, 1.1.42.1 / 4957660, ITS, Digital Archive, Arolsen Archives. 24 Zum weiteren Verlauf vgl. Kap. 6.

222 |  Die Briefzeugnisse und ihr historischer Kontext. Erläuterungen zu den Briefen

(2. Mai)25 hatte er am 11. Mai 1938 für sich, seine Frau Friederike (*1908) und den gemeinsamen Sohn Stefan (*1932) den Fragebogen zur Ausreise bei der Fürsorgezentrale der IKG ausgefüllt – wohl nicht zufällig am selben Tag wie sein Schwager Viktor Schneider.26 Franz hatte angegeben, nach »Australien«, in »die engl. Kolonien resp. Dominions« und »am liebsten« in die USA auswandern zu wollen. Letztlich erhielten er und seine Familie ein Visum für Australien und ergriffen diese Chance beim Schopf  : Finanziell von dänischen Freunden unterstützt, gelang es ihnen, den Löwenanteil (2800 RM) der Gesamtreisekosten in Höhe von 3180 RM privat aufzubringen, so dass sie am 10. Dezember 1938 in Southampton ein Schiff bestiegen, das sie nach Australien brachte,27 wo sie bis zu ihrem Tod 1971 (Franz) bzw. 1990 (Friederike) heimisch wurden. Wie bei Franz, so reifte auch bei Elisabeth und Viktor Schneider frühzeitig der Entschluss, ihr bisheriges Leben hinter sich zu lassen. Neben den Gewaltexzessen des März, den rasch einsetzenden Enteignungen28 und den Demütigungen der jüdischen Bevölkerung dürften die ökonomischen Zwänge für die Entscheidung maßgeblich gewesen sein  : Auf die Frage nach der wirtschaftlichen Lage und dem monatlichen Verdienst antwortete Viktor Schneider schon im Mai 1938  : »unsicher. Verhältnisse geordnet, weitere Betätigung wegen Arisierung unmöglich«.29 Dies bezog sich auf die Jerlaine Strick- und Jersey GmbH, eine »der zu dieser Zeit wohl bekanntesten Fabriken in modischer Jersey-Bekleidung«, für die der gelernte Schnittzeichner Viktor Schneider als Handelsagent für Damenmode international tätig war. Die Firma ging jedoch bereits im Mai 1938 aus dem Besitz des jüdischen Brüderpaares Walter und Otto Markus in denjenigen des reichsdeutschen Textilunternehmers Curt Altmann über.30

25 Vgl. Rabinovici, Instanzen, 83. 26 Vgl. die Fragebögen der Fürsorgezentrale der IKG Franz Wenger und Viktor Schneider, Auswanderungskartei 5316 bzw. 5027, beide  : Archiv der IKG (Leihgabe im VWI). 27 Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Franz Wenger, 11. Mai 1938, Auswanderungskartei 5316  ; vgl. zudem den darauf bezogenen Bearbeitungsbogen der IKG, beide  : Archiv der IKG (Leihgabe im VWI). Bei den dänischen Freunden handelte es sich um Harald und Kamma Melchior, über die auch die ersten Nachrichten zwischen Elisabeth Schneider in Paris und ihrer Mutter Ella Wenger nach deren Befreiung aus Theresienstadt liefen, vgl. Kap. 6, Anm. 8. Den für die Gesamtkosten noch offenen Betrag in Höhe von 380 RM steuerten zu gleichen Teilen die IKG und die Aktion Gildemeester bei. 28 Von diesen beiden erstgenannten Aspekten war die Familie von Elisabeth und Viktor Schneider nicht betroffen, sehr wohl aber ihr familiäres und freundschaftlich verbundenes Umfeld. 29 Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Viktor Schneider, 11. Mai 1938, Auswanderungskartei 5027, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI). 30 Vgl. WStLA, Handelsgericht, B78 – Handelsregister C  : C 19/72 sowie ebd., A45 – C – Registerakten  : C 19/72. Zitat  : Oelbauer, Textilpionier, 399.

Die Briefpartner:innen und ihre Familien | 223

Auch wenn sich nicht mehr klären lässt, ob Viktor Schneider im Zuge dieses Übergangs entlassen wurde oder werden sollte, war die Lebensgrundlage der jungen Familie zumindest erheblich bedroht. Damit waren nun auch sie von den Veränderungen direkt betroffen – nachdem sie die antijüdischen Ausschreitungen der März- und Aprilwochen schadlos überstanden hatten, obwohl ihr Vermieter schon vor dem Anschluss als NS-Sympathisant gegolten hatte und unmittelbar im März 1938 in die Partei eingetreten war, für die er fortan als NS-Blockleiter fungierte.31 Entgegen der entsprechend großen Befürchtungen der Familie Schneider passierte jedoch »pas du tout, sans doute c’était lui [d. h. Robert Mühlbauer, der Vermieter] qui nous protégeait sans que nous le sachions. On n’a subi aucun mal, ce qui était très rare car des amis ont été maltraités, on les sortait de chez eux pour leur faire nettoyer la rue, on leur tirait la barbe, ou on leur faisait lécher des choses dégoutantes.«32 Dies änderte freilich nichts daran, dass auch die Familie Schneider sich s­ pätestens im Mai 1938 zur Emigration entschloss und »Australien oder jedes andere Land in Übersee« als Ziel angab.33 Als sich eine entsprechende Möglichkeit nicht auftat, nahm sie ihr Schicksal selbst in die Hand  : Über die Zwischenstation Köln flüchtete Elisabeth mit den drei Kindern – Viktor war wegen (s)einer Arbeit bereits außerhalb Österreichs – wie zahlreiche österreichische Jüdinnen und Juden jener Zeit34 Ende Juli/Anfang August 1938 nach Belgien, wo die soziale Lage für die deutschsprachigen Emigrant:innen etwas besser war, als in Frankreich oder den Niederlanden.35 In Brüssel angekommen, fand die Familie eine Wohnung in der Rue Adolphe 14 und Viktor eine Arbeit. Erleichtert wurde ihre Eingewöhnung von dem Umstand, dass Elisabeth Schneider fließend Französisch sprach und Mabel Salomons, eine wohlhabende evangelische Britin, die Familie finanziell wie ideell unterstützte, nicht zuletzt, indem sie unmittelbar einen Kindergartenplatz für die Kinder organisierte.36 31 Vgl. NS-Gauleitung Wien (Personalamt) an die NS-Kreisleitung 10, 3. April 1941, ÖStA, AdR, BMI, ZNsZ GA 224.733 (Mühlbauer Robert). 32 O.A., Schneider’s Story, unpag. 33 Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Viktor Schneider, 11. Mai 1938, Auswanderungskartei 5027, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI). 34 Grund hierfür war das Gerücht, dass über den Aachener Raum eine Flucht nach Belgien leicht zu bewerkstelligen sei. Dies war insofern richtig, als die deutschen Behörden den Grenzübertritt durch Untätigkeit faktisch unterstützten, um möglichst viele Jüdinnen und Juden aus dem Reich zu vertreiben. Vgl. Weinzierl, Österreicher im Exil, 58 f.; Langkau-Alex, Belgien, Sp. 170. 35 Die Flucht von Köln nach Belgien muss zwischen dem 16. und dem 22. August erfolgt sein, da am 16. August noch etwas aus Köln abgeschickt wurde und die Kinder am 22. August bereits in einem Kinderhort waren, über den Ella Wenger fragt, ob er nur für Emigrantenkinder sei, vgl. Dok. 3. 36 Vgl. zu den Österreichern in Belgien Weinzierl, Österreicher im Exil, und zur privaten Situation die Familienchronik der Familie Schneider, Privatbesitz Martin Schneider, unpag  ; zu Frau Salomons auch

224 |  Die Briefzeugnisse und ihr historischer Kontext. Erläuterungen zu den Briefen

Der ursprünglich ventilierte Plan, von Belgien aus weiter zu emigrieren,37 wurde nicht weiter verfolgt, jedenfalls nicht realisiert  ; drei Jahre lebte die Familie in dem Land, bis die Regierung Hubert Pierlot nach der deutschen Invasion (10. Mai 1940) die hierhin geflüchteten Deutschen und Österreicher:innen zum Zweck der Ausweisung sammelte.38 Viktor Schneider wurde von der Sammelstelle in einer Schule direkt in das Lager Etterbeeck transportiert, von wo aus er nach Frankreich abgeschoben wurde, um dort in das südfranzösische Lager St. Cyprien gebracht zu werden – denn auch die Pariser Regierung hatte umgehend begonnen, die als feindlich geltenden Ausländer zu internieren. St. Cyprien war nur eines der Lager und wuchs rasch auf rund 8000 deutschsprachige Zivilisten, von denen etwa 5000 Juden waren.39 Währenddessen war Elisabeth Schneider mit den Kindern auf abenteuerliche Weise zu Fuß und per Bahn aus Brüssel in das bombardierte Boulogne geflohen. Von dort wollte sie nach Großbritannien, doch das Boot kam lediglich bis Calais, von wo sie ihre Flucht daraufhin teils per Bahn, teils zu Fuß nach Süden wandte. Es ging über Tours zunächst in das Flüchtlingslager im südfranzösischen Goutrens und von dort in die rund 100 km nordwestlich von Montpellier gelegene kleine Gemeinde St. Affrique, wo Elisabeth weite Teile des Krieges verbrachte. Die in Frankreich im Jahr 1942 einsetzenden Deportationen von Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager sowie die Besetzung der vormals von der Vichy-Regierung kontrollierten sogenannten freien Zone (d. h. des Südens bzw. Südostens Frankreichs) im Herbst desselben Jahres durch die deutsche Besatzungsmacht,40 zwangen auch die Schneiders zur Reaktion  : Zwischenzeitliche Pläne, die Kinder alleine nach Groß­britannien bzw. in die USA zu schicken, hatten sich zerschlagen,41 so dass Robert, Rudolf und Martin im Sommer 1942 in die Hände der französischen Behörden fielen. Ville de Bruxelles, Bulletin Communal 1936, Bd.  II, Teil 4, 2342 und 1937, Bd.  II, Teil 2, 555 sowie die Dok. 17 und 22. 37 Vgl. Dok. 11. 38 Zum weiteren Schicksal der Juden und Jüdinnen in Belgien vgl. Meinen, Shoa in Belgien  ; Dies., Réfugiés  ; Dies., Stratégies  ; Dies., »Je devais quitter«  ; Weinzierl, Österreicher im Exil. 39 Vgl. Bervoets-Tragholz, Liste, zu Viktor Schneider, 401  ; Cros, Saint-Cyprien, 97–126  ; Vormeier, Lage, 212  ; o.A., Schneider’s Story, unpag. 40 Vgl. als Überblick zum Holocaust in Frankreich Joly, L’État contre le juifs, v. a. 73–110  ; Semelin, Überleben, hier verschiedene Aspekte des (Über-)Lebens von Jüdinnen und Juden in Frankreich, z. B. 193–203, 217–220 sowie Kap. 4  ; Vormeier, Deportierungen  ; Mayer, Vichy-Frankreich  ; als Überblick auch Zuccotti, Surviving. 41 Vgl. Dok. 15 sowie o.A., Schneider’s Story, unpag. Die hier angeführte Briefstelle stammt aus dem Jahr 1939, also noch aus der Zeit in Brüssel und bezieht sich auf eine Verschickung der Kinder nach Großbritannien. In den Familienerinnerungen ist hingegen von einer Möglichkeit, sie in die USA zu bringen aus dem Jahr 1942 die Rede. Möglicherweise wurden beide Pläne verfolgt.

Die Briefpartner:innen und ihre Familien | 225

Abb. 23  : Elisabeth Schneider mit ihren drei Söhnen Robert, Rudolf und Martin in St. Affrique, undatierte Aufnahme.

Nur mit Hilfe der protestantischen Familie von Marcel und Fanny Bourgouin gelang es, sie »freizubekommen«42 und der Bourgouin’schen Obhut zu übergeben. Diese Familie war es auch, die sie in den darauffolgenden Monaten vor dem weiteren Zugriff zu bewahren verstand, zunächst dem der französischen Miliz, dann dem der deutschen Einheiten. Währenddessen war Elisabeth Schneider, als die Verfolgung der Jüdinnen und Juden einsetzte, zur Flucht in die umliegenden Wälder gezwungen, in denen sie für mehrere Wochen lebte. Wiederum waren es die Bourgouins, die sie nach ihrer insgeheim erfolgten Rückkehr nach St. Affrique deckten und mit Nahrung versorgten – wofür sie auf Betreiben der Familie Schneider 2005 posthum als Gerechte unter den Völkern geehrt wurden. Die drei Söhne von Elisabeth und Viktor waren währenddessen, vom Ortspriester getauft, in das von Eucharistinern (Societas Sanctissimi Sacramenti, SSS ) geführte Internat St. Thomas im knapp 30 km entfernten Brusque gebracht 42 Georg Schneider an Frau Boritzer vom Verband der Schweizerischen Israelitischen Armenpflege, 7. Oktober 1942, Archiv für Zeitgeschichte Zürich, IB VSJF-Archiv / S 463  ; vgl. auch o.A., Schneider’s Story, unpag.

226 |  Die Briefzeugnisse und ihr historischer Kontext. Erläuterungen zu den Briefen

Abb. 24  : Viktor Schneider in Uniform kurz vor seiner Demobilisierung, 1945.

worden, in dem sie vom Januar 1943 bis zur Befreiung von der deutschen Okkupation im September 1944 Schutz und Bildung fanden.43 Viktor Schneider hatte schon zuvor den katastrophalen hygienischen und Ernährungszuständen im Lager St. Cyprien Tribut zahlen müssen. Ein Quartal nach seiner Internierung ( Juni 1940) war er an Typhus erkrankt und im Oktober desselben Jahres in ein vom Internierungslager mitverwaltetes Notkrankenhaus (»Hôpital Complémentaire de Perpignan«) überstellt worden, wo er neben der Infektion eine Venenentzündung erlitt, die Lähmungserscheinungen im Bein nach sich zog, unter deren Nachwirkungen er noch Jahrzehnte litt. Im August 1941 entlassen, wurde er in das Lager 43 Vgl. zu den Vorgängen in der Familie Schneider o.A., Schneider’s Story, unpag.; zu Frankreich als Emigrationsziel im Überblick Vormeier, Frankreich  ; zu den Bourgouins vgl. den Eintrag Bourgouin in der Datenbank »The Righteous Among the Nations Database«, online verfügbar unter https://righteous.yad vashem.org/?search=Bourgouins&searchType=righteous_only&language=en&itemId=5246546&ind=0 (Zugriff  : 8. März 2021)  ; zu den Deportationen der jüdischen Bevölkerung aus Frankreich und der Forschungsdiskussion um die deutsche und französische Verantwortung Joly, L’État contre le juifs, v. a. 73–110  ; Semelin, Überleben  ; Vormeier, Deportierungen.

Die Briefpartner:innen und ihre Familien | 227

Abb. 25  : Die wiedervereinte Familie von Elisabeth und Viktor Schneider nach Kriegsende, 1945.

Rivesaltes überstellt und zu Straßenbauarbeiten herangezogen. Von dort gelang ihm im November 1942 die Flucht nach Spanien, wo er vom Franco-Regime zunächst für einen Monat im Prison del Partido in Figueras, dann bis Sommer 1943 im Campo de Concentración Miranda de Ebro interniert wurde.44 Erst als Franco auf eine kalmierende Politik gegenüber den Alliierten umschwenkte, beendete er die Gefangenschaft der dort festgehaltenen Ausländer nach und nach  ; Anfang Juni 1943 kam auf US amerikanische Intervention auch Viktor frei, wurde über Gibraltar nach Casablanca gebracht und meldete sich zum Dienst in der französischen Armee, wo er als Teil der Division Leclerc zunächst in Nordafrika als Dolmetscher und Verbindungsmann zu US-Truppen tätig war. Im Mai 1944 nach Großbritannien verlegt, landete er am 1. August 1944 in der Normandie und zog über Le Mans und Argentan am 26. August in Paris ein. Von dort 44 Vgl. Viktor Schneider an den Fonds zur Hilfeleistung an politisch Verfolgte, 21. Oktober 1957, AdR, AHF-ZI 7.313  ; o.A., Schneider’s Story, unpag.; für das Lager vgl. Pallarés/Espinosa de los Monteros, Miranda sowie Eiroa/Pallarés, Uncertain Fates.

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ging es über Bar-le-Duc, Busson und Contrexéville Richtung deutscher Grenze nach Baccarat (5. November), wo Viktor einige Tage Urlaub erhielt und seine Familie, mit der er über das Rote Kreuz in brieflichem Kontakt stand, in St. Affrique aufsuchen konnte. Ende April 1945 überschritt er mit seiner, inzwischen der 7. US-Armee eingegliederten, Einheit die Grenze ins zusammengebrochene Deutsche Reich, um rasch über Lampertheim, Burtenbach, Starnberg und Rosenheim nach Bad Reichenhall (6. Mai 1945) vorzustoßen, wo er tags darauf den Obersalzberg in Augenschein nahm. Ende Mai 1945 kehrte er nach Paris zurück, Anfang Juni vereinte sich die Familie wieder und zog im darauffolgenden Jahr in den Vorort Sannois. Viktor Schneider lebte bis 1974. Wie Viktor überlebte auch dessen Bruder Georg Schneider (»Golo«  ; *1909) den natio­ nalsozialistischen Vernichtungswahnsinn, und wie jener war auch dieser frühzeitig auf eigene Faust emigriert. Über San Remo war der gelernte Modezeichner Anfang August 1938 in die Schweiz geflüchtet, wo er während des gesamten Krieges blieb. In Zürich gemeldet, befand er sich tatsächlich auf dem Gut Riken im Murgenthal als Landwirtschaftsarbeiter, wohl nicht zuletzt, um die in südamerikanischen Ländern gesuchte landwirtschaftliche Qualifikation erwerben zu können, wohin er plante, weiter zu emigrieren. Seit Dezember 1940 ist er in dem Schweizer Internierungslager Gordola nachweisbar, in dem die Eidgenossenschaft v. a. politisch als linksstehend geltende Flüchtlinge festhielt. Mit dem Auslaufen seiner Aufenthaltsgenehmigung zum 1. August 1946 emigrierte er knapp drei Wochen später mit finanzieller Unterstützung des Verbandes Schweizerischer Jüdischer Fürsorge (VSJF) und der Hebrew Immigration Aid Society (HIAS) nach Mexiko, für das er ein Visum erlangt hatte und wo er 1963 auch verstarb.45 Während des Krieges hielt er den Kontakt sowohl zu Elisabeth Schneider in Frankreich wie (zumindest bis zu deren Deportationen nach Theresienstadt) zu Ella Wenger nach Wien und war so neben Emma Schönberg (einer ebenfalls in die Schweiz geflüchteten Nichte Ellas) ein wichtiges Verbindungsglied zwischen beiden. Mehrfach müssen Briefe zwischen Ella und Elisabeth über ihn versandt worden sein, finden sich doch

45 Vgl. StadtA Zürich, V.E.c.100. Serie 1934-1964, Nr. 391, Georg Schneider  ; ebd., Leumundszeugnis Margarethe Brand, B 967 sowie die Dokumente in Bundesarchiv Bern, E4264#1988-2#20058, u. a. das Gesuch um einen Identitätsausweis, 18. März 1946, das Telegramm der Fremdenpolizei Zürich an das Justiz- und Polizeidepartement Bern, 22. März 1946, den Briefwechsel zwischen VSJF/HIAS und der Fremdenpolizei Bern bzw. Zürich, 12. März/23. August 1946 sowie mehrere Anträge an verschiedene staatliche und nicht-staatliche Stellen um finanzielle Unterstützung in dem Akt des Bundesarchivs  ; vgl. zudem zahlreiche Dokumente zu seinen Ausreisebemühungen in Archiv für Zeitgeschichte Zürich, IB VSJF-Archiv / S 463.

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Abb. 26  : Georg Schneider, undatierte Aufnahme.

auf einigen von ihnen Kommentare und kurze Passagen von seiner Hand.46 Obwohl selbst weitgehend mittellos, unterstützte er seine Schwägerin Elisabeth wiederholt mit Sach- und Geldsendungen und war auch Ella mit seinen Briefen und Gesten eine wichtige moralische Stütze.47 Im Gegensatz zu dem Brüderpaar Viktor und Georg überlebten weder deren Vater David (*1872) noch ihre Schwester Josefine Schneider (»Fina«) den Holocaust. Sowohl Viktor, als auch Josefine und Georg entstammten der zweiten Ehe David Schneiders, die er 1903 mit Emma (*1868  ; geb. Schwitzer, verw. Engländer) eingegangen war. Davids erste Frau Rosa (*1871, geb. Kohn) war 1902 verstorben, die gemeinsame Tochter Marie 46 Vgl. Dok. 45, 49, 50, 53, 58. 47 Vgl. zu den Geldsendungen Georg Schneider an Frau Boritzer vom Verband der Schweizerischen Israelitischen Armenpflege, 21. Januar und 3. März 1941, zu den Sachsendungen vgl. Frau Boritzer an Georg Schneider, 2. Februar 1941, alle  : Archiv für Zeitgeschichte Zürich, IB VSJF-Archiv / S 463 sowie Dok. 20. Zur Bedeutung Georg Schneiders für Ella Wenger vgl. stellvertretend Dok. 43.

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(*1901) war zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Südamerika gegangen, hielt aber keinerlei Kontakt mit ihren Halbgeschwistern und spielt in den vorliegenden Briefen keine Rolle.48 Der Vater David wurde in Pressburg/Bratislava geboren  ; er und seine gesamte Familie hatten, obwohl noch im 19. Jahrhundert in die Hauptstadt des k.u.k.-Reichs migriert, bis 1922 die tschechische Staatsbürgerschaft.49 In Wien betrieb David einen Gemischtwarenladen, doch lebte der Witwer (seine zweite Frau war 1927 gestorben) zum Zeitpunkt des Anschlusses bereits von einer kleinen Rente.50 Da er keine Rücklagen besaß, wechselte er in Wien mit Einsetzen des Briefwechsels mehrfach den Wohnort, lebte z. T. auch mit einem seiner Brüder zusammen. Am 10. Juli 1942 wurde David Schneider nach Theresienstadt und von dort am 21. September nach Treblinka deportiert. Von den 1000 mit ihm nach Theresienstadt Verschleppten wurden 27 Menschen befreit, 964 fanden nachweislich den Tod.51 Nur zwei Wochen vor seiner eigenen Deportation hatte David Schneider die Urne mit den sterblichen Überresten seiner Tochter Josefine (»Fina«, *1906) am 25. Juni 1942 auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt (bzw. das, was ihm die nationalsozialistischen Machthaber als solche aus dem Konzentrationslager Ravensbrück überstellt hatten).52 Gegen die politisch links eingestellte junge Frau war bereits im austrofaschistischen ›Ständestaat‹53 wegen des Verdachts auf kommunistische Betätigung ermittelt worden  ; 1936 war es deswegen zu einem Verfahren und einer

48 Vgl. zu den Hochzeiten David Schneiders Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Trauungsbuch, Rz. 983/1898  ; ebd., Rz. 346/1903  ; zu Marie Schneider (später  : Marie Juval) vgl. Archiv IKG Wien, Bestand Matriken, Geburtsbuch, Rz. 1465/1901 sowie Verband der Schweizerischen Israelitischen Armenpflege an die Sociedad de Protection a los Immigrantes Israel. in Buenos Aires, 4. Juni 1941, Archiv für Zeitgeschichte Zürich, IB VSJF-Archiv / S 463. 49 Vgl. Georg Schneider an Frau Boritzer vom Verband der Schweizerischen Israelitischen Armenpflege, 9. Dezember 1940, Archiv für Zeitgeschichte Zürich, IB VSJF-Archiv / S 463. 50 Vgl. zum Beruf die Angaben in Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Geburtsanzeige, Rz. 1475/1906 bzw. ebd., Rz. 1465/1901 sowie ebd., Trauungsbuch, Rz. 983/1898 und ebd., Rz. 346/1903  ; zur Rente in Höhe von 1044 RM (auf die jedoch die Nationalsozialisten eine 20%ige Vermögensabgabe erhoben) vgl. Verzeichnis über das Vermögen von Juden, David Schneider, 16. Juli 1938, AdR, Vermögensverkehrsstelle 18007. 51 Vgl. 30. Transport vom 10. Juli 1942 nach Theresienstadt, 1.2.1.1/11203547/; Transportliste nach Treblinka, 1.1.42.2 / 5090502, beide ITS, Digital Archive, Bad Arolsen  ; Theresienstädter Gedenkbuch, 249. 52 Vgl. zur Geburt Archiv IKG Wien, Bestand Wien, Geburtsanzeige, Rz. 1475/1906, zur Beisetzung den Eintrag der Grabstelle für Josefine Schneider unter https://www.ikg-wien.at/friedhofsdatenbank/#top (Zugriff  : 2. September 2021). Dass Josefine Schneiders Familie zum Zeitpunkt ihrer Ermordung bereits tot war, ist nicht richtig, vgl. Helm, Ohne Haar, 174. 53 Vgl. zum Charakter des ›Ständestaats‹ Anm. 4 im Vorwort sowie zum Zusammenhang von Geschlecht und Politik im Österreich der Jahre 1933 bis 1938 Hauch, Androzentrismus.

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zweimonatigen Haftstrafe gekommen.54 Rasch nach dem Anschluss, am 11. Mai 1938, wurde sie abermals wegen kommunistischer Agitation von der Kripo Innsbruck festgenommen und bis Februar 1939 festgehalten. Zu einer in Vorbereitung befindlichen Anklageerhebung am Volksgerichtshof kam es nicht, stattdessen wurde Josefine Schneider seit 24. Februar 1939 im Frauen-Konzentrationslager Lichten­burg im heutigen Sachsen-Anhalt interniert. Als das KZ wegen Baufälligkeit geschlossen wurde, verlegte man sie gemeinsam mit 860 weiblichen Häftlingen (unter denen sieben Österreicherinnen waren) am 15. Mai desselben Jahres von dort als »politische Jüdin« in das neu erbaute und als zentrales Lager für weibliche Häftlinge konzipierte KZ Ravensbrück,55 unter dessen spezifischen Bedingungen sich ganz besondere Freundschaften – von Josefine etwa mit der gerade mal 17-jährigen F ­ riederike Jaroslavsky aus Wien – und unter den österreichischen Internierten sogar eine Art »österreichische Familie« ausbildeten.56 Schon während der Innsbrucker Kripo-Haft bemühte sich Finas Familie, ihr jede erdenkliche Hilfe zukommen zu lassen, nicht zuletzt über die Israelitische Kultusgemeinde.57 Ihrem in der Schweiz lebenden Bruder Georg war es Anfang 1939 mit Hilfe einer »Garantie-Verpflichtung« des Verbandes der Schweizerischen Israelitischen Armenpflege sogar gelungen, ein Aufenthaltsrecht für seine Schwester »zum Zwecke der Erholung« beim Kanton Schaffhausen zu erwirken58 – und das, obwohl die Eidgenossenschaft eine äußerst restriktive Haltung gegenüber Juden und politischen Flüchtlingen, als die Josefine Schneider infolge ihrer kommunistischen Vergangenheit

54 Vgl. den Bericht des Sicherheitsinspektors für Salzburg sowie die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Salzburg, 17. März 1936 bzw. 30. Mai 1936, beides abgedruckt in Mitterrutzner/Ungar, Widerstand, 113 f. bzw. 215–221. 55 Vgl. Apel, Jüdische Frauen, 370. Jüdische Häftlinge waren eine Minderheit von etwa 15 % – in den Jahren 1939–1942 nur etwa 10 % – unter den in Ravensbrück internierten Frauen, zumal in der Frühphase des Lagers, vgl. Dublon-Knebel/Herzog, Einleitung, 10  ; Apel, Fehlende Stimmen, 61. Für die Verlegung Josefine Schneiders vgl. die Zugangsliste für Ravensbrück, 1.1.35.1 / 3761117  ; zur Verlegung des KZ Lichtenburg nach Ravensbrück Geheimes Staatspolizeiamt Berlin an alle Staatspolizeileitstellen, 2. und 11. Mai 1939, 1.1.0.6 / 82327714 bzw. 1.1.0.6 / 82327710, alle ITS, Digital Archive, Bad Arolsen  ; zu Ravensbrück vgl. Arndt, Frauenkonzentrationslager  ; Apel, Jüdische Frauen, zu den politischen Häftlingen v. a. 55–74  ; Strebel, Ravensbrück sowie Helm, Ohne Haar  ; Dublon-Knebel, Schnittpunkt  ; vgl. auch die Angaben im Gedenkbuch Ravensbrück, 548 sowie http://www.ravens brueckerinnen.at/detail.php?var=4475 (Zugriff  : 2. September 2021)  ; vgl. zu Josefine Schneider zudem Hormayr, Jüdin im kommunistischen Widerstand. 56 Helm, Ohne Haar, 155  ; vgl. auch Weinzierl, Österreichische Frauen, v. a. 170–184. 57 Vgl. u. a. Dok. 18, 20, 22, 37, 38. 58 Vgl. die Erklärung der Polizei- und Sanitätsdirektion des Kantons Schaffhausen, 18. Februar 1939, Privatbesitz der Familie Schneider.

232 |  Die Briefzeugnisse und ihr historischer Kontext. Erläuterungen zu den Briefen

ja auch gelten musste, praktizierte.59 Gleichwohl ging es den nationalsozialistischen Machthabern im Fall Josefine Schneiders schon 1939 offenkundig nicht mehr ›nur‹ darum, sie außer Landes zu haben – sie verweigerten ihr die Ausreise und internierten sie stattdessen in den genannten Konzentrationslagern.60 Die junge Frau dürfte, als die Häftlingszahl in Ravensbrück immer weiter stieg und sich die Situation Anfang 1942 entsprechend verschärfte, um ihr bevorstehendes Schicksal gewusst haben  : »Fini Schneider machte sich keine Sorgen«, erinnert sich eine Mitgefangene in einem Zeitzeugeninterview. »Sie wusste, man würde sie irgendwohin abtransportieren, aber sie sagte zu mir, sie würde an einen besseren Ort kommen. Sie war so eine hübsche junge Frau. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie mich auf der Lagerstraße anlächelte. Sie war immer fröhlich und optimistisch, aber vielleicht versuchte sie ihre Ängste vor mir zu verbergen.«61 Bereits Anfang Februar 1942 verdichteten sich die schon länger virulenten, wenngleich unspezifischen Gerüchte, dass im Lager etwas passieren würde. »Man redete weiter darüber, wer auf ›der Liste‹ stehe. Sekretärinnen aus der Schreibstube sprachen von einem ›Sondertransport‹, ein Wort, das sie auf Schriftstücken gesehen hatten, dessen Bedeutung aber niemand kannte. Fini [ Josefine Schneider] erzählte Fritzi [Friederike Jaroslavsky], sie wisse, dass ihr Name auf der Liste stehe. ›Das ist, was sie glaubte‹, sagte Fritzi. ›Ich war davon sehr erschreckt, aber Fini sagte, ich solle mir keine Sorgen um sie machen. Sie glaubte, sie würde in ein Sanatorium kommen.‹«62 – Angesichts des hohen Grades an politischem Bewusstsein Josefine Schneiders und dem mehrjährigen Martyrium, das diese zunächst in der Diktatur des ›Ständestaats‹, dann im Nationalsozialismus durchlitten hatte, wird die Schlussfolgerung quellenkritisch zu hinterfragen sein. Wahrscheinlicher scheint, dass die 35-Jährige keineswegs mit einer Verlegung in ein Kranken- oder Erholungsheim rechnete, sondern die nicht einmal halb so alte Friederike Jaroslavsky beruhigen wollte. In ihrem letzten Brief an ihren Vater schrieb Josefine jedenfalls  : »Kitty erwartet täglich ihre Abreise. Es ist ja kein Einzelschicksal und sie ist fest«, wobei ›Kitty‹ ein Codename für sie selbst gewesen sein dürfte, wie er in Briefen aus Konzentrationslagern so häufig verwendet wurde.63 Friederike Jaroslavsky überlebte die Lagerhaft und erinnert sich in einem Interview mit Sarah Helm für deren Buch über das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, 59 Vgl. Bergier u. a., Schweiz, Nationalsozialismus, v. a. 107–119  ; zu österreichischen Flüchtlingen in der Schweiz Hoerschelmann, Exilland Schweiz. 60 Vergleichbar ist der von Linde Apel geschilderte Fall Flora Kahns, vgl. Apel, Judenverfolgung, 50. 61 Zit. nach Helm, Ohne Haar, 157. 62 Ebd., 159. 63 Dok. 58. Zur Verwendung von Codes in Briefen aus Konzentrationslagern vgl. Wyss, Andeutungen, 214.

Die Briefpartner:innen und ihre Familien | 233

dass Fina Schneider mit einem der ersten Transporte aus dem KZ in die Tötungsanstalt Bernburg transportiert wurde  : »Fritzi erinnert sich, dass Fini, die hinten auf dem Lastwagen saß, ihr lächelnd zuwinkte.«64 Josefine Schneider dürfte damit bereits am 4. Februar 1942 als eine von insgesamt etwa 1400 bis 1600 Frauen im Rahmen der Aktion 14f13 in der Gaskammer der Tötungsanstalt Bernburg ermordet worden sein.65 Als offizielles Todesdatum gaben die Nationalsozialisten den 7. April 1942 an, doch wurden in den vom Standesamt Ravensbrück II versandten Sterbeurkunden falsche Angaben zu Todeszeitpunkt und -art gemacht. Josefine Schneider steht damit auch für jene jüdischen Frauen, die in Ravensbrück ermordet wurden, die in der kollektiven Erinnerung aber nicht sonderlich präsent sind.66 Heute erinnert ein Stolperstein vor einem Geschäft in der Salzburger Getreidegasse, in dem Fina seit September 1934 gearbeitet hatte, an sie.67

64 Helm, Ohne Haar, 162, ähnlich 173. 65 Vgl. ebd., 161 f. sowie 173. Anders in der Datierung des Todeszeitpunkts Hormayr, Josefine Schneider, 175. Zu den geschätzten Todeszahlen in Bernburg vgl. Apel, Judenverfolgung, 50 f. 66 Vgl. Dublon-Knebel/Herzog, Einleitung, v. a. 15–17  ; Apel, Fehlende Stimmen. 67 Vgl. http://www.stolpersteine-salzburg.at/de/orte_und_biographien  ?victim=Schneider,Josefine (Zugriff  : 2. September 2021).

3. Subjektiver Einzelfall oder Zeugnis einer Zeit  ?   Zur ­historiographischen Verortung der Briefe

Selbstzeugnisse von Jüdinnen und Juden galten der (deutschen) Forschung zur NSJudenpolitik im Allgemeinen und dem Holocaust sowie dessen Vorgeschichte im Besonderen lange als verzichtbare Quelle. Dies hatte mehrere Gründe  : Da wurde und wird zum einen die Subjektivität der Verfasser:innen als Argument ins Feld geführt, die meist nur ihr eigenes, eng umgrenztes Umfeld überblicken und wiedergeben konnten. Einblicke in die Entscheidungsmechanismen der Machthaber fehlten ihnen notwendigerweise, weshalb, zum anderen, der Nestor der Holocaustforschung, Raul Hilberg, die Opferperspektive hintanstellte und für den Erkenntnisgewinn die Nutzung von Täterdokumenten zum ausschließlichen Paradigma erhob.1 Tatsächlich nährt sich unser historisches Wissen ja zu einem erheblichen Teil aus just solchen Quellen. Inzwischen haben die Stimmen Einzelner – Tagebücher, Briefe, Notizen – den Rahmen privater Überlieferung längst überschritten und sind in ihrer Bedeutung auch in der NS-Forschung er- und anerkannt. Es ist gerade die Disparität derartiger Selbstzeugnisse, die auf die ganz verschiedenartigen Wahrnehmungen von Ereignissen und damit auf die Gebrochenheit von Geschichte verweist und dergestalt zugleich einer allzu apodiktischen, an Meistererzählungen orientierten Geschichtsschreibung entgegentritt.2 Als bahnbrechend hierfür gilt Saul Friedländers Arbeit über das Dritte Reich und die Juden,3 in der er gerade die Subjektivität dieser Quellengattung als ein Merkmal fruchtbar machte, das Täterdokumenten abging  : Friedländer nahm der NSPolitik die Kühle und Distanziertheit, die »Banalität des Bösen« (Hannah Arendt) und warf ein Licht auf die Schrecken jener Menschen, die unter ihr litten. Er knüpfte damit an methodische Forderungen an, die er sowie weitere jüdische und englischsprachige Historiker:innen schon zuvor gestellt hatten  : den Alltag der Jüdinnen und Juden unter den Bedingungen des Nationalsozialismus in allen Facetten zu betrachten, um die gänzlich unterschiedlichen Reaktionsmuster der jüdischen Bevölkerung auf die NS-Politik zu verstehen und nicht auf den Massenmord zu reduzieren  : Es sei »erroneous to approach Jewish life during the Nazi period simply as an issue of atrocities 1 Vgl. Hilberg, Sources and Their Uses, 7 f. 2 Vgl. in diesem Sinne einer »neuen deutschen Geschichte« jüngst Wildt, Zerborstene Zeit, zur Frage, wie Geschichtsschreibung im 21. Jahrhundert sein sollte, insbesondere die Überlegungen in der Einleitung. 3 Friedländer, Das Dritte Reich  ; der erste Band erschien 1997, in der deutschen Erstauflage 1998. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Ders., Holocaust beschreiben.

Zur historiographischen Verortung der Briefe | 235

and the reaction to those atrocities.«4 Dies erweiterte nicht nur das Verständnis des Holocaust um neue Perspektiven, es lenkte den Blick auch auf das Leben – und das heißt zu weiten Teilen, wenn auch nicht ausschließlich  : die zunehmenden Einschränkungen, Diskriminierungen und die Verzweiflung der Menschen – vor Deportation und Massenmord. Es geht mithin um eine Binnensicht der Ereignisse zwischen Entrechtung und Ermordung. Eine solche Betrachtungsweise reduziert die Menschen nicht auf ihre Opferrolle  ; sie löst sie stattdessen aus einer Anonymität heraus, in die sie nahezu notwendig geraten, wenn über die ungeheuren Ausmaße des Mordens – in dann notwendig abstrahierter Weise – berichtet wird. In ihren Tagebüchern, Briefen, Notizen usw. hingegen treten sie als Personen, als historische Subjekte hervor, sie erhalten ihr individuelles Leben, ihre eigenen Angehörigen, Gefühle, Geschichten und Zukunftshoffnungen zurück. So verhält es sich auch in dem vorliegenden Band  : Die Briefe zeigen die Perspektive Ella Wengers aus der Zeit zwischen Herbst 1938 und Herbst 1942. Sie geben ihre Hoffnungen, Sorgen und Nöte wieder, gewähren Einblicke in ihre Ängste, Freuden und Aktivitäten und heben die Herausforderungen einer älteren jüdischen Frau aus dem Nebel eines kollektiven Gedächtnisses, das von der Anonymität, mitunter der Unvorstellbarkeit des Mordens im Holocaust bestimmt wird. Der historiographische Wert dieses Selbstzeugnisses5 liegt in dem Schlaglicht, das es auf die Lebensumstände und deren Wahrnehmung dieser älteren Wiener Jüdin vor dem Holocaust wirft, mithin auf jene Bereiche, die ansonsten weniger stark ausgeleuchtet sind, weil sie quellentechnisch schlechter erschlossen sind. Dies mag auch daran liegen, dass die Äußerungen jener, die sich üblicherweise nicht vor der Geschichte äußern, lange Zeit als unbedeutender erschienen – vor dem Hintergrund des nachfolgenden Geschehens zumal.6 Die Einschränkungen des jüdischen Lebens setzten jedoch weit vor der systematischen Ermordung ein, und gerade deren Dimensionen und Folgen werden in Dokumenten wie dem vorliegenden manifest. Die Erkenntnisperspektive ist damit eine individuelle, eine, die »Einblicke in eine Wahrnehmungsgeschichte« erlaubt, »die das persönliche, auch mentale und emotionale Erleben von 4 Vgl. Michman, Understanding the Jewish Dimension of the Holocaust, 240. Vgl. zur Alltagsgeschichte im Holocaust auch Löw/Bergen/Hájková, Alltag. 5 Vgl. zu dem Begriff und seiner Verortung im kulturhistorischen Forschungskontext im Überblick Ulbrich/Medick/Schaser, Selbstzeugnis, v. a. deren Einleitung. Dort auch Anmerkungen zur Frage der Abgrenzung zu dem Begriff des Egodokuments  ; vgl. in diesem Zusammenhang auch Schulze, Ego-Dokumente, v. a. die Einleitung und Schlussbemerkung des Herausgebers sowie die Literaturhinweise bei Doetzer, »Aus Menschen werden Briefe«, 2, Anm. 5. 6 Vgl. – neben anderen, stärker im Vordergrund stehenden Fragen – auch in diesem Zusammenhang die Debatte zwischen Martin Broszat und Saul Friedländer, Historisierung.

236 |  Die Briefzeugnisse und ihr historischer Kontext. Erläuterungen zu den Briefen

historischen Ereignissen deutlich werden lässt.«7 Dies wiederum erlaubt es, jenseits erprobter geschichtswissenschaftlicher Zugriffe, die Formierung gesellschaftlicher wie kultureller und politischer Prozesse subjektbezogen von Einzelbeispielen ausgehend – gleichsam ›ab ovo‹ – zu beobachten. Eingebettet ist ein solcher methodischer Ansatz in die Alltags- bzw. Mikrogeschichte.8 In dem Konzept der »histoire totale« bzw. den Überlegungen italienischer Historiker wie Carlo Ginzburg, Edoardo Grendi oder Carlo Poni wurzelnd, wurden Anregungen aus der (damals noch überwiegend so benannten) Volkskunde in die historische Analyse aufgenommen. Ganz wesentlich speiste sich der neue methodische Ansatz überdies an dem Unbehagen einer rein politischen Geschichtsbetrachtung, insbesondere an dem Bewusstsein, mit jener nur einen Teil der Vergangenheit zu erfassen. Indem nach individuellen Lebenswelten gefragt wird, nach dem Repetitiven im menschlichen Handeln und Denken, rücken bewusst subjektive Erfahrungen in den Mittelpunkt der Überlegungen. Diese Art der Geschichtsbetrachtung legt ein Veto ein gegen umfassende, gegen allzu eindeutige Erklärungsversuche. Die Herausforderung eines solchen Ansatzes liegt darin, sich nicht im Einzelfall zu verlieren, sondern neben (oder besser  : in) dem Individuellen die ihm zugrundliegenden Strukturen offenzulegen. Hans Medick hat hierfür den Begriff der dokumentarischen Mikrogeschichte geprägt  ; sie bettet Selbstzeugnisse in einem weiteren Interpretationsfeld ein und kontextualisiert sie, um den Blick zu weiten und neue Perspektiven auf größere historische Zusammenhänge zu werfen.9 Dies möchte die vorliegende Edition in mehrfacher Hinsicht leisten  : Zum einen versteht sie sich als ein Beitrag dazu, das Bild der alltäglichen Situation österreichischer Jüdinnen und Juden nach dem Anschluss weiter zu differenzieren. Zum anderen sollen der Kommentar sowie die hier anschließenden Erläuterungen den Einzelfall Ella Wengers in den größeren Zeitzusammenhang einbetten, um dem Bild der Verfolgten einen nächsten Mosaikstein hinzuzufügen. Vor allem aber verweist, drittens, bereits die Quelle eo ipso auf die Besonderheiten nationalsozialistischer Politik, wenn in die von ihr geschilderten Alltäglichkeiten unvermittelt die von außen bedingten Wendungen und Neuerungen hineintreten und Änderungen bedingen. Besonders augenfällig – aber keineswegs singulär – ist das bei der Aufnahme zusätzlicher Mieter in Ella Wengers Wohnung und der einige Monate 7 Medick, Mikrogeschichte unterwegs, 242. 8 Mikro- und Alltagsgeschichte sind nicht dasselbe, aber doch eng verwandt. In Deutschland fand zunächst vor allem der Begriff der Alltagsgeschichte Verwendung, vgl. Medick, Mikro-Historie, v. a. 40. 9 Vgl. zu diesem Ansatz jüngst Medick, Dreißigjährige Krieg  ; zuletzt auch Ders., Unterkunft. Vgl. zum Verhältnis von Mikro- und Makrogeschichte als Einstieg auch Schlumbohm, Mikrogeschichte – Ma­ krogeschichte.

Zur historiographischen Verortung der Briefe | 237

später folgenden ›Auflösung‹ »unserer Hausgemeinschaft«.10 Beide Episoden, sowohl der rasch einsetzende Zuzug mehrerer Untermieter als auch das abrupte Ende der unfreiwilligen Wohngemeinschaft, zeigen inmitten all des Repetitiven die vom Nationalsozialismus erzwungenen Brüche  : die Entrechtung der Menschen, den Entzug ihrer Wohnung, das Zusammenpferchen unter teils menschenunwürdigen Verhältnissen weit vor der Endlösung (nämlich gleich nach dem Anschluss 1938) einerseits, die Zäsur des Jahres 1942 andererseits, als sich in wenigen Wochen Ella Wengers Wohnung wieder leerte, weil die Menschen deportiert wurden. Der erste Schritt, die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus ihren Häusern und Wohnungen, die daraus resultierende Konzentration in immer enger begrenzten Vierteln11 sowie die räumliche Enge, in der sie fortan lebten, wird in den Briefen nicht direkt benannt, ist aber doch klar erkennbar.12 Ella Wenger ist eine derjenigen, die seit Ende 1938 sukzessive weitere Untermieter:innen aufnahmen. In der vormals lediglich von ihr und ihrer Tochter bewohnten Wohnung waren seit 1940 mindestens sechs, möglicherweise bis zu neun Personen zusammengepfercht. Zwar mag der monetäre Aspekt der Untervermietung eine Rolle gespielt haben  ; allerdings ist nicht davon auszugehen, dass er im Vordergrund stand, schließlich hatte Ella Wenger Ende Oktober 1938 vor der Aufnahme erster Untermieterinnen noch festgestellt  : »Ich habe noch immer nicht vermietet […], da ich mich schwer entschließen kann aus meinem Zimmer herauszugehen und noch einen fremden Menschen in meinem Heim zu haben«.13 Nur vier Wochen später waren Mutter und Tochter Richter bei ihr eingezogen, nachdem Louise Marx bereits bei ihr lebte. In den nächsten Wochen und Monaten folgten Heinrich Freund, Ernestine Hamburger, Franziska Fränkel und zeitweise eine Haushaltshilfe. Die Zusammensetzung der Wohngemeinschaft ist durchaus symptomatisch für das Wien der Jahre 1938/40  : Wer konnte, floh aus dem nationalsozialistischen Machtbereich, zurück blieben die Alten (sie selbst  ; Heinrich Freund, Louise Marx), Mittellosen (Ernestine Hamburger) und jüdischen Funktionsträger (Martha, Franziska Fränkel)  ;

10 Zitat  : Dok. 55. Zu den Umständen der ›Wohnungsarisierung‹ und der Entstehung sogenannter ›Judenhäuser‹ bzw. ›Judenwohnungen‹ vgl. Botz, Wohnungspolitik sowie im Überblick Hecht/LappinEppel/Raggam-Blesch, Topographie, 395–409. 11 Es handelt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht um die von Baldur von Schirach ab 1940 betriebene Einrichtung von Sammelwohnungen bzw. ›Judenhäusern‹. Dennoch bereiten die Ereignisse der ›Wohnungsarisierung‹ sowie die alsbald getroffenen gesetzlichen Rahmenbedingungen, wonach Jüdinnen und Juden nur bei Glaubensgenossen unterkommen konnten, ihrer Konzentration natürlich bereits ab 1938/39 den Boden. 12 Vgl. z. B. die Dok. 9, 12, 13 und 15. Zu den Hintergründen der ›Wohnungsarisierung‹ vgl. Kap. 5.2. 13 Dok. 9.

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auch der Umstand, dass es überwiegend Frauen waren, die das Bild bestimmen, ist symptomatisch.14 Diese Wohnsituation, und das ist die zweite Zäsur, auf die es in diesem Zusammenhang hinzuweisen gilt, änderte sich im Januar 1942 radikal. Innerhalb weniger Tage löste sich die erzwungene Gemeinschaft auf, die Menschen wurden neuerlich aus den ja ohnehin nicht freiwillig gewählten und beengten Verhältnissen herausgerissen, um entweder verlegt oder deportiert zu werden  : Franziska Fränkel am 2. Januar in die Ferdinandstraße 19, Louise Marx im Laufe des Januars in die Lilienbrunngasse 8, sie selbst und ihre Tochter Martha am 21. Januar 1942 in ein Zimmer in der Unteren Augartenstraße.15 Ernestine Hamburger und Heinrich Freund hingegen deportierten die Nationalsozialisten am 26. Januar bzw. 6. Februar 1942 direkt aus der Wohnung heraus nach Riga, wo beide den Tod fanden.16 Sie teilten damit das Schicksal der meisten Bewohner dieses Hauses  : »Wie aus der Hausliste Eßlinggasse 13 hervorgeht, wurde der Großteil der jüdischen HausbewohnerInnen mit dem 14., 15. und 16. Transport im Januar und Februar nach Riga deportiert«.17 Auch für jene vier Frauen, die zunächst in ein anderes Quartier verlegt worden waren, war dieses lediglich eine Zwischenstation vor der Deportation in ein Ghetto oder ein Konzentrationslager. Beide Ereignisse – der Zuzug fremder Menschen zunächst, dann die abrupte Leerung der Wohnung – markieren zwei markante Brüche. Obwohl Ella Wenger sie ähnlich lapidar schildert wie die meisten ihrer Alltäglichkeiten, verweisen sie in inhaltlicher wie chronologischer Hinsicht auf die veränderte Politik der NS-Machthaber, also die Konzentration der Menschen zunächst, dann ihre Ermordung. Auch ohne staatliche Quellen, ohne schriftlichen Befehl ist die ›Endlösung‹ damit am individuellen Fall in aller Deutlichkeit zu erkennen und zwar unabhängig von der Frage, ob die Schreiberin das intendiert hatte oder ob sie unbeabsichtigt Zeugnis ablegt von den Verbrechen  ; das Selbstzeugnis des Briefes mutiert in der historischen Betrachtung zum Zeitzeugnis.18 Ein weiteres kommt hinzu  : Mikrogeschichte zielt darauf, nicht nur das Ereignis zu zeigen, sondern auch dessen Wahrnehmung sowie die wechselseitigen Beziehungen zwischen Geschehen und Rezeption. Den Mehrwert eines solchen Ansatzes zeigt im 14 Vgl. die Beiträge in Steinthaler, Frauen, v. a. den von Embacher, Emigration als Emanzipation. 15 Vgl. Hausliste Eßlinggasse 13, A/VIE/IKG/II/BEV/Wohn/8/2, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI)  ; WS tLA , Meldeunterlagen Louise Marx  ; Angaben im Theresienstädter Gedenkbuch, 350, sowie die Angaben für Louise Marx auf doew.at 16 Vgl. Hausliste Eßlinggasse 13, A/VIE/IKG/II/BEV/Wohn/8/2, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI)  ; WStLA, Meldeunterlagen Ernestine Hamburger bzw. Heinrich Freund  ; Angaben für Ernestine Hamburger bzw. Heinrich Freund auf doew.at. 17 Hecht/Raggam-Blesch, Weg in die Vernichtung, 43 f. 18 Vgl. Ulbrich/Medick/Schaser, Selbstzeugnis, 5  ; Medick, Unterkunft, 439–442.

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vorliegenden Fall unter anderem jene kleine Episode, als eine offenkundig nichtjüdische Bekannte zwar in die Esslinggasse 13 kam – jenes große Mehrparteienhaus im ersten Wiener Bezirk, in dem auch Ella Wenger wohnte – und sich beim Portier nach ihr erkundigte, sie aber nicht persönlich aufsuchte. Frau Wenger schickte ihr daraufhin ein Gedicht, das sie wiederum nicht namentlich kennzeichnete, sondern sich als Urheberin nur in Form eines Akrostichons zu erkennen gab  : »wenn sie nicht sehr blöde ist, wird sie das [gemeint ist ihre Urheberschaft] herausfinden«.19 Die Begebenheit vom März 1941 zeigt überdeutlich, dass die nichtjüdischen Wiener:innen um die zunehmende Drangsalierung, um die antisemitischen Gängelungen wussten oder zumindest wissen konnten – so dass ihnen klar sein musste, wohin die Politik führen würde, wenn sie die Deportationen aus dem Herzen Wiens, den innersten Bezirken, ab Februar 1941 nicht bewusst ignorierten. Das »Schicksal der Juden« konnte »für die Mehrheit der Deutschen während des Krieges« mithin nur dann »eine wenig beachtete Nebensache«20 sein, wenn sie aktiv die Augen davor verschlossen. Zugleich legt die Episode Zeugnis über die Angst nichtjüdischer Deutscher und Öster­reicher:innen ab, die darin bestand, sich öffentlich mit den Verfolgten zu solidarisieren, und sei es nur in Form eines Gesprächs. Schließlich offenbart umgekehrt der Ablauf des Geschehens auch Ella Wengers Bemühen, sich für die Geste des Erkundigens dankbar zu zeigen, ohne die Person in Gefahr zu bringen, was sie offenkundig für den Fall annahm, wenn sie nicht nur die Adressatin, sondern auch sich als Absenderin nennen würde. Das Vorgehen lässt somit gleichermaßen Rückschlüsse auf das Selbstverständnis der Fast-Besucherin, vor allem aber auf dasjenige Ella Wengers zu sowie weiterhin auf das Verständnis ihrer Umwelt wie auf das gesellschaftliche Klima  ; die Grenzen zwischen Selbst- und Zeitzeugnis verschwimmen hier bis zur Ununterscheidbarkeit. Es ist mitunter eingewendet worden, die Alltagsgeschichte des Nationalsozialismus verstelle den Blick auf die Monstrosität von dessen Verbrechen. Hierauf ist mit Paul Nolte zu entgegen, dass die Geschichtswissenschaft in einer Phase angekommen ist, in der es gerade nicht mehr die Heroen sind, die (alleine) ihr den Weg vorgeben.21 Man könnte den Vorworf fehlender Erkenntniskraft sogar genau andersherum wenden  : Empathie und Trauer können sich nicht an sechs Millionen Menschen richten. Wenn es in den Briefen indes heißt  : »Gerti Brunner (Zappert)« – deren Schicksal Leser und Leserinnen bereits einige Zeit verfolgen konnten und die nur wenig zuvor geheiratet hatte – »ist freiwillig aus dem Leben gegangen«, dann verdichten sich die geschätzten 19 Dok. 48. 20 So Broszat in Broszat/Friedländer, Historisierung, 353. 21 Nolte, Lebens Werk, 309.

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1200 Suizide innerhalb der jüdischen Bevölkerung Wiens jener Jahre22 in einer Person, werden mit dem vorangehenden Leben verknüpft und damit weniger anonym. Der Ent-Menschlichung und Ent-Individualisierung, die das NS-System anstrebte, wird das einzelne Schicksal entgegengesetzt. Die alltagsgeschichtlichen Begebenheiten und die in und mit ihnen geschilderten Personen sind nicht namenlos und sie sind keine beliebigen Beispiele  ; vielmehr stehen sie und ihre Geschicke pars pro toto für gesellschaftliche Gruppierungen und Entwicklungen. Als Einzelschicksale aber geben sie dem anonymen Geschehen (und der wissenschaftlichen Objektivität seiner Durchdringung) ein Gesicht und machen die historische Struktur greifbarer23 – gerade im Zeitalter nach dem/der Zeitzeug:in.

22 Zitat  : Dok. 61. Zu den Suiziden, z. T. mit spezifischem Blick auf die Situation in Wien, vgl. Botz, Nationalsozialismus, 137–145  ; Lester, Suicide, v. a. 90–92  ; Goeschel, Suicide, v. a. 96–148  ; Sonneck/Hirnsperger/Mundschütz, Suizid, v. a. 114–118  ; Fischer, Erzwungener Freitod. 23 Vgl. Bergmann, Personalisierung  ; Schneider, Personalisierung, v. a. 307.

4. Schreiben als Überlebensstrategie  : Zur Funktion der Briefe

Seit einer intensivierten Nutzung opferzentrierter Quellen der Alltags- und Mikrogeschichte in der Forschung ist sowohl die Zahl entsprechender Aufsätze und Monographien als auch die einschlägiger Editionen erkennbar angestiegen.1 Der Wert liegt auf der Hand, dürfen »Briefe und Tagebücher« doch als »authentische zeitgenössische Dokumente« gelten, deren Inhalt »die frischesten und damit universellsten Erinnerungen [wiedergibt,] die einem Historiker generell zugänglich sein können«.2 Zwar ist der Begriff der Authentizität zu hinterfragen  ; immerhin geben auch solche Quellen nicht (nur bzw. nicht primär) ein Geschehen wieder, sondern stellen eine spezifische Technik dar, dasselbe zu verarbeiten, zu deuten und dergestalt zu konstituieren.3 Schon der Umstand, dass dem Schreibakt verschiedene Funktionen zugeordnet werden können,4 verweist darauf, dass Authentizität nicht als ungebrochene Wiedergabe eines Ichs missverstanden werden darf. – Gleichwohl weisen Briefe und Tagebücher eine zeitliche Nähe auf, die ihnen die Selbstgewissheit des historisch Wissenden nimmt. Unter den publizierten Dokumenten überwiegen – sieht man von zahlreichen, nach dem Krieg angefertigten Erinnerungen ab5 – zeitgenössische Tagebücher und Briefanthologien, 1 Vgl. exemplarisch Bajohr, »Zeitalter des Tagebuchs«  ?  ; Goldberg, Holocaust Diaries  ; Lejeune, Datierte Spuren  ; Löw, Tagebücher  ; Mahlmann-Bauer, Shoah  ; Wyss, Andeutung  ; als (teilweise) edierte Quellen  : Lappin-Eppel/Soukup, Rockenbauer  ; Kurzweil, Briefe aus Wien  ; Doerry, »Mein verwundetes Herz«  ; Fraller/Langnas, Mignon  ; Hiob/Koller, »Wir verreisen …«  ; Larsen, »Und doch gefällt mir das Leben«  ; Linden, Anna Hess  ; Lütgenau/Thiel, Briefe und Fragmente  ; Behrend-Rosenfeld/Luckner, Lebenszeichen aus Piaski  ; Schlüter, »Ich will leben  !«  ; Seiffert, »Meine geliebten Kinder«  ; Schmid/Schmid, Labyrinth (sowie weitere Bände aus der von Wolfgang Benz herausgegebenen Reihe  : Lebensbilder. Jüdische Erinnerungen und Zeugnisse)  ; vgl. in diesem Zusammenhang auch die glänzende Analyse von Briefen bei Doetzer, »Aus Menschen werden Briefe«. Zur methodischen Problematik nachträglich entstandener Erinnerungen vgl. Jureit, Authentische und konstruierte Erinnerung. 2 Cziborra, Frauen im KZ, 273. 3 Hierauf soll an dieser Stelle nur hingewiesen, die in der Forschung ausführlich geführte Debatte aber nicht referiert werden. Vgl. zu Fragen der Selbstkonstitution im Tagebuch ausführlich Steuwer, »Drittes Reich«  ; einführend Steuwer/Graf, Selbstkonstitution, v. a. 8–10 und 31–34  ; unter Berücksichtigung von Fragen des Geschlechts Ulbrich/Jancke/Bosch, Editorial  ; vgl. auch die Überlegungen von Wildt, die dessen Monographie zugrunde liegen, Wildt, Zerborstene Zeit, 14. 4 Vgl. hierzu die folgenden Ausführungen in diesem Abschnitt. 5 Vgl. exemplarisch für eine erhebliche Anzahl solcher Erinnerungen Medick/Wagner, Isidor Nussenbaum  ; Goldmann, Flucht (sowie weitere Bände aus der von Wolfgang Benz herausgegebenen Reihe  : Lebensbilder. Jüdische Erinnerungen und Zeugnisse wie z. B. Glazer, Falle  ; Yesner, Jeder Tag oder BenGershôm, David)  ; Apel, Walter und Moshe Wolff  ; Günzler, Endlich reden  ; Simonsohn, Noch

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wohingegen geschlossene, sich über mehrere Jahre erstreckende Briefkorpora – wie es der vorliegende einer ist – sich in deutlich geringerem Umfang finden.6 Dies ist zum einen in einer schlechteren Überlieferungslage begründet. Derartige Schreiben mussten nicht nur über einen längeren Zeitraum hinweg verfasst werden – d. h., es musste eine Situation gegeben sein, in der die sich nahestehenden Menschen getrennt waren und dennoch den Kontakt aufrechthielten –, sondern auch gesammelt, bewahrt und letztlich der Forschung wie der Öffentlichkeit zugänglich werden. Mit Blick auf die Deportationen ist es freilich schon als Glücksfall zu bezeichnen, wenn solche Konvolute die Jahre überhaupt überstanden.7 Gegenüber den nach dem Krieg verfassten Erinnerungen, die notwendig von anderen, die Wahrnehmung beeinflussenden, Erfahrungsschichten überlagert sind,8 bieten sie den Vorteil des direkten Erlebens und damit einer unmittelbaren Darstellung, die frei ist von nachträglichem Wissen, Eindrücken und Gefühlen  ; anders als (Brief-)Anthologien wiederum stellen sie das Geschehen und die Entwicklungen aus ein und derselben Perspektive dar. Damit verschieben sie den Akzent von der Schilderung ausgewählter Geschehnisse, wie sie in Anthologien mitunter festzustellen sind, auf längerfristige Wahrnehmungen und deren etwaigem Wandel. Verglichen mit Tagebüchern schließlich haben sie (jenseits ein Glück  ; Buergenthal, Ein Glückskind  ; Klüger, Weiter leben  ; Naor, Ich sang für die SS  ; Herman-Friede, Für Freudensprünge keine Zeit  ; Kandel, Suche (Kap. 2) Strouhal, Vier Schwestern. 6 Für die österreichischen Jüdinnen und Juden vgl. Lappin-Eppel/Soukup, Rockenbauer  ; Kurzweil, Briefe aus Wien  ; Lütgenau/Thiel, Briefe und Fragmente  ; für Prag vgl. Ottevanger/Lániček, Marie Bader. Über dieses ebenfalls einseitig überlieferte Briefkonvolut urteilte jüngst eine Rezension  : »seldom does such detailed correspondence from anyone during that time period surface«, Teresa Walch, Rezension von  : Marie Bader  : Life and Love in Nazi Prague. Letters from an Occupied City. Edited by Kate Ottevanger, Jan Láníček. Translated by Kate Ottevanger, London  : Bloomsbury 2019, in  : sehepunkte 22 (2022), Nr. 2 [15. Februar 2022], URL  : http://www.sehepunkte.de/2022/02/36721.html (Zugriff  : 16. Feb. 2022). Vgl. an publizierten Briefen von Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus neben den in Anmerkung 1 dieses Kapitels genannten als weitere Auswahl Wojak/Hepner, »Geliebte Kinder«  ; Lorenz, Verfolgung  ; Larsen, »Und doch gefällt mir das Leben«  ; Jahnke, Feiner  ; Hiob/ Koller, »Wir verreisen«  ; Pilgrim/Liffman/Liffman, Fremde Freiheit  ; Golan, Auf Wiedersehn  ; Krohn/Vogt, Hilferufe  ; Forchhammer, Braach  ; Loewy, Ruhe. Entsprechende Tagebücher sind weit mehr als Briefeditionen veröffentlicht worden, vgl. stellvertretend Block, Tagebücher  ; Frank, Tagebücher  ; die Anthologie von Hauser, Wege jüdischer Selbstbehauptung, sowie als theoretische Überlegung hierzu Steuwer, »Drittes Reich«. 7 Vgl. die glücklichen Umstände, die zur Veröffentlichung führten, auch bei Lappin-Eppel/Soukup, Rockenbauer  ; Lütgenau/Thiel, Briefe und Fragmente sowie Ottevanger/Lániček, Marie Bader. Lediglich hinzuweisen ist an dieser Stelle auf den Umstand, dass vor allem autobiographische Texte wie Tagebücher in Krisenzeiten eine Konjunktur erlebten, nicht zuletzt, weil sie als »response to the violence of war and to the proliferation of technologies of self-obeservation« verstanden werden müssen, Fritzsche, Turbulent World, 12. 8 Vgl. Jureit, Authentische und konstruierte Erinnerung.

Zur Funktion der Briefe | 243

des inneren Monologs) einen Adressaten, einen, der gleichsam als abwesender Bürge für die – zumindest subjektiv so wahrgenommene – Objektivität der Darstellung dient. Einem weiteren Missverständnis gilt es vorzubeugen  : Briefe können von Nachlebenden zwar um ihres vordergründigen Informationsgehalts gelesen werden, doch dürfen sie hierauf nicht reduziert werden. Während diejenigen von Holocaustopfern auch in der Forschung lange Zeit primär unter inhaltlichen Gesichtspunkten betrachtet wurden – als Quelle zur Untersuchung von Daten, Vorgängen, Verantwortungsträgern, aber auch der Entstehungsbedingungen der Korrespondenz oder dem Wissensstand ihrer Verfasser:innen etc. –, gilt es daneben die Funktion der Niederschrift für die Schreiber:innen zu beachten. Begreift man die Korrespondenz als Kommunikationsakt,9 so offenbaren die Briefe verschiedene Dimensionen  : Selbstverständlich bieten sie Sachinformationen. Hierunter fallen solche zur Einkaufs- oder Lebenssituation, Hinweise zum Grad gesellschaftlicher Ausgrenzung, die Erkenntnis, dass KZ-Häftlinge (zumindest bis 1942) Post verschicken konnten,10 Schilderungen von Emigrationen verwandter und befreundeter Familien und der damit zusammenhängenden Probleme, bis hin zu solchen über die Entstehung und Auflösung der Sammelwohnungen usf. Daneben finden sich in den Briefen aber auch oder sogar vorrangig Hinweise auf das Verhältnis zwischen Absenderin und Empfängerin (Beziehungsseite) sowie implizite Hoffnungen, Sehnsüchte und Wünsche (Appellseite), was wiederum viel über die zeitgenössische Wahrnehmung der Verfasser:innen verrät, was diese also verdeckt und zumindest in Teilen unbewusst über sich selbst preisgaben.11 Zu beachten gilt es dabei die vorgenommene Auswahl der Schilderungen – nicht zuletzt die nicht-genannten Themenfelder – genauso wie die Art der Beschreibung, kurzum  : Das Individuum wird in (s)einen sozialen Kontext gesetzt. Diese mittelbaren Aspekte der Kommunikation jenseits der reinen Sachinformation, sollen im Folgenden knapp ausgeführt und an ausgewählten Beispielen veranschaulicht werden. Bei Ella Wenger ist zunächst einmal der Hiatus zwischen der zunehmend kritischer werdenden äußeren Situation sowie ihrer eigenen Unsicherheit und gesellschaftlichen   9 Die nachfolgenden Aspekte schließen an das Modell des Kommunikationsquadrats nach Schulz von Thun an, der vier Ebenen einer Äußerung unterscheidet  : die Sachinformation, dasjenige, was der Sprecher mit dem Inhalt und der Art seiner Kundgebung von sich selbst preisgibt (Selbstkundgabe), weiterhin das von ihm damit verfolgte Ziel (Appellseite) und zuletzt die Informationen, die die Kommunikation über das Verhältnis der Akteure zueinander preisgibt (Beziehungsseite). Vgl. Schulz von Thun, Miteinander reden. 10 Vgl. die Briefe Josefine Schneiders, Dok. 24, 24B und 27. Zu den Bedingungen des Schreibens aus dem Konzentrationslager Ravensbrück vgl. Wyss, Andeutungen, in formaler Hinsicht v. a. 210–212. 11 Vgl. zur Funktion des Briefes unter den existentiell bedrohenden Bedingungen des Nationalsozialismus auch ebd.

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Isolation einerseits und ihrem unerschütterlichen Optimismus andererseits auffällig. Während die von ihr beschriebenen und im Laufe der Zeit fortschreitenden Maßnahmen staatlicher Gängelungen sowie die situativen Momente wie die Überfüllung der Altenheime12 als direkte Sachinformation zu werten sind, wird die soziale Vereinsamung überwiegend indirekt deutlich.13 Hierunter fällt schon die Notwendigkeit des Briefwechsels an sich – immerhin wurde die Isolierung von der Emigration der Lieben verstärkt –, ebenso zahlreiche der festgehaltenen Episoden, etwa die oben geschilderte Visite einer Bekannten in ihrem Wohnhaus, bei der diese sich nicht traute, Ella Wenger zu besuchen, und jene nicht, ihr offen zu antworten.14 Hierunter fällt aber schon die Beschreibung eines offenkundig nicht alltäglichen Kaffeehausbesuchs vom August 1938, über den Frau Wenger erstaunt berichtet  : »Es war aber ganz schön dort zu sitzen ohne angeschmierte Bänke und wieder einmal ein Kaffe in einem Kaffehaus zu trinken.«15 Während die erste Episode den Erfolg der nationalsozialistischen Ausgrenzungspolitik gerade deswegen so deutlich zeigt, weil es (noch) kein Besuchs- oder Kommunikationsverbot zwischen jüdischer und nichtjüdischer Bevölkerung gab,16 beide sich aber – offenbar aus Angst – segregierenden Maßnahmen nicht nur anpassten, sondern sie durch selbstauferlegte Isolation übererfüllten, zeigt die zweite Passage den enormen Grad an Ausgrenzung und Demütigung, dem die jüdische Bevölkerung umgehend und wiederum ganz ohne staatlichen Auftrag ausgesetzt war  : Denn so wie das Gespräch mit nichtjüdischen Deutschen war auch der Kaffeehausbesuch im Frühjahr und Sommer 1938 rein rechtlich durchaus möglich. Dass dieser, dem Zitat zufolge, eher als Ausnahme, denn als Norm betrachtet wurde, offenbart das gesellschaftliche Klima Wiens und damit die unterschiedlichen Ebenen enger werdender Räume  :17 Da ist zum einen der physische öffentliche Raum Wiens – der die Identität seiner jüdischen Bevölkerung über Jahrzehnte hinweg so stark geprägt hat18 –, der für sie nicht mehr selbstverständlich zu betreten war  ; da ist zum anderen der kleiner werdende Raum sozialer Bindungen. Beide wiederum wirkten, wie die zitierten Passagen zeigen, auf Handlungs- und Bewegungs(spiel)räume und damit auf Denken und Schreiben ein  : Ella Wenger zog sich aus der Öffentlichkeit wie aus freundschaftlichen Beziehungen zurück, ungeachtet 12 Vgl. Kap. 5.2. 13 Zur Vereinsamung vor allem der zurückbleibenden älteren Frauen vgl. Ecker, Österreichisch-jüdische Frauen. 14 Vgl. Kap. 3 dieser Ausführungen sowie Dok. 48. 15 Dok. 3. 16 Ein solches Verbot wurde erst mit 24. Oktober 1941 eingeführt, vgl. Walk, Sonderrecht, IV/257. 17 Zum Einfluss des Raums auf Identitätskonstruktionen vgl. Bähr/Burschel/Jancke, Räume, v. a. die Einleitung. 18 Vgl. Stern/Eichinger, Wien und die jüdische Erfahrung.

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des Umstandes, dass beides nicht de jure erzwungen, sondern sozial bedingt war.19 Was ihr blieb, war das Feld des gedanklichen Austauschs mit ihrer Familie. Die briefliche Kommunikation wurde dergestalt immer wichtiger für die Konstituierung ihres Selbst, auch wenn dieses sich natürlich keineswegs ungebrochen in den Schreiben niederschlägt. Passagen, in denen die Verzweiflung über die äußere und innere Situation aus der älteren Frau hervorbricht, gibt es nur wenige.20 Legion hingegen sind die Stellen, an denen sie das Positive unterstreicht  : Dass sie sich wegen der zusätzlichen Untermieter räumlich einschränken muss, kaschiert sie mit dem Hinweis, dass »die 2 rückwärtigen Zimmer«, die ihr und ihrer Tochter Martha blieben, »wunderschön« und die Mitbewohner sehr nett seien. Und über die erhebliche Mehrarbeit urteilt sie  : »Es geht ganz gut, ich bin viel arbeitsfähiger als früher«. Später wird sie den Verlust ihrer Wohnung und den Umzug in ein von ihr mit ihrer Tochter gemeinsam bewohntes »Zimmer auf die Straße, natürlich sonst keine Nebenräume, auch kein Gas oder Wasser in der Küche und elektrisches Licht« wie folgt kommentieren  : »Aber unser Zimmer ist hübsch eingerichtet und sehr gemütlich.« Und als sie auch diese Unterkunft wieder verlassen muss, heißt es  : »Vielleicht wird es ganz gut für mich sein, vielleicht mache ich einen ganz guten Tausch, es hat wieder Vorteile, die hier nicht sind. Gar so unglücklich bin ich gar nicht, ich werde es mir in meinem neuen Heim auch gemütlich machen, so wie hier, wo jeder, der zu mir kommt, begeistert ist.«21 Wer zu ihr kam, geht aus den Briefen nicht hervor. Es ließen sich zahlreiche weitere Belege anführen, die stets beides offenbaren  : die Zwänge und Nöte, denen die Verfasserin ausgeliefert war, aber auch die gute Laune, die sie – zumindest vorgeblich – behält. Diese dürfte nicht zuletzt mit dem Ziel zusammenhängen, die Adressatin nicht mehr zu beunruhigen, als diese es ohnehin war. Allerdings griffe eine rein funktionale Begründung der positiven Grundhaltung wohl zu kurz. Vielmehr nährte sich ihr ostentativer Optimismus wesentlich aus der nie aufgegebenen Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihrer Familie. Es war diese Aussicht, die sie aufrechterhielt und der sie brieflich Ausdruck verlieh, gleichsam als Bekräftigung der Realisierbarkeit  ;22 ob dies mehr auf sie selbst zielte, auf die Zielperson (also auf die sich um ihre Mutter sorgende Tochter Elisabeth) oder auf beide Kom­munikationspartner, ist nur zu mutmaßen. Zweifellos spiegelt die Art von Ella Wengers Schreiben beides 19 Vgl. in praktisch identischem Sinn die Bemerkung über einen zusätzlichen Essensgast, dessen Anwesenheit ihr nicht recht war, dem sie die Gastfreundschaft aber mit der Bemerkung nicht verweigern zu können glaubte, »er kann [ja] nicht ins Gasthaus gehen, wo ich gar nicht weiß, ob man überhaupt in ein Gasthaus gehen kann«, Dok. 26. 20 Vgl. stellvertretend ihre Bemerkung über die Handtasche, die sie sich selbst zum 70. Geburtstag geschenkt hat  : »(Hoffentlich werdet Ihr sie auch noch zu Gesicht bekommen)«, Dok. 30. 21 In der Reihenfolge der Zitate  : Dok. 37, 55, 59. 22 Vgl. strukturell vergleichbar die Schreiben Marie Baders, Ottevanger/Lániček, Marie Bader.

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wider, ihr Naturell und den instrumentellen Charakter ihres Schreibens, der ihr half, den Alltag zu bewältigen und die Welt als erträglich zu konstituieren. Die Briefe offenbaren mithin keinen unverstellten, vermeintlich authentischen Blick auf die Schreiberin im Sinne des Eingangszitats,23 sondern erlauben Einblicke in das, was Kaspar von Greyerz als »self-narration« bezeichnet hat,24 auf die bewusste und unbewusste Konstruktion eines Selbstbildes, in diesem Fall vor allem auf solche von Selbsterhaltungsstrategien der Schreiberin. Besonders wichtig für die verbale Erhaltung und Bekräftigung von Gemeinsamkeiten mit ihrer Familie war der Rekurs auf Bekanntes, auf gemeinsame Erlebnisse, Bekannte oder Ereignisse. So ist der – anlässlich von Geburtstagen geäußerte – stetig wiederholte Hinweis, sich im kommenden Jahr sicher wieder in die Arme schließen, küssen oder zumindest gemeinsam den selbstgebackenen Gugelhupf essen zu können,25 weit mehr als eine Floskel  ; als ceterum censeo erfüllte er vielmehr die Funktion einer Selbstvergewisserung, in der die Erinnerung an gemeinsame Vergangenheit die soziale Verbindung bezeugt und dergestalt die Brücke in eine (zum Zeitpunkt des Schreibens noch ungewisse) Zukunft baut. Dies bedingt im vorliegenden Fall freilich kein vollständiges Abtauchen in die Vergangenheit. Der Erinnerung kommt keine rein eskapistische Funktion im Sinne einer Verdrängung der als unerträglich empfundenen Gegenwart zu, wie das mitunter für Feldpostbriefe festgestellt wurde,26 sondern die Herstellung einer gedanklichen Nähe  : »Heute ist Rudis Geburtstag, da will ich doch, da ich nicht zu Euch kommen kann, schreiben.«27 Die postalische Kommunikation erfüllte mithin zwei Funktionen  : Zum einen ist sie der tatsächliche Kommunikationskanal, der signalisierte, noch am Leben zu sein (und vom anderen dasselbe Signal zu erhalten), so dass die Hoffnung auf ein Wiedersehen als wesentliches Motiv des eigenen Lebenswillens weitere Nahrung erhielt. »Ich habe heute in der Früh beim Einkaufen in das Briefkastel geschaut«, heißt es 1939, »da war nichts von Euch drin, vielleicht ist jetzt, wenn ich fortgehe, den Brief aufgeben, ein Brief da« und im Jahr darauf  : »Meine größte Freude ist, wenn ich Nachricht von Euch habe«.28 So lange Briefe kamen, so lange gab es die Tochter im Exil und so lange gab es den Grund, die eigene Zuversicht nicht fahren zu lassen. Ella Wenger las die an sie gerichteten Briefe so oft, dass sie sie auswendig kannte. An Geburtstagen hebt sie 23 Vgl. Kap. 4, Anm. 2 24 Von Greyerz, Ego-Documents, 281. 25 Vgl. z. B. Dok. 25, 28, 37, 39, 48, 49, 52. 26 Vgl. Schikorsky, Kommunikation, 295. 27 Dok. 13. 28 Dok. 25 bzw. 37.

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nicht Geschenke, sondern die erhaltenen Schreiben hervor, diese manifest gewordene Versicherung, selbst in der Fremde nicht vergessen zu sein. Über die Zeilen ihrer Enkel urteilt sie in diesem Sinne  : »Ich weiß zwar, daß es den Kindern kein Vergnügen macht, einen Brief, und gar einen Gratulationsbrief zu schreiben, aber während sie schrieben, haben sie an mich gedacht«.29 Die sehnsüchtige Erwartung neuer Post wirft damit zugleich ein bezeichnendes Licht auf die Bedeutung der Kommunikation wie ihres sonstigen Alltags. Das Leben der jüdischen Frau war so weit eingeschnürt, dass es wenig andere Freuden mehr kannte  ; Restriktionen nahmen zu, Freunde und Verwandte verließen Wien, die materiellen Bedingungen verschlechterten sich. Die Erwartung neuer Briefe und die alltägliche Situation verhalten sich damit indirekt proportional zueinander  : Je größer das eine, desto bedrückender das andere. Das Eintreffen von Post kann dann verstanden werden als der Lohn für das Erdulden des Alltags, ebenso als Beruhigung der permanent vorhandenen Sorge um die Familie  : »Ich glaube, wir sollten seltener schreiben, dann werden wir gegenseitig nicht so oft Briefe erwarten.«30 Die von ihr selbst verfassten Schreiben waren Voraussetzung für die sehnsüchtig erwartete Beruhigung  ; ohne sie hätte es keine Antwortbriefe gegeben, auf die zu hoffen sich gelohnt hätte. Doch erfüllte der in ihnen erkennbare innere Monolog – und das ist der zweite der oben erwähnten Aspekte – zum anderen auch eine unmittelbare therapeutische Funktion  : »Heute ist Sonntag Nachmittag, ich bin allein zu Hause, da will ich wieder ein bischen mit Euch beisammen sein«, beginnt sie nicht nur einen Brief.31 Schreiben wurde zum gedanklichen Eintauchen in eine Welt, die es realiter nicht mehr gab – die des sozialen Lebens und der Familie. Allein 198 Mal kommt das Wort Brief in den hier vorgelegten 62 Dokumenten vor. Diese entpuppen sich damit auch als ein Rekapitulieren von Gemeinsamkeiten, die nicht mehr gemeinsam ausgelebt werden konnten, so dass die Bezugspunkte in der Vergangenheit liegen mussten, umso mehr, als die Zukunft ungewiss war. Das Schreiben mutierte unter den Bedingungen des Nationalsozialismus zu einer virtuellen Durchbrechung der Einsamkeit  : »Besten Dank für die langen Briefe. Ihr seid sehr brav, beinahe zu brav, ich kann gar nicht verlangen, daß ihr so oft schreibt, obwohl ich sehr glücklich damit bin. Ich habe doch für jedes Wort, daß Ihr schreibt Interesse und lebe noch ein bisschen mit euch mit.«32 Dies galt übrigens genauso wie für sie auch für die Adressaten.33 29 Dok. 29. 30 Dok. 5. 31 Dok. 48  ; vgl. ähnlich in den Dok. 44 und 46. 32 Dok. 3. 33 Hierauf ist an dieser Stelle nur hinzuweisen. Bemerkenswert etwa scheint der Umstand, dass Viktor

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Victor Klemperer räsoniert im Nachwort zu seiner Lingua Tertii Imperii (LTI) über den Sinn des (Auf-)Schreibens von Erlebnissen und Gedanken, während er für die nationalsozialistischen Machthaber Zwangsarbeit verrichten musste.34 Ihm war vollständig bewusst, dass seine Texte an der Brutalität der Zeit und dem Geschehen nichts änderten. Dennoch schlug er den Rat eines Leidensgenossen (»Lassen Sie doch die Schreiberei und schlafen Sie lieber eine Stunde länger«) in den Wind und nahm die zusätzlichen Strapazen auf sich – »wejen Ausdrücken«, wie er sagt, das heißt  : weil ihm die Sprache wichtig, weil sie seine Balancierstange war, die ihn über dem Abgrund aus nationalsozialistischer Demütigung, Verbrechen und eigenem Fatalismus wandeln ließ. Neben der eminent wichtigen Funktion für die Empfänger – diesen mit dem Lebenszeichen ein Stück ihrer Angst und Unsicherheit zu nehmen – hatten die Briefe damit zugleich hoffnungs- und das heißt lebenserhaltende Funktion für die Verfasserin selbst, so dass das Schreiben, ob intentional oder nicht, zur Konstitution ihrer Selbstwahrnehmung sowie zur Welterzeugung beitrug. Die erschriebene Gemeinsamkeit rekapitulierte die soziale Welt, sie bildete den Gegenpol zur fortschreitenden Vereinsamung in Wien und reduzierte die Angst. Moderne sozialpsychologische Studien konnten eine solche positive Wirkung des Schreibens auf die psychische, ja selbst auf die körperliche Gesundheit der Menschen nachweisen. James Pennebaker hat den Zusammenhang zwischen der Verbalisierung traumatischer Erlebnisse und einer Reduzierung negativer gesundheitlicher Folgen in seiner grundlegenden Theorie zur emotionalen Inhibition beschrieben, weitere Studien haben seine Annahmen bestätigen und auf den Akt des Schreibens als Teil mentaler und körperlicher Verarbeitung ausweiten können.35 Da für Ella Wenger reale Ansprechpartner – solche, zu denen ein soziales Nahverhältnis bestand und mit denen eine ausführliche Unterhaltung möglich gewesen wäre – sukzessive weniger wurden, trat die briefliche Kommunikation für diesen Zweck zunehmend in den Vordergrund, und dies umso mehr, als die Gefahr sozialer Zurückweisung auf diesem Feld minimiert war. Ella Wenger nutzte den angstreduzierenden Effekt des Schreibens damit nicht anders als Anne Frank, wenn diese ihr Tagebuch zum Gegenüber machte und es paradigmatisch noch vor dem ersten Eintrag mit den Worten überschreibt  : »Ich werde dir, hoffe ich, alles anvertrauen können, so wie ich es noch bei niemandem gekonnt habe, und ich hoffe, dass du mir eine große Stütze sein wirst.«36 Schneider die an ihn gerichteten Postkarten seiner Schwiegermutter auch unter den Bedingungen des Gefangenenlagers St. Cyprien aufhob, so dass sie erhalten blieben, vgl. Dok. 35. 34 Vgl. Klemperer, LTI, 359–362  ; Zitat 361. 35 Vgl. Pennebaker u. a., Traumatic Experience  ; zur Fortentwicklung seiner Theorie in Bezug auf das Schreiben vgl. Niles u. a., Effects  ; Mogk u. a., Health effects. 36 Frank, Tagebücher, 19.

Zur Funktion der Briefe | 249

Dabei war es für keine der beiden Frauen vorrangig, die von ihnen zumindest mittelbar erlebten NS -Verbrechen in den Mittelpunkt zu stellen  ; diese kommen eher beiläufig denn explizit vor. Bei Ella Wenger tritt überdies die Funktion einer schriftlichen Dokumentation des Zeitgeschehens für die Nachwelt als bewusster Akt in den Hintergrund. Ersteres kommt in den Briefen kaum und wenn dann nur indirekt vor, für zweiteres waren Privatbriefe wie die vorliegenden kein geeignetes Medium.37 Die angstreduzierende Wirkung aber war für beide, für Ella Wenger wie für Anne Frank, ein wichtiges Movens ihres Schreibens. Die Selbstkundgabe ist indes nur einer der sich in den Briefen manifestierenden Aspekte. Zugleich verweisen die Schreiben, es klang bereits an, auf die Beziehung zwischen Schreiberin und Adressatin, wobei beide Gesichtspunkte nicht separiert, sondern in ihrer Wechselwirkung gesehen werden müssen. Auffällig ist, dass Diskriminierungserfahrung, Antisemitismus oder einschneidende historische Vorgänge wie die Pogromnacht des 9. Novembers 1938,38 die fortschreitenden Restriktionen gegenüber der jüdischen Bevölkerung, der 1. September 1939 und nachfolgende Kriegsereignisse usw. praktisch nicht in den Briefen vorkommen  ; was dominiert, ist Alltägliches.39 Ausnahmen bilden lediglich jene politischen Ereignisse, die das familiäre Leben betreffen, deren Verschweigen also vom Gegenüber als Affront empfunden hätte werden können. Diese briefliche Lücke gilt es zu erklären, denn dass die Begebenheiten auch für Ella Wenger einschneidende Erlebnisse waren, steht außer Zweifel  : Lässt man die Möglichkeit von Briefverlusten einmal außer Acht, ist zunächst die Sorge vor Überwachung und Zensur40 sowie, insbesondere bei Gewaltverbrechen, die Schwierigkeit oder sogar die Unfähigkeit, diesen in Worten Ausdruck zu verleihen,41 37 Anders als etwa Tagebücher, die sich zumindest an eine fiktive Nachwelt richten konnten, vgl. Heim, Tagebücher und Briefe, 85. 38 Vgl. hierzu die Dokumente in Safrian/Witek, Und keiner war dabei, 267–332 sowie Pehle, Judenprogrom, Benz, Gewalt und – zur Verarbeitung der Erlebnisse in Briefen – Doetzer, »Aus Menschen werden Briefe«, 119–133. 39 Es ist bezeichnend, dass eine der seltenen Ausnahmen – die Schilderung, als David Schneider sich auf eine Parkbank auf der Ringstraße setzte und hierfür Strafe zahlen musste – nicht aus der Feder Ellas, sondern aus der ihrer Tochter Martha Wenger stammt, vgl. Dok. 8. Ähnliches wurde bereits für andere Briefe festgestellt, vgl. Lütgenau/Thiel, Briefe und Fragmente, 18  ; Linden, Anna Hess, 5. 40 Vgl. Wyss, Andeutungen, 207. Ella Wenger gibt, anders als etwa Marie Bader, nie offen zu erkennen, dass sie mit staatlicher Kontrolle der Briefe rechnet, doch ist dies aus zahlreichen Kunstgriffen klar zu erkennen, nicht zuletzt aus dem Umstand, dass sie mehrmals auf die dritte Person bzw. auf zweite Vornamen zur Benennung der Personen ausweicht, vgl. z. B. Dok. 16, Anm. 5 oder Dok. 19, Anm. 2  ; zu Bader vgl. Ottevanger/Lániček, Marie Bader. 41 Vgl. in diesem Sinne Schikorsky, Kommunikation, 295.

250 |  Die Briefzeugnisse und ihr historischer Kontext. Erläuterungen zu den Briefen

in Rechnung zu stellen. Letzteres wird, obwohl im Vorfeld ein vorangegangener Brief verloren gegangen sein muss, in der Schilderung des Todes von Josefine Schneider besonders eindrücklich deutlich  : »Daß ich Euch so Entsetzliches über Fina schreiben mußte[,] hat mir in jeder Beziehung weh getan. Aber ihr letzter Brief an Vater wo sie schreibt  : ›Kitty erwartet täglich ihre Abreise. Es ist ja kein Einzelschicksal und sie ist fest.‹ hat wohl eine andere Lösung erwartet.«42 Obwohl allen Beteiligten mithin klar war, dass die 35-jährige Schwester Viktor Schneiders ermordet worden war, wird dies lediglich angedeutet. Im Anschluss an diese Passage wechselt Ella Wenger das Thema. Eine schriftliche Aufarbeitung des Vorgangs findet nicht statt, sie ist ihr angesichts des Vorgehens vielleicht auch nicht möglich. Ein, möglicherweise das wesentliche Motiv, diskriminierende und traumatische Erlebnisse in den Briefen weitgehend auszublenden, liegt hingegen in dem Umstand begründet, die Sorgen der Empfängerin, die ja ihrerseits mit materiellen, ab 1940 mit existentiellen Nöten kämpfte, nicht noch weiter zu steigern. Daher galt es, dieser den Eindruck zu vermitteln, dass ihre, Ellas, Situation so gravierend gar nicht sei. Dass die realen Einschränkungen zunahmen, kann sie nicht kaschieren, gibt dafür potentielle Ablenkungen als Freiraum aus  : »ich plage mich gar nicht, habe viel Zeit für mich, meine Arbeit und mein Vergnügen. Du wirst vielleicht erstaunt sein über das Wort ›Vergnügen‹, aber ich könnte, wenn ich wollte, viel mehr Nachmittag fortgehen, da ich doch einige Leute besuchen kann, das genügt schon, weil man das Gefühl hat, man kann fortgehen, daß ich dann doch größtenteils zu Hause bleibe, ist meine Sache.«43 – Das Bestreben, ihre Tochter zu beruhigen und dieser möglichst wenige Sorgen zu bereiten, ist unverkennbar  ; hierin offenbart sich der Appellcharakter der Briefe, eine funktionale Seite des Optimismus Ella Wengers  ; zu überprüfen wäre, ob er auch einen Aspekt jener Art des Schreibens zeigt, der typisch für Frauen ist – hier, indem er eine mütterliche Sorge um die Tochter zum Vorschein bringt.44 Jeder Brief, der angesichts der spätestens ab 1941 erkennbaren tödlichen Bedrohung seiner Verfasserin ja stets ein Abschiedsbrief sein konnte, sollte genau diesen Eindruck nicht vermitteln. Zugleich war, wie erwähnt, die zuversichtliche Ausstrahlung auch für die Schreiberin selbst essentiell, sollte dies aber auch dem Gegenüber signalisieren  : Indem Ella Wenger über die Art ihrer Kommunikation eine Verbindung aufrecht erhielt, die Normalität 42 Dok. 58. Aus dem Sinnzusammenhang heraus müsste es wohl heißen  : »keine andere Lösung«. 43 Dok. 22. 44 Vgl. zur Bedeutung der Mutterrolle in Lagersituationen sowie deren schriftlicher Fixierungen in ex post entstandenen Erinnerungen Mahlmann-Bauer, Shoah, 147 sowie die von ihr genannte weiterführende Literatur. Nicht berücksichtigt werden können in diesem Zusammenhang spezifische Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien jenseits der Bedingungen während des Nationalsozialismus, vgl. dazu Raggam-Blesch, Zwischen Ost und West.

Zur Funktion der Briefe | 251

zumindest ein stückweit suggerierte, lenkte sie sich vom zunehmend abschnürenden Alltag ab und zog aus der angst- und gewaltfreien Parallelkommunikation Trost  ; die postulierte Normalität findet zwar keine Entsprechung in der Monstrosität des Alltags, wird im Akt des Schreibens aber zumindest ein stückweit performativ hergestellt, so dass es zum tröstenden Fluchtpunkt und damit zum Momentum der Selbsterhaltung wird. Der Bruch des äußeren Lebens wird über den fortgesetzten brieflichen Dialog mit der Familie buchstäblich und zumindest ein stückweit überschrieben. Darüber hinaus erhält Ella Wenger die (Gesprächs-)Beziehung mit ihrer Tochter auf einem Niveau, an das in einem zukünftigen Nachkriegsdasein anzuknüpfen war, ohne dass dieses (auch) in sprachlicher Hinsicht von den Belastungen traumatischer Erfahrungen zuvor befreit hätte werden müssen. Die Thematisierung zahlreicher Alltäglichkeiten, ja scheinbarer Belanglosigkeiten sollte in diesem Sinne weder als irrelevant, noch als vordergründiger Eskapismus betrachtet werden, sondern zeigt das Bedürfnis der Briefpartnerinnen, einander auf einer im besten Sinne als positiv zu betrachtenden alltäglichen Ebene verbunden zu bleiben. Zudem rückversicherte man sich wechselseitig, am ›ganz normalen‹ Leben des anderen teilzuhaben. Der Brief trat somit an die Stelle der einstigen Begegnungen, des Alltagsaustauschs, und er sorgte für eine sprachlich-gedankliche Nähe, die realiter nicht mehr gegeben war  : »Ich war wieder ein bisserl mit Dir beisammen und habe mich mit den Kindern im Geiste vereint gefühlt«, notiert Ella Wenger im Dezember 1940 und im Februar bzw. März 1941  : »In Gedanken waren wir alle beisammen«  ; »Heute ist Sonntag Nachmittag, ich bin allein zu Hause, da will ich wieder ein bischen mit Euch beisammen sein«.45 Mit ihrer Sehnsucht, in der Sprache, in einem virtuellen Dialog, wenn schon nicht die reale, so doch die geistige Distanz zu verringern, reiht sich Ella Wenger in die große Zahl derer, die von ihren Lieben getrennt wurden und im gedanklich-brieflichen Kontakt die Verbindung aufrecht zu erhalten versuchten.46 Auf einen letzten Aspekt ist in diesem Zusammenhang hinzuweisen  : Die Emigration bewerkstelligten ganz überwiegend Menschen, die es sich finanziell und angesichts ihrer Lebenssituation leisten konnten und an neue Perspektiven auch in der Fremde glaubten  ; zurück blieben überwiegend die Ärmeren (in sozialer Hinsicht), die Älteren 45 Vgl. in der Reihenfolge der Zitate Dok. 44, 46, 48. 46 Vergleichbare Formulierungen finden sich in Briefen jüdischer Frauen an ihre Lieben zahlreich, vgl. z. B. »Gerade wollte ich gestern einen Brief an Euch beginnen, ich hatte so das Bedürfnis, mich wieder mal mit Euch auszuplaudern«  ; »habe das Bedürfnis, mit Euch zu plaudern, da fühle ich mich Euch so nahe  !« (beide in  : Lütgenau/Thiel, »Ich lass mich von den Geschicken tragen«, 101 bzw. 170)  ; »ich habe mich direkt darauf gefreut, als Festfreude ein schönes Nachmittagsplauderstündchen mit Dir zu verleben« (Linden, Anna Hess, 196)  ; »Meine Mittagspause […] will ich mir damit verschönern, dass ich mit Dir ein wenig plaudere«, Fraller/Langnas, Mignon, 238, vgl. auch 248.

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(in der Altersspezifik) und Frauen (in der Geschlechterspezifik).47 Entsprechend verschieden fällt, bei allen individuellen Unterschieden, die Schilderung des Martyriums aus  : Während bei den Geflüchteten die Erinnerung an Gefahren, Herausforderungen und das Neue im Vordergrund steht, ist es bei den Zurückgebliebenen die Darstellung des sich langsam verändernden, eigentlich bekannten Umfeldes. Jenseits einer geschlechterspezifischen Erlebnis- und Darstellungsweise zeichnet sich die stärkere Betonung von Alltäglichem in Berichten von Frauen48 damit – zumindest  : auch – als Konsequenz unterschiedlicher sozialer Bedingungen ab, denn vor allem wenn sie alleinstehend waren, stand ihnen die Tür zur Flucht schon aus ökonomischen Gründen weniger weit offen als berufstätigen Männern. Die Briefe Ella Wengers offenbaren somit weit mehr als jene Alltäglichkeiten, von denen sie bei oberflächlicher Lektüre zu berichten scheinen. Vielmehr zeigen sie gerade im Gewand des Alltäglichen das Politische. Sie gewähren Einsichten in die Gewalt-, Beraubungs- und Unterdrückungspraxis des Regimes und in Reaktionen der Wiener Bevölkerung  ; sie erlauben Aufschlüsse über Nöte und Zwänge der in der Stadt verbliebenen Verfolgten  ; und sie lassen ahnen, wie diese versuchten, dagegen an- und damit umzugehen. Am mikrogeschichtlichen Exempel offenbaren die Dokumente Einblicke in das Seelenleben einer Frau, die über Jahre unter der zunehmenden nationalsozialistischen Repression litt und gleichwohl signalisierte, weiterleben, nicht aufgeben und ihre Familie wiedersehen zu wollen. Die schriftliche Kommunikation tritt an die Stelle der einstmals mündlichen, sie gibt Einsicht in Wiener jüdisches Leben unterm Hakenkreuz und zeigt zugleich die immense Bedeutung eines Fortbestehens von sozialen Kontakten mit den Lieben.

47 Vgl. zu letzterem Ecker, Österreichisch-jüdische Frauen. 48 Die Erkenntnisse beruhen zwar auf der Analyse von Holocaust-Erinnerungsbüchern (vgl. Langer, Schreiben), werden aber durch Texte von Jüdinnen vor der Endlösung bestätigt, vgl. neben den hier vorgelegten Briefen auch Pauli, Riss der Zeit  ; Lappin-Eppel/Soukup, Rockenbauer und Lütgenau/ Thiel, Briefe und Fragmente. Vgl. als Überblick zu weiblichem Schreiben, wenngleich mit Blick auf nachträglich entstandene Holocaust-Erinnerungen, Mahlmann-Bauer, Shoah.

5. Die Situation der jüdischen Bevölkerung Österreichs seit dem Anschluss  : Einige Anmerkungen

Im Folgenden soll der Fokus geweitet und neben der Schreiberin deren zeitgenössische Situation in Wien in den Blick genommen werden. Dabei sind die Ausführungen weit davon entfernt, Anspruch auf eine umfassende Darstellung jüdischen Lebens in der Stadt jener Jahre zu erheben  ; dazu wären die Anknüpfungspunkte zu zahlreich, die Zusammenhänge zu komplex. Vielmehr gilt es, lediglich einige ausgewählte Aspekte zu thematisieren, die in den Briefen eine Rolle spielen, Begebenheiten also, mit denen Ella Wenger direkt oder indirekt in Berührung kam und die Anspruch auf größere Repräsentativität erheben können  ; und auch hiervon können nur einige und diese knapp skizziert werden. Doch ist es dem/der Leser  :in dank einer außergewöhnlich guten Forschungslage leicht möglich, sich von hier ausgehend tiefere Einblicke zu verschaffen. Auf entsprechende, oft glänzende Untersuchungen von Gerhard Botz, Dieter Hecht, Eleonore Lappin-Eppel, Michaela Raggam-Blesch, Hans Safrian, Hans Witek, Albert Lichtblau u. a. – aber auch ältere grundlegende Werke wie das von Peter Pulzer zur Entstehung des politischen Antisemitismus – wird in den Anmerkungen verwiesen. 5.1 Zur Entwicklung bis 1938 1867 war in der Doppelmonarchie die rechtliche Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung mit der nichtjüdischen durchgesetzt worden. Einem Teil der stetig wachsenden jüdischen Gemeinde erlaubte dies den beruflichen Aufstieg und die Überwindung der gesellschaftlichen Segregation. Dennoch war es nicht gleichbedeutend mit dem Ende antijüdischer Maßnahmen, weder in politischer Hinsicht, geschweige denn in faktischer  ; nicht einmal rechtlicher Benachteiligung und Demütigung war damit ein wirksamer Riegel vorgeschoben.1 Es ist eine doppelte Paradoxie, dass zum einen die gesellschaftliche Diskriminierung mit der zunehmenden Sichtbarkeit des Judentums anstieg (letzteres wiederum eine Folge der rechtlichen Besserstellung) und dass zum anderen das – im liberalen Bürgertum von Doppelmonarchie und erster Republik stark vertretene – Judentum das intellektuelle, akademische, künstlerisch-literarische sowie medizinische Leben und 1 Zu denken ist etwa an den Ausschluss der jüdischen Bevölkerung aus zahlreichen Vereinen oder – in den 1930er Jahren – der Kündigung jüdischer Ärzte in kommunalen Diensten sowie dem Ausschluss von Juden bei der Verteilung kommunaler Wohnungen.

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dessen Fortschritte um die Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert nachhaltig prägte, sich zeitgleich aber in der breiten Gesellschaft ein massiver Antisemitismus artikulierte.2 Eine erste sichtbare Zäsur in dieser Hinsicht bildete das Jahr 1895, als mit Karl Luegers Christsozialen erstmals eine offen antisemitische Partei die Stimmenmehrheit im Wiener Gemeinderat errang  ; ab 1897 amtierte Lueger als Wiener Bürgermeister, nachdem Kaiser Franz Joseph I. dessen Wahl 1895 noch die Bestätigung versagt hatte. Zugleich diffundierten rassistische Vorstellungen in den (seinerseits politisierten und um Stimmen kämpfenden) Katholizismus, so dass die Verbindung von rassischen und religiös motivierten antijüdischen Vorurteilen voranschritt. Dennoch glaubten zahlreiche Juden in der Doppelmonarchie, ja sogar noch nach 1918, sich mit der Situation arrangieren zu können, obwohl seit der Revolution mit dem Kaiser ein Garant der Rechtsgleichheit und damit der Emanzipation gestürzt war. Es war ein Arrangieren, das sich bis 1938 durchzog.3 Es ist hier nicht der Ort, um auf die unterschiedlichen Facetten im Verhältnis der jüdischen zur nichtjüdischen Bevölkerung in der Endphase der Monarchie und der Ersten Republik einzugehen. Neben der neuen Sichtbarkeit des Judentums und dem Anwachsen der Wiener Gemeinde wären u. a. der Zuzug zahlreicher, v. a. ostmitteleuropäischer Juden im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, der Erste Weltkrieg samt einer neuerlichen Flüchtlingswelle galizischer und bukowischer Jüdinnen und Juden oder der Kollaps des Vielvölkerstaates zu bedenken, dessen Ende den Nationalismus der Deutschnationalen ins Leere laufen ließ (weil die zuvor von ihnen attackierten nichtdeutschen Völker nun kein Teil der neuen Republik Österreich mehr waren). Die vormaligen deutschnationalen Aus- und Abgrenzungsstrategien fanden daher nach 1918 stärker als zuvor im jüdischen Bevölkerungsteil eine neue Zielgruppe, zumal wenigstens ein Teil der aus Osteuropa nach Wien Migrierten (die meisten von ihnen integrierten sich alsbald in die Mehrheitsgesellschaft) schon äußerlich leicht zu unterscheiden, als ›fremd‹ zu stigmatisieren und für die ideellen wie materielle Folgen der Niederlage verantwortlich zu machen waren.4 Umgekehrt war es nach 1918 für die 2 Zu den ganz unterschiedlichen Wurzeln, den verschiedenen Ausprägungsformen und der Prägung Wiens durch seine jüdische Bevölkerung als erste Einführungen Albrich, Vom Antijudaismus zum Antisemitismus  ; Beller, Baedeker  ; Schima, Antisemitismus  ; Stern/Eichinger, Wien und die jüdische Erfahrung  ; vgl. zum Antisemitismus in Österreich Pulzer, Antisemitismus  ; Pauley, Geschichte  ; als Überblick auch Lichtblau, Antisemitismus  ; Eriksen/Harket/Lorenz, Judenhass, v. a. die Kapitel 20 und 24. 3 Vgl. Lichtblau, Antisemitismus, 41. Vgl. zu den Gründen und der Folge, das viele von ihnen erst den Einmarsch der Nationalsozialisten als »böses Erwachen« erlebten auch Raggam-Blesch, Being different, v. a. 272 f. 4 Vgl. Burger, Heimatrecht, v. a. 131, 138.

Die Situation der jüdischen Bevölkerung Österreichs seit dem Anschluss | 255

jüdische Bevölkerung nicht mehr ohne weiteres möglich, eine eigenständige Ethnizität aufrechtzuerhalten, ohne mit staatlicher Solidarität in Konflikt zu geraten – wie dies im multiethnischen Gebilde der k.u.k.-Monarchie noch Gang und Gäbe gewesen war.5 Neu waren nach 1918 auch die politischen Mehrheitsverhältnisse, insbesondere in Wien, das infolge des allgemeinen Wahlrechts von 1919 bis 1934 sozialdemokratisch regiert wurde. Zwar waren auch die Sozialdemokraten nicht vor einschlägigen Vorurteilen gefeit (etwa in der Verbindung von Judentum und Kapitalismus), doch reichte deren Antisemitismus keineswegs an den des bürgerlichen, konservativen und nationalistischen Lagers heran.6 Während sich die politische Situation7 und Atmosphäre für die hauptstädtischen Juden nach 1919 verbesserte, feierte ein rassisch motivierter Antisemitismus in der Gesellschaft fröhliche Urständ – in immer mehr Vereinen, Organisationen oder den Hochschulen  : Der Alpenverein schloss Juden satzungsgemäß aus, in der Wiener Universität wurden sie diskriminiert, segregiert, mitunter gewaltsam aus Veranstaltungen vertrieben, und Arnold Schönberg war bekanntlich 1921 vom Mattseer Bürgermeister mit der Begründung aufgefordert worden, den Ort zu verlassen, weil Juden dort unerwünscht seien.8 Der antisemitische Ton war längst – und lange vor der nationalsozialistischen Herrschaft – in Österreich gesellschaftsfähig. Und noch die hochkulturellen Beiträge jüdischer Gelehrter oder Künstlerinnen wurden – entgegen der Nachkriegsmär einer vollständigen Akkulturation – durchaus nicht nur als hochkulturell, sondern eben auch als jüdisch wahrgenommen,9 was deren Sichtbarkeit als Gruppe jenseits einer wie auch immer gearteten gesellschaftlichen Mehrheit unterstrich. Es verwundert daher nicht, wenn Arthur Schnitzler für 1926 (allerdings bereits in der Retrospektive) feststellt  : »Meine Sprache ist Deutsch. Meine Kultur, meine Errungenschaften sind deutsch. Geistig betrachtete ich mich als einen Deutschen, bis ich die Zunahme antisemitischer Vorurteile in Deutschland und Deutschösterreich bemerkte. Seither bezeichne ich mich lieber als Juden.«10   5 Vgl. als erste Einführung die in Kap. 5.1, Anm. 2 genannte Literatur und zu den letzten Gedanken vgl. Raggam-Blesch, Being different, 257–260. Dort auch einige wichtige Überlegungen zu Ausmaß und Grenzen transkultureller Prozesse, die die Autorin in Anknüpfung an van Rahdens Konzept der situativen Ethnizität für Wien anstellt.   6 Vgl. Wistrich, Socialism  ; Bunzel, Geschichte, v. a. 19–43.   7 Zur rechtlichen Lage vgl. im Überblick Schima, Antisemitismus, zur gesellschaftlichen die in Anm. 2 dieses Kapitels genannten Titel.   8 Vgl. die Beiträge in Enderle-Burcel/Reiter-Zatloukal, Antisemitismus  ; Lichtblau, Antisemitismus, v. a. 41  ; zu den Universitäten vgl. Fritz/Rossoliński-Liebe/Starek, Alma Mater (v. a. die Beiträge von Kurt Bauer und Michaela Raggam-Blesch)  ; Rathkolb, Schatten  ; Taschwer, Hochburg  ; Koll, Wider den Antisemitismus und jüngst vor allem Erker, Universität Wien.   9 Vgl. Beller, Baedeker, v. a. 2. 10 Zit. nach Riedmann, Ich bin Jude, 423, Anm. 212.

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5.2 Anschluss, ›wilde Arisierungen‹ und sukzessive Entrechtung In der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938 überschritten nationalsozialistische Truppen die österreichische Grenze. Tags drauf wurde der Anschluss des Landes an das Deutsche Reich verfassungsrechtlich sanktioniert und in Österreich weithin bejubelt. Die Unzufriedenheit über den Vorgängerstaat, die 1918/19 entstandene Republik, war von Anfang an erheblich gewesen  ; die politische Führung wie weite Kreise der Gesellschaft hielten sie lange schlicht für nicht lebensfähig und erstrebten einen Anschluss an Deutschland. Eine erste Artikulation der hieraus resultierenden Anschlusssehnsüchte findet sich bereits in der am 12. November 1918 von der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich verabschiedeten Verfassung, in deren Artikel 2 es heißt  : »Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik.« Die konstituierende Nationalversammlung vom 12. März 1919 wiederholte den – von den Deutschnationalen bis zur Sozialdemokratie – euphorisch unterstützten Anschlusswunsch, doch der Friedensvertrag von Saint-Germain schloss derartige Pläne kein halbes Jahr später kategorisch aus (ebenso zuvor der von Versailles)  ; ein Verbot, das die Alliierten später noch mehrfach bekräftigten. Dessen ungeachtet votierten 1921 über 98 % der Tiroler bei einer Volksabstimmung und 99 % der Salzburger bei einer inoffiziellen Befragung für eine Vereinigung mit dem Reich. Dies erklärt, warum der 1938 handstreichartig durchgeführte Anschluss Österreichs von dessen Einwohner:innen überwiegend begrüßt wurde, dem zwischenzeitlichen Bekenntnis des ›Ständestaats‹ zu einem eigenständigen Österreich ungeachtet.11 Mit diesem Ereignis brach sich der ohnehin vorhandene Antisemitismus fortan offen Bahn.12 Vor allem (aber keineswegs nur) in Wien kam es zu Pogromen, die spontane Hausdurchsuchungen und Diebstahl genauso kannten wie Sachbeschädigung von jüdischem Privateigentum, Geschäften oder Lokalen und persönliche Demütigungen. Ella Wengers Bruder, Julius Zappert, wurde als einer von Tausenden13 während der Anschlusskrawalle in der Nacht vom 12. auf den 13. März 1938 von der SA verhaftet

11 Vgl. zur Geschichte der ersten Republik im Überblick Pelinka, Gescheiterte Republik, v. a. 45–64  ; Konrad/Maderthaner, Werden der Ersten Republik  ; Hanisch, Schatten, v. a. 271  ; Brugger u. a., Geschichte der Juden  ; zu frühen Anschlussbestrebungen im Überblick auch Steininger, Anschlußbestrebungen, zu den Ereignissen im März 1938 vgl. Botz, Nationalsozialismus, 55–151, zur Anschlussbegeisterung 92–104. 12 Vgl. als Überblick und mit zahlreichen Quellen Safrian/Witek, Und keiner war dabei. 13 Genaue Zahlen fehlen, offiziell wurden 1742 Festnahmen angegeben, aber der in Wien lebende und für die New York Times schreibende Journalist Geyde schätzte deren Zahl am 23. März 1938 fünfmal so hoch, vgl. Geyde, Nazi List.

Die Situation der jüdischen Bevölkerung Österreichs seit dem Anschluss | 257

und für einige Tage ins Polizeigefängnis Rossauerlände gebracht, wobei die SA-Männer ihm mehrere seiner Sparbücher stahlen.14 Neben Raub, Zerstörung und Verhaftungen wie sie Julius Zappert erlebt hatte (letztere waren anhand vorbereiteter Konskriptionslisten durchgeführt worden und trafen Mitglieder der politischen Linken genauso wie Austrofaschisten und mehrere Tausend Juden, die überwiegend für einige Wochen in Gefängnisse, Hausarrest oder KZ-Haft kamen15), waren öffentliche Erniedrigungen und Misshandlungen der jüdischen Bevölkerungen an der Tagesordnung. Deren bekannteste waren die über Wochen anhaltenden ›Reibpartien‹, in denen Jüdinnen und Juden gezwungen wurden, antinazistische Parolen des ›Ständestaates‹ zur Belustigung der Umstehenden sowie mit Unterstützung, Zustimmung oder zumindest Duldung weiter Kreise der Bevölkerung von Wänden und Gehsteigen und mit bloßen Händen »auf allen vieren kriechend, […] mit einer scharfen Lauge zu reiben, die ihnen die Haut verbrannte, so daß sie sich sofort in Spitalsbehandlung begeben mußten«.16 In einer tief in die Gesellschaft reichenden Stimmung verbanden sich diffuse Neidgefühle mit dem schlichten Wunsch nach materieller Bereicherung, latent oder offen vorhandenem Antisemitismus und den neuen Möglichkeiten unter der NS-Herrschaft. Diese schritt zwar gegen die pogromartigen Zustände ein, allerdings erst ab dem 14. März und auch dann nur halbherzig  ; wirklich unterbunden wurden sie – nachdem am 22./23. April noch offiziell zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen worden war – erst Ende April und auch das nur, weil das Regime weitere persönliche Bereicherung verhindern und dem Protest des Auslands entgegentreten wollte. Die antijüdischen Exzesse weiter Bevölkerungskreise im Frühjahr 1938 waren ein österreichisches Spezifikum, und sie warfen ihr Licht auf den Terror des 9. Novembers 1938 voraus. Die Pogromnacht, die oft als Ende aller Illusionen, als Nacht, in der sich alles änderte und deren Gewalt auf den Holocaust vorausdeutete, beschrieben wird,17 hatte in Wien ihr klar erkennbares Präludium. In der Ostmark, wie Österreich fortan 14 Vgl. die Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Hermann Neureiter an den Fonds zur Abgeltung von Vermögensverlusten politisch Verfolgter, 29. März 1962 und 21. März 1963, AdR, ABGF.-ZI 4.126. Aus dem Häftlingsverzeichnis des Landesgerichts für Strafsachen Wien I (WStLA, Landesgericht für Strafsachen, B16) geht hervor, dass er am 16. März eingeliefert wurde  ; wo er zuvor festgehalten wurde, ist unklar. Als Aktenzeichen ist keine Verfahrenszahl vermerkt, sondern lediglich »27.3.38, Pol. Dion«. 15 Vgl. Botz, Nationalsozialismus, 73–75 sowie Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 36–41  ; jüngst im Überblick auch Pohl, Nationalsozialistische Verbrechen, 79 f. 16 Geyde, Bastionen, 294  ; zur Frage der Duldung vgl. Botz, »Judenhatz«, 18  ; zu den gesamten Vorgängen Mitte März auch Botz, Nationalsozialismus, v. a. 62–76 und 126–136  ; Hecht, Demütigungsrituale sowie Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 19–28  ; Beispiele in Safrian/ Witek, Und keiner war dabei, 24 f., 30–33. 17 Vgl. z. B. Kreuter, Emigration, 301 oder Benz, Gewalt, 7.

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hieß, zeitigten die Ereignisse vom März/April indes auch kurzfristig ganz unterschiedliche, aber gleichermaßen weiter- wie tiefgehende Folgen  : Enteignungen, überstürzte (häufig aber erfolglose, weil an der Grenze gestoppte) Flucht, Suizide.18 In diese Frühphase der nationalsozialistischen Herrschaft fielen auch die sogenannten ›wilden Arisierungen‹, die sowohl die Enteignung von Wohnungen, die sich in jüdischer Hand befanden, als auch die Schließung entsprechender Geschäfte sowie den direkten Zugriff auf deren Vermögen einschlossen. Der Begriff ›Arisierung‹ bezeichnet demgemäß die zunächst willkürliche, dann systematische Enteignung und Beraubung von Jüdinnen und Juden hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen und sonstigen ­materiellen Güter, ebenso die Verdrängung aus Berufen und gesellschaftlichen Positionen.19 Hinter einem so bürokratisch anmutenden Begriff verbirgt sich mithin nichts weniger als der Entzug materieller Lebensgrundlagen sowie die soziale und gesellschaftliche Segregation und Entwürdigung. Insbesondere die ›Wohnungsarisierungen‹ durften auf die Sympathie der Wiener Bevölkerung hoffen, da die Wohnungssituation der Hauptstadt seit Jahrzehnten angespannt war. Der massive Zuzug – schon in der Doppelmonarchie, dann nach dem Ersten Weltkrieg – und der entsprechend steigende Wohnraumbedarf hatten nicht aufgefangen werden können, die bestehenden Unterkünfte waren häufig Kleinstwohnungen, vollständig überbelegt und nicht selten mit katastrophalen sanitären Verhältnissen  : Von den 613.000 Wiener Wohnungen waren 441.000 Klein- und Kleinstwohnungen  ; ein Drittel dieser Letztgenannten verfügte über ein Zimmer, Kabinett und Küche, zwei Drittel boten noch weniger Platz, doch war die Hälfte von ihnen von drei oder mehr Personen bewohnt. 60 % aller Wiener Wohnungen hatten weder Wasserleitungen noch ein eigenes Klo, die Kanalanlage war periodisch unbrauchbar, überhaupt waren 20 % der Häuser eigentlich abbruchreif.20 Auch das von den Sozialdemokraten 1919 initiierte Bauprogramm hatte den Bedarf nicht decken können und kam im ›Ständestaat‹ ab 1934 – nach dem Bau von immerhin 66.000 neuen Wohneinheiten – überdies zum Erliegen, so dass sich die Situation neuerlich verschärfte.21 Nicht zuletzt, um die persönliche Lage zu verbessern, nutzte 18 Vgl. ebd., 42 f. Als Überblick zu den Ereignissen vgl. Botz, Nationalsozialismus, sowie Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, jeweils das erste Kapitel. 19 »Arisierung« ist ein von den Nationalsozialisten geprägter Begriff und als solcher Teil der LTI. Da er jedoch auch in der Forschung Verwendung findet, um die verschiedenen Dimensionen von Beraubung und Diskriminierung in der gängigen Art und Weise zuzuordnen sowie für andere Literatur anknüpfungsfähig zu sein, soll er auch hier gebraucht werden. Vgl. als Überblick Botz, Arisierungen, v. a. 29 f.; Witek, »Arisierungen«. 20 Vgl. Botz, Wohnungspolitik, 18–20  ; Graf, Entzug von Mietrechten. 21 Vgl. Botz, Wohnungspolitik, 14–25  ; Exenberger/Koss/Ungar-Klein, Kündigungsgrund Nichtarier,

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deshalb ein Teil der Wiener Bevölkerung sowie nach oben gespülter NS-Funktionäre den Regimewechsel in den Wochen nach dem 12. März 1938 ungeniert für die Vertreibung jüdischer Mitbürger:innen aus deren Wohnungen. Plünderungen und Überfälle kamen genauso vor wie die gleichermaßen schlichte wie bemerkenswert dreiste Aufforderung, die Wohnung zu verlassen. Teils setzten die Enteigner eine Frist von 12 bis 24 Stunden, mitunter vertrieben sie die Bewohner mitten in der Nacht. Schein­ legale Kündigungen verschärften die Situation weiter.22 Die quantitativen Dimensionen dieser ›wilden Wohnungsarisierungen‹ sind nicht exakt zu fassen. Der Wiener NS -Vizebürgermeister Thomas Kozich schätzte deren Zahl schon Mitte April 1938 auf 35.000, die Forschung geht bis Ende 1939 von 45.000 bis 48.000 aus, was 50 % der von Jüdinnen und Juden bewohnten Wohnungen Wiens insgesamt entsprach  ; hinzu kommen für das Jahr 1939 weitere rd. 8000 Wohnungen, die vom Wohnungsbauamt, also staatlich sanktioniert, ›arisiert‹ wurden. Die systematische Enteignung – und in deren Folge auch die Vertreibung – erreichte, urteilt einer der besten Kenner der Wiener Geschehnisse, »wirtschafts- und gesellschaftspolitische Dimensionen […], wie sie sonst nur im Gefolge von revolutionären Umbrüchen auftreten«.23 Für die betroffenen Menschen galt es kurzfristig, bei Freunden unterzukommen, deren Wohnsituation natürlich ihrerseits fragil war. In der Folge verschlechterte sich kurzfristig die Wohnraum- und mit ihr die sanitäre Situation weiter (vor allem in der Leopoldstadt und dem Alsergrund stieg der Anteil der jüdischen Bevölkerung beträchtlich), mittelfristig erhöhte das Geschehen den Auswanderungsdruck.24 Ella Wenger verdichtet den Zustand in einem ihrer ersten Briefe am 9. September 1938 in dem lapidaren Satz  : »Sonst sitzen noch alle in Wien und beneiden Euch«25 – gemeint ist der Neid auf jene Entkommenen, die Freunde, Familie, Arbeitsstelle und zahlreiche materielle Güter zurückgelassen hatten und vor einem beruflichen, sozialen und finanziellen Neuanfang in der Fremde standen. Sowohl die Plünderungen als auch die Kündigungen waren widerrechtlich, doch schritt der Staat nicht nennenswert dagegen ein, im Gegenteil  : Am 10. Mai 1938 trat ein Gesetz in Kraft, das eine doppelte Diskriminierung beinhaltete und die Ballung v. a. 18–20  ; Blimlinger, Arisierung  ; Bailer-Galanda/Blimlinger/Kowarc, »Arisierung«. 22 Vgl. Exenberger/Koss/Ungar-Klein, Kündigungsgrund Nichtarier, 28–31  ; Botz, Wohnungspolitik, 57–65  ; Blimlinger, Arisierung, 189  ; Bailer-Galanda/Blimlinger/Kowarc, »Arisierung«, v. a. 115–117. 23 Botz, Arisierungen, 32. 24 Vgl. Ders., Wohnungspolitik, 28  ; Bailer-Galanda/Blimlinger/Kowarc, »Arisierung«, v. a. 141  ; vgl. zu den sanitären Verhältnissen auch Rabinovici, Instanzen, 215. 25 Dok. 5.

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der jüdischen Bevölkerung in immer weniger Wohneinheiten forcierte  : Einerseits nämlich erhielten nichtjüdische Vermieter für die Kündigung von Jüdinnen und Juden praktisch freie Hand, andererseits konnten diese gezwungen werden, Glaubensgenoss:innen als (Unter-)Mieter:innen aufzunehmen. Die Folge war eine Konzentration der jüdischen Bevölkerung auf engem – noch engerem – Raum, die gleichermaßen das Wiener Wohnungsproblem für die als arisch verstandene Bevölkerung entschärfen und die spätere Deportation der Juden vorbereiten sollte. Ab März 1939 drängte das Wiener Wohnungsamt jüdische Mieter:innen dann systematisch in Sammelwohnungen.26 Schon im Mai 1939 standen für die zu diesem Zeitpunkt verbliebenen 81.371 Wiener Jüdinnen und Juden nur noch 26.000 Wohnungen zur Verfügung, von denen nur 13,5 % mehr als und knapp die Hälfte (12.500 ≙ 48 %) bis dreieinhalb Zimmer hatten, aber über ein Drittel (10.000 ≙ 38,5 %) nur bis eineinhalb.27 – Die sukzessive Aufnahme mehrerer Untermieter in Ella Wengers Wohnung stellt sich damit als alltagsgeschichtliche Entsprechung einer systematischen und staatlich zunächst sanktionierten, dann gelenkten Beraubungs-, Vertreibungs- und zuletzt Vernichtungspolitik dar. Nicht nur, dass die jüdische Bevölkerung in den Häusern und Wohnungen bereits zentral erfasst und konzentriert war  ; der 1940 zum Wiener Gauleiter ernannte Baldur von Schirach begründete Hitler gegenüber die Notwendigkeit zu den frühen Deportationen vom Februar/März 1941 sogar mit dem Verweis auf die städtische Wohnungsnot.28 Wie die ›Wohnungsarisierungen‹ begannen auch die Plünderungen und planlosen Zerstörungen von Geschäften und Unternehmen, die sich in jüdischer Hand befanden, unmittelbar mit den Anschluss.29 Auf weitgehende gesellschaftliche Akzeptanz traf das Vorgehen nicht zuletzt deshalb, weil Jüdinnen und Juden seit Beginn der Republik (und neuerlich verstärkt im Nachgang der Weltwirtschaftskrise) als Grund für soziale und wirtschaftliche Missstände ausgemacht worden waren  ; eine Haltung, die sowohl von den Christ- als auch den Sozialdemokraten mitgetragen wurde.30 Während der 26 Vgl. Graf, Entzug von Mietrechten, 25–27  ; Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 42–52 und 395–409, v. a. 396. 27 Vgl. Bailer-Galanda/Blimlinger/Kowarc, »Arisierung«, v. a. 142. Nur hingewiesen werden kann auf den Umstand, dass eine Rückstellung der Wohnungen – da es sich um Mietobjekte handelte – nie erfolgte. Im Jahr 2001 wurde ein Nationalfonds eingerichtet, aus dem auch jüdische Opfer für entzogene Mietwohnungen entschädigt wurden. 28 Vgl. Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 395 f. 29 Vgl. zum Nachfolgenden  : Botz, Arisierungen, v. a. 32–34  ; Ders., Wohnungspolitik  ; Ders., Nationalsozialismus, 311–332  ; Witek, »Arisierungen«  ; Keller, Wiener Marktamt  ; Ders., Marktamt  ; Aly/ Heim, Vordenker  ; Pulzer, Antisemitismus, v. a. 120–122  ; Kuller, Bürokratie und Verbrechen. 30 Vgl. Botz, Arisierungen, 32 f. Über Christ- und Sozialdemokraten in den 1930er Jahren ganz generell

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Exzesse der ersten Wochen nach dem Anschluss eigneten sich sogenannte kommissarische Verwalter die Geschäfte und Betriebe an, ohne dass es eine rechtliche Grundlage hierfür gegeben hätte.31 Ohne jegliches Vorbild aus dem Altreich, war dies ein österreichisches Spezifikum, wird in der Forschung als ›wilde Arisierungen‹ bezeichnet und auf das Frühjahr 1938 datiert. Dass jüdische Kaufleute sich unter dem Eindruck dieser Maßnahmen und ungeachtet großer materieller Verluste angesichts oft lächerlich niedriger Preise zur Veräußerung entschlossen, kaschierte nicht einmal notdürftig, dass es sich de facto um Enteignungen, nicht um Käufe handelte. Nutznießer waren vor allem alte Parteigenossen, die die Geschäfte günstig erwarben, die politisch zuverlässig, aber fachlich unqualifiziert waren und oft genug über keinerlei Erfahrung auf dem jeweiligen Berufsfeld verfügten. Da dies zwar dem grundsätzlichen NS-Ziel entsprach, Juden aus dem Wirtschaftsleben zu verdrängen, aber volkswirtschaftliche Schäden nach sich zog und die angestrebte ökonomische Modernisierung, vor allem die Auflösung der zahlreichen Kleinund Kleinstbetriebe Wiens zugunsten einer effizienten Kriegswirtschaft verhinderte, versuchte insbesondere der Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Josef Bürckel, den Prozess ungezügelter persönlicher Bereicherungen staatlich einzuhegen. Der wichtigste Schritt hierfür war die Einrichtung der Vermögensverkehrsstelle (VVSt) unter Walter Rafelsberger am 18. Mai 1938, der fortan die Kontrolle sämtlicher ›Arisierungsmaßnahmen‹ oblag und die dem Vorgang einen Anstrich von Legalität geben sollte. Die VVSt entschied über alle Vermögensübertragungen, sie genehmigte die ›Arisierungen‹, kontrollierte den Übergang des Besitzes, legte die Kaufpreise fest und verwaltete die gewonnenen Erlöse. Zum Zeitpunkt ihrer Gründung waren indes bereits über 7000 der insgesamt 33.000 in jüdischem Besitz befindlichen Betriebe (die insgesamt knapp ¼ aller Wiener Betriebe überhaupt ausmachten) aufgelöst worden. Von den verbleibenden 26.000 gingen 25.000 an die – nun von der VVSt eingesetzten – kommissarischen Verwalter über. Diese kategorisierten die Geschäfte als »lohnend« oder »nicht-lohnend« und ließen letztere durch stillen Boykott eingehen  : 17.000 innerhalb eines halben Jahres, weitere 4000 bis zum Kriegsbeginn  ; die verbleibenden 5000 wurden ›arisiert‹. Bis August 1939 waren damit praktisch alle vormals in jüdischer Hand befindlichen Geschäfte und Betriebe ›arisiert‹  : »Die Zahl der Einzelhandelsgeschäfte in Wien sank innerhalb weniger Monate [nach dem Anschluss] auf die Hälfte. […] Die ›Entjudung‹ der österreichischen Wirtschaft ging schnell und plangemäß vonstatten. […] In Wien gelang es in kurzer Zeit, einen vgl. z. B. die Beiträge von Georg-Hans Schmit, Katharina Ebner und Paul Dvořak in Wenninger/ Dreidemy, Dollfuß/Schuschnigg-Regime. 31 Beispiele für das Vorgehen bei Safrian/Witek, Und keiner war dabei, 43–49.

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Planungs- und Rationalisierungsschub auf Kosten einer Minderheit durchzusetzen, um auf diese Weise die ›arische‹ mittelständische Basis zu beruhigen und zu konsolidieren.«32 Ella Wenger bringt die Vorgänge in den Briefen immer wieder, meist indirekt, zur Sprache, etwa wenn es heißt  : »Mit Einkaufen ist es nicht so einfach  ; die jüdischen Geschäfte sind alle gesperrt und bei sehr vielen anderen (Gerngroß, Herzmansky) dürfen Juden nichts kaufen.«33 Am 22. Oktober 1938 heißt es dann ganz direkt  : »Bis Ende des Jahres dürfte es in Wien kaum noch ein jüdisches Geschäft geben«.34 Und in dem Sektor, in dem ihr Schwiegersohn Viktor Schneider in Wien tätig gewesen war – der Textilbranche – wurden von einstmals 2630 jüdisch geführten Unternehmen 2163 aufgelöst, 467 ›arisiert‹  ; unter den Kleidermachern betrug das Verhältnis 1681 zu 116.35 Die VVSt lenkte indes nur die Vorgänge für kleinere Betriebe. Die Federführung für die Enteignung von Unternehmen mit einem Vermögen über 100.000 RM lag bei Hermann Göring als dem NS-Beauftragten für den Vierjahresplan, der diese, hierin der VVSt ganz gleich, ebenfalls im Sinne der wirtschaftlichen Rationalisierung vorantrieb. Jüdische Eigentümer wurden hier keineswegs besser behandelt, doch musste das Reich mitunter stärker Rücksicht nehmen, wenn deren Kooperation unabdingbar war, um die ›Arisierung‹ durchführen zu können, ohne dabei die Deviseneinnahmen zu gefährden, auf die das Regime so dringend angewiesen war. Ein solches Beispiel findet sich in den Briefen mittelbar, wenn die Flucht des Ehepaars Schönberg anklingt. Hans Schönberg war Prokurist der Textil- und Papierfirma Bunzl & Biach gewesen, deren Holding in der Schweiz saß (wohin auch die Schönbergs flüchteten). Da es sich um einen international erfolgreich operierenden Konzern handelte, bestand bei einem allzu rücksichtslosen Vorgehen die Gefahr von Devisenverlusten. So übernahm in diesem Fall die Österreichische Kontrollbank die Zahlung der Reichsfluchtsteuer für die sechs Bunzl-Brüder, die das Eigentum hielten. Gleichwohl wurde natürlich auch Bunzl & Biach als eines von 102 großindustriellen Unternehmen ›arisiert‹.36 Egal unter wessen Ägide  : Der Ausbeutungscharakter des Vorgangs war bei der VVSt wie Görings Stelle derselbe, da die Enteigneten ihre Betriebe mittels juristischer Taschenspielertricks – v. a. der Unterscheidung von Sach- und Verkehrswert – weit unter Wert veräußern mussten. Der Kaufpreis wurde den Besitzern dann auf ein Sperrkonto 32 Aly/Heim, Vordenker, 35 bzw. 38. 33 Dok. 14. Beide genannten Warenhäuser waren vormals in jüdischer Hand und bereits im Frühjahr 1938 ›arisiert‹ worden, vgl. Witek, »Arisierungen«, 795. 34 Dok. 9. 35 Vgl. ebd., 811 f. 36 Vgl. ebd., 808 f. Zur ›Arisierung‹ von Bunzl & Biach Spuhler u. a., »Arisierungen«, v. a. 120–126  ; zu Schönbergs Funktion auch Feldman, Austrian Banks, 144–149.

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überwiesen, von dem die Finanzverwaltung Abgaben wie die Reichsfluchtsteuer oder die Judenvermögensabgabe einzog  ; nur über einen Teil des Geldes konnten die vormaligen Besitzer frei verfügen. Profiteure waren neben dem bereits erwähnten Parteiklientel Mittelständler, die sich unliebsamer Konkurrenz entledigten, sowie Industrie und Banken, die wirtschaftspolitische Strukturveränderungen anstrebten. Wie schon bei den ›Wohnungsarisierungen‹ verband sich auch in diesem Prozess ein tiefwurzelnder Wiener Antisemitismus mit ökonomischem Egoismus. Innerhalb rund eines Jahres waren sämtliche in jüdischem Eigentum befindliche Industrieunternehmen, Betriebe und Geschäfte entweder aufgelöst oder ›zwangsarisiert‹, was deren (oft verarmte) Besitzer in die Emigration zwang. Da die Enteignung bzw. Zwangsliquidierung ihrer Geschäfte auf dem Gebiet Österreichs der Praxis im Altreich vorauseilte – die planmäßigen ›Arisierungen‹ erfolgten in Österreich weit schneller als dort  ; und bereits am 26. April 1938 hatte die Wiener Ausgabe des Völkischen Beobachters die »systematische wirtschaftliche Ausmerzung  !« der Juden gefordert37 –, nahm sie die dort Ende 1938 einsetzende breitflächige Enteignungspolitik vorweg. In der Geschichtswissenschaft ist vom »Modell Wien« die Rede.38 Die »Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben« und die »Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens« vom 12. November bzw. 3. Dezember 1938 trieben die systematische Hinausdrängung der Juden aus der Geschäftswelt weiter voran  : Erstere untersagte den Betrieb von Einzelhandels- und Versandgeschäften mit Wirkung zum Jahresende und galt auch für Handwerksbetriebe, letztere stellte die Abwicklung von Geschäften seitens der VVSt auf eine scheinlegale Grundlage. Auch aus anderen Bereichen der Arbeit wurde die jüdische Bevölkerung systematisch ausgebootet  : Den »Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Vereidigung der Beamten des Landes Österreich« vom 15. März 1938 durften als jüdisch geltende Frauen und Männer nicht ablegen – mit der Konsequenz des Verlusts ihres Arbeitsplatzes  ; das zentrale Instrument zur Neuordnung des öffentlichen Dienstes im Sinne der nationalsozialistisch-völkischen Weltanschauung wurde dann die »Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums« (31. Mai 1938), mit der neben den als jüdisch klassifizierten Menschen auch ›Mischlinge‹ und politisch als unzuverlässig geltende Staatsdiener aus dem Beamtenverhältnis entfernt wurden  ; wenig später wurde mit der vierten (25. Juli 1938) bzw. fünften (21. September 1938) »Verordnung zum Reichsbürgergesetz« den als jüdisch geltenden Ärzt:innen die Approbation und

37 Vgl. die Wiener Ausgabe des Völkischen Beobachters vom 26. April 1938 (Nr. 41), 2. 38 Vgl. Aly/Heim, Vordenker  ; Safrian, Eichmann-Männer, 23–67.

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Rechtsanwält:innen die Zulassung entzogen  ; weitere diskriminierende und die materielle Lebensgrundlage bedrohende Maßnahmen folgten. Ähnlich wie auf dem Feld der Wohnungs- und der Berufspolitik ist auf dem der Beraubung von Eigentum ein fließender Übergang von den chaotischen ersten Wochen der ›wilden Arisierungen‹ zu staatlich gelenktem Handeln festzustellen. Die Grundlage für eine Legalisierung von ›Vermögensarisierungen‹ bildete die »Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden«, die von Hermann Göring und Reichsinnenminister Wilhelm Frick am 26. April 1938 zwar mit reichsweiter Geltung erlassen wurde, aber nicht etwa in Berlin, sondern in der Wiener Ministerialbürokratie entwickelt worden war.39 Sie legte die Notwendigkeit zur Anmeldung von Vermögen über 5000 RM fest, was Bargeld, Aktien, aber auch Häuser, Kunstobjekte, Versicherungen, Versorgungsansprüche oder Schmuck einschloss und am 21. Februar 1939 auch auf Silber, Gold, Platin, Edelsteine und Perlen erweitert wurde, später auch auf so alltägliche Gegenstände wie Radioapparate, Fahrräder, Pelze, Skier, Skischuhe, Wollsachen, Schreibmaschinen oder Fotoapparate.40 Was kurzfristig einen Kapitalabfluss unterbinden sollte, diente zugleich der Erfassung des Vermögens der jüdischen Bevölkerung, um wenig später die Grundlage von deren Beraubung zu bilden, die in der 13. Verordnung zum Reichsbürgergesetzt vom 1. Juli 1943 und deren Verfügung gipfelte, wonach das Vermögen toter Jüdinnen und Juden an das Reich fiel – was den Tod in Konzentrations- und Vernichtungslagern selbstverständlich einschloss.41 Hinzuweisen ist schließlich auf die unzähligen Einschränkungen und Diskriminierungen, denen die jüdische Bevölkerung im alltäglichen Leben unterlag. Dies reichte von der Pflicht, den zusätzlichen Vornamen »Sara« bzw. »Israel« führen (gesetzlich am 17. August 1938 verabschiedet und ab 1939 verpflichtend) über die, einen Judenstern tragen zu müssen (1. September 1941) bis zu dem Verbot, öffentliche Verkehrsmittel nutzen (24. März 1942), Kuchen (14. Februar 1942), Eier (22. Juni 1942), Frischmilch (10. Juli 1942), Fleisch oder Weizenmehl erwerben (18. September 1942), Schulunterricht genießen (am 20. Juni zum 1. Juli 1942 angeordnet) bzw. überhaupt öffentlichen Kontakt mit Nichtjuden (24. Oktober 1941) pflegen zu dürfen.42

39 Vgl. Safrian/Witek, Und keiner war dabei, 125–266. 40 Vgl. Hecht/Raggam-Blesch/Uhl, Letzte Orte, 18. 41 Vgl. RGBl. I, 1938, 414 f. und 640  ; RGBl. I, 1939, 282  ; RGBl. I, 1943, 372  ; Botz, Arisierungen, v. a. 37–42  ; Aly, Volksstaat, v. a. 55 f.; Bajohr, Wirtschaftliche Existenzvernichtung  ; Kuller, Bürokratie und Verbrechen, v. a. 185–242. 42 Vgl. im Überblick Walk, Sonderrecht, in der Reihenfolge der Nennungen  : II/524  ; IV/229  ; IV/326  ; IV/306  ; IV/377  ; IV/387  ; IV/426  ; IV/376  ; IV/257.

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Auch in den hier vorliegenden Briefen finden sich zahlreiche Stellen derartiger Diskriminierungen, in denen die Beschränkung des öffentlichen Raums oder die Reduktion von Lebensnotwendigem deutlich wird  : »Heute war der Großfata da. Hat er Euch geschrieben, daß er und sein Bruder je RM 10 Strafen zahlen mussten, weil sie auf einer Ringstraßenbank geseßen sind  ?«, heißt es in Bezug auf ersteres, »was man halt bekommt ohne Bezugschein«, mit Blick auf zweiteres.43 Während hier das wenig untersuchte Verbot für Juden, auf Parkbänken zu sitzen, unmittelbar greifbar wird, deutet der Verweis auf das System der Bezugsscheine an, dass Juden seit 1939 von allen Sonderzuteilungen – vor allem Frischeprodukten wie Milch, Eiern oder Fleisch – ausgeschlossen waren  ; ab Oktober 1942 erhielten sie überhaupt kein Fleisch mehr, Kleiderkarten wurden an sie nicht mehr ausgegeben, und ihre Kinder erhielten lediglich Normalrationen an Nahrungsmitteln, obwohl für diese Alterskohorte ein erhöhter Bedarf vorgesehen war.44 Schon zuvor, ab Mai 1938, waren die jüdischen Schüler:innen in separate Judenschulen gezwungen worden, wo fortan 5992 Schüler in 148 Klassen unterrichtet wurden.45 Dies war einerseits Teil der gesellschaftlichen Segregation  ; es verlängerte andererseits zugleich deren Schulweg, so dass die Gefahr, auf diesem Opfer von Anfeindungen und Schikanen zu werden, erheblich stieg. Ein solches Risiko mochten immer weniger Eltern eingehen  : »Der Bub geht in die Schule, wenn überhaupt Schule ist, man nimmt das nicht so genau«, heißt es in Bezug auf das Kind einer Bekannten, und mit Blick auf die drei Söhne Elisabeth Schneiders schreibt Ella Wenger schon am 5. September 1938  : »Ich bin glücklich, dass die Kinder nicht hier in die Schule gehen müssen. Es ist hier sehr, sehr unerquicklich. Man fühlt sich schrecklich unbehaglich«.46 Das dahinterstehende Schema ist unverkennbar  : Die Diskriminierung setzte nicht erst ein, als sie in die Buchstaben der Anordnungen und Gesetze gegossen wurde, sondern bildete ein gesellschaftliches Grundrauschen. Was in Kapitel 4 bereits am Verhalten Ella Wengers beschrieben wurde, kann damit verallgemeinert werden  : Es kam zu einem Selbstrückzug der Menschen aus sozialen Strukturen. Es war dies ein Schritt, der seitens der Machthaber gewollt, aber nicht formal vorgeschrieben war. Deutlich zeigt sich dies auch an einer Episode vom Mai 1939, als Ella Wenger zeitweise einen Bekannten versorgte. Der zusätzliche Essensgast war ihr nicht recht, aber, »er kann [ja] nicht ins Gasthaus gehen, wo ich gar nicht weiß, ob man überhaupt in ein Gasthaus 43 Zitate  : Dok. 8 bzw. 30. 44 Vgl. Buchheim, Mythos, 307  ; Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 457. 45 Vgl. Exenberger, »Ausschulung«, 7. Zur Situation in den Schulen vgl. auch Göllner, Schule und Verbrechen. 46 Dok. 13 bzw. 4.

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gehen kann«.47 Wie bei der weiter oben geschilderten Kaffeehausepisode, wäre der Besuch auch hier rechtlich möglich gewesen  ; die Vorstellung, sich ungehemmt in der Öffentlichkeit zu bewegen, war 1939 aber offenkundig illusorisch. In Folge der Emigration einerseits und dem Rückzug aus der sozialen Welt andererseits vereinsamten jene, die noch in Wien waren  : »Meine Freundin Paula Singer ist nach einer wochenlangen Krankheit gestorben. Ich habe in ihr eine gute Freundin verloren, die alles Leid und alle Freude mit mir geteilt hat. Ich habe sehr viel Zeit seit Jahren bei ihr verbracht. Man wird immer einsamer«, notiert Ella Wenger 1940.48 Und da es, je länger, desto mehr, die Armen und die Alten waren, die dem nationalsozialistischen Machtbereich nicht entkamen, füllten sich die jüdischen Altenheime. Während den Menschen die nichtjüdischen Einrichtungen schon seit Sommer 1938 verschlossen waren, türmten sich die Anmeldungen bei der IKG  : Knapp zweitausend (genau  : 1904) waren es Ende 1938, 2500 bereits ein Vierteljahr später – bei 490 verfügbaren Betten. Und obwohl zahlreiche Gebäude der IKG beschlagnahmt wurden, baute diese ihre Kapazität durch die Umwandlung von Kinder- und Jugendheimen in Altersheime auf acht (Dezember 1940), später (1942) auf zehn mit 1691 bzw. 2500 zu Versorgenden aus. Dennoch waren diese Behausungen für die meisten Menschen nicht mehr als die letzte Station vor Deportation und Tod. Obwohl noch die sogenannten Alterswohngemeinschaften mit insgesamt mehreren hundert Senior:innen hinzukamen, genügte der Raum in den Massenunterkünften hinten und vorne nicht für ein menschenwürdiges Dasein.49 Als die Schreiberin im Februar 1941 die Verhältnisse erstmals mit eigenen Augen sah, notierte sie, ohne den Satz zu beenden  : »Ich war zum ersten Mal in so einem Heim, aber ehe ich dort hingehen müßte, eher – – –  !«50 5.3 Suizide in Wien Was sie in diesem zuletzt zitierten Brief nicht auszusprechen wagte, war für zahlreiche Menschen der letzte Ausweg  : der Suizid.51 Die Forschung geht von mindestens 1200 Fällen unter den jüdischen Einwohnern Wiens zwischen März 1938 und den Deportationen 1941/42 aus (Suizide in Konzentrationslagern nicht gerechnet). Die 47 Dok. 26. 48 Dok. 41. 49 Vgl. Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 240–260. 50 Dok. 46. 51 Vgl. grundlegend zur Frage der Suizide unter den Bedingungen des Nationalsozialismus Goeschel, Suicide  ; Lester, Suicide  ; Fischer, Erzwungener Freitod  ; zu Suiziden in Wien während des Nationalsozialismus Sonneck/Hirnsperger/Mundschütz, Suizid  ; Botz, Nationalsozialismus, 137–145.

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exakte Zahl ist nicht zu beziffern, die Statistiken sind unzuverlässig, z. T. wurden Morde als Selbstmord rubriziert und umgekehrt mancher Suizid nicht als solcher erkennbar. Sicher festzustellen sind zwei Aspekte  : Zum einen war die Selbsttötungsrate innerhalb der jüdischen Bevölkerung nach dem März 1938 weit höher als zuvor  : »In the Third Reich, suicide became a routine phenomenon among German Jews«.52 Zum anderen korrelierte die Häufigkeit unmittelbar mit den Härten der Zwangs- und Verfolgungsmaßnahmen. So sind für Wien drei Amplituden festzustellen  : die Wochen nach dem Anschluss, in denen sich rund drei Mal so viele Jüdinnen und Juden selbst töteten wie in den Wochen seit Jahresbeginn 1938 und etwa zehn Mal so viele, wie es ihrem Bevölkerungsanteil in Wien entsprach  ; zum zweiten nach dem Novemberpogrom von 1938  ; schließlich mit Beginn der Deportationen 1941.53 Jenseits aller individuellen Motive verweist dieser Umstand auf die immense Bedeutung des politisch-gesellschaftlichen Kontexts für den Akt der Selbsttötung. Unter den Suizidenten finden sich mehr weibliche als männliche Opfer, und die meisten von ihnen befanden sich in einem fortgeschrittenen Alter – ihr Durschnitt lag, zieht man die vorliegenden Zahlen für das gesamte Reich heran, über 60 Jahren. In der Regel entsprang ihr Handeln keiner spontanen emotionalen Aufwallung, sondern war ein gut geplantes Vorhaben, abzulesen an den Abschiedsbriefen und nicht zuletzt an der weit höheren Sterblichkeit als unter nichtjüdischen Suizidenten. Die Tat erfolgte praktisch immer im Stillen, es ist nur ein einziger Fall bekannt, in dem ein Wiener Jude in ein Kaffeehaus stürmte, um sich – laut schreiend und vor aller Augen – die Kehle durchzutrennen.54 Während dies erkennbar ein Akt von Nonkonformität und Protest war, wird in der Forschung ganz grundsätzlich darüber diskutiert, ob Selbsttötungen nicht als Form der Verweigerung zu klassifizieren seien, da die Opfer sich mit ihrem Tun der Willkür der Täter entzogen und zumindest Zeitpunkt und Art ihres Sterbens selbst bestimmten55 – gleichsam als letztes individuelles Aufbegehren gegenüber dem ideologisch als maßgeblich propagierten kollektiven ›Volkskörper‹. Auf die Frage soll hier nur hingewiesen werden, sie kann aber im Folgenden unberücksichtigt bleiben, da ein solches Motiv in den Briefen nicht erkennbar wird. Gleichwohl ist auch in diesen Dokumenten, so scheinbar beiläufig wie bei vielem, von Suiziden die Rede. In einem Fall etwa hatte eine Dame, Frau Dr. Petters, offenkundig die Möglichkeit, in die Schweiz zu emigrieren  ;

52 Goeschel, Suicide, 96. 53 Vgl. Moser, Demographie, v. a. 22  ; Rosenkranz, Verfolgung, 39–44. 54 Vgl. Rosenkranz, Verfolgung, 40 f. 55 Vgl. z. B. Kwiet/Eschwege, Selbstbehauptung und Widerstand, 194–215.

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dennoch hat sie es, wie Martha Wenger schreibt, »vorgezogen, sich umzubringen«.56 Der Fall wirft ein bezeichnendes Licht auf die materiellen wie ideellen Entbehrungen, die (schon die Aussicht auf ) Flucht mit sich brachte. Mit Gertrud Brunner verübte auch eine enge Verwandte, die Cousine Martha Wengers, Selbstmord. An ihrem Fall wird der Druck besonders anschaulich, unter dem die jüdische Bevölkerung Wiens stand, gleichermaßen die Korrelation zwischen den äußeren Verfolgungsmaßnahmen und dem Suizid. Es mag konfliktverstärkend gewirkt haben, dass die Ehe Gertrud Brunners nicht glücklich und Vater wie Bruder emigriert waren  ; aber entscheidend für ihren Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, war das nicht. »So lange Gerti den Kindergarten geführt hat, hat das Leben für sie einen Wert gehabt, sie war mit Leib und Seele dabei«, stellte ihre Tante am 25. September 1942 fest.57 Besagter Kindergarten stand indes vor der Auflösung. Seinem Träger, der Aktion Gildemeester/AHO, war am 10. September 1942 von den Machthabern die Finanzgrundlage entzogen worden,58 so dass von diesem Datum an deren Auflösung absehbar war – und damit auch die des Kindergartens. Mit einem solchen Vorgehen würde auch Gertrud Brunner ihren bisherigen Schutz vor Deportation verlieren, den sie als Angestellte einer Selbsthilfeorganisation zumindest partiell genossenen hatte, und das war ihr bewusst. Ihr weiteres Schicksal stand ihr damit klar vor Augen, zumal sie in den vorangehenden Monaten die sukzessive Deportation der jüdischen Bewohner:innen ihres Wohnhauses miterlebt hatte.59 Deren Schicksal aber wollte sie offenkundig mit einem selbstbestimmten Tod entgehen. Ella Wenger begreift den integralen Zusammenhang zwischen den äußeren politischen Verhältnissen und dem Entschluss zum Suizid mithin vollständig klar, wenn sie urteilt  : Mit der bevorstehenden Aufhebung des Kindergartens »war ihr Lebenswille gebrochen […]. Die traurigen Verhältnisse […] haben ihren Lebensmut gebrochen.«60 Gertrud Brunner steht pars pro toto für zahlreiche Menschen jüdischen Glaubens, die mit dem selbst zugefügten Tod der Fremdbestimmung durch die nationalsozialistischen Machthaber zuvorkommen wollten.61

56 Dok. 11. 57 Dok. 61. 58 Vgl. Venus/Wenck, Entziehung. 59 Vgl. die drei Hauslisten Glockengasse 25, A/VIE /IKG /II /BEV /Wohn/1/1, A/VIE /IKG /II /BEV / Wohn/9/5 und A/W 436/2, alle  : Archiv der IKG (Leihgabe im VWI). 60 Dok. 61. Hervorhebung des Herausgebers. 61 Vgl. stellvertretend die Darstellung bei Rosenkranz, Verfolgung, 301, mit der er schildert, wie sich einmal 19, ein anderes Mal elf Juden und Jüdinnen der Deportation durch Selbstmord entzogen.

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5.4 Flucht und Emigration Ella Wengers Lebensbejahung war zu groß, als dass sie diesen Weg beschritt. Dass sie ihn in ihrem Brief vom 16. Februar 1941 und mit Blick auf die jüdischen Altenheime dennoch andeutet, sagt umso mehr über die Lage der dort untergebrachten Menschen aus. Die Situation dieser Generation hatte sich auch deshalb so verschärft, weil sie oft nicht die finanziellen Möglichkeiten zur Emigration hatte und/oder ob ihres Alters keine Chance, eine Einreiseerlaubnis in ein anderes Land zu erhalten – und weil sie zunehmend auf sich bzw. die Unterstützung der IKG in den Heimen angewiesen war, denn  : Von den Angehörigen floh, wer irgend konnte. Von den 181.882 Jüdinnen und Juden, die im März 1938 in Österreich lebten – nachdem die Nürnberger Gesetzte für das Gebiet am 20. Mai 1938 Gültigkeit erlangt hatten, galten etwa 201.000 als jüdisch –, haben bis zum Inkrafttreten des Auswanderungsverbots im Oktober 1941 mehr als 130.000 das Land verlassen.62 Jenseits des Umstandes, dass das Exil keineswegs gleichbedeutend war mit existentieller Rettung – neben den 45.527 aus Wien deportierten Menschen wurden während des Krieges 16.692 Österreicher:innen von ihrem Exilort aus in die Vernichtungslager gebracht63 – rücken die materiellen wie ideellen Folgen einer solchen Flucht mitunter aus dem Blickfeld  : die Beraubungspolitik, die die Nationalsozialisten mit der Vertreibung verbanden einerseits, die Tatsache, den erlernten Beruf im Ausland häufig nicht wiederaufnehmen zu können, erhebliche Teile des eigenen Besitzes aufzugeben, die Anstrengungen, überhaupt außer Landes zu kommen sowie der Umstand, Familie, Freunde, ja das gesamte soziale Umfeld zurückzulassen andererseits. Die Schilderungen Ella Wengers machen beide Seiten, die ökonomische wie die ideelle, immer wieder anschaulich. Mehrfach etwa deutet sie die Schwierigkeiten und Schikanen an, denen ihr Sohn Franz Wenger bei seinem Versuch, irgendwohin auszuwandern, begegnete. Im Mai hatte er den entsprechenden Wunsch bei der Auswanderungszentrale der IKG hinterlegt, im August glaubte er, wegzukommen, Anfang September meinte er, sich ein weiteres Mal berechtigte Hoffnungen machen zu können, am 14. Oktober sollte es »mit Bestimmtheit« so weit sein, aber erst im Dezember bestiegen er und seine Familie tatsächlich das rettende Schiff nach Australien.64 Bei ihrer vorangehenden Odyssee hatten auch sie mit der Erlangung einer Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung

62 Schon Ende Juli 1939 waren nur noch etwa 72.000 Juden in der Stadt  ; vgl. zu den Zahlen Moser, Demographie, 16 und 56  ; Weigl, Zahlen  ; Rabinovici, Instanzen, 142. 63 Zahlen nach Hecht/Raggam-Blesch/Uhl, Letzte Orte, 19. 64 Vgl. Dok. 1, 5, 7 (Zitat).

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sowie den finanziell-administrativen Herausforderungen in Wien die beiden größten Hürden aller Emigrationswilligen zu nehmen. War der Entschluss zur Flucht einmal gefasst, galt es zunächst, von einem Land außerhalb des nationalsozialistischen Machtbereichs eine Einreiseerlaubnis zu erhalten – was auf erhebliche Widerstände traf, verfolgten doch die meisten Regierungen eine ausgesprochen restriktive Immigrationspolitik  ; die Verfolgten und zur Flucht bereiten, allzu oft standen sie vor unüberwindlichen Mauern, erlebten die »Katastro­ phe vor der Katastrophe«.65 Kaum ein europäischer Staat war bereit, die jüdische Bevölkerung aufzunehmen, und wenn, dann waren zuvor zahlreiche Hürden zu überwinden. Die Schweiz – auf deren Anregung hin das »J« in die Pässe der deutschen Juden und Jüdinnen eingedruckt worden war, nachdem infolge des Anschlusses die Zahl der jüdischen Flüchtlinge in das Nachbarland angeschwollen war –, hatte schon im Sommer 1938 ein Einreiseverbot verhängt  ; in Belgien wurden z. T. schon vor dem deutschen Einmarsch 1940 Exilanten aufgegriffen und als sogenannte unerwünschte Fremde nach Frankreich abgeschoben, das wiederum als das liberale Asylland schlechthin galt  ; Dänemark wies seine Grenzstellen im Oktober 1938 an, jüdische Flüchtlinge abzuweisen, weshalb sich der ursprüngliche Plan Franz Wengers, über Kopenhagen zu fliehen, zerschlug.66 Auch Großbritannien lehnte bis 1939 zahlreiche Juden ab, Australien verfolgte eine White Australia Policy, die vorsah, keine Personen aufzunehmen, deren Hautfarbe oder Verhaltensweisen die Assimilation erschweren könnte – was bei jüdischen Antragsteller:innen durchweg angenommen wurde. Und die USA verfolgten eine streng kontrollierte Einwanderungspolitik, die die Vorlage einer Bürgschaft (Affidavit) genauso vorsah wie jährliche zahlenmäßige Obergrenzen.67 Es war für Jüdinnen und Juden also schon schwierig, überhaupt ein Land zu finden, das sie aufnahm, und just die psychische Belastung dieser Suche wird in Sätzen wie  : »Eben war Clotilde Wenger bei uns. Sie ist ein armer Teufel, lernt auf Mord englisch und redet sich ein, man braucht sie in Amerika« greifbar.68 Zugleich wird verständlich, 65 Diner, Katastrophe vor der Katastrophe. 66 Zu Franz Wengers Plan, über Kopenhagen zu emigrieren vgl. Dok. 5. 67 Vgl. als Überblick zu den genannten Staaten die einschlägigen Artikel in Krohn/von zur Mühlen/ Paul/Winckler, Handbuch. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die wenig ruhmvolle Konferenz von Evian  : Thies, Evian oder im Überblick Heim, Year 1938. Nur hinzuweisen ist an dieser Stelle auf den Umstand, dass die jüdische Bevölkerung dann wiederum in einer Art erzwungenem Kulturtransfer in zahlreichen Bereichen – der Kunst, dem universitären Leben, der Ökonomie usw. – zu einem Mittler zwischen den Kulturen ihres Herkunfts- und ihres neuen Heimatlandes wurde, vgl. Stern/Eichinger, Einleitung, XXII. 68 Dok. 9. Vgl. zur Notwendigkeit – nicht zuletzt zahlreicher Akademiker wie etwa Rechtsanwälten oder Lehrern –, sich im Exil beruflich völlig neu orientieren zu müssen auch die Beispiele in Limberg/Rübsaat, Jüdischer Alltag, z. B. die Schilderung von Siegfried Neumann, 306.

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welche Erleichterung die Erlangung einer Einreisebewilligung bedeutete  : »Also heute eine gute Nachricht. Wengers haben ihr Australisches Permit. Franz hat uns diesen Moment angerufen. Wir sind noch ganz aufgeregt.«69 Das emotionale Moment wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass das hier in Frage stehende Australien 1938 lediglich 1556 »landing permits« überhaupt ausstellte, von denen drei die Familie ihres Sohnes Franz ergattert hatte.70 Allerdings, fährt die Schreiberin im selben Brief fort, »stößt die Verlängerung des Steuerunbedenklichkeitscheines wie alles auf Schwierigkeiten« und verweist damit auf die zweite große Hürde der Emigration, denn so erwünscht die Ausreise von Jüdinnen und Juden den nationalsozialistischen Machthabern war, so verbanden diese sie doch mit ökonomischer Beraubungspolitik. Nachdem ein Mensch sich zum Verlassen seiner Heimat entschlossen und die mühsam errungene Bewilligung für die Immigration in ein fremdes Land erlangt hatte, musste er zahlreiche Dokumente von den nationalsozialistischen Ämtern einholen, von denen der erste »und größte Stolperstein […] die sogenannte ›Steuerunbedenklichkeitsbescheinigung‹« war.71 Um diese zu erhalten, galt es, Dokumente des Finanzamts, der Bezirkshauptmannschaft und vom Rathaus einzuholen, die belegten, dass alle Steuern beglichen worden waren. Hierzu zählten auch die im vormaligen Österreich seit dem 14. April 1938 geltende Reichsfluchtsteuer sowie seit dem Novemberpogrom 1938 die Judenvermögensabgabe, beides in Höhe von 25 % des Gesamtvermögens, das seit der »Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden« vom 26. April 1938 ja amtlich erfasst war.72 Bedenkt man bei diesen finanziellen Belastungen weiterhin die auch nach NS -Maßstab illegalen Beraubungen der Zeit der ›wilden Arisierung‹ sowie die Umstände, dass zahlreiche Juden ihren Arbeitsplatz verloren hatten und schließlich die Tatsache, dass die ›Wohnungs- und Geschäftsarisierungen‹ zu teils lächerlich niedrigen Preisen vonstattengegangen waren, ist leicht nachvollziehbar, dass Mancher und Manche zu klamm war, um sich die Flucht überhaupt noch leisten zu können oder diese sich zumindest erheblich verzögerte.73 69 Dok. 8. 70 Vgl. Kwiet, Australien, Sp. 163. 71 Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 173. 72 Vgl. Kap. 5, Anm. 41. Die Judenvermögensabgabe war am 12. November 1938 eingeführt worden und hatte bis September 1939 20 % des Gesamtvermögens betragen, ab Oktober 1939 wurde sie auf 25 % erhöht. 73 Vgl. Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 173 f.; zu Reichsfluchtsteuer und Unbedenklichkeitsbescheinigung vgl. auch Kuller, Bürokratie und Verbrechen, 185–195, 218  ; zur Geschichte der – bereits 1931 von Reichskanzler Heinrich Brüning eingeführten – Reichsfluchtsteuer insgesamt vgl. Mussgnug, Reichsfluchtsteuer.

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Aber selbst im glücklichen Fall waren keineswegs alle Widerstände überwunden  : Nach der Erlangung der Steuerunbedenklichkeitserklärung musste eine Ausreisebewilligung bei dem einzigen für Juden und Jüdinnen zuständigen (und entsprechend frequentierten) Amt in der Wehrgasse 1 (V. Bezirk) beantragt werden. Nach deren Erhalt und unter Vorlage weiterer, bei der Polizei des Heimatbezirks einzuholender Dokumente, konnte beim Passamt ein Pass beantragt werden – denn seit der Neuregelung des Pass- und Ausweiswesens vom 11. Mai 1937 waren alte Pässe ungültig geworden bzw. konnten »nur unter gewissen Voraussetzungen beibehalten« werden. Mit Verordnung vom 5. Oktober 1938 wurden schließlich die bestehenden Pässe jüdischer Deutscher grundsätzlich ungültig. Es bedurfte der Steuerunbedenklichkeitserklärung, um beim Wanderungsamt (Herrengasse 23, I. Bezirk) entweder den alten Pass beglaubigen oder eine Anweisung für einen neuen Pass ausstellen zu lassen. Erst unter Vorlage einer solchen Passanweisung stellte dann wiederum das genannte Passamt im V. Bezirk den neuen Pass mit dem Vermerk einer Auswanderungsbewilligung aus.74 Der zeitliche Aufwand, die Nerven, die jeweils neu zu entrichtenden Gebühren, aber auch die Schikanen, die das Anstehen in den langen Schlangen vor den Ämtern bedeutete und die Petenten deutlich als Juden stigmatisierte,75 spiegelt sich nur schemenhaft in Sätzen wider wie  : »Den Pass habe ich schon weggeschickt, aber weder Heimatschein noch Geburtsschein von Viki war bei den Dokumenten, die ich von dir erhielt«  ; »Ob man Martha so leicht aus der Jüdischen Kultusgemeinde loslassen wird, ist nicht sicher, aber auf jeden Fall hat sie sich schon einen Pass besorgt«  ; oder der flehentlichen Bitte Josefine Schneiders  : »Beiliegend sende ich Dir eine Vollmacht, bitte tue auch das Nötige, daß ich einen Pass bekomme.«76 Der Familie Franz Wengers gelang es, die administrativen wie finanziellen Hürden zu überwinden, letzteres nicht zuletzt dank der finanziellen Unterstützung der befreundeten dänischen Familie Melchior. Dank deren monetärer Hilfe brachten Wengers mit 2800  RM den Löwenanteil der 3180  RM teuren Überfahrt nach Australien auf, die verbleibende Lücke füllten die Hilfsaktion Gildemeester und die IKG.77 Damit war ihm, seiner Frau und seinem Sohn zwar die Flucht geglückt, doch wie die meisten Schicksalsgenossen standen sie in der neuen Heimat vor dem Nichts, hatten sie doch 74 RGBl. 1937, Teil I, 589 f., hier 589 (Zitat), vgl. auch RGBl. 1938, Teil I, 1342. 75 Vgl. zur Willkür und den Stigmatisierungen, denen die Menschen während dieser Prozedur von NS-Schergen und/oder einem pöbelnden Mob ausgesetzt waren, Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 175–177. 76 In der Reihenfolge der Zitate  : Dok. 3, 15, 24. 77 Vgl. Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG Franz Wenger, 11. Mai 1938, Auswanderungskartei 5316, den darauf bezogenen Bearbeitungsbogen der IKG, Archiv der IKG (Leihgabe im VWI) sowie die Dok. 5, 8, 9 und 11.

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»nur Kleider und Wäsche mit, nicht ein Stückchen Bettzeug, keine Polster, Decken und Geschirr«.78 Der ihnen eigentlich verbliebene Besitz war in Wien beim Spediteur eingelagert, weil für dessen Ausfuhr weitere Kosten angefallen wären. Die Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung hatte Ende 1937 nämlich angeregt, eine entsprechende Abgabe zugunsten der Deutschen Golddiskontbank (Dego) einzuführen, um die Umwandlung von Geldvermögen (das aufgrund der Devisenbestimmungen nicht bzw. nur unter erheblichen Verlusten mitgenommen werden konnte) in Sachwerte zu verhindern. Das Reichsfinanzministerium kam dem Gesuch nach und ermächtigte am 17. April 1939 die Devisenstellen, Ausfuhrgenehmigungen nur noch dann zu erteilen, wenn eine Sonderabgabe auf alle nach dem 31. Dezember 1932 erworbenen Werte entrichtet würde (Dego-Abgabe). Diese fiel fortan nicht nur für wertvolle Waren an, sondern auch bei Gegenständen geringen Werts. Und bei Devisen summierten sich die Diskriminierungsmaßnahmen so auf, dass Migrant:innen 1939/40 nur noch maximal vier Prozent ihres Vermögens ins Ausland transferieren konnten.79 – Entsprechend resignierten zahlreiche Fluchtwillige samt deren Angehörigen  : »Was mit Franzens Sachen geschieht«, notiert Ella Wenger in dem bereits zitierten Brief achselzuckend, »weiß ich absolut nicht«. Und Ende 1940, als vage eigene Emigrationshoffnungen aus ihren Mitteilungen durchschimmerten, schreibt sie in Bezug auf einen von ihr aufzulösenden Haushalt  : »Ich nehme mir natürlich kaum etwas von ihren Sachen, da man trachtet seine eigenen Sachen abzustoßen«.80 5.5 Das Abbrechen der Korrespondenz Während die Briefe Ella Wengers vor allem im ersten Jahr ohne allzu große Verluste erhalten zu sein scheinen, weist die Korrespondenz danach Lücken auf und dünnt 1941 merklich aus. 1942 sind dann lediglich noch sechs Schreiben aus ihrer Hand überliefert. Deutlich spiegelt sich hierin die schwieriger werdende Situation der Empfängerin in Frankreich – wo am 27. März 1942 die Deportationen aufgenommen wurden, die sich in diesem Sommer bis zum »grande rafle« am 16./17. Juli steigerten – wie von ihr selbst wider. Ein Präludium erfuhren die Deportationen aus Wien bereits im Herbst 1939, als auf Betreiben des Leiters der Wiener Zentralstelle für jüdische Auswanderung, Adolf Eichmann, die Einrichtung eines »Judenreservates« geplant und Ende Oktober 1939 78 Dok. 18. 79 Vgl. Kuller, Bürokratie und Verbrechen, 201–243 sowie Meinl/Zwilling, Legalisierter Raub, 253 f. 80 Dok. 18 (erstes Zitat) bzw. 41 (zweites Zitat).

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Abb. 27  : Dichte der überlieferten Briefe.

1584 Männer aus der Donaumetropole nach Nisko am San deportiert wurden.81 Einen dritten Transport aus Wien verhinderte die Wehrmacht mit dem Hinweis auf militärstrategische Überlegungen, wie überhaupt die ganze – erkennbar Züge des Holocaust vorwegnehmende – Aktion wegen Einwänden der Wehrmacht im darauffolgenden Frühjahr wieder eingestellt werden musste. Doch bereits im Februar und März 1941 setzten die Deportationen wieder ein. Schon am 8. Januar 1941, ein Jahr vor der Wannseekonferenz, hatte das RSHA beschlossen, zwischen Februar und April desselben Jahres Juden aus dem Reich in das Generalgouvernement umzusiedeln. Für Wien wurde ein Kontingent von 10.000 Menschen festgelegt, das vorwiegend unterstützungsbedürftige, d. h. ärmere Kreise umfassen sollte. Ausreise war von nun an auch für jene, die eine Auswanderungsmöglichkeit vorweisen konnten, nur noch mit Genehmigung der Zentralstelle für jüdische Auswanderung möglich, sieben Monate, bevor eine analoge Regelung auch für das Altreich Geltung erlangen sollte.82 In fünf Transporten wurden in den nachfolgenden Wochen insgesamt 5031 jüdische Wiener:innen in das Generalgouvernement deportiert, wo die meisten von ihnen infolge der katastrophalen 81 Vgl. grundlegend zur Zentralstelle Anderl/Rupnow, Zentralstelle. Zu der Deporationsaktion nach Nisko vgl. Safrian, Eichmann-Männer, 68–86  ; Goshen, Nisko-Aktion  ; Moser, Nisko  ; Ders., Zarzecze bei Nisko  ; im Überblick jüngst Pohl, Nationalsozialistische Verbrechen, 130–132. 82 Vgl. Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 457–460, hier v. a. 459.

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Hygiene- und Versorgungsverhältnisse in den polnischen Ghettos starben  ; wer diese überlebte, wurde im Zuge der »Aktion Reinhardt«, d. h. der systematischen Ermordung der Jüdinnen und Juden im Generalgouvernement seit Mitte 1942 ermordet, die mit Odilo Globocnik der vormalige erste Gauleiter Wiens verantwortete.83 Die Listen der zu Deportierenden erstellte die Zentralstelle für jüdische Auswanderung unter SS -Obersturmführer Alois Brunner, dem Nachfolger des ans RSHA gewechselten Adolf Eichmann. Dabei war die Zentralstelle auf die Kooperation der IKG angewiesen, deren Mitarbeit sie kurzerhand erzwang. Dabei gab sie ihr auch die Gelegenheit zum sogenannten Herausreklamieren ausgewählter Personen, also die Möglichkeit, jene von den Deportationslisten herunternehmen zu lassen – freilich nur um den Preis, dass andere auf die Liste rückten. Nachdem im April 1940 schon 198 Personen aus Nisko zurückgekehrt und die dortigen Verhältnisse in der Folge in der Wiener jüdischen Gemeinde bekannt geworden waren, nachdem überdies die IKG im Frühjahr 1941 unmittelbar in die Vorgänge involviert war, ist sicher davon auszugehen, dass Ella Wenger um das Geschehen wusste – umso mehr, als ihre Tochter Martha als langjährige Angestellte der Kultusgemeinde über weitergehende Informationen als die Masse der jüdischen Bevölkerung verfügt haben dürfte. Wenn ihr auch die dahinterstehende Zielsetzung der Machthaber nicht bekannt sein konnte, so dürften die Ereignisse ihr doch die Gefahr für die Freiheit, die seelische und körperliche Unversehrtheit vor Augen geführt haben. Martha Wengers Tätigkeit als Kinder- bzw. Säuglingsschwester bedeutete lange Zeit eine gewisse Sicherheit, da sie der IKG doch als unabdingbar für die Aufrechterhaltung des Betriebes gelten musste. Dass sich der von ihr ausgehende Schutz auch auf ihre Mutter erstreckte, war dieser völlig bewusst  : »Überhaupt habe ich Martha alles zu verdanken. Nicht nur, daß sie mich erhält, sondern überhaupt alles«, schreibt sie im Februar 1942.84 Zu diesem Zeitpunkt war nicht nur die große Deportationswelle bereits in vollem Gang – sie hatte im Oktober 1941 begonnen –, sondern es waren auch einige ihrer vormaligen Untermieter bereits aus der Wohnung geholt worden  ; sie selbst hatte mit ihrer Tochter vier Wochen vor dem Brief in die Untere Augartenstraße ziehen müssen. Doch der Schutz, den Marthas Stellung bei der IKG bot, war nur temporär. Mit 23. Oktober 1941 hatte das Reichssicherheitshauptamt alle Dienststellen der Geheimen Staatspolizei informiert, dass Juden und Jüdinnen die Ausreise fortan zu verbieten sei (bereits seit 7. August 1941 hatte es ein solches Verbot für die männliche jüdische 83 Vgl. Gruner, Zwangsarbeit, 215 f.; Pohl, Massentötungen  ; Ders., Nationalsozialistische Verbrechen, 207–211. 84 Dok. 55.

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Bevölkerung zwischen 18 und 45 Jahren gegeben) – die Politik der Nationalsozialisten zielte nun nicht mehr darauf, die Juden aus dem Reich hinauszudrängen, sondern darauf, sie zu ermorden. Wieder einmal war Wien seiner Zeit voraus  : Ein Vierteljahr vor der Wannseekonferenz, genauer  : am 15. Oktober 1941, hatten die systematischen Deportationen aus der Stadt begonnen  ; mit je 1000 Menschen fuhren die Züge stets vom Wiener Aspangbahnhof zunächst nach Łódź, Riga, Minsk bzw. Maly Trostinec und Izbica (Oktober 1941 – Juni 1942).85 Die Überlebendenzahlen sind marginal.86 Zwischen Juni und Oktober 1942 gingen, mit Ausnahme eines einzigen, direkt nach Auschwitz führenden Zuges die Deportationen dann in das Ghetto Theresienstadt.87 Heydrich hatte die umfunktionierte ehemalige k.u.k. Garnisionsstadt als Lager für zuvor privilegierte Personengruppen vorgesehen, also auch für IKG-Mitarbeiter:innen. Nach Abschluss der großen Deportationen aus dem Reich hatten diese aus Sicht der Machthaber ihre Funktion verloren und bildeten seit Juli 1942 deren Abschluss.88 Nachdem bis Oktober 1942 auch elf der zwölf von der IKG betriebenen Kinderheime geschlossen worden waren (Kinder waren zunächst von den Deportationen zurückgestellt gewesen, doch änderte sich dies 1942), verlor auch Martha Wenger ihren Schutz. Mit dem Transport  IV/12 kamen sie und ihre Mutter89 am 1./2. Oktober 1942 von Wien nach Theresienstadt.90 Zwar ist von keiner von ihnen eine Äußerung überliefert, doch dürfte insbesondere der Mutter angesichts ihres Alters bewusst gewesen sein, was bevorstand. Die 88-jährige Hamburger Jüdin Anna Hess schreibt in diesem Sinne an ihre Tochter kurz vor ihrer eigenen Verbringung nach Theresienstadt  : »Ich gehe ohne Illusionen, aber mit festem Willen.«91 Gleichwohl wird es, wie der ebenfalls in Theresienstadt internierte deutsch-jüdische Historiker Jacob Jacobson urteilt, für Ella und 85 Vgl. im Überblick Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 467–473  ; Hecht/Raggam-Blesch/Uhl, Letzte Orte  ; Dies., Aspangbahnhof  ; Raggam-Blesch, Deportationen. 86 Von den ersten fünf Transporten mit 4995 Wiener:innen überlebten 16, von den fünf Transporten mit 5183 Menschen zwischen November 1941 und Februar 1942 nach Riga überlebten 102, von den 9471 nach Minsk/Maly Trostinec Deportierten überlebten 13, von den 6000 zwischen 9. April und 14. Juni 1942 nach Polen Deportierten sind keine Überlebenden bekannt  ; vgl. Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 468–471. 87 Vgl. Benz, Theresienstadt  ; im Überblick Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch, Topographie, 473–483. 88 Vgl. Rosenkranz, Verfolgung, 293. 89 Bei Beginn dieser großen Deportationswelle im Oktober 1941 hatte das RSHA die ausführenden Gestapostellen noch darauf hingewiesen, dass Jüdinnen und Juden über 65 Jahren nicht in Transporte eingereiht werden sollten, hob diese Order jedoch mit Juni 1942 wieder auf und ordnete deren Verbringung nach Theresienstadt an, vgl. Hájková, Ältere deutsche Jüdinnen, 201. 90 Vgl. Theresienstädter Gedenkbuch, 419. 91 Linden, Anna Hess, 8.

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Martha Wenger wie »wohl für jeden einige Zeit« gedauert haben, »bis er sich in die neuartigen Verhältnisse hineingefunden, und bis er gelernt hatte[,] mit Theresienstädter Augen zu sehen […], zu verstehen und gerecht zu beurteilen.«92 Die von Heydrich für das Lager geprägte Bezeichnung als Altersghetto war reiner Euphemismus, noch mehr der Umstand, dass die Nationalsozialisten es zeitweise als Vorzeige- und damit als Propagandalager nutzten. Zum einen zeigten die in mancher Literatur (allzu) oft unterstrichenen zweimaligen Besuche des Internationalen Roten Kreuzes nicht den Alltag vor Ort, sondern bildeten Ausnahmesituationen  ; zum anderen wurden die meisten der dorthin verbrachten Menschen weiter in die Vernichtungslager transportiert, zahlreiche von ihnen nach Treblinka. Unter ihnen war auch der Vater Viktor Schneiders. David Schneider wurde mit Transport  IV/3 am 10./11. Juli 1942 aus Wien nach Theresienstadt und von dort am 21. September desselben Jahres nach Treblinka deportiert, wo er, wie praktisch alle dorthin Verbrachten, den Tod fand. Die Forschung geht von 800.000 bis 1 Million Toten in Treblinka aus, bei einer mittleren zweistelligen Zahl Überlebender.93 Anders als das zum »Kern des Holcoaust« (Stefan Lehnstaedt) gehörende Treblinka war Theresienstadt kein Vernichtungslager. Doch die hygienischen und Ernährungszustände waren, zum dritten, auch hier katastrophal, die medizinische Versorgung praktisch nicht existent. Die Räume waren mit bis zu 200 Personen belegt, bis 1943 schliefen sie z. T. auf dem Boden, die Angst vor weiterer Deportation war allgegenwärtig. Unter den Verhältnissen litten insbesondere die älteren. Die Mortalität der über 65-Jährigen betrug 85 %  ; 92 % aller Toten waren über 60 Jahre alt – und diese machten fast ¾ aller Insassen aus. »Ein einziges Mal in der Geschichte des Ghettos erwies sich das hohe Alter als Vorteil  : Während der im Herbst 1944 stattfindenden Liquidierungs-Transporte schützte die SS die über 65-Jährigen, um die Illusion des Altersghettos aufrechterhalten zu können.«94 Von insgesamt 148.000 Menschen, die zeitweise oder dauerhaft in Theresienstadt inhaftiert waren, starben 33.000 direkt dort. Die meisten, auch die Prominenten und als privilegiert Geltenden, wurden in Vernichtungslager weitertransportiert, mehrheitlich nach Maly Trostinec, Treblinka und Auschwitz. In den vier großen Phasen beläuft sich die Zahl auf 86.790 bzw. 86.934. Nimmt man alle über 60 Deportationszüge zusammen, wird sie mit 88.000 angegeben  ; lediglich 3100 von ihnen überlebten  ; insgesamt waren 92 Zit. nach Hájková, Ältere deutsche Jüdinnen, 201. 93 Vgl. Theresienstädter Gedenkbuch, 216, 249. Zu Treblinka und den dortigen Sterbezahlen vgl. Gerlach, Mord, 127  ; Lehnstaedt, Kern, 8 f.; Willenberg, Treblinka, 9. 94 Hájková, Ältere deutsche Jüdinnen, 205. Zum Vergleich  : Von den unter 45-Jährigen starben in Theresienstadt »nur« 2,7 %. Vgl. zum Schicksal älterer jüdischer Frauen in Theresienstadt auch Tarsi, Schicksal.

278 |  Die Briefzeugnisse und ihr historischer Kontext. Erläuterungen zu den Briefen

es 23.000 derer, die ausschließlich oder unter anderem im Theresienstädter Ghetto inhaftiert worden waren.95 Nachdem das deutsche Regime den Menschen zuerst ihre Staatsbürgershaft, ihre nur wenige Jahrzehnte zuvor errungenen bürgerlichen Rechte, und alsbald ihre materiellen Existenzgrundlagen genommen hatte, nachdem ihr Bewegungsspielraum und ihr Sozialleben immer weiter eingeengt worden waren, nahm es ihnen zuletzt das Recht zu leben. Doch sollte darüber nicht vergessen werden, dass die physischen und psychischen Belastungen, denen die jüdische Bevölkerung ausgesetzt war, bereits sehr viel früher eingesetzt hatten. Seit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft waren die Menschen im Alltag Gängelung, Diskriminierung, Segregation und Beraubung ausgesetzt, die in der Erinnerungskultur angesichts einer das Fassungsvermögen übersteigenden Verbrechensdimension des Holocaust mitunter vernachlässigt werden. Bereits die sukzessive Ausdehnung der Grenze des Sag- und Machbaren in den Jahren vor dem Holocaust – auch vor dem Nationalsozialismus – aber muss heute als Teil der Vernichtung begriffen werden. Die nichtjüdischen Deutschen gewöhnten sich daran. Der Alltag jener verfolgten Menschen, von dem die vorliegenden Briefe berichten, spielte sich vor den Augen »ganz normaler Deutscher« (Christopher Browning) ab  ; und er legte den Boden für den Genozid, der ab 1941/42 einsetzte.

95 Vgl. ebd.; Niklas, Österreichische Jüdinnen, 94–147  ; Benz, Theresienstadt, Kap. 8 und 14, v. a. 92 bzw. 205.

6. Befreiung und Rückkehr zur Familie

Die Ankunft der Roten Armee in Theresienstadt am 8. Mai 1945 bedeutete für Ella und Martha Wenger die Befreiung.1 Unklar ist ihr Schicksal während der darauffolgenden Wochen, denn in der Unterkunft für Displaced Persons im niederbayerischen Deggendorf trafen sie erst am 19. Juli ein.2 Entweder waren beide von den katastrophalen sanitären Verhältnissen und der zuletzt grassierenden Typhusepidemie im böhmischen Ghetto so geschwächt, dass erst Wochen nach der Befreiung an Schritte zu ihrer Repatriierung zu denken war oder sie waren zwischenzeitlich nach Wien zurückgekehrt, wie es ein Dokument des internationalen Suchdienstes nahelegt.3 In diesem Fall dürften auch sie jenes Vakuum vorgefunden haben, von dem Anna Hájková für so viele Theresienstadt-Überlebende berichtet  : »Verwandte und Freunde waren tot, die Heimatstadt war zerstört, der Zufluchtsort zunächst ein DP-Lager.«4 Sofern beide Frauen zunächst nach Wien gingen, beschritten alsbald auch sie den von Hájková skizzierten Weg, andernfalls kamen sie aus dem böhmischen Ghetto direkt in die DP-Sammelstelle. So oder so, zusammen erreichten sie alsbald Niederbayern, wo auf Weisung der alliierten Militärbehörden zahlreiche Displaced Persons untergebracht wurden, darunter auch viele österreichische Jüdinnen und Juden.5 Für ein Dreivierteljahr war fortan die DP-Unterkunft in Winzer/Osterhofen (diese war Teil des Deggendorfer Komplexes) die Durchgangsstation für Ella und Martha Wenger.6 Auch wenn die Ende 1945 von amerikanischer in UNRRA-Verantwortung übergegangene Unterkunft eine erste Versorgung bot – Ziel beider war es, Deutschland so rasch als möglich Richtung Übersee zu verlassen. Vor allem Australien (wo Ella 1 Der Tag ihrer Befreiung wird mit 9. Mai 1945 angegeben, vgl. Wiener Landesregierung, R ­ eferat Opferfürsorge an den Internationalen Suchdienst des Roten Kreuzes, 6. November 1963, 6.3.3.2 / 90918227, ITS, Digital Archive, Arolsen Archives. 2 Vgl. Assembly Center, Registration Card Ella Wenger (0.1 / 49125505) bzw. Martha Wenger (0.1 / 49124781), beide  : ITS, Digital Archive, Arolsen Archives. Als Überblick zu den sogenannten Displaced Persons vgl. Jacobmeyer, Ortlos. 3 Vgl. List of Austrians who returned to Vienna from Theresienstadt, 20. September 1945, 3.1.1.3 / 78805405, ITS, Digital Archive, Arolsen Archives. 4 Hájková, Ältere deutsche Jüdinnen, 220. 5 Einen vergleichbaren Weg aus dem befreiten Theresienstadt in das DP-Lager Deggendorf hatte z. B. auch Mignon Langnas, vgl. Fraller/Langnas, Mignon. Zum DP-Lager Deggendorf vgl. Smolorz, Displaced Persons  ; Petschek-Sommer, Jüdische »Displaced Persons«  ; zur Situation in Osterhofen Novinšćak Kölker, Von Ortsfremden zu Einwanderern, v. a. 134–146. 6 Vermerk, o.A., 10. Dezember 1963, 6.3.3.2 / 90918230, ITS, Digital Archive, Arolsen Archives.

280 |  Die Briefzeugnisse und ihr historischer Kontext. Erläuterungen zu den Briefen

Abb. 28  : Aufnahmekartei Ella Wengers in das DP-Lager Osterhofen bei Deggendorf

Wengers Sohn Franz lebte), aber auch die USA, Palästina und die Schweiz (zu Ella Wengers Nichte Emma Schönberg) nennen sie auf einschlägigen Listen als bevorzugte Destinationen.7 Zugleich war es zwischenzeitlich, spätestens von Deggendorf aus, gelungen, den Kontakt zu Elisabeth Schneider in Paris herzustellen, zunächst über eine Bekannte in Dänemark.8 Unter Vermittlung der Büros des American Joint Distribution Committee (AJDC) in Paris und München, des International Tracing Service (ITS) sowie der UNRRA versuchte Elisabeth ab Herbst 1945 direkt Nachrichten an Mutter und Schwester zu übermitteln, doch stockte die Kommunikation in der unmittelbaren 7 Vgl. zu Australien  : DP Registration Record, 19. Juli 1945 sowie eine Liste aus dem DP-Lager Deggendorf derer, die nach Australien emigrieren wollen, 13. August 1945, 3.1.1.1 / 69658077 bzw. 3.1.1.2 / 81974841, beide  : ITS, Digital Archive, Arolsen Archives  ; vgl. zu den USA und Palästina  : Lists of persons collected at Deggendorf camp in Bavaria for emigration to America and Palestine, o. D. 3.1.1.2 / 81974815 bzw. 3.1.1.2 / 81974832  ; vgl. zur Schweiz  : List of 442 Persons who desire to go abroad from Terezin, 9. Juli 1945, 1.1.42.1 / 4955925, alle  : ITS, Digital Archive, Arolsen Archives. 8 Der Kontakt wurde offenbar zunächst über Kamma Melchior hergestellt, vgl. den Entwurf einer Karte von Elisabeth Schneider an diese, 2. August 1945, in der sie ihr für die per Telegramm übermittelten ersten Nachrichten über die Befreiung von Ella und Martha Wenger aus Theresienstadt dankt  ; Privatbesitz Martin Schneider. Wie Kamma Melchior an diese Information gelangte, ist unklar.

Befreiung und Rückkehr zur Familie | 281

Nachkriegszeit  ; ihre Bitten um Auskunft über deren Gesundheitszustand und Befinden vom Oktober 1945 blieben unbeantwortet, so dass sie mehrfach nachhakte, zuletzt am 1. März 1946, als sie nicht einmal mehr wusste, ob sich beide noch in Deggendorf aufhielten.9 Als diese Anfrage im August zur Beantwortung an die UNRRA weitergeleitet wurde, waren Ella und Martha Wenger bereits wieder mit ihrer Familie vereint  : Am 17. März 1946 hatten sie die DP-Unterkunft verlassen,10 nachdem sowohl Elisabeth wie deren Mann Viktor Schneider mehrfach versichert hatten, sie aufnehmen und versorgen zu wollen und zu können.11 Tatsächlich war das erste Ziel von Ella und Martha die Wiedervereinigung mit der Familie in Paris, wo sie im Frühjahr 1946 eintrafen. Ungeachtet des Umstandes, dass zu diesem Zeitpunkt beide noch die Weitermigration nach Australien planten,12 blieb Ella dauerhaft bei ihrer älteren Tochter Elisabeth und zog mit deren Familie alsbald aus Paris in den nahe gelegenen Vorort Sannois, wo sie bis zu ihrem Tod 1957 im Kreis der Lieben lebte. Im Gegensatz zu ihrer Mutter realisierte Martha Wenger das ursprüngliche Vorhaben und emigrierte zu ihrem Bruder Franz nach Sydney, wo sie bis zu ihrem Lebensende 1965 blieb.

  9 Vgl. das Dokument der Combined Displaced Persons Executive, 12. Oktober 1945, 6.3.3.1 / 106669856  ; Central Tracing Bureau UNRRA, HQ for Germany an das Hauptquartier der 3. US-Armee, 4. Dezember 1945, 6.3.1.1 / 86651798 (hier wird Bezug auf eine Nachfrage Elisabeth Schneiders genommen, die »once before about Nov. 20th« ankam)  ; nachdem dies für Elisabeth Schneider unbefriedigend verlaufen zu sein scheint, wandte sie sich an das American Joint Distribution Committee in Paris, vgl. AJDC Paris an AJDC München, 1. März 1946, 6.3.3.1 / 106669859, alle  : ITS, Digital Archive, Arolsen Archives. 10 Vgl. UNRRA an American Joint Distribution Committee München, 16. August 1946, 6.3.3.1 / 106669857, ITS, Digital Archive, Arolsen Archives. 11 Vgl. die Angaben Elisabeth Schneiders in dem Dokument der Combined Displaced Persons Executive, 12. Oktober 1945, 6.3.3.1 / 106669856 sowie den undatierten handschriftlichen Brief von Viktor und Elisabeth Schneider, o. Empfänger (vermutlich  : AJDC Paris), 6.3.1.1 / 86651804, beide  : ITS, Digital Archive, Arolsen Archives. 12 Vgl. schon die Angaben von Elisabeth Schneider in dem Dokument der Combined Displaced Persons Executive, 12. Oktober 1945, 6.3.3.1 / 106669856  ; diese werden bekräftigt in Central Tracing Bureau UNRRA, HQ for Germany an das Hauptquartier der 3. US-Armee, 4. Dezember 1945, 6.3.1.1 / 86651798 und finden sich neuerlich in dem undatierten handschriftlichen Brief von Viktor und Elisabeth Schneider, o. Empfänger (vermutlich  : AJDC Paris), 6.3.1.1 / 86651804, alle  : ITS, Digital Archive, Arolsen Archives.

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Abb. 29  : Ella Wenger und ihre Tochter Martha in Paris, 1946. Abb. 30  : Martha Wenger in Sydney, undatierte Aufnahme. Abb. 31  : Ella Wenger mit der Familie ihrer Tochter Elisabeth, 1949.

7. Editionsgrundsätze

7.1 Textgrundlage Das Textkorpus der Edition besteht aus 59 Briefen und drei Postkarten. Ein Brief Josefine Schneiders an ihren Bruder war in eigenhändiger Abschrift einem solchen an ihren Vater angefügt  ; er ist als Beilage zu Dok. 24 nicht eigens gezählt, so dass sich in der Nummerierung 61 Dokumente ergeben. Im Original umfassen die Quellen 122 unterschiedlich dicht beschriebene Seiten, die ganz überwiegend handschriftlich verfasst sind. Die Korrespondenz liegt lediglich in einseitiger Überlieferung vor  ; erhalten sind die (mehrheitlich) an Elisabeth Schneider und ihre Familie gerichteten Briefe. Zeitlich verteilen sie sich wie folgt  : Für 1938 sind 14 Dokumente überliefert, für die weiteren Jahre sind es 18 (1939), 12 (1940), zehn (1941) und sieben (1942). Angesichts der immer wieder dichten Überlieferung mit mehreren Briefen pro Monat ist davon auszugehen, dass Überlieferungslücken bestehen, die z. T. erheblich sein dürften  ; dies gilt insbesondere für den Zeitraum vom zweiten Halbjahr 1939 bis zum Sommer 1940 und das Jahr 1942. Alle Dokumente befinden sich heute im Privatbesitz des Sohnes der Empfängerin Elisabeth Schneider, Martin Schneider (Lyon), der sie dem Herausgeber freundlicherweise zur Verfügung stellte  ; gleiches gilt für die Privatbilder der Akteur:innen. Der Überlieferungsweg führt von seiner Mutter direkt auf ihn  ; Konzepte und Abschriften sind nicht bekannt. Ebenso wenig erhalten sind die Antworten, also jene Schriftzeugnisse, die Elisabeth an Mutter und Schwester sandte. Bei diesen ist davon auszugehen, dass sie in Wien zurückblieben, als die beiden Frauen im Herbst 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden. Verweise auf andere Briefe erfolgen sowohl innerhalb des Editionsteils und den – der Quelle hier nachgestellten – Anmerkungen stets auf der Grundlage der vom Herausgeber vorgenommenen Nummerierung mit der vorgestellten Bezeichnung Dok. Die jeweilige Autorschaft der Briefe ist grundsätzlich eindeutig. Vereinzelte Anmerkungen von fremder Hand wurden im Briefkopf vermerkt und konnten infolge der klar zu identifizierenden Handschrift zugeordnet werden. Lediglich sieben der Briefe sind maschinenschriftlich verfasst, zzgl. einer halben Schreibmaschinenseite, die einem handschriftlichen Brief angehängt ist. Die Dokumente sind unterschiedlich umfangreich, einzelne Seiten verschieden dicht beschrieben  ; überdies weicht die Textdichte zwischen hand- und maschinenschriftlich verfassten Seiten natürlich voneinander ab. Aus diesem Grund wurde im Briefkopf (vgl. Kap. 7.3.1) sowohl der Originalumfang

284 |  Die Briefzeugnisse und ihr historischer Kontext. Erläuterungen zu den Briefen

in Seiten als auch die Art des Briefes (hand- oder maschinenschriftlich, d. h. e.B. für eigenhändiger Brief, masch.B. für maschinenschriftlicher Brief ) angegeben  ; Postkarten wurden als halbe Seite gewertet. Auf ein Glossar wurde verzichtet. Einige, bereits zeitgenössisch verwendete und eindeutig der Lingua Tertii Imperii (LTI) zuordenbare Begriffe, wurden beibehalten, sofern sie auch in die Forschung Eingang gefunden haben. Um Missverständnisse zu vermeiden, wurden sie in der Kommentierung und dem nachgestellten Text des Herausgebers in einfache Anführungszeichen gesetzt, die die unterschiedlichen Facetten des Wortes und die Distanzierung zum LTI-Duktus zum Ausdruck bringen sollen. Der Lesbarkeit halber wurde dies – vor allem beim Vorkommen in Form von Komposita – jedoch nicht bis zur letzten Konsequenz durchgehalten. Exemplarisch sei auf die Termini ›Arisierung‹, ›Judenhäuser‹, ›Mischling‹ oder ›Endlösung‹ verwiesen.1 Den Abschluss der Edition bildet das Register, das die erwähnten Orte und Personen ausweist. 7.2 Transkriptionsrichtlinien Die Transkription der Texte erfolgte grundsätzlich buchstaben- und zeichengetreu, um die Briefedition auch mit sprachwissenschaftlichen Interessen lesen zu können.2 Daneben galten folgende Prinzipien  : 1. Alle Texte sind ungekürzt. 2. Unsichere, aber wahrscheinliche Lesungen wurden durch < > kenntlich gemacht, unleserliche Wörter durch ersetzt. 3. Ergänzungen des Bearbeiters wurden kursiv gesetzt. 4. Auf einen textkritischen zweiten Fuß- bzw. Endnotenapparat wurde verzichtet. Die wenigen textkritischen Anmerkungen wurden in den Fußnotenapparat übernommen, in dem auch der Sachkommentar wiedergegeben wird. 5. Verschreibungen oder Irrtümer der Vorlage wurden übernommen  ; gegebenenfalls wurde im Fußnotenapparat eine Erläuterung angefügt. Wenn es für das Leseverständnis erforderlich war, erfolgte lediglich bei marginalen Schreibversehen die Berichtigung stillschweigend, aber nur dann, wenn dadurch das Verständnis 1 Vgl. hierzu z. B. die Bemerkungen bei Spuhler u. a., »Arisierung«, 16 oder Botz, Arisierungen, 29. 2 Bisher stand überwiegend die öffentliche Sprache des Dritten Reichs im Fokus des Interesses, doch eröffnet auch der private Sprachgebrauch ein großes Forschungsfeld, etwa hinsichtlich der dort sichtbar werdenden Diskurse und damit Mentalitäten, vgl. z. B. Riecke, Wörter und Unwörter oder Ders., Aufzeichnungen.

Editionsgrundsätze | 285

6. 7. 8. 9. 10. 11.

wesentlich erleichtert wird. Dies gilt praktisch durchweg nur für Fragen der Interpunktion, insbesondere für zusätzlich eingefügte Kommata. Veränderungen auf Buchstaben- oder gar Wortebene wurden durch Kursivierungen im Text als Eingriffe des Bearbeiters kenntlich gemacht. Auf beschädigte Textstellen wird mit einer Fußnote hingewiesen. Grundsätzlich galt, dass die Eingriffe in den Text so gering als irgend möglich gehalten werden sollten. Alle Eigennamen wurden entsprechend der Vorlage übernommen und gegebenenfalls im Sachkommentar erläutert. Getrennt- und Zusammenschreibungen folgen der Vorlage. Abkürzungen wurden, wenn dies eindeutig möglich war, stillschweigend aufgelöst. Unabhängig von der Vorlage wurden bestehende Abkürzungen einheitlich mit einem Punkt abgeschlossen. Hervorhebungen, Unterstreichungen etc. wurden der Vorlage entsprechend übernommen. Nachträgliche Einschübe zwischen den Zeilen oder an den Seitenrändern wurden, sofern sie eindeutig zum fortlaufenden Text gehören, dort durch [*] am Beginn und durch [**] am Ende des Einschubs kenntlich gemacht. Änderungen, Streichungen und Korrekturen werden im Fußnotenapparat wiedergegeben. Nachträgliche Anmerkungen von fremder Hand sowie Kommentare zu bestimmten Textpassagen werden in einer Anmerkung wiedergegeben und ggf. erläutert.

7.3 Gestaltung der Edition 7.3.1 Der Dokumentenkopf Der Dokumentenkopf umfasst die laufende Nummer des Dokuments (1. Zeile), Verfasser  :in und Adressat  :in des Briefes (2. Zeile), Ort und Datum, an dem das Schreiben verfasst wurde (3. Zeile) sowie schließlich Angaben zum Seitenumfang des Briefes im Original, zu der Art seiner Niederschrift (hand- oder maschinenschriftlich, d. h. e.B. oder masch.B.) und etwaige Hinweise zu Nachbemerkungen von fremder Hand (4. Zeile). 7.3.2 Die Textgestaltung Für den Hauptteil der Edition gilt  : Die edierten Quellen sind recte, alle vom Bearbeiter vorgenommenen Ergänzungen innerhalb des Textes hingegen sind kursiv gesetzt  ; dies gilt für die Buchstaben- wie die Wortebene. In den Fußnoten hingegen wurde

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aus Gründen einer besseren Lesbarkeit auf die Kursivierung verzichtet. Aus denselben Gründen wurde auch der Dokumentenkopf nicht kursiv gedruckt, allerdings in einer serifenlosen Schrift gesetzt, um ihn als nachträgliche Ergänzung kenntlich zu machen. Alle Kommentare stammen vom Herausgeber  ; Querverweise aus anderen Briefen, Zitate aus Quellen oder der Literatur werden mit An- und Abführungszeichen sowie einem Verweis auf Quelle bzw. Literatur kenntlich gemacht. Die äußere Gestalt der Briefe, etwa der Zeilenfall, wurde nicht übernommen, auch der Seitenwechsel der Vorlage wurde nicht eigens vermerkt. Lücken und Freiräume in der Handschrift, die anstelle eines Absatzes zur Gliederung des Textes dienen, wurden ebenfalls nicht eigens gekennzeichnet oder nachgewiesen. Hingegen wurden zur besseren Lesbarkeit vorsichtig zusätzliche Absätze eingefügt, die sich im Original aus Gründen der Platzersparnis nicht finden. Originalanmerkungen von anderer Hand, die sich auf eine bestimmte Textstelle beziehen, wurden in einer Fußnote als solche kenntlich gemacht. Ihre Position innerhalb des Dokuments wurde entsprechend vermerkt. 7.3.3 Der Kommentar und seine Quellen Der Anmerkungsapparat besteht lediglich aus einem Fußnotenapparat, der nahezu ausschließlich Sachkommentare und nur sehr vereinzelt textkritische Bemerkungen enthält. Auf einen eigenständigen textkritischen Apparat wurde verzichtet. Die Fußnoten stehen jeweils am Ende der Seite, nicht an dem des Dokuments. Die Zählung erfolgt in arabischen Ziffern und beginnt für jedes Dokument von vorne. 1. Im Text genannte Personen werden so weit als möglich identifiziert. Bei der Erstnennung werden der vollständige Name sowie die Lebensdaten und weitere biographische Besonderheiten angegeben. 2. Sachbetreffe werden bei der erstmaligen Nennung erläutert, sofern es das Verständnis der Textpassage erfordert. 3. Querverweise auf frühere oder spätere Einträge werden dann eingefügt, wenn sie das Verständnis der Briefstelle erleichtern  ; in der Regel sind Orte und Personen aber (zudem) über das Register zu erschließen. 4. Im Anmerkungsapparat mit Kurztitel genannte Veröffentlichungen werden über das Literaturverzeichnis bibliographisch nachgewiesen. Die Identifizierung von Personen konnte nur zu kleineren Teilen aus der Literatur erarbeitet werden. Vor allem personenbezogene Kommentare stützen sich daher auf archivalische Überlieferungen aus einschlägigen Archiven und Bibliotheken, vorrangig Österreichs, aber auch der Schweiz und Deutschlands sowie einschlägiger

Editionsgrundsätze | 287

online-Datenbanken. Im Kommentar wird jeweils mit Archivsiglen auf den Quellenstandort verwiesen, die Abkürzungen sind im Abkürzungs- sowie noch einmal im Quellenverzeichnis nach dem einschlägigen Archiv/der jeweiligen Bibliothek aufgelöst. Sofern Personen zwar nicht eindeutig, aber doch mit hoher Plausibilität identifiziert werden konnten, wurde das im Kommentar entsprechend vermerkt. Personen, bei denen keine Indizien für eine Zuschreibung vorhanden waren, wurden nicht kommentiert bzw. die Unmöglichkeit einer eindeutigen Identifizierung angemerkt. Das Bekenntnis der Personen wurde jeweils angegeben. Sofern hierauf verzichtet wurde, handelt es sich um Jüdinnen bzw. Juden. Die Formulierung, wonach jemand dem jüdischen Bekenntnis angehörte, besagt nichts über den Grad der Gläubigkeit oder der Säkularisierung, geschweige denn über die Selbstwahrnehmung und -verortung der Menschen, sondern verweist darauf, dass er/sie Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde war. Wandten sich einzelne Personen vom jüdischen Glauben institutionell ab und dem Atheismus, dem Agnostizismus oder anderen Religionen zu, wurde dies eigens vermerkt, so dass die rassistisch motivierte Verfolgung durch die Nationalsozialisten eindeutig erkennbar wird. Die wichtigsten Quellenbestände für die Kommentierung befinden sich im Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, im Archiv des Wiener Wiesenthal Instituts für Holocaust-Studien sowie im Wiener Stadt- und Landesarchiv. Insbesondere erwiesen sich für die Kommentierung der zahlreichen Personen die Geburts-, Sterbe- und Trauungsmatriken im Archiv der IKG als unabdingbar. Oft genug gelang die eindeutige Identifizierung allerdings erst nach einem Abgleich dieser Matrikendaten mit den jeweiligen Meldeunterlagen, die sich im Wiener Stadt- und Landesarchiv befinden. Für Fragen der Emigration schließlich waren die einschlägigen Fragebögen der Fürsorgezentrale des IKG, die im Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien eingesehen werden konnten, zentral. Hinzu treten schließlich zahlreiche Materialien aus Archiven in den Zielorten der Emigration, wobei insbesondere die Schweiz eine wichtige Rolle spielte und hier wiederum verschiedene Stadt-, Staats- und Universitäts- bzw. Universitäten angegliederte Archive. Die Sachkommentare wiederum fußen überwiegend auf der umfangreich vorhandenen Literatur. Aus Quellenmaterial erarbeitete Sachkommentare werden entsprechend kenntlich gemacht. 7.3.4 Das Register Das Register erfasst Personen sowie Orte und innerhalb dieser einzelne herausragende Punkte, die in der Einleitung und den Editionstexten samt Kommentaren vorkommen. Als Orte wurden Staaten, Städte bzw. Märkte und Dörfer sowie innerhalb derselben

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etwaig genannte Straßen aufgeführt  ; im Falle Österreichs gilt das auch für die (vormaligen) Bundesländer, in demjenigen Wiens auch für die erwähnten Stadtbezirke. An Institutionen finden nur einige wenige Eingang in das Register, etwa die Zentralstelle für jüdische Auswanderung. Implizite Orte oder Sachverhalte, die im Kommentar nicht erläutert werden, sondern Teil zukünftiger Forschung sind, werden nicht registriert. Personen wie Orte werden in der Regel nur bei der Erstnennung kommentiert  ; da nur in Fällen, in denen das Verständnis erheblich erleichtert wird, mit einem Querverweis in nachfolgenden Fußnoten auf die Kommentierung verwiesen wird, müssen sie im Anschluss überwiegend über das Register erschlossen werden. Wenn aus dem Text keine eindeutige Identifizierung der erwähnten Person bzw. des Ortes möglich ist, wird sie (er) im Kommentar nochmals namentlich genannt. Weiterführende Informationen zu einer Person wurden nur dann aufgeführt, wenn sie für deren bessere oder eindeutige Identifizierung notwendig waren. Im Editionstext vorkommende Schreibvarianten von Familiennamen werden im Register in Form eines Verweises aufgenommen. Nicht ins Register aufgenommen wurden mit Ella Wenger und Elisabeth Schneider die beiden Hauptträgerinnen der Korrespondenz. Das Register erfasst sowohl die Nennungen im Vorwort als auch diejenigen im Editions- und dem nachgestellten erläuternden Teil. Die im Register genannten Ziffern beziehen sich auf die Seitenzahlen im Band.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellen

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− − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − −

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− − − − −

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− − − −

Wenger, Clotilde Wenger, Ella Wenger, Hartwig Zappert, Julius

Vermögensentziehungs-Anmeldungsverordnung, M.Abt. 119, A 41 233 und 308. Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI) Fragebogen der Fürsorgezentrale der IKG, jeweils  : Leihgabe im VWI − Freund, Rudolf, 9. Juni 1938, Auswanderungskartei 2590/60. − Heller, Martha, 19. Mai 1938, Auswanderungskartei 2589/48. − Leitersdorf, Ernst, 30. Juni 1938, Auswanderungskartei 35524. − Löbl, Emma und Richard, 27. Juni 1938, Auswanderungskartei 35353a. − Mautner, Josef, 19. Mai 1938, Auswanderungskartei 2589/78. − Schneider, Viktor, 11. Mai 1938, Auswanderungskartei 5027. − Wenger, Franz 11. Mai 1938, Auswanderungskartei 5316. − Zappert, Karl, 13. Juli 1938, Auswanderungskartei 39540.

Literatur Adler-Rudel, Salomon  : Jüdische Selbsthilfe unter dem Naziregime 1933–1939 im Spiegel der Berichte der Reichsvertretung der Juden in Deutschland, Tübingen 1974. Albrich, Thomas  : Vom Antijudaismus zum Antisemitismus in Österreich. Von den Anfängen bis Ende der 1920er Jahre, in  : Gertrude Enderle-Burcel/Ilse ReiterZatloukal (Hg.)  : Antisemitismus in Österreich 1933–1938, Wien 2018, 37–60. Aly, Götz/Heim, Susanne  : Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Frankfurt am Main 2013. Aly, Götz  : Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt am Main 22005. Anderl, Gabriele/Rupnow, Dirk, unter redaktioneller Mitarbeit von AlexandraEileen Wenck  : Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung als Beraubungsinstitution, Wien/München 2004. Apel, Linde  : Fehlende Stimmen  : Jüdische Hälftlinge im Konzentrationslager Ravensbrück 1939–1942, in  : Irith Dublon-Knebel (Hg.)  : Jüdische Frauen und Kinder im Konzentrationslager Ravensbrück. Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung, Berlin 2009, 61–85. Apel, Linde  : Judenverfolgung und KZ-System  : Jüdische Frauen in Ravensbrück, in  : Gisela Bock (Hg.)  : Genozid und Geschlecht. Jüdische Frauen im nationalsozialistischen Lagersystem, Frankfurt am Main/New York 2005, 44–65. Apel, Linde  : Jüdische Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück 1939–1945, Berlin 2003. Arndt, Ino  : Das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, in  : Dachauer Hefte. Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager 3 (1987), H. 3, 125–157. Atlan, Eva/Gross, Raphael/Voss, Julia (Hg.)  : 1938. Kunst, Künstler, Politik, Göttingen 2013. Bähr, Andreas/Burschel, Peter/Jancke, Gabriele (Hg.)  : Räume des Selbst. Selbstzeugnisforschung transkulturell, Köln/Weimar/Wien 2007. Bailer-Galanda, Brigitte/Blimlinger, Eva/Kowarc, Susanne  : »Arisierung« und Rückstellung von Wohnungen in Wien. Die Vertreibung der jüdischen Mieter und Mieterinnen aus ihren Wohnungen und das verhinderte Wohnungsrückstellungsgesetz, in  : Georg Graf u. a.: »Arisierung« und Rückstellung von Wohnungen in Wien, Wien/München 2004, 91–240. Bajohr, Frank  : Das »Zeitalter des Tagebuchs«  ? Subjektive Zeugnisse aus der NS– Zeit, in  : Ders./Sybille Steinbach (Hg.)  : »… Zeugnis ablegen bis zum Letzten«.

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Anhang

Verzeichnis der Briefe lfd. Nummer

Datum

Absendeort

Absender:in und Adressat:in

1

16. August 1938

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

2

18. August 1938

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

3

22. August 1938

Wien

Ella Wenger an Elisabeth und Viktor Schneider

4

5. September 1938

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

5

9. September 1938

Wien

Ella Wenger an Familie Schneider

6

6. Oktober 1938

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

7

14. Oktober 1938

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

8

22. Oktober 1938

Wien

Martha Wenger an Familie Schneider

9

29. Oktober 1938

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

10

5. November 1938

Wien

Ella Wenger an Familie Schneider

11

7. November 1938

Wien

Martha Wenger an Elisabeth Schneider

12

1. Dezember 1938

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

13

10. Dezember 1938

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

14

16. Dezember 1938

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

15

3. Januar 1939

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

16

14. Januar 1939

Wien

Martha Wenger an Familie Schneider

17

26. Januar 1939

Wien

Martha Wenger an Robert Schneider

18

30. Januar 1939

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

19

12./13. Februar 1939

Wien

Martha Wenger an Viktor Schneider

20

17. Februar 1939

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

21

28. Februar 1939

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

22

5. März 1939

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

23

13. März 1939

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

24

15. März 1939

Lichtenburg

Josefine Schneider an David Schneider

24 Beilage

o. Datum

Lichtenburg

Josefine Schneider an Georg Schneider

25

11. April 1939

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

26

5. Mai 1939

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

27

11. Juni 1939

Ravensbrück

Josefine Schneider an David Schneider

28

3. Dezember 1939

Wien

Ella Wenger an Rudolf Schneider

324 |  Anhang

lfd. Nummer

Datum

Absendeort

Absender:in und Adressat:in

29

9. Dezember 1939

Wien

Ella Wenger an Familie Schneider

30

19./20. Dezember 1939

Wien

Ella Wenger an Familie Schneider

31

25. Dezember 1939

Wien

Ella Wenger an Familie Schneider

32

28. Dezember 1939

Wien

Ella Wenger an Familie Schneider

33

23. Januar 1940

Wien

Martha Wenger an Robert Schneider

34

25. April 1940

Wien

David Schneider an Viktor Schneider

35

16. August 1940

Wien

Ella Wenger an Viktor Schneider

36

[August 1940]

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

37

3. September 1940

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

38

5. September 1940

Wien

Ella Wenger an Viktor Schneider

39

[September 1940]

Wien

Ella Wenger an o. Adressat

40

24. September 1940

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

41

27. November 1940

Wien

Ella Wenger an Emma Schönberg

42

6. Dezember 1940

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

43

24. Dezember 1940

Wien

Ella Wenger an Georg Schneider

44

31. Dezember 1940

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

45

5. Januar 1941

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

46

16. Februar 1941

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

47

20. März 1941

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

48

30. März 1941

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

49

14. April 1941

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

50

2. Mai 1941

Wien

Martha Wenger an Familie Schneider

51

16. Juli 1941

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

52

21. August 1941

Wien

Ella Wenger an Viktor Schneider

53

26. August 1941

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

54

20. November 1941

Wien

Ella Wenger an Familie Schneider

55

18. Februar 1942

Wien

Ella Wenger an Georg Schneider

56

29. März 1942

Wien

Ella Wenger an Elisabeth Schneider

57

12. Mai 1942

Wien

David Schneider an  ? [vermutlich an seinen Sohn Georg und/oder die Familie ­Schneider]

58

18. Mai 1942

Wien

Ella Wenger an Familie Schneider

59

11. Juli 1942

Wien

Ella Wenger an Familie Schneider

60

15. Juli 1942

Wien

Ella Wenger an Emma Schönberg

61

25. September 1942

Wien

Ella Wenger an Emma Schönberg

Abkürzungsverzeichnis AdR

Archiv der Republik (Teil des Österreichischen Staatsarchivs) AHO Auswanderungs-Hilfsorganisation für nichtmosaische Juden in der ­Ostmark AJDC American Joint Distribution Committee Bem. Bemerkung Dok. Dokument DP Displaced Person e. eigenhändige verfasst(e) e.B. eigenhändig verfasster Brief GB Großbritannien GBl. Gesetzblatt für das Land Österreich Gestapo Geheime Staatspolizei HIAS Hebrew Immigrant Aid Society IKG Israelitische Kultusgemeinde KG (Israelitische) Kultusgemeinde LTI Lingua Tertii Imperii masch.B. maschinenschriftlich verfasster Brief NDB Neue Deutsche Biographie NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei o.A. ohne Autor OÖLA Oberösterreichisches Landesarchiv, Linz RGBl. Reichsgesetzblatt RM Reichsmark RSHA Reichssicherheitshauptamt SD Sicherheitsdienst, Teil der SS SS Schutzstaffel StA Staatsarchiv StadtA Stadtarchiv StAZG Staatsarchiv Zug (Schweiz) UASG Universitätsarchiv St. Gallen UAZ Universitätsarchiv Zürich UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UNRRA United Nations Relief and Rehabilitation Administration VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte VSJF Verband Schweizerischer Jüdischer Fürsorge

326 |  Anhang

VVS t VWI WStLA

Vermögensverkehrsstelle (NS-Behörde, die die Zwangsenteignung der jüdischen Bevölkerung Wiens koordinierte) Vienna Wiesenthal Institute Wiener Stadt- und Landesarchiv

Abbildungsnachweis Abb. 21  : Archiv der IKG Wien, A /VIE / IKG / II / BEV / Wohn/ 3 / 2. Abb. 22 und 28  : Arolsen Archives, 1.1.42.2/5132363 bzw. 3.1.1.1/69658079. Die Abbildungen 19, 20 und 27 stammen vom Herausgeber. Alle anderen Abbildungen befinden sich im Privatbesitz von Martin Schneider (Lyon).

Personen- und Ortsregister

Personenregister Abeles, Hedwig, siehe Jellinek, Hedwig Altmann, Curt  29, 222 Antal, Hedl, siehe Jellinek, Hedwig Armitt (Miss)  151 Ascher, Erna  191 Barber, Maximilian  65 Bartos, Elisabeth, siehe Galambos, Elisabeth Bauer, Helene, siehe Illner, Helene Bäuml, Erich  168, 180 Bäuml, Rudolf  168 Bäuml, Selma  154, 156, 158, 168, 180, 181 Bloch, Gustav  53 Blumenfeld, Franziska, siehe Hofmann, Franziska Bogdanov, Franziska  151 Borchardt, Luise  61 Bornett, Clara  81 Botz, Gerhard  253 Bourgouin, Marcel und Fanny  197, 198, 225 Brand, Margarethe, siehe Brand-Wappner, Margarethe Brand, Oskar  62, 214 Brand-Wappner, Margarethe  62, 63, 73, 89, 106, 129, 138, 140, 141, 157, 214 Breckinridge Long, Samuel  70 Browning, Christopher  278 Brüning, Heinrich  271 Brunner, Alois  168, 275 Brunner, Anna  83 Brunner, Gertrud (Gerti), siehe Zappert, Gertrud Brunner, Moriz  83 Brunner, Wolfgang  83, 85, 86, 100, 111, 125, 146, 161, 204, 218 Bunzl, Hugo  63 Bunzl, Martin  62 Bürckel, Josef  60, 124, 133, 261 Chat, Caroline, siehe Löbl, Caroline Christian X. (König von Dänemark)  61 Czerwenka, Bianca  39, 40, 98, 181, 185

Czerwenka, Bianca und Ludwig  39, 40, 48, 50 Czerwenka, Ludwig  39, 40, 171 Dietrich, siehe Dittrich Dittrich, Josef  22, 29, 37, 43 – 45 Dittrich, Margarete, siehe Mühlbauer, Margarete Dittrich, Maria  22, 30, 37, 44, 93 Dittrich, Maria und Josef  37, 44 Doderer, Auguste  70 Doderer, Heimito von  70 Dora (Frau)  171 Drach, Joscha  170 Dukes, Paula und Salo  50 Eichmann, Adolf  11, 39, 60, 61, 134, 168, 274, 275 Engländer, Emma, siehe Schneider, Emma Engländer, Ignaz  191 Fischel, Hartwig  104 Fischel, Minnie Maria  104 Fischel, Paula, siehe Singer, Paula Fischer, Emma  65, 66 Fischer (Herr)  21, 25 Fleischmann, Cornelia, siehe Zappert, Cornelia Fleischmann, Ida, siehe Kohn, Ida Foges, Anna, siehe Kalmus, Anna Forell, Friedrich  87 Frafri, siehe Wenger, Franz und Friederike Frank, Anne  248, 249 Fränkel, Franziska  66, 137, 147, 187, 237, 238 Franz Joseph I., Kaiser  94, 254 Freund (Familie, genaue Zuschreibung unklar)  94 Freund, Grete  56, 171, 182 Freund, Grete und Rudolf  56 Freund, Hedwig  77 Freund, Heinrich  66, 77, 78, 85, 94, 96, 100, 104, 124, 127, 136, 137, 141, 143, 144, 147, 160, 165, 237, 238 Freund, Johanna  182 Freund, Leopold  136, 141, 144

Personen- und Ortsregister | 329 Freund, Luise  77 Freund, Luise oder Hedwig  77, 99, 104 Freund, Peter  182 Freund, Rudolf  56, 182 Frick, Wilhelm  264 Fried, Otto  68 Fritzi, siehe Wenger, Friederike Galambos, Elisabeth  44 Galambos, Paul  44 Gänsler, Hermine, siehe Schneider, Hermine Georgette (Französischlehrerin und gute Bekannte)  33, 58, 62, 67, 80, 97, 99, 119, 127, 141, 142, 147, 161, 168, 181, 184 Gerhart, Angela  87, 88, 162 Gerhart, Angela und Julius  87, 158, 161, 162 Gerhart, Julius  87, 88, 162 Geyde, George Eric Rowe  10, 256 Gildemeester, Frank  133 Ginzburg, Carlo  236 Globocnik, Odilo  168, 275 Goldgraber, Josefine  178 Golo, siehe Schneider, Georg Göring, Hermann  11, 262, 264 Goschler, Elsa, siehe Singer, Elsa Gottesmann, Emil  146 Grendi, Edoardo  236 Greyerz, Kaspar von  246 Grobscher/Grobschi, Kosename für Wenger, Ella Grünhut, Willy  68 Grünwald, Mathias  44 Gutfreund  54 Haag, Adele  81 Haag, Adele und Adolf  81 Haag, Adolf  81 Haag, Paul  68, 81, 172 Haber, Helena, siehe Kalmus, Helena Hafner, Anna, siehe Tomberger, Anna Hájková, Anna  279 Hamburger, Ernestine  66, 123, 124, 127, 137, 147, 158, 164, 177, 187, 237, 238 Hasterlik, Auguste, siehe Doderer, Auguste Hecht, Dieter  253 Hedenquist, Göte  87, 162 Heller, Helene  39, 64 Heller, Leopold  101

Heller, Martha  38, 39, 64, 69, 70, 101, 265 Hensel, siehe Hensl Hensl, Anton  38 Hensl, Klara  38 Hensl, Lotte  38 Herzog, Gisela, Ella und Ernst  50 Hess, Anna  276 Heydrich, Reinhard  60, 134, 187, 276, 277 Hillesum, Etty  210 Himmler, Heinrich  55, 56, 150 Hitler, Adolf  260 Hoffmann, Katerina  129 Hoffmann, Vilém  129 Hofmann, Franziska  129 Hogen, Antonia  24, 34, 61, 127 Hollis, Mrs. E.O.  110 Hug, Walther  62, 214 Huschak, Franziska, siehe Leitersdorf, Franziska Illner, Helene  123, 143, 152, 158, 181, 185 Illner, Sigmund  143 Israel  264 Ivarsson, Johannes  87, 162 Jacobson, Jacob  277 Jaeger (Hofratsgattin)  41 Jansen, Werner  35 Jaroslavsky, Friederike  231, 232 Jellinek  24, 94, 143 Jellinek, Alfred  60 Jellinek, F.  29, 39 Jellinek, Hedwig  78, 94, 115, 175 Jellinek, Hedwig und Otto  78 Jellinek, Ignaz  19, 20, 24 Jellinek, Johanna  41, 60, 215 Jellinek, Otto  78, 94, 115, 265 Jellinek, Walter  60 Juval, Marie, siehe Schneider, Marie Kaldek  86 Kalmus, Anna  70, 71 Kalmus, Ernst  70, 71, 88, 176 Kalmus, Friedrich  71 Kalmus, Helena  70 Kalmus, Ludwig  71 Kanitz, Elisabeth, siehe Schiff, Elisabeth Kann, Margarethe, siehe Lindt, Margarethe

330 |  Anhang Karplus, Hildegard  35, 100, 103, 104, 177, 183 Katha, siehe Käthe Käthe (Haushaltshilfe)  23, 32, 37, 50, 67, 71, 80, 85, 97 – 99, 127 Katuschka, siehe Käthe (Haushaltshilfe) Kent, Minnie Maria, siehe Fischel, Minnie Maria Klemperer, Victor  15, 248 Kohn, Anna, siehe Brunner, Anna Kohn, Ida  158 Kohn, Rosa, siehe Schneider, Rosa Kollmann, Fritz  51 Kornfeld, Gisela  157, 190, 195, 196 Kornfeld, Maria  33, 50 Koska, siehe Kostka, J. Kostal, Ernst  139, 153, 183 Kostal, Rudolf  139, 176 Kostka  124, 127 Kostka, J.  67, 159, 171 Kostron, Ernst  139 Kozich, Thomas  38, 259 Kraus, Fritz  134 Kreisler (Frau)  88 Kuhner (Direktor)  82 Kutuschka, siehe Käthe (Haushaltshilfe) Langnas, Mignon  279 Lappin-Eppel, Eleonore  253 Layton, Willy  171, 176 Lechner, Emma  164, 165, 170 Lederer, Friederike  218 Lehnstaedt, Stefan  277 Leichter, Käthe  194 Leitersdorf, Elisabeth  78 Leitersdorf, Ernst  78, 79, 160, 172 Leitersdorf, Franziska  78 Leitersdorf, Franziska und Ernst  78, 79, 160, 171 Leitersdorf, Gertrude  78 Leitersdorfer, siehe Leitersdorf Lichtblau, Albert  253 Liggi, Julia, siehe Richter, Julia Lindt, Ernst  173 Lindt, Margarethe  173 Löbl, Caroline  163 Löbl, Elsa  182 Löbl, Emma  46, 56, 137, 146, 162, 168, 170, 172, 182 Löbl, Hans Wilhelm  46, 146, 162, 163

Löbl, Hans Wilhelm und Marianne  146, 162 Löbl, Marianne  46, 146, 162, 163 Löbl, Richard  56, 163, 172, 182 Lotte (Frau)  54 Lueger, Karl  254 Lustig, Arthur  178, 180, 198 Lustig, Margarethe  178 Made/Madi, siehe Georgette Mannheimer, Isaak Noah  33 Marcus, Otto  29, 61, 222 Marie (Haushaltshilfe)  93, 95, 96, 121 Marie (Haushaltshilfe bei Julius Zappert)  125 Markus, Otto, siehe Marcus, Otto Markus, Walter  29, 222 Marx, Louise  61, 66, 74, 83, 85, 99, 101, 111, 114, 123, 127, 137, 143, 144, 147, 156, 160, 171, 187, 237, 238 Mary (Tante)  70 März (Frau)  126, 127 Mautner, Josef  77 Medick, Hans  236 Melchior, Harald  50, 61 Melchior, Kamma  23, 50, 61, 80, 112, 175, 222, 280 Melchior, Kamma und Harald  23, 112, 119, 272 Meyer, Elisabeth, siehe Nathan, Elisabeth Moser, Paula  25, 172, 175 Mühlbauer, Gertrude  30, 37 Mühlbauer, Heinz  30 Mühlbauer, Margarete  29, 30, 37, 44 Mühlbauer, Robert  29, 30, 34, 44, 223 Mühlbauer, Robert und Margarete  30, 44 Mussolini, Benito  133 Musy, Jean-Marie  55, 56 Nathan, Elisabeth  175 Nathan, Kamma, siehe Melchior, Kamma Nettel, Maria  71, 97 Nettel, Marie Therese  71 Nettl, siehe Nettel, Marie bzw. Marie Therese Nolte, Paul  239 Pennebaker, James  248 Perlmutter, Franziska  163 Perlmutter, Franziska und Leib  163 Perlmutter, Leib  163

Personen- und Ortsregister | 331 Perlsee, Elsa und Richard  171, 182 Perlsee, Emma, siehe Löbl, Emma Perlsee, Grete, siehe Freund, Grete Perutz, Arthur  137 Perutz, Hugo  137 Perutz, Maria  61, 123, 130, 137, 159 Perutz, Maria und Arthur  127, 137, 157 Perutz, Max  137 Peter  127 Petters (Frau)  62, 63, 267 Philipps (Herr)  97, 108 Phillips, Erna  108 Pierlot, Hubert  224 Pohl, Emanuela (Emma), siehe Schönberg, Emma Pohl, Hermine  126, 129 Polatschek, Hermann  51, 54 Poldi  166, 170 Pollack, Albert und Fritzi  30 Pollack, Arthur  30 Pollack, Arthur und William  30 Pollack, William  30 Poni, Carlo  236 Popper, Angela, siehe Gerhart, Angela Przibram, Friederike, siehe Lederer, Friederike Przibram, Hans  218 Przibram, Karl  218 Pulzer, Peter  253 Rafelsberger, Walter  261 Raffegerst, Carlheinz  19 Raggam-Blesch, Michaela  253 Rath, Ernst vom  92 Regine (Tante)  116, 144, 184 Richter, Julia  65, 66, 137, 237 Richter, Otto  66 Robitschek  170 Robitschek, Edith  165 Robitschek, Erzsebet und Emanuel  165 Robitschek, Frieda  165 Rosenfeld, Franziska, siehe Perlmutter, Franziska Rosenstrauch, Hazel  12 Rosl  106 Roth (NS-Verwalter)  39 Rothschild, Anselm Salomon Freiherr von  64, 198 Safrian, Hans  10, 253 Salomons, Mabel  74, 75, 83, 101, 223

Samek, Berthold  24 Samek, Jaroslav  24 Samek, Jaroslav oder Berthold  24 Samel, Hedi  51, 52 Sauer (Metzger)  53 Scherer (Frau)  59 Schermann, Franz  89 Schern (Frau)  102 Schick, Antonie  130 Schiff, Elisabeth  35, 46, 100, 103, 115, 177, 183 Schiff, Felix  35 Schiff, Hildegard, siehe Karplus, Hildegard Schirach, Baldur von  237, 260 Schleich, Carl Ludwig  47 Schlesinger, Evi  55 Schlesinger, Gertrud  55 Schlesinger, Paul  55 Schmitzer (Frau)  85 Schmutzer (Frau)  29, 184 Schneider, David  19, 20, 22, 24, 25, 29, 30, 34 – 37, 47, 51, 57, 61, 64, 71, 83, 88, 89, 93, 97, 101, 104, 106, 108, 110, 114, 117, 121, 124, 127, 133, 134, 138, 140, 141, 144, 154, 155, 157, 159, 163, 165, 171, 178, 179, 184, 188, 191, 194, 200, 209, 229, 230, 249, 265, 277 Schneider, Emanuel  178 Schneider, Emma  30, 191 Schneider, Georg  27, 54, 97, 101, 106, 108, 110, 117, 119, 129, 134, 137, 138, 141, 146, 149, 150, 154 – 156, 158 – 160, 163, 165, 166, 168, 170, 173 – 176, 180 – 184, 186, 188, 191, 193, 194, 196, 197, 199, 209, 212, 228, 229, 231 Schneider, Gert  178 Schneider, Hermine  178 Schneider, Joschka  144 Schneider, Josef  83, 106 Schneider, Josefine  20, 88, 93, 95, 97, 100, 101, 106 – 108, 110, 117, 127, 140, 142, 155, 163, 165, 178, 184, 191, 194, 209, 229 – 233, 243, 250, 272, 283 Schneider, Leopold  178 Schneider, Marie  144, 230 Schneider, Martin  9, 15, 19, 25, 35, 40, 43, 46 – 48, 50, 54, 56, 58, 60, 65, 69, 73, 74, 84, 89, 97, 98, 101 – 103, 119 – 121, 125, 127, 138, 146, 147, 152, 159, 167, 171, 172, 178, 179, 185, 197, 209, 224, 283

332 |  Anhang Schneider, Robert  9, 19, 22, 23, 29, 30, 58, 73, 83, 89, 120, 125, 130 – 132, 152, 161, 164, 167, 173, 179, 189, 190, 197, 209, 224 Schneider, Robert, Rudolf und Martin  12, 23, 25, 27, 30, 33, 35, 41, 43, 46, 48, 50, 52, 57, 58, 64, 68, 69, 74, 76 – 78, 80, 89, 91, 94, 99, 101, 103, 104, 114, 121, 123, 134, 135, 138 – 140, 142, 144, 145, 147, 150, 152, 155, 156, 159, 161, 163, 165, 167, 169, 170, 172, 176, 178, 179, 183, 184, 186, 188, 189, 194, 196, 197, 223 – 225, 247, 251 Schneider, Robert und Rudolf  30, 35, 38, 114, 146, 159, 185, 189, 265 Schneider, Rosa  191, 229 Schneider, Rudolf  9, 19, 30, 43, 58, 65, 69, 73, 119, 120, 125, 152, 197, 209, 224, 246 Schneider, Salome  178 Schneider, Simon  83, 88, 104, 106 Schneider, Suse  178 Schneider, Viktor  9, 12, 19, 20, 23, 26 – 29, 31, 33 – 35, 37, 46, 50, 53, 54, 57, 58, 61, 63, 69, 74 – 76, 80, 83, 89, 91, 95, 97, 98, 101, 103, 108, 114, 119, 123, 129, 133, 135, 136, 138 – 143, 146, 150, 153 – 155, 159, 161, 163 – 170, 172 – 175, 178 – 181, 189, 193 – 195, 197, 199, 209, 222 – 229, 247, 250, 262, 272, 277, 281 Schnitzer  63, 82, 172 Schnitzler, Arthur  255 Schobert, W.  51 Schönberg, Arnold  255 Schönberg, Emma  27, 62, 63, 125, 126, 129, 137, 138, 140, 146 – 151, 156, 170, 186, 188, 200, 203, 204, 209, 228, 280 Schönberg, Emma und Hans  27, 62, 63, 123, 157, 200, 262 Schönberg, Erika  62, 63 Schönberg, Friedrich  123, 200 Schönberg, Hans  62, 63, 188, 262 Schönberg, Margarete  62 Schönberg, Maria Anna  123, 125, 126, 129, 165 Schreiber, Franz  59 Schreiber, Franz jr.  59 Schröters, siehe Schrötter Schrötter, Anna  93 Schrötter, Bruno  93 Schrötter, Elisabeth  93 Schrötter, Therese  93 Schrötter, Therese und Bruno  93

Schuschnigg, Kurt  38 Schwarz, Rosa Rachel  51, 76, 103 Schwitzer, Emma, siehe Schneider, Emma Selle, siehe Georgette Seßler, Sofie, siehe Trager, Sofie Silberbusch, Klara, siehe Hensl, Klara Simon, Clementin  115 Singer, Elsa  125, 161, 181 Singer, Hilde, siehe Zappert, Hilde Singer, Paula  33, 35, 46, 74, 89, 103, 104, 122, 123, 127, 130, 143, 149, 152, 156, 158 – 161, 164, 169, 170, 199, 266 Skala, Maria, siehe Dittrich, Maria Sobotka, Antonie, siehe Schick, Antonie Sobotka, Maria, siehe Perutz, Maria Sobotka, Marie, siehe Zappert, Marie Sobotka, Wilhelm  61, 129, 130 Sommer, Mathilde  153, 158 Steinschneider, Elsa, siehe Perlsee, Elsa Swo, siehe Swoboda Swoboda (Frau)  55, 78, 99, 101, 144, 183 Swobotka, siehe Swoboda Thenen, Josef  74, 101 Tomberger, Alfred  35, 37 Tomberger, Anna  35 Trager, Bianca, siehe Czerwenka, Bianca Trager, Friederike, siehe Wenger, Friederike Trager, Hugo  185 Trager, Sofie  95, 122 Traxler, Anton  51 Tuschak, Viktor  36 Veti  50, 80 Vetti, siehe Veti Viki, siehe Schneider, Viktor Wappner, Adele  62, 63, 73, 78, 95, 99, 101, 214 Wappner, Leopold  63 Wappner, Margarethe, siehe Brand-Wappner, Margarethe Wappner, Oskar  63, 140, 141, 168, 214 Wappner, Richard  63, 214 Weil, Peter und Heinrich  91 Weinberger, Ladislaus oder Leo  47 Weiss, Gertrud, siehe Schlesinger, Gertrud Weiß, Emy  38, 94

Personen- und Ortsregister | 333 Weiß, Hedi  38, 46, 153, 161 Weiß, Hedi oder Emy  38 Wenger, Clothilde  55, 56, 124, 270 Wenger, Franz  23, 25, 32, 39, 40, 48 – 50, 55, 58, 61, 64, 78, 80, 86, 87, 89, 92, 93, 95, 98, 121 – 123, 126, 127, 137 – 140, 143, 144, 146, 159, 161, 165, 171, 173, 218, 221, 222, 269 – 273, 280, 281 Wenger, Franz und Friederike  23, 25, 32, 33, 40, 48 – 50, 58, 65, 81, 87, 170, 185, 195, 271, 272 Wenger, Friederike  23, 25, 32, 39, 40, 47, 49, 50, 58, 95, 98, 122, 123, 126, 171, 185, 222, 272 Wenger, Hartwig  80, 95, 153, 159, 165, 175, 218, 219 Wenger, Martha  9, 14, 22, 23, 28, 31, 38, 39, 45, 49, 52, 54, 58 – 61, 64, 66 – 69, 71, 76 – 78, 80, 83, 85, 86, 91, 92, 94 – 101, 103 – 105, 111 – 113, 116, 119, 120, 123, 124, 127, 130 – 132, 136 – 139, 144, 146, 147, 149, 153, 154, 157, 159, 160, 163, 165, 168, 170, 172, 175 – 179, 182 – 184, 186 – 191, 194 – 196, 198, 199, 201, 203, 204, 209, 218 – 221, 237, 238, 245, 249, 268, 272, 275 – 277, 279 – 281, 283 Wenger, Stefan  23, 32, 39, 41, 46, 48 – 50, 52, 54, 55, 58, 59, 73, 87, 89, 125, 146, 159, 222, 272 Wiener, Dora  66 Wiener (Frau)  65, 66

Winter, J.  80 Winter, S.  80 Winter, S. oder J.  80 Witek, Hans  10, 253 Wolkenfeld, Betti  150 Wolkenfeld, Chaje  151 Wolkenfeld, Jacob  151 Wolkenfeld, Meilech  150 Wolkenfeld, Miriam  151 Zappert, Adele, siehe Wappner, Adele Zappert, Carl  74, 214 Zappert, Cornelia  33, 41, 158, 215 Zappert, Gertrud  33, 41, 62, 83, 85, 86, 100, 103, 111, 115, 124, 125, 146, 156, 157, 161, 162, 177, 181 – 183, 190, 195, 203, 204, 215, 218, 239, 268 Zappert, Hilde  48, 81, 125, 161, 183 Zappert, Johanna, siehe Jellinek, Johanna Zappert, Julius  12, 33, 35, 40, 41, 48, 51, 60, 76, 77, 83, 86, 93, 100, 103, 111, 115, 123, 125 – 127, 129, 144, 158, 159, 161, 177, 182, 183, 195, 204, 214, 215, 218, 256, 257, 268 Zappert, Karl  33, 41, 48, 62, 63, 81, 86, 161, 181, 183, 189, 204, 215, 218, 268 Zappert, Karl und Hilde  81 Zappert, Marianne  48, 81, 183 Zappert, Marie  74, 214

Ortsregister Aachen  27 Aarhus  175 Abessinien  133 Altona, siehe Hamburg-Altona Amerika  56, 70, 71, 78, 93, 100, 101, 104, 171, 270 Antwerpen  81, 151 Argentan  227 Arosa  64, 82 Auschwitz  33, 46, 66, 83, 125, 137, 162, 182, 190, 276, 277 Australien  23, 39, 48, 49, 56, 60, 68, 78, 81, 92 – 94, 97, 212, 222, 223, 269 – 272, 279 – 281 Baccarat  228 Baden  131 Bad Reichenhall  228

Bar-le-Duc  228 Basel  101 Belgien  27, 30, 53, 55, 56, 75, 76, 81, 97, 101, 135, 145, 151, 167, 172, 179, 209, 219, 223, 224, 270 Bentschen  150 Bergersdorf  38 Berlin  10, 11, 33, 47, 51, 60, 61, 105, 150, 218, 264 Bernburg  88, 191, 194, 233 Bielitz  93 Bohumín  178 Boulogne  224 Braila  101 Brasilien  33, 48, 183, 204, 218 Bratislava  230 Brünn  190 Brusque  198, 225

334 |  Anhang Brüssel  19, 53, 65, 74, 91, 103, 111, 133, 135 – 137, 141, 144, 159, 167, 179, 209, 223, 224 Rue Adolphe  53, 133, 223 Rue Notre-Dame-de-Grâces  74 Budapest  137, 163 Burtenbach  228 Busson  228 Calais  224 Casablanca  227 Chicago  171, 173, 176, 178 China  55 Contrexéville  228 Czudec  150 Dänemark  23, 25, 33, 39, 50, 61, 175, 215, 218, 219, 270, 280 Deggendorf  279, 280 Deutschland  9 – 11, 19, 20, 25, 28, 46, 63, 64, 76, 86, 93, 104, 133, 135, 150, 167, 173, 198, 203, 215, 223, 228, 234, 255, 256, 261 – 264, 267, 274, 276, 281, 286 Dominikanische Republik  184 Driebergen  151 Eidgenossenschaft, siehe Schweiz England  33, 35, 38, 39, 41, 48, 55, 58, 59, 62, 76, 77, 81, 86, 89, 93, 100, 113, 151, 177, 183, 204, 212, 215, 218 Etterbeeck  135, 224 Feldkirch  31 Figueras  227 Frankreich  53, 56, 63, 68, 76, 81, 94, 135, 151, 168, 172, 197, 209, 212, 214, 223, 224, 226, 228, 270, 273 Gablonz  126 Galat  101 Gibraltar  227 Gordola  54, 134, 176, 228 Goutrens  135, 224 Großbritannien  55, 59, 76, 93, 103, 104, 113, 123, 200, 204, 224, 227, 270 Gyöngyös  63 Hamburg  63, 276

Holstein  35 Hradisko  81 Humpolec  81 Indien  62 Innsbruck  88, 106, 108, 231 Israel  19, 77, 93 Istanbul  123 Izbica  276 Jugoslawien  197 Kaltenleutgeben  131 Kassel  35 Kaunas  25 Kent  110 Kolbuszowa  151 Köln  19, 27, 53, 209, 223 Kopenhagen  23, 25, 33, 50, 51, 55, 61, 112, 113, 119, 175, 270 Vesterbrogade  175 Kowno, siehe Kaunas Kuba  184 Lampertheim  228 Le Mans  227 Les Avants  56 Lichtenburg  88, 93, 106, 108, 117, 191, 231 Linz  39, 40, 71, 77, 133, 181 Bürgerstraße  39 Lissabon  9 Łódź  87, 129, 153, 162, 276 London  29, 30, 33, 41, 44, 49, 50, 56, 61, 86, 93, 94, 99, 103 – 105, 112, 178, 200, 215 Lundenburg  191 Lyon  9, 19, 283 Maly Trostinec  65, 78, 203, 276, 277 Manchester  151 Mattsee  255 Mauthausen  137 Melbourne  39, 49 Mexiko  54, 228 Mexiko-Stadt  54 Miami  71, 77 Minsk  163, 276 Miranda de Ebro  227

Personen- und Ortsregister | 335 Miskowitz  78, 144 Mödling  66 Monte Alegre  183 Montpellier  224 München  280 Murgenthal  54, 228 Neustadt an der Moldau, siehe Nové Město New York  35, 60, 71, 79, 151, 178 Niederlande  53, 55, 89, 223 Niederösterreich  33 Nikolsburg  191 Nisko  79, 274, 275 Nordafrika  227 Normandie  227 Norwegen  31 Nové Město  33 Novocelica  38 Obersalzberg  228 Ödenburg/Sopron  44 Oderberg  178 Olmütz  182 Osterhofen  279 Österreich  9, 10, 19, 28, 31, 38, 41, 49, 67, 87, 88, 104, 113, 135, 162, 174, 178, 198, 215, 223, 230, 254 – 257, 261, 263, 269, 271, 286 Palais Rothschild (Wien)  60 Palästina  39, 55, 93, 94, 101, 111, 280 Paraguay  56, 94, 182 Paris  63, 68, 197, 222, 227, 228, 280, 281 Pernitz  33, 63, 189 Hauptstraße  63 Perpignan  135, 174, 197, 226 Philadelphia  176 Polen  70, 78, 150, 153, 276 Pötschach  25 Prag  11, 41, 60, 62, 68, 73, 125, 129, 130, 137, 143, 182, 214, 242 Pressburg  20, 230 Ravensbrück  88, 106, 117, 140, 142, 163, 191, 194, 230 – 233, 243 Regba  77 Riga  25, 78, 81, 123, 178, 187, 238, 276 Rio de Janeiro  183

Risch  63 Rivesaltes  174, 197, 227 Rom  133 Rosenheim  228 Rossauerlände (Polizeigefängnis in Wien)  12, 41, 70, 71, 257 Rothschildspital (Wien)  198, 201 Rumänien  38, 101 Saint-Germain  256 Salzburg  71, 88, 231, 256 Getreidegasse  233 Samedan/Graubünden  62 Sannois  19, 74, 228, 281 San Remo  54, 228 São Paulo  183 Schaffhausen  106, 231 Schweden  61, 76, 87, 111 – 113, 219 Schweiz  21, 27, 31, 45, 54 – 56, 62, 63, 76, 97, 100, 101, 106, 108, 117, 123, 137, 140, 157, 176, 200, 209, 212, 219, 228, 231, 262, 267, 270, 280, 286, 287 Seinsfeld  51 Serbien  35 Shanghai  55 Slough  41, 177, 204, 215 Southampton  23, 39, 222 Sowjetunion  173 St. Affrique  135, 224, 225, 228 St. Cyprien  135, 141, 150, 154, 224, 226, 248 St. Gallen  62, 63, 214 Heinestraße  62 St. Gilgen  41 St. Wolfgang  41 Starnberg  228 Südamerika  39, 54, 94, 101, 182, 212, 228, 230 Surbiton  104 Sydney  22, 23, 49, 281 Tarnopol  163 Tarnow  70 Theresienstadt  33, 39, 40, 46, 51, 55, 56, 61, 83, 125, 129, 130, 134, 158, 182, 187, 198, 200, 203, 210, 212, 220 – 222, 228, 230, 276 – 280, 283 Hauptstraße  221 Tirol  256 Tours  224

336 |  Anhang Treblinka  20, 61, 158, 200, 230, 277 Tschechoslowakische Republik (ČSR)  38, 68, 78, 81 USA  39, 55, 60, 70, 76, 79, 93, 101, 168, 173, 177, 183, 184, 222, 224, 270, 280 Vermögensverkehrsstelle (NS-Behörde in Wien)  39, 40, 171, 261 – 263 Versailles  19, 256 Villarrica  94 Wien  9 – 14, 19, 20, 22 – 25, 27, 30, 32 – 35, 37 – 44, 46 – 51, 53 – 56, 58, 60 – 63, 65, 66, 68 – 71, 73, 74, 76, 78 – 80, 82, 83, 85 – 89, 91, 93 – 96, 98 – 106, 111, 114, 119, 121 – 124, 127, 129 – 131, 133, 135, 137 – 139, 141, 143, 144, 146, 147, 149, 152, 154, 156, 158, 160, 162 – 165, 167, 168, 170, 173, 175, 177 – 179, 181, 182, 184 – 187, 189 – 191, 194, 195, 197, 198, 200, 203, 204, 209, 210, 212, 214, 215, 218, 219, 221, 223, 228, 230, 231, 237, 239, 240, 244, 247, 248, 250, 252 – 263, 266 – 270, 273 – 277, 279, 283, 287 Alsergrund (IX. Bezirk)  41, 47, 50, 66, 83, 187, 259 Aspangbahnhof  25, 276 Atzgersdorf  24, 34 Atzgersdorf, Kirchenplatz  24 Brigittenau (XX. Bezirk)  24, 39, 47, 64, 66, 69 Castellezgasse  168 Czerningasse  186, 198, 199, 201 Doblhoffgasse  93 Döbling (XIX. Bezirk)  32, 36, 53 Eisengasse  66 Esslinggasse  33, 36, 66, 68, 78, 80, 81, 124, 135, 141, 147, 163, 186, 187, 190, 218 – 220, 238, 239 Ferdinandstraße  147 Ferstelgasse  101 Floridsdorf (XXI. Bezirk)  19 – 22, 24, 25, 28 – 30, 33, 34, 44, 61, 83, 114, 190 Floridsdorfer Hauptstraße  44 Franzensbrückenstraße  35 Fröbelgasse  139 Glockengasse  125, 158 Goldstragstraße  143 Gonzagagasse  114

Grinzinger Straße  62, 200 Große Sperlgasse  162 Große Stadtgutgasse  44 Grünentorgasse  187 Grüngasse  146 Haasgasse  40, 187 Hermanngasse  78 Herrengasse  28, 272 Hietzing (XIII. Bezirk)  63, 73, 143, 152 Hohe Warte  32 Innere Stadt (I. Bezirk)  28, 47, 48, 50, 51, 59, 74, 93, 114, 162, 168, 182, 218, 239, 272 Jedleseer Straße  19, 22, 29, 30, 32, 35, 37, 38, 44 Johannesgasse  168 Josefstadt (VIII. Bezirk)  24 Kleine Glockengasse  85 Kleine Sperlgasse  25, 65, 66 Kohlmarkt  63, 133 Kohlmessergasse  78 Konradgasse  55 Landstraßer Hauptstraße  83 Laurenzgasse  89 Leopoldstadt (II. Bezirk)  47, 66, 83, 187, 198, 203, 215, 219, 220, 259 Lerchenfelder Straße  24 Liesing (XXIII. Bezirk)  34 Lilienbrunngasse  61, 187, 238 Lindengasse  29, 89 Mahlerstraße  123 Malzgasse  162, 164, 198 Margareten (V. Bezirk)  28, 272 Mariahilf (VI. Bezirk)  54, 73 Mariahilfer Straße  44, 54, 74 Maxingstraße  63, 73 Mohapelgasse  190, 203 Montecuccoliplatz  51 Neubau (VII. Bezirk)  29 Nussdorf (Teil des IXX. Bezirks)  190 Obere Augartenstraße  66, 190 Penzing (XIV. Bezirk)  152 Penzinger Straße  89, 152 Perinetgasse  39, 64 Pfluggasse  81 Praterstraße  158 Prinz-Eugen-Straße  60 Probusgasse  32

Personen- und Ortsregister | 337 Raffaelgasse  24 Rauscherstraße  41 Renngasse  48 Ringstraße  51, 249, 265 Rotensterngasse  162 Rudolfsheim-Fünfhaus (XV. Bezirk)  65 Rudolfsplatz  114 Rudolf-von-Alt-Platz  191 Schlosshofer Straße  83 Schottengasse  32 Schottenring  50 Sechsschimmelgasse  46, 83 Seegasse  162 Skodagasse  41, 85, 86, 115, 161 Sophienalpe  94 Springergasse  20, 133 Staudingergasse  70 Stephansplatz  114 Sterngasse  33 Stoß im Himmel  162, 182 Taborstraße  124 Tempelgasse  187 Tuchlauben  59 Untere Augartenstraße  137, 175, 186, 187, 190, 195, 198, 203, 219, 220, 238, 275 Untere Ferdinandstraße  238 Untere Schlosshofer Straße  20 Währing (XVIII. Bezirk)  198 Währinger Gürtel  64, 198 Wattmanngasse  139

Wehrgasse  28 Werthenburggasse  51 Weyrgasse  65 Widerhofergasse  39, 40, 50, 181 Wieden (IV. Bezirk)  171 Wienerstraße  181 Wilhelm-Exner-Gasse  66 Wollzeile  133, 146, 156 Zehenthofgasse  53 Zelinkagasse  51 Wildbad  55 Winzer  279 Wolfgangsee  41 Yad Vashem  68 Zentralstelle für jüdische Auswanderung (Wien)  11, 39, 60, 99, 134, 147, 168, 187, 198, 273 – 275, 288 Zögernitz  36 Zug  27, 62, 63, 104 Zug (Schweiz)  62 Zürich  54, 62, 188, 193, 214, 215, 228 Hadlaubstraße  62 Hochfarbstraße  54 Milchbuckstraße  54 Pfalzgasse  54 Toblerstraße  62

Dank

Die hier edierten Briefe handeln von Privatem und Politischem, von Politischem, das existentiell ins Privatleben eingriff und von Privatem, das die Nationalsozialisten politisch machten, indem sie in jeden Winkel eines einzelnen Lebens dringen wollten  ; sie handeln von Entrechtung und Demütigung, von Leid, Sehnsucht, Mut und Hoffnung in den Jahren zwischen Anschluss und dem Beginn der ›Endlösung‹. Die Dokumente zeigen all dies aus der Perspektive Ella Wengers, einer Frau, die 1938 68 Jahre alt und Zeit ihres Lebens in Wien war. Das gewohnte Leben wurde ihr genommen, nicht erst mit der Deportation, sondern schon 1938, als zwei ihrer drei Kinder aus dem nationalsozialistisch gewordenen Österreich flohen, gefolgt von Ella Wengers Bruder und zahlreichen weiteren Bekannten und Verwandten. Sie selbst überlebte – wie die mit ihr im Oktober 1942 deportierte jüngere Tochter Martha – die fast dreijährige Haft im Ghetto Theresienstadt. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie mit ihrer Familie in Frankreich. Der Band soll die Stimme Ella Wengers wieder zu Wort kommen lassen und Verschwiegenes – oder allzu gern Vergessenes  ? – wieder zum Klingen bringen. Er soll die Größe dieser älteren Frau zeigen  ; er soll aber auch beunruhigen und daran erinnern, dass am Beginn der Ermordung der europäischen Juden nicht deren Deportation stand, sondern die Missachtung individueller Würde, die gesellschaftliche Ausgrenzung, die verbale und soziale Demütigung. *** Diese Edition hätte nicht entstehen können, wenn nicht zahlreiche Menschen an ihr Anteil genommen und mir die Arbeit erleichtert hätten, zuvorderst meine Frau An­ drea Zedler, mit der gemeinsam ich die Briefe transkribiert und über viele der Inhalte gesprochen habe. Die weitergehende personenbezogene Recherche indes wäre angesichts der pandemiebedingten Einschränkungen in den Jahren 2020/21 nahezu unmöglich gewesen, wenn ich nicht die Unterstützung zahlreicher Archivar:innen erfahren hätte. Daher ist es mir keine Notwendigkeit, sondern ein Bedürfnis, ihnen zu danken. Stellvertretend sei an dieser Stelle Magistra Susanne Uslu-Pauer vom Archiv der IKG Wien genannt, doch gilt der Dank gleichermaßen allen ihren Kolleg:innen in den österreichischen, schweizerischen und deutschen Archiven, die mit großer Umsicht und Akribie meine Anfragen beantwortet haben. Die archivgestützte Kommentierung wäre freilich schwieriger gewesen, wenn sie in materieller Hinsicht nicht flankiert worden wäre. Dass Digitalisate hergestellt und

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Archivreisen unterstützt wurden, danke ich der großzügigen Förderung der Forschungsstiftung Bayerische Geschichte. Die Drucklegung schließlich wurde zu einem nennenswerten Teil von der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften finanziert  ; beiden gilt mein herzlicher Dank. Dieser gilt nicht minder Hans Safrian (Wien) und Michael Wildt (Berlin)  ; während Erstgenannter das Manuskript mit wertvollen Hinweisen bereichert hat, hat sich letzterer den Mühen eines Gutachtens unterzogen, ohne das der Band nicht in dieser Form zur Drucklegung gelangt wäre. Ausgesprochen glücklich schätze ich mich, dass das Buch in den »Selbstzeugnissen« erscheint. Jenseits aller formaler Kriterien, die über die Aufnahme einer Publikation in eine Reihe entscheiden, haben Hans Medick und Claudia Ulbrich für die Reihenherausgeber:innen in einer Art und Weise an der Drucklegung Anteil genommen, die nicht anders denn als außerordentlicher Glücksfall zu bezeichnen ist  : Sie waren mir Ansprechpartner und -partnerin, die stets am Werden des Buches interessiert waren  ; sie haben keinerlei zeitlichen Aufwand gescheut, um mit mir letzte Fragen von Kommentierung und Kontextualisierung zu diskutieren  ; und sie haben mir einmal mehr (oder richtiger  : wieder einmal) gezeigt, dass an der Sache orientierte Gespräche das Ergebnis bereichern. Mein Dank gilt ihnen umso mehr, als ein derartiger wissenschaftlicher Austausch in diesen Zeiten alles andere als selbstverständlich geworden zu sein scheint. Unterstützung hatte ich auch bei der abschließenden redaktionellen Durchsicht des Manuskripts. Brigitte Gutbrodt sowie Christoph Kaindl und Michael Zimmermann waren hier ebenso wertvolle Hilfen wie Ferdinando B. Agnello. Und dass das Manuskript zum vorliegenden Band wurde, ist Dorothee Wunsch sowie Julia Roßberg und Michael Rauscher vom Böhlau-Verlag zu danken, mit denen die Arbeit genauso problemlos wie angenehm war. Vor allem aber sei Martin Schneider herzlichst gedankt, der nicht nur zahllose Aspekte und Fragen seiner Familiengeschichte mit mir besprochen, sondern mir vor allem das Vertrauen für diese Arbeit geschenkt hat. Regensburg, im Dezember 2022 Jörg Zedler