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German Pages 160 Year 2016
Jens Petersen Schopenhauers Gerechtigkeitsvorstellung
Jens Petersen
Schopenhauers Gerechtigkeits vorstellung
Prof. Dr. iur. Jens Petersen, Universität Potsdam
ISBN 978-3-11-048939-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-049117-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-048942-2 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Peter Landau in herzlicher Verbundenheit
Inhalt Einleitung
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§ Der Egoismus als Ausgangspunkt allen Kampfes 11 I. Die Welt als Vorstellung 11 12 . Kantische Diktion a) Wille als Ding an sich 12 b) Zeit und Raum als principium individuationis 13 . Rechtsstreit und principium individuationis 13 14 . Egoismus und Gerechtigkeit . Hobbes’ Einfluss auf Schopenhauer 15 a) Willensmetaphysische Begründung des homo homini 15 lupus b) Egoismus und Bosheit 16 c) ‚Staatsmaschine‘ als Umschreibung des ‚Leviathan‘ 17 18 II. Individualistische Rechtsauffassung . Ungerechtigkeit des Menschen als anthropologische Konstante 18 19 . Das Individuum als Mittelpunkt der Welt . Der Wille zum Leben als bestimmendes Prinzip 20 . Schopenhauers Prämissen in der Zusammenschau 21 a) Kritik an der vorgeblich kantischen Prägung 22 b) Irrelevanz der kantischen Prämissen für die Rechtslehre 22 Schopenhauers . Bedeutung für die juristische Geistesgeschichte 23 a) Scheinrationalität juristischer Begründungen 23 b) Individualistische Rechtslehre auf moralischer Grundlage 24 26 § Unrecht und Ungerechtigkeit I. Unrecht und Recht 26 II. Eigentum und Eigentumsdelikte 27 . Dogmatische Einordnung des Eigentums 28 a) Eigentumserwerb durch Arbeit und Kraftentfaltung b) Leistungsprinzip und Arbeitsteilung als Legitimation c) Kritik 30 . Gesetze des Menu 31
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Inhalt
. Schopenhauers ungerechtfertigte Kritik an Kants 32 Rechtslehre a) Produkt der „Altersschwäche“ Kants? 32 b) Rechtsgrund als Unterscheidungskriterium 33 c) Schopenhauer über den Kommunismus 34 35 . Zwischenbefund III. Unrecht als positiver Begriff 36 36 . Berufung auf Grotius . Begriffe, nicht Worte 37 . Das Problem des Unterlassens 38 38 a) Begrenzte juristische Leistungsfähigkeit b) Kausalität 39 c) ‚Machtlosigkeit moralischer Gewalten‘ und Staatskunst 41 . Wirkung auf die Kunstgeschichte IV. Recht als Negation des Unrechts 42 . Willenstheoretische Herleitung der Rechtfertigungsgründe 43 . Von Schopenhauer begangenes Unrecht . Negativität der Gerechtigkeit 44 a) Gleichsetzung von Ungerechtigkeit und Unrecht 45 b) Neminem laedere als Gerechtigkeitspostulat 46 § Schopenhauers reine Rechtslehre 47 I. Moralisches Recht als Naturrecht 47 47 . Naturrecht als moralisches Recht . ‚Reine Rechtslehre‘ 48 II. Methodischer Individualismus bei der Staatsbegründung 49 . Staatsbegründung kraft Vernunfterkenntnis 50 . Beförderung des Gemeinwohls 51 . Wiederkehr des methodischen Individualismus’ 52 a) Vernunftmäßige Übereinkunft 52 b) Harmonische Entfaltung der Gesamtordnung 53 . Verstörende und inakzeptable Diskriminierung 53 III. Carl Schmitt versus Schopenhauer 54 . Schmitts verdächtige Begriffsverschiebung 55 a) Begriff des Rechts versus ‚Wesen des Rechts‘ (Schmitt) 56 b) Bedenkliche Weichenstellung . Das methodische Grundproblem 57 a) Individualität als Bezugspunkt des Rechts? 58 b) Sonderung von Willen und Individualität? 59 c) Recht ohne staatliche Zuerkennung? 60
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Inhalt
. Recht des Individuums auf Nichtverneinung 60 61 . Schopenhauers Prämisse der Rechtsfähigkeit . Mangelnde Berücksichtigung der Gerechtigkeit 62 IV. Abgrenzung zu anderen Staatszweckbestimmungen 63 . Schopenhauer als Monarchist 64 64 a) Konservativismus und Evolutionismus b) Scheinbares Bekenntnis zur Gewaltenteilung 65 66 c) Schopenhauer als leutseliger Optimist . Kritik des Utilitarismus’ 67 V. Staatsidee und Gerechtigkeit der Gesinnung 68 68 . Gerechtigkeit der Gesinnung a) Individualistische Prägung 68 b) ‚Freiwillige Gerechtigkeit‘ 69 69 c) Gerechtigkeit und Güte der Gesinnung d) Eschatologische Divergenz im Beweggrund 70 . Der Staat als moralische Anstalt 71 72 . Das ‚Problem der Staatskunst‘ a) Übereinstimmung mit Pascal 73 b) Völkerrecht als Naturrecht ‚zwischen Volk und Volk‘ . Verhältnis der Rechtslehre zur Staatslehre 74 75 a) Kein Gesinnungsstrafrecht b) Der ‚Rechtslehrer als umgewandter Moralist‘ 75 VI. Zusammenfassende Würdigung 76 77 . Systematische Originalität . Solidarität mit den Unrechtleidenden 78 a) Mitleid mit den Minderprivilegierten 79 b) Globalisierungskritik avant la lettre 80 aa) Ökonomie und Verarmung 81 bb) Individualität und technischer Fortschritt 81 c) Naturrechtswidrige Verschiebung 82 . Vielgestaltigkeit seines Rechtsdenkens 82 . Paradigmenwechsel der Ethik 83 . Rechtslehre und Willensmetaphysik 84 § Zeitliche Gerechtigkeit 85 I. Zeitliche Gerechtigkeit und principium individuationis II. Staatlicher Opferschutz 86 III. Schopenhauers Strafrecht 87 . Vertrag als Grundlage des Strafvollzugs 87 a) Strafzweck und Vertragserfüllung 88
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b) Wilderei zwischen Zivilrecht und Strafrecht 88 89 . Generalprävention statt Spezialprävention a) Kritik an Kant 89 b) Gedanke des Gegenmotivs 90 . Schopenhauers Befürwortung der Todesstrafe 90 a) Mangelnde Berücksichtigung der Willensmetaphysik b) Willensmetaphysische Inkonsequenz 91 92 c) Zukunftsausrichtung der Schutzanstalt d) Perspektive der Leidenden 93 e) Aufflammen des Talionsprinzips und der Rache 93 94 . Tatbezogene Strafrechtstheorie a) Todesstrafe schon bei versuchtem Mord 94 b) Irrationalität der Strafzumessung 95
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97 § Ewige Gerechtigkeit I. Das Weltgericht 97 97 . Grundlegung der Gerechtigkeitstheorie . Schopenhauers erster ‚Blick auf die ewige Gerechtigkeit‘ 98 . ‚Walten‘ der ewigen Gerechtigkeit 99 . Welt oder Weltgeschichte als Weltgericht? 100 100 a) Schopenhauers ‚Welt‘ versus Hegels ‚Weltgeschichte‘ b) Begrenzung und Entgrenzung der Gerechtigkeit 100 . ‚Schleier der Maja‘ 101 102 a) Sonderung von Erscheinung und Ding an sich b) Befangenheit des Gerechtigkeitssinnes in Zeit und Raum 102 . Innerweltliche Gerechtigkeitslehre 103 . Scheinrationalität der ewigen Gerechtigkeit 105 . Gerechtigkeit gegenüber dem Welteroberer? 106 a) Einheit von ‚Quäler und Gequältem‘? 106 b) Welteroberer und Weltüberwinder 107 II. Zurechnung und Willensfreiheit 107 . Das Problem der Zurechnung 108 . Zusammenhang mit der Willensfreiheit 109 . Der Täter als Werkzeug der ewig waltenden Gerechtigkeit 110 110 a) Unveränderlichkeit des Charakters b) ‚Intelligible Freiheit‘ und Neurobiologie 111 III. Nietzsches Einspruch gegen die ewige Gerechtigkeit 113 . Rückbesinnung auf die emphatische Verehrung 113
Inhalt
a) ‚Walten einer an ewige Gesetze gebundenen 113 Gerechtigkeit‘ b) ‚Letzter Metaphysiker des Abendlandes‘ (Heidegger) 114 c) Metaphysische Imprägnierung 115 . Ewige Gerechtigkeit als ‚Religion der Rache‘ 115 116 a) Demaskierung des Rachetriebs b) Ewige Gerechtigkeit als metaphysische Spielerei 116 117 . ‚Vorstellung eines transcendenten Strafgerichts‘ a) Lehre von der ewigen Gerechtigkeit als Dichtung? 117 b) Schopenhauers Blick auf die Theologie 118 120 c) Restspuren religiöser Bindung? . Urteilsvollstreckung in Form des Weltlaufs? 121 a) Ewige Gerechtigkeit als nachträgliches 121 Erklärungsmuster b) ‚Transcendente Gespenster‘ und ‚metaphysische Karikaturen‘ 122 123 . Rückführung auf die rechtsphilosophischen Grundlagen . Eschatologische Dimension der ewigen Gerechtigkeit 124 IV. Ewige Gerechtigkeit als ‚Pyramidenspitze‘ des Systems 124 127 Literaturverzeichnis I. Werke von Arthur Schopenhauer II. Sekundärliteratur 127 Personenverzeichnis
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Einleitung „Ein eigenthümlicher Fehler der Deutschen ist, daß sie, was vor ihren Füßen liegt, in den Wolken suchen. Ein ausgezeichnetes Beispiel hievon liefert die Behandlung des Naturrechts von den Philosophieprofessoren“ (PP II/1 § 120 S. 261). Diese beiden Sätze sind in verschiedener Hinsicht bezeichnend für Schopenhauers Philosophie: Zum Einen veranschaulichen sie seine sprachmächtige und witzigaphoristische Sicht auf die Gegebenheiten,¹ die in der deutschen Philosophie ihresgleichen sucht und womöglich erst in Friedrich Nietzsche wieder fand, der nicht von ungefähr ‚Schopenhauer als Erzieher‘ anerkannte.² Zum Anderen dürfte es sich unausgesprochen um eine Kritik an den Exponenten des Deutschen Idealismus, namentlich Hegel sowie Schelling³ und Fichte handeln,⁴ die er nicht nur in der Vorrede zur zweiten Auflage seines Hauptwerks der ‚Scharlatanerei‘ bzw. ‚Windbeutelei‘ bezichtigt: „Ein Unbefangener, der die Bücher von Fichte Schelling oder gar Hegel aufmacht und dann sich frägt, ob dies der Ton eines Denkers, der belehren, oder der eines Scharlatans, der betrügen will, sei, – kann nicht fünf Minuten darüber in Zweifel bleiben.“⁵ Der zuletzt zitierte Satz ist darüber hinaus kennzeichnend für sein Verhältnis zu den Philosophieprofessoren, zu denen er nie gehörte, obwohl er – in Anwesenheit des von ihm geschmähten Hegel⁶ – von der Berliner Fakultät habilitiert Arthur Schopenhauer, Ueber Schriftstellerei und Stil (PP II/ § ff.). Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen, – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), III , S. ff.; Hans Mayer, Schopenhauer als Erzieher, Schopenhauer-Jahrbuch () ; zum frühesten Einfluss Konstantin Broese, Nietzsches erste Begegnung mit Schopenhauer im Lichte eines bisher unveröffentlichten Manuskripts aus seiner Bonner Studienzeit, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Karl Schlechta, Der junge Nietzsche und Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () ; siehe aber auch Julian Young, Immaculate Perception. Nietzsche contra Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Walter Schulz, Weltverneinung und Weltbejahung. Anmerkungen zu Schopenhauer und Nietzsche, Schopenhauer-Jahrbuch () . Zu ihm Icilio Vecchiotti, Schopenhauer e Schelling. Problemi metodologici e problemi di contenuto, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Lore Hühn, Die Wiederkehr des Verdrängten. Überlegungen zur Rolle des Anfangs bei Schelling und Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () . Vgl. auch Alessandro Novembre, Schopenhauers Verständnis der Fichte’schen „absoluten Besonnenheit“, Schopenhauer-Jahrbuch () . Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. ; Hervorhebung auch dort. Vittorio Hösle, Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie, , S. . Siehe auch Alfred Schmidt, Idee und Weltwille. Schopenhauer als Kritiker Hegels, (dazu Matthias Koßler, Schopenhauer-Jahrbuch , , ). DOI 10.1515/9783110491173-001
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Einleitung
worden war. Für die Philosophieprofessoren hatte er jedoch nur Verachtung übrig, denn „die Herren wollen leben und zwar von der Philosophie“, wie er ebenfalls in der Vorrede zur zweiten Auflage seines frühvollendeten Werks schrieb. Bei ihnen vermisste er die Hingabe an die Philosophie,⁷ weshalb ihre Erzeugnisse bloße ‚Professorenphilosophie‘ darstellten, wie er sie in seiner Dissertation Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom Grunde nannte. Besonders augenfällig erscheint ihm dies im Bereich der Rechtsphilosophie, also dem von ihm genannten Naturrecht. Weltfremde Abstraktionen und selbstverliebte Begrifflichkeiten gehören für Schopenhauer zum Gewerbe der Philosophieprofessoren, die sich mit dem Naturrecht beschäftigen: „Um die einfachen menschlichen Lebensverhältnisse, die den Stoff desselben ausmachen, also Recht und Unrecht, Besitz, Staat, Strafrecht u.s.w. zu erklären, werden die überschwänglichsten, abstraktesten, folglich weitesten und inhaltsleersten Begriffe herbeigeholt, und nun aus ihnen bald dieser, bald jener Babelthurm in die Wolken gebaut, je nach der speciellen Grille des jedesmaligen Professors.“ (PP II/1 § 120 S. 261). Obwohl sich Schopenhauers Rechtsphilosophie als weit weniger wirkungsmächtig erwiesen hat als diejenige Hegels,⁸ ist es gerade die Berücksichtigung der konkreten Lebensverhältnisse, die Schopenhauers Gedanken über das Recht und die Gerechtigkeit nach wie vor zu einem lohnenden Gegenstand machen,⁹ der gerade den Studierenden leichter zugänglich ist,¹⁰ als die notorisch schwer verständlichen Deduktionen des Deutschen Idealismus, wie Schopenhauer maliziös anmerkt: „Dadurch werden die klärsten, einfachsten, und uns unmittelbar angehenden Lebensverhältnisse unverständlich gemacht, zum großen Nachtheil der jungen Leute, die in solcher Schule gebildet werden; während die Sachen selbst höchst einfach und begreiflich sind.“ (PP II/1 § 120 S. 261). Es war gewiss nicht mangelndes Selbstbewusstsein, das Schopenhauer zu der Annahme verleitete, dass „Hegel mit starken Schritten der Verachtung entgegen geht, die seiner
Näher Matthias Koßler, Philosophie im Auftrage der Natur und Philosophie im Auftrage der Regierung – Schopenhauers Kritik der Universitätsphilosophie, Schopenhauer-Jahrbuch () . Vgl. nur die unüberschaubare Menge an Monographien aus dem angelsächsischen Schrifttum in den letzten Jahren; zitiert etwa bei Jens Petersen, Die Eule der Minerva in Hegels Rechtsphilosophie, . Auflage . Vgl. Artur-Axel Wandtke, Medienrecht. Praxishandbuch, . Auflage , Band , Kapitel § Rdnr. : „Schon Schopenhauer hatte auf die Lebensverhältnisse hingewiesen, die der Produktion von Recht zugrunde liegen und nicht das Naturrecht“. Man denke aber auch an die Rechtswissenschaft; vgl. Philipp Heck, Die Hinwendung der Jurisprudenz zum Leben, ; dazu Jens Petersen, Von der Interessenjurisprudenz zur Wertungsjurisprudenz, , S. ff. Siehe ferner Lutz Martin Keppeler, Oswald Spengler und die Jurisprudenz, , S. .
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bei der Nachwelt wartet“, wie er in der Vorrede zur zweiten Auflage seiner nicht prämierten Preisschrift Ueber die Grundlage der Moral mutmaßte.¹¹ Er ging vielmehr davon aus, mit gerade einmal dreißig Jahren alles Maßgebliche über Recht und vor allem Unrecht sowie die Gerechtigkeit in seinem noch heute Respekt einflößenden opus magnum über Die Welt als Wille und Vorstellung gesagt zu haben. Was aber war es, das angeblich so einfach zu finden war und von den Philosophieprofessoren mit so vielen Schwierigkeiten belastet und verbrämt wurde? Und war es wirklich genial einfach oder nicht vielmehr einfach simpel, was Schopenhauer dazu auf vergleichsweise wenigen Seiten gegen Ende seines Hauptwerks zu sagen hatte? Betrachtet man rückwirkend die juristische Geistesgeschichte, so drängt sich die Annahme auf, dass Schopenhauer keine bleibenden und letztlich befriedigenden Antworten auf die Frage des Rechts zu geben vermochte. Der Vergleich mit Hegel und dem von Schopenhauer an sich hochverehrten, aber im Hinblick auf seine Rechtslehre gleichfalls gescholtenen Kant geht jedenfalls eindeutig zu seinen Ungunsten aus. Gleichwohl darf man seine Bedeutung auch und gerade für die Geistesgeschichte des Rechts keineswegs unterschätzen. Auch wenn der Hauptstrom nach wie vor von Kant zu Hegel führt, bedeutet Schopenhauers Philosophie, auch die des Rechts, einen wichtigen Seitenarm, der von Kant zu Nietzsche reicht.¹² Denn auch wenn es kaum einen größeren Kontrast als den zwischen Kant und Nietzsche zu geben scheint – es sei denn man ziehe wiederum Hegel heran¹³ –, dann markiert Schopenhauers Denken über Recht und Moral trotz aller tiefgreifenden Divergenzen¹⁴ doch zumindest ein wichtiges Bindeglied auf dem wenig erschlossenen Weg von Kant zu Nietzsche.¹⁵ Einerseits kann man in seiner bereits zitierten Preisschrift Über die Grundlage der Moral lesen, dass „sich durch Motive Legalität erzwingen lässt, nicht Moralität“ (GM § 20 S. 296), was kantischen Ur-
Dazu etwa Gerhard Klamp, Schopenhauers ethische Preisschriften und die Philosophie der Werte, Schopenhauer-Jahrbuch () . Dieter Birnbacher, Schopenhauers Idee einer rekonstruktiven Ethik (mit Anwendungen auf die moderne Medizin-Ethik), Schopenhauer-Jahrbuch () : „Schopenhauers Philosophie steht janusköpfig zwischen der Transzendentalphilosophie Kants und den nachkantischen Philosophien“. Vgl. nur Jens Petersen, Die Eule der Minerva in Hegels Rechtsphilosophie, . Auflage , § . Zu ihnen Georges Goedert, Nietzsches Immoralismus – seine ambivalente Beziehung zu Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () . Grundlegend Georg Simmel, Nietzsche und Kant, ; siehe ferner Hans Gerald Hödl, Interesseloses Wohlgefallen. Nietzsches Kritik an Kants Ästhetik als Kritik an Schopenhauers Soteriologie, in: Kant und Nietzsche im Widerstreit (Hg. Beatrix Himmelmann), , S. , sowie die übrigen Beiträge dieses wichtigen Sammelbandes.
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sprungs zu sein scheint. Andererseits sagt er in derselben Abhandlung nicht von ungefähr über die Tugend der Gerechtigkeit:¹⁶ „Die Trennung zwischen sogenannten Rechts- und Tugend-Pflichten, richtiger zwischen Gerechtigkeit und Menschenliebe, welche bei Kant so gezwungen herauskam, ergibt sich hier ganz und gar von selbst, und bezeugt dadurch die Richtigkeit des Princips (…): denn die Gerechtigkeit ist auch eine Tugend“ (GM § 17 S. 252). Um welches Prinzip es sich dabei handelt, hat Schopenhauer nicht nur dort, sondern fundamental in seinem Hauptwerk begründet, nämlich der Grenzziehung zwischen Negativem und Positivem. Und auch wenn sich Nietzsche in zentralen Punkten wieder von Schopenhauer abwenden sollte, namentlich der Bedeutung des Mitleids, der Frage nach der Willensfreiheit und dem Gewissen, um nur drei rechtsphilosophisch relevante Probleme anzudeuten, ist sein Sonderweg ohne den prägenden Einfluss Schopenhauers schwerlich nachvollziehbar.¹⁷ Beide teilten die Vorliebe für das Unsystematische, die sich etwa in den Essais des von beiden hoch geschätzten Michel de Montaigne offenbarte, den Nietzsche nicht von ungefähr innerhalb seiner dritten Unzeitgemäßen Betrachtung behandelt, die wie eingangs gesagt, ‚Schopenhauer als Erzieher‘ gewidmet ist.¹⁸ Wenn man Schopenhauers bleibenden Einfluss würdigen möchte, dann darf man nicht übersehen, dass er bis in die Literatur- und Musikgeschichte wirkte,¹⁹ namentlich auf Thomas Mann²⁰ und vor allem Richard Wagner.²¹ Dessen Ring des
Mit guten Gründen skeptisch gegenüber der Terminologie Käte Hamburger, Das Mitleid, . Auflage , S. : „Aber Schopenhauer handelt denn auch gar nicht von der Gerechtigkeit, sondern verwechselt sie – ob mit oder ohne Absicht sei dahingestellt – mit dem Begriff des Rechts bzw. der Rechtlichkeit“. Näher Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, . Auflage . Dazu Jens Petersen, Montaignes Erschließung der Grundlagen des Rechts, . Siehe auch Martin Gregor-Dellin, Schopenhauer und die Musiker nach ihm, SchopenhauerJahrbuch () ; Raymund Weyers, Arthur Schopenhauers Philosophie der Musik, . Grundlegend dazu Edo Reents, Zu Thomas Manns Schopenhauer-Rezeption, ; ferner Hans Wysling, Der Schopenhauer-Leser Thomas Mann, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Børge Kristiansen, Schopenhauersche Weltsicht und totalitäre Humanität im Werke Thomas Manns, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Manfred Kugelstadt, Schopenhauer und Nietzsche im Zauberberg: Eine „transscendentale Auffassung“ oder radikale Metaphysikkritik?, Schopenhauer-Jahrbuch () ; siehe auch zum frühen Einfluss Georges Goedert, Geist und Trieb – Zur Rezeption ästhetischer Gedanken Schopenhauers und Nietzsches beim frühen Thomas Mann, Schopenhauer-Jahrbuch () ; ferner Julia Schöll, Politische Distanz. Zur SchopenhauerRezeption Thomas Manns in den Jahren der Emigration, Schopenhauer-Jahrbuch () . Näher Wolfgang Seelig, Leben und Erlösung. Über das Leiden und den Erlösungsgedanken bei Schopenhauer und Wagner, Schopenhauer-Jahrbuch () ; ders., Die Naturphilosophie Richard Wagners – und ihre Weiterführung mit Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Christoph Weismüller, Zur Beziehung Schopenhauers zu Richard Wagners Musikdra-
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Nibelungen, den der Komponist im Jahre 1854 Schopenhauer übersandte, ohne eine unmittelbare Antwort zu erhalten – angeblich soll der Mozart- und RossiniBewunderer Schopenhauer nur den Text für gut befunden und Wagner nahegelegt haben, „die Musik an den Nagel zu hängen“²² – ist nämlich gerade in ihrem rechtsphilosophischen Gehalt aufs Engste mit der schopenhauerschen Rechtslehre verknüpft und gründet gerade, was die Vertragsbindung betrifft, auf ihr.²³ Die unheilkündende Mahnung Fasolts an Wotan hat hier ihren Ursprung: „Was du bist, bist du nur durch Verträge.“²⁴ Hier dürfte nicht zuletzt die folgende Stelle Schopenhauers Pate gestanden haben: „Die vollkommenste Lüge aber ist der gebrochene Vertrag; weil hier alle angeführten Bestimmungen vollständig und deutlich beisammen sind. Denn, indem ich einen Vertrag eingehe, ist die fremde verheißene Leistung unmittelbar und eigenständlich das Motiv zur meinigen nunmehr erfolgenden. Die Versprechen werden mit Bedacht und förmlich gewechselt. Die Wahrheit der darin gemachten Aussage eines Jeden steht, der Annahme zufolge, in seiner Macht. Bricht der Andere den Vertrag, so hat er mich getäuscht und, durch Unterschieben bloßer Scheinmotive in meine Erkenntniß, meinen Willen nach seiner Absicht gelenkt, die Herrschaft seines Willens über das fremde Individuum ausgedehnt, also ein vollkommenes Unrecht begangen. Hierauf gründet sich die moralische Rechtmäßigkeit und Gültigkeit der Verträge.“ (WW I/2 § 62 S. 421 f.).²⁵ In dieser Begründung scheint bereits paradigmatisch einiges von dem auf, was Schopenhauer für die vergleichsweise offen zutage liegende Antwort auf die
men, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Hartmut Reinhardt, Zauberblick und Liebesqual. Noch einmal: Schopenhauers Philosophie in Richard Wagners „Tristan und Isolde“, Schopenhauer-Jahrbuch () . Er soll Franz Arnold Wille mit auf den Weg gegeben haben: „Sagen Sie ihrem Freunde Wagner in meinem Namen Dank für die Zusendung seiner Nibelungen, allein er soll die Musik an den Nagel hängen, er hat mehr Genie zum Dichter. Ich, Schopenhauer, bleibe Rossini und Mozart treu“; näher Arthur Hübscher, Schopenhauer und Wagner, in: ders., Denker gegen den Strom. Schopenhauer gestern – heute – morgen, , S. ; Christóvão S. Marinheiro, Warum ich, Schopenhauer, Rossini und Mozart treu bleibe – Versuch einer Deutung, Schopenhauer-Jahrbuch () . Allgemein Márcio Benchimol Barros, Die Metaphysik des Erhabenen. Zu Richard Wagners Schopenhauer-Lektüre, Schopenhauer-Jahrbuch () . Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen, Das Rheingold, Zweite Szene. Im handschriftlichen Nachlass Schopenhauers (Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, Hg. Arthur Hübscher, , Band , Kritische Auseinandersetzungen, – , Anmerkungen zu Fries, S. , ) heißt es skizzenhaft: „Rechtslehre: Princip: Gleichheit des Rechts; d. h. der Personen, aus der Idee der persönlichen Würde der Vernunft. Drei Postulate zur Möglichkeit seiner Anwendung: Eigenthum, Gültigkeit von Verträgen, Bürgerliche Verfassung. Princip des Eigenthumsrechts: Vertrag und Übereinkunft“. Hervorhebung nur hier.
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Frage nach Recht und Unrecht hält. Zugleich werden hier Grundannahmen seiner Willensphilosophie vorausgesetzt, die er auch und gerade am Beispiel von Recht und Unrecht verdeutlicht. Schon diese wenigen Hinweise würden genügen, die Beschäftigung mit Schopenhauers Rechtslehre auch heute noch zu einer lohnenswerten Angelegenheit zu machen, ist doch die Kunst,²⁶ anders als die Wissenschaft, jedenfalls einem berühmten Wort Max Webers zufolge ihrem Wesen nach unüberbietbar und bleibend.²⁷ Wenn hier Schopenhauers Rechtsphilosophie aufs Neue beleuchtet wird, so erschöpft sich dies weder in der ästhetischen Betrachtung noch in der rechtstheoretischen. Vielmehr soll beides behandelt werden, da bestimmte Probleme, wie etwa seine Vorstellung von der ewigen Gerechtigkeit in beiderlei Hinsicht Fragen aufwerfen und sogar noch religionsphilosophische Herausforderungen stellen.²⁸ Denn im Zusammenhang mit seiner Theorie der ewigen Gerechtigkeit bezieht sich Schopenhauer insbesondere auf die indische Philosophie und ihre eschatologischen Folgerungen.²⁹ So anfechtbar seine Theorie der ewigen Gerechtigkeit gewesen sein mochte – auch das gilt es im Einzelnen zu untersuchen –, so bemerkenswert ist seine Hinwendung zu diesem Kulturkreis.³⁰ Das gilt auch im Hinblick auf die Rechtsphilosophie, in der Amartya
Siehe dazu insbesondere Martha C. Nussbaum, Nietzsche, Schopenhauer und Dionysos, in: Die Philosophie des Tragischen. Schopenhauer – Schelling – Nietzsche (Hg. Lore Hühn/Philipp Schwab), , S. , : „Einerseits besteht er (sc. Schopenhauer) auf der Absonderung der ästhetischen Betrachtung von praktischen Bedürfnissen und Interessen und erkennt die Hauptaufgabe der Kunst in ihrer Fähigkeit, den Zuschauer von allen praktischen Interessen frei zu machen. Andererseits zeigt diese Beschreibung, dass Schopenhauer doch eine Funktion der Kunst im Leben des Betrachters ausmacht und in der Tat soweit geht, zu sagen, der eigentliche Zweck der Kunst liege in ihrer Wirkung für das menschliche Leben, die aber eben darin besteht, jeden Zuschauer zur Abkehr und Entsagung vom Leben zu ermutigen“. Max Weber, Wissenschaft als Beruf, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, . Auflage , S. , f. (vgl. auch Max Weber Gesamtausgabe Abteilung I Band , Hg. Wolfgang J. Mommsen/Wolfgang Schluchter, , S. , ); zu dieser Stelle Jens Petersen, Max Webers Rechtssoziologie und die juristische Methodenlehre, . Auflage , S. f. Dazu Alfred Schmidt, Die Wahrheit im Gewande der Lüge. Schopenhauers Religionsphilosophie, ; ders., Religion als Trug und als metaphysisches Bedürfnis. Zur Religionsphilosophie Arthur Schopenhauers, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Günter Kruck, Zur Rationalität der Religion. Schopenhauer und sein Verhältnis zu einem neuen Strang von Religionsphilosophie, Schopenhauer-Jahrbuch () . Näher zum Ganzen Heinrich Zimmer, Schopenhauer und Indien, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Helmuth von Glasenapp, Das Indienbild deutscher Denker, , . Kapitel; Werner Scholz, Arthur Schopenhauer – ein Philosoph zwischen westlicher und östlicher Tradition, ; zur religiösen Konnotation auch Urs App, Schopenhauers Begegnung mit dem Buddhismus, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Yasuo Kamata, Schopenhauer und der Buddhismus, Schopenhauer-Jahrbuch () . Vittorio Hösle, Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie, , S. f.
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Sen das indische Verständnis der Gerechtigkeit für seine eigene Gerechtigkeitstheorie fruchtbar gemacht hat,³¹ die wiederum als großer zeitgenössischer Gegenentwurf zu derjenigen von John Rawls gelten kann.³² All dies dürfte Grund genug sein, Schopenhauers Rechtsphilosophie von Neuem zu durchdenken³³ und gerade im Hinblick auf die von ihm eingangs zitierten ‚Lebensverhältnisse‘ anzuwenden. Durch seinen Blick auf die indische Philosophie hat Schopenhauer in einer für seine Zeit unerhörten Weise eine neue Geisteswelt erschlossen.³⁴ Auch in rechtstheoretischer Hinsicht ist daher die Beschäftigung mit seiner Philosophie in besonderer Weise reizvoll, weil er damit von vornherein nicht im Verdacht steht, eine rein eurozentrische Perspektive einzunehmen. Auch insofern erweist er sich als würdiger Nachfolger Montaignes, auf den er nicht von ungefähr dort zurückgreift, wo innerhalb seiner Rechtslehre Beispiele für eine selbstzerstörerische Rachsucht gegeben werden: „Wir sehn bisweilen einen Menschen über ein großes Unbild [Unrecht], das er erfahren, ja vielleicht nur als Zeuge erlebt hat, so tief empört werden, daß er sein eigenes Leben, mit Ueberlegung und ohne Rettung, daran setzt, um Rache an dem Ausüber jenes Frevels zu nehmen. Wir sehn ihn etwan einen mächtigen Unterdrücker Jahre lang aufsuchen, endlich ihn morden und dann selbst auf dem Schafott sterben, wie er vorhergesehn, ja oft gar nicht zu vermeiden suchte, indem sein Leben nur noch als Mittel zur Rache Wert für ihn behalten hatte. – Besonders unter den Spaniern finden sich solche Beispiele“ (WW I/2 § 64 S. 446). Was auf den ersten Blick wie ein vorurteilsbehafteter Chauvinismus anmutet, erklärt sich mit Rücksicht auf Schopenhauers Fußnote zu dieser Stelle, in der es heißt: „Jener spanische Bischof, der im letzten Kriege sich und die französischen Generäle, an seiner Tafel, zugleich vergiftete, gehört hieher, wie mehrerer Tatsachen aus jenem Kriege. Auch findet man Beispiele im Montaigne, Buch 2, Kap. 12.“ Hier deutet sich eine rudimentäre rechtsanthropologische Sicht an,³⁵ wie man sie
Amartya Sen, The Idea of Justice, . John Rawls, A Theory of Justice, . Siehe bereits Rudolf Neidert, Die Rechtsphilosophie Schopenhauers und ihr Schweigen zum Widerstandsrecht, ; Wolfgang Weimer, Ist eine Deutung der Welt als Wille und Vorstellung heute noch möglich? Schopenhauer nach der Sprachanalytischen Philosophie, SchopenhauerJahrbuch () . B. V. Kishan, Arthur Schopenhauer and Indian Philosophy, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Arthur Hübscher, Schopenhauer und die Religionen Asiens, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Urs App, Notizen Schopenhauers zu Ost-, Nord-, und Südostasien vom Sommersemester , Schopenhauer-Jahrbuch () . Wegweisend Vittorio Hösle, Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie, , S. : „Seit Schopenhauer können westliche Intellektuelle auf asiatische Weltanschauungen als über-
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auch bei Montaigne feststellen kann.³⁶ Auch insoweit führt von Schopenhauer ein gerader Weg zu Nietzsche, für den die Rechts- und Völkervergleichung eine elementare Herausforderung für die Rechtsphilosophie war.³⁷ Schopenhauer gehört damit durchaus zu den Wegbereitern der Rechtsanthropologie im deutschsprachigen Bereich.³⁸ Sein Werk hat insoweit also auch eine, nicht zuletzt auf das Recht bezogene, erschließende Dimension,³⁹ die außer Acht gelassen wird, wenn man Schopenhauer nur schlagwortartig als den großen Pessimisten bezeichnet.⁴⁰ Ein Pessimist war er gewiss, doch eben nicht durchgehend,⁴¹ wie die folgende Einschränkung illustriert:⁴² „Es kann hiemit so weit kommen, daß vielleicht Manchem, zumal in Augenblicken hypochondrischer Verstimmung, die Welt, von der ästhetischen Seite betrachtet, als ein Karikaturenkabinet, von der intellektuellen, als ein Narrenhaus, und von der moralischen, als eine Gaunerherberge erscheint. Wird solche Verstimmung bleibend; so entsteht Misanthropie.“ (GM § 14 S. 239). Dieser Satz erscheint als eine Art verzerrender Umkehrung der kantischen Kritiken: derjenigen der Urteilskraft, indem daraus ein Karikaturenkabinett wird, derjenigen der reinen Vernunft, indem die Welt aus der intellektuellen Sicht als Narrenhaus erscheint, und schließlich derjenigen der praktischen
legene Quellen der Weisheit zurückgreifen – bewusstseinsgeschichtlich ein enormer Wandel, der u. a. die Legitimation des Kolonialismus zersetzte, gegen den sich Schopenhauer scharf wandte“. Jens Petersen, Montaignes Erschließung der Grundlagen des Rechts, , S. f. Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, (zitiert nach der Kröner-Ausgabe, . Auflage ), , S. ; dazu Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, . Auflage , S. . Arthur Kaufmann/Winfried Hassemer/Ulfried Neumann, Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, . Auflage , S. : „Auch Schopenhauer muss hier erwähnt werden“. Harald Schöndorf, Schopenhauers Pessimismus im Licht neuzeitlichen Denkens, Schopenhauer-Jahrbuch () , : „Schopenhauer hat (…) den verborgenen Nihilismus der neuzeitlichen selbstherrlichen Freiheit ans Tageslicht gebracht, freilich weder bewusst noch ausdrücklich“. Leszek Kołakowski, Why Is There Something Rather Than Nothing? Questions From Great Philosophers, , S. ; David A. Dilworth, Schopenhauer’s Pessimism and Its Initial Reception in th-century American Philosophy, with Particular Reference to Emerson and Peirce, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Andreas Dörpinghaus, Schopenhauers rhetorische Argumentation für den Pessimissmus, Schopenhauer-Jahrbuch () . Heinz Gerd Ingenkamp, Erlösung durch Humor. Ansätze einer weltbejahenden Ethik bei Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () . Siehe auch Hans Prager, Zwischen Optimismus und Pessimismus, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Erich Esper, Humor bei Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () . Siehe auch Ingrid Krauss, Studien über Schopenhauer und den Pessimismus in der deutschen Literatur des . Jahrhunderts, ; zu seinem konkreten Einfluss ferner Josef Ehrlich, Wilhelm Busch der Pessimist – Sein Verhältnis zu Arthur Schopenhauer, .
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Vernunft, indem sie wie eine Gaunerherberge wirkt. Aber gerade im Hinblick auf die letztere, die auf Augustinus’ berühmte Staatsbestimmung anzuspielen scheint, wonach der Staat ohne Gerechtigkeit nicht mehr als eine Räuberbande ist,⁴³ zeigt sich ein neuartiger Blick auf das Recht, der dessen Vernunftwidrigkeit in Betracht zieht. Zugleich stellt Schopenhauer eine durch und durch individualistische Sichtweise auf das Recht vor. Sie mag – bis auf wenige Individualisten wie den genannten Nietzsche, aber in gewisser Hinsicht auch Ludwig Wittgenstein⁴⁴ – keine Schule gemacht haben. Doch ist sie vielleicht gerade aus dieser AußenseiterPerspektive betrachtet zeitgemäßer als mancher zeitgenössische rechtstheoretische Ansatz.⁴⁵ Jedenfalls handelt es sich um einen ebenso eigenwilligen wie gedankenreichen Blick auf das Recht,⁴⁶ ohne den die juristische Geistesgeschichte ärmer wäre.⁴⁷ Aurelius Augustinus, De civitate Dei, liber IV. Allgemein dazu Friedhelm Decher, Schopenhauers Auseinandersetzung mit Augustinus, Schopenhauer-Jahrbuch () . David Avraham Weiner, Genius and Talent. Schopenhauer’s Influence on Wittgenstein’s Early Philosophy, (dazu Wolfgang Weimer, Schopenhauer-Jahrbuch , , ); Allan Janik, Wie hat Schopenhauer Wittgenstein beeinflußt?, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Dale Jacquette, Wittgenstein’s Thought in Transition, , S. Anmerkung : „It was Schopenhauer’s The World as Will and Representation and other writings that Wittgenstein claims provided the foundation of his first idealistic-transcendentalist philosophy in a broadly Kantian vain“. Siehe aber die wichtige Einschränkung von Johannes Haag, Der Wille als Träger des Ethischen – Überlegungen zur Stellung des Willens in der Frühphilosophie Ludwig Wittgensteins, Acta analytica () , : „Verführerisch nahe läge es nun, für ‚logische Form‘ und ‚ethische Form‘ die Schopenhauerschen Begriffe ‚Vorstellung‘ und ‚Wille‘ zu substituieren und von einem vorstellenden und wollenden Subjekt zu sprechen (…). Wittgenstein versuchte offensichtlich eine Zeit lang diesen Weg zu gehen, hat jedoch nach einigen vergeblichen Versuchen, eine Möglichkeit gefunden, diese traditionelle Aufteilung zu überwinden“. Ferner Nicolas F. Gier, Wittgenstein and Phenomenology. A Comparative Study on the Later Wittgenstein, Husserl, Heidegger, and MerleauPonty, , S. . Beiden gemeinsam war die Aufgeschlossenheit für die indische Philosophie; vgl. Ramesh Chandra Pradhan, Schopenhauer, Wittgenstein and Indian Philosophy: Some Forgotten Linkages, in: Understanding Schopenhauer Through the Prism of Indian Culture (Hg. Arati Barua/Michael Gerhard/Matthias Koßler), , S. ; dazu Pascale Worré, Schopenhauer Jahrbuch () . Hasso Hofmann, Gerechtigkeitsphilosophie aus Unrechtserfahrung. Zum Gerechtigkeitssinn der Arbeiter im Weinberg, Festschrift für Martin Heckel, , S. , , bezeichnet Schopenhauer aufgrund der ambivalenten Wahrnehmung seiner Zeitgenossen aus gutem Grund als den „krasse(n) philosophische(n) Außenseiter der ersten und eine der geistigen Leitfiguren der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts“. Georg Stock, Rechtsphilosophie. Die Erkenntnis von Rechtswirklichkeit, Rechtsidee und gerechter Lebensgestaltung, , hat im Anschluss an seine frühere Dissertation zu Schopenhauers Rechtsphilosophie () eine beeindruckende Zusammenstellung rechtsphilosophischer Fragen im Hinblick auf die Philosophie Schopenhauers vorgelegt; dazu Gustav Radbruch, Gesamtausgabe Band ,
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Einleitung
Schopenhauers Individualismus zeigt sich besonders deutlich am Beispiel einer Reflexion aus dem handschriftlichen Nachlass seiner späten Jahre: „Zu bewundern ist es, wie die Individualität jedes Menschen (d. h. dieser bestimmte Charakter mit diesem bestimmten Intellekt) gleich einem eindringenden Färbestoff, alle Handlungen und Gedanken deßelben, bis auf die unbedeutendesten herab, genau bestimmt; in Folge wovon der ganze Lebenslauf, d. h. die äußere und innere Geschichte, des Einen so grundverschieden von der des Andern ausfällt“ (Senilia 124; 67– 3). Auch wenn hier nicht vom Recht die Rede ist, wird sich zeigen, dass dieser Gedanke prägend für seine Gerechtigkeitsvorstellung ist. Das dreifache ‚bestimmt‘ – wenngleich zweimal als Adjektiv und einmal als Verb – markiert nicht nur die Einzigartigkeit des jeweiligen Menschen und vor allem seines Charakters, sondern auch seine Determination: Hierin liegt der Grund für die Lehre von der Unveränderlichkeit des Charakters, die Schopenhauers Leugnung der Willensfreiheit begründet und damit auch für sein Strafrechtsdenken prägend ist. Darüber hinaus wird sich erweisen, dass hiermit auch seine Theorie der ewigen Gerechtigkeit zusammenhängt und damit Schopenhauers eigentliche Gerechtigkeitsvorstellung.
Rechtsphilosophie II (Hg. Arthur Kaufmann), , S. f. Ferner Georg Stock, Leitgedanken zu einer systematischen Rechtsphilosophie nach Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () . Aus dem frühen Schrifttum bereits Artur Lenhoff, Bemerkungen zu Schopenhauers Rechtsphilosophie, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Carl August Emge, Die logisch-ontischen Strukturverhältnisse in den rechtsphilosophischen Gedanken Schopenhauers, SchopenhauerJahrbuch () ; Karl Brinkmann, Die Rechts- und Staatslehre Schopenhauers, ; aus neuerer Zeit Annette Godart van der Kroon, Schopenhauer’s Theory of Justice and its Implication to Natural Law, Schopenhauer-Jahrbuch () .
§ 1 Der Egoismus als Ausgangspunkt allen Kampfes I. Die Welt als Vorstellung „Die Welt ist meine Vorstellung“: Dieser von Schopenhauer selbst apostrophierte, berühmte und programmatische erste Satz seines epochalen Werks über Die Welt als Wille und Vorstellung ist für ihn „die Wahrheit, welche in Beziehung auf jedes lebende und erkennende Wesen gilt“ (WW I/1 § 1 S. 29). Es ist gerade diese Entschiedenheit, die Schopenhauers kompromissloses Früh- und Hauptwerk auszeichnet. Er führt diesen Satz auf Berkeley⁴⁸ und der Sache nach auch Descartes zurück,⁴⁹ nachdem er zu der noch bündigeren Aussage gelangt ist: „Die Welt ist Vorstellung“ (WW I/1 § 1 S. 29).⁵⁰ Wille und Vorstellung, die für ihn die Welt sind, stehen freilich nicht gleichberechtigt gegenüber; die Welt als Wille nimmt den deutlich größeren Raum in der Behandlung ein denn die Welt als Vorstellung.⁵¹
Näher zu dessen Einfluss auf Schopenhauer Wolfgang Breidert, Schopenhauer und Berkeley, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Robert Lamers, Berkeley und Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () ; David E. Cartwright, Historical Dictionary of Schopenhauer’s Philosophy, , S. ; Johann Baptist Rieffert, Die Lehre von der empirischen Anschauung bei Schopenhauer und ihre historischen Voraussetzungen, , S. ; Julian Young, Schopenhauer, , S. ; Robert J. Wicks, Schopenhauer, , S. ; Peter Welsen, Schopenhauers Theorie des Subjekts: ihre transzendentalphilosophischen, anthropologischen und naturmetaphysischen Grundlagen, , S. (dazu Wolfgang Weimer, Schopenhauer-Jahrbuch , , ); Dale Jacquette, The Philosophy of Schopenhauer, , S. ; Barbara Hannan, The Riddle of the World. A Reconsideration of Schopenhauer’s Philosophy, , Chapter . Siehe auch Max Barkhausen/Johannes Haag, George Berkeley, in: Ideen. Repräsentationalismus in der frühen Neuzeit (Hg. Dominik Perler/Johannes Haag), , Band , S. , Band , S. . Dazu Ted Humphrey, Schopenhauer and the Cartesian Tradition, Journal of the History of Philosophy () ; Francis Bowen, Modern Philosophy from Descartes to Schopenhauer and Hartmann, . Auflage ; Paul Deussen, Die neuere Philosophie von Descartes bis Schopenhauer, ; Matthias Rühl, Schopenhauers existenzielle Metaphern im Kontext seiner Philosophie, , S. . Eingehend zu diesem Satz Aleksander Bobko, Non Multa. Schopenhauers Philosophie des Leidens, . Golo Mann, Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, in: ZEIT-Bibliothek der Sachbücher (Hg. Fritz J. Raddatz), , S. . Siehe auch Thorsten Lerchner, Die Welt als Vorstellung. Arthur Schopenhauer und der theatralische Blick aufs Dasein, Schopenhauer-Jahrbuch () . DOI 10.1515/9783110491173-002
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§ 1 Der Egoismus als Ausgangspunkt allen Kampfes
1. Kantische Diktion Schopenhauer denkt diesen ersten Satz von der Welt als Vorstellung in kantischen Begriffen fort, indem er das Ding an sich von der Erscheinung unterscheidet.⁵² Diese letztere setzt er mit der Vorstellung in seinem Sinne gleich: „Erscheinung heißt Vorstellung, und weiter nichts: alle Vorstellung, welcher Art sie auch sei, alles Objekt, ist Erscheinung.“ (WW I/1 § 21 S. 154 f.).
a) Wille als Ding an sich Demgegenüber heißt das kantische Ding an sich für ihn Wille:⁵³ „Der Wille als Ding an sich ist von seiner Erscheinung gänzlich verschieden und völlig frei von allen Formen derselben“ (WW I/1 § 23 S. 157). Der Wille im Sinne Schopenhauers ist also nur ein anderes Wort für das kantische Ding an sich: „Ding an sich aber ist allein der Wille“ (WW I/1 § 21 S. 155).⁵⁴ Schopenhauer erhebt insoweit durchaus Anspruch auf Originalität, die er in seinem handschriftlichen Nachlass gegen Schelling und Fichte verteidigt: „Daß einzelne Aussprüche, die dahin zielen, daß das Ding an sich der Welt der Wille sei, und, da sie ohne Zusammenhang und Durchführung dastehn, ein bloßer Vorspuk meiner Lehre sind, – sich bei Schelling (über die Freiheit) ja auch schon bei Fichte (der Mensch ist seine eigene That) finden, ist sehr natürlich daraus erklärlich, daß diese beide von Kant ausgiengen, in dessen Lehre, besonders in der vom intelligiblen und empirischen Charakter, und darin, daß so bald er ein Mal das Ding an sich näher zur Sprache bringt, es als Wille hervortritt (wie ich in der Kritik der Kantschen Philosophie bemerkt habe) der Keim zur meinigen liegt, da ich ja nur die seinige zu Ende gedacht habe (…).“⁵⁵ Ebenso wichtig ist der zuvor zitierte Gegensatz, wonach der Wille als Ding an sich von seiner Erscheinung gänzlich verschieden ist.⁵⁶ Im zweiten Teil seines Hauptwerks hat Schopenhauer – entgegen Kant – die Erkennbarkeit des Dinges an
Bernd Dörflinger, Zur Erkenntnisbedeutung des Ästhetischen. Schopenhauers Beziehung zu Kant, Schopenhauer-Jahrbuch () . Lutz Baumann, Kants Theorie der Gegenstandserkenntnis und Schopenhauers Lehre vom Ding an sich, Schopenhauer-Jahrbuch () ; siehe auch Nathan Rotenstreich, The Thing in Itself and Will, Schopenhauer-Jahrbuch () . Näher Daniel Schubbe, Philosophie des Zwischen. Hermeneutik und Aporetik bei Schopenhauer, , S. . Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. f.; Hervorhebungen auch dort. Vgl. auch Daniel Lukas Bäschlin, Schopenhauers Einwand gegen Kants transzendentale Deduktion der Kategorien, .
I. Die Welt als Vorstellung
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sich postuliert (WW II/1 Kap. 18 S. 223 ff.) und noch einige ‚Transscendente Betrachtungen über den Willen als Dinges an sich‘ angestellt (WW II/1 Kap. 25 S. 372 ff.), die für die rechtsphilosophische Dimension seiner Willensphilosophie jedoch außer Betracht bleiben können.
b) Zeit und Raum als principium individuationis Damit sind bereits die beiden zentralen Begriffe des Titels seines Hauptwerks in kantischer Diktion begriffen und zueinander ins Verhältnis gesetzt.⁵⁷ Von daher erklärt sich eine der ersten Aussagen seiner Rechtslehre, die da lautet: „Die Welt ist gerade eine solche, weil der Wille, dessen Erscheinung sie ist, ein solcher ist, weil er so will“ (WW I/2 § 60 S.413).Um dieses Verhältnis von Wille und Vorstellung näherhin zu erklären,⁵⁸ greift Schopenhauer auf die kantischen Anscheinungsformen Zeit und Raum zurück: „Erst durch die Vereinigung von Zeit und Raum erwächst die Materie, d.i. die Möglichkeit des Zugleichseyns und dadurch der Dauer, durch diese wieder des Beharrens der Substanz, bei der Veränderung der Zustände“ (WW I/1 § 4 S. 37). Zeit und Raum jedoch benennt er in scholastischer Tradition und nicht ohne einen gewissen schulmeisterlichen Duktus als principium individuationis:⁵⁹ „In dieser letztern Hinsicht werde ich, mit einem aus der alten eigentlichen Scholastik entlehnten Ausdruck, Zeit und Raum das principium individuationis nennen,welches ich ein für alle Mal zu merken bitte“ (WW I/1 § 23 S. 157).
2. Rechtsstreit und principium individuationis Von daher versteht sich nun ein weiterer einleitender Satz seiner Rechtslehre, der die Begriffe voraussetzt: „Ohne klare Besonnenheit stehn die meisten Menschen auf diesem Standpunkt und bejahen fortdauernd das Leben. Als Spiegel dieser Bejahung steht die Welt da, mit unzähligen Individuen, in endloser Zeit und endlosem Raum, Vertiefend Slavi P. Tschauscheff, Das Kausalproblem bei Kant und Schopenhauer, ; Martin Bondeli, Reinhold und Schopenhauer. Zwei Denkwelten im Banne von Wille und Vorstellung, , S. ff. Wichtig zu Kant Johannes Haag, Erfahrung und Gegenstand, . Ferner Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur. Eine Erörterung der Bestätigungen, welche die Philosophie des Verfassers, seit ihrem Auftreten, durch die empirischen Wissenschaften erhalten hat, , S. , wonach das, „was Kant als das Ding an sich der bloßen Erscheinung, von mir entschiedener Vorstellung genannt, entgegensetzte“; Hervorhebung nur hier. Näher Werner Gent, Die Kategorien des Raumes und der Zeit bei Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Paul Guyer, Perception and Understanding: Schopenhauer, Reid and Kant, in: A Companion to Schopenhauer (Hg. Bart Vandenabeele), , S. ff.
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§ 1 Der Egoismus als Ausgangspunkt allen Kampfes
und endlosem Leiden zwischen Zeugung und Tod ohne Ende“ (WW I/2 § 60 S. 413).⁶⁰ Schopenhauer nimmt diese erste Skizze der Grundbegriffe zum Anlass, seine Theorie der ewigen Gerechtigkeit aufscheinen zu lassen, die bei ihm – nicht anders als in der vorliegenden Erörterung – am Ende stehen wird. Einstweilen aber nimmt er den Faden der von ihm gesetzten Begrifflichkeit wieder auf, indem er wiederholt: „Wir haben Zeit und Raum, weil nur durch sie und in ihnen Vielheit des Gleichartigen möglich ist, das principium individuationis genannt“ (WW I/2 § 61 S. 414).⁶¹ Wichtig für die Rechtslehre ist hier der Kausalsatz, der die Möglichkeit der Vielheit des Gleichartigen begründet.⁶² Denn nur durch sie und die gleichzeitige Anwesenheit im selben Raum zur gleichen Zeit kann es überhaupt zum Kampf zwischen den einzelnen Individuen kommen; nur so können rechtlich relevante Differenzen entstehen und ausgefochten werden. Daher ist auch das principium individuationis mit dem Rechtsstreit im weitesten Sinne verwoben, da die in Widerstreit miteinander geratenden Individuen notwendigerweise in Zeit und Raum vereint sind.⁶³ Wie und wodurch dies vonstatten geht, wird nur klar, wenn man „dem Egoismus, als dem Ausgangspunkt alles Kampfes“ (WW I/2 § 61 S. 414) auf den Grund geht.⁶⁴
3. Egoismus und Gerechtigkeit Den Übergang zum Folgenden versteht man leichter, wenn man ein wichtiges Bindeglied aus Schopenhauers Preisschrift Über die Grundlage der Moral mit in die
Zum Bild des Spiegels Jörg Bernardy, Schopenhauers Spiegelmetapher zwischen Duplizitätsstrukturen und Selbsterkenntnis, Schopenhauer-Jahrbuch () . Dazu aus dem älteren Schrifttum Ernst Friedrich Wyneken, Das Naturgesetz der Seele, oder Herbart und Schopenhauer: eine Synthese, , S. . Konstantin Broese, Schopenhauers Überwindung der Theorie der Selbsterhaltung und der neuzeitlichen Rationalität – Schopenhauer als Wegbereiter Nietzsches, in: Vernunft der Aufklärung – Aufklärung der Vernunft (Hg. Ders.), , S. , , folgert unter Verweis auf weitere Textstellen des Hauptwerks, „dass sich die durch den Satz vom Grund gestiftete Vielheit bzw. Individualität als eine ‚Vielheit des Gleichartigen (nämlich als eine) durch die Formen der Erscheinung, Zeit und Raum‘ bedingte quantitative Vielheit auffassen lässt (…)“; Hervorhebung auch dort. Raymond B. Marcin, In Search of Schopenhauer’s Cat. Arthur Schopenhauer’s QuantumMystical Theory of Justice, , S. , behandelt folgerichtig ‚Justice and the Principium Individuationis‘. Zu dieser Stelle auch Barbara Neymeyr, Ästhetische Autonomie als Abnormität. Kritische Analysen zu Schopenhauers Ästhetik im Horizont seiner Willensmetaphysik, , S. .
I. Die Welt als Vorstellung
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Betrachtung einstellt:⁶⁵ „In dem bevorstehenden Kampfe wird der Egoismus, als die Hauptmacht seiner Seite, vorzüglich sich der Tugend der Gerechtigkeit entgegenstellen, welche nach meiner Ansicht, die erste und recht eigentliche Kardinaltugend ist“ (GM § 14 S. 238).⁶⁶ Diese Außenverweisung ist deswegen wichtig, weil sich aus ihr ersehen lässt, dass in letzter Konsequenz Egoismus und Gerechtigkeit konfligieren. Egoismus bedeutet also eine der Tugend der Gerechtigkeit diametral entgegengesetzte Ausprägung der Herrschsucht und des Vernichtungsdrangs: „Daher will Jeder Alles für sich, weil Alles besitzen, wenigstens beherrschen, und was sich ihm widersetzt, möchte er vernichten“ (WW I/2 § 61 S. 414).
4. Hobbes’ Einfluss auf Schopenhauer Auch diese Stelle erklärt sich von selbst, wenn man die genannte Preisschrift in die Betrachtung einstellt, in der Schopenhauer den freiwaltenden Egoismus in eine Beziehung setzt zu einem berühmten Gedanken von Hobbes,⁶⁷ auf den noch zurückzukommen sein wird:⁶⁸ „Da der Egoismus, wo ihm nicht entweder äußere Gewalt, welcher auch jede Furcht, sei sie vor irdischen oder überirdischen Mächten, beizuzählen ist, oder aber die ächte moralische Triebfeder entgegenwirkt, seine Zwecke unbedingt verfolgt; so würde, bei der zahllosen Menge egoistischer Individuen, das bellum omnium contra omnes an der Tagesordnung sein, zum Unheil Aller“ (GM § 14 S. 238).
a) Willensmetaphysische Begründung des homo homini lupus Im späten Zweiten Band seines Hauptwerkes präzisiert er im Hinblick auf den Staat als erforderliche Schutzanstalt in Hobbes’scher Manier: „der schlimmste Feind des Menschen ist der Mensch: homo homini lupus.“ (WW II/2 Kap. 47 S. 697). Ausdrücklich kommt Hobbes dann in den Parerga und Paralipomena zur Sprache, allerdings wegen der theologischen Konnotation eher distanziert: „Die Anleitung
Hierzu Margot Fleischer, Schopenhauer als Kritiker der Kantischen Ethik. Eine kritische Dokumentation, , S. ff. Zur Kardinaltugend der Gerechtigkeit bei Schopenhauer Elisabeth Jütten, Diskurse über Gerechtigkeit im Werk Jakob Wassermanns, , S. . Siehe zum Einfluss Hobbes’ auf Schopenhauer auch Ewald Langeder, Das Hobbes-Bild Paul Ricœurs in dessen Buch „Wege der Anerkennung“. Zur Problematik des Ethikvergleichs zwischen Hobbes und den Jenenser Schriften Hegels, , S. . Prägnant dazu John Laird, The Idea of Value, , S. .
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§ 1 Der Egoismus als Ausgangspunkt allen Kampfes
zu diesem Rechtsbegriff scheint ihm (sc.: Spinoza⁶⁹) gegeben zu haben Hobbes, namentlich De cive c. 1, § 14, welcher Stelle dieser die seltsame Erläuterung hinzufügt, daß das Recht des lieben Gottes auf alle Dinge doch auch nur auf seiner Allmacht beruhe“ (PP II/1 § 124 S. 263 f.). Hobbes ist ihm jedenfalls Gewährsmann für seine Vorstellung des Naturzustandes,⁷⁰ in dem sich die Individuen mit ihrem jeweiligen Egoismus ungehemmt bekämpfen.⁷¹ Die über Hobbes hinausreichende Besonderheit besteht allerdings darin, dass er den Egoismus eben nicht nur faktisch, sondern mit seiner Willensmetaphysik begründet.⁷² Folgerichtig heißt es in der Preisschrift Über die Grundlage der Moral weiter: „Daher die reflektirende Vernunft sehr bald die Staatseinrichtung erfindet, welche, aus gegenseitiger Furcht vor gegenseitiger Gewalt entspringend, den nachteiligen Folgen des allgemeinen Egoismus so weit vorbeugt, als es auf dem negativen Wege geschehn kann“ (GM § 14 S. 238). Wie es mit der ‚Erfindung der Staatseinrichtung‘ bestellt ist, wird weiter unten noch näher behandelt, wenn es um die zeitliche Gerechtigkeit geht, die sich im Staat abbildet. In diesem Rahmen wird dann auch die bedeutungsvolle Wendung von der ‚reflektierenden Vernunft‘ vertieft, weil sie für die Staatsbegründung von Interesse ist. Einstweilen soll es nur um die äußerlichen Ähnlichkeiten mit Hobbes’ Menschenbild gehen.
b) Egoismus und Bosheit Hobbes findet schließlich auch im Hauptwerk den gebührenden Platz, wenn es darum geht, wie sich der durch keinen Rechtssatz gebundene Egoismus der Individuen Bahn bricht: „Aber am deutlichsten tritt es hervor, sobald irgend ein Haufen Menschen von allem Gesetz und Ordnung entbunden ist: da zeigt sich sogleich aufs Deutlichste, das bellum omnium contra omnes, welches Hobbes, im ersten Kapitel de cive, trefflich geschildert hat. Es zeigt sich, wie nicht nur Jeder dem Andern zu entreißen sucht was er selbst haben will; sondern sogar oft Einer,
Enigmatisch Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. : „Nach Spinoza giebt es eigentlich kein anderes Recht als das Faustrecht. Summum jus est summa potentia“; Hervorhebung auch dort. Aufschlussreich George Anastaplo, The Christian Heritage. Problems and Prospects, , S. ; Mathijs Peters, Schopenhauer and Adorno on Bodily Suffering. A Comparative Analysis, , S. ; Sophie Salin, Kryptologie des Unbewußten. Nietzsche, Freud und Deleuze im Wunderland, , S. Fußnote . Vgl. auch Raymond B. Marcin, In Search of Schopenhauer’s Cat. Arthur Schopenhauer’s Quantum-Mystical Theory of Justice, , S. ; Peter Sprengel, Darwin in der Poesie. Spuren der Evolutionslehre in der deutschsprachigen Literatur des . und . Jahrhunderts, , S. . Konstantin Broese, Staat und Politik in Schopenhauers Denken – grundlegende Aspekte, in: Politik und Gesellschaft im Umkreis Arthur Schopenhauers (Hg. Matthias Koßler), , S. .
I. Die Welt als Vorstellung
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um sein Wohlseyn durch einen unbedeutenden Zuwachs zu vermehren, das ganze Glück oder Leben des Andern zerstört. Dies ist der höchste Ausdruck des Egoismus, dessen Erscheinungen, in dieser Hinsicht, nur noch übertroffen werden von denen der eigentlichen Bosheit, die ganz uneigennützig den Schaden und Schmerz Anderer, ohne allen eigenen Vortheil, sucht“ (WW I/2 § 61 S. 415 f.). Hier tritt die Bosheit als schädlichste Ausprägung offen zutage; sie bildet eine feste Größe in Schopenhauers Ethik.⁷³ Während der Egoist nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist und den Schaden, der anderen daraus erwächst, nur in Kauf nimmt, verhält es sich beim Boshaften im Sinne Schopenhauers umgekehrt.⁷⁴
c) ‚Staatsmaschine‘ als Umschreibung des ‚Leviathan‘ In den nachgelassenen handschriftlichen Notizen findet sich eine Stelle, die auf Hobbes’ Leviathan zugeschnitten scheint und zumindest von denselben anthropologischen Voraussetzungen ausgeht: „Der Mensch ist ein wildes, entsetzliches Thier: wir kennen es nur im Zustande der Zähmung, welche Civilisation heißt und erschrecken über gelegentliche Ausbrüche seiner ursprünglichen Natur. Aber wenn einmal Schloß und Kette der Gesetzlichen Ordnung abfallen und Anarchie eintritt, da zeigt sich was er ist. (…) Wenn man bedenkt, welcher Vorrath von Hass, Zorn und Bosheit in jeder Menschenbrust nistet, und wie überwiegend der Hass gegen die Liebe ist, so muß man sich wundern, daß es im Ganzen noch so friedlich in der Welt hergeht, und die Staatsmaschine, die das hauptsächlich zu Wege bringt, verehren.“⁷⁵ Die Ähnlichkeit der Schopenhauerschen ‚Staatsmaschine‘ mit dem ‚Leviathan‘ sind augenfällig. Dementsprechend zeichnet Schopenhauer in der Preisschrift Über die Grundlage der Moral den Egoismus in den schwärzesten Farben, die Hobbes’ Menschenbild noch in den Schatten stellen: „Mancher Mensch wäre im Stande, einen andern totzuschlagen, bloß um mit dessen Fette sich die Stiefel zu schmieren“ (GM § 14 S. 238). Stellen wie diese belegen eindrucksvoll, dass für Schopenhauer die durch die ‚Staatsmaschine‘ zu bändigende, potentiell abgrundtiefe Niedrigkeit des Menschen eine stets ins Kalkül zu ziehende Größe ist.⁷⁶
Zum Verhältnis von Bosheit und Egoismus zueinander Margot Fleischer, Schopenhauer als Kritiker der Kantischen Ethik. Eine kritische Dokumentation, , S. . Matthias Rühl, Schopenhauers existentielle Metaphern im Kontext seiner Philosophie, , S. . Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. ; diese Stelle findet sich auch bei Ernst Ziegler, Burkhardt und Schopenhauer. Eine Anthologie, , S. f. Zeitgeschichtlich aufschlussreich Jörg Barberowski, Räume der Gewalt, .
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§ 1 Der Egoismus als Ausgangspunkt allen Kampfes
II. Individualistische Rechtsauffassung Gerade in der Einleitung der Rechtslehre rekapituliert Schopenhauer zentrale Gedanken seiner Sicht der Welt als Wille und Vorstellung, die dokumentieren, dass er einen vollkommen neuen Gesichtspunkt in die Geschichte der Philosophie eingebracht hat, der auch dort, wo man seiner Willensmetaphysik keinen Glauben schenken möchte, von unerhörter Originalität ist und gerade auch – wie noch zu zeigen sein wird – die Rechtsphilosophie ungemein bereichert.⁷⁷ Schopenhauer findet von daher zu einer individualistischen Rechtsauffassung, die wiederum in seiner Willensphilosophie grundgelegt ist.⁷⁸
1. Ungerechtigkeit des Menschen als anthropologische Konstante Im ersten Teil seines Hauptwerks hat Schopenhauer diesen Gesichtspunkt weniger philosophiegeschichtlich als vielmehr in einer erkenntnistheoretischen Diktion vorgetragen:⁷⁹ „Hiezu kommt, bei den erkennenden Wesen, daß das Individuum Träger des erkennenden Subjekts und dieses Träger der Welt ist;⁸⁰ d. h. daß die ganze Natur außer ihm, also auch alle übrigen Individuen, nur in seiner Vorstellung existiren, er sich ihrer stets nur als seiner Vorstellung, also bloß mittelbar und als eines von seinem eigenen Wesen und Daseyn Abhängigen bewußt ist; da mit seinem Bewußtseyn ihm nothwendig auch die Welt untergeht, d. h. ihr Seyn und Nichtseyn gleichbedeutend und ununterscheidbar wird.“ (WW I/2 § 61 S. 414).
Bryan Magee, The Philosophy of Schopenhauer, (dazu David E. Cartwright, Schopenhauer-Jahrbuch , , ; revidierte und erweiterte Ausgabe ), Chapter , macht mit Recht darauf aufmerksam, dass nicht die vereinzelten Unzulänglichkeiten der Philosophie Schopenhauers entscheidend für seinen Rang in der Geistesgeschichte sind, sondern vielmehr die schiere Existenz ingeniöser Gedanken, die man bei Schopenhauer allenthalben findet. Anschaulich am Beispiel der berühmten Parabel Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie. Studienausgabe, . Auflage , S. Fußnote : „Schopenhauer vergleicht die menschliche Gesellschaft mit einer Gesellschaft von Stachelschweinen, die sich aneinander drängen, um sich aneinander zu erwärmen, aber doch voneinander fernhalten müssen, um einander nicht mit ihren Stacheln zu verletzen. Die mittlere Entfernung, die sie endlich herausfinden, ist bei Schopenhauer die menschliche Höflichkeit – er hätte auch sagen können: das nach individualistischer Art gedachte Recht“. Siehe dazu auch Rebecca Paimann, Kann es eine Stetigkeit im Erkennen geben? Einheit, Dualität und Vermittlung in der Transzendentalphilosophie bei Kant und Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () . Zum Subjekt in diesem Sinne Peter Welsen, Schopenhauers Theorie des Subjekts: ihre transzendentalphilosophischen, anthropologischen und naturmetaphysischen Grundlagen, .
II. Individualistische Rechtsauffassung
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Hieran erkennt man deutlich wie die unterschiedlichen Nebenwerke auf das Hauptwerk bezogen sind und gleichsam flankierend anderweitige Gesichtspunkte der Rechtslehre komplementär aufscheinen lassen, die sich von daher wechselseitig erklären. Ähnlich verhält es sich mit den Parerga und Paralipomena, wo er – wiederum in Hobbes’scher Gedankenführung – erklärt, „daß die Nothwendigkeit des Staats, im letzten Grunde, auf der anerkannten Ungerechtigkeit des Menschengeschlechts beruht“ (PP II/1 § 123 S. 236).⁸¹ Auch hieran zeigt sich nämlich, dass die Ungerechtigkeit dem Menschengeschlecht – und damit auch jedem einzelnen Menschen – eigentümlich ist und ihr Gegenbegriff, die Gerechtigkeit, im Sinne des in der Preisschrift Über die Grundlage der Moral Festgestellten folgerichtig der Gegenbegriff zum Egoismus ist. Diese Ungerechtigkeit der Welt ist zugleich notwendige Bedingung und Prämisse seiner Willensmetaphysik.⁸²
2. Das Individuum als Mittelpunkt der Welt Der grenzenlose Egoismus schafft so eine Konstante in der grenzenlosen Welt:⁸³ „Aus den angegebenen beiden nothwendigen Bestimmungen nun erklärt es sich, daß jedes in der gränzenlosen Welt gänzlich verschwindende und zu Nichts verkleinerte Individuum dennoch sich zum Mittelpunkt der Welt macht, seine eigene Existenz und Wohlseyn vor allem Andern berücksichtigt, ja, auf dem natürlichen Standpunkte, alles Andere dieser aufzuopfern bereit ist, bereit ist die Welt zu vernichten, um nur sein eigenes Selbst, diesen Tropfen im Meer, etwas länger zu erhalten“ (WW I/2 § 61 S. 414 f.). Ähnlich und bündig folgert er in der Preisschrift Über die Grundlage der Moral: „Der Egoismus ist, seiner Natur nach, gränzenlos“ (GM § 14 S. 236). Der Gemeinspruch, dass sich ein jeder für den Mittelpunkt des Universums hält, findet bei Schopenhauer eine nahezu wörtliche Entsprechung:⁸⁴ „Demgemäß macht Jeder sich zum Mittelpunkte der Welt, bezieht Alles auf sich“
Zu dieser Stelle auch Thomas Fleiner-Gerster, Allgemeine Staatslehre, , S. . Georg Simmel, Schopenhauer und Nietzsche. Ein Vortragszyklus, , S. : „Wenn man es paradox ausdrücken darf: daß es in der Welt sinnlos und ungerecht zugeht, ist nichts Sinnloses oder Ungerechtes, sondern ist der logisch unvermeidliche Ausdruck ihres Willenscharakters“. Vgl. auch Asmus Trautsch, Leidenschaftliche Individualität. Zur tragischen Verfassung gesteigerten Lebens bei Schopenhauer, Nietzsche und Camus, in: Die Philosophie des Tragischen. Schopenhauer – Schelling – Nietzsche (Hg. Lore Hühn/Philipp Schwab), , S. , („Individualismus zwischen Egozentrizität und Egoismus“). Dazu auch Konstantin Broese, „Glück“ im Horizont der Willensmetaphysik Schopenhauers. Das Leben zwischen illusionärem und wahrem Glück, in: Vom Glück und glücklichen Leben. Sozial- und geisteswissenschaftliche Zugänge (Hg. Timo Hoyer), , S. , .
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§ 1 Der Egoismus als Ausgangspunkt allen Kampfes
(GM § 14 S. 236). So ist der Tod „daher für ihn gleichbedeutend mit dem Weltuntergange“ (GM § 14 S. 237).⁸⁵ Das bleibt für die gerechte Beurteilung juristischer Zusammenhänge ersichtlich nicht folgenlos. Denn die Selbstzentrierung des Menschen macht eine unparteiische, alle Interessen gegeneinander abwägende und besonnene Urteilsfindung nahezu unmöglich. Wer alles auf sich bezieht, erweist sich als denkbar ungeeignete Instanz für einen gleichwie gearteten Rechtsspruch; wer von grenzenlosem Egoismus beherrscht wird, kann schwerlich anderen das Ihre zuteilen. Die Irrationalität des blindlings waltenden Willens gefährdet mithin die Rationalität gerichtlicher Entscheidungen. Die Mitwirkung voluntativer Determinanten könnte dann auch eine methodengerechte Rechtsfindung beeinflussen.⁸⁶ Schopenhauer hat der Jurisprudenz mit seiner Fixierung auf den ungehemmt waltenden Willen den Blick dafür geöffnet, dass rechtliche Entscheidungen notwendigerweise von Menschen ergehen, die alles auf sich beziehen, ihrer Natur nach von Grund auf boshaft sind und sich für den Mittelpunkt des Universums halten.
3. Der Wille zum Leben als bestimmendes Prinzip Das bestimmende Prinzip ist also der ‚Wille zum Leben‘ (WW I/2 § 61 S. 414). Der Mensch kann buchstäblich nicht anders, weil er es nicht besser weiß: „Die einzige Welt, welche Jeder wirklich kennt und von der er weiß, trägt er in sich, als seine Vorstellung, und ist daher das Centrum derselben“ (GM § 14 S. 237). Der Wille ist für Schopenhauer singulare tantum: „Diese Gesinnung ist der Egoismus, der jedem Dinge in der Natur wesentlich ist. Eben er aber ist es, wodurch der innere Widerstreit des Willens mit sich selbst zur fürchterlichen Offenbarung gelangt. Denn dieser Egoismus hat seinen Bestand und Wesen in jenem Gegensatz des Mikrokosmos und Makrokosmos, oder darin, daß die Objektivation des Willens das Geistesgeschichtlich weiterführend zu dieser Stelle die vergleichende Einordnung von Ulrich H. J. Körtner, Weltangst und Weltende. Eine theologische Interpretation der Apokalyptik, , S. . Josef Esser,Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung. Rationalitätsgrundlagen richterlicher Entscheidungspraxis, , S. Fußnote , konstatiert beispielsweise ein „erschütterndes Bild an Methodenpräferenzen“. Es darf aber nicht übersehen werden, dass Theorie und Praxis seither die Möglichkeit rationaler und unvoreingenommener Entscheidungsfindung differenziert untersucht haben; vgl. nur Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, . Auflage ; Detlef Leenen, Typus und Rechtsfindung, . Für ein Übergewicht der jeweiligen ‚Weltanschauung‘ demgegenüber Bernd Rüthers, Diskurs als Motor juristischen Erkenntnisfortschritts, JZ , .
II. Individualistische Rechtsauffassung
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principium individuationis zur Form hat und dadurch der Wille in unzähligen Individuen sich auf gleiche Weise erscheint und zwar in jedem derselben nach beiden Seiten (Wille und Vorstellung) ganz und vollständig“ (WW I/2 § 61 S. 415). An diesem Klammerzusatz lässt sich im Übrigen leicht erkennen, dass die Rechtslehre Schopenhauers innerhalb seines Hauptwerks nicht lediglich ein peripherer Punkt ist, sondern vielmehr einen zentralen Anwendungsfall der Welt als Wille und Vorstellung darstellt. Der Egoismus ist damit Quelle der Eitelkeit, der Tyrannei, der Kriege, zentraler Begebenheiten der Weltgeschichte, des Privatlebens oder der Kunst, wie Schopenhauer an vielen Beispielen verdeutlicht. Er beruft sich auf La Rochefoucauld (WW I/2 § 61 S. 415), dessen ‚Maximen und Reflexionen‘ er auch in den Parerga und Paralipomena (PP II/1 § 126 S. 271) hervorhebt.⁸⁷ Auch darin erkennt man eine deutliche Parallele zu Nietzsche,⁸⁸ dem die Maximen und Reflexionen La Rochefoucaulds ebenso viel bedeuteten, weil sie ein Gradmesser der menschlichen Eitelkeit sind und in dieser Form auch für das Recht bestimmenden Charakter entfalten können, auch wenn Schopenhauer betont, dass sie eher den Privatbereich betreffen.
4. Schopenhauers Prämissen in der Zusammenschau Betrachtet man Schopenhauers Prämissen bis zu dieser Stelle in der Zusammenschau, so ergibt sich ein eigenartiges Bild: Auf der Grundlage einer scheinbar streng kantischen Unterscheidung, allerdings mit eigener Begrifflichkeit, gelangte er zu Übereinstimmungen mit, jedenfalls wenn man von Kant ausgeht, eher fernliegenden Denkern, wie La Rochefoucauld, die gerade aus dem reichhaltigen empirischen Material ihrer weltgewandten Erfahrung ihre Lehren zogen. Es ist daher durchaus zweifelhaft, ob man zu diesen Ergebnissen – gleichsam more
François de La Rochefoucauld, Réflexions ou Sentences et Maximes Morales, . Siehe auch Robert Zimmer, Schopenhauers zweites Hauptwerk. Die Parerga und Paralipomena und ihre Wurzeln in der Aufklärungsessayistik und Moralistik, Schopenhauer-Jahrbuch () ; ders., Philosophie der Lebenskunst aus dem Geist der Moralistik. Zu Schopenhauers Aphorismen der Lebensweisheit, Schopenhauer-Jahrbuch () . Siehe auch Sebastian Neumeister, Schopenhauer, Gracián und die Form des Aphorismus, Schopenhauer-Jahrbuch () . Dazu Margot Kruse, La Rochefoucauld en Allemagne. Sa réception par Schopenhauer et Nietzsche, in: dies., Beiträge zur französischen Moralistik, , S. ff. Weiterführend Karlheinz Stierle, Die Modernität der französischen Klassik. Negative Anthropologie und funktionaler Stil, in: Französische Klassik (Hg. Fritz Nies/Ders.), , S. ; ders., Was heißt Moralistik?, in: Moralistik. Explorationen und Perspektiven (Hg. Rudolf Behrens/Maria Moog-Grünewald), , S. .
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§ 1 Der Egoismus als Ausgangspunkt allen Kampfes
geometrico – auf der Grundlage kantischer Einteilungen und Unterscheidungen gelangen kann oder soll.⁸⁹
a) Kritik an der vorgeblich kantischen Prägung Schopenhauers Gleichsetzung des Willens mit dem kantischen Ding an sich und seine Gleichachtung der Anschauung mit der Vorstellung erscheint allerdings bedenklich, wenn man – etwa auf das Recht bezogen – die Ergebnisse betrachtet. Nicht von ungefähr gelangte später Nietzsche ohne jede kantische Prägung zu einer ganz ähnlichen Wertschätzung des Willens zum von ihm so genannten Willen zur Macht. Aber bei Licht betrachtet, ist es auch bei Schopenhauer der allgegenwärtige Wille zur Macht, der sich im ungebremsten und ungehemmten Egoismus Bahn bricht. Es ist eben der Wille in jeglicher Erscheinungsform, weshalb schwerlich einleuchtet, was dieser mit dem kantischen Ding an sich gemein haben soll.⁹⁰ Wenn also, wie in der Einleitung angedeutet, Schopenhauers Willensphilosophie eine Art Bindeglied auf dem Weg von Kant zu Nietzsche sein soll, dann muss man das mit der Einschränkung versehen, dass der Übergang zu Schopenhauer trotz oder gerade wegen dessen strebenden Bemühens, streng kantisch zu philosophieren auf einem eher brüchigen Fundament steht.⁹¹
b) Irrelevanz der kantischen Prämissen für die Rechtslehre Schopenhauers Nicht von ungefähr beruhen einige Kritikpunkte Schopenhauers an der kantischen Rechtslehre nicht so sehr auf dessen vorgeblicher „Altersschwäche“ (WW I/2 § 62 S. 419) als vielmehr auf dem Unwillen Schopenhauers,⁹² diese Herleitungen als
Näher Wolfgang Breidert, Arthur Schopenhauer, in: Klassiker der Philosophie (Hg. Otfried Höffe), Band , . Auflage , S. , : „Funktional steht die Objektivierung des Willens analog zur Affizierung des Subjekts durch das Ding an sich in der kantischen Philosophie. Die Überschreitung des Bereichs der Vorstellungen in Richtung auf das Ding an sich bedeutet in jedem Fall ein Verlassen des Bereichs der rationalen Philosophie“. – Man könnte auch sagen: einen Tabubruch. Klaus-Jürgen Grün, Arthur Schopenhauer, , S. , verteidigt demgegenüber die Gleichsetzung. Siehe zum Ganzen auch Tomas Bohinc, Die Entfesselung des Intellekts. Eine Untersuchung über die Möglichkeiten der An-sich-Erkenntnis in der Philosophie Arthur Schopenhauers unter besonderer Berücksichtigung des Nachlasses und entwicklungsgeschichtlicher Aspekte, . Rainer Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung in Kants Metaphysik der Sitten, , S. Fußnote , hält das Urteil Schopenhauers für „geradezu berüchtigt“. Siehe dazu auch Mario A. Cattaneo, Schopenhauers Kritik der Kantschen Rechtslehre, Schopenhauer-Jahrbuch () .
II. Individualistische Rechtsauffassung
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Ausprägungen kritischen Denkens Kants zu erkennen.⁹³ Schopenhauer hätte also womöglich besser daran getan, von vornherein die eigene Begrifflichkeit ohne angreifbare Analogien und Anleihen bezüglich der kantischen vorzustellen und den philosophiegeschichtlichen Bruch bei aller Bewunderung Kants in Kauf zu nehmen. Denn dasjenige, was phänotypisch einerseits Hobbes und andererseits den großen französischen Moralisten ähnelt,⁹⁴ lässt sich schwerlich genotypisch auf Kant zurückbeziehen.⁹⁵ Jedenfalls ist der vorgeblich kantische Gehalt der Schopenhauerschen Philosophie für das Verständnis seiner Rechtslehre unergiebig; die Unterschiede zur kantischen Rechtslehre sind ebenso beträchtlich wie Schopenhauers Geringschätzung derselben.
5. Bedeutung für die juristische Geistesgeschichte Schopenhauers geistesgeschichtliche Bedeutung beruht nicht zuletzt darauf, dass er – in Abwendung von Kant und den Vertretern des Deutschen Idealismus,⁹⁶ aber im unwillkürlichen Brückenschlag zu Nietzsche – die Unvernünftigkeit des blindlings waltenden Willens in den Vordergrund gestellt hat.⁹⁷
a) Scheinrationalität juristischer Begründungen Man kann seine Originalität daran ermessen, dass er so gegensätzliche Denker für sein System fruchtbar zu machen versteht, vor allem aber daran, dass er das irrationale Moment, das seiner Willensphilosophie wesensmäßig zueigen ist,
Näher Jens Petersen, Kants „Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre“ – Kritisches Spätwerk oder „Erzeugnisse eines gewöhnlichen Erdensohns“?, Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, , Band II, S. . Carl August Emge, Die logisch-ontischen Strukturverhältnisse in den rechtsphilosophischen Gedanken Schopenhauers, Schopenhauer-Jahrbuch () , , nennt des weiteren den auch von Nietzsche bewunderten Chamfort. Treffend Margot Fleischer, Schopenhauer, , S. : „Aber er überschreitet Kants Philosophie auch, und das in einer Weise, die Kant niemals gebilligt hätte“. Dazu Wolfgang Schirmacher, Asketische Vernunft – Schopenhauer im Deutschen Idealismus, Schopenhauer-Jahrbuch () . Treffend Jan Rohls, Geschichte der Ethik, . Auflage , S. : „Und dieser Wille ist kein rationales, sondern ein irrationales Prinzip, insofern er nicht der vernünftige, sondern der blinde Wille, der ziellose Trieb und Drang ist. Damit ergibt sich nun im Gegenzug zum Idealismus und seinen Erben ein metaphysischer Pessimismus“.
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§ 1 Der Egoismus als Ausgangspunkt allen Kampfes
zumindest in Kauf nimmt.⁹⁸ Dieses Verdienst ist auch und gerade für die juristische Geistesgeschichte bedeutsam, weil es die Scheinrationalität juristischer Begründungen entlarven kann, hinter denen mitunter verdeckt oder uneingestanden voluntative Prämissen stehen. Die eminente psychologische Genialität, mit der er Bezüge seiner erfahrungsgesättigten Lehre etwa zu La Rochefoucauld ausmacht,⁹⁹ die stringente Unterscheidungskraft, vermöge derer er in kantischen Kategorien denkt, und schließlich die Anwendung des Menschenbildes von Thomas Hobbes auf seine Willensmetaphysik finden zu einer individualistischen Rechtsauffassung, die ihresgleichen sucht.
b) Individualistische Rechtslehre auf moralischer Grundlage Daraus ergibt sich die in der Philosophiegeschichte bis dahin unerhörte Verbindung einer an Kant geschulten metaphysischen Gerechtigkeitsauffassung mit jenen Vorläufern, die – wie Hobbes und La Rochefoucauld – in die Abgründe der menschlichen Seele geschaut haben: eine radikal individualistische Rechtslehre, die zugleich moralisch sein soll.¹⁰⁰ Damit steht auch seine Rechtslehre erratisch – jenseits von Kant und Hegel – für sich allein; mit ihrer unausgesprochenen Prämisse der Irrationalität des alles beherrschenden Willens¹⁰¹ erst wieder eingeholt von Nietzsche,¹⁰² doch von diesem zugleich um den Preis der nicht angängigen Annahme der Ungleichheit der Menschen überwunden.¹⁰³ Schopenhauer ist daher
Pointiert Jan Rohls, Protestantische Theologie der Neuzeit I. Die Voraussetzungen und das . Jahrhundert, , S. : „Schopenhauer läuft nun mit seinem metaphysischen Irrationalismus Hegels metaphysischem Rationalismus den Rang ab“. Peter Bruegger, Die radikale Unvernunft der menschlichen „Vernunft“. Schopenhauers Beitrag zur Ideologiekritik, Schopenhauer-Jahrbuch () . Vgl. nur Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. : „Gerechtigkeit und Ehrlichkeit ist in der Welt meistens nur ein Aushängeschild, eine Flagge, unter der man seine Kapereien ausführt“. Dazu David E. Cartwright, Schopenhauer as Moral Philosopher – Towards the Actuality of his Ethics, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Michael Fleiter, Schopenhauers Metaphysik und Ethik im historischen Kontext, Schopenhauer-Jahrbuch () . Dazu Peter Bruegger, Die radikale Unvernunft der menschlichen „Vernunft“. Schopenhauers Beitrag zur Ideologiekritik, Schopenhauer-Jahrbuch () . In Frage gestellt freilich von Julian Young, Is Schopenhauer an Irrationalist?, Schopenhauer-Jahrbuch () . Zu möglichen Ursachen Christoph Oehler, Schopenhauers und Nietzsches Ästhetik als Ausgangspunkt des modernen Irrationalismus?, Schopenhauer-Jahrbuch () . Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, . Auflage , S. ff.
II. Individualistische Rechtsauffassung
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für die juristische Geistesgeschichte nicht trotz, sondern wegen der immanenten Irrationalität seiner Willensphilosophie von Bedeutung.¹⁰⁴
Andreas Hansert, Schopenhauer im . Jahrhundert. Geschichte der Schopenhauer-Gesellschaft, , S. , referiert die – mit den dortigen Konsequenzen überspitzten – Bedenken von Georg Lukács: „Lukács sah Schopenhauer als einen Hauptvertreter einer von ihm so charakterisierten ‚irrationalistischen‘ Philosophie des . und frühen . Jahrhunderts, für die Deutschland von Schelling ausgehend über Nietzsche und andere prominente Denker ein klassischer Boden gewesen und die daher unmittelbar zum geistigen Wegbereiter Hitlers geworden sei“.
§ 2 Unrecht und Ungerechtigkeit I. Unrecht und Recht Bereits in der Einleitung war davon die Rede, dass Schopenhauer mit einer stilistischen Eleganz sondergleichen verstiegene Ansätze zu geißeln verstand,¹⁰⁵ ja geradezu der Lächerlichkeit preis geben konnte, wenn er sie in banaler Weise überhöht wähnte.¹⁰⁶ Insbesondere die Gedanken zum Recht, die in der deutschen Philosophie seinerzeit vorherrschten, erscheinen ihm ebenso inhaltsleer wie nichtssagend: „Aber bei gewissen Worten, wie da sind Recht, Freiheit, das Gute, das Seyn (dieser nichtssagende Infinitiv der Kopula) u.a.m. wird dem Deutschen ganz schwindlich, er geräth alsbald in eine Art Delirium und fängt an, sich in nichtssagenden, hochtrabenden Phrasen zu ergehn, indem er die weitesten, folglich hohlsten Begriffe künstlich aneinanderreiht; statt daß er die Realität ins Auge fassen und die Dinge und Verhältnisse leibhaftig anschauen sollte, aus denen jene Begriffe abstrahirt sind und die folglich ihren alleinigen wahren Inhalt ausmachen“ (PP II/1 § 120 S. 261). Bei aller gebotenen Zurückhaltung gegenüber dem Begriff kann man bei dem, was Schopenhauer zum Verhältnis von Recht und Unrecht bemerkt – oder besser gesagt: von Unrecht und Recht – durchaus von einem Paradigmenwechsel sprechen.¹⁰⁷ Schopenhauer stellt nämlich die Dinge gewissermaßen vom Kopf auf die Füße, indem er nicht von dem vergleichsweise abstrakten Begriff des Rechts ausgeht, sondern das konkreter feststellbare Unrecht zum Ausgangspunkt seiner Betrachtung macht.¹⁰⁸ Unrecht ist für ihn „die Beschaffenheit der Handlung eines Individuums, in welcher es die Bejahung des in seinem Leben erscheinenden Willens soweit ausdehnt, daß solche zur Verneinung des in fremden Leibern er Exemplarisch aufgezeigt durch Vittorio Hösle, Zur Geschichte der Ästhetik und Poetik, , S. f. Grundlegend zum Folgenden Georg Küpper, Der Begriff des Unrechts bei Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () , der ebenfalls von dem hier zu Beginn der Einleitung wiedergegebenen Bonmot Schopenhauers ausgeht und im Folgenden ebenso anschaulich wie überzeugend instruktiv zwischen Ursprung (S. ff.), Stufen (S. f.), Größe (S. ff.), Ausübung (S. f.) und Abwehr (S. ff.) des Unrechts unterscheidet. Gustav Radbruch, Gesamtausgabe Band , Rechtsphilosophie II (Hg. Arthur Kaufmann), , S. , spricht vom Unrecht als „Hebel des Rechts“. Siehe dazu Michael Pawlik, Das Unrecht des Bürgers. Grundlinien der allgemeinen Verbrechenslehre, , S. . Ähnlich wie Schopenhauer, auf den er sich auch beruft, Friedrich August von Hayek, Rechtsordnung und Handelnsordnung (), in: Gesammelte Schriften in deutscher Sprache Abteilung A Band (Hg. Manfred E. Streit), , S. , ; dazu Jens Petersen, Freiheit unter dem Gesetz. Friedrich August von Hayeks Rechtsdenken, , S. . DOI 10.1515/9783110491173-003
II. Eigentum und Eigentumsdelikte
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scheinenden Willens wird“ (WW I/2 § 62 S. 422).¹⁰⁹ Diese Definition leitet er konsequent von der weiter oben behandelten Natur des Egoismus der Individuen ab, in dem jedweder Kampf und Rechtsstreit seinen Ausgangspunkt habe. Der Begriff des Unrechts ist also ein metaphysischer:¹¹⁰ „Indem nun aber der Wille jene Selbstbejahung des eigenen Leibes in unzähligen Individuen neben einander darstellt, geht er, vermöge des Allen eigenthümlichen Egoismus, sehr leicht in einem Individuo über diese Bejahung hinaus, bis zur Verneinung des selben, im andern Individuo erscheinenden Willens“ (WW I/2 § 62 S. 417). Auch hier beeindruckt die Stringenz seiner Gedankenführung, die aus wenigen Prämissen – in letzter Konsequenz der des Willens – hergeleitet wird.¹¹¹ Unter diesem Blickwinkel nämlich ist Schopenhauers Begriffsbestimmung des Unrechts, wie er selbst bekennt, gar nichts Neues: „Dieser Einbruch in die Gränze fremder Willensbejahung ist von jeher deutlich erkannt und der Begriff desselben durch das Wort Unrecht bezeichnet worden“ (WW I/2 § 62 S. 417).
II. Eigentum und Eigentumsdelikte Von daher sind die Abstufungen des Unrechts nur graduell unterschiedlich, je nachdem welchen Bereich fremder Willensbejahung die unrechtsbegründende Handlung berührt: Noch vor dem Mord ist es für Schopenhauer interessanterweise der Kannibalismus.¹¹² Hinter den Tötungsdelikten rangieren alle anderen Delikte gegen die Person, und erst dann folgen die Eigentumsdelikte. Sieht man einmal von dem Kuriosum der Würdigung des Kannibalismus’ als eigenständigem Delikt ab, so ist diese Rangfolge durchaus fortschrittlich und dem Erbe der Aufklärung
Vgl. auch Georges Goedert, Schopenhauer – Vorstufen der Willensverneinung, Schopenhauer-Jahrbuch () . Robert Jan Berg, Objektiver Idealismus und Voluntarismus in der Metaphysik Schellings und Schopenhauers, , S. . Skeptisch zwar Herfried Münkler, Ein janusköpfiger Konservativismus. Arthur Schopenhauers politische Ideen, in: Schopenhauer im Denken der Gegenwart (Hg.Volker Spierling), , S. , , wonach das Eindringen in die fremde Willensspähre nur dann als Unrecht angesehen werden könne, sofern damit zugleich implizit diese Sphäre als Rechtsbereich anerkannt werde. Schopenhauers Konstruktion verteidigt jedoch mit guten Gründen Hasso Hofmann, Gerechtigkeitsphilosophie aus Unrechtserfahrung. Zum Gerechtigkeitssinn der Arbeiter im Weinberg, Festschrift für Martin Heckel, , S. , . Hierin unterscheidet er sich von seinem Vorbild Montaigne, dessen berühmter ‚Kannibalenessay‘ in rechts- und kulturanthropologischer Hinsicht von größtem Interesse ist; näher Jens Petersen, Montaignes Erschließung der Grundlagen des Rechts, , § .
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§ 2 Unrecht und Ungerechtigkeit
verpflichtet. Vor allem aber ist sie mit äußerster Konsequenz aus der Grundannahme seines Hauptwerks hervorgegangen, das nicht von ungefähr die Welt in den Mittelpunkt stellt. Von daher versteht sich nämlich, warum gerade die Tötungsdelikte, ja sogar der Extremfall des Kannibalismus,¹¹³ buchstäblich das Ende der Welt markieren, wie Schopenhauer bereits an früherer Stelle anschaulich zusammenfasst: „Auf seinen eigenen Tod blickt Jeder als auf der Welt Ende“ (WW I/2 § 61 S. 415). Der darin zum Ausdruck kommende Subjektivismus und Individualismus erweist sich demgemäß auch für die Bestimmung des Unrechts als maßgeblich.
1. Dogmatische Einordnung des Eigentums So sinnfällig und vergleichsweise einfach das begangene Unrecht in den Tötungsdelikten und allen verwandten Straftaten gegen die Person zutage tritt, so schwierig ist es beim Eigentum zu begründen,¹¹⁴ wenn man den Einbruch in die Grenze fremder Willensbejahung mit Schopenhauer zum Ausgangspunkt nimmt.¹¹⁵ Denn die rechtliche Zuordnung ist dann kein hinreichender Gesichtspunkt, wenn man, wie Schopenhauer, gerade nicht vom Recht ausgeht, sondern das Unrecht in den Mittelpunkt stellt, das sich im Einbruch in die fremde Willenssphäre manifestiert.
Dazu Konrad Paul Liessmann, Lüge als Akt der Kommunikation, in: Kommunikation und Verständigung. Theorie – Empirie – Praxis (Hg.Walter Hömberg/Daniela Kahn/Timon B. Schaffer), . Auflage , S. , . Aufschlussreich bezüglich des Verhältnisses von Rechtsgefühl und dogmatischer Begründung Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. : „Im bürgerlichen Leben betrachten im Stillen die Meisten das Eigenthum der Andern nicht als nach natürlichem sondern als allein nach positivem Recht besessen. Finden sie daher Mittel und Wege es ihnen mittelst Benutzung, ja auch nur Umgehung des positiven Rechts zu entreißen; so werden sie meistens kein Bedenken tragen: Denn ihnen ist als ob Jene es auf dem selben Wege verlören auf welchem sie es früher erlangten, und sie sehn daher ihre eigenen Ansprüche als eben so gut begründet an, wie die des frühern Besitzers. So ist denn, zwar nicht eingeständlich und dem offenen Bekenntniß nach, wohl aber praktisch und in der That an die Stelle des Rechtes des Stärkeren das Recht des Klügeren getreten. Das rein ethische Recht wird im Grunde wenig berücksichtigt, was aber zum Theil daran liegt, daß der Besitz nach rein ethischem Recht meistens nicht dargethan werden kann, noch weniger offen vorliegt“. Dazu im Vergleich mit Kant Burkhard Kühnemund, Eigentum und Freiheit. Ein kritischer Abgleich von Kants Rechtslehre mit den Prinzipien seiner Moralphilosophie, , S. .
II. Eigentum und Eigentumsdelikte
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a) Eigentumserwerb durch Arbeit und Kraftentfaltung Schopenhauer löst diese Begründungsschwierigkeit mit einer überaus originellen Überlegung, welche die individuelle Bearbeitung der betreffenden Sache zum Entscheidungsgesichtspunkt über die rechtliche Zuordnung erhebt.¹¹⁶ Diese individualistische Konzeption des Eigentums geht davon aus, dass die jeweilige Sache vermöge der in sie investierten Arbeit einen bestimmten Bezug zum Träger des jeweiligen Willens, also des Eigentümers, aufweist. Die auf John Locke zurückgehende Vorstellung des Eigentumserwerbs durch Arbeit wird bei Schopenhauer willensmetaphysisch unterlegt:¹¹⁷ „Denn nur so bricht der Ausüber des Unrechts, durch Angriff, nicht des fremden Leibes, sondern einer leblosen,von diesem ganz verschiedenen Sache, doch in die Sphäre der fremden Willensbejahung ein, indem mit dieser Sache, die Kräfte, die Arbeit des fremden Leibes gleichsam verwachsen und identificirt sind“ (WW I/2 § 62 S. 418 f.).¹¹⁸
b) Leistungsprinzip und Arbeitsteilung als Legitimation Auch wenn diese Sichtweise gekünstelt anmutet, ist ihr doch zuzugeben, dass sie zumindest mit der geläufigen Wendung übereinstimmt, dass der Eigentümer die Sache gleichsam mit seiner Hände Arbeit erwirtschaftet hat. Auf diese Weise gelingt es Schopenhauer, bei aller gebotenen Anerkennung elementarer Rechtsgleichheit und unverfügbarer Menschenrechte das Leistungsprinzip im Hinblick auf das Eigentum zum maßgeblichen Entscheidungsgesichtspunkt zu machen: „Dies gilt jedoch nur vom ursprünglichen und abstrakten Rechte, welches der Mensch als Mensch hat. Das Eigenthum, wie auch die Ehre, welche Jeder, mittelst seiner Kräfte, sich erwirbt, richtet sich nach dem Maaße und der Art dieser Kräfte und giebt dann seinem Rechte eine weitere Sphäre: hier hört also die Gleichheit auf. Der hierin besser Ausgestattete, oder Thätigere, erweitert, durch größern
Zur Eigentumsbegründung bei Schopenhauer auch Annette Godart van der Kroon, Schopenhauer’s Theory of Justice and its Implication to Natural Law, Schopenhauer-Jahrbuch () , . David E. Cartwright, Locke as Schopenhauer’s (Kantian) Philosophical Ancestor, Schopenhauer-Jahrbuch () ; ferner Birger P. Priddat, Eigentum, Arbeit, Geld: Zur Logik einer Naturrechtsökonomie bei John Locke (Kap. ), in: John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (Hg. Bernd Ludwig/Michaela Rehm), , S. ; Susann Held, Eigentum und Herrschaft bei John Locke und Immanuel Kant. Ein ideengeschichtlicher Vergleich, , S. ; ferner S. f. unter Verweis auf Arthur Schopenhauer, „Anmerkungen zu Locke und Kant, sowie zu Nachkantischen Philosophen“, in: Arthur Schopenhauer’s handschriftlicher Nachlaß (Hg. Eduard Grisebach), Dritter Band, . Abdruck , S. . Oskar Friedrich Damm, Schopenhauers Rechts- und Staatsphilosophie. Darstellung und Kritik, , S. , sieht darin ebenfalls den deutlichen Einfluss von Adam Smith.
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§ 2 Unrecht und Ungerechtigkeit
Erwerb, nicht sein Recht, sondern nur die Zahl der Dinge, auf die es sich erstreckt“ (PP II/1 § 122 S. 462 f.). Schopenhauers Individualismus entspricht damit einer Wirtschaftsordnung, die namentlich Adam Smith zuvor in prägender und Bahn brechender Weise ausgeformt hat, indem er gleichfalls von der individuell geleisteten Arbeit und der nach den jeweiligen eigenen Kenntnissen und Fertigkeiten unternommenen Arbeitsteilung ausgegangen ist.¹¹⁹ Schopenhauers Vorstellung der Unrechtsbegehung im Hinblick auf das Eigentum setzt also voraus, dass dieses durch Verarbeitung oder zumindest irgendeine Form von Kraftentfaltung auf die Sache erworben wird: „Wo nämlich eine Sache, durch irgend eine fremde Mühe, sei diese noch so klein, bearbeitet, verbessert, vor Unfällen geschützt, bewahrt ist und wäre diese Mühe nur das Abpflücken oder vom Boden Aufheben einer wildgewachsenen Frucht; da entzieht der Angreifer solcher Sache offenbar dem Andern den Erfolg seiner darauf verwendeten Kraft, läßt also den Leib jenes, statt dem eigenen, seinem Willen dienen, bejaht seinen eigenen Willen über dessen Erscheinung hinaus, bis zur Verneinung des fremden, d. h. thut Unrecht“ (WW I/2 § 62 S. 419).
c) Kritik Das Beispiel veranschaulicht jedoch unwillkürlich, dass Schopenhauer den für maßgeblich erachteten Begriff der Kraftentfaltung bzw. der Bearbeitung in unnatürlicher Weise ausdehnen muss um eine Willensbeziehung zwischen der Sache selbst und dem Träger des Willens herzustellen, die über die bloße Nutzung hinausgeht.¹²⁰ So sehr sich Schopenhauer um eine trennscharfe Differenzierung bemüht, so wenig nachvollziehbar ist sie, weil die Übergänge fließend sind. Gewiss ist das weitere Beispiel der langjährigen Nutzung eines Jagdreviers geeignet, bloßen Genuss bzw. reine Nutzziehung zu verdeutlichen, die moralisch kein Eigentum begründet, sondern eher dafür spricht, dass nunmehr ein anderer in den Genuss der Sache kommen können soll, wie Schopenhauer dies auch annimmt (WW I/2 § 62 S. 419 f.). Doch ist die Mühewaltung reinen Abpflückens, die er für ausreichend hält, im Verhältnis zur Jagd etwa vergleichsweise unbeachtlich. Schopenhauers Unterscheidungen muten einerseits gekünstelt an, sind anderer-
Näher Jens Petersen, Adam Smith als Rechtstheoretiker, ; ders., Freiheit unter dem Gesetz. Friedrich August von Hayeks Rechtsdenken, . Ohne rechtsphilosophischen Bezug, aber unter Hinweis auf Schopenhauers Willensphilosophie Georg Simmel, Schopenhauer und Nietzsche. Ein Vortragszyklus, , S. : „denn Eigenthum ist, woran unser Wille sich, ohne Widerstand zu finden, ausprägen kann, und das tut er psychologisch um so wirkungsvoller, je mehr dies gegen den Willen oder die Eigenrichtung des so Besessenen ist“.
II. Eigentum und Eigentumsdelikte
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seits von einem archaischen Verständnis durchdrungen. Dies für sich betrachtet ist freilich kein tragfähiger Einwand gegen seine Vorstellung vom Unrecht in Bezug auf das Eigentum, weil auch das archaische Moment – womöglich sogar gerade dieses – für die durch Gewalt oder List dokumentierte Verneinung des fremden Willens als gedanklichem Ort der Unrechtsbegehung streitet.
2. Gesetze des Menu Interessanterweise bezieht sich Schopenhauer an dieser Stelle auf die Gesetze des Menu als des vorgeblich ältesten aller Gesetzbücher. Es ist dies eine jener Stellen, in denen er, wie bereits in der Einleitung angedeutet, die indische Gedankenwelt einbezieht.¹²¹ In diesem Sinne heißt es bei Schopenhauer in Abgrenzung zu Kant: „wie man dies auch vor Kant ziemlich allgemein annahm, ja, wie es das älteste aller Gesetzbücher deutlich und schön aussagt: ‚Weise, welche die Vorzeit kennen, erklären, dass ein bebautes Feld Dessen Eigenthum ist, welcher das Holz ausrottete, es reinigte und pflügte; wie eine Antilope dem ersten Jäger gehört, welcher sie tödtlich verwundete.‘ – Gesetze des Menu, IX, 44“ (WW I/2 § 62 S. 419).¹²² Die vorliegende Stelle ist sogar von besonderer Bedeutung, weil es die, soweit ersichtlich, einzige ihrer Art ist, an der er eine altindische Kodifikation berücksichtigt. Es würde zwar an dieser Stelle nicht weiterführen, die einzelnen Regelungen kulturanthropologisch oder geschichtlich vergleichend nachzuverfolgen, weil der Ertrag unweigerlich bescheiden ausfallen müsste. Interessant ist allein die Tatsache, dass Schopenhauer diesen Teil juristischer Weisheit aus einem Kulturkreis einbezogen hat, der seinerzeit bei westlichen Juristen noch terra in-
Allgemein dazu Douglas L. Berger, Assessing Hacker’s Critique of Vedantic and Schopenhauerian Ethics, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Urs App, Schopenhauer’s Initial Encounter with Indian Thought, Schopenhauer-Jahrbuch () ; siehe aber auch Ram Adhar Mall, Wie indisch ist das Indienbild Schopenhauers?, Schopenhauer-Jahrbuch () . Zu diesem altindischen Gesetzestext aus dem älteren Schrifttum, dessen Schreibweise variiert, die Übersetzung von Johann Christian Hüttner, Menu’s Verordnung nach Cullucas Erläuterung, (bearbeitete Neufassung von Renate Preuss, Die Gesetze des Manu, ); ferner Wendy Doniger/Brian Smith, The Laws of Manu, . Merkwürdigerweise ist über den Einfluss des Gesetzbuchs des Menu auf Schopenhauer kaum etwas geschrieben worden, während es zu dem Einfluss auf Nietzsche verhältnismäßig viel Literatur gibt; vgl. nur Annemarie Etter, Nietzsche und das Gesetzbuch des Manu, Nietzsche-Studien () ; Koenraad Elst, Manu as a Weapon against Egalitarianism: Nietzsche and Hindu Political Philosophy, in: Nietzsche, Power and Politics (Hg. Herman Siemens/Vasti Roodt), , S. , , wo es immerhin heißt: „Indocentrism was most strongly in evidence in Arthur Schopenhauer, a principal influence on Nietzsche“.
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§ 2 Unrecht und Ungerechtigkeit
cognita war. Seine Aufgeschlossenheit ähnelt insoweit derjenigen des von ihm geschätzten Montaigne, der gleichfalls alte Gesetze anderer Kontinente in Betracht zog, um eine erfahrungsgesättigte Bestätigung seiner eigenen Rechtsanschauung zu erhalten.¹²³
3. Schopenhauers ungerechtfertigte Kritik an Kants Rechtslehre Das tiefer liegende dogmatische Problem scheint jedoch eher darin zu bestehen, dass sich Schopenhauer erkennbar von der kantischen Eigentums- und Besitzrechtsdogmatik abwenden möchte.¹²⁴ Denn nicht von ungefähr am Beispiel der Eigentumsbegründung finden sich zwei vielzitierte Worte Schopenhauers über Kant, die dessen epochale Einsicht von Grund auf diskreditieren. Den fundamentalen Einwand bringt Schopenhauer erst an späterer, dort nicht ganz passender Stelle beispielhaft vor, wo es um die vorausgesetzte Staatseinrichtung geht: „Kant stellt die grundfalsche Behauptung auf, daß es außer dem Staate kein vollkommenes Eigenthumsrecht gäbe. Unserer obigen Ableitung zufolge giebt es auch im Naturzustande Eigenhtum, mit vollkommenem natürlichen, d. h. moralischen Rechte, welches ohne Unrecht nicht verletzt, aber ohne Unrecht auf das äußerste vertheidigt werden kann“ (WW I/2 § 62 S. 432 f.).
a) Produkt der „Altersschwäche“ Kants? Auch wenn Schopenhauer hier durch eine Verweisung nach oben Stringenz und Folgerichtigkeit insinuiert, verdeckt er bei näherer Betrachtung, dass er durch die für maßgeblich erachtete Unrechtsbegehung den zweiten Schritt vor dem ersten getan hat. Schopenhauers Eigentumsbegründung mag auf die Jäger und Sammler zutreffen – wenngleich bezüglich der ersteren, wie gesehen, nicht zwangsläufig im Hinblick auf das Grundeigentum. Seine Begründung ist eine rein moralische, die aber gleichwohl
Eingehend Jens Petersen, Montaignes Erschließung der Grundlagen des Rechts, , passim. Ideengeschichtlich aufschlussreich Susann Held, Eigentum und Herrschaft bei John Locke und Immanuel Kant. Ein ideengeschichtlicher Vergleich, , S. f.: „Die prominenteste Position nimmt dabei unter den Kritikern der Okkupationstheorie Arthur Schopenhauer ein. Der einseitige Willkürakt der Bemächtigung wird von ihm interpretiert als ‚…Prinzip des Faustrechts…‘. Doch ist diese Kritik der Kantischen Position ungerechtfertigt, da Schopenhauer den empirischen Eigentumstitel nicht mit dem, durch die Idee des vereinigten Willen verliehenen Vernunfttitel der Erwerbung verbindet“.
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mit seiner Willensmetaphysik zusammenhängt.¹²⁵ Warum demgegenüber die kantische ‚grundfalsch‘ sein soll, erschließt sich nicht. Markige Worte, die aufgrund ihrer stilistischen Brillianz später nicht selten zu vielzitierten Bonmots wurden, ersetzen bei Schopenhauer mitunter allfällige Begründungen. Verfolgt man nämlich die genannte Verweisung zurück, so fällt auch hier wiederum auf, dass die spitzfindige Unterscheidung Schopenhauers durch ein weiteres Verdikt in den Schatten gestellt wird: „Nur aus Kants Altersschwäche ist mir seine ganze Rechtslehre, als eine sonderbare Verflechtung einander herbeiziehender Irrthümer, und auch dieses erklärlich, daß er das Eigenthumsrecht durch erste Besitzergreifung begründen will“ (WW I/2 § 62 S. 419). Wie ungerecht dieses bis in unsere Zeit wirkungsmächtige Wort gerade im Hinblick auf Kants ausdifferenzierte, sein kritisches Rechtsdenken dokumentierende Unterscheidung zwischen der possessio noumenon und der possessio phenomenon ist,¹²⁶ wurde bereits an anderer Stelle eingehend dargestellt.¹²⁷ Dementsprechend haarspalterisch nimmt sich Schopenhauers Differenzierung zwischen Besitzergreifung (Kant) und Besitzerwerbung der Sache „durch Verwendung ursprünglich eigener Kräfte auf sie“ (WW I/2 § 62 S. 419) aus.
b) Rechtsgrund als Unterscheidungskriterium Schopenhauer bemüht sich zwar um ein durchaus intrikates, auch nach heutiger zivilistischer Dogmatik reizvolles Argument,¹²⁸ indem er danach differenziert, ob und inwieweit ein für das Behaltendürfen erforderlicher Rechtsgrund besteht: „Denn wie sollte doch die bloße Erklärung meines Willens, Andere vom Gebrauch einer Sache auszuschließen, sofort auch selbst ein Recht hiezu geben? Offenbar bedarf sie selbst erst eines Rechtsgrundes“ (WW I/2 § 62 S. 419). Schopenhauer anerkennt also offensichtlich nur die Kraftentfaltung, bzw. Be- oder Verarbeitung als Rechtsgrund.¹²⁹ Jedoch verfährt er sodann in einer Anmerkung dem eigenen
Zu diesem Zusammenhang allgemein Günther Baum, Die metaphysische Grundlage der Schopenhauerschen Ethik, Schopenhauer-Jahrbuch () . Vgl. nur Gerhard Lehmann, Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants, , S. ; Georg Cavallar, Pax Kantiana. Systematisch-historische Untersuchung des Entwurfs „Zum ewigen Frieden“ () von Immanuel Kant, , S. ; Thomas Kater, Politik, Recht, Geschichte. Zur Einheit der politischen Philosophie Immanuel Kants, , S. . Jens Petersen, Kants „Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre“ – Kritisches Spätwerk oder „Erzeugnisse eines gewöhnlichen Erdensohns“?, Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, , Band II, S. . Vgl. nur Jens Petersen, Der Menzelbilderfall (RGZ , ), Jura , . Auch auf der Pflichtenebene kann man die Frage nach dem Rechtsgrund sinnvoll stellen, wie es etwa in weiterführender und aufschlussreicher Weise unternommen wird von Michael Pawlik,
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§ 2 Unrecht und Ungerechtigkeit
Standpunkt gegenüber recht großzügig, indem er dort den Rechtsgrund eben gerade so weit fasst, wie er zuvor jedweden Akt der Kraftentfaltung darunter verstanden hat:¹³⁰ „Es bedarf also zur Begründung des natürlichen Eigenthumsrechtes nicht der Annahme zweier Rechtsgründe neben einander, des auf Detention gegründeten, neben dem auf Formation gegründeten; sondern letzterer reicht überall aus. Nur ist der Name Formation nicht recht passend, da die Verwendung irgend einer Mühe auf eine Sache nicht immer eine Formgebung zu seyn braucht“ (WW I/ 2 § 62 S. 419 Fn.). Das für die Rechtsgrundbeziehung für erforderlich gehaltene Kriterium, welches wiederum das andere denkbare gleichsam konsumiert, wird also so weit verstanden, dass es buchstäblich jede Form verliert. Der damit erreichte Gleichlauf zwischen dem Akt der Willensbegründung und dem dafür erforderlichen Rechtsgrund wird jedoch auf diese Weise um den Preis einer regelrechten Beliebigkeit erzielt. Jede beliebige Mühewaltung auf die Sache manifestiert die Zugehörigkeit zur eigenen Willenssphäre und begründet auf diese Weise ein natürliches Eigentumsrecht, das für Schopenhauer als solches zugleich ein moralisches statuiert (WW I/2 § 62 S. 432 f.). Auch könnte man einwenden, dass der ausdrücklich erklärte Wille im Hinblick auf die Sache vom Standpunkt seiner Willensmetaphysik ungleich schwerer wiegen kann als der beiläufige Akt des Abpflückens einer Frucht etwa.¹³¹
c) Schopenhauer über den Kommunismus An einer etwas rätselhaften Stelle des zweiten Bandes seines Hauptwerks Über die Welt als Wille und Vorstellung nimmt Schopenhauer ausdrücklich den Kommunismus in Bezug, wenn er sagt: „Eben so haben Die, welche in unsern Tagen sich veranlaßt sahen, den Kommunismus mit Gründen zu bekämpfen (z. B. der Erzbischof von Paris, in einem Hirtenbriefe, im Juni 1851), stets das Argument vorangestellt, daß das Eigenthum der Ertrag der Arbeit, gleichsam nur die verkörperte Arbeit sei. – Dies beweist abermals, daß das Eigenthumsrecht allein durch die Das Unrecht des Bürgers. Grundlinien der Allgemeinen Verbrechenslehre, , S. f.: „In seltener Eintracht verharren sowohl Schopenhauer als auch Hegel darauf, die Frage nach dem Rechtsgrund einer Pflicht müsse von der Typik der Verhaltensformen entkoppelt werden“. Zum besseren Verständnis der Bedeutung der Kraft für Schopenhauer sollte man folgende Stelle aus dem Hauptwerk hinzunehmen: „Bisher subsumirte man den Begriff Wille unter den Begriff Kraft; dagegen mache ich es gerade umgekehrt und will jede Kraft in der Natur als Wille gedacht wissen“ (WW I/ § S. ; Hervorhebungen auch dort). Zu dieser Stelle auch ClausArtur Scheier, Nachwort zur Meiner-Ausgabe von Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse/ Die Geburt der Tragödie, , S. f. Allgemein dazu, ohne juristischen Bezug Thomas Dürr, Schopenhauers Grundlegung der Willensmetaphysik, Schopenhauer-Jahrbuch () .
II. Eigentum und Eigentumsdelikte
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auf die Dinge verwendete Arbeit zu begründen ist, indem es nur in dieser Eigenschaft freie Anerkennung findet und sich moralisch geltend macht“ (WW II/2 Kap. 47 S. 698 f.). Es ist merkwürdig, dass der Kirchenfeind und Agnostiker Schopenhauer einen erzbischöflichen Hirtenbrief als Quelle der Wahrheit heranzieht. Dies gilt zumal dann, wenn die darin aufgestellte Prämisse zwar Schopenhauers eigene Lehre zur Begründung des Eigentums zu tragen scheint, indes gerade im Hinblick auf den bekämpften Kommunismus eher zweideutig ist:¹³² Denn dessen Verfechter könnten ja geltend machen, dass die in den Fabriken tätigen Arbeiter ihrerseits so viel Arbeit und Kraft auf die zu bearbeitenden Sachen verwendeten, dass sie damit in ihr Eigentum fielen;¹³³ die daraus resultierenden dogmatischen Schwierigkeiten hat die Doktrin zu § 950 BGB zwar mit Recht dahingehend gelöst,¹³⁴ dass in einem solchen Fall der abhängig Beschäftigte nicht von Gesetzes wegen Eigentum erwirbt,weil er dann auch bereicherungsrechtlichen Ansprüchen aus §§ 951, 812 BGB ausgesetzt sei; da dieser Gesichtspunkt aber bei Schopenhauer keine Rolle spielt, hätte er sich mit dem Argument zumindest der Sache nach auseinandersetzen müssen.
4. Zwischenbefund Wichtig bleibt an dieser Stelle nur festzuhalten, dass das zugrunde liegende Problem darin besteht, ob der Staat konstitutiv für die Eigentumsbegründung ist oder ob es seiner dafür gar nicht bedarf.¹³⁵ Das wird weiter unten noch näher behandelt werden, wo es um die Staatslehre, die Gesetzgebung und den Staat als Schutzanstalt geht.¹³⁶ So kleinteilig die vorstehenden Differenzierungen zur Ei-
Michael Hubert Schnitzler, Die Lehre vom Willen bei Schopenhauer und Nietzsche und ihre pädagogischen Auswirkungen, VWP () , sieht bei Schopenhauer gar „eine gewisse Neigung zum Kommunismus“ (dazu Richard Frank Krummel, Nietzsche und der deutsche Geist, Band III, , S. ). Pointiert Carl August Emge, Die logisch-ontischen Strukturverhältnisse in den rechtsphilosophischen Gedanken Schopenhauers, Schopenhauer-Jahrbuch () , : „Der Philosoph vertritt also, was das Eigentum anbetrifft, die Spezifikationstheorie, die ihn dem radikalen Sozialismus annähert“. Siehe zum Ganzen auch Carl August Emge, Das Moment der Neuheit, AcP () , f. Aufschlussreich insoweit im Verhältnis zu Kant Rainer Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung in Kants Metaphysik der Sitten, . Siehe auch Michael Hopf, Ansätze zu einer Theorie des „Minimalstaates“ auf der Basis der Rechts- und Staatsvorstellungen Schopenhauers, Festschrift für Arthur Hübscher, , S. .
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§ 2 Unrecht und Ungerechtigkeit
gentumsbegründung erscheinen, zeigen sie doch paradigmatisch, wie viel Schopenhauer letztlich unausgesprochen voraussetzt, wenn er als sedes materiae nur das Unrecht als Einbruch in die fremde Willenssphäre für maßgeblich hält. Was bei den Kapitalverbrechen keiner weiteren Begründung zu bedürfen scheint, erweist sich bei den Eigentumsdelikten als vergleichsweise voraussetzungsreich.
III. Unrecht als positiver Begriff Es hat etwas durchaus Kontraintuitives, wenn Schopenhauer nicht den Begriff des Rechts als positiven ansieht, sondern vielmehr den des Unrechts.¹³⁷ Doch entspricht dies seiner eingangs wiedergegebenen Sicht, wonach die seines Erachtens kopflastige deutsche Philosophie das offen zutage Liegende am ehesten zu übersehen geneigt ist: „Wer von der vorgefaßten Meinung, daß der Begriff des Rechts ein positiver seyn müsse, ausgeht und nun ihn zu definiren unternimmt, wird nicht damit zu Stande kommen: denn er will einen Schatten greifen, verfolgt ein Gespenst, sucht ein Nonens. Der Begriff des Rechts ist nämlich, eben wie auch der der Freiheit ein negativer: sein Inhalt ist eine bloße Negation. Der Begriff des Unrechts ist der positive¹³⁸ und ist gleichbedeutend mit Verletzung im weitesten Sinne, also laesio“ (PP II/1 § 121 S. 262).¹³⁹
1. Berufung auf Grotius An anderer Stelle, nämlich in seiner Preisschrift Über die Grundlage der Moral, zieht Schopenhauer keinen Geringeren als Hugo Grotius heran:¹⁴⁰ „Daß der Begriff des Rechts der negative sei, im Gegensatz des Unrechts, als des positiven, giebt sich
Hier gibt es im Übrigen Bezüge zu Montaigne; näher Jens Petersen, Montaignes Erschließung der Grundlagen des Rechts, , S. .Vom Unrecht ausgehend auch Gertrud Anscombe, Modern Moral Philosophy, . Bis hier wortgleich mit Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. . Speziell zur Freiheit Dieter Birnbacher/Georg Küpper, Schopenhauer und der Wert der Freiheit, Schopenhauer-Jahrbuch () ; ferner bereits Harald Schöndorf, Zum Paradox von Wille und Freiheit bei Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () : „eine Freiheitsauffassung, wie sie meines Wissens sonst bei keinem Denker anzutreffen ist“ – ähnliches könnte man auch über Schopenhauers Rechtsauffassung sagen. Hugo Grotius, De jure belli et pacis, L. I, c. , § . Zu dieser Stelle auch Hasso Hofmann, Gerechtigkeitsphilosophie aus Unrechtserfahrung. Zum Gerechtigkeitssinn der Arbeiter im Weinberg, Festschrift für Martin Heckel, , S. , .
III. Unrecht als positiver Begriff
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auch zu erkennen in der ersten Erklärung, welche der Vater der philosophischen Rechtslehre, Hugo Grotius, am Eingange seines Werkes von jenem Begriffe aufstellt“ (GM § 17 S. 256). Auch hieran zeigt sich, wie erst der werkimmanente Zusammenhang der einzelnen Abhandlungen Schopenhauers in Bezug auf sein Hauptwerk und dessen späte Erklärung sich zu einer komplementären Begründung seiner Rechtslehre fügen. Denn im Hauptwerk wird die vorgebliche Positivität des Unrechtsbegriffs erst vergleichsweise spät eingeführt, obwohl man annehmen könnte, dass sie zur besseren dogmatischen Einordnung an den Anfang gestellt worden wäre.
2. Begriffe, nicht Worte Vielmehr lässt Schopenhauer in seinem Hauptwerk alles bisher Behandelte gleichsam Revue passieren, um dann eher beiläufig den status positivus des Unrechts einzuführen:¹⁴¹ „Wir haben auch an ganz allgemeinen Beispielen die Gränze nachgewiesen, wo das Gebiet des Unrechts anfängt, indem wir zugleich seine Abstufungen vom höchsten Grade zu den niedrigeren durch wenige Hauptbegriffe bestimmten. Diesem zufolge ist der Begriff Unrecht der ursprüngliche und positive: der ihm entgegengesetzte des Rechts ist der abgeleitete und negative. Denn wir müssen uns nicht an die Worte, sondern an die Begriffe halten. In der Tat würde nie von Recht geredet worden seyn, gäbe es kein Unrecht. Der Begriff Recht enthält nämlich bloß die Negation des Unrechts, und ihm wird jede Handlung subsumirt, welche nicht Ueberschreitung der oben dargestellten Gränze, d. h. nicht Verneinung des fremden Willens, zur stärkern Bejahung des eigenen, ist“ (WW I/2 § 62 S. 422). Seine Mahnung, sich weniger an die Worte als vielmehr an die Begriffe zu halten, bringt die eminente philosophische Kraft seiner Gedankenführung sprachmächtig zum Ausdruck. Hiermit kontrastiert freilich die Feststellung, dass diese Herleitung durch ‚wenige Hauptbegriffe‘ bewerkstelligt Brüsk ablehnend Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins. Eine Entwicklung seiner mannigfaltigen Gestalten in ihrem inneren Zusammenhang, (hier zitiert als „Das sittliche Bewußtsein“ im Neudruck ), S. : „Dieses Verhältnis hat Schopenhauer vollständig verkannt, weil ihm jeder historische Sinn abgeht; darum begreift er auch nicht die historische Begründung und die Positivität der Rechtsordnung und glaubt das Unrecht aus einem rein natürlichen Vorgange (der laesio) ableiten zu können“. Vgl. aber auch Jean-Claude Wolf, Hartmanns Schopenhauer-Kritik, Schopenhauer-Jahrbuch () ; ders., Die Randnotizen von Eduard von Hartmann in: Schopenhauer, Arthur, Die beiden Grundprobleme der Ethik, Leipzig (. Auflage), Schopenhauer-Jahrbuch () . Siehe zu Schopenhauers Unrechtsbegriff auch Michael Hammerschmid, Skeptische Poetik in der Aufklärung. Formen des Widerstreits bei Johann Karl Wezel, , S. .
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worden sei. Es sind nämlich mehr, als sich Schopenhauer eingestehen mag, wenn man berücksichtigt, wie umständlich er das Eigentumsrecht herleitet, um nur ja keiner Billigung durch den Staat zu bedürfen. Denn dass es ein ursprüngliches Eigentumsrecht (nur) durch Kraftentfaltung ohne staatliche Anerkennung gebe, versteht sich keineswegs von selbst.
3. Das Problem des Unterlassens Aber die Kennzeichnung der Positivität des Unrechtsbegriffs bringt noch eine weitere Schwierigkeit mit sich, die Schopenhauer durchaus sieht, aber in ihrer rechtlichen Bewertung für unausweichlich hält, nämlich das rechtsrelevante Problem des Unterlassens, das eine Unrechtsbegehung ohne positives Tun für möglich hält:¹⁴² „Jene Gränze theilt daher, in Hinsicht auf eine bloß und rein moralische Bestimmung, das ganze Gebiet möglicher Handlungen in solche, die Unrecht oder Recht sind. Sobald eine Handlung nicht, auf die oben auseinandergesetzte Weise, in die Sphäre der fremden Willensbejahung, diese verneinend, eingreift, ist sie nicht Unrecht. Daher z. B. das Versagen der Hülfe bei dringender fremder Noth, das ruhige Zuschauen fremden Hungertodes bei eigenem Ueberfluss, zwar grausam und teuflisch, aber nicht Unrecht ist: nur läßt sich mit völliger Sicherheit sagen, daß wer fähig ist, die Lieblosigkeit und Härte bis zu einem solchen Grade zu treiben, auch ganz gewiß jedes Unrecht ausüben wird, sobald seine Wünsche es fordern und kein Zwang es wehrt“ (WW I/2 § 62 S. 422 f.).
a) Begrenzte juristische Leistungsfähigkeit Schopenhauers suggestive Darstellung (‚grausam und teuflisch‘), die mit Bedacht den Begriff ‚moralisch‘ meidet, gesteht diesem fraglos strafwürdigen Unterlassen also lediglich den Rang einer Prognose zu. Dagegen ist die unterlassene Hilfeleistung selbst für ihn kein Unrecht. Diese unbefriedigende Einordnung, die nicht einmal mit einem moralischen Unwerturteil einhergeht – denn andernfalls würde sie, wie noch zu sehen sein wird, mit Schopenhauers moralischer Rechtslehre in Widerstreit geraten – veranschaulicht die begrenzte Leistungsfähigkeit seines Ansatzes.¹⁴³ Erst vergleichsweise spät bringt er das Unrecht auf den Begriff – und
Hierzu aus moraltheoretischer Perspektive auch Oliver Hallich, Mitleid und Moral. Schopenhauers Leidensethik und die moderne Moralphilosophie, , S. f. Michael Pawlik, Das Unrecht des Bürgers. Grundlinien der allgemeinen Verbrechenslehre, , S. , macht allerdings mit Recht darauf aufmerksam, dass Schopenhauer im Unterschied zu Kant die Möglichkeit einer Pflichtverletzung durch Unterlassen ausdrücklich in Betracht zieht.
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kann mit diesem besonders abstoßende Verhaltensweisen nicht erfassen, sondern nur zur Grundlage einer Prognose zu Lasten des Unterlassenden machen. Auch die im Text vorausgesetzte ‚Lieblosigkeit und Härte‘ entgeht dem moralischen Unwerturteil, damit sie auch rein rechtlich folgenlos bleiben kann. Denn Schopenhauer begründet, wie weiter unten noch näher gezeigt wird, eine „rein moralische Rechtslehre“ (WW I/2 § 62 S. 431).
b) Kausalität Dass Schopenhauer die Problematik des Unterlassens in anfechtbarer Weise löst, zeigt auch die folgende Unterscheidung: „Wer dem verirrten Wanderer den rechten Weg zu zeigen sich weigert, thut ihm kein Unrecht; wohl aber der, welcher ihn auf den falschen hinweist“ (WW I/2 § 62 S. 421). Je nach den Umständen und voraussehbaren Schadensfolgen kann der Unrechtsgehalt jedoch ersichtlich derselbe sein. Schopenhauers dogmatische Begründung liegt letztlich darin, dass sich in der bewussten Fehlinformation eine Lüge manifestiert, die als solche Unrecht ist, weil sie den fremden Willen in doloser Absicht irreleitet: „Die anderweitigen Fälle des Unrechts sind allemal darauf zurückzuführen, daß ich, als Unrecht ausübend, das fremde Individuum zwinge, statt seinem, meinem Willen zu dienen, statt nach seinem, nach meinem Willen zu handeln“ (WW I/2 § 62 S. 420). Interessanterweise führt Schopenhauer hier den Begriff der ‚physischen Kausalität‘ ein.¹⁴⁴ Dementsprechend heißt es in der Preisschrift Über die Grundlage der Moral: „Das Gesetz der Motivation ist eben so streng, wie das der physischen Kausalität, führt also einen eben so unwiderstehlichen Zwang mit sich“ (GM § 17 S. 261).¹⁴⁵ Psychische Kausalität genügt also nicht.¹⁴⁶
c) ‚Machtlosigkeit moralischer Gewalten‘ und Staatskunst Dem entspricht eine andere Stelle Schopenhauers zur physischen Kausalität: „Denn unmittelbar kann immer nur die physische Gewalt wirken; da vor ihr allein Eingehend Christoph Rothenfußer, Kausalität und Nachteil, . Zu dieser Stelle etwa Alexander Hold-Ferneck, Die Rechtswidrigkeit. Eine Untersuchung zu den allgemeinen Lehren des Strafrechts, , S. . Schopenhauer beeinflusste im Übrigen namentlich Ferdinand Tönnies. Siehe Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, , S. ; dazu etwa Ingo Stöckmann, Der Wille zum Willen. Der Naturalismus und die Gründung der literarischen Moderne, , S. . Siehe auch Jürgen Zander, Sozialgeschichte des Willens. Arthur Schopenhauer und die Anfänge der deutschen Soziologie im Werk von Ferdinand Tönnies, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Niall Bond, The grim probity of Arthur Schopenhauer and Ferdinand Tönnies, Schopenhauer-Jahrbuch () .
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die Menschen, wie sie in der Regel sind Empfänglichkeit und Respekt haben.Wenn man, um sich hievon durch die Erfahrung zu überzeugen, ein Mal allen Zwang beseitigen und ihnen bloß Vernunft, Recht und Billigkeit, aber ihrem Interesse entgegen, auf das Deutlichste und Eindringlichste vorhalten wollte; so würde die Machtlosigkeit bloß moralischer Gewalten daran augenfällig werden, daß man meistens nur ein Hohngelächter zur Antwort erhielte“ (PP II/1 § 127 S. 272).¹⁴⁷ Wir werden die darin vorausgesetzte ‚Machtlosigkeit moralischer Gewalten‘ noch an anderer Stelle kennenlernen, wenn Schopenhauer in Übereinstimmung mit Pascal feststellt, dass das Recht allein machtlos ist: „Das Recht an sich selbst ist machtlos: von Natur herrscht die Gewalt. Diese nun zum Rechte hinüber zu ziehn, so daß mittelst der Gewalt das Recht herrsche, Dies ist das Problem der Staatskunst“ (PP II/1 § 127 S. 271). Schopenhauer behandelt beide Stellen nicht von ungefähr im Rahmen der von ihm so genannten Staatskunst, die zu berücksichtigen habe, dass durch intelligente Argumente physische Gewalt überflüssig werde: „Ist jedoch diese selbst nicht mit der Gerechtigkeit und der guten Absicht gepaart; so ist, wenn es gelingt, das Resultat, daß der so errichtete Staat aus Betrügern und Betrogenen besteht. Dies aber kommt dann allmälig, durch die Fortschritte der Intelligenz der Masse, so sehr man diese auch zu hemmen sucht, an den Tag und führt zu einer Revolution. Ist hingegen bei der Intelligenz die Gerechtigkeit und die gute Absicht; so giebt es einen, nach dem Maaßstabe menschlicher Dinge überhaupt, vollkommenen Staat“ (PP II/1 § 127 S. 272).¹⁴⁸ Dieser idealistische Anflug, dieses Fürmöglichhalten einer Vereinigung von Verstand, Gerechtigkeit und Gutwilligkeit überrascht bei einem Pessimisten vom Range Schopenhauers, bei dem man im Hinblick auf die Staatskunst eher an einen machiavellistischen Unterton gedacht hätte.
Drastisch der Satz zu dieser Stelle bei Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. : „Also was paßt für sie? Als ultima ratio Stockprügel! und Diese redlich gemeint“. – Zur im Text vorausgesetzten Billigkeit rätselhaft ebenda, S. : „Die Billigkeit ist der (Gegner) Feind der Gerechtigkeit, und setzt ihr oft gröblich zu. Man räume ihr nicht zu viel ein“; Hervorhebungen auch dort. Der Sache nach ähnlich Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. : „Der rechtliche Zustand besteht darin, daß die Kräfte Aller jeden Einzelnen schützen; wodurch ein Phänomen zu Stande kommt, als ob Alle rechtlich wären, d. h. Keiner den Andern verletzen wollte. Er herrscht in einem kleinen Theil der Welt und auch da nur à peu près“; Hervorhebung auch dort.
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4. Wirkung auf die Kunstgeschichte Die vollkommenste Lüge ist für Schopenhauer der gebrochene Vertrag (WW I/2 § 62 S. 421); diese Stelle ist, wie in der Einleitung bereits dargestellt, nicht so sehr deswegen von Bedeutung, weil sie juristisch besonders weiterführend, als vielmehr wegen ihrer gedanklichen Nähe zu Richard Wagners Ring des Nibelungen, in dem Fasolt Wotan daran erinnert, dass er nur durch Verträge ist, was er ist.¹⁴⁹ Auch hieran erkennt man, dass Schopenhauers Einfluss auf die Philosophiegeschichte zwar weit hinter denjenigen Kants zurückfällt, dafür aber stärker in die Kunstgeschichte wirken konnte.¹⁵⁰ Denn seiner sprachgewaltigen¹⁵¹ Begründungskraft eignet neben der gedanklichen Tiefe eine unleugbare psychologische Genialität, die gerade in der Sphäre der Kunst nicht ohne Eindruck bleiben konnte. Dort kommt es weniger auf fallgruppenartige Differenzierungen, Bedingungen, unter denen Tun und Unterlassen gleichgestellt werden können, und feinsinnige dogmatische Unterscheidungen an als vielmehr auf die innere Dramatik, die Nachvollziehbarkeit psychologischer Beweggründe und die Möglichkeit der Umsetzung der Interessengegensätze in kunstgerechte Kategorien. Ein sinnfälliges Beispiel dafür bildet Schopenhauers Vorstellung vom Unrecht und seine Sicht auf den gebrochenen Vertrag als vollkommenste Lüge.
Allgemein dazu, ohne Bezug auf die vorliegende Stelle, Milton E. Brener, Wagner and Schopenhauer. A Closer Look, , S. . Umgekehrt zu dieser Stelle, aber ohne konkrete Bezugnahme auf Schopenhauers Werk Stefan Pegatzky, Das poröse Ich. Leiblichkeit und Ästhetik von Arthur Schopenhauer bis Thomas Mann, , S. . Siehe nur aus dem Schopenhauer-Jahrbuch () die bekenntnishaften Beiträge von: Siegmund von Hausegger, Dem Philosophen der Musik, S. ; Hermann Hesse, Kleines Bekenntnis, S. , Hans Pfitzner, Mein Bekenntnis zu Schopenhauer, S. (interessant insoweit Bernhard Adamy, Schopenhauer in Pfitzners Palestrina, Schopenhauer-Jahrbuch , , ; ders., Pfitzners Schopenhauer-Rezeption, Schopenhauer-Jahrbuch , , ; ders., Schopenhauer und einige Komponisten. Rezeptionsansätze bei Humperdinck, Schönberg, Berg und Webern, Schopenhauer-Jahrbuch , , ; ders., Nochmals: Storm und Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch , , , zu Karl Friedrich Boll, Schopenhauer bei Theodor Storm, Schopenhauer-Jahrbuch , , ). Ferner Heinz Gerd Ingenkamp,Von Schopenhauer her gelesen: Rilkes . Duineser Elegie, Schopenhauer-Jahrbuch () ; August Stahl, „Ein paar Seiten Schopenhauer“ – Überlegungen zu Rilkes Schopenhauer-Lektüre und deren Folgen, Teil , Schopenhauer-Jahrbuch () ; Teil , Schopenhauer-Jahrbuch () ; Bruno Negroni, Schopenhauer und Proust, Schopenhauer-Jahrbuch () . Deutlicher Vittorio Hösle, Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie, , S. : „Wo Hegel nur sprachgewaltig ist, ist er (sc. Schopenhauer) zugleich unübertrefflich klar und elegant“.
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§ 2 Unrecht und Ungerechtigkeit
IV. Recht als Negation des Unrechts Wenn der Begriff des Unrechts nach Schopenhauer der positive ist, so ist derjenige des Rechts folglich ein negativer und sein Inhalt „ist eine bloße Negation“ (PP II/1 § 121 S. 262). Recht ist sonach gleichbedeutend mit der Abwehr von Unrecht.¹⁵²
1. Willenstheoretische Herleitung der Rechtfertigungsgründe Der Sache nach geht es damit um die Rechtfertigungsgründe. Recht ist also die befugte Abwehr fremden Unrechts, das auf diese Weise gleichsam negiert wird. Diese Abwehr darf notfalls auch mit Gewalt vorgenommen werden, auch wenn diese ihrerseits rechtswidrig gewesen wäre, wenn ihr nicht ein rechtswidriger Angriff vorangegangen wäre. Das entspricht durchaus der Struktur unseres heutigen Verbrechensaufbaus.¹⁵³ Rechtsphilosophisch interessanter ist die willenstheoretische Begründung Schopenhauers, die exakt in den Bahnen seiner Willensmetaphysik verläuft: „Wenn ein Individuum in der Bejahung seines eigenen Willens so weit geht, daß es in die Sphäre der meiner Person als solcher wesentlichen Willensbejahung eindringt und damit diese verneint; so ist mein Abwehren jenes Eindringens nur die Verneinung jener Verneinung und insofern von meiner Seite nichts mehr, als die Bejahung des in meinem Leibe wesentlich und ursprünglich erscheinenden und durch dessen bloße Erscheinung schon implicite [einbegriffen] ausgedrückten Willens; folglich nicht Unrecht, mithin Recht“ (WW I/2 § 62 S. 423). Gerade die Rechtswidrigkeitsebene veranschaulicht, dass Schopenhauers Theorie mitunter etwas Umständliches und Gezwungenes an sich hat, auch wenn sie gerade hier folgerichtig verfährt. Zudem ist es nicht ohne Ironie, dass sie gerade auf dieser Ebene terminologisch an Hegel erinnert, wenn
Ebenso vielsagend wie letztlich rätselhaft Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. : „Der so wichtig genommene Unterschied, ob man Einen im offnen Kampf, mit gleichen Waffen, oder aus dem Hinterhalt getödtet habe, beruht im Grunde auf der Geltung des Rechts des Stärkeren: denn nur dieses hat man durch jene Umstände bewiesen: beim Schießen nur das des Geschickteren. (…) Wollte man sagen, daß der Zweikampf mich rechtfertigt, indem er den Willen meines Gegners mich zu morden beweist; so ist das falsch: denn durch die Herausforderung setze ich ihn in den Fall der Nothwehr. Man müßte sagen, daß das beim Duell statt habende Uebereinkommen, nach dem Grundsatz volenti non fit injuria, mir ein Recht ertheilt, ihn zu morden“; Hervorhebungen auch dort. Eingehend zum Ganzen Christian Jäger, Zurechnung und Rechtfertigung als Kategorialprinzipien im Strafrecht, . Speziell zu Schopenhauer Reinhart Maurach/Karl-Heinz Gössel/ Heinz Zipf, Strafrecht. Allgemeiner Teil, Teilband , Erscheinungsformen des Verbrechens und Rechtsfolgen der Tat, . Auflage , § Rdnr. , S. .
IV. Recht als Negation des Unrechts
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die gewaltsam rechtfertigende Handlung „folglich nur Negation der Negation, also Affirmation, nicht selbst Negation ist“ (WW I/2 § 62 S. 423). Auch wenn es etwas durchaus Anderes ist, das Hegel unter der Negation der Negation des Rechts, also der Strafe, versteht, ist der phänotypische Gleichklang doch bemerkenswert.¹⁵⁴
2. Von Schopenhauer begangenes Unrecht Eine verhängnisvolle Episode aus Schopenhauers Leben lädt förmlich dazu ein, seine Idee gewaltsam ausgeübter Rechtfertigung als von ihm verstandenes Recht zu veranschaulichen.¹⁵⁵ Schopenhauer wurde von Caroline Louise Marquet erfolgreich auf Zahlung einer lebenslänglichen Rente von 5 Talern verklagt, weil er sie gewaltsam die Treppe des von ihm bewohnten Hauses hinunter geworfen hatte, nachdem sie von dort auf seine Aufforderung hin nicht weichen wollte. Schopenhauer gibt in seiner Klageerwiderung zu, dass er sie „in der Unbesonnenheit des Zorns“ (…) „nur ein Mal, in Subjekt und Prädikat ‚altes Luder‘ geschimpft habe“.¹⁵⁶ Weitaus schlimmer als diese Ehrverletzung war jedoch der bleibende gesundheitliche Schaden, den die Klägerin erlitten hatte.¹⁵⁷ Es ist angesichts der Umstände nicht recht klar, ob sich Schopenhauer auf die Ausübung seines Hausrechts berufen wollte – immerhin war auch noch von einer ‚Wirthin‘ die Rede –, doch tut dies letztlich nichts zur Sache. Nicht einmal die Ehrverletzung, umso weniger die bleibende gesundheitliche Beeinträchtigung, wäre wohl dadurch gerechtfertigt, zumal da keine gegenwärtige Fritz Bauer, Schopenhauer und die Strafrechtsproblematik (), in: Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften, , S. (= Schopenhauer-Jahrbuch , , ), ordnet das berühmte Wort der „Negation der Negation“ innerhalb seines überaus lesenswerten Beitrags im Rahmen seiner Gegenüberstellung Schopenhauers und Hegels nur diesem und eben nicht auch jenem zu. Ansatzweise Alison Scott-Baumann, Ricœur and the Negation of Happiness, , S. unter der Überschrift ‘Adapting Hegel’s dialectic̕: „We may critique Hegel’s assertation (as Schopenhauer did) that negation of negation is positive and is real movement“. Zutreffend Stephan Bitter, Die Sanktion im Recht der Europäischen Union, , S. : „Entsprechendes findet sich bei Schopenhauer, wenn er das Recht als die Negation des Unrechts bezeichnet und die Wiederherstellung des Rechts auch bei ihm die Negation der Negation ist“. Zum Folgenden Arthur Hübscher, Arthur Schopenhauer. Ein Lebensbild, . Auflage , S. . Arthur Schopenhauer, Gespräche (Hg. Arthur Hübscher), , S. ; Hervorhebung auch dort. Eingehend zum Ganzen aus juristischer und rechtshistorischer Sicht Karlheinz Muscheler, Die Schopenhauer-Marquet-Prozesse und das preußische Recht, (dazu Frank O. Fischer, Schopenhauer-Jahrbuch , , ).
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rechtswidrige Gefahr von der Klägerin ausging.¹⁵⁸ Aber selbst dann, wenn man einen Angriff auf das Hausrecht unterstellt, fehlt es Schopenhauers jähzorniger Reaktion an der gebotenen Verhältnismäßigkeit der Mittel, diesem unterstellten Angriff zu begegnen. Auch wenn man die von ihm selbst vorgetragene Impertinenz und Zudringlichkeit sowie das erfolglose Mahnen und Drohen als gegeben unterstellt, dann würde es sich wohl um einen klassischen Notwehrexzess handeln. Eine solche Prüfung kennt Schopenhauer ausweislich seines Hauptwerks jedoch nicht: „Dies heißt: ich habe alsdann ein Recht, jene fremde Verneinung mit der zu ihrer Aufhebung nöthigen Kraft zu verneinen, welches, wie leicht einzusehn, bis zur Tödtung des fremden Individuums gehn kann, dessen Beeinträchtigung, als eindringende äußere Gewalt, mit einer diese etwas überwiegenden Gegenwirkung abgewehrt werden kann, ohne alles Unrecht, folglich mit Recht“ (WW I/2 § 62 S. 423). Jedenfalls muss die Tonstelle hier auf der ‚nötigen‘, also erforderlichen Kraft liegen. Zwar sagt er an anderer Stelle, dass er „in allen Fällen, wo ich ein Zwangsrecht, ein vollkommenes Recht habe, Gewalt gegen Andere zu gebrauchen, (…), nach Maaßgabe der Umstände“ (WW I/2 § 62 S. 424) Gewalt anwenden dürfe.¹⁵⁹ In der Tat schildert er gerade die für ihn maßgeblichen Umstände in seiner Klageerwiderung besonders anschaulich. Doch verkennt er die Maßgeblichkeit der Verhältnismäßigkeit. Schopenhauers ‚Klagebeantwortung‘ ist unfreiwilliger Ausweis für seine Theorie, dass grenzenloser Egoismus und eitle Rechthaberei der Ausgangspunkt allen Kampfes ist. Oder, um es mit Schopenhauers eigenen Worten zu sagen: „So scharf streift demnach die Gränze des Rechts an die des Unrechts“ (WW I/2 § 62 S. 424).
3. Negativität der Gerechtigkeit In seiner Preisschrift Über die Grundlage der Moral hat Schopenhauer die von ihm dort so genannte ‚Tugend der Gerechtigkeit‘ besonders ausführlich und eingehend behandelt, weil er die Tugenden der Gerechtigkeit und die der Menschenliebe in platonischer Diktion als Kardinaltugenden bezeichnet, aus denen „alle übrigen
Schopenhauer las während des fünfjährigen Prozesses juristische Literatur, etwa Marquard Freher, Tractatus de existimatione adquirenda, conservanda et amittenda, sub quo et de gloria et de infamia, ; ferner Adolph Dietrich Weber, Über Injurien und Schmähschriften, – (vgl. den von Franco Volpi herausgegebenen und eingeleiteten Band ‚Arthur Schopenhauer, Die Kunst zu beleidigen‘, . Auflage , S. ). Zum Zwangsrecht bei Schopenhauer Stephan Bitter, Die Sanktion im Recht der Europäischen Union, , S. . Siehe zum vorausgesetzten Begriff der Kraft auch Wolfgang Seelig, Wille und Kraft, Schopenhauer-Jahrbuch () .
IV. Recht als Negation des Unrechts
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praktisch hervorgehn und theoretisch sich ableiten lassen“ (GM § 17 S. 252). Hier findet sich die wichtige Gleichsetzung der Ungerechtigkeit mit dem Unrecht: „Die Ungerechtigkeit, oder das Unrecht, besteht demnach allemal in der Verletzung eines Andern“ (GM § 17 S. 256).
a) Gleichsetzung von Ungerechtigkeit und Unrecht Auch an anderer Stelle findet man unausgesprochen eine Gleichsetzung – hier ex negativo – von Unrecht und Gerechtigkeit: „Wenn auf der Welt Gerechtigkeit herrschte, wäre es hinreichend, sein Haus gebaut zu haben, und es bedürfte keines andern Schutzes, als dieses offenbaren Eigenthumsrechts. Aber weil das Unrecht an der Tagesordnung ist; so ist erfordert, daß,wer das Haus gebaut hat, auch im Stande sei, es zu schützen“ (PP II/1 § 124 S. 263). Aus dieser Gleichsetzung von Ungerechtigkeit und Unrecht folgt, dass auch der Begriff der Ungerechtigkeit ein positiver ist.¹⁶⁰ Umgekehrt verhält es sich beim Begriff der Gerechtigkeit, der wiederum ein negativer ist. Es ist also die negative Umschreibung der Gleichsetzung von Recht und Gerechtigkeit bei Schopenhauer.¹⁶¹ Zur Veranschaulichung dient Schopenhauer ein elementares Gerechtigkeitsprinzip, das seit alters diskutiert wird:¹⁶² „Die Negativität der Gerechtigkeit bewährt sich, dem Anschein entgegen, selbst in der trivialen Definition: ‚Jedem das Seinige geben.‘ Ist es das Seinige, braucht man es ihm nicht zu geben: bedeutet also: ‚Keinem das Seinige nehmen.‘“ (GM § 17 S. 256 f.). In der Tat ist es seit jeher ein Einwand gegen die Gerechtigkeitsdefinition des suum quique gewesen, dass sie sich in einem nichtssagenden, tautologischen Inhalt erschöpft.¹⁶³ Von daher ist Schopenhauers Umkehrung, wonach keinem das Seinige genommen werden darf, durchaus sinnstiftend.
Zutreffend Hasso Hofmann, Gerechtigkeitsphilosophie aus Unrechtserfahrung. Zum Gerechtigkeitssinn der Arbeiter im Weinberg, Festschrift für Martin Heckel, , S. , : „Eher könnte man paradoxerweise sagen, dass auf der hier maßgeblichen Erfahrungsebene die Ungerechtigkeit positiv und die Gerechtigkeit als bloße ‚Un-Ungerechtigkeit‘ negativ gedacht wird“. Unter Verweis auf Peter Noll, Diktate über Sterben & Tod, . Auflage , S. (dort: „Unungerechtigkeit“). Zu ihr Hans Ebeling, Das andere Gesetz. Letzte Philosophie und die Lehre vom Einen, , S. . Platon, Politeia, ; Aristoteles, Rhetorik, b; Ulpian, D. , , ; Marcus Tullius Cicero, De officiis, , , ; ders., De legibus, , , ; Lucius Annaeus Seneca, Epistulae morales, , . Vgl. auch Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, . Auflage , S. .
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§ 2 Unrecht und Ungerechtigkeit
b) Neminem laedere als Gerechtigkeitspostulat Damit erschöpft sich Schopenhauers Gerechtigkeitspostulat im neminem laedere: „Weil die Forderung der Gerechtigkeit bloß negativ ist, läßt sie sich erzwingen: denn das neminem laede kann von Allen zugleich geübt werden“ (GM § 17 S. 257). Obwohl der Begriff des Rechts für Schopenhauer ein negativer ist, kann in dieser Bedeutung der status positivus mit dem Begriff des Rechts zusammengedacht werden, weil darin ein elementares Menschenrecht zum Ausdruck kommt: „Jeder hat das Recht, alles Das zu thun,wodurch er Keinen verletzt. – Ein Recht zu etwas, oder auf etwas haben, heißt nichts weiter, als es thun, oder aber es nehmen, oder benutzen können, ohne dadurch irgend einen Andern zu verletzen“ (PP II/1 § 121 S. 262). Das Verbot des neminem laedere kann Schopenhauer von seinem Ausgangspunkt her widerspruchsfrei begründen, indem er wiederum – wie in seinem Hauptwerk – vom Egoismus ausgeht. Dementsprechend heißt es in den nachgelassenen Notizen: „Ein Recht zu etwas haben, heißt nichts weiter, als es thun können, ohne irgend einen Andern zu verletzen.“¹⁶⁴ Damit beantwortet sich für Schopenhauer auch die seines Erachtens fälschlich gestellte Frage nach dem moralischen Recht des Suizids: „Hieraus erledigt sich die Sinnlosigkeit der Frage ob wir ein Recht haben, uns das Leben zu nehmen u.a.m. Juridisch müßte man sagen: ohne ein Gesetz zu verletzen.“ Mit dieser Formulierung des Juridischen im Verhältnis zum Moralischen scheint bereits etwas auf, das in Schopenhauers Rechtslehre führt, die im Folgenden zu behandeln ist.
Hier und im Folgenden Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. ; Hervorhebung auch dort.
§ 3 Schopenhauers reine Rechtslehre I. Moralisches Recht als Naturrecht Schopenhauer geht entsprechend seinem Grundansatz auch bezogen auf das Verhältnis von Recht und Moral konsequent vom Willen aus.¹⁶⁵ Ja, man kann wohl sogar sagen, dass er konsequenter als die meisten Denker – womöglich sogar Kant – vom Willen ausgeht, weil dies zugleich derjenige Ort ist, an dem sich die gute Gesinnung ebenso wie die menschliche Bosheit manifestiert. So kann er, nur auf den ersten Blick überraschend, sagen, dass „Unrecht und Recht bloß moralische Bestimmungen sind, d. h. solche, welche hinsichtlich der Betrachtung des menschlichen Handelns als solchen, und in Beziehung auf die innere Bedeutung dieses Handelns an sich, Gültigkeit haben“ (WW I/2 § 62 S. 425). Hier ist zunächst also nur die innere Willensrichtung entscheidend. Es geht Schopenhauer an dieser Stelle noch nicht um die Folgen des Handelns mit Rücksicht auf andere, die darunter leiden können. Die Frage nach Recht oder Unrecht entscheidet sich für ihn auf dieser inneren Willensebene.¹⁶⁶ Alle äußeren, schädigenden Folgen betreffen die Problematik der Notwendigkeit einer staatlichen Einrichtung, die im Schadensfall Sanktionen aussprechen kann. Schopenhauer unterscheidet hier konsequent zwischen Unrechttun und Unrechtleiden. Die Personen, auf die dies jeweils zutrifft, sind zwar ‚als Erscheinung verschieden‘, dagegen aber ‚an sich identisch‘. Diese auf den ersten Blick etwas bizarre Divergenz bzw. Einheit ist nur als konsequente Fortführung seiner Willensmetaphysik begreiflich und wird uns weiter unten bei der Lehre von der ewigen Gerechtigkeit wieder begegnen.
1. Naturrecht als moralisches Recht Von diesem Ausgangspunkt her versteht sich, dass Schopenhauer die moralische Unwertentscheidung zunächst ganz bewusst unabhängig von jeglicher staatlicher Einrichtung trifft, ja geradezu darauf besteht, dass sie sich in aller Reinheit im Naturzustand am deutlichsten zeigt und deswegen das so verstandene moralische Paraphrasierend zum Verhältnis von Recht und Moral Ferdinand Fellmann, Ist Schopenhauers Vision einer ewigen Gerechtigkeit noch aktuell?, in: Politik und Gesellschaft im Umkreis Arthur Schopenhauers (Hg. Matthias Koßler), , S. , : „Im Naturzustand sind Moral und Recht noch ungetrennt, die Trennung erfolgt erst durch den Staat und seine positive Rechtssetzung“. Johannes Volkelt, Arthur Schopenhauer. Seine Persönlichkeit, seine Lehre, sein Glaube, , S. . DOI 10.1515/9783110491173-004
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§ 3 Schopenhauers reine Rechtslehre
Recht auch mit dem Naturrecht im herkömmlichen Sinne gleichbedeutend verstanden werden kann.¹⁶⁷ Das Naturrecht leitet sich vom metaphysisch verstandenen Unrechtsbegriff ab:¹⁶⁸ „Diese rein moralische Bedeutung ist die einzige, welche Recht und Unrecht für den Menschen als Menschen, nicht als Staatsbürger haben, die folglich auch im Naturzustande, ohne alles positive Gesetz, bliebe und welche die Grundlage und den Gehalt alles dessen ausmacht, was man deshalb Naturrecht genannt hat, besser aber moralisches Recht hieße, da seine Gültigkeit nicht auf das Leiden, auf die äußere Wirklichkeit, sondern nur auf das Thun und die aus diesem dem Menschen erwachsende Selbsterkenntniß seines individuellen Willens, welche Gewissen heißt, sich erstreckt, sich aber im Naturzustande nicht in jedem Fall auch nach außen, auf andere Individuen, geltend machen und verhindern kann, daß nicht Gewalt statt des Rechts herrsche“ (WW I/2 § 62 S. 425). Dieser weit ausgreifende Satz kann als Schlüsselstelle seiner moralischen Rechtslehre gelten, die noch ungetrübt von jedem staatlichen Einfluss verstanden wird.¹⁶⁹ Lediglich das Gewissen als innere Instanz regiert hier, das in Gestalt des Gewissensbisses das Gefühl verübten Unrechts einflösst.¹⁷⁰ Jedoch ist damit zugleich gesagt, dass dieses allein noch keine hinreichende Gewähr dafür bietet, dass nicht der sich gewaltsam und machtvoll ausufernde Egoismus Bahn bricht und das Naturrecht unterjocht. Recht und Unrecht gelten im Naturzustand „bloß als moralische Begriffe, zur Selbsterkenntnis des eigenen Willens in Jedem“ (WW I/2 § 62 S. 425). Diese Selbsterkenntnis ist jedoch ihrerseits nur beschränkt dadurch, dass sie in Zeit und Raum – oder wie Schopenhauer sagt: im principio individuationis – befangen ist.
2. ‚Reine Rechtslehre‘ Schopenhauer hat diesen Zusammenhang auch in seiner Preisschrift Über die Grundlage der Moral zusammengefasst: „Die Begriffe Unrecht und Recht, als
Annette Godart van der Kroon, Schopenhauer’s Theory of Justice and its Implication to Natural Law, Schopenhauer-Jahrbuch () , . Robert Jan Berg, Objektiver Idealismus und Voluntarismus in der Metaphysik Schellings und Schopenhauers, , S. . Siehe dazu auch Elisabeth Jütten, Diskurse über Gerechtigkeit im Werk Jakob Wassermanns, , S. . Anna Leśniewska, Der Begriff des Gewissens bei Schopenhauer, in: Schopenhauer im Kontext. Deutsch-polnisches Schopenhauer-Symposium (Hg. Dieter Birnbacher/Andreas Lorenz/Leon Miodoński), , S. .
II. Methodischer Individualismus bei der Staatsbegründung
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gleichbedeutend mit Verletzung und Nichtverletzung, zu welcher letztern auch das Abwehren der Verletzung gehört, sind offenbar unabhängig von aller positiven Gesetzgebung und dieser vorhergehend: also giebt es ein rein ethisches Recht, oder Naturrecht, und eine reine, d. h. von aller positiven Satzung unabhängige Rechtslehre“ (GM § 17 S. 257). Recht und Moral sind also im Naturzustand, wie bereits weiter oben gesehen, vereint, sodass auch umgekehrt jede Form der Ungerechtigkeit als Unrecht begriffen werden kann, wie dies ebenfalls weiter oben zugrunde gelegt wurde. Schopenhauer hat für diesen Zusammenhang den Begriff der ‚reinen Rechtslehre‘ geprägt, die später von Hans Kelsen in seinem gleichnamigen Werk in völlig anderem Sinne verstanden wurde, aber ersichtlich nichts mit dem Verständnis Schopenhauers zu tun hat.¹⁷¹ Diese reine Rechtslehre Schopenhauers unterfällt der Moral.¹⁷² Daher kann er auch von einem ‚rein ethischen Recht‘ sprechen.¹⁷³ ‚Rein‘ in diesem Sinne meint also nicht mehr, als dass dieses Naturrecht jeder staatlichen Rechtssetzung vorhergeht. Dieses moralische Recht im Naturzustand ist freilich durch den allgegenwärtigen Egoismus und die menschliche Bosheit und Ungerechtigkeit permanent gefährdet.
II. Methodischer Individualismus bei der Staatsbegründung Um diese allgegenwärtigen Gefährdungen zu bannen, bedarf es offenbar einer Instanz, die gegen Zuwiderhandlungen einschreitet und das bis dahin nur moralisch gegenwärtige Recht wirksam schützt. Wie Schopenhauer dies in platonischer Tradition auf eine doch ganz eigene Weise begründet, ist überaus aufschlussreich, weil man es als methodischen Individualismus kennzeichnen kann.
Vgl. nur Wolfgang Naucke, Die Folgen der reinen Rechtslehre für das Verhältnis von Recht und Politik, in: Recht und Politik: Jahrestagung der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (Hg. Jan C. Joerden/Roland Wittmann), , S. , . Vergleichend und gerade im Hinblick auf die willenstheoretische Begründung aufschlussreich Kuno Fischer, Schopenhauers Leben, Werke und Lehre, , S. : „Es giebt daher eine reine oder moralische Rechtslehre, deren Anwendung die positive ist oder sein soll. Die Sätze der moralischen Rechtslehre folgen aus dem Wesen des Willens, wie die geometrischen Sätze aus dem des Raumes. Demnach ist es falsch, wenn Hobbes gelehrt hat, dass Recht und Unrecht conventionell seien und erst aus dem Staat hervorgehen“. Dazu Paul Robert Glauser, Arthur Schopenhauers Rechtslehre. Eine Lehre vom moralischen Recht, .
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§ 3 Schopenhauers reine Rechtslehre
1. Staatsbegründung kraft Vernunfterkenntnis Dieses Verständnis des methodischen Individualismus kommt in zwei Sätzen Schopenhauers zum Ausdruck, die nicht von ungefähr durch einen Gedankenstrich miteinander verbunden worden sind: „Die Vernunft erkannte hieraus, daß, sowohl um das über Alle verbreitete Leiden zu mindern, als um es möglichst gleichförmig zu vertheilen, das beste und einzige Mittel sei, Allen den Schmerz des Unrechtleidens zu ersparen, dadurch, daß auch Alle dem durch das Unrechtthun zu erlangenden Genuß entsagten. – Dieses also von dem, durch den Gebrauch der Vernunft, methodisch verfahrenden und seinen einseitigen Standpunkt verlassenden Egoismus leicht ersonnene und allmählig vervollkommnete Mittel ist der Staatsvertrag ¹⁷⁴ oder das Gesetz“ (WW I/2 § 62 S. 427 f.).¹⁷⁵ Es ist alles andere als eine begriffliche Zufälligkeit, dass Schopenhauer hier von einem ‚methodisch verfahrenden und seinen einseitigen Standpunkt verlassenden Egoismus‘ spricht. Der methodische Individualismus ist sonach das Erklärungsmuster, welches es erlaubt, den scheinbar nur auf reinen Eigennutz ausgerichteten Egoismus, der fremde Zerstörungen in Kauf nimmt, so zuzurichten, dass er auch einen gemeinsamen Nutzen verwirklichen können will. Der Grundgedanke, dass eine das Gemeinwohl konstituierende und vervollkommnende Instanz geschaffen wird, indem die Individuen vorderhand nur ihrem eigenen Wohl verpflichtet sind und auf extreme Selbsterhaltung sinnen, zeigt sich auch hier in aller Deutlichkeit.
Prägnant Johannes Volkelt, Arthur Schopenhauer. Seine Persönlichkeit, seine Lehre, sein Glaube, , S. : „Der Staatsvertrag (…) ist also einzig ein Erzeugnis des mit Vernunft ausgerichteten Egoismus’, der seinen eigenen, sich gegen ihn selbst wendenden schlimmen Folgen ausweichen will.“ Interessant auch die weitergehende Feststellung: „Von gleichzeitigen Denkern ist es vor allem Wilhelm von Humboldt, der mit ihm in der schroffen Behandlung des Staates als bloßer Sicherheitsanstalt zusammentrifft.“ Dazu näher Jens Petersen, Wilhelm von Humboldts Rechtsphilosophie, . Auflage . Oskar Friedrich Damm, Schopenhauers Rechts- und Staatsphilosophie, , S. f., hat dargelegt, dass Schopenhauers und Humboldts Staatsverständnis ähnlich ist, was er mit guten Gründen damit erklärt, dass Schopenhauer im Erscheinungsjahr von Wilhelm von Humboldts Staatsschrift () diese offenbar stärker rezipiert hat, als es die kaum vorhandenen Nachweise erkennen lassen. Treffend dazu Oskar Friedrich Damm, Schopenhauers Rechts- und Staatsphilosophie. Darstellung und Kritik, , S. f.: „Dass Plato (kritiklos) die gemeinsame Uebereinkunft, um dem Egoismus aller die Spitze abzubrechen, als Mittel der Staatsbildung acceptirt, weiss Schopenhauer zu seinen Gunsten recht wohl anzuführen, aber davon, dass Aristoteles, den er doch auch für sich citirt, von vornherein bezüglich des Zustandekommens des Staates einen das Princip der Vertragstheorie direkt verwerfenden Standpunkt einnimmt, sagt Schopenhauer nichts. (…) Schopenhauer ist auch da Eklektiker“.
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2. Beförderung des Gemeinwohls Unter diesem Blickwinkel des methodischen Individualismus lässt sich wohl auch der eingangs dargestellte Widerstreit lösen, dass Schopenhauers extrem individualistische Theorie mit einem sich gleichsam blindlings Bahn brechenden Willen zugleich auch erklärbar ist durch eine gemeinsame Übereinkunft, die als Schutzanstalt zu Gunsten aller unter diesem Egoismus potentiell Leidenden fungiert: „Was sind denn die Staaten, mit aller ihrer künstlichen, nach außen und nach innen gerichteten Maschinerie und ihren Gewaltsmitteln Anderes, als Vorkehrungen der gränzenlosen Ungerechtigkeit der Menschen Schranken zu setzen?“.¹⁷⁶ Dieser, das Gemeinwohl fördernde Grundgedanke des methodischen Individualismus’, kommt in einem späteren, paraphrasierenden Gedanken Schopenhauers noch einmal besonders deutlich zum Ausdruck: „Wir haben also im Staat das Mittel kennen gelernt, wodurch der mit Vernunft ausgerüstete Egoismus seinen eigenen, sich gegen ihn selbst wendenden schlimmen Folgen auszuweichen sucht, und nun Jeder das Wohl Aller befördert, weil er sein eigenes mit darin begriffen sieht“ (WW I/2 § 62 S. 435).¹⁷⁷ Diese Sentenz veranschaulicht paradigmatisch den dem methodischen Individualismus zugrunde liegenden Gedanken der Förderung des Gemeinwohls durch die Befolgung individueller Interessen.¹⁷⁸ Schopenhauer geht vom Einzelnen und seinem Willen aus, wobei er durch die konsequente Fortführung seines theoretischen Ansatzes – es handelt sich also nicht um die eingangs befürchtete Diskontinuität – zu Folgerungen veranlasst sieht, die das allgemeine Wohl berühren. Es ist ein Gedanke, den vor Schopenhauer bereits Adam Smith ausgefeilt hat, dem wiederum der von Schopenhauer verehrte Kant zutiefst verpflichtet war.¹⁷⁹
Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. ; Hervorhebungen auch dort. Zu dieser Stelle auch Konstantin Broese, Staat und Politik in Schopenhauers Denken – grundlegende Aspekte, in: Politik und Gesellschaft im Umkreis Arthur Schopenhauers (Hg. Matthias Koßler), , S. , allerdings ohne Bezugnahme auf den methodischen Individualismus, sondern unter Hinweis auf die utilitaristische Ausrichtung. Allgemein dazu aus philosophischer Sicht Pirmin Stekeler-Weithofer, Strukturprobleme gemeinsamen Handelns. Philosophische Bemerkungen zu Grundproblemen des methodischen Individualismus, in: Comparativ: Sphären der „Geselligkeit“ () .Vgl. auch Jens Petersen, Freiheit unter dem Gesetz. Friedrich August von Hayeks Rechtsdenken, , S. V. Näher Jens Petersen, Adam Smith als Rechtstheoretiker, , S. ff.
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3. Wiederkehr des methodischen Individualismus’ Der methodische Individualismus kommt auch an späterer Stelle noch einmal zum Ausdruck, wo er ihn erneut – und nicht von ungefähr auch hier unter Zuhilfenahme des Adverbs ‚methodisch‘ darstellt: „Der Staat ist, wie gesagt, so wenig gegen den Egoismus überhaupt und als solchen gerichtet, daß er umgekehrt gerade aus dem sich wohlverstehenden, methodisch verfahrenden, vom einseitigen auf den allgemeinen Standpunkt tretenden und so durch Aufsummirung gemeinschaftlichen Egoismus Aller entsprungen und diesem zu dienen allein daist, errichtet unter der richtigen Voraussetzung, daß reine Moralität, d. h. Rechthandeln aus moralischen Gründen, nicht zu erwarten ist; außerdem er selbst ja überflüssig wäre“ (WW I/2 § 62 S. 430).
a) Vernunftmäßige Übereinkunft Entscheidend ist auch hier, dass die den Individuen gemeinsame Vernunft zur Übereinkunft gelangt ist, dass es im Sinne der Unrechterduldenden, zu denen jeder zufällig selbst gehören kann, erforderlich ist, die Schutzanstalt des Staats zu errichten. Der Gesichtspunkt des methodischen Individualismus’ besteht gerade darin, vom Egoismus des Einzelnen, gegen den der Staat nichts hat, auf ein im Interesse des Gesamtwohls zu errichtendes ‚Bollwerk‘ zu schließen, wodurch individueller Eigennutz und gesamtgesellschaftlicher Nutzen ineinander übergehen. In diesem Sinne ergibt sich auch die Schutzwirkung und Schutzpflicht des Staates aus der Kehrseite des Egoismus, deren Schaden für den Einzelnen unkalkulierbar ist: „Keineswegs also gegen den Egoismus, sondern allein gegen die nachtheiligen Folgen des Egoismus, welche aus der Vielheit egoistischer Individuen ihnen allen wechselseitig hervorgehn und ihr Wohlseyn stören, ist, dieses Wohlseyn bezweckend, der Staat gerichtet“ (WW I/2 § 62 S. 430). In gewisser Weise handelt es sich dabei um eine Abschattierung des von Bernhard Mandevilles in seiner berühmten Bienenfabel entwickelten Grundsatzes private vices – public benefits. ¹⁸⁰
Bernhard Mandeville, The Fable of the Bees: Or, Private Vices, Public Benefits, (gedruckt ); dazu Friedrich August von Hayek, Dr. Bernhard Mandeville, Proceedings of the British Academy () ; Jens Petersen, Adam Smith als Rechtstheoretiker, , S. ff.; Käte Hamburger, Das Mitleid, . Auflage , S. , sowie Günter Baum, Schopenhauers Ethik im Licht der gegenwärtigen Ethik-Diskussion, in: Schopenhauer in der Philosophie der Gegenwart (Hg. Dieter Birnbacher), , S. , mit Anmerkung , behandeln Mandeville lediglich im Hinblick auf das Problem des Mitleids.
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b) Harmonische Entfaltung der Gesamtordnung Für die auf der Grundlage des methodischen Individualismus aufscheinende spontane Ordnung der Staatsverfassung ist nicht untypisch, dass eine gewisse Harmonie waltet, die zumindest in der Vorstellung dessen entsteht, der auf diese Weise aus dem diffusen und divergierenden Willen der Einzelnen eine Gesamtordnung gefügt sieht.¹⁸¹ So verhält es sich auch bei Schopenhauer, der – zumindest idealiter – feststellt: „Wenn der Staat seinen Zweck vollkommen erreicht, wird er die selbe Erscheinung hervorbringen, als wenn vollkommene Gerechtigkeit der Gesinnung allgemein herrschte“ (WW I/2 § 62 S. 430 f.). Dass dies jedoch eine Chimäre ist, weil es durch die abgrundtief niedrige Menschennatur vereitelt wird, hat Schopenhauer an anderer Stelle festgehalten: „Eine Staatsverfassung, in welcher bloß das abstrakte Recht sich verkörperte, wäre eine vortreffliche Sache für andere Wesen, als die Menschen sind: weil nämlich die große Mehrzahl derselben höchst egoistisch, ungerecht, rücksichtslos, lügenhaft, mitunter sogar boshaft und dabei mit sehr dürftiger Intelligenz ausgestattet ist, so erwächst hieraus die Nothwendigkeit einer in Einem Menschen koncentrirten, selbst über dem Gesetz und dem Recht stehenden, völlig unverantwortlichen Gewalt, vor der sich Alles beugt, und die betrachtet wird als ein Wesen höherer Art, ein Herrscher von Gottes Gnaden. Nur so läßt sich auf die Länge die Menschheit zügeln und regieren“ (PP II/1 § 127 S. 274 f.).
4. Verstörende und inakzeptable Diskriminierung Verstörend ist jedoch eine relativierende Abstufung bzw. Differenzierung, die Schopenhauer im Hinblick auf ‚die Juden‘ vornimmt:¹⁸² „Daß sie mit Andern gleiche bürgerliche Rechte genießen, heischt die Gerechtigkeit; aber ihnen Antheil am Staat einzuräumen, ist absurd: sie sind und bleiben ein fremdes, orientalisches Volk, müssen daher stets nur als ansässige Fremde gelten“ (PP II/1 § 132 S. 286). Nicht besser lautet die Rohfassung im handschriftlichen Nachlass: „Man soll Vgl. nur Adam Smith, Theory of Moral Sentiments, , VI. ii. .; dazu Jens Petersen, Adam Smith als Rechtstheoretiker, , S. f. Zutreffend Kuno Fischer, Schopenhauers Leben, Werke und Lehre, , S. : „Aus Gründen der Religion ist Schopenhauer der ausgesprochenste Antisemit“.Wenig überzeugend die Differenzierung von Andreas Hansert, Schopenhauer im . Jahrhundert. Geschichte der Schopenhauer-Gesellschaft, , S. : „Ungeachtet der Tatsache, dass seine engsten, von ihm selbst persönlich geschätzten Adepten fast alle Juden waren, ließ sich Schopenhauer wiederholt zu solch wüsten Aussprüchen hinreißen. Sie wurzeln (…) weniger in einem genuinen Antisemitismus als vielmehr in dem von ihm aus systematischen Gründen abgelehnten Theismus, als dessen Erfinder und Urheber er das Judentum sah“.
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§ 3 Schopenhauers reine Rechtslehre
daher den Juden alle Menschenrechte, aber nicht alle Bürgerrechte zugestehn, sondern sie stets im Verhältniß fremder Ansiedler betrachten.“¹⁸³ Die Zubilligung bürgerlicher Rechte bzw. der Menschenrechte aus Gründen ‚der Gerechtigkeit‘ macht diese zutiefst diskriminierende Unterscheidung keinen Deut besser.¹⁸⁴ Zudem sind die Überlegungen, in welche die Stelle eingebettet ist, von ihrer Grundausrichtung her ebenso feindselig gefärbt, wie es die unhaltbare Begründung ist. Die unverhüllte Diskriminierung streitet allem zuwider, was Schopenhauers Ethik und Rechtslehre ansonsten zueigen ist.¹⁸⁵
III. Carl Schmitt versus Schopenhauer Dass Schopenhauer dem methodischen Individualismus verpflichtet ist, wurde im Schrifttum bislang kaum beachtet.¹⁸⁶ Paradigmatisch ist insoweit ein kurzer Aufsatz aus dem Frühwerk Carl Schmitts über Schopenhauers Rechtsphilosophie außerhalb seines philosophischen Systems.¹⁸⁷ Auch wenn er nicht vom methodischen Individualismus spricht, sondern vielsagend einen ‚aktuellen Methodenstreit‘ zum Anlass nimmt, kann dieser als Invektive gegen Schopenhauer im Allgemeinen und den methodischen Individualismus im Besonderen begriffen
Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. . Ebenso Vittorio Hösle, Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie, , S. : „Nicht minder bedenklich ist, daß Schopenhauer das Christentum besonders wegen seines jüdischen Erbes ablehnt: Die spätere Lehre vom arischen Jesus ist bei ihm vorgeprägt. Den Juden spricht er wie Fichte nicht die Menschenrechte, wohl aber die Bürgerrechte ab; die jüdische Religion gilt ihm als niedrigste unter den Religionen der Hochkulturen“. Entschieden zu apologetisch Arthur Hübscher, Zu Schopenhauers „Antisemitismus“, Schopenhauer-Jahrbuch () , unter massiver Ablehnung („Pamphlet“) des Buchs von Maria Goerner, Schopenhauer und die Juden, , und unter zustimmendem Verweis auf Henry Walter Brann, Schopenhauer und das Judentum, , der „mit einer glücklichen Prägung (sic!) von einem ‚metaphysischen Antisemitismus‘ Schopenhauers“ spreche. Siehe aber Reinhard Mehring, „eine rein jüdische Angelegenheit“. Carl Schmitts „Wahndialog“ mit Wagner, in: wagnerspectrum. Schwerpunkt Wagner und das Komische (Hg. Udo Bermbach/Dieter Borchmeyer/Hermann Danuser/Sven Friedrich/Ulrike Kienzle/Hans R. Vaget), wagnerspectrum () , . Carl Schmitt, Schopenhauers Rechtsphilosophie außerhalb seines philosophischen Systems, Monatsschrift für Kriminalpsychologie () f. Er nimmt dort das kurz zuvor erschienene Werk von Erich Jung, Das Problem des natürlichen Rechts, , aufgrund dessen Bekenntnis zu Schopenhauers Rechtsphilosophie zum Anlass seiner Untersuchung.
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werden.¹⁸⁸ Er zieht darin gegen Schopenhauers negatorisch ausgerichtete Wesensbestimmung des Rechts zu Felde: „Wenn aber Schopenhauer das Wesen des Rechts negativ bestimmt als Verneinung des Unrechts, so muß das bei richtiger Würdigung des Problems von vornherein Bedenken erregen. Denn in einer solchen Definition liegt der Ausdruck der allgemeinen Überzeugung, dass überhaupt alles Positive die Verneinung eines Negativen sei, dass dieses Negative das allgemeine Wesen ausmache und nicht bloß die sprachliche Umschreibung oder eine durch den Gang der Darstellung, die bei dem Unrecht als dem am leichtesten zu erklärenden anfängt, determinierte Forderung bedeutet. Eine solche Definition fügt sich dem System der Philosophie Schopenhauers in großartiger Architektonik ein. Aber durch sie wird das Wesen des Rechts nicht erklärt, sondern verneint.“¹⁸⁹
1. Schmitts verdächtige Begriffsverschiebung Dieser Beginn der Argumentation Schmitts wurde deswegen wörtlich wiedergegeben, weil er in seiner Prämissenbildung symptomatisch ist. Die von ihm vorausgesetzte und vorgenommene ‚richtige Würdigung des Problems‘ mündet in eine allgemeine Wesensbestimmung, die Schopenhauer so nicht vorgenommen hat. Schopenhauer ging, wie erinnerlich, vom Begriff des Rechts und nicht von seinem Wesen aus: „Der Begriff des Rechts ist nämlich, eben wie auch der der Freiheit ein negativer: sein Inhalt ist eine bloße Negation. Der Begriff des Unrechts ist der positive¹⁹⁰ und ist gleichbedeutend mit Verletzung im weitesten Sinne, also laesio“ (PP II/1 § 121 S. 262).
a) Begriff des Rechts versus ‚Wesen des Rechts‘ (Schmitt) Wäre es Schopenhauer auf das Wesen des Rechts angekommen, das sich in seinem Begriff spiegelt, dann hätte er das durch den schlichten Zusatz ‚seinem Wesen nach‘ oder ‚wesensmäßig‘ bewerkstelligen können, wie er das an anderer Stelle
Reinhard Mehring, „eine rein jüdische Angelegenheit“. Carl Schmitts „Wahndialog“ mit Wagner, in: wagnerspectrum. Schwerpunkt Wagner und das Komische (Hg. Udo Bermbach/Dieter Borchmeyer/Hermann Danuser/Sven Friedrich/Ulrike Kienzle/Hans R. Vaget), wagnerspectrum () , . Carl Schmitt, Schopenhauers Rechtsphilosophie außerhalb seines philosophischen Systems, Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform () f. Zum Frühwerk auch Volker Neumann, Carl Schmitt als Jurist, , S. f. Bis hier wortgleich mit Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. .
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verschiedentlich und jeweils mit Bedacht tat.¹⁹¹ Doch ging es ihm offenbar – anders als Schmitt insinuiert – gar nicht um die Wesensbestimmung. Das scheint auf den ersten Blick keinen Unterschied zu machen, führt aber zu einer unmerklichen Bedeutungsverschiebung, auf der Schmitt alles Folgende aufbaut. So gesehen bedeutet auch die scheinbar großmütige Verneigung vor Schopenhauers Systembau (‚großartige Architektonik‘) ein vergiftetes Kompliment, weil dessen Fundament durch die genannte tektonische Verschiebung gerade untergraben wird. Es ist bezeichnend, dass Schmitt wiederholt von einer ‚solchen Definition‘ spricht, obwohl Schopenhauer das Unrecht mit diesen Worten gar nicht definiert hat, und es spricht für sich, dass er darin den ‚Ausdruck der allgemeinen Überzeugung‘ erblickt, ‚dass überhaupt alles Positive die Verneinung eines Negativen‘ sei. Insofern ist es zumindest verfänglich, wenn er klarstellt, dass dies mehr sei als eine ‚bloß sprachliche Umschreibung‘ (wie er selbst sie mit leichter Sinnverschiebung vorgenommen hat), sondern eine ‚determinierte Formulierung‘ bedeute. Dabei man sich fragen kann, ob nicht eher Schmitts Umgestaltung des Schopenhauerschen ‚Begriffs des Rechts‘ in das ‚Wesen des Rechts‘ ihrerseits eine ‚determinierte‘ bzw. determinierende Formulierung darstellt.¹⁹²
b) Bedenkliche Weichenstellung So stellt Schmitt die Weichen von allem Anfang an erkennbar anders, denn ihm zufolge wird – anstelle des Schopenhauerschen ‚Begriffs des Recht‘ – ‚das Wesen des Rechts nicht erklärt, sondern verneint‘. Es ist aber gar nicht gesagt, dass Schopenhauer das Wesen des Rechts verneint – noch, dass er es erklären wollte. Schmitt hingegen steuert mit einer bestimmten Zielrichtung von vornherein auf ‚das Wesen des Rechts‘ zu, wie die weit ausholende Periode vor dem eingangs zitierten Abschnitt zu erkennen gibt, nachdem er als ‚die grundlegende Frage aller Rechtsphilosophie (…) die Frage nach dem Wesen des Rechts‘ ausgemacht hat:
Zur Formulierung ‚wesentlich‘, die Schopenhauer dem ‚Begriff des Rechts‘ ohne weiteres hätte anfügen können, wenn es ihm darum zu tun gewesen wäre, siehe etwa PP II/ § S. , wonach der Staat „wesentlich eine bloße Schutzanstalt ist“. Ebenso zum Strafrecht, wonach der Strafzweck, „wesentlich auf die Zukunft gerichtet ist“ (WW I/ § S. ). Zum Wesensargument auch PP II/ § S. : „Armuth und Sklaverei sind also nur zwei Formen, fast möchte man sagen zwei Namen, der selben Sache, deren Wesen darin besteht, daß die Kräfte eines Menschen großentheils nicht für ihn selbst, sondern für Andere verwendet werden“; Hervorhebungen nur hier. Allgemein zur Problematik von Wesens-Argumenten Wilhelm Scheuerle, Das Wesen des Wesens, AcP () .
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„Aus dem Wesen des Rechts müssen sich seine Begründung und sein Sinn ergeben, ebenso wie die Bewertung der im Rechtsleben auftretenden Erscheinungen, die Grundsätze der Zusammenfassung eines Zeitraumes der Rechtsgeschichte zu einer Epoche, das Werturteil über eine einzelne solcher Epochen des Rechts und den Gang ihrer Aufeinanderfolge, die Entwicklung zu nennen, man erst nach einer Einigung über das Wesen des Rechts die wissenschaftliche Befugnis hat.“¹⁹³ Es ist also nicht gerade wenig, was Schmitt in seinem nur fünfseitigen Aufsatz über die Tragweite der Schopenhauerschen Begriffsbestimmung sagt, die er selbst für eine Wesensbestimmung hält – ganz von der Frage abgesehen, ob Schopenhauer angesichts einer gewissen Geschichtsskepsis die rechtsgeschichtliche Konnotation mit ihrer wertgeladenen Folgerung (‚das Werturteil über eine einzelne solcher Epochen‘) geteilt hätte.¹⁹⁴ Wie skeptisch Schopenhauer nämlich gegenüber einer Sinngebung der Weltgeschichte war, zeigt folgende Bemerkung aus dem handschriftlichen Nachlass, die Carl Schmitt ins Stammbuch geschrieben sein könnte:¹⁹⁵ „Wie schwer es sei, die Weltgeschichte in ihrem wahren Zusammenhang zu begreifen, beurtheile man, nachdem man sich erinnert hat, wie man die Vorgänge seines eigenen Lebens, zu mal die der jüngern Jahre, oft erst 10 bis 20 Jahre hinterher in ihrem wahren Zusammenhang begreift, über welchen man früher, durch Unerfahrenheit, in Täuschung geblieben“.¹⁹⁶
2. Das methodische Grundproblem Nicht von ungefähr diagnostiziert Schmitt einen Erklärungsbedarf hinsichtlich der Voraussetzungen der von ihm unzulässig verallgemeinernd wiedergegebenen Definition, weil sich dahinter ein methodisches Problem verberge: „Es bedarf daher einer genauen Prüfung ihrer (sc.: der genannten Definition bzw. ‚determinierten Formulierung‘) eigenen Voraussetzungen, ehe sie zur Grundlage eines philosophischen Systems gemacht wird, und erst recht da, wo ein aktueller Me Carl Schmitt, Schopenhauers Rechtsphilosophie außerhalb seines philosophischen Systems, Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform () . Oskar Friedrich Damm, Schopenhauers Rechts- und Staatsphilosophie. Darstellung und Kritik, , S. , macht unter Hinweis auf die abfälligen Äußerungen Schopenhauers über den Terminus der geschichtlichen Entwicklung geltend, dass Schopenhauer eine eher unhistorische Auffassung zueigen gewesen sei. Das ist zugegebenermaßen ein argumentum ad personam, aber durchaus im Sinne der eristischen Dialektik von Arthur Schopenhauer, Die Kunst, Recht zu behalten (/; Edition Arthur Hübscher, ). Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. ; Hervorhebungen auch dort.
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thodenstreit auf dieser Grundlage geklärt werden soll.“¹⁹⁷ Man sieht daran, dass die obigen Begriffsbestimmungen nicht lediglich einen Streit um Worte betreffen, sondern von ihnen nicht weniger als das Fundament eines philosophischen Systems abhängt. Bei allem schuldigen Respekt, den er an späterer Stelle der Philosophie Schopenhauers erweisen wird,¹⁹⁸ antwortet just darauf auch die dezidierte Ablehnung am Ende seines Aufsatzes: „Die eingangs erwähnte Frage, ob die Rechtsphilosophie Schopenhauers als Grundlage eines rechtsphilosophischen Systems übernommen werden könne, ist also zu verneinen.“
a) Individualität als Bezugspunkt des Rechts? Schmitt wirft Schopenhauer zunächst vor, dass entgegen seiner affirmativen Behauptung des Willens nicht dieser selbst, sondern die Individualität Bezugspunkt des Rechts sei: „Die Ausdrücke Bejahung und Verneinung des individuellen Willens setzen selbstständige Individualitäten voraus, die sich als solche gegen eine Verneinung verteidigen dürfen, und deren Wert somit in ihrer Individualität liegt. Für das Recht kommt demnach nicht der Wille in Betracht, sondern die Individualität, die für sich ein Recht auf Existenz und Nichtverneinung gegenüber den andern hat.“¹⁹⁹ So richtig der erste Satz ist, so problematisch ist die im zweiten Satz vorgenommene Sonderung von Wille und Individualität. Gewiss stimmt es, dass Schopenhauer den ‚individuellen Willen‘ meint, wie sich etwa auch aus einer bereits behandelten Stelle seines Hauptwerks ergibt.²⁰⁰ Auch ist nach dem ein-
Carl Schmitt, Schopenhauers Rechtsphilosophie außerhalb seines philosophischen Systems, Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform () . Ebenda, : „Alle diese Einwände sind mit dem Respekt vorgetragen zu denken, den jeder einem Mann wie Schopenhauer schuldig ist. Aber so imposant die fast gewalttätige Kraft der ‚Formation‘ ist, mit der rechtsphilosophische Inhalte von ihm seinem großartigen System eingefügt sind, so bedeuten sie in diesem System doch nur ein beiläufiges stilisiertes Ornament, das außerhalb dieses Zusammenhanges seinen Wert und seine Verwertbarkeit verliert“. – Ungeachtet ihrer Verbindlichkeit stellen diese Aussagen nicht nur Schopenhauers praktische Philosophie, sondern auch seinen Systemanspruch in Frage. Ebenda, . Vgl. nur Arthur Schopenhauer, WW I/ § S. : „Diese rein moralische Bedeutung ist die einzige, welche Recht und Unrecht für den Menschen als Menschen, nicht als Staatsbürger haben, die folglich auch im Naturzustande, ohne alles positive Gesetz, bliebe und welche die Grundlage und den Gehalt alles dessen ausmacht, was man deshalb Naturrecht genannt hat, besser aber moralisches Recht hieße, da seine Gültigkeit nicht auf das Leiden, auf die äußere Wirklichkeit, sondern nur auf das Thun und die aus diesem dem Menschen erwachsende Selbsterkenntniß seines individuellen Willens, welche Gewissen heißt, sich erstreckt, sich aber im Naturzustande
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gangs Bedachten richtig, dass sich die Frage des Rechts vor allem vor dem Hintergrund des in den unterschiedlichen Individuen zutage tretenden Egoismus’ stellt. Gerade das wurde am Ende des ersten Paragraphen dieser Abhandlung schließlich als Markenzeichen seiner individualistischen Rechtsanschauung erachtet.
b) Sonderung von Willen und Individualität? Dennoch lässt sich daraus schwerlich folgern, dass damit entgegen seinem systematischen Grundanliegen „die Konstruktion aus dem ‚Willen‘ entfällt, auf den Schopenhauer so viel Wert legt.“²⁰¹ Denn Willen und Individualität hängen für ihn zuinnerst zusammen; der Wille formt die Individualität, die wiederum Ausprägung des Willens ist. Dass Schmitt den ‚Willen‘ apostrophiert, verdeutlicht bereits äußerlich, dass er ihn gleichsam herausdividiert und seine Zielrichtung in Wahrheit die vom Willen gesonderte Individualität ist, deren Daseinsberechtigung aus sich selbst heraus er bezweifelt: „Sie (sc.: die Konstruktion Schopenhauers aus dem Willen) lässt unerklärt, woher das Recht des Individuums auf Nichtverneinung durch ein anderes Individuum stammt, warum eine solche Verneinung des Einzelwillens als solche Unrecht sein soll.“²⁰² Allmählich wird deutlich, dass Schmitts Angriffspunkt die Rechtsbegründung aus dem Einzelwillen ist, der keines Staates bedarf, um aus sich selbst heraus ein Recht auf Existenz und Unversehrtheit anderen gegenüber beanspruchen zu können. Denn weiter oben stellt Schmitt den individuellen Willen dem – man könnte hinzufügen: staatlicherseits verkörperten – „allgemeinen Willen“ entgegen, „der allem Leben und aller Erscheinung wesentlich ist“.²⁰³ Man könnte an dieser Stelle wiederum fragen, woher Schmitt das Attribut des „Wesentlichen“ nimmt. Zudem spiegelt der Relativsatz mit seinem vagen Bezugspunkt der ‚Erscheinung‘ zwar eine Schopenhauersche Konnotation wider, wohingegen das, worauf er sich bezieht, den allgemeinen Willen nämlich, eher einen Rousseauschen Anklang hat.
nicht in jedem Fall auch nach außen, auf andere Individuen, geltend machen und verhindern kann, daß nicht Gewalt statt des Rechts herrsche“; Hervorhebung nur hier. So aber Carl Schmitt, Schopenhauers Rechtsphilosophie außerhalb seines philosophischen Systems, Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform () , . Ebenda. Ebenda.
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c) Recht ohne staatliche Zuerkennung? Jedenfalls zeigt sich immer deutlicher, dass dasjenige, was Schmitt als für die Zuerkennung der Rechtsfähigkeit erforderliche und konstituierende Instanz hält, der Staat ist. In diesem Sinne paraphrasiert Schmitt auch eingangs seiner methodischen Betrachtung den Standpunkt Schopenhauers, indem er unmerklich den Staat in den Mittelpunkt rückt:²⁰⁴ „Alles Unrecht muß demnach Unrecht gegen einzelne Individuen sein, es gibt streng genommen kein Unrecht gegen den Staat oder eine Gesamtheit, und das ‚Recht‘ des Staates zu strafen, bedeutet weiter nichts als das einer großen Menge einzelner Individuen, ihrer Verneinung zu begegnen, während im Grunde alles Recht auf dem einzelnen Individuum beruht.“²⁰⁵ Dieser unscheinbar anmutende Nachsatz, der durch die Entgegensetzung wirkungsvoll betont wird, bedeutet den Stein des Anstoßes für Carl Schmitt: ein unbegründetes, aus sich selbst heraus vorderhand nicht begründbares Recht des Einzelnen ohne konstitutiv wirkende staatliche Zuerkennung, das gleichwohl wehrhaft ausgestaltet ist und in seiner Totalität so unbedingt ist, dass ‚alles Recht‘ – dies das eigentliche Skandalon für Schmitt – darauf gründet.
3. Recht des Individuums auf Nichtverneinung Der Sache nach, wenn auch nicht begrifflich, richtet sich Carl Schmitt gegen den methodischen Individualismus,²⁰⁶ an dem er unter anderem bemängelt, dass Schopenhauer nicht das Recht des Einzelnen ‚auf Nichtverneinung‘ begründet habe, wenn er für ‚unerklärt‘ hält, „woher das Recht des Individuums auf Nicht-
Pointiert Volker Neumann, Carl Schmitt als Jurist, , S. zur ‚Verfassungslehre‘ (): „Mit langen Zähnen räumt Schmitt ein, dass auch die Rechte des Einzelnen in Verbindung mit anderen Einzelnen ‚noch‘ als echte Grundrechte bezeichnet werden können. Das gelte aber nur, solange der Einzelne nicht aus dem unpolitischen Zustand des bloß Gesellschaftlichen heraustrete“. Ähnlich ders., Carl Schmitts Beitrag zur Grundrechtsdogmatik, Freundesgabe für Bernhard Schlink, , S. . – Auch daran lässt sich ermessen, dass Schmitts von Vielen hochgelobte Werke vor eine deutlich anti-individualistische Tendenz aufweisen, in die sich sein Schopenhauer-Aufsatz bruchlos einfügt. Carl Schmitt, Schopenhauers Rechtsphilosophie außerhalb seines philosophischen Systems, Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform () , . Treffend Reinhard Mehring, „eine rein interne jüdische Angelegenheit“. Carl Schmitts „Wahndialog“ mit Wagner, in: wagnerspectrum. Schwerpunkt Wagner und das Komische (Hg. Udo Bermbach/Dieter Borchmeyer/Hermann Danuser/Sven Friedrich/Ulrike Kienzle/Hans R. Vaget), wagnerspectrum () , , der auch darauf hinweist, dass der Aufsatz ein kleineres Komplement darstellt zu der zwei Jahre später als Habilitationsschrift eingereichten Veröffentlichung Carl Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, .
III. Carl Schmitt versus Schopenhauer
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verneinung durch ein anderes Individuum stammt,warum eine solche Verneinung des Einzelwillens als solche Unrecht sein soll.“²⁰⁷ Dieser Einwand ist erstaunlich. Die geforderte Herleitung eines ‚Recht auf Nichtverneinung‘ lässt tief blicken, auch wenn man Schmitt zugute halten muss, dass viele Einwände gegen Schopenhauer gerade dessen Befürwortung der Todesstrafe betreffen:²⁰⁸ „Wenn nun der Staat den einzelnen zur Verantwortung zieht, wenn er so weit geht, daß er eine Hinrichtung vornimmt – ‚mit vollem Recht‘ sagt Schopenhauer – so fragt sich, wie dieses volle Recht zu begründen sei“.²⁰⁹ Der im Schopenhauer-Aufsatz zum Ausdruck kommende ‚Anti-Individualismus‘²¹⁰ ist denn auch der Nährboden seiner späteren Staatsphilosophie. Wenn Schmitt auch Schopenhauers „Begründung der Autorität des Staates“ kritisiert,²¹¹ dann ist dieser frühe Aufsatz gleichsam Vorbote seines eineinhalb Jahrzehnte später verfassten Buchs über Thomas Hobbes.²¹²
4. Schopenhauers Prämisse der Rechtsfähigkeit Bedenklich stimmt Schmitts oben bereits zitierte Schopenhauer-Paraphrase: „Für das Recht kommt demnach nicht der Wille in Betracht, sondern die Individualität, die für sich ein Recht auf Existenz und Nichtverneinung gegenüber den andern hat.“²¹³ Demgegenüber wäre Schopenhauer wohl gar nicht erst auf den Gedanken verfallen, ‚ein Recht auf Existenz und Nichtverneinung gegenüber dem andern‘ eigens aufzählen geschweige denn begründen zu müssen. Ein solches Recht auf
Carl Schmitt, Schopenhauers Rechtsphilosophie außerhalb seines philosophischen Systems, Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform () , . Vittorio Hösle, Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie, , S. (dazu Jens Petersen, ARSP , , ), macht darauf aufmerksam, dass Schmitts Argumente gegen die Todesstrafe nicht auf dem Notwehrrecht gründen. Carl Schmitt, Schopenhauers Rechtsphilosophie außerhalb seines philosophischen Systems, Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform () , . Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall, , S. , der diesen Aufsatz zutreffend kommentiert: „Mit der ‚allgemeinen Überzeugung, dass überhaupt alles Positive die Verneinung eines Negativen‘ ist, verwirft er die ganze Metaphysik des Pessimismus. Schmitt verbietet dem Individuum alle Exaltationen, die er privat erlitt. Seine Erfahrung von Abhängigkeit zeigt ihm, dass Individuen sozialen Zuschreibungen gegenüber relativ ohnmächtig sind. Der juridische AntiIndividualismus ist eine Konstante des Frühwerks“. Carl Schmitt, Schopenhauers Rechtsphilosophie außerhalb seines philosophischen Systems, Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform () , . Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, , . Auflage . Carl Schmitt, Schopenhauers Rechtsphilosophie außerhalb seines philosophischen Systems, Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform () , .
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Existenz und auf Nichtverneinung des Willens des Einzelnen ist bei Schopenhauer gleichsam axiomatisch mitgedacht. Es ist geradezu eine befremdliche Vorstellung, dies explizit herleiten zu müssen. Schopenhauer geht in seinem gesamten System von der universellen Rechtsfähigkeit des Einzelnen, von seinem Recht auf Leben aus. Letztlich nimmt Schmitt daran Anstoß, dass es an einer überindividuellen Instanz fehle, die erst Rechtsfähigkeit verleihen könne. Das ist von seinem – überaus anfechtbaren – Ausgangspunkt zwar konsequent, verfehlt aber Schopenhauers Anliegen. Auch im Übrigen versucht Schmitt geflissentlich, Absurditäten in Schopenhauers Theorie aufzuspüren: „Streng genommen hat nur der das Recht auf Verneinung der Verneinung, dessen Wille im konkreten Fall verneint ist. Bei Mord wäre das der Getötete“.²¹⁴ Aber Schopenhauer geht es ersichtlich gerade in solchen Fällen um eine Sanktionsinstanz in Gestalt des Staates, die anstelle des Getöteten die Sanktion verhängen kann.
5. Mangelnde Berücksichtigung der Gerechtigkeit Auf den ersten Blick scheint es keinen inhaltlichen Unterschied zu machen, ob man mit Schopenhauer vom Begriff oder, wie Schmitt, vom Wesen des Rechts spricht. Dass es jedoch mehr ist als ein Streit um Worte, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Schopenhauer Recht und Gerechtigkeit nicht trennscharf voneinander unterscheidet.Wenn man daher, wie es Schmitt versucht, vom Wesen des Rechts spricht und dieses auf Schopenhauer bezieht, dann müsste man über das Rechtsverständnis hinaus Schopenhauers Vorstellung von der Gerechtigkeit in Betracht ziehen. Erst die Zusammenschau all dessen, was er unter Recht und Gerechtigkeit versteht, ermöglicht ansatzweise einen Blick auf das ihm vorschwebende ‚Wesen des Rechts‘. Wäre es also Schmitt wirklich um die Frage gegangen, ob Schopenhauers Rechtsphilosophie, wie es hier angenommen wird, einen integralen Bestandteil seines Systems darstellt oder, wie der Titel seines Beitrags insinuiert, außerhalb dessen besteht,²¹⁵ und, – wie man wohl ergänzen darf, davon abgesondert betrachtet und gegebenenfalls als systemfremd verworfen werden kann –, wäre es ihm also darum zu tun gewesen, dann hätte Schmitt zumindest die von Schopenhauer mitunter in einem Atemzug genannte Ungerechtigkeit mit be-
Carl Schmitt, Schopenhauers Rechtsphilosophie außerhalb seines philosophischen Systems, Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform () , . Carl Schmitt, Schopenhauers Rechtsphilosophie außerhalb seines philosophischen Systems, Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform () .
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rücksichtigen müssen und wäre vor allem nicht umhin gekommen, ihren Gegenpol, die Gerechtigkeit – und zwar die ‚zeitliche‘ wie die ‚ewige‘ – zu betrachten.²¹⁶
IV. Abgrenzung zu anderen Staatszweckbestimmungen Mit Schopenhauers vergleichsweise einfacher Funktionsbestimmung des Staates als Schutzanstalt geht die Leugnung weitergehender Zwecke einher.²¹⁷ Schopenhauer benutzt dies einmal mehr zur brüsken Abgrenzung gegenüber dem von ihm sonst hoch verehrten Kant, „der aus seinem kategorischen Imperativ die Errichtung des Staats als eine moralische Pflicht sehr fälschlich ableitet“ (WW I/2 § 62 S. 430).²¹⁸ Zeitgenössische Staatstheoretiker, die Schopenhauer nicht einmal einer Nennung würdigt, werden regelrecht abgekanzelt, und es bedarf keiner besonderen Phantasie, um hinter der inkriminierten Anschauung „der Staat sei eine Anstalt zur Beförderung der Moralität“, einen Seitenhieb auf Hegel zu wähnen.²¹⁹ Dagegen höhnt er: „Als ob die innere Gesinnung, welcher allein Moralität oder Immoralität zukommt, der ewig freie Wille, sich von außen modificiren und durch Einwirkung ändern ließe!“ (WW I/2 § 62 S. 430). Auch später wendet sich Schopenhauer mit Verve gegen die genannte Anschauung, die nunmehr mit schärfsten Worten zurecht gewiesen wird: „Von diesem Gesichtspunkt aus sieht man deutlich die Bornirtheit und Plattheit der Philosophaster, welche, in pompösen Redensarten, den Staat als den höchsten Zweck und die Blüthe des menschlichen Daseyns darstellen und damit eine Apotheose der Philisterei liefern“ (PP II/1 § 123 S. 263). Die letztgenannte Schmähung der ‚Apotheose der Philisterei‘ hat bereits Thomas Mann in seinen Betrachtungen eines Unpolitischen auf Hegel bezogen.²²⁰ So unberechtigt es in der
Siehe nur Arthur Schopenhauer, GM § S. : „Die Ungerechtigkeit, oder das Unrecht, besteht demnach allemal in der Verletzung eines Andern“; Hervorhebungen auch dort. Zum Ganzen auch Ewald Bucher, Schopenhauer und der Staat, Schopenhauer-Jahrbuch () . Vgl. auch Jörg Salaquarda, Erwägungen zur Ethik. Schopenhauers kritisches Gespräch mit Kant und die gegenwärtige Diskussion, Schopenhauer-Jahrbuch () . Siehe auch Johannes Schubert, Die Auffassung vom Staat bei Schopenhauer und Hegel, Schopenhauer-Jahrbuch () . Thomas Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen, – (zitiert nach der Großen Kommentierten Frankfurter Ausgabe. Werke, Briefe, Tagebücher, Hg. Hermann Kurzke, , Band ., S. f).: „Der Philister ist Spießbürger, Staatsbürger und nichts als das, nichts darüber hinaus; wie denn Schopenhauer, der den Staat für eine Schutzanstalt gegen die eingeborene Ungerechtigkeit des Menschengeschlechtes erklärt, auf die ‚Philosophaster‘ (nämlich
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Sache sein mag, ist Schopenhauer auch hiermit wieder einmal ein geflügeltes Wort gelungen.
1. Schopenhauer als Monarchist Schopenhauer macht keinen Hehl daraus, dass er überzeugter Monarchist ist. Alle anderen Staatsformen scheinen ihm minderwertig im Vergleich zur erblichen Monarchie: „Bis dahin aber läßt sich schon etwas dadurch erreichen, daß es eine Familie giebt, deren Wohl von dem des Landes ganz unzertrennlich ist; so daß sie, wenigstens in Hauptsachen, nie das Eine ohne das Andere befördern kann. Hierauf beruht die Kraft und der Vorzug der erblichen Monarchie“ (WW I/2 § 62 S. 428).
a) Konservativismus und Evolutionismus Es überrascht, dass ein so scharfsichtiger, die menschlichen Abgründe durchschauender und tiefblickender Geist, wie derjenige Schopenhauers, eine so schlichte Lösung der Regierungsfrage als das geringste Übel favorisieren konnte. Was man einem Montaigne, der ein Vierteljahrtausend zuvor und vor aller Aufklärung geboren wurde, ohne weiteres nachsehen konnte und als Bekenntnis seines eingefleischten Konservativismus’ werten durfte,²²¹ ist bei seinem Leser Schopenhauer nurmehr unverständlich, weil unkritisch übernommen. Welch seltsame Blüten seine an der Evolution ausgerichteten Analogien in dieser Hinsicht treiben, veranschaulicht die in diesem Zusammenhang heranzuziehende Begründung:²²² „Ueberhaupt aber ist die monarchische Regierungsform die dem Menschen natürliche; fast so, wie sie es den Bienen und Ameisen, den reisenden Kranichen, den wandernden Elephanten, den zu Raubzügen vereinigten Wölfen und andern Thieren mehr ist, welche alle Einen an die Spitze ihrer Unternehmung stellen“ (PP II/1 § 127 S. 276). Es ist eigentümlich, welche Anleihen Schopenhauer
Hegel) schimpft, ‚welche in pompösen Redensarten den Staat als den höchsten Zweck und die Blüte des menschlichen Daseins darstellen und damit eine Apotheose der Philisterei liefern‘“; Hervorhebungen auch dort. Paul F. H. Lauxtermann, Science and Philosophy. Schopenhauer’s Broken World-View. Colours and Ethics between Kant and Goethe, , vor Fußnote ,versteht dieses Wort gleichfalls als gegen Hegel gerichtet. Dazu auch Klaus von Beyme, Geschichte der politischen Theorien in Deutschland – , , S. . Näher Jens Petersen, Montaignes Erschließung der Grundlagen des Rechts, , § . Siehe auch Johannes Vandenrath, Evolution und Erkenntnis, Schopenhauer-Jahrbuch () ; ders., Schopenhauer und die Evolutionslehre, Schopenhauer-Jahrbuch () .
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bei der Biologie nimmt, doch muss man zu seinen Gunsten immerhin berücksichtigen, dass er sich als einer der ersten mit der Problematik der Rechtsfähigkeit von Tieren beschäftigt hat²²³ und als Pionier der Umweltbiologie gelten kann.²²⁴ Ungleich sonderbarer – und daher hier zu übergehen – sind allerdings die nachfolgenden hirnphysiologischen, astronomischen und sonstigen kruden Gründe, die Schopenhauer für die Vorzugswürdigkeit der absoluten Monarchie anführt. Einzig der Gesichtspunkt der Erstgeborenenrechte, den bereits Adam Smith betont hat,²²⁵ verdient Hervorhebung, und zwar nicht weil er etwa richtig wäre, sondern weil er sein Rechtsdenken veranschaulicht, das trotz oder gerade wegen der Betonung des Willens im Vorhinein starr feststehende Konstanten sucht: „Eben so nun kann das künstliche und arbiträre Regierungssystem, dessen Grundlage Vorrechte der Geburt sind, durch kein natürliches, welches nur die Vorrechte des persönlichen Werthes gelten läßt, ersetzt werden; weil es einem solchen, so sehr es auch der Vernunft angemessen wäre, an der Sicherheit und Festigkeit der Bestimmungen fehlt, welche allein die Stabilität des gemeinen Wesens sichern.“²²⁶
b) Scheinbares Bekenntnis zur Gewaltenteilung Auch im zweiten Band seines Hauptwerks bekennt er sich zur erblichen Monarchie, allerdings mit einer Einleitung, die zunächst fortschrittlich erscheint, nämlich wie eine an Montesquieu gemahnende Rekapitulierung der Gewaltenteilung: „Diese (sc. die Sicherstellung des öffentlichen Rechts) scheint am voll-
Hervorzuheben ist in diesem Sinne etwa eine ausführliche Fußnote Schopenhauers aus dem vierten Buch seines Hauptwerks (WW I/ § S. ), die im Hinblick auf die viel diskutierte (vgl. nur Jens Petersen, Anthropozentrik und Ökozentrik im Umweltrecht, ARSP , , ) Frage nach der Rechtsfähigkeit von Tieren aufschlussreich ist. Schopenhauer bestimmt hier anhand seiner Theorie unter anderem „den Grad des Gebrauchs, den der Mensch ohne Unrecht von den Kräften der Thiere machen darf, welchen man aber oft überschreitet, besonders bei Lastthieren und Jagdhunden (…) auch erstreckt jenes Recht, meiner Ansicht nach, sich nicht auf Vivisektionen, zumal der oberen Thiere“. Näher Georg Küpper, Recht und Ethik im Umwelt- und Tierschutz, . Vittorio Hösle, Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie, , S. , hebt mit Recht „seine außerordentliche Kompetenz in der Biologie“ hervor und macht auf den wichtigen Umstand aufmerksam, dass „die Umweltbiologie auf ihn zurückgeht“. Siehe auch Hansjochen Autrum, Der Wille in der Natur und die Biologie heute, Schopenhauer-Jahrbuch () . Näher Jens Petersen, Adam Smith als Rechtstheoretiker, , S. f. Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. ; Hervorhebungen auch dort.
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kommensten dadurch erreichbar, daß man die Dreieinigkeit der schützenden Macht, also die Legislative, die Judikative und die Exekutive von einander sondert und trennt, so daß jede von Andern und unabhängig von den übrigen verwaltet wird“ (WW II/2 Kap. 47 S. 697). Der folgende Satz mutet dann allerdings an wie eine Karikatur der Gewaltenteilung, indem er sie in einer reaktionären Weise umkehrt, dass von ihnen nichts mehr übrig bleibt bzw. nur das, was mit ihr eigentlich überwunden werden soll, nämlich der Absolutismus in seiner reinsten Prägung: „Der große Werth, ja die Grundidee des Königthums scheint mir darin zu liegen, daß, weil Menschen Menschen bleiben, Einer so hoch gestellt, ihm so viel Macht, Reichthum, Sicherheit und absolute Unverletzlichkeit gegeben werden muß, daß ihm für sich nichts zu wünschen, zu hoffen und zu fürchten bleibt; wodurch der ihm, wie Jedem, einwohnende Egoismus, gleichsam durch Neutralisation, vernichtet wird, und er nun, gleich als wäre er kein Mensch, befähigt ist, Gerechtigkeit zu üben und nicht mehr sein, sondern allein das öffentliche Wohl im Auge zu haben“ (WW II/2 Kap. 47 S. 697 f.).
c) Schopenhauer als leutseliger Optimist Erneut ist unverständlich, wie Schopenhauer einer so plumpen Annahme verfallen kann. Mit der schlichten Begründung, ‚weil Menschen Menschen bleiben‘, hebt er einen von ihnen hervor, will ihn so reich machen, dass ihm nichts zu wünschen bleibt, womit der große Pessimist zum leutseligen Optimisten wird. Denn seiner an La Rochefoucauld geschulten Anthropologie hätte es viel eher entsprochen, die abgrundtiefe Niedrigkeit der Menschennatur in Rechnung zu stellen: Wer schon solchermaßen exorbitante finanzielle Mittel eingeräumt bekommt, dass er vorderhand keine weiteren mehr wünscht, wird im krassen Gegenteil zu dem von Schopenhauer Angenommenen noch mehr begehren. Die stoische Lehre, wonach die Befriedigung der Bedürfnisse über das Notwendige hinaus immer neue Wünsche und Begierden gebiert, hat Schopenhauer ebenso unberücksichtigt gelassen wie die von La Rochefoucauld und den anderen französischen Moralisten gegeißelte Eitelkeit als Triebfeder aller Handlungen,²²⁷ die Schopenhauer sonst geflissentlich beachtet.
Grundlegend dazu Karlheinz Stierle, Die Modernität der französischen Klassik. Negative Anthropologie und funktionaler Stil, in: Französische Klassik (Hg. Fritz Nies/Ders.), S. ; vgl. auch Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, . Auflage , S. ff.
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2. Kritik des Utilitarismus’ Ohne jede Begründung konstatiert er indes: „Hingegen ist das republikanische System dem Menschen so widernatürlich, wie es dem höhern Geistesleben, also Künsten und Wissenschaften, ungünstig ist“ (PP II/1 § 127 S. 277). Interessant ist lediglich, was er seinerzeit an den Vereinigten Staaten von Amerika beobachtet, die er skeptisch beurteilt: „Denn, bei aller materiellen Prosperität des Landes, finden wir daselbst als herrschende Gesinnung den niedrigen Utilitarianismus (…). Und sogar noch schlimmere Dinge sind dort an der Tagesordnung, nämlich himmelschreiende Negersklaverei, verbunden mit äußerster Grausamkeit gegen die Sklaven, ungerechteste Unterdrückung der freien Schwarzen, lynchlaw“ (PP II/1 § 127 S. 275).²²⁸ Ideengeschichtlich aufschlussreich ist gewiss seine Beobachtung des vorherrschenden Utilitarismus,²²⁹ mehr noch die dort andeutungsweise zum Ausdruck kommende Verbindung zwischen materiellem Wohlstand und der von ihm weiter unten so genannten „stupiden anglikanischen Bigotterie“, die – ungeachtet anderweitiger konfessioneller Zuschreibung – die später von Max Weber beobachtete These des Zusammenhangs zwischen Religion, dort in Gestalt protestantischer bzw. calvinistischer Ethik, und wirtschaftlicher Prosperität andeutungsweise vorwegzunehmen scheinen.²³⁰ Egoismus und Utilitarismus gehen für ihn gewöhnlich Hand in Hand: „Ein gewöhnliches Phänomen dieses Egoismus ist, daß in der Regel Jeder, wenn er eine neue Bekanntschaft macht, zuerst überlegt, ob er diesen neuen Bekannten nicht als Mittel zu seinen Zwecken gebrauchen könne, und so sieht denn überhaupt Jeder den Andern zuerst darauf an, ob er nicht ein Mittel zu seinen Zwecken, ein Werkzeug, aus ihm machen könne, wobei es ihn wenig kümmern wird, ob das Werkzeug beim Gebrauch mehr oder weniger leidet.“²³¹ Auch diese Stelle zeigt,wie Schopenhauer die kantische Philosophie empirisch anreichert und vermöge seiner psychologischen Genialität mit den elementaren Einsichten der französischen Moralisten zu verbinden versteht.
Siehe dazu auch Willy Giessler, Das Mitleid in der neueren Ethik, , S. . Oliver Hallich, Mitleid und Moral. Schopenhauers Leidensethik und die moderne Moralphilosophie, , S. Fußnote , bemerkt mit gutem Grund, dass Schopenhauer „eher mit einem ‚negativen Utilitarismus‘ der Leidensminimierung als mit einem ‚positiven‘ der Glücksmaximierung in Verbindung zu bringen ist“. Näher Jens Petersen, Max Webers Rechtssoziologie und die juristische Methodenlehre, . Auflage , § und öfter m.w.N. Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. .
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V. Staatsidee und Gerechtigkeit der Gesinnung Bei all seinen eingefleischten Vorurteilen, die er nur zu gern bestätigt sah, ist Schopenhauer zugleich eine bemerkenswerte rechtssoziologische Hellsichtigkeit zu eigen. Auch dass er das himmelschreiende Unrecht der Sklaverei anprangerte und damit von der Gleichheit der Menschen mit unverfügbarer, universaler Rechtsfähigkeit und Menschenwürde ausging,²³² ist Ausfluss unzeitgemäßer, fortschrittlicher Gesinnung. Insofern ist der weiter oben zitierte Satz aus seinem Hauptwerk vielleicht doch etwas mehr als eine unerfüllbare Utopie: „Wenn der Staat seinen Zweck vollkommen erreicht, wird er die selbe Erscheinung hervorbringen, als wenn vollkommene Gerechtigkeit der Gesinnung allgemein herrschte“ (WW I/2 § 62 S. 430 f.).
1. Gerechtigkeit der Gesinnung Damit ist die für Schopenhauer zentrale Gerechtigkeit der Gesinnung angesprochen. Sie wird von Schopenhauer nicht ausdrücklich so bezeichnet, sondern in der Abgrenzung zur höherwertigen Güte der Gesinnung zum Ausdruck gebracht (WW I/2 § 67 S. 465).
a) Individualistische Prägung Wie der Name bereits erkennen lässt, ist die Gerechtigkeit der Gesinnung im Subjekt selbst verortet. Es geht um die Willensrichtung, die sich in böse Handlungen, gerechte und wahrhaft gute aufgliedert. Die Gesinnung der Gerechtigkeit ist dabei zwischen derjenigen der Bosheit auf dem unteren Ende der Skala und der Güte auf dem oberen Ende der Skala angesiedelt. In seiner Dissertation Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde kommt das Rangverhältnis und die individualistische Prägung dieser Gerechtigkeitsvorstellung bereits deutlich zum Ausdruck: „Aus der Durchschauung des Erscheinungscharakters der Individualität geht die Gerechtigkeit und Güte der Gesinnung hervor, das Mitleid,²³³ die reine Liebe.“ Daher ist insbesondere die Gerechtigkeit der Gesinnung
Nicht vertieft werden kann hier die Frage nach der Rechtsfähigkeit von Tieren; näher Gerhard Zoebe, Sind die Tiere rechtlos, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Georg Küpper, Recht und Ethik im Umwelt- und Tierschutz, ; Jens Petersen, Anthropozentrik und Ökozentrik im Umweltrecht, ARSP () . Näher dazu David E. Cartwright, Compassion as Moral Clairvoyance.The Core and the Poodle, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Marie-Christine Beisel, Mitleid – Neuronales Spiegeln von
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Ausdruck jener Haltung, die den Gedanken an die Verübung eines Unrechts gar nicht erst aufkommen lässt. Der individualistische Ursprung kommt im Hauptwerk noch deutlicher zur Geltung. Schopenhauer drückt es dort so aus, „daß Derjenige, welcher jene bloß moralische Gränze zwischen Unrecht und Recht freiwillig anerkennt und sie gelten läßt, auch wo kein Staat oder sonstige Gewalt sie sichert, folglich, unserer Erklärung gemäß, nie in der Bejahung seines eigenen Willens bis zur Verneinung des in einem anderen Individuo sich darstellenden geht, – gerecht ist“ (WW I/2 § 66 S. 459). Wer also wahrhaft gerecht gesinnt ist, denkt von vornherein nicht an die Begehung von Straftaten, begehrt fremdes Eigentum nicht und verübt keine Gewalt.
b) ‚Freiwillige Gerechtigkeit‘ Die Gerechtigkeit der Gesinnung führte Schopenhauer auch in seiner Preisschrift Über Die Grundlage der Moral unter der Überschrift der Tugend der Gerechtigkeit aus (GM § 17 S. 252). In seinem Hauptwerk nennt er sie zudem ‚freiwillige Gerechtigkeit‘ (WW I/2 § 66 S. 461). Die Gerechtigkeit der Gesinnung kommt also im Unterschied zur Boshaftigkeit auf der einen Seite und zur wahren Güte auf der anderen Seite darin zum Ausdruck, dass „der bloß Gerechte dabei stehn bleibt, es (sc. das Unrecht) nicht zu verursachen“ (WW I/2 § 66 S. 461). Der Gerechte gerät folglich mit dem Gesetz gar nicht erst in Konflikt und meidet jede Verletzung eines anderen, indem er das Rechtsgebot des neminem laedere strikt einhält: „In dieser Gerechtigkeit liegt, wenn man auf das Innerste derselben sieht, schon der Vorsatz, in der Bejahung des eigenen Willens nicht so weit zu gehn, daß sie die fremden Willenserscheinungen verneint, indem sie solche jenem zu dienen zwingt“ (WW I/2 § 66 S. 460).
c) Gerechtigkeit und Güte der Gesinnung Der Übergang dieser Gerechtigkeit der Gesinnung zur höherwertigen Güte der Gesinnung ist nicht klar definiert. Die Grenzen verlaufen fließend, weil auch die Gerechtigkeit der Gesinnung graduell unterschiedlich ausgeprägt sein kann: „Der höchste Grad dieser Gerechtigkeit der Gesinnung, welcher aber immer schon mit der eigentlichen Güte, deren Charakter nicht mehr bloß negativ ist, gepaart ist, Gefühlen?, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Gerard Mannion, Mitleid, Metaphysics and Morality. Unterstanding Schopenhauer’s Ethics, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Michael Hauskeller, Durch Leiden lernen. Schopenhauer zwischen Mitleid und Weltüberwindung, Schopenhauer-Jahrbuch () .
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geht so weit, daß man seine Rechte auf ererbtes Eigenthum in Zweifel zieht, den Leib nur durch die eigenen Kräfte, geistige oder körperliche, erhalten will, jede fremde Dienstleistung, jeden Luxus als einen Vorwurf empfindet, und zuletzt zur freiwilligen Armut greift“ (WW I/2 § 66 S. 460). Überaus aufschlussreich im Hinblick auf die juristische Geistesgeschichte ist das Beispiel, das Schopenhauer hierfür gibt, nämlich die asketische Lebensweise des späten Blaise Pascal. Über ihn sagt nun Schopenhauer: „So sehn wir den Pascal, als er die asketische Richtung nahm, keine Bedienung mehr leiden wollen, obgleich er Dienerschaft genug hatte: seiner beständigen Kränklichkeit ungeachtet, machte er sein Bett selbst, holte selbst sein Essen aus der Küche usw.“ (WW I/2 § 66 S. 460).²³⁴
d) Eschatologische Divergenz im Beweggrund Man darf allerdings nicht den unterschiedlichen inneren Beweggrund übersehen, der einerseits Pascal zu seiner selbst auferlegten Armut bewegt hat, andererseits Schopenhauer faszinierte. Es ist letztlich die eschatologische Divergenz zwischen beiden Lebensformen:²³⁵ Pascal ging es allein um ein Leben nach den Geboten der Bergpredigt; seine Christozentrik und der – nicht immer heilsame – Einfluss seiner religiösen Lehrer in Port Royal erlegten ihm diese Lebensweise auf. Schopenhauer hingegen ist jede christliche Prägung fremd; es geht ihm hier nur um die Erscheinungsform. Das zeigt sich auch daran, dass er übergangslos von der Gerechtigkeit mancher Hindu spricht, deren Askese ihm ebenfalls als Gerechtigkeit der Gesinnung in die Richtung der Güte erscheint.²³⁶ Welche Lebensform und religiöse Bindung er im Vergleich für überlegen hält, hat Schopenhauer an anderer Stelle geradezu apodiktisch und prophetisch zusammenzufassen versucht: „In Indien fassen unsere Religionen nie und nimmermehr Wurzel:²³⁷ die Urweisheit des Menschengeschlechts wird nicht von den Begebenheiten in Galiläa verdrängt
Unter Verweis auf die Lebensbeschreibung Pascals durch seine Schwester. Zu dieser Stelle eingehend Jens Petersen, Blaise Pascals Gedanken über Gerechtigkeit und Ordnung, , S. . Zur Eschatologie Heinz Gerd Ingenkamp, Nicht-Sein oder Nicht-So-Sein? Eudaimonologie und Eschatologie bei Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () . Siehe auch Paul Janssen, Die asketische Ethik Schopenhauers und des Christentums. Zur Irreduzibilität philosophisch-weltanschaulicher Pluralität, Schopenhauer-Jahrbuch () . Zu Schopenhauers Religions-Verständnis auch Paul Deussen, Schopenhauer und die Religion, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Hans Zint, Das Religiöse bei Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Max Horkheimer, Bemerkungen zu Schopenhauers Denken im Verhältnis zu Wissenschaft und Religion, Schopenhauer-Jahrbuch () ; ders., Religion und Philosophie, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Jörg Salaquarda, Schopenhauer und die Religion, Schopenhauer-Jahrbuch () .
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werden. Hingegen strömt Indische Weisheit nach Europa zurück und wird eine Grundveränderung in unserm Wissen und Denken hervorbringen“ (WW I/2 § 63 S. 444).²³⁸
2. Der Staat als moralische Anstalt Mit der potentiellen Verwirklichung der Gerechtigkeit der Gesinnung im Staat sind freilich auch die Bedingungen gestellt. Diese bestehen darin, dass insofern die Moral herrsche, als deren Unterpunkt der reinen Rechtslehre sich in jeder gesetzgeberischen Handlung durch die von Schopenhauer vorausgesetzte Umkehrung abbildet: „Aber nur wenn die positive Gesetzgebung im Wesentlichen durchgängig nach Anleitung der reinen Rechtslehre bestimmt ist und für jede ihrer Satzungen ein Grund in der reinen Rechtslehre sich nachweisen läßt, ist die entstandene Gesetzgebung eigentlich ein positives Recht und der Staat ein rechtlicher Verein, Staat im eigentlichen Sinn des Worts, eine moralisch zulässige, nicht unmoralische Anstalt“ (WW I/2 § 62 S. 431 f.). Gerade die letzten Worte kontrastieren wohltuend mit dem eher martialisch anmutenden Begriff des Staats als ‚Schutzanstalt‘, wie er ihn im zweiten Band seines Hauptwerks voraussetzt und ausführt (WW II/2 Kap. 47 S. 696; PP II/1 § 123 S. 263). Wie eine Vorwegnahme der berühmten Radbruchschen Formel²³⁹ wirkt überdies das Szenario, das Schopenhauer mit wenigen Worten aufscheinen lässt: „Widrigenfalls ist hingegen die positive Gesetzgebung Begründung eines positiven Unrechts, ist selbst ein öffentlich zugestandenes erzwungenes Unrecht“ (WW I/2 § 62 S. 432). Hier ist – nicht von ungefähr am Beispiel der Despotie – die Idee eines gesetzlichen Unrechts, das keine Gefolgschaft verdient, weil es moralisch nicht gerechtfertigt ist klar erkannt und mit ganz ähnlichen Worten beschrieben, wie sie später Gustav Radbruch ausgeformt hat.²⁴⁰
Zu dieser Stelle Karl Hubertus Eckert, „Grundveränderung in unserem Wissen und Denken.“ Arthur Schopenhauers Prognose einer indischen Renaissance in Europa, Schopenhauer-Jahrbuch () . Siehe auch im Schopenhauer-Jahrbuch () einerseits Freny Mistry, Der Buddhist liest Schopenhauer (S. ); andererseits Hans Ohly, Der Christ liest Schopenhauer (S. ). Vgl. auch Siegfried Krampe, Schopenhauers Erlösungslehre und das Christentum, SchopenhauerJahrbuch () ; Eugen Hildebrand, Schopenhauers Umgang mit der Bibel, SchopenhauerJahrbuch () . Zu ihr etwa Giuliano Vassalli, Radbruchsche Formel und Strafrecht, . Gustav Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, Süddeutsche JuristenZeitung , S. .
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Schopenhauer geht davon aus, dass ein Recht auch außerhalb des Staates denkbar sei. Diejenigen, die dies, wie Schopenhauer sagt, ‚mit Spinoza‘²⁴¹ – man könnte auch hinzufügen: mit Kant – leugnen, „verwechseln die Mittel, das Recht geltend zu machen, mit dem Recht“ (WW II/2 Kap. 47 S. 696). Der Staat ist demnach nicht mehr als die nötige Schutzanstalt, die zur Geltendmachung dieser Rechte erforderlich ist. Allein vermöchte der Einzelne dies nicht, nur im Verbund mit den anderen, deren Rechte gleichermaßen durch ungerechtfertigte Angriffe gefährdet sind, ist er dazu im Stande. Nochmals betont Schopenhauer in Anlehnung an Hobbes: „Denn der schlimmste Feind des Menschen ist der Mensch“ (WW II/2 Kap. 47 S. 697). Mit einer gleichsam platonischen Antwort auf die Frage, wer die Wächter bewacht, wendet sich Schopenhauer dem allfälligen ‚Schutz gegen den Beschützer‘ zu, „d. h. gegen Den, oder Die, welchen die Gesellschaft die Handhabung des Schutzes übertragen hat, also Sicherstellung des öffentlichen Rechtes“ (WW II/2 Kap. 47 S. 697).²⁴²
3. Das ‚Problem der Staatskunst‘ Schopenhauer war zu realistisch und hat den Menschen zu genau auf den Grund ihres – nach seiner Vorstellung: ungerechten – Herzens geschaut, als dass er sich über die praktische Wirksamkeit der Gerechtigkeit der Gesinnung irgendwelchen Illusionen hingegeben hätte. Ihm war daher klar, dass es einer effektiven Durchsetzung dieser Grundsätze auf der Ebene des Staates bedürfe, die zur Not auch gegen den Willen einzelner Individuen ermöglicht werden müsse.
Hierzu aus dem älteren Schrifttum Samuel Rappaport, Schopenhauer und Spinoza, ; ferner Henry Walter Brann, Schopenhauer and Spinoza, Journal for History of Philosophy () ; ders., Schopenhauer und Spinoza, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Dieter Birnbacher, Freiheit durch Selbsterkenntnis. Spinoza – Schopenhauer – Freud, SchopenhauerJahrbuch () ; Ortrun Schulz, Schopenhauers Ethik – die Konsequenz aus Spinozas Metaphysik?, Schopenhauer Jahrbuch () ; Jens Lemanski, Vom Alles zum Nichts oder die Überwindung des dogmatischen Spinozismus in der Ethik Schopenhauers, SchopenhauerJahrbuch () . Ähnlich Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. .
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a) Übereinstimmung mit Pascal In den Parerga und Paralipomena Schopenhauers findet sich zu dieser Problematik ein Gedanke zum Recht, der weniger originell ist, als man auf den ersten Blick meinen könnte: „Das Recht an sich selbst ist machtlos: von Natur herrscht die Gewalt. Diese nun zum Rechte hinüber zu ziehn, so daß mittelst der Gewalt das Recht herrsche, Dies ist das Problem der Staatskunst“ (PP II/1 § 127 S. 271). Das Seltsame an dieser Stelle ist nämlich, dass sie praktisch wortwörtlich schon bei Pascal zu finden ist.²⁴³ Es ist schwerlich vorstellbar, dass Schopenhauer Pascals Gedanken zum Recht nicht gekannt habe. Aber wie immer, wenn zwei geniale Geister im Ausgangspunkt dasselbe schreiben, ist es auch hier so, dass der jeweilige Gedanke eine eigene Richtung nimmt. Auch wenn beiden Denkern ein durchaus pessimistischer Blick auf die Menschennatur zu eigen ist und sie sich über die menschlichen Abgründe keiner Illusion hingeben, malt Schopenhauer die Natur des Menschen in womöglich noch schwärzeren Farben: „Man wird Dies erkennen, wenn man bedenkt, welch ein gränzenloser Egoismus fast in jeder Menschenbrust nistet, zu welchem meistens noch ein angehäufter Vorrath von Haß und Bosheit sich gesellt (…) und nun dazu nimmt, daß viele Millionen so beschaffener Individuen es sind, die in den Schranken der Ordnung, des Friedens, der Ruhe und Gesetzlichkeit gehalten werden sollen“ (PP II/1 § 127 S. 271).
b) Völkerrecht als Naturrecht ‚zwischen Volk und Volk‘ Das Problem der Rechtsdurchsetzung und Rechtsgeltung hat Schopenhauer im zweiten Band seines Hauptwerks in aufschlussreicher Weise am Beispiel des Völkerrechts angesprochen: „Das Völkerrecht (…) ist im Grunde nichts Anderes, als das Naturrecht, auf dem ihm allein gebliebenen Gebiet seiner praktischen Wirksamkeit, nämlich zwischen Volk und Volk, als wo es allein walten muß, weil sein stärkerer Sohn das positive Recht, da es eines Richters und Vollstreckers bedarf, nicht sich geltend machen kann. Demgemäß besteht dasselbe in einem gewissen Grad von Moralität im Verkehr der Völker mit einander, dessen Aufrechterhaltung Ehrensache der Menschheit ist. Der Richterstuhl der Processe auf Grund desselben ist die öffentliche Meinung“ (WW II/2 Kap. 47 S. 697).²⁴⁴
Blaise Pascal, Pensées et Opuscules (Édition Léon Brunschvicg, ), Fragment ; zu dieser Stelle eingehend Jens Petersen, Blaise Pascals Gedanken über Gerechtigkeit und Ordnung, , S. ff. Zu dieser Stelle auch Karl Doehring,Völkerrecht, . Auflage , § Rdnr. , S. , der das darin aufscheinende genealogische Verhältnis (‚stärkerer Sohn‘) so erklärt, dass „nur durch das positive Recht, das angewendete Recht, rational unbegründete Wertvorstellungen zur Geltung gebracht werden“. Zum Bild des Richterstuhls auch Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philoso-
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Mit einiger Kühnheit kann man in dieser hellsichtigen Beobachtung bereits einen Anklang an moderne Theorien erblicken, die bis zu Habermas reichen,²⁴⁵ auch wenn man nicht übersehen darf, dass Schopenhauers Äußerungen zur Pressefreiheit ambivalent waren.²⁴⁶ Auch hier beeindruckt die Wortgewalt, die allenthalben zum geflügelten Wort taugt (‚Ehrensache der Menschheit‘), ebenso wie die Gedankenführung. Schopenhauer hat hellsichtig erkannt, dass es – zumal in einer Zeit, in der die praktische Durchsetzung des Völkerrechts, wenn man einmal vom Krieg absieht, Zukunftsmusik war – eine Instanz gab, die jeder Despot zu fürchten Anlass hatte, nämlich die öffentliche Meinung. Dass das Völkerrecht im Übrigen für Schopenhauer eine untergeordnete Rolle spielte, erklärt sich aus seinem individuellen Rechtsdenken, dessen deutlichster Ausdruck ein Urteil aus demselben Kapitel ist: „Die Völker sind eigentlich bloße Abstraktionen: die Individuen allein existiren wirklich“ (WW II/2 Kap. 47 S. 692). Auch dieser Satz veranschaulicht den methodischen Individualismus seines Rechtsdenkens.
4. Verhältnis der Rechtslehre zur Staatslehre Strukturell bedeutsam ist das Verhältnis der Staatslehre zur Rechtslehre, denn die Rechtslehre unterfällt der Moral, für die wiederum allein der Wille und die Ge-
phische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. : „Was will denn das Wort ‚Richterstuhl der Nachwelt‘ anders sagen, als daß das Menschengeschlecht mehrere Generationen Zeit braucht, ehe es dahinter kommt, was an den Sachen ist? Dieses, daß Neid und absichtsvolle Schmeichelei verstummt seyn müssen, ehe die Einsicht redet. Schöner Trost!“ (Hervorhebung auch dort). Vgl. nur Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, . Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. : „Die von allen Seiten so dringend verlangte Preßfreiheit sollte jedenfalls nur unter Verbot aller und jeder Anonymität zugestanden werden. (…) Jeder Zeitungsartikel soll mit dem Namen des Einsenders, unter schwerer Verantwortlichkeit des Redakteurs, für dessen Richtigkeit, unterschrieben werden“; (Hervorhebung auch dort). Weitsichtig andererseits ebenda, S. : „Die Preßfreiheit ist die Sicherheitssalve am Dampfkessel zu vergleichen: Durch sie macht jede Unzufriedenheit sich durch Worte Luft, ja erschöpft sich an diesen, wenn sie nicht viel Gehalt hat; hat sie aber solchen, so erfährt durch sie die Regierung und kann vorbeugen. Das ist viel besser, als wenn die Unzufriedenheit eingezwängt brütet, kocht, gährt, wächst, bis es endlich zur Explosion kommt“; (Hervorhebungen auch dort). Beeindruckend das Bild ebenda, S. : „Die Zeitungen sind der Sekundenzeiger der Geschichte“.
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sinnung alleiniger Gegenstand ist;²⁴⁷ Instanz ist hier das Gewissen, Sanktion der Gewissensbiss.²⁴⁸
a) Kein Gesinnungsstrafrecht Die Staatslehre dagegen schenkt der Gesinnung und dem Willen Schopenhauer zu Folge keine Beachtung, ja sie darf dies nicht einmal, um kein falsches Gesinnungsstrafrecht zu begründen. Denn allein die schlechte Gesinnung führt auf der Opferseite noch zu keinerlei Leid, sodass es auch keiner Strafbewährung für noch so niederträchtige Gedanken bedarf. Aus diesem kategorialen Unterschied zwischen der Staatslehre einerseits und der der Moral zugehörigen Rechtslehre andererseits, ergibt sich dessen ungeachtet ein bestimmtes Verhältnis, das Schopenhauer mit einer Art Umwendung bzw. Kehrseite zum Ausdruck bringt: „Die Staatslehre, oder die Gesetzgebung, wird nun, zu diesem ihrem Zweck, von der Moral jenes Kapitel, welches die Rechtslehre ist und welches neben der innern Bedeutung des Rechts und des Unrechts, die genaue Gränze zwischen Beiden bestimmt, borgen, aber einzig und allein, um dessen Kehrseite zu benutzen und alle die Gränzen, welche die Moral als unüberschreitbar, wenn man nicht Unrecht thun will, angiebt, von der andern Seite zu betrachten, als die Gränzen, deren Ueberschrittenwerden vom Andern man nicht dulden darf, wenn man nicht Unrecht leiden will, und von denen man also Andere zurückzutreiben ein Recht hat: daher diese Gränzen nun, von der möglicherweise passiven Seite aus, durch Gesetze verbollwerkt werden“ (WW I/2 § 62 S. 429).
b) Der ‚Rechtslehrer als umgewandter Moralist‘ Diesen Topos des Bollwerks kennen wir bereits aus der Preisschrift Über die Grundlage der Moral (GM § 17 S. 258).Wichtiger aber ist der Gedanke der Kehrseite, der darauf hinaus läuft, dass die Staatslehre gewissermaßen eine Anleihe bei der
Mit guten Gründen kritisch Vittorio Hösle, Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie, , S. : „Schopenhauers Ethik ist zudem rein deskriptiv; sie geht der Frage nach, welche Kraft den Egoismus transzendiere, und findet sie im Mitleid. Aber warum altruistisches Verhalten moralisch sei, wird nicht begründet. Denn der metaphysische Verweis auf den monistischen Urgrund der Wirklichkeit ist selbstredend keine Antwort; gibt es ein einziges Ding-an-sich, ist Schopenhauers Übernahme der Kantischen Theorie der transzendentalen Freiheit in unterschiedlichen Individuen abwegig“. Näher Anna Leśniewska, Der Begriff des Gewissens bei Schopenhauer, in: Schopenhauer im Kontext. Deutsch-polnisches Schopenhauer-Symposium (Hg. Dieter Birnbacher/Andreas Lorenz/ Leon Miodoński), , S. m.w.N.
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Rechtslehre aufnimmt, die sich jedoch darin erschöpft, dass die Grenzziehung zwischen Recht und Unrecht nun auch für die Staatslehre bedeutsam wird, allerdings gleichsam aus der Perspektive des Unrechtleidenden. In diesem Sinne ist für Schopenhauer ‚der Rechtslehrer der umgewandte Moralist‘ womit er im Übrigen ein schönes Bonmot zur Rechtswissenschaft als Beruf geprägt hat.²⁴⁹ Diese eigentümliche Transformation führt zu einer Verrechtlichung, um es einmal etwas hölzern, aber mit heutigen rechtstheoretischen Begriffen zu formulieren, was Schopenhauer anschaulicher zum Ausdruck bringt: „Der Begriff des Unrechts und seiner Negation des Rechts, der ursprünglich moralisch ist, wird juridisch, durch die Verlegung des Ausgangspunktes von der aktiven auf die passive Seite, also durch Umwendung“ (WW I/2 § 62 S. 429 f.). Das ist eine für das seit jeher viel beschriebene Verhältnis von Moral und Recht durchaus originelle Sichtweise,²⁵⁰ die soweit ersichtlich zuvor noch nicht vertreten wurde und überdies in bemerkenswertem Einklang mit dem für die Willensphilosophie Schopenhauers bezeichnenden Begriff der Umkehrung steht.²⁵¹
VI. Zusammenfassende Würdigung Schopenhauers reine Rechtslehre, die im Wege der Umwendung juridisch wird, weil und sofern sie von der Unrechtzufügung auf das Erleiden des Unrechts abstellt, erweist sich daher als groß angelegte, systematisch konsistente und einem einheitlichen Konzept von Recht und Moral verpflichtete Sichtweise, die sich zwar mitunter brüsk von der kantischen abhebt, ihrerseits aber einen Rang beanspruchen kann, der geistesgeschichtlich größer ist als ihr bisher zugebilligt wurde.
Siehe zur Rechtswissenschaft als Beruf auch Jens Petersen, Max Webers Rechtssoziologie und die juristische Methodenlehre, . Auflage , § . Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. , war sich der Erforderlichkeit einer Unterscheidung von Recht und Moral durchaus bewusst, wie die folgenden beiden Sätze aus dem handschriftlichen Nachlass bezeugen: „Thomasius soll der Erste gewesen seyn, der das Recht von der Moral, die principia justi von denen des honesti et decori sonderte. Hugo Grotius und Pufendorf hätten sie noch vermischt“; (Hervorhebung auch dort). Zum Begriff der Umkehrung etwa Matthias Rühl, Schopenhauers existenzielle Metaphern im Kontext seiner Philosophie, , S. ; David Perteck, Ideenlehre und Willensmetaphysik. Philosophische Untersuchungen zu Platon und Schopenhauer, , S. .
VI. Zusammenfassende Würdigung
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1. Systematische Originalität Schopenhauer selbst hat sie überdies in einer Weise beschrieben, die moderne Ökonomen wohl gutheißen würden: „Die reine Rechtslehre, oder das Naturrecht, besser moralisches Recht, liegt, obwohl immer durch Umkehrung, jeder rechtlichen positiven Gesetzgebung so zum Grunde, wie die reine Mathematik jedem Zweige der angewandten“ (WW I/2 § 62 S. 432).²⁵² Freilich ist dies keine formelmäßige mathematische Darstellung als vielmehr eine prinzipielle. So kann er auch mit Recht sagen, dass „der übrige Inhalt der Rechtslehre bloße Anwendung jener Principien ist“ (WW I/2 § 62 S. 432). Wenn wir jedoch abschließend diejenigen Punkte mit Schopenhauers Worten aufzählen, um die es ihm in seiner reinen moralischen Rechtslehre zu tun ist, so können wir zugleich feststellen, dass sie Ausdruck eines philosophischen Systems sind, das sich in dieser Zusammensetzung der Leitgesichtspunkte von allen bisherigen rechtsphilosophischen Systemen unterscheidet und daher wirkliche Originalität beanspruchen kann,²⁵³ wie die folgenden fünf Punkte seiner reinen Rechtslehre dokumentieren, wie „die Philosophie, zu jenem Zweck, sie der Gesetzgebung zu überliefern hat (…): 1) Erklärung der innern und eigentlichen Bedeutung und des Ursprungs der Begriffe Unrecht und Recht, und ihrer Anwendung und Stelle in der Moral. 2) Die Ableitung des Eigenthumsrechts. 3) Die Ableitung der moralischen Gültigkeit der Verträge; da diese die moralische Grundlage des Staatsvertrages ist. 4) Die Erklärung der Entstehung und des Zweckes des Staats, des Verhältnisses dieses Zweckes zur Moral und der in Folge dieses Verhältnisses zweckmäßigen Uebertragung der moralischen Rechtslehre, durch Umkehrung, auf die Gesetzgebung. 5) Die Ableitung des Strafrechts“ (WW I/2 § 62 S. 432). Gewiss kann man einwenden, dass die Auflistung dieser fünf Punkte kaum mehr als eine Skizze ist. Doch in der Art und Weise, wie sie zuvor ausgearbeitet wurde, insbesondere unter Berücksichtigung des Gedankens der Umwendung, verdiente sie es, gründlicher wahrgenommen zu werden, als dies in der bisherigen
Siehe dazu insbesondere Knut Radbruch, Anschauung und Beweis in der Mathematik. Skeptische Anmerkungen zum Optimisten Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () ; ders., Die Bedeutung der Mathematik für die Philosophie Schopenhauers, SchopenhauerJahrbuch () . Oskar Friedrich Damm, Schopenhauers Rechts- und Staatsphilosophie. Darstellung und Kritik, , S. , stellt zutreffend klar, „dass Schopenhauer, wenn er auch selbst über seine Stellung zu seinen Vorgängern unklar war und mit Hartnäckigkeit die vollste Originalität für seine Anschauungen in Anspruch nahm, doch auch nur ein Glied in der großen Kette der Wissenschaft ist, das sich aus dem Zusammenhange mit der Vergangenheit nicht loslösen kann“.
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rechtsphilosophischen Diskussion der Fall war. An systematischer Geschlossenheit mag sie womöglich nicht an die großen Gedankengebäude Kants oder Hegels heranreichen.²⁵⁴ Insbesondere der Übergang von der Willensmetaphysik des freiwaltenden Egoismus zu einer überindividuellen Vernunft, welche die Staatsverfassung zum Schutz der Unrechtleidenden nahelegt, wirkt etwas ungelenk und gezwungen. Doch kann möglicherweise der bei Schopenhauer terminologisch angedeutete, hier annäherungsweise weiterverfolgte Gedanke eines methodischen Individualismus, der sich in dieser Konzeption spiegelt, dazu angetan sein, ein wissenschaftstheoretisch konsistentes Erklärungsmuster zu bieten, welches die Ecken und Kanten des genannten Übergangs abschleift und das eigentlich Große dieses Gedankens Schopenhauers zur Geltung bringt.
2. Solidarität mit den Unrechtleidenden Hervorhebung verdient des Weiteren, dass Schopenhauer sich mit den Unrechtleidenden näher auseinandersetzt.²⁵⁵ Insofern sind die weiter oben zitierten Stellen zur vehementen Ablehnung der Sklaverei mehr als bloße Gedankensplitter, wie der Titel seines anderen Werks – Parerga und Paralipomena ²⁵⁶ – nahelegt, sondern vielmehr systematisch verankert. Dass es sich dabei nämlich nicht um eine vereinzelte Beobachtung handelt, können andere Erwägungen stützen, die er in einer längeren Passage ‚zur Rechtslehre und Politik‘ (PP II/1 § 25) anführt: „Armuth und Sklaverei sind also nur zwei Formen, fast möchte man sagen zwei Namen, der selben Sache, deren Wesen darin besteht, daß die Kräfte eines Menschen großentheils nicht für ihn selbst, sondern für Andere verwendet werden; woraus für ihn theils Ueberladung mit Arbeit, theils kärgliche Befriedigung seiner Bedürfnisse hervorgeht. Denn die Natur hat dem Menschen nur so viel Kräfte gegeben, daß er, unter mäßiger Anstrengung derselben, seinen Unterhalt
Bedenkenswert Vittorio Hösle, Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie, , S. : „Sein phänomenologischer Blick ist durchdringend, die Fülle seiner Interessen ähnlich enzyklopädisch wie bei Hegel, sein architektonisches Talent beim Systembau beachtlich“. Vgl. nur Per Jepsen, Verlassenheit und Solidarität. Die Philosophie Schopenhauers in der kritischen Theorie Max Horkheimers, SATS Northern European Journal of Philosophy () . Dazu Robert Zimmer, Schopenhauers zweites Hauptwerk. Die Parerga und Paralipomena und ihre Wurzeln in der Aufklärungsessayistik und Moralistik, Schopenhauer-Jahrbuch () ; ferner Marco Segala, Things Added and Things Omitted: the Genesis of Parerga and Paralipomena of Schopenhauer’s Manuscripts, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Heinz Gerd Ingenkamp, Der postchristliche Charme der Parerga, Schopenhauer-Jahrbuch () .
VI. Zusammenfassende Würdigung
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der Erde abgewinnen kann: großen Ueberschuß von Kräften hat er nicht erhalten. Nimmt man nun die gemeinsame Last der physischen Erhaltung des Daseyns des Menschengeschlechts einem nicht ganz unbeträchtlichen Theile desselben ab; so wird dadurch der übrige übermäßig belastet und ist elend. So zunächst entspringt also jenes Uebel, welches, entweder unter dem Namen der Sklaverei, oder unter dem des Proletariats, jederzeit auf der großen Mehrzahl des Menschengeschlechts gelastet hat. Die entferntere Ursache desselben aber ist der Luxus. Damit nämlich einige Wenige das Entbehrliche, Ueberflüssige und Raffinirte haben, ja, erkünstelte Bedürfnisse befriedigen können, muß auf Dergleichen ein großes Maaß der vorhandenen Menschenkräfte verwendet und daher dem Nothwendigen, der Hervorbringung des Unentbehrlichen, entzogen werden. Statt Hütten für sich, bauen Tausende Prachtwohnungen für Wenige“ (PP II/1 § 125 S. 266).²⁵⁷
a) Mitleid mit den Minderprivilegierten Diese Stelle wurde mit Bedacht so ausführlich zitiert, weil jede Paraphrase den Eindruck erweckt hätte, dass man Schopenhauer marxistisches Gedankengut ansinnen wolle.²⁵⁸ Ganz ähnlich, wie es bereits bei Adam Smith beobachtet worden ist,²⁵⁹ lassen sich bei Schopenhauer Beobachtungen finden, die bei unvoreingenommener Betrachtungsweise – auch terminologisch (‚Proletariat‘) – von Karl Marx sein könnten.²⁶⁰ Wie sich diese soziologischen Erkenntnisse zu seinen kruden Bemerkungen betreffend die Überlegenheit einer erblichen, absoluten Monarchie verhalten, ist zwar unerfindlich. Entscheidend aber ist etwas anderes:
Ähnlich Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. . Adolph von Wenckstern, Marx, , S. ff. (‚Schopenhauer und der Marxismus‘), sieht sogar eine gewisse Interdependenz zwischen Schopenhauers Rechts- und Staatslehre und dem Marxismus. Das dürfte jedoch zu weit gehen; ähnlich wie hier tendenziell Oskar Friedrich Damm, Schopenhauers Rechts- und Staatsphilosophie. Darstellung und Kritik, , S. . Näher Jens Petersen, Adam Smith als Rechtstheoretiker, , § ff. Zur besseren Einordnung Klaus-Jürgen Grün, Arthur Schopenhauer, , S. : „Was Schopenhauer, der vom Historischen Materialismus nichts wußte, in die Nähe von Marx und Engels rückt, ist nicht zuletzt sein Gespür für die Allgegenwart der Gesetze des Warenmarkts, die strenggenommen selbst die Philosophie beherrschen“. Siehe auch Max Horkheimer, Die Aktualität Schopenhauers, Vortrag gehalten zum . Todestag Schopenhauers am . September in der Paulskirche zu Frankfurt a. M.; abgedruckt in: Über Arthur Schopenhauer (Hg: Gerd Haffmans), , S. . Siehe auch Alfred Schmidt, Schopenhauer und der Materialismus, Schopenhauer-Jahrbuch () IX; Ray Kumar Gupta, Schopenhauer, Marx and Freud on Literature, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Martin Morgenstern, Schopenhauers Kritik des Materialismus, Schopenhauer-Jahrbuch () .
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Schopenhauer hat bei aller elitären Grundhaltung, die ihm zueigen war,²⁶¹ mit seiner Hinwendung des Blicks auf die Leidenden, die Minderprivilegierten, Geschundenen und Armen etwas für die Gerechtigkeitstheorie Neuartiges gesehen,²⁶² das durchaus den Erkenntnissen eines modernen Gerechtigkeitstheoretikers – sinnigerweise indischer Provenienz – entspricht, dessen Armutsanalyse ebenfalls von Adam Smith ausgeht, aber ebenso gut Schopenhauer berücksichtigen könnte.²⁶³
b) Globalisierungskritik avant la lettre Mitunter argumentiert Schopenhauer wie ein moderner Globalisierungskritiker:²⁶⁴ „Aus solchen Luxusarbeitern besteht ein großer Theil der Bevölkerung der Städte: für diese also und ihre Besteller muß nun der Bauer mit pflügen, säen und weiden, hat also mehr Arbeit, als die Natur ihm ursprünglich aufgelegt hatte. Ueberdies muß auch er selbst noch viele Kräfte und Land, statt auf Getraide, Kartoffeln und Viehzucht, auf Wein, Seide, Tabak, Hopfen, Spargel, u.s.w. verwenden. Ferner werden eine Menge Menschen dem Ackerbau entzogen, um dem Schiffbau und der Seefahrt zu dienen, damit Zucker, Kaffee, Thee u.s.w. herbeigeschafft werde. Die Produktion dieser Ueberflüssigkeiten wird dann wieder die Ursache des Elends jener Millionen Negersklaven, die ihrem Vaterlande gewaltsam entrissen werden, um mit ihrem Schweiß und ihrer Marter jene Gegenstände des Genusses hervorzubringen. Kurz, ein großer Theil der Kräfte des Menschengeschlechts wird der Hervorbringung des Allen Nothwendigen entzogen, um das ganz Ueberflüssige und Entbehrliche für Wenige herbeizuschaffen“ (PP II/1 § 125 S. 267).
Henning Ottmann, Philosophie und Politik bei Nietzsche, . Auflage , S. („Elitismus“). Siehe auch Karl Pisa, Schopenhauer und die soziale Frage, Schopenhauer-Jahrbuch () . Amartya Sen, The Idea of Justice, . Aufschlussreich Ludwig Marcuse, Das Gespräch ohne Schopenhauer, in: Über Arthur Schopenhauer (Hg. Gerd Haffmans), , S. , f.: „Der geheime Radikalismus Schopenhauers ist viel umstürzlerischer als der offene, der nur die Diktatur eines anderen Verteilungssystems will (…). Er war ein Aufsässiger – im Vergleich zu ihm war Marx nur auf kleine Reformen aus. Nicht Marx, Schopenhauer ist in einem sehr ernsten Sinn subversiv“. Zu dieser Stelle auch Georg Küpper, Kommt es darauf an, die Welt zu verändern? Zur Ethik des Tuns und Lassens, in: Schopenhauer in der Philosophie der Gegenwart (Hg. Dieter Birnbacher), , S. .
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aa) Ökonomie und Verarmung Schopenhauer hat hier einen Gesichtspunkt vorweggenommen, der heute aktueller ist denn je. Der Markt als ökonomischer Ort von Angebot und Nachfrage schien ihm in sinnentstellender Weise verzerrt zu sein: die Nachfrage gilt Luxusgütern, welche diejenigen produzieren müssen, die ihre Arbeitskraft besser auf das nächstliegende verwenden sollten, das ihnen freilich nicht mehr den zum Lebensunterhalt erforderlichen Mindestbetrag sichert. Geradezu prophetisch ist Schopenhauers globale Perspektive, indem er Länder, ja geradezu Kontinente übergreifend eine konsequente Tendenz zu Verelendung und Versklavung ausmacht.²⁶⁵ Dass die Nachfrage auf einem Kontinent ungebrochen zur Verarmung auf einem anderen Kontinent führen kann, der sie decken soll, ist eine für die damalige Zeit ungewöhnliche Einsicht.²⁶⁶ Interessant ist zudem, dass Schopenhauer, der mit dem Liberalismus und möglichst geringen legislatorischen Eingriffen in die Freiheit des Einzelnen in Verbindung gebracht wird, nur ein Mittel sieht: „Strenge Luxus-Gesetze in allen Ländern, wären das alleinige Erlösungsmittel von so großen und allgemeinen Uebeln.“²⁶⁷ Bemerkenswert ist das ubiquitäre Erfordernis solcher Gesetze ‚in allen Ländern‘; wohl kaum ein Globalisierungskritiker würde ein solches weltweites Gesetzesverbot fordern, um nicht als sonderbarer Schwärmer zu gelten.
bb) Individualität und technischer Fortschritt Schopenhauer betont zugleich in einer ökonomisch hellsichtigen Weise, dass der technologische Fortschritt nicht nur den Reichen, sondern auch den Minderprivilegierten zugute kommt: „Die Erzeugnisse aller jener Betriebe aber kommen keineswegs den Reichen allein, sondern Allen zu Gute. Dinge, die ehemals kaum zu erschwingen waren, sind jetzt wohlfeil und in Menge zu haben, und auch das Leben der niedrigsten Klasse hat an Bequemlichkeit viel gewonnen“ (PP II/1 § 125 S. 268). Es ist dies ein Gesichtspunkt, den im vergangenen Jahrhundert Friedrich August von Hayek immer wieder betonte,²⁶⁸ und der sich letztlich bis hin zu Adam Smith zurückführen lässt. Denn der technische Fortschritt ermöglicht die Ausbildung individueller Fähigkeiten, die womöglich verschüttet worden wären,
Siehe auch Yvonne Thorhauer, Wirtschaftsethik im Ausgang vom Willen zum Leben. Neue Impulse für die zeitgenössische Debatte, Schopenhauer-Jahrbuch () . Allgemein dazu Ija Pawlowska, Reichweiten menschlicher Solidarität, Schopenhauer-Jahrbuch () . Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. . Näher Jens Petersen, Freiheit unter dem Gesetz. Friedrich August von Hayeks Rechtsdenken, , § f.
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wenn die betreffenden Arbeitnehmer immerzu mit gleichförmigen Tätigkeiten beschäftigt worden wären. Auch hierin spiegelt sich ein gewisser methodischer Individualismus, der noch an anderen Stellen der Rechtslehre im Hintergrund steht. Schopenhauer wandelt hier unausgesprochen auf den erstmals von Adam Smith betretenen Pfaden. Nicht von ungefähr erachtet er die Frage nach den „Wurzeln der Individualität“ als „das größte und schwerste Problem“.²⁶⁹
c) Naturrechtswidrige Verschiebung Man mag einwenden, dass dies mit seiner Rechtslehre unmittelbar nichts zu tun hat, doch spricht dagegen der systematische Standort, wo sich diese Gedanken finden, nämlich gerade in den Gedanken ‚zur Rechtslehre und Politik‘ – und das in einer Schrift, die ungeachtet ihrer aphoristischen Einteilung der Gedanken, wie Schopenhauer selbst betont, von einem strikten Systemdenken geprägt ist, nämlich bezogen auf sein eigenes System. Offenbar war es für Schopenhauer selbstverständlich, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen solchen Missständen Vorschub leisten müssten. Auch wenn man hierin noch keinen Vorläufer eines Weltwirtschaftsrechts erblicken kann, so war ihm zumindest gewiss, dass es sich hierbei um eine naturrechtswidrige Verschiebung handeln müsse, gegen die nicht nur mit den Mitteln des Rechts, sondern, gleichsam präventiv vorgelagert, mit einer Bewusstseinsänderung entgegengewirkt werden könnte.
3. Vielgestaltigkeit seines Rechtsdenkens Allerdings darf man Schopenhauer hier nicht missverstehen: Ihm geht es nicht darum, den Luxus gesetzlich einzudämmen oder gar eine gleichmäßige Güterverteilung mit den Mitteln des Rechts zu erzwingen. Untauglich ist freilich seine Argumentation, die – in gewisser Weise Gesichtspunkte von Max Webers Herrschaftssoziologie vorwegnehmend – auf charismatische Leitfiguren setzt: „Aber auch abgesehn von allen diesen Gründen, ist gegen jene oben dargelegte, auf Abschaffung des Luxus und gleichmäßige Vertheilung aller körperlichen Arbeit hinweisende Argumentation in Erwägung zu geben, daß die große Heerde des Menschengeschlechts, stets und überall, nothwendig der Führer, Leiter und Berather, in mannigfaltigen Gestalten, je nach den Angelegenheiten, bedarf: solche sind die Richter, Regierer, Heerführer, Beamte, Priester, Aerzte, Gelehrte, Philo-
Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. ; (Hervorhebung auch dort).
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sophen, u.s.w., als welche sämmtlich die Aufgabe haben, dies in der Mehrzahl höchst unfähige und verkehrte Geschlecht durch das Labyrinth des Lebens zu führen (…)“ (PP II/1 § 125 S. 269). Hieran zeigt sich paradigmatisch, wie vielgestaltig und mitunter widersprüchlich Schopenhauers Denken in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht ist. Denn ebenso wie später bei Nietzsche stehen neben mitfühlenden Gedanken schroffe Abwendungen,²⁷⁰ neben Stellen, die von einem scheinbar untrüglichen Gerechtigkeitssinn zeugen, hochfahrende Überlegungen, welche die Gleichheit der Individuen in Frage stellen oder gar leugnen.
4. Paradigmenwechsel der Ethik Schopenhauer hat seine Morallehre in einer auf den ersten Blick unbescheidenen, näherhin betrachtet aber treffenden, im besten Sinne selbstbewussten und den Stellenwert in der europäischen Geistesgeschichte abmessenden Weise veranschaulicht: „Zu allen Ethiken europäischer Philosophie steht die meinige im Verhältniß des neuen Testaments zum alten; nach dem kirchlichen Begriff dieses Verhältnisses. Das Alte Testament nämlich stellt den Menschen unter die Herrschaft des Gesetzes, welches jedoch nicht zur Erlösung führt. Das Neue Testament hingegen erklärt das Gesetz für unzulänglich, ja, spricht davon los“ (PP II/1 § 163 S. 341). Auf den ersten Blick scheint hier ein Erlösungsgedanke zu walten, der die Ethik Schopenhauers in den Rang einer religiösen Richtung führen solle. Das ist jedoch nicht gemeint. Es geht ihm eher um etwas, das wir in moderner wissenschaftstheoretischer Diktion als Paradigmenwechsel bezeichnen würden:²⁷¹ Schopenhauers Ethik veranschaulicht nach seiner eigenen Vorstellung beispielhaft einen Bruch mit dem
Treffend Henning Ottmann, Philosophie und Politik bei Nietzsche, . Auflage , S. : „Schopenhauers Liberalismus zeigt nur eine Seite seiner janusgesichtigen Politik. Hand in Hand mit dem Liberalismus ging ein Elitismus, und er fiel in nicht wenigen Zügen hinter die Liberalität des von Nietzsche und Schopenhauer so geschmähten Hegelschen Staates zurück. Wenn auch begründet auf dem Boden des modernen Naturrechts von Hobbes und Locke, angelsächsischliberal war Schopenhauers Politik nur zum Teil. Gottesgnadentum der Könige statt konstitutioneller Monarchie (…); eine Privilegienordnung statt liberaler Gleichheit – mit solchen Lehren verband sich Schopenhauer eher dem legitimistischen Konservativismus der Metternich-Ära“; Hervorhebung auch dort. Zum genannten Liberalismus Schopenhauers aufschlussreich Dieter Birnbacher/Georg Küpper, Schopenhauer und der Wert der Freiheit, Schopenhauer-Jahrbuch () , : „Der politische Liberalismus ist dabei bei Schopenhauer eine unmittelbare Konsequenz seiner pessimistischen Grundansicht“. In Anlehnung an Thomas Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions, .
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seines Erachtens überkommenen moralischen Denken: „Im Geiste des Alten Testaments nun sind alle mir vorhergängigen philosophischen Ethiken gehalten, mit ihrem absoluten (d. h. des Grundes, wie des Zieles entbehrenden) Sittengesetz und allen ihren moralischen Geboten und Verboten, zu denen im Stillen der befehlende Jehovah hinzugedacht wird; so verschieden auch die Formen und Darstellungen der Sache bei ihnen ausfallen. Meine Ethik hingegen hat Grund, Zweck und Ziel: sie weist zuvörderst theoretisch den metaphysischen Grund der Gerechtigkeit und Menschenliebe nach und zeigt dann auch das Ziel, zu welchem diese, wenn vollkommen geleistet, am Ende hinführen müssen“ (PP II/1 § 163 S. 341 f.).
5. Rechtslehre und Willensmetaphysik Schopenhauers Ausgangspunkt ist jedoch, wie er selbst wiederholt, die fundamentale Ungerechtigkeit der Menschen, die egoistisch, verdorben, bisweilen verschlagen, aber immer fehlbar agieren: „Zugleich gesteht sie die Verwerflichkeit der Welt aufrichtig ein und weist auf die Verneinung des Willens, als den Weg zur Erlösung aus ihr, hin“ (PP II/1 § 163 S. 342). Diese Stelle muss man in Betracht ziehen, wenn man seine Rechtslehre ins Ganze seiner Willensphilosophie einordnen möchte. Denn auch hier geht es ausdrücklich um die äußere Ungerechtigkeit der Menschen und die Gerechtigkeit der Gesinnung. Der Ausweg, den Schopenhauer weist, führt wiederum ins Zentrum seiner Willensmetaphysik, und dort an das Ende des Vierten Buchs seines Hauptwerks. Schopenhauer malt hier ein bukolisches Bild der Gelassenheit; es findet sich für ihn „statt des rastlosen Dranges und Treibens, statt des steten Ueberganges von Wunsch zu Furcht und von Freude zu Leid, statt der nie befriedigten und nie ersterbenden Hoffnung, daraus der Lebenstraum des wollenden Menschen besteht, jener Friede, der höher ist als alle Vernunft, jene gänzliche Meeresstille des Gemüths, jene tiefe Ruhe, unerschütterliche Zuversicht und Heiterkeit (…): nur die Erkenntniß ist geblieben, der Wille ist verschwunden“ (WW I/2 § 71 S. 507).
§ 4 Zeitliche Gerechtigkeit I. Zeitliche Gerechtigkeit und principium individuationis Zeitliche Gerechtigkeit nennt Schopenhauer diejenige, „welche im Staat ihren Sitz hat“, und zwar entweder „vergeltend oder strafend“. Sie wird nach Schopenhauer „allein durch die Rücksicht auf die Zukunft zur Gerechtigkeit“ (WW I/2 § 63 S. 436). Sie ist deswegen zeitlich, weil sie in der raum-zeitlichen Erscheinungswelt zutage tritt,²⁷² aber eben im Unterschied zur ewigen Gerechtigkeit im principio individuationis verhaftet ist.²⁷³ Die zeitliche Gerechtigkeit wird für Schopenhauer im Staat verwirklicht, der Unrechtsbegehungen und Rücksicht auf die Zukunft abstraft. Der Staat als Schutzanstalt, kümmert sich auf diese Weise um die Belange der unter dem rücksichtslosen Egoismus der Unrechtsverübenden Leidenden. Das Unrechttun hat hier Außenwirkung gehabt, indem zu der aktiven Seite eine passive hinzukommt, die das Unrecht erdulden musste. Zu ihrem Schutz wurde durch allgemeinen Konsens der Staat begründet, der die Befugnis zu Strafe und Vergeltung besitzt und auf diese Weise zeitliche Gerechtigkeit üben kann. Schopenhauer hat der durch den Staat verwirklichten Gerechtigkeit erst an später Stelle und auch dort eher beiläufig einen Namen gegeben, eben den der zeitlichen Gerechtigkeit. Zu Beginn des Paragraphen über die ewige Gerechtigkeit fasst er das zuvor Bedachte folgendermaßen zusammen: „Wir haben die zeitliche Gerechtigkeit, welche im Staat ihren Sitz hat, kennen gelernt, als vergeltend oder strafend, und gesehn, daß eine solche allein durch die Rücksicht auf die Zukunft zur Gerechtigkeit wird“ (WW I/2 § 63 S. 436). Mit dieser Rückschau ist bereits das Programm für das im Folgenden zu Behandelnde gegeben.²⁷⁴
Robert Jan Berg, Objektiver Idealismus und Voluntarismus in der Metaphysik Schellings und Schopenhauers, , S. . Edo Reents, Zu Thomas Manns Schopenhauer-Rezeption, , S. . Etwas anders in der Gliederung Kuno Fischer, Schopenhauers Leben,Werke und Lehre, , S. , der die moralische Rechtslehre noch innerhalb der zeitlichen Gerechtigkeit abhandelt, wofür einiges spricht. Da jedoch im Naturzustand noch kein Staat vorhanden ist, wurde hier eher evolutiv verfahren. Zuzugeben ist allerdings, dass die Staatsbegründung als Grenzfall auch schon zur zeitlichen Gerechtigkeit gezogen werden kann. Da es der vorliegenden Darstellung aber gerade darauf ankam, den methodischen Individualismus Schopenhauers herauszuarbeiten, der der Sache nach eng mit dem evolutionären Rechtsdenken zusammenhängt, wird hier die zeitliche Gerechtigkeit erst dort erörtert, wo der Staat ‚als vergeltend oder strafend‘ bereits besteht. Entsprechendes gilt für den Inhalt des obigen § über Unrecht und Ungerechtigkeit, die Fischer, ebenda, konsequenterweise ebenfalls unter der Überschrift der zeitlichen Gerechtigkeit abhandelt, während sie nach dem hiesigen Verständnis nur die Unrechtsbegehung betreffen, die erst DOI 10.1515/9783110491173-005
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§ 4 Zeitliche Gerechtigkeit
II. Staatlicher Opferschutz Der Sinn und Zweck des so entwickelten Staates besteht vor allem darin, denjenigen, die unter Unrechtsverletzungen leiden, Schutz zu gewähren. Hierin liegt der fundamentale Unterschied zur moralischen Rechtslehre, die der Unrechtsbegehung entgegenwirken soll, wohingegen die staatliche Schutzeinrichtung auf die unter dem Unrecht Leidenden blickt: „Die Gesetzgebung aber nimmt dieses Kapitel der Moral, um es in Rücksicht auf die passive Seite, also umgekehrt, zu gebrauchen und die selben Handlungen zu betrachten als solche, die Keiner, da ihm kein Unrecht widerfahren soll, zu leiden braucht. Gegen diese Handlungen errichtet nun der Staat das Bollwerk der Gesetze, als positives Recht. Seine Absicht ist, daß Keiner Unrecht leide: die Absicht der moralischen Rechtslehre hingegen, daß keiner Unrecht thue“ (GM § 17 S. 258). So lautet die Quintessenz in Schopenhauers Preisschrift Über die Grundlage der Moral, die er in seinem Hauptwerk weiter ausgeführt hat. Die Existenz und Notwendigkeit des Staates gründet dabei auf einer hypothetischen Überlegung: Gäbe es keine Opfer begangenen Unrechts, dann bedürfte es auch der Schutzanstalt des Staates nicht. Da aber von Natur aus die Ungerechtigkeit herrscht, müssen die darunter Leidenden vor den das Unrecht begehenden Individuen in Acht genommen werden.²⁷⁵ Die Staatslehre als Lehre von der Gesetzgebung nimmt sich dieser Opfer an und schützt sie gegen weitere Beeinträchtigungen.²⁷⁶ In letzter Konsequenz ergibt sich daher die Erforderlichkeit des Staates aus der conditio humana oder – eher in Schopenhauers Worten – dem grenzenlosen Egoismus und der ungehemmten Bosheit: „Hieraus folgt, daß die Nothwendigkeit des Staats, im letzten Grunde, auf der anerkannten Ungerechtigkeit des Menschengeschlechts beruht: ohne diese würde an keinen Staat gedacht werden; da niemand Beeinträchtigung seiner Rechte zu fürchten hätte und ein bloßer Verein gegen die Angriffe wilder Thiere, oder der Elemente, nur eine schwache Aehnlichkeit mit einem Staate haben würde“ (PP II/1 § 123 S. 263). Zur Begründung seiner Annahme, „daß der Staat wesentlich eine bloße Schutzanstalt ist, gegen äußere Angriffe des Ganzen und innere der Einzelnen unter
durch den Staat, wenn er denn besteht, also noch nicht im Naturzustand, vergolten bzw. bestraft wird. Hierzu einerseits Michael Hopf, Jenseits vom Staat. Ist Gesellschaft ohne staatliche Sanktionen denkbar?, Schopenhauer-Jahrbuch () ; andererseits Stefan Diebitz, Strafe muß sein – diesseits des Staates! Über die Notwendigkeit staatlicher Sanktionen. Replik auf Michael Hopf, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Mario Cattaneo, Das Problem des Strafrechts im Denken Schopenhauers, Schopenhauer-Jahrbuch () . Siehe zum Ganzen auch Thomas Wischmeyer, Zwecke im Recht des Verfassungsstaates. Geschichte und Theorie einer juristischen Denkfigur, .
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einander“ (PP II/1 § 123 S. 263), verweist Schopenhauer auf den mehr als zwei Jahrzehnte nach seinem ersten Teil des Hauptwerks erschienenen zweiten Teil, der allerdings weniger ein einheitlicher zweiter Teil als vielmehr eine Ergänzung des ersten darstellt und daher auch für die Rechtslehre wenig mehr an Neuem bringt als Schopenhauer an dieser Stelle ausführt (WW II/2 Kap. 47).
III. Schopenhauers Strafrecht Mit der Begründung des Staates ist zugleich eine Sanktionsinstanz geschaffen, welche die Belange der Leidenden nicht zuletzt dadurch wirkungsvoll vertritt, dass sie Zuwiderhandlungen bestrafen kann:²⁷⁷ „Hingegen ist gewiß, daß es außer dem Staate kein Strafrecht giebt. Alles Recht zu strafen ist allein durch das positive Gesetz begründet, welches vor dem Vergehn diesem eine Strafe bestimmt hat, deren Androhung, als Gegenmotiv, alle etwanigen Motive zu jenem Vergehn überwiegen sollte“ (WW I/2 § 62 S. 433). Die unscheinbare Hervorhebung der drei Buchstaben (‚vor‘) bringt beiläufig den elementaren Gerechtigkeitsgrundsatz nullum crimen sine lege und das Verbot jeglicher rückwirkender Strafgesetze zum Ausdruck.
1. Vertrag als Grundlage des Strafvollzugs Schopenhauer setzt hier die vertragstheoretische Konstruktion voraus, die bei der Begründung des Staates ebenfalls eher beiläufig erschien, obwohl sie einer näheren Auseinandersetzung würdig gewesen wäre: „Es gründet sich also auf einen gemeinsamen Vertrag, zu dessen Erfüllung unter allen Umständen, also zur Vollziehung der Strafe auf der einen und zur Duldung derselben von der andern Seite, die Glieder des Staats verpflichtet sind: daher ist die Duldung mit Recht erzwingbar“ (WW I/2 § 62 S. 433).
Zu Schopenhauers Strafrecht kursorisch Annette Godart van der Kroon, Schopenhauer’s Theory of Justice and its Implication to Natural Law, Schopenhauer-Jahrbuch () , f. Siehe auch Georg Küpper, Der Begriff des Unrechts bei Schopenhauer, SchopenhauerJahrbuch () , mit zahlreichen weiterführenden Beispielen aus dem vergleichend herangezogenen geltenden Strafrecht.
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a) Strafzweck und Vertragserfüllung Dass Schopenhauer in rechtstheoretischer Hinsicht einen individualistischen Ansatz vertritt, der tendenziell von privatrechtlichen Vorstellungen ausgeht, auch wo er das staatliche Gewaltmonopol zum Gegenstand hat, zeigt sich begrifflich daran, dass die Erfüllung des Gesetzes für ihn zugleich Vertragserfüllung ist: „Folglich ist der unmittelbare Zweck der Strafe im einzelnen Fall Erfüllung des Gesetzes als eines Vertrages“ (WW I/2 § 62 S. 433).²⁷⁸ Die wenigsten Vertragstheoretiker unter den Staatsphilosophen gehen so weit, dass sie die kontraktualistische Sichtweise in einer solchen Weise privatrechtlich formulieren und auch dort von einer ‚Erfüllung des Vertrags‘ sprechen, wo der Einzelne von Rechts wegen bestraft wird.²⁷⁹ Eine so weitreichende Unterwerfungsklausel als Ausfluss der ‚das Ganze überdenkende(n) Vernunft aus dem einseitigen Standpunkt des Individuums‘ (WW I/2 § 62 S. 427) erscheint ebenso kühn, wie es der Gefahr von Unterstellungen ausgesetzt ist.
b) Wilderei zwischen Zivilrecht und Strafrecht Ein interessantes Beispiel seiner privatrechtlich inspirierten Strafzwecklehre bildet der Tatbestand der Wilderei, den er im zweiten Teil seines Hauptwerks behandelt: „Einen ganz andersartigen Beleg der selben Wahrheit liefert die moralische Thatsache, daß, während das Gesetz die Wilddieberei eben so schwer, in manchen Ländern sogar noch schwerer, als den Gelddiebstahl bestraft, dennoch die bürgerliche Ehre, welche durch diesen unwiederbringlich verloren geht, durch jene eigentlich nicht verwirkt wird, sondern der ‚Wilderer‘, sofern er nichts Anderes sich hat zu Schulden kommen lassen, zwar mit einem Makel behaftet ist, aber doch nicht, wie der Dieb, als unehrlich betrachtet und von Allen gemieden wird. Denn die Grundsätze der bürgerlichen Ehre beruhen auf dem moralischen und nicht auf dem bloß positiven Recht: das Wild aber ist kein Gegenstand der Bearbeitung, also auch nicht des moralisch gültigen Besitzes: das Recht darauf ist daher gänzlich ein positives und wird moralisch nicht anerkannt“ (WW II/2 Kap. 47 S. 699). Schopenhauer zieht hier ersichtlich die Konsequenz aus seiner besitz- und eigentumsrechtlichen Lehre von der Bearbeitung bzw. Verarbeitung, die weiter
Eingehend Georg Küpper, Schopenhauers Straftheorie und die aktuelle Strafzweckdiskussion, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Tatjana Hörnle, Straftheorien, , S. zu Schopenhauer. Oskar Friedrich Damm, Schopenhauers Rechts- und Staatsphilosophie. Darstellung und Kritik, , S. , macht mit gutem Grund darauf aufmerksam, dass es Schopenhauer letztlich nicht vollständig gelungen sei,Vertragstheorie und Naturrechtstheorie miteinander in Einklang zu bringen.
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oben ausführlich behandelt, aber auch in Zweifel gezogen wurde. Allerdings beeindruckt auch hier die innere Konsistenz der Gedankenführung, die systematische Geschlossenheit und die konsequente Scheidung von moralischem und positivem Recht.
2. Generalprävention statt Spezialprävention Schopenhauer ist einem generalpräventiven Ansatz im Hinblick auf die Strafzwecklehre verpflichtet,²⁸⁰ der nicht vergeltend zurückblickt, sondern „wesentlich auf die Zukunft gerichtet ist“ (WW I/2 § 62 S. 433). Seine Begründung mutet fortschrittlich an: „Alle Vergeltung des Unrechts durch Zufügung eines Schmerzes, ohne Zweck für die Zukunft, ist Rache, und kann keinen andern Zweck haben, als durch den Anblick des fremden Leidens, welches man selbst verursacht hat, sich über das selbst erlittene zu trösten. Solches ist Bosheit und Grausamkeit, und ethisch nicht zu rechtfertigen. Unrecht, das mir Jemand zugefügt, befugt mich keineswegs ihm Unrecht zuzufügen“ (WW I/2 § 62 S. 433).
a) Kritik an Kant Schopenhauer wendet sich hier insbesondere gegen Kants Theorie der Strafe. Im handschriftlichen Nachlass präzisiert der seine Vorstellung von der staatlichen Strafe folgendermaßen: „Wir strafen, um uns vor neuen Verbrechen zu sichern, nie wegen des Vergangenen, sondern wegen des Künftigen, zum gemeinsamen Nuzzen, nach gemeinsamer Uebereinkunft: nicht aber, wie Kant sagt, ‚weil er verbrochen hat‘ – das wäre Rache. – Bürgerliche Strafen sind moralisch blos erlaubt und zwar blos aus obigem Grunde: keineswegs gebietet sie ein kategorischer Imperativ.“²⁸¹ Den kategorischen Imperativ Kants hat Schopenhauer bereits im vierten Kapitel seiner Dissertation Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom Grunde mit schärfsten Worten zurückgewiesen. Er spricht dort von „einer solchen verderblichen Irrlehre und abscheulichen Ketzerei“, die er selbst bereits insbesondere in der Preisschrift Über die Grundlage der Moral so überzeugend widerlegt habe, „daß kein Mensch, der nur ein Fünkchen Urtheilskraft hat, wenn er es (sc.:
Norbert Hoerster, Zur Verteidigung von Schopenhauers Straftheorie der Generalprävention, Schopenhauer-Jahrbuch () . Arthur Schopenhauer, Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden (Hg. Arthur Hübscher), , Band , Kritische Auseinandersetzungen ( – ), S. ; zu dieser Stelle etwa auch Jean-Claude Wolf, Schopenhauers Liberalismus, Schopenhauer-Jahrbuch () , .
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Schopenhauers Preisschriften) gelesen, an jene Fiktion noch länger glauben kann“ (§ 20 S. 65).²⁸²
b) Gedanke des Gegenmotivs Auch wenn seine Strafrechtstheorie einseitig zu sein scheint, muss man Schopenhauer zugute halten, dass sie in ganz schnörkelloser Weise aus seinen Prämissen folgt und diese konsequent ausführt. Durchaus originell ist sein Gedanke des Gegenmotivs:²⁸³ „Wohl aber hat der Mensch das Recht, für die Sicherheit der Gesellschaft zu sorgen: dies aber kann allein geschehn durch Verpönung aller der Handlungen, die das Wort ‚kriminell‘ bezeichnet, um ihnen durch Gegenmotive, welches die angedrohten Strafen sind, vorzubeugen“ (WW I/2 § 62 S. 434). Die Strafandrohung als gegenläufigen Beweggrund zu begreifen, entspricht ebenfalls seiner prospektiven Sichtweise, die nicht vergeltend zurückblickt. Zudem stimmt sie überein mit seiner Willensmetaphysik, ist sie doch gerade als Beweggrund des Willens verständlich, auch wenn Schopenhauer selbst merkwürdigerweise diesen Gesichtspunkt außer Betracht lässt.
3. Schopenhauers Befürwortung der Todesstrafe Schopenhauers Prämissen hätten es allerdings wohl gestattet, die Todesstrafe abzulehnen. Doch entzieht er sich dieser Konsequenz bedauerlicherweise mit Bezug auf eine wenig überzeugende Analogie zum Verfall eines Pfandes:²⁸⁴ „Der dem Gesetze zufolge der Todesstrafe anheimgefallene Mörder muß jetzt allerdings und mit vollem Recht als bloßes Mittel gebraucht werden. Denn die öffentliche Sicherheit, der Hauptzweck des Staats, ist durch ihn gestört, ja sie ist aufgehoben, wenn das Gesetz unerfüllt bleibt: er, sein Leben, seine Person, muß jetzt das Mittel zur Erfüllung des Gesetzes und dadurch zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit seyn, und wird zu solchem gemacht mit allem Recht, zur Vollziehung des
Siehe auch Paul Deussen, Der Kategorische Imperativ, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Hermann Schweppenhäuser, Schopenhauers Kritik der Kantschen Moralphilosophie, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Peter Welsen, Schopenhauers „Kritik der praktischen Vernunft“, Schopenhauer-Jahrbuch () . Dazu auch Sabine Tischler, Menschen, Tiere und Moral. Neurophilosophische Überlegungen zum moralischen Status von Tieren, , S. . Oskar Friedrich Damm, Schopenhauers Rechts- und Staatsphilosophie. Darstellung und Kritik, , S. , macht geltend, dass Schopenhauers ‚Pfandtheorie‘ nicht nur Ausdruck seiner Vertragstheorie ist, sondern sich auch auf die Straftheorie Beccarias bezieht.
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Staatsvertrages, der auch von ihm, sofern er Staatsbürger war, eingegangen war, und demzufolge er, um Sicherheit für sein Leben, seine Freiheit und sein Eigenthum zu genießen, auch der Sicherheit Aller sein Leben, seine Freiheit und sein Eigenthum zum Pfande gesetzt hatte, welches Pfand jetzt verfallen ist“ (WW I/2 § 62 S. 435).
a) Mangelnde Berücksichtigung der Willensmetaphysik Es sind weniger die aus dem kategorischen Imperativ Kants resultierenden Bedenken gegen die Sichtweise des Mörders als Mittel zum Zweck,²⁸⁵ die Schopenhauer zu entkräften sucht, als vielmehr die seinem eigenen Ansatz zuwiderlaufenden Inkonsequenzen,welche seine Befürwortung der Todesstrafe so fragwürdig machen.²⁸⁶ Die so einschneidenden Sanktionsklauseln, die Schopenhauer dem Mörder als ‚Staatsbürger‘ ansinnt, erweisen sich eher als leere Unterstellungen. Auch ist seine Begründung überraschend formelhaft und lässt all das vermissen, was doch der Gegenstand seines Hauptwerks ist: die Welt als Wille und Vorstellung. So hätte man erwartet, dass Schopenhauer hier die vollständige und denkbar destruktive Verneinung des Willens eines fremden Individuums zum Leben zur Begründung herangezogen hätte. Doch hätte er sodann begründen müssen, warum infolgedessen dem Staat die Befugnis zukommt, den Willen des Mörders zum Leben so gänzlich zu verneinen. Schon diese Konsequenz wäre aber vor dem Hintergrund seines individualistischen Ansatzes schwerlich ein gangbarer Weg gewesen.
b) Willensmetaphysische Inkonsequenz So erweisen sich Schopenhauers spärliche Ausführungen zur Todesstrafe in ihrer Herleitung, Begründung und Lösung als dürftig und nicht auf der Höhe seiner sonstigen Argumentation. Schopenhauer hätte die Todesstrafe von seinem Standpunkt aus mit dem Argument ablehnen können, dass selbst der noch so rohe, boshafte und zerstörerische Egoismus eines Einzelnen, der vor der vollständigen Verneinung des Willens eines anderen Individuum aus niedrigsten Hierin liegt ein Unterschied zu Nietzsche, der entschieden gegen die Todesstrafe eingestellt war; vgl. Friedrich Nietzsche, Menschliches Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, Band I, – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), I , S. : „Es ist die Kälte der Richter, die peinliche Vorbereitung, die Einsicht, dass hier ein Mensch als Mittel benutzt wird, um andere abzuschrecken“; Hervorhebung nur hier. Näher dazu Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, . Auflage , S. f. Siehe zum Ganzen auch Hans-Joachim Pieper, „Hat er aber gemordet, so muss er sterben“: Klassiker der Philosophie zur Todesstrafe, in: Gegen Folter und Todesstrafe. Aufklärerischer Diskurs und europäische Literatur vom . Jahrhundert bis zur Gegenwart (Hg. Helmut C. Jakobs), , S. , zu Schopenhauer.
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Beweggründen nicht Halt macht, gleichwohl noch eine Verkörperung des Willens zum Leben sei, die auch bei noch so schrecklicher Vortat nicht ohne Weiteres befugtermaßen ihrerseits von Rechts wegen ausgelöscht werden dürfe.²⁸⁷ Denn der gegenläufige Wille kann nach Schopenhauers Konzeption des Staates als Schutzanstalt nur als Ausfluss jener das Ganze überdenkenden Vernunft gedacht werden, die als gleichsam kleinste gemeinsame Willensübereinkunft dem gemeinsamen Schutz aller Unrechterleidenden verpflichtet ist. Ob ein solcher Zusammenschluss, der keinen einheitlichen Willen abbildet, sondern lediglich das Minimum dessen darstellt, auf das sich alle verständigen können, nach den Maßgaben der schopenhauerschen Willensmetaphysik hinreichend ist, die rechtmäßige Verneinung des Willens zum Leben eines Einzelnen zu beschließen, ist sehr fraglich und zumindest begründungsbedürftig.²⁸⁸
c) Zukunftsausrichtung der Schutzanstalt Merkwürdig ist auch, dass Schopenhauer, der ansonsten geneigt ist, die Befugnisse des Staates dahingehend zu beschränken, dass alles, was sich nicht unter dem Gesichtspunkt der Schutzanstalt rechtfertigen lässt, kein Wort darüber verliert, warum die so verstandene Schutzanstalt mit einem Mal eine solche Rechtsmacht besitzen kann, ein noch so boshaft handelndes Individuum zu töten. Gerade die in die Zukunft gerichtete Perspektive der Strafzwecke hätte es erfordert darzulegen, warum nicht die Möglichkeit einbezogen wird, das sich ein auf diese Weise straffällig gewordenes Individuum, das aus noch so niedrigen Beweggründen gemordet hat, sich nicht in moralischer Hinsicht entscheidend gebessert haben könnte. Wenn also aus der Triebfeder der Bosheit und des reinen Egoismus durch moralische Läuterung ein Weg zur Tugend der Gerechtigkeit gebahnt worden wäre, dann könnte dies – oder zumindest die zukünftige Erwartung – Grund genug sein, anstelle der Todesstrafe eine lebenslängliche Strafe zu verhängen. Allein der Abschreckungsgedanke ist gerade bei der Todesstrafe nicht
Heinz Gerd Ingenkamp, Gnade und Gesellschaft. Soziologisches zu Schopenhauers Ethik, in: Politik und Gesellschaft im Umkreis Arthur Schopenhauers (Hg. Matthias Koßler), , S. , , unternimmt einen Versuch zur willenstheoretischen Begründung, ohne freilich Schopenhauer beizupflichten: „Die Umkehrung des Wesens von der Bejahung zur Verneinung des Willens zum Leben ist der Zweck des Daseins; ist diese Umkehr eingetreten, dann ist es gleichgültig, ob die betreffende Person zuvor moralisch oder unmoralisch gelebt hat“. Siehe auch Karl Engisch, Todesstrafe – ja oder nein?, Schopenhauer-Jahrbuch () ; ders., Recht und Sittlichkeit, Schopenhauer-Jahrbuch () .
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durchgreifend, ist es doch nach wie vor unbewiesen, ob diese so einschneidende Sanktion überhaupt abschreckende Wirkung auf künftige Täter haben wird.²⁸⁹
d) Perspektive der Leidenden Auch wäre begründungsbedürftig gewesen, warum mit Blick auf die passive Seite, die ja der entscheidende Parameter für die Gründung des Staates sein soll, im Falle des Mordes einzig die Todesstrafe in Betracht kommt. Denn dasjenige Individuum, das getötet wurde, leidet nicht mehr – so zynisch diese Überlegung anmutet.²⁹⁰ Auf Seiten der Leidenden, um die es Schopenhauer für die Rechtfertigung des Staates und staatlicher Strafe zu tun ist, kämen dann im Falle der Tötung nur noch die Angehörigen in Betracht. Bezogen auf die Angehörigen mag jedoch der Schmerz noch so stark sein, er ist – zumindest wenn man Schopenhauers Willensmetaphysik ernst nimmt – wohl stets unterhalb der Schwelle des unbändigen Willens zum Leben des Delinquenten, mag dieser Wille auch rechtlich weit weniger schutzwürdig sein – zumal im Verhältnis zu den leidenden Angehörigen des Getöteten.
e) Aufflammen des Talionsprinzips und der Rache Jedenfalls gibt es aus Sicht der leidenden Angehörigen – wiederum vom Ausgangspunkt Schopenhauers betrachtet – keinen Grund zwingend die Todesstrafe zu verlangen oder diesem Wunsch jedenfalls von Rechts wegen zu entsprechen. Denn auch hier käme man andernfalls unweigerlich zu dem von Schopenhauer abgelehnten Talionsprinzip.²⁹¹ Mehr noch: Schopenhauer muss sich den Einwand gefallen lassen, dass nicht nur das Prinzip „Auge um Auge“ obwaltet, sondern auch der mühsam durch die Staatseinrichtung gebändigte Rachetrieb sich unversehends Bahn bricht. Denn zumindest mit der vergleichsweise dürren Be-
Zutreffend Fritz Bauer, Schopenhauer und die Strafrechtsproblematik (), in: Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften, , S. , : „Wenn Länder mit Todesstrafe keinesfalls weniger Mordtaten, manchmal sogar mehr aufzuweisen haben als Länder ohne Todesstrafe, wenn die Todesstrafe also nicht abschreckend wirkt, so ist der Grund, daß ein potentieller Mörder, der mit seiner Bestrafung rechnet, auf die Ausführung der Tat verzichtet – von den Sonderfällen etwa des Überzeugungstäters abgesehen“. Ein ähnlicher Gedanke findet sich im Übrigen bei Michel de Montaigne in seinem Kannibalenessay, in dem er zugunsten der Kannibalen geltend macht, dass sie ihre Opfer nicht folterten, sondern zuvor töteten, was er als entscheidendes Argument gegen die Folter ins Feld führt; Montaigne war konsequenterweise Gegner der Todesstrafe; näher Jens Petersen, Montaignes Erschließung der Grundlagen des Rechts, , § . Zu ihm Jens Petersen, Dante Alighieris Gerechtigkeitssinn, . Auflage , S. .
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gründung Schopenhauers lässt sich schwerlich der Vorwurf ausräumen, dass mit der Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe auch einem gleichwie gearteten gemeinschaftlichen Rachebedürfnis entsprochen werde. Was schließlich die Gemeinschaft der Staatsbürger betrifft, so können sie schwerlich als Unrechtleidende verstanden werden, wenn und soweit es um die allfällige Verhängung der größtmöglichen Strafe geht. Jede andere Strafe mag man vom Standpunkt Schopenhauers begründen können, die gezielte unausweichliche Tötung als kategorische Verneinung des Willens zum Leben eines noch so ruchlosen Individuums jedoch nicht. Entscheidend gegen Schopenhauers Befürwortung der Todesstrafe spricht also, dass die Maßnahme hier ohne jede Rücksicht auf die Zukunft getroffen wird. Man kann es mit Schopenhauers eigenen Worten zu einem anderen Gegenstand so formulieren, dass, bezogen auf die Todesstrafe, „ohne solche Rücksicht alles Strafen und Vergelten eines Frevels ohne Rechtfertigung bliebe, ja, ein bloßes Hinzufügen eines zweiten Uebels zum Geschehenen wäre, ohne Sinn und Bedeutung“ (WW I/2 § 63 S. 436).
4. Tatbezogene Strafrechtstheorie Schopenhauers generalpräventive Strafzwecklehre geht dabei, wie er im zweiten Band seines Hauptwerks präzisiert, von der seltsamen Vorstellung aus, „daß eigentlich nicht der Mensch, sondern nur die That gestraft wird, damit sie nicht wiederkehre: der Verbrecher ist bloß der Stoff, an dem die That gestraft wird; damit dem Gesetze, welchem zu Folge die Strafe eintritt, die Kraft abzuschrecken bleibe“ (WW II/2 Kap. 47 S. 699). Diese Sichtweise dürfte mit seiner Ablehnung der Willensfreiheit zusammen hängen, von der weiter unten noch die Rede sein wird. Denn wenn der Einzelne gar nicht freien Willens entscheiden kann, sondern von einem unabänderlichen Charakter zur Tat bestimmt ist, dann erscheint es als naheliegend, nicht ihn, sondern seine Tat zu bestrafen.²⁹²
a) Todesstrafe schon bei versuchtem Mord Wie merkwürdig diese tat- nicht täterbezogene Strafrechtstheorie ist, erweist sich ebenfalls, wenn man Schopenhauers Befürwortung der Todesstrafe in Rechnung
Siehe auch Heinrich Foth, Tatschuld und Charakter, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Hans Voigt, Über Schopenhauers Erkenntnistheorie. Seine Gedanken über das Verhältnis des Charakters zum Schicksal, Schopenhauer-Jahrbuch () ; ferner Wolfram Bernhard, Schopenhauer und die moderne Charakterologie, Schopenhauer-Jahrbuch () .
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stellt:²⁹³ Denn dort wird ja der Mensch aufs Härteste bestraft. Im Hintergrund seiner Strafzwecklehre steht, wie Schopenhauer selbst einräumt, seine in der Preisschrift Über die Freiheit des Willens postulierte Prämisse der Unveränderlichkeit des Charakters, der eine „moralische Besserung gar nicht möglich“ macht (WW II/2 Kap. 47 S. 700). Schopenhauers Verteidigung der Todesstrafe wirkt demgegenüber hilflos, zumal da sie seines Erachtens schon bei versuchtem Mord eingreifen muss: „Zur Sicherstellung des Lebens der Bürger ist daher die Todesstrafe schlechterdings nothwendig. Denen, welche sie aufheben möchten, ist zu antworten: ‚Schafft erst den Mord aus der Welt: dann soll die Todesstrafe nachfolgen.‘ Auch sollte sie den entschiedenen Mordversuch eben so wie den Mord selbst treffen: denn das Gesetz will die That strafen, nicht den Erfolg rächen“ (WW II/2 Kap. 47 S. 700 f.). Das gewählte argumentum ad absurdum läuft auf einen reinen Zynismus hinaus.
b) Irrationalität der Strafzumessung Wie ungewöhnlich hilflos Schopenhauer in dieser Frage argumentiert, zeigt sich auch, wenn er die Gewichtung des Menschenlebens nur am Beispiel bizarrer Straftatbestände in Rechnung stellt: „Aber, wie in Polen, auf das Schießen eines Auerochsen den Tod zu setzen, ist zu viel, da die Erhaltung des Geschlechts der Auerochsen nicht mit Menschleben erkauft werden darf“ (WW II/2 Kap. 47 S. 701). Hier wird deutlich, dass Schopenhauers Unrechtsbewertung und Strafzumessung – entgegen unserem heutigen Verständnis²⁹⁴ – keinem gleichwie gearteten rationalen Prinzip folgt, sondern eher archaische Vorstellungen und individuelle
Zutreffend die immanente, d. h. die Prämissen und Inkonsequenzen innerhalb des Schopenhauerschen Systems berücksichtigende Kritik von Otto Friedrich Damm, Schopenhauers Rechtsund Staatsphilosophie. Darstellung und Kritik, , S. : „Er verschanzt sich hinsichtlich seiner Forderung auf Beibehaltung der Todesstrafe (…) seine Lehre vom Vertrage und sucht diese noch durch Berufung auf die Pfandtheorie zu stützen. Diese letztere nun (…) faktisch dem Vergeltungstriebe sehr nahesteht, obwohl sie Schopenhauer nur als Leitfaden für die Bestimmung des angemessenen Verhältnisses zwischen Strafen und Verbrechen angesehen wissen will, ist unseres Erachtens im letzten Grunde mit Rücksicht auf die (…) Auseinandersetzung Kants, die sich tatsächlich auch gegen die Schopenhauersche Art des Vertragsschließens und den daraus abgeleiteten unmittelbaren Zweck der Strafe in einzelnen Fällen wendet, entstanden. Schopenhauer vergisst dabei ganz, dass er früher behauptet hat, die ‚reine Rechtslehre‘ oder das ‚Naturrecht‘, bezw. ‚die Philosophie‘ (…) müsse auch die ‚Ableitung des Strafrechts‘ der Gesetzgebung zur Anwendung überliefern“. Claus Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, . Auflage , S. ; siehe auch Jens Petersen, Dante Alighieris Gerechtigkeitssinn, . Auflage , S. f.; ders., Recht vor Gnade in Ovids Tristia, Gedächtnisschrift für Hannes Unberath, , S. , .
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ordnungspolitische Auffassungen obwalten. Schopenhauers Strafzwecktheorie und vor allem die Begründung seiner Befürwortung der Todesstrafe treiben so sonderbare Blüten, dass sie hier nicht weiterverfolgt werden müssen. Denn auch die einzelnen Strafen, die Schopenhauer für die Begehung von Delikten verhängt wissen will, sind nicht eben Ausbund eines rational gesteuerten Sinnes für die zeitliche Gerechtigkeit. Das Moment der Irrationalität, das durch Schopenhauers Willensmetaphysik Einzug in die juristische Geistesgeschichte gehalten hat, zeigt in diesem rechtsstaatlich sensibelsten Bereich sein hässliches Gesicht.²⁹⁵
Anders verhält es sich womöglich im Verständnis der Kunst; vgl. nur Brigitte Scheer, Ästhetik als Rationalitätskritik bei Arthur Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () .
§ 5 Ewige Gerechtigkeit I. Das Weltgericht Die Gerechtigkeitsvorstellung Schopenhauers erschöpft sich weder in der von ihm sogenannten Gesinnung der Gerechtigkeit noch in der zeitlichen Gerechtigkeit, sondern lässt sich allenfalls dann hinlänglich würdigen, wenn man seine enigmatische Lehre von der ewigen Gerechtigkeit in Betracht zieht.²⁹⁶ Schopenhauers Lehre von der ewigen Gerechtigkeit ist schwerlich in andere Worte zu fassen, als diejenigen, die er selbst dafür fand, weswegen sich die meisten Erklärungsversuche zur ewigen Gerechtigkeit in wortreichen Umschreibungen erschöpfen.²⁹⁷
1. Grundlegung der Gerechtigkeitstheorie Schopenhauers kühne Theorie der ewigen Gerechtigkeit ist in den §§ 63 und 64 des ersten Bandes seines Hauptwerks niedergelegt. Später hat er sich kaum noch damit auseinandergesetzt. Aufschlussreich und zum besseren Verständnis geeignet, ist eine einführende Bemerkung aus dem zweiten Band des Hauptwerks. Ausgangspunkt ist nicht von ungefähr die Erscheinung des ungeteilten Willens zum Leben im Einzelnen: „Denn in jedem Einzelnen erscheint der ganze ungetheilte Wille zum Leben, das Wesen an sich, und der Mikrokosmos ist dem Makrokosmos gleich“ (WW II/2 Kap. 47 S. 692). Diese Identität des Willens in der
Zum Unterschied zwischen zeitlicher und ewiger Gerechtigkeit Kuno Fischer, Schopenhauers Leben,Werke und Lehre, , S. : „Die Strafe der zeitlichen Gerechtigkeit war abschreckend, nicht vergeltend. Die ewige Gerechtigkeit dagegen übt die Vergeltung und läßt die künftigen Zustände, welche in der Seelenwanderung erlebt werden sollen, als Vergeltungszustände erscheinen. Was du Uebles gethan hast, sollst du büßen; dieselben Leiden, die du verhängt hast, sollst du erdulden. Der Thierquäler wird in der Gestalt des gequälten Thieres wiedererscheinen“. – An dieser instruktiven Zusammenfassung, die Schopenhauer gerecht wird, veranschaulicht die eigenwillige Mischung, von europäischem und indischem Gedankengut, die aus seiner Beschäftigung mit der indischen Gedankenwelt hervorgegangen ist. Vgl. nur Jean-Claude Wolf, Bejahung und Verneinung des Willens, in: Kommentar zu ‚Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung‘ (Hg. Oliver Hallich/Matthias Koßler), , S. , f.: „Die Lehre der ewigen Gerechtigkeit ist ein philosophischer Mythos für einen Sachverhalt, der jenseits von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit besteht. (…) Die Lehre von der ewigen Gerechtigkeit ist eine atheistische Version der Idee einer moralischen Weltordnung. (…) Die ewige Gerechtigkeit ist das atheistische Äquivalent einer gelungen Theodizee. In der moralischen Weltordnung ist jede Grausamkeit und jedes Unrecht nichts als ein Wüten des einen Willens gegen sich selbst, ein Sich-selbst-Fressen und-Versehren“. DOI 10.1515/9783110491173-006
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Natur, in der sich seine allgewaltige Kraft zeigt, mit dem in uns waltenden Willen, der in jedem Einzelnen von uns erscheint, bildet die Grundlage der Lehre von der ewigen Gerechtigkeit: „Denn der Beschaffenheit des Willens muß seine Erscheinung genau entsprechen: hierauf beruht die, §§ 63, 64 des ersten Bandes, gegebene Darstellung der ewigen Gerechtigkeit, und die Welt, obgleich aus eigener Kraft bestehend, erhält durchweg eine moralische Tendenz“ (WW II/2 Kap. 47 S. 693). Diese moralische Tendenz der Welt, die Schopenhauer wohl nicht von ungefähr parataktisch in ein und demselben Satz mit der Darstellung der ewigen Gerechtigkeit zum Ausdruck bringt, macht die Lehre von der ewigen Gerechtigkeit besonders anspruchsvoll; allerdings auch insoweit, als dies an Schopenhauers System besondere Anforderungen stellt. Er wird dem, wie er selbstbewusst hervorhebt, in seiner Vorstellung dadurch gerecht, dass er selbstgewiss verkündet: „Meine Philosophie ist aber die einzige, welche der Moral ihr volles und ganzes Recht angedeihen läßt“ (WW II/2 Kap. 47 S. 690).
2. Schopenhauers erster ‚Blick auf die ewige Gerechtigkeit‘ Von der ewigen Gerechtigkeit hat Schopenhauer bereits zu Beginn seiner Rechtslehre andeutungsweise gesprochen, wie weiter oben bereits erwähnt wurde: „Die Welt ist gerade eine solche, weil der Wille, dessen Erscheinung sie ist, ein solcher ist, weil er so will. Für die Leiden ist die Rechtfertigung die, daß der Wille auch auf diese Erscheinung sich selbst bejaht; und diese Bejahung ist gerechtfertigt und ausgeglichen dadurch, daß er die Leiden trägt“ (WW I/2 § 60 S. 413). Mit diesen Zeilen wirft Schopenhauer vor seiner eigentlichen Rechtslehre bereits einen ersten ‚Blick auf die ewige Gerechtigkeit‘ (WW I/2 § 60 S. 413). Was sich hinter diesem ominösen Begriff verbirgt, wird selbst dem aufnahmebereiten Leser Schopenhauers nicht immer ganz klar. Ihr Gegenstand ist die Welt, weil sie diese „beherrscht, nicht von menschlichen Einrichtungen abhängig, nicht dem Zufall und der Täuschung unterworfen, nicht unsicher, schwankend und irrend, sondern unfehlbar, fest und sicher ist“ (WW I/2 § 63 S. 436). Das betreffende Kapitel seines Hauptwerks zeigt Schopenhauer stilistisch auf der Höhe seiner ‚schriftstellerischen Genialität‘, die kein geringerer als Thomas Mann ihm zubilligte, der zugleich die Lehre von der ewigen Gerechtigkeit als ‚aristokratisch‘ bezeichnete.²⁹⁸
Thomas Mann, Brief an Josef Ponten aus dem Jahr (zitiert nach Edo Reents, Zu Thomas Manns Schopenhauer-Rezeption, , S. ), schreibt über ‚diesen merkwürdigsten Gedanken Schopenhauers‘: „Eine Charakter- und Schicksalsauffassung von eigentümlich metaphysischer Strenge, – ich meine: ein heiter und unerbittlich aristokratisches Gefühl für die Verdienstlichkeit
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3. ‚Walten‘ der ewigen Gerechtigkeit Aber abgesehen von dieser beeindruckenden Äußerlichkeit sind die Ausführungen zur ewigen Gerechtigkeit inhaltlich nur sehr schwer nachzuvollziehen, noch schwerer zu billigen. Mit ihrer unauflöslichen Verknüpfung der Lehre von der ewigen Gerechtigkeit an Schopenhauers Willensmetaphysik entzieht sie sich zugleich auch der Einordnung in eine austeilende oder ausgleichende Gerechtigkeit im aristotelischen Sinne.²⁹⁹ Man muss hier Schopenhauer noch stärker als bei allem übrigen selbst zu Wort kommen lassen, weil die weit ausgreifenden Perioden, mit denen er das Walten der ewigen Gerechtigkeit beschreibt, allenfalls eine Ahnung davon geben, was es mit ihr auf sich hat: „Die Welt ist nur der Spiegel dieses Wollens: und alle Endlichkeit, alle Leiden, alle Quaalen, welche sie enthält, gehören zum Ausdruck dessen, was er (sc. der Wille) will, sind so, weil er so will. Mit dem strengsten Rechte trägt sonach jedes Wesen das Daseyn überhaupt, sodann das Daseyn seiner Art und seiner eigenthümlichen Individualität, ganz wie sie ist und unter Umgebungen wie sie sind, in einer Welt so wie sie ist, vom Zufall und vom Irrthum beherrscht, zeitlich, vergänglich, stets leidend: und in allem was ihm widerfährt, ja nur widerfahren kann, geschieht ihm immer Recht. Denn sein ist der Wille: und wie der Wille ist, so ist die Welt“ (WW I/2 § 63 S. 438). Das vordergründig Zirkuläre, das dieser eigentümlichen Begründung anhaftet, dürfte gewollt sein. Der Ausgangspunkt ist hier wiederum, dass das Los des Menschen Elend, Jammer, Mangel, Qual und Tod sind. Die Wirkungsweise, der Ausübungsmodus der ewigen Gerechtigkeit ist das Walten: „Die ewige Gerechtigkeit waltet. (…) In diesem Sinne können wir sagen: die Welt selbst ist das Weltgericht. Könnte man allen Jammer der Welt in eine Waagschaale legen, und alle Schuld der Welt in die andere; so würde gewiß die Zunge einstehn“ (WW I/2 § 63 S. 438).
oder Schuldhaftigkeit des Seins, nicht erst des empirischen Thuns“. Siehe auch Arthur Hübscher, Thomas Manns Schopenhauer-Essay, Schopenhauer-Jahrbuch () . Weiterführend Matthias Koßler, Empirische Ethik und christliche Moral. Zur Differenz einer areligiösen und einer religiösen Grundlegung der Ethik am Beispiel der Gegenüberstellung Schopenhauers mit Augustinus, der Scholastik und Luther, , S. : „Die ewige Gerechtigkeit kann somit als ausgleichende gefaßt werden, der eine bestimmte Ordnung zugrundeliegt, gegen welche aus individueller Freiheit verstoßen wurde; solange der Verstoß nicht mit ebenderselben Freiheit rückgängig gemacht und die Ordnung so wieder hergestellt ist, gleicht die Gerechtigkeit die Schuld durch eine entsprechende Strafe aus“. – Aber es fragt sich, wie der Verstoß ‚mit eben derselben Freiheit rückgängig gemacht‘ werden soll, wenn die dafür erforderliche Willensfreiheit hieniden gerade nicht gegeben ist. Präzisierend Annette Godart van der Kroon, Schopenhauer’s Theory of Justice and its Implication to Natural Law, Schopenhauer-Jahrbuch () , : „One of the consequences of eternal justice according to Schopenhauer is, that eternal justice cannot be a retribute justice, because the concept of retaliation implies time“.
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4. Welt oder Weltgeschichte als Weltgericht? Auffallend daran ist die Feststellung, dass die Welt selbst das Weltgericht ist. Das ist ersichtlich eine Anspielung auf Hegels berühmte geschichtsphilosophische Aussage, wonach die Weltgeschichte das Weltgericht ist.³⁰⁰
a) Schopenhauers ‚Welt‘ versus Hegels ‚Weltgeschichte‘ Fast scheint es als habe Schopenhauer Hegel hier noch übertrumpfen wollen, indem er dessen Quintessenz seiner Geschichtsphilosophie noch einmal innerweltlich verkürzt. Denn mit dem präzisierenden Zusatz (‚selbst‘) liest es sich so, dass man hinzuzufügen geneigt ist: und nicht die Weltgeschichte. ³⁰¹ Da der Begriff des Weltgerichts in der bisherigen philosophischen Tradition nicht eben häufig verwendet wurde, erklärt sich die abermalige Verwendung im gleichen zeitlichen Zusammenhang letztlich nur durch eine kontrastierende Entgegensetzung, mit der sich Schopenhauer zugleich inhaltlich in denkbar größtem Abstand gegenüber Hegel absetzt. Denn die ewige Gerechtigkeit ist, wie Schopenhauer einleitend ausführt, gerade unterschiedlich von der zeitlichen: „Der Begriff der Vergeltung schließt schon die Zeit in sich: daher kann die ewige Gerechtigkeit keine vergeltende seyn, kann also nicht, wie diese, Aufschub und Frist gestatten und, nur mittelst der Zeit die schlimme That mit der schlimmen Folge ausgleichend, der Zeit bedürfen um zu bestehn“ (WW I/2 § 63 S. 437).
b) Begrenzung und Entgrenzung der Gerechtigkeit Hegels berühmtes Wort, wonach die Weltgeschichte das Weltgericht ist, ist aber gerade notwendigerweise zeitlich, da es die Geschichte betrifft.³⁰² Schopenhauer hingegen entgrenzt die ewige Gerechtigkeit einerseits, erklärt sie andererseits zu einer innerweltlichen Angelegenheit. Die entscheidende Frage bleibt demnach, ob Schopenhauers Wort überhaupt noch sinnvoll gedacht werden kann, oder ob die
Dazu und zur Gegenüberstellung mit Schopenhauer Jens Petersen, Die Eule der Minerva in Hegels Rechtsphilosophie, . Auflage , § . Siehe zur Weltgeschichte und ihrer eurozentrischen Deutung auch Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. : „In Europa wird die Weltgeschichte von einem chronologischen Stundenzeiger begleitet, welcher, bei anschaulichen Darstellungen, jedes Decennium auf den ersten Blick erkennen läßt: (…) er steht unter Leitung der Schneider“. Allgemein dazu Alfred Schmidt, Arthur Schopenhauer und die Geschichte, SchopenhauerJahrbuch () .
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Überspitzung des hegelschen Satzes unweigerlich auf Kosten der Sinnhaftigkeit und Verständlichkeit geht. Schopenhauer sieht, wenn man ihn recht versteht, jedoch gerade die ewige Gerechtigkeit als eine Spitze seines Systems an; nur wenn man alles Bisherige begriffen hat, wenn man das Walten des einen Willens verstanden hat, dann und nur dann lässt sich auch das Walten der ewigen Gerechtigkeit begreifen: „Daß nun eine solche ewige Gerechtigkeit wirklich im Wesen der Welt liege, wird aus unserm ganzen bisher entwickelten Gedanken Dem, der diesen gefaßt hat, bald vollkommen einleuchtend werden“ (WW I/2 § 63 S. 437).
5. ‚Schleier der Maja‘ Was den Blick auf die ewige Gerechtigkeit verhüllt, ist nicht zuletzt die Befangenheit in Zeit und Raum, die Schopenhauer, wie erinnerlich, principium individuationis nennt: „Freilich aber stellt sich der Erkenntniß, so wie sie, dem Willen zu seinem Dienst entsprossen, dem Individuo als solchem wird, die Welt nicht so dar, wie sie dem Forscher zuletzt sich enthüllt, als die Objektität des einen und alleinigen Willens zum Leben, der er selbst ist; sondern den Blick des rohen Individuums trübt, wie die Inder sagen, der Schleier der Maja: ihm zeigt sich, statt des Dinges an sich, nur die Erscheinung, in Zeit und Raum, dem principio individuationis, und in den übrigen Gestaltungen des Satzes vom Grunde:³⁰³ und in dieser Form seiner beschränkten Erkenntniß sieht er nicht das Wesen der Dinge, welche Eines ist, sondern dessen Erscheinungen, als gesondert, getrennt, unzählbar, sehr verschieden, ja entgegengesetzt“ (WW I/2 § 63 S. 438).³⁰⁴
Zur Erklärung diene folgender Gedanke Schopenhauers (zitiert nach Die Maja, in: Sehnsucht nach Indien. Literarische Annäherungen von Goethe bis Günter Grass, Hg. Veena Kade-Luthra, . Auflage , S. , ): „Kant setzt das so Erkannte als bloße Erscheinung dem Dinge an sich entgegen; endlich die uralte Weisheit der Inder spricht: ‚Es ist die Maja, der Schleier des Truges, welcher die Augen der Sterblichen umhüllt und sie eine Welt sehn läßt, von der man weder sagen kann, daß sie sei, noch auch, dass sie nicht sei: denn sie gleicht dem Traume, gleicht dem Sonnenglanz auf dem Sande, welchen der Wanderer von Ferne für ein Wasser hält, oder auch dem hingeworfenen Strick, den er für eine Schlange ansieht.‘ (Diese Gleichnisse finden sich in unzähligen Stellen der Veden und Puranas wiederholt.) Was alle diese aber meinten und wovon sie reden, ist nichts anderes, als was auch wir jetzt eben betrachten: die Welt als Vorstellung, unterworfen dem Satze des Grundes“. Siehe dazu auch Edgar Dahl, Der Schleier der Maya. Das Tier in der Ethik Schopenhauers, Schopenhauer-Jahrbuch () .
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a) Sonderung von Erscheinung und Ding an sich Ein Schlüsselwort dieser eindrücklichen Stelle ist das Partizip ‚gesondert‘: „Diese Sonderung aber eben liegt nur in der Erscheinung und nicht im Dinge an sich: eben darauf beruht die ewige Gerechtigkeit“ (WW I/2 § 63 S. 440).³⁰⁵ Es geht Schopenhauer also um die Einheit der Erkenntnis von Individuum und Welt. Dass dies das menschliche Vorstellungsvermögen auf eine harte Probe stellt, hängt nicht nur mit dem schopenhauerschen principio individuationis zusammen, sondern auch mit der Frage, ob wir das Ding an sich erkennen können, wie Schopenhauer im Unterschied zu Kant annimmt (WW II/1 Kap. 18 S. 223 ff.). Dasjenige, was entgegengesetzt erscheint, was man also nicht zusammen denken zu können scheint, soll in Wahrheit Eines sein. Interessanterweise exemplifiziert Schopenhauer dies in jenem ansonsten beispielarmen Kapitel mit einem Sachverhalt, welcher der zeitlichen Gerechtigkeit entlehnt ist: „Da erscheint ihm die Wollust als Eines, und die Quaal als ein ganz Anderes, dieser Mensch als Peiniger und Mörder, jener als Dulder und Opfer, das Böse als Eines und das Uebel als ein Anderes. Er sieht den Einen in Freuden, Ueberfluß und Wollüsten leben, und zugleich vor dessen Thüre den Andern durch Mangel und Kälte quaalvoll sterben. Dann frägt er: wo bleibt die Vergeltung?“ (WW I/2 § 63 S. 438 f.).
b) Befangenheit des Gerechtigkeitssinnes in Zeit und Raum Die ewige Gerechtigkeit stellt also den menschlichen Gerechtigkeitssinn auf die Probe. Die Gegenüberstellung von Mörder und Opfer, die in der zeitlichen Gerechtigkeit gerade die Schutzanstalt des Staates erforderlich machte, weil sonst dem Leiden des Opfers nicht angemessene Rechnung getragen werden könnte, scheint hier überwunden. Jedoch bleibt der Blick des in Zeit und Raum befangenen Menschen dieser Einsicht verstellt: „Er sieht das Uebel, er sieht das Böse in der Welt: aber weit entfernt zu erkennen, daß Beide nur verschiedene Seiten der Erscheinung des einen Willens zum Leben sind, hält er sie für sehr verschieden, ja ganz entgegengesetzt, und sucht oft durch das Böse, d. h. durch Verursachung des fremden Leidens, dem Uebel, dem Leiden des eigenen Individuums, zu entgehn,
Eingehend zur ewigen Gerechtigkeit David Walter Hamlyn, Eternal Justice, SchopenhauerJahrbuch () ; zum Verhältnis von zeitlicher und ewiger Gerechtigkeit Søren R. Fauth, Die Schopenhauer-Rezeption in Franz Kafkas Erzählung „In der Strafkolonie“ unter Berücksichtigung möglicher Kierkegaard-Spuren, in: Schopenhauer-Kierkegaard. Von der Metaphysik des Willens zur Philosophie der Existenz (Hg. Nils Jørgen Cappelørn/Lore Hühn/Søren R. Fauth/ Philipp Schwab), , S. , : „Schuld, Strafe, Recht und Unrecht wurzeln in der metaphysischen Beschaffenheit der Welt, zeitliche Gerechtigkeit in Gestalt eines institutionalisierten Rechtswesens kann die ewige Gerechtigkeit nie außer Kraft setzen“.
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befangen im principio individuationis, getäuscht durch den Schleier der Maja“ (WW I/2 § 63 S. 439).³⁰⁶ Das menschliche Gerechtigkeitsempfinden ist also ebenfalls in Raum und Zeit befangen, und man möchte hinzufügen: Es kann die Dinge, wie sie an sich sind, nicht erkennen. Doch passt diese Erklärung nicht zu Schopenhauers Vorstellung, wonach das Ding an sich – bzw. für ihn: der Wille – erkennbar ist. Dieser Bruch mit der kantischen Transzendentalphilosophie³⁰⁷ erweist sich als Hindernis zum Begreifen seiner Lehre von der menschlichen Gerechtigkeit.³⁰⁸ Würde Schopenhauer dafürhalten, dass wir das als Willen begriffene Ding an sich nicht erkennen könnten, sich also das Walten der ewigen Gerechtigkeit durch den einen Willen unserer Erkenntnis nicht erschließen würde, und sich dessen ungeachtet eine unseren Gerechtigkeitssinn transzendierende, höhere Gerechtigkeit im Walten dieser Gerechtigkeit abbildet, dann wäre dies wenigstens systematisch besser einzuordnen.³⁰⁹
6. Innerweltliche Gerechtigkeitslehre Schopenhauer trägt seine Gerechtigkeitslehre demgegenüber mit einer Heilsgewissheit vor, die beinahe eine jüngerhafte Aufnahmebereitschaft voraussetzt: „Dem in der Erkenntniß, welche dem Satz vom Grunde folgt, in dem principio individuationis, befangenen Blick entzieht sich die ewige Gerechtigkeit: er vermißt sie ganz, wenn er nicht etwan sie durch Fiktionen rettet. Er sieht den Bösen, nach Unthaten und Grausamkeiten aller Art, in Freuden leben und unangefochten Zum Verhältnis von Schopenhauers ‚Schleier der Maja‘ zu Rawls’ (A Theory of Justice, ) ‚Schleier des Nichtwissens‘ (Veil of Ignorance) Ferdinand Fellmann, Ist Schopenhauers Vision einer ewigen Gerechtigkeit noch aktuell?, in: Politik und Gesellschaft im Umkreis Arthur Schopenhauers (Hg. Matthias Koßler), , S. ff. Zur Klarstellung Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. : „Ich verstehe unter Transscendentalphilosophie eine jede, welche das Bewußtseyn zu ihrem nächsten Gegenstande macht“; (Hervorhebungen auch dort). Bündig Margit Ruffing, Philosophische Erkenntnis bei Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () : „Schopenhauer ist nicht für seine Erkenntnistheorie bekannt; vielmehr ist die Metaphysik des Willens das zentrale Anliegen seiner Philosophie“. Präzisierend unter dem Gesichtspunkt der Unmittelbarkeit Harald Schöndorf, Schopenhauers Philosophie als Krise neuzeitlichen Denkens, Schopenhauer-Jahrbuch () , f.: „Nur wenn es unmittelbar, nicht im eigentlichen Sinne erkenntnismäßig gegeben ist, können wir zum Ding an sich gelangen. Einen solchen Zugang haben wir deshalb, weil sich das Wollen und Begehren des Leibes so sehr unmittelbar in der Leibesaktion auswirkt, dass man nach Schopenhauer zwischen beiden überhaupt nicht unterscheiden kann. Ohne diese Unmittelbarkeit wäre es uns nicht möglich, den Willen als Ding an sich zu entdecken“.
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aus der Welt gehn. Er sieht den Unterdrückten ein Leben voll Leiden bis an’s Ende schleppen, ohne daß sich ein Rächer, ein Vergelter zeigte. Aber die ewige Gerechtigkeit wird nur Der begreifen und fassen, der über jene am Leitfaden des Satzes vom Grunde fortschreitende und an die einzelnen Dinge gebundene Erkenntniß sich erhebt, die Ideen erkennt, das principium individuationis durchschaut, und inne wird, daß dem Dinge an sich die Formen der Erscheinung nicht zukommen“ (WW I/2 § 63 S. 440). Man muss also Schopenhauers Abhandlung Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom Grunde begriffen haben, um auch der Lehre von der ewigen Gerechtigkeit näher treten zu können. So sehr man die Ergebnisse bezweifeln kann, so sehr muss man in diesem Punkt Schopenhauers Systemdenken und den werkimmanenten Zusammenhang bewundern.³¹⁰ Auffallend ist der Impetus, eine rein innerweltliche Gerechtigkeitslehre zu propagieren, die ohne alles jenseitige, ohne alle religiösen Verheißungen auskommt – der Vergleich mit Nietzsches ‚abgründigstem Gedanken‘ aus dem Zarathustra von der ewigen Wiederkehr des Immergleichen liegt dementsprechend nahe.³¹¹ Auch denkt man unwillkürlich an Ralph Waldo Emerson und seinen Essay über die Ausgleichungen,³¹² wenn man bei Schopenhauer liest: „Die lebendige Erkenntniß der ewigen Gerechtigkeit, des Waagebalkens, der das malum culpae [Übel der Schuld] mit dem malo poenae [Übel der Strafe] unzertrennlich verbindet, erfordert gänzliche Erhebung über die Individualität und das Princip ihrer Möglichkeit“ (WW I/2 § 63 S. 442). Immerhin soll „einem Jeden das Wesen jener ewigen Gerechtigkeit und die Einheit und Identität des Willens in allen seinen Erscheinungen, worauf jene beruht, wenigstens als dunkles Gefühl bewußt“ sein (WW I/2 § 64 S. 444).
Überspitzt Rudolf Malter, Arthur Schopenhauer: Transzendentalphilosophie und Metaphysik des Willens, , S. : „Für den Philosophen genügt die Willensmetaphysik, um die Bedeutung der ewigen Gerechtigkeit in abstracto zu erfassen“. Zustimmend Annette Godart van der Kroon, Schopenhauer’s Theory of Justice and its Implication to Natural Law, SchopenhauerJahrbuch () , . Dazu Heinrich Hasse, Vorstufen der Lehre Nietzsches von der ewigen Wiederkunft bei Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Wolfgang Weimer, Die ewige Wiederkehr des Gleichen bei Schopenhauer und Nietzsche, Schopenhauer-Jahrbuch () . Ralph Waldo Emerson, Essays. First Series, Compensation, (hier zitiert nach der Reclam-Ausgabe in der Übersetzung von Oskar Dähnert), S. : „Alle Dinge haben einen moralischen Zweck. Der Geist, welcher in unserem Innern sich als eine Empfindung darstellt, ist außerhalb unseres Innern ein Gesetz. Wir verspüren seinen Einfluß, und in der Geschichte können wir seine verhängnisvolle Kraft wahrnehmen. (…) Die Gerechtigkeit kommt nicht zu kurz, sondern in allen Lagen des Lebens bleibt das Gleichgewicht ein vollkommenes“. Siehe auch Stanley Cavell, Aversive Thinking: Emersonian Representations in Heidegger and Nietzsche, in: A Political Companion to Ralph Waldo Emerson (Hg. Alan M. Levine/Daniel S. Malachuk), , S. .
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7. Scheinrationalität der ewigen Gerechtigkeit Man ist abermals dankbar für das Beispiel aus dem Bereich des Strafrechts, also der zeitlichen Gerechtigkeit und ihren psychologischen Wirkungen, das Schopenhauer gibt: „Ganz unabhängig von dem nachgewiesenen Zwecke des Staates, bei der Strafe, der das Strafrecht begründet, gewährt es, nachdem eine böse That geschehn, nicht nur dem Gekränkten, den meistens Rachsucht beseelt, sondern auch dem ganz antheilslosen Zuschauer Befriedigung, zu sehn, daß Der, welcher einem Andern einen Schmerz verursachte, gerade dasselbe Maaß des Schmerzes wieder erleide. Mir scheint sich hierin nichts Anderes, als eben das Bewußtseyn jener ewigen Gerechtigkeit auszusprechen, welches aber von dem ungeläuterten Sinn sogleich mißverstanden und verfälscht wird, indem er, im principio individuationis befangen, eine Amphibolie [Doppeldeutigkeit] der Begriffe begeht und von der Erscheinung Das verlangt, was nur dem Dinge an sich zukommt, nicht einsieht, inwiefern an sich der Beleidiger und der Beleidigte Eines sind und das selbe Wesen es ist, was, in seiner eigenen Erscheinung sich selbst nicht wiedererkennend, sowohl die Quaal als die Schuld trägt“ (WW I/2 § 64 S. 444 f.). Das Einssein von Täter und Opfer am Beispiel des Strafrechts ist eine schwerlich nachvollziehbare Annahme. Dass Täter und Opfer in Wahrheit eins sind, dass nur der eine Wille zum Leben waltet, trotz Verschiedenheit in der bloßen Erscheinung, welche die Dinge in Zeit und Raum befangen betrachtet, stellt die Vernunft auf eine schwere Probe³¹³ und lässt einen zugleich die Sinnhaftigkeit dieser Lehre infrage stellen. Gewiss kann man demgegenüber einwenden, dass Schopenhauer eben, wie eingangs (§ 1 a.E.) hervorgehoben, durch den blindlings waltenden Willen das Moment der Irrationalität in Kauf genommen und schon von daher einen auch für die juristische Geistesgeschichte gewichtigen Beitrag geleistet habe. Das Walten der ewigen Gerechtigkeit im Schopenhauerschen Sinne wirkt indes eher scheinrational, um einen letztgültigen Ausgleich bemüht, der Täter und Opfer auf eine unbefriedigende Weise versöhnt.
Rudolf Malter, Arthur Schopenhauer: Transzendentalphilosophie und Metaphysik des Willens, , S. , versucht demgegenüber den möglichen Vorwurf an Schopenhauer zu entkräften, „die Konzeption einer ewigen Gerechtigkeit, wie sie sich aus der Willensmetaphysik ergibt, und – weil die Vernunft hier leitend ist – durch den Transzendentalismus des begriffenen Wesens ermöglicht wird, laufe in ihrer praktischen Konsequenz auf eine Schuld-enthebung des Unrecht-tuenden – ‚Der Quäler und der Gequälte sind eines‘ – hinaus. Nichts liegt Schopenhauer ferner, als diese Konsequenz zu ziehen“. Zustimmend Annette Godart van der Kroon, Schopenhauer’s Theory of Justice and its Implication to Natural Law, Schopenhauer-Jahrbuch () .
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8. Gerechtigkeit gegenüber dem Welteroberer? Geradezu auf die Spitze getrieben wird Schopenhauers Theorie der ewigen Gerechtigkeit durch folgende Überlegung: „Daher möchten die Meisten auch fordern, daß ein Mensch, der einen sehr hohen Grad von Bosheit hat, welcher jedoch sich wohl in Vielen, nur nicht mit andern Eigenschaften wie in ihm gepaart, finden möchte, der nämlich dabei durch ungewöhnliche Geisteskraft Andern weit überlegen wäre und welcher demzufolge nun unsägliche Leiden über Millionen Andere verhienge, z. B. als Welteroberer, – sie würden fordern, sage ich, daß ein solcher alle jene Leiden irgendwann und irgendwo durch ein gleiches Maaß von Schmerzen abbüßte; weil sie nicht erkennen, wie an sich der Quäler und die Gequälten Eines sind und der selbe Wille, durch welchen diese dasind und leben, es eben auch ist, der in jenem erscheint und gerade durch ihn zur deutlichsten Offenbarung seines Wesens gelangt, und der ebenfalls wie in den Unterdrückten, so auch im Ueberwältiger leidet, und zwar in diesem in dem Maaße mehr, als das Bewußtseyn höhere Klarheit und Deutlichkeit und der Wille größere Vehemenz hat“ (WW I/2 § 63 S. 445).
a) Einheit von ‚Quäler und Gequältem‘? Welcher Welteroberer Schopenhauer hier vor Augen stand, wenn es nicht lediglich ein Idealtypus avant la lettre sein soll, lässt sich schwerlich bestimmen; gegen Napoleon spricht der von Schopenhauer vorausgesetzte ‚sehr hohe Grad an Bosheit‘, für ihn die Überlegenheit durch ‚ungewöhnliche Geisteskraft‘. Die Vorstellung jedenfalls, dass die verbrecherischsten Diktatoren des 20. Jahrhunderts³¹⁴ – auch wenn ihnen die ‚ungewöhnliche Geisteskraft‘ für gewöhnlich fehlte – nach diesem Weltgericht gerechtfertigt wären oder gar im Leiden eins mit ihren Opfern sein sollten, lässt einen erschaudern und diskreditiert diese Lehre de facto. Die aberwitzige Idee, dass auf die schlimmsten Schergen Schopenhauers Wendung zutreffen sollte, dass ‚der Quäler und die Gequälten eines sind‘, bedeutet eine gravierende gedankliche Zumutung.³¹⁵ Zumindest kann der Vorwurf nicht
Siehe in diesem Zusammenhang auch Walter Pritzkow, Schopenhauer-Zitate in Hitlers Buch „Mein Kampf“, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Wolfgang Weimer, Der Philosoph und der Diktator. Arthur Schopenhauer und Adolf Hitler, Schopenhauer-Jahrbuch () . Zutreffend Vittorio Hösle, Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie, , S. : „Seine Lehre von der ewigen Gerechtigkeit, nach der Henker und Opfer im Grunde identisch seien, ist eine groteske Parodie traditioneller Theodizeevorstellungen“. Wenig überzeugend die Verteidigung gegen die im genannten Sinne kruden ‚Theodizeevorstellungen‘ Annette Godart van der
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ausbleiben, dass mit einer solchen Gerechtigkeitslehre die Abermillionen von Opfern wo nicht verhöhnt, so doch zynisch betrachtet werden.³¹⁶ Man kann Schopenhauer nicht einmal zugute halten, er habe noch nicht ahnen können, zu welchen Grausamkeiten die menschliche Bosheit fähig wäre, wenn man an die bereits weiter oben angesprochene Stelle erinnert: „Mancher Mensch wäre im Stande, einen andern totzuschlagen, bloß um mit dessen Fette sich die Stiefel zu schmieren“ (GM § 14 S. 238).
b) Welteroberer und Weltüberwinder Interessanterweise spricht Schopenhauer in seinem Hauptwerk noch an anderer Stelle vom Welteroberer, über den er den ‚Weltüberwinder‘ stellt: Danach „ist nicht der Welteroberer, sondern der Weltüberwinder, also in der That nichts Anderes, als der stille und unbemerkte Lebenswandel eines solchen Menschen, dem diejenige Erkenntniß aufgegangen ist, in Folge welcher er jenen Alles erfüllenden und in Allem treibenden und strebenden Willen zum Leben aufgiebt und verneint, dessen Freiheit erst hier, in ihm allein, hervortritt, wodurch nunmehr sein Thun das gerade Gegentheil des gewöhnlichen wird“ (WW I/2 § 68 S. 477).³¹⁷ Der Weltüberwinder hätte demnach – im Gegensatz etwa zum Welteroberer – Aussicht auf Gelassenheit und Seelenruhe.³¹⁸ Nur der Weltüberwinder hat demnach die Aussicht, über alle Rechtshändel endgültig erhaben zu sein.
II. Zurechnung und Willensfreiheit Jedoch kann man andererseits – gleichsam als benigna interpretatio – den Versuch unternehmen, die Lehre von der ewigen Gerechtigkeit unter dem Blickwinkel
Kroon, Schopenhauer’s Theory of Justice and its Implication to Natural Law, SchopenhauerJahrbuch () , . Weiterführend dazu Andreas Hansert, Schopenhauer im . Jahrhundert. Geschichte der Schopenhauer-Gesellschaft, , S. ff. mit Nachweisen aus dem insoweit aufschlussreichen Briefwechsel zwischen Taub und Hübscher. Zu dieser Stelle in anderem Zusammenhang Georg Küpper, Kommt es darauf an, die Welt zu verändern? Zur Ethik des Tuns und Lassens, in: Schopenhauer in der Philosophie der Gegenwart (Hg. Dieter Birnbacher), , S. , . Karl Pisa, Das Vermächtnis der Gelassenheit. Schopenhauer als „Philosoph für die Welt“, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Ulrike Kienzle, Tönende Metaphysik. Die Nachwirkung von Schopenhauers Philosophie im Musiktheater des . und . Jahrhunderts, in: Schopenhauer und die Künste (Hg. Günther Baum/Dieter Birnbacher), , S. , . Siehe auch Georges Goedert, Schopenhauer – Ethik als Weltüberwindung, Schopenhauer-Jahrbuch () .
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seiner Ablehnung der Willensfreiheit rechtsphilosophisch zu durchdenken, wie dies bereits eingangs erwogen wurde. Denn möglicherweise hängen beide enger mit einander zusammen, als dies im bisherigen Schrifttum gesehen wurde.³¹⁹
1. Das Problem der Zurechnung Eingangs wurde das selbstgewisse Urteil Schopenhauers referiert: „Meine Philosophie ist aber die einzige, welche der Moral ihr volles und ganzes Recht angedeihen läßt“ (WW II/2 Kap. 47 S. 690). Mit dem begründenden Nachsatz freilich stellt er zugleich eine Hürde auf, die auch für das Verständnis der ewigen Gerechtigkeit nicht folgenlos bleibt: „Denn nur wenn das Wesen des Menschen sein eigener Wille, mithin er, im strengsten Sinne, sein eigenes Werk ist, sind seine Thaten wirklich ganz sein und ihm zuzurechnen. Sobald er hingegen einen andern Ursprung hat, oder das Werk eines von ihm verschiedenen Wesens ist, fällt alle seine Schuld zurück auf diesen Ursprung, oder Urheber“ (WW II/2 Kap. 47 S. 690 f.). Juristisch ist bereits der Begriff der Zurechnung bedeutsam, wie die nachfolgende Präzisierung erkennen lässt, welche die Frage der Schuld stellt. Denn wenn dem Einzelnen seine Taten deswegen nicht zurechenbar sind, weil er nicht freien Willens war, als er sie beging, kann man ihn nicht im Rechtssinne – und für Schopenhauer bedeutet dies: auch nicht im moralischen Sinne – schuldig sprechen. Die Willensfreiheit hat Schopenhauer aber bereits in seiner Preisschrift Über die Freiheit des Willens geleugnet, wie er im zweiten Band seines Hauptwerks bündig zusammenfasst: „In meiner Preisschrift über die Freiheit des Willens habe ich die Ursprünglichkeit und Unveränderlichkeit des angeborenen Charakters, aus welchem der moralische Gehalt des Lebenswandels hervorgeht nachgewiesen. Sie steht als Thatsache fest“ (WW II/2 Kap. 47 S. 701).³²⁰ Wenn aber der Mensch letztlich nicht frei entscheiden kann, wenn er in seinen Handlungen dergestalt determiniert ist, dass er nicht aus eigener Kraft wählt und es noch einen anderen
Eine wichtige Ausnahme macht Bernhard Sorg, Zur literarischen Schopenhauer-Rezeption im . Jahrhundert, , S. f. Plakativ Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. : „Der Unterschied im Moralischen und Intellektuellen zwischen Mensch und Mensch ist unermeßlich. Hier Edelmuth und Weisheit, dort Bosheit und Dummheit. Dem Einen leuchtet die Güte des Herzens aus den Augen, oder der Stempel des Genies thront auf seinem Antlitz, während der niederträchtigen Physiognomie des Andern ist der Stempel moralischer Verworfenheit und intellektueller Gemeinheit von den Händen der Natur selbst deutlich und unauslöschlich aufgedrückt“; (Hervorhebung auch dort).
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Ursprung für sein Handeln gibt, dann fällt, mit Schopenhauers bereits zitierten Worten, ‚alle seine Schuld zurück auf diesen Ursprung‘.
2. Zusammenhang mit der Willensfreiheit Die Lehre von der ewigen Gerechtigkeit, wie Schopenhauer sie im ersten Band seines Hauptwerks skizziert hat, muss diese Möglichkeit der mangelnden Willensfreiheit in Rechnung stellen, weil Schopenhauers Theorie, wonach die Welt selbst das Weltgericht ist, damit eine wichtige Weichenstellung erfährt. Wenn es überhaupt einen juridischen Inhalt der Lehre von der ewigen Gerechtigkeit gibt, dann wird man ihn nämlich nur in dieser von Schopenhauer geleugneten Willensfreiheit erkennen können,³²¹ welche die Annahme einschließt, dass der Täter einer Straftat, der letztlich selbst nicht anders konnte, als so zu handeln, damit zugleich schon Instrument des einen, ungeteilten Willens zum Leben ist, wie er weiter oben in der zitierten Stelle vorausgesetzt wurde. Diese Berücksichtigung der – nach Schopenhauer fehlenden – Willensfreiheit im Rahmen seiner Lehre von der ewigen Gerechtigkeit ist systematisch überaus bedeutend. Denn mit ihr steht und fällt letztlich das eine wie das andere. Die Vorstellung einer innerweltlich verwirklichten Gerechtigkeit – und zwar sogar ohne Zutun des Staates, der nur die zeitliche Gerechtigkeit betrifft – eine ewige Gerechtigkeit also, in der Täter und Opfer gleichermaßen als Ausdruck des einen ungeteilten Willens fungieren, dieser erratischen Vorstellung kann man wohl ihrerseits nur gerecht werden, wenn man
Allgemein dazu Ludwig Fulda, Schopenhauer und das Problem der Willensfreiheit, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Morris Stockhammer, Über die Freiheit des Willens. Eine Schopenhauer-Studie, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Jan Garewicz, Schopenhauers Lehre von der Willensfreiheit, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Harald Schöndorf, Zum Paradox von Wille und Freiheit bei Schopenhauer, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Wolfgang Seelig, Vorstellung und Freiheit. Über Schopenhauers erstes Grundproblem der Ethik: Freiheit des Willens, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Günter Schulte, Gehirnfunktion und Willensfreiheit. Schopenhauers neurophilosophische Wende. Teil I: Die Frage nach der Realität der Außenwelt, Schopenhauer-Jahrbuch () ; ders., Teil II: Die Frage nach der Freiheit des Willens, Schopenhauer-Jahrbuch () . Siehe auch Daniel Schubbe, Die Bedeutung Schopenhauers für das moderne Bild des Menschen oder Zwischen Willensmetaphysik und moderner Neurobiologie, Schopenhauer-Jahrbuch () ; Andrea Hampel, Die Bedeutung der Philosophie Schopenhauers im Lichte der modernen Gehirnforschung, Schopenhauer-Jahrbuch () .
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§ 5 Ewige Gerechtigkeit
Schopenhauers Annahmen zur Willensfreiheit als Prämisse unterstellt, obwohl er sie ausdrücklich in seinem Hauptwerk nicht zu einer solchen erklärt hat.³²²
3. Der Täter als Werkzeug der ewig waltenden Gerechtigkeit Schopenhauers Ablehnung der Willensfreiheit könnte also dergestalt mit seiner Lehre von der ewigen Gerechtigkeit zusammenhängen, dass diese nur mit Rücksicht auf jene verständlich wird. Denn nur unter der Prämisse, dass dem Täter die Tat nicht in der Weise persönlich zurechenbar ist, dass er auch anders hätte handeln können, ergibt Schopenhauers Vorstellung von der ewigen Gerechtigkeit, wonach Täter und Opfer letztlich eins sind oder zumindest Erscheinungsformen eines und desselben Willens, annäherungsweise Sinn. Dann nämlich wäre der zu seiner Tat gleichsam verdammte Täter Werkzeug der ewig waltenden Gerechtigkeit; er würde dann in dem von Schopenhauer vorausgesetzten Sinne selbst an und unter der Tat leiden.
a) Unveränderlichkeit des Charakters Um sich dieser kühnen Idee zu nähern, muss man zunächst Schopenhauers Ablehnung der Willensfreiheit näher betrachten.³²³ Bereits im Ausgangspunkt auffällig daran ist, dass er in der Preisschrift Über die Freiheit des Willens eingangs die Freiheit als negativen Begriff versteht und verwendet:³²⁴ „Wir denken durch ihn nur die Abwesenheit alles Hindernden und Hemmenden: dieses hingegen
Bernhard Sorg, Zur literarischen Schopenhauer-Rezeption im . Jahrhundert, , S. f.: „In Schopenhauers Denken meldet sich der letzte große Versuch der Rettung einer metaphysischen Gerechtigkeit“. Aber auch Sorg lehnt die ewige Gerechtigkeit, der zudem ein circulus vitiosus zugrunde liege, mit guten Gründen letztlich ab: „Wie aber kann dieses so abstrakte und voraussetzungsvolle System den Namen Gerechtigkeit beanspruchen, wenn nur die es erfahren, die es erfahren wollen?“ (…) Sie „hängt an so vielen philosophischen, vor allem metaphysischen Voraussetzungen, dass eigentlich nur ein gläubiger Buddhist oder ein überzeugter Schopenhauerianer sie zu teilen vermögen.“ Zu dieser Stelle auch Edo Reents, Zu Thomas Manns Schopenhauer-Rezeption, , S. Fußnote . Pointiert Dieter Birnbacher/Georg Küpper, Schopenhauer und der Wert der Freiheit, Schopenhauer-Jahrbuch () , : „Kein anderer Philosoph hat wie Schopenhauer ins Licht gerückt, dass die Willensfreiheit im Grunde eine Absurdität und der Determinismus eine Selbstverständlichkeit ist, und dass nur unsere Selbstsicht als aktiv in die Welt eingreifende Akteure uns daran hindert, sie als solche zu erkennen“. Zu ihr Hans Voigt, Zur Preisschrift über die Freiheit des Willens, Schopenhauer-Jahrbuch () .
II. Zurechnung und Willensfreiheit
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muß, als Kraft äußernd, ein Positives seyn“ (I 1 S. 43). Das ist deswegen aufschlussreich, weil es auf einen strukturellen Gleichlauf zwischen Freiheit und Recht hinausläuft; beides sind für Schopenhauer ja negative Begriffe. Sein Argument gegen die Willensfreiheit liegt nicht zuletzt in der Unveränderlichkeit des menschlichen Charakters begründet; vor dem Hintergrund dieser Konstante erscheint ihm jegliche Beschwörung des vorgeblich freien Willens leer: „Ich kann thun was ich will: ich kann, wenn ich will, Alles was ich habe den Armen geben und dadurch selbst einer werden, – wenn ich will! – Aber ich vermag nicht, es zu wollen; weil die entgegenstehenden Motive viel zu viel Gewalt über mich haben, als daß ich es könnte. Hingegen wenn ich einen andern Charakter hätte, und zwar in dem Maaße, daß ich ein Heiliger wäre, dann würde ich es wollen können; dann aber würde ich auch nicht umhin können, es zu wollen, würde es also thun müssen. – Dies Alles besteht vollkommen wohl mit dem ‚ich kann thun was ich will‘ des Selbstbewußtseyns, worin noch heut zu Tage einige gedankenlose Philosophaster die Freiheit des Willens zu sehn vermeinen, und sie demnach als eine gegebene Thatsache des Bewußtseyns geltend machen“ (III S. 82 f.).
b) ‚Intelligible Freiheit‘ und Neurobiologie Mit anderen Gründen und unter Ablehnung von Schopenhauers ‚intelligibler Freiheit‘ hat sich später auch Nietzsche gegen die Annahme der Willensfreiheit gewandt.³²⁵ Mit seiner Ablehnung der Willensfreiheit wurde Schopenhauer gerade in neuerer Zeit zum Gewährsmann einer Richtung, die auch unter Berufung auf die Erkenntnisse der modernen Neurobiologie die Freiheit des Willens bestreitet.³²⁶ Diese weitverzweigte und im Einzelnen sehr komplexe Debatte kann und muss an dieser Stelle nicht weiter betrachtet werden.³²⁷ Die Diskussion ist im Übrigen
Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, Band II, – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), II , S. f.; dazu näher Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, . Auflage , S. ff. Siehe nur den Sammelband ‚Willensfreiheit zwischen Philosophie, Psychoanalyse und Neurobiologie‘ (Hg. Wolfgang Tress/Rudolf Heinz), . Ferner Judith Hardegger, Willenssache. Die Infragestellung der Willensfreiheit durch moderne Hirnforschung als Herausforderung für Theologie und Ethik, . Paradigmatisch Klaus-Jürgen Grün, Die Sinnlosigkeit eines kompatibilistischen Freiheitsbegriffs. Arthur Schopenhauers Entlarvung der Selbsttäuscher, in: Das Gehirn und seine Freiheit. Beiträge zur neurowissenschaftlichen Grundlegung der Philosophie (Hg. Gerhard Roth/Ders.), , S. , f.: „Interessant für die gegenwärtige Debatte um die Willensfreiheit ist es nun, dass Schopenhauer bereits durch methodische Analyse zur gleichen Auskunft gelangte wie die moderne Neurobiologie durch empirische Experimente: dort, wo ich Freiheit erlebe, also in den
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längst nicht beendet, zumal da neuerdings auch wieder gewichtige Argumente für die Willensfreiheit vorgebracht werden.³²⁸ Für die rechtsphilosophische Würdigung der Gerechtigkeitstheorie Schopenhauers genügt die Feststellung, dass seine Ablehnung der Willensfreiheit nicht als weltfremdes Spekulieren abgetan werden kann. Mit der inneren Folgerichtigkeit der Lehre Schopenhauers von der ewigen Gerechtigkeit hängt also seine Ablehnung der Willensfreiheit zusammen, die wiederum durch moderne neurobiologische Erkenntnisse neue Nahrung gewonnen hat. Wenn man also Schopenhauers Ablehnung der Willensfreiheit nicht isoliert betrachtet, wie dies häufig geschieht, um zu zeigen, dass eine vorgeblich neurobiologisch gebotene Annahme des Determinismus in Schopenhauer einen Kronzeugen und Gewährsmann hat, sondern sein Bestreiten der Willensfreiheit in seine Lehre von der ewigen Gerechtigkeit einordnet, dann fällt auch auf sie ein gewisser Glanz, der zwar nichts an ihrer strafrechtlich gesehen praktischen Untauglichkeit ändert. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, dass auch die mit dem Bestreiten der Willensfreiheit zusammenhängende Vorstellung der ewigen Gerechtigkeit einen rechtsphilosophischen Gehalt aufweist, der uns auch heute noch angeht. Auch wenn Martin Heidegger bekanntlich erst Nietzsche als den letzten Metaphysiker bezeichnet hat³²⁹ – nicht von ungefähr unter Verweis auf die Behandlung des Problems der Gerechtigkeit durch Nietzsche –, so war es Schopenhauer, der – gerade mit seiner Theorie der ewigen Gerechtigkeit – als letzter großer Exponent einer langen Tradition ein metaphysisches Verständnis der Gerechtigkeit zugrunde legte.
Bewusstseinszuständen, ist über ihr Wesen nichts auszumachen, ja verbindet sich nichts Beobachtbares, nichts Reproduzierbares mit der Vorstellung von Freiheit. Schopenhauers Fazit, ‚an dem was wir thun, erkennen wir, was wir sind‘ (…), erfährt unabhängig von seiner Willensmetaphysik eine Bestätigung durch die Hirnforschung, wenn Wolf Singer schreibt: ‚Keiner kann anders, als er ist‘“. Unter Verweis auf Wolf Singer, Selbsterfahrung und neurobiologische Fremdbeschreibung. Zwei konfliktträchtige Erkenntnisquellen, Deutsche Zeitschrift für Philosophie () , . Matthias Schultze-Kraft/Daniel Birman/Marco Rusconi/Carsten Allefeld/Kai Görgen/Sven Dähne/Benjamin Blankertz/John-Dylan Haynes, Point of no return in vetoing self-initiated movements, Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America () . Martin Heidegger, Nietzsche, Band , , S. ; dazu Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, . Auflage , Kapitel .
III. Nietzsches Einspruch gegen die ewige Gerechtigkeit
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III. Nietzsches Einspruch gegen die ewige Gerechtigkeit Im bisherigen Schrifttum ist weithin übersehen worden, dass es eine kongeniale Auseinandersetzung mit Schopenhauers Lehre von der ewigen Gerechtigkeit gibt, die von keinem Geringeren als Friedrich Nietzsche stammt, der, wie erinnerlich, Schopenhauer zunächst ‚als Erzieher‘ anerkannte.³³⁰ Es handelt sich bei dieser bedeutenden Fundamentalkritik an Schopenhauers Theorie der ewigen Gerechtigkeit um ein nachgelassenes Fragment aus dem Sommer 1875. Es ist überaus bemerkenswert zu sehen, wie zwei der größten Stilisten deutscher Sprache das Problem der ewigen Gerechtigkeit erörtern.
1. Rückbesinnung auf die emphatische Verehrung Nietzsches rhetorische Brillanz zeigt sich bereits im einführenden Satz, in dem er ohne Umschweife zur Sache kommt und die ewige Gerechtigkeit Schopenhauers dadurch infrage stellt, dass er eine rhetorische Frage mit einem Ausrufezeichen enden lässt: „Ist denn nun die ‚ewige Gerechtigkeit‘ Schopenhauer’s etwas so Ernstes und Emphatisch-zu-Verehrendes!“.³³¹ Was die emphatische Verehrung betrifft, so erstaunt dieser Ausruf, weil zur Zeit der Niederschrift im Jahre 1875 Schopenhauers später Ruhm und Nachruhm zwar schon eingesetzt hatte, aber gleichwohl nicht auszumachen ist, dass sich seine Lehre – insbesondere die von der ewigen Gerechtigkeit – bereits in einem solchen Maße durchgesetzt hätte. Dieser Gesichtspunkt eröffnet freilich die Möglichkeit, dass es vielleicht Nietzsche selbst war, der diese Lehre ursprünglich emphatisch verehrt hatte. Dann wäre der Beginn dieses Fragments womöglich eine Selbstreflexion, die einen inneren Wandel zur Beurteilung der Problematik der Gerechtigkeit dokumentieren würde, die Nietzsche zeitlebens beschäftigte.³³²
a) ‚Walten einer an ewige Gesetze gebundenen Gerechtigkeit‘ Mit Emphase stellte er bereits zwei Jahre zuvor fest, wie die Gerechtigkeit im tragischen Zeitalter der Griechen verstanden wurde: „Es ist eine wundervolle,
Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen III, – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), III , S. ff.; dazu Max Öhler, Nietzsches unzeitgemäße Betrachtung „Schopenhauer als Erzieher“, Schopenhauer-Jahrbuch () . Friedrich Nietzsche, Nachlaß – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), S. . Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, . Auflage , passim.
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aus dem reinsten Borne des Hellenischen geschöpfte Vorstellung, welche den Streit als das fortwährende Walten einer einheitlichen, strengen, an ewige Gesetze gebundenen Gerechtigkeit betrachtet.“³³³ Auch wenn es hier nicht um Schopenhauers Lehre von der ewigen Gerechtigkeit geht, so sind die Parallelen doch auffällig: Die ewige Gerechtigkeit wird nur durch zwei – freilich wesentliche – ‚Gesetze gebunden‘. Und auch das ‚fortwährende Walten‘ ähnelt Schopenhauers Diktion, ist doch, wie gesehen das Walten gerade der Daseinsmodus seiner ewigen Gerechtigkeit. Nietzsche bezieht sich dabei maßgeblich auf Heraklit,³³⁴ dessen Gerechtigkeitsvorstellung ebenfalls augenfällige Gemeinsamkeiten mit Schopenhauers ewiger Gerechtigkeit aufweist:³³⁵ „Er konnte die ringenden Paare und die Richter nicht mehr getrennt voneinander betrachten, die Richter selbst schienen zu kämpfen, die Kämpfer selbst schienen sich zu richten – ja, da er im Grunde nur die ewig waltende eine Gerechtigkeit wahrnahm, so wagte er auszurufen: ‚Der Streit des Vielen selbst ist die eine wahre Gerechtigkeit‘“.³³⁶
b) ‚Letzter Metaphysiker des Abendlandes‘ (Heidegger) Besonders pikant ist nun, dass Martin Heidegger in seinem epochalen, zweibändigen Nietzsche-Buch gerade unter Bezugnahme auf Nietzsches Faszination für den griechischen Gedanken der Gerechtigkeit, sein vielzitiertes Wort bildete, das seither gerade zu einer Umschreibung Nietzsches geworden ist: „Aber dass gerade dieser griechische Gedanke der Gerechtigkeit (…) bei Nietzsche zündete und durch sein ganzes Denken immer verborgener und verschwiegener weiterglühte und sein Denken befeuerte, das hat seinen Grund nicht in jener ‚historischen‘ Beschäftigung mit den vorplatonischen Philosophen, sondern in der geschichtlichen Bestimmung, der sich der letzte Metaphysiker des Abendlandes fügt.“³³⁷ Vor dem Hintergrund dieser scharfsichtigen Bezeichnung Heideggers ist es nun von größtem Interesse nachzuverfolgen, wie Nietzsche sich im Verlauf des genannten Fragments von der Metaphysik so forciert abwandte, dass man para-
Friedrich Nietzsche, Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen , , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), S. . Zu ihm Walther Rauschenberger, Parmenides und Heraklit, Schopenhauer-Jahrbuch () . Zur folgenden Stelle bereits Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, . Auflage , S. . Friedrich Nietzsche, Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen , , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), S. f.; Hervorhebung nur hier. Martin Heidegger, Nietzsche, Band , , S. .
III. Nietzsches Einspruch gegen die ewige Gerechtigkeit
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doxerweise jenes Weiterglimmen zu verspüren meint, das Heidegger ihm nachsagte.
c) Metaphysische Imprägnierung Nicht von ungefähr ist nämlich just in der Mitte des genannten Fragments zur ewigen Gerechtigkeit das Adjektiv ‚metaphysisch‘ auffallend häufig zu finden: „Die Voraussetzung einer eigentlichen metaphysischen Vergeltung ist metaphysische Schuld, und diese ist nicht ohne metaphysische Freiheit denkbar. Die zweite Voraussetzung einer metaphysischen Vergeltung ist metaphysische Fortexistenz des Schuldigen; die dritte – ein metaphysischer Richter und Vollstrecker“.³³⁸ Man wird schwerlich eine Stelle in Nietzsches gesamtem Werk finden, in der er auf so wenigen Zeilen nicht weniger als ein halbes Dutzend Mal das Adjektiv ‚metaphysisch‘ verwendet. Gewiss muss man auch hier dem großen Stilisten zugute halten, dass es sich um eine klassische Anapher handelt. Anaphorische Häufungen dieser Art gehören durchaus zu Nietzsches stilistischem Arsenal.³³⁹ Es geht Nietzsche ersichtlich darum, dass als unausgesprochene Voraussetzung der von Schopenhauer angenommenen ewigen Gerechtigkeit alle mit dem gehäuft hervortretenden Adjektiv verbundenen Hauptworte – Vergeltung, Schuld, Freiheit, Fortexistenz des Schuldigen und schließlich Richter bzw. Vollstrecker – ihrerseits metaphysisch imprägniert sind und nur metaphysisch gedacht werden können.
2. Ewige Gerechtigkeit als ‚Religion der Rache‘ Es ist bezeichnend für Nietzsche, dass auf eine solche, stilistisch wirksam begleitete Gedankenkette unversehens ein kurzer Hauptsatz folgt, der schlaglichtartig die Konsequenz einer solchen fortgesetzten metaphysischen Häufung von Annahmen ins Bewusstsein bringt: „Dies ist die Religion der Rache.“³⁴⁰
Friedrich Nietzsche, Nachlaß – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), S. f. Vgl. nur Eva Strobel, Das „Pathos der Distanz“. Nietzsches Entscheidung für den Aphorismenstil, , S. f. Allgemein zu Nietzsches Stilistik Heinz Schlaffer, Das Entfesselte Wort. Nietzsches Stil und seine Folgen, . Friedrich Nietzsche, Nachlaß – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), S. .
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a) Demaskierung des Rachetriebs Wenn man diese überraschende Volte würdigen möchte, muss man zum Ausgangspunkt zurückkehren. Dem erstgenannten Ausruf folgt nämlich ein zweiter, der sich nicht unmittelbar erschließt,wenn man ihn ohne den genannten Mittelteil liest: „Der ungebändigte Rachetrieb, der sogar transscendente Ideen bildet!“.³⁴¹ Hier steht den ‚transscendenten Ideen‘ der ‚ungebändigte Rachetrieb‘ antithetisch gegenüber. Die Transzendenz ist eben nur im Hinblick auf die fortlaufende Metaphysik verständlich. Mit unvergleichlicher rhetorischer Entschlossenheit, setzt Nietzsche Schopenhauers Idee der ewigen Gerechtigkeit dasjenige entgegen, was sich seines Erachtens auch dort Bahn bricht, wo scheinbar sublimierte Ideen transzendent walten: die reine Rache. Denn zur Antithetik Nietzsches gehört eben auch, dass der hochfliegenden Idee der schlichte Trieb entgegen steht. Diese Demaskierung der Rache ist nur verständlich, wenn man Nietzsches Vorstellung des Ressentiments bzw. der Rache in der zweiten Abhandlung Zur Genealogie der Moral berücksichtigt, worauf hier verwiesen sei.³⁴² So nimmt Nietzsche Schopenhauer gleichsam in kollektiven Gewahrsam: „Die, welche das Strafgericht der Ewigkeit anrufen, zeigen im Spiegel ihr eignes Bild.“³⁴³ Nietzsche hält seinem ursprünglichen ‚Erzieher‘ buchstäblich den Spiegel vor – und verdeutlicht damit unwillkürlich, dass er, wenigstens zeitweise – wenn man Heidegger glauben darf, sogar durchgängig – ähnlich dachte.
b) Ewige Gerechtigkeit als metaphysische Spielerei So erklärt sich die nicht von ungefähr mit einem für Nietzsche in solchen Situationen typischen Gedankenstrich verbundene Folgerung,³⁴⁴ die dementsprechend auch als Selbstmahnung begriffen werden kann: „Man hat nicht nur auf die Verwandtschaft und Gegensätzlichkeit der Ideen zu achten, sondern vor allem auf das, was zu dem ganzen Spiele reizt, die Gewalt der Triebe und Gefühle.“³⁴⁵ An dieser Stelle offenbart sich nun der Sinn des ersten Teils des ersten Ausrufs Nietzsches: Dort fragt – und beantwortet – er gleichzeitig, ob denn nun die ewige Gerechtigkeit Schopenhauers etwas ‚so Ernstes‘ sei; darauf antwortet nämlich in
Friedrich Nietzsche, Nachlaß – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), S. . Näher Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, . Auflage , S. ff. Friedrich Nietzsche, Nachlaß – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), S. . Näher Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, . Auflage , S. . Friedrich Nietzsche, Nachlaß – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), S. .
III. Nietzsches Einspruch gegen die ewige Gerechtigkeit
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dem zuletzt zitierten Satz die für Nietzsche typische kontrastierende Entgegensetzung in Gestalt des ‚Spiels‘. Das Ernste, was Nietzsche im Ausgangssatz infrage stellt, findet nämlich seine Entsprechung im Spiel, als das er die Lehre von der ewigen Gerechtigkeit begreift. Die ewige Gerechtigkeit Schopenhauers ist für ihn mit anderen Worten eine metaphysische Spielerei, welche die dahinterstehenden Affekte verbrämt. Eben das, was Schopenhauer in seiner Strafrechtstheorie vermeiden wollte, nämlich den Gedanken der Rache als heimlichen Strafzweck, ist aus Nietzsches Sicht der hinter der Idee der ewigen Gerechtigkeit lauernde Beweggrund.
3. ‚Vorstellung eines transcendenten Strafgerichts‘ Nietzsches psychologischer Scharfblick erkennt in Schopenhauers Lehre aber nicht nur Spielerei, sondern regelrechte Träumerei:³⁴⁶ „Träume sind (nicht) nur die Ursachen, sondern die Wirkungen unserer Gemüthszustände: Dichtungen auf dem Grund der Triebe und Gefühle. Und wie die Träume, so die ganze vorstellende Welt der Ideen.“³⁴⁷ Nietzsche argumentiert hier mit Bedacht in der schopenhauerschen Diktion, indem er von der ‚vorstellende(n) Welt der Ideen‘ spricht, diese aber mit seiner aus der zweiten Abhandlung Zur Genealogie der Moral geläufigen Theorie der Rache und des Ressentiments konfrontiert.
a) Lehre von der ewigen Gerechtigkeit als Dichtung? Ins Auge sticht aber der hinter dem Doppelpunkt wirkungsvoll eingeführte Begriff der ‚Dichtungen‘. Nietzsche verlegt Schopenhauers Lehre von der ewigen Gerechtigkeit damit in den Bereich der Dichtung. So nimmt es nicht wunder, dass sie namentlich Thomas Mann beeindruckte, der Schopenhauers ‚schriftstellerisches Genie‘ pries.³⁴⁸ Die poetologische Kraft seiner Lehre von der ewigen Gerechtigkeit Vgl. auch Hartwig Kuhlbeck, Schopenhauers Satz „Die Welt ist meine Vorstellung“ und das Traumerlebnis, Schopenhauer-Jahrbuch () . Friedrich Nietzsche, Nachlaß – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), S. . Thomas Mann, Schopenhauer, in: Thomas Mann: Das essayistische Werk. Taschenbuchausgabe in Bänden (Hg. Hans Bürgin), Schriften und Reden zur Literatur, Kunst und Philosophie, Band , , S. : „Überall, wo Schopenhauer auf das Leiden der Welt, den Jammer und die Lebenswut der multiplen Willensinkarnationen zu reden kommt, erreicht seine von Natur außerordentliche Beredsamkeit, erreicht sein schriftstellerisches Genie die glänzendsten und eisigsten Gipfel seiner Vollendung.“ Dazu etwa Wiebke Buchner, „Die Gottesgabe des Wortes und des Gedankens“. Kunst und Religion in den frühen Essays Thomas Manns, , S. ; Thomas
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mit ihrer suggestiven Wirkung ist in der Tat als literarisches Werk eindrucksvoller als in juristischer Hinsicht.³⁴⁹ Nietzsches Rollenprosa greift zur vollständigen Enttarnung der Lehre von der ewigen Gerechtigkeit mit Bedacht das letzte Wort des Titels von Schopenhauers Hauptwerk auf: „Die Vorstellung eines transscendenten Strafgerichts ist Dichtung und streitet sodann mit der edleren Haltung des Bewußtseins, als Erzeugniß des Rachegefühls. Am meisten nehmen wir den Arm der Götter in Anspruch, wenn wir über erlittenes Unrecht empört sind.“³⁵⁰ Schopenhauer selbst hat in einer aufschlussreichen Nachlass-Stelle seine Lehre von der ewigen Gerechtigkeit unausgesprochen in die Nähe der Dichtung gerückt, indem er entscheidet: „Calderon hat Recht: sein Daseyn selbst bleibt eine Schuld, ‚el delito mayor del hombre es haber nacido‘, die größte Schuld des Menschen ist daß er geboren ward. – Wegen dieser Schuld ist und bleibt er mit Recht, auch bei aller jener Tugenden, den Leiden des Leibes und Geistes Preis gegeben, ist also nicht glücklich: – ewige Gerechtigkeit.“³⁵¹ Der Sinn dieser Stelle erschließt sich wohl ebenfalls nur, wenn man Schopenhauers Ablehnung der Willensfreiheit in Rechnung stellt, weil nur von daher begreiflich ist, warum die Tatsache der Geburt als denkbar frühester Anknüpfungspunkt der Vorwerfbarkeit in Betracht kommen soll; der Sache nach handelt es sich freilich um ein argumentum ad absurdum, weil es ja gerade an jeglicher persönlicher Zurechenbarkeit fehlt.
b) Schopenhauers Blick auf die Theologie Diese Überlegung wird durch eine weitere umfangreiche Stelle aus dem handschriftlichen Nachlass gestützt, die gleichsam das theologisch-eschatologische Komplement darstellt: „Daß, wie St. Paulus, Römer 3,21 sqq., Augustinus und
Klugkist, Sehnsuchtskosmogonie. Thomas Manns Doktor Faustus im Umkreis seiner Schopenhauer-, Nietzsche- und Wagner-Rezeption, , S. ; Gerhard Plumpe, „Prima la musica e poi le parole“ – Schopenhauers Kritik der Oper, Festschrift für Paul Gerhard Klussmann, , S. , . Nicht von ungefähr wurde Schopenhauers ewige Gerechtigkeit im Schrifttum mitunter in Beziehung gesetzt zu Franz Kafkas ‚Der Prozeß‘; vgl. nur Søren R. Fauth, „Die Schuld ist immer zweifellos“. Schopenhauersche Soteriologie und Gnosis in Kafkas Erzählung In der Strafkolonie, in: Sinnverlust und Sinnfindung am Anfang des . Jahrhunderts (Hg. Karin Wolgast), , S. , . Friedrich Nietzsche, Nachlaß – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), S. . Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. ; (Hervorhebung auch dort).
III. Nietzsches Einspruch gegen die ewige Gerechtigkeit
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Luther lehrten,³⁵² die Werke nicht rechtfertigen zu können, in dem wir Alle wesentlich Sünder sind,– beruht zuletzt darauf, daß,weil Operari sequitur esse,wenn wir handelten wie wir sollten, wir auch seyn müßten, wie wir sollten: dann bedürfen wir keiner Erlösung aus unserm jetzigen Zustande, d. h. brauchten nicht etwas ganz Anderes ja Entgegengesetztes desselben zu werden.“³⁵³ Ungefähr an dieser Stelle, einige Worte später reißt das kryptische Fragment ab und wird auf einem anderen Blatt fortgesetzt, wo sich allmählich die Zielrichtung offenbart, nämlich die vorgebliche Schuld durch die bloße Existenz und die im Hintergrund stehende Unfreiheit des Willens:³⁵⁴ „Aber wir sind, was wir nicht / seyn sollten, darum thun wir nothwendig was wir nicht thun sollten; darum bedürfen wir einer völligen Aenderung unsers Sinnes und unsers Seyns; wir müssen ganz etwas anders werden als wir sind: Wiedergeburt; d. i. Erlösung. Die einzig wahre Sünde ist die Erbsünde: in unsrer essentia et existentia liegt die Schuld; nicht im Operari, welches daraus nothwendig hervorgeht. Der Christliche Mythos lässt die Erbsünde entstehn, nachdem der Mensch schon dawar, und dichtet ihm deshalb per impossibile einen freien Willen an: das thut er eben als Mythos.“³⁵⁵ So wird deutlich, dass Schopenhauer die christliche Annahme der Willensfreiheit anstößig erscheint, weil sie es dem Menschen ermöglicht, sich freien Herzens und freiwillig gegen das Böse zu entscheiden, und die voraussetzt, dass der Wille gleichsam der Ort der Unrechtsbegehung ist.³⁵⁶ In dieser Hinsicht sind sich Schopenhauer und Nietzsche nicht von ungefähr einig,³⁵⁷ auch wenn sie von dort aus unterschiedliche
Zu Schopenhauers Lehre der ewigen Gerechtigkeit, insbesondere im Hinblick auf Augustinus und Luther Matthias Koßler, Empirische Ethik und christliche Moral. Zur Differenz einer areligiösen und einer religiösen Grundlegung der Ethik am Beispiel der Gegenüberstellung Schopenhauers mit Augustinus, der Scholastik und Luther, . Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. unter ,; (Hervorhebungen auch dort). Siehe zu seiner Beschäftigung mit dem im Text vorausgesetzten Kirchenvater Friedhelm Decher, Schopenhauers Auseinandersetzung mit Augustinus, Schopenhauer-Jahrbuch () . Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. , notiert selbstbewusst zum „Unterschied zwischen den Alltagsköpfen und dem Genie“, dass „den gemeinen Köpfen (…) eine gewisse Denkungsart (…) gemein ist, während die Genies (…) bei aller ihrer sonstigen Verschiedenheit doch sämmtlich eine gewisse Uebereinstimmung zeigen. (…) als Beispiel denke man an (…) die Willensfreiheit“. Joseph Ratzinger, Eschatologie – Tod und ewiges Leben, , . Auflage , S. , begründet dies mit der „unbedingten Achtung Gottes vor seinem Geschöpf“. Siehe auch Jens Petersen, Dante Alighieris Gerechtigkeitssinn, . Auflage , S. . Zu Schopenhauers Lehre der ewigen Gerechtigkeit im Hinblick auf die Religion auch Matthias Koßler, Empirische Ethik und christliche Moral. Zur Differenz einer areligiösen und einer reli-
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Wege gehen, und der Schopenhauersche eben zur Erlösung und ewigen Gerechtigkeit führt.
c) Restspuren religiöser Bindung? Interessanterweise ist im frühen Schopenhauer-Schrifttum etwa zeitgleich zu Nietzsches nachgelassenem Fragment die Reminiszenz eines göttlichen Strafgerichts – wenn auch im Unterschied zu Nietzsche im Singular – konstatiert worden.³⁵⁸ Diese Gedanken lagen also seinerzeit gleichsam in der Luft, sind aber in der modernen Schopenhauer-Rezeption in Vergessenheit geraten. Nietzsche macht gerade am Beispiel der ewigen Gerechtigkeit Restspuren religiöser Bindung in Schopenhauers atheistischem Denken aus: „Die letzte Stütze des wankenden Glaubens steht hier: die moralische Welt sollte einer Ergänzung bedürftig sein, sonst geschehe unserem Verlangen nach einer gerechten Ordnung der Dinge kein Genüge. Dazu müsse es eine über den irdischen Dingen stehende ewige Gerechtigkeit geben. Dazu wurde Gott als Forderung des Vergeltungstriebes herangezogen: der Vergelter, der Vertreter der ewigen Gerechtigkeit. Dazu die individuelle Unsterblichkeit.“³⁵⁹ Auch hier begegnet das Stilmittel der anaphorischen Häufung („dazu“), mit dem die fehlenden oder unausgesprochenen Prämissen dingfest gemacht werden. So bringt Nietzsche Schopenhauers Gerechtigkeitsmetaphysik mit seiner eigenen Religionskritik auf den Punkt: „Dies ist die Religion der Rache. So hat Kant die Religion verstanden. Die feinste Wendung ist die schopenhaue-
giösen Grundlegung der Ethik am Beispiel der Gegenüberstellung Schopenhauers mit Augustinus, der Scholastik und Luther, . Moritz Venetianer, Schopenhauer als Scholastiker. Eine Kritik der Schopenhauer’schen Philosophie mit Rücksicht auf die gesamte Kantische Neoscholastik, , S. : „Da Schopenhauer selbst verficht, dass ohne Unrecht kein Recht und keine Gerechtigkeit ist, da er also offenbar nur den Begriff des Unrechts vom metaphysischen Gebiete abweisen will und dennoch statt blosser Rechtfertigung, die dies ausdrückt, ewige Gerechtigkeit sagt, so beweist dies, dass er sich auch von der alten Vorstellung der Strafgerichte Gottes nicht hat losmachen können. Damit steht im Zusammenhange, dass er auch den Rachetrieb, der selbst bei blossen Zeugen einer Schandthat mit einer aller Gefahren spottenden Heftigkeit hervorzutreten pflegt, auf ein metaphysisches Strafrecht zurückführt, wornach im Sinne der Abschreckungstheorie ‚das Beispiel einer Rache, gegen welche es keine Wehrmauer giebt, jeden künftigen Frevler schrecken soll‘ (). Auch das ist auf eine ewige Gerechtigkeit bezogen lächerlich, wenngleich für den ethischweltgeschichtlichen Standpunkt richtig“. Friedrich Nietzsche, Nachlaß – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), S. . Auch David Walter Hamlyn, Eternal Justice, SchopenhauerJahrbuch () , behandelt in seiner im Übrigen gehaltvollen Studie Nietzsches Replik zu Schopenhauers Lehre von der ewigen Gerechtigkeit nicht.
III. Nietzsches Einspruch gegen die ewige Gerechtigkeit
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rische.“³⁶⁰ Schopenhauers Lehre von der ewigen Gerechtigkeit hat für ihn also paradigmatische Bedeutung, weil sie im Werk des geistesverwandten Atheisten noch einen schalen Rest abgestandener Religiosität erkennt, die bei Lichte besehen nichts anderes sei als eine metaphysische Verbrämung des Vergeltungstriebs.
4. Urteilsvollstreckung in Form des Weltlaufs? Interessanterweise ist Nietzsche eine Verwechslung unterlaufen, indem er diese ‚feinste Wendung‘ mit dem bereits behandelten Wort Hegels in Verbindung bringt,³⁶¹ von dem sich Schopenhauer gerade absetzen wollte: „Die Weltgeschichte das Weltgericht, doch so daß über der physischen Bedeutung der Hergänge noch eine metaphysische steht. Eine mystische Ursächlichkeit des Weltlaufs.“³⁶²
a) Ewige Gerechtigkeit als nachträgliches Erklärungsmuster Dieser Weltlauf hängt, wie Nietzsche sieht, aufs Engste mit der nicht nur von ihm selbst,³⁶³ sondern auch von Schopenhauer abgelehnten Willensfreiheit und dem von ihm angenommenen Determinismus zusammen: „Wir sehen nur die Vollstreckung des Urtheils vor uns, und zwar in der Form des Weltlaufs eines sich deterministisch abspielenden Daseins: Unrecht und Schuld liegt jenseits der Existenz der Welt überhaupt. (…) Gerade die Feigheit und die Ohnmacht pflegen in Auffindung sogenannter ‚Strafgerichte‘ am glücklichsten zu sein. Es ist eine widerwärtige Consequenz der Rache, die Ereignisse im Sinne einer vermeinten Gerechtigkeit zu deuten.“³⁶⁴ Nietzsche geht wohl nicht zuletzt deswegen so hart mit Schopenhauer ins Gericht, weil er in ihm ursprünglich einen Gleichgesinnten
Friedrich Nietzsche, Nachlaß – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), S. . Dazu und zur Gegenüberstellung mit Schopenhauer Jens Petersen, Die Eule der Minerva in Hegels Rechtsphilosophie, . Auflage , § . Friedrich Nietzsche, Nachlaß – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), S. . Näher Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, . Auflage , S. ff., dort auch mit Bezug auf Schopenhauer. Friedrich Nietzsche, Nachlaß – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), S. .
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erblickt hat, der sich über die allzumenschlichen Beweggründe und Triebkräfte für gewöhnlich nichts vormachte. Zugleich ist er für Nietzsche mahnendes Beispiel: Wenn schon ein Denker vom Range Schopenhauers der allgegenwärtigen Gefahr einer religiös fundierten Gerechtigkeitsmetaphysik erliegt, dann müssen ihre Wurzeln noch viel weiter reichen als gemein hin angenommen, nämlich bis zu den niedrigsten menschlichen Affekten, die durch das nachträgliche Erklärungsmuster einer obwaltenden Gerechtigkeit camoufliert werden sollen: „Der Eine nimmt die Maske des Rechts vor, die er beim Advokaten borgen geht, um darunter einen Andern zu schlagen.“³⁶⁵
b) ‚Transcendente Gespenster‘ und ‚metaphysische Karikaturen‘ So scheinen ihm die Atavismen primitiven Denkens noch in den abgefeimtesten Konstruktionen metaphysischer Gerechtigkeit auffindbar zu sein, die ihn zur abschließenden Mahnung verleiten: „Wir vermehren die Übel der Welt noch durch transcendente Gespenster; erdichten wir keine metaphysischen Karikaturen der Dinge! Das natürliche Bild der Welt entspricht selbst da, wo es unbefriedigt läßt, dem tieferen Wesen unserer Natur.“³⁶⁶ Auch hier verweist Nietzsche Schopenhauers Lehre von der ewigen Gerechtigkeit, wenngleich nunmehr unmissverständlich peiorativ, in den Bezirk der Dichtung. Es ist erstaunlich, dass diese so eingehende Auseinandersetzung mit Schopenhauers Lehre von der ewigen Gerechtigkeit im weitverzweigten Schrifttum praktisch unbemerkt geblieben ist, obwohl Nietzsche und Schopenhauer geistesgeschichtlich geradezu in einem Atemzug genannt zu werden pflegen.³⁶⁷ Das gilt umso mehr, als das Pro-
Arthur Schopenhauer, Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass (Hg. Ernst Ziegler), , S. ; (Hervorhebung auch dort). Friedrich Nietzsche, Nachlaß – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), S. . Siehe aber Henning Ottmann, Philosophie und Politik bei Nietzsche, . Auflage , S. f. Andeutungsweise Marco Brusotti, Die Leidenschaft der Erkenntnis. Philosophie und ästhetische Lebensgestaltung bei Nietzsche von Morgenröthe bis Also sprach Zarathustra, , S. Fußnote unter Verweis auf Eugen Dühring, Der Werth des Lebens. Eine philosophische Betrachtung, , den Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), . Abhandlung, Abschn. , S. , verachtete: „Ich erinnere Leser, die Ohren haben, nochmals an jenen Berliner Rache-Apostel Eugen Dühring, der im heutigen Deutschland den unanständigsten und widerlichsten Gebrauch vom moralischen Bumbum macht: Dühring, das erste Moral-Grossmaul, das es jetzt giebt, selbst noch unter seines Gleichen, den Antisemiten“.
III. Nietzsches Einspruch gegen die ewige Gerechtigkeit
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blem der Gerechtigkeit und seine Bewältigung in die Mitte des jeweiligen Denkens führt.³⁶⁸
5. Rückführung auf die rechtsphilosophischen Grundlagen Nietzsches Kritik an Schopenhauers Konzeption der ewigen Gerechtigkeit wurde hier deswegen so ausführlich abgehandelt, weil sie die Rückführung auf die rechtsphilosophischen Grundlagen dieser Lehre ermöglicht. Indem Nietzsche sie als vornehm maskierte Erscheinungsform und Ausprägung der Rachsucht interpretiert, entwirft er zugleich den extremen Gegenstandpunkt, der vor dem Hintergrund strafrechtlicher Vergeltung unter Einbeziehung der anthropologischen Gegebenheiten zumindest justiziabel erscheint. Welchen Sog Schopenhauers Lehre entfaltet, lässt sich nicht zuletzt daran ersehen, dass auch Nietzsche ihr zumindest zeitweise verfiel. So fasst Karl Jaspers Nietzsches Gerechtigkeitsverständnis bis zur Niederschrift des ‚Zarathustra‘ mit aufschlussreichen Worten zusammen, die wohl nicht von ungefähr das ‚Walten‘ der ‚ewigen Gerechtigkeit‘ mit unmissverständlicher oder wenigsten impliziter Anspielung auf Schopenhauers Lehre aufscheinen lassen: „Noch ein Schritt weiter in diese Unbestimmtheit des schaffenden Lebens, und der Standpunkt ist erreicht, wo Gerechtigkeit, statt ein Problem der Wahrheit im Menschen zu bleiben, zu einer Transzendenz wird. Nachdem sie als Möglichkeit des Menschen fragwürdig wurde, wird sie von Nietzsche in metaphysischer Gestalt wiederhergestellt. Gerechtigkeit ist nicht mehr die von Menschen gewusste, erkämpfte, erstrebte, sondern die ‚ewige Gerechtigkeit‘, die ‚waltende Gerechtigkeit‘; sie ist nicht mehr Wesen des Wahrheitssuchenden, sondern Wesen der Dinge in ihrem Geschehen“.³⁶⁹ Dennoch ist Nietzsches Standpunkt zur ewigen Gerechtigkeit in dem besagten Fragment aus dem Jahre 1875, also früher, als von Jaspers angenommen, letztlich dezidiert und unmissverständlich: Er hat der Annahme einer ewigen Gerechtigkeit gerade dort eine Absage erteilt, wo Menschen in bester Absicht Irrtümern aufgesessen sind und vertrauten Vorstellungen anhingen: „So ein Vorgang scheint der ewigen Gerechtigkeit zu widersprechen; desshalb decretirt das Herz empfindender Menschen immer wieder gegen ihren Kopf den Satz: zwischen moralischen
Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, . Auflage , S. ff. Karl Jaspers, Nietzsche. Einführung in das Verständnis seines Philosophierens, . Auflage , S. .
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Handlungen und intellectuellen Einsichten muss durchaus ein nothwendiges Band sein. Es ist leider anders; denn es giebt keine ewige Gerechtigkeit.“³⁷⁰
6. Eschatologische Dimension der ewigen Gerechtigkeit Die Entschiedenheit dieser Aussage wird wohl nur verständlich, wenn man die eschatologische Dimension der ewigen Gerechtigkeit berücksichtigt. Denn letztlich darf man bei der Kontroverse zwischen Schopenhauer und Nietzsche im Hinblick auf die ewige Gerechtigkeit nicht übersehen, dass der Stein des Anstoßes für Nietzsche in der Möglichkeit jenseitiger Gerechtigkeit liegt, die Nietzsche im hier nicht zitierten Beginn des genannten Fragments ausdrücklich ablehnt.³⁷¹ Diese eschatologische Dimension ist für Schopenhauer bei aller Betonung des innerweltlichen Charakters ewiger Gerechtigkeit zumindest ansatzweise, nämlich in den christlichen Spuren seiner von Nietzsche entschieden zurückgewiesenen Mitleids-Ethik eröffnet.³⁷²
IV. Ewige Gerechtigkeit als ‚Pyramidenspitze‘ des Systems Der Rang seiner Lehre von der ewigen Gerechtigkeit liegt also zunächst in der Konsistenz und inneren Folgerichtigkeit seiner Willensphilosophie und Willensmetaphysik.³⁷³ Es ist nicht ausgeschlossen, dass Schopenhauer selbst die Lehre von der ewigen Gerechtigkeit gleichsam als ‚Pyramidenspitze‘ seines Systems Friedrich Nietzsche, Menschliches Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, Band I, – , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), I , S. . Näher Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, . Auflage , S. ff. Hellsichtig Henning Ottmann, Philosophie und Politik bei Nietzsche, . Auflage , S. f.: „Schopenhauer hatte eine ‚ewige Gerechtigkeit‘ gelehrt, und ihr zufolge sollte das Zünglein der Waage einstehen zwischen dem ‚Jammer‘ und der ‚Schuld der Welt‘. Das freilich war es nun gerade, was Nietzsche bekämpfte, die platonische, christliche oder dem Christentum noch nahe Schopenhauerische ‚Belastung‘ des Daseins mit Schuld, der dann Strafe und Gericht entsprechen sollten. Nietzsche will weder Strafe und Gericht im Jenseits, noch will er Strafe und Gericht überhaupt noch anerkennen“. Siehe zu Nietzsches Denken im Hinblick auf Schopenhauers Lehre von der ewigen Gerechtigkeit auch andeutungsweise Eike Brock, Nietzsche und der Nihilismus, , S. mit Fußnote . Bedenkenswert Georg Simmel, Schopenhauer und Nietzsche. Ein Vortragszyklus, , S. f.: „Indem die Lust am eignen und die am fremden Leide hier zusammenwirkend ein einheitliches Phänomen erzeugen, rechtfertigen sie von neuem die Frage nach der metaphysischen Einheit, in deren Tiefe das Leiden des Ich mit dem Leiden des Du solidarisch ist und die sich in dem Wiederzusammenschlagen ihrer zunächst diametral gespaltenen Erscheinungen verrät. In dem
IV. Ewige Gerechtigkeit als ‚Pyramidenspitze‘ des Systems
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verstanden wissen wollte.³⁷⁴ Dieses Wort musste zumindest einen gewissen Klang für Schopenhauer gehabt haben, seit er selbst es als Siebenundzwandzigjähriger – also drei Jahre vor der Veröffentlichung seines Hauptwerks – keinem Geringeren als dem sehr viel älteren Goethe brieflich in einer Meinungsverschiedenheit über die Farbenlehre durchaus forsch und oberlehrerhaft entgegengehalten hatte, womit er ihm einen Dienst zu erweisen glaubte: „Vergleiche ich Ihre Farbenlehre einer Pyramide, so ist meine Theorie die Spitze derselben, der untheilbare mathematische Punct,von dem aus das ganze große Gebäude sich ausbreitet, und der so wesentlich ist, daß es ohne ihn keine Pyramide mehr ist, während man von unten immer abschneiden kann ohne daß es aufhört eine Pyramide zu seyn. Sie haben nicht, wie die Aegypter, von der Spitze, sondern vom Fundament in seiner ganzen Breite zu bauen angefangen und Alles bis auf die Spitze aufgeführt: in diesem Ihrem Gebäude ist nun zwar der Andeutung nach auch die Spitze gegeben und vollkommen bestimmt: doch haben Sie es mir überlassen, sie wirklich darauf zu setzen, wodurch allererst die Pyramide vollendet ist, die Jahrhunderten trotzt.“³⁷⁵ Es lässt sich leicht nachvollziehen, dass nach dieser markigen Belehrung des Dichterfürsten durch den um 39 Jahre Jüngeren eine Erkaltung der Beziehung eintrat, die Schopenhauer übrigens dazu veranlasste, sein Manuskript von Goethe zurückzufordern, um es als Buch zu veröffentlichen.³⁷⁶ Auch von der ‚äußeren‘ systematischen Stellung her gesehen, ist die gegen Ende des Hauptwerks verortete Lehre von der ewigen Gerechtigkeit der ‚Pyramidenspitze‘ zumindest nahe – es sei denn, man begreife als solche das berühmte Schlusswort des ersten Bandes („Nichts“). Aber auch dem ‚inneren‘ System des Hauptwerks würde es nicht widersprechen,³⁷⁷ die Lehre von der ewigen Gerech-
Instinkt für diese Frage hat die Schopenhauersche Lehre von der ewigen Gerechtigkeit vermittels der Identität des Ich und des Du ihre bleibende Bedeutung“. Anderer Ansicht Fritz Mauthner, Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Erster Band A – Intuition, , S. f.: „Diese Pyramidenspitze war für Schopenhauer der Wille (…)“. – Der sogleich im Text zitierte Brief an Goethe legt jedoch die Annahme nahe, dass der Wille für Schopenhauer eher das Fundament seines Systems war. Brief Arthur Schopenhauers an Johann Wolfgang von Goethe vom . November (zitiert nach: Der Briefwechsel mit Goethe und andere Dokumente zur Farbenlehre, Hg. Ludger Lütkehaus, , S. , ). Arthur Schopenhauer, Ueber das Sehn und die Farben, . Mit der Unterscheidung zwischen innerem und äußerem System wird hier eine rechtsdogmatische Unterscheidung herangezogen, die Philipp Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, , in die juristische Methodenlehre eingeführt hat; näher Claus-Wilhelm Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, . Auflage , S. ; Jens Petersen, Anspruchsgrundlage und Anspruchsaufbau als Abbildung des inneren Systems der Privatrechtsordnung, Festschrift für Dieter Medicus, , S. .
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tigkeit als innerweltlichem Ausgleich aller willensbedingten Verwerfungen gleichsam als den höchsten Punkt einer inneren Mitte zu betrachten. Rechtsphilosophisch gesehen, bleibt die Lehre von der ewigen Gerechtigkeit ein weithin sichtbares Denkmal einer überkommenen Gerechtigkeitsmetaphysik und zugleich ein Mahnmal der Beschäftigung auf dem schlecht bestellten Feld zwischen Rechtsphilosophie und Religionsphilosophie. Doch selbst wenn diese irrationalistische Gerechtigkeitsmetaphysik nicht mehr zeitgemäß, sondern ihrerseits Ausdruck einer Krise der Geistesgeschichte ist,³⁷⁸ dann gilt insbesondere für Schopenhauers individualistische Rechtsauffassung sowie seine Gedanken über Unrecht und Gerechtigkeit eine weitere Feststellung Nietzsches: Er bezeichnete ihn nämlich nicht von ungefähr neben Goethe, Hegel und Heinrich Heine³⁷⁹ als „einen für Europa mitzählenden Geist“.³⁸⁰
Zutreffend und weiterführend Vittorio Hösle, Wahrheit und Geschichte. Studien zur Struktur der Philosophiegeschichte unter paradigmatischer Analyse der Entwicklung von Parmenides bis Platon, , S. f.; dazu Robert Jan Berg, Objektiver Idealismus und Voluntarismus in der Metaphysik Schellings und Schopenhauers, , S. Fußnote . Aufschlussreich Wilhelm Ebel, Heines und Schopenhauers ästhetische Anschauungen. Eine Parallele, Schopenhauer-Jahrbuch () . Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophiert. Was den Deutschen abgeht , , Kritische Studienausgabe Band (Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari), S. f.; Hervorhebung nur hier. Vgl. auch Hermann Glockner, Schopenhauer im Traditionszusammenhang der europäischen Philosophie, Schopenhauer-Jahrbuch () .
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Personenverzeichnis Adamy, Bernhard 41 Allefeld, Carsten 112 Anastaplo, George 16 Anscombe, Getrud 36 App, Urs 6 f., 31 Aristoteles 45, 50 Augustinus, Aurelius 9, 118, 119 Autrum, Hansjochen 65 Bäschlin, Daniel Lukas 12 Barberowski, Jörg 17 Barkhausen, Max 11 Barros, Márcio Benchimol 5 Bauer, Fritz 43, 93 Baum, Günther 33, 52 Baumann, Lutz 12 Beisel, Marie-Christine 68 Berg, Robert Jan 27, 48, 85, 126 Berger, Douglas L. 31 Berkeley, George 11 Bernardy, Jörg 14 Bernhard, Wolfram 94 Beyme, Klaus von 64 Birman, Daniel 112 Birnbacher, Dieter 3, 36, 72, 83, 110 Bitter, Stephan 43 f. Blankertz, Benjamin 112 Bobko, Aleksander 11 Bohinc, Tomas 22 Boll, Karl Friedrich 41 Bond, Niall 39 Bondeli, Martin 13 Bowen, Francis 11 Brann, Henry Walter 54, 72 Breidert, Wolfgang 11, 22 Brener, Milton E. 41 Brinkmann, Karl 10 Brock, Eike 124 Broese, Konstantin 1, 14, 16, 19, 51 Bruegger, Peter 24 Brusotti, Marco 122 Bucher, Ewald 63 Buchner, Wiebke 117
Calderón, Pedro 118 Canaris, Claus-Wilhelm 125 Cartwright, David E. 11, 18, 24, 29, 68 Cattaneo, Mario A. 22, 86 Cavallar, Georg 33 Cavell, Stanley 104 Cicero, Marcus Tullius 45 Dähne, Sven 112 Dahl, Edgar 101 Damm, Oskar Friedrich 29, 50, 57, 77, 79, 88, 90, 95 Decher, Friedhelm 9, 119 Descartes, René 11 Deussen, Paul 11, 70, 90 Diebitz, Stefan 86 Dilworth, David A. 8 Doehring, Karl 73 Dörflinger, Bernd 12 Dörpinghaus, Andreas 8 Doniger, Wendy 31 Dühring, Eugen 122 Dürr, Thomas 34 Ebel, Wilhelm 126 Ebeling, Hans 45 Eckert, Karl Hubertus 71 Ehrlich, Josef 8 Elst, Koenraad 31 Emerson, Ralph Waldo 104 Emge, Carl August 10, 23, 35 Engisch, Karl 92 Esper, Erich 8 Esser, Josef 20 Etter, Annemarie 31 Fauth, Søren R. 102, 118 Fellmann, Ferdinand 47, 103 Fichte, Johann Gottlieb 1, 12, 54 Fischer, Frank O. 43 Fischer, Kuno 49, 53, 85, 97 Fleiner-Gerster, Thomas 19 Fleischer, Margot 15, 17, 23 Fleiter, Michael 24
Personenverzeichnis
Foth, Heinrich 94 Freher, Marquard 44 Friedrich, Rainer 22, 35 Fulda, Ludwig 109 Garewicz, Jan 109 Gent, Werner 13 Gier, Nicholas F. 9 Giessler, Willy 67 Glasenapp, Helmuth von 6 Glauser, Paul Robert 49 Glockner, Hermann 126 Godart van der Kroon, Annette 10, 29, 48, 87, 99, 104 ff. Goedert, Georges 3 f., 27, 107 Görgen, Kai 112 Gössel, Karl-Heinz 42 Goethe, Johann Wolfgang von 125 f. Gregor-Dellin, Martin 4 Groener, Maria 54 Grotius, Hugo 36 f., 76 Grün, Klaus-Jürgen 22, 79, 111 Gupta, Ray Kumar 79 Guyer, Paul 13 Haag, Johannes 9, 11, 13 Habermas, Jürgen 74 Hallich, Oliver 38, 67 Hamburger, Käte 4, 52 Hamlyn, David Walter 102, 120 Hammerschmid, Michael 37 Hampel, Andrea 109 Hannan, Barbara 11 Hansert, Andreas 25, 53, 107 Hardegger, Judith 111 Hartmann, Eduard von 37 Hasse, Heinrich 104 Hassemer, Winfried 8 Hausegger, Siegmund von 41 Hauskeller, Michael 69 Hayek, Friedrich August von 26, 52, 81 Haynes, John-Dylan 112 Heck, Philipp 2, 125 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1 ff., 24, 34, 41, 42 f., 63, 64, 78, 83, 100 f., 121, 126 Heidegger, Martin 112, 114 ff. Heine, Heinrich 126
145
Held, Susann 29, 32 Heraklit 114 Hesse, Hermann 41 Hildebrand, Eugen 71 Hobbes, Thomas 15 ff., 19, 23 f., 49, 61, 72, 83 Hödl, Hans Gerald 3 Hörnle, Tatjana 88 Hoerster, Norbert 89 Hösle, Vittorio 1, 6 ff., 26, 41, 54, 61, 65, 75, 78, 106, 126 Hofmann, Hasso 9, 27, 36, 45 Hold-Ferneck, Alexander 39 Hopf, Michael 35, 86 Horkheimer, Max 70, 79 Hübscher, Arthur 5, 7, 43, 54, 99, 107 Hühn, Lore 1 Hüttner, Johann Christian 31 Humphrey, Ted 11 Ingenkamp, Heinz Gerd
8, 41, 70, 78, 92
Jacquette, Dale 9, 11 Jäger, Christian 42 Janik, Allan 9 Janssen, Paul 70 Jaspers, Karl 123 Jepsen, Per 78 Jütten, Elisabeth 15, 48 Kamata, Yasuo 6 Kant, Immanuel 3 f., 8, 9, 12 f., 21 ff., 28, 31 ff., 35, 38, 41, 47, 51, 63, 67, 72, 75, 76, 78, 89, 91, 95, 101, 102 f., 120 Kater, Thomas 33 Kaufmann, Arthur 8 Keppeler, Lutz Martin 2 Kienzle, Ulrike 107 Kishan, B. V. 7 Klamp, Gerhard 3 Klugkist, Thomas 118 Körtner, Ulrich H. J. 20 Kołakowski, Leszek 8 Koßler, Matthias 1 f., 99, 119 Krampe, Siegfried 71 Krauss, Ingrid 8 Kristiansen, Børge 4
146
Personenverzeichnis
Kruck, Günter 6 Krummel, Richard Frank 35 Kruse, Margot 21 Kühnemund, Burkhard 28 Küpper, Georg 26, 36, 65, 68, 80, 83, 87 f., 107, 110 Kugelstadt, Manfred 4 Kuhlbeck, Hartwig 117 Kuhn, Thomas S. 83 La Rochefoucauld, François de Laird, John 15 Lamers, Robert 11 Langeder, Ewald 15 Larenz, Karl 20 Lauxtermann, Paul F. H. 64 Leenen, Detlef 20 Lehmann, Gerhard 33 Lemanski, Jens 72 Lenhoff, Artur 10 Lerchner, Thorsten 11 Leśniewska, Anna 48, 75 Liessmann, Konrad Paul 28 Lukács, Georg 25
21, 24, 66
Magee, Bryan 18 Mall, Ram Adhar 31 Malter, Rudolf 104 f. Mandeville, Bernard 52 Mann, Golo 11 Mann, Thomas 4, 63, 98 f., 117, 118 Mannion, Gerard 69 Marcin, Raymond B. 14, 16 Marcuse, Ludwig 80 Marinheiro, Christóvão S. 5 Marquet, Caroline Louise 43 Marx, Karl 79, 80 Maurach, Reinhart 42 Mauthner, Fritz 125 Mayer, Hans 1 Mehring, Reinhard 54 f., 60 f. Mistry, Freny 71 Montaigne, Michel de 4, 7 f., 27, 32, 36, 64, 93 Morgenstern, Martin 79 Mozart, Wolfgang Amadeus 5
Münkler, Herfried 27 Muscheler, Karlheinz 43 Napoleon 106 Naucke, Wolfgang 49 Negroni, Bruno 41 Neidert, Rudolf 7 Neumann, Ulfrid 8 Neumann, Volker 55, 60 Neumeister, Sebastian 21 Neymeyr, Barbara 14 Nietzsche, Friedrich 1, 3 f., 8 f., 21 ff., 25, 31, 83, 91, 104, 111 f., 113 ff., 126 Noll, Peter 45 Novembre, Alessandro 1 Nussbaum, Martha C. 6 Oehler, Christoph 24 Öhler, Max 113 Ohly, Hans 71 Ottmann, Henning 80, 83, 122, 124 Paimann, Rebecca 18 Pascal, Blaise 40, 70, 73 Pawlik, Michael 26, 33 f., 38 Pawlowska, Ija 81 Pegatzky, Stefan 41 Perteck, David 76 Peters, Mathijs 16 Pfitzner, Hans 41 Pieper, Hans-Joachim 91 Pisa, Karl 80, 107 Platon 44, 45, 49, 72, 124 Plumpe, Gerhard 118 Ponten, Josef 98 Pradhan, Ramesh Chandra 9 Prager, Hans 8 Priddat, Birger P. 29 Pritzkow, Walter 106 Radbruch, Gustav 9, 18, 26, 71 Radbruch, Knut 77 Rappaport, Samuel 72 Ratzinger, Joseph 119 Rauschenberger, Walther 114 Rawls, John 7, 103 Reents, Edo 4, 85, 98, 110
Personenverzeichnis
Reinhardt, Hartmut 5 Rieffert, Johann Baptist 11 Rohls, Jan 23 f. Rossini, Gioachino 5 Rotenstreich, Nathan 12 Rothenfußer, Christoph 39 Rousseau, Jean-Jacques 59 Roxin, Claus 95 Rühl, Matthias 11, 17, 76 Rüthers, Bernd 20 Ruffing, Margit 103 Rusconi, Marco 112 Salaquarda, Jörg 63, 70 Salin, Sophie 16 Scheer, Brigitte 96 Scheier, Claus-Artur 34 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 1, 12, 104 Scheuerle, Wilhelm 56 Schirmacher, Wolfgang 23 Schlaffer, Heinz 115 Schlechta, Karl 1 Schmidt, Alfred 1, 6, 79, 100 Schmitt, Carl 54 ff. Schnitzler, Michael Hubert 35 Schöll, Julia 4 Schöndorf, Harald 8, 36, 103, 109 Scholz, Werner 6 Schubbe, Daniel 12, 109 Schubert, Johannes 63 Schulte, Günter 109 Schultze-Kraft, Matthias 112 Schulz, Ortrun 72 Schulz, Walter 1 Schweppenhäuser, Hermann 90 Scott-Baumann, Alison 43 Seelig, Wolfgang 4, 44, 109 Segala, Marco 78 Sen, Amartya 6 f., 80 Seneca, Lucius Annaeus 45 Simmel, Georg 3, 19, 30, 124 Singer, Wolf 112 Smith, Adam 29, 30, 51, 53, 65, 79 ff. Smith, Brian 31 Sorg, Bernhard 108, 110 Spinoza, Baruch de 16, 72
Sprengel, Peter 16 Stahl, August 41 Stekeler-Weithofer, Pirmin 51 Stierle, Karlheinz 21, 66 Stock, Georg 9 f. Stockhammer, Morris 109 Stöckmann, Ingo 39 Strobel, Eva 115 Thorhauer, Yvonne 81 Tischler, Sabine 90 Tönnies, Ferdinand 39 Trautsch, Asmus 19 Tress, Wolfgang 111 Tschauscheff, Slavi P. 13 Ulpian
45
Vandenrath, Johannes 64 Vassalli, Giuliano 71 Vecchiotti, Icilio 1 Venetianer, Moritz 120 Voigt, Hans 94, 110 Volkelt, Johannes 47, 50 Wagner, Richard 4 f., 41, 54 f., 60 Wandtke, Artur-Axel 2 Weber, Adolph Dietrich 44 Weber, Max 6, 67, 82 Weimer, Wolfgang 7, 9, 11, 104, 106 Weiner, David Avraham 9 Weismüller, Christoph 4 Welsen, Peter 11, 18, 90 Wenckstern, Adolph von 79 Weyers, Raymund 4 Wicks, Robert J. 11 Wille, Franz Arnold 5 Wischmeyer, Thomas 86 Wittgenstein, Ludwig 9 Wolf, Jean-Claude 37, 89, 97 Worré, Pascale 9 Wyneken, Ernst Friedrich 14 Wysling, Hans 4 Young, Julian
1, 11, 24
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Personenverzeichnis
Zander, Jürgen 39 Ziegler, Ernst 17 Zimmer, Heinrich 6 Zimmer, Robert 21, 78
Zint, Hans 70 Zipf, Heinz 42 Zoebe, Gerhard 68