161 92 16MB
German Pages 206 [216] Year 1956
PARLOW • SCHOKOLADE U N D K O N F E K T
REINHOLD
PARLOW
^ckokolladc und ¿KrOtnjlekt Die naturwissenschaftlichen und technologischen Grundlagen für den Schokoladenmacher und Konfektmacher
Mit 38 Textabbildungen und 4 Tafeln
T E C H N I S C H E R V E R L A G H E R B E R T CRAM B E R L I N 1956
Satz W a l t e r de G r u y t e r & Co., Berlin W 35 Druek O t t o v o n Holten G m b H . , Berlin W 35
Vorwort Das Buch „Schokolade und Konfekt" wendet sich an den Praktiker auf diesen Gebieten. Während Fertigkeiten nur in der Praxis erworben werden können, gehört zum praktischen Können ein theoretisches Wissen und zur manuellen Ausbildung die fachwissenschaftliche Fortbildung. Die Konfektmacher, Schokoladenmacher und die Konditoren finden in diesem Buch eine naturwissenschaftlich unterbaute und begründete Fachkunde, in der die Lebensmitteltechnologie und Lebensmittelchemie dargestellt sind, ohne daß jedoch nach Art eines Lehrbuches die elementaren Gesetzmäßigkeiten und Theorien beleuchtet werden. Es sind nur einzelne Wissensgebiete und die wichtigsten technologischen Einrichtungen ausgewählt worden. Nicht allein das Wie, sondern auch das Warum der technischen Vorgänge ist beschrieben, wobei entsprechend der Vielzahl der Zutaten sowohl die Rohstoffkunde wie die Fertigungskunde einen gleich breiten Raum einnehmen. Das Buch ist für einen Leser ohne naturwissenschaftliche Kenntnisse geschrieben; er kann unverzagt an die Kapitel herangehen und die chemisch-theoretischen Zusammenhänge in seine Lektüre einbeziehen. Es sind die theoretischen Abhandlungen leicht verständlich gehalten und nur insoweit eingefügt, wie sie für die Erklärung praktischer Vorgänge notwendig erscheinen. Der Praktiker muß bei seiner Arbeit von wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgehen, um die Arbeitsvorgänge ganz verstehen zu können. Man kann bei der Lektüre auch wahlweise vorgehen und den praktischen Teil im Zusammenhang mit den Abschnitten des dazugehörigen theoretischen Teiles lesen. Ein volles Verständnis für die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge wird man aber nur finden, wenn man am richtigen Ende anfängt, nämlich am Anfang des Buches, weil Wiederholungen vermieden sind und in den theoretischen Abschnitten auch viel Praktisches enthalten ist. Jede Theorie ist realistisch, sofern sie Rechenschaft über die Realität gibt. V
Ein Hauptteil behandelt die Materialien zur Herstellung von Schokolade und Konfekt und wird diejenigen ansprechen, die im Süßwarenhandel hiermit sich befassen, um so mehr, als es zeitraubend ist, sich aus den verschiedensten Fachbüchern einen erschöpfenden Überblick zu verschaffen. Auch der Kaufmann bedarf zur Beurteilung seiner Ware einer naturwissenschaftlichen Grundlage, und er findet sie in diesem Buche, das ihm erleichtern soll, die chemische Hürde zu nehmen. Die Fertigungskunde gehört zu seinem „Allgemeinwissen", deren Lektüre für ihn lohnend ist, wenn er, wie es meistens der Fall ist, schon einige Vorstellungen über die verschiedenen Fabrikationsvorgänge besitzt. Nicht zuletzt wird sich der Lebensmittelchemiker, der an der Lebensmitteltechnologie interessiert ist, mit dem Buch beschäftigen. Daß es auch an Fortbildungsschulen und an Berufsschulen als Lehrbuch gedacht ist, sei abschließend erwähnt. Dem idealen Leser möge dieses Buch ein abgerundetes fachliches Grundwissen vermitteln. Die Wissenschaft von heute ist die Praxis von morgen. Berlin, im September 1955
VI
R. P a r l o w
Inhaltsverzeichnis Seite
Vorwort I. Ernährung Nahrungs- und Genußmittel — Nährwert
V 1
IL Physikalische Grundbegriffe Spezifisches Gewicht — Aggregatzustände — Sieden, Verdampfen — Kristalloide und Kolloide — Adhäsion, Kohäsion, Oberflächenspannung, Viskosität — Polarisation — Refraktion
6
III. Chemische Grundbegriffe Elemente — Atome und Moleküle — Valenzen — Oxydation und Reduktion — Säuren, Basen — pH-Wert — Affinität — Normallösungen — Salze — Strukturaufbau
17
IV. Allgemeine Lebensmittelchemie 1. Kohlenhydrate Zucker — Stärke 2. Eiweißstoffe Enzyme 3. Fette Lecithine 4. Alkohol 5. Wasser
27 27
V. Rohstoffkunde 1. Kohlenhydrate Rübenzucker — Rohrzucker — Zuckerraffination — Sirupe — Zuckercouleur — Honig — Kunsthonig — Stärke — Agar-Agar — Pektin — Gummiarabicum 2. Eiweiße Eier und Eikonserven — Milch — Milchkonserven 3. F e t t e Butter
32 36 41 42 43 43
68 75
VI. Rohstoffkunde 78 Früchte und Fruchterzeugnisse 78 Kakaobohne — Kakaobutter — Kaffee — Nescafe — Kola — Kokospalme — Dattelpalme — Ananas — Soja — Mandeln — Erdnuß — Haselnuß, Walnuß — Rosinen — Vanille — Ingwer — Zimt Gewürze und Aromen 102 Ätherische ö l e 104 Anisöl — Eucalyptusöl — Kümmelöl — Muskatnußöl — Pfefferminzöl — Wacholderbeeröl — Zitronenöl — Fruchtäther Belegfrüchte 106 Obstpülpe, Obstmark, Obstsäfte, Obstsirupe
VII
Seite
VII. Alkoholerzeugnisse Wein — Branntweine — Liköre
110
115 VIII. Fertigungskunde Schokolade und Kakao 115 Rösten der Kakaobohnen — Walzen der Schokolade — Kakaopulver — Conchieren — Temperieren — Ausformen und Eintafeln der Schokolade — Arten der Schokoladen — Kuvertüre — Fettglasuren IX. Fertigungskunde 148 Schokoladenwaren und Konfekt 148 Schokoladenhohlfiguren — Weinbrandbohnen ohne Kruste — Trüffeln — Streusel — Marzipan und Marzipanwaren — Persipan — Nugat — Krokant — Fondant — Pfefferminzbruch — Konservekonfekt — Zuckerkochgrade und Absterben von Süßwaren — Kandieren — Glasieren — Formpuder — Weinbrandbohnen mit Kruste — Pralinen — Konfekt — Weinbrandkirsche — Fondantpralinen — Krokantpralinen — Eierlikörpralinen — Sektpralinen — Gebäckpralinen — Prinzeßpralinen — Kapseldessert — Kokosflocken — Agar-Gelee — Pektin-Gelee X. Lebensmittelrecht Kakaoverordnung
183 187
Literatur
194
Sachregister
195
VIII
I. Ernährung „Der Mensch ist, was er ißt". Dieser Satz bekommt heute einen viel tieferen Sinn, als man einst bei der Prägung ahnen konnte. Die Menschheit wird nicht ausschließlich vom Menschen bestimmt, sondern auch von dem, was er ißt und trinkt, von den Dämonen, die sich damit über seine Lippen drängen. Vom Lebensmittelmarkt muß jedwede Demagogie ausgeschaltet, jeder Stoff, der sich als Lebensverkürzer darstellt, ferngehalten werden. Diesem Ziel dient die amtliche Lebensmittelüberwachung. In manchen Ländern Asiens gehört der angenehm gefüllte Magen noch nicht zu den Selbstverständlichkeiten. Die Bitte des Vaterunsers, „unser täglich Brot gib uns heute", hat immer noch ihren Sinn. Der Hunger läßt sich nicht wie die Seuchen durch Seren und Chemikalien aus der Welt schaffen. Auch noch im zwanzigsten Jahrhundert muß der Mensch seine natürlichen Lebensquellen erhalten und, wenn er die Schlacht gegen die Natur gewinnen will, den Boden vor Raubbau und Erosion schützen. Die Natur behält ihre Trümpfe in dem Lebenszyklus der Bedingungen von Boden, Pflanze, Tier und Mensch. Es ist interessant, die Arena zu betrachten, in der die Völker jahrhundertelang um ihre Lieblingsgetränke und -Speisen gekämpft haben, und die wechselnden Phasen dieser politischen Geschichte zu verfolgen. Ernährungsfragen lösten Völkerwanderungen aus. Malthus stellte schon vor 150 Jahren seine nationalökonomische Übervölkerungstheorie auf, wonach die Bevölkerung die Tendenz zeige, stärker zu wachsen, als die Ernährungsmöglichkeiten auf der Erde es zuließen. Die UNO hat heute das Problem der Ernährung einer stetig wachsenden Bevölkerung der Erde zu lösen. Man teilt die Stoffe, die sich der Mensch einverleibt, in Nahrungsmittel und Genußmittel ein. Unsere Essensgewohnheiten haben mehr mit gefühlsmäßigen Dingen und geschmacklichen Wirkungen als mit wissenschaftlichen Theorien zu tun. Auch religiöse Anschauungen waren und sind für die Versorgung nicht ohne Einfluß. Der größte Teil der Nahrungsstoffe gehört chemisch drei Stoffklassen an: den Kohlenhydraten, den Eiweißkörpern und den Fetten bzw. Lipoiden. Daneben enthält die Nahrung noch andere Bestandteile wie anorganische Salze und Vitamine, die der Körper zum Aufbau braucht. 1
P a r l o w , Schokolade u n d K o n f e k t
1
Unsere Nahrungsmittel enthalten Nährstoffgemische. Mehl enthält als wesentlichen Nährstoff Stärke, daneben Eiweiß, Salze, Vitamine. Die Nahrungsmittel stellen sehr häufig überaus günstige Nährstoffgemische dar. Der Wert der Nahrung hängt von ihrer Mischung ab. Kein Geschöpf läßt sich durch ungemischte Kost erhalten. Im Mexiko der Azteken setzte man den Verbrechern keinen Giftbecher vor, wie die alten Griechen es taten, sondern „Kalbskotelett mit Süßwein". Jeden Tag und zu jeder Mahlzeit bekam der Verurteilte nichts anderes als Kalbskotelett mit Süßwein. Nach einigen Wochen hauchte er sein Leben aus, weil der Körper die Aufnahme der einseitigen Kost verweigerte. Der Verdauungsapparat ist auf die Verarbeitung einer aus Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten gemischten Kost eingestellt. Die Nahrungsmittel werden durch die Verdauung in ihre Bestandteile zerlegt, vergleichbar einem Verbrennungsprozeß, wobei wir den Energieinhalt, der beim Verbrennen frei wird, als Heizwert in Kalorien angeben. Es erzeugen die Kohlenhydrate 4,0—4,2 cal., Fette 9,0—9,6 cal., Eiweiße 4,1 cal. pro Gramm. Ein Tagessatz beläuft sich auf 2500 cal., enthaltend in 325 g Butter oder 750 g Hülsenfrüchten oder 625 g Zucker oder in 3,6 1 Milch oder in 34 Eiern. Die Kohlenhydrate machen den größten Teil der Nahrung aus. Bei einer gut ausbalancierten Kost werden rund 60 % aller Kalorien in Form von Kohlenhydraten aufgenommen, etwa 400 g täglich. Der eigentliche Brenn- und Betriebsstoff des Körpers ist der Zucker. Im lebenden Organismus gibt es einen Herd, der dazu geschaffen ist, den Zucker zu verbrennen: die Muskulatur. Die Rolle des Zuckers ist um so beachtlicher, weil die Lipoide und die Proteide im Organismus „nur im Feuer des Zuckers" gut verbrennen. Muskelarbeit ruft eine Erhöhung der Stoffwechselvorgänge und einen erhöhten Verbrauch der Kohlenhydrate hervor. Alle Kohlenhydrate unserer Nahrung: Brot, Kuchen, Kartoffeln, Zucker, Schokolade, Früchte werden zu Traubenzucker abgebaut und wandern als Traubenzucker durch die Pfortader in die Leber. Hier wird der Traubenzucker gespeichert, und damit er nicht davonfließen kann, in die unlösliche Körperstärke Glykogen umgewandelt. Dies erfolgt unter der Einwirkung eines Stoffes, den die Bauchspeicheldrüse an das Blut abgibt, durch das Insulin, das mit dem Blut im Körper kreist und hierbei auch in die Leber gelangt. Die Leber ist nicht nur das erste Reservoir für das Wasser, sondern auch der erste Speicher für die Kohlenhydrate. Die Leber sorgt für die Erhaltung des normalen Blutzuckerspiegels. Im Blut ist Zucker gelöst. Der Zuckerspiegel des Blutes beträgt 0,07—0,09%; beim Absinken desselben tritt Hungergefühl auf. Über die Zuckerkrankheit muß mehr als ein Wort gesagt werden. Der Zuckerstoffwechsel wird durch ein Zentrum im Gehirn geregelt, das aus der Leber und aus den Vorratsstätten in den Muskeln gerade soviel 2
Zucker mobilisiert, wie gebraucht wird. Die Leitung führt nicht direkt zur Leber, sondern zur Nebenniere. Sie gibt ein Hormon, das Adrenalin, an das Blut ab, das die in der Leber gespeicherte Stärke wieder in Traubenzucker zerlegt. Insulin und Adrenalin sind Gegenspieler. Das Insulin ist eine Art Molekülkleister, der die Zuckermoleküle zu Stärkemolekülen zusammenkleistert. Das Adrenalin wirkt wie Wasser, das diesen Kleister löst und die Kittwirkung aufhebt. Liefert das Körper inselgewebe kein Insulin, so kann die Leber den Zucker, der ihr nach der Mahlzeit aus dem Darm zufließt, nicht zu Stärke zusammensetzen; er fließt durch und der Zuckerspiegel des Blutes steigt auf höhere Werte. Erstes Symptom der Zuckerkrankheit ist Ausscheiden des Zuckers. Die Nieren, die Regulatoren des Blutstromes, scheiden den Zuckerüberschuß aus. Der Körper ist bestrebt, die Konzentration des Blutes auf stets gleicher Höhe zu halten. Um den Zuckerspiegel zu senken, geben die Muskeln Wasser ab und verdünnen das Blut. Die Nieren aber sträuben sich gegen dieWasserfüllung der Adern und sondern denWasserüberschuß des Blutes als Harn aus. Das zweite Symptom der Zuckerkrankheit ist die Vermehrung der Harnmenge. Der Mensch verliert Wasser und wird durstig, dies ist das dritte Symptom der Zuckerkrankheit. Die Muskeln, die sich aus Mangel an dem stärkeaufbauenden Insulin keine Treibstoffreserve anlegen können, leisten weniger als in gesunden Tagen. Das Nachlassen der Muskelleistung ist das vierte Symptom der Zuckerkrankheit. Mittel gegen die Zuckerkrankheit ist das Insulin, dessen Fehlen ja die Störung verursacht. Nach der Insulineinspritzung schwindet der Zucker aus dem Blut. Infolge fehlerhaften Abbaues des Zuckers reichert sich bei den Zuckerkranken das für den Körper giftige Azeton an. Die Entwicklung der Zuckerkrankheit steht in keinem Zusammenhang mit übermäßigem Genuß von Zucker. Die Länder mit dem höchsten Zuckerverbrauch (Kuba und Argentinien) haben niedrigere Ziffern in der Statistik der Zuckerkrankheit als Länder mit geringerem Zuckerkonsum. Die Zuckerkrankheit ist in wohlhabenden Kreisen häufiger als in ärmeren, nicht deshalb, weil sich die Menschen besser nähren, sondern weil sie ihren Verdauungsapparat wie auch ihre Nerven früher verbrauchen. Mit der Zuckerkrankheit ist es wie mit dem Astigmatismus der Augen. Der jugendliche, gesunde Körper versteht es, seine Stoffwechselbilanz trotz der Schwächen der Kohlenhydratabteilung in Ordnung zu halten. Altert der Körper, so macht sich der Fehler bemerkbar. Jeder Zuckerkranke weiß, daß ihm Aufregungen und nervöse Anstrengungen schaden. Wir nehmen oftmals mehr Nahrung auf, als der Körper verbraucht. Dieser ist vorsichtig und neigt dazu, in dem Lebenskampf den Überschuß für den künftigen Bedarf zu horten. Enthält die Leber viel Glykogen, so kann ein Teil ins Fettgewebe abgegeben und dort vorübergehend als Glykogen gespeichert werden, bis es schließlich in Fett uml1
3
gewandelt wird. Das Leben bedeutet einen disziplinierten Kampf um materielle Güter, in den die Menschheit mit der Exaktheit und Ordnung einer Armee unter dem Kommando von Lebensmittelchemikern geführt werden müßte. Etwa 20—30% unseres Kalorienbedarfes werden in unseren klimatischen Breiten in Form von Fetten aufgenommen. Milchfett ist das am leichtesten verdauliche Fett. Genau so wie der Wert des Eiweißes von den Aminosäuren bestimmt wird, so hängt der Wert des Fettes von den essentiellen Fettsäuren ab, die der Körper nicht selbst aufbauen kann und mit der Nahrnug aufgenommen werden müssen, wenn es nicht zu Ausfallsymptomen und Gesundheitsstörungen kommen soll. Die wichtigsten essentiellen Fettsäuren sind Linolsäure und Linolensäure. Die Zelle des menschlichen Körpers ist eine Plasmamaschinerie, die mit Kohlenhydraten geheizt wird und hauptsächlich aus Eiweiß aufgebaut ist. Sie verbraucht Eiweiß nur im Notfall, hat aber, wie jede Maschine, einen Verschleiß. Jeden Tag wird im Körper, der sich im dynamischen Zustande befindet, eine bestimmte Menge Eiweiß verbraucht, die wieder ersetzt werden muß (Eiweißminimum). Aus den Bruchstücken des Eiweißes soll der Körper seine Zellmotoren reparieren. Er bedarf hierzu einiger lebensnotwendiger Aminosäuren. Der Energiebedarf an Eiweiß beträgt für Erwachsene 1 g pro kg Körpergewicht, also 60—75 g täglich. Der menschliche Körper weist zwei voneinander abweichende Eiweißarten auf, das stabile Organeiweiß, das reich an Schwefel ist, und ein an Schwefel armes labiles Reserveeiweiß. In Hungerzeiten wird vorerst das Reserveeiweiß aufgebraucht, dann aber bei weiterem Eiweißmangel das Organeiweiß, bis schließlich der Körper bei einem Mangel von etwa 20% Organeiweiß seine Funktion nicht mehr ausüben kann. Als Säurebildner sind die Eiweiße gefürchtete Störungselemente im Reaktionsgleichgewicht. Die durch ihre Abbaustoffe erzeugte Ansäuerung wird durch mineralische Basen aufgehoben. Als Fibrin ist Eiweiß im Blut gelöst, das an der Luft gerinnt und als fester „Kuchen" von einem klaren „Serum" sich absondert, bei einer Wunde das Loch im Gefäßsystem verstopft und das Blut am Ausfließen hindert. Die Umsetzungen in den Zellen finden nur dann in normaler Weise statt, wenn Mineralsalze in genügender Menge und richtiger Zusammensetzung zur Verfügung stehen. Als gelöste Salze schaffen sie den für das Leben erforderlichen osmotischen Zustand der Zellen und Körperflüssigkeiten. In Deutschland verbrauchen die meisten Menschen 15 g Kochsalz am Tag. Kochsalz bindet Wasser; 1 g ist erforderlich, um 100 g Wasser zu binden, Abmagerungskuren werden daher in Verbindung mit salzarmer Kost durchgeführt. Ein gesunder Mensch hat im Durchschnitt 5—6 Liter Blut. Durch salzfreie Kost wird die Blutmenge herabgesetzt. Dadurch werden die Blutgefäße weniger stark gefüllt und der Blutdruck sinkt ab. 4
Die Mineralstoffe sind zum Aufbau des menschlichen Organismus notwendig (Skelett, Zähne). Der Körper muß ausgeglichene Kalzium- und Phosphorbilanzen haben. Täglich braucht er 0,4 g Kalzium, die mit der Nahrung aufgenommen werden müssen. Die Englische Krankheit erfordert eine genügende Kalkzufuhr. Nicht nur Kinder im Wachstumsalter bedürfen einer ausreichenden Kalkzufuhr in Verbindung mit Vitamin D, sondern auch bei alten Menschen findet bei unzureichender Nahrung eine Entkalkung der Knochen statt, welche dem Skelett seine natürliche Festigkeit nimmt. Unter den Obst- und Gemüsearten sind die kalkreichsten der Spinat, die Erdbeeren, die Apfelsinen und der Kohl. Doch die Kohlarten geben ebenso wie die ziemlich kalkreichen Hülsenfrüchte ihren Kalk zum größten Teil nicht her, sondern er geht mit den Zellulosen unverdaut ab. Das ideale Kalkmittel ist die Milch, ein Liter Kuhmilch enthält fast 2 g Kalk, außerdem Phosphor, 1 / 50 g in jedem Liter. Phosphor ist eine Aufbausubstanz für Blut und Nerven. Die Gemüsesorten enthalten Kalisalze und sorgen für den Abtransport der Kohlensäure aus dem Körper und verhüten eine Übersäuerung. Wird der Gehalt des Blutes an gelösten Säuren zu groß, so versagt der Regulationsmechanismus und es tritt Bewußtlosigkeit auf (Koma). Die Speisen werden nicht einzeln, sondern in bestimmter Reihenfolge genossen, die das Ergebnis einer Jahrtausende alten Erfahrung und genau so logisch ist wie die Reihenfolge, in der wir unsere Kleidungsstücke anziehen. Der Verdauungsapparat ist auf eine bestimmte Folge der Speisezufuhr eingestellt, damit er die Nahrung mit dem besten Nutzeffekt verdauen kann. Mitbestimmend ist hierfür die Beikost. Der Apfel ist eine Kombination von chemisch-reizenden Säuren und physikalisch auftretenden Quellstoffen und wirkt verdauungsfördernd ebenso wie die Apfelsine, die von Natur gereichte Schale voll Orangensaft, die zudem noch das wichtige Vitamin C enthält. Im Salat sind Bodensalze, Regenwasser und Sonnenlicht zu einem wahren Elexier gemischt. Durch ihren hohen Gehalt an Wasser sind die Salate Getränke in fester Form, führen dem Körper Verdauungsflüssigkeiten zu und erfrischen die von der Kauarbeit gereizten Schleimhäute. Durch die Zutaten von scharfen Essenzen, von Essig, Zitronensaft, peitschen sie die Verdauungsdrüsen an. Es gibt Lebensmittel, die wir nicht wegen ihres Brennwertes oder Eiweißgehaltes, sondern wegen anderer Qualitäten schätzen. Ballaststoffe geben Anlaß zu einer vermehrten Sekretion von Verdauungssäften. Der Nährwert einer Nahrung hängt vom Ermüdungszustand des Verdauungsapparates ab. Daher soll man schwächliche Kinder, die man gut ernähren will, vor der Mahlzeit eine Viertelstunde, am besten liegend, ruhen lassen, denn dann „schlägt das Essen besser an". Der Gehalt der einzelnen Nahrungsmittel an Nährstoffen wird durch Nährwerttabellen wiedergegeben. Sie geben fast immer den Gehalt der
5
rohen Nahrungsmittel an. Der Mensch ißt aber die wenigsten Nahrungsmittel roh, er lebt nicht von dem, was er ißt, sondern von dem, was er verdaut, muß man zusätzlich sagen. Schwarzbrot enthält mehr Eiweiß als Weißbrot, aber es gibt dieses nicht her, es bleibt an den unverdaulichen Hüllen haften, die im Schwarzbrot eingebacken sind. Für das Funktionieren aller Lebensvorgänge muß der Körper einen konstanten Wasserhaushalt haben. Der Mensch nimmt am Tage ungefähr zwei Liter Wasser in flüssiger Form und einen Liter mit den festen Speisen wie Brot, Fleisch, Gemüse ein. Außer diesen drei Litern von außen her wandern im Lauf des Tages rund 10 Liter Wasser innerhalb des Körpers zwischen den einzelnen Organsystemen hin und her. Die Leber ist der Stausee des Blutkreislaufs, sie schwillt nach jeder Flüssigkeitszufuhr an. Der menschliche Körper besteht zu etwa 64% seines Gewichtes aus Wasser, das als Baustoff wie als Betriebsstoff wichtige Funktionen ausübt.
II. Physikalische Grundbegriffe Spezifisches Gewicht Der Wortschatz der Physik enthält Ausdrücke wie Aggregatzustände, Temperatur, spezifisches Gewicht, Oberflächenspannung, Viskosität, Polarisation, die wir physikalische Größen nennen. Die Physiker sind die Eichmeister der geistigen Maße und Gewichte. Sie prüfen alle Alphabete, Einmaleinse und Methoden, die auf das Messen und Beschreiben der Stoffe hinauslaufen. Die chemische Wissenschaft dagegen befaßt sich mit der Umwandlung der Stoffe. Wir müssen uns auf dem Wege durch das Labyrinth der Tatsachen und Begriffe einer Art Durchgangsstraße bedienen, die nur das Bedeutsame berührt. Jeder Körper hat ein Gewicht, ein bestimmtes Artgewicht. Das spezifische Gewicht ist das Raumgewicht, d. h. das auf eine Volumeneinheit bezogene Gewicht eines Körpers. Da 1 ccm Platin 21,4 g enthält und wiegt, ist das spezifische Gewicht 21,4. Man mißt, um Flüssigkeiten und Lösungen zu kennzeichnen, deren spezifisches Gewicht oder deren Dichte und nimmt hierbei auf Wasser als Vergleichsmaßstab Bezug. Man gibt mit dem spezifischen Gewicht an, wieviel mal schwerer die Flüssigkeit als Wasser von -|-40 C ist. Die Dichte des Wassers bei 4° C ist 1, da 1 ccm Wasser 1 g enthält und wiegt. Das spezifische Gewicht der Zuckerlösungen steht im Zusammenhang mit dem Zuckergehalt und wird durch das Aräometerverfahren bestimmt. Ein Aräometer besteht aus einer geschlossenen Glasröhre, die in einen langen, engen, zylindrischen und gleichkalibrigen Stiel ausläuft, der eine Skala trägt. Der untere weitere Teil hat eine Beschwerung, so daß sein 6
Stiel beim Eintauchen in die Flüssigkeit senkrecht steht (Fig. 1). Das Aräometerverfahren zur Bestimmung der Dichte einer Flüssigkeit ergibt sich aus dem archimedischen Prinzip. Jeder in eine Flüssigkeit getauchte Körper erfährt von dieser einen senkrechten, nach p oben gerichteten Auftrieb. Dieser Auftrieb ist gleich dem Gewicht der von dem Körper verdrängten Flüssigkeitsmenge. Das Gewicht eines schwimmenden Körpers ist gleich dem Gewicht der Flüssigkeit, das er verdrängt. Das Aräometer taucht bei den verschiedenen Flüssigkeiten verschieden tief ein und verdrängt ein wechselndes Volumen. Die verdrängte Flüssigkeit hat stets das\ selbe Gewicht, nämlich das Gewicht des ganzen Aräometers. Ein Aräometer ist also eine Senkwaage. Eine aräometrische Bestimmung läuft auf eine Volumenmessung hinaus, das Flüssigkeitsvolumen steht zum Aräometergewicht in bestimmten Verhältniszahlen. Die Spindel wird um so tiefer einsinken, je leichter die Flüssigkeit, je geringer ihr spezifisches Gewicht ist. In der Zucker- Fig. 1 industrie wird Dünnsaft und Dicksaft nach Brixgraden, in der Zuckerwarenindustrie wird die Kandierflüssigkeit nach Baumegraden gemessen. Zucker befindet sich in beiden Fällen in Lösung, es kommen lediglich andere Maßstäbe zur Ermittlung des Zuckergehaltes und zur Feststellung der Wichte, d. h. des spezifischen Gewichtes der Zuckerlösung zur Anwendung. Es gibt Spindeln, welche die Gewichts- oder Volumenprozente und solche, welche die Dichte angeben. Eine Mittelstellung nimmt die Baumespindel mit Baumegraden 0—50 Be ein. So enthält eine Zuckerlösung bei bei bei bei bei bei bei bei
24 25 26 27 27,8 28 29 30
Be Be Be Be Be Be Be Be
43,1% 44,9% 46,8 % 48,6% 50 % 50,5% 52,4% 54,3%
Zucker Zucker Zucker Zucker Zucker Zucker Zucker Zucker
bei bei bei bei bei bei bei bei
31 32 33 34 35 36 36,4 37
B