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German Pages 25 [32] Year 1906
Schiller und die Bibel Rachklänge zum Schillertage
Von
Rabbiner Dr. s. fl. Rosenthal in Preus].-Stargard.
Post festum. Scheint zu spät €uch mein Besuch, Weil schon fort die Gäste? Kommt zu spät ein Schillerbuch Hoch dem Schillerfefte? Habt Ihrs wirklich so im Sinn, Dann ist Schillers Ruhm dahin.
Strasburg im CllaH 1905. Kommissionsverlag von Karl J. Trübner.
Der Festtag des 9. Mai war herangekommen, und wieder einmal hatte die Menschheit bekundet, daß die Hand des TodeS über das Lebenswerk großer Geister keine Macht hat. An jenem Gedenkiage hatte man sich auch bemüht, da- Wesen Schillers sich in seiner Ent wicklung klar zu machen, in den Einflüflen, die auf ihn gewirkt haben, in den Gebieten, die er mit Vorliebe angebaut hat. Möge man nicht erstaunt sein, wenn wir da von einem Verhältnisse Schiller- zur Bibel sprechen wollen. Hat das heilige Buch Männer, wie Herder und Goethe stark beeinflußt, sodaß die Bibel Mitarbeiterin gewesen ist bei der dichterischen Wiedergeburt des deutschen Geistes im achtzehnten Jahrhundert — sollte da ein Mann wie Schiller von ihr unberührt geblieben sein? Er, der sich scheinbar allen GlaubenSsormen gegenüber ablehnend verhalten, der sich nach den Göttern Griechenlands ge sehnt hat, er sollte ein Herz gehabt haben für das Buch, das die Grundlage der Glaubensformen und der Gegen satz zum Griechentum gewesen und geblieben ist? Folge man uns zunächst auf einem Wege durch die Schiller'schen Gedichte; wir werden dann dazu gelangen, feine Dichterkraft als der Bibel geradezu wahlverwandt zu begreifen und endlich zu seinen beiden Vorlesungen über biblisch-geschichtliche Gegenstände gelangen. Hoffent lich wird eS sich zeigen, daß die Bibel ein Recht darauf hatte, am 9. Mat im Zusammenhang mit Schiller er wähnt zu werden, wie sie bei allem Großen in der Ge schichte gestaltend mitgewirkt hat. I. Gedichte. All' mein Sehnen will ich, all' mein Denken In der Lethe stillen Strom versenken, Aber meine Liebe nicht! heißt es in Schillers Jugendgedicht „Hektors Abschied von Andromache" — Karl Moor und Amalia in den Räubern fingen es als ihr LieblingSlted. Den gleichen Gedanken spricht Schiller am Schluffe seiner „Elegie auf
Der Festtag des 9. Mai war herangekommen, und wieder einmal hatte die Menschheit bekundet, daß die Hand des TodeS über das Lebenswerk großer Geister keine Macht hat. An jenem Gedenkiage hatte man sich auch bemüht, da- Wesen Schillers sich in seiner Ent wicklung klar zu machen, in den Einflüflen, die auf ihn gewirkt haben, in den Gebieten, die er mit Vorliebe angebaut hat. Möge man nicht erstaunt sein, wenn wir da von einem Verhältnisse Schiller- zur Bibel sprechen wollen. Hat das heilige Buch Männer, wie Herder und Goethe stark beeinflußt, sodaß die Bibel Mitarbeiterin gewesen ist bei der dichterischen Wiedergeburt des deutschen Geistes im achtzehnten Jahrhundert — sollte da ein Mann wie Schiller von ihr unberührt geblieben sein? Er, der sich scheinbar allen GlaubenSsormen gegenüber ablehnend verhalten, der sich nach den Göttern Griechenlands ge sehnt hat, er sollte ein Herz gehabt haben für das Buch, das die Grundlage der Glaubensformen und der Gegen satz zum Griechentum gewesen und geblieben ist? Folge man uns zunächst auf einem Wege durch die Schiller'schen Gedichte; wir werden dann dazu gelangen, feine Dichterkraft als der Bibel geradezu wahlverwandt zu begreifen und endlich zu seinen beiden Vorlesungen über biblisch-geschichtliche Gegenstände gelangen. Hoffent lich wird eS sich zeigen, daß die Bibel ein Recht darauf hatte, am 9. Mat im Zusammenhang mit Schiller er wähnt zu werden, wie sie bei allem Großen in der Ge schichte gestaltend mitgewirkt hat. I. Gedichte. All' mein Sehnen will ich, all' mein Denken In der Lethe stillen Strom versenken, Aber meine Liebe nicht! heißt es in Schillers Jugendgedicht „Hektors Abschied von Andromache" — Karl Moor und Amalia in den Räubern fingen es als ihr LieblingSlted. Den gleichen Gedanken spricht Schiller am Schluffe seiner „Elegie auf
4 den Tod eine- Jünglings" aus, die er, erschüttert über das Hinscheiden eines JugendsreundeS, ebenfalls in jenen Jünglingsjahren gedichtet:
„Seine Asche mag der Sturmwind treiben. Seine Liebe dauert ewig auS!"
Der junge Dichter tröstet sich über die Macht des Todes durch die Ewigkeit der Liebe. Hier kommt uns folgende Stelle au- dem Hohenltede in den Sinn: Mächt'ger als der Tod, Ist die Liebe .... Die gewaltigen Gewässer Löschen nicht die Liebe aus, Nicht ertränken sie die Ströme! Hier, wie dort der Gegensatz zwischen Liebe unb Tod; der Strom der Lethe ist so machtlos ihr gegen über, wie die gewaltigen Gewässer des Lebens und des Zeitenstroms. Wer vermag aber diese zufällige Aehnlichkeit zwischen dem biblischen und Schillerschen Gedanken zu einer sicheren und bewußten zu erheben? Kann man aus einer anderen Stelle dieser Jugendgedichte erkennen, daß Schiller sich damals mit dem Hohenltede befaßt hat? „Eine Leichenphantasie" schildert auch den Tod eines Jünglings, besonders die Empfindungen des unglücklichen Vaters bei der Beerdigung seines Lieblings. Da heißt es von dem Jüngling: Mutig sprang er im Gewühle der Menschen, Wie auf Gebirgen ein jugendlich Reh. Ich muß gestehen, daß ich mich früher für diese» Bild nie recht begeistern tonnte, daß mir das springende Reh den Jüngling mit dem Gedicht fast verleidet hätte. Da erinnerte ich mich an den Schlußsatz des Hohen liedes, ganz in der Nähe der oben angeführten Stelle: Eile, mein Geliebter, Schnell, dem Hirsche gleich, Schnell, ein eilig Reh Auf die Berge der Gewürze! So hat er, was in diesen Jugendjahren begreiflich, sich viel mit dem Hohenltede befaßt, und, da er den Todesgedanken mit Ernst an sich herankommen fühlte, so hat es ihn auch zu Koheleth geführt. An welche» Bibelbuch erinnert es denn sonst, wenn er in der „Elegie auf den Tod eines Jüngling»" fingt:
„Erde mag zurück in Erde stäuben, Fliegt der Geist doch aus dem engen Haus,"
5 IvaS offenfichtlich an den Gedankengang Koheleth 3, 20—21 mahnt. Daß er sich aber gerade in diesem Gedickte in biblischen Anschauungen bewegt hat, beweisen die Verse:
„Wo der Mensch, der GotteS Ratsckluß prüfte, Wo das Aug', den Abgrund durchzuschau'n?" Ein Gedanke, der sich vielfach in der Bibel findet, bis auf das Bild „Deine Urteile sind ein tiefer Ab grund!" Und von diesen Sätzen aus kommt der Dichter zum AuSruf: Heilig, heilig, heilig bist Du Gott der Grüfte, Wir verehren Dich mit Grau'n!
Wem das Dreimalheilig noch nicht genügt, um die Quellen Schillers an dieser Stelle zu erkennen, der er innere sich an den PsalmverS: „Verehret dem Herrn mit Furcht," um hier das Grauen Schillers zu begreifen, zumal wenn im Psalm der Nachsatz heißt: „Jubelt mit Zittern!" Also, „wer besitzt, der lerne verlieren!" wie hier der Tod ein jugendfrisches Leben beendet. Und wenn gar keine Muster in der Bibel vor unseren Augen lägen — wer würde den biblischen Ton in den Versen des gleichen Gedichts verkennen: Prahlt ihr, Fichten, die ihr, hoch, veraltet, Stürmen stehet und den Donner neckt? Und ihr Berge, die ihr Himmel haltet Und ihr Himmel, die ihr Sonnen hegt? Prahlt der Greis noch, der auf stolzen Werken Wie auf Wogen zur Vollendung steigt? Prahlt der Held noch, der auf aufgewälzten Tatenbergen In des Nachruhms Sonnentempel fleugt? Wenn der Wurm schon naget in den Blüten, Wer ist Tor, zu wähnen, daß er nie verdirbt?
So scheint ein Prophet zu sprechen, ein Seher der alten Zett. ES ist, als spräche Jesaia (3, 12): Es kommt der Tag des Herrn Ueber Hohes und Niedres, Ueber des Libanon Gebern . . . Und über die Haine von Basan, Und über die Berge, die hohen, Und über erhabene Höhen .... Da finket die menschliche Hoheit, Der Stolz der Gewaltgen verschwindet.
Und dann:
So lasset denn ab von dem Sterblichen, Der noch den Odem in sich hat — Wie winzig ist seine Ehre! Es find gerade die Gedichte, die Schiller selbst wert voll waren, in denen wir Anklänge an die Bibel finden.
6 So ist es mit der „Elegie auf den Tod eines gütig» lings", worin, wie wir gesehen haben, gerade biblische Wendungen die tröstlichen Empfindungen bezeichnen, die den Dichter über den Gedanken der Vergänglichkeit erheben. In den Gedichten der ersten Periode steht Schiller vielfach im Kampf mit sich und der Welt, er hat Vieles zu überwinden, wie es bisher bei jedem Dichterfürsten der Fall war. Die Gedichte der zweiten Periode zeigen einen weniger stürmischen Gang — Sturm und Drang scheint über wunden zu sein, und der Himmelsstürmer wird mehr und mehr zum Bürger dieser Erdenwelt mit ihren Verhältnifien. An der Spitze dieses Teils steht das Gedicht „an die Freude" — eines der volkstümlichsten und tiefsten Erzeugnisse des Schillerschen Dichtergeistes. Hier macht der Dichter seinen Frieden mit der Welt und der Menschheit, und der Glaube an den Letter der Welt tritt erhebend hervor. Die hier besungene Freude ist das Gefühl vom Einklang aller Dinge mit allen, vom tiefen Zwecke aller, auch der scheinbar unbefriedigenden Welterscheinungen. Schon dieser Gedanke ist, selbst ohne Schillers Absicht, biblisch. Hier betreten wir das Heilig tum der Freude, wie in her Psalmenreihe 95 — 100 mit Freude das Gottesheiligtum; wenn in dem Schillerschen Liede Millionen niederstürzen vor dem lohnenden Richter und Vater, der oben über den Sternen thront, so werden in jenen Psalmen die Völker vor Gott sich beugend dargestellt, der die Nationen, wie die Gesamtwert richtet und als „guter Gott belohnend" dem Frommen das Licht der Zukunft bestimmt hat; „Freude trinken alle Wesen an den Brüsten der Natur", sagt Schiller; in jenen Psalmen jubeln Himmel und Erde, Meer und Gefilde, die Bäume des Waldes vor dem, der einst nahen wird. Aber außer dieser inneren Wahlverwandtschaft mit der Weltzusriedenheit des PsalmendichterS wird ein so wichtiges Schillersches Gedicht auch tatsächliche Anklänge an die Bibel enthalten. Wem der große Wurf gelungen, Eines Freundes Freund zu sein, Wer ein holdes Weib errungen, Mische seinen Jubel ein!
In einer Zeit, da die Ehe als Feste! galt für den. emporflrebenden Geist, hat Schiller die Ehe als Vor»
bedingung menschlichen Glückes genannt. Dies Gefühl ist an sich biblisch und in der Bibel vielfach herrlich zum Ausdruck gekommen. Das Wort „Wer ein holdes Weib errungen", ist aus dem Lobe des Biederweibes, dem Schluffe der Salomonischen Sprüche, entnommen, welche Bibelstelle uns bei Schiller noch begegnen wird. Wenn der Dichter uns zu wohltätigem und weltfreudigem Wirken anregen will, sagt er:
Froh, wie seine Sonnen fliegen Durch des Himmels Prächtgen Plan, Wandelt, Brüder, Eure Bahn, Freudig, wie ein Held zum Siegen! Diese Worte erinnern an die berühmte Schilderung des Sonnenaufgangs im 19. Psalm: Gleich dem Bräutigam Tritt er (der Sonnenball) aus dem Zelt hervor, Freut sich, wie ein Held, Die Bahn zu durchlaufen! Merkwürdig, daß Beethovens Tondichtung das „Lied an die Freude", auch den 19. Psalm verherrlicht hat.
Ein bloßes Gefühl ist Schiller Nichts; lehren, zur Tat anregen. So sagt er:
er muß be
Gram und Armut soll sich melden, Mit den Frohen sich erfreun, Groll und Rache sei vergessen, Unserm Todfeind sei verziehn. Da wollen wir nur des HetligkeitSkapitels (Lev 19) uns erinnern, wo eS heißt: „Du sollst nicht Rach gefühl, Haß nachtragen den Kindern Deines Volkes und Deinen Nächsten lieben, wie Dich selbst", und vorher findet sich das Gebot der Feldecke und der WeinbergSgaben an die Armen. Weiterhin fordert unser Gedicht: Ewigkeit geschwornen Eiden, Wahrheit gegen Freund und Feind, Männerstolz vor Königsthronen, Brüder, gilt es Gut und Blut — Dem Verdienste seine Kronen, Untergang der Lügenbrut! Spricht hier Schiller wie ein Spruchdichter der Bibel, so brauchen wir nur auf Psalm 15 zu blicken. Da finden wir als Zeichen des wahrhast Edeln: Er redet Wahrheit in seinem Herzen, d. h. Herz und Mund ist ein« 1 Er schwört zu seinem Nachteil Und ändert Nicht? daran (also: Ewigkeit geschworenen Eiden!)
8 Den Verächtlichen verachtet er, Die Gottesfürcht'gen ehrt er.
(Da haben wir den Gegensatz von Verdienst und Lügenbrut.) Gerade den bedeutendsten und wirkungsvollsten Stücken der Schtllerschen Gedichtsammlung werden die Entlehnungen aus der Bibel nicht fehlen. Mit be sonderer Liebe hat Schiller „das Lied von der Glocke" in fich getragen und als das Lied der strebenden Menschheit aus sich heraustreten lasten. Bewunderten wir von je die Mahnung: Von der Stirne heiß Rinnen muß der Schweiß, Soll das Werk den Meister loben als Wahlspruch jedes ernsthaften Ringens nach einem Ziele, so kommt uns bald jenes an Adam gerichtete Wort in den Sinn: „Im Schweiße Deines Angesichts sollst Du Dein Brot verzehren." Wir werden die Er zählung des Eden noch von Schiller gewürdigt finden. Und „Es soll das Werk den Meister loben," stammt aus dem Sirach, der in Schillers Jugend in allen protestantischen Häusern eifrig gelesen wurde. Lesen wir im „Liede an die Freude" das Wort:
Wer ein holdes Weib errungen, Mische seinen Jubel ein,
so finden wir in der „Glocke" die Hausfrau, die „herrschet weise im häuslichen Kreise," wie sie Sprüche 31, 26, weise den Mund öffnet, die Mahnung der Liebe aus der Zunge, und die Wege des Hauses über schaut: „Sie reget ohn' Ende die fleißigen Hände", wie jene „mit Kraft ihre Lenden gürtet und ihre Arme kraftvoll regt." „Sie mehrt den Gewinn mit ordnendem Sinn", wie bei jener „der Gewinn nicht auSbleibt". Beide ersoffen die Spindel und sammeln die Ergebnisse ihrer Handarbeit, Wolle und Lein, und ruhen nimmer. Und wenn nun der Vater froh auf sein Haus blickt,
Siehet der Pfosten ragende Bäume Und der Scheunen gefüllte Räume, Und die Speicher, vom Segen gebogen, Und des Kornes bewegte Wogen, Rühmt sich mit stolzem Mund: Fest wie der Erde Grund Gegen des Unglücks Macht Steht mir des Hauses Pracht. so mahnt das an das Wort aus Deut. 8: Du könntest essen. Du wirst satt, Baust schöne Häuser und wohnest darin,
9 Und Deine Herden, Dein Silber und Gold Und all Dein Gut vermehret sich — Dann könntest Du stolz Dich erheben. Du sprächest in Deinem Herzen: Nur meine Kraft, die Kraft meiner Hand Hat dies Vermögen errungen! Was ist lebensvoller, als das Bild: Schwer herein Schwankt der Wagen Kornbeladen, «nd diese Worte finden fich genau im Amos, allerdings verbunden mit dem Nebenbegriff der überreifen Sündenernte. Was ist volkstümlicher geworden, als da- Wort:
Gefährlich ist's, den Leu zu wecken, Verderblich ist des Tigers Zahn; Jedoch der schrecklichste der Schrecken, Das ist der Mensch in seinem Wahn. Erst neulich wurde ich darauf aufmerksam gemacht, daß hier ein salomonischer Spruch verwertet ist: „Begegne dem Bären, Dem man die Jungen geraubt, Doch nicht dem Toren In seinem Wahn."
II. Wahlverwandtschaft. Es find nicht die einzigen Anklänge an die Bibel, welche sich in den Schillerschen Gedichten finden. — Alles anzuführen, das würde den Rahmen dieser Arbeit weit überschreiten. Man kann auch nicht immer von bewußter Entlehnung aus der Bibel sprechen. Klingt doch oft, ohne daß er es will, eine Liederweise im Tondichter wieder, und unbewußt benutzt er sie, als wäre sie sein Eigentum. So tönt auch im Dichter etwas wieder, was ihn einst entzückt hat; ohne dies würde es in der Stunde dichterischer Begeisterung fich in ihm nicht regen. Und es zeigt fich an den von uns gegebenen Beispielen, daß bei Schiller die Bibel fich zum mindesten nicht weniger und seltener zum Worte gemeldet hat, al bet anderen Dichtern; ja, daß er sie in seinen weihe vollsten Stunden aus sich hat heraustönen fassen. Aber es giebt noch etwas weit Wichtigeres, als das Verhältnis der Abhängigkeit im Einzelnen, wie man es der Bibel gegenüber bei den meisten Dichtern finden wird; wichtiger noch ist die angeborene Wahlverwindtschaft, die einen großen Geist mit einem gewifien Gebiete vereint. Wir wollen und können den Nachweis sühren, daß ein solches Verhältnis zwischen Schiller und der Bibel vorhanden war.
9 Und Deine Herden, Dein Silber und Gold Und all Dein Gut vermehret sich — Dann könntest Du stolz Dich erheben. Du sprächest in Deinem Herzen: Nur meine Kraft, die Kraft meiner Hand Hat dies Vermögen errungen! Was ist lebensvoller, als das Bild: Schwer herein Schwankt der Wagen Kornbeladen, «nd diese Worte finden fich genau im Amos, allerdings verbunden mit dem Nebenbegriff der überreifen Sündenernte. Was ist volkstümlicher geworden, als da- Wort:
Gefährlich ist's, den Leu zu wecken, Verderblich ist des Tigers Zahn; Jedoch der schrecklichste der Schrecken, Das ist der Mensch in seinem Wahn. Erst neulich wurde ich darauf aufmerksam gemacht, daß hier ein salomonischer Spruch verwertet ist: „Begegne dem Bären, Dem man die Jungen geraubt, Doch nicht dem Toren In seinem Wahn."
II. Wahlverwandtschaft. Es find nicht die einzigen Anklänge an die Bibel, welche sich in den Schillerschen Gedichten finden. — Alles anzuführen, das würde den Rahmen dieser Arbeit weit überschreiten. Man kann auch nicht immer von bewußter Entlehnung aus der Bibel sprechen. Klingt doch oft, ohne daß er es will, eine Liederweise im Tondichter wieder, und unbewußt benutzt er sie, als wäre sie sein Eigentum. So tönt auch im Dichter etwas wieder, was ihn einst entzückt hat; ohne dies würde es in der Stunde dichterischer Begeisterung fich in ihm nicht regen. Und es zeigt fich an den von uns gegebenen Beispielen, daß bei Schiller die Bibel fich zum mindesten nicht weniger und seltener zum Worte gemeldet hat, al bet anderen Dichtern; ja, daß er sie in seinen weihe vollsten Stunden aus sich hat heraustönen fassen. Aber es giebt noch etwas weit Wichtigeres, als das Verhältnis der Abhängigkeit im Einzelnen, wie man es der Bibel gegenüber bei den meisten Dichtern finden wird; wichtiger noch ist die angeborene Wahlverwindtschaft, die einen großen Geist mit einem gewifien Gebiete vereint. Wir wollen und können den Nachweis sühren, daß ein solches Verhältnis zwischen Schiller und der Bibel vorhanden war.
10 Von der Glocke sührt es bekanntlich zum „Spazier gangs, der einen ähnlichen Gedanken an den Vorgang einer Wanderung knüpft. Hier hat Schiller sich der Goethefchen Form möglichst genähert, indem er von äußeren Bildern auSgeht und die in ihm dadurch angeregten Gedanken und Gefühle ungezwungen zum Ausdruck bringt. Was aber bei Goethe rin Augenblicksbild ist, wird bei Schiller zum vollkommenen Weltbilde. Aus feinem Zimmer geht er in die Berge hinaus, durch den Wald auf die Wiefe und wieder in den Wald über die geländerte Brücke nach oben, an Ackern und Weideplätzen vorbei; aus den lieblichen Dorfgefilden wird er nun in die Nähe der Stadt mit ihrem turm reichen Gepränge verfetzt; er verliert sie wieder aus dem Auge und findet sich auf der Höhe im einsamen Fels gebirge wieder. Betrachten wir den 104. Psalm, jenen Humboldtschen „Kosmos im Kleinen"; wir machen auch einen Weg mit dem Dichter. Bon den Abendwolken aus lassen wir uns mit dem Gewitterregen unter Donner und Blitz aus die Berge herab und folgen den hinabfliebenden Bächen in'S Bergland, durch Wiesen und Wälder, an Kornfeldern und Weinbergen vorbei, durch den Libanon mit feinem Tterleben; durch die Nacht hindurchziehend, stehen wir morgens vor mensMtche» Wohnungen, sehen fern das Meer mit seinen Schiffen und fahren mit denen mit an feuerspeienden Bergen vorbei. Also hier wie dort eine Wanderung, die in schauerkicher Einsamkeit oder mit dem Anblicke schreckenden Feuers schließt. Bei Schiller durch eine einzelne Gegend, im Psalm durch die Gesamtwelt. Hier wie dort, Bäume, Wälder, Wiesen, Flüffe; hier, „der fröhliche Chor, der auf den Aesten sich wiegt", dort „nisten oben die Vögel des Himmels, lassen zwischen Aesten ihre Stimme erschallen." — Die erste Erwähnung der singenden Vögel in der Dichtung der Borzettl Schiller fieht in den Grenzlinien der Äcker eine „freund liche Schrift des Gesetzes, des menschenerhaltenden Gottes", der Psalmist denkt beim Anblick der Flüffe daran, daß „Gott ihnen eine Grenze gesetzt, die sie nicht überschreiten dürfen, die Erde zu überschwemmen." Schiller schildert zuerst das harmlose Landleben, dann da- Leben der Stadt; der Psalm sührt unS auch zuerst durch dörfliche Getreidefelder und Weinberge, erst nachher zum Anblick des fieberhaft tätigen Städters. Bei Schiller der
11 Gegensatz zwischen der ländlichen Gegend und den Vor boten der türmenden Stadt; im Psalm das angstvolle Zurücktreten der Raubtiere am Morgen vor der Tätigkeit des Menschen „bis zum Abend". Bei Schiller nach dem Bilde städtischen und vaterländischen Aufschwungs Entartung und Aufruhr; der Psalm begleitet die Schiffer mit Bildern der Vernichtung, angedeutet durch die unter irdischen Feuer. Bei Schiller am Schluffe die Hoffnung, daß der entartete Mensch durch die Natur gesunde; im Psalm die nun nicht mehr unvermittelt erscheinende Hoff nung, daß das Schlechte schwinde und die Welt voll kommen werde I Es giebt kaum Dichtungen, die einen verschiedeneren Ausgangspunkt haben; und doch — wie verwandt sind sie einander in der Weltfreudigkeit trotz des Erkennens aller irdischen Schattenseiten, in der Schätzung mensch licher Arbeit und Tatkraft trotz der darauf folgenden Entartung, in der unentwegten, aus dem Gotteshauche der Natur geschöpften Hoffnung, daß Alles noch gut werden wird l In dieser Sinnesart bat Schiller geradezu biblischen Geist. Möge man seiner „Worte des Glauben»" spotten — er hält fest an Freiheit, Tugend und Gottl Möge man sein Gedicht, „Hoffnung" heute überwunden nennenI Hoffnung auf Besserung aller Verhältniffe ist der Grund zug seines Wesens und seiner dichterischen Wirksamkeit. „Was die innere Stimme spricht, Das täuscht die hoffende Seele nicht!" sagt Schiller, wie nur ein Prophet des jüdischen Altertums. ©teute, mutiger Segler; es mag der Witz Dich verhöhnen Und der Schiffer am ©teut senken die lässige Hand, Immer, immer nach West! Dort muß die Küste sich zeigen! Liegt sie doch deutlich und liegt schimmernd vor Deinem Verstand. Traue dem leitenden Gott und folge dem schweigenden Weltmeer. Wär sie noch nicht — sie stieg' jetzt auS den Wellen empor. Mit dem Genius steht die Natur in ewigem Bunde: WaS der eine verspricht, leistet die andre gewiß!
So konnte nur ein Jesaia zu AhaS sprechen: Verlange ein Zeichen von Gott — es soll Dir werden! Nur verzage nicht! Hier lebt in Schiller die Ueber zeugung eines AmoS, daß Gott Nichts tun wird, ohne eS seinen Vertrauten mitzuteilen — spricht aber die Gottesstimme im Menschen — wer wollte nicht prophe-
12 jeien ? Daher bei Schiller so oft da- Bild von der unbedingten Herrschaft des Menschen über die Natur und den eigenen Willen — man denke an „die Bürg schaft", den „Kamps mit dem Drachen", an die Macht der Begeisterung in Johanna von Orleans. Und wie die Propheten der Vorzeit von Gott an gesetzte Wächter find über das Völkerleben, wie sie klagen beim Leide der Menschheit und jubeln bei deren Wiedergeburt, so Schiller. Bei der Wende des Jahr hunderts möchte er einen Zufluchtsort für den Müden suchen. Das Jahrhundert ist im Sturm geschieden, Und das neue öffnet sich mit Mord............. Ach, umsonst auf allen Länderkarten Spähst Du nach dem secligen Gebiet, Wo der Freiheit ewig grüner Garten, Wo der Menschheit schöne Jugend blüht. Endlos liegt die Welt an Deinen Blicken, Und die Schiffahrt selbst ermißt sie kaum; Doch auf ihrem unermeff'nen Rücken Ist für zehen Glückliche nicht Raum —
so kann nur ein Habakuk*) sprechen, der vor den Pferde hufen der Chaldäer alles Menschliche und Göttliche ver schwinden zu sehen fürchtet. Wie aber Nahum jubelt beim Sinken Ninives, wie Jesaia darstellt das Drohen des Sanherib und seine frevelhafte Sicherheit, so sieht Schiller die unüberwindliche Flotte einherziehen, die Armada Philipps, Ketten unt> einen neuen Gott bringen. — Drohend steht sie dem freien England gegenüber — Gott, der Allmächt'ge, sah herab, Sah Deines Feindes stolze Löwenflaggen wehen, Sah drohend offen Dein gewisses Grab — Soll, sprach er, soll mein Albion vergehen — Erlöschen meiner Helden Stamm? .... Nie, rief er, soll der Freiheit Paradies, Der Menschenwürde starker Schirm verschwinden. Gott, der Allmächt'ge, blies, Und die Armada flog nach allen Winden!
Afflavit deus, et dissipati sunt — diese alten Worte aus der Denkmünze haben Schiller angeregt. Braucht man hierzu die prophetischen Vorbilder zu suchen? Und dieser prophetische Zug läßt uns die gesamte Wirk samkeit Schiller- verstehen. Selbst was Schiller aus dem Griechischen entnimmt, hat nicht» Heidnisches an fich, nichts behaglich Irdisches, ♦) Siehe unser „Joel-Nahum Habakuk" Trübner, Straßburgs
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sondern stets den gleichen Zug des Hinweisenewigen Menschheitsziele.
aus die
In den Kranichen des JbyluS ziehen die Eumeniden des AeschhluS über die Bühne. ES find Verse des AeschhluS, die wir da hören: Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle Bewahrt die kindlich reine Seele — Ihm dürfen wir nicht rächend nahn — Er wandelt frei des Lebens Bahn. Doch wehe, wehe, wer verstohlen Des Mordes finstre Tat vollbracht — Wir heften uns an seine Sohlen, Das furchtbare Geschlecht der Nacht.
Klingt das nicht psalmenarlig? Wohl dem, der gottesfürchtig ist . . . Er sürchte nicht vor böser Kunde! . . . Der Bösewicht schau' hin und bebe!
heißt es Psalm 112. Wohl dem, dess' Schuld vergessen Und dessen Sünde ward verziehn, Es rechnet sie der Herr nicht an, Da Trug nicht in ihm ist ... . Viel Leid betrifft den Bösewicht, heißt eS Psalm 82. Und so vergleiche man damit besonders den ersten Psalm. , So haben selbst dem alten AeschhluS entnommene Verse, da Schiller sie gewählt, den Geist der Bibel in sich.
III. Prophetischer Geist. Haben wir also auch da, wo gar keine Entlehnung vorliegt, wo Schiller aus seinem innersten Wesen heraus dichtet, seine Wahlverwandschaft mit biblischem Denken und Empfinden dargetan, so wird seine Verwandschaft mit dem Geiste der Propheten Israels uns ein Mittel sein, dadurch selbst das in Schiller zu beleuchten, was der Form nach von den Neueren an ihm bemängelt worden ist. Wir könnten dann sagen: Er ist in seinen Vorzügen und in seinen Mängeln durch biblische Züge zu erklären. Ob man dann auch von Mängeln wird reden können? Denken wir an „Das Siegesfest". Troja ist ge sunken, die Griechen ziehen mit ihrer Beute über's Meer endlich nach der Heimat zurück. Sie tauschen ihre Freudengesühle, ihre Hoffnungen, ihre finsteren Ahnungen auS, eS wird den Gefangenen auch Trost gespendet, der
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sondern stets den gleichen Zug des Hinweisenewigen Menschheitsziele.
aus die
In den Kranichen des JbyluS ziehen die Eumeniden des AeschhluS über die Bühne. ES find Verse des AeschhluS, die wir da hören: Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle Bewahrt die kindlich reine Seele — Ihm dürfen wir nicht rächend nahn — Er wandelt frei des Lebens Bahn. Doch wehe, wehe, wer verstohlen Des Mordes finstre Tat vollbracht — Wir heften uns an seine Sohlen, Das furchtbare Geschlecht der Nacht.
Klingt das nicht psalmenarlig? Wohl dem, der gottesfürchtig ist . . . Er sürchte nicht vor böser Kunde! . . . Der Bösewicht schau' hin und bebe!
heißt es Psalm 112. Wohl dem, dess' Schuld vergessen Und dessen Sünde ward verziehn, Es rechnet sie der Herr nicht an, Da Trug nicht in ihm ist ... . Viel Leid betrifft den Bösewicht, heißt eS Psalm 82. Und so vergleiche man damit besonders den ersten Psalm. , So haben selbst dem alten AeschhluS entnommene Verse, da Schiller sie gewählt, den Geist der Bibel in sich.
III. Prophetischer Geist. Haben wir also auch da, wo gar keine Entlehnung vorliegt, wo Schiller aus seinem innersten Wesen heraus dichtet, seine Wahlverwandschaft mit biblischem Denken und Empfinden dargetan, so wird seine Verwandschaft mit dem Geiste der Propheten Israels uns ein Mittel sein, dadurch selbst das in Schiller zu beleuchten, was der Form nach von den Neueren an ihm bemängelt worden ist. Wir könnten dann sagen: Er ist in seinen Vorzügen und in seinen Mängeln durch biblische Züge zu erklären. Ob man dann auch von Mängeln wird reden können? Denken wir an „Das Siegesfest". Troja ist ge sunken, die Griechen ziehen mit ihrer Beute über's Meer endlich nach der Heimat zurück. Sie tauschen ihre Freudengesühle, ihre Hoffnungen, ihre finsteren Ahnungen auS, eS wird den Gefangenen auch Trost gespendet, der
14 Feinde selbst ehrend gedacht. An alledem nimmt Kassandra nicht Teil. Und von ihrem Gott ergriffen, Hub sich jetzt die Seherin Blickte von den hohen Schiffen Nach dem Rauch der Heimat hin. Rauch ist alles ird'sche Wesen; Wie des Dampfes Säule weht, Schwinden alle Erdengrößen, Nur die Götter bleiben stet. Die Götter dürfen in diesem Gedicht nicht fehlen. Setzen wir einen Augenblick aus den Schtller'schen „Worten des Glaubens * Gott an deren Stelle. Und nun blicken wir in die Klagelieder hinein, wo es heißt: Darum ist unser Herz so siech, Verdunkelt unsere Augen: Der Zionsberg verödet liegt, Schakale wohnen dort. Nun erhebt sich aber der israelitische Propheten und Volksgeist: Doch Du, Herr, thronst in Ewigkeit Durch alle Zeiten hin! Mag der Zion verödet, das Heiligtum verbrannt sein — Gott vergeht nicht I Dieser Glaube hat Israel erhalten. Schiller hat ihn tröstlich an den Schluß seines Gedichtes gebracht. Auch er hat, umgeben von den Mängeln seiner Zett, darin Trost gesunden. Und ob Alles in ewigem Wechsel kreist — Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist! Aber Schiller hat auch begriffen, wie sich die Seher zu solchen Auffaffungen durchringen, womit sie zu kämpsen, was sie zu überwinden haben. Die Gestalt der Kassandra ist noch einmal vor sein Dichterauge getreten. Sein Gedicht „Kassandra", obwohl der Form nach ganz im griechischen Geist gehalten, steht dem Geiste nach der Bibel und ihren Propheten näher, als eine andere Dichtung. Ganz Troja ist erfreut — man hofft nach langem Kampf auf Zeiten des Friedens und der Freude; der Pelide ist der Bräutigam der Priamstochter, und zur Feier des Freudentages eilt alles zu Tempeln und Altären. Freudlos in der Freude Fülle, Ungesellig und allein ist nur die Prophetin Kassandra:
Ich allein muß einsam trauern, Denn mich flieht der süße Wahn, Und geflügelt diesen Mauern Seh' ich daS Verderben nahn.
15 Ist das nicht das Los der meisten Propheten Israels? Allein stehen fie einem Verhängnis gegenüber, das nur sie nahen sehen — die Welt um fie ist sorglos und blind. Und sie schelten meine Klagen, Und sie höhnen meinen Schmerz! „Ein Tor ist der Seher, ein Wahnsinniger der Mann de- Geistes!" so tönt es dem Propheten Israels tausend stimmig entgegen. Einsam in die Wüste tragen Muß ich mein gequältes Herz! „O könnte ich doch in die einsame Wüste wandern und Tag und Nacht weinen um den Fall meine- Volkes!" ruft Jeremia. Dein Orakel zu verkünden, Warum warfest Du mich hin, In die Stadt der ewig Blinden! „Du hast mich überrumpelt!" so ruft Jeremia der Gottheit zu (wie Kafiandra dem Apollo) „Ich sprach, ich wolle Dein Wort nicht mehr verkünden, da ward'- in meinem Innern zur Flamme!"
Warum gabst Du mir zu sehen. Was ich doch nicht wenden kann? ruft Kafiandra, ruft Jeremia. Eine Aber Nach Aber
Fackel seh ich glühen, nicht in Hymens Hand; den Wolken seh' ich's ziehen, nicht wie Opferbrand.
Und so ficht Jeremia voraus, daß die freudigen Opfer, die Wonnelieder des Bräutigams und der Braut schwinden werden vor den Tönen des Jammers. Und den Mordstahl seh' ich blinken Und das Möiderauge glühn, Nicht zur Rechten, nicht zur Linken Kann ich vor dem Schrecknis fliehn. Und in Jeremia- Träume drängen fich unabwendbar die feindlichen Posaunentöne, da- Stampfen der Kriegsrofie, das Getümmel der unglücklichen Krieger.
Man kann also für die Schillersche Kafiandra setzen: Propheten Israels, besonders Jeremia, eine von den Zeitgenossen nicht verstandene Sehergestalt, die um so schwerer unter der Sorglofigkeit der Mitmenschen zu leiden hat, je klarer fie in die Zukunft hinetnschaut. Wie die obigen Eumenidensätze, so ist auch die Gestalt der Kassandra dem ernsten AeschyluS (seinem Agamem-
16 non) entnommen, und, trotzdem sie dem heiteren Griechen tum entstammt, am innigsten verwandt den Sehern Israels. Gerade in dieser Verwandtschaft mit den Propheten Israels liegt die Eigenart des Schillerschen Geistes. Wohl hat er in den Räubern gezeigt, wie der alte Moor über den Verlust seines Sohnes sich tröstet durch die Erzählung, wie Jakob den verlorenen Joseph be trauert; hat er dort den Psalm der Bruderliebe ange führt; hat der von Franz Moor erzählte Traum seine Gegenbilder nur in den Erscheinungen des Buches Daniel; wohl führt er im Wallenstein die Jakobsleiter zugleich mit den Deutungen der Sternseher und Kabbalisten an; vergleicht sich die Jungfrau von Orleans mit Moses und David; der König Karl VII. mit der unnatürlichen Mutter vor dem Throne Salomos; heißt es im Tell nach Davids Worten: Doch bester ift's, ihr fallt in Gottes Hand, AIS in der Menschen. Aber dies und noch viel Anderes find nur Hinweise auf die Bibel, wie sie sich auch sonst wo finden können. Weit wichtiger ist es, daß ohne alle diese Anklänge Schiller in seimn Bühnenwerken dem Geist der Bibel am nächsten steht. Es wird Schiller schwer, mit kaltem Herzen Tatsachen zu schildern, wie es Goethe tut. Aber kein Dramatiker hat je solche Spannung hervorgerufen, hat den Knoten mit folcher Entschiedenheit geschürzt, wie Schiller. Ruft er etwa, wie Shakespeare, Mitleid und Furcht für einen eifersüchtigen Othello hervor, ja, selbst für einen unglücklichen Vater wie Lear? Ist bei ihm, tote in den Shakespeare'fchen Königsdramen, der geschichtliche Verlauf der Sache oder die geschichtlichlehrhafte Seite des Vorwurfs die Hauptsache? O netnl In den Räubern ist es die durch engherzige Anschauungen eingeengte Menschennatur, die es dem Heuchler ermöglicht, auf dem Boden der entarteten Gesellschaft und eines abgestorbenen Gesetzes zum Verbrecher zu werden, während es den starken und unverdorbenen Menschen htnaustreibt aus den gesetzlichen Formen, welche die Stütze des Be stehenden find. Der junge Dichter kämpft bereit- gegen die Heuchelei, gegen die Unwahrheit der gesellschaftlichen Verhältntfie. Es giebt bei ihm aber auch kein Paktieren mit dem Gesetze. Karl Moor, der fich darüber hinwegsetzt, wird von ihm ebenso geopfert, wie FieSko. Dieser trat aus als Kämpfer gegen Ungerechtigkeit und für die Frei heit, und schließlich will er sie morden; da steht aber
17 der unerbittliche Berinna ihm zur Seite. Die Lüge muß mit Fiesko im Augenblicke des Erfolge- finken, wie bestechend auch die Person FteSko's uns entgegentritt. Hat Schiller in den Räubern die französische StaatsUmwälzung geahnt, so in Fiekko den Bonaparte, der die Republik, seine Mutter, mordet. Und wie Fiekko, so hat er Keinen geschont, der nach seiner Auffaffung mit der Macht der Lüge gegen die Freiheitsziele seiner Jugend ankäwpft. Kabale und Liebe sollte ein rührendeFamilienstück werden, wie fie damals gang und gäbe waren. Unter Schiller- Händen wurde daraus eine ent setzliche Anklage gegen die, welche, um mit Amos zu reden, „einhertreten auf den Köpfen der Armen, um Erdenlohn den Schuldlosen verkaufen, den Dürftigen um ein paar Schuhe, das Recht in Wermuth verwandeln und nicht bangen vor dem Tage der Abrechnung." Er nimmt einen Anlauf, den Präsidenten un- begreiflich zu machen in seinem Kampfe für die Ehre seines Sohne- und dessen Glück — aber die Präsidenten, die Wurm, die Kalb, sie treten unverkennbar und ungemildert als Ver körperungen de- Lösen und Entsetzlichen auf. Eine Staat-weisheit, mit der man die schlauen Mittel ent schuldigt, hat Schiller nie anerkannt. Wir wären heute geneigt, einen Philipp von Spanien geschichtlich zu „retten"; Goethe hat im Egmont selbst einen Alba un menschlich näher geführt, hat die Verhältnisse uns be greifen lassen, indem er un- einblicken läßt in das Ge triebe des spanischen Hof- und Staatrlebens; dar Volk ist im Egmont eine für da- Große verständnislose Masse. Solch eine behagliche Schilderung wäre Schiller unmöglich gewesen, und sein Gegensatz zu Goethe zeigt fich in der bekannten Besprechung de- Egmont. Für Schiller war Philipp ein finsterer Tyrann, ein Vertreter der Finster nis, ein schonungsloser Anbeter seiner eigenen Gottheit; Alba, ein niederer Scherge und selbstsüchtige- Werkzeug seines Herrn, um den freien Geist der Menschheit zu morden. Giebt e- eine glänzendere Herrschergestalt, alElisabeth von England? Sobald fie, die Königin de„freien Albion", ihrer Staat-wet-heit ohne Grund die Maria Stuart opfert, giebt Schiller fie preis und übt unerbittlich da- Totengericht an ihr. Die Gehler, die Landenberg — fie treten als die wahrhaften Teufel in Schiller- Dichtung auf, er läßt keinen Zweifel an dem Abscheu auskommen, den er ihrem schlimmen Treiben gegenüber empfindet. So malt kein Sophokles feinen
18 Kreon, kein Shakespeare seine Winchester und Richard, wie Schiller diese Bösewichte an dem freiheitlichen Geiste der Menschheit.
Findet man heute diese Richtung wenig begreiflich und eines Großdichters wenig würdig, so wird Alle» klar, wenn man die Bibel und besonders die Propheten Israels heranzieht. Das Urteil der Bibel über die Könige Israels und Juda's erscheint heutigen Forschern vielfach zu hart. Sie berücksichtigen die Zeiten und Verhältnisse und ftnd geneigt, einen Ahab, einen AhaS, einen Jerobeam II. als bedeutende Herrscher anzusehe», bei denen ein großer geschichtlicher Zweck die Mittel heiligte. Die Propheten Israels kennen so wenig eine entschuldigende und begründende Staats Weisheit, wie Schiller. Darin beruht ja ihr Gegensatz zu den Höfen von Jerusalem und Samarta, daß ste keine Herrenmoral anerkennen wollen, daß Uebermenschen bei ihnen keine besonderen Rechte haben, daß sie rücksichtslos mit den Forderungen der Redlichkeit und Menschenliebe, der Freiheit und Gleichheit austreten und eine Vergewaltigung wie die an Naboth geschehene unerbittlich in ihrer Er innerung bewahren. Mag man es einseitig nennen, wie man es Schiller gegenüber getan hat — durch Rück sichtnahme auf den Geist der Zeit hätte das Prophetentum nicht gewirkt; nur durch die Rücksichtslosigkeit, mit der es feine Forderungen festhält und geltend macht, hat es umwandelnd die Welt beeinflußt. Ein Marquis Pofa tritt an Philipp heran, wie nur Mose an Pharao; er weist auf die verbrannten Menschen gebeine in den Niederlanden hin, wie nur die Propheten auf daS unschuldige Blut, womit Manasse Jerusalem füllt. Die Befreiung der Niederlande ist das große Ziel, wie nur die Befreiung Israels aus Egypten. Und dieser Posa, ein „Bürger der Zeiten, die da kommen sollen", muß fallen, wird geopfert, wie nur ein Prophet der alten Zeit. Wie sich Elia, wie sich Jeremia von allen Freuden der Erde fernzuhalten hat, so muß Johanna von Orleans, deren biblisches Urbild Debora ist, um ihre befreiende Sendung auszuführen, um ein Gefäß des GotteSgetsteS zu fein, sich ganz ihrer Aufgabe widmen — jede An lehnung an Behaglichkeit und Erdenglück ist eine Berkennung der eigenen Sendung. Wie nur die Gideon, Barak und Simfon übt sie ihr großes Werk aus; es heißt Wiedergewinnung der eigenen Landesrechte, Be-
19 freiung des Vaterlandes aus unrechtmäßiger Gewalt — wie nur bei den Richtern Israels. Die Propheten Israels bringen keine neue Freiheits botschaft, treten nicht als Umstürzler auf, sondern im Namen uralter GotteSrechte. Wer aus deren Rahmen heraustritt, ist dem Verderben geweiht. So find es auch bei Schiller entweder die angeborenen Menschenrechte oder alte Ansprüche auf Freiheit, wie bei den Nieder landen; die Schweizer Landesgemeinde auf dem Rütli tagt nach alten Formen und in der Vertretung alter Satzungen. So ist bei den Propheten, so bet Schiller der Ausblick in die Zukunft ein möglichst weiter, die Grundlage, der Ausgangspunkt möglichst sicher und rechtlich zweifellos. Weshalb läßt Schiller im Tell den Johannes Parricida austreten, der uns im Augenblick der häuslichen Freude in Dells Hütte nur stört? Weshalb läßt er am Schlusie der Maria Stuart nach deren Hinrichtung noch einmal die Elisabeth mit ihrem Hofe austreten? Das mögen vom Standpunkte der Bühnenwirkung aus Fehler sein, aber es find Fehler, welche die Propheten Israel» auch gemacht hätten. Tell ist kein Meuchelmörder, wohl aber Parricida — das muß Schiller klarlegen, um seinen Tell zu reinigen. Elisabeth muß durch die letzten Auf tritte für daS vergossene Blut gestraft werden — daS ist echt prophetisch gedacht. Geßler im Tell ist so wenig, wie Ahab und Jsebel, ein Engelsbild. Bor' ihm kniet Armgard, bittet für ihren eingekerkerten Mann, der um winzige Schuld im Kerker schmachtet. Aber Geßler muß ja „umhertreten auf den Häuptern der Armen" — er bleibt unerbittlich, wenn „die Witwen und Waisen rufen," er weiß nicht daß „ihr Ruf nach oben dringt". Da, im Vollgefühl seiner Macht und Würde, während er freventlich Schlimmeres, als bisher, wie nur Pharao oder Rehabeam, über das Schwetzervolk bringen will — da trifft ihn Tells Geschoß. Ein Gottesgericht in wahrem Sinne. Vergleiche man damit Ahab, den Verbrecher gegen Naboth, dem die Unheilsverkündigungen der Propheten Israels folgen. Er trotzt ihnen, kerkert den freimütigen Sprecher prophetischer Kreise ein, um ihn, wenn er glück lich zurückgekehrt und ihre Voraussagung Lügen gestraft ist, zu züchtigen. Schon hat er in der Schlacht gesiegt und will freudig nach Samaria zurück. Da trifft ihn, trotz dem er sich unkenntlich gemacht hat, der Pfeil eine»
20 Schützen — im Augenblick seiner Siegeisreude ist er dahingerafft, und die Hunde lecken sein Blut auf dem Weinberge NabothS. Die Propheten, nicht befriedigt von der Gegenwart, wenden ihre Augen der freien messianischen Zukunft zu und sehen ein Reich der Menscheneinheit vor sich, wo die Kämpfe geschwunden find, Jeder sein Recht, seine Freiheit und — seine Nahrung und Lebensfreude findet. Wenn Schiller im Hinblick auf die wenig erfreuliche Gegenwart an der Wende des Jahrhunderts sagt:
Freiheit ist nur in dem Reich der Träume Und das Schöne lebt nur im Gesang, so ist das nicht ein Märchrntraum, sondern der prophetische Traum von der Zukunft, die Hoffnung, von der es heißt: Es reden und träumen die Menschen viel Von künftigen besseren Tagen, Nach einem glücklichen, goldenen Ziel Sieht man sie rennen und jagen. Die Welt wird alt und wieder jung Doch der Mensch hofft immer Verbefferung. Es ist kein leerer, schmeichelnder Wahn, Erzeugt im Gehirne des Toren. Im Herzen kündet eS laut sich an: Zu was Besserem sind wir geboren. Und was die innere Stimme spricht, Das täuscht die hoffende Seele nicht.
Und ein Wort des Glaubens heißt:
Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, Und würd' er in Ketten geboren! Solche Stimmungen find er, in denen Attinghausen im Sterben Prophetenworte in den Mund gelegt werden von der Vereinigung der Stände, von künftigen Siegen und glücklichen Tagen. Wohl darf Schiller mit Jesaia seine Sendung dahin
erklären: Den Gedrückten die Kunde zu bringen, Zu heilen die wunden Herzen» Gefangenen Freiheitsbote zu sein, Gefesselten Ketten zu lösen, Die Zeit der Erfüllung zu singen, Die Zeit der Vergeltung durch den Herrn, Und alle Betrübten zu trösten . . . Gott liebt das Recht und haffet den Raub — So schließe den Bund ich auf ewig. IV. Biblische Vorlesungen.
Und ist diese Wahlverwandtschaft des Schiller'schen Geistes mit der Bibel ohne Grund? Hat er sich nicht tief mit ihr befchästigt?
20 Schützen — im Augenblick seiner Siegeisreude ist er dahingerafft, und die Hunde lecken sein Blut auf dem Weinberge NabothS. Die Propheten, nicht befriedigt von der Gegenwart, wenden ihre Augen der freien messianischen Zukunft zu und sehen ein Reich der Menscheneinheit vor sich, wo die Kämpfe geschwunden find, Jeder sein Recht, seine Freiheit und — seine Nahrung und Lebensfreude findet. Wenn Schiller im Hinblick auf die wenig erfreuliche Gegenwart an der Wende des Jahrhunderts sagt:
Freiheit ist nur in dem Reich der Träume Und das Schöne lebt nur im Gesang, so ist das nicht ein Märchrntraum, sondern der prophetische Traum von der Zukunft, die Hoffnung, von der es heißt: Es reden und träumen die Menschen viel Von künftigen besseren Tagen, Nach einem glücklichen, goldenen Ziel Sieht man sie rennen und jagen. Die Welt wird alt und wieder jung Doch der Mensch hofft immer Verbefferung. Es ist kein leerer, schmeichelnder Wahn, Erzeugt im Gehirne des Toren. Im Herzen kündet eS laut sich an: Zu was Besserem sind wir geboren. Und was die innere Stimme spricht, Das täuscht die hoffende Seele nicht.
Und ein Wort des Glaubens heißt:
Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, Und würd' er in Ketten geboren! Solche Stimmungen find er, in denen Attinghausen im Sterben Prophetenworte in den Mund gelegt werden von der Vereinigung der Stände, von künftigen Siegen und glücklichen Tagen. Wohl darf Schiller mit Jesaia seine Sendung dahin
erklären: Den Gedrückten die Kunde zu bringen, Zu heilen die wunden Herzen» Gefangenen Freiheitsbote zu sein, Gefesselten Ketten zu lösen, Die Zeit der Erfüllung zu singen, Die Zeit der Vergeltung durch den Herrn, Und alle Betrübten zu trösten . . . Gott liebt das Recht und haffet den Raub — So schließe den Bund ich auf ewig. IV. Biblische Vorlesungen.
Und ist diese Wahlverwandtschaft des Schiller'schen Geistes mit der Bibel ohne Grund? Hat er sich nicht tief mit ihr befchästigt?
21 Zwei Arbeiten, die wir zum Schluffe erwähnen Wollen, legen davon Zeugnis ab und letten geradezu zum Verständnis dieser merkwürdigen Verwandtschaft, wie auch der Gedanken, welche Schiller dem heiligen Buche entnehmen konnte. Auch Goethe hat die Bibel während seines ganzen Lebens viel und gern gelesen, ja, mehr als Schiller. Aber, wie auf allen Gebieten, so tritt auch in ihrem Verhältnis zur Bibel der Gegensatz der beiden großen Dichter hervor. WaS den Einen anzieht, läßt den Andern kalt. Goethe ist so recht im Stande, die schönen Bilder des Hirten- und Familienlebens int ersten Buche Mosis zu empfinden; das Buch Ruth mit seinem reizvollen und engen landschaftlichen Rahmen, mit seinen innigen Familien verhältnissen steht seinem Herzen besonders nahe. Die Bibel als schriftstellerisches Erzeugnis regt seine Deute tätigkeit an. Was aus den zwei Gesetzestafeln gestanden haben mag, ist ihm eine wichtige Frage. Ob er über die Schöpfurigs- und Paradiesesgeschichte so viel gegrübelt hat, das kann man aus „Wahrheit und Dichtung" nicht so recht erkennen. Der Gestalt MofiS ist Goethe nicht nähergetreten, fie blieb ihm unerfreulich. Moses ist ein grämlicher zaudernder Führer, der seine ursprünglichen Pläne aufgiebt und sich von midianitischem Priestertruge zu einer wenig zweckmäßigen Wanderung bringen läßt. Goethe fieht sich in der Lage, Dinge textlich anders aufzufaffen, als die Bibel fie bietet. Er ist einer der frühesten Bibelkritiker in Deutschland gewesen. Schiller geht an die Bibel heran, indem Einzelheiten und Textfragen ihm ferne liegen und gerade die Rätsel der mosaischen Urgeschichte, wie „die Sendung Mofis" seine Blicke auf fich ziehen. Knüpft Goethe seine Be merkungen über vorzeitliche Verhältnisse gelegentlich, leicht hingeworsen an die Geschichte der Stammväter und hört in Wahrheit und Dichtung mit Joseph auf, so ringt Schiller in ernstgeschichilichen Betrachtungen mit der von Goethe weniger beachteten Urgeschichte und setzt da seine Arbeit fort, wo Goethe aufgehört hat, mit dem Beginne des zweiten Buches Mofis. Berichtet uns Goethe über seine Versuche, die Geschichte Josephs dichterisch zu be handeln, so wiffen wir, daß Schiller ein Heldengedicht über MoseS vorhatte. Der Mensch, führt Schiller aus, wäre ohne seinen ersten Ungehorsam nie über die Enge des Gartens Eden
zum Bewußtsein gelangt. Er war zu edel für jene kindliche Ruhe. Er mußte kämpfen, ringen, und im Kampfe sein Leben stündlich gewinnen. So begreifen wir das Wort: Von der Stirne heiß, Rinnen muß der Schweiß, Soll das Werk den Meister loben.
So steigt der Mensch zum Gebilde der Häuslichkeit, der Familie empor; in den Kindern erwuchs den Menschen die Hoffnung, die Zukunft. Die Ueberlieferung der Urteile und Erfahrungen von Geschlecht zu Geschlecht verhindert jede- Zurückstnken in den tierischen Zustand. Die Arbeitsteilung zwischen den seßhaften Landbauer und dem umherziehenden Hirten — selbst das Ergebnis einer fruchtbaren Entwickelung — ruft den Kampf zwischen Beiden hervor. Der Hirt glaubt, die Erde gehöre ihm und seiner Heerde. Der Landmann verteidigt gegen ihn sein Saatfeld, und der mörderische Schlag der Keule von Kains Seite wird begreiflich als Beginn des Kampfes um's Dasein. Aber es entstehen Unterschiede zwischen Stand und Stand, zwischen Kindern gesetzlicher Ehen und Kindern der Freude, zwischen dem Sohne des Reichen und den Kindern der Knechte seines Vaters. Die aus« gestoßenen Bastarde werden zu Helden trotzigen Selbst schutzes, zu räuberischen Feinden der Gesellschaft, die von den glücklicheren Mitmenschen ihre Nahrung erpressen. Die Wiederkehr zum Zustande der Ordnung wird durch die Sintflut verhindert. Hatten die Tiere sich gemehrt, so wurde die Jagd zum Kampf der Menschheit gegen das Niederziehende und der Tapferste wurde zum Führer, er, der seinen Befehlen Nachdruck zu geben wußte; er wurde zum Schützer der Bauern und Hirten, die ihm freiwillige Geschenke, später regelmäßige Steuern gaben und ihn durch Opfer dazu veranlaßten, bei seinen Kämpfen ihrer Saaten zu schonen. Sein Anhang wurde zu einem Heere und da die Mächtigeren seine Diener und Genossen waren, er selbst die größte Krast besaß, so konnte er die Macht an fich reißen und wurde durch Gewalt der erste König. — ES ist bezweifelt worden, ob diese Vor lesung von Schiller stammt. Sie steht unter dem Einfluffe Herder'scher Bibelanschauung, aber sie trägt den Stempel Schiller'schen Geistes. Jede Andeutung jener mosaischen Urerzählung scheint Schiller eine Ueberlieferung über die einzelnen Stufen zu sein, welche die Menschheit immer weiter zu ihrer Entwickelung geführt haben. Wie
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sehr er gerade dieser Betrachtungsweise fähig war, zeigen seine Gedichte „die Glocke", „der Spaziergang", „daK eleufische Fest", „Klage der Ceres", „Die vier Weltalter", die alle beredt von dem Fortschritt der Menschheit durch Kampf und Arbeit sprechen. Und die ersten Abschnitte der Tora, die genau bis zu den von Göthe so liebevoll betrachteten Stammvätergeschichten führen, scheinen Schiller mächtige Wegweiser auf diesem Entwickelungswege zu fein. Die nächste Schiller'sche Arbeit auf diesem Gebiete ist, „Die Sendung MostS", die er im Zusammenhang mit den Gesetzgebungen des LykurguS und Solon be handelt hat. Christentum nnd Islam sieht Schiller auf dem Juden tum beruhen, dem man „einen großen Teil der Aufklärung verdankt, deren man sich heutigen Tages erfreut." Die bösen Folgen der Vielgötterei wurden einen großen Teil der Menschheit dadurch erspart. Allerdings fällt hier über die Juden das löse Wort, daß die Juden selbst „als ein unreines und gemeines Gesäß, als un reiner Kanal zu schätzen find, der das edelste der Güter der Welt bewahrte und zusührte".*) Bedenken wir aber, daß Schiller nur wenige Juden oberflächlich gesehen und sie nach ihrer wenig anziehenden Außenseite beurteilt hat. Wir sprechen nicht von „Schiller und die Juden", sondern von „Schiller und die Bibel." Aus Furcht vor der Anzahl der Israeliten begann Egypten sie zu mißhandeln und ihnen die Leben! bedingungen abzuschneiden, sodaß — wie Schiller dem Manetho nachschreibt — der Aussatz sie erfaßte und sie nun noch als Verpestete verabscheut wurden. Wurde durch Verminderung, ja Tötung der Nachkommen ihr Bestehen in Frage gestellt — woher sollte der Retter kommen? Bon außen nicht, denn man haßte sie. Und aus ihrer Mitte? Aus einem so herabgedrückten Volke? Da benutzt die Vorsehung die Bosheit des Feindes selbst als einfachstes Mittel. Zur Verzweiflung gebracht, übergiebt Jochebed ihr Kind den Wellen, wo die Königs tochter vorbeikommen mußte — sie rettet das Kind, seine Mutter darf es erziehen und flößt ihm Liebe zu seinem Stamme und alle Weisheit desselben ein. Im Palast des Pharao nimmt er später an allen Geheim nissen der Priester teil, und er ersährt, was das Bild zu Sais enthielt: Die Geheimlehre von einem Gotte, desien *) Man denke auch an Spiegelberg. S. Oskar Frankl: Schiller in seinen Beziehungen z d. Juden rc Papauschek, Mährisch-Ostrau.
24 Namen man auf alten Steinen gefunden. (Haben wir hier nicht Delitzsch vor uns, nur statt auf Assyrien auf Egypten angewandt?) Durch fein Auftreten für die leidenden Brüder zur Flucht gezwungen, kommt ihm in arabischer Einsamkeit der Gedanke, sein Volk zu befreien. Er kann ihnen die Empfindungen de- Menschentums aber nur geben, wenn er ihnen einen Gott giebt. Soll er es aber den Priestern Egyptens nachtun, ihnen falsche Götter bilder einschwärzen? Neinl Er will ihnen die Wahrheit auf eine ihnen verständliche Art verkünden! ES muß ihr Gott, der Gott ihrer Väter sein, der als Schützer, als Feldherr sie ruft; er muß ihnen die Un abhängigkeit durch ein Gesetz zu erhalten suchen, daS auf den befreienden Gott sich stützt. Und wenn, wie Schiller annimmt, die Art der Gottesverkündigung Rücksicht nimmt auf ihre Denkart und darum ihnen den einzigen Gott nicht als den der Gesamtwelt verkünden kann, so ist doch durch die GotteSeinheit die Grundlage seiner Gesetzgebung wahr und durch alle dem Menschenfinn sich anbequemenden Hüllen werden die Späteren mit höherer Einficht die Wahrheit herausfinden. (Vergefien wir nicht, daß der Talmud und MaimonideS selbst die körperlichen Bilder von Gott in der Bibel auch als ein Zugeständnis an die menschliche Schwäche und da» menschliche Verständnis auffafien). Es ist uns gleichqiltig, von welchem religiösen Standpankr Schiller das Werk MosiS ausgefaßt hat — genug, daß er es damit sehr ernst genommen hat und daß die Gestalt des Befreiers, des ErleuchterS, des Gesetzgebers ihren Einfluß ausgeübt hat auf feine Johanna von Orleans, auf seinen Tell, ja, auf seinen Posa, selbst auf feine Geschichtsdarstellungen, wie die Befreiung der vereinigten Niederlande. Der Held, dem er als Jüng ling besingen wollte, ist ihm teuer geblieben, als er in Jena die akademische Jugend in eine höhere Auffassung der Geschichte einführen wollte — dort hat er ihr diese biblischen Vorlesungen gehalten. So hat sich Schiller also angelegentlichst mit der menschhettlchen Entwickelung und mit dem FreiheitSgedankeu der Bibel beschäftigt und für sein Dichterwirken den größten Gewinn davongetragen. — — Schiller ist volkstümlich geworden und seine Sprüche find in's Volk gedrungen, wie die der Bibel. Man hat feine Worte darum für der Tiefe ermangelnd angesehen, ohne zu bedenken, daß er als Erster diesen Gedanken
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einen so breiten, so verständlichen, so tatsächlichen Aus druck in der Dichtung verliehen hat. Er ist nie der kalte Darsteller des Tatsächlichen, selbst wenn er sich dazu zwingt, wie in Wallenstein — auch der Prophet Israels ist es nicht. Das Dichterische ist ihm nie Selbstzweck, stets lauert im Hintergründe die sittliche, freiheitliche Forderung; auch die Bibel hat selten Augenblicke rein dichterischer Ruhe — die göttlichen Zwecke verlassen uns nicht einen Augenblick. Wie die Bibel aber durch Berbindung des Lehrhaften mit dem Anschaulichen auf Welt und Menschheit ungeheuer gewirkt hat, so Schillerdurch die Greifbarkeit und Tatsächlichkeit, wie durch die Wärme und Leidenschaftlichkeit seiner Dichtungen. In den Tagen de- Napoleonischen Druckes, da wurde seine Johanna von Orleans zur Bannerträgerin vaterländischer Bestrebungen, und sein Geist zog den Heeren der Frei heitskämpfer voraus. In den Jahren rückwärt-führender Bestrebungen wurden fein Posa, sein Tell zu Kampfrufen für die Ziele der Neuzeit. Im Jahre 1859 zeigte es sich, daß alle freiheitlichen und vaterländischen Bestrebungen im Namen Schillers die Formel zur Ecreichung ihrer hohen Ziele sahen. Die Einheit Deutschlands ist im Jahre 1871 erlangt worden — das Ztel war erreicht — Schiller begann in den Hintergrund zu treten. Die Glücklichen wollten den nicht mehr kennen, der sie zum Glücke geführt. Man sah und steht in ihm den Vertreter flacher Kinderziele und glaubt, seine freiheitlichen und menschheitlichen Forderungen gehörten einer harmlosen Vergangenheit an. Da- ist vonUebel. Gerade der Glückliche, der Mä chtige bedarf de- Mahners, der ihm höhere Ziele vor Augen hält, damit er nicht finke. Ohne Borwärtsstreben gibt er keine Zukunft. Ob der 9. Mai 1905 auch noch ein Geburtstag Schiller'fcher Schätzung und Verehrung für weitere Kreise geworden ist? Ob er dem 10. November 1850 glich? Nur dann hatte dieser Tag und seine Feier einen Zweck, wenn eS ein Tag der Neubelebung für Schiller und seine Ziele war, die ewig, weil unerreichbar find, wie die Ziele der Bibel. Möge fein Geist in der Nachwelt weiter nachwirken: Auf daß das Gute wirke, wachse, fromme. Auf daß der Tag dem Edlen endlich komme.