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German Pages 39 [44] Year 1903
V o r t r a g e
der theologischen Konferenz zu Giessen. 18. Folge.
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Das Alte Testament und
die Ausgrabungen von
D. Karl Budde ord. P r o f . d e r T h e o l o g i e a n d e r U n i v . M a r b u r g .
Giessen J . Ricker'sche Verlagsbuchhandlung (Alfred Töpelmann) 1903.
Schriften von Karl Budde. Die Religion des Volkes Israel bis zur Verbannung. 1900 Geh. 6 M., geb. 6 M. Die sogenannten Ebed-Jahwe-Lieder und die Bedeutung des Knechtes Jahwe's in Jes. 40—55. 1900. M. 1.50. Der Kanon des Alten Testaments. Ein Abriß. Die Biblische Urgeschichte.
1900. M. 1.40.
(Gen. 1—12, 5.) 1883. M. 14.—.
Die Bücher Richter und Samuel. ihr Aufbau. 1890
Ihre Quellen und M. 7.50.
J. Sieker'sehe Verlagsbuchhandlung (Alfred Töpelmann) in Giessen.
Hochverehrte Versammlung! ,Das Alte Testament und die Ausgrabungen", das soll der Gegenstand des Vortrags sein, mit dem ich der ehrenvollen Aufforderung unseres Vorstands heute nachkomme. Sie hören es sofort heraus, daß ich wenigstens mit dieser Überschrift nicht neu noch selbständig, sondern ganz bescheidener oder gar schwächlicher Nachahmer bin; denn wieviel kräftiger, wieviel schlagender lautet das Vorbild „ Babel und Bibel"! Dennoch darf ich wohl gleich zu Eingang bitten, die kleinen Änderungen, durch die meine Fassung so gegen jene abfüllt, nicht für bedeutungslos zu halten. Ich sage zunächst nicht „Bibel" sondern ,Altes Testament", weil ich mich, der Not gehorchend wie dem eignen Trieb, auf dieses, dem meine Lebensarbeit gehört, beschränken will. Ich sage nicht „Babel" sondern „Die Ausgrabungen", nicht etwa deshalb, weil ich mich mit allen gleichmäßig beschäftigen wollte, sondern weil der Ruf wie vom Osten so auch vom Westen und Süden, wer weiß wie bald auch vom Norden her an uns ergeht, und was grundsätzlich ausgeführt wird, auch dort Geltung behält. Ich setze nicht die Ausgrabungen, sondern das Alte Testament voran, weil es mir, wo einmal die Beziehungen zwischen den beiden erwogen werden, nach wie vor die erste Stelle einnimmt und es meine Absicht ist in richtiger Bestimmung und Begrenzung dafür einzutreten. 1*
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Aber das habe ich allerdings tief empfanden, daß Sie heute, wenige Monate nachdem die Kunde von Friedrich Delitzschs Vortrag „Babel und Bibel" die Runde gemacht, auch durch die trägsten und geistverlassensten Tagesblatter, das Recht hätten ein Wort gerade über diesen Gegenstand von mir zu erwarten und zu verlangen. Die Aufgabe war mir keineswegs verlockend; aber so oft ich in Versuchung war davon abzuspringen, mahnte es mich immer wieder, daß dennoch hier und nirgends sonst meine Pflicht liege. Daß ich darin richtig empfunden habe, beweist wohl am besten die Tatsache, daß in diesen Tagen außer mir zwei Fachgenossen im engeren und weiteren Sinne, Oettli in Berlin und Hommel in Eisenach, über denselben Gegenstand reden, wie denn von zwei weiteren, König1) und Jensen 8 ), bereits ausführliche Gutachten im Druck erschienen sind, die den meisten unter Ihnen nicht werden entgangen sein. Es war mir eine Genugtuung, daß mein Vortrag, der seit anderthalb Monat fertig vorlag, nach einer ganz kurzen Strecke Weges sich gänzlich von diesen Genossen trennt. Ich habe darum auch selbst auf kleine Änderungen verzichtet und freue mich nun doppelt, daß ich den für eine kurze Stunde überreichen Gegenstand, einem unmißverständlichen Winke folgend, gerade so angefaßt habe, wie ich es getan. Und damit zur Sache! 8 ) ') Eduard König, Bibel und Babel, eine kulturgeschichtliche Skizze, Berlin 1902. ") Peter Jensen, Babel und Bibel, Die Christliche Welt, 1902, No. 21 vom 22. Mai. ') Ein für allemal sei hier bemerkt, dass ich mich einer Kritik der Beobachtungen, Lesungen, Deutungen als solcher
Am 13. Januar dieses Jahres hielt Friedrich Delitzsch, Professor der Assyriologie und Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin, dort in der Singakademie im Auftrage der Deutschen Orient-Gesellschaft einen Vortrag, dem er den Namen „ Babel und Bibel" gab. Man würde davon wahrscheinlich nicht mehr oder weniger vernommen haben als von zahllosen vortrefflichen Vorträgen unserer so überaus bildungsbedürftigen Zeit, wenn ihm nicht Se. Majestät der Kaiser beigewohnt und das Gehörte mit so warmem Anteil aufgenommen hätte, daß Professor Delitzsch den Vortrag am 1. Februar im Königlichen Schlosse wiederholen durfte. Dem verdanken wir es zunächst auch, daß der Vortrag schon Anfang März gedruckt vorlag, mit 5 0 Abbildungen so reich ausgestattet, wie das sonst schwerlich der Fall gewesen wäre. Der Vortragende ist inzwischen mit kaiserlichen^ Urlaub und kaiserlicher Ausstattung nach Babylonien abgereist, um die deutschen Ausgrabungen in Babel selber in Augenschein zu nehmen und zu fördern. Hoffen wir, daß der hervorragende Gelehrte, dessen Aufgaben, soweit wir es nach seinen bisherigen Arbeiten beurteilen können, weit mehr am Schreibtisch als an den grundwassergefüllten Ausgrabungsschachten liegen, gesund aus dem fernen Osten heimkehrt. Wenn dann auch noch die öffentlichen Kassen sowohl wie die möglichst zahlreicher Freiwilliger dank innerhalb des Bereichs der Ausgrabungen als Nichtfachmann grundsätzlich enthalten habe. Mit einer Billigung der Ergebnisse ist das natürlich nicht zu verwechseln. Hie und da habe ich mich auf das Urteil von Fachleuten berufen. Nur die F o l g e r u n g e n sind Gegenstand meiner eigenen Untersuchung und Beurteilung.
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der von ihm gegebenen Anregung für die gute Sache der begonnenen Arbeiten recht weit geöffnet bleiben, so ist der Zweck seines Vortrags in erfreulichstem Maße erreicht. Was aber bietet der Vortrag uns, und was will er von uns haben? Auf die erste Frage würden wir, einmal vorausgesetzt, daß ihn alle gelesen hätten, natürlich nicht alle die gleiche Antwort geben. Was mich betrifft, so habe ich darin ein reichliches Dutzend neuer Abbildungen gefunden, aber außer deren gelegentlicher Deutung kaum eine einzige Tatsache oder Ansicht, die mir nicht bereits bekannt gewesen wäre. Selbst das Vorkommen jahwehaltiger Namen auf Tontäfelchen aus der Zeit der ersten babylonischen Dynastie um 2250 v. Chr., das Delitzsch sich für den Schluß aufspart und mit so großem Nachdruck geltend macht1), war uns von Sayce und Hommel bereits im Jahre 1898 mitgeteilt2). Aber, wenn ich auch als Alttestamentler pflichtschuldig zu den Unterrichteteren gehören werde, so darf ich doch voraussetzen, daß in einer Theologenversammlung wie unsre heutige wenige sein werden, denen nicht bei weitem das Meiste von dem, was Delitzsch erzählt, längst bekannt war. Der Vortrag war eben selbstverständlich nach Stoff und Fassung durchaus auf Laien berechnet und konnte auf einen um so tieferen Eindruck zählen, je weniger dem Zuhörer bisher von den Ausgrabungen am Euphrat und Tigris bekannt geworden war. Dankenswert ist jedenfalls die ruhige Entschieden') S. 46 f. Die Lesung wird von König, a. a. O. S. 40 ff., stark angezweifelt, aber in der Hauptsache wohl ohne Grund. ") The Expository Times, 1897/98 S. 529. 1898/99 S. 42. 48, vgl. auch 1899/1900 S. 270.
heit, mit der einige Wahrheiten betont werden, die uns längst in Fleisch und Blut übergegangen sind, aber von den leitenden kirchlichen Kreisen vielfach noch als schwere Ketzereien verpönt werden. So die Zusammensetzung der fünf Bücher Mose aus einer Reihe „sehr verschiedenartiger Quellenschriften"1), die Abhängigkeit großer Abschnitte der biblischen Urgeschichte, Schöpfung, Sintflut, Sethitentafel von babylonischen Mythen2), die Vergeblichkeit aller Versuche, unsere biblische Weltechöpfungserzählung mit den Ergebnissen der Naturwissenschaft in Einklang zu bringen8). Dem Vertreter profaner Wissenschaft hat man es allem Anschein nach sogar zugute gehalten, daß er dazu aufforderte — ich führe wörtlich an — „durch Ausscheiden dieser zwar hochbegabten Völkern entstammenden, aber trotzdem rein menschlichen Vorstellungen und durch Befreiung unseres Denkens von allerlei festgewurzelten Vorurteilen die wahre Religion und die wahre Religiosität, wie sie uns die Propheten und Dichter des Alten Testaments und in erhabenstem Sinne Jesus gelehrt, nur um so wahrer und verinnerlichter" herauszubilden4). Was Delitzsch für alle diese' Gaben von uns fordert, das ist, was in dem Letztgesagten schon enthalten war, die Anerkennung und Verwertung der Ergebnisse der Ausgrabungen für Verständnis und Beurteilung der Heiligen Schrift, insbesondere des Alten Testaments. Er selbst verspricht sich, sicherlich etwas kühn, von der Erfüllung dieses seines Wunsches oder, genauer gesagt, von der Anerkennung der durch die Ergebnisse der Ausgrabungen ») S. 32.
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) 29 f. 32 f.
») S. 34.
*) S. 43 f.
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befruchteten Arbeit am Alten Testament, für „das Leben der Menschen und Völker eine tiefere Erregung und bedeutsamere Fortschritte, als durch alle modernen Entdeckungen der Naturwissenschaften zusammen" 1 ). Indessen wird jeder billig Denkende freudig bereit sein, dem geäußerten Wunsche nachzukommen und so nach seinen Kräften zur Herbeiführung solcher Erfolge beizutragen; nur müssen wir uns etwas näher ansehen dürfen, was darin eingeschlossen ist. Auf den ersten Blick scheinen nun Delitzschs Anforderungen nicht allzu groß zu sein. Aber j e weiter man eindringt, um so mehr Fragezeichen sieht man sich genötigt anzubringen, und folgt man vollends den leisen Fingerzeigen, die hier und da auf weitere Zusammenhänge führen, so dehnt sich das beanspruchte Gebiet weiter, als man anfangs gedacht. Nur wenige Beispiele mögen das erläutern. Es ist doch eine anerlaubte Ausbeutung des Nachweisbaren, wenn es als unzweifelhaft bezeichnet wird, „daß wir die in der Sabbatbezw. Sonntagsruhe beschlossene Segensfülle im letzten Grunde jenem alten Kulturvolk am Euphrat und Tigris verdanken" 2 ). Daß „das alttestamentliche Opferwesen und Priestertum von dem babylonischen tiefgehend beeinflußt ist" 3 ), kann, richtig begrenzt, vielleicht anerkannt werden; aber nahe liegt die Vermutung, daß Delitzsch sich hier die meines Erachtens viel zu weit gehenden und auf falschen Voraussetzungen fußenden Ansprüche aneignen will, die Paul Haupt auf dem römischen Orientalistenkongresse von 1 8 9 9 geltend machte. Deutlich bekennt er sich gegen den >) S. 4.
») S. 29.
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) S. 28.
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Schluß seines Vortrags zu Wincklers Lehre VOD dem kanaanäischen Ursprung der ersten babylonischen Dynastie in der 2ten Häfte des 3. Jahrtausends v. Chr.; ebenso deutlich an der gleichen Stelle zu der Hommels von dem Monotheismus dieser kanaanäischen oder nach Hommel arabischen Eroberer1). Sie haben Gott El, d. h. nach der zuversichtlich gebilligten Deutung Lagardes „Ziel" genannt, dieses Ziel aber kann, so schließt Delitzsch, naturgemäß nur eines sein, also bedeuten die schönen Eigennamen jener Zeit, „Gott hat gegeben*. „Gott mit mir", „Mit meines Gottes Hilfe wandle ich" ein Bekenntnis zu dem e i n e n Gott. Und diesen e i n e n Gott nennen eben diese kanaanäischen Stämme bereits Jahwe, d. i. der Seiende, der Beständige, der nicht, wie wir Menschen, schon morgen ein Gestern ist, sondern über dem in ewiger Gesetzmäßigkeit prangenden Sternenzelt lebt und wirkt von Ewigkeit zu Ewigkeit". „Dieser Jahwe also ist ein uraltes Erbteil jener kanaanäischen Stämme, aus welchen [lies so statt „ welchem"!] dann nach Jahrhunderten die zwölf Stämme Israels hervorgehen sollten." Es wäre unbillig, wollte man von solch feiernden, begeisterten Worten wasserhelle Klarheit verlangen; aber daß sich Delitzsch hier die Ergebnisse Wincklers und Hommels in der Hauptsache aneignet, dürfte doch ebenso unzweifelhaft sein, wie daß dadurch das Alte Testament seiner religionsgeschichtlichen Bedeutung so gut wie völlig entkleidet wird. Mit dem Verweis auf die genannten Gelehrten ist schon gesagt, daß die Forderungen, die Delitzsch aus») S. 46 f.
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spricht, den Vertretern des Alten Testaments durchaus nichts Neues sind. Seit mehr als drei Jahrzehnten vielmehr haben wir uns bestrebt ihnen nachzukommen, und wir feiern gerade in diesem Jahre und in dieser guten Stadt das dreißigjährige Gedächtnis des ersten Buches, das uns dabei in umfassendem Maße zu Hilfe zu kommen suchte. Erschien doch i. J. 1872 hier in Gießen in der Bickerschen Buchhandlung zum ersten Male das Buch „Die Keilinschriften und das Alte Testament", das höchst verdienstliche Werk des Altmeisters der deutschen Assyriologie Eberhard Schräder, damals Professors des Alten Testaments in der hiesigen theologischen Fakultät. Wie sich die Zeiten seitdem geändert haben, läßt sich an diesem Werke am allerbesten verfolgen, trägt doch seine dritte Auflage, nunmehr nach Berlin übergesiedelt, die Ziffer des laufenden Jahres 1902. Wir wollen uns daher, um die Ansprüche kennen zu lernen, mit denen die Ausgrabungen heute dem Alten Testamente gegenübertreten, statt an die leisen Andeutungen, über die Delitzschs Vortrag naturgemäß nicht hinausgehn konnte, in erster Linie an dieses Werk halten, das den Gegenstand als solchen und eingehend behandelt. Läßt sich auch, was wir da sehen und lernen, nicht ohne weiteres verallgemeinern, so wird doch die Nutzanwendung auf andere Verhältnisse unschwer zu vollziehen sein. Durch einen Schlaganfall leider aller wissenschaftlichen Tätigkeit entzogen, hat Schräder die Arbeit diesmal jüngeren Händen überlassen müssen, und es sind zwei hervorragende Assyriologen, Heinrich Zimmern und der, den ich wiederholt nannte, Hugo Winckler, an seine Stelle getreten.
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Nicht ohne erhebliche Änderungen in der Anlage des von Grund aus neu gefaßten Werkes. Zwar was der Zusatz in sich schließt, den der Titel erhalten hat, „mit Ausdehnung auf die Apokryphen, Pseudepigraphen und das Neue Testament", wird jedem willkommen sein und brauchte die Eigenart des Buches in keiner Weise zu treifen. Dagegen sind die Bedenken, die mancher mit mir der Umwandlung des glossatorisch angelegten Werkes in eine systematische Darstellung entgegengebracht haben wird, durch die zu Ende des verflossenen Jahres erschienene erste Hälfte des Buches, Geschichte und Geographie von Hugo Winckler, in einem Maße gerechtfertigt worden, wie es doch wohl niemand erwartet hätte. Allerdings verspricht das Vorwort, man werde nach Möglichkeit nur die wirklich gesicherten Resultate der Keilschriftforschung vorlegen und jedenfalls den Unterschied zwischen urkundlichen Tatsachen und bloßen mehr oder weniger sicheren Kombinationen stets streng hervortreten lassen. Aber beides wird in dem Buche so wenig verwirklicht, daß es statt „Die Keilinschriften und das Alte Testament" viel besser den Namen führen würde „Der Keilinschriftler und das Alte Testament". Ein schrankenloser Panbabylonismus läßt Winckler im Grunde alle anderen Völkerpersönlichkeiten in dem alten Vorderasien vernichten und verneinen. Was sie etwa an Eigenlicht besessen haben, das haben sie zu dem großen Sonnenherd Babel beigesteuert, um es nur aufgelöst in dessen Schein und mit diesem wiederzuerlangen. In der festen Überzeugung, daß er gar keinen Erscheinungen begegnen könne, die nicht bis in ihren Kern babylonischen Ursprungs seien, glaubt Winckler auf die Dauer
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im einzelnen anf den Nachweis dafür völlig verzichten zn dürfen nnd gestaltet ohne weiteres die vorgefundene Überlieferang vom babylonischen Standpunkte aus, so wie er ihn versteht, um, bis sie kaum mehr wiederzuerkennen ist Daraus erklärt es sich, daß er keineswegs wie ehedem Schräder zu denjenigen israelitischen Königen schweigt, die durch kein urkundliches Band mit dem Zweistromlande verknüpft sind, sondern gerade von ihnen, von Saul, David, Salomo in erster Linie, am meisten zu sagen weiß und uns so einfach eine zusammenhängende israelitische Geschichte von seinem Standpunkte aus bietet. Daß Kanaan, und mit, ja vor ihm natürlich der Streifen von Kulturland, der es in einem nordöstlichen Bogen mit dem Zweistromlande verbindet, bereits im 2ten Jahrtausend v. Chr., vor der Einwanderung Israels, mit babylonischer Kultur gesättigt oder, wie Delitzsch es in seinem Vortrage ausdrückt, „vollständig eine D o m ä n e d e r b a b y l o n i s c h e n K u l t u r war'), hat man seit der Auffindung und Entzifferung der Tell-el-Amärna-Tafeln sich gewöhnt als ein Axiom zu betrachten, das weiteren Beweises nicht mehr bedarf. Aber dessen hatte man sich doch immer noch getröstet, daß Arabien, die geheimnisvolle Wiege der semitischen Völkerfamilie, von dieser alles gleichmachenden Hochkultur ziemlich unberührt geblieben und bis in späte Zeit imstande gewesen sei, rein semitische, naturwüchsige, mit kräftigem Eigentrieb begabte Völkerpflanzreiser herzugeben. Das ist für Winckler nur eine wissenschaftliche Legende, die er schonungslos zerstört ») 8. 28.
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durch die Behauptung und den versuchten Nachweis, daß „ Arabien schon im höchsten Altertum dem vorderasiatischen Kulturleben bereits ebenso erschlossen gewesen sei wie in den Zeiten des Islam" 1 ), daß der Babylonismus also Arabien schon im 2. und 3. Jahrtausend v. Chr. ebenso durchdrungen und durchsetzt habe, wie das ganze übrige Vorderasien*). Auf dem untersten Grunde dieser Kultur aber liegt die babylonische Beligion, die das Geistesleben und vor allem seine Blüte, das Schrifttum der Völker, völlig beherrscht. Mit diesen Voraussetzungen tritt Winckler an das Alte Testament heran. Er erklärt daraus nicht nur dessen Urgeschichte und Vätersage; sondern das im voraus festgestellte und an jenen erprobte mythologische Schema legt er weiter auch an die Königszeit an und löst damit flugs alle ihre Siegel. Erstaunt fragt man sich, warum diese Behandlungs- und Betrachtungsweise mit Salomo oder höchstens") Rehabeam plötzlich abbricht und wir weiterhin, von einem gelegentlichen mythologischen Wetterleuchten abgesehen, auf einmal schlichte Staatengeschichte erhalten? An mangelndem Zeitabstand liegt das nicht; denn die älteste Geschichtsdarstellung, die Quelle E, ist nach Winckler erst zur Zeit des Ahas, in den letzten Jahrzehnten des Nordreichs, verfaßt 4 ), sodaß zur Ausbildung des Mythus Zeit im Überfluß bliebe. — Auch nicht an der zunehmen») KAT », S. 137. *) VgL dazu jetzt noch die nach Abfassung dieses Vortrags erschienene Schrift Hugo Wincklers, Arabisch-SemitischOrientalisch (Mitteilungen der Vorderasiatischen Gesellschaft, 1901, 4. 5). ») Geschichte Israels II, S. 287. *) KAT », S. 222. *
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den Helligkeit des Zeitalten; unterliegt doch nach ihm die Geschichte des Perserreiches wie die Alexanders des Großen usw. genau den gleichen mythologischen Gesetzen, ja, wie er uns lehrt 1 ), »zeigt ein Einblick in das Wesen orientalischer Weltanschauung, daß sie auch die historische Tatsache s t e t s 4 ) in der Form des Mythus erzählt". Auch durch die Kürze der Berichte, durch Stoffmangel, kann der Wechsel der Deutung nicht bedingt sein; denn wenigstens für die Zeit Ahabs sind wir darin besonders günstig gestellt. Aber halten wir nns an die früheren Zeiträume: wie lautet nun das Wincklersche Gesetz für die mythische Darstellungsweise, die Formel, von der sie beherrscht wird? Es gilt danach für den antiken Geschichtschreiber, die Königs-, Richter-, Patriarchenreihe als einen Cyklus nachzuweisen, welcher dem himmlischen Cyklus entspricht. Denn die Zeiträume und die Geschichte werden als Ausfluß des Waltens der Götter dargestellt. Wie diese sich in den Bewegungen der Himmelskörper offenbaren, und wie sie die verschiedenen Erscheinungen der Natur darstellen, so entsprechen ihnen die Könige als ihre Vertreter auf Erden und deren Schicksal bestimmt sich nach dem der ihnen entsprechenden Gottheiten. Das Schema dieses himmlischen Cyklus aber ist das der obersten Gottheiten Mond (als Vater), Sonne (als Sohn), Morgenstern (als Tochter). Doch hat der Cyklus darum nicht drei Einheiten. Vielmehr verläuft das Leben der Natur in zwei ') KAT«, S. 209. ') KAT «, S. 223.
») Von mir gesperrt
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Jahreshälften, Sommer und Winter, und dem entsprechend kann sich auch jede der drei großen Gottheiten in zwei Personen zerlegen. Eine Eigentümlichkeit der „kanaanäischen" Volksgruppe ist es, daß sie diese Zweiteilung regelmäßig bei der dritten Gottheit eintreten läßt, sodaß diese sich in die zwei Hälften der Natur, Sommer und Winter, zerlegt und der Cyklus damit vier Einheiten gewinnt. So ist denn der Überlieferang Saul der Mond, Jonathan die Sonne, David die eine, S&lomo die andere Hälfte der Jahresnatur; d. h. jede ihrer Handlungen wird von der Überlieferung so gedeutet und gedreht, daß eine Beziehung auf die ihnen entsprechende Gottheit herauskommt. Da Winckler daneben auf der Geschichtlichkeit des Kerns entschieden besteht, so wird es natürlich die Aufgabe des Geschichtsforschers sein, diesen Kern von den Schalen der mythologischen Einkleidung zu befreien. Das ist bei solcher Sicherheit über die Ziele der letzteren eine dankbare und leichte Aufgabe, es müßte denn geradezu einmal die geschichtliche Wirklichkeit der mythologischen Deutung in die Hände gearbeitet haben, ein unglückliches Zusammentreffen übrigens, das Winckler selbst kaum zu fürchten scheint. Dies sind die großen Umrisse des neuen Schlüssels zur Alten Geschichte, den Winckler zur Anwendung bringt. Das Verdienst der Entdeckung fällt nicht ihm zu, sondern, wie er selbst angibt 1 ), Ed. Stucken, der von einem großen Werke , Astralmythen der Hebräer, Babylonier und Ägypter" 1896 den 1. Bd. Abraham, 1897 den 2., Lot, 1899 den 3., Jakob herausgegeben hat. Man wird Winckler nicht vor') Gesch. II, S. 276.
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werfen dürfen, daß er uns, denen es um das rechte Verständnis der Bibel zu ton ist, zu lange auf die Verwertung dieser Erkenntnisse habe warten lassen. — Welterschütternde Entdeckungen solcher Art, wie sie sich auf allen Gebieten in nicht zu großen Abständen einzustellen pflegen, sind meist, auch wenn man von ihrer Unhaltbarkeit fest überzeugt ist, schwer unmittelbar zu fassen und umzuwerfen. Aber, wodurch dies immer besonders erschwert wird, das liefert zugleich den besten mittelbaren Beweis ihrer Hinfälligkeit. Ich meine den Mangel an Folgerichtigkeit und die zahllosen Möglichkeiten, Freiheiten, Hilfsannahmen, mit einem Worte Hinterpförtchen aller Art, die man sich offen hält, vermöge deren das neue Gesetz füglich auf jeden, auch den widerstrebendsten Stoff anwendbar wäre. Das läßt sich auch bei Wincklers Lehre, deren Anwendung er uns bereits im Jahre 1900 im zweiten Bande seiner Geschichte Israels viel ausführlicher dargeboten hatte, nach allen Richtungen nachweisen. Hier nur einige Beispiele und Fingerzeige! Wo uns Winckler zum ersten Male die Erde als Spiegelbild des Himmels darstellt 1 ), da hören wi,r, daß jeder Gott am Himmel seinen te(j.evo?, sein templum, seinen Abschnitt besitze, und daß diesem ein Abschnitt auf der Erde als sein L a n d , der zu seinem Tempel gehörige Bereich entspreche, in dem er als H e r r walte. Das läßt sich hören und belegen. Ist doch sicherlich Marduk der Herr von Babel, der Mondgott Sin der von Ur und von Haran, Ba' alMelkart der Herr von Tyrus, Astarte die Herrin von ») KAT «, S. 157 f.
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Byblos usw. Nun entsprechen aber doch Städten und Ländern die Könige; man sollte also denken, daß in der Königsreihe desselben Reichs auch desselben Herrengottes Taten und Schicksale sich wiederspiegelten. Statt dessen kreuzt sich nun, nach dem weiterhin aufgestellten Gesetze, mit der örtlichen Herrschaft die zeitliche, sodaQ in der Sonnenstadt Babel Mond und Morgenstern, in der Mondstadt Haran Sonne und Morgenstern, in der Venusstadt Byblos Sonne und Mond dem Herrn der Stadt ins Handwerk pfuschen. Fast scheint es, als wenn Winckler ursprünglich einer nach Ländern und Völkern unterschiedenen Herrschaft hätte den Vorzug geben wollen; denn alle drei Patriarchen Israels, Abraham, Isaak und Jakob, sind ihm Mondheroen. Mit den Haaren herbeigezogen wird die Erklärung dieses auffallenden dreifachen Anfangs derselben Reihe. Abraham bedeutet nämlich den Mondgott für das Zwillingszeitalter, «sein Abklatsch Isaak" für die Stierzeit, Jakob für die Zeit, wo der Frühjahrsanfang in den Widder Mit. Das letzere soll darum ganz in der Ordnung sein, weil das 8. Jahrhundert, in dem der Schreiber lebte, bereits in dieses Zeitalter Mit 1 ). Aber was geht denn den Erzvater Jakob die Zeit seines Biographen an, und sind denn Abraham und Isaak nicht nach Winckler frühestens zu derselben Zeit mythologisiert wie jener? Indessen neben dieser Auskunft und unbekümmert um sie wird doch auch noch eine andere geboten. Der Mondheros Abraham hat neben sich einen Bruderdioskuren Lot, der mit ihm nicht vereinigt sein darf, ursprünglich die Sonne *). Seine ») Gesch. H, S. 284.
») Ebendort.
B n d d e , Das A. T. n. d. Ausgrabungen.
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Schwester und Gattin Sara ist „ihrem Wesen nach klar bestimmt: sie ist die I&tar der babylonischen Mythologie. Abraham ist also in dieser seiner Rolle ihr Bruder und Gemahl Tammuz-Adonis" — damit wäre, indem Abraham doppelt gerechnet wird, die Vierzahl glücklich erreicht und der Cyklus schon bei dem ersten Patriarchen abgeschlossen. Freilich gerät dieser damit geradezu in Gefahr zum Sonnenheros zu werden. Aber Winckler fährt wörtlich fort: „Da beide [Abraham und Sara] Geschwister sind, müssen sie einen Vater haben. Das ist bei den Babyloniern der Mondgott Sin. Wir würden also von diesem Anhalt darauf schließen, daß die Gottheit, als deren heroischer Niederschlag dieser Abraham gelten soll, im wesentlichen der M o n d g o t t war" 1 ). Es kann danach auf diesem mythologischen Boden recht gilt jemand zugleich er selbst und sein eigener Vater sein. Die Freiheiten gehn aber noch viel weiter. Eine jede der drei Gottheiten „ enthält zugleich ihr andres geschlechtliches Gegenstück, sodaß daneben auch weibliche Mond- und Sonnen- und männliche Venusgottheit vorkommt". Ja, das letztere ist die Regel für das dem „kanaan&ischen* Gebiete zugehörige Alte Testament', insofern dort statt der dritten Obergottheit „die beiden Hälften der Jahresnatur oder des Tammuz, des männlichen Prinzips der IStar-AStoret" eintreten 2 ). Bedenkt man nun, daß dieser selbe Tammuz, der Adonis der Griechen, den Sonnenlauf darstellt 8 ), daß in der Tat Sonne und VenusIjtar uns als Geschwister - Gatten vorgeführt werden4), so ») Gösch. II, S. 23. «) KAT «, S. 139.
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) KAT >, S. 223.
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) KAT », S. 19.
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ergibt sich die weitere Freiheit, daß der an zweiter Stelle bereits waltende Sonnengott in anderer Gestalt auch die dritte, ja die dritte und vierte Stelle aasfüllen kann. Wie spielend leicht sich dabei allerlei Übergänge und Stellvertretungen vollziehen, sieht man an der Portsetzung der Patriarchensage. Nachdem die Reihe mit Jakob zum dritten Male begonnen ist, folgt zunächst ihm, dem Mondheros, Esau, der Zwilling, als Sonne, unbeschadet des Umstandes, daß er nicht Jakobs Sohn, sondern sein Bruder ist; denn, sagt Winckler, „die Sonne wird in den verschiedenen Systemen verschieden untergebracht". Freilich trägt nun auch Jakobs Sohn Joseph die Züge des Sonnengottes; aber weil der bereits vergeben ist, werden auf Joseph die T a m m u z mythen übertragen, und zwar vereinigt er dessen beide Gestalten in sich, wenn er in den bör [die Grube] geworfen und daraus wieder »erhöht* wird 1 ). Indessen auch dabei bleibt es nicht. Vielmehr ist Joseph „andererseits" n u r der in die Unterwelt gesunkene Tammuz, welcher in Ägypten stirbt, entsprechend der Südregion des Himmels, in der die Sonne im Winter steht, wenn Tammuz tot ist. Die Sonne im Frühjahr,